Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus: Immanente Pforten zur Transzendenz 9783111248042, 9783111246017

This volume examines certain transformations associated with the concept of theurgy in late ancient Neoplatonism. Theurg

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Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus: Immanente Pforten zur Transzendenz
 9783111248042, 9783111246017

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
1 Einleitung
2 Aspekte neuplatonischer Theurgie
3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus
4 Komparative Perspektiven
5 Schluss
Literaturverzeichnis
Register griechischer Begriffe
Sachregister

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Felix Herkert Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

Beiträge zur Altertumskunde

Herausgegeben von Susanne Daub, Michael Erler, Dorothee Gall, Ludwig Koenen† und Clemens Zintzen†

Band 413

Felix Herkert

Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus Immanente Pforten zur Transzendenz

Das Werk ist die leicht überarbeitete Version einer Dissertation, die im Jahre 2022 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. angenommen wurde.

ISBN 978-3-11-124601-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-124804-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-124852-3 ISSN 1616-0452 Library of Congress Control Number: 2023940484 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Bei vorliegender Arbeit handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift „Immanente Pforten zur Transzendenz: Zur Aufwertung der Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus“, die im Wintersemester 2022/23 an der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg/Br. angenommen wurde. Mein besonderer Dank gilt meiner Erstbetreuerin, Frau JProf. Dr. Angela Ulacco, für die so kenntnisreiche wie unkomplizierte Betreuung meiner Arbeit sowie für das Vertrauen, das sie mir stets entgegengebracht hat. Mein Dank gilt außerdem Herrn Prof. Dr. Dr. Markus Enders, der meine Arbeit freundlicherweise als Zweitgutachter betreut hat. Herrn Prof. Dr. Philipp Schwab danke ich für seine Bereitschaft, als Drittgutachter zu fungieren. Von Frau Prof. Dr. Bettina Bäumer empfing ich während eines viermonatigen Aufenthalts in Benares (Indien) im Wintersemester 2019/20 wichtige Impulse für die Auseinandersetzung mit dem kaschmirischen Śivaismus, was in den komparativen Teil vorliegender Arbeit miteingeflossen ist. Hierfür gilt ihr mein aufrichtiger Dank. Ein großer Dank gebührt ferner all meinen Freunden, mit denen ich verschiedene Aspekte der Arbeit diskutiert habe und die während meiner Studienund Promotionszeit mein Leben auf verschiedene Weise bereichert haben. Den Herausgebern der „Beiträge zur Altertumskunde“, allen voran Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Erler, danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in diese Reihe, Herrn Dr. Mirko Vonderstein und Frau Carla Schmidt vom Verlag De Gruyter für die kompetente Betreuung der einzelnen Arbeitsschritte bei der Finalisierung des Manuskripts. Mein oberster Dank sei meinen Eltern ausgesprochen, die mich über die gesamte Dauer meiner Studien- und Promotionszeit ideell und finanziell unterstützt und mir so ermöglicht haben, unter materiell sorgenfreien Bedingungen meinen Studien nachgehen zu können. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet. Mudau, Mai 2023

https://doi.org/10.1515/9783111248042-202

Felix Herkert

Inhalt Vorwort

V

1

Einleitung

2 2.1 2.2

Aspekte neuplatonischer Theurgie 13 Allgemeine Hinführung und Forschungsansätze 13 Theurgie vs. Magie – das Verhältnis von Gott und Mensch im Ritus 23 Die Rolle der göttlichen Symbole in der Theurgie 37 Theurgische Philologia sacra – zur Theorie der göttlichen Namen 58 Theurgie, Sonnenkult und Seelenvehikel 63

2.3 2.4 2.5

1

3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus 85 3.1 Aufwertung von Körperlichkeit und Materie bei Iamblichos 85 3.1.1 Materie, Leiblichkeit, Seelen-Fall und Dualismus bei Plotin 86 3.1.2 Charakteristika von Iamblichos’ Position 93 3.1.2.1 Der Mensch als συναμφότερον und die Begründung materieller Opfer 94 3.1.2.2 Problem der Verkörperung 98 3.1.2.3 „Göttliche Materie“ 105 3.1.2.4 Extension des Körperlichkeitskonzeptes über die grobstoffliche Ebene hinaus 112 3.1.3 Exkurs: Zur Körperlichkeit in den Chaldäischen Orakeln 117 3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos 125 3.2.1 Körper der Gestirngötter und höheren Genera 125 3.2.2 Körper der Dämonen 128 3.2.3 Das menschliche Seelenvehikel 130 3.2.3.1 Beschaffenheit des Vehikels nach In Tim. 131 3.2.3.2 Rolle des Vehikels in der Divination 133 3.2.3.3 Geeignetheit des Vehikels als transparentes Rezeptakel 145 3.2.3.4 Problem der „immanenten Transzendenz“ und kosmischen Entsprechung 154 3.3 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Proklos 155 3.3.1 Göttliche Körper 156 3.3.1.1 Körper der hyperkosmischen Seelen und der Weltseele 158 3.3.1.2 Körper der supralunaren und sublunaren Gestirnseelen 162 3.3.1.3 Körper der höheren Genera 168

VIII

3.3.1.4 3.3.2 3.3.2.1 3.3.2.2 3.3.2.3 3.3.2.4 4 4.1 4.1.1 4.1.2

Inhalt

Makro-Mikrokosmos-Analogie 170 Die menschlichen Seelenvehikel 171 Beschaffenheit des ersten und zweiten Vehikels 171 Das „Säen“ und die Verwandtschaft mit bestimmten Göttern Die Erkenntnisfunktion der Vehikel 179 Die „höhere Wahrnehmung“ des Lichtvehikels 184

4.1.7 4.1.8 4.1.9 4.1.10 4.1.11 4.1.12 4.2

Komparative Perspektiven 195 Theurgie und Tantra 195 Bisherige Ansätze 196 Hermeneutische Grundsituation von Neuplatonismus und kaschmirischem Śivaismus 200 Geschichtstheologie und Perennialismus 204 Problem von Dualismus und Leiblichkeit 207 Integration der Integration 211 Verhältnis von Theorie und Praxis (bzw. Erkenntnis und Aktion) 214 Rolle der Gnade 216 Magie, Götterzwang, übernatürliche Kräfte 220 Licht und Sonne 225 Rolle des Subtilkörpers 228 Problem „transgressiver“ Praktiken 232 Rolle weiblicher Gottheiten 234 Ausblick: Theurgie und persischer Sufismus 235

5

Schluss

4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6

240

Literaturverzeichnis

247

Register griechischer Begriffe Sachregister

269

267

176

1 Einleitung that the body of light come forth from the body of fire And that your eyes come to the surface from the deep wherein they were sunken, Reina – for 300 years, and now sunken That your eyes come forth from their caves & light then as the holly-leaf [...] „A spirit in cloth of gold“ so Merlin’s moder said, or did not say, left the quidity but remembered & from fire to crystal via the body of light, the gold wings assemble [...] A lost kind of experience? scarcely, O Queen Cytherea che ʼl terzo ciel movete.

Diese Zeilen stammen von Ezra Pound, namentlich aus Canto 91. Der Dichter evoziert in der hier geschilderten Vision das neuplatonische Konzept vom lichthaften Seelenvehikel (ὄχημα-πνεῦμα). Dass Pound mit dieser Vorstellung vertraut war, ist – spätestens seit den Studien D. P. Tryphonopoulos’ und P. Liebregts’ – kein Geheimnis mehr,1 und die angeführte Stelle mag als Beispiel dafür dienen, wie uns eine zum Kernbestand antiker Theurgie gehörige Vorstellung noch in einem der monumentalsten Werke der modernen Dichtung entgegentritt. Es ist nun gewiss kein Zufall, dass besagte Vorstellung in die Cantos eingegangen ist, lassen diese sich doch, wie Tryphonopoulos gezeigt hat, als esoterischer Text lesen. Nicht nur habe Pound eine Vielzahl esoterischer Gehalte aus Platonismus, Hermetik, Gnosis, Mysterienwesen und Theosophie einfließen lassen; vielmehr durchlaufe auch der Leser in der Lektüre gleichsam einen Initiationsweg, der in Analogie zu den eleusini-

 Wie Tryphonopoulos 1992, 170, bemerkt, verwendet Pound in seinen Aufzeichnungen zum 25. Canto sogar den Begriff „augeides“ (eigentlich: αὐγοειδὲς) – einen neuplatonischen Terminus, der uns im Laufe dieser Arbeit noch beschäftigen wird. https://doi.org/10.1515/9783111248042-001

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1 Einleitung

schen Mysterien nach dem Schema κατάβασις – δρώμενα – ἐποπτεία aufgebaut sei; eine Struktur, die sich auf das Gesamtgedicht wie auch auf einzelne Cantos anwenden lasse.2 In Canto 91 befinden wir uns auf dem Höhepunkt eines seelischen Dramas, bei dem Pound die Transformation der Seele im Moment ihrer göttlichen Erleuchtung ins Wort zu bringen versucht. Wenn er fragt, ob es sich hier um „A lost kind of experience“ handele und dies sogleich negativ mit „scarcely“ beantwortet, so spricht sich darin zweifelsohne sein Glaube an die Realität religiöser Erfahrungen als einer unverlierbaren menschlichen Möglichkeit aus; denn an der Wirklichkeit des θεός als eines „eternal state of mind“3 scheint Pound nie gezweifelt zu haben. In Pounds Rekurs auf die Neuplatoniker klingen bereits einige Probleme an, deren Thematisierung vorliegende Arbeit sich zum Ziele gesetzt hat; so die Verortung jener mit dem ὄχημα-πνεῦμα verknüpften Form von Körperlichkeit innerhalb der Sphäre religiöser Erfahrung („A lost kind of experience?“) und deren Konzeptualisierung, ferner die rituelle Reinigung und der Aufstieg des sogenannten „body of light“ bzw. „body of fire“ im Kontext der Theurgie (auch Pound geht aus „from the deep wherein they where sunken“, woran sich eine Aufstiegsbewegung zum „terzo ciel“ anschließt), nicht zuletzt eine besondere Art der Wahrnehmung, die dem ὄχημαπνεῦμα zugesprochen wird („your eyes come forth from their caves“) ... All dies weist im Grunde bereits ins Zentrum eines Themenkomplexes, der in dieser Einleitung umrissen und in der Folge detaillierter durchschritten werden soll. Der Übergang von Plotin zu Iamblichos, an dem Porphyrios zu verorten ist, in dessen Werk sich bereits manche der charakteristischen Züge des nachplotinischen Neuplatonismus4 abzeichnen, ohne indes bei ihm zu ihrer vollen Tragweite gelangt zu sein, lässt sich vor allem an folgenden Punkten festmachen: In

 Was Bergemann 2018 – ebenfalls unter Rekurs auf das ὄχημα – mit Blick auf Henry Mores Psychodia Platonica gezeigt hat, nämlich dass diese in ihrer sprachlichen Gestalt den Rezipienten gewissermaßen zur inneren Transformation hinführen will, besitzt daher auch für Pounds Cantos Gültigkeit.  Pound 1973, 47.  Der Terminus „Neuplatonismus“ ist bekanntlich keine Selbstzuschreibung der betreffenden Autoren, sondern geht auf die Historiographie des 18. Jahrhunderts zurück. Er wird für gewöhnlich verwendet, um die als „Platoniker“ sich verstehenden Philosophen der Spätantike seit dem 3. Jh. n. Chr., d. h. seit Plotin (bisweilen auch seit dessen Lehrer Ammonios Sakkas), zu bezeichnen. In diesem Sinne wird der Terminus in vorliegender Arbeit verwendet. Zwar gibt es zwischen den verschiedenen neuplatonischen Philosophen teils nicht unerhebliche Unterschiede (und unsere Untersuchung zielt darauf ab, manche dieser Differenzen zu exponieren); die Grundstruktur ihres metaphysischen Denkens zeichnet sich indes auch durch zentrale Gemeinsamkeiten aus (vgl. Horn 2006, 12–20; 2018).

1 Einleitung

3

theoretischer Hinsicht – und auf doktrinaler Ebene – lässt sich ein verstärkter Hang zur metaphysischen Binnendifferenzierung ausmachen. Damit verbunden ist das Bestreben, diverse religiöse Lehren und Vorstellungen – nicht nur klassischgriechischer, sondern auch ägyptischer oder orientalischer Provenienz – in eine grundsätzlich von platonischen Prämissen aus formulierte Einheitsmetaphysik zu integrieren; auf formaler Ebene fällt auf, dass die Kommentarform aufblüht und zu einer bevorzugten Darstellungsform philosophischen Denkens avanciert. In praktischer Hinsicht ist eine zunehmende Hinwendung zu religiös-rituellen Elementen erkennbar, die sich in einer soteriologischen Aufwertung und Eingliederung der sogenannten Theurgie – einem auf Reinigung der Seele und deren Wiederaufstieg zu den göttlichen Ursachen abzielenden Komplex von Riten – in die philosophische Lebenspraxis niederschlägt. In all diesen Tendenzen manifestiert sich eine im Vergleich zum Platonismus der Alten und Jüngeren („skeptischen“) Akademie, jedoch auch im Vergleich zum Mittelplatonismus5 und zu Plotin grundlegend gewandelte Verhältnisbestimmung von Tradition (bzw. Autorität), (philosophischer) Spekulation bzw. Exegese und (religiöser) Erfahrung.6 Dies wird insbesondere anhand des autoritativen Status kenntlich, den die nachplotinischen Neuplatoniker gewissen Texten zusprachen. Nicht nur Platons Dialoge wurden gleichsam als „Offenbarungen“ betrachtet, die Philosophie, Theologie und Mystagogie auf vollkommene Weise in sich vereinten;7 auch andere Schriften wie z. B. die – verschiedentlich als „Bibel der platonischen Theurgen“8 bezeichneten – Chaldäischen Orakel wurden als göttliche Offenbarungen von höchster soteriologischer Relevanz anerkannt. Diese stärkere Gebundenheit an autoritative Texte und das damit einhergehende apologetische Ansinnen dürfen indes nicht über das hohe Maß an schöpferisch-innovativer Kraft, die dem Denken der nachplotinischen Neuplatoniker zweifellos eignet, hinwegtäuschen.

 Auch „Mittelplatonismus“ ist eine historiographische Kategorie. Sie wurde vor allem von K. Praechter geprägt und dient heute i. d. R. „zur Bezeichnung der platonisch ausgerichteten Autoren der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. bis zur Zeit Plotins“ (Ferrari 2018, 548). In dieser Bedeutung findet der Terminus in unserer Arbeit Verwendung – und zwar in vollem Bewusstsein dessen, dass er als Deutungskategorie verschiedentlich kritisiert wurde: einerseits, weil er nicht als Selbstbezeichnung der entsprechenden Autoren fungierte, andererseits, weil bezweifelt wurde, ob sich in ihm die Neuheit und Innovativität der damit bezeichneten Denkströmung angemessen abbilden lasse. In letzterem Sinne sucht z. B. Boys-Stones 2018, 1–4, den posthellenistischen Platonismus weniger von dessen Kontinuität zur Akademie zu verstehen als vielmehr im Sinne einer eigenständigen Antwort auf die Probleme seiner Zeit. Zur – trotz dieser Kritiken – grundsätzlichen Sinnhaftigkeit des Begriffs vgl. Ferrari 2018.  Zur Frage nach deren Verhältnis bei Plotin vgl. Armstrong 1976.  Vgl. Baltzly 2014.  Cumont 91989, 114.

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1 Einleitung

Nur ist es so, dass dieser schöpferische Zug heutigen Lesern nicht immer unmittelbar einsichtig sein mag, da in der gegenwärtigen Philosophie das Vorurteil weit verbreitet ist, Traditionsgebundenheit und Innovation seien bloße Gegensätze.9 Die Komplementarität zwischen philosophischer Spekulation auf höchstem Niveau einerseits und rituellen Komponenten andererseits lässt sich sowohl als „Ritualisierung“ der philosophischen Lebensform wie auch als „philosophierender Zugang“ zum Ritual, d. h. als umfassendere Reflexion auf dessen Bedeutung und Rechtfertigung, begreifen. In diesem Sinne ist die neuplatonische Hinwendung zur Theurgie keinesfalls nur eine Frage ritueller Praxis – über deren konkreten Inhalt wir im Übrigen wenig wissen –, sondern beinhaltet zugleich das Projekt einer theoretischen Legitimierung derselben. Am deutlichsten wird dies in Iamblichos’ De mysteriis, das zurecht als großangelegter Versuch einer Rehabilitierung der traditionellen paganen Religion und ihrer Orthopraxie verstanden wurde.10 Kern dieses Versuchs bildet die theoretische Abgrenzung der Theurgie von vulgärmagischen Praktiken, was durch eine spezifische Neuauslotung des Verhältnisses von Gott und Mensch bzw. ihres Zusammenspiels im Ritus erreicht werden soll. Gegen die in Porphyrios’ Brief an Anebo vorgebrachten Einwände (z. B. jenen des „Götterzwangs“) entwickelt Iamblichos ein Verständnis des rituellen Geschehens, in welchem der Mensch lediglich als Mitursache in einer von einem jeweiligen göttlichen Wesen selbst ausgehenden Intervention betrachtet wird. Besagter ritualistic turn ging mit einigen doktrinalen Verschiebungen einher:11 Ein oftmals bemühtes und verschiedentlich untersuchtes Beispiel betrifft gewisse Wandlungen in der Seelenlehre zwischen Plotin und Iamblichos,12 so etwa Iamblichos’ Ablehnung der Lehre vom „unverkörperten Seelenteil“. Die Ablehnung dieser Lehre impliziert zugleich eine stärkere Akzentuierung der menschlichen Bedingtheit – in ontologischer wie epistemologischer Hinsicht –, die sich soteriologisch dergestalt niederschlägt, dass der Mensch sein Heil keinesfalls eigenmächtig erlangen kann, sondern auf die Macht göttlicher Hilfs- und Vermittlerwesen angewiesen bleibt; eine Auffassung, die im Grunde für alle seine Nachfolger ausschlaggebend bleiben sollte und sich in der Inthronisation der Theurgie zu einem, wenn nicht zu

 Vgl. zu dieser Problematik Fn. 445.  Vgl. Van Liefferinge 1999, 20; Addey 2014, 277–280.  Die doktrinalen Eigenheiten von Proklos im Vergleich zu Plotin sind anhand von „zwölf Differenzpunkten“ sehr klar benannt bei Horn 2006, 20–34. Ein Gutteil dieser Punkte betrifft der Sache nach bereits zwischen Iamblichos und Plotin bestehende Differenzen bzw. geht – wie Horn selbst bemerkt – „in einem erheblichen Umfang auf jene Transformation des Neuplatonismus zurück, die sich mit dem Namen des Iamblich verbindet“ (20 f.).  Eine klassische Studie zu dieser Wandlung ist nach wie vor Steel 1978.

1 Einleitung

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dem, maßgeblichen Erkenntnis- und Heilsweg widerspiegelt. Neben dieser Neuverortung der menschlichen Seele am unteren Ende einer vielgliedrigen Hierarchie göttlicher Wesen lässt sich gerade bei Iamblichos außerdem ein (in seinen Implikationen bislang weit weniger beachtetes) gewandeltes Verhältnis zu Körperlichkeit und Materie bzw. zur Sinnenwelt beobachten. Es ist letzteres Phänomen, das den Leitfaden der vorliegenden Arbeit motiviert und sich bei Iamblichos und seinen Nachfolgern in einer ganzen Anzahl von philosophischen Vorstellungen wie auch rituellen Praktiken manifestiert hat, die – so lautet die im Folgenden zu begründende Auffassung – in ihrer inneren Einheit bzw. in ihrem inneren Zusammenhang in erster Linie dann verständlich werden, wenn man sie als Ausdruck einer im Vergleich zu Plotin wie auch zum Mittelplatonismus typologisch andersartigen Form von Spiritualität begreift; eine Spiritualität nämlich, die weniger auf Weltflucht denn auf Integration der körperlich-materiellen Ebene abzielt und in welcher der Vorgang der spirituellen Vervollkommnung (d. h. die „Angleichung an den Gott“) stärker unter dem Gesichtspunkt einer positiven Teilhabe am demiurgischkosmogonischen Werk verstanden wird.13 Vor allem bei Iamblichos – der deshalb insgesamt als Hauptreferenzautor unserer Arbeit fungiert – wird offenkundig, dass das Ziel eines solchen Wegs nicht mehr allein im Rückstieg zum Göttlichen (und der damit verbundenen Abwendung von der Sinnenwelt) bestehen kann, sondern ebenfalls in einer hierauf folgenden Wiederhinwendung zur Sinnenwelt bestehen muss – in Form der Teilhabe an der göttlichen Aktivität, die in ihrer πρόοδοςDimension wesenhaft Kosmopoiesis ist. Vor dem Hintergrund dieser eher grundsätzlichen Betrachtungen sei nun der Gesamtplan der Arbeit skizziert. Sie gliedert sich in drei Hauptteile: (I) einen allgemeineren Teil zur Theurgie, der das Phänomen anhand einer Auswahl von Zentralvorstellungen untersucht, die als repräsentativ gelten können für jene Neuauslotung des Verhältnisses von Gott und Mensch sowie die damit zusammenhängende, gewandelte Haltung gegenüber Körperlichkeit und Sinnenwelt (= Kap. 2); (II) einen Teil, in dem die Rolle der Körperlichkeit bei Iamblichos und Proklos – unter besonderer Berücksichtigung gewisser Binnendifferenzierungen von Körperlichkeit, die in den ὄχημα-πνεῦμα-Lehren anklingen – genauer beleuchtet wird (= Kap. 3); (III) einen abschließenden komparativen Teil, in dem bereits zuvor gewonnene Erkenntnisse systematisch mit einigen Parallelentwicklungen in der indischen Tradition, namentlich im kaschmirischen Śivaismus, in Beziehung gesetzt werden (= Kap. 4). Aufbau und Erkenntnisziele der jeweiligen Teile gilt es jetzt genauer zu erläutern:

 In der bisherigen Forschungsliteratur wurde dieser Sachverhalt vielleicht am eindringlichsten von G. Shaw betont, dessen Ansätze wir an entsprechender Stelle noch genauer einbeziehen werden.

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1 Einleitung

(I) Im ersten Hauptteil der Arbeit soll der Themenkomplex der Theurgie – nach einer allgemeinen Hinführung und Nachzeichnung gewisser Forschungstendenzen – unter Fokus auf drei zentrale Themenfelder untersucht werden (von denen manche im zweiten Hauptteil sowie im komparativen Teil nochmals spezifischer aufgegriffen werden). Die wichtigsten Referenzautoren bleiben in all diesen Themenfeldern Iamblichos und Proklos; wo es sachlich geboten erscheint, werden jedoch auch andere Autoren (vor allem Kaiser Julian und Hermeias sowie – eher zur Abgrenzung – Porphyrios und Plotin) ergänzend herangezogen. (1) Das erste Themenfeld ist der theoretischen Rechtfertigung und Abgrenzung der Theurgie gegenüber magischen Praktiken gewidmet, was vor allem durch Betonung des Primats des göttlichen Akteurs und der Reduzierung des Menschen zur bloßen Mitursache erreicht werden sollte. Wie zu zeigen sein wird, ist die Theurgie alles andere als eine „prometheische“ Form der Ritualpraxis – wie manche verfehlten Definitionen derselben als „Götterzwang“ glauben machen könnten –, sondern bleibt wesentlich von einem Moment göttlicher „Gnade“ abhängig. (2) Das zweite Themenfeld beleuchtet die Rolle der göttlichen Symbole (sowie der göttlichen Namen, die lediglich eine spezifische Form der Symbole darstellen): Diesen Symbolen, die unseren Autoren zufolge vom Demiurgen in ganz unterschiedliche Bereiche der manifestierten Welt bis hin zur niedrigsten Wirklichkeitsebene „eingesät“ wurden, wird eine das menschliche Vernunftvermögen übersteigende anagogische Wirkkraft zugeschrieben, derer sich zu bedienen der Theurg angehalten ist. Durch diese ontologische Aufwertung des Symbolbegriffs stellt sich die klassisch platonische Urbild-Abbild-Ontologie in einem etwas anderen Lichte dar bzw. gewinnt die Sinnenwelt – als Ebene von Abbildlichkeit – eine Tiefendimension, in welcher sich ein im Vergleich zu Plotin gewandeltes Verständnis der Präsenz göttlicher Kräfte in der manifestierten Welt (genauer: bis in die unterste Manifestationsebene hinein) kundtut. (3) Anschließend wird der systematische Zusammenhang von Theurgie und Solartheologie erörtert: Dieser Teil umfasst genauere begriffsgeschichtliche Erörterungen zum Verhältnis von Licht, Feuer und Äther und bildet den Hintergrund zum Verständnis der Schlüsselrolle des ὄχημα-πνεῦμα-Konzepts in der Theurgie. Hat man die Läuterung und den Aufstieg der Seele vermittels der Sonnenstrahlen bzw. des „göttlichen Feuers“ allgemein als das „chaldäische Zentralsakrament“14 bezeichnet, so wird dieser Aufstieg nach neuplatonischer Auffassung gerade durch die Wesensverwandtschaft zwischen ὄχημα und „Sonnenkanälen“ (ὀχετοί) ermöglicht; das ὄχημα galt mithin als geeignetes, ätherisch-transparentes Trägermedium zur Aufnahme des „göttlichen Feuers“, und d. h. zur immanenten Repräsentation transzendenter Kräfte.15

 Vgl. Majercik 1989, 37.  Eine hervorragende Untersuchung dieser Thematik liefert Bergemann 2006.

1 Einleitung

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(II) Im zweiten Hauptteil wird zunächst die am klarsten bei Iamblichos festzustellende Tendenz zur Aufwertung von Körperlichkeit und Materie genauer in den Blick genommen. Ideengeschichtlich wird diese von Iamblichos vollzogene Wende als Reaktion gegenüber gewissen anti-körperlichen Affekten und dualistischen Tendenzen vor allem bei Plotin (aber auch im Mittelplatonismus) verstanden. Anhand der Konstellation Plotin/Iamblichos, insbesondere ihrer jeweiligen Haltung gegenüber Körperlichkeit und Materie, lässt sich gleichsam paradigmatisch das metaphysische Paradoxon veranschaulichen, dass sich gerade in Derivationsmodellen, welche die manifestierte Welt aus einem einzigen höchsten Prinzip ableiten, ein versteckter Dualismus und eine recht offene Sinnenfeindschaft einschleichen kann, insofern nämlich mit der Bekundung der letztlich alleinigen Realität des höchsten Prinzips oftmals eine starke (ontologische wie epistemologische) Abwertung der aus ihm entsprungenen niedrigeren Wirklichkeitsebenen einhergeht. Wie Iamblichos auf diese Problematik reagiert und welche Perspektiven er aufzeigt, wird anhand von vier Punkten erhellt: (1) seinem Verständnis vom Menschen als Verbindung (συναμφότερον) von Seele und Leib und der damit einhergehenden Rehabilitierung materieller Riten; (2) einer eher positiven Sicht auf die Verkörperung der Seele; (3) der Einführung einer „göttlichen Materie“, die gerade materielle Gegenstände als potentielle Rezeptakel der Götter erscheinen lässt; (4) der Extension des Körperlichkeitsbegriffs über die grobstoffliche Ebene hinaus. Letzteres betrifft die Postulierung eines ätherischen ὄχημα-πνεῦμα, welches die (immaterielle) Seele im Sinne ihres „ersten Körpers“ umhülle und ihren Eingang in den grobstofflichen Leib vermittle. Die Rolle dieses Konzeptes wird – nach einem kurzen Exkurs über die in den Chaldäischen Orakeln zum Ausdruck kommende Haltung zur Körperlichkeit – in der Folge dann im Hinblick auf Iamblichos und Proklos systematischer untersucht. Grundsätzlich ist die Entwicklung der Seelenvehikel-Vorstellung von Iamblichos hin zu Proklos insofern unter dem Gesichtspunkt der Aufwertung von Körperlichkeit zu betrachten, als dem Menschen hier eine Tiefendimension des Körpers – das ὄχημα-πνεῦμα wird bei den neuplatonischen Autoren ganz ausdrücklich als eine Art von (teils sogar unvergänglich vorgestelltem) σῶμα bezeichnet16 – zugesprochen wird, die vor allem in der

 Je nach vorgestellter Beschaffenheit wird das Seelenvehikel oftmals als ein mit Adjektiven wie αὐγοειδὲς, ἀστροειδὲς, αἰθερῶδες, λεπτότερον etc. näher klassifiziertes σῶμα bezeichnet. Steht das Wort σῶμα allein, ist rein terminologisch und ohne Kontext nicht immer klar, ob der grobstoffliche oder ein feinstofflicher Leib gemeint ist. Hadot 2002, 335 ff., beispielsweise führt als Belegstellen, in denen ein nicht näher klassifiziertes σῶμα den feinstofflichen Leib bezeichnen muss, Damaskios, In Phd. I 123 und Simplikos, In Epict. XXXVIII, an. Analoges gilt für das lateinische corpus. Origenes z. B. spricht lediglich von corpora, deren verschiedene Formen er dann erst im Folgenden genauer charakterisiert als aethera und aerea, bis er schließlich zu den crassioribus corporibus kommt. Vgl. Dörrie/Baltes 6.1 2002, Bst. 165.5.

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1 Einleitung

Erklärung der Theurgie, namentlich der Manifestation göttlicher Entitäten in einem menschlichen Medium, bzw. für ein solches Medium, maßgeblich ist. Da es die im ὄχημα-πνεῦμα verorteten Erkenntnisfunktionen – nämlich gewisse höhere Formen der Wahrnehmung (αἴσθησις) – sind, vermittels derer der Mensch göttliche Erscheinungen wahrzunehmen vermöge, fundiert die mit diesem Begriff bezeichnete körperliche Tiefendimension im Grunde eine gesamte Theorie der Epiphanien – oder wenn man so will: eine Phänomenologie religiöser Erfahrung –, wie sie etwa in Buch II und III von De mysteriis, aber auch an verschiedenen Stellen von Proklos’ Politeiaund Timaios-Kommentaren, entwickelt wird. Was im ersten Hauptteil bereits allgemeiner darstellt wurde – d. i. die Art des Zusammenspiels von Gott und Mensch im theurgischen Ritus sowie die lichtmetaphysischen Implikationen der Ätherlehre – wird hier im Kontext der göttlichen Epiphanien nochmals spezifischer diskutiert. Und insofern die angemessene Erklärung dieser Epiphanien sich für die Harmonisierung von platonischer Metaphysik (bzw. platonischem Gottesbild) und traditioneller griechischer Religion als tragend erweist,17 ist es nicht übertrieben zu behaupten, dass dem ὄχημα-πνεῦμα somit auch innerhalb des weiter gefassten Projekts einer Rehabilitierung des klassisch-griechischen Paganismus eine Zentralstellung zukommt. Die religionsphilosophische Relevanz des Konzeptes für die Neuplatoniker ist daher kaum zu überschätzen. Das zeigt sich auch daran, dass das ὄχημα-πνεῦμα-Konzept mitnichten allein auf die anthropologische Sphäre beschränkt bleibt; diversen göttlichen Entitäten sprechen die Neuplatoniker ebenfalls eine feinstoffliche Körperlichkeit zu und besonders Proklos’ ὄχημα-πνεῦμα-Lehre lässt sich als eine folgerichtige Ausgestaltung der Mikro-Makrokosmos-Analogie begreifen. Entsprechend werden wir nicht zuletzt den systematischen Zusammenhang der anthropologischen, kosmologischen und theologischen Dimension in den Fokus rücken. Überblickt man die bis hierhin skizzierten, im ersten und zweiten Hauptteil verhandelten Themen, die – wie man bemerken wird – allesamt spezifische Neuerungen betreffen, welche sich aus Iamblichos’ Reorientierung des Platonismus ergeben, so erschließt sich ihr innerer Zusammenhang wie gesagt primär von ihrer Bezogenheit auf ein gewandeltes Verhältnis zum Phänomen der Körperlichkeit her. In der für den theurgischen Neuplatonismus charakteristischen, stärkeren Akzentuierung der conditio humana, der Verortung des Menschen im Kosmos, bei gleichzeitigem Festhalten an einem starken Streben nach Transzendenz, muss die Sinnenwelt vor allem qua ihres Symbolcharakters und ihrer potentiellen Fähigkeit, als Medium göttlicher Präsenz zu fungieren, in den Blick kommen. In diesem Sinne lässt sich die Theurgie vor allem als Suche nach immanenten Pforten zur Transzendenz – d. h. ihrer philosophischen Konzeptualisierung

 Vor allem bei Proklos, In Remp. I 39,1–40,4; I 110,21–114,29.

1 Einleitung

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wie auch ihrer praktischen (rituellen) Anwendung – verstehen. Auf konzeptueller Ebene stellt sich das Problem als Frage nach der Geeignetheit (ἐπιτηδειότης) eines entsprechenden Empfängermediums (δοχεύς). Auf ritueller Ebene kann diese Geeignetheit – eingedenk der beiden Hauptzweige der Theurgie, der Telestik (Beseelung göttlicher Statuen) sowie der göttlichen Besessenheit eines menschlichen Mediums18 – sowohl auf materielle Gegenstände als auch auf den Menschen selbst, genauer: sein Seelenvehikel, bezogen sein. Die gesamte theurgische Symboltheorie, Iamblichos’ Konzept einer „göttlichen Materie“ und nicht zuletzt das menschliche ὄχημα-πνεῦμα sollen – als Immanenzmedien – die Präsenz der göttlichen Ursachen bis in die unteren Manifestationsebenen hinein verbürgen. Sie alle sind folglich als Pforten zur Transzendenz zu verstehen; Pforten zumal – und dies kann hier nicht stark genug unterstrichen werden –, denen jeweils eine bestimmte Form von Körperlichkeit bzw. Materialität eignet. Gerade das ὄχημα-πνεῦμα-Konzept zeigt uns, wie die Ritualpraxis in der Regel an eine – wenn auch hier feinstoffliche – Dimension von Körperlichkeit gekoppelt bleibt.19 Es sollte ferner deutlich geworden sein, dass genannte Themen eine Mehrzahl von Grundfragen – wie das Verhältnis von Theorie und Praxis in der spätantiken Soteriologie, von Vernunft und Offenbarung (bzw. philosophischer Spekulation und Autorität), von Immanenz und Transzendenz, von Dualismus und Vermittlung etc. – aufwerfen, auf die in verschiedenen Konstellationen einzugehen sein wird. (III) Der letzte Teil blickt über den Neuplatonismus hinaus und eröffnet einige komparative Perspektiven. Blieben vergleichende Studien zu Neuplatonismus und indischer Philosophie hinsichtlich des neuplatonischen Referenzpunktes bisher zuallermeist auf Plotin, hinsichtlich des indischen Referenzpunktes meist auf den Advaita-

 Vgl. Muscolino 2011, CLXXIV–CLXXXVIII; 2017, 100–122.  Tanaseanu-Döbler 2013, 18, hebt zurecht hervor: „The key aspect of rituals is the central role which the bodily aspect of the human person plays in it.“ Schon diese simple Beobachtung legt nahe, den ritualistic turn der theurgischen Neuplatoniker mit einer verstärkten Achtsamkeit auf das Phänomen der Körperlichkeit engzuführen. Dies will freilich nicht heißen, dass es nicht auch „verinnerlichte Rituale“ gebe, bei denen der (grobstoffliche) Körper keine äußeren Handlungen vollzieht (vgl. dazu Fowden 1986, 147–150; Eliade 2004, 120–122; Seaford 2016). Man muss indessen betonen, dass auch innere Rituale – jedenfalls solange sie z. B. mit gewissen Imaginations- oder Visualisierungstechniken verknüpft sind – eine Art von Körperlichkeit, obgleich in subtiler Form, voraussetzen, weshalb Addey 2014, 199, nur zugestimmt werden kann, wenn sie bemerkt: „further study of the role of the soul vehicle in ritual praxis may assist in extending or moving beyond the Cartesian mind-body dualism which underlies the dichotomous opposition between thought and action often imposed on ritual“. Gerade vor diesem Hintergrund sollte der recht breite Raum, welcher der Betrachtung dieses Konzeptes innerhalb der vorliegenden Arbeit eingeräumt wird, verständlicher werden.

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Vedānta fixiert, soll hier ein anderer Weg eingeschlagen werden, insofern einerseits nicht Plotin, sondern Iamblichos, andererseits nicht Advaita-Vedānta, sondern der nicht-dualistische Śivaismus von Kaschmir – eine der philosophisch anspruchsvollsten tantrischen Traditionen Indiens, als deren herausragendster Vertreter Abhinavagupta (10./11. Jh.) gilt – als entscheidende Bezugspunkte gewählt werden. Diese Wahl ergibt sich durchaus folgerichtig aus der thematischen Stoßrichtung der Arbeit und nicht wenige Punkte, die in den vorherigen Teilen im Kontext der theurgischen Neuplatoniker entwickelt wurden, werden hier unter komparativen Vorzeichen erneut aufgegriffen (und ggf. um weitere Punkte ergänzt). Nicht nur lassen sich erstaunliche ideengeschichtliche Parallelen in der Herausbildung von theurgischem Neuplatonismus und kaschmirischem Śivaismus – jeweils gegen gewisse eher weltflüchtigsinnenfeindliche und dualistische Tendenzen (in Indien vor allem repräsentiert durch den Advaita-Vedānta) – aufzeigen;20 auch auf doktrinalem und ritualistischem Terrain kommen beide Traditionen in mancherlei Hinsicht überein und ihr Vergleich kann zur typologischen Schärfung des ihnen eigenen „spirituellen Profils“ beitragen: Denn typologisch betrachtet haben wir es – so unsere These – mit zwei analogen Formen von Spiritualität zu tun, deren beider Fokus stärker auf der immanenten Transzendenz des Göttlichen sowie der Integration ontologisch niedriger Wirklichkeitsebenen liegt und die den Menschen in einem ganzheitlichen Sinne, d. h. unter angemessener Berücksichtigung seiner seelischen und leiblichen Dimensionen, in den Blick zu nehmen bestrebt sind.21 Der Rekurs auf den kaschmirischem Śivaismus ist schließlich auch dahingehend interessant, als es sich hier um eine teils bis heute lebendige – im 20. Jahrhundert namentlich von Swami Lakshman Joo (1907–1991) erneuerte – Tradition handelt, deren „praktisches Wissen von d[er] Tiefendimension des Menschen über die Jahrtausende überliefert wurde“, die uns somit einen „Schlüssel für das Verstehen der eigenen philosophischen und religiösen Traditionen in die Hand“ geben und uns „in einer Epoche eines geschrumpften Menschenbildes darauf hin [weisen kann], was der Mensch ist und was die Möglichkeiten des Menschen sind“.22 Dies ist nicht zuletzt auf gewisse rituelle Praktiken zur spirituellen Vervollkommnung sowie auf jene „Tiefendimensionen des Leibes“ zu beziehen, die bei den theurgischen Neuplatonikern immer wieder anklingen, denen jedoch innerhalb der modernen westlichen Vorstellungswelt (und zwar auch der genuin philosophischen Vorstellungswelt) offenbar nichts mehr entspricht. Eher ausblickhaft sollen am Ende

 Das im zweiten Hauptteil anhand der Konstellation Plotin/Iamblichos thematisierte Paradoxon eines unter Umständen gerade ihrem Selbstverständnis gemäß streng „nicht-dualistischen“ Lehren inhärenten „Dualismus“ tritt uns in ähnlicher Form in der Konstellation Advaita-Vedānta /kaschmirischer Śivaismus entgegen.  Mit Blick auf Abhinavagupta vgl. Skora 2007a u. 2007b.  Fürlinger 2006, 259. Wir erinnern uns an E. Pounds „A lost kind of experience? scarcely.“ ....

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des komparativen Teils zudem einige Vergleichspotenziale in Hinblick auf eine weitere Tradition, namentlich den persischen Sufismus, zumindest angerissen werden. Dort wird erneut deutlich werden, dass es sich bei einem Gutteil jener den Grundbestand des theurgischen Neuplatonismus ausmachenden Aspekte mitnichten um isolierte Phänomene handelt, sondern um solche, die klar benennbare Parallelen in anderen Kulturkreisen aufweisen. In methodologischer Hinsicht verbinden sich in der Arbeit systematische mit ideen- und begriffsgeschichtlichen Ansätzen. Während ihr Gesamtaufbau bzw. der ihre innere Ordnung strukturierende rote Faden eher systematischen Gesichtspunkten folgt und die einzelnen Themenkomplexe in ihrer Wechselbezogenheit primär vor dem Hintergrund der sich in ihnen aussprechenden Tendenz einer gewandelten Haltung zum Phänomen der Körperlichkeit erkennbar werden, verfährt die jeweilige Darstellung der einzelnen Themenfelder doch über weite Strecken historisch. Auf ein konkretes Beispiel bezogen heißt dies: Während die Aufwertung des Symbolbegriffs im theurgischen Neuplatonismus als solches ein Themenkomplex darstellt, dessen Bedeutung m. E. letztlich nur innerhalb eines größeren Gesamtrahmens, der noch weitere Themenkomplexe umfasst, in denen sich ähnliche Tendenzen ausdrücken, angemessen verständlich wird – und mithin einen systematischen Blick auf die in diesen Themenkomplexen behandelten Problemstellungen und Lösungsvorschläge voraussetzt –, verfährt das entsprechende Kapitel zum Symbolbegriff insofern ideen- bzw. begriffsgeschichtlich, als es den semantischen Gehalt von Begriffen wie σύμβολον oder σύνθημα bei den hierfür wichtigsten Referenzautoren untersucht. Gleiches gilt für andere Kapitel. D. h. einerseits, dass die jeweiligen Kapitel durchaus auch als Einzeluntersuchungen zu den in ihnen verhandelten Themen mit Gewinn gelesen werden können, sich die in diesen Einzelkapiteln (teils eher unterschwellig) präsente Gesamtstoßrichtung und Primärthese der Arbeit andererseits erst aus ihrer wechselseitigen Verknüpfung ergibt. Wenn wir vom „systematischen“ Aufbau unserer Untersuchung sprachen, darf damit freilich nicht der Eindruck entstehen, dass das Themenfeld der Theurgie bzw. die in seinem Umfeld zu verortenden doktrinalen Transformationen hier in umfassender Weise behandeln werden sollen; vielmehr beschränkt sich die Untersuchung auf eine notgedrungen selektive, aber m. E. gleichwohl repräsentative Auswahl von Themenfeldern. In einer Arbeit, die sich primär als Beitrag zu einem besseren Verständnis des theurgischen Platonismus begreift und unter Fixierung auf ein bislang viel zu wenig beachtetes Phänomen – eben der Aufwertung von Körperlichkeit – das geistige Gepräge dieser Denktradition zu profilieren sucht, scheint uns dieses Vorgehen hinreichend und angemessen zu sein. Man kann sich natürlich fragen, ob nicht auch andere als die von uns gewählten Themenkomplexe – sei es zur Stützung oder auch zur Kritik unserer Thesen – hätten betrachtet werden können

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(oder sogar sollen). Diese Frage ist gewiss berechtigt und es ist nicht auszuschließen, dass sich unsere Untersuchung auch unter Einbeziehung anderer dem theurgischen Neuplatonismus zukommenden Aspekte hätte durchführen lassen (gleiches gilt im Übrigen auch für den komparativen Teil). Doch kann sich die Sinnhaftigkeit der gewählten Bezugspunkte ohnehin einzig und allein aus dem Gang der Untersuchung selbst erweisen. Ob also unsere μέθοδος der verhandelten Sache gerecht wird, muss jeder Leser im Nach-Verfolgen des Untersuchungs- bzw. Darstellungswegs selbst beurteilen. Nun liegt zu den verschiedenen, im Laufe dieser Arbeit durchschrittenen, Themengebieten (d. h. der Theurgie im Allgemeinen oder spezifischen Aspekten derselben, der ὄχημα-πνεῦμα-Lehre, nicht zuletzt auch des kaschmirischen Śivaismus) zum Teil bereits eine nicht unerhebliche Menge an Forschungsliteratur in diversen Sprachen vor. Diese Forschungsarbeiten wurden in möglichst umfassender Weise einbezogen. Ihre Diskussion sowie die bestimmter Forschungstendenzen erfolgen in den jeweiligen Hauptteilen. Antike Quellen werden, wenn in adäquaten modernen Übersetzungen vorliegend, teils nach diesen zitiert, teils werden eigene Übersetzungen erstellt (oder bestehende modifiziert). Gleiches gilt für die im komparativen Teil zitierten indischen Quellen.

2 Aspekte neuplatonischer Theurgie 2.1 Allgemeine Hinführung und Forschungsansätze Etymologisch setzt sich der Begriff θεουργία bekanntlich aus θεός und ἔργον zusammen.23 Als solcher scheint er eine Prägung der Spätantike zu sein, die offenbar im Umfeld der Chaldäischen Orakel (λόγια Χαλδαικά), und d. h. im 2. Jahrhundert n. Chr., entstand. Deren angeblicher Verfasser, Julian „der Theurg“24, wurde, nebst seinem Vater, Julian „dem Chaldäer“ – und in der Regel nur sie beide25 –, verschiedentlich (zumeist von neuplatonischen Autoren) als θεουργοί bezeichnet.26 Im  Vgl. zum Begriff: Cremer 1969, 19–25; Lewy ³2011, 461–466; Majercik 1989, 22 f.; Nasemann 1991, 277–279; Stäcker 1998.  Vgl. zum Verfasser der Orakel: Geudtner 1971, 1–3.  Ausnahmen bestätigen die Regel. So ist zu bemerken, dass im einzigen Fragment der Chaldäischen Orakel, wo der Begriff θεουργοί vorkommt (fr. 153) – alle anderen Nennungen stammen aus kommentierenden spätantiken Texten –, dieser Begriff nicht auf die beiden Juliani beschränkt sein kann. Das Fragment lautet: „Nicht rechnen zu der vom Schicksal beherrschten Herde die Theurgen“ (Übers. Lewy ³2011, 548). Entscheidend ist hier die Unterscheidung zwischen zwei Menschenklassen, nämlich den Theurgen und der „Herde“ (ἀγέλη); dies klingt auch in Iamblichos’ Unterscheidung zwischen drei Menschenklassen an (De myst. V 18): die „Herde“ (ἀγέλη), die „Mittleren“ (οἱ μέσοι) und die „Wenigen“ (οἱ ὀλίγοι), wobei letztere wohl den Theurgen entsprechen (ausführlich dazu: Cremer 1969, 123–130). Eine weitere terminologische Ausnahme findet sich bei Kaiser Julian (Ep. 89b, 292a–b), wenn er sich auf die orphische Dichtung als Lehre der „alten Theurgen“ (διὰ τῶν ἀρχαίων ἡμῖν θεουργῶν) bezieht. Dies ist jedoch charakteristisch für Julians Begriff der Theurgie überhaupt, der sogar die jüdischen Propheten mit einzubegreifen scheint (vgl. Tanaseanu-Döbler 2013, 141). Zum Begriff „chaldäisch“, der zunächst auf die babylonische Priesterkaste und deren Schüler bezogen war, vgl. Lewy ³2011, 426 f.  Diese chaldäischen θεουργοί genossen seit Iamblichos unter den Neuplatonikern eine Autorität, die jene Platons noch übersteigen konnte. Hierzu ein Beispiel: Zwar stets um Harmonisierung der „platonischen“ und „chaldäischen“ Lehre bemüht, schlägt sich Proklos (In Tim. III 63,21–24) in der Frage nach der Stellung der Sonne – nach Platon: der nach dem Mond kommende Planet; nach chaldäischer Astronomie: der erst nach Mond, Merkur und Venus kommende mittlere Planet – ausdrücklich auf die Seite der „chaldäischen“ Auffassung, und zwar mit dem Argument, es sei „nicht gestattet, seinen Glauben an die Theurgen zu versagen“. Vgl. dazu Saffrey 2000c, 184 f. Gleiches gilt für Kaiser Julian. Diese Prioritäten spiegeln sich auch im Curriculum der athenischen Schule wider, wo eine Lektüre der Schriften der orphischen bzw. chaldäischen Theologen erst ganz am Ende des Studienwegs, d. h. nach der Lektüre von Aristoteles und Platon, vorgesehen war (vgl. Marinos, Vita Procli § 13 u. 26). Man hat die Wertschätzung, welche die Orakel seit Porphyrios unter den Neuplatonikern genossen, nicht zuletzt auf das Bestreben der heidnischen Philosophen zurückgeführt, dem erstarkenden Christentum und dessen Heiliger Schrift ein durch göttliche Autorität legitimiertes Offenbarungsschriftwerk entgegenzustellen. Vgl. Hadot 1998, 42 f. In der Tat stellt sich im nachplotinischen Neuplatonismus die Frage nach dem Verhältnis von Offenbarung und Vernunftgebrauch in einer – sonst eher von den klassischen Offenbahttps://doi.org/10.1515/9783111248042-002

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

wörtlichen Sinne meint θεουργία so viel wie „göttliches Werk“ bzw. „Werk der Götter“27 und ist seit Iamblichos auf eine Ritualpraxis bezogen, in welcher der Mensch als Instrument bzw. Medium eines göttlichen Geschehens fungiert. Iamblichos lässt keinen Zweifel daran, dass das im theurgischen Ritus Erreichbare die Möglichkeiten menschlichen Denkens transzendiert (vgl. De myst. II 11; X 2–3); und noch Proklos beschreibt die „theurgische Kraft“ als eine Kraft, „welche besser ist als jede Weisheit und menschliches Wissen, da sie die Segnungen der Divination, die dem Vollzug der Riten eigenen reinigenden Kräfte, sowie alle Errungenschaften göttlicher Besessenheit in sich vereint“ (Th. Pl. I 25, 113,6–10; EÜ). Dies grenzt den Begriff von allen Formen menschlicher Magie ab, die – sich die kosmische Sympathie zunutze machend – es auf Manipulation innerkosmischer Kräfte, mithin innerweltliche Beeinflussung abgesehen hat. Demgegenüber ist Primärziel der Theurgie ein innerer Reinigungsprozess, der zur Divination, zur Schau der Götter, zum Wiederaufstieg der Seele in ihre himmlische Heimat und ggf. zur Henosis befähigen soll, der demnach soteriologischen Charakter besitzt.28 Neben dieser im engeren Sinne soteriologischen Bedeutung lässt sich die Theurgie durchaus auch in das therapeutische Philosophieverständnis der Spätantike einzeichnen, wie es von P. Hadot verschiedentlich dargelegt wurde.29 Dabei scheint den theurgischen Riten durchaus auch eine medizinische Funktion, nämlich eine positive Wirkung auf die körperli-

rungsreligionen bekannten – recht scharfen Art und Weise. Dies betrifft auch den Umgang mit Platon, dessen Autorität bei den Neuplatonikern keineswegs auf die „philosophische Richtigkeit“ seiner Auffassungen beschränkt geblieben ist: Seiner Philosophie wurde gleichsam „Offenbarungsstatus“ zuerkannt; sie wurde im Sinne einer heilsrelevanten „Mystagogie“ aufgefasst (vgl. Proklos, Th. Pl. I 5; dazu auch Baltzly 2014). Zur Eingliederung der Dialog-Exegese in die theurgische Praxis vgl. auch Stäcker 1995, 207 ff.  Vgl. Iamblichos, De myst. II 11; III 18, 145,2; III 20, 148,5: τὰ θεῖα ἔργα; III 17: οὐκ ἀνθρώπειόν τι, θεῖον δὲ τὸ ἔργον; ferner III 18, 145,4: τὰ κρείττονα ἔργα. De mysteriis wird in vorliegender Arbeit nach der Zeilenangabe des griechischen Textes in der zweisprachigen Edition von Clarke/Dillon/ Hershbell (2003) zitiert.  Iamblichos, De myst. I 12, 41,9 f., sagt unmissverständlich, dass die ἔργα auf τῆς ψυχῆς σωτήριον abzielen; vgl. ferner X 7, 293,5 f., wo Iamblichos präzise zusammenfasst, der Theurgie gehe es um „Reinigung, Befreiung und Rettung der Seele“. In III 31, 179,7 f., nennt er zumal ἡ πρὸς τὸ νοητὸν πῦρ ἄνοδος als τέλος der θεουργικῆς πραγματείαν. Zu letzterem auch Damaskios (In Phd. 121,9): „Ziel der Mysterien (σκοπός τῶν τελετῶν) besteht darin, die Seelen dorthin hinaufzuführen (ἀναγαγεῖν), von wo sie erstmals abgestiegen waren.“ Nach der Übers. bei Lewy ³2011, 210. Der Seelenaufstieg umfasst verschiedene Stufen. So unterscheidet Iamblichos, De myst. III 5, 111,10 f., zwischen „Teilhabe“ (μετουσία), „Gemeinschaft“ (κοινωνία) und „Einung“ (ἕνωσις). Vgl. dazu Addey 2014, 227.  Vgl. Hadot ²2005. Oder Shaw ²2014, 180: „[...] theurgy was more a practical therapy than a philosophical system.“

2.1 Allgemeine Hinführung und Forschungsansätze

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che Gesundheit, zugesprochen worden zu sein;30 und bemerkenswerterweise gibt es sogar Orakelsprüche, welche die „Rettung“ (σωτηρία) der Seele auf die des Körpers (σώμα) auszudehnen scheinen.31 Dass der Mensch nicht mehr aus eigener Kraft und durch philosophische Mittel zur Henosis befähigt sei, hängt – wie oftmals bemerkt wurde – damit zusammen, dass sich im nachplotinischen Neuplatonismus eine gegenüber Plotin gewandelte Seelenauffassung geltend macht. Denn während dieser von einem „unverkörperten Seelenteil“ ausging, ist die Seele Iamblichos zufolge ganz abgestiegen und bedarf für ihren Wiederaufstieg transzendenten Beistandes, dessen Gewinnung eben Ziel der Theurgie ist.32 Dementsprechend betont Iamblichos – im Unterschied zu Plotin – stets, das Heil könne der Seele nicht aus sich selbst heraus zukommen, sondern vielmehr nur „von außen“ (ἔξωθεν).33 Nicht allein zwischen Menschen und Göttern besteht für Iamblichos eine merkliche Kluft, sondern auch zwischen Menschen und den sogenannten „höheren Gattungen“ (κρείττονα γένη) wie z. B. Dämonen oder Engeln, die im theurgischen Prozess als Vermittlerwesen fungieren (vgl. De myst. IX 10). Im weiteren Sinne können die theurgischen Riten diverse religiöse Praktiken wie Mantik (vgl. De myst. III 31, 175,18), Opferhandlungen (vgl. De myst. V 18, 225,4 f.), Gebet (vgl. De myst. V 26; Proklos, In Tim. I 212,29 ff.) und Götteranrufungen (vgl. In Crat. § 122) umfassen. Entsprechend den Chaldäischen Orakeln verbinden sich im Ritus Wort und Tat, ἔργον und heiliger λόγος (fr. 110: ... ἱερῷ λόγῷ ἔργον ἑνώσας). Dass in manchen Praktiken materielle Gegenstände verwendet wurden (die als συνθήματα bzw. σύμβολα dienten), denen eine besondere Verwandtschaft mit spezi-

 Die wohltätigen Wirkungen der göttlichen Manifestationen erstrecken sich für Iamblichos (vgl. De myst. II 6) auf die Gesundheit des Körpers wie auch auf die Tugend der Seele und die Reinheit des Geistes. Hiernach betrifft das „göttliche Werk“ den Gesamtmenschen mit all seinen Vermögen. Ähnlich ruft Proklos z. B. in seiner Hymne an Helios (Z. 42) den Gott auch um körperliche Gesundheit an (vgl. Kommentar Van den Berg 2001, 183 f.); gleiches gilt für seine Gebete (vgl. Van den Berg 2020). Und In Crat. § 176 spricht dem reinigenden Licht Apollons medizinische wie soteriologische Effekte zu. Nicht zuletzt ist in diesem Zusammenhang die Praxis der Inkubation zu nennen, die Iamblichos (vgl. De myst. III 3) im weiteren Sinne zu den theurgischen Praktiken zu zählen scheint und deren medizinische Funktion in der Antike wohlbekannt war.  Vgl. dazu Kap. 3.1.3.  Vgl. Saffrey 1990, 54f.; Nasemann 1991, 96–101; Finamore 1999, 83 f.; Shaw 2003, 65–67; ²2014, 13 ff.; Addey 2014, 147–150. Plotin schreibt: „unsere Seele ist nicht ganz hinabgesunken, sondern immer bleibt ein Teil ihres Wesens in der intelligiblen Welt“ (Enn. IV 8, 8, 2 f.; Übers. Harder). Demgegenüber betonen Iamblichos und Proklos das völlige Abgestiegensein der Seele (vgl. Iamblichos, In Tim. fr. 87; Proklos, El. Th. § 211; In Parm. IV 948,18; In Tim. III 323,3–6; 333,28–334,4; In Alc. 227,2–7; dazu auch Dillon 2005). Und selbst vollkommene Seelen bleiben für Iamblichos im Vergleich zu den Göttern unvollkommen (vgl. De myst. III 20, 149,9 f.).  Belege bei Cremer 1969, 95 Fn. 480.

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fischen Göttern zugesprochen wurde, geht aus den Quellen hervor,34 ferner auch, dass diese teils in Götterstatuen versammelt wurden.35 Aufgrund der Vielzahl von Praktiken, die sich unter dem Terminus Theurgie subsumieren lassen, verwendet Proklos ihn auch im Plural, spricht mithin von θεουργίαι (In Crat. § 176, 100,21). Im Übrigen finden sich bei den Neuplatonikern eine ganze Anzahl von Begriffen, welche auf die theurgische Praxis bezogen sein können; die relevanten Termini zu systematisieren, ist kein einfaches Unterfangen. A. Louth hat – mit Blick auf Iamblichos – die wichtigsten Substantive aufgelistet und schreibt: In Iamblichus θεουργία refers to the religious rituals – prayers, sacrifices, divinations – performed by the theurgist: it is one of a number of words – θεουργία, μυσταγωγία, ἱερὰ ἁγιστεία, ἱερουργία, θρησκεία, ἱερατική τέχνη, θεοσοφία, ἡ θεία ἐπιστήμη – which have all more or less the same meaning and which are frequently simply translated théurgie by E. des Places in his edition of Iamblichus’ de Mysteriis.36

Zu ergänzen wäre hier beispielsweise noch der Begriff τελεστική, der einerseits theurgische Praktiken im engeren Sinne37 – dort hauptsächlich die Erschaffung von Götterstatuen –, andererseits religiöse Riten und Mysterien verschiedenster Art, bezeichnen kann.38 Wie nun die mit diesen Termini intendierten Riten im Einzelnen aussahen, ist kaum mehr zu rekonstruieren und schon 1919 bemerkte J. Bidez: „Ni pour le siècle de Julien, ni pour les époques antérieures, aucune description ne nous a été transmise qui nous fournisse une série intacte des données suivies sur les actes rituels et et les formules des prières employées.“39 Dass den neuplatonischen Theorien bzw. Rechtfertigungen der Theurgie auch realiter eine entsprechende Praxis

 Vgl. z. B. Proklos’ kleine Schrift Περἰ τῆς καθ᾽ Ἕλληνας ἱερατικῆς τέχνης und Iamblichos, De myst. V 23. Dazu unten ausführlich Kap. 2.3.  Zur Praxis, die verschiedenen Symbole in einer Götterstatue zu versammeln, vgl. Or. Ch. fr. 224; Hermeias, In Phdr. 87; Proklos, In Crat. § 51; In Tim. I 273,10 ff.; III 155,18–22; In Eucl. 138; Asclepius § 38; Origenes, C. Cels. V 38. Dazu auch Fazzo 1977, 255–261 (zu Iamblichos), 297–312 (zu Proklos); Uždavinys 2009. Van Liefferinge 1999, 88–97 u. 268–274, zufolge handelt es sich bei der Konsekration von Götterstatuen indessen um keine genuin theurgische Praxis im engeren Sinne.  Louth 1986, 434. Vgl. die ähnlichen Aufzählungen bei Van Liefferinge 1999, 26 f. u. Redondo 2016, 168. Ferner Smith 1974, 122: „Iamblichus applies the theurgical concept to all branches of religious phenomena and ritual“. Ausführlich auch Cremer 1969, 21 f., 24 f. u. 148 f., der alle Stellen auflistet, in denen bei Iamblichos Begriffe wie θεουργικός und ἱερατικός fallen. Zur Terminologie bei Proklos vgl. Tanaseanu-Döbler 2013, 190–198.  Vgl. z. B. Julian, Or. VII 219a; Hermeias, In Phdr. 73 f.  Zur Begriffsdimension von τελεστική, τελεσταί und τελεταί vgl. Boyancé 1955. Dieser zeigt, dass genannte Begriffe sich bei den Neuplatonikern nicht zwangsläufig nur auf Theurgie und Chaldäische Orakel beziehen müssen, sondern auf diverse Riten und Mysterien, seien diese griechischer, ägyptischer oder orientalischer Provenienz.  Bidez 1919, 416.

2.1 Allgemeine Hinführung und Forschungsansätze

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entsprach, wird gleichwohl durch diverse Zeugnisse – z. B. in den verschiedenen Philosophenviten – nahegelegt,40 auch wenn der heutige Interpret lediglich Texte zur Verfügung hat und in dieser Frage letztlich keine definitiven Gewissheiten möglich sind. Ob die Chaldäischen Orakel zum Zeitpunkt ihrer Entstehung selber Teil einer lebendigen rituellen Praxis waren, ist wiederum eine andere Frage, die in der jüngeren Forschung teils negativ beantwortet wurde.41 Die Bereitschaft, dem Selbstverständnis (mancher würde wohl sagen: der „Selbstinszenierung“) der Neuplatoniker zu folgen (und ggf. über die literarische Ausdrucksschicht der Texte hinauszugehen), ist in der modernen Forschung offensichtlich unterschiedlich stark ausgeprägt und nicht zuletzt davon abhängig, ob man einen eher philologisch-historischen oder einen komparativ-phänomenologischen Zugang pflegt. Während I. Tanaseanu-Döbler (zweifellos ersterer Gruppe zuzurechnen) die Theurgie primär als eine spezifische „Rhetorik“ – und als solche als „Erfindung der Spätantike“ – betrachtet und die Frage nach der erfahrungsmäßigen Grundlage gänzlich ausklammert, suchen Autoren wie G. Shaw, A. Uždavinys oder L. Bergemann die theurgischen Praktiken in einen größeren Kontext einzuzeichnen, der von Vergleichbarem in ägyptischen Riten bis hin zu den östlichen Traditionen reichen kann. Nun liegt inzwischen eine Mehrzahl von Werken zu den „mystischen Quellen“ der griechischen Philosophie vor. Die Studien zu schamanistischen Elementen im frühgriechischen Denken42 und eine damit verbundene Neubewertung der Vorsokratik (bes. Pythagoras, Empedokles, Parmenides)43 gehören nicht weniger in diesen Kontext wie beispielsweise Ch. Sche-

 Vgl. die Belege bei Smith 1974, 142–144.  Majercik 1989 kann – obwohl sie eingesteht, dass „no systematic presentation of Chaldean theurgic ritual is preserved in any of the relevant sources“ (24) – noch ganz klar behaupten: „it is clear that the Chaldean system included a complex ascent ritual involving purifications, trance, phantasmagoria, sacred objects, magical instruments and formulas, prayers, hymns, and even a contemplative element, all of which was practiced (most likely) in the context of a ‚mystery community‘“ (5). Genau dies wurde jedoch von Tanaseanu-Döbler 2013 in Zweifel gezogen, die (in Anlehnung an F. Graf) meint, dass es sich lediglich um „Buchorakel“ gehandelt habe (43 f.). Ihre Position zur Theurgie lässt sich in ihren eigenen Worten folgendermaßen zusammenfassen: „Theurgy is fundamentally a ritual tradition invented and maintained by writing about it, a ritual tradition ‚in ink‘ [...]. Writing hagiography, writing about the divine hierarchy and the soul’s ascent to the One through philosophy and theurgy are all aspects of rhetoric of the experience of the divine; reading and writing about it become a religious practice. All we can discuss as historians of religion is this rhetoric; if there be any experience, it remains beyond our reach“ (284 f.). Nach dieser Auffassung sei das Projekt einer Rekonstruktion des „chaldäischen Ritus“, wie von Lewy ³2011, Majercik 1989, Van Liefferinge 1999 oder Bergemann 2006 u. 2010 versucht, hinfällig.  Vgl. Meuli 1935; Cornford 1952, 88 ff, 108 ff.; Burkert 1962 u. 1969; Dodds 1970, 72–91; Kingsley 1994.  Vgl. Burkert 1972 (Kap. zu Pythagoras); ferner die Werke von P. Kingsley (bes. 1995; 2000; 2010).

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

fers Neubewertung der Rolle des religiös-kultischen Elements in der platonischen Philosophie.44 Das Bild, das in Studien von Forschern wie Burkert, Kingsley, Uždavinys oder auch Schefer von den vermeintlichen „Vätern abendländischer Rationalität“ entworfen wird, mag manchem erstaunlich oder zumindest einseitig vorkommen. Doch wie immer man zu ihren Positionen im Detail stehen mag; in jedem Falle gebührt ihnen das Verdienst, auf einer sehr soliden Quellenbasis und -kenntnis Sachverhalte ins Bewusstsein gehoben zu haben, die in der Forschung lange Zeit eher marginalisiert oder verdrängt worden waren. Indessen stellt sich die Frage, welche Schlüsse man aus derartigen Studien zu ziehen gedenkt (und welche nicht). Die innige Verquickung von religiöser Erfahrung und philosophischem Denken als eine der zentralen Grundkontinuitäten von früher bis später Antike wird kaum jemand bezweifeln. Doch kann es bei einer bloßen Konstatierung dieses Sachverhaltes nicht sein Bewenden haben. Vielmehr gälte doch stärker zu berücksichtigen, dass eine denkerische Verarbeitung gerade solcher als „religiös“ oder „mystisch“ zu bezeichnenden Erfahrungen mit der Verschiebung des kulturellen Koordinatensystems sich sehr unterschiedlich darstellen kann, ja muss. Es ist folglich eines, aus der literarischen Ausdrucksschicht verschiedener Texte (ggf. unter zusätzlicher Heranziehung indirekter Zeugnisse) eine gemeinsame Erfahrungsgrundlage (bzw. Gemeinsamkeiten in religiöser Praxis) herausschälen zu wollen; ein anderes, das Spezifische der literarischen Reflexion und Entfaltung, in welcher sich diese Erfahrungen/Praktiken bei einem bestimmten Autor niederschlagen, ins Zentrum der Betrachtung zu stellen. Anders formuliert: Dass es in unterschiedlichen Zeiten (und in unterschiedlichen Kulturen) Riten gab, die mit denjenigen der Neuplatoniker – soweit sie sich überhaupt rekonstruieren lassen – vergleichbar sind und die auf ein Ähnliches (d. i. im Kern: die Transzendierung der conditio humana) abzielten, ist als solches nicht verwunderlich. Die entschei-

 Schefer 2001 sucht vor allem die Zentralfunktion des Gottes Apollon in Lehre und Leben der platonischen Akademie herauszustellen. Ihre Grundthese lautet, dass die letzte unsagbare Erfahrung, in der die platonische Philosophie gründet, als genuin religiöse Erfahrung verstanden werden müsse, genauer: als Erfahrung der Epiphanie Apollons. Sie schreibt: „Platonische Philosophie ist Religion, [...] und zwar nicht philosophische Religion im Sinne Hegels [...], sondern lebendige Religion, bestehend aus Kult und Mythos“ (222). Dabei lotet Schefer die Kontinuität zwischen platonischer Philosophie und Mysterienwesen einerseits, homerischer Religion andererseits, neu aus, außerdem das Verhältnis zwischen Schriftkritik zu den Grenzen von Sagbarkeit überhaupt. „Wissenschaft und Philosophie waren Mysterien bzw. dienten als Vorbereitung für die unsagbare Mysterienerfahrung“ (166). Dass ihre Studie von einer bislang kaum gewürdigten Relevanz ist auch hinsichtlich der Kontinuität des religiösen Referenzrahmens innerhalb der platonischen Tradition, braucht kaum eigens betont zu werden. Denn eine Bewertung der Kontinuität (oder Diskontinuität) zwischen Alter Akademie und Neuplatonismus müsste nicht nur doktrinale Aspekte im engeren Sinne berücksichtigen, sondern auch die Lebensform, in die sie eingebettet waren.

2.1 Allgemeine Hinführung und Forschungsansätze

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dende Frage ist allerdings, ob man mit diesem Hinweis (bzw. dem Aufzeigen solcher Korrespondenzen) das Spezifikum des spätantiken Neuplatonismus zu fassen bekommt oder nicht auch verstellen kann. Unterstellt man, dass die „theurgische Praxis“ der Neuplatoniker in eine gemeinmenschliche religiöse Erfahrungsdimension weist, die vermittels einer Vielzahl spiritueller Praktiken in diversen Traditionen kultiviert wurde, so besteht das Eigentümliche im Falle der Neuplatoniker gerade darin, wie sie dies rational zu untermauern und in den philosophischen Diskurs ihrer Epoche einzugliedern trachteten (womit selbstverständlich nicht ausgeschlossen sein will, dass es ggf. auch hierzu in anderen Traditionen Parallelentwicklungen gab).45 Theurgie war – und dies ins Zentrum gestellt zu haben, ist das Verdienst von Tanaseanu-Döblers Habilitationsschrift – nicht nur eine (uns heute schwer zugängliche) religiös-rituelle Praxis, sondern auch der Versuch von deren rationaler Reflexion und Legitimation, und d. h. Rede über Theurgie; und es ist eben diese Rede, welche uns in den Texten noch zugänglich ist. Das Interessante liegt gerade darin, wie sich das Problem einer rationalen Rechtfertigung ritueller Praxis auf dem von den neuplatonischen Autoren erreichten Reflexions- bzw. Spekulationsniveau neu (und in dieser Form innerhalb der abendländischen Geistesgeschichte vielleicht sogar erstmals) stellte – wobei mit ihrer Rechtfertigung zugleich ein religionspolitisches Programm, nämlich eine umfassende Rehabilitierung des griechischen Paganismus, verfolgt wurde;46 am systematischsten wohl bei Iamblichos und Proklos, von unmittelbarer realpolitischer Relevanz bei Kaiser Julian. Bedenkt man dies, so erweist sich das vermeintlich Selbe (d. i. hier beispielsweise die Praktizierung derselben Riten) im Rahmen des Reflexionsniveaus eines Iamblichos oder Proklos und im Spannungsfeld von philosophischem Diskurs, Exegese der Tradition, Religion und Ritus, durch den sich der spätantike Neuplatonismus auszeichnet, in gewissem Sinne eben doch als ein Anderes. In anderen Worten: Die Situation der Neuplatoniker war schlicht eine andere als z. B. jene der Verfasser der ägyptischen Totenbücher – auch wenn beide sich ggf. auf ähnliche Riten beziehen mögen. Dies könnte man auch gegen L. Bergemanns durchaus eindrucksvollen Rekonstruktionsversuch des chaldäischen Ritus einwenden.47 Bergemann unternimmt nämlich – über H. Lewy und R. Majercik hinaus – den Versuch, in Anlehnung an die Forschungen P. Kingsleys zu Parmenides und Em-

 Wir werden in Kap. 4.1 anhand eines komparativen Ausblicks auf gewisse Parallelen in der Entwicklung des theurgischem Neuplatonismus und des kaschmirischen Śivaismus darauf zurückkommen.  Vgl. dazu Van Liefferinge 1999, 20.  Vgl. Bergemann 2006 (Kap. III.4) u. 2010.

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

pedokles,48 die in den Chaldäischen Orakeln und bei Iamblichos geschilderten Epiphanien auf die Kontinuität eines von Vorsokratik bis spätem Neuplatonismus (und d. h. über mehr als ein Jahrtausend) sich durchhaltenden kultisch-religiösen Referenzbereichs hin zu lesen.49 Hierfür gibt es zweifellos Evidenzen und im Sinne eines „Referenzbereichs“ ist kaum etwas dagegen einzuwenden. Will man aber – wie A. Uždavinys in verschiedenen seiner Werken – letztlich das gesamte antike Denken in den Rahmen einer prisca theologia bzw. philosophia perennis50  Unter Auswertung neuerer archäologischer Funde aus Velia (Elea) und Istria (alte griechische Kolonie am Schwarzen Meer im heutigen Rumänien) suchte Kingsley 2000 zu untermauern, dass Parmenides in weit höherem Maße in der religiös-kultischen Tradition der Phokäer bzw. Velier stand als gemeinhin angenommen. Unter diesen Funden sind Inschriften, die eine spezifische Form des Apollon-Kultes in Anatolien, der Heimat der Phokäer, bezeugen. Apollon wurde dort offenbar als Gott des Heilens und der Inkubation verehrt – und dieser Aspekt des Gottes wurde von den Phokäern vermutlich mit nach Italien getragen. Ein velischer Fund von 1960 deutet in diese Richtung. Dessen Marmorinschrift lautet (98): „Ouliadês / Iatromantis / Apollon“. Ouliadês meint soviel wie „Sohn des Apollon (Oulios). Iatromantis bezeichnet einen „Heiler ganz besonderer Art. Er ist ein Heiler mit prophetischen Kräften, ein Heiler, der durch Weissagung heilt“ (98 f.) und insofern die griechische Entsprechung zum schamanischen Heiler. Dies bringt Kingsley zusammen mit einem weiteren, 1962 ebendort gefundenen Marmorblock mit der Inschrift (125): „Parmeneides Sohn des Pyres Ouliadês Physikos“. Hier wird Parmenides als Ouliadês, überdies als Physikos – auch dies ein Begriff für einen Heiler – ausgewiesen. Kingsley schließt hieraus (und aus weiteren Zeugnissen), dass Parmenides eine Art Apollon-Priester und prophetischer Heiler gewesen sein müsse und liest das Lehrgedicht im Sinne einer der schamanischen Trance vergleichbaren apollinischen Ekstase – ja er spricht von einer „Kontinuität schamanischer Tradition von den Grenzen Griechenlands durch Asien bis hin zum Himalaya, nach Tibet, Nepal und Indien“ (103). Hier wird das Problem des „Schamanismus“ im alten Griechenland neu aufgerollt (dazu ausführlich auch Kingsley 1994).  Dazu bereits Kingsley 1994, 301 ff. „Viewed from this theurgical perspective, the similarities between the role attributed to ritual and magic by Neoplatonists the role attributed to them by Empedocles and early Pythagoreans is striking“ (302). Aus dieser Perspektive erschiene das Erstarken der Theurgie bei den Neuplatonikern weniger als „Erfindung“ einer neuen Ritualtradition denn als Rückkehr zur Vorsokratik: „what have been dismissed as the irrational excesses and innovations of the Neoplatonists where in fact not their creation at all but, on the contrary, faithfully mirror – and perpetuate – the traditions of pre-Platonic Pythagoreans“ (305).  Als Perennialismus bzw. philosophia perennis bezeichnet man eine Auffassung, die von einer einzigen, universell gültigen und letztlich übergeschichtlichen Wahrheit ausgeht, die sich in verschiedenen religiösen und philosophischen Lehren widerspiegelt. Im Westen wurde das Projekt einer philosophia perennis besonders klar im Renaissance-Platonismus artikuliert, hat jedoch seinen Ursprung bereits im spätantiken Neuplatonismus (vgl. dazu Saffrey 2000b. Houmann 2010, 28, macht in ihrer interessanten Geschichte der philosophia perennis auf den antiken Hintergrund derselben nur kurz aufmerksam, zumal ohne nähere Quellen zu nennen). Vorbereitet wurde dieses Projekt in gewissem Sinne bereits in der in Stoa wie Platonismus erkennbaren Tendenz zur Rückkehr zu den „Alten“ und der damit verbundenen Aufwertung ihrer Autorität im post-hellenistischen Zeitalter (vgl. dazu Boys-Stones 2001, Kap. 6), wobei diese Autorität verschiedentlich auf nicht-griechische Traditionen ausgeweitet wurde. Bereits Plutarch (De Is. et Os. § 66 f.)

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einzeichnen, muss man zumindest sehen, dass das Projekt einer philosophia perennis als solches wohl von neuplatonischen Autoren erstmals theoretisch ver-

betont – primär unter stoischem Einfluss – die innere Einheit der Mythen, Symbole und Kulte (d. h. der religiösen Vorstellungen im weitesten Sinne) bei allen Völkern, über denen „ein einziger Logos“ und „eine einzige Vorsehung“ walte. Konkreter wird Numenios (fr. 1a), der offenbar versuchte, Platons Lehre auf Pythagoras, die Brahmanen, Juden, Perser und Ägypter rückzubeziehen (ähnlich verfährt Clemens von Alexandria, Stromateis I 15, unter christlichen Vorzeichen). Porphyrios spricht die „Theosophie“ neben den Ägyptern (De abst. IV 9, 9) auch den Indern (IV 17, 1), ferner den Phönikiern, Assyrern, Lydiern und Hebräern zu (fr. 323 F). Iamblichos nennt zu Beginn von De mysteriis (I 1–2) ganz explizit die Autoritäten, auf die er sich zu beziehen gedenkt: die chaldäischen Weisen, die ägyptischen Propheten und die Philosophen. Diese drei Autoritäten stehen nun bei ihm nicht gleichwertig nebeneinander, wird doch die (griechische) Philosophie als von der ägyptischen Weisheit abhängig vorgestellt (vgl. VII 4–5). Auch in De Communi Mathematica Scientia (66,9–67,2) behauptet Iamblichos, Pythagoras habe sein mathematisches Wissen von den Ägyptern, Assyriern und Chaldäern bezogen (vgl. auch De Vita Pythagorica 28). In seiner Begründung der Opferriten unterstreicht Iamblichos zunächst, dass diese von „Gott“ – gemeint ist hier wohl entweder das Eine oder der νοῦς – selbst gestiftet worden seien, um dann zu konstatieren, dass „eine große Vielzahl von Göttern und Engeln“ existiere und dass Gott „einem jeden Volk (ἔθνος) auf Erden einen allgemeinen Vorsteher (κοινὸς προστάτης) zugeteilt hat, einen spezifischen Vorsteher aber jedem heiligen Ort“ (De myst. V 25, 236,4–6; EÜ) – eine Passage, die beinah an die biblischen Völkerengel gemahnt und verdeutlicht, dass Iamblichos’ Vorstellung von den göttlichen Hierarchien die Götter nicht-griechischer Religionen positiv einzubeziehen sucht, allen voran jene der „heiligen Völker“ (ἔθνη ἱερά) wie der Ägypter und Assyrier (VII 4, 256,4 f.) (wobei im Dunkeln bleibt, auf welcher ontologischen Ebene der κοινὸς προστάτης eines bestimmten ἔθνος anzusiedeln wäre). Von Syrianos ist uns ein Buchtitel überliefert, der das hermeneutische Projekt der neuplatonischen Schule seiner Zeit bestens auf den Punkt bringt: Die Übereinstimmung von Orpheus, Pythagoras und Platon mit den Chaldäischen Orakeln. Bei Proklos sind diese Verbindungen noch deutlicher ausgesprochen. Er zieht eine Linie von Orpheus, Pythagoras, den Chaldäern über Platon hin zu sich selbst (vgl. Th. Pl. I 5, 25,24 ff.), fühlte sich – wie Marinos, Vita Procli § 28, betont – als Glied in der „Kette des Hermes“ bzw. der Aurea Catena (vgl. dazu Festugière ²1950, 19–44; Lévèque 1959). Hieran kann ein Jahrtausend später – und unter Vermittlung von Psellos und Plethon (zu letzterem vgl. Hladký 2014, Teil II: „Philosophia Perennis“) – Marsilio Ficino anknüpfen mit seiner „Genealogie der Weisen“ (The Philebus Commentary, Übers. Allen, 246): „With the splendor of light it [God’s ray] reveals to all those who desire it the clarity of truth. Therefore the ancient theologians, Zoroaster, Hermes Trismegistus, Orpheus, Aglaophemus, Pythagoras, since they brought themselves as near as possible to God’s ray by releasing their souls, and since they examined by the light of that ray all things by uniting and dividing through the one and the many, they too were made to participate in the truth.“ Das Projekt der Harmonisierung war hermeneutisch freilich deshalb verhältnismäßig leicht, weil es sich sowohl beim sogenannten pythagoräischen Schrifttum als auch bei den Chaldäischen Orakeln letztlich um platonisches Gedankengut handelte. Wenn wir auf diesen „historischen Irrtum“, auf den die philosophia perennis in Spätantike und Renaissance sich stützte und der viel zu ihrer öffentlichen Desavouierung beigetragen hat, hinweisen, so soll damit keineswegs gesagt sein, dass das Projekt der Sache nach diskreditiert sei. Allein sind dessen Prämissen vielleicht anspruchsvoller als man gemeinhin angenommen hat.

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

folgt wurde und damit selber das Produkt eines spezifischen Reflexionsniveaus (und einer sehr ausgefeilten Hermeneutik) darstellt, mithin nur von der geschichtlichen Situation der Philosophie in der Kaiserzeit her verständlich wird. Trotz der nicht selten zu findenden Proklamationen, Platon, die Theurgen etc. sagten τὸ αὐτόν bzw. τὰ αὐτά (vgl. Proklos, Th. Pl. IV 2,7–9; V 35, 130,2–4), liegt in dieser „Selbigkeit“ das ganze Problem der philosophia perennis beschlossen, weil sie zu überspielen neigt, dass ihrem auf Herausstellung von Identitäten abzielenden Projekt eine (es allererst ermöglichende) Differenz je schon eingeschrieben ist. Dies gilt nicht zuletzt für das Problem des Ritus, dessen Sinngehalt sich je nach Bewusstseinsstufe verändert bzw. dessen Praxis und Hermeneutik (oder theoretische Rechtfertigung) in einem dialektischen Verhältnis stehen. Kontinuität und Diskontinuität von Riten sind immer in eine spezifische Bewusstseinsentwicklung eingebettet. Sieht man hiervon ab, so ist das rein äußerliche Fortleben von Riten als solches wenig aussagekräftig. E. Neumann hat dieses Problem im tiefenpsychologischen Jargon einmal folgendermaßen formuliert: Die Bedeutung, Art und Wirkung eines Rituals ist also stets auf eine psychische Gesamtkonstellation bezogen, welche durch das Bewußtsein, das Unbewußte und die Beziehung beider Systeme zueinander bestimmt wird. [...] Dementsprechend haben wir in der Entwicklung des Rituals je nach der Zuordnung zum Entwicklungsgrad der menschlichen Psyche verschiedene Phasen zu unterscheiden.51

Ohne dies hier im Einzelnen begründen zu können, wäre der von Neumann angesprochene Sachverhalt (d. i. die „Gesamtkonstellation“) im Falle der Neuplatoniker – und ihrer möglichen Einreihung in eine philosophia perennis – zumindest zu berücksichtigen. Denn deren Riten waren in einen außerordentlich hohen Grad von Selbstreflexion eingebettet, womit nicht zuletzt ein starkes Bedürfnis nach rationaler Rechtfertigung rituellen Handelns einherging. Und der Ritus, der philosophischtheoretisch gerechtfertigt sein will, ist nicht mehr derselbe wie der gleichsam unbewusst vollzogene; was m. E. jedoch nicht heißen muss, dass – wie W. Burkert behauptet – mit einem „Aufstieg an geistiger Differenzierung und Durchdringung“ rituellen Tuns zwangsläufig „ein Abstieg in bezug auf die direkte Verbindung mit der Praxis der Kulte“ einhergehen müsse.52 Bei den Neuplatonikern jedenfalls (wie übrigens auch bei den in Kap. 4.1 diskutierten kaschmirischen Śivaiten) scheint der Höhe „an geistiger Differenzierung und Durchdringung“ eine sich auf ähnlicher Höhe bewegende rituelle Praxis entsprochen zu haben, auch wenn diese sich kaum mehr rekonstruieren lässt.

 Neumann 1951, 88.  Burkert 1990, 61.

2.2 Theurgie vs. Magie – das Verhältnis von Gott und Mensch im Ritus

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Wenn man bezüglich der nachplotinischen Neuplatoniker von einem großen Bedürfnis nach „rationaler Rechtfertigung“ der Theurgie spricht, so darf allerdings nicht der Eindruck entstehen, das im theurgischen Ritus Vollzogene sei für die Neuplatoniker in philosophischen Termini angemessen zu „erklären“. Iamblichos beharrt darauf, dass die Theurgie letztlich nur „vollzogen“ bzw. „erfahren“ werden kann (vgl. De myst. III 6; III 18; V 21). Nichtsdestoweniger geht er in seiner Verteidigung der Theurgie durchaus rational bzw. methodisch reflektiert vor. Und es scheint ihm nicht zuletzt darum zu gehen, mit rationalen Mitteln die Grenzen der Philosophie aufzuzeigen und die menschliche Vernunft letztlich im Namen einer lebendigen religiösen Erfahrung in ihre Schranken zu weisen.53 Insofern der Kern solcher „theoretischen Rechtfertigung“ in der Auslotung des Verhältnisses von göttlichem Hauptakteur und menschlichem Mitwirker besteht – was eine tragfähige Abgrenzung gegenüber magischen Praktiken ermöglichen soll –, sei dies im Folgenden etwas genauer betrachtet.

2.2 Theurgie vs. Magie – das Verhältnis von Gott und Mensch im Ritus Man hat gegen die Theurgen immer wieder den Vorwurf erhoben, sie bedienten sich magischer Praktiken, zielten auf „Götterzwang“ ab. Manche der Missverständnisse und Verzerrungen in der älteren Forschung spiegeln bis zu einem gewissen Grad nur die Situation in der Spätantike selber wider.54 Schon dort herrschte letztlich kein klarer Konsens über die Wortbedeutung und man braucht – ganz abseits aller Polemiken, welche als „theurgisch“ bezeichnete Praktiken später bei christlichen Autoren ausgesetzt waren55 – nur daran zu erinnern, dass Iamblichos’ De mysteriis als Antwort auf Porphyrios’ Einwände, also im Rahmen einer innerpaganen Diskussion, konzipiert wurde; Einwände, die genau das Wesen der Theurgie und nicht zuletzt das Problem des „Götterzwangs“ betrafen.

 In Anlehnung an P. Athanassiadi betont Shaw 2012a, 91 f., dass Iamblichos die griechische Tradition seiner Zeit von einem „Intellektualismus“ bedroht gesehen habe, dem jede direkte Erfahrung des Göttlichen abging. Zu Iamblichos’ Unterscheidung zwischen theurgischer, theologischer und philosophischer Verfahrensweise in De myst. I 2 vgl. Van Liefferinge 1999, 23–38. Eine Unterscheidung verschiedener Modi theologischen Diskurses findet sich bei Proklos, Th. Pl. I 4; In Parm. I 646,16–647,15.  Vgl. Mazur 2004, 39.  Andererseits wurde der Begriff θεουργία durch Dionysius Areopagita der christlichen Sakramentenlehre anverwandelt. Vgl. dazu Louth 1986; Shaw 1999a.

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Trotzdem beginnt der eigentliche Versuch der Diskreditierung der Theurgie bei christlichen Autoren. Klar greifbar wird dies bei Augustinus, der die drei Termini magia, goetia und theurgia bewusst nebeneinanderstellt und zu intendieren versucht, dass damit im Grunde ein und dieselbe – für ihn verwerfliche – Sache bezeichnet sei. Er spricht von der Kunst der Zauberei (incantationibus et carminibus), „die als Magie oder mit dem verabscheuungswürdigeren Begriff der Goetie oder dem ehrenwerteren Begriff Theurgie bezeichnet wird (quam vel magian vel detestabiliore nomine goetian vel honorabiliore theurgian vocant)“.56 Zwar anerkennt Augustinus hier eine aufsteigende Stufenordnung der drei Termini Goetie/Magie/Theurgie; doch ist diese Stufenordnung für ihn nicht von sachlicher, sondern lediglich von rhetorischer Art – bei allen derartigen Praktiken handele es sich letztlich um verdammungswürdige Formen der Zauberei. Diese Nivellierung von Differenzen, die dem Selbstverständnis der Neuplatoniker gemäß von zentraler Bedeutung waren, sollte sich fortan als beliebte Strategie erweisen, die Theurgie zu diskreditieren und mit diversen magisch anmutenden Praktiken in einen Topf zu werfen. Man muss sich klarmachen, dass schon in der Antike Begriffe wie Theurgie, und mehr noch μαγεία oder γοητεία, polemische Begriffe waren, die als Fremdzuschreibungen oftmals dazu dienten, den Betreffenden zu diskreditieren. In rhetorischer Hinsicht kann sich in der Differenz zwischen Theurgie einerseits, Magie und Goetie andererseits, also schlicht der Unterschied zwischen Selbst- und Fremdzuschreibung aussprechen. Das heißt – wie wir noch sehen werden – wohlgemerkt nicht, dass sich nicht gewisse Kriterien aufstellen ließen, die eine sachbasierte Differenzierung ermöglichen.57

 Augustinus, De civ. X, 9, 1.  Van Liefferinge 1999, 42–55, hat vier Kriterien zur Umgrenzung des Phänomens „Magie“ angewandt, die sich allesamt anhand antiker Texte verifizieren lassen (d. h. Kriterien, die sich daran orientieren, welche Charakteristika der μαγεία und γοητεία bei den Alten selbst zugeschrieben wurden) und als Abgrenzungskriterien gegenüber der Theurgie fungieren können: (1) „Götterzwang“: Magie wird für gewöhnlich mit der Beschwörung bzw. Manipulation höherer Entitäten assoziiert, die der Magier sich zu Dienste nehmen will; dies setzt voraus, dass der Mensch grundsätzlich dazu in der Lage sei, durch gewisse Praktiken ontologisch höherstehende Wesen seinem Willen untertan zu machen. (2) „Universelle Sympathie“: Das magische Universum ist eine Ganzheit, die durch Entsprechungen und sympathetische Verhältnisse der einzelnen Wesen untereinander gekennzeichnet ist. Alles hängt mit allem zusammen, weshalb die bewusste Beeinflussung einer spezifischen Entität entsprechende Folgen zeitigen kann (bzw. muss). (3) „Gesetzliches Verbot“: Magische Praktiken wurden – im Unterschied zu religiösen Praktiken – für gewöhnlich als gefährlich erachtet und wurden dementsprechend in verschiedenen Gesellschaften geächtet, was sich ggf. in einem gesetzlich erlassenen Verbot der Magie niederschlug. (4) „Rituelle Praktiken“: Dies betrifft den konkreten Inhalt der magischen Praktiken, d. h. wie diese sich von religiösen – und theurgischen – Riten unterscheiden. Von diesen vier Kriterien ist das erste zweifellos am wichtigsten und steht auch in Iamblichos’ eigener Argumentation im Zentrum. Tatsächlich ist die

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Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass noch bei Porphyrios die Begriffe Theurgie, Magie und Goetie sachlich anders bestimmt werden als bei Iamblichos und dessen Nachfolgern.58 Vor allem G. Muscolino hat überzeugend gezeigt, dass Porphyrios’ Kenntnisse zur Theurgie umfassender (wie auch seine Rolle in der Einführung derselben in den Neuplatonismus wichtiger) waren als in der Forschung oftmals angenommen.59 Nun verwendet Porphyrios den Begriff „Theurgie“ nur sehr vereinzelt, z. B. in De regressu animae oder im Brief an Anebo. Assoziiert er die Theurgie in besagtem Brief stets damit, dass „das Göttliche von uns vermittels des Zwanges der Anrufungen gezwungen wird, diese Werke zu vollbringen“ (II 3), steht bei ihm auch andernorts das Moment des Zwanges im Vordergrund. So überliefert uns Eusebios folgende Porphyrios-Passage:

Entkoppelung der Theurgie vom „Götterzwang“ als originellster Beitrag von De mysteriis aufzufassen (vgl. Van Liefferinge 1999, 85). Auch das zweite Kriterium findet in De mysteriis seine konkrete Anwendung, nämlich wenn Iamblichos die menschliche Mantik, die sich die kosmischen Sympathiebezüge bzw. die vernehmbaren Zeichen (σημεῖα) zunutze mache, kategorisch von der göttlichen Mantik unterscheidet (vgl. X 3–4). Das dritte Kriterium bleibt ein äußeres und betrifft die gesellschaftliche Sicht auf Magie/Theurgie (und ggf. deren Sanktionierung oder Ächtung). Das vierte Kriterium schließlich betrifft die Praxis (z. B. Gebete, Verwendung gewisser Formeln, Opferhandlungen): Hier scheint die Trennlinie zwischen Theurgie und Magie keineswegs so scharf zu sein, wie Iamblichos uns glauben machen will.  In mehreren Beiträgen ist Muscolino (2011; 2015; 2017) auf die Begriffe Theurgie, Magie und Goetie bei Porphyrios eingegangen. Zu Plotins (ablehnender) Sicht auf Magie und Goetie vgl. Addey 2014, 173 f.  Wie Muscolino 2011 zeigt, lassen sich in der Tat fast alle uns bekannten rituellen Aspekte der Theurgie aus Porphyrios’ Schriften (bzw. Fragmenten) rekonstruieren. Nicht zuletzt ein Gutteil der im Kontext der Theurgie relevanten Termini sind bei Porphyrios vorfindlich (vgl. CLXVIII–CLXX). Während die meisten systematischen Studien zur Theurgie ihren Schwerpunkt (durchaus mit guten Gründen) auf Iamblichos und Proklos legen, ist der Gesamtansatz von Muscolino 2017 stark von Porphyrios geprägt. Nicht nur ist die systematische Einteilung der theurgischen Praktiken in Telestik (Beseelung von Statuen), Besessenheit (im Sinne mediumistischer Trance) und Goetie („schwarzer Magie“) von Porphyrios her gewonnen (vgl. schon Muscolino 2011); auch die mangelnde Abgrenzung von Theurgie und Magie/Goetie sowie die Akzeptanz der Theurgie-Definition im Sinne des „Götterzwangs“ werden nur verständlich eingedenk der überproportional großen Rolle, die Muscolino einerseits den Schriften Porphyrios, andererseits aber auch den Zauberpapyri einräumt. Einerseits mag dies als Korrektiv gegenüber der Iamblichos-zentrischen Sicht auf die Theurgie, wie sie beispielsweise von Van Liefferinge präsentiert wurde, zu verstehen sein (bereits Muscolino 2011, CLXXXIX–CCVI, hatte Van Liefferinges Buch – oder genauer: den Teil zu Porphyrios – sehr kritisch diskutiert). Andererseits gibt Muscolino damit zugleich gewisse von Van Liefferinge gewonnene Erkenntnisse – wie (zumindest für Iamblichos) die Zentralität der Abgrenzung der Theurgie von magischen Praktiken anhand einer genaueren Bestimmung des eigentlichen Akteurs – preis oder marginalisiert sie (dieser wichtige Aspekt wird zwar von Muscolino 2017, 77, an einer Stelle erwähnt, geht jedoch in seiner Gesamtpräsentation des Phänomens Theurgie eher unter).

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Zurecht hat auch Pythagoras Hrodios aufgezeigt, dass die Götter, wenn sie angerufen werden, sich nicht gerne zeigen (οὐχ ἥδονται ... ἐπὶ ταῖς παρουσίαις) – manche lieber, manche weniger gern – sich jedoch aus Zwang, nämlich aufgrund der [dem Ritual eigenen] Schicksalskraft zeigen (ἀνάγκῃ τινι ἀκολουθίας συρόμενοι παραγίνονται) [...] Ferner sprach ein anderer [zur Erscheinung] gezwungener [Gott]: ‚Höre! Ich bin nicht aus freiem Willen hier, sondern weil mich die Kraft des Schicksals gezwungen hat (οὐκ ἐθέλοντος, ἐπεί μ᾽ ἐπέδησας ἀνάγκῃ)‘.60

Hier wird nicht nur die Auffassung eines gewissen Pythagoras Hrodios, dass die Götter sich qua ἀνάγκη zur Manifestation zwingen lassen, zustimmend referiert; auch den Göttern selbst wird diese Auffassung in den Mund gelegt. Demgegenüber spielt bei Porphyrios – im Unterschied zu Iamblichos – der Terminus „Magie“ (μαγεία) bzw. „Magier“ (μάγος) eine gewisse (und durchaus positive) Rolle.61 In De abstinentia IV 16, 1 ist zu lesen, als „Magier“ würden in der Sprache der Perser jene bezeichnet, die „weise in Bezug auf das Göttliche (οἱ περὶ τὸ θεῖον σοφοὶ)“ seien. Und wie aus verschiedenen Fragmenten hervorgeht, hatte die Magie für Porphyrios zwei Primärziele: Erkenntnis der Götter sowie Befreiung aus den Banden des Schicksalszwangs. Die Götter selbst werden als „die größten Magier (ἄκρους τε μάγους)“ bezeichnet,62 die Magie ausdrücklich als „Göttergabe zur Lösung von den Banden des Schicksals (ἡ μαγεία ἐν τῷ λύειν τὰ τῆς εἱμαρμένης παρὰ θεῶν ἐδόθη)“.63 Von diesem Erkenntnis- bzw. Erlösungsweg abzugrenzen ist die Goetie (γοητεία), die sich subterraner, bösartiger Dämonen bediene (vgl. De abst. II 41, 5).64 Sie kann insofern mit Recht als „schwarze Magie“ bezeichnet werden, als Schwarz die Farbe der Materie ist und sowohl ihre Ziele materieller Natur sind als auch die Dämonen, die sie anruft, zur subterranen Art gehören.65 Vor allem zielt sie auf Befriedigung irrationaler Begierden und Wünsche des Praktizierenden ab (Liebeszauber, Reichtum etc.).66 Insofern besagte Dämonen auch für „Seuchen, Ernteausfälle, Erdbeben, Dürren und dergleichen“ verantwortlich seien (De abst. II 40, 1), würden ihnen verschiedentlich sogar von der ganzen Bevölkerung Opfer zur Abwehr solcher Unbill dargebracht.67 Infolgedessen ist die „schwarze Magie“ nicht per se „böse“, ist vielmehr zu unterteilen in (a) genuin abwehrende Prakti Fr. 347 F (EÜ); dazu Muscolino 2011, CLXXVIIf.  Vgl. Muscolino 2011, CXXVIIIff.; 2017, 32 f.  Fr. 330 F.  Fr. 339 F.  Vgl. Muscolino 2011, CXXXVIff.; 2015; 2017, 122–131.  Vgl. fr. 315 F u. 329 F; dazu Muscolino 2011, CXLI; 2015, 150.  Vgl. De abst. II 41, 1 (Übers. Clark): „These [evil] daimones abound in impressions of all kinds, and can deceive by wonder-working. Unfortunate people, with their help, prepare philtres and love-charms. For all self-indulgence and hope of riches and fame comes from them, and especially deceit, for lies are appropriate to them.“  Vgl. De abst. II 43, 2; fr. 315 F; dazu Muscolino 2011, CLIV; 2015, 155.

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ken (d. i. die vorbeugende Besänftigung bösartiger Dämonen durch Opfergaben), (b) Praktiken, die auf Befriedigung materieller Gelüste abzielen, und (c) Praktiken, die ausdrücklich der Schädigung anderer Personen dienen. Streng genommen ist primär letzteres der Intention nach schlecht, während jedoch auch zweiteres gewiss als eines Philosophen unwürdig zu erachten wäre. Gewissermaßen unter umgekehrten Vorzeichen steht die Abgrenzung der Theurgie von Magie bzw. Goetie bei Iamblichos. Sie muss als eines der Hauptziele des in De mysteriis verfolgten Projektes, der Rehabilitierung traditioneller religiöser Praktiken und Riten bzw. des griechischen Paganismus, angesehen werden.68 Hierfür sucht Iamblichos das präzise Zusammenspiel zwischen göttlichem und menschlichem Akteur im Ritus genauer darzustellen. Für ihn hängt – im Gegensatz zur Auffassung, die in den Fragmenten des Porphyrios durchscheint – die Theurgie gerade vom „göttlichen Willen“ (θεία βούλησις, De myst. II 11, 97,13) bzw. vom göttlichen „Wohlwollen“ (εὐμένεια, III 23, 156,2) ab.69 Diese „übernatürliche Ursache“ (ὑπερφυής αἰτία, V 8, 209,3) sei der entscheidende Impuls, der Mensch sei lediglich „Mitursache“ (συναίτια); denn „der erfolgreiche Vollzug göttlicher Werke wird allein durch die Götter sichergestellt“ (παρὰ μόνων θεῶν ἡ τῶν θείων ἔργον ἐνδίδοται κατόρθωσις, III 20, 149,12 f.).70 Dieses Konzept der „Mitursache“ ist zentral in Iamblichos’ Präsentation der Theurgie. Und wenn man es berücksichtigt, so liegt nichts Paradoxes darin, dass die theurgische Praxis einerseits doch offensichtlich menschliche Handlungen umfasste, andererseits von Iamblichos immer betont wird, dass letztlich allein Gott entscheidender Akteur sei. Denn das Problem ist dahingehend aufzulösen, dass die menschlichen Handlungen nur hinführenden bzw. vorbereitenden Charakter tragen, keinesfalls jedoch eine Kausalwirkung auf die Götter ausüben. Kein höheres Wesen könne von einem ontologisch niedriger stehenden zu irgendetwas „gezwungen“ werden. Iamblichos selbst hat auf dieses Zusammenspiel von Gott und Mensch ausdrücklich hingewiesen:

 Es ist das Verdienst von Van Liefferinge 1999, dies ins Zentrum ihrer Darstellung der Theurgie bei Iamblichos gestellt und die religionsgeschichtliche bzw. -phänomenologische Relevanz der Unterscheidung zwischen Theurgie und Magie betont zu haben. Vgl. schon Cremer 1969, 25–36.  Vgl. De myst. I 12, 40,14 ff. Vgl. auch III 17, 139,11–13, wo die überreiche „Güte“ (ἀγαθότης), allumfassende „Fürsorge“ (κηδεμονία) und „Führung“ (προστασία), welche die Götter den Menschen zuteilwerden ließen, beschworen wird.  Mit Blick auf die Mantik: De myst. III 6, 115,2–7.

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the whole of theurgy presents a double aspect. On the one hand, it is performed by men, and as such observes our natural rank in the universe; but on the other, it controls divine symbols (συνθήματα), and in virtue of them is raised up to union with the higher powers, and directs itself harmoniously in accordance with their dispensation. (IV 2, 184,1–6)71

Als Mitursache ist die innere Verfasstheit des Menschen keineswegs irrelevant: Hence it is not even chiefly through our intellection that divine causes are called into actuality; but it is necessary for these and all the best conditions of the soul and our ritual purity to pre-exist as auxiliary causes (συναίτια); but the things which properly arouse the divine will (θεία βούλησις) are the actual divine symbols (συνθήματα). And so the attention of the gods is awakened by themselves, receiving from no inferior being any principle for themselves of their characteristic activity. (II 11, 97,9–15)

Vor dem Vollzug von Riten „ohne hinreichende Vorbereitung“ wird ausdrücklich gewarnt (vgl. II 10, 92,6–8). Die „Verbindung zwischen den göttlichen Ursachen und menschlicher Vorbereitung“ (V 23, 232,5–7: καὶ μὴν συνιόντων γε εἰς τὸ αὐτὸ τῶν θείων αἰτίων καὶ τῶν ἀνθρωπίνων παραπλησίων αὐτοῖς παρασκευῶν, ...) sei es, welche das Gelingen des Opfers gewährleiste und „große Güter“ (μεγάλα ἀγαθὰ) gewähre. Will man diese Mitwirkerschaft des Menschen näherhin interpretieren, so muss man den von Iamblichos in der theoretischen Legitimierung der Theurgie gerne verwendeten Begriff der „Geeignetheit“ (ἐπιτηδειότης) genauer betrachten.72 Diese „Geeignetheit“ ist allgemein eingebettet in die Vorstellung einer Korrespondenz von Wirkung und Wirkbereich, nämlich dass die Wirkung einer Ursache stets im Bezug auf einen möglichen „Empfänger“ zu denken ist und ein und dieselbe Ursache in unterschiedlich gearteten Empfängermedien sich unterschiedlich ausdifferenziert.73 E. R. Dodds hat begriffsgeschichtlich drei Verwendungsweisen von ἐπιτηδειότης unterschieden: „1. Inherent capacity for acting or being acted upon in a specific way. [...] 2. Inherent affinity of one substance for another [...] 3. Inherent or induced capacity for the reception of a divine influence.“74 Bei Iamblichos – und in der Theurgie überhaupt – ist letztere Verwendungsweise maßgeblich. Die „Geeignetheit“ bezieht sich hier konkret auf das Verhältnis von Gott und Mensch – genauer: des göttlichen Einflusses auf das menschliche „Rezeptakel“ – im theurgischen Akt. Grundsätzlich kann ἐπιτηδειότης sowohl die  Englische Zitate aus De mysteriis stammen grundsätzlich aus der Übersetzung Clarke/Dillon/ Hershbell 2003.  Vgl. zur Bedeutung von ἐπιτηδειότης: Nasemann 1991, 113 ff u. 258 ff.; George 2005; Bergemann 2006, 225 ff.  Dass Iamblichos dabei – wie den Manifestationsprozess überhaupt – auch das theurgische Wirken der Götter auf den Menschen nach dem Ousia-Dynamis-Energeia-Schema denkt, hat Bergemann 2006 ausführlich gezeigt (vgl. bes. 259 f.).  Dodds ²1963, 344 f.

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einwirkende Kraft, als auch das Aufnehmende näher klassifizieren, doch ist letzteres häufiger. Nun impliziert Iamblichos’ zitierte Bestimmung des Menschen als Mitursache keinesfalls eine reine Passivität des empfangenden Mediums. Und in der Tat finden sich in De mysteriis neben der Vielzahl von Stellen, in denen ἐπιτηδειότης eine eher passive Bedeutung einnimmt, auch Passagen mit einer aktiven Bedeutung.75 Führt man sich vor Augen, dass – wie verschiedentlich bemerkt wurde – ἐπιτηδειότης nicht selten in Verbindung mit Begriffen wie ὑποδοχή oder χωρεῖν steht,76 so stellt sich die Frage: Hat der ambivalente Charakter des Trägermediums – einerseits Erleidendes, andererseits jedoch nicht rein passiv, sondern durchaus dynamisch – nicht sein Vorbild in der platonischen χώρα, wie sie im Timaios beschrieben wird? Ist die Mitursächlichkeit des Menschen im theurgischen Akt bei Iamblichos im Sinne der Beschreibung dieser „dritten Gattung“ konzipiert? G. Shaw hat verschiedentlich auf den kosmogonischen Hintergrund der theurgischen Rezeptakel-Vorstellung hingewiesen.77 Dies lässt sich anhand des ἐπιτηδειότης-Begriffs noch stützen:78 Im Falle des ἐπιτηδειότης-Begriffs und der mit ihm verknüpften Mitursächlichkeit des Menschen im theurgischen Akt stoßen wir auf dieselben Probleme wie bei der platonischen χώρα. Dies zu verdeutlichen, ist zunächst noch einmal die innere Ambivalenz in Platons Darstellung derselben ins Gedächtnis zu rufen. Diese Ambivalenz kommt nicht in den Blick, wenn man sich nur auf einzelne der verschiedenen zur Charakterisierung der χώρα angeführten bildhaften Vergleiche und Beschreibungen fixiert. Vielmehr muss man allen diesen Charakterisierungen Rechnung tragen, damit das letztlich uneinheitliche Bild, das Platon von der χώρα zeichnet, gebührend zum Vorschein kommt.79 Um das Ganze abzukürzen: Entscheidend ist, dass die χώρα, neben den von Platon verwendeten Bildern – „Mutter“ (Tim. 50d, 51a: μητήρ), „Amme“ (49a, 52d: τιθήνη), „Aufnehmerin“ (49a: ὑποδοχή), „bildsame Masse“ (50c: ἐκμαγεῖον) –, die eine reine Passivität nahelegen würden, als in sich bewegt und mit Kräften (δυνάμεις) erfüllt beschrieben (vgl. 52e), dementsprechend sogar als „Art der wandernden Ursache“ (48a: τὸ τῆς πλανωμένης εἶδος αἰτίας) bezeichnet wird. Im Sinne der platonischen Prinzipienlehre – und unter Heranziehung von Philebos 24a ff. – lässt sich die innere dynamische Bewegtheit der χώρα als Wirken des zweiten Prinzips bzw. des ἄπειρον deuten. Wichtig ist, die δύναμις der χώρα und des ἄπειρον nicht als „Möglichkeit“, sondern als „Kraft“ oder „Vermögen“ zu verstehen.80 Das Aufnahmemedium ermöglicht zwar die Selbstmanifestation bzw. Präsenz höherer Ursachen in

     

Vgl. Belege bei Nasemann 1991, 115 Fn. 49. Vgl. erneut Belege bei Nasemann 1991, 115 Fn. 49. Vgl. Shaw 1988; 2012b; 2013, 538 f.; ²2014, 50 ff. u. 173 ff. Der Zusammenhang ist angesprochen bei Bergemann 2006, 380. Dies wurde von Barbaric 2015 versucht. Vgl. Barbaric 2015, 45 ff.

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

der Sphäre des Werdens, doch eignen ihm selbst gewisse Kräfte, deren Ordnung bzw. Bändigung zur erfolgreichen Aufnahme nötig ist. Dies ist für Kosmogonie und Theurgie gleichermaßen gültig. Die Reduktion des Menschen zum Mitwirker wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass Iamblichos die Theurgie verschiedentlich als πράξις oder τέχνη bezeichnet. Es gibt einerseits Passagen, in denen Theurgie und τέχνη als Gegensatzpaar erscheinen – so wenn Iamblichos zwei Zugänge zum persönlichen Daimon unterscheidet, „einen theurgischen und einen technischen“ (τῆς μὲν θεουργικῆς τῆς δὲ τεχνικῆς, De myst. IX 1, 273,3), wenn er technisches Können dem theurgischen entgegensetzt (τεχνικῶς vs. θεουργικῶς, III 28, 170,8) oder wenn er das Wirken der Götter den Werken bloß menschlicher τέχνη entgegenstellt (III 9, 118,10 f.). Andererseits kann Iamblichos sowohl Theurgie als auch Zauberei als τέχναι bezeichnen.81 Die entscheidende Differenz liegt bei ihm stets in der Frage nach dem eigentlichen Akteur: Entsprechend unterscheidet er zwischen bloß menschlichen und göttlichen τέχναι.82 Außerdem ist zu beachten, dass der vorbereitende Part seitens der menschlichen Mitursache gewisse τέχναι bzw. Kenntnisse voraussetzt. Bemerkenswert ist außerdem, dass Iamblichos eine spezifische Form von νόησις im theurgischen Akt nicht auszuschließen scheint.83 Die Aussage in De mysteriis II 11, 96,14, dass die Theurgie ὑπέρ πᾶσαν νόησιν sei, ist wohl lediglich auf die menschliche νόησις zu beziehen; denn ihr stehen andere Stellen gegenüber, wo Iamblichos das theurgische Geschehen mit νόησις verknüpft, in diesem Falle freilich einer τῶν θεῶν νόησις (X 4, 289,7). Hiermit korrespondiert, dass Iamblichos die Theurgie nicht nur als πράξις bzw. πραγματεία, sondern auch als ἐπιστήμη bezeichnen kann.84 Ja, er geht so weit zu behaupten, dass „die Einung (ἕνωσις) gewiss niemals ohne Erkennen (γνῶναι) sich vollzieht, gleichwohl nicht mit diesem zusammenfalle“ weil sie „jenseits des Erkennens“ reiche (II 11, 98,6–10). Die gerne kolportierte Meinung, Theurgie sei „irrational“, ist vor dem Hintergrund solcher Stellen kaum haltbar bzw. nur möglich, wenn man von den Prämissen eines den Neuplatonikern nicht entsprechenden Rationalitätsverständnisses aus-

 Belege bei Van Liefferinge 1999, 40 f.  Vgl. De myst. III 16, 137,14: θεία τέχνη; III 28, 168,9: τέχνη δημιουργική. Die menschliche Kunst stehe noch nicht einmal in einem Analogieverhältnis zur göttlichen Schöpfung (θεία ποίησις), vgl. 168,11 f. Die Unterscheidung zwischen menschlicher und göttlicher τέχνη ist freilich bereits bei Platon – im Sophistes, in Buch X der Nomoi sowie im Timaios – zentral.  Vgl. Smith 1974, 86 f.; Shaw ²2014, 137; Addey 2014, 192–199.  Belege bei Cremer 1969, 21 f.

2.2 Theurgie vs. Magie – das Verhältnis von Gott und Mensch im Ritus

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geht.85 Allenfalls ist festzuhalten: Menschliche νόησις ist nicht Ursache der Theurgie; im theurgischen Akt wird das menschliche Erkennen überstiegen. Vor dem Hintergrund des skizzierten Verhältnisses von göttlichem und menschlichem Akteur in der Theurgie ist zu fragen, was Iamblichos demgegenüber unter Magie versteht. Nun kommt der Begriff μαγεία in De mysteriis überhaupt nicht vor; der Begriff γοητεία immerhin zweimal und ist durchweg negativ konnotiert. Einmal wird er assoziiert mit der Herstellung kraftloser Trugbilder (III 25, 160,12), einmal wird der Vorwurf abgewehrt, bei den Riten, in denen ägyptische Namen verwendet werden, handele es sich um „Zaubertricks“ (VII 5, 258,5).86 Doch ist erneut in III 26, 161,11 von „Zauberern“ (γόησιν) die Rede, wiederum im Kontext von Trugbildern. Auch Iamblichos’ polemische Ablehnung der „Gaukelei“ bzw. des „Wunderwirkens“ (III 29, 173,5 f.; III 30, 175,10: θαυματουργία; III 29, 172,9: θαυματοποιία) zielt wohl in erster Linie auf solche „Zauberer“. In jedem Falle lässt sich erschließen, was Iamblichos im Allgemeinen unter magischen Praktiken verstanden wissen wollte, nämlich „a process operating within the bounds of nature, manipulating and exploiting natural forces rather than demonstrating the causative power behind and beyond them“.87 Der Magier agiert περί τὴν φύσιν (IX 2, 273,11) und macht sich lediglich die in der kosmischen Sympathie waltende „Notwendigkeit“ (ἀνάγκη) zunutze (VI 4, 244,9–10). Dass derartige Praktiken möglich sind, hieran bestand für Iamblichos kein Zweifel – es geht ihm mithin nicht darum, die Irrealität oder auch nur Irrationalität derselben herauszustellen; entscheidend bleibt vielmehr, dass sie in keinem Falle die Grenzen der Physis zu transzendieren vermögen, damit aber auch nicht

 Außerdem bleibt die ganze Rede über „Rationalität“ und „Irrationalität“ vage, wenn nicht geklärt ist, was im Einzelnen unter derartigen Kategorien verstanden werden soll. Dies ist auch an E. R. Dodds’ Buch über „Die Griechen und das Irrationale“ zu kritisieren. Im gesamten zweifellos ein material- und kenntnisreiches Werk zu den aus heutiger Sicht „unphilosophischen“ Wurzeln und Aspekten des griechischen Denkens, leidet das Werk darunter, dass Dodds es offenbar an keiner Stelle für nötig erachtet zu klären, welches Verständnis von Rationalität denn zugrunde gelegt werden soll, um die von ihm beschriebenen Phänomene dann in Abhebung dazu als irrational klassifizieren zu können. Solange aber dies nicht geleistet wird, ist Kingsley 1995, 385 zuzustimmen, dass „’Rationality’ is a blanket term which, in spite of its apparent definiteness, tends to obscure more than it clarifies.“ Mit Blick auf Iamblichos spricht Stäcker 1995 beispielsweise nicht von „Irrationalität“, sondern einer anderen Form von Rationalität bzw. „einer neuen Vernunft, die nicht mehr in griechischen Kategorien denkt“ (16; vgl. 25 f., 277 f.). Vgl. auch TanaseanuDöbler 2013, 95 Fn. 242; Berchmann 2002; Addey 2014, 183–189. Letztere beiden Autoren legen ein instrumentelles Verständnis von Rationalität zugrunde, das den kulturellen Referenzrahmen eines Autors miteinbezieht und auf Basis dessen sich die neuplatonische Ritualpraxis als durchaus rational (d. h. innerhalb des kulturellen Rahmens der Spätantike zur Erlangung spezifischer Ziele zweckmäßig) erweisen lässt.  Proklos ordnet die γοητεία gar der Aktivität böser Dämonen zu (In Remp. II 337,15–17).  Clarke/Dillon/Hershbell 2003, xxvii; vgl. 177 Fn. 226. Ferner Addey 2014, 32–38.

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

heilsrelevant sein können. In seiner Diskussion der Mantik wird recht deutlich, worum es ihm geht: For me, not even if there is some instinctive ability from nature for signalling what will be, just as a foreknowledge of earthquakes, wind or storms occurs among animals, does this seem to be worthy of respect. For such an innate faculty of divining occurs according to a keenness of perception or sympathy, or some other movement of natural powers, containing nothing holy or supernatural [...] In this way, even if there is within us a certain natural inkling of the future, just as this power is clearly seen to be active in all other animals, this does not, in reality, possess anything which is worthy of celebration. For what could there be which is genuine, perfect and eternally good among us which is implanted by nature within the realms of generation? (X 3, 287,15–289,2)

Freilich anerkannte Iamblichos – wie alle Platoniker – den Bestand einer kosmischen Sympathie, doch erachtete er diese nicht als maßgeblich bzw. nicht als hinreichend in der Erklärung theurgischer Praktiken (mit Blick auf die Opferhandlungen vgl. V 7). Ja geradezu auffällig ist die Geringschätzung, mit der er in der zitierten Passage von der menschlichen Mantik spricht und man ginge wohl nicht fehl, dass sich hier seine grundsätzliche Haltung gegenüber magischen Praktiken ausspricht. In den auf Wahrnehmungen kosmischer Zusammenhänge basierenden Voraussagen gibt es für ihn überhaupt nichts Besonderes, betrifft dies doch noch nicht einmal eine Fähigkeit, die den Menschen von Tieren unterscheiden würde. Kontrastiert man die Verhältnisbestimmungen zwischen Theurgie, Magie und Goetie, wie sie uns Porphyrios einerseits, Iamblichos andererseits darbieten, so ergibt sich folgendes: (1) Hinsichtlich des Zieles (göttliche Erkenntnis, Erlösung aus den Banden des Schicksals) scheint Porphyrios’ Begriff der Magie Iamblichos’ Begriff der Theurgie recht nahe zu kommen.88 Ja, bei Porphyrios scheint die Magie der Theurgie sogar übergeordnet zu sein: Denn während erstere eine Erkenntnis im höheren Sinne darstelle und von genuin soteriologischer Bedeutung sei, bleibt die Theurgie – folgt man Augustinus’ Zeugnis (De civ. X, 9 u. 27) – bei Porphyrios auf die Reinigung des „spirituellen“ (d. h. pneumatischen) Seelenteils beschränkt. (2) Hinsichtlich der Erklärung der ritual agency weicht Iamblichos an entscheidender Stelle von Porphyrios ab, insofern letzterer den magisch-theurgischen Ritus in der Tat als Bezwingung einer göttlichen Entität unter den Willen des Theurgen/Magiers vorstellt, während es Iamblichos gerade darum geht, diese Vorstellung zu widerlegen. Pocht man wie G. Muscolino darauf, dass nicht Iamblichos, sondern Porphyrios die maßgebliche Rolle in der Einführung der Theurgie in den Platonismus zuzusprechen sei, so darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei Porphyrios

 Man darf daran erinnern, dass nach Or. Ch. fr. 153 die Auszeichnung der Theurgen gerade darin besteht, nicht den Schicksalsbanden unterworfen zu sein.

2.2 Theurgie vs. Magie – das Verhältnis von Gott und Mensch im Ritus

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weder die so entscheidende Abgrenzung der Theurgie von magischen Praktiken noch auch die theoretische Rechtfertigung, der zufolge der Mensch in der Theurgie lediglich als Mitwirker fungiere (eine Vorstellung, die zur Erklärung des rituellen Zusammenspiels von Gott und Mensch noch bei Proklos maßgeblich bleiben sollte), vorhanden sind; dass sogar beides von Porphyrios schon insofern terminologisch konterkariert wird als er den mit rituellen Praktiken verknüpften soteriologischen Weg gerade unter dem Begriff Magie subsumiert, während die Theurgie bei ihm einen niedrigeren Status einnimmt (man kann sich sogar fragen, ob Augustinus’ oben angeführte Gleichsetzung von magia, goetia und theurgia die Position des Porphyrios nicht getreulicher widergibt als oft unterstellt wurde).89 Blickt man in die ältere Forschungsgeschichte zur Theurgie, so lässt sich ein merkwürdiger Sachverhalt konstatieren: Zwar wurde i. d. R. Iamblichos (zurecht) sehr stark ins Zentrum gerückt; andererseits ist man über weite Strecken der (wie gezeigt wurde, genuin nicht-iamblichschen, sondern viel eher Porphyrios entsprechenden) Auffassung gefolgt, der theurgische Ritus ziele auf „Götterzwang“ ab. Dies beispielsweise gibt K. Kiesewetters verfehlte Definition zu erkennen: „Die Theurgie, die Zauberkunst, ist nicht das Wirken durch Gott, sondern der Geisterbann“;90 oder Th. Hopfners Definition in seinem RG-Eintrag von 1936, wo er schreibt: „Theurgie (θεουργία) bedeutet etymologisch und sachlich den Götterzwang, d. h. ein Verfahren oder eine Methode, die, von den Menschen ausgeübt, zwingend auf die Götter [...] zurückwirkt“,91 was (etymologisch und sachlich) das genaue Gegenteil dessen ist, was Iamblichos darunter verstanden wissen wollte.92 Dass auch S. Eitrem von „des communs efforts et des communs remédes des magiciens et des théurges“93 spricht, dass H. Lewy bekennt, „the Magical art of the Chaldean theurgists did not differ in essenti Die Verhältnisbestimmung stellte sich in anderem Lichte dar, wenn man – wie Addey 2014, 110–113 – davon ausginge, dass weder Augustinus’ noch auch Eusebios’ Zeugnissen zu trauen sei und dass der vor allem bei Eusebios stark akzentuierte Topos des „Götterzwangs“ eigentlich nicht Porphyrios’ eigene Ansicht wiedergebe. Gewiss ist das oft feindliche Ansinnen der christlichen Autoren in der Präsentation heidnischer Quellen nicht zu unterschätzen. Trotzdem scheint uns Addeys Ansicht, Porphyrios’ Theurgie-Begriff habe terminologisch wie sachlich im Kern jenem des Iamblichos entsprochen, unwahrscheinlich. Merkwürdigerweise diskutiert sie an keiner Stelle Porphyrios’ positiven Begriff der Magie, noch auch jene Stellen zum Götterzwang im Brief an Anebo – die auch schlecht zu ihrer These passen würden.  Kiesewetter 1931, 21.  Hopfner 1936, 258.  Man muss aber zugestehen, dass Iamblichos die Möglichkeit eines gewissen Zwangs von Dämonen in Betracht zog (vgl. De myst. VI 5–7) und dergestalt begründete, dass vermittels der Verwendung göttlicher Symbole (s. Kap. 2.3) Dämonen beeinflusst werden könnten. Der entscheidende Punkt liegt für ihn aber auch hier darin, dass in den Symbolen göttliche (und damit überdämonische) Kräfte wirksam seien, d. h. kein Zwang eines Höheren durch ein Niedrigeres vorliege.  Eitrem 1942, 72 f.

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

als from that of their competitors (the ‚goets‘)“,94 und schließlich noch E. R. Dodds den Unterschied zwischen Theurgie und Magie gänzlich verwischt,95 kann wohlgemerkt in keinem der Fälle darauf zurückgeführt werden, dass der entsprechende Autor seiner Begriffsbestimmung Porphyrios anstelle von Iamblichos zugrunde gelegt hätte; die Verwirrung ist offenbar primär einer modernen Geisteshaltung geschuldet, der Theurgie wie Magie gleich suspekt vorkommen muss. Bei Nacht sind bekanntlich alle Katzen grau. Gegenüber dem negativen Theurgie-Bild, das sowohl bei christlichen Apologeten wie bei älteren Forschern vorherrschte, hat sich in jüngerer Vergangenheit ein differenzierteres Bild durchgesetzt, das u. U. die Unterscheidung mehrerer Formen bzw. Grade der Theurgie beinhaltet.96 A. Smith hat versucht, eine „niedere“, auf innerweltliche Zwecke gerichtete, sowie eine „höhere“, mit Erlösung der Seele und göttlicher Einung befasste, Theurgie bei Iamblichos und Proklos herauszuarbeiten.97 Eine leichte Modifikation bzw. Präzisierung dieser Position findet sich bei A. Sheppard (1982), die – unter Heranziehung des oftmals vernachlässigten Hermeias und einer in dessen Lichte erfolgten Relektüre der relevanten Stellen bei Proklos und Marinos – zu einer dreistufigen Auffassung von Theurgie bei Proklos kommt. Während die erste Stufe mit innerweltlicher „weißer Magie“ zusammenfalle und die zweite Stufe Riten zur Reinigung der Seele umfasse, sei die dritte rein innerlich und mit keinerlei äußeren Handlungen verknüpft, ja der Sache nach identisch mit der Henosis im plotinischen Sinne. Eine Rekapitulation und Kritik der Forschungsdebatten um die Theurgie findet sich bei G. Shaw,98 der die Sinnhaftigkeit einer hierarchischen Unterscheidung von „höherer“ und „niederer“ Theurgie wiederum in Zweifel zieht, weil sie nicht explizit aus den Quellen hervorgehe und dem modernen Vorurteil geschuldet sei, rituelles Handeln bzw. die Verwendung materieller Objekte sei per se „niedriger“ zu bewerten als die reine Kontemplation. Dies, so Shaw, entspreche mitnichten der Position der späten Neuplatoniker, weshalb die Strategie moderner Interpreten, die „höhere“ Theurgie gewissermaßen auf Kosten der Abwertung der „niederen“ zu retten, fehlgehe. Alle Formen der Theurgie seien nämlich „vertikal“ orientiert und verfolgen ein soteriologisches Ziel. Es lassen sich demzufolge in der Antike wie in der modernen Forschung im Wesentlichen drei Weisen unterscheiden, das Verhältnis von Theurgie und Magie zu bestimmen: (1) durch Behauptung einer kategorialen Differenz, die in erster Linie an der Verschiedenheit des jeweiligen Ziels und des rituellen Akteurs, ggf. auch der ein-

 Lewy ³2011, 238.  Vgl. Dodds 1970, 150–167.  Vgl. Trouillard 1972, 171–189; Smith 1974, 83 ff.; Sheppard 1982; Saffrey 1990; Nasemann 1991, 207 ff.; Tanaseanu-Döbler 2013; ferner die Werke von G. Shaw.  Vgl. Smith 1974, 83–99 (zu Iamblichos), 111–121 (zu Proklos).  Vgl. Shaw 1985, 2–13; Addey 2014, 39 f.

2.2 Theurgie vs. Magie – das Verhältnis von Gott und Mensch im Ritus

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gesetzten Mittel, festzumachen ist; (2) durch die Reduktion von Theurgie auf Magie in einer bewussten oder unbewussten Ignorierung bzw. Verwischung ihrer Unterschiede; (3) durch Subsumption gewisser magischer Praktiken unter den Begriff der Theurgie, wonach sich beide Kategorien nicht ausschlössen, sondern Theurgie im weiteren Sinne durchaus Magie beinhalten könne, ohne jedoch in dieser aufzugehen. Während erste Strategie am ehesten dem Selbstverständnis von Iamblichos entspricht, entspricht die zweite Strategie dem Vorgehen vieler christlicher Autoren (z. B. Augustinus) sowie der älteren Forschungsliteratur, während in neuerer Forschungsliteratur – darum bemüht, Binnendifferenzierungen innerhalb des TheurgieKonzeptes einzuführen und verschiedene Stufen zu unterscheiden – teils letztere Strategie verfolgt wurde. Auch wenn man Iamblichos’ Selbstabgrenzungen ernst nimmt, ist vermutlich letztere Strategie die vielversprechendste, insofern sie (a) am sachlichen Unterschied zwischen theurgischen und magischen Primärzielen sowie der jeweiligen Rolle des Menschen festhält, dabei aber (b) zugleich der nicht immer klaren Abgrenzbarkeit insbesondere hinsichtlich der praktischen Verfahrensweisen Rechnung trägt.99 Inwiefern hier Hierarchisierungen angebracht sind, bleibe an dieser Stelle dahingestellt. In jedem Falle ist festzuhalten, dass das Phänomen Theurgie facettenreicher ist als lange angenommen und verschiedene Aspekte (einschließlich eher kontemplativer Praktiken)100 umfasst. Entgegen vieler Kritiker oder gar Verächter der theurgischen Neuplatoniker, welche die Theurgie zu einer Art „Götterzwang“ deklarieren wollen, wird man sagen können, dass das Menschenbild eines Iamblichos oder Proklos letztlich sogar „frömmer“ ist als das eines Plotin oder Porphyrios, weil jene die Begrenztheit der conditio humana viel stärker betonen und der theurgische Ritus letztlich von einem Moment göttlicher „Gnade“ abhängt.101 Auch dies wurde oftmals geleugnet und selbst ein der Theurgie gegenüber durchaus unvoreingenommener Forscher wie R. T. Wallis wollte die Hauptantithese zwischen Neuplatonismus und Christentum im Gegensatz von „rational world-order versus super-natural grace“ erblicken: „The great difference between Neoplatonic theurgy and Christian sacramentalism was [...] that the former regarded itself as employing forces built into the natural world-order, and not as dependent on a supernatural divine intervention over and above that

 In diesem Sinne schreibt Nasemann 1991, 278: „Ihre Verfahren [d. h. jene der Theurgie] glichen dabei in hohem Maße denen der profanen Magie und Goetie, von der sie sich aber durch ihre religiöse Zielsetzung unterschied. Daneben existierte eine Art unterer Stufe der Theurgie, die ähnlichen Zwecken diente wie der gewöhnliche Zauber“. Vgl. zu letzterem Aspekt auch Kap. 4.1.8.  Vgl. zur kontemplativen Praxis: Majercik 1989, 33 ff.  Es ist bezeichnend, dass Iamblichos die in Porphyrios’ Fragen sich ausdrückende Haltung als „unfromm“ (ἀνόσιον) bezeichnet (De myst. III 19, 146,6); vgl. auch den Vorwurf der ἀνοσιουργία in II 11, 95,12 f.

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

order.“102 Was aber ist Iamblichos’ Hervorhebung der ὑπερφυής αἰτία (De myst. V 8, 209,3), der θεία φιλία (I 12, 42,6) und εὐμένεια (III 23, 156,2) sowie die Reduzierung des menschlichen Akteurs zur συναίτια anderes als das Abhängigmachen des gelungenen theurgischen Ritus von einer „übernatürlichen göttlichen Intervention“? Plotins berühmte Antwort an Amelios, der ihn aufforderte, ihn zu einem Kultfest zu begleiten – „Jene [die Götter] müssen zu mir kommen, nicht ich zu ihnen“ (Vita Plotini § 10) –, wäre aus dem Munde eines der späteren Neuplatoniker so kaum denkbar. Gleiches gilt für die plotinische Forderung, dass es nicht darum gehe, ein gerechter Mann, sondern Gott zu werden (Enn. I 2, 6, 2 f.), oder Porphyrios’ unter Bezug auf seinen Lehrer getätigten Ausspruch in De abstinentia (II 49, 1; EÜ): Mit Recht enthält sich der Philosoph, Priester des höchsten Gottes, aller fleischlichen Nahrung; denn er ist darum bemüht, allein durch sich selbst dem einzigen Gott näher zu kommen (μόνος μόνῳ διὰ τοῦ ἑαυτοῦ θεῷ προσιέναι), ohne die Last von Begleitern (ἄνευ τῆς τῶν παρομαρτούντων ἐνοχλήσεως).

Was Porphyrios als „Last“ beschreibt, nämlich die „Begleiter“ (d. h. die höheren Genera), sind für Iamblichos notwendige Vermittlerwesen im Aufstieg der menschlichen Seele. In all den eben zitierten Stellen liegt die Emphase auf dem menschlichen Streben, rückt Philosophie in eine enge Nähe zum Gedanken der Selbsterlösung.103 Und hat man die Ausübung magischer Praktiken oftmals als „prometheische Selbstermächtigung“, ja als Hybris, gedeutet und deren Ablehnung als Akt der Demut oder Selbstbescheidung, so spricht sich in Plotins Ablehnung der Magie – und hierin liegt die eigentliche Pointe seiner Haltung – keinesfalls etwa das Bewusstsein davon aus, in der Magie liege eine ungebührliche Übertretung der conditio humana vor; vielmehr wird die Magie relativiert, weil sie jenen, der die conditio humana bereits transzendiert hat, nicht mehr betrifft (vgl. Enn. IV 4, 43–44). Was in seiner Haltung zu magischen Praktiken im Vordergrund steht, ist die Nicht-Affizierbarkeit des echten Weisen durch selbige bzw. die Begrenzung ihrer Reichweite – womit die Ablehnung bzw. Relativierung von Magie sachlich

 Wallis 1972, 105 u. 108. Demgegenüber hat z. B. Trouillard 1973a die Theurgie sehr eng mit der christlichen Sakramentalpraxis zusammengebracht und Opsomer 2018, 1378, spricht mit Blick auf Iamblichos von einer „Theorie, die christlichen Gnadenauffassungen nahekommt“. Vgl auch Feichtinger 2003.  Man kann – wie Fürlinger 2006, 191 f., oder Addey 2014, 179 f. – betonen, dass auch bei Plotin der Vollzug der höchsten Einung ein „Geschehenlassen“ sei, nicht eigentlich eine „Aktivität“ oder „menschliche Leistung“. Ferner weisen Dillon 1995b, 327–330, und Addey 2014, 204, darauf hin, dass Plotin die Vorstellung von „Gnade“ (χάρις) nicht fremd war. Doch bezieht sich diese in den angeführten Textstellen stets auf die (je schon vorhandene) wohltätige Kraft des Guten bzw. die Präsenz einer „Spur“ des Einen in der Seele. In jedem Falle bleibt das Konzept bei Plotin unpersönlich; die Intervention „personaler“ göttlicher Wesen spielt beim Aufstiegsweg der Seele keine Rolle.

2.3 Die Rolle der göttlichen Symbole in der Theurgie

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nur die Gegenseite zur oben zitierten Maxime von der aus eigener Kraft bewerkstelligten „Gottwerdung“ darstellt. Dieser Zusammenhang wurde von Ph. Merlan sehr deutlich gesehen, wenn er Plotin mit literarischen Figuren wie Shakespeares Prospero oder Goethes Faust kontrastiert: When Prospero and Faust speak of giving up magic, they consider this as the way of resuming their proper place in the universe, that of man. It is different with Plotinus. [...] Plotinus’ transcendence of magic is quite obviously not a call to resume one’s station as man. It is on the contrary a call to become more than man, to become more than even the gods. Prospero and Faust are willing to accept the limitations befitting man’s nature. Plotinus expects man to surpass the gods. [...] In Prospero and Faust the giving up of magic was conceived as an act of humility. In Plotinus the conviction that the true philosopher cannot be bound by magic is the expression of supreme pride.104

Demgegenüber steht Iamblichos hier auf Seiten Prosperos bzw. Fausts und betont an mehr als einer Stelle die „Schwäche der menschlichen Natur“ (De myst. IX 10, 285,4: ἀνθρωπίνη ἀσθένεια); sein „Bewusstsein von unserer eigenen Nichtigkeit“ (I 15, 47,13 f.: συναίσθησις τῆς περὶ ἑαυτοὺς οὐδενείας; vgl. III 19, 146,9 f.) – im Vergleich zur göttlichen Größe – war stark ausgeprägt, weshalb der Gedanke an eine Erlösung aus eigener Kraft sich ihm von vornherein verbot.

2.3 Die Rolle der göttlichen Symbole in der Theurgie Entscheidend zum Verständnis der Theurgie ist ohne Zweifel die neuplatonische Auffassung vom Symbol, die in zwei Hauptkontexten artikuliert wurde: (1) im Kontext einer literarischen Theorie und Praxis der Mythenexegese; (2) im engeren Kontext der Theurgie, wo den Symbolen eine eigene Wirkkraft zugesprochen wurde. Uns wird hier in erster Linie der zweite Aspekt interessieren, doch ist es unabdingbar, auch verschiedentlich auf den ersten Aspekt zu sprechen zu kommen – zumal beide in gewissem Sinne miteinander verschränkt sind. Nun ist der neuplatonische Symbolbegriff mehrdeutig und beinhaltet verschiedene Dimensionen.105 Fragen wir zuallererst: Welche griechischen Begriffe kommen eigentlich in Betracht? Zuvörderst σύμβολον und σύνθημα, in manchen Kontexten jedoch auch Begriffe wie σημεῖον, χαρακτήρ oder ἔνθημα.106 Hinsichtlich der Wirksamkeit von Symbolen in der Theurgie werden zumeist die Begriffe σύνθημα oder  Merlan 1953, 347 f.  Zur allgemeinen Begriffsgeschichte von „Symbol“ vgl. Struck 2004.  Der Begriff ἔνθημα fällt bei Iamblichos (De myst. I 21, 65,6). Die meisten Interpreten (und Übersetzer) folgen indessen Gales Konjektur σύνθημα. Zum allgemeinen Begriffsspektrum der „Symbolik“ in De mysteriis vgl. auch Fazzo 1977, 261–268.

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σύμβολον verwendet und viele Interpreten sind der Ansicht, es handele sich dabei schlicht um Synonyme (die zumal in den vorliegenden Übersetzungen nicht selten beide schlicht mit „Symbol“ wiedergegeben werden).107 Etymologisch betrachtet haben die beiden Begriffe in der Tat eine ähnliche Grundbedeutung, insofern die Verben, von denen sie jeweils abgeleitet sind – d. h. σύμβολον von συμβάλλειν und σύνθημα von συντιθέναι – beide den Vorgang bzw. das Ergebnis eines „Vereinigens“ oder „Zusammenbringens“ meinen.108 Ob sich nicht doch – zumindest tendenziell – semantische Unterschiede zeigen lassen, wird noch zu thematisieren sein. Ein Grundproblem besteht jedoch darin, dass die neuplatonischen Autoren genannte Begriff zwar verwenden, man eine Metareflexion auf deren Gehalt allerdings vergeblich sucht.109 Nähert man sich dem neuplatonischen Symbolverständnis begriffsgeschichtlich an, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass schon im Mittelplatonismus – vor allem in den Schriften Plutarchs – der Terminus σύμβολον recht häufig fällt. Im Wesentlichen scheint der Terminus dort semantisch nicht über die Bedeutung von εἰκών oder sogar εἴδωλον hinauszugehen.110 Gleichwohl lässt sich bereits eine – im späteren Neuplatonismus noch ausgeweitete bzw. vertiefte – inhaltliche Einschreibung des Symbolbegriffs in einen religiös-kultischen Referenzrahmen beobach-

 Der Begriff σημεῖον (oder auch σῆμα) hat – wie Saffrey 2000a ausführlich untersucht hat – andere Konnotationen. Er wurde allgemein gebraucht für göttliche „Zeichen“, die sich sinnfällig kundgeben, oftmals in einer „wunderlichen Begebenheit“ (θαυμάσιον). In diesem Sinne wurde σημεῖον bereits von Platon für das „Zeichen“ des sokratischen Daimonion verwendet (dazu ausführlich: Timotin 2012, 52 ff.). Während in den griechischen Zauberpapyri die Termini σημεῖον, σύμβολον und τεκμήριον sich semantisch sehr nahestehen können (vgl. Saffrey 2000a, 132), ist σημεῖον bei Iamblichos oder Proklos terminologisch recht klar von σύμβολον und σύνθημα abgrenzbar. Wie aus den von Saffrey zusammengetragenen (und in De mysteriis durchaus zahlreichen) Belegstellen hervorgeht, verwendet Iamblichos σημεῖον einerseits bevorzugt in der Beschreibung göttlicher Besessenheit, wobei man an den σημεία, d. h. den äußerlichen (und oft körperlichen) Anzeichen des Besessenen erkennen könne, ob es sich um eine echte Besessenheit handele und von welchem höheren Wesen sie bedingt sei; andererseits im Kontext der Divinationskunst, die sich gewisser σημεία bediene, die von den Göttern ausgingen. Eine etwas andere Wortverwendung scheint in De myst. III 15 vorzuliegen, wo von den Dämonen gesagt wird, dass sie alles durch Bilder erschaffen und diese ebenfalls „be-deuten“ (σημαίνουσιν), nämlich „vermittels Zeichen“ (διὰ συνθημάτων). Hier wird das σημεῖον also über das σύνθημα vermittelt.  Zur Bedeutungsdimension von σύμβολον vgl. Crome 1970, 201–211.  Iamblichos’ Schrift Über die Symbole, die möglicherweise eine systematischere Darstellung des Gegenstands bot, ist uns leider nicht überliefert. Vgl. Larsen 1972, 60 f.  Dies zeigt Roskam 2006, u. a. in Bezug auf Plutarchs „Definition“ von σύμβολα als εἴδωλα τῶν νοουμένων καὶ εἰκόνας in De genio Socratis 589B–C.

2.3 Die Rolle der göttlichen Symbole in der Theurgie

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ten.111 So lesen wir in De defectu oraculorum (417B), dass die Opfer, Riten und Mythologien verschiedentlich „Spuren und Symbole“ (ἴχνη καὶ σύμβολα) bewahrten. Noch deutlicher wird dies in der – von Iamblichos und Proklos aufgegriffenen – Ontologie der Chaldäischen Orakel, derzufolge der Demiurg im Weltentstehungsprozess verschiedenste Zeichen und Symbole in den Kosmos, einschließlich in die menschliche Seele, gesät habe.112 Auffällig ist freilich, dass in Plotins Enneaden die Begriffe σύνθημα und σύμβολον überhaupt nicht vorkommen, worin sich wohl Plotins grundsätzliches Desinteresse an jenen – wesentlich mit der inneren Kraft der Symbole verbundenen – für seine Nachfolger so wichtigen rituellen Praktiken widerspiegelt. Lediglich das Adverb συμβολικῶς findet sich an einer Stelle (V 5, 6, 27), und zwar bei der Erläuterung der pythagoräischen Bezeichnung des Einen als „Apollon“ (a-pollon). Demgegenüber findet sich in den Enneaden eine Vielzahl von Belegstellen für σημεῖον (sowie das dazugehörige Verb σημαίνειν). Insbesondere in den astrologischen Ausführungen von Enneade II 3 über das Wirken der Sterne kommt Plotin ausführlich auf die im wörtlichen Sinne semantische Bedeutung der himmlischen Gestirne zu sprechen. Sein Verständnis der himmlischen σημεία bewegt sich im Rahmen der kosmischen Sympathie, man könnte auch sagen: einer horizontalen Interdependenz alles innerkosmisch Seienden. Deshalb vermag für Plotin der Weise die himmlischen σημεία zu entziffern und aus einem Teil des Kosmos den anderen zu erkennen.113 Bei Porphyrios nimmt der Begriff σύμβολον (seltener auch σύνθημα) bereits eine prominentere Rolle ein, und zwar sowohl im Kontext der Mythenexegese als auch der Theurgie. Vor allem in jenen Fragmenten, die man unter den Titeln Περὶ ἀγαλμάτων sowie Περὶ τῆς ἐκ λογίων φιλοσοφίας aus Eusebios’ Praeparatio evangelica zusammengestellt hat, taucht der Begriff σύμβολον – neben ihm sinnverwandten und weniger oft gebrauchten Begriffen wie σύνθημα, σημεῖον, χαρακτήρ, εἰκών

 Demgegenüber war σύνθημα seit jeher ein im Mysterienumfeld gängiger Terminus, namentlich um bestimmte im initiatischen Kontext verwendete „Formeln“ zu bezeichnen (vgl. Burkert 1990, 49, 79, 83–85).  Vgl. Or. Ch. fr. 108, wonach der „väterliche Intellekt Symbole (σύμβολα) in den Kosmos eingesät hat“. Vgl. zum „Säen“ die im Kommentar von Majercik 1989, 182, angegebenen weiteren Belegstellen bei Proklos.  Die Gestirne, so Plotin, seien „gleichsam Schriftzeichen (γράμματα), welche am Himmel immer neu geschrieben werden oder geschrieben stehen und ihre Bahn ziehen“ (II 3, 7, 4–6). „Nun sind vom Weltall die Gestirne Teile und auch wir Menschen Teile. So erkennen wir mit einem Teil des Alls den anderen. Es ist aber alles voll von Zeichen (σημεία), und weise ist der Mann, der aus dem einen Teil den anderen erkennt“ (II 3, 7, 10–13). Vgl. auch II 3, 8, 7 f. Die Gestirne, so heißt es dort, seien „um des Anzeigens willen (πρὸς τὸ σημαίνειν)“ am Himmel. „So zeigen sie denn alles an, was in der sichtbaren Welt geschieht.“

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und τύπος – ziemlich häufig auf.114 Doch werden die genannten Termini dort teils synonym verwendet oder sind zumindest semantisch nicht klar unterscheidbar. Die betreffenden Passagen stehen einerseits im Kontext der Legitimation von Götterstatuen, andererseits im Kontext einer allegorischen Deutung der klassischen griechischen Götter sowie deren Attributen. Der Begriff σύμβολον wird dabei im Wesentlichen in zwei Bedeutungen verwendet: (1) Im Hinblick auf bestimmten Göttern zugeordnete Attribute oder Gegenstände (ob Porphyrios diesen Symbolen eine theurgische Wirksamkeit zusprach, geht aus den Fragmenten nicht eindeutig hervor; die in fr. 317 F gelieferte Anleitung zur Errichtung einer Hekate-Statue scheint indes den theurgischen Symbolbegriff nahezulegen).115 (2) Außerdem fungiere der Name einer spezifischen Gottheit als σύμβολον für einen natürlichen Prozess.116 Ganz ähnlich verhält es sich in De antro nympharum. Das literarische Bild der Höhle wird in seiner Gesamtheit als Allegorie aufgefasst – Porphyrios selbst verwendet das Verb ἀλληγορεῖν (§ 3 u. 4) –, innerhalb derer sich gewisse Symbole (σύμβολα) unterscheiden lassen. Erneut symbolisieren verschiedene Figuren, Gegenstände und Attribute spezifische Kräfte oder Entitäten. Im Gesamten gehen diese Stellen kaum über ein allegorisches Symbolverständnis hinaus. Dass nun Porphyrios außerdem mit einer Art „theurgischem“ Symbolverständnis vertraut war, geht nicht allein daraus hervor, dass eine der Fragen, die er in sei-

 In unserem Kontext bedeutsame Fragmente sind: 320 F; 321 F; 326 F; 328 F; 358 F; 359 F; 360 F. Vgl. auch das Kap. zu Porphyrios in Crome 1970, wo dessen Symbolverständnis anhand der Schriften Περὶ ἀγαλμάτων und De antro nympharum untersucht wird.  In diesem Sinne ist von σύμβολα τῆς Ἑκάτης (320 F) die Rede. Plutons Helm sei „Symbol der unsichtbaren Hemisphäre“ (τοῦ ἀφανοῦς πόλου σύμβολον), außerdem trage er einen Szepter als „Zeichen der Herrschaft über den Hades“ (σημεῖον τῆς τῶν κάτω βασιλείας); Asklepios, σύμβολον der Heilkraft, trage die Schlange als „Zeichen“ (σημεῖον). Der Gott Pan sei σύμβολον τοῦ παντός, wobei ihm weitere Gegenstände zugeordnet seien, namentlich Hörner als σύμβολα ἡλίου καὶ σελήνης, die Haut eines Hirsches als Symbol der himmlischen Gestirne bzw. der Mannigfaltigkeit des Alls. Der Falke sei den Ägyptern „Symbol des Lichtes und des Atems“ (φωτός δὲ καὶ πνεύματος σύμβολον; 360F). Überhaupt betrachteten die Ägypter die von ihnen verehrten Tiere nicht als Götter, sondern als „Abbilder und Symbole der Götter“ (εἰκόνας δὲ καὶ σύμβολα ταῦτα θεῶν; 360 F). Wie hier das Verhältnis von σύμβολον und εἰκών zu fassen ist, geht aus entsprechender Stelle nicht hervor. Noch auch, wenn einige Zeilen später die schwarze Farbe eines Körpers sowie der Skarabäus als σημεῖα der Sonne, die Sichel jedoch als σύμβολον des Mondes bezeichnet wird. Ferner sei der Mond, wie auch Athene, Symbol der Weisheit (φρόνησις). Man könnte die Liste an Beispielen noch verlängern; doch all dies scheint keinen klaren terminologischen Kriterien zu folgen.  Adonis sei Symbol für die Fruchternte, Silenos Symbol der Bewegung des Pneumas, Attis Symbol für die Kraft der Blumen, Thetis Symbol für das Meerwasser, Asklepios Symbol für die Heilkraft, Pluton für die Macht des Ackerbaus etc. (vgl. 358 F, 359 F). „Vermittels dieser Symbole wird die Kraft der Erde enthüllt (διὰ δὴ τούτων τῶν συμβόλων ἡ περίγειος ἐκκαλύπτεται δύναμις)“. In diesem Sinne stehen die σύμβολα hier schlicht für die in der Natur wirksamen δυνάμεις.

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nem Brief an Anebo (II 9) formuliert, genau die Wirksamkeit der σύμβολα betrifft. Auch folgender Passus aus Περὶ τῆς ἐκ λογίων φιλοσοφίας scheint hiervon zu zeugen. Die Götter, so heißt es dort, „liebten die symbolischen Zeichen“ (φιλοῦσι τὰ σύμβολα τῶν χαρακτήρων; 321 F), die ihrer Präsenz in heiligen Statuen oder sonstigen Orten dienten. In der entsprechenden Passage fallen die Begriffe σύμβολον, χαρακτήρ und τύπος, ohne dass recht deutlich würde, ob der Autor zwischen ihnen einen semantischen Unterschied intendiert. Obgleich die Stelle nicht ausdrücklich von Theurgie handelt, steht sie zweifelsohne im Kontext der Konsekration von Götterstatuen, d. h. fällt zumindest im weiteren Sinne in den Bereich theurgischer Praktiken. Fraglich bleibt indes, ob – auch wenn Eusebios (resp. Porphyrios) schreibt, die „Zeichen“ und „Charaktere“ würden „aufgrund der Magie“ so genannt werden (κατὰ μαγείαν φασὶ τύπους καὶ τοὺς τοιούσδε χαρακτῆρας), d. h. er ihnen eine Art magischer Kraft zuerkennt – der dabei (oder in der Formulierung τὰ σύμβολα τῶν χαρακτήρων) anklingende Symbolbegriff sich mit jenem eines Iamblichos oder Proklos deckt.117 Wie auch immer sich dies verhalten mag, der genuin theurgische Symbolbegriff scheint erstmals bei Iamblichos in seiner ganzen positiven Tragweite vorzuliegen. Ihm wollen wir uns jetzt zuwenden. Was Iamblichos’ Verwendung von σύμβολον und σύνθημα anlangt, so meinte E. des Places, dass „les deux termes sont d’ordinaire synonymes“.118 Überblickt man die wichtigsten Stellen, in denen in De mysteriis von σύμβολα und συνθήματα die Rede ist, so scheint eine Abgrenzung in der Tat schwierig zu sein. Mehrfach scheint Iamblichos ohne ersichtlichen Grund von σύμβολον zu σύνθημα (oder umgekehrt) überzugehen, und beide Termini stehen verschiedentlich mit dem Adjektiv ἀπόρρητον. Doch gibt es Nuancenverschiebungen, wie z. B. in folgenden Stellen:119 In I 21 lesen wir, dass dank der vom Demiurgen verteilten ἐνθηματα θαυμαστά (die meisten Übersetzer folgen Th. Gales Konjektur, der συνθήματα für ἐνθηματα einsetzt) das Unnennbare (τὰ ἄφθεγκτα) sich „vermittels unaussprechlicher Symbole“

 Fazzo 1977, 194, nimmt jedenfalls einen theurgischen Hintergrund der Wendung τὰ σύμβολα τῶν χαρακτήρων an: „l’unione dei due vocaboli mi sembra che stia in una funzione decisamente teurgica. Infatti nel nostro frammento, sia simbolo sia carattere per conto loro non contengono nessun esplicito riferimento al rapporto materiale tra il dio e l’immagine religiosa da loro indicate: ma poiché già conosciamo la funzione teurgica che in questo gruppo di frammenti la dea Ecate assegna alle statue, è evidente che questi due vocaboli in realtà, sono impegnati in funzione di quella materializzazione del rapporto statua-dio, che era così importante per il contatto teurgico del fedele con la divinità da lui invocata.“  So Des Places in der Einleitung zu seiner Ausgabe der Oracles chaldaïques (28), wo er im Übrigen die wichtigsten Belegstellen aus De mysteriis zusammengetragen hat (vgl. 28 f.). Auch Crome 1970, 49, Hirschle 1979, 48 Fn. 39, Nasemann 1991, 129 Fn. 129, und Stäcker 1995, 128, gehen von einer semantischen Identität von σύμβολον und σύνθημα bei Iamblichos aus.  Vgl. dazu schon Cohen 2008, 550 f.

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(διὰ συμβόλων ἀπόρρητον) manifestiere. Ganz ähnlich IV 2, wo die menschliche Mitwirkerschaft in der Theurgie von der Wirkung der göttlichen Symbole unterschieden wird: Die Theurgie sei zwar gegründet in „göttlichen Zeichen“ (θεῖα συνθήματα), während der Theurg allerdings „vermittels unaussprechlicher Symbole“ (διὰ τῶν ἀπόρρητον συμβόλων) wirke. In beiden Fällen sind die συνθήματα offenbar auf die unsichtbare, göttliche Ordnung bezogen, die σύμβολα auf die manifestierte Welt. Schwieriger wird es in einer Stelle wie VI 6, wo es heißt, der Theurg wirke διὰ τὴν δύναμιν τῶν ἀπόρρητον συνθημάτων, während fünf Zeilen danach τῶν ἀπόρρητον συμβόλων ἡ γνώσις beschworen wird. Zwar mag die Formulierung διὰ τὴν δύναμιν τῶν ἀπόρρητον συνθημάτων auf den ersten Blick den zuvor genannten Formulierungen διὰ συμβόλων ἀπόρρητον zuwiderlaufen, doch sind es genau besehen ja auch in VI, 6 nicht die συνθήματα selbst, sondern deren δύναμις, vermittels derer der Theurg sein Werk vollbringe – und es spricht nichts dagegen, dass diese δύναμις sich in den sichtbaren σύμβολα manifestiere. Betrachten wir eine weitere vielzitierte Stelle über den theurgischen Akt: it is the accomplishment of acts not to be divulged and beyond all conception, and the power of the unutterable symbols (συμβόλων ἀφθέγκτων δύναμις), understood solely by the gods, which establishes theurgic union [...] For even when we are not engaged in intellection, the symbols themselves (τὰ συνθήματα ἀφ᾽ ἑαυτῶν), by themselves, perform their appropriate work, and the ineffable power of the gods, to whom these symbols relate, itself recognises the proper images of itself, not through being aroused by our thought. [...] Hence it is not even chiefly through our intellection that divine causes are called into actuality; but it is necessary for these and all the best conditions of the soul and our ritual purity to preexist as auxiliary causes (ὡς συναίτια); but the things which properly arouse the divine will (τὴν θείαν βούλησιν) are the actual divine symbols (τὰ θεῖα συνθήματα). (II 11, 96,13–97,13)

Durchaus im Sinne des bislang Ausgeführten verhält sich die zweimalige Verwendung von συνθήματα. Anders steht es mit der δύναμις συμβόλων ἀφθέγκτων. Vor dem Hintergrund der zuvor besprochenen Stellen würde man hier wohl eher den Terminus συνθήματα erwarten. Ungeachtet dessen lässt sich eine – wenn auch terminologisch nicht immer streng durchgehaltene – Tendenz festhalten, nämlich dass die theurgischen συνθήματα der göttlichen Ordnung zugehörige und der menschlichen Erkennbarkeit letztlich entzogene Zeichen darstellen, während die σύμβολα als sichtbare Symbole vorgestellt werden, denen sich der menschliche Theurg bedient.120  Die genannte Differenz lässt sich – mit Cohen 2008 – auch philosophiegeschichtlich stützen, indem man den Unterschied zwischen σύνθημα und σύμβολον auf jenen zwischen εἶδος und μορφή im aristotelischen Hylemorphismus rückbezieht: Bei Aristoteles bezeichnet μορφή gewissermaßen die sinnliche Aktualisierung (bzw. phänomenale Manifestation) eines entsprechenden εἶδος, oder wenn man so will: das in die Materie eingegangene εἶδος. Damit wären die σύμβολα gleichsam eine neuplatonische Entsprechung zu den aristotelischen μορφαί (bzw. ἔνυλα εἴδη), die συνθήματα zu den aristotelischen εἴδη in Reinform. Im Übrigen kann man eine semantische Diffe-

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Nun kennt Iamblichos in De mysteriis auch noch einen Symbolbegriff, der vom „theurgischen“ zu unterscheiden ist. Wir meinen jene Verwendung von σύμβολον, wie sie etwa in Buch VII 1–2 zur Erläuterung der Theologie der Ägypter dient. Iamblichos erklärt dort nicht nur den Sinngehalt einiger ägyptischer Symbole, sondern sucht den kognitiven Akt, der sich im Verstehen eines Symbols vollziehe, zu beschreiben: Hear, therefore, the intellectual interpretation of the symbols (τῶν συμβόλων), according to Egyptian thought: banish the image of the symbolic things themselves, which depends on imagination and hearsay, and raise yourself up towards the intellectual truth. Understand, then, that ‚mud‘ represents all that is corporeal and material; or that which is nutritive and fertile; or, as such as is the form immanent in nature, that which is carried along with the unstable flux of matter; or some such thing as receives the river of generation itself, and settles with it; or the primordial cause, pre-established as a foundation of the elements and of all the powers that surround the elements. [...] The following symbol also bears witness to this. For ‚sitting on a lotus‘ signifies transcendency over the ‚mud‘, such as in no way touches the ‚mud‘, and also indicates intellectual and empyrean leadership. [...] And ‚sailing in a ship‘ represents the sovereignty that governs the world. (VII 2, 250,10–252,8)

Hatte bereits Plotin (V 8, 6) die Weisheit der Ägypter und die Bedeutung ihrer Hieroglyphen-Schrift in der Kommunikation nicht-diskursiver Erkenntnisse gepriesen, so präsentiert Iamblichos hier eine spezifische Form des theologischen Diskurses, die sich symbolhafter Ausdrücke bzw. deren Verweisungsfunktion bediene. Die gewählten Beispiele lassen kaum Zweifel daran, dass σύμβολον hier etwas anderes meint als in den oben zitierten Stellen. Dass „Schlamm“ für die Ägypter als σύμβολον für diverse Aspekte der körperlichen Welt fungieren könne, impliziert beispielsweise nicht automatisch, dass diesem σύμβολον eine theurgische Kraft eigne. Gleiches gilt für die anderen Beispiele; hier kommt Iamblichos jenem Symbolverständnis nahe, das wir im Hinblick auf Porphyrios als „allegorisch“ bezeichnet haben. Dass Iamblichos den Terminus σύμβολον außerdem im Kontext literarischer Exegese zu gebrauchen schien, hierfür spricht jedenfalls die einzige Passage, in welcher der Terminus – dort allerdings gleich mehrfach – in seinen überlieferten Fragmenten zu den platonischen Dialogen auftaucht. Sie stammt aus Proklos’ Timaios-Kommentar und stützt sich wohl auf Iamblichos’ verlorenen Kommentar zu selbigem Dialog. Es geht dort um den Status der Rahmenerzählung des Ti-

renz zwischen σύμβολον und σύνθημα tendenziell bereits aus den drei diesbezüglich relevanten Fragmenten der Chaldäischen Orakel herauslesen. Sowohl das σύνθημα πατρικόν in fr. 109 als auch das τριάδος σύνθημα in fr. 2 sind auf die intelligible Welt bezogen. Demgegenüber ist das σύμβολον in fr. 108 Gegenstand des göttlichen Säens, bezeichnet jedoch als solches die „Saat“ des väterlichen Intellekts im Kosmos (und das Säen wird bezeichnenderweise von Iamblichos in De myst. I 11, 37,10–12 als das Verleihen von μορφαί an den Kosmos gedeutet). Vgl. Cohen 2008, 548 ff.

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maios, d. h. der Atlantis-Erzählung, die gewisse Aspekte der Politeia rekapituliere. Während Porphyrios diese Erzählung in einem ethischen Sinne verstanden habe, heißt es über Iamblichos: others (sc. Iamblichus) consider that it has been placed before the whole physiological enquiry as an image (ὡς εἰκόνα) of the organisation of the Universe; for the Pythagoreans had the habit of placing before their scientific instruction (ἐπιστημονικῆς διδασκαλίας) the revealing of the subjects under inquiry through similitudes and images (διὰ τῶν ὁμοιῶν καὶ τῶν εἰκόνων), and after this of introducing the secret revelation of the same subjects through symbols (ἐπάγειν τὴν διὰ τῶν συμβόλων ἀπόρρητον περὶ τῶν ἀυτῶν ἔνδειξιν), and then in this way, after the reactivation of the soul’s ability to comprehend the intelligible realm and the purging of its vision, to bring on the complete knowledge of the subjects laid down for investigation. And here too the relating in summary of the Republic before the physiological enquiry prepares us to understand the orderly creation of the Universe through the medium of an image (εἰκονικῶς), while the story of the Atlantids acts as a symbol (συμβολικῶς); for indeed myths in general tend to reveal the principles of actuality through symbols (διὰ τῶν συμβόλων). So the physiological theme in fact runs through the whole dialogue, but appears in different forms in different places according to the different methods of revelation. (Proklos, In Tim. I 30 = Iamblichos, In Tim. fr. 5; Übers. Dillon)

Iamblichos sei in seiner Timaios-Interpretation also der „pythagoräischen Methode“ gefolgt, insofern er verschiedene Darstellungsformen ein und desselben Sachverhalts unterschieden und verschiedenen Stufen der Unterweisung zugeordnet habe. Die symbolische Darstellungsform wird dabei ausdrücklich von jener „durch Ähnlichkeit und Bilder“ (διὰ τῶν ὁμοιῶν καὶ τῶν εἰκόνων) abgegrenzt, dabei zugleich der „wissenschaftlichen“ Unterweisung subordiniert. Hinsichtlich des Symbolbegriffs ist nicht klar, ob hier Proklos oder Iamblichos spricht. Die erste Wortverwendung kann man getrost auf Iamblichos selbst rückbeziehen, finden sich doch auch in der Vita Pythagorae Stellen, in denen er die symbolische Unterweisungsmethode der Pythagoräer erwähnt.121 Wenn allerdings in der Textstelle die Atlantis-Erzählung als „symbolisch“ bezeichnet oder die grundsätzliche These aufgestellt wird, dass Mythen bestimmte Sachverhalte „durch Symbole“ mitteilten, so mag dies auch Proklos eigene Auffassung wiedergeben. Anhand welchen Kriteriums die Zusammenfassung der Politeia als εἰκονικῶς, die Atlantis-Geschichte als συμβολικῶς klassifiziert wird, bleibt im Dunkeln (möglicherweise klingt hier Proklos’ auf Unähnlichkeit abzielender Symbolbegriff an – s. u.). Bei Proklos finden sich in höherem Maße – besonders in seinem PoliteiaKommentar – theoretische Reflexionen über das Wesen des Symbols. Zwar ist auch Proklos terminologisch mitnichten eindeutig – was eine Vielzahl von Interpreten auch bei ihm dazu veranlasst hat, σύνθημα und σύμβολον als austauschbare Be-

 Die entscheidenden Stellen sind angeführt bei Crome 1970, 63–68.

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griffe zu nehmen –, doch hat L. Cardullo in einer sehr detaillierten Untersuchung von Proklos’ Verwendung der Begriffe σύμβολον, σύνθημα und εἰκών in genanntem Politeia-Kommentar gezeigt, dass σύμβολον und σύνθημα dort nicht immer synonym auftreten und sich semantisch durchaus unterscheiden lassen (wenn nicht als streng bestimmte termini technici, so doch der Tendenz nach). So werde σύνθημα (z. B. in Verbindung mit dem Adjektiv ἄρρητον) tendenziell eher für ein der menschlichen Erkennbarkeit entzogenes göttliches „Zeichen“ verwendet, während σύμβολον gewissermaßen das σύνθημα in seiner Erkennbarkeit für den Menschen bezeichne.122 Die bei Iamblichos bereits greifbare Differenz spricht sich bei Proklos tendenziell sogar noch stärker aus. Gleichwohl finden sich beide Termini bei Proklos auch jeweils in einer „schwachen“ Bedeutung, die jener von εἰκών vergleichbar ist.123 Dies ist umso erstaunlicher, als Proklos in der „starken“ Bedeutung von σύμβολον gerade jede ikonische Ähnlichkeitsrelation auszuschließen bestrebt ist. Am deutlichsten wird dies in zwei Stellen seines Politeia-Kommentars. Proklos diskutiert dort im Kontext der Mythenexegese den Unterschied zwischen imitativer und symbolischer Kunst. Er betont, dass die Symbolik keine „mimetische Kunst“ sei und Symbole nicht als Abbilder aufzufassen seien. Vielmehr zeigten sie „die Natur der Dinge auch vermittels der stärksten Gegensätzlichkeiten“. Die entscheidende Stelle lautet:  Vgl. Cardullo 1985, 219–221. Bereits Trouillard 1981, 298 f. – auf den Cardullo sich denn auch bezieht – hatte eine Unterscheidung dieser Art getroffen: „Ce dernier terme [synthèma], souvent traduit par ‚signe‘, est difficile à rendre en français. Il aurait plutôt le sens de ‚caractère‘ efficace, mais souvent caché. Il est parfois qualifié d’‚ineffable‘ (In Remp. I 48, 8. In Crat. 19, 13; 31, 6). Dans ce cas il est ce par quoi, au-delà de toute essence, nous communiquons avec les dieux. [...] Dans ce sens strict le synthèma est si peu un symbole qu’il a lui-même besoin d’un symbole pour se faire reconnaître et devenir pleinement efficace. L’univers porte un nom symbolique qui est la marque d’un caractère divin (In Tim. I 274, 13). Le symbole serait alors le synthèma manifeste.“ Ähnlich: Van Liefferinge 1999, 272.  Nicht zuletzt macht Proklos – namentlich in §§ 30, 47, 48 u. 56 seines Kratylos-Kommentars – von dem im sprachtheoretischen Kontext formulierten aristotelischen Symbolbegriff Gebrauch, so wie dieser zu Beginn von De interpretatione verwendet wird. Dort schreibt der Stagirit (16a3–5; Übers. Weidemann): „Nun sind die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme Symbole für das, was (beim Sprechen) unserer Seele widerfährt, und unsere schriftlichen Äußerungen sind wiederum Symbole für die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme.“ Wie aus den darauf folgenden Sätzen erhellt, meint „Symbol“ bei Aristoteles schlichtweg ein nicht natürliches, sondern konventionelles Zeichen, weshalb Aristoteles den Begriff σημεῖα (16a6) synonym zu σύμβολα verwenden kann. Proklos teilt Aristoteles konventionalistische Sprachauffassung wohlgemerkt nicht, hat jedoch kein Problem damit, im sprachtheoretischen Zusammenhang den Terminus σύμβολον unkommentiert in dieser schwachen aristotelischen Bedeutung zu verwenden; was umso bemerkenswerter ist, als Proklos auch im Kratylos-Kommentar (z. B. §§ 51, 52 u. 71) einen sehr starken – und mit Aristoteles gewiss inkompatiblen – Symbolbegriff entwickelt. Die entsprechende Passage aus § 71 wird weiter unten noch genauer besprochen.

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

Wie aber könnte man die Dichtung, welche die göttlichen Dinge durch Symbole darstellt, als Nachahmung bezeichnen? Die Symbole sind nämlich keine Nachahmungen (μιμήματα) dessen, was sie symbolisieren. Das Gegenteil (ἐναντιόν) [einer Sache] kann niemals deren Nachahmung sein, wie etwa das Obszöne eine Nachahmung des Schönen oder das Naturgemäße eine Nachahmung des Naturwidrigen. Die symbolische Lehre weist auf das Wesen der Wirklichkeit sogar vermittels der stärksten Gegensätze [zur Wirklichkeit] hin. Wenn mithin ein Dichter inspiriert ist und vermittels Symbolen die Wahrheit der Dinge kundgibt, oder wenn er, sich der Wissenschaft (ἐπιστήμῃ) bedienend, uns die Ordnung der Dinge offenbart, so handelt es sich bei ihm weder um einen Nachahmer, noch auch kann er durch Beweise widerlegt werden. (In Remp. I 198, 13–24; EÜ)

Zieht man ergänzend eine andere Passage in Betracht, so erhellt, dass die mythopoietische Verfahrensweise für Proklos im Grunde der tieferen Natur der Dinge entspricht und in besonderem Maße der Transzendenz der göttlichen Prinzipien Rechnung trägt. Da nun die Väter der Mythologie sahen, dass die Natur, welche Abbilder der immateriellen und intelligiblen Formen hervorbringt und diese sichtbare Welt mit vielfältigen Nachahmungen dieser Formen schmückt, das Unteilbare durch das Geteilte, das Ewige durch das Zeitliche, das Intelligible durch das Sinnliche, dass sie ferner das Immaterielle materiell, das Nicht-Räumliche räumlich, das in sich selbst ruhende Sein durch die Veränderung darstellt; da nun besagte Väter all dies sahen, ahmen sie – entsprechend der Natur und dem ZumErscheinung-Kommen der Wesen in sichtbarer und bildlicher Form – die überragende Beschaffenheit der Vorbilder nach, indem sie Abbilder des Göttlichen erschaffen, die es vermittels der ihm am meisten entgegengesetzten bzw. der am weitesten von ihm entfernten Darstellungen zeigen; sie zeigen also durch das Widernatürliche, was in den Göttern die Natur übertrifft, durch das Unvernünftige, was göttlicher ist als alle Vernunft, durch Gegenstände, die unseren Augen als hässlich erscheinen, was in seiner Einfachheit alle partielle Schönheit übersteigt. Höchstwahrscheinlich erinnern sie uns auf diese Weise an die transzendente Überlegenheit der Götter. (I 77,13–28; EÜ)

Man muss hier eigentlich zwei Bedeutungen von παρὰ φύσιν unterscheiden: eine im Sinne von „widernatürlich“ (contra naturam), die andere im Sinne von „übernatürlich“ bzw. „jenseits der Natur stehend“ (supra naturam). Und im Verhältnis zu den göttlichen Prinzipien lässt sich alles Manifestierte (und d. h. auch jede Form von Mimesis) sowohl hinsichtlich seiner Ähnlichkeit als auch hinsichtlich seiner Unähnlichkeit betrachten. Dass das Verhältnis von Ursache und Wirkung in der platonischen Tradition klassischerweise als Ähnlichkeitsrelation (d. h. im Sinne einer ὁμοίωσις) gefasst wird, darf nämlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Grunde kein gemeinsames Maß zwischen Manifestiertem (qua Manifestiertem) und nicht-manifestiertem Prinzip der Manifestation gibt. Dies akzentuiert Proklos in der zitierten Passage und hieraus legitimiert sich das Symbol, dass sich – im Unter-

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schied zum εἰκών, wo das Hauptaugenmerk auf der Ähnlichkeitsrelation liegt124 – durch eine Art oppositioneller Komplementarität auszeichnet (weil supra naturam). Das Wesen der Dinge kommt in ihm nicht durch Ähnlichkeit, sondern durch Unähnlichkeit, ja Gegensätzlichkeit (ἐναντίωσις) zum Ausdruck.125 Das so verstandene Symbol wäre gleichsam als eine Art coincidencia oppositorum zu fassen. Bei all dem bleibt zu beachten, dass der Symbolbegriff im Politeia-Kommentar primär im Kontext einer spezifischen literarischen Theorie, genauer: der Exegese homerischer Mythen steht, nicht im Kontext der Theurgie. So geht es Proklos in seiner Betonung der oppositionellen Komplementarität eben darum, Homers Mythen vor Platons Kritik an einer mimetisch vorgestellten Kunst in Schutz zu nehmen. Deshalb muss er sie zu „inspirierten Mythen“ deklarieren, ja die Möglichkeit symbolischer Kunst ausdrücklich an das inspirierte Dichtertum koppeln, das keinerlei Ähnlichkeit zum Dargestellten bezwecke – nur wenn diese Intention vorläge, träfe ja die platonische Dichterkritik ins Schwarze –, sondern eine Gegensätzlichkeit, welche den eigentlichen Darstellungszweck dem „Uneingeweihten“ zwar verberge, dem „Eingeweihten“ jedoch transparent mache. Eine vergleichbare Auffassung tritt uns in Kaiser Julians Streitschrift Gegen den Kyniker Herakleios entgegen, wo er so weit geht zu behaupten: Das Widersprechende in den Mythen ist es gerade, was uns den Weg zur Wahrheit bahnt. Je paradoxer und wunderbarer eben das Rätsel ist, um so eindringlicher scheint es uns zu beschwören, nicht den bloßen Worten zu glauben, sondern uns um das verborgene Geheimnis zu bemühen und nicht eher davon abzustehen, als bis es uns unter der Anleitung der Götter aufgehellt wird und unsern inneren Sinn weiht oder vielmehr vollkommen macht. (Or. VII 217c–d; Übers. Asmus).

Für Julian entspricht der Mythos, wie er im Ausgang vom Heraklit-Spruch φιλεῖ γὰρ ἡ φύσις κρύπτεσθαι erläutert (216c–d), lediglich dem Wesen der Physis, die sich zu verbergen trachte.126 Was für Platon Grund der Verbannung der Mythen aus dem Idealstaat war – ihr paradoxer, teils obszöner Charakter –, verbürgt in der neuplatonischen Hermeneutik genau deren tiefere Wahrheit, insofern hier auf eine Tiefenschicht angespielt werde, die zu entdecken sei.127 Nun kann man Julians Hinweis,  Freilich muss man berücksichtigen, dass auch einem εἰκών eine dialektische Spannung von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit wesenhaft eingeschrieben ist, impliziert es doch stets Ähnlichkeit im Medium der Unähnlichkeit.  Vgl. Cardullo 1985, 33 f., 213–215. Aus genanntem Sachverhalt resultiert Cardullos Kritik an der Möglichkeit einer „symbolischen Mimesis“ bei Proklos, wie Coulter 1976, Kap. II: „Mimesis: Eicon and Symbol“, sie behauptet.  Ähnlich Proklos, In Remp. II 107,5 ff.; Olympiodoros, In Gorg. 46,2.  Es wurde vorgeschlagen, die Ursprünge dieser mit der klassischen Mimesis-Vorstellung der Griechen nur schwer in Einklang zu bringenden „unähnlichen Ähnlichkeit“ in Ägypten zu suchen (vgl. Kaltenbrunner 1996, 238–240, der dies mit Blick auf Dionysius Areopagitas Behaup-

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die verborgene Sinnschicht der Mythen sei nur „unter der Anleitung der Götter“ zu erschließen, durchaus wörtlich nehmen. Nicht nur die Verfasser der Mythen wären folglich – wie Proklos behauptet – als „inspiriert“ anzusehen; desgleichen der rechte Exeget, der unter göttlicher Leitung die entsprechenden Texte entschlüsselt. Der hermeneutische Akt erschiene hiernach weniger als menschliches denn als göttliches ἔργον – als eine θεουργία im wörtlichen Sinne, womit Julian eine ausdrückliche Engführung von Theurgie und Mythenexegese vornimmt.128 Der Nutzen, den die geheime Natur der Zeichen, auch wenn man sie nicht kennt, stiftet (indem sie eben nicht bloß die Seele, sondern auch den Leib heilt und Göttererscheinungen bewirkt), diesen Nutzen bringen, meine ich, oftmals auch die Mythen (ὅπερ δὲ δὴ τῶν χαρακτήρων ἡ ἀπόρρητος φύσις ὠφελεῖν πέφυκε καὶ ἀγνοουμένη: θεραπεύει γοῦν οὐ ψυχὰς μόνον, ἀλλὰ καὶ σώματα, καὶ θεῶν ποιεῖ παρουσίας: τοῦτ̓ οἶμαι πολλάκις γίγνεσθαι καὶ διὰ τῶν μύθων). (Or. VII 216c; Übers. Asmus)

Den Zeichen (χαρακτῆρες) wird hier eine funktionale Entsprechung zu den Mythen zugeschrieben. Beide tragen ein Unsagbares (ἀπόρρητος) in sich, beiden eignet eine anagogische Kraft, insofern sie uns zur Gegenwart (παρουσία) der Götter verhelfen und sich wohltuend auf Seele wie Leib auswirken.129 Kommen wir aber nochmals auf Proklos zurück: Können die von Cardullo anhand des Politeia-Kommentars herausgearbeiteten Unterscheidungen für diesen Kommentar zweifellos Geltung beanspruchen, so stellt sich die Sache etwas anders dar, blickt man in erster Linie auf die kosmologische und metaphysische Funktion der συνθήματα und σύμβολα, wie sie uns z. B. im Timaios- oder im Kra-

tung, dass „die unpassenden Vergleichungen oder unstimmigen Bilder unseren Geist besser emporheben“, diskutiert). Am Rande sei an die kunsttheoretischen Implikationen dieser Auffassung erinnert, die – vermittelt über Dionysius Areopagita – vor allem innerhalb der christlichen Kunsttheorie eine gewisse Wirkungsgeschichte gezeitigt hat. Vgl. Hugo von St. Victor: „Wenn Gott durch schöne Formen gelobt wird, so wird er durch die Gestalt dieser Welt gelobt [...] Wenn er jedoch durch unähnliche und fremde Gestaltungen (per dissimiles et a se alienas formationes) gelobt wird, so wird er überweltlich (supramundane) gelobt, weil dann das, wodurch er gelobt wird, weder dasselbe noch ähnlich, sondern über es hinaus ein vollständig Anderes (totum aliud) ist. [...] Jede Darstellung zeigt um so deutlicher die Wahrheit, je klarer sie durch die unähnliche Ähnlichkeit (per dissimilem similitudinem) beweist, daß sie nur ein Bild ist und nicht die Wahrheit. Deshalb führt auch die unähnliche Ähnlichkeit unseren Geist näher zur Wahrheit, weil sie ihm nicht gestattet, bei der Ähnlichkeit allein zu verweilen“ (Migne, Patr. lat. 175, c. 978). Die zitierte Stelle ist angeführt bei Sedlmayr 1958, 130 f., der hier die metaphysische Ironie der Romantik vorgezeichnet sieht. Oft wird vergessen, dass diese Kunstauffassung letztlich auf den Symbolbzw. Mythenbegriff der Neuplatoniker zurückzuführen ist.  Vgl. zur inspirierten Exegese auch Julians Bemerkungen in der Rede An die Göttermutter (170a–b).  Vgl. zu dieser Stelle: Van Liefferinge 1999, 233.

2.3 Die Rolle der göttlichen Symbole in der Theurgie

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tylos-Kommentar begegnet. Dort wird vor allem eines deutlich: Durch die ontologische Aufwertung des Symbolbegriffs gewinnt das klassisch platonische UrbildAbbild-Schema eine neue Dimension. Obgleich das Symbol nicht mit dem εἰκών zusammenfällt, ist es als manifestiertes doch auch in gewissem Sinne Abbild – und Proklos scheint eine Form der μέθεξις bei Symbolen zu kennen.130 Allein geht das Symbol nicht darin auf, Abbild zu sein. In manchen Stellen werden die Symbole zusammen mit den in der Seele wirksamen λόγοι ἁρμονικοί genannt (In Tim. I 4,32–33) und ihr genaues Verhältnis zueinander ist unklar.131 Zweck der Symbole besteht darin, den Kosmos gleichsam zu vervollkommnen (In Tim. I 161,10) und uns an die Götter zu erinnern (In Tim. I 213,17).132 Insofern erfüllen sie eine genuin anagogische Funktion. Es handelt sich bei ihnen gleichsam um eine den jeweiligen manifestierten Entitäten eingeschriebene zentripetale Tendenz. In der Kraft der Symbole wird die immanente Transzendenz des Göttlichen konkret.133 Wenn sich nun mit Cardullo bei den Neuplatonikern im Vergleich zur ursprünglichen Wortverwendung von σύμβολον im Griechischen zwar eine semantische Transformation vom Konkreten zum Abstrakten hin konstatieren lässt,134 so darf man andererseits jedoch nicht übersehen, dass die für die Ursprungsbedeutung charakteristische Struktur der Komplementarität zweier sich entsprechender „Teile“ auch in der ontologischen Verwendung des Terminus im späten Neuplatonismus bestimmend geblieben ist – eine Komplementarität, die auf den ersten Blick nun nicht mehr „horizontal“ (d. h. zwischen zwei derselben ontologischen Stufe zugehörigen Konstituenten), sondern „vertikal“ (d. h. im Sinne von zwei Konstituenten innerhalb eines Ursache-Wirkung-Verhältnisses) besteht. Doch lässt sich diese vermeintliche Vertikalität auch als Horizontalität verstehen, so Er spricht von „unsichtbaren Zeichen (συνθήματα) seiner [d. i. des Kosmos] Teilhabe am Sein“ (In Tim. I 273,17).  Shaw ²2014, 186, meint, dass im Unterschied zu den in jeder Seele wirksamen Logoi die entsprechenden Symbole erst aktiviert werden müssten. In De phil. chald. V 5,8–11 werden die noerischen Logoi neben den göttlichen Symbolen als in der Seele befindlich genannt. Während die Logoi als Manifestationen der geistigen Ideen gefasst werden, stammten die Symbole von den göttlichen Henaden, weshalb ihnen ein gewisser Primat zukomme. Spanu 2021, 163, zufolge erfüllt die Parallelisierung der Logoi mit den Symbolen hier in erster Linie die Funktion, „the agreement of Chaldean doctrine with Platonic philosophy“ zu begründen.  Vgl. zu all dem auch: Smith 1974, 106 Fn. 11, 127 Fn. 7.  Bereits mit Blick auf Plutarch bemerkt Roskam 2006, 206: „Ainsi, les tendances immanentistes et transcendantistes sont conciliées de façon très harmonieuse et pondérée grâce à l’ambivalence du symbole.“  Cardullo 1985 spricht von „un’evidente trasformazione di senso“ (29), von „una vera e propria svolta nella storia semantica del termine symbolon“ (207), die sich von der ursprünglich aus dem Alltag geschöpften Bedeutung im Sinne der tessera hospitalis bis hin zur ontologischmetaphysischen Bedeutung bei den Neuplatonikern vollzogen habe.

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

fern einem verwendeten Symbol eben die göttliche Kraft als solche eignet, die vertikale Differenz zwischen Symbolisiertem und Symbol mithin nur eine scheinbare und die Wirksamkeit der Symbole gerade daran festzumachen ist, dass sie die vertikale Differenz überbrücken.135 Dementsprechend kann σύμβολον bei Proklos sowohl die intelligible Ursache als auch den manifestierten Träger bezeichnen, der im theurgischen Ritus Verwendung finden mag.136 Überhaupt findet der Symbolbegriff auf einer Vielzahl von ontologischen Ebenen Anwendung und reicht von materiellen bis hin zu noetischen Entitäten.137 Proklos kennt bekanntlich eine Vielzahl vertikaler „Reihen“, die sich durch die verschiedenen Wirklichkeitsdimensionen ziehen und sich jeweils absteigend an die verschiedenen Götter anschließen.138 In seiner Schrift Περἰ τῆς καθ᾽ Ἕλληνας ἱερατικῆς τέχνης wird dies besonders deutlich. Nach seiner Beschreibung der allgemeinen kosmischen Sympathie kommt Proklos dort auf die besondere Verwandtschaft gewisser Tiere, Pflanzen oder Mineralien mit spezifischen Göttern zu sprechen: Thus all things are full of Gods. Things on earth are full of heavenly gods; things in heaven are full of supercelestials; and each chain continues abounding up to its final members. For what is in the One-before-all makes its appearance in all, in which are also communications between souls set beneath (συστάσεις) one god or another. Thus, consider the multitude of solar animals, such as lions and cocks, which also share in the divine, following their own order. [...] So it seems that properties sown together in the sun are distributed among the angels, demons, souls, animals, plants, and stones that share them. (Z. 46–52; 67–69)139

Dass die Verwandtschaft spezifischer Entitäten mit einem jeweiligen Gott von den ihnen innewohnenden Symbolen abhängt, hieran lässt Proklos keinen Zweifel;140 ebenso wenig daran, dass diese Verwandtschaft als eine Ähnlichkeitsrelation (Z. 19 f.: ὁμοιότης) zu denken sei (z. B. zeichnen sich Löwe, Hahn, Sonnenblume, Lotus und

 Vgl. Van Liefferinge 1999, 57.  Vgl. Uždavinys 2014, 208: „When viewed in accordance with the vertical metaphysical asymmetry, one half of the imagined tessera hospitalis represents the visible thing (the symbol proper) and another half stands for the invisible noetic or supra-noetic reality symbolized by the visible part.“ Gleichwohl ist das Verhältnis zwischen den beiden Teilen nicht als 1 zu 1 aufzufassen, schreibt Proklos doch, die σύμβολα seien „in den höheren Ordnungen einheitlich, in den niederen jedoch vielgestaltig“ (In Crat. § 71, 31,25 f.).  Zur hierarchischen Ordnung der συνθήματα: Shaw ²2014, Kap. 15–20.  Vgl. grundsätzlich El. Th. § 145.  Der griechische Text wurde erstmals 1928 von J. Bidez in Bd. 6 seines Catalogue des manuscrits alchimiques grecs (148–151) ediert. Wir zitieren hier nach Zeilenangaben der englischen Übersetzung des Textes bei Copenhaver 1988, 103–105. Dort finden sich auch das griechische Original sowie die lateinische Übersetzung Marsilio Ficinos erneut abgedruckt.  Vgl. In Tim. I 210,16–20.

2.3 Die Rolle der göttlichen Symbole in der Theurgie

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Sonnenstein141 durch ihre besondere ὁμοιότης mit dem Sonnengott aus).142 Dass ein Symbol sich – wie Cardullo betont – grundsätzlich durch eine oppositionelle Relation zum Symbolisierten auszeichnen müsse, scheint im Kontext der kosmologischen Funktion der Symbole schlechterdings unhaltbar zu sein. Doch ist es gerade dieser Kontext, welcher für das Problem der Theurgie entscheidend ist, der – wie der Name schon anzeigt – Περἰ τῆς καθ᾽ Ἕλληνας ἱερατικῆς τέχνης denn auch eigentlich gewidmet ist. Aus den dort beschriebenen Verwandtschaftsverhältnissen wird nämlich ersichtlich, warum ein Teil der „heiligen Kunst“ darin bestehen kann, verschiedene Gegenstände zu rituellen Zwecken zusammenzusammeln, und der Zweck der Konsekration von Götterstatuen beispielsweise darin liegen kann, die Kraft möglichst vieler Symbole in einer Statue zu versammeln. Von einer Gegensätzlichkeit der Symbole zu ihren höheren Ursachen ist hierbei nicht die Rede, obgleich in der Schrift je zweimal die Termini σύμβολον (Z. 49 u. 84 d. gr. Textes) und σύνθημα (Z. 55 u. 67 d. gr. Textes) fallen, bei denen keine klare semantische Unterscheidung auszumachen ist. In der genannten kleinen Schrift des Proklos klingt die verbindende Funktion der Symbole recht deutlich an, da im Wesentlichen sie für die kosmische Allverwandtschaft und Sympathie verantwortlich gemacht werden. Bezeichnenderweise vergleicht Proklos gleich zu Beginn seines Textes die Priester (ἱερατικοί) mit den Liebenden (ἐρωτικοί). Und dies führt uns zu einem weiteren Aspekt: der Rolle von ἔρως und φιλία im neuplatonischen Symbolverständnis. Terminologisch bemerkenswert, spricht bereits Diotima in ihrer Eros-Rede (Symp. 202e) von der ἱερέων τέχνη und der Sache nach steht diese auch bei den Neuplatonikern im Zeichen des Eros. Ferner ist daran zu erinnern, dass bei Platon – und zwar wiederum im Symposion – der Terminus σύμβολον seinerseits im Kontext einer Theorie des Eros steht, nämlich wenn in der Aristophanes-Rede die Hälften der gespaltenen Kugelmenschen als σύμβολα bezeichnet werden (vgl. Symp. 191d). Das erotische Streben nach Vereinigung (ἕνωσις) ist hier ganz wörtlich die Suche nach der „verlorenen Hälfte“, die Vereinigung selbst das erneute Zusammenkommen der beiden Hälften – übrigens völlig gemäß der Ursprungsverwendung von σύμβολον im Sinne der tes-

 Entsprechend wird der Saphir in Or. Ch. fr. 206 der Hekate zugeordnet.  Proklos’ Schrift ist auch dahingehend interessant, als sie anhand verschiedener Beispiele das theurgische Geschehen auf die gesamte Natur auszudehnen scheint. So heißt es (Übers. Copenhaver): „All things pray according to their own order and sing hyms, either intellectually or rationally or naturally or sensibly, to heads of entire chains“ (Z. 10 f.), was später anhand der Lotusblume veranschaulicht wird: „If men open and close mouths and lips to hymn the sun, how does this differ from the drawing-together and loosening of the lotus petals? For the petals of the lotus take the place of a mouth, and its hymn is a natural one“ (Z. 35–38). Das gesamte Naturgeschehen ist demnach nichts anderes als ein großer Gottesdienst. So auch In Tim. I 213,2 f.

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

sera hospitalis. Dieser Gedanke, nämlich dass dem Symbol eine erotische Kraft eigne, die zur Henosis befähige, findet sich bei den Neuplatonikern in verwandelter Form und berührt den Kern der Theurgie. Nicht nur ist nach chaldäischer Lehre der Eros eine der sogenannten „theurgischen Tugenden“143 und ist die Seele „von einer tiefen Liebe erfüllt“ (Or. Ch. fr. 43); auch findet sich die – oben mit Blick auf die Symbole bereits angeführte – Rede vom „Säen“ genauso hinsichtlich des Eros: Indem der väterliche selbstgeborene Verstand Werke dachte, säte er in alle (Werke) das feuerstarke Band des Eros (δεσμόν πυριβριθῆ ἔρωτος), damit das All für unbegrenzte Zeit liebend bliebe und das vom geistigen Licht des Vaters Gewebte nicht zusammenstürze. In Gemeinschaft mit diesem Eros verbleiben die Gestirne der Welt im Umlauf.“ (Or. Ch. fr. 39 = Proklos, In Tim. II 54,5–16; Übers. Lewy 32011, 542; vgl. auch In Alc. 26,1–5)

Der Eros ist es hiernach, was die Welt im Innersten zusammenhält und die kosmische Sympathie begründet. Er fungiert als δεσμός, und zwar auf allen ontologischen Ebenen (vgl. Or. Ch. fr. 42). Damit rückt er indes in einen sehr engen semantischen Bezug zu den σύμβολα bzw. συνθήματα. Dies zeigt sich auch darin, dass Proklos ausdrücklich behauptet, die συνθήματα seien vom Demiurgen deshalb in die menschlichen Seelen gepflanzt worden, um die Anamnesis an die Götter zu bewirken (vgl. Tim. I 213,16–18)144 – eine Rolle, die Platon im Phaidros (249d ff.) genau der Schönheit bzw. dem durch sie erweckten Eros zuschreibt. Im Sinne der skizzierten Auffassung spricht Iamblichos von der φιλία und behauptet, dass „ein einziges Band (σύνδεσμος) der Freundschaft (φιλία) alle Wesen umfasst“ und ihre „Gemeinschaft“ (κοινωνία) bewirke (De myst. V 10, 211,12–14). Besonders das Gebet, Teil der theurgischen Praxis, mache empfänglich zur Aufnahme der Götter, fördere deren Freundschaft und Liebe (vgl. De myst. V 26).145 Ganz ähnlich steht es mit der Praxis der Anrufung der Götter. Auch hier wird die alles zusammenhaltende „göttliche Liebe“ (θεία φιλία) geltend gemacht, ja sogar mit der Kraft der „göttlichen Symbole“ (θεῖα συνθήματα) enggeführt (vgl. I 12). Somit ließe sich das Phänomen der Theurgie auch in Termini der Erotik bzw. Freundschaft erhellen.146 Vor dem Hintergrund des Gesagten stellt sich die Frage: Inwieweit nehmen bei Iamblichos und Proklos der ἔρως bzw. die συνθήματα funktional die Rolle des

 Vgl. dazu Cremer 1969, 139–143. Ausführlich Hoffmann 2010. Die vier theurgischen Tugenden sind: πίστις, ἀλήθεια, ἔρως, ἐλπίς. Dabei stellt für Proklos der „Glaube“ (πίστις) die höchste theurgische Tugend dar (vgl. Th. Pl. I 25).  Vgl. Shaw ²2014, 185.  Zum Gebet bei Iamblichos vgl. Timotin 2017, Kap. VII. Bei Proklos vgl. Van den Berg 2020.  Hierauf hat Shaw ²2014, 140–143, nachdrücklich hingewiesen. Zur Rolle des Eros in den Chaldäischen Orakeln vgl. auch Seng 2016, 73–76; zur Rolle bei Proklos vgl. Redondo 2019.

2.3 Die Rolle der göttlichen Symbole in der Theurgie

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„Einen in uns“, genauer: des „Wie“ seiner Präsenz, ein?147 Diese These scheint uns durch eine längere Passage aus Proklos’ Kratylos-Kommentar bestätigt zu werden, die es nunmehr einer näheren Betrachtung zu unterziehen gilt. Sie ist eingebettet in die Diskussion über göttliche Namen, bietet eine der komprimiertesten Zusammenfassungen der ontologischen Rolle des Symbols bei Proklos und ist nicht zuletzt zentral für seine Auffassung von Theurgie sowie der Epiphanie von Göttern überhaupt: Denn die Väter alles Seienden haben, das All einrichtend, Zeichen (συνθήματα) und Spuren (ἴχνη) ihrer eigenen triadischen Substanz in alles hineingesät. [...] In der Tat sind diese Ruder und die Pinne [Pol. 272e], durch welche der Demiurg das Universum steuert, als eben diese Symbole (σύμβολα) des gesamten Schöpfungsprozesses zu betrachten, die für uns schwer zu begreifen sind, aber den Göttern selbst bekannt und offenbar sind. Aber warum diese Dinge diskutieren? Von der höchsten Ursache, die unaussprechlich und jenseits des intelligiblen Bereichs ist, besitzt alles Seiende bis in die unterste Region hinein ein Zeichen (σύνθημα), durch das alle Dinge mit dieser Ursache verbunden sind, manche weniger eng, manche enger, je nach Deutlichkeit oder Verdunkelung des Zeichens in ihnen. Und es ist dieses [Zeichen], was alles nach dem Guten streben lässt und die Wesen mit diesem unstillbaren Verlangen versieht. [...] Wie also die Natur, die demiurgische Monade und der absolute Vater, der allem enthoben ist, Zeichen (συνθήματα) ihrer eigenen Identität (οἰκεία ἰδιότης) in die ihnen nachfolgenden Wesen säten und durch diese Zeichen alles auf sich selbst zurückwenden, so versehen auch alle Götter die aus ihnen hervorgegangenen Wesenheiten mit Zeichen ihrer Ursache [...]. Daher sind die Zeichen der Existenz der höheren Wesen, die in die nachfolgenden eingesät sind, unaussprechlich und unerkennbar, und ihre aktive und bewegende Kraft übersteigt alles Denken. Derart [d. h. dem Menschen unerkennbar und doch höchst wirksam] sind folglich die LichtCharaktere (φωτὸς χαρακτῆρες), vermittels derer die Götter ihren eigenen Abkömmlingen erscheinen. Diese Charaktere bestehen in einheitlicher Form in den Göttern selbst; sie machen die Götter den höheren Genera offenbar und erreichen uns in verbesonderter und formhafter Weise. Deshalb lehren die Götter uns, ‚die ausgedehnte Form des Lichts‘ [Or. Ch. fr. 145] zu schauen. Denn obwohl das Licht dort oben [bei den Göttern] formlos ist, wurde es im Rahmen der Manifestation formhaft. Und während es dort auf verborgene und einheitliche Weise besteht, offenbart es sich uns in einer von den Göttern selbst ausgehenden Bewegung. Dieses Licht hat seine aktive Kraft aufgrund seiner göttlichen Ursache, seinen formhaften Aspekt indessen wegen des Wesens, das es empfängt. Jene Entitäten aber, die von ihren Kräften erhellt werden, sind gewissermaßen Mittler zwischen dem Unaussprechlichen und dem Sagbaren. Denn sie sind selbst vermittels aller dazwischenliegenden Gattungen [zu uns] gekommen (in der Tat war es nicht möglich, dass die ursprünglichen Gaben der Götter zu uns gelangten, ohne dass die uns überlegenen Gattungen schon viel früher an

 Nicht ohne Grund schreibt Trouillard 1958, 90 mit Blick auf Proklos: „L’amour authentique est donc son [d. i. des Einen] active présence en nous. Et il ne faut chercher aucune autre façon de qualifier l’un.“

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

der Erleuchtung partizipierten), existieren auf eine jeder Seinsstufe gemäßen Weise und offenbaren auf eine diesen je entsprechende Weise die Kräfte der Wesenheiten, von denen sie ausgehen. Dies sind die sogenannten Symbole (σύμβολα) der Götter. Sie sind in den höheren Ordnungen einheitlich, in den niederen jedoch vielgestaltig. Durch Nachahmung dieser Symbole erzeugt auch die Theurgie sie [d. h. ihre eigenen Symbole] durch zwar geäußerte, gleichwohl unartikulierte, Ausdrücke. (In Crat. § 71 30,8–31,27; EÜ)

Die Passage lässt sich thematisch in zwei Teile aufgliedern: (1) Die ersten beiden Abschnitte beleuchten die Präsenz der höchsten Ursache in den manifestierten Dingen, bzw. die Art der vertikalen Verbindung dieser zu jener. Vermittels der ihnen eingeschriebenen Zeichen (συνθήματα) seien die manifestierten Dinge mit ihrer Ursache verknüpft. Vermittels der συνθήματα ist das „Eine in uns“.148 Die Zeichen durchwirken die jeweilige „Reihe“ (σειρά) von den Göttern bis zu den ontologisch niedrigsten Entitäten. Auch sind sie es, welche eine Rückkehr zu den Göttern ermöglichen, obgleich sie als solche unerkennbar seien. (2) Hierauf folgt eine Theorie der Theophanie in lichtmetaphysischen Termini: Die Götter, in sich einheitlich und unausgedehnt, können im Rahmen ihrer willentlichen Selbstmanifestation gewisse Formen annehmen. Der Vorgang dieser Selbstmanifestation, so wird betont, geht allein von den Göttern selber aus. Streng genommen sind es nicht die Götter als solche, die sich verbildlichen – die Verbildlichung findet vielmehr nur durch eine menschliche Mitursache, einen „Träger“, statt, der den Gott gleichsam empfängt. Anders formuliert: Der Impuls der Manifestation geht zwar allein von den Göttern aus, das Faktum ihres bildhaften Erscheinens sowie das „Wie“ desselben hängt vom jeweiligen Empfänger ab. Ein und dieselbe göttliche Entität kann sich in unterschiedlichen Empfängern ganz unterschiedlich widerspiegeln.149 Auffällig ist, dass im zweiten Teil (d. h. im Kontext der Autophanien) von σύμβολα die Rede ist, während im ersten mehrfach der Terminus συνθήματα verwendet wurde. Die weiter oben besprochene These Cardullos, dass σύνθημα zumeist für ein der menschlichen Erkennbarkeit entzogenes Zeichen stehe, während das σύμβολον der menschlichen Erkennbarkeit zugänglich sei, wird durch unsere Passage wiederum gestützt, beziehen sich die σύμβολα hier doch gerade auf die Götter qua ihrer Verbildlichung in einem menschlichen Empfänger. Was ferner angesprochen ist, ist die Notwendigkeit der vermittelnden höheren Genera im epiphanischen Geschehen. Man wird bemerkt haben, dass in der von Proklos dargetanen Auffassung das Postulat der Unveränderlichkeit (ἀμετάβλητον) der Götter – einer der theologischen Grundsätze, die Platon in Politeia II anführt – unangetastet bleibt. Sie ermöglicht eine Art immanenter Transzendenz der Götter in dem  Es sind die „unaussprechlichen und aussagbaren Symbole des Kosmos, wodurch dieser mit dem Vater verknüpft ist“ (In Tim. I 301,19 f.; EÜ).  Wir werden in Kap. 3.2.3.2 u. 3.3.2.3/4 noch ausführlicher auf die Epiphanien zu sprechen kommen.

2.3 Die Rolle der göttlichen Symbole in der Theurgie

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Sinne, dass eine göttliche Wirkung, Präsenz bzw. Epiphanie gedacht werden kann, ohne deshalb deren Transzendenz in Frage stellen zu müssen. Man wird sagen können, dass hiermit eines der Grundcharakteristika des späten Neuplatonismus überhaupt ausgemacht ist: Denn dieser zeichnet sich einerseits durch eine genuin apophatische Tendenz aus, die das höchste Prinzip der Sphäre jeden menschlichen Zugriffs entrückt und in seiner Undenk- und Unsagbarkeit wahrt; andererseits entspricht dieser „Ferne“ des Einen eine ganze Hierarchie vermittelnder göttlicher Wesen und geht einher mit dem zunehmenden Bedürfnis, die Realität göttlicher Autophanien philosophisch zu plausibiliseren, macht die Unerreichbarkeit des Einen mit menschlichen Mitteln doch eine Art göttlicher Intervention gerade notwendig.150 Sallustios bringt dies genau auf den Punkt, wenn er schreibt: „Und je mehr sich der erste Gott von unserer Natur unterscheidet, umso zahlreicher müssen die Kräfte zwischen uns und ihm sein; denn alles, was sehr weit voneinander entfernt ist, hat viele Zwischenglieder“ (De diis et mundo XIII 5; Übers. Wyss). Ins Spannungsfeld dieser beiden Tendenzen zeichnet sich die skizzierte Aufwertung des Symbolbegriffs ein: Die Zeichen und Symbole verbürgen die Realpräsenz des Einen im Vielen (und zwar bis in die unterste Manifestationsebene hinein). In ihnen artikuliert sich ein gegenüber Plotin gewandeltes Verständnis der Präsenz des Transzendenten in der manifestierten Welt. Dies wird auch in folgendem Passus aus der Theologia Platonica augenfällig: Er, der die Ursache des gesamten Alls ist, hat in alle Wesen Zeichen (συνθήματα) seiner absoluten Überlegenheit gesät. Vermittels dieser Zeichen hält er alle Wesen in Verbindung zu sich selbst und er ist in allen auf unaussprechliche Weise gegenwärtig, obwohl er das Universum übersteigt. Deshalb entdeckt jedes Wesen [...] die Symbole (σύμβολα) des Vaters des gesamten Alls. Alle Wesen verehren ihn von Natur aus und vereinigen sich durch das einem jeden zukommende mystische Zeichen (διὰ τοῦ μυστικοῦ συνθήματος) mit ihm, indem sie ihre eigene Natur gleichsam abstreifen und ihr ganzes Herz darauf richten, nur das Zeichen Gottes (τὸ σύνθημα) zu sein und allein an Gott teilzuhaben, und zwar aufgrund des Verlangens, das sie nach dieser unerkennbaren Natur und der Quelle des Guten haben. (Th. Pl. II 8, 56,16–26; EÜ)

Das zuvor Gesagte (zur im Symbol wirkenden immanenten Transzendenz, seiner anagogischen Kraft etc.) wird hier abermals nur bestätigt. In gewissem Sinne scheint die Präsenz der Symbole bei Proklos als erkenntnistheoretische Alternative zu Plotins Auffassung vom unverkörperten Seelenteil zu fungieren. In einer Stelle des Parmenides-Kommentars wird dies sogar recht explizit ausgesprochen.

 Ebenfalls damit einher geht eine Personalisierung des göttlichen Willens, der eben in dieser oder jener Situation in das Weltgeschehen hineinwirken kann. Vgl. Smith 1974, 110; Cremer 1969, 23; Cardullo 1985, 225.

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

Weder dürfen wir sagen, dass – wie manche behaupten – die intelligible Welt in uns selbst sei [...], noch auch, dass ein Teil der Seele dort oben bleibe, sodass wir vermittels dieses Teils mit den intelligiblen Wesenheiten in Verbindung bleiben könnten. [...] Noch auch soll man die Seele als von gleicher Natur wie die Götter ansetzen. [...] Viel eher müssen wir sagen, dass wir – auf unserer Ebene bleibend – Abbilder (εἰκόνας) des Wesens aller Ganzheiten besitzen und vermittels dieser Abbilder zu den Ganzheiten gelangen und den Bereich des Seins aus den Zeichen (συνθημάτων), die wir von ihm besitzen, erkennen. (In Parm. IV 948,13–29; EÜ)

Die Grundfrage ist hier, wie eine komplett abgestiegene Seele überhaupt mit dem höheren intelligiblen Bereich in Beziehung treten könne. Es ist bezeichnend, wie Proklos nach seiner Plotin-Kritik ausgerechnet auf die Erkenntnisfunktion der συνθήματα rekurriert, um die Lösung des Problems anzudeuten. Es wird demnach auch nicht mehr verwundern, dass er sogar den Vorgang der Henosis als Aktivierung des innerseelischen „Zeichens“ vorstellt.151 All diese Passagen sprechen zumindest in folgender Hinsicht eine deutliche Sprache: Den Symbolen bzw. Zeichen kommt eine tragende ontologische wie epistemologische Funktion zu. Sie ermöglichen dem Menschen, zu den göttlichen Ursachen aufzusteigen und bilden eine Alternative zu Plotins Lösung der Frage nach der Verbindung der verkörperten Seele zu ihrem Prinzip.152 Schließlich sei noch ein weiterer Aspekt angesprochen. In der Sekundärliteratur zum Neuplatonismus (und zur vormodernen Philosophie allgemein) besteht die Tendenz, nicht zwischen Symbol und Allegorie zu unterscheiden. Die paradigmatisch bei U. Eco formulierte These, dass antikes wie mittelalterliches Denken durch eine durchgängige Verwechslung (bzw. Nicht-Unterscheidung) von Allegorie und Symbol gekennzeichnet sei,153 scheint auch in der Literatur zum Neuplatonismus vorzuherrschen. So setzt J. M. Dillon in einem Aufsatz, der die Begriffe εἰκών und σύμβολον im Kontext der neuplatonischen Mythenexegese untersucht, das Symbol als bloße Form der Allegorie voraus;154 und bezeichnenderweise verhandelt M. C. De Vita in ihrer Monographie zu Kaiser Julian dessen „Philosophie des Mythos“ unter der Überschrift „allegorische Mythenexegese“.155 Obgleich zugestanden werden muss, dass die Unterscheidung zwischen Bild, Symbol, Allegorie und auch Analogie in den

 In Remp. I 177,18–24 beschreibt einen erhabenen Seelenzustand, bei welchem „die Seele ihren eigenen Geist überstiegen, ihr unaussprechliches Zeichen (ἄρρητον σύνθημα) des einheitlichen Wesens der Götter erweckt und das Ähnliche mit dem Ähnlichen zusammengefügt hat.“  Indessen soll nicht übergangen werden, dass der von Proklos eingeschlagene Weg nicht ohne doktrinale Parallelen bei Plotin selbst ist. Dieser spricht verschiedentlich von einer „Spur“ (ἴχνος) oder einem „Abbild“ (εἴκων) des Einen in der Seele, was dieser die Rückwendung ermögliche. Vgl. VI 7, 22; VI 8, 18; dazu auch Mazur 2004, 48 f.  Vgl. Eco 82011, 85 f.  Vgl. Dillon 1976.  Vgl. De Vita 2011, Kap. „Metodologie: l’esegesi allegorica dei miti.“

2.3 Die Rolle der göttlichen Symbole in der Theurgie

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neuplatonischen Texten nicht immer klar durchgehalten wird – und so die Neuplatoniker selbst der Verwirrung Vorschub geleistet haben, die bei vielen Interpreten besteht –, haben unsere Ausführungen doch gezeigt, dass den theurgischen Neuplatonikern eine pauschale Verwechslung oder Gleichsetzung von Symbol und Allegorie nicht angelastet werden kann, und zwar weder im Kontext der literarischen Theorie – oder lässt sich eine nicht von Ähnlichkeit, sondern von Unähnlichkeit, ja Gegensätzlichkeit (ἐναντίωσις) ausgehende Symbolauffassung ohne weiteres als Form der Allegorie verstehen? –, noch (bzw. noch weniger) im Zusammenhang der effektiven Wirksamkeit der Symbole in der Theurgie. Die Neuplatoniker kennen einen „starken“ Symbolbegriff, der nicht in der Allegorie aufgeht – gesetzt jedenfalls, man versteht die Allegorie als eine rhetorische Figur, die durch einen bestimmten Ausdruck einen davon verschiedenen Sinn vermitteln will.156 Während die Allegorese sich gewissermaßen in einem Netz horizontaler Bedeutungsbezügen erschöpft, in dem potentiell alles als Zeichen für ein anderes fungieren kann – weshalb man mit Recht die „Immanenz der Allegorie“ (G. Scholem) betont hat –, geht die symbolische Wirklichkeitsauffassung darüber hinaus, oder besser gesagt: nicht darin auf. Was Scholem zum Verhältnis von Allegorie und Symbol im Kontext der jüdischen Kabbalisten ausführt, scheint uns so grundsätzlich auch für die Neuplatoniker volle Gültigkeit beanspruchen zu können: Auch die Kabbalisten treiben [...] oft genug Allegorese. Aber nicht das scheidet ihre Welt von der der Philosophen. Vielmehr ist es das Symbol, das sich weit über die Welt der allegorischen Bedeutungen erhebt, das ihr Eigenstes anzeigt. Im mystischen Symbol wird eine Wirklichkeit, die in sich selbst, vom Menschen her gesehen, keinen Ausdruck hat, unmittelbar in einer anderen Wirklichkeit transparent. [...] Der zum Symbol gewordene Gegenstand bleibt dann in seiner ursprünglichen Form und seinem ursprünglichen Gehalt bestehen. Er wird nicht sozusagen entleert, um einen anderen Gehalt aufzunehmen, sondern in ihm selber, aus seiner eigenen Existenz heraus, erscheint an ihm jene andere Wirklichkeit, die sich anders gar nicht mitteilen kann. Steht also in der Allegorie ein Ausdrückbares für ein anderes Ausdrückbares, so steht im mystischen Symbol ein Ausdrückbares für etwas, was der Welt des Ausdrucks und der Mitteilung entrückt ist. Auch der Sinn des Kabbalisten entdeckt an jedem Gegenstand unendliche Beziehungen und Verbindungen zu aller Schöpfung hin, auch ihm spiegelt alles sich in allem. Aber darüber hinaus entdeckt er an ihm noch etwas Geheimnisvolles, das in der Rechnung der Bedeutungen und Allegorien nicht aufgeht: einen Schimmer der wirklichen Transzendenz. Das Symbol ‚bedeutet‘ nichts und teilt nichts mit, sondern läßt etwas sichtbar werden, was jenseits aller Bedeutungen steht. [...] Das Unendliche leuchtet durch das Endliche und macht es mehr

 Vgl. Pépin 1976, 88: „Quant à définir l’άλληγορία, les auteurs [antiques] sont unanimes pour la présenter comme cette figure de rhétorique qui consiste à dire une chose pour en faire comprendre une autre.“ Vgl. auch 487 ff.

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

und nicht weniger wirklich. Dies kennzeichnet den tiefen Unterschied zwischen der allegorischen Religionsauffassung der Philosophen und der symbolischen der Mystiker.157

Auch im theurgischen Neuplatonismus finden wir dieses Nebeneinander von Allegorie und Symbol. Es soll demnach keineswegs abgestritten werden, dass diese in ihren Mythenexegesen verschiedentlich Allegorese trieben – allein kennen sie einen Symbolbegriff, der nicht in der Allegorese aufgeht. Der semantische Umfang von σύνθημα und σύμβολον – vor allem, wie er sich im Kontext der Theurgie darstellt – lässt hieran keinen Zweifel. In Scholems Beschreibung ist aber noch ein Weiteres gesehen, was im weiteren Verlauf dieser Arbeit sich als zentral erweisen wird. Man führe sich nochmals den entscheidenden Satz vor Augen: „Das Unendliche leuchtet durch das Endliche und macht es mehr und nicht weniger wirklich.“ Die vom Symbol verbürgte Tiefendimension der Sinnenwelt, die in ihm sich verkörpernde Präsenz des Einen sogar in den untersten Manifestationsebenen, impliziert eine Aufwertung dieser ontologisch niedrigeren, durch Körperlichkeit und Materialität gekennzeichneten Wirklichkeitsebenen, die uns weiter unten noch beschäftigen wird.

2.4 Theurgische Philologia sacra – zur Theorie der göttlichen Namen Eng mit dem neuplatonischen Symbolbegriff verknüpft, ja eigentlich unter ihn subsumiert, sind die sogenannten „göttlichen Namen“, die besonders bei Iamblichos (De myst. VII 4 u. 5) und Proklos (In Crat. § 71) eine wichtige Rolle spielen. Bereits eine der Fragen in Porphyrios’ Brief an Anebo betrifft die Wirksamkeit angeblich „bedeutungsloser Namen“ (ἄσημα ὀνόματα), welche von den Theurgen verwendet würden. Hierauf liefert Iamblichos eine Antwort, in der er Natur und Wirksamkeit der göttlichen Namen näher zu bestimmen trachtet.158 Zunächst hebt er hervor, dass diese Namen nicht an sich, sondern lediglich für uns „bedeutungslos“ (ἄσημα) und „unerkennbar“ (ἄγνωστα) seien – keineswegs jedoch für die Götter: [...] to the gods they are all significant, not according to an effable mode, nor in such a way that is significant and indicative to the imaginations of human beings, but united to the gods either intellectually or rather ineffably, and in a manner superior and more simple

 Scholem 1980, 29 f.; vgl. auch Corbin 2006, 35 f. Eine inhaltliche Nähe zwischen Neuplatonismus und Kabbala lässt sich übrigens auch historisch belegen, namentlich im Einfluss des neuplatonischen Denkens auf das jüdische Denken allgemein seit dem 9. Jh. und auf die frühe Kabbala seit dem 12. Jh. Vgl. dazu Vajda 1971; ferner das Kapitel „Das Ringen zwischen dem biblischen Gott und dem Gott Plotins in der alten Kabbala“ bei Scholem 1970.  Vgl. Hirschle 1979, 45–48; Shaw ²2014, Kap. 17.

2.4 Theurgische Philologia sacra – zur Theorie der göttlichen Namen

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than in accordance with intellect. It is essential, therefore, to remove all considerations of logic from the names of the gods, and to set aside the natural representations of the spoken word to the physical things that exist in nature. Thus, the symbolic character of divine similitude (τῆς θείας ὁμοιότητος συμβολικὸς χαρακτήρ), which is intellectual and divine, has to be assumed in the names. (De myst. VII 4, 255,1–9)

Die göttlichen Namen entziehen sich hiernach der für die menschliche Sprache konstitutiven Signifikant-Signifikat-Struktur. Ihnen eignet eine symbolische Ähnlichkeit mit den Göttern. Iamblichos’ Symboltheorie findet demnach ihre Anwendung auch auf das Phänomen der göttlichen Namen. Bereits in De myst. I 12, 42,12 hatte Iamblichos die „heiligen Namen der Götter“ den „anderen Arten von göttlichen Symbolen“ beigeordnet (ὀνόματα θεῶν ἱεροπρεπῆ καὶ τἄλλα θεῖα συνθήματα), welche „die Fähigkeit besitzen, uns zu den Göttern zu erheben“, woraus erstens erhellt, dass er die göttlichen Namen expressis verbis zu den Symbolen zählt, zweitens, dass er ihnen – gleich den anderen Symbolen – eine anagogische Kraft zuschreibt.159 Warum aber, so ein weiterer Einwand des Porphyrios, bevorzugten die Theurgen anstelle von griechischen die barbarischen Namen? Hierauf bemerkt Iamblichos (vgl. De myst. VII 5), dass die Kommunikation mit den Göttern in einer ihnen angemessenen Form zu erfolgen habe und die Sprachen der Assyrer und Ägypter sich hierfür als besonders geeignet erwiesen, da deren Ritualtraditionen nicht nur älter, sondern auch besser bewahrt worden seien als jene der Griechen. Mehrfach wird zudem betont, dass besagte Sprachen unveränderlich, weil den Göttern verwandt (συγγενής), seien. Während Porphyrios offenbar eine konventionalistische Sprachtheorie befürwortet hatte, derzufolge Namen (einschließlich der göttlichen) durch menschliche Übereinkunft gesetzt würden, was die grundsätzliche Übersetzbarkeit derselben impliziert, lehnt Iamblichos diese Auffassung ab. For if the names were established by convention, then it would not matter whether some were used instead of others. But if they are dependent on the nature of real beings, then those that are better adapted to this will be more precious to the gods. It is therefore evident from this that the language of sacred peoples is preferred to that of other men, and with good reason. (De myst. VII 5, 257,3–8)

 Entsprechend konstatiert Majercik 1989, 197: „The nomina barbara had magical efficacy in the sacred rites and can be equated with the συνθήματα/σύμβολα.“ Vgl. auch De myst. VII 4 (255,13–256,2): „And, moreover, we preserve in their entirety the mystical and arcane images of the gods (τὴν μυστικὴν καὶ ἀπόρρητον εἰκόνα τῶν θεῶν) in our soul; and we raise our soul up through these towards the gods and, as far as is possible, when it has been elevated, we experience union with the gods.“ Auch hier ermöglicht der in der menschlichen Seele lokalisierte göttliche Name den Aufstieg, ja die Vereinigung mit den Göttern, wird jedoch nicht wie zuvor als Symbol – oder genauer: als συμβολικὸς χαρακτήρ –, sondern als göttliches εἰκών bezeichnet.

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

Er unterscheidet im Folgenden zweierlei: Erstens bewahrten Namen in einer Übersetzung mitnichten ihre genaue Bedeutung. Zweitens verlören sie die ihnen innewohnende „Kraft“ (δύναμις). Ersteres betrifft das Problem der Unübersetzbarkeit bestimmter Namen und Begriffe auf einer rein semantischen Ebene und bewegt sich durchaus im Rahmen konventioneller Sprachphilosophie; letzteres – und dies ist in unserem Kontext von größerer Relevanz – betrifft ein Grundproblem jeder ritualistischen Sprachauffassung, bei der im performativen Sprachvollzug weniger ein spezifischer Sinn vermittelt als vielmehr eine spezifische Wirkung erreicht werden soll. Gewisse sprachliche Elemente – wie beispielsweise göttliche Namen – erscheinen hier als eine gleichsam autonom bzw. durch den Menschen hindurch wirkende Macht, die vom Menschen gleichwohl aktiviert und bewusst eingesetzt werden kann. Voraussetzung hierfür ist allerdings nicht notgedrungen ein Verständnis der „Bedeutung“ der verwendeten Worte, sondern deren phonetisch exakte Wiedergabe. Derart konzipierte Sprache ist Teil einer spezifischen Orthopraxie,160 weshalb ein – bei Psellus überlieferter – chaldäischer Orakelspruch (fr. 150) dazu mahnt: „Verändere nicht die nomina barbara (ὀνόματα βάρβαρα μήποτ᾽ ἀλλάξῃς)“!161 Der Umstand, dass göttliche Namen mit Recht als „unerklärbar“ und „barbarisch“ bezeichnet werden können, spricht für Iamblichos also nicht nur nicht gegen deren Geeignetheit und Wirksamkeit in rituellen Kontexten, sondern ausdrücklich dafür. Porphyrios’ Einwänden, so wird man Iamblichos Entgegnung zusammenfassen können, liege schlicht ein falsches Sprachverständnis, und damit verknüpft: ein grundsätzliches Unverständnis für Sinn und Wirksamkeit ritueller Praktiken, zugrunde. Auch Proklos hat sich mit den göttlichen Namen beschäftigt, zuvörderst in seiner Exegese des platonischen Dialogs Kratylos.162 Zunächst liefert er dort eine recht systematische Diskussion der allgemeinen Grundproblematik, nämlich ob

 In anderen Traditionen ist dieses Sprachverständnis noch viel ausgeprägter und gehört zum Binnenbestand der religiösen Praktiken (z. B. in Indien). Die Rolle heiliger Formeln und Mantras in den indischen Ritual- und Opfertraditionen bietet zweifellos eines der komplexesten Beispiele einer ritualistischen bzw. performativen Sprachauffassung dar. Nach orthodox brahmanischer Auffassung erweist sich z. B. das vedische Schrifttum deshalb als grundsätzlich unübersetzbar; auch ist der Stellenwert ausgefeilter Mnemotechniken zur exakten Überlieferung der Mantras und Texte nur vor diesem Hintergrund erklärlich. Was Marsilio Ficino von den Schülern der alten philosophischen Meister sagt, nämlich dass sie „lebendige Bücher“ gewesen seien (Opera omnia, I 2, 659: „Pythagoram Socratemque praeceptores divinos non libri, sed discipuli illustrarunt. Imo vero libri, sed vivi, liber est discipulus carens anima, discipulus est liber vivens.“), trifft auf die indischen Brahmanen in noch höherem Maße zu.  Zu diesem Fragment ausführlich: Zago 2010.  Ausführlich dazu Hirschle 1979; Abbate 2001; Van den Berg 2008. Zum theurgischen Kontext: Tanaseanu-Döbler 2013, 237–242.

2.4 Theurgische Philologia sacra – zur Theorie der göttlichen Namen

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Wörter gemäß der Natur verliehen oder qua Konvention festgelegt würden (d. h. als φύσει oder als θέσει anzusprechen seien), was an dieser Stelle nicht rekapituliert werden kann. Von größter Relevanz sind in unserem Kontext seine Ausführungen in Abschnitt 71 des Textes, in welchem verschiedene göttliche Gaben genannt werden, denen eine anagogische Kraft eigne: neben den – oben unter Bezugnahme auf denselben Abschnitt bereits diskutierten – Zeichen bzw. Symbolen vor allem die göttlichen Namen. The third type of property that has come from the intellectual level of being (ἀπὸ τῶν νοερῶν ὑποστάσεων) to all things and proceeds all the way to us is the divine names (τὰ ὀνόματα τὰ θεῖα), through which we call upon the gods and by which they are praised. They have been revealed (ἐκφανέντα) by the gods themselves, cause reversion (ἐπιστρέφοντα) back to them and, to the extent that there is something luminous in them, lead to human understanding. For through these names we are able both to indicate something to each other concerning the gods and to converse with ourselves. Different peoples partake of these names in different ways: the Egyptians, for instance, have taken such names from the gods in accordance with their native tongue, but the Chaldaeans and Indians have taken their own differently in accordance with their own languages, and in the same way the Greeks have taken theirs in accordance with their own idiom. Thus, even if the Greeks, with divine guidance, call a certain God ‚Briareos‘ while the Chaldaeans call him something else, we must suppose that both names are products of the gods and indicate the [same] essence (οὐσίαν). And it is no wonder if some names are more effective (μᾶλλον δραστήρια), and others are less so, since the daemonic and the angelic names are more effective than those that have become known to us, and in general those that are closer to the things named are more perfect than those ranked further away. (In Crat. § 71; Übers. Duvick)

Die göttlichen Namen entstammen demzufolge der noerischen Ebene und wurden von den Göttern selbst offenbart. Die von Menschen verwendeten göttlichen Namen sind mithin nicht „menschengemacht“. Ihre rituelle Funktion besteht darin, dass wir durch sie die Götter anrufen und preisen. Als von den Göttern offenbarte bewirken sie beim Menschen zugleich eine Rückwendung (ἐπιστροφή) auf die höheren Ursachen. Wenn Proklos – im Unterschied zu Iamblichos – das Griechische zu den Sprachen zählt, die göttliche Namen adäquat ausdrücken, so widerspricht dies nicht der von Iamblichos postulierten Unübersetzbarkeit göttlicher Namen. Zwar anerkennt Proklos, dass ein und dieselbe Gottheit bei verschiedenen Völkerschaften mit unterschiedlichen Namen verehrt werde; doch eben nur aus dem Grund, weil diese Namen jeweils als göttliche Offenbarungen anzusehen seien, d. h. weil ein und dieselbe Gottheit sich verschiedenen Völkern auf verschiedene Weise offenbare – nicht etwa, weil Menschen die göttlichen Namen von einer Sprache in die andere übersetzt hätten.163 Im Übrigen unterstreicht Pro-

 Es ist daher missverständlich, wenn Dillon 1985, 210, schreibt: „Proclus, however, has a more tolerant view of the variety and possibilities of translation of names [...]“. Ersteres („variety“) ist

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

klos, dass nicht alle Götterklassen nennbar seien. Das Eine sei ganz und gar unnennbar, die noetischen Götter noch in hohem Maße unerkennbar (ἄγνωστον) und unnennbar (ἄρρητον). Erst auf jenem Grad von Differenziertheit, der die noerische Ebene auszeichnet, kann von göttlichen Namen im eigentlichen Sinne (und d. h. nicht nur gemäß der Analogie) die Rede sein, weshalb auch „die gesamte mystische Kunst“ (ἡ τελεστικὴ πᾶσα) lediglich bis zur noerischen Sphäre aufzusteigen vermöge, nicht darüber hinaus. Und je nach ontologischer Sphäre ist die „Gegebenheit“ der entsprechenden Namen eine andere: For all of these names exist occultly with the gods, but in the second and third processions they are revealed also to the human beings who are of the same descent as the gods. There exist some names, then, that are established permanently at the level of the gods – and these are the names by which the inferior gods call those prior to them, as Orpheus says in the case of Phanes (fr. 85), or by which the greater gods name their subordinates, as Plato says that Zeus put names to the invisible revolutions of the souls (Tim. 36C). For Fathers define the activities of their offspring for them, and those who have proceeded get to know their own causes by the intellectual signs (συνθημάτων νοερῶν) which they received. Such, then, are the primal names which have been revealed by the gods and through the median genera have reached our rational-communicative essence. (In Crat. § 71; Übers. Duvick)

Proklos beschreibt hier eine hierarchisch absteigende Genese bzw. Weitergabe der göttlichen Namen durch verschiedene göttliche Vermittlungsinstanzen bis hin zum Menschen. Ein göttlicher Name, so wie er von den Göttern selbst gewusst wird, bleibt den Menschen unzugänglich. Erst die Vermittlung über die höheren Genera verbürgt die Zugänglichkeit der Namen. Wichtig ist ferner der Hinweis, dass eine Entität ein Wissen über ihre eigene Ursache vermittels der noerischen Zeichen gewinne – was mit dem weiter oben Gesagten übereinstimmt, nämlich dass die Symbole als eine Art erkenntnistheoretische Alternative zu Plotins nichtabgestiegenem Seelenteil fungierten. Halten wir fest: Wie Iamblichos nimmt auch Proklos eine Engführung von Zeichen bzw. Symbolen einerseits und den göttlichen Namen andererseits vor bzw. spricht ihnen eine analoge (ontologische wie epistemologische) Funktion zu. Sein Kommentar liefert ein schönes Beispiel dafür, wie ausgehend von der Exegese eines platonischen Dialogs eine sprachtheoretische Position formuliert wird, die weit über Platon hinausgeht und – durch Verknüpfung von Symboltheorie und Sprachphilosophie – u. a. die Begründung eines ritualistischen Sprachverständnisses, und im weiteren Sinne: eine Begründung der Theurgie, vorgenommen wird. Die Abgrenzung zu magischen Praktiken bleibt auch in der ritualistischen Sprachtheorie der Neuplatoniker gewahrt. Zwar ist richtig, dass der Gebrauch göttli-

richtig, letzteres („possibilities of translation“) geht m. E. aus Proklos’ Ausführungen nicht hervor.

2.5 Theurgie, Sonnenkult und Seelenvehikel

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cher Namen an verschiedene magische Praktiken der Spätantike aus dem Umfeld von Gnosis, Hermetik und der sogenannten Zauberpapyri gemahnt164 – trotzdem ist eine vorschnelle Identifizierung derselben mit der Rolle dieser Namen bei den Neuplatonikern zu vermeiden. Wenn beispielsweise in einem in den Zauberpapyri angeführten Gebet an die Sonne diverse heilige Namen rezitiert werden und sodann ausgerufen wird „Genannt habe ich deine Zeichen und Symbole; darum Herr, führe aus (das betr.) unter Zwang, damit ich nicht den Himmel bewege“ (PGM III,535–538; Übers. Preisendanz), so handelt es sich hierbei um „Götterzwang“ im wörtlichsten Sinne; aus dem Munde eines spätantiken Neuplatonikers wäre dies kaum denkbar. Nachdem die Abgrenzung der Theurgie gegenüber magischen Praktiken sowie die Schlüsselrolle der Symbole näher ausgeleuchtet wurden, soll nun das Phänomen der Theurgie noch anhand seines Zusammenhangs mit Lichtmetaphysik und Sonnenkult in den Blick genommen werden. Denn dies bildet den Hintergrund für das in Kap. 3.2 und 3.3 untersuchte Zentralkonzept des Seelenvehikels (ὄχημα-πνεῦμα).

2.5 Theurgie, Sonnenkult und Seelenvehikel „Nullo sensibile in tutto lo mondo è più degno di farsi essemplo di Dio che ’l sole“ – so lesen wir bei Dante (Conv. III 12, 7); und noch Goethe erachtete die Sonne als „eine Offenbarung des Höchsten, und zwar die mächtigste, die uns Erdenkindern wahrzunehmen vergönnt ist“.165 Innerhalb der platonischen Tradition hatten Sonne und Licht seit jeher eine besondere Stellung inne. Platon selbst bezeichnete im berühmten Sonnengleichnis der Politeia die Sonne als sinnliche Entsprechung zum Guten (τὸ ἀγαθόν). Denn wie jene als Seins- und Erkenntnisgrund der sinnlichen Dinge fungiere, so dieses für die intelligiblen Seienden (vgl. Resp. 509b).166 Doch nicht nur Platon, sondern auch Aristoteles betont – und zwar sowohl in der Metaphysik (XII 1071a13–19) als auch in der Physik (II 2 194b13) – die erzeugende Wirkung der Sonne und hat ferner (vgl. De an. 418b–419a; 430a; Parva Nat. 477a) die Ansätze zu einer Lichttheorie entwickelt.167 Zuguterletzt erfüllt die  Vgl. dazu Dillon 1985.  Goethe, Gespräche, IV, 441 f.  Nicht zu vergessen ist die Deklarierung des Lichtes zu einem die Sphären zusammenhaltenden „Band des Himmels“ (Resp. 616c: εἶναι γὰρ τοῦτο τὸ φῶς σύνδεσμον τοῦ οὐρανοῦ) im ErMythos, wovon vermutlich noch Proklos’ Bestimmung des τὸ τῆς ἀληθείας φῶς als πρώτιστος δεσμός (In Tim. II 16,18) beeinflusst ist (vgl. Bergemann 2006, 277).  Die Rolle, die Platons und Aristoteles Darlegungen zur Natur des Lichts in der Genese der neuplatonischen Lichtmetaphysiken eingenommen haben, wurde sehr ausführlich und überzeugend rekonstruiert von Bergemann 2006, dem nicht zuletzt dahingehend zuzustimmen ist, dass sich anhand des lichtmetaphysischen Zugangs die für den späten Neuplatonismus so charakteristische

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Sonne in der Stoa eine wichtige Funktion. Zenons Nachfolger Kleanthes jedenfalls scheint sie als ἡγεμονικόν des Kosmos aufgefasst zu haben (SVF I, 499; II, 644).168 Erst im späteren Neuplatonismus freilich entwickelte sich ein wahrhafter Sonnenkult, der seinen Niederschlag in Schriften wie Kaiser Julians Rede auf König Helios oder Proklos’ Hymne an Helios fand, und zumal in einer spezifischen Lichtmetaphysik und Solartheologie eingebettet bzw. gegründet war.169 In theoretischer Hinsicht begnügte man sich nicht mehr damit, die Sonne als bloßes Gleichnis für das höchste intelligible Prinzip heranzuziehen; vielmehr suchte man den ontologischen Status der Sonne präzise in die die Gesamtwirklichkeit durchwebende göttliche Hierarchie einzuzeichnen. In praktischer Hinsicht entsprach dieser Tendenz eine lebendige Sonnenverehrung, die sich – beispielsweise bei Proklos – in einem dreifachen täglichen Gebet an die Sonne äußern konnte.170 Doch auch der theurgische Ritus scheint mit der Kraft der Sonne bzw. des Feuers zusammenzuhängen „Synergie zwischen abstrakter philosophischer Reflexion und religiöser Praxis“ (219 f.) bestens zeigen lässt. Bergemann sieht die neuplatonischen Philosophien letztlich in einem Verständnis von Wirklichkeit als eines Kraftkontinuums gegründet, das bevorzugt in Lichttermini beschrieben worden sei. Derart vermag er eine sehr klare Kontinuität von Platon, Aristoteles über Alexander von Aphrodisias und Plotin bis hin zum späten Neuplatonismus zu ziehen. Dabei gelingt es ihm (21–30), schon bei Platon das Wesen des Lichtes als δύναμις herauszuarbeiten, woran sich die Frage anknüpft, ob nicht bereits bei Platon selbst – obgleich dieser strenggenommen noch kein „intelligibles Licht“ kennt – sinnvollerweise von einer auf alle Wirklichkeitsebenen bezogenen dynamischen Lichtkontinuität die Rede sein kann (die eben über die bloß analogisch gemeinten Bilder der Gleichnisse in der Politeia hinausginge). Dies zu beantworten, müsste man freilich Platons Begriff der δύναμις genauer untersuchen, was Bergemann nur anhand einer Definition aus Buch V der Politeia (477c–d) unternimmt. Von manchen Interpreten – z. B. von Barbaric 2015, 54 ff. – wurde der Begriff der δύναμις (in Anlehnung an Sophistes 248 ff.) geradezu als die entscheidende Seinsbestimmung des späten Platon gewertet, in welcher die Kluft zwischen Sein und Werden überbrückt sei, da mit δύναμις eine beiden gemeinsame Bestimmung gefunden sei. Es wäre wohl lohnenswert, Platons Begriff der δύναμις, den Barbaric in Anlehnung an die „ungeschriebene Lehre“ primär vom Mathematischen her zu verstehen sucht (vgl. 100), auf Basis von Bergemanns hauptsächlich aus der Analogie im Sonnengleichnis gewonnenen Erkenntnissen einer genaueren Betrachtung zu unterziehen und seinen möglichen Implikationen für eine platonische Auffassung der Gesamtwirklichkeit als einer Kontinuität von Lichtdynameis nachzugehen.  Entsprechend kann Chrysippos den Äther als ἡγεμονικόν des Kosmos bezeichnen (SVF II, 634; 642; 644). Auch in den esoterischen Zeugnissen der Spätantike, z. B. den Zauberpapyri, wurde die Sonne als κοσμοκράτωρ bezeichnet (vgl. PGM IV,2194).  Vgl. zu all dem: Fauth 1995; Saffrey 2000c.  Vgl. Marinos, Vita Procli § 22. Auch ist bemerkenswert, in welchem Maße die von Marinos berichteten, auf göttliche Inspirationen zurückgeführten, Aussprüche des Proklos sich durch eine ausgeprägte Licht-/Feuer-Rhetorik auszeichnen (§ 28; Übers. Edwards): „For when he [Proclus] was in his fortieth year, he seemed in a dream to utter the following words: ‚There hovers the supercelestial and immortal radiance, / Leaping forth from the roaring fire that congregates at the source.‘ And at the beginning of his forty-second year, he seemed to utter the following in

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und in der chaldäischen Lehre spielt dies eine zentrale Rolle im erstrebten Aufstieg der Seele, weshalb die chaldäischen Riten an einer Stelle sogar als πυρὸς ἔργα (Or. Ch. fr. 133) bezeichnet werden.171 All diese Aspekte sind wiederum eng verwoben mit den Mysterienreligionen der Kaiserzeit. Im 1. nachchristlichen Jahrhundert hielt der Mithraskult Einzug ins Römische Reich, ein Mysterienkult, der sieben Weihegrade kannte, die jeweils einem Planeten zugeordnet wurden und damit verschiedentlich als symbolischer Ausdruck der „Sphärenreise“ gedeutet wurden.172 Die solare Bedeutung des Mithras ist – ikonographisch wie textlich – vielfach belegt,173 die schließlich vollzogene Verschmelzung mit Apollon174 und Helios bzw. Sol invictus im römischen Staatskult nimmt nicht wunder. Letzterer Gott, Sol invictus, wurde im 3. Jahrhundert unter Kaiser Aurelian zum Schutzpatron der Soldaten und des Kaisers erklärt, damit dominierend im Staatskult des Römischen Reiches.175 Parallel zu dieser Entwicklung lässt sich eine „Platonisierung“ des Mithras, d. h. die theoretische Eingliederung des Gottes in die metaphysischen Lehren platonischer Autoren feststellen.176 Beide Tendenzen kulminieren gleichsam in der Figur Kaiser Julians: Dieser war höchstwahrscheinlich in die Mithrasmysterien eingeweiht (vgl. Or. IV 155b); außerdem lässt seine Heliosrede eine starke Beeinflussung durch die Mithrastheologie durchscheinen.177 Was uns im Folgenden interessiert, ist die Rolle dieser Licht- bzw. Solarmetaphysik im Rahmen der neuplatonischen Theurgie allgemein sowie die Verknüpfung zum lichthaften Seelenvehikel im Besonderen. Denn um die rituelle Funktion dieses Konzeptes – die in Kap. 3.2 und 3.3 noch genauer untersucht werden wird – zu verstehen, muss man sich zunächst Natur und Rolle von Licht, Feuer und Äther bei den theurgischen Neuplatonikern vergegenwärtigen. Die wichtigsten Bezugsautoren sind hierfür Iamblichos, Julian und Proklos, deren Schriften – wenn auch nicht in allen Details übereinstimmend – sich eine verhältnismäßig einheitliche Auffassung entnehmen lässt. Dabei ist zu beachten, dass im Hintergrund dieser Auffassung – neben den klas-

a loud voice: ‚My soul has come, breathing the might of fire, / And, opening the mind, to the aether in a fiery whirl / It rises, and clamours immortally for the starry orbits.‘“  Vgl. Johnston 2002.  Vgl. Merkelbach 1966; Gordon 1976.  Vgl. dazu: Beck 2006.  Die Gleichsetzung von Apollon mit Helios war bereits zur Zeit Plutarchs Gemeingut. Vgl. dazu Roskam 2006. Vgl. auch die Parallelisierung bei Proklos, In Crat. § 136.  Zur Sol-invictus-Verehrung ausführlich: Harlsberghe 1984; vgl. auch Eitrem 1942, 56.  Dieser Vorgang wurde mit Blick auf Mittel- und Neuplatonismus im Einzelnen nachgezeichnet von Turcan 1975; vgl. zu Julian und Proklos ferner Fauth 1995, 121–164.  Vgl. Turcan 1975, 105–128; Athanassiadi 1977; Lecerf 2014. Bei Iamblichos sind zudem ägyptische Quellen anzunehmen. Vgl. Derchain 1963, 222 f., der auf das ägyptische Vorbild des in De mysteriis VI 7 beschriebenen Sonnenritus aufmerksam macht.

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sischen philosophischen Autoritäten – die chaldäische Theologie steht. Insgesamt umfassen die Orakel eine Metaphysik, Theologie und Kosmologie, die in einer Seelenlehre – und damit verknüpft: einer Soteriologie – münden, welche die Stellung des Menschen im göttlichen Gesamtgefüge der Welt zu bestimmen trachtet. Eine genaue und in sich konsistente Systematisierung dieser Lehre auf Basis der erhaltenen Fragmente – deren mittelplatonische Beeinflussung verschiedentlich hervorgehoben wurde und deren spätere Interpretation meist unweigerlich durch die Brille der Neuplatoniker erfolgt ist – gestaltet sich im Einzelnen schwierig. Ob eine solche Systematik von den Verfassern der Orakel überhaupt intendiert war, ist fraglich. Im Kontext unserer Fragestellung seien lediglich die Grundzüge der chaldäischen Theologie – mit besonderem Augenmerk auf deren Licht- bzw. FeuerTerminologie – skizziert:178 Höchstes Prinzip der Chaldäischen Orakel ist der sogenannte „Vater“ (πατήρ), ein mit dem neuplatonischen „Einen“ vergleichbares Prinzip absoluter Transzendenz, für das die Orakel verschiedene Namen kennen – u. a. das „eine Feuer“ (fr. 10: εἰσὶν πάντα ἑνὸς πυρὸς ἐκγεγαῶτα) oder das „Gute“ (fr. 11) – und dessen Beschreibung zwischen positiven und negativen Attributen schwankt. Der „Vater“ ist Teil einer triadischen Struktur, wie aus Fragment 26 hervorgeht, wo eine „triadische Monade“ (μονάδα τριοῦχον) erwähnt wird, die neben πατήρ noch δύναμις und νοῦς umfasst (fr. 4). Dem νοῦς kommt die eigentlich demiurgische Aktivität zu. „Denn das erste transzendente Feuer übermittelt seine Kraft nicht durch Handlungen, sondern durch den Geist an die Materie. Der Hervorbringer des feurigen Kosmos ist ein aus dem Geist stammender Geist“ (fr. 5; EÜ). Das „erste transzendente Feuer“ bezeichnet den „Vater“, der „feurige Kosmos“ die Welt der Ideen, die vom Intellekt konstituiert wird – eines der vielen Beispiele aus den Orakeln, in denen die Gesamtwirklichkeit als eine Art hierarchisch strukturiertes Licht- bzw. Feuerkontinuum erscheint: denn „alles ist aus einem Feuer entstanden“ (fr. 10). Verschiedentlich wurde besagter Intellekt mit Aion identifiziert,179 dem „vom Vater gezeugten Licht“ (fr. 49: πατρογενές φάος),180 der „Sonnenwelt“ bzw. dem „ganzen Licht“ (fr. 59: ἡλιακός κόσμος bzw. ὅλον φῶς). „Aion is a noetic entity identified with the transmundane sun [...] whose principal function is to manifest the ‚light‘ (= motion) of the father to the world of Ideas.“181 Aion sei hiernach die „Sonne“ der intelligiblen Welt und fungiere nicht zuletzt als Vermittler hin zur

 Wir stützen uns hierbei in erster Linie auf Lewy ³2011, Kap. II; Majercik 1989, 5–19; Bergemann 2006, 271 ff. und Seng 2016, deren Darstellungen freilich nicht in allen Punkten miteinander übereinstimmen, deren Differenzen allerdings für die von uns verfolgte Fragestellung eher zweitrangig sind.  Z. B. von Lewy ³2011 und von Finamore 1985, 134.  Seng 2016, 65 bezieht das πατρογενές φάος allerdings auf Hekate.  Majercik 1989, 15.

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sinnlichen Welt, deren Sonne ihr Feuer von Aion erhalte. Dieser scheint ferner mit dem empyrischen Teletarchen zusammenzufallen, dem höchsten „Meister der Initiation“, neben dem die Orakel zwei weitere Teletarchen unterscheiden: „Der erste [Teletarch] leitet die Feuer-Schwinge, der mittlere [Teletarch] vervollkommnet den Äther, der dritte [Teletarch] vervollkommnet die Materie“ (fr. 85; EÜ). Die drei Teletarchen werden als die jeweiligen Herrscher der drei Sphären des „Empyrischen“, „Ätherischen“ und „Materiellen“ vorgestellt.182 Während erstere Sphäre mit der intelligiblen gleichzusetzen ist (ihr Teletarch ist Aion), bezeichnet die zweite die supralunare (ihr Teletarch ist die Sonne), die dritte die sublunare Welt (ihr Teletarch ist der Mond). Die chaldäische Lehre umfasst genauer betrachtet noch eine Vielzahl anderer vermittelnder göttlicher Entitäten, als deren wichtigste wohl Hekate zu betrachten ist. Sie wurde häufig mit der Weltseele identifiziert, die als feminine Potenz die Genese des sichtbaren Kosmos in Gang bringe.183 Während Aion – als noetisches Licht – zwischen Vater und Ideenkosmos vermittle, so Hekate zwischen Ideenwelt und sinnlicher Welt. Da Hekate ein lichthaftes Wesen zugesprochen wurde,184 hat es manches für sich, sie – bzw. eine Funktion von ihr – als noerisches Licht zu interpretieren.185 Wie auch immer man die chaldäische Vision der Gesamtwirklichkeit und die Rolle der jeweiligen Potenzen und Götter im Einzelnen rekonstruieren mag – ihre Grundstruktur lässt sich als graduelle Abstufung von diversen Licht- bzw. FeuerPotenzen beschreiben. Und werden somit die Begriffe Licht (φῶς) und Feuer (πῦρ) bereits in den Chaldäischen Orakeln in verschiedenen Bedeutungen bzw. auf verschiedenen ontologischen Ebenen verwendet,186 so haben die neuplatoni-

 Vgl. die Bezeugung dieser Dreiteilung der chaldäischen Weltordnung bei Proklos, In Tim. II 57,9–12.  Zu Hekate ausführlich: Johnston 1990. Zur Gleichsetzung mit der Weltseele dort 153–163. Eine andere Interpretation Hekates liefert Seng 2016, der sie mit der δύναμις des Vaters identifiziert (52–56) und in eine enge Verbindung mit Aion bringt (63–65). Doch ist grundsätzlich fraglich, ob sich eine Figur wie Hekate (und auch die anderen chaldäischen Götter) auf eine bestimmte Funktion festlegen lässt oder nicht ganz verschiedene Rollen einnimmt, wie z. B. Majercik 1989, 156, bemerkt hat: „As for Hecate, she not only functions as World Soul in the Chaldean system (e. g., frr. 6, 51–53, 56), as well as δύναμις between the First and Second Intellects (e. g., fr. 4) but is invoked as an oracle-giving goddess (frr. 146–148; cf. frr. 219; 221–224) and is said to be Mistress of demons (fr. 91).“ Es hängt eben stets davon ab, auf welche Fragmente man sich in welchem Kontext bezieht.  Vgl. Or. Ch. fr. 38, 146; Damaskios, Dub. et Sol. II 156,15–17; Proklos, Hymne an Hekate Janus.  Vgl. Bergemann 2006, 291, der zudem die funktionelle Strukturanalogie zwischen Aion und Hekate näher zu begründen versucht (vgl. 285 ff.). Beiden eigne ein dynamischer Charakter. Wie Aion als δύναμις des Noetischen interpretierbar sei, so Hekate als δύναμις des Noerischen (274).  Seng 2016, 41 schreibt schlicht: „‚Feu‘ est utilisé dans les OC pour décrire le divin; peut-être faut-il y voir l’influence du stoïcisme. La Lumière et les Éclairs sont envisagés de manière analo-

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schen Autoren diese verschiedenen Bedeutungen noch stärker herausgestellt und akzentuiert – was nicht heißen soll, dass stets terminologische Klarheit herrscht. Das genaue Verhältnis der Begriffe φῶς und πῦρ erscheint bereits in der von Platon im Timaios (45b–d) dargebotenen Theorie des Sehens problematisch. Streng genommen unterscheidet Platon dort zwei Eigenschaften des Feuers (πῦρ): die eigentlich destruktiv-verzehrende des Brennens von der Verbreitung eines „milden Lichtes“ (45b).187 An späterer Stelle ist sogar von drei Arten (γένη) des Feuers die Rede, namentlich Flamme, Licht und Wärme.188 Der Vorgang des Sehens vollziehe sich vermittels des Zusammenwirkens des aus dem menschlichen Auge hervorströmenden „reinen Feuers“ mit dem äußeren Sonnenlicht: Umgibt nun des Tages Helle das den Augen Entströmende, dann vereinigt sich dem Ähnlichen das hervorströmende Ähnliche und bildet in der geraden Richtung der Sehkraft aus Verwandtem da ein Ganzes, wo das von innen Herausdringende dem sich entgegenstellt, was von außen her mit ihm zusammentrifft. (45c; Übers. Schleiermacher/Müller)

Im Sehen vermische sich also das dem Auge entströmende Feuer mit dem äußeren Licht, dem Sonnenlicht, das von den Objekten reflektiert wird bzw. von den Objekten selber ausgeht. In diesen Passagen erscheint Licht (φῶς) als eine Art feinstoffliche Eigenschaft des (wiederum stofflich vorgestellten) Feuers (πῦρ). Hiermit geht ferner die Beschreibung im Höhlengleichnis konform, wo das „Licht des Feuers“ (τοῦ πυρὸς φώς) im Inneren der Höhle der „Kraft der Sonne“ (τοῦ ἡλίου δύναμις) außerhalb der Höhle entspricht (Resp. 517b3–4) – denn auch die Sonne erscheint somit als feurige Entität, deren δύναμις in der Ausstrahlung von Licht besteht. Nun erstreckt sich die Problematik, Begriffe wie φῶς und πῦρ voneinander abzugrenzen, noch auf einen weiteren Begriff: αἰθήρ. Da es die im Hellenismus vollzogene Vermischung doktrinaler Gehalte aus Platonismus, Aristotelismus und Stoa ist, welche im Hintergrund des neuplatonischen Verständnisses von Licht, Feuer und Äther – einschließlich der damit verbundenen Ambivalenzen – steht, scheinen uns einige begriffsgeschichtliche Anmerkungen zu αἰθήρ, insbesondere hinsichtlich

gue.“ Vgl. zum Hintergrund der Licht-/Feuermetaphysik der Orakel auch Lewy ³2011, 201–204, 344 f., 429–433.  Die Doppelnatur des Feuers wird bereits von Empedokles betont, der den Gott Hephaistos mit der schöpferischen Potenz des Feuers, den Gott Hades mit der destruktiven Potenz zu identifizieren schien. Vgl. Kingsley 1995, 75 f.  Vgl. Tim. 58c (Übers. Schleiermacher/Müller): „[...] daß vom Feuer mancherlei Arten sich gebildet haben, so [1] die Flamme und [2] das von ihr Ausgehende, was nicht brennt, wohl aber Licht den Augen darbietet, und [3] das, was nach dem Erlöschen der Flamme in den durchglühten Körpern an Feuerstoff (als Wärme) zurückbleibt.“

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dessen Affinität zu φῶς und πῦρ, unerlässlich.189 Gemäß altgriechischer Auffassung bezeichnete der Begriff ursprünglich keineswegs eine quinta essentia neben den vier Elementen, sondern war der gängige Terminus für das Element Luft und bezeichnete letztlich die Beschaffenheit des Himmels (οὐρανός). Dies trifft noch auf Empedokles zu (vgl. B 22,2, wo in der Vierheit ἠλέκτωρ, χθών, θάλασσα und οὐρανός letzterer mit dem αἰθήρ korrespondiert), obgleich in der Forschung hierüber lange Zeit Verwirrung herrschte.190 Demgegenüber meinte ἀήρ eine verdichtete Form von Luft wie Nebel, Dunst oder Dampf. Erst im 5. Jh. v. Chr. findet eine begriffliche Umwertung statt, bei der sich zunehmend ἀήρ als Grundbegriff für das Element Luft etabliert, während αἰθήρ jetzt einerseits als feinste Form der Luft verstanden, andererseits – namentlich in der Stoa – mit dem Feuer ineinsgesetzt werden konnte (s. u.).191 Platon hat den Begriff αἰθήρ nicht gerade häufig verwendet.192 In der Bedeutung als ein von den vier Elementen zu unterscheidendes Element scheint er ihn nicht gekannt zu haben. Im Timaios (58d) bezeichnet der Äther lediglich eine feine Form von Luft (vgl. auch Phd. 109b; 111b). Bekanntlich bestehen nach der Lehre des Timaios die Gestirne hauptsächlich aus Feuer. Nicht vor Platons erster Schülergeneration sollte sich die Auffassung durchsetzen, dass den vier herkömmlichen Elementen ein fünftes hinzuzugesellen sei – ohne dass Übereinstimmung über dessen genaue Verortung und Beschaffenheit geherrscht hätte. So fungiert der Äther im pseudo-platonischen Epinomis (981c; vgl. 984b–e) als eines der fünf Grundelemente. Im Unterschied zur aristotelischen Auffassung ist der Äther in dem Philippos von Opus zugeschriebenen Werk wohlgemerkt unterhalb

 Als Grundlage hierfür dient Waszink 1950 sowie die hervorragende Darstellung bei Moraux 1963, aus denen wir im Folgenden schöpfen werden. Ergänzend ist auch auf Kingsley 1995, 15–35, zu verweisen.  Selbst in den Chaldäischen Orakeln, die grundsätzlich der aristotelischen Auffassung vom Äther als fünftem Himmelselement folgen, lautet die Aufzählung der vier Elemente in fr. 67: πῦρ, ὕδωρ, γῆ und αἰθήρ – woraus zu schließen ist, dass αἰθήρ hier in seiner alten Bedeutung zu nehmen ist und für „Luft“ steht. Vgl. Seng 2016, 91. Gleiches gilt für Porphyrios (fr. 354 F), wo in der Nennung der vier Elemente wiederum αἰθήρ für Luft steht (Z. 17). Dies ist umso bemerkenswerter, als wenige Zeilen später vom „unvergänglichen Äther (ἄφθιτος αἰθήρ)“ (Z. 26) die Rede ist, der mit dem „Geist“ des Zeus identifiziert wird. Anschließend verwendet Porphyrios auch noch das Wort ἀήρ (Z. 34), das für den „Oberkörper“ den Zeus stehe. Gesteht man zu, dass αἰθήρ im erstgenannten Fall (d. h. der Aufzählung der vier Elemente) nur die Luft meinen kann, im zweiten Fall jedoch den Äther im strengen Sinn (denn andernfalls macht das von Porphyrios beschworene Bild des Universums nach Aufteilung der verschiedenen Körperteile bzw. Vermögen des Zeus keinen Sinn), so liegen hier zwei verschiedene Begriffsverwendungen auf engstem Raum vor.  Angeblich schien bereits Anaxagoras Äther und Feuer zu identifizieren bzw. zu konfundieren. Genau dies wirft ihm jedenfalls Aristoteles vor (De caelo I 3, 302a28 ff.: Ἀναξαγόρας [...] ὀνομάζει γὰρ αἰθέρα [...] πυρός. Ähnlich Meteor. I 3, 339b23; II 9, 369b14–16).  Vgl. die Belegstellen bei Ast 1835, I, 51.

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des Feuers der Gestirne angesiedelt (981d; 984b–c), was Philippos’ Hierarchie der Elemente sehr nahe an die Auffassung des Timaios heranrückt: Zuerst kommen die Gestirne aus Feuer, dann der Äther (man möge hier an den als „feine Luft“ bezeichneten αἰθήρ aus Tim. 58d denken), anschließend Luft, Wasser und Erde. Weiterhin – und auch dies mit Timaios und gegen Aristoteles – begreift Philippos die supralunare Welt nicht als eine von der sublunaren Welt elementar verschiedene Sphäre: Vielmehr betont er, dass die Gestirne nur zumeist (πλεῖστον) aus Feuer bestünden, „aber auch Erde und Luft und kleine Bestandteile von den beiden anderen Grundkörpern in sich“ enthielten (981d–e; vgl. Tim. 40a). Eine hiervon merklich verschiedene Ansicht finden wir bei Aristoteles. Dass dessen Ätherlehre sich wirkungsgeschichtlich ohne Zweifel als die einflussreichste erweisen sollte, ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass der Äther in der Kosmologie des Stagiriten eine wahrlich zentrale Rolle einnimmt, die über die vereinzelten und unsystematischen Äußerungen, welche uns von anderen Schülern Platons überliefert sind, weit hinausgeht.193 Zunächst ist anzumerken, dass Aristoteles seine Ätherlehre – auch wenn er versucht, bei seinen Vorgängern zumindest Anklänge einer solchen zu finden – letztlich als eigene Lehre einführt (vgl. De caelo I 3, 270b5 ff.), die sich sachlich zudem gegen die Kosmologie des Timaios positioniert.194 Was aber ist der Äther für Aristoteles? Ausgangspunkt seiner Betrachtungen ist eine Bewegungslehre, die die Postulierung eines einfachen, die Kreisbewegung vollziehenden Körpers, fordert. Diese Rolle kommt dem Äther zu, den Aristoteles als ungewordene (ἀγένητον), unvergängliche (ἄφθαρτον), unveränderliche (ἀναλλοίωτον, ἀναυξές), ewige (ἀΐδιον), sich gleichbleibende (ἀγήρατον), unaffizierbare (ἀπαθής) Substanz vorstellt (De caelo I 3, 270a12–14; b1–4), welche die Himmelssphären als einen von der sublunaren Welt qualitativ verschiedenen Bereich konstituiere. Dem Rang des Äthers entsprechend kann

 Die wichtigsten Stellen zum Äther finden sich in De caelo I 3 und Meteorologica I 2–3. Die mangelnde Konsistenz von Aristoteles’ Darlegungen zum Äther hat den Interpreten seit jeher Kopfzerbrechen bereitet. Dabei ist jedoch zu beachten, „daß Aristoteles niemals eine einheitliche, auf die anderen Aspekte seiner naturwissenschaftlichen Lehre gut abgestimmte Theorie von der Himmelssubstanz aufgebaut hat. Die Angaben der einzelnen Schriften sind weder unter sich noch mit denen aus verwandten Schriften ganz kohärent. [...] Die Bemühungen der alten Kommentatoren, die aus diesen verstreuten Angaben eine systematische Theorie rekonstruieren wollten, sind der falschen Voraussetzung entsprungen, Aristoteles selbst habe eine einheitliche Q. E. [Quinta Essentia]Lehre konzipiert und Auszüge daraus an verschiedenen Stellen mitgeteilt“ (Moraux 1963, 1208 f.). Zu Aristoteles’ Argumenten für die Existenz des Äthers vgl. Hankinson 2009.  Demgegenüber schien Xenokrates (F 183 Isnardi) die Lehre von den fünf Elementen als genuin platonisch präsentiert zu haben, was – auf Basis der überlieferten Schriften Platons – der Sache nach eher unwahrscheinlich ist.

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Aristoteles ihn auch als πρῶτον σῶμα oder πρῶτον στοιχεῖον bezeichnen (Meteor. I 3, 339b17);195 und entsprechend der steten, kreisförmigen Bewegung des Elements leitet Aristoteles – wie übrigens bereits Platon (Krat. 410b) – das Wort αἰθήρ etymologisch von ἀεὶ θεῖν ab (De caelo I 2, 270b22; Meteor. I 3, 339b25). Obgleich Aristoteles in De caelo grundsätzlich die räumliche wie qualitative Trennung des Äthers von den vier anderen Elementen hervorhebt, gibt es Passagen, in denen er verschiedene Reinheitsgrade desselben und eine Mischung mit anderen Elementen als Möglichkeit anzunehmen scheint (vgl. Meteor. I 3, 340b4–14; De caelo I 2, 269b15–17). Doch nicht nur im kosmologischen Kontext spricht Aristoteles vom Äther: So erweist sich auch eine Stelle in De anima II 7 als äußert interessant, in welcher Aristoteles seine Sehtheorie formuliert. Jeder Wahrnehmungsakt, heißt es dort, bedürfe vierer Konstituenten: eines wahrnehmbaren Objekts, des wahrnehmenden Sinnesorgans, eines transparenten Mediums zwischen den beiden sowie einer das transparente Medium aktualisierenden Kraft. Denn ein transparentes Medium als solches ist für Aristoteles nur der Anlage nach durchsichtig. Es bedarf der Aktualisierung und diese Funktion erfüllt das Licht: Aristoteles definiert es dementsprechend als „Aktualisierung des Transparenten“ (De an. II 7, 418b9–10: ἐνέργεια διαφανοῦς). Was die transparenten Medien anlangt, so verweist der Stagirit neben Luft und Wasser ausdrücklich auf den Äther. Um genau zu sein, fällt in der Passage 418b8–13 zwei Mal der Terminus τὸ ἄνω σῶμα, womit nur die Himmelssubstanz gemeint sein kann (vgl. Meteor. I 4, 341b3: τὸ ἄνω στοιχεῖον). Zunächst sind es die transparenten Medien Luft und Wasser, welche ihrer Funktion nach mit dem Äther verglichen werden. Nur wenige Zeilen später indes ist es das lichtspendende – und mithin das transparente Medium zu aktualisieren vermögende – Feuer, das in eine funktionale Entsprechung zum Äther gebracht wird. Zuerst erscheint der Äther als Medium, anschließend als potentielle Lichtquelle. P. Moraux erklärt die „scheinbare Diskrepanz“ dadurch, „daß Aristoteles mit τὸ ἄνω σῶμα an der ersten Stelle das den ganzen Himmelsraum erfüllende Element (die durchsichtigen Sphären!) und an der zweiten die Gestirne selbst und hauptsächlich die aus Äther gebildete und ihr Licht spendende Sonne [...] gemeint hat“.196 Diese Erklärung ist durchaus plausibel, denn in der Tat sieht die Bestimmung der supralunaren Welt als ätherisch keine substantielle Differenz zwischen gewöhnlichem Himmel und leuchtenden Gestirnen bzw. Planeten (einschließlich der Sonne) vor. Der ganze Sachverhalt nimmt jene grundsätzliche Zweideutigkeit vorweg, welche dem Ätherbegriff in der neuplatonischen  Demgegenüber finden sich Bezeichnungen wie πεμπτόν σῶμα oder πέμπτη οὐσία (im Sinne von quinta essentia) bei Aristoteles nicht, sondern erst bei späteren Doxographen. Vgl. die Quellenangaben bei Moraux 1963, 1227.  Moraux 1963, 1208.

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Rezeption eingeschrieben bleibt: einerseits als Lichtquelle, andererseits als Lichtmedium fungieren zu können. Freilich steht eine Konzeption, welche anstatt vom Äther vom Himmelsfeuer ausgeht, vor ähnlichen Problemen. Beide Auffassungen müssen letztlich darauf hinauslaufen, entweder verschiedene Reinheitsgrade oder eine unterschiedliche Dichte der jeweiligen Substanz zu postulieren, ließen sich gewisse die Himmelssphären betreffende Binnendifferenzierungen doch sonst kaum begründen. Dies erhellt aus der stoischen Lösung, wie sie von Plutarch referiert wird (De facie lunae, § 15, 928c = SVF II, 668; EÜ): Die Stoiker, so lesen wir dort, „behaupten, dass das, was strahlend und fein (αὐγοειδὲς καὶ λεπτὸν) am Äther ist, aufgrund seiner Feinheit zum Himmel geworden ist, während das, was dicht und kompakt am Äther ist, zu den Sternen geworden ist, und von diesen ist das konzentrierteste und trübste der Mond.“ Die Himmel seien demnach aus dem feinen und lichthaften Äther gebildet, die Sterne aus verdichtetem, der Mond aus noch stärker verdichtetem Äther. Nun sprachen sich die Stoiker gegen Aristoteles und sehr deutlich für eine Vier-Elemente-Lehre aus (vgl. SVF I, 495; 496; 499; II, 413–415; 555; 580). Zwar kennen und verwenden sie mitunter den Terminus αἰθήρ, doch fällt er für sie i. d. R. mit dem himmlischen Feuer zusammen (vgl. SVF I, 504; II 580; 601; 1067). Entsprechend schien die Stoa – obgleich auch sie das Himmelselement kreisförmig bewegt vorstellte (vgl. SVF I, 101; II, 527; 579; 642) – gegenüber der etymologischen Ableitung von ἀεὶ θεῖν (bei Platon und Aristoteles) die Ableitung vom Verbum αἴθειν („brennen“) zu bevorzugen.197 Genauer betrachtet ist das Himmelsfeuer der Stoiker indes keineswegs identisch mit dem gewöhnlichen, d. h. irdischen, Feuer. Sowohl Zenon als auch Kleanthes schienen zwei Arten von Feuer unterschieden zu haben: ein himmlisches πῦρ τεχνικόν und ein irdisches πῦρ ἄτεχνον (SVF I, 120; 504). Während ersterem – als Substanz der Gestirne wie der Seele (als „Lebensfeuer“) – eine erhaltende Kraft eigne, so letzterem eine zerstörerische. Zu Recht macht Moraux darauf aufmerksam, dass die Differenzierung zwischen zweierlei Feuern wiederum eine Annäherung an Aristoteles mit sich bringt, insofern das Himmelsfeuer ja letztlich doch ein Element sui generis darstelle; zumal war es in der Rezeptionsgeschichte nicht schwierig, die beiden Konzeptionen zusammenzuführen.198 Moraux’ Ansicht, derzufolge die genannte Zweiteilung des Feuers auf eine Andeutung des Aristoteles in De gen. an. 736b35 zurückgehen könnte, wäre ggf. um die beiden Passagen im Timaios zu ergänzen, in denen Platon einerseits zwei Eigenschaften des Feuers, eine destruktive von einer produktiven, unterscheidet (45b),  Sowohl Philon von Alexandrien (= SVF II, 664) als auch Pseudo-Aristoteles (De mundo 392a5–9) sind mit dieser Etymologie vertraut. Entsprechend auch im Lateinischen ardor von ardeo, weshalb Cicero (De nat. deor. I 14, 37) schreiben kann: ardorem qui aether nominetur.  Vgl. Moraux 1963, 1234.

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andererseits ausdrücklich von drei Arten (γένη) des Feuers, namentlich Flamme, Licht und Wärme, spricht (58c). Bringt man die beiden Stellen zusammen und deklariert die produktive und destruktive Natur des Feuers zu zweierlei γένη und bezieht nunmehr ersteres γένος auf das Himmelsfeuer, so ist man zweifelsohne sehr nahe an Zenons Position.199 Was die stoische Kosmologie außerdem – und ungeachtet der Frage nach ihrer historischen Genese – mit der platonischen verbindet, ist die grundsätzliche Kontinuität, die sie zwischen den verschiedenen Sphären (d. h. supralunarer und sublunarer Welt, Mikro- und Makrokosmos etc.) behauptet. Es sei demgegenüber nochmals ins Gedächtnis gerufen, dass die Natur des Äthers, wie Aristoteles sie in De caelo beschreibt, eine kategorische Trennung zwischen subund supralunarer Welt impliziert. Hat man die Funktion vor Augen, welche Äther, Licht und Feuer in der Metaphysik der späteren Neuplatoniker einnehmen: d. i. die Garantie einer ontologischen Kontinuität der Gesamtwirklichkeit von der sublunaren Welt bis hin zum höchsten Prinzip, so kann man sogar fragen, ob die neuplatonische Lichtmetaphysik in mancher Hinsicht der Stoa – wenn auch vielleicht nicht terminologisch, so doch strukturell – nicht näher steht als Aristoteles. Es ist gewiss stoischem Gedankengut geschuldet, wenn Philon den Äther als ἱερὸν πῦρ und φλόξ ἄσβεστος bezeichnet (= SVF II, 664); ferner, wenn er zwei Arten von Feuer, nämlich πῦρ οὐράνιον und πῦρ χρειῶδες, unterscheidet (Vit. Mos. II 148; Quis rer. div. heres 136). Und wenn Philon drei Möglichkeiten über die Natur des Himmels in Betracht zieht, namentlich ob der Himmel „ein fester Kristall ist [...] oder das reinste Feuer [...] oder der fünfte, sich im Kreise bewegende Körper, der an keinem der vier Elemente teilhat“ (Somn. I 21; Übers. Adler), so wird einem nicht entgehen, dass die zweite und dritte Option jeweils mit der stoischen und der platonisch-aristotelischen Etymologie des Äthers korrespondiert. Dass diese Optionen in Hellenismus und Kaiserzeit längst keinen Widerspruch mehr implizieren mussten, dürfte deutlich geworden sein. Die Gleichsetzung oder

 Ferner bewegt man sich nicht weit von der aristotelischen Konzeption. Es nimmt nicht Wunder, dass Simplikios (In de caelo 84,30–35,31) sich genau die platonische Unterscheidung verschiedener Eigenschaften bzw. Arten des Feuers zunutze macht, um die Existenz eines genuinen Himmelsfeuers bei Platon und mithin den Einklang der platonischen mit der aristotelischen Auffassung zu begründen. Wie Moraux 1963, 1245, deutlich macht, ist dies im Übrigen repräsentativ für die neuplatonische Haltung überhaupt: „Die These des Simplikios erscheint also als die ausdrückliche Formulierung einer Ansicht, die sich die Neuplatoniker schon lange vorher implizit und fast unbewußt zu eigen gemacht hatten.“ Gegenüber Moraux’ Tendenz, derartige Interpretationen stets als „oberflächlich“ oder auf Missverständnissen basierend abzuqualifizieren, ist daran festzuhalten, dass die platonische, aristotelische und stoische Position zum Himmelselement sich der Sache nach in eine durchaus sinnvolle Entsprechung bringen lassen. Einer auf Korrespondenzen abzielenden Hermeneutik wie jener der Neuplatoniker muss dies förmlich ins Auge springen.

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Konfundierung von Äther und Himmelsfeuer war dort gang und gäbe und findet sich bei Philon nicht weniger als bei Cicero (De nat. deor. I 14, 37) oder Apuleius, welch letzterer den Äther mit der „reinsten Glut des Feuers“ gleichsetzt (De deo Soc. VIII 138: in aethere, id est in ipso liquidissimo ignis ardore). Es sollte daher nicht verwundern, wenn Plutarch (De E 389 F–390A) von der Ansicht gewisser Philosophen berichtet, welche die supralunare Sphäre des Äthers als οὐρανός, als πέμπτη οὐσία oder als φῶς bezeichneten; wenn er außerdem durchscheinen lässt, dass er die Gleichsetzung von φῶς und αἰθήρ offenbar durchaus teilt, insofern die platonische Wahrnehmungstheorie aus dem Timaios (45b–d) ausdrücklich auf Licht und Äther bezogen wird (390B).200 Wenn unser bisheriger historischer Abriss auch nur eines gezeigt hat, dann die terminologische wie sachliche Verschmelzung platonischer, aristotelischer und stoischer Vorstellungen, die eine klare semantische Abgrenzung zwischen φῶς, πῦρ und αἰθήρ in der Spätantike sehr schwierig machten. Das heißt wohlgemerkt nicht, dass nicht bei einzelnen Autoren derartige Abgrenzungen greifbar sein können. So schien Plotin terminologisch und sachlich wieder genauer differenziert zu haben. In den Enneaden taucht der Begriff αἰθήρ nur ein einziges Mal auf (III 2, 3, 28). Er wird dort ohne nähere Angaben neben Luft und Himmel genannt. Aus II 1, 2, 12 f. geht allerdings hervor, dass Plotin die aristotelische ὑπόθεσις eines πέμπτον σῶμα (und dies entspricht hier eben dem Äther) ablehnte und – wie aus II 1, 7 erhellt – mit Platon den Himmel aus Feuer konstituiert sah. Dementsprechend kann die Anspielung in II 9, 5, 11 f., dass der Himmel und die Gestirne – im Vergleich zum Menschen – „doch aus viel edlerem und reinerem Stoff bestehen“, wohl schwerlich auf den Äther bezogen werden, sondern vielmehr auf das himmlische Feuer. Betrachtet man Plotins Ausführungen zur Natur von Feuer und Licht,201 so fällt auf, wie er einerseits den Ambivalenzen innerhalb der platonischen Konzeption derselben, andererseits den Differenzen zwischen Platon und Aristoteles mit der Einführung verschiedener Binnendifferenzierungen zu begegnen sucht – eine Komplexität, die sich auch bei den späteren Rezipienten durchhalten wird. Grundsätzlich bestimmt Plotin das Licht eindeutig als unkörperlich (ἀσώματον; vgl. I 6, 3, 18; II 1, 7, 26–28; IV 5, 7, 41 f.), und zwar selbst dann, wenn es von einem Körper ausginge. Das Feuer ist ihm der feinstofflichste (λεπτότατος) aller Körper (I 6, 3, 21). Andernorts – und in Anlehnung an Timaios 58c (und vielleicht an die Stoa) – unterscheidet Plotin jedoch zwischen verschiedenen Formen von Feuer:

 Wenn man nun, wie manche Ausleger vorschlagen (vgl. Moraux 1963, 1194), davon ausgeht, die Plutarch-Stelle sei auf den Platon-Schüler Herakleides Pontikos zu beziehen, so zeugte dies von der Gleichsetzung von αἰθήρ und φῶς bereits im unmittelbaren Umfeld Platons.  Entscheidend sind hierfür Enn. I 6, 3; II 1, 7; IV 5, 7.

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mit diesem Feuer [d. i. die Sonne] aber ist keine von den beiden anderen [in Tim. 58c genannten] Feuerarten gemeint, sondern das Licht, und dieses unterscheidet er [Platon] ausdrücklich von der Flamme und schreibt ihm Wärme nur in gelindem Maße zu; und dies Licht sei Körper, es erstrahle aber von ihm das gleichnamige Licht, welches ja nach unserer Lehre unkörperlich ist und eine Gabe jenes oberen Lichtes darstellt [...] Da nun also ein Feuer von solcher Beschaffenheit, welches ein Licht von höchster Reinheit liefert, in dem oberen Bereich vorliegt und dort wesensgemäß angesiedelt ist, so muß man annehmen, daß die irdische Feuerflamme mit den oberen Wesen überhaupt nicht in Berührung kommt. (II 1, 7, 23–36; Übers. Harder)

Die Sonne wäre demgemäß ein feuerhafter Körper, dessen unkörperliche Aktivität (ἐνέργεια) mit dem Licht gleichzusetzen und der außerdem vom sublunaren Feuer zu unterscheiden sei.202 Auch dieses sende zwar Licht aus, doch ein im Vergleich zum Sonnenlicht weniger reines Licht. Auf diese Weise gelingt Plotin die Integration von platonischen, aristotelischen und stoischen Elementen. Blickt man auf die nachplotinischen Neuplatoniker, so werden Licht, Feuer und Äther dort nicht immer klar differenziert. Porphyrios zufolge sei das Göttliche φωτοειδής und ἐν πυρὸς αἰθερίου περιχύσει (fr. 352 F). In De mysteriis bezeichnen φῶς und πῦρ i. d. R. ein und dasselbe bzw. werden austauschbar gebraucht.203 In der Beschreibung der göttlichen Epiphanien hat es zwar zunächst den Anschein, Lichthaftigkeit und Feuerhaftigkeit der Erscheinungen würden separat abgehandelt; doch wird bald klar, dass es Iamblichos um etwas anderes geht und er keinesfalls klar zwischen Licht und Feuer differenziert: The same is true in regard to the degree of light. The images of the gods flash forth brighter than light, while those of the archangels are full of supernatural light, and those of the angels are bright. But daemons glow with smouldering fire. The heroes have a fire blended of diverse elements, and of the archons those that are cosmic reveal a comparatively pure fire,

 Zumal scheint Plotin in II 3, 5, 27–32, unterschiedliche Temperaturgrade der aus Feuer gebildeten Himmelskörper anzunehmen.  Vgl. Crome 1970, 73. Wichtig auch Cremer 1969, 145–147, der alle Stellen zur Feuer- und Lichtterminologie aus De mysteriis systematisch zusammengestellt sowie relevante Stellen bei anderen neuplatonischen Autoren angeführt hat. Mit Blick auf die Chaldäischen Orakel lässt sich mit Bergemann 2006, 296, festhalten, dass „explizit den Sonnenstrahlen und dem Licht eine anagogische Wirkung zukommt, während dem Feuer eher die Rolle eines wirkenden Prinzips zuteil wird“, mithin πῦρ eher im Kontext des absteigenden Manifestationsprozesses, φῶς eher im Kontext des Rückstiegs auftaucht. Bezüglich der neuplatonischen Autoren lässt sich diese Unterscheidung so nicht aufrechterhalten, was z. B. daran ersichtlich wird, dass Begriffe wie ἀναγωγὸν φῶς und ἀναγωγὸν πῦρ synonym gebraucht wurden (vgl. Belege bei Cremer 1969, 147). Konzeptionell nimmt das Licht in den Chaldäischen Orakeln eine dem Eros vergleichbare Funktion ein (auf die weiter oben, in Kap. 2.3, eingegangen wurde). Denn den Orakeln zufolge ist Eros zugleich „verbindendes Feuer“ (vgl. fr. 39 u. 42); die σύνδεσμος-Auffassung lässt sich mithin sowohl in erotischen wie in Licht-/Feuertermini beschreiben, wird doch beiden eine anagogische Funktion zugesprochen. Vgl. dazu Geudtner 1971, 34–41 u. 47; Bergemann 2006, 276 Fn. 187.

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while those that are material show a fire mixed from disparate and opposed elements. Souls produce a fitfully visible light, soiled by the many compounds in the realm of generation. In accord, then, with what has been said so far, the fire of the gods shines forth indivisible and inexpressible, and fills all the depths of the cosmos in a fiery but non-cosmic manner. The fire of archangels is undivided, and there may be seen a great mass around it, either preceding or following after it. The fire of angels appears divided except in its most perfect forms. That of the daemons is circumscribed in still briefer divisions, and can be expressed in speech, and does not exceed the power of vision of those who are capable of viewing superior beings. That of the heroes has almost the same character, but nevertheless falls short of exact similarity. And as for that of archons, in the case of the higher kind, it is seen to be more transparent, while in the case of that kind immersed in matter, is murkier. That of souls again displays a diverse and multiform fire, blended from many natures around the cosmos. Moreover, the fire of the gods is wholly stable when beheld, that of the archangels has a degree of stability, but that of the angels is permanently set in motion. That of the daemons is unstable, and that of the heroes has still more unstable movement. Stillness is characteristic of primary archons, but turmoil of the lowest. That of souls changes according to multiple movements. (De myst. II 4, 77,8–79,5)

Man wird bemerken, dass Iamblichos bereits im ersten Abschnitt, nachdem er das Licht der Götter, Erzengel und Engel beschrieben hat, ohne ersichtlichen Grund bei den Dämonen, Heroen, Archonten auf den Begriff des Feuers umschwenkt, um schließlich mit Blick auf die Seelen wiederum von Licht zu sprechen. Im zweiten Abschnitt ist schließlich nur noch von Feuer, nicht mehr von Licht, die Rede. Die Reihe der höheren Genera wird in der gesamten Passage dreimal durchschritten: zunächst (1) hinsichtlich der Klarheit ihres jeweiligen Lichtes/Feuers, (2) hinsichtlich der Teilbarkeit und sprachlichen Vermittelbarkeit ihrer Licht-/Feuererscheinungen, (3) hinsichtlich der Persistenz ihrer Erscheinungen.204 Iamblichos scheint verschiedene Arten oder Reinheitsgrade des Feuers zu kennen. So erwähnt er – entsprechend den die verschiedenen Elementarregionen bewohnenden Wesen – „irdisches Feuer“, „lufthaftes Feuer“, und „himmlisches Feuer“ (vgl. II 7, 85,3–5) – während ersteres „trüber“ (μελάντερον) sei, sei letzteres „strahlender“ (λαμπρότερον). In seiner läuternden Funktion ahme das irdische Feuer das göttliche nach (vgl. V 12). Was im Übrigen Iamblichos’ Auffassung über die Natur des Himmels anlangt, so folgt er – den meisten seiner Nachfolger gleich – der aristotelischen Trennung zwischen ätherischer Himmelswelt und aus vier Elementen konstituierter sublu-

 Wie aus fr. 40 seines Timaios-Kommentars hervorgeht, hat Iamblichos die „gemäß ihrer Natur sichtbaren Dinge“ (τὰ κατὰ φύσιν ὁρατὰ) mit den – „vom göttlichen Licht erleuchteten“ (τῷ θείῳ φωτί καταλαμπόμενα) – „intelligiblen Gegenständen“ (τὰ νοητὰ) identifiziert, nicht aber mit den „für uns sichtbaren Sinnendingen“ (τὰ πρός ἡμᾶς ὁρατά), die ihrer Natur nach „dunkel“ (σκοτεινά) und „undeutlich“ (ἀσαφῆ) seien.

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narer Welt, wie insbesondere aus Buch V 4 von De mysteriis hervorgeht.205 Der κυκλοφορητικὸν καὶ ἄυλον σῶμα der Gestirne wird den vier sublunaren Elementen, τὰ ὑλικὰ στοιχεῖα, entgegengesetzt, wobei der ἄυλον σῶμα auch als αἰθέριον σῶμα bezeichnet wird (202,4–13; vgl. I 18, 54,9 f. u. 55,15 f.; I 17, 52,2 f.). Wenn Iamblichos also zwischen ätherischen, empyrischen und himmlischen Göttern unterscheidet (VIII 2; 262,8 f.), so sind erstere wohl auf die supralunare Sphäre zu beziehen. Dabei sei die „reinste und höchste Form der Luft dazu geeignet, in Feuer entzündet zu werden (ἐξάπτεσθαι εἰς πῦρ)“ (III 16, 137,11 f.).206 Bestes Beispiel für eine unzureichende Abgrenzung von Feuer, Licht und Äther ist vielleicht Macrobius’ Commentarii in Somnium Scipionis.207 Der Mond, so betont Macrobius, „markiert das Ende der Region des reinen Lichts und ätherischen Feuers (liquidissimae lucis et ignis aetherii)“ (I 19, 12; vgl. I 21, 33), aus welchen die supralunare Welt bestehe, in der die Gestirne mit ihren „ätherischen Körpern“ (I 14, 8) beheimatet seien: Die jenseits der Sonne verorteten [Gestirne] sind aus reinem Äther, wo alles aus natürlichem Licht besteht; all dieses Licht ist mit seinem Feuer unmittelbar jenseits der Sonnensphäre, sodass die am weitesten von der Sonne entfernten Himmelssphären ewiger Kälte unterworfen sind (quod illae supra solem locatae in ipso purissimo aethere sunt, in quo omne quicquid est, lux naturalis et sua est, quae tota cum igne suo ita sphaerae solis incumbit, ut caeli zonae quae procul a sole sunt perpetuo frigore). (I 19, 9; EÜ)

Ob Macrobius verschiedene Reinheitsgrade des Äthers unterscheidet, wie seine Aussage, die suprasolaren Sphären (im Unterschied zum Bereich zwischen Mond und Sonne?) bestünden aus dem „reinsten (purissimo) Äther“, nahelegen könnte, bleibt letztlich Spekulation. Was jedoch stärker ins Auge springt, ist die allgemeine Unklarheit bezüglich des Verhältnisses der Termini aether, lux und ignis, die ja allesamt in dem zitierten Satz vorkommen. Diese Unklarheit ist (im Unterschied zu manch anderen doktrinalen Unzulänglichkeiten des Werkes) wohl nicht Macrobius’ Eigenheit als Kompilator geschuldet; viel eher spiegelt sie die terminologische Situation des Neuplatonismus seiner Zeit getreulich wider. Wollte man aus Macrobius’ Angaben eine Verhältnisbestimmung wagen, so könnte sie folgendermaßen aussehen: Der

 Dazu ausführlich: Nasemann 1991, 69–104.  In Tim. fr. 76,3 f. bezeichnet Luft und Feuer als die „pneumatischen Elemente“ (τὰ πνευματικὰ τῶν στοιχείων, ὤσπερ ἀήρ τε καὶ πῦρ).  Dieses Werk ist, wie oftmals herausgestellt wurde, kein originelles. Macrobius schöpft aus einer Mehrzahl antiker (vor allem: platonischer) Quellen, deren wichtigste wohl Porphyrios war. Insbesondere dessen verlorener Timaios-Kommentar, auf den Macrobius (Comm. in somn. Scip. II 3, 15) an einer Stelle denn auch explizit verweist, scheint als Vorlage gedient zu haben. Die in der Sekundärliteratur vertretenen Positionen bezüglich der Frage nach den literarischen Vorlagen werden in Stahls Einleitung zu seiner Übersetzung diskutiert (Stahl 1990, 23–39).

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Äther bezeichnet die von den vier sublunaren Elementen unterschiedene Substanz der Himmelssphären und Gestirne (im aristotelischen oder stoischen Sinne). Die Sonne besteht aus einem feuerhaften Leib (im platonischen oder stoischen Sinne), der Licht und Wärme aussendet. Das Sonnenlicht durchdringt die ätherischen Himmelssphären, wobei die Feinstofflichkeit des Äthers diesen als Medium für das Sonnenlicht prädestiniert (Anklang an De anima, 418b8–13?). Im Unterschied zum Licht nimmt die gleichermaßen von der Sonne ausgehende Wärme mit zunehmender Entfernung von ihrer Quelle ab. Wenn Macrobius allerdings von „ätherischem Feuer“ spricht, zumal die Sonne als „Quelle des ätherischen Feuers“ (I 20, 7: solem autem ignis aetherii fontem dictum esse) bezeichnet, so scheint er sich hier – zumindest terminologisch – eine stoisch geprägte Auffassung zueigen gemacht zu haben. Proklos unterscheidet teils deutlicher zwischen φῶς, πῦρ und αἰθήρ. In seinem Timaios-Kommentar wird die Existenz eines „fünften Elements“ breit diskutiert.208 Obgleich er die aristotelische Position, genauer: die Argumentation aus De caelo I 2, verwirft und mit Platon die Himmel als hauptsächlich aus Feuer bestehend vorstellt, ist er letztlich um einen Ausgleich zwischen platonischer und aristotelischer Auffassung bemüht und sucht die Kompatibilität der Behauptungen, „dass der gesamte Kosmos aus vier Elementen besteht, den Himmeln jedoch trotzdem ein davon verschiedenes Wesen eignet“ (In Tim. II 43,2 f.; EÜ), zu erweisen. Hierfür trifft er einige Unterscheidungen, die auf eine Hierarchie des Feuers (und damit korrespondierend: des von ihm ausgehenden Lichts) hinauslaufen. Aus Proklos’ Ausführungen lässt sich eine vierstufige ontologische Rangfolge der Elemente herauslesen. Anders formuliert: Jedes Element besteht auf vier ontologischen Ebenen, der intelligiblen (d. i. im Denken des Demiurgen), der supralunaren, der sublunaren und der subterranen (d. i. in der Unterwelt) (vgl. In Tim. II 49,12–20). Ferner besitzt jedes Element gewisse Eigenschaften und Funktionen. So garantiert das Feuer die Sichtbarkeit des Kosmos, da alles Licht von ihm ausgeht. Die Differenz zwischen supralunarem und sublunarem Feuer wird von Proklos besonders stark akzentuiert: Das Feuer jenseits des Mondes ist nicht dasselbe wie jenes diesseits des Mondes (vgl. In Tim. II 43,28–44,1).209 Diese Auffassung, so Proklos, komme nun der aristotelischen recht weit entgegen:

 Dazu ausführlich: Baltzly 2002.  Vgl. auch In Tim. II 8,22–26; Übers. Baltzly: „For light and flame (φλόξ) are not the same thing, nor is flame the same thing as burning coal, but from higher up there is a deterioration (ὕφεσις) of fire down as far as Earth. It proceeds from a more immaterial, purer and less corporeal condition until it gets to the most fully enmattered and densely packed bodies. For there are even streams of fire under the Earth“. Licht sei zwar der „reinste Körper“, nichtsdestoweniger jedoch ein Körper, worauf Proklos – im Gegensatz zu seinen Vorgängern, allerdings in Einklang mit Platon – beharrt.

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But perhaps the marvellous Aristotle will contest our account by positing that not all visible things are so through participation in fire, for the chorus of stars and the mighty sun itself are not [in his view] things composed of fire even though they are visible. But one might respond to him by saying that enmattered fire is one thing but immaterial fire is another – that is, it is immaterial because compared to the matter of the things in the sublunary sphere it is immaterial – and the one kind is destructible while the other is indestructible (II. 10.3). While one kind is mixed with air, the other is pure. And generally speaking, because fire has many forms, perhaps Aristotle will concede to this account and listen to the theologians (Or. Ch. 60) who call the sun ‚fire, channel of fire‘ and ‚dispenser of fire‘ and all other such names. (In Tim. II 9,8–18; Übers. Baltzly)

Proklos’ versöhnliche Haltung kommt in dieser Passage besonders klar zum Ausdruck: Seine die vier Elemente (und vor allem das Feuer) betreffenden Binnendifferenzierungen, in welchen dem himmlischen Feuer ausdrücklich Prädikate zugesprochen werden, die Aristoteles dem Äther zuschrieb, erlauben es ihm, seine Position jener des Stagiriten anzunähern.210 So gesteht Proklos schließlich sogar zu, dass in gewissem Sinne doch legitimerweise von einer fünften Substanz (οὐσία) gesprochen werden könne.211 It is permissible to say both that there are four unmixed elements everywhere, and also that there are five – taking, on the one hand, the whole heaven as one thing, on the other taking the elements which are encompassed within the terrestrial region as the remainder. [...] the heavens are a fifth substance (οὐσία) besides these four elements, since it is a combination from the simple elements. For in the heavens the elements are not the same [as they are here] but are rather the highest forms of them and the four elements of all things are unmixed and are bounded in relation to one another by their appropriate forms. (In Tim. II 49,21–29; Übers. Baltzly)

Allein den Begriff αἰθήρ im aristotelischen Wortverstand lehnt Proklos hier zur Bezeichnung dieser οὐσία ab. Wenn er an anderer Stelle doch eine „ätherische Substanz (οὐσία αἰθερώδης)“ (In Tim. II 8,3) kennt und sich in seinem PoliteiaKommentar (II 128,3–136,16) den Äther-Begriff doch zu eigen macht, so mag dies terminologisch verwirrend sein, spricht aber nicht gegen das bislang Gesagte. Wir werden in Kap. 3.3.1.2 nochmals genauer auf dieses Problem zurückkommen. Was ergibt sich bis hierhin aus unserem geschichtlichen Überblick zum Äther-, Feuer- und Lichtbegriff der Neuplatoniker? Je nachdem, aus welchen Quellen ein je-

 Vgl. Baltzly 2007, 23: „Proclus will not accede to the idea that, strictly speaking, there is a fifth element, but he will accept that there are important qualitative differences between heavenly fire and the fire we have down here. These differences, and the differences in the vehicles of the souls, will explain how the heavenly gods can share in the condition of embodiment and yet live a life that is worthy to be regarded as divine.“  Ähnlich harmonisierend geht Simplikios (In de caelo 84,30–85,31) hinsichtlich der Beschaffenheit des Himmels vor, allerdings unter terminologischer Beibehaltung des Äther-Konzeptes.

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weiliger Autor schöpft, und je nachdem, wie stark sein Bedürfnis nach Harmonisierung der Traditionsbestände ausgeprägt ist, finden wir unterschiedliche Formulierungen zur Beschaffenheit der jeweiligen Elemente. Insofern die Neuplatoniker seit Iamblichos aus den drei großen Traditionslinien (Platonismus, Aristotelismus, Stoa) sowie nicht zuletzt aus den Chaldäischen Orakeln (die allerdings ihrerseits erheblich durch die genannten drei Traditionslinien geprägt sind) schöpfen, ist es oftmals schwierig, eine doktrinal und terminologisch eindeutige Position auszumachen. In den meisten Fällen sind ihre relevanten Aussagen zur Natur des Himmels, zu Licht und Feuer ohnehin eher beiläufiger Natur, nicht selten über das Gesamtwerk verstreut und mithin kaum Gegenstand einer systematisch-zusammenhängenden Darstellung. Der Himmel wird für gewöhnlich – und je nach Terminologie – schlicht als ätherisch, feuer- oder lichthaft beschrieben; gleiches gilt für die (in der spätantiken Theologie so prominente) Sonne und ihre Strahlen. Der ganze Sachverhalt wird rezeptionsgeschichtlich noch dadurch verkompliziert, dass Aristoteles – in bewusster Abgrenzung zu Platon – das Licht als unkörperlich verstanden wissen wollte (De an. 418b13–17). Hierin sind ihm die meisten Neuplatoniker – mit Ausnahme von Proklos – gefolgt.212 Doch bleibt zu beachten, dass die Rede über „Körperlichkeit“ oder „Unkörperlichkeit“ von Licht insofern missverständlich sein kann, als – wie wir sahen – „Licht“ (wie auch „Feuer“) für die Neuplatoniker auf verschiedenen Ebenen existiert, zwischen denen zwar einerseits eine Kontinuität besteht, die jedoch andererseits eine Skala absteigender „Reinheit“ bzw. zunehmender „Körperlichkeit“ implizieren. Insgesamt sollte man sich nicht zu stark auf die jeweiligen – meist von Platon oder Aristoteles herrührenden – Definitionsversuche fixieren, liegt – wie L. Bergemann gezeigt hat – das Entscheidende in Platons und Aristoteles’ Lichttheorien doch weniger in deren jeweils unterschiedlichen Definitionen als „körperlich“ (Platon) oder „unkörperlich“ (Aristoteles), sondern in den komplementär verstehbaren Funktionsbestimmungen desselben. Dies ist gerade in der Wirkungsgeschichte bestimmend geblieben. „Wie Platon bestimmen damit auch Iamblich und Proklos [und bereits Plotin213] das Licht grundsätzlich innerhalb eines Bezugsrahmens nach seiner Position und Funktion, ohne in diesem Kontext ausführlich weiter auf spezifische Eigenschaften des Lichtes einzugehen.“214 Aufgrund dieses Primates der Funktionsbestimmung vor der Eigenschaftsbestimmung fällt beispielsweise Proklos’ – an der Körperlichkeit des Lichts festhaltende – Lichtmetaphysik kei-

 Dazu ausführlicher: Finamore 1993; Griffin 2012.  Mit Recht bemerkt Armstrong 1984 (= Bd. IV seiner Plotin-Edition), 309 Fn. 1: „The doctrine of the incorporeality of light is not very much stressed by Plotinus and seems to have been of only moderate importance to him.“ Dies ist genau dem Primat der Funktionsbestimmung vor der Eigenschaftsbestimmung geschuldet.  Bergemann 2006, 250.

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neswegs aus dem gesamt-neuplatonischen common sense heraus. Die Gemeinsamkeiten in der Funktionsbestimmung und der damit verknüpften Vorstellung von einer die Gesamtwirklichkeit strukturierenden, graduellen Lichthierarchie wiegen hier weitaus schwerer als die abweichende Eigenschaftsbestimmung. Den Ursprung des Lichtes letztlich im Einen zu verorten – gleich wie die chaldäische Lehre ihn im „Vater“ verortet –, hierüber sind sich die Neuplatoniker selbstverständlich einig. Besonders schön kommt dies in einer Passage aus Proklos’ Parmenides-Kommentar zum Ausdruck, in welcher er – im Kontext seiner Henadenlehre – die systematische Stellung der Sonne zu bestimmen unternimmt: Von Licht kann man allerlei Verursacher sehen, die einen am Himmel, die anderen in der Welt unter dem Monde. Sowohl aus stoff-entfachtem Feuer wie vom Mond und den übrigen Gestirnen aus kommt auf je andere Weise ein je anderes (Licht) in dieser Sphäre zusammen. Doch wollte einer nach der einzigen Monade allen Lichts im Kosmos suchen, von der die anderen Lichtspender und Leuchtkörper herkommen, so wird er diese als keine andere ansetzen denn diesen erscheinenden Umlauf der Sonne. Er geht von oben aus dem Verborgenen hervor, heißt es [Or. Ch. fr. 148], und streut über alles Innerweltliche das Licht der überhimmlischen Weltordnung, so wie es einem jeden Gegenstand angemessen ist. Woher denn sonst werden die Sterne und das Dunkel des Stoffs des Lichtes teilhaftig? Werden wir nun aber diesen manifesten Körper als Ursprung des Lichts bezeichnen? Aber er ist noch ausgedehnt, man kann Teile an ihm unterscheiden, und von dem an ihm unterscheidbaren Teilen geht ja jeweils ein anderes Licht aus. Wir dagegen sind auf der Suche nach dem Ursprung des Lichts. Sollte etwa die Seele, die (diesen Körper) steuert [Leg. X 899a], aus sich heraus die Erzeugerin des Lichts sein? Gewiss erzeugt sie Licht, allerdings nicht an erster Stelle – eine Vielzahl ist doch auch sie, während Licht den Anschein erweckt, aus einer einzigen und einfachen Quelle zu entstammen. Sollte es wohl der Geist sein, die Ursache der Seele, (der die Quelle des Lichts bildet)? Obwohl dieser in höherem Maße geeint ist als die Seele, ist auch er nicht das erste Prinzip im eigentlichen Sinne. Bleibt denn also nur, dass das Eine, die Ursache dieses Geistes und gewissermaßen seine Blüte, auch das erste Prinzip des Lichts sei. Dies also ist die eigentliche Sonne, welche die Sinnenwelt beherrscht (Resp. VI 509d), der Abkömmling des Guten (507a). Jede Henade stammt von dorther und jede Gottheit kommt aus der Henade der Henaden, dem Quell der Götter. Und so wie diese (Henade der Henaden) für die Denk-Gegenstände der Ursprung des dortigen Lichts ist, ist die Henade der Seinsreihe des Sonnenkreises für die sichtbaren Dinge der Ursprung des Lichts hier. Wenn man denn also eine einzige Ursache und Anfang des gesamten innerweltlichen Lichts nehmen will, so muss man diese Henade nehmen, die eine Entsprechung bildet zum Einen (an sich) und in ihm auf verborgene Weise angesiedelt ist und stets mit ihm verbunden bleibt. (In Parm. VI 1043,31–1045,9; Übers. Zekl; leicht modifiziert)

Die Lichthierarchie, die Proklos hier beschreibt, geht von der Frage nach der Letztursache des Lichtes aus. Nachdem die Sonne – und nach ihr auch Seele und Geist der Sonne – als höchste Ursachen ausgeschlossen wurden, kommt Proklos

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

zum Einen, als dessen Repräsentation die Sonne als kosmische Henade denn auch gefasst wird.215 Noch deutlicher ist die Lichthierarchie in Kaiser Julians Heliosrede herausgearbeitet. Streng genommen bezeichnet Ἥλιος in Julians Rede das Zentrum der intellektiven Götter (θεοί νοηροί); er ist damit Vermittler zwischen den immateriellintelligiblen Göttern (θεοί νοητοί) und den sichtbaren Göttern (θεοί ὁρατοί). Wie sich das Eine zum κόσμος νοητός und die sichtbare Sonne sich zum κόσμος ὁρατός verhält, so verhält sich Helios zum κόσμος νοηρός. Manchmal verwendet Julian den Terminus Ἥλιος aber auch, um die sichtbare Sonne zu bezeichnen. Letztlich (und in allen Wortbedeutungen) vermittelt Helios – als „Vermittler“ (μεσίτης) – die Kraft des Einen in die Sinnenwelt, weshalb Julian ihn auch als „echte Emanation des Guten“ (Or. IV 144d) bezeichnet und ihm demiurgische Kraft zuspricht (140a–d), ja ihn sogar mit der „demiurgischen Kraft des Zeus“ (143d) gleichsetzen kann. Gemäß diesem Schema ist auch klar, dass die schöpferische und wohltuende Wirkung des Helios sich zuallererst auf die θεοί νοηροί bezieht, nur sekundär auf den supralunaren κόσμος ὁρατός, erst tertiär auf den sublunaren κόσμος ὁρατός (vgl. 144d–145c). Und Helios’ noerische Strahlen seien gänzlich immateriell, wohingegen die (innerkosmischen) Sonnenstrahlen offenbar als „ätherisch“216 vorgestellt werden. Ist das Licht etwa nicht eine unkörperliche und göttliche Form des Transparenten im Zustand der Aktualisierung? [...] Als die vollkommenste Frucht und die Blüte des unkörperlichen Lichtes selbst könnte man aber gewissermaßen die Strahlen bezeichnen. Nach der Ansicht der Phöniker, die ja in den göttlichen Dingen weise und kundige Leute sind, wäre nun der nach allen Seiten hin sich verbreitende Lichtglanz nichts anderes als die fleckenlose Kraftäußerung des reinen Geistes selbst. Hiermit steht aber auch, da ja das Licht selbst unkörperlich ist, die Ansicht nicht im Widerspruch, wonach auch seine Quelle kein Körper, sondern die unbefleckte Kraftäußerung des Geistes ist, die auf dem ihr eigentümlichen Sitz im Mittelpunkt des ganzen Himmels ausgestrahlt wird, von wo aus sie die himmlischen Kreise erleuchtet [...] Darum macht er (der Gott Helios), indem er den Sehenden die Sehkraft und dem, was gesehen wird, das Gesehenwerden verleiht, mit einer einzigen Kraftäußerung zwei Naturen, das Sehvermögen und die Sichtbarkeit, vollkommen. (133d–134a; Übers. Asmus)

Bemerkenswert ist, wie Julian hier die aristotelische Definition des Lichtes aus De anima (418b9–10: ἐνέργεια τοῦ διαφανοῦς ᾗ διαφανές) zunächst mit der chaldäischen Lehre zusammenbringt, der zufolge das Licht als Produkt des νοῦς – d. i. der demiurgische Intellekt Aions – gedacht wird, welches die Sonne – von Julian in Anlehnung an die chaldäische Astronomie als der mittlere Planet gekennzeichnet –

 Vgl. Saffrey 2000c, 182 f. Vgl. auch Proklos, Th. Pl. II 7, 44,24 ff.  Dies legt der Begriff „fünfter Leib“ (πεμπτόν σῶμα) nahe, den Julian verwendet (Or. IV 132c). Vgl. auch Julians Ausführungen zum Äther in Or. V 162d ff.; 165a–c; 166d; 167d; 170c; 171a.

2.5 Theurgie, Sonnenkult und Seelenvehikel

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dann im Kosmos verteilt. Schließlich rekurriert Julian auf Platon (Resp. VI 509), um die Macht des Lichtes als Seins- und Erkenntnisgrund zu unterstreichen.217 Wie J. F. Finamore recht ausführlich dargetan hat,218 ist in Julians Heliosrede – deren Theologie (und damit zugleich Lichtmetaphysik) weitestgehend Iamblichos entlehnt ist – eine Transformation der dreistufigen chaldäischen Auffassung von der Gesamtwirklichkeit (emyprische, ätherische und materielle Welt) in die drei neuplatonischen „Hypostasen“ des Noetischen, Noerischen und Sichtbaren (κόσμος νοητός, νοηρός und ὁρατός) erkennbar, wobei der chaldäische Aion dem neuplatonischen Einen – wohlgemerkt dem „seienden Einen“ (τὸ ἕν ὄν) im Sinne des Iamblichos219 – entspricht und der chaldäische Helios (d. i. die sichtbare Sonne) zum noerischen Helios deklariert wird; die nach chaldäischer Auffassung nochmals in ätherisch und materiell unterschiedenen kosmischen Sphären (mit sichtbarer Sonne und Mond als Herrscher) schließlich werden beide unter die „Hypostase“ des „Sichtbaren“ (ὁρατόν) subsumiert. Diese „Hypostasen“ (oder „Sonnen“) der Neuplatoniker sind also jeweils vertikal auseinander entstanden, generieren jedoch auch horizontal jeweils andere Götter, sodass letztlich alle Götter einer spezifischen Sphäre sich auf deren jeweilige „Sonne“ zurückführen lassen, die wiederum vertikal aus der ihr nächsthöheren „Sonne“ entsprungen ist. Letztlich fungiert Julians Helios damit auch

 Führt man sich die licht- bzw. solartheologischen Passagen bei Julian oder Proklos vor Augen, so wird deutlich, dass sich die Lichtterminologie vorzüglich dazu eignet, klassischgriechische Religion, kosmische Religiosität und spätantikes Mysterienwesen in eine henologisch fundierte Auffassung der Gesamtrealität zu integrieren, und d. h. zugleich: die für den Neuplatonismus so charakteristische vollkommene Synthese von Monotheismus und Polytheismus zu ermöglichen. Dies schließt eine Legitimierung der Verehrung kosmischer Gottheiten – allen voran der sichtbaren Sonne – mit ein, wird diese doch weniger als himmlisches Gestirn verehrt, sondern als Symbol für die höheren, unsichtbaren Sphären bzw. in letzter Instanz: als Symbol für das höchste Eine. Insofern nun diese metaphysische Synthese auch Grundlage des Projektes der philosophia perennis (s. oben Fn. 50) darstellt, nimmt es nicht wunder, dass in ihr die Lichtterminologie eine exponierte Rolle einnimmt. Mit Blick auf Marsilio Ficino wurde dies ausführlich untersucht von Scheuermann-Peilicke 2000.  Vgl. Finamore 1985, 133 ff.  Damaskios (Dub. et Sol. 103, 6–10) berichtet, Iamblichos habe ein „gänzlich unsagbares“ Eines (παντελῶς ἄρρητον) der „einfachen Einheit“ (ὁ ἁπλῶς ἕν) vorgeordnet, der ihrerseits erst Grenze (πέρας) und Unbegrenztes (ἄπειρον) entsprängen, deren Mischung wiederum das „seiende Eine“ (τὸ ἕν ὄν) hervorbrächte. Vgl. das graphische Schema bei Dillon 1973, 32. Insofern Iamblichos τὸ ἕν ὄν mit Aion gleichzusetzen scheint (vgl. In Tim. fr. 61) und als μέτρον des noetischen Bereichs bezeichnet (vgl. In Tim. fr. 64), nimmt es eine dem zweiten Gott der Chaldäer, also Aion, analoge Position ein – und man kommt nicht nur zu einer sachlichen, sondern auch terminologischen Übereinstimmung.

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2 Aspekte neuplatonischer Theurgie

als Erzeuger der höheren Genera.220 Die hieraus sich ergebende Konsequenz wurde abermals von Finamore dargelegt: „since each of the celestial gods is a horizontal emanation of the sun, the powers of each god to elevate the human souls belonging to it are derived from the rays of the sun and, therefore, from Helios.“221 Die verschiedenen ontologischen „Reihen“, die sich jeweils an einen spezifischen göttlichen Führer anschließen, gründen so letztlich allesamt in ein und demselben göttlichen Licht. Deshalb ist der Wiederaufstieg zum noetischen Licht – im Unterschied zu den Chaldäischen Orakeln – bei Iamblichos, Julian oder Proklos nicht zwangsläufig auf Helios bzw. die Sonne fixiert, sondern kann von sämtlichen göttlichen Entitäten initiiert werden. Und hier sind wir bei der theurgischen Funktion des göttlichen Lichts angelangt, die später in Kap. 3.2.3.3 – in Anknüpfung an die Beschreibung der göttlichen Epiphanien bei Iamblichos – erneut aufgegriffen werden soll. Dort wird auch deutlicher werden, wie sich die Ausführungen dieses Abschnittes in den thematischen Leitfaden unserer Arbeit, d. h. die Aufwertung von Körperlichkeit, einfügen. Denn während dies hinsichtlich der zuvor diskutierten Symbolauffassung einigermaßen klar geworden sein sollte, springt der Zusammenhang zu den Darstellungen zu Licht, Feuer und Äther auf den ersten Blick weniger klar ins Auge. Er wird erst in seinem Bezug auf die ὄχημα-πνεῦμα-Lehre ersichtlich.

 Vgl. Or. IV 145c (Übers. Asmus): „[...] tritt bei dem Allkönig Helios noch eine weitere ganz wunderbare [Kraftäußerung] zutage, nämlich in Gestalt des besseren Teils, den er den höheren Ordnungen (κρείττονα γένη) der Engel, Dämonen, Heroen und den Teilseelen verleiht, soweit diese Seelen als Vorbilder und Ideen in sich selbst beharren“.  Finamore 1985, 139.

3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus 3.1 Aufwertung von Körperlichkeit und Materie bei Iamblichos Im spätantiken Neuplatonismus, vor allem bei Iamblichos, kann man – im Vergleich zu Plotin oder Porphyrios – eine gewisse Aufwertung von Körperlichkeit und Materie beobachten. Dies lässt sich in erster Linie an vier (formal trennbaren, sachlich aber eng miteinander verknüpften) Aspekten festmachen:222 (1) In anthropologischer Hinsicht wird der Mensch stärker als Verbindung (συναμφότερον) von Seele und Leib verstanden (was eine Rehabilitierung materieller Riten impliziert). (2) Die Verkörperung der Seele wird nicht per se als Übel betrachtet, sondern nur unter bestimmten Umständen. (3) Iamblichos postuliert die Existenz einer göttlichen Materie, aufgrund derer gerade materielle Gegenstände als geeignete Rezeptakel der Götter fungieren können. (4) Das Konzept von Körperlichkeit wird über die grobstoffliche Ebene hinaus erweitert (dies betrifft die Postulierung eines feinstofflichen ὄχημα-πνεῦμα, das die Seele umhülle bzw. deren ersten, unvergänglichen Leib konstituiere). Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass manche dieser Punkte nicht frei sind von Ambivalenzen – auch nicht gänzlich frei von anti-körperlichen Affekten –; gleichwohl verweisen sie in ihrer Gesamtheit auf ein gegenüber Iamblichos’ Vorgängern zumindest tendenziell gewandeltes Verhältnis zu Körper und Materie. Insofern alle vier Aspekte das Verhältnis von Seele und Körper und den Status der materiellen Welt im Allgemeinen betreffen, seien zunächst einige Worte über Plotins Stellung zu Leiblichkeit und Materie vorangeschickt. Denn wenn wir mit Blick auf Iamblichos von „Aufwertung“ sprechen, so impliziert dies bei jenen Denkern, gegen die er sich abgrenzt – d. i. vor allem Plotin und Porphyrios (wobei Porphyrios weitestgehend von Plotin abhängig ist) –, eine gegenteilige Tendenz, wenn man so will: eine „Abwertung“.

 Diese Punkte sollen im Folgenden anhand von Iamblichos erhellt werden. Eher am Rande werden aber auch entsprechende Gedanken bei Proklos berücksichtigt, für den diese Grundtendenzen ebenfalls – wenn auch nicht immer so klar artikuliert wie bei Iamblichos – gültig sind. https://doi.org/10.1515/9783111248042-003

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

3.1.1 Materie, Leiblichkeit, Seelen-Fall und Dualismus bei Plotin Dass die Seele in ihrem Verhältnis zum Körper als eigenständige Entität anzusehen sei, gilt als eines der doktrinalen Hauptcharakteristika des Platonismus. Auch über die Ansicht, dass der Körper – und damit zusammenhängend die sinnliche Welt im Gesamten, wenn man so will: der makrokosmische Körper – ontologisch minderwertiger sei als die Seele, bestand Einigkeit. Wie jedoch ihr Verhältnis zueinander im Einzelnen genau zu fassen sei (d. h. inwieweit die Seele im Körper „präsent“ sei, wie sie mit ihm interagiere, ob die Verkörperung per se als Übel zu begreifen sei etc.), hierüber gingen auch innerhalb der platonischen Tradition die Auffassungen auseinander.223 In jedem Falle lässt sich behaupten, dass dem Faktum der Verkörperung für die Platoniker stets eine gewisse Ambivalenz eignete, weil es für die Seele gewisse Gefahren in sich barg. Im Mittelplatonismus war ein recht negatives Bild auf die Verkörperung vorherrschend und war dort außerdem verbunden mit einer negativen Sicht auf die Materie (vgl. Numenios, fr. 48 u. 52)224 – so negativ, dass es dualistische Züge trug. Nun ist der Terminus „Dualismus“ mitnichten eindeutig. K. Alt unterschied im Kontext des Platonismus zwei Grundbedeutungen: Er [der Begriff Dualismus] bezeichnet einerseits den krassen Gegensatz eines guten und bösen Prinzips, andererseits die Differenz zweier Seinsebenen oder -bereiche; er bezieht sich einerseits auf Konflikte in dieser Welt, andererseits auf den Abstand einer transzendenten Existenz zu dieser Welt. Man unterscheidet daher ethischen und ontologischen Dualismus.225

Wenn im Folgenden von „Dualismus“ die Rede ist, so bezieht sich dieser Begriff in erster Linie auf die ontologische Dimension und deren anthropologische Implikationen, d. h. eine spezifisch „sinnen- bzw. körperfeindliche“ Artikulation des Verhältnisses von Seele und Leib bzw. materieller Welt, das entweder auf die ontologische Kluft zwischen den beiden pocht und/oder die körperlich-materielle Seite in sehr pejorativen Termini beschreibt, sodass sie vorrangig als „Hindernis“ in den Blick  Zur Gesamtproblematik vgl. Emilsson 1994.  Dazu Dillon ²1996, 373 f.  Alt 1993, 10. De Vogel 1986, 159, hat speziell im Hinblick auf Platon noch weitere Ebenen unterschieden und eine Klassifizierung und Untersuchung möglicher platonischer Dualismen im folgenden Sinne geliefert (und man könnte im Grunde jeden platonischen Autor nach diesem Schema untersuchen): (a) metaphysischer Dualismus (zwischen Ideen- und Sinnenwelt); (b) anthropologischer Dualismus (zwischen Leib und Seele); (c) kosmologischer Dualismus (zwischen Vernunft und Notwendigkeit/Chora); (d) Prinzipiendualismus (zwischen Einheit und unbestimmter Zweiheit), der zudem einen „ethischen Dualismus“ implizieren kann, wenn man die beiden Prinzipien als jene des Guten und Bösen nimmt. Diese möglichen Dualismen bilden den Hintergrund der Gesamtproblematik im weiteren Platonismus.

3.1 Aufwertung von Körperlichkeit und Materie bei Iamblichos

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kommt, das zu fliehen bzw. zu überwinden sei (die anderen in Fn. 225 angeführten Dualismen spielen nur insofern eine Rolle, als auch sie hinsichtlich des menschlichen Selbstverständnisses bzw. der Deutung der menschlichen Existenz auf Erden relevant sein können bzw. sich teils mit dem anthropologischen Dualismus überschneiden). Dieser auf „die Differenz zweier Seinsebenen“ bezogene Dualismus steht wohlgemerkt nicht zwingenderweise im Gegensatz zu einer grundsätzlich „monistischen“ (oder genauer: henologisch fundierten) Metaphysik wie jener der Neuplatoniker, sondern kann sich auch innerhalb einer solchen in krasser Form darstellen,226 vor allem wenn die Kluft zwischen bestimmten Seinsebenen mit einer starken Wertigkeit aufgeladen ist (d. h. Aufwertung der einen, Abwertung der anderen Ebene).227 Nun finden wir bei Plotin sicherlich einen der umfassendsten metaphysischen Versuche, die Gesamtwirklichkeit aus einem einzigen, überseienden Urgrund abzuleiten und vermittels seiner Lehre von der Kausalität der intelligiblen Ursachen sowohl das Problem des χωρισμός zwischen Ideen- und Sinnenwelt als auch die dualistischen Positionen gewisser Mittelplatoniker zu überwinden.228 Man geht also nicht fehl, in der theoretischen Überwindung dualistischer Wirklichkeitsverständnisse einen der Grundimpulse von Plotins Philosophieren überhaupt ausmachen zu wollen. Gleichwohl war und ist auch sein Denken verschiedentlich dem Vorwurf ausgesetzt, sich – mehr oder weniger ausdrücklich – in dualistischen Mustern zu bewegen. Dies hat man erstens an seiner Theorie der Materie festgemacht, die oftmals Gegenstand ausführlicher Untersuchungen war.229 Ein Grundproblem, das viele Interpreten frappiert hat, liegt in Folgendem: Einerseits wird die Materie von ihm als ontologisch letztes Produkt des Einen gefasst und fällt als solche keineswegs aus Plotins monistischem Derivationsmodell heraus. Andererseits finden sich bei Plotin – vor allem in Enneade I 8 – sehr pejorative Charakterisierungen der Materie, bis hin zu ihrer Klassifizierung als „Prinzip des Bösen“ (vgl. I 8, 6, 31–34), als „Böses an sich“ (I 8, 3, 39 f.: καθ᾽ αὑτὸ κακόν; I 8, 8, 42: αὐτοκακόν) bzw. „erstes

 Insofern spricht Alt 1993, 14, auch vom „integrierten Dualismus.“  Es ist diese Gestalt des Dualismus, die beispielsweise De Benoist 1981, 41 ff., als Grundmerkmal des jüdisch-christlichen Monotheismus (und zwar im Sinne der Radikalunterscheidung zwischen Gott und Welt) ausmacht und kritisiert.  Vgl. Regen 1988; Chiaradonna ³2014. Vgl. zum Problem des Dualismus zwischen Plutarch, Numenios und Plotin: Alt 1993. Wallis 1972, 35, bezeichnet Numenios aufgrund seiner MaterieKonzeption als „the most extreme dualist among the Middle Platonists.“  Die Literatur dazu ist schier uferlos. Es seien daher hier nur folgende zwei anregenden Studien angeführt: O’Brian 1999; Schäfer 2002, 51–193.

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

Böses“ (πρῶτον κακόν), sowie des Körpers als „zweites Böses“ (δεύτερον κακόν) (vgl. I 8, 4, 1–5). Zweitens erweist sich das Verhältnis von Seele und Körper als problematisch. Zunächst sind Plotins die Verkörperung der Einzelseele betreffende Beschreibungen keineswegs frei von negativen Affekten. Nun wurde die Frage nach Ablauf und Zweck des „Abstiegs“ einer Individualseele und ihres In-Beziehung-Tretens mit einem Leib im Platonismus seit jeher kontrovers diskutiert.230 Als theoretischer Rahmen fungierten zwei Erklärungsmodelle, die sich Platons Dialogen Phaidros (248a–249d) und Timaios entnehmen ließen: Während ersterer Dialog eine Art „Verschuldungs-Modell“ nahelegt, nach welchem eine jeweilige Seele aus eigenem Unvermögen gleichsam in die Sphäre des Werdens hinabfalle, findet sich in letzterem Dialog ein „Notwendigkeits-Modell“, in welchem die Seele vom Demiurgen bzw. den ihm unterstehenden Göttern – mithin aus Notwendigkeit bzw. göttlichem Willen – in den Kosmos verpflanzt werde, und zwar zum ganz natürlichen Zwecke von dessen Vervollkommnung. Grundsätzlich war Plotin um Harmonisierung dieser beiden Modelle bemüht, wobei sich aus seinen diesbezüglich relevanten Schriften (d. i. vor allem: IV 8, IV 3 u. I 1) nicht immer ein klares bzw. einheitliches Bild ergibt.231 Grundsätzlich fällt die Seele – zunächst im Sinne der Hypostase als solcher, dann im Sinne der Weltseele232 – aus der hierarchischabsteigend sich entfaltenden Genese der Hypostasenordnungen und im Sinne von Plotins Ursachenlehre, der zufolge eine jede Hypostase aus Notwendigkeit eine ihr gegenüber schwächere Wesenheit hervorbringt, die sich in ihrer Rückwendung auf ihre Ursache als dieser ähnlich formt, keineswegs heraus. Was nun im Speziellen die Menschenseele anlangt, so wird der Impuls für ihren Abstieg von Plotin allerdings verschiedentlich in recht pejorativen Termini beschrieben. Das im Timaios vorgebrachte Erklärungsmodell grundsätzlich ernstnehmend (vgl. IV 8, 5), spricht er dennoch von einer „zweifachen Schuld“ (IV 8, 5, 16: διττὴ ἁμαρτία) der Individualseele, nämlich der „Schuld des Hinabsteigens“ sowie den „bösen Taten hier unten“. Auch zu Beginn von IV 3, 12 wird das Schuldhafte, namentlich ein „narzisstisches Element“, als Impuls zum Abstieg der Seele hervorgehoben; und in V 1, 1, 3–5 wird die Frage nach dem Ursprung der Geist- und Selbstvergessenheit der Seelen folgendermaßen beantwortet: „der Ursprung des Übels (ἀρχὴ τοῦ κακοῦ) war ihr Fürwitz (τόλμα), das Eingehen ins Werden, die erste Andersheit, auch der Wille sich selbst zu gehören“. Die Konzepte von τόλμα (Fürwitz, Übermut, Dreistigkeit) und Für-sich-selbst-sein-Wollen implizieren wiederum  Zum folgenden ausführlich: Finamore 1985, 91–114.  Vgl. Wallis 1972, 77–79; Finamore 1985, 92–94.  Zur Differenzierung zwischen der Seele als (a) Hypostase, (b) kosmischer Seele und (c) den Einzelseelen, vgl. Blumenthal 1971.

3.1 Aufwertung von Körperlichkeit und Materie bei Iamblichos

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eine Art Selbstverschuldung der Seele und in III 8, 8, 32–36 macht Plotin ganz deutlich, dass es besser gewesen wäre, wenn es diesen Fürwitz nie gegeben hätte. Noch in Plotins letzter Schrift, Enn. I 7, wird eine sehr negative Sicht auf die Verkörperung vermittelt. Sie schließt mit den Worten: „Vielleicht kann man auch sagen, daß das Leben im Leibe an und für sich ein Übel (κακὸν παρ᾽ αὑτῆς) ist, daß aber die Seele vermöge der Tugend ins Gute eintritt, da sie dann nicht ein Leben der Vereinigung [von Körper und Seele] führt, sondern schon dazu übergeht, sich [vom Körper] abzutrennen (χωρίζουσαν)“ (I 7, 3, 19–22; Übers. Harder). Das einzig Positive des irdischen Lebens liege demnach in der Möglichkeit der Seele, sich vom Leib möglichst abzusondern. Freilich liegt besagte „Schuld“ (ἁμαρτία) der Seele nicht darin, dass ihr eine „böse Absicht“ zuzuschreiben wäre, sondern in der Möglichkeit des Sich-Verlierens im ontologisch Niedrigeren. Dieses Spezifikum des Verhältnisses zwischen Seele und Materie innerhalb der Manifestationskette wurde von Ch. Schäfer sehr treffend zusammengefasst: Erst bei der Materieformung durch die Seele kann es also dazu kommen, daß gegen eine wichtige Grundregel der Derivation vom Einen her verstoßen wird: Die Regel der Angleichung des Unteren, Hervorgebrachten, an das Obere, Hervorbringende. Das von der Seele geschaffene Materielle kommt der Seele nämlich nicht nur nicht gleich, sondern wirkt auf die schwächeren Vermögen der Einzelseele derart, daß nun eine Perversion der intendierten Weise von ontologischer Weitergabe zustandekommt: Nicht mehr das Niedrigere gleicht sich dem Oberen an, sondern die Seele sozusagen dem ihr Untergeordneten, in das sie sich ‚verliert‘ oder in das sie ‚versinkt‘.233

Die Seele „aktiviert“ in ihrer Weitergabe des Seins gleichsam die als solche reine Potentialität der Materie und aus diesem Zusammenspiel entsteht das Böse. Dieser Vorgang ist es, der von Plotin auch als „Seelen-Fall“ (πτῶμα τῆς ψυχῆς, vgl. I 8, 14) bezeichnet wird, eine ungebührliche Hinneigung zur Materie, die einer „Schwäche“ der Seele geschuldet sei. Wohlgemerkt bleibt diese (durchaus an Platon angelehnte) Rede vom „Fall“ der Seele stets auf die Einzelseele beschränkt, und darf keineswegs – wie etwa bei den Gnostikern – auch auf die Weltseele bezogen werden. Wie auch immer – das mindeste, was in Plotins Beschreibungen von Seelenabstieg und Verkörperung auffällt, besteht in den Umstand, „daß das Vokabular, das den Abstieg beschreibt [...], dem intendierten Ergebnis einer lichtvollen und harmonischstabilen Wirklichkeit merkwürdig entgegengesetzt bleibt“.234

 Schäfer 2002, 160 f.  Schäfer 2002, 87. Die Chaldäischen Orakel kennen übrigens ebenfalls die Vorstellung des Seelen-Falls und vermitteln ein ähnlich negatives Bild von der Berührung der Seele mit der Materie. Vgl. Geudtner 1971, 7–15, 24–34.

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Eine andere Auffassung wird in Enn. I 1 (vgl. auch VI 4, 15–16) formuliert, wonach auch die Einzelseele eigentlich nicht absteige (und sich somit auch nicht wirklich verkörpere), sondern lediglich vermittels eines „Abbilds“ (εἴδωλον) den Körper belebe. Dort wird der „Abstieg“ – in einem ethisch neutralen Sinne – als bloße Präsenz des εἴδωλον im Körper gefasst. Das „Sich-neigen“ (νεύειν) der Seele entspreche dabei dem „Beleuchten“ des Körpers: „sie steigt hinab, indem bei ihrem Hinabwenden ein anderes Wesen aus ihr entsteht, welches hinabsteigt“; insofern nun das „Hinabwenden ein Hineinleuchten in das Niedere ist, ist es nicht Verfehlung (ἡ νεῦσις ἔλλαμψις πρὸς τὸ κάτω, οὐχ ἁμαρτία) [...]. Die Ausdrücke ‚Hinabsteigen‘ (καταβαίνειν) und ‚Sichhinabwenden‘ (νεύειν) braucht man also nur in dem Sinne von ihr, daß das von ihr Eingestrahlte ihr Leben mitlebt“ (I 1, 12, 22–28; Übers. Harder). Dem Körper immanent sei demzufolge nur dieses Licht als „Spur“ (ἴχνος) der Seele, diese selbst werde von den Körperfunktionen nicht affiziert.235 Die Frage einer möglichen  Vgl. Steel 1978, 63. An dieser Stelle stellt sich das Problem der Interaktion von Seele und Körper. Es gibt eine längere hierauf reagierende Forschungsdebatte über die Frage, ob Plotin als „erster Cartesianer“ anzusehen sei. Insbesondere von E. Emilsson (1988 u. 1991) und J. Dillon (1990) wurde eine derartige These aufgestellt und von D. L. Ross (2000) schließlich zu widerlegen versucht. Die Argumente für ein cartesianisch-dualistisches Plotin-Bild wurden folgendermaßen zusammengefasst: „(1) Soul and body are distinct for Plotinus because the defining characteristic of body is extension, which means that bodies are divisible. But soul is always one, even when it is present to bodies. Therefore soul is not divisible and is thus distinct from body [außerdem gemahnt Plotins Definition an Descartes res cogitans und res extensa]. (2) Plotinus’ struggles with the phenomenon of sense perception (especially in III 6 [26] 1–5 and IV 4 [28] 23) indicate that he is wrestling with the problem of how soul and body interact. This suggests that he saw them as different types of thing. (3) Plotinus distinguishes between a higher soul, which exists at the level of nous, and a lower soul, which is immanent in the body. Thinking is characteristic of the former, and thinking does not involve the body“ (Ross 2000, 160). In Anknüpfung an Ross’ Argumente lässt sich präzisieren, in welchen zentralen Aspekten Plotin sich von jedem neuzeitlichen Dualismus à la Descartes, demzufolge die Wirklichkeit in zwei Substanzen, res cogitans und res extensa zerfalle, die sich nicht überlappen und zwischen denen keinerlei gemeinsamer Nenner besteht, unterscheidet: (a) Die traditionelle antike Anthropologie bewegt sich nicht im Rahmen einer Zweiteilung (Bewusstsein und Körper), sondern einer Dreiteilung (Geist, Seele, Körper). (b) Die neuplatonische Auffassung der Gesamtwirklichkeit ist die einer ewig bestehenden, dynamischen Kontinuität von Seinsdimensionen, die vom Einen als überseiendem Prinzip bis hin zur Materie reicht. Was Plotin Natur (φύσις) nennt, ist nichts anderes als Seele (vgl. III 8, 4, 15 f.), genauer: die niedrigen Seelenvermögen; und noch die Materie wird als letzter Ausfluss des Einen gefasst. (c) Zwischen den sogenannten Hypostasen besteht eine Grundkontinuität, die jedes Produkt der jeweils nächsthöheren Hypostase als Abbild derselben ausweist. Eingedenk der inneren Ambivalenz des plotinischen Bildbegriffs (Ähnlichkeit im Medium der Unähnlichkeit) lässt sich das Verhältnis zwischen einer Ursache und ihrem Produkt stets unter Fokus auf den Aspekt der Ähnlichkeit oder auf jenen der Unähnlichkeit beschreiben. Eine dualistische Deutung neigt dazu, das Moment der Unähnlichkeit einseitig zu akzentuieren. Doch stellt dieses Moment die Grundkontinuität theoretisch keineswegs in Frage. (d) Die Interaktion zwischen Seele und Leib schien

3.1 Aufwertung von Körperlichkeit und Materie bei Iamblichos

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„Schuld“ der Seele für ihren „Abstieg“ erübrigt sich in dieser Erklärung gleichsam wie von selbst – zum Preis dessen allerdings, dass die Nicht-Kontamination der Seele durch etwaige körperliche Einflüsse die Fremdheit zwischen Seele und Leib nur umso drastischer vor Augen stellt.236 In jedem Falle ist eines nicht zu leugnen: Es finden sich bei Plotin (wie im Übrigen schon bei Platon)237 anti-körperliche Affekte, die – sich in einer gewissen anti-körperlichen Rhetorik äußernd – eine dualistische Lesart bestärken können. Neben den schon angeführten Stellen ist hier z. B. der Beginn von Enn. IV 8, 1, 1–10 zu nennen, wo Plotin es gewissermaßen als Skandal empfindet, überhaupt in einen Leib geraten zu sein, oder I 6, 5, wo der Seele alle Hässlichkeit aufgrund ihrer Verbindung zum Leib zukomme.238 Plotins Formeln des ἄφελε πάντα (V 3, 17, 38) und φυγὴ μόνου πρὸς μόνον (VI 9, 11, 51) zielen letztlich auf ein gänzliches Hinter-sich-Lassen alles Irdischen, Bedingten ab. Zudem ist bezeichnend, dass er in seiner anti-gnostischen Polemik (Enn. II 9) – in der, verglichen mit anderen Schriften, eigentlich ein sehr positives Bild von der propädeutischen Funktion der Betrachtung des Kosmos geliefert wird239 – in der Rekapitulation dessen, was die Gnostiker „Richtiges lehren“, neben der Unsterblichkeit der Seele, der intelligiblen Welt und dem ersten Gott ausgerechnet folgendes nennt: „daß die Seele den Neuplatonikern in der Tat problematischer zu sein als Platon. Für Plotin kann – wie oben erwähnt – die Seele als immaterielle Substanz keineswegs direkt mit Körperlichem in Kontakt treten. Nichtsdestotrotz nimmt er an, dass im Wahrnehmungsvorgang die Sinnesorgane als Vermittlung zwischen Seele und wahrgenommenem Objekt fungieren (IV 4, 23). Selbst wenn er die Seele streng genommen als ἀπαθής begreift, hegt er keinen Zweifel daran, dass sie ein Bewusstsein von den über die Sinnesorgane vermittelten Wahrnehmungsvorgängen besitzt. Dass Plotin hinsichtlich des „Wie“ seiner Sinnenwahrnehmungslehre im Kern kaum über Platon hinausgeht, mag mit philosophischen Argumenten problematisiert oder kritisiert werden; für eine dualistische Haltung im Sinne Descartes spricht es nicht, denn entscheidend bleibt: das „Dass“, also das schlichte Faktum, dass Seele und Sinnesorgane irgendwie – und funktional erfolgreich – miteinander agieren, ist ihm als solches nicht fragwürdig. Ross’ Argumente gegen die dualistische Lesart vermögen im Großen und Ganzen und auf rein doktrinaler Ebene – zumal als Unterscheidungskriterium gegenüber Descartes – zu überzeugen. Das letzte Wort zum Problem des Dualismus bei Plotin ist damit aber nicht gesprochen.  Auch für Porphyrios (Sent. IV) ist die Seele im Körper lediglich im Sinne der Projektion einer gewissen „Kraft“ (δύναμις bzw. ἐνέργεια) präsent (πάρεστι), keinesfalls qua ihres Wesens.  Vgl. dessen Rede vom Leib als „Grab der Seele“ (Gorg. 493a2–3; Krat. 400b), die empfohlene Flucht vom Werden zum Sein (Tht. 176a–b) oder die Aufforderung zur Trennung der Seele vom Leib (Phd. 67c–d) etc. Zur Zweideutigkeit von Platons Verhältnis zu Körper und Sinnenwelt vgl. Dillon 1995a.  Bezeichnend ist ferner der berühmte erste Satz von Porphyrios’ Vita Plotini, dem zufolge der Philosoph sich nachgerade schämte, in einem Leib zu wohnen.  Dazu ausführlich: Herkert 2020a. Zur Spannung zwischen Enn. II 9 und I 8 vgl. Schäfer 2002, 170–193.

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den Verkehr mit dem Leibe meiden soll, die Abtrennung vom Leibe, daß man aus dem Reich des Werdens ins Sein fliehen soll“ (II 9, 6, 39–41; Übers. Harder).240 Demnach ist es weniger der anti-körperliche Affekt der Gnostiker, den Plotin kritisiert, sondern vielmehr die unstatthafte Ausdehnung desselben vom Menschenwesen hin zum Kosmos. Anders formuliert, schließen die Gnostiker für Plotin von der spezifischen Lage der verkörperten Menschenseele fälschlicherweise auf die kosmische Seele bzw. schreiben dieser Probleme zu, die eigentlich nur die Menschenseelen betreffen – so als entspräche die κοινωνία zwischen Weltseele und Weltkörper genau jener von Menschenseele und Menschenkörper.241 Die ausschlaggebende Frage lautet hier, welchen Stellenwert bzw. welche Tragweite man derartigen Aussagen zumisst. Denn möglicherweise handelt es sich dabei um Affekte, deren Implikationen streng genommen mit Plotins metaphysischer Doktrin nur schwer in Einklang zu bringen sind. Nichtsdestoweniger sind sie von einiger praktischer Tragweite. In jedem Falle hängt die jeweils positive oder negative Akzentuierung bedingter Realitäten (wie Seele, Sinnenwelt, Materie etc.) sehr stark vom jeweiligen Kontext ab.242 Da die antiken Schriften in einem spezifischen Lehrkontext stehen und in ihrer jeweiligen Adressatengebundenheit zu nehmen sind, handelt es sich selbst im Falle von Aussagen, die man aus heutiger Sicht als streng doktrinale Darstellungen nimmt, nicht um absolute Aussagesätze. Im Grunde müsste man  Entsprechend Porphyrios: omne corpus esse fugiendum (bei Augustinus, De civ. X 29). Weitere Belege für Porphyrios’ „körperfeindliche Haltung“ bei Nasemann 1991, 210 f.  Es waren diese anti-körperlichen Affekte, die einst H. Jonas zu seiner These der inneren Verwandtschaft von Neuplatonismus und Gnosis anregten. Ihm zufolge sei der Neuplatonismus „die philosophische Haltung zum selben Tatbestand, auf den die Gnosis zunächst mythologisch reagiert hatte“ (Jonas 1993, 263), namentlich auf ein existenzielles Grundgefühl der Weltangst, Weltflucht, Weltverneinung. Dieser aus der geschichtlichen Situation der Spätantike heraus gewonnene gemeinsame Grund war es, der Jonas interessierte, nicht der faktische Einfluss gnostischer Texte auf Plotin. Die Ebene des rein Textlichen wird von ihm auf einen ihr zugrundeliegenden „existenziellen Grund“ hin zu überschreiten versucht; die Aufspürung von Kausalitätsbeziehungen innerhalb der „stofflich identifizierbaren τόποι in der literarischen Äußerungsschicht eines geschichtlichen Daseins“ zurückgestellt zugunsten eines versuchten „Rückgang[s] auf unterliegende Realfaktoren solchen ideellen Geschehens“ (Jonas ²1954, 10). Einen ähnlichen Zugang pflegt Dodds 1992 in seiner kulturpsychologischen Interpretation des geistigen Klimas der ersten nachchristlichen Jahrhunderte, in welcher er z. B. die Überzeugung vom Illusionscharakter der Sinnenwelt und andere Auswüchse spätantiker Weltverachtung und Askese als Produkte eines allgemeinen Klimas der Angst deutet.  Zum Problem von Plotins rhetorischer Überzeichnung des negativen Charakters der Materie vgl. Nasemann 1991, 243 f. mit Literaturangaben in Fn. 51; Schäfer 2002, 156 f. Man beachte auch die Bemerkung bei Opsomer 2001, 159: „Plotinus seems to get away with a paradoxical combination of dualistic and monistic ideas. [...] Plotinus desperately wants to be a monist, yet by making all evils dependent on one principle, whose nature and effects are the complete opposite of those of the supreme principle, he cannot escape sounding like a dualist.“

3.1 Aufwertung von Körperlichkeit und Materie bei Iamblichos

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gerade im Zusammenhang des Dualismus-Problems diese Einsicht stärker fruchtbar machen und ggf. die entsprechenden dualistisch anmutenden Passagen auf ihre Lehrstrategie hin befragen. Zuvörderst gilt es zu unterscheiden, ob der Manifestationsvorgang „von oben“, d. h. von seiner Entfaltung aus dem Prinzip her in den Blick genommen wird – denn aus dieser Perspektive wird zumeist der Fokus auf die bruchlose Kontinuität und Vollkommenheit (bzw. Best-möglichkeit, weil Notwendigkeit) der manifestierten Welt gelegt –, oder ob, von der conditio humana her gedacht, die Aufgabe des „Wiederaufstiegs“ der Seele thematisiert wird; denn hier – d. h. vom Standpunkt der praktischen Verwirklichung aus betrachtet – werden natürlicherweise eher Hindernisse und Ambivalenzen der Verkörperung in den Vordergrund gestellt.243 Ohne diese Probleme hier im Einzelnen lösen zu wollen, ging es uns lediglich um die Verdeutlichung folgender Aspekte: Zweifellos ist bei Plotin eine Grundtendenz auszumachen, Materie und Körperlichkeit sehr negativ zu besetzen, den verkörperten Zustand der Seele als beklagenswert zu betrachten und den eigentlichen Menschen mit der Vernunftseele zu identifizieren.244 Dieser Grundtendenz verschwistert ist eine andere, nämlich ein Denken in dualistischen Strukturen (mögen diese das Verhältnis von Seele und Körper oder das Problem der Materie betreffen). Ob diese Tendenzen ausdrücklich den Sachgehalt von Plotins Metaphysik widerspiegeln, ob sie eher implizit seiner Verfahrensweise zugrunde liegen oder vorrangig schlicht seinen persönlichen Affekten geschuldet waren, bleibt im Kontext vorliegender Untersuchung von nachrangiger Bedeutung: Entscheidend ist, dass diese Tendenzen kaum einem Leser von Plotins Schriften verborgen geblieben sind und bereits in der Antike – z. B. von Plotins Nachfolgern – wahrgenommen wurden.

3.1.2 Charakteristika von Iamblichos’ Position Im Folgenden seien also die Charakteristika von Iamblichos’ Position anhand der vier obengenannten Punkte etwas genauer betrachtet. Ein besonderes Augenmerk ist darauf zu legen, wie die in ihnen sich aussprechende Tendenz zur Aufwertung der Körperlichkeit mit Iamblichos’ Begründung theurgischer Riten zusammenhängt.

 Vgl. Nasemann 1991, 244.  Vgl. Plotin, IV 7, 1, 22–25, wo das Eigentliche als das Selbst im Menschen bestimmt wird (τὸ κυριώτατον καὶ αὐτὸς ὁ ἄνθρωπος); oder I 1, 7, 17 ff., wo der „wahre Mensch“ (ὁ ἀληθὴς ἄνθρωπος) mit der rationalen Seele identifiziert wird (ebenso I 1, 10, 1, 7 u. 15). Vgl. ferner Porphyrios, De abst. I 29, 4; Ad Marc. VIII 110,3–7, X 111,5–8.

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3.1.2.1 Der Mensch als συναμφότερον und die Begründung materieller Opfer Zweifellos ist auch Iamblichos nicht frei von anti-körperlichen Einstellungen. In De mysteriis III 20, 148,9–149,3 schreibt er: For the human soul is held fast by a single form, and is obscured by the body on every side; and this condition, whether it be called the river of Forgetfulness or the water of Lethe, or ‚ignorance‘ or ‚madness‘ or ‚bondage through excessive emotions‘ or ‚deficiency of life,‘ or any other evil thing one might name, one would still not find the right word for its strangeness. How, then, when detained in such a prison (εἱργμοῦ), the soul should ever become adequate for such an activity can in no way reasonably be accounted for.245

Er spielt hier der Sache nach auf Platons Formel vom Leib als „Grab (σῆμα) der Seele“ (vgl. Gorg. 493a; Krat. 400b) bzw. auf die im Phaidon (62b3) getätigte Aussage, die (verkörperten) Menschen befänden sich „in einer Art Gefängnis (ὡς ἔν τινι φρουρᾷ)“, an; in diesem Sinne erscheint die Verkörperung als ein in vieler Hinsicht unerfreulicher Vorgang. So wird nicht verwundern, dass in De mysteriis die „Ablösung“ (ἀπόλυσις/ἀπαλλαγή) der Seele vom Körper sogar mehrfach als Ziel der Theurgie genannt wird (vgl. I 11–12, V 12; X 7). Berücksichtigt man jedoch das Gesamtgepräge von Iamblichos’ Denken, so lässt sich gegenüber Plotin und Porphyrios eine gewisse Aufwertung des Leibes und eine nachsichtigere Haltung gegenüber der menschlichen Grundsituation feststellen. Bereits zu Beginn von Buch V, das gänzlich den Opferhandlungen gewidmet ist, unterstreicht Iamblichos, dass das im Folgenden verhandelte Thema „für alle Menschen von Belang ist“ (V 1, 199,5–7: πάντων ἀνθρώπων ... κοινόν ἐστι ζήτημα). Zwar hält er am Primärziel der Theurgie – dem „Aufstieg zum Einen“ – grundsätzlich fest, doch nicht ohne den Hinweis, dass dieser „erst in einer sehr späten Phase und nur sehr wenigen Einzelnen“ zuteil werde. Deshalb bemäßen sich seine gegenwärtigen Ausführungen auch nicht an derlei Ausnahmen, sondern an der Lage der gewöhnlichen Menschen (vgl. V 22, 230,12–231,4). Iamblichos’ Begründung materieller Opfer wird von zwei Seiten her geführt: Einerseits liefert er eine theologische Begründung, die von der Unterscheidung zwischen materiellen (enkosmischen) und immateriellen Göttern ausgeht, die in der ihnen jeweils angemessenen Form zu verehren seien (V 14 u. 19). Während im Falle der immateriellen Götter materielle Opfergaben unangemessen seien, seien sie den materiellen Göttern angemessen. Die Theurgie, so Iamblichos, müsse aber allen Göttern gerecht werden, sei die Wirksamkeit eines Ritus doch genau hiervon abhängig. Da das Götterpantheon letztlich eine harmonische Ganzheit bilde,

 Vgl. zur negativen Auffassung der Körperlichkeit außerdem De myst. III 28, 168,4–6; IV 8, 192,3–5; VI 4, 245,2–4.

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any elements omitted, even minor ones, can subvert the whole performance of cult, even as in the playing of a musical scale the breaking of a single string destroys the harmony and symmetry of the whole [...] He who leaves any [divine being] without its share of honour subverts the whole, and wrenches asunder the unity of the total system; it is not a case, as one might think, of providing an imperfect reception, but of the absolute subversion of the whole rite. (V 21, 230,3–11)

Komplementär hierzu verhält sich Iamblichos’ anthropologische Begründung: Entgegen seinen Vorgängern unterstreicht er in De myst. V 15–17, dass der Mensch – als ein aus Seele und Leib bestehendes Wesen – auch in ritueller Hinsicht beiden Dimensionen stärker Rechnung zu tragen habe, was u. a. die Rehabilitierung materieller Opfer impliziert. Zunächst unterscheidet Iamblichos dort zwei menschliche Zustände, nämlich den, in welchem die Seele gänzlich vom Körper getrennt sei und jenen, in dem sie mit Körper und Materie verbunden sei. Dem entsprächen zwei Typen von Götterverehrung bzw. von Opfern: einerseits von Menschen, die bereits gänzlich gereinigt, andererseits von Menschen, die im körperlichen Leben befangen seien: Ein jeder müsse die Riten vollziehen, die seiner eigenen Natur gemäß seien; die jeweilige conditio humana, das einem jeden innewohnende menschliche Maß (τὸ οἰκεῖον μέτρον), sei zu wahren und könne keineswegs übersprungen werden. Dass Iamblichos überhaupt von ersterer Menschenkategorie, d. h. den ganz und gar Reinen, spricht, zeigt, dass materielle Opfer für ihn keine prinzipielle Notwendigkeit darstellen. Aufgrund des Ausnahmecharakters derartiger Menschen werden materielle Opfer indessen für die überwiegende Mehrzahl der Sterblichen zu einer faktischen Notwendigkeit. Allein der vollendete Theurg, der die Schranken der Körperlichkeit und Materie überwunden habe, vermöge auf die materiellen Elemente im Ritus zu verzichten. Keineswegs gelte dies jedoch für den Anfänger in der Theurgie oder auch nur für jenen mit ihr bereits Vertrauten, der allerdings noch nicht am Ziel angelangt sei (vgl. V 20). Entsprechend folgt auf die in V 15 getroffene Zweiteilung eine Dreiteilung von Menschenklassen in V 18, namentlich in (a) diejenigen Menschen, die gänzlich der Natur unterworfen seien (d. i. die Masse der Menschen), (b) jene, die ihr Leben „allein gemäß dem Geist“ (V 18, 225,1: κατὰ νοῦν μόνον) führten, schließlich (c) jene, die in der Mitte anzusiedeln seien und sowohl am Geist wie auch an der Natur teilhätten. Wer mit letzteren konkret gemeint ist, wird nicht ausdrücklich gesagt. Während die Herausgeber der englischen Neuedition von De mysteriis (2003) die Zwischenklasse auf „non-theurgic philosophers as Porphyry“246 zu beziehen scheinen, ist es m. E. eher plausibel, sie – zumindest auch – auf jene theurgischen Philosophen

 Clarke/Dillon/Hershbell 2003, 257 Anm. 326.

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zu beziehen, die noch nicht am Ziel ihres Weges angelangt sind und die in V 20 erwähnt werden.247 Man hat verschiedentlich danach gefragt, wie Iamblichos’ – im Vergleich zu seinen Vorgängern stärker akzentuierte – Konzessionen an die gewöhnliche Seinsweise des Menschen, seine „Aufmerksamkeit für die Situation der πολλοί – für einen Neuplatoniker ungewöhnlich“,248 motiviert waren. Wohl war dies bis zu einem gewissen Grade dem Primärziel von De mysteriis, der umfassenden Rehabilitierung paganer Kulte, die nun einmal Praktiken wie materielle Opfergaben mitumfassten, geschuldet. Trotzdem ist B. Nasemann zuzustimmen, wenn sie unterstreicht: Die Bedeutung, die Jamblich in De myst. implizit der körperlichen Existenz des Menschen zubilligt, stellt aber nicht nur eine äußerliche Konzession an ein größeres Publikum dar, sondern in ihr deutet sich auch eine Veränderung im Bild des Menschen an, der wieder stärker als das συναμφότερον aus Seele und Körper gesehen wird. [...] Der Körper erscheint hier nicht als Hindernis, sondern als Werkzeug für die Seele.249

Während für Plotin und Porphyrios die Antwort auf die Frage „Was ist der Mensch?“ wohl recht eindeutig im Sinne des „inneren Menschen“ bzw. der rationalen Seele ausfallen würde,250 tendiert Iamblichos stärker zur συναμφότερονVorstellung. Zwar verwendet auch Plotin im Kontext der Bestimmung des „Lebewesens“ den Terminus συναμφότερον (Enn. I 8, 7, 1) – entscheidend bleibt bei ihm jedoch der Fokus auf den „wahren“ bzw. „inneren Menschen“ (ὁ ἀληθὴς/ ἔνδος ἄνθρωπος) sowie der Sachverhalt, dass beim Menschen streng genommen von keiner Zusammensetzung zwischen Körper und Seele als solcher, sondern lediglich zwischen Körper und dem von der Seele ausstrahlenden Licht (der oben genannten „Spur“ der Seele, auch als ihr εἴδωλον bezeichnet),251 gesprochen werden kann. Im Grunde – oder genauer: in ihrem Grunde – ist die Seele für Plotin nicht nur nicht von dieser Welt, sondern auch nicht in dieser Welt. Und während Plotin sehr stark die Zweideutigkeit des „wir“ (ἡμεῖς) betont, das im weiteren Sinne die Verbindung von Seele und Körper, im engeren Sinne aber allein die Vernunftseele, bezeichnet (vgl. I 1, 10), pocht Iamblichos auf die Verortung von „uns“, d. h. des Menschen, im Kosmos:

 Mit Addey 2014, 196 f., ist zu betonen, dass die den drei Menschenklassen entsprechenden Praktiken allesamt als rituelle Handlungen zu betrachten sind, selbst wenn diese bei den vollendeten Theurgen ggf. verinnerlicht sind.  Nasemann 1991, 211.  Nasemann 1991, 212.  Vgl. oben Fn. 244.  Vgl. Enn. I 1, 7–8; VI 4, 15–16.

3.1 Aufwertung von Körperlichkeit und Materie bei Iamblichos

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For if, in fact, we are ourselves indigenous to the cosmos and are comprehended within it as parts of a whole, and owe our existence in the first instance to it, and are brought to completion by the totality of the forces in it, and are put together out of the elements within it, and receive from it whatever share of life and nature we possess, these constitute reasons why we should not reckon on going beyond the cosmos and the dispositions proper to it. (V 20, 227,5–10)

Gerade in dieser Passage ist bemerkenswert, wie die menschliche Grundsituation unmissverständlich als enkosmisch bestimmt wird. Iamblichos’ Verständnis für den verkörperten Zustand des Menschen schlägt sich auch in einem eher integrativen Zugang zu den „Leidenschaften“ (παθήματα) nieder. Zwar wird in I 11, 39,3–5 ein sehr negatives Bild von der Materie gezeichnet und als Ziel der Riten die „Befreiung aus den Banden des Werdens“ (40,8 f.: λύσεώς τε ἀπὸ τῶν δεσμῶν ἀπαλλαγῆς) angegeben: Die Verstrickung in menschlichen Leidenschaften gehe mit einer „Abwendung (ἀποστροφή) von den Göttern“ einher; das Wirken der Götter „befreit uns von Leidenschaften und Unruhen“ (ἀφίστησι τῆς ἐμπαθοῦς καὶ ταραχώδους) (I 13, 43,10 f.). Entscheidend bleibt jedoch, dass dies nicht durch Unterdrückung der Leidenschaften, sondern durch deren Läuterung (κάθαρσις) erfolgen soll. Denn die Unterdrückung der Leidenschaften, so Iamblichos, mache diese nur stärker (I 11, 39,11–40,6).252 Man kann also die in I 11 formulierte Vorstellung von der Theurgie unter dem Gesichtspunkt der Transformation, und d. h. letztlich Inklusion, menschlicher Leidenschaften betrachten. Und wenn die Götter den Theurgen gewähren, „sich noch im verkörperten Zustand von ihren Körpern zu lösen“ (I 12, 41,6 f.: ἐν σώματι οὔσας ἀφίστασθαι τῶν σωμάτων),253 so schließt diese „Ablösung“ eine positive Integration – wenn man so will: „Aufhebung“ – der Affekte nicht aus. In diesem Zusammenhang muss man sich klarmachen, wie Iamblichos die παθήματα ontologisch näher bestimmt. In IV 9, 192,14–193,6 schreibt er dazu: For instance, friendship and love and strife, which operate as activities (ἐνέργειαι) at the level of the universe, become passions (παθήματα) at the level of the individuals which par-

 Zum aristotelischen Hintergrund vgl. Clarke 2001, 78.  Vgl. I 12, 41,9–42,4: „It is plain, indeed, from the rites themselves, that what we are speaking of just now is a method of salvation for the soul; for in the contemplation of the ‚blessed visions‘ the soul exchanges one life for another and exerts a different activity, and considers itself then to be no longer human – and quite rightly so: for often, having abandoned its own life, it has gained in exchange the most blessed activity of the gods. If, then, it is purification from passions and freedom from the toils of generation and unification with the divine first principle that the ascent through invocations procures for the priests, how on earth can one attach the notion of passions to this process? For it is not the case that such activity draws down the passionless and pure into proneness to passion and impurity; on the contrary, it renders us, who have come to be subject to passions by reason of birth, pure and immutable.“

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ticipate in them; in the nature of the whole they take a leading role among the forms and pure reason-principles, whereas at the level of partial entities they contract a share of the indigence and deformity of matter; whereas they are united with each other in the whole, at the level of the parts they result in conflict. And so it is that, in all cases, those partial entities involved with matter, which participate in them, deviate from the beauty and perfection of the whole.

Demzufolge handelt es sich bei den παθήματα, die den Menschen anfallen, um individualisierte ἐνέργειαι, die qua ihrer Individuation in verschiedenen Wesen gerne in Konflikt zueinander geraten. Der destruktive Charakter dieser παθήματα sei dem Umstand geschuldet, dass sie mit der Materie in Berührung gekommen seien. Auch wenn die παθήματα hier in ihrem gewöhnlichen Zustand zweifellos negativ konnotiert bleiben,254 ist doch festzuhalten, dass Iamblichos ein πάθημα grundsätzlich als ontologisch depravierte ἐνέργεια zu denken versucht. Auch hieran ließen sich gewisse Implikationen für den Prozess der „Läuterung“ (κάθαρσις) der παθήματα anknüpfen – dieser kann in nichts anderem bestehen als in ihrer Rückführung durch dasjenige und zu demjenigen, was sie auf höherer ontologischer Ebene selbst je schon sind: göttliche ἐνέργειαι. Wie diese Integration näherhin auszusehen hat, wird gegen Ende des folgenden Paragraphen deutlicher werden. 3.1.2.2 Problem der Verkörperung Plotins Darstellung der Verkörperung der Einzelseele wurde oben unter Fokus auf ihre körperfeindlichen Momente diskutiert. Nun beschreibt auch Iamblichos die Verbindung der Einzelseele mit einem grobstofflichen Körper teils in sehr negativ anmutenden Termini: So bewirke diese Verbindung eine „Schwere“ (βαρύτης) und „Verschmutzung“ (μιασμός), „Begehrlichkeit“ (ἡδυπάθεια) und „viele andere Krankheiten“ (ἄλλα πολλὰ νοσήματα) der Seele (De myst. V 3, 201,1–4) – doch geht es ihm im Kontext dieser Stelle darum, die Vollkommenheit des Verhältnisses zwischen den Göttern und ihren Leibern herauszustellen, weshalb er das Verhältnis von menschlicher Seele und Leib gleichsam als Gegenfolie recht negativ akzentuiert. Fragt man nach Iamblichos’ Position zum Problem der Verkörperung bzw. deren entscheidenden Merkmalen, so lassen diese sich vor allem aus seinen Deanima-Fragmenten erschließen, wo er nicht nur einige Theorien seiner Vorgänger diskutiert, sondern auch seine eigene Ansicht – mehr oder weniger explizit –

 Die Götter, so Iamblichos, verbänden sich mit den gereinigten Menschen, indem sie „jede Sünde und Begierde von ihnen nehmen“ (III 31, 176,5 f.: ἐκκόπτουσί τε ἀπ᾽ ἀυτῶν πᾶσαν κακίαν καὶ πᾶν πάθος). Diese Menschen seien mithin „von den Begierden befreit“ (176,9: παθῶν τε ἀπαλλάττονται). Hier werden die παθήματα doch recht deutlich mit dem Schlechten (κακόν) assoziiert.

3.1 Aufwertung von Körperlichkeit und Materie bei Iamblichos

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darlegt. In einer wichtigen Passage kommt Iamblichos dort auf die Position des Mittelplatonikers Tauros zu sprechen: Taurus and his followers say that the souls are sent to the earth by the gods. Some of them, consistently with the Timaeus, teach that this occurs for the completion of the universe so that there will be just as many living things in the cosmos as there are in the intelligible realm. Others attribute the goal of the descent to the demonstration of divine life (εἰς θείας ζωῆς ἐπίδειξιν). For this is the will of the gods: to show themselves (ἐκφαίνεσθαι) as gods through the souls. For the gods come forth into the open and show themselves (προέρχονται εἰς τοὐμφανές ... καὶ ἐπιδείκνυνται) through the pure and immaculate lives of souls. According to another principle of division, some kinds of descent are thought to be voluntary (when the soul itself either chooses to administer the terrestrial realm or obeys its superiors) and others involuntary (when the soul is forcibly dragged to an inferior existence). (De an. § 27, 378,20–379,30; Übers. Finamore/Dillon)

Wie J. F. Finamore zurecht betont hat, legt der erste Abschnitt nahe, dass Iamblichos hier seine eigene Auffassung wiedergibt, insofern er nach der – auf Tauros bezogenen – indirekten Rede in den Indikativ umschwenkt.255 Dass die Götter sich vermittels der reinen Seelen offenbaren – dies scheint Iamblichos’ Position zu bezeichnen. In diesem Sinne fungieren die reinen Menschenseelen gleichsam als Rezeptakel der Verkörperung göttlichen Lebens. Was es mit diesen reinen Seelen auf sich hat, lässt sich einer anderen Passage entnehmen, in der drei verschiedene Gründe für die Verkörperung der Seele angeführt werden (und damit das im zweiten Abschnitt der gerade zitierten Stelle Angesprochene wieder aufgreift und präzisiert): I actually think that the purposes for which souls descend are different and that they thereby also cause differences in the manner of the descent. For the soul that descends for the salvation, purification, and perfection of this realm is immaculate in its descent. The soul, on the other hand, that directs itself about bodies for the exercise and correction of its own character is not entirely free of passions and was not sent away free in itself. The soul that comes down here for punishment and judgment seems somehow to be dragged and forced. – especially Cronius, Numenius, Harpocration and their school – do not make these distinctions, but, lacking a criterion of differentiation, they conflate the embodiments of all souls into one single kind and maintain that all embodiments are evil. (De an. § 29, 380,18–28; Übers. Finamore/Dillon)

Die Kronios, Numenios und Harpokration (alle 2. Jh. n. Chr.) zugesprochene These, Verkörperung sei in jedem Falle als etwas Schlechtes anzusehen, wird von Iamblichos ausdrücklich zurückgewiesen. Demgegenüber unterscheidet er drei Arten von Verkörperungen, deren Grund und Verlauf (d. h. freiwillig oder unfreiwillig vollzogen) jeweils unterschiedlich sind: (1) reine Seelen, die freiwillig zur Vervollkomm Vgl. Finamore 1985, 99 f.

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nung der kosmischen Sphäre – also um anderen zu helfen – herabstiegen;256 (2) nicht völlig reine, aber gleichwohl auf einem guten Weg befindliche Seelen, die – ebenso freiwillig – um ihrer eigenen Verbesserung willen abstiegen; (3) schließlich sündhafte Seelen, die – unfreiwillig – zur Bestrafung absteigen müssten. Die Verkörperung der Seele ist als solches mithin kein Übel, sondern eine Bestätigung der natürlichen Ordnung. Die beiden ersten Kategorien von Seelen vollziehen den Abstieg freiwillig, die erstere in dem Bewusstsein, dass sie dadurch nicht vermindert oder befleckt werde, die zweite im Bewusstsein, dass es ihrem eigenen Wohlergehen diene (es handelt sich hierbei um die zuvor in § 27 angeführten Arten von Seelen, die sich dafür entscheiden, „entweder der irdischen Sphäre beizustehen oder den ihr vorgeordneten Wesenheiten [d. h. ihren göttlichen Führern] zu gehorchen“). Lediglich die dritte Kategorie, jene der Sünder, muss zur Wiederverkörperung gezwungen werden. Bereits zuvor hatte Iamblichos eine doxographische Skizze zu den Ursachen für die Verkörperung geliefert. Dort unterscheidet er zwei – sich nicht notwendigerweise ausschließende – Gruppen, nämlich eine, die den Grund für den Abstieg der Seele in dieser selbst verorte, eine andere, die einen der Seele externen Grund annehme.257 Von zweiterer Gruppe heißt es: While of those who are at variance with these thinkers [of the first group] and who would attach evil to the soul in some way from elements which have accrued to it from outside, Numenius and Cronius in many places derive it from matter, Harpocration also, on occasion, from the very nature of bodies, while Plotinus and Porphyry most of the time derive it from Nature and the irrational life. (De an. § 23, 375,24–29; Übers. Finamore/Dillon)

Diese Stelle ist insofern interessant, als Iamblichos dort die Positionen von Kronios, Numenios und Harpokration mit jenen von Plotin und Porphyrios engführt bzw. unter eine Gruppe subsumiert. Ungeachtet der Frage, wie man dies sachlich beurteilen mag, zeigt es in jedem Falle, dass er bei ihnen allen einen dualistischen Zug wahrzunehmen schien, der die Ursache des Schlechten entweder in der Ma-

 Man muss hier beachten, dass für Iamblichos nicht nur reine Menschenseelen (vgl. In Phaed. fr. 5), sondern sogar die ihnen ontologisch übergeordneten κρείττονα γένη absteigen (vgl. In Parm. fr. 13). In beiden Fällen geht es um die Erfüllung einer Hilfs- und Vermittlerfunktion. Vgl. Finamore 1985, 111 f. Plotin indessen scheint Menschenseelen zu kennen, die nicht absteigen (I 8, 4, 25 ff; IV 8, 4, 5 ff.), namentlich jene Seelen, die auf den Geist gerichtet und von der Materie abgekehrt seien. Ihre „Reinheit“ manifestiere sich gerade darin, nicht abzusteigen, während Iamblichos zwischen Reinheit und Abstieg keinen grundsätzlichen Konflikt sieht.  Vgl. Finamore 1985, 94–96; Finamore/Dillon 2002, 137–139.

3.1 Aufwertung von Körperlichkeit und Materie bei Iamblichos

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terie, im Körper, in der Natur oder im irrationalen Leben verortete.258 Wohlgemerkt erschöpft sich dieser Paragraph in der doxographischen Aufzählung; d. h. Iamblichos formuliert dort keine eigene Meinung zu dem Sachverhalt. Doch wird durch nichts nahegelegt, dass er mit einer der genannten Positionen übereingestimmt hätte. Festzuhalten ist: Im Unterschied zu Plotin beinhaltet der Seelenabstieg für Iamblichos – zumindest im Falle der ersten beiden Kategorien von Seelen (s. o.) – weder „Schuld“ (ἁμαρτία) noch „Übermut“ (τόλμα), und zwar weder in deren erstmaliger Verkörperung noch in den später folgenden;259 eine Wendung, die noch für Proklos maßgeblich bleiben wird.260 Der periodisch sich vollziehende Ab- und Aufstieg der Menschenseelen – bzw. die darin sich aussprechenden Bewegungen von πρόοδος und ἐπιστροφή – folgt für Iamblichos lediglich dem Gesetz der göttlichen Ordnung: And nothing in such a process is accomplished contrary to the ordinance laid down from the beginning, so that the gods should change their plans in virtue of some subsequently performed theurgic ceremony, but rather it is the case that from their first descent the god sent down the souls for this purpose, that they should return again to him. There is therefore no element of change of plan involved in such a process of ascent, nor is there any conflict between the descents of souls and their ascents. For even as, at the universal level, the realm of generation and this universe are dependent upon intellectual reality, so also in the dispensation of souls, liberation from the processes of generation is in harmony with the care bestowed upon their introduction into generation. (De myst. VIII 8, 272,4–11)

 Noch ausdrücklicher wird der Dualismus-Vorwurf gegen Plotin von Proklos erhoben (vgl. De mal. subs. § 31). Eine Verbindung von Plotins zu Numenios’ Denken wurde in der Antike verschiedentlich gezogen (vgl. den „Plagiat-Vorwurf“, der in der Vita Plotini § 17,1 ff. referiert wird).  Vgl. Finamore 1985, 104: „At first glance, Iamblichus’ conception of a descent that is both necessary and voluntary may seem identical to Plotinus’ (ἔχει τὸ ἑκούσιον ἥ ἀνάγκη, Enn. IV.8.5.3–4). There is, however, a difference. For Plotinus, the soul’s free will involves sin (ἁμαρτία, Enn. IV.8.5.16–17). For Iamblichus, on the other hand, the descent for these pure souls is good and is in accordance with divine law. There is no τόλμα.“ Und 104 f.: „Thus, by his conception of pure souls and their pure descents and embodiments, Iamblichus solves two problems in the history of Platonic philosophy. First, he removes τόλμα as the reason for the soul’s descent; pure souls descent voluntarily but without sin. Second, he circumvents the movement toward dualism (inherent in Gnosticism) by showing that embodiments are not necessarily evil and that pure souls can live in this realm yet remain pure.“  Mit Blick auf die weitere Entwicklung unterstreicht Wallis 1972, 158, die Nähe von Proklos zu Iamblichos’ Position: „On the whole the ‚positive‘ view of the soul’s descent predominates in Proclus – necessarily, since he maintains (probably following Iamblichus) that she is required to descend at least once during each cosmic cycle (ET 206, In Tim. III. 278. 9 ff.; cf. Sallustius DM xx. 2–3). Indeed he even maintains that her descent imitates divine providential love (In Alc. 32. 9 ff.). But his attitude elsewhere is more pessimistic (e.g. Mal. Subs. 12. 210)“. Zu Proklos’ Sicht auf Verkörperung und Transmigration vgl. auch Fortier 2018.

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Die Befreiung von den Banden des Werdens – wie von den „reinen Seelen“ verwirklicht – schließt eine kosmogonische bzw. kosmokratische Funktion derselben nicht nur nicht aus, sondern ausdrücklich mit ein.261 In De anima wird dies sogar noch deutlicher ausgesprochen: After the souls have been freed from generation, according to the ancients they administer the universe together (συνδιοικοῦσι τὰ ὅλα) with the gods, while according to the Platonists they contemplate the gods’ order. According to the former, in the same way they help the angels with the creation of the universe (συνδημιουροῦσι τὰ ὅλα), while according to the latter they accompany them. (De an. § 53; Übers. Finamore/Dillon)

Man darf annehmen, dass Iamblichos hier die Auffassung der „Alten“ (παλαιοί) teilt, welche die Mitwirkerschaft der reinen Menschenseelen in der Verwaltung und Schöpfung des Kosmos – ausgedrückt in den Verben συνδιοικεῖν und συνδημιουργεῖν – unterstreicht. Wenn er in De anima die Hauptziele der Reinigung der Seele beschreibt, so wird – und zwar wiederum unter Bezug auf die „Alten“ (ἀρχαιότεροι) – erneut klar, dass diese Ziele für ihn keineswegs in der bloßen Befreiung vom Körper bzw. der Flucht aus der Welt des Werdens aufgehen: Let us consider the following as the most useful of all the ends of purification: removal of foreign elements, restoration of one’s own essence, perfection, fulfillment, self-sufficiency, ascent to the engendering cause, conjoining of parts to wholes, and the gift of power, life, and activity from wholes to individuals (δόσις ἀπὸ τῶν ὅλων εἰς τὰ μεριστὰ δυνάμεως καὶ ζωῆς καὶ ἐνεργείας). Others, however, are not persuaded by the ancients when they emphasize the real benefits of purification, but they give prior place to deliverance from the body (λύσιν ἀπὸ σώματος), release from bonds, freedom from decay, escape from generation (γενέσεως ἄφεσιν), and such minor ends (σμικρὰ τέλη) of purification, as though these were superior to the universal ones. Among these thinkers are many Platonists and Pythagoreans, although they differ among themselves about the specifics of the doctrine. (De an. § 43; Übers. Finamore/Dillon)

Im letzten Satz wird angezeigt, dass Iamblichos die von ihm kritisierte – weil auf die σμικρὰ τέλη beschränkt bleibende – „weltflüchtige“ Auffassung durchaus als geläufige Ansicht innerhalb des Platonismus erachtete. An erster Stelle mag er hier an Plotin gedacht haben. Demgegenüber führt Iamblichos neben einigen Punkten, die ebenfalls auf den Aufstieg der Seele zu den göttlichen Ursachen abzielen, auch die von den göttlichen Ganzheiten vollzogene „Verleihung der Kraft, des Lebens und der Tätigkeit an die Einzelseelen“ an. Man wird diesen Vorgang mit G. Shaw auf den (nach vollzogenem Aufstieg) erneuten Abstieg der Seele beziehen dürfen, bei dem sie – von göttlichen Kräften erfüllt – am demiurgisch-

 Dazu ausführlich: Shaw ²2014, Kap. 4 u. 10.

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kosmogonischen Werk teilnimmt.262 Ziel der Individualseele ist es, die göttliche Ganzheit – und d. h. eben nicht zuletzt: die schöpferische Kraft dieser Ganzheit – zu verkörpern. Dies aber stellt den Menschen zunächst vor die Aufgabe, sich selbst (vermittels der Theurgie) zu einem möglichst vollkommenen (aus Seele und Leib bestehenden) Mikrokosmos zu formen, um nach Vollendung dessen eine wohltätige Wirkung im Makrokosmos zu entfalten. And when it has conjoined (the soul) individually to the parts of the cosmos and to all the divine powers pervading them, this leads and entrusts the soul to the keeping of the universal demiurge and makes it external to all matter and united to the eternal logos alone. What I mean is, that it connects the soul individually to the self-begotten and self-moved god, and with the all-sustaining, intellectual and adorning power of the cosmos, and with that which leads up to the intelligible truth, and with the perfected and effected and other demiurgic powers of the god, so that the theurgic soul is perfectly established in the activities and the intellections of the demiurgic powers. Then, indeed, it deposits the soul in the bosom of the demiurgic god as a whole. And this is the goal of (the soul’s) sacred ascent according to the Egyptians. (De myst. X 6, 292,4–14)

Was hier beschrieben wird, ist eine Verähnlichung an den Demiurgen, genauer: eine Integration des Partikularen ins Ganze. Denn die Seele des Theurgen zeichne sich gerade dadurch aus, dass die demiurgischen Kräfte in sie eingehen. Auch wenn hier nur vom Aufstieg die Rede ist, liegt dessen Ziel – „den Ägyptern zufolge“, was auch Iamblichos eigene Position bezeichnen dürfte – gleichwohl in einer Art Mitwirkerschaft an der Tätigkeit des Demuirgen: Dessen Funktion ist aber eine genuin kosmogonische. Wenn Iamblichos an anderer Stelle schreibt, die theurgische Einung mit den göttlichen Kräften ermögliche es, „die Gestalt der Götter anzunehmen“ (IV 2, 184,6: τὸ τῶν θεῶν σχῆμα περιτίθεσθαι), so mag dies auf einen analogen Prozess hindeuten. Man wird bemerken, dass sich in Iamblichos’ Fokus auf die schöpferische Mitwirkerschaft der „reinen Seelen“ der Sache nach eine spezifische Auffassung vom urplatonischen Motiv der „Angleichung an den Gott“ (ὁμοίωσις θεῷ) ausspricht, man könnte sagen: eine poietische Interpretation desselben. Denn geht man von der dynamisch-poietischen Natur des höchsten Prinzips (sowie der ihm untergeordneten göttlichen Entitäten) aus, so kann sich die gelungene Teilhabe an diesem gleichfalls nur als genuin schöpferischer Prozess darstellen. Die „Angleichung an den Gott“ kann dann keinesfalls als bloßer Rückstieg zum Göttlichen

 Vgl. Shaw ²2014, 59 f.; 2017, 278. Ferner Shaw ²2014, 17: „while Plato’s Demiurge gave to each soul a spark of himself (Tim. 41c), Iamblichus understood this to mean that each soul had the responsibility to perform its own demiurgy, that is to say, its own theurgy. The task for every soul was to partake in divine mimesis by creating a cosmos out of the initial chaos of its embodiment.“

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(bzw. Abwendung von der Sinnenwelt) verstanden werden, sondern als Teilhabe an der göttlichen Aktivität. Diese besteht aber – zumindest in ihrer πρόοδοςDimension – wesenhaft in der Kosmopoiesis.263 Zwar erfordert besagte Teilhabe seitens des Menschen zunächst einen Rückstieg zu den göttlichen Prinzipien; doch ist die hierauf folgende schöpferische Wiederzuwendung zum Kosmos nur konsequent, entspricht sie doch einem wichtigen Aspekt des göttlichen Wirkens selbst.264 Wenn Iamblichos in manchen Passagen von einer „Ablösung“ (ἀπόλυσις/ ἀπαλλαγή) der Seele vom Körper als Ziel der Theurgie spricht (vgl. I 11–12, V 12; X 7), so ist dies nicht sein letztes Wort bzw. ist nicht in einem weltflüchtigen Sinne zu nehmen. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Theurgie – neben dem „Seelenheil“ im engeren Sinne, wobei selbst dies strenggenommen nicht abgekop Im Grunde ist genau dies in der Diotima-Rede in Platons Symposion (206b–207a) angelegt: Jeder Mensch, so Diotima, sei „fruchtbar“ und strebe danach, „zu erzeugen“ (τίκτειν). Der Eros ziele dementsprechend „auf die Erzeugung und Ausgeburt im Schönen (τῆς γεννήσεως καὶ τοῦ τόκου ἐν τῷ καλῷ)“. Was aber ist Kosmopoiesis anderes als dies? Eine anregende Gesamtinterpretation des Platonismus unter dem Gesichtspunkt des agatho-poietischen Wesens des Absoluten liefert Lavecchia 2010. Auch wenn er nicht auf Iamblichos eingeht und auf die Implikationen seiner eigenen Interpretation des Göttlichen für den Vorgang der ὁμοίωσις θεῷ nicht zu sprechen kommt, bleibt sein Buch ein interessanter Ansatz, an den sich manches anknüpfen ließe.  Analoges findet sich bei Proklos, namentlich In Tim. III 324,7–14, wo zwei Arten göttlicher Vollkommenheit – oder genauer: der Nachahmung menschlicher Seelen dieser göttlichen Vollkommenheiten – unterschieden werden: eine noerische und eine auf die Vorsehung bezogene (προνοητικῆς). Während erstere dem kontemplativen Aspekt der Seele (und der Götter) Rechnung trägt, so letztere dem providentiellen Aspekt. D. h. aber: Auch hier impliziert die ὁμοίωσις θεῷ neben der Kontemplation eine Fürsorgepflicht für die Schöpfung. Sofern jeder enkosmische Gott mit einem Teilaspekt der Vorsehung betraut wurde (vgl. El. Th. § 125), stellt sich die ὁμοίωσις θεῷ wohl so dar, dass ein jeweiliger Mensch entsprechend dem ihm zugeordneten göttlichen Führer bzw. der ihm entsprechenden „Reihe“ an der providentiellen Funktion seines Gottes teilhat. Vgl. Fortier 2018, 311, 325; Baltzly 2004, 307 f., 317. Hier wäre auch auf Proklos’ Verständnis von ἔρως προνοητικός zu verweisen. Der Begriff bezeichnet bei ihm eine „absteigende“, die Sorge um die manifestierte Welt implizierende, Form der Liebe seitens der göttlichen Wesen für die Welt bzw. den Menschen (vgl. In Alc. 54– 56), wobei der menschliche Seelenabstieg als Imitation dieser providentiellen göttlichen Liebe begriffen wird (vgl. In Alc. 32,9 ff.). Zurecht bemerkt also Baltzly 2004, dass der ὁμοίωσις-θεῷ-Gedanke bei allen Platonikern im Spannungsfeld von spirituellen (und also u. U. eine Form von „otherworldliness“, „disengagement from the world“, etc., mit sich bringenden) und ethischen Implikationen steht, wobei er bei Plotin zurecht eine deutlich größere Kluft sieht als bei Proklos. Ob bzw. inwiefern die Forderung nach Wiederzuwendung zum Kosmos bei den Neuplatonikern u. U. auch politische Implikationen – etwa eine mögliche Pflicht zu sozio-politischem Engagement – mit sich bringt, ist eine interessante Frage, die hier jedoch nicht beantwortet werden kann. Insgesamt scheint die genuin politische Dimension von „Weltverantwortung“ bei ihnen weniger stark akzentuiert zu sein als bei Platon (vgl. zu diesem Themenkomplex auch Erler 2014).

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pelt ist von einer Wiederzuwendung der Seele zum Kosmos – ausdrücklich auch körperliche Gesundheit verbürgen soll, insofern sie „Körper und Seele von ihren Leiden befreit“ (III 2, 104,3) bzw. auf den ganzen Menschen mit all seinen Vermögen wohltätig wirke (vgl. II 6, 81,10–82,1).265 Die Aufwertung von Körperlichkeit, und dies sei hier unterstrichen, bleibt also mitnichten nur auf den Bereich der Mittel beschränkt – der etwa im folgenden Abschnitt anhand der „göttlichen Materie“ näher untersucht wird –, sondern betrifft auch den Bereich der Zwecke. 3.1.2.3 „Göttliche Materie“ In Kapitel V 23 von De mysteriis leistet Iamblichos – verglichen mit seinen Vorgängern – „eine bemerkenswerte Aufwertung der ὕλη“.266 Sie steht im Kontext einer Rechtfertigung bestimmter theurgischer Praktiken, die sich materieller Gegenstände bedienen und für die Iamblichos eine ontologische Begründung zu liefern sucht. Die entsprechende Passage lautet: In the highest level of beings, the abundance of power (δύναμις) has this additional advantage over all others, in being present to all equally in the same manner without hindrance; according to this principle, then, the primary beings illuminate (ἐλλάμπει) even the lowest levels, and the immaterial are present immaterially to the material. And let there be no astonishment if in this connection we speak of a pure and divine form of matter (ὕλην τινὰ καθαρὰν καὶ θείαν); for matter also issues from the father and creator of all, and thus gains its perfection, which is suitable to the reception of gods. And, at the same time, nothing hinders the superior beings from being able to illuminate their inferiors, nor yet, by consequence, is matter excluded from participation in its betters, so that such of it as is perfect and pure and of good type (τελεία καὶ καθαρὰ καὶ ἀγαθοειδὴς) is not unfitted to receive the gods; for since it was proper not even for terrestrial things to be utterly deprived of participation in the divine, earth also has received from it a share in divinity, such as is sufficient for it to be able to receive the gods. (V 23, 232,9–233,8)

Iamblichos’ erstes Argument betrifft die den höheren Wesen zukommende Kraft (δύναμις), die es ihnen erlaube, sich auf sämtlichen ontologischen Ebenen, einschließlich der niedrigeren, zu manifestieren. Bereits in Buch I 8 hatte er unterstrichen, dass das Göttliche, als wesenhaft Unkörperliches, überall, d. h. wo immer es wolle, präsent (vgl. I 8, 27,10 f.; 28,11 f.) und nicht nur an einer bestimmten Stelle verortbar sei. Das heißt aber, dass es bis in die ontologisch niedrigste Sphäre hi-

 Vgl. die oben in Fn. 30 angegebenen Quellen sowie die in Kap. 3.1.3 besprochenen Orakelsprüche.  Nasemann 1991, 231 (vgl. dort 231–282 u. 295–298 den ausführlichen Kommentar zu De myst. V 23); auch 246: „[...] nimmt Jamblich gegenüber der ὕλη eine deutlich positivere Haltung ein als Plotin und Porphyrios“. So auch Stäcker 1995, 79 f. u. Opsomer 2018, 1371.

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neinwirke.267 Verhielte es sich nicht so, implizierte dies für Iamblichos nicht weniger als the ruination of sacred ritual and theurgical communion of gods with men, by banishing the presence of the higher classes of being outside the confines of the earth. For it amounts to nothing else but saying that the divine is set apart from the earthly realm, and that it is does not mingle with humanity, and that this realm is bereft of divinity. (I 8, 28,4–8)

Die Immanenz der Transzendenz ist es hiernach, die überhaupt ein positives Verhältnis des Menschen zu den Göttern ermögliche. In V 23 dehnt Iamblichos diesen Gedanken weiter aus bis zur These, dass noch die Materie vom „Vater“ bzw. Demiurgen des Alls geschaffen worden sei, weshalb sie keineswegs von der Teilhabe am Göttlichen ausgeschlossen sei. Hierin spricht sich die – anderswo von Iamblichos überlieferte (vgl. In Alc. fr. 8) – Doktrin aus, dass die vollkommensten Prinzipien auch die umfassendsten, und d. h. bis in die ontologisch niedrigste Ebene sich erstreckenden, Wirkungen entfalten. In De myst. VIII 3, 265,5–8 geht Iamblichos – die „ägyptische Theologie“ referierend – so weit, sogar die gewöhnliche Materie als vom Demiurgen geschaffen zu präsentieren: Dieser übernahm das – wie zuvor in VIII 2, 262,5 f. beschrieben, vom „Vater und Demiurgen“, d. i. wohl das „seiende Eine“, hervorgebrachte bzw. aus der „Substantialität“ (οὐσιότης) abgezogene – „Materieprinzip“ (ὑλότης) und bildete aus diesem das sichtbare Universum.268 In V 23 lehnt Iamblichos, wie B. Nasemann ausführlich dargetan hat, sich terminologisch wie sachlich teils durchaus eng an Plotin an (z. B. hinsichtlich der All-

 Vgl. auch De myst. III 17, 141,11 ff., wo ausdrücklich konstatiert wird, die göttliche Kraft reiche bis in die Sphäre unbelebter Objekte hinab; deshalb sei manches Einzelne in der Sinnenwelt reiner/vollkommener als das Ganze der Welt (IV 2, 183, 10 f.). Auch wenn Proklos m. W. nirgends explizit vom Konzept der „göttlichen Materie“ spricht, lässt sich gerade mit seiner Kausalitätslehre – in ihrem Unterschied zur plotinischen – die Sinnhaftigkeit der Theurgie, genauer: der rituellen Verwendung materieller Gegenstände, plausibilisieren. Denn dass die göttliche Kraft bis in die Sphäre unbelebter Objekte hinabreiche, wurde allererst in Proklos Kausalitätslehre systematisch begründet. Ihm zufolge ist die Materie als solche keineswegs Produkt der Seele (wie etwa bei Plotin), sondern des Einen. Für Proklos hängt die Wirkungsmacht einer Ursache nämlich von deren Qualität bzw. ontologischem Rang ab: je vollkommener die Ursache, desto weiter reicht ihre Wirkung (vgl. El. Th. §§ 56–57, 60). Allein das Eine reicht mithin bis in die untersten Manifestationsstufen hinab, aus ihm entspringt die Materie (vgl. El. Th. § 72). Vgl. dazu die erhellende Grafik bei Erler 1978, 31; ferner Dodds ²1963, 230–232; Lloyd 1990, 106 f.; Siorvanes 1996, 183 f.; Opsomer 2001, 173–175. Siehe außerdem Proklos, El. Th. §§ 140 u. 145 (sowie Di Pasquale Barbanti 1983, 108–111, 133–140, 171). Letztere Paragrafen wurden oftmals als theoretische Legitimierung der Verwendung materieller Gegenstände in theurgischen Riten gedeutet. In Th. Pl. I 2 findet sich außerdem eine Stelle, die an Iamblichos’ „göttliche Materie“ gemahnt, insofern ein materielles Rezeptakel beschrieben wird, das zur Teilhabe an den Göttern besonders geeignet sei.  Vgl. Stäcker 1995, 75–95; Opsomer 2018, 1368 u. 1371.

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gegenwart des Immateriellen durch dessen Übermaß an δύναμις, dem In-sichVerharren der intelligiblen Ursachen, dem ἐλλάμπειν der Materie etc.), bei gleichzeitig anderer Akzentuierung bestimmter Sachgehalte.269 Während freilich auch Plotin die letzthinnige Derivation der Materie aus dem Einen postuliert, mithin an ihrem „Nicht-getrennt-Sein“ (οὐ χωρὶς εἶναι, vgl. Enn. IV 8, 6, 18–23) vom Einen bzw. Guten festhalten muss, wird doch zuallermeist die Mangelhaftigkeit der Materie in den Vordergrund gestellt. Auch wenn die in I 8 gegebene Bestimmung derselben als das „Schlechte an sich“ (I 8, 3, 39 f.) nicht Plotins letztes (bzw. einziges) Wort zum Status der Materie darstellt – und man sie nicht als die Definition Plotins von der Materie nehmen darf –, würde er doch nie so weit gehen, sie – oder genauer: eine bestimmte Form von ihr – wie Iamblichos als „vollkommen, rein und gut“ (τελεία καὶ καθαρὰ καὶ ἀγαθοειδὴς) zu bezeichnen. Man könnte hier freilich einwenden, dass auch Plotin eine ontologisch höherstehende Form der Materie, die sogenannte „intelligible Materie“ (νοητὴ ὕλη), kenne (vgl. Enn. II 4: Über die beiden Materien). Allein leistet dieses Konzept – und hierauf kommt es in unserem Kontext an – im Unterschied zu Iamblichos „göttlicher Materie“ keinerlei Aufwertung der sinnlich-körperlichen Welt. Aus seiner Sicht auf die Materie zieht Iamblichos schließlich folgende praktischen Konsequenzen: Observing this, and discovering in general, in accordance with the properties of each of the gods, the receptacles adapted to them, the theurgic art (ἡ θεουργικὴ τέχνη) in many cases links together stones, plants, animals, aromatic substances, and other such things that are sacred, perfect and godlike (ἱερὰ καὶ τέλεια καὶ θεοειδῆ), and then from all these composes an integrated and pure receptacle (ὑποδοχὴν ὁλοτελῆ καὶ καθαρὰν). One must not, after all, reject all matter, but only that which is alien to the gods, while selecting for use that which is akin to them (οὐ γὰρ δὴ δεῖ δυσχεραίνειν πᾶσαν ὕλην, ἀλλὰ μόνην τὴν ἀλλοτρίαν τῶν θεῶν, τὴν δὲ οἰκείαν πρὸς αὐτοὺς ἐκλέγεσθαι), as being capable of harmonising with the construction of dwellings for the gods, the consecration of statues, and indeed for the performance of sacrificial rites in general. (V 23, 233,9–234,4)

Zurückzuweisen sei nicht die Materie in ihrer Gesamtheit, sondern nur jene, die den Göttern fremd sei; die den Göttern verwandte indessen sei zu gebrauchen. Der im Hinblick auf das Verhältnis zu den Göttern aufgestellte Gegensatz zwischen ἀλλότριος (fremd, unangemessen) und οἰκεῖος (verwandt, passend) ist entscheidend in Iamblichos’ Konzept der Materie. Denn jene den Göttern verwandte Form der Materie bzw. die Kompilation von aus solcher Materie beschaffenen Entitäten (Steine, Pflanzen, Tiere, aromatische Substanzen etc.) vermag ein „vollständiges

 Vgl. Nasemann 1991, 232–240.

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und reines Rezeptakel“ zu bilden.270 Auf die den Göttern „fremde“ Materie hingegen sind diejenigen Passagen in De mysteriis zu beziehen, die an einem negativen Bild von der Materie festhalten.271 Insgesamt betrachtet ist die Materie für Iamblichos also keineswegs – wie für den Mittelplatoniker Numenios (vgl. zur Schlechtigkeit der Materie: fr. 52) oder für Plotin – das „Schlechte an sich“, sondern sogar vom Demiurgen selbst geschaffen. Der „göttlichen Materie“ eignet eine besondere rituelle Fähigkeit, die der Theurg sich zu Nutze machen soll, indem er bestimmte Gegenstände hinsichtlich ihrer Verwandtschaft zu höheren Wesen identifiziert und sammelt. Die Praxis der Konsekration von Götterstatuen findet hier ihre metaphysische Begründung und man wird bemerken, dass auch die „göttliche Materie“ bzw. ihre rituellen Implikationen letztlich unter kosmopoietischen Gesichtspunkten zu betrachten sind, handelt es sich bei der Konsekration von Götterstatuen mit Symbolen durch den Theurgen ja um nichts anderes als eine Nachahmung des Schöpfungsaktes des Demiurgen.272

 In diesem Sinne bemerkt Johnston 2002, 6: „Those [e.g., Plotinus] who espoused rational approaches rejected the material world and portrayed it as a source of pollution; those [e.g., Iamblichus] who embraced ritual believed that even the smallest and lowest portions of the material world were charged with divine power that, when properly deployed through rituals, could improve the individual soul.“  Vgl. Belegstellen bei Nasemann 1991, 244 Fn. 54; ferner Shaw ²2014, Kap. 3. Stäcker 1995, 95, bemerkt zurecht: „Es zeichnet sich darin eine Unterscheidung innerhalb der Materie selbst ab, die es Jamblich ermöglicht, zwar einerseits dem neuplatonischen Grundsatz, daß die Materie Bedingung des Schlechten sein kann, treu zu bleiben, andererseits aber genau in dieser Materialität den Heilsweg zu situieren. [...] denn der Heilsweg führt über den Menschen und nicht mehr nur die Seele, weil die Seite der Körperlichkeit in dieser Beziehung konstitutiv geworden ist.“  Vgl. De myst. VII 1, wo der ägyptische Symbolismus als Nachahmung der Natur des Kosmos und der demiurgischen Kräfte der Götter präsentiert wird; ferner Vita Pythagorae 28, 151. Am klarsten wird dieser Zusammenhang indessen von Proklos artikuliert. Dieser erinnert daran, dass der Begriff ἄγαλμα sowohl mit Blick auf den Kosmos (vgl. Platon, Tim. 37e7) als auch mit Blick auf die artifiziell errichteten heiligen Statuen Gültigkeit besitze und die Ableitung des Begriffs „Kosmos“ von „geschmückt“ (κοσμούμενος) im Falle heiliger Statuen eine zwiefache Bedeutung habe: „But just as, in the case of sacred statues (ἀγάλματα) established by the art of the mysteries, some of them are visible, while others are hidden away inside as symbols of the presence of the gods and are known to the initiates only, in the same manner the cosmos, as sacred image (ἄγαλμα) of the intelligible and consecrated by the Father, has the overt tokens (γνωρίσματα) of its own divinity, but also invisible signatures (συνθήματα) of its participation in Being which is received from the Father who consecrated it, so that through his agency it would be eternally rooted in Being. The terms heaven and cosmos, then, signify the visible powers in it [...] But there is also need for a divine name to indicate its permanent power, symbol (σύμβολον) of the signature obtained from the Demiurg, inasmuch as it does not wander away from Being, a name that is ineffable, unpronounceable and known [only] to the gods themselves“ (In Tim. I 273,10–24; Übers. Runia/Share).

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Ferner erwähnt Iamblichos, sich auf die „heiligen Überlieferungen“ (ἀπόρρητοι λόγοι) beziehend, „wie eine Form von Materie uns von den Göttern im Zuge der glückverheißenden Visionen übermittelt wird“ (ὡς καὶ διὰ τῶν μακαρίων θεαμάτων ὕλη τις ἐκ θεῶν παραδίδοται); diese Materie sei mit den Göttern „verbunden“ (συμφυές), ihre Opferung „erweckt die Götter zur Manifestation“ und „gewährleistet ihre vollkommene Repräsentation“ (V 23, 234,7–11). Dies scheint eine Art positives Pendant zum Vorgang der „Aufzehrung von Materie“ (τὸ δαπανητικὸν τῆς ὕλης) darzustellen, der in II 5, 80,12–81,8 im Zusammenhang mit den göttlichen Epiphanien, genauer: als deren Beiwerk, beschrieben wird. Mit der Erleuchtung gehe nämlich die Aufzehrung der Materie einher, die je nach sich manifestierenden Genera vollständig sein oder nur Teilbereiche umfassen kann. Bei der aufgezehrten Materie handelt es sich allerdings kaum um die göttliche, sondern um die gemeine Materie. Halten wir fest: Jene Tendenz, die wir im vorangegangenen Abschnitt mit Blick auf die „positivere“ Sicht des Seelenabstiegs seit Iamblichos konstatierten, hat ihre Parallele hinsichtlich der Materie.273 Ideengeschichtlich betrachtet, lässt sich bei Iamblichos also eine zumindest tendenzielle Abkehr von den vielfach gescholtenen weltflüchtigen Tendenzen der Spätantike feststellen. Und mit dieser Aufwertung des mikrokosmischen Leibes geht zugleich eine des makrokosmischen Leibes, d. h. des κόσμος αἰσθητός in seiner Gesamtheit, einher.274 Wollte man unter Zusammenfassung des bisher in Kap. 3.1 Gesagten jene drei Leitfragen, die K. Alt ihrer Untersuchung zum Dualismus bei Numenios, Plutarch

 Von Plotin zu Proklos ist „eine Entwicklung innerhalb des Neuplatonismus sichtbar, bei der der Ursprung der Materie in der Hypostasenordnung immer weiter nach oben verlegt wird. Mit dieser Tendenz geht eine zunehmend weniger negative Sicht dieser Wesenheit einher: Plotin betrachtete sie noch als letzte Ursache alles Schlechten; bei Porphyrios zeichnet sich bereits eine gewisse Abweichung von dieser Auffassung ab. Deutlich wird die Aufwertung der ὕλη bei Jamblich und Proklos“ (Nasemann 1991, 256). Entsprechend unterscheidet Narbonne 2014, 232, im Hinblick auf das Dualismus-Problem innerhalb der eigentlich monistischen Positionen der Neuplatoniker zwei Grundtendenzen: „we may say that two fundamental attitudes may be drawn from these approaches, one attempting to preserve a strong dualism inside a monist context, and the other attempting to minimize as far as possible the presence of evil, and so any opposition to the Good, within the whole universe. The first option is, for the most part, the position of Plotinus, who goes so far as to conceive of a substance of evil inside the whole, which, taken globally, is still governed by the Good. The other option, although its foundations were laid by Iamblichus, is represented largely by the position of Proclus, who in fact undertook a detailed refutation of Plotinus’ stance.“  In diesem Sinne meint Shaw 2014, 16 f.: „With theurgy Iamblichus hoped to recover Plato’s positive orientation to the cosmos. At issue was the divinity of the world, and for Iamblichus the most effective means to acknowledge this was through the performance of rites that conformed the soul to its orders.“ Und Stäcker 1995, 127, bemerkt: „Als Instrument [...] wird er [der Körper] indes unverzichtbares sakramentales Mittel der Theurgie und mithin des Aufstiegs.“

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und Plotin zugrunde gelegt hatte – „[1] Läßt sich von einem Dualismus innerhalb der Seele sprechen? [2] Sind Verschuldung und Seelenfall die Ursache für das Erdenleben? [3] Gilt die Weltüberwindung als Ziel, und ist sie für immer erreichbar?“275 – für Iamblichos in Abhebung zu dessen Vorgängern beantworten, so ergäbe sich folgendes: (1) Obgleich sich das Problem eines innerseelischen Dualismus vor allem im Mittelplatonismus stellt, ist es doch auch für Plotin ein dringliches. Vor allem ist dessen Lehre vom „unverkörperten Seelenteil“ (vgl. Enn. IV 8, 8, 2 f.) nicht frei von dualistischen Implikationen, insofern sie auf eine innerseelische Kluft verweist, bei der das Verhältnis (oder auch die Interaktion) zwischen „unverkörpertem Seelenteil“ und restlicher Seele unklar bleibt. In manchen Passagen spricht Plotin ausdrücklich von zwei Seelen: der „göttlicheren Seele“ und der Seele, „die aus dem All stammt“.276 Demgegenüber bildet die Seele bei Iamblichos schon insofern eine Einheit, als sie ganz absteigt (vgl. In Tim. fr. 87). Nun wird man einwenden: Auch Iamblichos unterscheidet doch deutlich zwischen Vernunftseele und irrationaler Seele und spricht ihnen – obwohl beide unsterblich – ein unterschiedliches jenseitiges Schicksal zu. Und hat man ein Spezifikum von Iamblichos’ Seelenlehre nicht sogar am zwiefältigen Wesen der Seele festgemacht? Dies ist zutreffend. In der Tat ergibt sich aus De an. § 7 sowie einigen Berichten aus Pseudo-Simplikios’ In De Anima und Priscianos’ Metaphrasis in Theophrastum eine recht eigentümliche Auffassung von der Doppelnatur der Seele als zugleich intellekt- und tierähnlich.277 Iamblichos, so geht aus diesen Texten hervor, schien die ontologische Mittelstellung der Seele derart zu interpretieren, dass sie in sich Gegensätze – wie Unveränderlichkeit und Veränderlichkeit, Unteilbarkeit und Teilbarkeit etc. – zu vereinigen vermag. Die Seele lebt gewissermaßen zwei verschiedene Leben: ein geistiges und ein biologisches. Doch liegt das Wesentliche – denn dies unterscheidet Iamblichos von seinen Vorgängern – gerade darin, dass er diese Doppelnatur nicht dualistisch, sondern gleichsam als coincidentia oppositorum denkt, als eine Art innerseelische Spannung, die nicht aufzulösen, sondern stetig auszutragen ist und die sich eben nicht zuletzt in der Notwendigkeit des periodischen Auf- und Absteigens der Menschenseele niederschlägt.

 Alt 1993, 9.  Vgl. Enn. IV 3, 27, 1 ff.; 7, 25–30; I 1, 12, 20 ff.; s. auch Plotins oben in Fn. 244 angeführte Bestimmung des „wahren Menschen“. Alt 1993, 119, kommt zu dem Schluss: „Wie bei den anderen [Mittel-]Platonikern zeigt sich bei Plotin eine klar dualistische Auffassung der individuellen Seele. Zwei wesensverschiedene Seelenbereiche stehen einander gegenüber, die beide den Tod überdauern; ihre Benennungen variieren.“  Vgl. Finamore/Dillon 2002, 14–16, 116 f. Die entsprechenden Pseudo-Simplikios- und Priscianos-Passagen sind dort ediert und übersetzt als Appendix B, C, D, E.

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(2) Auch wenn Plotin (wie die meisten Platoniker) die aus den platonischen Dialogen sich ergebenden, den Abstieg der Seele betreffenden zwei Erklärungsmodelle (Verschuldungs- vs. Notwendigkeits-Modell) zu konsolidieren und in Einklang zu bringen sucht, wurde deutlich, dass er in seinen Erläuterungen mehrfach – und in verschiedener Akzentuierung – das schuldhafte Moment (ἁμαρτία) ins Zentrum stellt (was in Begriffen wie τόλμα oder νεύειν anklingt). Lehnt er auch die gnostische Lehre vom „Fall der Seele“ (dort auf die Weltseele bezogen) ab, so akzeptiert er im Hinblick auf die Einzelseelen gleichwohl eine Art von „Fall“ (πτῶμα). Anders Iamblichos: Wie wir sahen, spielen Kategorien wie „Schuld“ oder „Übermut“ für ihn keine vergleichbare Rolle in der Erklärung des Seelenabstiegs. Reinheit der Seele und Verkörperung schließen sich für ihn keinesfalls aus, sondern sind in Einklang zu bringen, schon deshalb, weil den reinen Seelen eine wichtige Rolle in der Aufsicht und Sorge für die sinnliche Welt zukommt. (3) Ob Plotin an ein dauerhaftes Ausbrechen aus dem Transmigrationskreislauf geglaubt hat, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Von den meisten Interpreten wird es verneint; trotzdem gibt es Passagen, die sich in eine entsprechende Richtung interpretieren ließen.278 Wie dem auch sei, Plotins prominentester Schüler Porphyrios schien einer derartigen Lehre anzuhängen – jedenfalls, wenn man Augustinus’ Ausführungen Glauben schenken darf.279 Dieser berichtet nämlich, dass Porphyrios eine dauerhafte Befreiung zumindest der Philosophenseele von den Unbilden der Verkörperung angenommen habe (De regr. fr. 11). Auch wenn dies Porphyrios zufolge wohl nur sehr wenigen Menschen zuteilwürde, bleibt die dauerhafte Weltüberwindung hier doch als Letztziel philosophischen Lebens bestehen. Es ist also vermutlich weniger Plotin als vielmehr Porphyrios, gegen den Iamblichos sich in diesem Zusammenhang abgrenzt, wenn er – wie oben gezeigt – auch reine Seelen immer wieder aufs Neue absteigen lässt. In gewissem Sinne ist dies eine Folge jener unter Punkt (1) erwähnten Auffassung des Doppelcharakters der Menschenseele. Denn um die Totalität ihrer „zwei Leben“ verwirklichen zu können, muss sie periodisch auf- und absteigen.280 Wie außerdem deutlich geworden sein sollte, trifft das Ziel der „Weltüberwindung“ für Iamblichos schon insofern nicht zu, als es der Indi-

 Vgl. das oben in Fn. 256 Gesagte; ferner Wallis 1972, 72 (mit den in Fn. 4 angegebenen Textstellen); Smith 1974, 57.  Vgl. Smith 1974, 56 ff.; Deuse 1983, 160. Man darf daran erinnern, dass Platon selbst dieser Gedanke nicht fremd war. Gemäß dem Phaidros-Mythos (248e–249a) ist Seelen, die in drei aufeinanderfolgenden Leben eine philosophische Lebensweise gewählt haben, der dauerhafte Ausbruch aus dem Transmigrationszyklus vergönnt.  Vgl. Finamore/Dillon 2002, 16. Auch Proklos, El. Th. § 206, geht (wie die athenische Schule überhaupt) davon aus, dass jede Einzelseele endlose Male auf- und absteigen müsse. Vgl. Fortier 2018.

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vidualseele aufgegeben ist, die schöpferische Kraft der Götter zu verkörpern und sich am kosmogonischen Prozess zu beteiligen. Man muss beachten, dass die von Plotin und Iamblichos je eingeschlagenen Wege, die wir hier im idealtypischen Sinne zu profilieren suchten, zwei Tendenzen entsprechen, die beide schon in Platons Werk selbst angelegt sind. J. M. Dillon sprach zurecht einmal von two significant strands in that [Platonic] tradition, both stemming from Plato himself, but developing separate histories in later times: that of straightforward rejection of the body, or at least of the soul’s association with it, which involves what I would identify as a negative attitude to the world; and that of the disciplining and refining of the body, to make it a worthy, or at least noninjurious receptacle of the soul, which might be seen, I think, as essentially world-affirming.281

Der ideengeschichtliche Bruch zwischen diesen beiden Wegen verläuft, so unsere These, innerhalb des Neuplatonismus am ehesten zwischen Plotin/Porphyrios einerseits, Iamblichos und seinen Nachfolgern andererseits. Wenn M. Erler bemerkt: „Der Platonismus der Kaiserzeit wirkt in der Tat bisweilen als philosophisches Manifest von Weltflucht“,282 so muss dies auf erstere Traditionslinie bezogen werden. 3.1.2.4 Extension des Körperlichkeitskonzeptes über die grobstoffliche Ebene hinaus Besagte Tendenz zur Aufwertung des Leibes beinhaltet bei Iamblichos und seinen Nachfolgern den Versuch der Entwicklung einer integralen Anthropologie, die eine Ausweitung des Leiblichkeitsverständnisses über die grobstoffliche Ebene hinaus vornimmt bzw. eine – wohlgemerkt als unvergänglich erachtete – Vermittlungsinstanz (μέση οὐσία) zwischen immaterieller Seele und grobstofflichem Körper postuliert.283 Nun wurde gerade in der Kaiserzeit eine Neuauslotung des Verhältnisses von Seele und Körper bei den als platonisch sich verstehenden Denkern virulent,  Dillon 1995a, 80. Wenn Dillon indessen Plotin der sinnenfreundlichen Seite zuordnet, so können wir dem nicht zustimmen.  Erler 2014, 32.  Vgl. Opsomer 2018, 1375: „Mit dieser Auffassung nimmt Iamblichos mehrere Abstufungen des Körperlichen an und verwischt die Grenzen zum Unkörperlichen.“ Oder bereits Stäcker 1995, 137 f.: „Das Verhältnis von Gottheit zu Körper oder überhaupt von Unkörperlichem zu Körperlichem erfährt eine Differenzierung, die nicht nur verschiedene Grade von Unkörperlichkeit, sondern auch von Körperlichkeit ermöglicht. Jamblich gebraucht den Begriff des corpus mit einer gewissen Elastizität, um einerseits dem neuplatonischen Fundamentalsatz des omne corpus fugiendum treu zu bleiben, andererseits aber auch die für die Theurgie unerläßliche Körperbezogenheit zu rechtfertigen.“

3.1 Aufwertung von Körperlichkeit und Materie bei Iamblichos

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insofern ihre Konzeptionen sich mit jenen anderer Philosophenschulen zu messen hatten, die – wie im Falle der Peripatetiker oder der Stoiker – Seele und Leib in stärkerem Maße einander annäherten und durch Vermeidung einer radikalen ontologischen Differenz der menschlichen Alltagserfahrung besser Rechnung zu tragen schienen.284 Ausdrücklich waren die Platoniker den Vorwürfen stoischer und epikureischer Philosophen ausgesetzt, dass Körperliches überhaupt nicht mit Unkörperlichem in Verbindung treten bzw. sich nicht gegenseitig beeinflussen könne.285 In philosophischer Hinsicht reagiert die ὄχημα-πνεῦμα-Lehre gewiss auch auf derartige Vorwürfe, zumal innerhalb des Mittelplatonismus selbst – wie oben ausgeführt – teils unverhohlen dualistische Positionen eingenommen wurden. In ihrem Versuch der Lösung des Problems der Vermittlung, schlägt die ὄχημα-πνεῦμαLehre, die sich terminologisch aus der Exegese einiger weniger Platon- und Aristoteles-Stellen speist,286 einen anderen Weg ein als beispielsweise Plotin. Denn hatte  Vgl. Zambon 2005, 307.  Vgl. Hülser II 1987, Bst. 426 ff.; Lukrez III 161 ff. u. 800 ff.  Es sei hier kurz auf die relevanten Stellen bei Platon und Aristoteles eingegangen (vgl. dazu: Kissling 1922; Dodds ²1963, 315–318; Finamore 1985, 1–3, Halfwassen 1994 u. 1995; Di Pasquale Barbanti 1998, 21 ff.; Toulouse 2001, 13 ff.) Ein Gutteil des semantischen Potentials, das später mit dem ὄχημα-πνεῦμα verknüpft wurde, ist hier bereits vorgeprägt: (1) Phaidros (247b2): Im Phaidros soll – nach dem sogenannten „Unsterblichkeitsbeweis“ der Seele (245c5–246a2) – auf „menschliche Weise“, und d. h. mittels eines bildhaften Vergleiches, über das „Wesen“ der Seele gehandelt werden. Sokrates führt das berühmte Bild von dem aus zwei Rossen, Wagen und Wagenlenker bestehenden Seelengespann ins Feld und schildert dessen Aufstieg mit den Göttern – der Begriff ὄχημα fällt genau genommen im Kontext der Wagen der Götter (247b2: τὰ θεῶν ὀχήματα) –, welcher in der Schau des „wahrhaft Seienden“ am „überhimmlischen Ort“ (247c3: ὑπερουράνιον τόπον) kulminiere. Während die göttlichen Gespanne diesen Aufstieg ganz mühelos vollzögen, so die menschlichen nur unter Schwierigkeiten. Der bildhafte Vergleich dient hier letztlich zur Veranschaulichung der Differenz zwischen menschlichen und göttlichen Erkenntnisvermögen. Die „Schau der Ideen“ ist eingebettet in eine eschatologische Vision, die in gewisser Weise das im Neuplatonismus und im spätantiken Mysterienwesen so beliebte Motiv der „Himmelreise der Seele“ vorwegnimmt. Wie auch immer man den ὑπερουράνιος τόπος im Einzelnen interpretieren mag, so scheint es sich in jedem Falle um die Darstellung eines auf die kosmische Topologie projizierten ontologischen Sachverhaltes zu handeln. Dass es nicht um eine wörtlich zu verstehende Beschreibung kosmischer Zusammenhänge gehen kann, wird schon dadurch angezeigt, dass das den Seelen zu erreichende Ziel eben genau in einem „Jenseits“ zum Kosmos verortet wird. (2) Phaidon (113d5): Hier steht das ὄχημα im Kontext einer Topologie des Jenseits, in die das Schicksal der Seelen nach dem Tod eingezeichnet wird. Auf dem Unterweltsfluss Acheron besteigen die Seelen die „Fahrzeuge“ (ὀχήματα), welche sie zum jeweiligen Ort der Buße und Reinigung bringen. Der Kontext ist zwar, wie in der Phaidros-Stelle, ein eschatologischer. Zumal ist die zugrundeliegende Topographie strukturell mit jener des Phaidros vergleichbar, denkt Platon im Phaidon die Erde doch als eine in der Mitte des Universums stehende Kugel (108e–109a) und vergleicht er die Lage des Menschen mit der eines Meeresbewohners: So wie dieser durch das Wasser die Sonne sieht und das Wasser für den Himmel hält, so hält der Mensch die Luft für den wahren Himmel. Doch

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dieser in seiner Ursachenlehre – in der strenggenommen jede Hypostase gibt, was sie selber nicht hat – es gerade vermieden, ontologisch heterogene Stufen durch „wenn jemand zur Grenze der Luft gelangte oder Flügel bekäme und hinaufflöge: [...] so würde dann ein solcher [...] dann erkennen, dass jenes der wahre Himmel ist und das wahre Licht und die wahre Erde“ (109e). Man wird bemerken, dass der ὑπερουράνιος τόπος des Phaidros strukturell dem „wahren Himmel“, dem „wahren Licht“ bzw. der „wahren Erde“ des Phaidon entspricht. Gleichwohl liegt der Akzent hier mehr auf dem jenseitigen Gericht, dem die Seele unterworfen sei und nach dem sie – ihrem diesseitigen Verhalten gemäß – Bestrafung, Reinigung oder Belohnung zu erwarten habe. Nun ist die Passage 113d–e, wo der Terminus ὄχημα fällt, ausschließlich auf die mittelmäßigen Seelen bezogen, die auf ihren Fahrzeugen zum Acherusischen See gelangen würden um den ihnen gemäßen Läuterungsprozess durchzumachen. (3) Timaios (41e2): Bei der Erschaffung des höchsten Teils der Menschenseelen durch den Demiurgen „verteilte er dasselbe [d. i. die Mischung] in Seelen von gleicher Zahl mit den Sternen und teilte je eine einem jeden zu, und nachdem er sie so (auf dieselben) wie auf Fahrzeuge (ὡς ἐς ὄχημα) gesetzt hatte, zeigte er ihnen die Natur des Alls“. Hier haben wir es – im Rahmen des für weite Strecken des Timaios charakteristischen εἰκώς λόγος bzw. εἰκώς μῦθος – mit einem bildhaften Vergleich zu tun (jedes Gestirn wird von einer Menschenseele wie ein Fahrzeug besetzt). (4) Timaios (44e2): Der Menschenleib wird als „Fahrzeug“ (ὄχημα) des der Gestalt des Alls nachgeahmten Kopfes bezeichnet, da nur vermittels des Leibes eine angemessene Fortbewegung möglich sei. Während nun im Phaidros das ὄχημα ganz klar in einer vertikalen Bewegung begriffen ist und in Timaios 41e2 offenbar eine Kreisbewegung intendiert ist, geht es hier schlicht um die horizontale Bewegung des Menschen auf Erden. (5) Timaios (69c7): In Anknüpfung an die Erschaffung des höchsten Teils der Menschenseelen durch den Demiurgen wird die Schaffung der niedrigeren Seelenteile und des Leibes durch die kosmischen Götter beschrieben. „Diese nun, in Nachahmung seiner [d. i. des Demiurgen], umwölbten die überkommene unsterbliche Grundlage der Seele rings herum mit einem sterblichen Körper, gaben ihr den ganzen Leib gleichsam zum Fahrzeug (ὄχημα) und legten in ihm noch eine andere Art von Seele, die sterbliche, an“. In dieser Passage wird erneut der sterbliche Leib als ὄχημα bezeichnet, diesmal jedoch nicht des Kopfes, sondern der Seele. Der Leib erscheint hier als Bedingung der Möglichkeit einer „räumlichen“ Präsenz der Seele. (6) Relevant ist ferner eine Passage in Buch X der Nomoi. Dort soll die Seele als Ursache der Kreisbewegung erwiesen werden, und zwar sowohl für das gesamte All als auch für jeden einzelnen Planeten. „Wenn nun also eine Seele die Gesamtheit von Sonne, Mond und allen übrigen Gestirnen in Umlauf setzt, wird da wohl nicht auch der besondere Umlauf, den jedes dieser Gestirne hat, von einer besonderen Seele desselben ausgehen?“ (898d), fragt der Athener, der den Sachverhalt nun am Beispiel der Sonne erläutern wird. Drei mögliche Arten führt er an, in denen die Sonne von ihrer Seele in Umlauf gesetzt werden könne: „Entweder wohnt diese Seele innerhalb dieses ihren runden Körpers, der unseren Sinnen erscheint, und lenkt denselben so nach allen Richtungen herum, gerade wie unsere Seele uns nach allen Seiten hin leitet, oder sie treibt, wie Einige glauben, irgend woher von außen mit einem Körper von Licht oder auch von Luft, den sie angezogen hat, den Sonnenkörper gewaltsam fort (ἤ ποθεν ἔξωθεν σῶμα αὑτῇ πορισαμένη πυρὸς ἤ τινος ἀέρος, ὡς λόγος ἐστί τινων), oder endlich drittens sie steht rein für sich ohne allen Körper da, besitzt aber andere über die Maßen wunderbare Kräfte um dennoch den Gang der Sonne zu leiten.“ (898e–899a) Die erste Möglichkeit bezeichnet die Anwesenheit der Seele im Sonnenkörper, die zweite die Kontrolle des Körpers durch die Seele von außerhalb und vermittels eines feueroder luftartigen Seelenkörpers, die dritte die Kontrolle des Körpers ebenfalls von außerhalb, je-

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Einführung von Vermittlungsentitäten einander anzunähern,287 so zeichnet sich der spätere Neuplatonismus genau durch letztere Strategie aus.288 Zwar hat Plotin

doch ohne den vermittelnden feinstofflichen Körper, sondern mit anderen, nicht näher klassifizierten „wunderbaren Kräften“. Welche dieser Optionen die zu favorisierende darstellt, geht aus der Passage nicht hervor. Lediglich fährt der Athener fort: „In jedem Falle nun aber, mag diese Seele der Sonne die letztere ähnlich wie einen Wagen lenken und so mit ihr Licht durch das Weltall verbreiten (εἴτε ἐν ἅρμασιν ἔχουσα ἡμῖν ἥλιον ἄγει φῶς τοῖς ἅπασιν) oder sie von außen her oder endlich auf jede andere beliebige Art und Weise fortbewegen, so ist sie [die Seele] doch nicht bloß ein weit höheres Wesen als die Sonne, sondern Jedermann wird sie auch für eine Gottheit anerkennen müssen.“ (899a) Hier werden die drei Optionen nochmals aufgegriffen und jeweils mit einem spezifischen Bild verknüpft. Auch wenn der Begriff ὄχημα hier nicht fällt, so doch ein semantisch ihm sehr ähnlicher, nämlich ἅρμα („Wagen“, „Gespann“). Wie gesagt steht er in unmittelbarer Nähe zur Erwägung eines „feinstofflichen Leibes“ der Sonne. Obgleich beides, der „Leib“ wie der „Wagen“, hier nicht auf Menschen-, sondern auf Gestirnseelen bezogen sind, fällt es nicht schwer, eine Assoziation zu den zuvor besprochenen Passagen herzustellen, zumal ja auch dort das ὄχημα teils auf die Gestirne, teils auf die höheren Götter bezogen ist. (7) Nächstdem ist eine Stelle im – lange für platonisch gehaltenen – Dialog Epinomis (986b5) zu erwähnen. Dort geht es um die acht Planetensphären, wobei die sichtbaren Gestirne, so der Athener, entweder die Götter selber seien oder diesen als ὀχήματα dienten – eine Frage, die an der betreffenden Stelle offen gelassen wird. Hier geht es wiederum um die „Körperlichkeit“ der Götter, die in den Gestirnen sich repräsentiere. Doch ist der Dialog Epinomis noch in einem weiteren Sinne bedeutsam: Die dort skizzierte Kosmologie, die namentlich zu den vier klassischen Elementen den Äther als fünftes hinzufügt (981c; vgl. 984b–e), liefert eine Beschreibung der vermittelnden Dämonen, die ihnen ätherische bzw. lufthafte Leiber zuspricht (984d–e). (8) Zusätzlich zu den platonischen Passagen ist schlussendlich auf die aristotelische Bestimmung des πνεῦμα als einer Wesenheit, die analog den Elementen der Sterne beschaffen sei (De gen. an. 736b37–38: ἀνάλογον οὗσα τῷ τῶν ἄστρων στοιχείῳ), hinzuweisen. Insofern für Aristoteles die sublunare Welt sich aus den vier Elementen, die Himmelssphären jenseits des Mondes sich jedoch aus dem feinstofflichen Äther (als einer Art quinta essentia) konstituieren (vgl. De caelo I 3, 270a–b), wird das menschliche πνεῦμα mit der himmlischen Substanz verglichen.  Vgl. Zambon 2005, 321: „La psicologia di Plotino rende del tutto superflua la dottrina dell’ὄχημα e quella, ad essa collegata, del viaggio astrale dell’anima, perché è basata su un modello esattamente opposto di spiegazione dell’incorporarsi dell’anima: mentre [...] la dottrina del veicolo cerca di ‚avvicinare‘ progressivamente i due termini eterogenei [...], Plotino pensa che l’anima possa svolgere la propria funzione verso il corpo proprio perché essa non si ‚corporeizza‘ in alcun modo e rimane del tutto separata da esso.“  Es wurde oft bemerkt, dass der nachplotinische Neuplatonismus sich allgemein durch eine zunehmende Vermehrung von Hypostasen bzw. die Einführung von Vermittlungsstufen innerhalb einzelner Hypostasen auszeichnet. Bei Proklos erreicht diese „Kunst des kleinsten Übergangs“ (Beierwaltes 2007, 80) ihren Höhepunkt. Entscheidende Schritte dazu finden sich gleichwohl schon bei Iamblichos. Nun betrifft diese Tendenz zur immer stärkeren (Binnen-)Differenzierung nicht allein die Sphären der intelligiblen Hierarchien; auch die Einführung einer – oder ggf. mehrerer – zwischen Seele und Körper vermittelnden Entität(en) kann als Ausdruck derselben verstanden werden. Insofern spiegelt sich in der ὄχημα-πνεῦμα-Lehre eine charakteristische Tendenz des spätantiken Neuplatonismus.

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das Problem der Vermittlung zwischen Seele und Leib thematisiert (s. Kap. 3.1.1) und kann man dem ὄχημα-πνεῦμα seiner Nachfolger strukturell eine analoge Rolle zusprechen wie Plotins εἴδωλον;289 doch macht es gleichwohl einen Unterschied, ob man diese Vermittlungsentität – wie Plotin – als bloßen „Abglanz“ der Seele (der sich zumal nach der Trennung der Seele vom Leib schlicht auflöst) fasst oder – wie Iamblichos – als eine gleichsam eigenständige Wesenheit, genauer: als einen unvergänglichen Körper sui generis.290 Dabei stellt Iamblichos selbst die Annahme einer solchen zwischen Seele und Leib vermittelnden Entität noch als eine Minderheitenposition innerhalb des Platonismus seiner Zeit dar: Ebenso unterscheiden sie sich natürlich auch gewaltig hinsichtlich der Einordnung der mittleren Substanzen zwischen Seele und Körper. Die einen siedeln nämlich die Seele selbst unmittelbar im organischen Körper an; so die meisten Platoniker. Die anderen (lehren), zwischen der unkörperlichen Seele und dem Aufnehmenden (gebe es) ätherische, himmlische und pneumatische Gewänder, die das vernünftige Leben ringsum einhüllen; sie seien vor ihr zu ihrem Schutz gebreitet, dienten ihr aber (auch) gleichsam als Gefährt und verbänden sie andererseits in ausgewogener Weise mit dem massiven Körper, indem sie sie gewissermaßen durch gemeinschaftliche Bande mit ihm verknüpften.291

Nun gibt streng genommen keine der hier referierten Positionen Iamblichos’ eigene Position präzise wieder. Zwar ist er grundsätzlich zweiterer Gruppe zuzurechnen, doch konstituiert sich das ὄχημα ihm zufolge nicht – wie z. B. bei Porphyrios (vgl. Sent. XXIX) – aus verschiedenen himmlischen Gewändern, sondern aus reinem Äther (In Tim. fr. 84);292 was jedoch nicht heißt, dass nicht auch Iamblichos eine Art „Befleckung“ des ὄχημα mit „Sphärenmaterial“ (oder durch schlechte Lebensführung) annahm (was aber damit für ihn kein integraler Bestandteil des

 So behauptet Zambon 2005, 333 f.: „Il pneuma di cui parla Porfirio finisce per svolgere la medesima funzione e per porre i medesimi problemi che pone l’εἴδωλον in relazione all’anima non discesa nell’antropologia plotiniana.“  Wir wollen indes nicht verschweigen, dass Plotin an einigen Stellen von Enn. IV 3 auf die Existenz eines vom grobstofflichen Körper verschiedenen Leibes anzuspielen scheint, den die Seele in ihrem Abstieg annehme. Dies wurde verschiedentlich als eine Präfiguration der späteren ὄχημα-πνεῦμα-Lehren gedeutet; doch gibt Plotin diesbezüglich zu wenig Informationen, als dass sich die entsprechenden Passagen auf konsistente Weise in seine Gesamtontologie einzeichnen ließen. Entscheidend bleibt: Für seine Anthropologie spielt die Vorstellung keinerlei tragende Rolle. Vgl. Smith 1974, 154; Alt 1993, 179 f., 225, 228 f.; Di Pasquale Barbanti 1998, 77–82.  Dörrie/Baltes 2002, Bst. 165.1 (= De an. § 38).  Vgl. Zambon 2005, 314; Finamore 1985, Kap. I.

3.1 Aufwertung von Körperlichkeit und Materie bei Iamblichos

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ὄχημα selbst sein kann).293 Mit der systematischen Integration des ὄχημα-Konzepts in die neuplatonische Anthropologie hat Iamblichos abermals einen Schritt getan, der für seine Nachfolger prägend bleiben sollte,294 hielten doch im Grunde alle wichtigen neuplatonischen Denker nach ihm an diesem Konzept fest und differenzierten es teils noch aus (so nahmen manche seiner Nachfolger bekanntlich weitere Binnendifferenzierungen innerhalb der feinstofflichen Ebene vor und unterschieden mehrere ὀχήματα).295 Die Funktion dieser feinstofflichen Körperlichkeit soll in den folgenden Kapiteln vorrangig anhand von Iamblichos und Proklos näher untersucht werden. Zuvor sei allerdings noch ein kurzer Exkurs zur Wertung von Körperlichkeit in den Chaldäischen Orakeln eingeschoben.

3.1.3 Exkurs: Zur Körperlichkeit in den Chaldäischen Orakeln Die ὄχημα-πνεῦμα-Lehre sowie die mit ihr verknüpfte Vorstellung, dass die Seele in ihrem Abstieg durch die Sphären und vor ihrer eigentlichen Verkörperung sich mit einem feinstofflichen, aus dem Sphärenmaterial konstituierten, Leib umkleide, war zweifelsohne Teil der chaldäischen Doktrin.296 Dass schon Porphyrios diese Vorstellung aus den Chaldäischen Orakeln übernommen hatte, wird durch eine Passage bei Proklos (In Tim. III 234,18–32) nahegelegt, aus der nicht zuletzt erhellt, dass die Chaldäer die Beschaffenheit des ὄχημα – den vier zu durchquerenden Zonen gemäß – aus Äther, Sonnen- und Mondsubstanz sowie aus Luft zusammengesetzt vorstellten.297 Wie die Orakel indes den Status des grobstofflichen Leibes im Einzelnen beurteilten, ist weniger klar. In einem mit „Der Körper des Theurgen“ (2006) betitelten

 Vgl. Finamore 1985, 12–15, 49 ff., 127.  Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass beispielsweise Hierokles (5. Jh.) den Menschen als „rationale Seele mit einem ihr angeborenen (συμφυές) und unsterblichen Körper“ definiert (In CA XXXVI, p. 111,11–13 Köhler), mithin als eine Art συναμφότερον, in welchem der unsterbliche Leib eine nicht wegzudenkende Rolle einnimmt.  Zum neuplatonischen ὄχημα-πνεῦμα-Konzept liegt eine ganze Anzahl von Forschungsliteratur vor. Diese lässt sich einteilen in (1) Monographien, welche die Genese und Entwicklung des Konzeptes in der Antike systematisch anhand der wichtigsten Autoren verfolgen. Die diesbezüglich wichtigsten Studien sind Finamore 1985; Di Pasquale Barbanti 1998; Toulouse 2001. Es gibt (2) diverse Detailstudien und d. h. Aufsätze, die der Rolle des Konzeptes bei einem spezifischen (oder einer kleinen Anzahl von) neuplatonischen Autor(en) nachspüren. Ferner sind (3) Studien zu nennen, die das Phänomen subtiler Körperlichkeit epochenübergreifend und teils interkulturell in den Blick nehmen. Diesbezüglich interessant sind vor allem Poortman 1978 u. Lockhart 2010 sowie die drei Sammelbände Samuel/Johnston (Hrsg.) 2013; Lobsien/Roling/u. a. (Hrsg.) 2018; Pati/Zubko (Hrsg.) 2020.  Vgl. Geudtner 1971, 16–24.  Vgl. Geudtner 1971, 19 f.; Lewy ³2011, 182; Di Pasquale Barbanti 1998, 115.

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Aufsatz ist H. Seng den Aussagen der – wohlgemerkt im Kontext des Mittelplatonismus, und d. h. in einem eher körperfeindlichen Milieu, entstandenen – Orakel zum Thema Körper und Körperlichkeit nachgegangen. Zwar sind die in den erhaltenen Orakelsprüchen getroffenen Aussagen letztlich zu fragmentarisch, als dass man ein klar rekonstruierbares Bild davon, wie ihre Verfasser den Status des Körpers beurteilten, gewinnen würde. Grundsätzlich scheint ihre Sicht auf den Vorgang der Verkörperung der Seele und die Rolle des Körpers aber ziemlich negativ gewesen zu sein.298 Andererseits – und dies ist im Kontext unseres Themas von einigem Interesse – gibt es Fragmente, die auf die Vorstellung einer „Rettung“ (σωτηρία) nicht nur der Seele, sondern sogar des Körpers (σώμα) hindeuten. Diese Fragmente – vor allem sind hier relevant: 128, 129 und 158 – haben bereits in der Antike, und desgleichen seitens moderner Interpreten, unterschiedliche Auslegungen erfahren. Betrachten wir sie also etwas näher. (1) Das bei Psellos überlieferte Fragment 128 lautet: „Den feurigen Intellekt ausstreckend zum Werke der Frömmigkeit wirst du auch den fließenden Körper retten (ῥευστὸν σώμα σαώσεις).“299 Die Bezeichnung „fließender Körper“ ist mit aller Wahrscheinlichkeit auf die Vergänglichkeit des materiellen Leibes zu beziehen. Unter dessen „Rettung“ versteht Psellos in seiner Auslegung die Bewahrung vor körperlichen Krankheiten. Man hat außerdem versucht, σώμα hier auf das ὄχημα zu beziehen, was letztlich spekulativ bleibt.300 (2) Das bei Kaiser Julian zitierte Fragment 129 (Or. V 178d) steht eigentlich im Zusammenhang einer Diskussion über angemessene Ernährung und die damit zusammenhängende körperliche Gesundheit, woraufhin recht schnell die (für einen Platoniker typische) Überzeugung geäußert wird, dass auf die Seele noch weit mehr zu achten sei als auf den Körper. Hieran knüpft Julian dann folgende erstaunlichen Erläuterungen an: Denn dies vor allem ist ja der Seele selbst zu ihrem Heile (σωτηρία) bei weitem am förderlichsten, wenn sie mehr Rücksicht auf sich selbst als auf die Sicherheit des Körpers (σώμα) nimmt, und zudem wird dabei offenbar auch dem Körper selbst ganz unvermerkt eine größere und wunderbare Förderung zuteil. Wenn sich nämlich die Seele vollständig den Göttern hingibt [...], dann erstrahlt in ihnen (den Seelen) auf einmal das göttliche Licht, und vergöttlicht verleihen sie dann dem ihnen von Natur angeborenen Lebenshauch (πνεῦμα) eine gewisse Spannkraft, und eben diese wird von ihnen gewissermaßen gestärkt und gekräftigt und schlägt so dem ganzen Körper zum Heil (σωτηρία) aus. Denn daß so ziemlich alle, oder doch die meisten und schwersten Krankheiten von der Veränderung und Entglei-

 Vgl. dazu auch Geudtner 1971, 7–15, 24–34.  Nach der Übersetzung bei Seng 2006, 852.  Vgl. Majercik 1989, 189 f.

3.1 Aufwertung von Körperlichkeit und Materie bei Iamblichos

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sung des Lebenshauches herrühren, wird wohl keiner von den Jüngern des Asklepios bestreiten wollen. [...] Unsere Ansicht wird aber auch noch durch die Aussprüche der Götter bestätigt, die Ansicht nämlich, daß durch die Sühnungsübungen nicht nur der Seele, sondern auch den Körpern Förderung und Heil zuteilwerden. Denn die Götter ermuntern ja die ganz reinen unter den Theurgen durch das Versprechen, es werde ihnen auch ‚die sterbliche Hülle des bitteren Stoffes‘ erhalten (μαρτυρεῖ δὲ τούτοις καὶ τὰ τῶν θεῶν λόγια, φημὶ δέ, ὅτι διὰ τῆς ἁγιστείας οὐχ ἡ ψυχὴ μόνον, ἀλλὰ καὶ τὰ σώματα βοηθείας πολλῆς καὶ σωτηρίας ἀξιοῦται: ‚σώζετε‘ γάρ σφισι ‚καὶ τὸ πικρᾶς ὕλης περίβλημα βρότειον‘, οἱ θεοὶ τοῖς ὑπεράγνοις παρακελευόμενοι τῶν θεουργῶν κατεπαγγέλλονται). (178a–d)301

Der Abschnitt beginnt recht konventionell mit dem Hinweis, dass die σωτηρία der Seele weit wichtiger sei als das körperliche Wohlbefinden. Im Folgenden verbindet sich dieser Gedanke indessen mit einer Art medizinischer Theorie, der zufolge Beschaffenheit bzw. Zustand des πνεῦμα auch für die körperliche Gesundheit maßgeblich sei. Der gute Zustand des πνεῦμα hänge jedoch davon ab, inwieweit die Seele vom göttlichen Licht erfüllt werde. Die σωτηρία der Seele schlage damit, so die Pointe, zugleich zur σωτηρία des Körpers aus. Die medizinische πνεῦμαVorstellung302 wird hiernach aber noch mit der Praxis der Theurgie und der Seelenlehre der Orakel in Verbindung gebracht. Im Gegensatz zu einer bloßen Befreiung der Seele vom Leib spricht Julian von einer σωτηρία von Seele und Leib, welche durch die Theurgie erlangt werden könne.303 Diese Aussage wurde verschieden interpretiert: So hat H. Lewy vorgeschlagen, den Begriff σωτηρία hier weniger im eschatologischen als vielmehr im rein medizinischen Sinne aufzufassen; er bezieht die σωτηρία des Körpers dementsprechend auf eine Resistenz desselben gegenüber dämonisch verursachten Krankheiten.304 Man kann sich mit

 Nach der Übersetzung von R. Asmus, leicht modifiziert.  In der Tat gemahnt die Funktion des πνεῦμα, wie von Julian beschrieben, eher an die klassischen medizinischen πνεῦμα-Vorstellungen der Antike als an die neuplatonische Lehre vom Seelenvehikel. Die wichtigsten antiken πνεῦμα-Konzepte diskutiert Di Pasquale Barbanti 1998, 26 ff. Schon Aristoteles spricht vom πνεῦμα in zumindest zwei Bedeutungen, nämlich (1) als der von außen eingeatmeten Luft, und (2) als einer aus der Verdunstung des Blutes gebildeten Entität, die im Herzen zu verorten und konstitutiv für die Übermittelung von Sinneseindrücken sei. Zum Einfluss der medizinischen πνεῦμα-Konzepte auf Aristoteles vgl. Culianu 2001, 31 ff.  Dies ist der Grund, warum einige Interpreten eine Beeinflussung der Heilslehre der Chaldäischen Orakel durch jüdisch-christliches Gedankengut behauptet haben. Ugenti 1992, 117 schreibt in seinem Kommentar zur zitierten Stelle unter Heranziehung einiger Forschungsmeinungen: „Kroll 61, Bogner 296 e Lewy 214s. vi vedono un accenno alla resurrezione della carne, o meglio alla fiduciosa speranza che gli iniziati ai misteri assurgano direttamente alla vita eterna in anima e corpo: un concetto che la teologia caldea avrebbe assunto direttamente dal giudaismo ellenizzante e dal cristianesimo“. Doch bleibt dieser Einfluss hypothetisch.  Vgl. Lewy ³2011, 215 f.; Geudtner 1971, 20 f. Für Lewys Deutung spricht sich ebenfalls Nasemann 1991, 283–285, aus.

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

O. Geudtner auch fragen, ob mit σώμα überhaupt der grobstoffliche Leib gemeint sei oder nicht vielmehr das seelische ὄχημα. In diesem Sinne, so Geudtner, müsse σωτηρία gar nicht auf „Unsterblichkeit“ abzielen, sondern könne auch schlicht die Rettung „vor dem materiellen Untergang“305 bezeichnen.306 Eine derartige Deutung ist (wie im Falle von fr. 128) zwar verlockend – ist die Unsterblichkeit des ὄχημα doch eine von Iamblichos ausdrücklich vertretene Auffassung und wird das ὄχημα in bestimmten Kontexten ja durchaus als σώμα (allerdings meist verknüpft mit einem es näherhin charakterisierenden Attribut wie πρῶτον oder αὐγοειδὲς) bezeichnet –; der Kontext der Textstelle legt dies aber nicht nahe. Denn zuvor war doch von der Dreiheit ψυχή, πνεῦμα und (grobstofflichem) σώμα die Rede. Warum Julian den Terminus σώμα am Ende der Passage dann plötzlich auf das ὄχημα beziehen sollte, ist nicht ersichtlich. Insofern scheint tatsächlich der grobstoffliche Leib intendiert zu sein. Ob die σωτηρία aber im eschatologischen oder medizinischen Sinne zu nehmen ist, bleibt damit freilich noch offen und wird sich auch nicht mit Sicherheit beantworten lassen. Die Gesamthaltung der Chaldäischen Orakel gegenüber dem Körper spricht nicht für eine eschatologisch-soteriologische Lesart. (3) Das letzte Fragment (158) ist zweifach überliefert: in Synesios’ De insomniis sowie bei Psellos, bei diesem allerdings nur der zweite Halbsatz. Bei Synesios lautet die entsprechende Passage (De ins. 9, 140c–141b): Wenn die Seele aber aufsteigt, begleitet das Pneuma sie, soweit sein Vermögen zu folgen reicht; es vermag aber bis zu dem völlig Entgegengesetzten zu gelangen. Höre nämlich auch darüber die Orakel; sie sagen: ‚Auch wirst du den Kot der Materie (σκύβαλον τῆς ὕλης) nicht dem Abgrund hinterlassen, sondern auch das Abbild (εἴδωλον) hat Teil am ringsumleuchteten Ort.‘ Dieser aber steht im Gegensatz zum ‚ringsumdunkelten‘. Indessen könnte man mit Scharfblick in diesen Worten noch mehr entdecken. Denn die Seele scheint nicht nur die von dort kommende Natur in die Sphären hinaufzuführen; sondern wenn sie beim Abstieg etwas von den Höhen des Feuers und der Luft in die abbildhafte Natur gezogen hat, bevor sie die irdische Schale anzog, dann sendet sie, sagt das Orakel, auch dies zusammen mit dem besseren Teil hinauf. Der ‚Kot der Materie‘ ist wohl kaum der göttliche Körper

 Geudtner 1971, 21.  Demzufolge könnte man sogar Porphyrios’ Position, die von der Auflösung der Elemente beim Wiederaufstieg ausgeht, „soteriologisch“ deuten, denn „for Porphyry there is some kind of dissolution of the component powers which somehow continue to exist in a seperated state“ (Smith 1974, 67) – insofern werden sie nicht vernichtet, sondern erhalten. In diese Richtung tendiert auch Proklos in seiner Darstellung von Porphyrios’ Position: Der Begriff „Zerstörung“ (φθορά) sei mit Blick auf das Vehikel nicht angebracht; vielmehr löse es sich in den Sphären wieder auf (ἀναστοιχειοῦσθαι καὶ ἀναλύεσθαι) (In Tim. III 234,19–22), sodass es zwar nicht als individuelle Entität erhalten bleibe, aber doch in gewissem Sinne (aufgrund der Erhaltung seiner Einzelbestandteile) „zugleich sterblich und unsterblich (θνητόν καὶ οὐ θνητόν)“ sei (III 236,19 f.).

3.1 Aufwertung von Körperlichkeit und Materie bei Iamblichos

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(θεσπέσιον σῶμα) [...] Vielleicht könnte auch das Schlechtere, wenn es sich nicht der Wirkung der Seele widersetzt [...] in Aether transformiert und mit hinaufgesandt (συνεξαιθεροῖτο ἄν καὶ συναναπέμποιτο) werden; wenn nicht vollständig, so dürfte es doch die Höhe der Elemente übersteigen und von dem Ringsumleuchteten kosten.307

Zunächst thematisiert Synesios das Verhältnis von Seele und πνεῦμα. Letzteres werde von der Seele im Wiederaufstieg mithinaufgezogen. Soweit entspricht dies lediglich der Vorstellung, dass das Seelenvehikel die Seele beim Ab- und Aufstieg begleite. Dann wird der Orakelspruch zitiert, der eine Erhebung des „Kots der Materie“ (σκύβαλον τῆς ὕλης) bzw. des „Abbilds“ (εἴδωλον) behauptet. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dies seien Umschreibungen für das πνεῦμα, um dessen Aufstieg es zuvor ja ging und zur Unterstützung dieser Ansicht der Vers ja scheinbar zitiert wird. Wie aus Synesios’ darauffolgendem Kommentar aber erhellt, will er die Formel „Kot der Materie“ gerade nicht auf das (ätherische) πνεῦμα, d. h. den „göttlichen Körper“ (θεσπέσιον σῶμα), bezogen wissen, sondern auf „das Schlechtere“, das dieser Körper bei seinem vormaligen Sphärenabstieg an sich gezogen habe, namentlich die sublunaren Elemente des Feuers und der Luft. Besagte Elemente, so Synesios, könnten beim Wiederaufstieg ggf. „in Äther transformiert“ werden. In der Tat scheint die Optativform συνεξαιθεροῖτο – D. A. Russell übersetzt es mit „etherealized“308 – eine Transformation, man könnte auch sagen: Transsubstantiation, sublunarer Elemente in Äther zu bezeichnen. Von manchen Interpreten wurde diese Passage (ähnlich wie die oben besprochene Julian-Stelle) mit der christlichen Lehre vom Auferstehungsleib (des paulinischen σῶμα πνευματικόν) enggeführt, was – Synesios’ Konversion zur christlichen Religion zum Trotz – wenig überzeugend ist.309 Letztlich wird aus der Schrift nicht deutlich, was man sich unter der „ätherischen Verwandlung“ genau vorstellen muss.310 In jedem Falle scheint der Vorgang auch für Synesios eher die Ausnahme als die Regel darzustellen, insofern er sich nur „vielleicht“, nämlich wenn das Schlechtere „sich nicht der

 Nach der Übersetzung bei Seng 2006, 855.  So auch den Begriff ἀπαιθεροῦται in De ins. 6, 137a.  Lacombrade 1951, 160 f. u. 168 f., will in der Frage, inwieweit sich die Individualität der Einzelseele auch nach dem körperlichen Tod durchhalte – und diese Individualität ist eben primär an der Beschaffenheit des πνεῦμα festzumachen – den Kern von Synesios’ Schrift überhaupt erblicken. Diese These wurde schon von Bregman 1982, 145–154, zurecht sehr kritisch beurteilt. Man muss hier beachten, dass Synesios die Lehre von der Auferstehung (ἀνάστασις) im Fleische auch nach seiner Konversion zum Christentum nicht akzeptierte, sondern allegorisch verstanden wissen wollte (vgl. Ep. 105). Vollenweider 1985, 184, setzt Synesios’ Verständnis von ἀνάστασις schlicht mit der Auflösung des pneumatischen Leibes in den Sphären (im Sinne von Pophyrios’ Auffassung) gleich und stellt gänzlich in Abrede, dass der Neuplatoniker eine Bewahrung des fleischlichen oder pneumatischen Leibes annehme.  Zum möglichen philosophischen Hintergrund vgl. Seng 2006, 859 f.

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

Wirkung der Seele widersetzt“, vollziehe.311 P. Hadot zufolge „il est possibile que les néoplatoniciens aient pensé, comme Synésius, à une sorte de métamorphose des elements du corps au sein du corps cosmique de l’âme divine“.312 Im Zusammenhang mit dieser – fast an einen alchemistischen Vorgang erinnernden – „Metamorphose“ sei auf eine Stelle in Aeneas von Gazas (5./6. Jh.) Dialog Theophrastus hingewiesen. Aeneas war höchstwahrscheinlich ein Schüler des Hierokles von Alexandrien, im Gegensatz zu seinem Lehrer allerdings überzeugter Christ.313 Schon insofern haben wir einen ähnlichen Fall vor uns wie bei Synesios, der (zugegebenermaßen in eher spätem Lebensalter) zum Christentum konvertiert ist. An den beiden Gestalten lässt sich der Übergang von Heidentum zu Christentum auf je eigentümliche Weise aufzeigen, was nicht zuletzt in zwei unterschiedlichen Umgangsweisen mit der ὄχημα-πνεῦμα-Lehre kenntlich wird. Die Differenzen zwischen heidnischem Neuplatonismus und platonisierendem Christentum sowie die Parteinahme für die christliche Lehre kommen in Aeneas’ Werk grundsätzlich sehr viel klarer zum Vorschein als bei Synesios. Während Synesios in De insomniis sich die neuplatonische ὄχημα-πνεῦμα-Lehre positiv aneignet und, wie gesagt, auch nach seiner Konversion eine wörtliche Interpretation der fleischlichen Auferstehung ablehnt, verteidigt Aeneas im Theophrastus (52,5–19) die fleischliche Auferstehung ausdrücklich gegen die heidnischen ὄχημα-πνεῦμα-Vorstellungen, indem er diese ins Lächerliche zu ziehen versucht. Wie aber begründet Aeneas die leibliche Auferstehung? Hier kommt genau das ins Spiel, was man – die oben zitierte Formulierung Hadots aufgreifend – als „Metamorphose der körperlichen Elemente“ bezeichnen könnte. Die Elemente, aus denen der Körper bestehe, blieben – so die Grundannahme seiner Argumentation – als solche auch nach dessen Tod erhalten, weshalb sie vom Schöpfer jederzeit wieder zusammengeführt werden könnten (vgl. 56,1–5).314 Anhand einiger empirischer Beispiele sucht Aeneas die Verwandlung des Körpers zu veranschaulichen, z. B. anhand des bekannten – von Paulus im Ersten Korinther-

 Sieht man von der zitierten Passage ab, so scheint Synesios hinsichtlich des Schicksals des πνεῦμα tatsächlich eine ähnliche Position wie Porphyrios vertreten zu haben (d. h. dessen Auflösung beim Wiederaufstieg durch die Sphären). Mit der Seele, so Synesios, bleibe das πνεῦμα nur so lange verbunden, bis diese wieder „dorthin zurückkehrt, woher sie gekommen ist“ (De ins. 7, 138c) und geht dann wieder in die Sphären ein (vgl. 10, 141c). Auch Hadot 1978, 101, bemerkt diesbezüglich: „pour Porphyre et Synésius le véhicule pneumatique est acquis au cours de la descente de l’âme raisonnable et abandonné par elle à sa remontée.“  Hadot 1968, 343 Fn. 11.  Vgl. zu Aeneas’ Leben: Wacht 1969, 15 ff.  Hagedorn/Merkelbach 1966, 88 f., weisen darauf hin, dass das Dogma von der Allmacht Gottes von den Christen wohl vor allem zur Rechtfertigung der fleischlichen Auferstehung entwickelt wurde.

3.1 Aufwertung von Körperlichkeit und Materie bei Iamblichos

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brief (15,35–49) verwendeten – Bildes von Samenkorn und Pflanze. Während das Korn stirbt, bleibe doch sein „schöpferisches Prinzip“ (58,12: δημιουργικός λόγος) erhalten, das sich zur Pflanze (resp. zum Auferstehungsleib) ausfalten könne. Ein Beispiel verdient unsere besondere Aufmerksamkeit. Aeneas analogisiert die Umwandlung unedler Metalle in Gold mit der Transformation des Auferstehungsleibes, ja zieht die Veredelung von Metallen gewissermaßen als empirischen Beleg für die Möglichkeit einer Umwandlung der Leiber der Auferweckten heran: Similarly, suppose there was a bronze Achilles, the Achilles was broken by the passage of time, and some people took the abandoned bronze, cut it up into pieces and scattered it all over the place; and suppose also that the wise craftsman (δημιουργός), approving the matter of the bronze as suitable for his art to use as bronze, were to find all of it by gathering it together, and then – melting it down and purifying it, and by some wisdom and power turning the bronze into gold – impose upon it the form of Achilles, then the once bronze Achilles would be seen as a golden Achilles, but an Achilles all the same. Even so the matter of bodies, escaping heaviness, disorder, and mortality, becomes, by the generosity and skill of the Creator, pure, light and immortal (59,16–25). Change of matter to a better state is not implausible, for, among us too, experts in materials, taking silver and tin, making their form disappear, melting them down together and colouring them, and so changing the matter into something grander, have produced excellent gold (62,28–63,3; Übers. Gertz/Dillon/Russell).

Dies ist nicht nur ein wichtiges Zeugnis für das Bestehen alchemistischer Praktiken im Umfeld des Aeneas,315 sondern zeigt vielmehr allgemein, dass das Motiv von der Umwandlung unedler in edle Elemente – und um nichts anderes handelt es sich auch bei Synesios’ Transformation sublunarer Elemente in Äther – im neuplatonischen Umfeld der Spätantike keine unbekannte Vorstellung war. Kommen wir aber nochmals auf Fragment 158 als solches zurück, jetzt in der Überlieferung bei Psellos. Er beschränkt sich auf die Zitation des zweiten Teils: „auch das Abbild (εἴδωλον) hat Teil am ringsumleuchteten Ort“ (p. 126,15 O’M.). Zwar bezieht Psellos in seiner Auslegung das „Abbild“ auf die irrationale Seele. Wenn er allerdings kurz darauf auf den „Kot der Materie“ zu sprechen zu kommt, schreibt er (p. 128,4–8 O’M.): Es fordert uns auf, auch den Körper selbst, den es als Kot der Materie bezeichnet, durch das göttliche Feuer aufzureiben oder leicht zu machen und bis zum Aether zu erheben, oder uns von Gott in die Höhe versetzen zu lassen, an einen Ort ohne Materie und Körperlichkeit, oder zwar mit Körperlichkeit, aber aetherisch, oder himmlisch, was auch Elias dem Thesbiter zuteil wurde und vor diesem Henoch.316

 Als ein solches wird es diskutiert bei Berthelot 1885, 74–76.  Nach der Übersetzung bei Seng 2006, 857.

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

Psellos führt drei Interpretationsmöglichkeiten an, von denen die erste auf eine Erhebung und Verwandlung des gewöhnlichen Körpers ausgeht, die zweite auf eine mit Entkörperlichung verbundene Erhebung, die dritte auf eine Erhebung des ätherischen Körpers. Die Himmelfahrten von Elias und Henoch werden im letzteren Sinne, d. h. vermittels des ὄχημα-πνεῦμα-Konzeptes, erklärt. Überblickt man die verschiedenen Fragmente sowie die verschiedenen auf sie bezogenen Interpretationen, so ergibt sich kein einheitliches Bild. Den „geretteten“ Körper in allen Fragmenten auf das feinstoffliche ὄχημα zu beziehen, ist grundsätzlich möglich, aber, des Kontexts der Sprüche eingedenk, nicht naheliegend. Seng vertritt die These, dass in einer ersten Stufe der Orakelauslegung – wie sie sich z. B. in Psellos’ Interpretation von fr. 158 sowie, in leicht gewandelter Form, in Synesios’ Interpretation desselben Fragments widerspiegelt – in der Tat eine (eschatologische) Rettung des (grobstofflichen) Körpers gemeint war, weshalb er es für sinnvoll erachtet, auch das in den Fragmenten 128 und 129 Beschriebene in seiner „ursprünglichen Bedeutung auf eine Form der eschatologischen Rettung des Körpers zu beziehen“.317 Freilich muss auch er zugeben, dass die Frage, wie sich dieser Gedanke in die Gesamtsystematik der Lehre der Orakel einfügt, unklar bleibt. Wir sind auf die drei Fragmente hier deshalb etwas genauer eingegangen, weil sie – wie schon manche der zuvor diskutierten Textstellen aus Iamblichos – ein im Kontext des Platonismus durchaus ungewohntes Licht auf das Problem der Körperlichkeit werfen. Falls der in ihnen sich aussprechenden Auffassung zur „Rettung“ des Körpers tatsächlich ein genuin eschatologischer Sinn eignen und falls dieser auf den grobstofflichen Leib bezogen sein sollte, so könnte man dies wiederum im Sinne einer Aufwertung des Leibes – nämlich der Möglichkeit seiner Vergöttlichung318 – im Kontext der Theurgie deuten. Doch ist dies kaum mehr als eine Hypothese, denn letztlich bleiben die drei Fragmente – wie auch die Intentionen der sie zitierenden antiken Autoren – rätselhaft. In jedem Falle bleibt die Haltung der Orakel zum Phänomen der Körperlichkeit – so weit sie uns greifbar ist – höchst ambivalent. Wenden wir uns jetzt aber dem Themenkomplex der feinstofflichen Körperlichkeit zunächst bei Iamblichos, anschließend bei Proklos zu.

 Seng 2006, 857 f.  Ob hier ein Zusammenhang besteht zu dem im Corp. Herm. XIII 3 erwähnten ἀθάνατον σώμα, ist eine andere Frage.

3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos

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3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos Das Thema der feinstofflichen Körperlichkeit stellt sich bei Iamblichos hauptsächlich in zwei Kontexten: (1) im Kontext der Körper der höheren Genera (vor allem der „sichtbaren Götter“, d. h. der Gestirne, sowie der Dämonen); (2) im Kontext seiner Anthropologie, die von der Existenz eines zwischen Seele und grobstofflichem Leib vermittelnden ὄχημα-πνεῦμα ausgeht. Während Punkt (1) vor allem im Rahmen der Theorie des Opfers verhandelt wird und auf die Begründung der Nichtaffizierbarkeit der göttlichen Körper hinausläuft, wird Punkt (2) in De mysteriis in erster Linie im Zusammenhang divinatorischer Praktiken relevant und erweist sich als zentral in Iamblichos’ Verständnis göttlicher Epiphanien; in jenen uns erhaltenen Fragmenten aus seinem verlorenen Timaios-Kommentar, in denen vom Seelenvehikel die Rede ist, stehen indes die Fragen nach Zusammensetzung, Entstehung und jenseitigem Schicksal desselben im Vordergrund und werden in enger Anlehnung an den platonischen Dialog beantwortet.319 Während also einerseits Iamblichos’ Theorie des ὄχημα zweifellos als Frucht seiner Platon- (und Aristoteles-)Exegese zu betrachten ist,320 nimmt sie in seinem Denken andererseits zugleich eine genuin theurgische und religionsphänomenologische Funktion ein. Die eminente Rolle, die den feinstofflichen, unsterblichen Körpern – sowohl der Menschen als auch der höheren Genera – bei Iamblichos zukommt, zeugt von der Aufmerksamkeit, die er dem Phänomen der Körperlichkeit im weiteren Sinne zuteilwerden ließ. Im Zentrum folgender Darstellung soll wiederum der theurgische Kontext des ὄχημα stehen.

3.2.1 Körper der Gestirngötter und höheren Genera Wie in Fn. 286 angemerkt, steht die Mehrzahl von Stellen, in denen Platon den Terminus ὄχημα verwendet, in einem astrologischen Kontext und teils bezieht sich der Terminus explizit auf göttliche Entitäten: Der im Phaidros beschriebene Seelenaufstieg beschwört die „Wagen der Götter“ (247b2: τὰ θεῶν ὀχήματα), denen die menschlichen Gespanne nur mit Mühe folgen könnten. In Timaios 41e2 sind es die Gestirne, auf die jeweils eine Menschenseele „gleich auf ein Fahrzeug“ (ὡς ἐς ὄχημα)

 Iamblichos’ Ausführungen zum ὄχημα in der nur fragmentarisch überlieferten Schrift De anima basieren höchstwahrscheinlich auf seinem verlorenen Timaios-Kommentar (vgl. Finamore 1985, 60). Finamores Studie bietet eine unter Einbeziehung aller relevanten Quellen angestrengte, systematische Darlegung von Iamblichos’ ὄχημα-Lehre.  Dies geht auch aus einigen Passagen von Proklos’ Timaios-Kommentar (vgl. In Tim. III 275,24–279,2) hervor, in denen er u. a. Iamblichos’ ὄχημα-Vorstellung referiert.

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

gesetzt wird. In Nomoi 898e–899a wird, das Verhältnis von Sonnenseele und -körper diskutierend, erwogen, ob die Seele der Sonne den Sonnenleib gleich einem Wagen (ἅρμα) lenke und dergestalt ihr Licht durchs Weltall verbreite. Dem Dialog Epinomis (986b5) zufolge sind die sichtbaren Gestirne entweder die Götter selber oder deren ὀχήματα. Nicht zuletzt hatte Aristoteles das πνεῦμα als Wesenheit bestimmt, die analog zu den Elementen der Sterne beschaffen sei (De gen. an. 736b37–38). Die Frage nach der Körperlichkeit gewisser Götter und „höheren Genera“ ist in diesen Passagen vorgezeichnet und es ist nur konsequent, dass den ὄχημα-Lehren der Neuplatoniker mindestens so sehr eine kosmologisch-theologische wie eine anthropologische Dimension eignet, also das Konzept des ὄχημα nicht nur hinsichtlich der Wesensbestimmung des Menschen, sondern auch hinsichtlich jener der (enkosmischen) göttlichen Entitäten maßgeblich wurde. In De mysteriis I 8 und I 16–17 diskutiert Iamblichos das Verhältnis der höheren Genera zu ihren Körpern. Porphyrios’ Ansatz, die Genera gemäß ihren Verhältnissen (κατάταξις) mit verschiedenen Körpern zu unterscheiden, wird abgelehnt; im Grunde trägt die Diskussion über die göttlichen Körper für Iamblichos nichts zur Klärung der göttlichen Wesenheiten (οὐσίαι) als solchen bei. Denn ihm zufolge sind die höheren Genera im Unterschied zum Menschen nicht in ihren Körpern „anwesend“, sondern steuern sie „von außen“ (ἔξωθεν). „Die sichtbaren Götter sind außerhalb ihres Körpers“ (I 19, 60,8 f.: οἱ ἐμφανεῖς θεοὶ σωμάτων εἰσὶν ἔξω). Insofern sie nicht von körperlichen Veränderungen affiziert werden, stellen ihre Körper für sie kein Hindernis dar. the gods, even if they mount themselves on bodies, nevertheless are entirely distinct from them. So then, the bare fact of concerning oneself with bodies does not result in any diminution in status for those who have a body at their service; rather, the body is given coherence by the superior power, and turns itself towards it, and provides no obstacle to it. (I 20, 63,10–13)

Das Verhältnis der Götter zu ihren Körpern sei mithin ein anderes als im Falle des Menschen (vgl. auch V 2) – nicht zuletzt betrifft dies ihre Beschaffenheit. Die göttlichen Körper seien vollkommener und dem unkörperlichen göttlichen Wesen ähnlich (I 17, 51,9 f.: τὸ οὐράνιον σῶμα πρὸς ἀυτὴν τὴν ἀσώματον οὐσίαν τῶν θεῶν ἐστι συγγενέστατον). Hinsichtlich ihrer Konstitution heißt dies konkret, dass derartige Körper „keine Mischung von einander entgegengesetzten und verschiedenartigen Elementen“ (52,3) – wie etwa im Falle des Menschen – beinhalten, sondern aus reinem Äther gebildet und kreisförmig seien. Der κυκλοφορητικόν καὶ ἄυλον σῶμα (V 4, 202,8 f.) der Gestirne sei „nicht vermischt“ (ἄμικτον) mit den vier sublunaren, „materiellen Elementen“ (τὰ ὑλικὰ στοιχεῖα). Iamblichos bezeichnet ihn auch als „ätherischen Leib“:

3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos

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For it is agreed that the aetherial body (τὸ αἰθέριον σῶμα) is exempt from all contrariety, and is free from all variation, completely purified from any capacity for changing into anything else, and utterly liberated from any tendency towards the centre or away from the centre, because it is free of tendency, or rather is borne round in a circle. (V 4, 202,10–203,1)

In ihrer Kreisförmigkeit – der vollkommensten aller Formen – imitieren sie die göttliche Selbstidentität (51,13: ταὐτότης) bzw. setzen diese räumlich um.321 Qua seiner Konstitution könne ein Gestirn keinerlei Einflüsse empfangen, die von (materiellen) Körpern, die eben jene den Gestirnkörpern abgesprochene Eigenschaften besäßen, ausgingen. In der Tat erfolgt die in V 4 gelieferte Diskussion der göttlichen Körper im Rahmen der Widerlegung der Auffassung, die Götter würden durch von den Opferhandlungen ausströmenden Dämpfen beeinflusst.322 Während die Diskussion göttlicher Körper in De mysteriis vor allem auf die Gestirne und auf die Dämonen (auf letztere kommen wir gleich gesondert zu sprechen) fixiert ist, geht aus einer Stelle von De anima hervor, dass Iamblichos letztlich allen höheren Genera feinstoffliche Körper zuzusprechen schien:323 The souls of gods adapt their bodies, which imitate intellect, to their own intellectual essence; the souls of the other divine classes (τῶν ἄλλων θείων γενῶν) direct their vehicles (ὀχήματα) according to their allotment in the cosmos. (De an. § 28, 379,7–10; Übers. Finamore/Dillon)

Bei diesen γενή kann es sich eigentlich nur um die göttlichen Hierarchien der Erzengel, Engel, Archonten etc. handeln, denen ausdrücklich ὀχήματα eignen, als deren mögliche Substanz wiederum nur der Äther in Frage kommt. Insgesamt betrachtet ist die Beschaffenheit der göttlichen Körper bzw. das Verhältnis der göttlichen Wesenheiten zu ihren Körpern von paradigmatischer (man könnte auch sagen: normativer) Bedeutung, insofern sie die Bestmöglichkeit dieses Verhältnisses illustrieren – ein Verhältnis, bei dem der Leib für die adäquate Ausübung der einem Wesen eigenen Tätigkeit (ἐνέργεια) keinerlei Hindernis darstellt; was illustriert, dass das „Haben“ eines Körpers bzw. der dauerhafte Bezug zu einem solchen mitnichten schlecht sein muss. Damit bleibt das Verhältnis der höheren Genera zu ihren Körpern auch für den Menschen vorbildlich, bietet ihm ein Paradigma, an dem er sich orientieren kann. Was im Übrigen die Charakterisierung der göttlichen Körper anlangt, so wird man das von ihnen Gesagte bis zu einem gewissen Grad auch auf das menschliche ὄχημα beziehen dürfen – mit dem Unterschied, dass dessen ätherische Substanz ggf. Verunreinigungen ausgesetzt sein und es in seiner Kreisbewegung beeinträch-

 Vgl. Shaw ²2014, 153 f.  Zu De myst. V 4 ausführlich: Nasemann 1991, 69–104.  Vgl. auch Finamore 1985, 34 f.; Opsomer 2018, 1375.

128

3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

tigt werden kann –, weshalb es der „Reinigung“ bedürftig ist, die von der Theurgie bewerkstelligt werden soll (s. u.).

3.2.2 Körper der Dämonen Schon im Mittelplatonismus war es üblich, den Dämonen eine Art von Körperlichkeit zuzusprechen (aus Äther, Feuer oder Luft); Plotin hat diese Vorstellung der Feuer- und Luftleiber aufgegriffen, ohne eine umfassendere Dämonologie zu entwickeln.324 In Iamblichos’ Hierarchie der κρείττονα γένη spielen die Dämonen bekanntlich eine wichtige Rolle – zuvörderst als „Aufseher“ über die körperliche Welt bzw. als kosmogonische Agenten in der Entfaltung göttlicher Kräfte in der Sphäre des Werdens325 – und er kommt an verschiedenen Stellen von De mysteriis auf sie zu sprechen. Wie S. O’Neill (2018) gezeigt hat, stellt Iamblichos’ Dämonologie in mancher Hinsicht eine Reaktion auf Porphyrios dar, wobei Iamblichos’

 Plotin kommt in mehreren Enneaden (z. B. III 4 u. III 5) auf das Wesen (οὐσία) der Dämonen (δαίμονες) zu sprechen. Er unterscheidet verschiedene Arten von Dämonen, ohne je eine systematische Dämonologie entfaltet zu haben. Grundsätzlich scheint er von einem unkörperlichen Wesen der Dämonen auszugehen, was besonders in seiner Interpretation des Eros deutlich wird. Die ἔρωτες seien Dämonen, die erzeugt werden, wenn die (Welt-)Seele nach dem Guten bzw. Schönen verlange. Sie seien frei von Materie (III 5, 6, 28: καθαροὶ ὕλης). Auch die übrigen Dämonen seien von der Weltseele erzeugt und walten im All, hätten allerdings – im Gegensatz zu den ἔρωτες – durchaus an der Materie teil. An welcher Materie? Plotin schließt aus der Nichtwahrnehmbarkeit der Dämonen, dass es sich nicht um körperliche Materie handeln könne. Um welche aber dann? Seine Antwort lautet: ὕλην δεῖ νοητὴν ὑποθέσθαι (III 5, 6, 44). Eine intelligible Materie (ὕλη νοητή) ist es, die zwischen dem immateriellen Wesen der Dämonen und ihrem „Leib“ vermitteln soll. Bei diesem Leib handelt es sich aber ebenfalls nicht um einen grobstofflich-erdhaften Körper – Plotin spricht vielmehr von Feuer- oder Luftleibern (III 5, 6, 37 f.: σώματα ἀέρινα ἤ πύρινα). Es ist nun auffällig, dass hier – im Gegensatz zu den späteren Neuplatonikern – nicht diese Leiber als Vermittlungsinstanz auftreten, sondern selber als vermittlungsbedürftig erscheinen. An dieser Stelle scheint die ὕλη νοητή bei Plotin jene Funktion einzunehmen, welche später dem ὄχημα zugesprochen wurde (vgl. dazu die Hinweise in Harders Plotin-Übersetzung, Bd. Ib, 398). Auch in II 1, 6, 54 spricht Plotin von Dämonen als aus Feuer bestehenden Wesen. In seiner Bestimmung der Natur des Feuers folgt er nun Aristoteles (vgl. De caelo): das Feuer sei „seiner Position nach ganz oben und ist feinstofflicher als die anderen Körper, weil es nahe am Unkörperlichen ist“ (I 6, 3, 21; Übers. Harder), weshalb es „über alle anderen Körper hinaus schön“ (I 6, 3, 19 f.) sei. Hiernach wird verständlich, warum Plotin in II 9, 17, 34 die Schönheit die Dämonen preisen kann. Zu den Dämonologien im Mittel- und Neuplatonismus vgl. die ausführlichen Studien von Rodríguez Moreno 1998 u. Timotin 2012.  Vgl. De myst. II 1, 67,2–5: „By ‚daemons‘ I mean the generative and creative powers of the gods in the furthest extremity of their emanations and in its last stages of division.“

3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos

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eigene Ausführungen – vor allem hinsichtlich der bösen Dämonen – nicht immer konsistent sind. Porphyrios hatte den Dämonen einen „affizierbaren und vergänglichen feinstofflichen Leib (πνεῦμα)“ zugesprochen (De abst. II 39, 2) und die Unterscheidung zwischen guten und bösen Dämonen an deren unterschiedlichem Verhältnis zu ihrem πνεῦμα festgemacht. Während gute Dämonen ihr πνεῦμα „gemäß der Vernunft (κατὰ λόγον) beherrschen“, seien böse Dämonen ihrem πνεῦμα unterworfen (II 38, 2), würden von dessen Affekten und Begierden mitgerissen (II 38, 4). Und während das πνεῦμα guter Dämonen symmetrisch – „gleich den Körpern der sichtbaren Götter“ – beschaffen sei, sei jenes der bösen Dämonen asymmetrisch gestaltet (II 39). Die bösen Dämonen strebten nach dem Geschmack von Opfergaben bzw. -dämpfen, von deren Aufnahme ihr πνεῦμα sich gleichsam nähre und verdicke (II 42). Es ist mithin diese affizierbare Körperlichkeit des πνεῦμα, welche Porphyrios’ Erklärung des Opfervorgangs fundiert. Genau diese Vorstellung von der Beeinflussbarkeit der höheren Genera durch materielle Substanzen (z. B. Opferdämpfe) sucht Iamblichos in De mysteriis zu widerlegen. Dies käme für ihn nachgerade einer Inversion der natürlichen Ordnung gleich, würde nämlich implizieren, dass die ontologisch höheren Genera sich durch niedrigere Entitäten beeinflussen ließen oder gar von ihnen abhängig wären (vgl. De myst. V 10, 213,7–214,3). Wie Iamblichos nicht müde wird zu betonen, seien die höheren Genera grundsätzlich unaffizierbar (ἀπαθές), ja als immaterielle Wesen streng genommen sogar der Differenzierbarkeit zwischen ἐμπαθές/ἀπαθές enthoben (vgl. I 10). Dabei spricht er den Dämonen durchaus eine Art von Leib (σῶμα) zu, der freilich unveränderlich (ἄτρεπτον), unaffizierbar (ἀπαθές), lichthaft (αὐγοειδὲς) und bedürfnislos (ἀνενδεές) sei (V 10, 212,3–6)326 und damit – wie im Falle der Gestirngötter – keinerlei materiellen Einflüssen ausgesetzt sein kann. In diesem Sinne kann Iamblichos die Dämonen auch schlicht als „unkörperlich“ (ἀσώματον) bezeichnen (VI 2, 242,11), wobei aus dem Kontext deutlich wird, dass er ihnen lediglich einen zerstörbaren Körper (διεφθαρμένον σῶμα) abspricht. Wenn Iamblichos von „Luft- und Erddämonen“ (VI 6, 247,11: οἵ τε ἀέριοι καὶ οἱ περὶ γῆν δαίμονες) spricht, ist dies wohlgemerkt nicht auf deren Beschaffenheit, sondern auf ihren innerkosmischen Herrschaftsbereich zu beziehen.327 Denn „das körperhafte Vehikel, dessen sich die Dämonen bedienen (τοῖς δαίμοσιν ὄχημα σωματοειδές), ist nicht aus Materie oder den Elementen oder irgendeinem anderen uns bekannten Körper beschaffen“ (V 12, 215,6–8). Es hat manches für sich, das ὄχημα  Vgl. Shaw ²2014, 148 ff.  Vgl. O’Neill 2018, 175. Im Unterschied zu Iamblichos scheinen Begriffe wie Luft- oder Erddämonen bei Porphyrios eine entsprechende kosmische Verortung der jeweiligen Dämonen zu implizieren. Vgl. dazu Porphyrios, fr. 293 F; Ad Gaurum 42,8.

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

der Dämonen als ätherisch zu identifizieren, zumal Iamblichos – wie wir sahen – ihm das Attribut αὐγοειδὲς verleiht.328 Nicht zuletzt erwähnt Iamblichos die πνεύματα der Dämonen im Zusammenhang der Epiphanien: „Die Pneumata der Dämonen und Heroen, die uns in den Visionen erscheinen, besitzen jeweils eine klar geformte Schönheit“ (II 3, 73,11–13) – was wiederum nahelegt, dass ihre Körper lichthaft-ätherisch beschaffen sind. Was indessen weniger klar ist, ist das genaue Verhältnis der Dämonen zu ihrem feinstofflichen Leib. In einer Passage wird Porphyrios dafür kritisiert, nicht näherhin präzisiert zu haben, „ob sie [die Dämonen] Körper besitzen, auf sie gesetzt sind, sie umhüllen, sich ihrer bedienen oder mit ihrem Körper zusammenfallen“ (I 16, 50,6–8). Auch Iamblichos selbst entscheidet sich nicht eindeutig für eine der hier angeführten fünf Optionen für das mögliche Verhältnis der Dämonen zu ihren Körpern. Während jedoch erstere Option auf die Menschen zutrifft und letztere (d. h. dass die Dämonen mit ihren Körpern zusammenfallen) der Sache nach auszuschließen ist, bleiben die Optionen 2 bis 4. Möglicherweise trifft das von den sichtbaren Göttern Behauptete (s. o.), nämlich dass sie ihre Körper „von außen“ (ἔξωθεν) steuern, auch auf die Dämonen zu – was wohl am ehesten Option 4 (d. h. dass sie ihren Körper „gebrauchen“) entsprechen würde. Merkwürdigerweise scheint Iamblichos hinsichtlich der bösen Dämonen das Kriterium der Unaffizierbarkeit aufzugeben, insofern sie „voller Begierde“ (III 31, 177,6: παθῶν μεστοί) und durch Materie verschmutzt seien. Wie dies mit seiner Grundauffassung über die Natur der höheren Genera sowie seiner Kritik an Porphyrios zusammengehen soll, bleibt im Dunkeln,329 ist im Kontext unserer Fragestellung jedoch auch nicht entscheidend. Nun spricht Iamblichos nicht nur von „bösen Dämonen“, sondern auch von „bösen πνεύματα“ (III 13, 130,5; 7; 11 f.; vgl. III 31,176,14 f.; 177,6 f.; 178,6–10); wobei aus III 31, 177,13 erhellt, dass diese einander entsprechen (oder sogar identisch sind)330 – dies legt, wie bei Porphyrios, einen negativen Effekt der Dämonenleiber auf die bösen Dämonen nahe.

3.2.3 Das menschliche Seelenvehikel Überblickt man Iamblichos’ Beschreibungen zum menschlichen Seelenvehikel, so ergeben sich sowohl Überschneidungspunkte als auch Unterschiede zu den Körpern der höheren Genera. Dies gilt es nun im Detail zu beleuchten.

 Vgl. Finamore 1985, 55 Anm. 5.  Auf diesen Grundwiderspruch in Iamblichos’ Dämonologie pocht O’Neill 2018.  Vgl. O’Neill 2018, 183 f.

3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos

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3.2.3.1 Beschaffenheit des Vehikels nach In Tim. Entstehung und jenseitiges Schicksal des menschliche ὄχημα wurden von J. F. Finamore (1985) in einer detaillierten Rekonstruktion von Iamblichos’ TimaiosExegese untersucht; dies braucht hier nicht wiederholt zu werden.331 Was uns hier primär interessiert, ist die Beschaffenheit und Funktion des ὄχημα im Kontext der Theurgie. „Unser Vehikel“ (τὸ ἡμέτερον ὄχημα) sei – analog zur Konstruktion des Alls – „sphärenförmig“ gestaltet (σφαιροειδές bzw. σφαιρικὸν) und „kreisförmig bewegt“ (κινεῖται κυκλικῶς), allerdings nur dann, wenn unsere Seele sich dem νοῦς ähnlich (ὁμοῖος) mache, da sowohl die Denkaktivität der Seele als auch die kreisförmige Bewegung der Körper die Aktivität des Geistes nachahmen (vgl. fr. 49,11–16). Hieraus erhellt, dass das idealiter auch beim Menschen kreisförmige ὄχημα realiter in seiner Form und Bewegung beeinträchtigt werden kann, was es von den göttlichen Körpern unterscheidet. Zur Beschaffenheit des Vehikels erfahren wir fernerhin: What then would the ‚vehicle‘ of the soul be, and how does the Demiurge embark the souls on it? It must be realised, as is also the accustomed doctrine of the great Iamblichus and his school, that the substance of the soul-vehicles is produced from the aether as a whole (ἀπὸ παντὸς τοῦ αἰθέρος), which has a generative power, without either the divine (heavenly) bodies being diminished or the vehicles being produced by a series of contributions, but the individual spirit vehicles proceeding and being given shape in accord with the life-principles (κατὰ τὰς ζωὰς) of the (encosmic) gods. (fr. 84; Übers. Dillon)

Das Vehikel ist hiernach aus reinem Äther und in seiner Form dem Leben der enkosmischen Götter entsprechend gestaltet, was wiederum auf die Kreisförmigkeit des Vehikels verweist, imitieren die Götter doch – wie oben erwähnt – be-

 Sowohl Iamblichos als auch Proklos behandeln den Abstieg der Seele durch die Planetensphären im Rahmen ihrer Timaios-Exegese. Hinsichtlich dieses Abstiegs unterscheiden beide zunächst zwei Momente: die πρώτη ὑπόστασις (d. i. hyperkosmische Existenz der Seele) und die γένεσις πρώτη (vgl. Tim. 41e3). Während nun Iamblichos letzteres mit dem „Säen“ (σπορά) der Fahrzeuge gleichsetzt (und damit die innerkosmische Zuteilung der Seele mit ihrem ὄχημα an einen der „sichtbaren Götter“ meint, der dann außerdem als Seelengeleiter in ihrem Wiederaufstieg fungiert), unterscheidet Proklos die γένεσις πρώτη vom „Säen“ und identifiziert sie vielmehr mit dem Abstieg aus dem noetischen Bereich (vg. In Tim. III 278,21 f.). Ohne hier auf die Feinheiten in der Beschreibung dieses Vorgangs eingehen zu wollen, ist festzuhalten: Der Vorgang des „Säens“ betrifft sowohl die Verbindung der menschlichen Seelenkräfte mit den göttlichen als auch des menschlichen ὄχημα mit den göttlichen ὀχήματα. Er konstituiert das Band, das einen spezifischen Menschen mit einer spezifischen Gottheit verknüpft. Mit Iamblichos lassen sich drei Phasen unterscheiden: (1) πρώτη ὑπόστασις (das hyperkosmische Leben der rationalen Seele); (2) γένεσις πρώτη (das „Säen“ des Demiurgen, das die Seele ihrem ὄχημα zuteilt); (3) der eigentliche „Seelenabstieg“ (κάθοδος) in irdische Gefilde, wo die Seele auch den grobstofflichen Körper annimmt. All dies ist detailliert bei Finamore 1985, 59–91, dargestellt.

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

ständig die Bewegung des Intellekts. An anderer Stelle wird Iamblichos’ Auffassung noch klarer, und zwar im Kontext von Proklos’ Diskussion verschiedener Auffassungen über die sterblichen und unsterblichen Elemente der Seele sowie des ὄχημα.332 Während manche das ὄχημα als vergänglich und nur im Verbund mit dem irrationalen Seelenteil existent erachteten, behaupteten andere (namentlich Porphyrios) ebenfalls dessen Vergänglichkeit, jedoch mit dem Zusatz, dass das ὄχημα sich wieder in jenen Himmelssphären auflöse, aus deren Material es sich konstituiert hatte. Drittens wird Iamblichos’ Meinung referiert: The third class, on the other hand, are those who remove all destruction both from the vehicle and from the irrational element and combine the survival of the vehicle and that of the irrational and explain the ‚mortal‘ in this case as referring to the element which is corporeal and which is fascinated by Matter and concerned with mortal things, as Iamblichus considers, and such as wish to agree with him, and not simply granting it (the vehicle) an existence dependent on the divine (heavenly) bodies, in order that, coming into existence from mobile causes, it also may be changeable of its own nature, but deriving it from the gods themselves, who organise the Cosmos and perform all their acts eternally. (fr. 81)

Hieraus geht unmissverständlich hervor, dass Iamblichos das ὄχημα als unvergänglich vorgestellt hat, was nur konsequent ist, da es ja vom Demiurgen selbst geschaffen wurde (vgl. fr. 84). Die Unsterblichkeit des ὄχημα geht dabei mit der Unsterblichkeit der irrationalen Seele einher. Nach dem Tod und dem Wiederaufstieg des rationalen Seelenteils zu den Göttern bleibt die irrationale Seele mit ihrem ὄχημα im Kosmos zurück. Wie die Vernunftseele sich nach Absonderung von ihrem irrationalen Teil und dem ὄχημα mit den hyperkosmischen Göttern bzw. dem Demiurgen vereinigen kann (vgl. De myst. X 6, 292,4–14; In Tim. fr. 87), so das ὄχημα mit jenem des ihm entsprechenden „sichtbaren Gottes“ innerhalb des Kosmos.333 Nach erneutem Eintritt der Vernunftseele in die kosmische Sphäre verbindet diese sich wieder mit ihrem enkosmischen Komplement. Man sieht hier, wie der Fortbestand des ὄχημα mit Iamblichos’ Auffassung korrespondiert, dass die menschliche Seele nicht dauerhaft aus dem Transmigrationskreislauf ausbrechen könne: Da die Seele sich immer wieder aufs Neue verkörpern muss, bleibt sie bezüglich dieses Vorgangs dauerhaft auf ihr – unvergängliches – ὄχημα angewiesen.334

 Vgl. Dillon 1973, 371–377.  Vgl. Finamore 1985, 144 u. 150 f.; Griffin 2012, 175. Ähnlich Proklos, In Tim. III 276,18–277,5. Auch ist es die Verbindung von irrationaler Seele und ὄχημα, die ggf. im Hades Strafen zu erdulden hat. Dazu ausführlich: Finamore 1998.  Gertz 2011, 187 f., Behauptung, Iamblichos habe an die Möglichkeit eines dauerhaften Ausbruchs aus dem Transmigrationskreislauf geglaubt, ist – gerade vor dem Hintergrund des hier Gesagten – sehr unwahrscheinlich.

3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos

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3.2.3.2 Rolle des Vehikels in der Divination In Buch III von De mysteriis diskutiert Iamblichos verschiedene Formen der Divination, bei denen dem Seelenvehikel jeweils eine zentrale Rolle zuerkannt wird. Grundfrage ist die Art und Weise der Interaktion zwischen Gott und Mensch im theurgischen Ritual, die im Kern als eine Interaktion zwischen göttlichem und menschlichem πνεῦμα vorgestellt wird. Die entscheidenden Textpassagen seien zunächst, um einige Kommentare ergänzt, angeführt, um in Anschluss daran die Hauptmerkmale von Iamblichos’ Vorstellung des Divinationsprozesses herauszuarbeiten. Betrachten wir zunächst die Traumdivination (III 2). Iamblichos unterscheidet „gottgesandte“ (θεόπεμπτοι) Träume von bloß menschlichen.335 Der Verlauf dieser göttlichen Träume wird folgendermaßen ausdifferenziert: either when sleep departs, just as we are awakening, it is possible to hear a sudden voice guiding us about things to be done, or the voices are heard between waking and going to sleep, or even when wholly awake. And sometimes an intangible and incorporeal spirit (ἀναφὲς καὶ ἀσώματον πνεῦμα) encircles (περιέχει κύκλῳ) those lying down, so that there is no visual perception of it, but some other awareness and self-consciousness. When entering, it makes a whooshing sound (ῥοιζομένου), and diffuses itself in all directions without any contact (ἄνευ τινὸς ἐπαφῆς), and it does wondrous works by way of freeing both soul and body from their sufferings. At other times, however, when a light shines brightly and peacefully, not only is the sight of the eye possessed, but closed up after previously being quite open. And the other senses are awake and consciously aware of how the gods shine forth in the light, and with a clear understanding they both hear what they say, and know what they do. This is observed even more fully when the sight is active and also the mind, with full vigour, understands the things done, and there is a response at the same time in those observing. (III 2, 103,8–104,10)

In einem der beschriebenen Fälle senke sich ein unkörperliches Pneuma auf den Schlafenden herab, das mit einem zischenden Geräusch verknüpft sei. Die Interaktion wird als ein „Umkreisen“ des Mediums bezeichnet, wobei die „Transzendenz“ des Pneumas gewahrt bleibe, insofern es sich „kontaktlos“ manifestiere, gleichwohl eine wohltätige Wirkung auf Körper und Seele entfalte. Hiervon unterschieden wird eine lichthafte Manifestation der Götter. Während das Erschei-

 Grundsätzlich lassen sich in der Antike zwei Ansätze zur Erklärung von Träumen unterscheiden (die einander nicht zwingenderweise ausschließen müssen, sondern sich komplementär zueinander verhalten können): ein natürlicher bzw. „psychobiologischer“ Ansatz, der die Entstehung von Träumen aus physikalischen Gegebenheiten, d. h. in der Regel von äußeren Wahrnehmungen her, erklären will (so der aristotelische Ansatz) und ein „übernatürlicher“ bzw. „theologischer“ Ansatz, der eine göttliche Bewirkung oder Einflussnahme auf die Träume behauptet (vgl. zu dieser Unterscheidung: Tanaseanu-Döbler 2012, 215 Fn. 49). Letzteres klingt bereits in Platons Timaios (71e) an und wird in den neuplatonischen Traumtheorien aufgegriffen und vertieft.

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nen des Pneumas nicht mit einer visuellen Erfassung desselben einhergehe, so doch die göttliche Licht-Epiphanie, die zumal bei vollem Bewusstsein des Mediums empfangen werden könne. Auch in der Diskussion der „göttlichen Zeichen echter Besessenheit“ (III 6, 113,13: τὰ θεῖα τεκμήρια τῆς ἀληθινῆς ἐνθουσιάσεως) kommt Iamblichos auf den Abstieg eines Pneumas zu sprechen: But it is most important that the spirit descending (τὸ κατιὸν πνεῦμα) and entering is seen by the medium, both in its extent and its quality; and that he is mystically obedient to and directed by it. The form of fire (τὸ τοῦ πυρὸς εἶδος) is seen by the recipient before the reception; and sometimes it even becomes conspicuous to all the spectators, during either the descent or the withdrawal of the god. [...] For if the presence of the gods’ fire and an ineffable form of light from without (ἔξωθεν) invades the person possessed, these fill him completely with their power, and encompass him in a circle on all sides, so that he is not able to exercise any activity of his own. (III 6, 112,8–113,9).

Hier wird der Vorgang der göttlichen Manifestation als Abstieg eines Pneumas, begleitet von göttlichem Licht bzw. Feuer, beschrieben, das nicht nur vom Medium selbst, sondern unter Umständen auch von den beiwohnenden Zuschauern gesehen werden könne. Dem Empfang des göttlichen Pneumas vorgängig sei das Erscheinen göttlichen Lichts/Feuers.336 Ähnlich wie bei der Traumdivination wird die Interaktion als „Umkreisen“ „von außen“ charakterisiert; allerdings scheint das Medium in diesem Falle zeitweilig seine Eigentätigkeit aufzugeben, da es ganz und gar von göttlichen Kräften erfüllt werde. Aus den beiden zitierten Textstellen geht noch kaum etwas über die Beschaffenheit des Mediums hervor, d. h. wie sich die Interaktion mit dem göttlichen Pneuma auf Seiten des menschlichen Empfängers darstellt. Genauere Hinweise hierzu – wie überhaupt die wohl ausführlichsten Darstellungen zur Rolle des Pneumas in der göttlichen Selbstmanifestation – liefert Iamblichos in der Diskussion der Orakel von Kolophon, Delphi und Didyma (III 11).337 Die Orakeldivination stimmt, wie Iamblichos selbst hervorhebt, im Grundsätzlichen mit dem überein, was in Buch III bereits zuvor allgemein über die Divination gesagt wurde (vgl. III 12, 128,4 f.). In der Tat korrespondieren die in III 11 gegebenen, den Vorgang der Inspiration betreffenden Beschreibungen, strukturell recht genau mit jenen aus III 6 und III 8, bieten jedoch einige Details, die den Vorgang noch genauer rekonstruierbar machen. Betrachten wir also die entsprechenden Textpassagen.

 Desgleichen entsteht für Iamblichos die „göttliche Manie“ (θεῖα μανία), wie in III 8, 117,1–9 thematisiert, analog zu dem in III 6 beschriebenen Schema: durch von den Göttern ausgehende „Lichter“ (φῶτα) und πνεύματα, welche das Medium ganz in ihren Beschlag nehmen.  Vgl. dazu Clarke 2001, Kap. 4; Addey 2014, 256–261.

3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos

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A) Orakel von Kolophon: Dieses Orakel prophezeie vermittels einer unterirdischen Wasserquelle, aus welcher der προφήτης trinke.338 Wie ist nun die mantische Kraft dieses Wassers zu erklären? Iamblichos bietet folgende Erklärung des Vorgangs: For it seems that some prophetic spirit (πνεῦμα μαντικόν) passes (διήκειν) through the water; but this is not correct, for the divine does not permeate what partakes in a fragmented and divided manner, but it is by exercising its power from without (ἔξωθεν), and illuminating the spring, that it fills it with its own prophetic power. Still, not every inspiration that the water gives is from the god, but this only bestows the receptivity and purification of the luminous spirit in us (ἐπιτηδειότητα μόνον καὶ ἀποκάθαρσιν ἐν ἡμῖν αὐγοειδοῦς πνεύματος ἐμποιεῖ), through which we are able to receive the god (χωρεῖν τὸν θεόν). But the presence (παρουσία) of the god is different from and prior to this, and flashes like lightning from above. This holds aloof from no one who, through a kindred nature, is in union with it; but it is immediately present, and uses the prophet as an instrument (ὡς ὀργάνῳ) while he is neither himself nor has any consciousness of what he says or where on the earth he is, so that even after prophesying, he sometimes scarcely gets control of himself. (III 11, 124,13–125,11)

Die Hypothese, dass ein πνεῦμα μαντικόν das Wasser durchdringe, wird zunächst zurückgewiesen. Diese Zurückweisung betrifft indessen nicht das πνεῦμα μαντικόν als einer zwischen den Göttern und dem menschlichen Empfänger vermittelnden Wesenheit, sondern die Art und Weise deren Wirkens. Entscheidend bleibt für Iamblichos abermals, dass das Göttliche „von außen“ (ἔξωθεν) wirke, sich dabei nicht zerteile und seine παρουσία von Lichterscheinungen begleitet sei. Wie im vorigen Beispiel verliere auch hier das Medium sein Bewusstsein. Iamblichos geht nun insofern über die in III 2, III 6 und III 8 dargebotenen Beschreibungen des Divinationsvorgangs hinaus, als er das im Menschen maßgebliche Organ benennt, das zum Empfang der göttlichen Kräfte geeignet sei: das „lichthafte Pneuma in uns“ (ἐν ἡμῖν αὐγοειδὲς πνεῦμα bzw. ὄχημα). Allein dessen „Geeignetheit“ (ἐπιτηδειότης), und d. h. „Reinheit“, verbürge den Erfolg der Orakeldivination. Wenn Iamblichos mithin die „vielen vorbereitenden Riten“ wie Fasten, Rückzug an einen unzugänglichen Ort, Reinigungen etc. (III 11, 124,10; 125,11–15) erwähnt, so zielen diese wohl in erster Linie auf die Reinigung des αὐγοειδὲς πνεῦμα ab, sind also im Sinne theurgischer Vorbereitungsriten zu nehmen.

 Der Begriff προφήτης bezeichnet im Kontext des Orakelkultes für gewöhnlich nicht die weissagende Pythia (d. i. das inspirierte „Medium“), sondern die die Verse der Pythia interpretierenden Männer (wie auch Platon, Tim. 71e–72b, hervorhebt). Vgl. dazu Glei 1989, 1473. An dieser Stelle scheint mit προφήτης jedoch gleichwohl das inspirierte Medium gemeint zu sein, namentlich der zuvor genannte „Priester“ (ἱερεύς) Apollons (De myst. III 11, 123,12).

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B) Orakel von Delphi: Ohne große einleitende Bemerkungen kommt Iamblichos sogleich auf den Divinationsvorgang in Delphi zu sprechen: The prophetess at Delphi, however, whether she gives oracles to human beings from a subtle and fiery spirit (ἀπὸ πνεύματος λεπτοῦ καὶ πυρώδους) brought up from an aperture, or prophesies in the innermost sanctuary while seated on a bronze stool with three legs, or on a seat with four legs that is sacred to the god, she thus gives herself absolutely to the divine spirit (πανταχῆ οὕτω δίδωσιν ἑαυτὴν τῷ θείῳ πνεύματι), and is illuminated by the ray of divine fire. And when the fiery spirit coming up from the aperture, dense and abundant, envelops her entirely in a circle, she is filled by it with a divine brightness (θείας αὐγῆς); whenever she is found on the seat of the god, she is in harmony with the divine, unwavering oracular power. And as a result of both these preparations she becomes wholly the god’s possession. Then, indeed, the god is present, shining on her separately (χωριστῶς), being himself other than the fire, the spirit, the particular abode, and all the physical and sacred trappings appearing in connection with the place. (III 11, 126,4–127,3)

Auch in dieser Beschreibung steht der Abstieg des göttlichen Pneumas im Vordergrund.339 Wenn Iamblichos zu Anfang einige Details zum allgemeinen äußeren setting der Orakelpriesterin gibt, wird doch deutlich, dass ihm dies zweitranging ist, ja in seiner eigentlichen Erklärung des Inspirationsvorgangs im Grunde keinerlei Rolle spielt. Nach der εἴτε-εἴτε-Konstruktion geht Iamblichos im ersten Satz denn auch direkt zum Kernelement der göttlichen Besessenheit über:340 der völligen Hingabe der Orakelpriesterin an das göttliche Pneuma, ihre Erleuchtung durch einen „Strahl“ (ἀκτίς) göttlichen Feuers, ihr Erfüllt-Werden mit (resp. „Umkreist-Werden von“) göttlichem Glanz (θεία αὔγη). Erneut wird die Andersheit des Gottes zu seiner Manifestation unterstrichen, sein Getrennt-Bleiben vom Ort, Medium und den verwendeten Hilfsmitteln. Wie in III 6 stellt Iamblichos den Zusammenhang von göttlichem Pneuma und göttlichem Licht bzw. Feuer ins Zentrum des Vorgangs. Am Ende wird aber betont, dass der Gott als solcher weder mit dem Pneuma, noch mit den Lichterscheinungen zusammenfalle. C) Orakel von Didyma: Iamblichos’ letztes Beispiel handelt von der Orakelpriesterin von Didyma: And as for the woman at Branchidai who gives oracles, it is either by holding the staff first given by a certain god that she is filled by the divine radiance (πληροῦται τῆς θείας αὐγῆς); or else when sitting on the axle she predicts the future; or whether dipping her feet or skirt in the water, or inhaling vapour from the water, at any rate, she receives the god (δέχεται

 Man muss unterstreichen, dass „Abstieg“ des göttlichen Pneumas und „Aufstieg“ der menschlichen Seele simultane Prozesse sind, die zumal nicht wörtlich (d. h. im Sinne einer realen Ortsbewegung) zu nehmen sind. Vgl. Addey 2014, 221–229.  Vgl. Clarke 2001, 61; Addey 2014, 257.

3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos

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τὸν θεόν): prepared and made ready by any or all of these preliminaries for his reception from without (τὴν ὑποδοχὴν ἔξωθεν), she partakes of the god. (III 11, 127,4–9)

Das setting steht im Vergleich zum eigentlichen Inspirationsvorgang wiederum im Hintergrund. Und wie im Falle von A) nennt Iamblichos anschließend diverse Vorbereitungsriten (Bäder, Fasten, Rückzug ins Heiligtum), die der eigentlichen Besessenheit – der Erfüllung des Mediums durch die „göttlichen Strahlen“ – vorangehen. Im Unterschied zu den vorigen Beschreibungen fällt hier zwar nirgends das Wort πνεῦμα, doch kann kein Zweifel daran bestehen, dass ein analoger Vorgang intendiert ist. Weitere Details lassen sich im Zusammenhang mit der Praxis der Photagogie entnehmen, die von Iamblichos nach Diskussion der Orakel als „andere Art der Divination“ (III 14, 132,3) eingeführt wird. Innerhalb der Photagogie seien verschiedene Formen zu unterscheiden; doch geht es Iamblichos letztlich weniger um diese Binnendifferenzierungen als vielmehr um die allen Formen gemeinsamen Kennzeichen; denn all diese Formen zielen darauf ab, Licht in einem geeigneten (und d. h. möglichst transparenten) Medium aufscheinen zu lassen: All this kind of divination you mention, being of many forms, is encompassed by one power which someone might call ‚evoking the light‘ (τις φωτὸς ἀγωγὴν). This somehow illuminates the aether-like and luminous vehicle (αἰθερῶδες καὶ αὐγοειδὲς ὄχημα) surrounding the soul with divine light, from which vehicle the divine appearances (φαντασίαι θεῖαι), set in motion by the gods’ will, take possession of the imaginative power in us. For the entire life of the soul and all the powers in it move subject to the gods, in whatever way its leaders decree. And this happens in one of two ways: either from the presence of the gods in the soul, or from their shining on it some advanced light. In either case, both the divine presence (παρουσία) and its illumination (ἔλλαμψις) are separate (χωριστή) from the soul. The soul’s attention and intellect (προσοχή καὶ διάνοια) thus closely follow what is happening, since the divine light does not touch upon these. But the imagination is inspired because it is not roused by itself, but by the gods, to modes of imagination when normal human behaviour has been completely displaced. (III 14, 132,7–133,7)

Das bisher schon Dargestellte wird durch diesen Passus in seinen Grundzügen abermals nur bestätigt. Das Empfangsmedium des göttlichen Lichtes wird hier – analog zu III 11 – näherhin als „ätherisches und lichthaftes Vehikel“ (αἰθερῶδες καὶ αὐγοειδὲς ὄχημα) definiert. Es wird – was aus den vorhergehenden Textstellen so noch nicht hervorging – zumal als Träger des Imaginationsvermögens (φαντασία) vorgestellt. Die „Erleuchtung“ erscheint demnach als eine von den Göttern ausgehende Projektion von Erscheinungen in die menschliche Imagina-

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tion.341 Dabei unterscheidet Iamblichos zwei Formen: durch göttliche „Präsenz“ (παρουσία) oder durch „Erleuchtung“ (ἔλλαμψις), wobei in beiden Fällen an der Getrenntheit des Göttlichen vom Empfänger festgehalten wird.342 Im Unterschied zu manchen der zuvor geschilderten Formen von Divination verliert das menschliche Medium hier nicht das Bewusstsein seiner selbst oder seine Denkfähigkeit – und zwar deshalb nicht, weil allein das menschliche Imaginationsvermögen „besessen“ ist und zeitweilig seine Eigentätigkeit aufgibt.343 Halten wir fest: In all den zitierten Stellen ist von der Herabkunft eines göttlichen Pneumas bzw. göttlichem Glanz/Licht/Feuer die Rede. An zwei Stellen (III 11 und III 14) wird das menschliche ὄχημα-πνεῦμα erwähnt und unmissverständlich als eigentliches Medium der Epiphanie ausgewiesen. Aus ihrer Interaktion ergibt sich die Inspiration bzw. Erleuchtung. Überblickt man die verschiedenen Beschreibungen, so ergibt sich ein recht klares Muster vom Ablauf der göttlichen Besessenheit: Eine Gottheit offenbart sich zwanglos, aus eigenem Willen, in einem durch

 Vgl. Shaw 1998, 255 f.: „The soul’s power of imagination, the phantastikon, was the faculty par excellence for making contact with the divine. The Gods appeared to the theurgist through divine phantasia and conversely, the theurgist’s disciplined exercise of his own phantasia stimulated the influx of divine power [...] The intensity, vividness and power of the appearance depended entirely on the purity of the soul’s desire and its capacity to receive the Gods.“  Vgl. zur Unmöglichkeit der „Mischung“ des Göttlichen mit der menschlichen Seele auch De myst. III 21, 150,9–14.  In III 25, 160,8 f. sucht Iamblichos die θεῖαι φαντασίαι von durch Krankheiten hervorgerufenen Phantasiegebilden abzugrenzen. Insofern die φαντασία für Iamblichos das vermittelnde Vermögen par excellence darstellt, bleibt sie als solches notwendigerweise ambivalent. Bei Priscianos (Metaphrasis in Theophrastum, 23,13–23) finden wir Iamblichos’ allgemeines Verständnis der φαντασία folgendermaßen zusammengefasst: „One must also add the teachings of Iamblichus that the imagination is produced alongside all the faculties of the soul and receives an impression and stamp from all the likenesses of forms and transmits the appearances of some to other faculties, rousing some from sense perception to opinion and offering a second set from intellect to opinion, since it receives images from all of these in itself; and that it is appropriately characterized in accordance with assimilation, in making and receiving what belongs to intellectual or generative or median operations, receiving impressions from all the activities of the soul, combining external with internal activities, and bestowing on lives extended around bodies the appearances descending from the Intellect“ (Übers. Finamore/Dillon). Die Zwiespältigkeit der Imagination, die sowohl äußere Sinneseindrücke als auch intelligible Inhalte in Bilder umsetzen kann, kommt hier klar zum Vorschein (vgl. auch die ähnliche Beschreibung bei Pseudo-Simplikios, In De An. 213,23–214,26). Bereits Plotin hatte in diesem Sinne zwei verschiedene Funktionen von φαντασία unterschieden, nämlich (1) die Umsetzung einer äußeren Sinneswahrnehmung in ein mentales Bild und (2) die Umsetzung eines dianoietischen Inhaltes in einen λόγος (vgl. IV 3, 29–31). Ein imaginales Bild kann demnach sowohl von etwas ontologisch Niedrigerem (d. h. von αἰσθητά) als auch von etwas ontologisch Höherstehendem (d. h. von διανοήσεις) ausgehen. Deshalb kann Plotin die φαντασία mit einer zwiefältigen Spiegelfläche vergleichen (vgl. I 4, 10).

3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos

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gewisse Vorbereitungen aufnahmefähigen Medium. Dieses Medium ist das lichthafte Seelenvehikel des Theurgen, Orakelpriesters etc. Im Vorgang der Selbstmanifestation bleibt die Gottheit als solche „getrennt“ vom Ort ihres Erscheinens. Die Vermittlung hin zum Empfänger erfolgt seitens der Gottheit durch ein ihn „umkreisendes“ Pneuma bzw. durch ein Licht/Feuer, das die „Erleuchtung“ des Mediums bewirkt. Was in den Beschreibungen variiert, ist die Bewusstheit, mit der das Medium den Inspirationsvorgang erlebt und der Grad der Sichtbarkeit der Epiphanien (für das Medium wie für andere anwesende Personen). Eine Epiphanie ist für Iamblichos demzufolge die lichthafte Selbstmanifestation eines göttlichen Wesens in einem dafür geeigneten Rezeptakel (ὑποδοχή, χωρεῖν, δοχηύς). Wie L. Bergemann im Detail herausgearbeitet hat, folgt der Vorgang der göttlichen Erleuchtung bei Iamblichos – und im Übrigen auch bei Proklos – grundsätzlich dem Dreierschema οὐσία – δύναμις – ἐνέργεια (wobei die οὐσία dem göttlichen Wesen als Lichtquelle, die δύναμις dessen φῶς, die ἐνέργεια schließlich der eigentlichen ἔλλαμψις entspricht) und dient der Erklärung, wie eine transzendente Ursache in einer immanenten Wirkung präsent sein kann.344 Im Rahmen dieses Prozesses vollzieht sich die Formgebung eines eigentlich Formlosen, nämlich göttlicher Wesenheiten bzw. der höheren Genera, die „das Formlose formhaft zum Scheinen bringen“ (I 5, 17,1 f.: τὸ ἀνείδεον ἐν εἴδεσι διαλάμπουσαν). Insofern dieser Vorgang in den Termini einer Lichtmetaphysik beschrieben wird bzw. die von den Göttern ausgehenden Kräfte als Licht/Feuer vorgestellt werden, bedarf es zu ihrer bestmöglichen Aufnahme eines transparenten Rezeptakels: Als solches fungiert das αἰθερῶδες καὶ αὐγοειδὲς ὄχημα bzw. πνεῦμα, das im Vorgang der Inspiration darauf beschränkt bleibt, ὡς ὄχημα ἤ ὄργανον τοῖς ἐπιπνέουσι θεοῖς (III 4, 109,11) zu fungieren.345 In III 14 wird außerdem die φανταστικὴ δύναμις in dem Vehikel verortet und als jenes Vermögen beschrieben, das gleichsam als Projektionsfläche göttlicher Erscheinungen fungiere, als „Ort“, an dem die Götter sich visualisieren.346 Was die Beschaffenheit des Vehikels anlangt, stehen Iamblichos’ Hinweise in De mysteriis grundsätzlich in Einklang mit jenen, die sich aus den Timaios-Fragmenten rekonstruieren lassen, insbesondere hinsichtlich der Klassifizierungen als αἰθερῶδες und αὐγοειδὲς (vgl. III 11, III 14, V 26). Mit Blick auf Iamblichos’ grundsätzliches Ansinnen in De mysteriis bleibt zu betonen, dass sein Interesse am Seelenvehikel dort in der begrifflich-philosophischen

 Vgl. Bergemann 2006, 228 ff.; 258 f.; 269.  Vgl. Clarke 2001, 70. Addey 2014, 227–229, spricht diesbezüglich treffend von einer „instrumental agency.“  Vgl. Di Pasquale Barbanti 1998, 145.

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

Klärung religiöser Erfahrungen gründet.347 Seine Beschreibung der göttlichen Epiphanien trägt über weite Strecken genuin phänomenologische Züge, ja man könnte sie mit einigem Recht als Phänomenologie religiöser Erfahrung bezeichnen.348 Diese umfasst eine Analyse der Struktur der Epiphanien ebenso wie eine Klassifikation derselben nach dem Gehalt des jeweils Sich-Zeigenden.349 Phänomenologisch verfährt Iamblichos in dem Sinne, als er vom im theurgischen Ritus Sich-Zeigenden ausgeht. Dabei verharrt er freilich nicht in einer rein formalen Beschreibung desselben, sondern versucht das Sich-Zeigende mit den ihm zu Gebote stehenden konzeptionellen Mitteln – d. h. den Mitteln, welche die philosophische Tradition ihm darbietet –, zu benennen und in eine platonische Ontologie einzuzeichnen.350 Sein Konzept feinstofflicher Körperlichkeit ermöglicht ihm, unterschiedliche Formen der Interak-

 Bergemann 2010, 89 schreibt: „Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Iamblich das Konzept des aitherischen Seelengefährts entwickelt hat, um einen außerordentlichen Bewusstseinszustand, eine mystische Erfahrung beschreiben und erklären zu können“, weshalb Bergemann mit Blick auf das ὄχημα (in Anlehnung an G. Shaw) auch von einer „mystischen Physiologie“ spricht. Vgl. auch Toulouse 2001, 253: „Que le véhicule de l’âme devienne ainsi l’instrument d’une épiphanie du dieu en l’homme est une manière nouvelle d’appréhender un phénomène de la psychologie religieuse.“  Smith 2000 u. 2002 hat in Iamblichos den ersten „Religionsphilosophen“ erblicken wollen. Auf den phänomenologischen Charakter von Iamblichos’ Beschreibungen geht er jedoch nicht ein.  Albanese/Mander 2011, 205 f. führen recht präzise 20 Charakteristika an, nach denen Iamblichos die Epiphanien klassifiziert: „1 forma (semplice o composta), 2 aspetto (bello o pauroso), 3 immutabilità o mutibilità di forme, 4 ordine o disordine, 5 bellezza, 6 rapidità delle azioni, 7 dimensioni delle apparizioni, 8 chiarezza delle apparizioni, 9 luminosità, 10 brillantezza, 11 staticità della luce, 12 potere catartico, 13 purezza dell’immagine, 14 velocità di consunzione della materia (nella quale si manifestano), 15 doni frutto delle apparizioni, 16 entità al seguito delle apparizioni, 17 luoghi abitati rispettivamente, 18 potenza della luce, 19 effetti sull’anima di chi contempla le autofanie, 20 beni frutto delle autofanie.“ Vgl. auch die Tabellen auf 198–202. Ausführlich findet sich das Ganze bereits bei Saffrey 1973.  Will man in diesem Kontext von Phänomenologie sprechen, so könnte man solcher Rede folgendes Verständnis des Terminus zu Grunde legen: „Dans les sciences philosophiques et religieuses le phénomène s’annonce dans les termes techniques où figure l’élément phanie, tiré du grec: épiphanie, théophanie, hiérophanie, etc. Le phénomène, le phainomenon, c’est le zâhir, l’apparent, l’extérieur, l’exotérique. Ce qui ce montre dans ce zâhir, tout en s’y cachant, c’est le bâtin, l’intérieur, l’ésotérique. La phénoménlogie consiste à ‚sauver le phénomène‘, sauver l’apparence, en dégageant ou dévoilant le caché qui se montre sous cette apparence. Le Logos du phénomène, la phénoménlogie, c’est donc dire le caché, l’invisible présent sous le visible“ (Corbin 1977, 23). Die „Rettung“ der Phänomene verlangt nach einem spezifischen Logos. Für Corbin besteht dieser Logos nun genau darin, die jeweilige Erscheinung auf das sich in ihr Zeigende (und sich darin zugleich Verbergende) zurückzuführen. Dies aber kommt Iamblichos’ Verfahrensweise recht nahe und die Bücher II und III von De mysteriis lassen sich als eine großangelegte „Rettung“ der epiphanischen Phänomene lesen.

3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos

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tion zwischen Gott und Mensch im theurgischen Ritus begrifflich auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, sind die Grundkonstituenten doch in all den Fällen göttliche und menschliche πνεύματα. Ob die absteigenden, als göttliche πνεύματα bezeichneten Wesenheiten mit den ὀχήματα der höheren Genera zusammenfallen, wird nicht eindeutig klar, in II 3, 73,11–13 (im Hinblick auf Dämonen und Heroen) aber nahegelegt. Auf Basis des Gesagten kann man nochmals die Frage stellen: Gibt es einen substanziellen Unterschied in der Beschaffenheit der göttlichen und menschlichen ὀχήματα? Geht man von Iamblichos’ Klassifizierung der Gestirnkörper als αἰθέριον σῶμα (V 4, 202,10), des menschlichen Vehikels als αἰθερῶδες ὄχημα aus, so würde sich in der Tat eine Differenz ergeben: Denn während αἰθέριον mit „ätherisch“ im Sinne von ganz aus Äther bestehend zu übersetzen ist, meint αἰθερῶδες – entsprechend dem Suffix -ειδής351 – strenggenommen lediglich „ätherhaft“, was eine Diffe Grundsätzlich ist das Suffix -ειδής von εἶδος („Form“) abgeleitet und bezeichnet eine Ähnlichkeit, Wesensverwandtschaft, Verbundenheit oder Beschaffenheit. Im Deutschen wäre es (je nach Begriff und Kontext) am wörtlichsten mit Suffixen wie -haft, -artig, -ähnlich oder -gestaltig wiederzugeben. So könnte man αὐγοειδής beispielsweise mit „lichthaft“, „lichtartig“ „lichtähnlich“ oder „lichtgestaltig“ übersetzen. Im Rahmen einer platonischen Ontologie ist ein derartiges Adjektiv i. d. R. auf eine ihrer Ursache irgendwie ähnliche bzw. verwandte Wirkung bezogen, impliziert mithin ein bestehendes Teilhabeverhältnis zwischen Wirkung und Ursache. Klassifiziert ein Platoniker z. B. etwas als „gutartig“ (ἀγαθοειδής), so kann er dies tun aufgrund der Teilhabe des derlei Klassifizierten am Guten (τὸ ἀγαθόν). Platon selbst hat die beiden Adjektive ἡλιοειδής (Resp. 508a5, e6) und ἀγαθοειδής (509a4) im Sonnengleichnis verwendet, ja es sind sogar seine eigenen Wortschöpfungen. So wie das Licht ἡλιοειδής, d. h. von der Sonne abhängig und ihr ähnlich sei, so sei die Wahrheit (ἀλήθεια) bzw. das Seiende (τὸ ὄν) ἀγαθοειδής, d. h. vom Guten abhängig und ihm ähnlich (vgl. Nasemann 1991, 273 f.; Bergemann 2006, 22 f.). Entsprechend – und um noch eine weitere Belegstelle anzuführen – betont Proklos (Th. Pl. II 7,44,8–10), dass durch das noetische Licht (φώς νοητόν) alle Noeta gottartig (θεοειδῆ) und gutartig (ἀγαθοειδῆ) würden, und zwar gemäß der vom ersten Gott herkommenden Teilhabe (μετουσία). Die Teilhabe (μετουσία) am Einen/Guten ist es letztlich, welche die Gottartigkeit bzw. Gutartigkeit der Noeta verbürgt. An etwas späterer Stelle kann Proklos das Licht sogar selbst mit der μετουσία gleichsetzen (Th. Pl. II 7, 48,14 f.: οὐδὲν γὰρ ἄλλο ἐστὶ τὸ φώς ἤ μετουσία τῆς θείας ὑπάρξεως). Weiter heißt es: „Denn wie alles guthaft wird, indem es am Guten teilhat und erfüllt wird von der Erleuchtung (ἔλλαμψις), die von dort hervorgeht, so [wird] folglich auch das wesentlich und primär Seiende gotthaft und [so] vollenden sich, wie gesagt, als göttliche sowohl die Geistigen (τὰ νοητά) als auch die Geisthaften (τὰ νοερά) vermittels der Teilhabe an dem Gott (διὰ τὴν τοῦ θεοῦ μετουσίαν)“ (zit. nach der Übers. bei Bergemann 2006, 247 f.). Hier zeigt sich folgendes: Denkt man sowohl die neuplatonische Binnendifferenzierung innerhalb einer „Hypostase“, als auch den Hervorgang einer niedrigeren „Hypostase“ aus einer höheren gemäß dem Dreierschema οὐσία – δύναμις – ἐνέργεια (oder wahlweise: ἀμέθεκτον – μετεχόμενον – μετέχον), so kann sich das -ειδής sowohl auf die δύναμις, d. h. die vermittelnde Kraft, als auch auf die ἐνέργεια, d. h. die vermittelte Wirkung beziehen. Beide sind von der οὐσία abhängig und ihr zugleich ähnlich bzw. verwandt. Dies geht aus den gewählten Beispielen hervor: Während in Platons Politeia-Passage eindeutig die

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renz impliziert. Gleichwohl scheint Iamblichos diese Unterscheidung nicht konsequent durchzuhalten, z. B. wenn es In Tim. fr. 84 heißt, das Seelenvehikel bestehe „ganz aus Äther“ (ἀπὸ παντὸς τοῦ αἰθέρος) – wobei dies auch Proklos’ Ausdrucksweise geschuldet sein kann, bei dem die Stelle überliefert ist. In jedem Falle können die menschlichen Seelenvehikel im Unterschied zu den göttlichen korrumpieren und sich beflecken, ggf. andere Substanzen an sich ziehen. Iamblichos selbst bemerkt dies, wenn er, das Pneuma dem grobstofflichen Körper entgegenstellend, den Fall einer Seele erwähnt, „die in einer Art von Leib gehalten wird gleich einem, der den schalenartigen und irdischen Körper (ὀστρεῶδες καὶ γήινον σῶμα) zwar hinter sich gelassen hat, der aber noch in der Sphäre des Werdens auf einem trüben und feuchten pneumatischen Vehikel (πνεύματος θολεροῦ καὶ διύγρου) herumwandert“ (De myst. IV 13, 198,11–13; EÜ). Die Charakterisierung des Pneumas als θολερόν καὶ δίυγρον kann sich kaum auf dessen ätherische Substanz beziehen, sondern auf Ablagerungen an derselben, die es infolge der Verkörperung und ggf. einer schlechten Lebensführung angenommen hatte. Entsprechend zielen die theurgischen Praktiken nicht zuletzt darauf ab, das Vehikel zu reinigen. Explizit nennt Iamblichos hier das Gebet (εὐχή), dem – neben einer Vielzahl anderer positiver Wirkungen – die Fähigkeit zugesprochen wird, „das die Seele umgebende äther- und lichthafte Pneuma von allen auf das Werden gerichteten Strebungen zu befreien (ἀπορρίπτει τοῦ αἰθερώδους καὶ αὐγοειδοῦς πνεύματος περὶ αὐτὴν ὅσον ἐστὶ γενεσιουργόν)“ (V 26, 239,7–9; EÜ).352

vermittelnde Kraft, das ζυγόν, mit dem Suffix -ειδής versehen wird, scheint dieses sich bei Proklos primär auf das vermittelte Produkt (hier: die Noeta und Noera), nicht die vermittelnde Kraft (hier: das noetische bzw. noerische Licht) zu beziehen. Er unterscheidet recht deutlich zwischen Teilgehabtem (d. i. das Gute), Teilhabe (d. i. das Licht auf verschiedenen ontologischen Stufen) und Teilhabendem (d. i. das vom Licht Erfüllte). Vgl. auch unten Fn. 378.  Dieser Gedanke findet sich auch bei anderen neuplatonischen Autoren. Hadot 2002, 326–328, hat einige Belegstellen zusammengetragen, welche die Bezogenheit der „telestischen Kunst“ auf die Reinigung des Seelenvehikels bezeugen (folgende Übers. von Hadot): Hierokles lässt in seinem Kommentar zu den sogenannten Goldversen (vgl. In CA XXVI) keinen Zweifel daran, dass es die „Technik, die in Beziehung zu den Göttern steht (τῇ τῶν ἱερῶν τέχνῃ)“ ist, die sich „mit der Reinigung des lichthaften Vehikels“ befasse. „‚Telestische Wirksamkeit‘ nenne ich das Vermögen, das lichthafte Vehikel zu reinigen.“ Ähnlich heißt es bei Proklos (In Tim. III 300,13 ff.): „Um die Seele von diesen Arten von Vehikeln zu befreien, die Platon aufgezeigt hat [...], trägt zwar auch das philosophische Leben bei, wie Platon sagt; den größten Anteil daran aber hat meiner Meinung nach das telestische Leben, das mit Hilfe des göttlichen Feuers alle aus der Genesis stammenden Beschmutzungen (κηλῖδας) beseitigt, wie die Orakel lehren (Or. Chald. 53), sowie alle fremde und irrationale Natur, die der pneumatische Körper der Seele angezogen hat.“ Und schließlich lesen wir bei Hermeias (In Phdr. 73 f.): „Es gibt auch eine Befleckung des Pneuma, denn von gewissen Dämpfen an den irdischen unreinen Orten und von gewissen zügellosen Handlungen wird die Befleckung in das Pneuma weitergegeben, welche allein die rituelle Kunst

3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos

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Die mit der Manifestation göttlicher Wesen verknüpfte Reinigung des Seelenvehikels wird verschiedentlich als Assimilierung des göttlichen Feuers bzw. als Übertragung oder Inhalierung eines göttlichen Pneumas beschrieben. In einem Orakelspruch heißt es: „Jene, die beim Einatmen (ἀνάπνοοι) die Seele hinausstoßen, sind befreit“ (fr. 124; EÜ). Ein anderes Fragment berichtet, die Engel „entzünden (die Seele) mit einem warmen Hauch“ (fr. 123: πνεύματι θερμῷ κουφίζουσα; vgl. auch fr. 35). Zurecht verweist Majercik in ihrem Kommentar auf eine Parallele bei Hermeias, der die „Wärme“ als „anagogische Kraft“ definiert (vgl. In Phdr. 197,2: θέρμην γὰρ καλεῖ τὴν ἀναγωγὸν δύναμιν).353 Was den Orakeln zufolge genau eingeatmet wird, geht aus Fragment 130 hervor: „Sie [die Seelen] ruhen in Gott, indem sie die kraftvollen Feuerlohen einziehen (ἕλκουσαι), die (aus dem Bezirk) vom Vater herabkommen, von denen während ihrer Herabkunft die Seele die seelennährende Spitze der feurigen Früchte pflückt“ (Übers. Lewy 32011, 547). Wie diese Assimilation des feuerhaften Pneumas näherhin zu fassen ist, ist schwierig zu beantworten. Verschiedentlich wurde vorgeschlagen, sie als eine spezifische Atemtechnik, mithin als genuin spirituelle Praxis, zu deuten.354 Iamblichos erwähnt in

(τελεστική) erkennt und für eine jede passend die Reinigung vollzieht.“ All diese Zeugnisse stimmen darin überein, dass das Seelenpneuma vermittels der τελεστική gereinigt wird. Proklos betont unter Rekus auf die Orakel zumal, dass diese Reinigung vermittels des „göttlichen Feuers“ geschehe.  Vgl. Majercik 1989, 188.  Vgl. Majercik 1989, 38 f.; Edmonds 2000; Shaw 2014, 249–251. Das „Einatmen“ hat ferner eine interessante Parallele in dem als „Mithrasliturgie“ bezeichneten Text der griechischen Zauberpapyri (= PGM IV,475–834). Der erste Teil dieses Textes beschreibt einen siebenstufigen Aufstieg der Seele zu den Göttern. Nachdem der Sprecher beklagt, dass er „es nicht erreichen kann, als sterblich Geborener zugleich mit den goldenen Lichtstrahlen der unvergänglichen Leuchte nach oben zu steigen“ (530 f.; Übers. Preisendanz), heißt es: „Hole von den Strahlen Atem (πνεῦμα), dreimal einziehend (ἀνασπῶν), so sehr du kannst, und du wirst dich gehoben und zur Höhe hinüberschreiten sehen, so daß du mitten in der Luft zu sein vermeinst“ (538–541). In dieser Stelle wird, gleichsam als Initialbewegung des Aufstiegs, eine Art Einatmen von Lichtstrahlen, eine Assimilierung des πνεῦμα der Strahlen, beschrieben. Überhaupt zeichnet sich die an den „großen Gott Helios Mithras“ (482: ὁ μέγας θεὸς Ἥλιος Μίθρας) gerichtete Liturgie durch eine markante Lichtbzw. Feuerterminologie aus. So sind die Anrufungen des Gottes Ἥλιος Μίθρας fast allesamt auf dessen Licht- bzw. Feuerwesen bezogen (vgl. 589 ff.): Feuerwandler, des Lichtes Schöpfer, Feuerhauchender, Feuermutiger, Geistleuchtender, Lichtherrscher, Feuerleibiger, Lichtspendender, Feuersäender, Mehrer des Lichts, der Licht durch Feuer erhält etc. Als Herkunft des Manuskripts wird Ägypten vermutet. Der Kodex wurde aufs frühe 4. Jh. n. Chr. datiert, der Text selbst auf die erste Hälfte des 2. Jh.’s. Vgl. Meyer 2006, 182. Die problemlose Verschmelzung von Helios und Mithras in der Mithrasliturgie verweist auf die analoge Rolle dieser beiden Götter als Vermittler. Wie Helios wurde es dem Mithras zugeschrieben, seine Initianden durch die Sphären zu geleiten und so zwischen materieller Welt und überhimmlischem Ursprung zu vermitteln, weshalb bereits Plutarch (De Is. et Os. § 46) darauf hinweist, dass „die Perser den Mithras Mittler (μεσίτης)

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De mysteriis etwas Vergleichbares, und zwar im Zusammenhang mit der Manifestation der höheren Gattungen: Furthermore, the fineness (λεπτότητα) of the light which the gods radiate is such that the eyes of the body are not able to tolerate it, but even suffer the same thing as fishes when drawn from the muddy and thick wet element to thin and transparent air. For human beings who gain a vision of the divine fire, since they are not able to breathe (ἀναπνεῖν) the fineness of the divine fire, they become feeble, to all appearances, and are shut off from the vital breath that is cognate to them (τοῦ συμφύτου πνεύματος ἀποκλείονται). Archangels radiate a purity not endurable to breathe, but nevertheless not as unbearable as that of the beings superior to them. (II 8, 86,4–12)

Hier scheint die Ausstrahlung des göttlichen Lichtes ein vorübergehendes Aussetzen des gewöhnlichen Atems beim Menschen zu implizieren. Doch noch eine weitere Passage wäre hier anzuführen: But the advent of the gods gives to us health of body, virtue of soul, purity of intellect, and in a word, the elevation of everything within us to their proper principles. It removes the cold and the destructive element in us, while it increases the vital heat and renders it more powerful and dominant (τὸ θέρμον αὔξει καὶ δυνατώτερον καὶ ἐπικρατέστερον ἀπεργάζεται), and makes all things commensurate with soul and intellect, makes our light shine with intelligible harmony, and shows what is not body as body to the eyes of the soul by means of those of the body. (II 6, 81,10–82,1)

In dieser Stelle ist dreierlei bemerkenswert: (1) Die „Früchte“ der Manifestation der Götter umfassen, wie anfangs betont wird, den ganzen Menschen (Körper, Seele, Geist). (2) Der göttlichen Epiphanie wird die Wirkung zugesprochen, die

nennen“. Vgl. auch Turcan 1975, 122. Bei all diesen Gemeinsamkeiten ist jedoch ein zentraler Unterschied nicht aus den Augen zu verlieren: Der Pneumabegriff der Mithrasliturgie ist einerseits stoisch, andererseits gnostisch geprägt und entspricht nicht dem der Neuplatoniker. Mithin bezeichnet auch das ἀθάνατον πνεῦμα (505) in der Anfangspassage der Liturgie keineswegs etwa einen „unsterblichen Subtilkörper“. Vgl. dazu: Betz 2003, 105–109, der besonders die stoischen Einflüsse hervorhebt. Grundsätzlich ist anzumerken: Wenn in gnostisch geprägten Texten von einer „Reinigung des Pneuma“ die Rede ist, so meint dies – im Gegensatz zum Neuplatonismus – gerade die Reinigung von der ψυχή bzw. ein Ablegen der ψυχή, die – entsprechend dem πνεῦμα im neuplatonischen Wortverstand – als innerkosmische Wesenheit vorgestellt ist. Das Verhältnis von πνεῦμα und ψυχή stellt sich damit in der Gnosis gewissermaßen umgekehrt dar als im Neuplatonismus. Während bei diesem die Seele als unkörperlich und vom Pneuma umhüllt gedacht wird, bezeichnet das Pneuma der Gnostiker gerade den immateriellen, überkosmischen Lichtfunken im Menschen, der im Aufstieg von den Bestandteilen der Seele – diese ist wohlgemerkt bereits das Produkt des (bösen) Demiurgen – zu befreien ist. Vgl. Irenäus I 7, 1 (Übers. Klebba): „Dann ziehen die Geistigen (πνευματικοί), die ihre Seelen (ψυχάς) abgelegt haben und reine Geister geworden sind, ungehindert und ungesehen in das Pleroma ein“. Gr. Text angeführt bei Jonas ²1954, 209 Fn. 1.

3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos

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Wärme in uns zu steigern. (3) Mit der Epiphanie scheint eine Transformation der Sinneswahrnehmung verbunden zu sein. 3.2.3.3 Geeignetheit des Vehikels als transparentes Rezeptakel Wir müssen an dieser Stelle erneut auf einen Themenkomplex zurückkommen, dessen Hintergrund in Kap. 2.5 zu Theurgie und Sonnenkult bereits angesprochen wurde: die lichtmetaphysischen Implikationen der ὄχημα-Lehre, die sich nun etwas konkreter fassen lassen. Wurde in Kap. 2.5 das die Wirklichkeit strukturierende Lichtkontinuum primär unter seinem emanativen bzw. zentrifugalen Aspekt betrachtet, so soll im Folgenden stärker die zentripetale Kraft desselben in den Blick genommen werden, ist sie es doch, welche den ontologischen Rückstieg der menschlichen Seele ermöglichen soll. Hierfür müssen wir teils über Iamblichos hinausblicken und vor allem einige Passagen aus dem Werk Kaiser Julians berücksichtigen, was nicht zuletzt insofern legitim ist, als dieser selbst hauptsächlich aus Iamblichos’ Schriften schöpft. Aber halten wir zunächst nochmals allgemein fest: Sowohl die Vorstellung vom Lichtkontinuum als auch der von ihm strukturierten ontologischen Sphären ist ein Grundcharakteristikum neuplatonischen Denkens – eine Aussage, die in dieser Form freilich für einen Plotin nicht weniger gültig ist als für Iamblichos, Julian oder Proklos. Was letztere von Plotin unterscheidet, sind die theurgischen Implikationen, welche die Lichtmetaphysik bei ihnen besitzt. Man kann hier erneut von den Chaldäischen Orakeln ausgehen. Denn nach Auffassung der Orakel ist es gerade das vom „Vater“ ausströmende, von Aion, Hekate, der Sonne etc. weitervermittelte Licht bzw. Feuer, welches die Seele des Menschen zu reinigen und ihren Wiederaufstieg (ἀναγωγή) zu bewirken vermag (vgl. fr. 121–123). H. Lewy und R. Majercik haben (besonders in Auswertung von Proklos, In Remp. I 152,7 ff.) die chaldäische Soteriologie – der Begriff Soteriologie kann allerdings insofern irreführend sein, als die betreffenden Riten Wirkungen auf den lebendigen Menschen zeitigen wollten – im Einzelnen untersucht und dabei verschiedene Stufen des ihr korrespondierenden Ritus unterschieden. Beginnend mit einer Art „rituellem Tod“ des Körpers,355 der sich in der Bedeckung des Initianden mit Erde niedergeschlagen habe, kulminiere der Ritus in dessen anschließendem Aufstieg vermittels der göttlichen Sonnenstrahlen.356  Man kann dies auch als rituelle Performanz des sokratisch-platonischen Topos von der Philosophie als einer Einübung ins Sterben-Lernen (vgl. Phd. 64) nehmen – d. h. wiederum als Transformation einer genuin philosophischen Praxis im Rahmen eines veränderten kultischen Referenzrahmens.  Majercik 1989, 37 bezeichnet „the elevation of the soul on the rays of the sun“ in Anlehnung an Lewy als „the central Chaldean sacrament“. Die Vorstellung korrespondiert mit altägyptischen wie mit altindischen Glaubensinhalten (vgl. unten in Kap. 4.1.9 Fn. 530). So heißt es in einem von

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Dieser Aufstieg könne von göttlichen Lichtvisionen begleitet sein (vgl. Or. Ch. fr. 190), bewirke eine Reinigung bzw. Befreiung der Seele. Die Assimilierung des dem Menschen zuströmenden göttlichen Lichts ist Kern des theurgischen Ritus, sofern dieser sich aus den Orakeln rekonstruieren lässt.357 Bezüglich ihrer Auffassung vom göttlichen Licht bzw. Feuer ist die neuplatonische Soteriologie derjenigen, die sich aus den Orakeln rekonstruieren lässt, sehr ähnlich. Iamblichos beantwortet die Frage nach dem Telos der Theurgie ausdrücklich mit: „der Aufstieg zum noetischen Feuer“ (De myst. III 31, 179,7 f.: ἡ πρὸς τὸ νοητὸν πῦρ ἄνοδος); und die Theurgen werden als „Athleten des Feuers“ (II 10, 92,10) bezeichnet. Oder Proklos: τέλος δὲ τῶν ἀνόδων [...] ἡ αὐτοφανὴς τοῦ πυρὸς ἀποπλήρωσις (De phil. chald. I 1,12–14).358 Dementsprechend ruft Proklos in seiner Hymne an Helios den Gott als „König des noerischen Feuers“ (Z. 1: πυρός νοεροῦ βασιλεῦ) und „Spender des Lichtes“ (Z. 1: φάους ταμία) an, der dieses aus seiner „lebenspendenden Quelle“ in die Sinnenwelt vergieße. Als „Bild des allerzeugenden Gottes“ (Z. 34: εἰκών παγγενέταο θεοῦ), d. h. des Guten bzw. Einen, sei Helios zugleich „Seelengeleiter“ (Z. 34: ψυχῶν ἀναγωγεῦ)359, dessen Strahlen eine „Reinigung“ der Seele bewirken (Z. 35: με κάθηρον).360 Dabei ist es nicht allein Helios, dem die Fähigkeit zugesprochen wird, mit seinen Strahlen seine Schützlinge zu Assmann 1970 edierten altägyptischen Text: „Ich steige auf zum Himmel. Ich klimme empor auf den Sonnenstrahlen“ (25).  Zur Problematik derartiger Rekonstruktionen vgl. die entsprechenden Anmerkungen in Kap. 2.1.  Vgl. auch Proklos, Περἰ τῆς καθ᾽ Ἕλληνας ἱερατικῆς τέχνης, Z. 23 f. d. gr. Textes bei Copenhaver 1988, 109.  Dazu der Kommentar van den Bergs (2001, 179): „An ἀναγωγεύς is usually employed as a designation of a strap holding a shield or a sandal. In the Chaldaean Oracles the word is employed with a new meaning, that of the raiser of souls to a higher, metaphysical, level [...] According to Proclus, Helios raises the souls to the Demiurgic Nous, i. e. the court of the Father (vs. 32) or paternal harbour“. Dementsprechend beginnt auch Proklos’ an die chaldäischen Götter gerichtete Hymne IV folgendermaßen: „Hearken, you gods holding the helm of holy wisdom, / who, having kindled an upward-leading fire, draw to the immortals / human souls, who leave the dark hole behind, / purified by the secret initiations of hymns“ (Übers. Van den Berg). Vgl. auch die Feuer-Terminologie in Proklos’ sogenanntem „Feuer-Lied“, einer Hymne auf den höchsten Gott der Chaldäer (ediert und kommentiert bei Lewy ³2011, 491–493).  In § 176 seines Kratylos-Kommentars betont Proklos den reinigenden Effekt von Apollons Licht. Namentlich werden die vorbereitenden Reinigungspraktiken des Theurgen in Analogie zur Aktivität Apollons gesetzt. Sehr deutlich kommt die katagogische und anagogische Kraft des Sonnenlichts auch in einer Passage des Timaios-Kommentars zur Geltung: „Dank des Lichts verströmt die Sonne ihre wohltätigen Gaben von oben nach unten, von den Ganzheiten ausgehend zu den Teilen. [...] Nicht nur lässt die Sonne die ganze Welt erglänzen, vergöttlicht das Körperhafte (θεῖον ποιεῖ τὸ σωματοειδές) und bewirkt, dass alles von Leben durchdrungen sei; auch führt sie die Seelen durch das reine Licht nach oben“ (III 82,4–10; EÜ).

3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos

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erheben. Julian erwähnt in seiner Interpretation des Herakles-Mythos, Zeus „entrückte ihn [Herakles] durch das Feuer seines Blitzes wieder zu sich empor, indem er mit dem göttlichen Zeichen des ätherischen Lichtstrahls seinem Sohne befahl, zu ihm zu kommen (ὑπὸ τῷ θείῳ συνθήματι τῆς αἰθερίας αὐγῆς)“ (Or. VII, 220a; Übers. Asmus). Überhaupt hat Julian die theurgische Funktion des Helios vielleicht am explizitesten ausgesprochen. In seiner Rede An die Göttermutter wird der Sonne eine dreifache wohltätige Wirkung zugesprochen: (1) für das Alltagsleben, insofern sie die sinnliche Erkennbarkeit der Dinge verbürge; (2) für die Philosophie, insofern die Betrachtung der kosmischen Ordnung allererst den Impuls zum Philosophieren gebe (beides Aspekte, die bereits von Platon im Timaios im Kontext seiner Sehtheorie, im Theaitetos im Kontext des θαυμάζειν geltend gemacht wurden); schließlich (3) für die Theurgie, insofern die menschliche Seele vermittels der Sonnenstrahlen aufwärts geleitet würde.361 Eine Ausführung des letzteren Punktes liefert Julian denn auch in seiner Heliosrede. Was sind die „Güter“ (ἀγαθά), die dem Menschen von Helios zuteil werden? Julians Antwort lautet: Da wir nämlich ihm unsere Entstehung verdanken, so werden wir auch von ihm ernährt. Seine göttlicheren Gaben und alles das, womit er die Seelen beglückt, indem er sie von dem Körper loslöst und sie darauf zu den mit dem Gotte verwandten Substanzen emporführt, und die Feinheit und die wohl abgemessene Spannung des göttlichen Lichts, das den Seelen wie ein Fahrzeug für ihre sichere Herabkunft in die Schöpfung gespendet wird, all dies möge von andern entsprechend gepriesen, von uns aber mehr geglaubt als dargestellt werden (γινόμενοι γὰρ ἐξ αὐτοῦ τρεφόμεθα παῤ ἐκείνου. τὰ μὲν οὖν θειότερα καὶ ὅσα ταῖς ψυχαῖς δίδωσιν ἀπολύων αὐτὰς τοῦ σώματος, εἶτα ἐπανάγων ἐπὶ τὰς τοῦ θεοῦ συγγενεῖς οὐσίας, καὶ τὸ λεπτὸν καὶ εὔτονον τῆς θείας αὐγῆς οἷον ὄχημα τῆς εἰς τὴν γένεσιν ἀσφαλοῦς διδόμενον καθόδου ταῖς ψυχαῖς ὑμνείσθω τε ἄλλοις ἀξίως καὶ ὑφ̓ ἡμῶν πιστευέσθω μᾶλλον ἢ δεικνύσθω). (Or. IV 152a–b; Übers. Asmus)

Die höchste Wohltat des Helios betrifft hiernach die Befreiung der Seele aus den Banden des Körpers, bewirkt von Helios’ „göttlichen Strahlen“ (τῆς θείας αὐγῆς). Diesen wird eine „Feinheit“ (λεπτὸν) und „Stärke“ (εὔτονον) zugesprochen, aufgrund derer sie „wie ein Fahrzeug“ (οἷον ὄχημα) fungierten, das den sicheren Abstieg (κάθοδος) der Seele in die sublunare Sphäre – und, so können wir ergänzen, auch umgekehrt deren Wiederaufstieg durch die supralunaren Sphären – garantiere.362 Was mit dem hier angesprochenen ὄχημα genau gemeint ist, ergibt sich  Vgl. Or. V 172a–173a. Dazu und zum folgenden auch: Tanaseanu-Döbler 2013, 139; Lecerf 2014, 67–69.  In der Streitschrift Gegen den Kyniker Herakleios spricht Julian von seinen persönlichen Erleuchtungserfahrungen: Einmal sei er nach dem Gebet in eine Form der Ekstase (ἔκστασις) verfallen, in der Zeus ihm Helios selbst offenbart habe (Or. VII 231b); später ist von einem „großen

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

m. E. abermals erst vor dem Hintergrund der Chaldäischen Orakel, genauer: des in ihnen zu Tage tretenden und nicht zuletzt etymologisch einwandfrei nachweisbaren Zusammenhangs von Sonnenstrahlen und Seelenvehikel. Weit häufiger als der Begriff ὄχημα (der so nur in fr. 120 u. 201 auftaucht) kommt in den uns überlieferten Fragmenten der – ebenfalls vom Verb ὀχέω abgeleitete363 – Terminus ὀχετός („Kanal“) vor (vgl. fr. 2, 61, 65, 66, 110, 189).364 Dieser Terminus ist genau auf die Sonnenstrahlen bezogen, welche den Auf- bzw. Abstieg der Seele ermöglichen,365 und entsprechend der Unterscheidung in noetisches, noerisches und kosmisches Feuer schienen die Verfasser der Orakel verschiedene ὀχετοί anzunehmen. Neben „empyrischen Kanälen“ (fr. 2: ἐμπυρίοις ὀχετοίς) werden beispielsweise auch „materielle Kanäle“ (fr. 65: ὑλαίων ὀχετῶν) – das sind wohl die Strahlen der sichtbaren Sonne – genannt. Entsprechend heißt es in Proklos’ Kratylos-Kommentar (§ 176), Apollon – als „Herr der Pfeile“ – säe „Kanäle“ (τοὺς ὀχετοὺς) und „Lichtstrahlen“ (τὰς ἀκτῖνας) von der überhimmlischen Sphäre in den Kosmos ein, wobei die „Pfeile“ die Lichtstrahlen symbolisierten.366 Wenn Proklos ferner über den Seelenaufstieg schreibt: „Wir werden zu Feuer, wir durchqueren das Feuer. [...] Der Vater führt uns, nachdem er die Wege des Feuers geöffnet hat“ (πῦρ γενώμεθα, διὰ πυρὸς ὁδεύσωμεν. [...] πάτηρ ὁδηγεῖ, πυρὸς ὁδούς ἀναπτύξας [...]) (De phil. chald. II, p. 208, 2–4; EÜ), so wird bei diesen „Wegen des Feuers“ wohl ebenso auf die ὀχετοί angespielt. Wenn darüber hinaus in fr. 2 im Zusammenhang des Aufstiegs durch die „Feuerkanäle“ von einem „Anlegen/Bekleiden“ (ἑσσάμενον) mit Licht die Rede ist, so liegt nahe, dies auf das

Licht“ (φῶς μέγα; 234a) die Rede, das Helios ihm bereits auf Erden gewährte, schließlich wird eine Schau des Vaters (234c) in Aussicht gestellt (diese und weitere Stellen auch angeführt bei Fauth 1995, 149 f.).  Vgl. Chantraine 1974, 843 f., der als Grundbedeutung von ὀχετός „canal“ im Sinne einer „installation qui transporte un liquide“ angibt.  Vgl. außerdem Or. Ch. fr. 60, wo Proklos zufolge die „chaldäischen Theologen“ die Sonne als „Feuer, Kanal des Feuers“ (πῦρ πυρὸς ἐξοχέτευμα) und „Verteilerin des Feuers“ (ταμίαν πυρός) bezeichneten. Zurecht weist Seng 2016, 87, auf die Parallele zwischen chaldäischer ὀχετόςVorstellung und platonischer „Lichtsäule“ hin (Resp. 616b). Vgl. auch die Diskussion der ὀχετοί bei Geudtner 1971, 53–56 u. Spanu 2021, 101–103.  Vgl. Or. Ch. fr. 110 (Übers. Lewy ³2011, 546): „Forsche nach dem Strahl der Seele (ψυχῆς ὀχετόν), woher sie in einer bestimmten Ordnung [herabstieg], um dem Körper zu dienen [und wie] du sie wieder zur Ordnung heraufführen wirst, nachdem du die (rituelle) Handlung mit dem heiligen Wort vereint hast.“ Vgl. Majerciks Kommentar (183): „ψυχῆς ὀχετόν: i. e., the ‚channel‘ or solar ‚ray‘ on which the soul both descends into the body and ascends on high during the theurgic rites.“  Man wird die Parallele zu den ebenfalls „eingesäten“ Symbolen bemerken. Jeweils handelt es sich gewissermaßen um immanente Pforten zu Transzendenz, bzw. „Immanenzmedien“, die als solche fungieren.

3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos

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Seelenvehikel zu beziehen, das zum erfolgreichen Aufstieg möglichst lichthaft sein muss.367 Es sind besagte ὀχετοί, die für Julian οἷον ὄχημα fungieren können, woraus auch erhellt, dass ὄχημα in der zitierten Stelle nicht das Vehikel der Seele bezeichnet, sondern die göttlichen Strahlen (αὐγαί) des Helios. Was wir weiter oben den „etymologisch einwandfrei nachweisbaren Zusammenhang von Sonnenstrahlen und Seelenvehikel“ nannten, kann demnach bis hin zur terminologischen Identität reichen, insofern die Funktionsbestimmung eines ὀχετός (gemäß der JulianPassage und der Sache nach völlig einleuchtend) letztlich darauf hinausläuft, „wie ein Vehikel“ (οἷον ὄχημα) zu fungieren. Dies zeigt einmal mehr, dass der Terminus ὄχημα bei den Neuplatonikern eben kein spezifischer terminus technicus darstellt, dem – wenn man vom Kontext absähe – eine eindeutige ontologische Realität eignete.  Vgl. Johnston 2002, 13. Auch in Th. Pl. III 6, 26,1 u. IV 6, 24,11 werden die „Kanäle“ erwähnt, und zwar als lichthafte Vermittler der Lebenskraft. Vgl. ferner Porphyrios, fr. 325 F. Die anagogische Kraft des Feuers kommt auch in Iamblichos’ metaphysischer Begründung des Feueropfers zur Sprache (vgl. De myst. V 11–12). Die Darreichung materieller Opfergaben vollziehe sich in vielen Fällen als deren Verbrennung, wodurch ein körperliches Objekt gleichsam erhoben, transformiert und dem göttlichen Feuer verähnlicht werde (V 11, 214, 7 f.: ἀναγωγός τε ἐπὶ τὸ θεῖον καὶ οὐράνιον πῦρ καὶ ἄυλον): „the matter is all burned up and consumed, and transformed into the purity and subtlety of fire (εἰς τὴν τοῦ πυρὸς καθαρότητα καὶ λεπτότητα μεταβάλλεται); [...] In fact, the superior classes of being are impassive (ἀπαθεῖς), and it is pleasing to them that the matter is eliminated by the fire, and they render us also impassive; they assimilate what is in us to the gods, even as the fire assimilates all that is solid and resistant to luminous and subtle bodies (τὸ πῦρ ἀφομοιοῖ πάντα τὰ στερεὰ καὶ ἀντίτυπα φωτεινοῖς καὶ λεπτοῖς σώμασιν), and leads us up by means of sacrifices and sacrificial fire towards the fire of the gods, in the same way that the fire ascends towards the fire which attracts it, and draws up downward-tending and resistant entities to divine and heavenly ones.“ (V 11, 214,12–215,5) „Even as the gods cut through matter by the fire of the thunderbolt, and separate off from it those elements which are immaterial in their essence, but are overcome by it and imprisoned in it, and render them impassible instead of passible, even so the fire of our realm, imitating the activity of the divine fire, destroys all that is material in the sacrifices, purifies the offerings with fire and frees them from the bonds of matter, and renders them suitable, through the purification of their nature, for consorting with the gods, and by the same procedures liberates us from the bonds of generation and makes us like to the gods, and renders us worthy to enjoy their friendship, and turns round our material nature towards the immaterial“ (V 12, 215,11–216,6). Zwar unterscheidet Iamblichos zwischen göttlichem (bzw. himmlisch-immateriellem) Feuer einerseits und irdischem Feuer andererseits. Gleichwohl besteht eine Kontinuität zwischen den beiden, insofern das irdische Feuer (und d. h. jenes im Opferritus wirkende) die Aktivität des göttlichen Feuers nachahme. Beiden Feuern wird eine reinigend-anagogische Kraft zugesprochen, welche die Materie verzehre bzw. umwandle, gleichsam verfeinere, und so zu den Göttern hinführe, indem „das Feuer alles Feste und Widerständige den lichthaften und subtilen Körpern verähnlicht“ (was hier wohl auf die göttlichen Körper zu beziehen ist).

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

Dass sich nun – wie in der zitierten Julian-Stelle – zwischen den Sonnenstrahlen, deren sich die Seele οἷον ὄχημα bedienen kann, und dem Vehikel, dessen sich die Seele ebenfalls οἷον ὄχημα bedienen kann, unterscheiden lässt, heißt freilich nicht, dass zwischen diesen beiden keine substantielle – d. h. eine über die angesprochene Funktionsanalogie hinausgehende – Beziehung bestünde. Das Entscheidende liegt vielmehr genau darin, dass seit Iamblichos die funktionsanalogische mit einer substantiellen Verwandtschaft verbunden wurde. Anders formuliert: Die beiden Entitäten, deren sich die Seele οἷον ὄχημα zu bedienen vermag (d. h. die Sonnenstrahlen und ihr feinstofflicher Leib) sind hier beide aus einer ähnlichen Substanz geschaffen. Die Rede von der „Geeignetheit“ (ἐπιτηδειότης) des Seelenvehikels, wie sie uns auch im Kontext der Beschreibung der Epiphanien in De mysteriis begegnete, gewinnt erst vor diesem Hintergrund ihren eigentlichen Sinn. Hatten wir diesen Terminus bereits in Kap. 2.2 – dort unter Bezugnahme auf die platonische χώρα-Vorstellung – interpretiert, ist er im Kontext der Lichtepiphanien abermals zu betrachten, greift Iamblichos hier doch in weitem Maße auf klassische antike Spekulationen über die Natur des Lichts zurück, vor allem die aristotelischen.368 Betrachten wir hierfür zwei zentrale Textstellen bei Priscianos (Metaphrasis in Theophrastum 9,7–31) und bei Pseudo-Simplikios (In De Anima 131,16–132,17),369 in denen jeweils Iamblichos’ Theorie von der Natur des Lichtes und des Transparenten referiert wird. Ausgangspunkt bildet jeweils die aristotelische Bestimmung des Lichts als „Aktualisierung des Transparenten“ (ἐνέργεια διαφανοῦς) bzw. „Vervollkommnung des Transparenten“ (τελειότης διαφανοῦς). Nun steht die aristotelische Lichttheorie ihrer eigenen Intention nach im Dienste einer empirischen Erklärung von Wahrnehmung, derzufolge jeder Wahrnehmungsakt vierer Konstituenten bedarf: eines wahrnehmbaren Objekts, des wahrnehmenden Sinnesorgans, eines transparenten Mediums zwischen den beiden, sowie einer das transparente Me-

 Vgl. dazu Finamore 1993; Bergemann 2006. Dieser arbeitet ausführlich heraus, wie bereits die aristotelische Lichtbestimmung in De an. 430a10–19, mehr noch ihre Interpretation durch Alexander von Aphrodisias (der wiederum eine wichtige Quelle für Plotin war), auf ein dem Sonnengleichnis strukturell vergleichbares Lichtverständnis hinausläuft. Wie das Licht bei Platon als „dritte Gattung“ (τρίτον γένος) bzw. „Joch“ (ζυγόν) Erkennenden und Erkanntes verbindet (Resp. 507e–508a), so ist es nach Aristoteles „eine Art Hexis“, die „der Möglichkeit nach seiende Farben zu Farben der Wirklichkeit nach“ mache. Das Licht aktualisiert (verwirklicht) sowohl das Sehen (beim Erkennenden) als auch das Vermögen, gesehen werden zu können (beim Erkannten). Insofern Aristoteles die Wirkung des Lichtes heranzieht, um die Wirkung des νοῦς ποιητικός zu veranschaulichen, ist einer Anwendung der Lichttheorie auf die Sphäre des Intelligiblen der Weg gebahnt – ein Weg, den Alexander von Aphrodisias mit seiner Unterscheidung von primärem und sekundärem Licht in De anima libri mantissa weiter gehen wird.  Als Appendix H und I in Iamblichos’ De anima-Edition von Finamore/Dillon abgedruckt.

3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos

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dium aktualisierenden Kraft: Letztere ist das Licht.370 Wie erfolgt diese „Aktualisierung“? Priscianos schreibt dazu: Not as an affection, I will say, nor as a perfection of it coming about in the substrate itself, but as perfecting it in a transcendent way (χωριστῶς), not itself belonging to the transparent, but rather making the transparent belong to itself, while it itself remains continuous with the source of light and is carried round together with it. (9,26–28; Übers. Finamore/ Dillon)

Das Licht geht weder in das zu aktualisierende Medium ein noch vermischt es sich mit ihm, sondern bleibt von ihm gänzlich getrennt. Gleichwohl bewirkt es eine Art Erhebung und damit Vervollkommnung des Mediums, ohne dass dabei das Licht selbst irgendeine Veränderung erlitte. Grundsätzlich kann das „transparente Medium“, das vom Licht aktualisiert bzw. vervollkommnet wird, verschiedenes sein. Im Kontext der gewöhnlichen Sinneswahrnehmung mag man zuallererst an das Element der Luft denken, ggf. an Wasser oder andere lichtdurchlässige Stoffe. Doch existiert für die Neuplatoniker – wie schon deutlich geworden sein sollte – noch ein anderes lichtdurchlässiges Medium par excellence: der Äther.371 Erst wenn man die theoretischen Ausführungen zum Licht und seinem transparenten Medium auch hierauf bezieht, erschließt sich deren Tragweite für die philosophische Plausibilisierung der Theurgie.372 Die Implikationen der ätherischen Beschaffenheit des Seelenvehikels werden nämlich allererst vor dem Hintergrund der neuplatonischen Lichttheorie erklärlich. Dass die von Priscianos und Pseudo-Simplikios referierte Auffassung in der Tat jener von Iamblichos entspricht, wird auch durch De mysteriis I 9 nahegelegt. Die göttliche Präsenz wird dort mit jener des Lichtes verglichen:

 Vgl. Finamore/Dillon 2002, 270.  Zur gegenseitigen Durchdringung immaterieller Körper vgl. Syrianos, In Metaph. 85,15 ff. Syrianos macht deutlich, dass auch dem Immateriellen eine Ausdehnung bzw. Dreidimensionalität zugesprochen werden könne. Als Beispiel nennt er Licht wie auch das αὐγοειδὲς ὄχημα, die sich zumal wechselseitig durchdringen können, ohne sich zu vermischen oder zu zerteilen.  Diese Zusammenhänge hat Bergemann 2006 ausführlich herausgearbeitet und dabei die von Alexander von Aphrodisias getroffene – im Neuplatonismus rezipierte – Unterscheidung zwischen primärem (göttlichen) Licht und dem aufnehmendem Medium, welches in der Aufnahme sekundäres Licht hervorbringt, ins Zentrum seiner Untersuchung gestellt. Vgl. auch den Hinweis bei Finamore/Dillon 2002, 273: „This notion that light is completely separated mirrors the Iamblichean doctrine of divine illumination in theurgy. The gods are completely separated from the realm of matter and do not descend here themselves but rather shine their incorporeal light on the theurgist or on physical objects that have been made suitable to receive the light. [...] This is a good example of how Iamblichus’ metaphysics supports his religious doctrines.“

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

the fact is that divinity illumines everything from without (ἔξωθεν), even as the sun lights everything from without with its rays. Even as the sunlight, then, envelops what it illuminates, so also does the power of the gods embrace from outside (ἔξωθεν) that which participates in it. And similarly, even as the light is present in the air without blending with it [...], even so the light of the gods illuminates its subject transcendently (χωριστῶς), and is fixed steadfastly in itself even as it proceeds throughout the totality of existence. Even visible light, after all, is a continuum, everywhere the same throughout, so that it is not possible to cut off any part of it, nor to circumscribe it round about, nor to detach it ever from its source. (I 9, 30,13–31,8)

Wie bei Priscianos wird auch hier (wie übrigens auch in allen in Kap. 3.2.3.2 angeführten Stellen zur Divination aus De myst. III) – in den Termini χωριστῶς und ἔξωθεν – das Getrennt-Bleiben des Lichtes in Bezug auf das Aufnahmemedium hervorgehoben. Nun nennt Iamblichos im Folgenden ausdrücklich drei mögliche Medien: Wasser, Luft und Äther. It is my view, then, that the participants (in divine influences) are in each case of such a nature that they participate in them either through the medium of aether or of air, or yet of water; and it is by observing this that the art of (divine) works makes use of correspondences and invocations which have regard to such a system of divisions and relationships. (I 9, 33,5–8)

Es ist kein Zufall, dass Iamblichos später – und zwar in seinen Erläuterungen zur Photagogie – erneut auf die Wichtigkeit eines transparenten Rezeptakels zu sprechen kommt (vgl. III 14, 133,13–134,15). Denn die theurgische Photagogie ist nur ein Sonderfall des allgemeinen Vorgangs des Zur-Erscheinung-Bringens von Licht in einem transparenten Medium. Es wurde also folgendes deutlich: Die entscheidenden Konstituenten der Bestimmung des Lichts als „Aktualisierung des Transparenten“ finden sich allesamt in Iamblichos’ Erklärung göttlicher Epiphanien wieder. Denn geht es in der Lichttheorie um die Wirkung desselben in einem Aufnahmemedium, so lässt sich dieses Verhältnis auch auf das Zusammenspiel von göttlicher Entität und Mensch (Medium) allgemein anwenden, nämlich im Dienste einer begrifflichen Klärung und phänomenologischen Beschreibung religiöser Erfahrung. Was über die Wirkung des Lichts gesagt wird, nämlich dass es „transzendent“ (χωριστῶς) bzw. „von außen“ (ἔξωθεν) wirke, ist bei Iamblichos ein Hauptcharakteristikum des Wirkens göttlicher Wesenheiten überhaupt. Aristoteles’ Bestimmung des Lichts fungiert bei Iamblichos mithin als Schlüsselelement seiner Begründung der immanenten Transzendenz göttlicher Wesen bzw. höherer Ursachen, dient ihm also dazu, die immanente Wirkung von Göttern zu plausibilisieren, ohne deren Transzendenz antasten zu müssen. Iamblichos’ besonders in De mysteriis auffälliges Os-

3.2 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Iamblichos

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zillieren zwischen Immanenz- und Transzendenzvorstellungen vom Göttlichen373 findet dergestalt seine Auflösung. Immanenz meint für Iamblichos die unvermischte Präsenz des Göttlichen in einem Medium, was von jedweder substanziellen Anwesenheit zu unterscheiden ist. Die faktische Wirksamkeit bzw. Aktualität dieser Immanenz hängt von der Aufnahmefähigkeit bzw. Geeignetheit des Aufnahmemediums ab. Grundsätzlich, so belehrt uns Iamblichos, sei „die prophetische Kraft der Götter“ (ἡ μαντικὴ τῶν θεῶν δύναμις) nicht an einen bestimmten Ort gebunden, sondern „überall ganz präsent für jene, die daran teilzuhaben imstande sind“ (ὅλη πανταχοῦ πάρεστι τοῖς μεταλαμβάνειν ἀυτῆς δυναμένοις) – und dies, gerade weil besagte Kraft „transzendent“ (χωριστή) und „unteilbar“ (ἀδιαίρετος) sei (III 12, 129,3 f.). Sie erleuchte alles „von außen“ (ἔξωθεν), durchdringe alle Elemente, „erfüllt alles in dem Maße, als es an ihr teilzuhaben vermag“ (129,5 u. 10 f.). Das Nämliche wird vom „göttlichen Feuer“ behauptet, dessen ἐνέργεια überall und von ihm selbst ausgehend wirke und das seine Kräfte all jenen Wesen mitteile, die sie aufzunehmen fähig seien (vgl. IV 3, 185,6–8). In all diesen Passagen wird unmissverständlich konstatiert, dass die Aktualisierung der göttlichen Kraft letztlich vom Vorhandensein des rechten Mediums abhängt. Sofern das ätherische Vehikel – zumal im Rahmen der Verkörperung in einem grobstofflichen Leib – gewissen Einflüssen ausgesetzt ist, die seine Reinheit und Aufnahmefähigkeit beeinträchtigen,374 kann Iamblichos verschiedene Grade der Geeignetheit des Empfängers unterscheiden sowie die Reinigung desselben als Teil der theurgischen Praktiken anempfehlen. Er scheint außerdem davon auszugehen, dass das göttliche Feuer das Medium, in dem es erscheint, zugleich reinigt bzw. läutert, d. h. selbst zur Herstellung des ihm bestmöglichen Mediums beiträgt.375 Das αὐγοειδὲς bzw. αἰθερῶδες ὄχημα bildet damit das Grundkonzept in Iamblichos’ Religionsphänomenologie und Theorie der immanenten Transzendenz, es ist gleichsam Dreh- und Angelpunkt, an dem sich Lichttheorie, Sonnenkult und Theurgie auf untrennbare Weise verbinden. Dies zu konstatieren, heißt aber zugleich zu behaupten: Die Binnendifferenzierung von Körperlichkeit – kulminierend in der Postulierung eines ätherischen Seelenvehikels – erweist sich als ausschlaggebend für die Gesamtstoßrichtung seines philosophischen Projekts.

 Vgl. Belege bei Van Liefferinge 1999, 83.  Vgl. Finamore 1985, 50 f.; Bergemann 2006, 381 f.  Im Falle der auf das ὄχημα-Konzept bezogenen Lichtmetaphysik sind mithin alle drei Grundbedeutungen, die Dodds ²1963, 344 f., für ἐπιτηδειότης anführt, präsent: „1. Inherent capacity for acting or being acted upon in a specific way. [...] 2. Inherent affinity of one substance for another [...] 3. Inherent or induced capacity for the reception of a divine influence.“

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

3.2.3.4 Problem der „immanenten Transzendenz“ und kosmischen Entsprechung An verschiedenen Stellen unserer Untersuchung stießen wir auf das Problem der immanenten Transzendenz bzw. bestimmter neuplatonischer Begrifflichkeiten und Denkfiguren, die zu ihrer Verdeutlichung dienen sollen. Die wichtigsten dieser Konzepte seien nochmals ins Gedächtnis gerufen: (1) der Begriff des Symbols (σύνθημα bzw. σύμβολον), (2) das Konzept der „göttlichen Materie“, (3) das in der Lichtmetaphysik beschriebene Zusammenwirken von Lichtquelle und transparentem Rezeptakel, und damit unmittelbar verknüpft, (4) die ὄχημα-πνεῦμαVorstellung. In all diesen Konzepten artikuliert sich ein spezifisches Verständnis von immanenter Transzendenz bzw. der Art der Beziehung zwischen Gott und Mensch bzw. Sinnenwelt. Denn wenn wir oben behaupteten, dass sich in der Symboltheorie eines Iamblichos oder Proklos ein gegenüber Plotin gewandeltes Verständnis von der Präsenz des Transzendenten in der manifestierten Welt ausspricht, so trifft dies ebenso auf das Konzept der „göttlichen Materie“ zu. Und auch die Lehre vom Seelenvehikel lässt sich als eine Art anthropologisches Pendant zu dieser Tendenz verstehen. Denn geht es nicht auch bei ihr um die göttliche Präsenz in einem – jetzt menschlichen – Medium zu rituellen Zwecken? Entspricht dem Versuch einer integralen Ontologie, in deren Dienste Symbole und „göttliche Materie“ bei Iamblichos stehen, nicht jener einer integralen Anthropologie, in deren Zentrum wiederum das Problem der Vermittlung und Möglichkeit der Präsenz der Götter in der Sinnenwelt steht? Es ist höchst bezeichnend, dass für Iamblichos die göttlichen συνθήματα vom Demiurgen selbst in den Kosmos eingesät wurden und – in Entsprechung hierzu – sowohl die menschlichen ὀχήματα als auch die „göttliche Materie“ vom Demiurgen selbst geschaffen wurden. Menschliche ὀχήματα und „göttliche Materie“ werden im Übrigens nicht ohne Grund mit teils gleichen Attributen beschrieben. Denn beiden kommt eine strukturell analoge Funktion zu: als möglichst geeignetes Rezeptakel zu dienen für die Aufnahme göttlicher Entitäten bzw. Kräfte. Hieraus resultiert die Parallelität der jeweiligen Diskussion um die „Geeignetheit“ materieller Gegenstände und jener der menschlichen Seele bzw. ihres Vehikels. Sie entsprechen zumal jenen beiden Praktiken, die man als Hauptpraktiken der Theurgie identifiziert hat: Telestik (Beseelung göttlicher Statuen) und göttliche Besessenheit eines menschlichen Mediums.376 Während bei ersterem die Errichtung eines Götterbildes (ἄγαλμα) im Zentrum steht, hierfür diverse geeignete und mit der entsprechenden Gottheit verwandte Materialien gesammelt werden, um die Manifestation der Gottheit in der Statue vorzubereiten, fungiert bei letzterem ein menschliches Medium selbst als Er-

 Vgl. Muscolino 2011, CLXXIV–CLXXXVIII; 2017, 100–122.

3.3 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Proklos

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scheinungsort der Gottheit. Strukturell sind die Vorgänge durchaus analog, insofern in beiden Fällen eine Gottheit sich in einem geeigneten Empfängermedium (δοχεύς) manifestiert. Nicht zuletzt spricht sich in besagten Konzepten die Vorstellung von den kosmischen Entsprechungen („wie oben, so unten“) aus und gerade die Lehre vom Seelenvehikel lässt sich auch als konsequente Ausgestaltung der Mikro-MakrokosmosAnalogie begreifen. Der Mensch hat nämlich hiernach im wörtlichen Sinne einen Leib analog zu jenem des Universums, das ja auch aus einer supralunaren (ätherischen) und sublunaren (aus den vier klassischen Elementen konstituierten) Sphäre besteht – ein Gedanke, der auch im Motiv der Sphärenreise anklingt, auf der der Mensch in der Durchquerung der kosmischen Bereiche ggf. auch substanziell alle Kräfte des Universums an sich zieht und aufnimmt. Bei Proklos ist dieses Motiv am deutlichsten ausgesprochen und wir werden noch genauer darauf zu sprechen kommen (s. Kap. 3.3.1.4).

3.3 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Proklos Im Folgenden seien Proklos’ Auffassungen zur feinstofflichen Körperlichkeit diskutiert, und zwar in ähnlichem Vorgehen wie bei Iamblichos. Auch Proklos kennt ὀχήματα in verschiedenen Kontexten und im Vergleich zu Iamblichos wird das Phänomen der Körperlichkeit bei ihm noch weiter ausdifferenziert und beinhaltet eine ganze Anzahl von Dimensionen. D. Walter beispielsweise hat nicht weniger als zehn Bedeutungsdimensionen von „Körper“ bei Proklos ausgemacht: 1) den Körper des Kosmos, 2) die Körper der Gestirne und 3) alle Körper im sublunaren Bereich. Außerdem gibt es die beiden Seelenwagen – also 4) den sogenannten ätherischen und 5) den sogenannten pneumatischen Körper. Ferner finden wir im Parmenides-Kommentar die Bezeichnung 6) ‚Idee des Körpers‘ und die ‚Idee des Körpers der Sonne‘. Schließlich gibt es auch 7) den geometrischen Körper, sowie 8) den ‚qualitätslosen Körper‘ (apoion sôma), 9) den Raum als Körper sowie zuletzt 10) das überkosmische Licht als Körper.377

Das Phänomen der Körperlichkeit bei Proklos in einem umfassenden Sinne erörtern zu wollen, würde eine eigenständige Studie erfordern. Unsere Darstellung bleibt auf die Konzeption des ὄχημα-πνεῦμα in ihren mikro- wie makrokosmischen Implikationen fixiert. Legt man genannte Auflistung zugrunde, so betrifft dies immerhin die Punkte 1–5 sowie 9–10. Was die Textbasis zum ὄχημα-πνεῦμα (wie im Übrigen auch zur Theurgie) bei Proklos betrifft, so stellt sie sich etwas verzwickter dar als im Falle der meisten  Walter 2020, 94–96.

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anderen Neuplatoniker (z. B. Iamblichos, Hermeias, Hierokles oder Synesios), sind die relevanten Stellen bei Proklos doch in dessen recht umfangreichem Gesamtwerk verstreut. Eine komprimierte – allerdings keineswegs erschöpfende – Darstellung seiner Theorie bieten die Propositionen 196 und 205–210 der Elementatio Theologica, wo der systematische Ort der Seelenvehikel in Proklos’ Verständnis der Gesamtwirklichkeit recht präzise bestimmt wird. Die dort vorfindlichen Hinweise sind zu ergänzen auf Basis der relevanten Passagen aus Proklos’ PlatonKommentaren. Für unser Thema erweisen sich der Politeia- und der TimaiosKommentar am ergiebigsten; jedoch sind auch Stellen aus anderen Schriften heranzuziehen. Thematisch betrachtet steht im Zentrum unserer Darstellung (1) die Herausarbeitung verschiedener Facetten der ὄχημα-πνεῦμα-Lehre, die keineswegs nur auf den Menschen bezogen ist, sondern – wie schon bei Iamblichos – die höheren Genera und verschiedene Götter miteinbegreift; (2) die Verknüpfung von Anthropologie und Kosmologie, die sich nicht zuletzt im Sinne einer konsequenteren Entfaltung der Mikro-Makrokosmos-Analogie verstehen lässt, in welcher der feinstofflichen Körperlichkeit eine zentrale Rolle zugesprochen wird; (3) die Erkenntnisfunktion der Seelenvehikel, d. h. die ihnen zukommende höhere Form der Wahrnehmung – und deren Verhältnis zur Imagination –, was Proklos in erster Linie zur Erklärung (a) göttlicher Epiphanien und (b) eschatologischer Sachverhalte dient. Dies alles erfolgt (4) unter Berücksichtigung der Frage, an welchen entscheidenden Punkten Proklos von Iamblichos abweicht. Wie im Iamblichos-Kapitel beginnen wir auch hier mit der Körpern der göttlichen Wesen, um über die Körper der höheren Gattungen dann – ontologisch absteigend – bis zum Menschen fortzuschreiten.

3.3.1 Göttliche Körper Werfen wir zunächst einen Blick auf die makrokosmische Ebene bzw. darauf, wie das Phänomen der Körperlichkeit sich bei dem Menschen ontologisch übergeordneten Wesen darstellt. „Jede partizipierbare Seele macht Gebrauch von einem ersten, ewigen Körper, der von ungewordener und unzerstörbarer Substanz ist (πᾶσα ψυχὴ μεθεκτὴ σώματι χρῆται πρώτῳ ἀϊδίῳ καὶ ἀγένητον ἔχοντι τὴν ὑπόστασιν καὶ ἄφθαρτον)“ (El. Th. § 196; EÜ). Diese Proposition aus Proklos’ Elementatio Theologica, auf die wir weiter unten im Kontext der menschlichen Seelenvehikel nochmals zu sprechen kommen werden, sei bereits hier angeführt, da sie keineswegs nur für das Verhältnis von Seele und „erstem Körper“ beim Menschen, sondern auch für das entsprechende Verhältnis bei den höheren Gattungen und sogar Göttern Geltung besitzt. Der Begriff „partizipierbare Seele“ bezeichnet nämlich nicht

3.3 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Proklos

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nur die Menschenseelen, sondern umgreift ebenfalls die höheren Genera und manche göttlichen Seelen (denn ψυχὴ μεθεκτή greift terminologisch weiter als die menschliche „Einzelseele“ – ψυχὴ μερική –, von der im Zusammenhang mit dem ὄχημα ab § 205 die Rede ist).378 Man muss berücksichtigen, dass Proklos fünf Klassen göttlicher Seelen unterscheidet, von denen vier über unzerstörbare Körper verfügen:379 (1) die in El. Th. § 164 erwähnte, nicht-partizipierbare, hyperkosmische Seele (ἀμέθεκτος ψυχή) als Hypostase bzw. Monade, die nicht unter die in § 196 genannte Kategorie fällt und sich mithin auch keinerlei Körper bedient; (2) hyperkosmische Seelen – denn Proklos verwendet diesen Terminus verschiedentlich im Plural (z. B. In Tim. II 289,30) –, die partizipierbar sind und hyperkosmische Lichtvehikel steuern; (3) die enkosmische, gleichwohl supralunare Weltseele als Ganzheit und (4) in ihren – ebenfalls supralunaren – Teilaspekten, den Gestirngöttern jenseits des Mondes sowie den Fixsternen (das sind die auf den beiden Kreisen des „Selben“ und „Anderen“ fixierten Gottheiten) (vgl. In Tim. II 290,3–23); (5) die sublunaren Gestirngötter (vgl. In Tim. III 255,10–26). Mit Ausnahme der (erstgenannten) nicht-partizipierbaren, hyperkosmischen Seelenmonade herrschen nun alle anderen (partizipierbaren) göttlichen Seelen über spezifische (unvergängliche) Körper. Diesen göttlichen Klassen sind ferner die höheren Genera (d. i. bei Proklos: Engel, Dämonen, Heroen) hinzuzugesellen, die eine Vermittlerrolle zwischen Göttern und Menschen einnehmen. Es ergibt sich also folgende Hierarchie göttlicher Seelen, die jeweils über Körper verfügen: (1) Hyperkosmische Seelen (2) Weltseele (3) Supralunare Gestirnseelen (4) Sublunare Gestirnseelen (5) Höhere Genera (Engel, Dämonen, Heroen)

 Gemäß der proklischen Teilhabelehre bezeichnet die partizipierbare Entität stets das mittlere Glied in einem triadisch strukturierten Schema, das aus dem Nichtpartizipierbaren (τὸ ἀμέθεκτον), dem Partizipierbaren (τὸ μεθεκτόν bzw. μετεχόμενον) und dem Partizipierenden (τὸ μετέχον) besteht. Das erste (monadische) Glied dieser Struktur ist die in Bezug auf ihre Wirkungen transzendente Ursache, das zweite Glied ist als immanente Ursache die vermittelnde Entität, über welche das erste Glied zum ihr entspringenden Einzelwesen fortschreitet und vermittels dessen dieses Einzelwesen an seiner Ursache teilhat. Auf die Seelenlehre übertragen entspricht dem ersten Glied die nicht-partizipierbare Seelenmonade (ἀμέθεκτος ψυχή), dem zweiten Glied die Vielheit partizipierbarer Seelen, die mit an ihnen partizipierenden Körpern in Verbindung stehen.  Vgl. dazu Dodds ²1963, 295 u. Brisson 2018, 214, die jeweils eine Vierteilung vornehmen, in der Kategorie (2) nicht vorkommt. Diese Kategorie, d. h. die der hyperkosmischen, jedoch partizipierbaren Seelen, wurde erstmals genauer von Messiats 2019 untersucht.

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Erst nach letztgenannten Genera wären – ontologisch weiter absteigend – (6) die Menschenseelen zu nennen, deren Verhältnis zu ihren Körpern unten gesondert erörtert wird. Wie bestimmt also Proklos die Körper all dieser Wesen? Wodurch zeichnen sie sich aus? Dies sei nun genauer untersucht. 3.3.1.1 Körper der hyperkosmischen Seelen und der Weltseele Um die den partizipierbaren, hyperkosmischen Seelen eigenen Körper sowie den der Weltseele genauer zu beleuchten, bedarf es zunächst einiger Anmerkungen zu Proklos’ kosmologischen Vorstellungen, genauer: zur Rolle des Lichts in seiner Kosmologie. Dies lässt sich vor allem anhand seiner Interpretation des platonischen Er-Mythos erörtern. An einem bestimmten Punkt ihrer jenseitigen Reise, so Platon, kämen die Seelen an eine Stelle, „wo man von oben herab einen durch den ganzen Himmelsraum über die Erde hin ausgebreiteten Lichtstrom gesehen habe, wie einen Spannbogen, dem Regenbogen vergleichbar, aber heller und reiner“. Dorthin gelangend, hätten die Seelen „mitten in jenem Lichte gesehen, wie die äußersten Enden der Himmelsbänder am Himmel angebracht seien, denn nichts anderes als jener Lichtstreif sei das Land des Himmelsgewölbes [...] und halte so den ganzen Himmelskreis zusammen“ (Resp. 616b–c; Übers. Wiegand). Das Licht fungiert hier als ein den gesamten kosmischen Raum durziehendes Band zwischen Himmel und Erde. Es wird mit einem besonders hellen und reinen Regenbogen verglichen. Proklos sucht im Einzelnen zu erklären, um welches Licht es sich hier handele (In Remp. II 193,21 ff.). Zunächst wird die Frage aufgeworfen, ob das Licht körperlich oder unkörperlich sei. Zwar könne es, so Proklos, nicht in einem gewöhnlichen Sinne körperlich sein – denn wir hienieden sehen es ja nicht –, allerdings auch nicht unkörperlich. Denn in Ers Beschreibungen seien Charakteristika zu finden, die unkörperlichen Wesenheiten nicht zukommen (z. B. Größenverhältnisse, Farben, etc.). Was fernerhin deutlich wird, ist die Tatsache, dass besagtes Licht für Proklos weder nur mit einem Teil noch auch mit der Gesamtheit des Himmelsraums zusammenfallen kann, sondern ihm ontologisch übergeordnet sei. Auf die wahrnehmungstheoretischen Implikationen der entsprechenden Passage werden wir weiter unten im Kontext der menschlichen ὀχήματα noch genauer zu sprechen kommen. Vorerst interessiert uns nur der kosmologische Kontext. An das Gesagte anknüpfend, referiert Proklos die angebliche Position des Porphyrios (In Remp. II 196,22–197,16). Denn dieser habe das hyperkosmische „Licht zum ersten Vehikel der Weltseele deklariert, analog zum Lichtvehikel unserer Seele“ (In Remp. II 196,23–26), zum „Vehikel der Weltseele (τῆς ὅλης ψυχῆς ὄχημα), das mit dieser Seele seit jeher verbunden ist“ (II 197,10–16). Zunächst wird nicht ganz klar, ob Proklos selbst dieser Sichtweise anhängt. Zwar entfaltet er seine ei-

3.3 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Proklos

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genen Betrachtungen streng genommen erst nach Darstellung von Porphyrios’ Position, doch spricht er sich zumindest an keiner Stelle offen gegen diese aus. Eine andere Passage legt sogar nahe, dass er sich die Auffassung seines Vorgängers – oder genauer gesagt: deren mikro-makrokosmische Analogie – zu eigen gemacht hat, nämlich wenn er genannte Lichtsäule folgendermaßen deutet: „Das die gesamte Himmelssphäre durchdringende Licht bezeichnet den Ort (τόπος) selbst, in dem der Himmel situiert ist und ist damit das erste Vehikel der Seele des Himmels (ὄχημα πρῶτον τῆς οὐρανίας ζωῆς)“ (In Remp. II 94,8–11; EÜ). Hier wird die in der zuvor angeführten Stelle Porphyrios zugeschriebene Theorie – ohne Nennung desselben – mit einer Besonderheit von Proklos eigener Auffassung enggeführt. Worin liegt aber diese Besonderheit? Sie liegt in einer topologischen Deutung des hyperkosmischen Lichts, die in In Remp. II 197,16–198,29 anklingt und noch deutlicher bei Simplikios (In Phys. 611,10–13) überliefert ist: Wie jeder bewegte oder stillstehende Körper im Kosmos einen bestimmten Ort (τόπος) einnehmen muss, so nimmt auch der Kosmos als ganzer für Proklos einen bestimmten Ort ein. Während Aristoteles den Ort als „die unmittelbare, unbewegliche Grenze (πέρας) des Umfassenden“ (Phys. 212a20) definiert, fasst Proklos ihn als die dreidimensionale Ausdehnung oder den Abstand (διάστημα) zwischen den Grenzen des umfassenden Körpers (In Phys. 611,28–30). Proklos denkt den Ort (τόπος) mithin in einem körperlichen Sinne bzw. setzt ihn als solchen mit einem Körper (σῶμα) gleich, der als unbewegt, unteilbar und immateriell (In Phys. 613,25) bzw. als „der von allen Körpern immateriellste und göttlichste“ (In Remp. II 198,23) definiert wird, damit aber aus dem reinsten Licht bestehen muss.380 „Denn wenn die göttlichsten der bewegten Körper [gemeint sind wohl die supralunaren Gestirne] aus Licht bestehen, ist dieser Körper, wie ich glaube, in noch höherem Maße Licht“ (In Remp. II 198,25 f.; EÜ). In dieser Auffassung wird die aristotelische Definition des Ortes modifiziert und mit chaldäischem (vgl. Or. Ch. fr. 51) und platonischem Gedankengut verbunden. Neben der „Lichtsäule“ aus Politeia X knüpft Proklos vor allem an Platons χώρα-Vorstellung an, genauer: an deren Bestimmung als ἕδρα (Tim. 52b; 53a). Bei Simplikios lesen wir über Proklos’ Position: Denken wir uns zwei Sphären, die eine aus einfachem Licht bestehend, die andere aus verschiedenen Körpern, einander gleich an Größe. Verorte (ἕδρασον) also die erste Sphäre in Übereinstimmung mit dem Zentrum; wenn du in sie nun die zweite Sphäre einsetzt (ἐμβιβάσας), wirst du bemerken, wie der gesamte Kosmos im Ort (ἐν τόπωι) existiert, d. h. bewegt im unbewegten Licht. (In Phys. 612,29–33; EÜ)

Wie M. Griffin zurecht anmerkt, verweisen sowohl das ἕδρασον als auch das ἐμβιβάσας auf den Timaios: ersteres auf besagte ἕδρα-Vorstellung (und die damit impli Dazu ausführlich: Griffin 2012; Hoffmann 2014.

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zierte topologische Umdeutung der χώρα), zweiteres auf das „Säen“ der Menschenseelen auf die Gestirne als ihre Vehikel (Tim. 41e).381 Dabei wird kenntlich, wie der Vorgang des Säens von Proklos auch auf den Makrokosmos ausgedehnt wird, und zwar im Sinne der Einpflanzung der körperlichen Sphäre des Universums in die Lichtsphäre (als ihr „Ort“ im oben definierten Sinne). Dieses hyperkosmische Licht als „Topos des Universums“ ist freilich nicht mit dem innerkosmischen Licht der Sonne oder der anderen Himmelkörper gleichzusetzen.382 Proklos scheint damit ein noch göttlicheres bzw. reineres Licht zu intendieren. Interessamt ist, wie Proklos die Übereinstimmung seiner Theorie mit den Chaldäischen Orakeln begründet. Er zitiert folgenden Spruch: „Um die Wölbung ihrer [gemeint ist Hekate] rechten Flanke sprudelt im Überfluss ein großer Strom der urgezeugten Seele und beseelt Licht, Feuer, Äther und Welten“ (In Remp. II 201,14–16 = Or. Ch. fr. 51; EÜ). Relevant ist in unserem Zusammenhang weniger der recht kryptische erste Teil des Spruches, sondern vielmehr die am Ende gelieferte Aufzählung. Wir hatten in Kap. 2.5 die – von Proklos selbst bezeugte (vgl. In Tim. II 57,9–12) – Dreiteilung der chaldäischen Weltordnung in eine empyrische, ätherische und materielle Sphäre erwähnt, die mit der intelligiblen, supralunaren und sublunaren Welt korrespondieren. Am Ende des zitierten Orakelspruches finden wir nun eine Vierteilung, deren drei letzte Komponenten offenbar die empyrische, ätherische und materielle Welt bezeichnen. Doch ist diese Aufzählung um das zuerst genannte Licht ergänzt. Überführt man dies in eine hierarchische Ordnung, so ergibt sich, dass das Licht den anderen drei Sphären übergeordnet ist. Genau hierauf läuft Proklos’ Deutung des Spruchs hinaus: „Denn wie der Äther die materiellen Welten umfasst (συνέχει), das Empyrium aber die materiellen Welten und den Äther umfasst, so umfasst das Licht alles zusammen“ (In Remp. II 201,27–29; EÜ) – was Proklos als Bestätigung für seine topologische Lichttheorie nimmt. Man wird indes bemerken, dass gemäß dieser Deutung die empyrische Sphäre kaum mit der intelligiblen korrespondieren kann, wäre das Licht ihr in diesem Falle doch nicht übergeordnet. Insofern muss es sich bei den drei vom Licht umfassten Sphären um innerkosmische Sphären handeln.383 Wie dies mit Proklos’ Kosmologie im Allgemeinen und seinem Äther-Begriff im Besonderen zusammenpasst, wird weiter unten noch diskutiert werden. Was ergibt sich aus dem Bisherigen hinsichtlich der Bestimmung des Körpers der Weltseele? Dass ihr als „erstes Vehikel“ ein Lichtleib zukommt, der – als unteilbarer, unbewegter und immaterieller – den „Ort“ des Universums bildet. Das  Vgl. Griffin 2012, 165 f.  Neben dem Er-Mythos bezieht sich Proklos auch auf „das wahre Licht (τὸ ἀληθινὸν φῶς)“ im Phaidon-Mythos (109e7; vgl. In Remp. II 197,5).  Vgl. Hoffmann 2014, 117–120.

3.3 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Proklos

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sichtbare Universum als solches ist diesem ersten Vehikel ontologisch nachgeordnet, beinhaltet in sich nochmals verschiedene Grade von Körperlichkeit wie die supralunare Sphäre und schließlich die sublunare Welt des Werdens, die sich aus den vier Elementen konstituiert. Das hyperkosmische Licht ist indessen nicht nur als erstes Vehikel der Weltseele relevant, sondern noch für eine weitere – der Weltseele ontologisch sogar übergeordnete – Klasse von Seelen, denen in der Forschung bislang verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit zuteilgeworden ist: den hyperkosmischen Seelen, die zwischen der hyperkosmischen, nicht-partizipierbaren Seelenmonade und der enkosmischen Weltseele vermitteln. Diese Seelen stehen in einem engen Verhältnis zu jener Klasse von Göttern, die Proklos in Buch VI seiner Theologia Platonica erwähnt und die er als „absolute Götter“ (ἀπόλυτοι θεοί) bezeichnet. Ihre Funktion besteht darin, zwischen den hyperkosmischen und enkosmischen Göttern zu vermitteln.384 Diese Götter werden am äußeren Rand des Universums verortet;385 sie werden ferner – in Anlehnung an den Phaidros-Mythos – mit den zwölf olympischen Göttern identifiziert, die auf ihren Vehikeln den Himmel entlangziehen (vgl. Th. Pl. VI 22). Bemerkenswerterweise scheint Proklos ihre Vehikel mit den hyperkosmischen Seelen gleichzusetzen: „Worum kann es sich bei diesen Vehikeln handeln, wenn nicht um hyperkosmische Seelen, auf denen sie reiten?“ (VI 22, 99,4 f.; EÜ). Der Begriff ὄχημα fungiert an dieser Stelle schlicht als Bezeichnung des niedrigeren (bzw. partizipierenden) Gliedes in der Teilhaberelation zweier Entitäten von ein und derselben vertikalen Reihe (σειρά).386 Die hyperkosmischen Seelen fungieren für die „absoluten Götter“ als ὄχημα. Sie herrschen aber ihrerseits über ein ὄχημα, über einen  Vgl. dazu Messiats 2019, 113 f.  Die äußere Oberfläche des runden Universums wird von Platon (Tim. 33b8) als „glatt“ bzw. „eben“ (λεῖον) bezeichnet. Proklos liefert folgende Erklärung dieses Terminus: Der äußere Rand des Kosmos sei deshalb als „glatt“ zu bezeichnen, weil er – als lichthaftester Teil des ganzen Universums – den göttlichen Glanz am vollkommensten widerspiegele. Die glatte Oberfläche erscheint hiernach als eine Art Spiegelfläche, die das hyperkosmische Licht gleichsam aufnehme (vgl. In Tim. II 79,15–81,11).  In diesem Sinne ist der Begriff ὄχημα semantisch eng mit dem Organon-Gedanken verbunden, da er eine vertikale Herrschaftsrelation impliziert, bei welcher die als ὄχημα fungierende Entität von einer ontologisch höherstehenden zu ihrem Zweck gebraucht wird (entsprechend werden auch die Seelenvehikel selbst – z. B. In Tim. III 267,11 – ὄργανα der sie beherrschenden Seelen genannt). In Alc. 326,20–327,1 bezieht dies beispielsweise auf das Verhältnis von rationaler und irrationaler Seele: Erstere gebrauche letztere – zumindest idealiter – οἷον ὄχημα. Daher lässt sich die Formel οἷον ὄχημα auf ganz verschiedenen Ebenen anwenden, denn stets geht es ja darum, dass die jeweils ontologisch höhere Stufe eine niedrigere beherrsche, sich ihrer gleichsam bediene, was nichts anderes heißt, als dass die niedrigere Stufe für die höhere οἷον ὄχημα fungiere.

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

Leib, der an ihnen partizipiert und ihrer ontologischen Stellung entsprechend eigentlich nur aus hyperkosmischem Licht beschaffen sein kann. In der Tat erwähnt Proklos, sich auf die Orakel (fr. 193) beziehend, hyperkosmische Seelen, die „von gewissen hyperkosmischen, äther- und feuerhaften (αἰθερίοις καὶ ἐμπυρίοις) Körpern (σώμασιν) getragen“ würden (In Tim. II 144,28–30).387 Die Klassifizierung der hyperkosmischen Körper als „äther- und feuerhaft“ ist dabei in einem terminologisch eher unspezifischen Sinne zu nehmen (s. u.). Fassen wir zusammen: Die beiden ontologisch höchsten partizipierenden Seelen, die hyperkosmischen sowie die Weltseele, besitzen jeweils einen feinstmöglichen Leib, d. h. einen Leib aus hyperkosmischem Licht. Die Weltseele besitzt als weiteren Leib darüber hinaus das sichtbare All mit seinen unterschiedlichen Sphären. 3.3.1.2 Körper der supralunaren und sublunaren Gestirnseelen Kommen wir nun zu den nächsten beiden Klassen göttlicher Seelen. Die supra- wie sublunaren Gestirnseelen steuern jeweils ihre Gestirnkörper, d. h. die sichtbaren Gestirne. Platon, so Proklos, habe die enkosmischen göttlichen Seelen deshalb „Gestirne“ (ἄστρα) genannt, weil sie allesamt über „gestirnförmige Vehikel (ἀστροειδῆ ὀχήματα)“ verfügten (In Tim. III 264,30–265,2). Hinsichtlich der Differenz zwischen den sub- und supralunaren Gestirnen ist folgende Passage aufschlussreich: Dass Platon die himmlischen Götter als jene, ‚die ihre Umschwünge für unsere Augen sichtbar vollziehen‘, bezeichnet, ist evident: Denn die Vehikel (ὀχήματα) dieser Götter sind sonnenhaft (ἡλιοειδῆ) und ahmen den Glanz (αἴγλη) der noerischen Entitäten nach. Warum aber bezeichnet er die sublunaren Götter als ‚diejenigen, die sich in dem Maße zeigen, wie sie wollen‘? Vielleicht weil die materiellen Elemente (ἔνυλα στοιχεῖα), deren sie sich bedienen, gleichsam als Abschirmung fungieren, dazu bestimmt, den Glanz der ätherischen Vehikel (τῆς αὐγῆς τῶν αἰθερίων ὀχημάτων) – die mit den erzeugenden Göttern unmittelbar verknüpft sind – zu bedecken. Denn insofern sie enkosmisch sind, haben sie notwendigerweise auch ein enkosmisches Vehikel von astraler Beschaffenheit (ὄχημα ἐγκόσμιον ἀστροειδές). Ihr Licht erscheint, wenn es hienieden von Nutzen ist, seine Erleuchtung zu empfangen. (In Tim. III 194,30–195,7; EÜ)

Zunächst ist terminologisch zu bemerken, dass die himmlischen Götter strenggenommen nur die supralunaren Götter bezeichnen. Auch andernorts (vgl. In Tim. III 230,32) grenzt Proklos die „himmlischen (οὐράνιοι)“ von den „sublunaren (ὑπὸ σελήνην) Göttern“ ab: Letztere existierten in Abhängigkeit von ersteren, während die Menschenseelen in Abhängigkeit von beiden existierten. Die Seelen der himmlischen Götter bedienen sich „einfacher und ewiger Körper (σώμασιν ἁπλοῖς καὶ  Vgl. dazu auch Di Pasquale Barbanti 1998, 224 f.

3.3 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Proklos

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ἀιδίοις)“ von „unvergänglicher und immaterieller Substanz (ἁπλῶν καὶ ἀύλων ὑπόστασιν)“ (Th. Pl. III 5, 18,24–19,4). Dies entspricht in der zitierten Stelle dem „sonnenhaften Vehikel“ der supralunaren Gestirne. Wie es dort weiter heißt, verfügten die sublunaren Gestirne neben dem „ätherischen Vehikel“ auch über einen Astralkörper, der sich aus den sublunaren Elementen zusammensetze und ihren Glanz dämpfe. Drei Attribute werden demnach verwendet, um die Vehikel zu charakterisieren: ἡλιοειδές – αἰθέριον – ἀστροειδές. Zusätzlich werden ἔνυλα στοιχεῖα genannt. Um eine terminologische Verhältnisbestimmung dieser Begriffe zu leisten, sind zunächst nochmals einige Worte zu Proklos’ Verständnis des Äthers vonnöten. Der Leser wird noch im Gedächtnis haben, dass Proklos, obgleich er – wie in Kap. 2.5 erwähnt – die aristotelische Fünf-Elemente-Lehre in dieser Form ablehnt, verschiedentlich den Begriff Äther gebraucht, und zwar zumeist im Kontext des Seelenvehikels. Eine οὐσία αἰθερώδης (In Tim. II 8,3) ist ihm keineswegs fremd, nur ist sie bei ihm kein terminus technicus zur Bezeichnung eines fünften, die supralunare Sphäre konstituierenden Elements. Warum aber spricht er dann von einem „ätherischen, dem Himmel ähnlichen Vehikel“ in Abgrenzung zu dem „aus vier Elementen bestehenden irdischen Körper“ (vgl. In Tim. I 5,11–17)? Wenn die supralunare Welt nicht aus Äther besteht – warum ist dann gerade das ätherische Vehikel ihr ähnlich? Liegt hier etwa eine terminologische Inkonsistenz vor – etwa in dem Sinne, dass Proklos die Klassifizierung des Vehikels als ätherisch von seinen Vorgängern (z. B. von Iamblichos) übernommen habe, ohne sich über deren problematische Implikationen für seine eigene Kosmologie Rechenschaft abzulegen – oder ist die supralunare Welt für ihn etwa doch ätherisch? Dass Proklos hinsichtlich der Beschaffenheit des ersten Vehikels verschiedentlich den Eindruck erweckt, er folge der Auffassung des „großen Iamblichos“, demzufolge – wie in Kap. 3.2.3.1 erörtert – die „Substanz der Seelenvehikel ganz aus Äther gebildet“ sei (In Tim. III 266,26–28 = Iamblichos, In Tim. fr. 84), darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Äther“ bei ihm anders gefasst wird. Proklos lehnt den aristotelischen Äther-Begriff zwar ab, hält – wie ebenfalls in Kap. 2.5 dargetan – gleichwohl an einer qualitativen Differenz zwischen sublunaren und supralunaren Elementen fest: „In den Himmeln sind die Elemente nicht dieselben wie hier, sondern vielmehr die ‚Gipfel‘ derselben“ (In Tim. II 49,27–29; EÜ). D. h. die vier Elemente existieren in der supralunaren Sphäre in einer – nicht näher spezifizierten – ontologisch höherwertigen Form als ihre sublunaren Äquivalente. Diese höhere Form der vier klassischen Elemente – in deren Mischung zumal dem himmlischen, reinen, lichthaften, göttlichen Feuer ein Primat zukommt – nimmt in Proklos’ Kosmologie eine strukturell analoge Rolle zum aristotelischen Äther ein, wobei er so weit geht, einzugestehen, dass im Hinblick auf die Beschaffenheit der Himmel in gewissem Sinne doch legitimerweise von einem „fünften Element“ gesprochen werden könne (vgl. In Tim. II 49,21–29).

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

Noch weiter geht er sogar im Politeia-Kommentar, wo der Äther für Proklos in einer anderen Hinsicht relevant ist: im Kontext des jenseitigen, über die Seelen verhängten Urteils. Dieses Urteil werde, so heißt es bei Platon, von den Jenseitsrichtern an einem „zwischen Erde und Himmel“ befindlichen „wundersamen Ort (τόπος δαιμόνιος)“ gefällt (Resp. 614c1–3). In seinem Politeia-Kommentar (II 128,3–136,16) kommt Proklos ausführlich auf diese Beschreibung zu sprechen. Zunächst liefert er eine recht wörtliche Deutung des τόπος δαιμόνιος, insofern er das Adjektiv δαιμόνιος auf das Geschlecht der Dämonen bezieht, weshalb es einen von Dämonen (genauer: von Dämonen im weiteren Sinne, d. h. von Heroen, Dämonen im engeren Sinne sowie manchen Göttern) bevölkerten Ort bezeichne. Grundsätzlich darauf bedacht, dies mit den im Gorgias und im Phaidon geschilderten Jenseitstopographien in Einklang zu bringen, und die Mittelstellung des besagten Ortes zwischen Erde und Himmel betonend, kommt Proklos zu dem Schluss, dass „allein der Äther sich unterhalb des Himmels befinde, die gesamte Erde umkreist“ und „mit dem dämonischen Ort zu identifizieren ist“ (In Remp. II 131,27–132,2), dass ferner die Jenseitsrichter dort zu verorten sind. „Der dämonische Ort ist in der Mitte zwischen Himmel und Erde, weshalb der Scheideweg und die Wiese sich ebenfalls dort befinden. Nun gibt es in der Mitte zwischen ihnen [d. h. Himmel und Erde] nur den Äther, wie aus dem Phaidon [109b6 ff.] hervorgeht“ (II 133,2–5; EÜ). In kosmologischer Hinsicht wird der ätherische Ort anschließend zwischen Himmel und dem „Gipfel der Erde, d. h. dem Ort direkt unterhalb des Mondes“ verortet (II 133,9–11), erstreckt sich also zwischen Mond und Fixsternsphäre. Wie den ihn bevölkernden Wesen – den Dämonen – eine Zwischenstellung (zwischen Göttern und Menschen) zukomme, so auch dem Äther selbst: Schon vor langem hatte die Fremde aus Mantinäa [d. i. Diotima, vgl. Symp. 202e] die Dämonen als Vermittler zwischen den Unsterblichen und den Sterblichen definiert und der Äther ist ebenfalls Vermittler zwischen den beiden. Wenn man ferner die Ausführungen aus Epinomis [984d–e] berücksichtigt, wo die Dämonen dem Äther zugeordnet werden [...], kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass Platon den Äther als dämonischen Ort bezeichnet. (II 133,24–134,5; EÜ)

Dieser Rekurs auf den pseudo-platonischen Dialog Epinomis ist aufschlussreich. Denn wir erinnern uns, dass dort (vgl. 981c–d; 984b–e) der Äther als eines der fünf Grundelemente erscheint, jedoch nicht wie bei Aristoteles in der supralunaren Sphäre, sondern vielmehr unterhalb des Feuers der Gestirne angesiedelt ist – was, bezieht man „Gestirne“ hier auf die Fixsterne, recht genau mit Proklos’ Auffassung korrespondiert. In diesem Sinne (nicht zuletzt, was die Verortung der Dämonen im Äther anlangt) scheint Proklos sich hier eng an Philippos von Opus anzulehnen. Auch wenn Proklos in besagtem Passus die supralunare Sphäre mit-

3.3 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Proklos

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hin ausdrücklich als ätherisch klassifiziert, bleibt die Distanz zu Aristoteles auch hier gewahrt. Grundsätzlich hat es manches für sich, dass der Äther bei Proklos in der Regel schlicht „eine besonders immaterielle Form der vier Elemente“388 bezeichnen soll, wobei fraglich bleiben muss, ob sich bei ihm überhaupt ein in sich völlig konsistentes Ätherkonzept rekonstruieren lässt.389 Einerseits zeigt sich in der Terminologie, die Proklos im Kontext der ὄχημα-Konzeption verwendet, wie stark – aller offenen Abgrenzung zum Trotz – der aristotelische Äther-Begriff auch bei ihm nachwirkt. Doch gibt es noch einen anderen Grund, aus dem er auf den Begriff des Äthers kaum verzichten kann: dessen zentrale Rolle in der Kosmologie der Chaldäischen Orakel, in denen – wie oben unter Bezug auf das bei Proklos überlieferte Fragment 51 erhellt wurde – die ätherische Sphäre mit der supralunaren Welt korrespondiert (was im Übrigen der aristotelischen Lehre entspricht). Wir finden bei Proklos also einerseits eine gewisse Umdeutung und Depotenzierung des Äther-Begriffs (insofern er kein von den vier Elementen eigenständiges Element bezeichnet, sondern lediglich den ontologischen „Gipfel“, und d. h. eine besonders reine Form der klassischen Elemente); wenn er andererseits von ihm Gebrauch macht, so in einem funktionell sehr ähnlichen Sinne wie seine Vorgänger (z. B. Iamblichos), die ausdrücklich der aristotelischen Äther-Lehre anhingen.390

 Walter 2020, 94 Fn. 2.  Problematisch bleibt beispielsweise, dass Proklos den Äther im strengen Sinne nicht als „Körper“ verstehen kann, weil er ἄυλον und ἀδιαίρετον sei. Insofern den Himmeln diese Attribute jedoch nicht zukämen, steht dies im Widerspruch zur Ätherkonzeption von In Remp. II 128,3–136,16; auch stößt die Analogie zwischen erstem Vehikel und Himmel hier an ihre Grenzen. Vgl. Nasemann 1991, 82 Fn. 57: „Dem ätherischen πρῶτον σῶμα (= ὄχημα) der Seele legt Proklos auch die Eigenschaften bei, die er dem Himmel – im Gegensatz zu Jamblich – abspricht: es ist ἄυλον und ἀδιαίρετον (el. theol. § 208, vgl. myst. V 4, 204,7 f.), obwohl sonst jeder Körper διαιρετόν ist (el. theol. § 80).“  Es ist höchst fraglich, ob Proklos Iamblichos’ ätherische Sphäre – im Sinne einer konsistenten kosmologischen Theorie – hierarchisch binnendifferenzierend in eine lichthafte, emyprische und ätherische (im engeren Wortverstand) eingeteilt hat, wie Griffin 2012, 177, unter Bezug auf In Remp. II 201,14–16 (= Or. Ch. fr. 51) behauptet. Sein Erklärungsansatz ist interessant und mit Blick auf genannte Stelle auch überzeugend (wir selbst hatten oben herausgestellt, dass Feuer und Äther hier auf innerkosmische Bereiche zu beziehen sind), überschätzt allerdings die terminologische Konsistenz von Proklos’ Äther-Begriff (Griffins Interpretation steht beispielsweise in evidentem Widerspruch zu In Remp. II 128,3–136,16, eine Stelle, die er mit Stillschweigen übergeht). Zumal ist Griffin auf Basis seiner Deutung gezwungen, nicht dem ersten, sondern dem zweiten Vehikel eine Beschaffenheit aus Äther zuzusprechen, was mit einer Vielzahl von Textstellen in Widerspruch steht, aus denen sehr klar hervorgeht, dass bei Proklos „lichthaftes“ und „ätherisches“ Vehikel ein und dieselbe Wesenheit bezeichnen müssen bzw. sich keine kategorische Differenz zwischen den beiden Attributen ziehen lässt. Vgl. beispielsweise In Tim. I 5,11–17 mit

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

Bezieht man das Gesagte auf die obigen Termini ἡλιοειδές – αἰθέριον – ἀστροειδές – ἔνυλα στοιχεῖα zurück, so wird deutlich, dass ἡλιοειδές, αἰθέριον und ἀστροειδές semantisch sehr ähnlich konnotiert sind, auch wenn in der zitierten Textstelle ersteres auf die supralunaren, zweites und drittes auf die sublunaren Gestirne bezogen sind. Hiermit scheint jedoch kein Gegensatz intendiert zu sein: Alle Termini sind durch ihre Lichthaftigkeit, ihren „Glanz“ (αἴγλη), ausgezeichnet. Dieser Glanz wird aber im Falle der sublunaren Gestirne gleichsam gedämpft, und zwar durch ein zweites Vehikel, das sich aus nichts anderem als den ἔνυλα στοιχεῖα, d. h. sublunaren Elementen, konstituiere, und sich um das „enkosmische Vehikel von astraler Beschaffenheit (ὄχημα ἐγκόσμιον ἀστροειδές)“ hülle. Die Begriffe ἡλιοειδές, αἰθέριον und ἀστροειδές sind demnach sämtlich auf das erste, lichthafte Vehikel bezogen; der Begriff ἔνυλα στοιχεῖα auf das zweite, sublunare Vehikel, das nur Wesen zuteil wird, die sich in der Sphäre des Werdens bewegen. Der Makrokosmos-Vorstellung entsprechend, derzufolge das Universum als beseeltes „Lebewesen“ (Tim. 32d) zu betrachten sei, stellt sich die Frage, ob ihm eine Form der Wahrnehmung zukomme. Proklos diskutiert dies über mehrere Seiten seines Timaios-Kommentars (II 81,12–85,31), die sich für seine Theorie der Wahrnehmung (αἴσθησις) als entscheidend erweisen. Dem Universum, so Proklos, komme keine Wahrnehmung im partiellen Sinne zu. Denn eine solche, lautet seine Argumentation, komme ja auch uns erst mit dem Eintritt in die sublunare Welt zu. Denn unser „Lichtvehikel“ (αὐγοειδὲς ὄχημα), welches der rationalen Seele je schon verbunden ist und stets verbunden bleibt, „vereint alle Wahrnehmungen in sich (πάσας ἔχον ἡνωμένως τὰς αἰσθήσεις)“ (II 81,20 f.). Insofern die Mikro-Makrokosmos-Analogie in Proklos’ Darstellung stets tragend bleibt, muss das – unten in gesonderter Form noch näher zu diskutierende – menschliche ὄχημα bereits hier erwähnt werden. Proklos zitiert zum Problemfeld der „göttlichen Wahrnehmung“ einige Gewährsmänner, z. B. Homer, welcher „die Sonne, die alles sieht und versteht“ (Od. XI 109), beschworen hatte, was Proklos dahingehend deutet, dass auch hier kein „partielles“ (μεριστῶς) Wahrnehmen gemeint sei, um zur Bestätigung auf Aristoteles (De ins. II 455a20) zu rekurrieren, der sogar vom Menschen behauptete: „die eigentliche Wahrnehmung ist eine, ebenso wie das eigentliche Wahrnehmungsorgan eins ist (μία τέ ἐστιν ἡ κυρίως αἴσθησις καὶ τὸ κύριον αἰσθητήριον ἕν)“ (vgl. II 82,5 ff.).391 (dazu mehr in Kap. 3.3.2.4) Das Problem besteht in Folgendem: Einerseits legt Platons Bestimmung des Kosmos als eines „Lebewesens“ nahe, dass diesem ein Wahrnehmungsvermögen

III 355,8–17; III 167,14–20; El. Th. §§ 209–210. All diese Passagen werden weiter unten noch kommentiert werden.  Vgl. auch In Crat. § 78.

3.3 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Proklos

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zukomme; andererseits spricht Platon dem Kosmos ausdrücklich so etwas wie „Sinnesorgane“ ab (Tim. 33c1–4); nicht zuletzt nimmt die Wahrnehmung in Platons Epistemologie – z. B. entsprechend dem Liniengleichnis – bekanntlich nur eine untergeordnete Rolle ein, was es fragwürdig macht, sie einem vollkommenen, göttlichen Wesen zuzusprechen. Zur Auflösung dieser Spannung bleibt Proklos eigentlich nur ein Weg: „dem Universum diese Art der Wahrnehmung [d. i. die partielle, über Sinnesorgane vermittelte] gänzlich abzusprechen, ihm jedoch eine Wahrnehmung anderer Art, die jener überlegen und den Göttern gemäßer ist, zuzusprechen“ (II 83,1 f.; EÜ). Im Einzelnen unterscheidet Proklos vier Formen der Wahrnehmung (II 83,16–85,7):392 (1) Eine den νοῦς imitierende Wahrnehmung, die eher wie ein Bewusstsein (οἷον συναίσθησις) zu verstehen sei, weil sie weder auf ein ihr externes Objekt bezogen sei noch von einem Objekt zum anderen fortschreite: vielmehr habe sie ihre Wahrnehmungsgegenstände in sich selbst, sei mithin Wahrgenommenes, Wahrnehmungsorgan und Wahrnehmung (αἰσθητόν, αἰσθητήριον und αἴσθησις) zugleich. Dies sei die Wahrnehmung des Kosmos (ἡ ὅλη αἴσθησις). (2) Eine Wahrnehmung, die zwar auf ihr externe Gegenstände bezogen sei, jedoch gemäß einer vollkommenen Tätigkeit (κατ᾽ ἐνέργειαν τελείαν), die einen jeweiligen Gegenstand stets in seiner Gesamtheit wahrnehme; Eindrücke (πάθη) und sonstige Unvollkommenheiten, die materiellen Wahrnehmungsorganen geschuldet sind, kommen ihr nicht zu. Sie sei den Gestirnen zu eigen. (3) Eine Wahrnehmung, die „durch äußere Gegenstände affiziert wird und eine Mischung aus Überzeugung und Erkenntnis ist: sie wird durch Eindrücke (πάθη) hervorgerufen, führt aber zu einer Erkenntnis (γνῶσις)“. Diese Form komme jenen Einzelwesen zu, die „mit der Welt des Werdens in Verbindung stehen und sich vermittels Lichtvehikeln Organen bedienen“, d. h. den Menschen. (4) Eine konfuse Form der Wahrnehmung, die weitestgehend passiv und nicht dazu in der Lage ist, die „Formen von Wahrnehmungsgegenständen (τὰ εἴδη τῶν αἰσθητῶν)“ zu erfassen; sie komme den Pflanzen zu. Sowohl die Weltseele als auch die Gestirnseelen werden demzufolge als erkenntnisbegabte Wesen vorgestellt und üben eine Wahrnehmung aus, die sich keiner partiellen Sinnesorgane bedient. Inwieweit die Körper genannter Seelen in diesen Wahrnehmungsprozess involviert sind, geht aus Proklos’ Ausführungen nicht hervor. Dass sie jedoch involviert sind, scheint zumindest für die Formen 2–4 außer Frage zu stehen, worauf im Zusammenhang der menschlichen Vehikel noch näher einzugehen ist. Denn wie wir sehen werden, bleibt die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit nicht – wie diese Aufzählung nahelegen könnte – auf die dritte Kategorie beschränkt, sondern beinhaltet auch die zweite Kategorie.

 Vgl. dazu: Blumenthal 1982.

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

3.3.1.3 Körper der höheren Genera Des Weiteren kennt Proklos die Seelen der höheren Genera (intellektive Seelen), namentlich der Engel, Dämonen und Heroen, die jeweils bestimmten Göttern zubzw. untergeordnet sind und diesen folgen.393 Ihnen eignet allesamt eine Form der Körperlichkeit. In seiner Theologia Platonica (III 5, 18,24–19,15) unterscheidet Proklos – analog zu El. Th. § 184 – drei Klassen von Seelen, denen jeweils verschiedene Körper korrespondieren:394 (1) Die „ersten und göttlichsten Seelen“ herrschten über „einfache und ewige Körper (σώμασιν ἁπλοῖς καὶ ἀιδίοις); dies bezieht sich auf die „himmlischen Seelen“ (d. h. auf die bereits diskutierten Gestirnseelen) mit ihren Körpern von „unvergänglicher und immaterieller Substanz (ἁπλῶν καὶ ἀύλων ὑπόστασιν)“. (2) Die „anderen“ Seelen herrschten nicht „nur über einfache (ἁπλοῖς), sondern auch über materiegebundene (ἐνύλοις)“ Körper; hiermit meint Proklos die „über die elementaren Ganzheiten herrschenden (τῶν ὅλων ἐπικρατοῦσαι στοιχείων)“ Seelen, welche von „ätherischen Kleidern umhüllt (αἰθερίους περιβέβληνται χιτῶνας)“ seien, d. i. wohl das Geschlecht der Dämonen. (3) Wieder andere Seelen bedienten sich „einfacher, materiegebundener und zusammengesetzter (ἁπλοῖς καὶ ἐνύλοις καὶ συνθέτοις)“ Körper, namentlich jene Seelen, die – neben dem αὐγοειδὲς ὄχημα – noch „einfache Elemente und materielle Kleider“ anzögen und diesen ein „sekundäres Leben“ verliehen, zumal vermittels dieser Kleider sich mit einem „zusammengesetzten und vielgestaltigen (συνθέτοις καὶ πολυμόρφοις)“ Leib, d. h. dem grobstofflichen Körper, verbänden. Hierbei kann es sich nur um die Menschen handeln.395 Dies legt nahe, dass Proklos – jeweils im Unterschied zu Iamblichos – neben den Menschen bereits den Dämonen zwei verschiedene ὀχήματα zuspricht: ein lichthaftes bzw. ätherisches Vehikel sowie ein aus sublunarem Material sich konstituierendes. Ziehen wir aber noch weitere Textstellen zur Natur der Dämonen heran.396 So ist In Alc. 67,19 ff. der Diskussion des Dämonengeschlechts gewidmet, das – als Ganzes betrachtet – eine wichtige Vermittlerfunktion zwischen Göttern und Menschen einnimmt und damit den Kosmos vervollkommnet. Grundsätzlich unterscheidet Proklos drei Klassen von Dämonen: (1) die „größten und vollkommensten (οἱ μείζους

 Dazu ausführlich: Brisson 2018, 214 ff.  Vgl. dazu Dörrie/Baltes 2002, 401.  Diese Stelle zusammenfassend schreibt Dodds ²1963, 320 f.: „he [Proclus] accommodates this distinction of the two ὀχήματα to the threefold classification of souls: divine souls, he tells us, have only the luminous ὄχημα; daemons have also the pneumatic or elemental ὄχημα: human souls have both the ὀχήματα and the fleshly body as well.“  Vgl. zur Einteilung der Dämonen bei Proklos: Rodríguez Moreno 1998, 177–192; Timotin 2012, 153–158. Das Problem der Körperlichkeit der höheren Gattungen wird dort erstaunlicherweise kaum thematisiert.

3.3 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Proklos

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καὶ τελεώτεροι)“, deren Natur geistähnlich (νοερωτέραν) sei und die auch als „göttliche Dämonen“ bezeichnet werden; (2) die „mittleren von zweitem Rang“ (οἱ μέσοι καὶ δευτέραν τάξιν κεκληρωμένοι), deren Natur der diskursiven Vernunft ähnlich (λογοειδεστέραν) sei und die als „seelische Dämonen“ bezeichnet werden können; (3) jene „von drittem Rang“ (οἱ τρίτοι), die „vielgestaltig, dem Irrationalen und der Materie näherstehend (ποικίλην καὶ ἀλογωτέραν καὶ ἐνυλοτέραν)“ seien und als „chthonische Dämonen“ bezeichnet werden. Kurz darauf nimmt Proklos noch weitere Binnendifferenzierungen vor, indem er sechs Arten von Dämonen präsentiert, von denen wohl jeweils zwei unter jede der genannten Klassen fallen: (1a) göttliche Dämonen, die unmittelbar den Göttern folgen und die von der Form des Einen bestimmt sind (ἑνοειδὲς καὶ θεῖον). (1b) Dämonen, die am Noerischen partizipieren und den Auf- und Abstieg der Seelen überwachen und die göttlichen Werke überall hin verteilen. (2a) Dämonen, die die Werke der göttlichen Seelen zu den niedrigeren Entitäten hin vermitteln und deren Verbindung zueinander stärken. (2b) Dämonen, die die Kräfte der vollkommenen Naturen in die Welt des Werdens übermitteln, mithin dieser Leben, Ordnung und die Möglichkeit der Vervollkommnung gewähren. (3a) Körperhafte (σωματοειδεῖς) Dämonen, deren Aktivität bis zum untersten Rand der physischen Welt reicht. Sie übten die Vorsehung (πρόνοια) über die Natur aus und seien für körperliche Güter verantwortlich. Und, so fragt Proklos, „wie könnten sich ohne sie die ewigen Körper mit den vergänglichen verbinden?“ (3b) Mit der Materie hantierende Dämonen, welche die Kräfte der himmlischen Materie zur irdischen hin übermitteln.397 Man könnte hier den Eindruck gewinnen, dass allein jenen der dritten Klasse zugehörigen Dämonen eine Form von Körperlichkeit zugesprochen werde. Dies ist jedoch nicht zutreffend, wie aus einer anderen Stelle hervorgeht: In Tim. III 165,3 ff. handelt von den höheren Genera, d. h. den ontologisch zwischen Göttern und menschlicher Seele angesiedelten Wesenheiten, im Allgemeinen. Das Geschlecht der Dämonen, so heißt es dort, „nimmt den gesamten Mittelraum zwischen Göttern und Menschen ein“. Im Folgenden werden drei Hauptklassen unterschieden, die allesamt dem Dämonengeschlecht im weiteren Sinne zuzuordnen seien: (1) Engel, (2) Dämonen (im engeren Wortverstand), (3) Heroen.398 Ohne auf die Details in Proklos’ Ausführungen zu diesen jeweiligen Wesen eingehen zu wollen, lautet die in unserem Kontext entscheidende Passage:

 Zu dieser letzten Art von Dämonen vgl. In Crat. § 128, 75,22–24 (EÜ): „Dieses Geschlecht [der Dämonen im Allgemeinen] wirkt in verschiedener Hinsicht und ist vielgestaltig, sodass es als seine niedrigste Klasse sogar materielle Dämonen umfasst, die die Seelen hinabführen [in die Sphäre des Werdens].“  Vgl. zu dieser Dreiteilung auch In Crat. § 128.

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Wir betrachten jeden Dämon als unseren [menschlichen] Seelen überlegen und mit einer intellektiven Seele und einem ätherischen Vehikel versehen, denn auch die [menschliche] Seele ist mit einem derartigen Vehikel verbunden, wie Platon selbst behauptet. [...] In der Tat muss sich jede Seele bestimmter, unvergänglicher und ewig kreisförmig bewegter Körper bedienen, bevor sie sich der sterblichen Körper bedient (In Tim. III 167,14–20; EÜ).

Die Formel „jeder Dämon“ scheint hier auf die „höheren Genera“ im Gesamten bezogen zu sein. Grundsätzlich scheint Proklos folglich allen Dämonen – und im weiteren Wortverstand allen „höheren Genera“, d. h. auch den Engeln und Heroen – einen Körper, nämlich ein unvergängliches, stets kreisförmig bewegtes, ätherisches Vehikel zuzusprechen. Die oben erörterte, sechsfache Untergliederung der Dämonen im Alkibiades-Kommentar ließe sich vorrangig auf die Aufgabenbereiche der jeweiligen Dämonen beziehen, die Bezeichnung „körperhafte (σωματοειδεῖς) Dämonen“ auf jene Art, die vor allem mit der Organisation der Körperwelt zu tun haben und deshalb auch mit in höherem Maße stofflich strukturierten Leibern ausgestattet sind. Infolgedessen scheint Proklos graduelle Unterschiede in der Konstitution der Dämonenleiber, nämlich bei den niedrigeren Dämonen eine Anziehung gewisser materieller Elemente, anzunehmen. Dies geht auch aus seinem Kratylos-Kommentar hervor: Die göttlichen Körper, so heißt es dort (im Einklang mit dem oben dazu Ausgeführten), seien sphärenförmig gestaltet: Auch „die guten und göttlichen Dämonen besitzen sphärenförmige Vehikel, die materiellen indes besitzen Vehikel, die in geraden Linien fortschreiten“ (In Crat. § 73, 35,22–24; EÜ), d. h. ihnen eigene Bewegungen, die von der vollkommenen Kreisbewegung abweichen. 3.3.1.4 Makro-Mikrokosmos-Analogie Bevor wir zu den menschlichen ὀχήματα übergehen, sind einige Hinweise zur Analogie zwischen Makro- und Mikrokosmos am Platze. Es wurde schon deutlich, dass – z. B. in der Diskussion, ob dem Kosmos ein Wahrnehmungsvermögen zuzusprechen sei – Proklos teils anhand des Mikrokosmos gewonnene Erkenntnisse auch zur Begründung makrokosmischer Sachverhalte verwendet, was eine getrennte Betrachtung der kosmologischen und anthropologischen Ebenen letztlich verunmöglicht. Die Verbindung dieser Ebenen ist in der Grundstruktur der Weltentstehungserzählung im Timaios angelegt, wird der menschliche Körper diesem Dialog zufolge doch aus denselben Elementen geschaffen wie der Weltkörper (44d) und die menschliche Seele – zumindest in ihrem höchsten Teil – aus derselben „Mischung“, aus der auch die Weltseele besteht (41d). Diese Auffassung steht

3.3 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Proklos

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im Hintergrund von Proklos’ Anthropologie, in welcher der Menschen expressis verbis als „Mikrokosmos“ vorgestellt wird:399 Der Mensch ist ein Mikrokosmos und alles, was in der Welt im göttlichen und ganzen Sinne ist, findet sich in Teilen auch im Menschen: Wir haben mithin einen aktiven Geist, eine rationale Seele [...], ein ätherisches, dem Himmel ähnliches Vehikel, sowie einen aus vier Elementen bestehenden irdischen Körper (In Tim. I 5,11–17; vgl. III 172,9; EÜ). Man muss den Menschen genauer untersuchen, so wie wir den Kosmos untersucht haben, da er selbst ein Mikrokosmos ist. Denn er hat, wie der Kosmos, einen Intellekt, Vernunft, einen göttlichen Körper, einen sterblichen Körper, und sein Aufbau verhält sich analog zu dem des Alls (In Tim. III 355,8–12; EÜ).

Kurz darauf wird sogar noch präzisiert, dass „das lichthafte Vehikel (αὐγοειδὲς ὄχημα) mit dem Himmel korrespondiert, der sterbliche Körper mit der sublunaren Welt“ (III 355,16 f.; EÜ).400 Man erinnere sich auch, dass – angeblich Porphyrios zufolge – das hyperkosmische Licht als Vehikel der Weltseele sich analog zum Lichtvehikel unserer Seele verhalte (In Remp. II 196,23–26). Klarer kann man die MakroMikrokosmos-Entsprechung und die Stellung der ὄχημα-Vorstellung in ihr eigentlich nicht ausdrücken. Betrachten wir nun also den Mikrokosmos Mensch etwas genauer.

3.3.2 Die menschlichen Seelenvehikel Im Unterschied zu Iamblichos nimmt Proklos hinsichtlich der Beschaffenheit der subtilkörperlichen Entitäten weitere Differenzierungen vor. Im Falle des Menschen geht er – zusätzlich zum grobstofflichen Körper – namentlich von zwei verschiedenen Seelenvehikeln aus. 3.3.2.1 Beschaffenheit des ersten und zweiten Vehikels In den ὄχημα-πνεῦμα-Konzeptionen seiner Vorgänger sieht Proklos folgende Probleme, die seines Erachtens im Widerspruch zu Platons Auffassung stehen und auf die seine Unterscheidung von zwei Vehikeln reagieren will:

 Zum Menschen als Mikrokosmos bei Proklos vgl. Kutash 2011, Kap. 11.  Auch aus diesen beiden Textstellen erhellt übrigens, dass es sich beim ätherischen Vehikel um das erste, nicht um das zweite Vehikel handeln muss. Denn die Textstellen verfahren in ihrer Aufzählung (Geist – Seele – göttlicher Körper – irdischer Körper) streng parallel zueinander. Der göttliche Körper wird aber einmal als „lichthaftes Vehikel“, einmal als „ätherisches Vehikel“ bezeichnet – ontologisch muss ein und dieselbe Wesenheit gemeint sein.

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Von diesen [Interpreten] sind die einen [z. B. Porphyrios] – nämlich wenn sie behaupten, das Vehikel sei vergänglich – gezwungen, die Seele zu einem bestimmten Zeitpunkt als aller Körperlichkeit enthoben darzustellen; die anderen [z. B. Iamblichos], die das Vehikel bewahren, sind dazu gezwungen, auch das irrationale Leben für unsterblich zu halten. Dies kommt daher, dass weder die einen noch die anderen eine Unterscheidung zwischen dem angeborenen Vehikel und dem hinzugewachsenen Vehikel gemacht haben, d. h. zwischen dem ersten und dem zweiten, demjenigen, das von dem einen Demiurgen geschaffen wurde und jenem, das von den vielen Demiurgen mit der Seele zusammengewoben wurde. (In Tim. III 299,16–21; EÜ)

Proklos’ Grundauffassung zu diesen beiden Vehikeln kommt in den Endparagraphen seiner Elementatio Theologica in komprimierter Form zum Ausdruck. Die oben schon zitierte Proposition 196 konstatiert: „Jede partizipierbare Seele macht Gebrauch von einem ersten, ewigen Körper, der von ungewordener und unzerstörbarer Substanz ist (πᾶσα ψυχὴ μεθεκτὴ σώματι χρῆται πρώτῳ ἀϊδίῳ καὶ ἀγένητον ἔχοντι τὴν ὑπόστασιν καὶ ἄφθαρτον)“ (EÜ). Die genannten Attribute des Körpers – ewig, ungeworden, unzerstörbar – entsprechen jenen der sich ihm bedienenden Seele. Der Terminus „partizipierbare Seele“ bezieht sich auf das Verhältnis des unvergänglichen Körpers zu dessen Seele, ist es doch dieser Körper, der an der Seele partizipiert, insofern diese ihn beseelt (wie wir sahen, gilt diese Proposition grundsätzlich für die mit Körpern versehenen höheren Genera und Götter genauso wie für den Menschen). Bezüglich der Ursache dieses „ersten Körpers“ erfahren wir, dass er – wiederum gleich der Einzelseele – „von einer unbewegten Ursache geschaffen“ (§ 207: ἀπὸ αἰτίας ἀκινήτου δεδημιούργηται) sei, die auch als „suprakosmische Ursache (αἴτιον ὑπερκόσμιον)“ bezeichnet wird und bei der es sich nur um den Demiurgen handeln kann. Besagtes Vehikel ist folglich der Seele συμφυές und dieser seiner Herkunft gemäß „wesenhaft immateriell, unteilbar und nicht affizierbar“ (§ 208: κατ᾽ οὐσίαν ἄυλον καὶ ἀδιαίρετον καὶ ἀπαθές). Wie Proposition 205 erläutert, entspricht das Verhältnis einer jeweiligen Menschenseele zur Seele des ihrer „Reihe“ (σειρά) vorstehenden Gottes jenem des menschlichen ὄχημα zum ὄχημα besagter göttlicher Seele. Doch fallen unter eine einzige göttliche Seele eine Vielzahl menschlicher Seelen (§ 204), und gleiches muss auch für das Verhältnis von göttlichem ὄχημα und den ὀχήματα verschiedener Menschen gelten. Bezog sich die bisherige Beschreibung sämtlich auf den unvergänglichen „ersten Körper“, so kommt in Proposition 209 noch etwas anderes ins Spiel: „Das Vehikel einer jeden Einzelseele steigt ab, indem es zunehmend materielle Kleider annimmt (προσθέσει χιτώνων ἐνυλοτέρων). Es steigt zusammen mit der Seele auf, indem es alles Materielle ablegt und seine eigentliche Gestalt (τὸ οἰκεῖον εἶδος) wiederannimmt“ (EÜ). Dieser Vorgang des Ab- und Wiederaufstiegs vollziehe sich analog zur Seele, die ja ebenfalls im Abstieg gewisse irrationale Vermögen annehme, die sie beim Aufstieg wieder ablege. Dies betont, wie eng das Leben des Vehikels mit jenem der Seele zusammenhängt, nicht zuletzt hinsicht-

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lich der „eigentlichen Gestalt“ des Vehikels: diese sei – analog zur Denkbewegung der Seele – kreisförmig. Aus den „materiellen Kleidern“, die den „ersten Körper“ in seinem Abstieg umhüllen, konstituiert sich eine Art zweiter Körper, der freilich nicht mit dem grobstofflich-irdischen Leib zusammenzufällt. Dem Verhältnis dieser beiden Entitäten ist denn auch Proposition 210 gewidmet: „Jedes der Seele angeborene Vehikel hat stets dieselbe Form und Größe, doch erscheint es aufgrund der Hinzufügung oder Ablegung anderer Körper größer oder kleiner und in verschiedenen Formen“ (EÜ). Diese „anderen Körper“ konstituieren sich ausdrücklich „aus den materiellen Elementen“ (ἀπὸ τῶν ὑλικῶν στοιχείων), und d. h. den vier klassischen Elementen (Feuer, Luft, Wasser, Erde). Überblickt man die in der Elementatio Theologica gelieferten Hinweise zu den ὀχήματα, so liegt der Fokus eher auf dem ersten, der Seele gleichursprünglichen ὄχημα. Eher am Rande kommt Proklos in §§ 209–210 auch auf das zweite Vehikel zu sprechen, das sich aus den vier Elementen zusammensetze. Zwar liefert Proklos in recht schematischer Form die wichtigsten Hinweise zum Ursprung und der Beschaffenheit der ὀχήματα, ferner zum Verhältnis zwischen menschlichen und göttlichen ὀχήματα – doch ist hiermit seine ὄχημα-Lehre mitnichten ausgeschöpft. Wir werden nun versuchen, sie auf Basis verschiedener Platon-Kommentare umfassender zu rekonstruieren. Zentral bleibt stets die Grundunterscheidung in zwei (bzw. wenn man den grobstofflichen Leib einbezieht: drei) Vehikel, welche mit einer jeden Menschenseele in Beziehung stünden: ein unvergängliches und vom Demiurgen geschaffenes401 und ein vergängliches (vgl. In Tim. III 237,24: θνητοειδής), das von den „jungen Göttern“ erzeugt wurde (vgl. Tim. 41d1–2): Das dem [ersten] Vehikel eigene Leben unterscheidet sich von den anderen Leben insofern es unvergänglich ist, die anderen aber vergänglich sind; und das Leben in den einfachen Umhüllungen (χιτῶνας) unterscheidet sich von jenem im zusammengesetzten Körper. Denn während letzteres Leben der körperlichen Mischung gehorcht, formt jenes die körperlichen Mischungen und vermag sie zu beherrschen. Es gibt mithin drei Vehikel: ein einfaches und immaterielles, ein einfaches und materielles und ein zusammengesetztes und materielles. Und die Leben dieser Vehikel sind von dreifacher Art: das eine unsterblich, das andere von längerer Dauer als der [grobstoffliche] Köper, das dritte vergeht mit dem [grobstofflichen] Körper. (In Tim. III 285,8–16; EÜ)

Entsprechend ihrer natürlichen Verortung und Funktion werden die drei Körper auch als (1) „himmlisches Vehikel“ (οὐράνιον ὄχημα), (2) „auf das Werden bezoge „Denn das ganze Vehikel mit dem ihm zukommenden Leben und der rationalen Seele, von der es abhängt, ist seinem Wesen nach immerwährend (κατ᾽ οὐσίαν ἀίδιον). Beide sind mithin vom Demiurgen in Ähnlichkeit zu den Gestirnen (καθ᾽ ὁμοιότητα τῶν ἄστρων), deren Seelen und Vehikel der Demiurg ebenfalls erzeugt hat, geschaffen“ (In Tim. III 233,32–234,3; EÜ).

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ner Körper“ (σῶμα γενεσιουργόν), und (3) „irdischer Körper“ (χθόνιον [σῶμα]) bezeichnet (III 298,14–16). So macht das der Seele angeborene Vehikel (τὸ συμφυὴς ὄχημα) diese enkosmisch, das zweite (τὸ δεύτερον) [Vehikel] macht sie zur Bewohnerin des Sphäre des Werdens, das austernhafte (τὸ ὀστρεῶδες) macht sie irdisch; und dieselben Relationen, die zwischen Erde und Sphäre des Werdens im Gesamten bestehen, sowie zwischen dieser und dem Universum, bestehen auch zwischen Vehikeln und den Umhüllungen, aus denen sie sich konstituieren. Die erste Umhüllung existiert immer (denn die Seele ist immer enkosmisch), das zweite existiert vor diesem [irdischen] Leib und nach ihm (denn die Seele ist vor und nach ihm im Bereich des Werdens), das dritte existiert nur, solange die Seele auf der Erde das partielle Leben gegen das andere austauscht. (III 298,27–299,4; EÜ)

Während das erste Vehikel stets mit derselben rationalen Seele verbunden bleibt und der grobstoffliche Körper bei jeder neuen irdischen Verkörperung gewechselt wird, hält sich das zweite Vehikel über mehrere Verkörperungen, ohne deshalb unvergänglich zu sein.402 Die Genese des zweiten Vehikels beschreibend, beteuert Proklos, dass die jungen Götter, bevor sie den [grobstofflichen] Körper schaffen, das irrationale Leben und ein anderes pneumatisches Vehikel (ὄχημα ἄλλο πνευματικόν) schaffen, das auch Aristoteles bekannt war; ein Vehikel, dass zugleich mit dem unsterblichen Teil in uns kommt und wieder geht und dennoch sterblich ist (III 238,19–22; EÜ).

So ist das Problem gelöst, dass Platon einerseits die Seele auf ein Vehikel fixiert (Tim. 41e), andererseits das irrationale Leben vor dem grobstofflichen Körper entstehen lässt. Wäre es lediglich in diesem Körper verortet, so stürbe es mit diesem augenblicklich dahin. Allerdings ist in Platons Jenseitsbeschreibungen der Fortbestand des irrationalen Lebens vorausgesetzt – z. B. in der Beschreibung der „schlechten Wahl“, die eine Seele im Jenseits treffen könne. Zur Verhältnisbestimmung der beiden Vehikel lesen wir ferner: Vielleicht ist es besser, mit meinem Meister [= Syrianos] zu behaupten, dass einerseits das Pneuma den Gipfel (ἀκρότης) des irrationalen Lebens umfasst und dass dieser Gipfel, verbunden mit dem Vehikel, vom Demiurgen als ewigwährend (ἀίδιος) geschaffen wurde, dass aber andererseits dieser Gipfel, sich ausdehnend und zerteilend, jenes Leben erzeugt, das die jungen Götter (οἱ νέοι θεοί) [vgl. Tim. 42d6] zusammenweben und das einerseits sterb-

 Vgl. auch In Tim. III 299,31–300,5 (EÜ): „Demzufolge gibt es nicht bei jedem neuen irdischen Leben einen Austausch des irrationalen Lebens, wie es einen Austausch des Körpers gibt. Das irrationale Leben ist mithin etwas anderes als die Entelechie des Körpers, die für jeden Körper einzigartig und von ihm nicht trennbar ist. Denn das irrationale Leben ist uns im Moment des Abstiegs hinzugewachsen, das andere Leben wächst durch sukzessives Vertauschen zu, gleichzeitig dem Vertauschen der Körper, von denen es sich nicht trennen lässt.“

3.3 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Proklos

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lich ist [...], andererseits aber länger währt als das Leben des [grobstofflichen] Körpers. (III 236,31–237,6; EÜ)

Der Demiurg selbst schaffe zwar den „Gipfel“ des irrationalen Lebens, nicht aber dieses selbst. Denn dieses wird von den „jungen Göttern“ erschaffen.403 Aber ist mit Pneuma hier das erste oder zweite Vehikel gemeint? Insofern es den vom Demiurgen geschaffenen „Gipfel“ (ἀκρότης) der irrationalen Seele beherbergt, der unvergänglich sei, liegt es nahe, dass das erste Vehikel gemeint ist: Hiernach würde das erste Vehikel die rationale Seele sowie den höchsten Teil der irrationalen Seele beherbergen, das zweite Vehikel die (niedrigere) irrationale Seele. Woraus genau aber besteht das zweite Vehikel? Lediglich aus sublunaren Elementen oder bereits aus den („ätherischen“) „Gipfeln“ dieser Elemente im supralunaren Bereich? Insofern das zweite Vehikel dazu dient, die Seele im Bereich des Werdens (d. i. die sublunare Sphäre) zu geleiten,404 muss es grundsätzlich aus sublunaren Elementen gebildet sein. Im Laufe ihres Abstiegs ziehen die Seelen verschiedene luft-, wasser- und erdhafte Umhüllungen (χιτῶνας) an, die sich aus den Elementen konstituieren; mit ihnen beladen gehen sie schließlich in den grobstofflichen Körper ein. Und wie könnte man auch erwarten, dass sie mit dem immateriellen Pneuma unmittelbar in diesen irdischen Körper gehen? Bevor sie also in ihn absteigen, besitzen sie das irrationale Leben und das diesem Leben entsprechende Vehikel, das aus einfachen Elementen (ἀπὸ τῶν ἁπλῶν στοιχείων) gebildet und aufgrund dieser Elemente mit einer angedrängten Masse (ὄχλον) versehen ist, die dem der Seele angeborenen Vehikel fremd ist. (III 297,21–29; EÜ)

Mit „immateriellem Pneuma“ muss auch hier das erste Vehikel gemeint sein, wird das zweite von Proklos doch an vielen Stellen ausdrücklich als zwar „einfach“, aber „materiell“ bezeichnet, als „aus den materiellen Elementen (ἀπὸ τῶν ὑλικῶν στοιχείων)“ bzw. „aus einfachen Elementen (ἀπὸ τῶν ἁπλῶν στοιχείων)“ gebildet. An einer Stelle wird es auch „zwischen den materiellen und immateriellen Körpern“ verortet: Es zähle zu jenen „Körpern zwischen den materiellen und immateriellen (μέσα τῶν ἐνύλων καὶ ἀύλων), die in ihren wechselseitigen Beziehungen das Schicksal der materiellen Körper erleiden, d. h. unfähig sind, sich wechselseitig ohne Zerteilung zu durchdringen“ (In Remp. II 162,28–163,1; EÜ). Diese Zwischenstellung steht indessen nicht im Widerspruch zur Klassifizierung „materiell“. Denn wenn anschließend konstatiert wird, dass es „das Schicksal der materiellen Körper erleide“, so wird auch hier deutlich, dass es in dieser Zwi-

 Vgl. In Tim. III 321,1–3 (EÜ): „Die jungen Götter, den Stoff des Universums verwendend, bedienen sich der einfachen Elemente und bilden die Vehikel der irrationalen Seelen.“  Proklos betont ausdrücklich, die Seele lebe „mit dem dazwischenliegenden Vehikel (μετὰ τοῦ μέσου ὀχήματος) als Bewohnerin des Sphäre des Werdens“ (In Tim. III 297,2 f.; EÜ).

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schenstellung stärker auf Seiten des Materiellen verortet wird. Ggf. kann man auch im sublunaren Bereich nochmals Reinheitsunterschiede zwischen an verschiedenen Stellen verorteten Elementen ziehen, wiewohl Proklos dies nicht explizit macht.405 3.3.2.2 Das „Säen“ und die Verwandtschaft mit bestimmten Göttern Es folgen nochmals einige Ausführungen zur Genese der Vehikel und ihrer Verwandtschaft mit bestimmten Gottheiten. Wir erinnern uns, dass Platon im Timaios (41e) erwähnt, der Demiurg habe die „Mischung“, aus der auch die Weltseele beschaffen ist, „in Seelen von gleicher Zahl mit den Sternen [verteilt] und teilte je eine einem jeden zu, und nachdem er sie so (auf dieselben) wie auf Fahrzeuge (ὡς ἐς ὄχημα) gesetzt hatte, zeigte er ihnen die Natur des Alls“ (Übers. Schleiermacher). Dies, so Proklos, sei von manchen missverstanden worden in dem Sinne, dass entweder die „Natur des Alls“ oder die „Gestirne“ als das menschliche Seelenvehikel interpretiert worden seien. Ersteres sei abzulehnen, weil es im Text lediglich heißt, dass der Demiurg den Seelen die Natur des Alls zeigte, zweiteres, weil das Gestirn – wäre es identisch mit dem menschlichen Vehikel – selbst mit der Menschenseele in die sublunare Welt absteigen müsste, was absurd wäre (vgl. In Tim. III 265,15–26). So präzisiert Proklos: „eine Sache ist die vom Demiurgen offenbarte Natur des Alls, ein anderes ist der Stern, also das unkörperliche Gestirn, dem die [menschliche] Seele untergeordnet ist, wieder ein anderes ist das Vehikel, dessen sich die Seele bedient und auf das gepflanzt sie zur Bewohnerin des Kosmos wird“ (III 266,2–7;

 Trotzdem wurde verschiedentlich behauptet, dass nicht das erste, sondern das zweite Vehikel aus Äther bestehe, beispielsweise von Griffin 2012, 177, ferner von Finamore/Kutash 2017, 138 Anm. 40, die es folgendermaßen begründen: „Dodds (1963: 307) states that the pneumatic vehicle ‚consists of successive layers of the four elements‘. This is misleading. The vehicle is made from the ethereal envelopes of the planetary bodies (which are, of course ethereal, not material). Dodds cites in Tim. III 297–8, but the passage does not support his claim. There Proclus is discussing the soul’s cleansing through the purificatory virtues (καθαρτικὴ ἀρετή, 297.16). Purificatory virtues are those that remove material stains from the vehicle; the higher virtues deal with spiritual cleansing and ascent. Thus, Proclus says that the descending soul collects ‚from the elements‘ (ἀπὸ τῶν στοιχείων, 297.22) airy, watery, earthy envelopes (ἀερίους, ἐνυδρίους, χθονίους, 297.22–3). These are collected below the Moon, in the band of elements between the Moon and the Earth. The pneumatic envelopes come from the ethereal planetary bodies. Thus, these elemental envelopes are the denser wrappings that will become the soul’s material body and irrational powers (297.26–298.2).“ Diese Kritik ist ihrerseits in zweierlei Hinsicht irreführend, weil sie (a) den Eindruck erweckt, Proklos folge der Fünf-Elemente-Lehre, was nicht der Fall ist, und weil sie (b) impliziert, das zweite Vehikel sei aus supralunarem Gestirnmaterial konstituiert, was wiederum nicht der Fall ist, da es der Seele erst bei Eintritt in die sublunare Welt hinzuwächst.

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EÜ). Denn es ist vermittels ihres Vehikels, dass die Seele überhaupt eine Ortsbewegung vollziehen, d. h. auf- und absteigen, kann (vgl. In Remp. II 160,22–26). In Tim. III 233,4 ff. erörtert die Frage, wie der Vorgang des „Säens“ (σπορά) zu verstehen sei.406 Proklos unterscheidet drei Schritte: (1) die Schaffung der Seele und des ihr verbundenen Vehikels durch den Demiurgen; (2) deren Verteilung auf supralunare Gestirngötter; (3) der Eingang in die sublunare Welt. Diese drei Schritte werden nun der Hierarchie der Seelen zugeordnet: „An der ersten Form haben auch die Seelen der Götter teil, an der zweiten auch die Dämonen (denn die Klassen der Dämonen sind unter den Göttern verteilt), die dritte bezeichnet das Säen allein jener Seelen, die mit der sublunaren Welt in Verbindung stehen“ (III 233,19–22; EÜ; vgl. zu dieser Dreiteilung auch 266,1–14). D. h. während das erste Moment Gestirngötter, Dämonen und Menschen betrifft, so das zweite nur Dämonen und Menschen, das dritte nur Menschen. Auf diese Weise werden unterschiedliche Vehikel auf unterschiedliche Gestirne gesät. Der Demiurg „streute den einen Samen auf die Erde, den andern auf den Mond, wieder andere auf die übrigen Werkzeuge der Zeit aus“ (Tim. 42d; Übers. Schleiermacher). In Proklos’ Deutung spielt dies auf den Sachverhalt an, dass jedem Vehikel eine spezifische Verwandtschaft zu einer bestimmten Gestirngottheit eigne: Es ist nicht erstaunlich, dass die mit den Himmelskörpern verwandten (συγγενῆ) Seelen und Seelenvehikel am Himmel entlangwandern [...] Denn kraft einer natürlichen Verwandtschaft (οἰκειότης) wurden die Vehikel der Seele, wie der Timaios lehrt, auf die Sonne oder auf den Mond gesät; so sind manche Vehikel solar, andere lunar. Wenn dies aber so ist, ist es nicht verwunderlich, dass die einen den Himmel zusammen mit der Sonne umkreisen, die anderen mit dem Mond. (In Remp. II 161,18–27; EÜ)

Insofern (wie bei Iamblichos) auch bei Proklos jede Menschenseele periodisch aufund absteigen muss (vgl. El. Th. § 206; In Tim. III 278,9 ff.) und das erste Seelenvehikel „ewig ein und dasselbe und stets mit ein und derselben Seele verbunden“ (III 267,25–27) ist, schließt sich eine Einzelseele nach erfolgtem Wiederaufstieg im Jenseits wieder mit ihrem göttlichen Führer (ἡγεμών) zusammen bzw. folgt ihm (entsprechend der Beschreibung im Phaidros-Mythos); desgleichen verbindet sich das Vehikel mit jenem seines göttlichen Führers.407 Denn aufgrund ihrer wechselseitigen Einung [d. h. zwischen einer bestimmten Einzelseele und einer bestimmten göttlichen Seele] verbinden sich (συνέπεται) auch ihre Vehikel miteinander. Wenn die Einzelseele sich der göttlichen Seele beiordnet, ordnet sich deshalb auch ihr Vehikel jenem der göttlichen Seele bei und gleich wie sich von Seele zu Seele eine Nach-

 Dazu ausführlich: Finamore 1985, Kap. III.  Vgl. dazu auch die Beschreibung In Tim. III 262,12–263,5.

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ahmung des Denkens vollzieht, so eine Angleichung der Bewegung von Körper zu Körper. (In Tim. III 276,18–22; EÜ)

Denn es handelt sich Proklos zufolge um „eine Notwendigkeit, dass jeder Teil zu seinem Ausgangspunkt, und d. h. zu der ihm eigenen Ganzheit (ὁλότης), zurückkehrt: die den gesäten Vehikeln entsprechende Ganzheit sind die Himmelskörper, in die sie gemäß der Natur gesät wurden“ (In Remp. II 162,8–12; EÜ). Ja, das „Säen“ bezeichne im Grunde nichts anderes als die „naturgemäße Verteilung zu einem bestimmten Ort“. Der göttliche Führer freilich werde von dem Auf- und Abstieg der ihm unterstehenden Seelen bzw. deren Vehikeln nicht affiziert: Ohne ihn zu zerteilen schreiten die Vehikel durch ihn hindurch und richten sich in ihren Kreisen ein. Denn tatsächlich haben wir schon vor langer Zeit aufgezeigt, dass ein Körper durch einen anderen Körper hindurchdringen kann. Zwar gilt dies nicht für alle Körper, doch dringen immaterielle Körper durch materielle hindurch, ebenso immaterielle durch immaterielle (mit Materie meine ich die letzte, die den letzten [d. h. grobstofflichen] Körpern zugrunde liegt). (In Remp. II 162,23–28; EÜ)

Wie oben beschrieben, impliziert die Verbindung mit dem göttlichen Führer für die menschliche Seele und ihr Vehikel eine Angleichung an denselben. Dies ist ferner mit einer Reinigung des Vehikels verknüpft. Hierfür macht Proklos im Besonderen das Geschlecht der Heroen verantwortlich. Ihnen komme die Funktion zu, die menschlichen Seelen zu erheben und das menschliche ὄχημα mit dem göttlichen ὄχημα des jeweiligen Führergottes einer Reihe zu verbinden und damit zu reinigen und letzterem zu verähnlichen: „ein prächtiges Heer von Heroen, welches zuvor alle von der Materie herstammende Unordnung bändigt, hält die göttlichen Vehikel mit den partiellen (μερικά) Vehikeln zusammen (συνεκτικός), die jene umkreisen; auch reinigen die Heroen sie [die partiellen Vehikel] und machen sie jenen [der Götter] ähnlich“ (In Tim. III 262,17–21; EÜ). Die „partiellen Vehikel“ bezeichnen hier freilich die mit den Menschenseelen verknüpften, ersten Vehikel.408

 An dieser Stelle ist noch ein Wort zu den eschatologischen Implikationen der ὄχημα-Lehre anzufügen, die Finamore 1998 hauptsächlich unter Bezugnahme auf die in In Remp. II 128,3– 136,16 anklingende (und auch von uns weiter oben diskutierte) Ätherlehre untersucht hat. Wir erinnern uns: Proklos hatte in seiner Auslegung der platonischen Jenseitstopographie den „dämonischen Ort“ der Jenseitsrichter mit dem Äther gleichsetzt. Nun hat Finamore dies mit einer Passage in Iamblichos’ De anima (§ 40, 454,23–455,5) zusammengebracht, wo als Akteure des Richtspruchs, der Bestrafung und Reinigung der Seelen folgende Wesenheiten genannt werden: „die sichtbaren Götter (vor allem die Sonne), die unsichtbaren demiurgischen Ursachen [das sind hier: die sublunaren Gestirngötter, vgl. Finamore 1998, 49] und alle höheren Genera, mit denen Heroen, Dämonen, Engel und Götter gemeint sind“. Nun haben all die hier von Iamblichos aufgezählten Akteure eines gemein: sie besitzen ein ätherisches Vehikel. Und es liegt in der Tat nahe, dass Iamblichos’ Aufzählung ihren ganzen Sinn erst vor dem Hintergrund von Proklos’ Jenseits-

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Der Aufstieg der rationalen Seele mit ihrem Vehikel lässt sich – entsprechend von Proklos’ oben dargestellter Lichtmetaphysik – als Rückkehr zu dem ihnen eigentlich „angemessenen Ort“ (οἰκεῖος τόπος) verstehen, d. h. im Falle des Vehikels: zum göttlichen Licht. Er geht mit seiner topologischen Deutung des Lichts als „Ort“ des Universums einen etwas anderen Weg als Iamblichos, verfolgt dessen ungeachtet aber eine vergleichbare Intention: „providing a physical mechanism for theurgy“.409 3.3.2.3 Die Erkenntnisfunktion der Vehikel Wir haben oben am Ende von Kap. 3.3.1.2 – im Zusammenhang mit der Frage, ob dem Universum eine Form der Wahrnehmung zuzusprechen sei – bereits dargestellt, dass (ganz in Analogie zum Makrokosmos) auch der menschlichen Seele eine partielle Wahrnehmung erst mit Eintritt in die sublunare Welt zukomme und unser Lichtvehikel eigentlich „alle Wahrnehmungen in sich vereint (πάσας ἔχον ἡνωμένως τὰς αἰσθήσεις)“ (In Tim. II 81,20 f.). Es sei nochmals an die vierfache Einteilung erinnert (II 83,16–85,7), die verdeutlicht hatte, dass das Phänomen der Wahrnehmung bei Proklos eine ganze Anzahl von Stufen umfasst und weit über das hinausgeht, was in der gewöhnlichen Alltagserfahrung damit assoziiert wird. Man muss nun beachten, dass die genuin auf den Menschen bezogene, nach

bild aus In Remp. II 128,3–136,16 gewinnt. Dazu bemerkt Finamore 1998, 52: „What is striking about this list, given Proclus’ claim that the place of judgement is the ether, is the fact that all of the agents that Iamblichus lists are ethereal beings who have ethereal bodies or vehicles. [...] It seems likely that Iamblichus’ belief in such a quasi-material body affected his interpretation of the judges and the place of judgement.“ Denn im Grunde setzt Iamblichos’ Aufzählung die – in seinem uns erhaltenen Werk so nirgends explizit ausgesprochene – Verortung der jenseitigen Bestrafung im Äther voraus. Vermittels ihrer ätherischen Leiber vermögen die von Iamblichos aufgeführten höheren Entitäten auf die (ebenfalls mit einem ätherischen Leib versehene) Menschenseele einzuwirken. Hiernach ergibt sich ein recht einheitliches Bild davon, wie Iamblichos und auch Proklos sich die jenseitige Bestrafung vorstellten: vermittels des ätherischen Vehikels, das sich hiermit einmal mehr als tragend erweist in der Interpretation des platonischen Jenseitsbildes.  Griffin 2012, 163. Vgl. 181: „As the body of sensible fire rises to its appropriate place (oikeios topos), likewise our loftiest and rarest body, namely ‚our luminous vehicle,‘ will rise to join the luminous vehicle of the cosmos, allowing us to ‚raise our head into the region outside‘ (Phdr. 248a2–3), and, on Iamblichus’ reading of this passage, to contemplate the One. This ‚place‘ surrounds the heavens, like the ‚back‘ of the cosmos in the Phaedrus myth. Thus it can also be equated with the Aristotelian ‚place of the cosmos,‘ that ‚innermost motionless boundary of what contains‘ the heaven. Proclus has introduced the Aristotelian doctrine of natural place as the mechanism of the theurgical ascent. So long as this loftiest vehicle of the soul is regarded as a kind of ‚body,‘ however rarified, we may allow it to be moved by another, namely by the immobile vehicle of the whole, and posit Aristotelian physics as the mechanism of its ascent.“

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obiger Auflistung dritte Kategorie mit weiteren Binnendifferenzierungen verknüpft ist, die in III 286,2–287,10 erörtert werden. Es existiert, so Proklos dort, [1] eine Wahrnehmung im Vehikel der Seele, die im Vergleich zur vorhergenannten [d. i. die gewöhnliche vermittels der materiellen Sinnesorgane gewonnene Wahrnehmung] immateriell und rein (ἄυλος καὶ καθαρά) ist, eine als solche nicht-erleidende Erkenntnis (γνῶσις ἀπαθής), gleichwohl nicht frei von aller Form (μορφή), da sie auch körperlich (σωματοειδής) ist, insofern sie in einem Körper stattfindet. Diese Wahrnehmung ist von gleicher Natur wie die Imagination (φαντασία), da sie beide allgemein (κοινόν) sind. Wenn sie nach außen gewandt ist, heißt sie Wahrnehmung, wenn sie in sich verharrt und im Pneuma Figuren und Gestalten sieht, nennt man sie Imagination. Und < in dem Maße, als sie ..., ist sie Imagination >, in dem Maße, in dem sie sich im Pneuma zerteilt, Wahrnehmung. Denn die Meinung (δόξα) ist die unterste Stufe des rationalen Lebens, die Imagination der Gipfel des niedrigeren Lebens; Meinung und Imagination sind wechselseitig verknüpft und das niedrigere Vermögen wird vom höheren mit Kräften erfüllt. [2] Die mittlere Wahrnehmung (ἡ μέση) im irrationalen Leben ist, obwohl sie nur äußere Objekte erfasst und keine inneren Eindrücke, aber auch allgemein (κοινή), erkennt das Wahrnehmbare jedoch vermittels einer Affektion (παθητικῶς). [3] Die materielle Wahrnehmung (ἡ ἔνυλος αἴσθησις) erfasst allein Objekte, die sie von außen affizieren und erschüttern; sie vermag dasjenige, was sie sieht, nicht in sich zu bewahren, da sie zerteilt (μεριστή) ist und nicht eins. Sie zerteilt sich gemäß den Sinnesorganen. Verschieden sind demnach [1] die unaffizierbare und allgemeine Wahrnehmung, [2] die allgemeine, aber zugleich affizierbare Wahrnehmung und [3] die zerteilte und affizierbare Wahrnehmung. Eine eignet [1] dem ersten Vehikel, eine [2] dem irrationalen Leben, eine [3] dem belebenden Prinzip des Körpers. (III 286,20–287,10; EÜ)

Wie am Ende der Textstelle gesagt wird, sind die drei Formen der Wahrnehmung jeweils in den drei Vehikeln zu verorten. (1) Die erstgenannte Wahrnehmung (sowie die Imagination) kommen dem „Gipfel“ (ἀκρότης) der irrationalen Seele zu, der – wir erinnern uns – vom Demiurgen selbst geschaffen wurde und unvergänglich ist; diese Wahrnehmung bzw. die Imagination vollziehen sich vermittels des ersten Vehikels. (2) Die zweite Form der Wahrnehmung kommt der irrationalen Seele zu und vollzieht sich vermittels des zweiten Vehikels. (3) Die dritte Form der Wahrnehmung kommt der Nährseele zu und vollzieht sich vermittels der Organe des grobstofflichen Leibes. All diese Formen der Wahrnehmung – (1) ἀπαθής und κοινή, (2) κοινή und παθητική, (3) διῃρημένη und ἐμπαθής – sind hier grundsätzlich auf den Menschen bezogen. Lassen sie sich aber in der Tat allesamt unter die dritte obige Kategorie (vgl. II 83,27–29; 85,3–5) subsumieren? Dies kann schon deshalb nicht der Fall sein, weil die Wahrnehmung besagter dritter Kategorie „durch Eindrücke (πάθη) hervorgerufen“ werde, von den hier angeführten Arten der Wahrnehmung die erste aber ausdrücklich als ἀπαθής bezeichnet wird. Auch war in Proklos’ obiger Aufzählung die dritte Kategorie allein auf jene Einzelwesen bezogen, die „mit der Welt des Werdens in Verbindung stehen und sich vermittels von Lichtvehikeln Organen bedienen“. Dies bezeichnet aber ein Spezifikum des irdisch-verkörperten Zustands des Menschen. Das Lichtvehikel als solches ist ontolo-

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gisch jenseits der Welt des Werdens zu verorten und bedient sich im unverkörperten Zustand zur Ausübung seiner Aktivität keiner „Organe“. Dies alles impliziert, dass lediglich die zweite und dritte Art der in III 286,20–287,10 angeführten Wahrnehmungen unter obige Kategorie 3 subsumiert werden können – was zugleich heißt, dass diese Kategorie die menschlichen Möglichkeiten keineswegs ausschöpft. Vielmehr scheint die dem ersten menschlichen Seelenvehikel eigene Wahrnehmung (ἀπαθής und κοινή) am ehesten mit der zweiten Kategorie obiger Liste zu korrespondieren, d. h. mit jener Wahrnehmung, die auf ihr externe Gegenstände bezogen sei, aber gemäß einer vollkommenen Tätigkeit (κατ᾽ ἐνέργειαν τελείαν) fungiere, die ihren Wahrnehmungsgegenstand stets in seiner Gesamtheit wahrnehme und keinerlei Eindrücke (πάθη) oder sonstige den materiellen Wahrnehmungsorganen geschuldeten Unvollkommenheiten aufweise. Zwar war dies in obiger Liste auf die Gestirne bezogen – insofern das erste menschliche Vehikel indessen analog zu den Gestirnvehikeln komponiert ist, ist es nur konsequent, dass ihm ein analoges Wahrnehmungsvermögen eignet. Entsprechend verweist Proklos auch verschiedentlich auf die aristotelische Ansicht, dass sogar beim Menschen „die eigentliche Wahrnehmung eine ist, ebenso wie das eigentliche Wahrnehmungsorgan eins ist (μία τέ ἐστιν ἡ κυρίως αἴσθησις καὶ τὸ κύριον αἰσθητήριον ἕν)“.410 Auf diese nicht-partielle Wahrnehmung spielt Proklos erneut an (II 85,12–15), wenn er schreibt, dass „in unserem Pneuma auch keine Unterscheidung zwischen Hör- und Sehsinn besteht“ und zur Untermauerung dann abermals den Aristoteles-Satz zitiert. Nun spielt, wie D. Baltzly in seiner Edition bemerkt, das Pneuma im Kontext der Passage beim Stagiriten überhaupt keine Rolle.411 Zurecht verweist er auf folgende Stelle des Timaios-Kommentars, wo eine Form der Wahrnehmung des pneumatischen Körpers erwähnt wird:

 Zur Wahrnehmung der Sonne als Paradigma für die dem menschlichen Vehikel eignende holistische Wahrnehmung vgl. auch Hermeias, In Phdr. 73,1–6; Übers. Bernard: „Und man muß sagen, daß der Körper der Sonne nicht durch ein Erleiden wahrnimmt – denn die Rede ist von der Wahrnehmung, die Wahrnehmung aber ist im Bereich des Körpers –, sondern er ist als ganzer durch und durch erkennend, und er ist als ganzer Gesichtssinn und als ganzer Gehör, wo doch auch unter Seelenträger (ὄχημα), der strahlend und rein ist, nachdem wir diesen Körper abgelegt haben, als ganzer durch und durch wahrnehmend ist und in allen Teilen sieht und in allen Teilen hört.“ Wir finden hier eine dreifache Abgrenzung gegenüber der klassischen (von Platon und Aristoteles herkommenden), auf äußere Gegenstände bezogenen Wahrnehmungstheorie: (1) Die beschriebene Wahrnehmung trägt nicht-erleidenden Charakter; (2) sie erkennt ganzheitlich und ist nicht in verschiedene Sinnesorgane zerteilt; (3) sie nimmt in unmittelbarer Weise wahr (d. h. ist nicht angewiesen auf ein Medium zwischen Wahrgenommenem und Wahrnehmendem).  Vgl. Baltzly 2007, 145 Fn. 280.

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So erzeugt die einfache und unaffizierbare (μία καὶ ἀπαθής) Wahrnehmung eine Wahrnehmung im pneumatischen Vehikel, die zwar einfach, aber affizierbar (μία καὶ παθητική) ist und die wiederum im fleischlichen Körper eine mannigfaltige und affizierbare (πολλή καὶ παθητική) Wahrnehmung erzeugt. (In Tim. III 237,24–27; EÜ)

Diese Dreiteilung entspricht, mit leichten terminologischen Abwandlungen, recht genau jener aus III 286,20–287,10 und die drei Wahrnehmungsarten wären mithin folgendermaßen zu klassifizieren: (1) κοινή/ἀπαθής = μία/ἀπαθής, (2) κοινή/παθητική = μία/παθητική, (3) διῃρημένη/ἐμπαθής = πολλή/παθητική. Terminologisch ist zu bemerken, dass in der zitierten Passage III 286,20–287,10 mit Blick auf die höchste Wahrnehmungsform anfangs schlicht von ὄχημα die Rede ist, dann zweimal von πνεῦμα, am Ende schließlich von πρῶτον ὄχημα, während in III 237,25 ὄχημα πνευματικόν nicht auf die höchste, sondern auf die mittlere Form der Wahrnehmung bezogen ist. Aus dem Vergleich der Textstellen muss man wohl schließen, dass πνεῦμα bzw. πνευματικόν für Proklos’ keine termini technici für ein spezifisches Vehikel darstellen. Er verwendet sie teils für das erste, teils für das zweite Vehikel.412 Insofern ist es missverständlich, wenn in der Forschung das zweite Vehikel oftmals schlicht „pneumatisches Vehikel“ getauft wird.413 Ferner scheint uns unhaltbar zu sein, die höchste Form der Wahrnehmung nicht im ersten, sondern im zweiten Vehikel zu verorten, wie H. J. Blumenthal glauben machen will.414 Zwar ist korrekt, dass Proklos selbst den Terminus πρῶτον ὄχημα (der für gewöhnlich das erste, ewige Lichtvehikel bezeichnet) u. U. für das eigentlich zweite Vehikel verwendet, welches dann im Hinblick auf den fleischlichen Körper „erstes“ Vehikel – im Sinne von dem fleischlichen Körper vorgeordnetes – genannt wird. Diese Wortverwendung liegt in III 320,14 f. vor, wo vom ἐκ τῶν στοιχείων πρῶτον ὄχημα die Rede ist und der Akzent weniger auf dem ersten als auf dem ersten aus Elementen gebildeten Vehikel liegt, d. h. dem ontologisch zweiten Vehikel: wenige Zeilen später spricht Proklos denn auch plötzlich, und zwar um dieselbe Wesenheit zu bezeichnen, vom δεύτερον ὄχημα (320,22). Beachtet man aber die jeweiligen Dreigliederungen in III 237,24–27 und III 286,20–287,10, so ist nicht ersichtlich, warum das πρῶτον ὄχημα in III 287,9 nicht wirklich das erste Vehikel bezeichnen sollte. Kommen wir aber nochmals auf die Kennzeichen der drei Wahrnehmungsarten zurück: (1) Die höchste Form der αἴσθησις fällt als Vermögen hier quasi mit

 Vgl. Di Pasquale Barbanti 1998, 234 Fn. 103, die ebenfalls – und unter Anführung entsprechender Textstellen – auf die Doppeldeutigkeit des proklischen Pneuma-Begriffs hinweist.  Beispielsweise bei Hadot 1978, 104; Blumenthal 1982, 5; Siorvanes 1996, 131; Dörrie/Baltes 2002, 397; Griffin 2012, 178; Finamore 2019, 111; Walter 2020, 95. Andererseits ist ebenso missverständlich, das erste Vehikel als das „pneumatische“ zu definieren, wie z. B. Festugière 1968, Bd. V, 202 Fn. 1.  Blumenthal 1982, 5.

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jenem der Imagination zusammen, insofern beide „allgemein“ (κοινόν) seien.415 Lediglich in ihrer Gerichtetheit unterscheiden sich die beiden Tätigkeiten. Die höhere Wahrnehmung ist nach außen gerichtet, während die Imagination in sich verharrt. Letztere stellt das höchste Vermögen der irrationalen Seele dar, gewissermaßen den Übergangspunkt zur rationalen Seele (man wird hier an den Gipfel des irrationalen Lebens denken, der am unteren Ende der rationalen Seele zu verorten und vom Demiurgen selbst geschaffen worden sei). Der Begriff κοινόν ist in diesem Zusammenhang wohl in dem Sinne zu verstehen, dass das Vermögen ganzheitlich wahrnimmt, sich keiner Organe bedient, die es zersplittern oder aufteilen könnten (s. u. Genaueres zur κοινὴ αἴσθησις). (2) Deshalb kommt das Attribut κοινόν auch noch der mittleren Form der Wahrnehmung zu, sind doch bei dieser noch keinerlei Organe im Spiel, die eine Fragmentierung der einzelnen Wahrnehmungen bedingen könnten. (3) Erst die dritte Form bedient sich körperlicher Organe, vermittels derer sie äußere Eindrücke empfängt. Die erste und zweite Form sind nicht auf den verkörperten Zustand des Menschen hienieden beschränkt, sondern kommen der Seele auch vor bzw. nach dem physischen Ableben eines stofflichen Körpers zu. Über die Frage, wie diese verschiedenen Wahrnehmungsformen sich im verkörperten Zustand eines Menschen ggf. überlagern, gibt Proklos wenig Hinweise. Grundsätzlich scheint er der Ansicht zu sein, dass der Mensch mitnichten nur im Jenseits, sondern auch im verkörperten Zustand Wahrnehmungen empfangen könne, die der ersten und zweiten Kategorie zuzuordnen wären – auch wenn dies faktisch eher selten der Fall ist, wohl auch deshalb, weil die vermittels der Sinnesorgane einströmenden äußeren Eindrücke jene subtileren Vermögen überdecken und vergessen machen. Eine wichtige Rolle spielt die „höhere Wahrnehmung“ jedoch – wie schon bei Iamblichos – im Kontext der Theurgie, genauer: der Manifestation gewisser Gottheiten.416 Das Thema ist von dem Problem jenseitiger Wahrnehmungen indes nicht zu trennen, da Proklos einen Gutteil seiner Ausführungen zur höheren

 Die Verortung des Imaginationsvermögens im ὄχημα wird auch von anderen Textstellen nahegelegt. Im Euklid-Kommentar bemerkt Proklos, die φαντασία sei „nicht außerhalb des Körpers“ und „projiziert das Intelligible und Unteilbare in die Zerteilung, das zeitliche Intervall und die Gestalt“ (52,23–25; EÜ). Man hat bemerkt, dass der Körper, von dem hier die Rede ist, kaum auf den grobstofflichen Leib bezogen werden kann, ist das Vermögen der φαντασία doch in keiner von dessen Körperfunktionen verortet. Entsprechend hat S. Breton es im lichthaften ὄχημα verortet, das er als „Vermögen des transzendentalen Schematismus“ deutet, welches die Vermittlung zwischen intelligibler und sinnlicher Welt gewährleiste. Vgl. Breton 1969, 122 f.  Dieser Kontext wird bei Lautner 2006, der ebenfalls Proklos’ vierfache und dreifache Klassifikationen der Wahrnehmung im Timaios-Kommentar untersucht und in Einklang zu bringen versucht, überhaupt nicht berücksichtigt. Auch unterscheidet er nicht zwischen erstem und zweitem Seelenvehikel.

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Wahrnehmung im Rahmen der Auslegung eines Jenseits-Mythos, nämlich des platonischen Er-Mythos, darbietet. Diesen Zusammenhängen wollen wir uns jetzt zuwenden. 3.3.2.4 Die „höhere Wahrnehmung“ des Lichtvehikels Warum sind die Wahrnehmungsvermögen der Vehikel für Proklos so relevant? Sie dienen ihm einerseits der Erklärung göttlicher Epiphanien, andererseits der Interpretation eschatologischer Vorgänge. Eine Thematisierung der Vehikel, die ganz im Zeichen der „übernatürlichen Wahrnehmung“ steht, findet sich beispielsweise in Proklos’ Politeia-Kommentar. Das Problem göttlicher Epiphanien ist – wie bereits für Iamblichos – auch in Proklos’ Projekt der Rehabilitierung der griechischen Tradition zentral. Denn sowohl in der griechischen Dichtung (z. B. bei Homer) als auch in der volkstümlichen Überlieferung ist das Erscheinen göttlicher Wesen, ihr Eingreifen in gewisse geschichtliche Vorgänge, ihre Kommunikation mit den Menschen etc. eine nicht wegzudenkende Gegebenheit.417 Diesem Faktum – Proklos selbst sieht die göttlichen Epiphanien als „etwas, von dem die Menschheit seit alters her anerkannt hat, dass es sich im Schlaf- oder Wachzustand ereignet“ (In Remp. I 110,24–26) – suchten die Neuplatoniker Rechnung zu tragen, ohne dabei freilich Platons „Theologie“, d. h. sein Gottesbild und seine Kritik am klassischen Dichtertum, ignorieren zu können. Man muss sich hierfür vergegenwärtigen, wie eng Platons Götterlehre mit der Kritik des überkommenen – und vor allem in der Dichtung kolportierten – Götterbildes zusammenhängt. Der Begriff θεολογία kommt bei Platon bekanntlich genau in einer einzigen Dialogstelle vor, nämlich in Politeia II 379a, und d. h. im Rahmen der Kritik an den dichterischen Götterdarstellungen.418 Sokrates betont, dass die Gründer einer Polis die Regeln kennen müssten, gemäß denen über die Götter gesprochen werden dürfe. Hierauf fragt Adeimantos: „Aber nun eben diese Grundzüge in bezug auf die Götterlehre (θεολογία), welches wären sie?“, worauf Sokrates antwortet: „Diese etwa, sagte ich: Wie Gott ist seinem Wesen nach, so muß er auch immer dargestellt werden, mag einer im Epos von ihm dichten oder in Liedern oder in der Tragödie“ (379a; Übers. Schleiermacher). Schließlich werden zwei Hauptmerkmale genannt: dass Gott (1) gut und (2) unwandelbar sei. „Theologie“ zielt bei Platon mithin auf eine Götterlehre, die von der wahren Natur Gottes, d. h. von dessen grundsätzlichem Gutsein und seiner Unwandelbarkeit, auszugehen habe (vgl. auch Th. Pl. I 18–19).

 Wie verbreitet die Erfahrung göttlicher Epiphanien noch in der Spätantike war, zeigt auf höchst eindrucksvolle Weise Lane Fox 1986, Kap. 4.  Dazu ausführlich: Ferrari 1998.

3.3 Feinstoffliche Körperlichkeit bei Proklos

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Um diese Grundsätze ist es auch Proklos in seiner vierten Abhandlung des Politeia-Kommentars zu tun und vor allem der zweite Grundsatz, d. i. die Unwandelbarkeit (ἀμετάβλητον), stellt eine jede nicht-reduktionistische Theorie der Epiphanie (die also religionsgeschichtlich vom Faktum der Epiphanien ausgeht) vor gewisse Herausforderungen. Wie können Götter personal erscheinen, sich – ggf. sogar in unterschiedlichen Formen – manifestieren, wenn sie doch unveränderlich sind? Hier stellt sich abermals das Problem der Vermittlung zwischen Gott und Mensch, und zwar in einer sehr konkreten – weil die religiöse Erfahrung als solche betreffenden – Hinsicht.419 Was den zweiten Punkt anlangt [der erste betraf den Ursprung der Übel und die Verteidigung, dass von Gott nur Gutes ausgehe], nämlich die Selbstoffenbarung der Götter, so muss konstatiert werden, dass die Götter unwandelbar bleiben, nichts annehmen oder verlieren, und es mithin die göttlichen Erscheinungen (θεῖα φάσματα) sind, die in die uns umgebende Sphäre des Werdens projiziert werden (προβάλλεται). Denn obwohl die Götter als solche unkörperlich sind, bedienen die sie Wahrnehmenden sich eines Körpers; so erscheinen die von den Göttern ausgehenden Visionen (θεάματα) jenen, die würdig sind, sie zu sehen, und sind einerseits denjenigen ähnlich, von denen sie ausgehen, andererseits jenen, die sie sehen. Aus diesem Grund werden sie wahrgenommen, jedoch nicht von allen. Denn von jenen, die sie wahrnehmen (ὁρᾶται), werden sie vermittels der lichthaften Umhüllungen der Seele (τοῖς αὐγοειδέσι τῶν ψυχῶν περιβλήμασιν) wahrgenommen, da sie ohne Zweifel oftmals mit geschlossenen Augen wahrgenommen werden. Insofern also die Visionen sich an einem bestimmten Ort in der Luft manifestieren, sind sie jenen ähnlich (συγγενῆ), die sie wahrnehmen. Insofern sie andererseits als göttliches Licht projiziert werden bzw. wirksam sind und insoweit sie die göttlichen Kräfte vermittels sichtbarer Symbole repräsentieren (διὰ τῶν ἐναργῶν συμβόλων), hängen sie von den höheren Wesen ab, die sie repräsentieren. Deshalb erhalten die unbeschreiblichen Zeichen (ἄρρητα συνθήματα) eine Form und sind in dieser oder jener Gestalt (μορφή) manifest. Dies geht auch aus den Orakeln [fr. 143] hervor, die dem Theurgen sagen, dass einerseits alle göttlichen Wesen unkörperlich, dass sie aber andererseits wegen uns mit Körpern versehen sind, weil wir – wegen der körperlichen Natur, in die wir versetzt wurden – nicht dazu im Stande sind, am Unkörperlichen auf unkörperliche Weise teilzuhaben (μετασχεῖν). Diese göttlichen Erscheinungen werden demzufolge nach dem Willen der Götter manifest oder unmanifest; sie selbst indes sind unsichtbar und bleiben, was sie sind; denn durch diese Erscheinungen wird ihnen weder irgendetwas hinzugefügt, noch auch sind sie einer Veränderung unterworfen. [...] Demzufolge ist jeder Gott gestaltlos, auch wenn er sich formhaft manifestiert. Die Form (μορφή) ist nicht in ihm, sondern geht lediglich von ihm aus, sofern der die Erscheinung Wahrnehmende den gestaltlosen Gott nicht in gestaltloser Form zu sehen vermag, sondern ihn kraft seiner eigenen Natur als Gestalt sieht. (In Remp. I 39,1–40,4; EÜ)

In dieser Passage ist Proklos’ gesamte Theorie der Epiphanie in nuce enthalten. Göttliche Unwandelbarkeit als solche und göttliche Selbstoffenbarung für einen

 Vgl. dazu auch Gillon 2014.

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anderen schließen sich keineswegs aus: Um in der Sphäre des Werdens – und der menschlichen Bedingtheit Rechnung tragend – erscheinen zu können, erzeugen die Götter gleichsam gewisse Bilder von sich, die den Menschen – wenn auch nicht allen – wahrnehmbar seien. Die gesamte Theorie findet ihre Unterfütterung in einer bestimmten Auffassung von Teilhabe. Ein Partizipierbares muss nicht nur eine gewisse Ähnlichkeit zu seiner eigenen Ursache aufweisen, sondern auch zu der an ihm teilhabenden Entität. Deshalb manifestieren sich die Götter in einer für den Menschen zugänglichen Art und Weise, und d. h. formhaft. Dass sie auch dann noch nicht von allen Menschen wahrgenommen werden, hängt – wie schon bei Iamblichos – davon ab, dass nicht jeder Mensch über eine hinreichende Aufnahmefähigkeit bzw. Empfangsbereitschaft verfügt. Als Grundsatz gilt: „Ein jeder empfängt die Erkenntnis der Götter und der Kräfte, die ihm von ihnen zukommen, nach Maßgabe seiner eigenen Aufnahmefähigkeit (κατὰ τὰ μέτρα τῆς ἑαυτῶν ἐπιτηδειότητος ὑποδεχόμενοι)“ (In Remp. II 243,20–22; EÜ). Der Impuls für die Manifestation geht allein vom Willen einer entsprechenden Gottheit aus – es handelt sich im wörtlichen Sinne um Autophanien –, ob sie faktisch von einem Menschen wahrgenommen wird, hängt indes von diesem selbst ab, genauer: von der Reinheit seiner „lichthaften Umhüllungen der Seele“ und d. h. vom Zustand des ersten Vehikels.420  An anderer Stelle heißt es zur „Reinheit“ des Vehikels: „Die Substanz dieses [göttlichen] Lichts muss folglich körperlich sein, kann jedoch von sterblichen Augen nicht gesehen werden bzw. verhält sich zu ihnen inkommensurabel. Es kann allein von den Augen der Lichtvehikel gesehen werden, und auch dies nur, wenn deren Augen möglichst gereinigt sind; denn wenn auch sie gewisse materielle Umhüllungen angezogen haben, wird das Licht auch von ihnen nicht mehr in seiner ganzen Reinheit gesehen. Deshalb erscheint den Augen, von denen behauptet wird, dass sie es sähen, das Licht als einem Regenbogen ähnlich, obwohl es heller und reiner ist. Ein jeder weiß nämlich, so nehme ich an, dass der Regenbogen von gemischter Farbe ist. Wenn mithin die Seelen dieses Licht in solcher Weise, d. h. nicht einfach, sondern in verworrener Art, sehen, so kann dies nur am Unvermögen (ἀσθένεια) der Sehenden liegen, keinesfalls an der Natur des Lichts. Und dieses Unvermögen ergibt sich aus der Beimischung fremder Elemente bei den seelischen Vehikeln“ (In Remp. II 195,8–21; EÜ). „Wenn also das Licht körperlich (σωματικόν) und dem Himmel übergeordnet (τοῦ οὐρανοῦ κρεῖττον) ist, so ist plausibel, dass es nicht allen Augen wahrnehmbar ist, sondern nur den immateriellsten und reinsten Augen. [...] Unsere materiellen Augen bedürfen eines Widerstandes am [wahrgenommenen] Gegenstand, eines dem Gegenstand eigenen Ausstrahlungsvermögens. Sie erfassen die wahrnehmbaren Dinge nur vermittels eines Erleidens. Indessen sehen die Augen der seelischen Vehikel, ohne zu erleiden (ἀπαθῶς). Sie sehen die ihnen gleichartigen (συμφυόμενα) Lichter auf aktive, nicht auf passive Weise (δι᾽ ἐνεργείας ... οὐ διὰ πάθους)“ (In Remp. II 196,11–21; EÜ). Die „Umhüllungen“, aus denen sich das zweite Vehikel im Abstieg konstituiert, erscheinen hier als mögliches Hindernis in der Wahrnehmungsfähigkeit des ersten Vehikels. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die im Phaidon (113d) befindliche Passage deuten, dass die Seelen auf ihrem Vehikel den Acheron entlangführen und die meisten von ihnen „schwer und verdunkelt“ seien, nur sehr wenige aber „im-

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Bemerkenswert ist, wie Proklos diese seine Erklärung der Epiphanien mit seiner Symboltheorie engführt. Wenn die göttlichen Erscheinungen als „sichtbare Repräsentationen der göttlichen Symbole“ gefasst werden, diese Erscheinungen aber – wie ausgeführt – vermittels des seelischen Vehikels wahrgenommen werden, so wird das Vehikel hier als Ort, wenn man so will: als „Projektionsfläche“, zur Verbildlichung der – als solche unbeschreiblichen – Symbole verstanden. Man muss hier nochmals auf eine – weiter oben im Kontext der Symboltheorie bereits angeführte – Stelle aus dem Kratylos-Kommentar erinnern. Die entsprechende Passage sei nochmals zitiert. Nach der allgemeinen Beschreibung des Sachverhalts, dass in die manifestierte Welt ganz verschiedene Zeichen (συνθήματα) eingesät seien, die als vertikale Verbindungen zu den höheren Ursachen fungierten und denen eine diskursiv nicht zu erfassende anagogische Wirkkraft zukomme, heißt es: Derart [d. h. dem Menschen unerkennbar und doch höchst wirksam] sind folglich die LichtCharaktere (φωτὸς χαρακτῆρες), vermittels derer die Götter ihren eigenen Abkömmlingen erscheinen. Diese Charaktere bestehen in einheitlicher Form in den Göttern selbst; sie machen die Götter den höheren Genera offenbar und erreichen uns in verbesonderter und formhafter Weise. Deshalb lehren die Götter uns, ‚die ausgedehnte Form des Lichts‘ [fr. 145] zu schauen. Denn obwohl das Licht dort oben [bei den Göttern] formlos ist, wurde es im Rahmen der Manifestation formhaft. Und während es dort auf verborgene und uniforme Weise besteht, offenbart es sich uns in einer von den Göttern selbst ausgehenden Bewegung. Dieses Licht hat seine aktive Kraft aufgrund seiner göttlichen Ursache, seinen formhaften Aspekt indessen wegen des Wesens, das es empfängt. Jene Entitäten aber, die von ihren Kräften erhellt werden, sind gewissermaßen Mittler zwischen dem Unaussprechlichen und dem Sagbaren. Denn sie sind selbst vermittels aller dazwischenliegenden Gattungen [zu uns] gekommen (in der Tat war es nicht möglich, dass die ursprünglichen Gaben der Götter zu uns gelangten, ohne dass die uns überlegenen Gattungen schon viel früher an der Erleuchtung partizipierten), existieren auf eine jeder Seinsstufe gemäßen Weise und offenbaren auf eine diesen je entsprechende Weise die Kräfte der Wesenheiten, von denen sie ausgehen. Dies sind die sogenannten Symbole (σύμβολα) der Götter. Sie sind in den höheren Ordnungen einheitlich, in den niederen jedoch vielgestaltig. Durch Nachahmung dieser Symbole erzeugt auch die Theurgie sie [d. h. ihre eigenen Symbole] durch zwar geäußerte, gleichwohl unartikulierte, Ausdrücke. (In Crat. § 71, 31,8–27; EÜ)

In dieser Stelle schließt Proklos’ Theorie der Epiphanie unmittelbar an seine Symboltheorie an. Die Erklärung der Epiphanie stimmt strukturell mit dem schon Gesagten überein (d. h. Ausgang allein vom göttlichen Willen, Formgebung eines eigentlich Formlosen aufgrund der Natur des Empfängers etc.). Doch liegt hier ei-

materieller und reiner“ (vgl. In Remp. II 126,3–8). Es ist daher nur konsequent, dass ein Teil der theurgischen Praxis der Reinigung des Vehikels gewidmet war: Denn die „reinigende Tugend“ bzw. die „telestische Kunst“ bewirken letztlich die Ablösung der Seele von den „Umhüllungen“, die das Vehikel beim Abstieg an sich gezogen hatte (In Tim. III 297,16–21; 300,15–20).

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nerseits der Akzent stärker auf den vermittelnden Entitäten (d. h. den höheren Genera), andererseits auf der Rolle der Symbole. Die Epiphanie wird als absteigender Prozess in mehreren Stufen vorgestellt, in dem die höheren Genera das von den Göttern Empfangene gleichsam dem Menschen weiterreichen. Worum handelt es sich aber bei den Licht-Charakteren und Symbolen? Was hier als Licht-Charaktere bezeichnet wird, scheint schlicht den göttlichen Erscheinungen (φάσματα bzw. θεάματα) zu entsprechen. Am Ende gewinnt man den Eindruck, dass auch die σύμβολα hier nichts anderes bezeichnen. Sie werden jedenfalls in gleichem Sinne wie das göttliche Licht beschrieben: als solche einheitlich, in ihrer Offenbarung zu den Menschen vielgestaltig. Insofern die göttlichen Autophanien als sichtbare Träger göttlicher Kräfte aufzufassen sind, können sie legitimerweise als deren Symbole bezeichnet werden. Betrachten wir aber noch eine weitere Passage: In Remp. I 110,21–114,29 liefert drei Argumente für die Begründung der Epiphanien, die jeweils die göttliche Einheit, Unteilbarkeit, Unwandelbarkeit etc. mit der Vielheit und Wandelbarkeit ihrer Erscheinungen in Einklang zu bringen suchen. (1) Verschiedene Lebewesen (bzw. verschiedene Erkenntnisvermögen) partizipieren auf verschiedene Art und Weise an ein und demselben göttlichen Wesen. Proklos schreibt: „Hierbei [d. h. in den Epiphanien] zeigen die Götter sich unseren Augen in vielerlei Formen (μορφάς), oftmals die Gestalten (σχήματα) verändernd. Einmal gibt es die Ausstrahlung eines formlosen Lichtes, ein andermal ist dieses Licht in menschlicher Form gestaltet, wieder ein andermal fließt es in einer anderen Gestalt aus“ (In Remp. I 110,26–111,1; EÜ). Hierauf wird Or. Ch. fr. 146 zitiert, das verschiedene göttliche Licht- bzw. Feuererscheinungen beschreibt. Anschließend geht es Proklos um das „Warum“ dieser epiphanischen Mannigfaltigkeit eigentlich unveränderlicher Wesen. Erneut wird konstatiert: Die erscheinende Gottheit erleide durch ihr Erscheinen keinerlei Veränderung. Was hingegen variiere, seien „unsere Arten und Weisen, an ihr teilzuhaben“: „Unsere Natur selbst bestimmt die Eigenschaften der Götter nach Maßgabe der Teilhabenden“ (I 111,18 f.). Proklos nennt nun diverse Vermögen, die in je unterschiedlicher Weise am Göttlichen zu partizipieren vermögen: der Geist auf unteilbare Weise (ἀμερίστως), die Seele auf diskursive Weise (ἀνειλιγμένως), die Imagination auf figurative Weise (μορφωτικῶς), die Wahrnehmung auf erleidende Weise (παθητικῶς). Ist ein Partizipiertes auch dem Wesen nach einfach und unveränderlich, so kann es doch hinsichtlich des Partizipierenden mannigfaltig und veränderlich sein. Die Vielheit göttlicher Epiphanien sei der Vielheit der an ihnen partizipierenden Empfänger geschuldet. (2) Jedes göttliche Wesen vereint in sich eine Vielheit von Kräften (vgl. I 112,15: τὸ θεῖον πολυδύναμον ὑπάρχον). Auch wenn es selbst diese Kräfte (δυνάμεις) stets

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ganz und in simultaner Weise ausübt, werden sie gemäß dem zeitlich voranschreitenden Vermögen der Seele in Einzelaspekte zerlegt und erscheinen – wiederum für uns – in unterschiedlichen Formen. „Alles nämlich, was Formen (εἴδη) besitzt und umfasst, oder besser gesagt, alles, was immer und ewig ist – all dies erscheint nacheinander als werdend, weil diejenigen, die es sehen, von ihm nur partielle Eindrücke (μεριστὴν ἐπιβολήν) haben“ (I 113,17–19; EÜ). Dies sei nicht zuletzt der Grund für die sich wandelnden Darstellungen der Götter in der klassischen Dichtung. (3) Die Götter manifestieren sich vermittels höherer Genera (Engel, Dämonen) oder anderer Wesen, die zu ihrer jeweiligen „Reihe“ (σειρά) gehören und die mit ihnen zwar verwandt, zugleich aber wesenhaft verschieden seien. „In diesem Sinne behaupten die Mythen, dass Athene sich Mentor, Hermes sich einer Möwe oder Apollon sich einem Falken ähnlich gemacht habe“ (I 113,28–30; EÜ). Auch die Erscheinung eines auf niedrigerer Ebene in der „Reihe“ verorteten Wesens kann demnach eine Epiphanie darstellen.421 Der zweite große Kontext von Proklos’ Ausführungen zur „höheren Wahrnehmung“ im Politeia-Kommentar ist ein eschatologischer: seine Interpretation des ErMythos, dem die gesamte XVI. Abhandlung gewidmet ist. Der am Schluss der Politeia (614a–621b) geschilderte Mythos, in dem Sokrates die Darstellung des Pamphyliers Er referiert, dessen Seele seinen Leib verlassen hatte, ins Jenseits gereist war, um nach zwölf Tagen wieder zu seinem Leib zurückzukehren und diesen erneut zu beleben, bietet ein plastisches Bild von Platons Jenseitstopologie. Im Rahmen besagter Jenseitsreise wird Er von den Jenseitsrichtern „aufgefordert, alles an diesem Ort zu hören und zu schauen (διακελεύοιντό οἱ ἀκούειν τε καὶ θεᾶσθαι πάντα τὰ ἐν τῷ τόπῳ)“ (Resp. 614d2f.), um den Menschen davon zu berichten. Ihm wird mithin ausdrücklich eine Form der Wahrnehmung zugesprochen. Es ist in der Auslegung genau dieser Stelle, dass Proklos bemerkt: In der Nähe des richterlichen Ortes

 Vgl. In Crat. § 79. Man muss hier außerdem auf das Problem der Homonymität von Göttern und gewissen ihnen untergeordneten Entitäten hinweisen, weil es den Manifestationsprozess in den Epiphanien unmittelbar betrifft: „In der Tat behaupten sie [die Initiationen der Barbaren], dass die von den Göttern abhängigen Engel sich daran erfreuen, mit den selben Namen wie die Götter angerufen zu werden, dass sie Vehikel der Führer ihrer Reihe anziehen und den Theurgen anstelle ihrer Führer erscheinen. Wenn wir also Athene, Hera oder Hephaistos, die in der Welt des Werdens Krieg führen, oder desgleichen Leto, Artemis und den Fluss Xanthos (Il. XX 67–74), auf andere Klassen beziehen, nämlich auf sekundäre und den partiellen und materiellen Angelegenheiten verbundene Klassen, so darf dies nicht wundernehmen, da eine Gemeinsamkeit (κοινωνία) der Namen besteht“ (In Remp. I 91,21–92,2; EÜ). Demzufolge sind gewisse höhere Genera in der Lage, sich des Vehikels ihres Führergottes zu bedienen und gewissermaßen in dessen Gestalt zu erscheinen.

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betrachtet Er die gesamte Welt und alles, was in ihr ist; die unkörperlichen Dinge mit den unkörperlichen Augen der Seele, die körperlichen Dinge mit den Augen des Lichtvehikels. Deshalb sagt der Mythos, dass er hören (ἀκούειν) und schauen (ὁρᾶν) müsse. Das Vehikel ist nämlich voll und ganz in der Lage, zu sehen und zugleich zu hören. Denn in ihm befindet sich zuerst die einfache und ungeteilte Wahrnehmung (ἡ αἴσθησις ἡ μία καὶ ἀμερής), von der diejenigen Wahrnehmungen, die sich in den Sinnesorganen zerteilen, abgeleitet sind. Wie nun dieser ganzheitliche Sinn die Gegenstände aller Einzelsinne erfasst, so nimmt auch das Vehikel dieses Sinnes die Gegenstände aller Sinnesorgane wahr; und wie besagter Sinn wahrnimmt, ohne sich zu zerteilen, nimmt das Vehikel wahr, ohne dabei etwas zu erleiden (ἀπαθῶς). Das Vehikel bedient sich dieser Wahrnehmungen, wenn es sich außerhalb des [grobstofflichen] Körpers und der Materie befindet, an seinen Ursprungsort zurückgekehrt ist und – wie die Theurgen sagen – die himmlischen und überhimmlischen Lichter erblickt sowie die Harmonie des Himmels vernimmt. (In Remp. II 154,23–155,8; EÜ)

Hier wird – am Beispiel Ers – erneut die apathische und ganzheitliche Wahrnehmung des ersten Seelenvehikels beschrieben. Und an späterer Stelle wird als Lehre der Theurgen präsentiert, dass die formlosen Götter sich in ihren Autophanien notwendigerweise mit Form, die gestaltlosen Götter mit Gestalt zeigen, weil die Seele qua ihrer Natur diese eigentlich unveränderlichen und einfachen Erscheinungen (φάσματα) der Götter in zerteilter Form (μεριστῶς) empfängt und dem Gesehenen (θεάματα) unter Mitwirkung der Imagination Gestalt und Form verleiht. Denn jede Teilhabe (μέθεξις) besitzt zugleich von der Natur des Partizipierten und des Partizipierenden, ist gewissermaßen die Mitte zwischen den beiden. [...] Dies haben die Götter auch den Theurgen offenbart [fr. 142]: ‚Obwohl wir unkörperlich sind, wurden wir um euretwillen in den Autophanien mit Körpern versehen.‘ Wegen der Teilhabenden zeigen sich die unkörperlichen Wesen nämlich in körperlicher Form, indem sie sich räumlich (διαστατῶς) im Äther (ἐν τῷ αἰθέρι) sichtbar machen. Wenn dies nun die Art und Weise ist, wie die göttlichen Wesen von den Theurgen unmittelbar gesehen werden, kann es nicht wundernehmen, dass auch der Verkünder dieser Visionen [d. i. Er] – wie es nur natürlich ist für eine Einzelseele, die von der Imagination Gebrauch macht (φαντασίᾳ χρωμένην) und das Vermögen besitzt, Körperliches wahrzunehmen – die unkörperlichen Entitäten auf diese Weise erfasste und ihre Existenzformen (ὑπάρξεις) körperlich, in einem ätherischen Körper, sah. [...] Denn die sichtbaren Merkmale sind Symbole (συνθήματα) unsichtbarer Kräfte. (II 241,22–242,25; EÜ)

In ihren Grundzügen wird die zuvor schon explizierte Theorie der Epiphanie hier nur bestätigt, vor allem bezüglich des Sachverhalts, dass die Götter allein aufgrund der Natur der „Empfänger“ Gestalt annehmen. Einige Aspekte gehen jedoch über das anderweitig schon Gesagte hinaus bzw. präzisieren es. Auffällig sind die folgenden Punkte: (1) Die Beschreibung des Er-Mythos, genauer: die dort anklingende Form der Wahrnehmung des Lichtvehikels, wird mit der theurgischen Kunst enggeführt. Proklos behauptet: Das von Er im Jenseits Geschaute entspreche grundsätzlich jenen Visionen, die auch den Theurgen zuteilwerden bzw. sei auf nämliche Weise zu erklären. D. h. aber, dass man Proklos’ im Rahmen seiner Exegese des Er-

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Mythos entfaltete Wahrnehmungslehre ohne weiteres zugleich als Erklärung für der Epiphanien im theurgischen Geschehen lesen kann. (2) Der Fokus liegt in dieser Textstelle stärker auf der φαντασία als auf der αἴσθησις. Die Imagination erscheint als eigentlicher Ort der göttlichen Offenbarungen. Dies korrespondiert gleichwohl mit der in In Tim. III 286,20–287,1 vorgenommenen Annäherung zwischen Imagination und der Wahrnehmung des ersten Vehikels. (3) Das Imaginationsvermögen wird „im Äther“ bzw. „in einem ätherischen Körper“ verortet, womit nur das erste Vehikel gemeint sein kann. (4) Am Ende findet sich noch ein Anklang auf die (in Kap. 2.3 ausführlich diskutierte) Symboltheorie. Kommen wir abschließend noch auf eine weitere Textpassage zu sprechen. Denn das Thema der mit dem Vehikel verknüpften, ganzheitlichen Form der Wahrnehmung wird von Proklos im Kontext der Frage, wie die Seelen im Jenseits miteinander kommunizieren können, nochmals aufgegriffen (vgl. In Remp. II 166,16–167,23). Auch dieses Phänomen wird vermittels des ὄχημα-Konzepts zu erklären versucht. Die Vehikel, heißt es dort, seien „im Ganzen der Sprache ähnlich (γλωσσοειδῆ ὅλα), sind ganz Auge und Ohr, können hören, sehen und sprechen“. Wie im Falle einer gewöhnlichen Verlautbarung aus der Lunge ausgestoßene Luft sich zu einem Laut bilde, vermögen auch die Vehikel die sie umgebende Luft zu erschüttern und durch Bewegungen Laute zu bilden. Den Vehikeln komme „der eigentliche Sinn (ἡ ὡς ἀληθῶς αἴσθησις)“ zu, der terminologisch im Folgenden auch als „Gemeinsinn“ (κοινὴ αἴσθησις) gefasst wird. Der einfache Körper kann vermittels ein und desselben Sinns sowohl hören als auch sehen und im Allgemeinen wahrnehmen: Denn, wie Aristoteles behauptet, ist die eigentliche Wahrnehmung eine, ebenso wie das eigentliche Wahrnehmungsorgan eins ist (μία γάρ ἡ κυρίως αἴσθησις καὶ τὸ κύριον αἰσθητήριον ἕν ἐστιν) [...] Wenn nun der einfache Körper sich des Gemeinsinns (κοινὴ αἴσθησις) bedient, so gehe ich davon aus, dass er – und zwar ohne, dass dieses Vernehmen ein Erleiden impliziert – sowohl Laute vernehmen kann als auch Klänge hören kann, für die das Ohr des irdischen Körpers nicht empfänglich ist. Denn keineswegs ist jedes Ohr für alles Hörbare empfänglich, vielmehr das eine für diese hörbaren Dinge, das andere für jene. Aus diesem Grund hören manche die Stimmen von Dämonen, andere nicht, selbst wenn sie sich in der Nähe von ihnen befinden. Die einen sind dieses Vermögens teilhaftig durch die heilige Kraft (ἱερατικὴ δύναμις), andere qua ihrer Natur (κατασκευὴ φύσεως). Beide vermögen mit ihren Augen Erscheinungen wahrzunehmen, die für andere unsichtbar bleiben. Das erste Vehikel der Seele verfügt mithin über den Gemeinsinn und ist natürlicherweise dazu befähigt, dasjenige zu sehen und zu hören, was nicht allen Ohren der Sterblichen vernehmbar ist und was ihren Blicken verborgen bleibt. (In Remp. II 167,7–23; EÜ)422

 Vgl. auch In Crat. § 77, 36,20–26, wo eine ähnliche Theorie im Hinblick auf die Kommunikation zwischen Göttern und Menschen formuliert wird: „Die Götter teilen den Menschen Dinge mit, ohne dass sie dazu körperlicher Organe bedürften, sondern indem sie die Luft nach ihrem

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Wie in In Tim. II 82,11–13 beruft sich Proklos hier abermals auf Aristoteles De ins. II 455a20, um seine eigene Wahrnehmungslehre zu untermauern, und d. h. an dieser Stelle: den „Gemeinsinn“ (κοινὴ αἴσθησις) im ersten Vehikel zu verorten.423 Im Prozess der gewöhnlichen, über die Sinnesorgane vermittelten Wahrnehmung besteht die Funktion des Gemeinsinns als eines den Einzelsinnen ontologisch vorgeordneten Vermögens bei den späten Neuplatonikern (1) darin, die simultane Wahrnehmung verschiedener Qualitäten vermittels der einzelnen Sinnesorgane zu erklären. Hierbei fungiert der Gemeinsinn gewissermaßen als vereinigende Instanz der verschiedenen Wahrnehmungen. Seine Funktion besteht (2) in der Erklärung des in den unterschiedlichen Wahrnehmungsvorgängen sich durchhaltenden Selbstbewusstseins. In diesem Sinne verbürgt der Gemeinsinn die Wahrnehmung davon, dass ich wahrnehme, und ist sehr eng mit dem συναίσθησις-Konzept (auf Ebene der Wahrnehmung) verknüpft.424 In der hier von Proklos intendierten, eigenständigen und ontologisch vollkommeneren Form der Wahrnehmung des Vehikels geht es jedoch weniger um diese koordinative Funktion im Bezug zu einer ontologisch depravierteren Wahrnehmungsart als vielmehr um die Erklärung übernatürlicher Erscheinungen. Nun bleiben derartige Erscheinungen im neuplatonischen Kosmos keineswegs nur auf die eschatologische oder theurgisch-rituelle Dimension der Existenz beschränkt, sondern sind gleichsam ein „natürlicher“ Bestandteil menschlicher Welterfahrung. Will man hier nochmals auf das Problem der Überlappung bzw. des Ineinandergreifens (oder Ineinanderübergehens) der verschiedenen Wahr-

Willen formen. Da die Luft formbarer ist als Wachs, empfängt sie Eindrücke der göttlichen Gedanken; diese Eindrücke gehen von den Göttern ohne Bewegung aus, erreichen uns jedoch vermittels des Klangs, der Stimme und Anpassung. Tatsächlich behaupten wir, dass auf diese Weise auch Orakel verkündende Stimmen von den Göttern eingegeben werden“ (EÜ). Vgl. ferner In Tim. I 395,29–396,3; In Alc. 80,4–18. Man kann hier auch auf Hermeias von Alexandrien verweisen, der wie Proklos im 5. Jahrhundert gelebt hat und dessen ὄχημα-Lehre – wie Finamore 2019 gezeigt hat – in allen wesentlichen Punkten mit der proklischen übereinstimmt. Auch bei ihm steht sie vor allem im Kontext der Manifestation göttlicher bzw. dämonischer Entitäten und der „höheren Wahrnehmung“, die seitens des Menschen dafür erforderlich ist. Er schreibt (In Phdr. 73,20–25; Übers. Bernard): „wir hören (ἀκούομεν) aber keineswegs mit diesen wahrnehmbaren Ohren, und wir sehen (ὁρῶμεν) nicht mit diesen Gesichtssinnen und den wahrnehmbaren Augen die daimonischen und göttlichen Visionen (τὰς δαιμονίας καὶ θείας ὄψεις), sondern, da es prinzipienhaftere, vorbildhaftere und reinere Wahrnehmungen (αἰσθήσεις ἀρχοειδέστεραι καὶ παραδειγματικώτεραι καὶ καθαρώτεραι) als all diese Wahrnehmungen im Pneuma gibt, hört und sieht die Seele offensichtlich durch diese (pneumatischen Wahrnehmungen) die göttlichen Erscheinungen (τὰ θεῖα φάσματα).“  Wir erinnern uns, dass die Wahrnehmung des ersten Vehikels auch in In Tim. III 286,20– 287,10 als κοινή und ἀπαθής beschrieben wurde.  Vgl. Hadot 1997, 55 ff.

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nehmungsformen zu sprechen kommen, so ist entscheidend, dass die auf drei Ebenen operierende Wahrnehmung auf die Fülle möglicher Welterfahrung (und des damit impliziten, tieferen Sinnpotentials gewisser „alltäglicher“ Begebenheiten) verweist. Zurecht bemerkt J. F. Finamore: Human beings, since we are complex creatures with two vehicles and a corporeal body, can be active on any of these three levels. Each level has its own form of sensation, and data received on one level can be interpreted on another. Thus, what may be perceived at the lowest level as a random event, may be received also at the intermediate level as a daemonic message, and it in turn can be explained most clearly at the highest level.425

Gewisse auf Basis der bloßen Alltagserfahrung bzw. der sie fundierenden Wahrnehmung als zufällig und belanglos erachtete Ereignisse werden vermittels der höheren Wahrnehmungen zu bedeutsamen Zeichen. Finamore bezieht sich hier auf jene von Hermeias selbst gegebenen Beispiele: Denn gute Menschen und solche, die ihr ganzes Leben hindurch gut leben und ihre ganze Tätigkeit, Betrachtung und Handlung den Göttern und den unsichtbaren Ursachen weihen, bemerken durch bestimmte Symbola und Zeichen (διά τινων συμβόλων καὶ σημείων), ob der Daimon sie abhält von einer Handlung oder nicht. Und sie bemerken deswegen ja auch die Warnung, wenn etwa ein Wiesel vorüberläuft oder sich ihr Gewand verfängt oder wenn ein Stein fällt oder ein Laut ausgestossen wird oder ein Donnerschlag herabgesandt wird, und nehmen Abstand von einer Handlung. Die Masse hingegen lebt das Leben des Viehs. (In Phdr. 71,19–22; Übers. Bernard)

Was hier im Zusammenhang mit dem sokratischen Daimon – und den von ihm ausgehenden „Zeichen“ – formuliert wird, lässt sich allgemein auf das SichKundgeben (oder genauer: eine spezifische Form des Sich-Kundgebens) der höheren Gattungen gegenüber dem Menschen beziehen. Denn, wie gesagt, bleibt deren Sich-Kundgeben nicht auf die feurigen Epiphanien der theurgischen Riten beschränkt, sondern greift – wie im Falle des persönlichen Daimons – in das Alltagsgeschehen ein. Auch hier ermöglicht die höhere Wahrnehmung der Vehikel gewissermaßen eine transformierte Welterfahrung, die das Wirken „übernatürlicher“ Mächte durch die „natürliche“ Sphäre hindurch zu erfassen vermag. Rekapitulieren wir: Wie deutlich geworden sein sollte, geht die Ausdifferenzierung der Körperlichkeit bei Proklos sehr stark einher mit einer Ausdifferenzierung der einzelnen Erkenntnisvermögen, vor allem der Wahrnehmung. Sein Vorgehen bleibt einerseits eng an die Exegese der platonischen Dialoge geknüpft und sucht andererseits der Vielheit der Ebenen von (religiöser) Welterfahrung Rechnung zu tragen. Die „Aufwertung der Körperlichkeit“, die wir bei Iamblichos an vier Punkten festgemacht hatten, ist bei Proklos in ihrer Gesamtheit wohl weniger deutlich akzen Finamore 2019, 119.

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3 Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus

tuiert, auch wenn er doktrinal betrachtet in vieler Hinsicht Iamblichos folgt: (1) Der Mensch ist schon aufgrund von Proklos’ Teilhabelehre als Verbindung (συναμφότερον) von Seele und Leib zu verstehen, insofern eine partizipierbare Seele streng genommen nie ohne einen Körper ist und das erste Vehikel ihr ständig verbunden bleibt. (2) Die Verkörperung der Seele im grobstofflichen Leib wird weniger als Übel (bzw. unter dem Gesichtspunkt der Schuld/Strafe) denn als periodisch sich wiederholende Notwendigkeit erachtet. Wie Iamblichos unterscheidet auch Proklos verschiedene Gründe für den Abstieg der Seelen.426 (3) Zwar spricht Proklos nicht wie Iamblichos von einer „göttlichen Materie“; die ontologische Nach-Oben-Verschiebung des Ursprungs der Materie – und damit zusammenhängend: die Ablehnung der plotinischen Auffassung von der Materie als letztem Derivat und „absolutem Bösen“ – wird bei ihm indes noch systematischer entfaltet als bei Iamblichos.427 (4) In seiner ὄχημα-Lehre führt Proklos weitere Binnendifferenzierungen ein und legt den Fokus stärker als Iamblichos auch auf die makrokosmische Ebene (bzw. das Analogieverhältnis zur mikrokosmischen: Vorgang des „Säens“, Wahrnehmungsfähigkeit, Unterscheidung verschiedener Vehikel etc.). Auf mikrokosmischer Ebene dient ihm die Lehre (analog zu Iamblichos) vorrangig zur Erklärung religiöser Phänomene. Insgesamt wird Iamblichos’ antidualistische Stoßrichtung von Proklos fortgesetzt.

 Vgl. Fortier 2018.  Hierfür wäre seine Schrift De malorum subsistentia genauer zu untersuchen, was im Rahmen vorliegender Untersuchung nicht geleistet werden kann. Vgl. aber oben Fn. 267.

4 Komparative Perspektiven 4.1 Theurgie und Tantra The increasing importance attached to theurgy in later Neoplatonism corresponds to the greater stress laid on ritual in the later, Tantric, forms of Indian religion, and in both cases the contempt with which scholars formerly spoke of the later developments is now giving place to a more respectful interest. This is largely because it is now realised that, whatever may be thought of its practitioners’ more extreme claims, ritual, and the symbols it uses, are indeed efficacious on the psychological plane, answering as they do the needs rooted deep within the human mind.428

Im Folgenden sollen einige komparative Perspektiven eröffnet werden, die das Phänomen Theurgie in einen weiteren Rahmen stellen. Ziel ist die Herausstellung typologischer Entsprechungen zwischen zwei spirituellen Traditionen unterschiedlicher Provenienz, nämlich zwischen theurgischem Neuplatonismus und indischem Tantrismus429 (vor allem in der Spielart des nicht-dualistischen Śivaismus von Kaschmir, mit Fokus auf dessen prominentesten Vertreter: Abhinavagupta).430 Ernsthafte Versuche in diese Richtung sind noch immer eher rar.  Wallis 1972, 107. Vgl. auch Obryk 2016, die auf ähnliche Parallelentwicklungen hinweist und die Theurgie mit dem indischen Bhakti-Weg engführt.  Als Arbeitsdefinition von „Tantrismus“ mag folgende Definition dienen (White 2000, 9): „Tantra is that Asian body of beliefs and practices which, working from the principle that the universe we experience is nothing other than the concrete manifestation of the divine energy of the godhead that creates and maintains that universe, seeks to ritually appropriate and channel that energy, within the human microcosm, in creative and emancipatory ways.“  Der Terminus Śivaismus ist als solcher doppeldeutig, da er sowohl auf – aus brahmanischer Sicht orthodoxe – Anhänger des Gottes Śiva, als auch auf eine Traditionslinie, die sich – gegen die Autorität der Veden – auf Offenbarungstexte Śivas stützt, bezogen sein kann. Der kaschmirische Śivaismus ist letzterer Gruppe zuzurechnen und in erster Linie unter Bezug auf die von ihm als autoritativ anerkannten Texte sinnvoll zu definieren. Diese Texte wären gemäß der vedischen Tradition weder dem Śruti- noch dem Smṛti-Kanon zuzurechnen; als Tantras oder Āgamas bezeichnet, werden sie von ihren Anhängern als Offenbarungen Śivas betrachtet und nehmen einen höheren Stellenwert ein als die Veden. Nun gibt es innerhalb des kaschmirischen Śivaismus verschiedene Schulen, die sich sowohl hinsichtlich ihrer Ritualpraktiken als auch ihrer philosophischen Positionen unterscheiden. Eine dieser Schulen bildet der sogenannte nicht-dualistische Śivaismus von Kaschmir, eine ungefähr vom 9. bis 13 Jh. blühende – und im 20. Jh. von Swami Lakshman Joo erneuerte – philosophisch-religiöse Geistestradition. Diese Strömung – auch als Trika-Schule bezeichnet, weil sie das Wesen der Gesamtwirklichkeit auf verschiedenen Ebenen als triadisch strukturiert vorstellt – vereinigt philosophische Spekulation und rituelle bzw. spirituelle Praktiken; sie stellt in philosophischer Hinsicht zweifellos eine der elaboriertesten tantrischen Schulen dar, die sich zumal an einer umfassenden Synthese verschiedener indischer Traditionsbestände versuchte. Zurückgehend auf Vasugupta (8./9. Jh.), gelten als ihre prominentesten Vertreter Somānanda https://doi.org/10.1515/9783111248042-004

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4 Komparative Perspektiven

4.1.1 Bisherige Ansätze Die bisher vorliegenden komparativen Studien zu Neuplatonismus und indischer Philosophie bzw. Spiritualität sind zumeist durch eine zweifache Verengung des Blickfeldes gekennzeichnet: Auf Seiten des Neuplatonismus lag der Blick in derartigen Studien fast ausschließlich auf Plotin; auf Seiten der indischen Tradition vorrangig auf dem Vedānta (und d. h. in den allermeisten Fällen: auf dessen berühmtestem Vertreter Śaṅkarācārya). Dies gilt für die einschlägigen Monographien431 nicht weniger als für die entsprechenden Sammelbände.432 Ein wirklicher Vergleich zwischen Neuplatonismus und Tantrismus – sieht man von sehr vereinzelten und eher allgemeinen Hinweisen ab433 – wurde bislang m. W. erst von drei Autoren angestoßen

(9. Jh.), Utpaladeva (10. Jh.), Abhinavagupta (10./11. Jh.) und Kṣemarāja (10./11. Jh.). Als das zentrale Werk der Trika-Schule kann Abhinavaguptas Tantrāloka, eine umfangreiche summa tantrischen Wissens, gelten. Als nicht-dualistisch wird diese Schule bezeichnet, um sie von dualistischen Spielarten des Śivaismus – z. B. der stärker ritualistisch geprägten Śaiva-Siddhānta-Schule – abzugrenzen. Zur historischen und doktrinalen Verortung des nicht-dualistischen Śivaismus von Kaschmir vgl. Sanderson 1988, 692 ff. Eine gute Darstellung seiner Grundlehren bietet Dyczkowski 1987.  Hier wären zu nennen Staal 1961 und Garcia Bazán 1982, die beide auf den Vergleich zwischen Plotin und Śaṅkara fixiert bleiben. Eine Ausnahme bildet ein Aufsatz von Bréhier 1955, der Śaṅkaras Manifestationslehre mit jener von Proklos vergleicht.  Diesbezüglich relevant sind die Sammelbände Neoplatonism and Indian Thought (1982) und Neoplatonism and Indian Philosophy (2002), beide das Produkt von entsprechenden Tagungen. In seinem Beitrag zu zweiterem Band bemerkt Blumenthal (2002, 128 f.) im Hinblick auf den ersten Sammelband, „that almost all the discussion that there has been has centred on Plotinus, and that it would be interesting to see whether the differences between his philosophy and that of later Neoplatonists might also be found in those Indian thinkers who have ideas in common with, but not ancestral to or drawn from, later Greek Neoplatonism. A look at the index of Neoplatonism and Indian Thought shows over five times as many references to Plotinus as to Porphyry or Proclus [...]. Iamblichus, Damascius and the Aristotelian commentators are conspicuous only by their almost complete absence.“ Dieser Beobachtung kann man nur zustimmen. Umso verwunderlicher ist freilich, dass trotz dieses offensichtlichen Mangels auch auf der zweiten Tagung dieser Fokus beibehalten, wenn nicht sogar noch verstärkt wurde. Von den insgesamt 17 Beiträgen des zweiten Sammelbands tragen allein 10 (!) Plotin im Titel, in keinem Titel taucht der Name irgendeines anderen neuplatonischen Philosophen auf. Bei jenen Beiträgen, die sich inhaltlich etwas ausführlicher mit den nachplotinischen Neuplatonikern befassen (namentlich die Beiträge von Blumenthal und Berchman), handelt es sich wohlgemerkt gerade nicht um komparative Studien, sondern um solche, die interne Entwicklungen des spätantiken Platonismus diskutieren. Dabei wären die Ausführungen Berchmans über „Rationalität und Ritual im Neuplatonismus“ von einigem Interesse für einen Vergleich mit eher ritualistisch geprägten Strömungen der indischen Spiritualität (wie z. B. dem Tantrismus).  Vgl. z. B. Bussanich 2002, 52. Ferner die eher verstreuten und unsystematischen (zumal teils recht assoziativen) Hinweise auf Parallelen zwischen altägyptischen, neuplatonischen und tantrischen rituellen Praktiken bei Uždavinys 2014, bes. 123–125, 163–166, 183–185.

4.1 Theurgie und Tantra

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(wobei auch in manchen dieser Studien als neuplatonischer Referenzautor Plotin gewählt wurde): (1) So findet sich in Thomas McEvilleys großangelegter Studie The Shape of Ancient Thought: Comparative Studies in Greek and Indian Philosophies (2002) neben einem Kapitel zu „Neoplatonism and Upanishadic-Vedantic Tradition“ auch ein mit „Neoplatonism and Tantra“ betiteltes Kapitel. McEvilleys Studie zielt im Gesamten darauf ab, nicht nur sachliche Parallelen zwischen diversen griechischen und indischen Denkern bzw. philosophischen Strömungen herauszustellen, sondern diese Parallelen letztlich auf wechselseitige historische Beeinflussungen zurückzuführen. Während vor allem letztere These – d. h. die Postulierung historischer Einflüsse – eine Vielzahl heutiger Forscher von vornherein abschrecken wird, lässt sich McEvilleys Buch indes auch dann mit Gewinn lesen, wenn man seinen historischen Thesen nicht folgt und sich rein auf die sachlichen Parallelen beschränkt. Ja, in dem für uns hier besonders relevanten Kapitel 24 („Neoplatonism and Tantra“) relativiert McEvilley mit Blick auf das geistige Gepräge der Spätantike ausdrücklich die Wichtigkeit historischer Beeinflussung: „But it is not necessary to posit influence. It is possible that there were such deep inherent linkages between Greek and Indian thought from an early date that the two traditions went on producing like forms to the end of antiquity.“434 Freilich wird man bemerken, dass diese Relativierung McEvilleys nur auf Basis eines umso stärkeren Festhaltens am Postulat eines seit ältesten Zeiten bestehenden Kulturaustauschs zwischen Griechenland und Indien geleistet wird, etwa im Sinne: Gerade weil seit ältesten Zeiten ein gemeinsamer geistiger Grund der griechischen und indischen Traditionen vorausgesetzt werden müsse, fanden je ähnliche Entwicklungen statt, die dann in der Folge nicht mehr auf wechselseitige Beeinflussung angewiesen waren. Wie auch immer man hierzu stehen mag, dass doktrinale Parallelen zwischen Neuplatonismus und Tantra bestehen, ist unzweifelhaft. McEvilley stellt folgende Aspekte ins Zentrum: Beide Traditionen zielten auf eine Gesamtsynthese der ihnen bekannten philosophischreligiösen Überlieferungsbestände ab; sie entwickelten hierfür eine vergleichbare Metaphysik und Kosmologie; im Hinblick auf die spirituelle Praxis bedienten sie sich ähnlicher Mittel (Mantras, Yantras, Götterbilder, Visualisierungen435); in beiden Traditionen finden wir eine Verehrung des Weiblichen (Śakti, Kālī etc. vs. He-

 McEvilley 2002, 592.  So vergleicht McEvilley (588–590) die von Plotin (V 8, 9) geschilderte Visualisierungspraxis mit tantrischen Praktiken. Übrigens erachten Shaw 1999b und Addey 2014, 201–205, die plotinischen Visualisierungspraktiken als eine Art „innere Rituale“, die unter dem Konzept „Theurgie“ zu subsumieren seien. Dazu auch Mazur 2004, bes. 44–52.

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4 Komparative Perspektiven

kate, Göttermutter etc.); in soteriologischer Hinsicht sei das Ziel jeweils der Ausbruch aus dem Transmigrationskreislauf (εἱμαρμένη, karma). (2) Zweitens findet sich in Ernst Fürlingers Buch Verstehen durch Berühren: Interreligiöse Hermeneutik am Beispiel des nichtdualistischen Śivaismus von Kaschmir (2006) der Versuch eines Vergleiches zwischen der Transzendenzerfahrung im kaschmirischen Śivaismus und bei Plotin.436 Es gelingt Fürlinger, ausgehend vom Konzept des „Berührens“ (sparśa bzw. ἐπαφή, θίξις, ἁφή) die jeweiligen Parallelen im Aufstiegsweg zum höchsten Prinzip herauszuarbeiten. Fürlingers Buch ist auch sonst reich an wertvollen Betrachtungen, die keineswegs nur im Hinblick auf die śivaitische Tradition relevant sind. So zeigt er im Kapitel „‚Körper‘ im nichtdualistischen Śivaismus von Kaschmir“, dass die vormoderne Erfahrung des „Körpers“ keineswegs mit jenem grobstofflichen Leib zusammenfällt, in welchem unsere heutige Körpererfahrung in aller Regel aufgeht. Vielmehr zeugen die Texte von einer mannigfaltigen und gestuften Sicht auf den Körper, die auch verschiedene subtilere Ebenen umfasst, wobei die „jeweiligen ‚Körper‘ [...] als Vergröberungen, Verdichtungen, Kontraktionen der höchsten lichthaften Natur (‚Śiva‘, ‚Bhairava‘) betrachtet“ würden.437 Ferner wird in einem Exkurs über „Die ‚geistlichen Sinne‘“ besagte Tiefendimension des Leibes ausdrücklich mit einer bestimmten Form der übersinnlichen Wahrnehmung enggeführt, wobei Fürlinger auf folgendes Grundproblem aufmerksam macht, vor das auch die neuplatonischen Texte uns stellen: „Das hermeneutische Problem für uns besteht darin, dass die moderne Anthropologie diese Vermögen nicht mehr kennt, so dass die grundlegenden Voraussetzungen verloren gehen, entsprechende Aussagen aus einer Epoche vor dieser Bruchlinie des neuen Menschenbildes zu verstehen.“438 Nun könne aber, wie Fürlinger unterstreicht, die Bedeutung von zumindest in Teilen heute noch lebendigen Traditionen Asiens gerade darin bestehen, sich gewisser vergessener Potentiale des Menschen zu erinnern. Hermeneutisch betrachtet könne es sich als fruchtbar erweisen, wenn der Zugang zum vergessenen „Eigenen“, d. h. gewisser Grundbestände der abendländischen Tradition wie z. B. dem Neuplatonismus, über das (vermeintlich) „Fremde“, d. h. beispielsweise morgenländische Überlieferungen, vermittelt erfolge. Fürlinger schreibt: Die Bedeutung von spirituellen Traditionen wie des tibetischen Buddhismus oder des kaschmirischen Śivaismus, deren Transmissionslinien noch intakt sind und in denen ein praktisches Wissen von dieser Tiefendimension des Menschen über die Jahrtausende überliefert wurde, liegt nicht zuletzt darin, dass sie uns bei diesem hermeneutischen Brückenschlag unterstützen können. Sie geben uns nicht nur einen Schlüssel für das Verstehen der eigenen

 Vgl. Fürlinger 2006, 164–225.  Fürlinger 2006, 364.  Fürlinger 2006, 259.

4.1 Theurgie und Tantra

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philosophischen und religiösen Traditionen in die Hand, sondern weisen uns in einer Epoche eines geschrumpften Menschenbildes darauf hin, was der Mensch ist und was die Möglichkeiten des Menschen sind.439

Die Frage, inwieweit sich dies auch in einer Wiederaneignung des theurgischen Neuplatonismus bewähren könnte ist nicht Gegenstand von Fürlingers Studie; der Sache nach drängt sie sich auf. (3) Schließlich ist ein Aufsatz Gregory Shaws zu nennen, der 2017 unter dem Titel „Platonic Tantra: Theurgists of Late Antiquity“ erschienen ist.440 Hatte bereits McEvilley Advaita-Vedānta und Tantra zwei verschiedenen metaphysischen Grundtendenzen zugeordnet, nämlich der klaren Akzentuierung des Unterschieds zwischen Absolutem und Relativem (bei gleichzeitiger Abwertung des Relativen) einerseits, einer hierarchisch feingegliederten Kosmologie, welche die Kontinuität zwischen allen Wirklichkeitsebenen betont, andererseits, so greift Shaw diese Unterscheidung auf und macht sowohl in der platonischen als auch in der indischen Tradition zwei Grundtypen von Spiritualität aus: Das Verhältnis von Plotin zum nachplotinischen (theurgischen) Platonismus entspreche hiernach strukturell jenem von Advaita-Vedānta (im Sinne Śaṅkaras) und Tantra (im Sinne des nicht-dualistischen Śivaismus eines Abhinavagupta). Ziel Shaws ist die Herausstellung verschiedener struktureller Analogien. An einige seiner Ansätze, nicht zuletzt an diese Gegenüberstellung zweier Grundtypen von Spiritualität, werden wir weiter unten anzuknüpfen suchen. Neben diesen Ansätzen sind noch weitere aus dem Umfeld komparativer Studien zum Tantra zu nennen. So ist in den letzten Jahren immer stärker das Verhältnis von Christentum und kaschmirischem Śivaismus ins Blickfeld gerückt441 – Traditionen, die lange Zeit nur als antagonistische wahrgenommen wurden. Auch dabei kommen Problemstellungen zur Sprache, die im hier verfolgten Kontext relevant sind. So hat B. Bäumer in der Einführung zu ihren deutschen Abhinavagupta-Übersetzungen auf gewisse Parallelen zur christlichen Mystik hingewiesen und dies vor allem an folgenden Aspekten festgemacht:442

 Fürlinger 2006, 259.  Bereits in Shaws Dissertationsschrift zu Iamblichos finden sich übrigens zwei Fußnoten, in denen die Potentiale eines Vergleichs zwischen Theurgie und Tantra zumindest erwähnt werden (vgl. Shaw 2014, 227 Fn. 14 sowie 249 Fn. 12). In diesen Fußnoten ist der Keim zu Shaws 2017 erschienenem Text zu erblicken.  Vor allem B. Bäumer und J. Dupuche haben sich um den Dialog zwischen diesen Traditionen verdient gemacht. Vgl. z. B. Dupuche 2009; ferner die Beiträge in Enlightenment & Tantra: Hindus and Christians in Dialogue (2018).  Vgl. Bäumer 1992, 46–50.

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4 Komparative Perspektiven

Metaphysischer Rahmen: Beide Traditionen gehen von einer trinitarischen Struktur des Göttlichen und der Gesamtwirklichkeit aus – formuliert in der sogenannten Trika-Lehre443 des kaschmirischen Śivaismus sowie in der christlichen Trinitätslehre – bei gleichzeitiger Betonung der Verwurzelung der Gesamtwirklichkeit in einem überseienden, nicht-dualen Grund. Betonung der Gnade in der spirituellen Erfahrung: Weder im kaschmirischen Śivaismus noch in der christlichen Mystik lässt sich die Gotteserfahrung erzwingen; beide Traditionen verfügen über ein exponiertes Konzept der Gnade. Die menschliche Rolle beschränkt sich auf die vorbereitenden Stufen. Bedeutung des Leibes: Beide Traditionen zielen auf eine Transformation bzw. Vergöttlichung des Leibes und kennen verschiedene (einschließlich subtiler) Stufen der Leiblichkeit. Lichtmetaphysik: Beide Traditionen verfügen über eine ausgefeilte Lichtmetaphysik, derzufolge sich die Gesamtwirklichkeit als graduelle Entfaltung göttlichen Lichts verstehen lässt.

Man könnte diese Liste ohne Mühe verlängern;444 doch wird man bereits hier bemerken, dass alle genannten Aspekte auch im theurgischen Neuplatonismus eine zentrale Rolle einnehmen, ja ein Vergleich mit diesem vielleicht noch naheliegender ist als mit der christlichen Mystik; naheliegender deshalb, weil die hermeneutische Grundsituation der spätantiken Neuplatoniker derjenigen eines Abhinavagupta m. E. noch näher steht als jene der christlichen Autoren. Zu diesen strukturellen Parallelen in besagter hermeneutischer Grundsituation seien nochmals einige Worte gesagt.

4.1.2 Hermeneutische Grundsituation von Neuplatonismus und kaschmirischem Śivaismus Sowohl die theurgischen Neuplatoniker als auch die kaschmirischen Śivaiten standen in einer lebendigen Tradition, deren Denken sich – von ganz ähnlichen Prämis-

 Der kaschmirische Śivaismus kennt diverse Dreiheitsstrukturen wie Śiva – Śakti – Nara („Mensch“ bzw. manifestierte Welt), parā – parāparā – aparā, abhedha – bhedābheda – bhedha, etc., und Abhinavagupta schreibt: „Alles ist von dreifacher Gestalt (sarvaṃ trikarūpam eva)“ (Parātrīśikāvivaraṇa, zit. bei Bäumer 1992, 45). Entsprechend bemerkt Van den Berg 2003, 196: „Good Neoplatonists see triads everywhere“. Im Hinblick auf Proklos vgl. Siorvanes 1996, 105–110; Rosán ²2009, 97 f. Die alles durchziehende Dreiheit μονή – πρόοδος – ἐπιστροφή ist es, die den dynamischen Charakter der Gesamtwirklichkeit verbürgt.  Vgl. z. B. Bäumer 2003a, 161–180, wo das Thema des Dialogs zwischen Christentum und kaschmirischem Śivaismus anhand verschiedener Topoi erneut aufgegriffen wird.

4.1 Theurgie und Tantra

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sen ausgehend – im Rahmen einer „traditionellen Metaphysik“, und d. h. im Spannungsfeld von philosophischem Diskurs ihrer Zeit, der Exegese von als autoritativ anerkannten Texten sowie eigenen spirituellen bzw. religiösen Erfahrungen bewegte.445 Dabei verbanden sie ein Höchstmaß an philosophisch-spekulativer sowie exegetischer Kraft mit einer religiös-rituellen Praxis, integrierten Elemente der traditionell-polytheistischen Religiosität nicht nur in ihre Lebenspraxis, sondern auch in ihre theoretische Begründung eines Wirklichkeitsverständnisses,446 das alles Manifestierte in einem nicht-dualen, höchsten Prinzip gründen lässt, welches in der Folge eine Reihe von göttlichen Hierarchien mit entsprechenden Vermittlerwesen generiert und sich bis zur materiellen Welt hin entäußert.447 In beiden Fälle könnte man mithin von einem henologisch fundierten Polytheismus sprechen.

 Man wird bemerken, dass die genannten drei Aktivitäten (rationales Denken/Argumentieren, Exegese, spirituelle Praxis) – explizit oder implizit – mit bestimmten Erkenntnisfunktionen korrespondieren. Man kann sie ohne weiteres mit drei im philosophischen Denken Indiens folgendermaßen klassifizierten Erkenntnismitteln (pramāṇas) zusammenbringen: Schlussfolgerung (anumāṇa), autoritatives Zeugnis (āgama) und geistige (Selbst-)Wahrnehmung (svasaṃvedana). Vgl. Muller-Ortega 2004, 50, für den Abhinavaguptas Werke „represent a highly intellectualized mysticism, in which we find a complex admixture of the three different pramāṇas at work and in support of one other: philosophical logic at work buttressing the revelations of scripture and both of these illuminating the direct, experiential realizations derived from mystical praxis“ (51) – man könnte genau dasselbe von den Neuplatonikern behaupten, ist zumal vor ein und dieselben Paradoxa gestellt. Vor allem zeigt sich in beiden Fällen, dass das apologetische Ansinnen, einen bestimmten Schriftkorpus als autoritativ zu bestätigen bzw. ihm einen Primat vor anderen Erkenntnismitteln zuzusprechen, unter Umständen ein hohes Maß an kreativem und rational argumentierendem Denken freisetzen kann, das gerade in seiner Intention, den Wahrheitsgehalt und die Kohärenz gewisser Texte zu zeigen, gezwungen ist, (teils weit) über die Texte hinauszugehen. Vgl. dazu Ratié 2017, die das Problem von Vernunft und Offenbarung in der indischen Tradition diskutiert und zeigt, dass nicht zuletzt Positionen, die sich expressis verbis als bloße Exegese autoritativer Texte verstehen, in ihrer faktischen Verfahrensweise dazu neigen, das autoritative Verhältnis zwischen rationalem Vernunftgebrauch/Exegese und Tradition gleichsam umzukehren. Diese Beobachtung besitzt auch mit Blick auf den Umgang der Neuplatoniker mit ihren Quellen (z. B. Platon, Aristoteles, Chaldäische Orakel) uneingeschränkt Gültigkeit. Vgl. auch Hadot 1998, 27–58.  Diese Parallele wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass die altarische Religion der Veden ein ähnliches Götter- und Wirklichkeitsverständnis vertrat wie jene der Griechen zur Zeit Homers und in beiden Fällen die archaische Mythologie von bestimmten Schulen in umfassendere metaphysische Entwürfe nicht-dualistischer Prägung zu integrieren versucht wurde (vgl. Zimmer 1961, 300 ff.).  Es sei nicht verschwiegen, dass die Parallelen nicht in jeder Hinsicht zutreffen. Zwar ließe sich auch die feingliedrige Metaphysik und Kosmologie der Śivaiten von Kaschmir – sie unterscheiden eine hierarchisch gestufte Reihe von 36 Wirklichkeitskonstituenten, die sogenannten tattvas, die absteigend vom höchsten Prinzip (Śiva) über Śakti etc., die begrenzenden Kräfte (kañcukas), die inneren und äußeren Organe bis hin zu den fünf Elementen reichen (vgl. Chatterji 1914, Teil I;

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4 Komparative Perspektiven

Was die literarische Produktion der genannten Autoren anlangt, so umfasste sie jeweils sehr ähnliche Textgattungen: exegetische Werke (im Falle der Neuplatoniker: zu Platon, Aristoteles oder den Chaldäischen Orakeln; im Falle Abhinavaguptas: zu autoritativen religiösen Werken oder Werken seiner Vorgänger448),

Pandey ²1963, 353–381; Swami Lakshmanjoo 2003, Kap. 1; Hofstätter 2017, 103–115; Kaul 2018) – unter die Formel der „Kunst des kleinsten Übergangs“ (W. Beierwaltes) bringen; doch entspricht das Absolute der Śivaiten eher dem neuplatonischen νοῦς als dem Einen, insofern es als in sich dynamisch bewegt vorgestellt wird (ohne deshalb freilich in eine zeitliche Sukzession begriffen zu sein, vgl. TĀ IV 179 f.); es trägt auch stärker personale Züge (als Śiva bzw. eine seiner Formen), ein Hang zur negativen Theologie ist kaum ausgeprägt. Der Manifestationsprozess wird als die spontane Entfaltung im Sinne einer (ontologisch, nicht zeitlich) sukzessiven Selbstbeschränkung des Absoluten verstanden, die aus der ihm innewohnenden schöpferischen Freiheit (svātantrya) folgt, welche ihm erlaubt, in allen Formen zu erscheinen (vgl. TĀ XV 265–268; zur Freiheit als Wesen des Absoluten vgl. TĀ XXVI 60 f.). Das Absolute ist zugleich transzendent (viśvottīrṇa, taduttīrṇa) wie immanent (viśvamaya, viśvatmaka, viśvātmā) (vgl. Muller-Ortega 1989, 82, 95 f.). Denn die Kraft Śivas besteht in dessen kontinuierlicher Expansion und Kontraktion, wobei er einerseits in die Manifestation eingeht, andererseits ihr zugleich transzendent bleibt (vgl. TĀ V 123). Zur Beschreibung dieses Vorgangs bedient sich Abhinavagupta verschiedener Begriffspaare: saṃkoca-vikāsa (Expansion-Kontraktion), unmeṣa-nimeṣa (Öffnen-Schließen), pravṛtti-nivṛtti (Hervorgang-Rückgang/ Manifestation-Absorption), etc. (vgl. Muller-Ortega 1989, 120, 125). Einige Elemente der Metaphysik des nicht-dualistischen Śivaismus stimmen eher mit Plotin als mit dessen Nachfolgern überein (weshalb auch hier sinnvolle komparative Perspektiven sich eröffnen, vgl. das genannte Buch von Fürlinger): Beispielsweise hält Abhinavagupta an der letzthinnigen Identität von Seele (bzw. Selbst) und höchstem Prinzip (Śiva) fest. Im Grunde seines Wesens ist der Mensch – wie die gesamte manifestierte Welt – mit Śiva identisch; doch bleibt er in seinem individuierten Zustand dieser Identität zumeist uneingedenk (dies korrespondiert mit Plotins Auffassung vom nicht-abgestiegenen Seelenteil, dessen sich der Mensch zumeist nicht bewusst ist). Die „Erlösung“ (mokṣa) ist im Grunde „nichts anderes als die Offenbarung unserer eigenen Natur“ (TĀ I 156; EÜ). Vgl. Vijñāna Bhairava § 109 (Übers. Bäumer): „Der Höchste Herr ist allwissend, allwirkend und allgegenwärtig. ‚Da ich die Eigenschaften Śivas (des Gütigen) habe, bin ich Er.‘ Wenn man eine so feste Überzeugung gewinnt, wird man zu Śiva.“ Was dieses Endziel der spirituellen Verwirklichung betrifft – die „Erlösung“ aus dem vom karmischen Gesetz bestimmten Transmigrationszyklus –, sind die kaschmirischen Śivaiten näher an Porphyrios: denn sie erachten den Ausbruch aus dem Transmigrationszyklus als möglich, während Iamblichos – wie in Kap. 3.1.2.2 erörtert – diesen Gedanken ablehnt und die Notwendigkeit der Wiederverkörperung auch reiner Seelen postuliert (vgl. De an. § 29, sowie dazu: Finamore/Dillon 2002, 17 f.).  Vgl. Schriften wie Īśvarapratyabhijñā-vimarśini (Kommentar zu den Versen der Wiedererkennung des Herrn) und Īśvarapratyabhijñā-vivṛti-vimarśini (Kommentar zur Erläuterung des Īśvarapratyabhijñā); ferner Abhinavaguptas ästhetisches Hauptwerk Abhinavabhāratī, ein Kommentar zum Nāṭya Śāstra des Weisen Bharata Muni.

4.1 Theurgie und Tantra

203

Hymnen an verschiedene Gottheiten,449 eigenständige – teils großangelegte – religiös-ritualistische Werke450 sowie kürzere Kompendien.451 In geschichtsphilosophischer Hinsicht teilten die spätantiken Neuplatoniker mit Abhinavagupta zudem eine stark synthetische bzw. inklusivistische Neigung, der es darum zu tun war, die Gesamtheit und Fülle der je eigenen spirituellen Überlieferungen – im Falle der Neuplatoniker: der verschiedenen griechischen Philosophenschulen sowie die klassisch-griechische Götterlehre; im Falle Abhinavaguptas: die verschiedenen śivaitischen Schulen im engeren Sinne, die klassischen darśanas der indischen Philosophie sowie die Vielfalt religiöser Überlieferungen des Hinduismus im weiteren Sinne – in einen als perennialistisch zu bezeichnenden Rahmen zu integrieren.452 Nicht zuletzt war die philosophische Praxis im Falle der Neuplatoniker wie der Śivaiten eingegliedert in einen lebendigen Schulkontext, d. h. in eine Gemeinschaft, die eine gemeinsame Lebensform teilte und letztlich ein soteriologisches Ziel verfolgte.453 Die Bedingungen für eine sinnvolle Komparatistik sind also in jedem Falle gegeben. Die Betonung dieser das jeweilige Gesamtgefüge ihres Denkens betreffenden (zunächst formalen) Strukturanalogien will andererseits freilich nicht sagen, dass es zwischen theurgischem Neuplatonismus und kaschmirischem Śivaismus nicht auch merkliche Differenzen (in Metaphysik, Kosmologie, Anthropologie etc.) gebe. Allein soll es im Folgenden weniger um sie gehen als um die Aufzeigung einiger Punkte, die m. E. eines näheren Vergleichs würdig wären. Als

 Vgl. die bei Silburn 1970 sowie bei Bäumer 1992, 143–221, übersetzten Hymnen Abhinavaguptas.  Beispielhaft hierfür: Abhinavaguptas Tantrāloka, eine große Synthese des Trika-Systems.  Beispielhaft hierfür: Abhinavaguptas Tantrasāra, eine Art komprimierter Fassung des Tantrāloka.  Vgl. Alper 1979, 347: „the Saivism of Kaśmir developed a rich and suggestive syncretism: not the fusing of discrete historical traditions, but the fusing of sorts (or structures) of religious life which are often met separately. Here mythic, devotional, and meditative forms of Hinduism flowed together, interacting with various Hindu and Buddhist philosophies, and (not just in the work of Abhinava) aesthetic speculation.“  Der Begriff der „Textgemeinschaft“, wie er von Brian Stock geprägt und von Baltzly 2014 auf den Neuplatonismus angewandt wurde, scheint uns auch im Hinblick auf den kaschmirischen Śivaismus anwendbar zu sein. Auch dieser positioniert sich (1) in gewissem Sinne gegen den religiösen Mainstream auf Basis spezifischer als autoritativ erachteter Texte (namentlich der Tantras bzw. Āgamas), die für sein Selbstverständnis konstitutiv sind; er ist (2) um einen spirituellen Meister gruppiert und strebt (3) einen Erlösungsweg an, der durch rechtes Verständnis der entsprechenden Texte bzw. Anwendung ihrer Lehren verbürgt wird. Das von Baltzly angeführte Haupttelos der neuplatonischen „Textgemeinschaft“, die „Angleichung an den Gott“ (ὁμοίωσις θεῷ), ist bei den Śivaiten sogar bis zur Realisierung der Wesensidentität mit Śiva gesteigert.

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4 Komparative Perspektiven

Hauptreferenzpunkte dienen auf Seiten der Neuplatoniker Iamblichos, auf Seiten des kaschmirischem Śivaismus Abhinavagupta.454

4.1.3 Geschichtstheologie und Perennialismus Dass die Tantras sich als Texte für das Kali Yuga, das Endzeitalter, verstehen, wurde vielfach betont.455 Die in die tantrischen Texte eingegangene Offenbarung Śivas sei demnach speziell auf die ungünstigen Rahmenbedingungen einer Verfallszeit zugeschnitten, in welcher die vedischen Praktiken kaum mehr vollziehbar seien. Das heißt andererseits nicht, dass den Lehren und Praktiken der Tantras nicht ein hohes Alter zugesprochen wurde. Kap. XXXVI des Tantrāloka berichtet von der – von Śiva ausgehenden und über verschiedene Vermittlungsstufen sich vollziehenden – Offenbarung der Tantras in ferner Vergangenheit. Dieses Wissen sei jedoch im Laufe der Zeiten verloren gegangen, weshalb Śrīkaṇṭha (d. i. ein Name Śivas) es im Kali Yuga erneut wiederbelebt und auf drei Strömungen verteilt habe: eine dualistische, eine monistisch-dualistische sowie eine monistische. Das Tantrāloka wird dabei von Abhinavagupta selbst als die „Essenz“ (rasa) dieser drei Strömungen angepriesen (TĀ XXXVI 15). Der genannten Dreiteilung entspricht jene in zehn, achtzehn und vierundsechzig Schriften,

 Vergleicht man Abhinavaguptas Tantrāloka formal mit einer Schrift wie De mysteriis, so lassen sich manche der Unterschiede durch den jeweiligen Skopos und Adressatenkreis erklären. Während De mysteriis bekanntlich als Antwort auf eine Reihe von Fragen des Porphyrios konzipiert ist, erwähnt Abhinavagupta, von Schülern zur Abfassung des Tantrāloka angeregt worden zu sein (vgl. TĀ I 15; XXXVII 64). Das Werk richtet sich mithin zuvörderst an praktizierende Śivaiten aus Abhinavaguptas eigener Traditionslinie, d. h. an eine gläubige Schülerschaft, bei der eine gewisse Vertrautheit mit der Materie und ein Grundvertrauen in die eigene Lehre vorausgesetzt werden kann. Iamblichos’ Schrift, die Einwände eines Zweiflers zu entkräften sucht, zeichnet sich schon daher durch ein weit höheres Selbstrechtfertigungsbedürfnis aus als jene Abhinavaguptas. In De mysteriis bleibt vieles ungesagt bzw. wird – in der methodischen Metareflexion zu Anfang der Schrift – überhaupt der Sagbarkeit, oder genauer: rationalen Vermittelbarkeit, entzogen (vgl. De myst. I 2, 6,6–7,3). Keinesfalls wollte Iamblichos ein praktisches Handbuch für Rituale schreiben, vielmehr eine allgemeine theoretische Rechtfertigung derselben liefern. Was beide Werke eint, ist ihr apologetischer Charakter, d. h. die Darstellung und Verteidigung der eigenen Lehren und Praktiken als die im Hinblick auf spirituelle Verwirklichung zielführendsten.  Vgl. Woodroffe 71991, 26 u. 34 f.: „According to orthodox views, the Tantra will continue in force until the close of the Kaliyuga, when the golden age (Satya yuga) will reappear, governed by its appropriate Śāstra.“ „The word Tantra has various meanings [...]. In the sense, however, in which the term is most widely known and is here used, it denotes that body of religious scripture (Śāstra) which is stated to have been revealed by Śiva as the specific scripture of the fourth or present Kali age (yuga).“ Vgl. auch Zimmer 1961, 506 f.

4.1 Theurgie und Tantra

205

die als Śaiva-Kanons den jeweiligen Strömungen zuzurechnen sind.456 Ohne hier auf die (nicht immer leicht nachvollziehbaren) Einzelheiten der Genese der verschiedenen Wissensströme eingehen zu können, läuft der Grundgedanke doch auf folgendes hinaus: Die uns heute bekannten Tantras wurden eigens für das Kali Yuga offenbart; trotzdem spricht sich in ihnen ein uraltes Wissen aus, das im Laufe der Zeit verloren gegangen war. Auch für Iamblichos sind im Grunde alle echten „Wissenschaften“ (ἐπιστῆμαι) Geschenke der Götter, die jedoch im Laufe der Zeit degenerierten, insofern ihr göttlicher Gehalt zugunsten des menschlichen sukzessiv abgenommen habe (vgl. De myst. IX 4, 277,11–14). Nach seiner Ansicht wurden die „heiligen Werke der Theurgie vor langer Zeit festgelegt“ (VIII 8, 272,1 f.), und zwar keineswegs als bloßes Produkt „menschlicher Gewohnheiten“ (ἀνθρώπινα ἔθη); vielmehr wurden sie von Gott selbst offenbart (vgl. V 25, 236,1–6). Das Nämliche gelte für die Gebete (vgl. I 15, 48,4–10) und die göttlichen Namen, in deren unveränderter Überlieferung sich „das unerschütterliche Gesetz der Tradition“ (VII 4, 256,11 f.: ἀκίνητον τὸν θεσμὸν τῆς παραδόσεως) bewähre (vgl. auch VII 5, 258,13 ff.).457 Was nun im engeren Sinne die theurgischen Künste anlangt, so bemerkt Kaiser Julian in Contra Galileos (198c–d; EÜ): „Damit wir nicht völlig den Kontakt zu den Göttern verlören, gab unser Herr und Vater Zeus, der Menschenfreund, uns durch die heiligen Künste (διά τῶν ἱερῶν τεχνῶν) ein Muster, wodurch wir hinreichende Hilfe in unserer Not fänden.“ Die mit der Theurgie assoziierten heiligen Künste seien demnach ein Gnadengeschenk des Zeus an die Menschen, in einer Zeit, in der diese ihren Bezug zu den Göttern verloren hätten. Wie auch immer man derartige Aussagen der Sache nach beurteilen mag (und d. h. selbst wenn man sie als bloße Rhetorik nimmt) – es ist nicht zu leugnen, dass das darin sich aussprechende Selbstbild in vieler Hinsicht übereinstimmt. Mit dieser Selbstverortung geht außerdem ein genuin integrativer Zug einher. Im Tantrāloka XXXV beispielsweise vertritt Abhinavagupta ein Integrationsmodell, bei dem er ganz verschiedene Schrift-Kanons letztlich in unterschiedlichen Aspekten Śivas gründen lässt. Damit artikuliert er ein Traditionsverständnis, das die verschiedenen religiösen Schulen des Hinduismus (ja sogar noch Buddhismus

 Vgl. zu all dem: Pandey ²1963, 132–143. Vgl. ferner die Darstellung der Offenbarung und Überlieferung der Tantras bei Swami Lakshmanjoo 2003, Kap. 13.  Auch Porphyrios zufolge wurden die Gebete den Menschen von den Göttern selbst offenbart; gleiches gilt für die genaue Anleitung zur Errichtung göttlicher Statuen (fr. 347 F u. 317 F = Or. Ch. fr. 222 u. 224).

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4 Komparative Perspektiven

und Jainismus) in eine hierarchisch gegliederte Synthese bringt, an deren Spitze die nicht-dualistische śivaitische Lehre stehe.458 Dieses integrativ-perennialistische Traditionsverständnis hatten wir bereits weiter oben (s. Fn. 50) als ein entscheidendes Merkmal des spätantiken Neuplatonismus, vor allem der athenischen Schule, herausgestellt. Es spiegelt sich wider in einer spezifischen exegetischen Verfahrensweise, die – im Falle von Iamblichos – von verschiedenen Interpreten unter dem Begriff νοερὰ θεωρία verhandelt wurde, womit eine zweifache hermeneutische Einheitsfixierung intendiert ist: (1) die Interpretation eines spezifischen Textes im Hinblick auf einen einzigen „Hauptgesichtspunkt“ (σκοπός); (2) die vereinheitlichende Harmonisierung verschiedener philosophischreligiöser Traditionsbestände.459 Es ist zweiterer Aspekt, der in einer anderen Formel des Iamblichos anklingt, nämlich der Interpretation μετ᾽ ἐπιστήμης. Man beachte hier eine Passage aus Iamblichos’ De-anima-Fragmenten, wo dessen integrative Hermeneutik recht klar formuliert wird. Wenn Iamblichos dort nach dem Wesen der Seele fragt und – nach Darstellung verschiedener Positionen – jene anführt, derzufolge die Menschenseele eine von Intellekt wie auch von den κρείττονα γένη klar zu unterscheidende ontologische Entität darstelle, bemerkt er anschließend: It is these doctrines to which Plato himself and Pythagoras, and Aristotle, and all the ancients who have gained great and honorable names for wisdom, are completely committed, as one will find if he investigates their opinions with scientific rigor (μετ᾽ ἐπιστήμης); as for myself, I will try to base this whole treatise, concerned as it is with truth, on these opinions. (De an. § 7, 366,23–26; Übers. Finamore/Dillon)

Die μετ᾽ ἐπιστήμης vorgehende Interpretation, genauer: die mit ihr einhergehende integrative Hermeneutik, die sich unter Absetzung von seinen unmittelbaren Vorgängern (wie Plotin oder Porphyrios) positiv auf „die Alten“ bezieht, wird hier gleichsam zum Programm für Iamblichos’ eigene Vorgehensweise erhoben. Ähnlich verfährt er auch in seinen Darstellungen der ägyptischen Theologie in De myst. VIII 1–3. Er konzediert dort zunächst sowohl den „alten“ als auch den „noch lebenden“ Weisen (σοφοί) eine Pluralität von Auffassungen über das Wesen der Gesamtwirklichkeit. Es wird nicht ganz deutlich, wie weit diese Differenzen für ihn reichen. Man wird zumindest sagen können, dass sie nicht allein auf die sprachliche Ebene – d. h. die Existenz verschiedener Namen oder Termini für ein und dieselben göttlichen Wesenheiten – beschränkt bleiben, sondern zumindest die Darstellungsform und gewisse Details der jeweiligen Doktrinen betreffen. Gleichwohl scheint Iambli-

 Vgl. dazu: Lawrence 2000. Man könnte sein Vorgehen auch als Beispiel für „Inklusivismus“ im Sinne P. Hackers nehmen. Vgl. Hacker 1957; 1983; 1985, 134 f.  Vgl. Opsomer 2018, 1362 f.

4.1 Theurgie und Tantra

207

chos auch hier keineswegs von irreduziblen doktrinalen Differenzen auszugehen, sondern einer grosso modo einheitlichen Metaphysik. Man muss diesbezüglich beachten, dass monistische bzw. nicht-dualistische Lehren grundsätzlich eher zu einer perennialistischen Vision der Geistesgeschichte neigen. Denn lässt sich die Rückkehr zum Einen als praktisches Grundtelos derartiger Lehren festmachen, so macht sich dieser Zug für gewöhnlich auch in hermeneutischer Hinsicht, im Umgang mit den verschiedenen Schriften und Doktrinen, geltend. Im Grunde kann man den integrativen Zugang zur Vielheit der Schriften bzw. Lehren schlicht als Anwendung des Prinzips der metaphysischen Integration der Vielheit in die Einheit auf dem Feld der Schriftexegese verstehen oder, wenn man so will: als hermeneutisches Pendant zum Prozess spiritueller Verwirklichung. Mit Blick auf den kaschmirischen Śivaismus bemerkt P.-E. Muller-Ortega in diesem Sinne: „Abhinavagupta transposes the yogic processes for the digestion and melting of the objective world to the theological and philosophical tasks of digesting and melting the multiplicity of the revealed scriptures into an orderly synthesis of the teaching“.460 Wenn Muller-Ortega dies im von ihm verfolgten Kontext auch in erster Linie auf die Synthetisierung widersprüchlicher Elemente innerhalb des tantrischen Schriftkorpus selbst bezieht, spricht nichts dagegen, es auch auf den Umgang mit anderen Traditionen zu beziehen. Es kommt der neuplatonischen Vorgehensweise recht nahe.

4.1.4 Problem von Dualismus und Leiblichkeit An dieser Stelle sind einige Bemerkungen zum konkreten philosophiegeschichtlichen Hintergrund des śivaitischen Nicht-Dualismus angebracht, denn auch diesbezüglich werden erstaunliche Parallelen zum theurgischen Neuplatonismus augenfällig, vor allem hinsichtlich des Umgangs mit dem Problem des Dualismus und dem Phänomen der Leiblichkeit. M. Dyczkowski hat in seiner Studie The Doctrine of Vibration: An Analysis of the Doctrines and Practices of Kashmir Shaivism (1987) den typologischen Differenzen zwischen Vedānta und Tantrismus in ihrer jeweiligen nichtdualistischen Spielart ein ganzes Kapitel gewidmet, das einen hervorragenden Ausgangspunkt hierfür bietet.461 Gleich Plotin, dessen Denken man als Versuch verstanden hat, das Problem der Teilhabe zu lösen, d. h. einem (realen oder gefühlten)

 Muller-Ortega 2004, 70.  Entsprechend hat auch Shaw 2017 sich auf dieses Werk bezogen.

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4 Komparative Perspektiven

Dualismus (dem χωρισμός zwischen Ideen- und Sinnenwelt) zu begegnen,462 zielt auch der Advaita-Vedānta eigentlich auf Überwindung eines in der indischen Philosophie sehr wirkmächtigen Dualismus, namentlich der Sāṃkhya-Schule, ab.463 Diese verfocht ein Verständnis der Gesamtwirklichkeit, das zwei gleich-ursprüngliche und auseinander unableitbare Prinzipien postulierte, puruṣa (Bewusstsein, Lebensmonade) und prakṛti (Natur, Materie), wobei sich aus letzterem in einem Prozess immer weiterer Differenzierungen die manifestierte Welt entfaltet. Die Sāṃkhya-Schule nahm eine unendliche Anzahl von Lebensmonaden an, die sich in ihrer jeweiligen Verbindung mit der Natur in den Saṃsāra-Kreislauf verstricken. Doch ist diese „Verstrickung“ von puruṣa, aus der sich zu lösen Ziel des spirituellen Wegs darstellt, im Grunde bloß eine scheinbare, insofern die Lebensmonade davon eigentlich unberührt bleibt, d. h. niemals aus ihrer Rolle des unbeteiligten Beobachters heraustritt. Ihr Verhältnis zu prakṛti und die damit verbundene Belebung derselben kann im Sinne der „Durchstrahlung“ mit einem Licht beschrieben werden, wobei die Lichtquelle, d. h. puruṣa, keinerlei Veränderung erleidet. Die Monade ist an nichts gebunden, steht mit nichts in Berührung, ist völlig unbezogen, unbeteiligt und unverstrickt und darum niemals wirklich gefangen, niemals auch wirklich erlöst, sondern in Ewigkeit frei; [...] Das Problem des Menschen besteht nur darin, daß er seine ewig bestehende, immer gegenwärtige eigentliche Freiheit in seinem wirren, unwissenden, abgelenkten Geisteszustand gar nicht erkennt.464

Das menschliche Bewusstsein nimmt mithin ontisch für gewöhnlich nicht wahr, was es ontologisch je schon ist; stellt sich indes dieses Bewusstsein ein, so kommt dies der „Befreiung“ gleich – wobei auch die „befreite“ Lebensmonade als individuelle Wesenheit vorgestellt wird, die sich keinesfalls in einem überindividuellen, höchsten Urgrund auflöst. Der Prinzipiendualismus des Sāṃkhya hat in der indischen Philosophiegeschichte eine große Wirkung entfaltet,465 dabei jedoch auch Gegenreaktionen – wie z. B. den Vedānta – hervorgerufen. Nun lag der im Advaita-Vedānta eingeschlagene Weg zur Überwindung des Prinzipiendualismus darin, eine kategorische Differenz zwischen Absolutem und Relativem, zwischen brahman (dem als solchem nicht-manifesten Prinzip aller Manifestation) und der Gesamtheit der manifestierten Welt (māyā im Sinne von „Schein“ bzw. „Erscheinung“) zu statuie Nicht zuletzt lässt sich Plotins Metaphysik – wie oben ausgeführt – der Intention nach auch als Gegenentwurf zu dualistischen Positionen gewisser Mittelplatoniker auffassen.  Zur Sāṃkhya-Lehre vgl. Zimmer 1961, 255–299; Larson 1979.  Zimmer 1961, 259 f.  Nicht zuletzt zielt der klassische Yoga Patañjalis auf die Trennung des Bewusstseinsprinzips (puruṣa) vom Prinzip der Materie (prakṛti) in all ihren dichten wie feinstofflichen Formen ab und hat sich mithin den Sāṃkhya-Dualismus zueigen gemacht (vgl. Feuerstein 1998, 256).

4.1 Theurgie und Tantra

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ren. Anstelle der unendlichen Vielheit der puruṣas tritt die letzthinnige Einheit brahmans als einzig wahrer Realität, anstelle einer durchaus real vorgestellten prakṛti tritt māyā, die als ontologisch minderwertigeres Derivationsprodukt aus brahman abgeleitet wird. Diese Auffassung ist insofern nicht-dualistisch, als sie die alleinige Realität des transzendenten, ewig-unveränderlichen, nicht-dualen Urgrundes (brahman) postuliert, demgegenüber den veränderlichen Phänomenen keine Wirklichkeit im strengen Sinne eignet. Obgleich die manifestierte Welt als Produkt dieses Urgrundes gedacht wird – und in diesem Sinne, entsprechend der Auffassung der Platoniker, als auf ihrer ontologischen Stufe bestmögliche Welt vorgestellt wird –, bleibt sie im Verhältnis zu diesem Urgrund ontologisch stets radikal depraviert. Entsprechend zielt die spirituelle Verwirklichung darauf ab, die phänomenale Welt als das zu sehen, was sie ist, nämlich als relativ, vergänglich, illusorisch, und der letzthinnigen Identität von Weltgrund und Grund des eigenen Selbst (Identität von brahman und ātman) gewahr zu werden. Der Prozess der Manifestation ist demnach eine (scheinbare) Form der Negation, eine Selbstbeschränkung und Vervielfältigung des Absoluten im Relativen; die Transzendierung des Bedingten ist gewissermaßen Negation dieser Negation, Verwirklichung des allein Positiven, weil Unbedingten. Freilich ist die vedāntische Fassung des Verhältnisses von Absolutem und Relativem in Indien wiederum nicht unkritisiert geblieben und war – gleich Plotin – ihrerseits dem Vorwurf ausgesetzt, einem Dualismus anzuhängen. Ein solcher Einwand wurde beispielsweise seitens der kaschmirischen Śivaiten erhoben.466 Während der Nicht-Dualismus des Vedānta darauf hinausläuft, die manifestierte Vielheit als nur scheinbare auszuweisen, d. h. exklusiv die alleinige Wirklichkeit des höchsten Prinzips zu bekunden, besteht der śivaitische Nicht-Dualismus darin, die Vielheit als formhafte Erscheinung des Absoluten selbst zu fassen, d. h. die phänomenale Welt gleichsam in den Begriff des Absoluten hineinzunehmen. Hiernach führt gerade die Statuierung einer radikalen ontologischen Differenz zwischen Absolutem und Relativem zum Dualismus und untergräbt die wesenhafte Einheit der Gesamtwirklichkeit: The Vedāntin, who maintains that non-duality is the true nature of the absolute by rejecting duality as only provisionally real, is ultimately landed in a dualism between the real and illusory by the foolishness of his own excessive sophistry. [...] The Śaiva method is one of an ever widening inclusion of phenomena mistakenly thought to be outside the absolute. The Vedāntin on the other hand, seeks to understand the nature of the absolute by excluding

 Wie Dyczkowski 1987, 24 f., betont, hatten die kaschmirischen Autoren zwar keine Kenntnis der Advaita-Vedānta-Schriften als solchen, wenden sich jedoch gegen ein Verständnis des Absoluten, das jenem des Advaita-Vedānta der Sache nach entspricht. Als recht ausdrückliche gegen den Advaita-Vedānta gerichtete Kritik kann z. B. gelten: Abhinavagupta, Īśvarapratyabhijñāvimarśini, II 4, 20–21 (= p. 185–188 in Pandeys englischer Übers.); Somānanda, Śivadṛṣṭi, Kap. VI.

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4 Komparative Perspektiven

(niṣedha) every element of experience which does not conform to the criterion of absoluteness, until all that remains is the unqualified Brahman. The Śaiva’s approach is one of affirmation and the Vedāntin’s one of negation. [...] The Vedāntin who distinguishes between duality and unity, saying that the former is false while the latter is true, is under the spell of Māyā – the ignorance he seeks so hard to overcome. All forms of relative distinction, even that between the dual and the nun-dual, are due to Māyā.467

Die Unterscheidung zwischen nicht-dualem höchstem Prinzip und sich in Dualitäten entfaltender Manifestation ist hiernach im Grunde selbst illusorisch. Für die Śivaiten entscheidend bleibt die Koextensivität von Absolutem und Relativen als Polaritäten einer Wirklichkeit.468 Wir sind auf diese Zusammenhänge deshalb eingegangen, weil sie ideengeschichtliche Parallelen im griechischen Kulturraum, namentlich in der Entwicklung vom Mittelplatonismus über Plotin hin zu Iamblichos, aufweisen – und zwar jene, die im Zusammenhang mit der Dualismus- und Leiblichkeits-Problematik bei Plotin in Kap. 3.1.1 angesprochen wurden. Wie Plotin stellt Śaṅkaras Metaphysik in gewissem Sinne eine Reaktion auf das Dualismus-Problem dar. Und wie Plotin verfällt er in seiner Lösung dieses Problems selbst einem dualistischen – weltflüchtig-sinnenfeindlichen – Muster. Wir stehen hier folglich aufs Neue vor dem Paradoxon, dass sich gerade in jenen Derivationsmodellen, die die Gesamtwirklichkeit hierarchisch-absteigend aus einem einzigen (genauer: nicht-dualen) höchsten Prinzip ableiten, ein versteckter Dualismus einschleichen kann. Denn je stärker die letzthinnig alleinige Realität des höchsten Prinzips betont wird, desto  Dyczkowski 1987, 37 f. u. 41. Auch Hacker 1953, 193, bemerkt zum vedāntischen Paradoxon: „Das Bestreben, die absolute Transzendenz und vor allem die Wandellosigkeit des Brahman zu verteidigen, hat also zunächst scheinbar einen Dualismus geschaffen: das geistige Absolutum und sein Produkt, die ungeistige Welt, sind völlig verschieden. Nur der Illusionismus kann hier den traditionell-vedāntischen Monismus retten.“ Zur Kritik der Śivaiten am Sāṃkhya vgl. Vasudeva 2012, 283 f.  Vgl. abermals Dyczkowski 1987, 38: „The world, in other words, represents a level of manifestation within the absolute which in the process of its emanation must, at a certain stage, radically contrast one aspect of its nature with another to appear as the duality and multiplicity of manifestation.“ Etwas anderes drücken sich Woodroffe/Mukhyopadhyaya 1929, 6 f., aus, die den Unterschied zwischen Advaita-Vedānta (= Māyā-vāda) und Tantrismus (= Śakti-vāda) aber ebenfalls an zwei verschiedenen Verständnissen des Verhältnisses von Absolutem und Relativen festmachen: „Both ‚Absolute‘ and ‚transcendental‘ mean ‚beyond relation‘. But the term ‚beyond‘ may be used in two senses: a) exceeding or wider than relation; b) having no relation at all. The first does not deny or exclude relation, but says that the Absolute, though involving all relations within Itself, is not their sum-total; is not exhausted by them; has Being transcending them. The later denies every trace of relation to the Absolute; and says that Absolute must have no intrinsic or extrinsic relation; that relation, therefore, has no place in the Being of the Absolute. Shakti-vāda adopts the first view, Māyā-vāda the second.“ Zum Verhältnis kaschmirischer Śivaismus und Advaita-Vedānta vgl. auch Hedling 2020 sowie die nützliche Bestandsaufnahme bei Dubois 2022.

4.1 Theurgie und Tantra

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krasser muss die (ontologische wie epistemologische) Abwertung der aus ihm entsprungenen Wirklichkeitsebenen, insbesondere der „niedrigsten“ Ebene, sich darstellen. Plotins wie Śaṅkaras Metaphysiken – gemäß ihrem Selbstverständnis Paradebeispiele eines doktrinalen Nicht-Dualismus – bleiben beide wesenhaft ambivalent. Wiederum wird deutlich: Ein metaphysischer Nicht-Dualismus, der die Gesamtheit der Manifestation aus einem guten und schönen Prinzip notwendigerweise sich entfalten lässt und theoretisch die Kontinuität zwischen allen Wirklichkeitsebenen betont, schließt – vor allem in praktischer und rhetorischer Hinsicht – anti-körperliche Affekte keineswegs aus, ja kann zu durchaus negativen Bewertungen der Sinnenwelt kommen. Und tatsächlich betrifft der besagte Hauptunterschied, wie D. Dubois richtig bemerkt, weniger „le statut ontologique des phénomènes, que leur valeur“.469 D. h. zwei formal betrachtet von ähnlichen Prämissen ausgehende Metaphysiken, die strukturell beide von einer hierarchischen Entfaltung der Vielheit aus der Einheit ausgehen, können hinsichtlich der Wertigkeit der Phänomene recht unterschiedliche Wege einschlagen. Im kaschmirischen Śivaismus spiegelt sich diese positive Wertigkeit nicht zuletzt in einem ausgeprägten Sinn für Ästhetik. Man darf daran erinnern, dass Abhinavagupta eine umfassende Ästhetik entwickelt hat – sein Kommentar zum Nāṭyaśāstra gilt als einer der bedeutendsten philosophischen Beiträge zur indischen Ästhetik überhaupt – und mystische Erfahrung sehr eng mit ästhetischer Erfahrung verkoppelt.470

4.1.5 Integration der Integration Die Aufwertung der Sinnenwelt ist für Iamblichos wie für die kaschmirischen Śivaiten (bzw. den Tantrismus als solchen) kennzeichnend. Wie wir in Kap. 3.1.2.2 sahen, entspricht der von Iamblichos beschriebene periodische Ab- und Aufstieg der Menschenseelen, die Betonung der kosmogonisch-kosmokratischen Funktion der „reinen Seelen“, ihrer schöpferischen Mitwirkerschaft am Werk der Götter, namentlich am Werk des Demiurgen, letztlich dem Gesetz von πρόοδος und ἐπιστροφή. Nun zeichnet sich das Absolute der kaschmirischen Śivaiten durch eine analoge zwiefache Grundbewegung aus: Wesenhaft zur Selbstoffenbarung neigend, sind die Prinzipien der Expansion (unmeṣa) und Kontraktion (nimeṣa) zwei simultan sich vollziehende Grundtendenzen des Absoluten, in denen sich das Spiel seiner ungebundenen Frei-

 Dubois 2022, 119.  Dazu ausführlich: Gnoli 1956; Larson 1976; Maillard/Pujol 1999, bes. 88–90; Bäumer 2003a, 93–105.

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4 Komparative Perspektiven

heit (svātantrya) manifestiert.471 Vom verwirklichten Yogi heißt es im Tantrāloka (XIV 24 f.), er verkörpere gewissermaßen die fünf Tätigkeiten Śivas (dazu mehr in Kap. 4.1.7), sei mithin die vollkommene Verkörperung göttlichen Lebens (vgl. Iamblichos, De an. § 27, wo das Ziel des Seelenabstiegs als eine Art „Demonstration des göttlichen Lebens“ bestimmt wurde).472 Demgegenüber wäre die von Iamblichos gescholtene – weil auf die σμικρὰ τέλη beschränkt bleibende – „weltflüchtige“ Auffassung gewisser Platoniker jener der Vedāntins an die Seite zu stellen: The Vedāntin’s way is one of withdrawal from the finite in order to achieve a return (nivṛtti) to the infinite. This process, however, from the Śaiva point of view is only the first stage. The next stage is the outward journey (pravṛtti) from the infinite to the finite. When perfection is achieved in both movements, that is, from the finite to the infinite and back, man participates in the universal vibration of the absolute and shares in its essential freedom.473

Wollte man ersteren Rückstieg als „Integration“ bezeichnen, so wäre zweiteres die „Integration der Integration“. An der Gewichtung dieser Momente lassen sich zwei Formen von Spiritualität festmachen: Der alleinigen Fixierung auf ersteres Moment entspricht eine eher „weltflüchtige“ Form, die auf die Irrealität alles Manifestierten pocht; dem Einbezug beider Momente eine eher „weltzugewandte“

 Vgl. Dyczkowski 1987, 85 f.; Singh 1980, 21–23. Die strukturelle Parallele zum Neuplatonismus wurde angedeutet von Uždavinys 2014, 125 (Parallelisierung von pravṛtti/nivṛtti mit πρόοδος/ ἐπιστροφή) und Shaw 2017, 279 (Vergleich der Spanda-Schwingung mit πρόοδος/ἐπιστροφή). Man muss beachten, dass die zweifache Bewegung des pravṛtti/nivṛtti – die hinsichtlich der fünf Tätigkeiten Śivas mit Schöpfung (sṛṣṭi) und Resorption (saṃhāra) korrespondiert – auch auf den Wahrnehmungsprozess zu beziehen ist. Vgl. Singh 1980, 51–56.  Und die yogische Integration, die eine Absorption der schöpferischen Kräfte beinhaltet, wird von Dyczkowski 1992, 265, folgendermaßen beschrieben: „At one with the rhythm of the universal pulse of absolute egoity, the yogi experiences himself as the creator of all things as he rises from introverted absorption and the point of their ultimate demise when he merges the outward expansion of the energies of the senses back into himself. In this way he is no longer a victim of the powers but their master and achieves what for Ksemaraja is the ultimate goal of all the schools of Kashmiri Saivism: mastery of the Wheel of Energies.“ Zur Verkörperung der schöpferischen Potenz des göttlichen Bewusstseins durch den Yogi vgl. auch Alper 1979, bes. 362 ff.  Dyczkowski 1987, 40. Den Zusammenhang zum Platonismus unter Verweis auf Dyczkowski zieht bereits Shaw 2017, 278. Es sei an dieser Stelle nochmals Lavecchia 2010 erwähnt. In dessen agatho-poietischer (und nicht-dualistischer) Wesensbestimmung des platonischen Absoluten bezieht er sich interessanterweise gelegentlich auf den Advaita-Vedānta. Nun wäre m. E. ein Vergleich seiner Interpretation des Platonismus mit dem nicht-dualistischen Śivaismus noch naheliegender und fruchtbringender. Er beträfe genau die schöpferischen Implikationen der „Angleichung an den Gott“ (ὁμοίωσις θεῷ).

4.1 Theurgie und Tantra

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Form, welche die Komplementarität, Koextensivität, Wechselseitigkeit etc. von Absolutem und Relativem betont.474 Der Tantrismus geht diesbezüglich sehr weit und die mit seinen yogischen Praktiken verfolgte Integration zielt gerade auf die Inklusion der „niedrigeren“ Wirklichkeitsebenen ab: „The yogi experiences every individual particular as the sum total of everything else. He recognises that all things have one nature and that every particular is all things.“475 Es geht um die Entwicklung eines Bewusstseins davon, dass „alles in allem ist“.476 Im Tantrismus hat man verschiedentlich bestimmte Gottheiten mit bestimmten Teilen des Körpers bzw. mit den Sinnesorganen assoziiert;477 eine Auffassung, die auch von Iamblichos zumindest referiert (und jedenfalls nicht zurückgewiesen) wird (vgl. De myst. IX 7); hier wäre auch an jene im Zusammenhang mit der Steigerung der inneren „Wärme“ (θέρμον) stehende Passage zu erinnern, in der Iamblichos eine Art Transformation der Sinneswahrnehmung zu beschreiben versucht, welche „das Unkörperliche den Augen der Seele vermittels der Augen des Körpers als Körperliches zeige“ (II 6, 81,15–82,1).478

 Es ist übrigens genau diese Problematik der zweifachen Integration, die Corbin 2020 in seinem Versuch einer integralen Ontologie in Anlehnung an die islamische Esoterik diskutiert. Die Formel „Integration der Integration“ ist von ihm entlehnt; s. dazu auch weitere Hinweise in Kap. 4.2.  Dyczkowski 1987, 54.  Vgl. TĀ IV 98, das an „the golden rule of Neoplatonic metaphysics“ (Lloyd ²1970, 307; vgl. Siorvanes 1996, 51–56) denken lässt, d. i. in Iamblichos’ Formulierung (In Phileb. fr. 5): πάντα εἶναι πανταχοῦ, ἄλλως μέντοι καὶ ἄλλως, oder auch an Proklos, El. Th. § 103: πάντα ἐν πᾶσιν, οἰκείως δὲ ἐν ἑκάστῳ. Dyczkowski 1987, 88 f., zitiert ferner aus Abhinavaguptas Parātrimśikātattvavivarana: „Thus, even though the final element [in the series] is such as it is, it nonetheless contains within itself all the other countless aspects that, step by step, precede it and are encompassed by it in such a way that they are inseparable from its own nature. [...] Thus, [none of the phases] are divorced from the fullness [of consciousness] and they embrace all the other members which precede them and forcibly induce them to form a part of their own nature. Each of these phases illumining itself thus, and reflecting on its own nature, is full and perfect.“ Ähnlich TĀ X 120; XII 5. Dies gemahnt an Iamblichos’ im Kontext der „göttlichen Materie“ getroffene – und in Kap. 3.1.2.3 diskutierte – Feststellung, dass die göttliche Präsenz bis in die ontologisch niedrigste Sphäre hinabreicht (vgl. De myst. V 23). Im Unterschied zu den Neuplatonikern kann diese Einsicht bei den Tantrikern ggf. zur Legitimierung transgressiver Praktiken dienen, entsprechend der Maxime: „Nichts ist vorzuschreiben, nichts zu verbieten“ (Mālinīvijayottaratantra XVIII 77 f.).  Vgl. Abhinavaguptas Hymne an das Rad der Gottheiten im Leib (in: Bäumer 1992, 205–215), wo die Sinnesorgane verschiedenen Göttern zugeordnet sind. Zu den „Gottheiten der Sinne“ auch Dyczkowski 1987, Kap. VI; Torella 2019, 650 Fn. 6. Vergleichbare Vorstellungen finden sich auch in antiken Ritualpraktiken, z. B. im Umfeld der sogenannten Zauberpapyri. Vgl. Mazur 2003, 40 f.  Auf diese Parallelen hat schon Shaw 2017, 279 f., hingewiesen.

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4 Komparative Perspektiven

4.1.6 Verhältnis von Theorie und Praxis (bzw. Erkenntnis und Aktion) Wir sahen, dass die Theurgie im Sinne der neuplatonischen Philosophen als Ritualpraxis zu verstehen sei, die sich indes zur Theorie durchaus komplementär verhält und bestimmte Formen der Erkenntnis einschließt. Ein entscheidender Unterschied zum Tantrismus besteht freilich in dem Faktum, dass uns seitens der Neuplatoniker – bei allen theoretischen Begründungsanstrengungen von gewissen Riten oder spirituellen Praktiken – keinerlei konkrete Beschreibungen derselben überliefert sind.479 Dies verhält sich in der tantrischen Tradition anders, in der teils sehr konkrete Praktiken in den Texten niedergelegt (zumal teils bis heute mündlich überliefert) sind. Dies betrifft sowohl die als Tantras oder Āgamas bezeichneten heiligen Schriften selbst als auch die Kommentare dazu bzw. die synthetischen Darstellungen eminenter Philosophen. So finden wir in Abhinavaguptas Tantrāloka ausführliche Beschreibungen verschiedener ritueller Handlungen, die noch heute eine präzise Rekonstruktion (und ggf. sogar praktische Durchführung) derselben möglich machen.480 Wenn wir im Allgemeinen die Bedeutung ritueller Aspekte im theurgischen Neuplatonismus wie auch im Tantrismus betonen, als Hauptreferenzpunkt des letzteren jedoch Abhinavagupta wählen, so drängt sich sogleich ein Einwand auf: Betont Abhinavagupta – im Unterschied etwa zur Śaiva-Siddhānta-Schule – nicht gerade, dass als Letztursache der Gebundenheit im Transmigrationszyklus (saṃsāra) allein Nichtwissen (ajñāna) zu gelten habe und daher Erlösung nicht durch Taten, sondern nur durch Erkenntnis (jñāna) zu erlangen sei (vgl. TĀ I 22)? Dies ist zweifellos richtig. Doch schließt dies die Ausübung bestimmter spiritueller Praktiken – denen im Übrigen weite Teile von Abhinavaguptas Tantrāloka gewidmet sind – eben keineswegs aus.481 Wir erinnern uns, dass auch die neuplatonische Theurgie eine Form der γνώσις bzw. νόησις τῶν θεῶν beinhaltete, ja in ihr

 Diesbezüglich bemerkt Dillon 2002, 293: „we are not going to be favoured with any Indianstyle manuals of meditation“. Gleichwohl findet man z. B. bei Plotin vereinzelt Visualisierungspraktiken (vgl. V 8, 9). Dazu Clark 2016, Kap. 13 u. 16.  Vgl. z. B. Dupuche 2003.  Vgl. Silburn/Padoux ²2000, 67: „Though giving ritual practices a secondary role, however, neither Abhinavagupta nor the other Trika authors denied them all efficacy: in particular, initiation (dīkṣā) was always considered a necessary prerequisite of all spiritual practices leading to liberation. Indeed, the fact that ritual plays a fundamental part in the quest for liberation emerges from the very structure of the TĀ. While the higher ways or means (upāya) to liberation are mystical, and, as such, described in the first chapters (2, 3, 4) of that work, the bodily, yogic and

4.1 Theurgie und Tantra

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kulminierte.482 Die entscheidende Frage ist freilich, was „Erkenntnis“ dabei jeweils meint und wie sie erlangt wird. Abhinavagupta hat – sich auf das Gāmaśāstra, ein uns nicht überliefertes Tantra, beziehend – die Verschränkung von Aktion und Erkenntnis unmissverständlich hervorgehoben: Die Aktion ist, wie im Gāmaśāstra gesagt wird, nicht (von der Erkenntnis) verschieden, da die Erkenntnis selbst, wenn sie sich entfaltet, sich im Yoga vollendet. Der Yoga und die Aktion sind nichts (von der Erkenntnis) verschiedenes. Die Erkenntnis (mati) selbst wird [...] als ‚Aktion‘ bezeichnet, wenn die Eindrücke unseres Denkens (svacittavāsanā) besänftigt werden. [...] Was man als Aktion bezeichnet, ist mithin nichts anderes als Erkenntnis. (TĀ I 150 f. u. 155; EÜ; vgl. IX 249 f.)

Erkenntnis nimmt hiernach faktisch, d. h. in ihrer Verwirklichung, Züge an, die Handlungen (ἔργον, kriyā) nicht aus-, sondern einschließt (wobei kriyā hier dieselbe Ambivalenz eignet wie dem ἔργον in der Theurgie, das sich stets unter einem „doppelten Aspekt“ darstellt, vgl. De myst. IV 2, 184,1 f.).483 In den Kapiteln II–V des Tantrāloka (sowie in den entsprechenden Kapiteln des Tantrasāra) werden verschiedene „Wege“ der Verwirklichung (upāyas) dargestellt, mit denen verschiedene Formen der Initiation (dīkṣā) korrespondieren: (1) anupāya, wörtlich ein „Nicht-Weg“; (2) śāmbhavopāya, der „Weg Śivas“; (3) śāktopāya, der „Weg Śaktis“, sowie (4) āṇavopāya, der „begrenzte/individuelle Weg“.484 Während ersterer Weg eine spontane Verwirklichung ohne jede Anstrengung impliziert – deshalb möglich, weil die göttliche Präsenz im Grunde je schon allgegenwärtig ist –, beschreiben der zweite und dritte Weg Erleuchtungserfahrungen, die von einem spirituellen Meister (Guru) übermittelt werden. In keinem dieser Fälle spielt die Kultivierung bestimmter Praktiken eine entscheidende Rolle. Für die meisten Menschen indes ist allein der vierte Weg (āṇavopāya) – bezeichnenderweise auch als kriyopāya (TĀ I 149), mithin als „Weg des Handelns“, bezeichnet – gangbar. Er ist – wörtlich betrachtet – der Weg eines „begrenzten Wesens“, d. h. des Menschen in seinem gegenwärtigen Manifestationszustand in der Welt der Vielheit, und trägt der conditio humana am stärksten Rechnung. Der Beschreibung von mit diesem Weg verknüpften Techniken – Initiations-, Meditationspraktiken, Rezi-

ritual ‚external‘ practices outlined in chapter 5 are described in greater or lesser detail in all the following thirty chapters, so that the main bulk of the TĀ concerns ritual practices and notions.“  Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass bereits bei Plotin Theorie und Praxis keine Gegensätze darstellen, insofern er – wie besonders aus Enn. III 8 hervorgeht – jegliche Art von Praxis und Poiesis als defizitäre Form von θεωρία zu begreifen versucht.  Vgl. dazu auch Torella 2019, 648 u. 654 f.  Zu diesen verschiedenen „Wegen“ vgl. Dyczkowski 1987, 172–218; Silburn/Padoux ²2000, 52–60; Bäumer 2003a, 35–49; Swami Lakshmanjoo 2003, Kap. 5; Hofstätter 2017, 136–140. Ferner die Übersetzung der Kap. II–V des Tantrasāra in Bäumer 1992, 83–126.

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tation von Mantras, Ausführung von Mudras – ist ein Gutteil des Tantrāloka (und Tantrasāra) gewidmet. In der Regel beziehen besagte Techniken den menschlichen Körper – und auch Subtilkörper (s. Kap. 4.1.10) – mit ein.485 Nicht zuletzt ist der śivaitische Yoga diesem Weg zuzurechnen.486 Abhinavaguptas Fixierung auf den „niedrigsten“ Weg (āṇavopāya) ist strukturell Iamblichos’ Begründungen der Opferhandlungen (nicht zuletzt materieller) in De myst. V vergleichbar (s. Kap. 3.1.2.1) – denn beides sucht der menschlichen Grundsituation gerecht zu werden, ohne dabei höhere Wege auszuschließen (allerdings scheint Abhinavagupta, was diese höheren Wege betrifft, noch optimistischer zu sein als Iamblichos).487 Der Vollzug des „Aufstiegs zum Einen“ wird als große Ausnahme dargestellt – und bemerkenswerterweise nennt Iamblichos jenen, der ihn vollzogen hat, „jenseits aller Gesetze stehend“ (κρείττων γάρ ἐστι παντὸς νόμου);488 eine Auffassung, der die Tantriker gewiss beigepflichtet hätten –, zu selten jedoch, als dass man seine theoretischen Ausführungen nach ihr bemessen könnte, weshalb Iamblichos denn auch von der Lage der gewöhnlichen Menschen ausgeht (vgl. V 22, 230,12–231,4).

4.1.7 Rolle der Gnade In jeder religiösen Lehre stellt sich die Grundfrage nach der Art und Weise der Interaktion zwischen Gott und Mensch, und damit für das menschliche Tun zusammenhängend: des Verhältnisses zwischen Unverfügbarem und Machbarem.

 Swami Lakshmanjoo 2003, 36–40, unterscheidet innerhalb des āṇavopāya vier Grundtechniken: uccāra (Atemkonzentration), karaṇa (Konzentration auf ein bestimmtes Sinnesorgan), dhyāna (Meditation, mit oder ohne Mantras), sthāna prakalpanā (Konzentration auf einen bestimmten Ort oder auf bestimmte Punkte des Körpers). Dies bildet den Kernbestand der Yogapraktiken im kaschmirischen Śivaismus.  Vgl. Torella 2019, der Abhinavaguptas ambivalente Haltung gegenüber dem Yoga vor dem Hintergrund der Auffassung, dass allein die Erkenntnis und nicht das Handeln zur Erlösung führt, diskutiert. Tatsächlich handeln viele von Abhinavaguptas Werken von yogischen Praktiken, z. B. der von Muller-Ortega 1989, 203–232, übersetzte Text Parātrīśikālaghuvṛttiḥ.  Es gibt in der Tat viele Stellen, in denen Abhinavagupta die Leichtigkeit bzw. völlige Absenz von Anstrengung auf dem Weg der Erkenntnis betont. Die Spannung zwischen seiner eigentlich aristokratischen bzw. elitistischen Haltung in Sachen Spiritualität (dazu ausführlich: Torella 2020) und dem Rechnung-tragen-Müssen der menschlichen Grundsituation der „Vielen“ ist bei ihm vielleicht noch stärker als bei den Neuplatonikern.  Es handelt sich hier wohl um den „vergöttlichten Menschen“ (ὁ θεωτὸς ἄνθρωπος), auf den Iamblichos in De myst. X 5, 290,8 f. anspielt.

4.1 Theurgie und Tantra

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Mit besonderer Dringlichkeit stellt sich dieses Problem indes in Traditionen, die ein ausgefeiltes Repertoire an klar definierten Techniken zur Transzendierung der conditio humana entwickelt haben. Was ist der Anteil menschlicher Anstrengung, was göttlicher Gnade? Wie weit reicht erstere, wo beginnt letztere? Oder besteht hier überhaupt kein Gegensatz, insofern göttliche Gnade und menschliche Anstrengung je schon verschränkt sind? Religion im weitesten Sinne neigt oftmals zur einseitigen Betonung der göttlichen Seite, Magie zur alleinigen Fixierung auf die menschliche agency. Theurgie und Tantra wurden häufig letzterem zugeordnet und als „prometheische“ Formen der Spiritualität gewertet, insofern ihnen unterstellt wurde, dass sie auf eine „Selbsterlösung“ des Menschen abzielen und das Moment göttlicher Gnade keinerlei Rolle spiele. Eine derartige Sichtweise verkennt jedoch die Rolle, die in beiden Traditionen das unverfügbare Moment der göttlichen Intervention spielt. Wie wir in Kap. 2.2 dargetan haben, lässt sich Theurgie nicht zuletzt als umfassender Versuch verstehen, das Verhältnis von Gott und Mensch, ihr Zusammenspiel in der rituellen Praxis, neu auszuloten, ja besteht in dieser Neu-Auslotung Iamblichos’ eigentlicher Beitrag zur Rehabilitierung des griechischen Paganismus, der ja in vieler Hinsicht viel stärker auf Orthopraxie denn auf eine spezifische Orthodoxie gegründet war. Gleich den neuplatonischen Theurgen verfügt auch die Philosophie des kaschmirischen Śivaismus über ein sehr exponiertes Konzept von „Gnade“.489 Grundsätzlich wird Śiva eine fünffache Aktivität (pañcakṛtya) zugesprochen: Schöpfung (sṛṣṭi), Erhaltung (sthiti), Resorption (saṃhāra), Verbergung (tirodhāna) und Gnade (anugraha).490 Man wird bemerken, dass hiermit die Bewegung des gesamten Manifestationsprozesses bezeichnet ist, zunächst in dessen zentrifugaler Tendenz (als Schöpfung, Entäußerung), in bewahrender Tendenz (als Aufrechterhaltung der Manifestation), sodann in zentripetaler Tendenz, und zwar sowohl hinsichtlich der Gesamtmanifestation (hierauf ist die Resorption zu beziehen) als auch hinsichtlich der Wiederannäherung des Einzelnen an das höchste Prinzip: Bei letzterem spielt die Gnade eine zentrale Rolle. Neben dem Sanskrit-Terminus anugraha werden auch die Begriffe prasāda und śaktipāta verwendet. Die Begriffe anugraha und śaktipāta sind dabei nicht bloße Synonyme, da ersterer Terminus die Gnade in einem allgemeinen Sinne bzw. als theologisches Konzept meint, während zweiterer Terminus die individuelle Erfahrung der Gnade bezeichnet.491 Wie im Falle der Neuplatoniker sind diese Termini sehr stark an die Freiheit (svātantrya) des göttlichen

 Vgl. Bäumer 2003b; Wallis 2008.  Vgl. TĀ XIV 24; Swami Lakshmanjoo 2003, Kap. 10.  Entsprechend schreibt Kṣemarāja in seinem Kommentar zum Netra Tantra, dass der Terminus anugraha so viel wie „‚general grace‘, and the second [śaktipāta] its personal and powerful experience“ meine (Bäumer 2019, 32 Fn. 22).

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4 Komparative Perspektiven

Willens (θεία βούλησις) gekoppelt. Vielfach wird – sowohl in den Tantras selbst als auch seitens ihrer śivaitischen Kommentatoren – betont, dass die Herabkunft bzw. der Aufstieg der göttlichen Energie (śakti) nicht erzwungen werden kann. Dieser Energie eignet sowohl eine zentrifugale – d. h. nach Manifestation drängende – Kraft als auch, im Kontext der spirituellen Praxis, eine zentripetale; d. h. sie ermöglicht sowohl den universellen Manifestationsvorgang als auch den Rückstieg des Einzelnen. Denn auch bei letzterem handelt es sich um eine freie Entfaltung der göttlichen Kraft (svātantrya-śakti). Diese ist svoditā, d. h. „durch sich selbst erweckt“, und damit der eigentliche „Akteur“.492 Dem Konzept śaktipāta hat Abhinavagupta sowohl in seinem Tantrāloka (Kap. XIII) als auch im Tantrasāra (Kap. XI) je ein ganzes Kapitel gewidmet.493 Er unterscheidet neun (bzw. drei mal drei) Stufen oder Intensitätsgrade von Gnade, nämlich starke, mittlere und schwache Gnade, die jeweils wiederum drei Binnendifferenzierungen umfassen. Von der höchsten Intensität, die einer augenblicklichen Erlösung ganz ohne Anstrengung, ohne Anleitung durch einen Guru oder die heiligen Schriften gleichkommt, über die mittleren Stufen der Gnade – bei denen das Zusammenspiel von menschlicher Anstrengung und göttlicher Freiheit beginnt und die Erlösung ggf. erst in einem folgenden Leben erlangt wird – bis hin zu den schwächeren Formen, bei denen eine stärkere Fixierung auf spirituelle Praktiken und religiöse Riten erforderlich ist. Man kann diese Dreiteilung der Gnade mit den oben angeführten „Wegen“ (upāyas) zusammenbringen, wobei anupāya und śāmbhavopāya der starken Gnade, śāktopāya der mittleren, āṇavopāya schließlich der schwachen Gnade entspräche – woraus nochmals erhellt, dass letztlich alle besagten Wege an die göttliche Gnade gekoppelt bleiben, dass jedoch das Zusammenwirken von Gnade und menschlicher Bemühung (in absteigender Reihenfolge) immer wichtiger wird. Insofern nun den allermeisten Menschen wohl nur die schwache Form der Gnade zuteil wird, bleibt das Problem menschlicher Mitwirkerschaft de facto stets zentral. Weder im theurgischen Neuplatonismus noch im kaschmirischen Śivaismus führt die Betonung des Gnadenelements zu einer quietistischen Haltung der Untätigkeit. Denn der vorbereitende Part des Menschen, das Fähig-Werden zur Aufnahme der Gnade, bleibt jedem Einzelnen aufgegeben. Wenn Iamblichos in De

 In diesem Sinne schreibt Bäumer 2019, 51: „From the beginning of the description of the subtle practice it is said that there is nothing to be done by the yogī, because the agent is the Supreme Śakti Herself“.  Ausführlich dazu: Ferrario 2015; Hofstätter 2017, 186–280 (in dieser Studie ist das entsprechende Tantrāloka-Kapitel komplett ins Deutsche übertragen); Bäumer 1992, 126–140 (Übertragung von und Kommentar zu Tantrasāra, XI); Silburn/Padoux ²2000, 44–51; Swami Lakshmanjoo 2003, 66–70.

4.1 Theurgie und Tantra

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myst. III 12 davon ausgeht, dass die göttliche Kraft nicht örtlich gebunden ist, sondern „überall ganz präsent für jene, die daran teilzuhaben fähig sind“, entspricht dies durchaus der śivaitischen Auffassung.494 Denn auch bei Abhinavagupta finden wir eine klare Entsprechung zwischen Aufnahme- bzw. Empfangsbereitschaft des Praktizierenden und faktischer Stärke der göttlichen Gnade. Wenn er, wie erwähnt, im Tantrāloka neun Stufen der Gnade unterscheidet, so kann diese Differenzierung nämlich nicht auf die göttliche Gnade als solche bezogen sein – gewährt Śiva doch qua seines Wesens eigentlich stets die volle Gnade. In diesem Sinne zitiert Abhinavagupta aus Utpaladevas Śivastotrāvalī XIII 11 folgende Worte: „Im Moment der Herabkunft der Gnade (śaktipāta) machst Du, oh Herr, keinerlei Unterscheidungen“, um anschließend die „Unparteilichkeit“ (arāgitvam) Śivas zu unterstreichen (vgl. TĀ XIII, 290–292).495 D. h. aber, dass die faktischen Verschiedenheiten in der Intensität der göttlichen Gnade allein von Seiten der Empfänger bedingt sein können. Überhaupt darf man im Rahmen des śivaitischen Nichtdualismus die Gnade nicht so auffassen, dass ein vom Menschen wesenhaft verschiedenes bzw. ihm entgegengesetztes göttliches Subjekt diese gewähre – letztlich fällt sie mit der inneren Bereitschaft des Menschen, seine Wesensidentität mit Śiva zu realisieren, zusammen.496 Gnade und menschliches Streben sind damit je schon verschränkt.497 Was wir weiter oben über die Gnade bei Plotin gesagt haben, ließe sich übrigens ebenso für Śaṅkara zeigen: Zwar gehen auch die Meinungen, ob dieser ein exponiertes Konzept von Gnade entwickelt habe, auseinander.498 In jedem Falle ist es innerhalb des Gesamtrahmens seiner Metaphysik weniger stark akzentuiert als bei den Śivaiten von Kaschmir.  Vgl. Bäumer 2003b, 155 f.  Vgl. auch Singh 1980, 3.  Vgl. Wallis 2008, 275: „Another fascinating feature of Abhinava’s account here is the unique understanding of śaktipāta in the context of radical nondualism. Abhinava eliminates the two logical problems of arbitrariness and partiality, grappled with by the other commentators, by explaining that it is the Lord himself, exercising his powers of either Obscuration (tirobhāva) or Grace (anugraha), who chooses to either stay contracted in the form of one individual, or expand to the perfect fullness of divine realization in the form of another. It is an independent choice, an expression of his inherent power of absolute freedom (svātantriya-śakti), and thus there is no dualistic God with whom to find fault. It is when the Lord in the form of an individual soul is ready to begin the process of expanding into his original state that śaktipāta occurs.“  Dies intendiert auch Bäumer 2003a, 167, wenn sie im Hinblick auf den Prozess der Vergöttlichung (theosis) schreibt: „Eben dazu ist ein Stufenweg nötig, eine Bemühung. Und doch darf der Praktizierende, der diesen Stufenweg geht, nicht meinen, daß er das Ziel durch seine Anstrengung erreicht, denn alles ist Gnade, auch die Intensität der Bemühung selbst.“ In diesem Sinne schreibt auch Swami Lakshmanjoo 2003, 60 Fn. 2: „It is the Grace of God which carries you from the lowest point to the highest point.“  Am weitesten geht hier Malkovsky 2001. Vgl. aber die fundierte Kritik bei Stephan 2004.

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4 Komparative Perspektiven

4.1.8 Magie, Götterzwang, übernatürliche Kräfte Manche der sachlichen Parallelen zwischen Theurgie und Tantra spiegeln sich auch – gleichsam in negativer Form – in der von Vorurteilen geprägten Missrepräsentation dieser beiden Geistestraditionen in der westlichen Forschungsgeschichte wider. Denn interessanterweise hat man gegen beide sehr ähnliche Vorwürfe erhoben (zur Falschdarstellung der Theurgie in der älteren Forschung s. unsere entsprechenden Hinweise in Kap. 2.2). Dabei basierten die gegenüber dem Tantrismus erhobenen Vorwürfe vor allem im 19. und 20. Jahrhundert auf noch viel krasseren Entstellungen als jene die Theurgie betreffenden; nicht zuletzt aufgrund einer einseitigen und tendenziösen Fixierung auf bestimmte transgressive (teils mit sexuellen Praktiken verknüpfte) Aspekte dieser Tradition und einer vorherrschenden Unkenntnis der Primärquellen.499 Der Tantrismus wurde dabei häufig als degenerierte Endform des Hinduismus präsentiert und gegen die vermeintlich „reine“ (und theistisch gedeutete) Lehre der Veden ausgespielt – ein Narrativ, das ironischerweise sogar das Denken vieler moderner (und nach britischen Maßgaben erzogener) Hindu-Reformer beherrschte. Ferner wurde dem Tantrismus ein vor-arischer Ursprung zugesprochen, weshalb sich sein Siegeszug im mittelalterlichen Indien als Verschüttung der „reinen“, d. h. vedischarischen, Hindu-Tradition brahmanischer Prägung deuten ließ. Man wird bemerken, dass dieses Narrativ eine gewisse Parallele findet in dem (vermeintlichen) Bruch, der in der Philosophiegeschichtsschreibung zwischen Plotin und dessen Nachfolgern statuiert wurde: Plotin als Blüte des griechischen Rationalismus, „non contaminato da influssi orientali“,500 vs. Iamblichos und Konsorten, als Versinken im orientalischen Irrationalismus, Zeugnis dafür, „wie sich der Rationalismus der Hellenen vor der Theologie der Barbaren erniedrigte, indem er ihren Vorrang anerkannte“,501 mithin der „Überwältigung des hellenischen Geistes durch den Orient“.502 Nur vor dem Hintergrund dieser mit dem Griechentum assoziierten Reinheits- und Rationalitätsvorstellung werden zumal die Vehemenz und Gehässigkeit verständlich, mit der die Hypothese östlicher Einflüsse auf Plotin von manchen Forschern abgewiesen wurde.503 Doch besagte Parallelen in den jeweiligen forschungsgeschichtli Zum Tantra in früher westlicher Imagination vgl. schon die bei Woodroffe 71991, 1 ff., angeführten Zeugnisse; ausführlicher Urban 2003, Kap. I.  Cilento 1970, 17. Vgl. Dodds 1960, 7, in seiner Rekapitulation der Charakteristika von Plotins Mystik: „In all these ways Plotinus remains a genuine Hellenist. His account of mystical union is the most intimately personal of his achievements; but it is the achievement of a mind nourished in the classical Greek tradition and determined to preserve the integrity of that tradition against the intrusion of alien modes of thought.“  Cumont 1977, 14.  Lesky ³1971, 980.  Vgl. dazu: Fürlinger 2006, 196–204.

4.1 Theurgie und Tantra

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chen Entstellungen beschränken sich mitnichten auf den allgemeinen Rahmen. Sie lassen sich an konkreten Topoi festmachen, namentlich an Magie und Götterzwang. Noch für den Indologen M. Winternitz, der grundsätzlich eine nüchternere Betrachtung als viele seiner Vorgänger pflegte, war der Tantrismus kaum mehr als ein „oft aus sehr trüben Quellen fließende[r] Okkultismus“; „zum größeren Teil enthalten diese Werke doch nur Stumpfsinn und Kauderwelsch“.504 Nach Darstellung der verschiedenen Hilfsmittel (mantras, bījas, yantras, mudrās, nyāsas) tantrischer Praxis meint er: „Durch die Anwendung aller dieser Mittel macht sich der Verehrer die Gottheit willig, er zwingt sie in seinen Dienst und wird zum Sādhaka, zum Zauberer“.505 Wir sind hier mit zwei Topoi konfrontiert, die auch den Theurgen immer wieder vorgeworfen wurden: „Götterzwang“ und „Zauberei“; denn das Sanskritwort sādhaka – wörtlich: „der Handelnde“, in diesem Kontext: der den tantrischen Ritus Vollziehende – wird von Winternitz mit „Zauberer“ übersetzt, sādhana – wörtlich: „die Handlung“ – mit „Zauberei“. Hier wie dort liegt das Hauptmissverständnis darin, dass die ritual agency allein dem menschlichen Akteur zugesprochen wird. Was nun die Magie betrifft, so muss man zugeben, dass die tantrischen Autoren nicht in dem Maße um eine Abgrenzung von ihr bemüht waren wie z. B. Iamblichos. Vielmehr gibt es innerhalb der jeweiligen tantrischen Schulen – wie auch innerhalb des Yoga überhaupt – eine Binnendifferenzierung, die sehr deutlich zwischen zwei (sich nicht notwendigerweise widersprechenden) Zielen unterscheidet: einerseits das Streben nach Erlösung (mokṣa/mukti), andererseits die Gewinnung magischer Kräfte (siddhis/vibhūtis);506 was insofern mit der Unterscheidung in mokṣa/mukti und bhoga/bhukti (weltliche Güter) zusammenfällt, als letztere Güter eben vermittels der siddhis gewonnen werden können.507 Je nach religiöser Strömung kannte man verschiedene siddhis, und selbst innerhalb ein und derselben Strömung stimmen die in verschiedenen Quellentexten vorfindba-

 Winternitz 1916, 163 u. 160.  Winternitz 1916, 156.  Mit Blick auf die śivaitischen Schulen schreibt Bäumer 2019, 17: „It is clear in all yogarelated texts of either Siddhānta or Trika that yoga can have two objectives: to attain perfections or powers (siddhis) or liberation (mokṣa).“ Eine Zusammenstellung klassischer Textstellen zur Gewinnung der yogischen Kräfte findet sich bei Mallinson/Singleton 2017, Kap. 10. Vgl. auch Einoo 2009; Padoux 2010, 209–212.  Vgl. Vasudeva 2012, 271. Bei Porphyrios, der – wie in Kap. 2.2 gezeigt – die Termini Theurgie, Magie und Goetie anders besetzt als Iamblichos, entspricht dies recht genau der Unterscheidung zwischen μαγεία und γοητεία.

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4 Komparative Perspektiven

ren Aufzählungen der siddhis nicht immer im Detail überein.508 Bereits das klassische Werk zum Yoga, Patañjalis Yoga Sūtra (genauer: Buch III) handelt recht ausführlich von den siddhis.509 Klassischerweise wurden deren acht unterschieden: aṇimā (Fähigkeit, sich endlos zu verkleinern, ja unsichtbar zu machen); laghimā (Fähigkeit, sich schwerelos zu machen); mahimā (Fähigkeit, sich endlos auszudehnen); prāpti (Fähigkeit, spontan von Ort zu Ort zu reisen); prākāmya (vollkommene Willensfreiheit); īśiṭva (Fähigkeit, in den Bereich der Natur fallende Wesen zu kontrollieren und zu beeinflussen); vaśiṭva (Fähigkeit, die Elemente und Naturkräfte zu kontrollieren); kāmāvasayitva (Erfüllung von Wünschen); teils wird die Liste ergänzt durch garimā (Fähigkeit, unendlich schwer bzw. unerschütterlich zu werden). Es sind die erstgenannten acht siddhis, auf die Kṣemarāja in seinem Svacchandatantroddyota (X 1073) rekurriert und die auch in der ŚaivaLiteratur bestimmend geblieben sind.510 Beide Ziele – d. h. mokṣa wie auch die Gewinnung von siddhis – waren integraler Bestandteil des Tantrismus und beim Einsatz der siddhis geht es in der Tat um die Durchführung magischer Handlungen, die auf individuelle Wunscherfüllung des Praktizierenden im Hier und Jetzt abzielt. Trotzdem handelt es sich nicht um gleichwertige Ziele. Das Erlangen von siddhis wurde in der Regel – jedenfalls von nach Erlösung strebenden Tantrikas – eher als Nebenfolge im Prozess spiritueller Verwirklichung angesehen,511 nicht jedoch als Selbstzweck. Die bewusste Kultivierung derartiger Kräfte wurde von eminenten Tantrikas in der Regel abgelehnt, da eine grundsätzliche Ambivalenz der siddhis darin besteht, dass der Praktizierende in seiner Fokussierung auf sie vom Weg der Befreiung abkommen kann. Schon Patañjali bezeichnet die siddhis, die ein Yogi im Laufe seiner Praxis erwirbt, als „Hindernisse“ (Yoga Sūtra III 37) – eine Einschätzung, die im kaschmirischen Śivaismus durchaus geteilt wird.512 In Abhinavaguptas auf Erlösung zentrierter summa tantrischen Wissens, dem Tantrāloka, spielt die Erlangung von siddhis bezeichnender-

 Vgl. Eliade 2004, 94–100, 186–189. Ferner die Beiträge in Jacobsen (Hg.) 2012 (von besonderem Interesse in unserem Kontext ist der Beitrag Vasudevas zur Rolle yogischer Kräfte im tantrischen Śivaismus).  Vgl. Sarbacker 2012; Chapple 2012.  Vgl. Vasudeva 2012, 284 f.  Vgl. Kṣemarāja, Śivasūtravimarśinī III 6.  Kṣemarāja zitiert in seinem Śivasūtravimarśinī (II 4) zustimmend den Patañjali-Vers. Und Swami Lakshmanjoo 2003, 125, bemerkt: „The danger inherent in these powers lies in the fact that when you have and use these powers then by and by you will be deprived of some portion of your spirituality. This occurs because, due to the charm of these powers, you become ever more devoted to worldly pleasures.“

4.1 Theurgie und Tantra

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weise keine maßgebliche Rolle.513 Dabei kommt er (wie auch sein Kommentator Jayaratha) durchaus auf sie – in Form von krīḍākarmans („okkulte Vergnügungen“) – zu sprechen, die als Nebenfolgen des „intuitiv-übernatürlichen Unterscheidungsvermögens“ (prātibha-viveka), d. h. einer höheren Form von Selbstbewusstheit, erachtet werden.514 Beim verwirklichten Menschen, so Abhinavagupta, können diese indes kaum Interesse erregen; ihre legitime Funktion wird darauf reduziert, Ungläubige von der Effektivität des śivaitischen Wegs zu überzeugen. Insofern wird die Gewinnung bestimmter Kräfte auch von einem nach Erlösung strebenden Tantrika keineswegs geleugnet (so wenig wie von den Neuplatonikern), doch ist eine Reduktion des Tantrismus auf derartige magische Aspekte unstatthaft, ja im Grunde genauso unsinnig wie im Falle der Theurgie. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass uns – Iamblichos’ theoretisch recht klarer Abgrenzung der Theurgie gegenüber Magie zum Trotz – von vielen spätantiken Neuplatonikern Episoden überliefert sind, die den Besitz übernatürlicher Kräfte – und unter bestimmten Umständen auch den Gebrauch derselben – nahelegen.515 Bereits dem angeblichen Verfasser der Chaldäischen Orakel, Julian dem Theurgen, wird zugeschrieben, sich auf einem Feldzug Marc Aurels zugunsten des an Wassermangel leidenden römischen Heeres als Regenmacher betätigt zu haben.516 Iamblichos selbst sprach gewissen Opferpraktiken die Fähigkeit zu, Hungersnöte und Plagen zu beenden sowie Regen herbeizuführen (vgl. De myst. V 6). Desgleichen wird von Proklos berichtet, Regenfall bewirkt und durch Einsatz von Amuletten gegen Erdbeben vorgegangen zu sein (vgl. Marinos, Vita Procli § 28).517 Bei Eunapios ist eine wundersame Episode über Iamblichos zu lesen, nämlich dass dieser, in Gegenwart einiger Gefährten spazierend, plötzlich innehielt und – einer Eingebung folgend – einen anderen Weg einschlug. Seinen Gefährten gegenüber erklärte er, dass auf dem Weg, den sie gerade gegangen seien, kürzlich

 Vgl. Gnoli 1999, XVIII. Trotzdem zielt auch Abhinavagupta auf Gewinnung von bhukti und mukti ab (vgl. TĀ XXIX 103; Parātrīśikālaghuvṛttiḥ, Komm. zu v. 2b–3a). Die magischen Kräfte, die im Verlauf der Yoga-Praxis sich gleichsam automatisch einstellen, werden von Abhinavagupta aber zu den „niedrigeren“ (aparā) Kaula-Vervollkommnungen gezählt (vgl. Parātrīśikālaghuvṛttiḥ, Komm. zu v. 11–16).  Vgl. TĀ XIII 177–183; dazu Vasudeva 2012, 288–290.  Vgl. Bergemann 1991, 209 f.; Clarke 2001, 22–24; Shaw 2015; 2017, 270 f. Derartige Berichte legen nahe, gewisse auf innerweltliche Zwecke gerichtete – mithin „magische“ – Praktiken doch unter den Begriff der Theurgie zu subsumieren (ohne dass sie freilich deren Primärziel konstituieren). Dies entspräche in etwa der Differenz zwischen einer „niedrigeren“ und „höheren“ Form der Theurgie im Sinne von Smith 1974, 83–99 u. 111–121.  Quellenangaben bei Lewy ³2011, 4 Fn. 2. Zur Praxis der Wetterkontrolle im Kontext des Tantra vgl. die Zeugnisse bei Sanderson 2015.  Vgl. Trouillard 1973b.

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4 Komparative Perspektiven

eine Leiche getragen worden sei – was sich nachträglich als wahr herausstellte.518 Ferner heißt es von dem Syrer, er sei beim Beten in der Luft geschwebt und habe eine goldene Färbung angenommen;519 weiterhin, dass er, als ein ägyptischer Priester Apollon beschworen hatte, bemerkt habe, dass es sich bei der Erscheinung lediglich um den Geist eines Gladiators handelte.520 Die Neuplatonikerin Sosipatra sah – ebenfalls Eunapios zufolge – den Unfall eines ihrer Schüler voraus.521 Heraiskos schließlich, einem Neuplatoniker des 5. Jahrhunderts und Schüler des Proklos, wurde neben der Fähigkeit, beseelte von unbeseelten Götterbildern unterscheiden zu können, auch jene des Wahrsagens zugesprochen.522 Selbst von einem gegenüber rituellen Praktiken so wenig affinen Denker wie Plotin ist überliefert, dass ein Neider einen Astralzauber gegen ihn eingesetzt habe, den Plotin jedoch abzuwehren vermochte;523 darüber hinaus, dass Plotins Anwesenheit bei einer Dämonenbeschwörung im römischen Isis-Tempel den Anlass für die Abfassung seiner Schrift Über den uns zuteil gewordenen Daimon (= Enn. III 4) gegeben habe (vgl. Porphyrios, Vita Plotini § 10). Porphyrios selbst habe einmal einen Dämon aus einer Badestelle vertrieben.524 Vergleichbare, ja vielleicht noch unglaublichere, Zeugnisse ließen sich mit Blick auf die Vorsokratiker beibringen.525 Ist man heute meist dazu geneigt, derartige Episoden als abergläubische Relikte oder schlicht als Erfindungen übereifriger Geschichtsschreiber und Hagiographen abzutun, so darf man zumindest nicht vergessen, dass der Besitz übernatürlicher Kräfte in einer Vielzahl von Traditionen als Kennzeichen spirituell verwirklichter Menschen angesehen wurde. Insofern gerade die östlichen Traditionen voll sind von Berichten über den Erwerb derartiger Fähigkeiten, mag ihr Studium dazu dienen, diesem uns heute fremden Aspekt bei den Neuplatonikern manches von seiner Befremdlichkeit zu nehmen. Dies betrifft nicht zuletzt Iamblichos’ Ausführungen zum Phänomen göttlicher Besessenheit, die zweifellos in den Kontext des Erwerbs „übernatürlicher Kräfte“ zu stellen sind. Insofern eines der Hauptziele von De mysteriis darin besteht, richtige von falschen Riten, und damit verknüpft: authentische von unauthentischen Formen der Besessenheit, zu unterscheiden, muss die Frage nach den angemessenen Kriterien hierfür aufkommen.  Vgl. Wright 1968, 367.  Vgl. Wright 1968, 364 f. Vgl. auch De myst. III 5, 112,3 f., wo Schwerelosigkeit und Ausdehnung des Körpers als Anzeichen für echte göttliche Besessenheit angeführt werden.  Vgl. Wright 1968, 425.  Vgl. Wright 1968, 415.  Vgl. Damaskios, Vita Is. fr. 174 sowie 171 u. 317 Zintzen.  Dazu ausführlich: Merlan 1953.  Vgl. Wright 1968, 359; dazu auch Muscolino 2015.  Zu Pythagoras vgl. Burkert 1969 u. 1972; zu Empedokles vgl. Kingsley 1995; zu Parmenides vgl. Kingsley 2000.

4.1 Theurgie und Tantra

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Grundsätzlich ist Iamblichos der Ansicht, dass im Moment der Besessenheit bzw. Inspiration der betroffene Mensch sein eigenes Leben gegen ein göttliches austausche bzw. ein göttliches Leben von ihm Besitz ergreife (III 4, 111,1: τινα θειοτέραν ζωὴν ἀνταλλάσσονται). Die „sicheren Anzeichen“ (τὰ τεκμήρια) für eine echte göttliche Besessenheit (κατοκωχή, ἐνθουσίασις) bzw. Inspiration (ἐπίπνοια) sucht Iamblichos vor allem in III 4–6 zu benennen. Dabei scheint es ihm nicht um eine vollständige Aufzählung derselben zu gehen, entsprechen der Vielzahl von Arten der Besessenheit und Inspiration doch „viele verschiedene Anzeichen“ (III 5, 111,4: πολλὰ τὰ σημεῖα). Doch ist bemerkenswert, was er als „sicherstes Anzeichen“ (τεκμήριον μέγιστον) präsentiert: die Unempfindlichkeit gegenüber körperlichen Schmerzen. Here is the greatest evidence: for many, even when fire is applied to them, are not burned, since the fire does not touch them on account of their divine inspiration. And many who are burned do not react, because at this time they are not living the life of an animate being. And some who are pierced with spits have no awareness of it, nor do others who are struck on the back with axes; still others whose arms are cut with knives do not feel it at all. Their actions are in no way human, because what is inaccessible becomes accessible under divine possession: they cast themselves into fire and they walk through fire, and they walk over rivers like the priestess at Kastabala. (III 4, 110,4–12)

Es ist auffällig, wie stark die von Iamblichos angeführten Beispiele an gewisse Praktiken indischer Asketen bzw. sogenannter Fakire erinnern. Dies gilt auch für Phänomene wie das „In-der-Luft-Schweben“ oder die „Ausdehnung“ des Körpers, die später genannt werden (III 5, 112,3 f.).

4.1.9 Licht und Sonne Im Zentrum von Abhinavaguptas Lehre steht eine Lichtmetaphysik, in welcher Wesen und Aktivität des göttlichen Bewusstseins Śivas als prakāśa (Licht, Glanz) vorgestellt wird.526 Das göttliche Licht wird – gleich im Platonismus – als Seinsund Erkenntnisgrund alles Seienden, als „Verbindung“ (śleṣa, ζυγόν) derselben, aufgefasst.527 Außerdem finden sich im kaschmirischen Śivaismus Elemente einer Sonnenverehrung, die mit jener der theurgischen Neuplatoniker in vieler Hinsicht korrespondiert. Am deutlichsten spricht sich dies wohl in einer – Julians Rede auf König Helios oder Proklos’ Hymne an Helios vergleichbaren – in Kaschmir entstandenen mystischen Hymne an die Sonne, Sāmbapañcāśikā, aus, die zudem von Abhi-

 Dazu ausführlich: Muller-Ortega 2004; Dyczkowski 1987, 59–68.  Vgl. Dyczkowski 1987, 60.

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navaguptas berühmtestem Schüler Kṣemarāja (11. Jh.) mit einem Kommentar versehen wurde.528 Das Alter der Hymne als solcher ist nicht genau zu bestimmen, doch wurde das 8. Jahrhundert vorgeschlagen, insofern zu dieser Zeit der Sonnenkult in Kaschmir sehr verbreitet gewesen sein soll.529 In besagtem Kommentar – und der darin vorgenommen Integration des Sonnengottes Sūrya in die Metaphysik des nicht-dualistischen Śivaismus – ist eine Verschmelzung von Sūrya mit Śiva zu beobachten. Man sieht hier ähnliche Tendenzen am Werk wie in den griechisch-römischen Solartheologien der Spätantike: die Eingliederung traditioneller religiöser Gottheiten und ritueller Praktiken in eine nicht-dualistische Metaphysik. Auch im Falle der Śivaiten bot das Licht bzw. die Sonne hierfür den angemessen Referenzrahmen, wurde das höchste Prinzip, personifiziert in Śiva, doch seit jeher als lichthaft vorgestellt und die Sonne als sichtbares Symbol desselben erachtet.530 In Vers 11 der Hymne Sāmbapañcāśikā werden ausdrücklich drei Seinsweisen der göttlichen Sonne unterschieden: sthūla-sūkṣma-para, d. h. grobstofflich-feinstofflich-immateriell. Die belebende Kraft der Sonne betrifft dabei sowohl die fein- als auch die grobstoffliche Ebene (v. 24). Dabei spielen der Verfasser der Hymne sowie sein śivaitischer Kommentator bewusst mit gewissen mikro- und makrokosmischen Korrespondenzverhältnissen. Wie z. B. aus Vers 43 – und deutlicher noch aus Kṣemarājas Kommentar dazu – hervorgeht, wird der SanskritTerminus suṣumṇā in seiner Doppelbedeutung gebraucht, der zufolge er sowohl den Hauptstrahl der Sonne als auch den Hauptenergiekanal des Subtilkörpers – auch madhya-nāḍī, „zentraler Kanal“, genannt – im Kuṇḍalinī Yoga bezeichnet. Damit haben wir jedoch dieselbe Strukturanalogie vor uns wie im Falle der Neuplatoniker. Doch noch weitere Parallelen springen ins Auge, so wenn man mit B. Bäumer in der Hymne drei Aspekte Sūryas unterscheidet: „one is considered as a form or manifestation of Śiva [...]; the second is his interiorised identification with prāṇa [...]; and the third is the Sun as the central divinity, visible symbol of the Divine“.531 Entsprechungen zu jenen in Kap. 2.5 und 3.2.3.3 ausführlicher dargelegten neuplatonischen

 Eine kommentierte englische Übersetzung dieser Hymne liefert Bäumer 2006. Kṣemarājas Kommentar wurde bislang in keine europäische Sprache übersetzt. Ich hatte das Privileg, Teile dieses Kommentars mit einer kleinen Gruppe von Studenten unter kundiger Führung Bettina Bäumers und eines Sanskritgelehrten während eines Forschungsaufenthalts im Winter 2019/20 in Benares zu lesen.  Vgl. Bäumer 2006, 2.  Die Licht-/Sonnensymbolik als solche ist auch in Indien sehr alt. Schon in den Upaniṣaden findet sich die Vorstellung von Brahman als der „Sonne des Alls“, ferner auch der Glaube, dass die Seele vermittels der Sonnenstrahlen zum Göttlichen aufsteige. Vgl. z. B. Chāndogya Upaniṣad III 1–11; VIII 6; Muṇḍaka Upaniṣad I 2, 5 f. Zur Sonnenverehrung in Indien allgemein: Pandey 1971; Srivastava 1972.  Bäumer 2006, 3.

4.1 Theurgie und Tantra

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Vorstellungen werden augenfällig: (1) Der erste Aspekt verweist auf die mehrfache Bedeutung von Helios als eines zugleich noetischen, noerischen und sichtbaren (oder gemäß chaldäischer Terminologie: empyrischen, ätherischen und materiellen) Gottes. (2) Der zweite Aspekt, die Identifizierung der Sonne mit prāṇa (d. i. die einem jeden Wesen innewohnende Lebenskraft und wörtliche Entsprechung zum griechischen πνεῦμα im Sinne einer feinstofflichen Substanz) gemahnt an das sonnenhafte ὄχημα bzw. dessen substanzielle Verwandtschaft mit den Sonnenstrahlen (ὀχετοί, die οἷον ὄχημα fungieren).532 (3) Der dritte Aspekt bezieht sich auf die sichtbare Sonne als wahrnehmbares Abbild oder Symbol der höheren ontologischen Ebenen. Die Immanenz Sūryas als „höchstem Gott“ (paramāditya) wird vermittels prāṇa, der feinstofflichen Lebenssubstanz, erklärt (v. 2), was an das für die Manifestation der neuplatonischen Götter nötige, sonnenhafte Immanenzmedium gemahnt. Dass vermittels bestimmter Ein- und Ausatemtechniken gleichsam die göttliche Sonne verinnerlicht werde, geht aus den Versen 2 und 5 hervor (und wir erinnern uns hier an das in den Chaldäischen Orakeln erwähnte „Einatmen“ (ἀνάπνοοι) sowie an die entsprechenden Parallelen bei Iamblichos, De myst. II 8, und in der Mithrasliturgie). Analog zu den verschiedenen wohltätigen Wirkungen, die Julian der Sonne in seiner Rede An die Göttermutter – oder Proklos Apollons Licht (In Crat. § 176) – zuspricht, wird Sūrya in der Hymne Sāmbapañcāśikā ausdrücklich als Spender von bhukti (weltlichen Gütern) und mukti (Erlösung) bezeichnet (v. 46) – seine Wirkung bleibt mithin nicht auf die im engeren Sinne soteriologische Bedeutung beschränkt, sondern beinhaltet ebenso irdisches Glück und Gesundheit etc.533 Wir belassen es hier bei der Nennung dieser Parallelen, die gewiss wert wären, einmal im Detail untersucht zu werden. Doch auch in der Beschreibung gewisser Meditationsübungen (dhyāna) ist die Licht- bzw. Feuerterminologie auffällig. In Kapitel V (22–25) seines Tantrāloka kommt Abhinavagupta im Kontext des als āṇavopāya bezeichneten Wegs auf eine spezifische Meditationsübung zu sprechen, bei der Bhairava (d. i. Śiva) sich im „Herzen“ als „Feuer“ offenbare; die drei Energien des Feuers, der Sonne und des Mondes werden den drei Hauptgöttinnen des Trika-Systems, Parā, Parāparā und Aparā, zugeordnet.534 Diese Terminologie ist insofern nicht erstaunlich, als die Erzeugung einer „inneren Hitze“ bzw. eines „inneren Feuers“ (tapas) seit jeher zum

 Ähnliche schreibt Uždavinys 2014, 114: „The fiery breaths or channels of Agni (the AllWorking Fire) are analogous to the ethereal rays (ochetai) in the Neoplatonic cosmology and related soteriological rites.“  Bäumer 2006, 26 Anm. 22, verweist zumal auf Kṣemarājas Kommentar zu Utpaladevas Śivastotrāvalī V 8, wo er die Sonnenstrahlen (marīcayaḥ) mit der Kraft der Gnade (anugrāhikāḥ śaktayaḥ) parallelisiert.  Vgl. Skora 2020, 18.

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4 Komparative Perspektiven

Grundbestand tantrischer Techniken zählt.535 „Das Erwachen der kuṇḍalinî bringt eine außerordentliche Hitze hervor“, die sich im „Fortschreiten durch die cakra manifestiert“.536 „Die Texte führen aus, daß man die ‚psychische Hitze‘ sowohl durch Anhalten der Atmung wie durch die Umwandlung der sexuellen Energie erreicht, und zwar ist dieses Experiment immer von Lichtphänomenen begleitet“.537 Dies gemahnt wiederum an das Einatmen der göttlichen Sonnenstrahlen in den Chaldäischen Orakeln, an die Auffassung von der „Wärme“ (θέρμον) als „anagogischer Kraft“, das zeitweilige Aussetzen des Atems in der Assimilation göttlichen Lichtes (De myst. II 8), sowie an die Steigerung der inneren Wärme im Rahmen der – von Lichterscheinungen begleiteten – göttlichen Epiphanien (De myst. II 6). Auch wenn die eher sporadischen Hinweise der Neuplatoniker keine systematische Rekonstruktion der mit Atmung und Hitze verknüpften Praktiken erlauben, weisen sie doch in eine ähnliche Richtung bzw. sprechen eine ähnliche Sprache wie manche der tantrischen Texte.

4.1.10 Rolle des Subtilkörpers Schon G. Shaw hat in seiner Iamblichos-Monographie – unter Bezugnahme auf M. Eliades Yoga-Buch – die neuplatonischen Subtilkörpervorstellungen in einen engen Zusammenhang mit gewissen indischen Konzepten gestellt: The Neoplatonic doctrine of the imaginal body and its role in the theurgic ascent exemplifies what Mircea Eliade has called a ‚mystical physiology‘. In his well known study on yoga Eliade explains that the descriptions of such ‚physiologies‘ are not conceptualizations, but ‚images expressing transmundane experiences‘. It is in this sense that Iamblichus’ doctrine of the soul’s pneumatic or aethereal body must be understood, for he used physiological terms to describe experiences that transcend the physical realm.538

Die in diversen Strömungen indischer Religiosität, vor allem im Kontext des Yoga, formulierten Subtilkörpervorstellungen sind teils äußerst komplex und nicht immer ohne weiteres auf einen gemeinsamen konzeptuellen Nenner zu bringen.539 Dies beginnt bei der Terminologie. Die Sanskritsprache kennt einen Termi-

 Vgl. Eliade 2004, 114–117, 254–256, 338–343.  Eliade 2004, 254.  Eliade 2004, 339.  Shaw ²2014, 222. Auf ähnliche Zusammenhänge macht auch Culianu 2001, 172 u. 195 ff. aufmerksam.  Vgl. allgemein Samuel 2013.

4.1 Theurgie und Tantra

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nus, der recht genau mit dem griechischen λεπτότερον σῶμα (wörtlich: „feinerer Leib“) bzw. λεπτὸν ὄχημα (Or. Ch. fr. 120) korrespondiert, namentlich sūkṣmaśarīra oder sūkṣmadeha, was im wörtlichen Sinne schlicht „feiner/feinstofflicher“ (sūkṣma) „Körper“ (śarīra, deha) bedeutet. Es handelt sich um einen recht gängigen Begriff im Vedānta und in verschiedenen Yoga-Lehren. Nach Śaṅkaras Auffassung (vgl. BrSBh II 3, 47; III 1, 1) – und sie ist repräsentativ für den AdvaitaVedānta – zieht die Individualseele, umhüllt von ihrem aus 17 Faktoren sich konstituierenden Subtilkörper, aus dem toten Leib aus. Die im Subtilkörper gespeicherten karmischen Faktoren bilden den Samen für die nächste körperliche Existenz.540 Als „Träger“ der karmischen Spuren, welche sich aus einer Vielzahl früherer Existenzen speisen und als Determinanten für die jeweils zukünftige Existenzform fungieren, nimmt der Subtilkörper im Prozess der Transmigration eine entscheidende Rolle ein, sind es doch die karmischen Spuren, welche die individuelle Kontinuität über verschiedene Existenzformen hin (im Guten wie im Schlechten) verbürgen.541 Schon im Sāṃkhya lag ein feinstofflicher Körper der Transmigrationslehre zugrunde, insofern er als Träger der Individualität galt, in den sich „Eindrücke“ bzw. „Spuren“ (vāsanā, saṃskāra) der verschiedenen Leben eingeprägt hätten.542 Diese Lehre wurde von den tantrischen Strömungen aufgegriffen. Der Subtilkörper ist dort auch unter dem Terminus puryaṣṭaka bekannt, was wörtlich „die acht im Körper“ bedeutet und sich auf die acht Konstituenten dieses Körpers bezieht.543 Je nach Strömung wurde die Beschaffenheit des puryaṣṭaka durchaus unterschiedlich

 Hierauf bezieht sich Deussen 51922, 239, wenn er schreibt: „Ein dritter Begleiter der Seele auf ihren Wanderungen ist der ‚feine Leib‘ (sûkshmaṃ ҫarîram), d. h. ‚die den Samen des Leibes bildenden Feinteile der Elemente‘ [...] Während der grobe Leib im Tode dahinfällt, zieht der feine Leib mit den Organen aus; zum groben Leibe verhält er sich, wie der Same zur Pflanze, oder wie die mit der Seele ausziehende Funktion des Sehens, Hörens usw. zu dem körperlichen Auge und Ohr.“  Auch die Vorstellung des „Seelenwagens“ hat in Indien eine lange Tradition. Vgl. Magnone 2016.  Vgl. Zimmer 1961, 292–295. Das Wort vāsanā „kann auf den Geruch angewendet werden, der einem durchräucherten Gewand anhaftet. Ein Gefäß aus ungebranntem Ton bewahrt den Geruch von dem, was es zuerst enthielt, und ebenso ist der feinstoffliche Leib durchdrungen von seinen Vāsanās (‚den Düften, Wohlgerüchen, feinen Rückständen‘) seines ganz früheren Karmas“ (293). Dies gemahnt an die Einfärbung bzw. Befleckung des „feuchten“ ὄχημα-πνεῦμα bei den Neuplatonikern (ist aber auch auf mentale „Eindrücke“ wie Erinnerungen zu beziehen). Vgl. Porphyrios, De ant. § 11; Sent. XXIX; Iamblichos, De myst. IV 13, 198,11–13: πνεῦμα θολερόν καὶ δίυγρον; Hermeias, In Phdr. 73 f. (Übers. Bernard): „Es gibt auch eine Befleckung des Pneuma, denn von gewissen Dämpfen an den irdischen unreinen Orten und von gewissen zügellosen Handlungen wird die Befleckung in das Pneuma weitergegeben, welche allein die rituelle Kunst (τελεστική) erkennt und für eine jede passend die Reinigung vollzieht.“ Hintergrund dieser Vorstellung ist Platon, Phd. 81b–d.  Vgl. Goodall/Rastelli 2013, 476–478 (Stichwort puryaṣṭaka).

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4 Komparative Perspektiven

gedeutet. Gemäß Spandakārikā 49–50, einem Grundtext des kaschmirischen Śivaismus, ist die Individualseele (jīva) vom puryaṣṭaka gleichsam „gebunden“; und diesem Text zufolge umfasst der puryaṣṭaka – im Unterschied zur neuplatonischen Subtilkörpervorstellung – neben den fünf subtilen Elementen der Sinneswahrnehmungen (Geschmacks-, Tast-, Geruchs-, Gehör- und Sehsinn) auch Denkvermögen (manas), Intellekt (buddhi) und das Ego (ahaṃkāra) (d. h. Elemente, die im Platonismus als seelische oder geistige Vermögen bezeichnet würden). Es sind genannte acht Konstituenten, die Erfahrung im weitesten Sinne (einschließlich der Reflexion auf diese Erfahrung) ermöglichen. Das „Gebundensein“ der Seele in diesem feinstofflichen Körper besteht im Kern in ihrer Falschidentifikation mit diesen Konstituenten, d. h. einer Begrenzung des Bewusstseins auf niedrigere Ebenen der Subjektivität; dementsprechend besteht die „Befreiung“ in der Realisierung der Wesensidentität mit Śiva.544 Gerade im tantrischen Yoga wurde eine recht komplexe Subtilkörperterminologie entwickelt und die verschiedenen Konstituenten dieses Leibes sehr feingliedrig beschrieben. B. Bäumer hat die Subtilkörpervorstellungen, wie sie im – für den kaschmirischen Śivaismus autoritativen – Netra Tantra erscheinen, im Rahmen ihrer Studie The Yoga of Netra Tantra (2019) zu rekonstruieren versucht. Im Netra Tantra werden drei Grundformen des Yoga (dhyāna) – entsprechend der oben erläuterten Unterscheidung zwischen den verschiedenen Wegen der Verwirklichung allesamt dem niedrigsten (āṇavopāya) zuzuordnen – unterschieden, die drei Realitätsdimensionen entsprechen: (1) sthūla-dhyāna (körperlicher Yoga), (2) sūkṣma-dhyāna (feinkörperlicher Yoga) und (3) para-dhyāna (höchster Yoga, geistige Meditation). Man kann diese Dreiteilung mit jener der Neuplatoniker – (1) materielle Riten, (2) Reinigung des Subtilkörpers und (3) rein geistige Riten bzw. Götterverehrung – engführen.545 In beiden Fällen zielt erstere Form – neben der Vorbereitung auf die höheren Stufen – nicht zuletzt auf irdische Güter wie Gesundheit ab, die letzten beiden Stufen sind genuin soteriologischer Natur.

 Vgl. Dyczkowski 1992, 132 f., 263–265; 1987, 108.  Man sieht hier zumal die Fruchtbarkeit des komparativen Vorgehens, um gewissen Verengungen des Ritualverständnisses, unter denen viele Forschungen zur antiken Philosophie nach wie vor leiden, entgegenzuwirken. Wie z. B. Mazur 2004, 42–44, beklagt hat, kranken die meisten modernen Zugänge zum Phänomenkomplex des Rituals einerseits an dem letztlich immer noch cartesianischen Referenzrahmen, der (rationales) Denken und Handeln in zwei kategorisch getrennten Sphären verortet, andererseits an der Reduktion ritueller Praxis auf äußere Handlungen des (grobstofflichen) Körpers. Gerade das Studium östlicher Tradition mit ihren elaborierten Ritual- und Meditationsformen – z. B. eben jene Dreiteilung des Yoga im Netra Tantra – würde hier die Formulierung eines angemesseneren Paradigmas zum Verständnis des (der Sache nach je schon miteinander verschränkten) Verhältnisses von Theorie und Praxis, Erkennen und Tun, erlauben.

4.1 Theurgie und Tantra

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Die dem sūkṣma-dhyāna (feinkörperlichen Yoga) zugrundeliegende Physiologie umfasst neben den als nāḍis bezeichneten Energiekanälen, den subtilen Energiezentren (cakras), Knoten (granthis), Stützen (ādhāras), ferner sogenannte lakṣyas (Konzentrationspunkte), vyomas (Formen der Leere) und dhāmans (Lichter), die allesamt im Meditationsprozess eine gewisse Rolle spielen.546 Genannte Strukturen werden vom Yogi gleichsam in seinem Leib visualisiert und an verschiedenen Punkten verortet. Eine solche Praxis beinhaltet die Visualisierung von Mantras, wobei bestimmte Mantras gleichsam – mit einer Handbewegung (mudrā) verbunden, die das jeweilige Körperteil berührt – auf dem Körper verteilt werden.547 Dieser Praxis wird eine reinigende Funktion zugesprochen und sie zielt darauf ab, den Körper zu einem Rezeptakel zum Empfang der Gottheiten zu gestalten.548 Am ehesten wäre diese Praxis mit jener der συνθήματα (unter die ja auch die göttlichen Namen zu subsumieren sind) zu vergleichen, die den Neuplatonikern zufolge in den Kosmos wie auch in die menschliche Seele „gesät“ wurden und gleichsam aktiviert werden müssen.

 Bäumer 2019, 43. Vgl. Vasudeva 2017, 7 f. In ähnlicher Form erwähnt bei Abhinavagupta, TĀ XIX 15. Padoux 2011, 103, will diese im Netra Tantra beschriebene Struktur sehr klar von dem Begriff sūkṣmaśarīra unterschieden wissen. Denn während die im yogischen Kontext beschriebene Physiologie wesentlich auf Visualisierungspraktiken beruhe, fungiere der sūkṣmaśarīra als davon zu unterscheidendes Konzept, das den Transmigrationsvorgang plausibilisiere: Im Unterschied zum feinstofflichen Körper des Yogi „it can be conceived, but not visualized.“  Abhinavagupta beschreibt diese Praxis recht ausführlich in TĀ XV. Dazu Sanderson 1986. Zu Abhinavaguptas Subtilkörpervorstellungen vgl. Skora 2020 u. Biernacki 2020.  So schreibt Padoux 2011, 104: „The latter’s body appears thus as permeated by the power of the word which may simply purify it (for the performance of a ritual, for instance), but which can also inhabit it to such an extent that it becomes the receptacle of the deity and even is identified with it. [...] By their presence in it, mantras do not merely purify or divinise the body: being supernatural entities with a cosmic dimension and role, they ‚cosmicise‘ it. Embodying as they do the traditional Indian homology of the human body and the cosmos, they give a cosmic dimension to the image the Tantric adept has of his body: he transcends his limits.“ Padoux bezeichnet den yogischen Körper auch als imaginary body (103), was von Bäumer 2019, 9, sowie von Skora 2020, 29 Anm. 1, kritisiert wurde, die beide das Adjektiv imaginary im Sinne von „irreal“ zu nehmen scheinen und es daher für die Klassifizierung des betreffenden Körpers ablehnen. Die Frage wäre hier, ob man das „Imaginäre“ im Sinne des heute gebräuchlichen Wortverstands auffassen muss oder nicht vielmehr – im Sinne von H. Corbins mundus imaginalis – als eine gleichsam eigenständige, zumal im Verhältnis zur Sinnenwelt ontologisch höherstehende, Sphäre. Versteht man Padoux’ Klassifizierung im Sinne Corbins, so mag sie zur Bezeichnung des Subtilkörpers durchaus treffend sein. Auch das neuplatonische ὄχημα gilt ja als Sitz des Imaginationsvermögens (φαντασία).

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4 Komparative Perspektiven

4.1.11 Problem „transgressiver“ Praktiken Es sei an dieser Stelle ein Wort zur Problematik „transgressiver“ Praktiken erlaubt, die mit dem Begriff Tantrismus (vor allem im Vulgärverständnis desselben) meist zuallererst verbunden werden. Auch dieser Themenkomplex ist den Neuplatonikern nicht fremd. So wird man bemerken, dass unter die „moralisch fragwürdigen“ Riten, die Iamblichos in De mysteriis zu legitimieren sucht, u. a. das Errichten phallischer Statuen fällt. Er deutet sie als „Symbole der erzeugenden Kraft“, die um der Fruchtbarkeit der Welt willen aufgestellt würden (vgl. I 11, 38,10–39,3). Nun hatte Iamblichos hier höchstwahrscheinlich die ägyptische Gottheit Min im Blick, die für gewöhnlich ithyphallisch, d. h. mit erigiertem Glied, dargestellt wurde;549 doch gehört der Phallus, als Symbol Śivas, zum Kernbestand des Śivaismus550 (ähnliches gilt übrigens für das Symbol des Lotus, das Iamblichos in VII 2 erläutert und das zum Grundbestand ägyptischer wie indischer Symbolik zählt). Auch obszöne Äußerungen werden von Iamblichos gerechtfertigt, insofern sie das Gute durch dessen Gegenteil kenntlich machten. And as for the ‚obscene utterances,‘ my view is that they have the role of expressing the absence of beauty which is characteristic of matter and the previous ugliness of those things that are going to be brought to order [...] So then, once again, one is prompted to seek after the causes of form and beauty when one learns the nature of obscenity from the utterance of obscenities; one rejects the practice of obscenities, while by means of uttering them one makes clear one’s knowledge of them, and thus turns one’s impulses in the opposite direction. (I 11, 39,3–10) The powers of the human passions that are within us, when they are repressed, become correspondingly stronger; but if one exercises them in brief bursts and within reasonable limits, they enjoy moderate relief and find satisfaction, and hence, being ‚purified‘ [...] and similarly in the sacred rites, by viewing and listening to obscenities we are freed from the harm that would befall us if we practised them. (I 11, 39,11–40,6)

Die in Kap. 2.3 diskutierte oppositionelle Komplementarität der Symbole – bzw. das damit intendierte (Un-)Ähnlichkeitsverhältnis – begegnet uns hier erneut. Nicht zu übersehen ist, dass die Begründung derartiger Praktiken, die man insofern als „transgressiv“ bezeichnen könnte, als sie gegen gewisse Sittlichkeitsvorstellungen der Gesellschaft verstoßen, von jener der Tantriker abweicht. Während obszöne

 Vgl. Derchain 1963, 224.  Zum Śiva-Liṅga allgemein vgl. Kramrisch 1981, Kap. VII; Daniélou 1992, 343–358. Abhinavagupta hat der Liṅga-Verehrung ein ganzes Kapitel seines Tantrāloka gewidmet (vgl. TĀ XXVII); vgl. auch Muller-Ortega 1989, 111–113. Ein die Konsekration des Śiva-Liṅga behandelnder śivaitischer Ritualtext wurde ediert von Brunner-Lachaux 1998.

4.1 Theurgie und Tantra

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Äußerungen bei Iamblichos gerade dazu dienen sollen, obszöne Handlungen zu verhüten, schließt der Tantrismus im rituellen Kontext noch letztere mit ein (wobei diese teils rein symbolisch gedeutet werden).551 Die als „fünf M’s“ (pañchamakāra) bekannten Praktiken, d. i. die rituelle Verwendung von fünf im brahmanischen Hinduismus tabuisierten Substanzen bzw. die mit diesen verbundenen Handlungen – madya (Alkohol), māṃsa (Fleisch), matsya (Fisch), mudrā (geröstetes Getreide), maithuna (Geschlechtsverkehr) –, zielen auf eine bewusste Durchbrechung von Gegensätzen wie „rein/unrein“, „gut/böse“ etc. ab, die als bloß relative Gegensätze verstanden werden.552 Geht man von der Allpräsenz des Göttlichen aus, so manifestiert es sich eben auch in jenen von den Moralvorstellungen einer bestimmten Gesellschaft abgelehnten oder verachteten Dingen.553 Man sieht hier, wie der tantrische „Inklusivismus“ noch diese Aspekte einzuschließen versucht. Obgleich wohl kein Neuplatoniker so weit gegangen wäre und sich das Moment der Transgression im Tantra gewiss radikaler darstellt als im Kontext der Theurgie, ist folgender Grundgedanke doch in beiden Fällen leitend: dass noch (bzw. gerade) das (vermeintlich) „Niedrigste“ von einer göttlichen Präsenz durchherrscht ist, dass mithin gerade dieses „Niedrigste“ als Vehikel ritueller Praxis dienen kann. In diesem Sinne ist Iamblichos’ Rechtfertigung der rituellen Verwendung gewisser materieller Substanzen – und das damit verknüpfte Konzept der „göttlichen Materie“ – strukturell vergleichbar mit den „fünf M’s“.

 Der Begriff der „Transgression“ (παράβασις) der kosmischen Ordnung ist – in Verbindung mit jenem der menschlichen „Dreistigkeit“ (τόλμα) – bei Iamblichos somit durchaus negativ konnotiert (vgl. De myst. IV 10, 194,5 f.).  Das heißt nicht, dass diese fünf Praktiken in allen tantrischen Strömungen präsent waren. Weder in den älteren Kaula-Tantras sind sie in dieser Form angeführt, noch in Abhinavaguptas Tantrāloka. Dort wird lediglich auf drei derselben (madya, māṃsa, maithuna) angespielt (TĀ XXIX 98). Vgl. Dupuche 2008, 123 f.; Goodall/Rastelli 2013, 352 f. (Stichwort pañchamakāra). Zu den pañchamakāra allgemein vgl. auch Zimmer 1961, 508 f.; Brion 2016. Interessanterweise hat man verschiedentlich bemerkt, dass das Konzept des Nichtdualismus im frühen tantrischen Schrifttum primär ritualistischer Art, d. h. auf die Durchbrechung ebenjener Grenzen zwischen „rein/ unrein“ bezogen, war, und erst später in seiner ontologisch-epistemologischen Tragweite theoretisch elaboriert wurde. Vgl. Törzök 2014; Torella 2015. Zur Relativität bzw. Bewusstseinsabhängigkeit des Gegensatzes „rein/unrein“ vgl. Abhinavagupta, TĀ IV 244 ff.; XV 163 f.; ferner Vijñāna Bhairava § 121.  Entsprechend lautet ein tantrisches Sprichwort: „Durch dieselben Handlungen, die manche Menschen Millionen Jahre in der Hölle brennen lassen, erlangt der Yogin sein ewiges Heil“ (zitiert bei Eliade 2004, 272).

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4 Komparative Perspektiven

4.1.12 Rolle weiblicher Gottheiten Eher am Rande hat man auf Parallelen in der exponierten Rolle, die weibliche Gottheiten in Tantrismus und Neuplatonismus einnehmen, aufmerksam gemacht.554 Im tantrischen Götterpantheon begegnet uns das Weibliche auf ganz verschiedenen Ebenen:555 allgemein als Śakti (Partnerin Śivas), in den sogenannten Mahāvidyās (verschiedene Manifestationsformen der „großen Göttin“, Devī), im Kult der Yoginīs (weibliche Gottheiten bzw. Geistwesen) etc. sowie nicht zuletzt in der faktischen Verkörperung Śaktis in einer „realen“ Frau.556 Im kaschmirischen Trika-Śivaismus begegnen wir ihm zumal in den drei höchsten Gottheiten Parā, Aparā und Parāpara, die ihrerseits Aspekte Śaktis darstellen. Nun lässt sich auch im theurgischen Neuplatonismus eine – innerhalb der platonischen Tradition überproportionale – Präsenz weiblicher Gottheiten ausmachen. Kaiser Julians Rede an die Göttermutter (Kybele bzw. Rhea) zeugt hiervon nicht weniger als beispielsweise die erhaltenen Hymnen des Proklos, die in der Mehrzahl an weibliche Gottheiten gerichtet sind. Neben einer Hymne an Rhea-Hekate hat er eine Hymne an Athene, zwei Hymnen an Aphrodite sowie eine Hymne an die Musen verfasst. Wie R. M. Van den Berg bemerkt, handelt es sich bei den allermeisten dieser Götter um untergeordnete Gottheiten (d. h. der hyperkosmischen und hyper-enkosmischen Sphäre zugehörige) – vermutlich weil diesen im Aufstieg der Seele eine Schlüsselrolle zugesprochen wurde.557

 Vgl. McEvilley 2002, 591. Zum Weiblichen in der platonischen Tradition allgemein vgl. Dillon 1986, der nicht zuletzt darauf hinweist, dass es vor allem die „‚underworld‘ of Platonism“, d. h. Gnostizismus und Chaldäische Orakel, waren, „where female principles abound and proliferate“ (120). Vgl. ferner Tommasi Moreschini 1998, 978 f., sowie den jüngst erschienenen, von Schultz/ Wilberding edierten Sammelband Women and the Female in Neoplatonism (2022), dort bes. die in Teil 3 („Female Principles in Neoplatonic Metaphysics and Science“) versammelten Beiträge.  Zur Rolle weiblicher Gottheiten im Tantrismus allgemein vgl. Filippani-Ronconi 1994, 71–78; Kinsley 1998; Hatley 2012. Zu ihrer Rolle im kaschmirischen Śivaismus vgl. Sanderson 1990; Dupuche 2008. Die höchste Valenz wird weiblichen Gottheiten in den sogenannten Śākta-Traditionen (beispielsweise im Śrīvidyā-Kult) zugesprochen.  Insofern eines der „fünf M’s“, namentlich maithuna, die sexuelle Vereinigung mit einer – i. d. R. niedrigkastigen – Frau beinhalten kann, zeigt sich, wie das Weibliche im Tantrismus mit dem Moment der Transgression zusammenhängt, gewissermaßen ein transgressives Vehikel darstellt. Auch in der rituellen Präferenz von Frauen aus niedrigster Kaste spiegelt sich freilich der bewusste Bruch mit Kategorien wie „rein/unrein“ wider.  Vgl. Van den Berg 2001, 40–43. Zu den mit Rhea-Hekate assoziierten Riten auch Van den Berg 2003.

4.2 Ausblick: Theurgie und persischer Sufismus

235

Man darf ferner an die Zentralstellung Hekates in den Chaldäischen Orakeln und der Theurgie erinnern.558 Ob man diese Göttin dort nun – wie eine Vielzahl von Interpreten – mit der Weltseele, oder – wie H. Seng (2016) – mit der „δύναμις des Vaters“ identifiziert; in beiden Fällen nimmt sie eine vermittelnde Funktion ein, und zwar sowohl im Manifestationsprozess – d. h. als eine Art „leben-verleihende“ (Or. Ch. fr. 32: ζωογόνος), weibliche Schöpfungsmatrix – als auch im Wiederaufstieg des Theurgen zu den Göttern. Vor allem die Interpretation im Sinne der „δύναμις des Vaters“ impliziert eine deutliche strukturelle Parallele zu Śakti (als δύναμις Śivas) im Tantrismus, handelt es sich doch jeweils um eine genuin feminine Potenz, der die ausschlaggebende Rolle in der Genese des sichtbaren Kosmos sowie im Rückstieg zu den Göttern zugesprochen wird.559

4.2 Ausblick: Theurgie und persischer Sufismus Unser Thema bietet weitere komparative Potentiale und eine ganze Anzahl jener sachlichen Parallelen, die in Kap. 4.1 im Hinblick auf theurgischen Neuplatonismus und kaschmirischen Śivaismus angesprochen wurden, ließe sich grundsätzlich auch in Ausweitung des Horizontes auf andere spirituelle Traditionen sinnvoll diskutieren. Dies sei ausblickhaft nur in Bezug auf eine weitere Tradition skizziert, die hierfür m. E. ein besonders fruchtbares Feld böte: die persische Mystik, und d. h. einerseits die als „persischer Platonismus“ bezeichnete Schule der „Erleuchtungsphilosophie“ in der Tradition von Šihāb ud-Dīn Yaḥyā Suhravardī (12. Jh.) – einschließlich deren Transformation und Fortentwicklung in der sogenannten „Schule von Isfahan“, als deren bedeutendster Vertreter Ṣadr ud-Dīn Muḥammad Šīrāzī

 Johnston 1990, 149, bezeichnet Hekate als „the Chaldean deity most directly involved with man’s salvation“. Vgl. auch Bergemann 2006, 271 ff., der zu dem Ergebnis kommt, dass sich in der Gestalt Hekates spirituelle Techniken, metaphysische Spekulationen und traditionelle Mythologie verbinden (vgl. 317). Er bezieht ferner den in Or. Ch. fr. 123 genannten „warmen Hauch“ auf Hekate (313 f.).  Zu Hekate als ἀλκή („Kraft“) vgl. auch Lewy ³2011, 54 f. Auch dieser Terminus bleibt ambivalent: In zentrifugaler Hinsicht meint er eine „bindende“ Kraft, welche das Manifestierte unter die Bande des Schicksals und der Natur zwingt; in zentripetaler Hinsicht eine „lösende“ Kraft, die es wieder daraus zu befreien vermag. Gemäß chaldäischer Lehre erscheint übrigens Hekate, wie Lewy ³2011, 365, herausgestellt hat, je nach dem inneren Zustand eines Menschen, in sehr verschiedener Form: „The Chaldean Hecate encountered the human souls in forms always adequate to their internal conditions: for those sunk in the body she was necessity; for the erring, demonic temptation; for the renegade, a curse; for those who recalled their divine nature, a guide; and for those who returned home, grace.“ Auch dies erinnert an die weiblichen Gottheiten im Tantrismus.

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4 Komparative Perspektiven

(16./17. Jh.), genannt Mullā Ṣadrā, gilt –;560 andererseits Denker wie der – vor allem als Kommentator Ibn ʿArabīs berühmte – schiitische Theologe des Sufismus Seyyed Ḥaydar Āmolī (14 Jh.).561 Es seien hier nur einige relevante Punkte angeführt, die unter komparativen Vorzeichen ausgeleuchtet werden könnten: Zunächst ist das in Kap. 4.1.2 zur hermeneutischen Grundsituation Ausgeführte in weitem Maße auch für die persischen Mystiker gültig, deren Wirken sich ebenfalls im Rahmen einer „traditionellen Metaphysik“, und d. h. im Spannungsfeld von rationalem Diskurs, Exegese von als autoritativ anerkannten Texten sowie eigener spiritueller bzw. religiöser Erfahrungen, abspielt.562 Gleiches gilt hinsichtlich der verschiedenen Textgattungen, in denen sie sich ausgedrückt haben. Bei den genannten persischen Autoren sind – neben sachlichen Übereinstimmungen – wohlgemerkt sogar historische Abhängigkeiten vom Platonismus nachweisbar.563 Vor allem die Parallelen bezüglich des Zieles spiritueller Verwirklichung – arabisch taʾalluh („Gottähnlichkeit“), eine wörtliche Übertragung der griechischen Vorstellungen der θέωσις bzw. der ὁμοίωσις θεῷ564 –, bezüglich der Ideenlehre sowie der Struktur der göttlichen Hierarchien (Angelologie etc.), deren Rolle in der Vermittlung zwischen höchstem Prinzip und dem Menschen etc. sind frappierend. In der Tradition der sogenannten Erleuchtungsphilosophie werden diese Hierarchien zudem als Stufen der Intensität von Licht, die Gesamtwirklichkeit

 Zu Suhravardī sowie zur Schule von Isfahan allgemein: Corbin 1971 (Bd. 2 u. 4); Nasr 2013, 125 ff. u. 239 ff.  Zu Ḥaydar Āmolī allgemein: Antes 1971; Corbin 1971 (Bd. 3), 149–213.  Vgl. das in Fn. 445 zu den verschiedenen Erkenntnismitteln Gesagte, das uns in analoger Form in der islamischen Mystik begegnet, namentlich in der Unterscheidung zwischen rationalem Vernunftgebrauch (ʿaql), autoritativem Bezug auf die religiöse Tradition (naql) sowie esoterischem Weg (kašf), welch letzterer spirituelle Praktiken, einschließlich einer spirituellen KoranHermeneutik (taʾwīl), beinhaltet. Vgl. Amuli, Épître, § 5; dazu auch Antes 1971, 68; Chittick 1989, 159–170. Zur entsprechenden Dreiteilung bei Mullā Ṣadrā vgl. Moris 2003. Vgl. ferner die Darlegung der besagten drei legitimen Wege der Erkenntnisgewinnung bei einem der bedeutendsten schiitischen Theologen des 20. Jahrhunderts: Tabatabai 1971, 89–120.  Man erinnere sich der Existenz arabischer Übersetzungen von Plotins Schriften – am bekanntesten ist jene mit Theologia aristotelis betitelte Sammlung – ab dem 9. Jahrhundert, ferner jener des Proklos (wie das sogenannte Liber de causis), die jeweils eine große Wirkung im islamischen Kulturkreis entfaltet hatten (vgl. Endress 1973; Adamson 2002; Wakelnig 2006); ferner gab es arabische Iamblichos-Übersetzungen (vgl. Daiber 1995). Zur Überlieferung griechischer Philosophie in der arabischsprachigen Welt allgemein: Badawi ²1987. Zum neuplatonischen Hintergrund Suhravardīs: Walbridge 2000; Landolt 2008; Arnzen 2011, 119–150.  Vgl. Gösken 2014, 118.

4.2 Ausblick: Theurgie und persischer Sufismus

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als ein einziges Lichtkontinuum vorgestellt.565 Und wie im Falle der Neuplatoniker dient diese Lichtmetaphysik einer inklusiven Vision auf die Geistesgeschichte. So zielt Suhravardī namentlich auf die Integration diverser Lehrgehalte der vorislamischen (d. h. zoroastrischen) Tradition Persiens wie auch der griechischen Philosophie ab.566 Dies impliziert bei ihm übrigens nicht nur die theoretische Inklusion traditioneller (nicht-islamischer) Gottheiten – wie der zoroastrischen Engel, der Planetenseelen etc. – in eine Einheitsmetaphysik; er hat – innerhalb des Islams recht ungewöhnlich – sogar verschiedene Gebete und Anrufungen an diese Mittlerwesen (einschließlich der Sonne) verfasst, war nicht zuletzt berühmt für seine Kenntnisse in Magie und Alchemie.567 Der „theurgische“ Zug Suhravardīs ist nicht zuletzt daran festzumachen, dass für ihn Erkennen und Wirken in Gottes Wesen eins sind, mithin Gottähnlichkeit stets auch eine Ähnlichkeit zu dessen Wirken, und d. h. eine

 Vgl. dazu Ziai 2004; Uždavinys 2005. Es sei bemerkt, dass der arabische (und persische) Terminus für „Erleuchtung“, d. i. išrāq, eine wörtliche Übersetzung von ἔλλαμψις ist (vgl. Gösken 2014, 105).  Vgl. die Selbstverortung Suhravardīs in seiner Philosophie der Erleuchtung, § 4, wo er sich in genuin perennialistischer Manier in eine Weisheitstradition einreiht, welche Vorsokratik, Hermes, Platon wie auch die altiranischen Weisen umfasst, die allesamt dasselbe gelehrt hätten (dazu auch Walbridge 2000 u. 2001). In Quṭb ud-Dīn Šīrāzīs Kommentar zum Prolog der Philosophie der Erleuchtung ist die perennialistische Perspektive ebenfalls stark akzentuiert (vgl. Livre de la sagesse orientale, 241 ff.). Corbin 2006, 42, bemerkt: „Ce platonisme de l’Orient, ce néoplatonisme zoroastrien de l’Iran, anticipant dans le temps sur les projets d’un Gémistos Pléthon et d’un Marsile Ficin, [...]“. Auch bei Ḥaydar Āmolī findet sich – wie vor allem aus dessen an Mandalas gemahnender Diagrammkunst hervorgeht – eine als perennialistisch zu bezeichnende Vision der Geistesgeschichte, die eine Art esoterischer Ökumene proklamiert (vgl. Corbin 2020, bes. 31–38).  Vgl. dazu Walbridge 2011, der ausdrücklich bemerkt: „Most of Suhrawardī’s texts relating to the celestial spirits are strictly devotional, addressing praise to them as exalted beings with near access to God. These texts are, to use his term, taqdīsāt, sanctifications. [...] It is, to be sure, a rather strange thing for a Muslim to be doing, since it borders on polytheism, but Suhrawardī, like the Late Antique pagan Neoplatonists, would surely protest that he was simply giving due reverence to the greatest of God’s servants, doing something little different than the formal greeting given to Muslim saints at their shrines. In fact, he is doing theurgy, something with very deep and continuing roots in the Platonic tradition. His prayers are very similar to those of Proclus addressed to the celestial bodies“ (93). Walbridge hat in seinem Aufsatz verschiedene Gebete und Anrufungen Suhravardīs gesammelt und übersetzt. Im weiteren Kontext müsste man zumal auf die Rolle gewisser spiritueller Praktiken aus dem Umfeld des Sufismus wie ḏikr bzw. taḏakkur („Gottgedenken“) – dies übrigens die wörtliche arabische Übertragung von ἀνάμνησις (vgl. Gösken 2014, 88) –, auf die Verwendung „göttlicher Namen“ etc. und deren Parallelen im theurgischen Neuplatonismus (sowie ggf. in indischen Traditionen) eingehen. Zur Theurgie im Islam vgl. grundsätzlich Martin 2011.

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4 Komparative Perspektiven

genuin schöpferische Aktivität, impliziert.568 Unter primärem Bezug auf Ḥaydar Āmolī und Suhravardī hat H. Corbin (wie in Kap. 4.1.5 bereits erwähnt) eine Typologie persischer Spiritualität entfaltet, die sich durch das Moment einer zweistufigen Integration sowie der Mitwirkerschaft des Menschen am göttlichen Werk – und d. h. zugleich: die Betonung der Wechselseitigkeit des Mensch-Gott-Verhältnisses – auszeichnet. Die zweistufige Integration erfüllt sich – nach anfänglicher Abwendung von der als illusorisch erachteten, manifestierten Vielheit der Dinge – in einer Wiederhinwendung zum nunmehr „differenzierten Ganzen“. „Nach der Integration der Vielfalt in die Einheit muss die Integration der Einheit in die wiedergewonnene Vielfalt erfolgen.“569 Ein Gutteil der von Corbin geltend gemachten Erkenntnisse würde sich in einem umfassenderen Vergleich mit theurgischem Neuplatonismus und kaschmirischen Śivaismus bewähren. Ferner ist an die Schlüsselrolle zu erinnern, welche das Vermögen der Imagination sowohl in der von Ibn ʿArabī ausgehenden als auch in der erleuchtungsphilosophischen Tradition einnimmt (wie wiederum Corbin nicht müde wurde zu betonen). Die Imagination fungiert dort – ähnlich wie bei Iamblichos oder Proklos – gleichsam als „Ort“ göttlicher Erscheinungen, ist zudem einer feinstofflichen Sphäre zugeordnet (für die Corbin den Begriff mundus imaginalis geprägt hat). Analog zum griechischen λεπτότερον σῶμα bzw. λεπτὸν ὄχημα und zum indischen sūkṣmaśarīra bzw. sūkṣmadeha ist in der persischen Mystik der Terminus „feiner Körper“ (badan-e laṭīf bzw. ǧism-e laṭīf) oder auch „imaginaler Körper“ (ǧism-e miṯālī)570 gebräuchlich, um den zwischen Seele und grobstofflichem Leib vermittelnden feinstofflichen Körper zu bezeichnen.571 Die Erfahrbarkeit dieses zur Erklärung von Theophanien, Visio-

 Vgl. Gösken 2014, 126. Von islamischen Sufis und Heiligen sind übrigens ähnliche Wundertaten überliefert wie die von uns in Kap. 4.1.8 diskutierten. Vgl. Kissling 1957; Schimmel 1985, 284–302. Zu den übernatürlichen Kräften des verwirklichten Menschen nach Ibn ʿArabī vgl. Izutsu 1984, 275–283. Bereits al-Bīrūnī (11. Jh.) hatte in seinem berühmten Kitāb al-Hind auf die Parallelen zwischen den in Patañjalis Yoga Sūtra berichteten übernatürlichen Kräften der Yogis und ähnlichen Wundertaten bei den Sufis berichtet (vgl. Al-Beruni’s India, Vol. I, ed. Sachau, 68 f.).  Corbin 2020, 17. Was hier als „Integration der Vielfalt in die Einheit“ bezeichnet wird, d. h. die erste Integration, entspricht dem, was Iamblichos unter die σμικρὰ τέλη subsumierte.  Dieser Begriff gemahnt eher an Termini wie φανταστικὸν πνεῦμα oder φανταστικὴ φύσις, mit denen z. B. Synesios den feinstofflichen Körper auch bezeichnet (s. Belege bei Kissling 1922, 326 f.). Auch Olympiodoros (In Phd. 6,2) fasst die Imagination als „Gewand der Seele“ (vgl. Hadot 2004, 92 f.).  Auf die Ähnlichkeiten der islamischen Subtilkörperlehren zu den neuplatonischen ὄχημαπνεῦμα-Lehren hat Corbin mehrfach hingewiesen, ohne diesen Themenkomplex einmal selber systematisch verfolgt zu haben. Vgl. z. B. die Hinweise bei Corbin ²1979, 115 ff.; 1981, 79, 170; 1998, 132 f. Freilich liegen auch entsprechende Parallelen zu den indischen Yoga-Physiologien vor, was schon deshalb nicht verwunderlich ist, weil auf dem indischen Subkontinent zuweilen eine gegenseitige Befruchtung zwischen islamischer Esoterik und Hindu-Spiritualität stattfand. So beru-

4.2 Ausblick: Theurgie und persischer Sufismus

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nen und Träumen immer wieder herangezogenen subtilen „Zwischenreichs“ setzt seitens des Menschen eine Form der höheren αἴσθησις voraus, deren feinstofflicher Träger (analog zum ὄχημα-πνεῦμα) von den islamischen Mystikern als eine den physischen Tod überdauernde Wesenheit konzipiert ist, der darüber hinaus – je nach Autor – eine mehr oder weniger wichtige eschatologische Funktion zugesprochen wird (die sich innerhalb des islamischen Rahmens aufgrund des Glaubens an die Auferstehung i. d. R. in etwas anderem Licht darstellt als bei den theurgischen Neuplatonikern).572 Was ferner in Kap. 4.1.12 über die Rolle des Weiblichen in Kosmopoiesis und Rückwendung zu den göttlichen Ursachen gesagt wurde, hat innerhalb der islamischen Esoterik ebenfalls gewisse Parallelen (beispielsweise in der Figur Fatimas).573 Es sei an dieser Stelle bei diesen eher kursorischen Bemerkungen belassen, deren Sinn allein darin bestand, den Weg für weitere komparative Forschungen zumindest zu eröffnen.

hen gewisse spirituelle Praktiken des im 14. Jahrhundert gegründeten Naqšbandī-Ordens auf einer an klassische Yoga-Lehren erinnernden, feinstofflichen Physiologie. Vgl. dazu Carbó 2002; Ventura 2019. Ferner verschiedene Texte in Ernst 2016.  Hier sind die persischen Mystiker oftmals sehr nahe an den christlichen RenaissancePlatonikern. Was z. B. das Jenseitsbild Mullā Ṣadrās – und vor allem: die Rolle der Imagination und des Subtilkörpers in dessen Auferstehungslehre – anlangt (vgl. dazu Al-Kutubi 2015, Kap. 6 u. 7), so kommt er in entscheidenden Punkten mit Marsilio Ficino überein (vgl. dessen Theologia Platonica XVIII; dazu: Klein 1956; 1960; Corrias 2012).  Vgl. Massignon 1938; Corbin 1956; ²1979, 82–99; 2006, 174–190; ferner Austin 1999; Dakake 2006; Laude 2010, Kap. 5; Bouvard 2012. Innerhalb der christlichen Tradition liegen analoge Bezüge zu Marienkult und Sophiologie, wie z. B. bei J. Böhme, F. v. Baader, W. Solowjew oder S. Bulgakow entwickelt, nahe.

5 Schluss Perché l’uomo perfetto scientificamente e non tutto corpo e non tutto spirito, ma la integrazione dei poteri dello spirito nel corpo che lo alimenta e serve alle sue manifestazioni, in un equilibrio costante da precludere la sua unità a tutte le prevaricazioni dei due fattori che lo compongono. ln termini chiari: è imperfetto un uomo che vive in uno stato patologico di esuberanza animica, come è imperfetto colui che vegeta affogando nella carne i diritti dell’anima. (Giuliano Kremmerz)

Die Hauptschritte vorliegender Arbeit seien nochmals in groben Zügen synthetisiert, um danach die wichtigsten Ergebnisse und Perspektiven, die sich aus dem Untersuchungsgang ergeben, in gleichsam komprimierter Form zu präsentieren. Im ersten Hauptteil (= Kap. 2) wurde das Phänomen der Theurgie anhand einer Reihe von Zentralvorstellungen untersucht. Neben der Rekonstruktion von Iamblichos’ theoretischer Abgrenzung der Theurgie gegenüber magischen Praktiken durch Reduzierung der menschlichen Rolle auf bloße Mitwirkerschaft – d. h. durch eine spezifische Bestimmung der ritual agency – lag unser Fokus primär auf Aspekten, die eine im Vergleich zu Mittelplatonismus und Plotin gewandelte Haltung zur Körperlichkeit und Sinnenwelt durchscheinen lassen: Dies betraf einerseits die anagogische Kraft der göttlichen Symbole, worin sich eine prononcierte Konzeption von der Präsenz göttlicher Kräfte noch in den untersten Manifestationsebenen ausdrückt; ferner wurde der Zusammenhang von Theurgie und Solartheologie näher erörtert, und zwar vorrangig im Hinblick auf die Schlüsselfunktion des ὄχημαπνεῦμα-Konzepts, das im zweiten Hauptteil (= Kap. 3) der Arbeit ausführlicher thematisiert wurde. Dieser Teil begann mit einer systematischeren Darstellung von Iamblichos’ Aufwertung von Körperlichkeit und Materie, die sich bei ihm in einigen doktrinalen Eigenheiten niederschlägt, die wir vor allem in Abhebung zu Plotin zu profilieren suchten. Hieran schloss sich eine Erörterung der Rolle des Seelenvehikels bei Iamblichos und Proklos an, wobei die Wichtigkeit, die diesem Konzept – d. h. einem feinstofflichen, unvergänglichen Körper, der zwischen immaterieller Seele und grobstofflichem Leib vermittelt – im theurgischen Neuplatonismus zugesprochen wurde, ebenfalls im Lichte der Aufwertung von Körperlichkeit, ja als ein Aspekt dieser Aufwertung, betrachtet wurde. Hierbei wurden nicht allein die anthropologischen Dimensionen der feinstofflichen Körperlichkeit berücksichtigt, sondern auch die theologisch-kosmologischen Dimensionen, nämlich durch systematische Einbeziehung der Hierarchie der sogenannten „höheren Genera“, denen nach Ansicht unserer Autoren auch eine Form von Körperlichkeit eignet und im Zusammenspiel von Gott und Menschen eine maßgebliche Vermittlungsaufgabe zukommt. Im dritten Hauptteil (= Kap. 4) wurden einige komparative Perspektiven eröffnet und gewisse Parallelen zwischen theurgischem Neuplatonismus und nichthttps://doi.org/10.1515/9783111248042-005

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dualistischem Śivaismus von Kaschmir herausgearbeitet. Die beiden Traditionen, so die dort verfolgte These, repräsentieren typologisch zwei analoge Formen von Spiritualität, die – gegen gewisse eher sinnenfeindliche und weltflüchtige Tendenzen ihrer Zeit – auf eine positive Integration auch ontologisch niedriger Wirklichkeitsebenen abzielen bzw. der seelischen und leiblichen Dimension des Menschen angemessen Rechnung zu tragen suchen. Während bisherige Studien den Übergang von Plotin zum nachplotinischen Neuplatonismus sowie dem damit einhergehenden ritualistic turn in erster Linie an einer gewandelten Seelenlehre festgemacht haben, lenkte vorliegende Arbeit den Fokus stärker auf ein gewandeltes Verhältnis zur Körperlichkeit, das von Iamblichos initiiert wurde und auch zuvörderst bei ihm greifbar wird, das in manchen Aspekten – z. B. der Zentralrolle des Seelenvehikels, der göttlichen Symbole, der rituellen Verwendung materieller Gegenstände etc. – jedoch auch bei etlichen seiner Nachfolger maßgeblich bleiben sollte und in diesem Sinne als Kennzeichen des theurgischen Neuplatonismus überhaupt gelten kann. Wir schlugen vor, diese idealtypisch in Iamblichos verkörperte Haltung als – verglichen mit Plotin und dem Mittelplatonismus – eine typologisch eigenständige Form von Spiritualität zu begreifen. Dies lässt sich besonders daran festmachen, dass Iamblichos den Rückstieg zum Göttlichen bzw. die Abwendung von der Sinnenwelt zu einem auf die „geringeren Ziele“ (σμικρὰ τέλη) beschränkt bleibenden, mithin unvollkommenen, Vorgang deklariert und vielmehr eine erneute Hinwendung zur Sinnenwelt fordert, die sich in einer positiven Teilhabe am demiurgisch-kosmogonischen Werk erfüllt.574 Aus dem – innerhalb der einzelnen Kapitel teils eher unterschwellig anklingenden, sie jedoch allesamt durchherrschenden – Grundtenor ging hervor, dass der theurgische Neuplatonismus letztlich als Suche nach immanenten Pforten zur Transzendenz verstanden werden muss. Im Grunde lieferte unsere Arbeit über weite Strecken schlicht Untersuchungen zu einzelnen solcher Pforten, und d. h. zu gewissen (körperlichen bzw. materiellen) Immanenzmedien: zu Symbolen, göttlicher Materie (bzw. aus dieser errichteten Götterstatuen), zum menschlichen Seelenvehikel – allesamt Medien, in denen sich die Götter verkörpern bzw. ihre Kräfte entfalten. Konzeptuell kreist die Arbeit, wenn man so will, um zwei begriffliche Achsen oder Polaritäten: die von Immanenz und Transzendenz sowie jene von Praxis und Theorie. Theurgie als „Lebensform“ lässt sich als umfassender Versuch einer Versöhnung dieser Polaritäten verstehen.

 Die vorliegende Präsentation des theurgischen Neuplatonismus passt schlecht zu jenem beispielsweise von H. Jonas oder E. R. Dodds gezeichneten Gesamtbild der Spätantike als einer angeblich quasi einhellig von Weltverneinung, Weltflucht und Weltangst bestimmten Epoche.

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5 Schluss

Wenn wir betonten, dass in Plotin und Iamblichos sich zwei verschiedene Grundtypen von Spiritualität kristallisieren, so ist dies wohlgemerkt nicht notwendigerweise in einem exklusiven Sinne zu verstehen, denn die Übergänge zwischen ihnen können unter Umständen fließend sein (sowohl in doktrinaler als auch in praktischer Hinsicht). Beide Autoren bleiben auch in ihrer Haltung zur Körperlichkeit grundsätzlich ambivalent. Weder ist diese bei Iamblichos durchgehend positiv besetzt noch bei Plotin einhellig negativ. Trotzdem scheinen uns die gegenstrebigen Grundtendenzen, die sich besonders in den in Kap. 3.1 herausgearbeiteten Differenzen manifestieren, kaum leugbar zu sein – zumal sich dieselben gegenstrebigen Grundtendenzen auch im komparativen Kap. 4.1.4, dort anhand der Konstellation Tantrismus (bzw. Abhinavagupta) und Advaita-Vedānta (bzw. Śaṅkarācārya) herauskristallisierten und sich zeigen ließ, dass ihre jeweilige Genese ähnlichen ideengeschichtlichen Dynamiken folgte. Man wird bemerken, dass unser Versuch, das spirituelle Gepräge des theurgischen Neuplatonismus – und d. h. zuallererst: von Iamblichos – vor allem anhand einer spezifischen Haltung zur Körperlichkeit zu profilieren, jener in der jüngeren Forschungsgeschichte verschiedentlich sichtbaren Tendenz, Plotin und Iamblichos recht eng einander anzunähern, zuwiderläuft.575 Diese Forschungstendenz ist zwar einerseits insofern nachvollziehbar, als sie sich im Sinne eines Korrektivs gegen ein lange Zeit vorherrschendes Bild, in dem Plotins „Rationalität“ Iamblichos’ „irrationalem Ritualismus“ plakativ entgegengesetzt wurde, versteht; doch darf die Falschheit dieses in der älteren Forschung fast omnipräsenten Bildes andererseits auch nicht über real bestehende Unterschiede zwischen Plotin und Iamblichos (sowie dessen Nachfolgern) hinwegtäuschen. Dies betrifft nicht zuletzt die Frage nach Plotins Haltung gegenüber Ritualen. Zwar ist Forschern wie Z. Mazur und C. Addey zuzugestehen, dass aus Plotins Ablehnung magischer bzw. goetischer Praktiken nicht automatisch eine Ablehnung ritueller Praktiken im Allgemeinen bzw. der Theurgie im Besonderen folgt. Doch gerade die in unserer Arbeit herausgearbeitete negative Haltung Plotins gegenüber der Körperlichkeit und die hierin sich aussprechenden dualistischen Tendenzen lassen es unwahrscheinlich erscheinen, dass er viel für Rituale übrighatte. Im Gesamten lässt sich unsere Untersuchung folglich als Beitrag zu einer Mehrzahl von Fragestellungen lesen: zunächst als Beitrag zum besseren Verständnis einiger ontologischer wie epistemologischer Charakteristika des theurgischen Neuplatonismus sowie von dessen „spirituellem Profil“; auf eher allgemeine philosophische Problemstellungen bezogen als Beitrag zum Verhältnis von Rationali-

 Beispiele für diese Tendenz sind Mazur 2004 u. Addey 2014, die beide auch eine positive Haltung Plotins gegenüber Ritualen zu begründen versuchen.

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tät und ritueller Praxis, zu verschiedenen Aspekten des Dualismus-Problems sowie Leib-Seele-Verhältnisses im Platonismus und Iamblichos’ Versuch der Lösung dieses Problems, zum Zusammenspiel von Gott und Mensch, zum Verhältnis von Immanenz und Transzendenz etc. Manche Kapitel – die grundsätzlich auch aus sich selbst heraus verständlich sind und als Einzeluntersuchungen zu bestimmten Themenkomplexen gelesen werden können – bieten außerdem in dieser Form noch nicht vorliegende systematischere begriffsgeschichtliche Studien (etwa zum Symbolbegriff oder zum Verhältnis der Begriffe Licht-Feuer-Äther) sowie detailliertere Betrachtungen zu einigen bislang kaum umfassender beleuchteten Konzepten der neuplatonischen Wahrnehmungslehre (namentlich jener Formen von αἴσθησις, die dem/den Seelenvehikel/n zugesprochen wurde/n). In religionsgeschichtlicher Perspektive lässt sich unsere Arbeit ferner als Beitrag zur Rolle von Körperlichkeit in der religiösen Erfahrung bzw. rituellen Praxis der Spätantike (und deren theoretischer Konzeptualisierung und Legitimierung) verstehen.576 Gerade der Theorie des Seelenvehikels eignet nämlich auch eine dezidiert religionsphänomenologische Dimension, insofern sie eine ganze Theorie der göttlichen Epiphanien fundiert. Zu guter Letzt wollte der komparative Teil einen Beitrag zur vergleichenden Philosophie und Religionsforschung – und damit verknüpft: zur spirituellen Begegnung von Ost und West577 – liefern, versteht sich indes zugleich als Einladung zu weiterer Forschungsarbeit in diese Richtung. Die Wahl des Bezugspunkts auf Seiten der indischen Überlieferung fiel auf eine Tradition, in welcher die rituelle Dimension sich komplementär zu einem den Neuplatonikern in nichts nachstehenden Spekulationsniveau verhält (weshalb man von einer ähnlichen geistigen „Gesamtkonstellation“ sprechen kann); eine Tradition, deren Ursprünge bis ins 8. Jahrhun-

 Nicht zuletzt als Beitrag zu der von Markschies 2016 ausführlich untersuchten Frage nach der „Körperlichkeit Gottes“ in der jüdisch-christlichen und paganen Antike. Er kommt dort (159–162) auf die neuplatonische Lehre vom Seelenvehikel nur sehr kursorisch zu sprechen, ferner auf das Problem der Epiphanien und Götterstatuen (113 ff.).  Eine der Pointen vorliegender Ausführungen liegt m. E. gerade darin, dass sich für eine spirituelle Begegnung von Ost und West gerade jene Traditionsbestände als besonders geeignet erweisen, die in der Altphilologie lange als „obskure Verfallsformen“ hellenischer Rationalität abgetan und marginalisiert wurden. Dies wirft die Frage nach der Begrenztheit der humanistischen Bestimmung der humanitas (die sich bekanntlich in erster Linie auf das klassisch-griechische Erbe stützt) und der daher nur sehr bedingten Tauglichkeit des klassisch-humanistischen Paradigmas für einen interkulturellen Religionsdialog auf. Wie stark nicht nur das naturwissenschaftliche, sondern auch das humanistische Welt- und Menschenbild durch die Erschließung nicht-europäischer religiöser (und vor allem: esoterischer) Quellen fast sämtlicher Traditionen im 20. Jh. in Frage gestellt wurde, ist leider von kaum einem Humanisten je angemessen reflektiert worden. Zu dieser Problematik ausführlich: Herkert 2020b.

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5 Schluss

dert n. Chr. zurückreichen, die jedoch bis heute lebendig geblieben und – bekannt als nicht-dualistischer Śivaismus von Kaschmir – im 20. Jahrhundert von Swami Lakshman Joo, einem Heiligen und Gelehrten aus Srinagar, wiederbelebt worden ist. Während die Lehren und Praktiken der theurgischen Neuplatoniker in weiter Vergangenheit zurückliegen und dem heutigen (westlichen) Menschen im Grunde fremd geworden sind, sind die Lehren und Praktiken einer Tradition wie dem kaschmirischem Śivaismus zumindest in Teilen noch als lebendige Realität greifbar und man kann sich fragen, ob der „hermeneutische Brückenschlag“ (E. Fürlinger) zu derartigen noch intakten Überlieferungen nicht bloß als grundsätzlich mögliche und in interkultureller Hinsicht wünschenswerte Aufgabe, sondern ggf. sogar als notwendige Bedingung zu einem tieferen Verständnis bzw. einer echten Aneignung gewisser Teile der „eigenen“ Geistestradition gelten kann. Man darf nicht vergessen, dass es sich bei besagten Überlieferungen jeweils um Formen „transformativer Philosophie“ handelt – ein Terminus, der von J. A. Taber geprägt und gegenüber der „wissenschaftlichen Philosophie“ bzw. den gängigen Methoden (vor allem des heutigen) akademischen Philosophierens typologisch abgegrenzt wurde.578 Solcher Philosophie geht es in erster Linie um eine Transformation des Erkennenden – eine Transformation, die, wie wir sahen, u. a. eine Reihe praktischer Techniken (und d. h. körperlicher Praktiken) miteinbegriff. Wenn I. Tanaseanu-Döbler gleichsam als Prämisse für das Studiums des theurgischen Neuplatonismus postuliert: „All we can discuss as historians of religion is [...] rhetoric; if there be any experience, it remains beyond our reach“579, so ist zumindest daran zu erinnern, dass dies – und zwar auch innerhalb des akademischen Rahmens – nicht die einzig mögliche Form des Studiums philosophisch-religiöser Traditionen und z. B. in Bezug auf den kaschmirischen Śivaismus keineswegs das letzte Wort darstellt. Blickt man auf die Geschichte der Erforschung dieser Tradition im 20. Jahrhundert, so sticht ins Auge, dass eine ganze Anzahl gerade der in akademischer Hinsicht produktivsten Forscher zum kaschmirischen Śivaismus – beispielsweise J. Singh, L. Silburn, A. Padoux, B. Bäumer, A. Sanderson, M. Dyczkowski etc. – teils mehrere Jahre in Srinagar bei Swami Lakshman Joo selbst studiert hatten und die Tradition folglich sowohl theoretisch als auch praktisch „von innen“ kennengelernt hatten. Textbasierte und philologisch geschulte Forschung ging hier Hand in Hand mit dem Kontakt zu qualifizierten Repräsentanten der entsprechenden Überlieferung, ggf. sogar mit der Ausübung von durch diese Überlieferung selbst bereitgestellten

 Vgl. Taber 1983, 65–67. Wenn Taber konstatiert, „that my efforts to bring out the transformative elements in Śaṇkara’s system will serve as a sort of preparatory exercise for dealing with European philosophy“ (66), so könnte man sich ebenso den spätantiken Neuplatonikern über den kaschmirischen Śivaismus vermittelt annähern.  Tanaseanu-Döbler 2013, 285.

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Praktiken. Es bleibt zu erweisen, inwieweit diese Art von Forschung, betätigt sie sich auf komparativem Terrain, auch zu einem besseren Verständnis gewisser vergangener, wenn man so will: „toter“, westlicher Geistestraditionen beizutragen vermag. Was solche Forschung in jedem Falle leisten kann, ist die Erweckung des Bewusstseins von der Begrenztheit des modernen (westlichen) Welt- und Menschenbildes. Gerade dies ist jedoch von entscheidender Tragweite nicht nur für etwaige komparative Studien, sondern auch für die Annäherung an vormoderne westliche Traditionen. S. H. Nasr meinte diesbezüglich einmal: Comparative philosophy between East and West is impossible without considering the hierarchic nature of man’s faculties and the modes of knowledge accessible to him. One of the most unfortunate and in fact tragic elements that has prevented most modern Western men from understanding Oriental teachings and much of their own Western tradition is that they wish to study traditional man in the light of the two-dimensional model of modern man deprived of the transcendent dimension. The very concept of man in the modern world is the greatest obstacle to an understanding of traditional man, who has been and continues to be aware of the multiple levels of existence and the grades of knowledge accessible to him. If a blind man were to develop a philosophy based upon his experience of the world derived from his four senses, surely it would differ from one based upon those four senses as well as upon sight. How much more would a ‚philosophy‘ based upon man’s rational analysis of sense data differ from one that is the result of the experience of a world which transcends both reason and the sensible world?580

Wenn hier vom „zweidimensionalen Modell“ – das immerhin noch facettenreicher ist als der „eindimensionale Mensch“ (H. Marcuse) des 20. Jahrhunderts – die Rede ist, so ist dies grundsätzlich auf das cartesianische Welt- und Menschenbild zu beziehen, das sich als Referenzrahmen zum Verständnis vormoderner Philosophie als höchst problematisch erweist. Im Hinblick auf unser Thema zeigt sich diese Problematik beispielsweise anhand der künstlichen Entgegensetzung von Erkennen und Handeln (wobei unter letztere Sphäre für gewöhnlich die Körperlichkeit und nicht zuletzt rituelle Handlungen subsumiert werden), welche das Verständnis der ritualistischen Elemente innerhalb der philosophischen Lebenspraxis der theurgischen Neuplatoniker erschwert.581 Sie zeigt sich überdies anhand von Konzepten wie dem ὄχημα-πνεῦμα, das – als Vermittlungskonzept zwischen (immaterieller) Seele und (grobstofflichem) Körper – innerhalb einer cartesianischen Ontologie schlicht keinen Ort hat. Man kann sich in der Tat fragen, ob mit dem cartesianischen Dualismus oder genauer: dessen (explizitem und implizitem) Fortwirken in der Moderne nicht eine Hauptquelle benannt ist, aus der sich das Missverstehen des theurgischen Neuplatonismus über lange Zeit hin

 Nasr 1972, 56.  Vgl. zu dieser Problematik: Addey 2013; 2014, 183–199.

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speiste (und ggf. immer noch speist). Insofern scheint der Versuch eines genuinen Verständnisses vormoderner Traditionen, bei denen philosophische Spekulation und religiöse Praxis oftmals untrennbar miteinander verwoben sind, zugleich eine Kritik gewisser, im Verlauf der Moderne vorherrschend gewordener, Konzepte zu implizieren. Doch nicht allein kann ein über noch lebendige nicht-europäische Überlieferungen geführter Zugang zu gewissen Strömungen der abendländischen Philosophie u. U. unser Verständnis derselben transformieren. Auch in Anbetracht der Lage der Philosophie in der globalisierten Welt, die – wie etwa R. Elberfeld in verschiedenen Werken immer wieder betont hat – eine Verwandlung des bisher gängigen Philosophierens durch Einbeziehung nicht-europäischer Denktraditionen nötig mache, ist zu erwarten, dass das z. B. in östlichen Überlieferungen entwickelte Philosophieverständnis in Zukunft eher an (globaler) Bedeutung gewinnen wird. Wenn Elberfeld in seiner Forderung nach Weitung des philosophischen Horizontes ausdrücklich auch die Forderung nach Kultivierung gewisser körperlicher Praktiken miteinbezieht,582 so ist die Relevanz neuplatonischen (und śivaitischen) Philosophierens für eine Philosophie der Zukunft vielleicht größer als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn jene „radikale[] Abkoppelung des Philosophierens von vielen Praktiken geistiger und körperlicher Art“, durch die „in Europa die Voraussetzung geschaffen [wurde], eine inzwischen weltweit wirksame Form des Philosophierens zu standardisieren, durch die in der Erkenntnis jeder transformative Rückbezug auf das konkrete leibliche Subjekt abgeschnitten wurde und wird“,583 ist inzwischen ihrerseits höchst fragwürdig geworden (nicht nur, weil man sich zunehmend darüber klar geworden ist, dass sie in der – europäischen wie außereuropäischen – Geschichte der Philosophie eher die Ausnahme als die Regel darstellt). Eine Tradition wie der kaschmirische Śivaismus bietet u. U. noch eine lebendige Rückbindung des Philosophierens an solche Praktiken, kann uns mithin plastisch vor Augen stellen, was „Philosophie als Lebensform“ eigentlich war und immer noch sein kann.

 Vgl. Elberfeld 2017, 434–440.  Elberfeld 2017, 436.

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Register griechischer Begriffe αἰθερῶδες 7, 137, 139, 141, 153 αἰθήρ 68–69, 71–72, 74, 78–79 αἴσθησις 8, 166–167, 180–182, 190–192, 239, 243 ἀνάγκη 26, 31, 101 ἀπόρρητον 41, 44, 59 ἄρρητον 45, 56, 62, 83 ἀστροειδές 162–163, 166 αὐγοειδὲς 1, 7, 72, 120, 129, 135, 137, 139, 151, 153, 166, 168, 171 βούλησις 27–28, 218 γοητεία 24, 26, 31, 221 δύναμις 29, 40, 42, 60, 64, 66–68, 91, 105, 107, 139, 141, 153, 191, 235 εἱμαρμένη 26, 198 ἔλλαμψις 90, 137–139, 141, 237 ἐνέργεια 71, 75, 82, 91, 98, 127, 139, 141, 150, 153 ἕνωσις 14, 30, 51 ἔξωθεν 15, 114, 126, 130, 134–135, 137, 152–153 ἐπιστήμη 16, 30, 206 ἐπιστροφή 61, 101, 200, 211–212 ἐπιτηδειότης 9, 28, 135, 150, 153 ἔρως 51–52, 104 εὐμένεια 27, 36 ἡλιοειδές 163, 166 θεουργία 13, 16, 23, 33, 48 κάθαρσις 97–98 κακόν 87, 98 μαγεία 24, 26, 31, 221 μέθεξις 49, 190 νεύειν 90, 111 νόησις 30, 214 νοῦς 21, 66, 82, 131, 150, 167, 202 ὁμοίωσις θεῷ 103–104, 203, 212, 236

https://doi.org/10.1515/9783111248042-007

ὀστρεῶδες 142, 174 ὀχετός 6, 148–149, 227 ὄχημα 1–2, 5–7, 9, 12, 63, 84–85, 113, 115–118, 120, 122, 124–129, 131–132, 135, 137–141, 145, 147, 149–151, 153–158, 161–162, 165–166, 168, 170–174, 176, 178, 181–183, 191–192, 194, 227, 229, 231, 238, 240, 245 πάθημα 97–98 πνεῦμα 1–2, 5–7, 9, 12, 63, 84–85, 113, 115–119, 121–122, 124–126, 129–130, 133–135, 137–139, 141, 143, 154–156, 171, 182, 227, 229, 238–240, 245 πράξις 30 πρόοδος 5, 101, 104, 200, 211–212 πῦρ 14, 67–69, 72–73, 75, 77–78, 146, 148–149 σημεῖον 37–40 σύμβολον 11, 15, 37–45, 48–56, 58–59, 108, 154, 187–188 συναίσθησις 37, 167, 192 συναίτια 27–28, 36, 42 συναμφότερον 7, 85, 94, 96, 117, 194 σύνθημα 11, 15, 28, 37–39, 41–42, 44, 48–56, 58–59, 108, 154, 185, 187, 190, 231 σωτηρία 15, 118–119 τελεστική 16, 143, 229 τέχνη 16, 30, 51, 107 τόλμα 88, 101, 111, 233 ὕλη 105, 107, 109, 128 φαντασία 137–138, 180, 183, 191, 231 φῶς 63, 66–68, 74–75, 78, 115, 139, 148, 160 χαρακτήρ 37, 39, 41, 59 χώρα 29, 150, 159–160

Sachregister Advaita-Vedānta 10, 199, 208–210, 212, 229, 242 Ähnlichkeit 44, 46–47, 57, 90, 141, 186 Aion 66–67, 82–83 Alchemie 122–123, 237 Allegorie 40, 56–58 Apollon 15, 18, 20, 39, 65, 135, 146, 148, 189, 224, 227 Archonten 75–76, 127 Atem 40, 143–144, 216, 228 Besessenheit 9, 14, 25, 38, 134, 136–138, 154, 224 Christentum 13, 35–36, 87, 119, 121–122, 199–200, 239 Dämonen 15, 26–27, 31, 33, 38, 50, 76, 84, 115, 125, 127–130, 141, 157, 164, 168–170, 177–178, 189, 191, 224 Divination 14, 25, 27, 32, 38, 133–138, 152 Dualismus 10, 86–87, 90, 93, 101, 109, 207–210, 245 Eines 21, 55, 58, 62, 81–82, 106, 202 Eines in uns 53–54 Elemente 69–70, 71, 72, 73, 75–80, 120–123, 126, 129, 155, 161–163, 165–166, 170–171, 173, 175–176, 201 Engel 15, 21, 50, 75–76, 84, 102, 127, 143–144, 157, 168–170, 178, 189, 237

– noetische, intelligible 62, 66–67, 82–83, 227 Götterstatuen 16, 25, 40–41, 51, 107–108, 154, 205, 241 Götterzwang 23–25, 33, 35, 63, 221 Hekate 40, 51, 66–67, 145, 160, 198, 234–235 Helios 15, 64–65, 82–84, 143, 146–147, 149, 225, 227 Henade 49, 81–82 Heroen 75–76, 84, 130, 141, 157, 164, 168–170, 178 Hypostasen 83, 88, 90, 109, 114–115, 141, 157 Läuterung Siehe Reinigung Mantik Siehe Divination Meditation 214–216, 227, 230–231 Mithras 65, 143 Monade 53, 66, 81, 157, 161, 208 Mysterien 2, 14, 16, 18, 39, 65 Mythos 18, 21, 44–45, 47–48, 56, 189 Offenbarung 3, 13, 61, 185, 188, 191, 195, 204–205, 211 Opfer 15, 26, 28, 39, 94–96, 107, 127, 129, 149, 216, 223 Orakel 134–136 Perennialismus, philosophia perennis 20–22, 83, 203–204, 206–207, 237 Photagogie 137, 152

Freiheit 202, 208, 212, 217–218, 222 Gebet 15, 52, 63–64, 142, 147, 205, 237 Gestirne 39–40, 69, 71–72, 74, 77–78, 81, 114–115, 125–126, 159–160, 162–164, 166–167, 173, 177–178, 181 Gnade 35–36, 200, 205, 216–219, 227 Gnosis, Gnostiker 63, 89, 91–92, 144 Götter – absolute 161 – hyperkosmische 132, 157, 161–162, 234 – noerische, intellektive 61–62, 67, 82–83, 146, 162, 227 https://doi.org/10.1515/9783111248042-008

Rationalität, Rationalismus 30–31, 196, 220, 243 Reinigung 3, 14, 32, 34, 98, 102, 113, 128, 135, 142–144, 146, 153, 178, 187, 229–230 Rezeptakel 28–29, 85, 99, 106, 108, 139, 152, 154, 231 Śakti 197, 200–201, 215, 218, 234–235 Seelen – nicht-partizipierbare 157 – partizipierbare 156–158, 172, 194 – partizipierende 162, 188 Sinnenfeindschaft 10, 91–92, 210–211, 241

270

Sachregister

Śiva 195, 198, 201–205, 212, 215, 217, 219, 225–227, 230, 232, 234–235 Sūrya 226–227

Weibliches 67, 197, 234–235, 239 Weltflucht 5, 10, 92, 102, 104, 109, 112, 210, 212, 241 Wille 26–27, 55, 88, 138, 185–187, 218

Teletarchen 67 Transmigration 101, 111, 132, 198, 202, 214, 229, 231

Yoga 208, 215–216, 221–223, 226, 228, 230–231, 238

Unähnlichkeit 44, 46–47, 57, 90

Zeus 62, 69, 82, 147, 205

Vereinigung 38, 51, 59 Verkörperung 94, 98–101, 111, 117–118, 142, 153, 174, 194, 202