Kritische Religionsphilosophie: Eine Gedenkschrift für Friedrich Niewöhner 9783110247558, 9783110247541

From the Middle Ages to modern times, from religion to philosophy and vice versa, from Christianity to Judaism to Islam

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Kritische Religionsphilosophie: Eine Gedenkschrift für Friedrich Niewöhner
 9783110247558, 9783110247541

Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
Lachen als Element der Religionsphilosophie? – Anregungen aus der Antike
Friedrich Niewöhners mittelalterliche Aufklärer
Maimonides contra Hippokrates oder „Tägliches Gebet eines Arztes, bevor er seine Kranken besucht.“
Alter Wein in neuen Schläuchen?
“Sed hoc non videtur verum in lumine naturali”
Mein Gott!
Von Valla bis Bodin
Calvinismus, Irenismus und konfessionelle Duldung in der Frühen Neuzeit
Marin Mersenne als Kritiker Robert Fludds
Über die Auferstehung der Toten
Spinoza and Beyond: Some Reflections on Historical-Critical Method
Chinas Religionen und Götter: 1670 1900 2008
Drei Ringe, drei Betrüger und eine fröhliche Wissenschaft
Zwischen Religionsphilosophie und Religionskritik
Der Schwanengesang eines Freidenkers
Johann Lorenz von Mosheims Geschichte des berühmten Spanischen Artztes Michaels Serveto
Bekenntnis und Geschichte: Der „historische Protestant“ August Ludwig Schlözer
Mendelssohns Philosophie des gesunden Menschenverstandes
Der religionsphilosophische Hintergrund von Kants Beantwortung der Frage „Was ist Aufklärung?“
Sieben epistemologische Thesen über Wissenschaft und Judentum more geometrico
Ausgrenzung durch Einbeziehung?
Was ist „semitisch“?
Kritische Religionsphilosophie und Wissenschaft des Judentums
Der Mythos vom „Dritten Reich“
Friedrich Niewöhner
Backmatter

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Kritische Religionsphilosophie

Kritische Religionsphilosophie Eine Gedenkschrift für Friedrich Niewöhner Herausgegeben von Wilhelm Schmidt-Biggemann und Georges Tamer in Zusammenarbeit mit Catherine Newmark

De Gruyter

ISBN 978-3-11-024754-1 e-ISBN 978-3-11-024755-8 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Kritische Religionsphilosophie : eine Gedenkschrift für Friedrich Niewöhner / [herausgegeben von] Wilhelm Schmidt-Biggemann, Georges Tamer, in Zusammenarbeit mit Catherine Newmark. p. cm. German and English. Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-024754-1 (15,5 ⫻ 23 : alk. paper) 1. Religion - Philosophy. I. Niewöhner, Friedrich. II. Schmidt-Biggemann, Wilhelm. III. Tamer, Georges. IV. Newmark, Catherine, 1976BL51.K6865 2010 210.92-dc22 2010034604

Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

” 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Friedrich Niewöhner (7. September 1941 – 1. November 2005)

Friedrich Niewöhner Friedrich Niewöhners Fama verdankt sich seiner skeptischen Gelehrsamkeit, seiner Freude daran, eingefahrene Gewohnheiten durcheinander zu wirbeln, seinem Spott über alle Formen der Orthodoxie, seiner Lust an der Provokation, mit der er Ketzer zu Heiligen und Heilige zu Ketzern machte. Er hatte etwas übrig für die unabhängigen Intellektuellen, zu denen er selber zählte; er konnte spotten, wissenschaftliche und politische Hierarchien waren ihm, wie alle heilige Herrschaft, suspekt. Seine Skepsis richtete sich durchaus auch gegen die Wissenschaft als solche; er stellte seine Sache auf nichts und veröffentlichte am Ende seines Lebens nur noch treffende und spitze Besprechungen und Rezensionen; er wurde zum aufmerksam-distanzierten Beobachter der historischen Geisteswissenschaften, die sich mit Christentum, Judentum und Islam beschäftigten. Zu Recht sah man ihn als kritischen Geist in der Nachfolge Lessings. Dessen Ringparabel war für ihn sein Leben lang zentral, an Lessings Bibliothek in Wolfenbüttel hat er in seinem letzten beiden Lebensjahrzehnten gearbeitet. Friedrich Niewöhner wurde am 7. 9. 1941 im pietistischen Wuppertal-Elberfeld geboren; dass er in seiner Gymnasialzeit am ,Städtischen Altsprachlichen Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium’ auch Hebräisch lernte, dass er seit 1962 Philosophie und evangelische Theologie in Tübingen, Hamburg und schließlich Bochum studierte, ist auch aus dieser heimischen Perspektive zu erklären. Die Zeit in Jerusalem 1964 hat seine skeptische Äquidistanz zu den großen monotheistischen Religionen geprägt. Diese Haltung blieb auch in der Zeit von 1968 – 1975 bestimmend, in der Friedrich Niewöhner zuerst als Mitarbeiter, dann als Assistent bei Richard Schaeffler am Lehrstuhl für Philosophisch-Theologische Grenzfragen an der Ruhr-Universität Bochum arbeitete. Die Promotion über Platons „Parmenides“ (1971) war auch Indiz dafür, wie weit die platonische Philosophie philosophische Grundlegung für und skeptische Distanzierung vom Monotheismus und seinen Aporien war. Friedrich Niewöhner hat die Politisierung der Religion von innen miterlebt: Vom Juni 1975 bis zum Juni 1980 war er Leiter des GoetheInstituts in Schiras, Iran und ,Assistant Professor’ an der dortigen Pahlawi Universität. Die Islamische Revolution von 1979/80 hat er zusammen mit seiner Frau Elke, geb. Eberhard, und den drei Kindern in Schiras miterlebt.

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Friedrich Niewöhner

Die fünf Jahre in Persien prägten sein Bild des Orients in affirmativer und in kritischer Hinsicht; von den Einsichten dieser Zeit ist sein Bild des Islams bestimmt geblieben. Die kritische Auseinandersetzung mit den Religionen bestimmte seine Forschungen auch, als er von 1980 als Assistent von Karlfried Gründer am philosophischen Institut der Freien Universität arbeitete. Die Habilitationsschrift „Veritas sive Varietas. Lessings Toleranzparabel und das Buch von den drei Betrügern“ (1988) hatte gerade die skeptische Distanz zu den monotheistischen Religionen, von denen er gleichwohl nicht lassen konnte, zum Thema. Sie behandelte auf dem Hintergrund von Lessings Ringparabel aus dem „Nathan“ die Vorgeschichte des Pamphlets über die drei „betrügerischen Religionsstifter“ Moses, Christus und Mohammed. Im November 1986 wurde Friedrich Niewöhner als Leiter des Bereichs ,Forschungsförderung und wissenschaftliche Veranstaltungen’ an die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel berufen. In den 19 Jahren, in denen er dieses Amt (ab 1989 mit dem Titel apl. Prof.) wahrnahm, hat er die Forschungspolitik dieses Zentrums maßgeblich geprägt. Mit seinen profunden philosophischen und theologischen Kenntnissen, aber auch mit seiner skeptischen Attitude hat er die Kernbereiche akzentuiert, in denen frühneuzeitliche Forschungen und Projekte zur jüdischen und islamischen Ideengeschichte fruchtbar werden konnten. Er blieb gerade auch in Wolfenbüttel der Wissenschaft gegenüber skeptisch. Je länger desto erfolgreicher bezog er den Posten des öffentlichen Beobachters der Geisteswissenschaften. Seine pointierten, furcht- und respektlosen Rezensionen und Stellungnahmen vor allem in den geisteswissenschaftlichen Sparten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verschafften ihm große Aufmerksamkeit und hohes Ansehen in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit. Sein Tod am 1. November 2005 riss eine Lücke in die geisteswissenschaftliche Publizistik, die immer noch spürbar ist. Aus diesem Grunde haben sich die Herausgeber entschlossen, eine Gedenkschrift für Friedrich Niewöhner zu veröffentlichen. Hier sollten Freunde, Kollegen und Schüler zu Wort kommen, die in seinem Sinne – das heißt affirmativ oder kritisch auch ihm gegenüber – seine Themen fortführen. Es ist – mit großer Verspätung – ein Strauß an Arbeiten zusammengekommen, der den Bereich der kritischen Religionsforschung vom Mittelalter bis ins zwanzigste Jahrhundert behandelt und in dem von Aphorismen bis zu Abhandlungen, von Affirmationen der Religion bis zu

Friedrich Niewöhner

IX

ihrer Ablehnung das Spektrum behandelt wird, das Friedrich Niewöhner angemessen ist. Wir hoffen, dass ihm damit ein Andenken und ein Denkmal gesetzt wird. Zum Schluss möchten wir uns ganz herzlich bei Frau Elke Niewöhner bedanken, die das Projekt unterstützt hat und wesentlich die Zusammenstellung des Werkverzeichnisses ermöglichte. Ebenfalls danken möchten wir Catherine Newmark, die die Redaktion des Bandes übernommen hat. Dem Verlag Walter De Gruyter, besonders Albrecht Döhnert, sind wir für die Großzügigkeit bei der Drucklegung verpflichtet. Berlin, März 2010 Wilhelm Schmidt-Biggemann und Georges Tamer.

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Görge K. Hasselhoff Lachen als Element der Religionsphilosophie? – Anregungen aus der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Yossef Schwartz Friedrich Niewöhners mittelalterliche Aufklärer . . . . . . . . . . . .

25

Richard Toellner Maimonides contra Hippokrates oder „Tägliches Gebet eines Arztes, bevor er seine Kranken besucht.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

Georges Tamer Alter Wein in neuen Schläuchen?. Zum Umgang des Averroes mit dem Koran und seiner Rezeption im zeitgenössischen islamischen Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

Olaf Pluta “Sed hoc non videtur verum in lumine naturali”. Natural Philosophy’s Struggle for the Truth in the Immortality Debate of the Fifteenth Century . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

Hannes Böhringer Mein Gott! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

Mihály Balázs Von Valla bis Bodin. Über den literaturhistorischen Kontext der Disputatio scholastica von Jacobus Palaeologus . . . . . . . . . . . . . . .

111

Nicolette Mout Calvinismus, Irenismus und konfessionelle Duldung in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

131

Wilhelm Schmidt-Biggemann Marin Mersenne als Kritiker Robert Fludds . . . . . . . . . . . . . . . .

145

Sina Rauschenbach Über die Auferstehung der Toten. Uriel da Costa, Menasse ben Israel und die christliche Respublica litteraria . . . . . . . . . . . . . . . .

167

XII

Inhalt

Nicolai Sinai Spinoza and Beyond: Some Reflections on Historical-Critical Method . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

193

Helwig Schmidt-Glintzer Chinas Religionen und Götter: 1670 1900 2008. Konstruktionen und Rekonstruktionen des Religiösen in China . . . . . . . . . . . . .

215

Horst Günther Drei Ringe, drei Betrüger und eine fröhliche Wissenschaft . . . .

231

Günter Gawlick Zwischen Religionsphilosophie und Religionskritik. Wie die Deisten über Moses dachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

237

Winfried Schröder Der Schwanengesang eines Freidenkers. Johann Christian Edelmanns kommentierte Übersetzung der Schrift De tribus impostoribus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

255

Dietrich Briesemeister Johann Lorenz von Mosheims Geschichte des berhmten Spanischen Artztes Michaels Serveto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267

Martin Peters Bekenntnis und Geschichte: Der „historische Protestant“ August Ludwig Schlözer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

291

Gideon Freudenthal Mendelssohns Philosophie des gesunden Menschenverstandes . .

299

Jens Kulenkampff Der religionsphilosophische Hintergrund von Kants Beantwortung der Frage „Was ist Aufklärung?“ . . . . . . . . . . . .

319

Andreas Kilcher Sieben epistemologische Thesen über Wissenschaft und Judentum more geometrico . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

339

Giuseppe Veltri Ausgrenzung durch Einbeziehung?. Unzeitgemäßes zur Geschichte eines „ordentlichen Lehrstuhles für Geschichte und Literatur der Juden“ an der Berliner Universität (1848) . . . . . . .

345

Inhalt

XIII

Hartmut Bobzin Was ist „semitisch“?. Anmerkungen zu Ernest Renan und seiner Sicht der Semitistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

357

Francesca Yardenit Albertini Kritische Religionsphilosophie und Wissenschaft des Judentums. Von Breslau nach Cincinnati . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

377

Günter Frank Der Mythos vom „Dritten Reich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

393

Veröffentlichungen Niewöhner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

431

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Lachen als Element der Religionsphilosophie? – Anregungen aus der Antike1 Görge K. Hasselhoff Mit dem Lachen ist es beinahe so wie mit Augustins Beschreibung der Zeit. Alle kennen es, aber wenn man fragt, was Lachen sei, fällt die Antwort schwer. Zudem lässt sich fragen, was Überlegungen zum Lachen in der Antike mit der Frage nach einer kritischen Religionsphilosophie zu tun haben. Eine um die Ecke gedachte Antwort zu geben, helfen Hans Blumenberg (1920 – 1996) und Manuel Joel (1826 – 1890): In einem Artikel aus dem Jahr 1976 begründete Blumenberg seine Theorie, dass die Philosophie mit dem Lachen der Thrakerin begonnen habe.2 Er hat diese Ansicht in der gleichnamigen Schrift Das Lachen der Thrakerin noch vertieft und hierin eine Theorie der Theorie entfaltet.3 Unabhängig von Blumenbergs Ergebnissen ist in unserem Zusammenhang die philosophische Bedeutung des Lachens wichtig. Wenn wir uns zudem den „Vater“ der philosophischen Ausrichtung der Wissenschaft des Judentums, Manuel 1

2

3

Der Artikel geht zurück auf eine Anregung von Klaus Thraede, Bonn, der mich sehr kurzfristig fragte, den Artikel „Lachen“ für das „Reallexikon für Antike und Christentum“ (RAC) zu übernehmen, was sich jedoch zerschlagen hat. Friedrich Niewöhner, dessen in diesem Band gedacht werden soll, hat gern gelacht; zuletzt haben wir beide in Erlangen vom 7.–11. Juli 2004 miteinander gelacht. Seinem Andenken sei dieser Beitrag gewidmet. Das andere Feld, auf dem wir noch engere Gemeinsamkeiten hatten, habe ich in meinem Artikel „Die philosophische Begründung der Schriftauslegung bei Moses Maimonides“, in: Günter Mensching (Hg.), De usu rationis. Zum Verhältnis von Vernunft und Offenbarung im Mittelalter, Würzburg 2007, 58 – 70, bedacht, der ebenfalls seinem Andenken gewidmet ist. Vgl. Hans Blumenberg, Der Sturz des Protophilosophen zur Komik der reinen Theorie – anhand einer Rezeptionsgeschichte der Thales-Anekdote, in: Wolfgang Preisendanz/Rainer Warning (Hg.), Das Komische (Poetik und Hermeneutik 7), München 1976, 11 – 64; sowie in demselben Band Harald Weinrich, Thales und die thrakische Magd: allseitige Schadenfreude, ebd., 435 – 437; und Hans Blumenberg, Wer sollte vom Lachen der Magd betroffen sein? Eine Duplik, ebd., 437 – 441. Hans Blumenberg, Das Lachen der Thrakerin. Eine Urgeschichte der Theorie, Frankfurt a.M. 1987.

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Görge K. Hasselhoff

Joel, vor Augen führen, der seine Spätschrift Religiçs-philosophische Zeitfragen mit der Feststellung einleitete, eine Philosophie ohne Religion beziehungsweise eine Religion ohne Metaphysik sei leer4, so haben wir eine hinreichende Begründung dafür, dass sich eine Religionsphilosophie auch mit dem Lachen auseinanderzusetzen hat. Darum soll in diesem Artikel der Frage nachgegangen werden, was Lachen ist, und wie es insbesondere in antiken Texten gedeutet worden ist.5

4

5

Manuel Joel, Religiös-philosophische Zeitfragen in zusammenhängenden Aufsätzen besprochen, Breslau 1876, 4 f.; zu Joels Bedeutung vgl. Görge K. Hasselhoff, Philosophie und Rabbinat. Manuel Joel, in: ders./Michael MeyerBlanck, Religion und Rationalität (Studien des Bonner Zentrums für Religion und Gesellschaft 4), Würzburg 2008, 285 – 313. Neben der nachfolgend genannten Literatur waren zur Vorbereitung hilfreich Ingvild Sælid Gilhus, Laughing Gods, Weeping Virgins: Laughter in the History of Religion, London/New York 1997; Edwin M. Good, Irony in the Old Testament, Philadelphia/PA 1965; Anton Hgli, Art. „Lächerliche (das)“, in: HWP 5 (1980), 1 – 8; ders., Art. „Lachen, das Lächerliche“, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 5: L-Musi, Tübingen 2001, 1 – 17; Flemming Friis Hvidberg, Weeping and Laughter in the Old Testament. A Study of Canaanite-Israelite Religion, Leiden/København, 1962; Maria Caterina Jacobelli, Ostergelächter. Sexualität und Lust im Raum des heiligen (ital. 1990), Regensburg 1992; Dieter Kamper/Christoph Wulf (Hg.), Lachen – Gelächter – Lächeln. Reflexionen in 3 Spiegeln, Frankfurt a.M. 1986; Georg Luck, Art. „Humor“, in: RAC 16 (1994), 753 – 773; Wolfgang Preisendanz, Art. „Komische (das), Lachen (das)“, in: HWP 4 (1976), 889 – 893; Udo Reinhardt/Klaus Sallmann (Hg.), Musa iocosa. Arbeiten über Humor und Witz, Komik und Komödie der Antike. Andreas Thierfelder zum siebzigsten Geburtstag am 15. Juni 1973, Hildesheim/New York 1974; Jean Rudhardt, Rires et sourires divins. Essai sur la sensibilité religieuse des grecs et des premiers chrétiens, in: RThPh 124 (1992), 389 – 405; Eugène de Saint-Denis, Essais sur le rire et le sourire des Latins (Publications de l’Université de Dijon 30), Paris 1965; Wilhelm Sss, Lachen, Komik und Witz in der Antike, Zürich/Stuttgart 1969; Monique Trd/Philippe Hoffmann (Hg.), Le rire des anciens. Actes du colloque international (Université de Rouen, École normal supérieure 11 – 13 janvier 1995) (Études de Littérature Ancienne 8), Paris 1998; Anna-Teresa Tymieniecka (Hg.), Enjoyment. From Laughter to Delight in Philosophy, Literature, the Fine Arts, and Aesthetics (AHus 56), Dordrecht u. a. 1998; Paul Zanker, Die trunkene Alte. Das Lachen der Verhöhnten, Frankfurt a.M. 1989.

Lachen als Element der Religionsphilosophie? – Anregungen aus der Antike

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I. Lachen an sich betrachtet Warum gelacht wird und was Lachen sei,6 sind Fragen, die, mit wenigen Ausnahmen, in der antiken Literatur nicht thematisiert werden. Wohl gibt es Anlässe, die zum Lachen reizen, wie die in Pompeji gefundenen Graffiti und Karikaturen, Lächerliches, Komödien und auch Witze7, und es sind auch Ausdrucksformen für bestimmte Formen des Lachens wahrnehmbar wie Gebärden/Gesten, Ironie, Kichern und Spott8. Darüber hinaus gibt es emotionale Ausdrucksformen, die wir heute als die Primäremotionen „Lachen“ bezeichnen, die in der Antike jedoch unter Freude oder Humor subsumiert würden.9 Die kantische Definition: „Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts.“10 ließe sich demgemäß zwar auf den Witz, nicht aber auf das Lachen an sich anwenden. Eher lassen sich in soziologischen Theorien hilfreiche Hinweise auf Ursachen finden, die sich teilweise mit dem antiken Lachen in Einklang bringen lassen.11 Es hat „eine soziale Bedeutung“12, das in der Gruppe sowohl als „Korrektiv“ dient als auch dazu, jemanden zu demütigen.13 Zudem ist bedeutsam, dass zwar sowohl Götter als auch Menschen lachen können, nicht aber Tiere. Eine Ursache könnte darin zu finden sein, dass nur diesen ihre „körperliche Situation gegenständlich und zugleich zuständlich bewusst, eine beständige Hemmung, aber auch ein beständiger 6 Hebr.: K;J / K;2M ; Griech.: cek÷m, Lat.: ridere; zu den Übersetzungsspielarten aus dem Hebräischen ins Griechische vgl. Karl Heinrich Rengstorf, Art. „cek\y, jatacek\y, c]kyr“, in: ThWNT 2 (1935), 656 – 660. 7 Zum Witz vgl. Gottfried Gabriel, Art. „Witz“, in: HWP 12 (2004), 983 – 990. 8 Zum Spott in der Komödie vgl. Heinz-Günther Nesselrath, Art. „Komödie“, in: RAC 21 [Lieferung 164] (2005), 330 – 354, 331 f. 9 Vgl. Wolfgang Preisendanz, Art. „Humor“, in: HWP 3 (1974), 1232 – 1234, hier 1232; zudem Otto Michel, Art. „Freude“, in: RAC 8 (1972), 348 – 418. 10 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, § 53 Anmerkung, B 226, A 223. 11 Neben den nachfolgend genannten Titeln sei hier auf Anton C. Zijderveld, A Sociological Theory of Humor and Laughter, in: Lothar Fietz u. a. (Hg.), Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens. Vergleichende Studien zum Funktionswandel des Lachens vom Mittelalter zur Gegenwart, Tübingen 1996, 37 – 45; Peter L. Berger, Erlösendes Lachen. Das Komische in der menschlichen Erfahrung (engl. 1997), Berlin/New York 1998; sowie den materialreichen, hier aber nicht mehr auswertbaren Band August Nitschke u. a. (Hg.), Überraschendes Lachen, gefordertes Weinen. Gefühle und Prozesse, Kulturen und Epochen im Vergleich, Wien 2009, verwiesen. 12 Henri Bergson, Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen (1900), Zürich 1972 (Übertragung der 23. Aufl. 1924), 15. 13 Ebd., 130.

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Görge K. Hasselhoff

Anreiz [ist], sie zu überwinden.“14 Entsprechend gelten als Anlässe des Lachens der Kitzel als „Reizmodus […], der an der Oberfläche bleibt“15 sowie Freude; Lachen ist mit dem Spiel verbunden,16 es hat eine Ursache in der Komik17 und im Witz18 und ist schließlich auch eine Ausdrucksform von Verlegenheit und Verzweifelung19 – alles Phänomene, die sich schon in antiken Texten nachweisen lassen.

II. Lachen in der nicht jüdisch-christlichen Antike 1. Orient In den ältesten greifbaren orientalischen Texten finden sich verschiedentlich Aussagen über lachende Götter und Menschen. Der oberste ugaritische Gott El kann im Kultdrama über das Wiederaufleben des Alijan Baal vom Ernstsein ablassen und lachen.20 Der Ort des Lachens ist der Sitz des Verstandes, das Herz, das verwandte Kichern hat denselben in der Leber.21 Ähnliches lässt sich auch für die Göttin Anat nachweisen,22 wenngleich ihr Lachen eine Note des Verachtens in sich trägt.23 Aber auch Menschen können wie die Götter lachen; so zum Beispiel Daniel, als ihm die Geburt seines Sohnes verheißen wird.24 Am Ende der zweiten Tafel des Gilgamesch-Epos ist begründet zu vermuten, dass Gilgamesch über seine Berater lacht (Tafel II, Z. 301). Allerdings bricht die Tafel hier ab und es lässt sich der Rest der Tafel nicht

14 Helmuth Plessner, Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens (1941), in: Ders., Ausdruck und menschliche Natur. Gesammelte Schriften VII, Frankfurt a.M. 1982 (= 2003), 201 – 387, 242. 15 Ebd., 278. 16 Ebd., 285 – 290. 17 Ebd., 290 – 304. 18 Ebd., 304 – 323. 19 Ebd., 323 – 332. 20 Cyrus H. Gordon, Ugaritic Manual II Texts in Transliteration (Published between 1929 and 1947) (AnOr 35), Rom 1955, 138 (Text 49, III, 16); vgl. ebd., 141 (Text 51, IV, 27 – 30); 142 (Text 51, V, 87). 21 Ebd., 151 (Text 75, I, 12 f). 22 Ebd., 187 (Text ’nt II, 24 – 27). 23 Ebd., 183 (Text 2 Aqht VI, 41). 24 Ebd., 182 (Text 2 Aqht II, 10 – 15).

Lachen als Element der Religionsphilosophie? – Anregungen aus der Antike

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mehr rekonstruieren.25 Allem Anschein nach handelt es sich hierbei um einen frühen Beleg für ein Lachen als Auslachen.

2. Griechisch-römische Welt In den homerischen Epen sind die beiden verwendeten Verben, die verwendet werden, um die Primäremotion Lachen zum Ausdruck zu bringen, cek÷m (und c]kyr) sowie leidi÷m (eher als Lächeln zu verstehen). Dabei macht es keinen Unterschied, ob Götter oder Menschen lachen. Dem göttlichen Schmied Haphaistos kommt bei Homer die Funktion zu, das Lachen der Götter zu katalysieren. Sein hinkender Auftritt im Pantheon reizt jene zu Gelächter (c]kyr),26 später ist es seine Idee des unsichtbaren Netzes für Ares und Aphrodite, die alle Götter (außer Poseidon) zum Lachen reizt.27 In anderen Fällen lächeln (leidi÷m) Zeus und Hera,28 aber auch Kalypso.29 Die Göttin Aphrodite wird dreimal mit dem Attribut „Philommeides“ ausgezeichnet.30 Etwas anders gelagert ist die Zuschreibung für die Menschen. In der Ilias lächelt (le_dgsem)31 und lacht (1c]kasse)32 Hektor über seinen Sohn, Achill lächelt,33 die Griechen lachen mit Odysseus nach dessen Sieg im Wettkampf über Ajas. Das Lachen (Bd» c]kassam)34 hat den Beigeschmack des Auslachens, wie sich aus gleicher Formulierung in der Odyssee ergibt, in der die Freier Theoklymenos und Telemach auslachen.35 Auch an anderen Stellen ist für die negativ besetzten Figuren der Freier und Mägde des Odysseus ein Charakterzug, dass sie lachen,36 einmal sogar von der Göttin Pallas Athene bewirkt.37 Odysseus 25 Vgl. Stefan M. Maul, Das Gilgamesch-Epos. Neu übersetzt und kommentiert, München 22005, 64, 160. 26 Ilias I, 599 f. 27 Odyssee VIII, 326, 343 f. 28 Ilias I,595; V,426; XIV,223: leidi÷m. 29 Odyssee V,180. 30 Ilias XIV, 211; XX,40; Odyssee VIII,362. 31 Ilias VI, 404. 32 Ilias VI, 471. 33 Ilias XXIII, 555. 34 Ilias XXIII, 784. 35 Odyssee XX, 358; XXI, 376. 36 Odyssee XVIII, 40.111; XX, 374: cek|ymter ; XVIII, 100; XVIII, 350; XX, 8: c]k\; XVIII, 320: 1c]kassam ; XX, 390: cek~omter, vgl. XVI, 354: 1jcek\sar. 37 Odyssee XX, 346 mit der Antwort 347.

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Görge K. Hasselhoff

und Penelope dagegen lachen, um ihrer Freude Ausdruck zu verleihen,38 oder aber Odysseus lächelt,39 bisweilen drohend;40 so auch Menelaos.41 Zweimal weint Odysseus an Stellen, die den heutigen Leser eher ein Lachen vermuten lassen.42 Bemerkenswert ist die allgemeine Charakterisierung des Lachens – wie auch des Singens und Tanzens – als unkontrollierte Folge übermäßigen Weingenusses.43 Nicht nur bei den Ependichtern, sondern auch bei den Komödianten wird das Lachen thematisiert. Als Beispiel möge hier Aristophanes’ Dichtung Die Frçsche genügen. Die auf die Bühne stolpernden Dionysos, der Gott, und Xanthias, sein Sklave, eröffnen das Stück damit, dass der Sklave fragt, ob er mit Witzen das Publikum zum Lachen reizen solle. Es folgt eine Aneinanderreihung von Kalauern, ohne dass das Lachen jedoch explizit erneut thematisiert wird. Es wird – wie auch im „Witzbuch“ der Antike, dem Philogelos – gelacht, ohne dass jener Vorgang erneut benannt werden müsste. Gleichwohl wird beispielsweise beim Fest der Demeter gescherzt und wohl auch gelacht.44 Ein Wandel zeichnet sich erst bei den Philosophen ab, bei denen der eingangs zitierte Spott der Thrakerin zwar als Anfangsgrund der Philosophie gesehen wird,45 zugleich aber versucht wird, dieses Lachen auch biologisch-physikalisch und damit metaphysisch-philosophisch zu deuten. In Platons46 Dialog Philebos diskutieren Sokrates und sein Gesprächspartner Protarchos über die Lust (2dom^) und Unlust (k}pg) der Seele. Die Trennlinie zwischen beiden ist nur graduell, und eine Scheinweisheit 38 39 40 41 42

43 44 45 46

Odyssee IX, 413 [hier lacht das Herz des Odysseus]; XVII, 542; XVIII, 163. Odyssee XXIII, 111. Odyssee XX, 301. Odyssee IV, 609. Odyssee XVI, 214 ff; XXII ,501; Ich danke Dieter Adelmann (1936 – 2008) für eine Reihe von Kommentaren zu diesem Artikel, insbesondere für eine Interpretation dieser beiden Stellen der Odyssee, an denen er ein Grundprinzip der homerischen Darstellung der Figur des Odysseus festmacht, nämlich dass „die Tränen der Ort des Wiedererkennens [der Menschen und der Menschlichkeit]“ seien (so in einer Email vom 18. August 2007). Es bleibt zu hoffen, dass sowohl sein unveröffentlichtes Manuskript „Die Tränen des Henry Quatre. Essay“ (1989/ 2006) als auch seine Deutung der Odyssee noch zur Publikation gebracht werden können. Odyssee XIV, 463 – 466. Vgl. Aristophanes, Ranae (Die Frösche), Akt I, Szene 8. Vgl. Platon, Theaithetos 174a; Diogenes Laertius, I,34. Zu Platon vgl. Michael Mader, Das Problem des Lachens und der Komödie bei Platon (TBAW 47), Stuttgart u. a. 1977.

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(donosov_a) wie auch eine Scheinschlechtigkeit (donojak_a) können lächerlich (ceko?a) oder verhasst (lisgt\) sein.47 Lust und Unlust treten jedoch gemischt auf, wobei Neid (vh|mor) der Unlust, Lachen der Lust (t¹ d³ cek÷m Bdom^m) zugeordnet wird.48 Entsprechendes gilt auch für die Komödie und die Tragödie. In der Politeia wird das Lächerliche auf eine Stufe mit Schlechtem (jaj|m) und Unverständigem (%vqym) gestellt.49 Dem geht voran, dass bereits zuvor das Lachen als der Staatsführung entgegenstehend dargestellt wird,50 ja mehr noch, dass es nicht sein könne, dass Götter lachend dargestellt werden.51 In den Nomoi wird diese Position ausgeweitet darauf, dass überhaupt alle Leidenschaften gezügelt werden müssen.52 (Gleichwohl ist bemerkenswert, dass Sokrates keine Gelegenheit auslässt, seine Gesprächspartner lächerlich zu machen, und sie so dem Spott aussetzt.) Eine klassisch gewordene Definition des Lachens gibt Aristoteles.53 Für ihn hat das Lachen seinen Ort im Zwerchfell und ist die Folge der Handlung des Kitzelns. Der Mensch kann wegen der Feinheit seiner Haut lachen, ist aber das einzige Tier, das diese Fähigkeit besitzt. Es lässt sich also sagen: Der Mensch ist das lachende Tier. Lachen eignet dabei ein Moment der Überraschung zu,54 wie sich beim Lachen über einen Witz zeigt.55 Die weitere Definition des Lachens, die Aristoteles in der Poetik gegeben hat,56 ist seit einem Klosterbrand im 14. Jahrhundert verschollen.57 Andeutungsweise scheint es sich um eine Fortführung platonischer Gedanken zu handeln, dahingehend, dass es sich beim Lachen über angenehme Dinge um etwas angenehmes (Bd}r) handele.58

47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58

Platon, Philebos 49d-e. Ebd., 50a. Platon, Pol. 452 d-e. Ebd., 388e. Ebd., 389a mit einem Bezug auf Homer, Ilias I, 599 f. Vgl. Platon, Nomoi 732c; ohne konkreten Bezug auf das Lachen ebd., 791e792e. Aristoteles, De partibus animalibus III,10 673a. Vgl. Ps.-Aristoteles, Problemata XXXV,6 965a. Dementsprechend verwundert es nicht, dass im „Witzbuch“ Philogelos das Lachen selbst eine marginale Rolle spielt, nur in Nr. 193a Dawe. Vgl. Aristoteles, Rhetorik I,12,29; III,18,7. Vgl. Umberto Eco, Il nome della rosa, Mailand 1980. Vgl. Aristoteles, Rhetorik I,12,29.

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Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass ein Philosoph und Arzt, Galen, einen offenkundig nicht vernunftgemäßen reichen Mann auch auslachen kann, um ihm danach zu erklären, wie er vernünftig agieren könnte.59 Ein anderer Philosoph, Marc Aurel, schreibt das Lachen schlicht dem Verhalten von Kindern zu, die auch in einem Augenblick lachen, und im anderen weinen.60 Insofern ist das Lächerliche (ceko?or) zu meiden;61 zumal es lächerlich (ceko?om) ist, sich nicht der eigenen Schlechtigkeit entziehen zu wollen, was, anders als hinsichtlich der Schlechtigkeit anderer, aber durchaus möglich sei.62 Der Weise muss so handeln, dass sein Verhalten ihn nicht zu einem weltfremden Spinner macht, der es verdient, von Handwerkern ausgelacht (jatacek÷m) zu werden.63 Allenfalls innerlich darf das Herz lachen.64 Bei den lateinischsprachigen Autoren der vor- und nebenchristlichen Zeit gibt es unterschiedliche Positionen zum und Deutungen des Lachens.65 So verweist Plinius darauf, dass als Mensch bei der Geburt nur Zoroaster gelacht habe66 – eine durchaus plausible Beschreibung, da es anthropologisch-biologisch erwiesen ist, dass Neugeborene erst nach einigen Monaten das Lachen lernen. Auch Vergil muss das Kleinkind (Octavian?) ermahnen, die Mutter (Venus?) an ihrem Lachen zu erkennen, denn erst durch deren Lachen wird der Mensch zum Menschen.67 Die Ermahnung scheint wichtig, da Lateiner ohnehin eher selten lachen, so ist zum Beispiel die Geschichte Roms eine so ernste Angelegenheit, dass bei Livius nicht gelacht wird.68 Auf der gleichen Linie steht auch Laktanz’ Schilderung des Todes des Kaisers Valerian: Dieser wird von Sapor, der ihn gefangen genommen hatte, ausgelacht und mit seiner Gefangennahme die 59 So Galen, Peri psyches pathon I,17 ff rec. Marquardt I, 13 f, griechisch mit Übertragung bei Ludwig Radermacher, Weinen und Lachen. Studien über antikes Lebensgefühl, Wien 1947, 216 und 218. 60 So Marc Aurel, Ad se ipsum (Selbstbetrachtungen), V, 33, vgl. VIII, 37. 61 Ebd., VI ,42. 62 Ebd., VII, 72; vgl. X, 7. 63 Ebd., VIII, 50, vgl. XII, 13. 64 Ebd., XI, 31 mit Zitat aus Homer, Odyssee IX, 413. 65 Vgl. auch Ernst A. Schmidt, Römisches Lachen, in: Géza Alfçldy u. a. (Hg.), Römische Lebenskunst. Interdisziplinäres Kolloquium zum 85. Geburtstag von Viktor Pöschl; Heidelberg, 2.–4. Februar 1995 (BKAW, Reihe 2 N.F. 97), Heidelberg 1995, 79 – 99. 66 Plinius, Historia Naturalis VII 15, 72. 67 Vergil, Eclogae 4,60 – 63. 68 Freundlicher Hinweis von Klaus Thräde.

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Römer allgemein zum Objekt des Gelächters.69 Es bleibt bei allen geschilderten Toden der einzige Anlass zum Lachen. Weitaus häufiger lachen dagegen Götter und Götterbilder. So löst der Sonnengott Helios – vergleichbar Homers Hephaistos – Lachen aus,70 oder ein Götterbild der Hekate vermag zu lachen.71 Anders der Dichter Catull, der in einem seiner Gedichte den Adressaten Valerius (?) Cato, auffordert über eine nachstehend geschilderte, sexuell anzügliche, von ihm als lustig (ridicula) bezeichnete Begebenheit zu lachen (ride!).72 Für Cicero gehören das maßvoll eingesetzte Lachen sowie der Witz (iocus) zu einem rhetorischen Stilmittel,73 allerdings bemüht auch er sich nicht um eine theoretische Klärung der Frage, was das Lachen sei, weil es nichts zur Frage der Rhetorik beitrage.74

III. Lachen in der Bibel (Altes Testament), in jüdischer Literatur und im rabbinischen Schrifttum 1. Altes Testament und Übertragungen in der Septuaginta (LXX) und in der Vulgata (V) Die hebräischen Verben für Lachen sind K;J und K;2M.75 Es hat den Anschein, dass es sich in den allermeisten Fällen um relativ späte Bildungen handelt, wobei K;J die ältere Form zu sein scheint. Gehäuft gelacht wird im Zusammenhang mit der Ankündigung und der Geburt des Erzvaters Isaak (Gen 17,17; 18,12.13.15),76 sowie der Beschreibung seines Lebens (Gen 21,6.9; 26,8). Dem Lachen seiner sehr 69 Lactantius, De mortibus persecutorum 5,3 f. 2r. 70 Stobaios, Eclogae I 78,1 f. 71 Maximus Ephesius, in: Eunapius de Sardis, Vitae sophistarum 7,2,9,475, vgl. PGM XII 12; dazu Hermann Funke, Art. „Götterbild“, in: RAC 11 (1981), 659 – 828, hier 718. 72 Catull, Carmina 56. 73 Vgl. Cicero, De oratore II, 216 – 290, ders., De officiis I, 29 f. 74 Vgl. Cicero, De oratore II, 235. 75 Für etymologische Fragen vgl. Rüdiger Bartelmus, Art. „K;(2M) / K;(J)“, in: ThWAT 7 (1993), 730 – 745. 76 Eine originelle Deutung dieser Episode gibt Gerhard Marcel Martin, Zur Idee einer Theologie des Lachens. Eine Skizze nach vorn, in: Carmen Krieg u. a. (Hg.), Die Theologie auf dem Weg in das dritte Jahrtausend: Festschrift für Jürgen Moltmann zum 70. Geburtstag, Gütersloh 1996, 376 – 388, hier 378 – 381.

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alten Mutter Sara kommt dabei die Funktion der Gradwanderung zwischen Ungläubigkeit und Spott zu. Abgesehen vom Namen ist Isaak (hebr. K;J= = er lacht) weniger eine lachende Figur.77 Allerdings wird einmal mit seinem Namen ein Wortspiel verbunden, das seinerseits Parallelen in anderen biblischen Texten findet. In Genesis 26 wird erzählt, dass Isaak wegen einer Hungersnot zu dem kanaanäischen König Abimelech ging. Aus Furcht davor, erschlagen zu werden, gibt er seine Frau Rebekka als seine Schwester aus. Abimelech wird jedoch unfreiwilliger Zeuge des Liebesspiels der beiden, stellt Isaak zur Rede und danach unter seinen persönlichen Schutz. In der relevanten Passage (Gen 26,8) heißt es: Isaak „isaakte“ seine Frau (8K)5!L% N4ú K;úJ(B!).78 Vergleichbar ist die Erzählung von Potifars Frau und Josef, die dazu führt, dass jener in das Gefängnis geworfen wird (Gen 39,14.17). In die Abraham-Isaak-Erzählung eingeflochten ist die Geschichte von Lot und seinen Töchtern (Gen 19). Lots Schwiegersöhne nehmen Lots Ankündigung der geplanten Vernichtung Sodoms nicht ernst und halten sein Reden für etwas Lächerliches (V. 14: K;úJ(B! ?% ). Durch die anschließende Erzählung von Lots Inzest79 scheint es sich hier um eine doppeldeutige Anspielung zu handeln. Auch in Exodus 32,6 scheint dem K;J eine sexuelle Konnotation beigegeben zu sein: Im Angesicht des goldenen Kalbs opfert das Volk zuerst, um sich anschließend zu vergnügen (K;úJ(@!). Auch im Unheilsgleichnis Ezechiel 23, in dem die hurerischen Schwestern Ohola (= Samaria) und Oholiba (= Jerusalem, vgl. Ez 23,4) beschrieben werden, heißt es über Samaria, dass sie in ihrem hurerischen Wesen zum Ziel des Spotts wird (6F(@(@!9, K2 ;J!@%, Ez 23,32). Ein Bindeglied zum zweiten Verb für „lachen“, K;2M, wird die Geschichte von Simsons Selbstmordattentat ( Jdc 16,25.27). Die betrunkenen Philister lassen Simson rufen, dass er für sie Spaß treibe (9, D@).K;û2M(=9% ) und er tut es zwischen den beiden Säulen des Hauses (K;úJ(=! 9( ), das er wenig später zum Einsturz bringen wird. Die zweite Verbform (K;2M) weist in der Mehrzahl der Belege zwar ebenfalls eine sexuelle Konnotation auf, allerdings scheint es sich gleichwohl um eine Form des körperlichen Lachens zu handeln, das seinen 77 Insofern ist die Behauptung, in seinem Namen werde des „Lachen der Menschen umgedeutet“ (so Christoph Jacob/Sabine Schrenk, Art. „Isaak I (Patriarch)“, in: RAC 18 (1998), 910 – 930, hier 911 [Schrenk]) irreführend. 78 René Voeltzel, Das Lachen des Herrn. Über die Ironie in der Bibel (frz. 1955) (ThF 17), Hamburg-Bergstedt 1961, 26, missversteht diese Passage. 79 Dazu Klaus Thraede, Art. „Blutschande (Inzest)“, in: RAC Supplement-Bd. 2 (Lieferung 9) (2002), 37 – 85, hier 79 f.

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Ausdruck im Sitzen in einer Gemeinschaft,80 im Tanzen81 beziehungsweise im Spielen82 findet. In einigen Fällen ist die Grenze zum Spott mindestens gestreift,83 in anderen Fällen berührt sich das Lachen mit einer abfälligen Form des Auslachens.84 In vier Fällen ist das Lachen Ausdruck einer inneren Freude.85 Bei Kohelet wird ein Gegensatz von Lachen und Weinen aufgebaut (Koh 3,4), der später im Neuen Testament aufgegriffen wird (s.u.). Lachen gehört jedoch zugleich zu den Nichtigkeiten des Predigers (Koh 7,6; vgl. 10,19), denen man besser ausweicht (ebd., 2,3; 7,3), und zur Ausdrucksform von Übeltätern (Prov 10,23). Eine Besonderheit sind drei Aussagen im Psalter, die ein Lachen Gottes nahe legen, der über die gottlosen Menschen lacht und spottet.86 Bemerkenswert ist nun, dass die nuancierte Form des Lachens der hebräischen Bibel einen Widerhall in der griechischen Übersetzung der Septuaginta (LXX) findet, wenngleich diese nicht linear verläuft. Die beiden Haupttermini für das hebräische „Lachen“ (K;J, K;2M) sind cek\y (und c]kyr) und pa_fy.87 Stellen mit eindeutig sexueller bzw. eindeutig körperbezogener Konnotation werden mit paife?m bzw. 1lpaife?m,88 der Akt des Auslachens dagegen mit Formen von cek÷m wiedergegeben.89 Wenn das Lachen den Spott streift, kann dies mit paife?m90 oder mit 1picek÷m91 übertragen werden, nur wenn das spottende Lachen in den Psalmen 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89

90 91

Jer 15,17. I Sam 18,7; II Sam 6,5.21; Jer 30,19; 31,4; I Chr 13,8; 15,29. II Sam 2,14; Sach 8,5; Ps 104,26; Hi 40,20.29; Prov 8,30.31. Hab 1,10; Hi 12,4; Prov 1,26; 26,19. Jer 20,7; 48,26.27.39; Ps 52,8; Hi 5,22; 30,1; 39,7.18.22; 41,21; Prov 29,9; Thr 1,7; 3,14; II Chr 30,10. Ps 126,2; Hi 8,21; 29,24 (?); Prov 31,25. Ps 2,4; 37,13; 59,9 – Nach rabbinischer Tradition Midrash Tehillim zu Ps 2 auch Prov 1,26. Zu pa_fy vgl. Michel (s. o. Anm. 9). In einigen Fällen wiedergegeben mit eqvqaime?m (Prov 8,30 f.), bzw. mit waqlomµ (Hi 40,20), oder waq± (Ps 126,2 [LXX 125,2]); I Sam 16,7, Ez 23,32, Hi 12,4 werden ganz ausgelassen. cek÷m : Gen 17,17; 18,12.13.15; 21,9; Thr 1,7; Ps 51,8LXX [52,8]; cekoi\feim : Gen 19,14; cekoiasl|m : Jer 31,27LXX (= 48,27); c]kyr : Jer 20,7; 31,26.39LXX (= 48,26.39); Hi 8,21; Prov 10,23; Koh 2,2; 7,3.6; 10,19; Thr 3,14; jatacek÷m : Hi 5,22; 30,1; 39,7.18.22; 41,21; Prov 29,9; II Chr 30,10; als Übersetzung auch Gen 38,23 (für :9, 5@) 8=û 8!D% ); Mi 3,7 (für 9, LH! ;)9! ); Ps 24,2LXX (für 8M)1954ú.@4(); Hi 9,23 (für 6F)@!=% ), sowie Est 4,17qLXX; jatac]kyta : Ps 43,14LXX (für 6F(@( Ps 44,14). Prov 26,19; Hab 1,10. Prov 1,26.

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von Gott ausgesagt wird, wird es mit 1jcek÷m wiedergeben.92 Wenn das Lachen ein zerbrechliches, von innen heraus kommendes ist, lässt es sich mit cek÷m93 oder mit eqvqaime?m94 übertragen. Auffällig sind die Wiedergaben in einzelnen Fällen, in denen von den erkennbaren Gesetzmäßigkeiten abgewichen wird. Das Wortspiel Saras beim Vollzug der Namensgebung für Isaak (K;J! – =@%.K;(J!=% ) wird mit zwei verschiedenen Wörtern wiedergegeben: c]kyt\ – sucwaqe?ta_ (Gen 21,6). Aus dem mit Rebekka sich vergnügenden Isaak (Gen 26,8) wird ein abgeschwächtes, allerdings den sexuellen Sinn hervorhebendes t¹m Isaaj pa_fomta let± Qebejjar.95 In der lateinischen Übersetzung (Vulgata) werden die voranstehenden Stellen entweder mit einer Form von ridere beziehungsweise von risus, inridere 96 oder deridere 97 beziehungsweise derisus wiedergegeben. Bemerkenswert ist jedoch, dass sehr häufig auch ludere 98 beziehungsweise inludere 99, iocari 100 oder gaudium 101 verwendet werden.

2. Vorrabinisches Judentum Im vor- und antik-nebenrabbinischen Judentum gibt es verschiedene Varianten des Umgangs mit Lachen. In der Tradition des Hiobbuches gehalten ist die Frage Elihus an Hiob im Testament des Hiob 32,11, der jenen fragt, inwieweit jener noch lachen könne oder schon selbst zum Spott werde. In den nur griechisch überlieferten Texten des Alten Testaments (Apokryphen) finden sich alle Varianten des Wortfelds cek÷m. Es be92 93 94 95

96 97 98 99 100 101

Ps 2,4; 37,13; 59,9; so auch Neh 2,19; 3,33 für 6F(@( – spotten. Hi 29,24; Koh 3,4. Prov 31,25. Daneben finden sich auch Übersetzungsfehler (?): Hi 17,6 c]kyr für NHúN (Speichel), 19,7: cek_ für KF(J%4ú (ich schreie), Am 7,9 bylo· toO c]kotor für K;)2M%=% N9*B5), (Höhen Isaaks), Mi 1,10: zweimal jat± c]kyta für 8L)H%F(@% N=5ú (Ortsname) und LH)F) (Staub), sowie die neologische Bildung let± cekoiast_m für 49% M)1.AF% (Nichtigkeit, Gehaltlosigkeit) Hi 31,5. U.a. Ps 2,4; 36,13 V. U.a. Ps 58,9 V. U.a. Gen 19,14; 21,9; Ex 32,6; Jdc 16,25.27; I Sam 16,7; Jer 15,17. Z.B. Gen 39,14.17; Ps 103,26 V. Z.B. Gen 26,8. Z.B. Ps 125,2 V.

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zeichnet auslachendes Gelächter102 ebenso wie Lachhaftes, Lächerliches103 und den Akt des sich Lustigmachens.104 Ein differenziertes Verständnis von den verschiedenen Arten des Lachens findet sich bei Jesus Sirach. Dieser warnt davor, einen verbitterten Menschen auszulachen (lµ jatac]ka, 7,11). Ein Lächeln lässt Hoffnung schöpfen (13,6), wenngleich Lächeln auch ein Erforschen sein kann (13,11, beide Male pqoscek÷m); das Lachen (c]kyr) ist wie Kleidung und Gang ein Erkennungsmerkmal für den Menschen (19,30). Allerdings ist das Lachen nicht laut wie das eines Toren, sondern das Lächeln (leidi÷m) eines klugen Mannes (21,20, vgl. 21,23 V, 27,13). Auch mit den eigenen Kindern soll man nicht lachen (succek÷m), damit man nicht später mit dem Kind trauern muss. Aus der Zeit der zwischentestamentlichen Literatur stammt wahrscheinlich auch das Buch der Jubilen, dass insofern für das Thema interessant ist, als in der Verheißung Isaaks Abraham, anders als in der biblischen Tradition nicht lacht, sondern sich lediglich freut.105 Saras Lachen dagegen wird ausdrücklich als unangemessen gekennzeichnet.106 Dementsprechend entfällt eine Deutung des Namens und die Reaktion auf die tatsächlich erfolgte Geburt ist Freude.107 In der Gemeinderegel aus Qumran wird der, der in der Gemeinschaft in törichtes Lachen ausbricht (N9@?E5 K;2M=), mit dreißig Tagen Gemeinschaftsausschluss bestraft.108 Bei Philo von Alexandrien ist Lachen verbunden insbesondere mit der Namensgebung des Erzvaters Isaak, zu der sich mehrere Auslegungen finden. Eine bezeichnende Auslegung von Genesis 18 lautet: Die Freude wird als Preis ausgesetzt. Dieser „wurde nämlich, wie die Hellenen sagen würden, c]kyr (das Lachen) genannt, in der Sprache der Chaldäer aber Isaak; das Lachen ist aber ein vom Körper gegebenes offenbares Zeichen der unsichtbaren Freude des Herzens.“109 In der Fortsetzung (§§ 32 – 35) handelt Philo dann aber nicht über das Lachen, sondern über die Freude (waq\). In der allegorischen Auslegung des Gesetzes finden sich ähnliche Übertragungen: „Weisst du nicht, wie 102 Tob 8,10S; I Esr 4,31 [hier im Wortspiel mit cek÷m]; I Makk 10,70; PsSal 4,7: jatac]kyr. 103 IV Makk 1,5; 3,1; 6,34: ceko?or ; Weish 17,8: jatac]kastom. 104 IV Makk 5,27: 1peccek÷m, vgl. Tob 2,8: 1picek÷m. 105 Vgl. Jub XV,17. 106 Vgl. Jub XVI,2. 107 Vgl. Jub XVI,19 f. 108 1 QS VII,14, vgl. 4Q270 Frg. 11 i,5. 109 Philo Alexandrinus, Praem § 31; Übertragung Leopold Cohn, Werke II, 391.

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die herrschende Weisheit, Sara, sagt: ,Wer es hört, wird sich mit mir freuen’ (1 Mos. 21,6)? Aber wenn einer die Kraft hat zu hören, dass die Tugend die Seeligkeit, den Isaak, geboren hat, so wird er sofort einen Hymnus der Mitfreude anstimmen.“110 In einem späteren Abschnitt wird dieses Verhältnis noch ausführlicher entfaltet und dargesteldt. Hier wird Abraham mit dem Weisen (spouda?or) und Sarah erneut mit der Tugend (!qet^) gleichgesetzt, deren Sprössling das Lachen selbst (aqt¹ cekot¹m) ist: „Dagegen finden wir andererseits, dass die Tugend mit überschwänglicher Freude schwanger geht, dass der Weise unter Lachen und in Heiterkeit zeugt, und dass der Sprössling beider das Lachen selbst ist.“111 Ähnlich heißt es an anderer Stelle, dass Lachen und Freude dem Guten geschaffen werden, weswegen Isaak nicht als von einer Frau Geborener anzusehen ist, sondern als das Werk eines Ungeborenen. Insofern ist er, wenn sein Name Lachen bedeutet, und Gott der Schöpfer des Lachens ist, im wahrsten Sinne des Wortes Sohn Gottes.112 Die Darstellung und Bewertung des Lachens bei Flavius Josephus ist wenig originell.113 Exemplarisch seien hier einige typische Formen dargestellt. In den Altertmern erzählt er davon, wie die Männer von Gaba einen Greis verhöhnen (jatacek÷m), der einem Leviten und seiner Frau Unterkunft gewährt, ihn ausrauben und mit dem Tod bedrohen. Später vergewaltigen sie die Frau und werden bestraft.114 Josephus selbst wird nach einem Zwischenfall in Tiberias selbst zum Objekt des Spotts der Einwohner, die ihn auslachen.115 In der Apologie stellt Josephus die (rhetorische?) Frage, ob die Griechen einen nicht auslachen (jatacek÷m) würden, wenn man das Alter ihrer Kultur dadurch infrage stellte, dass man darauf verweise, dass die Griechen in der jüdischen Literatur nicht genannt würden. Ähnliches versuche nun auch er, Josephus.116 Lächerlich machten sich auch diejenigen, die glaubten, Mose selbst sei mit Aussatz behaftet gewesen.117 110 Philo Alexandrinus, All II,82 (Cp. 21); Übertragung Heinemann, Werke III, 77. 111 Philo Alexandrinus, All III,217, Übertragung Heinemann, Werke III, 154, vgl. ebd. 218 f. 112 Philo Alexandrinus, Det § 124. 113 Vgl. Rengstorff (s. o. Anm. 6), 658 Anm. 9 f. mit Belegen. 114 Flavius Josephus, Ant 5,144. 115 Flavius Josephus, Vita 323. 116 Flavius Josephus, Ap 1,69. 117 Flavius Josephus, Ant 3,265.

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3. Rabbinisches Judentum In der rabbinischen Literatur findet sich ein ähnlich differenziertes Bild für Deutungen des Lachens wie in der biblischen Literatur (vorbehaltlich der schwierigen Datierung einzelner Texte). Neben die schon biblisch belegten Schreibung tritt noch das Verb K;E. Zu den Erkennungsmerkmalen für einen Menschen zählen nach bEruvim 65b das richtige Maß im Blick auf Trinken, Umgang mit dem eigenen finanziellen Reichtum und Temperamentsbeherrschung; das Lachen (im Sinne von Gelächter) ist jedoch ein weiteres Erkennungsmerkmal für den Menschen.118 Ihm eignet der Aspekt des Glücklichseins zu,119 es kann jedoch der prophetischen Gabe im Weg stehen.120 Lachen und Weinen schließen sich grundsätzlich aus, weswegen man unter Lachenden nicht weinen, unter Weinenden nicht lachen soll.121 Eine Ursache könnte darin liegen, dass das Lachen triebhafte Züge aufweist, die zum Bösen verführen; deswegen muss ein Lachender auf die Wege der Tora zurückverwiesen werden.122 Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Lachen zu den Dingen der negativ konnotierten Welt gezählt wird.123 Wer im falschen Moment über die falschen Dinge lacht, stirbt in der Folge.124 An anderen Stellen hat Lachen eine Ähnlichkeit mit Auslachen.125 Auslachen kann zu einem juristischen Terminus werden, so in einem Fall einer misslungenen Augenoperation an einem Sklaven, der anschließend als Erblindeter in die Freiheit entlassen wird.126 Dem Lachen kann eine sexuelle Konnotation beigemessen werden.127 Auch für Tiere gilt Lachen als ein sexueller Akt, wenn ein Stier unter den Rindern lacht: 118 Jacob Levy, Wörterbuch über die Talmudim und Midraschim; nebst Beiträgen von Heinrich Leberecht Fleischer und den Nachträgen und Berichtigungen zur zweiten Auflage von Lazarus Goldschmidt, Berlin/Wien, 1924 (ND Darmstadt 1963), Bd. IV, 536, vgl. Bd., III, 307 s.v. E9?,. 119 Mak 24b; ähnlich Ber 7b. 120 Vgl. jBer V, Anf. 8d; Pes 117a, Shab 30b. 121 DEZ, Cp. V, vgl. Marcus Jastrow, A Dictionary of the Targumim, the Talmud Babli and Yerushalmi, and the Midrashic Literature (1903), Peabody/MA 2005, Bd. II, 1550. 122 Vgl. BerR s. 22, 22d. 123 Vgl. Ber 31a. 124 Vgl. jPea I,16a, wo das Lachen über Blut als Todesgrund für Abner (mit Bezug auf II Sam 2,14) angesehen wird. 125 So jQid III,63d. 126 tBQ IX gegen Ende und Qid 24b. 127 Vgl. DevR s. 3, 255b, wo von einem König erzählt wird, dessen Frau einem seiner Sklaven zulacht (NK;92M).

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LK58 C=5 K;E;128 womöglich ist auch die rätselhafte Aussage Tanhuma Naso 5 so zu verstehen, in der es heißt, einen Wachmann oder Ehemann könne man verlachen, nicht aber einen Rabbi. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass Lachen in einzelnen Fällen mit Götzendienst gleichgesetzt wird: Das Lachen in Genesis 21,6 wird mit Götzendienst (8L: 8795F, Ex 32,6) und Blutvergießen (A=B7, II Sam 2,14) gleichgesetzt.129 Vergleichbar ist die Auslegung des Lachens aus Exodus 32,6, das als Ausdruck für Götzendienst, Inzest und Mord gedeutet wird.130 Die Deutung auf Götzendienst ist aber nicht unumstritten, und wird in Bereshit Rabba auch auf „erben“ gedeutet.131 Eine gänzlich andere Bedeutung erlangt das Partizip K9;2M in der Redensart „eine lachende Handbreit“, mit der auseinander stehende Finger (K9;2M ;Hü), bezeichnet werden; das zugehörige Gegensatzpaar ist „eine weinende Handbreit (5JF ;Hü; Suk 7a). Beide Bezeichnungen werden auch als (Größen-)Maß verwendet.132 Hervorzuheben sind einige herausragende theologische (Um-)Deutungen von Lachen beziehungsweise dem Namen Isaak. In einer Auslegung von Psalm 126,2 heißt es, dass R. Simeon ben Laqish aufgehört habe, jemals zu lachen, als er hörte, dass R. Johanan im Namen von R. Simeon ben Yohai den Psalmvers so auslegte, dass er eine eschatologische Verheißung beinhalte und dementsprechend das Lachen erst wieder erlaubt sei, wenn die Heiden wie in Psalm 126,3 verheißen sagen: „Der Herr hat Großes an ihnen getan.“133 In Bereshit Rabba wird der Name Isaaks dahingehend gedeutet, dass mit seiner Geburt das Gesetz in die Welt kam (K; 4J=). Entsprechend gelte: „Das = im Namen K;J= ist 10 und weist auf die zehn Gebote hin, J ist 90 und geht auf Saras Alter bei ihrer Niederkunft, K ist 100 und deutet auf Abrahams Alter, ; endlich ist 8 und will sagen, dass er am 8. Tage beschnitten wurde siehe Gen 17, 12.“134

128 129 130 131 132 133 134

Tosefta Baba Qamma II,2. Vgl. BerR s. 53, f. 53a; Tan Sh’mot 1; tSot VI,6, s.a. jSot III, 19a. ShemR s. 42. BerR aaO. Vgl. Er 3b; 83a. MTeh zu Ps 126,2. BerR 53 aaO. (Übertragung: August Wnsche, Der Midrasch Bereschit Rabba das ist die haggadische Auslegung der Genesis. Zum ersten Male ins Deutsche übertragen, Leipzig 1881, 253).

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Schließlich wird mit Rabbi Aqiva die folgende Doppelgeschichte verbunden:135 Er und ihn begleitende Rabbiner hören aus sehr großer Entfernung (120 Meilen) das Götzenopfer von Römern. Während die anderen darüber weinen, lacht R. Aqiva, weil er darin ein Zeichen sieht, dass Gott dem Volk Israel deswegen erst recht zur Seite stehen werde. Darin schließt sich eine Geschichte an, dass die Gruppe einen unreinen Fuchs aus den Tempelruinen laufen sieht. Wiederum weinen die Rabbinen, nur R. Aqiva lacht, weil er darin ein Zeichen sieht, dass, wenn auf diese Weise die Verheißung Micha 3,12 in Erfüllung gehe, dann werde auch die aus Sacharja 8,4 erfüllt werden.136

IV. Lachen im antiken Christentum137 1. Neues Testament Im Neuen Testament wird nur wenig und sehr stereotyp gelacht. Das Gegensatzpaar von Lachen (cek÷m) und Weinen, das aus Kohelet 3,4 bereits bekannt ist, wird in einem Makarismus in Lukas 6,21 auf diejenigen übertragen, die jetzt weinen und später lachen werden, und in einer Umkehr der Worte als Wehruf denen gegenüber geäußert, die jetzt lachen und dann weinen werden (Lk 6,25). Lachen und Weinen werden also entweltlicht und eschatologisiert. Vergleichbares gilt für das substantivierte Lachen (c]kyr) in Jakobus 4,9. In der in den synoptischen Evangelien parallel überlieferten Geschichte von der Auferweckung der Tochter des Jairus wird Jesus von einer anonymisierten Menge ausgelacht, weil er den zu ihm Kommenden sagt, dass das Kind nicht tot sei, sondern schlafe (jatacek÷m ; Mt 9,24 = Mk 5,40 = Lk 8,53).

135 Zu Rabbi Aqiva vgl. Pierre Lenhardt/Peter v.d. Osten-Sacken, Rabbi Akiva. Texte und Interpretationen zum rabbinischen Judentum und Neuem Testament (ANTZ 1), Berlin 1987, die nachfolgend behandelten Texte finden sich ebd., 284 – 287. 136 bMak 24a-b. 137 Zum Folgenden vgl. Neil Adkin, The Fathers on Laughter, in: Orph. N.S. 6 (1985), 149 – 152.

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2. Frühpatristik Schon in den frühesten greifbaren Texten des entstehenden Christentums kommt die ambivalente Stellung zum Lachen zum Ausdruck. Clemens von Rom verwendet überlieferte biblische Denkschemata, wenn er sich über das Lachen äußert. So gibt er in mit einem Zitat aus Hiob 5 den Rat, Ungerechte und Frevler auszulachen (I Clem 56,11 = Hi 5,22: jatacek÷m), und zitiert in der Folge die oben angeführte Sentenz aus Proverbia 1,26 (= I Clem 57,4: 1picek÷m). Im II. Clemensbrief wird dagegen davor gewarnt, dass die Heiden die Christen auslachen, wenn sie das Wort Lukas 6,32.35 nicht in die Tat umsetzten (II Clem 13,4: jatacek÷m). Im Hirt des Hermas wird Hermas in seiner ersten Vision von der begehrten Frau ausgelacht (oder nur angelacht?: cek\sasa), weil Hermas sie begehrte, es in der Vision aber leugnet.138 Nach dem Aufwachen erscheint Hermas eine Greisin, die den unglücklichen Hermas nicht wiederzuerkennen glaubt, weil eines seiner Charakteristika sein Lachen (cek_m) gewesen sei.139 Bei Justin dem Märtyrer wird es eher negativ konnotiert. So verlachen die gottlosen Anhänger Markions die wahren Gläubigen.140 Die Nachkommen Hams, des Sohnes Noahs, werden verflucht, weil sich dieser über Noahs Blöße als Folge des Weingenusses lustig gemacht hatte.141 Von allen Vorgängern und Nachfolgern hebt sich Clemens von Alexandrien ab, der im zweiten Buch des Paidagogos eine kurze Theorie des Lachens im Anschluss an Aristoteles entwickelt. Es gilt zunächst der Grundsatz, dass Leute, die lächerliche oder auslachende Stimmungen (jatacek\stoi paho_) nachmachen, aus dem Idealstaat auszuweisen seien, weil die Fähigkeit, diese nachzumachen, auf eine grundsätzliche derartige Disposition schließen lasse. Das Lachen selbst (c]kyr) kann, in der richtigen Weise, das heißt maßvoll, praktiziert, geduldet werden, aber die Gefahr der Zügellosigkeit (!jokas_a) steht immer im Hintergrund. Auch wenn das Lachen zum Menschsein gehöre wie das Wiehern zum Pferdsein, so könne man ja nicht unentwegt wiehern oder lachen. Ein Verständiger lache maßvoll, das heißt er zeige ein Lächeln (leid_ala), Unverständige dagegen Kichern (Frauen: jijkisl|r) oder ein Gelächter (Männer: jacwasl|r), wie es ja schon Sirach ausgedrückt habe (Sir 21,10). Homer und Platon folgend ist also ein Zustand der Ernsthaftigkeit, der mit einem Lächeln gekoppelt 138 139 140 141

Herm vis I 1,8. Herm vis I 2,3. Justin, Apologia I 58,2: jatacek_sim. Justin, Dialogus cum Tryphone Iudaeo 139,1: 1picek\samtor ; vgl. Gen 9,18 – 27.

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ist, anzustreben. Diese Ernsthaftigkeit schließt ein Lachen über Anzüglichkeiten aus; auch die Gegenwart von Traurigem und von Älteren erweisen ein Lachen als inopportun. Dementsprechend ist insbesondere der Weingenuss zu meiden, denn er kann zu unmaßvollem Lachen führen.142 Eine sehr humorvolle Herangehensweise wählt Origenes, der in seiner Psalmenerklärung rät, den Vers Psalm 37,7LXX/V denen vorzulesen, die zu viel lachen und sich an Späßen erfreuen.143 Für ihn hat die Abstinenz vom Lachen den gleichen Wert wie Fasten und Kniebeugen.144 Tertullian dagegen, nachdem er sich über die dedeifizierten Götter lustig gemacht hat, gibt die positive Empfehlung, dass diese Ex-Götter nun mit den Christen lachen sollten.145 3. Gnosis146 In den Schriften aus Nag Hammadi finden sich einige sehr bemerkenswerte Passagen, die dem Erlöser, anders als dem biblischen Jesus, Lachen zuschreiben. In der Petrusapokalypse 147 offenbart der Erlöser, dass der Gekreuzigte, der lachen konnte, lachte, weil die Unverständigen nicht verstehen, dass Erlöser und irdischer Jesus eins seien.148 Auch im Zweiten Logos des großen Seth 149 wird der Kosmokrator mehrfach mit dem Lachen in Verbindung gebracht: Er lacht über die Engel, die über die Menschen lachen. Später wird über Adam, Abraham, Isaak und Jakob, David, Salomo, die Zwölf Propheten und Mose (und den Archont) gelacht.150 Insbesondere lacht der Erlöser über das Unverständnis und die Unwissenheit der

142 Clemens Alexandrinus, Paidagogus II,5,45,1 – 48,3. 143 Origenes, In Ps 37,7 (PG 12), 1368. 144 Origenes, In Mt s. 20 (GCS Orig. XI2), 36,7 Treu. – Zur Auslegung von Lk 6,21parr bei Origenes vgl. Barbara Mller, Der Weg des Weinens. Die Tradition des „Penthos“ in den Apophthegmata Patrum (FKDG 77), Göttingen 2000, 104 f. Anm. 117 f., 126 Anm. 91. 145 Tertullian, Apologia, 23, 13. 146 Zum folgenden Abschnitt vgl. Günther Brçker, Lachen als religiöses Motiv in gnostischen Texten, in: Peter Nagel (Hg.), Studien zum Menschenbild in Gnosis und Manichäismus, Halle a. d.S. 1979. 147 Nag Hammadi Codex (= NHC) VII,3. 148 ApkPetr 81,11.17 – 19; 82,6; 83,1. 149 NHC VII,2. 150 II LogSeth 53,31 – 54,13; 62,27 – 65,2; vgl. 60,13 f.

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Menschen.151 Ähnliche Aussagen finden sich auch in dem erst im Jahr 2006 mit großem Medienaufwand veröffentlichten Judasevangelium. 152 4. Monastische Traditionen153 Insbesondere in der monastischen Literatur wird das Lachen kritisch betrachtet, wenn nicht gar abgelehnt – oft unter Berufung auf das Jesuswort Lukas 6,25. Der Antoniusschüler Ammonas stellt kategorisch fest, dass Mönche nie lachen dürfen.154 Pachomius ist etwas milder und stellt das Lachen unter Strafe während der monastischen Pflichten des Gebets, der Mahlzeiten und während des Unterrichts.155 Basilius von Caesarea deutet Lachen aus vollem Herzen als ein Zeichen für Ungeduld beziehungsweise Unbeherrschtheit. Eine Begründung liefert das genannte Jesuswort.156 Insofern wird Lachen im Kloster mit einer Woche Klosterbann belegt.157 In positiver Wendung bedeutet das, dass sich ein Fastender durch Nichtlachen besonders auszeichnet.158 Weniger streng ist Gregor von Nazianz, der einem betenden Mönch das Lächeln noch so gerade erlaubt.159 Auch Benedikt von Nursia wendet sich gegen das Lachen,160 die Strafe besteht in ewiger Verdammung.161 Für einen Mönch ab der zehnten Stufe der Demut verbietet sich das Lachen aber ohnehin.162 Nachhaltiger scheint die negativ ausgedrückte Lachfeindlichkeit gewirkt zu haben. Die Regula patrum belegt klösterliches Lachen mit einer Verbannung von zwei Wochen;163 etwas 151 Ebd., 56,19. 152 Cod. Tchacos 34; 36; 44, vgl. Rodolphe Kasser/Marvin Meyer/ Gregor Wurst (Hg.), Das Evangelium des Judas aus dem Codex Tchacos, Washington, D.C. 2006, 21, 24, 31. 153 Zum Folgenden vgl. Adkin (s. o. Anm. 137), 150 – 152 (mit vielen weiteren Textstellen), Irven M. Resnick, „Risus Monasticus“. Laughter and Medieval Monastic Culture, in: RBen 103 (1987), 90 – 100; nicht eingehen kann ich aus Platzgründen auf die Traditionen der Wüstenväter, vgl. dazu Mller (s. o. Anm. 144), 66, 121, 126 – 129, 186, 194. 154 Ammonas, Opuscula 2,4. 155 Pachomius, Praecursor 8; vgl. 31. 156 So Adkin (s. o. Anm. 137) mit unklarer Stellenangabe. 157 Basilius, Epitimia in canonicas 7. 158 Vgl. Basilius, Homiliae variae 1,9. 159 So Adkin (s. o. Anm. 137) mit unklarer Stellenangabe. 160 Benedikt, Regula 4, 53 – 54 Steidle. 161 Ebd., 6,8. 162 Ebd., 7,59 – 60; vgl. Johannes Cassian, Institutio 4,39,2. 163 Regula patrum III, 15.

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milder sind die Regula magistri (11,75) und die Regula monasterii Tarnatensis (cp. 13), in denen Lachen lediglich mit einem Verweis geahndet wird.164 Aus dieser eschatologisch begründeten Lachfeindlichkeit ergibt es sich, dass Schriftsteller wie Ferreolus165 Schriftbelege gegen das Lachen beziehungsweise für das Weinen bringen: Johannes 11,35 ( Jesus weint!), Proverbia 14,13, Kohelet 7,4 und Jesus Sirach 21,23 V,166 beziehungsweise beschreiben, wie gelacht werden darf, wenn es sich nicht vermeiden lässt, nämlich nur mit geschlossenem Mund.167

5. Die Kirchenväter des 4.–5. Jahrhunderts Für Ambrosius von Mailand ist Lachen generell zwar kein Problem und Witze können zuweilen unschuldig und harmlos sein, widersprechen aber der kirchlichen Disziplin168 und der Bescheidenheit169. Ein „Lachverbot“ lässt sich aus Kohelet 7,6 ableiten.170 Dem entspricht, dass Ambrosius den Namen Isaaks in Anlehnung an Philo (um)deutet: Isaak bedeute auf lateinisch Lachen (risus); Lachen aber sei ein Zeichen für Freude.171 Wenig vergnüglich ist auch Eusebius Hieronymus, der Eustochium vor dem Lachen warnt, weil es dem Leben vor Gott widerspricht.172 Lachen ist weltlich,173 gepaart mit verbaler Obszönität.174 Es ist ein Zeichen der Gottferne175 und ein Zeichen der Verrücktheit.176 Lachende werden beim eschatologischen Gerichtstag bestraft werden.177 Das Lächeln Asellas ist das Traurigste der Welt gewesen.178 In seinem Nachruf auf Paula erinnert er 164 Vgl. auch Karl Gross, Art. „Gravitas“, in: RAC 12 (1983), 752 – 779, hier 768. 770. 165 Ferreolus, Regula ad monachos 24. 166 Vgl. Cyprian, Collectiones in testimonia biblie 3,41 [CC.SL 3 – 3D], der die ablehnende Haltung gegen das Lachen mit Eph. 5,3 f begründet. 167 Esaias von Gaza, Orationes 10,21. 168 Ambrosius, De officiis 1,23,102; ähnlich Sententii Sexti, transl. Rufini, 280a. 169 Ambrosius, De virgine 3,3,9. 170 Ambrosius, Exhortatio virginis 11,76. 171 Ambrosius, De Isaac vel anima ed. Schenkel, 642; vgl. De Abrahame 1, 8, 67. 172 Hieronymus, Epistula 22, 24, 1. 173 Hieronymus, Epistula 130, 13,1, vgl. Epistulae 38, 5,2; 45, 5,1; 60, 10,6. 174 Hieronymus, Commentarii in Eph 3,5,3 – 4. 175 Hieronymus, Commentarii in Eccl 2,2. 176 Hieronymus, Commentarii in Eccl 9,17. 177 Hieronymus, Commentarii in Mat. 2,12,36. 178 Hieronymus, Epistula 24,5,1.

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daran, dass diese durch Weinen versucht hatte, Erlösung vom Lachen zu empfangen.179 In der Auslegung des Psalters wird von den Psalmen, die ein göttliches Lachen voraussetzen, lediglich Psalm 2,4 ausgelegt. Im Blickpunkt des Interesses steht dabei, dass mit menschlicher Redeweise (humana sermocinatio) zum Ausdruck gebracht werde, dass menschliches Handeln auslachenswert sei. Nur insofern lasse sich aus dem Psalmwort etwas über die Gefühle Gottes (affectus) ableiten. Das gelte auch von den Hohngrimassen, die keineswegs auf eine körperliche Ausdrucksweise Gottes zurückgeführt werden können.180 Bemerkenswert sind die augustinischen Auslegungen dieser Psalmen. Zu Psalm 2,4 stellt Augustin zunächst fest, dass der Vers in einem Parallelismus membrorum formuliert sei. Es sei jedoch nicht körperlich zu verstehen, als lache Gott mit den Backen oder grimassiere mit der Nase. Vielmehr sei es als ein in die Zukunft gerichteter Verweis zu verstehen, dass der Namen Christi verbreitet und allgemein angenommen werde, diejenigen jedoch, die ihn nicht annehmen, seien im göttlichen Vorwissen bereits verlacht und verspottet.181 Das Lachen Gottes hat in dem Psalmvers also metaphorischen Charakter. Psalm 59 wird in zwei aufeinander bezogenen Predigten ausgelegt. In der ersten wird die Frage „quis audivit“ (Ps 58,8 V) in mehreren Gängen variiert. Eine der Antwortvariationen besteht in einem Zitat von V. 9a. Das darin stehende „deridebis eos“ wird bezogen auf den nachfolgenden V. 9b, mit anderen Worten: Das Lachen wird als Antwort auf das Hören Gottes erklärt – mit einer Paraphrase desselben Verses.182 Auf den Vers wird in der zweiten Predigt nicht noch einmal zurückgegriffen. Vergleichbar ist die Auslegung zu Psalm 36,13 V.183 Der einschneidendste Beitrag des Johannes Chrysostomos zur Frage des Lachens schließlich ist seine Behauptung, Jesus habe niemals gelacht.184 Da Lachen zum Wirkbereich der Sünde zählt, ist es generell zu vermeiden. Exemplarisch stehen dafür seine Auslassungen in Hom. 37 (38) in Mt. 11,7 – 24: Alles „Weltliche“ (zum Beispiel unzüchtige Gesänge, Gespräche, Schulden) verstopfen und verunreinigen das Gehör des Geistes. Wer darüber aber lacht, statt den Verursacher zurechtzuweisen, handelt schändlich. Der Hörer würde sich doch auch nicht dazu herab179 180 181 182 183 184

Hieronymus, Epistula 198,15,4. Hieronymus, Commentarioli in psalmos, ed. Morin 181 f. Augustinus, In ps II, n. 3 ed. Weidmann 74 f. Vgl. Augustinus, In Ps LVIII, n. 17 ed. Müller 349. Vgl. Augustinus, Enarr. in Ps 36, s. II, n. 2 CC.SL 38 Dekkers/Fraipont, 348. Johannes Chrysostomus, Homiliae in Hebr XV,8 (PG 63),120.

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lassen, sich zu Musikern und Possenreißern zu gesellen.185 Die wahre Nachfolge wäre die Freude im Herrn nach Philipper 4,4, statt das den Unrat des Teufels in Form von Worten, Gesängen und Gelächter nach Hause zu tragen.186 Von daher erklärt sich, dass es für einen Mönch keinen geziemenden Anlass für Gelächter gibt;187 auch eine Jungfrau muss lernen, sogar das Lächeln zu vermeiden.188 In dieser Tradition steht auch die ps.Chrysosstomos’sche Definition von Lachen als poqme_ar bdec|r.189

V. Ausblick – nicht nur zum Lachen „Mit Platon begann die Austreibung des Lachens aus der Philosophie.“190 – So urteilt in einem jüngst erschienenen Büchlein Manfred Geier. Wie aus dem Vorangehenden erhellen sollte, ist das ebenso eingängig wie nicht richtig. Denn gerade bei Platon spielt das Lachen ja eine durchaus ambivalente Rolle. Geier selbst führt in der Fortsetzung seines Essays diese These ad absurdum. Gleichwohl verweist er mit dem nur halbrichtigen Satz auf einen wesentlichen Aspekt: Das Lachen ist in der Antike kein Gegenstand einer metaphysischen Spekulation. Lachen ist aktual, ohne dass seine Potentialität in Frage stehen muss – anders lässt sich meines Erachtens die Nichtexistenz eines Traktats „De risu“ nicht erklären. Auch die nicht attisch-philosophischen Texte aus dem Vorderen Orient reflektieren das Lachen selbst nicht, sondern geben nur ihre Vorstellung von lachenden Göttern und Menschen wieder. Das gilt auch für einen auf einem Papyrus überlieferten Mythus, der eine Schöpfung aus dem Lachen thematisiert.191 Der umgekehrte Versuch Gerhard Marcel Martins, eine „Theologie des Lachens“ zu formulieren,192 ist jedoch auch defizient, denn was er beschreibt ist gerade keine Theologie oder gar Religionsphilosophie, sondern ist eine theologische Anthropologie. Eine solche hat ihr Recht, 185 186 187 188 189 190

Johannes Chrysostomus, Homilia 37 (38) in Mt 11,7 – 24 (PG 57), 425. Ebd. (MPG 57), 426, vgl. De statuis 15,4; Homilia in Mt 6,6 (PG 57),69 – 70. Johannes Chrysostomus, In Mat comm. ser. 20. Johannes Chrysostomus, De virginitate 63,3. Ps.-Chrysostomus, Ascetetam facetiis uti non debere, 1055. Manfred Geier, Worüber kluge Menschen lachen. Kleine Philosophie des Humors, Reinbek bei Hamburg 2006, 16. 191 P. Lugdunensis W, I, 395; in Übersetzung bei Maria Caterina Jacobelli, Ostergelächter. Sexualität und Lust im Raum des Heiligen (ital. 1990), Regensburg 1992, 62. 192 Martin (s. o. Anm. 76).

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darf über ihrer Formulierung jedoch nicht aus den Augen verlieren, dass sie – jüdisch-christlich gesprochen – ihren Grund hat in der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Hier stellt sich jedoch die alte Frage, worin diese Ebenbildlichkeit denn bestehe, will man bei der Rede von Gott und seinen Attributen nicht in einem Anthropomorphismus stecken bleiben. Nicht von ungefähr sind es daher gerade die religiös observanten Religionsphilosophen wie Maimonides und seine Nachfolger gewesen, die jene Gottebenbildlichkeit in der Vernunft verorten. Der Vernunft jedoch ist es nicht zu eigen, dass sie lacht. Heißt das dann aber, dass das Lachen keinen Platz in der Religionsphilosophie hat? Womöglich ja, aber da das Lachen und auch der Spott und das platte Auslachen existent sind, muss eine kritische Religionsphilosophie immer so formuliert werden, dass sie nicht zum Gegenstand des Lachens der Verständigen wie der Unverständigen wird. Hat sie auch ihren Anfang bei dem Spott der Thrakerin genommen, als Thales in den arglistigen Brunnen fiel, so muss sie in der Reformulierung vor Brunnen und anderen Fallstricken, die zum Lachen reizen, gewahrt bleiben. Wie sonst soll sie ernsthaft und ohne Anthropomorphismen metaphysisch von der Religion oder religiös von der Metaphysik sprechen?

Friedrich Niewöhners mittelalterliche Aufklärer Yossef Schwartz Friedrich Niewöhner hat sich oft mit mittelalterlicher Philosophie, insbesondere mit mittelalterlichen Philosophen beschäftigt, war aber kein Mediävist. In seinem Lebensideal wie auch in all seinen Studien war er durch und durch ein Denker der Aufklärung, jedoch einer, der die Realität seiner Zeit mit scharfer Ironie und aus einer intensiv historischen Perspektive durchblickte. Er wusste, was es bedeutet, in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ein Denker der Aufklärung zu sein und welche historiographische Perspektive sich aus einer solchen Position notwendigerweise ergibt. Im Folgenden möchte ich in memoriam eines lieben Freundes dieser Frage einige Gedanke widmen. Als jemand, der im Nachkriegsdeutschland aufgewachsen war, der kurz nach dem Sechstagekrieg in Jerusalem war und der die islamische Revolution im Iran persönlich erlebte, wusste Niewöhner nur allzu gut, dass Aufklärung keinesfalls simplizistisch mit der Moderne, weder mit der europäischen noch mit ihren außereuropäischen und postkolonialen Manifestationen, identifiziert werden kann. Als heftigem Feind sowohl des blinden Nationalismus wie auch des irrationalen religiösen Fanatismus war ihm klar, dass das große pädagogische Projekt der Erziehung eines rationalen und gleichzeitig auch humanistischen Menschen nie mehr als der utopische Traum einzelner Philosophen war. Der Titel des ersten Kapitels von Hannah Arendts Spätwerk Men in Dark Times, das der Figur Lessings gewidmet ist, On Humanity in Dark Times,1 könnte in dieser Hinsicht sehr gut Niewöhners Lebenswerk sowohl innerhalb wie auch außerhalb der Akademie beschreiben. Aber anders als die deutsche Jüdin Arendt weigerte sich Niewöhner, diese Aufklärungsidee alleine mit der abendländischen Moderne (samt ihren antiken Wurzeln) zu identifizieren. Wenn die Imperative des freien Denkens und des wahren Interesses an allem Menschlichen im Wesen der Philosophie liegen, so sollte man vielmehr nach diesen Idealen überall suchen, wo es jemals Philosophie gab und gibt: 1

Hannah Arendt, On Humanity in Dark Times. Thoughts about Lessing, in Ead., Men in Dark Times, New York 1968, 3 – 31.

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im Judentum und im Islam ebenso wie im Christentum, im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit ebenso wie auch in der Moderne. Im Hinblick auf diese Frage stand Niewöhner anderen deutschen Juden näher als Arendt, etwa dem Philosophen Leo Strauss oder dem Kabbalah-Forscher Gershom Scholem. Doch unterschied er sich auch ganz klar von diesem beiden, und zwar weil er sich – im Unterschied zum konservativen Strauss und zum National-Romantiker Scholem – an das Mittelalter nicht vorwiegend zum Behufe einer Kritik der Moderne wandte, und schon gar nicht zu einer Kritik an den humanistischen Idealen der Aufklärung. Da, wo er seinen Blick auf die „marginalen“ Räume der Aufklärung wandte, ohne dabei auf die Hauptideale verzichten zu wollen, stand Friedrich Niewöhner auch in einem direkten Bezug zu dem berühmtesten Wolfenbütteler Denker, zu Gotthold Ephraim Lessing. Lessing steht ohne Zweifel in der Mitte der deutschen Aufklärungsbewegung, sowohl dank seiner eigenen intellektuellen Leistungen wie auch dank seiner symbolischen Kraft im kollektiven Gedächtnis deutscher (und deutsch-jüdischer) Intellektueller. Als Aufklärer zeichnet sich Lessing, vielleicht sogar stärker als sein jüdischer Freund Mendelssohn, durch eine permanente innere Spannung beziehungsweise einen fruchtbaren inneren Widerspruch aus, zwischen dem konservativen Blick nach hinten und dem innovativen revolutionären Blick nach vorne, eine Spannung, die die Moderne im Allgemeinen und die deutsche Moderne im Besonderen charakterisiert.2 Im 20. Jahrhundert hat Gerhard Scholem, der sich ebenfalls zwischen dem zukunftsorientierten Utopismus eines religiösen Anarchisten und der vergangenheitsorientierten Nostalgie eines romantische National-Historikers bewegte, das gleiche Spannungsfeld als eine innere Ambivalenz des jüdischen Messianismus dargestellt, und zwar zwischen den restaurativen 2

Was das Spannungsfeld zwischen der Vollendung des Einzelnen und derjenigen der ganzen Gemeinde betrifft vgl. Paul Althaus, Die letzten Dinge. Lehrbuch der Eschatologie, Gütersloh 1933 [1964], 25; zu Mendelssohns Auseinandersetzung mit Lessing vgl. Moses Mendelssohn, Jerusalem, in: Ders., Gesammelte Schriften, hg. von G. B. Mendelssohn, Leipzig 1843, Bd. 3, 317 – 318: „Ich für meinen Theil habe keinen Begriff von der Erziehung des Menschengeschlechtes, die sich mein verewigter Freund Lessing von, ich weiss nicht, welchem Geschichtsforscher der Menschheit hat einbilden lassen. […] Der Mensch geht weiter, aber die Menschheit, schwankt beständig zwischen festgesetzten Schranken, auf und nieder.[…]“. Vgl. auch Ernst Cassirer, Die Idee der Religion bei Lessing und Mendelssohn, in: Festgabe zum zehnjährigen Bestehen der Akademie für die Wissenschaft des Judentums, Berlin 1929, 31 – 32.

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und utopischen Kräften, die beide die konservative Tendenz ständig revolutionieren.3 Ich möchte diese Ambivalenz hier als universelles Phänomen beschreiben, das innerhalb der Eschatologie zwei Arten von epochalen Orientierungen existieren lässt. Die eine, typisch für mystische Bewegungen, strebt immer wieder nach der lebendigen Offenbarung des Wortes Gottes und dadurch nach der Erneuerung des religiösen Bewusstseins. Die zweite, die allerdings auch als Form der ersten gedeutet werden kann, hat mit der Rekonstruktion und Restauration einer in der fernsten Vergangenheit liegenden Epoche zu tun. „[A]uch das Restaurative hat utopische Momente und in der Utopie werden restaurative Momente wirksam.“4 Das radikal Neue formuliert sich hier als die wahre Restauration eines goldenen Zeitalters, die alle bekannten Erinnerungsmechanismen transzendiert, um die prä-historische Vergangenheit zu einer radikal anderen Zukunft zu machen. Der Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels als jüdisch-messianische Endzeiterwartung steht dieser Definition nach anderen, parallelen Phänomenen nahe, wie zum Beispiel der Sehnsucht nach der Wiederkehr zur prä-konstantinischen „vita apostolica“ im Christentum, der islamischen fundamentalistischen Rückkehr zur Zeit der Propheten oder der Rückwende der Renaissance zum klassisch griechischrömischen Zeitalter. Schon im Urchristentum kann man zwischen diesen beiden Orientierungen noch einen weiteren Topos finden: dass nämlich das neue Äon als ein solches verstanden wird, das alle früheren Zeiten auf eine revolutionäre Weise radikal aufhebt. Gerade deswegen aber hat die neue Epoche die Kraft, verschiedenen Topoi und Figuren der Vergangenheit erst ihre volle Bedeutung zu verleihen, sie damit zu „erlösen“. Vor allem in seinen späteren Jahren in Wolfenbüttel scheint Lessing diese eschatologische Dimension in eine säkulare humanistische Form zu übersetzen. Der Gedanke seiner eigenen Epoche als der Vollendung eines langen Prozesses der „Erziehung des Menschengeschlechts“ ist eng mit seiner Hinwendung zu verschiedenen mittelalterlichen Präfigurationen verbunden. „Sie wird gewiss kommen, die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums, die uns selbst in den Elementarbüchern des Neuen Bundes versprochen

3 4

Gershom Scholem, Zum Verständnis der messianischen Idee im Judentum, in: Judaica I, Frankfurt a.M. 1963, 7 – 74, hier 10 – 11. Ebd., 12.

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wird.“5 – „Vielleicht, dass selbst gewisse Schwärmer des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts einen Strahl dieses neuen ewigen Evangeliums aufgefangen hatten; und nur darin irrten, daß sie den Ausbruch desselben so nahe verkündigten.“6 Friedrich Niewöhner war selbst ein Freidenker und radikaler Aufklärer, der sich im öffentlichen Raum der gegenwärtigen Medien genauso wohl fühlte wie bei den Forschern im Seminarraum der Herzog August Bibliothek. An seinem letzten Wohnsitz in Wolfenbüttel nahm er vor allem seinen Vorläufer Lessing zum Modell und mit dessen Ideen, vor allem mit seiner inter-religiösen Toleranz, beschäftigte er sich immer wieder: in seiner Habilitationsschrift Veritas sive Varietas 7 – selbst ein Stück meisterhafter Aufklärung, das Literatur, Historie und Philosophie auf geniale Weise verbindet – und in seinen Studien zu Nathan dem Weisen, in seiner Auseinandersetzung mit Moses Mendelssohn, aber auch hinsichtlich des Interesses am mittelalterlichen „Vorläufer“: Hat Lessing Berengar von Tours entdeckt,8 so wendet sich Niewöhner an Berengar und Abaelard, aber nicht weniger an den Muslimen Averroes9 und noch stärker an den arabischen Juden Maimonides. Dabei identifiziert sich Niewöhner nicht nur mit Lessings Mittelalter, sondern auch mit der jüdischen Moderne in ihrer eigenen Wende zum Mittelalter: hier nicht nur mit klassischen Figuren wie Uriel da Costa, Spinoza10 und Mendelssohn, sondern auch mit zeitgenössischen Figuren wie Ignaz Goldziher,11 Gershom Scholem und Shlomo Pines. All diese

5 Gotthold Ephraim Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts, §86, in: Ders., Werke 1778 – 1781, Frankfurt a.M. 2001, 96. 6 Ebd., §87, 97. 7 Friedrich Niewçhner, Veritas sive Varietas. Lessings Toleranzparabel und das Buch von den drei Betrügern, Heidelberg 1988. 8 Vgl. Berengarius Turonensis, De sacra coena adversus Lanfrancum, von Gotthold Ephraim Lessing 1770 in der hzgl. Bibl. zu Wolfenbüttel aufgefunden, hg. von A. F. und F. Th. Vischer, Berlin 1834. 9 Vgl. Friedrich Niewçhner/Loris Sturlese (Hg.), Averroismus im Mittelalter und in der Renaissance, Wolfenbüttel 1991. 10 Unter anderem auch als Herausgeber seiner Werke; vgl. Baruch de Spinoza, Tractatus Theologico-Politicus, hg. von Günther Gawlick und Friedrich Niewçhner, Darmstadt 1979. 11 Vgl. Friedrich Niewöhner, Ignaz Goldziher (1850 – 1921) oder: Der Mythos als Apologie, in: Yossef Schwartz/Volkhard Krech (Eg.), Religious Apologetics – Philosophical Argumentation. Religion in Philosophy and Theology, Vol. 10, Tübingen 2004, 175 – 184.

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Personen haben eine wesentliche Rolle in seinem Denken gespielt, die beiden letztgenannten auch in seiner Biographie.12 Solch mittelalterliche „heroische“ Einzelfiguren scheinen sich im Denken der Moderne – sowohl ihrem eigenen Charakter nach wie auch wegen der historiographischen Tradition, die mit ihren Namen verbunden ist – in zwei Hauptrubriken einordnen zu lassen. Auf der einen Seite haben wir das Thema „Atheismus im Mittelalter“. Ähnlich wie bei Fritz Mauthner13 und Hermann Ley14 hat es auch bei Niewöhner nicht nur mit einem historischen, sondern auch mit einem ideologischen Muster zu tun.15 Die Wende zur Moderne, vor allem in ihren verschiedenen Erscheinungen in der europäischen Geschichte, war immer eng mit der Zerstörung traditioneller Lebens- und Gedankenformen verbunden, in deren Mitte der Glaube an Gott stand. So kommt es, dass der Atheismusbegriff im Denken des 20. Jahrhunderts so eng mit dem Denken der Aufklärung verbunden war.16 Berengar von Tours, Abaelard, Averroes und die Pariser Averroisten, werden in diesem Zusammenhang alle als prä-spinozistische Figuren wahrgenommen und, so wie Spinoza in der deutschen Aufklärung, zum höchsten Ausdruck des Projekts der Moderne in ihrer Tiefe und longue dure erhoben. Wenn Niewöhner sich aber an Maimonides wendet, und zwar als Musterbild einer „Aufklärung und Toleranz im Mittelalter“, so scheint er, das möchte ich hier betonen, eine ganz andere Absicht zu haben. Wesentlich für seinen politisch-theologischen Gedanken ist in diesem Punkt 12 Mit Gershom Scholem machte sich Niewöhner schon als junger Student in Jerusalem bekannt; einen Teil seines Nachlasses hat er dann auch ediert, vgl. Gershom Scholem, Tagebücher, hg. von Karlfried Grnder und Friedrich Niewçhner, Frankfurt a.M. 2000; Friedrich Niewçhner, Scholems Sabbatai Zwi. Mystik und Moderne, Wiesbaden 1992. Pines wurde von Niewöhner regelmäßig an die Freie Universität in Berlin wie auch nach Wolfenbüttel eingeladen. 13 Fritz Mauthner, Der Atheismus und seine Geschichte im Abendland, Stuttgart/ Berlin, I-IV, 1920 – 1924. 14 Hermann Ley, Geschichte der Aufklärung und des Atheismus, I-V, Berlin 1966 – 1989. 15 Vgl. Friedrich Niewçhner/Olaf Pluta (Hg.), Atheismus im Mittelalter und in der Renaissance, Wolfenbütteler Mittelalter-Studien, Bd. 12, Wiesbaden 1999. 16 Vgl. Yossef Schwartz, Kabbala als Atheismus? Die Kabbala Denudata und die religiöse Krise des 17. Jahrhunderts, in: Morgen-Glanz: Zeitschrift der Christian Knorr von Rosenroth-Gesellschaft 16 (2006), 259 – 284, und die dortige Bibliographie zur weiteren Forschungsliteratur.

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der Verweis auf die jüdische Tradition, von RAMBAM (das jüdische Akronym des Moses ben Maimon/Maimonides) zu RAMBAMAN (das jüdische Akronym des Moses Mendelssohn17 im 18. Jahrhundert), als eine ferne und gleichzeitig auch naheliegende Tradition, die es ihm erlaubt hat, eine dualistische, vielleicht sogar sich selbst widersprechende Position zu formulieren, die ihrerseits die oben beschriebene innere Spannung der Aufklärungszeit wiederholt. Um mich der komplexen und reichen Perspektive von Niewöhners Lektüre mittelalterlicher Quellen anzunähern, wende ich mich nun seiner Maimonides-Lektüre zu, und zwar sowohl in seiner großen Monographie Veritas sive Varietas wie auch in seinen verschiedenen Maimonides-Essays. Es ist hier, im Rahmen dieser kurzen Beiträge – einer von ihnen wurde im Original als öffentlicher Vortrag gehalten –, dass Niewöhner seine Einschätzung von Maimonides als Aufklärer und Philosoph eindeutig zum Ausdruck gebracht hat. „Unter den Stichworten ,Aufklärung’ und später dann ,Toleranz’“ – so Niewöhner – „möchte ich mit Maimonides die Frage beantworten: Was heißt es, ein Philosoph zu sein?“18 Niewöhners Interesse ist hier keineswegs bloß dasjenige des Historikers, der sich einer Figur der Vergangenheit, sei sie auch interessant und wichtig, so adäquat wie möglich anzunähern versucht, sondern er will eine tiefere Frage beantworten, die sowohl für den Philosophen als auch für den Autor dieses Essays als Person von großer existenzieller Dringlichkeit ist. Nicht die abstrakte Form „was ist Philosophie?“ wird hier erörtert, sondern die personalisierte Form, nämlich was heißt es, ein Philosoph zu sein. Diese universell-individuelle Frage versucht Niewöhner also anhand der Betrachtung der Figur des Maimonides zu beantworten. Die bemerkenswertesten Punkte an Niewöhners manchmal etwas unorthodoxen Maimonides-Bild sind für mich nun die folgenden drei: 1. Maimonides als Musterbeispiel des prämodernen Atheismus. 17 Zu Mendelssohn und Maimonides vgl. Friedrich Niewçhner, Die Seele, in: Das achtzehnte Jahrhundert, Sonderheft Haskala 23,2 (1999), 229 – 237, insbesondere 231 – 233. Zur Figur des Maimonides in der jüdischen Aufklärung vgl. Friedrich Niewçhner, Maimonides als Aufklärer, in Kurt Flasch/Udo Reinhold Jeck (Hg.), Das Licht der Vernunft. Die Anfänge der Aufklärung im Mittelalter, München 1997, 19 – 27, insbesondere 24 – 27. 18 Friedrich Niewçhner, Maimonides. Aufklärung und Toleranz im Mittelalter, Kleine Schriften zur Aufklärung, hg. von der Lessing-Akademie Wolfenbüttel, I. Heidelberg 1988, 22.

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2. Maimonides als Ur-Figur der Ringparabel Lessings. 3. Und entsprechend Maimonides als Musterbeispiel für Toleranz und Aufklärung im Mittelalter. Beim ersten Punkt (Atheismus) bezieht sich Niewöhner auf „[e]in[en] subtile[n], verschlagne[n] Atheismus“,19 den er in einer langen Linie von Maimonides bis zur Religionskritik Ludwig Feuerbachs beschreibt. Atheist ist Maimonides als Religionskritiker nämlich nicht etwa, weil er die Existenz Gottes verneint, sondern weil er die Offenbarung Gottes in Bezug auf den menschlichen historischen und kulturellen Zustand relativiert. Zur Auffassung, dass Maimonides als der wahre Urhebers der Ringparabel Lessings angesehen werden muss, kommt Niewöhner aufgrund einer Reihe von Indizienbeweisen,20 die es ihm schlussendlich erlauben, den mittelalterlichen jüdischen Rabbi mit den aufklärerischen Figuren Moses Mendelssohns’ und Lessings auf eine Ebene zu stellen. Die Toleranzfrage hingegen verbindet sich direkt mit der Rekonstruktion eines „converso“-Moments, das sich nach Niewöhners Darstellung sowohl in Maimonides’ Biographie wie auch in seinen Gedanken findet. Es geht nämlich um „[d]e[n] Zusammenhang zwischen dem Vorwurf, Maimonides sei Scheinmohammedaner gewesen, und der Feststellung, daß er tolerant gewesen ist.“21 Anderswo nennt Niewöhner auch ganz andere Elemente, die Maimonides zur aufklärerischen Musterfigur machen.22 Meiner Meinung nach sind es aber vor allem diese drei Elemente, die Maimonides Niewöhners Meinung nach wesentliche Aufklärungsattribute verleihen sollen. Man könnte in Bezug auf eine solche Beschreibung freilich fragen, inwiefern Maimonides, eine zentrale mittelalterliche religiöser Autorität, überhaupt als Aufklärer im modernen Sinne definiert werden kann? Niewöhner selbst erwähnt in Bezug auf diese Frage eines der schwersten Argumente gegen jede solche transhistorische Gleichsetzung. Diesem 19 Niewçhner, Veritas sive Varietas (s. o. Anm. 7), 139. 20 Ebd., 142. 21 Ebd., 125 – 127. Dieses Element scheint mir mit der zentralen Figur des Spinoza assoziiert zu werden. Zur Spinoza-Tradition als „converso“, insbesondere in der deutschen Tradition bis in die Moderne, vgl. Andreas B. Kilcher, Kabbala in der Maske der Philosophie. Zu einer Interpretationsfigur in der Spinoza-Literatur, in: Hanna Delf/Julius H. Schoeps/Manfred Walter (Hg.), Spinoza in der europäischen Geistesgeschichte, Berlin 1994, 193 – 242 und die weitere Bibliographie dort. 22 Für eine ganz andere Liste vgl. Niewçhner, Maimonides als Aufklärer (s. o. Anm. 17).

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Einwand zufolge sei Maimonides’ Ideal der intellektuellen Vollkommenheit ein „esoterisches“, das einen einzelnen elitären Philosophen betrifft, und zwar gegenüber dem öffentlichen Ideal eines popularisierten, „exoterischen“ Wissens, das den Philosophen/Aufklärern im 18. Jahrhundert gemein ist.23 Diesem Argument setzt Niewöhner sowohl die pragmatische Natur des jüdischen Gesetzes überhaupt entgegen, das keinen Raum für eine strenge Unterscheidung zwischen doktrinären Wahrheiten und Alltagspraxis lässt, als auch den besonderen Charakter des Werkes des Maimonides, das sich immer wieder zwischen abstrakter Philosophie und konkreter Diskussion der Alltagsgesetze bewegt.24 Darüber hinaus beschreibt Niewöhner „[d]e[n] Traum des Maimonides von der Messias-Akademie“,25 nämlich seine eschatologische Darstellung des vollkommenen Zustandes der menschlichen Erkenntnis, der in seiner endgültigen Form sowohl im privat-individuellen wie auch im öffentlich-politischen Raum herrschen soll. Genau bei diesem Punkt unterscheidet sich Maimonides von den klassischen Denkern der arabisch-muslimischen falsafa, etwa von seinen andalusischen Zeitgenossen Ibn Tufayl und Ibn Rushd, nämlich in seiner steten Weigerung, den epistemologischen Unterschied, der in seiner eigenen Zeit zwischen den Menschen besteht, zu einem ontologisch notwendigen Unterschied zwischen verschiedenen menschlichen Typen zu erheben. Die Unterschiede zwischen den menschlichen Individuen wurzeln für ihn alleine in kontingenten sozialen und politischen Bedingungen. Die einzige Rechtfertigung des privilegierten Status des Philosophen liegt aber in seiner politischen Aufgabe, nämlich darin, dass der Philosoph immer unter dem Primat der utopischen Zukunft einer breiten Philosophengesellschaft agiert, dass er nämlich als politischer Agent seine Handlung als „Gesetzgeber“ immer auf dieses Ziel richtet. Auch wenn Niewöhner selbst keine solche Unterscheidung zwischen Maimonides und seinen muslimischen Zeitgenossen machte, glaube ich doch, dass er darauf direkt Bezug nahm. Meiner Meinung nach liegt gerade hierin der Grund dafür, dass er den Fhrer der Unschlssigen als das „rationalistischste Werk des Mittelalters“26 beschreiben konnte, wobei für ihn

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Niewçhner, Maimonides (s. o. Anm. 18), 23. Ebd., 24 – 26. Ebd., 22, vgl. auch Niewçhner, Veritas sive Varietas (s. o. Anm. 7), 120 – 123. Niewçhner, Maimonides (s. o. Anm. 18), 28.

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das rationalistische Element nie getrennt vom ethischen und politischen behandelt werden konnte. Maimonides hat, so Niewöhner, die „Antinomie von vita activa und vita contemplativa überwunden“.27 Dies hat er unter dem anarchistischen Ideal einer Philosophengesellschaft getan, in der jeder das Gute alleine um des Guten willen tut, und zwar weil man zur Erkenntnis des Guten zu gelangen hat, und zwar nicht nur als rationalistischer, souveräner Philosoph, sondern gleichzeitig auch als frommer Gottesverehrer, wie er im Schlusskapitel des Fhrers der Unschlssigen in einer poetischen Sprache, die stark an die Sufi-Terminologie der Zeit erinnert, beschrieben wird, als eine Person, die ganz emotional auf Grund der reinen Gotteslust handelt. Das messianische Moment in der Aufklärung und im Denken des Maimonides wird dann bei Niewöhner selbst direkt mit Lessings Programm, etwa der Erziehung des Menschengeschlechts zusammengebracht.28 Solche utopische Pädagogik muss nach Niewöhners Lektüre als das gemeinsame Ideal eines Maimonides und eines Lessing gesehen werden. Vor allem war es aber das Ideal Niewöhners selbst, in seinem Wolfenbüttler Bibliotheksraum. Maimonides ist letztlich der Vorläufer des Juden Nathan – beide bewegen sich am Hof Saladins –, der vom deutschen Lessing, mit dem sich Niewöhner an dieser Stelle stark identifiziert, mit Blick auf seinen jüdischen Freund Mendelssohn erdichtet wurde. In diesem Zusammenhang möchte ich zum Schluss wieder zu Niewöhners Beschreibung der Toleranz des Maimonides zurückkehren.29 Ob Maimonides, den üblichen Kriterien nach, so eindeutig als tolerant definiert werden kann, scheint mir eher zweifelhaft zu sein. Die Geschichte des abendländischen Denkens macht überhaupt fragwürdig, ob Philosophie an sich wirklich tolerant sein kann. An mehreren Stellen habe ich zu diesem Thema die Ansicht geäußert, dass Toleranz zwar als modernes philosophisch-politisches Phänomen gedacht werden muss, dass es aber vor allem im mittelalterlichen Denken gewesen ist, dass ein wahres pluralistisches Bild der Wahrheit beziehungsweise der menschlichen und geschichtlichen Manifestationen der Wahrheit systematisch formuliert wurde, wobei die Wende zur Moderne gleichzeitig auch als eine Wende zum monolithi-

27 Ebd., 33. 28 Ebd., 30 – 32. 29 Ebd., 33.

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schen Wert- und Wahrheitssystem zu deuten ist.30 Demnach war Maimonides gewiss in mehreren Hinsichten ein Pluralist, doch war er keinesfalls tolerant. Dass Niewöhner mit so viel Nachdruck das Gegenteil behauptet, hängt wohl auch damit zusammen, dass er einen ganz anderen, eher ahistorischen Begriff von Philosophie und von Toleranz hat. Deswegen ist auch Niewöhners’ Antwort auf die oben erwähnte Frage ganz eindeutig: „Die Toleranz des Maimonides resultiert aus dem Wissen um die Vorläufigkeit aller Gesetze, um ihren eigentlichen, geheimen Sinn. Die Aufklärung hierüber führt zur Toleranz, und zwar notwendig, da es eine Aufklärung ist, die das eigene Gesetz mit einschließt – ohne es jedoch abschaffen zu wollen.“ Einleuchtend sind diese Worte nicht nur und vielleicht nicht in erster Linie in Bezug auf Maimonides, sondern mit Blick auf die genaue Formulierung eines Aufklärungsideals, dem Friedrich Niewöhner sich auch am Ende des 20. Jahrhunderts noch widmen konnte, ein Ideal, das den Rest einer zukünftigen Utopie mit der präzisierten Nostalgie bestimmter mittelalterlicher Gedankenfiguren verbindet, nämlich mit Friedrich Niewöhners mittelalterlichen Aufklärern.

30 Yossef Schwartz, Zwischen Pluralismus und Toleranz. Zur Säkularisierung der inter-religiösen Problematik im Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit, in: Jens Mattern (Hg.), EinBruch der Wirklichkeit. Die Realität der Moderne zwischen Säkularisierung und Entsäkularisierung, Berlin 2002, 73 – 99; Ders., Das Erschrecken von Rabbi Jechiel. Von der rationalen Macht und der Macht der Rationalität, in: Gesine Palmer (Hg.), Fragen nach dem einen Gott. Die Monotheismusdebatte im Kontext, Tübingen 2007, 217 – 228; Ders., Die verschiedenen Gesichter des einen Gottes. Monotheismus, Offenbarung und Pluralismus zwischen Prämoderne, Moderne und Postmoderne, in: Alexander Fidora (Hg.), Philosophische Gotteslehre Heute, Darmstadt 2008, 145 – 167, hier 154 – 158.

Maimonides contra Hippokrates oder „Tägliches Gebet eines Arztes, bevor er seine Kranken besucht.“ Richard Toellner In memoriam Friedrich Niewöhner

Friedrich Niewöhner hat in seiner großen Rede auf Rabbi Mosche Ben Maimon, genannt Maimonides, gehalten zu dessen 850. Geburtstag am 26. September 1985 in der Augusteerhalle der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel bemerkt: „Maimonides wird von Deutschen kaum noch gelesen“1. Das war nicht immer so. Vom Staufer Friedrich II. im 13. Jahrhundert bis zur Zeit des Preußen Friedrich II. im 18. Jahrhundert wurde er gelesen, tradiert, gedruckt, übersetzt und kommentiert; als großer Arzt und Philosoph war er Vorbild für Weisheit, Aufklärung und Toleranz. Ohne seine Wirkung ist Lessings Nathan der Weise und seine Erziehung des Menschengeschlechts nicht zu denken. Deutschland war bis in den Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts das Zentrum der Maimonidesforschung. 1935 noch konnten eine Festschrift, eine Biographie und fünf Publikationen zu Maimonides erscheinen ehe die Autoren durch die Nationalsozialisten zum Verstummen gebracht wurden – vertrieben, verjagt, ermordet.2 Friedrich Niewöhner hat durch seine Arbeiten dem großen jüdischen Philosophen des Mittelalters wieder Aufmerksamkeit und Geltung verschafft – nicht zuletzt durch sein opus per1 2

Friedrich Niewçhner, Maimonides. Aufklärung und Toleranz im Mittelalter. Heidelberg 1988 (Kleine Schriften zur Aufklärung 1), 7. Abraham Heschel, Maimonides. Eine Biographie, Berlin 1935; Neuerscheinungen aus Anlass des 800. Geburtstages des Maimonides: Fritz Bamberger, Das System des Maimonides, eine Analyse des More Newuchim vom Gottesbegriff aus, Berlin 1935; Leo Strauss, Philosophie und Gesetz: Beitrage zum Verständnis Maimünis und seiner Vorläufer, Berlin 1935; Rabbi Mosche Ben Maimun: Ein systematischer Querschnitt durch sein Werk, ausgewählt, übertragen und eingeleitet von Nahum Norbert Glatzer, Berlin 1935; Des Rabbi Mosche Ben Maimun „More Newuchim“ (Führer der Verirrten) im Grundriß.“ Auswahl, Übertragung und Nachwort von Alexander Altmann, Berlin 1935; Das Leben des Rabbi Mosche Ben Maimon. Aus seinen Briefen und anderen Quellen ausgewählt und eingeleitet von Ismar Elbogen, Berlin 1935.

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magnum: Veritas sive Varietas. Lessings Toleranzparabel und das Buch von den drei Betrgern 3. Die unverkennbare Sympathie, mit der er Maimonides charakterisiert, ist mehr als die Vorliebe des Forschers für seinen Forschungsgegenstand, ist die Sympathie der gleichgestimmten Überzeugungen des Herzens und des Verstandes: „Nach dem Fhrer der Unschlssigen hat Maimonides nichts mehr geschrieben. 14 Jahre lang war er nur noch Lehrer, Arzt, Berater einer Gemeinde, Führer des gesamten mediteranen Judentums. Er hat versucht, als Philosoph zu leben, die imitatio dei zu üben. Seine Aufklärung schlug nicht um in verachtende und alles vernichtende Hybris, sondern gründete in wissender Demut um die Notwendigkeit des Gesetzes für die Erziehung der Menschen. Seine Toleranz drückte sich nicht aus in einer mehr oder weniger ungeliebten Duldung Anderer, dieser vornehmen Spielart der Beleidigung, sondern sie gründete sich auf dem Wissen um das gemeinsame Ziel aller Gesetze, seien sie jüdisch, christlich oder islamisch: daß von den Menschen Gnade, Recht und Tugend ausgehe auf Erden. Als der Rambam am 13. Dezember 1204 starb, trauerte die Welt um ihn. Ein Großer war von ihr gegangen, Morenu, wie er genannt wurde, unser Lehrer.“4

Der große Arzt und Autor vieler wirkungsmächtiger medizinischer Schriften hingegen hat seit den vielen Arbeiten von Moritz Steinschneider (1816 – 1907) zur jüdischen Literatur des Mittelalters keinerlei Aufmerksamkeit mehr in Deutschland gefunden. Die Untersuchung und Auswertung der Quellen, die Steinschneider bereitgestellt hatte, hat „bisher in keiner Weise stattgefunden.“5 Allein eine der bedeutendsten Werke des Maimonides, das unter vielen Titeln überlieferte Regimen Sanitatis wurde 1924/25 von Hermann Kroner zuerst im arabischen Text mit deutscher Übersetzung und Kommentar publiziert.6 Auch sonst hat sich der promovierte Rabbi aus Oberdorf/Bopfingen um die medizinischen Schriften des Rambam, des Rabbi Mose Ben Maimon, verdient gemacht. Er ist 1930

3 4 5 6

Friedrich Niewçhner, Veritas sive Varietas. Lessings Toleranzparabel und das Buch von den drei Betrügern, (Bibliothek der Aufklärung Nr. 5), Heidelberg 1988. Niewçhner (s. o. Anm. 1), 37. Heinrich Schipperges, Ideologie und Historiographie des Arabismus (Sudhoffs Archiv, Beiheft 1) Wiesbaden 1961, 64. Hermann Kroner: Gesundheitsanleitung des Maimonides für den Sultan a-Malik a-Afdal, in: Janus 28 (1924), 61 – 74, 143 – 152, 199 – 217, 455 – 472 und in: Janus 29 (1925), 235 – 258.

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plötzlich gestorben und hat die Verfolgung und Vertreibung der Juden aus Deutschland nicht mehr erleben müssen.7 Es waren vornehmlich zwei aus Deutschland emigrierte Männer, die den Arzt Maimonides in Israel und den Vereinigten Staaten von Amerika bekannt, ja populär gemacht haben. Süssmann Muntner, geboren am 17. September 1897 im damals österreichischen Galizien, studierte in Berlin Medizin und emigrierte von dort 1933 nach Palästina. Fred Rosner, geboren am 3. Oktober 1935 in Berlin emigrierte mit seinen Eltern 1938 in die Niederlande und kam über Großbritannien und Belgien schließlich nach New York an das Maimonides Medical Center in Brooklyn. Muntner hat seit 1940 in Jerusalem und Rosner seit 1984 die medizinischen Schriften des Maimonides in hebräischer und englischer Sprache in Haifa im The Maimonides Research Institute publiziert und beide haben erste Schritte zur Charakterisierung der besonderen ärztlichen Ethik des Maimonides getan, die sich neben der überwältigenden Tradition des hippokratischen Eides behauptet hat. Auf diese Besonderheit der ärztlichen Ethik des Maimonides hat Felix Klein-Franke 1970 in einem Beitrag hingewiesen. In seinem Aufsatz Der hippokratische und der maimonidische Arzt 8 kommt er nach der Interpretation des Schlusskapitels von De causis accidentium apperantium domino et magnifico soldano etc. (1514), eine zur Beratung des Sultans von Rikka verfassten Schrift des Maimonides, zu einem doppelten Ergebnis: 1. Im Gegensatz zur hippokratischen Ethik könne Maimonides Religion und Medizin trennen und 2. lehre er den freien Willen des Patienten zu achten, was bei Hippokrates völlig fehle. In der Tat enthält das medizinische Werk des Maimonides hoch interessante Aussagen zur ärztlichen Ethik, besonders im 3. und 4. Kapitel des Regimen Sanitatis und in den Responsen ber die Ursachen der Anflle 9 und ber die Lebensdauer 10. Auch die Lehren des Rambam, die Muntner aus der Mischne Thorah unter dem Titel Maimonides’

7 Freundliche Mitteilung von Herrn Felix Sutschek, Synagogen-Museum, Oberdorf/Bopfingen. 8 Felix Klein-Franke, Der hippokratische und der mainonidische Arzt, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 17 (1970), 442 – 449. 9 Maimonides, Regimen Sanitatis oder Diätetik für die Seele und den Körper. Mit Anhang der Medizinischen Responsen und Ethik des Maimonides, deutsche Übersetzung und Einleitung von Süssmann Muntner, Frankfurt a.M. 1966, Kap. „Über die Ursachen der Anfälle“, 129 – 160. 10 Maimonides, Über die Lebensdauer. Ein unediertes Responsum, hg., übersetzt und erklärt v. Gotthold Weil, Jerusalem/Basel/New York 1953.

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Ethik zusammengestellt hat11, verdienen hohe Aufmerksamkeit. Doch noch ist eine zusammenfassende, gründliche Darstellung der ärztlichen Ethik des Maimonides im Zusammenhang seines philosophischen und medizinischen Werkes ein Desiderat der Forschung. Es wäre eine lohnende Aufgabe, denn die Abkehr von den Normen der Ethik des hippokratischen Eides, der vor allem als paternalistisch verschrien ist, vollzieht sich in der Medizin, besonders in den Vereinigten Staaten von Nordamerika immer schneller. Im Jahre 1988 prägte der Amerikaner Edmund D. Pellegrino in seinem verbreiteten Buch For the patient’s good, der sich seinen Lesern als Direktor des „Joseph and Rose Kennedy Institute for Ethics“ und „John Carroll Professor of Medicine and Medical Humanities“ am Georgetown University Medical Center empfiehlt, einen Begriff, der in der abendländischen Medizingeschichte ein Novum darstellt: den des Posthippokratismus12 Ob das Präfix „post“ in „posthippokratisch“ einen Epochen-Sinn behauptet oder in seiner schwächeren, gleichsam fragenden Bedeutungsnuance als „Anzeige eines Zustandes, dessen Beschreibung noch unsicher ist“13, zu verstehen ist, müssen die programmatisch überschriebenen Texte Pellegrinos selbst zeigen. Eine Analyse der betreffenden Kapitel bestätigt jedoch sehr bald die Erwartung, die das Begriffspaar „postHippocratic era“ schürt, dass nämlich Pellegrino seinen Neologismus in einem Epochen-Sinn versteht: Er verkündet den Anbruch einer neuen Zeit und den Abbruch einer alten überholten Medizinethik.14 Dieser Prozess scheint nun immerhin so weit gediehen zu sein, dass Pellegrino an anderer Stelle einen „medical oath for the post-Hippocratic era“ vorlegt.15 Und bevor der Verdacht entstehe, der Name „posthippokratisches Zeitalter“ verdanke sich lediglich einem Bescheidenheitstopos des Verfassers des neuen Eides und des Stifters der neuen medizinethischen Ära, wird es Zeit, die skizzierte Argumentation kritisch zu hinterfragen. 11 Maimonides (s. o. Anm. 9), Auszüge aus Maimonides’ (Ethik) „Buch des Wissens“ (Mischne Thorah) übersetzt von Süssmann Muntner, 163 – 197. 12 Edmund D. Pellegrino/David C. Thomasma, For the Patient’s Good, New York/Oxford 1988, Titelblatt. 13 Wolfgang Welsch (Hg.), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne. Diskussion, Weinheim 1988, 2. 14 Edmund D. Pellegrino, Medical Ethics. Entering the Posthippocratic-Era, in: The Journal of the American Board of Family Practice 1/4 (1988), 230 – 237. 15 Pellegrino/Thomasma (s. o. Anm. 12), Kap. 16, 203: A Medical Oath for the Posthippocratic Era.

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Dies scheint umso wichtiger, als die von Pellegrino geäußerten Ansichten eine beträchtliche Breitenwirkung haben. In der Sekundärliteratur zum hippokratischen Eid sind sie immer häufiger anzutreffen und es wird, da das Kennedy Institute in Washington als Ausbildungsstätte von Medizinethikern besonders in Europa einen guten Ruf genießt und aus aller Welt anreisende Ärzte nach mehrwöchigen crash-Kursen als Medizinethiker wiederum in alle Welt entlässt, die in ihren Heimatländern sodann einen medizinethischen Unterricht an den Medizinischen Fakultäten etablieren, eine Unzahl von Studenten erreicht. Um Neues aufbauen zu können, muss Altes abgerissen werden. Pellegrino führt vor, wie eine solche Dekonstruktion erfolgen kann. Den Kenner der „hippokratischen“ Ethik wird es dabei kaum verwundern, wenn der sogenannte Eid des Hippokrates als Grundstein und statisches Zentrum des Gebäudes hippokratischer Ethik Hauptangriffspunkt der Demontage ist. Das hört sich in der gebotenen Kurzform etwa so an: Die im Lehrvertrag des hippokratischen Eides erkennbare Ärztegilde sei „sexistisch, elitär, monopolistisch und einer demokratischen Gesellschaft gänzlich unangemessen“, das Schadenbegrenzungsgebot mit seiner Formel „according to my ability and judgement“ impliziere die Rechtfertigung eines benevolenten Paternalismus, der längst durch das Autonomiekonzept moderner Medizin abgelöst worden sei. Das Euthanasieverbot könne angesichts der Rechtspraxis verschiedener Staaten (Niederlande) und amerikanischer Bundesstaaten, die diesem Beispiel in Bälde folgten, als überholt gelten. Das Abtreibungsverbot sei bereits von vielen Staaten gesetzlich abgeschafft worden, das „purity and holiness“ – Gebot habe sich im Sinne der gegenwärtig üblich gewordenen Trennung von Privat- und Ressortmoral überlebt. Das Enthaltsamkeitsgebot im Umgang mit Patienten sei in Frage gestellt durch die These amerikanischer Psychiater, „that having sexual relations with their patients is morally permissible or even therapeutic“, das Schweigegebot sei in seiner kategorischen Formulierung nicht aufrechtzuerhalten und durch die Meldepflicht des Arztes gegenüber gesellschaftlichen Institutionen oder Angehörigen zu relativieren. Wenn auch die Argumentation Pellegrinos für das Unzeitgemäße der hippokratischen Ethik, die er aus seiner Eidanalyse ableitet, an einem permanenten Fehlschluss vom Sein auf das Sollen leidet und von daher bereits aus methodischen Gründen fragwürdig ist, so soll dennoch der vielfach konstatierte Autoritätsverfall des hippokratischen Eides und seines Geltungsanspruches ernst genommen werden.16 16 Pellegrino (s. o. Anm. 14), 231 ff.

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Was zum Beispiel das Enthaltsamkeitsgebot betrifft, so fällt die von Pellegrino betriebene Polarisierung zwischen alter und neuer Medizinethik besonders unglücklich aus. Den Legionen von Ärzten, die über Jahrhunderte eine entsprechende Zurückhaltung des Arztes gegenüber dem Patienten und seinen Angehörigen für sittlich geboten oder auch nur zur Erhaltung des für jede Medizin fundamentalen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient für strategisch sinnvoll hielten, werden einige amerikanische Psychiater gegenüber gestellt, die sich in der Washington Post vom 31. August 1986 zum Sexualverkehr mit Patienten bekannten und dies – was in ihrem Sinne auch durchaus zu wünschen ist – für moralisch unbedenklich beziehungsweise therapeutisch indiziert hielten. Es soll hier nicht der Ort sein, über Für und Wider der besonders in den Vereinigten Staaten praktizierten Sexualtherapie bei psychisch Kranken zu debattieren. Tatsache bleibt, im Rahmen ihrer Vereinnahmung für die Ziele der neuen Medizinethik, dass eine im hippokratischen Eid formulierte sittliche Norm, der sich unzählige Ärzte als Verfechter oder Gegner verpflichtet fühlten und fühlen, entwertet worden sein soll durch die Expertise von „six percent of U.S. psychiatrists“, die womöglich von der Funktionalisierung ihres Votums für die Propagierung des posthippokratischen Zeitalters in der Medizinethik gar nichts wissen. Auch in diesem Punkt betreibt Pellegrino Polarisierung durch Diffamierung, ohne im Entferntesten zu diskutieren, ob der Fall der Sexualtherapie überhaupt unter das Verdikt des Enthaltsamkeitsgebots fällt.17 Gänzlich unhaltbar ist auch die wiederum argumentativ unbelegte Charakterisierung der im Lehrvertrag erkennbaren Ärztegilde als „sexistisch, elitär, monopolistisch und ganz unangemessenen einer demokratischen Gesellschaft“. Sie abstrahiert vollständig vom sozialgeschichtlichen Umfeld, das als Entstehungshintergrund des Eides anzusehen ist und in dessen Bezugsrahmen er verstanden und gedeutet werden will. Ist der Lehrvertrag sexistisch, weil in ihm lediglich von „dem“ Lehrer, „seinen“ Nachkommen in „männlicher Linie“, von den „Söhnen“ des Schülers und Lehrers die Rede ist? Wo sind denn im 5. oder 4. vorchristlichen Jahrhundert, dem von der Forschung eingekreisten Entstehungszeitraum des Eides, die Bedingungen der Möglichkeit, von einer „Lehrerin“, Nachkommen in „weiblicher Linie“, etc. zu sprechen, und welcher sozialgeschichtlichen Wirklichkeit der Medizin würde eine solche Rede in der genannten Zeit gerecht? Die Einsicht in die Unangemessenheit und das Unzeitgemäße des Eides für „demokratische“ Gesellschaften des 20. 17 Pellegrino (s. o. Anm. 14), 237.

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Jahrhunderts hätte allein der Verweis auf die den Lehrvertrag und den Sittenkodex rahmenden Sätze der Götteranrufung zu Beginn beziehungsweise der Selbstverfluchung am Ende schaffen können, die Pellegrino aber gänzlich unerwähnt lässt. In Fortführung seiner Argumentationstechnik hätte er sich zu der trivialen Auskunft bereit finden müssen, dass der Glaube an den Heilgott Apollon für zeitgenössische Ärzte anachronistisch und „inappropriate“ wäre. Diese Applikation seiner in Bezug auf den Lehrvertrag veranschlagten Argumentationstechnik auf die Götteranrufung erhellt, dass das Argument des Unzeitgemäßen ein Scheinargument ist, das, beiläufig gesagt, beinahe so alt wie der Eid selbst ist. Nicht die Diagnose des Unzeitgemäßen stellt ein medizinethisches Novum im Ansatz Pellegrinos dar, sondern die davon abgeleiteten Konsequenzen der programmatischen Verabschiedung des Eides, der Proklamation eines posthippokratischen Zeitalters und der Abfassung eines Textes, der sich nicht in der Tradition des Eides sieht, sondern der eine Epoche dieser Tradition markieren soll.18 Eben hier kommt nun Maimonides ins Spiel. Wesentlich schlichter und pragmatischer, aber ebenso geschichtsblind wie Pellegrino hatte sich der Dekan der Medical School der University of Miami, Dr. Manuel M. Papper, schon 1970 entschlossen, bei der Graduierung der Absolventen die Verpflichtung auf den Eid des Hippokrates abzuschaffen wegen des darin enthaltenen Abtreibungs- und Steinschnittverbotes. „Die Entfernung von Steinen ist heute eines der Hauptelemente der Chirurgie und wir haben auch das Gefühl, dass die Ansichten in bezug auf die Abtreibung in der heutigen Gesellschaft sich ändern, weshalb wir von unseren jüngeren Ärzten nicht verlangen sollten, einen Eid gegen Abtreibung abzulegen, da einige von ihnen solche Eingriffe vornehmen werden.“

So begründete Papper seine Entscheidung, den Eid des Hippokrates durch den „Maimonides-Eid“ zu ersetzen, denn dieser enthalte die inkriminierten Verbote nicht und stehe „mehr im Einklang mit unserer Zeit“19. Mit einmütiger Zustimmung zur Entscheidung ihres Dekans legten fortan 18 Vgl. zum Ganzen ausführlich: Thomas Rtten, Geschichten vom hippokratischen Eid, Habilitationsschrift, Münster 1994, 1 – 13. Es ist unmöglich, an dieser Stelle die umfangreiche Diskussion um die philologischen, historisch-kritischen, überlieferungs- und wirkungsgeschichtlichen, editorischen und inhaltlichen Probleme des hippokratischen Eides auch nur zu skizzieren. Nur soviel: die Rezeptionsgeschichte des Eides ist noch völlig unbefriedigend aufgearbeitet. Thomas Rütten hat dazu die ersten verdienstvollen Schritte getan. 19 Henry Marx, Ein neuer Ärzteeid? Abkehr von Hippokrates, in: medizin heute 18 (1971), 22 f.

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die Absolventen der University of Miami Medical School ihre ärztliche Verpflichtung auf den – gekürzten – Text des „Maimonides-Eides“ ab, der in seiner originalen deutschen Fassung so lautet: „Tägliches Gebet eines Arztes, bevor er seine Kranken besucht, aus der hebräischen Handschrift eines berühmten jüdischen Arztes zu Egypten im zwölften Jahrhundert. Allgütiger! Du hast des Menschen Leib voller Weisheit gebildet. Zehn tausendmahl zehn tausend Werkzeuge hast du in ihm vereint, die unabläßig thätig sind, um das schöne Ganze, die Hülle der Unsterblichen zu erhalten und zu ernähren. Immerdar sind sie still beschäftiget, voller Ordnung, Uebereinstimmung und Eintracht. Aber wenn die Gebrechlichkeit des Stoffes, oder die Zügellosigkeit der Leidenschaften diese Ordnung, diese Eintracht unterbricht, so gerathen die Kräfte in einen Widerstreit, und der Leib zerfällt in seinen Urstaub. Du sendest dann dem Menschen die wohlthätigen Boten, die Krankheiten, die ihm die nahende Gefahr verkünden, und ihn treiben, sie bey Zeiten, abzuwenden. Deine Erde, deine Ströme, deine Berge hast du mit heilsamen Stoffen geschwängert, die deiner Geschöpfe Leiden zu mildern, und ihren Untergang abzuhelfen, vermögen. Und dem Menschen hast du Weisheit ertheilet, des Menschen Leib zu lösen, und sein Gewerk in die Ordnung und Unordnung zu erkennen; auch jene Stoffe aus ihren Behältnissen hervor zu arbeiten, ihre Tugenden zu erforschen, und einem jedem Uebel gemäß sie zuzubereiten und anzuwenden. Auch mich hat deine ewige Vorsicht erkohren über Leben und Gesundheit deiner Geschöpfe zu wachen. Ich schicke mich nun an zu meinem Berufe. Stehe mir bey Allgütiger in diesem grossen Geschäfte, dass es fromme! denn ohne deinen Beystand frommt ja dem Menschen auch das kleinste nicht! Laß Liebe zur Kunst und deinen Geschöpfen mich ganz beseelen. Gieb es nicht zu, dass Durst nach Gewinn, Ruhm oder Ansehen sich in mein Betrieb mische! denn diese sind der Wahrheit und der Menschenliebe feind, und sie könnten mich irre leiten in dem grossen Geschäfte, deinen Geschöpfen wohl zu thun! Erhalte die Kräfte meines Körpers und meiner Seele aufrecht, dass unverdrossen sie immerdar bereit seyn, dem Reichen und dem Armen, dem Guten und dem Bösen, dem Freund und dem Feind. Laß im Leidenden stets mich nur den Menschen sehn. Er ist ein Mensch! Und du schaffst und erhältst ja auch den Menschen, den Reichen und den Armen, den Guten und den Bösen, den Freund und den Feind! Erhalte meinen Verstand gesund und schlicht, dass er das Gegenwärtige fasse, und das Abwesende richtig vermuthe. Laß ihn nicht herunter sinken, dass er nicht das Sichtbare versehe; auch nicht zu sehr hinüber sich versteigen, dass er nicht sehe was nicht zu sehen ist. Denn fein und unmerklich ist hier die Grenze in der grossen Kunst, deiner Geschöpfe Leben und Gesundheit zu warten. Laß meinen Geist immerdar sich selbst seyn. Am Bette des Leidenden müssen keine fremde Dinge seine Acht ihm rauben. Laß alles was Erfahrung

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und Nachdenken in ihm niedergezeichnet hat, ihm gegenwärtig seyn, und nichts ihn in seinen stillen Arbeiten stöhren; denn groß und heilig sind die stillen Arbeiten, deinen Geschöpfen Leben und Gesundheit zu erhalten. Verleihe meinen Kranken Zutrauen zu mir und zu meiner Kunst, und Folgsamkeit zu meinen Rathgebungen. Verbanne von ihrem Lager alle Afterärzte, und das ganze Heer von rathgebenden Verwandtinnen und überweisen Wärterinnen; denn es ist ein grausames Volk, das aus Eitelkeit die besten Werte der grossen Kunst vernichtet, und oft deinen Geschöpfen den Tod aufdringe. Wenn weisere Künstler mich bessern und zurecht weisen wollen, laß meinen Geist dankbar und folgsam sein; denn der Umfang der Kunst ist groß, und keiner sieht, was jeder sieht. Aber wenn unweise Eingebildete mich tadeln, so laß Kunstliebe ganz ihn stählen, dass er Ruhm und Alter und Ansehen nicht achtend, auf die gefühlte Wahrheit beharre: denn Nachgeben ist hier Tod und Krankheit deiner Geschöpfe! Verleihe meinem Geist Sanftmuth und Duldsamkeit, wenn ältere Mitkünstler, stolz auf Jahrezahl, mich immerdar verdrengen, und höhnen und höhnend mich bessern wollen. Laß ihr Gutes mir vortheilen, denn sie wissen mancherley, (und weise, können sie vieles wissen,) was mir noch fremde ist; aber ihren Dünkel laß mich nicht kränken; denn sie sind alt und das Alter ist der Leidenschaft nicht Meister – und ich hoffe auch auf Erden alt zu werden, vor dir Allgütiger! Schenke mir in allem Genügsamkeit, nur in der grossen Kunst nicht. Laß nie den Gedanke in mir erwachen, du hast des Wissens genug: sondern verleihe mir Kräfte, Musse und Trieb, meine Kenntnisse immerdar zu berichtigen und neue mir zu erwerben. Die Kunst ist groß, aber auch des Menschen Verstand ist dem Menschen nicht unfaßbar. Er dringt immer weiter. In meinem gestrigen Wissen entdeckt er heute der Irrthümer viel, und mein heutiges findet er wohl morgen voller Fehl! Allgütiger! du hast mich erkohren über Leben und Tod deiner Geschöpfe zu wachen. Ich schicke mich nun an zu meinem Berufe. Stehe mir bey in diesem grossen Geschäfte, dass es fromme! denn ohne deinen Beystand frommt dem Menschen ja auch das kleinste nicht!“20

Das Gebet enthält nach einer einleitenden Apotheose auf Gott, als den Schöpfer des Menschen, der Medizin und des Arztes, eingerahmt von der wortgleichen Bitte um göttlichen Beistand bei der Berufsausübung, zehn Bitten. Wendet man diese Bitten in Imperative an den Arzt in heutiger Terminologie um, erhält man ebenso viele Maximen ärztlicher Ethik: 20 Medizinische Annalen für Aerzte und Gesundheitsliebende 1 (1781), 421 – 425. Dies ist die erste Veröffentlichung des Gebetes, ohne Verfassernamen und kommentarlos in der Rubrik „Miscelanea“ abgedruckt. Von dort hat es offensichtlich Heinrich Christian Boie in das von ihm herausgegebene „Deutsche Museum“ übernommen und ebenso kommentarlos publiziert, Bd. 1, 1. Stück, Leipzig 1783, 43 – 45. Bis jetzt galt dies als der erste Publikationsort.

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1. Übe deinen Beruf gern und mit Achtung vor deinen Patienten aus. 2. Achte darauf, dass das Interesse deines Patienten nicht deinen Interessen oder den Interessen Dritter untergeordnet wird. 3. Setze dich für deine Patienten ein und behandele sie ohne Ansehen der Person. 4. Sieh in deinen Patienten nicht Objekte deiner Untersuchung und Behandlung, sondern leidende Menschen, die deine Partner, Entscheidungssubjekte im Behandlungsprozess, sind. 5. Erhalte Körper und Geist immer in einer Verfassung, die es dir erlaubt, deine ärztliche Handlung aufmerksam, kompetent und ohne spekulative Momente auszuführen. 6. Lass am Krankenbett nur deine ärztliche Kompetenz walten und sie nicht durch sachfremde Überlegungen einschränken. 7. Rechtfertige durch dein ärztliches Verhalten das Vertrauen deiner Patienten, dann werden sie auch eine gute Compliance zeigen. 8. Sei aufgeschlossen für begründete Kritik, aber bleibe bei deinen Überzeugungen, wenn sie gut begründet sind. 9. Bemühe dich um ein vernünftiges Verhältnis zu Deinen Kollegen, insonderheit zu den älteren. 10. Genüge deiner Pflicht zur ständigen Fort- und Weiterbildung. Da diese Maximen jedoch nicht als fordernde Imperative, sondern als Bitten an Gott um Gewährung formuliert sind, wirken sie zurückhaltend, bescheiden und sympathisch. Kein Wunder, dass schon zwei Jahre später 1783 Heinrich Christian Boie den Text – ebenso unkommentiert – in den 1. Band des „Deutschen Museums“ aufnahm und die MedicinischChirurgische Zeitung 1798 für seine weitere Verbreitung sorgte. Der Verfasser des Gebets war alsbald ausgemacht. Der berühmte jüdische Arzt in Ägypten konnte niemand anderes sein als der große Maimonides (1138 – 1204), der Leibarzt des Wesirs des Sultan Saladin in Kairo. Sein Name verstärkte die Autorität dieses Textes, der ein Idealbild vom Arzt und seiner ärztlichen Haltung zeichnete. Als Gebet des Maimonides wurde es immer wieder in Deutsch publiziert, ins Englische, Französische, Spanische und Niederländische übersetzt.21 Doch die hebräische Fassung 21 Fred Rosner, The Physician’s Prayer attributed to Moses Maimonides, in: Bulletin of the History of Medicine 41 (1967), 440 – 454. Rosner beschreibt ausführlich die Publikationsgeschichte des „Gebetes eines Arztes“ von der Veröffentlichung in „Deutschen Museum“ 1783 (die Erstveröffentlichung 1781 kennt er nicht) bis in seine Tage in all ihren Verzweigungen.

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erschien nicht in einer alten Handschrift, sondern in einer hebräischen Zeitschrift 1797 als Übersetzung. Der Übersetzer, Itzik Euchel, schreibt: „Gebet für einen Arzt […] vor dem Besuch der Kranken, mitgeteilt von Herrn Hofrat Professor Herz und auf seine Weisung ins Hebräische übersetzt.“22 Damit war klar, dass der „berühmte jüdische Arzt in Egyten aus dem Zwölften Jahrhundert“

eine Camouflage war, doch welcher Autor verbarg sich dahinter? Hatte Herz nicht nur die Übersetzung ins Hebräische veranlasst, sondern war er auch selbst der Autor des Textes? Eine nähere Betrachtung der Einleitung des Gebetes gibt einige Hinweise: 1. Die Doxologie enthält keine spezifisch christliche Formulierung. 2. Der Autor aber kennt das Alte Testament und seine Apokryphen. Das 38. Kapitel des Sirachbuches ist unüberhörbar im Text gegenwärtig: „Der Arzt lässt sein Gebet zu Gott aufsteigen, dass er ihm die Deutung [der Krankheit] gelingen lasse und das die Arznei zur Erhaltung des Lebens diene,“ denn „Gott bringt aus der Erde Arzneien hervor“, darum „Halte den Arzt wert, weil du ihn nötig hast, denn auch ihn hat Gott geschaffen.“ etc.23

3. Der Arzt ist zuständig für den Leib des Menschen und dieser Leib wird in der Denkweise der Physicotheologie beschrieben: Er ist von Gott so wunderbar geschaffen, dass 100 Millionen Werkzeuge in harmonischer Ordnung, das kleinste auf das Größte abgestimmt, einträchtig und unablässig tätig sind, das Ganze, die schöne Hülle der unsterblichen Seele, zu erhalten und zu ernähren.24 4. Die Auffassung, dass Krankheit und Schmerz Hüter des Lebens sind, setzt sich erst seit Leibniz im 18. Jahrhundert durch.25 Mit einem Wort, der Autor ist ein frommer Jude, Arzt und Kind der Aufklärung, kein an-

22 Itzik Euchel, Gebet eines Arztes […] vor dem Besuch der Kranken. Mitgeteilt und von Hofrat Professor Herz und auf seine Weisung ins Hebräische übersetzt, in: HaMe’assef 6 (1797), 242 – 244. 23 Sir 38, 1 – 15. Zitate (Übersetzung der Zürcher Bibel 1955) Verse 1, 4 und 14. Die Kanonizität des Sirachbuches ist auch im Judentum umstritten. Überliefert zunächst nur in der griechischen Übersetzung. 24 Vgl. Richard Toellner, Die Bedeutung des physico-theologischen Gottesbeweises für die nachcartesianische Physiologie im 18. Jahrhundert, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 5 (1982), 75 – 82. 25 Vgl. Richard Toellner, Die Umbewertung des Schmerzes im 17. Jahrhundert in ihren Voraussetzungen und Folgen, in: Medizinhistorisches Journal 6 (1971), 36 – 44.

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derer als Markus Herz26. Markus Herz, der in Halle zum Doktor der Medizin promovierte Jude, der Schüler und Freund und Vertraute Kants, der die Entstehung der Kritik der reinen Vernunft begleitet und gefördert hat, der in Berlin am jüdischen Krankenhaus wirkte und im Salon seiner schönen Frau Dorothea in Berlin vor illustrem Publikum die Aufklärung durch seine Vorlesungen zur Medizin, Psychologie und Philosophie gefördert hat, ist immer noch nicht hinreichend gewürdigt.27 Sein „Gebet eines Arztes“ war nicht gegen die Tradition des hippokratischen Eides gerichtet, aber lebt aus dem Geist des Maimonides. Dies gegründet und überzeugend darzulegen, fehlt ein Friedrich Niewöhner.

26 Zu dieser Auffassung gelangt auch Joschua O. Leibowitz, The Physician’s Prayer ascrited to Maimonides, in: Dapim Refuim, Medical Quaterly, 1/XIII (1954), 77 – 81. 27 Vgl. Brigitte Ibing, Markus Herz. Arzt und Weltweiser im Berlin der Aufklärung, Medizinische Disseratation, Münster 1984; ferner Elfriede Conrad/Heinrich P. Delfosse/Birgit Nehren (Hg.), Neudruck der Betrachtungen aus der spekulativen Weltweisheit von Markus Herz, (Meiners Philosophische Bibliothek 424), Hamburg 1990. Einleitung der Herausgeber zu Leben und Werk des Markus Herz, VII-XL.

Alter Wein in neuen Schläuchen? Zum Umgang des Averroes mit dem Koran und seiner Rezeption im zeitgenössischen islamischen Denken

Georges Tamer Die Wellen der Moderne haben islamisches Denken längst erreicht. Davon waren schon Intellektuelle betroffen, die von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an um die Reformation religiöser Ideen und die Modernisierung ihrer unter deren Einfluss befindlichen Gesellschaften bemüht waren. Trotz der Verschiedenheit ihrer Ansätze ist ihnen allen ein zentrales Anliegen gemeinsam, nämlich die Bedingungen ihrer Offenbarungsreligion mit den Herausforderungen eines zunehmend vom Rationalismus, Liberalismus und Säkularismus geprägten Zeitalters in Einklang zu bringen.1 Im Kern ihrer Bemühungen steht deshalb die Anstrengung um die Bestimmung der Beziehung von Vernunft und Offenbarung. Dabei kommt dem Koran selbstverständlich eine Schlüsselrolle zu, weil er der fundamentale Text für den Islam ist. Der dem Koran zugeschriebene Charakter eines verbal inspirierten Buches, dessen Text unmittelbar auf göttlichen Ursprung zurückgeht und deshalb als unveränderbar und universal gültig betrachtet werden muss, steht allerdings einem den veränderten Bedingungen der Moderne entsprechenden flexiblen Umgang mit religiösen Themen im Wege. Aus diesem Grunde kann eine Bemühung um die Modernisierung des religiösen Diskurses im Islam den kritischen Umgang mit dem Koran nicht marginalisieren oder außer Acht lassen. Ganz im Gegenteil. Eine solche Bemühung muss genau am Korantext selbst ansetzen, will sie tiefergreifende Veränderungen erzielen. Am her-

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Siehe zu diesem komplexen Sachverhalt: Albert Hourani, Arabic Thought in the Liberal Age 1798 – 1939, Cambridge 1989; Basheer M. Nafi, The Rise and Decline of the Arab-Islamic Reform Movement, London 2000; Suha TajiFarouki/Basheer M. Nafi (Hg.), Islamic Thought in the Twentieth Century, London 2004.

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meneutischen Umgang mit dem Koran prallen Rationalität und Offenbarung in krassester Form aufeinander.2 ˇ ama¯l ad-Dı¯n al-Afg˙a¯nı¯3 (1839 – 1897) Frühe Islam-Reformer wie G 4 und Muhammad Abduh (1849 – 1905) stellten vermutlich aufgrund ihrer ˙ Behandlung von traditionellen Themen die Frage nach einer vorsichtigen grundsätzlichen Erneuerung des religiösen Diskurses im Islam durch die Entwicklung einer rational-kritischen Koranexegese nicht. Es blieb also jüngeren muslimischen Intellektuellen vorbehalten, diese Frage zu thematisieren.5 In ihrer Neubegründung des Rationalismus im Islam beziehen sie sich vorwiegend auf Averroes,6 und können deshalb zu den sogenannten „arabischen Averroisten“ gezählt werden.7 Sich den Einfluss averroischer Gedanken auf die Entwicklung der europäischen Geistesgeschichte vor Augen haltend, gehen arabische Intellektuelle averroischer Prägung bei ihrer Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation ihrer Vgl. die Darstellung der wichtigsten Trends in der modernen Koranexegese in: Rotraud Wielandt, „Exegesis of the Qur a¯n: Early Modern and Contemporary“, in: Jane Dammen McAuliffe (Hg.), Encyclopaedia of the Qur a¯n, Bd. II, Leiden/ Boston 2002, 124 – 142. Nikki Keddie, An Islamic Response to Imperialism, Berkeley 1968; dies., Sayyid Jama¯l ad-Dı¯n „al-Afgha¯nı¯“. A political biography, Berkeley 1972. Über Muhammad Abduhs Leben, Werk und das Wirken seiner Ideen ist viel ˙ worden. Es sei beispielsweise auf folgende Literatur hingewiesen: geschrieben Malcolm H. Kerr, Islamic Reform: The Political and Legal Theories of Muhammad Abduh and Rashı¯d Rida¯, Berkeley 1966; Anke von Kgelgen, Averroes ˙ die arabische Moderne. Ansätze ˙ und zu einer Neubegründung des Rationalismus im Islam, Leiden 1994, 72 – 77 passim; Yvonne Haddad, „Muhammad Abduh: Pioneer of Islamic Reform“, in: Ali Rahnema (Hg.), Pioneers of Islamic Revival, London 1994, 30 – 63; Nissim Rejwan, Arabs face the Modern World: Religious, Cultural, and Political Responses to the West, Gainsville, FL 1998, besonders 12 – 23; Antje Seeger, Die methodischen Hintergründe der Schule Muhammad Abduhs in der Quranexegese, München 2009. Folgende Aufsatzsammlung präsentiert zehn zeitgenössische muslimische Denker, die sich unter Berücksichtigung moderner Herausforderungen mit dem Koran beschäftigen: Suha Taji-Farouki (Hg.), Modern Muslim Intellectuals and the Qur an, Oxford 2004. Dies ist der aus dem Lateinischen stammende Name des arabisch-islamischen Philosophen Ibn Rusˇd. Ich verwende in diesem Beitrag beide Namen des Philosophen. von Kgelgen (s. o. Anm. 4), 411 – 418; dies., „,Averroisten‘ im 20. Jahrhundert – Zur Ibn-Rusˇd-Rezeption in der arabischen Welt“, in: ,Friedrich Niewçhner/ Loris Sturlese (Hg.), Averroismus im Mittelalter und in der Renaissance, Zürich 1994, 351 – 371; dies., „A Call for Rationalism: ,Arab Averroists‘ in the Twentieth Century“, in: Alif: Journal of Comperative Poetics, 16 (1996): 97 – 132. ˘

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Welt von der grundsätzlichen Annahme aus, dass das Fehlen der Aufklärung in der muslimischen Welt mit dem Fehlen des Averroismus in dieser Region gleichgesetzt werden muss, wobei ersteres eine Folge des letzteren ist. Ohne in diesem Zusammenhang den schillernden Begriff des Averroismus näher beleuchten zu können, möchte ich kurz anmerken, dass Averroisten vom dreizehnten Jahrhundert an im lateinischen Europa eine weit verzweigte philosophische Richtung bildeten, die hauptsächlich mit rationaler Religionskritik identifiziert wird.8 Der Name Averroes stand in Beziehung zur umstrittenen Lehre von der doppelten – religiösen und philosophischen – Wahrheit.9 Er wurde sogar verdächtigt, die Stifter der

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Vgl. dazu die unterschiedliche Aspekte dieses philosophiegeschichtlichen Zusammenhangs beleuchtenden Beiträge in dem bereits erwähnten Sammelband von Niewçhner/Sturlese (s. o. Anm. 7). Mit dem Prädikat des Averroismus werden zu den „lateinischen Averroisten“ auch jüdische Denker wie Isaak Albalag (zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts), Joseph bin Kaspi (1280-nach 1332), Moses Narboni (ca. 1300 – 1362) und Elija Delmedigo (1460 – 1493) gekennzeichnet, die Schriften des Averroes ins Hebräische übersetzten und sie zur Grundlage ihrer kritischen Auseinandersetzung mit der jüdischen Tradition machten. Siehe die knappe Darstellung von Oliver Leaman, „Jewish Averroism“, in: Seyyed Hossein Nasr/Oliver Leaman (Hg.), History of Islamic Philosophy, Part I, London/New York 1996, 769 – 780. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf meinen im Druck befindlichen Artikel „Averroism“ in: Encyclopedia of Islam, 3rd. Edition, hinweisen. S. Ludwig Hçdl, „,… sie reden, als ob es zwei gegensätzliche Wahrheiten gäbe.‘ Legende und Wirklichkeit der mittelalterlichen Theorie von der doppelten Wahrheit“, in: Jan B. Beckmann/Ludger Honnefelder/Gangolf Schrimpf/ Georg Wieland (Hg.), Philosophie im Mittelalter. Entwicklungen und Paradigmen, Hamburg 1987, 225 – 243; ders., „Doppelte Wahrheit“, in: Karlfried Grnder/Joachim Ritter, Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 2, 1972, 285 – 287; Alain de Libera, Denken im Mittelalter, München 2003, 94 – 99. Friedrich Niewöhner war davon überzeugt, dass Averroes die Ansicht von der doppelten Wahrheit vertreten hat: Friedrich Niewçhner, „Zum Ursprung der Lehre von der doppelten Wahrheit: Eine Koraninterpretation des Averroes“, in: Niewçhner/Sturlese (s. o. Anm. 7), 23 – 41. In seinem Beitrag „Averroismus vor Averroes? Zu einer Theorie der doppelten Wahrheit im 10. Jahrhundert“, in: Mediaevalia Philosophica Polonorum, 32, 1994, 33 – 39, versuchte er zu zeigen, dass die Lehre von der doppelten Wahrheit, die im Mittelalter zum Merkmal des Averroismus wurde, schon etwa 200 Jahre vor Averroes im arabisch-islamischen Raum gelehrt worden ist. Die Passagen aus Abu¯ Haiya¯n at-Tawh¯ıdı¯s Kita¯b al-Imta¯ ˙ az-Zain, 2. ˙Aufl., Kairo 1953 wa-l-mu a¯nasa, hg. v. Ahmad Amı¯n und Ahmad ˙ (1373), Bd. 2, 4 – 23, die˙ in diesem Zusammenhang als Nachweis für diese Auffassung herangezogen werden, geben bei genauerer Überprüfung zu erkennen, dass dort Religion und Philosophie als zwei epistemologische Systeme dargestellt ˘

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drei monotheistischen Religionen als Betrüger bezeichnet zu haben.10 Diesen Averroes, um dessen Namen im Okzident religionskritische, ja sogar religionsfeindliche Lehren kreisten, und den sie eigentlich erst infolge von wissenschaftlichen Leistungen in Europa wiederentdeckt haben,11 wollen arabische Intellektuelle zum Sauerteig eines neuen Rationalismus im Islam machen, eines Rationalismus, der vor der Frage der Offenbarung nicht Halt macht. Warum also gerade Averroes? Averroes macht die Vernunft zum Maßstab, an dem das Verständnis von Offenbarungsinhalten beurteilt werden kann. Seine markanten Leistungen in diesem Zusammenhang erheben ihn zur wichtigsten Bezugsfigur für muslimische Intellektuelle, die in der Moderne um die Erneuerung des religiösen Denkens im Islam ringen und dabei Anschluss an bedeutende Gestalten in der rationalistischen Tradition des Islams suchen. Insbesondere seine rationale Lesart des Korans gilt einigen von ihnen als Paradigma, dem für den zeitgenössischen Diskurs wichtige methodische Prinzipien entnommen werden können. Im vorliegenden Beitrag werden die koranexegetischen Grundsätze des Averroes pointiert dargestellt. Danach werden mit dem Ägypter Nasr ˙

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werden, die mit unterschiedlichen Methoden zur Erlangung der einen Wahrheit operieren. Ein Konflikt zwischen Religion und Philosophie wird somit von vornherein ausgeschlossen. Der Sachverhalt bedarf jedoch näherer Untersuchung, was den gegenwärtigen Rahmen sprengen würde. 10 Man hielt Averroes für den Autor des anonymen Werkes De tribus impostoribus. Siehe: Gerhard Bartsch (Hg.), De Tribus Impostoribus Anno MDIIC, Von den drei Betrügern 1598 (Moses, Jesus, Mohammed), lat.-deut., übersetzt von Rolf Walther, Berlin 1960; Winfried Schrçder (Hg.), Traktat über die drei Betrüger – Traité des trois imposteurs, Hamburg 1994. In seinem nach wie vor lesenswerten Buch Veritas sive Varietas: Lessings Toleranzparabel und das Buch von den drei Betrügern, Heidelberg 1988, besonders 174 ff., 196 ff., 211 ff., erörtert Friedrich Niewçhner in diesem Zusammenhang relevante philosophiegeschichtliche Verbindungen. 11 Während die Werke des Averroes über mehrere Jahrhunderte hinweg in Europa intensiv rezipiert wurden und durchaus auf die Entwicklung der europäischen Geistesgeschichte Einfluss ausübten, wurde ihnen im Orient verhältnismäßig geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Mit der Ausnahme von vereinzelten Fällen aus früheren Jahrhunderten wie Ibn Taimı¯yas (1263 – 1328) Kritik an Averroes, Ibn Haldu¯ns (1332 – 1406) Darstellung einiger seiner Lehren und der Beschäftigung˘mit seinen Aristoteles-Kommentaren an der Isfahaner Schule im Anschluss an den persischen Philosophen Mulla¯ Sadra¯ (1571/2 – 1640) ist Averroes in der ara˙ bisch-islamischen Welt erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem infolge von Ernest Renans Monographie Averroès et l averroïsm. Essai historique, Paris 1852, in erster Linie von arabischen Christen wiederentdeckt worden. Vgl. dazu von Kgelgen (s. o. Anm. 4), 4 – 9, 61 ff.

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ˇ a¯birı¯ zwei Ha¯mid Abu Zaid12 und dem Marokkaner Muhammad A¯bid al-G ˙ ˙ Denker vorgestellt, die die Behandlung unseres Themas im arabischen Osten und Westen mit starkem Bezug auf Averroes prominent repräsentieren. Dabei wird gefragt, wie jeder von ihnen den hermeneutischen Ansatz des Averroes für sein eigenes Modernisierungsprojekt fruchtbar machen wollte. Der Beitrag wird mit einer kritischen Bewertung abgeschlossen, in der unter anderem erörtert wird, inwieweit das an Averroes orientierte Vorhaben jedes der beiden Intellektuellen gelungen ist.

1. Averroes: Koranexegese als rationale Übung Der 1126/520 in Córdoba geborene und 1198/595 in Marra¯kisˇ (oder: Marra¯kusˇ) 13 gestorbene Abu¯ l-Walı¯d Ahmad bin Muhammad bin Rusˇd ˙ ˙ wird in die fruchtbarsten Epoche der arabischen Philosophie hineingeboren, in der sich wichtige Denker intensiv mit der Beziehung von Vernunft und Offenbarung beschäftigten. Diese Frage erlangte vor allem nach Einführung der Philosophie in den islamischen Kulturkreis Relevanz – ein Kulturkreis, in dem der religiöse Anspruch herrschte, dass Gottes Buch dem Propheten Muhammad wörtlich übermittelt worden war und nicht ˙ beinhaltete, sondern auch menschliches Tun und nur die ganze Wahrheit Handeln insgesamt zu regeln hatte. Kaum ein anderer mittelalterlicher muslimischer Philosoph dürfte das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung so gründlich behandelt haben wie Averroes. Den Höhepunkt seines Unternehmens bildet zweifelsohne sein rationaler Umgang mit dem Koran. Dessen seit dem dritten Jahrhundert der Higˇra (dem neunten Jahrhundert n. Chr.) während der Herrschaft des Abbasiden-Kalifen al-Mutawakkil 232 – 247/847 – 861 durchgesetzte Charakterisierung als Gottes verbal inspirierte Rede stellt traditionell ein Problem für die rational-kritische Behandlung von darin enthaltenen Aussagen dar.14 In der averroischen Konzeption lassen sich nun

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12 Ich verwende anstelle von „Abu¯“ die inzwischen in Deutschland geläufige Schreibweise „Abu“. 13 Siehe zum Namen: P. de Cenival, „Marra¯kush“, in: C.E. Bosworth et al. (Hg.), Encyclopaedia of Islam, 2. Aufl., Bd. VI, Leiden, 588 ff. 14 Für einen Überblick über die verschiedenen Richtungen der klassischen Koranexegese vgl. Claude Gilliot, „Exegesis of the Qur a¯n. Classical and Medieval“, in: McAuliffe (s. o. Anm. 2), Bd. II, 99 – 124. Ebenfalls Ders., „Kontinuität und Wandel in der ,klassischen’ islamischen Koranauslegung (II./VII. – XII./XIX. Jh.)“, in: Der Islam 85 (2010): 1 – 155.

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wichtige theologisch-philosophische Probleme wie die Eigenschaften Gottes, die Entstehung der Welt und die Unsterblichkeit der Seele unter die grundsätzliche Frage subsumieren, wie koranische Äußerungen, die der Vernunft widersprechen, rational verstanden und gedeutet werden können. Averroes setzt sich für die allegorische Deutung solcher Stellen ein, um sie mit den Prinzipien der Vernunft zu vereinbaren. Damit greift er eigentlich ein Prinzip auf, das von den rationalistischen Theologen der Mu tazila geprägt worden war.15 Auf diese Weise wird der wichtigste Text im Islam zum bevorzugten Medium, in dem sich Vernunft und Offenbarung begegnen. Averroes ist der erste muslimische Philosoph, der dem Thema der Koranauslegung eine eigene Schrift, Fasl al-maqa¯l wa-taqrı¯r ma¯ baina ˇs-sˇarı¯ a ˙ wa-l-hikma mina l-ittisa¯l (Die entscheidende Abhandlung und die Bestim˙ mung˙ über die Verbindung zwischen dem Religionsgesetz und der Philosophie) widmet. Er behandelt das Thema ebenfalls in seiner anderen Schrift al-Kasˇf an mana¯higˇ al-adilla fı¯ aqa¯ id al-milla (Die Aufdeckung der Beweismethoden in Bezug auf die religiösen Dogmen).16 Die erstgenannte Abhandlung soll vor 1179 – 80 entstanden sein.17 Sie ist hauptsächlich eine ˘

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15 Siehe dazu: D. Gimaret, „Mu tazila“, in: C.E. Bosworth (s. o. Anm. 13), Bd. VII, 783 ff.; Majid Fakhry, A History of Islamic Philosophy, 2. Aufl., New York 2004, 43 – 66. Verschiedene Beiträge in Camila Adang/Sabine Schmidtke/ David Sklare (Hg.), A Common Rationality: Mu tazilism in Islam and Judaism, Würzburg 2007, erhellen den oben angedeuteten Zusammenhang. 16 Beide Schriften sind zusammen mit der angehängten Schrift Damı¯ma zuerst von ˙ von Averroes in M. J. Müller 1859 unter dem Titel Philosophie und Theologie München ediert worden. Müllers deutsche Übersetzung erschien 1875 unter dem gleichen Titel. Darauf folgten in Ost und West weitere Editionen. Hier wird folgende Edition benutzt: Ibn Rushd (Averroes), Kita¯b fasl al-maqa¯l with its Appendix (Damı¯ma) and an Extract from kita¯b al-Kashf an˙ mana¯higˇ al-adilla, ˙ Arabic text edited by George F. Hourani, Leiden 1959. In einer neueren Ausgabe wird die sogenannte „angehängte Schrift“ (Damı¯ma) als ein Widmungsbrief vorgestellt: Averros, Fasl al-maqa¯l fı¯ ma¯ bayna˙ al-sharı¯ ah wa-al-hikmah min al˙ ˙ book of the decisive treatise determining ittisa¯l. English & Arabic. The the con˙ nection between the law and wisdom and The epistle dedicatory. Translation, with introduction and notes, by Charles E. Butterworth, Provo, Utah 2001. Eine längst fällige deutsche Neuübersetzung dieses wichtigen Textes wurde kürzlich veröffentlicht: Averroes, Die entscheidende Abhandlung und die Urteilsfällung über das Verhältnis von Gesetz und Philosophie. Arabisch-deutsch, hg. v. Franz Schupp, Hamburg 2009. Bedauerlicherweise lässt diese Übersetzung im Hinblick auf Genauigkeit vieles zu wünschen. 17 Averroes, On the Harmony of Religion and Philosophy. A translation with introduction and notes, of Ibn Rushd s Kita¯b fasl al-maqa¯l, with its appendix ˙ ˘

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˙ aza¯lı¯s Schrift Kita¯b faisal at-tafriqa, die zwischen 1096 und Antwort auf al-G ˙ 18 In ihr wie auch in anderen 1106 geschrieben worden sein dürfte. ˙ aza¯lı¯ (1058 – 1111) die Frage nach der Schriften erörtert Abu¯ Ha¯mid al-G ˙ religionsgesetzlichen Zulässigkeit der allegorischen Interpretation des Koran und erklärt diese allgemein für unzulässig.19 Mit seiner Erwiderung ˙ aza¯lı¯ will Averroes beweisen, dass allein die Philosophie dazu fähig auf al-G ist, die Kohärenz des Korantextes durch die Ausmerzung von darin enthaltenen Vernunftwidrigkeiten zu bewahren. Einzig und allein die Philosophen sind dafür geeignet, den theologischen Wert des Korantextes voll anzuerkennen, weil sie in die innere Schicht des Textes hineindringen und den mit den Bedingungen der Rationalität kompatiblen Sinn des Korans extrahieren können.20 Averroes schlägt vor, dass Koranstellen, die Vernunftwidriges enthalten, unter Verwendung des ta wı¯l, der Interpretation, allegorisch ausgelegt werden müssen. Er bestimmt die Interpretation (ta wı¯l) folgendermaßen:

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(Damı¯ma) and an extract from Kita¯b al-kashf an mana¯hij al-adilla, by George F. ˙ Hourani, Leiden 1961, 1. ˙ aza¯lı¯, Kita¯b faisal at-tafriqa baina l-Isla¯m wa-z-zandaqa, hg. von S. Dunya¯, 18 Al-G ˙ Kairo 1961 (1381). Deutsche Übersetzung: Über Rechtgläubigkeit und religiöse Toleranz. Eine Übersetzung der Schrift Das Kriterium der Unterscheidung zwischen Islam und Gottlosigkeit, eingl. u. übers. mit Erläuterungen von Frank Griffel, Zürich 1998. 19 Von seinen für den vorliegenden Zusammenhang relevanten Schriften seien beispielsweise folgende genannt: Al-Mustafa¯ min ilm al-usu¯l, 2 Bde., Bu¯la¯q, AlMatba a al-Amı¯rı¯ya 1322 – 1324 (1904 –˙˙1907); al-Qista¯s˙ al-mustaqı¯m, ed. V. ˙ Balance, transl. D. P. ˙ Chelhot, Beirut 1959. Englische Übersetzung: The Just ˙ aza¯lı¯ und Brewster, Lahore 1978. Zum Thema der Koraninterpretation bei al-G Ibn Rusˇd s. Iysa A. Bello, The Medieval Islamic Controversy between Philosophy and Theology: Ijma¯ and ta wı¯l in the Conflict between al-Ghaza¯lı¯ and Ibn Rushd, Leiden 1989; Avital Wohlman, Al-Ghazali, Averroës and the Interpretation of the Qur an, translated by David Burrel, London/New York 2010. 20 Averroes folgt dabei einen Gedanken von al-Fa¯ra¯bı¯, der in seiner Abhandlung über die Harmonie der Lehren von Plato und Aristoteles die Nützlichkeit der philosophischen Lehren für die Erklärung von schwierigen theologischen Fragen ˇ am baina ra yai al-hakı¯main, ed. A. N. Na¯dir, hervorhebt: Al-Fa¯ra¯bı¯, Kita¯b al-G ˙ Dieterici in: Alfa¯ra¯bı¯ s Beirut 1960, 103 f. Deutsche Übersetzung von Friedrich philosophische Abhandlungen, Leiden 1892: 1 – 53, hier 41 f. Vgl. dazu die Ausführungen in Georges Tamer, Islamische Philosophie und die Krise der Moderne: Das Verhältnis von Leo Strauss zu Alfarabi, Avicenna und Averroes. Leiden 2001, 273 ff.

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„Ta wı¯l bedeutet die Überführung (ihra¯gˇ) der realen Bedeutung (dala¯la haqı¯˙ ˘ qı¯ya) des Ausdrucks in die metaphorische Bedeutung (dala¯la magˇa¯zı¯ya), ohne dabei die in der arabischen Sprache übliche Metaphorik zu beeinträchtigen – nämlich das Ding mit dem ihm Ähnlichen, mit seiner Ursache, Folge, dem mit ihm Vergleichbaren [oder: Verbundenen (muqa¯ranahu)] oder sonst etwas von den Dingen, die im Zuge der Definierung der Arten der metaphorischen Rede aufgezählt wurden, zu benennen.“21

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Averroes entwickelt seine Argumentation zum Thema der Koranauslegung in folgenden Schritten: 1. In Form eines Rechtsurteils (fatwa¯) bestimmt Averroes mittels eines logischen Verfahrens, das sich auf Koranverse stützt, dass es nach dem Koran eine Pflicht ist, die rationalen Wissenschaften zu studieren, weil die wissenschaftliche Betrachtung der seienden Dinge auf deren Hersteller (as˙ sa¯ni ) hinführt.22 Seiner Auffassung nach besteht kein grundsätzlicher ˙Widerspruch zwischen Religion und Philosophie, denn „das Wahre (alhaqq) kann dem Wahren nicht widersprechen, sondern es stimmt mit ihm ˙überein und legt Zeugnis von ihm ab“.23 Der Glaube an Gott führt diejenigen, die nach Wissen suchen, notwendigerweise dazu, sich verstärkt dem Wissenserwerb zu widmen, weil durch die vermehrte Erkenntnis der Seienden die deren Hersteller gewidmete Bewunderung vertieft wird. Wissen und Glaube befinden sich folglich in einem Zusammenhang gegenseitiger Förderung, weil sie beide zur Erkenntnis derselben Wahrheit führen.24 2. Gestützt auf Aristoteles stellt Averroes im zweiten Schritt fest, dass sich die Menschen im Hinblick auf das Fürwahrhalten (tasdı¯q) von Er˙ kenntnissen und infolgedessen im Hinblick auf den Offenbarungsglauben in drei Gruppen einteilen lassen: a. Die große Masse (al- a¯mma), die sich nur das sinnlich Wahrnehmbare vorstellen kann und der nur rhetorische Aussagen (al-aqa¯wı¯l al-hata¯bı¯ya) zugänglich sind; b. die Dialektiker, die über ˘ ˙ ein höheres Abstraktionsvermögen verfügen, aber bei der dialektischen Argumentation (al-aqa¯wı¯l al-gˇadalı¯ya) stehen bleiben; c. die Philosophen, die das Wesen der Dinge erfassen und aufgrund demonstrativer Beweise ˘

21 Averroes (s. o. Anm. 16), 7:15 – 18. Die Angaben zu Seiten- und Zeilenzahlen folgen den Angaben von Müllers Edition, die von Hourani am Rande aufgeführt werden. 22 Averroes (s. o. Anm. 16), 1:10 – 14. 23 Averroes (s. o. Anm. 16), 7:7 – 9. 24 Zu diesem Zusammenhang: Georges Tamer, „Faith and Knowledge Revisited“, in: Rosenzweig Jahrbuch 4: Paulus und die Politik, 2009, 156 – 175.

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(al-aqa¯wı¯l al-burha¯nı¯ya) sich ein Urteil bilden. Sie sind die intellektuelle Elite (al-ha¯ssa).25 ˘3.˙˙Der ultimative Zweck der Offenbarung besteht darin, alle Menschen gleichermaßen anzusprechen, ohne jemanden aufgrund mangelhaften Verstehensvermögen auszuschließen.26 Der Offenbarungstext spricht die Menschen daher auf verschiedene Weise gemäß der bereits erwähnten anthropologisch begründeten Unterschiedlichkeit in Bezug auf das Fürwahrhalten an, weil es ihm um die Fürsorge der Mehrheit (al- ina¯ya bi-laktar) geht, ohne dabei die Ermahnung der Elite (tanbı¯h al-hawa¯ss) zu ˙˙ ¯ ˘ 27 vernachlässigen. 4. Der Korantext ist deshalb doppelbödig. Er besteht aus dem äußeren Wortlaut (za¯hir) und dem inneren Sinn (ba¯tin). Mit barmherziger Rück˙ ˙ sicht auf diejenigen, die keinen intellektuellen Zugang zur inneren Bedeutung des Textes haben, brachte Gott schwer erfassbare Dinge durch Gleichnisse und Metaphern zum Ausdruck und rief sie dazu auf, daran zu glauben.28 Averroes teilt des Weiteren den Korantext in zwei Kategorien ein: a. Die Kategorie der Texte, in denen die zum Ausdruck gebrachte Bedeutung der wirklich gemeinte Sinn ist. Hier erübrigt sich die Interpretation. b. Die Kategorie der Texte, in denen sich das Äußere (al-ma na¯ lmusarrah bihi) vom Inneren (al-ma na¯ l-mawgˇu¯d) des Korans (fı¯-sˇ-sˇar ) un˙ ˙ terscheidet und es symbolisiert ( ala¯ gˇihhat at-tamt¯ıl). Diese Kategorie besteht aus vier Teilen, die sich voneinander nach¯ dem Grad der Schwierigkeit unterscheiden, in dem die Symbolisierungen und ihre Bedeutungen erfasst werden.29 5. Im Hinblick auf das Verhältnis von rationaler Erkenntnis und Korantext unterscheidet Averroes drei Möglichkeiten: a) Es gibt Erkenntnisse, über die der Koran schweigt. In diesem Fall besteht kein Widerspruch zwischen beiden. b) Ebenso wenig besteht ein solcher Widerspruch, wenn ˘ ˘

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25 Averroes (s. o. Anm. 16), 6:17 – 21. Vgl. Aristoteles, Analytica Prior, ii, 23; Topica, i, 1. Die arabischen Philosophen vor Averroes waren mit dieser Dreiteilung vertraut. Siehe beispielsweise al-Fa¯ra¯bı¯, Ihsa¯ al- ulu¯m, hg. v. U. Amı¯n, ˙˙ Kairo 1948, 63 – 69. Deutsch: Al-Farabi, Über die Wissenschaften, übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen hg. v. Franz Schupp, Hamburg 2008. 26 Averroes (s. o. Anm. 16), 7:3,4; 9:10 – 12 mit Bezug auf eine dem Propheten Muhammad zugeschriebene Aussage, dass er „den Schwarzen und den Roten“, d. h.˙allen Menschen, mit der Offenbarung gesandt wurde: Sah¯ıh al-Buha¯rı¯ III, 49. ˙ ˙ ˙ ˘ 27 Averroes (s. o. Anm. 16), 19:20 f. 28 Averroes (s. o. Anm. 16), 15:9 – 13. 29 Averroes, Al-Kasˇf an mana¯higˇ al-adilla, Teile in Houranis Edition von Fasl al˙ maqa¯l (Müllers Seiten- und Zeilenzählung), 125:10 – 126:17. ˘

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die koranische Äußerung und das Ergebnis demonstrativer Beweisführung miteinander übereinstimmen; c) Wenn aber rationale Erkenntnisse dem äußeren Wortlaut des Korans widersprechen, muss dieser derart ausgelegt werden, dass der Widerspruch zwischen dem äußeren Sinn der offenbarten Aussage und der Vernunfterkenntnis aufgehoben wird.30 6. Averroes verknüpft beide Argumente, nämlich jenes der religiösen Pflicht, zu studieren, und jenes der Übereinstimmung zwischen Philosophie und Religion mit dem weiteren Argument der notwendigen Interpretation von vernunftwidrigen Koranstellen, um die Interpretation zur religiösen Pflicht der Philosophen zu erklären. Die Grundlage dafür findet er in einer besonderen Lesart des koranischen Verses 3:7, in dem zwei Kategorien von Versen unterschieden werden: die muhkama¯t, das sind die ˙ eindeutig bestimmten Verse, und die mutasˇa¯biha¯t, das sind die mehrdeutigen unklaren Verse.31 Interessanterweise führt Averroes die Existenz von mehrdeutigen Versen im Koran auf Gottes Zweck zurück, dass sie von denjenigen, die gründliches Wissen besitzen, interpretiert werden sollen. Widersprüchlichkeiten im Koran werden demgemäß zu göttlich-pädagogischen Maßnahmen, die die geeigneten Wissenden intellektuell herausfordern. Diese bedürfen der Interpretation der widersprüchlichen Äußerungen im Koran, um zu glauben, weil ihr Glaube auf der demon-

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30 Averroes (s. o. Anm. 16), 7:10 – 15. Das oben dargelegte methodische Prinzip von Averroes, das den Religionsphilosophen die Möglichkeit gibt, sich mit den heiligen Schriften kritisch auseinanderzusetzen, bildet die Grundlage von Spinozas Bibelkritik: Vgl. Tamer (s. o. Anm. 20), 51 f. 31 Averroes (s. o. Anm. 16), 8:12 – 14. Der Vers lautet in Rudi Parets Übersetzung (Der Koran, Stuttgart 1966): „Gott ist es, der die Schrift [den Koran] auf dich herabgesandt hat. Darin gibt es [eindeutig] bestimmte Verse – sie sind die Urschrift – und andere, mehrdeutige. Diejenigen nun, die in ihrem Herzen abschweifen, folgen dem, was darin mehrdeutig ist, worauf sie darauf aus sind, [die Leute] unsicher zu machen und es zu deuten. Aber niemand weiß es zu deuten außer Gott. Und diejenigen, die ein gründliches Wissen haben, sagen: Wir glauben daran. Alles stammt von unserem Herrn. Aber nur diejenigen, die Verstand haben, lassen sich mahnen.“ Die umfangreiche exegetische Tradition dieses Verses stößt bei zeitgenössischen Forschern auf reges Interesse. Siehe beispielsweise Leah Kinberg, „Muhkama¯t and Mutasha¯biha¯t (Koran 3/7): Implication of a Koranic Pair of Terms in˙ Medieval Exegesis“, in: Arabica 35 (1988), 143 – 172; Jane D. McAuliffe, „Text and Textuality: Q 3:7 as a Point of Intersection“, in: I. Boullata (Hg.), Literary Structures of Religious Meaning in the Qur a¯n, London 2000, 56 – 76; Stefan Wild, „The Self-Referentiality of the Qur a¯n: Su¯ra 3:7 as an Exegetical Challange“, in: J. McAuliffe et al. (Hg.), With Reverence for the Word: Medieval Scriptural Exegesis in Judaism, Christianity and Islam, Oxford 2003, 422 – 436.

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strativen Beweisführung beruht.32 Die Vollkommenheit des Korantextes wird auf diese Weise intellektuell untermauert. Durch eine veränderte Lesart desselben Verses schließt Averroes – auch im Namen des Korans – die Angehörigen der islamischen Gemeinschaft, die über philosophisches Wissen nicht verfügen, von der Interpretation der heiligen Schrift aus.33 7. Allegorische Interpretationen der Schrift müssen aus zwei Gründen vor der Allgemeinheit geheim gehalten bleiben. Sie gefährden zum einen den Glauben einfacher Menschen, zum anderen könnten vielfältige Interpretationen weitere Spaltungen in der Religionsgemeinschaft hervorrufen. Den Verstoß gegen dieses Gebot hält er für Unglauben oder we-

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32 Averroes (s. o. Anm. 16), 10:6 – 12. 33 Um den Philosophen das Recht zur Interpretation von mehrdeutigen Koranstellen zuzusprechen und dies den anderen Muslimen zu verbieten, operiert Averroes mit dem Punkt im dritten Satz des Verses. Im Falle der Philosophen setzt er den Punkt (al-waqf) an eine spätere Stelle. So lautet dann der Satz: „Aber niemand weiß es zu deuten außer Gott und diejenigen, die ein gründliches Wissen haben.“ Averroes (s. o. Anm. 16), 8:11 – 14; 10:4 – 8. Handelt es sich um die Nichtwissenden, wird der Punkt nach „Gott“ gesetzt. Der entscheidende Satz lautet dann: „Aber niemand weiß es zu deuten außer Gott.“ Averroes (s. o. Anm. 16), 16:13 f. In diesem Fall werden die Menschen von der Deutung solcher Stellen ausgeschlossen. Friedrich Niewöhner sieht in dem dargelegten Umgang des Averroes mit dem Koranvers 3:7 den Anfang der Lehre von der doppelten Wahrheit. Er schreibt in seinem Beitrag „Zum Ursprung der Lehre von der doppelten Wahrheit“ (s. o. Anm. 9), S. 32: „Die Wahrheit ist doppelt, weil Averroes darauf insistiert, daß die Nicht-Philosophen ihre eigene Lesart und Interpretation für wahr halten müssen, damit sie nicht anfangen zu zweifeln. Der Philosoph wiederum darf seine Wahrheit, die im Gegensatz zu der anderen vermeintlichen Wahrheit steht, nicht mitteilen.“ Averroes verlässt bei seiner Variierung der Lesart von Q 3:7 den Bereich des religionsgesetzlich Zuläßigen nicht. Nach islamischem Verständnis ist die Punktierung im Koran ein später eingefügtes Menschenwerk und verdient es im Gegensatz zum Konsonantentext (ar-rasm) nicht als Bestandteil der Offenbarung betrachtet zu werden. Der andalusische Philosoph stützt sich stillschweigend auf dieses Faktum aus der Entwicklungsgeschichte des Korantextes und präsentiert zwei Lesarten desselben Verses, die seine Position, dass nur Wissende die mehrdeutigen Koranstellen auslegen, während andere davon ausgeschlossen bleiben müssen, bestätigen sollen. Beide Lesarten werden in früheren Korankommentaren aufgeführt. Die Lesart „wa-ma¯ ya lamu ta wı¯lahu illa¯-lla¯hu wa-r-ra¯sihu¯na fı¯-l- ilm“ ˘ gründliches (Aber niemand weiß es zu deuten außer Gott und diejenigen, die ein Wissen haben) wird sogar Muhammads Vetter Ibn Abba¯s, der traditionell als Begründer der Korankommentierung gilt, zugeschrieben. (Vgl. dazu die Kommentare von at-Tabarı¯, az-Zamahˇsarı¯, ar-Ra¯zı¯ und al-Qurtubı¯.) ˙ ˙ ˙ ˘ ˘

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nigstens Häresie.34 Der Arzt Averroes vergleicht denjenigen, der seine Interpretation vorbehaltlos veröffentlicht, mit einem Menschen, der ein für viele Menschen nützliches Medikament jemandem gibt, dem es wegen schlechter Mischung der Temperamente nicht zugute kommt, woraufhin an der Nützlichkeit der Medizin überhaupt gezweifelt wird.35 Ein Vorwurf ˙ aza¯lı¯ ist, dass dieser die aus der Verbreitung von Interpretationen gegen al-G entstehenden Gefahren für die Einheit der Glaubensgemeinschaft missachte.36 Averroes stellt für die rationale Auslegung des Korans folgende Bedingungen auf: Die Interpretation darf dem arabischen Sprachgebrauch nicht zuwider laufen, sondern muss den Regeln der Interpretationskunst im Arabischen gerecht werden.37 Die Interpretation einer Koranstelle muss ferner durch eine andere Stelle, die mit ihrem Wortlaut (za¯hir) diese Interpretation bezeugt, bestätigt werden.38 Schließlich darf die˙ Interpretation nicht zur Verleugnung der Existenz der Dinge führen, welche zu den Prinzipien der Religion gehören. Darunter fallen Gottes Sein, die Prophetien und die eschatologischen Sanktionen.39 Diese Bedingungen zeigen eindeutig, dass Averroes mit seinen Interpretationsprinzipien dem sprachlichen Kontext der Offenbarung sowie der Kohärenz des Korans gleichermaßen hohen Stellenwert beimisst. So frei der philosophische Interpret des Korans sein mag, darf er die Grundlagen der Religion nicht verletzen. Sie bilden eine Grenze, die im Interesse der sozialen Ordnung nicht überschritten werden darf.

2. Abu Zaid: Diskursive Exegese unter Einbeziehung der Wissenschaften Nasr Ha¯mid Abu Zaid, 1943 im Dorf Quha¯fa nah der Stadt Tanta¯ im ˙ ˙ geboren, hatte von 2002 bis zu seiner˙ Emeritierung 2009˙den˙IbnNildelta Rusˇd-Lehrstuhl für Islam und Humanismus an der University of Huma-

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34 Averroes (s. o. Anm. 16), 16:3 f.; 17:11 – 14. ˇ a¯birı¯, Beirut 1998, 35 Averroes, Al-Kasˇf an mana¯higˇ al-adilla, Ed. Hanafı¯/Al-G ˙ 149. 36 Averroes (s. o. Anm. 16), 17:15 – 18:10. 37 Averroes (s. o. Anm. 16), 7:16 f. 38 Averroes (s. o. Anm. 16), 8:6. 39 Averroes (s. o. Anm. 16), 14:20 f.

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nities in Utrecht inne.40 In den letzten drei Jahrzehnten bis zu seinem Tode am 5. Juli 2010 entwickelte er besonders in seinem Buch Mafhu¯m an-nass ˙˙ (Der Begriff des Textes) 41 und darauf folgenden Schriften einen Gesamtentwurf der Koranhermeneutik (ta’wı¯l), bei dem es ihm darum geht, islamischen Offenbarungsglauben und wissenschaftliche Rationalität zu vereinbaren. Er bringt unterschiedliche Denkansätze zusammen, die er sowohl relevanten arabisch-islamischen koran- und sprachwissenschaftlichen Traditionen als auch modernen, im Westen entwickelten hermeneutischen, literatur- und kommunikationswissenschaftlichen Theorien entnimmt, um die grundsätzliche hermeneutische Frage nach den Bedingungen zu beantworten, die es den Rezipienten ermöglichen, den Koran als Wort Gottes zu verstehen, das an sie in ihrer jeweiligen historischen, kulturellen und sozialen Situation gerichtet ist.42 Abu Zaid fasst den Koran als unter vielfältigen ideologisch motivierten Interpretationsschichten verdeckt liegend auf; diese verhindern, dass seine Bedeutung voll anerkannt wird. Die Aufgabe seines eigenen Ansatzes besteht ihm zufolge darin, durch ein wissenschaftliches Verständnis des Textes die historische Realität der koranischen Botschaft ans Licht zu bringen, damit sie frei von ideologischer Last modernen Herausforderungen entsprechend rezipiert werden kann.43 Er vertritt die Auffassung, dass die Offenbarung sich dem sprachlichen und intellektuellen Horizont ihrer ersten Adressaten anpasst, damit sie ihr Ziel erreicht, nämlich die

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40 Abu Zaid musste 1995 mit seiner Frau in die Niederlande fliehen, nachdem ihm in Ägypten Apostasie vorgeworfen und ein Urteil auf eine Zwangsscheidung von seiner Frau erteilt worden war. Für weitere Einzelheiten seiner Affäre sei u. a. auf folgende Literatur hingewiesen: Kilian Blz, „Submitting Faith to Juridical Scrutiny through the Family Trial: The ,Abu Zayd Case‘“, in: Die Welt des Islams 37 (1997), 135 – 155; Navid Kermani, „Die Affäre Abu Zaid. Eine Kritik am religiösen Diskurs und ihre Folgen“, in: Orient 35 (1994), 25 – 49; Jörn Thielmann, Nasr Ha¯mid Abu Zaid und die wiedererfundene Hisba. Sˇarı¯ a und Qa¯nu¯n ˙ ˙ ˙ Ägypten, im heutigen Würzburg 2003. 41 Nasr Ha¯mid Abu Zaid: Mafhu¯m an-nass. Dira¯sa fı¯ ulu¯m al-Qur a¯n (Der Begriff des ˙ ˙ Eine Studie über die Koranwissenschaften), ˙˙ Textes. Kairo 1990. 42 Zu Abu Zaids Leben und Ideen: Nasr Hamid Abu Zaid, Ein Leben mit dem Islam. Aus dem Arabischen von Chérifa Magdi. Erzählt von Navid Kermani. Freiburg 1999; ders. mit Hilal Sezgin, Mohammed und die Zeichen Gottes. Der Koran und die Zukunft des Islam, Freiburg 2008. 43 „Die Befreiung des Korans. Ein Gespräch mit dem ägyptischen Literaturwissenschaftler Nasr Hamid Abu Zaid“, ein Interview geführt von Navid Kermani und veröffentlicht als Anhang zur deutschen Übersetzung von Abu Zaid, Naqd alhita¯b ad-dı¯nı¯: Islam und Politik. Kritik des religiösen Diskurses, aus dem Arabi˘ ˙ übersetzt von Chérifa Magdi, Frankfurt am Main 1996, 191 – 213, hier 196. schen

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Realität zu verändern. Die Übermittlung der koranischen Botschaft setze die Fähigkeit der Empfänger voraus, sie zu entschlüsseln. Gott musste also Ausdrucksweisen und Vorstellungen (kommunikationstheoretisch ausgedrückt: Chiffren) aus der Welt des Propheten und seiner Zeitgenossen verwenden. Das Verständnis des Korans ist deshalb dadurch bedingt, dass er stets unter Anwendung der hermeneutischen Mittel der jeweiligen Zeit dechiffriert, das heißt interpretiert werden muss. Die Sprache des Korans ist nicht ohne Weiteres verständlich; dessen Interpretation wird von Abu Zaid zur „anderen Seite des Textes“ erklärt.44 Nur auf diese Weise kann der Kern der koranischen Offenbarung innerhalb von veränderten Gesellschaften richtig rezipiert werden. Daran schließt sich die These an, dass eine absolute Interpretation des Korans nicht existiert, weil diese immer relativ gemäß des individuellen Auffassungsvermögens der Empfänger sein kann.45 Abu Zaid wird nicht müde zu betonen, dass seine eigenen Bemühungen, eine Koranhermeneutik zu entwickeln, in eine Linie einzuordnen sind, die sich über lange Perioden der islamischen Ideengeschichte von den Mu taziliten zu Gelehrten im 19. und 20. Jahrhundert erstreckt. Unter seinen historischen Vorläufern nimmt Averroes eine besondere Stellung ein. Vor allem seine eben skizzierte Herangehensweise, denkerische Leistungen von Muslimen und Nichtmuslimen gleichermaßen zu einer

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44 „Al-wagˇh al- a¯har li-n-nass“: Abu Zaid (s. o. Anm. 41), 11. Es ist bemerkenswert, ˙˙ ˘ die Koraninterpretation dass Abu Zaid für nicht das in der islamischen Tradition geläufige Wort „tafsı¯r“, sondern das Wort „ta wı¯l“ verwendet, das auch von Averroes und frühen muslimischen Theologen für die Exegese benutzt wird und das einen intellektuell aktiveren, tiefer einschürfenden Umgang mit dem zu interpretierenden Text impliziert. Vgl. zur Etymologie und Bedeutung beider Termini Gilliot (s. o. Anm. 14), 99 – 101. 45 Eine repräsentative Anthologie von Abu Zaids späteren Arbeiten befindet sich in: Nasr Hamid Abu Zaid, Gottes Menschenwort. Für ein humanistisches Verständnis des Koran. Ausgewählt, übersetzt und mit einer Einleitung von Thomas Hildebrandt, Freiburg 2008. Ferner zu seinem Werk: Thomas Hildebrandt, „Nasr Ha¯mid Abu Zaid. Interpretation – Die andere Seite des Textes“, in: Katajun ˙ ˙ Amirpur/Ludwig Ammann (Hg.), Der Islam am Wendepunkt. Liberale und konservative Reformer einer Weltreligion, Freiburg 2006, 127 – 135; ders., „Between Mu tazilism and Mysticism. How much of a Mu tazilite is Nasr Ha¯mid ˙ Abu¯ Zayd?“, in: Camilla Adang et al. (Hg.), A Common Rationality. Mu˙ tazilism in Islam and Judaism, 495 – 512; Navid Kermani, „From Revelation to Interpretation. Nasr Hamid Abu Zayd and the Literary Study of the Qur an“, in: Suha Taji-Farouki (Hg.), Modern Muslim Intellectuals and the Qur an, 169 – 192; Stefan Wild, „Die andere Seite des Textes: Nasr Ha¯mid Abu Zaid und der Koran“, ˙ ˙ in: Welt des Islam 33 (1993), 256 – 261. ˘

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fruchtbaren Synthese zusammenzuführen, schließt sich bewußt an einen Grundsatz des Averroes an, dem zufolge bei der Behandlung von theologischen Themen philosophische Erkenntnisse der heidnischen Griechen eingesetzt werden dürfen.46 Ebenso wie Averroes, wenn auch von einem unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Interesse geleitet, hebt er die Vielfalt der Verstehensweisen des Korans hervor, freilich ohne der mittelalterlichen Kategorisierung der Menschen gemäß ihrem Verstehensvermögen zu folgen.47 In einem für den vorliegenden Zusammenhang bedeutenden Aufsatz von 1996 setzt sich Abu Zaid mit dem „Diskurs des Averroes“ kritisch auseinander.48 Er erklärt, dass Ibn Rusˇd die Kultur der Peripherie (al-ha¯misˇ) in der islamischen Tradition vertritt, nachdem das Zentrum (al-markaz) ˙ aza¯li besetzt worden war. Ibn Rusˇd wurde in seiner eigenen von al-G Kultur zum Fremden, er wurde zu Averroes und in dieser neuen Identität trug er zur Entstehung der europäischen Aufklärung bei.49 Er wird von Abu Zaid an einer anderen Stelle zur arabisch-islamischen Vernunft schlechthin stilisiert, die „sich im Exil befindet“.50 Wenn wir Abu Zaids eigenes Schicksal und seine Flucht aus Ägypten in die Niederlande im Auge behalten, scheinen solche Bemerkungen nicht ohne autobiographischen Bezug zu sein, der für sein Verständnis seiner eigenen Position bezeichnend ist.51 Nichtsdestotrotz gibt er zu erkennen, dass der Rekurs auf Averroes im Zuge der Bemühung um Aufklärung des zeitgenössischen religiösen Denkens im Islam sich davor hüten soll, ideologisierenden Tendenzen zum Opfer zu fallen. Denn weder der an den Rand der arabisch-islamischen Kultur gestellte Ibn Rusˇd noch der von den Europäern adoptierte Averroes als unveränderte historische Größen könnten die erstrebte Aufklärung herbeiführen. Im Gegenteil sei zu diesem Zweck eine Lesart seines Werkes

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46 Averroes (s. o. Anm. 16), 3:20 – 4:7. 47 Abu Zaid wurde 2005 in Berlin der Ibn-Rushd-Preis für Freies Denken verliehen. Seine Rede zu diesem Anlaß findet sich unter http://www.ibn-rushd.org/ English/prizes.htm. Für die deutsche Fassung: http://www.ibn-rushd.org/ Deutsch/Rede-AbuZaid-D.htm. 48 Nasr Ha¯mid Abu Zaid, „Hita¯b Ibn Rusˇd baina haqq al-ma rifa wa-dug˙u¯t al-hita¯b ˙ 16 (1996), 6 – 35. ˙ Der˙ Aufsatz ˙ ˙ ¯d“, in: Alif: Journal˘ of ˙ Comparative Poetics ˘˙ an-naqı ˙ ist in seinem Buch al-Hita¯b wa-t-ta wı¯l (Diskurs und Exegese), Beirut und Ca˘ ˙ sablanca 2000, 19 – 57 wieder abgedruckt worden. 49 Abu Zaid, Hita¯b Ibn Rusˇd (s. o. Anm. 48), 8. ˘ ˙ ita¯b wa-t-ta wı¯l (s. o. Anm. 48), 66. 50 Abu Zaid, al-H ˘ ˙autobiographischer Beziehung zu Averroes kann in Abu Zaids 51 Ein weiterer Fall Hervorhebung des Averroes von den Religionsinstanzen zugefügten „Leidens“ beobachtet werden: Abu Zaid, Hita¯b Ibn Rusˇd (s. o. Anm. 48), 23. ˘ ˙

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erforderlich, die die gewandelten historischen und kulturellen Verhältnisse berücksichtigt und gleichermaßen die Verbindung sowohl mit den arabisch-islamischen als auch mit den europäischen Traditionen aufrechterhält, ohne ihre historisch bedingte Eigenständigkeit zu verlieren.52 Mit der Randposition des Averroes in der islamischen Tradition korrespondiert nach Abu Zaid die Kommentierungsmethode, für die der mittelalterliche Philosoph berühmt wurde und mittels der er seine philosophischen Ansichten am Rande der Schriften des Aristoteles zum Ausdruck brachte. Averroes verbinde jedoch in seiner Person den Philosophen mit dem Juristen. Diese doppelte Natur seines Denkens mache seine Ideen besonders wichtig für die Bemühung um die Modernisierung des religiösen Diskurses im Islam.53 Damit ist die Rationalität gemeint, die Averroes in gleicher Schärfe sowohl in seinen philosophischen Schriften wie auch in seinen religiösen Schriften der Jurisprudenz (fiqh) einsetzt und die sich als ein deutliches Beispiel für die Begegnung von Religion und Philosophie auf dem Boden der Vernunft erweist. Abu Zaids Rezeption des Umgangs des Averroes mit dem Koran bleibt nicht frei von Kritik. Er rechtfertigt zwar seine elitäre Auffassung vom eingeschränkten Zugang zur wahren Bedeutung der mehrdeutigen Koranstellen, die von den Philosophen metaphorisch gedeutet werden sollen ˙ aza¯lı¯ machen musste.54 als einen Kompromiss, den er in Bezug auf al-G Darin sieht er jedoch den Keim einer gewissen Schwäche in der Position des Averroes, der damit in dieselbe Falle wie sein Gegner tappe.55 Mit Blick auf die Gegenwart kritisiert Abu Zaid die Zweiteilung der Menschen in Elite (ha¯ssa) und Masse ( a¯mma) und betont, dass eine solche mittelalterliche ˘ ˙˙„im Zeitalter der demokratisierten Erkenntnis und der InforHaltung mationsflut“ nicht erlaubt ist.56 Die Kompromisse, die Averroes machen musste, führten dazu, dass der von ihm eingeschlagene Weg der Koraninterpretation ein „Mittelweg“ geblieben sei, der aus der historischen Perspektive betrachtet keine Veränderungen in der Koranexegese gebracht habe.57 Im Zuge seiner weiteren Analyse hebt Abu Zaid hervor, dass Averroes die dreigliedrige Einteilung der Menschen, die er von der vorhergehenden 52 53 54 55 56 57

Abu Zaid, Hita¯b Ibn Rusˇd (s. o. Anm. 48), 8 f. ˘ it˙a¯b Ibn Rusˇd (s. o. Anm. 48), 9 f. Abu Zaid, H ˘ Abu Zaid, Hit˙a¯b Ibn Rusˇd (s. o. Anm. 48), 10. ˘ it˙a¯b Ibn Rusˇd (s. o. Anm. 48), 21. Abu Zaid, H ˘ Abu Zaid, Hit˙a¯b Ibn Rusˇd (s. o. Anm. 48), 22 f. ˘ it˙a¯b Ibn Rusˇd (s. o. Anm. 48), 23. Abu Zaid, H ˘ ˙

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philosophischen Tradition übernommen hat, auch in der Sprache des Korans verankert gesehen hat.58 In einem für seine Zeit fortschrittlichen Urteil führte er jedoch eine solche Verschiedenheit nicht auf die natürliche Disposition der Individuen, sondern auf die Unterschiedlichkeit der sozialen Gewohnheiten und der Bildungsqualität zurück.59 Er habe dann auf eine weitgehend kreative Weise den Unterschied unter den Menschen im Hinblick auf ihr Verstehensvermögen ins Positive gewendet, indem er ihn mit der Doppelbödigkeit des Korantextes verknüpft habe, die es ermöglicht, dass die Offenbarungsbotschaft alle Menschen erreicht.60 Damit handelte Averroes gemäß seiner Überzeugung, dass die Religion die unter den Menschen existierende Verschiedenheit als eine bereits bestehende Realität auffasst und sie nicht zu tilgen versucht, sondern eher in die Struktur ihres „göttlichen Diskurses“ eine damit „korrespondierende Pluralität, die den Diskurs für weitere Verstehens- und Deutungshorizonte öffnet, einschließt.“61 Die im Koran erwähnte Pluralität der Ebenen im „göttlichen Diskurs“ reflektiert also die humane Pluralität und führt zur „Pluralität der Deutungen“, die „die religiöse Erkenntnis verwirren und sie den Leidenschaften unterordnen könnte“, würde sie ohne „epistemologische Kontrolle“ (da¯bit ma rifı¯) bleiben. Averroes habe offensichtlich je˙ er ˙ machte nicht den auf dialektischen Argumenten doch darauf geachtet; beruhenden Konsens der Gelehrten, sondern die logische Beweisführung zu einem „epistemologischen Zaun“, der vor Irrtum bewahre, ohne „die Pluralität aufzuheben oder sie durch die hintere Tür zu vernichten“.62 Mit Recht deutet Abu Zaid darauf hin, dass Averroes im Gegensatz zu den Theologen, die er scharf kritisiert, weil sie jeweils „ihre eigene Interpretation als die einzig gültige Verständnisform [des Korans] darstellen, […] die an die breite Masse gerichtete poetische Ausdrucksweise der philosophischen Ausdrucksweise gegenüber nicht als minderwertig betrachtet. Er spricht […] von einem Unterschied, nicht von einer Hierar-

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58 Abu Zaid, Hita¯b Ibn Rusˇd (s. o. Anm. 48), 22. Abu Zaid folgt hier dem Hinweis ˙ 16:125: „Rufe zu dem Weg deines Herrn durch die Weisheit und Averroes’ auf˘ Q durch die schöne Ermahnung und streite mit ihnen durch das, was das schönste ist.“ Darin sieht Averroes eine koranische Begründung der drei Überzeugungsmethoden: der Rhetorik, der Dialektik und der Demonstration: Averroes (s. o. Anm. 16), 6:18 – 7:6. 59 Abu Zaid, Al-Hita¯b wa-t-ta wı¯l (s. o. Anm. 48), 60. 60 Abu Zaid, Hita¯˘b ˙Ibn Rusˇd (s. o. Anm. 48), 22. ˘ ˙ ita¯b wa-t-ta wı¯l (s. o. Anm. 48), 60. 61 Abu Zaid, Al-H ˘ it˙a¯b wa-t-ta wı¯l (s. o. Anm. 48), 61. 62 Abu Zaid, Al-H ˘ ˙

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chie.“63 Averroes tritt also für eine offene Haltung ein, die die unterschiedlichen Korandeutungen in Gleichberechtigung koexistieren lässt, damit die Menschen je nach intellektueller Fähigkeit Zugang zu den offenbarten Inhalten haben können. Abu Zaid versteht die Pluralität der Deutungen als Folge von Differenzen nicht nur über Lebens- und Gesellschaftsfragen, sondern auch über religiöse Themen. Solche Differenzen werden auf unterschiedliche Interessen und Zwecke zurückgeführt. Er weist ferner auf einen dialektischen Zusammenhang zwischen der Deutungspluralität und den angedeuteten Differenzen hin, wodurch letztere durch erstere tiefer begründet werden. Viele Averroes-Forscher beachteten nicht, dass er mit der rationalen Interpretation der vernunftwidrigen Aussagen im Koran nicht nur die Übereinstimmung von Religion und Philosophie demonstrierte, sondern im gleichen Atemzug „die Pluralität und Unterschiedenheit der Menschen begründete.“64 In dem eben entfalteten Gedankengang dürften weitere relevante Implikationen für Abu Zaids eigenen hermeneutischen Entwurf liegen. In neueren Reden und Arbeiten macht er nunmehr verstärkt darauf aufmerksam, dass der Koran in seiner Gesamtheit als eine Vielfalt von Diskursen aufgefasst werden soll. Der Koran als historischer Text und kulturelle Produktion enthält eine vielfältige Weltanschauung, die Universelles mit Historischem verbindet.65 Sie besitzt ineinander verwobene Dimensionen, die die Kosmologie, die Beziehung zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen, die humane Ethik sowie die gesellschaftliche Praxis samt ihren Regeln betreffen und durch die komplexe Botschaft des Korans manifestiert werden. Ebenfalls ist der Koran von der Vielfalt der in ihm enthaltenen Stimmen gekennzeichnet, die Abu Zaid als „Polyphonie“ bezeichnet.66 Um die Lebendigkeit der koranischen Diskurse sowie die darin verborgene Weltanschauung aufdecken zu können, müsste die moderne Koranwissenschaft den äußeren Text des Korans einer ernsthaften Hermeneutik unter Berücksichtigung weiterer relevanter Wissenschaften unterziehen.67 Dabei müsste sie den InterpretationsprinAbu Zaid, Gottes Menschenwort (s. o. Anm. 45), 172. Abu Zaid, Al-Hita¯b wa-t-ta wı¯l (s. o. Anm. 48), 58 f. ˘ ˙ Menschenwort (s. o. Anm. 45), 27 ff. Abu Zaid, Gottes Abu Zaid, Gottes Menschenwort (s. o. Anm. 45), 173 ff. Abu Zaid, Gottes Menschenwort (s. o. Anm. 45), 172 f. Neben Averroes nennt Abu Zaid hier den ihm wohl vertrauten Mystiker Ibn Arabı¯ (1165 – 1240), über dessen Koranexegese er promovierte: Falsafat at-ta wı¯l. Dira¯sa fı¯ ta wı¯l al-Qur a¯n inda Muhyi ad-Dı¯n Ibn Arabı¯ (Die Philosophie der Exegese. Eine Studie über die ˙ Koranexegese des Muhyi ad-Dı¯n Ibn Arabı¯), Beirut und Casablanca 1983. ˙ ˘

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zipien des Averroes folgen, dessen Epistemologie sich nicht vom Metaphysischen zum Naturwissenschaftlichen hin bewege, wie es in der islamischen Theologie üblich sei, sondern umgekehrt für die Untersuchung von metaphysischen, einschließlich theologischen, Themen die Beherrschung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse voraussetze und sich von da aus dem Korantext interpretierend zuwende.68 Der „Philosoph aus Córdoba“ habe schon die Koranexegese als eine „sehr schwierige Aufgabe“ aufgefasst, die von Gott dem Menschen als wertvolles Gut anvertraut worden sei und die einzig der Mensch trage, während der Rest der Schöpfung sich davor fürchte.69 Vermutlich in Rücksicht auf sein eigenes Projekt betont Abu Zaid schließlich, dass das nach Averroes dem Menschen „aufgebürdete Gut“ über die allgemeine Interpretation des Korans hinausgehe, und eigentlich die Entwicklung eines „hermeneutischen Kanons“ bedeute, der in der Nachfolge der averroischen Methode auch andere Wissenschaften als die religiösen einschließt.70

ˇ a¯birı¯: Koranauslegung aus dem koranischen Denksystem 3. Al-G heraus ˘

ˇ a¯birı¯, der 1936 in Figˇ¯ıgˇ ¯ bid al-G Der Philosophieprofessor Muhammad A ˙ im Südosten Marokkos geboren wurde und am 3. Mai 2010 gestorben ist, gehört seit drei Jahrzehnten zu den bedeutendsten Intellektuellen säkularistischer Prägung in der arabischen Welt.71 Die wichtigsten Themen seines Umfangreichen Werkes, das über 30 Bücher umfasst, sind die Kritik an dem in der islamischen Theologie und Jurisprudenz vorherrschenden Rationalismus sowie an dem „Irrationalismus“ der islamischen Mystik und ˇ a¯birı¯s Sicht verheerenden – Gnosis samt ihren maßgeblichen – aus al-G Folgen im zeitgenössischen arabischen Denken besonders im Hinblick auf die aktuelle Frage, wie Authentizität und Modernität im Einklang mitˇ a¯birı¯s philosoeinander gebracht werden können. Der Kern von al-G phisch-kritischem Unternehmen besteht in seiner Bemühung um eine 68 69 70 71

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Abu Zaid, Hita¯b Ibn Rusˇd (s. o. Anm. 48), 24. Averroes (s.˘ o.˙ Anm. 16), 23:16 – 18 mit Bezug auf den Koranvers 33:72. Abu Zaid, Hita¯b Ibn Rusˇd (s. o. Anm. 48), 31. ˘ ˙ über ihn findet sich in von Kgelgen (s. o. Anm. 4), 260 ff. und in Biographisches Mohammed Abed al-Jabri, Kritik der arabischen Vernunft (Naqd al- aql alarabı¯). Die Einführung. Aus dem Französischen übersetzt von Vincent von Wroblewsky und Sarah Dornhof. Berlin 2009, 9 f.

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Renaissance des arabisch-islamischen Denkens, wofür er sich für den Bruch mit dem mystisch-irrationalen „avicennischen Geist“ und die Neubegründung des „averroischen Geistes“ einsetzt, den er als eine wichtige Treibkraft der Modernisierung des europäischen Denkens bezeichnet.72 Der eben erklärten These entsprechend besetzt Averroes eine zentrale ˇ a¯birı¯s Auseinandersetzung mit der arabisch-islamischen Position in al-G Philosophie und der zeitgenössischen intellektuellen Lage in der arabischen Welt. Er beschäftigt sich intensiv mit seinem Leben und Denken in einer Reihe von Publikationen. Neben Ausführungen in früheren Schriften73 widmet er dem andalusischen Philosophen eine Monographie74 sowie lange Einleitungen zu der Neuedition von einigen Schriften ˇ a¯birı¯s Aufdes Averroes, die aus Anlass seines 900. Todesjahrs unter al-G 75 sicht erfolgte. Darin expliziert er seine Interpretation der averroischen

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72 Seine Ideen bringt er vor allem in folgenden Publikationen zum Ausdruck: ˇ a¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (Wir und das Erbe), Beirut 1980; Muhammad A¯bid al-G ¯ ˙ arabische Diskurs), Beirut ders., al-Hita¯b al- arabı¯ l-mu a¯sir ˙(Der zeitgenössische ˙ ˙ ˘ 1982; ders., Naqd al- aql al- arabı¯ (Kritik der arabischen Vernunft) in drei Bänden: 1: Takwı¯n al- aql al- arabı¯ (Die Genese der arabischen Vernunft), Beirut 1982; 2: Bunyat al- aql al- arabı¯ (Die Struktur der arabischen Vernunft), Beirut 1986; 3: alAql as-siya¯sı¯ l- arabı¯ (Die politische arabische Vernunft), Beirut 1990; ders., atTura¯t wa-l-hada¯ta (Das Erbe und die Moderne), Beirut 1991; ders., al-Masˇru¯ an˙ ¯ ¯(Das arabische Renaissance-Projekt), Beirut 1996. nahd¯awı¯ l- arabı ˙ Neben der bereits genannten Untersuchung von Anke von Kügelgen haben sich ˇ a¯birı¯ wissenschaftlich auseinin Deutschland vor allem folgende Werke mit al-G andergesetzt: Michael Gaebel, Von der Kritik des arabischen Denkens zum panarabischen Aufbruch. Das philosophische und politische Denken Muhammad ˇ a¯birı¯s, Berlin 1995; Sonja Hegasy, Staat, Öffentlichkeit und ˙ZivilgeA¯bid al-G sellschaft in Marokko, Hamburg 1997. Eine Einführung in sein Werk bietet die Einleitung in al-Jabri (s. o. Anm. 71), 31 – 51. ˇ a¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (Wir und das Erbe), Beirut 73 Diese sind vor allem: al-G ¯ Struktur der arabischen 6 1993, 211 – 260; ders., Bunyat al- ˙aql al- arabı¯ (Die Vernunft), 528 – 538, 570 passim; ders., at-Tura¯t wa-l-hada¯ta (Das Erbe und die ¯ ada¯ra˙l- arabı ¯ ¯ya (Die IntellekModerne), 193 – 210; ders., al-Mutaqqafu¯n fı¯ l-h ˙ – 153; ders., al-Masˇru¯ antuellen in der arabischen Zivilisation),¯ Beirut 1995,˙119 nahdawı¯ l- arabı¯ (Das arabische Renaissance-Projekt), 173 ff. ˙ˇ a¯birı¯, Ibn Rusˇd: Sı¯ra wa-fikr (Ibn Rusˇd: Biographie und Denken), Beirut 74 al-G 1998. 75 Es sind neben den philosophisch-theologischen Schriften Taha¯fut at-taha¯fut (Die Destruktion der Destruktion); Fasl al-maqa¯l und al-Kasˇf an mana¯higˇ al-adilla fı¯ ˙ aqa¯ id al-milla, Ibn Rusˇds medizinisches Hauptwerk al-Kullı¯ya¯t fı¯ t-tibb (Colliget) ˙ und sein Kommentar zu Platons Politea: Muhtasar siya¯sat Afla¯tu¯n.˙Diese Schriften ˙ ˙ ˘ ˇ werden von al-Ga¯birı¯ als „authentisch“ averroisch betrachtet, ohne dass er diese ˘

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Auffassung der Beziehung von Religion und Philosophie sowie seine Vorstellung, wie die averroischen Ideen für die Erneuerung des arabischen Denkens fruchtbar gemacht werden können.76 ˇ a¯birı¯s Projekt skizziert, um danach seine Im Folgenden wird al-G Rezeption des Averroes konzentriert darzustellen, wobei dessen Umgang ˇ a¯birı¯ mit dem Koran in den Mittelpunkt der Darstellung gestellt wird. Al-G diagnostiziert einen Niedergang der arabischen Kultur, den er auf einen allgemeinen „Objektivitätsverlust“ zurückführt, dessen Ursachen für ihn in einem „ahistorischen“ Umgang mit dem geistigen Erbe (tura¯t) der ¯ Araber begründet liegen.77 Vor allem die zunehmend unwissenschaftliche Vorgehensweise in der islamischen Theologie (kala¯m) und Jurisprudenz (fiqh) sei für den Verfall verantwortlich. Das methodische Verfahren der Theologen, im Analogieschluss von der Welt des Sichtbaren auf die Welt des Verborgenen Schlüsse zu ziehen, mache beide Bereiche voneinander abhängig und führe zu einer Deformation der Wirklichkeit. Die islamischen Mystiker tragen durch ihr unkontrolliertes Denken ebenfalls zum Niedergang der arabischen Kultur bei.78 Der Araber befindet sich gegenwärtig in einer geistig-kulturellen Sackgasse. „Er sei einer als heilig empfundenen Sprache, veralteten Denkweisen, Aberglauben und un-

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ˇ a¯birı¯, Ibn Rusˇd (s. o. Anm. 74), 9. Al-G ˇ a¯birı¯s Bezeichnung rechtfertigt: al-G Monographie zu Ibn Rusˇd und seine Einleitungen zu den neuedierten averroischen Schriften enthalten die Ergebnisse seiner langjährigen Beschäftigung mit dem andalusischen Philosophen. ˇ a¯birı¯ der Neudition von Ibn Rusˇds In zwei ausführlichen Einleitungen, die al-G Fasl al-maqa¯l, wohl seiner wichtigsten Schrift zur Koranauslegung, voranstellt, ˙ beschäftigt er sich eingehend mit Ibn Rusˇds Umgang mit dem Koran. In der allgemein ausgerichteten Einführung (madhal a¯mm), Fasl al-maqa¯l 11 – 51, wird ˙ ˇ a¯birı¯s Auffassung˘ von der Dichotomie die Schrift in der nach al-G zwischen dem arabischen Osten und Westen geprägten Geschichte der islamischen Philosophie kontextualisiert. In einer „analytischen Einleitung“, 53 – 76, befasst sich der Autor mit ausgewählten Themen der averroischen Abhandlung wie der Beziehung von Religion und Philosophie, den Bestimmungen der allegorischen Koraninterpretation und den von Ibn Rusˇd dargestellten Methoden des Fürwahrhaltens. ˇ a¯birı¯s Gesamtvorhaben sowie seine Auseinandersetzung mit Averroes wird 76 Al-G von von Kgelgen (s. o. Anm. 4), 260 – 288, 349 ff. passim, präzise dargestellt. Überschneidungen mit ihrer Darstellung lassen sich im vorliegenden Zusammenhang nicht vermeiden. ˇ a¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 16. 77 al-G ˙ nu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 17 ff.; von Kgelgen (s. o. ˇ a¯birı¯, Nah 78 al-G Anm. 4), 265 f. ˙

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umstößlichen Wahrheiten verhaftet und zur Kritiklosigkeit erzogen.“79 Eine wichtige Ursache des Niedergangs ist, dass der „averroische Rationalismus“ in der „arabischen Kultur“ von demselben Schicksal betroffen wurde, das vorher in der griechischen Kultur dem „Rationalismus des Aristoteles“ widerfahren sei.80 ˇ a¯birı¯ in einer Erneuerung der arabischen Die Alternative sieht al-G Vernunft und Neubegründung des islamischen Denkens. Dies könne nur durch „einen vollständigen epistemologischen Bruch (qat¯ı a ¯ıbistı¯mu¯lu¯˙ gˇ¯ıya)“ mit der traditionellerweise von den Philosophen des arabischen Ostens (al-masˇriq), allen voran Avicenna, geprägten Struktur der arabischen Vernunft im Zeitalter des Verfalls gelingen und durch die Wiederentdeckung des fortschrittlichen Charakters der islamischen Philosophie, deren Hauptaufgabe in der Bestimmung der Beziehung von Religion und Philosophie bestehe.81 Das Hauptproblem der „östlichen“ Philosophen sei, dass sie vorwiegend dem Irrationalismus zugeneigt seien. Von der Emanationstheorie ausgehend versuchten sie, die Einheit von Religion und Philosophie herzustellen.82 Ihr Versuch der Vereinheitlichung sei jedoch als Reaktion auf die Bedrohung der Einheit der politischen Herrschaft politisch motiviert gewesen. Damit seien sie weder der Religion noch der Philosophie gerecht geworden.83 Im Gegensatz zur geistigen Situation im „arabischen Osten“ (al-masˇriq) habe es im „arabischen Westen“ (al-mag˙rib), das heißt Marokko und Andalusien, einen kritischen, die Wirklichkeit ernstnehmenden Rationalismus gegeben, der die Harmonisierung von Religion und Philosophie nicht gesucht hätte, sondern vielmehr durch deren Trennung gekennzeichnet ˇ a¯birı¯ als „den avergewesen sei. Diesen Rationalismus bezeichnet al-G roischen Geist“ (ar-ru¯h ar-rusˇdı¯ya), der sich dem „avicennischen Geist“ (ar˙ ru¯h as-sı¯nawı¯ya) widersetzt.84 Averroes stelle die vollkommenste Ausprä˙ gung des mag˙ribinischen Denkens dar, das für die Begründung der reli-

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ˇ a¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 79 von Kgelgen (s. o. Anm. 4), 266; al-G ˙ 22 f.; ˇ a¯birı¯, Al-Masˇru¯ an-nahdawı¯ al- arabı¯ (s. o. Anm. 72), 174. 80 al-G ˇ a¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t˙ (s. o. Anm. 72), 49 f., 212; von Kgelgen (s. o. 81 al-G Anm. 4), 274 f.˙Zu den verschiedenen Ebenen des angedeuteten Bruchs vgl. die Zusammenfassung dort, 279. ˇ a¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 97 – 115. 82 al-G ˇ 83 al-Ga¯birı¯, Nah˙ nu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 37 – 42; ders. in Fasl al-maqa¯l (s. o. Anm. 75), 13 –˙23, 31 – 42. von Kgelgen (s. o. Anm. 4), 276 f. ˙ ˇ a¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 42 ff., 212 ff.; ders. in Fasl al-maqa¯l 84 al-G ˙ (s. o. Anm. 75),˙ 42 ff.

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giösen Wissenschaften auf der Basis der Rationalität bekannt sei. Er sei jedoch keine Einzelerscheinung gewesen; sein „Projekt“ (masˇru¯ ) setze bereits mit dem Religionsgelehrten Ibn Hazm (994 – 1063) an und sei von ˙ Ibn Haldu¯n (1332 – 1406) vollendet worden. Das wesentliche Merkmal ˘ dieses „Projekts“ sei die rationale Kritik an den Prämissen und Methoden der im Osten betriebenen „islamischen Wissenschaften“ sowie ihre Ersetzung durch die Physik des Aristoteles und apodiktische Methoden.“85 ˇ a¯birı¯ behandelt Averroes als einen Philosophen und Juristen Al-G (faqı¯h), der tiefe theologische Kenntnisse besaß. Er bescheinigt ihm, das theologische und philosophische Denken im arabischen Osten grundsätzlich als eine Einheit begriffen zu haben. Seine grundlegende Kritik habe sich an die Methoden und Grundkonzepte des philosophischen und religiösen Denkens im arabischen Osten gerichtet. An diesem Zusammenˇ a¯birı¯ in erster Linie interessiert und beschäftigt sich analytisch hang ist al-G kaum mit den Lösungen, die Averroes anbietet.86 Er stellt bei ihm einen „axiomatischen Blick“ (ru’ya axiyu¯mı¯ya) fest, der ihm ermöglichte, sowohl die Philosophie des Aristoteles als auch den Koran jeweils als ein in sich geschlossenes System zu verstehen.87 Averroes suche die Rationalität gleichermaßen in Religion und Philosophie. Sein rationaler Umgang mit dem Koran unterscheide sich methodisch nicht von seinem Umgang mit der Philosophie. Denn er habe den rationalen Charakter des Religionsgesetzes (sˇar ) erkannt, der in dem Zweck des Gesetzgebers (qasd asˇ-sˇa¯ri ) ˙ bestehe, der letztendlich im Wohl der Menschen liege.88 Diesen Zweck habe er der philosophischen Kausalitätslehre gleichgestellt, weil er die kosmische Ordnung eigentlich „als Zeichen und Beweis der göttlichen Weisheit und Vorsehung und folglich als einen Beweis für die Existenz Gottes“ betrachtet habe.89 Dadurch habe er jedoch keineswegs die Trennung von Religion und Philosophie preisgegeben. Seine Begründung des rationalen Charakters des Religionsgesetzes ginge nämlich nicht auf die Vermischung von Religion und Philosophie zurück, sondern sei ˘

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ˇ a¯birı¯, Bunya (s. o. Anm. 72), 513 – 553; ders., At-Tura¯t wa-l-hada¯ta (s. o. 85 al-G ¯ al-Jabri ˙ ¯ (s. o. Anm. 72), 193 – 199, 217 ff. Teile in deutscher Übersetzung: Anm. 71), 169 – 203. Siehe von Kgelgen (s. o. Anm. 4), 279. 86 von Kgelgen (s. o. Anm. 4), 284 ff., kommt zu demselben kritischen Ergebnis. ˇ a¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 236 f. Er schreibt auch Spinoza 87 al-G „axiomatisches ˙Denken“ zu: ebd., 242. ˇ a¯birı¯, At-Tura¯t wa-l-hada¯ta (s. o. Anm. 72), 209. Ebenso von Kgelgen 88 al-G ˙ ¯ (s. o. Anm. 4), 285. ¯ ˇ 89 al-Ga¯birı¯, Bunya (s. o. Anm. 72), 570 f.

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Folge genauer Untersuchung des Korans gewesen.90 Er habe daher in der Religion eine „Tugendlehre“ gesehen, die im Hinblick auf Tugendvermittlung und Aufforderung zum tugendhaften Leben Überschneidungspunkte mit der Philosophie aufweise.91 ˇ a¯birı¯s Auffassung hält Averroes Religion und Philosophie als Nach al-G zwei selbständige Denksysteme (ka-bina¯’ain axiyu¯mı¯yain) auseinander, die jeweils voneinander unabhängig sind.92 Averroes stellte zwischen ihnen eine bestimmte Parallelität her, die es beiden erlaubt, „sich an der absoluten ˇ a¯birı¯, dass man davon abWahrheit zu begegnen.“93 Daraus schließt al-G sehen soll, zwischen Religion und Philosophie eine vollkommene Entsprechung zu suchen und in jeder Einzelsache von der einen zur anderen überzugehen. Dies sei u. a. möglich, weil sich das religiöse Denksystem im Hinblick auf seine Natur und Zusammensetzung vom philosophischen Denksystem unterscheide, indem es zusätzlich zu den veränderbaren vernunftgemäßen Prinzipien Göttliches enthalte, das die menschliche ˇ a¯birı¯, die Vernunft transzendiere.94 Deshalb muss der Philosoph, so al-G Trennung beider beachten und die religiösen Grundsätze anerkennen, wenn er Fragen der Religion erörtern will. Der Religionsgelehrte muss sich ebenfalls so verhalten, wenn er philosophische Themen diskutieren möchte.95 ˇ a¯birı¯ von einem Die averroische Koraninterpretation ist nach al-G einzigartigen Rationalismus gekennzeichnet, der sich als „realistisch“ bezeichnen läßt.96 Die Gründe dieser Bezeichnung liegen darin, dass Averroes neben seiner Trennung von Religion und Philosophie und seiner Betonung der Kausalität gleichermaßen in der physischen und der metaphysischen Welt Gott als eine die Welt aufrechterhaltende Macht betrachtet hat, die in der Welt ist und diese zugleich transzendiert. Dazu gehöre auch, dass er die Verantwortung, die dem gebildeten Philosophen in einer weitgehend von Bildungslosigkeit geprägten Gesellschaft obliegt, wahrgenommen habe und dass er schließlich in voller Überzeugung von ˇ a¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 237 ff.; ders. in Fasl al-maqa¯l (s. o. 90 al-G ˙ von Kgelgen (s. o. Anm. 4), 286. ˙ Anm. 75), 48 ff.; ˇ 91 al-Ga¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), von Kgelgen (s. o. Anm. 4), 286 f. ˙ nu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 238. ˇ a¯birı¯, Nah 92 al-G ˇ a¯birı¯, Nah˙ nu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 246. 93 al-G ˇ a¯birı¯, Nah˙ nu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 246, mit Bezug auf eine Stelle aus 94 al-G Ibn Rusˇds Taha¯˙fut. ˇ a¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 246. Vgl. von Kgelgen (s. o. 95 al-G Anm. 4), 339. ˙ ˇ a¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 242 f. 96 al-G ˙

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der Unmöglichkeit, die Wahrheit, sei es die religiöse oder philosophische, umfassend zu begreifen, die Gefahren erkannt habe, denen derjenige ausgeliefert sei, der Ungeeigneten die Wahrheit offenbart.97 Ein weiteres Zeichen für den rationalistischen Umgang des Averroes ˇ a¯birı¯ darin, dass er die Äußerungen des Koranmit dem Koran sieht al-G textes als vergleichbar mit Naturphänomenen auffasst: bei ihrer Betrachtung gelte nur die Wahrheit, die sich der rationalen Beweisführung (alburha¯n al- aqlı¯) offenbart. Eine solche Wahrheit müsse akzeptiert werden, auch wenn sie der sinnlichen Wahrnehmung widersprechen sollte. Ein Beispiel dafür aus der Naturwelt sei, dass wir an der rational bewiesenen Wahrheit festhalten, dass die Erde rund und die Sonne größer als sie ist, obwohl „das Sinnlich-Äußere“ (za¯hir al-hiss) die Erde flach und größer als ˙ mangelnden Wissens lediglich die Sonne zeigt. Die Masse, die ˙aufgrund sinnliche Erkenntnisse glauben könne, müsse nicht durch die Korrektur ihrer Sinneseindrücke irritiert und zum Zweifel gebracht werden. „Die ethisch-wissenschaftliche Tugend“ verlange also von den Wissenden, solche wahren Erkenntnisse vor der Masse geheimzuhalten. Eben aus demselben Grund habe Averroes verboten, die Ergebnisse der rationalen ˇ a¯birı¯ weist darauf hin, Koranauslegung der Masse bekanntzugeben. Al-G dass Averroes besonders mit Rücksicht auf sein Zeitalter, in dem „Analphabetismus und Unwissen verbreitet waren“, auf diese Weise handeln musste. Heute sehe es im Hinblick auf Bildung und Kommunikation jedoch anders aus.98 Bei seiner Rekonstruierung der averroischen Religionsauffassung ˇ a¯birı¯ fest, dass die absolute Trennung zwischen der Welt des stellt al-G Verborgenen ( a¯lam al-g˙aib) und der Welt des Sichtbaren ( a¯lam asˇ-sˇaha¯da) ein wesentliches methodisches Prinzip für den Umgang des Averroes mit ˇ a¯birı¯ der Religion ist. Seine Theorie der Koraninterpretation, so al-G weiter, basiere auf folgenden Prinzipien: 1. Da die „religiöse Rede“, insbesondere der Koran, in allen Fällen mit dem „rationalen Urteil“ übereinstimmt, sind die Unterschiede zwischen Koran und Vernunft auf verschiedene Ausdrucksweisen der Wahrheit aus rein „pädagogischen“ Gründen zurückzuführen.99 Das Religionsgesetz ˘

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ˇ a¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 248 f. Der letzte Punkt erinnert an 97 al-G ˙ von der Verfolgung der Philosophen durch die Gesellschaft. Leo Strauss’ These Vgl. beispielsweise: Leo Strauss, Persecution and the Art of Writing, Glencoe, Ill. 1952. Zu Strauss’ Interpretation der islamischen Philosophie s. ausführlich meine Studie Islamische Philosophie und die Krise der Moderne. ˇ a¯birı¯ in Fasl al-maqa¯l (s. o. Anm. 75), 66 f. 98 Al-G ˙ wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 242. ˇ 99 al-Ga¯birı¯, Nahnu ˙

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verwendet für die Vermittlung von Lehren die rhetorische Methode, weil es alle Menschen unabhängig von ihrem intellektuellen Vermögen adressieren möchte.100 Die Koraninterpretation (ta’wı¯l) bedeutet damit „die Umwandlung der dialektischen und rhetorischen Rede in die demonstrative Rede, das heißt die Rede der ,abstrakten Vernunft‘“.101 2. Die Bedingung, dass die rationale Interpretation einer Koranstelle durch den äußeren Text einer anderen Stelle bestätigt werden müsse, sei Beleg für die Überzeugung des Averroes, dass „sich der Koran durch sich selbst auslegt.“ Damit bedeutet die Interpretation „die rationale Rekonstruktion des Korans (al-qawl ad-dı¯nı¯), wobei die innere Einheit seiner Struktur respektiert wird.“102 3. Die Interpretation darf die Religionsprinzipien nicht antasten, damit der Bestand der Religion nicht gefährdet wird. ˇ a¯birı¯’s Averroes den Auf diese Grundsätze gestützt analysiert al-G Koran nach drei Aspekten: 1. dem des Signifikanten (ad-da¯ll), das der äußere Wortsinn (az-za¯hir) ist, 2. dem des Signifikats (al-madlu¯l), das die Bedeutung (al-ma na˙¯ ) ˙ist, und 3. dem Verhältnis zwischen den Schlussfolgerungen und den Prämissen.103 Averroes bezwecke mit der Koraninterpretation (ta’wı¯l) nicht, „eine andere Wahrheit zu entdecken, sondern ˇ a¯birı¯ diejenige, die der Koran explizit oder implizit beinhaltet.“104 Al-G hebt bei seiner Darstellung der averroischen Bestimmungen der Koraninterpretation deren sprachlichen Charakter hervor, um daraus zu schließen, dass Averroes davon beabsichtigte, „innerhalb des koranischen Kontexts dem äußeren Wortsinn (az-za¯hir) seine Bedeutung in einer ˙ Weise zu geben, die seine Logik und ˙Rationalität demonstriert.“105 ˇ a¯birı¯ darauf hin, dass Averroes unter HeranDemzufolge weist al-G ziehen von Koranversen dem Wortlaut des Korans durch eine „deduktive Lesart“ (istiqra¯’) zwei allgemein zugängliche Gottesbeweise entnommen hat. Der erste Gottesbeweis ist der „Beweis der Vorsehung“ (dalı¯l al- ina¯ya), der auf zwei Prinzipien beruht: Erstens, dass alle existenten Dinge in der ˘

ˇ a¯birı¯ in Fasl al-maqa¯l (s. o. Anm. 75), 71 ff. Er verwendet in dem Zusam100 Al-G ˙ menhang ein Wortspiel, um eine Verbindung zwischen „Rhetorik“ (hata¯ba) und ˘ ˙ „Adressieren“ (hita¯b) herzustellen. ˙ ˘ ˇ 101 al-Ga¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 242. ˇ a¯birı¯, Nah˙ nu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 242 f. 102 al-G ˇ a¯birı¯, Nah˙nu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 243 – 245. Er stellt danach Ibn Rusˇds 103 al-G Bestimmungen˙ der Koraninterpretation dar, wie sie oben Teil I dieses Beitrags aufgeführt werden. Vgl. ebenfalls von Kgelgen (s. o. Anm. 4), 349. ˇ a¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 245. 104 al-G ˇ a¯birı¯, Nah˙ nu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 245. 105 al-G ˙

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sinnlich wahrnehmbaren Welt der Existenz des Menschen nützen und zweitens, dass dieser Nutzen kein Zufall, sondern eine von einem wollenden Agens (fa¯ il) beabsichtigte Notwendigkeit ist. Der zweite Gottesbeweis ist der „Beweis der Hervorhebung“ (dalı¯l al-ihtira¯ ), der auch auf ˘ hervorgebracht zwei Prinzipien beruht: Erstens, dass alle existenten Dinge sind, was im Hinblick auf die Lebewesen und die Pflanzen „selbstevident“ (ma ru¯f bi-nafsihi) ist und zweitens, dass jedes Hervorgebrachte (muhtara ) einen Hervorbringer (muhtari ) hat. Wer Gott wirklich erkennen will,˘ muss also das Wesen der Dinge˘ erkennen.106 ˇ a¯birı¯ trennt zwischen Ibn Rusˇds Kategorisierung des Korantextes Al-G als äußerem Wortlaut (za¯hir) und innerem Sinn (ba¯tin) einerseits und seiner ˙ ˙ Masse ( amma) andeKlassifizierung der Menschen als Elite (ha¯ssa) und ¯ ˙ ˙ ˘ rerseits. Nach seiner Auffassung vertritt Averroes nicht die Ansicht, dass der innere Sinn nur für die Elite und der Wortlaut ausschließlich für die Masse gedacht sei, wie die Philosophen und Mystiker des arabischen Ostens meinten. Er sei vielmehr der Meinung, dass auch die Angehörigen der intellektuellen Elite den Wortlaut akzeptieren müssten, dass sie ihn jedoch auf eine andere Weise als die Masse verstünden. Averroes glaube ferner nicht, dass es zwei Wahrheiten gebe, sondern er bestehe auf der Einheit der Wahrheit, die unterschiedlich gemäß „dem epistemologischen Niveau der Person“ wahrgenommen werde. Er erkenne daher nur die rationale Erkenntnis an, „die mittels Bildung und Erkenntniserwerb vom SinnlichWahrnehmbaren bis zum abstrakt-theoretischen Wissen hinaufsteigt.“ Da die Masse über die erforderliche Bildung nicht verfüge, würden die rational erzielten Erkenntnisse für sie in den Bereich des Unmöglichen gehören. Die Verbreitung von Interpretationen, ohne die Rezeptionsfähigkeit der Masse zu berücksichtigen, beschädige das Denken und den Glauben der Masse und führe zu Spaltungen im Islam.107 ˇ a¯birı¯ folgert daraus, dass die wesentliche Frage hinter der von Al-G Averroes entfalteten Diskussion über die Koranauslegung keine andere als die der Beziehung von Religion und Gesellschaft ist. Die Interpretation des Korans sei nicht frei von politischen Motiven und Zielen und die Verbreitung von Interpretationen unter der Masse sei gewöhnlich nicht, „um die Menschen zur religiösen Wahrheit hinzuführen, sondern um ein bestimmtes Denken zu verbreiten und die Menschen zu dessen Befolgung in ˘

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ˇ a¯birı¯, at-Tura¯t wa-l-hada¯ta 106 Averroes, al-Kasˇf (s. o. Anm. 35), §§ 69 – 75; al-G ˙ ¯ (s. o. Anm. 72), 198 f.; von Kgelgen (s. o. Anm. 4), 403 – 408. ¯ ˇ 107 al-Ga¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 247; Ders. in: Fasl al-maqa¯l (s. o. ˙ Anm. 75),73 f. ˙

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Opposition zu einer anderen, verbreiteten oder neuen Interpretation aufzurufen. Dahinter steht der Wille, Anhänger und Partisanen zu gewinnen, um in den Besitz von Einfluß und Macht zu gelangen.“108 Darauf ˇ a¯birı¯ die Koraninterpretation für „eine politische Tägestützt hält al-G tigkeit (at-ta’wı¯l amalı¯ya siya¯sı¯ya) oder eine Praktizierung der Politik durch die Religion, ihre Sprache und ihre Bestimmungen.“ In einer Zeit und einer Gesellschaft, in der sich „die Sprache der Politik noch nicht verselbständigte […] war die ,Interpretation‘ der religiösen Texte – ich meine damit, eine bestimmte Art ihres Verstehens durchzusetzen – das gesellschaftliche Mittel, wodurch Politik intellektuell und ideologisch praktiziert wurde“. Wenn Ibn Rusˇd also auf die Geheimhaltung der Interpretation vor der Masse bestehe, verurteile er die Instrumentalisierung der Religion für die Zwecke der Politik.109 Mit Blick auf die aktuelle Lage in der arabischen Welt präsentiert alˇ Ga¯birı¯ Averroes als erfolgreiches Beispiel dafür, wie Authentizität (asa¯la) und Modernität (mu a¯sara) miteinander verbunden werden. Seine ˙Au˙ dass er die „arabisch-islamischen Wissenschafthentizität bestehe darin, ten“ wie Jurisprudenz (fiqh) und Theologie (kala¯m) beherrschte und deshalb in der Lage war, die Philosophie gegen die Juristen mit der Sprache der Jurisprudenz zu verteidigen und den Koran aus dem Koran heraus zu behandeln. Zeichen seiner Modernität zeigen sich ebenfalls in seiner Trennung von Religion und Politik und seiner Einbeziehung philosophischer Wissenschaften in die Koraninterpretation.110 Besonders im Kontext der Bemühung zeitgenössischer muslimischer Intellektueller, das ˇ a¯birı¯ die Verhältnis von Islam und Moderne zu bestimmen, erblickt al-G Notwendigkeit, „die averroische Methode“ zur Inspiration zu nehmen. Er ist davon überzeugt, dass solche Bemühungen den mittelalterlichen Bemühungen um die Bestimmung der Beziehung zwischen dem Islam und den „rationalen Wissenschaften“ der Griechen ähneln. Nachdem die Harmonisierungsversuche durch Synkretismus und Vermittlung gescheitert waren und zu gravierenden Missverständnissen und der Apostasierung der Philosophie geführt hatten, habe Averroes den Versuch unternommen, die Philosophie aus dem Religionsgesetz heraus zu legitimieren. Er tat dies, weil er der Religion einen höheren Status als der ˇ a¯birı¯ nun auf die Philosophie zuschrieb.111 Dieselbe Methode will al-G ˘

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ˇ a¯birı¯ in Fasl al-maqa¯l (s. o. Anm. 75),75. Al-G ˇ a¯birı¯ in Fas˙l al-maqa¯l (s. o. Anm. 75), 76. Al-G ˇ a¯birı¯ in Fas˙l al-maqa¯l (s. o. Anm. 75), 48 ff. Al-G ˙ ˇru¯ an-nahdawı¯ al- arabı¯ (s. o. Anm. 72), 174 f. ˇ al-Ga¯birı¯, Al-Mas ˙ ˘

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Behandlung der Frage anwenden, ob der Islam mit modernen Phänomenen wie dem Sozialismus, Liberalismus, der Demokratie und den Menschenrechten vereinbar sei. Die Antworten darauf müssten unter Berücksichtigung des religionsgesetzlichen Prinzips der Nützlichkeit (maslaha) nirgendwo anders als im islamischen Religionsgesetz gesucht ˙ ˙ werden, denn die Religion bleibe ihren Anhängern die höchste Instanz.112 Aus dem arabisch-islamischen Geisteserbe dürfe in der Moderne nur der „arabisch-islamische Rationalismus“ des Averroes fortleben.113

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Lassen sich mit Averroes Antworten auf die Frage formulieren, wie das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung in einem modernen Islam gestaltet werden kann? In mancher Hinsicht kann Averroes nicht als ein revolutionärer Aufklärer bezeichnet werden, der eine Erneuerung des religiösen Denkens im Islam bewirkt hat. Nichtsdestotrotz kann seinem Umgang mit dem Koran Nützliches für den modernen Diskurs entnommen werden. Averroes bricht nicht mit der religiösen Tradition, sondern bewegt sich bei seinem Umgang mit dem Koran innerhalb eines Handlungsrahmens, der durch die historische Lage des heiligen Buches abgesteckt wird. Er behandelt den Offenbarungstext nicht willkürlich. Bei seinem rationalen Umgang mit ihm nimmt er mit seiner Beachtung der Interpretationsregel im Arabischen den sprachlichen, das heißt im weiteren Sinn kulturellen Kontext seiner Entstehung ernst. Er erkennt ebenfalls die wichtige Bedeutung des Verstehensvermögens der Rezepienten des kanonischen Textes in ihren jeweiligen Kontexten bei dem hermeneutischen Unterfangen an, den Offenbarungstext zu aktualisieren, indem der Sinn seiner Aussagen seinen Rezepienten je nach Kapazität verständlich gemacht wird. Die Vernunft ist für Averroes in allen Fällen das entscheidende Kriterium, an dem die Bedeutungswahrheit von koranischen Äußerungen gemessen wird. Dies ist das wichtigste Prinzip seines hermeneutischen Ansatzes, dessen Aktualität bis dato in der islamischen Welt ungebrochen bleibt. Ein solches Prinzip gründet auf der Überzeugung, dass Religion (sˇarı¯ a) und Philosophie (hikma) „Milchschwestern“ sind, das heißt sie nähren sich ˙ ˘

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ˇ a¯birı¯, Al-Masˇru¯ an-nahdawı¯ al- arabı¯ (s. o. Anm. 72), 176. 112 al-G ˙ 74), 11. ˇ a¯birı¯, Ibn Rusˇd (s. o. Anm. 113 al-G

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beide an derselben Brust.114 Die berühmte metaphorische Bestimmung des Verhältnisses von Religion und Philosophie wird in ihrer Reichweite verständlich, wenn man bedenkt, dass in der islamischen Philosophie der aktive Intellekt für die einzige dem Philosophen und dem Propheten gemeinsame Quelle der wahren Erkenntnis gehalten wurde.115 Die Wahrheit in Religion und Philosophie hat also nur einen einzigen Ursprung. Eine scharfe Trennung von beiden ist deshalb nicht möglich. Davon war Averroes offensichtlich überzeugt. Im Titel seiner bekannten Abhandlung Fasl al-maqa¯l spricht er ausdrücklich von der „Verbindung ˙ (ittisa¯l), die zwischen Religion und Philosophie besteht“. Wenn er lehrt, ˙ dass Religion und Philosophie beide „wahr sind und dass sie miteinander übereinstimmen und voneinander Zeugnis ablegen“, stellt er sie als zwei Größen dar, die sich in einer diskursiven Beziehung befinden. Sie befinden sich im Diskurs der gegenseitigen Rechtfertigung durch die tiefe Erkenntnis der jeweils eigenen und anderen Position auf eine intellektuell redliche Weise, die von jeder der beiden Positionen Aufgeschlossenheit und Identitätsbewahrung verlangt. Auch dieser averroische Gedanke ist weiterhin relevant – nicht nur im islamischen Kontext. Die Einheit der Wahrheit korrespondiert in der averroischen Konzeption mit der Pluralität von Meinungen und Deutungen im Hinblick auf mehrdeutige Koranaussagen und metaphysische Grenzfragen.116 Averroes eliminiert in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit des Konsenses. Er stützt sich in seiner Argumentation auf das historische Faktum, dass die muslimischen Gelehrten nie einer Meinung über solche Fragen waren. Berücksichtigt man jedoch seine sozusagen anthropologische Begründung der Unterschiedlichkeit der menschlichen Auffassungsfähigkeiten durch die dreiteilige Kategorisierung der Menschen sowie seine Überzeugung vom prozessualen Fortschritt der Wissenschaft,117 stellt sich seine Bejahung der Meinungspluralität in Bezug auf schwierige religiöse Fragen als eine pragmatische Sicht dar, die die eingeschränkte Natur menschlichen Wissens anerkennt und konsequenterweise für die Relativität der Erkenntnisse eintritt.

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114 Averroes (s. o. Anm. 16), 26:4 f. 115 Averros, Middle Commentary on Aristotle s De anima. A Critical Edition of the Arabic Text with English Translation, Notes, and Introduction by Alfred L. Ivry. Provo, Utah 2002, besonders xix. 116 Averroes (s. o. Anm. 16), 12:22 – 13:3. 117 Averroes (s. o. Anm. 16), 5:8 – 12.

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In fast all seinen Schriften, die dem arabischen Geisteserbe gewidmet ˇ a¯birı¯ Averroes als Symbol für die Trennung von sind, präsentiert al-G Religion und Philosophie und für den Bruch mit Irrationalismus und Realitätsferne. An ihm interessiert ihn jedoch am meisten der Kritiker, der sich sowohl mit den dialektischen Theologen wie auch mit den arabischöstlichen Philosophen auseinandersetzt. Averroes wird damit zum prominentesten Vertreter einer mag˙ribinischen Denkschule stilisiert, die sich dem von Schwärmereien dominierten Denken im arabischen Osten widersetzt. Kritik an dieser künstlichen Dichotomierung des arabisch-islamischen Erbes wurde schon geäußert.118 Es sei jedoch in diesem Zusamˇ a¯birı¯ bei der Errichtung seines menhang auch erwähnt, dass al-G epistemologischen Grabens zwischen dem arabischen Osten und dem arabischen Westen Denker und Werke vernachlässigt, die das von ihm gemalte Bild stark modifizieren würden. So marginalisiert er beispielsweise die Beziehung von Ibn Ba¯gˇa und Averroes zu al-Fa¯ra¯bı¯ und deutet Ibn Tufails Bejahung intuitiver Erkenntnis um.119 Wie dem auch sei: Das Bild ˙ arabischen Geisteserbes ist mit Sicherheit viel heterogener als dass es in des zwei homogenisierten Blöcken geteilt werden könnte. ˇ a¯birı¯s These, dass Averroes eine Trennung der Aufgabenbereiche Al-G von Religion und Philosophie vollzieht, widerspricht einerseits der averroischen Rechtfertigung der Wissenschaft aus dem Koran heraus und ˇ a¯birı¯s, die Rationalität der ˇsarı¯ a der philoandererseits dem Versuch al-G sophischen Kausalitätslehre entsprechend zu begründen. Ob Averroes fernerhin dem Koran der Philosophie gegenüber einen höheren Rang ˇ a¯birı¯ es behauptet, ist äußerst fragwürdig. Der von ihm zuerkennt, wie al-G vorgeschlagene Umgang des rational orientierten Hermeneuten mit dem koranischen Text zeigt ein hohes Maß an Deutungsfreiheit. So sehr sich alˇ a¯birı¯ mit Averroes befasst hat, er fällt hinter dieses Niveau auffällig zurück. G Das Ergebnis seines jüngsten Schaffens ist ein vierbändiges Werk zum Koran. Der erste Band ist eine Einfhrung,120 gefolgt von einem dreibän-

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118 von Kgelgen (s. o. Anm. 4), 280 ff. ˇ a¯birı¯, Nahnu wa-t-tura¯t (s. o. Anm. 72), 252 – 256. 119 Siehe beispielsweise al-G ˙ ¯m. Al-gˇuz al-awwal. Fı¯ t-ta rı¯f bi-l-Qur a¯n, ˇ a¯birı¯, Madhal ila¯ l-Qur a¯n al-karı 120 Al-G ˘ Beirut 2006. Dieses Buch sollte nach Angabe des Autors (S. 10) der erste Teil der Einführung sein, worauf ein zweiter Teil, der nicht erschienen ist, über die Themen des Korans folgen sollte. In der Einleitung zum ersten Teil seines Korankommentars (s.u. Anm. 121, Bd. I, 18 f.) erklärt der Autor, dass der zweite Teil der Einführung durch den dreibändigen Kommentar ersetzt wird.

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digen Korankommentar unter dem anspruchsvollen Titel Das Verstehen des weisen Korans: Die klare Auslegung nach der Chronologie der Offenbarung. 121 ˇ a¯birı¯ den Koran als Ganzes in einer In der Einfhrung behandelt al-G Weise, die den Rahmen der traditionellen Koranexegese nicht überschreitet, wenig Neues bietet und religionswissenschaftliche sowie hisˇ a¯birı¯ wirft den torisch-kritische Maßstäbe völlig außer Acht lässt. Al-G Orientalisten pauschal vor, nichts Neues zur Koranforschung beigetragen zu haben.122 Er hebt das bereits bekannte Prinzip, das er Averroes zuschreibt, nämlich dass „Religion und Philosophie zwei voneinander unabhängige Gebäude sind und dass die Probleme jeder der beiden jeweils innerhalb des Gebäudes, zu dem sie gehören, untersucht werden müssen, weil jedes von ihnen seine eigenen Fundamente und Prinzipien (usu¯luhu ˙ wa-maba¯di’uhuh) hat“,123 als Referenz für die Methode hervor, der er bei seiner exegetischen Beschäftigung mit dem Koran innerhalb der tradiˇ a¯birı¯ spricht ziemlich vage tionellen islamischen Tradition folgen will. Al-G vom „koranischen Phänomen“ (az-za¯hira l-qur’a¯nı¯ya), das aufs engste mit ˙ ˙ der Biographie des Propheten Muhammad zusammenhängt. Dieser sei Moses und Jesus weit überlegen. Obwohl der Islam dadurch gekennzeichnet sei, dass er „von der Last der Mysterien frei ist, die die Erkenntnis der ,religiösen Angelegenheiten‘ außerhalb der Reichweite der Vernunft ˇ a¯birı¯s Vernunft doch „ein Mysterium, das sie fallen lässt“, bleibt für al-G nicht erforschen kann“, nämlich das „intime Verhältnis“ zwischen Muhammad und dem Koran.124 An einer späteren Stelle gibt er an, dass er das Mysterium enträtseln konnte, nachdem er begonnen hat, „den Koran durch die sı¯ra [d.i. Muhammads Biographie. G. T.] und die sı¯ra durch den

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ˇ a¯birı¯, Fahm al-Qur a¯n al-hakı¯m: at-tafsı¯r al-wa¯dih hasab tartı¯b an-nuzu¯l, 121 Al-G ˙ In den ersten beiden ˙ ˙ ˙Teilen Beirut, Teil I & II 2008, Teil III 2009. befasst er sich mit den mekkanischen Suren. Der dritte Teil ist den medinensischen Suren gewidmet. ˇ a¯birı¯s Chronologie der Offenbarungen unterscheidet sich in einigen Fällen Al-G von der im Islam standardmäßig gewordenen, jedoch nicht einzigen Surenchronologie. Siehe Nöldekes Chronologie sowie verschiedene Chronologieversionen in der islamischen Tradition in Theodor Nçldeke/Friedrich Schwally et al., Geschichte des Qorans. Hildesheim 2000, Bd. I (Nachdruck). Eine vergleichende Surenchronologie befindet sich in W.M. Watt, Bell s Introduction to the Qur a¯n, Edinburgh 1970, 21991, 205 – 213. Einen nützlichen Überblick bietet Gerhard Bçwering, „Chronology and the Qur a¯n“, in: McAuliffe (s. o. Anm. 2), Bd. I, 316 – 335, besonders 320 – 335. ˇ a¯birı¯, Madhal (s. o. Anm. 120), 21 passim. Er berücksichtigt von ihnen nur 122 Al-G ˘ flüchtig den Franzosen Régis Blachère. ˇ 123 Al-Ga¯birı¯, Madhal (s. o. Anm. 120), 128. ˇ a¯birı¯, Madh˘ al (s. o. Anm. 120), 401. 124 Al-G ˘

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Koran zu lesen.“125 Diese komplementäre Lesart, die eigentlich seit jeher den Grundsatz der traditionellen Koranwissenschaften bildet, sollte alˇ a¯birı¯ nun zum anspruchsvollen Ziel bringen, ein authentisches VerG ständnis des Korans zu entwickeln, demnach „die Verbindung“ zwischen dem zeitgenössischen Rezepienten und dem „authentischen“ Korantext ˇ a¯birı¯ bleibt in seinem Kommentar dem Prinzip der hergestellt wird.126 Al-G Trennung von Religion auf der einen, Philosophie und nicht-religiösen Wissenschaften auf der anderen Seite treu. Die Frage stellt sich jedoch, ob eine solche Koranexegese den hermeneutischen Prinzipien des Averroes gerecht wird und ob sie die richtige Weise darstellt, um den religiösen Diskurs im Islam zu modernisieren. Diese Frage kann nur verneint werden. Der Autor setzt sein vierbändiges, völlig unter Ausschluß der Ergebnisse der modernen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Koran verfasstes Werk in Verhältnis zu seinem früheren mehrbändigen Werk Naqd al- aql alarabı¯ (Kritik der arabischen Vernunft).127 Diesen Titel hat er in Anlehnung an Kant formuliert, obgleich seine Kritik mit der des Spätaufklärers wenig gemeinsam hat. Die Titelähnlichkeit beider Kritiken regt in diesem Zusammenhang jedoch zur Frage an, ob kritisches Denken in Europa Einzug gehalten hätte, hätte Kant nach der Vernunftkritik völlig im traditionellen Sinne unter Ausschluss wissenschaftlicher Kriterien eine Bibelexegese geschrieben! Von der Historizität des Korans überzeugt, bemüht sich Abu Zaid, die nach seiner Auffassung im Koran enthaltenen Diskurse freizulegen, um zwischen dem Historisch-Überholten und dem Universal-Gültigen unterscheiden zu können. Für ihn steht die Religion im selbstkritischen Dialog unter ständiger Berücksichtigung des wissenschaftlichen Fortschritts. Der Koran als Text gehört in die Sphäre des wissenschaftlich Interpretierbaren. Mit seinen vielen Ambiguitäten stellt er für die Wissenschaft eine echte Herausforderung dar. Abu Zaid betont zurecht die Vielfalt von Lesarten, Interpretationen und Diskursen dieses Buches. Dabei findet er in dem averroischen Umgang mit dem Vers Q 3:7 ein bedeutendes Beispiel, dem in der arabisch-islamischen Welt nachgefolgt werden sollte. Für ihn deutet die zweifache Lesart des Verses, die Averroes vorschlägt, auf eine zulässige Pluralität der Verstehensweisen ein und desselben Verses hin, die in der Gegenwart aus der reichen islamischen Tradition der Koranwissenschaften heraus mithilfe moderner wissenschaftlicher Methoden

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ˇ a¯birı¯, Fahm (s. o. Anm. 121), Bd. I, 18. 125 Al-G ˇ a¯birı¯, Fahm, Bd. I, 10. 126 Al-G ˇ a¯birı¯, Madhal (s. o. Anm. 120), 8 f. 127 Al-G ˘

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entwickelt werden können, ohne die Würde des Offenbarungstextes zu verletzen. Nicht weit von der averroischen Position sieht Abu Zaid die Pluralität der Deutungen, die der gesellschaftlichen Pluralität entspricht, in „der göttlichen Weisheit“ verankert, was für ihn die Annahme rechtfertigt, dass die Einbeziehung der Philosophie und weiterer Wissenschaften in die Koranexegese theologisch begründet ist.128 Darin liegt ein echtes Potential für einen kooperativen, aber dennoch nicht spannungslosen modus vivendi von Vernunft und Offenbarung im Islam. Denn die Frage nach der Durchsetzung und den dogmatischen Konsequenzen eines solchen hermeneutischen, pluralistisch angelegten Ansatzes bleibt noch offen. Die von ˇ a¯birı¯ zu Recht betonte Verflechtung von Politik und Koranexegese al-G stellt nicht nur eine historische Hürde auf dem Weg zu einem offenpluralistischen Verstehen des Korans dar; dieses würde auch gegenwärtig schmerzhaft vermisste demokratische Verhältnisse in den muslimischen Gesellschaften voraussetzen, um wirksam zu werden. ˇ a¯birı¯ vertritt Abu Zaid die Ansicht, dass dem Denken Genauso wie al-G des Averroes für eine moderne Auseinandersetzung mit religiösen Fragen, allen voran der Koraninterpretation, nützliche Ansätze abgewonnen werden können. Den Anforderungen der Moderne entsprechend bezieht er sich bei der Bestimmung von Sinngehalten und Implikationen der Offenbarung sowohl auf die umfangreiche islamische Tradition als auch auf moderne Wissenschaften. Damit versucht er, die Diskursivität der Interpretation in Entsprechung zu der immanenten Diskursivität des Textes ˇ a¯birı¯ hingegen verzichtet auf die Verbindung geltend zu machen. Al-G traditionell-islamischer Denkerfahrungen mit Errungenschaften der in Europa entwickelten wissenschaftlichen Textkritik – und missachtet dabei ein wichtiges averroisches Prinzip. Er sieht die Modernität des Averroes in seiner Trennung von Religion und Politik. Seine scheinbar säkularistische Position wird jedoch spätestens dann fragwürdig, wenn er sich mit dem Koran auf eine in ihrer religiösen Traditionalität verblüffende Weise beschäftigt. Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass Abu Zaids in Anlehnung an Averroes entwickelte These von der Vielfalt der koranischen Diskurse ins Verhältnis zu einer langen Tradition der Exegese der heiligen Schriften in anderen monotheistischen Religionen gesetzt werden kann. Averroes führt die Kategorie der mehrdeutigen Verse (mutasˇa¯biha¯t), die von den Gelehrten allegorisch interpretiert werden sollen, als ein Paradigma für weitere aporetische Fragen an, die mit dem Korantext und seinem theo128 Abu Zaid, al-Hita¯b wa-t-ta wı¯l (s. o. Anm. 48), 58 f. ˘ ˙

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logischen Gehalt zusammenhängen. Die Gelehrten müssen die wahre Bedeutung solcher Verse wissen, damit sie glauben können, was von Gott gewollt ist, weil Er die Menschen jeweils nach ihrem Auffassungsvermögen mit der Offenbarung adressiert.129 Dieser Ansatz des Averroes überschneidet sich mit den exegetischen Prinzipien des jüdischen Philosophen und Religionsgelehrten Maimonides (1135/1138 – 1204), der von seinem älteren Landsmann beeinflusst war.130 Aufgrund ihres gemeinsamen Entstehungskontexts und kulturellen Hintergrunds im Andalusien des 12. Jahrhunderts sind viele der Probleme, die sie behandelten, trotz unterschiedlicher Religionszugehörigkeit identisch. Um die Ratlosigkeit des philosophisch gebildeten Rezepienten der hebräischen Bibel im Hinblick auf „mehrdeutige Nomina“ (asma¯ musˇtaraka), „Metaphern“ (musta a¯ra) und „zweifelhafte Wörter“ (musˇakkika) zu beseitigen, schlägt Maimonides in seinem Buch Dala¯lat al-ha¯ irı¯n die allegorische Interpretation von biblischen Stellen vor.131 Er vertritt die These, dass die Vernunft darüber bestimmt, ob der Text einfach oder allegorisch behandelt werden soll. Der Grund weshalb die Bibel Widersprüchlichkeiten enthält, liegt nach Maimonides darin, dass die Bibel auf die unterschiedlichen Wahrnehmungsfähigkeiten ihrer Adressaten Rücksicht nimmt. Biblische Geschichten sind Allegorien, die nicht wörtlich verstanden, sondern nach ihrem inneren Sinn gefragt werden sollen.132 Der von Gott beabsichtigten Widersprüchlichkeit von biblischen Aussagen entsprechend macht Maimonides das Prinzip der absichtlichen Widersprüchlichkeit der Interpretation geltend. Von den sieben Arten des Widerspruchs, die er in der Einleitung seines Werkes aufzählt,133 verwendet er nach seinen eigenen Angaben in seinem Buch zwei: eine spezifisch rabbinische Art, die es ermöglicht, geheimnisvolle Inhalte nur teilweise zu offenbaren, und eine von den Philosophen für pädagogische 129 Averroes (s. o. Anm. 16), 10: 8 – 12. 130 Shlomo Pines, „Translator’s Introduction: The Philosophic Sources of The Guide of the Perplexed“, in: Moses Maimonides, The Guide of the Perplexed. Translated by Shlomo Pines. Chicago 1963, lvii–cxxxiv, hier cviii; Alfred Ivry, „The Utilization of Allegory in Islamic Philosophy“, in: Jon Whitman (Hg.), Interpretation and Allegory, Leiden 2000, 153 – 180. 131 Maimonides, Dala¯lat al-ha¯(irı¯n, ta’lı¯f al-hakı¯m al-failasu¯f Mu¯sa¯ bin Maimu¯n al˙ ˙ Qurtubı¯ al-Andalusı¯, Ankara o. J., Nachdruck Kairo o. J., 5:6 – 11, 6:10 – 12. ˙ Deutsch: Führer der Unschlüssigen, ins Deutsche übertragen und mit erklärenden Anmerkungen versehen von Adolf Weiss, Leipzig 1923 – 24. 132 Maimonides (s.o. Anm. 131), 11:21 – 13:5. 133 Maimonides (s.o. Anm. 131), 18:13 – 20:3.

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Zwecke verwendete Art, damit die jungen philosophisch Gebildeten ihre intellektuellen Fähigkeiten üben.134 Damit steht er neben Averroes in der auf Platon zurückgehenden spätantiken Tradition, bestimmte philosophische Ansichten vor Nichtphilosophen zu verheimlichen und nur jungen Philosophen auf eine Weise zu vermitteln, die ihnen zur Schärfung ihres Denkens verhilft, indem sie zur Auflösung von Widersprüchen genötigt werden.135 Diese philosophisch-pädagogische Methode wurde im arabisch-philosophischen Kontext spätestens von al-Fa¯ra¯bı¯ (870 – 950), den Averroes und Maimonides verehrten, explizit dargelegt.136 Die Aufgabe, rationale Züge in den Religionen aufzuspüren und ins Verhältnis zueinander zu setzen, wird in den verschiedenen religiösen, historischen und kulturellen Kontexten sehr unterschiedlich gelöst. Trotz nicht zu übersehender epistemologischer und kontextueller Differenzen überschneiden sich die Auslegungsprinzipien von Averroes und Maimonides mit ähnlichen Prinzipien in der patristischen östlichen wie westlichen Tradition der Bibelexegese. Die Methode der allegorischen Interpretation wurde von alexandrinischen und antiochenischen Exegeten, wenn auch in unterschiedlicher Weise, angewandt. Philo von Alexandrien (1. Jh. n. Chr.) widmet ihr großes Interesse. Sie scheint auf die Stoiker zurückzugehen, die sie verwendeten, um griechische Mythen zu interpretierten. Die alexandrinischen Exegeten und in ihrer Nachfolge Maximus Konfessor (ca. 580 – 662) prägten den Begriff der sogenannten skandala. „Das sind nicht nur Stellen, wie etwa alttestamentliche Anthropomorphismen“, die den Rezepienten absurd erscheinen, „sondern auch historische Ungenauigkeiten oder sogar biblische Erzählungen, die sich in der Tat nicht

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134 Weitere Überlegungen zum Umgang des Averroes und des Maimonides jeweils mit ihren heiligen Schriften bei Ralph Lerner, „Averroes and Maimonides in Defense of Philosophizing“ und Georges Tamer, „Zur Interpretation von Heiligen Schriften bei Averroes und Maimonides“, in: ders. (Hg.), Die Trias des Maimonides. Jüdische, arabische und antike Wissenskultur. Berlin, New York 2005, 223 – 236 und 237 – 256. 135 Zum platonischen Ursprung dieser Lehre siehe Platon, VII. Brief, 341d-344d. 136 Al-Fa¯ra¯bı¯ nennt drei Gründe für die dunkle Ausdrucksweise des Aristoteles: Die Prüfung, ob der Schüler die erforderliche Anlage besitzt, um unterrichtet zu werden, die Beibehaltung der Philosophie für Geeignete und schließlich die intellektuelle Übung des Schülers durch die Mühen der Forschung. Al-Fa¯ra¯bı¯, Ma¯ yanbag˙¯ı an yuqaddam qabla ta allum falsafat Aristu¯, in: Maba¯di al-falsafa l-qadı¯ma, ˙ Kairo 1328/1910, 1 – 17, hier 14. Deutsche Übersetzung von F. Dieterici in: Alfa¯ra¯bı¯ s philosophische Abhandlungen, Leiden 1892, 82 – 91, hier 89. Weiterführende Hinweise finden sich bei Hourani in Averroes (s. o. Anm. 17) S. 106 f., n. 142.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

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ereignet haben.“ Die Kirchenväter waren der Ansicht, dass der Heilige Geist die skandala in der Bibel verstreut, um die Rezepienten über den wörtlichen Sinn hinaus auf den tieferen geistlichen Sinn hinzuführen.137 Zeitgenössische Gelehrte, die die rationale Interpretation des Korans vorantreiben, Averroes und Maimonides sowie frühere christliche Exegeten teilen die spannungsreiche und zugleich faszinierende Aufgabe miteinander, in den heiligen Schriften, ohne deren Wortlaut zu leugnen, mit Hilfe logischer Methoden einen tieferen Sinn zu suchen, an dem die menschliche Rationalität keinen Anstoß nimmt.

137 Assaad Elias Kattan, „,Das Meer würde versiegen, ehe die Worte meines Herrn zu Ende gingen!‘ (Al-Kahf 18, 109) Zu Textverständnis und Exegese in Christentum und Islam“, in: Hansjörg Schmid/Andreas Renz/Bülent Ucar (Hg.), „Nahe ist dir das Wort …“. Schriftauslegung in Christentum und Islam, Regensburg 2010, 31 – 45, hier 43. Ferner: Stephen D. Benin, „The Search for Truth in Sacred Scripture: Jews, Christians, and the Authority to Interpret“, in: Jane Dammen McAuliffe/Barry D. Walfish/Joseph W. Goering (Hg.), With Reverence for the Word: Medieval Scriptural Exegesis in Judaism, Christianity, and Islam, Oxford, New York 2003, 13 – 32, besonders 24. Auf diesen mehrere exegetische Traditionen verbindenden historischen Zusammenhang verweist Mehmet PaÅaci in: Alter Text – neuer Kontext. Koranhermeneutik in der Türkei heute. Ausgewählte Texte, übersetzt und kommentiert von Felix Kçrner SJ, Freiburg 2006, 137 f.

“Sed hoc non videtur verum in lumine naturali” Natural Philosophy’s Struggle for the Truth in the Immortality Debate of the Fifteenth Century

Olaf Pluta “Kämpfen für eine Wahrheit und Kämpfen um d i e Wahrheit ist etwas ganz Verschiedenes.” (Friedrich Nietzsche) 1

On December 19, 1513, the Fifth Lateran Council in Rome declared in the form of a papal bull that “since in our days (which we endure with sorrow) the sower of cockle, the ancient enemy of the human race, has dared to scatter and multiply in the Lord’s field some extremely pernicious errors, which have always been rejected by the faithful, especially on the nature of the rational soul, with the claim that it is mortal, or only one among all human beings,2 and since some, playing the philosopher without due care, assert that this proposition is true at least according to philosophy, it is our desire to apply suitable remedies against this infection and, with the approval of the sacred council, we condemn and reject all those who insist that the intellectual soul is mortal, or that it is only one among all human beings, and those who suggest doubts on this topic.”3 1 2

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“Fighting for a single truth and struggling for the truth are two entirely different things.” (Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente Sommer 1872 bis Ende 1874, Werke. Kritische Gesamtausgabe (KGW), III-4, 42, Aphorism 19[106]). The bull refers to the teachings of unnamed heterodox Aristotelian philosophers, who followed either Alexander of Aphrodisias or Averroes (Ibn Rushd). While the Alexandrists maintained that the human soul is mortal, the Averroists held that there is a single active intellect for all human beings. In effect, both schools denied personal immortality. In this article, I am focusing on the Alexandrist school, since they denied immortality outright. “Cum itaque diebus nostris (quod dolenter ferimus) zizaniae seminator, antiquus humani generis hostis, nonnullos perniciosissimos errores a fidelibus semper explosos in agro Domini superseminare et augere sit ausus, de natura praesertim animae rationalis, quod videlicet mortalis sit, aut unica et cunctis hominibus; et nonnulli temere philosophantes, secundum saltem philosophiam verum id esse asseverant; contra huiusmodi pestem opportuna remedia adhibere cupientes, hoc sacro approbante concilio damnamus et reprobamus omnes asserentes animam intellectivam

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The bull Apostolici Regiminis goes on to affirm that the immortality of the human soul “is clearly established from the gospel” – as, for example, when the Lord says “Do not fear them who kill the body but cannot kill the soul.” [Matt 10:28] – and that the belief in immortality is at the core of Christian faith, since “otherwise, the incarnation and other mysteries of Christ would be of no benefit to us, nor would resurrection be something to look forward to, and the saints and the just would be (as the Apostle says) ‘the most miserable of all people’ [1 Cor 15:19].”4 Traditionally, this bull has been associated with Pietro Pomponazzi and the immortality controversy of the Renaissance,5 and rightfully so: the question of immortality is the focus of this declaration, and several opponents in the immortality controversy later refer to this bull. The scope of the bull, however, is, as the subsequent text reveals, much broader,6 and the question of immortality is simply the most burning

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mortalem esse, aut unicam in cunctis hominibus et haec in dubium vertentes.” The Latin text and the English translation follow the edition: Norman P. Tanner S.J. (Ed.), Decrees of the Ecumenical Councils. Volume One: Nicaea I to Lateran V, London/Washington, D.C. 1990, 605 – 606. “Cum illa non solum vere per se et essentialiter humani corporis forma exsistat, sicut in canone felicis recordationis Clementis papae V praedecessoris Nostri in Viennensi Concilio edito continetur, verum et immortalis, et pro corporum quibus infunditur multitudine singulariter multiplicabilis, et multiplicata, et multiplicanda sit. Quod manifeste constat ex evangelio, cum Dominus ait: ‘Animam vero occidere non possunt.’ Et alibi: ‘Qui odit animam suam in hoc mundo, in vitam aeternam custodit eam.’ Et cum aeterna praemia, et aeterna supplicia pro merito vitae iudicandis repromittit: alias incarnatio, et alia Christi mysteria nobis minime profuissent, nec resurrectio expectanda foret, ac sancti et iusti ‘miserabiliores’ essent, (iuxta Apostolum) ‘cunctis hominibus’.” (Tanner [Ed.], Decrees [see footnote 3]). See Ernest Renan, Averros et L’Averrosme, essai historique, Paris 1849, 362 – 366; Ludwig von Pastor, The History of the Popes from the Close of the Middle Ages, vol. 8, ed. Ralph Francis Kerr, London 1910, 389 – 390. While agreeing that Apostolici Regiminis was aimed at the secular Aristotelians of the Italian Renaissance, Paul Oskar Kristeller has suggested that Florentine Neo-Platonism, and in particular the influence of Marsilio Ficino, may also have been a significant factor in the run-up to the decree: see Paul Oskar Kristeller, “The Theory of Immortality in Marsilio Ficino,” Journal of the History of Ideas 1 (1940), 299 – 319, at 317; Idem, The Philosophy of Marsilio Ficino, transl. Virginia Conant, New York 1943, 347; IDEM, Eight Philosophers of the Italian Renaissance, Stanford 1964, 46 – 47. For this new interpretation, see Eric A. Constant, “A Reinterpretation of the Fifth Lateran Council Decree Apostolici regiminis (1513),” Sixteenth Century Journal XXXIII/2 (2002), 353 – 379. John Headley, “Luther and the Fifth Lateran

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issue among a whole series of heterodox opinions such as “the assertion … of the eternity of the world and other topics of this kind” (see below). The bull proceeds to issue a dogmatic condemnation of the socalled doctrine of ‘double truth’7 and urges disciplinary action:

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Council,” Archiv fr Reformationsgeschichte 54 (1973), 55 – 78, had already questioned the traditional interpretation of Apostolici Regiminis: “Perhaps the decree’s center of gravity is not the immortality of the soul at all but rather that the question of immortality is merely a pretext for the Church to rule against a philosophy that is disengaging itself from the Church” (69). John Monfasani, for his part, observed that the bull Apostolici Regiminis “only condemns those who assert these doctrines as true tout court” ( John Monfasani, “Aristotelians, Platonists, and the Missing Ockhamists: Philosophical Liberty in Pre-Reformation Italy,” Renaissance Quarterly 46 [1993], 247 – 276, at 259). Formal terms such as ‘define’, ‘decree’, or ‘declare’, which one would properly expect to find in a statement intended as a declaration of church dogma, are nowhere to be found in the preceding passages on immortality, but they do appear in the following passage (see Constant, “Reinterpretation,” 361 – 363 [see footnote 6]. On the doctrine of ‘double truth’, see Walter Betzendçrfer, Die Lehre von der zweifachen Wahrheit bei Petrus Pomponatius, Diss. Tübingen 1919; Étienne Gilson, “La doctrine de la double vérité,” tudes de philosophie mdivale, Strasbourg 1921, 51 – 69; Walter Betzendçrfer, Die Lehre von der zweifachen Wahrheit. Ihr erstmaliges Auftreten im christlichen Abendland und ihre Quellen, Tübingen 1924; Jean-P. Mller, “Philosophie et foi chez Siger de Brabant: La théorie de la double vérité,” Studia Anselmiana 7 – 8 (1938), 35 – 50; Anneliese Maier, Metaphysische Hintergrnde der Sptscholastischen Naturphilosophie, Roma 1955, Ch. I: Das Prinzip der doppelten Wahrheit, 3 – 44; Étienne Gilson, “Boèce de Dacie et la double vérité,” Archives d’Histoire Doctrinale et Littraire du Moyen Age 30 (1955), 81 – 99; Armand Maurer, “Boetius of Dacia and the Double Truth,” Mediaeval Studies XVII (1955), 233 – 239; Stuart MacClintock, Perversity and Error. Studies on the “Averroist” John of Jandun, Bloomington 1956, Ch. 4: Faith, Reason, and the Double Truth; Tullio Gregory, “Discussioni sulla ‘Doppia verità’,” Cultura e Scuola 2 (1962), 99 – 106; Martin Pine, “Pomponazzi and the Problem of ‘Double Truth’,” Journal of the History of Ideas 29 (1968), 163 – 176; Fernand Van Steenberghen, “Une légende tenace: la théorie de la double vérité,” in: Idem, Introduction à l’Étude de la philosophie médiévale, Louvain/Paris 1974, 555 – 570 (originally published in: Academie Royale de Belgique. Bulletin de la Classe des Lettres et des Sciences Morales et Politiques, Serie 5, LVI [1970], 179 – 196); Bernardo Carlos Bazn, “La réconciliation de la foi et de la raison était-elle possible pour les aristotéliciens radicaux?,” Dialogue 19 (1980), 235 – 254; Richard C. Dales, “The Origin of the Doctrine of the Double Truth,” Viator. Medieval and Renaissance Studies 15 (1984), 169 – 179; Ludwig Hçdl, “… sie reden, als ob es zwei gegensätzliche Wahrheiten gäbe.” Legende und Wirklichkeit der mittelalterlichen Theorie von der doppelten Wahrheit,” in: Jan P. Beckmann/Ludger Honne-

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“And since truth cannot contradict truth, we define that every statement contrary to the enlightened truth of the faith is totally false and we strictly forbid teaching otherwise to be permitted. We decree that all those who cling to erroneous statements of this kind, thus sowing heresies which are wholly condemned, should be avoided in every way and punished as detestable and odious heretics and infidels who are undermining the catholic faith.”8

Furthermore, the bull sets out special requirements regarding philosophers teaching at universities or elsewhere: “Moreover we strictly enjoin on each and every philosopher who teaches publicly in the universities or elsewhere, that when they explain or address to their audience the principles or conclusions of philosophers, where these are known to deviate from the true faith – as in the assertion of the soul’s mortality or of there being only one soul or of the eternity of the world and other topics of this kind – they are obliged to devote their every effort to clarify for their listeners the truth of the Christian religion, to teach it by convincing arguments, so far as this is possible, and to apply themselves to the full extent of their energies to refuting and disposing of the philosophers’ opposing arguments, since all the solutions are available.”9

It should be noted that this part of the bull closely resembles the Parisian statute of April 1, 1272, which was targeted at the circle of Siger of Brabant. On penalty of forever (perpetuo) being excluded from the Faculty of Arts as a heretic (tanquam hereticus), the statute ordains that a question which touches both faith and philosophy must henceforth always be determined according to the faith, and must be disputed in such a

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felder/Gangolf Schrimpf/Georg Wieland (Ed.), Philosophie im Mittelalter. Entwicklungslinien und Paradigmen, Hamburg 1987, 225 – 243. “Cumque verum vero minime contradicat, omnem assertionem veritati illuminatae fidei contrariam omnino falsam esse definimus et, ut aliter dogmatizare non liceat, districtius inhibemus: omnesque huiusmodi erroris assertionibus inhaerentes veluti damnatissimas haereses seminantes per omnia ut detestabiles et abominabiles haereticos et infideles, catholicam fidem labefactantes, vitandos et puniendos fore decernimus.” (Tanner [Ed.], Decrees [see footnote 3]). “Insuper omnibus et singulis philosophis in universitatibus studiorum generalium, et alibi publice legentibus, districte praecipiendo mandamus, ut cum philosophorum principia aut conclusiones, in quibus a recta fide deviare noscuntur, auditoribus suis legerint, seu explanaverint, quale hoc de animae mortalitate aut unitate, et mundi aeternitate, ac alia huiusmodi, teneantur eisdem veritatem religionis christianae omni conatu manifestam facere, et persuadendo pro posse docere, ac omni studio huiusmodi philosophorum argumenta, cum omnia solubilia existant, pro viribus excludere atque resolvere.” (Tanner [Ed.], Decrees [see footnote 3]).

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way that the arguments against the faith are refuted or at least conceded to be absolutely false and entirely erroneous.10 After listing a number of special requirements regarding the study of philosophy by members of the religious orders, the bull concludes with regulations concerning the publication of these requirements: “We command, in virtue of holy obedience, that these canons are to be published each year, at the beginning of the course, by the local ordinaries and rectors of universities where institutes of general studies flourish.”11

As I mentioned earlier, this bull has traditionally been associated with Pietro Pomponazzi. So far, however, it has not been convincingly shown that either Pietro Pomponazzi himself or any other Renaissance philosopher was the target of this condemnation.12 In 1516, three years after the bull Apostolici Regiminis was published but prior to the official end of the Council, Pomponazzi published his Tractatus de immortalitate animae, which inaugurated the famous immor10 An edited version of the Latin text appeared in Henricus Denifle/Aemilius Chatelain (Ed.), Chartularium Universitatis Parisiensis, 1, Paris 1889, n. 441, 499 – 500 (see also n. 501, 586 – 588). The statute was translated by Lynn Thorndike, University records and life in the Middle Ages, New York 1975, 85 – 86 (41. Orthodoxy Enforced at Paris 1272). Edward Grant (Ed.), A Source Book in Medieval Science, Cambridge, Massachusetts 1974 (Source Books in the History of the Sciences), 44 – 45, chose the following title: “Statute of the Faculty of Arts drastically curtailing the discussion of theological questions (1272)” (emphasis mine). On the consequences of this statute see Olaf Pluta, “Persecution and the Art of Writing. The Parisian Statute of April 1, 1272, and Its Philosophical Consequences,” in: Paul J.J.M. Bakker (Ed.), Chemins de la pense mdivale. tudes offertes Znon Kaluza, Turnhout 2002 (Textes et Études du Moyen Âge, 20), 563 – 585. 11 “Et hoc canones per ordinarios locorum, ubi generalia studia vigent, et rectores universitatis eorumdem studiorum singulis annis in principio studii, in virtute obedientiae publicari mandamus.” (Tanner [Ed.], Decrees [see footnote 3]). 12 John O’Malley has shown that Giles of Viterbo, the Prior General of the Augustian Hermits, was bitterly opposed to certain Paduan positions, and was particularly scornful of Pomponazzi. Furthermore, Giles had been urging for action be taken against the Paduan Aristotelians for at least a year prior to Apostolici Regiminis. See John O’Malley S.J., Giles of Viterbo on Church and Reform: A Study in Renaissance Thought, Leiden 1968, 41 – 49. Daniel Price has argued that several members of the commission that prepared the bull, in particular the Franciscan Antonio Trombetta, who was a professor at Padua (where Pomponazzi had been teaching since 1488) and, in 1511, became bishop of Urbino, were personally acquainted with Pomponazzi. See M. Daniel Price, “The Origins of Lateran V’s Apostolici Regiminis,” Annuarium Historiae Conciliorum 17 (1985), 464 – 472.

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tality controversy of the Renaissance.13 Pomponazzi’s treatise is a bold attack on the Thomistic doctrine according to which the human intellective soul is essentially immortal. At the same time, Pomponazzi is extremely careful not to assert that the mortality of the soul is true, even in the realm of philosophy. In the final chapter, Pomponazzi even claims that this question is a “neutral problem” that cannot be decided on philosophical grounds.14 This is also his attitude in his early lectures on Aristotle’s De anima, which antedate the condemnation of 1513. For example, in the question “Utrum anima rationalis sit immaterialis et immortalis”, which is part of his early Questions on the Soul, and was delivered at the University of Padua during the academic year 1503 – 1504,15 Pomponazzi declares that there are most eminent men on both sides of this argument, that he himself is full of doubt concerning this question, and finally, quoting Augustine, that Christ alone demonstrated the immortality of the soul when he was resurrected from the grave.16

13 See Martin L. Pine, Pietro Pomponazzi: Radical Philosopher of the Renaissance, Padova 1986, Ch. II: The Battle for the Soul: the Immortality Controversy, 124 – 234. 14 Pietro Pomponazzi, De immortalitate animae, ch. XV: “His itaque sic se habentibus mihi salva saniore sententia in hac materia dicendum videtur, quod quaestio de immortalitate animae est neutrum problema sicut etiam de mundi aeternitate. Mihi namque videtur, quod nullae rationes naturales adduci possunt cogentes animam esse immortalem, minusque probantes animam esse mortalem, sicut quam plures doctores tenentes eam immortalem declarant.” (Pietro Pomponazzi, Abhandlung ber die Unsterblichkeit der Seele. Lateinisch–Deutsch. Übersetzt und mit einer Einleitung herausgegeben von Burkhard Mojsisch, Hamburg 1990 [Philosophische Bibliothek, 434], 228). 15 See Pietro Pomponazzi, Corsi inediti dell’insegnamento padovano, II: “Quaestiones physicae et animasticae decem” (1499 – 1500; 1503 – 1504). Introduzione e testo a cura di Antonino Poppi (Saggi e testi, 9), Padova 1970, 1 – 25. 16 “Habemus ergo, domini, duas opiniones in quibus ex utraque parte sunt viri famosissimi et altissimi; et, domini, in ista parte mallem potius esse discipulus quam magister, quia ita sum fortassis dubius ego sicut vos: dico in via peripatetica, etc. Et, domini, ut dicit divus Augustinus, solus Christus, cum ad nos venerit, demonstravit immortalitatem animae intellectivae, quando resurrexit. Enim si Christus resurrexit et nos resurgemus, et si resurgemus animae immortalitatem ostendemus; sed cum Christus resurrexit, ut patet per tot testimonia quae videntes testificati sunt et tot miracula, ideo anima est immortalis, quare etc.” (ibid., 9 – 10).

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Another possible candidate is Biagio Pelacani of Parma, the infamous “doctor diabolicus”.17 In his Quaestiones disputatae de anima, written in Padua in 1385, Biagio boldly states: “Anybody has plainly to concede that the human intellective soul is educed from the potency of matter, generable and corruptible.”18 And yet, Biagio stops short of asserting that this proposition is true. What is more, he still leaves open the possibility that God can immortalize our material and corruptible intellective souls in the same way as he transformed the body of the Virgin Mary.19 Strictly speaking, the validity of the religious doctrine of immortality is called into question if, and only if, one asserts the truth of mortality as a philosophical position.20 When we examine the heterodox thinkers of the Italian Renaissance, however, we find not a single passage in which an author maintains that the proposition ‘the human soul is mortal’ must be called true, if only in philosophical terms. Who, then, are the unnamed philosophers asserting “that this proposition is true at least according to philosophy”? 21 And where do we have to look for them? 17 See Graziella Federici Vescovini, “Il Problema dell’Ateismo di Biagio Pelacani da Parma, Doctor Diabolicus,” in: Friedrich Niewçhner/Olaf Pluta (Ed.), Atheismus im Mittelalter und in der Renaissance, Wiesbaden 1999 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien, 12), 193 – 214. 18 “Ultima conclusio: quod anima intellectiva hominis sit educta de potentia materiae, generabilis et corruptibilis, habet quilibet de plano concedere.” (Graziella Federici Vescovini, Le Quaestiones de anima di Biagio Pelacani da Parma, Firenze 1974 [Accademia Toscana di Scienze e Letter “La Colombaria”, “Studi” XXX], 79). 19 “Et modus est talis, quia, licet anima intellectiva sit substantia materialis et, per consequens, corruptibilis, tamen, sicut presbyter in consacrando habet ministerium transubstantiandi panem in filium dei, ita cum quis vitam duxerit honestam et deinde moritur in gratia, est credendum quod deus transubstantiabit eius animam corruptibilem in aeternam, sicut facit de corpore beatae Mariae virginis, quod in caelo glorificatum, factum est aeternum.” (Federici Vescovini, Le Quaestiones, 80 [see footnote 18]). 20 See Pine, Pietro Pomponazzi, 112. Pine has argued that Pomponazzi’s position amounts to a denial of the truth of the religious doctrine of immortality (ibid., 112 – 123). 21 Gianfranco Pico della Mirandola, an observer present at the council, also indicates that the bull was targeted at those Alexandrists and Averroists who claimed a specific philosophical truth for their heterodox positions: “nec desunt nostra tempestate qui blaterent eorum opinionem secundum philosophiam veram esse, quasi Averrois et Alexandri schola sit universa philosophia, et quasi verum possit esse adversus vero; quorum errorem etiam nuper Leo decimus Pontifex Maximus in Laterano Concilio condemnavit” (Charles B. Schmitt, “Gianfrancesco

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It has been argued that the philosophers at Italian universities were freer than the Masters of Arts in Northern Europe because the Italian universities did not have separate theological faculties and thus lacked the institutional control theologians exercised at other places.22 However, the cases of Cecco d’Ascoli, Pietro d’Abano, Biagio Pelacani of Parma, Lorenzo Valla, Nicoletto Vernia, and ultimately Pietro Pomponazzi are evidence of the close surveillance that all philosophical activity in Italy was subjected to by local bishops and inquisitions.23 If we reject the notion that the condemnation was based on suspicion or mere hearsay, we must look elsewhere. The curriculum at the newly founded German universities, in particular the universities at Erfurt (1392), Leipzig (1409), Rostock (1419), and Greifswald (1456) favored the teaching of the so-called ‘modern way of thought’ (via moderna) with John Buridan, Marsilius of Inghen, and Albert of Saxony as its main proponents. In this context, the question of immortality was discussed on the basis of the teachings of Alexander of Aphrodisias. This discussion was spearheaded by John Buridan,24 and allowed the Masters of Arts to debate materialist approaches extensively. In this paper, I would like to present two thinkers who dared to propose that the teachings of the Catholic church concerning the human soul were not true according to natural philosophy. Instead, they maintained, following the natural light of reason, as true that the human soul emerges from matter like all other animal souls, is generable and corruptible, and hence mortal. It will not come as a surprise that these philosophers were university teachers at two newly founded German universities during the fifteenth century, namely the universities of Leipzig and Rostock. Pico della Mirandola and the Fifth Lateran Council,” Archiv fr Reformationsgeschichte 61 [1970], 161 – 178, at 164 – 165). 22 See Pine, Pietro Pomponazzi, 41 – 43, 110 – 111 (see footnote 13); Paul F. Grendler, The Universities of the Italian Renaissance, Baltimore 2002. It should be noted that the University of Rostock, founded in 1419, lacked a Faculty of Theology until 1432. 23 See Monfasani, “Aristotelians, Platonists,” 249 – 251 (see footnote 6). 24 See Olaf Pluta, “Der Alexandrismus an den Universitäten im späten Mittelalter,” Bochumer Philosophisches Jahrbuch fr Antike und Mittelalter 1 (1996), 81 – 109. See also Olaf Pluta, “The Transformations of Alexander of Aphrodisias’ Interpretation of Aristotle’s Theory of the Soul,” in: Marianne Pade (Ed.), Renaissance Readings of the Corpus Aristotelicum, Copenhagen 2001 (Renæssancestudier, 9), 147 – 165.

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John Euclem (University of Leipzig) Little is known about the author of the Questions on Aristotle’s De anima which are preserved in manuscript 1416 held at the University Library at Leipzig (Bibliotheca Albertina).25 The name provided in the explicit that concludes the text seems to be corrupt.26 The manuscript, written in Leipzig in 1412, once belonged to Jacob Meurer de Wratislavia who had begun his studies in Leipzig in 1445, gained a Bachelor degree in 1448, and graduated as Master of Arts in 1451. As early as 1480, the manuscript was owned by the Faculty of Arts at Leipzig university.27 Following the example of John Buridan and his Questions on Aristotle’s De anima, the author discusses the question of immortality in a series of four questions on the third book. In particular, he discusses the competing philosophical theories of Alexander of Aphrodisias and Averroes versus the position of the Catholic church. The outline of the four questions reflects the strict methodological distinction he draws between faith (fides) and reason (ratio). Each question comprises two articles: in one article, the author replies to the question following natural reason (secundum rationem naturalem); in a second article, he provides the answer according to Catholic faith (secundum fidem catholicam). Furthermore, the author states that there exists an actual dis25 See Olaf Pluta, “Die Diskussion der Frage nach der Unsterblichkeit in einer Leipziger Handschrift des frühen 15. Jahrhunderts,” in: Olaf Pluta (Ed.), Die Philosophie im 14. und 15. Jahrhundert. In memoriam Konstanty Michalski (1879 – 1947), Amsterdam 1988 (Bochumer Studien zur Philosophie, 10), 495 – 534. 26 “Et rationes ante oppositum factae non procedunt contra dicta. Et sic est finis quaestionum super librum de anima, quae quidem compilatae sunt per magistrum Johannem Ewclem et pronunciatae pro informatione scholarium anno domini M8 CCCC8 XII8. Et sunt finitae feria quinta ante Valentini. Amen.” (ibid., 509) The name may be a corrupt version of ‘Iohannes de Elbing’, sometimes also spelled ‘Ellwing’ or ‘Ellwingen’, who, in 1409, was “assumptus Lipsiae, intitulatus in artibus”. See Josef Trska, Zivotopisny´ slovn k predhusitsk prazsk univerzity (Repertorium biographicum Universitatis Pragensis praehussiticae): 1348 – 1409, Prague 1981 (Kniznice Archivu Univerzity Karlovy, 12), 238. I would like to thank Dr. Christoph Macker, head of the “Handschriftenzentrum” at the University Library at Leipzig, for this suggestion. 27 I am grateful to Dr. Dr. Döring, then head of the manuscript department, for providing me with this information. See also Detlef Dçring, Die Bestandsentwicklung der Bibliothek der Philosophischen Fakultt der Universitt zu Leipzig von ihren Anfngen bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts: ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Leipziger Universitt in ihrer vorreformatorischen Zeit, Leipzig 1990, 89.

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tinction between faith and reason. In key questions, such as in the one concerning the nature of the human soul, natural philosophy and Christian theology reach diametrically opposed conclusions. A detailed analysis of all four questions has been provided elsewhere.28 For the purposes of this paper, it should be sufficient briefly to summarize the content of the first three questions and then proceed to the fourth question, which gives the final answer. The first question presents two major positions concerning the question of immortality, both following the Aristotelian school of thought: Alexander of Aphrodisias and Averroes (Ibn Rushd). Alexander of Aphrodisias holds that the human intellect or intellective soul (intellectus humanus) is a material form, educed from the potency of matter (forma materialis educta de potentia materiae) and hence mortal.29 Averroes, by contrast, maintains that there is a single active intellect for all human beings, which is an immaterial form that is not inherent in the human body.30 Thirdly, the Catholic faith claims that the human intellect has been directly created by God and is hence not corruptible, even though it may be annihilated by God’s absolute power.31 28 See Pluta, “Die Diskussion,” 496 – 504 (see footnote 25). For the Latin text of these four questions, see ibid., 516 – 534. 29 “Quantum ad primum articulum sciendum, quod de intellectu humano reperiuntur tres opiniones famosae. Prima opinio ponit quod intellectus humanus est forma materialis educta de potentia materiae, divisibilis et extensa ad extensionem materiae, genita et corruptibilis, et quod non manet post mortem hominis, sed quod esse desinit in corruptione hominis. Et ita videtur esse opinio Alexandri. Et dato, quod velimus loqui mere naturaliter de intellectu humano et circumscripta fide catholica, forte ita esset sentiendum de intellectu humano, sicut ista opinio ponit.” (ibid., 516, 5 – 13). 30 “Alia reperitur opinio ponens, quod intellectus humanus est forma immaterialis et inextensa, et per consequens non est educta de potentia materiae; et ponit, quod intellectus non est multiplicatus ad multiplicationem hominum, sed est unus intellectus, quo omnes homines intelligunt vel intelligere possunt; ulterius ponit, quod intellectus non est forma inhaerens corpori humano, sed potius quemadmodum Deus est praesens (f.212ra) et coexistens toti mundo et cuilibet eius parti, nulli tamen inhaeret, sic etiam intellectus humanus est praesens et cuilibet homini coexistens, nulli tamen inhaerens. Et ista videtur fuisse opinio Averrois commentatoris. Sed clarum est, quod istae duae opiniones expresse sunt contra fidem catholicam; ergo non sunt tenendae.” (ibid., 516, 14 – 24). 31 “Et ideo reperitur tertia opinio fidei catholicae, quae ponit, quod intellectus humanus non est forma educta de potentia materiae neque genita naturali generatione, sed quod est a solo Deo creata ita, quod incepit esse, sed non per generationem naturalem, sed per creationem; et ponit, quod est forma inhaerens corpori humano, etiam, quod est multiplicatus multiplicatione individuorum

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While the presentation of these three famous positions closely resembles John Buridan’s text, there is yet a significant difference. John Buridan presents the position of the Catholic church as “the truth of our faith, which we must firmly believe” (veritas fidei nostrae, quam firmiter debemus credere). The author of our text, however, presents this position as “the opinion of the Catholic faith” (opinio fidei catholicae) – and he does so against the advice of many authors of the ‘modern way of thought’ (via moderna), who insist that one must not call the Catholic faith a mere ‘opinion’.32 Apart from setting out the three major opinions concerning the nature of the soul, the purpose of the first question is to show that the immortality of the human soul cannot be demonstrated (demonstrative probari). Even though the arguments in favor of immortality suggest truth and are probable, they are not demonstrative. This is obvious because Alexander of Aphrodisias or anyone else wishing to proceed merely naturally, could, leaving the Catholic faith aside, refute these arguments.33 This is shown in detail in the remainder of the question. The second question proceeds to show that the position of Alexander of Aphrodisias is more probable than the position of the Catholic church. Following the principles of natural philosophy (suppositis principiis scientiae naturalis), one is rather inclined to draw conclusions that run counter to the Catholic faith (potius convinceretur eorum opposita). According to natural philosophy, creation out of nothing (creatio ex nihilo) is imin specie humana, et tunc ulterius, quod huiusmodi intellectus est perpetuus a parte post ita, quod non est corruptibilis, sed bene est annihilabilis adhuc potentia Dei absoluta, numquam tamen corrumpitur nec annihilatur. Et licet tamen ista non possint demonstrative probari, tamen quilibet catholicus tenetur illa firmiter credere de intellectu humano; igitur et cetera.” (ibid., 516f, 25 – 35). 32 Take, for example, Peter of Ailly: “Tertia via est veritas catholica, quae non est tamquam opinio tenenda, sed tamquam fides firma”, Lawrence of Lindores: “Tertia via, quae non est tenenda tamquam opinio, sed tamquam vera fides catholica”, and Benedict Hesse of Kraków: “Tertia est opinio, quae non meretur dici opinio, sed magis veritas, quae est fides catholica” (on these texts, see Pluta, “Die Diskussion,” 498 [see footnote 25]. By contrast, Biagio Pelacani of Parma and Pietro Pomponazzi do present the position of the Catholic church as a mere ‘opinion’, see Federici Vescovini, Le Quaestiones, 129 [see footnote 18]; Pomponazzi, Corsi inediti, ed. Poppi, 34 [see footnote 15]). 33 “Sciendum, quod, licet istae rationes concludant verum et sint probabiles, tamen non sunt demonstrativae. Et ideo videndum est, qualiter Alexander (f.212vb) istas rationes solveretur vel etiam alius, qui vellet loqui mere naturaliter et circumscripta fide catholica.” (Pluta, “Die Diskussion,” 519, 105 – 108 [see footnote 25]).

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possible, because all natural philosophers agree on the principle that ‘nothing comes from nothing’ (ex nihilo nihil fit).34 The third question offers a final determination between the philosophical positions of Alexander of Aphrodisias and Averroes.35 Here, the author of our text provides three conclusions. The first conclusion summarizes the outcome of the preceding question: the opinion of the Catholic faith (opinio fidei catholicae) neither corresponds to our experience nor can it be convincingly demonstrated by natural reason. On the contrary, both experience and the natural light of reason (lumen naturale) provide stronger arguments in favor of the opposite view.36 In the second conclusion, the author admits that, on the basis of natural philosophy and leaving the Catholic faith aside (loquendo mere naturaliter et circumscripta fide catholica), the opinion of Alexander of Aphrodisias (opinio Alexandri) concerning the human intellect is more probable than the opinion of Averroes (opinio Commentatoris) – despite the fact that Alexander’s conclusions are false and contravene Catholic faith (falsa et contra fidem catholicam).37 34 “Et ista firmiter a quolibet catholico sunt tenenda, licet non possint multum fortiter probari nec demonstrari vel convinci per experientiam aut ex his, quae apparent in lumine naturali. Et suppositis principiis scientiae naturalis immo potius convincerentur eorum opposita, quia pure naturaliter loquendo creatio est impossibilis vel non est possibilis, immo in hoc conveniunt omnes, qui de natura sunt locuti, quod ex nihilo nihil fit. Et ideo solet dici, quod loquendo mere naturaliter et circumscripta fide catholica opinio Alexandri de intellectu humano est probabilior, licet sit contraria fide(i) catholica(e).” (ibid., 524, 115 – 123). 35 “Quantum ad secundum articulum videndum est, quae opinio de intellectu humano sit probabilior, videlicet an opinio Alexandri vel Commentatoris.” (ibid., 528, 108 – 110). 36 “Et quantum ad hoc sit haec prima conclusio: Opinio fidei catholicae de intellectu humano quantum ad aliqua non habet apparentiam ex experientiis nec potest convinci ex his, quae apparent in lumine naturali. Patet, quia fides catholica ponit, quod intellectus humanus est creatus et quod est indivisibilis et inextensus et quod etiam indivisibiliter informat corpus humanum. Modo clarum est, quod ista non habent apparentiam ex experientiis nec convinci possunt ex his, quae apparent in lumine naturali, sed potius istorum opposita. Item: Ponit fides catholica, quod intellectus humanus manet post mortem hominis. Et hoc iterum convinci non potest ex his, quae apparent in lumine naturali, sed potius istius oppositum.” (ibid., 528, 112 – 122). 37 “Secunda conclusio: Loquendo mere naturaliter et circumscripta fide catholica opinio Alexandri de intellectu humano est probabilior quam opinio Commen-

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The third conclusion is hypothetical: Supposing that the human intellect is everlasting, Averroes’s opinion is more probable than that of Alexander of Aphrodisias.38 The fourth and final question in our series (“Utrum intellectus humanus sit perpetuus”) provides the final answer to the question of immortality. While the first article gives the answer according to natural philosophy, the second article answers the question according to the truth and the Catholic faith (secundum veritatem et fidem catholicam).39 The author first provides four conclusions, which all presuppose that the human intellect is everlasting. After these hypothetical conclusions, however, he offers two categorical conclusions that summarize the answer according to natural reason. The first conclusion is negative: pure natural reason dictates that the human intellect is not everlasting.40 Firstly, this is because many inconveniences (inconvenientiae) follow from the assumption that the human intellect is everlasting, and these inconveniences apparently contradict the principles of natural philosophy (videntur esse contra principia scientiae naturali).41

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tatoris.Patet, quia Alexander ponit, quod intellectus humanus est forma educta de potentia materiae et extensa ad extensionem materiae, genita et corruptibilis. Et licet ista sint falsa et contra fidem catholicam, tamen non potest aliud convinci ex his, quae apparent in lumine naturali. Immo stando in illis videretur omnino similiter esse dicendum de intellectu humano sicut de forma substantiali asini vel bovis.Item: Loquendo mere (f.218rb) naturaliter vel oportet dicere de intellectu humano, sicut ponit Commentator vel sicut ponit Alexander. Sed primum non est dicendum, quia Commentator multas videtur habere irrationalitates et quodammodo opinionem extraneam et ad eam sequuntur plura inconvenientia in lumine naturali quam ad opinionem Alexandri; igitur et cetera.” (ibid., 528f, 124 – 138). “Tertia conclusio est ista, quod, si ponatur, intellectus humanus esse perpetuus, tunc probabilior est opinio Commentatoris de intellectu humano ad hoc stando in lumine naturali quam opinio Alexandri.” (ibid., 529, 140 – 142). “In ista quaestione erunt duo articuli. In primo videbitur (f.219va) ad quaestionem loquendo mere naturaliter et circumscripta fide catholica; et in secundo respondebitur ad quaestionem secundum veritatem et fidem catholicam.” (ibid., 530, 2 – 5). “Quinta conclusio, quod pura ratione naturali dictante non est ponendus intellectus humanus esse perpetuus.” (ibid., 532, 58 – 59). “Ista patet, quia ad hoc sequuntur multa inconvenientia in lumine naturali. Unde, si ponatur esse perpetuus, sequitur, quod non est genitus et quod non est inhaerens; similiter, quod non est multiplicatus ad multiplicationem hominum; modo omnia ista sunt (in)convenientia in lumine naturali et videntur esse contra principia scientiae naturalis.” (ibid., 532, 60 – 64).

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Secondly, if the human intellect were everlasting, then it would continue to exist after death. But this is evidently not true according to the natural light of reason: “Sed hoc non videtur verum in lumine naturali”. The author of our text elaborates on this statement as follows: On natural grounds, there is no way the human intellect could act after death. This is obvious because our intellect understands by abstracting from phantasms. According to Aristotle in Book III of De anima, phantasms are related to the intellect just as colors are related to sight, that is to say, phantasms are required for intellection like colors are required for vision. Phantasms, however, require a bodily organ. Hence, intellection cannot occur after death.42 Thirdly, a natural philosopher is only allowed to accept a hypothesis on the grounds of experience and reason. Obviously, there is no experience that could convince us that the human intellect is everlasting and lives on after death. Likewise, there is no convincing rational argument in support of this hypothesis. On the contrary, following the principles of natural philosophy (suppositis principiis scientiae naturalis) one would be inclined to conclude that the human intellect is not everlasting and does not live on after death.43 The second categorical conclusion, which is also the final conclusion (ultima conclusio) concerning the question of immortality, openly sides with Alexander of Aphrodisias: pure natural reason dictates (pura ratione naturali dictante ponendum est) that the human intellect is generated 42 “Item: Si intellectus humanus esset perpetuus, tunc maneret post mortem hominis. Sed hoc non videtur verum in lumine naturali, quia non videtur, quid tunc ageret post mortem; non enim potest intelligere post mortem hominis, quod sic patet, quia intellectus non potest intelligere, (f.220ra) nisi speculatur phantasmata. Modo post mortem hominis non speculatur nec potest speculari phantasmata eo, quod phantasma requirit organum corporeum et non potest esse sine corpore; igitur et cetera.” (ibid., 532, 65 – 71). This is also the key argument in Pomponazzi’s Tractatus de immortalitate animae, ch. IX. See Pomponazzi, Abhandlung ber die Unsterblichkeit der Seele, ed. Mojsisch, 89 (see footnote 14). 43 “Item: Philosophus naturalis nihil habet ponere nisi quod habetur ex experientia vel quod potest convinci ex aliquo tali vel ad quod adduci potest ratio efficacior quam ad suum oppositum. Modo clarum est, quod ad hoc non habetur experientia, scilicet quod intellectus humanus sit perpetuus et quod maneat post mortem hominis, nec etiam potest convinci ex aliquo tali; similiter etiam ad hoc non potest adduci ratio efficacior quam ad suum oppositum, immo suppositis principiis scientiae naturalis fortior ratio adduceretur ad concludendum vel ad probandum intellectum humanum non esse perpetuum et quod etiam non maneat post mortem hominis; igitur et cetera.” (ibid., 532, 72 – 81).

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and corruptible, educed from the potency of matter, extended like matter, inherent and multiplied, as Alexander of Aphrodisias holds.44 In the second article, the author responds to the question according to the truth and the Catholic faith (secundum veritatem et fidem catholicam).45 At the very end, however, he once again makes clear that the position of the Catholic church stands in opposition to the conclusions of natural philosophy. Yet, despite the lack of natural evidence, a Christian (Christianus) is to believe that what Catholic faith holds to be the case is indeed the case.46 Formally, the author of our text always acknowledges the truth (veritas) of the Catholic faith. In effect, however, he establishes an alternative truth: the truth of natural philosophy, which solely follows the light of natural reason and leaves the Catholic faith aside. This becomes evident when he openly confronts the truth of the Catholic faith: “sed hoc non videtur verum in lumine naturali”. This is a bold statement, and it is not surprising that we only find it expressed once in our text.

44 “Ultima conclusio est haec: pura ratione naturali dictante ponendum est, quod intellectus humanus est genitus et corruptibilis, eductus de potentia materiae, extensus extensione materiae et quod est inhaerens corpori humano et multiplicatus ad multiplicationem individuorum in specie humana, et omnes condiciones praedictas Alexander ascripsit intellectui humano, ut patet ex superius tactis. Patet conclusio ex hoc, quia pura ratione dictante non est ponendus intellectus humanus perpetuus, ut dicit paenultima conclusio, scilicet pura ratione naturali dictante ponendum est de intellectu humano, quod est forma corruptibilis et quod habeat condiciones aliarum formarum corruptibilium. Modo omnes dictae condiciones conveniunt formis corruptibilibus; igitur et cetera. Et haec de articulo primo.” (Pluta, “Die Diskussion,” 532f, 83 – 94 [see footnote 25]). 45 “Quantum ad secundum articulum respondendum est ad quaestionem secundum veritatem et fidem catholicam.” (ibid., 533, 96 – 97). 46 “Et omnes istas condiciones fides catholica ascribit intellectui humano, licet tamen illae non habe(a)ntur per demonstrationem nec convinci possint ex principiis scientiae naturalis, sed potius earum opposita. (f.220va) Sed quilibet tamen Christianus tenetur credere, quod sit ita. Et per ista iam dicta patet, quid est respondendum ad quaestionem adhuc secundum veritatem et fidem catholicam. Et haec de secundo (articulo).” (ibid., 534, 132 – 137).

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Nicholas of Amsterdam (University of Rostock) Nicholas of Amsterdam was an eminent Master of Arts who taught at Cologne, Erfurt, and, for most of his career, at Rostock, where he wrote commentaries on nearly all of Aristotle’s works. Manuscripts of his works can be found in major libraries throughout Europe.47 Generally speaking, Nicholas takes a decidedly ‘modern’ stance in his questions on Aristotle’s De anima. 48 While the ‘old way of thought’ 47 Over the course of the past fifty years, only two articles have been published on Nicholas of Amsterdam. The first, by Zofia Włodek, is based on a single manuscript from Kraków (Zofia Włodek, “Le commentaire de Nicolas d’Amsterdam sur le De anima d’Aristote. Introduction, textes inédits,” Mediaevalia philosophica Polonorum 11 [1963], 23 – 42). The second, by the late Jan Pinborg, is based on two manuscripts from Copenhagen ( Jan Pinborg, “Die AristotelesQuaestionen des Magister Nicolaus von Amsterdam,” Classica et mediaevalia 25 [1964], 244 – 262). Since this initial account from the 1960s nothing substantial has been published on his philosophy, and one wonders why no one has followed in the footsteps of these two eminent scholars. On Nicholas of Amsterdam’s philosophy of mind, see now Olaf Pluta, “Materialism in the Philosophy of Mind. Nicholas of Amsterdam’s Quaestiones De anima”, in: Paul J.J.M. Bakker/Johannes M.M.H. Thijssen (Ed.), Mind, Cognition and Representation. The Tradition of Commentaries on Aristotle’s De Anima, London 2007, 109 – 126.For biographical information, see Charles H. Lohr, “Medieval Latin Aristotle Commentaries. Authors Narcissus – Richardus,” Traditio 28 (1972), 281 – 396, at 303 – 305 (‘Nicolaus Theoderici de Amsterdam’). GötzRüdiger Tewes, Die Bursen der Kçlner Artisten-Fakultt bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 1993 (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln, 13), 293 – 322, argues that Nicholas of Amsterdam, who, at that time, was teaching at Cologne, was the driving force behind the ‘Kölner Terministenbeschluß’ of 1414 – 1416. – There has been much confusion concerning the life of Nicholas of Amsterdam. Lohr and Tewes both claim that Nicholas also taught at the universities of Leipzig and Greifswald, but this is incorrect. In fact, Nicholas of Amsterdam died shortly after the University of Rostock had been forced to leave the city of Rostock and had moved to Greifswald in 1437. See Olaf Pluta, “Materialism in the Philosophy of Mind,” 111 – 112. 48 The second (long) redaction is extant in two manuscripts from Bamberg (dated 1456) and Berlin (dated 1451 – 1452): ms Bamberg, Stadtbibliothek, Med. 13, 174ra-239vb (henceforth: B1); ms Berlin, Staatsbibliothek – Preußischer Kulturbesitz, Magd. 62, 183ra-226rb (henceforth: B2). – The Berlin manuscript (ms Magd. 62) represents the most complete collection of Nicholas’s works. It once belonged to Petrus Rode, a Master of Arts and canon at Magdeburg. It was composed in Leipzig during the years 1451 – 1452, and contains Nicholas’s questions on Aristotle’s Physics, De generatione et corruptione, De caelo et mundo, De sensu et sensato, De memoria et reminiscentia, De somno et vigilia, De longitudine et brevitate vitae, De impressionibus meteorologicis, De anima, and, last but

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(via antiqua) is represented by Albert the Great, Thomas Aquinas, and Giles of Rome, he invariably gives preference to the ‘modern way of thought’ (via moderna) identified with John Buridan, Marsilius of Inghen, and Lawrence of Lindores. In his questions on the third book of Aristotle’s De anima, Nicholas of Amsterdam discusses three competing theories concerning the human mind: the theory of Alexander of Aphrodisias, the theory of Averroes, and the theory of the Platonists, which is later identified with the teachings of the Catholic church.49 Nicholas closely follows Alexander of Aphrodisias, who holds that the human intellect emerges from matter. Alexander’s theory is outlined by Nicholas in the following terms: The first opinion is that of Alexander, who maintained that the human intellect is the form of a human body by inherence, and consequently he maintained that it is natural and educed from the potency of matter, extended according to the extension of the body.50 Later in the same question, Nicholas defends Alexander’s materialist approach against several arguments drawn from Aristotle and Averroes, which claim to demonstrate that the human intellect is an immaterial form. Nicholas shows that each argument can easily be refuted. In parnot least, his questions on Aristotle’s Metaphysics. – For the purposes of this essay, all references will be to the second (long) redaction of Nicholas’s Quaestiones De anima. 49 Nicholas of Amsterdam, Quaestiones De anima, III, q. 3, B1 f.230va, B2 f.220rb: “Quaeritur tertio utrum intellectus humanus sit forma substantialis inhaerens corpori humano. Pro intellectu quaestionis est notandum quod de materia huius quaestionis multiplex est opinio. Prima est ipsius Alexandri, qui posuit intellectum humanum esse formam corporis humani per inhaerentiam; et consequenter posuit eam naturalem et eductam de potentia materiae, extensam ad extensionem corporis. Alia opinio fuit ipsius Commentatoris, qui posuit intellectum humanum esse perpetuum, non eductum de potentia materiae neque extensum ad extensionem subiecti et unicum in omnibus hominibus non per inhaesionem, sed per quemdam modum, scilicet quia in eo subiectantur species intelligibiles, quae etiam habent subiectivalitatem potentialem in phantasmatibus. Et per species intelligibiles posuit (B1 f.230vb) ipse huic vel isti homini, et hoc quantum ad intellectum possibilem. Tertia est opinio Platonicorum ponentium intellectum possibilem esse perpetuum et immaterialem et formam substantialem corpori humano inhaerentem.” 50 For the Latin text, see the preceding footnote. Notice that Nicholas uses the term ‘consequently’ (consequenter) here. It will become apparent later on that Nicholas holds that all these statements on the human intellect are logically linked with one another.

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ticular, he disproves the argument that were the intellect material, it would follow that the intellect uses a corporeal organ.51 While a material intellect need not necessarily rely on a corporeal organ, the following statements concerning the human mind are linked in such a way that any one statement follows from any given other, that is to say, these statements are equivalent: the intellect inheres in the body; it is educed from the potency of matter; it is extended according to the extension of matter; it is generable and corruptible; it is multiplied according to the number of human beings.52 51 Nicholas of Amsterdam, Quaestiones De anima, III, q. 3, B1 f.230vb, B2 f.220rb: “Pro illo quod illa forma sit immaterialis et perpetua Commentator et Aristoteles adduxerunt quasdam rationes. Quarum prima est haec nam: si intellectus esset materialis, sequeretur quod uteretur organo corporeo; sed hoc est falsum. Quod sic patet, quia tale organum aut erit de natura elementi aut elementati; sed quodcumque dicatur, videtur sequi quod intellectus non intelligeret qualitates intelligibiles secundum quemcumque gradum earum, cum intus existens prohibet extraneum. Sed hoc consequens est falsum. Et confirmatur nam: si uteretur organo corporeo, tunc post intellectionem excellentium non intelligeret parva, sicut sensus post sensationem excellentium non sentit parva vel remissa. Alia ratio est illa nam: si esset virtus materialis, non esset universaliter cognoscitiva; quod est falsum. Probatur tamen sequela quia: ex hoc sensus apprehendit particulariter, quia materialis . Et iterum alia ratione: sequeretur quod intellectus non esset supra se ipsum reflexivus, cum hoc pertinet ad potentiam immaterialem. – Istae rationes, licet sint persuasivae, non sunt tamen demonstrativae. Nam prima ratio de organo soluta est in ratione quaestionis praecedentis. Quantum autem ad hoc quod motum fuit, quod (B2 f.220va) intellectus non intelligeret parva post magna, posset dici quod hoc non sequitur, quia intelligit illa per discursum, ut Alexander forte diceret. Vel potest dici quod esset propter eminentiam potentiae. De illo quod motum fuit de universali cognitione potest dici quod virtus materialis esset universalium secundum aliquem modum universalitatis, quia equus videtur appetere avenam in universali. De reflexione potest dici quod ista notitia quae reflexa dicitur, habetur per discursum, et quia operatio discursiva possibilis est (B1 f.231ra) per potentiam materialem, ideo etiam hoc modus reflexionis possibilis est in potentia materiali.” – For the solution of the argument concerning the dependency of a material intellect on a bodily organ, Nicholas refers to the preceding question (Utrum oportet intellectum esse denudatum ab eo, quod intelligit) where he refutes this argument by saying that the human intellect is stripped (denudatus) of everything material before it actually cognizes. In particular, Nicholas emphasizes that while the object which causes the cognitive process (cognitio) is material, the process itself is immaterial (spiritualis). 52 Nicholas of Amsterdam, Quaestiones De anima, III, q. 5, B1 f.232va, B2 f.221va: “Quaeritur quinto utrum intellectus humanus existens perpetuus sit pura potentia. Pro quaestione notandum est quod in quaestione duo inclu-

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Now, since one of these statements, namely the statement that the intellect inheres in the body, has already been demonstrated in a preceding question, it follows that all the other statements, which are equivalent, are also “true according to the principles of nature” (vera secundum principia naturae).53 As a natural philosopher, Nicholas thus makes a bold statement in favor of Alexander’s theory of the human intellect. Consequently, the opposing theory of Averroes is definitely false. Nevertheless, compared to the teachings of the Catholic faith it has the advantage of at least being consistent: here again all the statements are linked in such a way that they mutually follow from each other.54 In spite of the fact that Alexander’s statements on the human intellect must be designated as true according to the principles of nature (licet ista dicta sint vera secundum principia naturae), Nicholas finally responds (ponitur conclusive et responsive) that – because these statements are denied by the Catholic faith (quia catholice negantur) – the human intellect is everlasting and not extended, and that it does not emerge from matter. Nicholas adds that this conclusion cannot be demonstrated, but can be made plausible by using persuasive arguments, resulting in a true conclusion (conclusio vera).55 duntur, scilicet suppositum et quaesitum. Pro supposito est notandum quod si aliquid sit perpetuum secundum naturam loquendo, illud quod est perpetuum a parte ante, est a parte post. Haec propositio declarata est a Philosopho in De caelo. Item notandum quod stando in cursu naturae, si intellectus non sit eductus de potentia materiae, ipse non inhaeret materiae. Patet illud dictum sic, quia si intellectus non sit eductus de potentia materiae, ipse est perpetuus; et si est perpetuus, ipse non inhaeret materiae, quia perpetuum materiae semper inhaeret, sicut multi posuerunt de dimensionibus interminatis coaeternis materiae. Ex illius consequentis opposito infertur oppositum antecedentis, si scilicet intellectus inhaeret, ipse est eductus de potentia materiae. Quia ergo intellectus est (B1 f.232vb) forma inhaerens, ut declaratum est, sequitur quod secundum cursum naturae est eductus de potentia materiae, extensus ad extensionem materiae, generabilis et corruptibilis, multiplicatus ad multiplicationem hominum.” 53 For the Latin text, see footnote 54. 54 Nicholas of Amsterdam, Quaestiones De anima, III, q. 5, B1 f.232vb, B2 f.221va: “Ex quo patet quod esse perpetuum, esse ingenitum et incorruptibile, esse non multiplicatum sed unicum, et non inhaerere materiae consequuntur se mutuo. Quae consecutive posuit Averroes. Similiter eorum opposita consequuntur se. Quare etiam Alexander ita determinavit.” 55 Nicholas of Amsterdam, Quaestiones De anima, III, q. 5, B1 f.232vb, B2 f.221va: “Sed licet ista dicta sint vera secundum principia naturae, tamen, quia catholice negantur, ideo ponitur conclusive et responsive quod intellectus

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Strictly speaking, Nicholas does not propose a theory of ‘double truth’ here. Nevertheless, it is clear that there is a strong opposition between the teachings of natural philosophy and the teachings of the Catholic church, an opposition which Nicholas emphasizes by using the term ‘true’ (according to the principles of nature) in characterizing Alexander’s theory of the human intellect. In doing so, he confronts the Catholic faith with the truth of natural philosophy. The natural philosophers of the fourteenth and fifteenth centuries wished to establish the scientific quest for the truth against the proponents of a single, revealed truth. Some of these philosophers even dared call their own position ‘true’ (verum), even though it was not strictly demonstrable and subject to further investigation. While they did not maintain, strictly speaking, a theory of ‘double truth’, they did, in the long run, establish a second, alternative truth that stood independent of – and sometimes in opposition to – the revealed truth of Christian religion. The evidence feeding their investigations was ‘only’ based on experience and the natural light of reason (lumen naturale) – rather than on the revelations of God Almighty –, but it had the advantage of being testable. Future generations could improve and build on their achievements. These philosophers cherished the science of nature that Aristotle had given them,56 and they were content with their propositions being valid, sound, and cogent in the light of natural reason. As John Buridan famously said: he who is not content with this kind of evidence is not worthy of being called a scientist.57 est perpetuus, non extensus ad extensionem materiae nec eductus de potentia materiae, licet inhaerens, ut prius ostensum est. Quae conclusio, licet non potest bene demonstrative probari, tamen potest rationibus persuaderi prius habitis. Ex quibus relinquitur conclusio vera.” 56 At the end of his Questions on Aristotle’s Nicomachean Ethics, John Buridan refers to the science of nature in the following solemn words: “scientia quam dedit nobis Aristoteles” ( Johannes Buridanus, Super decem libros Ethicorum, Paris 1513, Frankfurt a.M. 1968 [Unveränderter Nachdruck], lib. X, q. 5, f.213rb). 57 “Experientia enim ex multis sensationibus et memoriis deducta non est aliud quam inductio in multis singularibus, per quam intellectus non videns instantiam nec rationem instandi cogitur ex eius naturali inclinatione ad veritatem concedere propositionem universalem, et qui non vult tales declarationes concedere in scientia naturali et morali, non est dignus habere in eis magnam partem.” ( Johannes Buridanus, Kommentar zur Aristotelischen Physik, Parisiis 1509, Frankfurt a.M. 1964 [Unveränderter Nachdruck], lib. I, q. 15, f.19ra).

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Pope Leo X, who issued the bull Apostolici Regiminis, was fighting to maintain a core truth of Christian faith: the truth of the immortality of the human soul. Some natural philosophers of the fourteenth and fifteenth centuries had dared to insist that natural philosophy, following natural reason alone and leaving Catholic faith aside, had come to the opposite conclusion: the human soul is not essentially different from animal souls, that is to say, the human soul is generable and corruptible like animal souls, and hence mortal. These philosophers were struggling for the truth in spite of the fact that their academic freedom was drastically curtailed. They had to proclaim the ultimate truth of the Christian religion in order to be allowed to lecture publicly. Nevertheless, some of them dared to use the term ‘true’ when speaking of the conclusions arrived at by natural philosophy – conclusions that were diametrically opposed to those prescribed as true by the Catholic church. The immortality controversy of the sixteenth century, ushered in by Pietro Pomponazzi’s famous Tractatus de immortalitate animae, would not have been possible without their courage.

Mein Gott! Hannes Böhringer Gewöhnlich liege ich nachts im Bett und schlafe, so gut es geht. Gottseidank muss ich nicht allzu früh aufstehen. Manchmal jedoch brauche ich einen Wecker, damit ich nicht vorsichtshalber die halbe Nacht wach liege, aber vielleicht gerade dann einschlafe, wenn ich aufstehen sollte. Mein Gott, was ist los? Was ist passiert? Der Wecker klingelt. Und dann fällt nach und nach ins Bewusstsein, was mich erwartet. Was wir gewöhnlich tun, tun wir fast wie im Schlaf. Aber dann passiert etwas, das uns aufschreckt: o mein Gott! Die Interjektion, der Ausruf soll das Geschehen bannen, das den Verstand raubt. Für einen Augenblick steht er still. Der Verstand mit seinen Sprüchen funktioniert nur gewöhnlich. Im Schreck des Außergewöhnlichen setzt er aus. Doch immer noch entfahren uns Sprüche, Worte, meist unwillkürlich: großer Gott! Sprachgewohnheiten, die nicht leicht zu ändern sind auch für den, der an keinen Gott mehr glaubt. Ausdrücke wie Ogottogott oder Ojemine verballhornen aus Scheu und aus Vorsicht den Namen des Heiligen. So entstellen auch Gewohnheiten sicherheitshalber das, was passiert. Es erscheint uns nun bekannt, alltäglich, gleichförmig, abgeschliffen. Zu unseren Gewohnheiten zählt auch Gott. In Europa ist der christliche Gott der gewöhnliche. Ich halte mich an ihn. Gott ist eine Ausdrucksgewohnheit für das Außergewöhnliche, für das Wunder, für Glück und Unglück. Gewöhnlich versuchen wir, ohne ihn auszukommen. Gewöhnlich verläuft das Leben zwischen Glück und Unglück. Aber dann passiert etwas: o Gott! Verborgen in den Ereignissen taucht er auf. Er ist das Ereignis schlechthin, er passiert, er geht vorüber. So durchkreuzt er die Welt der Gewohnheit. Gott nehmen wir als den Herrn der Ereignisse. Unvermeidlich verballhornen wir ihn, machen ihn menschlich und gewöhnlich: zum Herrn, zum Vater und Sohn, zu einer Person mit Stimme. Gott wird Mensch, gewöhnlich. Aber er durchbricht damit das Gewöhnliche. Es wird Ereignis. Gott zeigt sich im Gewöhnlichen, aber darin verborgen als ungewöhnlich. Er zeigt sich in der Verballhornung und Interjektion. Seine Ankunft ist Störung. Er kommt dazwischen als das Außergewöhnliche,

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Unwahrscheinliche, aber in der Gestalt der Alltäglichkeit. Er ist der ganz Andere (Levinas) in der Weise des Nichtanderen (Cusanus). Wer oder was ist Gott? Wer oder was ist ein Gott? Welch einen Unterschied macht ein kleiner Artikel aus! Gott ist etwas, sagt Anselm von Canterbury, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Also muss er auch sein, meint er. Denken ist Wunschdenken, Verlangen, Begehren, unzureichend und mühsam von Enttäuschungen in Grenzen gehalten. Jeder Einzelne, jede Zeit denkt, begehrt und entscheidet das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, ob es Lust, Gewalt, Selbstverwirklichung, Kommunismus, Evolution oder Natur ist. Viele Götter, besser gesagt: Gottheiten. Soweit sie gedacht sind, kann man mit Vernunft darüber streiten, ob darüber hinaus nichts Größeres gedacht und begehrt werden kann. Als Ausdruck eines entschiedenen Verlangens sind sie unwiderleglich. Gottheit steht gegen Gottheit. Die Geschichte der Menschheit ist ein Religionskrieg, Streit und Aufklärung über das, worüber nichts Größeres gedacht werden kann. Auch die Philosophie ist Religion: Vernunftreligion. Kunst und Bildung sind einmal Religion gewesen. Der Darwinismus ist mit Hilfe des Widerstands der christlichen Kirchen die Religion der Naturwissenschaft geworden. Der Sonnen- und Körperkult war für die Lebensreformer ein religiöser Ritus, Bolschewismus und Faschismus waren politische Religionen. Eine Gemeinschaft bildet sich heraus, ein Volk sammelt sich um ein höchstes Verlangen und bricht dorthin auf, worauf sich dieses Verlangen richtet. Die Menschen sind mit sich im Zwiespalt: Vorsicht oder Wagnis? Sie sind Glücksspieler und Gewohnheitstiere. Sie setzen auf das Unwahrscheinliche und rechnen zugleich mit dem Wahrscheinlichen. Das Wahrscheinliche ist das Gewöhnliche. Die Gewohnheit ist eine Bleibe. Sie schützt vor Überraschungen und Enttäuschungen, schließt ein und macht beinahe unabhängig vom Geschehen. Aber sie verbreitet auch Langeweile. Nichts passiert mehr. Kaum etwas kommt noch dazwischen. Auf alles wissen die Sprüche eine Antwort. Alles geht seinen vorhersehbaren Gang. Doch das reicht uns nicht. Die Menschen begehren mehr, viel mehr, das nämlich, worüber hinaus nichts Größeres gedacht und gewünscht werden kann. Darauf sind sie aus. Daraufhin brechen sie auf, darauf gehen sie zu. Sie wollen, dass wahr werde, was sie wünschen und fürchten zugleich die Enttäuschung ihres Wunschdenkens. So kriechen sie wieder in den Gewohnheiten unter. Aber auch die bieten keine Gewähr gegen das Wünschen.

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Denken ist Wunschdenken, Konstruktion der Wirklichkeit und deshalb immer im Verdacht, Einbildung, Phantasie, zur Gewohnheit gewordene Träumerei zu sein. Diese Ungewissheit, ob das Denken und Begehren sich auf etwas richten, etwas aufrichten, das wirklich ist, wenn auch unvermeidlich verballhornt, mythologisch entstellt und vermenschlicht, ruft nach einer Entscheidung: Sicherheit oder Wagnis? Vorsichtshalber nichts wollen? Auch darin steckt noch Wille, sagt Nietzsche. Die Menschen glauben an einen Gott, auch wenn es das Nichts ist oder die Aufklärung von allem traditionellen Götterglauben. Man muss also auf das eine oder andere setzen, auf Fiktion oder Realität dessen, worauf sich Denken und Wünschen richten. Man muss wetten, sagt Pascal. Zum Wagnis gezwungen flüchten wir uns wieder in die Sicherheit des Gewohnten. So schleicht sich Gott mit Ogottogott und Ojemine in die Gewohnheit ein. Gott ist Gewohnheit und Ereignis, das, was die Gewohnheit passiert, durchkreuzt, unterbricht und als Interjektion wieder Gewohnheit wird. Gewöhnlich werden aber heißt wiederum alltäglich, menschlich werden. Indem Gott Mensch wird, braucht er keinen Artikel mehr. Die Menschwerdung ist das Verbindungsglied (Artikel) geworden. Gott wird eine ansprechbare Person: mein Gott. Für die Menschen gibt es nichts Größeres, als Person zu sein und eine Stimme zu haben. In ihr kann sie sich artikulieren, indem sie eine Antwort hervorruft und eine Antwort gibt. Denken ist Wunschdenken, Begehren. Wir begehren eine Person. Da verwandelt die Liebe das Habenwollen in Hingabe. Das Begehren hört nicht auf, aber ist nicht mehr das Höchste. Die Gewohnheit macht mich unabhängig von dem, was geschieht, aber knechtet mich. Ich bin unabhängig, aber unfrei. Doch ich denke und wünsche mich frei. Ich will, dass ich und mein Wille frei seien. Doch dann verliebe ich mich, gebe unbekümmert meine Freiheit auf, begebe mich in die süße Abhängigkeit zur Geliebten und erhalte von ihr, wenn sie mich liebt, die Freiheit zurück. Die Liebe hebt den Gegensatz von Freiheit und Abhängigkeit auf. In ihrem Schwebezustand geben wir aus freien Stücken und leichten Herzens unser Leben hin. Begierde, Wille, Freiheit sind nicht das Höchste. Als Höchstes wünschen wir uns eigentlich die Liebe in Gestalt einer Person: Menschwerdung Gottes. Sie beweist sich in den Niederungen des Alltags. Die Sprüche der Gewohnheit verschwinden, wenn wirklich etwas passiert, das alles Gewohnte wanken und stürzen lässt und auf einen Schlag in die Vergangenheit setzt, wenn es ernst wird mit dem Vorübergehen und Vorbeigehen. Es geht nicht mehr weiter. Die Gewohnheiten – auch die

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religiösen – lassen einen im Stich. „Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Vielleicht war alles nur Einbildung, da die Stimme Gottes im entscheidenden Moment schweigt. Wäre es doch besser gewesen, statt auf Gott auf tragisch-heroische Einsamkeit, auf das Nichts oder vielleicht sicherheitshalber auf gar nichts zu setzen? Aber am äußersten Ende der religiösen Gewohnheit entfährt ein Ruf, der eher Ausruf als Anruf ist, denn der gerufen wird, ist nicht nur verborgen, sondern vielleicht niemals da gewesen. Mein Gott! In diesem Augenblick muss sich bewähren, worüber hinaus nichts Besseres gedacht und begehrt werden kann.

Von Valla bis Bodin Über den literaturhistorischen Kontext der Disputatio scholastica von Jacobus Palaeologus

Mihály Balázs Der im März 1583 in Rom hingerichtete Jacobus Palaeologus fiel nach seinem Tod für lange Jahrhunderte aus der europäischen philosophischen Tradition. Seine Manuskript gebliebenen Werke verschwanden aus der Öffentlichkeit, selbst die Leser der Bibliotheca Fratrum Polonorum konnten nur erfahren, dass er für die wahren Sozinianer derjenige Denker war, mit dem sie sich nicht identifizieren konnten, der Ferenc Dávid, den ersten Bischof der siebenbürgischen Antitrinitarier, irreführte und von dessen schädlichem Einfluss die polnischen Unitarier nur durch Fausto Sozzini geschützt werden konnten.1 So kam es, dass Antal Pirnát2, der seine handschriftlichen Werke entdeckt hatte, sowie Lech Szczucki3, der die Herausgabe mehrerer Texte unternahm, Palaeologus der europäischen Öffentlichkeit als eine fast unbekannte Figur vorstellen mussten. Einen jahrhundertelangen Ausschluss abzuarbeiten ist natürlich äußerst schwierig, und dies erklärt auch, warum sein Name noch immer in großen Zusammenfassungen fehlt, auf deren Seiten er jedoch gehören würde. Wie es scheint, lässt er sich leichter in der Tradition der siebenbürgischen Unitarier auffinden als in der europäischen Öffentlichkeit. Zu dieser Folgerung werden wir durch neueste Erkenntnisse von Experten der Geschichte des Unitarismus ermutigt: Zum größten Teil war es dem

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Das zuerst 1581 erschienene Werk Ad Jacobi Palaeologi librum: Defensio verae sententiae de magistratu politico von Fausto Sozzini wurde auch im ersten Band der Bibliotheca Fratrum Polonorum veröffentlicht. Literaturangabe bitte wie folgt sortieren: Fausto Sozzini, Ad Jacobi Palaeologi librum: Defensio verae sententiae de magistratu politico, in: Bibliotheca Fratrum Polonorum, 1581, Bd. 1. Antal Pirnt, Die Ideologie der Siebenbürger Antitrinitarier in den 1570er Jahren, Budapest 1961, 54 – 116 und 199 – 206. Lech Szczucki, W kre˛gu mys´licieli heretyckich, Wrocław/Warszawa/Kraków/ Gdan´sk 1972.

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Vorhandensein, der Aufbewahrung4 sowie der Bearbeitung der handschriftlichen Texte von Jacobus Palaeologus zu verdanken, dass in Siebenbürgen eine Variante des Unitarismus entstanden ist und bis Mitte des 17. Jahrhunderts aufrechterhalten wurde, die sich von dem polnischen Sozinianismus eindeutig unterschied. Neuere Studien haben zum Vorschein gebracht, dass die hiesigen Unitarier nur sehr langsam und auch wesentlich unter dem Druck fürstlicher Macht, ihrer radikaleren Christologie entsagten und sich den Sozinianern anschlossen.5 Zwar wurden die inneren Zusammenhänge der Doktrin des ehemaligen Dominikaners von den besagten Forschern in ausführlichen Analysen eingehend beleuchtet, nichtsdestotrotz steht die Erschließung der Quellen und des Kontextes immer noch in den Anfängen. Aber auch diese anfänglichen Erkenntnisse legen nahe, dass es sich auch über die ideengeschichtlichen Kontakte und Verwandtschaften hinaus lohnt, auf die rhetorisch-poetischen Vorgehensweisen zu achten, derer er sich bei der Verfassung seiner Werke bediente. Dies wird insbesondere dadurch begründet, dass die zwei bedeutendsten und umfangreichsten Werke, Catechesis christiana 6 und Disputatio scholastica 7, rhetorische Vorgehensweisen 4

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Von der außerordentlichen Wichtigkeit der Kopien seiner Werken zeugt auch, dass vom Lebenswerk fast nur diese Texte erhalten geblieben sind; es ist aber bekannt, dass er auch in anderen Ländern (in Italien und in Böhmen) umfangreiche Arbeiten verfasst hat. Die Beschreibung der Kodices, bearb. v. Elemér Lak (Originaltitel: The Manuscripts of the Unitarian College of Cluj. Kolozsvár in the Library of the Academy in Cluj-Napoca, bearb. v. Bálint Keseru˝, Szeged 1997, Nr. oder Bd. 174, 966 – 1669. Bálint Keseru˝, Die ungarische unitarische Literatur nach György Enyedi (Über ideengeschichtlich relevante Werke aus der Zeit 1597 – 1636), in: Mihály Balzs/ Gizella Keseru˝ (Ed.), György Enyedi and Central European Unitarianism in the 16 – 17th Centuries, Budapest, 107 – 124; Gizella Keseru˝, The Late confessionalisation of the Transylvanian Unitarian Church and the Polish Brethren, in: Lech Szczucki, Faustus Socinus and his heritage, Warszawa 2005, 163 – 188. Siehe noch die Bände Bibliotheca Dissidentium Répertoire des non-conformistes religieux des seizième et dix-septième siècles, hg. v. André Sguenny u. a. Baden-Baden 1980 – 2005, Bd. I-XXIV, bes. Bd. XII: Ungarländische Antitrinitarier I, BadenBaden 1990; Bd. XV: Ungarländische Antitrinitarier II, György Enyedi, BadenBaden 1993; Bd. XXIII: Ungarländische Antitrinitarier III, Baden-Baden 2004; Bd. XXVII, Baden-Baden. Moderne Ausgabe: Jacobi Chii Palaeologi, Catechesis christiana dierum duodecim, hg. v. Ru˚zˇena Dostlov (Biblioteka Pisarzy Reformacyjnych 8), Varsoviae 1971. Moderne Ausgabe: Jacobi Palaeologi Disputatio scholastica, hg. v. Juliusz Doman´ski/Lech Szczucki (Bibliotheca Unitariorum III), Utrecht 1994.

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beinhalten, die an eine Gattungstradition anknüpfen, die in der Literatur des europäischen Protestantismus keineswegs üblich war. Im Weiteren wird mit der vom Verfasser wahrscheinlich nie beendeten Disputatio im Mittelpunkt der Versuch unternommen, an einigen Beispielen darzulegen, wie die ideellen und poetischen Initiativen aus dem Humanismus des 15. Jahrhunderts den Weg in jenes Lebenswerk gefunden haben, das selbstverständlich auch aus den literarischen Erfahrungen der europäischen Reformation schöpfte. Bei dem Werk handelt es sich um die Beschreibung einer fiktiven Glaubensdiskussion, mit deren Veranstaltung König Josias von den Himmelsmächten beauftragt worden war, und bei der es darum ging, wie denn den Gerechten auf Erden, die immer öfter verzweifelt den Himmel anrufen, zu helfen wäre. Es stellt sich heraus, dass diese Anhänger des Gottvaters deshalb gefesselt, gequält und getötet werden, weil sie nicht geneigt sind, die Irrlehren über die Dreieinigkeit zu akzeptieren. Auf Jesu Rat hin entscheidet sich Gott, die Gerechten nicht aus der Welt zu holen, und gibt König Josias den Auftrag, eine Versammlung einzuberufen, auf der in Anwesenheit aller Theologen, die jemals auf Erden gelebt haben, erörtert werden soll, wie sich denn die Irrlehre unter den Menschen eingenistet habe, es gebe nicht einen Gott, sondern es müssten ihm noch zwei zugeordnet werden. Josias erhält für die Zeit der Synode außerordentlich große Macht: Seine Gesandten sind durch die Kraft des heiligen Geistes imstande, sowohl aus dem Himmel, als auch aus der Hölle alle heranzuholen, und somit wird es möglich, die Angelegenheit ein für allemal zu erledigen. Diese fantastischen Momente bewogen den Entdecker des Textes Antal Pirnát neben der Apokalypse auch die Dialoge von Lukian als literarisches Muster zu benennen, während laut Massimo Firpo8 das Werk von Palaeologus eine Imitation des De pace fidei von Nicolaus Cusanus ist.9 Bekanntlich spielt die 1453 entstandene und bis Mitte des 16. Jahrhunderts in vier Auflagen erschienene Arbeit des großen deutschen Humanisten ebenfalls im Himmel, wo Gott (Cunctipotens), Christus (Verbum) sowie die Engel fortlaufend schlimme Nachrichten von der von Kriegen heimgesuchten Erde erhalten: Die Menschen kehren von ihrem Glauben ab und werden gottlos. Auf die Vermittlung der Erzengel und nach Beratung mit dem Verbum entscheidet sich Cunctipotens, etwas zu unternehmen, um die Glaubenseinheit wiederherzustellen. Er gibt den 8 9

Massimo Firpo, Antitrinitari nell’ Europa orientale, Firenze 1977, 244. Ich berufe mich auf folgende Ausgabe: Nicolai de Cusa, De pace fidei, in: Ders., Opera Omnia, hg. v. Raymundus Klibansky, Bd. VII, Hamburg 1959.

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Engeln den Befehl, die gelehrten Vertreter der verschiedenen Völker einzuberufen. Zur Diskussion über unterschiedliche dogmatische, kirchenorganisatorische und rituelle Fragen kommt es schließlich in Anwesenheit des Verbum, das in Begleitung von Petrus und Paulus erscheint. Die Vertreter der Menschheit ziehen anschließend durch die göttliche Lehre erleuchtet in Jerusalem ein, um da den ewigen Frieden unter den Religionen zu unterschreiben.10 Firpo sowie Lech Szczucki11, der die Erkenntnisse des ersteren durch weitere bereichert, begnügen sich mit der Feststellung der Verwandtschaft der fiktiven Geschichten, hinsichtlich der Doktrin betonen sie jedoch eher die Unterschiede zwischen den beiden Autoren, zumal Cusanus’ im Werk von Palaeologus im Lager der Verteidiger der Dreieinigkeit untergebracht wurde, das sich offensichtlich auf Irrwegen bewegt und zur Niederlage verdammt ist. Denn das unvollendete Werk bricht gerade da ab, wo sich Cusanus zu Wort meldet, um für die Dreieinigkeit zu plädieren. Szczucki weist zwar in einer Fußnote darauf hin, dass er auf die Untersuchung der Frage verzichten wird, ob Cusanus auf die Doktrin von Palaeologus, insbesondere auf dessen Rechtfertigungslehre, gewirkt habe. Auch in diesem Aufsatz kann der Frage nicht nachgegangen werden, inwieweit die Idee des religiösen Synkretismus, die ja Cusanus äußerst intensiv beschäftigt hat, Palaeologus trotz offensichtlicher Abweichungen inspirieren konnte. Da uns keine Angaben darüber zur Verfügung stehen, welche Cusanus-Werke Palaeologus, der sich ab Anfang der 1570er Jahre hauptsächlich in Polen und in Siebenbürgen aufhielt, in die Hand nehmen konnte, mag es nützlich sein, auf einige Momente, die von der intensiven Lektüre des De pace fidei zeugen, hinzuweisen. Bei Cusanus werden im Kapitel XV Alamanus’ Fragen erörtert.12 Er ist der Ansicht, das größte Hindernis für eine religiöse Einheit unter den Menschen liege in den großen Unterschieden bei der Auffassung des 10 Die jüngste Auslegung des Werkes: Arnulf Rieber, Die Versöhnung der Religionen nach Cusanus’ ’De pace fidei’, in: Erwin Schadel (Hg.), Johannes Amos Comenius – Vordenker eines kreativen Friedens. Deutsch-Tschechisches Kolloqium anlässlich des 75. Geburtstages von Heinrich Beck, Frankfurt a.M. 2005, 43 – 63. 11 Einleitende Studie zur Ausgabe der Disputatio scholastica. Das Gleiche in Polnisch: Antytrynitarska utopia konsolacyjna ( Jakuba Paleologa Disputatio scholastica), in: Ders., Humanis´ci, heretycy, inkwizitorzy. Stuia z dziejów kultury XVI i XVII wieku, Kraków 2006, 172. 12 Cusa (s. o. Anm. 9), 47 – 50.

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Glücks (felicitas). Während Gott den Juden fleischliche und vorübergehende Güter versprochen habe, und bei den Arabern im Alkoran ebenfalls von fleischlichen, jedoch schon für die Ewigkeit gedachte Versprechungen die Rede sei, stehe in den Evangelien, dass die Menschen im Himmel den Engeln ähnlich sein würden, ohne jegliches Fleischliche. Der Apostel Petrus räumt diese Schwierigkeiten aus, wenn er von der Universalität der intellektuellen Freuden spricht, und im Zentrum seiner Argumentation steht die Behauptung, dass das Glück sich weder im Falle der Muslime noch der Juden auf das Erringen fleischlicher Güter beschränke. Dass den Juden das ewige Leben versprochen worden sei, werde dadurch offensichtlich, dass sie bereit waren, für das Gesetz und ihre heiligen Stätten zu sterben. Sie hätten wohl kaum ihr Leben geopfert, hätte sie Gott nur mit irdischen Gütern belohnt. Auch bei den Muslimen ginge es nicht um Fleischeslüste, sondern darum, dass die Darstellung der Freuden des Fleisches im Paradies metaphorisch (similitudinaliter) zu deuten seien, und dieser Art der Formulierung bediene sich der Alkoran, um auch die ungebildeten und einfachen Menschen vom Götzentum abzubringen und in ihnen den Wunsch nach den Freuden der Seele zu wecken.13 Diese Gedanken tauchen, wenn auch in einem etwas anderen Kontext, in einem der wichtigsten Werke von Palaeologus auf, und zwar in dem 1572 in Krakau beendeten De tribus gentibus. 14 Der Ausgangspunkt ist auch hier die verschiedene Beschaffenheit der menschlichen Suche nach dem Glück (salus). Am Anfang der menschlichen Existenz bedeutete dies Palaeologus zufolge ausschließlich die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse (Essen, Trinken), während für die andere Art von Glück (altera salus) die Griechen und die Juden Konzeptionen formulierten, denen später auch andere gefolgt seien. Die Griechen seien durch fleißiges Lernen zur Einsicht gekommen, dass es auch jenseits des irdischen Lebens ein Leben gibt, das diejenigen erreichen, die standhaft im Interesse der Heimat gekämpft haben. Das Schlüsselmoment für die gesamte Doktrin von Palaeologus ist aber, dass er ebenso wie Cusanus den Juden nicht die Versprechungen für das Jenseits vorenthält, ganz im Gegenteil: Es wird zu einem entscheidenden Moment in der Menschheitsgeschichte, dass Gott dies einem außerordentlich tugendhaften Menschen, Abraham und seinen Nachkommen verkündet hat. Die Christen, die Christus als Messias an13 Aus der Cusanus-Forschung ist jedoch bekannt, dass er später in Cribratio Alcorani bereits weniger verständnisvoll dem Glauben des Mahomet gegenüber war und den in der christlichen Welt gängigen Standpunkt formulierte. 14 Szczucki (s. o. Anm. 3), 229 – 241.

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erkennen, sind demnach die Erben dieses Mannes, ebenso wie auch die Muslime, wie dies auch schon Cusanus behauptet. Trotz der Abweichungen im Wortlaut spricht Palaeologus mit den Argumenten des deutschen Humanisten darüber, dass die im Alkoran zu lesenden Absurditäten nicht wortwörtlich zu verstehen seien, und dass die geschilderten Freuden des Fleisches im Paradies ausschließlich dem Zweck dienten, die einfachen und ungebildeten Menschen zu gewinnen. Dies ist trotz der Unterschiede bemerkenswert, zumal bei Palaeologus im Unterschied zu Cusanus Christi Anwesenheit nicht nötig ist, um auch im Alten Testament eine hochrangige Spiritualität zu sehen. Andererseits zögert Palaeologus nicht lange, Parallelen zwischen der Bibel und dem Alkoran zu ziehen, etwa dass beide Passagen enthielten, die in der Sprache der damaligen einfältigen Menschen formuliert wurden. Auch weitere Momente sprechen dafür, dass Cusanus eine Quelle für die Aufmerksamkeit auf die unterschiedlichen Bräuche der Völker gewesen sein könnte. Um nur auf ein Beispiel hinzuweisen: Im nächsten Kapitel des De pace fidei (XVI) 15 ist die Diskussion zwischen Tatarus und dem Apostel Paulus über die Rechtfertigungslehre zu lesen, bei der festgestellt wird, dass die Beschneidung bei den verschiedenen Völkern unterschiedliche Funktionen hatte. Das, was über diese Frage wesentlich ausführlicher in Palaeologus’ De tribus gentibus bzw. in seiner Catechesis christiana erörtert wird, enthält die gleiche Auffassung und kann als die detailliertere Darstellung dessen aufgefasst werden, was bei Cusanus nur kurz angesprochen wird.16 Um auf die rhetorisch-poetischen Besonderheiten des Werkes, das Cusanus am nächsten steht, zu sprechen zu kommen, ist in der Disputatio scholastica besonders bemerkenswert, dass Palaeologus das Errichten einer fiktiven Welt mit theoretischen Überlegungen verknüpft, die diese Vorgehensweise begründen. Davon zeugt die Einleitung der Disputatio scholastica. Dieser selbst unter den Palaeologus-Schriften aus auffallend komplizierten Sätzen bestehende Text, der voller Allusionen und trotzdem überaus gehoben ist, wurde von den Forschern bisher vollständig außer Acht gelassen. Palaeologus setzt mit der Unterscheidung von sanctum und profanum, der göttlichen und menschlichen Sphäre, ein und schließt dabei jedwede pantheistische Tendenz radikal aus. Gott habe eindeutig verboten, seine 15 Cusa (s. o. Anm. 9), 51 – 57. 16 Palaeologus, De tribus gentibus, in : Ders., 233 – 237; Palaeologus, Catechesis christiana, in: Ders., 80 – 85.

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Angelegenheiten mit denen der Welt zu vermischen. Jene, die dagegen verstießen, wurden strengstens bestraft, und insofern er mit der Welt in Kontakt trat, wurde dies durch außerordentliche Naturerscheinungen begleitet. Nachdem in ihm aber der Wunsch wach wurde, indirekt mit den Menschen in Kontakt zu treten, sandte er bestimmten heiligen Menschen, die eine innige Beziehung zu ihm pflegten, Gesichte, die reich an menschlichen Momenten waren. Der Text schildert ausführlich, wie dies im Alten Testament im Falle von Elia und Jesaja geschah, dann folgt eine Aktualisierung dessen. Würde einer der berühmten Propheten jetzt erscheinen, würde auch Palaeologus es für nötig halten, den wahren Gott in verschiedenen plastischen Formen und abwechslungsreichen Gleichnissen erscheinen zu lassen, damit das Volk endlich begreife, wie viele Götter es gibt. Prophetische Erscheinungen seien noch mehr durch das begründet, was seit der Reformation passiert sei. Einige nämlich hätten, das von Motten und Würmern fast vollständig zerfressene Evangelium in der Hand, begonnen, den Stall des Augias auszumisten, hätten jedoch dabei diesen mit dem Dreck der zum Vorschein gekommenen menschlichen Erfindungen verschmutzt. Dazu sei noch die Verfolgung all jener hinzugekommen, die sie darauf aufmerksam gemacht hätten. So sei eine ganz besondere Situation entstanden, in der sich die Berufenen mit allen Mitteln äußern müssen. In diesem Fall hätten wir unsere Vorstellungskraft zu benutzen, um uns etwas einfallen zu lassen („imaginandum plane est et fingendum“17), um so sprechen zu können, dass andere uns verstehen. Damit begründet Palaeologus die Anwendung der Fiktion, und macht diese jedem zur Pflicht, um die Leiden der Verfolgten naturalistisch und pathetisch heraufbeschwören zu können. Da die theoretische Begründung der Fiktion im italienischen Humanismus nicht üblich ist, bin ich der Meinung, dass diesem Text das, was wir in De voluptate bzw. im dritten Buch des De falso veroque bono von Lorenzo Valla lesen können, sehr nahe steht. Ich möchte daran erinnern, dass Catone Sacco bzw. Maffeo Vegio in den ersten zwei Büchern des Dialogs von Valla ihre Ansichten darüber erörterten, was das Summum bonum sei: Sacco meinte in Vertretung der Stoiker, es sei die Tugend, während Vegio, der für die Epikureer sprach, für den Genuss plädierte. Daraufhin tritt Antonio da Rho auf, der den christlichen Standpunkt dem der Epikureer annähern will, und am Ende schließen die Worte von Guarino Veronese die Diskussion. 17 Palaeologi (s. o. Anm. 7), 11.

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Weitere Zusammenhänge möchte ich hier unberührt lassen und nur erwähnen, dass man nach der Auffassung der neueren Fachliteratur, die das Werk immer mehr als ein Polyphonisches erscheinen lässt, die Redeweise für mindestens genauso wichtig halten sollte wie die entfalteten philosophischen Gedanken. Von diesem Gesichtspunkt aus ist es von großer Bedeutung, dass der Epikureer Vegio nicht mit trockenen Syllogismen argumentiert, sondern hauptsächlich Exempel anführt, und ebenfalls bedeutungsvoll ist in diesem Zusammenhang, dass am Anfang des dritten Buches eine Gedankenfolge vom Erzähler des Textes zu lesen ist, derzufolge diejenigen, die sich mit der göttlichen Sphäre beschäftigen, rhetorisch besonders gebildet werden müssen. Auf der Apotheose der Rhetorik wird später dann die Verherrlichung der Imagination und der Dichtung aufgebaut. Die Genüsse, die im Paradies auf die Menschen warten, werden von Antonio da Rho mit Hilfe einer Gedankenfolge eingeleitet, in der er überlegt, ob man sich seiner Vorstellungskraft bedienen dürfe, wenn man über dieses Thema sprechen will. Seine Antwort ist nicht einfach: „ja“, sondern er hält dies für fast unumgänglich, denn man dürfe nicht auf dieses Mittel der Festigung des Glaubens verzichten. Dementsprechend ruft er seine Hörer auf, ihre Phantasie zu aktivieren – „agedum, figuremus animis atque fingamus quod oculis cernere non possumus“18 – und liefert zugleich ein Beispiel dafür, wie man mit Hilfe der Phantasie der im Augenblick des Todes von dem Körper losgelösten Seele auf dem Weg ins Paradies folgen solle: „Exsoluta membris corporeis anima cotinuo conspicit quaedam, ut sic loquar aerem non aliena luce sed sua naturali radiantem et hoc nostro quem cernimus illustriorem, ampliorem, ameniorem. Etenim si quis lynceis oculis preditus in mediam usque regionem celi sustolleretur usque quo aquilae penetrare solent, is immensam voluptatem caperet ex ipsa libertate longe lataeque conspiciendi, siquidem nos mirum in modum delectat lucentes supra verticem nubes contemplari et de editis montibus remota propicere et versicolores maris undas in altoque volitantia vela quasi candidas conspicari. Quam serenitatem putamus illam fore, quae nobis e latebrosa domo prodeuntibus aperitur. Praesertim cum videas nova quadam luce circumvibrare innumerabiles et ante incognitas stellas. Quid tum postea? In altum spiritus tollitur sua vi ac natura nec operosa et cum conatu, quemadmodum aves solent, sed incredibili inter eundum suavitate.“19

18 Lorenzo Valla, De vero falsoque bono, hg. v. Maristella de Panizza Lorch, Bari 1970, 121. 19 Ebd., 121 – 122.

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Wir folgen der Seele nicht mehr weiter mit langen Zitaten, sondern weisen lediglich darauf hin, dass sie bald von süße Lieder singenden Engeln, die mit wundervoll geschmückten Silberflügeln vom Himmel niederfliegen, ins Himmelreich getragen wird, wo sie an konzentrierten und sublimierten Varianten der irdischen Genüsse teilhaben wird. Um dies zu schildern, muss Antonio da Rho sein Vorstellungsvermögen kräftig arbeiten lassen, denn die theologischen Schwierigkeiten dieser Rede sind nur auf diese Weise auszuschalten. Zu den sich in den Himmel erhebenden Seelen würden sich die Körper erst später gesellen, denn niemand solle denken, dass sich die Engel damit abmühen würden, Leichen in den Himmel zu transportieren, also muss die Phantasie jenen Zustand hervorbringen, zu dem es dann kommt, wenn die Seele eine Körperhülle erhält, die glänzender als die Mittagssonne ist, um in den Genuss alles Körperlichen zu kommen, der größer ist als je etwas Ähnliches auf Erden. Es ist offensichtlich, dass im Gegensatz zur Vision bei Palaeologus die Darstellung des Himmelreiches bei Antonio im heilsgeschichtlichen Rahmen geschieht, trotzdem sind zahlreiche gemeinsame Momente nachzuweisen. Am wichtigsten ist aus unserer Sicht, dass Valla die Verwendung von Fiktion mit dem gleichen theologischen Gedankengang begründet wie wir ihn bei Palaeologus gesehen haben. Diese Verwandtschaft ist schon an sich bemerkenswert, aufgrund einer Stelle in der Disputatio scholastica können wir aber auch einen ganz konkret greifbaren Beweis dafür anführen, dass Palaeologus das Werk von Valla mit Sicherheit gekannt hat. In einer vorbereitenden Beratung der Trinitätsgläubigen sagt Theodore de Beze, nachdem er seine Gegner als ungehobelte Esel und in Kot und Jauche wühlende Idioten beschrieben hat, Folgendes: „Nolo gloriose loqui et nostra ampliare plus quam conveniat, sed scio, si aeque vobis omnibus atque multis ex his, qui hic sunt, essent notae adversariorum vires, conclamaretis omnes de singulis, qui hic sedent, Ostensi, Panormitano, Cusano, Melio, Carolio, Luthero, Melanchthone, Bullingero, Zancho, Genebrardo, Copo, Musculo, Alesio, Hyperio, Hebero, et aliis, quod olim Cato de Pompeio, quem pro consolibus et non pro consule praeponendum bello dixit.“20

Von den aufgezählten Größen scheinen diejenigen, die früher als das 16. Jahrhundert lebten, einander chronologisch zu folgen, und die vor Cusanus wurden von Lech Szczucki folgenderweise identifiziert: Die als Ostiensis bezeichnete Figur wäre mit dem Kanoniker aus dem 13. Jahrhundert, Heinrich von Segusia Ostiensis, identisch, während Panormi20 Palaeologi (s. o. Anm. 7), 51 – 52.

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tanus der Kanoniker Niccolo de Tudeschi Panormitano (1386 – 1445) wäre. Die Chronologie erlaubt uns aber auch eine andere Lösung, nämlich im letzteren Fall an Antonio Beccadelli, d. h. den großen Panormita zu denken, der zwischen 1394 und 1471 lebte.21 Ich möchte daran erinnern, dass in De voluptate oder in der ersten, 1431 in Piacenza verfassten Variante von De falso veroque bono von Lorenzo Valla der epikureische Standpunkt von Beccadelli vertreten wurde, und die gleiche Variante wurde auch 1512 in Paris herausgegeben. Man muss aber nicht unbedingt diese Ausgabe in die Hand nehmen, um sich ein Bild davon zu machen, welche Rolle Beccadelli zugeschrieben wurde, denn darauf wurde auch in den außerordentlich lauten, bis jenseits der Alpen nachhallenden Diskussionen zwischen Paggio Bracciolini und Valla hingewiesen, die in Drucken aus dem 16. Jahrhundert nachzulesen sind. Ein Moment der Auseinandersetzung wird auch in der 1568 in Alba Julia herausgegebenen antitrinitarischen Ausgabe des De falsa et vera unius dei … cognitione aufgegriffen.22 Der wegen seiner bibelphilologischen Tätigkeit für alle Trinitätsleugner als natürliche Lektüre geltende Lorenzo wurde also auch in Siebenbürgen gründlich studiert, und es ist vielleicht auch nicht auszuschließen, dass Palaeologus Vallas Partei ergreift, indem er einen von dessen Gegnern im obigen Zitat aus Disputatio scholastica spöttisch erwähnt. Offensichtlich gibt es also recht interessante Momente in der antitrinitarischen Rezeption von Valla. Ich erinnere daran, dass aus dem großen historischen Werk von Matthias Flacius Illyricus hervorgeht, dass die Reformatoren ihn aufgrund seiner Erkenntnisse in der Bibelphilologie, aufgrund seiner Meinung über den freien Willen sowie selbstverständlich aufgrund seiner kühnen Schrift in Sachen Donatio Constantiniana zu den „testes veritatis“, d. h. zu ihren Vorläufern zählten. Melanchthon übte heftig Kritik am Text des De falso veroque bono, und nur eine stark abgeschwächte Version davon konnte in einigen protestantischen Schulen als Beispiel für den richtigen Gebrauch der lateinischen Sprache dienen.23 Vor diesem Hintergrund bekommt das, was wir im Falle Palaeologus’ feststellen konnten, einen besonderen Akzent. 21 Ebd., 190. 22 De falsa et vera unius Dei…cognitione (Faksimile-Ausgabe Bibliotheca Unitariorum II), (Albae Juliua 1568) Budapest 1988, 194. 23 Claudia Schmitz, Rebellion und Bändigung der Lust. Dialogische Inszenierung konkurrierender Konzepte der glücklichen Leben (1460 – 1540), Tübingen 2004, 121.

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Den weltliterarischen Kontext dieses Werkes machen über das Erwähnte hinaus offenbar auch jene Werke aus, die im Rahmen einer Synode oder Versammlung versuchen, die religiösen Gegensätze zu schlichten. Abgesehen von den Thesen Pico della Mirandolas (Conclusiones nongentae disputandae), die die Glaubenssphäre offensichtlich überschreiten, werden hinsichtlich der Werke aus dem 15. und 16. Jahrhundert folgende in Betracht gezogen: Nicolaus Cusanus: De pace fidei (1453), Dirck Volckertszoon Coornhert: Synodus of van der constientien vryheydt (1582), Jean Bodin: Colloquium Heptaplomeres de rerum sublimium arcanis abditis (1592). In den Philosophiegeschichten kommt Palaeologus’ Werk natürlich nicht vor, und über die bekannten Ursachen hinaus (d. h. die nicht ausreichende Kenntnis der ostmitteleuropäischen Publikationen) spielt dabei zweifelsohne auch eine Rolle, dass es sich – wie bereits erwähnt – um einen Manuskript gebliebenen Text handelt, der für Jahrhunderte der Öffentlichkeit nicht zugänglich war. Von den angeführten frühneuzeitlichen Schriften kann zwar allein das von Cusanus als Muster in Frage kommen, es dürfte jedoch aufschlussreich sein, die ideellen und poetischen Eigenarten des Textes von Palaeologus mit den aufgezählten Werken zu konfrontieren. Wir setzen sie als bekannt voraus und wollen lediglich die wichtigsten rhetorischen und poetischen Charakteristika der Werke von Cusanus, Coornhert und Bodin vergegenwärtigen. Die Arbeit von Coornhert ist das Protokoll einer offensichtlich fiktiven Synode.24 Über die Entstehungsumstände erfahren wir aus den Aufzeichnungen zum ersten Tag der 19. Sitzung. Da meldet sich, wie auch in den späteren Sitzungen, ein gewisser Jesonias zu Wort. Er wendet sich an die ehrwürdigen weltlichen und kirchlichen Persönlichkeiten: Er habe darauf gehofft, dass auch Meister Daniel an ihren Versammlungen teilnehmen werde, er sei aber wegen seiner sonstigen Verpflichtungen verhindert. Soviel habe er jedoch verordnet, dass alle ihre Meinungen auch schriftlich verfassen sollen, damit er nach seiner baldigen Rückkehr sein Urteil fällen könne. Nach dem Eröffnungsgebet folgen neben den Vertretern der katholischen bzw. der reformierten Kirche Hosius, Calvin, 24 Ich benutzte die moderne französische Ausgabe: Tierry Coornhert, A l’aurore des libertés modernes. Synode sur la liberté de conscience 1582, hg. V. Joseph Lecler/Marius François Valkhoff, Paris, 1979. Bei der Analyse stütze ich mich auf folgende Studie: James D. Tracy, Erasmus, Coornhert and the acceptance of religious disunity in the body politic. A Low Countries Tradition, in: C. Berkvens-Stevelinck/J. Israel/G.H.M. Posthumus Meyjes (Ed.), The Emergence of Tolerance in the Dutch Republic, Leiden 1997, 49 – 62.

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Béza, Bullinger und Musculus die unterschiedlichsten Stellungnahmen zur wahren Kirche, zur Häresie, und vor allem dazu, wie das Verhältnis zwischen Magistrat und Kirche sein soll. In jeder Sitzung spricht auch Gamaliel, der im 5. Kapitel der Apostelgeschichte den Hohepriestern den Rat gibt, nicht mit weltlichen Mitteln gegen die Christen aufzutreten, denn wenn ihre Lehre nicht aus Gott ist, wird sie zu Grunde gehen. In diesem Sinne argumentiert er auch bei Coornhert, und in der Fachliteratur wird allgemein davon ausgegangen, dass er die Meinung des Verfassers Coornhert formuliert. Die vorletzte Wortmeldung des Werkes wird in diesem Geiste an die christlichen Herren gerichtet, sie möchten ihr Schwert nur in weltlichen Angelegenheiten, gegen die verschiedenen Verbrecher einsetzen. Als letzter fasst Jesonias die Standpunkte zusammen und verkündet, sie hätten die von Gott erteilte Aufgabe erledigt, es sei diskutiert worden, was dem Gedeihen des Reiches Christi und dem Heil der Menschen dient. Er wolle alles Gesagte so zusammenfassen, dass jedem vergegenwärtigt wird, was er gesagt hat, und jeder sich Gedanken darüber machen kann. Er werde die Akten jedem zukommen lassen, damit jeder sich bis zur Rückkehr von Daniel überlegen könne, was er verwerfen bzw. befolgen wolle. In dem Werk des wesentlich bekannteren Jean Bodin, das er am Ende seines Lebens verfasste und das Manuskript blieb, bald aber ins Französische übersetzt und in dieser Fassung verbreitet wurde, diskutieren sieben Personen über erhabene, jedoch geheime Fragen. Die Diskussion findet im venezianischen Haus des Katholiken Paulus Coronäus statt, und aus dem Gespräch stellt sich heraus, welcher Religion die, wie auch er, nur beim Namen genannten Gesprächspartner sind und welchen Standpunkt sie vertreten: Fridericus Podamicus ist Lutheraner, Hieronymus Senamus ist ein Skeptiker, der zu keiner Konfession gehört, Diego Toralba ist Vertreter der religio naturalis, Antonius Curtius ist reformiert, Salomon Brassicanus ein Jude und Oktavius Fagnola Muslim. In der sechs Tage lang dauernden Diskussion werden mit großer Gelehrtheit viele dogmatische Fragen der großen Religionen und Konfessionen erörtert, jeder hält aber an seinem eigenen Standpunkt fest, und vom Erzähler erfahren wir, dass jeder nach dem Treffen durch seine fromme Lebensführung zum Fürsprecher seiner Religion wurde.25 25 Aus der riesigen Fachliteratur soll diesmal nur auf folgenden Studienband verwiesen werden: Ralph Hfner (Hg.), Bodinus Polymeres. Neue Studien zu Jean Bodins Spätwerk (Wolfenbütteler Forschungen 87), Wiesbaden 1999.

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Zwar blieb das Werk von Palaeologus unvollendet, trotzdem kann ohne Zweifel davon ausgegangen werden, dass das Ende dem CusanusWerk ähnlich den Sieg des einen Standpunktes, nämlich des unitarischen, verkündet hätte. Dies verbindet die Disputatio mit der Literatur, die im Dienst der Reformation stand, und von diesem Standpunkt aus gesehen ist es nebensächlich, dass die hier siegreichen radikalen Antitrinitarier in Wirklichkeit keine Chance mehr auf den Sieg hatten. Der in der Welt der Fiktion geschilderte Sieg ist zugleich die zwangsläufige Verbuchung der Niederlage, die gezwungene Kenntnisnahme dessen, dass es nur in der idealen Stadt Janopolis möglich ist, die Grundlage des konfessionellen und religiösen Synkretismus durch die Ausschaltung des in der Bibel ohnehin nicht beschriebenen Dreifaltigkeitsdogmas zu schaffen. Daher sagt Lech Szczucki, dass das Aufleuchtenlassen der Wahrheit in der fragmentarischen Disputatio scholastica als eine tröstende Utopie für die auf Erden erlittenen Niederlagen und Verfolgungen aufzufassen sei. Als konfessionell weniger verpflichtet kann die Lösung bei Coornhert und Bodin gelt, die die Existenz der verschiedenen Religionen und Konfessionen als untilgbare Gegebenheit ansieht, um dann einen Vorschlag zu formulieren, wie diese nebeneinander leben und in einen spirituellen Wettbewerb eintreten sollten. Auch ein weiterer Unterschied ist nicht unwesentlich: In Coornherts Werk erhält die alles an seinen Platz rückende und die göttliche Wahrheit verkündende Wiederkehr Meister Daniels auch unausgesprochen eine eschatologische Deutung, er selber wird von der Mehrheit der Interpreten mit Christus selbst gleichgesetzt, und somit wird auch die Zeit, die bis dahin vergehen muss, zumindest in Umrissen angegeben. Verbindungen und Unterschiede in den Konzeptionen bedeuten jedoch keine mechanischen Entsprechungen auf der Ebene der Textgestalt. Zwei von den behandelten vier Werken verfügen über eine Rahmenstruktur, wodurch eine Distanz zwischen dem Erzähler und dem Verfasser entsteht. In Cusanus’ Werk erscheinen die Ereignisse im Himmel als die Visionen eines Menschen, der durch den Fall Konstantinopels erschüttert und durch lange, kontinuierliche Meditation zum Seher wurde. In der Einleitung heißt es, dass dieser nicht näher benannte Mann das Gesehene aufgeschrieben habe, um es jenen zur Verfügung zu stellen, die als führende Persönlichkeiten etwas zu unternehmen imstande sind, um Einheit unter den verschiedenen Religionen zu schaffen. Darüber, wie er in den Besitz des Manuskripts gekommen ist, schreibt der Verfasser nichts, und durch diese Mangelhaftigkeit der Rahmengeschichte verliert das Gesagte noch mehr an Persönlichem. Parallel dazu ist Bodins Werk in Wirklichkeit ein Brief, den der unbekannte Verfasser von Venedig aus an einen gewissen N.

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T. schickt, der bislang nicht identifiziert werden konnte. Der Absender erzählt, er sei hier auf das Haus des schmächtigen, und daher zu Reisen unfähigen Coronäus gestoßen, wo er als Vorleser angeheuert worden sei. Zu seinen Aufgaben habe gehört, die Gespräche unter den eingeladenen Gelehrten aufzuzeichnen. Hiermit schicke er dem Adressaten die interessanteste und an Argumenten reichste Disputation, die von der Deutung einer Stelle bei Plato und der Unsterblichkeit der Seele ausgegangen sei. Auf diesen ersten Teil, der keine eigenständige Einheit bildet, folgen die Gespräche, der Erzähler wägt im Weiteren keineswegs das Gesagte ab, wenn er zu Wort kommt, seine Aufgabe beschränkt sich vielmehr auf äußerst knappe Einführungen des jeweiligen Gesprächs sowie auf eine abschließende Anmerkung. Wie bei Coornhert ist auch bei Palaeologus die Botschaft weniger metaphorisch formuliert. Die theoretische Einleitung wurde zwar noch in der 3. Person Singular verfasst, am Ende spricht aber der Erzähler bereits in der 1. Person, um auch mit diesem grammatischen Mittel dem Gesagten eine persönliche Note zu verleihen. Einen Schritt vor der Welt der Fiktion erfahren wir, dass er durch das an Gott gerichtete Gesuch der 24 himmlischen Senatoren sowie durch den immer öfter stürmenden Himmel, der die Schmach der Gerechten nicht länger ertragen kann, bewogen wurde, dem heißen Wunsch der rechtschaffenen Menschen nachzukommen und in das Horn der Argumente zu stoßen: „Ut autem hoc fiat, suadent sangvines istius unius individui divini, qui solus Pater dicitur, causa occisorum, cineres combustorum, cadavera aut crucifixorum aut aquis suffocatorum, membra dicerpta caudis et pilis ad ostentationerm victoriae et incutiendum aliis metum praefixa et turrium excelsarum cacuminibus pendentia, vincula multorum, exilia innumerorum, nuditas et mendicitas non paucorum, calamitates et infortunia non semel ingruentia nonnullorum.“26

Durch diese Zeilen wird ein fast von kosmischen Kräften bewegter Erzähler geschaffen, der im Weiteren dann auf die 3. Person Singular übergeht und zum größten Teil nüchtern und besonnen erzählt; der ständige Wechsel zwischen den grammatischen Personen zeigt jedoch seine Anwesenheit an. Diese Anwesenheit bedeutet von Fall zu Fall auch, dass er sich in die Ereignisse einschaltet: Er kann nicht umhin, keine schadenfreudige Worte an Michele Ghislieri, d. h. Papst Pius V. zu richten, der statt der Schlüssel zur Himmelpforte die zur Hölle bei sich hat und der als Hauptinquisitor das nicht abwaschbare Blut leckt. Nachdem die zur 26 Palaeologi (s. o. Anm. 7), 13.

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himmlischen Diskussion eintreffenden Fürsten alle von König Josias mühelos untergebracht worden sind, teilt er dem Leser mit, dass er, obwohl schon etwas müde, doch sehr erfreut darüber war, seinen ehemaligen Herrscher Kaiser Maximilian II. sprechen zu können. Leider sei er aber nicht fähig gewesen, auch nur einen Laut von sich zu geben, weil die Eingeladenen nur mit den wieder Fleisch gewordenen Seligen sprechen konnten. „Tum ego languere coepi et gestire, et loqui ad meum cupiebam principem, et cum os aperuissem, vocem edere non poteram, quod invocatis loqui non permitteretur, nisi cum beatis spiritibus, qui ubique corporati visebantur.“27

Nicht weniger rafiniert zeigt der Erzähler an anderen Stellen seine eingeschränkte Kompetenz an, wenn er angesichts von Bekannten in der böhmischen Delegation selbstmitleidig ruft, wie schön es gewesen wäre, Huber Languet treffen zu können: „O si concedi potuisset in nullius aulam adscriptis, sed unius nutui devoto, Languetum meum Humbertum coplexus fuissem et gratulatus fugam ex perfida Gallia sospitem“.28 Die vom Erzähler geschaffene fiktive Welt verfügt also über Gesetzlichkeiten, die auch den eigenen Schöpfer überragen; es ist als würden Kräfte, die außer seiner Macht stehen, darüber entscheiden, wer die Hauptfigur seines Werkes sein wird. Es ist aber auch leicht möglich, dass es darum geht, dass unser Autor, der ständig auf der Suche nach Mäzenen war, in diesen Anmerkungen seine weitreichenden Kontakte dokumentieren wollte. Dies zeigt sich besonders markant an der Stelle, wo er zwei ausgesprochen autobiographisch geprägte Geschichten einfügt. In der einen geht es darum, dass die Möglichkeit, frei hin- und herfliegen zu können, von den Brüdern Gerendi aus Siebenbürgen sowie von anderen Freunden des Verfassers dazu genutzt werde, die Heimat von Palaeologus aufzusuchen und seine weit bekannte Verwandtschaft kennen zu lernen. Das Gleiche tun auch jene böhmischen Geistlichen, die an der vornehmen Herkunft des Autors gezweifelt haben, die aber in der türkischen Gefangenschaft ihre gerechte Strafe erhielten und erst auf gnädige Vermittlung des Autors doch noch in ihre Heimat zurückkehren durften. Durch derartige Episoden wird die Komposition natürlich nicht gerade straff, auf der anderen Seite funktioniert aber die Fantasie auch in diesen Passagen auf eine wunderbar fesselnde Weise, und die augenfälligste Eigentümlichkeit des Werkes ist das fast zügellose und 27 Ebd., 70. 28 Ebd., 67.

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manchmal gar nicht so problemlose Nebeneinander der fiktiven und der über Referenzen verfügenden Textstellen. In den behandelten Texten finden wir also hinsichtlich der Schauplätze, der Rede- und Darstellungsweise einander kreuzende Lösungen. Die Nennung des konkreten Schauplatzes Jerusalem stellt bei Cusanus kein Hindernis dar, die Angeführten der mittelalterlichen Allegorisierung entsprechend agieren zu lassen. Die Beschworenen sind keine Menschen, sondern intellektuelle Tugenden (intellectuales virtutes), was von vornherein ihre sinnliche Darstellung einschränkt. Das in Bodins Werk erscheinende Venedig und seine Universität ist bekannterweise im 16. Jahrhundert eine bedeutsame Insel der Freiheit, wobei die in Coronäus’ Haus verkehrenden Figuren nur unter riesigen Schwierigkeiten mit jemals in Venedig gewesenen Humanisten zu identifizieren sind.29 Auf dem Titelblatt des 1582 erschienenen Coornhert-Werks stand, die besagte Synode habe in Vryburch, d. h. in der Stadt der Freiheit stattgefunden, aber die Protagonisten zeigen ein buntes Bild. Jene Personen, die man nicht unbedingt für Fantasiegeschöpfe halten sollte, Vertreter der katholischen und reformierten Gemeinde, tragen keine Namen, identifizierbare Namen tragen demgegenüber jene, die aus der Bibel (Gamaliel) oder aus den früheren Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts (Stanisław Hosius, Calvin, Musculus) kommen, die also auf keinen Fall an der Glaubensdiskussion haben teilnehmen können. Ihre Wortmeldungen können dementsprechend nichts anderes sein als Zitate aus ihren Werken. Der mit dem Autor selber identifizierbare Erzähler kümmert sich jedoch nicht um diese kompositorischen Schwierigkeiten. Im Vorwort nennt er sich beim Namen und spricht die frommen und unvoreingenommenen reformierten Geistlichen und weisen Vornehmen der Niederlande an. Er weist darauf hin, dass er nunmehr seit zehn Jahren gegen Calvins und Bézas Auffassungen kämpfe, die der Ansicht sind, der Glaube dürfe auch mit äußerem Zwang und mit Gewalt gegenüber dem Gewissen verbreitet werden. Auch verschweigt er nicht, dass er aus diesem Grund des Libertinismus, des Ateismus verleumdet wurde, man hielt ihn sogar für den Diener des Teufels, und man sagte ihm nach, er habe bei einer Auseinandersetzung seinen Gegner körperlich verletzen wollen, nachdem ihm die Argumente 29 Ein äußerst spannender Versuch: Friedrich Niewçhner, Als Friedrich in den falschen Apfel biss: Der Augsburger Mathematiker F. Podamicus im „Colloqiuum Heptaplomeres“ des Jean Bodins, in: Jochen Brning, Friedrich Niewçhner, Augsburg in der frühen Neuzeit. Beiträge zu einem Forschungsprogramm, Berlin, 435 – 444.

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ausgegangen waren. Gegen diese Vorwürfe und Verleumdungen habe er sich bereits in mehreren Werken verteidigt und jetzt wolle er jedem nahelegen: Der Standpunkt, der in Glaubensangelegenheiten Gewalt und Zwang zulasse, ist unhaltbar und wider das Wesen des Christentums. Ich bin der Meinung, dass die grobe und sich nur auf die Komposition beschränkende Behandlung der verwandten Werke einige sehr wichtige Eigentümlichkeiten des Palaeologus-Werkes an den Tag gelegt hat. Im Hinblick auf den Disputationsort ist es wichtig, dass das Gespräch bei Palaeologus zum einen gleichermaßen aus der fast zeitgenössischen humanistischen wie aus der biblischen Tradition schöpfend in der idealen Stadt Janopolis im Tempe-Tal (aus dem Werk lässt sich eindeutig ersehen, dass die Stadt ihren Namen von Johann Sigismund, dem siebenbürgischen Fürsten und großen Förderer der Unitarier bekam), zum anderen in dem aus antiken Zeiten stammenden Theater Antiochiens stattfindet, wobei der Autor mit unerschöpflicher Detailliertheit die den Auseinandersetzungen würdigen Umstände schildert. Zunächst wird das Tal mit reichlich onomatopoetischen und farbenfrohen Effekten geschildert: „In arboribus autem volucres coeli et minurizantes et vocaliores, quae oblectare et delenire solent aures, et versicolores gratae oculis sunt iussae nidulari et cantibus omnia implere. Mandatum quoque est ventis, ut ex omnibus quattuor partibus perflarent, sed hactenus, quatenus in media Tempe subsiderent referentque eo odorum et vocum atque cantuum sauvitatem et melos, quibus hi perfunderentur, qui erant adventuri, et non ultra citrave, fames,s itis, frigus,estus abesse iussa.“30

Mit Hilfe ähnlicher Mittel beschreibt Palaeologus auch die Stadt. Hier nur ein einziges Beispiel: „Viae autem hinc inde saeptae viridariis erant, limoniiis, aranciis, citriis, et mitioribus arboribus sauvaeque olentibus plenae. Scaturigines aquarum et fontium exitus ad stuporem usque omnia irrigabant. Pulvis nullus, qui molestus esset, alicubi, sed constratae viae, nec durae, nec molles, verum quae aptae et commode sine iniuria exciperent vestigium.“31

Nicht weniger sinnlich ist auch die hier nicht näher zu zitierende Beschreibung der Quartiere, der Speisen und der Getränke. Dies ist ganz offensichtlich anders als bei Cusanus, und der Leser hat den Eindruck, dass Palaeologus ihm die Traditionen nahebringen möchte, aus denen er bei der Schilderung dieser Details schöpfte. An einer Stelle steht nämlich, dass zu dem hochrangigen Anlass aus den verschiedensten Ländern, selbst aus der 30 Palaeologi (s. o. Anm. 7), 32 – 33. 31 Ebd., 34.

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Neuen Welt, Dichter kamen, die auf einem Podest nacheinander in der eigenen Muttersprache ihre heiligen Hymnen vortrugen. Es werden auch einige konkret genannt: „Attulerat Boemia Collinum, Italia Sanazarium, Scotia Buchananum, Germania Eobanum, Flandria Huthenovium, Gallia dedisset Auratum, sed adversatae sunt illum Musae, quod pretio accepto carmina sacra ad perfidiam contegendam divendidisset.“

Er zählt also vom Böhmen Kollin bis hin zum Franzosen Jean Dorat wichtige Vertreter der zeitgenössischen neulateinischen Dichtung auf, und aus dem aktuellen Anlass dieser Studie heraus halte ich die Erwähnung des Jacopo Sannazaro, des Autors der Arcadia, für besonders spannend. Auf jeden Fall kann festgestellt werden, dass auch die die idyllische Welt darstellenden Texte der italienischen Renaissance unter den Vorbildern gewesen sein dürften, denn es könnten von den verschiedensten Autoren von Boccaccio bis hin zu Bembo zahlreiche Texte parallel zu den obigen Zitaten angeführt werden. Der Verfasser, der an den Beschreibungen Arkadiens seinen Spaß hat und reichlich daraus schöpft, ist an sich eine Ausnahmeerscheinung in der Literatur der europäischen Reformation, es ist aber auch nicht auszuschließen, dass diese Textpaneele die Schilderungen bei Palaeologus gar nicht vollständig decken, und dass in der Darstellung der idealen Stadt auch sehr feine individuelle Details zu belegen sein werden. Ein Beispiel zur Illustration: „Solem in medio caelo superne consistere iussit Josias nubeculis interiectis, ut solis et praesentia et lumen essete gratum incolis. Est autem mandatum terrae, ne solis radios exciperet et ex repercussione aestum ederet, sed transmitteret ad inferos et ad antipodas, tum primum solis radius infero est visus, et antipodes ex terra lumen receperunt.“32

Was die Figuren der Disputation betrifft, ist eine sehr spannende Zweiheit festzustellen. Auch die bei Palaeologus agierenden Protagonisten sind fast alle wohlbekannte weltliche und kirchliche Persönlichkeiten, und die persönliche Betroffenheit der Verfasser wird auch in dieser Beziehung nicht in den Hintergrund gedrängt. Neben den verstorbenen und noch lebenden Theologen treten seine den Zeitgenossen vertrauten Förderer und Freunde aus Böhmen oder Siebenbürgen ebenso auf, wie zeitgenössische Herrscher, von denen die Königin von England, Elisabeth, auf besonders herzliche Art dargestellt wird, während auf der anderen Seite dem französischen König Karl IX. wegen des Blutbads in der Bartholo32 Ebd., 33.

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mäusnacht von Josias kein Zutritt in seine Stadt gewährt wird. Durch eine ganze Reihe von solchen Momenten wird dem Autor jene auffällige Vorgehensweise möglich, eine einzige Figur ohne Kommentar und Erklärung mit einem Namen aus der Bibel zu versehen. Dass er König Josias auf diese Art und Weise auftreten lässt, legt die Vermutung nahe, dass seine Identifikation mit Johann Sigismund gar nicht ausgesprochen zu werden brauchte, und die aus dem Alten Testament stammende Bezeichnung die unermessliche historische und heilsgeschichtliche Bedeutung des letzteren noch offensichtlicher machte. Die Reihe der bunten Schilderungen und der abenteuerlichen Episoden verursachen jedoch in der Struktur des Werkes ein Wirrwarr, von dem man sich schon deshalb kein eindeutiges Bild machen kann, weil die für zehn Tage geplante Disputation am zweiten Tag abbricht. Da in beiden erhalten gebliebenen Manuskripten der Text an gleicher Stelle aufhört, kann angenommen werden, dass der Autor ihn gar nicht beendet hat. Aber selbst die zerfallende Komposition täuscht nicht darüber hinweg, dass vor dem europäischen Hintergrund bestimmte Tugenden sehr markant hervortreten. Wie wir sehen konnten, zeigt sich bis auf Bodin bei keinem der Autoren die bei Palaeologus nachzuvollziehende Bestrebung, die für das gesamte Werk geltende rhetorische Situation aufrechtzuerhalten, verschiedene Persönlichkeiten auftreten und sprechen zu lassen. Im Falle der allegorischen Tugenden bei Cusanus meldet sich dieser Anspruch von vornherein gedämpft, es ist aber auch bei Coornhert nicht nachzuweisen, dass er die Reden der längst toten mittelalterlichen oder fast zeitgenössischen Autoren auf diese Weise illustrieren wollte. Im fragmentarischen Werk von Palaeologus funktioniert die Fiktion als eine Kohäsionskraft für den gesamten Text, und der Verfasser schöpft bei der Schilderung des idealen Schauplatzes und der Umstände der Disputation aus den Werken des frühen lateinsprachigen Humanismus, um auf diese Weise in der europäischen Reformation einen außerordentlichen und individuellen Texttyp ins Leben zu rufen.

Calvinismus, Irenismus und konfessionelle Duldung in der Frühen Neuzeit Nicolette Mout Einleitung „Die Arbeiter, die das Unkraut zu früh ausreißen wollten, sind diejenige die meinen, daß die falschen Apostel und Ketzer mit dem Schwert vernichtet und getötet werden sollen; Gott will sie jedoch nicht vernichtet sehen, sondern vielmehr, daß sie geduldet werden, so daß sie vielleicht bereuen und sich von Unkraut in Weizen verwandeln.“1

Schon über tausend Jahre hatten Theologen das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen im Matthäusevangelium (13,24 – 30) im Zusammenhang mit der Frage der Ketzerverfolgung kommentiert, als Erasmus 1522 in seiner Paraphrase von Matthäus diese Worte schrieb. In späteren Zeiten sind sie des Öfteren als Plädoyer für religiöse Toleranz gedeutet. Wie wir jetzt wissen, war Erasmus kein prinzipieller Gegner der Ketzerverfolgung, aber er empfahl der kirchlichen sowie der weltlichen Obrigkeit, für Ruhe und Ordnung im öffentlichen Leben zu sorgen. Ketzern, die die Öffentlichkeit nicht störten, sollte die Obrigkeit mit gebührender Zurückhaltung entgegentreten und besser nicht verfolgen. Nur in diesem Sinne lieferten die Auffassungen von Erasmus eine zeitgemäße Argumentation für religiöse Toleranz und Freiheit der individuellen Überzeugung. Am allerwichtigsten schien ihm jedoch die Frage zu sein, wie die Einheit der christlichen Welt, welche von der Reformation und den daraus entstandenen Auseinandersetzungen bedroht wurde, zu bewahren sei.2 1

2

Zitiert bei Wallace K. Ferguson, The attitude of Erasmus toward toleration, in: Persecution and liberty. Essays in honor of George Lincoln Burr, New York 1931, 179. Siehe auch Roland H. Bainton, The parable of the tares as the proof text for religious liberty to the end of the sixteenth century, in: Church History 1 (1932), 67 – 88; John J. Bateman, From soul to soul: persuasion in Erasmus’ Paraphrases on the New Testament, in: Erasmus in English 15 (1987 – 1988), 7 – 16. Manfred Hoffmann, Erasmus and religious toleration, in: Erasmus of Rotterdam Society Yearbook 2 (1982), 80 – 106; Mario Turchetti, Une question mal posée. Erasme et la tolérance. L’idée de sygkatabasis, in: Bibliothèque d’Humanisme et de

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Erasmus teilte diese Sorge übrigens mit vielen, auch jüngeren, Zeitgenossen, unter ihnen die Reformatoren Luther und Calvin selbst. Nach seiner anfänglichen Verteidigung der ,christlichen Freiheit‘ und seiner in der Schrift Von weltlicher Obrigkeit (1523) formulierten Skepsis über die Rolle der Obrigkeit bei der Unterdrückung der Häresie, bezog Luther 1525 eindeutig Stellung: Die weltliche Macht sollte öffentliche Gotteslästerung sowie Aufruhr bestrafen, weil sie eine Bedrohung der Gesellschaft darstellten. Fürsten sollten die wahre Religion beschützen, falsche Lehren bekämpfen und den neu reformierten, evangelischen Kirchen die ,christliche Freiheit‘ zugestehen. Er konzedierte aber, dass die Gewährung von Gewissensfreiheit für Dissidenten, die ihre Lehren nicht in der Öffentlichkeit austrugen und somit den gesellschaftlichen Frieden nicht störten, eine weitere Möglichkeit war.3 Duldsamkeit gegenüber Ketzern war Calvin fremd. Er bevorzugte die Verfolgung falscher Propheten und Ketzer und verabscheute den Gedanken, dass ein Mensch seinen Glauben individuell gestalten könne. Seiner Überzeugung nach sollte der christliche Glauben untrennbar mit dem religiösen Leben der Gesellschaft verbunden sein. Als Konsequenz dieser Auffassung war für ihn die stabile Verbindung zwischen Religion und sozialer und politischer Ordnung besonders wichtig. Die Aufrechterhaltung der wahren Lehre in Kirche und Gesellschaft sowie die Vorbeugung, und, wenn es sein musste, die Bestrafung der Ketzerei entwickelte sich auf diese Weise bei Calvin zu einer wichtigen Aufgabe der weltlichen Obrigkeit.4

3

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Renaissance 53 (1991) 379 – 395; Erika Rummel, Erasmus and the Restoration of the Unity in the Church, in: Howard P. Louthan/Randall C. Zachman (Hg.), Conciliation and Confession. The Struggle for Unity in the Age of Reform, 1415 – 1648, Notre Dame 2004, 62 – 71. William D. J. Cargill Thompson, The political thought of Martin Luther, Brighton 1984, 155 – 162; Marc Lienhard, De la tolérance à l’intolérance. Comment et pourquoi Luther a-t-il changé à partir de 1525?, in: Homo religiosus. Autour de Jean Delumeau (Paris 1997), 637 – 640; James M. Estes, Luther’s first appeal to secular authorities for help with church reform, 1520, in: Robert J. Bast/ Andrew C. Gow (Hg.), Continuity and change. The harvest of Late-Medieval and Reformation history. Essays presented to Heiko A. Oberman on his 70th birthday, Leiden 2000, 48 – 76. Harro M. Hçpfl, The christian polity of John Calvin, Cambridge 1982; William J. Bouwsma, John Calvin. A sixteenth-century portrait, New York / Oxford 1988, 101, 216 – 217; Roland H. Bainton, The travail of liberty. Nine biographical studies, Philadelphia 1951, 54 – 72.

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Demnach scheint eine Nebeneinanderstellung von religiöser Toleranz und Calvinismus auf den ersten Blick nicht besonders ergiebig. Dennoch ist zu bedenken, dass in einem überaus wichtigen Punkt die Auffassungen Calvins sich nicht von der Einstellung Luthers oder Erasmus’ unterschieden: Alle drei betrachteten Häresie als ein zutiefst störendes Element in der Gesellschaft, und keiner von ihnen sah religiöse Pluralität als wünschenswert an oder akzeptierte sie als normalen Zustand. Wer die offenbarte Wahrheit kannte, hatte in der Frühen Neuzeit meist wenig Geduld mit Anhängern anderer konfessioneller Richtungen. Religiöse Toleranz stand nicht gerade in dem Ruf, eine erstrebenswerte Tugend zu sein. Duldung der konfessionellen Pluralität in einer bestimmten Gesellschaft oder Nation wurde eher als eine nicht-definitive Notlösung in schwierigen Zeiten betrachtet. Die ideale Lage der religiösen Homogenität war ja oft nur um den Preis verhängnisvoller sozialer und politischer Unruhen zu erreichen. Im Europa der Frühen Neuzeit hat es nichtsdestotrotz hier und da Menschen gegeben, die sich Anhänger Calvins nannten, deren konfessionelle Duldung nicht sosehr ein notwendiges Übel, sondern eher die Frucht aufrichtiger Erwägung und somit eine ernsthafte Tugend bedeutete.5 Diese Art von Toleranz ist nicht mit purer Nachgiebigkeit oder Sanftmut (lenitas) Andersgläubigen gegenüber zu verwechseln. Vielmehr handelt es sich hier um eine bewusst eingesetzte Religionspolitik mit der Absicht, den verschiedenen Konfessionen je einen Platz in der Gesellschaft und im Staatsgebilde zuzuweisen und so den Frieden zu sichern. Konnte ein Calvinist ein solches Vorgehen nicht nur aus praktisch-politischen Gründen billigen, sondern auch unter Verwendung theologischer Argumente oder sogar mit dem Herzen annehmen? Ist es mit anderen Worten möglich gewesen, sogleich Calvinist und Ireniker zu sein? Wer bei einem Versuch, solche Fragen zu beantworten, ausschließlich die Institutio von Calvin zu Rate zieht, sieht sich bald gezwungen, diese Möglichkeit strikt zu verneinen. Denn mit klarer Logik legt er dar, dass falsche, trostlose Lehren gefährlich für das Heil der religiösen Gemeinschaft und der individuellen Gläubigen seien, und dass die Obrigkeit die Pflicht habe, die wahre Religion zu fördern und zugleich die falschen Lehren zu wehren und wenn möglich auszurotten. Aber zugleich erwähnt er die Einheit der Kirche aus 5

Nicolette Mout, Peace without concord: religious toleration in theory and practice, in: Ronnie Po-Chia Hsia (Hg.), The Cambridge History of Christianity Bd. 6, Reform and Expansion 1500 – 1660, Cambridge 2007, 227 – 243; 643 – 649.

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Gottes Setzung, in der die falsche römisch-katholische Kirche nicht passe. In der wahren Kirche gehe es ihm um die Fundamentalartikel oder necessaria des christlichen Glaubens, die idealiter eine Vereinigung der einzelnen reformatorischen Richtungen möglich machen sollen, selbstverständlich ohne dass die Reinheit des göttlichen Wortes aufs Spiel gesetzt würde.6

Toleranzregelungen in Siebenbürgen, Polen und Böhmen (ab ca. 1550) Im in religiöser Hinsicht sehr gespaltenen Fürstentum Siebenbürgen verliehen seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts die Landtage immer mehr Konfessionen Glaubensfreiheit, in der Form einer rechtlichen Gleichstellung. Das Jahr 1557 zum Beispiel sah die Gleichstellung der katholischen und lutherischen Kirchen vor; 1564 erlangte die calvinistische Kirche die Glaubensfreiheit mitsamt rechtlicher Anerkennung. Vier Jahre später, auf dem Thorenburger Landtag, kam es zu einer beachtlichen Vertiefung dieser Toleranzpolitik: Zu den katholischen, lutherischen und calvinistischen Kirchen gesellten sich nun auch die Antitrinitarier. Die griechisch-orthodoxe Kirche wurde nicht in dem Landtagsbeschluss erwähnt, aber sie profitierte dennoch; schon in vorreformatorischen Zeiten wurde sie traditionell von den katholischen Machthabern geduldet und auch später konnte sie ziemlich unbehelligt weiter existieren. Prediger jedweder Konfession waren frei, das Evangelium zu verkünden. Niemand sollte gezwungen werden, sondern ein jeder hatte die Freiheit, Prediger und Lehren nach eigener Wahl zu folgen; Verfolgung war nicht zugelassen. Dieses Prinzip der rechtlich festgelegten gegenseitigen konfessionellen Duldung wurde erst am Ende des siebzehnten Jahrhunderts, bei der Eingliederung Siebenbürgens in das Habsburgerreich, außer Kraft gesetzt.7 6

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Johannes Calvinus, Institutio Christianae Religionis, Buch IV, Kap. 20; Otto Weber, Die Einheit der Kirche bei Calvin, in: Jürgen Moltmann (Hg.), CalvinStudien 1959, Neukirchen 1960, 130 – 142; Gottfried W. Locher, Calvin. Anwalt der Ökumene, Zürich 1960; Willem Nijenhuis, Calvinus Oecumenicus. Calvijn en de eenheid der kerk in het licht van zijn briefwisseling, Den Haag 1959. Ludwig Binder, Grundlagen und Formen der Toleranz in Siebenbürgen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts (Siebenbürgisches Archiv 11), Köln / Wien 1976; Krista Zach, Zur Geschichte der Konfessionen in Siebenbürgen im 16. bis 18. Jahrhundert, in: Südostdeutsches Archiv 24 / 25 (1981/1982) 40 – 89; Katalin Pter, Tolerance and intolerance in sixteenth-century Hungary, in: Ole Peter

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Im Königreich Polen-Litauen regierte der Monarch über eine in konfessioneller Hinsicht sehr divergente Bevölkerung. Erstmals erlangte hier keine Kirche mit der Warschauer Konföderation 1573 Glaubensfreiheit, sondern eine soziale Gruppe: der Adel. Mit diesem Toleranzedikt beabsichtigte der Monarch eine stärkere Anbindung des Adels an den Thron zu bewirken. Offiziell blieb die Warschauer Konföderation bis 1795 geltendes Recht. Aber auch in den protestantischen Kirchen machte man sich Gedanken über konfessionelle Duldung. 1570 brachte der Reformator Johannes a Lasco die aus Wunsch nach innerprotestantischer Solidarität entstandene Union von Sandomierz oder Consensus Sendomirensis zwischen Lutheranern, Calvinisten und aus dem eigenen Land geflüchteten Böhmischen Brüdern zustande. Sie sollten unter sich den Frieden bewahren und Toleranz üben und zugleich mit einer Stimme der katholischen Kirche und dem ebenfalls katholischen König gegenüber sprechen.8 Schon in der Hussitenzeit hatte es in Böhmen Toleranzregelungen gegeben, zum Beispiel 1485 bei dem Kuttenberger Frieden, als Katholiken und Utraquisten, aber nicht die radikaleren Böhmischen Brüder, de facto Glaubensfreiheit erhielten. Unter der Ägide der Stände wurde 1575 Kaiser Maximilian II. die Bekenntnisschrift Confessio Bohemica übergeben, welche Lutheraner und Hussiten verschiedener Richtungen – Utraquisten, Neo-Utraquisten und Böhmische Brüder – vereinigte. Der Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. (1609) bedeutete die Anerkennung der Confessio Bohemica und eine Erweiterung der Glaubensfreiheit für die

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Grell/Bob Scribner (Hg.), Tolerance and intolerance in the European Reformation, Cambridge 1996, 182 – 198; István Keul, Early Modern Religious Communities in East-Central Europe. Ethnic Diversity, Denominational Plurality, and Corporative Politics in the Principality of Transylvania (1526 – 1691), Leiden/Boston 2009, 239 – 270. Michael G. Mller, Protestant confessionalism in the towns of Royal Prussia and the practice of religious toleration in Poland-Lithuania, in: Ole Peter Grell / Bob Scribner (Hg.), Tolerance and intolerance in the European Reformation, Cambridge 1996, 262 – 281; Ders., Der Consensus Sendomirensis – Geschichte eines Scheiterns?, in: Joachim Bahlcke / Karen Lamprecht / Hans-Christian Maner (Hg.), Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Festschrift für Winfried Eberhard zum 65. Geburtstag, Leipzig 2006, 397 – 406; Tadeusz Wyrwa, La liberté de conscience en Pologne à la charnière des XVIe et XVIIe siècles, in: Hans R. Guggisberg / Frank Lestringant / Jean-Claude Margolin (Hg.), La liberté de conscience (XVIe-XVIIe siècle) (Etudes de philologie et d’histoire 44), Genf 1991, 257 – 267.

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Calvinisten, die dann auch Kirchen bauen durften. Mit dem Sieg der Habsburger auf dem Weißen Berg (1620), der der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges ein Ende setzte, endeten auch die Toleranzregelungen in Böhmen.9

Konfessioneller Irenismus: Franciscus Junius und David Pareus Diese mitteleuropäischen Toleranzedikte und -regelungen, die eher aus politischer Notwendigkeit als aus theologischer Sanftmut entstanden waren, haben meist nur kurze Zeit erfolgreich funktioniert. In Siebenbürgen wie auch in Polen und Böhmen schlossen sie Calvinisten mit ein. Es ist anzunehmen, dass sich unter diesen Calvinisten Vertreter des sogenannten konfessionellen Irenismus befanden. Im Gegensatz zum politischen Irenismus, dessen Anhänger für einen dauerhaften religiösen Frieden unter dem Schutz des Staates eiferten, relativierten die konfessionellen Ireniker den Glanz der offenbarten Wahrheit und die Notwendigkeit der allgemeinen Einführung der Reformation keineswegs. Sie verabscheuten nur die blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen und versuchten, sie zu beschwören. Sie hofften dies zu erreichen, indem sie die doktrinären Gemeinsamkeiten der Konfessionen – vor allem das apostolische Credo und die Taufe – betonten. Ihrer Ansicht nach gab es doch nur eine Kirche, ein Leib Christi, worin alle Gläubigen in einem Geist des Friedens und der Eintracht zusammenwohnen sollten. Diese Idee bildete die Basis für konfessionelle Duldung, welche bestenfalls für alle Christen, aber falls dies unmöglich wäre, dann doch wenigstens für alle Protestanten annehmbar sein sollte.10 1593 verfasste der Ireniker und Calvinist Franciscus Junius (François du Jon, 1545 – 1602), seit 1592 Professor der Theologie an der Universität Leiden, die Schrift Eirenicum de pace ecclesiae catholicae 11 in Form eines 9 Jaroslav Pnek, The question of tolerance in Bohemia and Moravia in the age of the Reformation, in: Ole Peter Grell / Bob Scribner (Hg.), Tolerance and intolerance in the European Reformation, Cambridge 1996, 231 – 248. 10 Hans Posthumus Meyjes, Tolérance et irénisme, in: Christiane Berkvens-Stevelinck / Guillaume H.M. Posthumus Meyjes (Hg.), The emergence of tolerance in the Dutch Republic, Leiden / New York / Köln 1997, 63 – 74; siehe auch Theologische Realenzyklopädie, sub verbo Irenik. 11 Franciscus Junius: Eirenicum de pace ecclesiae catholicae, Leiden 1593; die zweite, französische Fassung: François du Jon, Le paisible chrestien, ou de la paix de l’église catholique, Leiden 1593. Für seinen Lebenslauf siehe Gustav Adolf

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Kommentars zu den Psalmen 122 sowie 133 und ermahnte alle, die ihren Glauben auf die Heilige Schrift und die Erlösung durch Christus gründeten, zum Frieden. Anlass war der Glaubenskampf in seinem Vaterland Frankreich. In dem an den gesamten französischen Klerus gerichteten Vorwort plädiert er ganz praktisch für religiöse Einheit angesichts der Gefahr, durch die ständigen Konflikte die Freiheit der Kirche und des Königreichs Frankreichs vernichtet zu sehen. In dem Haupttext vermeidet er es absichtlich, über die Streitpunkte seiner Zeit zu sprechen, denn ihn interessieren nicht die subtilen Argumente der Menschen, sondern nur das Wort Gottes und die in der Heiligen Schrift enthaltene Wahrheit. Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche, selbstverständlich besonders in Frankreich ein heikler Punkt, ist seiner Ansicht nach ganz klar: Die Fürsten sollen die Kirche zwar beschützen, aber keineswegs in die kirchliche Ordnung eingreifen, denn diese sei grundverschieden von der Rechtsordnung des Staates. Für das Wohl der Kirche ist es notwendig, so meint er, dass die Gläubigen und besonders die geistlichen Amtsträger, ungeachtet ihrer Differenzen, an den fundamenta des Glaubens festhalten, weil diese das einzige und unentbehrliche Bindemittel der Kirche als Leib Christi bilden. Bittere theologische Polemiken schaden nur der Einheit und verwirren das Volk, das sich, obwohl inkompetent, auf den Richterstuhl setze. Dadurch verschlimmere sich die Lage nur, und auch Fürsten können da nur schwerlich Abhilfe schaffen, es sei denn, sie zwingen die geistlichen Amtsträger, von Polemik und Streit abzulassen und die Einheit durch ihr gutes Beispiel zu fördern. Frieden und Brüderlichkeit seien nun einmal unendlich besser als Feindschaft, mit der man seine Gegner ihren Platz in der kirchlichen Einheit abstreite. Der Mensch solle zu seiner ursprünglichen Natur zurückkehren, denn erst dann werde er imstande sein, das Gute für sich wie auch für seine Mitmenschen zu verwirklichen. Der Drang, andersdenkende Christen zu bekämpfen und zu verurteilen, führe nur zur Vernichtung der Kirche. Auch jetzt, wo die sichtbare Kirche bedauerlicherweise geteilt sei, so meint er, handhabe die unsichtbare Kirche die unauflösbare Einheit der Gläubigen in Christo: Katholiken wie Protestanten gehören zu dieser unsichtbaren ecclesia universalis. 12

Benrath, Franciscus Junius (François du Jon) 1545 – 1602. Pfarrer in Schönau bei Heidelberg, Lambrecht und Otterberg, Professor der Theologie in Neustadt an der Haardt, in Heidelberg und in Leiden, Speyer 2000. 12 Christiaan de Jonge, De irenische ecclesiologie van Franciscus Junius (1545 – 1602), Nieuwkoop 1980, 89 – 144.

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Die Folgen religiöser Konflikte hatte Junius in seinen jüngeren Jahren am eigenen Leibe gespürt: Sein Vater wurde 1563 in Frankreich von katholischen Gegnern ermordet, er selbst geriet bei seiner Arbeit als Prediger während der ersten Phase des Aufstands in den südlichen Niederlanden (1565 – 1567) viele Male in Lebensgefahr.13 Sehr viel hat Junius jedoch mit seinem Buch nicht bewirken können. Später sagte er aus, dieses Werk nicht als Theologe, sondern nur als Christ verfasst zu haben. Orthodoxe Calvinisten kritisierten es, weil ihnen die Abgrenzung zwischen der korrumpierten Kirche Roms und der wahren Kirche des reinen Wortes zu fließend war, und auch bei den niederländischen Remonstranten, gemäßigten Calvinisten, fand das Werk keinen Anklang. Es scheint auch in seiner französischen Heimat wenig Beachtung gefunden zu haben, wohl weil das Buch keine praktischen Vorschläge zur politischen Lösung der Religionskonflikte enthält.14 Ein Zeitgenosse von Junius, der Heidelberger Theologe David Pareus (1548 – 1622), hatte mehr Erfolg mit seinem 1614 erschienenen Buch Irenicum, besonders in Mitteleuropa.15 Der Schlesier Pareus hatte sich als Nachfolger seines Lehrers Zacharias Ursinus, der wohl der wichtigste Autor des Heidelberger Katechismus gewesen ist, zum führenden Theologen der Kurpfalz entwickelt. Als praktische Kirchenmänner und orthodox-calvinistische Dogmatiker und Polemiker unterstützten sowohl Ursinus wie auch Pareus die Politik des Pfälzer Kurfürsten, welche auf einen Ausgleich mit den Lutheranern zusteuerte.16 Das Buch Irenicum hatte dann auch eine ganz ausgeprägte, praktisch-politische Botschaft: Die innerprotestantische Vereinigung der Kirchen sollte mit Hilfe einer Generalsynode unter dem Schutz der Könige Jakob I. von England und Christian IV. von Dänemark und unter Mitwirkung der führenden kirchlichen Persönlichkeiten zustande gebracht werden. Der erforderliche offene Dialog zwischen den verschiedenen protestantischen Kirchen ist dabei für Pareus ein Zeichen der aufrichtigen Suche nach Wahrheit, Einheit und Frieden. Dogmatische Übereinstimmung sei seiner Meinung nach nur zu 13 Benrath, (s. o. Anm. 11), 6 – 9. 14 Ebd., 160 – 180. 15 David Pareus, Irenicum sive de unione et synodo evangelicorum concilianda liber votivus paci ecclesiae et desideriis pacificorum dicatus, Heidelberg 1614. 16 Volker Press, Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559 – 1619 (Kieler Historische Studien 7), Stuttgart 1970, passim; Howard Hotson, Irenicism and dogmatics in the confessional age. Pareus and Comenius in Heidelberg, 1614, in: Journal of Ecclesiastical History 46 (1995), 432 – 453.

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erreichen, wenn alle Protestanten davon absehen, die einzelnen Doktrinen definieren zu wollen: Nur in Christus selbst sei das Fundament der Wahrheit zu finden.17 Pareus gab zu bedenken, dass es auch in der Geschichte der frühen Kirche immer viele Meinungsverschiedenheiten gegeben habe, die dann letzten Endes doch überwunden wurden. Warum solle es jetzt anders sein, fragt er sich. Die kirchliche Vereinigung könne seiner Ansicht nach auch in der heutigen Zeit verwirklicht werden. Er verweist ausdrücklich auf das Marburger Religionsgespräch (1529) unter der Ägide des Landgrafen Philipp von Hessen als einen ersten Versuch, durch Schlichtung des Abendmahlsstreits zwischen Luther und Zwingli Einheit in der Reformation zu schaffen. Auch die Wittenberger Konkordie (1539) ist ihm ein leuchtendes Beispiel für das Ringen um Konsens. Er argumentierte, dass die protestantischen Kirchen in den Hauptartikel oder capita der Lehre wie auch in manchem weniger wichtigen Punkt schon übereinstimmten.18 Für die gegenwärtige Situation schöpft Pareus Hoffnung aus den oben genannten Toleranzregelungen in Polen und Böhmen. Die siebenbürgische Toleranzregelung lobt er nicht, wohl weil dort die Antitrinitarier mit eingeschlossen waren. Der polnische Consensus Sendomirensis (1570) führte später zu einer Verleumdungskampagne, die Pareus groß ausmalt: Man habe versucht, den Vorsteher der Lutheraner in Großpolen zum Widerruf zu bewegen. Dieser war schon dabei, seinen Widerruf zu Papier zu bringen, als er, vom Gewissen getrieben und von einer tödlichen Krankheit betroffen, Vertreter der anderen zwei Konfessionen zu sich rief, ihnen „unter Tränen“ die Sache eröffnete, das Papier zerriss und sie ermahnte, bei dem Konsens zu bleiben, „den er wenig später dann auch selbst mit einem sanften Tod bestätigte“19. Noch wichtiger ist Pareus die Confessio Bohemica (1575). Sie beweist, dass es möglich sei, einem guten Beispiel wie dem Consensus Sendomirensis zu folgen und das Ergebnis einer solchen Toleranzregelung erfolgreich in die politische Lage einzubetten. Pareus lobt Theologen, die nicht dünkelhaft oder ruhmsüchtig seien, sondern als „Theologen des Kreuzes“ bescheiden für das Wohl der Kirche arbeiten. Die zankhaften Theologen im Heiligen Römischen Reich sollten aufhören zu streiten, so mahnte er, und in die Fußstapfen der Politiker und Theologen Böhmens treten, mit sicherem Erfolg: Die in17 Günter Brinkmann, Die Irenik des David Pareus. Frieden und Einheit in ihrer Relevanz zur Wahrheitsfrage (Studia irenica Bd. 14), Hildesheim 1972, 11 – 91. 18 Ebd., 76 – 91. 19 Zitiert ebd., 98.

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nerprotestantische Einheit würde auf diese Weise erreicht, die Kirchen würden blühen, die gottlosen Querelen über die Religion würden für immer ein Ende nehmen. Allerdings prophezeite Pareus zugleich der römisch-katholischen Kirche den ebenso sicheren Untergang.20

Ungarische Calvinisten: Irenismus, Toleranz und Humanismus Mitteleuropäische Calvinisten, besonders die in Ungarn und Siebenbürgen, fanden die Ansichten von Pareus prinzipiell ansprechend und die in dem Irenicum gebotenen Perspektiven verheißungsvoll für die heimatliche Situation. Es gab auch viele direkte Kontakte zwischen Pareus und der ungarischen calvinistischen Kirche. Er sandte sogar sein Buch an den Fürsten von Siebenbürgen, Gábor Bethlen (1613 – 1629), der als Dank eine Empfehlung zweier ungarischer Theologiestudenten nach Heidelberg und als Neujahrsgabe ein Bild von sich selbst zurückschickte. Viele Ungarn haben in Heidelberg bei Pareus Theologie studiert. Sein Einfluss macht sich auch in verschiedenen Disputationen bemerkbar, nämlich dort wo diese ungarischen Studenten Gedanken über die Einheit der lutherischen und calvinistischen Kirchen äußerten und sogar das heikle Thema der Abendmahlslehre ansprachen.21 Zurück in Ungarn und Siebenbürgen versuchten etliche calvinistische Theologen, die Irenistik von Pareus in die Praxis des kirchlichen Alltags umzusetzen. Ziel dabei war, durch Vereinigung mit den Lutheranern eine gemeinsame Front gegen die Kirche Roms zu bilden. Péter Alvinczi (ca. 1570 – 1634), bekannt wegen seiner antikatholischen Polemiken, fiel im ersten Jahrzehnt des siebzehnten Jahrhunderts die schwierige Aufgabe zu, in der überwiegend von deutschsprachigen Lutheranern bewohnten Stadt Kaschau in Oberungarn als calvinistischer Prediger für die ungarischsprachige Gemeinde zu amtieren. Die städtische Obrigkeit hinderte ihn daran, calvinistische Synoden zu besuchen und wollte, dass er die Augsburger Konfession unterschrieb, anstatt sich zu der calvinistischen Kirchenordnung zu bekennen. Alvinczi beschloss, einen Mittelweg zu beschreiten: Einerseits entfernte er Orgel und Bilder aus seiner Kirche und trug kein lutherisches Predigergewand, andererseits benutzte er die Hostie 20 Ebd., 98 – 101. 21 Graeme Murdock, Calvinism on the frontier 1600 – 1660. International Calvinism and the Reformed Church in Hungary and Transylvania, Oxford 2000, 55 – 58, 180; Keul (s. o. Anm. 7), 183 – 184.

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anstatt Brot und Wein beim Abendmahl. Deswegen wurde er von beiden Seiten angegriffen: Calvinisten meinten, sein Gebrauch der Hostie bedeute, dass er die Realpräsenz von Leib und Blut Christi im Abendmahl akzeptiere; seinem schärfsten Opponent in Kaschau, einem lutherischen Prediger, galt er als gefährlicher Calvinist, der ein Verbot zu predigen verdiene, weil er das Abendmahl nicht mit gebührender Ehrfurcht feiere. Alvinczi erschien darauf vor der Stadtregierung, erklärte, dass er weder Calvinist noch Lutheraner sei, sondern ein wahrer Christ, und drohte aus Kaschau wegzuziehen. Als die Angriffe seitens der Kaschauer Lutheraner kein Ende nehmen wollten, erschien er wieder vor der Stadtregierung und sagte aus, dass er sich an alle Artikel der Augsburger Konfession hielt. Neue Schwierigkeiten entstanden, als ein Hilfsprediger von Alvinczi Brot und Wein beim Abendmahl verabreichte. Der Obrigkeit gegenüber argumentierte Alvinczi, dass es gefährlich sei, diese Praxis als calvinistisch zu bezeichnen, denn sobald die Stadt den Calvinismus zuließe, würden auch die Katholiken auf das Recht bestehen, in Kaschau ihre Gottesdienste abzuhalten. Obwohl er die Gemeinsamkeiten zwischen der lutherischen und calvinistischen Abendmahlslehre unterstrich, konnte er nicht verhindern, dass sein Hilfsprediger Kaschau verlassen musste.22 Ein zweiter ehemaliger Student von Pareus, János Samarjai (1585 – 1652), der als calvinistischer Bischof oder Superintendent in dem königlichen, also von den Habsburgern beherrschten, westlichen Teil Ungarns arbeitete, zitierte das Buch Irenicum ausführlich in seinem Werk Magyar Harm nia (1628). Er wollte beweisen, dass die Augsburger Konfession sich nicht wesentlich von dem zweiten Helvetischen Bekenntnis Bullingers unterschied. Zehn Jahre später äußerte er die Meinung, dass man Einzelheiten in der Abendmahlsliturgie mit einer gewissen „christlichen Freiheit“ interpretieren dürfe. Den Gebrauch der Hostie wies er ab, aber zugleich beschrieb er das Abendmahlsbrot als mehr als „nur“ Brot.23 Die Beweggründe für diese hin und wieder in Mitteleuropa auftauchende Verbindung zwischen Calvinismus, Irenismus und konfessioneller Duldung, die hier so deutlich zutage tritt, sind nicht so leicht aufzuspüren. Insofern sie sich auf Verbesserung der innerprotestantischen Verhältnisse beschränkte, kann ein Zusammenhang mit dem Kampf gegen die römischkatholische Kirche und, im Falle des Irenicum von Pareus, auch mit der 22 Ebd., 130 – 131; Für die Biographie von Alvinczi siehe Egyháztörténeti Lexikon, Budapest 1977, sub verbo. 23 Murdock, Calvinism on the frontier (s. o. Anm. 21), 128 – 129; Für die Biographie von Samarjai siehe Egyháztörténeti Lexikon (s. o. Anm. 22), sub verbo.

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Politik der Protestantischen Union im Reich (1608) ohne weiteres angenommen werden. Dazu gibt es wahrscheinlich noch andere Bezüge: Einerseits die Existenz älterer regionaler Traditionen der konfessionellen Duldung, wie sie sich zum Beispiel seit 1485 in Böhmen in dem Kuttenberger Frieden manifestierte, andererseits könnte auch der Humanismus, der diese international orientierten mitteleuropäischen Calvinisten tief beeinflusst hat, ein schwerwiegender Faktor gewesen sein.24 Stellvertretend für viele andere soll hier zum Schluss ein Miniaturporträt eines solchen ungarischen Calvinisten skizziert werden, des Theologen und Übersetzers Albert Szenczi (Szenci) Molnár (1574 – 1634).25 Albert Szenczi Molnár war der Sohn eines vermögenden Calvinisten aus Oberungarn, der in den neunziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts in Heidelberg, Wittenberg, Straßburg und Herborn studierte, in Genf Theodorus Beza traf aber auch Rom besuchte. Während er nach der Jahrhundertwende jahrelang an verschiedenen Universitäten im Reich als Theologe arbeitete und obendrein Kontakte zum Pfälzer Hof in Heidelberg und zum hessischen Hof in Kassel pflegte, wurden seine Beziehungen zu den deutschen Calvinisten immer inniger. Mit David Pareus korrespondierte er. Auch mit exilierten Calvinisten aus Frankreich und den Niederlanden, die sich im Reich aufhielten, war er in ständiger Verbindung. Erst spät in seinem Leben (1626) kehrte er in seine Heimat zurück und lebte zuletzt in Klausenburg. Unermüdlich hat er für die ungarische Kirche gearbeitet: Sein Ungarisches Psalter (Psalterium ungaricum, 1607) mit einer verkürzten Version des Heidelberger Katechismus, seine Revisionen der ungarischen Bibelübersetzung von Gáspár Károlyi (1608, 1612), sein Gebetbuch (1621) und seine Übersetzung der Institutio von Calvin (1624) wie auch seine lateinischen Wörterbücher sind Höhepunkte in der frühneuzeitlichen ungarischen Sprachentwicklung und Kultur. Selbst orthodox-calvinistisch, verteidigte er die Idee der konfessionellen Duldung, nicht nur aus praktisch-politischen Gründen, sondern auch als überzeugter 24 Winfried Eberhard / Alfred A. Strnad (Hg.), Humanismus und Renaissance in Ostmitteleuropa vor der Reformation, (Forschungen und Quellen zur Kirchenund Kulturgeschichte Ostdeutschlands 28), Köln / Weimar / Wien 1996; Ulrich A. Wien / Krista Zach (Hg.), Humanismus in Ungarn und Siebenbürgen. Politik, Religion und Kunst im 16. Jahrhundert (Siebenbürgisches Archiv 37;Veröffentlichungen des Instituts für Deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Wissenschaftliche Reihe, Literatur- und Sprachgeschichte, 93), Köln / Weimar / Wien 2004. 25 Für die Biographie von Szenci Molnár siehe Egyháztörténeti Lexikon (s. o. Anm. 22), sub verbo.

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Theologe, der die Protestanten zusammenführen und das Schwert nicht zu schnell ziehen mochte.26

26 Murdock, (s. o. Anm. 21), passim; Sándor Csanda / Bálint Keseru˝ (Hg.), Szenci Molnár Albert és a magyar késo˝-reneszánsz, Szeged 1978.

Marin Mersenne als Kritiker Robert Fludds Wilhelm Schmidt-Biggemann 1. Mersennes Kampf gegen den Platonismus Marin Mersenne war ein zäher Kämpfer für seine naturphilosophische Sache. Er wurde am 8. September 1588 in Oizé in kleine Verhältnisse hineingeboren. Der ehrgeizige und begabte Junge erhielt, wie René Descartes, seine Erziehung in La Flèche, seit 1603 Jesuitenkolleg, das im Januar 1604 offiziell eröffnet wurde. Um 1609 verließ Mersenne La Flèche und ging nach Paris, dort setzte er seine Studien bis 1611 fort. Er trat in den Orden der Minimen ein und wurde dort am 16. Juli 1611 eingekleidet. Für Mersenne jedenfalls war die Verbindung von Wissenschaft und Frömmigkeit wichtig. Kirchen- und Ordensgehorsam war ihm stets selbstverständlich.1 Von 1614 – 1619 war er Professor in Nevers; er lehrte dort zunächst Philosophie (1614 – 1617), danach Theologie. Von 1619 – 1648 wirkte er in Paris am Konvent am Place Royal; sein gleichmäßiges Gelehrtenleben war nur unterbrochen von kurzen Reisen in die Niederlande, nach Italien und in die französische Provinz. Er begann sein publizistisches Werk mit den enzyklopädischen, nur teilweise gedruckten Quaestiones celeberrimae in Genesim (1623) die einen Anhang mit einer Polemik gegen Zorzi enthielten, Observationes ad Francisci Georgii Problemata (1623), es folgten die apologetisch-polemischen Bücher L’impit des Deistes (1624) und La Vrit des Sciences (1625). Hier wendete er sich gleichermaßen gegen die libertinistischen, skeptischen und neuplatonischen Philosophen der Renaissance und des zeitgenössischen Späthumanismus. In seinen musiktheoretischen Schriften Questions inouyes (1634) und den Questions Harmoniques (1634) unterstützte er Galileis Physik und behandelte die Musik allein unter akustischen Gesichtspunkten, nicht unter den Ideen der Sphärenharmonie. Die Harmonie Universelle (1636/37) bot eine rationalistische Theorie der Töne und der Melodiebewegungen, 1

Robert Lenoble, Mersenne ou la naissance du mécanisme, Paris 1943, 61.

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der Konsonanzen, Dissonanzen, Komposition, Stimmen, Gesänge und eine Instrumentalkunde. Vor allem war Mersenne wegen seiner umfangreichen Korrespondenz einer der wichtigsten Intellektuellen seiner Zeit. Er unterhielt ein Netz von Briefpartnern in ganz Europa, war über alle wichtigen Bücher und intellektuellen Strömungen informiert und versuchte, die Intellektuellen, die in seiner Nähe arbeiteten, zu einer rationalen Metaphysik und zu einer mechanistischen Physik zu bekehren. So drängte er den zögerlichen Descartes dazu, seine neue, mechanische Philosophie zu veröffentlichen. 1644 publizierte Mersenne Cogitata Physico-mathematica; sein „Mécanisme positif“ zeigt ihn physikalisch nahe bei Hobbes. In dieser späten Periode unterhielt er auch Verbindungen mit Sozinianern. Er lebte fromm und asketisch, litt an einem Abszess an der Lunge und starb nach kurzer Krankheit am 1. September 1648. Marin Mersenne hatte in seinen Quaestiones celeberrimae in Genesim (Paris 1623) 2, in L’impit des Deistes (1624) 3 und in der Vrit des Sciences (1625) die alchemistische und kabbalistische Interpretation der Schöpfung angegriffen. Die Situation für diejenigen katholischen Intellektuellen, die Kopernikaner waren, war in diesen Jahren nicht einfach; als er schrieb, fand zur gleichen Zeit 1633 der Prozess gegen Galilei statt, der mit der Verurteilung des kopernikanischen Weltbildes als nicht konform mit der Bibel endete. Die Konfrontation Mersennes mit der mosaischen Physik war deshalb wissenschaftspolitisch nicht ohne Brisanz. Auf der anderen Seite war die aristotelische, nicht die neuplatonische Naturphilosophie die offiziöse Lehre des Katholizismus in physicis. Mersenne unterzog deshalb, durchaus mit Billigung seiner Obern, in seinen Quaestiones in Genesim die kabbalistisch-neuplatonische Exegese der Renaissance einer scharfen Kritik.4 Der wichtigste Gegner, gegen den Mersenne kämpfte, war sein Zeitgenosse Robert Fludd. Mersenne fand Fludds Utriusque Cosmi Historia 2

3 4

Marin Mersenne, Quaestiones celeberrimae in Genesim, Paris 1623, hier Sp. 569, 710, 714, 716. Vgl. auch die Correspondance du P. M. Mersenne. Religieux Minime. Publiée par Mme. Paul Tannry, editée et annoté par Cornelis de Waard avec la collaboration de René Pintard, Bd. I (1617 – 1627), Paris 1945; zu den Quaestiones in Genesim insgesamt vgl. Jakob Brucker, Historia Critica Philosphiae, Leipzig 1743, Bd. IV, 374 – 386. Gegen die Kabbala: Marin Mersenne, L’impiété des Deistes, Paris 1624, 143 – 180; mit gutem Referat der Kabbala-Muster. Lenoble (s. o. Anm. 1), 96 – 109.

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philosophisch und theologisch unertäglich; Fludd selbst war für ihn der „Cacomagus“.5

2. Mersennes Quaestiones in Genesim Auch wenn gelehrte Leser im 17. Jahrhundert umfangreiche Bücher gewohnt waren, stellten Mersennes Quaestiones in Genesim doch eine Zumutung dar. Der Minime legte seinem Publikum einen Riesenfolianten von 1916 Spalten und vier Registern vor. Der Titel entfaltet den Inhalt schon in barocker Ausführlichkeit: F. Marini Mersenni Ordinis minimorum S. Francisci de Paula Quaestiones celeberrimae in Genesim, cum accurata Textus Explicatione. In Hoc volumine Athei, et Deistae impugnantur & expugnantur, & Vulgata editio ab haereticorum calumnijs vindicatur, Graecorum, & Hebraeorum Musica instauratur, Francisci Georgi Veneti Cabbalistica dogmata fuse refelluntur, quae passim in illius Problematibus habentur. Opus Theologis, Philosophis, Medicis, Iurisconsultis, Mathematicis, Musicis vero, & Catoptricis praesertim utile. Paris: Sebastian Cramoisy 1623. Mersenne behandelt in seinem Riesenkommentar nur die ersten sechs Kapitel des Buchs Genesis, von der Weltschöpfung bis zum Bau der Arche Noah. Das Buch interpretiert den biblischen Text Wort für Wort. Grundlage ist der hebräische, griechische und lateinische Wortlaut. Der Bibeltext wird Vers für Vers in einem Sachkommentar nach Quaestionen, Artikeln und Kapiteln aufgeschlüsselt, in denen der Stoff der Interpretation systematisch ausgefaltet ist.6 Es ist dem Band anzumerken, dass der Drucker – und wohl auch die Geldgeber seines Ordens – am Ende die Geduld verloren; ein zweiter Teil der Quaestiones in Genesim hat sich handschriftlich erhalten,7 aber Mersenne fand keine Möglichkeit mehr, ihn drucken zu lassen. Die einzelnen Bibelverse sind in den Quaestiones in Genesim sehr unterschiedlich kommentiert: der mit 718 Spalten bei weitem längste und wichtigste Kommentar ist der zu Gen 1,1, wo die Quaestionen I An Deum 5 6

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Mersenne, Correspondance (s. o. Anm. 2), 62. Das Inhaltsverzeichnis ist sehr ungeschickt gedruckt, so dass man über die Gliederung nicht wirklich informiert ist. Die Quaestionen sind durchgezählt, die Artikel und Kapitel figurieren je einzeln unter den Quaestiones, aber es ist nicht ganz deutlich, ob sie wirklich Unterartikel beziehungsweise Unterkapitel der Quaestiones sind. In der Bibliotheque Nationale de Paris, Fonds latin Ms. N8s 17261, 17262. Vgl. Lenoble (s. o. Anm. 1), XIV.

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esse contra Atheos probari possit und II An Trinitatis mysterium ex his verbis bara elohim probari valeat 8 diskutiert werden. Ein Hauptthema der Quaestio II bildet die Kabbala des Gottesnamens. Damit befasst sich auch die Erläuterung von Gen 2,3 – 6; hier geht es um die Gottesnamen Jehova und Elohim. Die Quaestio IV zu Gen 1,1 Quot modis beresit, & aliae Scripturae partes explicari possint 9 diskutiert die verschiedenen Sinne der Heiligen Schrift. Dabei geht es auch um die kabbalistische Interpretation des ersten Verses der Genesis.10 Die Kommentare zu Gen 1 – 14 beschäftigen sich mit astronomischen und naturphilosophischen Problemen. Unter Gen 1,10 wird der Kopernikanismus behandelt,11 unter Gen 1,13 und 14 die Frage, ob die Welt beseelt sei.12 Die Frage nach dem Sinn von Astrologie und Genethlialogie figurieren unter Gen 1,14.13 Die Erläuterungen zu Gen 2,8 – 22 behandeln die Metalle und die Edelsteine, ein für die Zurückweisung der Alchemie entscheidendes Kapitel.14 Die Frage nach dem Paradies ist für alle christlichen und jüdischen Exegeten deshalb von zentraler Bedeutung, weil hier alle wissenschaftlichen und ethischen Utopien verhandelt werden können. Mersenne beschäftigt sich u. a. mit den vier Flüssen des Paradieses (Gen 2,14) und der Bedeutung der Zahl Vier15 und erörtert kurz – und unentschieden – wie lange der Aufenthalt Adams im Paradies gedauert habe.16 Unter Gen 2,22 f. 8 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 676 – 681. 9 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 694 – 791. 10 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 702 – 704: Caballistica explicatio beresit. 11 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 868 – 929: Quaestio IX: De terra: Articulus VII, Sp. 910 – 920: Copernicanorum rationes solvuntur. 12 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 938 – 958: Quaestio XI: An terra sit animata. 13 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 950 – 1002 zu Gen I, Vers XIV. Sp. 966 – 1002 werden die Astrologie und die Genethlialogie verhandelt. Sp. 958 – 966: Quaestio XII: Quaenam futura significentur ab astris, Sp. 966 – 1012: Quaestio XIII: Quod astra non sint signa praeteritorum, & futurorum omnium. 14 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1135 – 1170 zu Gen II, Vers VIII-XII. Sp. 1146: Quaestio XXIII: De Metallis, praesertim de auro. Sp. 1162: Quaestio XXIV: De lapidibus onchyninis, & Bdellio, ut plura astronomica referuntur. 15 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1174 zu Gen II, Vers XIII = Quaestio XXV: De 4 paradisi fluviis, & laude numeri quaternarij. 16 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1404 – 1408 zu Gen III, Vers XXIV; Sp. 1404: Quaestio LI: Quot diebus, annis, vel horis Adam in paradiso fuerit. Die Alternativen reichen von 7 Stunden bis zu 20 Jahren.

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wird die Erschaffung Evas kommentiert17 und unter Gen 2,24 die natürliche Scham und das sich aus der Paradieserzählung ergebende Eherecht.18 Die Problematik der Erläuterung zu Gen 2,20 ist für das Konzept der gesamten Philosophia perennis zentral: Es geht um die Frage nach der Wissenschaft Adams.19 In gewisser Weise gehört auch das Problem der Tiersprachen, das unter Gen 3,1 verhandelt wird, in diesen Kontext.20 Ein dogmatisch zentrales Kapitel ist die Erbsünde. Mersenne behandelt es erstaunlich kurz.21 An dogmatischen Fragen scheint er weniger interessiert zu sein als an enzyklopädischen und wissenschaftstheoretischen. Er stellt jedenfalls den Wissenschaften von der Theologie über die Medizin bis zur Mechanik und Philologie das Zeugnis aus, dass sie zum Seelenheil beitrügen.22 Vor allem aber interessiert ihn die Musik, die er auf 190 Spalten ausführlich und hoch kompetent darstellt. Er vertritt ein praxisorientiertes Musikkonzept. Ihm geht es um Instrumentenkunde,23 Verslehre, Harmonie- und Kompositionslehre, Kontrapunkt und Geschichte der praktizierten Musik.24 Die Fragen der Sphärenharmonie und der pythagorä17 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1226 – 1232 zu Gen II, Vers XXII, XIII; Sp. 1230: Quaestio XXXI: De iis quae formatione Evae contigerunt. 18 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1236 – 1248 zu Gen II, Vers XXV; Sp. 1236: Quaestio XXXII: De differentia matrimonij in lege gratiae, & naturae; Sp. 1238: Quaestio XXXIII: De pudore, qui ex nuditate nascitur. 19 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1200 – 1218 zu Gen II, Vers XX; Sp. 1202 f.: Quaestio XXIX: De scientia Adami, & intellectus ornamentis. Hier wird die Frage nach der Lingua adamica und der paradiesischen Weisheit besprochen. Zur Wissenschaftseinteilung und Kritik der Lingua adamica und Scientia adamica vgl. Sp. 1206 – 1210. 20 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1251 – 1272 zu Gen III Vers I; Sp.1262: Quaestio XXXV: An belluae in intio mundi loquerentur. 21 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1289 – 1302 zu Gen III, Vers VI; Sp. 1292: Quaestio XXXVIII: De primo peccato Evae, & Adami, & eorum iustitia originali; Sp. 1300: Quaestio XL: De peccato originali; Sp. 1341 – 1346 zu Gen III, Vers XI; Sp. 1344: Quaestio XLV: De praecepto protoplastis imposito & praeceptis nominibus. 22 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1476 – 1512 zu Gen IV, Vers XX; Sp. 1478: Quaestio LV: An artes mechanicae, & liberales, ad animae salutem competant. 23 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1719 – 1724 zu Gen IV, Vers XX: Quaestio LVI: De Instrumentis musicis Hebraeorum, graecorum, & aliorum fuse; Sp. 1479 – 1508 zum Ursprung der Künste: De Scientiarum et artium liberalium usu in rebus spiritualibus. 24 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1513 – 1712 zu Gen IV, Vers XXI; Sp. 1530 – 1720: Quaestio LVII: De vi musicae tam antiquorum quàm nostrae.

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ischen Musiktheorie, die Fludd interessierten, liegen ihm fern. In den Quaestiones in Genesim legte er die Grundlagen der Musiktheorie, die er später ausführlich darstellte.25 Seine Auffassung von Zahlen ist rein instrumentell; pythagoräische Zahlenmetaphysik lehnt er ab. Das gilt im Bezug auf die Vier26 ebenso wie für die Sieben27. Auch das Mikrokosmos-Makrokosmos-Schema,28 das die gesamte kosmische Anthropologie des naturphilosophischen Platonismus mit allen naturmystischen Implikationen bestimmt hatte, kann er nur als heidnisches Phantasma zurückweisen. In gewisser Weise waren Mersennes Quaestiones in Genesim, die in nuce seine späteren französisch geschriebenen Werke enthalten, ein Gegenstück zu Fludds Utriusque Cosmi Historia; sie verhandelten alle zentralen Topoi, die Fludd auch interessierten, aber sie kamen stets zu konträren Resultaten. Fludd sah jedenfalls Mersennes Buch als Gegenentwurf zu seinem Werk an und reagierte, wie nicht anders zu erwarten, mit einer Polemik. Mersenne war kein einfacher Gegner. Er hatte sich ausführlich und gründlich mit allen hermetischen, kabbalistischen, neopythagoräischen und neuplatonischen Wissenschaftskonzepten auseinandergesetzt und kannte sie hervorragend genau. Bei all seiner Vorliebe für die mechanischen Naturwissenschaften sowie die euklidische und berechnende Mathematik – seine Gottesbeweise beruhen auf der Geltung von Geometrie und strenger Arithmetik29 – versuchte er aber stets, die Bibel als theologische Offenbarung gelten zu lassen. Er konnte sie freilich nicht als physikalisches Lehrbuch akzeptieren. Im Sinne einer thomistischen Unterscheidung von griechischer Philosophie und Offenbarungstheologie30 versuchte er deshalb, Naturphilosophie und Theologie so zu kombinieren, 25 Marin Mersenne, Harmonie universelle. Contenant la théorie et la pratique de la musique, Paris 1636 (Nachdruck Paris 1975). 26 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), zu Gen II, XIII; Sp. 1174: Quaestio XXV: De 4 paradisi fluviis, & laude numeri quaternarij. 27 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), zu Gen IV, XXIV; Sp. 1720: Quaestio LVIII: Quare spiritus sanctus numero septuagenario septimo potiùs, quam alio uti voluerit. 28 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1739 – 1750 zu Gen V, Vers I; Sp. 1739: Quaestio LX: Quomodo verum sit hominem omnia in se continere, adeo ut lijqojoslor Appelletur, ubi refellitur, & explicatur chiromantia. Gegen Chiromantie. 29 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), zu Gen 1,1: Quaestio I: An Deum esse contra Atheos probari possit. 30 Vgl. Thomas von Aquin, Expositio in Metaphysicam Aristotelis, Introductio.

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dass die Schöpfungstheologie als solche in Kraft blieb, die physikalischen Einzeldarstellungen der Bibel aber lediglich als erbauliche und theologische Aussagen klassifiziert wurden.

3. Fludds Antworten auf Mersenne Mersennes Angriffe auf Hermetiker, Paracelsisten, Kabbalisten, Pythagoräer und Neuplatoniker sind in den Quaestiones in Genesim verstreut.31 Sie sind sämtlich außerordentlich sachhaltig. Selbst im enzyklopädischen Zeitalter des Barock gibt es nur wenige Texte von gleichermaßen theologischer, philologischer und physikalischer Kompetenz. In entsprechender Zähigkeit bekämpft Mersenne seine wissenschaftlichen Gegner; wen er einmal zur Zielscheibe seiner Kritik wählte, blieb das sein Leben lang. Ein solcher Gegner war Robert Fludd. Fludd figuriert in den Quaestiones in Genesim als Vertreter einer neuplatonischen Weltseelentheorie, als schwärmerischer, an der Physica Mosaica orientierter Alchemist und als Magier. Nun war Mersenne mit Fludd an einen Gegner geraten, der seinerseits auch eine lang anhaltende Polemik nicht scheute. So dauerte der Streit zwischen Fludd und Mersenne von 1626, als Fludd Mersennes Werk kennen lernte, bis zum Tode Fludds im Jahr 1637. Fludd scheint, wie er selber schreibt, von einem Freund auf die Stellen in Mersennes unübersichtlichen Quaestiones in Genesim hingewiesen worden zu sein, in denen er namentlich genannt war. Das Ergebnis waren zwei polemische Traktate, die beide 1629 in Frankfurt erschienen: das ausführliche Sophiae cum Moria Certamen 32 und das kürzere Svmmvm Bonvm, Quod est Verum Magiae, Cabalae, Alchymiae, Fratrum Roseae Crucis Verum subjectum.

31 Ausnahme ist die lange Polemik gegen Giorgio Veneto. 32 Sophiae cum Moria Certamen, In quo, Lapis Lydivs A Falso Structore, F. Marino Mersenno, Monacho Reprobatus, celeberrima Voluminis sui Babylonici (in Genesin) figmenta accurate examinat… Authore Roberto Fludd; alias de Fluctibus, Armigero: & Doctore Medico Oxoniense: Qui calumniis & convitiis in ipsum à Syccophanta Mersenno iniectis, ad hoc opus, contra pacificam naturae suae dispositionem, excitatur. [Frankfurt] Anno MDCXXIX, 118 + (2) S. Er druckt in der Vorrede (S. 9) einen Brief an sich ab, in dem ihn ein Freund AB aus Oxford am 11. Juli 1626 auf die Columnen 714, 716, 1208, 1561, 1838, 1696, 1743, 1750 in Mersennes Quaestiones in Genesim aufmerksam gemacht habe.

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Der Titel der ersten Streitschrift zeigt deutlich Fludds Intentionen: In Sophiae cum Moria Certamen, In quo, Lapis Lydivs A Falso Structore, F. Marino Mersenno, Monacho Reprobatus, celeberrima Voluminis sui Babylonici (in Genesin) figmenta accurate examinat setzte er sich ausführlich mit Mersennes in der Tat babylonisch kompliziertem Genesis-Traktat auseinander. Das Pamphlet zitiert im ersten Buch zunächst die Texte aus den Quaestiones in Genesim, in denen Mersenne Fludd angreift, diskutiert sie und zeigt Stück für Stück, worauf sie sich in Fludds Utriusque Cosmi Historia beziehen. Im zweiten Buch erörtert Fludd systematisch die Frage An sit anima mundi und verteidigt die Existenz der Weltseele gegen Mersenne. Im dritten Buch will er aufweisen, dass Marini Mersenni de Physica & Technica sua Microcosmi Historia Censuram esse iniquam, erroneam et falsam. 33 Er beschreibt Mersenne (zu Recht) als einen von denen, die die wahre Weisheit „prophetarum & Apostolorum mysticam, negligant & ignorent, eiusque inquisitores derisione, probo & contemptu prosequantur“34. Aber das Pamphlet ist weniger eine persönliche Invektive. Es geht Fludd, ähnlich wie Mersenne, um die Sache, und das ist für Fludd seine theosophisch-biblische Überzeugung. Mersenne hatte Fludd in drei Hauptpunkten angegriffen, in der Theorie der Weltseele, der Physica Mosaica und dem Konzept von Magie. Zum ersten Punkt: Mersenne hielt die Theorie der Weltseele für inakzeptabel. Fludd hatte in Utriusque Cosmi Historia die Weltseele nach dem Muster des Monochords dargestellt.35 Indem er das Bild des Monochords zurückweist,36 weist Mersenne zugleich die komplette Konzeption der Scientia pyramidalis zurück. Sein Ziel ist es, damit auch die Idee der Sphärenharmonie als falsch zu erweisen, denn die Zurückweisung dieses Pythagoräismus ist eine Bedingung seiner neuen (epikuräischen) Mechanik.37 Fludd widerlegt Mersennes Kritik seiner Weltseelentheorie im zweiten Buch von Sophiae cum Moria Certamen. Er zitiert zunächst Mer33 Fludd (s. o. Anm. 32), 72. 34 Fludd (s. o. Anm. 32), 7. 35 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 110; vgl. Fludd, Utriusque Cosmi Historia, Oppenheim 1617 – 1621, Bd. 3. 36 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1556. 37 Fludd (s. o. Anm. 32), 24. In seinen Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1556, bezieht sich Mersenne auf den Streit Fludds mit Kepler über die Weltharmonie. Obwohl er Keplers Physik akzeptiert, greift er auch Kepler an; er wundert sich, dass Kepler Fludd nicht heftiger attackiert habe: „Fortasse verebatur haereticus haeretico succendere“.

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senne, der die Lehre von der Weltseele in ihrer Geschichte skizziert hatte,38 und weist darauf hin, dass auch Kepler eine Weltseele annehme. Fludds Argument gegen Mersenne ist, wie immer, biblisch: Er bezieht sich auf die Interpretation von Gen 1,3, interpretiert das Schöpfungswort Gottes als Seele der Welt39 und identifiziert diese Weltseele mit dem Kleid Gottes aus Ps 102. Dieses Kleid, in das sich Gott hülle, sei zugleich die Weisheit Gottes und der kabbalistische Engel Metatron: „Decorum induisti amictus lumine quasi vestimento: hoc indutus spiritu mundano lucido, qui à Platonicis aestimatur pro anima mundi, & a Cabalisticis pro angelo suo magno Mittatron dicto, unde à Sapiente dictus spiritus iste Sapientia“.40

Außerdem wird das Corpus Hermeticum als Kronzeuge der mosaischen Physik bemüht.41 Zum zweiten Punkt: Die Physica Mosaica – d. h. die Idee, dass die Bibel, wenn man sie recht zu lesen in der Lage sei, physikalische Wahrheiten verkünde – war das Herzstück von Fludds Utriusque Cosmi Historia und ein Hauptangriffspunkt Mersennes.42 Zum entsetzten Erstaunen Fludds hatte Mersenne den biblischen Schöpfungsbericht, dem zufolge das Licht an 38 Fludd (s. o. Anm. 32), 41 (Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1451, 1452): „Verum cum anima mundi nulla sit, ab ea diligentius cavendum, quo peius audiunt illi tenebriones, qui eam post Platonem, Iamblicum, Macrobium, Apuleium, Thaletem & Agrippam revocare satagunt, & siquidem illa portenta concluderentur quae gentiles astruebant, nempa caelestem illam animam, esse fontem omnium animarum qui fabrictori Deo subserviant, ut apud Apuleium de dogmate Platonis videre est, mentem aliquam universalem esse qua singuli intelligerent ut Impij Arabes cum Averroe crediderunt. Denique ut alia plurima missa faciam, non solum Magi, sed et Athei hoc anima, & hoc vehiculo spirituali suas impietates tuerentur, atque propagarent.“ 39 Fludd (s. o. Anm. 32), 42: „Si eius Verbum seu Sapientiam ab eius sintero (?) splendore emanentem, mundum implere iugiterque conservare ostendams, si in hoc verbo ipsam rerum omnium vitam inesse, atque Sapientiam istam omnia in mundo vivificare lucide demonstremus, utpote mediante qua omnes mundi partes & consequenter eius totum, quod est partibus conflatur animantur & vivunt, quid est quod ulteriori demonstratione rapiantur mortales circa mundi animam?“ 40 Fludd (s. o. Anm. 32), 49: „Du hast die Herrlichkeit mit Licht umhüllt wie mit einem Kleid (Ps 104,2), dieses Lichtgewand des Weltgeistes wird von den Platonikern als Weltseele verstanden und von den Kabbalisten ihr großer Engel Metatron genannt, und vom Weisen wird jener Geist Weisheit genannt.“ 41 Fludd (s. o. Anm. 32), 61, Pimander. 12: „Aer est in corpore, anima in aere, mens in anima, in mente verbum, verbum verro eorum Patrem esse asseruit.“ 42 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 712.

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einem, nämlich dem dritten Schöpfungstag das schlammige Tohu wa Bohu des Urchaos austrocknen könne, als physikalische Wahrheit entschieden verneint. Fludd stellt hier fest, dass Mersenne im Bezug auf die Physik keine Ehrfurcht vor der Bibel habe: „Hier, meine Leser, könnt ihr sehen, wie schmutzig und ekelhaft sein Vergleich ist, wo er über so heilige und göttliche Wirklichkeiten handelt; als ob er Schmutz, Kot oder eher feuchten Schlamm als Vergleichsbild nehmen könnte, ohne in die Kloaken und Misthaufen hinabzusteigen. Aber das ist nicht verwunderlich – delektieren sich doch die Schweine an Kloaken und Kot ihrer Art nach sehr passend.“43

Fludd weist anhand von biblischen Wunderberichten nach, dass Trocknungsvorgänge aufgrund von göttlichen Willensentscheidungen beliebig schnell vor sich gehen können. Hier zeigt sich der entscheidende Unterschied: Fludds physikalische Autorität ist die Bibel, Mersenne lässt sich von dieser geistlichen Autorität physikalisch nicht beeindrucken. Mersenne hält eben nichts von der Physica Mosaica,44 lediglich die praktische Technik lässt er von den unfrommen Söhnen Kains erfunden sein, der Rest sei nicht biblisch: „Die göttliche Güte und Vorsehung wollen wir bewundern, denn sie hat uns sogar durch die Söhne des Frevlers Kain so viele und für so herausragende Künste so nützliche Kenntnisse beigebracht. So haben wir fast alle Künste von den Heiden übernommen: Von Sokrates, Platon und Aristoteles die Philosophie, von Hippokrates und Galen (und wenn man will auch von Paracelsus) die Medizin. Von Euklid die Geometrie, von Ptolemäus die Astrologie, von Hieron und Archimedes die Mechanik. Wer ist in der Dichtung versierter als Homer und Vergil, wer könnte je mit der Beredsamkeit des Demosthenes und Ciceros verglichen werden? Und doch waren das alles Heiden und Ungläubige.“45 43 Fludd (s. o. Anm. 32), 20. „Hic (Lectores) videre potestis, quam sordida, & foetida sit eius comparatio, ubi de rebus tam sanctis & divinis agitur: ac si in coeno, luto, aut limo potius humido similitudinem ponere suam non potuisset, quam ut descendat in cloacas & sterquilinia: Verum hoc nimirum non est, cum porcorum delectatio, in cloacis & stercoribus, sed ad rem.“ 44 Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1475; Fludd (s. o. Anm. 32), 35. 45 Fludd (s. o. Anm. 32), 35. „Divinam bonitatem atque providentiam admiremur, quae tot, & tam utiles, ad tam praestantissimas artes nobis etiam per impii Cain filios suggessit, sic omnes artes fere à Gentilibus accepimus: A Socrate, Platone & Aristotele Philosophiam, ab Hyppocrate, & Galeno, & si vis etiam à Paracelso medicinam. Ab Euclide Geometriam, à Ptolemaeo Astrologiam, ab Hierone & Archimede mechanicam: quis poesi peritior Homero atque Virgilio, quis unquam cum Demosthenis & Ciceronis eloquentia conferri poterit, cum tamen illi omnes Pagani atque impij fuerint.“

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Es ist evident, dass sich Fludd mit dieser paganen Fassung der Wissenschaft nicht zufrieden geben kann; er zitiert wieder die Bibel: „Scripturae sacrae nos docent, quod nulla sit vera sapientia & scientia, quae non data est à Deo.“46 Zum dritten Punkt: Der dritte Hauptvorwurf, mit dem sich Fludd konfrontiert sah, war, dass er ein Magier sei, und zwar ein „Cacomagus“. Der bibelfromme Fludd musste sich von diesem Vorwurf zutiefst gekränkt fühlen. Er listet deshalb die Stellen auf, in denen ihn Mersenne der schwarzen Magie bezichtigte.47 Zur Widerlegung dieser Vorwürfe prüft er zunächst den Begriff Magie – er komme aus dem Persischen48 – und stellt die durch Dionysius Areopagita approbierte christliche Angelologie vor, die nichts mit schwarzer Magie zu tun habe49. Die kabbalistische Angelologie, die er, Fludd, im Kabbala-Teil seiner Utriusque Cosmi Historia dargestellt und die Mersenne angegriffen habe,50 entstamme der uralten jüdischen Tradition und sei biblisch gerechtfertigt. Das gelte vor allem für den Engel Raziel, der Adam den göttlichen Heilsnamen offenbart habe. Darauf beziehe sich die Stelle: „Siehe, ich schicke meinen Engel vor dir her, um dich auf dem Weg zu bewahren; er wird deinen Abfall nicht zulassen, denn mein Name ist in ihm“, und Fludd ergänzt: „d. h. Gottes Wesen, dessen einziger Name das Tetragamm ist.“51 46 Fludd (s. o. Anm. 32), 35. 47 Fludd (s. o. Anm. 32), 73: „Nam Col. 1744 ait: Quod ut melius efficere possis, Fludde, genium, aut Daemonem advoca, huius enim advocandi formam doces &c. Et Col. 1743: Robertus ille Fludd Haeretico-magus insanire mihi videtur; &c. Et Col. 40 in Prov.v. O miram hominis caecitatem, qui impune tam foetidam, & horrendam magiam non solum tractare sed &c. Et ibidem. Siccine Iacobe Catholicum te dicet aliquis quam diu nefarios libros, atque magos in regno tuo grassari vides, &c. Et Col. 222. in Pr.v. Quo loco se satis magum esse aut magica scribere prodit ille Robertus. etc.“ 48 Fludd (s. o. Anm. 32), 76. 49 Fludd (s. o. Anm. 32), 80. 50 Fludd (s. o. Anm. 32), 92 f. zitiert Mersennes Quaestiones, Textus 39: „Et quis (obsecro) docuit eum, Razielem Adamo praefectum fuisse? An a Mecubalibus a Magis id accepit? Verum Hebraeorum magistri censere videntur Adamum fuisse doctiorem Angelis, cum his ab illo nomina imposita fuisse asserunt, teste Agripp. Libr 3. capit 24. qui cum initio recte dixisset, nulla Angelorum nomina nos nisi diuina revelatione cognoscere, sui oblitus atque Magiae addictissimus Archimagus, varia fingit angelorum nomina, inter quae Razielem ponit, horribilia tonitura excitantem.“ 51 Fludd (s. o. Anm. 32), 97: „Ecce mitto Angelum meum ante te ad servandum te in hac via, non feret ipse defectionem vestram, quia nomen meum est in eo videlicet

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Für Fludd ist also evident, dass die Mitwirkung himmlischer Geister bei Gottes Heilsgeschehen biblisch belegt ist; damit ist die Magie eine biblisch approbierte Kunst. In seinem Summum Bonum wird er die Magie explizit verteidigen. Mersennes Aversion gegen die Physica Mosaica konzentrierte sich auf die Kabbala, deren Grundzüge er aus Reuchlin, Postel und der Ars Cabalistica kannte, die Johannes Pistorius 1576 herausgegeben hatte. Fludd rechtfertigt deshalb die Kabbala im gesamten vierten Buch seines Sophiae cum Moria Certamen. Mersenne hatte bei seinem Referat von Fludds Kabbala-Darstellung in Utriusque Cosmi Historia behauptet, Fludds Deutung des ersten Wortes der Genesis, Bereshit N=M4L5, sei absurd.52 Fludd hatte das M4L (inN=M4L5 ) wie folgt interpretiert: das L bedeute leer, das M sei das Licht Gottes, und im 4 schließlich komme Gott zu sich.53 Fludd wirft Mersenne seinerseits vor, die Texte nicht begriffen zu haben, und erläutert noch einmal die Dialektik des „4 tenebrosum“, in der sich der hermetische Satz manifestiere: „Monas generat Monadem & in se ipsam reflexit ardorem“.54 Auch hier ist Fludds Fazit eindeutig: Mersenne weise den Beistand der göttlichen Weisheit zur menschlichen Unwissenheit stets zurück. Im Svmmvm Bonvm, Quod est Magiae, Cabalae, Alchymiae, Fratrum Roseae Crucis Verum subjectum 55 konfrontiert Fludd Mersennes Idee einer mathematischen Wissenschaft mit seinem Ideal einer bibelkonformen Physik und einer weltgeschichtlichen Universalreform. Das ganze Büchlein ist eine Rechtfertigung seines magischen Wissens- und Wissenschaftskonzepts. Fludd geht sehr offensiv, aber nicht aggressiv vor. Es geht ihm darum, den Vorwurf zurückzuweisen, er sei ein „Cacomagus“. Der Rechtfertigungsmaßstab seiner Wissenschaftlichkeit ist die Bibel.

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essentia divina cuius nomen unicum est Tetragrammaton.“ Das Zitat ist ungenau und in dieser Form nicht in der modernen Vulgata zu finden. Am ehesten ähnelt es der Prophetie in Maleachi 3,1. Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 716. Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 716, zit. bei Fludd (s. o. Anm. 32), 113: „ait (sc. Fludd) enim Deum fuisse Aleph, tenebrosum respectu nostri cum in seipsum ardorem reflecteret 4.“ Fludd (s. o. Anm. 32), 115. Der vollständige Titel: Svmmvm Bonvm, Quod est Magiae, Cabalae, Alchymiae, Fratrum Roseae Crucis Verum subjectum. In Dictarum Scientiarum laudem & insignis calumniatoris Fratris Mersenni dedecus publicatum. Per Joachimvm Frizivm. [Frankfurt] MDCXXIX. 53 + (1) S.

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Fludd diskutiert die Problematik der Magie zunächst philologisch und führt das Wort auf die Perser zurück. Dann aber verbindet er das Konzept der Magie sogleich mit der Weisheit Salomonis. Diese Sophia/Sapientia ist für ihn identisch mit einer unter allen Völkern verbreiteten Magia naturalis. Es gebe sie in Indien, Persien, in Chaldäa und Äthiopien.56 Er unterteilt Magie ganz konventionell nach guter (Sapientia) und schlechter (Pseudosophia); wobei die Sapientia in Theosophia und Anthroposophia zerfällt. Die Theosophie handelt von der Erkenntnis des göttlichen Worts und dem ihm entsprechenden Leben sowie von der Kraft und dem Geheimnis der Engel. Die Anthroposophie umfasst die Naturphilosophie, die Moral und die politische Philosophie. Entsprechend teilt Fludd die böse, schwarze Seite der Magie auf: Die Cacosophie sei die Unkenntnis des göttlichen Wortes, das Leben nach dem Willen des Teufels und die Verkennung der Engel, sie führe zu Idolatrie und Atheismus. Die Cacodaemonia sei böse Theurgie, Nekromantie und Geisterbeschwörung sowie die Scientia Praestigatrix, also die Kunst, Geister und Dämonen sowie Trugbilder erscheinen zu lassen. Fludd sieht sich selbstverständlich als guten Magier und verteidigt seine Ahnenreihe:57 Roger Bacon,58 ebenso Trithemius,59 Ficino60 und Agrippa61. Im zweiten Buch stellt Fludd erneut die Kabbala vor. Mit Reuchlin fasst er sie als uralte, adamitische Weisheit, die freilich erst mit dem Christentum in ihrer eigentlichen Wahrheit zutage getreten sei. Gegen Mersenne, der bei den Kabbalisten beklagt hatte, dass sie „potius obscurant & inficiunt, quam interpretantur“62, verteidigt er den mystischen Sinn der Bibel und führt Paulus als Beispiel für eine mystische Interpretation an; sein Beleg bei Paulus ist die Allegorese, die die Christen als lebendige Steine der Kirche interpretiert.63 56 57 58 59 60 61 62 63

Fludd (s. o. Anm. 55), 5. Fludd (s. o. Anm. 55), 6. Fludd (s. o. Anm. 55), 6. Bei Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 961. Trithemius’ Steganographie: Fludd (s. o. Anm. 55), 6; Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 440. Ficinos De vita coelitus comparanda: Fludd (s. o. Anm. 55), 8, Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1704. Agrippas De Occulta Philosophia: Fludd (s. o. Anm. 55), 8, Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 39. Fludd (s. o. Anm. 55), 14, Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 214. Fludd (s. o. Anm. 55), 21 f.

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Bei seinen Angriffen gegen die Alchemie hatte Mersenne vor allem Paracelsus und Pico im Auge.64 Alchemie ist ihm nicht mehr als naturphilosophische Quacksalberei. Fludd orientiert dagegen die Alchemie ganz an ihrer spirituellen Dimension: sie sei die Transformation der gefallenen Wesen zurück zu ihrem göttlichen Bilde. Dabei lässt er offen, ob es sich um den Prozess der Vergeistigung der Welt zu ihrem primordialen Zustand oder um den Alchemisten handelt, der als Mensch und als Restitutor der ursprünglichen Schöpfung Gottes Ebenbild ist. Das Ziel der Alchemie ist für Fludd deshalb biblisch begründet: „Von der Reinigung des Herzens, der Ausrichtung des Geistes, der Erhebung des Geistes zu Gott, der Ausgießung des Lichtes aus der Finsternis, sowohl in diesem wie im anderen Leben, der Auferstehung vom Todesschlaf und unendlichen anderen Enden, die zur lebendigen Chemie gehören, redet die Heilige Schrift überall.“65

Mersenne hatte in seinen Quaestiones in Genesim auch die Rosenkreuzer angegriffen: Zwar seien die Väter dieser Lehre unbekannt, aber es sei aus den vielen Ankündigungen im Frankfurter Messkatalog schon klar, dass es sich bei den Texten um Blasphemien handle und die Verfasser Häretiker und Magier seien.66 Fludd verteidigt, wie nicht anders zu erwarten, die Rosenkreuzer mit einer prophetischen Interpretation der Bibel. Es wird dabei deutlich, wie sehr er sich selbst in die eschatologische Selbststilisierung der Rosenkreuzer einschließt. Er zitiert Apokalypse 22 und Hiob 1,21, wonach Christus den Frieden durch das Blut seines Kreuzes bringe – denen auf der Erde und denen im Himmel. Hier wüschen die Gerechten ihre Kleider im Blut des Lammes und es sei das Blut, das die Welt erlöse; hier sei das Kreuz mit Rosen und Lilien geschmückt. Fludd führt als allegori64 Fludd (s. o. Anm. 55), 26, Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 653 (Paracelsus), Sp. 1706 (Pico). 65 Fludd (s. o. Anm. 55), 39: „de cordis mundificatione, de spiritus rectificatione, de mentis ad deum sublimatione, de luminis è tenebris emissione, de resurrectione, tam in hac vita, quam in alia, de resuscitatione à somno mortali & infinitis aliis terminis, ad Chymiam viuam pertinentibus, ubique mentionem faciunt Scripturae sacrae“. 66 Fludd (s. o. Anm. 55), 39, Mersenne, Quaestiones (s. o. Anm. 3), Sp. 1452: „Sane iudices & principes serio monitos cupio, ne portenta hac & opinionum erronearum monstra in suis ditionibus grassari permittant, & illos Acherontaeos Roseae Crucis fraterculos penitus eliminent, qui fere quibuslibet nundinis Franfortensibus libellos impietatem redolentes in orbem Christianum inducunt, cum antro suo & spurio Patre nondum cognito, blasphema enim sunt, quae annuntiant, & se haereticos atque Magos, vel saltem è Magorum scriptis plurima furto sumentes, plus nimio produnt &c.“

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schen Beleg das apokryphe vierte Buch Esra (4. Esd 2,19 und Hiob 40) an: „Ich habe – sagt Gott – sieben Berge mit einer Rose und einer Lilie bereitet, auf denen ich deine Söhne mit Freude erfülle.“67 Es ist nicht wahrscheinlich, dass Fludd Mersenne mit dieser Allegorese überzeugen konnte.

4. Pierre Gassendis Examen Philosophiae Fluddii Offensichtlich war Mersenne es nach seinen ausführlichen Auseinandersetzungen mit Kabbala, Alchemie und pythagoräischer Mathematik in den Quaestiones in Genesim, in der Impit des Distes (1623) und der Vrit des Sciences (1625) immer noch nicht leid, sich mit dem seinerseits intransigenten Polemiker Fludd zu streiten. Mersenne war von der Gegnerschaft zu Fludd wie besessen; wie sein Briefwechsel zeigt, spielte Fludd die Rolle eines nahezu allgegenwärtigen Albtraums. Mersenne kommt in seinen Briefen immer wieder auf ihn zurück. Fludd ist für ihn der zeitgenössische Hauptrepräsentant der neuplatonischen Wissenschaft, die er erbittert bekämpft. Deshalb bewegte er seinen Freund Gassendi68, eine letzte, endgültige Streitschrift zu veröffentlichen: Epistolica dissertatio in qua praecipua principia Philosophiae R. Fludd deteguntur 69. Fludd war eine Galionsfigur des naturphilosophischen Platonismus der späten Renaissance. Es ist wenig verwunderlich, dass er ein Lieblingsziel des frühen Mechanismus und des naturphilosophischen Epikuräismus der Frühen Neuzeit wurde. Vor allem die frühen empiristischen Mechanisten 67 Fludd (s. o. Anm. 55), 48: „Paravi, (inquit Deus) montes septem habentes rosam & lilium, in quibus gaudio implebo filios tuos.“ 68 Vgl. Lenoble (s. o. Anm. 1), Nr. 10, XVIII, 28. Die Verfasserschaft ist nicht völlig klar. In jedem Fall hat sich Mersenne immer mit den Argumenten dieser Streitschrift identifiziert. Vgl. die Briefe 118 (Francois de la Noue an Mersenne) und den ausführlichen Brief von Gassendi an Mersenne Nr. 125 in Mersenne, Correspondance (s. o. Anm. 3), Band II. Im Brief vom 26. April 1630 an Nicolas de Baugy in La Haye schreibt Mersenne bei der Übersendung der Streitschrift: „Ecce offero tibi librum, vir illustrissime, quem possum dicere meum, et non meum. Meus est, quia caussam meam tractat; meus non est, quia ab amico illo meo Gassendo, tibi non ignotus, est scriptus.“ Mersenne, Correspondance (s. o. Anm. 3) Band II, 438. 69 Epistolica dissertatio in qua praecipua principia Philosophiae R. Fludd deteguntur. Paris 1630. Sie ist in Gassendi, Opera Omnia, Lyon 1658 (Nachdruck StuttgartBad Cannstatt 1964), Band 3, 217 – 268 als Examen Philosophiae Fluddi neu gedruckt. Diese Ausgabe ist zitiert.

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des beginnenden 17. Jahrhunderts, Mersenne und Gassendi, wählten Fludd zu ihrem bevorzugten Feind. Die Polemik war bitter und nachhaltig. Die mechanistische Naturtheorie erwies sich als leistungsfähiger gegenüber der altmodischen, auf Kabbala, Hermetik und Astrologie basierenden mosaischen Physik Fludds. In der Konfrontation mit dem neuen Mechanismus geriet die mosaische Physik nach und nach ins Abseits. Das betraf natürlich auch ihren Hauptvertreter Fludd. Gassendi70 respektive Mersenne referiert zunächst alle Fludd’schen Theoreme mit ihren kabbalistischen Implikationen. Er kennt die Reuchlin’sche Kabbala, die Fludd übernimmt, das Verhältnis von „4 tenebrosum“ und „4 lucidum“;71 er kennt den gesamten Zusammenhang der Genesis-Interpretationen, wie sie Fludd darstellt, die Tetragramm-Deutungen, die Interpretationen von M ,B , 4 als Feuer, Wasser und Dunkelheit, 70 Pierre Gassend (genannt Gassendi), in gewisser Hinsicht der Gründer des neuzeitlichen Empirismus und der entscheidende Neubeleber Epikurs in der Frühen Neuzeit, war vier Jahre jünger als Mersenne. Er wurde 1592 bei Digne in der Provence geboren, besuchte als Junge von 1602 – 1607 das College in Digne und erhielt von 1609 – 1611 Philosophieunterricht bei dem Karmeliterpater Philibert Fezaye. Er studierte Rechtswissenschaft und Theologie, ebenfalls bei Fezaye. 1614 wurde er zum Doktor der Theologie promoviert und empfing die niederen Weihen. Zwei Jahre später empfing er die Priesterweihe. Von da an wirkte er als Chorherr sowie als Beauftragter für den Unterricht in Digne. Zwischen 1616/17 – 1622/23 lehrte er zugleich Philosophie. Mit der Übernahme seines Kollegs durch die Jesuiten endete seine Lehrtätigkeit. Von dieser Zeit an war Gassendi Privatgelehrter. Von 1623/24 weilte er in juristischen Angelegenheiten in Paris und lernte dort Mersenne kennen und schätzen. 1623 erscheinen seine Exercitationes paradoxicae, eine Polemik gegen die aristotelische Philosophie. Danach zieht er sich zurück in die Provence, wo er Freundschaft mit dem provenzalischen Antiquar Nicolas-Claude Fabri de Peiresc schließt. Von 1628 – 1632 wohnt er erneut in Paris und ist mit Diodati, Naudeé, la Mothe Le Vayer Zentrum des ,Gelehrten Libertinismus’. Wie sich dieser ,Libertinismus’ mit seiner Freundschaft zum frommen Mersenne fügt, ist nicht ganz einsichtig. Beide hatten jedenfalls ähnliche naturphilosophische Interessen, wie die gemeinsame Polemik gegen Fludd, die genau in diese Zeit fällt, bezeugt. 1632 kehrt Gassendi in die Provence zurück und bekommt 1634 nach langen juristischen Querelen die Propstei in Digne als Pfründe. Im selben Jahr veröffentlicht er sein bekanntestes Werk: De Vita et doctrina Epicuri (1634). 1637 stirbt Peiresc. Gassendi ehrt ihn mit einer Biographie („Viri Illustris Nicolai Claudii Fabricii de Periresc Senatoris Auisextiensis vita“, in: Gassendi, Opera omnia, Lyon 1658 (Nachdruck Stuttgart-Bad Cannstatt 1964), Bd. V, 237 – 362.). Ab 1641 ist er wieder in Paris und erneuert seine Freundschaft mit Mersenne, außerdem wird er mit Blaise Pascal bekannt. Er verkehrt in Paris im Kreise der Dupuis. Nach dem Tode Mersennes im September 1648 kehrt er in die Provence zurück. Hier vollendet er sein Hauptwerk Syntagma Philosophicum. Er stirbt 1655. 71 Gassendi, (s. o. Anm. 69), Band III, 218.

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die kabbalistischen Engelnamen und die Übernahmen aus dem Sefer Jezira. Er ist auch mit Khunraths Amphitheatrum Sapientiae Aeternae als Quelle Fludds vertraut.72 Gassendi/Mersenne präsentieren die kabbalistischneuplatonische Kosmologie mit einem solchen ironischen Erstaunen, dass schon die pure – im Übrigen zutreffende – Darstellung sich selbst zu denunzieren scheint. Mit ungläubigem Entsetzen stellt der mechanistische Empiriker Gassendi (oder eher Mersenne) das Monochord als Modell Fludds für die Harmonie der Welt dar. Die Idee der Sphärenharmonie und die geistliche Physik von Mikrokosmos und Makrokosmos sind gleichermaßen Gegenstand von Gassendis Verwunderung. Gassendi (Mersenne) geht polemisch auf die beiden Pamphlete Summum Bonum und Sophiae cum Moria Certamen ein. Er erweist sich, wie nicht anders zu erwarten, als gut informiert, er kennt neben Fludds Utriusque Cosmi Historia auch die Medicina Catholica mit der Verteidigung von Harveys Theorie des Blutkreislaufs.73 Das Fazit ist, wie nicht anders zu erwarten, vernichtend: 1. Exegetisch können Mersenne/Gassendi Fludd nicht folgen. Sie weisen das Konzept einer Physica Mosaica zurück und bestreiten folglich, dass die 72 Gassendi, (s. o. Anm. 69), Band III, 222. 73 Robert Fludd, Medicina Catholica Seu Mysterium Artis Medicandi Sacrarium. In Tomos divisos duos. In quibus Metaphysica Et Physica tam Sanitatis tuendae, quam morborum propulsandum ratio pertractatur. Authore Roberto Flvdd; alias de Fluctibus, Armigero, & in Medicina Doctore Oxoniensi. Frankfurt: Typis Caspari Rotelli, Impensis Wilhelm Fitzeri. Anno MDCXXIX. (24) + 241 + (7)2. Pvlsus Seu Nova Et Arcana Pulsvvm Historia, E Sacro Fonte radicaliter Extracta, Nec non Medicinorum Ethnicorum Dictis & authoritate comprobata. Hoc est Portionis Tertiae Pars Tertia, de Pulsuum Scientia. Authore Roberto Flvd Armigero, & in medicina Doctore Oxoniensi. 93 (+ 3). Mersenne hatte Gassendi auch Harveys Buch De motu cordis geschickt und er meinte, Harveys Traktat über die Entdeckung des Blutkreislaufs sei eine Reaktion auf einen Aufsatz Fludds über die Parallelität von Blut- und Sonnenbewegung, den dieser 1629 im Anhang seiner Medicina Catholica veröffentlicht hatte: Pulsus seu Nova Et arcana Pulsorum historia. Schließlich waren Harvey und Fludd befreundet. Gassendi/Mersenne referieren nun Harveys Buch über den Blutkreislauf, vergleichen es mit Fludds Aufsatz, unterstellen, dass Fludd seine Ideen wohl von Harvey habe, verreißen die These von Fludd und bezeichnen Harveys Buch als nicht zufriedenstellend. Kurz: Mersenne und Gassendi verteidigten das galenische ,Vascular-System‘ gegen Fludd und Harvey. Wie immer die Sache im Einzelnen aussah, auch Fludd betrachtete Harveys Theorie als Bestätigung seiner Theorie. Das ist evident aus seiner Unterstützung Harveys in Pulsus seu Nova Et arcana Pulsorum historia.

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Bibel Kompetenz für die Astronomie beanspruchen könne; das gelte auch für das ptolemäische Weltbild. Fludd muss sich erklären lassen, dass die Bibel zur Belehrung von Hirten und Bauern, nicht als wissenschaftliche Physik geschrieben sei: „Schau, wie der Gesetzgeber Mose nicht Epizyklen und Exzentriken beschrieb, sondern schlicht aussprach, dass Gott Himmel und Erde geschaffen hat. Ich habe es stets für gewiss gehalten, dass uns das echte Verständnis der Schrift verborgen bleiben wird, wenn wir nicht unseren Verstand dem Horizont (captus) von Hirten und Bauern anpassen.“74

Gassendi und Mersenne lesen die Bibel nur als Erbauungsbuch, jeglicher Wissenschaftsanspruch ist der exegetischen Akkomodationstheorie zum Opfer gefallen. 2. Unter diesen Voraussetzungen versteht es sich von selbst, dass die beiden Mechanisten die Kabbala als physikalisch-exegetische Grundlegung der mosaischen Physik, wie es Fludd vorschlägt, nicht akzeptieren: Fludd definiere Kabbala als „mündliche, von jemandem anders stammende, Überlieferung des Geheimnisses Gottes und der Natur oder als symbolische Überlieferung der göttlichen Offenbarung zur heilbringenden Betrachtung Gottes und der himmlischen Primordialformen (formae separatae). Er leitet sie nicht nur von Mose her, sondern auch von Adam über die Patriarchen, Richter, Priester, Propheten, Ältesten bis zu Christus und den Aposteln sowie ihren Nachfolgern, und das wird fortdauern, solange die Welt bestehen wird.“75

Wo die Konzeption der spiritualistischen Physik insgesamt zurückgewiesen wird, sind auch alle exegetischen Besonderheiten der Kabbala ohne 74 Gassendi, (s. o. Anm. 69), Band III, 232: „Vide ut Moses Legislator non Epicyclos, aut Eccentricos describebat; sed enunciet simpliciter, ut Deus creâvit Caelum, & Terram. Certè existimavi semper, nisi nostrum ingenium ad captum Pastorum, & Agricolarum demiserimus, fore vt nos germana scripturae interpretatio lateat.“ 75 Gassendi, (s. o. Anm. 69), Band III, 253; vgl. Fludd (s. o. Anm. 55), 10: „Auricularem mysterij Dei, et naturae, ab altero receptionem, vel, Symbolicam receptionem divinae revealtionis ad salutiferam Dei & formarum separatarum contemplationem traditam. Deducit non à Mose solum, sed ab Adamo etiam per Patriarchas, Iudices, Reges, Sacerdotes, Prophetas, seniores, ad Christum vsque, & Apostolos, Successoresque, dum erit Mundus.“ Die Definition stammt aus Johann Reuchlin, De arte Cabalistica, hg. v. Martin u. Sarah Goodman, Nebraska 1983 (Nachdruck 1993), 62: „Est enim Cabalae diuine revelationis, ad saluteferam dei et formarum separatarum contemplationem traditae, symbolica receptio, quam qui coelesti sortiuntur afflatu, recto nomine Cabalici dicuntur.“

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jeden Sinn, und das ,Examen‘ der beiden Mechanisten führt sie der Reihe nach an: Mercava, Sacra nomina Dei, Theomantie, Notarica, Gematria, Temura. 76 Sie können die kabbalistische Exegese nur als phantastisches Theater begreifen, aber, trösten sie Fludd, auch Komödianten hätten Platz im Staat.77 3. Das entscheidende Argument von Mersenne und Gassendi gegen Fludd ist aber theologisch-dogmatischer Natur. Die naturphilosophische Exegese der Schrift, wie sie in der neuplatonischen Logos-Theologie und in der Kabbala vorherrscht, ist für sie deshalb inexcusabilis, weil sie die Natur christologisiere und die historische Christologie aufhebe. Damit wenden sich Mersenne und Gassendi auch gegen das Konzept einer Philosophia perennis und einer Theologia prisca. Sie stellen dem Leser die folgenden theologischen Inquisitions-Fragen an Fludd anheim: „Frage ihn, ob er unter dem Namen der Weisheit, des Worts, des Messias, Christi, des Ecksteins, den Heiland verstehe, der vor 1600 Jahren einen menschlichen Leib angenommen hat, den er vorher noch niemals hatte, der ein einzelner Mensch geworden ist und der in Judäa, nicht unter den Heiden, von einer wahren und echten, nicht metaphorisch zu verstehenden Frau und Jungfrau geboren worden war, der 34 Jahre mit den Menschen zusammengelebt hat, unter Pontius Pilatus gekreuzigt wurde, gestorben ist und am dritten Tage aus dem Grabe auferstand und unter den Augen seiner Jünger in den Himmel erhoben wurde? Frage ihn, inwiefern er dieses und anderes als historisch, so wie die Worte es sagen, ohne alchemistische Metaphorik akzeptiert? Und wenn er es dann bejaht, liebe den Mann und akzeptiere seine Meinung, wenn er es aber verneint oder zögert oder Ausflüchte sucht, was müsstest du anderes daraus schließen, als dass er zu denen gehört, die sich beim Christentum um nichts kümmern als um den Namen. Ich will noch etwas sagen, wenn es auch viel zu wenig ist: Es reicht, daran zu erinnern, welche Interpreten er bei der Inkarnation, der Eucharistie und bei anderen christlichen Mysterien anführt. Er zitiert nämlich Zoroaster, Hermes Trismegistos, Pythagoras; es fehlte nur noch, dass er die Bücher des Parmenides, des Demokrit, die Secreta secretorum des Aristoteles und andere von dieser Sorte, die er gelegentlich anführt, auch für wahr und authentisch hält. Er pflegt auch, um das nicht zu vergessen, dem Heiligen Thomas und Albertus Magnus fälschlich zugeschriebene Texte zu zitieren.“78 76 Gassendi, (s. o. Anm. 69), Band III, 253. 77 Gassendi, (s. o. Anm. 69), Band III, S. 258. 78 Gassendi, (s. o. Anm. 69), Band III, 260: „Roga illum (scil. Fludd), vtrum Sapientiae, Verbi, Messiae, Christi, lapidis illius angularis nomine, Seruatorem intelligat, qui à mille solùm, & sexcentis annis, humanam carnem assumens, quam antè numquam habuerat, factus fuit homo singularis, atque in Iudea, & non inter Gentes, natus ex vera, & citra vllam metaphoram muliere dicta, & Virgine con-

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Das sind sowohl dogmatische als auch philologische Vorhaltungen, auf die Fludd wohl geantwortet hätte, dass er schon an den historischen Jesus glaube, dass er die Auferstehung und Himmelfahrt akzeptiere, dass diese Ereignisse aber neben der historischen auch eine naturtypologische Dimension hätten. Gegen eben diese typologische naturphilosophische Interpretation der christlichen Heilsgeschichte wendet sich Gassendi im Namen Mersennes mit seinem wichtigsten Argument. Die Natur werde bei Fludd insgesamt theologisiert. Wenn aber die Natur sich selbst logostheologisch erlöst, dann ist der historische Christus als Erlöser überflüssig.79 Dann ist die katholische Theologie als eigene, kirchlich verfasste Wissenschaft funktionslos. Das heißt, dass die Kirche selbst als Institution von Offenbarungs- und Sakramentenverwaltung überflüssig ist und in einer allgemeinen Religion aufgeht. Fludd und die Seinen beurteilten „religiones omnes bonas & tolerabiles“, weil sich Gott an dieser Vielfalt erfreue, und es führe nach deren inakzeptabler Meinung nicht nur ein Weg zu diesem großen Geheimnis.80

versatur inter mortales annis triginta quatuor; affixus Cruci sub pontio Pilato; mortuus, & post triduum excitatus è tumulo, postmodúmque raptus in Caelum spectantibus discipulis. Roga illum, inquantum utrum haec, & alia id genus historicè, vt verba sonant, absque translatione, praeter Alchymiam, accipiat: tumque, si adnuat, virum ama et sententiam complectere, si abnuat, si tergiversetur, si latibula quaeritet; quid ni concludas eum esse ex iis, qui ex Christiana Religione nihil aliud curant, quàm nomen? Dicerem plura, nisi multa nimis. Sufficit admoneam vt consideres, quos Interpretes adsciscat ad intelligenda, adorandae Incarnationis, Dominicae coena, caeteraque Christi Mysteria. Nimirum citat loca Zoroastis, Trismegisti, Pythagorae. Restabat vt citaret libros Parmenides, Democriti, librum secreti secretorum Aristotelis, caeterosque huius farinae, quos adducit passim, habetque pro veris, & authenticis. Nam vt omittam quos D. Thomae, & Alberti M. libros haud dubie supposititios producere aliquando solet.“ 79 Gassendi, (s. o. Anm. 69), Band III, 263: „Quaeso te verò, an Christus Servator, ut filius Dei, ita verus homo non fuit? An quà Deus, & non quà homo, Sanguinem, quem in ara Crucis effunderet, habuit? … Ecquis ergo alius hic cruor, non humanus, sed mysticus, qui ex mente Fluddi praestare id potuit?“ 80 Gassendi, (s. o. Anm. 69), Band III, 263. Galilei hat Gassendis Widerlegung Fludds gelesen: „Ho letto con particolar gusto l’Esercitatione de Sr. Pietro Gassendo contro alla Fluddiana filosofia, come anche l’Appendice delle osservazioni celesti.“ Galilei, Opere, Editione nazionale, Band 15, 26.

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5. Fludds Antwort auf Gassendi: Clavis Philosophiae et Alchymiae Fluddianae Fludd war im Kampf unverdrossen. Er antwortete noch einmal, um seine Wissenschaftsauffassung zu rechtfertigen. 1633 erschien in Frankfurt die Clavis Philosophiae Et Alchymiae Flvddanae, Sive Roberti Flvddi Armigeri et medicinae doctoris ad epistolicam Petri Gassendi theologi exercitationem responsum. 81 Sie ist wie die anderen Pamphlete gearbeitet: Fludd zitiert wörtlich die Argumente seiner Gegner und führt Punkt für Punkt seine eigenen dagegen an. Die Topoi und die Vorwürfe ändern sich nicht: Es geht um die Kabbala, die Alchemie,82 die Magie, die kosmische Medizin, die Anima mundi, die Rosenkreuzer. Immer behaupten Fludds Gegner, es handele sich bei diesen Künsten um gefährliche und unerlaubte Wissenschaften, immer behauptet Fludd von seinen Gegnern, sie seien ihrerseits nicht fromm, denn sie akzeptierten die biblischen, die patristischen und die hermetischen Traditionen nicht, die sich alle untereinander stützten. Gegen die Argumente einer rationalistischen und mechanischen Physik, die für die Naturphilosophie allein natürliche Argumente verwenden will, insistiert er auf dem naturtheologischen Sinn der Alchemie. Er muss sich allerdings ziemlich in die Ecke gedrängt gefühlt haben, am Ende bleibt ihm 81 Robert Fludd, Clavis Philosophiae Et Alchymiae Flvddanae, Sive Roberti Flvddi Armigeri et medicinae doctoris ad epistolicam Petri Gassendi theologi exercitationem responsum. In quo: Inanes Marini Mersenni Monachi obiectiones, querelaeque ipsius iniustae, immeritò in Robertum Fluddum adhibitae, examinantur atque aufferuntur: Severum ac altitonans Francisci Lanouii de Fluddo Judicium refellitur & in nihilum redigitur: Erronea Principiorum Philosophiae Fluddanae detectio, à Petro Gassendo facta, corrigitur, & equali iustitiae trutina ponderatur: ac denique sex illae impietates, quas Mersennus in Fluddum est machinatus, sincerae veritatis fluctibus abluuntur atque absterguntur. Frankfurt, Pfitzner 1633. Die Schrift richtet sich gegen drei Gegner: gegen Gassendi, Mersenne und P. Francois de la Noue. Alle figurieren in Gassendis Brief gegen Fludd; Mersenne als Veranlasser – auf ihn ist das Druckprivileg ausgestellt – und von de la Noue ist ein Brief an Mersenne mit abgedruckt, der gleichfalls Fludd kritisiert (auch in Gassendi, (s. o. Anm. 69), Band III, 267 f.). Vgl. Mersenne, Correspondance (s. o. Anm. 3), Band II, 132 – 141. Fludds Examen wird im Brief an Naudé vom 8. Sept. 1634 besprochen, vgl. Correspondance (s. o. Anm. 3), Band IV, Nr. 379. 82 Im Bezug auf die Alchemie wird er von Franciscus Lanouius (Lanoue) mit Khunrath zusammengebracht. Fludd (s. o. Anm. 81), 13: „quod vero ad Chymiae etiam mysteria, earundem authoritatem trahat, sacrilegum est & blasphemum; nec addi quiccquam necesse est ad Sorbonae censuram, qua Khunrathi persimilis impietas damnata est: Sunt enim ambo in eadem caussa.“ Weder für sich noch für Khunrath kann Fludd den Vorwurf der Blasphemie akzeptieren.

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auch kein anderes Argument mehr, als die Akademien Europas mit paulinischen Argumenten zu einem Glauben aufzurufen, der die Philosophie überwindet. „Ich schließe also gegen Mersennes Auffassung: wenn eine europäische Universität, sei es in Frankreich, Italien, Spanien, Deutschland, Holland oder England, ja sogar die von Oxford, diese [meine] Positionen auf irgendeine Weise verdammen sollte, die auf dem wahren Eckstein, Jesus Christus, gegründet sind, so sage ich, dass sie in der Tat schlecht achtgehabt haben auf die Worte jenes Apostels und wahren Theo-Philosophen, die jeden Christen, auch den in der heidnischen Philosophie erzogenen, zum Zentrum und Sitz seines Ecksteins hinziehen können und müssen. (Kol 2,6 – 10) Wie ihr nun angenommen habt den Herrn Christus Jesus, so wandelt in ihm und seid gewurzelt und erbaut in ihm und fest im Glauben, wie ihr gelehrt seid, und seid in demselben reichlich dankbar. Sehet zu, dass euch niemand beraube durch die Philosophie und lose Verführung nach der Menschen Lehre und nach der Welt Satzungen, und nicht nach Christo. Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, und ihr seid vollkommen in ihm, welcher ist das Haupt aller Fürstentümer und Obrigkeiten.“83

Auch wenn Fludd hier in der Defensive war, er war gleichwohl nicht der letzte Vertreter einer Wissenschaft, die der Bibel mehr Kredit gab als der Natur.

83 Fludd (s. o. Anm. 81), 86. „Concludo igitur contra Mersenni sensum, si aliqua Europae Academia, sive Gallica, Italica, Hispanica, sive Germanica, Batavica, Britannica, aut etiam Oxoniensies, istiusmodi dogmata ullo modo damnaverint, cum sint super verum lapidem angularem, qui est Iesus Christus fundata, dicam profecto quod male inspexerint verba illa Apostoli & Theo-philosophi veri, quae quemlibet Christianum etiam in Philosophia ethnica enutritum ad centrum & lapidis sui angularis sedem usque deducere possunt & debent: [Col.2, 6 – 9]: Sicut ergo accepistis Jesum Christum Dominum, in ipso ambulate, radicati, et superaedificati in ipso, et confirmati fide, sicut et didicistis, abundantes in illo in gratiarum actione. Videte ne quis vos decipiat per philosophiam, et inanem fallaciam secundum traditionem hominum, secundum elementa mundi, et non secundum Christum: quia in ipso inhabitat omnis plenitudo divinitatis corporaliter: et estis in illo repleti, qui est caput omnis principatus et potestatis.“

Über die Auferstehung der Toten Uriel da Costa, Menasse ben Israel und die christliche Respublica litteraria

Sina Rauschenbach Dem Lehrer in Dankbarkeit

Wer Friedrich Niewöhner kannte, kannte auch Uriel da Costa (1583/84 – 1640), den Mann, der auf einem Bild des polnischen Malers Samuel Hirszenberg (1865 – 1908) den jungen Spinoza auf seinem Schoß sitzen hatte, bevor er sich spektakulär mit einem Pistolenschuss das Leben nahm; den Querulanten, der zum Philosophen wurde, den Autor des Exemplar humanae vitae, der mit seinem Manuskript im Amsterdam des Jahres 1640 die europäische Aufklärung einleitete.1 In diesem Jahr erinnerte Da Costa die Rabbiner der Amsterdamer Gemeinde Talmud Tora daran, dass es eine Religion gab, die allen Menschen gemein war, weil sie auf die Zeit vor Moses zurückging. Er bezog sich dabei auf die rabbinische Tradition der Noachidischen Gebote. Dieser Tradition zufolge hatte Gott Noah nach der Sintflut sieben Gebote erteilt, die allgemein ethischer Natur waren und keine speziell jüdischen Vorschriften enthielten. Wer sie befolgte, wurde in Israel wie ein Beisasse behandelt und hatte nach seinem Tod einen Teil an der Kommenden Welt. Obwohl die Noachidischen Gebote zuerst dazu 1

Friedrich Niewçhner, Uriel da Costas Exemplar humanae vitae (1640), in: Ders./ Fidel Rdle (Hg.), Konversionen im Mittelalter und in der Frühneuzeit, Hildesheim/Zürich/New York 1999, 171 – 180. Vgl. auch Ders., Uriel da Costa, in: Andreas B. Kilcher/Otfried Fraisse (Hg.), Metzler Lexikon jüdischer Philosophen, Stuttgart/Weimar 2003, 146 – 148. Uriel da Costas Exemplar humanae vitae wurde erstmals 1687 von Philipp van Limborch als Anhang zu seiner De veritate religionis Christianae amica collatio cum erudito Iudaeo publiziert. Auszüge hatte zuvor nur der Hamburger Pastor Johannes Mller, Judaismus oder Ju[e]denthumb/Das ist Außfu[e]hrlicher Bericht von des Ju[e]dischen Volckes Unglauben/Blindheit und Verstockung, Hamburg 1644, 70 – 71, veröffentlicht. Die Authentizität des Buches ist heute umstritten, zumal das Exemplar mehrere Fehler und antijüdische Kommentare aufweist, von denen nicht klar ist, durch wen sie in den Text gerieten. Für eine neue zweisprachige Edition vgl. Uriel da Costa, Exemplar humanae vitae. Beispiel eines menschlichen Lebens, hg. von Hans-Wolfgang Krautz, Tübingen 2001.

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bestimmt waren, Nichtjuden einen Ort innerhalb der jüdischen Gesellschaft zuzuweisen, nutzte Da Costa sie, um sich selbst von allen Offenbarungsreligionen zu distanzieren und vom Juden zum Noachiden, zum Bekenner einer universellen Vernunftreligion, zu werden.2 Doch Da Costas Auseinandersetzung mit seinen sefardischen Landsleuten begann lange vor seiner endgültigen Abkehr vom Judentum, und sie begann mit einem Disput über die Autorität der Mündlichen Tradition, die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung der Toten.3 Ein Aspekt 2

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Da Costa, Exemplar humanae vitae (s. o. Anm. 1), 24 – 25. Die Noachidischen Gebote umfassten 1.) das Gebot der Rechtspflege, 2.) das Verbot der Gotteslästerung, 3.) das Verbot des Götzendienstes, 4.) das Verbot der Unzucht, 5.) das Verbot des Blutvergießens, 6.) das Verbot des Raubes und 7.) das Verbot, das Glied eines lebenden Tieres zu essen. Vgl. Maimonides, Mishneh Torah, Hilchot Melachim U’Milchamoteihem. The Laws of Kings and Their Wars, hg. von Elyahu Touger, New York/Jerusalem 1987, Ch. 8, 170 – 171. Zum Teil wurde auch von Adamitischen Geboten gesprochen: Geboten, die dem Menschen gegeben waren, seit es Menschen gab. Vgl. ebd., Ch. 9, 172 – 173. Damit wurden die Noachidischen Gebote grundlegend für alle Toleranzvorstellungen, die es im Judentum seit dem Mittelalter gab. Für einen Überblick und weitere Literaturangaben vgl. David Novak, The Image of the Non-Jew in Judaism. An Historical and Constructive Study of the Noahide Laws, Lewiston, N.Y., 1983. Später wurden die Noachidischen Gebote mit dem christlichen Naturrechtsgedanken verbunden. Vgl. Herman Prins Salomon, Baruch Spinoza, Ishac Orobio de Castro and Haham Mosseh Rephael d’Aguilar on the Noachites. A Chapter in the History of Thought, in: Arquivos do Centro Cultural Portugues 14 (1979), 253 – 286. Zur christlichen Rezeptionsgeschichte vgl. Klaus Mller, Tora für die Völker. Die noachidischen Gebote und Ansätze zu ihrer Rezeption im Christentum, Berlin 1998. Zur Amsterdamer sefardischen Gemeinde liegen zahlreiche Publikationen vor. Ich beschränke mich an dieser Stelle auf die Nennung von neueren und allgemeineren Monographien oder Sammelbänden: John C. H. Blom/Rena G. Fuks-Mansfeld/Ivo Schçffer (Hg.), The History of the Jews in the Netherlands (Originaltitel: Geschiedenis van de Joden in Nederland, Amsterdam 1995), Oxford/ Portland 2002; Miriam Bodian, Hebrews of the Portuguese Nation. Conversos and Community in Early Modern Amsterdam, Bloomington/Indianapolis 1997; Rena Fuks-Mansfeld, De Sefardim in Amsterdam tot 1795. Aspekten van een joodse minderheid in een Hollandse stad, Hilversum 1989; Jonathan Israel/ Reinier Salverda (Hg.), Dutch Jewry. Its History and Secular Culture (1500 – 2000), Leiden/Boston/Köln 2002; Yosef Kaplan, An Alternative Path to Modernity. The Sephardi Diaspora in Western Europe, Leiden 2000; Henry Mchoulan, Être juif à Amsterdam au temps de Spinoza, Paris 1991; Jozeph Michman (Hg.), Dutch Jewish History, 3 Bde., Jerusalem 1984 – 1993; Daniel M. Swetschinski, Reluctant Cosmopolitans. The Portuguese Jews of SeventeenthCentury Amsterdam, London 2000; Hiltrud Wallenborn, Bekehrungseifer,

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dieses Disputs steht im Mittelpunkt der folgenden Darstellung. Unter dem Druck, ihre Gemeinde gegen den Irrlehrer zu schützen, traten mehrere bekannte Rabbiner Da Costa mit Schriften entgegen.4 Einer dieser Rabbiner war Menasse ben Israel (1604 – 1657), der später durch seine Verhandlungen mit Oliver Cromwell über eine Rückkehr der Juden nach England Berühmtheit erlangte.5 Menasse wandte sich 1636 in seinen De la Resurreccion de los muertos libros III (Drei Bücher über die Auferstehung der Toten) gegen Da Costa. Gleichzeitig verfasste er für ein christliches Publikum eine lateinische Version.6 Beide Bücher haben in der Literatur

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Judenangst und Handelsinteresse. Amsterdam, Hamburg und London als Ziele sefardischer Migration im 17. Jahrhundert, Hildesheim 2003; Irene E. Zwiep/ Alisa Meyuhas Ginio/Marcelo Dascal (Hg.), Uprooted Roots. Amsterdam and the Early Sephardic Diaspora (Studia Rosenthaliana 35/2), Amsterdam 2001. Von Saul Levi Morteira (um 1596 – 1660) ist bekannt, dass er 1624 die Arbeit an einem Manuskript beendete, welches er in seinem Tratado da verdade da lei de Moiss (1659) als Livro da imortalidade d’alma bezeichnete. Der Text ist heute verloren, kann aber zum Teil rekonstruiert werden. Vgl. Marc Saperstein, Saul Levi Morteira’s Treatise on the Immortality of the Soul, in: Studia Rosenthaliana 25/2 (1991), 131 – 148. Moses Raphael de Aguilar (gestorben 1679) schrieb seine Resposta a certas propostas contra a tradiżo und seinen Tratado da immortalidade da alma (beide um 1639) gegen Da Costa. Für den letzten Text vgl. M. de Jong, O Tratado da Immortalidade da Alma de Moses Rephael de Aguilar, in: Biblos 10 (1934), 488 – 499. Für eine gute Monographie über Menasse ben Israel vgl. immer noch Cecil Roth, A Life of Menasseh ben Israel. Rabbi, Printer and Diplomat, Philadelphia 1934 sowie Yosef Kaplan/Henry Mchoulan/Richard Popkin (Hg.), Menasseh ben Israel and his World, Leiden 1989 und Lionel Ifrah, L‘Aigle de Amsterdam, Menasseh ben Israel (1604 – 1657), Paris 2001. Zu Menasses Englandverhandlungen vgl. zusätzlich Lucien Wolf (Hg.), Menasseh ben Israel‘s Mission to Oliver Cromwell. Being a Reprint of the Pamphlets published by Menasseh ben Israel to promote the Re-admission of the Jews to England 1649 – 1656, London 1901 und David S. Katz, Philo-Semitism and the Readmission of the Jews to England, Oxford 1982. Menasse Ben Israel, De resurrectione mortuorum libri III, Amsterdam 1636. Die lateinische Übersetzung stammte von dem Alkmaarer Remonstranten Antonius Zilius (gestorben 1655). Vgl. hierzu Jeremias Meijer Hillesum, Bijdrage tot de Bibliographie van Menasseh ben Israel’s Geschriften, in: Het Boek 16 (1927), 353 – 363, hier 353 – 358. Offensichtlich waren Menasses Lateinkenntnisse zu schlecht, als dass er selbst eine Übersetzung hätte anfertigen können. Für einen diesbezüglichen zeitgenössischen Kommentar vgl. Samuel Sorbi re, Sorberiana, ou Bon Mots, Rencontres Agreables, Pensées Judicieuses, et Observations Curieuses, de M. Sorbiere, Amsterdam 1694, 125. Selbst wenn bekannt ist, dass Zilius die Übertragung aus dem Spanischen vorgab, muss aber davon ausgegangen werden, dass Menasse wesentlich an der lateinischen Version mitarbeitete. Hierfür spricht nicht zuletzt die Tatsache, dass sowohl das spanische als auch das lateinische

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wenig Aufmerksamkeit gefunden. Zwar werden sie im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um Da Costa erwähnt. Eine genaue Analyse ist ihnen aber bisher versagt geblieben. Dabei hob sich Menasses Erwiderung auf Da Costa nicht nur dadurch von anderen Erwiderungen ab, dass der Rabbiner als einziger Christen in die schriftliche Auseinandersetzung um den Unsterblichkeitsleugner einbezog. Sie zeichnete sich auch insofern aus, als sie Bestandteil eines größeren Programms war, das Menasse verfolgte und dessen Ziel es war, Juden und Christen auf die Gemeinsamkeiten ihrer Religionen aufmerksam machen und als Nachfolger Abrahams zusammenzuführen. In der Folge sollen die beiden Versionen von Menasses Auferstehungsbuch genutzt werden, um auf dieses Programm aufmerksam zu machen. Hierzu wird zunächst ein Überblick über das Leben von und die Ereignisse um Uriel da Costa gegeben. In einem zweiten Teil wird dargestellt, wie Menasse gegen den Unsterblichkeitsleugner argumentierte und wie er gleichzeitig mit seiner Erwiderung an die christliche Gelehrtenwelt herantrat. In einem dritten Teil wird exemplarisch auf die Reaktionen einiger christlicher Gelehrter hingewiesen. Der Beitrag endet mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick zur Bedeutung der unterschiedlichen Rückgriffe auf Noah und Abraham bei Uriel da Costa und Menasse ben Israel.7

I. Uriel da Costa Uriel da Costas Schicksal glich demjenigen unzähliger Neuchristen, die nach der Vertreibung der Juden aus Spanien (1492) und Portugal (1497) im 16. und 17. Jahrhundert auf der Iberischen Halbinsel lebten. Da Costa wurde im Winter 1583/84 als Sohn des Kaufmanns Bento da Costa Brandão und seiner Frau Branca (geb. Dinis) in Porto geboren und auf den Namen Gabriel getauft.8 Er genoss eine katholische Erziehung, studierte in

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Buch im Selbstverlag gedruckt wurden und dass beide Bücher in den unterschiedlichen Versionen unterschiedliche Widmungen trugen, die jeweils von Menasse unterzeichnet waren. Für eine genauere Analyse von Menasses Auferstehungsbuch sowie generell von seinen Beziehungen zur christlichen Gelehrtenrepublik vgl. meine Untersuchung über den Rabbiner als Kulturvermittler, die ich im Winter 2009/2010 als Habilitationsschrift an der Universität Konstanz eingereicht habe. Die Zusammenhänge um Uriel da Costa sind inzwischen hinreichend erforscht. Ich gebe an dieser Stelle nur einen Überblick. Für Details vgl. Israel S. Rvah, Uriel da Costa et les Marranes de Porto. Cours au Collège de France 1966 – 1972, hg. von Carsten L. Wilke, Paris 2004 sowie Uriel da Costa, Examination of Pharisaic

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Coimbra Kanonisches Recht und stieg zum Sekretär des Erzbischofs auf. Nach dem Tod seines Vaters kehrte er nach Porto zurück, wurde zwischen 1609 und 1611 Schatzmeister an der Stiftskirche S. Martinho de Cedofeita und erhielt die Niederen Weihen. Dann jedoch holten ihn Zweifel an der christlichen Lehre ein. Möglicherweise wurde Da Costa von Verwandten ins Judentum eingeführt.9 1614 schiffte er sich mit seiner Mutter, seiner Frau, drei Brüdern und einer Schwägerin in die Niederlande ein, konvertierte in Amsterdam zum Judentum und wechselte seinen Namen. Später reiste er mit einem Teil der Familie nach Hamburg weiter. Doch auch im Judentum fand Da Costa nicht die Ruhe, die er sich von seinem Übertritt erhofft hatte. Stattdessen sah er sich mit einer Vielzahl von Gesetzen konfrontiert, für die er in der Tora keine Begründung fand. Um auf den vermeintlichen Missstand aufmerksam zu machen, sandte Da Costa 1616 einen Katalog mit den entsprechenden Vorschriften an die Rabbiner in Venedig, die sowohl für die Amsterdamer als auch für die Hamburger sefardischen Gemeinden höchste Autorität besaßen. Es kam zu Konflikten. Die venezianische Gemeinde beauftragte Leone Modena (Yuda Arye, 1571 – 1648), einen ihrer berühmtesten Rabbiner, Da Costa zu erwidern.10 Modena verfasste seine Apologie Magen we-tsina (Schutz und Schild) und empfahl, Da Costa zu bannen. 1618 folgte die venezianische Gemeinde seinem Rat. Kurz danach schloss sich die Hamburger Gemeinde an und bannte Da Costa ihrerseits.11 Dennoch blieb Da Costa bis 1623 an der Elbe

Traditions, hg. von Herman P. Salomon/I. S. D. Sassoon, Leiden/New York/ Köln 1993. Vgl. auch nach wie vor Carl Gebhardt (Hg.), Die Schriften des Uriel da Costa, Amsterdam/Heidelberg/London 1922. 9 Rvah (s. o. Anm. 8), 297 – 396. 10 Leone Modena wurde mit seiner Historia de’ riti ebraici (Geschichte der jüdischen Riten, 1637) zu einer der ersten Mittlerfiguren zwischen Juden und Christen in der Frühen Neuzeit. Die Riti wurden später von Richard Simon ins Französische übersetzt und durch eine Comparaison des crmonies des Juifs et de la discipline de l’Eglise ergänzt. Für einen modernen Nachdruck des französischen Textes vgl. Jacques le Brun/Guy Stroumsa (Hg.), Les Juifs présentés aux Chrétiens. Cérémonies et coutumes qui s’observent aujourd’hui parmi les Juifs par Léon de Modène traduit par Richard Simon, Paris 1998. Nach seinem Tod erlangte Modena auch durch seine Autobiographie Hayyei Yehuda Berühmtheit. Für eine englische Ausgabe mit Literatur vgl. Mark R. Cohen/Theodore K. Rabb/Howard E. Adelman/Natalie Z. Davis/Benjamin C. Ravid (Hg.), The Autobiography of a SeventeenthCentury Venetian Rabbi. Leone Modena’s Life of Judah, Princeton 1988. 11 Solomon/Sassoon (s. o. Anm. 8), 10, weisen darauf hin, dass der Bannspruch, der über Da Costa ausgesprochen wurde, 38 Jahre später für die Verbannung Spinozas übernommen wurde. Wahrscheinlich war Saul Levi Morteira bei der ersten Ze-

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wohnen und trieb unter dem Pseudonym Adam Romes Handel mit portugiesischen Kaufleuten. Danach siedelte er zurück nach Amsterdam. Inzwischen verschärfte sich der Konflikt mit den Rabbinern. Noch in Hamburg verfasste Da Costa ein Manuskript Sobre a mortalidade da alma do homem (Über die Sterblichkeit der menschlichen Seele), das dem Arzt Samuel da Silva in die Hände fiel. Da Silva schrieb sofort eine Widerrede und publizierte diese unter dem Titel Tratado da immortalidade da alma (Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele, 1623) zusammen mit drei Kapiteln aus Da Costas unveröffentlichtem Manuskript.12 Da Costa antwortete 1624 mit seinem Exame das tradiÅ es phariseas (Untersuchung der pharisäischen Traditionen), in dem er erstmals selbst seine drei Kapitel über die Sterblichkeit der Seele veröffentlichte, die Argumente Da Silvas widerlegte und erneut gegen die Göttlichkeit der Mündlichen Tora stritt.13 Das Amsterdamer Imposta-Gremium, die höchste Versammlung der drei sefardischen Synagogen, zeigte Da Costa daraufhin beim christlichen Magistrat an. Das Exame wurde öffentlich verbrannt, Da Costa wurde verhaftet und nach seiner Freilassung der Stadt verwiesen. 1629 versöhnte er sich noch einmal mit der Gemeinde und kehrte nach Amsterdam zurück. Vier Jahre später wurde er erneut gebannt und erst 1639 nach einer Bußzeremonie wieder in die Synagoge aufgenommen. Vereinsamt und in seinem Stolz verletzt, schrieb Da Costa 1640 seine Autobiographie. Danach tötete er sich durch einen Pistolenschuss.

II. Menasse ben Israel und die De la Resurreccion de los muertos libros III Auch Menasse ben Israel stammte aus einer Familie von conversos, Christen jüdischer Abstammung, die zwischen 1613 und 1614 auf der Flucht vor der Inquisition aus Portugal in die Niederlande gekommen war. Als er seine De la Resurreccion de los muertos libros III schrieb, war Menasse Rabbiner der Amsterdamer sefardischen Gemeinde Newe Shalom, besaß eine eigene remonie in der portugiesisch-spanischen Synagoge in Venedig anwesend und nahm Teile in Amsterdam auf. 12 Für eine neue englische Übersetzung vgl. Semuel da Silva, Treatise on the Immortality of the Soul, Amsterdam 1623, in: Salomon/Sassoon (s. o. Anm. 8), 427 – 551. 13 Für eine neue Edition mit englischer Übersetzung vgl. Da Costa, Examination (s. o. Anm. 8).

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Druckerei und tat sich vor allem durch seine Kontakte zu christlichen Gelehrtenkreisen hervor. Bereits 1633 war der lateinische Conciliator sive de convenientia locorum S[anctae] Scripturae, quae pugnare inter se videntur (Der Vermittler oder über die Übereinstimmung von Stellen der Heiligen Schrift, die sich untereinander zu widersprechen scheinen) erschienen, in dem sich Menasse erstmals an ein christliches Publikum gewandt hatte.14 1635 hatte der Rabbiner ebenfalls für ein christliches Publikum seine De creatione problemata XXX (Dreißig Probleme, die Schöpfung betreffend) verfasst. Menasses Auferstehungsbuch war in drei Abschnitte unterteilt. Im ersten Abschnitt argumentierte der Rabbiner gegen die Leugner der Unsterblichkeit der Seele und der Auferstehung der Toten. Im zweiten Abschnitt erörterte er am Muster der aristotelischen Formalursachen, wodurch, mit welchen Körpern, wie und zu welchem Zweck die Auferstehung stattfand. Im dritten Abschnitt ging es darum, wann die Auferstehung stattfinden würde und in welchem Verhältnis Kommende Welt, Tage des Messias, Weltende und Welterneuerung zueinander standen. Dass der erste Abschnitt für Menasse von besonderem Interesse war, ergab sich aus dem Widmungsschreiben an Henrique Hoffiser, das dem Buch vorangestellt war. Hoffiser war der Sohn eines Zollbeamten der Generalstaaten, der offensichtlich Spanischunterricht bei Menasse nahm.15 Ihm erzählte der Rabbiner eine Art jüdischer Gesetzesgeschichte: Gott, der Schöpfer und Herrscher der Welt, hatte in dem Wissen, dass kein Gemeinwesen ohne Gesetz existieren konnte, allen Nationen die Noachidischen Gebote gegeben. Wer sie befolgte, hatte einen Teil an der Kommenden Welt.16 Für sein auserwähltes Volk hatte Gott zudem die Tora Moses bestimmt. Wie Er selbst war sie einzig und unveränderlich. Weder durfte zu ihr etwas hinzugefügt noch etwas von ihr hinwegge14 Die Übersetzung stammte von Dionysius Vossius (1612 – 1633), einem Sohn des berühmten Philologen und Altertumswissenschaftlers Gerhard Johannes Vossius (1577 – 1649). Das spanische Original war bereits 1632 in Amsterdam erschienen. Für eine englische Übersetzung des Textes sowie auch der drei spanischen Folgebände, die zwischen 1641 – 1651 erschienen, vgl. Menasse ben Israel, The Bible Conciliator. A Reconcilement of the Apparent Contradictions in Holy Scripture. To which are Added Explanatory Notes, and Biographical Notices of the Quoted Authorities, hg. von E. H. Lindo, 2 Bde., (London 1842) Glasgow 21902. 15 Menasse betonte, dass er dem Schüler mit seinem Buch eine anregende Lektüre und eine Möglichkeit zur Vertiefung seiner Spanischkenntnisse zur Hand geben wollte. Vgl. Menasse ben Israel, De la Resurreccion de los muertos, Amsterdam 1636, Epistola dedicatoria, a4v. 16 Ebd., a2r.-v. Zu den Noachidischen Geboten s. o. Anm. 2.

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nommen werden. Doch der menschliche Geist, der schlecht und immer dem Neuen zugetan war („la maldad del genio humano amigo de novedades siempre“), hatte begonnen, an den Gesetzen herumzudeuten, sich neue Meinungen über sie zu bilden und die etablierten Lebensformen umzugestalten.17 So waren vier Sekten innerhalb des Judentums entstanden: Pharisäer, Sadduzäer, Essener und Zeloten. Von diesen Sekten hatten nur die Pharisäer, denen Menasse sich selbst zurechnete, an den ursprünglichen Traditionen festgehalten. Sie lehrten, „dass einige Dinge dieser Welt den Zufällen unterworfen seien. Gleichzeitig aber sprachen sie dem Menschen nicht den freien Willen ab. Sie sagten nämlich, dass sich Gott – vorausgesetzt, alles geschieht durch seinen Rat – dieser Variante so bediene, dass es, da einige Dinge kontingent, andere notwendig seien, in der Hand des Menschen liege, zur Tugend oder zum Laster zu gelangen. Sie glaubten weiterhin, dass die Seelen unsterblich waren und dass demzufolge jeder nach seinem Tod die Vergeltung für seine Tugend oder seine Schlechtigkeit erfuhr: dass die Seelen der Guten nur von einem Körper in den nächsten übergingen, dass aber die schlechten gequält und zu ewigen Gefangenschaften verurteilt würden. Vor allem gaben die Pharisäer dem Volk viele Regeln, die sie direkt aus der Hand ihrer Vorgänger empfangen hatten und die, wenn auch nicht explizit, so doch verborgen in der Tora Moses enthalten sind.“18 Den Pharisäern standen die Sadduzäer gegenüber, wie Menasse weiter erläuterte. „Diese leugneten vollständig den Zufall und sagten, dass alles in der Macht des Menschen liege, dass dieser also selbst die Ursache für sein Glück und sein Unglück sei. Mit Blick auf die Seele bestätigten sie, dass diese zusammen mit dem Körper sterbe, und so gestanden sie ihnen [d.h. den Seelen] weder Ruhm noch Qual zu. Ebenso wenig wollten sie den Traditionen irgendeinen Glauben schenken und urteilten, dass man nur das befolgen müsse, was wörtlich in der Heiligen Schrift 17 Ben Israel, De la Resurreccion (s. o. Anm. 15), Epistola dedicatoria, a2v. 18 „[…] que algunas cosas deste mundo estan subgectas a los hados, y con todo no quitavan al hombre el libre alvedrio, diziendo que Dios usa desta moderacion, que puesto que todas las cosas se hagan por su consejo, en mano del hombre està llegarse, à la virtud, o al vicio siendo algunas cosas contingentes, necessarias otras. Crehian ansi mismo que las almas eran immortales, y que segun esto a cada uno despues de muerte sigue el galardon de su virtud o malicia: que las almas de los buenos solamente passan de un cuerpo a otro pero las malas son atormentadas y condenadas a perpetuas carceles. Sobre todo los Phariseos dieron al pueblo muchas constituciones que de mano en mano avian recebido de sus antepassados, las quales virtual y no expressamente, se contienen en la Ley Mosayca.“ (Ebd., a2v.-a3r.; Übersetzung dieses wie aller folgenden Zitate durch die Verfasserin.)

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enthalten war.“19 Schließlich blieben die Essener und die Zeloten. Die ersten leugneten die Göttlichkeit der Mündlichen Tora, glaubten aber an die Unsterblichkeit der Seele. Die zweiten lehnten in der Nachfolge Judas des Galiläers säkulare Herrschaft ab, achteten aber die Tradition. Menasse zufolge stellten weder die Essener noch die Zeloten eine Gefahr für das Judentum dar, da sie ihre Bedeutung im Laufe der Jahrhunderte verloren hatten. Nur die Sadduzäer verzeichneten nach wie vor gewichtige Anhänger, und ihnen galt es entgegenzutreten.20 Bevor Menasse seine eigenen Argumente anführte, erläuterte er entsprechend „wie die Sadduzäer den Artikel [der Auferstehung] leugneten und die entsprechenden Schriftstellen auslegten“,21 und er wiederholte „die Argumente der Sadduzäer und Atheisten gegen die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung der Toten“. Dabei standen Behauptungen im Mittelpunkt, die auch Uriel da Costa angeführt hatte: Die menschliche Seele unterschied sich nicht von derjenigen des Tieres; die Unsterblichkeit der Seele ging aus dem Gesetz nicht hervor; es gab keine jenseitige Vergeltung; die Propheten hielten ihre eigenen Seelen für sterblich; Salomon hielt seine Seele für sterblich, und Hiob leugnete die Auferstehung.22 Menasse erwiderte zuerst mit vernnftigen, d. h. mit philosophischen Argumenten.23 Danach erklärte er, warum die Erfahrung bekräftigte, dass die 19 “ […] estos negavan totalmente el hado, diziendo, que todo està en el poder del hombre, siendo el mismo causa de su felicidad, y desdicha. Del alma, affirmavan, que muere juntamente con el cuerpo, y ansi ni les davan gloria, ni tormento. No querian ansi mismo dar algun credito a las tradiciones, juzgando que solamente se devia guardar aquello que expressamente al literal se contenia en la Ley sagrada.“ (Ebd., a3r.) 20 „Considerando pues la nefaria maldad de los Zaduceos en todo depravados, y como oy en este miserable siglo se van algunos persuadiendo a la mortalidad de las almas, para mas a rienda suelta, se dexaren llevar de sus lassivos apetitos, me determine à escrevir este libro, el qual no solamente trata de provar la immortalidad del alma, mas de exprofesso exactamente la Resurreccion negada de los Zaduceos.“ (Ebd., a4v.) 21 Ebd., I, „Cap. VI. En el qual se trata el como los Zaduceos, negavan este articulo, y como exponian los alegados textos, y su refutacion“, 20 – 25. 22 Ebd., I, „Cap. VII. En el qual se ponen los argumentos de los Zaduceos, y Atheystas, acerca la immortalidad del alma, y Resurreccion de los muertos“, 25 – 27. Zu den Argumenten Da Costas vgl. dessen drei Kapitel im Traktat Samuel da Silvas (s. o. wie in Anm. 12), der Menasse vermutlich bekannt war. 23 Zum Beispiel musste die Seele des Menschen eine geistige Substanz und damit unsterblich sein, weil sie mit dem Wissen und dem Erkennen rein geistige Handlungen vollzog, oder sie musste geistig sein, weil der Wille frei war und daher nicht im Körper seinen Sitz haben konnte. Als weitere Argumente nannte Me-

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Unsterblichkeit der Seele aus der Vernunft folgte: Nicht nur hatten alle antiken Dichter, Geschichtsschreiber, Astrologen und Philosophen dasselbe gelehrt, sondern es war auch unter fremden Völkern wie den Ägyptern, Guineern, Chinesen, Peruanern, Mexikanern und den Einwohnern Virginias bekannt, dass die Seele unsterblich war.24 Schließlich zeigte Menasse, dass auch die Schrift – im Gegensatz zu dem, was die Sadduzäer behaupteten – die Unsterblichkeit der Seele lehrte, und nannte Beweise aus der Tora, den Prophetenbüchern und den Hagiographen.25 Er begründete, warum in der Tora die jenseitige Vergeltung nicht erwähnt war,26 und erläuterte Sprüche aus den Psalmen und dem Buch Kohelet, die ebenfalls im Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen Uriel da Costa und Samuel da Silva gestanden hatten.27 Am Ende des ersten Abschnitts wandte sich Menasse dann Hiob zu, und erklärte, warum das Buch dialektisch angelegt war. Er orientierte sich dabei an Maimonides (1135 – 1204), der Hiob in seinem Fhrer der Unschlssigen eine ähnliche Deutung gegeben und Hiob, Elifas, Bildad, Zofar und Elihu verschiedene Positionen aus der jüdischen und islamischen Philosophie zugeschrieben hatte.28 Menasse übernahm diese Positionen und änderte nur diejenige von Elihu. Offensichtlich war Elihu derjenige, den sowohl Maimonides als auch Menasse nutzten, um durch ihn ihre eigenen Standpunkte in der

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nasse, 3) dass in der Seele jede Gegensätzlichkeit fehlte, was ihren Verfall unmöglich machte; 4) dass das Verstehen, das in der Seele seinen Sitz hatte, unbegrenzt war; 5) dass die göttliche Providenz und Gerechtigkeit von der Existenz einer jenseitigen Bestrafung zeugten; 6) dass den Menschen in ihren Träumen niemals tote Tiere, wohl aber tote Menschen erschienen, was deutlich machte, dass die Menschen- und nicht die Tierseele nach dem Tod fortbestand. Für alle Argumente vgl. Ben Israel, De la Resurreccion (s. o. Anm. 15), I, IX, 30 – 32. Ebd., I, IX, 32 – 33. Ebd., I, X; I, XI und I, XII. Ebd., I, XIII. Zu den Psalmen vgl. ebd., I, XIV, 102 – 111. Zu Kohelet vgl. ebd., I, XV, 111 – 122. Insbesondere ging es um Koh 3, 19 – 21 und Koh 9, 13 – 15. Für die entsprechenden Auseinandersetzungen zwischen Da Costa und Da Silva vgl. Da Costa, Examination (s. o. Anm. 8). Moses Ben Maimon, Führer der Unschlüssigen, hg. von Adolf Weiss mit einer Einleitung von Johann Maier, 2 Bde., (Leipzig 1923/24) Hamburg 21972, Bd. II, III, 23, 139 – 151. Maimonides zufolge war Hiob derjenige, der die Providenz leugnete; Elifas derjenige, der sie verteidigte; Bildad derjenige, der aus der Bestrafung des Guten im Diesseits auf eine umso größere Belohnung im Jenseits schloss, und Zofar derjenige, der Lohn und Strafe dem absoluten göttlichen Willen zuordnete. Damit vertrat Hiob die aristotelische Position, Elifas das jüdische Gesetz, Bildad die Mutazilim und Zofar die Ascharia.

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Debatte auszudrücken: Bei Maimonides löste Elihu den Konflikt auf, indem er auf die Begrenztheit der menschlichen Erkenntnis in Fragen des göttlichen Wissens und der göttlichen Providenz verwies. Bei Menasse lehrte Elihu die Seelenwanderung.29 Menasses Auferstehungsbuch war eine deutliche Erwiderung auf Uriel da Costa. Besonders im ersten Abschnitt wandte sich der Rabbiner immer wieder gegen die Irrlehren der Sadduzäer, damit die Juden in Amsterdam oder allgemeiner in der sefardischen Diaspora seine Argumente verinnerlichten und besser gegen Angriffe aus den eigenen Reihen gefestigt waren. Aber Menasses Auseinandersetzung mit Da Costa enthielt auch eine zweite Botschaft, und diese war an ein christliches Publikum gerichtet: Juden und Christen sollten sich im Angesicht der Bedrohung durch die Unsterblichkeitsleugner zusammenschließen. Und sie sollten sich ihrer Gemeinsamkeiten bewusst werden. Zu diesem Zweck gab Menasse im zweiten und dritten Abschnitt einen Überblick über die Unsterblichkeitsund Auferstehungslehre im Judentum, der nicht nur Juden, sondern auch Christen von Nutzen war. Und er verfasste sein Auferstehungsbuch in zwei Versionen, die er gekonnt an ihre jeweilige Leserschaft anpasste. Bei einem Vergleich der beiden Texte fallen drei grundsätzliche Unterschiede auf. Erstens war das lateinische Auferstehungsbuch gelehrter geschrieben als das spanische: Zitate aus jüdischen Quellen waren sowohl im hebräischen Original als auch in der lateinischen Übersetzung wiedergegeben, während in der spanischen Version nur die spanischen Übersetzungen standen. Exkurse, die in der spanischen Version unterhalten sollten (wie Menasses Augenzeugenbericht über ein Monster, das er selbst in Amsterdam gesehen hatte) oder deren Informationen Menasse für ein gelehrtes Publikum zu unsicher waren (wie seine Auseinandersetzung mit der Frage, ob Hermaphroditen als Hermaphroditen auferstanden), waren in der lateinischen Version ausgelassen.30 Zweitens war das lateinische Auferstehungsbuch vorsichtiger formuliert und offensichtlich so verfasst, dass ein christliches Publikum keinen Anstoß an ihm nehmen konnte. Insbesondere fehlten Argumente, die ein christlicher Leser als antichristlich deuten konnte. Exemplarisch sei hier auf das Kapitel verwiesen, in dem sich Menasse um den Nachweis bemühte, „dass das Wunder der Auferstehung der Toten keinen Widerspruch zur Folge hat und dass die Möglichkeit des Wunders 29 Ben Israel, De la Resurreccion (s. o. Anm. 15), I, XVI, 70 – 71. Zur Seelenwanderung bei Menasse vgl. ebd., II, XVIII, 116 – 118. Vgl. auch Ders., Sefer nishmat h.ayyim, Amsterdam 1651. 30 Ebd., II, V, 88.

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stattdessen in höchstem Maße mit der Vernunft übereinstimmt“.31 In diesem Kapitel unterschied der Rabbiner zwischen zwei Arten des Unmöglichen: 1. Dingen, die an sich unmöglich waren und auch von Gott nicht verändert werden konnten („los impossibles en sy, que tienen firme naturaleza, y no se da a la omnipotencia divina el variarlos“), und 2. Dingen, die in der Natur nicht geschahen, von Gott aber bewirkt werden konnten („los impossibles acerca la naturaleza, y se dan à la omnipotencia divina“).32 Unter den Beispielen für das an sich Unmögliche führte Menasse im spanischen Buch auch an, dass Gott nicht ein Wesen schaffen konnte, welches ihm selbst ähnlich war („que crie Dios uno semejante asi“). In die lateinische Version nahm er das Beispiel nicht auf.33 Bedenkt man, dass die Unterscheidung zwischen den zwei Arten des Unmöglichen in der mittelalterlichen jüdisch-antichristlichen Polemik genutzt wurde, um das Christentum zu diskreditieren, so wird Menasses Auslassung verständlich.34 Schließlich ergänzte Menasse, und dies ist der dritte Unterschied, im 31 „[…] que no implica contradicion el milagro de la Resurreccion de los muertos, antes es muy conforme a razon, la possibilidad del milagro“. (Ebd., I, IV, 14.) 32 „Dos suertes ay de impossibles, uno es de los impossibles en sy, que tienen firme naturaleza, y no se da a la omnipotencia divina el variarlos; otra es, los impossibles acerca la naturaleza, y se dan à la omnipotencia divina.“ (Ebd., I, IV, 14.) 33 Unmöglich an sich war, Menasse zufolge, „que la parte sea igual al todo, que dos contrarios, se verifiquen en un mismo tiempo, y en un mismo sugeto, que crie Dios uno semejante asi, que el dia de ayer no sea ya passado, y semejantes cosas que implican contradicion […]: del segundo genero son todos los milagros, como estar Moseh en el monte 40. dias y 40. noches sin comer, que Elias resucite muertos, y semejantes, que aun que son impossibles acerca la naturaleza, no los repugna el entendimiento por que creyendo que Dios es causa efficiente del mundo, facilmente se persuade a que como author y Señor del, lo puede variar segun su voluntad.“ (Ebd., I, IV, 14 – 15.) In der lateinischen Fassung des Auferstehungsbuches wurden als Unmöglichkeiten an sich nur genannt, „partem non esse aequalem toto; duo contraria simul non esse in gradibus intensis, in eodem subjecto, & ejusmodi plura, quae implicant contradictionem.“ (Ben Israel, De resurrectione [s.o. Anm. 6], I, IV, 26.) 34 Den entsprechenden Texten zufolge lehrte das Christentum Dinge, die an sich unmöglich waren, wie eben z. B., dass Gott jemanden schaffen konnte, der selbst wieder Gott war. Ein anderes Beispiel für etwas an sich Unmögliches war die Trinität: Eins konnte nicht drei sein. Für die Unterscheidung und ähnliche Beispiele vgl. Josef Albo, Sefer ha-ikkarim. Book of Principles, hg. von Isaac Husik, 4 Bde., Philadelphia 1929 – 1930, I, 22, 178 – 179. Für ihren Nutzen in der antichristlichen Polemik vgl. ebd., III, 25, 320 – 321. Zu den entsprechenden Stellen bei Albo vgl. Sina Rauschenbach, Josef Albo. Jüdische Philosophie und christliche Kontroverstheologie in der Frühen Neuzeit, Leiden/Boston/Köln 2002, 90 – 92 und 147 – 148.

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lateinischen Text mehrfach die Positionen jüdischer, im spanischen diejenigen christlicher Gelehrter. Damit trug der Rabbiner dazu bei, die Kenntnis der jüdischen über die christliche und die Kenntnis der christlichen über die jüdische Seite zu mehren. Entsprechend fanden sich zwei Argumente gegen Uriel da Costa, die Menasse den Schriften Thomas von Aquins entnahm, ausschließlich in der spanischen Version des Auferstehungsbuches.35 In der lateinischen Version waren dagegen mehrere Auseinandersetzungen zwischen Maimonides, Nachmanides (1194 – 1270) und Isaak Abravanel (1437 – 1508) oder Argumente der „Kabbalisten und Platoniker“ („Cabalistas & Platonicos“) gründlicher ausgeführt als im spanischen Text.36 Zusätzlich zu den drei genannten Unterschieden, die allgemein in allen Schriften auszumachen sind, welche Menasse in zwei unterschiedlichen Sprachen publizierte, fällt aber in den Auferstehungsbüchern noch ein weiterer Unterschied auf, der sich auf die Widmungsschreiben bezieht. Und dieser Unterschied steht im Mittelpunkt meiner folgenden Argumentation. Im Gegensatz zum spanischen Auferstehungsbuch, das – wie bereits erwähnt – Henrique Hoffiser zugeschrieben war, verfasste Menasse für seine De resurrectione mortuorum libri III drei Widmungsschreiben: das erste an Laurens Reael (1583 – 1637) und Albert Conrad van der Burgh (1593 – 1647), das zweite an Joachim de Wicquefort (1600 – 1670) und das dritte an Wilhelm Nooms. Alle Angeschriebenen waren bedeutende und einflussreiche Persönlichkeiten. Reael stand im Dienste der Generalstaaten und war bis 1617 Gouverneur der niederländischen Besitzungen in Ostindien gewesen. Van der Burgh war Schöffe und wurde später Bürgermeister von Amsterdam. Beide, Reael und Van der Burgh, gehörten dem Kuratorium des 1632 gegründeten Amsterdamer Athenaeum Illustre an, an dem Menasse sich um eine Dozentenstelle für Hebräisch beworben hatte.37 35 Es handelt sich um das dritte und vierte der oben angeführten Argumente. Für die Stelle, auf die Menasse sich in beiden Fällen bezog, vgl. Thomas Aquinas, Summa theologiae, I, Qu. 75, Art. 6, hg. von Francisco Barbado Viejo O.P., Madrid 1955, 531. 36 Für ein Beispiel zu Maimonides, Nachmanides und Abravanel vgl. Ben Israel, De resurrecctione (s. o. Anm. 6), I, X, 73 – 74 und Ders., De la Resurreccion (s. o. Anm. 15), I, X, 41. Für ein Beispiel zu den „Kabbalisten und Platonikern“ vgl. Ders., De resurrectione (s. o. Anm. 6), I, XIV, 105 – 106 und Ders., De la Resurreccion (s. o. Anm. 15), I, XVI, 56 – 50. 37 Zum Athenaeum Illustre vgl. neuerdings Dirk van Miert, Illuster Onderwijs. Het Amsterdams Athenaeum in de Gouden Eeuw 1632 – 1704, Amsterdam 2005. Zu Menasses Bemühen um eine Anstellung vgl. Frans F. Blok, Caspar Barlaeus en de

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Joachim de Wicquefort war ein wichtiger Diplomat, Wilhelm Nooms Kaufmann und Grundherr von Aarlanderveen, einem südholländischen Dorf in der Nähe von Leiden. Menasse nutzte die drei Widmungen, um sein lateinisches Auferstehungsbuch in drei unterschiedliche Kontexte zu stellen. Im Schreiben an Reael und Van der Burgh betonte er die Bedeutung der Auferstehungslehre innerhalb der 13 Grundlehren (iqqarim), die Maimonides in seinem Kommentar zur Mischna (1158) für das Judentum formuliert hatte.38 Im Schreiben an De Wicquefort diskutierte er die unterschiedlichen Positionen, die Maimonides und Nachmanides in der Frage der Auferstehung vertreten hatten. Und im Schreiben an Nooms handelte er – wie er es im Schreiben an Hoffiser getan hatte – von denjenigen, die die Auferstehung leugneten. Allerdings unterschied sich Menasses Schreiben an Nooms in einem wesentlichen Punkt von demjenigen an Hoffiser: Statt einer jüdischen Sektengeschichte schrieb der Rabbiner in der lateinischen Widmung eine Geschichte der Auffassungen, die die Menschen allgemein über Lohn und Strafe vertreten hatten.39 In dieser Geschichte trat zuerst Epikur auf den Plan, der die Überzeugung vertrat, dass die Seelen sterblich waren und überhaupt die göttliche Providenz, sofern sie die Taten der Menschen betraf, leugnete.40 Dann folgten die Sadduzäer, „die meinten, dass, wenn der Körper aus dieser Welt genommen auch die Seele in den Tod gerissen würde. Denn da sie die Tora Joden, in: Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis, NF 57 (1977), 179 – 209 und NF 58 (1977), 85 – 108, hier 198, sowie Hillesum (s. o. Anm. 6), 361. 38 In der spanischen Version wird diese Diskussion in einem Kapitel am Ende des Buches wiederholt, das in der lateinischen Version nicht existiert. Vgl. Ben Israel, De la Resurreccion (s. o. Anm. 15), III, XII, 182 – 187. Bei den 13 iqqarim, die Maimonides in seinem Kommentar zur Mischna, Pereq h.eleq, festschrieb, handelte es um die folgenden Lehren: 1.) die Existenz Gottes, 2.) seine Einheit, 3.) seine Unkörperlichkeit, 4.) seine Ewigkeit, 5.) die Pflicht, Gott und nur ihm zu dienen und ihn zu verehren, 6.) die Existenz der Prophetie, 7.) die Überlegenheit der Prophetie Moses‘ über diejenige aller andere Propheten, 8.) die Offenbarung, 9.) die Unveränderlichkeit der Tora, 10.) die Allwissenheit Gottes, 11.) Lohn und Strafe, 12.) das Kommen des Messias und 13.) die Auferstehung der Toten. Zu den iqqarim und ihrer Diskussion in der mittelalterlichen jüdischen Philosophie vgl. Menachem Kellner, Dogma in Medieval Jewish Thought. From Maimonides to Abravanel, Oxford 1986 und Rauschenbach (s. o. Anm. 34). 39 „Varias fuisse olim & adhuc esse, circa praemium & poenam humanaru[m] actionum opiniones, quamvis nullus dubitet: nihilominus, quia eo magis animi multorum in diversa hodieque fluctuent decretum, Amplissime Arlanderveni, rem totam, prout sese habet, paucis complecti.“ (Ben Israel, De resurrectione [s.o. Anm. 6], Amplissimo viro, Wilhelmo Nooms, (a)r.) 40 Ebd., (a)v.

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Moses anerkannten, gestanden sie zu, dass es einen Lohn und eine Strafe während des Lebens in dieser Welt gebe; aber [sie bestanden darauf], dass nach diesem Leben nichts zu erwarten oder zu fürchten sei.“41 An dritter Stelle kamen diejenigen, die genau die entgegengesetzte Auffassung zu derjenigen der Sadduzäer vertraten, indem sie nämlich lehrten, dass Lohn und Strafe nicht von dieser Welt waren und sich ausschließlich auf eine Verfassung der Seele nach dem Leben bezogen („ad animae statum post hanc vitam pertinere“). Und an vierter Stelle kamen die Juden („Hebraei“), die der Überzeugung waren, dass während des Lebens der Körper, nach dem Leben die Seele und nach der Auferstehung Seele und Körper gemeinsam gestraft wurden.42 Da sich mit der letzten Auffassung jedoch das ganze folgende Buch beschäftigte, sah Menasse keine Notwendigkeit, im Widmungsschreiben weiter auf sie einzugehen, und wandte sich stattdessen dem Widmungsträger zu, dessen Tugenden er lobte und von dem er hoffte, dass sein Name den De resurrectione mortuorum libri III zusätzlichen Glanz verleihen würde.43 Menasses Worte an und über Nooms sind an dieser Stelle nicht von Bedeutung. Entscheidend ist der gänzlich andere Kontext, in den der Rabbiner die Sadduzäer und seine Auseinandersetzung mit ihnen in der spanischen und der lateinischen Version seines Auferstehungsbuches stellte. War im spanischen Text gewissermaßen von einer Verfallsgeschichte des Judentums die Rede und wurden die Sadduzäer als eine von mehreren Sekten eingeführt, die nach den zwei Gesetzgebungsakten Gottes – dem einen an alle Völker der Welt, dem anderen an Israel – für die Abkehr von der ursprünglichen jüdischen Lehre standen, wurden im lateinischen Text allgemeine Auffassungen über die göttliche Vergeltung diskutiert. Die Sadduzäer standen neben Epikuräern, Vertretern einer ausschließlich geistigen Vergeltung und Juden, die sowohl eine körperliche als auch eine geistige Vergeltung lehrten. Inmitten dieser Gruppierungen wurden sie zu einem Phänomen der europäischen Religions- und Geistesgeschichte. Dass auch die Sadduzäer Juden waren, erwähnte Menasse nur am Rande: Sie erkannten die Tora Moses an. Dass sie gleichzeitig das mündliche Gesetz leugneten, fand in den lateinischen Text keinen 41 „[…] qui sublato ex hoc mundo corpore, simul in exitum trahi animam volebant. Nam Mosaicam cum agnoscerent legem, praemium & poenam dum in hoc viverent mundo fore, concedebant: sed nihil post hanc vitam aut sperandum, aut metuendum.“ (Ebd., (a2)r.–(a2)v.) 42 Ebd., (a2)v.–(a3)r. 43 Ebd., (a3)v.

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Eingang. Es war für Christen nicht von Interesse. In der Widmung an Wilhelm Nooms ging es nicht um jüdische Sekten. Stattdessen wurden diejenigen angeklagt, die in der Überzeugung ihrer eigenen Überlegenheit von gegebenen Traditionen abwichen und zu einer Gefahr wurden, wenn das Volk ihnen folgte. Juden und Christen begegneten sich in ihrem Kampf gegen die „Epikuräer“.44 Und sie sollten sich in ihrem Einsatz gegen diejenigen begegnen, die die Auferstehung leugneten. In seinem Widmungsschreiben an Reael und Van der Burgh machte Menasse diesen letzten Punkt, der für seine Zuwendung an Nooms so wichtig war, explizit: Mit der Auferstehung fielen nicht nur die 13 Grundlehren des Judentums, sondern jede Religion, und mit der Religion fiel jedes Gesetz.45 Daher lag es im Interesse derjenigen, die an der Spitze eines Staates standen, dass die Auferstehung tief in die Herzen aller Menschen eingeschrieben war („penitissimis esse omnium animis inscriptam“).46 Juden und Christen mussten sich zusammenschließen, um sie zu verteidigen. „Denn“, so Menasse, „wir verehren einen Gott, unterwerfen uns dessen Vorschriften und erwarten nach den Schwierigkeiten dieses Lebens ein besseres Leben. Die ganze Mühe des ersten Buches zielt also darauf, alle verstehen zu machen, dass wir in dieser so notwendigen Lehre gegen die Sadduzäer, die krankhaften Zerstörer der Seelen und der Staaten, zu einer Einigung finden müssen.“47 Menasses Aufforderung an seine christlichen Leser, sich in der Bekämpfung der Sadduzäer mit den Juden zu verbünden, war die Beschwörung einer Gemeinsamkeit, die aus der Opposition gegen den gemeinsamen Gegner erwuchs. Aber die Gemeinsamkeit beschränkte sich nicht auf die Opposition, sondern war zugleich etwas Positives, wie aus 44 Zum Judentum vgl. Friedrich Niewçhner, Epikureer sind Atheisten. Zur Geschichte des Wortes apikuros in der jüdischen Philosophie, in: Ders./Olaf Pluta, Atheismus im Mittelalter und in der Renaissance, Wolfenbüttel 1999, 11 – 22. Zum Christentum vgl. Maria Rita Pagnoni, Prime note sulla tradizione medievale ed umanistica di Epicuro, in: Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa. Classe di lettere e filosofia, Serie III, Bd. IV/4, Pisa 1974, 1443 – 1477. 45 Ben Israel, De resurrectione (s. o. Anm. 6), Epistola dedicatoria, o.P. 46 „Ut vestra etiam, quos in sublimi loco Deus collocavit, atque adeo omnium, qui Remp[ublicam] sustinent, plurimum intersit, hanc doctrinam penitissimis esse omnium animis inscriptam.“ (Ebd., o.P.) 47 „Unum enim Deum colimus, ejus praeceptis nos subjicimus, & post hujus vitae difficultates meliorem vitam exspectamus. Atque huc universa primi libri opera tendit, ut cuncti intelligant, in doctrina hac tam necessaria omnes nos contra Zaducaeos, animarum, & Rerumpublicarum pestes, penitus convenire.“ (Ebd., o.P.)

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dem letzten Zitat hervorging: Juden und Christen verehrten denselben Gott, sie unterwarfen sich dessen Vorschriften, und sie glaubten an ein besseres Leben nach dem Tode. Bereits in seinen De creatione problemata XXX hatte Menasse etwas geschrieben, was zunächst merkwürdig, dann aber bemerkenswert war. Er hatte David de Wilhem (1588 – 1658), den Orientalisten und Vertrauten Wilhelms II. von Oranien, dem er das Buch widmete, gebeten, seine Schöpfungslehre als Teil einer Abrahamitischen Theologie zu lesen: „Nimm also – ich bitte Dich – dieses [Buch] wie jedes andere Stück eines werten und gehorsamen Geistes an. Und wenn es Dir würdig erscheint und die Muße es Dir zwischen Deinen zahlreichen öffentlichen wie auch privaten Beschäftigungen gestattet, sieh in es hinein. Und lies es mit Nachsicht, immer daran denkend, dass ich nur den heiligen Lehren der Abrahamiten folge.“48 Später wiederholte Menasse einen ähnlichen Appell in seinem Auferstehungsbuch. Hier schrieb er an Joachim de Wicquefort: „Du bist von einer solchen Frömmigkeit, dass du nicht verärgert darüber sein wirst, wenn ich auch noch jene Lehre hinzufüge, die wir gemeinsam haben. Schließlich möchten alle diejenigen, die den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs mit frommen Seelen verehren, auferstehen. Und Du bist von einer solchen Gerechtigkeit und Menschlichkeit, dass Du die Pflichten einer Freundschaft, die die Menschen gegenseitig binden, zu unterscheiden weißt von dem Bekenntnis einer unterschiedlichen Religion. Was verbietet, wenn wir auch nicht in allem dieselben Auffassungen vertreten, dass einzelne Menschen in ihrer Kenntnis reich sind, dass ihr Gewissen vor Gott besteht und dass sie nicht weniger all denen Gutes wollen, die selbst niemandem etwas Schlechtes wünschen? Wende Dich also, wo es Dir gegeben ist, von Deinen Mühen und täglichen Geschäften Luft zu schöpfen, den Lehren unserer Väter zu. Denn wenn Du ihnen auch nicht allen zustimmen kannst, so sind sie dennoch von der Art, dass sie den Verstand mit einem höheren Wissen vervollkommnen und denjenigen stärken können, der der prisca veritas mit Eifer nachstrebt.“49 – Worum ging 48 „Accipias igitur (oro) hoc qualecumque animi grati observantiaeque simul argumentum: & si dignum videatur, aut inter occupationes tantas qua publicas qua privatas otium permittat, inspice; ac memor sola Abrahamidarum me sacra sequi, cum venia hac lege.“ (Menasse ben Israel, De creatione problemata XXX, Amsterdam 1635, Epistola dedicatoria, #3r.) 49 „Ea [es] pietate, ut non aegre sis laturus, etiam illam doctrinam à me asseri, quam communem habemus. Nec enim non resurgere ama[n]t omnes, qui Deum Abrahami, Isaaci, & Iacobi piis animis venerantur. Ea quoque tua est & aequitas & humanitas, ut distinguere noris amicitiae, qua mutuum obligantur homines, officia, à religionis diversae professione. Si non idem in omnibus sentimus, quid vetat

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es? Mit seiner Rede von den Abrahamiten orientierte sich der Rabbiner am Konzept der Noachiden. Noachiden waren alle diejenigen, die die sieben Gebote befolgten, welche Gott Noah nach der Sintflut erteilt hatte. Abrahamiten waren diejenigen, die in der Nachkommenschaft Abrahams standen, des Patriarchen, der nach der Verwirrung von Babel bestimmte Lehren wie eben diejenige von der Schöpfung aus dem Nichts weiter verbreitet hatte.50 Wie die Vorstellung einer Noachidischen trug diejenige einer Abrahamitischen Religion dazu bei, Grenzen zu überschreiten und Menschen zu verbinden, deren Wege sich in späteren Zeiten getrennt hatten. Der Kreis der Abrahamiten war zwar kleiner als derjenige der Noachiden. Aber er war größer als der Kreis der Juden oder der Christen. Und Juden und Christen konnten gemeinsam an einer Abrahamitischen Theologie arbeiten, einer Gotteslehre, deren Erkenntnisse für beide Religionen relevant waren. Auch im zweiten Widmungsbrief stand diese Abrahamitische Idee im Mittelpunkt von Menasses Interesse. Wieder ging es um den gemeinsamen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Wieder ging es um gemeinsame Lehren von Judentum und Christentum. Und es ging um die prisca, in diesem Falle die hebraica veritas: eine ursprüngliche Wahrheit, die Juden und Christen miteinander teilten und die sie nun gemeinsam wieder zugänglich machen sollten.51 Dabei mussten diejenigen, die gemeinsam an einer Abrahamitischen Theologie arbeiteten, nicht immer derselben Meinung sein, wie Menasse ebenfalls betonte. Es reichte, wenn sie in einigen wichtigen Punkten übereinstimmten und wenn sie sich in der Untersuchung dieser Punkte als gottgefällig erwiesen.

singulos suo abundare sensu, & Deo probare conscientiam, nec minus iis omnibus benè velle, qui nullis volunt male? Vbi à studiis, & quotidianis negotiis respirare tibi dabitur, secede in Patrum nostrorum placita, quibus si in omnibus assentiri non potes, talia tamen sunt, ut majore scientia perficere intellectum & veritatis priscae studiosum recreare queant.“ (Ben Israel, De resurrectione [s.o. wie in Anm. 6], D. Ioachimo Wickefortio, a3r.-a3v.) 50 Zu diesem Bild von Abraham vgl. z. B. Ben Israel, De creatione (s. o. Anm. 48), Problema VII, 29 – 30. 51 Vgl. neuerdings Allison P. Coudert/Jeffrey S. Shoulson (Hg.), Hebraica veritas? Christian Hebraists and the Study of Judaism in Early Modern Europe, Pennsylvania 2004. Zur hebraica veritas bei Menasse ben Israel vgl. Ders., De la Resurreccion (s. o. Anm. 15), I, III, 14 und De resurrectione (s. o. Anm. 6), I, III, 25.

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III. Reaktionen Die christliche Gelehrtenrepublik reagierte gespalten auf Menasses Bemühungen um eine Abrahamitische Theologie. Nur in Ausnahmefällen wurde Menasses Stichwort der Abrahamiten aufgegriffen; wo es aufgegriffen wurde, folgte die Kritik auf den Fuß. Besonders deutlich wurde dies an der Kontroverse, die um Caspar Barlaeus (1584 – 1648) geführt wurde, als dessen Epigramm für Menasses De creatione problemata XXX erschien. Barlaeus, der bekannte Philosoph und Dichter, der 1619 als Remonstrant seine Anstellung am Leidener Staatenkolleg und an der Universität verloren hatte, war 1632 zusammen mit Gerhard Johannes Vossius (1577 – 1649) als Gründungsprofessor an das Amsterdamer Athenaeum Illustre berufen worden. Seitdem stand er in engem Kontakt zu Menasse ben Israel. Als der Rabbiner ihn um ein Epigramm zu seinem lateinischen Buch bat, zögerte Barlaeus nicht, den Juden als Abrahamiten und Freund zu bezeichnen.52 Nach dem Erscheinen des Gedichts geriet Barlaeus sofort ins Kreuzfeuer einer scharfen Polemik.53 Der Deventer Professor für Theologie und Hebräisch Nicolaus Vedelius (gest. 1642) beschimpfte den Dichter als Judaisierer und Sozinianer und betonte dabei, dass nur die Nachkommen Abrahams im Geiste, diejenigen, die an Jesus Christus glaubten, wirklich Nachkommen Abrahams seien: „[Zu behaupten], dass 52 Barlaeus beendete sein Epigramm mit den Worten: „Et pietas fidei disparis ista placet. Cunctorum est coluisse Deum. Non unius aevi, Non populi unius credimus esse pium. Si sapimus diversa, Deo vivamus amici. Doctaque mens precio constet ubique suo. Haec fide vox summa meae est, haec crede Manasse. Sic ego Christiades, sic eris Abramides.“ (Caspar Barlaeus, Epigramma in Problemata Clarisimi viri Manassis Ben-Israel, De Creatione, in: Ben Israel, De creatione [s.o. Anm. 48], o.P.) Zu Barlaeus vgl. Frans Blok, Caspar Barlaeus. From the Correspondence of a Melancholic, Assen/Amsterdam 1976. 53 Zu der Polemik vgl. Nicolaus Vedelius, Caspar Barlaei Epigramma in Problemata Manassis Ben-Israel cum Analysi & brevibus notis Quibus perspicuè & solidè ex verbo Dei deciditur Quaestio quaedam maximi momenti à quibusdam recentissimè mota in Belgio, o.O. 1636; Philippus Faber [Pseudonym für Martin Schoock], Vorstius redivivus, seu examen vindiciarum Casp[aris] Barlaei quas analysi epigrammatis sui in R. Manassis Ben-Israël librum de creatione opposuit, Haarlem 1636; Nicolaus Vedelius, De Deo Synagogae. Contra Casparem Barlaeum Professorem Amstelodamensem et ejus vindicias quae in fine additae sunt, Harderwijk 1637. Für eine Verteidigung des Epigramms vgl. Barlaeus, Vindiciae Epigrammatis, viri Clarissimi Casparis Barlaei, Philosophiae in Illustri Amstelodamensium Gymnasio Professoris, adversus improbas Theologi cujusdam Anonymi criminationes, Amsterdam 1636. Für eine detaillierte Übersicht über die Auseinandersetzung vgl. Blok (s. o. Anm. 37).

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ein Jude ein Abrahamit sei, wie der Dichter hier sagt, bedeutet, das Wort Abrahamit auf diesen statt auf den wahren Sohn Abrahams anzuwenden, d. h. auf denjenigen, der nicht nur nach dem Fleisch, sondern auch nach dem Geiste und dem Glaubensversprechen ein Sohn Abrahams ist.“54 Martin Schoock, ein enger Vertrauter des Utrechter Theologen Gisbertus Voetius (1589 – 1676), erklärte ebenfalls, dass Menasse in keiner Weise als Nachfolger Abrahams bezeichnet werden konnte: „Wer auch immer vom Adel der Älteren tönt und inzwischen keine von deren Tugenden aufweist, ist absolut nicht würdig, in ihrem Namen seine Schande und seine Laster zu verteidigen. Menasse ben Israel, wie auch immer er sich des Patriarchen Abraham rühmen möge, ist diesem ein unwürdiger Enkel, solange er nicht an Christus glaubt, und er kann nichts tun, was ihm, der seinen Ursprung von einem so heiligen Manne herleitet, würdig wäre.“55 Die Auseinandersetzung hatte für Menasse und Barlaeus weit reichende Folgen. Barlaeus musste sich gegen den Verdacht verteidigen, heterodoxe Lehren in Umlauf zu bringen und die Amsterdamer Jugend zu verderben.56 Menasse scheiterte mit seinem Antrag, als Dozent ans Amsterdamer Athenaeum übernommen zu werden.57 Was für die Abrahamiten galt, galt auch für die Vorstellung einer Abrahamitischen Religion. Die Gelehrten taten sich schwer mit den Gemeinsamkeiten, die der Rabbiner ihnen nahe zu legen versuchte. Stellvertretend für viele andere sei an dieser Stelle auf Johannes Hoornbeek (1617 – 1666) verwiesen.58 Hoornbeek, der zuerst in Utrecht und später in Leiden eine Professur für Theologie innehatte, nahm 1655 in seiner Teshuvat Yehuda sive pro convincendis et convertendis Judaeis libri octo (Die Umkehr Judas oder acht Bücher, um die Juden zu überzeugen und zu missionieren) gründlich auf die Schriften Menasse ben Israels Bezug. Dabei sah er mit Blick auf die Auferstehung durchaus das Verbindende zwischen Judentum 54 „Abramidem fore Iudaeu[m] cùm hic dicit Poëta, constat eum sumere vocem Abrahamidae pro vero Abrahae filio i. e. qui non solùm secundùm carnem sed etiam secundùm spiritum & promissionem fidei filius Abrahae est.“ (Vedelius, Casparis Barlaei Epigramma [s.o. Anm. 53], A4r.) 55 „Quisquis majorum nobilitatem crepat, & interea nullas ex virtutibus eorum habet: indignissimus est, qui eorum nomine suae ignaviae & vitiis patrocinetur. Manaßes Ben-Israël quàm diu in Christum non credit, quicquid etiam de Patriarcha Abramo glorietur, indignus eo nepos est, nec quicquam facere potest quod dignum sit eo, qui à tàm sancto viro originem suam arcessit.“ (Faber [s.o. Anm. 53], 24 – 25.) 56 Vedelius, Casparis Barlaei Epigramma (s. o. Anm. 53), A3v. 57 Hillesum (s. o. Anm. 6), 361. 58 Zu Hoornbeek vgl. Johannes Wynand Hofmeyr, Johannes Hoornbeek as Polemikus, Kampen 1975.

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und Christentum, wenn er schrieb: „Die Juden erkennen mit uns die Wahrheit der Auferstehung (teh.iat ha-metim) an – sogar diejenige desselben Körpers – und sie verteidigen sie mit uns gegen die Sadduzäer und andere Ungläubige.“59 Doch Hoornbeek glaubte keinesfalls an eine Abrahamitische Theologie. Stattdessen gehörten Menasses Bücher für ihn zu denjenigen, die die Juden „zur Bestätigung ihres Unglaubens und ihrer Irrtümer“ („pro confirmatione infidelitatis atque errorum suorum“) schrieben.60 Und er selbst machte nur auf Gemeinsamkeiten zwischen christlichen und jüdischen Lehren aufmerksam, um die Wahrheit des Christentums dadurch zu bestätigen, dass selbst Juden diese an Stellen anerkannten, wo man es nicht für möglich halten würde.61 Schließlich ging Hoornbeek in keiner Weise auf Menasses Vorschlag ein, die Sadduzäer im Kontext einer Geschichte verschiedener Auferstehungslehren zu verorten, und wies stattdessen auf den bekannten Konflikt zwischen Pharisäern und Sadduzäern hin, den Menasse in seinem lateinischen Auferstehungsbuch bewusst in den Hintergrund gestellt hatte. Dabei nahm er die Auseinandersetzung der Pharisäer mit den Sadduzäern wohlwollend zur Kenntnis,62 ging aber nicht so weit, sich in ihr mit den Pharisäern zu solidarisieren. Spätere antijüdische Autoren gestanden den Pharisäern nicht einmal ihr Bemühen um eine Erwiderung der „Irrlehrer“ zu und nutzten die Auseinandersetzung in der Amsterdamer Gemeinde stattdessen, um mit Da Costa – oder denjenigen, die seine Exemplar humanae vitae bearbeitet hatten 59 „Resurrectionis A=NB8 N=;N veritatem agnoscunt & tuentur nobiscum Judaei, adversus Zadducaeos, & infideles alios etiam ejusdem corporis.“ ( Johannes Hoornbeek, Teshuvat Yehuda sive pro convincendis et convertendis Judaeis libri octo, Leiden 1655, 550.) 60 „§6 Quin & ipsi non desierunt quoque libros pro confirmatione infidelitatis atque errorum suorum aliquoties exarare Iudaei.“ (Ebd., 10.) 61 Für das wichtigste diesbezügliche Beispiel vgl. Hoornbeeks Rezeption von Menasses Dissertatio de fragilitate humana (Amsterdam 1642), die in der Bemerkung gipfelte, bezüglich der Erbsünde vertrete der Rabbiner beinahe dieselbe Position wie die reformierte Theologie: „Nihil, vel parum admodum video haec differre à sententia nostra.“ (Hoornbeek, Teshuvat Yehuda [s.o. Anm. 59], 350.) 62 „Nec desunt hodie etiam inter Judaeos Zadducaei. Cujus rei fidem faciunt libri Menassis de resurrectione; & de anim : in quibus ex professo, & multis, contra Zadducaeos disputat, & tum argumenta contra illorum haeresim, & cum objectiones ipsorum profert, & examinat. Adde Urielis Hebraei Examen traditionum Pharisaicarum, cum lege script collatarum, contra animae immortalitatem. Et Samuelis de Sylva tractatum, de immortalitate animae, libros Amsteldami impressos. Ut nihil hac in re addere nobis opus sit, dum haeresim illam satis exagitant Judaei ipsi, quam Scriptura, ratio, sensus, & consensus omnium clare satis, valideque explodunt.“ (Ebd., 537.)

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– gegen die tyrannische Herrschaft der Pharisäer und die Autonomie ihrer Rechtsprechung aufzutreten.63

IV. Zusammenfassung und Ausblick Menasses Versuch, christliche Gelehrte für eine Abrahamitische Theologie zu sensibilisieren, war Bestandteil eines größeren Programms, das der Rabbiner verfolgte: Jüdische Gelehrte sollten sich durch ihr Wissen einen festen Ort in der christlichen Respublica litteraria verdienen. Sie sollten die Achtung und den Respekt ihrer christlichen Kollegen gewinnen. Und sie sollten so dazu beitragen, dass sich die Situation der Juden in den Ländern ihres Exils verbesserte. Der Erfolg seines Programms bestätigte sich für Menasse durch Männer wie Maimonides, Moses Hamon (um 1490-um 1567), Elias Montalto (1567 – 1616), Elia Delmedigo (um 1460 – 1493) und Abraham de Balmes (gestorben 1523), deren Gelehrtheit ihnen allen geholfen hatte, außerhalb des Judentums zu Ansehen und Einfluss zu gelangen.64 Die Zeiten schienen günstig zu sein. Immer mehr Universitätsprofessoren und Gelehrte widmeten sich seit dem späten 16. Jahrhundert dem Studium der hebräischen Sprache und der jüdischen Literatur. Besonders in den calvinistischen Niederlanden war die Nachfrage nach jüdischem Wissen groß.65 Menasse begegnete ihr zuerst in seinem Conciliator und dann in seinen De creatione problemata XXX und seinen De resurrectione mortuorum libri III. Gleichzeitig begann er – in Anlehnung an die jüdische Konzeption einer Noachidischen Religion – von einer Abrahamitischen Theologie zu reden. Diese Theologie setzte sich mit Lehren wie der Schöpfung und der Auferstehung auseinander, die Ju63 Vgl. z. B. Johann Jacob Schudt, Jüdische Merckwuerdigkeiten, (Frankfurt/ Leipzig 1714), Berlin 1922, VI. Buch, 12. Cap., 286 – 291. Zur Editionsgeschichte des Exemplar humanae vitae s. o. Anm. 1. Für einen Überblick über die antijüdische Rezeption der Amsterdamer Auseinandersetzung vgl. Friedrich Niewçhner, Art. „Pharisäer. III. Neuzeit“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 7, Darmstadt 1989, 539 – 542. 64 Menasse ben Israel, Miqwe Yisrael. Esto es, Esperança de Israel, Amsterdam 1650, LXVII., 106 – 107. Für eine französische Übersetzung des Buches vgl. Ders., Espérance d’ Israël, hg. von Henri Mchoulan/Gérard Nahon, Paris 1979. 65 Vgl. z. B. Aaron L. Katchen, Christian Hebraists and Dutch Rabbis. Seventeenth Century Apologetics and the Study of Maimonides’ Mishne Torah, Cambridge, Mass./London 1984 und Peter T. van Rooden, Theology, Biblical Scholarship and Rabbinical Studies in the Seventeenth Century. Constantijn l’Empereur (1591 – 1648), Professor of Hebrew and Theology at Leiden, Leiden 1989.

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dentum und Christentum teilten. Zwar gelangte Menasse nie zu dem Punkt, ihre konkreten Inhalte zu formulieren oder auch nur formulieren zu wollen, aber die Konzeption genügte, um neue Möglichkeiten für die Begegnung zwischen jüdischen und christlichen Gelehrten zu eröffnen. Juden und Christen standen sich als Abrahamiten gleichberechtigt gegenüber. Sowohl Jakob als auch Esau waren Verwalter des göttlichen Erbes, wie Menasse bereits in seinem Schöpfungsbuch schrieb. Gott hatte keinen von ihnen zurückgewiesen, und beide hatten ihre eigene Art der Vollkommenheit.66 Doch genau die Gleichberechtigung war es, die die Abrahamatische Theologie problematisch und unakzeptabel für diejenigen machte, an die Menasse sich mit seinen lateinischen Schriften wandte. Ein Jude konnte der christlichen Gelehrtenrepublik nicht gleichberechtigt angehören.67 Jüdisches Wissen war gefragt, um im christlichen aufzugehen, aber es wurde zurückgewiesen, wo es eigenständig neben dem christlichen zu stehen beanspruchte. Menasses Rückgriff auf den gemeinsamen Stammvater Abraham wurde als Provokation empfunden, wie auch Uriel da Costas Rückgriff auf Noah als Provokation empfunden worden wäre, wenn Da Costa dazu übergegangen wäre, Forderungen an eine Noachidische Gemeinschaft zu stellen. Menasse reagierte, indem er nach seinem Auferstehungsbuch nicht mehr über Abrahamiten redete und sich stattdessen den Regeln der christlichen Gelehrtenwelt fügte. In seinen De termino vitae libri tres (Drei Bücher über das Ende des Lebens, 1639) und seiner Dissertatio de fragilitate humana (Abhandlung über die menschlische Schwäche, 1642) schrieb er über Probleme, die im eigentlichen Sinne christlich waren und zu deren Lösung einen Beitrag zu leisten er von christlichen Freunden aufgefordert wurde.68 Seine Strategie war erfolg66 „Neminem enim istorum filiorum rejecit Deus, sed universo semini ejus benedixit, atq[ue] inde dependet universa sacrae historiae series.“ (Ben Israel, De creatione [s.o. Anm. 48], Problema I, 3.) Der Streit zwischen Jakob und Esau wurde seit dem Mittelalter als die Auseinandersetzung zwischen Judentum und Christentum gedeutet. 67 Vgl. z. B. Peter T. van Rooden, Sects, Heterodoxies, and the Diffusion of Knowledge in the Republic of Letters, in: Hans Bots (Hg.), Commercium litterarium. La communication dans la république des lettres. Forms of Communication in the Republic of Letters 1600 – 1750, Amsterdam/Maarsen 1994, 51 – 64. 68 Die De termino vitae libri tres (1639) entstanden auf Anfrage des Dordrechter Arztes Johan van Beverwijck ( Johannes Beverovicius, 1594 – 1647). Die Dissertatio de fragilitate humana (1642) schrieb Menasse für Gerbrandus Anslo (1612 – 1643). In beiden Büchern ging es um den Konflikt zwischen göttlicher Vorherbestimmung und menschlicher Freiheit, der im Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen

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reich. Doch der Erfolg war zwiespältig, und Menasse war sich dieser Zwiespältigkeit bewusst. Nach der Publikation seines Schöpfungs- und Auferstehungsbuches äußerte sich der Rabbiner zunehmend vorsichtig über seine Stellung in christlichen Gelehrtenkreisen.69 Caspar Barlaeus bezeugte er bis an sein Lebensende einen Respekt, in dem sich das Wissen ausdrückte, welcher Bedrohung der Philosoph sich um seines Bekenntnisses zu den Abrahamiten willen ausgesetzt hatte.70 Vielleicht kann man abschließend sagen, dass sich Uriel da Costa und Menasse ben Israel nicht nur als Kontrahenten in der Auferstehungsdebatte begegneten, sondern auch als Repräsentanten zweier unterschiedlicher Konzeptionen eines neuen Zusammenlebens zwischen Juden und Christen. Beide Konzeptionen ähnelten sich darin, dass sie an die rabbinische Tradition der Noachidischen Gebote anknüpften. Sie unterschieden sich darin, wie sie dies taten und wie sie gleichzeitig von der Tradition, auf der sie aufbauten, wieder abwichen. Da Costa, der die Noachidische Religion als Alternative zum Judentum, aber auch zu den anderen Offenbarungsreligionen anbot, ging es darum, Grenzen aufzulösen und partikularen Dogmen eine universelle moralische Minimalreligion gegenüberzustellen. Dieses Konzept hat Friedrich Niewöhner als „aufklärerisch“ bezeichnet. Menasse ben Israel hingegen folgte dem „alternative path to modernity“, den Yosef Kaplan allgemein und eben in Abgrenzung zu allen Vorstellungen von einer frühen jüdischen Aufklärung als den Weg der Amsterdamer Sefarden beschrieben hat: der Aufnahme von Neuem bei der gleichzeitigen Wahrung von Tradition.71 Er bemühte sich, Grenzen zu öffnen, aber er war nie bestrebt, diese Grenzen aufzulösen. Trotz seines Plädoyers für eine Abrahamitische Theologie war die gemeinsame AusRemonstranten und Kontraremonstranten in den Niederlanden stand. Von der Dissertatio de fragilitate humana erschien 1642 auch eine spanische Version. Für eine neue französische Übersetzung des spanischen und lateinischen Textes vgl. Menasse ben Israel, De la fragilité humaine et de l‘inclination de l‘homme au peché, hg. von Henry Mchoulan, Paris 1996. 69 Zu Menasses Vorsicht vgl. z. B. Henry Mchoulan, Le problème du latin chez Menasseh ben Israel et quelques implications religieuses et politiques à propos d‘une lettre inédite a Beverovicius, in: Studia Rosenthaliana 14/1 (1980), 1 – 6. 70 Menasse ben Israel, Vindiciae Judaeorum, London 1656, 31, in: Wolf (s. o. Anm. 5), 105 – 147, hier 137. 71 Yosef Kaplan, An Alternative Path to Modernity, in: James E. Force/David Katz, Everything Connects. In Conference with Richard H. Popkin. Essays in his Honour, Leiden 1999, 213 – 240 (nachgedruckt in: Yosef Kaplan, An Alternative Path to Modernity. The Sephardi Diaspora in Western Europe, Leiden 2000, 1 – 28).

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einandersetzung mit gemeinsamen theologischen Lehren für Menasse nie eine Alternative zu seiner jüdischen Gotteslehre. Nur für den Christen, mit dem er verhandelte, wurde Menasse zum Abrahamiten. Er selbst wich von seinem Judentum nicht ab, wie auch der Christ nicht von seinem Christentum abwich und seinerseits wieder nur für Menasse zum Abrahamiten wurde.72 Am Ende blieben beide Konzeptionen ohne Erfolg. Weder Uriel da Costas radikaler Rückgriff auf die Noachiden noch Menasse ben Israels Plädoyer für eine Abrahamitische Theologie fanden in der jüdischen oder der christlichen Welt ihrer Zeit Gehör. Und sowohl Da Costa als auch Menasse starben einsam und unverstanden. Aus heutiger Perspektive aber kann man nicht anders als mit einer gewissen Faszination auf das blicken, was die beiden Männer im Rahmen der Unsterblichkeitsdebatte im Amsterdam des 17. Jahrhunderts gedacht und entworfen haben. Und man kann nicht anders, als sich gerade bei der Auseinandersetzung mit Uriel da Costa immer wieder dankbar Friedrich Niewöhners zu erinnern, dessen Beschäftigung mit den „zu Recht vergessenen Denkern“, wie er selbst zu sagen pflegte, einem so unendlich viel und vor allem so völlig zu Unrecht vergessene Dinge erschließen konnte.

72 Diese Perspektive wird auch in dem Gedicht von Barlaeus deutlich, der sich selbst als Christen und Menasse als Abrahamiten bezeichnete (s. o. Anm. 52).

Spinoza and Beyond: Some Reflections on Historical-Critical Method* Nicolai Sinai Introduction Historical-critical scholarship has many sources. While Christian exegesis of the Bible until the high Middle Ages relied heavily on allegory and typology, thus continuing the allegorizing approach of the so-called ‘School of Alexandria’ as against the more literal-minded ‘School of Antioch’,1 already the late medieval period witnessed a more marked emphasis on the literal meaning of scripture.2 This may be partly due to the influence of Rabbinic exegetes like Abraham ibn Ezra, with whom some Christian interpreters such as Nicolaus of Lyra (d. 1340) were intimately familiar.3 Hava Lazarus-Yafeh has even surmised that some of the textual observations that were to play a crucial role for the emergence of critical scholarship – such as the fact that Moses, due to various anachronisms, could not have been the author of the entire Pentateuch, an insight which triggered speculations as to how precisely the Old Testament writings had achieved their present shape – may in the last in*

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This paper ultimately goes back to an MA exam that I was privileged to take under the late Prof. Niewöhner. Parts of it were presented at a meeting of the research program Europe in the Middle East – the Middle East in Europe at the Wissenschaftskolleg Berlin on November 15, 2006, and at the conference “Koranwissenschaften heute,” June 5 – 7, 2008, Universität Frankfurt (convened by Prof. Ömer Özsoy). Since both presentations were given in English, I decided against re-translating my contribution into German. Cf. Robert Grant/David Tracy, A Short History of the Interpretation of the Bible, Philadelphia 1984, 52 – 72, where more detailed studies are listed. Already Thomas Aquinas held that “nothing necessary to faith is contained under the spiritual sense which is not elsewhere put forward by the scripture in its literal sense” (Summa theologica 1.1.10). Cf. P. Synave, “La doctrine de St. Thomas d’Aquin sur le sens littéral des Ecritures,” Revue biblique 35 (1926), 40 ff. H. J. Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1982, p. 13.

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stance derive from Islamic polemics.4 In any case, the Reformationist insistence that Christian doctrine be founded “solely on scripture” (sola scriptura) reinforced the late medieval emphasis on the literal sense of the Bible: if scripture was to function as the sole arbiter of Christian orthodoxy, then its meaning had to be objectively ascertainable, and cutting down on allegory and typology could come to be seen as a promising way of ensuring the objectivity of Biblical exegesis.5 A similar motivation lies behind the Reformationist effort to work from the Hebrew and Greek original versions of the Bible, which was also in harmony with Renaissance humanism and its battle cry ad fontes. This new emphasis on the original text of the Bible both inspired and was itself inspired by a remarkable output, from within ecclesiastical circles, in philological literature, consisting in grammars ( Johannes Reuchlin’s Rudimenta linguae Hebraicae, published in 1506, and Conrad Pellicanus’ De modo legendi et intelligendi Hebraea, 1503), dictionaries (Buxtorf’s pioneering Thesaurus grammaticus linguae sanctae hebraeae, or, with detailed material from other Semitic languages, Valentin Schindler’s Lexikon Pentaglotton of 1612), and text-critical comparisons (e. g., Jean Leclerc’s Ars Critica, published in 1697). While the gradual decline of allegory and the corresponding emergence of a philological interest in the Bible in Protestant exegesis certainly helped to pave the way for historical Bible scholarship, pioneers of a genuinely historical-critical approach such as Benedict Spinoza (Tractatus theologico-politicus, 1670) and Richard Simon (Histoire critique du Vieux Testament, 1678) were not suffered gladly by the mainstream of contemporary Christian thought: Spinoza’s Tractatus spawned a spate of refutations even from philosophical rather than theological circles,6 and Richard Simon was excluded from the Congregation of the Oratory immediately after the publication of his Histoire critique du 4 5 6

Hava Lazarus-Yafeh, “Some Neglected Aspects of Medieval Muslim Polemics Against Christianity,” Harvard Theological Review 89 (1996), 61 – 84; id., Intertwined Worlds, Princeton 1992. Of course there are differences between the Reformers as to the extent to which they accepted or dismissed allegory; and Luther, for example, did not always adhere to his own hermeneutic principles. Cf. Kraus, Geschichte, 15. Cf. Ursula Goldenbaum, “Der historische Ansatz des Theologisch-politischen Traktats Baruch Spinozas als ein Ausweg as den religionsphilosophischen Debatten des 17. Jahrhunderts,” in: Thomas Brose (Ed.), Religionsphilosophie: Europische Denker zwischen philosophischer Theologie und Relgionskritik, Würzburg 1998, 90.

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Vieux Testament. 7 Such opposition may give the impression that historical-critical scholarship was above all a destabilizing factor in the history of Christian thought, a factor that was essentially and irredeemably a threat to the authority of the Bible. However, a decisive change occurred when, under the influence of Enlightenment ideas, German Protestant scholars of the 18th century – such as Johann Salomo Semler and Johann Gottfried Eichhorn – made a determined effort to co-opt historical-critical Bible studies into academic theology,8 where, in spite of the occasionally heavy criticism levelled at it, it still occupies a central place. In those currents of modern Christianity that follow in the tradition of Semler and Eichhorn, it has become something of a commonplace that historical-critical scholarship does not as such preclude a subsequent ‘committed’ reading of the Bible: historical analysis, it is usually held, constitutes a preparatory stage delimiting the borders of any truly responsible interpretation of the canon; it delineates the ground upon which any attempt to derive contemporary guidance from the canon must operate (rather than eroding this very ground, as some would object). The present essay will attempt to explore, on the basis of mostly theoretical considerations, the stability of this synthesis. I will therefore deal with two major questions: Firstly, what are the peculiarities that define historical-critical exegesis, and, secondly, can these be made compatible with some kind of religious commitment to the text in question, and if so, how? I will approach the first of these two questions through a close reading of chapter 7 of Spinoza’s Theological-Political Treatise, entitled De interpretatione Scripturae. 9 Spinoza recommends himself since he is not only an early practitioner of historical-critical exegesis but also underpins his reading of the Bible with a systematic and transparent herme7 8 9

Kraus, Geschichte, 65. Kraus, Geschichte, 103 ff.; Giuseppe D’Alessandro, L’Illuminismo Dimenticato: Johann Gottfried Eichhorn (1752 – 1827) e il suo tempo, Naples 2001. The Tractatus will be quoted according to the pagination of Carl Gebhardt’s edition of the Latin text (Spinoza Opera, vol. 3, Heidelberg 1925). For reasons of convenience, I enclose references to the English translation by R. H. M. Elwes, as reprinted by Dover, even though I do not follow Elwes verbatim. Elwes’ rendering of the text has been criticized “for its shameless inaccuracies and unfortunate omissions” (Martin D. Yaffe, “Two Recent Treatments of Spinoza’s Theolocigo-Political Treatise (1970): A Review Essay,” Modern Judaism 13 (1993), 310); nevertheless, it still constitutes the most readily available English version to accompany the Latin.

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neutics, an analysis of which may help us to understand some of the presuppositions and implications of historical-critical scholarship in general.10 Being neither a theologian nor a historian of modern European thought but a Qur’an scholar, I will approach the second question – namely, how does historical-critical scholarship relate to religious belief ? – by drawing some modern Islamic voices into the discussion. Although the juxtaposition of Spinoza with contemporary Qur’anic hermeneutics is apt to convey an appearance of anachronism, it is justified, I belief, by sufficient methodological common ground in order to at least warrant the experiment.

1. Spinoza’s hermeneutics Before delving into details, it is important to note that the Theologico-Political Treatise is not at bottom motivated by a desire to contribute to the budding research field of Biblical studies but attempts to make a political point, namely, that the Bible does in no way attempt to regulate philosophical and scientific belief, that there can hence be no religious justification for curbing the freedom of thought, and that granting freedom of thought does not threaten political stability. Spinoza’s interest in proving his overarching thesis at times interferes with his hermeneutic principles; in his own interpretations of Biblical passages he does therefore not consistently play by the rules he himself lays down. However, I will largely limit my attention to the hermeneutic principles set forth in chapter 7 of the Treatise and disregard both the historical surroundings of Spinoza’s Bible hermeneutis and its position within his philosophical system as a whole.11 10 My assumption here is of course that what historical-critical scholars do today is still recognizably close to the hermeneutics sketched by Spinoza. 11 My presentation of ch. 7 is in broad agreement with the succinct summary given by Leo Strauss, “How to Study Spinoza’s Theologico-Political Treatise,” in: id., Persecution and the Art of Writing, Chicago 1952, 144 – 148. The secondary literature on Spinoza is of course boundless, even though the Theologico-Political Treatise, and the Bible hermeneutics it contains, has received considerably less attention than the Ethics. A number of recent contributions on the Theologico-Political Treatise by Daniel Elazar, George Gross, Harvey Shulman, Martin Yaffe, Douglas Den Uyl and Paul Bagley are collected in Jewish Political Studies Review 7, no. 1 – 2 (1995). For a survey of past scholarship cf. Norbert Altwicker, “Spinzoas Tractatus theologico-politicus und Tractatus politicus in der philosophischen Forschung der letzten 50 Jahre,” in: Spinoza Opera 5: Supplemen-

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Spinoza is very clear about the fact that he conceives his Bible hermeneutics as paralleling the method of experimental natural science: the “method of interpreting scripture”, he says, “does not differ from the method of interpreting nature” (98/99). This equivalence is based above all on the fact that, according to Spinoza, misreadings of both nature and scripture frequently derive from one and the same cause: just as pre-scientific ways of making sense of the world around us project human purposes on nature and consequently explain it teleologically – for example, when it is said that ‘rain falls in order for the crops to grow’ – so interpreters of scripture all too often project their own figmenta et placita (97/98) on the Bible. In both cases, the inquirer illegitimately ascribes his own purposiveness or his own beliefs to the object of his inquiry. When Spinoza insists that statements about scripture ought to derive “solely from scripture itself (ab ipsa Scriptura sola), in the same way in which knowledge of nature must be sought from nature itself” (99/100), his diction suggests that he places himself in the tradition of the Protestant watchword sola scriptura. Yet while the latter is directed against the supposed distortion and misinterpretation of revelation by the Catholic tradition, Spinoza’s demand is much more radical: what he has in mind is not only freeing scriptural interpretation from the shackles of a tradition that threatens to drown out the message of the original text, but rather a wholesale elimination of subjectivity as such from the process of cognition. Spinoza here offers a rhetorically skillful re-interpretation of the sola scriptura principle in the sense of modern science that is obviously geared to resonate with a Calvinist audience, glossing over the fact that Calvin’s appeal to a testimonium internum Spiritus Sancti – which is briefly criticized on p. 112 (114) – sits rather uneasily with Spinoza’s own notion of scientific objectivity. The kind of illegitimate exegesis Spinoza has in mind is represented above all by Maimonides who, according to Spinoza, reads his own philosophical convictions into the Bible when he claims, for example, that anthropomorphic portrayals of God must be understood metaphorically. Maimonides, says Spinoza, “believed that each passage of scripture admits different and even contrary senses, and that we can never tum, Heidelberg 1987, 265 – 446; for a general appraisal of the Treatise, see Goldenbaum, “Historische Ansatz” (n. 6 above). Spinoza’s criticism of religion and its historical background is conveniently set out in Leo Strauss, Die Religionskritik Spinozas und andere Schriften, ed. by Heinrich Meier, Stuttgart/Weimar 1996.

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be sure of the true one until we know that the sense in which we interpret the passage contains nothing that would be contrary or repugnant to reason.” (113/115) Hence, anthropomorphic passages must be interpreted metaphorically, since if taken literally, scripture would say something that would be demonstrably wrong. For Spinoza, of course, this procedure is tantamount to “wringing” (97/98) one’s own personal opinion from the Bible. He also identifies the underlying assumption that gives rise to this kind of exegesis, namely, the principle that scripture is “everywhere true and divine” (ipsam ubique veracem, et divinam esse) (9/8). Spinoza here presents an important insight into the nature of canonicity. As John Barton writes, recognizing a given text as scripture “implies a hermeneutical imperative: Read this book as consistent and true.”12 Canonical writings, or scripture, are a priori presumed by their adherents to be true and relevant to contemporary reality. Hence, they are not first interpreted and then found to contain true and relevant information and guidance – rather, the assumption of their universal truth and relevance functions as a criterion of proper interpretation in the sense that if an interpretation would ascribe to scripture a statement that is untrue or trivial, this would already suffice to dismiss the interpretation in question as unsound. Unlike profane writings, a text that is accepted as scripture is therefore read with a maximum of hermeneutic charity.13 Spinoza, by contrast, seems to call for a maximum degree of disengagement, even alienation, from the text interpreted – whether scripture has anything to say to its reader that is true and relevant today must in no way be allowed to govern the actual process of interpretation but is to be decided only after the most plausible reconstruction of a passage’s meaning has been ferreted out: “We are at work not on the truth of what is said, but solely on its sense.” (100/101) Spinoza emphasizes that one must not allow oneself to be “prejudiced by our reason” (ne 12 John Barton, “The Significance of a Fixed Canon of the Hebrew Bible,” in: Magne Sæbø (Ed.), Hebrew Bible/Old Testament: The History of Its Interpretation, Vol. 1: From the Beginnings to the Middle Ages (Until 1300), Göttingen 1996, 73. 13 On canonical interpretation and Donald Davidson’s “principle of charity”, see the remarks by Moshe Halbertal, People of the Book: Canon, Meaning, and Authority, Cambridge (Massachusetts)/London 1997, 27 ff. – For a more detailed discussion of these issues and their application to classical Islamic exegesis, see the first chapter of my Fortschreibung und Auslegung: Studien zur frhen Koraninterpretation, Wiesbaden 2009.

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ratiocinio nostro … praeoccupemur) and mistake the “true sense” (verum sensum) of a passage for the “truth of things” (rerum veritate). The fundamental principle Spinoza urges on all interpreters of scripture is therefore that the assessment of its meaning, its sensus, must precede any judgment about its truth, its veritas. It is interesting that, according to the passage just quoted, the operation of bracketing scripture’s truth that is demanded by Spinoza appears to involve a considerable psychological effort: one must actively resist, as it were, the ever-present temptation of being led away by reason, that is, of making more sense of scripture than there is, of reading scripture more charitably than it deserves to be read (cf. also 105/106: Qua autem cautione utendum sit, ne in his mentem Prophetarum & Historicarum cum mente Spiritus Sancti, & rei veritate confundamus …). So far, Spinoza’s hermeneutics has been entirely eliminative. When confronted with different possible interpretations of a given passage, we are not – as Maimonides did – simply to choose the one interpretation that will maximize scripture’s agreement with contemporary scientific, theological, or moral beliefs. But then how are we to derive a particular meaning for the passage in question? What are the criteria against which competing readings of the passage are to be judged? At this place, the parallel drawn by Spinoza between the interpretation of nature and the interpretation of scripture again becomes important. Both natural and scriptural ‘science’ proceed inductively in that they first assemble a set of empirical data from which the particularities of their respective object of inquiry – that is, nature or scripture – are then explained. In the case of natural science, Spinoza calls this data set a “natural history” (historia naturae), while in the case of scripture he speaks of a historia Scripturae. Of course, historia here cannot simply be rendered as “history” in its conventional sense; it rather carries the meaning of the Greek Rstoq¸a, “investigation”, that is, information gathered through empirical observation and research. Spinoza’s “scriptural history” is composed of three sections that contain data of different kinds: a) A linguistic section that contains the grammar and lexicon of ancient Hebrew and, in particular, records established idiomatic and metaphoric uses of the language (which are presumably to be drawn from the Bible itself) (99 f./101). b) A thematic section that provides a survey of the statements contained in each Biblical book on theological, ethical, political and other issues (it is important that this survey must be merely a collection of ex-

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cerpts and not yet a reconstruction of their meaning, since we are not yet at the stage of actual interpretation) (100/101). c) Finally, there is a historical section that informs us about the biographies of the various authors of the Biblical writings and the historical circumstances under which they composed their books; this section also includes the textual history, as best we can still reconstruct it, of each book of the Bible (101/103). On this basis, the exegetical procedure outlined by Spinoza consists, roughly speaking, in interpreting each one of the statements collected in section b) by drawing on the information provided by sections a), b), and c). Thus, philological and historical data comes to substitute the interpreter’s own scientific and other beliefs as a background against which the plausibility of a given interpretation is to be gauged.14 Spinoza himself provides an example for this procedure. When it is stated in the Pentateuch that “God is a fire” and that “God is jealous”, are we to understand literally that Moses believed God materially to be fire and to be possessed of the trait of jealousy, or are we to treat these assertions as metaphors? And if so, metaphors for precisely what? In answering this question, says Spinoza, the crucial factor is not whether the interpretation given by us accords with reason or contradicts it (nullo modo id concludendum est ex eo, quod haec opinio cum ratione conveniat, aut quod ei repugnet); rather, we are to rely on the other opinions of Moses reported by the Bible, for example the teaching that God has no likeness to any visible thing (100 f./102). Clues as to whether the two statements in question were intended by their author to carry a literal or a metaphorical meaning can thus be derived from the other statements made by that author (or, to eschew the notion of authorship, made in the same text if that text is a genetic unity). It is clear that here a certain degree of hermeneutic charity does come in: for surely what Spinoza means to say, even if he does not do so explicitly, is that an interpretation of the two statements that would make them harmonize with Moses’ other utterances would be preferable to one that would make them contradict these other statements. Hence, in constructing an interpretation of the two passages we will strive, not to maximize agreement 14 In modern Biblical scholarship, both sections a) and c) would heavily rely on extra-Biblical evidence such as archaeological findings and ancient Near Eastern literature. In proposing to reconstruct his background data exclusively from the Bible, Spinoza merely follows what was the most sensible procedure at a time when the ancient Near East was not yet accessible independently of the Bible.

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between the text and ourselves, but at least to maximize the overall consistency of what Moses is supposed to have said and believed. Hermeneutic charity, then, is not as alien to historical-critical exegesis as Spinoza’s explicit injunctions would have us believe. However, the lexical data contained in section a) functions as a falsifying constraint on the principle of maximizing consistency as just formulated. For a metaphorical interpretation to be legitimate, it must not solely serve to harmonize the two statements with whatever else Moses is held to have said and believed, it must also respect the attested usage of ancient Hebrew: to say that the utterance “God is a fire” is not meant to describe the kind of matter God is made of is only legitimate to the extent to which there is additional textual evidence that in ancient Hebrew, predicating that somebody is “a fire” – or possibly some other kind of material – can be a metaphorical way of describing, for example, his character traits. If no such evidence can be adduced, then the text must be taken literally, “however repugnant it may be to reason” (quamvis rationi repugnans) (101/102). If there is no linguistic evidence of this kind, or evidence to the contrary, then passages where the Pentateuch teaches that God has no likeness to visible things would not by themselves warrant a metaphorical reading of the statement that God is a fire; rather, we would be forced to conclude that there is an irreconcileable contradiction between both assertions. Hence, if a metaphorical reading of “God is a fire” cannot be sustained on the grounds of additional linguistic evidence, not only must we be prepared to sacrifice the truth of the statement itself, but we may also have to qualify our assumption of the doxastic consistency of its author. Although Spinoza believes that with regard to the two statements presently under discussion this is not the case (since according to him, a metaphorical reading of “God is a fire” can be sustained linguistically as well), it is crucial for his hermeneutics that the possibility of being confronted with an author who is not only mistaken but also inconsistent is explicitly admitted.15 The above example is important because it clearly illustrates one particular aspect of the way in which historical and philological back15 So far only material about Moses’ other beliefs and linguistic evidence has been used, i. e., data from sections a) and b). What about section c)? Even though it does not figure explicitly in Spinoza’s example, it might for example enter into the discussion if one were to attempt to resolve certain contradictions in the opinions ascribed to Moses through an evolutionary hypothesis that would have him change his mind about certain issues somewhere along his prophetic career.

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ground data governs interpretation: it does so by establishing a certain set of falsifying constraints that can force us to relinquish overly charitable readings of the text in question, i. e., readings that would shortcircuit the text and our own beliefs in an anachronistic way. The plausibility of a given interpretation thus is to be gauged according to the principle of avoiding anachronism: the text can only be legitimately taken to say things that were ‘thinkable’ within its historical context, to which we have access via data sets a) and c) above. Arguably, more than two centuries of historical-critical Bible scholarship have demonstrated that it is probable that even when drawing on linguistic and historical parameters we will not be able to pinpoint one and only one correct interpretation; at least for many passages, Spinoza’s hermeneutics will consequently entail a certain degree of hermeneutic indeterminacy, or interpretive play. The essentially falsifying role of historical and philological background data means that within the confines established by it, it will still be possible to opt for the most charitable interpretation among a number of historically legitimate readings. Once again, we have occasion to note that hermeneutic charity does have a place – albeit a subordinate one – in historical-critical exegesis. In fact, Spinoza himself proceeds in this manner. Before giving an example, however, a few general remarks are called for. The Theologico-Political Treatise is concerned to show that, in spite of the prophets’ differences of opinion in theoretical matters, there is one consistent moral teaching of the Bible, which is spelled out in chapters 13 and 14 and the basic features of which are “obedience”, “justice”, “love” (charitas), and the belief that moral action suffices to guarantee salvation (177 f./187: omnes, qui hac vivendi ratione Deo obediunt, salvos … esse). Now, the Ethics makes it very clear that for Spinoza salvation (salus) is not to be understood in the sense of an individual life after death and that, being equivalent to scientia intuitiva, it has a very pronounced theoretical dimension.16 The teaching, ascribed by Spinoza to the Bible, that moral action is sufficient for salvation is thus clearly at odds with his own philosophical system. Nevertheless, the moral teaching Spinoza discovers in the Bible is, if not literally true, at least the best possible approximation to philosophical truth available to non-philosophers: even though true salvation is the prerogative of philosophically trained scholars, the ethics of “justice” and “love” that Spinoza finds in the Bible can 16 On scientia intuitiva see Yirmiyahu Yovel, Spinoza and Other Heretics, Vol. 1: The Marrano of Reason, Princeton 1991, ch. 6.

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be philosophically demonstrated to be sound. Now, a philosopher will be motivated to behave according to this ethics by his philosophical insights, a motivation that carries no weight with non-philosophers. The idea that moral action alone is sufficient for salvation, incorrect as it may be in and of itself, then functions as a surrogate motivation for non-philosophers that will make them at least conform externally to principles of conduct the philosophical justification of which is beyond their grasp. In this sense, then, Spinoza does take the ethics of the Bible to be true, at least as true as ethics can get without having to draw on philosophy. Spinoza is thus committed to defending the coherence and truth of the Bible’s moral teaching. In order to do so, he is forced to address the apparent contradiction between the Mosaic law of talio (“an eye for an eye …”) and Jesus’ statement “Whosoever shall smite thee on thy right cheek, turn to him the other also” (Matt 5:39). Spinoza harmonizes the two by restricting the second utterance to its immediate historical context, when a general state of lawlessnes did not allow for the proper enforcement of law and order by the political authorities. Under different conditions, however, one is to see to it that crime and injustice are brought to justice (103 f./105 f.). Regardless of whether Spinoza’s interpretation of Matthew 5:39 is convincing or merely a subterfuge, it is important that he does attempt to justify it by reference to Matthew 5:17 (“Think not that I am come to destroy the law, or the prophets: I am not come to destroy, but to fulfil”), thus adducing, in accordance with his own hermeneutical principles, historical background data. Hence, even though Spinoza does not provide specifically linguistic evidence for his interpretation, to a certain degree he nevertheless succeeds in exploiting the hermeneutical play allowed by historical contextualization in order to corroborate his – philosophically and politically motivated – thesis of the coherence of the Bible’s moral doctrine.17

17 In other instances, Spinoza clearly violates the methodology he lays out – for example, when he justifies his claim that the Bible nowhere teaches that God may disrupt the laws of nature by interpreting passages from the book of Josua in the sense of statements drawn from Ecclesiastes or the Psalms, which clearly goes against Spinoza’s own caveat that with respect to theoretical matters there may well be differences in opinion among the Biblical authors.

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2. Historical-critical method and beyond18 As we have seen, the historical and linguistic parameters listed by Spinoza serve above all to eliminate historically unacceptable readings; they do not, at least not always, force on the interpreter one and only one legitimate reading of the text but rather function as falsifying constraints on overly charitable readings of it. This means that within the confines of what is historically ‘thinkable,’ historical-critical methodology does allow for some degree of hermeneutic charity to operate, as I have pointed out on a number of occasions. Nevertheless, Spinoza’s methodology implies that maximizing the truth and relevance of the text, which is an essential concern of canonical exegesis, ceases to be the exclusive objective of proper interpretation and may at best become a subordinate factor. This is why the historical-critical method makes the emergence of a significant gap between the text and its modern readers a very real possibility: it cannot be excluded that all historically defensible interpretations of the text might turn out to be false, trivial, or incoherent by our own standards. Let me provide an example. A number of Qur’anic passages refer to the phenomenon of shooting stars and appear to provide the following supernatural explanation of it. According to the Qur’an, there are jinnlike demons referred to as the “satans” who are apparently eager to listen in on the “Higher Assembly” of God and the angels (cf. Q 37:8, and also 26:212 and 15:18). In order to prevent that, God has set up the heavens as a “safeguard” (Q 37:7, 15:16.17), but if one of these demon-like beings should manage to sneak up to the Higher Assembly, he is pelted by a shiha¯b mubı¯n (Q 15:18) or a shiha¯b tha¯qib (Q 37:10) – most likely, a shooting star. The Qur’an thus seems to advance a patently mythological explanation of the phenomenon of shooting stars: they are projectiles thrown at the satans in order to prevent them from eavesdropping on the Higher Assembly. A believer who is serious about the truth and relevance of the text may rightly feel a certain anxiety here: 18 In this second section, I will, for the sake of argument, adopt the perspective of a religious believer and ask whether the authority and significance ascribed by him to scripture is theoretically compatible with historical-critical methodology, as sketched in the preceding section. This change in perspective, adopted for exclusively exploratory purposes, must of course not be mistaken for a personal confession of faith; the objective is rather to develop a theological argument – theology here being understood in the sense that the consistency of certain ways of thinking about religion is subjected to argumentative scrutiny.

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does his commitment to the authority of the text entail that he also has to accept the existence of demons and the anthropomorphic explanation of shooting stars that the passages in question contain? At least if the believer in question is also convinced of the general meaningfulness and validity of modern science, she may not be prepared to simply swallow these ideas. Does this then mean that she has thereby rejected the truth and the religious authority of the Qur’an? To state the possible conflict between historical-critical exegesis and religious commitment in such a plain way might a first appear somewhat crude; but I believe this is exactly how the conflict has presented itself to many Jewish, Christian, and Islamic believers, and continues to do so. It is important to be clear about the reasons for this potential conflict. For it cannot be overemphasized that the crux of the matter is not the idea of verbal inspiration, as is often believed. The fact that scripture may, if we go by the principles of historical-critical exegesis, turn out to contain statements that appear outdated does not as such contradict the idea that it is literally and verbally the word of God. What Felix Körner has called “the thesis that verbal inspiration and historical criticism are mutually exclusive tenets”19 – a thesis frequently adduced as proof that Islam with its strong leanings toward the idea of verbal inspiration is inherently incapable of historical-critical exegesis – was questioned already in 1971 by Rotraud Wielandt.20 Wielandt’s brief comment on the matter was to be given convincing post hoc support in 1990, when Nasr Ha¯mid Abu¯ Zayd, basing himself on earlier works ˙ Ahmad Muhammad Khalafalla¯h,21 spelled out a by Amı¯n al-Khu¯˙lı¯ and convincing solution of the˙ supposed˙ conflict between verbal inspiration and historical contextualization by drawing a distinction between the universal Qur’anic message and the historically contingent “code” in which it is expressed: According to Abu¯ Zayd, God, in order to make himself understood to an audience within a particular historical context (namely, seventh-century Arabia), had to make use of his addressees’ “cultural and linguistic semantic system”. For human beings, who are inevitably situated at a particular time and place, simply 19 Felix Kçrner, Revisionist Koran Hermeneutics in Contemporary Turkish University Theology: Rethinking Islam, Würzburg 2005. 20 Rotraud Wielandt, Offenbarung und Geschichte im Denken moderner Muslime, Wiesbaden 1971, 167. 21 On al-Khu¯lı¯ see J. J. G. Jansen, The Interpretation of the Koran in Modern Egypt, Leiden 1974, 65 – 68; on Khalafalla¯h see Wielandt, Offenbarung und Geschichte, 134 – 152.

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would not have been able to understand a revelation that was not geared to their cultural horizon.22 As Wielandt puts it in a later summary of Abu¯ Zayd’s approach, “[t]he information contained in a message can only be understood if the sender transmits it in a code (i.e, a system of signs) known to the recipient.”23 Now, if we avail ourselves of Abu¯ Zayd’s framework and apply it to our present discussion, we must conclude that God, in expressing his message, had to make use of concepts and notions that may not have survived until today – for example, by employing the notion, widespread in the ancient Arabian milieu in which the Qur’anic texts were first promulgated, of demons. A theologically more satisfactory description of the Qur’anic passages briefly reviewed above would thus consist in saying, not that the Qur’an here teaches the existence of demons and “satans”, but rather that it makes use of its audience’s conviction of their existence in order to say something else – whatever that something may be. Demons were part of the cultural dictionary of the first addressees of the Qur’an; and the Qur’anic texts accommodate themselves to this belief and employ it as a communicative medium, in the same way in which they employ Arabic words as a linguistic medium. In Q 26:210 – 213, for example, the basic point is that the Qur’anic texts originate from God and are transmitted to the Prophet Muhammad in an authorized and reliable fashion: 210

It was not the satans who brought down this Qur’an: it is neither fitting for them nor in their power, 212 indeed they are prevented from overhearing it. 213 So do not invoke any gods beside God, or you will incur punishment.24 211

The passage, read in context, in effect appears to rebut a polemical objection to the Qur’anic promulgations that may be reconstructed as fol22 For a concise presentation see Nasr Ha¯mid Abu¯ Zayd, Mafhu¯m an-nass : Dira¯sa ˙˙ ˙ fı¯ ‘ulu¯m al-Qur’a¯n, Cairo 1990, 55˙ – 57. 23 Rotraud Wieland, “Exegesis of the Qur’a¯n: Early Modern and Contemporary”, in: Jane Dammen McAuliffe (Ed.), Encyclopaedia of the Qur’a¯n, vol. 2, Leiden 2002, 136. – On Abu¯ Zayd see also Navid Kermani, Offenbarung als Kommunikation, Frankfurt a.M. 1996; and Kermani, “From revelation to interpretation: Nasr Hamid Abu Zayd and the literary study of the Qur’an”, in: Suha Taji-Farouki (Ed.), Modern Muslim Intellectuals and the Qur’an, Oxford 2004, 169 – 192. 24 The English rendering of this passage (and of the one cited below) is a modified version of the translation by M. A. S. Abdel Haleem, The Qur’an, Oxford/New York 2004.

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lows: although the texts recited by Muhammad do constitute ‘mantic speech’ of some sort, they are mantic speech that is transmitted by demon-like beings of questionable reliability and authority, and hence they do not possess the religious and ethical authority that they claim. Surah 26 counters this objection by advancing an argument that God would in effect be able to drive away demons who are not properly authorized to transmit divine messages; and this claim is substantiated by appealing to an observable phenomenon, shooting stars, and interpreting it as a mechanism by which God shuts out unauthorized eavesdroppers from the process of revelation. Therefore, the Qur’anic passage appears to say, if it is conceded that the Qur’an is mantic speech of some kind, it can only be divine speech.25 On the basis of Abu¯ Zayd’s theory, then, the fact that the Qur’an talks about demons does not indicate that God requires us to believe in the existence of demons, nor that the Qur’an must not be considered a divine revelation because it contains an anthropomorphic explanation of the phenomenon of shooting stars. Just as we adapt our language when explaining the functioning of the human body to a three-yearold, so – one might hold – God, when revealing his message to a human audience, must accommodate himself to their world-view, if only to transform it. It is interesting that this is exactly how Maimonides makes sense of the sacrificial laws of Rabbinic Judaism: God knew that it would not be possible to order people to immediately abandon the sacrificial worship of idols to which they were accustomed and therefore allowed them to retain many of their traditional modes of worship but required these to be directed to God rather than to idols. In other words, God, in order to gradually and successfully wean people away from idolatry, accommodated his commands to the limited horizon of his addressees.26 Similar figures of thought can be found in the Christian tradition: Here Lessing’s notion of God’s gradually unfolding “education of mankind” (Erziehung des Menschengeschlechts) comes immediately to mind, but Lessing himself only drew on older notions of God’s ‘accommodation’ to the limited understanding of man. In the Christian 25 My use of the term ‘mantic speech’ here is inspired by Stefan Wild’s interest in the concept. 26 Maimonides, The Guide of the Perplexed, translated by Shlomo Pines, Chicago 1963, part III, chapter 32. Maimonides’ refers to this divine accommodation (which he sees at work not only in sacred history but also in nature) as God’s “wily graciousness” (Arabic talattuf), on which see the “Translator’s In˙˙ troduction,” lxxii–lxxiv.

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case, the need for such ideas was generated by the fact that the Old Testament had come to be included in the Christian canon in spite of the fact that in many aspects its teachings diverge from, and even seem to clash with, the New Testament. By claiming that in the Hebrew Bible God had revealed the Christian truth only in a “veiled” form, the Old Testament could be retained as a preliminary yet nonetheless divine expression of the Christian faith. It is thus arguable that in the Christian case the very structure of the canon imposes some version of the theory of divine accommodation. In any case, the structural parallels between Maimonides, Lessing, and Abu¯ Zayd suggest that all religions belonging in the tradition of Biblical monotheism may find such a mode of thinking about the relationship between revelation and history – in a suitably modified form – to be theologically attractive. Let us return to the Qur’anic passages discussed above. Adopting some of the theological clues provided by Abu¯ Zayd, it becomes possible to say that the fact that a text is geared to speak to a specific historical context does not in and by itself disprove the claim that this text may be a divine revelation, not even the claim that it is verbally a divine revelation. One may nevertheless wonder how attractive such a solution really is to the believer – if that is where it stops. The passages in question, with their apparently incorrect statements about the nature of shooting stars, have been defused by describing them as mere discursive means adapted to a certain historical context; they do not themselves express a universally relevant religious message, but only serve the function of establishing, within a certain historical milieu, the authority of other parts of the Qur’an that may contain such a message. But in order for the claim that a particular text does in fact constitute divine revelation to have any practical significance, the text in question cannot possibly remain locked in within the historical context of its first addressees: it must have something to say to today’s believers. In order to meet this very real expectation, it is obviously not sufficent to show, as has been attempted above, that the text’s possessing features of historical contingency is theoretically compatible with the claim that it nevertheless constitutes divine revelation. The problem, therefore, is not that historical-critical method as such implies that the texts to which it is applied must be the products of human authorship, but rather that it provides no methodological key to unlock the universal and transhistorical significance that a text, by virtue of being a divine revelation, must surely possess. Hence the reductive aftertaste that often accompanies historical-critical research.

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It follows that if a coexistence of historical-critical scholarship and religious commitment is nevertheless to be possible, historical-critical exegesis cannot be the only legitimate avenue of interpretation: it must be possible for the text to have a meaning that is richer and different from – but of course not opposed to – the meaning reconstructed by historical-critical scholarship. In those currents of modern Christianity that have embraced historical-critical Bible studies, this insight has often crystallized into a sort of two-step procedure: first, the surface meaning of scripture within its historical context is reconstructed, and then this historical sense is somehow transferred into a paraenetic sense that is both plausible and relevant to contemporary believers. Harking back to the explanation just given, I will refer to this way of integrating historical-critical method and religious belief as a ‘hermeneutics of transfer.’ Note that the use of the word ‘transfer’ is more generic than speaking of ‘translation’ or ‘transposition’: the latter two terms would imply that the historical and the paraenetic sense of scripture are really identical27 and only differ in the ways in which they are conceptually expressed under different historical circumstances – a rather strong claim that might entail that we are able to adopt what Thomas Nagel has, in a different context, called “the view from nowhere” and establish relationships of semantic identity from outside any determinate position in history. By contrast, the less specific term ‘transfer’ merely implies that the paraenetic sense exhibits a certain degree of conceptual and inferential continuity, but not necessarily of identity, with the historical one. (Someone might of course maintain that a valid transfer of the text’s historical sense necessarily presupposes the claim that the operation proceeds salva sensu, as it were; for otherwise, one might hold, the paraenetic use of scripture would simply be arbitrary. Yet such a position would merely be a specific variant of the general framework of a hermeneutics of transfer, with the framework as such remaining the same.) Even though modern Christian theology offers a host of variations on this basic model (one of them being, for example, Rudolf Bultmann’s call for a de-mythologization – Entmythologisierung – of the New Testament), I will instead turn to an Islamic version of it for illustration, namely, to the Qur’anic hermeneutics of Fazlur Rahman.28 27 To transpose a tune is merely to shift it to a different key; in terms of its intervals and its rhythmic structure, however, the tune remains the same. 28 See Fazlur Rahman, Islam and Modernity: Transformation of an Intellectual Tradition, Chicago 1982, and Abdullah Saeed, “Fazlur Rahman: a framework for in-

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Rahman envisages a hermeneutic process consisting of two steps: “First one must move from the concrete case treatments of the Qur’an – taking the necessary and relevant social conditions of that time into account – to the general principles upon which the entire teaching converges. Second, from this general level there must be a movement back to specific legislation, taking into account the necessary and relevant conditions now obtaining.”29 For Rahman, then, semantic transfer proceeds via the reconstruction of a set of general ethical principles that the Qur’anic injunctions can be understood as translating into the specific historical context of ancient Arabia. There are thus three factors in Rahman’s model: There is, firstly, the wording of the Qur’an and the set of concrete and time-bound rulings it expresses; then there are, secondly, the general and universally valid universal principles that these rulings indirectly express, and which we, as interpreters of the Qur’an, must try to deduce; and then there is, thirdly, a second set of concrete and timebound rulings, which are entirely a product of human reflection, that would adapt these general principles to contemporary historical circumstances. The undeniable sophistication of Rahman’s model consists in its two-tiered structure: the first level is that of concrete rulings or commands contained in the Qur’an, which may differ from those that would be suitable for our own time, while the second level is that of universal principles expressed by the Qur’an, which remain valid across history. In a certain sense, then, Rahman’s model explicitly accommodates the possibility, raised above, that what a historical text teaches and demands may, if taken literally, turn out to be quite inacceptable or besides the point in our own time. Yet, Rahman would object, if we only sufficiently penetrate to the level of the principles lying behind and motivating the surface meaning of the Qur’an, we will realize that these underlying principles remain universally valid.30 terpreting the ethico-legal content of the Qur’an,” in: Taji-Farouki (Ed.), Modern Muslim Intellectuals (n. 23), 37 – 66. Fazlur Rahman has been extremely important in the work of a number of contemporary Turkish scholars such as Mehmet Paçaçı, Ömer Özsoy, and Adil C ¸ iftçi; see Felix Kçrner, Revisionist Koran Hermeneutics (n. 19 above). 29 Rahman, Islam and Modernity, 20. 30 A similar approach underlies Mohamed Talbi’s discussion of the Qur’anic sanction of beating disobedient wives (3:34), on which see Ronald L. Nettler, “Mohamed Talbi on understanding the Qur’an,” in Taji-Farouki (Ed.), Modern Muslim Intellectuals (n. 23), 227 f.

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What I have called a ‘hermeneutics of transfer,’ at least insofar as it is exemplified by Fazlur Rahman, thus rests on the assumption that scripture possesses a semantic depth that extends below its historically conditioned surface meaning: according to Rahman, the Qur’an expresses at least two levels of meaning, namely, that of historically contingent rulings as well as that of universally valid ethical principles. This distinction between scripture’s historical surface meaning, to be accessed by historical-critical reconstruction, and its ‘deep’ meaning, to be accessed by – perhaps in part creative – paraenetic transfer of the former, may be terminologically mapped onto the contrast between “meaning” and “significance” that has been coined by E. D. Hirsch, at least if the latter is not arbitrarily grafted onto the former, which would be clearly contrary to Rahman’s intentions.31 Somewhat experimentally, one might even suggest that the same distinction also possesses a certain structural analogy to the opposition between an “external” (za¯hir) and an “internal” ˙ (ba¯tin) – i. e., ‘allegoric’ – meaning of the Qur’an that was current in ˙ 32 the Islamic tradition. Of course there are obvious differences between traditional allegoresis and the attempt to accommodate historical-critical exegesis by means of a hermeneutics of transfer; after all, Spinoza’s Bible hermeneutics is fueled by his harsh criticism of philosophical allegorizers like Maimonides. Yet these discrepancies should not blind one to the fact that both approaches operate with the idea that scripture is semantically layered, that it has more to say than what it wears on its sleeve. In a certain way, then, we have come full circle: what we end up with if the historicist hermeneutics outlined by Spinoza are supplemented by paraenetic transfer is structurally not that far away from allegorical hermeneutics, since the contemporary meaning into which scripture is ‘transferred’ will of course be dictated by considerations of hermeneutic charity, much in the sense in which the allegorical meaning ascribed to the Bible by Maimonides is dictated by hermeneutic charity. What might such a transfer from historical “meaning” to contemporary “significance” look like? Since its aim is to make the text relevant to a contemporary believer, semantic transfer clearly has a paraenetic objective; it is thus governed by methodological principles very different 31 See E. D. Hirsch, Validity in Interpretation, New Haven 1967. 32 On this distinction see Gerhard Bçwering, “The Scriptural ‘Senses’ in Medieval Su¯fı¯ Qur’a¯n Exegesis,” in: Jane McAuliffe et al. (Ed.), With Reverence for ˙ the Word: Medieval Scriptural Exegesis in Judaism, Christianity, and Islam, Oxford 2003, 346 – 365.

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from those operative in historical-critical reconstruction like the principle of avoiding anachronism. Any attempt to elaborate the general model of semantic transfer would of course have to give an account of the criteria of validity that determine whether the paraenetic sense of scripture is sufficiently akin to the historical sense in order not to count as an arbitrary graft. In this context, it would probably make sense to stipulate, as Fazlur Rahman does, that semantic transfer must proceed holistically, i. e., that it must not deal with the text on a case-by-case basis, but rather ought to strive to systematically articulate a Qur’anic theology and anthropology (Rahman only speaks of a Qur’anic ethics) that would then have to stand up to the text as a whole. It would also be necessary to determine whether in addition to the historical sense of scripture (or rather, the spectrum of historically tenable senses of it) there are other factors that may legitimately enter into the procedure of transfer, such as, for example, the relationship of fit (or lack thereof) that a particular paraenetic sense may possess when contextualized with the history of the interpreting community, or with the biography of an interpreting individual. Is paraenetic transfer a methodologically circumscribed and intersubjectively verifiable process of derivation from the historical sense of scripture, or is it a free creation of surplus meaning that only uses the historical sense as an inspiring starting point? 33 Here I will not even try to tackle these questions. Instead, I will conclude by returning to the Qur’anic explanation of shooting stars in order to provide at least an example for the until now somewhat theoretical notion of paraenetic transfer. I will start with a footnote on Q 15:18 that is to be found in the revised edition of Max Henning’s German translation of the Qur’an done by Murad Wilfried Hofmann, a German convert to Islam.34 The respective Qur’anic passage reads: 16

We have set constellations up in the sky and made it beautiful for all to see, 17 and guarded it from every stoned satan: 18 except for him who eavesdrops stealthily; he will be pursued by a clearly visible flame. 33 This paragraph, as the remarks on translation and transposition above, owes much to a stimulating response to some of the ideas contained in this paper by Prof. Stefan Alkier of the Department of Theology at the University of Frankfurt. (I am however quite sure that he would still vigorously object to my discussion of the matter.) 34 This revised edition has been published in Istanbul and is available in a number of Turkish reprints.

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Commenting on these verses, Hofmann remarks: “This is an allegoric statement to the effect that there are limits to man’s desire for cosmological inquiry.” Philologist often tend to scoff at comments like these, which are easily dismissed as apologetically motivated distortions of the text’s historical meaning. But actually, they don’t have to be: if Hofmann’s footnote is not intended to contradict the statement that the Qur’an, understood within the historical and linguistic milieu within which it emerged, clearly maintains that shooting stars are the results of a pelting of demons, then why not accept that this literal sense of the text may legitimately be ‘transferred’ into a meaning that is relevant for contemporary believers – as long as the findings of historical-critical scholarship are in some way acknowledged? Scholars whose own work follows a very different methodological path should therefore not necessarily give in to the urge to brush away Hofmann’s remark. Of course, one might still object that it seems a bit ad hoc and therefore achieves little more than to erect a somewhat feeble defense against the accusation that the Qur’an is scientifically outmoded. But there is something to Hofmann’s basic idea, as a closer look at the passage from surah 15 reveals. Part of the point that is made in that text, by employing the ancient Arabic belief in the existence of demons, is that God, who is located ‘above’ the stars in the sky, cannot be listened in on by his creatures. This, however, is clearly not meant to convey that God is utterly transcendent, inscrutable, and inaccessible; after all, the literary context of the verses is an a¯ya¯t section, i. e., an enumeration of the manifestations of divine grace in nature. God, then, is manifest and accessible, for example in the beauty of the heavens (v. 16). But, and this is the crucial part, God is accessible on his terms; he is accessible not to intrusive inquiry, but because he freely communicates himself, both in creation and in revelation. These remarks are of course no more than a sketch of the potential that the verses at hand may offer for paraenetic transfer; in the competent hands of a theologian, much more could be elicited from them, I think. What I have attempted to show is merely that a semantic transfer of the kind just illustrated does not necessarily have to rival or threaten historical-critical exegesis, and that it really offers the only satisfactory way of integrating historical reconstruction and religious commitment – the only way, that is, that would allow a text to retain the semantic richness and significance that is crucial for accepting it as scripture.

Chinas Religionen und Götter: 1670 1900 2008 Konstruktionen und Rekonstruktionen des Religiösen in China

Helwig Schmidt-Glintzer Vorbemerkung Die Verbindung von Selbstbestimmung mit der Wahrnehmung von Differenz hat immer auch mit besonderer Vorliebe den Blick auf Religionen und religiöse Phänomene gelenkt, auf die eigene Religiosität, die Umgebungsreligiosität ebenso wie auf ferne Religionen, auf die Weltreligionen oder „Kulturreligionen“, wie Max Weber dies sah. Ein solches Interesse scheint übrigens gegenwärtig wieder in besonderem Maße aufzukommen. Ich verweise nur auf den soeben gegründeten „Verlag der Weltreligionen“ sowie auf eine vergleichende Säkularisierungsforschung, die sich auf eine als histoire croise verstandene Globalisierungsdynamik bezieht1 oder auf die neue sich von der lacite abwendende Religionspolitik des französischen Präsidenten Sarkozy. Im Kontext des Sprechens über Religionen und Götter anderer Völker und Kulturen ist auch das Berichten über die Götter Chinas seit Jahrhunderten eine europäische Unternehmung. Das Problematische daran wurde früh bewusst, spätestens seit man realisierte, dass es ein Äquivalent für den Religionsbegriff in China nicht gibt. Religionen Chinas wurden so ein europäisches Konstrukt, ohne dass dies immer bewusst wurde. Insofern ist auch das Thema dieser Ausführungen ein originäres Thema für eine Forschungs- und Studienstätte für europäische Kulturgeschichte, gleich

1

Zum Begriff der histoire croise siehe Michael Werner/Bénédicte Zimmermann, „Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée“ und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), 607 – 636. Zur Säkularisierungsdiskussion siehe Hans Joas/Klaus Wiegandt (Hg.), Säkularisierung und die Weltreligionen. Frankfurt a.M. 2007. Zu China siehe dort den Beitrag von Joachim Gentz, 382 – 410.

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wie die Pest, europäische Reiseberichte oder Spekulationen über Nationalliteraturen oder Weltliteratur.2 Immer schon und so auch heute ragt das aktuelle Wissen und die innerchinesische Diskussion in die Thematik herein. Denn natürlich haben sich die Europäer nicht nur ein Bild aus der Ferne gemacht, sie haben immer auch an Informationen aufgesogen, was sie woher immer erhalten konnten. So wurde Anfang 2007 in China die Nachricht offiziell verbreitet und von dem Organ der Steyler Mission gerne aufgegriffen, dass die Zahl der Angehörigen der Religionen in China viel größer ist als bisher angenommen. Die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua, aber auch andere offizielle Medien veröffentlichten die Ergebnisse einer Erhebung, die von den Professoren Tong Shijun und Liu Zhongyu von der Shanghaier Lehrer-Universität Shifan Daxue seit 2005 durchgeführt wurde. Danach hat China ca. 300 – 400 Millionen gläubige Menschen; 31,4 % der Chinesen im Alter von 16 und älter glauben an eine Religion. 67,4 % der befragten gläubigen Menschen bekennen sich zu den fünf Hauptreligionen Daoismus, Buddhismus, Katholizismus, Protestantismus und Islam, der Rest bekennt sich zu der traditionellen chinesischen Volksreligiosität. 12 % aller Gläubigen, d. h. ca. 40 Millionen, bezeichnen sich als Christen. Ähnliche Statistik-Überraschungen erleben wir auch bei uns.3 Die Beschäftigung mit den Religionen Chinas war stets auch Teil eines größeren Interesses an China, und mit den folgenden Überlegungen knüpfe ich zugleich an die von mir zuletzt vorgelegten Überlegungen zur Bestimmung der Sinologie und ihres Gegenstandes an.4 Dabei geht es mir auch um Überlegungen zu einer allgemeinen Anthropologie im Sinne der Unterscheidung zwischen philosophischer Anthropologie einerseits und cultural anthropology, die auch mit Ethnologie gleichgesetzt werden kann, andererseits.5 Es geht dabei darum, „die Strukturen anderer Kulturen als 2 3

4 5

Es wäre zugleich verlockend, den Diskurs über Religionen in China und Europa einmal parallel zu rekonstruieren. Siehe China Heute. Informationen über Religion und Christentum im chinesischen Raum, Jahrgang XXVI/ 1 – 2 (2007), 2 – 6. Siehe hierzu auch Joachim Gentz (s. o. Anm. 1), 382 – 410, der sich allerdings vor allem auf die staatlichen Regulierungsversuche der letzten Jahrzehnte bezieht. Siehe auch Mathias Schreiber, Die Reise ins Licht, in: Der Spiegel 15/2007 (7. April 2007), 120 – 134. Siehe Helwig Schmidt-Glintzer, Sinologie und das Interesse an China, Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Abh. der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse, 4. (2007). Siehe Ernst Tugendhat, Anthropologie statt Metaphysik. München 2007, 45 ff.

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potentielle eigene“ zu sehen mit der beabsichtigten Dynamik, „zwischen subjektiver eigener Perspektive und einer Objektivität, die in einer umfassenden Intersubjektivität besteht“, zu unterscheiden.6 Zu diesem umfassenderen Projekt können solche Überlegungen wie die hier vorgetragenen nur ein bescheidener Beitrag sein. Wichtig ist aber das Element der Kritik. Tugendhat sagt dazu: „Die Lebensweise in anderen Kulturen wird als eine mögliche eigene gesehen; das impliziert, dass man die fremden Kulturen ebenso wie die eigene Tradition einer rationalen Kritik unterwirft: der imaginäre Dialog ist ein rationaler, nicht, wie das bei Gadamer erscheint, einfach ein Gespräch, und das bedeutet, dass wenn fremde Kulturen (oder auch meine eigene) Annahmen machen, die ich nicht als begründet anerkennen kann wie z. B. Götterglauben oder nur auf traditionelle Autoritäten beruhende Moral, die zwar meine Kenntnis des Menschlichen in 3. und vielleicht 2. Person vergrößern kann, für die Erweiterung meines und unseres Selbstverständnisses in 1. Person aber verworfen wird.“7

Diesen Gedanken kann ich hier nicht fortspinnen. Aber man darf nicht verkennen, dass die sich ja auch in die Tradition der Aufklärung stellenden chinesischen Kommunisten, und dazu zählen namhafte Religionswissenschaftler, an diesem reflexiven kritischen Dialog interessiert sind. Auch unabhängig davon bleibt er für uns erkenntnistheoretisch fundamental. Es geht also darum, nicht das typisch Chinesische, die „Chineseness“ zu konstruieren oder zu rekonstruieren, sondern jenseits solcher Konstruktionen eine allgemeine und reflexive Bestimmung der Götter Chinas zu geben. Dabei bediene ich mich zunächst und an dieser Stelle ausschließlich des Rückblicks auf frühere europäische Behandlungen des Themas und stelle diese ganz in den Vordergrund. In den Zusammenhang gehört aber auch die heutige Diskussion zur Säkularisierung und die Frage nach dem „Spannungsverhältnis zur Welt“. So meine ich, dass etwa die von Wolfgang Kubin vorgetragene These von der Mangelhaftigkeit der chinesischen Gegenwartsliteratur nicht allein durch die angebliche oder vermeintliche mangelnde Fremdsprachenübersetzungspraxis der Schriftsteller erklärt werden kann, sondern gerade die religiöse Spannung zur Welt, durch Glauben ebenso wie durch Rituale, spielt eine große Rolle für die Religiosität, übrigens in China wie in Europa.8 6 7 8

Ebd., 46. Ebd., 46. Siehe Alexander Kissler, Sünde, Gnade, Erlösung – herrlichere Themen kennt die Literatur nicht, in: Süddeutsche Zeitung 73 (28. März 2007), 14. – Siehe auch die

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I. Die Geschichtlichkeit der chinesischen Religionen 1. Die Wählbarkeit der Götter und das Verhältnis von Priestern und Laien Über das in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts weit verbreitete Buch Von Chinas Gçttern von Wlodzimierz Perzynski schreibt Ernst Weiß: „Aus Perzynskis Buch lernen wir eine vollständig kampfesmüde und wie es scheint militärisch unfähige, politisch ziellose Welt kennen: China.“ Mit Blick auf einige Abbildungen in diesem Band schreibt Ernst Weiß dann etwas später: „Es ist mehr als China zugrunde gegangen. Aber es gibt auch da Auferstehungen. Haben wir Götter, deren Gestalten Menschen noch nach Jahrtausenden das Schweigen tiefster Ergriffenheit abzwingen werden?“9

Danach lebt China und seine Götter nur in den Relikten weiter. Eine ganz andere Sicht auf China formulierte etwa zur gleichen Zeit Wolfram Eberhard, der – ganz im Sinne zeitgenössischer chinesischer Selbstfindungsversuche – China eine eher rationalistische und westlich beeinflusste Tradition und die schwächenden Elemente einem fremden, nichtchinesischen Einfluss zuschreiben wollte: „Wir können […] vertikal zwei Kulturschichten unterscheiden: die sozial untere Schicht, die in früherer Zeit wenigstens teilweise dem Blute, vielleicht auch der Sprache nach, nichtchinesisch war. Hier gab es eine bunte Götterwelt mit großer Mythologie, kultischen Tänzern, Zauberern, Magiern, mit Animismus und vielleicht auch Totemismus. Über dieser Schicht lagerte nun eine andere, für die Ahnenverehrung und astraler Kult charakteristisch sind.“10

Nach Eberhards Auffassung sind diese Götter immer nur eine nichtchinesische Zutat gewesen, derer sich zu entledigen China erneut aufgebrochen ist. Dass diese Sicht Eberhards ein Missverständnis war, ist heute klar, aber so ganz grundlos war seine Deutung auch nicht. Denn Götter in China waren nicht wirklich stabil. Einmal konnten Menschen zu Göttern Habilitationsschrift von Albrecht Schçne, Säkularisation als sprachbildende Kraft. Studien zur Dichtung deutscher Pfarrerssöhne. Göttingen 1968. – Siehe auch den Bericht von Volker Breidecker, Akademische Himmelstür. Mainzer Debatten über die neue Literatur und die Religion, in: Süddeutsche Zeitung 93 ( 23. April 2007), 93. 9 Ernst Weiss, Von Chinas Göttern, in: Ders., Gesammelte Werke Bd. 9, Frankfurt a.M. 1982, 57 – 60, hier 57 f. 10 Wolfram Eberhard, Sternkunde und Weltbild im Alten China, in: Die Sterne 12/ 6 (1932), 129 – 138, hier 129.

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erhoben werden, verdiente Generäle etwa, und Götter konnten auch zu Menschen werden wie im Falle der frühen Göttervorstellungen, die dann in die Vorstellung von den Kulturheroen mutierten. Es gab also durchaus eine Veränderbarkeit und zugleich eine Wählbarkeit der Götter.11 Wählen konnte eigentlich nur der Laie, während der Klerikerstand gebunden war. Parallel zur Wählbarkeit – und um diese ging es vor allem in Fragen der Heilssuche – gab es auch die Abwehrstrategien, für die spezielle Fähigkeiten notwendig waren. Diese apotropäischen Fertigkeiten waren wohl noch wichtiger als alle Heilssuche. Doch das Apotropäische blieb gebunden an die Vorstellung von Kraft und Wirkkraft, so dass die Bemächtigung eines (bösen) Geistes immer auch bedeutete, selbst Kräfte in eigener Verfügungsgewalt zu haben. Und daher blieb das Religiöse, die Angst vor der Kontingenz der Welt und zugleich der Versuch, sich der wunderbaren Mächte zu versichern, bis in die Gegenwart erhalten. Heilslehren verschiedenster Art zehren davon! Richard von Glahn sieht in diesem Zusammenhang ein Kerncharakteristikum chinesischer Religiosität. Diese sei gekennzeichnet durch die Spannung zwischen Heilssuche bzw. Unheilabwehr durch Opferung und Exorzismus einerseits und die Vorstellung von der göttlichen Bestrafung als Reaktion auf menschliches Fehlverhalten andererseits. Nahezu alle religiösen Phänomene sind in diesem Spannungsverhältnis zu lokalisieren. Wählbarkeit der Götter und Fortdauer des Magischen sind bis heute eine Grundströmung in China und prägen die soziale und politische Welt, woraus sich auch erklärt, dass die „Abwesenheit des Unverfügbaren“ zugleich wieder Angst vor Bedrängnis impliziert. Daneben gab es immer auch skeptische und rationalistische Positionen; wie sie sich insbesondere in den kognitionskritischen Position der frühen Chan-Meister niedergeschlagen haben. Die Wissenschaft ging unterschiedlich damit um. Das kann hier nicht Thema sein, sondern soll später einmal in einem Beitrag zum Thema „Grundstrukturen europäischer Chinabemächtigung“ dargestellt werden. Immer aber waren auch Wissenschaftsmoden mit im Spiel, wenn die Götterwelt Chinas unterschiedlich eingeordnet wurde. So wurde seit den 1970er Jahren im Gefolge eines anthropologischen „turns“ die chinesische

11 Valerie Hansen, Changing Gods in Medieval China, 1127 – 1276, Princeton 1990.

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Welt des Übernatürlichen in die Bereiche Götter, Geister und Ahnen (gods, ghosts and ancestors) aufgeteilt.12

2. Verblassen und Aufblühen der Götter Mit dem Begriff des Verblassens anstelle einer Überwindung der Götter ist der Prozess der Rationalisierung in China von Wolfgang Bauer charakterisiert worden, doch gibt es auch die Dialektik von Verblassen und Wiederaufblühen, und diese Dynamik ist für China vielleicht doch die dominante Variante. Gerade das Aufblühen von Göttern ging einher mit einer Herausforderung der gesellschaftlichen Ordnung. Diesen Zusammenhang haben die Beiträger zu dem Band Unruly Gods herausgestellt,13 ein Zusammenhang, in den auch wieder die Frage nach Identitätssuche und Identitätsgewinnung gehört, weil eben oft gerade lokale Gottheiten zum Aufblühen kamen, weil sie einer bestimmten lokalen oder regionalen Bestrebung das Moment des Unwiderstehlichen versprachen. So hat es in China immer wieder religiöse Bewegungen gegeben. Dies ist bis heute der Fall, und man kann davon ausgehen, dass sich dieser Prozess fortsetzen wird. Ja, man kann sich nur wünschen, dass die Produktivität und der Unruhegeist, der mit solchen religiösen Bewegungen in die Welt kam und kommt, erhalten bleibt und zugleich doch dann immer wieder so gezähmt wird, dass es zu keinen Identitätsbildungen im Sinne der Identitätsfalle Amartya Sens kommt.14 An dieser Stelle kommt die Wissenschaftsgeschichte und die reflexive Begriffsgeschichte zu ihrem Recht. Dass aber die Tradition der religiösen Vielfalt Chinas erhalten bleibt, wird zu einer Existenzfrage Chinas, wo Glaubensgewissheit immer nur begrenzt zur Bildung von Identität im Sinne der Abgrenzung gegenüber anderen diente.

12 Siehe Richard von Glahn, The Sinister Way. The Divine and the Demonic in Chinese Religious Culture, Berkeley 2004. 13 Meir Shahar and Robert P. Weller, Unruly Gods. Divinity and Society in China, Honolulu 1996. 14 Siehe Amartya Sen, Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt, München 2007.

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II. Westliches Vorurteil und chinesisches Eigeninteresse Mit dem Anfang einer Wissenschaft von China im 17. Jahrhundert setzten in Europa spezifisch chinabezogene Diskurse ein. In jener Zeit sehen wir den Austausch zweier Traditionen, der chinesischen wie der europäischen, die sich ihrer selbst nicht mehr gewiss waren und sich daher auch neu zu begründen suchten. Aus dieser Situation heraus erklärt sich auch die Besonderheit der wissenschaftlichen Beschäftigung mit China in Europa. Denn Sinologie als die Wissenschaft von China begann als eine europäische Wissenschaft mit den Jesuiten.15 China war inzwischen vom weiten Land zwischen dem Diesseits und dem Paradies, wie es noch der Liber Floridus (um 1100 n. Chr.) in seiner TO-Karte zeigt,16 zu einem erreichbaren und umfahrbaren Teil der eurasischen Landmasse geworden. Doch erst die Jesuiten brachten vertiefte Kenntnisse nach Europa. Das Verständnis wurde freilich auch in mancherlei Weise getrübt, und zwar von beiden Seiten. Auf der Seite der Jesuiten war es die spekulative Strömung in der Theologie einer kleinen Gruppe jesuitischer Missionare, welche als China-Figuristen („China Figurists“) bezeichnet werden und denen es darum ging, alle Informationen aus anderen Kulturen mit dem Wahrheitsgehalt der Bibel in Einklang zu bringen. Die dominierende Person war hier Athanasius Kircher (1602 – 1680). Bestimmte Themen standen im Vordergrund wie die Frage nach der Ursprache der Menschheit und Fragen nach der Chronologie der Weltgeschichte. Im Kern ging es dabei um die Suche nach den gemeinsamen Anfängen der Menschheit und um die Harmonisierung der widersprüchlich erscheinenden Überlieferungslage unter der grundsätzlichen Prämisse des Geltungsanspruchs der biblischen Überlieferung. Es ging also um Universalisierung. Diese Mangelhaftigkeit der Jesuitenberichte über China brandmarkte dann Arthur Schopenhauer im Jahre 1836.17 Natürlich war diese neue Sicht auch wieder ihrerseits sehr interessebezogen. In gewisser Weise war das Wissen über China in der Mitte des 17. Jahrhunderts in Europa so detailliert wie nie zuvor und wie selten danach. Europa hatte erstmals eine enzyklopädische Weltbewusstheit entwickelt, von der es sich seit dem 19. Jahrhundert auf merkwürdige Weise distan15 Siehe Schmidt-Glintzer (s. o. Anm. 4). 16 Siehe Christian Heitzmann: Europas Weltbild in alten Karten. Globalisierung im Zeitalter der Entdeckungen, Wiesbaden 2006, 34 – 35. 17 Siehe Schmidt-Glintzer (s. o. Anm. 4), 19.

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zierte. Zu allen wichtigen Fragen aufgrund der vorliegenden Berichte, insbesondere der Jesuiten, wurden die wichtigen Kulturen der Welt behandelt. Man wusste bereits sehr viel, wie im Falle Chinas etwa der Atlas Martinis oder die Enzyklopädie des Erasmo Francisci (Auslndische Kunstund Sittenspiegel, 1670) zeigen. Werfen wir einen Blick in Erasmo Franciscis Neu=polirten Geschicht=Kunst=und Sitten=Spiegel auslndischer Vçlker, frnemlich Der Sineser, Japaner, Indostaner etc etc ….. von 1670. Es ist ein Buch mit Bekehrungsgeschichten, von Heil und Unheil.18 Im Kapitel XI des Ersten Buches (1 – 282) findet sich eine lange Abhandlung über die religiösen Disputationen und Konflikte innerhalb der Schicht der chinesischen Gebildeten, dann aber auch mit den Anhängern des Buddhismus (41 – 60). Sodann werden einzelne Themen abgehandelt, bei denen China oft eine wichtige Rolle spielt, die Wahrsagerei (60 ff.), das Orakel, Riesen, Falschgoldmacher etc. Im Zweiten Buch (283 – 912) werden die Policey=Ordnungen vorgestellt. Das Dritte Buch von den Geistlichen Ceremonien / Gottesdiensten / Wercken der Gottseligkeit / eivriger Bekenntnis und Verfolgungen der Religion (Christlichen / oder Teuffels=Märtyrern) (913 – 1164) interessiert hier am meisten. Der Erste Abschnitt ist hier der „Tauffe“ gewidmet, die in ihrer Vielfalt dargestellt wird. In diesem Zusammenhang wird auch die Taufpraxis der Jesuiten in China dargestellt, dass sie etwa den Weibsbildern bei der Taufe „weder die Brust, noch die Ohren, noch Lippen anrühren“ (924). Das Vierte Buch ist von den Wissenschaften, Künsten und Handwerken, das Fünfte Buch Von der Jagd, das Sechste Buch Von den letzten Ehren=Diensten und Begräbnissen. – In dieser Perspektive der Zeit um 1670 ist China also durchaus noch Teil einer ganzen Welt. Doch als dann die Figuristen die chinesische Tradition mit der biblischen Überlieferung harmonisierten und es einige gab, die in der chinesischen Überlieferung die ursprünglichsten Zeugnisse sehen zu können glaubten, war dies das vorläufige Ende einer Chinawissenschaft, weil damit die Andersartigkeit Chinas im Prinzip geleugnet und alles auf ein gemeinsames Prinzip zurückgeführt werden sollte. Das Projekt der Bemühung um ein Verständnis Chinas kam dann gänzlich zum Erliegen, als die intellektuelle Welt in Europa sich mit den Fragen des sogenannten Ritenstreits befasste. Danach sollte die Gleichsetzung von „Himmel“ (tian) und Shangdi mit Gott unterbleiben und die Bekehrung ohne Rücksicht auf die chinesischen Riten erfolgen, wie 18 Insbesondere im Ersten Buch der auserlesenen Geschichten.

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Charles Maigrot im März 1693 forderte, was im Jahre 1742 schließlich zur Verurteilung der Missionsmethode der Jesuiten in China durch Papst Benedikt XIV. führte. Dass es auch dezidierte chinesische Positionen gegen die Heterodoxie der Christen gab, wie etwa der YongzhengHerrscher in seinem Edikt von 1727 darlegt, der die Behauptung der Christen, der Himmel, gleichbedeutend mit Gott, sei auf die Erde gekommen und sei Mensch geworden, als eine Irrlehre sondergleichen bezeichnet, bei der der Himmelsbegriff missbraucht werde.19

III. Variationen eines Themas 1. Das Jahr 1670 Die Beschreibung der chinesischen Religionen in Europa geschah also in engster Abhängigkeit von den europäischen Interessen und Bewusstseinslagen. So spiegelt sich die Geschichte des Selbstbewusstseins in Europa in den Darstellungen der chinesischen Religionen. Das Jahr 1670 wurde als Kennzahl gewählt wegen des hier als Beispiel gewählten Werkes von Francisci. Es steht für die Jesuitensinologie, die in ihrem Interesse an der Literatenschicht die vermeintlichen heterodoxen Lehren wie Buddhismus und Daoismus abwertete. Diese polemische Seite war bald auch in China selbst erkannt worden. Das Scheitern der Jesuitenmission verläuft also bemerkenswerter Weise parallel zur Entlarvung der Jesuiten durch chinesische Intellektuelle und ist nicht nur eine Folge des Ausgangs des Ritenstreits. Die Darstellung bei Francisci ist durchaus im Einklang mit dem Chinabild der Jesuiten, welche in der Nachfolge Riccis an der geistigen Kultur Chinas alles für begrüßenswert hielten und sich auf die Lehren des Konfuzius bezogen, zu denen sie im Einklang mit nicht wenigen Chinesen zurückkehren wollten, um einerseits gegen die mystischen oder teilweise auch als atheistisch erkannten Lehren des Neukonfuzianismus des Zhu Xi anzugehen und andererseits die geoffenbarte christliche Botschaft als Religion wieder zu bringen. Dass die Chinesen ursprünglich der Offenbarung Gottes teilhaftig geworden waren und dies nur wieder verloren gegangen sei, war eine 19 Siehe Paul A. Cohen, China and Christianity. The Missionary Movement and the Growth of Chinese Antiforeignism, 1860 – 1870, Cambridge Mass. 1963, 13 ff.; eine Übersetzung dieses Ediktes befindet sich von T. Watters. übers., in: The Chinese Recorder and Missionary Journal 4 (1872), 225 – 227.

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Meinung, die noch Leibniz in einer seiner letzten Schriften ausformulierte. Man glaubte, dass nur ein kleiner Schritt fehlte, aus China, das ohnehin im Vergleich zu Europa als die bessere Welt angesehen wurde, einen Gottesstaat werden zu lassen. In diesem Zusammenhang steht auch die Brandmarkung der Bonzen und sonstiger Götzen. Die im Kern positive Sicht der Chinesen übernahm noch Christian Wolff in seiner Halleschen Prorektoratsrede vom 12. Juli 1721, dessen Betonung der Erlangung von Sittlichkeit ohne Religion ihm jedoch im pietistischen Milieu zum Verhängnis werden sollte, zumal sein Amtsnachfolger Joachim Lange, einer der bedeutendsten halleschen Pietisten, die Behauptung unterstellte, die Chinesen seien Atheisten, was nicht nur eine Beleidigung der Chinesen sei. Auch sah er einen Widerspruch bei Wolff, denn Atheismus mache alle Tugend unmöglich.20 Das allerdings hatte schon Voltaire als Missverständnis und Verleumdung Wolffs erkannt und richtig gestellt.21 Auf die anders lautenden Berichte holländischer Kaufleute, welche die Chinesen als geborene Lumpen und Betrüger schilderten, soll hier wenigstens verwiesen werden, weil solche negative Sichtweise sich später dann doch auch im weiteren europäischen Chinabild niederschlagen sollte.22 Lange Zeit hatte China gewissermaßen als Fürstenspiegel gedient. Die Bewunderung für die geeinte chinesische Welt Chinas hielt nach dem Zusammenbruch des Reichs Karls V. auch deswegen an, weil man damit die Wiederherstellung einer ganzen Welt beschwören konnte. Und wenn um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert die „Jesuitensinologie“ (Herbert Franke) zu Ende ging,23 dann hat dies nicht nur mit der päpstlichen Aufhebung der Societas Jesu 1773 zu tun,24 sondern kann zugleich als Spiegelung der europäischen Umorientierung hin auf den Nationalstaat gesehen werden. Endgültig mit dem Ende des Alten Reichs 1806 verlor für 20 Siehe hierzu Michael Albrecht, Christian Wolff, Rede über die praktische Philosophie der Chinesen. Hamburg 1985, Einleitung, LXXI. 21 Siehe Michael Albrecht (s. o. Anm. 20), LXXIX. 22 Darauf bezieht sich noch Johann Heinrich Gottlob von Justi in seinem Werk Vergleichungen der Europäischen mit den Asiatischen und andern vermeintlich Barbarischen Regierungen von 1762 in seiner „Einleitung“ ausführlich. 23 Herbert Franke, Sinologie im 19. Jahrhundert, in: Otto Ladtsttter/Sepp Linhart (Hg.), August Pfitzmeier (1808 – 1887) und seine Bedeutung für die Ostasienwissenschaften, Wien 1990, 39. 24 Zusammenfassend Johannes Meier (Hg.): „…usque ad ultimum terrae“. Die Jesuiten und die transkontinentale Ausbreitung des Christentums 1540 – 1773, Göttingen 2000.

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Europa China seine Vorbildfunktion. Mit dieser Umwertung verknüpft ist auch die neue Deutung von Volksbewegungen. Diese Zusammenhänge, insbesondere die Umdeutung des absolutistischen Musterlandes in die „orientalische Despotie“, hat Jürgen Osterhammel im Kontext geschildert.25 Dass diese Umdeutung im 19. Jahrhundert mit dem Nations- und Patria-Diskurs zusammenhängt und in der Abkehr vom Alten Reich auch anti-katholische Züge trägt, zeigt sich z. B. an der Polemik Heinrich Heines gegen Clemens von Brentano.26 Die Bewertung blieb ambivalent und korrespondiert darin einer Verlusterfahrung, die 1799 Novalis in seinem Aufsatz Die Christenheit oder Europa benennt.27 Mit diesem Verlust wurde auch das Bild vom Einheitsreich China in ein neues Licht getaucht. Die Religionsfrage aber blieb im Kern das Mittel zur differentiellen europäischen Selbstdefinition. So erklärt Schelling das, was von anderen als „orientalische Despotie“ bezeichnet wurde, durch eine „Katastrophe des chinesischen Bewußtseins“. Schelling konstatiert die fehlende Entwicklung.28 Dass dieses Chinabild nur eine negative Selbstbespiegelung war, ist offensichtlich. Das hatte schon Arthur Schopenhauer erkannt. Der neuen Sicht Chinas im 19. Jahrhundert voraus aber ging die Veränderung im 18. Jahrhundert, in der die ganze Welt vereinnahmt wird. Am Ende des 18. Jahrhunderts singt das evangelische Kirchenlied der geänderten Weltsicht ,neue Lieder’, wie bei Matthias Jorissen, der 1798 dichtet: „Bald schaut der ganze Kreis der Erde, / wie unsers Gottes Huld erfreut. / Gott will, dass sie ein Eden werde [usw.].“29 25 Siehe Jürgen Osterhammel, Die Entzauberung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München 1998, 271 – 309. 26 Siehe den Hinweis hierzu bei Andrea Polaschegg, Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert, Berlin 2005, 107 – 108. 27 Novalis: Die Christenheit oder Europa, in: Novalis Schriften, hg. v. Richard Samuel, Stuttgart (1799) 1968, 507. – Kritisch dazu Karlheinz Gradl: Novalis und die Ordensburg. Ein Beitrag zur Geschichte des romantischen Blicks, in: Scheidewege 36 (2006/2007), 58 – 69, hier 61 – 62. 28 Siehe Schmidt-Glintzer (s. o. Anm. 4), 32 ff. 29 Etwa zur gleichen Zeit schreibt Novalis, aus einer ganz anderen, nämlich einer katholischen Warte: „Seine [sc. des Katholizismus] zufällige Form ist so gut wie vernichtet, das alte Pabstthum liegt im Grabe, und Rom ist zum zweytenmal eine Ruine geworden. Soll der Protestantismus nicht endlich aufhören und einer neuen, dauerhafteren Kirche Platz machen? Die andern Welttheile warten auf Europas Versöhnung und Auferstehung, um sich anzuschließen und Mitbürger des Himmelreichs zu wer-

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Der Tradition der Jesuitisch-Konfuzianischen Rationalität und Diesseitigkeit blieb die Kritik an den religiösen Erscheinungen, am Götzenglauben und überhaupt an den religiösen Neigungen und Interessen der Massen verhaftet. Die Missionsliteratur ist voll solcher Bewertungen, und in dem Maße, in dem sich in China soziale Unruhen und Aufstandsbewegungen einstellten, was insbesondere seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts der Fall war, wurde Unordnung und Niedergang mit dem Götzenglauben in Verbindung gebracht, ohne dass erkannt wurde, dass hierin vielleicht gerade die Kräfte für eine Neugestaltung lägen. Und selbst noch bei einem Ereignis wie dem „Himmlischen Reich von der Großen Gleichheit“ (Taiping tianguo), dessen Führer sich als jüngeren Bruder Jesu titulierte, wandten sich die westlichen Berichterstatter ab.

2. Das Jahr 1900 1900 steht dann einerseits für eine neue Sicht, gekennzeichnet durch eine neue Toleranz und Behutsamkeit, die eine Reaktion auf die antichristlichen und fremdenfeindlichen Strömungen in China selbst war. Das bis in die Gegenwart in der Darstellung der Geschichte Chinas als Verfalls- und Zerfallszeit bewertete 19. Jahrhundert kann aber ungeachtet der Erniedrigungen Chinas durch die europäischen Mächte und der Bürgerkriege als Zeit des Umbruchs und der Erneuerung gesehen werden, an dessen Ende immerhin die von den meisten Chinesen geteilte Überzeugung stand, China müsse sich grundlegend verändern und erneuern. Die Position Lu Xuns mit seiner „Wahren Geschichte des A Q“ ist hier signifikant. Das hatte auch Auswirkungen auf die Bewertung der Religionen. Während sich jedoch die traditionellen Eliten durch die Modernisierungsansprüche des Westens herausgefordert sahen und entsprechend gegen die Missionare den. Sollte es nicht in Europa bald eine Menge wahrhaft heiliger Gemüther wieder geben, sollten nicht alle wahrhafte Religionsverwandte voll Sehnsucht werden, den Himmel auf Erden zu erblicken? und gern zusammentreten und heilige Chöre anstimmen? Die Christenheit muß wieder lebendig und wirksam werden, und sich wieder ein[e] sichtbare Kirche ohne Rücksicht auf Landesgränzen bilden, die alle nach dem Ueberirdischen durstige Seelen in ihren Schooß aufnimmt und gern Vermittlerin, der alten und neuen Welt wird.“ Novalis (s. o. Anm. 27), 524. – Vgl. auch meine Rezension von Karl S. Guthke: Die Erfindung der Welt. Globalität und Grenzen in der Kulturgeschichte der Literatur, Tübingen 2005, in: Mitteilungen der deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts, 31/1 (2007), 103 – 105.

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vorgegangen waren, stellten sich einige, wie Liang Qichao, auf die Seite der Modernisierung und verwarfen ihrerseits religiöse Strömungen wie die des Daoismus als „unchinesisch“. Andere wiederum, wie der Holländer Jan J.M. de Groot, stellten sich auf die Seite der „Sekten“ in China und brandmarkten die staatliche Intoleranz gegenüber religiösen Lehren, eine Position, die nur wenige teilten. In jener Zeit auch wird die Darstellung der Religionen neu strukturiert. Mehr oder weniger bewusst in der Tradition der Jesuiten stehend, wird zwischen Volksbuddhismus und Buddhismus der Schulen, zwischen Daoistischer Religion und Philosophischem Daoismus (Henri Maspéro, Holmes Welch) unterschieden. Letzteres erfolgte relativ spät. Die mäßigende Position zitiert Otto Franke in seinem „Wandlungen im chinesischen Geistesleben“ überschriebenen Beitrag, wenn er schreibt: „Es wird langer Zeit und großer Klugheit bedürfen, um vergangene Fehler gutzumachen und aller Gegnerschaft Herr zu werden. Erkannt ist die Lage der Dinge jetzt wohl von allen Missionsgesellschaften […]. Keine aber unter ihnen, soweit mir bekannt, hat die neue Richtung so klar und so scharf erfasst wie der Allgemeine evangelisch-protestantische Missionsverein.“30

Man wollte nicht taufen, sondern lediglich „das Evangelium wie einen Sauerteig in das chinesische Geistesleben bringen“.31 Daneben blieb bei anderen die Missionsgewissheit und ein absolutes Sendungsbewusstsein erhalten wie in einer Schrift der Basler Mission von 1901, die mit den Sätzen endet: „Und so wird im zwanzigsten Jahrhundert noch manche Schranke in China fallen und ein Stück ums andere der großen chinesischen Mauer einstürzen. Wenn aber erst der Geist Gottes über diese Massen kommt und er aus ihnen Männer erweckt, die ihr Volk mit beredter Zunge auf den hinweisen, der allein der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, dann wird’s einen gewaltigen Ruck vorwärts thun, dann werden wir’s noch ganz anders als bisher sehen und hören dürfen, daß neues Leben sproß aus den Ruinen.“32

Das Blatt begann sich aber auch um 1900 zu wenden, als zwar Jan J.M. de Groot, der Holländer auf dem Berliner Lehrstuhl seine Phänomenologische Betrachtung des Quellenwerkes The Religious System of China ablegte und die Intoleranz der chinesischen Verhältnisse gegenüber Religionen brandmarkte, wie er dies in dem Werk „Sectarianism and Religious 30 Otto Franke, in: Paul Rohrbach (Hg.), Deutsche Kulturaufgaben in China. Berlin 1910, 11 – 31, hier 30. 31 Ebd., 31. 32 Jakob Flad, China in Wort und Bild, Basel 1901, 144.

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Persecution in China“ darlegte, wovon er allerdings wieder in seinem Spätwerk Universismus etwas abrückte. Diese Ambivalenz war dann Ausgangspunkt für Max Webers Studie zu Konfuzianismus und Taoismus in seinen Studien zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen, wo er nach den Trägerschichten und den religiösen Antrieben suchte, die zum Motor einer Veränderung in die Moderne und zur Grundlage eines modernen rationalen Kapitalismus hätten werden können. An dieser Stelle verdienten die zahlreichen Missionare eine gesonderte Befassung, sind sie es doch, denen wir in vielfacher Hinsicht die Auskünfte über die Religionen Chinas verdanken, und es ist daher nur zu berechtigt die Frage zu stellen, unter welchen Fragestellungen sie sich mit den chinesischen Religionen beschäftigten. Zu den Arbeiten etwa eines Heinrich Hackmann oder eines Richard Wilhelm gibt in dieser Hinsicht noch zu wenige Untersuchungen. Eine andere Sicht auf China war und blieb weiterhin jene Position, die China weiterhin als Zukunftshoffnung für die Menschheit sah, wie etwa Bertrand Russell, der in seinem Buch The Problem of China am Ende ganz dezidierte Ansichten hierzu vorträgt. Eine andere Sicht war auch das Aufgreifen von Aufstandsmentalität wie dies Alfred Döblin in seinem Roman Die Drei Sprnge des Wang Lun unternimmt. Eine neue Wendung nahm die Beschäftigung mit der Religionsgeschichte Chinas, als seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts die Geschichte des Buddhismus, zunächst unter Bezug auf Japan, dann aber bald bezogen auf China von Wissenschaftlern zunehmend thematisiert wurde. Dabei geriet dann auch die Geschichte der Ausbreitung des Christentums nach Osten in den Blick, die zunächst mit dem Nestorianismus verknüpft wurde, die heute aber umfassender gesehen wird und bei der die frühen Christengemeinden als „Kirche des Ostens“ bezeichnet werden. – Danach gab es sogar einige Positionen, die von einem realen Auftreten der christlichen Lehre in der Frühzeit ausgehen und darüber schreiben wie etwa Jacques Gernet mit seinem Werk Christus kam bis nach China. Heute ist dieses lange Zeit irrtümlich als Nestorianismus bezeichnete Ereignis allgemein,33 und die Vielfalt der Religionen in China hat wieder eine Geschichte bekommen. Dieser weitere Blick hat etwas damit zu tun, dass sich China schon lange auch durch das Auge des Westens sieht. Auch wenn es hierzu Gegen33 Jingjiao: The Church of the East in China and Central Asia, hg. v. Roman Malek u. a., Sankt Augustin 2006.

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strömungen gibt, so sind doch auch für China die Religionen Teil eines globalen Phänomens geworden, an dem China seinen Anteil hat.

IV. Atheismus und Religion Eingangs war von der Absetzung von Göttern die Rede. An dieser Stelle gibt es eine Anknüpfungsmöglichkeit an westliche Denktraditionen. Wenn etwa Nietzsche bemerkt, „wie sehr Wert und Bedeutung des Menschen durch den Glauben an Gott und an eine göttliche Teleologie vermindert werden kann,34 so steht er mit seiner Rede vom „Tod Gottes“ vor dem gleichen Dilemma, vor dem sich in der Praxis Chinas Literaten schon immer gesehen haben. Es geht um das Dilemma, in dem sich Nietzsche sah, dass „sowohl die Behauptung der Existenz Gottes nihilistisch sei, weil sie dieser Welt eine letzte Bedeutung bestreitet, als auch die Verwerfung Gottes, weil sie Wert und Bedeutung von allem wegnimmt.“35 Auf das Problem der Christologie will ich hier nicht eingehen, so sehr sie auch im Hinblick auf das chinesische Verdikt gegen die Menschwerdung Gottes brisant ist. Wo in China die Götter eigentlich nichts als deifizierte Ahnen sind, muss der Gedanke einer Menschwerdung Gottes besonders absurd erscheinen. – Ich verweise hier nur auf Walter Kaufmann, Nietzsche, Kapitel 12: „Nietzsches Zurückweisung Christi“ sowie auf Theodor Reik, Der eigene und der fremde Gott, auf den ich an anderer Stelle eingegangen bin. Im Zuge der „Gott ist tot“-Bewegung in Europa entsteht eine merkwürdige Annäherung zwischen dem Verblassen der Götter und der Entstehung einer „invisible religion“, wie sie Robert N. Bellah konstatiert. Was Schelling perhorreszierte: „Mit einem Wort, die wahre Erklärung des chinesischen Wesens, Lebens und Seyns liegt darin, wenn wir sagen, es sey: religio astralis in rem publica versa, das Princip jener astralen Religion habe sich in einem übrigens noch näher zu erklärenden Vorgang zum Princip des Staates umgewendet. Dieselbe erdrückende Gewalt, welche es als religiöses Princip auf das Bewußtseyn ausübte, dieselbe übt es jetzt als Princip des Staates aus, und aus derselben Aus34 Siehe Walter Kaufmann, Nietzsche. Philosoph, Psychologe, Antichrist, Darmstadt 1982, 117. 35 Ebd., 118 – Zum Agnostizismus bzw. Atheismus in China siehe SchmidtGlintzer, „Atheistische“ Traditionen in China, in: Friedrich Niewçhner/Olaf Pluta (Hg.), Atheismus im Mittelalter und in der Renaissance, Wiesbaden 1999, 271 – 290.

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schließlichkeit, mit der es sich in jener astralen Religion als noch innerliches Princip behauptete, behauptet es sich jetzt in diesem, im Staat, als ußerlich gewordenes Princip.“36

– und was vor ihm schon Lichtenberg ablehnte –,37 scheint sich im Zuge der gegenwärtigen Globalisierung zu bewahrheiten und zu einer neuen Unübersichtlichkeit auszuwachsen, von der Hans G. Kippenberg spricht. Kippenberg spricht von „religiösen Netzwerken und Gemeinschaften“, die sich „seit einigen Jahrzehnten dramatisch“ ausbreiten.38 Kippenberg: „Die Globalisierung fördert ganz offensichtlich die Macht religiöser Vergemeinschaftung. Mit dem Aufkommen von rationalen modernen wirtschaftlichen und politischen Ordnungen haben religiöse Gemeinschaften eine wachsende Bedeutung erlangen können: nicht zuletzt wegen ihrer Brüderlichkeitsethik.“39

Wir müssen uns hinfort wahrscheinlich mit den dramatischen Sakralisierungen sozialer Netzwerke auseinandersetzen und zudem die Zeit der durch konkordatsmäßige Verabredungen eingehegten Frömmigkeit für vergangen erklären. Doch während ich auf dieses Feld der Zukunft des Religiösen an dieser Stelle nicht weiter eingehen werde, will ich zum Abschluss doch die andere Seite der Reflexivität der Befassung mit Geschichte und historischer Überlieferung noch einmal stark machen. Am Beispiel der Religionen Chinas nämlich zeigt sich, wie ein Phänomen durch eine bestimmte Optik gestaltet und in dieser Form zum Gegenstand des Diskurses gemacht wird, ohne dass die primäre Konstellierung noch weiter problematisiert wird. Daher plädiere ich bei allem Objektbezug für eine gleichzeitige methodologische, und das heißt: die Begrifflichkeit und die Textüberlieferung reflektierende Befassung mit Fragen der Religion in China. 36 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Philosophie der Mythologie, in: Ders., Schellings Werke. Nach Originalausgaben in neuer Anordnung, hg. v. Manfred Schrçter, Fünfter Ergänzungsband, München (1842) 1968, 397 f. 37 Georg Christoph Lichtenberg hatte 1773 vorformuliert: „Chineser dürfen wir noch nicht werden. Wären die Nationen ganz voneinander getrennt, so würden vielleicht alle, obgleich auf verschiedenen Stufen der Vollkommenheit, zu dem chinesischen Stillstand gelangt [sein].“ Siehe Georg Christoph Lichtenberg, Einfälle und Bemerkungen, in: Ders., Lichtenbergs Werke in einem Band, Berlin/Weimar (1772 – 1773) 1978, 36. 38 Hans G. Kippenberg, Die Entsäkularisierung des Nahostkonflikts, in: Hans Joas/ Klaus Wiegandt (Hg.), Säkularisation und die Weltreligionen, Frankfurt a.M. 2007, 465 – 507, hier 505. 39 Ebd., 505 – 506.

Drei Ringe, drei Betrüger und eine fröhliche Wissenschaft Horst Günther Gelegentlich einmal taucht in der wissenschaftlichen Literatur ein Buch auf, das nicht Meinungen kommentieren und eine weitere Meinung insinuieren will, sondern ein Verfahren der Forschung eröffnet. Vom Bekannten zum Unbekannten, durch viele Epochen und mehrere Kulturen zu der Situation, in der ein Problem sich stellte, und zu den Quellen, die es dokumentieren; diesen Gang des Aufspürens, des forschenden Fragens nannte man das erotematische Verfahren. Lessing hat es vor allem in philologische und philosophische Untersuchungen eingeführt. Und die es bei ihm bemerkten, Johann Jakob Engel und Theodor Wilhelm Danzel, charakterisieren es mit einem Gleichnis von Francis Bacon. Nicht fertige Materialien liefere es, den abgehauenen Stamm, „sondern die ganze Pflanze, mit ihrer Wurzel und ein wenig daran hangender Erde“. Dieses Verfahren ist das „philosophische Selbstgespräch“, das erst den „Anstoß zum Denken“ gibt und den „Geist der Untersuchung“ vermittelt. In Friedrich Niewöhners Studie wird die Ringparabel aus Lessings Nathan der Weise und das verwandte Thema des ominösen Buches De tribus impostoribus anhand der klassischen Texte, in denen es auftaucht und variiert wird – Boccaccio, Immanuel von Rom, Ibn Verga –, zurück zur Ausgangslage des Problems verfolgt, zum Neben- und Gegeneinander mehrerer Religionen auf der Iberischen Halbinsel und im Vorderen Orient, zu Maimonides, zu den Assassinen und Qarmaten. Es ist eine abenteuerliche Reise, nicht ohne Verwirrungen und überraschende Begegnungen unterwegs. Schwerlich wird man für eine Arbeit, die ein so Lessingsches Thema aufgreift, eine Form finden, die ihrem Gegenstand so nahe kommt wie diese Expedition ins Ungewisse. Eine solche Form lässt sich jedoch nicht wählen, sie ist Sache eines Temperaments. Und der Arbeitsmittel und Fähigkeiten. Der Geist der Untersuchung wurde in der alten Philologie entwickelt, die Nietzsche meinte, als er „wir Philologen“ sagte. Dieser Geist der Untersuchung umfasst notwendig mehrere Sprachen und Kulturen. Er stellt sich polemisch gegen die zu einfachen Lösungen und zielt

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auf die unabschließbare Erforschung des wahren Sachverhalts. So ist er notwendig antidogmatisch, wo er in theologische Bereiche streift. Fast von selbst wird er kämpferisch, wo er den Kurzschlüssen einer faulen Vernunft auf die Spur kommt. Und er bleibt skeptisch, sogar dann, wenn er fruchtbare Ergebnisse mitzuteilen hat, weil die Fruchtbarkeit der Untersuchung eben darin liegt, dass sie skeptisch offen bleibt für weitere Überlegungen. Die Verengung der Arbeitsfelder, die Zerstückelung der Fakultäten und die selbstverschuldete Verarmung der Disziplinen, die gar nicht wissen, was sie sagen, wenn sie sich mit dem Titel Geisteswissenschaft schmücken, hat solche Arbeiten sehr viel seltener werden lassen, als die Bildungsinvestitionen es erhoffen ließen. Sie müssen sich, obwohl oder weil die Lektüre ein Vergnügen ist, ihr Publikum erst bilden. Sie knüpfen an eine revolutionäre Tradition an, welche die fiktive abendländische Perspektive einer geschlossenen Überlieferung autoritativer jüdischchristlicher und antiker Texte zum Orient hin öffnet und mithin häretischen Strömungen Aufmerksamkeit schenkt. Das war die Geburt der modernen Philologie bei Lorenzo Valla, bei Pico della Mirandola, bei Joseph Justus Scaliger und bei John Selden. Wenn in unserer Zeit solche Arbeiten begonnen werden, kann man Lebenserfahrungen vermuten. Begegnungen mit Schicksalen der Emigration, der Verfolgung und Ghettoisierung, die ein Verständnis des Denkens der spanischen Marranen im späten Mittelalter erlauben oder der Amsterdamer Juden, die in Konflikt mit ihrer eigenen Synagoge gerieten. Solche Einsichten werden nicht lebendig durch die Bibliographien der Forschungsliteratur. Eine Untersuchung, die sich selbst polemisch exponiert, setzt sich wiederum der Kritik aus. Das Arbeiten mit der Literatur aus mehreren europäischen und einigen orientalischen Sprachen, diese jeweils in Übersetzung geliefert, kalkuliert neben der Unabschließbarkeit des Materials eine gewisse Fehlerquelle in der Interpretation ein. Im Forschungsstand der vielen angesprochenen Gegenstände ist niemand gleichermaßen und zur gleichen Zeit zu Hause. Um so bewundernswerter sind die bei dem verschlungenen Gang der Untersuchung völlig klare Argumentation und der ausgeprägte Common sense, der die Fragestellungen leitet und zu den Schlussfolgerungen führt. Noch erstaunlicher vielleicht ist es, dass in einer auf Texte bezogenen Arbeit – und auf einen so einzigartigen und unverwechselbaren wie ,De tribus impostoribus‘ – das gelingt, worum sich die Sozialgeschichte meist vergeblich bemüht. Eine soziale Umwelt wird in charakteristischen Zügen

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deutlich und erklärt wiederum die Entstehung einer Denkweise und eines Textes. Der Zwang zur Anpassung, die gewaltsame Konversion, häufige Emigrationen und Verfolgungen und die Distanzierung zur anerzogenen Religion erläutern erst eine Skepsis, die dann mit jeder überlieferten Religion in Konflikt gerät. Durch die Eingrenzung des Problems von vielen Seiten und mit scharfsinnigen Argumenten lässt sich räumlich und zeitlich der Problembereich bestimmen, worin die Ringparabel und das Buch von den drei Betrügern entstanden. Die philologische Akribie im Detail des „ReferenzMythos“, der hier die Ringparabel ist, und das ausgreifende Verfahren, entlegene Materialien heranzuziehen und in epigrammatischer Kürze oft mehr anzudeuten als zu deuten und untereinander in Beziehung zu setzen, sind belebend und amüsant, gelegentlich fast atemberaubend. Neben den großen Betrügern in den Religionen treten die kleinen auf, die missglückten Messiasse und falschen Propheten. Im Mittelpunkt stehen der große jüdische Denker Moses Maimonides und die Notwendigkeit philosophischen Denkens beim Zerfall der überkommenen theologischen Absolutheitsansprüche. Um die Behauptung der Vernunft geht es, da wo überlieferte Ordnungen und einander widersprechende Gesetze konkurrieren und zerfallen. Religionskritik entsteht aus dem Geist des Messianismus. Der religiöse Nihilismus im nachmessianischen Judentum verschränkt sich mit einem quasijüdischen Deismus in der europäischen Aufklärung. Anarchische Strömungen im Islam überkreuzen sich mit rationalistischem Denken in der arabischen und persischen Philosophie. Das eröffnet Perspektiven, und so, wie die Fachgrenzen überschritten werden müssen, lassen sich neue Brücken und Verbindungslinien schlagen. Maimonides und Spinoza rücken näher zusammen, als man sie zu sehen gewohnt war. Die jüdischen Elemente in der Renaissance Italiens und Frankreichs werden deutlicher sichtbar als zuvor. Spinoza und Lessing stehen zusammen in einer europäischen Aufklärung. Nicht nur Epochen und Nationen prägen ein Individuum, sondern auch Gedanken und Erfahrungen. Viele, die heute von Philosophie reden, haben vergessen, in welchem Ausmaß das Forschungsfeld dieser Disziplin in der Zeit des Faschismus verstümmelt und in der darauf folgenden Zeit restaurativer Innerlichkeit und analytischen Eskapismus nicht wieder erweitert wurde. Sachkenntnis, Urteilskraft und ausgreifende historisch-philologische Untersuchungen sind daher als philosophische Forschung selten anzutreffen und kaum als Desiderata bekannt. Daher sei angemerkt, dass dieses eigenwillige und

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spannungsvolle Buch von Friedrich Niewöhner eine philosophische Arbeit ist. Diese Rezension von Friedrich Niewöhner: Veritas sive Varietas. Lessings Toleranzparabel und das Buch von den drei Betrügern (Heidelberg 1988), die in der ,Neuen Zürcher Zeitung‘ (5./6. Mai 1990, Nr. 103) erschienen war, lege ich noch einmal vor. Als ich die Programme und Publikationen der von ihm in Wolfenbüttel veranstalteten Kolloquien und Symposien zu Themen der Religions- und Ketzergeschichte neulich wieder gelesen habe, stand mir vor Augen, dass in diesem Buch nicht nur der Keim dafür gelegt, sondern die Grundlage ausgearbeitet worden war. Die Originalität dieses aus gesättigter persönlicher Erfahrung entstandenen Werks bürgt auch dafür, dass es seine bleibende Leistung ist. Mir ist der Augenblick noch gegenwärtig, als Friedrich Niewöhner mir die Keimzelle des späteren Buches, Lessings kleinen Text mit dem Titel ,Rabbinen‘ aus den Kollektaneen im Nachlass vorlegte, worin Lessing ein Wort des Augustinus aus den ,Confessiones‘ zitiert (XII, 30, 41). Es ist davon die Rede, dass es unterschiedliche wahre Deutungen über die Schöpfung gebe, und es sei Sache der Wahrheit, hier Einklang zu stiften. Lessing folgt der Leidenschaft deutscher Philologen und schlägt eine Konjektur vor: „Sollte für das letzte veritas nicht vielmehr varietas gelesen werden?“ Ein herrlicher Satz, der aus dem Innersten von Lessings Denken kommt, aber keine sinnvolle Textänderung bei Augustinus. So teilte ich wohl das Vergnügen an der Stelle, die ich von meinen Lessingstudien her kannte, hielt sie aber mit allen Augustinus-Herausgebern für ungeeignet, den Text der ,Confessiones‘ zu verbessern. Für einen amüsanten Essay, der Lessings Denkweise entschlüsselt, schien sie mir geeignet. Dass sie zum Ausgangspunkt einer Recherche werden könnte, die völlig unbekümmert um Augustinus die Mannigfaltigkeit gegensätzlicher ausschließlicher Wahrheitsansprüche in den monotheistischen Religionen dorthin zurückverfolgt, wo sie in der sozialen Konfrontation die politische Realität bestimmte und zu geistigen Auseinandersetzungen führte, konnte ich mir damals noch nicht vorstellen. Das war aber Friedrich Niewöhners Lebensthema, von der eigenen, religiös geprägten Umwelt her über die wissenschaftliche Wahrheitssuche zur Erfahrung des Orients und dem gerade selbst erlebten Scheitern pluralistischer Wissenschaft und Aufklärung in der islamischen „Revolution“ der Ayatollahs. Denen hatten wir es ja schließlich zu verdanken, dass der Direktor des Goethe-Instituts in Schiras und Dozent der dortigen Uni-

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versität als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Habilitand an die von Karlfried Gründer konzipierte und geleitete Fachrichtung Geschichte der Philosophie und der Geisteswissenschaften kam. Deshalb geht es ihm nicht um das Zurückverfolgen eines literarischen Motivs, der Ringparabel, über den erreichten Stand des Aufspürens hinaus, sondern um die Bedingungen der stets bedrohten Vernunft im Konflikt religiöser Wahrheitsansprüche. Diese Forschungen führen notwendig in den Mittelmeerraum und den Vorderen Orient zur Zeit der frühen islamischen Staatsbildungen, die auf christliches Gebiet und jüdische Diaspora übergreifen. Drei Religionen aus einer Familie, die sich in unterschiedlicher Weise auf das Gesetz Mosis und die Propheten Israels beziehen. Für die einen galt noch, was Paulus und Mohammed in eine Kategorie historischen Unrechts: Vorgeschichte abgeschoben haben. Dem jüdischen Denken, das von einer politisch minoritären Position aus zwischen den jüngeren Offenbarungsreligionen vermitteln könnte und um sein eigenes Überleben kämpfte, kommt dabei eine besondere Rolle zu. Einige seiner Vertreter haben im Mittelalter gemeinsam mit arabischen Gelehrten das Erbe der antiken Philosophie lebendig zu erhalten und zu retten versucht. Es ist kein Zufall, dass solche Denker, Moses Maimonides vor allem, nicht nur im Zentrum seines Buches stehen. Auch als Herausgeber hat er zum ersten Mal in dem Band Klassiker der Religionsphilosophie jüdische und muslimische Denker des Mittelalters neben den christlichen und heidnisch-antiken aus eigenem Recht und das heißt auch durch jüdische und muslimische Gelehrte darstellen lassen. Damit ist etwas von Lessingschem Geist Wirklichkeit geworden. Der theologische Streit liegt zurück, und Veritas sive Varietas folgt in der äußerlich sichtbaren Struktur einer zugleich forschenden und spielerischen Laune, wie ,Nathan der Weise‘ es tut. Ich habe es deshalb für einen Glücksfall gehalten, dass Friedrich Niewöhner seine Arbeit an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel fortsetzen und im Planen und Durchführen wissenschaftlicher, interreligiöser und „ketzerischer“ Forschungskolloquien erweitern konnte. Dabei ist nicht zu verkennen, dass das Buch ebenso wie die sich daraus ergebenden und daran anschließenden Arbeiten eine tiefe persönliche Erfahrung zur Grundlage haben und im Bewusstsein einer heiteren Vertretung der stets bedrohten Vernunft geleistet wurden.

Zwischen Religionsphilosophie und Religionskritik Wie die Deisten über Moses dachten

Günter Gawlick I. Das Thema ist in zeitlicher wie in sachlicher Hinsicht ein weites Feld, denn Deisten hat es von der Mitte des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gegeben, und viele von ihnen haben sich zu Moses geäußert, freilich unter sehr verschiedenen Prämissen.1 Über ihre Ziele waren sich die Zeitgenossen so uneinig wie die Historiker von heute. Selbst der Begriff des Deismus ist umstritten; viele der vorgeschlagenen Definitionen haben sich als zu eng erwiesen, was zu Klagen über seine Undefinierbarkeit geführt hat.2 Mir scheint der philosophische Kern des Deismus in der These ausgesprochen, dass es zum ewigen Heil des Menschen genügt, Gott und seinen Willen mit den Kräften des Verstandes zu erkennen und dieser Erkenntnis gemäß zu leben und dass daher der Offenbarungsglaube nicht objektiv, sondern nur subjektiv notwendig sein kann. Diese Definition 1

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Zum Deismus im Allgemeinen vgl. J. Edgar Bauer, „Deismus“, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. 2, Stuttgart 1990, 207 – 215 sowie Gottfried Hornig/David Arthur Pailin/Kerry S. Walters, „Deismus“, in: RGG4 2, Tübingen 1999, 614 – 623; zum englischen und französischen Deismus im Besonderen vgl. Henning Graf Reventlow, Bibelautorität und Geist der Moderne, Göttingen 1980, 470 – 671; Ders., Freidenkertum (Deismus) und Apologetik, in: Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 18. Jahrhunderts, hg. von Helmut Holzhey u. a., Bd. 1, Basel 2004, 179 – 245 sowie Christopher J. Betts, Early Deism in France, The Hague 1984; noch immer nützlich sind Gotthard Victor Lechler, Geschichte des englischen Deismus, Stuttgart/Tübingen 1841 und Emanuel Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. 1, Gütersloh (1949) 41968, 292 – 359. Robert E. Sullivan, The Elusiveness of Deism, in: Ders., John Toland and the Deist Controversy, Cambridge Mass. 1982, 205 – 234; Karl Josef Walber, Blount und der Deismus, in: Ders., Charles Blount (1654 – 1693) Frühaufklärer, Frankfurt/Bern 1988, 237 – 262; Peter Byrne, Natural Religion and the Nature of Religion, London/New York 1989.

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erlaubt es, alle Anhänger der Suffizienzthese unbeschadet ihrer unterschiedlichen Konzepte der natürlichen Religion und unterschiedlicher Ansätze in der Auseinandersetzung mit der Offenbarungsreligion unter einem Terminus zusammenzufassen. Als Gegenbewegung teilt der Deismus zentrale Annahmen mit seinem Widerpart: die Idee eines persönlichen Gottes, der durch die Vorsehung für das Ganze und den Einzelnen sorgt, sowie die Idee bestimmter Normen, die mit Sanktionen in einem künftigen Leben verknüpft sind. Auch in der Negation bleiben die Deisten auf ihr Gegenüber bezogen: Ihre Kritik entzündet sich an den Maximalthesen mancher Orthodoxen, zum Beispiel dass die so genannten Offenbarungsurkunden göttlich inspiriert und wörtlich wahr seien, dass es kein Heil außerhalb der Kirche gebe oder dass die Anwendung von Gewalt gegen Anders- und Ungläubige erlaubt sei, um den wahren Glauben durchzusetzen. Auch das herrschende Bild von Moses reizte die Deisten zum Widerspruch. Denn dieser wurde von vielen Theologen als heroischer Anführer seines Volkes, als Verkünder einer von Gott gesetzten moralischen, religiösen und politischen Ordnung sowie als zuverlässiger Chronist der Frühgeschichte der Welt gepriesen. Seine Taten sollten vorbildlich, seine Gesetze absolut verbindlich und seine Aussagen durchweg wahr sein. Dieses Bild von Moses hielt sich in der Öffentlichkeit noch lange, nachdem Bibelwissenschaft und historischkritische Theologie begonnen hatten, ihm den Boden zu entziehen. Auch die Deisten forderten seine Revision. Aus anfänglichem Respekt vor Moses wird bei ihnen im Lauf der Zeit erst Distanzierung und dann immer schärfere Ablehnung.

II. In den wenigen Zeugnissen, die uns aus dem ersten Jahrhundert ihres Wirkens überliefert sind, haben die Deisten sich sparsam, aber positiv zu Moses geäußert. In dem großen Religionsgespräch des Jean Bodin aus den frühen 1590er Jahren tritt ein Deist namens Toralba auf, der freilich noch nicht Deist genannt wird. Er lobt die Religion der Urväter von Adam bis Noah und erklärt: Wenn Gesetz und Religion der Natur, die dem Geist des Menschen eingepflanzt sind, damals zum Heil genügten, dann ist die Notwendigkeit der Riten und Zeremonien des Moses nicht einzusehen. Der Dekalog hingegen erscheint ihm als Ausdruck des allen Völkern gemeinsamen Gesetzes der Natur. Von den Wundern, die Moses getan haben soll, schweigt er; er räumt zwar ein, dass Gott im Einzelfall die Naturgesetze

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ändern oder suspendieren kann, aber er erkennt Wunder nicht als Wahrheitsbeweis für eine Religion an.3 Respekt vor Moses zeigt auch die älteste deistische Schrift aus Deutschland, die für 1615 bezeugt ist. Der unbekannte Verfasser skizziert eine natürliche Erkenntnis und Verehrung Gottes auf physikotheologischer Grundlage und meint: Diese allen Menschen von Gott ins Herz gepflanzte Religion wurde anfänglich auch ausgeübt, später jedoch vernachlässigt, weshalb Gott sie durch Moses „repetierte“. Moses hat nämlich „nichts anderes und nicht mehr gelehrt als Natur und Vernunft uns lehren“. Was bei ihm über den Dekalog hinausgeht, ist entweder Vehikel oder Erklärung desselben, denn Zeremonialgesetz und Staatsverfassung, die Moses seinem Volk gebracht hat, dienten nur dem Zweck, es zu einem dekalog-konformen Leben zu erziehen.4 Das Geschichtliche, das sich traditionell um die Figur des Moses rankt, kommt nicht zur Sprache noch werden Vorwürfe gegen ihn erhoben. Der früheste Text, in dem ein ausdrücklich als Deist bezeichneter Kritiker der positiven Religion zu Wort kommt, ist ein Gedicht in französischer Sprache, das um 1620 in Paris kursierte. Der anonyme Verfasser versteht unter einem Deisten jemand, der die Mitte zwischen Bigotterie und Atheismus hält. Dieser macht Front gegen die Vorstellung vom Rachegott, der endliche Geschöpfe wegen endlicher Vergehen mit unendlichen Strafen überzieht und die selbstlose Befolgung seiner Gebote durch die Androhung ewiger Höllenqualen unmöglich macht.4a Moses wird hier nur als Vermittler des Dekalogs am Rande erwähnt und nicht kritisiert. Ähnliche Zurückhaltung zeigt der „Vater des englischen Deismus“, Edward Herbert, Lord Cherbury. In seinem Hauptwerk De Veritate leitet er aus den „notitiae communes“ die fünf Artikel der natürlichen Religion ab, deren Anerkennung dem Menschen das ewige Heil sichert. Den Dekalog 3

4

Joannis Bodini, Colloquium Heptaplomeres de rerum sublimium arcanis abditis, hg. v. Ludovicus Noack, Schwerin 1857, 22, 140 ff., 261; vgl. Günter Gawlick, Der Deismus im Colloquium Heptaplomeres, in: Ders./Friedrich Niewçhner (Hg.), Jean Bodins Colloquium Heptaplomeres, Wiesbaden 1996, 13 – 26. (Anonym), Origo et fundamenta religionis Christianae. Eine bisher noch unbekannte deistische, antichristliche Schrift aus dem sechzehnten Jahrhundert. Mitgeteilt von D. August Gfrçrer, in: Zeitschrift für historische Theologie 6 (1836), 2. Stück, 180 – 259, hier 235 – 243; Zu Datierung und Verfasserschaft vgl. Winfried Schrçder, Ursprünge des Atheismus. Untersuchungen zur Metaphysik- und Religionskritik des 17. und 18. Jahrhunderts, Stuttgart-Bad Cannstatt 1998, 397 – 403. 4a (Anonym), L’Anti-Bigot ou le faux dévotieux (Les Quatrains du Déiste), in: Antoine Adam, Les libertins au XVIIe siècle, Paris 1964, 88 – 109, hier 106 – 108.

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sieht er als die Summe der Forderungen Gottes an den Menschen an und ordnet jedes einzelne Gebot einem der fünf Artikel zu.5 In seinem Spätwerk über die heidnischen Religionen sucht er die fünf Artikel in der antiken Religionsgeschichte nachzuweisen, wobei er immer wieder Seitenhiebe gegen die Priester aller Zeiten und Völker führt, deren schlau getarntes Machtstreben er für den Abstieg von der rein moralischen Urreligion verantwortlich macht.6 Moses wird hier jedoch genauso wenig getadelt wie in Herberts nachgelassenem Werk, wo konkrete Verfallserscheinungen wie die Menschenopfer in den positiven Religionen einschließlich der jüdischen offen angesprochen werden.7

III. Erst mit dem Aufkommen des erkenntnistheoretischen Rationalismus und der gleichzeitigen Entwicklung des Natur- und Völkerrechts trat ein Stimmungsumschwung ein. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts begannen die Gelehrten, kritische Fragen auch an Moses zu richten; dabei wurden zunehmend strengere Maßstäbe angelegt und entsprechend immer negativere Urteile über ihn gefällt. Es ist nicht möglich, diesem Prozess hier in allem Detail nachzugehen; nur die bedeutendsten der beteiligten Deisten seien kurz vorgestellt. Von ihnen gilt: Da die Orthodoxen den Moses des Pentateuch zur Ikone erhoben, musste er auf dieser Grundlage demontiert werden. Zu diesem Zweck legten die Deisten ihren rationalistisch geschärften Gottesbegriff an den Pentateuch an und stellten fest: Gott, das vollkommenste Wesen, kann unmöglich einen Mann zu seinem Propheten erwählt haben, der in seinem Namen Verbrechen beging, dessen Zeremonialgesetz den wahren Zweck der Religion verfehlte und der als Historiker unglaubwürdig ist. Wenn ein solcher Mann als Gesandter Gottes auftritt, muss er andere Ziele verfolgen als die Etablierung der wahren Religion, nämlich politische Ziele. Matthew Tindal hat den Späteren den Weg gewiesen. In seinem großen Alterswerk, das im 18. Jahrhundert als die „Bibel der Deisten“ 5 6 7

Edward Herbert, Lord Cherbury, De Veritate (1624) 3London 1645, 208 – 231. Ders., De Religione Gentilium, Amsterdam 1663, 12, 25, 38, 61. Ders., A Dialogue between a Tutor and his Pupil, London 1768, 77 f., 226 ff. 7a Philip Skelton, Ophiomaches: or, Deism Revealed, Bd. 2, London 1749, 344. Die Bezeichnung wurde von anderen antideistischen Autoren und späteren Historikern übernommen.

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bezeichnet wurde7a, geht es nicht in erster Linie um die Kritik der Offenbarungsreligion, sondern um ein Problem, das den konstruktiven mit dem kritischen Deismus verbindet: um den Nachweis der Vollkommenheit der natürlichen Religion, die auf dem Fundament der „moralischen Wahrheit, Vernunft und Angemessenheit der Dinge“ beruht und die den Prüfstein für alles abgibt, was göttliche Offenbarung zu sein beansprucht. Nach Tindals Überzeugung ist die natürliche Religion deckungsgleich mit der von populärem Aberglauben und hierarchischen Strukturen befreiten christlichen Religion; das deutet schon der Titel seines Werks an: Das Christentum ist – genau wie die natürliche Religion – so alt wie die Welt.8 Das ist auch der Grund, warum Tindal sich als Erster einen „christlichen Deisten“ nannte.9 Hinsichtlich der maßgebenden Rolle der natürlichen Religion mit ihren metaphysischen Theoremen und praktischen Imperativen wusste Tindal sich einig mit vielen Theologen seiner Kirche, aus deren Werken er daher immer wieder ausführlich zitierte, am häufigsten aus John Tillotson und Thomas Scot, die von seiner und Kants Definition der Religion nicht allzu weit entfernt waren.10 Er musste sich aber auch mit denjenigen Theologen auseinandersetzen, die trotz ihrer Bejahung der natürlichen Religion diese für ergänzungsbedürftig durch eine Offenbarung erklärten, weil ihre anfangs akzeptierten Prinzipien im Lauf der Zeit ihre Überzeugungskraft verloren und überdies den Weg zur Versöhnung des Sünders mit Gott nicht gewiesen hätten. Es war vor allem der hoch angesehene Samuel Clarke11, der nach Ansicht vieler Zeitgenossen nicht nur die Wahrheit der natürlichen Religion auf der Grundlage des Rationalismus dargetan, sondern auch die Notwendigkeit einer Offenbarung zwingend bewiesen hatte.12 8 Matthew Tindal, Christianity as Old as the Creation, London 1730. 9 Ders., Christianity (s. o. Anm. 8), 371. 10 Tindals Wortführer in dem Dialog wird einer von denen genannt, „who place Religion in the Practice of Morality in Obedience to the Will of God“, Christianity (s. o. Anm. 8), 298; vgl. Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793), in: Gesammelte Schriften, Akademie-Ausgabe, 1. Abt., Bd. 6, Berlin 1907, 153. 11 Auf das hohe Ansehen Clarkes bezieht sich auch Tindal in Christianity (s. o. Anm. 8), 421: er nennt ihn „as great a Master of Reason, as ever appear’d in Print; and withal, both a subtil Metaphysician, and excellent Mathematician; an acute Philosopher, as well as deep Divine; One, who never fails to exhaust the Subject he handles“. 12 Vgl. Clarkes Boyle Lectures, und zwar sowohl A Demonstration of the Being and Attributes of God, London 1705, als auch A Discourse concerning the Un-

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Was den ersten Punkt der Auseinandersetzung mit Autoren wie Clarke angeht, so zeigt Tindal in dem überlangen Kapitel XIII des Werks, dass viele Stellen des Alten wie des Neuen Testaments, wenn sie im Wortsinn als göttliche Offenbarung verstanden werden, uns hinsichtlich der Eigenschaften und des Willens Gottes in die Irre führen und deshalb im Lichte der moralischen Normen der natürlichen Religion anders auszulegen sind.13 Im Alten Testament sind das vor allem die Berichte von Ereignissen im Leben des Moses. Da ist zum Beispiel von seinen wiederholten Auftritten vor Pharao die Rede, als es um die Freigabe des Volkes Israel ging, und vom Mitgehenlassen der geborgten goldenen und silbernen Gefäße der Ägypter14, von den missverständlichen, weil dem Anschein nach zu Menschenopfern ermutigenden Bestimmungen des Zeremonialgesetzes (94 ff.) oder von Moses’ Entschluss, die Bewohner des von Gott versprochenen Landes Kanaan vollständig auszurotten, was auch nicht durch die Berufung auf einen direkten Auftrag Gottes gerechtfertigt werden kann, weil, wie Tindal in beinahe Humeschem Tonfall bemerkt, die Gewissheit eines Menschen, dass Gott ihm die Tötung Unschuldiger befohlen hat, niemals so groß sein kann wie seine Gewissheit, dass Gott dies durch das natürliche Licht verboten hat (272 – 275). Bemerkenswerterweise zieht Tindal in keinem dieser Fälle eine Schlussfolgerung auf Moses’ persönlichen Charakter und Prophetenstatus. Was die Frage der absoluten Notwendigkeit der Offenbarung15 angeht, so zeigt Tindal im abschließenden Kapitel XIV des Werks (353 – 432), dass Clarke sich in der Auseinandersetzung mit den wahren Deisten in einen Widerspruch verwickelt: Einerseits behauptet er in Übereinstimmung mit changeable Obligations of Natural Religion, and the Truth and Certainty of the Christian Revelation, London 1706. 13 Kap. 13, 232 – 352, welches zusammen mit Kapitel 14 fast die Hälfte des Werks ausmacht. 14 Matthew Tindal, Christianity (s. o. Anm. 8), 348 f. Die Frage, ob Gott einen Diebstahl legitimiert und damit das Gesetz der Natur aufgehoben habe, hatte auch John Locke beschäftigt, der freilich die traditionelle Antwort gab: Gott hat mit dem Auftrag Exodus 11, 2 keineswegs das naturrechtliche Verbot des Diebstahls aufgehoben, sondern das Eigentumsrecht der Ägypter an ihren goldenen und silbernen Gefäßen auf die Israeliten übertragen. Vgl. John Locke, Essays on the Law of Nature, hg. v. Wolfgang von Leyden, Oxford 1954, 200 – 202. Auch Tindal geht in dieser Frage nicht auf Konfrontationskurs zur Bibel, denn er zieht noch nicht die Schlussfolgerung, die Spätere zogen: Gott kann den Auftrag zur Mitnahme der Kultgefäße nicht gegeben haben, Moses hat ihn erfunden. 15 In Clarkes Discourse (s. o. Anm. 12), 241 heißt es in der Marginalie: „A divine Revelation is absolutely necessary for the Recovery of Mankind“.

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ihnen, dass dem durch die Vernunft erkennbaren, weil auf die Vernunft und Angemessenheit der Dinge gegründeten Gesetz der Natur ewige und unveränderliche Verbindlichkeit zukommt, andererseits nimmt er im Gegensatz zu ihnen an, dass Gott zu der Zeit, als die Menschen in Sünde und Idolatrie zu versinken drohten, durch Jesus heilsnotwendige Wahrheiten verkündete, die nicht mit der bloßen Vernunft erkennbar waren, die daher durch so genannte Wunder bestätigt und von den Menschen geglaubt werden mussten (363 – 380). Clarke macht einen „Defekt der Vernunft“ für die Nichterkennbarkeit dieser Wahrheiten verantwortlich und sieht nicht, dass er Gott damit unterstellt, die Menschen entweder von Anfang an unzureichend ausgestattet oder aber später mit einer durch die Sünde korrumpierten Vernunft im Stich gelassen zu haben, was beides mit der Vollkommenheit Gottes unvereinbar ist. Der Grund für den Verfall der ursprünglichen Religion der Natur liegt nach Tindals Ansicht darin, dass die Menschen von Priestern beherrscht wurden, die als göttliche Offenbarung ausgaben, was ihrem eigenen Interesse diente (379) – ein bevorzugtes, aber unzureichendes Erklärungsmuster vieler Religionskritiker. Die Saat, die Tindal gelegt hat, ist bei Thomas Morgan aufgegangen. Dieser wegen seines Arianismus amtsenthobene Dissenterprediger konstatierte einen fundamentalen Unterschied zwischen dem parteiischen Rachegott des Alten Testaments und dem gütigen Vater aller Menschen des Neuen Testaments und zog daher einen Trennstrich zwischen der christlichen und der jüdischen Religion, weshalb er auch der „moderne Marcion“ genannt worden ist.16 Da er wie Tindal die Maßstäbe des ethischen Rationalismus von Samuel Clarke an die Bibel anlegte, musste er die traditionelle Auffassung vom Alten Testament als heilsgeschichtlicher Vorbereitung des Christentums verwerfen. Das implizierte natürlich auch ein neues Bild von Moses. Morgan hat sein bedeutendstes Werk nicht unpassend mit The Moral Philosopher überschrieben, denn der Hauptwortführer in dem darin wiedergegebenen Religionsgespräch will nur das, was der „moralischen Wahrheit, Vernunft und Angemessenheit der Dinge“, also den moralischen Kriterien des ethischen Rationalismus entspricht, als von Gott kommend zulassen. Da der Pentateuch diesen Kriterien nicht entspricht, muss sein Gehalt bloßes Menschenwerk sein. Die so genannte „Mosaische Ökonomie“ ist in Morgans Augen eine rein politische Veranstaltung, 16 Diese Bezeichnung hat wohl Gotthard Victor Lechler in seiner Geschichte (s. o. Anm. 1), 387 geprägt. Der „moderne Marcion“ teilt allerdings nicht den metaphysischen Dualismus des spätantiken Gnostikers.

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darauf angelegt, den Bestand des Volkes Israel und seine Herrschaft über andere Völker zu sichern. Das gilt nicht allein von der jüdischen Staatsverfassung und dem Zeremonialgesetz, sondern auch vom Dekalog als einer Richtschnur für legales Handeln. Moses war folglich ein Politiker, der sich, seinem Bruder Aaron und dem Stamm Levi eine Vorrangstellung im Gemeinwesen verschaffen wollte, wie schon zu Beginn des Religionsgesprächs von dem Deisten Philalethes angedeutet wird: „Die Frage, die wir zu diskutieren haben, wird also sein: Ob Moses’ positives, kultisches Gesetz, das gewöhnlich das Levitische oder das Gesetz der Priesterschaft genannt wird, ursprünglich eine göttliche Einsetzung oder von Gott kommende Offenbarung ist, die später für nichtig erklärt, abgeschafft und beiseite gesetzt werden sollte; oder ob es ein bloßes Stück menschlicher, weltlicher Politik war. Diesen zweiten Teil der Frage möchte ich bejahen“17.

Den so umrissenen Rahmen hat Morgan mit vielen Einzelheiten aus dem Pentateuch ausgefüllt. Eine zusammenhängende Darstellung von Moses’ Leben und Wirken findet sich zwar erst im dritten Band des Werks (Bd. 3, 36 – 71), aber in allen drei Bänden kommen moralischen Anstoß erregende Geschehnisse zur Sprache, an denen Moses beteiligt war: Vor seiner Berufung zum Anführer des Volkes Israel beging Moses einen Totschlag (Bd. 3, 137), nach seiner Berufung rechtfertigte er den ihm erteilten Auftrag mit einem angeblichen Bund Gottes mit Abraham, der nur von ihm selbst bezeugt ist (Bd. 1, 258 f.; 3, 39). Um die Erlaubnis zum Auszug aus Ägypten zu erhalten, beeindruckte er Pharao und das Volk durch Wunder, die in Wirklichkeit nur Magierkunststücke waren und deshalb keine nachhaltige Wirkung haben konnten (Bd. 3, 39 ff.); auch nach dem Auszug nutzte er die abergläubischen Vorstellungen des Volkes aus, um es in der Not bei der Stange zu halten. Sein Dekalog war nichts als ein Kanon praktischer Regeln für das Zusammenleben auf Erden, die nicht auf Moralität abzielten und deshalb nur mit irdischen Sanktionen verknüpft waren (Bd. 1, 26 f.). Sein Zeremonialgesetz etablierte einen äußerlichen Kult voller Konzessionen an den Aberglauben des Volkes (Bd. 1, 271), der nichts zur Erkenntnis und Verehrung des wahren Gottes beitrug (Bd. 3, 152); außerdem ließ es Menschenopfer zu, wie der Fall Jephthas und seiner Tochter zeigt (Bd. 1, 129 ff.; 3, 267), sowie Polygamie (Bd. 3, 337). Auf dem Marsch ins Gelobte Land überzog Moses die Anrainervölker rücksichtslos mit Krieg, sofern sie den Israeliten nicht den Durchzug gewährten (Bd. 2, 74). Schließlich fasste er die dem Natur- und Völkerrecht ebenso 17 Thomas Morgan, The Moral Philosopher, 3 Bde., London 1737 – 1740, Bd. 12 (1738), 23 (Übersetzung von G.G.).

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wie den Vollkommenheiten Gottes hohnsprechende Ausrottung aller Kanaaniter ins Auge (Bd. 3, 179), was seinen Gott als bloße Schutzgottheit eines einzigen Volkes erweist, dem die übrigen Völker gleichgültig sind (Bd. 3, 174). Ein Mann mit dieser Gesinnung und diesen Taten konnte nach Morgans Urteil unmöglich ein gottgesandter Prophet sein, sondern nur ein weltlicher Machtpolitiker (Bd. 3, 110). Was die Bücher Mose als Geschichtswerk angeht, so stellen sie für Morgan keine verlässliche Quelle für die Frühgeschichte der Welt und des Volkes Israel dar: Sie sind wie die Werke eines Homer oder Ovid durch Rhetorik, Poesie und Dramatik geprägt und schildern nicht, wie es eigentlich gewesen (Bd. 1, 251), ohne dass man Moses deshalb einen Betrüger nennen kann (Bd. 1, 253 f.). Morgan hält es auch für evident, dass nicht bewiesen werden kann, dass sie von Moses verfasst sind – nur das Gesetzbuch stammt von ihm.18 Morgan ist kein blindwütiger Kritiker dieses Mannes, denn er führt auch ein Argument zu Moses’ Entlastung an: Den Vorwurf des Raubes des ägyptischen Goldes und Silbers hält er für unberechtigt; nach seiner Deutung von Exodus 12, 35 haben die Ägypter den Israeliten alles gegeben, worum sie baten, um den Anlass der Plagen, die über das Land gekommen waren, so schnell wie möglich loszuwerden.19 Seine Kritik am Alten Testament war auch kein versteckter Angriff auf das Neue, wie er bei anderen Autoren vermutet werden kann; das hätte nämlich seiner ganzen Konzeption widersprochen. Morgans Held war deshalb Paulus, „der größte Freidenker seiner Zeit, der kühne Verteidiger der Vernunft gegen die Autorität“, weil er das Mosaische Gesetz zugunsten des christlichen aufhob (Bd. 1, 71). Morgans Wortführer Philalethes bekennt sich zum Christentum auf der Grundlage des Neuen Testaments, das er in seiner Substanz als „Revival of the Religion of Nature“ versteht und das mit 18 Ders., Moral Philosopher (s. o. Anm. 17), Bd. 2, 69 und Bd. 3, 226. In der Kritik des Alten Testaments als einer Geschichtsquelle war Bolingbroke in den Letters on the Study and Use of History (Privatdruck 1738, veröffentlicht 1752) wegweisend. In A Letter Occasioned by one of Archbishop Tillotson’s Sermons, in: Works, hg. v. David Mallet, Bd. 3, London 1754, 255 – 308 zitiert er Tillotsons Charakterisierung des Moses als eines göttlich inspirierten Historikers des Anfangs und der Frühgeschichte der Welt und weist sie zurück. Bolingbroke nennt vier Kriterien für die Authentizität einer geschichtlichen Darstellung (275) und zeigt, dass Moses’ Bericht keines davon erfüllt: Moses war kein Zeitgenosse der geschilderten Ereignisse, er hatte kein kritikfähiges Publikum, das seine Angaben hätte überprüfen können, er mischt märchenhafte Züge in seinen Bericht, und es gibt keine unabhängigen Quellen, die wenigstens die Hauptereignisse bestätigen könnten. 19 Ders., Moral Philosopher (s. o. Anm. 17), Bd. 3, 56.

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Moses nichts zu tun hat (Bd. 1, 359, 392 ff.). Deshalb bezeichnet er sich auch wiederholt als „christlichen Deisten“ (Bd. 1, 165, 199, 392), womit er freilich nicht verhindern konnte, dass seine Konzeption auf leidenschaftlichen Widerspruch stieß.20

IV. Nach Morgan haben die Deisten nichts grundsätzlich Neues mehr über Moses gesagt. Die herausragenden Köpfe unter den Späteren haben allerdings den bekannten Argumenten gegen die „göttliche Sendung Mosis“ einen je eigenen Akzent gegeben. Nur drei seien hier genannt. Peter Annet hatte schon mehrere kritische Arbeiten über neutestamentliche Lehren veröffentlicht, die ihn seine Stellung als Schulmeister kosteten, als er 1761 in seinem Wochenblatt A Free Enquirer mit Moses im Allgemeinen und seinen angeblichen Wundern im Besonderen in polemischer Schärfe abrechnete, womit er die französischen Deisten stark beeinflusste. Den Behörden lieferte er damit freilich einen Grund zur Strafverfolgung: Das Blatt wurde verboten, er selbst wegen Blasphemie angeklagt und verurteilt, nicht zuletzt wohl wegen seiner These, dass sich in dem Gottesbild, das Moses zeichnet, in erster Linie dessen eigener Charakter spiegele.21 20 Morgan reagierte auf den Widerspruch mit den umfangreichen Bänden 2 und 3 des Moral Philosopher (1739, 1740). Diese haben nicht mehr die Form eines Dialogs und enthalten neben den notwendigen Klarstellungen auch zahlreiche Wiederholungen des in Band 1 Gesagten. Interessant ist hier allerdings Morgans Versuch, die orthodoxen Verteidiger der „göttlichen Sendung Mosis“ mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Humphrey Prideaux, A Letter to the Deists im Anhang seines Life of Mahomet, London 1697, hat sieben Kriterien genannt, an denen ein Unternehmen als Betrug zu erkennen ist. Er wollte anhand dieses Kriterienkatalogs zeigen, dass die christliche Religion kein Betrug ist. Schon Tindal hatte in Christianity (s. o. Anm. 8), 271 und 424 auf Prideaux hingewiesen. Morgan wendet jedes einzelne Kriterium auf die Mosaische Religion an und stellt fest, dass sie sämtliche Kriterien erfüllt, folglich keine göttliche Offenbarung sein kann. Moral Philosopher (s. o. Anm. 17), Bd. 2, 264 – 270, Bd. 3, 111 – 121. 21 „By the description and character Moses gives us of God the character of Moses himself may be known.“ Siehe Annet zitiert von Norman L. Torrey, Voltaire and the English Deists, New Haven 1930, 196. Die psychologische Betrachtungsweise, die sich bei Annet ankündigt, finden wir auch bei dem deutschen Publizisten Andreas Riem, der in seinen anonym erschienen philosophischen und kritischen Untersuchungen über das Alte Testament und dessen Göttlichkeit, besonders über die Mosaische Religion, London 1785 die bekannten Argumente der englischen

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In Deutschland setzte sich zur gleichen Zeit ein Altersgenosse Annets intensiv mit Moses auseinander. Hermann Samuel Reimarus, ein eigenständiger Denker, der sich an Christian Wolffs Methode geschult hatte, sie aber nicht wie dieser und viele seiner Schüler zur Verteidigung, sondern zur Kritik der christlichen Religion, ja aller Offenbarungsreligion einsetzte, war der große Systematiker des Deismus in Deutschland: Er entfaltete sowohl die konstruktive als auch die kritische Seite des Deismus mit tiefem Ernst und Wolffscher Gründlichkeit, das heißt methodisch solide und inhaltlich erschöpfend, wobei er zu dem Ergebnis kam, dass die natürliche oder vernünftige Religion auf festen Füßen stand, die offenbarte Religion Alten wie Neuen Testaments hingegen bloßes Menschenwerk war. Reimarus ist am ausführlichsten von allen Deisten auf Moses eingegangen, gestützt auf die Vorarbeiten der Engländer, deren Werke er gut kannte und großenteils auch selbst besaß.22 Das ganze dritte Buch des ersten Teils seiner Apologie oder Schutzschrift fr die vernnftigen Verehrer Gottes, die er mit Rücksicht auf seine Stellung und seine Familie nicht veröffentlichte, ist eine „Betrachtung über die Handlungen Mosis“23. Hier wird das Vorgeben des Verfassers des Pentateuchs und der ihm folgenden Theologen, dass Moses nur den Willen Gottes ausführte, als er sein Volk aus Ägypten führte, die nach ihm benannte Theokratie einrichtete und mit Gesetzen ordnete, streng nach der „Regel des Widerspruchs“ geprüft, das heißt alles, was an Deisten wiederholt, abschließend aber zu einem ausgewogeneren Urteil über Moses’ komplexe Persönlichkeit unter Berücksichtigung der Zeitumstände gelangt. Riem findet bei Moses „Größe der Seele, Standhaftigkeit in seinen Grundsätzen, Muth in den drohendsten Gefahren, eine rasche Gegenwart des Geistes, Kenntniß des Volkes und seiner Manieren, in seiner Politik Biegsamkeit und unternehmenden Geist, welches alles ihm unter den größten Gesetzgebern und Regenten einen verdienstvollen Rang gibt“. Andererseits besaß Moses, so fährt Riem fort, „was wir jetzo Laster nennen, in gleich großem Grade. Er war listig, grausam, stolz, herrschsüchtig, mit einem Worte, ein Despot. Aber alles dieses waren in seinen Zeiten keine Laster, und manches, was wir jetzt mit diesem Namen belegen, war damals ein Zug von Vollkommenheit mehr“ (339 f.) 22 Hierzu Henning Graf Reventlow, Das Arsenal der Bibelkritik des Reimarus. Die Auslegung der Bibel, insbesondere des Alten Testaments, bei den englischen Deisten, in: Hermann Samuel Reimarus (1694 – 1768), ein „bekannter Unbekannter“ der Aufklärung, Göttingen 1973, 44 – 65 und Günter Gawlick: Reimarus und der englische Deismus, in: Karlfried Grnder/Karl Heinrich Rengstorf (Hg.), Religionskritik und Religiosität in der deutschen Aufklärung, Heidelberg 1989, 43 – 54. 23 Hermann Samuel Reimarus, Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes, hg. v. Gerhard Alexander, Frankfurt a.M. 1972, Bd. 1, 269 – 476.

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der „göttlichen Sendung Mosis“ und den damit zusammenhängenden Geschehnissen nicht in Einklang mit den Vollkommenheiten Gottes steht oder sogar in sich widersprüchlich ist, wird als menschliche Erfindung zurückgewiesen. Da bleibt nur wenig übrig. Nicht einmal der Dekalog findet Gnade vor den Augen des Gelehrten, der mit Wolffs achtbändigem Jus Naturae ein Musterbeispiel an extremer Ausführlichkeit und Deutlichkeit besaß. Er bemängelt, dass bei Moses „das Wesentliche der Religion, ich meyne die Lehre von Gott und den Pflichten des Menschen gegen ihn, gegen den Nächsten und gegen sich selbst kaum zehn Worte, wie es die Schrift selbst nennet, ausmacht“24. Derjenige Deist, der die größte Breitenwirkung hatte, war zweifellos Voltaire, weil er seine Ideen in vielen unterschiedlichen literarischen Genres propagierte und in ganz Europa gelesen wurde. In den meisten seiner Schriften hat er sich mit der Religion auseinandergesetzt, auch mit der Moses-Figur. Als ihm in Frankreich der Boden unter den Füßen zu heiß wurde, ging er nach England, von wo er 1729 als begeisterter Anhänger einer liberalen Religionspolitik und des englischen Deismus sowie der Lockeschen Philosophie und der Newtonischen Naturwissenschaft zurückkehrte, die er danach beharrlich im militant katholischen Frankreich bekannt machte. Mit seiner schärfsten Kritik an den bestehenden Verhältnissen in seiner Heimat trat er allerdings erst Jahrzehnte später an die Öffentlichkeit, nachdem er sich 1760 auf seinem Besitz in Ferney nahe der Schweizer Grenze ein relativ sicheres Refugium geschaffen hatte.25 Einer der Gründe für seinen immensen Publikumserfolg war zweifellos die witzige Umformulierung, Zuspitzung und mitunter auch Übertreibung der Argumente, die die englischen Deisten vorgebracht hatten. Während diese zum Beispiel bei der These stehen blieben, das Mosaische Gesetz habe Menschenopfer nicht ausgeschlossen, sagt Voltaire, es habe sie ausdrücklich gefordert.26 Und während die Engländer aus dem Fehlen der für sie so wichtigen Unsterblichkeitslehre bei Moses folgerten, das Alte Testament lehre keine selig machende Religion, warf Voltaire süffisant die Frage auf: „Sollte Gott den Juden vielleicht die Art und Weise des 24 Ders., Apologie (s. o. Anm. 23), Bd. 1, 690, 814. 25 Zu den Etappen der Religionskritik Voltaires vgl. René Pomeau, La Religion de Voltaire, Paris 1969. 26 Voltaire, Dieu et les hommes, Ders. in: Œuvres Complètes, hg. v. Louis Moland, Bd. 28, Paris (1769) 1879, Kap. 21, 171 – 175 trägt die Überschrift: „Que la loi Juive est la seule dans l’univers qui ait ordonné d’immoler des hommes.“ Vgl. auch Bertram Eugene Schwarzbach, Voltaire’s Old Testament Criticism, Genève 1971.

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Stuhlgangs in der Wüste vorgeschrieben, ihnen aber das Dogma des ewigen Lebens vorenthalten haben?“27 Dass die Bücher Mose nicht von Moses selbst geschrieben waren, war den Gelehrten seit Beginn des 18. Jahrhunderts geläufig und Voltaire sonnenklar: Wenn der Nachweis je gelingen sollte, dass Moses der Verfasser des Pentateuchs war, wäre seiner Ansicht nach damit nur gezeigt, dass Moses verrückt war.28 Gegen Ende seiner langen Beschäftigung mit dem Alten Testament kam Voltaire zu dem Ergebnis, dass Moses wohl nur eine „Mythengestalt“ wie der Zauberer Merlin war.29 Weiter konnte man nicht gehen.

V. Von John Toland soll zuletzt die Rede sein, denn obwohl er an den Anfang des 18. Jahrhunderts gehört, steht er in mehr als einer Hinsicht quer zu der geschilderten Entwicklung im Deismus. Über diesen originellen, theologisch und religionsgeschichtlich gebildeten Mann, der mit seinen Ideen immer wieder Anregungen gab und zum Widerspruch reizte, gehen die Meinungen heute wie damals auseinander. In unserem Zusammenhang interessiert vor allem die Tatsache, dass er zu einer Zeit, als der Stern des Moses zu sinken begann, seine tiefe Verehrung für ihn bekundete.30 Wie ist es dazu gekommen? 31

27 Voltaire, Examen important de Milord Bolingbroke, in: Ders. (s. o. Anm. 26), Bd. 26, Paris (1767) 1879, 205. 28 Ders., Examen (s. o. Anm. 27), 208. 29 Ders., Examen (s. o. Anm. 27), 202. Es scheint erwähnenswert, dass schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts, als die Deisten ins Licht der Geschichte traten, dem einen oder anderen Zweifel an Moses’ Existenz gekommen sein müssen, denn Calvin zeigte sich empört darüber und erklärte deren Leugnung für eine geistige Verirrung, die Prügel oder Geißelhiebe verdiene. Vgl. Jean Calvin, Opera Omnia, Bd. 2, Brunsvigae 1864, 66. 30 John Toland, Tetradymus, London 1720, Vorwort S. II sagt, er habe bei seinem Versuch einer ganz natürlichen Erklärung für Moses’ angebliche Wundertaten von der Art der Feuersäule, die den Israeliten den Weg durch die Wüste wies, Hochachtung vor Moses gefasst: „The discoveries I made of this sort created in me a higher veneration for Moses, than even was instill’d by my instructors, and on better grounds.“ 31 Die Rolle Tolands in der Geschichte der Moses-Deutung ist vor wenigen Jahren neu dargestellt worden von Jan Assmann, Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur, München 1998, 133 – 138.

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Nachdem sein deistisches Frühwerk, das die Mysterien aus der christlichen Religion verbannte, von Henkershand verbrannt worden war, sah Toland sich aus der Bahn geworfen. Er fand keine berufliche Position und hielt sich mit politischer Publizistik und diplomatischen Missionen über Wasser, setzte daneben aber seine theologischen und religionsgeschichtlichen Studien fort. Seine Ansichten wurden radikaler: Von seinem anfänglichen Glauben an einen persönlichen Gott, an Schöpfung und Vorsehung sowie an die Unsterblichkeit der Seele rückte er ab; an dessen Stelle trat für ihn die Mosaische Religion. Darunter verstand er jedoch nicht jenes Ensemble von moralischen Geboten, Speisevorschriften und Ritualgesetzen, das gewöhnlich so bezeichnet wird, sondern eine monotheistische Religion ohne Aberglauben und Riten, die sich nur auf den Dekalog stützte und die nach seiner Überzeugung der Praxis des Moses selbst entsprach. Das geht aus seiner Schrift Origines Judaicae hervor.32 Wie so viele Deisten reagierte Toland mit dieser Schrift auf eine konkrete Zumutung von orthodoxer Seite; in seinem Fall kam sie von Pierre-Daniel Huet, der versucht hatte, Moses mittels – wie Toland erkannte – willkürlich ausgelegter Zitate aus heidnischen Autoren vor den Karren seiner Verteidigung des Christentums zu spannen. Toland weist den Versuch mit Entschiedenheit als unredlich und lächerlich zurück und setzt ihm das Bild von Moses entgegen, das der antike Geograph Strabo zeichnet und das für die Zwecke der Apologie nicht zu gebrauchen, aber auch den oben geschilderten Einwänden der Deisten nicht ausgesetzt ist. Toland trägt dieses Bild von Moses nicht als seine eigene Meinung vor, sondern stellt es als Strabos wahre Ansicht gegen die Verdrehungen Huets. Er belegt es mit einem langen Zitat aus Strabos Geographica, das er in der provokanten These zusammenfasst, Moses sei ein Pantheist gewesen, der die Natur im Sinne der Gesamtheit der Dinge für den höchsten Gott gehalten habe. Wie gut und orthodox diese Theologie sei und wie Strabos Bericht überhaupt zum Pentateuch stimme, überlässt Toland dem Urteil der Fachleute, er nimmt dazu nicht Stellung.33 Er beschließt die Darstellung mit einem Katalog von acht Fragen, mittels dessen zu entscheiden sei, wer ehrlich mit Moses umgegangen sei, Strabo oder Huet. An dieser Stelle 32 John Toland, Dissertationes Duae. Adeisidaemon et Origines Judaicae, HagaeComitis 1709, 99 – 199. 33 Ders., Origines (s. o. Anm. 32), 117, 119. An zwei weiteren Stellen dieser Schrift (156, 193) spricht Toland distanziert von Leuten („nonnulli“), denen Moses wegen bestimmter Ausdrücke, die sie nicht verstanden, und wegen des Fehlens der Idee der Unsterblichkeit und jenseitiger Sanktionen als Pantheist erschien; auch hier legt er sich nicht fest.

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bringt Toland sein eigenes Urteil ein: Strabo, belesen und sorgfältig wie er war, habe freimütig vorgebracht, was ihm als wahrscheinlich erschien, Huet hingegen habe es durch frommen Betrug zu einem anderen Sinn verdreht. Er selber, sagt Toland weiter, wolle hier nicht peinlich genau untersuchen, ob Strabos Bericht über Moses absolut wahr sei, sondern nur, ob Strabo von seiner Wahrheit überzeugt gewesen sei.34 Das sieht wie ein vorsichtig verklausuliertes Bekenntnis zum Pantheisten Moses aus. Selbst wenn Toland auf die Frage nach Moses’ wahrer Überzeugung eine klare, unverschlüsselte Antwort geben konnte, ist doch offensichtlich, dass er sie hier bestenfalls andeutet. Es dabei zu belassen, dazu riet ihm seine eigene Erfahrung. Seit der Zeit, als sein deistisches Frühwerk auf den Scheiterhaufen kam, befand er sich in einer prekären Lage; es wäre töricht von ihm gewesen, Moses, diese Ikone der Orthodoxen, jetzt offen für eine notorische Häresie in Anspruch zu nehmen und sich selbst damit in akute Gefahr zu bringen. Außerdem kann sein wissenschaftliches Gewissen ihm zur Zurückhaltung geraten haben. Standen denn alle Antworten auf seine acht Fragen schon in wünschenswertem Maße fest? Vor allem die Frage, wie Moses’ theokratische Staatsverfassung im Vergleich zu anderen antiken Verfassungen zu bewerten ist, bedurfte gründlicher Klärung, zu der Toland selbst beitragen wollte. An zwei Stellen der Origines Judaicae kündigt er ein geplantes Werk mit dem Titel De Re Publica Mosaica an, das nie erschienen ist. Man weiß nicht, ob er es jemals ausgearbeitet hat. Es kann ihm an Zeit und Kraft dazu gefehlt haben, möglicherweise aber auch an befriedigenden Argumenten zur Untermauerung seiner vorab mitgeteilten These, dass der von Moses entworfene Staat weitaus besser gewesen sei als alle anderen – nur leider nie und nirgends vollständig realisiert.35 Als seine Origines Judaicae erschienen, war Toland schon längere Zeit ein Pantheist,36 In der Schrift von 1709 setzt er diesen Begriff anscheinend mit ,Spinozist‘ gleich.37 Man darf bezweifeln, dass er sich damit einen guten Dienst erwies. Denn erstens war dieser Begriff seit Bayle geläufig und 34 Ders., Origines (s. o. Anm. 32), 195 – 197. 35 Das geplante Werk wird in Tolands Origines 161, 172 sowie in seinem Nazarenus, London 1718, XI und in Tetradymus (s. o. Anm. 30), 6, 16, 20, 26 angekündigt. 36 Der Name ,Pantheist’ begegnet zum ersten Mal in John Toland, Socinianism truly stated; being an example of fair dealing in Theological Controversys; to which is prefix’d Indifference in Disputes, recommended by a Pantheist to an Orthodox Friend, London 1705. Hier Seite 7 das Bekenntnis: „… the Pantheists … of which number I profess my self to be one“. 37 John Toland, Origines (s. o. Anm. 32), 117: „Mosem enimvero fuisse Pantheistam, sive ut cum recentioribus loquar, Spinosistam.“

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bereits zum Kampfbegriff in den ideologischen Gefechten der Frühaufklärung geworden, so dass seine Anwendung auf Moses Tolands Feinde auf den Plan rufen musste; und zweitens ist die Gleichsetzung zumindest im Falle Tolands wohl eher irreführend, weil sein Konzept des Pantheismus Giordano Bruno ebensoviel verdankt wie Spinoza. Denn in seinen Letters to Serena hatte Toland sich unzufrieden mit der Philosophie Spinozas gezeigt und ihr das Fehlen von „Prinzip und Grundlage“ vorgeworfen; zugleich hatte er versucht, den Mangel durch den Nachweis zu beheben, dass Bewegung eine wesentliche Eigenschaft der Materie sei.38 Dies nur am Rande. In unserem Zusammenhang ist zweitens festzustellen, dass Toland sich in eben dem Maße, in dem er sich einem Pantheismus à la Spinoza hingab, vom Deismus entfernte. Denn die Deisten hielten an der Idee eines extramundanen, persönlichen Gottes fest, der die Welt erschaffen und geordnet hat und der moralische Forderungen stellt, die im Prinzip allen Menschen verständlich und auch erfüllbar sind. Für Spinoza hingegen sind alle Handlungen, die aus der Natur des Menschen entspringen, gleichermaßen legitim und das sittliche Ideal eines vernunftgeleiteten Lebens für die erdrückende Mehrzahl der Menschen unerreichbar, weshalb er diese an die Offenbarungsreligion verweist, wenn sie nicht an ihrem Heil verzweifeln wollen. Die Offenbarungsreligion wird daher Spinoza zufolge niemals überflüssig sein, den Deisten hingegen schwebte deren Überwindung durch fortschreitende Aufklärung der Menschen zumindest als Fernziel vor. Da Spinozas Ethik nicht normativ, sondern deskriptiv ist, bietet sie keine Handhabe zur Kritik der Offenbarungsreligion unter moralischen Gesichtspunkten, wie sie die oben vorgestellten Deisten übten.39 Um ihrer Philosophie mehr Akzeptanz zu verschaffen, haben allerdings manche Pantheisten versucht, ihre ganz spezielle Metaphysik mit einer normativen Ethik zu verbinden, so auch Toland, der unter Aufklärung schon nicht mehr ein höchst elitäres Projekt verstand, das auf wenige überragende Geister beschränkt war. In seinem Pantheisticon trägt er daher neben den entsprechenden metaphysischen Lehren auch die klassische Lehre vom natürlichen Gesetz vor, das der Vernunft innewohnt und 38 Ders., Letters to Serena, London 1704, 133 ff.: „Letter IV. To a Gentleman in Holland, showing Spinosa’s System of Philosophy to be without any Principle or Foundation“; ferner 163 ff.: „Letter V. Motion essential to Matter“. 39 Zur Differenz von Deismus und Spinozismus vgl. Winfried Schrçder, Spinoza in der deutschen Frühaufklärung, Würzburg 1987, 166 ff.

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bestimmte Handlungen gebietet, andere verbietet.40 Diese auf die Stoa zurückgehende und von Toland in den Worten des von ihm überaus geschätzten Cicero vorgetragene Lehre41 spielte in der Naturrechtstradition der frühen Neuzeit eine zentrale Rolle, aber sie passt überhaupt nicht zum Spinozismus. Toland übersieht oder übergeht die Diskrepanz der beiden Konzeptionen.42

VI. Zusammenfassend ist zu sagen: Die Deisten haben die natürliche Religion mit ihrem im Prinzip jedermann verständlichen Kernbestand von metaphysischen und moralischen Wahrheiten – wenn dieser Gesinnung und Handeln des Menschen bestimmt – für zureichend zum ewigen Heil gehalten und sich daher kritisch mit Inhalt und Geltungsanspruch der Offenbarungsreligion auseinandergesetzt; auch mit der herausragenden Rolle, die Moses nach Ansicht der Theologen darin zukam. Dabei hielten sie sich fast ausschließlich an das Bild, das der Pentateuch von Moses zeichnet. Anfänglich haben sie Moses positiv beurteilt, nämlich als einen Weisen, der dem Verfall der natürlichen Religion entgegentrat und im Dekalog ein Summarium des natürlichen Gesetzes verkündete. Entsprechend ihrer Überzeugung, dass Religion in der Praxis nur Moral ist, haben sie später Moses zunehmend kritisiert, nämlich als einen Politiker, den Gesinnung und Handeln für die Rolle eines Gesandten Gottes disqualifizierten und der zur leichteren Durchsetzung seines Strebens nach Macht und Herrschaft göttliche Offenbarung und Sendung nur vorgab, aber keine legitime Autorität besaß. Nicht in diese Entwicklung passt John Toland, der aufgrund seines Frühwerks zu den Deisten gerechnet wird, der sich aber 40 John Toland, Pantheisticon, Cosmopoli 1720, 67 f. 41 Marcus Tullius Cicero, De Re Publica, Buch 3, § 33; zu Tolands Begeisterung für Cicero, die auch aus seinem Prospekt einer geplanten Gesamtausgabe von Ciceros Schriften spricht, vgl. meinen Beitrag Cicero and the Enlightenment, in: Studies on Voltaire and the Eighteenth Century 25 (1963), 657 – 682, hier 664 – 671. 42 Es ist nicht ratsam, den Deismus zu nahe an den Spinozismus heranzurücken oder sogar mit ihm gleichzusetzen, wie es die theologischen Gegner des Deismus getan haben. Zwar haben die Deisten einzelne Gedanken aus Spinozas Tractatus Theologico-Politicus aufgenommen, aber zu seiner Ethica ordine geometrico demonstrata haben sie Abstand gehalten. Einige von ihnen, zum Beispiel Robert Challe, der als der „Vater des französischen Deismus“ gilt, Hermann Samuel Reimarus und der deutsch-dänische Deist Georg Schade haben Spinozas Metaphysik und Ethik ausdrücklich zurückgewiesen.

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in seinen späteren Jahren in einer Grauzone zwischen Deismus und Pantheismus bewegte und Moses zutiefst verehrte. Die Orthodoxen aller Konfessionen haben die deistische Kritik an Moses Punkt für Punkt zurückgewiesen. Nimmt man ihre zahlreichen Gegenschriften zur Hand43, so findet man in vielen mehr historisch-philologische Gelehrsamkeit als die meisten Deisten vorweisen konnten, aber auch so manches Beispiel von ignoratio elenchi und petitio principii, insgesamt wohl reine Rückzugsgefechte. Als der Deismus gegen Ende des Jahrhunderts der Aufklärung seine Aktualität verlor, wurde es Mode, die Einwände gegen Moses als abstrakt und unhistorisch abzutun. Diese Einschätzung wirkt noch heute nach, aber sie macht die Frage unvermeidlich, ob denn die Orthodoxen, mit denen es die Deisten im dargestellten Zeitraum zu tun hatten, weniger abstrakt und unhistorisch in Bezug auf Moses dachten als die Deisten. Es ist gar nicht zu bestreiten, dass das historische Denken einen Fortschritt in der Philosophie ebenso wie in der Theologie bedeutete, insofern es zu einer angemesseneren Beurteilung von Personen der Vergangenheit führte, aber als es sich durchgesetzt hatte, war es mit Moses als moralisch-religiöser Leitfigur im Christentum vorbei. Er wurde zum Gegenstand wissenschaftlicher Erforschung und gab als solcher keinen Anlass mehr zur Empörung. So gesehen, wurde die deistische Kritik an Moses nicht widerlegt, sie wurde gegenstandslos.

43 Schon früh setzte die historische Beschäftigung mit dem Deismus ein, in England mit John Leland in seiner bis heute benutzten Gesamtdarstellung, in Deutschland mit Christoph Gottlob Grundig, Johann Anton Trinius, Christoph Matthaeus Pfaff und Urban Gottlob Thorschmid und ihren umfassenden bibliographischen Sammlungen, in Frankreich mit Claude-François Nonnotte und seiner lexikonartig gegliederten Behandlung der Gegenstände, denen die Kritik der Deisten galt.

Der Schwanengesang eines Freidenkers Johann Christian Edelmanns kommentierte Übersetzung der Schrift De tribus impostoribus

Winfried Schröder Das Buch und der Mann, die im Untertitel dieses Beitrags zueinander gefunden haben, passen schon insofern gut zusammen, als die anonyme, im späten 17. Jahrhundert entstandene Schrift De tribus impostoribus, seit im Mittelalter das Gerücht von ihrer Existenz aufkam, als die Inkunabel der radikalen Religionskritik des Okzidents1 gilt, die wiederum im Deutschland des 18. Jahrhunderts in Johann Christian Edelmann einen ihrer wichtigsten und den seinerzeit sicher prominentesten Vertreter besaß2. Mehr noch: Edelmann hatte eine besondere Beziehung zu dieser Schrift, genauer gesagt: zu den zwei damals bekannten Schriften, die den Titel Von den drei Betrgern tragen. Edelmann gehört zu den schillerndsten Gestalten der deutschen Aufklärung: Aus pietistischem Milieu hervorgegangen, später ein nicht nur mutiger, sondern oft auch scharfsinniger Bibelkritiker und Verfechter eines eigenwilligen, vage an Spinoza anknüpfenden Pantheismus, verstummte er lange vor seinem Tod im Jahre 1767. Die Dunkelheit, in der nahezu sein gesamtes letztes Lebensjahrzehnt liegt, weckt Neugier, handelt es sich bei ihm doch um eine Schlüsselfigur der deutschen Freidenker1

2

Anonymus [ Johann Joachim Mller], De imposturis religionum (De tribus impostoribus). Von den Betrügereyen der Religionen. Dokumente. Kritisch hg. und kommentiert v. Winfried Schrçder, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999. Die weit in die frühislamische Zeit zurückreichenden Wurzeln des gegen die Stifter der drei Buchreligionen erhobenen Betrugvorwurfs hat Friedrich Niewöhner in seiner weit ausholenden Studie Veritas sive varietas. Lessings Toleranzparabel und das Buch von den drei Betrügern, Heidelberg 1988, freigelegt. Johann Christian Edelmann, Sämtliche Werke in Einzelausgaben, hg. v. Walter Grossmann, Stuttgart-Bad Cannstatt 1969 ff.; Walter Grossmann, Johann Christian Edelmann. From Orthodoxy to Enlightenment, Den Haag/Paris 1976; Carl Mçnckeberg, Hermann Samuel Reimarus und Johann Christian Edelmann, Hamburg 1867; Hermann E. Stockinger, Die hermetisch-esoterische Tradition, unter besonderer Berücksichtigung Johann Christian Edelmanns, Hildesheim 2004.

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bewegung und dazu noch um einen besonders unruhigen Kopf, dessen intellektuelle Entwicklung in den Phasen, die wir kennen, schon windungs- und überraschungsreich genug war. Was, so möchte man wissen, war der Endpunkt dieser philosphisch-theologischen Odyssee? Ein neuerdings entdecktes Dokument, das sechs Jahre vor seinem Tod entstand, kann hier Klarheit schaffen.

Das neuentdeckte Dokument: Von den Betrügereyen der Religionen (1761) Miguel Benítez, dem die Forschung zur philosophischen Untergrundliteratur der Aufklärung, der littrature clandestine, eine erhebliche Vermehrung ihres Quellenfundus verdankt, brachte in den 1990er Jahren, von einem reichen Fischzug aus Polen heimgekehrt, die Photokopie eines merkwürdigen Manuskripts mit, das in der Universitätsbibliothek Breslau verwahrt wird (Biblioteka Uniwersytecka; Sign.: ms. 6728 [ehemals MIL IV.204]). Sein Titel nimmt sich auf den ersten Blick kryptisch aus: Extract aus einer von Euander bersetzten und mit Anmerkungen herausgegebenen Handschrift unter dem Titel Von den Betrgereyen der Religionen. Berlin 1761. 3 Schon bei flüchtiger Lektüre zeigt sich jedoch, dass es sich um eine Übersetzung des lateinischen Betrügertraktats und nicht seines französischen Pendants handelt. Mehr als die Hälfte der Handschrift nimmt ein Kommentar zu den jeweils mit einer im Original nicht vorgenommenen Paragraphenzählung versehenen Abschnitten des Textes ein. Mit dem Breslauer Manuskript liegt uns die, soweit bekannt, einzige erhaltene Übertragung von De tribus impostoribus ins Deutsche aus dem 18. Jahrhundert vor. Sie war nicht die erste4 : Von einem heute verschollenen Manuskript Ein kurzer Entwurf von denen Betrgereien in allen Religionen […] nebst Nachrichten von dem Buch de tribus Impostoribus wissen wir durch die Beschreibung seines Besitzers Johann Christian Gottfried Jahn5. Benítez’ Fund ist nicht allein bedeutsam, weil die Übersetzung noch der Epoche zugerechnet werden kann, der unser Text angehört, sondern 3 4 5

Das Breslauer Manuskript („Extract“) ist veröffentlicht in: Anonymus, De imposturis religionum, (s. o. Anm. 1), 141 – 229. Vgl. Winfried Schrçder, Sur quelques traductions anciennes et parfois inconnues du ‹Traité des trois imposteurs›, in: La lettre clandestine 2 (1993), 63 f. Vgl. Verzeichnis der Bücher, so gesamlet Johann Christian Gottfried Jahn, Frankfurt/Leipzig 1755 – 57, 1957 f.

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weil die Person des Übersetzers ihr eine für die Geschichte der Freidenkerbewegung nicht unerhebliche Bedeutung verleiht. Wer der Übersetzer und Kommentator, der statt seines Namens ein Pseudonym auf das Titelblatt setzte, war, ist nicht allzu schwer herauszufinden. Angesichts der damals beliebten Gräzisierung von Eigennamen wird man gleich auf die beiden Wortbestandteile (griech.) eu = „gut“ und anr = „Mann“ aufmerksam. Und so wird man an Johann Christian Edelmann denken, denn „Euander“ ist offensichtlich die gräzisierte Form von „Edel-mann“. Diese Vermutung bestätigt ein näherer Blick in den Kommentar, der mehrere deutliche Hinweise auf die Identität seines Verfassers enthält. Sogleich stößt man auf die eigentümlichen Grundideen des aus einem schwärmerisch-pietistischen Milieu stammenden Edelmann, die sich markant von der rationalistischen Religionskritik der Zeit abheben und vor allem in seinen späteren Schriften in eine pantheistische Religiosität münden6 ; neben John Toland war er, soweit bekannt, der einzige sich selbst auch so bezeichnende7 ,Pantheist’ des 18. Jahrhunderts. Explizit wird die Urheberschaft ausgesprochen, wo der Übersetzer und Kommentator in der ersten Person auf „mein Glaubensbekenntniß“ auf Edelmanns Abgençthigtes Glaubens-Bekentnis (1746) 8 Bezug nimmt. Das Breslauer Manuskript ist ersichtlich kein Autograph, sondern eine Abschrift.9 Schon der Titel weist es als Auszug („Extract“) eines umfangreicheren Textes aus. Groß ist zudem die Zahl der Fehler, die die mangelnde Sachkenntnis eines Lohnschreibers verraten. Der Forschung, die sich seit Walter Grossmanns Edition und Monographie10 wieder intensiver um Edelmann bemüht11, ist nicht nur das 6 Edelmann, Extract, (s. o. Anm. 3), 157 ff. 7 Edelmann bezeichnete seine Ansicht, der Ursprung der Dinge müsse „etwas mehr, als eine Person seyn“ und könne nicht mit dem „Mausetodten Gott“ der Christen identifiziert werden (Die erste Epistel St. Harenbergs [1747], Sämtliche Werke, (s. o. Anm. 2), Bd. 11, 427 f.), ausdrücklich als „meine Pantheisterey“; Das Evangelium St. Harenbergs [1748]. Sämtliche Werke, (s. o. Anm. 2), Bd. 11, 351. 8 Edelmann, Extract, (s. o. Anm. 3), 161. An anderer Stelle (Extract, 207) bezieht Edelmann sich auf den damals ungedruckten, aber im Manuskript verbreiteten 5. Teil (Fünfter Anblick) seiner Schrift Moses mit aufgedecktem Angesichte in: Edelmann (s. o. Anm. 2), Bd. 7/2. 9 Vgl. „Fabricii [statt ,Bruckeri’] Historia crit. Philosoph.“; 166, „Samuel Paracrus“ statt „Parcerus“ bzw. „Parkerus“; dazu zahllose weitere Flüchtigkeitsfehler, die am ehesten der Unaufmerksamkeit eines Kopisten zuzuschreiben sein dürften. 10 S.o. Anm. 2. 11 Vgl.Dominique Bourel, Edelmann etle Spinozisme, in: Archives dephilosophie 46 (1983) 583 – 589; Stefan Winkle, Die heimlichen Spinozisten in Altona und der

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Breslauer Manuskript, sondern auch die Tatsache unbekannt, dass er überhaupt den Betrügertraktat übersetzt hat. Auch in Quellen des 18. Jahrhunderts scheint die Übersetzung keinerlei Spur hinterlassen zu haben. In dem umfangreichen, heute zum Teil verlorenen Hamburger Edelmann-Fundus12, ist die De tribus impostoribus-Übersetzung nicht enthalten gewesen.

Edelmann und die Betrüger-Traktate Heterodoxe und speziell atheistische Literatur sammelte Edelmann, wie er seinem Freund und Manuskriptlieferanten Georg Christoph Kreyssig (1697 – 1758) gegenüber einmal bekannte, „mit Verlangen“13 und, keine Selbstverständlichkeit bei den oft überaus seltenen Handschriften, mit beachtlichem Erfolg. Beiden, dem kurz vor 1700 entstandenen französischen Trait des trois imposteurs 14 und seinem inhaltlich wie textgeschichtlich von ihm unabhängigen lateinischen Gegenstück De tribus impostoribus, das Spinozastreit. Hamburg 1988, bes. 35 – 44; Eva Scheweleit, Johann Christian Edelmann. Repräsentant der radikalen Aufklärung, in: Wolfgang Fçrster (Hg.), Aufklärung in Berlin, Berlin 1989, 279 – 315; Rüdiger Otto, Johann Christian Edelmann’s criticism of the Bible and its Relation to Spinoza, in: Wiep van Bunge/ Wim Klever (Ed.), Hidden and overt Spinozism around 1700, Leiden/New York/ Köln 1996, 171 – 188. 12 Eine Liste findet sich bei Carl Rudolph Wilhelm Klose, Einleitung zu: Johann Christian Edelmann’s Selbstbiographie, in: Edelmann (s. o. Anm. 2), Bd. 12, XXIII–XXVII. Das Erhaltene verzeichnet Nilüfer Krger (Bearbeiterin), Die theologischen Handschriften der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. 3. Quarthandschriften und kleinere Formate, Stuttgart 1993. 13 Edelmann, Brief vom 15. 7. 1744, in: Sechs Briefe an Georg Christoph Kreyssig, hg. v. Philipp Strauch, Halle 1918, 14. Über den Dresdener Bücherauktionator Kreyssig vgl. den Art. „Kreyssig“, in: Allgemeinene deutsche Biographie, Berlin 1871 ff., Bd. 17, 156. 14 Anon, Traktat von den drei Betrügern. Traité des trois imposteurs [frz.-dt.]. Kritisch hg. v. Winfried Schrçder, Hamburg (1992) 21994; Trattato sui tre impostori. La vita e lo spirito del signor Benedetto de Spinoza [frz.-ital.], a cura di Silvia Berti. Prefazione di Richard H. Popkin, Turin 1994; Traité des trois imposteurs (L’esprit de Spinoza), hg. v. Françoise Charles-Daubert [Libre pensée et littérature clandestine, hg. v. Antony McKenna, Paris/Oxford 1999; vgl. dazuSilvia Berti/Françoise Charles-Daubert/Richard H. Popkin (Ed.), Heterodoxy, Spinozism, and free-thought in early eighteenth-century Europe. Studies on the ’Traité des trois imposteurs’. Dordrecht 1996, sowie vom Verfasser: Ursprünge des Atheismus. Untersuchungen zur Metaphysik- und Religionskritik des 17. und 18. Jahrhunderts, Stuttgart-Bad Cannstatt 1998, 452 – 464.

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gleichfalls aus dem späten 17. Jahrhundert stammt15, galt sein besonderes Begehren.16 Edelmanns Beschäftigung mit den zu seiner Zeit zirkulierenden Traktaten ’Über die drei Betrüger’ reicht weit hinter die Zeit zurück, in der er die De tribus impostoribus-Übersetzung anfertigte.17 Im Jahre 1744 ist der lateinische Traktat in seinem Besitz nachweisbar; am 15. Juli dankt er Kreyssig „vor die gütige Communication des Mcts [Manuscripts] de Imposturis R.“18 Den Trait des trois imposteurs besaß er auch. Möglicherweise stammt eine Übersetzung des Trait aus der Mitte des 18. Jahrhunderts von ihm, die ursprünglich nur handschriftlich zirkulierte, heute verloren ist, aber durch einen Druck aus den späten 1780er Jahren überliefert ist.19 Dieser Druck wird zumeist in das Jahr 1787 gesetzt.20 Maßgeblich dürfte jedoch sein, dass Karl Heinrich Heydenreich im 1788 datierten Vorwort seiner Schrift Natur und Gott nach Spinoza mitteilt, die Übersetzung sei „in diesem Jahre herausgekommen“21. Das diesem Druck zugrunde liegende 15 Eine kritische Edition ist in dem oben (Anm. 1), 93 – 140 zitiertem Band von 1999 enthalten. Zur Zuschreibung dieses Textes an den Hamburger Juristen Johann Joachim Müller (1661 – 1733), einen Enkel des Theologen Johann Müller; vgl. Winfried Schröder, De tribus impostoribus (De imposturis religionum). Sa date et son auteur, in: La lettre clandestine 7 (1998), 15 – 40, sowie Ursprünge des Atheismus, Schrçder (s. o. Anm. 14), 417 – 451. 16 In diesem Zusammenhang ist am Rande auch eine Mitteilung Andreas Gottlieb Maschs von Interesse: „Zu meiner Zeit war in Halle ein Mensch, der seinem Lehrbegriffe nach ein Edelmannianer, und seiner Aufführung nach ein porcus Epicuri war, welcher mit diesem Mscrt. einen gottlosen Handel trieb.“ Andreas Gottlieb Masch, Nachrichten von dem Buche De tribus impostoribus, in: Bremund Verdische Bibliothek (1757), 837. 17 Vgl. etwa Edelmann, Glaubens–Bekentnis, in: Werke, (s. o. Anm. 2), Bd. 9, 87 – 93; vgl. auch Edelmann, Sechs Briefe an Georg Christoph Kreyssig, (s. o. Anm. 13), 9 f., 15 f.; vgl. auch den ungedruckten Auszug eines Schreibens von Herrn Edelmann, an einen seiner guten Freunde, in der Hallenser Sammelhandschrift. Verschiedene Nachrichten und Excerpta das berüchtigte Buch De tribus impostoribus betreffend (Halle: UuLB Sachsen-Anhalt, Misc. 48 24), 8 – 10, der sich unter anderem auf Edelmanns Abschrift von De tribus impostoribus bezieht. 18 Vgl. den Brief an Kreyssig, 16. April 1744 (s. o. Anm. 13), 12; Edelmann zitiert den Text mit dem ebenfalls geläufigen Titel De imposturis religionum. 19 Spinoza II.oder Subiroth Sopim.Rom,bey der WittweBona Spes 5770, Berlin 1787 [wohl eher: 1788], 1 – 88. 20 Diese Datierung findet sich etwa bei Antonius van der Linde, Spinoza. Bibliografie. Den Haag (1871), 31. 21 Karl Heinrich Heydenreich, Natur und Gott nach Spinoza. Leipzig (1789), LXXX. Im Dezemberheft des Jahres 1788 erschien in der Jenaer Allgemeinen Literaturzeitung (880) eine Rezension des Büchleins.

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Manuskript trug die Jahreszahl 1745 und den Titel Das Buch von denen drey Erzbetrgern, Mose, Messia und Mahomed 22. Sprachliche Gründe stehen einer Zuweisung der Übersetzung an Edelmann nicht entgegen. Es fehlen jedoch positive Indizien, da das Manuskript des Jahres 1745 keinen Kommentar enthielt23, der wie im Falle der De tribus impostoribus-Übersetzung sichere Hinweise vor allem inhaltlicher Art auf den Urheber geben könnte. – Der nicht auf Edelmann zurückgehende launig-spielerische Titel des Drucks von 1788 nimmt mit seiner ersten Hälfte – Spinoza II. – zeitgemäß auf den Pantheismusstreit Bezug und gibt mit den hebräisch anmutenden Wörtern Subiroth Sopim dem Neugierigen einen allerdings etwas verzwickten Hinweis auf den Inhalt des Büchleins: Man muss Subiroth Sopim bloß rückwärts lesen und die beiden dann zu Anfang stehenden Buchstaben vertauschen – und schon weiß man, was man in den Händen hält.

Edelmanns Kommentar zu De tribus impostoribus Das Datum 1761, an dessen Richtigkeit zu zweifeln kein Grund besteht, weist der kommentierten De tribus impostoribus-Übersetzung einen besonderen Stellenwert in Edelmanns Werk zu. Denn man hat bislang angenommen, dass der gejagte Freidenker, der mehrmals mit Publikationsund Schreibverboten belegt worden war, nach 1759 tatsächlich, vielleicht auch aus gesundheitlichen Gründen, die Feder aus der Hand gelegt und bis zu seinem Tod im Jahre 1767 hat ruhen lassen24 : “There is evidence that Edelmann continued writing until 1759 […]. But concerning the last seven years of his life there is complete void. Had there been some physical decline over a longer period of years?”25 Nun haben wir jedoch mit diesem Text aus den vermeintlich ,stummen‘ letzten Lebensjahren Edelmanns sein tatsächlich letztes Wort. Es ist ein Glücksfall, dass es durch die Kommentierung gerade dieses Textes veranlasst war. Denn dieser enthielt genug Stichworte, um ein abgerun22 So die Mitteilung des unbekannten Herausgebers in seiner Einleitung zu Subiroth Sopim (s. o. Anm. 19), X. 23 Der dem Druck beigegebene Kommentar stammt nicht vom Übersetzer von 1745, sondern vom Herausgeber des Jahres 1788. 24 Vgl. Klose, Einleitung (s. o. Anm.12), XXIII. 25 Grossmann, Johann Christian Edelmann (s. o. Anm. 2), 169. Die von Grossmann (s. o. Anm. 2), 199 f. erwähnten unedierten und z. T. nicht datierten Handschriften Edelmanns sind vor 1759 entstanden.

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detes Vermächtnis in Religionssachen aus dem alten Freigeist hervorzulocken. Anhand des Kommentars zu De tribus impostoribus wird das Schlusskapitel der intellektuellen Biographie Edelmanns zumindest noch einmal zu überprüfen sein. Auch wenn die neuere Forschung die Stilisierung Edelmanns zum säkularistisch-aufgeklärten Freidenker in Frage gestellt und diejenigen Züge seiner intellektuellen Physiognomie betont hat, die es nahegelegen, ihn eher als eine – freilich heterodox-exzentrische – Gestalt der Frömmigkeitsgeschichte zu sehen26, so ist man doch über manche Akzentsetzungen in seinem De tribus impostoribus-Kommentar überrascht: Der wohl berüchtigtste Freigeist der deutschen Aufklärung, der von seinen theologischen Gegnern immer wieder als Atheist27 etikettiert wurde, tritt uns in diesem Kommentar geradezu als homo religiosus entgegen. Von Gottlosigkeit findet sich keine Spur. Was die philosophische Theologie angeht, ist Edelmann bemüht, Einwürfe gegen die Güte und Allmacht des höchsten Wesens zu entkräften, und gibt sogar selbst die knappe Skizze einer eigenen und recht eigenwilligen Theodizee.28 Ausdrücklich weist Edelmann die Kritik zurück, die in De tribus impostoribus an den beiden Säulen der Rationaltheologie geübt worden war: Während dort das Dasein Gottes und die Pflicht, ihn zu verehren („Deum esse, eum colendum esse“) in Frage gestellt wurde, bekräftigt Edelmann beide Lehrstücke mit Nachdruck: „Der leichteste Weg für Gelehrte und Ungelehrte bleibt allemal der: Es giebt ein höchstes Wesen, das allgegenwärtig, folglich auch in jedem Menschen ist. Wenn es also mit ihnen sprechen will, so wird es dies lieber selbst in ihnen, als durch betrügliche Menschen thun. Die Offenbahrungen Gottes sind allgemein, und müssen also auch jedem das nemliche sagen. Lernt man dabey die Vernunft recht gebrauchen, so braucht man weiter keine Untersuchung der Secten und Lehren“.29 „Freylich lehrt die Vernunft keine Art der Verehrung, wie sie bey den Religionen angetroffen wird, allein darum folgt noch nicht, daß Gott keiner Verehrung würdig sey, da wir ihm doch alles schuldig sind und zu danken 26 Vgl. etwa Martin Mulsow, Moderne aus dem Untergrund. Radikale Frühaufklärung in Deutschland 1680 – 1720, Hamburg 2002, 280 f., 287 f. 27 Das tut ausdrücklich Johann Georg Pfotenhauer, Vollständige Widerlegung des Edelmannischen Glaubens-Bekänntnisses, Worinnen zugleich eine französische Freydenckerische Schrifft, welche bißher unter zwey Tituln bekannt gewesen, untersucht und beurtheilet wird. Wittenberg 1748/49, Bd. 1, 34 ff. 28 Edelmann, Extract, (s. o. Anm. 3), 170 ff. 29 Ebd., 223.

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haben. Ehe dieß folget, muß man lieber erweisen, daß gar kein Gott sey, und dieß ist unmöglich.“30

Die Existenz Gottes, ja sogar die natürliche Ausstattung des Menschen mit der Idee Gottes wird ausdrücklich affirmiert. Zwar „sind die Vorsteher der Religionen mehrentlich Lügner, und nur auf ihren Nutzen bedacht, aber daraus folget nicht, daß alles, was kluge Leute vom Daseyn Gottes und dessen Verehrung gesprochen, auf bloßer Erdichtung und Eigennutz beruhe. Aber auch die Klügern würden nicht Eingang gefunden haben, wenn die Idee eines solchen Wesens nicht im Menschen läge. Diese Idee ist nicht Einbildung“31. Die Betrugshypothese kann eine solche natürliche Idee nicht als nichtig erweisen. Die Gottesvorstellung war vor aller Vergesellschaftung32 und den dabei eingesetzten betrügerischen Machenschaften vorhanden. Nicht die Entstehung der Religion selbst, sondern allein deren Degenerationserscheinungen „der Aberglaube der Religionen“33 sind mit der Betrugshypothese zu erklären. Auch in gesellschaftstheoretisch-funktionalistischer Perspektive erweist sich die Religion aus Edelmanns Sicht als unverzichtbar. Sie abschaffen und ihre theoretischen wie praktischen Lehren für „nichtige Einfälle erklären [zu] wollen, wäre unverständig und hieße der Ausgelassenheit freye Bahn öffnen.“34 Selbst religiöse Fiktionen („Gedichte“) sind wirksame und legitime Sozialregulative35. Und der Einzelne braucht die Religion, weil er ohne ihren „Trost“36 nicht leben kann. Die „Religionen, so betrüglich sie mehrentheils sind, haben doch darinnen viel heitere Blicke gehabt, die den armen Menschen in ihren Widerwärtigkeiten sehr zu statten kommen“37.

30 Ebd., 196; vgl. auch 182: „Die rechte Verehrung Gottes bestehet in der guten Anwendung seiner Gaben, der Vernunft, des Verstandes, und der Sinne, durchderen würdigen Gebrauch wir nicht betrogen werden können. Dadurch wird Gott geehrt, ohne Ehre zu bedürffen.“ 31 Ebd., 185 f. 32 Vgl. ebd., 186: „Daß der Aberglaube der Religionen so entstanden, und durch die Priester und Staatsursachen unterhalten werde, ist richtig. Aber nicht alles, was Priester gesprochen haben, ist Schreckbild für den Pöbel“. 33 Ebd., 186. 34 Ebd., 187. 35 Vgl.ebd., 186: „es ist nicht zuleugnen, daß das wildeVolknoch bisweilen auch so gar durch ihre Gedichte im Zaume gehalten wird.“ 36 Ebd., 187. 37 Ebd., 187.

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Wohl findet sich in Edelmanns Kommentar immer wieder die entschiedenste Kritik an der Gestalt, die das Christentum nach dem Tode seines Stifters angenommen hat. Aber es sind doch deutlich andere, versöhnlichere Akzente als in seinen letzten Publikationen gesetzt. Zum einen gibt es mehr als einen Hinweis auf eine gewisse Annäherung an die neuere evangelische Theologie. Besonders auffällig ist die positive Bezugnahme auf ein Hauptwerk der neologischen Strömung, die Betrachtung ber die Bestimmung des Menschen 38 des namentlich nicht genannten Johann Joachim Spalding39. Edelmann folgt Spalding sogar – und dies mit besonderem Nachdruck – in seiner religiös motivierten Abwertung der „Sinnlichkeit“.40 Erstaunlich ist auch Edelmanns Nähe zu einer Theologie, die in ihrer Kirchengeschichtsschreibung einen redlich-selbstkritischen, unparteilichen Blick auf ihre Ursprünge und vor allem auf die Patristik warf. Hier ist vor allem Edelmanns Rekurs auf Johann Lorenz Mosheim41 aufschlussreich. Edelmanns Kritik am Christentum ist zudem entscheidend durch die strikte Zurückhaltung im Hinblick auf dessen Stifter gemildert. Ganz ähnlich hatte er, als er in seinem Glaubens-Bekentnis auf das Buch De tribus impostoribus zu sprechen kam, „den gantz unschuldigen Jesum“42 gegen den 38 Die Bestimmung des Menschen [Kritische Ausgabe I.1] hg. v. Armin Beutel, Tübingen 2006. 39 Edelmann, Extract, (s. o. Anm. 3), 177 ff. 40 Ebd., 171 ff. 41 Vgl.Extract,(s. o. Anm. 3), 212 f.zuJohann Lorenz Mosheim, Institutiones historiae Christianae antiquioris, Helmstedt 1737. 42 Edelmann, Abgenöthigtes Glaubens–Bekentnis, Werke, (s. o. Anm. 2), Bd. 9, 87 f.; vgl. auch 212: „Noch ein Zeuge von den gottseeligen Betrügereyen in der christlichen Religion ist H. Mosheim, der eine eigene Abhandlung von den Ursachen der unterschobenen Bücher unter den Christen des 1ten und 2ten Jahrhunderts geschrieben, die sich als die dritte, im 1ten Vol. Dissertationum ad hist. eccles. pertinentium befindet, und da schreibt er p.263, §. XXI also: ,Es sey einigen der ältesten Christen schon eingeprägt gewesen, und von vielen Lehrern des dritten, vierten und folgender Jahrhunderte öffentlich gebilliget worden, daß in Streitigkeiten mit den Feinden der Wahrheit kein Betrug verboten, vielmehr hätten die ersten Christen geglaubet, daß gleichwie es vergönnet sey, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, also sey esauchnichtzumißbilligen, BetrugmitBetrugabzuweisen. Der seeligeHieronymus leugne selber nicht, daß er nicht die Art zu streiten pflege. H. Mosheim hat diese Materie auch in seinen Vindiciis antiquae Christianorum disciplinae, 169 – 172, am allernachdrücklichsten aber in seinen Institutionibus hist. Christianae antiquioris, 325, wo er unter die Krankheiten der christlichen Sittenlehre auch den Satz rechnet: ,Lügen und Betrug ist eine Tugend, wenn der Religion durch dieses Laster geholffen werden kann’.“

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Verdacht betrügerischer Machenschaften in Schutz genommen. Das war, wie im Lichte seiner Äußerungen im De tribus impostoribus-Kommentar deutlich wird, durchaus ehrlich gemeint.43 Jesus war, so meint Edelmann, genau genommen gar kein Religionsstifter: „So kan man eigentlich auch nicht sagen, Jesus habe das Christenthum, und dadurch eine neue Religion gestifftet. Davon zeigt sich keine Spur in seiner Geschichte.“44 Diese weltgeschichtlich verhängnisvolle Rolle spielte Paulus, der „der Stifter dieser neuen Religion [ist], weil er der erste war, welcher das Geschwätz von Christo in der Welt ausbreitete.“45 Mit dieser Rehabilitierung Jesu steht Edelmann im Kreis seiner heterodoxen Zeitgenossen nicht allein da.46 Geradezu verblüffend ist die Milde seines Urteils über die Bibel. Zwar sei das „Ansehen, in welchem die Bibel“ stehe, „übertrieben“, denn dieses beruhe auf der haltlosen Annahme, sie sei durch übernatürliche Offenbarung47 in die Welt getreten. So entschieden Edelmann die angebliche Form ihrer Bekanntmachung angreift, so vermag er doch ihre doktrinalen Gehalte – jedenfalls teilweise – zu würdigen. Ausdrücklich erkennt er an, dass die Bibel „würklich viele theure und herrliche Wahrheiten enthält, für welche man Hochachtung haben muß“48. Dies sind die letzten Worte des unvernünftigen und bösen49 Edelmann, der als Spötter der Heiligen Schrift die Verteidiger des Christentums wie wenige andere in seiner Zeit herausgefordert hatte. Sie werfen noch einmal ein bezeichnendes Licht auf die Ungeheuerlichkeit des Bruchs, den der 43 Für Edelmanns Gegner war diese ausdrückliche Verschonung Jesu im Glaubens–Bekentnis dagegen ein Beleg dafür,dass der Religionsfeind obendrein noch ein abgefeimter Heuchler war; vgl. etwa Pfotenhauer, Vollständige Widerlegung des Edelmannischen Glaubens-Bekänntnisses (s. o. Anm. 27), Bd. 2, 261 – 263. 44 Edelmann, Extract, (s. o. Anm. 3), 219. 45 Edelmann, Extract, (s. o. Anm. 3), 219, vgl. auch 214. 46 Dies gilt auch für seine Attacke auf Paulus, durch die Jesus so entscheidend entlastet wird. Vgl. besonders Hermann Samuel Reimarus, Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes, hg. von Gerhard Alexander, Frankfurt a.M. 1972, Bd. 2, 546: „Paulus ist also mit allem Rechte für den vorzüglichen Urheber und Stifter des Christenthums anzusehen“. Ein anonymer französischer Zeitgenosse Edelmanns hat in dem bisher nicht edierten Clandestinum La foi anantie dieselbe These entfaltet: „La Religion qu’on nomme du Christ, devroit bien plutôt s’appeller la Religion du Paul.“ Vgl. hierzu insgesamt die Quatrieme partie. Contenant l’examen des pitres de S. Paul, Paris, Bibliothèque Mazarine, Sign.: ms. 1189/4, Zit. S.3; dazu Winfried Schrçder, Ursprünge des Atheismus (s. o. Anm. 14), Appendix, §31. 47 Edelmann, Extract, (s. o. Anm. 3), 214. 48 Ebd., 218. 49 Vgl. Johann Peter Sssmilch, Die Unvernunft und Bosheit des berüchtigten Edelmanns […] zu aller Menschen Warnung vor Augen gelegt, Berlin 1747.

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Verfasser von De tribus impostoribus mit dem Christentum – ganz zu schweigen von seiner Kritik an der philosophischen Theologie – zwei Generationen zuvor vollzogen hatte.

Johann Lorenz von Mosheims Geschichte des berhmten Spanischen Artztes Michaels Serveto Dietrich Briesemeister Spanien hat im Verlauf des 16. Jahrhunderts eine beträchtliche Zahl von Querdenkern und Nonkonformisten hervorgebracht, die wegen ihrer religiösen, philosophischen oder politischen Überzeugungen Verdacht erregten1 – als Anhänger des Erasmus –, außer Landes gingen wie Juan Luis Vives, Juan de Valdés, Francisco de Enzinas und Casiodoro de Reina oder, von der Inquisition verurteilt, auf dem Scheiterhaufen endeten: Marranen, Alumbrados Lutheraner, Häretiker.2 In der Historia de los heterodoxos espaÇoles (1880 – 1882) des Marcelino Menéndez y Pelayo ragt der Arzt, Philosoph und Theologe Miguel Servet aus Aragonien als Erzketzer hervor, der dem Ruf der Rechtgläubigkeit im Weltreich der Katholischen Könige nach der Rückeroberung des letzten islamischen Herrschaftsgebiets auf der Iberischen Halbinsel und der Vertreibung der Juden 1492

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Friedrich Niewöhner machte kein Hehl aus seiner Zuneigung für Denker, die sich auf die Vernunft beriefen und dadurch zu Ketzern wurden. Während seiner Tätigkeit an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel hat er, auch in Zusammenarbeit mit der Fundación Xavier de Salas, Trujillo und Madrid, eine Reihe von Tagungen angeregt, gefördert und geleitet, die sich mit Reformern als Ketzer, heterodoxen Bewegungen von Vorreformatoren, Unsterblichkeit, Atheismus, Religion und Macht, Gottfried Arnold und Johann Lorenz von Mosheim sowie mit der spanischen Geistes- und Kulturgeschichte der frühen Neuzeit beschäftigten. Alastair Hamilton, Heresy and mysticism in sixteenth-century Spain. The Alumbrados, Cambridge 1992; Stefania Pastore, Un’eresia spagnola. Spiritualità conversa, alumbradismo e inquisizione (1445 – 1559), Firenze 2004; José C. Nieto, El Renacimiento y la otra España, Genève 1997; Wolfgang Otto, Juan de Valdés und die Reformation in Spanien im 16. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1989; Stefan Osieja, Das literarische Bild des verfolgten Glaubensgenossen bei den protestantischen Schriftstellern der Romania zur Zeit der Reformation. Studien zu Agrippa d’Aubigné, Francisco de Enzinas, Juan Pérez de Pinedo, Raimundo González de Montes, Olympia Fulvia Morata, Scipione Lentolo und Taddeo Duno, Frankfurt a.M. 2002; Werner Thomas, In de klauwen van de Inquisitie. Europese protestanten in Spanje 1517 – 1648, Amsterdam 2003.

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schmachvoll Abbruch getan haben soll.3 Seine Verurteilung durch Calvin erfuhr in Spanien erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Revision. In Deutschland leitete hingegen der protestantische Professor der Kontroverstheologie Johann Lorenz von Mosheim mit umfangreichen Quellenstudien, zuerst an der Universität Helmstedt, dann als Theologieprofessor und Kanzler in Göttingen, bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Umwertung ein. Mosheim besaß in seiner Bibliothek eine Abschrift der nur in wenigen Exemplaren erhaltenen Christianismi restitutio (Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Ms.Theol. 259) sowie Drucke von De Trinitatis erroribus, Dialogorum de Trinitate libri II und die Wahrhafte Erklrung des Herrn Jesu Gottes. Über hundert Jahre später gab der Hallenser Romanist Eduard Boehmer die Werke des erasmianisch gesinnten, nach Italien ausgewichenen Reformers Juan de Valdés heraus. Servet und Valdés gehören neben Ignatius von Loyola, Teresa de Ávila, Juan de la Cruz zu den großen geistlichen Gestalten im spanischen Goldenen Zeitalter. Mosheims Wende zu einer kritisch abwägenden Beurteilung des Falles Servet war erst nach Gottfried Arnolds in Quedlinburg verfasster und in kirchlichen Kreisen nicht unumstrittener Unpartheyischen Kirchen- und Ketzer-Historie von Anfang des Neuen Testaments biß auff das Jahr Christi 1688 möglich geworden (zuerst Frankfurt am Main 1699 – 1700 und anschließend mit Zusätzen wiederholt aufgelegt). Arnold besorgte auch die deutsche Übertragung (Frankfurt 1699) der Gu a espiritual que desembaraza el alma y la conduce por el interior camino, para alcanzar la perfecta contemplaci n y el rico tesoro de la interior paz (1675) des spanischen Geistlichen und Begründers des Quietismus Miguel de Molinos – eines Aragonesen wie Servet –, der nach der Verurteilung seines vor allem im Ausland verbreiteten und einflussreichen Erbauungsbuchs 1687 auf Betreiben der Jesuiten als Häretiker zu lebenslanger Klosterhaft verurteilt wurde. Im Jahr der Verurteilung erschien in Leipzig die lateinische Übersetzung Manducatio spiritualis aus der Feder des Hallenser Pietisten August Hermann Francke. Spätere Auflagen von Arnolds deutscher Fassung sind „mit einer Anleitung zu unanstößiger Lesung dieses Buches“ versehen.

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Madrid (1880 – 1882) 21963, Bd. 3, 312 – 387. Vgl. auch Marcel Bataillon, Honneur et Inquisition. Michel Servet poursuivi par l’Inquisition espagnole, in: Bulletin Hispanique 27 (1925), 5 – 17.

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Bereits in jungen Jahren begann Mosheim4 um 1712 mit Vorarbeiten zu einer Bibliotheca Vulcani, einer Geschichte der verbrannten Bücher. Möglicherweise hatte er Kenntnis von der Dissertation Historia Michaelis Serveti, die Johann Adolf Buhlau, ein Schüler von Peter Adolf Boysen, 1712 in Wittenberg verteidigte. 1712 fand in Halle ebenfalls eine akademische Disputation über Servet statt und in London erschienen in den Memoirs of Literature, von M. de la Roche herausgegeben, Beiträge über Servet. Das Jahr bezeichnet sichtlich die Wende zu einem neuen ,unparteiischen‘ Forschungsinteresse an dessen Schicksal und Lehren, das zunächst zu An impartial history of Michael Servetus burnt alive for heresie (London 1724) von Benjamin Hodges führt. 1725 berichten Johann Georg Schelhorn in den Amoenitates literariae (Bd. 2, 348 – 356, Bd. 3, 107 – 108, 558) und Johann Heinrich von Seelen in den Selecta litteraria, quibus varia sacra, civilia, philologica, philosophica, et alia continentur über Servets De Trinitate (Lübeck 21726, 52 – 76).5 Aus dem unvollendet gebliebenen Projekt ,Verbrannte Bücher‘ gingen Mosheims Forschungen über den „verbrannten Religionsstürmer“ Servet hervor, die sich über fast drei Jahr4

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Zu Mosheim John S. Oyer in: TRE 23, Berlin/New York 1994, 365 – 367. KlausGunther Wesselingin, Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 6, Herzberg 1993, 196 – 204; John Stroup, Protestant Church Historians in the German Enlightenment, in: Hans-Erich Bçdeker (Hg.), Aufklärung und Geschichte, Göttingen 1986, 169 – 192; Ekkehard Mhlenberg, Göttinger Kirchenhistoriker im 18. und 19. Jahrhundert, in: Bernd Moeller (Hg.), Theologie in Göttingen, Göttingen 1987, 232 – 250; Bernd Moeller, Johann Lorenz von Mosheim und die Gründung der Göttinger Universität, in: Ders. (Hg.), Theologie in Göttingen, Göttingen 1987, 9 – 40; Martin Mulsow, Bibliotheca Vulcani. Das Projekt einer Geschichte der verbrannten Bücher bei Johann Lorenz Mosheim und Johann Heinrich Heubel, in: Das achtzehnte Jahrhundert 18 (1994), 56 – 71; Eginhard Peter Meijering, Die Geschichte der christlichen Theologie im Urteil Johann Lorenz von Mosheims, Amsterdam 1995; Martin Mulsow (Hg.), Johann Lorenz Mosheim (1693 – 1755). Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte, Wiesbaden 1997; darin: Wilhelm Schmidt-Biggemann, Platonismus, Kirchen- und Ketzergeschichte. Mosheims dogmatischhistorische Kategorien, 193 – 210; Martin Mulsow, Eine ,Rettung‘ des Servet und der Ophiten? Der junge Mosheim und die häretische Tradition, 45 – 92; Ulrich Johannes Schneider, Zum Sektenproblem der Kirchengeschichte, 147 – 191; sowie Florian Neumann, Mosheim und die westeuropäische Kirchengeschichtsschreibung, 111 – 146. Konrad Heinrich Barckh(a)usen, Historica narratio de Johanne Calvino. Sampt einer umbständlichen Erzehlung von Serveto und dessen greulichen Lehren, Berlin 1721, stand mir nicht zur Verfügung. Exemplare in der Lippischen Landesbibliothek Detmold, UB Basel und in der British Library London nachgewiesen; vgl. auch Friedrich Wilhelm Bautz in: BBKL, Bd. 1, Herzberg 1990, 367.

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zehnte erstrecken und im weiteren Zusammenhang mit dem damaligen Atheismusstreit stehen. Im gleichen Jahr 1723, als ein Holländer in London die Neuausgabe der Christianismi restitutio veranstaltete, die Auflage aber auf Betreiben des Bischofs von London erneut verbrannt wurde, hielt Mosheim an der Helmstedter Universität seine Antrittsvorlesung De theologo non contentioso seu De officio theologi circa controversias über 2 Tim, 2, 23 – 25, mit Leitgedanken, die er in der Antrittsvorlesung an der 1737 gegründeten Universität Göttingen De odio theologico commentatio 1747 erneut aufgriff. Sie gelten programmatisch nicht nur für seine kirchengeschichtlichen Forschungen Institutiones historiae ecclesiasticae, seit 1726 mehrfach erweitert und wiederholt aufgelegt und die Beschäftigung mit Servet, sondern auch für seine Tätigkeit als Theologe, Prediger und Moralphilosoph. „Auf törichtes, zügelloses Fragen laß dich nicht ein: du weißt, es erzeugt nur Streit. Ein Diener des Hern aber darf nicht streiten; er soll vielmehr gütig gegenüber allen, zu guter Lehre fähig, geduldig in Widrigkeiten sein und die Störrischen mit Sanftmut zurechtzubringen versuchen.“ Mit dem Versuch einer unpartheiischen und grndlichen Ketzergeschichte (Helmstedt 1746) knüpft Mosheim bereits im Titel unverkennbar an Gottfried Arnold an. Auch Ketzer sind „testes veritatis“. Zur Geschichte der Theologie und Dogmatik gehört gleichermaßen eine Geschichte der Irrtümer, deren Erhellung der Theologe Mosheim, einer der Mitbegründer der pragmatischen Kirchengeschichtsschreibung, im Übergang von der streng lutherischen Orthodoxie zur Aufklärungszeit betreibt, denn: „Die Geschichte ist eine Schule aller Menschen, die nicht unvernünftig sind“ (ebenda, 35). Ausdrücklich will er „den Händen der Ketzerforscher entgehen) 6. Der klassischen Devise Historia magistra vitae getreu, erzählt Mosheim Geschichte, um ihren „innerlichen Zusammenhang“ (ebenda, 78) aufgrund von kritischen Quellenforschungen unparteiisch, das heißt möglichst objektiv aufzuzeigen. Geschehnisse und Personen schildert er sehr genau, ohne sie dogmatisch, polemisch oder apologetisch zu bewerten. „Die Ketzergeschichte wird vornehmlich zu dem Ende geschrieben, daß diejenigen, die noch in dem Selbsterkenntnisse, in der Weisheit und in der Klugheit zunehmen können, die Schwachheiten unserer Natur in lebendigen

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Johann Lorenz von Mosheim, Neue Nachrichten von dem berühmten spanischen Arzte Michael Serveto, der zu Geneve ist verbrannt worden, Helmstedt 1750, 14.

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Bildern erblicken und dem Abgrund, wohin sie zuletzt ihre Pfleger führen, sehen und vermeiden mögen“7

Die Stimmungslage in den Jahrzehnten nach dem Spanischen Erbfolgekrieg (1701 – 1714), der mit dem Aussterben der Habsburger Spaniens Niedergang als Weltmacht besiegelte, eine internationale politische Neuordnung einleitete und die europäischen Mächte in wechselnden Allianzen gegeneinander aufbrachte, verlockte keineswegs dazu, sich mit spanischer Kulturgeschichte oder gar mit dem geistlichen Leben in einem Kernland der institutionalisierten Ketzerverfolgung zu befassen. In der protestantischen Streitliteratur hatte sich die Vorstellung von Spanien und vom Spanier ohnehin seit Luther und im Gefolge der erbitterten Kontroverstheologie, seit dem Kampf Kaiser Karls V. gegen die Reformation, dem Aufstand der Niederlande, der zur Unabhängigkeit der kalvinistischen Nordprovinzen führte, und der erneuten Verschärfung der konfessionellen Gegensätze im Dreißigjährigen Krieg zu einem verhassten Schreckbild entwickelt.8 Es ist europaweit verbreitet und das Ergebnis der politischen Auseinandersetzungen und Hegemoniebestrebungen rivalisierender Mächte, der religiösen Gegensätze und kulturellen Führungsansprüche. Die deutsche Spanienwahrnehmung wird im frühen 18. Jahrhundert weitgehend bestimmt durch das aus französischen Quellen vermittelte negative Bild, insbesondere durch die literarische Kompilation der Reise durch Spanien (Leipzig 1695) der Gräfin d’Aulnoy und ihre Spanische Staats-Geschichte (Leipzig 1703). Nikolaus Hieronymus Gundling, Professor der Philosophie in Halle, nennt im Discours ber den ietzigen Zustand der Europischen Staaten (Frankfurt, Leipzig 1733/34, 112) das Land „dumm Catholisch“ mit vielen Geistlichen. 7 8

Ders., Anderweitiger Versuch einer vollständigen und unpartheiischen Ketzergeschichte, Helmstedt 1748, Vorrede, 28. Antonio Mestre Sanchis, La imagen de España en el siglo XVIII. Apologistas, críticos y detractores, in: Arbor 449 (1983), 49 – 73; Hans Juretschke (Hg.), Zum Spanienbild der Deutschen in der Zeit der Aufklärung. Eine historische Übersicht, Münster 1997; Ulrike Hçnsch, Wege des Spanienbildes im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Von der Schwarzen Legende zum „Hesperischen Zaubergarten“, Tübingen 2000; José Manuel Lpez De Abiada/Augusta Lpez Bernasocchi (Ed.), Imágenes de España en culturas y literaturas europeas (siglos XVI-XVII), Madrid 2004; Dietrich Briesemeister, Spanien aus deutscher Sicht. Deutschspanische Kulturbeziehungen gestern und heute, Tübingen 2004, Kap. II; Debora Gerstenberger, Iberien im Spiegel frühneuzeitlicher enzyklopädischer Lexika Europas. Diskursgeschichtliche Untersuchungen spanischer und portugiesischer Nationalstereotypen des 17. und 18. Jahrhunderts, Stuttgart 2007.

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„Doch dieses ginge noch hin, wenn sie nur die Inquisition nicht hätten. Denn ein Spanier ist ein Raisonneur und judicieuser Kerl, der auch dabey laborieux ist, denn sein temperamentum melancholicum macht ihn gedultig, daß er lieset, arbeitet und colligiret. Er inclinieret zu tiefsinnigen Studiis, und wenn die Inquisition nicht wäre, so würde man sehen, was er für Gutes würde herausbringen. Kurtz, die Inquisition alles verhuntzet.“

In den Otia (Frankfurt 1706/07) heißt es im Kapitel Von dem Temperament der Spanier (I, 1 80): die cholerisch-melancholische Mischung der Säfte im Blut bedinge die Wesensmerkmale des Spaniers.9 Das Temperament hänge wiederum von Klima und Landschaft ab. Aus Körperkonstitution und Säftemischung lasse sich die geistig-moralische Physiognomie des Spaniers ableiten. Demzufolge ist er ein „hitziges, trockenes, dürres, schmachtiges und nicht allzu grosses schwärtzliches Animal; voller Muth und Courage, mäßig im Essen und Trincken, in seinen Anschlägen [Unternehmungen] groß und magnifique […] unverzagt, beständig, presomtueux und hochmüthig, zur Kopfarbeit geschickt, stille und verschwiegen, mehr judicieux als ingenieux […] geitzig, grausam, langsam, betriegerisch und neidisch […] und weilen er späte oder gar nicht heyrattet, zur Hurerei bißweilen nicht ungeneigt (76) […] Der Spaniard […] ist ein Feind von Manufacturen, von Handwerken, vom Ackerbau […] In der Physique will es mit ihnen nicht fort; theils weil man hierdurch […] leicht zu einem Hexenmeister kann gemacht werden, theils weil sie zur Mechanic keine lust haben.“ (50)

Um nur ein Beispiel für die umlaufenden stereotypen Urteile über den Spanier zu geben, sei auf Pastor Paul Ludolph Berckenmeyer verwiesen; sein Neu-vermehrter Curieuser Antiquarius, das ist Allerhand auserlesene Geographische und Historische Merckwrdigkeiten, so in denen Europischen Lndern zu finden (Hamburg 71738, zahlreiche Überarbeitungen seit 1709): „Von den Spaniern sagt man, daß sie am allerärmesten von Tugenden, und die allerreichesten von Lastern seyen“(109) 10. 9 Christine Orobitg-Laval, La typologie des nations et l’espagnol mélancolique: notes pour l’interprétation d’un cliché, in: Revue de synthèse 1 (1995), 99 – 128. 10 Für das Fortwirken der Luther, aufgrund von Aufzeichnungen aus den Tischgesprächen, zugeschriebenen antispanischen Einstellungen in protestantischen Kreisen Eric Ackermann, La ,España‘ de Lutero. Oberservaciones sobre algunos pasajes de los Coloquios de sobremesa, in: José Manuel Lpez De Abiada/Augusta Lpez Bernasocchi (Ed.), Imágenes de España en culturas y literaturas europeas (siglos XVI-XVII), Madrid 2004, 63 – 74; Peer Schmidt, Spanische Universalmonarchie oder „teutsche Libertet“. Das spanische Imperium in der Propaganda des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2001; ferner Augustin Redondo, Luther et l’Espagne de 1520 à 1540, in: Mélanges de la Casa de Velázquez 1 (1965), 109 –

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Mosheim äußerte gelegentlich Vorbehalte gegenüber der französischen Historiographie und blieb offensichtlich unberührt von antispanischen Typisierungen, überträgt aber, wie noch gezeigt werden soll, die nationale Temperamenten- und Verhaltenslehre auf das Psychogramm und Charakterbild (icon animorum) des Miguel Servet. Aus den seinerzeit verfügbaren Darstellungen konnte er keine gesicherte Kenntnis der politischen und religiösen Geschichte Spaniens gewinnen. Die Beschaffung spanischer Bücher und die Beschäftigung mit spanischer Geschichte setzte an der Universität Göttingen erst nach Mosheims Tod mit Georg Christian Gebauer ein, dessen bis etwa 1760 reichende Darstellung unveröffentlicht blieb (Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod.Ms. Hist. 629). Er kannte daher auch nicht die Geschichte der vielen in den Untergrund gedrängten, verfolgten und emigrierten frommen Dissidenten (Alumbrados = vom Heiligen Geist Erleuchtete) mit ihrer Suche nach Erneuerung des spirituellen Lebens und Verinnerlichung des Glaubens. Umso erstaunlicher ist es, dass er den Verfasser des fälschlicherweise Miguel Servet zugeschriebenen Traktats Desiderius Peregrinus. Dialogus vere pius, et cumprimis jucundus de expedita ad Dei amorem, im Kreis der spanischen Hieronymiten vermutet, die in ihrer kontemplativen und gelehrten Gemeinschaft manchen conversos Zuflucht boten (Neuer anderweitiger Versuch, 379 – 382) 11. Mosheim spielt auf die Beliebtheit der Ritterromane an, wenn er zur Deutung des Erbauungsbuchs schreibt: „Die Spanier lasen zu seinen Zeiten nichts lieber, als die Geschichte herum schweifender und irrender Ritter, die ihre verlohrnen Freunde und Freundinnen unter vieler Gefahrlichkeit und Mühe aufsucheten. Daher fiel es [dem Autor] sonder Zweifel ein, die Liebe Gottes unter dem Bilde eines Ritters und dem Christen, der sich nach derselben sehnet, als einen Mann vorzustellen, der die Welt durch streichet, diesen verlohrenen Ritter auszufragen und auf dieser Reise allerhand Abwechselungen und Unruhen erlebet.“

Mosheim kennt bei seinem Interesse für häretische Traditionen zwar die Wirkung der spätantiken arianischen Trinitätsauffassungen in Spanien, aber nicht deren Rolle in der Auseinandersetzung mit Juden und Muslimen 165; John Edward Longhurst, Luther’s ghost in Spain (1517 – 1546), Lawrence/ Kansas 1969. 11 Ein überraschend später Druck (und Druckort) Altdorf 1680 sowie eine ebenfalls späte deutsche Übersetzung des Deseoso (Burgos 1548) unter dem Titel Schatz der gottbegierigen Seele (Hamburg 1668) zeigen, wie im Falle des Molinos, das ungebrochene, konfessionsübergreifende Interesse für eine verinnerlichte Frömmigkeit, die „innerliche Gottseligkeit“. Vgl. Melquíades Andrs Martn, El Desesoso. Una mística de la Orden de San Jerónimo, Madrid 2004.

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im mittelalterlichen Spanien oder die Bedeutung des reichen Trinitarierordens (Ordo Sanctae Trinitatis et Captivorum) weit über die mit dem Fall Granadas 1492 abgeschlossene Reconquista hinaus. Die wegen ihres Habits so genannten Weißspanier widmeten sich im Zeichen der Verehrung der Dreifaltigkeit dem Loskauf der von den „Ungläubigen“ gefangenen Christen sowie dem Hospizwesen mit zahlreichen Heilig-GeistSpitälern. Mit der Klage über den Zustand der Bildung und die Wesensart seiner Landsleute hatte Miguel Servet nicht geringen Anteil an der verbreiteten kritischen Einstellung gegenüber Spanien, das er verließ, um sich in Lyon in Sicherheit zu bringen. Diese Stadt, ein europäisches Handels- und Druckerzentrum mit einem freien und reichen Geistesleben, ohne Universität und Parlament, war in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum Schmelztiegel und Sammelpunkt für Heterodoxe aus Frankreich und anderen europäischen Ländern und Strömungen geworden: Humanisten, Erasmianer, religiöse Sucher, libertins spirituels, Lutheraner, „Häretiker“.12 Hier erschienen auch die philologischen (hebraistischen) und exegetischen Werke, Bibelausgaben und -übersetzungen des italienischen Dominikaners Antonio di Paolino Sante Pagnini (1470 – 1536). Dessen Neuausgabe der lateinischen Bibel versah Servet 1542 anhand nachgelassener Materialien mit Scholien, die von der Inquisition vor allem bei der Auslegung von Psalmen und eschatologischer Stellen in den Prophetenbüchern expurgiert wurden.13 Pagnini selbst geriet in den Verdacht eines judaisierenden Häretikers. Für Servet dürfte die Begegnung mit seinen 12 Elsa Kammerer, Le creuset lyonnais. Littérature humaniste et pensée religieuse au cœur des échanges entre Lyon, la cour de France, l’Italie et l’Allemagne dans la première moitié du XVIe siècle, Bd. 1, Dissertation, Lille/München 2006, 173 – 218 (zu Sante Pagnini); Peter Gerhard Bietenholz, Basle and France in the sixteenth century. The Basle humanists and printers in their contacts with Francophone culture, Genève 1971; Carlos Gilly, Spanien und der Basler Buchdruck bis 1600. Ein Querschnitt durch die spanische Geistesgeschichte aus der Sicht einer europäischen Buchdruckerstadt, Basel 1985; André Sguenny, Les spirituels. Philosophie et religion chez les jeunes humanistes allemands au XVIe siècle, Baden-Baden 2000; für Einflüsse des Erasmus auf Servet vgl. Julia Gauss, Der junge Michael Servet, in: Zwingliana 12 (1966), 410 – 459; sowie Jaume de Marcos Andreu, The influence of Erasmus in Michael Servet’s works, Sijena 2007. 13 John Chr. Laursen/Richard H. Popkin (Ed.), Millenarianism and messianism in early modern European culture, Bd. 4: Continental millenarians, protestants, catholics, heretics, Dordrecht/London 2001; darin: Howard Hotson, Arianism and millenarianism. The link between two heresies from Servetus to Socinus, 9 – 35.

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Schriften eine wichtige, wenn nicht gar die entscheidende Quelle für die Verbindung jüdischer Überlieferung mit christlicher Schriftdeutung bilden.14 Das Titelblatt der Ausgabe (Exemplar in der Bayerischen Staatsbibliothek München, Res. 28 B.lat. 72) zeigt auf dem Frontispiz den Januskopf über der Spitze des Dreiecks (!) am Portalgiebel im kreisrunden Medaillon und die emblematische Inschrift: „Recondita pando aeternitati“ als Typus der Prudentia oder Allwissenheit. Aus dem Torbogen bricht ein herkulisch gerüsteter Krieger hervor, der prüfend um sich blickt und eine in zwei Teile zersplitterte Bohle mit der stolzen Inschrift „Libertatem meam mecum porto“ aus der ummauerten Stadt hinter sich rettend herausträgt: Zwei für eine Bibelausgabe höchst ungewöhnliche, in ihrer Aussage programmatische und emblematische (An)Sprüche, die Anlass geben zu Vermutungen sowohl über Servets Selbst- und Sendungsbewusstsein als auch sein philologisch-exegetisches Anliegen, zumal Beschläge auf den Balken wie Buchschließen in Kreuzform auf die ,befreiende‘ Entschlüsselung (pandere = öffnen, ausbreiten) der Sacra Bibliotheca hindeuten könnten, auf die Michael Villanovanus – der Name, hinter dem sich Servet nunmehr versteckt – in der Vorrede (f.*2r8) anspricht. In einem späteren Emblem bei Johann Mannich deuten zwei mit Balken beschwerte Füße auf das Predigeramt hin: „Ambo pedes signant pacem, tignique labores / Pastorum incumbunt qui sine fine humeris./ Pro grege qui vigilant Domini, venerare ministros / Dando illis larga munera larga manu“.

In der Überarbeitung von Willibald Pirckheimers Ptolemäus-Ausgabe, die zuerst 1535 in Lyon erschien, fügte Servet (der sich hier erstmals Michael Villanovanus nennt) der Landeskunde Spaniens ein Kapitel „De Hispania et eius ad Galliam comparatione“ bei, auf die auch Mosheim zurückgreift.15 Solche Völker- und Sprachenvergleiche mit ihren abwertenden oder überheblichen Auto- und Fremdstereotypen haben eine zählebige Tradition. Servets für Spanien wenig vorteilhafte Gegenüberstellung mit Frankreich zu einer Zeit, da die Sache der Erasmianer in Spanien als verloren gelten musste und lange nachdem Erasmus sein Non placet Hispania ausgesprochen hatte, rief die erste frühneuzeitliche Fehde über Recht und 14 Elisabeth Feist Hirsch, Michel Servetus and judaism, in: Guillaume Postel 1581 – 1981. Actes du Colloque International d’Avranches, Paris 1985, 223 – 232; Jerome Friedman, Michael Servetus. The case of a Jewish Christianity, in: The Sixteenth Century Journal 4 (1973), 87 – 110. 15 Eloy Bulln Fernndez, Miguel Servet y la geografía del Renacimiento, Madrid 3 1945.

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Unrecht in der Beschreibung von Nationalcharakteren hervor. Weder der Vergleich noch einzelne Bewertungen sind Servets Erfindung. Johannes Boemus (Hans Böhm, der sich zu Luther bekannte) ist der Verfasser eines in Humanistenkreisen geschätzten und bis in das 18. Jahrhundert vielfach aufgelegten, überarbeiteten und übersetzten Handbuchs Omnium gentium mores, leges et ritus (Augsburg 1520). In dem Kapitel „De Hispania et moribus Hispanorum“ trägt er vor allem Zeugnisse aus antiken Schriftstellern zusammen, die sich natürlich nicht auf die zeitgenössischen Spanier übertragen lassen. Sebastian Franck, auch er Anhänger der lutherischen Erneuerung, dann mit Täufern und Spiritualisten verbunden und bis 1531 wie Paracelsus und Servet in Straßburg, übernahm für sein Weltbuch: spiegel und bildtniß des gantzen erdbodens (Tübingen 1534) im Abschnitt Von Hispaniam mit jrem begriff teilweise wörtlich Passagen aus der Kosmographie des Boemus. Franck übersetzte auch Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheims De incertitudine et vanitate scientiarum et artium atque excellentia verbi Dei declamatio (Köln 1531 und häufig wiederaufgelegt), in der ebenfalls im Blick auf Vorzüge und Schwächen der Spanier die morum discrimina zusammengestellt werden. Die Geringschätzung von Bildungszustand und Kultur der Spanier geht zum Teil auf italienische Humanisten zurück.16 Der portugiesische Humanist, Damião de Góis, der, als Faktor in Antwerpen ansässig, mit Luther, Melanchthon, Juan Luis Vives und Dürer in Verbindung stand und am Ende seines Lebens noch in einen Inquisitionsprozess geriet, nahm den Nachbarn und Rivalen in der Weltherrschaft 1542 mit der Verteidigungsschrift De Hispania in Schutz.17 Die Spuren, die Servets harsche Charakteristik der Spanier durch die Übernahme in Sebastian Münsters international verbreitetes und maßgebendes Handbuch der Cosmographia universalis hinterließ, sind über den Gelehrtenkreis hinaus für das europäische Spanienbild in den folgenden 250 Jahren verhängnisvoll. Was Kirche und Frömmigkeitsleben betrifft, so prangert Servet die Inquisition und die Verfolgung der Marranen und Morisken an. „Habentur etiam Hispani in religionis ritibus supra mortales omnes superstitiosi.“ Zur gleichen Zeit ist auch Luther der Glauben der Spanier wegen ihres Zusammenlebens mit Juden und Muslimen verdächtig. Mohammed sowie Herkunft und Sitten der Türken widmet Servet ein eigenes Kapitel. Der Nationalcharakter der Spanier wird nicht mit antiken Zeugnissen für Todesmut, Genügsamkeit, Kampfgeist belegt, sondern das Porträt des 16 Sverker Arnoldson, La Leyenda negra. Estudios sobre sus orígenes, Stockholm 1960. 17 Elisabeth Feist Hirsch, Damião de Goes und die Reformation, Basel 1950.

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,häßlichen‘ Spaniers entwickelt sich mit aktueller Schlagrichtung aus der pointierten Gegenüberstellung mit Verhaltensweisen und Eigenschaften der Franzosen. „Inquietus est et magna moliens Hispanorum animus, felicis sunt ingenii, sed infeliciter discunt. Semidocti, iam se doctos putant, sapientiam maiorem quam habeant simulatione et verbositate quadam ostentant, sophisticen plus satis diligunt, lingua Hispanica plus quam Latina in Academiis loqui gaudent, quin et Maurorum uocabula plurima usurpant, tandem multis nominibus et consuetudinibus barbariem colunt. Ingenii sui monumenta in posteros et circunuicinas gentes ob linguae defectum raro producunt, et ipsi semper aliunde libros emendicant.“

Selbstkritik der Spanier am Bildungs- und Sprachzustand wegen fehlender Bücher und literarischer Vorbilder sowie Reformversuche von Humanisten gab es durchaus bereits gegen Ende des 15. und im frühen 16. Jahrhundert. Juan de Valdés, dessen Dilogo de doctrina cristiana (Alcalá 1529) für häretisch erklärt wurde, beklagte in Venedig 1535 im Dilogo de la lengua das Fehlen eines literarischen Kanons in Spanien im Vergleich mit Dante, Petrarca und Boccaccio. Das abschätzige moralische Urteil wirkte unerhört. Die Parteinahme für Frankreich unter König Franz I., der als Erzfeind Kaiser Karls V. eine Zeitlang in Spanien gefangen gehalten wurde, ist zwar politisch und religionspolitisch brisant, doch für einen Neuankömmling in Gastland auch durchaus opportun. Bei Servet spricht wohl das Ressentiment eines unruhigen und weit gereisten Mannes mit, der als Student, im Dienst eines franziskanischen Beichtvaters Karls V., als vielseitiger Gelehrter und schließlich als Flüchtling wie Juan Luis Vives und Juan de Valdés den größeren Teil des Lebens im Ausland, seiner Heimat entfremdet, zubrachte und für den Frankreich zum Schicksalsland werden sollte. Die Antipat a de franceses y espaÇoles – so der Titel eines im 17. Jahrhundert häufig aufgelegten und übersetzten Werkes des Arztes Carlos García – wurde unabhängig von Servet durch politische Rivalitäten festgeschrieben. Ein Jahr vor Servets Tod untermauert der Rhetorikprofessor Alonso García Matamoros in seinem Katalog „De asserenda Hispanorum eruditione siue de viris Hispaniae doctis narratio apologetica“ (Alcalá 1553) die politische Weltgeltung mit der Rechtgläubigkeit, moralischen Stärke und kulturellen Überlegenheit Spaniens. Er fordert: „Desinant doctissimis Hispanis maledicere“. Trotz des von der Leyenda negra getrübten Spanienbildes oder vielleicht gerade weil Mosheim mit seinem Interesse für fromme Andersdenkende auch Spanien als wichtigen Schauplatz in die Betrachtung der Geschichte des europäischen Christentums und der Auseinandersetzun-

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gen um Juden, Islam und Reformation einbezog, vergab er an seinen Studenten Heinrich von Allwoerden in Helmstedt das ebenso heikle wie schwierige Thema Historia Michaelis Serveti für eine Dissertation in lateinischer Sprache. Die verhältnismäßig umfangreiche Untersuchung erschien in Helmstedt 1727, versehen mit dem Kupferstichporträt Servets, was für eine Hochschulschrift damals ungewöhnlich war.18 Bei der Ausarbeitung konnte Allwoerden auf die von Mosheim zusammengetragenen Materialien zurückgreifen. Mulsow (Bibliotheca Vulcani, 54, s. o. Anm.24) zitiert aus einem Brief Mosheims vom 21. Dezember 1727 an den späteren Göttinger Theologieprofessor Christian August Heumann: „Ich selbst möchte nicht als Autor erscheinen, aber, wie du leicht merkst, ist nicht nur der Stoff meiner, sondern auch zum großen Teil die Form.“ Zwanzig Jahre später kritisierte der inzwischen berühmt und selbst auch kenntnisreicher gewordene Doktorvater jedoch die Arbeit in seinem Anderweitigen Versuch (7): Sie sei eigentlich keine Geschichte, sondern „nur eine mittelmäßig gerahtene Erzählung der vornehmsten Begebenheiten, die Servet bis an sein Ende erlebet hat…mit allerhand Anmerkungen aus der gelehrten Geschichte hin und wieder ausgeschmücket.“

Aus Zeitmangel habe er sie seinerzeit auch „nicht so scharf und strenge“ beurteilt wie es eigentlich nötig gewesen wäre. Allwoerden wollte wie sein Lehrer einen Beitrag zur „solida Historiae Ecclesiasticae cognitio“ leisten und behandelt nacheinander „de eruditione Serveti, de charactere animi, de ingenio, de amicis, de aduersariis, de confutatoribus, de poenis haereticorum.“ Wenn Mosheim dem Studiosus die Feder geführt hat, ohne sich selbst offen zur Autorschaft zu bekennen, dann wohl aus Sorge vor Verdächtigungen entweder wegen seines kritischen Ansatzes gegenüber den Verteidigern der Verurteilung Servets auf reformatorischer Seite oder insgeheimer Zuneigung zum Häretiker in einer durch die Streitigkeiten um Atheismus, Pantheismus, Deismus, Sozinianer und Arminianer ohnehin schon erregten Zeit der Frühaufklärung.19 Mulsow (Bibliotheca 18 Als Vorbild diente wahrscheinlich das Porträt im Speculum anabaptistici furoris, vivis quorumdam enthysiastarum…iconibus variegatum, et historicis descriptionibus illustratum, Leiden 1608. 19 Martin Mulsow (Ed.), Socianism and Armenianism: Antitrinitarians, Calvinists and cultural exchange in seventeenth century Europe, Leiden 2005. – Die Streitschriften wider Servet erschienen in Deutschland schon bald nach Servets Tod, z. B. drei disputationes des schottischen Melanchthonschülers und Theologieprofessors in Leipzig Alexander Alesius, Contra horrendas Serveti blasphe-

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Vulcani, 48, s. o. Anm.4) führt einen Brief Mosheims an La Croze vom 31. Mai 1717 (!) an, aus dem hervorgeht, dass das Buch über Servet fast fertiggestellt war. Allwoerden bezeichnet die Christianismi restitutio als „perniciosissimum librum quem male Restitutio Christianismi vocant,“ will Servet jedoch trotz seiner Irrtümer auch nicht alles anlasten, was über den „seer frächen unnd stettigen Hispanier“ (Ökolampadius) und seine „grüwelichen fragen“ im Umlauf ist. Unter Berufung auf das Kapitel Nationalcharakter in der Ptolemäus-Ausgabe stellt Servet für Allwoerden selbstverständlich die Verkörperung spanischer Wesensart dar: „ad subtilitates et inanes argutias maxime procliues, quippe quam indolem calidius eorum clima facili fouet ac excitat“. (7) Im Anderweitigen Versuch einer vollstndigen und unpartheiischen Ketzergeschichte (1748) kann sich Mosheim darauf berufen, dass der „Verfolgungsgeist“ bei den Reformierten nachgelassen hat und das Verlangen gestiegen ist, „das vornehmste und berühmteste Opfer“ kennenzulernen. Zweihundert Jahre nach seinem Tod sei Servet „viel angesehener und ehrwürdiger“ geworden. (Vorrede, 16) Aus Furcht vor Anfeindungen aus Kreisen der altlutherischen Orthodoxie und der Reformierten schob er wohl die Herausgabe seines Werkes über Servet jahrelang hinaus. Der Meinungsumschwung unter Reformierten und Lutheranern hat dann endlich dazu geführt, daß es keiner mehr wagen würde, die Verfolgung und Hinrichtung Servets zu verteidigen. Im Gegenteil: „Servets Asche wird wider ihn (Calvin) schreien, so lange als die Namen dieser beyden Männer in der Welt bekannt seyn werden.“ Er wird zum Heiligen und Märtyrer. Das geflügelte Wort „ubi Moshemius, ibi academia“ bestätigt sowohl das mias, Leipzig 1554; ferner der Tübinger Philosoph und Arzt Jakob Degen (1511 – 1587) alias Schegk, „Antilogia…quae refellit XXVII propositiones Servetianae Haereseos“, Tübingen 1568, der sich an den Auseinandersetzungen um die Antitrinitarier beteiligte. Antilogia ist die im 16. und 17. Jahrhundert gelegentlich verwendete Bezeichnung im Titel für Schmäh- oder Gegenschriften, z. B. Matthias Flacius Illyricus, Antilogia Papae, Basel 1555, also das Gegenstück zur Apologie. Flacius ließ 1557 in Magdeburg die „Confessio contra Servetianos et Stenkfeldianos“ drucken. Äußerst selten ist die Schrift des Theologieprofessors in Jena und Königsberg Johann Wigand (1523 – 1587), „De servetianismo, seu de antitrinitariis“, Königsberg 1575 (nur in der British Library London nachgewiesen). Wigand war maßgeblich an der Redaktion der Magdeburger Centurien beteiligt und hielt sich auch kurz in Wolfenbüttel auf. Eine Spätfolge der ServetStudien Mosheims in Helmstedt könnte die Veröffentlichung der „Confessio Anti-Trinitaria“ des Arztes Giovanni Giorgio Biandrata sein, die Heinrich Philipp Konrad Henke dort 1794 herausbrachte; vgl. Antonio Rotond , in: TRE 5, 777 – 781.

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Ansehen, das Mosheim inzwischen genießt als auch die Anerkennung für seine historisch-kritische Forschungsmethode. Mosheim schreibt die Geschichte des berhmten Spanischen Artztes Michaels Serveto einerseits peinlich bedacht auf die objektive, durch Quellenforschungen abgesicherte wissenschaftliche Darstellung von Leben und Werk, andererseits ist deutlich erkennbar, dass er sich seiner Persönlichkeit einfühlsam und psychologisch verständnisvoll nähert. „Welch ein feuriger, schneller und arbeitsamer Geist muß in diesem Spanier gewesen seyn?“ Er bewundert seine „außerordentliche[n] Gaben des Witzes und Gedächtnisses“ – Witz in der alten Bedeutung von Wissen, Verstand, Gelehrsamkeit, Scharfsinn. Es fällt auf, dass sich der Buchtitel von der Bezeichnung in der Vorrede unterscheidet. Mit dem Adjektiv ,anderweitig‘ bezieht sich Mosheim sichtlich auf die Anfänge seiner Beschäftigung mit dem Fall Servet, wie sie sich in Allerwoerdens Dissertation niederschlägt, die für ihren spiritus rector spricht. Mit ,Anderweitiger Versuch‘ mag zum einen der exemplarische Gegenentwurf zur ,unparteiischen‘ Ketzerhistorie Gottfried Arnolds und zu den alten Ketzerspiegeln am Beispiel Servets gemeint sein, der sich von der Dogmengeschichte unterscheidet. Als Religionsparteien wurden die drei christlichen Hauptkonfessionen bezeichnet. ,Versuch‘ – essai / essay – könnte aber auch an englische und französische Vorbilder für abwägende Abhandlungen anknüpfen, die der belesene Mosheim gekannt haben dürfte (Michel de Montaigne, Apologie de Raimond Sebond in den Essais/Versuchen; Gottfried Wilhelm Leibniz, Essais de Thodice (1710), deren deutsche Übersetzung 1720 Betrachtung verwendet; John Locke). Auffällig ist ferner am Binnentitel die Verwendung des Eigenschaftswortes ,berühmt‘ – nachdem der Servet als Ketzer schon vor seinem Tod mit üblen Schimpfwörtern bedacht worden war – und die Berufsbezeichnung Arzt,20 der er zwar auch war (Studienkamerad von Andreas Vesalius und Entdecker des kleinen Blutkreislaufs, in Straßburg begegnete er Paracelsus und dessen Trinitätsspekulationen, Herausgeber des Dioskurides). Er steht damit in einer Reihe berühmter polyhistorischer Mediziner, die mit ihren Lehren in Spanien Aufsehen erregten, wie seine Landsleute Arnaldo de Vilanova und Ramon Sibiuda (Sebonde), Professor der Theologie und Medizin, Antonio Gómez Pereira, Miguel Sabuco, León Hebreo, Juan Huarte de San Juan, Andrés Laguna. Die Erfahrungswissenschaft Medizin und die naturwissenschaftlichen Disziplinen erfuhren im 18. Jahrhundert wachsende Beachtung. 20 Diego Gracia Guilln, Teología y medicina en la obra de Miguel Servet, Sijena 2004.

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Doch bekanntlich besiegelte die Theologie Servets Schicksal. Mosheim wird nicht müde, seine Gelehrsamkeit herauszustreichen und ihn als vir eruditus der respublica litteraria zuzurechnen. ,Gelahrtheit‘ definierte Christian Thomasius seinerzeit als Erkenntnis, die den Menschen befähigt, „das wahre von dem falschen, das gute von dem bösen wohl zu unterscheiden.“ Diese Unterscheidungsgabe wird im Blick auf Irrlehre und Häresie (ha resis: die Wahl / das Erwählte, Überzeugung, Anschauung, Neigung) entscheidend wichtig und schwierig. „Servet besaß die meisten derer Gaben und Eigenschaften, deren man nicht entbehren kann, wenn man sich den Namen eines gelehrten Mannes erwerben will: Gedächtniß, Arbeitsamkeit, Lehrbegierde, Witz und Einbildung [imaginatio]. Er ließ diese Geschenke der Vorsehung nicht verderben; daher war er einer der gelehrtesten Männer seiner Zeit“ (247) und „ein grosser, ein tieffsinniger und frühzeitiger Kopf“, also ein Genie (8). Als Theologe, Exeget und Prediger hebt Mosheim sowohl Servets Kenntnis der drei heiligen Sprachen als auch die Beredsamkeit hervor (vis dicendi, eloquentia), die einen Gelehrten kennzeichnen. Mit einer bemerkenswerten, sozusagen psychoanalytischen Wendung erklärt Mosheim schließlich die Verbindung von Wissenschaft und Glaube bei Servet: der Gelehrsamkeit habe er sich lediglich „aus Noht“ und zum Broterwerb (als Philologe, Herausgeber und Korrektor) gewidmet, „der Religion ergab er sich aus Lust, um seinen natürlichen Trieben und dem Gewissen zu dienen; auch seine irdische Gelehrsamkeit brauchte er so oft, als es nur möglich war, zur Erklärung und Befestigung der Religion“. (245) Religion bedeutet allgemein Gotteserkenntnis und -verehrung und unterscheidet sich damit von kirchenamtlicher Theologie. Mosheim erhebt Servets „aufrichtige Gottseligkeit“, das bedeutet im alten lutherischen Sinne: Frömmigkeit, zum Vorbild einer erasmianischen docta pietas. Mosheims Abriss des Serveto (241 – 258) vermittelt ein humoralphysiologisches Charakterbild gemäß den überlieferten Auffassungen der frühneuzeitlichen Medizin und Anthropologie. Dem Anderweitigen Versuch ist ebenfalls ein Kupferstichporträt vorangestellt, dem wahrscheinlich das Bildnis in der Dissertation Allwoerdens als Vorlage diente. Dem Brustbild Servets, den der Stecher wohl nie von Angesicht hat sehen können, steht das Selbstbild gegenüber, das Servet in seinen Schriften und protokollierten Aussagen vor Gericht in der „causa veritatis“ von sich zeichnet.21 Mosheim zeichnet seine Erscheinung als „Abriß“ wie folgt: 21 Elaine Cristine Sartorelli, Autodescripciones de Miguel Servet. Entre biografía y retórica, Sijena 2007.

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„Michael Serveto war ein dürrer und hagrer Mann von mittelmäßiger Grösse, aus dessen Gesichte und Augen die Tieffsinnigkeit und Schwermuht hervorleuchtete […] Sein Gedächtniß war sehr fähig, seine Einbildung unerschöpflich, sein Witz groß, seine Arbeitsamkeit wundernswürdig, seine Lust zu lernen feurig: allein der Verstand war nicht stark genug, sich dieser Vollkommenheiten weise zu bedienen. Seine neuen Erfindungen sowohl in Glaubenssachen, als in den Wissenschaften, seine Geschicklichkeit andrer Lehren und Meinungen zu bestreiten, seine glücklichen Verbesserungen in dem Ptolemeus, seine weitläuftige und wortreiche Schreibart, seine Fertigkeit eine Lehre auf mancherley Weise einzukleiden und vorzustellen, seine sinnreichen Gedanken über einige Örter der Schrift, zeugen von der Fruchtbarkeit und Stärke seines Witzes und seiner Einbildung; seine Liebe zu der Wahrsagerey und Sterndeuterei, seine Meinung von dem doppelten Verstande der Geschichte und der Weissagungen der heiligen Schrift, seine ungegründeten Auslegungen der Propheten und der Offenbarung Johannis, seine wunderlichen und ungereimten Erklärungen einiger Stücke der Religion, verrahten die Schwäche seines Verstandes; allein nichts entdecket dieselbige mehr, als seine Neigung zur Schwermerey, die durch die Eigenliebe so allgemählig gestärket und vergrößert ward, daß er sich für unmitelbar erleuchtet, für denjenigen Mann, den die Vorsehung ausersehen hätte, die verbannete Kirche wieder in die Welt zurücke zu führen und die wahre Religion zu offenbaren, für einen der größten Mitstreiter des Erzengels Michaels ansahe. Er sahe sehr frühe, in denen Jahren, worinn der Verstand der meisten Menschen noch unreif ist, die Mängel und Irrthümer der Kirche, in der er war gebohren und erzogen worden.“ (Anderweitiger Versuch, 241 f.)

Dieses längere Zitat zeigt mit seinen asyndetischen Reihungen, Vergleichen und Einschränkungen durch positive und negative Urteile sowohl die rhetorische Stilkunst in der Charakterisierung als auch die emotional gespannte Beobachtung Mosheims bei der abwägenden Würdigung der Persönlichkeit und geistigen Leistung des spanischen Gottsuchers. Für die Entwicklung des Menschen Servet und sein ,Temperament‘ ist der Tiefsinn (Schwermut, Melancholie) das Zeichen für den Intellektuellen, seine memoria, imaginatio und sein ingenium. Auf der humoralphysiologischen Grundanlage baut Mosheim im Anderweitigen Versuch einer vollstndigen und unpartheiischen Ketzergeschichte die Darstellung der Lehren Servets und des Streites mit Calvin auf.22 Die 22 Aus der umfangreichen Spezialliteratur sei hier nur eine Auswahl angegeben. Die sechsbändige Ausgabe der Obras completas, hg. v. Ángel Alcal Galve, Zaragoza 2003 – 2006, ist abgeschlossen; älteres Schrifttum verzeichnet Arthur Gordon Kinder, Bibliotheca dissidentium. Répertoire des nonconformistes religieux des seixième et dix-septième siècles, Bd. 10, Baden-Baden 1989; Jerome Friedman, Michael Servetus. A case study in total heresy, Geneva 1978; Francisco SnchezBlanco, Michael Servets Kritik an der Trinitätslehre. Implikationen und histo-

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Lebensgeschichte gerät durch das Verhältnis zum Genfer Reformator zu einem Psychodrama, zu einer „Trauergeschichte“. Mit der Schauspielmetapher und dem christlichen Ersatzwort für die antike Form der Tragödie unternimmt es Mosheim, „das Trauerspiel des Serveto aufrichtig und umständlich zu beschreiben“ (S. 21, Vorrede) als existentiellen Konflikt von Charakter und Schicksal, Mensch und Gott, Dogmatik und Tugend. Der Bericht über Wesensart, Handeln und Leiden(schaft) der beiden Kontrahenten nimmt nicht in erster Linie zu dogmatischen Positionen Stellung. Mosheim ist vielmehr auf kathartische Wirkung bedacht durch die sorgfältig belegte Untersuchung der Hintergründe, Ursachen, Umstände und Folgen eines tragischen Konflikts unter christlichen Glaubensbrüdern. In Erregung von Mitleid mit dem scheiternden ,Religionsstürmer‘ und Furcht vor Fanatismus als das auf sich selbst bezogene Mitleid der Nachkommenden sieht Mosheim – in der Frühzeit der Aufklärung Lessing vorausnehmend – den Antrieb für die befreiende Verwandlung aufgestauter Affekte in „tugendhafte Fertigkeiten“, für den Theologen natürlich im christlichen Sinn und für den Aufklärer als Voraussetzung für Toleranz. Ausgangspunkt für die Konfrontation zwischen Servet und Calvin, für die vergleichende Gegenüberstellung der beiden Glaubenseiferer und für die Abwägung ihrer Schuld, Irrtümer und Rechtfertigungsgründe bildet die „unglückliche Gleichheit der Gemühter“ als Hauptursache für das Ende des Spaniers. „Beyde haben das Unglück, dass ihr in sich rühmlicher Eifer nicht alles Licht hat, dessen er bedurfte“ (255), stellt der Theologe in der Aufklärungszeit fest. Servet „eifert mit Unverstand“, er will „ein Bild, das seine Einbildung geschnitzt und seine Eigenliebe zum Abgott ernennet hat, der Kirche als die wahre Vorstellung Gottes und seiner Weisheit aufdringen. Kalvin sieht diesen Fehler und läßt den Eifer, womit er ihn verfolget, einen anderen Fehler begehen, der eben so wichtig ist. Er hätte den Eifer angreifen und entwafnen sollen, er beschließt den Eiferer zu tödten.“

rische Auswirkungen, Frankfurt a.M. 1977; José A. Ferrer Benimeli, Voltaire, Servet y tolerancia, Sijena 1980; Ángel Alcal, Servet, sabio, hereje, mártir, Zaragoza 2000; Marian Hillar/Claire S. Allen, Michael Servetus. Intellectual, Giant Humanist, and Martyr, Lanham/London 2002; Valentine Zuber, Les conflits de la tolérance. Michel Servet entre mémoire et histoire, Paris 2004; Andrew Malcolm Thomas Dibb, Servetus, Swedenborg, and the nature of God, Lanham/Oxford 2005; Wolfgang Collum, Heroisches Leben: wahre Menschen und falsche Heilige. Eine religionsgeschichtliche und philosophische Studie, Offenburg 2007.

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Mangelnde Erleuchtung, Vorurteile und Unverstand, Schwärmerei und Abgötterei, unbeherrschte Leidenschaften als Erscheinungsform von Unvernunft, Gewaltanwendung als Verstoß gegen den Grundaffekt der Liebe im weiten Sinn als Tugend sowie als Entwaffnung der Vernunft zerstören die rechte Mitte des Glaubens zwischen Aberglauben (Aberwitz) und Atheismus (Unglauben). Sie stehen im Widerspruch zu aufklärerischen Grundanschauungen. „Keine sind dem geistlichen Aberwitz näher, als wahrhaftig fromme Leute, die so viel Verstand nicht haben, daß sie ihre Einbildung zähmen […] können“ (33), lautet Mosheims Urteil über die Paradoxie im Glaubensbewußtsein der verbissenen Gegner. Übertrifft Servet Calvin in der „irdischen Gelehrsamkeit“ mit seiner weiten humanistischen wissenschaftlichen Ausrichtung und Belesenheit, so sei Calvins „Lehre von Gott und geistlichen Dingen gründlicher und gesunder gewesen,“ (oder „brauchbarer, und daher auch schätzbarer“), aber – sogleich wieder einschränkend – „wenn das Wort nichts mehr anzeigen soll, als ein Erkenntniß der Meinungen der Alten und der Neuen von den Dingen, die zur Religion gehören, und der verschiedenen Arten dieselbe zu erklären und abzuhandeln.“Letztlich bleibt Mosheim unentschiedenunparteiisch: „Ich weiß nicht, ob ich dem Kalvin oder dem Servet den Vorzug in dieser Art der Theologie zusprechen soll.“ (253) Er meint sogar, man würde die Bedeutung seiner Naturwissenschaft besser erkennen und bewundern, „wenn er sie allein gelassen und von seiner Glaubenslehre geschieden hätte“. Mit dieser Trennung aus der Sicht des 18. Jahrhunderts bricht der frühneuzeitliche Konflikt zwischen Naturwissenschaft und Glaube erneut deutlich auf. Der Feuertod Servets hat ähnlich wie der Giordano Brunos, der auf der Flucht kurze Zeit an der Academia Julia in Helmstedt lehrte und dort an seinen Frankfurter Schriften arbeitete, „vielleicht viele Gedanken und Einsichten vernichtet, die der Nachwelt hätten nützen können“. (254) Reihenweise werden Ambivalenzen, Gegensätze und Übereinstimmungen aufgespürt: Calvin sei reicher an Verstand, Servet mit „Einbildung“ (imaginatio) begabter, beide glichen sich jedoch im Witz (ingenium), der wiederum bei Calvin von „angenehmer und einnehmender Schreibart“ sei als bei Servet. „Wenn die Gemühtsbewegungen bei dem Spanier aufwachen, so entfällt ihm sein Leitsatz, daß ein Werkzeug des Geistes Gottes bäurisch [rustice, ein Terminus der Rhetorik] schreiben und mehr unbedachtsam schwatze [das heißt geistbewegt], als ordentlich und vernünftig reden müsse“. (257)

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Calvin ist nicht weniger herrschsüchtig als Servet, der sich als „einer der vornehmsten Kriegsbedienten des grossen Erzengels Michaels“ von Gott berufen fühlte. (258) Servet war gewiss kein Verteidiger der Gewissensfreiheit. „Er hassete die Ketzer, wie Kalvin, und behauptete so, wie er, daß sie müssten gestraft werden, wenn sie denen, die sie bekehren wollten, das Gehör versagten“. (255) Im Unterschied zu Calvin wollte Servet allerdings die Ketzer nicht vor ein weltliches Gericht gestellt sehen, sie sollten von der Kirche verurteilt, aber nicht mit dem Tod bestraft werden, sondern höchstens mit Verbannung. Vielleicht hätte Servet aber doch auch Calvin umbringen lassen, wenn er in seine Hände geraten wäre? Mosheim bewundert Servets „große Bibelfertigkeit“ (252) und bescheinigt ihm unnachgiebige Suche nach dem „reinen und klaren Begriff des Glaubens“, den er höher geschätzt hat als sein Leben (27), obwohl ihm „so viele unbesonnene und übermäßige Schmähungen der gemeinen Lehre“ vorgehalten werden. Sie trugen ihm zudem nicht nur den Vorwurf der Gotteslästerung (241) oder gar des Atheismus, sondern auch den gerade für Spanier nicht ungewöhnlichen Verdacht ein, Jude oder Muslim zu sein. Andere unter den Neueren – Namen werden nicht erwähnt, um Streit und Verdächtigungen aus dem Weg zu gehen – schätzen seine „geistliche Gelehrsamkeit, seine Wissenschaft in der eigentlich so genannten Theologie“ als unbedeutend ein. (252) Nicht durch unvorsichtige Lektüre der Heiligen Schrift, sondern wegen des verhängnisvollen Einflusses der spanischen Scholastik, die er durch „eigenes Nachsinnen verbessern“ wollte, sei er zu „unbescheidenen und verwegenen Erklärungen der Lehre von der Dreyeinigkeit“ gelangt (Neue Nachrichten, 12) und „Tritheist“ geworden. In den Neuen Nachrichten wird Servets Lehre sogar als „sonderbar“, „Mißgeburt“ und „Erfindung seines neuen Glaubens“ bezeichnet. (23) Die Lehren Luthers, Melanchthons, Calvins und anderer habe er „richtig begriffen und verstanden… in ihren Gründen und Beweisthümern“. Mosheim berührt hier einen weiteren Konflikt zwischen Glauben, Wissen(schaft) und moralischem Verhalten. Bemerkenswert sind weniger seine Bemerkungen über die „dürre“ Schulphilosophie der Spanier, jene berüchtigten ,Spanischen Stiefel‘ die allerdings auch in der protestantischen Metaphysik bereits seit dem frühen 17. Jahrhundert ihre Spuren hinterlassen haben (zum Beispiel bei Cornelius Martini am Helmstedter Julianum oder Clemens Timpler), sondern Mosheims zutreffende Hinweise auf Einflüsse des Platonismus und Hermes Trismegistos bei Servet.23 23 Elisabeth Feist Hirsch, Michael Servetus and the Neoplatonic Tradition. God,

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Die Abwägung von Pro und Contra neigt sich schließlich zu Ungunsten von Calvin, der Servet die Kenntnis der Patristik wie auch der Scholastik abstreitet und den Widersacher einen Großsprecher nennt, der vieles gar nicht gelesen habe, was er zitiert. Als Kirchenhistoriker muss Mosheim Servets „ziemlich genaue“ Kenntnis der Väterliteratur und Ketzergeschichte bestätigen, mit der er sich oft geschickter auseinandersetzt, als es damals üblich war. (251) Außerdem spreche er „nicht unerfahren“ von den „vornehmsten Veränderungen der Kirche“. (252) Mosheim wendet keineswegs den Kenntnisstand seiner eigenen Zeit als Maßstab für Irrtümer oder Unwissenheit zweier Jahrhunderte zuvor an, sondern betont im Gegenteil Servets Fortschrittlichkeit und Modernität. Am schwersten wiegt Calvins Vorwurf, Servet sei ein heimlicher Feind und Verächter des Glaubens“ oder gar ein Atheist. (245) 24 „Die alte Entschuldigung, daß Servet ein frecher Gotteslästerer und Ungläubiger gewesen sey…ist unbrauchbar geworden, nachdem man ihn und seine Meinungen hat besser kennen lernen.“ (13) „Calvins unerleuchteter [!] Eifer war die erste und letzte Ursache seines Todes.“ (13) Indem Mosheim von der Betrachtung der Lehren Servets aus der Sicht der landeskirchlichen Observanz Abstand nimmt, stellt er die Sittenlehre, die Tugenden und Liebesethik gegenüber Irrenden in der Christengemeinde als Richtschnur in den Vordergrund. „Kalvins Haß gegen Servet beobachtet selten das rechte Maaß“ (249), das sogenannte ,goldene Mittelmaß‘. Die Mäßigung – sophrosyne, temperantia – eine der vier Kardinaltugenden – hängt wiederum sowohl mit Selbstbeherrschung als auch mit der Toleranz, dem Gelten- und Gewährenlassen oder der Anerkennung anderer Anschauungen und Verhaltensweisen zusammen. „Kalvin hat sich an Servet versündigt und die Gesetze der Liebe und Gerechtigkeit verletzt, die uns verbieten, die Irrenden für Uebelthäter anzusehen“ (13) Auch wenn diese Schuldzuweisung von der Feststellung aufgefangen wird: „Kalvin gehorchte seinem irrenden Gewissen“ (13), so wiegt es schwer, dass Calvin, ohne Beweise dafür in der Hand zu haben, ihn auch moralisch verunglimpft und „eines ruchlosen, liederlichen Lebenswandels“ beschuldigt. Davon ist nicht einmal in den Prozessakten die Rede. Christ, and Man, in: Bibliothèque d’Humanisme et Renaissance 42 (1980), 561 – 575; Wilhelm Schmidt-Biggemann, Platonismus (s. o. Anm.4). 24 Mosheims Freund Christoph August Heumann veröffentlichte in seinen Acta Philosophorum, d.i., Gründliche Nachrichten aus der historia philosophica, Halle 1718, 380 – 406, einen Artikel über des Jordani Bruni Unschuld in puncto Atheisterei, Er wurde 1728 in Helmstedt promoviert mit einer Dissertation über den Aberglauben im Reliquienkult.

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„Kalvin war noch mit dem alten Irrthume behaftet, daß Ketzer durch nichts, als durch ihre Ehrsucht und durch ihre bösen Lüste, gereizet werden, die Kirche zu verunruhigen, und nur darum irrig lehren, weil sie ärgerlich gelebet haben.“ (247)

Servet bat Calvin kurz vor der Hinrichtung – „Wenn hat sich ein Ungläubiger seines Scheinglaubens halben verbrennen lassen?“ – um Vergebung für begangenes Unrecht und rief Jesus an. Dem fügt Mosheim zwar versöhnlich oder doch ironisch hinzu: „lasst uns aus Liebe glauben, daß Kalvin gleichfalls die Fehler, die er an dem Servet begangen hat, vor seinem Abschiede werde bereuet haben“( 258), aber das weiß allein der gnädige Gott, Calvin hat dieses Geheimnis in sein Grab mitgenommen. Es bleiben nur das Prinzip Hoffnung, dass beide die Gottseligkeit erlangt haben und das jesuanische Gebot der Liebe: „Die Liebe hoffet alles.“ Mosheims Schlussfolgerung für Servets theologische Position lautet: Er ist kein Verfälscher der göttlichen Wahrheit. „Servet hat also brennen müssen, nicht weil er die göttliche Wahrheit verfälschet und die Welt durch seine Irrthümer verdarb, sondern weil er seinen Mund nicht bändigen konnte [beim Streit nicht das rechte Maß zu halten verstand] und seinen Hauptgegner mündlich und schriftlich schmähte und lästerte. Er wäre dem Feuer entgangen, wenn er sich hätte demüthigen und dem Kalvin so ehrerbietig, als er es haben wollte, begegnen können […].“ (242)

Aber er war von „halsstarriger Gesinnung“ (Heinrich Bullinger) und beriet sich wegen seines Auserwählungsbewusstseins mit niemandem. Calvins „Sünde war keine Bosheitssünde. Er eiferte um Gott, aber mit „Unverstand“ und der Spanier, nicht weniger stolz, blind und unsinnig, mußte den ,Unfug‘ mit dem Leben büßen. Mosheim zögert nicht, Servet auf Grund der Aussagen von Augenzeugen der Verbrennung als Heiligen und Märtyrer zu bezeichnen – und zu bewundern. Die Krönung Mosheims jahrzehntelanger Forschungen zu Servet sind die Neuen Nachrichten von dem berhmten spanischen Arzte Michael Serveto, der zu Geneve ist verbrannt worden (Helmstedt 1750), nachdem es erst spät gelungen war, anhand von Abschriften Einsicht in die Prozessakten von Wien und Genf zu nehmen. Sie lassen einen Wandel im Auftreten und in der Vorgehensweise Servets erkennen. Das Studium der Akten bestätigt Mosheim zwar insgesamt, bewirkt aber auch eine gewisse Ernüchterung in der Sichtweise auf Servets Charakter und Verhalten im Streit mit Calvin, in dem der Spanier mit seinem „angebornen Hochmut“ nicht nachzugeben bereit war:

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„Wie klein, wie geringschätzig wird Serveto bey aller seiner Grosmuht und Beständigkeit in den Augen eines Vernünftigen [in der Zeit der Aufklärer], der sich dieses vorstellet? Kann ein Mann für wahrhaftig groß und edel gehalten werden, der sich bücken, heucheln, betrügen, seinen Eid brechen kann, um sein Leben zu erhalten, wenn man nur seiner Eigenliebe schonet; Und der blindlings in das Feuer läuft und weder sehen, noch hören will und kann, wenn sein Stolz gar zu viel verlieren soll.“ (77)

So lautet denn auch das Endurteil Mosheims in aphoristisch scharfer Gegenüberstellung: „Der eine (nämlich Servet) suchet die verlohrene Wahrheit, und wird ein Träumer; der andere (Calvin) streitet für die geschimpfte Wahrheit, und wird ein Todschläger.“ Später mildert Mosheim den Ausdruck Totschläger ab durch Verfolger: „Ehre genug für den verbrannten Spanier, daß er nicht unter die Gotteslästerer, wie bisher, sondern unter die Träumer und Phantasten gesetzet wird.“(85) Die Zuordnung in Bereiche des Irrationalen und der Affektenlehre ist für das 18. Jahrhundert nicht nur positiv besetzt, auch wenn ,Schwärmer‘, ,Träumer‘ und ,Phantast‘ in der damaligen Anthropologie keineswegs die abschätzige moderne Bedeutung haben und in der Zeit der Empfindsamkeit erneut eine Aufwertung erfuhren. Als Theologe und Kirchenhistoriker ist Mosheim bei der jahrzehntelangen Beschäftigung mit Miguel Servet stets bemüht, die Bedeutung der Toleranz, der „Duldsamkeit in Religionsdingen“, auch gegenüber dem Judentum und dem Islam hervorzuheben. Beim Versuch, die Bedingtheiten und Hintergründe von Servets Auffassungen und Schicksal aufzuzeigen, kann er auf zwei Jahrhunderte des Kampfes gegen die Glaubensverfolgung zurückschauen und beobachtet die quer durch Europa verlaufende philosophisch-politische Toleranz-Debatte. Lockes Sendschreiben von der Toleranz erschien 1710 in deutscher Übersetzung.25 Schon in Mosheims Helmstedter Zeit erschien im benachbarten Halle die Dissertation des Kirchenrechtlers Justus Henning Böhmer über Der Toleranz und Gewissensfreiheit Rechtmßigkeit, Notwendigkeit und Nutzen. Mosheim besitzt eine für seine Zeit erstaunlich umfassende Kenntnis der von Basel ausgehenden Kampagne für „concordia“ und Gewissensfreiheit gegen Gewalt und Tötung Andersgläubiger, angeführt von Vives und dem Italiener Celio Secundo Curione mit seiner Schrift im Geist des Erasmus De amplitudine beati regni Dei dialogi (Basel 1554) und dem französischen 25 John Marshall, John Locke, toleration and early Enlightenment culture: religious intolerance and arguments for religious toleration in early modern and early Enlightenment Europe, Cambridge 2006.

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Griechischprofessor Sebastian Castellio mit der gegen Calvin gerichteten Streitschrift De haereticis an sint persequendi (Magdeburg, das ist Basel 1554), auf deutsch Von Ketzeren, Ob man auch diese verfolgen, oder wie man mit jnen handlen solle (1555). Castellio hatte in Basel Zuflucht gefunden26 und beruft sich unter anderen auf Sebastian Franck.27 Castellio übersetzte außerdem die Dialoge des Bernardino Ochino ins Lateinische (Basel 1563). Auch Guillaume Postel schickte seine Apologia pro Serveto Villanovano 1555 nach Basel, Mosheim veröffentlichte diesen Text 1748. Die Apologia pro Serveto des Matteo Gribaldi, die Marcelino Menéndez Pelayo noch einem unbekannten Spanier Alphonsus Lyncurius Tarraconensis zuschrieb, greift Calvins Lehren unversöhnlich an. Gribaldi, der als Professsor der Jurisprudenz in Tübingen antitrinitarischer Auffassungen beschuldigt wurde, ist auch der Verfasser von Predigten und der Declarationis Jesu Christi filii Dei libri quinque. 28 Für den „ghoeden vromen Serveto“ verwandte sich ferner der Wiedertäufer David Joris in einer Verteidigungsschrift, die Mosheim kannte und abdruckte. Joris war nach seinem Tod exhumiert und als Gotteslästerer verbrannt worden. Das Bekenntnis zur ,rechtgläubigen‘ Trinitätslehre, das sogar in das Corpus Iuris Civilis aufgenommen wurde, bildete seit der Spätantike eine der Grundlagen abendländischer politisch-staatsrechtlicher Ordnung. „In nomine sanctae et individuae Trinitatis“ wurden bis 1806 Verträge geschlossen und kaiserliche Urkunden ausgefertigt. Der Heilige Silvester I., 26 Hans Rudolf Guggisberg, Sebastian Castellio 1515 – 1563. Humanist und Verteidiger der religiösen Toleranz im konfessionellen Zeitalter, Göttingen 1997; Ders./Bernd Moeller/Silvana Seidel Menchi (Hg.), Ketzerverfolgung im 16. und frühen 17. Jahrhundert, Wiesbaden 1992; Textausgabe: De l’impunité des hérétiques, hg. v. Bruno Becker/Marius Valkhoff, Genève 1971; Mino Celsis: In haereticis coercendis quatenus progredi liceat, hg. v. Peter Gerhard Bietenholz, (Basel 1577) Napoli 1982; vgl. Ludwig Fimpel, Mino Celsos Traktat gegen die Ketzertötung. Ein Beitrag zum Toleranzproblem des 16. Jahrhunderts, Basel/ Stuttgart 1966; Gary Remer, Humanism and the Rhetoric of Toleration, University Park, Penn 1996; zu Curio vgl. Delio Cantimori, Italienische Häretiker der Spätrenaissance, Basel 1949. 27 Franck besaß in seiner Bibliothek ein Exemplar von ,De Trinitatis erroribus‘ (1531). Christoph Dejung, Wahrheit und Häresie. Eine Untersuchung zur Geschichtsphilosophie bei Sebastian Franck, Dissertation, Zürich 1980; Jean-Claude Colbus, La Chronique de Sébastien Franck (1499 – 1542). Vision de l’histoire et image de l’homme, Bern 2005. 28 Carlos Gilly, Spanien und der Basler Buchdruck bis 1600, Basel 1985, 298 – 318; Textausgabe von David Edwin Pingree, The Apologia of Alphonsus Lyncurius, in: John A. Tedeschi (Ed.), Italian Reformation Studies in Honor of Laelius Socinus, Firenze 1965, 193 – 214.

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der mit dem Constitutum Constantini in Verbindung gebracht wurde, dessen Fälschung der Humanist Lorenzo Valla 1440 nachweisen konnte, übertrug die ursprünglich imperiale Insignie auf den Papst in der Nachfolge der römischen Kaiser. Erst Papst Paul VI. legte 1964 den dreistufigen Prozessionskopfschmuck des Pontifex Maximus symbolisch ab. Die von Servet, den Spiritualisten und humanistischen Freidenkern geführte Diskussion über den ,dreigeteilten‘ Gott richtet sich gegen die dogmatische Untermauerung des Vorrangs der römischen Hierarchie und stellt dagegen die Ordnung des Geistes, der Freiheit und der Liebe, die der Gewaltanwendung im Namen der Religion und Politisierung des Frömmigkeitslebens in einem neuen Zeitalter Einhalt gebieten sollen. Die Theologie der Aufklärungszeit reibt sich weiterhin an der Trinitätslehre. Mit Stellungnahmen hält sich Mosheim allerdings zurück. Er versucht Verständnis zu wecken für Leben und Denken Servets in seiner Zeit, das aus menschlichem Fehlverhalten heraus einen verhängnisvollen Lauf genommen hat. Besonderen Wert legt er auf die Ethik – Tugendübung als Kunst des rechten Maßes – und die Toleranz als Praxis christlicher Liebe gegenüber den Irrenden und Suchenden. „Häresie ist nur unter Brüdern des Geistes möglich.“29 Mosheim hätte das Verdikt des nationalkonservativ-katholischen Marcelino Menéndez Pelayo: „En la hoguera de Miguel Servet acaba el panteísmo antiguo, en la hoguera de Giordano Bruno comienza el panteísmo moderno“ gewiss nicht unterschrieben, ebenso wenig das Urteil über Servet als „especie de caballero andante de la Teología“ (312) – als eine Art fahrender-irrender Ritter der Theologie – in Anspielung auf die Narrheit des berühmten, von Miguel de Cervantes erfundenen Romanhelden.30 Im Gegensatz zur komischen Historia des ingenioso caballero Don Quijote – el de la Triste Figura – übersteige die Geschichte des Lebens und der ,Einbildungen‘ (opiniones) des Servet auch den „verwickeltsten Roman“. Mosheim hingegen gelingt es, die Tragödie eines Gottsuchers exemplarisch auszulegen und seine traurige Geschichte, soweit wie in Zeiten der Aufklärung möglich, vollständig und zugleich durchaus unparteiisch zu erzählen.

29 Karl Rahner, Was ist Häresie?, in: Schriften zur Theologie, Bd. 5, Einsiedeln 1962, 527 – 576, hier 529. 30 Marcelino Menndez Pelayo, Historia de los heterodoxos españoles, Bd. 3, Madrid 1963, 384.

Bekenntnis und Geschichte: Der „historische Protestant“ August Ludwig Schlözer Martin Peters I. War der Göttinger Aufklärer August Ludwig Schlözer (1735 – 1809) wirklich nur ein Wegbereiter der objektiven, rein empirischen Wissenschaft, für den ihn die Forschung häufig gehalten hat? Sind seine kulturhistorischen Studien ausschließlich durchdrungen von einem „profanen“ Geschichts- und Menschenbild? Oder war Schlözer als Geschichtsforscher nicht doch stärker als bisher angenommen von religiösen Grundfragen getrieben? Schlözer hat – dies ist in der Forschung einhelliger Konsens – den Prozess der Säkularisierung und Profanisierung des christlichen Weltund Geschichtsbildes im Deutschen Reich weiter vorangetrieben. Ulrich Muhlack kommt bei seiner Analyse der universalhistorischen Arbeiten Schlözers zu dem Schluss: „Sofern sich auch bei ihm noch Spuren christlich-theologischen Geschichtsdenkens nachweisen lassen, verraten sie eher eine wachsende Distanzierung als eine fortdauernde Anhänglichkeit“1. Doch sind seine religiösen Äußerungen wirklich nur Reste und Spuren? Im Folgenden soll erörtert werden, dass bei Schlözer offenbar seine geschichtswissenschaftlichen Einsichten mit seinem Bekenntnis zum Protestantismus korrespondierten. Schlözer war davon überzeugt, dass gerade seine Konfession ihm einen unverstellten Blick auf historische Wahrheit, auf objektive Tatsachen, Fakten, Denk- und Meinungsfreiheit eröffnete. Er schreibt: „I. Auch als GeschichtForscher bin ich Protestant, und glaube nichts blos deswegen, weil es die historische Kirche glaubt. Verjärung erkenne ich im Reich der Warheit nicht: eine Tradition, die blos aus fernen JarHunderten herhallt, erkläre ich für Unfactum: […]. II. Als historischer Protestant also – fing ich […] meine Untersuchungen […], nicht [Hervorh. von A.L.S.] mit Sem Ham und Jafet an, sondern – auch bei vielen andern, bis jetzt von be1

Ulrich Muhlack, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus, München 1991, 134.

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deutenden Gelerten fast allgemein behaupteten Sätzen […] war ich so frei, andrer Meinung zu seyn […].“2

Es lohnt sich, Schlözers Religiösität, seine Vorstellungen von göttlicher Ordnung und Offenbarung in der Geschichte näher auszuwerten.

II. Schlözer nutzte die Geschichtsforschung, um den gottgewollten Zusammenhang der Menschen und die göttliche Ordnung der Geschichte zu entdecken und sichtbar zu machen. Mit der Frage nach der Existenz Gottes in der Geschichte beschäftigte er sich sein Leben lang. Schlözer glaubte an Gott, weil die Geschichte eine erkennbare Ordnung besaß, die jenseits menschlicher Einflüsse stand. Ganz in den Bahnen von Thomasius sah er in der pragmatischen Ordnung der Geschichte den Nachweis für einen göttlichen Plan in der Geschichte. Auch das botanische System von Karl von Linné belegte und unterstützte seiner Meinung nach die Vorstellung von Gott als Schöpfer einer an funktionaler Klarheit und harmonischer Schönheit nicht zu überbietenden Welt. Schlözer legte sein Geschichtsbild dialektisch strukturiert an. Es basierte auf dem Dreischritt „Paradies (Harmonie, Einheit)“ – Natur (Einsamkeit, Isolation) – Kultur (Kommunikation, Vielfalt). Modern gesprochen war seine Universalgeschichte einem Prozess zunehmender Komplexität vergleichbar, der jedoch nicht in allen Ländern der Welt gleichzeitig und ohne Umwege verlief. Für Schlözer war Historie ein Vehikel und ein Instrument, um die Existenz Gottes in der Geschichte erkunden zu können. Weltgeschichte war für ihn, der ursprünglich an der Universität Wittenberg sein Theologiestudium absolvierte und eine Pastorenlaufbahn eingeschlagen hatte, dann aber zur Philologie und anschließend zur Orientalistik bei Johann David Michaelis wechselte, eine „Dienerin der Religion“3. Der Fachhistorie schrieb er die Aufgabe zu, das Wirken Gottes und den göttlichen Ursprung in der Geschichte zu erkennen. Dabei geht Schlözer in seinen Forschungen einen interessanten methodischen Weg, der als „rückschreitende“ Prozess- und 2

3

August Ludwig Schlçzer, Vorerinnerungen zum IIIten Stück: zum Teil auch zu allen drei Stücken, in: Ders., Kritische Sammlungen zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen, Drittes Stück. Priuilegium Andreae II vom J. 1224, mit einem Commentar, Göttingen 1797, 111 – 112. August Ludwig Schlçzer, Vorstellung seiner Universal-Historie, hg. und kommentiert v. Horst Walter Blanke (1772), Waltrop 1997, 37.

Bekenntnis und Geschichte: Der „historische Protestant“ August Ludwig Schlözer 293

Strukturanalyse bezeichnet werden kann. Schlözer blickt von der Gegenwart aus und arbeitet sich zurück zum historischen „Ursprung“. Diese historische Heuristik vergleicht er selbst mit dem „Entblättern“ des Äußeren und Zufälligen, um das Wesentliche und Ursprüngliche erkennen zu können. Die Quelle theologischer Erkenntnis ist bei ihm nicht die Bibel, sondern Schlözer bezieht Aussagen über die Existenz Gottes statt dessen über weltliche Tatsachen und Fakten sowie Kausalzusammenhänge und Ordnungen. Bewiesene Tatsachen und nachprüfbare Fakten – vor allem aus schriftlichen Zeugnissen quellenkritisch rekapitulierbar – sind das einzige Ziel seiner historischen Recherchen und für ihn die einzige Möglichkeit, die hinter diesen unbewussten Handlungen der Menschen stehende Ordnung Gottes zu erahnen.4 Dieses Erkennen des göttlichen Zusammenhangs der Dinge verursacht bei Schlözer eine empfindsame Faszination der unsichtbaren göttlichen Leitung. Gott hält seiner Ansicht nach „unsichtbar die Schicksale der Menschen in langen Ketten“. Er mache „freie Geschöpfe wie Maschinen zu Werkzeugen seiner Absichten“5. Der Göttinger Historiker verortet Gott somit über der Vernunft des Menschen. In der Souveränität Gottes liegt es seiner Ansicht nach, Einfluss auf die menschliche Geschichte zu nehmen. Mit diesem innovativen Konzept des Zusammenhangs der Dinge in der Geschichte erhielt er gerade bei seinen Hörern an der Georgia Augusta sehr viel Beifall.

III. Sichtbar aber hat sich Gott bei Schlözer freiwillig aus der Geschichte verabschiedet. Die Welt liegt seiner Ansicht nach derzeit nicht in der Hand des Schöpfers, sondern in der Verantwortung des Menschen. Menschliche Geschichte ist bei ihm ein Prozess, der als ein Stammbaum visualisiert werden kann. Es gibt darin eine ursprüngliche Einheit, aus der sich im Verlauf der Entwicklung Vielfalt herausbildet. Die Ursachen für diese zunehmende Komplexität sind entweder der Zufall oder der Mensch. Die Schöpfungsgeschichte lehnt Schlözer angesichts geologischer und natur4

5

Über die Kategorie des „pragmatischen Tatsachenaufklärers“ vgl. Wilhelm Schmidt-Biggemann, Zwischen dem Möglichen und dem Tatsächlichen. Rationalismus und Eklektizismus, die Hauptrichtungen der deutschen Aufklärungsphilosophie, in: ders., Theodizee und Tatsachen. Das philosophische Profil der deutschen Aufklärung, Frankfurt a.M. 1988, 9. Schlçzer (s. o. Anm. 3), 38.

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wissenschaftlicher Forschungen vollständig ab. Die Erde interessiert ihn nicht als eine erschaffene, sondern als eine permanent umgeschaffene. Seine religionskritischen Argumente, die er in seinem berühmten Streit mit Johann Gottfried Herder darlegt, muten heute modern an. Er schreibt 1773: „Ich will nicht hoffen, daß Hr. H.[erder] im Ernste glaubt, daß unsre Erde, oder gar das Große All, netto 6 mal 24 Stunden vor Adam, erst erschaffen, erst aus dem Nichts hervorgerufen, worden? […] Von der Erschaffung der Erde weiß die Historie nichts: nur die Metaphysik lallt von ihr, […]. Aber die letzte Umschaffung derselben, oder diejenige große Revolution, da sie, nachdem sie vielleicht Myriaden von Jaren ein Ocean gewesen, trocknes, und für Geschöpfe unsrer Art […] bewonbares Land geworden, kennt die Tradition im Mose, Sanchuniathon, Berosus, und der Orphischen Philosophie, und beweisen die Urkunden von Muscheln und Versteinerungen im Innersten der höchsten Berge. Und noch andere vorhergegangene Umschaffungen oder Revolutionen des Erdbodens […] weist uns der Physiker augenscheinlich nach. Auch damals, wie Elefanten in ganzen Horden am Eis-Meer herumzogen, […] muß eine andre Erde gewesen seyn, als wie sie neuerlich seit den jungen Adams Zeiten ist…“6

Der Mensch ist bei Schlözer deshalb ein „mächtiger Untergott“,7 weil er in der Lage ist, die Natur bewusst und rational zu verändern und kulturelle Leistungen hervorzubringen. Diese Bedeutung legt im Übrigen auch Herder dem Menschen zu.8 Modern klingen Schlözers Ausführungen zum Klimawandel, denn ihm ist bewusst, dass es einen Kausalzusammenhang zwischen den Veränderungen der Natur und dem menschlichen Wirken gibt. Aus heutiger Sicht angesichts der ökologischen Erfahrungen mit der Industrialisierung seit dem 19. Jahrhundert befremdet allerdings sein optimistischer Tenor, denn Schlözer ist von den kulturellen Leistungen des Menschen ohne Einschränkung fasziniert: „Er [der Mensch, M.P.] plündert dreien Welttheilen ihre Producte ab, und versetzet sie in den vierten. Selbst Klima, Luft und Witterung gehorchen seiner Macht: indem er Wälder ausreutet, und Sümpfe austrocknet; so wird ein heiterer Himmel über ihm, Nässe und Nebel verlieren sich, die Winter werden sanfter und kürzer, und die Flüsse frieren nicht mehr zu. Nun fliehen Auerochsen und Rennthiere von den Ufern des Rheins in den ferneren 6 7 8

Ebd., 349/350. Ebd., 10. Hans Erich Bçdeker, Die Religiösität der Gebildeten, in: Karlfried Grnder/ Karl Heinrich Rengstorf (Hg.), Religionskritik und Religiosität in der deutschen Aufklärung (Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 11), Heidelberg 1989, 145 – 195, 167.

Bekenntnis und Geschichte: Der „historische Protestant“ August Ludwig Schlözer 295

Norden hinauf, und ihre Stellen nehmen andere Thiere, ursprüngliche Bewohner vom milderen Asien und Africa, ein.“9

Wenn Schlözer die Profanisierung der Geschichte betreibt und sich der Kultur, Kommunikation und Vielfalt, die er in allen nur erdenklichen geologischen, archäologischen und schriftlichen Quellen aufspürt, zuwendet und eben nicht der biblischen Überlieferung, dann geschieht dies nicht aus freien Stücken, sondern aus einer Not heraus. Er tritt die Flucht nach vorn an, weil das Paradies seiner Ansicht nach unwiederbringlich verloren und die Einheit zerstört seien. Er ist davon überzeugt, dass nur die intellektuelle Analyse und politische Beförderung kultureller, etwa sozialer, sprachlicher und ökonomischer, Zusammenhänge die Besinnung auf das verlorene Paradies ermöglichen können.

IV. Religion ist für Schlözer nicht nur eine Überzeugung, sondern ein Wesenszug des Menschen. Daher verankert er Religionen anthropologisch als ein Bedürfnis des Menschen. Religion – und zwar jede Religion – subsumiert er als eine von vier Arten des menschlichen „Ureigentums“.10 Die anderen drei sind seiner Meinung nach „Person“, gemeint sind die biologische Konstitution und Gesundheit, „Gut“, gemeint ist das Eigentum, und „Ehre“, gemeint ist die Menschenwürde. Ohne diese vier Arten ist nach Schlözer ein glückliches Leben unmöglich. Dabei bestreitet er, dass es eine einzige „alleinseligmachende“ Religion gebe, er geht sogar soweit zu sagen, dass dieser Absolutheitsanspruch für die Ruhe der Staaten gefährlich sei. Gott hat nach Schlözer den Menschen zu einem freien, selbstdenkenden Wesen geschaffen. Religionen sind bei ihm ausschließlich Ideen oder Gedankengebäude ohne verifizierbares Fundament: „Der Mensch ist Herr und Eigentümer seiner Ideen, so wie seines Kopfes und seiner Finger. Als freier Mensch darf er handeln, wie er mag (nur one andere zu beleidigen): warum nicht eben so gut denken, wie er mag, und seine Gedanken äußern? Niemand taste ihm dieses heilige SVVM an, und wenn es auch sein, des IdeenInhabers, eigener ganz freier Erwerb wäre“11. 9 Schlçzer (s. o. Anm. 3), 11. 10 August Ludwig Schlçzer, Deduction, daß das Wort Toleranz, in ReligionsSachen gebraucht, meist widersinnig und beleidigend sei, in: Ders. (Hg.), StatsAnzeigen, Bd. 16 (1791), 406 – 416, 409. 11 Schlçzer (s. o. Anm. 10), 408.

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Indem Schlözer in Religionen Ideen freidenkender Menschen sieht, stellt er sie auf eine gleiche Ebene. Bei Schlözer sind somit sämtliche Religionen der Vergangenheit und Gegenwart als intellektuelle Leistungen gleichberechtigt. Er geht sogar noch einen entscheidenden Schritt weiter, indem er feststellt, dass der einzelne nicht für seinen Glauben verantwortlich gemacht werden kann, sondern abhängig ist von seinem Milieu, in dem er aufgewachsen ist. Schlözer erläutert: „[…] unmittelbarer Schöpfer seiner Ideen ist der Mensch nicht; er hängt darinn, ärmlich, 1. von dem ihm zu Teil gewordenen Mas von GeistesKräften, und 2. von äußeren Zufällen, ab. Er kan nichts dafür, wenn er sich nicht überzeugen kan, daß es besser sei, ohne […] mit h, als one h, zu schreiben: seine Organisation hintert ihn einmal, für die gewönlichen Beweise empfänglich zu seyn. Er kan nichts dafür, wenn er das Feg Feuer für oft ein Märchen hält; denn – ohne sein Zutun, hat ihn das Schicksal im 2ten Stock des Hauses (von evangelischen Eltern) geboren werden lassen: wäre er im untern Stock (in einer katholischen Familie) zur Welt gekommen, er würde das Gegenteil glauben. Folglich, wer seinen Mitmenschen anfeindet, oder verhönt etc., weil er kein FegFeuer, keine Dreieinigkeit, keinen schon gekommenen Messiah etc. etc. glaubt; ist eben so ein unbilliger, ungezogener Mensch, als der seinen Mitmenschen anfeindet oder verhönt, weil er ein Zwerg, bucklicht, kurzsichtig etc., ist […].“12

Ebenso wie Schlözer die Religion für ein Bedürfnis des Menschen hält, sieht er in Religion und Offenbarung zentrale Säulen des Staates. Religionen können seiner Ansicht nach eine enorme Wirkung auf Geschichte und Staat ausüben. Die Teilhabe der Religionen an den welthistorischen Veränderungen bewertet Schlözer sehr unterschiedlich. So ist der Toleranzspielraum Schlözers enger begrenzt, als es den Anschein hat. Denn er spricht ausschließlich der „Lehre Jesu“ das Verdienst zu, den Kulturfortschritt mitbefördert zu haben. Der Glaube an Gott als Schöpfer und als Rächer war für ihn die Garantie für eine intakte politische Ordnung und ein glückseliges Leben. Er schreibt: „Unter allen Arten von Ideen haben keine einen mächtigeren Einfluß auf menschliche Handlungen, als ReligionsIdeen […] Glauben mit inniger Ueberzeugung, daß es eine künftige Welt gibt, wo Belonungen und Strafen warten: welch ein unüberwindlicher Antrieb, recht zu handeln!“13

Zwar entsagt sich Schlözer über die Vernünftigkeit und Richtigkeit von Religionen ein Urteil, nicht aber über ihre Teilhabe an der politischen Ordnung und ihrer Übereinstimmung mit dem Gesellschaftsvertrag. 12 Ebd., 408. 13 Ebd., 407.

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Warum Schlözer an Religionen und Offenbarung festhält, wird aus dem folgenden Zitat deutlich: „Bewahre mich Gott, den Vorurteilen der Orthodoxie das Wort zu reden! Aber Religion braucht der Stat als ein Bedürfniß, u. zwar geoffenbarte Religion, sie sei von Mose oder Xaca [Buddha, M.P.] […].“14 Die Entscheidung, welche Religion in einem Staat die herrschende sein solle, überlässt Schlözer ausschließlich den Einwohnern und den Mehrheitsverhältnissen. Seine eigene religiöse Auffassung skizzierte er einmal im Rahmen seiner vielbeachteten Kontroverse mit Johann Bernhard Basedow, in der es um die „natürliche“ Philosophie und Pädagogik Rousseaus ging, wie folgt: „1. in meiner natürlichen Religion steht nur Ein Satz: es ist ein Schöpfer. Vorsehung u. Unsterblichkeit der Seele ist nicht drin, nur Möglichkeit, daß der Schöpfer uns durch Offenbarung Sätze lehren könne, die wir sonst nicht wüsten. II. die Ruhe der Welt hängt davon ab, daß besonders der sonst indemtable Pöbel, einen Rächer u. ein künftiges Leben glaube. Weltgeschichte zeigt mir dieses als ein besoin des menschlichen Geschlechts.“15

Für Schlözer ist Religion zwar nicht Opium für das Volk, aber doch eine Arznei, die das Funktionieren des Staats optimiert. Schlözer sieht seine eigene religiöse Haltung, die des Protestantismus, als Teil seiner Identität. Er möchte sich nicht, wie es etwa sein Kollege Johann Christoph Gatterer tut, seiner Konfession im Sinne einer überparteilichen objektiven Wissenschaft berauben lassen. Protestantismus steht für Schlözer nicht etwa gegen akkurate und präzise Erforschung der Geschichte, sondern garantiert sie sogar. Mit seinen historischen Vorstellungen zur Offenbarung stemmte er sich gegen die religionskritischen Einwände seiner Zeitgenossen. Betrachtet man sein Gesamtwerk, muss man zu der Ansicht gelangen, dass Schlözer ein wortkräftiger Anwalt der Offenbarung gegen die „natürliche“ rousseauische Philosophie und Pädagogik in den 1770er und 1780er Jahren war.

14 August Ludwig Schlçzer an Friedrich Nicolai, Göttingen, den 29. Dezember 1771. Nicolai-Nachlass: Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung: Nicolai 67 (Mikrofilm M 2987). 15 August Ludwig Schlçzer, Ludwig Renatus de Caradeuc de La Chalotais. Versuch über den Kinder-Unterricht aus dem Französischen übersetzt, mit Anmerkungen und einer Vorrede, die Unbrauchbarkeit und Schädlichkeit der Basedowschen Erziehungs-Projecte betreffend, Göttingen/Gotha 1771, XXV.

Mendelssohns Philosophie des gesunden Menschenverstandes1 Gideon Freudenthal Moses Mendelssohn wurde immer wieder der Inkonsistenz, ja der Heuchelei bezichtigt. Auf dem Gebiet der theoretischen Philosophie zeigt sich seine angebliche Inkonsequenz darin, dass er einerseits Anhänger der Leibniz-Wolffischen Philosophie gewesen sein soll, andererseits immer wieder für den „gesunden Menschenverstand“ Partei ergriffen habe. Unbezweifelbar ist, dass Mendelssohn in der Tradition der LeibnizWolffischen Philosophie philosophierte. Folgt aber daraus, dass er mit den grundlegenden Thesen dieser Philosophie einverstanden war? Im Folgenden möchte ich zeigen, dass Mendelssohn eine Erkenntnistheorie des gesunden Menschenverstandes vertrat2 und dass er der rationalistischen Philosophie eine beschränkte und genau umrissene Rolle zudachte. Mendelssohn vertraute menschlicher Erkenntnis, sofern sich diese auf Objekte der fünf Sinne erstreckt und war skeptisch Wissensansprüchen gegenüber, die sich auf Objekte des „inneren Sinnes“, das heißt Gedanken und Wünsche der eigenen umso mehr anderer Personen, und auf unsinnliche Objekte der Metaphysik beziehen. Ein weiterer Grund für Mendelssohns Skepsis ist seine Kritik der natürlichen Sprache, die zwar Objekte der sinnlichen Erfahrung, aber auch nur solche adäquat erfasse. Was ist aber dann die Aufgabe der Metaphysik in Mendelssohns Werk und wieso hat er den Ruf eines Anhängers der Leibniz-Wolffschen Schule? Für das bereits durch den gesunden Menschenverstand erworbene Wissen, wünscht sich Mendelssohn, wenn möglich, eine philosophische Begründung im Stile der rationalistischen Philosophie, aber er vertraut der Philosophie nicht, wenn sie mit dem Urteil des Common Sense kollidiert. Eine analoge Situation zeigt sich, wie Mendelssohn meint, in der Mathematik: Wir wünschten uns eine unbezweifelbare philosophische Grundlegung der Mathematik, aber wir erwarteten von der Philosophie 1 2

Dies ist Teil einer umfassenden Arbeit über Mendelssohns Philosophie des Judentums, die noch nicht veröffentlicht wurde. Im Folgenden benutze ich – wie Mendelssohn – „gemeiner Verstand“, „gesunder Menschenverstand“, „Common Sense“ und „Bon Sens“ synonym.

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weder eine Erweiterung des mathematischen Wissens, noch bezweifelten wir vorhandenes mathematisches Wissen, das solcher philosophischen Grundlegung entbehre. All dies soll im Folgenden begründet werden. Schließlich werde ich eine Beobachtung von Friedrich Niewöhner aufgreifen und vorschlagen, dass Mendelssohn auch deshalb missverstanden wurde, weil er seine Philosophie in Kommentarform schrieb, einer Form, die in der jüdischen Gelehrsamkeit beheimatet, aber in der deutschen unbekannt ist und Missverständnisse fördert.

I. Der Gegensatz zwischen Metaphysik und gesundem Menschenverstand. Das Problem der Repräsentation Von Mendelssohns Skeptizismus zu sprechen scheint ein schlichter Irrtum zu sein, sagt er doch selbst, er sei „vielleicht einer von denjenigen, die am weitesten von dieser Krankheit der Seele entfernt sind, und sie an allen ihren Nebenmenschen kuriren zu können, am sehnlichsten wünschen.“3 ( Jerusalem, JubA 8, 134) Auch von Skepsis gegenüber der Metaphysik scheint keine Rede zu sein, hat er doch in seinen Morgenstunden (1785) eine Zusammenfassung der Metaphysik des „dogmatischen Rationalismus“ gegeben. Dieser Gemeinplatz wurde unzählige Male wiederholt und nur selten bezweifelt, obgleich auch Mendelssohns Befürwortung der Philosophie des gesunden Menschenverstandes nicht übersehen werden konnte. Die Unverträglichkeit beider versuchte man entweder dadurch zu schlichten, dass man sie zeitlich aufeinander folgen ließ, das heißt Mendelssohn einen Wechsel von der rationalistischen zur Common-Sense-Philosophy zuschrieb, oder dadurch, dass man den Gegensatz leugnete, weil sowohl der gesunde Menschenverstand als auch der Rationalismus in Vernunft gründen.4 Beide Vorschläge sind unbefriedigend: Mendelssohns Partei3 4

JubA = Moses Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe hrgg. von Ismar Elbogen u. a., Berlin u. a. 1929 ff. Siehe z. B. Lewis White Beck, Early German Philosophy. Kant and His Predecessors, Cambridge Mass. 1969, 335; Allan Arkush, Moses Mendelssohn and the Enlightenment, Albany 1994; Die Behauptung, Mendelssohn sei ein Anhänger von Leibniz-Wolff gewesen kommt schon im ersten Absatz der Einleitung vor und wird dann unzählige Male im Buch wiederholt. Das erste Kapitel ist überschrieben: „The Leibniz-Wolffian Background“. Arkush wirft die Frage auf, wie diese Orientierung mit der Common-Sense-Philosophy verträglich sei, beantwortet sie aber nicht. Vgl. Arkush, 70, 75 – 79. Arkush gibt eine nützliche kurze Zusam-

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nahme für Common Sense lässt sich von seinen frühesten bis zu seinen letzten Schriften nachweisen, und der Gegensatz zwischen Rationalismus und Common Sense in der Frage der Letztbegründung von Erkenntnis lässt sich nicht verwischen. Im Folgenden möchte ich eine andere Lösung vorschlagen. Wie bereits eingangs bemerkt, meine ich, dass Mendelssohn an einer Philosophie des gesunden Menschenverstandes festhält und zugleich das Projekt einer rationalistischen Begründung aller Erkenntnis ex principiis befürwortet und zuweilen betreibt, dass er aber keineswegs den Wahrheitsanspruch der Erkenntnis von einer solchen Begründung abhängig macht. Im Falle eines Konfliktes zwischen beiden gibt Mendelssohn Common Sense den Vorrang. Er ist also keineswegs ein Rationalist, sondern ein Common-Sense-Philosoph. Es entsteht bei ihm ebensowenig ein Konflikt zwischen beiden Erkenntnistheorien wie zwischen der Mathematik und ihrer gelungenen oder misslungenen philosophischen Begründung. Das Missverständnis bezüglich Mendelssohns Position wird durch zwei terminologische Ambiguitäten gefördert; die eine betrifft „Rationalismus“, die andere „Common Sense“. „Rationalismus“ wird zum einen als Name einer philosophischen Schule verwendet und bezieht sich auf die These, dass die Quelle von Erkenntnis und ihrer Rechtfertigung ausschließlich oder an erster Stelle die Vernunft und nicht die sinnliche Wahrnehmung sei. Die entgegengesetzte Ansicht heißt „Empirismus“. „Rationalismus“ ist aber auch dem „Irrationalismus“ entgegengesetzt, der Ansicht, dass Glaube oder über-natürliche Quellen des Wissens der Vernunft überlegen seien. Alle „Rationalisten“ im ersten Sinne sind auch „Rationalisten“ im zweiten Sinne, aber nicht umgekehrt. Der Empirismus kann ebenso wie der Rationalismus im Sinne der philosophischen Schule dem Irrationalismus entgegengesetzt sein. Mendelssohn war sicherlich Gegner des Irrationalismus und des „Sprungs zum Glauben“, wie er von Jacobi vertreten wurde. Daraus folgt aber nicht, dass er meinte, die Vernunft sei die hauptsächliche Quelle von Erkenntnis. Im Gegenteil, Mendelssohn vertraute der sinnlichen Erkenntnis und dem gesunden Menschenverstand. Er war skeptisch, das heißt eben kein Rationalist im Sinne der Schule bezüglich der Erweiterung der Erkenntnis mittels Vernunft allein, und er erkannte nicht nur philosophisch begründetes Wissen als gültig an. menfassung der Diskussion zu Mendelssohns Zeiten und in der Sekundärliteratur. Siehe 79 – 97.

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„Gesunder Menschenverstand“ (Common Sense, Bon Sens) ist ebenfalls zweideutig. Es kann als eine Bezeichnung eines menschlichen Vermögens verstanden werden, kraft welches Menschen sich über manche Wahrheiten einigen können. Descartes beginnt seine Abhandlung von der Methode mit Bezug auf diese Fähigkeit: „Der gesunde Verstand“ (Bon Sens, Raison) sei die Kraft „gesund zu urteilen und Wahres von Falschem zu unterscheiden.“5 Aber von „gesundem Menschenverstand“ kann auch ein Adjektiv abgeleitet werden, das diejenigen Aussagen charakterisiert, über die allgemeine Übereinkunft erzielt werden kann. Beide Bedeutungen von „Common Sense“ scheinen komplementär zu sein und eine jede nach der anderen benannt: Ansichten des „gesunden Menschenverstand“ seien solche, über die Menschen von „gesundem Menschenverstand“ übereinkommen können. Wäre dem aber wirklich so, so wäre keine Änderung in einst allgemein akzeptierten Anschauungen möglich. Andernfalls wären wir zur Annahme gedrängt, dass das kognitive Vermögen der menschlichen Gattung, „gesunder Menschenverstand“ genannt, sich in der Geschichte ändere, wenn irgendeine einst allgemein angenommene Ansicht von einer anderen abgelöst werde. Wollen wir behaupten, dass die Ablösung wissenschaftlicher Anschauungen die Veränderung des Denkvermögens der menschlichen Gattung voraussetze? Ich meine, dass die Antwort negativ sei. Wir können konsistent behaupten, Ansichten des gesunden Menschenverstandes ändern sich, und zugleich auch, dass das Vernunftvermögen der Menschen unverändert bleibe. Ansichten ändern sich infolge von neuen Erfahrungen etc., die dasselbe Denkvermögen überzeugen, seine früheren Ansichten zu ändern. Wir haben also „Common Sense“ einmal als Charakterisierung von Inhalten zu verstehen (commonsensical views), ein andermal als das Vermögen, richtig zu urteilen. Mit diesen Unterscheidungen der verschiedenen Bedeutungen von „Rationalismus“ und „Gesundem Menschenverstand“ können wir uns nun Mendelssohn zuwenden, insbesondere seinem Essay, das ihm mehr als andere Schriften den Ruf eines „Rationalisten“ eingebracht hat. 1763 wurde Mendelssohn der Preis der Königlichen Academie der Wissenschaften in Berlin für sein Essay ber die Evidenz in metaphysischen Wissenschaften zuerkannt. Darin vertrat Mendelssohn die These, dass die metaphysischen Wissenschaften „derselben Gewißheit, aber nicht der5

“ […] la puissance de bien juger, et distinguer la vraie d’avec le faux“; Descartes, Discours de la Méthode, in: Descartes, Œuvres, hg. v. Charles Adam/Paul Tannery, Léopold Cerf, Bd. VI, Paris 1902, 1 – 2.

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selben Faßlichkeit fähig sind, als die geometrischen Wahrheiten.“ ( JubA 2: 272) Diese These und die zuvor zitierte Selbstbezeichnung als Gegner der Skepsis erlauben es, Mendelssohn als „Rationalisten“ zu charakterisieren. Bei näherem Hinsehen zeugen Mendelssohns Ausführungen jedoch von seiner epistemischen und sprachlichen Skepsis und von seinem Vertrauen auf den gesunden Menschenverstand. Mendelssohn argumentiert dafür, dass wir in der Metaphysik, nicht weniger als in der Mathematik, apodiktische Gewissheit erlangen können. Eine apodiktische Wahrheit sei eine Schlussfolgerung in Übereinstimmung mit dem Satz der Identität oder des ausgeschlossenen Widerspruchs. Solche Wahrheiten gebe es in der Geometrie und auch in der Metaphysik. Die geometrische Wahrheit sei jedoch „faßlicher“ als die metaphysische und dieser Unterschied habe Ursachen und Gründe. Was die Hauptursache betrifft, so hat Mendelssohn wenig dem hinzuzufügen, was bereits von Hobbes und Leibniz gesagt wurde, nämlich dass dort, wo unsere Interessen und Leidenschaften betroffen seien, unser Urteil leicht irregeleitet werde.6 Außer der Ursache nennt Mendelssohn noch drei Gründe für diesen Unterschied, von denen zwei im vorliegenden Zusammenhang von Interesse sind. Der erste betrifft die Zeichen, die in diesen Wissenschaften verwendet werden. Mathematik benutze „reelle und wesentliche Zeichen“, „die ihrer Natur und Verbindung nach mit der Natur und Verbindung der Gedanken übereinkommen.“ ( JubA 2, 281) In der Geometrie entsprechen den einfachen und zusammengesetzten Zeichen die einfachen und zusammengesetzten Objekte (Linien und Figuren). Daher könne in der Geometrie nichts abstrakt, sondern nur konkret dargestellt werden. Das Zeichen einer Klasse von Dreiecken sei selbst ein individuelles Dreieck ( JubA 2, 282). In der Arithmetik und Algebra seien die einfachen Zeichen – Zahlen, Buchstaben und die Zeichen für deren Zusammensetzung – zwar willkürlich, „allein in den zusammengesetzten Zeichen, als in den Formeln und Gleichungen, ist alles bestimmt, kommt alles genau mit den Gedanken überein.“ ( JubA 2, 282) 7 6

7

„Wenn die Geometrie unseren Leidenschaften und gegenwärtigen Interessen so entgegenstände wie die Moral, würden wir sie nicht weniger bestreiten und verletzen, trotz aller Beweise des Euklid und des Archimedes, die man als Träume behandeln würde, im Glauben, sie seien voller Trugschlüsse.“ Siehe Leibniz, Nouveaux Essais, I,ii.12; cf. JubA 2, 295 – 296. Michael Gottlieb: „Mendelssohn’s Metaphysical Defense of Religious Pluralism“, in: The Journal of Religion 86/2 (April 2006), 205 – 225, hier 209, bespricht den Unterschied zwischen Geometrie und Metaphysik in dieser Hinsicht. Der

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Ein gelungenes Zeichensystem ist also dies: „Die Zeichen der Begriffe und Dinge sind wissenschaftlich, wenn sie so genau mit den bezeichneten Sachen übereinkommen, daß die Theorie der Sache und die Theorie ihrer Zeichen mit einander verwechselt werden können; d. h. wenn aus der Betrachtung der Zeichen in Absicht auf das, was wir zu wissen verlangen, eben das erfolgt, was aus der Betrachtung der Sache selbst erfolgt sein würde.“8

Anders jedoch in der Metaphysik. Hier seien die Gegenstände durch die natürliche Sprache repräsentiert und: „Alles ist in der Sprache der Weltweisen noch willkührlich. Die Worte und ihre Verbindungen führen nichts bey sich, das mit der Natur und Verbindung der Gedanken wesentlich übereinkäme.“ ( JubA 2, 290)

Da die mathematischen Zeichen entweder in Natur und Verbindung (Geometrie) oder zumindest in deren Verbindung (Arithmetik und Algebra) mit der Natur und Verbindung der Gedanken übereinstimmen, können wir nach den Regeln des symbolischen Systems Schlüsse ziehen ohne auf die repräsentierten Gegenstände zu achten und lediglich die letzten Schlussfolgerungen auf diese Gegenstände anwenden. Solche Gedanken nannte Leibniz „blinde“ (cogitationes caecae) und sie gründen in der Stärke eines guten symbolischen Systems.9 Anders in den natürlichen Sprachen. Die Bedeutung der zusammengesetzten Ausdrücke und Sätze ist nicht aus den Bedeutungen ihrer Bestandteile zusammengesetzt, und „blinde Gedanken“ können hier nichts fruchten. Natürliche Sprachen sind kein Algorithmus, ihre Semantik muss ständig berücksichtigt werden:

8

9

Unterschied trifft ebenso für Arithmetik und Algebra zu, weil er nicht in der Ähnlichkeit zwischen Zeichen und Bezeichnetem gründet (wie in der Geometrie), sondern im Isomorphismus, der im Falle der Arithmetik und Algebra ebenso besteht wie in der Geometrie. Mendelssohns Rezension von Johann Heinrich Lambert, Neues Organon. Bd.2, in: Allgemeine deutsche Bibliothek, 1767, 4. Bd., 2. St., 1 – 30, hier 3. Vgl. diese Ausführungen mit denen von Heinrich Herz in der Einleitung zu seiner Mechanik (1894): „Wir machen uns innere Scheinbilder oder Symbole der äußeren Gegenstände, und zwar machen wir sie von solcher Art, daß die denknotwendigen Folgen der Bilder stets wieder die Bilder seien von den naturnotwendigen Folgen der abgebildeten Gegenstände.“ Siehe z. B. Leibniz, Philosophische Schriften, hg. v. Carl Immanuel Gerhardt, Berlin 1875 – 1890, Bd. VI, 423. Mendelssohn zeigte Interesse und Bewunderung für Lamberts and Plouquets Versuche, eine symbolische Notation für die Logik zu entwickeln. Vgl. Alexander Altmann, Moses Mendelssohn. A Biographical Study, London 1973, 121.

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„Denn da die Seele in der Bezeichnung nichts findet, wodurch sie, ohne willkührliche Association der Begriffe auf die Natur der bezeichneten Sache geführet würde, und daher ihre Aufmerksamkeit ohne Unterlaß auf die einmal festgesetzte willkürliche Verbindung der Zeichen mit den bezeichneten Sachen haften muß; so kann die geringste Achtlosigkeit ihr die Sache aus den Gedanken bringen, und blos die leeren Zeichen zurücklassen, in welchem Falle denn freylich der bündigste Weltweise blos mit Worten zu spielen scheinen muß.“ ( JubA 2, 290 – 291)

Sowohl die gesprochenen als auch geschriebenen Grundworte der natürlichen Sprache sind nicht bildlich und sie können nicht gegen das Repräsentierte gehalten werden, um ihre Adäquatheit zu beurteilen. Der Vorteil der bildlichen Repräsentation im Allgemeinen und der Hieroglyphen im Besonderen ist die Eindeutigkeit ihrer Bedeutung (Referenz). Dies ist der Fall, weil sie direkt ohne Vermittlung von Begriffen beziehungsweise Ideen der Sprechenden ihre Gegenstände repräsentieren. Seit Aristoteles unterschied die vorherrschende Repräsentationstheorie zwischen dem äußeren Zeichen (Wort, Pictogram etc.), der mentalen Repräsentation (Idee, Vorstellung) und dem Gegenstand. Im zwanzigsten Jahrhundert nannte man dies „Das semantische Dreieck“. Das Zeichen – zum Beispiel das gesprochene oder geschriebene Wort – soll die Vorstellung evozieren und diese sich auf den Gegenstand in der Welt beziehen. Wenn ich „Löwe“ sage, ruft das Wort meinen Begriff oder Vorstellung des Löwen hervor und diese bezieht sich auf Löwen in der Welt. Missverständnisse sind deshalb möglich, weil wir dasselbe Wort benutzen, aber nicht wissen können, ob wir denselben Begriff oder Vorstellung meinen und uns daher auf dieselben Gegenstände beziehen. Das Bild eines Löwen aber bezieht sich kraft der Ähnlichkeit des Bildes und des Abgebildeten ohne Vermittlung der Vorstellung unmittelbar auf die Löwen in der Welt. Das Bild kann mit dem Gegenstand verglichen und seine Adäquatheit beurteilt werden. Missverständnisse können hier ausgeschlossen werden. Zusätzlich zu den Differenzen zwischen den Objekten und zwischen den symbolischen Systemen, gibt es einen weiteren wichtigen Unterschied zwischen Mathematik und Metaphysik. Mathematik macht Aussagen über notwendige Verknüpfungen zwischen Begriffen, die sich auf mçgliche Objekte beziehen. Geometrische Lehrsätze sind wahr unabhängig davon, ob es materielle Dreiecke gibt. Auch die Metaphysik erhebt Ansprüche bezüglich notwendiger Verknüpfungen zwischen Begriffen, aber zumindest in der natürlichen Theologie sollen sich diese auf wirkliche, nicht bloß mögliche Gegenstände beziehen. Ein Atheist zum Beispiel kann zugeben, das ein mit allen Vollkommenheiten ausgestattetes Wesen auch

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die Vollkommenheit des Daseins besitzen müsse und daher existiere, aber er kann gleichzeitig bezweifeln, dass es eben ein solches allervollkommenstes Wesen gebe und daher auch, dass es existiere. „[D]enn für die blosse Möglichkeit wissen wir dem Weltweisen keinen Dank, wenn er sie nicht würklich zu machen weiß. Es wird also von dem Weltweisen weit mehr gefordert, als von dem Mathematiker.“ ( JubA 2, 293)

Dieser zweite Grund erklärt also nicht bloß die geringere „Faßlichkeit“ der Metaphysik, sonder auch ihre geringere Gewissheit. Solange die Metaphysik bloß Aussagen über die analytischen Beziehungen zwischen Begriffen mache, sei sie ebenso gewiss wie die Mathematik; sobald sie jedoch Aussagen über die Existenz ihrer Objekte mache, unterliege sie einer Begründungspflicht, von der die Mathematik nichts wisse. Mendelssohn glaubt zwar, dass der Begriff Gottes hier eine Ausnahme mache, das heißt dass hier ein Schluss von der Möglichkeit des Begriffs zur Realität des Gegenstandes führe, aber auch nach ihm ist dies ein vereinzelter Fall, der nicht verallgemeinert werden könne. Können vielleicht die Ansprüche der Metaphysik mit denen der angewandten Mathematik verglichen werden? Auch diese erhebt doch Wissensansprüche bezüglich wirklicher Objekte. Hier zeigt sich ein weiterer Unterschied, der Mendelssohns Skepsis der Metaphysik, ja sogar allem gegenständlichen nicht-sinnlichen Wissen gegenüber noch untermauert. Alle Lehrsätze über Dreiecke gelten von einem materiellen Gegenstand sobald wir uns vergewissern, dass es ein Dreieck sei. Können wir aber uns dessen vergewissern ohne eine petitio principii zu begehen, das heißt annehmen, dass irgendein Lehrsatz über Dreiecke auf es zutrifft? Das könnten wir in der Tat sobald wir unseren Sinnen vertrauen: „Ich betrachte z. B. eine vorhandene Figur, und bemerke, daß ich jede ihrer Seiten aus einem Augpunkte betrachten kann, aus welchem sie ganz zu verschwinden, oder einem blossen Punkte ähnlich zu sein scheinen [sic!]; hieraus schliesse ich, es sey eine gradlinigte Figur, und also kommen dieser vorhandenen Figur nothwendig alle die Eigenschaften zu, die von dem Begriffe einer gradlinigten Figur unzertrenntlich sind. Ich zehle ihre Seiten, und werde gewahr, daß ihrer drey sind, daher ist diese Figur ein Dreyck, und ich kann von derselben alles aussagen, was mit dem Begriffe eines Dreyecks verknüpft ist.“ ( JubA 2, 283; cf. JubA 3.2, 82 – 83)

Geometrische Lehrsätze gelten für ihre ideellen Objekte, weil die Zeichen, die wir benutzten „wesentlich“ und „reell“, nicht willkürlich seien; und sie gelten auch für wirkliche, physische Gegenstände, weil auch unsere Sinne zuverlässig seien. Anders in der Metaphysik. Wir betreiben Metaphysik mit einfachen willkürlichen Zeichen, die nicht anzeigten, ob sie sich auf

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wirkliche Objekte beziehen, und mit zusammengesetzten Zeichen, die nicht einmal anzeigen, ob diese Zusammensetzungen möglich seien. Mendelssohn hatte vermutlich folgendes im Auge: Wir können unsinnige Ausdrücke formen wie „viereckiger Kreis“ ohne die Syntax der Sprache zu verletzen. Semantische Rücksichten und Wissen sind nötig, um zu beurteilen, ob ein Ausdruck sinnvoll oder Unsinn ist, die Sprache selbst zeigt dies nicht an. Schließlich, da metaphysische Objekte laut Definition unsinnlich sind, können wir uns nicht vergewissern, ob unsere Begriffe überhaupt eine Bedeutung haben, ob ihnen ein Objekt entspricht. Mendelssohn hatte also gute Argumente, die seine Skepsis gegenüber der Erkenntnis von Objekten, die keine Objekte der Sinne oder der Mathematik sind, begründen. Objekte, die nicht sinnlich wahrgenommen werden können, sind flüchtig und wir haben keinerlei Gewissheit, dass Worte, die in verschiedenen Zeiten oder von verschiedenen Personen verwendet würden, dieselben Gegenstände bedeuten. Darüber hinaus gibt es in den natürlichen Sprachen keine wohl-definierten Begriffe noch Algorithmen. Da Metaphysik auf die natürliche Sprache angewiesen ist, leidet sie von inhärenter Vagheit und Mehrdeutigkeit. Schließlich sind mit diesen Fragen essenzielle menschliche Belange verknüpft, die unser Urteil trüben. Die Erwartungen von der Metaphysik stehen jedoch im umgekehrten Verhältnis zu diesen Erkenntnisschranken. Anders als von der Mathematik, erwarten wir von der Metaphysik Aussagen nicht bloß über mögliche, sondern auch über wirkliche Objekte. Somit ist der Unterschied zwischen angewandter Mathematik und Physik einerseits, Metaphysik andererseits, dieser: In der Physik wenden wir die gewisse Mathematik auf Gegenstände der sinnlichen Erfahrung an, von denen wir ebenfalls gewisses Wissen haben können. In der Metaphysik wenden wir die mehrdeutige Ausdrücke der natürlichen Sprache auf Objekte an, die nicht sinnlich wahrnehmbar sind. Beide Unterschiede begründen die Skepsis bezüglich der Metaphysik, obwohl das Denken selbst in beiden Disziplinen analytisch und gewiss ist. Das Essay über die Evidenz der Metaphysik begründet also genau das Gegenteil von seinem Ruf: eine Skepsis gegenüber der Metaphysik. Bislang haben wir insbesondere Mendelssohns sprachphilosophische Argumente betrachtet. Nun wenden wir uns seinen epistemologischen Argumenten zu.

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II. Metaphysik und gesunder Menschenverstand. Unsinnliche Gegenstände Im ersten Teil von Jerusalem wendet sich Mendelssohn an den Leser mit der Bitte, ihn nicht der „Zweifelsucht“ zu beschuldigen. Die Bitte kommt zum rechten Zeitpunkt. Denn an dieser Stelle wendet sich Mendelssohn gegen das Ansinnen, vom Inhaber eines religiösen Amtes einen Eid auf gewisse Glaubenslehren zu verlangen. Er begründet die Ablehnung dieses Ansinnens mit seiner epistemologischen und linguistischen Skepsis bezüglich aller Objekte des „inneren Sinnes“ – also Gedanken, Gefühle, Wünsche – im Gegensatz zu seinem Vertrauen auf Wissen von äußeren Gegenständen, das auf Sinneserfahrung und gesundem Menschenverstand beruht: „Die Wahrnehmungen des innern Sinnes sind an und für sich selbst selten so handgreiflich, daß der Geist sie mit Sicherheit feste halten, und so oft es verlangt wird, von sich geben könne. Sie entschlüpfen ihm zuweilen, indem er sie zu fassen glaubt. Wovon ich itzt versichert zu seyn glaube, darüber schleichet oder stielt sich in dem nächsten Augenblicke ein kleiner Zweifel ein, und lauert in einer Falte meiner Seele, ohne daß ich ihn gewahr worden. Viele Behauptungen, über die ich heute zum Märtyrer werden möchte, können mir morgen vielleicht problematisch vorkommen. Soll ich diese innern Wahrnehmungen gar durch Worte und Zeichen von mir geben, oder auf Worte und Zeichen schwören, die andere Menschen mir vorlegen; so ist die Unsicherheit noch weit größer. Ich und mein Nächster, wir können unmöglich mit eben denselben Worten eben dieselben innern Empfindungen verbinden; denn wir können diese nicht anders gegen einanderhalten, mit einander vergleichen und berichtigen, als wiederum durch Worte. Wir können die Worte nicht durch Sachen erläutern; sondern müssen wiederum zu Zeichen und Worten unsere Zuflucht nehmen, und am Ende zu Metaphern, weil wir, durch Hülfe dieses Kunstgriffs, die Begriffe des innern Sinnes auf ussere sinnliche Wahrnehmungen gleichsam zurückführen. Was für Verwirrung und Undeutlichkeit muß aber nicht auf solche Weise in der Bedeutung der Worte zurückbleiben, und wie sehr müssen die Ideen verschieden seyn, die verschiedene Menschen, in verschiedenen Zeiten und Jahrhunderten, mit denselben äusserlichen Zeichen und Worten verbinden?“ ( Jerusalem, JubA 8, 134)

Zu beachten ist erstens, dass Mendelssohns allgemeine Vorbehalte eine spezifische Wendung bekommen, wenn es um Objekte des inneren Sinnes geht. Hier haben die Sprechenden keine Möglichkeit, die Bedeutung (Referenz) ihrer Worte mittels inter-subjektiver Erfahrungen aufeinander abzustimmen. Die Ungewissheit der gegenseitigen Verständigung ist hier prinzipiell nicht aufzuheben. Zu beachten ist ferner, dass Mendelssohns Argument nicht auf Fragen des Glaubens begrenzt ist; es bezieht sich

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allgemein auf sinnlich nicht wahrnehmbare Gegenstände. Die These ist auch keineswegs originell.10 Nach diesem skeptischen Manifest versichert Mendelssohn dem Leser, er sei „am weitesten von dieser Krankheit der Seele entfernt“, nämlich von der Skepsis. Dies ist nicht notwendigerweise ein Widerspruch, denn unter „Skeptizismus“ versteht Mendelssohn vermutlich den Zweifel an der Existenz der Außenwelt und an der Wahrheit gewöhnlicher Erkenntnis beruhend auf sinnlicher Erfahrung und gesundem Menschenverstand. In den Morgenstunden von 1785 nennt Mendelssohn die Skepsis zusammen mit dem sogenannten „Spinozismus“, nach welchem ich keine reelle Substanz, sondern lediglich ein Gedanke Gottes sei, und bemerkt: „Ich kann nicht glauben, daß eine von diesen Ungereimtheiten jemals im Ernste behauptet worden ist. Man hat, wie es scheint, blos die Vernunft auf die Probe setzen und versuchen wollen, ob sie mit dem gesunden Menschenverstand gleichen Schritt halte;“ (Morgenstunden, JubA 3.2, 79 und 82)

Der gesunde Menschenverstand beurteilt also metaphysische Thesen, und im vorliegenden Fall findet er, dass sie „Ungereimtheiten“ seien. Mendelssohn widmete auch Kapitel zehn seiner Morgenstunden dem Verhältnis von gesundem Menschenverstand und metaphysischer Spekulation. Er erzählt dort einen allegorischen Traum, in dem eine Gruppe Wanderer von einem derben jungen einheimischen Führer und einer hageren Frau von „schwärmerischer Physiognomie“ geführt werde. An einer Wegkreuzung wiesen die Führer in entgegengesetzte Richtungen, so 10 Siehe z. B. David Hume, Enquiry Concerning Human Understanding, Section VII, Part 1, §. 48, hg. v. Lewis Amherst Selby-Bigge, überarbeitet v. Peter Harold Nidditch, Oxford 1975, 60: „The great advantage of the mathematical sciences above the moral consists in this, that the ideas of the former, being sensible, are always clear and determinate, the smallest distinction between them is immediately perceptible, and the same terms are still expressive of the same ideas, without ambiguity or variation. An oval is never mistaken for a circle, nor an hyperbola for an ellipsis. The isosceles and scalenum are distinguished by boundaries more exact than vice and virtue, right and wrong. If any term be defined in geometry, the mind readily, of itself, substitutes, on all occasions, the definition for the term defined: Or even when no definition is employed, the object itself may be presented to the senses, and by that means be steadily and clearly apprehended. But the finer sentiments of the mind, the operations of the understanding, the various agitations of the passions, though really in themselves distinct, easily escape us, when surveyed by reflection; nor is it in our power to recall the original object, as often as we have occasion to contemplate it. Ambiguity, by this means, is gradually introduced into our reasonings: Similar objects are readily taken to be the same: And the conclusion becomes at last very wide of the premises.“

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dass die Gruppe sich entscheiden müsse, wem sie folge. Eine ältere Dame, die die Vernunft darstelle, komme herbei und erkläre den Unschlüssigen, ihre Führer, Gemeinsinn (sensus communis) und Beschauung (contemplatio) „entzweyen sich zuweilen auf eine kurze Zeit, nicht selten aus geringfügigen Ursachen.“ Gewöhnlich habe der Gemeinsinn Recht. So urteilt auch Mendelssohn. Mehr noch: Um sich für die Spekulation und gegen den gemeinen Menschenverstand zu entscheiden, verlangt er, erstens dass die Vernunft sich entschieden zugunsten der Spekulation äußern müsse, zweitens dass diese auch den Irrtum des Gemeinsinns erklären können solle, aber nicht umgekehrt. Der gemeine Menschenverstand ist also im Prinzip zuverlässig, die Spekulation ist es nicht. (Morgenstunden, JubA 3.2, 81 – 82). Mit denselben Argumenten sprach sich Mendelssohn für die Freunde des gesunden Menschenverstandes aus, die den Bischof (Berkeley) kritisierten und sich nicht von Subtilitäten der Spekulation irreführen ließen.11 Mendelssohns Parteinahme für den gesunden Menschenverstand kann leicht missverstanden werden und wurde auch oft missverstanden, sowohl bona fide als auch mit Absicht. Das Dilemma ist hier nicht zwischen Vernunft und einem Vermögen von anderer Art, und noch viel weniger zwischen Vernunft und Glaube.12 Gesunder Menschenverstand, sagt 11 „Die Bildsäule“ (1784), JubA 6.1, 79 – 87. Altmann (s. o. Anm. 8), 660; die hier genannten Freunde des gesunden Menschenverstandes sind James Beattie und Thomas Reid. 1770 bat Mendelssohn Nicolai, Reids An Inquiry into the Human Mind on the Principles of Common Sense (1764) für ihn zu erwerben. Altman (s. o. Anm. 8), 285; Mendelssohn empfahl das Studium von Reid in seiner „Anweisung zur spekul. Philosophie, für einen jungen Menschen von 15 – 20 Jahren“, JubA 3.1, 305 – 307, hier 305. 12 Letzteres Missverständnis entstammt einem polemischen Zug von Jacobi in seiner Kontroverse mit Mendelssohn und wurde von einem zeitgenössischen Kritiker von Mendelssohn, Thomas Wizenmann, übernommen. Jacobi antwortete auf Mendelssohns Behauptung, das Judentum kenne keine Verpflichtung, gewisse ewige Wahrheiten zu glauben (und unterscheide sich darin wohltuend vom Christentum. (Vgl. Heinrich Scholz, Die Hauptschriften zum Pantheismusstreit, Berlin 1916, 168) mit folgendem irreführenden Gebrauch von „Glaube“: „Durch den Glauben wissen wir, daß wir einen Körper haben, und daß ausser uns andere Körper und andere denkende Wesen vorhanden sind. Eine wahrhafte wunderbare offenbarung!“ Der rhetorische Trick zeigt sich bereits darin, dass der abschließende Satz sich nicht übersetzen lässt: „So haben wir denn eine Offenbarung der Natur, welche nicht allein befiehlt, sondern alle und jede Menschen zwingt zu glauben (to believe), und durch den Glauben (faith/belief) ewige Wahrheiten anzunehmen.“ Siehe Friedrich Heinrich Jacobi, Über die Lehre des Spinoza, 1786, 169. Aufgrund dieses Arguments formulierte Jacobi einen seiner „Lehrsätze“: „Das Ele-

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Mendelssohn, sei „geübte Vernunft“. Beide, Vernunft und gesunder Menschenverstand, verfahren nach denselben Prinzipien, aber der gesunde Menschenverstand sei schneller, die Vernunft klarer und expliziter. ( JubA 2, 183) 13 Wie Geschmack und Gewissen, leite der gesunde Menschenverstand unsere Handlungen bevor systematische Beweise durch systematische Vernunft geführt werden. Die Dualität von Common Sense und Vernunft steht auch nicht für ein Dilemma zwischen den Überzeugungen des „Mannes auf der Straße“ und theoretischem Wissen. Eher steht diese Dualität für die Alternative zwischen angenommenem theoretischem und praktischem Wissen einerseits und einem lückenlosen Beweis ex principiis, andererseits. Die Sachlage wird an den von Mendelssohn verwendeten Analogien zwischen gesundem Menschenverstand in der Metaphysik und in der Mathematik sehr deutlich: „Zwar bin ich ein großer Verehrer der Demonstrationen in der Metaphysik, und fest überzeugt, daß die Hauptwahrheiten der natürlichen Religion so apodiktisch erweislich sind, als irgend ein Satz in der Größenlehre. Gleichwohl aber hängt selbst meine Ueberzeugung von Religionswahrheiten nicht so schlechterdings von metaphysischen Argumentationen ab, daß sie mit denselben stehen und fallen müßte. […] Petrus Ramus, der wider die ersten ment aller menschlichen Erkenntniß und Wirksamkeit ist Glaube.“ (Scholz, 180) Mit diesem Lehrsatz verwischt Jacobi den Unterschied zwischen (religiösem) Glauben (faith) und vermeintlichem Wissen (belief) und Erkenntnis (knowledge). Wie gesagt, übernahm Wizenmann Jacobis Argument. Vgl. Die Resultate der Jacobischen und Mendelssohnschen Philosophie. Kritisch untersucht von einem Freywilligen. Leipzig 1786, 47; Wizenmann meinte, Mendelssohn habe vom angeblichen Widerspruch zwischen seinem Rationalismus und seinem Vertrauen auf „Glauben“ gewusst, und hat daher Mendelssohns Redlichkeit bezweifelt. Mit einigen Vorbehalten übernahm Arkush Wizenmanns Kritik und Verdacht. Vgl. Arkush (s. o. Anm. 2), 91 – 93. Kant hat diesen Fehler nicht begangen. Vgl. Kant, „Was heißt: Sich im Denken orientiren?“ (1784) und „Einige Bemerkungen zu Ludwig Heinrich Jakob’s Prüfung der Mendelssohn’schen Morgenstunden“ AA 8, 131 – 148; 149 – 156. 13 Ähnlich auch in den Morgenstunden, Vorlesung 3, JubA 3.2, 33 – 34, wo Mendelssohn behauptet, Common Sense und Vernunft seien „im Grunde einerley“ und das Verhältnis von Common Sense und Beweis mit dem Verhältnis von sinnlicher Wahrnehmung und Vernunft vergleicht. Siehe auch Mendelssohns Brief an Raphael Levi in dem er darauf besteht, dass seine populären Argumente im Phaedon von der Sprache des Common Sense in die der rigorösen Metaphysik übersetzt werden können. Vgl. Altmann (s. o. Anm. 8), 162 – 163; Altmanns Besprechung dieses Essays von Mendelssohn in seinem: Moses Mendelssohns Frühschriften zur Metaphysik, Tübingen 1969 ist nicht sehr aufschlussreich was das Verhältnis von Metaphysik und Common Sense angeht.

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Grund- und Heischesätze des Euklides eine Menge von Zweifeln zu erregen wußte, blieb dennoch von der Wahrheit der euklidischen Elemente völlig überzeugt.“ (An die Freunde Lessings, JubA 3.2, 197)

In der Tat haben Mathematiker viele Jahrhunderte lang versucht zu beweisen, dass genau eine gerade Linie zwei Punkte verbinde und dass die gerade Linie die kürzeste Verbindung zwischen ihnen sei, obwohl die Cyniker ihnen vorhielten, dass dies einem jeden Hund bekannt sei, der „seinen Raub in gerader Linie zu ereilen sucht.“14 Man beachte, dass es sich bei diesem Beispiel nicht um einen geometrischen Lehrsatz und seinem Beweis handelt. Der genannte Satz ist eine ungenannte Voraussetzung der Elemente des Euklids, die weder unter den Axiomen noch unter den Postulaten vorkommt. Einen Lehrsatz zu wissen, schließt in der Mathematik den Beweis ein, der aufgrund angenommner Definitionen, Axiome und Postulaten geführt wird – und dies ist das Geschäft des gesunden Menschenverstandes! Diese Wahrheit ex principiis zu beweisen – das heißt selbst die Axiome und Postulate aufgrund von Logik und metaphysischen Prinzipien zu beweisen, und somit philosophisch zu rechtfertigen – ist das Geschäft der theoretischen Vernunft. Beide schließen sich gegenseitig nicht aus noch sind sie voneinander abhängig. Und obwohl es Mathematikern nicht gelungen ist zu Mendelssohns Zeiten diese Voraussetzung zu beweisen, bezweifelte keiner von ihnen deren Wahrheit oder die Wahrheit der von ihnen abhängigen Lehrsätze. Ähnliche Überlegungen gelten in der Religion: Wo immer möglich, möchte Mendelssohn Religionswahrheiten beweisen, aber deren Annahme als Wahrheit ist nicht von ihrer philosophischen Begründung abhängig. Mendelssohn zitiert den Psalmisten: „Der das Ohr gepflanzt hat, muß doch wohl hören; der das Auge gebildet hat, muß doch wohl sehen? Der den Menschensohn Erkenntniß lehrt, der Ewige, erkennet auch des Menschen Gedanken.“15

„Dieser natürliche, kinderleichte Schluß“ – fährt Mendelssohn fort – „hat noch für mich alle Evidenz eines geometrischen Grund- und Heische14 Morgenstunden, sechste Vorlesung, ( JubA 3.2, 50). 15 Psalm 94,9 – 11. In Vers 10 lässt Mendelssohn folgende Worte aus: „Nicht strafen, der die Heiden züchtigt?“ Mendelssohns Übersetzung dieser Verse in Jerusalem weicht von der Fassung in seiner Übersetzung der Psalmen ab.

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satzes, und die siegreiche Gewalt einer unumstößlichen Demonstration.“ (An die Freunde Lessings, JubA 3.2, 198) Zu beachten ist der Unterschied zwischen „Grundsatz“ (Axiom) und „Heischesatz“ (Postulat) einerseits, einer Demonstration andererseits. Die Axiome und Postulate in Euklids Geometrie – zum Beispiel Axiom 1: „Was demselben gleich ist, ist auch einander gleich“; oder Postulat 1: „1. Daß man von jedem Punkt nach jedem Punkt die Strecke ziehen kann“ – werden nicht bewiesen, aber sie sind unmittelbar gewiss und unumstößlich. Sie sind eben „evident“, unmittelbar einsichtig und zwingend. Obwohl es also immer wieder Versuche gab, diese Sätze zu beweisen, wurde ihre Wahrheit nie in Zweifel gezogen. Auch die Wahrheiten der natürlichen Religion sind von dieser Art: sie werden nicht ex principiis bewiesen, haben aber dennoch die „siegreiche Gewalt einer unumstößlichen Demonstration.“ Die natürliche Religion und insbesondere die Unsterblichkeit der Seele sei dem gemeinen Menschenverstand nicht weniger „evident“ als ein Satz der Geometrie. Es sei lediglich der Irreführung des gesunden Verstandes durch Aberglaube, Priestertrug und Sophismus geschuldet, dass die Philosophie gefordert werde, Verdorbenes wieder zu richten. Ihre Aufgabe sei, unsere Seelenruhe wieder herzustellen. (Phaedon, JubA 3.1, 81) 16 Da dies der praktische Zweck metaphysischer Demonstrationen sei, habe er, Mendelssohn, die „exoterische“ Darstellung bevorzugt und in seinen Beweisführungen der Unsterblichkeit der Seele bloß „Bon Sens“ und nicht den „esoterischen“ Jargon der Leibnizianer benutzt.17 Diese Dualität von Wahrheit und Begründung, gemeinem Verstand und Philosophie und die Unabhängigkeit wahrer Erkenntnis von ihrer philosophischen Begründung ist grundlegend für Mendelssohns Philosophie. Wahrheitsansprüche sind nicht von einem philosophischen Beweis abhängig. Mendelssohn ist kein Rationalist, kein Wolffianer, sondern ein Philosoph des gemeinen Menschenverstand, der, wo es möglich ist, sich 16 Mendelssohns Simmias, der erste Zweifler an der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, sagt: „Wenn ich Zweifel wider die Unsterblichkeit der Seele errege, so geschieht es nicht wider die Wahrheit dieser göttlichen Lehre, sondern wider ihre vernunftmäßige Erweislichkeit, oder vielmehr wider den Weg, welchen du, O Sokrates! gewählt hast, uns durch die Vernunft davon zu überzeugen.“ ( JubA 3.1, 79) Der Beweis ist auch hier nötig, um einen Sophismus zu widerlegen, nicht an sich. ( JubA 3.1, 149) Siehe auch die Einleitung von Leo Strauss, JubA 3.1. xviii; xxiv-xxv. Vgl. auch An die Freunde Lessings, JubA 3.2, 198 – 199. 17 Siehe die Briefe an Raphael Levi, Ende 1767, an von Platen, 7. April, 1769, an Herder 2. Mai 1769, JubA 3.1: xxv.

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auch einen systematischen philosophischen Beweis angenommener Wahrheiten wünscht. Mehr noch: Mendelssohn glaubte nicht an philosophischen Fortschritt, obwohl er an die Verfeinerung philosophischer Argumente glaubte. Unsere Ahnen seien nicht weniger fromm oder moralisch gewesen als wir, noch haben sie weniger metaphysische Wahrheiten gewusst: „Neue metaphysische Wahrheiten sind, wenn man will, seit Jahrhunderten nicht erfunden worden“, so, dass um etwas ganz Neues zu sagen, man „beynahe etwas Ungereimtes sagen muß.“ ( JubA 7, 45) Die Begründung der Wahrheiten könne jedoch verbessert werden. Plato zum Beispiel hat die wahre Idee der Unsterblichkeit der Seele vertreten, Mendelssohn ersetzte Platons Argumente durch moderne, sei es um sie „nach dem Geschmacke unserer Zeiten einzurichten“, sei es weil Platons Beweise „uns wenigstens, so seichte und grillenhaft [scheinen], daß sie kaum eine ernsthafte Widerlegung verdienen. Ob dieses von unserer bessern Einsicht in die Weltweisheit oder von unserer schlechten Einsicht in die philosophische Sprache der Alten herrühret, vermag ich nicht zu entscheiden.“ ( JubA 3.1, 8) Dieselbe Bereitschaft, die Schlüssigkeit philosophischer Argumente vom „Geschmacke“ der Zeit abhängig zu machen, zeigt sich auch in Mendelssohns Reflexion auf die eigene Philosophie. Im Vorwort zu den Morgenstunden bezieht sich Mendelssohn auf den Niedergang der LeibnizWolffischen Schule und gesteht, dass seine eigene Philosophie „nicht mehr die Philosophie der Zeiten ist“. Die Aufgabe, die Philosophie zu reformieren überlässt er bescheiden „beßren Kräften“; namentlich nennt er Kant. Wieso veröffentlicht Mendelssohn also dieses Zeugnis veralteter Philosophie? Um „meinen Freunden und Nachkommen Rechenschaft zu hinterlassen, von dem, was ich in der Sache für wahr gehalten habe.“ ( JubA 3.2, 5) Dies ist kaum glaubhaft. Die eigenen Irrtümer müssen der Nachwelt nicht übermittelt werden. Viel eher scheint Mendelssohn gedacht zu haben, dass auch diesmal es mehr Mode als Fortschritt sei, die seine Argumente veraltet erscheinen lasse. Wie dem auch sei, Mendelssohns Standpunkt ist und klar und konsistent: Die Wahrheiten der Metaphysik seien seit Jahrhunderten dank des gemeinen Menschenverstandes gut bekannt; es sei lediglich die spezifische philosophische Begründung aus Prinzipien, die sich mit der Mode und den Zeiten ändere. Obwohl Metaphysik grundsätzlich nur das systematisiert, was der gemeine Verstand bereits weiß, kann es zuweilen zu einem Konflikt kommen. Hier wie in Rechtstreitigkeiten ist es wichtig darauf zu achten, wem die Entscheidung in „Kollisionsfällen“ zukommt. Mendelssohn

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empfiehlt zunächst eine gütliche Einigung: die Methode der „Orientierung“. Diese bedeutet schlicht, dass man den letzten zurückliegenden Punkt des Einverständnisses sucht und dann jeden weiteren Schritt genau überprüft. So wird ein Irrtum ausgeschlossen und Einigkeit wieder hergestellt. „So bald sie sich entzweyen: so suche ich mich zu orientieren, und sie beide, wo möglich, auf den Punkt zurückzuführen, von welchem wir ausgegangen sind. Da Aberglaube, Pfaffenlist, Geist des Widerspruchs und Sophisterey uns durch so vielerley Spitzfindigkeiten und Zauberkünste den Gesichtskreis verdrehet, und den gesunden Menschenverstand in Verwirrung gebracht haben; so müssen wir freilich wieder Kunstmittel anwenden, ihm zu Hülfe zu kommen. Wir müssen die metaphysischen Subtilitäten, deren man sich bedienet um uns zu mißleiten, gegen die Wahrheit halten, vergleichen, untersuchen und prüfen, und, wenn sie die Probe nicht bestehen, durch noch feinere Begriffe zu verdrängen suchen .“ ( JubA 3.2, 198; vgl. 82)

Wie wir sehen, behält der gesunde Menschenverstand die Entscheidungsgewalt in „Kollisionsfällen“. Hier muss aber auf die eingangs eingeführte Zweideutigkeit von „Common Sense“ zurückgegangen werden. Common Sense in der Bedeutung des richtigen Urteilsvermögens behält den Subtilitäten der Metaphysik gegenüber zumeist recht. Aber Common Sense in der Bedeutung der einst akzeptierten Wahrheiten, die spezialisierten Untersuchungsmethoden unterliegen, kann von wissenschaftlicher Erkenntnis korrigiert werden. Dies trifft sowohl für Physik als auch für die Metaphysik zu. „Die Wahrheit streitet sehr oft mit dem bon-sens; und in diesem Falle kann sie nur durch die Vernunft erreicht werden; z. B. die Gestalt der Erde, ihre Bewegung, die Entfernung der Fixsterne, die unendliche Theilbarkeit der Materie. Eben also streitet sehr oft die sittliche Empfindung mit der Pflicht.“ ( JubA 2, 185)

Aufgrund der neuen Erfahrungen und systematischen Denkens kann erneut und anders geurteilt werden, das Urteilsvermçgen ist aber kein anderes als der Bon Sens des Alltags, nun aber unterstützt von speziellen Hilfsmitteln und methodischem Vorgehen. In der Metaphysik kommt eine weitere Schwierigkeit hinzu, nämlich die Irreleitung durch die unersetzliche natürliche Sprache. Hier ist ein Mechanismus des Fortschritts involviert. Die Common-Sense-Anschauungen seien in der natürlichen Sprache verkörpert. Die Reflexion und die Entwicklung der Anschauungen durch einige wenige Vordenker, finden allmählich Eingang in die natürliche Sprache, so dass einst neue und bahnbrechende Erkenntnisse später Common-Sense-nschauungen wer-

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den, von denen selbst die Sprache zeuge. Zum Beispiel: Hobbes’ einst provokative Theorie habe zu einem verbesserten Verständnis der Unterschiede zwischen physischem und sittlichem Vermögen, zwischen Gewalt und Befugnis geführt, und man habe „diese Unterscheidungen so innigst mit der Sprache verbunden, daß nunmehr die Widerlegung des hobbesischen Systems schon in dem gesunden Menschenverstande, und so zu sagen, in der Sprache zu liegen scheinet.“ ( JubA 8, 106)

Daher zeige die natürliche Sprache nicht den fortgeschrittensten Stand des Wissens an, aber sehr wohl den Kulturstand einer Nation.18

III. Schluss Kehrt man das Bild um, sieht man Mendelssohn nicht als Wolffianer, der zugleich die damit unverträgliche Zuversicht hat, dass der Gemeinsinn richtig urteile, sondern als Common-Sense-Philosophen, der, wenn möglich, sich auch eine philosophische Begründung ex principiis wünscht, dann verschwinden nicht nur dieses, sondern auch weitere Probleme, auch solche, die Mendelssohn den Ruf eines Heuchlers eingetragen haben, wie zum Beispiel seine Überzeugung, dass es in der Philosophie keine wahren Meinungsverschiedenheiten gebe. Zu Beginn seiner Besprechung des Spinozismus in den Morgenstunden, schreibt Mendelssohn: „Wir schweben hier in einer Region von Ideen, die von der unmittelbaren Erkenntniß zu weit entfernt ist; in welcher wir unsere Gedanken blos durch den Schattenriß der Worte zu erkennen geben; ja blos durch Hülfe dieser Schattenrisse selbst wieder zu erkennen im Stande sind. Wie leicht ist hier der Irrthum! Wie groß die Gefahr, den Schatten für die Sache zu halten! Sie wissen, wie sehr ich geneigt bin, alle Streitigkeiten der philosophischen Schulen für bloße Wortstreitigkeiten zu erklären, oder doch wenigstens ursprünglich von Wortstreitigkeiten herzuleiten.“ ( JubA 3.2, 104)

Kant war bekanntlich anderer Ansicht,19 aber er zeigte auch keinerlei Interesse an Problemen der Sprache in der Philosophie. Unter Sprach18 „Überhaupt ist die Sprache eines Volks die beste Anzeige seiner Bildung, der Kultur sowohl als der Aufklärung, der Ausdehnung sowohl als der Stärke nach.“ Mendelssohn, „Über die Frage: Was heißt aufklären?“, JubA 6.1, 116. 19 „Ich bin hingegen einer ganz Meinung und behaupte, daß in Dingen, worüber man, in der Philosophie, eine geraume Zeit hindurch gestritten hat, eine Wortstreitigkeit zum Grunde gelegen habe, sondern immer wahrhafte Streitigkeit über Sachen. Denn obgleich in jeder einige Worte in mehrerer und verschiedener

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philosophen war die Ansicht weit verbreitet, dass philosophische Kontroversen eigentlich nur logomachiae seien, Streitigkeiten um Worte.20 Wieso wurde Mendelssohn nicht verstanden? Friedrich Niewöhner hat seine Beobachtungen zu Mendelssohns Stil folgendermaßen zusammengefasst: „Kurz: Mendelssohn kommentiert. Seine Popularphilosophie könnte auch als eine kommentierende Philosophie bezeichnet werden. Der Kommentar, hebräisch Bi’ur, ist de genuine Ordnungsbegriff im jüdischen Denken, und ich meine, man wird Mendelssohns literarischem Schaffen eher gerecht, wenn man es als eine kommentierende Philosophie als eine Popularphilosophie bezeichenet.“21

Die Kommentarform in der Philosophie ist noch kaum untersucht worden.22 Eins kann jedoch mit Sicherheit gesagt werden. Die Wahl der zu kommentierenden Werke bedeutet keineswegs, dass der Kommentator die in ihnen ausgedrückten Ansichten teilt. Er kann radikale Kritik an ihnen üben. Mendelssohn philosophierte, wie er selber hervorhob, in einer Kultur, in der die Leibniz-Wolffsche Philosophie maßgeblich war und er philosophierte in deren Sprache. Wie wir sahen, ist aber sein Standpunkt grundsätzlichen Fragen gegenüber, von dem Wolffs verschieden. Der Bedeutung gebraucht so kann es doch gar nicht lange währen, bis die, so sich im desselben Anfangs veruneinigt haben, den Mißverstand bemerken und an deren Statt anderer bedienen: daß es also am Ende eben so wenig wahre Homonyma als Synonyma giebt.“ Kant, Einige Bemerkungen zu L. H. Jakob’s Prüfung der Mendelssohn’schen Morgenstunden, AA VIII, 152. 20 Vgl. die Hinweise in Altmann (s. o. Anm. 8), 677, 688, 866, Anm. 20. Besonders wichtig für Mendelssohn war Condillac. Siehe: Essai über den Ursprung der menschlichen Erkenntnisse, hg. und übersetzt v. Ulrich Ricken, Leipzig 1977, II.1.11 #116 Teil 2, Sektion 1, Kapitel 11, # 116, 251 – 253. 21 Zuvor gibt Niewöhner einige Beispiele: „Sein Erstlingswerk, die ,Philosophischen Gespräche‘, sind im Grunde ein Kommentar zu Leibniz, die ,Morgenstunden‘, sein letztes Werk, ein Kommentar zu Spinoza. ,Pope, ein Metaphysiker‘ ist ebenso ein Kommentar wie M’s Bemerkungen zur Logik des Maimonides oder seine ,Anmerkungen zu Abbts freundschaftlicher Correspondenz‘. Die öffentlichen Briefe sind fast Zeilenkommentare, und was sind die Rezensionen in den Literaturbriefen anders als Kommentare? Ich könnte noch den ,Phädon‘ als einen erneuten Kommentar zu Platon characterisieren oder die ,Sache Gottes‘ als einen erneuten Kommentar zu Leibniz.“ Natürlich wird auch Mendelssohns Kommentars zum Pentateuch gedacht. Friedrich Niewçhner, Mendelssohn als Philosoph – Aufklärer – Jude. Oder: Aufklärung mit dem Talmud, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 41 (1989), 119 – 133, hier 124. 22 Siehe meinen Versuch: „Salomon Maimon: Kommentar als Methode des Philosophierens“ (Hebräisch), in: Da’at 53 (2004), 126 – 160.

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Leser, dem die Eigentümlichkeiten der jüdischen, kommentierenden Kultur nicht vertraut sind, wird durch den Stil dieser Gattung irregeführt, vielleicht auch dadurch, dass die zur Herrschaft gekommene Kantsche Philosophie sprachphilosophische Überlegungen verdrängte.

Der religionsphilosophische Hintergrund von Kants Beantwortung der Frage „Was ist Aufklärung?“ Jens Kulenkampff Kaum ein Satz ist so zum Gemeinplatz geworden wie Immanuel Kants These: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.“ (452) 1 Dabei ist dieser Satz keineswegs selbsterklärend: Was für eine Unmndigkeit kann das sein, die selbstverschuldet ist? Und was ist das für ein Ausgang, wenn man die Unmündigkeit doch gewöhnlich hinter sich lässt, indem man mündig, allenfalls indem man aus der Unmündigkeit entlassen wird? Kant hilft dem Leser mit der folgenden, kaum weniger berühmten Erläuterung: „Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ (452)

Wörtlich genommen, ist diese Erläuterung kaum weniger dunkel als der Ausgangssatz, denn wie kann, wenn es mir an Verstand gar nicht mangelt und ich nur den Mut oder die Entschlusskraft nicht aufbringe, mich meiner intellektuellen Fhigkeiten auch zu bedienen, der Nichtgebrauch dieser Fähigkeit auf das Unvermçgen hinauslaufen, den eigenen Verstand ohne Leitung eines anderen zu gebrauchen? Offenbar meint Kant, dass es mit geistigen Kapazitäten nicht anders steht als mit körperlichen: Muskeln, die wir nicht benutzen, atrophieren, so dass es unter Umständen der Stützen und Krücken bedarf, um ihre Funktion zu ersetzen. Wenn es zudem so sein sollte, dass die Übung einer Fähigkeit anstrengend und gefahrvoll ist, dann resultiert aus der natürlichen Trägheit und Risikoscheu des Menschen die Neigung zur Untätigkeit und aus ihr wiederum die Verkümmerung der Fähigkeit. 1

Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? zit. nach Norbert Hinske (Hg.), Was ist Aufklärung? Beiträge aus der Berlinischen Monatsschrift, Darmstadt 3 1981, 452 – 465. Alle durch einfache Seitenzahlen nachgewiesenen Zitate beziehen sich auf diese Edition.

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„Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Theil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen […], dennoch gern Zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen.“ (452 f.)

Das ist alles richtig, und zwar so jederzeit richtig und wahr, dass die schönen Sätze Kants verständlicherweise zu einem Gemeingut geworden sind, das bei jeder passenden Gelegenheit – etwa für Abiturreden oder für kritische Anmerkungen über Massenmedien – zur Verfügung steht. Denn wie Recht hat Kant doch auch noch nach zweihundert Jahren, wenn er schreibt: „Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt der für mich die Diät beurtheilt, u.s.w. so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nöthig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen.“ (453) Und selbst wenn wir hoffen, dass es heutzutage mit dem „schönen Geschlecht“ anders steht, so ist das Folgende im Kern doch immer noch wahr: „Daß der bei weitem größte Theil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben, und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften; so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einigemahl Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern, und schrekt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen ab.“ (453)

Doch bei so viel jederzeitiger Wahrheit übersieht man leicht, dass es im Kern bei Kants Beantwortung der Frage: Was ist Aufklrung? um etwas ganz anderes geht und dass wir es bei seiner Ermutigung, uns unseres eigenen Verstandes ohne Leitung eines anderen zu gebrauchen, eigentlich nur mit einer Einkleidung zu tun haben. Den Hintergrund der kleinen Schrift erkennt man erst, wenn man den Kontext betrachtet, in dem sie erschienen ist.

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I. Erschienen ist sie 1784 im Dezember-Heft der Berlinischen Monatsschrift und abgedruckt ist die kleine Abhandlung als eine Art Leserbrief, nämlich versehen mit Absender und Datum: „I. Kant. Königsberg in Preußen, den 30. Septemb. 1784“. Unter dem Titel des Beitrages wird außerdem auf Seite 516 des Dezemberheftes der Berlinischen Monatsschrift von 1783 verwiesen und damit auf die Stelle Bezug genommen, an der die Frage Was ist Aufklrung? aufgeworfen worden war. Kants Zuschrift ist innerhalb der Berlinischen Monatsschrift eine von zwei direkten Reaktionen auf diese Frage; die andere ist Moses Mendelssohns noch kürzerer Beitrag ber die Frage: was heißt aufklren? 2, der im September-Heft des Jahres 1784 erschienen ist und der Kant noch unbekannt war, als er seine eigene Stellungnahme verfasste.3 Innerhalb der Berlinischen Monatsschrift gibt es diverse implizite Stellungnahmen zu der Frage Was ist Aufklrung?, aber die Beiträge von Mendelssohn und Kant ragen heraus, weil sie die Sache grundsätzlich nehmen. Nun ist die Berlinische Monatsschrift keineswegs die einzige Zeitschrift gewesen, in der die Frage Was ist Aufklrung? diskutiert wurde; vielmehr haben wir es in der Phase der sogenannten Spätaufklärung mit dem nicht gar so häufigen Phänomen zu tun, dass die Selbstbezeichnung einer Epoche (in diesem Fall also die Selbstbeschreibung der Zeit als eines Zeitalters der Aufklrung 4) innerhalb eben dieser Epoche selbst in einer verzweigten öffentlichen Diskussion kritisch beleuchtet wird. Relevante Beiträge gab es nicht nur von Mendelssohn und Kant, sondern beispielsweise auch von Wieland und Herder und vielen anderen.5 Es geht im folgenden aber nicht darum, diese ebenso komplexe wie kontroverse Debatte nachzuzeichnen, sondern allein um Kants Beantwortung der Frage: Was ist Aufklrung?, die sich bei näherer Betrachtung durchaus nicht als der richtige, aber harmlose Gemeinplatz erweist, der sie zunächst zu sein scheint. Wie bereits erwähnt, taucht die Frage Was ist Aufklrung? im Dezemberheft der Berlinischen Monatsschrift des Jahres 1783 auf, und zwar am Ende einer Wortmeldung des Pfarrers Johann Friedrich Zöllner, der auf 2 3 4 5

Ebd., 444 – 451. Vgl. ebd., 465 f. Ebd., 462. Vgl. hierzu Horst Stuke, Aufklärung, in: Otto Brunner/Werner Conze/ Reinhart Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, Stuttgart 1972, 243 – 342.

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einen nur mit einem Namenskürzel gezeichneten Artikel mit dem Titel Vorschlag, die Geistlichen nicht mehr bei der Vollziehung der Ehen zu bemhen 6 antwortet. Wie nicht anders zu erwarten, plädiert der Pfarrer gegen den Vorschlag des Ungenannten, von dem man annehmen darf, dass es sich um Johann Erich Biester, den einen der beiden Herausgeber der Berlinischen Monatsschrift, handelt, denn dieser Vorschlag ziele auf nichts anderes ab als auf die Einführung der Zivilehe. Biesters Argumentation für die Zivilehe beginnt mit der Feststellung, dass „das Ehebündniß ein Kontrakt, und nichts weiter [sei] als das“(95) Wie andere besonders wichtige bürgerliche Verträge erfordere die Ehe zwar gewisse Förmlichkeiten, aber ebensowenig wie andere Verträge verlange die Ehe als solche die Einmischung der Religion oder der Geistlichkeit. Diese Einmischung geschah, so Biester, unter anderem, „weil die allenthalben sich zudrängende regiersüchtige Geistlichkeit auch dieß wichtige wo nicht wichtigste Geschäft des Menschengeschlechts an sich zu ziehen suchte“(96). Als Beleg für diese These führt Biester das Ehereglement des Grafen Zinzendorf in der von ihm gegründeten pietistischen Sekte der Herrnhuter Brüdergemeine an, und den Papst, dessen Erfindung es gewesen sei, dass eine Ehe ohne geistlichen Segen nicht gültig und dass sie mit einem solchen Segen ein Sakrament und unauflöslich sei. Dass diese Behauptung Biesters nicht dem Eheverständnis des kanonischen Rechts entspricht, ist für das folgende weniger wichtig als die Tatsache, dass neben einer protestantischen Sekte die katholische Kirche zum Beleg für die These angeführt wird, dass es sachfremde und noch dazu nicht offen ausgesprochene Herrschaftsinteressen sind, die zur religiösen Überhöhung des Ehebündnisses geführt haben sollen. Biester behauptet nun weiter nicht nur, dass der Geistliche bei einem Eheschluss einfach nichts zu suchen habe, sondern auch, dass seine Beteiligung durchaus schädlich sei, denn die Heiligung der Ehe führe den „unaufgeklärten Bürger“ (98) natürlicherweise zu folgendem Schluss: „Gott selbst will nicht, daß ich jenen Kontrakt oder jenes Gesetz breche; die andern [Kontrakte] sind wohl nur von Menschen gemacht, und mit denen hats daher nicht so viel zu bedeuten.“ Biester kommentiert diesen seiner Meinung nach offensichtlich falschen Schluss folgendermaßen: „Bei jenen wird die ganze Macht des schauervollen heiligen Eindrucks und der unnenbaren dunklen Gefühle aufgeboten […]; bei diesen ist nichts dergleichen was die Gemüther bindet. Ist denn Ein Gesetz des Staats minder ein Gesetz als ein anderes? Ist es, als Gesetz, weniger wichtig und unverbrüchlich? 6

Erschienen im September-Heft des Jahres 1783 der Berlinischen Monatsschrift.

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Darf es das sein, wenn nicht aller Geist der Nation, alle Liebe zum Staat, aller Patriotismus verloren gehn soll?“ (98 f.)

Mit diesen Fragen kommen wir an den eigentlichen Kern von Biesters Vorschlag heran: Biester wählt einen jedermann vertrauten Fall und thematisiert an ihm das äußerst heikle und konfliktträchtige Verhältnis der beiden einander überlagernden, aber mit gleichem Geltungs- und Verbindlichkeitsanspruch auftretende Rechtssysteme von Staat und Kirche. Und er bezieht sogleich Stellung zugunsten des Staates und gegen die Kirchen. Indem er außerdem dem „unaufgeklärten Bürger“ den Fehlschluss ziehen lässt, dass der kirchlich sanktionierte Eheschluss von anderer rechtlicher Dignität sei als das übrige bürgerliche Recht, verknüpft er die aktuelle politische Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat mit den Wertbegriffen aufgeklrt – unaufgeklrt und brandmarkt auf diese Weise gewisse Kirchenrechtspositionen als sachlich falsch und vor allem als unaufrichtig, was die wahren politischen Absichten anlangt. Aber Biester setzt noch eins drauf, was zu unserem Bild nicht so ohne weiteres passen will, demgemäß das Zeitalter der Aufklärung in einem eher milden Licht von Vernunft und Humanität erglänzt. Biester nämlich wünscht sich das folgende: „Wie trefflich, wenn Glaube und Bürgerpflicht mehr verbunden wären; wenn alle Gesetze die Heiligkeit von Religionsvorschriften hätten! Dann gäb es wieder Patrioten, die ihr Blut für den Staat vergössen, wie Märtyrer es für die Religion thaten. Dann lernte früh die Jugend neben ihrem Katechismus, oder vielmehr in demselben, die Staatseinrichtungen; dann hielte spät das Alter dieß früh gelernte heilig. Wie hängt man nicht itzt an allem, was man mit der Religion verbunden glaubt […]! Und doch erfährt itzt oft ein redlicher Gläubiger manchen wahrlich harten und bittern Kampf im Herzen, findet seine Religion bald mit den Landesbefehlen in Kollision, bald mit den (ihm zum Unterhalt doch unentbehrlichen) Weltgeschäften in Streit. So wird der Mensch von mehreren Pflichten und Trieben hin und hergezerrt! Was könnte nicht aus ihm werden, wenn er ganz mit ungetheilter Kraft der Seele an Einem hinge? wenn das, was die Achtung für Landesgesetze und die Ehrfurcht für Religionswahrheiten mächtiges haben, zu Einem Zwekke verbunden würde? O ein grosses glükliches Jahrhundert, wo das einst geschieht!“ (99)

Und eine Seite weiter schreibt Biester: „O wann kömmt die Zeit, da die Besorgung der Religion eines Staates nicht mehr das private Monopolium einiger Wenigen ist, die den Staat oft in Verwirrung setzten; sondern selbst wieder Staatsangelegenheit wird! Dann ist Eintracht zu hoffen; dann schweigt die unselige Spaltung zwischen Kirche und Staat. Dann haben die Gesetze wieder Gotteskraft […] Dann fühlt der Unterthan Anhänglichkeit an sein Land, Liebe für seine Gesetzgeber, Achtung für

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ihre Verordnungen. Geht und höret itzt den platten Spott darüber im Munde des Pöbels, hört den Triumph über die Pfiffigkeit im unentdekten Betruge. Wer noch Bürger, wer Mensch ist, muß trauren; denn das sind grössere Blasphemien, als wenn Kruzifixe geschimpft und geschändet werden.“ (100 f.)

Biesters Absicht ist klar, und sein scheinbar so unschuldiger Vorschlag, die Geistlichen nicht mehr bei Vollziehung der Ehen zu bemhen entpuppt sich als ein politisches Manifest: Im Namen von Vernunft und Aufklärung sollen Religion und Kirche die Macht, die sie im bürgerlichen Leben über die Gläubigen haben, entzogen und soll der Staat als einzige legislative, exekutive und judikative Instanz etabliert werden, – dies jedoch nicht im Zeichen einer Privatisierung der Religion und einer Trennung von Kirche und Staat, nicht im Zeichen von Säkularisation und Laizismus, sondern im Zeichen einer Sakralisierung des Staates! Biester denkt dabei keineswegs an ein Staatskirchentum. Nicht dass die Fürsten über den Bischöfen stehen, ist die Aufhebung der Spaltung von Kirche und Staat, die ihm vorschwebt, sondern dass die Fürsten wieder „an Gottes Statt reden“ (101), stellt die propagierte Einheit dar. Biesters Ziel ist die Indienstnahme der Religion durch die Politik, eine Heiligung aller Staatsgesetze, und zwar dadurch, dass „die Väter des Volks [… wieder] an Gottes Statt reden“; worauf er hinauswill, ist die Fundierung des Staates durch die Legitimationsideologie einer rein philosophischen Theologie.7 Denn er glaubt, dass Religion das Einzige sei, womit man den gemeinen Mann fassen und binden könne, die bestehenden Religionen aber hält er für finsteren „Aberglauben oder thörichte Phantasien“, jedenfalls nicht für eine „praktische, fürs Menschenleben brauchbare, zu Menschenglük würksame, in die menschliche Gesellschaft (das ist ja der Staat) eingreifende Religion“ (102). Wie schon gesagt, konnte der Pfarrer Zöllner mit Biesters Vorschlag, die Geistlichen nicht mehr bei Vollziehung der Ehe zu bemhen nicht einverstanden sein. Relativ leichtes Spiel hat Zöllner mit einigen inneren Unstimmigkeiten in Biesters Argumentation. An sich aber passt ihm natürlich die Richtung, wie er sie versteht, nämlich dass die Religionslehrer eine stärkere Stellung im Staat erhalten sollen. Was ihm, dem Pfarrer und Mann der 7

Vgl. Hinske (s. o. Anm. 1), 100: „tiefe Weisheit, abgezogene Wissenschaft“ – Vorbild Biesters könnte die „religion civile“ sein, von der Rousseau im Contrat Social (von 1762) redet und bei der es sich auch um alles andere als eine zivile Privatsache handelt, sondern um eine reine Vernunftreligion, auf die der Staat seine Bürger verpflichten kann und die es braucht, soll der Staat das Recht haben, seine Bürger dafür in Anspruch zu nehmen, dass sie das Gemeinwesen notfalls durch den Einsatz ihres Lebens verteidigen.

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seelsorgerlichen Praxis, dagegen nicht einleuchtet, ist, wie man der Heiligkeit der Staatsgesetze das Wort reden und zugleich die Zivilehe fordern und wie man behaupten kann, es gebe keine den Bedürfnissen des Staates oder der menschlichen Gesellschaft genügende Religion. Zöllner wörtlich: „Ich weiß nicht, wo der Verf. lebt, zu welcher Religion er sich bekennt, und auf welche Thatsachen er seine Behauptungen stützt. Ich kenne Religionslehrer genug, die praktische, fürs Menschenglük brauchbare Religion predigen; und ich würde heute einen andern Stand wählen, wenn ich nicht durch Thatsachen überzeugt wäre, daß nicht alles Predigen, und vornehmlich nicht der Unterricht der Jugend vergeblich ist. Freilich ist indessen zu besorgen, daß durch beides in Zukunft noch immer weniger wird ausgerichtet werden; wenn man ferner so kräftige Maßregeln anwendet, die ersten Grundsätze der Moralität wankend zu machen, den Werth der Religion herabzusetzen, und unter dem Namen der Aufklärung die Köpfe und Herzen der Menschen zu verwirren.“ (115)

Und zum Wort ,Aufklärung’ macht Zöllner die Anmerkung: „Was ist Aufklärung? Diese Frage, die beinahe so wichtig ist, als: was ist Wahrheit, sollte doch wol beantwortet werden, ehe man aufzuklären anfinge! Und noch habe ich sie nirgends beantwortet gefunden.“ (115) Das ist also die Stelle, an der die Frage Was ist Aufklrung? in der Berlinischen Monatsschrift auftaucht und auf die Kant ein Jahr später Bezug nimmt. Und zugleich gibt der Kontext Zöllners Frage einen greifbaren Sinn: Ist das denn Aufklärung, wenn im Namen von Religion gegen die Religion geredet wird? Und von welcher Religion ist hier eigentlich die Rede? Wir dürfen annehmen, dass die bibelfeste Leserschaft der Berlinischen Monatsschrift die mit der Frage „Was ist Wahrheit?“ gegebene Anspielung und den Seitenhieb auf Biester sofort verstanden hat: Ist eine Religion gemeint, wie der römische Staatsbeamte Pilatus sie versteht, oder eine, die er sicher nicht versteht, wenn er mit der Frage „Was ist Wahrheit?“ auf Jesu Äußerung reagiert: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich die Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme.“ ( Joh 18, 37)? Nur ein Pilatus (heißt das), der von der wahren Religion nichts verstanden hat, kann gegen das kirchliche Lehramt polemisieren und für eine neuartige Zivilreligion eintreten, deren Priester die Fürsten sind. Wenn das Aufklärung ist, so wird man Zöllners Anmerkung zu verstehen haben, dann kommt sie einer blasphemischen Herabsetzung der Religion gleich.

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II. Wie stellt sich nun Kants Beantwortung der Frage: Was ist Aufklrung? dar, wenn man sie im Lichte der Biester-Zöllner’schen Kontroverse betrachtet? Was nimmt er auf, was nicht? – Die Frage, ob die Eheschließung des priesterlichen Segens bedürfe oder nicht, übergeht er. Auch Biesters verkappten Vorschlag, um willen einer Sakralisierung des Staates die Kirchen aus allen Staatsangelegenheiten herauszuhalten, übergeht Kant mit beredtem Schweigen: Von einer solchen Sakralisierung des Staates hält er nichts. Natürlich soll Vernunft im Staate herrschen, aber mit Heiligkeit hat staatliche Obrigkeit nichts zu tun. Kants Hauptinteresse gilt der Frage, was es mit der Aufklärung „in Religionssachen“ (463) auf sich hat. Er wendet sich diesem seinem „Hauptpunkt“ aber nicht direkt zu, sondern beginnt mit der Behauptung, dass es den einzelnen Menschen, wenn ihnen die Unmündigkeit zur zweiten Natur geworden sei und sie damit wirklich unfähig geworden seien, sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen, in ihrer überwiegenden Mehrzahl schwer falle, sich selbst aus dieser Unmündigkeit zu befreien. Daher gibt es, so Kant, immer nur wenige, denen das gelungen sei. Andererseits behauptet er, dass es nicht nur möglich, sondern fast unausbleiblich sei, dass „ein Publikum sich selbst aufkläre“ (454), und zwar in einem langsamen Reformprozess. Voraussetzung für eine solche Reform der Denkungsart ist freilich „Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stükken öffentlichen Gebrauch zu machen“ (455). Nun höre er aber „von allen Seiten rufen: räsonnirt nicht! Der Offizier sagt: räsonnirt nicht, sondern exercirt! Der Finanzrath: räsonnirt nicht, sondern bezahlt! Der Geistliche: räsonnirt nicht, sondern glaubt! (Nur ein einziger Herr in der Welt sagt: räsonnirt, so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt; aber gehorcht!) Hier ist überall Einschränkung der Freiheit. Welche Einschränkung aber ist der Aufklärung hinderlich? welche nicht, sondern ihr wohl gar beförderlich?“ (455)

Diese Passage hat den Charakter eines Selbsteinwandes: Die angeblich so unschädliche Freiheit, die die Bedingung der Möglichkeit von Aufklärung ist, gibt es im gesellschaftlichen Leben in Wahrheit gar nicht, sei es, dass man, statt nachzudenken und kritisch zu prüfen, einfach gehorchen und folgen soll, sei es, dass ein Räsonnement, selbst wo es verstattet ist, das nicht zur Folge haben darf, was der freie Gebrauch des eigenen Verstandes, also Einsicht, natürlicherweise zur Folge hat, nämlich Konsequenzen im

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Handeln: „Räsonnirt, so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt; aber gehorcht!“ lässt Kant den preußischen König, der an dieser Stelle als Stellvertreter von staatlicher Obrigkeit überhaupt anzusehen ist, in die Debatte einwerfen. Und das heißt doch nichts anderes, als dass die Pflicht zum bürgerlichen Gehorsam immer den Vorrang hat und infolgedessen jedes öffentliche Räsonnement worüber auch immer zur Folgenlosigkeit verurteilt ist. Kant versucht, diesem Einwand mit einer Präzisierung zu begegnen, indem er – für ein heutiges Verständnis etwas verwirrend – vom öffentlichen einen privaten Vernunftgebrauch unterscheidet und Freiheit nur für den öffentlichen, nicht aber für den privaten Vernunftgebrauch verlangt. ffentlicher Vernunftgebrauch ist nichts anderes als eine begründete Meinungsäußerung „vor dem ganzen Publikum der Leserwelt“ (456), also in öffentlichen Medien; privat dagegen ist ein Vernunftgebrauch, soweit er im Rahmen oder unter den Vorzeichen von bürgerlichen Posten oder Ämtern stattfindet.8 Der Inhaber eines Amtes muss nicht und wird gewöhnlich nicht völlig frei im Gebrauch seiner Vernunft sein, was nicht heißt, dass er bei seiner Amtswaltung gänzlich auf den Gebrauch seines Verstandes verzichten müsste oder könnte. Aber als Beamter oder Funktionsträger ist er Teil eines Apparates, den die Regierung als Instrument für die Umsetzung ihrer Anordnungen benutzt. Dieser „Mechanism“ würde nicht funktionieren, wenn nicht eine „künstliche Einhelligkeit“ herrschte und wenn stattdessen jeder Beamte nach dem freien Ratschluss seiner eigenen Vernunft agierte. Für die Räder im Verwaltungsapparat der bürgerlichen Gesellschaft gibt es die Freiheit eines eigenen Vernunftgebrauchs also nicht und kann es sie gar nicht oder allenfalls als Spielraum pflichtgemäßen Ermessens geben. – Aber kein Beamter ist nur Beamter, kein Funktionsträger ist nur ein Teil im Räderwerk der Verwaltung, sondern immer auch „Glied eines ganzen gemeinen Wesens, ja sogar der Weltbürgergesellschaft“ (456), und als solcher, d. h. als Bürger, unterliegt er den Ein8

Der Ausdruck „Privatgebrauch der Vernunft“ (im Gegensatz zu ihrem öffentlichen Gebrauch) scheint bei Kant nur in der Schrift: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? vorzukommen und ist verwirrend, weil man den Kontext des Privatrechts assoziiert und dort „Privatgebrauch“ der Gebrauch einer Sache ist, von deren Gebrauch der Eigentümer rechtlich jeden anderen ausschließen kann (vgl. MdS Rechtslehre § 11), wohingegen ein öffentlicher Vernunftgebrauch gerade dann stattfindet, wenn sich jemand – würden wir sagen – als Privatmann öffentlich äußert. Wie es scheint, ließ sich Kant in der Aufklärungsschrift bei seiner Prägung „Privatgebrauch der Vernunft“ einfach vom etablierten Gegensatz ,öffentlich – privat’ leiten.

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schränkungen seines Amtes nicht. Kant unterscheidet hier also die zwei Rollen des Amtsträgers und des „Gelehrten“, also dessen, der zu irgend einer Sache eine begründete Meinung hat, die sich natürlich mit der Auffassung nicht decken muss, die er als Amtsträger zu vertreten und im Verwaltungshandeln umzusetzen hat. Die Rolle des Gelehrten spielt, wer sich in irgend einer Sache öffentlich zu Wort meldet, und solche Wortmeldungen dürfen, wenn Aufklärung möglich sein soll, keinen Beschränkungen und keiner Zensur unterliegen. Die Rolle des Amtsträgers ist dagegen als solche schon eingeschränkt. Kant hegt nun offensichtlich zum einen die optimistische Auffassung, dass der Bürger konfliktfrei beide Rollen nebeneinander spielen, also als Amtsträger im Gebrauch seiner Vernunft eingeschränkt und als Gelehrter in ihrem Gebrauch völlig frei sein kann, und zwar gerade auch in Religions- und Glaubensfragen; und er hegt zum andern die nicht minder optimistische und von allen sog. Realpolitikern höchst selten geteilte Auffassung, dass der Staat unter der Freiheit des öffentlichen Vernunftgebrauchs nicht nur nicht leidet, sondern von ihr sogar profitiert, ohne dass vom Anspruch des Fürsten auf absoluten bürgerlichen Gehorsam ein Jota abgestrichen werden müsste. Diese beiden Punkte sollen in umgekehrter Reihenfolge betrachtet werden.

III. Was Kant hier skizziert, ist das Ideal dessen, was man später aufgeklärten Absolutismus9 genannt hat, und da er glaubt oder seine Leserschaft glauben machen will, dass dieses politische Ideal im Preußen seiner Zeit realisiert sei, gerät ihm seine Zuschrift an das Berliner Organ an manchen Stellen geradezu zu einer Huldigung oder Verherrlichung Friedrichs II, etwa wenn er auf die selbstgestellte Frage „Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter?“ antwortet: „nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung“ und wenn er dieses Zeitalter der Aufklärung als „das Jahrhundert Friederichs“ (462) bezeichnet und behauptet, dass nur ein Fürst, der „selbst aufgeklärt“ ist, nicht aber ein Freistaat, also keine Republik, den freien 9

Der Ausdruck ,aufgeklärter Absolutismus’ gehört nicht zur Selbstbeschreibung der Epoche. Möglicherweise hat er einen Vorläufer bei G. Raynal, der gelegentlich von ,despotisme éclairé’ spricht. Anscheinend wurde der Ausdruck von W. Ruscher 1847 geprägt und fungiert seither als geschichtswissenschaftlicher Terminus. Vgl. Fritz Hartung, Der aufgeklärte Absolutismus, in: Karl Otmar Freiherr von Aretin (Hg.), Der Aufgeklärte Absolutismus, Köln 1974, 54 – 76.

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Spielraum eines öffentlichen Vernunftgebrauchs einräumen und garantieren kann, den der noch andauernde Prozess der Aufklärung benötigt. Warum aber ist das Wort des absoluten Herrschers: „räsonnirt so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt, nur gehorcht!“ (464) nicht nur kein Hindernis, sondern geradezu die Bedingung der Möglichkeit von Aufklärung? Warum ist der Prozess der Aufklärung – denn das heißt es ja – im Grunde nur in einem absolutistischen Staat und nicht in einem Freistaat möglich? – Man muss bedenken, worum es geht, nämlich um die uralte und ewige Frage nach der richtigen Einrichtung und Verwaltung des „gemeinen Wesens“. Und ebenso alt wie diese Frage, ist der Wunsch, es solle die Vernunft sein, die regiert, es solle die Einsicht sein, was den Menschen frommt und ihrer Bestimmung nach zum besten gereicht, die den Leitfaden der Politik abgibt. Einiges davon lässt sich nach Kants Überzeugung a priori aus der Natur des Menschen deduzieren, etliches aber oder doch wohl das allermeiste dessen, was in einem Gemeinwesen praktisch geregelt werden muss, vermutlich nicht. In solchen Belangen kann nur das die Leitlinie sein, was sich in einem offenen Erwägungs- und Urteilsbildungsprozess als das Beste oder Vernünftigste herausstellt. Typisch für Kant und viele andere politische Denker des 18. Jahrhunderts ist nun der Gedanke, dass dieser Erwägungs- und Urteilsbildungsprozess ein öffentlicher sein soll, einfach deshalb, weil nur so die Chance besteht, dass das, was man das Vernunftreservoir einer Gesellschaft nennen könnte, auch ausgeschöpft wird. Soll dieser Prozess fruchtbar sein, dann muss er nicht nur öffentlich, sondern auch frei sein und solange dauern können, wie es eben braucht, bis sich im Für und Wider das Vernünftigste herausgestellt hat. Soll dieser Prozess ferner nicht folgenlos sein, dann muss es eine Instanz geben, die das, was sich als vernünftige Überzeugung des sich selbst aufklärenden Publikums etabliert hat, politisch umsetzt, die aber auch warten kann, bis der öffentliche Aufklärungsprozess zu einem Ende gekommen ist, um die Gefahr möglichst klein zu halten, dass das fehlerhafte oder unhaltbar gewordene Alte durch etwas unausgereiftes und wiederum fehlerhaftes Neues ersetzt wird. Ein Freistaat, dessen politisches Handeln durch Mehrheitsbeschlüsse in Gremien zustande kommt, bietet diese Gewähr nicht; ein Parlament ist immer in der Gefahr, dass lediglich neue Vorurteile an die Stelle der alten treten und zur Leitlinie der Politik werden. Nur ein Fürst, so Kant, der die bestehende öffentliche Ordnung garantiert und sie nur dann ändert, wenn der öffentliche Beratungs- und Meinungsbildungsprozess zu einer bestimmten, wohlerwogenen Einsicht geführt hat, kann den Freiraum einer öffentlichen Diskussion gewähren, in dem über alles räsoniert wird, und zwar solange man will und ohne dass es zu

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übereilten Entscheidungen kommt. Bezogen auf die konkrete Veranlassung der Frage Was ist Aufklrung?, hieße das, dass die öffentliche Diskussion der Frage, ob über den Eheschluss ein priesterlicher Segen zu sprechen sei oder nicht, solange weiterzuführen sei, bis ein Resultat erzielt ist, das dem Fürsten vernünftig dünkt, sei es, dass er die Dinge lassen sollte, wie sie sind, sei es, dass er beschließen sollte, sie in bestimmter Weise zu ändern. Was die Ehe angeht, hat es bis 1875 gedauert, bis im Deutschen Reich die obligatorische Zivilehe eingeführt wurde. Man wird sagen, dass diese Idee eines aufgeklärten Absolutismus schön, aber vermutlich so illusorisch ist wie alle politischen Ideale. Erstens funktioniert Öffentlichkeit ja nie so vernünftig, wie Kant sich das dachte, obwohl – man denke nur an das konkrete Beispiel und daran, dass in derselben Berlinischen Monatsschrift nicht nur Biesters verkapptes politisches Manifest, sondern auch Zöllners und noch vieler anderer gegenläufige Meinungen publiziert wurden! – obwohl also im 18. Jahrhundert die Herausbildung einer öffentlichen Meinung aufgrund einer kontroversen Diskussion in öffentlichen Medien durchaus besser funktioniert zu haben scheint als heute, da die wirkmächtigen öffentlichen Medien allesamt Instrumente der Macht sind und es mit der grundgesetzlich garantierten Freiheit eines öffentlichen Vernunftgebrauchs de facto oftmals so weit nicht her ist. Nichtsdestoweniger mutet die Vorstellung von einer im positiven Sinne kritischen Öffentlichkeit, von einem sich allmählich selbst aufklärenden Publikum, so sympathisch sie ist, doch seltsam naiv an. Hinter vielen öffentlichen Wortmeldungen standen natürlich auch im Zeitalter von Vernunft und Aufklärung, in jenem hochgerühmten siècle des lumières verkappte oder offene Interessen; und der Raum der Öffentlichkeit ist niemals frei von Rhetorik und ist auch niemals von dem Versuch frei gewesen, durch die Macht des Wortes für die eigene Position einzunehmen. Außerdem ist es natürlich ein Glücksfall, wenn man zu Kants Gunsten annimmt, dass es tatsächlich ein Glücksfall war, im Jahrhundert Friederichs zu leben und zur Zeit Friedrichs des Großen preußischer Untertan zu sein. Wie schnell sich ein solches Glück wenden kann, musste Kant selbst erfahren, als es unter dem Nachfolger Friedrichs des Großen mit der Freiheit des öffentlichen Vernunftgebrauchs schnell vorbei war und Kant wegen seiner Ansichten vor allem in Religionssachen mit der Zensurbehörde in Konflikt geriet. Was den aufgeklärten Absolutismus und die Garantie der Freiheit eines öffentlichen Vernunftgebrauchs angeht, ist Kant entweder politisch naiv oder es liegt seinem Plädoyer ein ganz spezielles, aber verborgenes Motiv zugrunde, so dass wir es also auch unter diesem Aspekt der kleinen Schrift immer noch mit Oberfläche und Einkleidung zu tun haben.

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IV. Das führt zurück zu der anderen von Kants optimistischen Auffassungen über Aufklärung, nämlich dass es in allen Belangen eine friedliche Koexistenz zwischen privatem und öffentlichem Vernunftgebrauch geben könne. Ein Stück weit mag das einleuchten, etwa wenn Kant sagt, es könne natürlich nicht sein, dass ein Offizier „im Dienste über die Zwekmäßigkeit oder Nützlichkeit“ der Befehle „laut vernünfteln wollte“, die er auszuführen hat; aber es könne ihm „billigermaßen nicht verwehrt werden, als Gelehrter, über die Fehler im Kriegesdienste Anmerkungen zu machen, und diese seinem Publikum zur Beurtheilung vorzulegen. Der Bürger kann sich nicht weigern, die ihm auferlegten Abgaben zu leisten [… Aber er handelt] der Pflicht eines Bürgers nicht entgegen, wenn er, als Gelehrter, wider die Unschiklichkeit oder auch Ungerechtigkeit solcher Ausschreibungen öffentlich seine Gedanken äußert.“ (456 f.)

Diese beiden Fälle sind aber strenggenommen gar nicht Fälle von zweierlei, nämlich einem privaten und einem öffentlichen Vernunftgebrauch: Ob der Offizier, der die Befehle befolgt, und der Bürger, der seine Steuern bezahlt, sich dabei ihr Teil denken oder nicht, ist unter dem Aspekt der Erfüllung ihrer Pflichten völlig unerheblich und wenn sie hernach oder anderswo ihre kritischen Meinungen zu Protokoll geben können, so ist das gut und vielleicht sogar für das „gemeine Wesen“ förderlich, aber hier liegt nicht zweierlei (möglicherweise konflikthafter) Vernunftgebrauch vor, denn mein Handeln, wenn ich tue, was ich soll, ist eines und mein Rsonieren über Sinn und Zweck der Verordnungen, denen ich unterliege, ein anderes. Im Fall des Geistlichen sieht die Sache wieder anders aus. Dass der seiner Gemeinde zurufen sollte: „räsonnirt nicht, sondern glaubt!“ (455), ist an sich schon Unsinn und ein Unding, denn man kann zwar das (verlautbarte) Räsonieren unterbinden, aber nicht befehlen zu glauben. Dem Geistlichen, der mit dem Problem zu tun hat, dass seine Gemeinde darüber räsoniert und nicht glaubt, was er predigt, ist mit der Unterscheidung von privatem und öffentlichem Vernunftgebrauch ganz gewiss nicht geholfen. Das entscheidende Problem stellt dagegen der Fall des Pfarrers dar, der für sich selbst ein denkender und ein zum Gebrauch seiner Vernunft fähiger Kopf ist und der mit dem, was er zu predigen hat, in Konflikt gerät. Auf ihn bezieht sich die folgende Passage: „[…] ein Geistlicher [ist] verbunden, seinen Katechismusschülern und seiner Gemeine nach dem Symbol der Kirche, der er dient, seinen Vortrag zu thun; denn er ist auf diese Bedingung angenommen worden. Aber als Gelehrter hat

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er volle Freiheit, ja sogar den Beruf dazu, alle seine sorgfältig geprüften und wohlmeinenden Gedanken über das Fehlerhafte in jenem Symbol, und Vorschläge wegen besserer Einrichtung des Religions und Kirchenwesens, dem Publikum mitzutheilen. Es ist hiebei auch nichts, was dem Gewissen zur Last gelegt werden könnte. Denn, was er zu Folge seines Amts, als Geschäftträger der Kirche, lehrt, das stellt er als etwas vor, in Ansehung dessen er nicht freie Gewalt hat nach eigenem Gutdünken zu lehren, sondern das er nach Vorschrift und im Namen eines andern vorzutragen angestellt ist. Er wird sagen: unsere Kirche lehrt dieses oder jenes; das sind die Beweisgründe, deren sie sich bedient. Er zieht alsdann allen praktischen Nutzen für seine Gemeinde aus Satzungen, die er selbst nicht mit voller Ueberzeugung unterschreiben würde, zu deren Vortrag er sich gleichwohl anheischig machen kann, weil es doch nicht ganz unmöglich ist, daß darin Wahrheit verborgen läge, auf alle Fälle aber wenigstens doch nichts der innern Religion widersprechendes darin angetroffen wird. Denn glaubte er das letztere darin zu finden, so würde er sein Amt mit Gewissen nicht verwalten können; er müßte es niederlegen. Der Gebrauch also, den ein angestellter Lehrer von seiner Vernunft vor seiner Gemeinde macht, ist bloß ein Privatgebrauch […] und in Ansehung dessen ist er, als Priester, nicht frei, und darf es auch nicht sein, weil er einen fremden Auftrag ausrichtet. Dagegen als Gelehrter, der durch Schriften zum eigentlichen Publikum, nämlich der Welt, spricht, mithin der Geistliche im öffentlichen Gebrauche seiner Vernunft, genießt einer uneingeschränkten Freiheit, sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen und in seiner eigenen Person zu sprechen.“ (457 ff.)

Was ist von diesen Ausführungen zu halten? Was ist daran ganz und gar unplausibel? Dass jemand, der bei einer Kirche zu dem Zwecke angestellt wird, ein bestimmtes seelsorgerliches Amt zu versehen, damit auch verpflichtet wird und sich selbst verpflichtet, sein Amt in den Grenzen des Dogmas, wie es sich in den Lehrschriften der jeweiligen Kirche niederschlägt, zu versehen, ist sicher unproblematisch, denn er kann sein Amt niederlegen, wenn er von den Glaubensinhalten, die er zu vertreten hat, nicht mehr überzeugt ist. Dass man des weiteren einem Pfarrer das Denken nicht verbieten kann und auch nicht verbieten sollte, damit aus seiner Erfahrung und Reflexion Vorschläge zur Verbesserung des Religions- und Kirchenwesens hervorgehen, ist natürlich auch richtig. Wie aber, wenn der Weg des denkenden Geistlichen ihn ein ganzes Stück vom Dogma seiner Kirche wegführt? Dann, so Kant, soll unser Mann solange nicht in Gewissenskonflikte zwischen seinem Amt und seiner Überzeugung geraten, solange er es nicht für ganz unmöglich hält, dass in den Lehrschriften seiner Kirche „Wahrheit verborgen läge“ und solange er in den symbolischen Büchern nichts findet, was „der inneren Religion“ widerspricht. Solange diese Bedingungen erfüllt sind, soll der Geistliche verkünden können, was er nicht mehr oder doch nicht mehr so ganz und gar unterschreiben würde;

Religionsphilosophischer Hintergrund von Kants Frage „Was ist Aufklärung?“333

er soll sein Amt führen können, weil er als Priester nicht in eigener Person spreche, während er zugleich als Gelehrter der Welt seine abweichenden Gedanken mitteilen und zur Prüfung vorlegen könne und solle. In dieser Form also soll sich die Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Vernunftgebrauch auf die Geistlichkeit übertragen lassen und Aufklärung gerade auch „in Religionssachen“ möglich sein. Und dass es Kant unter dem Stichwort ,Aufklärung’ in erster Linie um „Religionssachen“ geht, zeigt sich an einer anderen Stelle seines Werkes ganz deutlich, nämlich in § 40 der Kritik der Urteilskraft, wo Kant die erste der „Maximen des gemeinen Menschenverstandes“, nämlich „Selbstdenken“, als die „Maxime einer niemals passiven Vernunft“ bezeichnet und folgendermaßen erläutert: „Die erste ist die Maxime einer niemals passiven Vernunft. Der Hang zur letzteren […] heißt Vorurteil; und das größte unter allen ist, sich die Natur Regeln, welche der Verstand ihr durch sein eigenes wesentliches Gesetz zum Grunde legt, als nicht unterworfen vorzustellen, d.i. der Aberglaube. Befreiung vom Aberglauben heißt Aufklärung; weil, obschon diese Benennung auch der Befreiung von Vorurteilen überhaupt zukommt, jener doch vorzugsweise […] ein Vorurteil genannt zu werden verdient, indem die Blindheit, worin der Aberglaube versetzt, ja wohl sie gar als Obliegenheit fordert, das Bedürfnis, von anderen geleitet zu werden, mithin den Zustand einer passiven Vernunft vorzüglich kenntlich macht.“ (KU B 158 f.)

Der denkende Geistliche wird also, ja er muss etliches am Dogma seiner Religion als Aberglauben erkennen und sich selbst eben dadurch von diesem Aberglauben befreien, also zum Dogma seiner Kirche in Widerspruch geraten. Gleichwohl, so meint Kant, könne er weiter seines Amtes walten und privat, das heißt in der Kirche, verkünden, was er öffentlich in Abrede stellt. Aber Kant übersieht hier etwas Entscheidendes, nämlich dass der Prediger, der nicht glaubt, was er verkündet, nicht überzeugend und nicht glaubwürdig ist. So wenig er seiner Gemeinde befehlen kann zu glauben, kann er sich selbst auf die Dauer überzeugend so geben, als glaubte er, was er predigt. Er kann also gerade in der Spaltung zwischen einem öffentlichen und einem privaten Vernunftgebrauch sein Amt nicht mehr richtig versehen. Zwischen Offizier und Finanzrat einerseits und zumindest dem protestantischen Priester andererseits besteht der grundlegende Unterschied, dass sich im Fall des letzteren das amtspflichtgemäße Handeln und das Denken nicht trennen lassen. Wessen Vernunftgebrauch die eigenen religiösen Überzeugungen untergräbt, aufhebt oder auch nur verändert, so

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dass sie mit dem Symbol der Kirche, der er dient, nicht mehr übereinstimmen, der kann nicht mehr guten Gewissens Diener seiner Kirche sein. Nun zieht ja auch Kant eine Grenze, jenseits derer die Spannung zwischen privatem und öffentlichem Vernunftgebrauch im Fall des Geistlichen zu groß geworden sein soll. Aber es ist eine zu weite Grenze: Sie soll dann überschritten sein, wenn (erstens) der denkende Geistliche die Überzeugung verloren hat, dass in den Lehrschriften seiner Kirche berhaupt Wahrheit verborgen sei, oder wenn (zweitens) sich in diesen Schriften etwas findet, was der inneren Religion widerstreitet. Das Problem mit der Wahrheit ist in diesem Fall nur, dass es nicht genügt, sie irgendwo im Verborgenen zu vermuten, sondern dass der Geistliche sie kennen und dass er sie als Priester laut verknden muss. Nimmt man beispielsweise Jesu Worte vor Pilatus: „Ich bin in die Welt gekommen, daß ich die Wahrheit zeugen soll.“, so ist schwer vorstellbar, dass diese Wahrheit nicht offenbar oder irgendwie verborgen sein sollte; das Zeugnis von Jesu Zeugnis der Wahrheit sind schließlich die Evangelien, die – wörtlich wie übertragen verstanden – als offene Bücher vor dem Priester liegen. Nun weiß der gebildete Theologe natürlich, dass es im Laufe der Jahrhunderte gerade aus Gründen des Dogmas Streit und Schismen ohne Ende gegeben hat, so dass es zu einer geradezu immerwährenden und durch die neuzeitliche historische Bibelwissenschaft nur umso dringlicheren Aufgabe der Theologie geworden ist, die Wahrheit des Glaubens zu bestimmen. Aber dieses Stück Ungewissheit, Skepsis und Zweifel, das in der Theologie als Wissenschaft steckt, ist für den Geistlichen in der Rolle des Pfarrers unerträglich: Er kann die Wahrheit nur ganz oder gar nicht haben. Hat er sie nicht, so kann er sein Pfarramt nicht versehen. Hat er sie aber, so kann er nicht nach dem Gottesdienst in die Rolle des Gelehrten schlüpfen und sich auf die Suche nach der verborgenen Wahrheit machen und dabei das eine oder andere Stück der Lehre zwar nicht vor seiner Gemeinde, aber vor einer gelehrten Öffentlichkeit zur Disposition stellen. Die zweite Grenzbestimmung ist nicht besser als die erste, aber aus einem anderen Grunde: Was ist, was besagt „innere Religion“? Und wer entscheidet darüber, was mit ihr übereinstimmt oder ihr zumindest nicht widerspricht? Der Ausdruck „innere Religion“ scheint in Kants Werken nur an dieser Stelle aufzutauchen und wird nicht weiter erläutert; trotzdem ist leicht zu erkennen, was Kant damit meint: Innere Religion ist jener Glaube, zu dem jeder denkende Mensch durch den Gebrauch seiner Vernunft gelangen kann. Kant, so scheint es, stellt sich damit in die Tradition der philosophischen oder natürlichen Religion, die einen von aller historischen oder geoffenbarten Religion unabhängigen, aber den wahren

Religionsphilosophischer Hintergrund von Kants Frage „Was ist Aufklärung?“335

Kernbestand aller Religion umfasst. Nun ist aber nach Kant der Gebrauch der eigenen Vernunft in Religionssachen nicht unproblematisch und sicher nur zulässig, sofern er sich in den Grenzen bewegt, die die Kritik der reinen Vernunft gezogen hatte. Bekanntlich hat diese Grenzziehung zur Folge, dass Gott, aber auch Freiheit und Unsterblichkeit keine Gegenstände menschlicher Erkenntnis sind, so dass über sie weder empirisch noch a priori durch Vernunftgebrauch etwas auszumachen ist. Und das wiederum hat zur Folge, dass von der natürlichen oder philosophischen Vernunftreligion, wie sie seinerzeit gerade unter den philosophischen Köpfen im Schwange war, schlechterdings nichts übrig blieb. Was es also mit der „inneren Religion“ auf sich hat, liegt durchaus nicht auf der Hand und wird allenfalls denjenigen Lesern der Berlinischen Monatsschrift – aber auch nur ihnen! – aufgegangen sein, die sich im Dezember 1784 bereits durch Kants erste Kritik durchgearbeitet hatten und die nach achthundert Seiten auf das gestoßen sind, was Kant als „moralischen Glauben“ (KrV A 828) bezeichnet. Dieser Glaube enthält genau zwei Glaubensartikel, „nämlich, daß ein Gott und eine künftige Welt sei“ (KrV A 828). Aber dieser Glaube ist von besonderer Art, denn es handelt sich bei ihm nicht um „logische, sondern moralische Gewißheit“ (KrV A 829), die folgendermaßen erläutert wird: „der Glaube an Gott und eine andere Welt ist mit meiner moralischen Gesinnung so verwebt, daß, so wenig ich Gefahr laufe, die erstere einzubüßen, ebensowenig besorge ich, daß mir der zweite jemals entrissen werden könne“ (KrV A 829). Was Kant mit diesem Satz skizziert, ist – theologisch gesehen – eine äußerst radikale Position und ist der wirklich brisante religionsphilosophische Hintergrund seiner Beantwortung der Frage Was ist Aufklrung? Denn was besagt die unauflösliche Verwobenheit von Glaube und moralischer Gesinnung? Das moralische Bewusstsein ist etwas, das allein schon mit der Vernünftigkeit des Menschen gegeben ist. Die moralische Gesinnung ist das Prius. Es braucht Gott weder, um Moral zu begründen, noch, um ihr Kraft und Nachdruck zu verleihen; umgekehrt verunklärt und schwächt jede Berufung auf Gott sei es als Gesetzgeber, sei es als belohnende oder bestrafende Instanz das moralische Bewusstsein. Dieses ist nämlich nichts weiter als das Bewusstsein von der absoluten Verbindlichkeit, das zu tun und zu lassen, was ich tun und lassen soll, gleichgültig was ich möchte oder nicht möchte, will oder nicht will. Wer sich nun im Handeln an nichts als an seiner Pflicht orientiert und mit aller seiner Kraft versucht, es mag ihm gelingen oder nicht, das Gesollte auch zu tun, der beweist durch die Art, wie er sich selbst und sein Handeln bestimmt, also durch eine Form des intellektuellen Tuns, dreierlei, nämlich erstens seine

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Freiheit, weil er sich durch die Frage nach etwas, was sein soll, bestimmt und weil er nicht durch etwas, was ist, zum Agieren bestimmt wird. Zweitens liegt in der Vernünftigkeit, das heißt in der Allgemeingültigkeit des moralischen Bewusstseins die Orientierung auf ein höchstes Gut, das ist auf einen vollständig moralischen Weltzustand, an dessen Realisierung der moralisch Handelnde zwar de facto mitwirkt, den er aber als solchen gar nicht beabsichtigen oder schon gar nicht bewirken kann: Ein vollkommener Weltzustand ist kein mögliches Ziel menschlichen Handelns. Gerade aber, weil das so ist, beweist der moralisch Handelnde praktisch und keineswegs theoretisch seinen Glauben an Gott als die Ermöglichungsbedingung dieses vollkommen guten Weltzustandes. Drittens aber spricht nicht nur nichts dafür, sondern alles dagegen, dass eine moralisch vollkommene Welt in irgend eines Menschen Erdenleben je Realität werden sollte, und genau darum beweist der moralisch Handelnde wiederum praktisch (und nicht theoretisch) seinen Glauben an eine künftige Welt. Die Pointe dieses moralischen Glaubens ist, dass man ihn nicht gewinnen kann, indem man nachdenkt, sondern dass man ihn als moralisch orientierter Mensch unausweichlich beweist; das ist die moralische Gewissheit, die in der Verwobenheit von Glaube und moralischer Gesinnung besteht. Das moralische Bewusstsein, so Kant, schließt also Religion ein, aber zum einen nicht in der Form, dass das unmittelbare moralische Bewusstsein ihr logischer Beweisgrund wäre, und zum andern eine Religion von denkbar abstraktem Gehalt, die mit den Dogmen eines Kirchenglaubens, welcher Art auch immer, nichts zu tun hat. Wenn das die „innere Religion“ ist, die gleichsam das Fundament bilden soll, auf dem der Geistliche festen Stand haben soll, um ohne Gewissenskonflikt die Spannung zwischen privatem und öffentlichem Vernunftgebrauch, also zwischen Predigt und eigener Überzeugung auszuhalten, dann heißt das nichts anderes, als dass allein die Philosophie, genauer die kritische Philosophie Immanuel Kants, und keine Theologie ihm diesen Boden unter den Füßen verschaffen kann. Das ist es, was Kant unter Aufklärung in Religionssachen versteht. Nun können wir ziemlich sicher sein, dass der denkende Geistliche, wenn er sich nicht von Kant und seiner Kritik der reinen Vernunft leiten ließ, wohl kaum auf den „moralischen Glauben“ gekommen wäre. Und wir können auch sicher sein, dass er, wenn er den moralischen Glauben aus der Kritik der reinen Vernunft öffentlich vertreten hätte, mit seinen Kirchenoberen und den Sachwaltern des kirchlichen Symbols in heftigsten Streit geraten wäre, der mit der Unterscheidung von öffentlichem und privatem Vernunftgebrauch

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schwerlich beizulegen gewesen wäre. Recht verstanden, hilft Kant dem Geistlichen also nicht aus der Klemme. Aber das ist vielleicht auch gar nicht Kants Absicht gewesen. Denn natürlich ist sich der Kant von 1784 der Radikalität und der Brisanz einer Auffassung bewusst gewesen, die von der Religion eben nichts als den skizzierten moralischen Glauben übriglässt. Der Erste also, der an der Freiheit des öffentlichen Vernunftgebrauchs das dringendste Interesse haben mute, ist Kant selbst gewesen. Und nun bekommt es auf einmal einen anderen Klang, wenn Kant das seine als das „Zeitalter der Aufklärung“ und zugleich als das „Jahrhundert Friederichs“ preist und den König als „aufgeklärt“ bezeichnet. Die Aufgeklärtheit Friedrichs erblickt er darin, „daß er es für Pflicht halte, in Religionsdingen den Menschen nichts vorzuschreiben, sondern ihnen darin volle Freiheit zu lassen [… Er] verdient von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige gepriesen zu werden, der zuerst das menschliche Geschlecht der Unmündigkeit, wenigstens von Seiten der Regierung, entschlug, und Jedem frei ließ, sich in allem, was Gewissensangelegenheit ist, seiner eigenen Vernunft zu bedienen.“ (462 f.)

Vor dem Hintergrund von Kants radikaler Position in Religionssachen klingt das wie der Versuch, sich den König zum Verbündeten zu machen oder wie der Versuch, sich in die Obhut des absoluten Herrschers zu begeben, der die öffentliche Ordnung garantiert und daher in aller Gelassenheit die Freiheit eines öffentlichen Vernunftgebrauchs gewähren kann: Ohne den Schutz des Herrschers wäre es – und war es ja bald – unmöglich, eine Position öffentlich zu vertreten, die zwar im Ton gemäßigt war und gegenüber den bestehenden Kirchen und ihren Funktionen moderat auftrat, in der Sache der wahren Religion aber weit über alles hinausging, was andere Aufklärer im Sinn hatten. So erweist sich Kants Religionsphilosophie, seine radikale Religionskritik, als der eigentliche Hintergrund seiner Beantwortung der Frage: Was ist Aufklrung?

Sieben epistemologische Thesen über Wissenschaft und Judentum more geometrico Andreas Kilcher Vorbemerkung Die folgenden Thesen wollen die Aufmerksamkeit auf eine Kategorie lenken, die bei der Erforschung der jüdischen Geschichte bisher eher am Rande beachtet worden war,1 jedoch größere Aufmerksamkeit verdient: das Wissen und die Wissenschaften. Ausgangslage ist die Beobachtung, dass jüdische Geschichte nicht nur eine Frage der politischen Ereignisse, der sozialen Verhältnisse, der alltäglichen Lebensweisen, der religiösen Praxis sowie der kulturellen und künstlerischen Erzeugnisse ist. Jüdische Geschichte ist darüber hinaus auch eine Geschichte von Ideen und Wissen sowie der Bedingungen und Möglichkeiten ihrer Konstitution, Formulierung und Verbreitung, d. h. eine Geschichte intellektueller und wissenschaftlicher Kulturen. Die folgenden historischen und systematischen Überlegungen enthalten in der verdichteten Form von Thesen (bzw. Hypothesen) Vorschläge, wie dieses Forschungsfeld im allgemeinen umschrieben werden kann und welche konkreten Fragestellungen sich daraus ergeben können. 1. Die Kultur und Geschichte des europäischen und deutschen Judentums erschließt sich nicht nur über seine sozialen, politischen, theologischen und kulturellen Verhältnisse, sondern auch über seine Geschichte der Ideen, seine Praktiken des Wissens. Das Wissen ist ein integraler Teil der jüdischen Geschichte und der jüdischen Kultur. 1.1. Die Aufmerksamkeit auf das Wissen in der jüdischen Geschichte kann in systematischer Hinsicht auf der einen Seite dem theoretischen (intel1

Vgl. dazu u. a. die Arbeiten von David Ruderman, Gideon Freudenthal, Gad Freudenthal, Ulrich Charpa, Ute Deichmann. Wegweisend für das Untersuchungsfeld ist auch die Zeitschrift Aleph. Historical Studies in Science & Judaism, hg. v. Gad Freudenthal, Jerusalem 2001 ff.

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lektuellen, akademischen, wissenschaftlichen) Wissen gelten, namentlich dem Wissen der Wissenschaften. 1.2. Die Aufmerksamkeit gilt auf der anderen Seite praxiologisch-pragmatischen (politischen, sozialen, institutionellen, kulturellen) Aspekten des Wissens, d. h. (in diesem praxiologischen Sinn) den „Kulturen“ des Wissens in unterschiedlichen gesellschaftlichen Gefügen. 1.3. Eine Analyse der theoriebegründeten Wissenskonzepte sowie der handlungsbegründeten Wissenskulturen des Judentums muss in diachroner geschichtlicher wie auch in synchroner systematischer Perspektive erfolgen: als Analyse der wissenschaftlichen Kulturen des Judentums in unterschiedlichen historischen und sozialen Kontexten.

2. Die Frage nach dem Wissen in der jüdischen Geschichte wirft ein neues Licht auf die Säkularisationsthese: Das Verhältnis von Wissen und Religion wird dialektisch. 2.1. Die Perspektive auf das Wissen legt in historischer Hinsicht eine Fokussierung auf die Neuzeit nahe, insofern sich hier das Wissen zunehmend von einem engeren religiösen Paradigma des Judentums löst und als positiver Faktor des intellektuellen jüdischen Selbstverständnisses behauptet (beispielhaft in einer Haskala-Autobiographie wie derjenigen Salomo Maimons). 2.2. Eine antagonistische Ausspielung von Wissen und Religion ist allerdings eine Perspektive der Haskala selbst und muss durch den Historiker gleichzeitig durch vormoderne oder frühmoderne Wissensbegriffe konterkarriert werden, die affirmativ oder auch dialektisch in die jüdische Religion integrierbar waren (etwa Kosmologie und Naturphilosophie in der Kabbala, Rechts- und Schriftgelehrsamkeit im rabbinischen Umgang mit traditionellen Texten). Aber auch die Öffnung des religiösen, durch die Autorität von Schrift und Tradition bestimmten Judentums für sogenannte säkulare wissenschaftliche Fragen ist kein linearer und homogener, sondern ein dialektischer und heterogener Prozess von Modernisierung. Einerseits werden also auch in religiösen Paradigmen Wissensmodelle entwickelt. Andererseits kann die Religion ihrerseits zum wissenschaftlichen Gegenstand erhoben werden (etwa in der historischen Bibelkritik seit Spinoza).

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2.3. Je nach Perspektive führt dies einerseits zur These der Unvereinbarkeit des Judentums mit den Wissenschaften (vgl. Neusner: „Why no Science in Judaism?“), andererseits gerade umgekehrt zur These ihrer Vereinbarkeit (vgl. Patai: „The Jewish Mind“). Zutreffender ist jedoch wohl eine vermittelnde Position: Zwar gibt es keine per se „jüdische“ Wissenschaft („jüdische“ Physik, „jüdische“ Mathematik, „jüdische“ Sprachtheorie etc.), aber doch die soziale, kulturelle und intellektuelle Partizipation der Juden, sei es an der religiös begründeten Wissenschaftsgemeinschaft der Antike und des Mittelalters, sei es an der zunehmend kosmopolitischen und säkularen Wissenschaftsgemeinschaft in der Neuzeit.

3. Die Partizipation der Juden an der europäischen Wissensgemeinschaft sowie auch ihre Integration und Wahrnehmung durch diese zeigt sich in synchronen Analysen der komplexen Prozesse des Transfers, der Transformation, der Integration, der Abgrenzung etc. in den transkulturellen Verhältnissen zwischen der traditionellen, theologisch geleiteten, jüdischen und der modernen europäischen Wissenskultur. 3.1. Dies umfasst auf der einen Seite die vielfältige Adaption und Transformation jüdischer Wissensmodelle und Paradigmen im Zuge der Ausdifferenzierung moderner Wissenschaften in der Neuzeit (etwa Begriffe von Natur, Mathematik, Recht, Geschichte, Sprache, Philologie, Literatur etc.). 3.2. Komplementär dazu stehen die nicht weniger vielfältigen Adaptionen und Transformationen wissenschaftlicher Modelle und Paradigmen im modernen Judentum sowohl in den Naturwissenschaften (vom Aristotelismus und Platonismus bis hin zum Darwinismus) als auch in den Geisteswissenschaften (z. B. Philologie, Kantianismus/Idealismus, Nietzscheanismus, Marxismus, Neukantianismus, Psychoanalyse etc.). 3.3. Parallel zum Austausch in den akademischen Wissenschaften liegen die Transferprozesse in den sogenannten esoterischen oder „Para“-Wissenschaften. Beispielhaft ist einerseits die transkulturelle Disposition der Gnosis zwischen Judentum, Christentum und Hermetismus in der Antike. Beispielhaft ist andererseits die große Rolle der Kabbala in der europäischen Esoterikgeschichte – von der frühneuzeitlichen magia naturalis und Alchemie über die Rosenkreuzer und Freimaurer bis hin zu Okkultismus und Theosophie im 19. und 20. Jahrhundert.

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4. Das Judentum ist in systematisch-epistemologischer Hinsicht grundsätzlich entweder Subjekt (Akteur) oder Objekt (Gegenstand) des Wissens, oder aber beides zugleich. 4.1. Die Untersuchung des Judentums als Subjekt des Wissens richtet die Aufmerksamkeit auf die Gegenstände bzw. Inhalte, denen sich das europäische und deutsche Judentum seit dem Mittelalter bzw. verstärkt seit der Frühen Neuzeit zuwandte (von den theoretischen Naturwissenschaften wie der Kosmologie über die praktischen bzw. angewandten Natur- und Humanwissenschaften wie der Medizin bis hin zu den Sozialwissenschaften wie dem Recht und den historisch-philologischen Wissenschaften etwa der Sprachwissenschaft und der Bibelkritik). 4.2. Die Untersuchung des Judentums als Objekt des Wissens richtet die Aufmerksamkeit auf die Art und Weise, wie das Judentum selbst seit der frühen Neuzeit zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung gemacht wurde. Wenn das Judentum dabei ausschließlich Objekt des Wissens ist (und nicht zugleich auch Subjekt), so bedeutet dies eine Außenperspektive, wie sie etwa die christliche Hebraistik in der Frühen Neuzeit leitete (Reuchlin, Buxtorf, Wagenseil etc.), ebenso die protestantische und katholische Theologie im 19. Jahrhundert, nicht zuletzt aber auch die sogenannte „Erforschung der Judenfrage“ durch einschlägige nationalsozialistische Institute. 4.3. Die Untersuchung des Judentums als Subjekt und zugleich als Objekt des Wissens meint die jüdische wissenschaftliche Selbstwahrnehmung, eine Erforschung des Judentums also mit den modernen Mitteln und Kategorien der europäischen Natur- und Geisteswissenschaften. Ein Paradebeispiel dafür ist die Wissenschaft des Judentums im 19. Jahrhundert seit Leopold Zunz.

5. Die Untersuchung des Judentums als Subjekt (Akteur) des Wissens erfordert soziologisch-politische sowie ideen- und kulturgeschichtliche Analysen. 5.1. Wissenssoziologische und -politische Analysen richten den Blick auf die äußeren, strukturellen und gesellschaftlichen Bedingungen, in denen Wissen generiert und verteilt wird, d. h. auf die sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnisse, innerhalb deren Wissen für die Juden er-

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reichbar und kommunizierbar war. Konkret sind dies etwa die Bedingungen intellektueller und akademischer Integration wie die Stellung und Arbeit von Juden an Akademien, Universitäten, Bibliotheken, Verlagen etc. 5.2. Ideen- und kulturgeschichtliche Analysen richten die Aufmerksamkeit auf die epistemologischen Formen und Funktionen des Wissens. 5.3. In Rücksicht auf die politischen und kulturellen Bedingungen des Wissens spielt die transnationale und transkulturelle Stellung der Juden in der europäischen Geschichte eine besondere Rolle. Sie ist mit eine wesentliche Bedingung bzw. ein Katalysator der Aufnahme, Generierung und Vermittlung wissenschaftlicher Paradigmata (etwa qua Übersetzung).

6. Die Untersuchung des Judentums als Objekt und Gegenstand des Wissens verlangt auf der einen Seite theologisch-politische, auf der anderen Seite epistemologische Analysen. 6.1. Politisch-theologische Dimensionen werden insbesondere in der Außensicht auf das Judentum relevant, indem die Erforschung des Judentums nicht wert- und interessefrei erfolgte, sondern unter dem Vorzeichen unterschiedlicher theologischer und politischer Tendenzen und ideologischer Interessen (von der philosemitischen Hebraistik des Barocks bis hin zur antisemitischen NS-,Forschung‘ zum Judentum und zur wissenschaftlichen Wahrnehmung des Judentums in kommunistischen Staaten wie der DDR oder der Sowjetunion). 6.2. Epistemologische Analysen richten den Blick auf die wissenschaftlichen Methoden und Inhalte im Zuge der externen Darstellung und Interpretation des Judentums als einer religiösen, kulturellen und historischen Größe. 6.3. Zu analysieren sind damit die Verhandlungen dessen in den europäischen wissenschaftlichen Diskursen, was als jüdische Religion, jüdische Philosophie, jüdische Kunst, jüdische Literatur etc. gelten könne.

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7. Die Analyse der Formen und Funktionen jüdischer Wissenschaft des Judentums muss ebenfalls theologische, politische und epistemologische Aspekte unterscheiden. 7.1. Eine theologische Dimension der Forschung zum Judentum beleuchtet das produktive und zugleich konfliktreiche Verhältnis der jüdischen Theologie zu den Wissenschaften. Produktiv ist das Verhältnis, wo das Wissen mit theologischen Grundlagen des Judentums verbunden und in diese transponiert werden konnte (von der frühneuzeitlichen Kosmologie und Medizin bis hin etwa zu Hermann Cohens „Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums“). Konfliktreich wird das Verhältnis insbesondere da, wo ein traditionalistisches oder orthodoxes Judentum sich gegen die Modernisierung durch die Wissenschaften (z. B. den Darwinismus) stellte (etwa im Chassidismus). Eine vermittelnde Position ist die gleichzeitige Geltung von traditionalistischem Judentum und moderner Wissenschaft (etwa in der Neo-Orthodoxie und ihrem Prinzip des tora im derech eretz). 7.2. Eine politische Perspektive legt das Augenmerk auf die Frage, wie das Wissen in der jüdischen Geschichte in unterschiedlicher Weise ein Mittel zu Integration und Modernisierung auf der einen Seite, zur Dissimilation auf der anderen Seite gemacht wurde. Das zeigt sich einerseits an der Wissenschaft des Judentums, die im Feld eines Liberalismus Integration, Akkulturation und Assimilation zum mehr oder weniger expliziten Programm erhob. Es zeigt sich gleichermaßen an der zionistischen Umdeutung der Wissenschaft des Judentums, die eben dagegen eine Nationalisierung der Wissenschaft forderte (Bialik, Loewe, Scholem bzw. die israelische Wissenschaftskultur seit 1947). Zu analysieren sind zudem auch die politischen Implikationen der jiddischen Wissenschaft des Judentums des YIVO ( jiddischer wissenschaftlicher institut), das teils auch von sozialistischen und internationalistischen Prämissen ausgeht. 7.3. Die Pluralität der Interpretationen dessen, was jüdische Theologie, jüdische Philosophie, jüdische Geschichte, jüdische Literatur etc. sei, ergibt sich nicht nur aus theologischen und politischen, sondern auch aus epistemologischen Prämissen. Dabei ist insbesondere auch die Verflechtung von allgemeineren europäischen wissenschaftlichen Paradigmen und Methoden (wie Philosophie, Philologie, Historiographie) mit spezifisch jüdischen wissenschaftlichen Paradigmen und Methoden (wie Kosmologie und Schriftgelehrsamkeit) zu untersuchen.

Ausgrenzung durch Einbeziehung? Unzeitgemäßes zur Geschichte eines „ordentlichen Lehrstuhles für Geschichte und Literatur der Juden“ an der Berliner Universität (1848) 1

Giuseppe Veltri […] So viel muß ich mir aber selbst von Berufs wegen als classischer Philologe zugestehen dürfen: denn ich wüßte nicht, was die classische Philologie in unserer Zeit für einen Sinn hätte, wenn nicht den, in ihr unzeitgemäß – das heißt gegen die Zeit und dadurch auf die Zeit und hoffentlich zu Gunsten einer kommenden Zeit – zu wirken (Friedrich Nietzsche, Unzeitgemße Betrachtungen: Zweites Stck: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie fr das Leben Vorwort (1874)

Ein nahezu revolutionärer Brief landete im Juli 1848 auf dem Tisch von Adalbert von Ladenberg, wenige Tage nach dessen Ernennung zum preußischen Kultusminister.2 Der Absender, der Begründer der Wissenschaft des Judentums, Leopold Zunz, rechtfertigt darin ohne Umschweife seinen Antrag auf einen Lehrstuhl für jüdische Geschichte und Literatur an der Preußischen Universität mit der Bemerkung: „Zu den auf Universitäten fremden Fächern gehört die Wissenschaft des Judentums. Über Geschichte und Literatur der Juden aus dem Zeitraum der letzten zweitausend Jahre wird da, wo die künftigen Beamten und Gesetzgeber ihre Vorbildung erhalten, keine Belehrung gegeben. […] so sind die Fremdlinge auf diesem Gebiet gezwungen, sich an veraltete Bücher oder an lebende Bekanntschaften zu wenden, nicht geschützt vor dem Orakel der 1

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Sieben Tage vor seinem Tod habe ich mit Friedrich Niewöhner am Telefon gesprochen. Nach einigen persönlichen Nachrichten fragte er mich: „Was macht die Judaistik?“ Dieser Aufsatz ist eine kleine Antwort auf eine große Frage und verbindet die Philologie mit Leopold Zunz, der in Wolfenbüttel erstmals erfuhr, was unter Wissenschaft überhaupt zu verstehen ist. Zu von Ladenberg s. Karl Wippermann, „Ladenberg, Adalbert von“, Allgemeine Deutsche Biographie 17 (1883), 499 – 502.

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Giuseppe Veltri

Unwissenheit oder des bösen Willens, deren Spuren alsdann Verfügungen und Gesetze tragen.“3

Die Einbeziehung jüdischer Wissenschaft in das universitäre Curriculum war Zunz zur Aufgabe seines Lebens geworden. Schon am 1. Juni 1838 schrieb er seinem ehemaligen Berliner Lehrer, dem Theologen Wilhelm de Wette: „Wenn ich mich in der Wissenschaft des Judentums, die den Inhalt meines Lebens ausmacht, nicht allseitig vervollkommne, so haben daran die Widerwärtigkeiten schuld, mit denen ein jüdischer Gelehrter zu kämpfen hat, der vielerlei sagen und tun muß, sein Dasein zu fristen, selten Mittel zu Reisen hat und der Anfeuerung durch einen belebenden Zuhörerkreis entbehrt. Und doch! Wie sehr täte die Besetzung eines Lehrstuhls für jüdische Literatur an unseren Universitäten not! Groß ist die Unwissenheit, das Vorurtheil, die Ungerechtigkeit in allem, was der Juden soziales und historisches Sein betrifft: Wissenschaft, Wohlergehen, Eintracht, Sittlichkeit gewinnen nicht dabei, daß man den unterrichteten Juden und seine Leistungen so verachtungsvoll, so lieblos und echt patrizisch zurückstößt.“4

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Alle Dokumente, die sich auf das Gesuch von Leopold Zunz beziehen, wurden von Ludwig Geiger veröffentlicht: „Zunz im Verkehr mit Behörden und Hochgestellten“, Monatschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 60 (1916), 245 – 262, 321 – 347, bes. 324 ff.; siehe auch Heinrich Simon, Wissenschaft vom Judentum in der Geschichte der Berliner Universität, in: Julius Carlebach (Hg.), @4LM= NB?;. Wissenschaft des Judentums. Anfänge der Judaistik in Europa, Darmstadt 1992, 153 – 164. Der Autor stützt sich grundsätzlich auf Geigers Vorarbeiten. Im Archiv der Humboldt-Universität sind folgende Dokumente zu finden (ich bedanke mich bei Dr. Reimund Leicht für diese Übersicht): ArchivNr. 112: Die Vollständigkeit des Lehr-Kursus, Febr. 1820-Sept. 1922; Lit K, No. 2 (alte Archivnummer); Inhaltsverzeichnis: Bl. 80: … v. 21.8.48 betr. einem Antrag des Dr. Zunz wegen Errichtung einer ord. Prof. für jüdische Geschichte und Literatur; Bl. 81 – 83: darüber Inhaltsbeschreibung: Bl. 80: Brief Ladenbergs an die Fakultät vom 12n August zur Übersendung des Schreibens von Zunz; Bl. 81: Antworten von Trendelenburg, Boeckh, Ranke und Petermann, vom 20. Oktober 1848 (Teilnahmebereitschaft); Bl. 82: Einladung Trendelenburgs an Boeckh, Ranke und Petermann zu einer Sitzung am 30. Oktober, 6 Uhr; Bl. 83: Begleitbrief Trendelenburgs vom 5.11.48 zum Entwurf des Gutachtens, besondere Erwähnung der Notate von Boeckh; Einverständniserklärungen von Ranke, Boeckh und Petermann; Bl. 84 – 88: Entwurf, der an die Fakultät gesendet wurde, Berlin, 9. Nov. 1848, Vermerk Trendelenburg vom 11.11.48; anderer Vermerk 13.11.48; Angesandt an Stassling 25.11.48 [der Text ist wiedergegeben von Ludwig Geiger, MGWJ 60, 337 – 341; kurzer Vorspann fehlt bei Geiger, der die vorhergehende Entwicklung widerspiegelt. Veröffentlicht bei: Geiger, „Zunz“ (s. o. Anm. 2), 258 – 259.

Ausgrenzung durch Einbeziehung?

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Man beachte hier, dass es Zunz nicht darum geht, die allgemeine Ausbildung potentieller Rabbinatskandidaten im universitären Unterricht zu verankern. Dies war längst Praxis. Er selbst hatte an der Universität Halle über das Werk des spanischen Rabbi Shem Tov ben Yosef ibn Falaqera promoviert. Der Grund war offensichtlich, mit dem Doktortitel bessere Chancen bei einer Bewerbung zu haben.5 Viele Rabbiner pilgerten in die Universitätsstadt an der Saale, um in einem akademischen Klima jüdischer Toleranz den Doktorhut zu erlangen. „Pilgerten“ habe ich bewusst geschrieben, denn die meisten haben dort nicht mehr als ein paar Stunden verbracht, um mit berühmten Professoren wie Gesenius sprechen zu dürfen und die Zusage für eine Dissertation zu bekommen. Mehr mussten sie nicht vorbringen. An der Universität Breslau wurde in den 1870er Jahren sogar ein Lehrstuhl für semitische Sprachen und rabbinische Studien eingerichtet. Inhaber war ein christlicher Talmudstudent Abraham Geigers, Isidor Magnus, der 1872 zum Ordinarius ernannt wurde, mit der Absicht, „einerseits die rabbinische Litteratur innerhalb der Fakultät durch einen christlichen [!] Gelehrten vertreten zu sehen und andererseits den p. Magnus zu veranlassen, sich insbesondere den Vorträgen über die gedachte Disciplin zu widmen und das Interesse für dieselbe bei den Studirenden zu wecken und rege zu halten.“6

Unterstreichen sollte man hier nicht nur die gesamte Absicht, rabbinische Studien in den akademischen Unterricht etablieren zu wollen, sondern auch die Betonung des „Christlichen“. Die Optik des Unterrichts sollte durch christliche Ordinarien gelenkt werden. Darauf werden wir noch zurückkommen müssen. Zunz ging es 1848 bei seinem Gesuch viel eher darum, die Wissenschaft des Judentums als Fach innerhalb des universitären Fächerkanons durchzusetzen, um der allgemeinen Unkenntnis der jüdischen Geschichte 5

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Wie die Hallenser Akten bestätigen: Zunz ersucht in großer Eile seine Promotion mit der Begründung: „Da ich indessen schon innerhalb zehn Tagen eine wichtige Eingabe an die hiesige Regierung zu machen, – so wäre es mir von nicht geringem Nutzen, wenn ich sogleich als Dr. philos. aufträte“, siehe Universitätsarchiv der Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg: Acta Decanati Maassii, 12. Juli 1820 bis 12. Januar 1821, Blatt 128. Ich schöpfe diese Zeugnisse aus der sehr detaillierten Pionierstudie von Carsten Wilke, Rabbinerpromotionen an der Philosophischen Fakultät in Halle 1845 – 1895, in: Jüdische Kultur und Bildung in Sachsen-Anhalt von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus, hg. von Giuseppe Veltri / Christian Wiese, Berlin 2008.

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und Literatur einen praxisbezogenen akademischen, vorurteilsfreien Unterricht entgegenzusetzen. Weder war die Zeit reif, noch war die Politik bereit dafür, um des Besonderen willen paradoxerweise das Allgemeine zu erweitern und zu vervollständigen und eine religiöse Minderheitskultur in das Allgemeine einzubeziehen – zu viele Paradoxe für eine preußische Regierung, in der les idées claires et distinctes à la Descartes herrschten. Zunz’ Lebensgeschichte ist, wie auch sein bewunderungswürdiges Gesamtwerk, beispielhaft für das Schicksal jüdischer Gelehrsamkeit im 19. Jahrhundert. Geboren in der Zeit der Spätaufklärung,7 als über die Emanzipation der Juden noch gestritten wurde, lernte Leopold Zunz bei seinem Wolfenbütteler Lehrer Samuel Meyer Ehrenberg den Reiz und die Not der jüdischen Wissenschaft kennen. Ihr widmete er seine Lebensarbeit, immer in der freilich vergeblichen Hoffnung, irgendwann einmal Professor zu werden, ganz im Gegensatz zu seinem Lehrer Ehrenberg, der in ihm eher einen jüdischen Luther sehen wollte,8 der das Judentum seiner Zeit hätte reformieren können, einen Beamten preußischer Konfession, der seine Ernennungsurkunde mit dem Taufwasser hätte bereinigen müssen.9 In Berlin hatte er bei dem berühmten Theologen Wilhelm de Wette10 und bei dem Altphilologen Friedrich August Wolf studiert.11 Beide spricht er in dem zitierten Brief an: 7 Es ist hier nicht der Ort, eine ausführliche Bibliographie über Zunz anzubieten; das Wesentliche ist im Aufsatz von Klaus-Gunther Wesseling, „Zunz, Leopold“, Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon 14 (1998), im Internet unter , mit einer ausführlichen, aber nicht vollständigen Bibliographie, zusammengefasst. 8 Dazu siehe meinen Beitrag „Jewish Luther? The Academic Dreams of Leopold Zunz“, Jewish Studies Quarterly 7 (2000), 338 – 351. 9 Brief von Ehrenberg an Zunz vom 20. April 1819, ediert bei Nahum N. Glatzer (Hg.), Leopold and Adelheid Zunz. An Account in Letters 1815 – 1885, London 1958, 14: „Du bist jung, und es macht Dir Freude, Studien fortzusetzen, aber endlich musst Du doch ein Ziel setzen, da es heißt, bis dahin, und weiter nicht! Hauslehrer willst Du nicht sein. Schullehrer, wie ich glaube, gewiss auch nicht. Professor an einer Universität, da ist N9FML im Wege. Und der Weg, durch welchen [Du] dazu gelangen könntest wird Dir, wenn ich mich anders in Deiner Denkungsart nicht geirrt habe, gewiß verächtlich und zuwider sein. – Doch ist es möglich, daß Du erst Privatdozent, und dann durch Konnectionen und gute Freunde, so wie durch einen sehr guten Ruf es dahin bringst, das der König Dich begünstigt, und in diesem Falle kannst Du, wie Friedländer in Halle, dennoch Professor werden.“ 10 Zu dieser Figur siehe Friedrich Wilhelm Bautz, Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon 1 (1990), 1277 – 1278.

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„War so die äußerliche Verbindung mit Ihnen eine vorübergehende, so war die innere desto dauernder. Denn Ihnen verdanke ich die Einsicht in die biblische Kritik und nächst Friedr. Aug. Wolf, was ich überhaupt an wissenschaftlichem Blick besitze.“

So wurden die Bibel- und Altertumswissenschaften zu gemeinschaftlichen Geburtshelfern der Wissenschaft des Judentums. Als Wissenschaft des Judentums wird jene Kulturbewegung bezeichnet, die sich ergänzend zu den politischen Emanzipationsbestrebungen die Aufarbeitung der jüdischen Literatur, Philosophie und Geschichte zum Ziel gesetzt hatte. In den Vorlesungen Friedrich August Wolfs und seines Schülers August Böckh mag Zunz die Idee einer jüdischen Wissenschaft gekommen sein, deren Programm er in seiner ersten Abhandlung „Etwas über die rabbinische Litteratur“ zusammenfasste. Das in der Originalausgabe nur fünfzig Oktavseiten starke Büchlein ist ein Manifest der zu begründenden Wissenschaft. Die Aufgabe, die Literatur und Geschichte der Juden „im großen Stile“ vorurteilsfrei und ohne theologische Prämissen zu erforschen, schien Zunz nicht nur eine Herausforderung, sondern geradezu „eine Pflicht“ zu sein. Dieser Pflicht nachzukommen war jedoch ohne institutionelle Basis erheblich erschwert. Zunz konnte seine Studien nur als Privatgelehrter betreiben, da er nicht bereit war, sich durch die Konversion zum Christentum Eintritt in die akademische Welt zu verschaffen. 1845 schrieb Zunz im Vorwort zu seiner Monographie „Zur Literatur und Geschichte der Juden“: „Das Privilegium und die Untrüglichkeit der Gewalt und des Mißbrauchs sind im Reiche des Geistes nicht anerkannt, und der Gedanke ist mächtig genug, ohne Anmaßung und Unrecht über die Anmaßung und das Unrecht zu siegen. Schon hat die Gesellschaft der orientalischen Philologen die jüdische Literatur in ihren Kreis eingeführt; die Einführung in die Akademien und die Universitäten kann wohl nicht lange mehr ausbleiben.“

Diese Hoffnung trog, denn seinem oben genannten Antrag auf eine Professur für die Geschichte und Literatur der Juden vom 9. November 1848 wollte die Friedrich-Wilhelms-Universität nicht stattgeben. Man muss der Gerechtigkeit halber gleich zu Beginn sagen, dass die zuständige Kommission und die preußische Regierung das Gesuch nicht leichtfertig und unüberlegt abgelehnt haben und die Gutachten beziehungsweise die Urteilsbegründung ziemlich ausführlich ausfielen, dennoch waren die 11 Zu einer Biographie Zunz’ siehe Céline Trautmann-Waller, Philologie allemande et tradition juive Le parcours intellectuel de Leopold Zunz, Paris 1998.

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Folgen für Zunz und die Wissenschaft des Judentums umso schwerwiegender. Die zuständige Kommission, die aus dem Dekan, dem Philosophen Friedrich Adolf Trendelenburg, dem Altphilologen August Böckh, dem Historiker Leopold von Ranke und dem Orientalisten Heinrich Petermann bestand, würdigte zwar Zunz’ wissenschaftliche Leistungen und sein Programm, „die Literatur und Geschichte der Juden in eine heilsame Wechselwirkung mit der allgemeinen Wissenschaft zu setzen,“ lehnte den Antrag aber mit der folgenden Begründung ab: „Eine Professur, die mit dem Nebengedanken gestiftet würde, das jüdische Wesen in seiner Besonderheit […] geistig zu stützen und zu bekräftigen, widerspräche dem Sinne der neuen, die starren Unterschiede ausgleichenden Freiheit. Sie wäre eine Bevorrechtigung der Juden, ein Mißbrauch der Universität, […] die für ihre Lehrfächer zunächst kein anderes Maß kennt als den inneren Gehalt der Wissenschaft, und in der […] keine äußere Zweckmäßigkeit das reinere wissenschaftliche Interesse verdrängen soll.“

Die Kommission wies auf den Umstand hin, dass es nicht einmal eine Professur für deutsche oder preußische Geschichte gab: „Daher wird es nicht zweckmäßig sein, daß die jüdische Geschichte aus dem wissenschaftlichen Verbande mit der allgemeinen herausgerissen werde.“ Schließlich habe die Berliner Universität auch keinen katholischen Lehrstuhl für Theologie und Geschichte, hieß es. Man könne nicht den Juden konzedieren, was man den Katholiken verweigere. Die preußischen Gelehrten erkannten nicht, dass nur eine eigenständige Beschäftigung mit der jüdischen Tradition dem Gegenstand in wissenschaftlicher Weise gerecht werden konnte, und so redeten sie im Namen einer vermeintlichen Gleichbehandlung faktisch der herrschenden Ignoranz das Wort. Als bloßes Kapitel der Universalgeschichte der Menschheit behandelt, verfiel das Judentum den Verdikten der traditionellen christlichen Heilslehre oder der säkularisierten Geschichtsphilosophie. Der politischen Emanzipation folgte mithin keine kulturelle Einbürgerung. Zunz drückte es noch prägnanter in seinem Brief an Ladenberg aus: „Das Ghetto ist gesprengt, aber die Verweisung noch nicht aufgehoben.“ Er glaubte, dass antisemitische und antijüdische Tendenzen gar nicht erst aufkommen könnten, wenn in der universitären Ausbildung jüdische Kultur gleichberechtigt berücksichtigt würde. Verbittert ist seine Feststellung am 21. August 1876 in einem Brief an Kaufmann: „Das Herabsetzen jüdischer Autoren, selbst der getauften, wird in Deutschland so lange bestehen, als nicht an allen Universitäten jüdische Geschichte und Litteratur von Juden, die ordentliche Professoren sind, vorgetragen wird.

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Sobald dieser Fortschritt eingetreten, kommen die ;=MB =@5; („Leiden des Messias“),“

also das apokalyptische Weltende. In einem Paradox ausgedrückt, weist Zunz auf den Umstand hin, dass in einem Klima antisemitischen und nur christlich-protestantisch gefärbten akademischen Unterrichts lediglich ein Jude die jüdische Geschichte und Literatur vorurteilsfrei vortragen kann. Das damalige akademische Korpus konnte oder wollte nicht über seinen eigenen Schatten springen. Die Geschichte der Ernennung von Hermann Cohen im Marburg und der Widerstand gegen die Berufung von Husserl in Göttingen sind nur einige Beispiele dafür, welchen Widerstand deutsche Universitäten jüdischen Professoren entgegensetzten. Zunz hat schon 1876 vorausgeahnt, dass nur ein Weltereignis die Geschichte beeinflussen konnte, denn die Akademie kann sich nicht selbst reformieren. Die Geschichte hat Zunz leider recht gegeben. Bücherverbrennungen und die grausame Vernichtung des europäischen Judentums besiegelten auch den Zusammenbruch der Respublica literarum, die unfähig war, sich auf die Vielfalt kultureller Zugehörigkeiten einzulassen und sie zu verteidigen. Die immense Produktion und Kreativität der deutschsprachigen Wissenschaft des Judentums wurde gewaltsam beendet. Viele der begonnenen Werke, wie die deutsche Encyclopaedia Judaica, ein noch heute gültiges Meisterwerk der deutsch-jüdischen Kultur, sind in ihrer Unabgeschlossenheit ein bleibendes Mahnmal. Auch nach 1945 gab es zunächst keine Versöhnung zwischen deutscher und jüdischer Wissenschaft. Erst in den sechziger Jahren wurden in Westdeutschland einige Lehrstühle für Judaistik eingerichtet. Der erste Inhaber in Berlin war Jakob Taubes, eine entschieden schrille Figur des deutschen Judentums; er hatte zunächst bei Gershom Scholem in Jerusalem seine Karriere begonnen, ihn aber wegen eines „Vertrauensbruches“ verlassen, und fand auf Umwegen in Berlin seine Heimat zwischen Hermeneutik und Judaistik, Philosophie und Theologie. Schon am Anfang konnte sich die Judaistik keine eigene Identität schaffen und balancierte als Seiltänzerin zwischen den Disziplinen. Erst vor 25 Jahren, 1979, wurde die Hochschule für Jüdische Studien an der Universität Heidelberg gegründet, eine Institution, die der heutigen Satzung (1998) zufolge, „der Pflege und Entwicklung der jüdischen Geisteswissenschaften und der ihnen verwandten Disziplinen“ dienen soll. Auch hier ist seit den Anfängen das Streben nach Identität zu beobachten, aber auch die schwierige Aufgabe, Erbin jüdisch-theologischer Seminare sein und gleichzeitig die implizite, externe Ghettoisierung jüdischer

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Hochschulen verhindern zu wollen. Ein Zunzsches Dilemma würde ich sagen, wenn man sein Streben nach einer „ordentlichen“ Professur an der Berliner Universität als geistige Emanzipation ansieht, verbunden mit der Hoffnung seines Lehrers Ehrenberg, die innere Emanzipation des Judentums aus dem Ghetto einer pilpulistischen Talmudschule voranzutreiben. Nach der Shoa kann von einer Emanzipation selbstverständlich nicht die Rede sein, sondern nur von einer Wiedereinbeziehung jüdischer Kultur und Geistesgeschichte in die allgemeine Bildung, von einer kulturellen Integration und Reintegration des Judentums und des Deutschsein in das allgemeine Europäische, und nicht von einer von einigen „gehassten“ jüdisch-deutschen Symbiose, sondern von einer kulturellen und sozialen gegenseitigen Wahrnehmung. Nach der politischen Wende der deutschen Einheit haben sich die judaistischen universitären Einrichtungen vervielfältigt, eindeutig dank des politischen Willens, der Welt ein klares Signal über die politischen Absichten im vereinten Deutschland zu geben und daher die Wiedergutmachung auch auf universitärer Ebene durchzusetzen. Die Eingliederung der Geschichte und Literatur des Judentums in die Bildung war und ist keine innere universitäre Entwicklung: Und das ist die Hauptschwäche dieses Faches, die die sorgenvolle Frage provoziert: Wird die Judaistik abgeschafft, sobald sich das deutsche historische Gewissen beruhigt hat? Die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen im gesamten europäischen Raum macht die Frage noch aktueller wegen der „globalisierenden“ Tendenz, breitere Abschlüsse zu ermöglichen, die zu einer praxisnahen Ausbildung führen sollen. Bekanntermaßen eine Sisyphusaufgabe, die das Ende kleinerer, nicht nur gegenwartsbezogener Fächer bedeuten kann. Wiederholt sich die Geschichte des Zunzschen Alptraums, das eigene nur vertreten zu können, wenn es in das Allgemeine mündet und in der Hegelschen Terminologie „aufgehoben“ wird? Die Gefahr besteht, dass einer Einbeziehung eine Ausgrenzung folgt. Ein eigenes Profil bekommt die Judaistik aber nur, wenn es ihr gelingt, ihre lokale, nationale und europäische Bedeutung an ihrem jeweiligen Standort herauszuarbeiten. Die Judaistischen Studien können sich nach meiner Auffassung auf zwei Schwerpunkte konzentrieren, die auch für das Selbstverständnis dieses Faches maßgeblich sind: 1) Die Wahrnehmung der jüdischen Identität innerhalb der europäischen Geistesgeschichte; 2) Interdisziplinarität in Forschung und Lehre. Kann die Judaistik, die sich ja durchaus an den Grundsätzen der Wissenschaft des Judentums orientiert, auch die Paradigmen übernehmen, die diese jüdische Bewegung geleitet haben? In einem wesentlichen Punkt

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gibt es zweifellos eine Übereinstimmung: Die judaistische Wissenschaft hat die Aufgabe, das Studium der jüdischen Literatur, Geschichte und Philosophie als Wahrnehmung eines Identitätsfindungsprozesses innerhalb der europäischen Kultur zu begreifen. Dieser Prozess vollzog sich nicht nur mit einer eigenen soziologischen Dynamik, sondern wird seit Moses Mendelssohn als notwendiges Korrelat zur Mehrheitsgesellschaft verstanden. Aus der Wissenschaft des Judentums gingen zwei Strömungen hervor, die in diesem Kontext von Interesse sind: die erste, deren Vertreter zum Beispiel Samuel Hirsch oder Salomon Ludwig Steinheim im 19. Jahrhundert sind, versuchte sich als jüdisch-theologische Avantgarde gegenüber dem hegelianischen Zeitgeist zu etablieren; die zweite, zu deren Vertretern Hermann Cohen und Emil Fackenheim, aber auch der verstorbene Yeshayahu Leibowitz gehören, begründete eine jüdische Philosophie mit neukantianischer Ausrichtung. Der Philosoph Emmanuel Levinas soll einmal das Judentum als „das Fremde, das in uns ist,“12 beschrieben haben. Damit wollte er als Jude die häufig tragische, nicht selten aber auch fruchtbare Dialektik einer jahrhundertelangen Geschichte auf den Punkt bringen, die sich in der internen und externen (Be-)Wertung des Judentums als eines für die europäische Kultur konstitutiven, jedoch nicht-assimilierten Elementes manifestiert. Die gegenwärtige Debatte über die Wahrnehmung des Fremden in der deutschen Gesellschaft ist ein deutliches Indiz für die Aktualität dieses Themas. Wahrnehmung kann aber nicht stattfinden, wenn die geschichtlichen, gesellschaftlichen und philosophischen Koordinaten des Ichs und des Objektes nicht erkannt werden, und vornehmlich dies ist die Aufgabe einer universitären Ausbildung, die nach historischen und gegenwärtigen Formen der Identität und Selbstbestimmung sucht und diese vermittelt. Die jüdische Philosophie als Kind des Reformjudentums hatte und hat naturgemäß einen viel größeren Erklärungsbedarf als das orthodoxe Judentum, das zunächst keine Notwendigkeit sah, sich mit profaner Bildung auseinanderzusetzen. Man könnte so weit gehen, dem jüdischen Identitätsbildungsprozess der Neuzeit eine Art Wahlverwandtschaft zur Gedankenwelt der Reformation zuzusprechen. Nicht nur die Einführung der Landessprache in die Liturgie oder die Funktion der Rabbiner in Gottesdienst und Gemeinde erinnern an protestantische Innovationen, sondern auch die Selbstbezeichnung der neuen religiösen Orientierung als „Reformjudentum“. Judaistische Lehre und Forschung kann und soll auf 12 Dieses Zitat konnte ich bei Levinas leider nicht finden.

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die geistesgeschichtliche Rolle der Reformation eingehen und Wittenberg als Zentrum einer kulturellen Revolution würdigen, die auch das Judentum beeinflusste. Das Verhältnis zwischen Protestantismus und Judentum sowie die geistesgeschichtliche Bewertung der Hebraistik als Motor der philologischen Fächer des 19. Jahrhunderts müssen neu herausgearbeitet werden. Das Selbstverständnis und der Beitrag jüdischer Philosophen und Theologen gerade zur neuzeitlichen Kulturgeschichte ist daher ein unverzichtbares Thema für die Jüdischen Studien. Die historische Wahrnehmung der jüdischen Identität kann nicht aus der Perspektive des Elfenbeinturms geschehen. Deshalb muss die interdisziplinäre Arbeit verstärkt werden und der Schwerpunkt auf dem Verständnis historischer und geistesgeschichtlicher Prozesse liegen. Die Zügel, die uns die universitäre Studienordnung anlegt, müssen so geführt werden, dass die Judaistik sich nicht im Gestrüpp hochspezialisierter Detailforschung verliert, sondern das breite Spektrum universitärer Studien vor Augen hat. Das Interesse für jüdische Kultur allein reicht nicht aus, um dieses Fach in der Geschichte und Gegenwart zu verstehen und zu vertreten. Die akademische Zusammenarbeit mit den geisteswissenschaftlichen Fächern ist ein kategorischer Imperativ, der nicht als bloße Floskel unzähliger Studienordnungen und Studienberatungen missbraucht werden darf, sondern effektiv in neue Studieneinheiten münden muss. Hier sind Initiativen auf universitärer und interuniversitärer Ebene gefordert, um neue Fächer zu entwickeln, die sich adäquat mit dem europäischen Kulturwandel beschäftigen können. Die sogenannten „Kleinen Fächer“ sollen nicht als Hilfswissenschaften anderer, offenbar für „wichtiger“ befundener Disziplinen dienen, sondern eine universitäre Wissenssphäre aufbauen, die auch aktuellen Gesellschaftsentwicklungen Rechnung tragen kann. Es ist drei Jahrhunderte nach der Aufklärung nicht mehr verständlich, weshalb an den meisten europäischen Universitäten kein nichtkonfessionelles theologisches Studium möglich ist, als würden die alten und alternden Nischen weiterhin als motor immobilis nachwirken, ohne sich um die allgemeine Wissensvermittlung zu kümmern. Ich stelle mir Europa nicht auf den Stelzen eines traditionellen Fächerkanons vor, sondern auf dem Boden lebendiger Strukturen, in denen kooperative Minderheiten und Mehrheiten einen gemeinsamen Weg zur Wissensverwaltung und -vermittlung finden werden. Die schwierige Geburt der Judaistik im deutschen Sprachraum beweist, wie widerwillig die Eingliederung einer Kultureinheit, die nicht konfessionell, aber doch religionsgebunden, geographisch und kulturell europäisch, aber doch „eigenartig“, Teil der europäischen Geistesent-

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wicklung, und doch noch immer ghettoisiert ist, in den meisten europäischen und deutschen Universitäten verläuft. Spontan und ungeniert stellt sich die Frage, ob dieses Fach als Stein der Statue Daniels interpretiert werden soll, der das schon wacklige Gebäude der Geisteswissenschaften infrage stellt. Zur Konklusion: Hermann Cohen, der auch Schüler von Trendelenburg war, soll ein ziemlich verheerendes Urteil über das Werk und das Wirken von Zunz abgegeben haben: „Er hätte ein großer Historiker sein können und war doch nur ein – Antiquar.“13 Zu Unrecht, wie ich glaube. Zunz war ja kein Historiker, wohl auch kein Antiquar, sondern ein Philologe, der dem als Motto diesem Beitrag voranstehenden Satz Nietzsches zufolge „gegen die Zeit und dadurch auf die Zeit und hoffentlich zu Gunsten einer kommenden Zeit – zu wirken“ wusste. So sollte auch das Fach, das er initiieren und innerhalb des universitären Fächerkanons etablieren wollte, dieser Herkunft eher folgen als ihren Pfad zu verlassen. Die aus den Trümmern der Zeitgeschichte entstandene Judaistik – ein Terminus übrigens, den wir auch im Vorlesungsverzeichnis der Hebräischen Universität vor dem Zweiten Weltkrieg finden – ist ein Fach, das „philologisch“ und historisch arbeitet und mit kulturgeschichtlicher Methode Inhalt und Form des Lernens vermittelt. Diese Vermittlung sollte nicht von der Hast gegenwärtiger, gegenwartsbezogener Kultur- und Universitätspolitik verunreinigt werden, die die akademische und universitäre Gemeinschaft immer nach dem cui bono und der praktischen Anwendung des Gelernten fragt. Jede Veränderung auch im universitären Bereich sollte mit der Ruhe des Lesens und nicht mit der Hast der geschichtlichen Umwälzungen vollzogen werden, mit der Liebe und Vorliebe für Texte und deren Traditionen und nicht mit der Hast der Praxis und Hektik zugewandten Wissenschaften, ganz im Einklang mit Friedrich Nietzsche, der eine dekonstruktive Grenze zwischen Literatur und Zeitgeschichte, Erfahrung und Philologie, Revolution und Regression am schärfsten gezogen hat: „Man ist nicht umsonst Philologe gewesen, man ist es vielleicht noch, das will sagen, ein Lehrer des langsamen Lesens: – endlich schreibt man auch langsam. Jetzt gehört es nicht nur zu meinen Gewohnheiten, sondern auch zu meinem Geschmacke – einem boshaften Geschmacke vielleicht? – nichts mehr zu schreiben, womit nicht jede Art Mensch, die „Eile hat“, zur Verzweiflung 13 Diesen Ausspruch erwähnt Fritz Bamberger, Das Buch Zunz. Künftigen ehrlichen Leuten gewidmet, Eine Probe eingel., u. hg. von Fritz Bamberger, Berlin 1931, 3.

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gebracht wird. Philologie nämlich ist jene ehrwürdige Kunst, welche von ihrem Verehrer vor Allem Eins heischt, bei Seite gehn, sich Zeit lassen, still werden, langsam werden -, als eine Goldschmiedekunst und -kennerschaft des Wortes, die lauter feine vorsichtige Arbeit abzuthun hat und Nichts erreicht, wenn sie es nicht lento erreicht. Gerade damit aber ist sie heute nöthiger als je, gerade dadurch zieht sie und bezaubert sie uns am stärksten, mitten in einem Zeitalter der „Arbeit“, will sagen: der Hast, der unanständigen und schwitzenden Eilfertigkeit, das mit Allem gleich „fertig werden“ will, auch mit jedem alten und neuen Buche: – sie selbst wird nicht so leicht irgend womit fertig, sie lehrt gut lesen, das heisst langsam, tief, rück- und vorsichtig, mit Hintergedanken, mit offen gelassenen Thüren, mit zarten Fingern und Augen lesen […]“ (Friedrich Nietzsche, Morgenröthe, Vorrede).

Eine unzeitgemäße Betrachtung?

Was ist „semitisch“? Anmerkungen zu Ernest Renan und seiner Sicht der Semitistik1

Hartmut Bobzin Als Ernest Renan 1855 erstmals sein Werk Histoire gnrale et systme compar des langues smitiques veröffentlichte – seinen wissenschaftlichen Erstling –, war es eigentlich schon veraltet, selbst wenn es 1863 noch eine vierte, „durchgesehene und vermehrte“ Auflage und 1878 gar eine fünfte erlebte.2 Dieses Schicksal teilte Renans Buch mit einem anderen, etwa gleichzeitig erschienenen und noch monumentaleren Werk, nämlich der Literaturgeschichte der Araber, von ihrem Beginne bis zu Ende des zwçlften Jahrhunderts der Hidschret aus der Feder des berühmten Österreichers Joseph von Hammer-Purgstall (1774 – 1856).3 Beide Werke wurden grundsätzlich und quasi endgültig durch das Werk von Carl Brockelmann (1868 – 1956) 4 überholt, der nicht nur den noch heute maßgebenden Grundriß der vergleichenden Grammatik der semitischen Sprachen in zwei stattlichen Bänden vorlegte5, sondern wenig später auch seine materialreiche Geschichte der

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Dieser Aufsatz ist die überarbeitete Fassung eines Vortrages, der auf dem von Friedrich Niewöhner und Jochen Büning im November 1997 organisierten Renan-Kongress an der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten wurde. Vgl. dazu den Bericht von Franziska Augstein, FAZ 20.11.1997. Leider kam eine Veröffentlichung der Vorträge nicht zustande. Gegenüber der 2000 bei den Veranstaltern eingereichten Fassung habe ich nur einige wenige Literaturangaben ergänzt. Jedenfalls mag der Vortrag als Hommage an Friedrich Niewöhner und dessen Interesse an der faszinierenden Gestalt Ernest Renans dienen. Der Abdruck in den Oeuvres complètes, vol. VIII, éd. H. Psichari, Paris 1958, 126 – 589, ist daher genau genommen die 6. Auflage. Ich zitiere nach der 4. Auflage. Erschienen in sieben Bänden, Wien 1850 – 56. Vgl. zu von Hammers arabistischen Leistungen Johann Fck, Die arabischen Studien in Europa bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts, Leipzig 1955, 158 ff. Vgl. zu ihm Johann Fck, Arabische Kultur und Islam im Mittelalter, Ausgewählte Schriften. hg. v. Manfred Fleischhammer, Weimar 1981, 338 – 48. Berlin 1908 – 1913, Hildesheim 1966.

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arabischen Litteratur 6 verfasste. Beides zählt heute zum unverzichtbaren Rüstzeug der Semitistik bzw. ihrer Teildisziplin Arabistik. Während Brockelmann in seiner arabischen Literaturgeschichte Hammer wenigstens kurz erwähnt („Die Mängel dieses Werkes sind so bekannt, daß wir es im folgenden einfach ignorieren dürfen“7), geschieht das mit Renans Histoire in Brockelmanns Grundriß nicht. Und das ist in allen sprachvergleichenden Studien grundsätzlicherer Art der Fall. Denn heute würde sich wohl kaum noch ein Semitist – und darunter verstehe ich im folgenden immer einen Sprachwissenschaftler – auf Renan beziehen – außer aus wissenschaftshistorischen Gründen, so wie ich es im vorliegenden Zusammenhang tue. Zwar würdigt René Dussaud, der bekannte Erforscher des Nordwestsemitischen, Renans Leistungen auf dem Gebiet der semitischen Epigraphik, wie zum Beispiel seine Mitherausgabe des monumentalen Corpus Inscriptionum Semiticarum (CIS), – aber den Verfasser der Histoire, also den semitistischen „Komparatisten“ erwähnt er mit kaum einem Wort! 8 Renans eigenen Intentionen nach sollte seine Histoire – jedenfalls in der Grundform von 1847 – ein Gegenstück werden zu dem, was Franz Bopp9 mit seinem Werk10 für die Indogermanistik schuf. Das heißt das, was Renan bieten wollte, war „un tableau du système grammatical qui montrât de quelle manière les Sémites sont arrivés à donner par la parole une expression complète à la pensée“ (Préface). Dieses ehrgeizige Vorhaben ist jedoch mit Renans Histoire nicht realisiert worden, das heißt gerade unter sprachvergleichenden Gesichtspunkten war ihm kein Erfolg beschieden – zumal der zweite, rein linguistische Teil der Arbeit nie erschien. Denn was zu Renans Lebzeiten immerhin fünf Auflagen erlebte (1855, 18582, 18633, 18634, 18785), ist nur der erste, allgemeine Teil. Er enthält zum einen eine Charakterisierung der semitischen Sprachen und Erwägungen über ihren Ursprung sowie zum anderen eine Geschichte der semitischen Sprachen 6 Carl Brockelmann, Geschichte der arabischen Litteratur, Bd. I, Weimar 1898; Bd. II, Berlin 1902. 7 Bd. I2, Leiden 1943, 6. 8 René Dussaud, L’œuvre scientifique de Renan, Paris 1951. 9 1791 – 1867; vgl. Konrad Koerner, in: Aschaffenburger Jahrbuch 8 (1984), 313 – 20. 10 Vgl. vor allem sein Erstlingswerk Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache, Frankfurt a.M.: Andreäische Buchhandlung 1816, und die 1833 erstmals erschienene Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechischen, Lateinischen, Lithauischen und Deutschen.

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und Literaturen, soweit sie damals bekannt waren. Doch auch oder vielleicht gerade in seiner unvollständigen Form hat das Werk in Deutschland und darüber hinaus durchaus einen gewissen Einfluss gehabt, wenngleich in eher indirekter Form, jedenfalls aber nicht als wissenschaftliches Werk in der eigentlich von Renan intendierten Weise. 1872 veröffentlichte der russische Orientalist Daniel Chwolson11 seine Schrift Die semitischen Vçlker (Berlin). Auf dieses Werk reagierte noch im gleichen Jahr Theodor Nöldeke (1836 – 1930), der bis heute als einer der bedeutendsten Semitisten überhaupt gilt.12 In seinem Aufsatz Zur Charakteristik der Semiten 13 heißt es über Chwolsons Arbeit: „Der Verfasser sucht darin mit Recht manche den Semiten zu ungünstige Sätze Renan’s zu widerlegen. Dabei entgeht er aber wieder dem auf diesem Felde kaum vermeidbaren Fehler, einseitig zu werden; namentlich stellt er die Semiten, zu denen er sich selbst mit Stolz rechnet, weil er von jüdischer Herkunft ist, hie und da in ein zu vorteilhaftes Licht.“ Indem Nöldeke nun Chwolsons Aufsatz als Anknüpfungspunkt benutzt, nimmt er eine Reihe von Grundgedanken Renans bzw. anderer, von Renan rezipierter Autoren14 auf. Einer dieser Grundgedanken ist der von einer durchgehenden Polarität zwischen „semitischem“ und „nicht-semitischem“ Denken, wie er sich eben vor allem auf sprachlicher Ebene zeige. Von dieser Polarität ist auch Nöldeke zutiefst überzeugt, der sich nach eigenem Bekunden nur an der griechischen Literatur wirklich „erfreuen“ konnte.15 Noch gut hundert Jahre später steht die Idee einer grundsätzlichen Polarität von „semitisch“ und „arisch“ bzw. „griechisch“ hinter der heftigen Debatte um das Buch des norwegischen Theologen Thorleif Boman Das hebrische Denken im Vergleich mit dem Griechischen 16, die durch eine Streitschrift des englischen Semitisten und Alttestamentlers James Barr, The Semantics of Biblical 11 Bzw. Chwolsohn, 1819 – 1911; vgl. zu ihm Ignaz Julianovich Kratschkowski, Die russische Arabistik. Umrisse ihrer Entwicklung, Leipzig 1957, 125 f.; sein bedeutendstes Werk: Die Ssabier und der Ssabismus, St. Petersburg 1856, „remains a basis for studies of the Sabians“ siehe T. Fahd, in: EI2, Bd. VIII, 675. 12 Vgl. zu ihm NDB 19 (1999), 311 f. (Hartmut Bobzin), mit weiterführender Literatur. 13 Zuerst erschienen in der Zeitschrift Das Neue Reich (1872) Bd. 2, 881 ff., dann in seinem populärwissenschaftlichen Werk Orientalische Skizzen, (Berlin 1892) wiederabgedruckt. 14 Wie zum Beispiel Gobineau. Vgl. dazu Dieter M. Hoffmann: Renan und das Judentum, Dissertation, Würzburg 1988, bes. 45 ff. 15 Vgl. den Nachruf von C. Snouck Hurgronje, in: Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft 85 (1931), 241 f. 16 Göttingen (1952) 51968.

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Language 17 ausgelöst wurde. Und dieser Gegensatz steht in trivialisierter Form weiterhin, wie ich glaube, als bisher unentdeckter „Renanismus“ auch hinter dem Kapitel „Zwei Kulturkreise“ in dem Philosophiebestseller Sofies Verden 18 des norwegischen Autors Jostein Gaarder. Trotz aller schon geäußerten Einwände ist Renans Histoire gnrale ein Pionierwerk eigener Art. Denn es ist eigentlich die erste nicht primär von theologischen Gesichtspunkten geleitete Darstellung der semitischen Sprachen und ihrer Literaturen – und eröffnet insofern tatsächlich ein neues Zeitalter. Und diese Darstellung ist lesbar in dem Sinne, wie alle Werke Renans durch ihren klaren Stil zu gefallen wissen. Auf der anderen Seite muss man natürlich die Frage stellen, wer eigentlich ein Buch lesen sollte, in dem selbst im Haupttext und nicht nur in den Anmerkungen hebräische, arabische, syrische, koptische und selbst Sanskritwörter beziehungsweise -texte in der jeweiligen Originalschrift (!) zitiert werden! Es ist nötig, an dieser Stelle eine kleine Geschichte der vergleichenden Semitistik19 bis zum Auftreten Renans einzuschieben, um den Fortschritt, den seine Histoire darstellt, einigermaßen verständlich zu machen. Die Bezeichnung „semitische Sprachen“ ist relativ jung; als ihr „Erfinder“ gilt der Göttinger Historiker August Ludwig Schlözer20, der in seinem Aufsatz Von den Chaldern 21 folgendes geschrieben hatte: „In der Jugend der Welt (bis zum Kyrus hin) gab es noch nicht viele Sprachen, also noch nicht vielerlei Völker, oder auch umgekehrt. Vom Mittelländischen Meer bis zum Eufrat hinein, und von Mesopotamien bis nach Arabien hinunter, herrschte bekanntlich nur Eine Sprache. Also Syrer, Babylonier, He17 Oxford 1961, dt. Bibelexegese und moderne Semantik. Theologische und linguistische Methode in der Bibelwissenschaft, München 1965. 18 Roman om filosofiens historie, Oslo 1991, 152 ff., dt.: Sofies Welt. Roman über die Geschichte der Philosophie, München 1993, 179 ff. 19 Vgl. vorläufig Johann Fck, Geschichte der semitischen Sprachwissenschaft, in: Bertold Spuler (Hg.), Semitistik (Handbuch der Orientalistik, I/3), Leiden/Köln 1964, 31 – 39; Moshe H. Goshen-Gottstein, Comparative Semitics. A Premature Obituary, in: Essays on the Occasion of the Seventieth Anniversary of the Dropsie University (1909 – 1979), Philadelphia 1979, 141 – 150. 20 1735 – 1809; vgl. Ferdinand Frensdorff in: ADB 31 (1890), 567 – 600; zuletzt Rudolf Smend, Über einige ältere Autoren des Verlags Vandenhoeck & Ruprecht, in: Ders., Bibel, Theologie, Universität, Göttingen 1997, 217 – 37, hier 220 – 24. Zum Biographischen siehe auch Bärbel Kern/Horst Kern, Madame Doctorin Schlözer. Ein Frauenleben in den Widersprüchen der Aufklärung, München 1988. 21 Repertorium für Biblische und Morgenländische Literatur, T. 8, 1781, 113 – 76, hier 161.

Was ist „semitisch“?

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bräer, und Araber, waren Ein Volk. Auch Phönicier (Hamiten) redeten diese Sprache, die ich die Semitische nennen möchte […]“

Aber erst Johann Gottfried Eichhorn22 verhalf dieser Bezeichnung – bei gleichzeitiger Erweiterung des Inhalts – als terminus technicus zum Durchbruch.23 Renan schließt sich dem an, jedoch nicht ohne die Schwächen dieser Bezeichnung zu bemerken: „Du reste, la dénomination de sémitiques ne peut avoir d’inconvénient, du moment qu’on la prend comme une simple appellation conventionnelle et que l’on s’est expliqué sur ce qu’elle renferme de profondément inexact.“ (2) Das Phänomen der Verwandtschaft zwischen den „semitischen“ Sprachen war jedoch schon viel früher bekannt. Der jüdische Grammatiker Jehuda ibn Quraisˇ (10. Jahrhundert) 24 hatte in seiner Risa¯la bereits Vergleiche zwischen dem Hebräischen, Aramäischen und Arabischen angestellt, ebenso wie später Ibn Ba¯ru¯n (st. 1128) 25 in seinem Buch al-Muwa¯zana baina l-luga al-‘ibra¯nı¯ya wa-l-luga al-‘arabı¯ya („Vergleich zwischen der hebräischen und der arabischen Sprache“). Von diesen Vorarbeiten hatten die ersten christlichen Gelehrten, die sich mit dem Hebräischen und anderen verwandten Sprachen beschäftigten, noch keine Kenntnis. Aber Gelehrte des 16. Jahrhunderts wie Sebastian Münster26, Guillaume Postel27 und Angelo Canini28 besaßen schon einigermaßen klare Vorstellungen von der Verwandtschaft zwischen Hebräisch, Aramäisch, Arabisch und Äthiopisch. Canini hat die erste Grammatik einer semitischen Einzelsprache – nämlich des Aramäischen – verfasst, in die tatsächlich „verglei22 23

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1752 – 1827; vgl. zu ihm Rudolf Smend, Deutsche Alttestamentler in drei Jahrhunderten, Göttingen 1989, 25 – 37. Johann Gottfried Eichhorn, Einleitung ins Alte Testament, Leipzig 1787, Theil I, 45: „Die Sprache, welche die Hebräer redeten […], war ein Dialekt der weit ausgebreiteten Semitischen Sprache“; vgl. Allgemeine Bibliothek der biblischen Literatur (1794), Bd. 6, 772 ff. Vgl. W. Jacques v. Bekkum, in: Lexicon Grammaticorum, Tübingen 1996, 541 f., mit Literatur; Ders, The ’Risala’ of Yehuda Ibn Quraysh and its Place in Hebrew Linguistics, in: Historiographia Linguistica 8 (1981), 307 – 28. Vgl. W. Jacques van Bekkum, Lexicon Grammaticorum, Tübingen 1996, 440 f., mit Literatur; P. Wechter, Ibn Ba¯ru¯n’s Arabic works on Hebrew Grammar and Lexicography, Philadelphia 1964. 1488 – 1552; vgl. Hartmut Bobzin, Der Koran im Zeitalter der Reformation. Studien zur Frühgeschichte der Arabistik und Islamkunde in Europa, Beirut/ Stuttgart 1995, 166, n. 59. 1510 – 81; vgl. Hartmut Bobzin, ebd., 365 ff. 1521 – 57; vgl. Dizionario biografico degli Italiani 18 (Roma 1975), 101 f. (R. Ricciardi).

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Hartmut Bobzin

chende“ Elemente eingearbeitet sind: =BL4 CM@7 4K97K7. Institutiones linguae Syriacae, Assyiacae atque Thalmudicae, vna cum Æthiopicae, atque Arabicae collatione 29. Der weitere Fortgang der semitischen Philologie überhaupt ist sehr eng mit der Bibelphilologie, der Philologia Sacra, verknüpft und der in ihrem Geiste verfassten Werke. Von großer Bedeutung sind dabei zum einen die großen Polyglottenbibeln gewesen, zum anderen die mit diesen in enger Verbindung stehenden vergleichenden Wörterbücher und „harmonischen“ Grammatiken.30 Die Polyglottenbibeln sollen hier nur unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, was sie der Semitistik im allgemeinen und nicht lediglich der biblischen Textkritik für Fortschritte gebracht haben.31 Für die erste große Polyglotte, die sog. „complutensische“ (1513 – 1517 in Alcalá [= lat. Complutum] gedruckt, jedoch erst 1520 veröffentlicht), liegt der Fortschritt in der Zugänglichkeit und Zuverlässigkeit des hebräischen Textes32 sowie dem im sechsten Band beigegebenen, 1526 auch separat erschienenen grammatisch-lexikographischen Werk des Alfonso de Zamora33 (1474 – 1531) zum hebräischen und chaldäischen Text des Alten Testaments. Die „Biblia Regia“, das heißt die 1569 – 1572 in Antwerpen bei

29 Paris: C. Stephanus, 1554; siehe Philologia Orientalis, Nr. 13 (mit Abbildung des Titelblatts) und zur Bedeutung des Werkes Riccardo Contini, I Primordi della linguistica semitica comparata nell Europa rinascimentale: Le Institutiones di Angelo Canini (1554), in: Annali di Ca’ Foscari XXXIII, 3, 1994, 39 – 56. 30 Im Folgenden übernehme ich, mit einigen Korrekturen und Ergänzungen, Passagen aus meinem Aufsatz ,Vom Sinn des Arabischstudiums im Zeitalter der Philologia Sacra’, in: Walter Beltz (Hg.), Biographie und Religion, Halle a. d.S. 1997 (Hallesche Beiträge zur Orientwissenschaft 24), 21 – 32. 31 Hier sollen im Folgenden nur vollständige Polyglotten betrachtet werden, auch wenn polyglotte Teilausgaben, wie das Psalterium Nebiense von Augustinus Justinianus (Genua 1516) oder das Psalterium in quatuor linguis von Johann Potken (Köln 1518, darin erstmals Äthiopisch) forschungsgeschichtlich zum Teil eine erhebliche Bedeutung gehabt haben. 32 Vgl. Paul Kahle, Zwei durch Humanisten besorgte, dem Papst gewidmete Ausgaben der hebräischen Bibel, in: Essays presented to Leo Baeck on the occasion of his eightieth Birthday, London 1954, 50 ff., bes. 58 ff.; Johan Lust, Bijbeldrukken in het begin van de zestiende eeuw, in: Frans Gistelinck/Maurits Sabbe (Ed.): Early Sixteenth Century printed Books 1501 – 1540 in the Library of the Leuven Faculty of Theology, Leuven 1994, 101 – 21. 33 1474 – 1531; vgl. LThK I, 333 sowie Federico Prez Castro, El Manuscrito Apologetico de Alfonso de Zamora, Madrid 1950, xi-lx.

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Christoffel Plantijn (Plantin) gedruckte Polyglotte34, bringt zusätzlich die syrische Übersetzung des Neuen Testaments, ferner Grammatik und Lexikon des Syrischen von Andreas Masius35, das syro-chaldäische Lexikon des Mitherausgebers Guy Le Fèvre de la Boderie (Guido Fabricius Boderianus) 36 sowie eine Epitome des hebräischen Lexikons von Santes Pagninus37. Eine erste, schon „systematischer“ vergleichende Grammatik schuf der holländische Gelehrte Ludovicus de Dieu38 in seiner Grammatica Linguarum Orientalium, Hebraeorum, Chaldaeorum, & Syrorum, inter se collatarum 39. Die von Guy-Michel Le Jay40 herausgegebene Pariser Polyglotte von 1629 – 1645 enthält erstmals den samaritanischen Pentateuch41 und eine arabische Version des Bibeltextes42. Am bedeutendsten von allen Polyglottenwerken ist die sog. Londoner Polyglotte (1653 – 1657, ND Graz 1964) geworden, an der unter der Herausgeberschaft von Bryan Walton43 die bedeutendsten englischen Gelehrten der damaligen Zeit mitarbeiteten, 34 Vgl. Leon Voet, The Golden Compasses. A History and Evaluation of the Printing and Publishing Activities of the Officina Plantiniana in Antwerp, Bd. I., Amsterdam/New York 1969, 60 ff. 35 1514 – 73; vgl. Hartmut Bobzin (s. o. Anm. 26), 79, Anm. 14, und 314, Anm. 222. Für die beiden Werke von Masius siehe Philologia Orientalis, Nr. 94, 104 ff. 36 1541 – 98; vgl. zu ihm Félix N ve, Guy Le Fèvre de la Boderie, orientaliste et poète, l’un des collaborateurs de la Polyglotte d’Anvers, in: Revue Belge et étrangère 13 (1862), 363 – 372, 413 – 433, 679 – 697. Für das Lexikon siehe Philologia Orientalis, Nr. 97, 107. 37 1470 – 1541, vgl. LThK2 VII, 1349; sein Thesaurus linguae sanctae erschien erstmals in Lyon 1529. 38 1590 – 1642; vgl. zu ihm Wilhelmina Maria Cornelia Juynboll, Zeventiendeeeuwsche Beoefenaars van het Arabisch in Nederland, Proefschrift Utrecht 1931, 200 – 204; Francine de Nave (Hg.), Philologia Arabica. Arabische studiën en drukken in de Nederlanden in de 16de en 17de eeuw, Antwerpen 1986, 187. 39 Lugduni Batavorum: Elsevir 1628. Vgl. Philologia Orientalis, 290, Nr. 304, 290. 40 1588 – 1675; vgl. LThK2 V, 859. 41 Zwei Handschriften von ihm hatte der bekannte Reisende Pietro della Valle (1586 – 1652) 1616 nach Europa gebracht; eine von ihnen kam 1623 in den Besitz von Jean Morin (1591 – 1659; vgl. LThK3 VII, 476), der ihn für die Pariser Polyglotte edierte. 42 Sie wurde im Wesentlichen von dem maronitischen Gelehrten Gabriel Sionita (1577 – 1648) betreut, vgl. Georg Graf, Geschichte der christlichen arabischen Literatur, Bd. I, Città del Vaticano 1944, 93 f. 43 Circa 1600 – 1661; vgl. DNB 59 (1899) 268 ff.; Henry J. Todd, Memoirs of the Life and Writings of […] Brian Walton […], Bd. 12, London 1821; G. J. Toomer, Eastern Wisdome and Learning. The Study of Arabic in seventeenth-century England, Oxford 1996, 202 ff.

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unter ihnen die Orientalisten Edmundus Castellus44, Eduard Pococke d. Ä.45, Thomas Hyde46, Abraham Wheelock47 und Thomas Greaves48. Sie enthält unter anderem eine bessere arabische Version, teilweise auch eine äthiopische Übersetzung sowie für das Neue Testament und den Pentateuch auch eine persische. Das eigentliche Glanzstück des Werkes aber ist das ihm beigegebene, von Castellus kompilierte Lexicon heptaglotton (1669) – ein noch heute für die semitistische Arbeit unentbehrliches, wenngleich naturgemäß in vielem überholtes Werk.49 Es behandelt synoptisch den Wortschatz des Hebräischen, Samaritanischen, Aramäischen, Syrischen, Arabischen und Äthiopischen, und wurde fortan zu einem Hauptarbeitsmittel der Bibelphilologie. Eines der im 17. Jh. populärsten Unterrichtswerke für die hebräische Sprache stammt von Wilhelm Schickard (1592 – 1635), dem Tübinger Orientalisten und Universalgelehrten unter anderem Erfinder der Rechenmaschine50, und wurde später von dem Jenenser Theologen und 44 1606 – 86; vgl. DNB 9 (1887), 271 f.; Harry T. Norris, Professor Edmund Castell (1606 – 85), Orientalist and Divine, and England’s oldest Arabic inscription, in: Journal of Semitic Studies 29 (1984), 155 – 67; Ders., Edmund Castell and His Lexicon Heptaglotton (1669), in: G. A. Russell (Ed.), The ‘Arabick’ Interest of the Natural Philosophers in seventeenth-Century England (Brill’s Studies in Intellectual History 47), Leiden 1994, 70 – 87; Toomer (s. o. Anm. 43), 202 ff., 255 ff. und öfter. 45 1604 – 91; vgl. DNB 46 (1896), 7 – 11; Peter M. Holt, An Oxford Arabist, Edward Pococke (1604 – 91), in: Ders., Studies in the History of the Near East, London 1973, 3 – 26; Vivian Salmon, Arabists and Linguists in seventeenth-Century England, in: Russel (s. o. Anm. 43), 54 – 69; Toomer (s. o. Anm. 44), 116 ff., 155 – 166. 46 1636 – 1703; vgl. DNB 28 (1891), 401 f.; Toomer (s. o. Anm. 43), 248 f. und öfter. 47 1593 – 1653; vgl. DNB 60 (1899), 443 f.; John Claud Trewhard Oates, Cambridge University Library: A History, Vol. 1, Cambridge 1986, 173 – 246; Toomer (s. o. Anm. 43), 86 ff. 48 1612 – 76; vgl. Peter M. Holt, The Study of Arabic Historians in Seventeenth Century England, in: Ders. (s. o. Anm. 45), 450. 49 Vgl. Stanislav Segert, Considerations on Semitic Comparative Lexicography, in: Archiv Orientální 28 (1960), 471 f.; Zur Entstehungsgeschichte von Castellus’ Lexikon vgl. Toomer (s. o. Anm. 43), 255 – 265. 50 Wilhelm Schickard, Horologium Hebraeum sive Consilium, quomodo sancta lingua spacio XXIV. horarum, à sex Collegis sufficienter addisci possit. Tubingae 1623; vgl. zu Schickard siehe Friedrich Seck (Hg.), Wilhelm Schickard 1592 – 1635 Astronom. Geograph. Orientalist. Erfinder der Rechenmaschine, Tübingen 1978, darin Beiträge von: Walther W. Mller, Hebräische und chaldäische Studien, 49 – 108; Manfred Ullmann, Arabische, türkische und persische Stu-

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Orientalisten Johann Ernst Gerhard51 in bearbeiteter Form neu herausgegeben: Institutiones Linguæ Ebræae, noviter recognitæ & auctæ. Accessit harmonia perpetua aliarum linguarum orientalium, Chaldææ, Syræ, Arabicæ, Æthiopicæ 52. Das Titelblatt der Gerhardschen Neuausgabe53 zeigt in eindrücklicher Form das sprachliche Weltbild der damaligen Semitistik: Königin, ja „Mutter“ der semitischen Sprachen ist das Hebräische, ihre vier „Töchter“ heißen „Arabica, Chaldaea, Syriaca, Aethiopica“. Das Verhältnis dieser Sprachen zueinander in historischer Hinsicht wird nicht näher reflektiert, jedoch gehört zum Buch in Form eines Faltblattes54 ein sogenannter Circulus Conjugationum Perfectarum Orientalium, Ebraea, Chaldaeae, Syrae, Arabicae, Aethiopicae, harmonicé delineatus et explicatus juxta metho dum cl. Wilhelmi Schickardi. Damit ist das entscheidende Stichwort gegeben, nämlich „harmonische“ Grammatik. Es galt, die genannten Sprachen – mit dem Hebräischen als ältester und gewissermaßen „Leitsprache“ – als ein „harmonisches Ganzes“ darzustellen, aus deren Vielfalt heraus der eine Bibeltext vollkommen zu erklären sei. Eine historische Dimension war dieser Art der Sprachvergleichung dementsprechend vollkommen fremd. Wesentlich genauer und umfassender als Schickard ging dann der Zürcher Theologe und Orientalist Johann Heinrich Hottinger55 vor in seiner: Grammatica, quatuor Linguarum Hebraicæ, Chaldaicæ, Syriacæ et Arabicæ, Harmonica; ita perspicu & compendios instituta, ut Ad Linguam Hebraicam, tanquam matrem; cæterarum etiam, seu filiarum, Linguarum, accommodentur praecepta 56. Nach einer langen Zeit des allgemeinen Niedergangs der orientalischen Philologie im 18. Jahrhundert57 – eine bemerkenswerte Ausnahme

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dien, 109 – 128; Friedrich Seck (Hg.), Zum 400. Geburtstag von Wilhelm Schickard, Sigmaringen 1995, darin der Beitrag von: Claudia Ott, Schickard als Orientalist – verkanntes Genie oder interessierter Laie?, 117 – 29. 1621 – 68; vgl. Helmut Claus, Bibliotheca Gerhardina. Eigenart und Schicksal einer thüringischen Gelehrtenbibliothek des 17. Jahrhunderts, Gotha 1968, 14 – 20 (mit Lit.). Jena 1647. Siehe Abbildung: Bobzin (s. o. Anm. 30), 123. Eine Abbildung ebd., 125. 1620 – 1667; vgl. Fck (s. o. Anm. 3), 91 f.; Francine de Nave (Hg.), Philologia Arabica. Arabische studiën en drukken in de Nederlanden in de 16de en 17de eeuw, Antwerpen 1986, 221 ff. Heidelberg 1659. Es war das Jahrhundert der Reisen und Expeditionen und eines neuen Ausblicks auf Asien, vgl. das vortreffliche Buch von Jürgen Osterhammel, Die Entzau-

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stellt lediglich Johann Jacob Reiske dar58 – brach mit dem Ende des 18. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts allerdings eine ganz neue Zeit an, auch für die Semitistik. Denn jetzt trat die Philologia Sacra endgültig in den Hintergrund. Man lernte und studierte die „orientalischen“ Sprachen, zu denen sich nun auch – außerhalb des Kreises der „Bibelsprachen“ – das Persische, Türkische und Sanskrit gesellten, aus ganz anderen als nur theologischen Gründen und Interessenlagen. Auch stieg das Interesse an der genaueren Erforschung der Einzelsprachen. Diese Arbeit wurde für das Arabische zum Beispiel von Antoine Isaac Sylvestre de Sacy59 in Paris und Heinrich August Ewald60 in Göttingen geleistet; letzterer schrieb übrigens auch eine bedeutende hebräische Grammatik61. Ebenso wichtig aber wurde die Arbeit des Halleschen Hebraisten Wilhelm Gesenius62. Mit

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berung Asiens. Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert, München 1998. 1716 – 1774; vgl. Fck (s. o. Anm. 3), 108 – 124; Gotthard Strohmaier, Johann Jacob Reiske, der Märtyrer der arabischen Literatur, in: Das Altertum 20 (1974), 66 – 79; Ders., Johann Jacob Reiske Byzantinist und Arabist der Aufklärung, in: Klio 58 (1976), 199 – 209 und in: Gotthard Strohmaier, Von Demokrit bis Dante. Die Bewahrung antiken Erbes in der arabischen Kultur, Hildesheim 1996, 501 – 511; eine ausführliche monographische Behandlung Reiskes ist ein Desiderat. 1758 – 1838; vgl. zum Biographischen Henri Dehrain, Silvestre de Sacy, ses contemporains et ses disciples, Paris 1938; ferner Fck (s. o. Anm. 3), 140 – 157. Seine Grammaire arabe à l’usage des élèves de l’école spéciale des langues orientales vivantes, Bd. I-II, Paris 1810, stark erweiterte Paris 21831, ist vor allem den Prinzipien der Grammatik von Port Royal verpflichtet und sieht bewusst von vergleichend-semitistischen Arbeitsweisen ab; vgl. dazu die ausgezeichnete Charakterisierung des Werkes durch Fck, 144 – 146. 1803 – 75; vgl. RGG3 II (Lit.); vor allem Julius Wellhauen, Heinrich Ewald, in: Ders., Grundrisse zum Alten Testament, hg. v. Rudolf Smend, München 1965, 120 – 138 (aus: Festschrift zur Feier des 150jährigen Bestehens der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 1901, 61 – 81); T. Witton Davies, Heinrich Ewald, Orientalist and Theologian 1803 – 1903. A Centenary Appreciation, London 1903. Die Grammatica critica linguae arabicae cum brevi metrorum doctrina, Bd. I-II, Leipzig 1831 – 1833 von Ewald stellt vor allem einen Versuch dar, eine von den arabischen Nationalgrammatikern unabhängige Sichtweise zu entwickeln und enthält in der Syntax eine Reihe wertvoller Beobachtungen. Vgl. die ausführliche Besprechung von de Sacy in: Journal des Savans, Dec. 1828, 719 – 734. Kritische Grammatik der hebräischen Sprache ausführlich bearbeitet, Leipzig 1827; bis 1870 erschienen acht Auflagen. Auch dieses Werk besprach übrigens de Sacy im Journal des Savans (1828 und 1829). 1786 – 1842; vgl. Rudolf Smend, Wilhelm Gesenius, in: Ders., Alttestamentler (s. o. Anm. 22), 53 – 70; Rudolf Meyer/Herbert Donner, Vorwort zu: Wilhelm

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seinem Handwçrterbuch und später dem großen Thesaurus 63 schuf er die Voraussetzungen für die historisch-vergleichende Betrachtung nicht nur des hebräischen, sondern in gewisser Weise des semitischen Wortschatzes überhaupt. Gesenius schrieb übrigens auch eine kleine, aber sehr gehaltreiche Geschichte der hebrischen Sprache und Schrift 64, welche gegenüber älteren Gesamtdarstellungen der orientalischen Sprachen und Literaturen65 einen entscheidenden Durchbruch darstellte. Er zeigte sich in der Entdeckung der historischen Dimensionen in der Entwicklung der hebräischen Sprache. Das befähigte Gesenius dazu, die Arbeit der jüdischen Grammatiker und Lexikographen richtig einzuschätzen und kritisch zu beurteilen. Dass Gesenius übrigens auch über das Hebräische hinaus ein sicheres Urteil besaß, beweist seine Arbeit über das Maltesische66, in der er den richtigen Nachweis führte, dass es sich bei dieser Sprache keineswegs um einen Nachfahren des Punischen handele, wie man lange geglaubt hatte, sondern um einen arabischen Dialekt maghrebinischen Typs – worin ihm Renan übrigens folgt67; das mag ganz beiläufig zeigen, welche Bedeutung das Werk von Gesenius für Renan besaß. Nach diesem kurzen und gewiss lückenhaften Durchgang durch die Frühgeschichte der Semitistik kann man nun die Frage stellen: Was ist das Neue an Renans Histoire?

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Gesenius, Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, Berlin 181987, V ff. Hebräisch-deutsches Handwörterbuch über die Schriften des Alten Testaments mit Einschluß der geographischen Namen und der chaldäischen Wörter beym Daniel und Ezra, Leipzig 1813; Thesaurus philologicus criticus linguae Hebraeae et Chaldaeae Veteris Testamenti, Leipzig 1833. Leipzig 1815; Hildesheim/New York 1973. Zum Beispiel Simon Ockley [1678 – 1720], Introductio ad Linguas orientales, Cambridge 1706; August Pfeiffer [1640 – 1698], Introductio in Orientem, sive Synopsis quaestionum nobiliorum de origine, natura, usu et adminiculis linguarum orientalium et plerarumque extra Europam […], Wittenberg 1685. Eine genaue Vorstellung über die genetische Zusammengehörigkeit der verschiedenen Sprachen und ihr historisches Verhältnis zueinander ist in diesen Werken nicht zu finden. Wilhelm Gesenius, Versuch über die maltesische Sprache zur Beurtheilung der neulich wiederholten Behauptung, daß sie ein Überrest der altpunischen sey und als Beytrag zur arabischen Dialektologie, Leipzig 1810. Histoire, 203: „C’est bien à tort qu’on a voulu découvrir des traces du phénicien dans le maltais. Ce dialecte n’est qu’un jargon mêlé d’arabe et d’italien, et, s’il y reste des vestiges d’influence carthaginoise, ces vestiges sont tout à fait impossibles à ressaisir“. Es ist interessant, dass Renan hier den Namen von Gesenius nicht eigens erwähnt.

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Es ist, glaube ich, einerseits der schon angesprochene Versuch einer Kontrastierung des „semitischen“ Sprachtyps zum „arischen“, der auf ganz unterschiedlichen Ebenen geführt wird und durchaus darauf abzielt, die Superiorität des Arischen zu erweisen. Die ältere vergleichende Semitistik im Rahmen der Philologia Sacra kannte nur den rein theologisch motivierten Gedanken von der Superiorität des Hebräischen. Denn die lingua sacra war natürlich als Ursprache der Menschheit68 auch die „reine“ Sprache; man verstand nämlich die anderen semitischen Sprachen als „Dialekte“, die zwar in irgendeiner Weise, über die man wenig nachdachte, „verderbt“ waren – aber eben gleichwohl nützlich. Dass zum Beispiel das Arabische die Sprache des schlimmsten Glaubensfeindes der Christen war, hatte im 16. Jahrhundert Guillaume Postel nicht daran gehindert, diese Sprache – da er sie als „lingua franca“ des Orients betrachtete – der Mission ganz besonders anzuempfehlen, in die man zum Beispiel das Neue Testament übersetzen müsse.69 Und in ähnlicher Weise empfahl der holländische Gelehrte Albert Schultens70 im 18. Jahrhundert das äußerst umfangreiche arabische Lexikon als Hauptreferenz für die vielen Obskuritäten des biblisch-hebräischen Wortschatzes zu benutzen. Der Gedanke jedoch, dass es zwischen dem Hebräischen auf der einen Seite und den „klassischen“ Sprachen Griechisch und Lateinisch auf der anderen irgendeinen Wertunterschied geben könne, lag, soweit ich sehe, den Pionieren der Hebraistik wie zum Beispiel Johannes Reuchlin oder Sebastian Münster überhaupt ferne. Und anderseits ist das „Neue“ bei Renan die chronologische Einteilung der semitischen Sprachen in drei verschiedene Perioden, der drei 68 Vgl. dazu Arno Borst, Der Turmbau zu Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker, Bd. I-IV, Stuttgart 1957 – 1963, 1946 f. (mit Lit.); Marie Luce Demonet-Launay, La Désacralisation de l’hébreu au XVIe Siècle, in: Ilana Zinger (Éd.), L’Hébreu au temps de la Renaissance (Brill’s Series in Jewish Studies IV), Leiden 1992, 154 – 171. 69 Vgl. Hartmut Bobzin (s. o. Anm. 26), 410 ff. 70 1686 – 1750; vgl. dessen Dissertatio theologicophilologica de utilitate linguae arabicae in interpretanda sacra lingua, Groningen 1706 (wiederholt in: Albert Schultens, Opera minora, Leiden 1764, 487 – 510) und dazu Fck, Studien (s. o. Anm. 2), 105 ff. Vgl. zu Schultens ferner Arent Jan Wensinck, in: Nieuw Nederl. Biogr. Woordenboek, Bd. V, 707 – 711; Jan Nat, De Studie van de Oostersche Talen en Nederland in de 18e en de 19e eeuw, Purmerend 1929, 37 ff., sowie die Studie von Friedrich Mhlau, Albert Schultens und seine Bedeutung für die hebräische Sprachwissenschaft, in: Zeitschrift für die gesammte lutherische Theologie und Kirche 31 (1870), 1 – 21.

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geographische Zonen entsprechen. Dieser Einteilung möchte ich mich zunächst zuwenden. Die erste Periode des Semitischen ist für Renan die hebräische, sie reicht vom Anbeginn bis zum 6. Jahrhundert v. Chr.; zu diesem Zeitpunkt beginnt die zweite Periode, nämlich die aramäische; sie dauert bis zum 7. Jahrhundert n. Chr. und wird abgelöst durch die dritte Periode, die arabische, die bis heute andauert. Mit dieser sprachlichen Einteilung kongruiert nun jedoch eine andere: „Tout l’histoire intellectuelle des Sémites, en effet, se partage, comme l’histoire des langues sémitiques ellesmêmes, en trois phases: hébraique, chaldéo-syriaque et arabe.“ (108) Geographisch unterscheidet Renan das nördliche Aramäische, das mittlere Kanaanäische und das südliche Arabische. Hierin folgt er übrigens, soweit ich sehe, Johann Gottfried Eichhorn, dessen Ansicht noch von Ewald geteilt wird.71 Beide Einteilungsprinzipien sind heute weitestgehend überholt, vor allem natürlich durch die Entdeckung damals noch unbekannter semitischer Sprachen wie des Akkadischen, dessen Erschließung beim ersten Erscheinen von Renans Histoire gerade begann, oder des noch später entdeckten Ugaritischen.72 Nach der heute ziemlich weitgehend akzeptierten Auffassung steht dem Ostsemitischen, das allein durch das Akkadische mit seinen Dialekten repräsentiert wird, das Westsemitische gegenüber. Dies zerfällt in verschiedene Untergruppen, die jedoch durchaus kontrovers eingeteilt werden; während das Aramäische und Hebräische unstreitig dem Nordwestsemitischen zugeordnet werden, ist vor allem die Position des Arabischen zwischen dem Nordwestsemitischen und dem Südwestsemitischen kontrovers73, während das Äthiopische einmütig dem Südsemitischen zugeordnet wird74. 71 Vgl. Rainer M. Voigt, The classification of Central Semitic, in: Journal of Semitic Studies 32 (1987), 1 – 21, hier 1. 72 Vgl. an neueren Gesamtdarstellungen der Vergleichenden Semitistik: Giovanni Garbini/Olivier Durand, Introduzione alle lingue semitiche, Brescia 1994, hier 131 ff.: Classificazione e storia delle lingue semitiche; Edward Lipinski, Semitic Languages: Outline of a Comparative Grammar (Orientalia Lovanensia Analacta 80), Leuven 1997, bes. 47 ff. (Classification of Semitic Languages); Alice Faber, Genetic Subgrouping of Semitic Languages, in: Robert Hetzron (Ed.), The Semitic Languages, London/New York 1998, 3 – 15. 73 Hierzu vgl. Werner Diem, Die genealogische Stellung des Arabischen in den semitischen Sprachen: Ein ungelöstes Problem der Semitistik, in: Werner Diem/ Stefan Wild, Studien aus Arabistik und Semitistik. A. Spitaler zum 70. Geburtstag, Wiesbaden 1980, 65 – 85. 74 Vgl. dazu ausführlich Voigt (s. o. Anm. 71) mit Lit.

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In der Frage der zeitlichen Abfolge der Sprachen ist Renan noch dem rein theologisch motivierten Gedanken von der Priorität des Hebräischen verpflichtet, für die beiden übrigen Etappen geht er von dem Gesichtspunkt aus, welche Sprache die meistverbreitete, also sozusagen die semitische „lingua franca“ war. Dass man die Frage, was Alt- und was Jungsemitisch ist, heute anders beurteilt als zu Renans Zeiten75, erscheint evident. Was nun speziell das Hebräische betrifft, so sieht Renan es weniger als Sprache eines einzelnen „Stammes“, sondern „on est amené à envisager l’hébreu … comme l’expression commune du génie de la race sémitique à son premier âge. C’est en hébreu que nous sont arrivées les archives primitives de cette race, devenues par une remarquable destinée les archives du genre humain… L’hébreu est ainsi, dans la race sémitique, ce qu’est le sanskrit dans la race indo-européenne, le type le plus pur, le plus complet de la famille, l’idiome qui renferme la clef de tous les autres, l’idiome des origines, en un mot, dépositaire des secrets historiques, linguistiques et religieux de la race à laquelle il appartient“ (110 f.).

Der andere Zweig des Hebräischen, den Renan „Kanaanäisch“ nennt und der vom Phönizisch-Punischen76 repräsentiert wird, ist schon weniger „rein“; denn die Phönizier haben in ihrer Geschichte Eigenschaften gezeigt, die nicht „semitisch“ sind: „Le caractère propre des Sémites est de n’avoir ni industrie, ni esprit politique, ni organisation municipale: la navigation et la colonisation leur semblent antipathiques; leur action est restée purement orientale et n’est entrée dans le courant des affaires de l’Europe qu’indirectement et par contre-coup. Ici, au contraire, nous trouvons une civilisation industrielle, des révolutions politiques, le commerce le plus actif qu’ait connu l’antiquité, une nation sans cesse rayonnant au dehors et mêlée à toutes les destinées du monde méditerranéen“ (183).

Die zweite große Sprachgruppe, das Aramäische, hat von Anfang an einen „Mischcharakter“. Renan gibt zu, dass man über das älteste Stadium des Aramäischen nur auf dem Wege über jüdische Quellen etwas wisse, ja dass die immer noch am leichtesten zugängliche Form des Altaramäischen das 75 Vgl. vor allem Otto Rçssler, Verbalbau und Verbalflexion in den semitohamitischen Sprachen, in: Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft 100 (1950), 461 – 514 und in: Otto Rçssler, Gesammelte Schriften zur Semitohamitistik, Münster 2001, 283 – 336. 76 Im Hinblick auf das Phönizische besteht übrigens ein Verdienst Renans darin, dass er es, auch aufgrund eigener einzelsprachlicher Entdeckungen, näher an das Hebräische heranrückt als es bis dahin der Fall war. Vgl. zur modernen Einschätzung Stanislav Segert in: Hetzron (s. o. Anm. 72), 174 f.

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Biblisch-Aramäische sei.77 Dies reicht für ihn aber schon zu folgender, sehr generalisierenden Charakterisierung aus: „L’araméen antérieur à l’ère chrétienne nous apparaît comme une langue relativement plus développée que l’hébreu, mais bien moins noble et moins parfaite. Les tours y sont plus clairs, plus déterminés; le sens y est moins indécis; mais le style est lâche, traînant, sans concision ni vivacité, encombré de mots parasites. On sent qu’une grande révolution s’est opérée dans l’esprit sémitique, qu’il a gagné en réflexion et en netteté, mais perdu en hauteur et en naïveté. Ce contraste est particulièrement sensible en comparant les targums, ou traductions chaldéennes de la Bible faites vers l’époque de l’ère chrétienne, au texte original. La langue des Targumes, on ne peut le nier, serre la pensée de plus près que l’hébreu, et dit mieux ce qu’elle veut dire; beaucoup d’obscurités sont disparu; une foule de passages ambigus dans le texte sont ici parfaitement arrêtés; mais, par combien de sacrifices a été acheté ce mince avantage! que de nuances détruites! que de poésie effacée! Nulle part n’est plus sensible cette loi qui condamne les langues à perdre presque tous leurs caractères de beauté, à mesure qu’elles es prêtent davantage aux besoins pratiques et réfléchis de l’esprit humain“ (222).

Für das klassische Syrisch, die bedeutendste Literatursprache des Aramäischen78, gilt übrigens ähnliches: „La langue syriaque nous apparaît, dans son ensemble, comme une langue plate, claire, prolixe, sans harmonie, chargée de mots étrangers. Elle n’a point cette simplicité, cette tendance à représenter toute chose par le coté sensible, qui font, en général, le charme des langues sémitiques. Les relations des idées, si élégamment exprimées en hébreu par un petit nombre de flexions, s’expliquent longuement et lourdement en syriaque par l’emploi des particules et des périphrases. Les racines, qui en hébreu sont, pour ainsi dire, à fleur de terre, sont ici presque oblitérées; la dérivation, si régulière en hébreu et en arabe, n’est ici qu’un procédé incertain“ (269).

Dies mag an Beispielen ausreichen, um Renans Minderbewertung des Aramäischen zu verstehen. Doch nun zur nächsten und letzten Gruppe. Hier hat Renan mit einem gravierenden Problem zu kämpfen, nämlich dem plötzlichen Auftauchen des als „altertümlich“ apostrophierten Arabisch! Denn die wahre Originalität der semitischen Rasse („la vraie originalité de la race sémitique“) verwirklicht sich im nomadischen Leben Zentralarabiens (341). Ganz unverhofft tritt nun die arabische Sprache mit 77 Heute hat man durch die Entdeckungen neuer Texte natürlich eine wesentlich breitere Textgrundlage; vgl. S. Kaufmann in: Hetzron (s. o. Anm. 72), 114 ff.; Stanislav Segert, Altaramäische Grammatik, Leipzig 1975. 78 Vgl. Theodor Nçldeke, Kurzgefaßte syrische Grammatik (ND Darmstadt 1966), Leipzig 21898, XXXIff.

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einer „Vollkommenheit“ auf den Plan, die Erstaunen erregen muss. Gleichwohl ist diese Sprache jedoch „anders“ als das ohne jeden Zweifel „archaische“ Hebräisch. Das legt Renan in einer sehr bemerkenswerten Passage dar: „Le style arabe a une ampleur que ne connurent point les langues sémitiques les plus anciennes; mais ce progrès a été obtenu au prix de bien des défauts. Les formes sobres, harmonieuses de l’hébreu sont détruites; une roideur monotone et pédante a remplacé la liberté et les faciles allures des vieux idiomes; on sent partout la trace d’une culture artificielle et savante. Même révolution dans le goût: le timbre charmant du parallélisme, qui donne à la poésie hébraïque une grâce inimitable, est brisé; le style asiatique l’emporte; de petits ornements de rhéteurs, des finesses de grammairiens ont remplacé la grave beauté du style antique. On se consolerait de ces pertes, si l’arabe les eût compensées par l’acquisition d’une parfaite netteté, d’une entière détermination, qualités plus nécessaires à la mission qu’il avait à remplir. L’arabe atteint, en ce sens, tout ce qu’il est permis à une langue sémitique de réaliser; mais cela même est assez peu de chose. Avec tous les efforts de sa syntaxe, l’arabe n’arriva jamais à cette limpide précision qui semble le partage exclusif des langues indo-européennes […] „ (385).

Also ist das so „rein“ semitische Arabisch trotz seines syntaktischen und lexikalischen Raffinements weniger wert als das archaische Hebräisch, aber natürlich auch als das Indo-Europäische. Es ist dabei bezeichnend, dass Renan den „asiatischen Stil“, der über das Arabische hereingebrochen sei, nur sehr andeutungsweise charakterisiert; in einem anderen Zusammenhang wird jedoch klar, dass „Perser und Türken“ für den „abscheulichen orientalischen Stil“ (vgl. 383) die Verantwortung tragen. Renan kritisiert zum Beispiel den Wortreichtum des Arabischen, den die Semitisten früherer Zeiten so gerne in Anspruch nahmen, um wie etwa Albert Schultens Unklarheiten des hebräischen Bibeltextes zu entschlüsseln – jenen Reichtum auch, auf den die Araber selber so stolz sind: „La prodigieuse richesse lexicographique de l’arabe entraîne elle-même beaucoup plus d’inconvénients que d·avantages. Elle aboutit à une latitude vague qui nuit beaucoup à la clarté“ (385). Interessanterweise steht Renan mit dieser Kritik nicht allein. Hier hat er – ohne es zu wissen – einen Mitstreiter in dem mittelasiatischen Gelehrten Abu¯ Raih9a¯n al-Bı¯ru¯nı¯79 ; in seiner Beschreibung Indiens stellt

79 973 – 1048; vgl. D. J. Boilot, EI2 Bd. I, 1236 – 1238; E. S. Kennedy in: DSB 2 (1970), 147 – 158 sowie die Einleitung der in der folgenden Anmerkung genannten Anthologie von Gotthard Strohmaier.

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Bı¯ru¯nı¯ nämlich als besonderes Hindernis für gegenseitiges Verständnis fest, wie „ungeheuer umfangreich“ die Sprache sei: „In ihr wird ein Ding durch eine Vielzahl von Wurzelwörtern und abgeleiteten Ausdrücken bezeichnet, während ein und dasselbe Wort eine Vielzahl von bezeichneten Dingen bedeutet, was um des klaren Ausdrucks willen die Zufügung von Attributen erforderlich macht, und man kann das Richtige nur herausfinden, wenn man den Kontext versteht und das Gemeinte mit dem vergleicht, was vorher und nachher kommt. Sie aber sind stolz darauf, wie sich auch andere damit brüsten, während es doch in Wahrheit einen Mangel der Sprache darstellt“.80

Al-Bı¯ru¯nı¯ redet hier natürlich – wie es der Zusammenhang nahe legt – vom Sanskrit, also dem Urtyp des Indogermanischen im Verständnis von Renan. Und mit den „anderen“, die sich „damit brüsten“, meint Bı¯ru¯nı¯ ziemlich sicher die Araber. Besser kann man, denke ich, die von Renan konstruierte Polarität zwischen zwei Sprachtypen wohl kaum kritisieren. Aber ich möchte zum Wesentlichen vordringen: Was ist nun in Renans Verständnis in sprachlicher Hinsicht „typisch semitisch“, was charakterisiert den „Semitismus“ in seiner Reinheit und Abstraktion? Man kann ihn, wie ich glaube, in einem einzigen Wort zusammenfassen: „simplicité“. Das beschreibt Renan in einem längeren Absatz: „L’unité et la simplicité, qui distinguent la race sémitique, se retrouvent dans les langues sémitiques elles-mêmes. L’abstraction leur est inconnue; la métaphysique, impossible. La langue étant le moule nécessaire des opérations intellectuelles d’un peuple, un idiome presque dénué de syntaxe, sans variété de construction, privé de ses conjonctions qui établissent entre les membres de la pensée des relations si délicates, peignant tous les objets par leurs qualités extérieures, devait être éminemment propre aux éloquentes inspirations des voyants [Sperrung E.R.] et à la peinture de fugitives impressions, mais devait se refuser à toute philosophie, à toute spéculation purement intellectuelle. Imaginer un Aristote ou un Kant avec un pareil instrument est aussi impossible que de concevoir une Iliade ou une poème comme celui de Job écrits dans nos langues métaphysiques et compliquées“ (18).

Diese typisch semitische „simplicité“ äußert sich nun ganz besonders im Satzbau:

80 Al-Bı¯ru¯nı¯, In den Gärten der Wissenschaft, hg. v. Gotthard Strohmaier, Leipzig 1988, 152 f.; arab. Text: Eduard Sachau (Ed.), Alberuni’s India. An Account of the Religion, Philosophy, Literature, Chronology, Astronomy, Customs, Law and Astrology of India about A. D. 1030, (London 1887) Frankfurt a.M. 1993, 9, Z. 2 – 9.

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„Enfin la construction générale de la phrase offre un tel caractère de simplicité, surtout dans la narration, qu’on ‘ne peut y comparer que les naïfs récits d’un enfant. Au lieu de ces savants enroulements de phrase (circuitus, comprehensio, comme les appelle Cicéron) sous lesquels le grec et le latin assemblent avec tant d’art les membres divers d’une même pensée, les Sémites ne savent que faire succéder les propositions les unes aux autres, en employant pour tout artifice la simple copule et, qui leur tient lieu de presque toutes les conjonctions“ (19 f.).

Zu den Elementen der „simplicité“ der semitischen Syntax gehört ganz besonders das Element der Nebenordnung (Parataxe) anstelle der Unterordnung (Hypotaxe) im Satzgefüge: „La grammaire des Sémites ignore presque l’art de subordonner les membres de la phrase; elle accuse chez la race qui l’a créée une évidente infériorité des facultés du raisonnement, mais un goût très-vif des réalités et une grande délicatesse de sensations“ (20).

Wie man sieht, impliziert diese Beobachtung zugleich ein Werturteil – „Einschränkung der Denkmöglichkeiten“ –, das zwei Sätze weiter mit einem Vergleich noch untermauert wird: „Planes et sans inversion, les langues sémitiques ne connaissent d’autre procédé que la juxtaposition des idées, à la manière de la peinture byzantine ou des bas-reliefs de Ninive […] „ (20). Es würde zu weit führen, das hier deutlich zum Ausdruck gebrachte Vorurteil von der angeblichen „Einfachheit“ der semitischen, insbesondere aber der hebräischen Syntax „widerlegen“ zu wollen. Schon Julius Wellhausen, kein eigentlicher Linguist, aber ein ausgezeichneter Kenner des Hebräischen wie des Arabischen, hat bemerkt, dass das Hebräische „in der Syntax […] sicher weit jugendlicher (!)“ sei als von den Vertretern des „archaischen“ Charakters des Hebräischen oft angenommen.81 Renan ist hier in seinen Ansichten einer eher naiven, um nicht zu sagen vorwissenschaftlich-psychologisierenden Sprachansicht verpflichtet, und es ist vielleicht ausreichend, hierzu abschließend Otto Rössler82, einen hervorragenden Kenner der althebräischen Syntax83, zu zitieren: „Der be-

81 In: ,Heinrich Ewald’ (s. o. Anm. 60), 128. 82 1907 – 1991; vgl. den Nachruf von Rainer M. Voigt, in: Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft 145 (1995), 1 – 6. 83 Vgl. den bahnbrechenden Aufsatz Die Präfixkonjugation Qal der Verba Iae Nûn im Althebräischen und das Problem der sogenannten Tempora, in: Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 74 (1962), 125 – 141. Viele der nur mündlich weitergegebenen Gedanken Rösslers sind in Arbeiten besonders von Wolfgang

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rühmt-berüchtigte „parataktische Charakter“ des Hebräischen existiert überhaupt nicht. Er ist eine Angelegenheit der Übersetzungen und gehört zu deren Pseudo-Hebraismen“.84 Viele von Renans Gedanken leben in den Werken seiner Nachfolger wie Nöldeke, Brockelmann oder Bergsträsser85 fort, ohne dass diese Renans Namen immer nennen; ja man kann geradezu von einem subtilen Einfluss sprechen, etwa wenn, um nur ein Beispiel zu nennen, Brockelmann vom Hebräischen sagt: „Der Satzbau ist noch außerordentlich urwüchsig“86.

Nachschrift Friedrich Niewöhner hatte mir freundlicherweise noch vor ihrem Erscheinen die deutsche Übersetzung von Ignaz Goldzihers Gedenkrede Renan als Orientalist überlassen.87 Darin wird auch die Histoire gnrale ausführlich gewürdigt. Auf Goldzihers Ausführungen im Einzelnen einzugehen und sie in vorliegende Abhandlung einzuarbeiten erschien mir jedoch unangebracht.

84

85 86 87

Richter und dem Verfasser (Die „Tempora“ im Hiobdialog, Dissertation, Marburg 1974) aufgenommen worden. Otto Rçssler, Zum althebräischen Tempussystem. Eine morpho-syntaktische Untersuchung, in: Otto Rçssler (Hg.), Hebraica, Berlin 1977, 33 – 57, hier 54. – Das gilt natürlich auch für die nahe am hebräischen Text bleibende Übersetzung von Martin Buber. Gotthelf Bergstrsser, Einführung in die semitischen Sprachen, (München 1928) Darmstadt 1963. Brockelmann (s. o. Anm. 4), Bd. I, 11. Ignaz Goldziher: Renan als Orientalist. Gedenkrede am 27. November 1893, aus dem Ungarischen übersetzt von Peter Zaln, bearbeitet, mit einer Einl. versehen und hg. v. Friedrich Niewçhner, Zürich 2000.

Kritische Religionsphilosophie und Wissenschaft des Judentums Von Breslau nach Cincinnati

Francesca Yardenit Albertini I. Prämisse1 Im September 2002 – kurz vor dem Anfang eines dreijährigen Forschungsaufenthalts in Jerusalem – lud mich Friedrich Niewöhner zu einem persönlichen und folgenreichen Gespräch über das Verhältnis zwischen kritischer Religionsphilosophie und Wissenschaft des Judentums ein, mit besonderer Rücksicht auf die Entwicklung dieses Verhältnisses am Jüdisch-Theologischen Seminar zu Breslau (1854 – 1938). Damals wusste ich von diesem Seminar, lediglich was der neukantianische Philosoph Hermann Cohen, von 1857 bis 1859 rabbinischer Student in Breslau, darüber schrieb2, und konnte es weder mit der kritischen Religionsphilosophie noch mit der Wissenschaft des Judentums verbinden. Erst nachdem ich meine Forschung den intellektuellen und religiösen Voraussetzungen des Jüdisch-Theologischen Seminars widmete, begriff ich, welchen Paradigmenwechsel in die europäische und außereuropäische Wissenschaft des Judentums sowie in die Rezeption der deutschen kritischen Religionsphilosophie ein solches rabbinisches Seminar einführte. Das Jüdisch-Theologische Seminar zu Breslau wurde im Jahr 1938 von der Gestapo geschlossen. Vielen ihrer Studenten gelang es, in die Vereinigten Staaten einzuwandern, und einige von ihnen wurden herausra1

2

Dieser Aufsatz ist die Überarbeitung eines Vortrags, den die Verfasserin am 1. März 2007 als Stipendiatin des Mendel Memorial Lecture an der Klau Library des Hebrew Union College in Cincinnati (Ohio, USA) hielt. An dieser Stelle möchte die Verfasserin der Leitung der Klau Library in der Person seines Direktors, Herrn Dr. David J. Gilner, danken. Für die kritischen Anmerkungen ist die Verfasserin auch Herrn Prof. Dr. Michael M. Meyer zu Dank verpflichtet. Hermann Cohen, Ein Gruß der Pietät an das Breslauer Seminar, in: Ost und West. Illustrierte Monatsschrift für das gesamte Judentum 4 (1904), 747 – 756.

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gende Repräsentanten sowohl der orthodoxen und konservativen sowie der liberalen Bewegung. Bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts setzten viele ehemalige Studenten und Dozenten des Breslauer Seminars ihre Forschungs- und Lehrtätigkeit an konservativen, orthodoxen und liberalen Einrichtungen in den Vereinigten Staaten fort.3 Die Encyclopaedia Judaica beschreibt das Breslauer Seminar als „the first modern rabbinical seminary in Central Europe“, während es nach anderen jüdischen und nicht-jüdischen Quellen (unter anderem die Encyclopaedia Britannica) ein konservatives Seminar war, dessen Gründung dem Prager Rabbiner Zacharias Frankel (1801 – 1875) von der Jonas Fraenckelschen Stiftung aufgetragen wurde. Wenn man denkt, dass das Breslauer Seminar die Opposition sowohl des Leiters der Reformbewegung Abraham Geiger als auch die Opposition des orthodoxen Gelehrten Samson Raphael Hirsch (1808 – 1888) traf, ist es selbstverständlich, sich nach der Identität sowie nach den Zwecken dieser Einrichtung zu fragen. An dieser Stelle möchte ich die wissenschaftlichen und religiösen Voraussetzung des Breslauer Seminars untersuchen, um auf die folgenden Fragen antworten zu können: 1. Was waren die Motive dafür, in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein rabbinisches Seminar im deutschsprachigen Milieu zu gründen? 2. Was war Zacharias Frankels Konzeption von Wissenschaft und Religion? 3. Warum und wie hat Isaac Meyer Wise (1819 – 1900) das Breslauer Seminar als Vorbild für sein Hebrew Union College in Cincinnati ausgewählt? 3

Für eine ausführliche Geschichte des Seminars sowie dessen Mitglieder siehe unter anderem: Marcus Brann, Geschichte des Jüdisch-theologischen Seminars. Festschrift zum fünfzigjährigen Jubiläum der Anstalt, Breslau 1905; Max Gdemann, Meine Erinnerungen an meinen hochverehrten Lehrer Prof. Dr. H. Graetz s. A. anlässlich der hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages, Francesca Yardenit Albertini, in: Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur 21 (1918), 45 – 55; Festschrift zum 75jährigen Bestehen des jüdisch-theologischen Seminars Fraenckelscher Stiftung, 2 Bde., Breslau 1929 (dieses Werk erschien ohne Erwähnung des Herausgebers, der Jacob Freudenthal nach Guido Kisch sein sollte); Guido Kisch (Hg.), Das Breslauer Seminar: Jüdisch-Theologisches Seminar Fraenckelscher Stiftung in Breslau 1854 – 1938; Gedächtnisschrift. The Breslau Seminary, Tübingen 1963; David S. Loewinger/Bernard D. Weinryb (Ed.), Catalogue of the Hebrew Manuscripts in the Library of the Juedisch-Theologisches Seminar in Breslau, Wiesbaden 1965; Francesca Yardenit Albertini, Das Judentum „und“ die Wissenschaft. Zum 150. Gründungsjahr des JüdischTheologischen Seminars in Breslau, in: JUDAICA 60, 141 – 158.

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In Bezug auf die erste Frage muss man den Zustand der deutsch-jüdischen Gemeinde am Anfang des 18. Jahrhunderts in Erinnerung rufen: die zahlreichen Übertretungen, die Ablehnung der Religion als Erbe von abergläubigen und irrationalen Fürchten sowie der politisch-säkulare Nationalismus als Gegentrieb zur Sehnsucht nach Zion waren die ersten Zeichen von radikalen Änderungen innerhalb der religiösen und sozialen Strukturen des deutschsprachigen Judentums. Obwohl am Anfang des 19. Jahrhunderts die ersten Schritte in Richtung des Reformjudentums von Laien4 getan wurden, schlossen sich auch einige herausragende Rabbiner und Gelehrten im Laufe der nachfolgenden dreißig Jahre der Sache an. Eine neue Generation von Rabbinern, die einen zusätzlichen Universitätsabschluss außerhalb der traditionellen Ausbildung erworben hatte5, unterstützte das Reformjudentum. Zwei Ereignisse im Besonderen ermöglichten diesen neuen Anfang in der deutsch-jüdischen Geschichte: die Veröffentlichung des Hamburger siddur (Gebetsbuches) im Jahr 1841, die eine gewaltige intellektuelle und liturgische Debatte verursachte und die Berufung von Abraham Geiger im Jahr 1839 zum Rabbiner der Breslauer Gemeinde. Seine Berufung fand den Widerstand der deutsch-jüdischen Orthodoxie, in deren Reihen Geigers kritische und wissenschaftliche Untersuchung der jüdischen Quellen bereits bekannt war. Das zweibändige Buch „Rabbinische Gutachten über die Verträglichkeit der freien Forschung mit dem Rabbineramte“ (1842 – 1843) der vom Vorstand der Breslauer Gemeinde gesammelten Responsa über die Vereinbarkeit von Wissenschaft und rabbinischen Aufgaben war der Ausgangspunkt für die progressiven Rabbiner, obwohl nicht alle am Schluss die Reformbewegung unterstützten. In den Jahren 1844, 1845 und 1846 fanden drei rabbinische Konferenzen jeweils in Brunswick, Frankfurt und Breslau statt, um die progressiven Rabbiner zusammenzubringen. Da keine inhaltliche Einheit existierte, wurde eine allgemeine theoretische Diskussion vorsichtig vermieden6, so dass die Hauptthemen der Konferenzen hauptsächlich liturgischen Charakter hatten (liturgische Ergänzungen, Lockerung der Shabbat- und Kasherutregeln und so weiter). Trotz der entspannten At4 5 6

Hier im Sinne von Menschen, die keine spezifisch rabbinische Ausbildung hatten. Damals war der Universitätsabschluss eine vom staatlichen Gesetz eingeführte Pflicht. Siehe unter anderem: Carsten Wilke, „Den Talmud und den Kant“. Rabbinerausbildung an der Schwelle zur Moderne, Hildesheim 2003. Nur während der ersten Sitzung der Frankfurter Konferenz wurde auch über theoretische Fragen diskutiert.

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mosphäre verließ Zacharias Frankel die Frankfurter Konferenz wegen der im Besonderen von Abraham Geiger und Samuel Holdheim unterstützten Entscheidung, auf die hebräische Sprache in der neuen Reformliturgie zu verzichten. Während aller drei Konferenzen war Frankel der einzige Rabbiner, der eine solche unnachgiebige Stellung einnahm. Um seine Position zu verstehen, muss man die Wurzel der Frankelschen Konzeption vom Judentum begreifen, die sich auf seine Ausbildung als traditioneller Rabbiner sowie säkularer Intellektueller der Aufklärung bezieht. Frankel wurde in Prag geboren.7 Nach einer traditionellen rabbinischen Ausbildung unter Bezalel Ronsburg (1760 – 1820) studierte Frankel von 1825 bis 1830 Philosophie, Philologie und Naturwissenschaften an der Universität in Budapest. Im Jahr 1831 wurde er von der österreichischen Regierung als Landesrabbiner von Leitmeritz (Litomerice) ernannt. Er war der erste böhmische Rabbiner mit einer säkularen Universitätsausbildung sowie einer der ersten, der seine Predigten auf Deutsch anstatt auf Hebräisch hielt. Obwohl man während dieser Zeit keinen Beweis eines Treffens zwischen dem böhmischen Student Isaac M. Wise und Frankel hat, breitete sich der Ruhm von Frankel so schnell in alle böhmischen jüdischen Gemeinden aus, dass man mit Legitimation vermuten kann, dass Wise lang vor seiner Auswanderung in die Vereinigten Staaten mit der religiösen und intellektuellen Position von Zacharias Frankel bekannt war. Darüber hinaus führte die Veröffentlichung des Frankelschen Werks über die jüdische shvuah 8 („Eid“) zu ihrer Aufhebung in vielen deutschen Bundesländern (Böhmen eingeschlossen). Bis zur Veröffentlichung dieses Werks war der Eid eines jüdischen Zeugen vor einem Zivilgericht nicht vollkommen akzeptiert. Frankel bewies, dass keine jüdische Lehre eine solche Stellungnahme rechtfertigt, so dass er für die juristische Gleichberechtigung von Juden und Christen plädieren konnte. Im Jahr 1836 wurde Frankel von der sächsischen Regierung als Hauptrabbiner von Dresden ernannt.9 An dieser Stelle möchte ich nun die Frankelsche Konzeption von Wissenschaft und Religion untersuchen, die ihn führte, eine neue rab7 8 9

Andreas Brmer, Rabbiner Zacharias Frankel. Wissenschaft des Judentums und konservative Reform im 19. Jahrhundert, Hildesheim/Zürich/New York 2000. Zacharias Frankel, Die Eidesleistung bei den Juden, Dresden (1840) 21847. Im Jahre 1843 lehnte Frankel den Ruf nach Berlin ab, weil die preußische Regierung nicht bereit war, den jüdischen Glauben unter einem juristischen Blickwinkel vollkommen anzunehmen und zu erkennen; bis zum Jahr 1843 war der jüdische Glaube bloß „geduldet“ sowie Opfer von „missionarischen“ Tätigkeiten, welche die Unterstützung der preußischen Regierung hatten.

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binische Einrichtung zu gründen, die bald im Stande war, sich gegen die Opposition der reformierten sowie der orthodoxen Seite zu verteidigen.10 In seiner „Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums“ (1853; der erste Band erschien im Jahr 1851) sowie in seinem „Programm zur Eröffnung des jüdisch-theologischen Seminars zu Breslau“ (1854) 11 bietet Frankel eine Definition von Religion an, die zwischen Tanakh 12 und Immanuel Kant schwankt: Die Religion ist das geoffenbarte Gesetz der Sittlichkeit, die wir für die Verwirklichung der Menschheit benötigen.13 Frankel verknüpft die Offenbarung mit der juristischen Sphäre des Gebots und des Gehorsams, die man als eine des menschlichen freien Willens und Intellekts beobachtet: Erst nachdem wir die Struktur und den Zweck eines Gebots untersucht haben, begreifen wir, wie und aus welchem Grund wir es verwirklichen können. Offenbarung bedeutet nicht die blinde Einhaltung von Regeln, deren Verständlichkeit und Begreiflichkeit von ihrem göttlichen Ursprung abhängt, sondern Offenbarung bedeutet die bewusste Einhaltung von Regeln, deren Verständlichkeit und Begreiflichkeit von unserer Fähigkeit abhängt, den göttlichen Willen (nicht das göttliche Wesen!) verstehen zu können. Aus diesem Grund ist unsere Vollendung als menschliche Wesen zugleich religiös und epistemologisch, deswegen behauptet Frankel in seinem jährlichen Bericht ( Jahresschau, 1854): „Die Wissenschaft ist zwar der Lebensnerv des Judenthums, aber sie muß Leben erwecken und Leben anfachen […].“14 Dem menschlichen Wesen zeigt sich Gott als die höchste Idee, und durch die Begeisterung15 zu einer solchen Idee kann der Mensch seine Natur als höchstes Wesen in der tierischen und empfindsamen Welt verwirklichen. Diesbezüglich schreibt Frankel: „Und diese Begeisterung wurde angeregt und unterhalten von seinen [des Judentums] Lehrern: Sie standen nicht mit ihrer Wissenschaft über dem Volke, sondern sie stellten die Wissenschaft in die Mitte des Volkes. Jeder10 Zacharias Frankel, Über Reformen im Judenthume, in: Zeitschrift für die religiösen Interessen des Judentums 1 (1844), 12 – 33. 11 Zacharias Frankel, Programm zur Eröffnung des jüdisch-theologischen Seminars zu Breslau, Breslau 1854. 12 Aus dem Akronym TaNaKh (Torah, Nevi’im, Ketuvim; Pentateuch, Propheten, Schriften). Eine solche Aufteilung der hebräischen Bibel findet man im Talmud Bavli Shab. 88a, Sanh. 101a, Kid. 49a, MK 21a. 13 Monatschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 2 (1853), 3 – 7. 14 Ebd., 13. 15 Hier benutzt Frankel das Aristotelische Wort für Begeisterung, dadurch der Stagirit den Ursprung aller Philosophie beschreibt: Enthusiasmus.

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mann soll für sie gewonnen, jedermann ein lebhaftes Interesse für sie eingeflößt werden. Die großen Lehrer Israels erblickten das Leben der Wissenschaft in dem allgemeinen Leben, in der Verbreitung allgemeinen Verständnisses […].“16

Frankel bezieht sich auf Rabbi Aqiba als den ersten Meister, der das Folgende lehrte: „Möge das ganze ’am Adonay (das ganze Volk Gottes) ein Prophet sein“, nämlich das allgemeine Verständnis der Botschaft Gottes – wie sie sich in aller Vielschichtigkeit der Schöpfung zeigt – muss der Zweck des ’am Adonay sein: Dieser Endpunkt im jüdischen Leben sowie im jüdischen Verständnis stellt auch die Bewusstheit und die Aufmerksamkeit auf das Wort Gottes für alle Völker der Erde dar; während die Religion ein kultureller Zaun sein kann, antwortet die Wissenschaft auf das universelle Orientierungsbedürfnis in der empirischen Welt und wird nach den allgemeingültigen Regeln der Logik sowie der Rationalität geleitet. In seinem Versuch einer Verbindung zwischen Religion und Wissenschaft schreibt Frankel: „[Die Rabbiner] sollen durch die Wissenschaft Pfleger des Glaubens sein, aber nur insofern sie die Wissenschaft zum Gemeingut machen, Sorge tragen, daß sie weitern Geschlechtern übergeben wird: Sie sollen um sich Schüler sammeln, die das Wort und dessen Verständniß aus ihrem Munde schöpfen.“17

Frankels Meinung nach ist der Lehrer der Vertreter Israels, weil er durch die Untersuchung aller Aspekte und Dimensionen der Schöpfung aus dem Ewigen Wort ein lebendiges und mit der Zeit verbundenes Wort macht. Aus diesem Grund braucht das Judentum nicht Außenfeinde zu befürchten, sondern vielmehr die wissenschaftliche Ignoranz, die vom Mangel an rabbinischen Zentren für die Aufbewahrung der Wissenschaft als höchste und heiligste Pflicht abhängt (Frankel bezieht sich häufig auf Jes 29,13 – 14: „Und der Herr sprach: Weil dies Volk mir naht mit seinem Munde und mit seinen Lippen mich ehrt, aber ihr Herz fern von mir ist und sie mich fürchten nur nach Menschengeboten, die man sie lehrt, darum will ich auch hinfort mit diesem Volk wunderlich umgehen, aufs wunderlichste und seltsamste, daß die Weisheit seiner Weisen vergehe und der Verstand seiner Klugen sich verbergen müsse“.

Wenn unsere Welt ein versiegeltes Buch bleibt, wenn alle unterschiedlichen Aspekte der jüdischen Geschichte, des jüdischen Denkens sowie der 16 Ebd., 13. 17 Ebd., 14.

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jüdischen Tradition nicht angesichts der Vernunft untersucht werden, bleibt vom Wort Gottes nichts anderes übrig als eine Auflistung von Geboten, die gar keinen Anhaltspunkt mit unserem konkreten Leben haben. Was Frankel „Wissenschaft des Glaubens“ nennt, benötigt stets neue Wächter, die dafür verantwortlich sind, Religion, Moral und Kenntnis zu verknüpfen. Aus diesem Grund plädierte Frankel in seiner Jahresschau aus dem Jahr 1854 so heftig für die Einrichtung eines neuen rabbinischen Ausbildungszentrums: „Die Rabbiner müssen beginnen: von ihnen, den Wächtern des Glaubens, die Bildung einer Macht und Schutz des Glaubens ausgehen; die Rabbiner, so sie ihrer Pflicht treu und eingedenk sind, müssen Seminarien ins Leben rufen.“18

Nach Frankel sind die traditionellen yeshivot ungeeignet, um eine neue Zukunft für das Wort Gottes aufzubauen, so lange sie die Aristotelische 1p_pmoia für alle Phänomene vermissen, die uns zu einer neuen Auslegung des göttlichen Gesetzes zwingen; das Gesetz gleicht einem Kompass: Er kann uns führen, nur wenn wir imstande sind, jeweils eine neue Peilung einzustellen. Nach Frankel profiliert sich das Judentum als Religion nicht mit Pracht und beeindruckendem Aussehen, genauso wie es sich von keiner lähmenden Konzeption eines zornigen und straffreudigen Gottes leiten kann, die nur zu einer anscheinenden und oberflächlichen Sicherheit führen würde. Das Motto einer neuen rabbinischen Institution muss das Folgende sein: „Das ist das Wort des Herrn an Serubbabel: Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth“ (Sach 4,6). In dieser neuen Institution muss die Wissenschaft des Glaubens zusammen mit der allgemeinen Wissenschaft den Vorrang haben: Für die erste (Wissenschaft des Glaubens) sind die Rabbiner zuständig, während für die zweite (allgemeine Wissenschaft) die Zusammenarbeit mit der Universität nötig ist. Kurz nach der Veröffentlichung seines Plädoyers erschien ein weiteres wichtiges Werk von Frankel: Programm zur Erçffnung des jdisch-theologischen Seminars zu Breslau. 19 An dieser Stelle beabsichtige ich nicht, mich mit der komplexen Entstehungsgeschichte dieses Seminars beschäftigen; man brauchte acht Jahre für die Eröffnung dieser neuen Institution nach der Bekanntmachung des Testaments vom wohlhabenden Kaufmann Jonas Fränckel, der einen Teil seines Vermögens für die Einrichtung eines 18 Ebd., 16 – 17. 19 Zacharias Frankel, Programm zur Eröffnung des jüdisch-theologischen Seminars zu Breslau. „Fränckel’sche Stiftung, den 16. August 1854, Breslau 1854, Ab 5614/ 10.

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rabbinischen Seminars unter vielen anderen Tätigkeiten zugunsten Juden und Nicht-Juden bestimmte. Im Rahmen meiner Untersuchung möchte ich mich lediglich auf die pädagogische, wissenschaftliche und religiöse Konzeption von Frankel fokussieren. Es kann erstaunlich erscheinen, dass zweiundvierzig der einundfünfzig Seiten dieses Programms aus einem gelehrten Essay über die geschichtliche und intellektuelle Entwicklung der jüdischen Hermeneutik der Heiligen Texte (Tanakh und Talmud) von der persischen Zeit bis zur mittelalterlichen spanischen Schule (Samuel Hanagid, Isaak ibn Giat, Moses Maimonides, Jehuda Halevi, Ibn Esra, Nachmanides u. a.) besteht. Eine solche Entwicklung wird von Frankel als diejenige von der „Schriftforschung“ zur „Schrifterforschung“ beschrieben20 : Die „Schriftforschung“ ist selbstbezogen, nämlich sie entsteht aus der Glaubenstreue sowie der Glaubensanhänglichkeit und ist ausschließlich mit dem Gesetz – das heißt mit der Rechtsproblematik – beschäftigt, während die „Schrifterforschung“ die religiösen Quellen mit den aus anderen Traditionen stammenden wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden verbindet. Nach der „Schriftforschung“ muss die geistige Tätigkeit ausschließlich zum göttlichen Gesetz eingerichtet werden, dem Intellekt die materielle und geistige Ernährung anbieten und die Arena bzw. die Bühne für die Entwicklung aller menschlichen Fähigkeiten sein. Selbstverständlich basiert die „Schrifterforschung“ auf den selben religiösen Voraussetzungen, jedoch verlangen die Vollführung des Gesetzes sowie seine vollständige Begreiflichkeit Beweise und Prüfstein, die außerhalb des gesetzlichen Milieus gesammelt werden müssen. Aus diesem Grund behauptet Frankel, dass der Hauptzweck einer neuen rabbinischen Einrichtung die Aussöhnung von Glauben und Reflexion sein muss, eine Aussöhnung, die auf keinen Fall zu ihrer gegenseitigen Auflösung führen muss. In seinem Programm schreibt Frankel, dass die allgemeine Bildung, die man am Gymnasium und an der Universität bekommt (Mathematik, Logik, Griechisch, Latein, Literatur und Philosophie), die Basis der rabbinischen Bildung ist. Am Schluss seines Studiums muss ein rabbinischer Student imstande sein, den engen Zusammenhang zwischen Religion und Wissenschaft zu begreifen, und sich von allen damit verbundenen Ängsten und Vorurteilen zu befreien.21 Das Engagement Frankels war so tief, dass er die akademische Zusammenarbeit sowie den gegenseitigen Austausch mit der im Jahr 1802 von 20 Ebd., 2 (Kursiv von F.Y.A.). 21 Ebd., 4.

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den Jesuiten gegründeten Schlesischen Friedrich-Wilhelm-Universität zu Breslau soweit unterstützte, dass einige Dozenten des Jüdisch-Theologischen Seminars (der Historiker Heinrich Graetz und der Fachwissenschaftler für jüdisch-hellenistische Geschichte Jacob Freudenthal u. a.) zugleich an der Breslauer Universität unterrichten und die rabbinischen Studenten zugleich an der Breslauer Universität studieren durften. Am Jüdisch-Theologischen Seminar stellte Frankel den Maßstab der modernen rabbinischen Ausbildung fest und konnte sowohl der jüdischen Tradition als auch der europäischen Aufklärung treu bleiben. Dieser Maßstab wurde von vielen ähnlichen Einrichtungen übernommen, unter anderem von der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin (1870 – 1942) – obwohl sie von Abraham Geiger mitgegründet wurde, der sich Frankels „Konservatorismus“ immer sehr heftig gegenüberstellte –, das Jüdische Lehrhaus in Frankfurt am Main (1920 – 1938) sowie das Rabbinische Seminar in Budapest (1877 – 1948).22 Die religionskritische Stellungnahme des Jüdisch-Theologischen Seminars in Breslau übte einen entscheidenden Einfluss auch auf das Hebrew Union College in Cincinnati aus – einen Einfluss, der bis jetzt nicht untersucht worden ist.

II. Isaac M. Wise und das Hebrew Union College Bevor Isaac M. Wise (1819 – 1900) nach Cincinnati umzog, arbeitete er achtzehn Monate lang bei der Zeitschrift The Asmonean (1852/1853) in Albany und während dieser Zeit beschäftigte er sich hauptsächlich mit der Übersetzung der wichtigsten Werke von einigen liberalen Gelehrten wie Abraham Geiger, Solomon Rapoport, Samuel David Luzzatto, Nahman Krochmal, Samuel Holdheim, Isaac Jost, Heinrich Graetz und Zacharias Frankel. In diesen Gelehrten betrachtete Wise die echten Stammväter des reformierten Judentums. Zugleich gründete Wise ein Department of foreign Jewish news, wo er alle von ihm aus den europäischen Zeitschriften gesammelten Informationen über das Judentum sammelte. Die Aufsätze, die Wise während seiner Tätigkeit in Albany schrieb, konzentrierten sich auf 22 Im Jahr 1989 war die Wiedereröffnung dieses Seminars eine der ersten Initiativen der jüdischen Gemeinde in Budapest. Die Bibliothek dieses Seminars enthält über 90.000 Bände und ist die drittgrößte jüdische Biblithothek der Welt. Heutzutage ist das Rabbinische Seminar in Budapest auch das einzige rabbinische Ausbildungszentrum in Osteuropa.

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die Verbesserung des Gottesdienstes mit der Abschaffung der altertümlichen Lieder und einer besseren religiösen Ausbildung für die Jugend. Bereits zu dieser Zeit schrieb er häufig über die Notwendigkeit ausgebildeter Rabbiner. Im Januar 1853 veröffentlichte er einen Aufsatz (The Necessity for a Collegiate Institution), wo er denunzierte, dass das Judentum im Begriff war, auf einen bloßen Schatten reduziert zu werden, weil es unfähig war, seine eigene „amerikanische“ Identität zu entwickeln. Trotzdem war es für Wise notwendig, dass das Judentum auf die Fortschritte des europäischen – und im besonderen des deutschsprachigen – Judentums für die Bestimmung seiner „amerikanischen“ Identität aufpassen musste. Am Anfang seiner Überlegungen dachte Wise auf keinen Fall an ein bloß theologisches Seminar, weswegen er einen intensiven Briefwechsel mit eigenen europäischen Gelehrten anfing, deren Werke er im Begriff war zu übersetzen, und die bereits eine gewisse Erfahrung mit der Begründung beziehungsweise mit der Konzeption eines rabbinischen Ausbildungszentrums hatten. Selbstverständlich war Zacharias Frankel sein erster und wichtigster Gesprächspartner. An der Klau Library des Hebrew Union College sowie am American Jewish Archives in Cincinnati gibt es keine Spur der Briefe Frankels an Wise, während einige Briefe von Wise an Frankel, die vom Januar 1853 bis Februar 1856 geschrieben wurden – sich am Jewish Historical Institute in Warschau befinden, wohin ein großer Teil der Bibliothek und des Archivs des Jüdisch-Theologischen Seminars von der Roten Armee im Sommer 1945 gebracht wurde.23 Vor einem Jahr hatte ich Zugang zu den noch nicht katalogisierten Briefen von Wise an Frankel. Obwohl meine Forschung von der Einseitigkeit dieses Briefwechsels beeinträchtigt worden ist, war es mir trotzdem möglich, die Hauptlinien dieses intellektuellen Austauschs zu rekonstruieren. Im Briefwechsel zwischen 1851 und 1852 kommt es sehr deutlich vor, dass sich Wise der Überlegenheit Frankels als Gehlerter völlig bewusst war. Zum Beispiel schreibt Wise in einem auf den 28. November 1852 datierten Brief: „Ich weiss nicht, ob es ausreichende kulturelle und religiöse Voraussetzungen in den jüdischen amerikanischen Gemeinden vorhanden sind, um ein rabbinisches Seminar gründen zu können: Mir fehlt auch die Weite Ihrer 23 David S. Loewinger/Bernard D. Weinryb (Ed.), Catalogue of the Hebrew Manuscripts in the Library of the Juedisch-Theologisches Seminar in Breslau, Breslau, VI – X. Für die Geschichte der Bibliothek des Jüdisch-Theologischen Seminars nach dem Krieg siehe auch: Carsten Wilke, Von Breslau nach Mexiko: Die Zerstreuung der Bibliothek des Jüdisch-theologischen Seminars, in: Birgit E. Klein/Christian E. Mller (Hg.), Memoria – Wege jüdischen Erinnerns. Festschrift für Michael Brocke zum 65. Geburtstag, Berlin 2005, 315 – 338.

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Kenntnis, um alle vielschichtigen religiösen und wissenschaftlichen Aspekte des Judentums in einer und derselben Institution zusammenfassen zu können.“

Dasselbe Problem findet einen deutlichen Widerhall in der späteren Erinnerung eines der ersten Mitglieder des Hebrew Union College, Solomon Wolfenstein, der im Jahr 1924 schrieb: „When I attended the College examination in May or June, 1878, Rabbis Morais and Zirndorf […] were my colleagues. I did not find much of the program we had prepared carried out. Wise had cut down the scientific and theoretic subjects, laying stress upon matters touching and pertaining to practical life.“24

Auf jeden Fall beabsichtigte Isaac M. Wise in seinen Vorbereitungsplänen für die Gründung des Union Hebrew College – wie der Briefwechsel mit Frankel zeigt –, eine Institution ins Leben zu rufen, die alle allgemeinen Abteilungen der Wissenschaften sowie der klassischen Studien mit der religiösen rabbinischen Ausbildung in Einklang bringen sollte. Meines Erachtens ist es sehr aufschlussreich, den ersten pädagogischen Entwurf des Hebrew Union College mit dem Entwurf Frankels für das Jüdisch-Theologische Seminar zu vergleichen, da beeindruckende Ähnlichkeiten zwischen beiden Entwürfen bestehen. In seinem am 19. August 1853 auf The Asmonean veröffentlichten Plan for a Hebrew College schrieb Wise: „Such a college must be located in the city which is in possession of good libraries, hence where a good university, or college, or academy, exists, so that the students by an arrangement with the directors are enabled to study there all the branches of mathematics, physical sciences, and the general branches of belles lettres, the commercial sciences, and the classical studies. All the remaining professorships would be these: 1) One of the Bible, its commentaries and Hebrew language; 2) One for the Mishna, Talmud and Aramaic language; 3) One for history of the Israelitish people and its literature; 4) One for rethoric, logic and moral philosophy; 5) One for Pedagogics, etc.“25

Kurz vor der Veröffentlichung seines Programms hatte sich der Briefwechsel zwischen Frankel und Wise gerade auf dieses Thema konzentriert, 24 American Israelite, (Seventieth Anniversary Supplement, 24 July 1924) 71/2. Siehe auch: Sefton D. Temkin, Isaac Mayer Wise. Shaping American Judaism, Oxford 1992, 283; in Temkins Werk wird Zacharias Frankel ein einziges Mal erwähnt (S. 258) und es fehlt jede Spur einer Verbindung zwischen dem Hebrew Union College und dem Jüdisch-Thelogischen Seminar zu Breslau. 25 James G. Heller, Isaac M. Wise. His Life, Work and Thought, New York 1965, 224.

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nämlich die pädagogische Struktur eines modernen rabbinischen Seminars. Im Juni 1853 skizzierte auch Frankel das Programm für sein JüdischTheologisches Seminar, das er genau ein Jahr später veröffentlichte, und dessen Entwurf er Wise vor der Veröffentlichung des Aufsatzes Plan for a Hebrew College schickte. Im Programm von Frankel liest man: „Kaum bedarf es der Erwähnung, dass allgemeine gelehrte Bildung, wie sie auf Gymnasien und Universitäten erworben wird, in den Studienkreis des jüdischen Theologen fällt. Die jüdische Wissenschaft hat immer die edleren Teile der jedesmaligen Zeitbildung mit dem eigenen Geiste zu durchdringen und in sich aufzunehmen gewusst. Der Jünger der jüdischen Theologie muss daher befähigt werden, die jüdische und die allgemeine Wissenschaft in ihrer Zusammengehörigkeit zu erfassen und sich von der bei einseitiger Bildung zu beängstigenden und verwirrenden Zweifeln führenden Meinung eines unversöhnlichen Widerstreits der einen gegen die andere zu befreien. Hiernach sind als Lehrgegenstände des Seminars folgende zu verzeichnen: Heilige Schrift und deren Exegese, mit Einschluss der Targumim, hebräische und aramäische Sprache; Geographie von Palästina. Historische und methodologische Einleitung in Mischna und Talmud; babylonischer und palästinensischer Talmud. Klassische Sprachen und Realien. Geschichte der Juden verbunden mit der Geschichte der jüdischen Literatur. Midraschim. Religionsphilosophie und Ethik nach jüdischen Quellen. Rituelle (talmudische Praxis). Geist des mosaisch talmudischen Kriminal- und Civilrechts mit besonderer Hervorhebung des mosaisch-talmudischen Eherechts. Pädagogik und Katechetik, Homiletik. In dieses Verzeichnis sind die Universitätsstudien nicht aufgenommen, weil die Zurücklegung derselben an der Universität auch für den Seminaristen am angemessensten erscheint.“26

Zu dieser Zeit war das Jüdisch-Theologische Seminar in Breslau die einzige jüdische Institution, die einen offiziell anerkannten Austausch mit anderen Hochschulen hatte. Sowohl die später gegründete Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin sowie das Jüdische Lehrhaus in Frankfurt am Main scheiterten wegen der Opposition der hessischen sowie der preußischen Regierung in ihrem Versuch, mit den lokalen Universitäten zusammenzuarbeiten. Wahrscheinlich wegen der Wichtigkeit, die Frankel der Zusammenarbeit mit den Hochschulen gab, trat Wise in Kontakt mit der Universität in Cincinnati sogar vor der Begründung des Hebrew Union College (die University of Cincinnati wurde im Jahr 1873 eröffnet, nämlich zwei Jahre vor der Begründung des Hebrew Union College) und im Jahr 1885 wagte er sogar, diese Universität zu kritisieren, weil sie seines Erachtens keine erstklassige (im Sinne von weitgefächerte) wissenschaft26 Frankel (s. o. Anm. 19), 4 – 5.

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liche säkulare Ausbildung anbieten konnte. In der amerikanischen Geschichte war es das erste Mal, dass der Leiter einer religiösen Institution wagte, das wissenschaftliche Programm einer säkularen Einrichtung zu kritisieren. An dieser Stelle muss es nicht verschwiegen werden, dass sowohl Frankel als auch Wise in ihren Programmen auf die Notwendigkeit einer jüdischen wissenschaftlichen Institution auch für die Frauen hinwiesen; darüber hinaus eröffneten beide ihre Seminare den Nicht-Juden, obwohl in den ersten Jahren seiner Tätigkeit nur jüdische Studierende das Hebrew Union College besuchten, während kein Nicht-Jude sich je am JüdischTheologischen Seminar bewarb. Auch nach der Eröffnung des Hebrew Union College und nach dem Tod von Frankel im Jahr 1875 haben wir Beweise über das gebliebene Interesse von Wise am Jüdisch-Theologischen Seminar. Obwohl Frankel seit 1850 in Europa sowie in den USA als einer der ausständigen Repräsentanten der jüdischen konservativen Bewegung bekannt wurde, blieb das Jüdisch-Theologische Seminar in den Augen von Wise – zumindest unter einem wissenschaftlichen Blickwinkel – viel attraktiver als die Hoschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. Im Jahr 1846 hatte Wise auch die Gelegenheit, Abraham Geiger in Breslau kennenzulernen27, und Geiger warnte ihn davor, einen Kontakt mit Zacharias Frankel sowie mit seiner konservativen Konzeption des Judentums herzustellen. Als Wise im Jahre 1899 einen Aufsatz aus Anlass des Todes von Samson Raphael Hirsch veröffentlichte, erwähnte er die jüdischen Intellektuellen, die seines Erachtens im 19. Jahrhundert den größten Einfluss auf das jüdische Leben sowie auf das jüdische Denken ausgeübt hatten: „The radical Holdheim; the liberal, scientific Geiger; the conservative, scientific Frankel; and the out-and-out Rabbinic-cabbalistic Hirsch.“28

27 Bevor Wise in die Vereinigten Staaten auswanderte, traf er sich mit den relevantesten jüdischen und nicht-jüdischen Intellektuellen seiner Zeit, unter anderem Berthold Auerbach, Franz Delitsch, Julius Fürst, Ludwig Philippson, Leopold Stein und Michael Jehiel Sachs. 28 The American Israelite, Bd. 35, 1899, 4.

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III. Das Verhältnis zwischen Breslau und Cincinnati nach der Eröffnung des Hebrew Union College In den 1880er verschärfte Wise seine Versuche, Lehrende und ehemalige Studenten des Jüdisch-Theologischen Seminars nach Cincinnati zu ziehen: 1891 wurde z. B. Gotthard Deutsch, ehemaliger Student des JüdischTheologischen Seminars, auf eine Professur für Jüdische Geschichte und Philosophie am Hebrew Union College berufen, wo er dreißig Jahre lang arbeitete (1891 – 1921). Wie man vom Briefwechsel zwischen Wise und Frankel herausstellen kann, war ein solches wissenschaftliches Interesse gegenseitig: Im auf den 26. Chesvan 5646 (4. November 1885, zehn Jahre nach dem Tod Frankels) datierten Protokoll einer Gremiumssitzung liest man, dass das Jüdisch-Theologische Seminar beschloss, der Bibliothek des Hebrew Union College ein Exemplar aller nachfolgenden Veröffentlichungen des Jüdisch-Theologischen Seminars zu schicken, so dass die Klau Library heute die vollständigste Sammlung für die Rekonstruktion der wissenschaftlichen, religiösen und pädagogischen Geschichte dieses Seminars aufbewahrt.29 Am Jewish Historical Institute in Warschau findet man auch viele Empfehlungsbriefe von Albert Lewkowitz – von 1914 bis 1939 Dozent für Religionsphilosophie und Religionspädagogik am Jüdisch-Theologischen Seminar –, die er in den 20er Jahren dem Hebrew Union College schickte, damit einige Studenten von ihm Unterstützung für den Antrag auf das amerikanische Visum bekommen konnten. Lewkowitz erwähnt in diesen Briefen auch den zunehmenden Antisemitismus, der seines Erachtens „sehr bald die rabbinische Ausbildung in Europa sinnlos machen wird.“30 Guido Kisch, Professor für jüdische Rechtsgeschichte in Breslau und im Jahr 1963 Herausgeber eines Gedächtnisbandes über die intellektuelle Geschichte des Jüdisch-Theologischen Seminars, übersandte in den 1920er Jahren dem Hebrew Union College viele Empfehlungsschreiben (später unterrichtete Kisch von 1937 bis 1950 jüdische Geschichte am Jewish Institute of Religion in New York); heutzutage sind die Empfehlungsschreiben im Besitz der American Jewish Archives in Cincinnati. Es war kein Zufall, dass vor bzw. unmittelbar nach der nazistischen Machtübernahme viele Studenten und Lehrenden des Jüdisch-Theolo29 Für die Geschichte der Bibliothek des Jüdisch-Theologischen Seminars siehe: Wilke (s. o. Anm. 23). 30 Brief ans Gremium des Hebrew Union College, der am 20. November 1921 geschrieben wurde (Literaturangabe fehlt).

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gischen Seminars vom Gremium des Hebrew Union College geholfen wurden, um in die Vereinigten Staaten auswandern zu können, darunter der Musikwissenschaftler Eric Werner, der von 1939 bis 1948 Professor für jüdische Musik und Leiter der musikwissenschaftlichen Abteilungen am Hebrew Union College war und von 1949 bis zu seinem Tod als Professor für jüdische Musikwissenschaft am Hebrew Union College in New York war, und Matitiahu Tsevat, Professor für Altes Testament am Hebrew Union College in Cincinnati. Tsevat war einer der achtunddreißig Breslauer rabbinischen Studenten, der eine Reisegenehmigung nach Palästina noch bekommen konnte. Die Empfehlungsbriefe des Hebrew Union College halfen vielen anderen Studenten nach Palästina als „Zwischenstopp“ während ihrer Reise in die USA auszuwandern. Auch Leo Baeck – von 1891 bis 1894 rabbinischer Student in Breslau – wanderte unmittelbar nach seiner Befreiung in Theresienstadt nach London und dann in die USA aus, wo er regelmäßig am Hebrew Union College unterrichtete; die Klau Library besitzt noch Exemplare seiner „Monday’s Lectures“. Dieser kurzer Überblick zeigt, dass sich die Beziehung zwischen dem Jüdisch-Theologischen Seminar und dem Hebrew Union College nicht ausschließlich auf die Lebenszeit von Wise und Frankel beschränkte, sondern bis zur erzwungenen Schließung des Jüdisch-Theologischen Seminars sorgfältig weiter gepflegt wurde.

IV. Schluss Wegen der moderaten Stellungnahme zwischen orthodoxem und reformiertem Judentum sowie wegen der beträchtlichen Zahl von ehemaligen Breslauer rabbinischen Studenten, die sich innerhalb der konservativen Bewegung profilierten, scheint das Jüdisch-Theologische Seminar aus einer reformierten Perspektive in Vergessenheit geraten zu sein, so dass kein Historiker bis heute den Ursprung des Hebrew Union College auf das Jüdisch-Theologischen Seminar zu Breslau zurückgeführt hat. Unter einem wissenschaftlichen Blickwinkel zeigt das JüdischTheologische Seminar außerdem, dass die „Wissenschaft des Judentums“ keine Erfindung von Abraham Geiger und die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin nicht der einzige Versuch war, eine neue Verbindung zwischen Religion und Wissenschaft nach den Herausforderungen der Aufklärung herzustellen. Sowie Zacharias Frankel als auch Isaac M. Wise haben in ihre jeweiligen Institutionen einen Begriff von kritischer Religionsphilosophie

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eingeführt, die aus der Religion ein mit den Instrumenten der Wissenschaft31 nachweisbares Kulturphänomen macht, das in diesem Kontext auf den Anspruch zur absoluten Wahrheit verzichten kann, obwohl ein solcher Anspruch die Grundlage aller Religionen als bestimmter Glaubensinhalte ist. Das Judentum als Religion stellt Gott nicht mit der Wahrheit gleich: Das Prinzip des Adonay derekh laemet (Gott ist der Weg zur Wahrheit) 32 bedeutet nicht nur, dass die ontologische Natur der Wahrheit mit dem ontologischen Wesen Gottes nicht identisch ist (unter diesem Blickwinkel bleibt die Wahrheit eine Stufe darunter) sondern auch dass die Wahrheit ausschließlich als Zielorientierung des menschlichen Handelns in seinen unzahlbaren Verwirklichungsmöglichkeiten zu begreifen ist. Adonay derekh laemet basiert auf Mi 6,8: „Er [Gott] hat Dir gezeigt, oh Mensch, was das Gute ist.“ Das Gesetz sowie seine Auslegung durch alle möglichen Instrumente der Wissenschaft sind das theoretische und praktische Werkzeug für die Verwirklichung des Guten als Wahrheit der göttlichen Botschaft. Aus diesem Grund war das Ziel des Jüdisch-Theologischen Seminars sowie des Hebrew Union College nicht nur die bloße Ausbildung von Seelsorgern, sondern auch und vielmehr die Ausbildung von Wissenschaftlern, die eine solche Konzeption der Religion sowie der kritischen Religionsphilosophie weiterpflegen konnten. Inwieweit die Stellungnahme von Zacharias Frankel und Isaac M. Wise ein realisierbares Modell für die heutigen religiösen Institutionen ist, überschreitet die Grenzen meiner Untersuchung. Auf jeden Fall wäre es wünschenswert, dass die Aufmerksamkeit auf die kritische Religionsphilosophie auch in der aktuellen politischen Debatte über den „Religionsstreit“ eine akzentuiertere Rolle spielte: „Welche Zukunft erwartet uns sonst?“33

31 Hier gemäß dem Prinzip der Wiederholbarkeit desselben Ergebnisses nach derselben Überprüfung gemeint. 32 An dieser Stelle möchte ich den Unterschied mit dem Motto Jesus’ unterstreichen: „Ich bin der Weg, die Wahrheit, das Leben.“ Siehe Joh 14,6, kursiv von F.Y.A.. 33 Frankel, Jahresschau (s. o. Anm. 19), 16: „Schöpfung eines Seminars! So mahnet dringend der trostlose Zustand der Gegenwart, rufen mit Donnerstimmen die Dahingeschiedenen, die an Glauben und Lehre ihr Leben setzen, um sie noch dem tausendsten Geschlechte zu überliefern, mahnt der in Feuerflammen gegebene Bund, durch den Israel für immer bestehen soll. Eine Stätte der Lehre, eine Stätte für Bildung zur Lehre: welche Zukunft erwartet uns sonst?“.

Der Mythos vom „Dritten Reich“ Günter Frank I. Der biblisch-theologische Ursprung des Chiliasmus Der Satan, Inbegriff des Bösen in der Welt, wird für 1000 Jahre in den Abgrund geworfen und in Fesseln gelegt. Gleichzeitig werden die Märtyrer, die um ihres Zeugnisses für die Offenbarung willen ihr Leben ließen, 1000 Jahre lang an der Herrschaft Christi teilhaben. Darauf wird der Satan, der Antichrist, noch einmal losgelassen, um gegen die Schar der Heiligen zu kämpfen; am Ende jedoch, nachdem endgültig alle gottfeindlichen Gewalten beseitigt und besiegt sind, werden alle von den Toten auferweckt werden und mit Jesus Christus als Könige für 1000 Jahre herrschen. Diese drei Stadien der Heilsgeschichte münden ein in die Vision des künftigen Jerusalems, eines neuen Himmels und einer neuen Erde, die nach dem Untergang des ersten Himmels und der ersten Erde hervorgehen, in dem es keine Tränen und keinen Tod, keine Trauer, kein Klageschrei und keine Mühsal geben werde, weil das Frühere vorbei ist. – Diese heilsgeschichtliche Auslegung, die der Verfasser der Apokalypse des Neuen Testamentes in den Kapiteln 20, 1 – 10 und 21, 1 – 5 vorgelegt hatte, ist der Kern des sogenannten Chiliasmus (w¸kia 5tg [tausend Jahre]) oder des Millenarismus.1 Zentrale Strukturelemente dieser heilsgeschichtlichen 1

Zu einer allgemeinen Einführung sei verwiesen auf folgende Lexika-Artikel: Wolfgang Biesterfeld, „Chiliasmus“, in: HWP 1 (1971), 1001 – 1005; Otto Bçcher u. a., „Chiliasmus“, in: TRE 7 (21993), 723 – 745; Daria Pezzoli Olgiati u. a., „Chiliasmus“, in: RGG (41999), 136 – 144; Franz Laub u. a., „Chiliasmus“, in: LThK 2 (31994), 1045 – 1049; vgl. darüber hinaus: Hans Bietenhard, Das tausendjährige Reich. Eine biblisch-theologische Studie, Zürich 1955, eine ausführliche Studie über die biblischen Grundlagen des Chiliasmus; Norman Cohn, Das Ringen um das Tausendjährige Reich. Revolutionärer Messianismus im Mittelalter und sein Fortleben in den modernen totalitären Bewegungen (Originaltitel: The pursuit of the millennium) (London 1957) Bern/München 1961, eine Untersuchung zum mittelalterlichen Chiliasmus mit Bezügen zu den modernen Massenbewegungen des 20. Jahrhunderts; Burchard Brentjes, Der Mythos vom Dritten Reich. Drei Jahrtausende Traum von der Erlösung, Hannover 1997.

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Konstruktion sind eine sich in der Geschichte ereignende Abfolge von Zeitaltern mit dem Ziel ihrer Vollendung und dem Ende ihrer eigenen „Vorgeschichte“, eine progressive Geschichtsteleologie mit Gott als Subjekt dieser Geschichte. Mit dieser temporal-geschichtlichen Struktur unterscheidet sich der Chiliasmus prinzipiell von den sogenannten Raumutopien, wie sie aus der platonisch-neuplatonischen Tradition hervorgegangen sind und in der frühen Neuzeit mit Thomas Morus’ (1478 – 1535) Von der besten Staatsverfassung und von der neuen Insel Utopia und Tommaso Campanellas (1568 – 1639) Sonnenstaat oder Idee einer philosophischen Republik ihre Wirkung entfaltet haben.2 Zwar „lassen sich […] auch die Nirgendwos, die räumlichen Gegenwelten der überkommenen Utopien als potentielle Zukunftsvisionen lesen […] Daraus mag dann eine irreale oder gar potentielle Zukunft der eigenen Welt abgeleitet werden. Aber was fehlt, ist grundsätzlich die zeitliche Zukunftsdimension als Medium der Utopie, während es schon vergangenheitsbezogene Utopien in größerer Zahl gab.“3

Der Chiliasmus entzündet sich an einem theologisch äußerst komplizierten Problem, das mit der Endzeiterwartung zu tun hat. Denn die spätjüdische und noch mehr die neutestamentliche Endzeiterwartung vor allem in der jesuanischen „Reich-Gottes-Verkündigung“ – und nicht nur die Apokalyptik – zielt gleichzeitig auf die Vollendung dieser Welt am Ende der Zeit im Reich Gottes, das doch nicht von dieser Welt ist, und der Vorstellung, dass dieses Reich Gottes bereits angebrochen, das heißt geschichtlich antizipierend schon Wirklichkeit ist (Lk 17, 20 f.).4 Diese beiden spannungsreichen Deutungen wenden sich also gegen zwei gegensätzliche Optionen, einerseits die Annahme, dass die Geschichte kein Heil, andererseits aber auch gegen die Annahme, dass das Heil keine Geschichte habe. Dieser grundlegende Zusammenhang von „Heil“ und „Geschichte“ eröffnet aber erst das für den Chiliasmus eigentümliche 2

3 4

Vgl. hierzu ausführlich die interdisziplinären Studien in dem Sammelband: Wilhelm Vosskamp (Hg.), Utopieforschung, 3 Bde., Stuttgart 1985; Zu diesem zentralen temporalen Strukturelement im Gegenüber zu den Raumutopien vgl. Reinhart Koselleck, Die Verzeitlichung der Utopie, in: Wilhelm Vosskamp (Hg.), Utopieforschung, 3 Bde., Stuttgart 1985, Bd. 3, 1 – 14. Ebd., 2. Aufgrund dieser temporal-geschichtlichen Zukunftsdimension ist es wichtig, begrifflich und systematisch scharf zwischen dem Chiliasmus und der Utopie zu unterscheiden. Zur Diskussion dieses eschatologischen Grundproblems und ihrer geschichtlichen Deutungen vgl. Johann Auer, Eschatologie. Tod und ewiges Leben, Regensburg 5 1978, bes. 33 – 49 (KKD IX).

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Konfliktpotential: Denn auf der einen Seite muss eine theologische Endzeiterwartung auf das geschichtlich Antizipierende des kommenden Gottesreiches insistieren und doch gleichzeitig jegliche, sich in einem konkreten „hier“ und „jetzt“ ereignende geschichtliche Erfüllung des Endzeitzustandes kategorisch ablehnen.

II. Joachim von Fiore und die Folgen Solche Endzeiterwartungen, die sich am Chiliasmus orientieren, sind auch für die erste Jahrtausendwende nachweisbar.5 Kombiniert man jedoch einen solchen, sich in drei Stadien ereignenden temporalen Geschichts5

Aus der umfangreichen Literatur sei hier verwiesen auf folgende Studien: Carl Erdmann, Endkaiserglaube und Kreuzzugsgedanke im 11. Jahrhundert, in: ZKG 51 (1932), 384 – 414; Gian Andri Bezzola, Das ottonische Kaisertum in der französischen Geschichtsschreibung des 10. und beginnenden 11. Jahrhunderts, Graz / Köln 1956; Arno Borst, Computus. Zeit und Zahl im Mittelalter, in: DA 44 (1988), 1 – 82; Claude Carozzi, Eschatologie et au-delà. Recherches sur l’Apocalypse de Paul, Aix-en-Provence 1994; Ders., La géographie de l’au-delà et sa signification pendant le Haut Moyen Age, in: Popoli e paesi nella cultura altomedievale, Spoleto 1983, 423 – 483 (SSAM 29,2); Ders., Le voyage de l’âme dans l’au-delà d’après la littérature latine (Ve-XIIIe siècle), Rome 1994 (CEFR 189); Ders., Weltuntergang und Seelenheil. Apokalyptische Visionen im Mittelalter, Frankfurt a.M. 1996; Josef van Ess, Chiliastische Erwartung und die Versuchung der Göttlichkeit. Der Kalif al-Hakim (386 – 411), Heidelberg 1977; Johannes Fried, Endzeiterwartung um die Jahrtausendwende, in: DA 45 (1989), 381 – 473; Robert Konrad, De ortu et tempore Antichristi. Antichrist und Geschichtsbild des Abtes Adso van Montier-en-Der, Kallmünz 1964; Daniel Verhelst, Adso van Montier-en-Der de angst voor het jaar Duizend, in: Tijdschrift voor geschiedenis 90 (1977), 1 – 10; Georg Kretschmar, Die Offenbarung des Johannes. Die Geschichte ihrer Auslegung im 1. Jahrtausend, Stuttgart 1985; Hans Martin Schaller, Endzeit-Erwartung und Antichrist-Vorstellungen in der Politik des 13. Jahrhunderts, in: Max Kerner (Hg.), Ideologie und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 1982, 303 – 331 (WdF 530); Christian Schneider, Prophetisches Sacerdotium und heilsgeschichtliches Regnum im Dialog 1073 – 1077. Zur Geschichte Gregors VII. und Heinrichs IV, München 1972 (MMAS 9); Gerd Tellenbach, Die westliche Kirche vom 10. bis zum frühen 12. Jahrhundert, Göttingen 1988 (KiG.F1); Bernhard Tçpfer, Das kommende Reich des Friedens. Zur Entwicklung chiliastischer Zukunftshoffnungen im Hochmittelalter, Berlin 1964; Ders., Vorstellungen von einem ursprünglichen und einem endzeitlichen Idealzustand als Ausdruck utopischen Denkens im Mittelalter (unter besonderer Berücksichtigung von Interpretationen des Kapitels Dilectissimis der Causa VII des Decretum Gratiani) bis zum frühen 14. Jahrhundert, in: HZB 20 (1995), 387 – 406.

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verlauf mit der biblischen Generationenlehre, so ergeben sich 42 Generationen von Adam bis zu Hosea, das heißt 1260 Jahre als die Zeit des ersten Reiches und nochmals 42 Generationen seit Hosea über Jesaja und Christus als die Zeit des zweiten Reiches, das dann um 1200 also durch das dritte Reich abgelöst werden müsste. Das ist dann die geschichtliche Situation Joachim von Fiores († 1202), des berühmten kalabresischen Abtes, und der Beginn der im Mittelalter als Joachimiten bekannten Bewegung.6 Joachim hatte bekanntlich der Heilsgeschichte des Alten und Neuen Testamentes eine trinitarische Deutung7 gegeben und in der Hoffnung gelebt, dass sich seine Zeit, das ergab sich aus der Kombination mit der biblischen Generationenlehre, am Vorabend des Höhepunktes der Geschichte befindet. Das Alte Testament war das Reich Gottes des Vaters, in dem ein ferner Gott verehrt wurde, der äußere Unterwerfung verlangte. Das Neue Testament brachte das Reich des Sohnes, das Reich der Kirche und der Priester. Nach Ablauf von wiederum 1260 Jahren erscheint das dritte Reich, das Reich des Geistes, das Joachim erstmals als eine Lebensform im geschichtlichen Weltzustand verstand. Dieses „Dritte Reich“ werde das Reich der verwirklichten Bergpredigt sein, ein Reich des Friedens und des unmittelbaren Gottesbezuges jedes einzelnen Menschen, das Joachim vor allem im 6

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Joachim hatte diese Kombination in seiner „Epistola“ des „Liber figurarum“ entwickelt, der um 1200 verfasst wurde (ND: Turin 21953). Vgl. zum Folgenden ausführlich: Herbert Grundmann, Studien über Joachim von Floris, Leipzig / Berlin 1927; Ders., Neue Forschungen über Joachim von Fiore, Marburg 1950; Ernst Benz, Ecclesia spiritualis. Kirchenidee und Geschichtstheologie der franziskanischen Reformation, Stuttgart 1934; Wilhelm Kamlah, Apokalypse und Geschichtstheologie. Die mittelalterliche Auslegung der Apokalypse vor Joachim von Fiore (Historische Studien 285), Berlin 1935; Alfons Rosenberg (Hg.), Joachim von Fiore: Das Reich vom heiligen Geist, München/Planegg 1955; Tçpfer (s. o. Anm. 5); Kurt-Victor Selge, Joachim von Fiore in der Geschichtsschreibung der letzten sechzig Jahre. Ergebnisse und offene Fragen in: Atti del II Congresso Internazionale di Studi Gioachimiti, Nr. 6 – 9 Settembre 1984 (1986), 31 – 53; Ders., Joachim von Fiore, in: Reformer als Ketzer. Heterodoxe Bewegungen von Vorreformatoren, hg. v. Günter Frank/Friedrich Niewçhner, Stuttgart 2004 (MSB 8), 123 – 144; Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli, Stuttgart 1987, bes. 240 – 243; Robert E. Lerner, „Joachim von Fiore“, in: TRE 17 (21993), 84 – 88; Wilhelm SchmidtBiggemann, Philosophia perennis. Historische Umrisse abendländischer Spiritualität in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit, Frankfurt 1998, bes. 602 – 620; Malcolm Lambert, Häresie im Mittelalter. Von den Katharern bis zu den Hussiten, Darmstadt 2001, bes. 202 – 223; Concordia novi ac veteris testamenti, (ca. 1191), Venedig 1519 = Frankfurt a.M. 1983.

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Ideal des Mönchtums gegeben sah. Joachim hatte damit erstmals die Johannes-Apokalypse temporal-geschichtlich gedeutet und den Anbruch des „Dritten Reiches“ geschichtlich bestimmt als eine Umwandlung der „ecclesia activa“ in eine „ecclesia contemplativa“.8 Natürlich hatte der Chiliasmus im Sinne einer „temporalen Eschatologie“ auch in der Zeit der Patristik für Diskussionen gesorgt, so bei Justin9, Irenäus10 oder Tertullian11. Für die für die Tradition jedoch verbindlich gewordene Deutung sorgte Augustin12. Augustin verzichtete gänzlich auf ein Verständnis des tausendjährigen Reiches im Sinne einer temporalen Eschatologie und interpretierte das chiliastische Konzept ekklesiologisch: „Die Kirche ist also jetzt schon das Reich Christi und das Himmelreich“.13 Für Augustin war die Geschichte des tausendjährigen Reiches vor allem ein Thema der Kirche, wobei die Kirche selbst die antizipierende Wirklichkeit des neuen Reiches darstellt. Auch in Folge der temporal-geschichtlichen Dynamisierung des Chiliasmus durch Joachim von Fiore blieb diese ekklesiologische Deutung die lehramtlich verbindliche. So war auch für Thomas von Aquin klar, dass die tausend Jahre die ganze Zeit der Kirche ist.14 Folglich wird ausdrücklich die Vorstellung eines temporal-geschichtlich bestimmbaren Anbruchs des Dritten Reiches, wie dies Joachim prophezeit hatte, abgelehnt.15 Trotz dieser einhelligen lehramtlichen Front fand der Chiliasmus im Mittelalter eine weite, wenn auch nicht in allen historischen Details belegte und belegbare Verbreitung. Von erheblichem Einfluss dürfte die Deutung des Franziskaners Alexander von Bremen († 1271) Expositio in Apocalypsim gewesen sein, der in den einzelnen Visionen der Apokalypse den Gang der

8 Expositio in Apocalypsim, (ca. 1196) Venedig 1527 = Frankfurt 1964 = Toronto 1986. 9 Justin, Dialog mit Tryphon, 113,3 – 5; 119,5; 139,4 f. 10 Irenus, Adv. Haer. V,23. 11 Tertullian, Marc. III,4,5. Zur chiliastischen Tradition in der frühen Kirche vgl. die Überblicke bei: Alfred Wikenhauser/Josef Schmid, Einleitung in das Neue Testament, Leipzig 61973, bes. 643 – 648; Biesterfeld (s. o. Anm. 1), bes. 1002 f; Bçcher (s. o. Anm. 1), 729 – 733. 12 Augustinus, De civ. Dei 20,6 – 9. 13 Ebd. 20,9. 14 Thomas von Aquin, S.Th. III, Suppl. qu. 77, a1 – a3. 15 Ebd., a2. Lehramtlich verbindlich wurde diese Ablehnung jeglicher Form des Chiliasmus durch das Dekret des römischen Offiziums vom 19. Juli 1944 (DS 3839).

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Kirchen- und Weltgeschichte prophetisch dargestellt zu finden meinte.16 Joachimitisches Gedankengut lebte sowohl in einer gewissen Guglielma weiter, die als eine Inkarnation des Heiligen Geistes verehrt wurde, wie auch in dem berüchtigten Fra Dolcino, unehelicher Sohn eines Priesters aus der Diözese von Novara, der sich in einem Manifest um 1300 als unmittelbare Inspiration des Heiligen Geistes ausgab und für das bevorstehende Zeitalter eine führende Rolle beanspruchte.17 Seine unter seiner Führung entstandene Bewegung breitete sich rasch aus und führte zu einem Aufruhr. Zu nennen sind hier auch Petrus Johannis Olivis Lectura super Apocalipsim, Mitglieder des „linken Flügels“ der Franziskaner, die sogenannten Spiritualen und Fraticelli, die wiederum einen unmittelbaren Einfluss auf die Tertiarier, eine kleine elitäre Bewegung frommer Franziskaner, und die Beginen in Südfrankreich ausübten. Auch für die Bewegung der Brüder des Freien Geistes in Deutschland, Schlesien und Böhmen sind joachimitische Gedanken belegt.18

III. Zum Chiliasmus im oströmischen Reich Was die Tradition des Chiliasmus im griechischen Osten anbelangt, so liegt deren Geschichte weitgehend im Dunkeln. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass die Anerkennung der Kanonizität der Johannes-Apokalypse unter den führenden Theologen weit weniger einhellig war.19 Weder Johannes Chrysostomus, noch Theodor von Mopsuestia oder Theodoret scheinen sie überhaupt zu kennen. Gregor von Nazianz zitiert sie zwar, aber mit dem Zusatz, dass die meisten sie für unecht erklären.20 Für die Blütezeit der byzantinischen Exegese ist kein Kommentar zur JohannesApokalypse belegt. Johannes von Damaskus scheint zwar die Apokalypse 16 Ausführlich hierzu Alois Wachtel, Die weltgeschichtliche Apocalypse-Auslegung des Minoriten Alexander von Bremen, in: FSt 24 (1937), 201 – 259; Alois Wachtel editierte auch die erste kritische Ausgabe der „Expositio in Apocalypsim“ (Monumenta Germaniae Historica. Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 1), Weimar 1955. 17 Vgl. zum Folgenden: Bçcher u. a. (s. o. Anm. 1), 734 – 737; Pezzoli-Olgiati u. a. (wie Anm. 1), 138 f; Lambert (wie Anm. 6), besonders 208 – 223. 18 Alexander Patschowsky, Straßburger Beginenverfolgungen im 14. Jahrhundert, in: DA 30 (1974), 56 – 198; Raoul Allier, Les fréres du libre esprit, in: Théodore Reinach u. a. (Éd.), Religions et societés, Paris 1905; Robert E. Lerner, The Heresy of the Free Spirit in the Later Middle Ages, Berkeley 1972. 19 Zu einer Übersicht vgl. Wickenhauser/Schmid (s. o. Anm. 11), bes. 643 – 648. 20 Jamben an Seleukus 315 ff.

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zu kennen21, zitiert sie aber in seinen Schriften nie. Und auch der Patriarch Photius scheint in seiner Schrift gegen die Manichäer nicht an einer Klärung der Kanonizität der Apokalypse interessiert zu sein. Auf jeden Fall findet er kein Wort des Tadels dafür, dass sie von den Manichäern abgelehnt wurde. Trotz dieses eher dürftigen Befundes muss man auch für den Osten mit einer nicht unerheblichen Virulenz chiliastischen Denkens rechnen. Beleg hierfür ist zunächst die Bewegung des Montanismus, deren Eschatologie von der Weissagung großer Katastrophen, des Weltuntergangs und der Herabkunft des himmlischen Jerusalems bestimmt war.22 Möglicherweise von größerer Bedeutung für den Chiliasmus im Osten war die Bewegung des Paulikianismus, eine markionitisch-manichäische Sekte des 6.–11. Jahrhunderts.23 In seinem Bericht über die Paulikianer hören wir von dem Byzantiner Petros Sikeliotes24, der sich im Auftrag des Kaisers Basileios I. 21 De fide orthodoxa IV 17. 22 Vgl. hierzu: Kurt Aland, Bemerkungen zum Montanismus und zur frühchristlichen Eschatologie, in: Ders., Kirchengeschichtliche Entwürfe, Gütersloh 1960, 105 – 148; Walter Nigg, Das ewige Reich. Geschichte einer Hoffnung, München/Hamburg (1954) 21967, bes. 59 – 130; Paul Bissels, Die frühchristliche Lehre vom Gottesreich auf Erden, in: TThZ 84 (1975) 44 – 47. 23 Aus der umfangreichen Literatur des vergangenen Jahrhunderts sind zu nennen: Karapet Ter-Mkrttschian, Die Paulikianer im byzantinischen Reich, Leipzig 1893; Steven Runciman, Häresie und Christentum. Der mittelalterliche Manichäismus (Originaltitel: The Medieval manichee) München (1947) 1988; Felix Scheidweiler, Paulikianerprobleme, in: ByZ 43 (1950), 366 – 384; Teil II in: ByZ 44 (1951), 487 – 494; Rac’ja Mikaelovic Bartikian, Quellen zum Studium der paulizianischen Bewegung, Eriwan 1961; Nina G. Garso an, The Paulician Heresy. A Study of the Origin and Development of Paulicianism in Armenia and the Eastern Provinces of the Byzantine Empire, Den Haag/Paris 1967; Milan Loos, Dualist Heresy in the Middle Ages, Prag 1974; Eugen Roll, Ketzer zwischen Orient und Okzident. Patarener, Paulikianer, Bogomilen, Stuttgart 1978; James Michael George, The dualistic-gnostic Tradition in the Byzantine Commonwealth with special Reference to the Paulician and Bogomil Movements, London 1979; R. Joseph Hoffmann, The paulician Heresy. A Reappraisal, in: The Patristic and Byzantine Review 2 (1983), 251 – 263; Hans-Georg Beck, Vom Umgang mit Ketzern. Der Glaube der kleinen Leute und die Macht der Theologen, München 1993, bes. 70 – 75, 122 – 154, 168 – 171. 24 Dieser Bericht findet sich bei Beck (s. o. Anm. 23), 122 – 154. Von diesem Bericht abhängig sind die Hinweise über die Paulikianer des Abtes Petros, des Patriarchen Photius (um 820 – 891), des fanatischen Gegners aller Bilderfeinde Georgios Monachos (9. Jahrhundert) und des byzantischen Theologen und Exegeten Euthymios Zigabenos (Anfang des 12. Jahrhunderts). Vgl. hierzu auch: Claudia Ludwig, Wer hat was in welcher Absicht wie beschrieben? Bemerkungen zur

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(867 – 886) etwa ein halbes Jahr unter dieser Sekte aufhielt, um über einen Gefangenenaustausch zu verhandeln: (36) Der erste Punkt, woran man sie erkennt, ist die Tatsache, dass sie sich zu zwei Prinzipien bekennen, zu einem schlechten Gott und zu einem guten. Ersterer sei der Schöpfer und Herr dieser irdischen Welt, der andere der Herr der künftigen Welt […]. (38) Sie erklären, das Trennende sei, dass sie sich zu dem einen Gott bekennen, der der Schöpfer der Welt sei, verschieden vom anderen Gott, den sie auch den himmlischen Vater nennen, der aber jetzt noch keine Gewalt über diese Welt habe, sondern erst im zukünftigen Äon, während wir uns zu ein und demselben Gott bekennen, zu dem Schöpfer des Alls und dem Herrn und Herrscher über alles. Und sie sagen zu uns: Ihr glaubt an den Weltenschöpfer, wir aber an den, von dem im Evangelium der Herr sagt: „Weder habt ihr seine Stimme gehört noch seine Gestalt gesehen.“25

Deutlich wird aus diesen Hinweisen über die Lehre der Paulikianer ein Mehrfaches: Der metaphysische Dualismus der manichäischen Theologie von Geist und Materie, Gut und Böse, Licht und Finsternis, scheint bei den Paulikianern transformiert worden zu sein in einen temporal-geschichtlichen Dualismus des Schöpfergottes, der die gegenwärtige Welt regiert, und des künftigen Gottes, der erst in einem künftigen Äon kommen werde. Gleichzeitig konstituiert dieser geschichtliche Dualismus einen Typ einer geschichtlichen „Drei-Äonen-Lehre“: eine frühere Zeit, in der diese beiden Götter völlig verschieden waren, die mittlere, gegenwärtige Zeit, eine Zeit der Vermischung beider, und die zukünftige Zeit, die Zeit des himmlischen Vaters, der erst in einem künftigen Äon kommen werde. Die Quellen selbst bieten keinen Hinweis darauf, ob sich die Paulikianer selbst als Vorboten dieser Endzeit begriffen, ob sie also in einer Art Endzeiterwartung gelebt haben. Dennoch steht diese Vorstellung einer temporalgeschichtlichen Triade von Weltzeitaltern in einer erstaunlichen Nähe zur trinitarischen Struktur der Geschichte, wie sie Joachim von Fiore formuliert hatte. Die Nachwirkungen des Paulikianismus im Mittelalter sind jedenfalls kaum zu unterschätzen. Seit der Jahrtausendwende nach ThraHistoria des Petros Sikeliotes über die Paulikianer. Varia II, Bonn 1987; Wassilios Klein, „Paulicianer“, in: TRE 26 (21996), 127 – 129. Von den Paulikianern besitzen wir keine eigenen Quellen, das heißt wir hören über sie nur von ihren Gegnern, und das heißt vielfach: im Ton der Denunziation. Der Quellenbestand verdeutlicht jedenfalls die Schwierigkeit, Positionen der Paulikianer genau zu formulieren. Andererseits kann gleichzeitig nicht behauptet werden, dass sie völlig wertlos sind. Vgl. hierzu auch den Beitrag des Verfassers, Wirklichkeit und Topik des sogenannten Vorreformatorischen. Der Paulikianismus, in: Niewçhner (s. o. Anm. 6), 57 – 72. 25 Zitiert wird nach Beck (s. o. Anm. 23).

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kien, vornehmlich um Philippopolis, dem heutigen Plovdiv, verlegt, gingen wesentliche Elemente ihrer Lehre eine Symbiose mit der Lehre der Bogomilen ein, eine verwandte Sekte, die einen nachhaltigen Einfluss auf die norditalienischen und südfranzösischen Sekten hatte. Umstritten ist ihr Nachleben in der thondriakischen Bewegung im Osten.26

IV. Die sozialrevolutionäre Deutung des Chiliasmus 1. Hussiten und Taboriten Einen für die Geschichte der Neuzeit bedeutsamen Einschnitt in die Tradition des Chiliasmus stellt die Theologie der Taboriten, eine radikale Abspaltung der Hussiten, dar.27 Hier wird nun erstmals die temporale und sozialrevolutionäre „Ungeduld“ des Chiliasmus offen erkennbar. Politisch verdankte sich die Radikalisierung dieser hussitischen Splittergruppe der Entscheidung des böhmischen Königs Wenzel IV. (1378 – 1419), gegen die um den Laienkelch ringenden sogenannten Utraquisten (communio sub utraque) vorzugehen. Das Verbot des Utraquismus und die Erwägung eines neuerlichen Feldzuges gegen die Hussiten veranlasste eine Vielzahl utraquistischer Gemeinden, sich auf einem Berg in Böhmen – vermutlich dem Nemejice – zu versammeln, dem sie den Namen Tabor gaben. Dieser Ort wurde zum Zentrum des radikalen Hussitentums. Unter der Führung von Martin Huska bildete sich um Tabor eine außergewöhnlich gut ausgerüstete Armee, die nicht nur den königlichen Truppen erfolgreich Widerstand leisten, sondern die sogar selbst über einen Kreuzzug gegen ihre Feinde nachdenken konnte. Mit der Gruppe um Martin Huska war der Chiliasmus erstmals sozialrevolutionär umgedeutet worden. In ihrem Mittelpunkt stand die Überzeugung von der geschichtlichen Umsetzung des Reiches Gottes innerhalb dieser taboritischen Gruppe. Huska selbst glaubte an ein neues Reich Gottes der Heiligen auf Erden, in dem die Guten kein Leid mehr erfahren würden. Die Frage, ob dieses sozialrevo26 Vgl. hierzu: Runciman (s. o. Anm. 23), 66 – 118; Loos (s. o. Anm. 23), bes. 78 – 132; Rudolf Kutzli, Die Bogomilen, Geschichte, Kunst, Kultur, Stuttgart 1977; Ekaterina Papazova, Christen oder Ketzer. Die Bogomilen, Stuttgart 1983; Vrej Nersessian, The Tondrakian Movement. Religious movements in the Armenian church from the fourth to the tenth centuries, London 1987. 27 Vgl. zum Folgenden: Howard Kaminsky, A History of the Hussite Revolution, Berkeley/Los Angeles 1967; Bçcher (s. o. Anm. 1), bes. 735 – 737; Lambert (s. o. Anm. 6), bes. 332 – 359.

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lutionäre Potential, das sich am „kommunistischen Ideal“ der Urgemeinde orientiert, theologische Wurzeln hat28 oder lediglich vor dem Hintergrund der politischen Zeitumstände zu sehen ist29, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. 2. Reformation und Frühe Neuzeit „Im 16. Jahrhundert war der Joachimismus die einzige machtvolle theologische Tradition, die einen Ausblick auf ein künftiges Reich der Glückseligkeit für die Kirche auf Erden, innerhalb der Geschichte, bot.“30 Ihren nachhaltigsten Propheten fand diese Vision zweifellos in Thomas Müntzer, der am 27. Mai 1525 wegen seiner Lehrmeinungen und dem machtvollen Bauernaufstand in Thüringen hingerichtet worden war.31 Müntzer bekannte sich offen zur Vision vom „Dritten Reich“ Joachim von Fiores: „Ihr sollt auch wissen, dass sie diese Lehre (die Heraufkunft einer neuen Kirche) dem Abt Joachim zuschreiben, und heißen sie ein ewiges Evangelium mit großem Spotte. Bei mir ist das Zeugnis Abbatis Joachim groß.“32 Mit diesem ewigen Evangelium werde ein irdisches Gottesreich anheben, das gleichzeitig ein ewiges Gericht über die Bösen darstellen werde. Mit einem kaum zu überbietenden heiligen Eifer rief Müntzer, der 1525 in Mühlhausen den Stadtrat der Patrizier gestürzt und einen „Ewigen Rat“ eingesetzt hatte, die Verschworenen des Allstedter Bundes in einem Schreiben aus dem Jahr 1525 zu einem Bündnis von Bauern und Bergknappen auf: „Dran, dran, dieweil das Feuer heiß ist. Lasset euer Schwert nit kalt werden, lasset nit verlähmen: Schmiedet pinke-panke auf den Ambossen Nimrods“ – eine alttestamentliche Tradition (Gen 10, 8 – 12) sah in Nimrod einen ge28 Dies hat etwa Lambert (s. o. Anm. 6), 339, betont und gleichzeitig darauf verwiesen, dass der Aspekt der Gewalt auch einen praktischen Grund darin besaß, dass die Anhänger der Bewegung versorgt werden mussten. Auch dazu dienten die Feldzüge gegen die Feinde. 29 So etwa Bçcher (s. o. Anm. 1), 735. 30 Ebd. 737. Vgl. auch die Übersicht bei Biesterfeld (s. o. Anm. 1), 1003. 31 Vgl. zum Folgenden: Kee Ryun Kim, Das Reich Gottes in der Theologie Thomas Müntzers, Frankfurt 1994; Ernst Bloch, Thomas Müntzer als Theologe der Revolution, Frankfurt 1962; Klaus Ebert (Hg.), Thomas Müntzer im Urteil der Geschichte von Martin Luther bis Ernst Bloch, Wuppertal 1990. 32 Theodora Bttner/Ernst Werner, Circumcellionen und Adamiten. Forschungen zur mittelaterlichen Geschichte, Bd. 2, Berlin 1959, 313.

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walttätigen, von Gott gesandten Jäger, Gründer eines gewaltigen südmesopotamischen Reiches –, „werfet ihne den Torm zu Bodem! Es ist nit mugelich, weil sie leben, daß ihr der menschlichen Forcht solltet leer werden. Man kann euch von Gotte nit sagen, dieweil sie uber euch regieren. Dran, Dran, weil ihr Tag habt. Gott gehet euch vor, folget, folget!“33

Ihre Fortsetzung fand diese sozialrevolutionre Deutung des Chiliasmus in der gewaltsamen Durchsetzung des „Dritten Reiches“ bei den Wiedertäufern in Münster. Melchior Hofmanns Predigt, vor allem aber Jan Bockelsons Regiment in Münster verstanden sich als Vorspiel des Milleniums: Von hier aus sollten die Heiligen in die Welt hinausziehen, um die Bösen zu vernichten und die Wiederkunft Christi in seinem Reich vorzubereiten.34 Aber auch unter gemäßigten Gelehrten, die einen revolutionären Chiliasmus verwarfen, blieb die Vision vom „Dritten Reich“ nach der Katastrophe von Münster im Jahr 1536 lebendig.35 Der niederländische Glasmaler David Joris (um 1501 – 1556), einst glühendes Mitglied der Wiedertäufer, versuchte nach 1536, die sozialrevolutionären Elemente der Wiedertäufer zurückzudrängen. In seinem messianischen Selbstbewusstsein schrieb er aus Basel, dass er als zweiter Christus das Dritte Reich vollkommener Gotteserkenntnis begründen werde. Auch Valentin Weigel (1533 – 1588), Theologe, Paracelsist und Mystiker, hoffte auf das „Dritte, das goldene tausendjährige Reich“, vor dem alle Reiche und Stände in die Knie versinken. Eine überschwängliche, weniger auf die sozialrevolutionären als auf sozialromantische Züge verweisende Schilderung des Lebens im neuen Reich unter den Wiedertäufern im 17. Jahrhundert findet sich übrigens bei Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1621 – 1676).36 Grimmelshausen, der in seinem „Simplicius Simplicissimus“ bekanntlich die 33 Hutten/Mntzer, Luther. Werke in zwei Bänden. Ausgewählt und eingeleitet von Siegfried Streller, Berlin 1975, in: Der Traum aller Träume. Utopien von Platon bis Morris, hg. v. Joachim Walter, Berlin 1987, hier 87 f. 34 Vgl. hierzu: Günther List, Chiliastische Utopie und radikale Reformation. Die Erneuerung der Idee vom tausendjährigen Reich im 16. Jahrhundert, München 1973; Bçcher (s. o. Anm. 1), bes. 737 – 741 (mit ausführlicher Literatur). 35 Eine erste umfangreiche Darstellung findet sich bei Heinrich Corrodi, Kritische Geschichte des Chiliasmus oder der Meynungen über das Tausendjährige Reich Christi, 4 Bde., Zürich 1781 – 1783. 36 Andreas Johannes Friedrich Zieglschmid, Die ungarischen Wiedertäufer bei Grimmelshausen, in: ZKG 59 (1940), 352 – 387; Volker Meid, Utopie und Satire in Grimmelshausens Simplicissimus, in: Utopieforschung. Interdisziplinäre Studie zur neuzeitlichen Utopie, hg. v. Wilhelm Vosskamp, Bd. 2, Stuttgart 1985, 249 – 265.

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Lebensrealität unter den katastrophalen Folgen des 30jährigen Krieges darzustellen versuchte, lässt Simplicius im 19. Kapitel des fünften Buches über die ungarischen Wiedertäufer Folgendes – und damit wohl auch seine eigene Vision – schildern: Um Gott vollständig lieben und dienen zu können, hatte sich Simplicius zunächst vergeblich mit der „Kunst“37 Raimundus Lullus’, der Topik, Kabbala und der Theologie beschäftigt, um dann zu bekennen: „Dann ich hatte hierbevor in Ungarn auf den wiedertäuferischen Höfen ein solches Leben gesehen, also daß ich, wofern dieselbe gute Leut mit andern falschen und der allgemeinen christlichen Kirchen widerwärtigen ketzerischen Meinung nicht wären verwickelt und vertieft gewesen, ich mich von freien Stücken zu ihnen geschlagen oder wenigst ihr Leben vor das seligste in der ganzen Welt geschätzt hätte […]. Da war kein Zorn, kein Eifer, kein Rachgier, kein Neid, kein Feindschaft, kein Sorg um Zeitliches, kein Hoffart, kein Reu! In Summa, es war durchaus eine solche liebliche Harmonia, die auf nichts anders angestimmt zu sein schiene, als das menschlich Geschlecht und das Reich Gottes in aller Ehrbarkeit zu vermehren […]. Ein solch seliges Leben, wie diese wiedertäuferische Ketzer führen, hätte ich gern auch aufgebracht; dann soviel mich dünkte, so übertraf es auch das klösterliche.“38

Vor dem Hintergrund der Verwüstung Europas durch die Religionskriege des 17. Jahrhunderts bildet Grimmelshausens Schilderung der ungarischen Wiedertäufer „ein in kleinerem Rahmen tatsächlich verwirklichtes Modell eines friedlichen, harmonischen Zusammenlebens […]. Das geschieht aber nicht aus dem Grund, dieses Modell als illusorisch zu entlarven oder als verbindliche Lösung anzupreisen, sondern es geht wie bei den anderen utopischen Partien gerade darum, der geschichtlichen Wirklichkeit und ihren Mängeln ein Gegenbild entgegenzusetzen, eine ideale Ordnung, in der ein Leben nach den Normen des Dekalogs und der Bergpredigt möglich ist.“39

Gleichwohl fehlt die für den Chiliasmus zentrale temporale Struktur der Zukunftsvision. Insofern dokumentiert diese Schilderung gerade eine EntTemporalisierung des Chiliasmus im späteren Wiedertäufertum und rückt diese Vision folglich wieder in die Nähe zu den klassischen Raumutopien. Für die Geschichte des Chiliasmus in der frühen Neuzeit spielt Jacob Boehme eine nicht unerhebliche Rolle.40 Boehmes Leitbegriff der con37 Gemeint ist die „Ars generalis ultima“, entstanden 1303 – 1308; Erstausgabe Venedig 1480. 38 Zitiert nach: Walter, Der Traum aller Träume (s. o. Anm. 33), 169 – 171. 39 Meid (s. o. Anm. 36), 261. 40 Vgl. zum Folgenden ausführlich: Ernst Benz, Die Geschichtsmetaphysik Jacob Boehmes, in: DVfLG 13 (1935), 421 – 455; Nikolaj Berdjajew, Jacob Boehmes

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formitas mit Christus ist eng mit chiliastischen Vorstellungen verbunden; in dem „künftigen Seculum“ werden nicht „Zancken, Beissen und Schlagen“, sondern „Liebe und Gedult, Friede und Freude in Erkenntniß Göttlicher Gaben“ sein.41 Boehmes Chiliasmus ist – wie jüngst Wilhelm Schmidt-Biggemann dargelegt hatte42 – Teil seiner triadischen Theologie und Kosmologie. Der Einfluss dieses theologischen Chiliasmus für die Folgezeit ist kaum zu unterschätzen. In den Kreisen der Rosenkreuzer und Pansophen (unter anderem Johann Amos Comenius, Lux in tenebris, 1657, und Jacob Spener, Hoffnung knftiger besserer Zeiten, 1693) galt Boehme als Prophet der Zeitenwende.43 Novalis wird später seine eigene chiliastische Geschichtskonstruktion als Erfüllung des Erbes Jacob Boehmes verstehen. Boehmes Gedanken fanden aber auch großes Interesse bei Schelling, vermittelt durch den schwäbischen Pietisten Friedrich Christoph Oetinger. Schellings Beschäftigung mit Boehme fiel in die Jahre zwischen 1809 und 1812, also gerade in jene Zeit, in der er an seiner „Philosophie der Weltalter“ arbeitete. Von kaum zu unterschätzender Bedeutung dürften die Geschichtsspekulationen Boehmes – wie die Studie von Dmitrij Cizevskij44 gezeigt hat – auch für die russische Religionsphilosophie im 19. Jahrhundert gewesen sein.

V. Die geschichtsphilosophische Deutung des Chiliasmus in der Aufklärung und im Idealismus Als Topos vom Dritten Reich begegnet der Chiliasmus in der deutschen Aufklärung wieder bei Gotthold Ephraim Lessing.45 Lessing hatte in seiner 1777 verfassten und 1780 anonym herausgegebenen Schrift Die Erziehung

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Lehre von Ungrund und Freiheit, in: Blätter für deutsche Philosophie 6 (1932), 315 – 336; Alexandre Koyr, Die Gotteslehre Jacob Boehmes. Festschrift Edmund Husserl, Halle 1929, 225 – 281; Eberhard Hermann Plz, „Böhme, Jacob (1575 – 1624)“, in: TRE 6 (21993), 748 – 754. Ep. LVIII, 2; 13; LXI, 10. Schmidt-Biggemann (s. o. Anm. 6), 188 – 204. Vgl. hierzu die Hinweise bei Plz (s. o. Anm. 40), 751; und Biesterfeld (s. o. Anm. 1), 1003 f. Dmitrij Cizevskij, Jacob Böhme in Rußland, in: Ders., Aus zwei Welten, ’sGravenhage 1956, 197 – 219. Vgl. zum Folgenden: Georg Adler, Geschichte des Sozialismus und Kommunismus von Plato bis zur Gegenwart, Leipzig 1899; Alois Dempf, Das dritte Reich.

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des Menschengeschlechts eine Geschichtstheologie vorgelegt, die den von Gott geleiteten Prozess der Erziehung des Menschen mit dem Ziel der Selbstständigkeit der menschlichen Vernunfterkenntnis nachzeichnet und die diesen Prozess gleichzeitig auf die Offenbarung des Alten und Neuen Testamentes bezieht, die im „neuen ewigen Evangelium“ zur Vollendung gelangt. Nach Lessing gliedert sich der Geschichtsprozess in drei Stadien: dem Zeitalter des Alten Testamentes, das dem Kindesalter der Menschheit entspricht, folgt das Zeitalter des Neuen Testamentes, die Jünglingszeit, die in das sich im Anbruch befindliche dritte Stadium als Zeitalter der Reife und Vollendung übergeht, jenes „neue ewige Evangelium“ der Selbstständigkeit der menschlichen Vernunfterkenntnis und neuer sittlicher Handlungsmotive. Lessing selbst lässt keinen Zweifel daran, in welcher Tradition er diese Geschichtstheologie gesehen wissen will: „Oder soll das menschliche Geschlecht auf diese höchste Stufe der Aufklärung und Reinheit nie kommen? Nie? […] Nein, sie wird kommen, sie wird gewiß kommen, die Zeit der Vollendung, da der Mensch, je überzeugter sein Verstand gleichwohl Bewegungsgründe zu seinen Handlungen zu erborgen nicht nötig haben wird, da er das Gute tun wird, weil es das Gute ist, nicht weil willkürliche Belohnungen darauf gesetzt sind. Sie wird gewiß kommen, die Zeit eines neuen ewigen Evangeliums, die uns selbst in den Elementarbüchern des neuen Bundes versprochen wird. Vielleicht, daß selbst gewisse Schwärmer des 13. und 14. Jahrhunderts einen Strahl dieses neuen ewigen Evangeliums aufgefangen hatten und nur darin irrten, daß sie den Anbruch desselben so nahe verkündigten. Vielleicht war ihr dreifaches Alter der Welt keine so leere Grille und gewiß hatten sie keine schlimmen Absichten, wenn sie lehrten, daß der neue Bund ebenso wohl antiquiert werden müsse, als es der alte geworden. Es blieb auch bei ihnen immer die nämliche Ökonomie des nämlichen Gottes, immer sie meine Sprache sprechen zu lassen der nämliche Plan der allgemeinen Erziehung des Menschengeschlechts. Nur daß sie ihn übereilten; […] nur daß Schicksale einer Idee, in: Hochland 29/1 (1931/1932), 36 – 48; 158 – 171; Walter Nigg, Das Buch der Ketzer, Zürich/Stuttgart 51970, 401 – 417; Georges Pons, Lessings Vorsehungs- und Fortschrittsglaube, in: Lessing in heutiger Sicht, hg. v. Edward P. Harris/Richard E. Schade, Bremen/Wolfenbüttel 1977, 197 – 209; Carl Stange, Lessings Erziehung des Menschengeschlechts, in: ZSTh 1 (1923/ 1924), 153 – 167; Martha Waller, Lessings Erziehung des Menschengeschlechts. Interpretation und Darstellung ihres rationalen und irrationalen Gehalts, Berlin 1935; Gottfried Hornig, „Lessing, Gotthold Ephraim (1729 – 1781)“, in: TRE 21 (21991), 21 – 33 (mit ausführlicher Forschungsliteratur); Hans-Joachim Mhl, Die Idee des goldenen Zeitalters im Werk des Novalis. Studien zur Wesensbestimmung der frühromantischen Utopie und zu ihren ideengeschichtlichen Voraussetzungen, Heidelberg 1965, 187 – 251; Ders., Der poetische Staat. Utopie und Utopiereflexion bei den Frühromantikern, in: Utopieforschung, hg. v. Wilhelm Vosskamp, Bd. 3, Stuttgart 1985, 273 – 302.

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sie ihre kindlichen Zeitgenossen mit eins zu Männern machen zu können glaubten, die ihres dritten Zeitalters würdig wären. Und eben das machte sie zu Schwärmern. Der Schwärmer tut oft sehr richtige Blicke in die Zukunft, aber er kann diese Zukunft nicht erwarten.“46

Lessing sah in seiner Deutung der Geschichte – auch wenn Joachim von Fiore nicht genannt wird – die Einlösung der Vision vom „Dritten Reich“ des mittelalterlichen Joachimismus. Ihre mittelalterlichen Propheten hatten sich lediglich im Zeitpunkt seines Anbruchs geirrt. Der Inhalt dieses „neuen ewigen Evangeliums“ ist jedoch weder ein kontemplatives Mönchtum ( Joachimiten), noch ein sozialrevolutionärer Umbruch (Taboriten, Müntzer, Wiedertäufer), sondern die von Gott geleitete Selbstständigkeit menschlicher Vernunfterkenntnis und Sittlichkeit. Auch Kant hatte in seiner Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbrgerlicher Absicht aus dem Jahr 1784 die Geschichte des Menschen teleologisch „als die Vollziehung eines verborgenen Plans der Natur“ gedeutet, „um eine innerlich und, zu diesem Zwecke auch äußerlich vollkommene Staatsverfassung zu Stande zu bringen, als den einzigen Zustand, in welchem sie alle ihre Anlagen in der Menschheit völlig entwickeln kann.“ Und Kant fügt hinzu: „Man sieht: die Philosophie könne auch ihren Chiliasmus haben; aber einen solchen, zu dessen Herbeiführung ihre Idee […] selbst beförderlich werden kann, der also nichts weniger als schwärmerisch ist.“47 Die Beziehung zum Chiliasmus wird hergestellt, obwohl Kant die Aufgabe einer vollkommenen Staatsverfassung als unlösbar ansieht, sofern die „Idee“ einer vollkommenen Staatsverfassung als Geschichtsziel gleichzeitig als Regulativ für das moralische Handeln fungiert. Deshalb kann Kant auch in seiner Religionsschrift von 1793 eine symbolische Auslegung der biblischen Apokalypse annehmen und vor dem Hintergrund der regulativen Funktion dieser Idee erklären, dass der Chiliasmus (als Glaube an ein sichtbares Reich Gottes auf Erden) „vor der Vernunft“ eine „gute symbolische Bedeutung“ annehmen könne: diese Idee sei nämlich ein „schönes Ideal der […] moralischen, im Glauben vorausgesehenen Weltepoche bis zu ihrer Vollendung“, auf die wir nur „im kontinuierlichen Fortschreiben und Annäherung“ hinzublicken haben, um uns „jederzeit“ als berufene Bürger eines „göttlichen (ethischen) 46 Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts, §§ 86 – 89. 47 Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, in: Immanuel Kant, Von den Träumen der Vernunft. Kleine Schriften zur Kunst, Philosophie, Geschichte und Politik, hg. v. Steffen und Birgit Dietzsch, Leipzig/Weimar 1981, 201 – 221, hier 216.

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Staates“ ansehen zu können.48 Damit ist – wie Hans-Joachim Mähl betont hat – „ein schon im schwäbischen Pietismus, bei Oetinger (1759) eingeleiteter und bei Lessing, in seiner Erziehung des Menschengeschlechts (1780) weitergeführter Säkularisierungsprozess zum Abschluss gebracht: nicht nur wird der ,Natur‘ überantwortet und einer immanenten Fortschritts- und Entwicklungsidee zugeschrieben, was im älteren Chiliasmus vom Einbruch der Transzendenz abhängig gemacht wurde; auch das antizipierte Zielbild der Geschichte wird ,symbolisch‘ als moralischer Imperativ oder, erkenntnistheoretisch gesprochen, als eine regulative Idee betrachtet, die das menschliche Denken und Handeln bestimmen und leiten sollen, ohne dass die Vollendung in geschichtlich-absehbarer Zeit erhofft werden könnte.“49

Die Zukunftserwartung wird bei Kant mithin aus der Moral, das heißt als ein moralischer Imperativ entwickelt und gleichzeitig, sofern sie als eine regulative Idee betrachtet wird, internalisiert. Deshalb ist für ihn „der philosophische Chiliasm, der auf den Zustand eines ewigen, auf einen Völkerbund als Weltrepublik gegründeten Frieden hofft“, ebenso wenig eine Schwärmerei wie der theologische Chiliasmus, „der auf des ganzen Menschengeschlechts vollendete moralische Besserung harrt“50. Noch in den berühmten Schlussworten des philosophischen Entwurfs Zum ewigen Frieden (1795), der auf Romantiker wie Novalis und Schlegel einen großen Einfluss ausgeübt hatte, wird diese Funktion der Zukunftserwartung als moralischer Imperativ unterstrichen: „Wenn es Pflicht, wenn zugleich gegründete Hoffnung da ist, den Zustand eines öffentlichen Rechts, obgleich nur in einer ins Unendliche fortschrei48 Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793), in: Ders., Schriften zur Religion, hg. v. Martina Thom, Berlin 1981, 93 – 267, hier 208 f. Wo immer Kant in seinen Schriften auf die Utopien zu sprechen kommt, ordnet er sie seiner Funktion als einer regulativen Idee unter. So heißt es in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ von der „Platonischen Republik“, sie sei eine „nothwendige Idee“, deren Sinn durch „die pöbelhafte Berufung auf vorgeblich widerstreitende Erfahrung“ nicht in Frage gestellt werden, wenn man sie als ein „Urbild“ betrachte, „um nach demselben die gesetzliche Verfassung der Menschen der möglich größten Vollkommenheit immer näher zu bringen“. (Akademie-Ausgabe, Bd. 4, 201 f.) Gleichwohl ist für Kant auch klar, dass es sich – wie er im „Streit der Fakultäten“ erklärt – dabei um einen „süßen Traum“ handelt (und dies gilt für alle Raumutopien von Platon bis zu Vairasse‘ „Severambia“), weil die menschliche Natur zu diesem Traum in einem unaufhebbaren Antagonismus stehe. (Akademie-Ausgabe, Bd. 7, 92) Zitiert nach Mhl 1985 (s. o. Anm. 45), 277. 49 Ebd. 50 Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (s. o. Anm. 48), 118.

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tenden Annäherung wirklich zu machen, so ist der ewige Friede […] keine leere Idee, sondern eine Aufgabe, die, nach und nach aufgelöst, ihrem Ziele […] beständig näher kommt.“51

Als temporale Geschichtstypologie übte der Chiliasmus auch in der deutschen Frühromantik, vor allem auch im berühmten Jenaer Romantikerkreis von Schlegel, Novalis und dem frühen Schelling große Faszination aus. Dies soll hier exemplarisch die Geschichtstheologie und explizite Deutung des Dritten Reiches bei Friedrich von Hardenberg (1772 – 1801) belegen, der sich 1798 selbst den Namen Novalis (der Neuland bestellende) gab. In seinem 1799 verfassten und erst 1826 in Berlin publizierten Aufsatz Die Christenheit oder Europa thematisierte Novalis die auch bei anderen Romantikern geläufige Vorstellung vom verlorenen und wiederherzustellenden „goldenen Zeitalter“.52 Im Unterschied zu Kant kehrt in der Frühromantik bei Novalis das auch bei dem schwäbischen Pietisten Friedrich Christoph Oetinger (Die güldene Zeit, 1759) geläufige Triadenschema des Chiliasmus wieder. Denn das „goldene Zeitalter“ war für Novalis ein sehnsuchtsvoll verklärtes Mittelalter, die Einheit von Glauben, Wissen und Leben, der seine Gegenwart als moderne Irreligiosität und Wissenschaftsglauben, Materialismus, Egoismus als Verfallsepoche gegenübersteht, deren Ende jedoch in naher Zukunft zu erwarten sei. Diese Zukunft ist keine andere als das tausendjährige dritte Reich: „Du wirst das letzte Reich verkünden, / Das tausend Jahre soll bestehn; / wirst überschwenglich Wesen finden / Und Jakob Böhm wiedersehen.“53 Wo die Romantiker mit Novalis von der Wiederherstellung des 51 Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, in: Immanuel Kant, Von den Träumen der Vernunft (s. o. Anm. 47), 413 – 471, hier 471. 52 Vgl. hierzu: Edgar Hederer, Friedrich von Hardenbergs „Christenheit oder Europa“, Dissertation, München 1936; Rudolf Meyer, Novalis. Das ChristusErlebnis und die neue Geistesoffenbarung, Stuttgart 1954; Mhl 1965 (s. o. Anm. 45); Ders. 1985 (s. o. Anm. 45); 1965; Hermann Timm, Die heilige Revolution. Das religiöse Totalitätskonzept der Frühromantik, Frankfurt a.M. 1978; Hermann Kurzke, Romantik und Konservatismus. Das „politische“ Werk F. von Hardenbergs (Novalis) im Horizont seiner Wirkungsgeschichte, München 1983; Otto Gerhard Oexle, Die Moderne und ihr Mittelalter – eine folgenreiche Problemgeschichte, in: Peter Segl (Hg.), Mittelalter und Moderne. Entdeckung und Rekonstruktion der mittelalterlichen Welt, Sigmaringen 1997, 307 – 364, bes. 326 – 329; Raymond Steven Furness, „Novalis (Friedrich von Hardenberg, 1772 – 1801)“, in: TRE 24 (21994), 675 – 678 (mit ausführlicher Forschungsliteratur). 53 Zitiert nach Bttner/Werner (s. o. Anm. 32), 349.

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vergangenen goldenen Zeitalters sprechen, dann ist damit keine Rückkehr ins Mittelalter gesehen, sondern die temporale Struktur des Chiliasmus intendiert das dritte Stadium als eine dialektische Aufhebung des ersten und zweiten Status. Dieser Typ des Chiliasmus stellt deshalb keine regressive Geschichtsbetrachtung dar, sondern konstruiert das „goldene Zeitalter“ als die „Annihilation des Jetzigen“.54 Das Mittelalter wird mithin kooptiert für dieses kommende Zeitalter. Novalis‘ theokratisch-universalistische Deutung des dritten Reiches hatte nachhaltigen Einfluss auf konservative Vertreter eines „christlichen Staates“ in Preußen um die Jahrhundertmitte (Friedrich Julius Stahl, Ernst Ludwig von Gerlach, Friedrich Wilhelm IV.), aber auch auf ständisch-restaurative Nationalkonservative zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Othmar Spann). So hatte etwa der Germanist Richard Benz (1884 – 1966) in seiner Schrift Geist und Reich – Um die Bestimmung des Deutschen aus dem Jahr 1933 die Europa-Schrift von Novalis als „die deutsche Gegenerklärung gegen die Menschenrechte der Französischen Revolution“ gefeiert. „Nicht Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit; sondern Herrschaft des Heiligen in einer neuen Hierarchie […] soll das schlummernde Europa wecken.“55 Nicht nur bei Novalis begegnet der Name Jacob Boehmes als Inbegriff chiliastischer Zukunftshoffnung. Im Anschluss an Lessings joachimitischer Geschichtsphilosophie der Erziehung des Menschengeschlechts formulierte die für den deutschen Idealismus wirkungsmächtigste Deutung des Chiliasmus Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 – 1854).56 Schelling hatte in 54 Mhl 1985 (s. o. Anm. 45), 280. 55 Zitiert nach Oexle (s. o. Anm. 52), 329. 56 Schellings Spätphilosophie ist gerade in jüngster Zeit neu entdeckt worden, vor allem auch in seinem Versuch, den Mythos als das legitime Andere im Gegenüber zum „Logos“, das heißt das Rationalitätsverständnis der Aufklärung, neu zu bestimmen. Vgl. hierzu: Karl-Heinz Volkmann-Schluck, Mythos und Logos. Interpretationen zu Schellings Philosophie der Mythologie, Berlin 1969; John Elbert Wilson, Schellings Mythologie. Zur Auslegung der Philosophie der Mythologie und der Offenbarung, Stuttgart – Bad Cannstatt 1993 (Spekulation und Erfahrung. Texte und Untersuchungen zum Deutschen Idealismus. Abt. II, Bd. 31); Enno Rudolph, Mythos zwischen Philosophie und Theologie, Darmstadt 1994; Dominic Kaegi, Ernst Cassirer. Über Mythos und symbolische Form, in: ebd. 167 – 199; vgl. auch den Sammelband von Hans Jörg Sandkhler, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Stuttgart/Weimar 1998; von Jacob Taubes stammt gleichwohl das Urteil, dass die eigentlich beherrschende Figur des Joachimitismus im deutschen Idealismus Georg Friedrich Wilhelm Hegel war (vgl. den Abschnitt: Joachimitische Propheten und Hegelsche Philosophie, in: Ders., Abendländische Eschatologie. Beiträge zur Soziologie und Sozialphilosophie,

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seiner Schrift Die Weltalter, an der er seit etwa 1809 gearbeitet hatte und die ein Fragment bleiben sollte57, die joachimitischen Geschichtsspekulationen Lessings und den Chiliasmus Boehmes mit seiner Lehre von den drei Epochen des Geistes verbunden, die er jedoch nicht als eine geschichtliche Erstreckung des Chiliasmus von drei Reichen, sondern als Schöpfungsphasen auffasste. „Die erste Phase der Weltalter – die Vergangenheit – ist die Phase der Theogonie und Selbstbeschaulichkeit des trinitarischen Gottes, der seine Schöpfung konzipiert. Die zweite Phase ist die Gegenwart der Christologie in der Schöpfung, hier entstehen zugleich Zeit und Raum, das Leben der Natur, die Zeit der Weltgeschichte, der Mythologie und der positiven Offenbarung, in der sich der Geist ankündigt. Die dritte Phase, die der Rückkunft in die Seligkeit, hat Schelling nur angedeutet. Es ist die Phase des Geistes. Es ist die Phase des johanneischen und origenistischen Endes.“58

Was Schelling in seinen „Weltaltern“ insbesondere hinsichtlich des Übergangs zur Geschichte des Geistes in der Religions- und Philosophiegeschichte argumentativ eher angedeutet hat, wird dann vor allem deutlich in seiner „Philosophie der Mythologie und Offenbarung“, die zum Zentrum der Spätphilosophie gehört, die Schelling bereits in Vorlesungen seit dem Sommersemester 1821 in Erlangen, ab 1828 in MünBd. 3, Bern 1947, bes. 95 f.). Georg Wilhelm Friedrich Hegel hatte in seinen „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“, gehalten in Berlin 1822/ 1823; 1824/1825; 1826/1827 und 1830/1831, erschienen erstmals in Berlin 1837, im Kern eine Geschichte des „Fortschritts im Bewußtsein der Freiheit“, den triadischen Chiliasmus auf diese Freiheitsgeschichte bezogen und festgestellt: „Das Mittelalter war das Reich des Sohnes. Im Sohn ist Gott noch nicht vollendet, sondern erst im Geiste; denn als Sohn hat er sich außer sich gesetzt, und ist also ein Anderssein da, das erst im Geiste, in der Rückkehr Gottes zu sich selbst, muß aufgehoben werden. Wie das Verhältnis des Sohnes ein äußerliches an sich hat, so galt auch im Mittelalter die Äußerlichkeit. Mit der Reformation aber beginnt nun das Reich des Geistes, wo Gott als Geist wirklich erkannt wird. Hiermit ist das neue, das letzte Panier aufgetan, um das die Völker sich sammeln, die Fahne des freien Geistes, der bei sich selbst, und zwar in der Wahrheit ist, und nur in ihr bei sich selbst ist. Dies ist die Fahne, unter der wir dienen und die wir tragen. Die Zeit von da bis zu uns hat kein anderes Werk zu tun gehabt und zu tun, als dieses Prinzip in die Welt hinein zu bilden, aber so, daß dies noch die Form der Freiheit, Allgemeinheit gewinnen mußte.“ Zitiert nach Jacob Taubes 1947, 95 f.; vgl. dazu: Oscar Daniel Brauer, Dialektik der Zeit. Untersuchungen zu Hegels Metaphysik der Weltgeschichte, Stuttgart 1982; kritisch hierzu: Heinz Gollwitzer, Europabild und Europagedanke, München 1964; Brentjes (s. o. Anm. 1), bes. 56 – 65. 57 Vgl. hierzu ausführlich: Schmidt-Biggemann (s. o. Anm. 6), 702 – 733, bes. 719 – 733. 58 Ebd., 720.

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chen, ab 1842 in Berlin wiederholt vorgetragen und die aus dem Nachlass von seinem Sohn Karl Friedrich August Schelling in zwei Bänden 1856/ 1857 erschienen ist.59 In seiner Philosophie der Offenbarung versucht Schelling, das Christentum als geschichtliche Gestalt von Religion zu begreifen, in deren Mittelpunkt die Freiheit steht.60 Der Geschichtsprozess entfaltet sich jedoch selbst wiederum triadisch: Die Phase des Mythos (Philosophie der Mythologie) rekonstruiert die Geschichte des Bewusstseins auf der Stufe der Natur, während sich in der Offenbarung (Philosophie der Offenbarung) das Bewusstsein auf der Stufe der Freiheit entfaltet. Gleichwohl ist die Offenbarung noch nicht das Ziel der Geschichte. Ziel ist vielmehr die Religion der freien philosophischen Erkenntnis, von der Schelling gleichzeitig festhält: „die philosophische Religion, wie sie von uns gefordert ist, e x i s t i e r t n i c h t.“61 Dennoch wird deutlich, woran Schelling mit diesem Ziel des Prozesses der freien, philosophischen Religion denkt. Während sich im Mythos die unfreie und ungeistige Religion entfaltet62, sofern dessen Prinzip lediglich natürlich und blind ist, werde in der Offenbarung die ungeistige Religion innerlich überwunden. Dabei ist die Offenbarung jedoch selbst wiederum Quelle unfreiwilliger Erkenntnis, indem das Christentum „auch zur äußeren und blinden Gewalt“ wurde, indem das Heidnische in die Kirche eindrang mit der „Priesterschaft“, im „Opferkult, in Büßungen, Kasteiungen, Beschwörungen“ und im „auf äußere und todte Formen gegründeten Gottesdienst“.63 Die Offenbarung kann deshalb noch nicht das Ziel der Geschichte sein, weil auch hier die Erkenntnis noch nicht frei, sondern wie Schelling formuliert: auf verschiedenen Autoritäten basiert.64 Ziel ist vielmehr die Wirklichkeit der Geschichte, in der Freiheit waltet. 59 Zurzeit wird eine Urschrift des ersten Buches, der „Philosophie der Mythologie“, aus den Jahren 1828 und 1829 in einer Nachschrift von Ernst von Lasaulx zur Publikation gebracht. 60 Vgl. zum Folgenden ausführlich die Einleitung von Manfred Frank zu Schellings „Philosophie der Offenbarung“ 1841/1842, Frankfurt 1977, 7 – 84; Christian Danz, Die Philosophie der Offenbarung, in: Sandkhler (s. o. Anm. 58), 169 – 189; Lothar Knatz, Geschichte – Kunst – Mythos. Schellings Philosophie und die Perspektive einer philosophischen Mythostheorie, Würzburg 1999, bes. 95 – 174. 61 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophie der Mythologie, Bd. 1, (unveränderter Nachdruck der aus dem handschriftlichen Nachlass herausgegebenen Ausgabe von 1856) Darmstadt 1986, 255. 62 Ebd., 255. 63 Ebd., 255 f. 64 Ebd., 263 f.

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Zwar wurde Schellings „Philosophie der Mythologie und Offenbarung“ im 19. Jahrhundert kaum rezipiert65, sondern erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts neu entdeckt, dennoch ist die triadische Geschichtstypologie im 19. Jahrhundert weit verbreitet, vor allem im Hegelianismus und in der nachhegelschen Philosophie.

VI. Joachimismus in der nachhegelschen Philosophie Die triadische Geschichtstypologie entfaltete ihre Wirkung im 19. und 20. Jahrhundert vor allem in der hegelschen Geschichtsphilosophie und ihrer nachhegelschen Transformation im Marxismus-Leninismus. Hegels Philosophie der Geschichte (1837) stellt bekanntlich ein umfassendes System dar, in dessen Mittelpunkt das Absolute als Weltgeist steht, dessen Wesen wesenhaft Freiheit und Geschichte ist. 66 Karl Löwith hatte im Blick auf diese Geschichtskonstruktion vom „endgeschichtlichen Sinn von Hegels Vollendung der Geschichte der Welt und des Geistes“ gesprochen. Denn nach Hegel vollendet sich die Geschichte im Sinn der höchsten Fülle, in der auch alle bisherige Geschichte zusammengefasst ist. Und weil das Wesen des Absoluten die Freiheit ist, kommt am Ende der Geschichte auch die Freiheit zu ihrer Vollendung. Zur Auslegung dieser endgeschichtlichen Struktur der Geschichte kehrt auch – wie Hegel in seiner Einleitung über die „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“ deutlich macht –

65 Jörg Jantzen, „Philosophie der Mythologie und Philosophie der Offenbarung“, in: Lexikon der philosophischen Werke, hg. v. Franco Volpi/Julian Nida-Rmelin), Stuttgart 1988, 547. 66 Vgl. zum Folgenden ausführlich: Karl Lçwith, Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhunderts (Philosophische Bibliothek 480), (1941) Hamburg 1995, 44 – 64, 105 – 118; „Hegels Werk enthält nicht nur eine Philosophie der Geschichte und eine Geschichte der Philosophie, sondern sein ganzes System ist in so grundlegender Weise geschichtlich gedacht wie keine Philosophie zuvor.“ (Ebd. 44); vgl. darüber hinaus: Ders., Meaning in History, Chicago 1949: deutsch: Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie, Stuttgart/Berlin/ Köln/Mainz 71979, bes. 38 – 61; und das Kapitel „Joachimitische Prophetie und Hegelsche Philosophie“, in: Jacob Taubes, Abendländische Eschatologie. Beiträge zur Soziologie und Sozialphilosophie, Bd. 3, Bern 1947, 90 – 98; Richard Schaeffler, Einführung in die Geschichtsphilosophie, Darmstadt 21980, bes. 187 ff.

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die triadische Geschichtstypologie des Joachimismus wieder.67 Das Weltgeschehen beginnt mit den großen altorientalischen Reichen von China, Indien und Persien, setzt sich in den griechischen und römischen Staatsbildungen am Mittelmeer fort und endet mit den christlich-germanischen Reichen im westlichen Norden. „Die Weltgeschichte geht“ – wie Hegel sagt – „von Osten nach Westen, denn Europa ist schlechthin das Ende der Weltgeschichte, Asien der Anfang.“68 Diese Geschichte des Absoluten in der Weltgeschichte ist identisch mit der Vollendungsgeschichte der Freiheit: „Der Orient wußte und weiß nur, daß Einer frei ist, die griechische und römische Welt, daß Einige frei seien, die germanische Welt weiß, daß Alle frei sind.“69

Hegel spricht im Zusammenhang dieser triadischen Geschichtsstruktur auch vom Kindesalter, dem Jünglingsalter und dem „Mannesalter der Geschichte“, das nun jedoch durch das vierte Moment der Weltgeschichte abgelöst werde, das Greisenalter des Geistes, das „vollkommene Reife“ ist, „in welcher er zurückgeht zur Einheit, aber als Geist. Dieses Reich beginnt mit der im Christentume geschehenen Versöhnung.“70 Allerdings ist mit dem Beginn des Christentums, das Hegel auch als die Zeit der „Kirche“ bezeichnet, der Geist selbst noch nicht zur Vollendung gelangt. Aus dieser Kirche gehe allererst die „höhere Form des vernünftigen Gedankens hervor: der in sich abermals zurückgedrängte Geist produziert sein Werk in denkender Gestalt und ist fähig geworden, aus dem Prinzip der Weltlichkeit allein das Vernünftige zu realisieren.“71 In diesem vierten Moment der Weltgeschichte, ihrem letzten „Ziel“, sind alle Gegensätze aufgehoben: „Die Gegensätze von Staat und Kirche verschwinden; der Geist findet sich in die Weltlichkeit und bildet diese als ein in sich organisches Dasein aus.“72 In dieser Geschichtsstruktur wird die im Christentum angelegte Vorstellung von der eschatologischen Vollendung geschichtlich gedeutet und vollstreckt. Nicht nur kommt der Geist in der Weltgeschichte zur als Ende gedachten Vollendung. Die Geschichte selbst wird als Vollendung des Absoluten gedacht. 67 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, hg. v. Eva Moldenhauer/Karl Markus Michel (Georg Wilhelm Friedrich Hegel Werke 12), Frankfurt 41995, 134 – 141. 68 Ebd., 134. 69 Ebd., 134 70 Ebd., 140. 71 Ebd., 140. 72 Ebd., 141.

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Die endgeschichtliche Struktur der Geschichte des Absoluten war gleichermaßen konstitutiv für Hegels Rechtsphilosophie, die gleichzeitig mit seiner ersten Vorlesung zur Religionsphilosophie im Jahr 1821 erschien. Auch hier handelt es sich um die prinzipielle Aufhebung aller Gegensätze: als Staatsphilosophie mit der politischen, als Religionsphilosophie mit der christlichen. Die wirkliche Welt war nach Hegel eine dem Geist „gemäße“ und der preußisch-protestantische Staat war die seiner Staatsphilosophie gemäße Form. Diesen Höhepunkt der endgeschichtlichen Struktur der Geschichte in Staat und Religion hatte Hegel bekanntlich in seiner Vorrede zur Rechtsphilosophie über „die Stellung der Philosophie zur Wirklichkeit“ erläutert.73 Wenn Philosophie, „weil sie das Ergrnden des Vernnftigen ist, eben damit das Erfassen des Gegenwrtigen und Wirklichen, nicht das Aufstellen eines Jenseitigen, ist, […]“ gilt – und hier begegnet das bekannte Diktum Hegels -: „Was vernünftig ist, das ist wirklich; Und was wirklich ist, das ist vernünftig.“74 Unter dieser Voraussetzung der Aufhebung der Gegensätze, die auch für die hegelsche Rechtsphilosophie konstitutiv ist, kommt es also darauf an, „den Staat als ein in sich Vernnftiges zu begreifen und darzustellen“.75 Genau das ist jedoch der entscheidende und problematische Punkt, an dem Karl Marx ansetzen sollte mit seinem Imperativ, die Philosophie in Praxis umzuwandeln. Denn wenn sich aufgrund einer anderen ökonomischen und politischen Analyse die Wirklichkeit als unvernünftig erweisen sollte, dann ist diese selbst geistlos. Dann kommt es darauf an, die Wirklichkeit sozialrevolutionär zu verändern, um das Reich der Freiheit zu erreichen. Oder wie Marx selbst in seiner Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie formulierte: „Es genügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muß sich selbst zum Gedanken drängen.“76 Anders als die spekulative Geschichtsphilosophie Hegels als einer Geschichte der Vollendung des Geistes und der Freiheit stellt die Hauptschrift des linken Hegelschülers Karl Marx (1818 – 1883), Das Kapital, dessen erster Band vor dem Hintergrund des Elends der Lohnarbeiter 1867 in London erschien und dessen zweiten und dritten Band von Friedrich Engels (1820 – 1895) in den Jahren 1885 und 1894 ediert wurde, 73 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (Philosophische Bibliothek 483), (1821) Hamburg 51995, hier 14 – 17. 74 Ebd., 14. 75 Ebd., 15. 76 MEW 1, 386.

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eine Geschichtsauffassung vor, in welcher die ganze Geschichte, sofern diese wesentlich durch den Widerspruch zwischen den entwickelten Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen gekennzeichnet ist, auf einen sozio-ökonomischen Prozess reduziert wird, der sich zu einer Weltrevolution und einer Welterneuerung zuspitzt.77 Anders als für Hegel, der die Welt philosophisch als Reich des Geistes gedeutet hatte, muss nach Marx die Philosophie politische Ökonomie werden. Gleichzeitig ist für Marx klar, dass die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft „die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft“78 abschließt. Schon in seiner frühen Schrift aus den Jahren 1845/46 „Die deutsche Ideologie“ hatte Marx eine erste Skizze der kommenden Gesellschaft, des irdischen Reiches, vorgelegt, in der die kapitalistische Gesellschaft der modernen Welt durch eine Revolution umgestürzt werden müsse: „Aber ebenso empirisch begründet ist es, daß durch den Umsturz des bestehenden gesellschaftlichen Zustandes, durch die kommunistische Revolution, […] und durch die damit identische Aufhebung des Privateigentums diese […] Macht aufgelöst wird und alsdann die Befreiung jedes einzelnen Individuums in demselben Maße durchgesetzt wird, in dem die Geschichte – sich vollständig in Weltgeschichte verwandelt […] Die allseitige Abhängigkeit […] des weltgeschichtlichen Zusammenwirkens der Individuen wird durch die kommunistische Revolution verwandelt in die Kontrolle und bewußte Beherrschung dieser Mächte, die, aus dem Aufeinander-Wirken der Menschen erzeugt, ihnen bisher als durchaus fremde Mächte imponiert und sie beherrscht haben.“79

Träger dieses chiliastischen Umbruchs durch die kommunistische Revolution war für Marx die Rolle des Proletariats. Das Proletariat war gerade deshalb für ihn das weltgeschichtliche Instrument zur Erreichung des Endzieles der Geschichte, weil es von den Privilegien der herrschenden Gesellschaft ausgeschlossen war. Auch diese weltgeschichtliche Rolle des Proletariats hatte Marx in der Deutschen Ideologie festgehalten: „Nur die von aller Selbstbetätigung vollständig ausgeschlossenen Proletarier der Gegenwart sind imstande, ihre vollständige, nicht mehr bornierte 77 Vgl. zum Folgenden ausführlich: Lçwith 1979 (s. o. Anm. 66), bes. 38 – 54; und 1995 (s. o. Anm. 66), bes. 105 – 118; Schaeffler (s. o. Anm. 66), 190 – 197. Zum biographischen, historischen und intellektuellen Zusammenhang vgl. die einzelnen Beiträge in: Karl Marx (1818 – 1883). Eine Ringvorlesung der Universität München, hg. v. Venanz Schubert (Wissenschaft und Philosophie. Interdisziplinäre Studien 1), St. Ottilien 1984; Roman Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen „Kapitals“, Frankfurt a.M. 1969. 78 Ein Beitrag zur Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1947, 14. 79 MEW 1/V, 26 f.

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Selbstbetätigung, die in der Aneignung einer Totalität von Produktivkräften […] besteht, durchzusetzen.“80

Für Marx war klar, dass deshalb das Proletariat die einzige revolutionäre Kraft war, welche die Gesellschaft als Ganze erlösen könnte. Die Philosophie des Proletariats in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung war aus diesem Grunde auch der eigentliche Inhalt des Manifests der Kommunistischen Partei, das 1848 in London erschienen war und das mit dem bekannten proklamatorischen Satz beginnt: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“, das heißt von Freien und Sklaven, Adligen und Leibeigenen, Besitzenden und Armen oder – wie Marx bündig zusammenfasst – zwischen „Unterdrückern und Unterdrückten“.81 Weltgeschichtlich bedeutete diese missionarische Rolle des Proletariats die Aufspaltung der Geschichte in zwei feindliche Lager, die sich prinzipiell gegenüberstehen: die Bourgeoisie und das Proletariat. Am Ende dieser weltgeschichtlichen Auseinandersetzung werde das organisierte Proletariat nicht wie die Bourgeoisie selbst die herrschende Klasse sein, sondern seine eigene Herrschaft als Klasse abgeschafft haben, um in einer freien „Assoziation“ der freien Entwicklung der Einzelnen als Bedingung für die freie Entwicklung aller leben zu können. Karl Löwith hatte darauf hingewiesen, dass der eigentliche geschichtsphilosophische Gehalt des „Kommunistischen Manifests“ gar nicht so sehr sein grundliegender Materialismus als sein sozialrevolutionärer Chiliasmus ist: „Das Kommunistische Manifest ist in erster Linie ein prophetisches Dokument, ein Urteilsspruch und ein Aufruf zur Aktion, keineswegs aber eine rein wissenschaftliche, auf empirische Gegebenheiten gegründete Analyse.“82

Denn diese weltgeschichtliche Darstellung sei nichts anderes als die Gegenüberstellung des radikal Bösen der „Vorgeschichte“ und des durch das Proletariat vermittelten Anbruchs des Guten als des Reiches der Freiheit. Folgerichtig sind die grundlegenden Voraussetzungen des Kommunistischen Manifests der Antagonismus zwischen der Bourgeoisie als der Klasse der Finsternis und des Proletariat als der Klasse des Lichtes. Diese Geschichtstypologie spitzt sich gleichzeitig zu in der endgeschichtlichen, kommunistischen Revolution als dem Weltgericht, das mit der Aufrichtung des Reiches der Freiheit die Annihilation seiner Vorgeschichte 80 Zitat nach Lçwith 1979 (s. o. Anm. 66), 42. 81 MEW 4, 462. 82 Lçwith 1979 (s. o. Anm. 66), 46 f.

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notwendig impliziert. Der historische Materialismus – so hatte Karl Löwith seine Analyse zusammengefasst – „ist Heilsgeschichte in der Sprache der Nationalökonomie“.83 Aber er ist mehr: Anders als bei Kant, bei dem der Chiliasmus als moralischer Imperativ durchaus philosophisch begründbar ist, ohne gleichzeitig den Anspruch zu erheben, dieses Reich tatsächlich erreichen zu können, steht im Zentrum des historischen Materialismus die dem temporal-geschichtlichen Chiliasmus entlehnte, nunmehr aber konsequent säkularistisch gedeutete Vorstellung eines sozialrevolutionren Imperativs, der mit der Forderung der Annihilation der Vorgeschichte ausdrücklich das Ende der Geschichte des Reiches der Freiheit im Blick hat. Innerhalb dieses universalhistorischen Chiliasmus muss nun auch die Religionskritik gesehen werden, die Marx bereits seit Feuerbach – wie die Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie beginnt – im Kern als beendet betrachtet hatte: „Für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.“84 Nach Feuerbachs These, dass Gott nur eine Projektion des menschlichen Bewusstseins in das Unendliche ist, dass mithin Theologie letztlich Anthropologie ist, gehe es nunmehr darum, die Wahrheit des Diesseits zu begründen, oder wie Marx in der 4. These über Feuerbach schrieb: „Also nachdem z. B. die irdische Familie als das Geheimnis der heiligen Familie entdeckt ist, muss nun erstere selbst theoretisch und praktisch vernichtet werden.“ Ganz in diesem Sinne hatte später auch Engels in Bezug auf die christliche Idee vom Reich Gottes und seinem Verhältnis zur Weltgeschichte betont, dass er zwar ebenso an die „Offenbarung in der Geschichte“ glaube und dass für ihn die Geschichte in der Tat „Ein und Alles“ und sogar von noch größerer Bedeutung sei als für Hegel. Engels verwirft jedoch die Idee einer „Geschichte des Reiches Gottes“, weil sie alle wirkliche, geschichtliche Offenbarung entwerte. „Wir reklamieren den Inhalt der Geschichte; aber wir sehen in der Ge83 Ebd., 48. 84 MEW I. Abt., I/1, 246 f. Aus der umfangreichen Literatur zur Religionskritik Marx’ sei hier auf die wichtigsten Studien verwiesen: Johannes Kadenbach, Das Religionsverständnis von Karl Marx, Paderborn 1970; Werner Post, Kritik der Religion bei Karl Marx, Zürich 1969; Angelika Senge, Marxismus als atheistische Weltanschauung. Zum Stellenwert des Atheismus im Gefüge marxistischen Denkens, Paderborn 1983; zum chiliastischen Konzept dieser Religionskritik vgl.: Ernst Topitsch, Die Verkündigung des Karl Marx als Heilslehre und Herrschaftsideologie, in: Karl Marx. Bilanz nach hundert Jahren, hg. v. Konrad Lçw u. a., Köln 1984, 17 – 44; und Lçwith 1979 (s. o. Anm. 66), 49 – 54.

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schichte keine Offenbarung ,Gottes‘, sondern des Menschen.“85 Der der eschatologischen Problematik entlehnte Chiliasmus der jüdisch-christlichen Apokalyptik und „Reich-Gottes-Erwartung“ ist säkularisiert. Folglich verwandelt sich auch die ehemalige „Kritik des Himmels“ in eine „Kritik der Erde“; Kritik der Theologie verwandelt sich zur Kritik an der Ökonomie und Politik. Man muss betonen, dass in dieser chiliastischen Geschichtstypologie des Marxismus der Name Joachim von Fiores – ähnlich wie bei Hegel – nicht vorkommt. Dennoch: blickt man auf die wesentlichen Strukturmomente dieser Geschichtskonzeption, die Vorstellung vom Reich der Freiheit auf Erden, das durch den sozialrevolutionären Umbruch des Proletariats unter der Annihilierung ihrer Vorgeschichte erreicht werde, orientiert sich zweifellos an der temporal-geschichtlichen Struktur des Chiliasmus. Allerdings hat diese Geschichtstypologie mit der Theologie nichts mehr gemein. Dass es sich hierbei um eine säkularisierte Eschatologie handelt, verdeutlicht nicht minder das Bemühen um eine säkularisierte Liturgie.86 Zu einem ähnlichen Ergebnis waren bereits die bedeutenden Studien zur Geschichtsphilosophie der Neuzeit seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gelangt. Schon Jacob Taubes’ umfangreiche Untersuchungen zur abendländischen Eschatologie aus dem Jahr 1947 kamen – ähnlich wie die 85 MEW 1, Abt. II, 427 f. 86 Dies ist auch einer der Gründe, weshalb der Marxismus-Leninismus in der Literatur häufig als Religion oder religiöse Bewegung gedeutet wurde. Aus der umfangreichen Forschung sind hier zu nennen: Robert Charles Tucker, Philosophy and Myth in Karl Marx, Cambridge 1961; Karl Popper, The Open Society and its Enemies, 1962; Nicolas Berdjajev, Les sources et le sens du communisme russe, Paris 1938; Vilfredo Pareto, Mind and Society, New York 1935; Joseph Alois Schumpeter, Capitalism, Socialism and Democracy, London 1943; Paul Ramsey, Nine Modern Moralists, New York 1971; John Middleton Murray, Civilization, London 1925; Alan John Percivale Taylor (Ed.), The Communist Manifesto, Harmondsworth 1967; zum angelsächsischen Versuch, den MarxismusLeninismus als Zivilreligion zu deuten, vgl.: James Thrower, Marxist-Leninist „Scientific Atheism“ and the Study of Religion and Atheism in the USSR, Berlin/ New York/Amsterdam 1983; Ders., Marxism-Leninism as the Civil Religion of Soviet Society. God’s Commissar, Lewiston/Queenston/Lampeter 1992; zur Rekonstruktion der säkularisierten Liturgie in der ehemaligen UdSSR vgl. die Studien von: David Powell, Anti-religious Propaganda of Soviet Union, Cambridge Mass./London 1975, bes. 66 – 84; Christel Lane, The Rites of Rulers, New York 1981; William Peter van den Bercken, Ideology and Atheism in the Soviet Union, New York 1989, bes. 15 – 58.

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Studien von Karl Löwith87 – zu dem Ergebnis, dass die neuzeitliche Geschichtsphilosophie letztlich aus der Säkularisierung der christlichen Eschatologie hervorging. Bekanntlich hatte dieser These Eric Voegelin die provokative Annahme gegenübergestellt, das Signum der Geschichtsphilosophie der Neuzeit sei insgesamt von einer gnostischen Erfahrung bestimmt, die sich unter der materialistischen und säkularisierten Signatur der Neuzeit erhoben habe als Konstruktion einer gnostisch-szientistischen Gegenkultur.88 Unter der gnostischen Erfahrung verstand Voegelin die immanentisierende Hypostasierung des christlich-transzendenten Eschatons. Genau genommen, sei der Gnostizismus eine Reaktion auf die durch die Augustinische Geschichtsphilosophie vollzogene De-Divinisierung von Gesellschaft und Geschichte, und zwar als ein Bemühen einer ReDivinisierung der Geschichte. Im Mittelpunkt der gnostischen Spekulationen stand für ihn der Versuch, das von Augustin in das Jenseits verlegte Eschaton wieder in die Geschichte zurückzuholen. Dies bedeutete, Geschichte werde erneut immanentisiert und durch einen Prozess innerweltlicher Vervollkommnung interpretiert. Gnostisch war nach Voegelin dann auch der erkenntnistheoretische Aspekt des Marxismus-Leninismus in seiner Vorstellung einer Manifestation der absoluten Wahrheit im menschlichen Intellekt zu einem bestimmenden Moment der Geschichte.89 Mithin handele es sich hier – wie es der niederländische Philosoph William Peter van den Bercken in seiner Studie aus dem Jahr 198990 formuliert hat – um eine umfassende Lehre der Erlösung in den Grenzen der Vernunft durch die Verbindung einer wissenschaftlichen Begründung,

87 Lçwith (s. o. Anm. 66), Seite 44 – 48, 162 – 164. 88 Für die neuzeitliche Geschichte vgl. Eric Voegelin, From Enlightenment to Revolution (ed. by John Hamilton Hallowell), Durham N.C. 1975. Zur Diskussion vgl. die Beiträge bei: Peter J. Opitz/Gregor Sebba (Ed.), The Philosophy of Order, Stuttgart 1981; Jacob Taubes (Hg.), Religionstheorie und Politische Theologie, Bd. 2: Gnosis und Politik, München 1984; Peter J. Opitz, Die GnosisThese. Anmerkungen zu Eric Voegelins Interpretation der westlichen Moderne, in: Eric Voegelin, Der Gottesmord. Zur Genese und Gestalt der modernen politischen Gnosis, München 1999, 7 – 35. Zu den gnostisch-eschatologischen Komponenten des Marxismus vgl. auch Ernst Topitsch, Marxismus und Gnosis, in: Ders., Sozialphilosophie zwischen Ideologie und Wissenschaft, Neuwied 1971, 261 ff.; Alain Besancon, The Intellectual Origins of Leninism, Oxford 1981; van den Bercken (s. o. Anm. 86), bes. 15 – 58. 89 Eric Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, hg. v. Peter J. Opitz, München 2004, bes. 183 – 186. 90 van den Bercken (s. o. Anm. 86), 15 – 58.

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revolutionärem Glauben und Motiven, die letztlich der Religion entlehnt ist.91

VII. Chiliasmus im Russland des 19. und 20. Jahrhunderts Auch in der russischen Philosophie blieb die joachimitische Geschichtstypologie – durch den nachhaltigen Einfluss von Hegels, Schellings und Marx’ Philosophie – im frühen Marxismus lebendig, wie dies bereits Krasinskys Schrift Das Dritte Reich des heiligen Geistes deutlich macht. Im Jahre 1898 wurde die „Petersburger Philosophische Gesellschaft“ gegründet.92 Drei Jahre später organisierte der Dichter Dimitri Mereschkówski (1865 – 1941) die „Religiös-philosophischen Versammlungen“, welche Vertreter der Intellektuellen und der Kirche zusammenführen sollte. Aufgrund vielfältiger Kritik an den geschichtlichen und aktuellen Beziehungen zwischen Kirche und Staat wurde diese 91 Ähnlich wie Eric Voegelin die modernen Massenbewegungen des 20. Jahrhunderts in seiner berühmten Schrift „The New Science of Politics“ aus dem Jahr 1938 als religiöse Bewegungen gedeutet hatte, gelangte auch Norman Cohn, Das Ringen um das tausendjährige Reich. Revolutionärer Messianismus im Mittelalter und sein Fortleben in den modernen totalitären Bewegungen, Bern – München 1961, zu dem Ergebnis, dass sowohl der Nationalsozialismus wie auch der Kommunismus letztlich den joachimitischen Chiliasmus beerbt hätten. Cohn hatte diese geschichtsphilosophischen Überlegungen in seiner „Schlußbetrachtung“ (269 – 279) systematisch nicht eingehend entfaltet, sondern eher angedeutet. Für ihre mittelalterliche-joachimitische Geschichte fasste Cohn zusammen: „Dieser Heilsglaube ist gleichfalls besonderer Art, insofern als das versprochene Heil irdischer und kollektiver Natur war. Man erwartete das himmlische Jerusalem auf Erden, dessen Freuden nicht die irrende Einzelseele, sondern die Heldentaten des ,Auserwählten Volkes‘ belohnen“ (270); im Blick auf die totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts heißt es dann: „Und das wiederum entspricht haargenau dem, was in unserer Zeit die zwei großen totalitären Bewegungen – Kommunismus und Nationalsozialismus – besonders in den revolutionären Anfängen aufs deutlichste gekennzeichnet hat. Was diese modernen Bewegungen von üblichen Treiben der politischen Parteien Europas – ob konservativ oder fortschrittlich – so scharf trennt, das ist eben ihre Art, sozialen Zielsetzungen und Konflikten transzendente Bedeutung zu verleihen, sie sozusagen mit dem gesamten mysteriösen und erhabenen Gehalt des endgültigen Weltuntergangsdramas auszustatten.“ (Ebd.) 92 Vgl. zum Folgenden die Hinweise bei: Gustav A. Wetter, Der Dialektische Materialismus. Seine Geschichte und sein System in der Sowjetunion, Freiburg 3 1956, bes. 100 – 102; Wilhelm Goerdt, Russische Philosophie. Zugänge und Durchblicke, Freiburg/München 1984, 62 – 65.

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Versammlung im Jahr 1903 vom Oberprokuror des Heiligen Synod, Konstantin Petrowitsch Pobedonószew (1827 – 1907), verboten. Nikolaj Berdjajew (1874 – 1948), einer der bedeutendsten, 1922 aus der UdSSR ausgewiesenen russischen Philosophen93, aber auch der Dichter Sergej Bulgakov (1871 – 1944) waren diesen „Religiös-philosophischen Versammlungen“ lange Zeit tief verbunden. Diese religiöse Richtung unter ehemaligen Marxisten erhielt in der russischen Literatur den Namen „Gottsucher“ (bogoiskateli). Wichtiger ist jedoch, dass Mereschkówskis Schrift das Christentum des Dritten Testaments Das Dritte Reich von Arthur Moeller van den Bruck beeinflusst hatte, mit dem er bekannt war.94 Wenige Jahre später, nach dem Scheitern der Revolution im Jahr 1907, welches die russische Sozialdemokratie in eine schwere Krise stürzte, bildete sich im russischen Marxismus eine weitere Gruppe, deren Vertreter „Gotterbauer“ (bogostroiteli) genannt wurden. Zu ihnen zählten der spätere Volksbildungskommissar Anatoli V. Lunacarskij (1875 – 1933), Maxim Gorkij – beide gründeten später die unter russischen Kommunisten umstrittene „Parteiarbeiterschule“ und organisierten seit 1918 die „Proletarische Universität“ – und Vladimir Aleksandrovich Bazárov-Rúdnev (1874 – 1939). Lunacarskij und Bogdanow bemühten sich unter neokantianischem Einfluss, den historischen Materialismus in ein transzendentales System der Welterkenntnis umzuwandeln, ohne die Existenz eines Gottes vorauszusetzen.95 Dadurch unterschieden sie sich von den „Gottsuchern“, die in einer kritischen Haltung gegenüber dem Christentum die Religion des „Dritten Testamentes“ gründen wollten, gleichzeitig aber an der Existenz Gottes festhielten. Die „Gotterbauer“ sprachen in ihrer Ablehnung der Theologie vom „Bau“, von seiner Verwirklichung durch das kollektive Werk der Menschheit. Lunacarskij applizierte in seiner Schrift Religija i socializm (Religion und Sozialimus), die 1908 in Sankt Petersburg erschien, ausdrücklich den joachimitischen Chiliasmus auf die Geschichtskonzeption: die Produktionskräfte sind für ihn der Vater, das Proletariat der Sohn, der wissenschaftliche Sozialismus der Heilige Geist. „Indem wir die Erfolge des Genius betrachten, sprechen

93 Ebd., 622 – 641. 94 Vgl. die Hinweise bei Lçwith 1979 (s. o. Anm. 66), 193. 95 Vgl. zum Folgenden ausführlich: Wetter (s. o. Anm. 91), bes. 100 – 102; Manfred Hildermeier, Wladimir Iljitsch Lenin (1870 – 1924), in: Klassiker des Sozialismus, Bd. 2, hg. v. Walter Euchner, München 1991, 27 – 32; hier 35; van den Bercken (s. o. Anm. 86), 15 – 58.

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wir da nicht: Wer ist jener, dem selbst die stürmischen Meere gehorchen? […] Fühlen wir nicht, wie er erstarkt, der neugeborene […] Gott?“96 Lenin hatte daraufhin seinen bedeutendsten epistemologischen Traktat Materialismus und Empiriokritizismus im September 1908 verfasst und die Gegner als verkappte Idealisten beschimpft, weil sie objektiv dem Klassenfeind in die Hände spielten. Voller Verachtung hielt er Lunacarskijs und Bogdanows Philosophie für eine „Vergottung der höchsten menschlichen Potenzen“97. Vor diesem Hintergrund muss man die Reden Lenins lesen, die er zwischen 1905 und 1909 gehalten hatte. Diesen Reden gemeinsam ist das Verhältnis des Marxismus gegenüber der Religion.98 „Es wäre bürgerliche Beschränktheit, zu vergessen, daß der auf der Menschheit lastende Druck der Religion nur Produkt und Spiegelbild des ökonomischen Drucks innerhalb der Gesellschaft ist. Durch keine Broschüren, durch keine Propaganda kann man das Proletariat aufklären, wenn es nicht durch seinen eigenen Kampf gegen die finsteren Mächte des Kapitalismus aufgeklärt wird. Die Einheit dieses wirklich revolutionären Kampfes der unterdrückten Klasse für ein Paradies auf Erden ist uns wichtiger als die Einheit der Meinungen der Proletarier über das Paradies im Himmel.“99

Deutlich wird – und darin geht Lenin über die ökonomische Deutung hinaus, wie sie Marx vorgelegt hatte –, dass der sozialrevolutionäre Imperativ des Chiliasmus sich verschärft und die Vollendung des Reiches auf Erden nicht allein von der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse her erwartet wird, welche die Religion selbst überflüssig machen würde. Diese marxistische Hoffnung, Religion werde nach der Revolution der gesellschaftlichen Verhältnisse überflüssig, wird selbst ein zentraler Aspekt des sozialrevolutionären Imperativs dieser nunmehr leninistisch gedeuteten Konzeption, und zwar als Forderung, ihre Vorgeschichte abzuschaffen. Unmissverständlich heißt es deshalb in dem Artikel „Über das

96 Zitiert nach wetter (s. o. Anm. 91), 101. 97 Wladimir Iljitsch Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus. Kritische Bemerkungen über eine reaktionäre Philosophie, Leipzig 1980 (Nachdruck der zweiten Auflage 1920), hier: 361. Lenin hatte diese Fraktion der „Gotterbauer“ auch in Reden und Briefen heftig angegriffen, so in der Rede „Über das Verhältnis der Arbeiterpartei zur Religion“ und in einem Brief an Maxim Gorki aus dem Jahr 1913 (vgl. hierzu die folgende Sammlung in Anm. 98). 98 Eine Sammlung dieser Reden findet sich in: Wladimir Iljitsch Lenin, Über die Religion, Berlin 111974. 99 Ebd., 10.

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Verhältnis der Arbeiterpartei zur Religion“, der am 13. Mai 1909 in der Zeitschrift „Proletari“ erschien: „Marxismus ist Materialismus. Als solcher steht er der Religion ebenso schonungslos feindlich gegenüber wie der Materialismus der Enzyklopädisten des 18. Jahrhunderts oder der Materialismus Feuerbachs […]. Wir müssen die Religion bekämpfen. Das ist das Abc des gesamten Materialismus und folglich auch des Marxismus […]. Also nieder mit der Religion, es lebe der Atheismus, die Verbreitung atheistischer Anschauungen ist unsere Hauptaufgabe […]. Ein Marxist muß Materialist sein, d. h. ein Feind der Religion, doch ein dialektischer Materialist, der den Kampf gegen die Religion nicht abstrakt, nicht auf dem Boden einer abstrakten, rein theoretischen, sich stets gleichbleibenden Propaganda führt, sondern konkret, auf dem Boden des Klassenkampfes, wie er sich in Wirklichkeit abspielt, der die Massen am meisten und am besten erzieht.“100

Diese Verschärfung des sozialrevolutionären Imperativs, die zu einer politischen Dramatisierung der Geschichtsvorstellung Marx’ führte, für den die Religion letztlich durch die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse gewissermaßen von selbst ihre Entstehungsbedingungen verlieren würde, stellt den wichtigsten Aspekt des Lenin’schen Chiliasmus dar. Er blieb – ein wenig verharmlosend unter dem Begriff der „Atheismuspropaganda“ – konstitutiv für den Marxismus-Leninismus im 20. Jahrhundert. 100 Ebd., 24 – 27. Auch in späteren, noch auf einen Dialog hoffenden Studien zur Religionskritik des Marxismus-Leninismus herrschte einhellige Überzeugung in der Auffassung, dass sein konstitutives Kennzeichnen nicht die Marx’sche Vorstellung des sozialrevolutionären Imperativs ist, der in der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse die Religion als überflüssig erhofft, sondern ein politischer Imperativ gegen jegliche Religion darstellt. Vgl. hierzu: Franz Skoda, Die sowjetrussische philosophische Religionskritik heute, Freiburg/Basel/Wien 1968 (Quaestiones Disputatae 36); Bernd Groth, Sowjetischer Atheismus und Theologie im Gespräch (Frankfurter Theologische Studien 33), Frankfurt a.M. 1986, hier vor allem der 1. Hauptteil: Von der russischen Religionskritik zur sowjetischen Atheismuspropaganda. Rekonstruktion des sowjetischen Atheismus, 29 – 211. Als weitergehende Studien über die Religionspolitik und Atheimuspropaganda in der ehemaligen UdSSR sind zu nennen: Gustav A. Wetter (Hg.), Kampf des Glaubens. Dokumente aus der Sowjetunion, Bern 1967; Bohdan R. Bociurkiw/John W. Strong (Ed.), Religion and Atheism in the USSR and Eastern Europe, London/Toronto 1975; Jean-Pierre Sironneau, Sécularisation et religions politiques, The Hague 1982; James Thrower, Marxist-Leninist ,Scientific Atheism‘ and the Study of Religion and Atheism in the USSR (Religion and Reason 25), Berlin 1983; Paul D. Steeves, Keeping the Faith. Religion and Ideology in the Soviet Union, New York 1989.

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VIII. Chiliasmus im Deutschland des 20. Jahrhunderts Dass der Marxismus-Leninismus vor dem Hintergrund dieses sozialrevolutionär dramatisierten joachimitischen Chiliasmus gesehen werden muss, war bereits die Beobachtung des Münchner Historikers und Journalisten Albert Fritz Gerlich (1883 – 1934), der während des Röhmputsches des Jahres 1934 im KZ Dachau erschossen wurde.101 Gerlichs Kritik am Nationalsozialismus war nicht weniger heftig wie am Kommunismus. Schon ein Jahr nach dem ersten Weltkrieg und zwei Jahre nach der russischen Revolution war eine seiner bedeutendsten Monographien, 1920 mit dem Titel Der Kommunismus als Lehre vom tausendjhrigen Reich in München publiziert, bereits abgeschlossen. In dieser Studie ist faktisch die These Jacob Taubes und Karl Löwiths, die neuzeitlichen Geschichtsphilosophien resultierten letztlich aus der Säkularisierung der abendländischen Eschatologie, vorweggenommen. Gerlich hatte als erster Gelehrter vor Hitlers Machtübernahme 1933 diese Säkularisierung der abendländischen Eschatologie in der Struktur des joachimitischen Chiliasmus gesehen und aus der Geschichtsvorstellung des Marxismus-Leninismus expliziert. Gerlichs frühe Studie über den marxistisch-leninistischen Chiliasmus hatte darüber hinaus aber auch schon vor der bahnbrechenden Arbeit Eric Voegelins über den religiösen Charakter der modernen Massenbewegungen, wie er sie in der Studie The New Science of Politics im Jahr 1938 explizierte, ihre eigentliche religiöse Struktur offengelegt. „Den meisten Menschen in Deutschland wird es heute schwer, die kommunistische Bewegung zu verstehen, weil sie im Kommunismus und seinem Vater, dem marxistischen Sozialismus, nur eine volkswirtschaftliche Theorie zu sehen gewohnt sind. In Wirklichkeit aber ist der Marxismus ebenso wie die sonstigen Formen des heutigen Kommunismus in die Reihe der religiösen Bewegungen einzuordnen. Er ist gerade ein Versuch zu einer neuen Religion.“102 101 Noch während der Zeit des Nationalsozialismus erschienen folgende Lebensbilder: Maurus Carnot, Fritz Gerlich. Ein Blutzeuge für Glauben und Heimat, in: Gedächtnis-Jahrbuch. Dem Andenken an Karl von Österreich gewidmet, Sonderheft 6 (1934/1935, 21935), 2 – 24; Was wird aus Deutschland? Die Voraussagen des Dr. Gerlich erfüllen sich. Zusammengestellt von Spectator, Innsbruck 1934; vgl. darüber hinaus.: Karl Ottmar Freiherr von Aretin, Fritz Michael Gerlich. Ein Martyrer unserer Tage, München 1949; Ders., „Gerlich, Albert Fritz“, in: NDB 6 (1969), 307 f. 102 Albert Fritz Gerlich, Der Kommunismus als Lehre vom Tausendjährigen Reich, München 1920, 9.

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Dass der chiliastische Mythos vom „dritten Reich“ mit Hitlers Machtergreifung 1930 einseitig auf die Ideologie des Nationalsozialismus übertragen wurde, hängt vor allem mit der einflussreichen geschichtsphilosophischen Studie Arthur Moeller van den Brucks Das dritte Reich zusammen.103 Van den Bruck, befreundet mit Mereschkówski und sogar dem russischen Bolschewismus anfangs nahestehend, hatte mit seiner Deutung eine dem Nationalsozialismus dienliche nationalkonservative Sicht des „dritten Reiches“ geboten, das sowohl gegen den Westen wie auch gegen den Osten eine nationale Wiedergeburt des „dritten Reiches“ postulierte. Programmatisch heißt für Moeller van den Bruck das „dritte Reich“: „Die dritte Partei will das dritte Reich. Sie ist die Partei der Kontinuität deutscher Geschichte. Sie ist die Partei aller Deutschen, die Deutschland dem deutschen Volke erhalten wollen.“ Was hier als eine eher nationalkonservative Deutung des „dritten Reiches“ begegnet, wurde mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 als Geschichtstypologie und als Mythos vom „dritten Reich“ unmittelbar für Hitlers Geschichtsidee übernommen. Aber schon zwei Jahre nach dieser Machtübernahme kam vehementer Protest gegen diese Anleihe des joachimitischen Chiliasmus für den Nationalsozialismus, und zwar von dem später in Leipzig und dann in Tübingen lehrenden marxistischen Philosophen Ernst Bloch (1885 – 1977). Sein Beitrag zu diesem Thema lautet Zur Originalgeschichte des dritten Reiches. 104 Blochs 103 Diese Schrift des Dostojewsky-Übersetzers van den Bruck erschien erstmals in Berlin 1922, weitere Auflagen 1923 und 1931. Vgl. hierzu auch: Alois Dempf, Das dritte Reich. Schicksal einer Idee, in: Hochland 29/1 (1931/1932), 158 – 171; Jean Neurohr, Der Mythos vom Dritten Reich. Zur Geistesgeschichte des Nationalsozialismus, Stuttgart 1957, vor allem aber: Michel Grunewald, Moeller van den Brucks Geschichtsphilosophie, 2 Bde., Bern u. a. 2001. 104 Ernst Bloch, Zur Originalgeschichte des Dritten Reiches (1935), in: Erbschaft dieser Zeit, erweiterte Ausgabe Frankfurt a.M. 1962, 126 – 152; Wiederabdruck in: Arnhelm Neusss (Hg.), Utopie. Begriff und Phänomen des Utopischen, Frankfurt/New York 21986, 193 – 218. Blochs Grundthese, der marxistische Chiliasmus habe im Grunde die mittelalterliche und frühneuzeitliche – wie bei Thomas Müntzer und im Schwärmertum – Ketzer- und Freiheitsgeschichte beerbt, ist auch von anderen Autoren im 20. Jahrhundert vertreten worden. Schon Herbert Schönebaums kleine Studie aus dem Jahr 1919 „Kommunismus im Reformationszeitalter. Humanisten – Reformatoren – Wiedertäufer“, Bonn – Leipzig, hatte als eine der philosophischen Wurzeln des Kommunismus das reformatorische Wiedertäufertum identifiziert. Noch zwei Jahre nach dem 2. Weltkrieg erschienen in dem von der Roten Armee besetzten Teil Deutschlands die beiden Bände von Karl Kautsky, Vorläufer des neueren Sozialismus, in denen Kautsky – ganz im Sinne von Ernst Bloch – die geschichtsphilosophische Tradition

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Beitrag stellt ein einzigartiges Plädoyer gegenüber einer illegitimen Instrumentalisierung des Mythos vom „Dritten Reich“ durch den Nationalsozialismus zugunsten einer wahrhaften, das heißt auf Freiheit zielenden Geschichtskonstruktion dar, wie sie für Bloch allein in der Tradition des Marxismus-Leninismus gegeben sei: „Im Folgenden ist von mancherlei Altem und Sonderbaren die Rede. Es ist vergaunert worden, und wie, aber man muß dem Gauner nicht nur auf die Finger sehen, sondern auf das, was er darin hält. Besonders wenn er es gestohlen hat, wenn die verdreckte Sache einmal in besseren Händen war […]. Gerade der Terminus Drittes Reich hat eine lange Geschichte, eine echt revolutionäre […]. Damit aber der revolutionäre Schein nicht zu kurz komme, fügte Moeller van den Bruck, der eigentliche Erneuerer des Terminus, mystische Überlieferungen aus ganz anderen „Reichen“ hinzu. Denn im Original hatte das Dritte Reich den sozialrevolutionären Idealtraum der christlichen Ketzerei bezeichnet: den Traum von einem Dritten Evangelium und der Welt, die ihm entspricht […]. Zwei Glanzmotive haben vom zwölften bis sechzehnten Jahrhundert das revolutionäre Bewußtsein erregt: die Motive des Retters und eben des Dritten, zuletzt gar des Tausendjährigen Reichs, in das der Retter-Befreier […] führt.“105

Bloch entwickelt die wahre Tradition des „Dritten Reiches“ infolge der nunmehr bekannten geschichtlichen Stationen. Hier begegnen die biblischen (die Prophezeiungen Jesajas und Daniels) und außerbiblischen Motive vom Retter und Parakleten ebenso wie die Versuche seiner geschichtlichen Realisierung bei Joachim von Fiore, bei den Taboriten und bei Thomas Müntzer. Verdunkelt worden sei diese Tradition in der bürgerlichen Gesellschaft, in der „das dritte Zeitalter […] den gleichen Humanitätszustand im Nebel und in Allgemeinheit (proponierte), dem die sozialistische Revolution in Sonne und Präzision zusteuern will […]. Es überrascht daher nicht, daß der Dritte-ReichGedanke – bei Lessing noch so kräftig – mit dem Sieg der Bourgeoisie erlischt oder nur noch sporadisch und unverstanden vorzukommen pflegt. So bei Schelling in seinem Alterswerk, den oft reaktionären Vorlesungen über „Philosophie der Offenbarung“; die joachitische Tradition, bei Lessing noch lebendig, war hier bereits so abgerissen, daß nur mehr das Schema, nicht aber der Inhalt der Abfolge erinnert geblieben ist.“106

des Sozialismus über Platon und den Urkommunismus, den Joachimismus und die Ketzergeschichte des Mittelalters sowie das Wiedertäufer- und Schwärmertum der Reformationszeit expliziert. 105 BLOCH (s. o. Anm. 104), 193 f. 106 Ebd., 205.

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Die Nationalsozialisten hätten dann den Terminus in illegitimer Weise aus Dostojewskij entnommen, dessen Werke kein anderer als Moeller van den Bruck herausgegeben hatte: „So kam das „Dritte Reich“ von neuem zurecht, doch welch ein anderes als das des Joachim und Lessing; glühende Finsternis fiel aufs Land, eine Nacht voll Blut und lauter Satan. Das also ist die „Wirklichkeit“ der alten Liebes- und Geistträume geworden; Lessings „rationales Evangelium“ hier, Hitlers „Mein Kampf“ dort. Einzigartig hat der Nazismus sowohl die ökonomische Unwissenheit wie das immer noch wirksame Hoffnungsbild, Chiliasmusbild früherer Revolutionen für sich mobilisiert.“107

In seinem Plädoyer für die wahrhafte Geschichte des „Dritten Reiches“ hält es Bloch geradezu für „das Gebot der Stunde“, den realen, sozialrevolutionären Kern herauszuschälen, wie er sich mit einem „Gesicht an der Spitze“ verbindet, „das sie (die revolutionäre Klasse) hinreißt. Einen Steuermann, dem sie vertrauen und dessen Kurs sie vertrauen; die Arbeit auf dem Schiff geht dann leichter“. Am nachhaltigsten sieht Bloch die Vision vom „Dritten Reich“ – und das verwundert an dieser Stelle nicht mehr – in der Geschichtstypologie des Kommunistischen Manifests gegeben: „Das Kommunistische Manifest enthält noch kein Wort von Führern, oder nur zwischen den Zeilen, gleichsam im mitgegebenen Dasein seiner Verfasser, derer, die es erlassen haben. Doch sobald das Manifest realisiert zu werden begann, leuchtete neben den stiftenden Vätern des Marxismus der Name Lenin auf, und die Erscheinung Dimitroffs in Leipzig hat der Revolution mehr geholfen als tausend Breittreter oder Referenten in Versammlungen. Derart menschliche Dinge wie die Revolution lassen sich ohne sichtbare Menschen, ohne das Bild wirklicher Personen (nicht Götzen) kaum durchführen. In der klassenlosen Gesellschaft mag und wird das überflüssig, ja völlig anders sein […]. Lenin hat sogar im Begriff der Ideologie einen guten Kern herausgearbeitet, einen Kern ohne Nebel und Betrug, und er hat ihn pointiert, als er den Sozialismus die Ideologie der Arbeiterklasse nannte. Ebenso fällig ist die Rettung des guten Kerns der Utopie (als eines Begriffs, der höchstens im Nebel, niemals im Betrug lag); die konkret-dialektische, die in der wirklichen Tendenz erfasste und lebendige Utopie des Marxismus ist diese Rettung […]. Mit anderen Worten: Das marxistisch geführte Werk kritisiert die Ideologie der undurchschauten Notwendigkeit, indem es sie durchschaut und vernichtet, aber die Utopien der undurchschauten Freiheit, indem es sie durchschaut und erfüllt.108 107 Ebd., 206. 108 Ebd., 213 – 218. Bloch verweist auf eine öffentliche Diskussion in Berlin unmittelbar vor der Machtübernahme Hitlers zwischen dem Nationalsozialisten Hielscher, dem Jesuiten Erich Przywara und dem protestantischen Theologen Günther Dehn (1882 – 1970) – bekannt auch durch sein Engagement in der

Der Mythos vom „Dritten Reich“

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Blochs Plädoyer für die Rettung der wahrhaften Bedeutung der Geschichtstypologie vom „Dritten Reich“ blieb erfolglos. Es ist klar, dass nach der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft mit ihrem Versuch, das tausendjährige „Dritte Reich“ zu verwirklichen, der Begriff selbst obsolet geworden ist. Gleichwohl: die chiliastische „Dauerversuchung“ ist – blickt man auf den wachsenden Millenarismus in den USA – möglicherweise lebendiger denn je. Richard Bauckham schließt seinen Überblick über den Chiliasmus zum Ende des 20. Jahrhunderts mit der Feststellung: „Heute sind chiliastische Vorstellungen unter konservativen christlichen Kreisen – britischen konservativen Evangelikalen, amerikanischen Fundamentalisten, der Pfingstbewegung – wahrscheinlich weiter verbreitet als je zuvor.“109

deutschen Bewegung für den religiösen Sozialismus – zum Thema „Reich und Kreuz“. In dieser Diskussion hatte – so Bloch – Günther Dehn darauf verwiesen, dass das imperialistische Nazireich „die Ideen des Friedens und der Gerechtigkeit nirgends berücksichtige“; Dehn habe sogar auf die Öde des Reichsbegriffes gegenüber der kommunistischen Lehre hingewiesen, in der wenigstens noch heilsgeschichtliche Erwartungen nachklängen. In deren Idee der klassenlosen Gesellschaft handele es sich wenigstens noch um eine aktuelle „Umwandlung altchristlicher und theologisch-ketzerischer Fixierungen“. „Hier ist“ – wie Bloch betont – „der wichtigste Berührungspunkt zwischen christlichem und kommunistischem Antifaschismus“ (Ebd., 214). 109 Richard Bauckham, „Chiliasmus IV. Reformation und Neuzeit“, in: TRE 7 (21993), 737 – 745, hier 743. Zur Geschichte des Chiliasmus im 19. Jahrhundert unter millenaristischen Bewegungen wie der „Kirche Christi der Heiligen der letzten Tage“, der „Neuapostolischen Gemeinden“, der Gemeinden des „Deutschen Tempels“, der „Harmonisten“, der „Sieben-Tags-Adventisten“ oder der „Mormonen“ vgl. bereits die Studie von Fritz Herkenrath, Die eschatologischen Religionsgemeinschaften des 19. Jahrhunderts. Eine soziologische Untersuchung, Köln 1930.

Friedrich Niewöhner Liste der Veröffentlichungen 0. Ein Kollegienhaus in Tübingen (Leserbrief). In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. August 1962, Nr. 186, S. 6. 1. Dialog und Dialektik in Platons Parmenides. Untersuchungen zur sogenannten Platonischen Esoterik. Monographien zur Philosophischen Forschung, Bd. 78, Meisenheim 1971. 2. Rez.: H. Gundert: Dialog und Dialektik. Amsterdam 1971. In: Philosophischer Literaturanzeiger 25, 1, 1972, S. 16 – 20. 3. Rez.: Mose ben Maimon: Sein Leben, seine Werke und sein Einfluß. 2 Bde. Leipzig 1908 – 1914. Nachdruck Hildesheim 1971. In: Philosophischer Literaturanzeiger 25, 3, 1972, S. 130 – 137. 4. Rez.: G. Koumakis: Platons Parmenides. Bonn 1971, und: H.G. Zekl: der Parmenides. Marburg 1971. In: Philosophisches Jahrbuch der Görresgesellschaft 79, 2, 1972, S. 410 – 415. 5. Das Verhältnis von Naturphilosophie und Ethik im „More Nebuchim“ des Maimonides. In: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 14, 3, 1972, S. 336 – 358. 6. Rez. Mose ben Maimon: Führer der Unschlüssigen. Dtsch. von A. Weiss, 3 Bde. 1923. Mit einer neuen Einleitung in 2 Bden neu hg. von J. Maier, Hamburg 1972. In: Philosophisches Jahrbuch der Görresgesellschaft 80, 1, 1973, S. 200 – 204. 7. Rez. A. Levavi: Person, Kultur, Unendlichkeit. Beihefte zur Philosophia Naturalis 5, 1971. In: Philosophischer Literaturanzeiger 26, 4, 1973, S. 240 – 251. 8. Merchciana-Merchana-Marcana-Mercava. Eine Anmerkung zur Begriffsgeschichte von „Merkabah“ in der frühen christlichen Kabbala. In: Archiv für Begriffsgeschichte 16, 2, 1972 (erschienen 1973), S. 245 – 249. 9. Artikel „Glaubensartikel II“ ( jüdische Philosophie). In: HWP, Bd. III, 1974, Sp. 658 – 662. 10. Artikel „Herrlichkeit III“ ( jüdische Philosophie). In: HWP, Bd. III, 1974, Sp. 1080 – 1084. 11. Das Verhältnis von Naturphilosophie und Ethik im „More Nebuchim“ des Maimonides. In: Akten des X. Deutschen Kongresses für Philosophie (Kiel 1972). Hamburg 1973, S. 409 – 415. 12. Platons aporetisch-dialektische Metaphysik. Zu G. Martins „Platons Ideenlehre“. In: Philosophisches Jahrbuch der Görresgesellschaft 81, 2, 1974, S. 407 – 411. 13. Rez.: Platon: Parmenides. Griechisch-Deutsch. Hamburg 1972. In: Philosophischer Literaturanzeiger 27, 3, 1974, S. 176 – 179.

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Friedrich Niewöhner

14. Die Diskussion um den Kalam und die Mutakallimun in der europäischen Philosophiegeschichtsschreibung. In: Archiv für Begriffsgeschichte 18, 1, 1974, S. 7 – 34. 15. Die Wissenschaft des Judentums in Deutschland seit 1812 und die Anfänge des Zionismus (Zur Geschichte der Kontroverse um das ’Wesen des Judentums’). In: EMUNA X, 3 – 4, 1975, S. 72 – 82. 16. Isaac Breuer und Kant. Ein Beitrag zum Thema „Kant und das Judentum“. Teil I. In: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 17, 2, 1975, S. 142 – 150. 17. Bibliographie d’Ouvrages en langues europeenes concernant le Kalam. Complement. In: Bulletin de Philosophie Medievale 16 – 17 (1974 – 1975). Louvain 1975, S. 189 – 195 (eine Ergänzung zu Albert Naders Bibliographie). 18. Artikel „Kabbala“. In: HWP, Bd. IV, 1976, Sp. 661 – 666. 19. Artikel „Kalam“. In: ebd., Sp. 669 – 672. 20. Artikel „Judentum, Wesen des“. In: ebd., Sp. 649 – 653. 21. Artikel „Judentum, Wissenschaft des“. In: ebd., Sp. 653 – 658. 22. Maimonides und Kant oder Woher kannte Kant Maimonides? In: EMUNA 1976, 4, S. 11 – 19. 23. Rez.: Studies in Maimonides and St. Thomas Aquinas. Selected with an Introduction and Bibliography by Jacob I. Dienstag. New York 1975. In: EMUNA 1976, 4, S. 19 – 20. 24. Isaac Breuer und Kant. Teil II (Edition des 5. Kapitels aus I. Breuers unveröffentlichter Autobiographie, in dem sein Verhältnis zu I. Kant beschrieben wird). In: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 19, 2, 1977, S. 172 – 185. 25. Ein schwieriges Maimonides-Zitat im ’Tractatus Theologico-Politicus“ und Hermann Cohens Kritik an Spinoza. In: Zeitschrift für philosophische Forschung (Spinoza-Sonderband) 31, 4, 1977, S. 618 – 626. 26. ’Primat der Ethik’ oder ’erkenntnistheoretische Begründung der Ethik’? Thesen zur Kant-Rezeption in der jüdischen Philosophie. In: Judentum im Zeitalter der Aufklärung. Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung. Bd. 4, hg. von dem Vorstand der Lessing-Akademie. Wolfenbüttel 1977, S. 119 – 161. 27. Spinoza: Tractatus Theologico-Politicus. Lateinisch-Deutsch. Neu hg. und bearbeitet von G. Gawlick und F. Niewöhner. Darmstadt 1979 (2.Aufl. 1989). 27.a) Zum Begriff „Monismus“ bei Haeckel und Ostwald. In: Archiv für Begriffsgeschichte. Bd. XXIV, 1, 1980, S. 123 – 126. 27.b) Vorüberlegungen zu einem Stichwort: „Philosophie, jüdische“. In: Archiv für Begriffsgeschichte. Bd. XXIV, 2, 1980, S. 195 – 220. 27.c) Artikel „Merkabah“. In: HWP, Bd. V, 1980, Sp. 1148 – 1153. 27.d) Artikel „Middot“. In: HWP, Bd. V, 1980, Sp. 1388 – 1391. 28. Sprache und religiöse Erkenntnis bei Maimonides am Beispiel ’Willensfreiheit des Menschen’. In: Sprache und Erkenntnis im Mittelalter. VI. Internationaler Kongreß für Mittelalterliche Philosophie. Bonn 1977. In: Miscelleaneae Mediaevalia 13. 2. 1981, S. 921 – 929.

Liste der Veröffentlichungen

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29. Einführung und Bibliographie (S.VII-XXVIII) zu: Maimonides: Acht Kapitel. Arabisch-Deutsch hg. von F. Niewöhner. Hamburg 1981 (Ph.B. 342), 2.Aufl. 1992. 30. The Jews of Jemen (1973 – 1975) (Hebräisch). In: Pe’ amin. Studies in the Cultural Heritage of Oriental Jewry. No.10, Jerusalem (Hebräische Universität) 1981, S. 131 – 133. 31. Der Name und die Namen Gottes. Zur Theologie des Begriffs „Der Name“ im jüdischen Denken. In: Archiv für Begriffsgeschichte. Bd. XXV, 2, 1981 (1983), S. 133 – 151. 32. Einleitung zu: Jakob von Edessa: Scholion über den ausgezeichneten und besonderen Namen. In: ebd., S. 151 – 161. 33. Gershom Scholem gestorben. In: FU-Info 3, 1982, S.6. 34. War der Kurdenfürst Bedir-Khan-Bey an der Schlacht von Nisib beteiligt? Ein unveröffentlichter Brief des Generalfeldmarschalls Helmuth von Moltke. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Bd. 133, 1, 1983, S. 134 – 144. 35. Abraham Cohen de Herrera in Hamburg. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte. Bd. 35, Heft 2, 1983, S. 163 – 167. 36. Artikel „Name Gottes I“ (A.T.) In: HWP, Bd. VI, 1984, Sp. 389 – 396. 37. Artikel „Orthodoxie, jüdische“. In: ebd., Sp. 1385 – 1387. 38. Die Religion Noahs bei Uriel da Costa und Baruch de Spinoza. Eine historische Miniatur zur Genese des Deismus. In: C. De Deugd (Ed.): Spinoza’s Political and Theological Thought. Amsterdam 1984, S. 143 – 149. 39. Maimonides und die Tradition der Ringparabel. Zum 850. Geburtstag des Verfassers der „Mischneh Torah“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. April 1985, Nr. 77, S. 23. 40. Spinoza und die Pharisäer. Eine begriffsgeschichtliche Miszelle zu einem antisemitischen Slogan. In: Studia Spinozana, Bd. 1, Hannover 1985, S. 347 – 355. 41. Maimonides. Eine Erinnerung an seinen 850. Geburtstag. In: BibliotheksInformationen der Freien Universität Berlin. Nr. 11, April 1985, S. 5 – 8. 42. Faltblatt „Maimonides“; Maimonides-Ausstellung der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin (1. Mai bis 15. Juni 1985). 43. Vom Lesen alter Bücher. Eine Kontroverse um den Philosophen Leo Strauss. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. November 1985, Nr. 275, S. 35. 44. Von Moses zu Moses. Die Philosophie des Maimonides zweihundert Jahre nach Mendelssohns Tod. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. März 1986, S.36. 45. Über Friedrich II. und Kant. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Januar 1986, S. 31. 46. Auf jiddisch über Anarchismus (Leserbrief). In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Januar 1986, S.8. – Auf jiddisch wieder abgedruckt und kommentiert. In: Problemen, Nr. 144, Tel-Aviv, März 1986, S. 24. 47. Franz Rosenzweig in neuer Sicht. Die Edition als Manipulation des Lesers. In: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte, Bd.15, Tel-Aviv 1986, S. 491 – 512.

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Friedrich Niewöhner

48. Vom Elend der Aufklärung. Jüdische Philosophiegeschichtsschreibung im 19. Jahrhundert. In: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte, TelAviv, Beiheft X „Juden in der deutschen Wissenschaft“, 1986, S. 53 – 73. 49. Are the founders of religions impostors? In: S. Pines and Y. Yovel (Ed.), Maimonides and Philosophy, Leiden 1986, S. 233 – 245. 50. Der gläubige Skeptiker. Das heutige Bild vom Philosophen Moses Mendelssohn. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Oktober 1986, Nr. 227, S. 36. 51. Mystik gegen Korruption und Gewalt. Eine islamische Antwort auf den Terror der Assassinen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Juni 1986, Nr. 132, S. 31. 52. Maimonides und Spinoza. Guest-Lectures and Seminar Papers on Spinozism. A Rotterdam Series, ed. by Dr. Wim Klever, No. 1. Erasmus Universiteit Rotterdam, Centrale Interfaculteit 1986. 53. Neue Zeitschriften zu Judentum und Islam. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. November 1986, Nr. 257, S. 33. 54. Maimonides. In: Argumente für Gott. Gott-Denker von der Antike bis zur Gegenwart. Ein Autoren-Lexikon, hg. von K.-H. Weyer. Freiburg 1987, S. 236 – 237. 55. Kants Pegasus. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Mai 1987, Nr. 122, S. 35. 56. Rez.: A. Altmann: Von der mittelalterlichen zur modernen Aufklärung. Tübingen 1987. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 39. Jg., Heft 4, 1987, S. 352 – 353. 57. Rez.: N. Schneider (Ed.): Spinoza. His Thought and Work. Jerusalem 1983. In: Studia Spinozana 3, 1987, S. 527 – 530. 58. Maimonides. Aufklärung und Toleranz im Mittelalter. Kleine Schriften zur Aufklärung, Heft 1, Heidelberg 1988. 59. Veritas Sive Varietas. Lessings Toleranzparabel und das Buch von den drei Betrügern. Lambert Schneider Verlag, Heidelberg 1988. 60. The ’Parable of the Ring’ and the book ’De tribus Impostoribus’ in Guillaume Postel’s letter of 24. August to Andreas Masius. In: Postello, Venezia e il suo Mondo. A cura di Marion Leathers Kuntz. Firenze 1988 (= Civilità Veneziana – Saggi 36), S. 305 – 315. 61. De tribus Impostoribus. In: Lexikon der philosophischen Werke, hg. von Franco Volpi und Julian Nida-Rümelin. Stuttgart 1988, S. 154. 62. Dalalat al-Ha’irin. Ebd., S. 86 – 87. 63. Hinter den Schleiern des Himmels. Die Autobiographie des al-Ghazali in deutscher Übersetzung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. März 1988, Nr. 60, S. 8. 64. Bibliographia schel Kotbei Shlomo Pines. Zusammen mit Aryeh L. Motzkin. In: Shlomo Pines Jubilee Volume Bd. I. Jerusalem 1988, S. 17 – 38. 65. Jüdisch-christliches Religionsgespräch im 18. Jahrhundert mit Maimonides und Eisenmenger. In: Julius Schoeps/Heinz Kremers (Hg.): Das jüdischchristliche Religionsgespräch. Stuttgart/Bonn 1988. S. 21 – 40. 66. Anarchismus und Natur oder Leibniz und Kropotkin. Ein pessimistischer Essay. In: prima philosophia, Bd. 1, Heft 3, 1988, S. 355 – 368.

Liste der Veröffentlichungen

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67. Rez.: Martin Friedrich: Zwischen Abwehr und Bekehrung. Die Stellung der deutschen evangelischen Theologie zum Judentum im 17. Jahrhundert. Tübingen 1988. In: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte, 58. Jg., 1989, S. 227 – 229. 68. Emanuel Swedenborg in Wolfenbüttel. In: Das achtzehnte Jahrhundert. 12. Jg., Heft 1. Wolfenbüttel 1988, S. 118 – 119. 69. Artikel „Pilpul“. In: HWP, Bd.VII, 1989, Sp. 974 – 976. 70. Artikel „Philosophie, jüdische“. In: HWP, Bd. VII, 1989, Sp. 900 – 904 (auch in: K. Gründer, Hg.: „Philosophie in der Geschichte ihres Begriffs“. Basel 1990, Sp. 900 – 904.) 71. Artikel „Pharisäer/Pharisäismus III (philosophisch) „. In: HWP, Bd. VII, 1989, Sp. 539 – 542. 72. Artikel „Potenzen II“. In: HWP, Bd. VII, 1989, Sp. 1169 – 1171. 73. „Ich habe keinen Garten und habe kein Haus“. Ein unbekanntes Gedicht Schmuel Josef Agnons in der Übersetzung von Gerhard Scholem. Auch Anmerkungen zur Geschichte einer zerbrochenen Freundschaft. In: Disiecta Membra. Studien Karlfried Gründer zum 60. Geburtstag, Basel 1989, S. 82 – 92. 74. Wo die letzten Anhänger des Sabbatai Zwi begraben liegen. Der „Selanikli“Friedhof in Üsküdar. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. 3. 1989, S. 10. 75. Der Quäker Spinoza. Rez. von: Richard H. Popkin und Michael A. Signer: Spinoza’s Earliest Publication? Assen/Wolfeboro 1987. In: Studia Spinozana 4, 1988, S. 398 – 407. 76. Reyes Mate/Friedrich Niewöhner (Coords): La Ilustración en Espana y Alemania. Barcelona 1989. Darin: Presentación, S. 7 – 9, und Amoldamiento y Altivez, o el Lector Debe Ser el Rey. Anotaciones sobre la forma literaria de la filosofìa ilustrada del siglo XVIII, S. 13 – 23. 77. Fergana – Muster einer Garnisonsstadt des 18. Jahrhunderts. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 6. 1989, Nr. 134, S.7. 78. Zur Geschichte des christlich-islamischen Dialoges. In: Hannoversche Studien über den Mittleren Osten, hg. von A. Mahrad. Bd. 7, Hannover 1989, S. 33 – 39. 79. Mendelssohn als Philosoph – Aufklärer – Jude. Oder: Aufklärung mit dem Talmud. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 41,2, 1989, S. 119 – 133. 80. Rez.: Supplementum Festivum. Studies in Honor of Paul Oskar Kristeller. Ed. by J. Hankins/J. Monfasani/F. Purnell Jr., New York 1987. In: „Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen“. Jg. XIV, 1. 1990, S .44 – 46. 81. Brechungen (Nachruf auf Shlomo Pines). Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. 2. 1990, Nr. 32, S. N3. 82. Theokratie als Verzicht auf Staatlichkeit. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. 2. 1990, Nr. 50, S. N4. 83. Rez.: Renaissance Humanism Studies in Philosophy and Poetics by Ernesto Grassi. Medieval and Renaissance Texts and Studies. Binghamton, New York 1988. In: „Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen“. 14. Jg., Heft 2, 1990, S. 101 – 102.

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Friedrich Niewöhner

84. P. Ganz/R.B.C. Huygens/F. Niewöhner (Hg.): Auctoritas und Ratio. Studien zu Berengar von Tours. Wiesbaden 1990 (= Wolfenbütteler MittelalterStudien Bd. 2), S. 1 – 2 „Vorwort“. 85. Rez.: I. Hebraica (Saec.X ad Saec.XVI). Manuscripts and early printed Books from the Library of the Valmadonna Trust. An Exhibition at the Pierpont Morgan Library New York. Catalogue by Brad Sabin Hill, Valmadonna Trust Library 1989. In: „Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen“, 15. Jg., Heft 1, 1991, S. 32 – 33. 86. Hebrew Incunabula in Public Collections. A First International Census. Compiled by A.K. Offenberg. In collaboration with C. Moed – Van Walraven. Nieuwkoop: De Graaf Publishers 1990 (= Bibliotheca Humanistica Vol.XLVII, XXIV und 214 Seiten. In: „Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen“. ebd., S. 33 – 35. 87. Die moralischen Tugenden garantieren den Frieden der Welt. In: Bert W. Strassburger: Maimonides. Sein Leben und sein Werk. Frankfurt 1991, S. 69 – 70. 88. „Sonnenfels’ gesammelte Schriften“.– In U. Konrad und M. Staehelin: allzeit ein Buch. Die Bibliothek Wolfgang Amadeus Mozarts. Wolfenbüttel 1991 (Ausstellungskatalog der Herzog August Bibliothek Nr. 66), S. 52 – 55. 89. „Phädon von Mendelssohn“. In: ebd., S. 77 – 79. 90. Kann man Kulturgeschichte europäisch betreiben? Zwei Überlegungen. In: UniPresse. Zeitschrift der Universität Augsburg. Heft 1, Februar 1992, S. 38 – 39. Wieder abgedruckt in: Wolfenbütteler Bibliotheks-Informationen, 17. Jg., Nr.1 – 4, Dezember 1992, S. 20 – 21. 91. Sulamith und Jedidja oder Jeremia Heinemann, David Friedländer und der Erstdruck von Mendelssohns Psalmenkommentar in der „beliebten Zeitschrift Jedidja“. In: Bild und Selbstbild der Juden Berlins zwischen Aufklärung und Romantik. Beiträge zu einer Tagung, hg. von Marianne Awerbuch und Stefi Jersch-Wenzel, Berlin 1992, S. 179 – 209. 92. Gemeinsame Sprache zwischen Juden und Nichtjuden finden. In: Wolfenbütteler Zeitung, 7./8. März 1992, o.P. 93. Wolfenbütteler Arbeitsgruppe „Colloquium Heptaplomeres“. In: Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen, 16. Jg., Heft 1, April 1992, S. 48 – 49.– = Bibliothèque d’Humanisme et Renaissance. Tom. LIV, 1992, N8 1, S. 258 – 259. = Renaissance Hefte Nr. 2, Berlin 1992, S. 90 – 91. = Journal of the History of Ideas. Vol. 53, No. 1, 1992, S. 165. 94. Ein islamischer Feminist. Averroes provoziert als politischer Denker noch heute die Fundamentalisten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. September 1992, Nr. 216, S.N5. 95. Scholems Sabbatai Zwi – Mystik und Moderne. Hg. von der Hessischen Landesvertretung in Bonn. Wiesbaden 1992. 96. Die große Reise nach Jerusalem. Über den Eintritt des Judentums in die Geschichte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Oktober 1992, Nr. 230 (Bilder und Zeiten) (= Nr. 95 gekürzt). 97. Reyes Mate, Friedrich Niewöhner (Eds.): El Precio de la „Invención“ de América. Barcelona 1992. (= Pensamiento Crítico/Pensamiento Utópico Nr. 68) Darin: a) „Presentación“, p. 7 – 9. b) „El Emperador y su último

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sirviente. O bien: Sólo el que se ergana a sí mismo vive a gusto (Lazarillo de Tormes), p. 29 – 41. 98. Johann Gottfried Eichhorns Übersetzung des Ibn Tufail (1783) nebst seiner Vorrede zu dieser. In: Theologie und Aufklärung. Festschrift für Gottfried Hornig zum 65. Geburtstag. Hg. von W.E. Müller und H.H.R. Schulz. Würzburg 1992, S. 112 – 133. 99. Die Ringparabel des Spaniers Salomon Ibn Verga (1507). In: E. Benito Ruano/ M. Espadas Burgos (Coord.): 178 Congreso Internacional de Ciencas Historicas Sección Cronológia II. Madrid 1992, S. 648 – 650. 100. Anmerkungen zum Begriff eines „Jüdischen Humanismus“. In: Archiv für Begriffsgeschichte, Bonn 1992. (= Bd. XXXIV. 1991), S. 214 – 224. 101. Jürgen Habermas und Friedrich Niewöhner zu Scholems „Sabbatai Zwi“. In: Babylon. Beiträge zur jüdischen Gegenwart. Heft 10 – 11/1992, S. 146 – 157. (= Nr. 95 in vollem Wortlaut) 102. Arnold Zweig an Hermann Strucks Grab 1944. Ein neuentdecktes Zeugnis für die Freundschaft zweier Künstler. In: Kunst und Antiquitäten, Heft 12, 1992, S. 35 – 37. 103. Religionsgespräche im Mittelalter. Hg. von Bernard Lewis und Friedrich Niewöhner. Wiesbaden 1992 (= Wolfenbütteler Mittelalter-Studien Bd.4). Darin: Vorwort S. 7 – 10 und „Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit. Ibn Kamuna’s historisch-kritischer Religionsvergleich aus dem Jahre 1280“. S. 357 – 369. 104. Artikel „Philosemitismus“. In: Evangelisches Kirchenlexikon, Bd.3, Göttingen 1992, Sp. 1191 – 1194. 105. An den jüdisch-ostjüdischen Gegensatz erinnert. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Dezember 1992, S. 106. „…Spanien und Franken, zum Lachen merkwürdig“. Der „Columbus“Roman von Jakob Wassermann. In: Zeitschrift für Deutsche Philologie, hg. von Werner Besch und Hartmut Steinecke in Verbindung mit Christoph Cormeau/Norbert Oellers/Helmut Tervooren. 111. Band, Heft 4, 1992, S. 594 – 607. Vgl. Christian Geyer: Die fixe Idee, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. März 1992, S.N5. 107. Artikel „Schechina“. In: HWP, Bd.8, Basel 1992, Sp. 1226 – 1230. 108. Artikel „Sabbatianismus“. In: HWP, Bd. 8, Basel 1992, Sp. 1093 (Red.). 109. Philosophie und Theologie – Zum Ursprung der Lehre von der doppelten Wahrheit im Islam. In: Freiheit Gottes und Geschichte der Menschen. Forschungsgespräch aus Anlaß des 65. Geburtstags von Professor Dr. Richard Schaeffler. Annweilen/Essen 1993, S. 75 – 91. 110. Artikel „Al-Ghazali“. In: LThK 1, Freiburg 1993, S., Sp.394. 111. Dionysische Politik. Der Nietzscheanismus der jüdischen Erneuerungsbewegung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Mai 1993, Nr. 115, S.N5. Wiederabgedruckt im Programmheft des Symposions der Stiftung Weimarer Klassik (14.–16. 10. 1994) „Jüdischer Nietzscheanismus seit 1888“. 112. Warum übersetzte Sebastian Franck Moses Ben Jacob aus Coucy? In: JanDirk Müller (Hg.): Sebastian Franck (1499 – 1542). Wiesbaden 1993, S. 273 – 292.

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Friedrich Niewöhner

113. Die Wissenschaftlichen Veranstaltungen zum 17. Jahrhundert. In: Überlieferung und Kritik. Zwanzig Jahre Barockforschung in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Wiesbaden 1993, S. 151 – 163. 114. Maimonides’ Mischne Tora und die „Volksaufklärung“. In: Moses Maimonides: Mischne Tora – Das Buch der Erkenntnis, hg. von Eveline Goodman-Thau und Christoph Schulte (Moses-Mendelssohn-Zentrum Potsdam: Jüdische Quellen, Bd. 2.), Berlin 1994, S. 557 – 567. 115. Die „Doppelte Wahrheit“ als Programm der Orthodoxie im 10. Jahrhundert und als Gefahr für die Orthodoxie im 13. Jahrhundert. Abu Sulaiman versus Bischof Stephan. In: Mitteilungen der Akademie der gemeinnützigen Wissenschaften zu Erfurt, Heft 6, 1993, S. 67 – 68. 116. Rez.: Gershon Weiler: „Jewish Theocracy“. Leiden/New York/Köln 1989. In: Studia Spinozana. Vol. 7 (1991). The Ethics in the „Ethics“ (erschienen 1993), S. 379 – 382. 117. „In Deutschland zählt ein Philosoph sehr wenig“ (Persisch). In: Hamschari. Teheran, 7. Azar 1372, S. 9 = 28.11.1993. 118. Legenden um Maimonides. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. Februar 1994, Nr. 47, S. 8. 119. Moses Maimonides. Der Beitrag der jüdischen Philosophie zur Aufklärung im Mittelalter. In: FunkUniversität „Aufklärung im Mittelalter“. Deutschland Radio Berlin. Dienstag, 12. April 1994, 22.30 – 23.00 Uhr. 120. Spaniens Beitrag zum politischen Denken in Europa um 1600. Hrsg. von Reyes Mate und Friedrich Niewöhner. Wiesbaden 1994. Darin: „Einführung. Lateinischer Humanismus versus europäische Aufklärung?“, S. 1 – 5. 121. „Es hat nicht jeder das Zeug zu einem Spinoza“. Mendelssohn als Philosoph des Judentums. In: Moses Mendelssohn und die Kreise seiner Wirksamkeit. Hg. von M. Albrecht/E. Engel/N. Hinske. Tübingen 1994, S. 291 – 313. 122. F. Niewöhner und Georg Ruppelt: Wer „Nathan“ recht versteht, kennt Lessing. Kommentarband zur Faksimile-Edition von Lessings „Nathan der Weise“, Leichlingen 1994. 123. Nathan Rotenstreich zum Gedenken (zusammen mit Paul Mendes-Flohr). In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 46,2 (1994), S. 107 – 108. 124. „Ich beziehe alles, was ich sehe, aufs Judentum“. Gershom Scholem in seinen Jugendtagebüchern. Von Herbert Kopp-Oberstebrink und Friedrich Niewöhner. In: Radio Bremen 2, Mittwoch, 3. August 1994, 21.00 bis 22.00 Uhr. 125. Lese- oder Schreib-Maschine. Das Bücherrad in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. In: Kultur und Technik, Heft 4, 1994, S. 28 – 29. 126. Nietzsche und Nolte. Eine Erklärung zur Kontroverse um die Weimarer Tagung. In: Der Tagesspiegel, 27. September 1994, S. 19 (vgl. hierzu die Leserbriefe im „Tagesspiegel“ vom 2./3. Oktober 1994, S. 8). 127. Gershom Scholem, Tagebücher nebst Aufsätzen und Entwürfen. 1. Halbband 1913 – 1917. Unter Mitarbeit von Herbert Kopp-Oberstebrink hg. von Karlfried Gründer und Friedrich Niewöhner. Frankfurt 1995. 128. Averroismus im Mittelalter und in der Renaissance. Hg. von Friedrich Niewöhner und Loris Sturlese. Zürich 1994. Darin: Vorwort, S. 7 – 8 und

Liste der Veröffentlichungen

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„Zum Ursprung der Lehre der doppelten Wahrheit: eine Koraninterpretation des Averroes“, S. 23 – 41. 129. Friedrich Niewöhner und Jochen Brüning (Hg.): Augsburg in der Frühen Neuzeit. Berlin (1995) (= Colloquia Augustana Bd.1). Darin: Vorwort und „Als Friedrich in den falschen Apfel biß. Der Augsburger Mathematiker F. Podamicus im ’Colloquium Heptaplomeres’ des J. Bodin“. S. 235 – 244. 130. Die Farbe der Rose. Zur Herkunft der Lehre von der doppelten Wahrheit: In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. März 1995, Nr. 51, S.N5. 131. Gefährliche Begegnung. Eine tunesische Debatte über Spinoza und Averroes. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. April 1995, S.N5. 132. Averroismus vor Averroes? Zu einer Theologie der doppelten Wahrheit im 10. Jahrhundert. In: Mediaevalia Philosophica Polonorum XXXII, 1995, S. 33 – 39. 133. The Transformation of Paracelsianism 1500 – 1800: Alchemy, Chemistry and Medicine. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte. Nr. 18, Heft 1, 1995, S. 57 – 58. 134. Natur-Wissenschaft und Gotteserkenntnis: Das jüdische Modell. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, Nr. 18, 1995, S. 79 – 84. 135. Dietrich Blaufuß und Friedrich Niewöhner (Hg.): Gottfried Arnold (1666 – 1714). Wiesbaden 1995. Darin: Vorwort S. 1 – 4. 136. Naturwissenschaften in den Tagen des Messias: Maimonides und Francis Bacon. In: Voprósy Iskusstvoznánija (Fragen der Kunstwissenschaft), Nr. 4, Moskau 1994, S. 140 – 150 (Russisch). 137. In der Falle. Verständigung mit dem Islam. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. August 1995, Nr. 183, S.N5. Wiederabgedruckt in: Rainer Flöhl und Henning Ritter (Hg.): Wissenschaftsjahrbuch ’96. Natur und Wissenschaft. Geisteswissenschaften. Frankfurter Allgemeine Zeitung. Frankfurt a.M. 1996, S. 428 – 431. 138. Wem ist die Wahrheit? Gedanken zu Annemarie Schimmels Sufi-Studien. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Nr. 76, 22. September 1995, S. 16 – 17. 139. Kein Gott der Wüste. Annemarie Schimmels Volks-Islam. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Oktober 1995, Nr. 235, S.L43.– Wiederabgedruckt in: Ein Büchertagebuch. Buchbesprechungen aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Frankfurt a.M. 1996, S. 371 – 373. 140. Klassiker der Religionsphilosophie (Hg.). München 1995, darin „Einleitung“ S. 7 – 12 und 335 – 338. 141. Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit. Ibn Kamuna’ s „historisch-kritischer Religionsvergleich aus dem Jahre 1280“ (vgl. Nr. 103). Ins Arabische übersetzt von Dr. Georges Kattura. In: Al-Ijtihad. 7. Jg., Nr. 28. Beirut 1995, S. 163 – 178. 142. Morden mit Maimonides? Eine vermeintliche Rechtfertigung des Anschlags auf Rabin. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. November 1995, Nr. 278, S.N5. Wiederabgedruckt in: Rainer Flöhl und Henning Ritter (Hg.): Wissenschaftsjahrbuch ’96. Natur und Wissenschaft. Geisteswissenschaften. Frankfurter Allgemeine. Frankfurt a.M. 1996, S. 613 – 615.

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Friedrich Niewöhner

143. Der Aufklärer Maimonides. In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, 21. Jg., Heft 1, 1996, S. 25 – 39. 144. Zwischen Zion und Palästina. Über Gershom Scholems Verhältnis zum Zionismus von Theodor Herzl. In: Wochenpost Berlin, 15. Februar 1996, S. 34 – 35. 145. „Spaltung der Vernunft“. Norbert Samuelsons fragwürdiges Bild einer jüdischen Philosophie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. März 1996, Nr. 68, S. 13. 146. Jean Bodins Colloquium Heptaplomeres. Hg. von Günter Gawlick und Friedrich Niewöhner, Wiesbaden 1996 (= Wolfenbütteler Forschungen Bd.67), darin: „Vorwort“, S. 7 – 11. 147. Rez.: Isadore Twersky (Ed.): Studies in Maimonides. Harvard University Press, Cambridge/Mass. and London 1990. In: Zeitschrift für Religion und Geistesgeschichte, 48,2, 1996, S .182 – 183. 148. Artikel „Selbsthaß, jüdischer“. In: HWP Bd. 9, Basel 1995, Sp. 458 – 462. 149. Einleitung zur deutschen Ausgabe. In: Kommentar des Averroes zu Platons Politeia. Hg. und kommentiert von Erwin Isak Jacob Rosenthal, ins Deutsche übersetzt von Simon Lauer, Zürich 1996, S. 7 – 17. 150. Das muslimische Familientreffen. Gotthold Ephraim Lessing und die Ringparabel, oder: Der Islam als natürliche Religion. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Juni 1996, Nr. 129, S. N6.– Wiederabgedruckt in: Rainer Flöhl und Henning Ritter (Hg.): Wissenschaftsjahrbuch ’97. Frankfurt a.M. 1997, S. 488 – 496. Zum Teil wiederabgedruckt in: Richard Breun: Leben leben, Stuttgart 1998, S. 208. Teilweise wiederabgedruckt in: Andreas Christmann, Begegnungen mit dem Islam, Stuttgart 2001, S. 64. 151. Platons muslimische Söhne. Mystik statt Aristotelismus: Eine neue Sicht der islamischen Philosophie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Juni 1996, Nr. 139, S. 39.Wiederabgedruckt in: UniversitätGesamthochschule Siegen. Kommentiertes Vorlesungsverzeichnis WS 1996/97, S. 16. 152. Freiheitsstufen der Literaturverbreitung. Ein Kongreß zur Renaissanceforschung in Ungarn. In: Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen, 20. Jg., Heft 3, 1996, S. 143 – 145. 153. An Ingeborg Bachmann (Leserbrief). In: Die Zeit. Nr. 30, 19. Juli 1996, S. 154. Titanisch. Rodin und Claudel auf der griechischen Insel Andros. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. August 1996, Nr. 201, S. 33. 155. Die Buben, die auf Nietzsche geschworen haben (Leserbrief). In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. September 1996, S. 14. 156. Petit Dictionnaire des Philosophes de la Religion. Hg. von Friedrich Niewöhner und Yves Labbé, Paris 1996. Darin: Introduction S. 21 – 40. 157. Die zweifache Schrift der Weisen. Zum Beginn der „gesammelten Schriften“ des politischen Philosophen Leo Strauss. In: Die Zeit, Nr. 46, 8. November 1996, S. 26. 158. Die widerlegte Singularität des Islam. Martin Luther hilft mit einem Vorwort, die erste lateinische Koranübersetzung durchzusetzen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. November 1996, Nr. 265, S. N6.– Wiederabgedruckt in: Rainer Flöhl und Henning Ritter (Hg.): Wissenschaftsjahrbuch ’97, Frankfurt a.M. 1997, S. 484 – 488.

Liste der Veröffentlichungen

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159. Maimonides kehrt zurück. Auf wunderlichen Wegen: Von Chicago nach München. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Januar 1997, Nr. 12, S. N5. 160. Rückkehr der Söhne. Soma Morgenstern und die wiederentdeckte Orthodoxie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Februar 1997, Nr. 30, S. N5. Wiederabgedruckt in: Rainer Flöhl und Henning Ritter (Hg.): Wissenschaftsjahrbuch ’98. Frankfurt a.M. 1998, S. 374 – 377. 161. Von Offenbach nach Jerusalem. Verschollen und wiedergefunden: Die große Bibliothek des Neukantianers Hermann Cohen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Februar 1997, Nr. 33, S. 37.– Wiederabgedruckt in: Freiburger Rundbrief, 4. Jg., Heft 3, 1997, S. 230 – 231. 162. Szmuel Zygelbojm (Leserbrief). In: Die Zeit, Nr. 9, 21. Februar 1997, S. 64. 163. Wer entscheidet was die Moderne ist? Drei Wege, eine Zivilisation. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Februar 1997, Nr. 48, S. N6. 164. Die Dialektik der Verehrung. Nietzsches Wüten gegen Gesetzestafeln kommt in der Wissenschaft des Judentums gut an. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. März 1997, Nr. 55, S. 15. 165. Das Modell Urmensch. Ein ebenso rätselhafter wie schöner Klassiker: Ibn Tufayls philosophischer Roman in neuer Deutung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. März 1997, Nr. 57, S. 15. 166. Was Kinder von der Mutter hörten. Das Judentum der Renaissance: Eine Tagung im Londoner Warburg Institute. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. März 1997, Nr. 72, S. N6. 167. Maimonides als Aufklärer. In: Kurt Flasch und Udo Reinhold Jeck (Hg.): Das Licht der Vernunft. Die Anfänge der Aufklärung im Mittelalter. München 1997, S. 18 – 27. 168. Jenseits und Zukunft. Über eine Differenz im 12. Jahrhundert. In: Eveline Goodman-Thau (Hg.): Vom Jenseits. Jüdisches Denken in der europäischen Geistesgeschichte. Berlin 1997, S. 61 – 69. 169. Eingebettet in die Weltzeit. Ohne Mystik keine Aufklärung: Zum Streit über das achtzehnte Jahrhundert. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Mai 1997, Nr. 121, S. N6. 170. Jüdischer Nietzscheanismus seit 1888 – Ursprünge und Begriff: In: Werner Stegmaier und Daniel Krochmalnik (Hg.): Jüdischer Nietzscheanismus. Berlin 1997, S. 17 – 31 (= Monographie und Texte zur Nietzsche-Forschung, Bd. 36). 171. Alles andere ist Schwindel. Gershom Scholem liest die Geschichte der kritischen Theorie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. September 1997, Nr. 204, S. N6. Wiederabgedruckt in: Rainer Flöhl und Henning Ritter (Hg.): Wissenschaftsjahrbuch ’98, Frankfurt a.M. 1998, S. 296 – 299. 172. Doppelte Wahrheit – bei Luther und Abu Sulaiman. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. September 1997, Nr. 209, S. 11 (Leserbrief). 173. Im Brennpunkt der Historie. Selbstkritik des Zionismus: Gershom Scholems esoterische Aufzeichnungen der Jahre 1930/31. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Oktober 1997, Nr. 251, S. N6. 174. Platons Höhle wurde unterkellert. Leo Strauss wollte raus. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. November 1997, Nr. 256, S. L20.

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Friedrich Niewöhner

175. Der wahre Glaube ist verborgen. Ein schwieriger Prophet: Gershom Scholem zwischen Kabbala und Zionismus. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. November 1997, Nr. 278 (Bilder und Zeiten). 176. Lessings „Nathan der Weise“ und die Toleranz der Muslime. In: Jahrbuch für Religionswissenschaft und Theologie der Religionen, Nr. 5, 1997, S. 129 – 136. 177. Rez.: Buber für Atheisten, hg. von Thomas Reichert, Gerlingen 1996. In: Freiburger Rundbrief, 5. Jg., 1, 1998, S. 65 – 66. 178. Das Gestrüpp um den Dornbusch. Wolf-Daniel Hartwich über die Leben Moses’ Forschung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Januar 1998, Nr. 6, S. 33. 179. Zwei Ideen des einen Gottes. Kultureller Antisemitismus: Die allmähliche Verfertigung des Schlagworts von der „Deutsch-jüdischen Symbiose“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Januar 1998, Nr. 11, S. N6. 180. Führer der Unschlüssigen. Shlomo Pines’ Wissenschaft vom Judentum umfaßt viele Religionen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. Januar 1998, Nr. 17, S. 36. 181. Die Sternensandbüchse. Wie die arabische Naturwissenschaft den Himmel auf die Erde holte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. März 1998, Nr. 70, S. L20. 182. Der verborgene Mahdi. Was die Texte wirklich sagen: Kölner Sammlung der Schriften der „Zwölferschiiten“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. April 1998, Nr. 87, S. N6. Wiederabgedruckt unter dem Titel „Unzensierte Kostbarkeiten“. In: Kölner Universitäts Journal, 28. Jg., Ausgabe 2, 1998, S. 40 – 41. 183. Legitimität der Anekdote. Philosophie kann auch Biographie sein: Karlfried Gründer wird siebzig. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. April 1998, Nr. 94, S. 37. 184. Das verfehlte Fremde. Protest gegen die soziologische Verformung der Orientalistik. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Juni 1998, Nr. 132, S. N6. 185. Rez.: Peter Abailard, Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen. Hg. und übertragen von Hans-Wolfgang Krautz, Frankfurt 1995. In: Freiburger Rundbrief. 5. Jg., 3, 1998, S. 203 – 205. 186. Wenn Jesus ein Pharisäer war. Dann ist die christliche Theologie voller Philister. Susanna Heschel über Abraham Geigers Kalkül. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Juni 1998, Nr. 141, S. 46. 187. Maimonides: Dux Neutrorum. In: Kurt Flasch (Hg.): Interpretationen. Hauptwerke der Philosophie. Mittelalter, Stuttgart 1998, S. 175 – 192. 188. Heidenangst vor der Vielgötterei. Blumenberg bei den Germanen: Politischtheologische Kuriositäten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. August 1998, Nr. 177, S. 7. 189. Menschliche Konflikte im farbenprächtigen Gewand. Kolportage und Emanzipation: Uriel Acosta in Gutzkows Novelle „Der Sadducäer“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. September 1998, Nr. 209, S. N6.

Liste der Veröffentlichungen

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190. Rez.: Gaby Knoch-Mund: Disputationsliteratur als Instrument antijüdischer Polemik, Tübingen 1997. In: Freiburger Rundbrief, 5. Jg., Heft 4, 1998, S. 287 – 289. 191. Zerstreuung als Erfüllung. Neue Deutung: Die Geschichte des Turmbaus zu Babel. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. September 1998, Nr. 227, S. N6. 192. Averroismus. In: RGG4 Bd. 1, Tübingen 1998, Sp. 1023. 193. Die Widerlegung der Widerlegung. Der Arabische Kommentator des Aristoteles: Averroes starb vor 800 Jahren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Dezember 1998, Nr. 286, S. N5. 194. Europa im Orient, oder: Ist die europäische Aufklärung ein universales Modell? In: Hilmar Hoffmann und Dieter Kramer (Hg.): Europa – Kontinent im Abseits? (Römerberggespräche 1997), Hamburg 1998, S. 150 – 159. 195. Rational, doch fromm. Averroes und die islamische Vernunft: Eine Konferenz in Istanbul. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Dezember 1998, Nr. 299, S. 35. 196. Der Kaiser und sein letzter Diener. Oder: Nur wer sich selbst betrügt, lebt angenehm. In: Paul Raabe (Hg.): Wolfenbütteler Beiträge, Bd. 10, Wiesbaden 1997 (1998), S. 53 – 63. 197. Die Emanzipation der Frau bei Averroes (Arabisch). In: Revue Tunisienne des Etudes Philosophiques. 13. Jg., No. 19, 1998 (Numéro Spécial „Ibn Rochd Aujourd’hui 1198 – 1998“), S. 31 – 38. 198. Alte Gebührenordnung. Zur Erforschung der babylonischen Heilkunst. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Januar 1999, Nr. 22, S. N6. 199. Versäumte Begegnung? Der Orient in der päpstlichen Enzyklika „Fides et Ratio“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Februar 1999, Nr. 28, S. N5. 200. Asyl des gebannten Denkers. Philosophische Forschungsbibliothek: Das niederländische Museum „Het Spinozahuis“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. März 1999, Nr. 70, S. 62. 201. Religion oder Ethnizität? Auswegslos. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. März 1999, Nr. 70, S. N5. 202. Das offene Kunstwerk. Hartmut Bobzin und Navid Kermani lesen den Koran. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. April 1999, Nr. 96, S. 55. Wieder abgedruckt in: Ein Bücher-Tagebuch, hg. von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 1999, S. 405 – 407. 203. Unsterblichkeit. Hg. von Friedrich Niewöhner und Richard Schaeffler. Wiesbaden 1999. Darin: Vorwort S.7.– Von der Geschichte zur Ethik. Versuch einer laudatio auf Richard Toellner S. 13 – 20.– Jenseits und Zukunft – über eine Differenz im 12. Jahrhundert S. 61 – 72. 204. Artikel „Symbiose II (Gesellschaftswissenschaft, Religion)“. In: HWP, Bd X. 1998. Sp. 708 – 710. 205. Die abgeblasene Jagd. Noch einmal Jean Bodin und sein „Sieben-TageGespräch“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Juni 1999, Nr. 136, S. N7. 206. Aufklärung mit Esoterik. Jüdisches Denken im 18. Jahrhundert. In: Aufklärung und Esoterik. Hg. von Monika Neugebauer-Wölk unter Mitarbeit von Holger Zaunstöck. Felix Meiner Verlag Hamburg 1999. S. 355 – 363.

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Friedrich Niewöhner

207. Osvietenec Maimonides. In: Filozofia, Jahrgang 54, Heft 5, 1999, S. 285 – 295. (Auf Slowakisch in Bratislawa) 208. Dem Bilderverbot abgetrotzt. Gegen das Vorurteil der Kunstfeindlichkeit: David Kauffmann entdeckt die jüdische Kunst. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Juli 1999, Nr. 154, S. N5. 209. Der Zeuge als Henker. Für Winfried Schröder gibt es den Atheismus seit 1670. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Juli 1999, Nr. 170, S. 47. 210. Oh hätte Machiavelli doch Averroes Gelesen! In: Iliaster. Literatur und Naturkunde in der frühen Neuzeit. Festgabe für Joachim Telle zum 60. Geburtstag. Hg. von Wilhelm Kühlmann und Wolf-Dieter MüllerJahncke. Heidelberg 1999, S. 211 – 219. 211. Herbert Breger und Friedrich Niewöhner (Hg.): Leibniz und Niedersachsen. Tagung anläßlich des 350. Geburtstages von G. W. Leibniz, Wolfenbüttel 1996. Stuttgart 1999 (= Studia Leibnitiana Sonderheft 28). 212. Wahrheiten im Betrug. Johann Christian Edelmann, ein Freigeist des Pietismus. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. September 1999, Nr. 202, S. N6. 213. Gottes Zorn kam zu kurz. Gershom Scholem als Schüler der deutschen Religionsgeschichte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. September 1999, Nr. 207, S. 54. 214. Seitenblick auf Napoleon. Persische Kunst des neunzehnten Jahrhunderts in London. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. September 1999 Nr. 209, S. 49. 215. Gottes Tochter. Ernest Renan porträtierte in seinem „Leben Jesu“ nicht nur den Erlöser. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Sonderbeilage „Das neunzehnte Jahrhundert“. 30. Oktober 1999, Nr. 253, S.V.– Wiederabgedruckt in: Michael Jeismann (Hg.): Das 19. Jahrhundert. Aufbruch in die Moderne. München 2000. S. 72 – 76.– Wiederabgedruckt In: Ein Büchertagebuch 2000. Buchbesprechungen aus der FAZ. Frankfurt a.M. 2000, S. 551 – 553. 216. Artikel „Moses Maimonides: Dalalat al-Ha’irin“. In: Franco Volpi (Hg.): Großes Werklexikon der Philosophie, Bd. 2, Stuttgart 1999, S. 975. 217. Artikel „De tribus impostoribus“. In: Ibd. S. 1633. 218. Rezension: Ibrahim M. Abu-Rabi’: Intellectual Origins of Islamic Resurgence in the Modern Arab World. In: Orient. Zeitschrift des Deutschen Orient-Instituts, 40. Jahrgang, Heft 3, September 1999, S. 497 – 499. 219. Artikel „Epikureismus“. In: RGG4, Bd. 2, 1999, Sp. 1366 – 1367. 220. Friedrich Niewöhner und Olaf Pluta (Hg.): Atheismus im Mittelalter und in der Renaissance. Wiesbaden 1999 (= Wolfenbütteler Mittelalter-Studien Bd. 12). Darin: Vorwort S. 7 – 9 und Epikureer sind Atheisten. Zur Geschichte des Wortes apikuros in der jüdischen Philosophie, S. 11 – 22. 221. Die Seele. In: Das achtzehnte Jahrhundert. Sonderheft „Haskala“. 23. Jg., Heft 2, 1999, S. 229 – 237. 222. Friedrich Niewöhner und Fidel Rädle (Hg.): Konversionen im Mittelalter und in der Frühneuzeit. Hildesheim/Zürich/New York 1999 (= Hildesheimer Forschungen, hg. von Jochen Bepler, Bd. 1). Darin: Uriel da Costas Exemplar humanae vitae (1640), S. 171 – 180 und Vorwort S. VII.

Liste der Veröffentlichungen

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223. Die befristete Zeit – Vom Aufstieg und Fall der Mächte. Ibn Khaldu¯n als Analytiker des Untergangs. In: Neue Zürcher Zeitung, 1./2. Januar 2000, Nr. 1, S. 39. 224. Einleitung. In: Aufklärung in Hessen. Facetten Ihrer Geschichte. Hg. Bernd Heidenreich, Wiesbaden 1999, S. 7 – 9. 225. Gauner als Gottes Volk. Der Reine zwischen Dirnen, Zuhältern und Heuchlern: Gershom Scholem und der Koran. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Januar 2000, Nr. 21, S. N5. 226. Das Halbe und das Ganze. Adolf von Harnack über das Wesen des Judentums. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 23. Februar 2000, Nr. 45, S. N5. 227. Fragen Sie den Fachmann für Befruchtung. Auch wenn jede zweite Blüte ausgesondert werden müsste: Lenn E. Goodman erntet reiche Früchte der jüdischen und islamischen Philosophiegeschichte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Februar 2000, Nr. 49, S. 55. 228. Orte der Versammlung. Intellektuelle Disputationen in der Kultur des Islam. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mittwoch, 3. Mai 2000, Nr. 102, S. N5. 229. Wolfs verstoßene Schülerin. Autonom und ausgegrenzt: Die Wissenschaft des Judentums. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Mai 2000, Nr. 124, S. 57 230. Phantom Averroism. In: Intellectual News (London), Nos. 6 – 7: Winter 2000, S. 7 – 10. 231. Arbeit des Künstlers. Ignaz Goldziher über Ernest Renan als Orientalist. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Juni 2000, Nr. 142, S. N5. 232. Besonders wertvoll. Das Leben des Maimonides, fromm erzählt und schludrig übersetzt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 1. Juli 2000, Nr. 150, S. 56. 233. Spinoza in Ungarn. Nachreligiös. Frankfurter Allgemeine Zeitung. 9. August 2000, Nr. 183, S. N5. 234. Das seltsame Datum „bevor“. Mohammed Arkoun preist die Epoche des Islam, ehe er dogmatisch wurde. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 19. August 2000, Nr. 192, S. 148. 235. Rez.: Otto Betz: Licht vom unerschaffnen Lichte. Die kabbalistische Lehrtafel der Prinzession Antonia in Bad Teinach. Metzingen, 1996. In: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten, 26. Jg., Heft 2, 1999 (erschienen 2000), S. 201 – 203. 236. Rez.: David S. Katz/Richard H. Popkin: Messianic Revolution. Radical Religious Politics to the End of the Second Millennium. Hill and Wang, New York 1999. In: Freiburger Rundbrief. 7. Jg., Neue Folge, Heft 4, 2000, S. 303 – 305. 237. Strafrecht im Jenseits. Rabbi Ovadia Josef und die Lehre der Wiedergeburt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 23, August 2000, Nr. 195, S. N5. 238. „Dialektik“: Eine neue Zeitschrift für Philosophie. Kultur, aber was ist sie? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. August 2000, Nr. 201, S. N5. 239. Kein Grund, die jüdische Orthodoxie zu belächeln (Leserbrief). In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. September 2000, Nr. 207, S. 11. 240. Ibn Rushd und die Vereinbarkeit von Religionsgesetz und Philosophie (Vortrag in Berlin am 11. 12. 1999). In: Iranzamin. Echo der iranischen Kultur, XII. Jahrgang, Ausgabe 6 – 7, Bonn 2000, S. 259 – 268.

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Friedrich Niewöhner

241. Anständigkeit. Der Appell an etwas, das abhanden gekommen ist. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Oktober 2000, Nr. 233, S. 45. 242. Der Karäer Isaak von Troki und seine Widerlegung der Antitrinitarier 1585. In: Mihály Balázs und Gizella Keserü (Ed.): György Enyedi and Central European Unitarianism in the 16 – 17th Centuries (= „Studia Humanitatis“. Publications of the Center for Renaissance Reserarch 11. Ed. by József Jankovics), Budapest 2000, S. 153 – 157. 243. Ignaz Goldziher. Renan als Orientalist. Gedenkrede am 27. November 1893. Aus dem Ungarischen übersetzt von Peter Zalán. Bearbeitet, mit einer Einleitung versehen und herausgegeben von Friedrich Niewöhner, Zürich 2000. 244. Dialoge, die nicht stattgefunden haben: Juda ha-Levi und Peter Abailard. In: Werner Stegmaier (Hg.): Die philosophische Aktualität der jüdischen Tradition. Frankfurt a.M. 2000, S. 225 – 248. 245. Zwei Kulturen. Zum achtzigsten Geburtstag des Mediävisten Peter Ganz. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. November 2000, Nr. 256, S. 48. 246. Der große Gesang ’Siderische Geburt von Volker’. In: Gnostika. 4. Jg, Heft 16, Oktober 2000, S. 17 – 26 und 34. 247. Licht in dunkle Plätze. Eine Widerlegung der These von Spinozas Verrat am Judentum. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. November 2000, Nr. 266, S. N5. 248. Bei Gelegenheit. Eine erhellende Studie über den Occasionalismus. In: Neue Zürcher Zeitung, 14. November 2000, Nr. 266, S. 67. 249. Gershom Scholem. Tagebücher nebst Aufsätzen und Entwürfen bis 1923. Zweiter Halbband 1917 – 1923. Hg. von Karlfried Gründer/Herbert KoppOberstebrink/Friedrich Niewöhner, Frankfurt a.M. 2000. 250. Rez.: Stephan Grätzel/Armin Kreiener: „Religionsphilosophie“ (Stuttgart 1999). In: Freiburger Rundbrief, 8. Jg., Nr. 1, 2001, S. 62 – 63. 251. Auf der Suche nach dem wahren Lehrer. Verwirrspiel von Aufklärung und Esoterik: Leo Strauss als verdeckte Hauptfigur von Saul Bellows Roman „Ravelstein“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Dezember 2000, Nr. 300, S. N6. 252. Artikel „Fa¯ra¯bı¯“. In: RGG4 Bd 3, Tübingen 2000, Sp. 33. 253. 1086 – Wo bitte geht’s zum Abendland? Selbst die Kreuzfahrer hatten keinen Plan von der heiligen Sache: Franco Cardini räumt mit Mißverständnissen über Europas Verhältnis zum Islam auf. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Januar 2001, Nr. 15, S. 53. Wieder abgedruckt in: Ein Bücher-Tagebuch 2001, hg. von der Frankfurter Allgemeine Zeitung. S. 450 – 451. 254. Zeit für einen Versuch. Die Zeitschrift „Im Gespräch“ der Martin BuberGesellschaft. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 7. Februar 2001, Nr. 32, S. N5.– Unter dem Titel „Im Gespräch“: Die Zeitschrift der Martin BuberGesellschaft. Wieder – gekürzt – abgedruckt in: Freiburger Rundbrief Nr. 3, 2001, 8. Jg., S. 232 – 233. 255. Was heißt denn hier christlich? Martin Bauschke auf den Spuren des koranischen Jesus. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 5. März 2001, Nr. 54, S. 55. Wieder abgedruckt in: Ein Bücher-Tagebuch 2001, hg. von der Frankfurter Allgemeine Zeitung. S. 433 – 434.

Liste der Veröffentlichungen

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256. Löchrige Methodenzwangsjacke. Marco Schöller will die Islamwissenschaft neu einkleiden. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. März 2001, Nr. 72, S. 57. 257. Autorität ohne Zweifel. Gibt es in der jüdischen Tradition ein Naturrecht? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 4. April 2001, Nr. 80, S. N5. 258. Die Rückkehr aus der fremden Sprache. Die vergessene Geschichte des Jüdischen Wissenschaftlichen Instituts in Wilna. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. April 2001, Nr. 90, S. N6. Wieder abgedruckt in: Verena Dohrn (Hg.): „Wissenschaft des Ostjudentums“. (= Kleine Schriften der Niedersächsischen Landesbibliothek, NF Bd. 1) Hameln 2003, S. 10 – 12. 259. Rez.: Wolfgang Günter Lerch: Denker des Propheten. Die Philosophie des Islam (2000). In: Die Zeit, Nr. 18, 26. April 2001, S. 56. 260. „Introduzione“ di Friedrich Niewöhner. In: Scholem/Shalom. Due conversazioni con Gershom Schohem su Israele, gli ebrei e la qabbalah. A cura di Gianfranco Bonola. Macerata 2001. S. 9 – 18. 261. „Die Lehre von der ganzen Gemeinschaft“. Im Streit: Zionistische Entwürfe um die Jahrhundertwende zwischen Nation und Religion. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juni 2001, Nr. 132, Bilder und Zeiten, S. III. 262. „Gemeinsam liest man stark.“ Ein vielstimmiges Standardwerk zur Geschichte der Bibel-Lektüren. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Juni 2001, Nr. 142, S. 49. 263. Rez.: Dirk Baecker: Wozu Kultur? (Berlin 2000). In: Dialektik 2001/1, S. 175 – 177. 264. Dizionario dei Filosofi della Religione (zusammen mit Yves Labbé). Città del Vaticano 2001 (erweiterte Fassung in italienischer Übersetzung von Nr. 156). 265. Im Schatten des Grauens. Leo Baecks Werk über die Rechtstellung der Juden. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. Juli 2001, Nr. 170, S. N5. 266. Der Jude und der Arier. Ignaz Goldziher und Martin Hartmann im Briefwechsel. In: Neue Zürcher Zeitung, 31. Juli 2001, Nr. 175, S. 35. 267. Zu Leo Baeck. Arnold Peucker nimmt Stellung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. August 2001, Nr. 187, S. 41 (publiziert unter dem Kürzel FAZ). 268. Die Seele der Tiere (hg. zusammen mit Jean-Loup Seban). Wiesbaden 2001 (Wolfenbütteler Forschungen, Band 94). 269. Suche nach Fakten. Der Fall Leo Baeck: Ein Gespräch mit Arnold Peucker. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. September 2001, Nr. 212, S. N5. 270. Der Kampf der muslimischen Terroristen ist kein heiliger Krieg. Satan droht euch Armut an und befiehlt euch Schändliches. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. September 2001, Nr. 224, S. N5. 271. Jeder Vers eine Offenbarung. Stefan Wild fragt nach modernen Interpretationen des Koran. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. September 2001, Nr. 226, S. 58. 272. Schleier des Nichtwissens. Gotteserkenntnis durch Selbsterkenntnis? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Oktober 2001, Nr. 229, S. N5. 273. Das theologisch-politische Problem. Leo Strauss’ Hobbes-Buch und „Zugehöriges“. In: Neue Zürcher Zeitung, 9. Oktober 2001, Nr. 234, S. B27.

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Friedrich Niewöhner

274. Staatsbildender Monotheismus. Der Prophet galt nicht in der funktionsfähigen Gemeinschaft: Zur Entstehung des Islam in Medina. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Oktober 2001, Nr. 247, S. N5. 275. Vernunft als innigste Ergebenheit in Gott. Lessing und der Islam. In: Neue Zürcher Zeitung, 10./11. November 2001, Nr. 262, S. 53. 276. David Forte und George Bush. Fromme Lüge. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. November 2001, Nr. 265, S. N5. 277. Jüdische Philosophie – Versuch einer Begriffsbestimmung. In: Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie, 21. Jg., 2001, Heft 37, S. 66 – 69. 278. Carlos Gilly/Friedrich Niewöhner (Hg.): Rosenkreuz als europäisches Phänomen im 17. Jahrhundert. Amsterdam und Stuttgart 2002 (= Pimander. Text and Studies, Vol. 9). 279. „Terror in die Herzen aller Könige!“ Vom Ende der weltlichen Welt im Jahre 1210 nach Mose ben Maimon. In: Jan A. Aertsen/Martin Pickavé (Hg.): Ende und Vollendung. Eschatologische Perspektiven im Mittelalter. Berlin/New York 2002, S. 227 – 238 (= Miscellanea Mediaevalia, Bd. 29). 280. Geld- oder Geistesgeschichte? Selma Stern entdeckt, wie die Hofjuden das Ghetto öffneten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Montag, 21. Januar 2002, Nr. 17, S. 48. 281. Große Wortmacher. Berlin 1786: Jüdische Aufklärung und muslimische Theologie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Januar 2002, Nr. 19, S. N3. 282. So hätten wir es gern häufiger. Ein mustergültiges Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Februar 2002, S. 32, S. 57. 283. Unversteinerte Worte. Heute vor 20 Jahren starb Gershom Scholem, der große Erforscher der Kabbala. In: Süddeutsche Zeitung, 21. Februar 2002, Nr. 44, S. 18. 284. Was ist radikale Aufklärung? Alles Spinoza. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Februar 2002, Nr. 49, S. N3. 285. Gesetz und Weisheit. Philosophie in der islamischen Tradition. In: Neue Zürcher Zeitung, 2./3. März 2002, Nr. 51, S. 59. 286. Rez.: „Machen Sie doch unseren Islam nicht gar zu schlecht.“ Der Briefwechsel der Islamwissenschaftler Ignaz Goldziher und Martin Hartmann 1894 – 1914. Hg. von L. Hanisch, Wiesbaden 2000. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 54,1, 2002, S. 89 – 90. 287. Rez.: Hans Thomas Hakl: „Der Verborgene Geist von Eranos“. Bretten 2001. In: Gnostika, 6. Jg., Heft 20, Februar 2002, S. 59 – 62. 288. Schweigen über den edlen Schiller. Jan Assmann ediert zwei Texte über die Juden als „Staat im Staat.“ In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. März 2002, Nr. 72, S. 48. 289. „Der ferne Islam und das nahe Christentum. Gedanken zu Lessings Ringparabel.“ In: http://www.swr2.de/aula/manuskriptdienst/index.html (ab 31. 03. 2002, 09.00). Wieder abgedruckt in: „Neue Solidarität.“ 29. Jg., Nr. 16, 17. April 2002, S. 10 – 11.

Liste der Veröffentlichungen

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290. Die Nacht der Girondisten. Die Kunst als Voraussetzung wissenschaftlicher Objektivität – eine Novelle von Jacques Presser. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. April 2002, Nr. 77, S. N3. 291. Tigersprung ins Zukünftige. Warum die Schoa für ihn kein Thema war: Leo Baecks Geschichtsdeutung als Kunst des Ausweichens. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Mai 2002, Nr. 104, S. 50. 292. Minderheiten im Islam. Kritik der Toleranz-Legende: Duldung war nicht Gleichstellung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Mai 2002, Nr. 111, S. N3. 293. Alles, was gedacht werden kann. Lucien Febvres berühmtes Buch über den Glauben und sein Gegenteil im 16. Jahrhundert hat es endlich ins Deutsche geschafft. In: Süddeutsche Zeitung, 18. Mai 2002, Nr. 114, S. 16. 294. Symbiose mit den Arabern. Salcia Landmanns Buch über die Juden als Rasse. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Mai 2002, Nr. 122, S. N3. 295. Germanische Legierung. Der Berliner Antisemitismusstreit von 1880. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Juni 2002, Nr. 133, S. N3. 296. Kant und Moses. Zur Gründung der „Hermann-Cohen-Gesellschaft“ in Zürich. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Juli 2002, Nr. 151, S. N3. 297. Radikale im denkerischen Dienst. Untergrund: Martin Mulsow deutet die frühe Aufklärung neu. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Juli 2002, Nr. 155, S. 39. 298. Die Philosophie und die Stadt. Muhsin S. Mahdi über al-Fa¯ra¯bı¯. In: Neue Zürcher Zeitung, 10. Juli 2002, Nr. 157, S. 36. 299. Die Ordnung der Ordnung. Leo Strauss, neu beleuchtet. In: Neue Zürcher Zeitung, 27. Juli 2002, Nr. 172, S. 35. 300. Reizbare Volksseele. Warum ein Jude den Begriff „antisemitisch“ prägte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. August 2002, Nr. 193, S. N3. 301. Die 874. Nacht. Schöner als ein rotes Kamel: Essays von Dzevad Karahasan. In: Süddeutsche Zeitung, 13. September 2002, Nr. 212, S. 16. 302. Von München nach Stanbul. Das vergessene Leben des Orientalisten Karl Süssheim. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. September 2002, Nr. 217, S. N3. 303. Ist der Islam zu retten? Für eine Aufklärung der Religion mit der Religion. In: Kursbuch, Heft 149, September 2002, S. 138 – 144. 304. Der Historiker hat keine heilenden Kräuter. Jacob Katz und sein Meisterwerk zur jüdischen Gesellschaft in der Zweiten Moderne. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Oktober 2002, Nr. 233, S. L31. 305. Rez.: Wolfgang Günter Lerch: Denker des Propheten (Düsseldorf 2002). In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Band 152, Heft 2, 2002, S. 403 – 405. 306. Rez.: Lionel Casson: Bibliotheken in der Antike (Zürich 2002). In: BÜCHNER, 4. Jg., Nr. 4, September 2002, S. 83. 307. Entdecktes Judentum und jüdische Augen=Gläser. Johann Andreas Eisenmenger. In: Richard van Dülmen/Sina Rauschenbach (Hg.): Denkwelten um 1700. Zehn intellektuelle Profile, Köln 2002, S. 167 – 180. 308. Eine Genugtuung. Siegfried Unseld und der „Staatsdienst“ am persischen Golf. In: Süddeutsche Zeitung, 5. November 2002, Nr. 255, S. 14.

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Friedrich Niewöhner

309. Von Scheusalen und Heiligen. West-östliche Schriftspiele: Memoiren von Annemarie Schimmel und Kurt Flasch. In: Süddeutsche Zeitung, 6. November 2002, Nr. 256, S. V2/8. 310. Analyse erfolgreich, Gegenstand tot. Die Provokation von Dimitri Gutas. Warum es eine islamische Philosophie nicht geben soll. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. November 2002, Nr. 264, S. N3.– Wieder abgedruckt in: polylog. Forum für inter-kulturelles Philosophieren.“ (http://www. polylog.org), Mai 2003. 311. Moses Maimonides. Der Brief in den Jemen/Texte zum Messias. Hg., übersetzt und kommentiert von Sylvia Powels-Niami unter Mitwirkung von Helen Thein. Mit einem Vorwort von Friedrich Niewöhner. (= Jüdische Geistesgeschichte. Hg. von Christoph Schulte, Bd. 1), Berlin 2002, S. 9 – 26. 312. Wahrstes Gefühl. Kitty Steinschneider und Gershom Scholem. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. November 2002, Nr. 272, S. 39. 313. Sänfte mit zwei Reitern, sechs Pferden und drei Dienern. Sie frohlockten auf lateinisch und bewältigten den Alltag auf gut deutsch: Johann Valentin Andreae und Herzog August in ihren Briefen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Dezember 2002, Nr. 280, S. 41. 314. Rez.: Ibn Arabı¯: Urwolke und Welt. München 2002. In: BÜCHNER, 4. Jg., Nr. 5, 2002, S. 83. 315. Haß auf den Parnaß. Eine Debatte von 1212 über Judentum und Deutschtum. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Dezember 2002, Nr. 288, S. N3. 316. Du aber bist mystisch rein. Lob der Bienenpolizei: Eine Studie über Goethe und die Religion. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Dezember 2002, Nr. 295. S. 34. 317. Die Frommen Vandalen. Auf dem Wege zur Theologie der Philologen: Ein Sammelband über Bildersturm und Protestantismus. In: Süddeutsche Zeitung, 7. Januar 2003, Nr. 4, S. 16. 318. Scheherezade deutsch. Ernst-Peter Wieckenberg entdeckt Johann Heinrich Voß als Übersetzer der Märchen aus 1001 Nacht. In: Süddeutsche Zeitung, 10. Januar 2003, Nr. 7, S. 16. 319. Muslimische Märtyrer. Zweierlei Rat. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Januar 2003, Nr. 18, S. N3. 320. Abstieg in den Krater des Vesuv. Das Genie, das alles verknüpfen wollte: Athanasius Kircher in einer Ausstellung in Fulda. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Januar 2003, Nr. 24, S. N3. 321. Wenn die Menschen sterben, erwachen sie. Zum Tode der Religionswissenschaftlerin Annemarie Schimmel, die den Westen mit der orientalischen Mystik vertraut gemacht hat. In: Süddeutsche Zeitung, 29. Januar 2003, Nr. 23, S. 11. 322. Der Gefangene von Budapest. Ignaz Goldziher (1850 – 1921) zwischen Torah und Koran. In: Archiwum Historii Filozofii i Mys´li Społecöznej, T. 47, 2002 (erschienen 2003), S. 117 – 131 (Festschrift für Lech Szczucki). Wiederabgedruckt in: Im vollen Licht der Geschichte, hg. Von Dirk Hartwig u. a. Ergon Verlag Würzburg 2008 (Ex Oriente Lux Bd. 8), S. 131 – 143.

Liste der Veröffentlichungen

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323. Am Anfang stand das Buch. Von Christen für Christen. Die Geschichte des arabischen Buchdrucks. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. März 2003, Nr. 60, S. N3. 324. Als wären es Stücke für heute. Geschichten zum Judentum: Dan Diners historische Miniaturen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. März 2003, Nr. 70, S. 47. 325. Sieg des Islam. Edward Gibbon zeigte den Propheten Muhammad als unverbildeten Vernunftmenschen. In: Süddeutsche Zeitung, 29./30. März 2003, Nr. 74, S. 16. 326. Lessing und der Islam. In: Reformatio. Zeitschrift für Kultur, Politik, Religion. 52. Jg., Heft 1, Bern 2003, S. 4 – 12. 327. Statt Lessing. Warum eine Straße in Tal Aviv umbenannt wird. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. April 2003, Nr. 82, S. 37. 328. Weisheitslehrer. Zum Tod des Orientalisten Franz Rosenthal. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. April 2003, Nr. 85, S. 41. 329. Frei von allen Nebentönen. Amos Elon sieht die „Jüdisch-deutsche Epoche“ als Blütezeit. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. April 2003, Nr. 86, S. 42. 330. Rez.: Gershom Scholem: „Es gibt ein Geheimnis in der Welt.“ Frankfurt a.M. 2002. In: „Im Gespräch.“ Hefte der Martin Buber Gesellschaft, Nr. 6, 2003, S. 101 – 102. 331. Schweigen von der Gnade. Ruhelos ist unser Herz: Ein Dokument zu Adolf von Harnacks Christentumverständnis. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. April 2003, Nr. 100, S. N3. 332. Jüdische Alltagsgeschichte. Ein Korrektiv, quer zu Sehgewohnheit. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Mai 2003, Nr. 115, S. 45. 333. Hätte er seine Gefährlichkeiten verstecken sollen? Nietzsche als Pate des Faschismus: Die These wird durch den jüdischen Nietzscheanismus behindert. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Mai 2003, Nr. 121, S. 45. 334. Polis und Madı¯na – Averroes’ Platon-Lektüre. In: Peter Bruns (Hg.): Von Athen nach Bagdad. Zur Rezeption griechischer Philosophie von der Spätantike bis zum Islam. (= Hereditas. Studien zur Alten Kirchengeschichte hg. von Ernst Dassmann und Hermann-Josef Vogt, 22). Bonn 2003, S. 76 – 91. 335. Auf sandverwehten Wegen. Ladino – die heute fast verschwundene Sprache der vertriebenen spanischen Juden. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Juni 2003, Nr. 133, S. N3. 336. Führer der Einzelkämpfer. Heinrich Meier erklärt die Lehren von Leo Strauss. In: Süddeutsche Zeitung, 26. Juni 2003, Nr. 144, S. 16. 337. Mehr Wege! Ende des „Orientalismus“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Juli 2003, Nr. 150, S. N3. 338. Fatimas Erben. Heinz Halm über die Fatimiden in Ägypten. In: Neue Zürcher Zeitung, 16. Juli 2003, Nr. 162, S. 36. 339. Der Preis des Monotheismus. Gott ist Wahrheit, die Götter der anderen sind Lüge: Neue Studien über das Judentum. In: Süddeutsche Zeitung, 21. Juli 2003, Nr. 165, S. 11.

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Friedrich Niewöhner

340. Die Ordnung der Zeit verbürgt die Endlichkeit der Macht. In: Thilo Schabert/Matthias Riedl (Hg.): Das Ordnen der Zeit. Eranos, NF Band 10, Würzburg 2003, S. 93 – 119. 341. Norderney, auf Sand gebaut. Frank Bajohrs Studie über Antisemitismus in Badeorten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. August 2003, Nr. 176, S. 38. 342. Vier tragische Irrtümer. Schicksalstreue und Freiheit: Anton Kuh über das Zusammenleben von Deutschen und Juden. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. August 2003, Nr. 192, S. N3. 343. Zäsur auf deutsch. Nachtrag zu Burckhardt: Ein Band über Juden in der Renaissance. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. September 2003, Nr. 211, S. 40. 344. Zameneye Belenmis¸lik. In: www.geocities.com/yazarken/yazilar/ zamaneyebelenmislik. html (ohne Ort, ohne Datum, türkische Übersetzung von Nr. 169.) 345. Ordnung und Geschichte. Eric Voegelins Versuch, „Realität“ wiederzugewinnen. In: Neue Zürcher Zeitung, 27./28. September 2003, Nr. 224, S. 48. 346. Das Grinsen des Bösen. Massimo Ferrari Zumbinis Geschichte des Antisemitismus. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 238, 16. 10. 2003, S. 18. 347. Artikel „Uriel da Costa“. In: Metzler Lexikon jüdischer Philosophen. Hg. von Andreas B. Kilcher/Otfried Fraisse. Stuttgart und Weimar 2003. S. 146 – 148. 348. Krankheit und Kreatur. Eine Tagung über Viktor von Weizsäcker. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. Oktober 2003, Nr. 251, S. N3. 349. Rückversicherung fürs Jüngste Gericht. Die „Buntgescheckten“: Kryptojuden und Kryptochristen im Islam. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung: 12. November 2003, Nr. 263, S. N3. 350. Nathan der Weise im Reich des Bösen. Gerhard Schweizer bekämpft die Vorurteile zwischen Islam und Abendland. In: Süddeutsche Zeitung, 11. Dezember 2003, Nr. 285, S. 18. 351. Der grosse Gesang.“Siderische Geburt“ von Volker. In: Wilhelm SchmidtBiggemann (Hg.): Christliche Kabbala, Ostfildern 2003. S. 247 – 256 (= Pforzheimer Reuchlinschriften Bd. 10). 352. Erst kam der Pogrom, dann die Pest. Ein epochales Werk: Alfred Haverkamp hat die Geschichte der Juden im Mittelalter kartographiert. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Januar 2004, Nr. 3, S. 30. 353. Theodor Wiesengrund Adorno. Zwischen Auschwitz und Judentum. In: Dialektik. Zeitschrift für Kulturphilosophie, 2003/2, 2003, S. 157 – 168. 354. Des Mannes wahre Feier. Manfred Voigts schildert Fichte als Vordenker der Zionisten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Januar 2004, Nr. 13, S. 36. 355. Ich werde fast wie Du. Texte der jüdischen Geschichtsschreibung. In: Süddeutsche Zeitung, 23. Februar 2004, Nr. 44. S. 14. 356. Die Macht der Philologie. Muhammads Sendung. Abraham Geiger entdeckt das Allgemeinmenschliche am Koran. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. März 2004, Nr. 53, S. N3.

Liste der Veröffentlichungen

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357. Rez.: Henning Graf Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. IV.: Von der Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert, München 2001. In: Freiburger Rundbrief, 11. Jg., 2. Heft 2004, S. 144 – 145. 358. Tausendundeine Ohnmacht. Claudia Otts neue Übersetzung der Geschichten von Scheherezade wird Männer freuen. In: Süddeutsche Zeitung, 22. März 2004, Nr. 68, Literaturbeilage Sachbuch S. 19. 359. Die Erben von Romano Guardini. „Weltanschauung“: Geschichte eines problematischen Begriffs. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. März 2004, Nr. 71. S. N3. 360. Reformer als Ketzer. Hg. von Günter Frank/Friedrich Niewöhner. (= Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 8), Stuttgart 2004. Darin: Einleitung, S. 9 – 11. 361. „Ich bin gar nichts.“ Salomon Maimon – ein jüdischer Aufklärer. In: Neue Zürcher Zeitung, 17./18. April 2004, Nr. 89, S. 49. 362. Was bleibt, aber stiftet der Denker. Geglückt: Abaelard wird uns als aktueller Kopf präsentiert. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Mai 2005, Nr. 110, S. 38. 363. Ignaz Goldziher (1850 – 1921) oder: Der Mythos als Apologie. In: Yossef Schwartz/Volkhard Krech (Hg.): Religious Apologetics – Philosophical Argumentation. Tübingen 2004, S. 175 – 184. 364. Religion als Lehre ohne Kultus. Karl Erich Grözingers Geschichte des jüdischen Denkens. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. Juni 2004, Nr. 145, S. 43. 365. Hört, und verberget meine Worte. Ränder und Leerstellen müssen gefüllt werden. Stéphane Mosès findet neue Lesarten der hebräischen Bibel. In: Süddeutsche Zeitung, 29. Juni 2004, Nr. 147. S. 14. 366. Disput der Unschlüssigen. Görge Hasselhoff rückt Moses Maimonides in ein neues Licht. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Juli 2004, Nr. 161, S. 30. 367. Nur Nietzsche und Kant lasse ich leben. Der Philosoph Franz Rosenzweig, neu befragt: Wer ist das Phantom im „Stern der Erlösung“? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Juli 2004, Nr. 171, S. 33. 368. Alles ist ihm eins. Lessing in Livorno: „Jud’ und Christ und Muselmann“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Juli 2004, Nr. 173, Seite N3. 369. Politik und Religion bei Moses Mendelssohn. Kommentar zu Daniel Krochmalnik. In: Manfred Walther (Hg.): Religion und Politik. BadenBaden 2004, S. 241 – 243. 370. Gabalawi ist tot. Der theologische Modernismus von Nagib Machfus. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. September 2004, Nr. 227, S. N3. 371. F.N.: Heinz Halms „Die Araber“. In: Neue Zürcher Zeitung, 2./3. Oktober 2004, Nr. 230, S. 38. 372. Fundamentalismus leicht gemacht. Lust und Leid der Sekundärquelle. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Oktober 2004, Nr. 231, S. 37. 373. Der Analytiker des Untergangs. Christian Burckards Biographie über Arthur Koestler. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. Oktober 2004, Nr. 233, S. L44.

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Friedrich Niewöhner

374. Islamische Philosophie. Ulrich Rudolphs vorläufiger Überblick. In: Neue Zürcher Zeitung, 7. Oktober 2004, Nr. 234, S. 37. 375. Warnung vor der Türkei. Orhan Pamuks neuer Roman: Panik in Anatolien. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Oktober 2004, Nr. 236, S. 31. 376. Helles Mittelalter (Leserbrief). In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. November 2004, Nr. 258, S. 10. 377. Arme Heiden. Haben die Religionen im Mittelalter miteinander geredet? In: Süddeutsche Zeitung, 13./14. November 2004, Nr. 264, S. 16. 378. Friedenswasser in die Worte des Propheten. Kein Dialogangebot: Hans Küngs Islam-Buch. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. November 2004, Nr. 267, S. 37. 379. Ich kann Ihnen nicht ganz folgen. Der Briefwechsel zwischen Alfred Schütz und Eric Voegelin. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. November 2004, Nr. 275, S. 34. 380. Die Gazelle nahm den kleinen Hayy aus der Kiste und mit nach Hause. Lehrreicher Gewinn für die Insel. Der arabische philosophische Lebensbericht über den Sohn des Wachenden in einer neuen Übersetzung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. November 2004, Nr. 277, S. 44. 381. Nicht mehr zu verlieren. Georg Brandes über Nietzsches aristokratischen Radicalismus. In: Süddeutsche Zeitung, 26. November 2004, Nr. 275, S. 18. 382. Ungünstig gelegen. Amsterdam 1670: Baruch de Spinoza fordert Redefreiheit. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Dezember 2004, Nr. 281, S. N3. 383. Verlöschen, sekundär. Deutsche Denker flirten mit dem Nirwana – eine Anthologie. In: Süddeutsche Zeitung, 7. Dezember 2004, Nr. 284, S. 16. 384. Die Freiheit der Anderen. Studien über das politische Denken im mittelalterlichen Islam. In: Neue Zürcher Zeitung, 11./12. Dezember 2004, Nr. 290, S. 49. 385. Der Leser soll an ihm nicht irre werden. Zum achthundertsten Todestag des Philosophen Maimonides. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Dezember 2004, Nr. 290, S. 40. 386. Deutsche Muslime vor dem Koran. Johannes Twardellas Studien über die islamische Religiosität. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Dezember 2004, Nr. 291, S. 35. 387. Von Jacques zu Jacob – Ein Fall innerjüdischer Konversion: In: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts, Göttingen 2004, Band III, S. 139 – 146. 388. Vorverlegter Strukturwandel. Eines der wichtigsten Bücher zur Geschichte der öffentlichen Debatte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Januar 2005, Nr. 5. S. 37. 389. Abraham Geiger: Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen ? Mit einem Vorwort hg. von Friedrich Niewöhner (= Jüdische Geistesgeschichte. Hg. von Christoph Schulte, Bd. 5), Berlin 2005. Darin: F. Niewöhner: Von Muhammad zu Jesus. Abraham Geiger schreibt über den Koran, S. 7 – 33. 390. Berlin soll nicht nur horten, sondern forschen. Ein Band über die islamische Kunst in Deutschland zeigt die Lehrstuhllücke in der Hauptstadt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Februar 2005, Nr. 37. S. 37.

Liste der Veröffentlichungen

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391. Was lasen sie eigentlich in der Schule? Vor Maimonides keine Philosophen: Ein sehr schlechtes und ein sehr gutes Buch zum jüdischen Denken. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. Februar 2005, Nr. 43, S. 41. 392. Volles Licht der Geschichte. Mohammed und das Judentum: Ein Berliner Studientag. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. März 2005, Nr. 51, S. N3. 393. Wispertest du je mit dem Fluß? Psalmodieren im Angesicht der Natur: Sofia Dubnowa und ihr Vater Simon Dubnow. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. März 2005, Nr. 69, S. N3. 394. Ein einzigartiges Dokument. Simon Dubnow erhellt die Geschichte der Juden in Osteuropa. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. Mai 2005, Nr. 104, S. 39. 395. Rez.: Stefan Müller-Doohm: Adorno. Eine politische Biographie. In: Germanistik, Bd. 45 (2004). Heft 3 – 4, S. 978. 396. Der jüdische Antisemit und Nietzscheaner Oscar Levy. Gegen den Idealismus als Idiotie. In: Frankfurter Allgemein Zeitung, 1. Juni 2005, Nr. 124, S. 36. 397. Muse ohne Witz. Ungeschriebene Briefe der jüdischen Geschichte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Juni 2005, Nr. 140, S. 41. 398. Neues Interesse an Salomon Maimon – drei Publikationen zu einem großen Intellektuellen und Philosophen des 18. Jahrhunderts. In: Das Achtzehnte Jahrhundert. Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts, Wolfenbüttel 2005, 29. Jg., Heft 1, S. 114 – 116. 399. Er folgte immer nur anderen. Gesteigerte Schärfe: Max Webers Auffassung vom Judentum. In: Frankfurter Allgemein Zeitung, 9. September 2005, Nr. 210, S. 38. 400. Politik als Ideengeschichte: Flexibilität. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. September 2005, Nr. 220, S. N3. 401. Mal wieder an allem schuld. Yuri Slezkines irritierendes Pamphlet zur jüdischen Geschichte. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Oktober 2004, Nr. 231, S. 38. 402. Kein Sein und keine Zeit. Dan Diner erörtert, warum der Islam keinen Fortschritt kennt. In: Süddeutsche Zeitung, 12. Oktober 2005, Nr. 235, S. 16. 403. Gottes schönste Namen, noch schöner erzählt. Adel Theodor Khourys Koran-Kommentar ist ein Schlüssel zum Verständnis für Nichtmuslime. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Oktober 2005, S. 41. 404. Kulturtransfer: Die Sendung des Propheten und die Antwort des Rabbi. In: The Trias of Maimonides – Die Trias des Maimonides. Jewish, Arabic, and Ancient Culture of Knowledge, hg. von Georges Tamer. Berlin/New York 2005, S. 307 – 321 (= Studia Judaica Bd. 30). 405.Djamal ad-Din al-Afghani im Gespräch mit Ernest Renan. In: IRANZAMIN XIV, 8/9, 2004/5; S. 413 – 417. 406. Artikel „Philo-Semitism“. In: The Encyclopedia of Christianity (ed. by Erwin Fahlbusch u. a.). Brill, Leiden, Vol. 4, 2005, S. 91 – 93.

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Friedrich Niewöhner

Mitherausgeber 407. Historisches Wörterbuch der Philosophie. Unter Mitwirkung von mehr als 1.200 Fachgelehrten in Verbindung mit Günther Bien, hg. von Joachim Ritter (†)/Karlfried Gründer/Gottfried Gabriel. Schwabe, Basel 1987 – 2005. 408. Hebräische Beiträge zur Wissenschaft des Judentums deutsch angezeigt. Hg. von Michael Graetz ( Jerusalem)/Karlfried Gründer (Berlin)/Friedrich Niewöhner (Wolfenbüttel). Band II-V, 1987 – 89, Heidelberg 1989, Bd.VI, 1990.

Berichte 409. Wolfenbütteler Bibliotheks-Informationen, Jg. 14, Nr.1 – 4, 1989, S. 16 – 17, 17 – 18.– Mundus Novus, Nummer 2, 1990, S. 19 – 21.– Wolfenbütteler Bibliotheks-Informationen, Jg. 16, Nr. 1 – 4, 1991, S. 4 und 14 – 15.– Neue Welt – Alte Welt. 500 Jahre Begegnung mit Amerika. 1492 – 1992 (Februar 1992, S. 13 – 15.).– Jahresprogramme der Herzog August Bibliothek 1987 – 2005.– Handbuch Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 1992, S. 16, 63, 77, 148, 148 – 149, 151 – 152.– Wolfenbütteler Bibliotheks-Informationen, Jg. 19, Nr. 3 – 4, 1994, S. 41 und S.42.– Wolfenbütteler Bibliotheks-Informationen, Jg. 20, Nr. 3 – 4, 1995, S. 45 – 46 und 46 – 47.– Wolfenbütteler Bibliotheks-Informationen, Jg. 21, Nr. 1 – 4, 1996, S. 13 und 19 – 20. Vor Ort, Februar 1997, S. 40.– Wolfenbütteler Bibliotheks-Informationen, Jg. 22, Nr. 1 – 2, 1997, S. 13 – 14. Nr. 3 – 4, S. 3 – 4, 42, 42 – 43, 49 – 50.– Wolfenbütteler Bibliotheks-Informationen, Jg. 24, August-Dezember 1999, Nr. 3 – 4, S. 58.– Wolfenbütteler Bibliotheks-Informationen, Jg. 25, Nr. 3 – 4, S. 88. Berichte in den Informationen der AHF.– Nachrichtenblatt der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik e.V. 48. Jg., Heft 1, Frühjahr 1998, S. 8 – 11, 12 – 14.– WBI, Jg. 23, Nr. 3 – 4, Dez. 1998, S. 37 – 38.– Nachrichtenblatt der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik. 48. Jg., Heft 1, 1998, S. 8 – 11 („Zur Geschichte der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel“).– WBI, Jg.24, Nr.1 – 2, Juli 1999, S. 15 – 16.–

Rezensionen Die Zahl in der ersten Spalte verweist auf die rezensierte Veröffentlichung Friedrich Niewöhners. 1:

1. C. Steel, in: Tijdschrift voor Filosofie 35, 3, 1973, S. 632 – 633. 2. W. Elliger: Welt und Wort 1, 1973. 3. H. Krämer, in: Philosophische Rundschau, Jg. 27, Heft 1/2, 1980, S. 10 – 14.

Liste der Veröffentlichungen

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27: 4. Deutsches Pfarrblatt 542, Heft 1, 79. Jg., September 1979. 5. Wissenschaft und Literatur, August 1979, S. 15 – 16. 6. Literaturreport, Jg. 66, 1979/80. 7. Erbe und Auftrag, Jg. 55, 1979, Heft 5, S. 401. 8. Hennoch, Jg. 11, Heft 1, März 1980, S. 133 – 144. 9. Anzeiger für die katholische Geistlichkeit, Jg. 89, Heft 5, Mai 1980. 10. Nachrichten der ev.-luth. Kirche in Bayern, Jg. 35, 1. Juli-Ausgabe 1980, S. 259. 11. Jüdische Rundschau. 2. April 1981, Nr. 14, S. 19. 12. Referateblatt Philosophie 2, Reihe E. 1980, Blatt 69 – 69a. 13. Archives de Philosophie 44, Cahier 4, 1981, S. 1 – 2. 29: 14. Aufbau/New York, Friday, March 5, 1982, S. 9. 15. Judaica/Basel, Bd. 38,1: 1982, S. 54 (M.C.). 16. Jüdische Rundschau Nr. 36 – 9. IX. 1982, S. 31 (Willi Goetschel). 17. La Pensée et les hommes (Brüssel). Vol. 26,2, S. 79 (Annie Kestelyn). 18. Studia Rosenthaliana. Vol. XVI,2: November 1982, S. 238 (L.R.F.). 19. Am 1. Januar 1983 im BHF-Belgien, um 18.45 Uhr unter dem Titel „Wir und die Zeit“ (A. Kestelyn). 20. „Mitteilungsblatt“ (M.B.) der Irgun Oley Merkas Europa (Israel) vom 14. 1. 1983, S. 5 (Ze’ev Levy). 21. South Africa Jewish Times, 18. März 1983, S. 66 (A. Lichtigfeld). 22. Tijdschrift voor Filosofie 1983, 1, S. 152 ( J. Janssen). 23. Hennoch/Turin, Nr. V, 1983, p. 280 (Bruno Chiesa). 24. actualidad bibliografico, Vol. XX, Nr. 40, 1983, p. 358 (E.C.). 25. Philosophisches Jahrbuch 1984, Bd. 91,1, p. 207 – 208 (H. Greive). 26. Kirjath Sepher, Vol. 58, No. 2, 1984, p. 259. 27. Comm.Hist.Artis.Med. 101, 1983, Budapest (Magyar Laszlo). 28. Erich Heintel, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie. Bd. XXI, 1989, S. 169 – 171. 58: 29. E. G. L. Schrijver: In: Studia Rosenthaliana XXIII,1. 1989, S. 123 – 125. 30. Wolfenbütteler Zeitung, 1. Februar 1989, S.1 4. 31. „deutschland-berichte“ 25, 9. September 1989, S. 15. 32. Theologische Literaturzeitung 114,7. 1989, (o.S.). 33. Ulrike Hinke-Görnemann, in: Bibliographie de la Philosophie. Bd. XXXVI, 4, 1989, S. 457. 34. R.D., in: Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters. Bd. 45,2 (1989). S. 753. 35. H. Weinstock, in: Aschkenaz, 3. Jg., 1993, S. 348 – 350. 36. Alfred L. Ivry: In: Speculum (Cambridge, Mass.), Vol. 66,3, S. 670 – 671. 36a. Gad Freudenthal: In Revue des études juives, 150 (1991), S. 196 – 197. 59: 37. Bundesblatt. Hg. von der Großen National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“. 86. Jg, Heft 5, Mai 1989, S. 128 – 131 (Wolfgang Kelsch). 38. Rhein-Neckar-Zeitung Heidelberg, Nr. 184, 12. August 1989, S. 8. 39. NZZ Nr. 189, 17. August 1989, S. 23. 40. Evangelische Information Nr. 30, 27. Juli 1989, S. 24. 41. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel Nr. 19, 7. März 1989.

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70: 73: 76: 84:

87: 97: 100: 103:

Friedrich Niewöhner

42. Nürnberger Zeitung. Sonderbeilage „Literatur 1989“. 11. 12. 1989 (Nr. 277), S. 14. 43. Horst Günther: Drei Ringe, drei Betrüger und eine fröhliche Wissenschaft. Friedrich Niewöhners Studie zum Streit der Religionen. In: NZZ, 5./6. 5. 1990, Nr. 103, S. 66. 44. Wolfgang Gericke, in: Theologische Literaturzeitung, 115. Jg. 1990, Nr. 4, Sp. 288 – 291. 45. Jörg Splett, in: Theologie und Philosophie. 3, 1990. S. 429 – 431. 46. Ernst Feil. In: Stimmen der zeit. Heft 6 – Juni 1991, Bd. 209, S. 425 – 428. 47. Arno Schilson. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 43. Jg., Heft 1, 1991, S. 89 – 90. 48. D. Bourel. In: Dix-Huitième Siècle, No. 23, 1991, S. 521. 49. Wolf Wucherpfennig. In: Lessing Yearbook Vol. XXIII, Detroit 1991, S. 209 – 211. 50. F. Charles Daubert et Anne Lagny. In: Studia Spinozana, Vol. 7, 1991, S. 329 – 330. 51. Willi Goetschel. In: Aufbau-New World Club, New York, Friday, January 5, 1990, S. 8 – 9. 52. J.S. Freedman: In: Archiv für Geschichte der Philosophie, 75. Bd., 1993, S. 8 – 9. 53. José Jiménez. In: EL PAIS, 26. 11. 1989, S. 21. 54. Hans Felten. In: Das Achtzehnte Jahrhundert, Jg. 20, Heft 1, 1996, S. 110 – 113. 55. Medioevo Latina, Bd. XIII, 1992. S. 74 (S. 130, S. 964). 56. W.H. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters, Bd. 48, 1 (1992), S. 316 – 317. 57. In: SPECULUM, Vol. 68, October 1993, No. 4, S. 1247. 58. H. Weinstock. In: Aschkenaz, 3. Jg. 1993, S. 350 – 351. 59. M.R.A. In: HOY, 30. 09. 1993, S. 8. 60. A.V. In: Extremadura, 30. 09. 1993, S. 8. 61. Guy G. Stroumsa: Hebrew Humanism Revisited: Jewish Studies and Humanistic Education in Israel. In: Jewish Studies Quarterly, Vol. 3, 1996, S. 134 – 135. 62. Friedrich Lotter. In: Aschkenaz, 4. Jg. 1994, S. 187 – 189. 63. Stefan Schreiner. In: Judaica Heft 1, 1994, S. 52 – 53. 64. Philipp W. Rosemann. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. März 1994, Nr. 75, S. N5. 65. Johannes Vandenrath. In: Orient 35,1, 1994, S. 140 – 145. 66. P.S. van Koningsveld. In: Numen, Vol. 41, 1994, S. 206 – 207. 67. Ulrich Rudolph. In: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Bd. 144; 1(1994), S. 185 – 187. 68. Walter Andreas Euler. In: Theologische Revue 4, 1994, Sp. 303 – 306. 69. Benedict Vadakkekara. In: Collectanea Franciscana, Nr. 64, 1994, S. 392 – 393. 70. Judentum, Christentum und Islam in der Sicht des Ibn Kammuna. In: Judaica, 52. Jg., Heft 1, 1996, S. 4 – 22 (speziell zu dem Ibn KammunaAufsatz).

Liste der Veröffentlichungen

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71. Ora Limor. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters, Bd. 50, 1(1994), S. 401 – 402. 72. In: Deutsches Pfarrer Blatt, Jg. 93, 1993. 73. Barbara Hallensleben. In: Theologie und Glaube, Heft 3, 1994. 74. A. de Halleux (†). In: Revue Théologique De Louvain, T. 25, 1994, Nr. 3, S. 385. 75. Hartmut Bobzin. In: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes. 1995, S. 389 – 390. 76. H. Fredl. In: Biblos 42, 1993, Heft 3, S. 168 – 169. 77. Mara Wade. In: The German Quarterly, Vol. 68, Nr. 2. 1995, S. 197 – 200. 78. Olah Szabolcs. In: Helikon (Budapest) Nr. 1 – 2, 1996, S. 175 – 176. 79. Marianne Awerbuch. In: Der Tagesspiegel, 26. Juni 1994. 80. Hannes Stein. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. August 1994, S. 27. 81. Daniel Krochmalnik: Das Sefer Hammada. Eine Volksausgabe? In: Der Landesverband der Israelit. Kultusgemeinde in Bayern. 9. Jg. Nr. 63, September 1994, S. 36 – 37. 82. Andreas Kilcher: Aufklärung aus Ägypten. Texte von Maimonides wieder zugänglich. In: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 26, 1./2. Februar 1997, S. 50. 83. Christoph Strosetzki. In: Notas Nr. 3, 1994, S. 44 – 46. 84. Michael Stolleis. In: Journal of Early Modern History, 1996. 85. Thomas Eggensperger. In: Iberoamericana. 20. Jg. 1996, Nr. 1(61), S. 89 – 92. 86. Reinhard Finster. In: Die Welt, 9. September 1996. 87. Werner G. Noltemeyer. In: Bücher Markt 6, 1994, S. 30 – 31. 88. Lore Schönberg. In: Braunschweiger Zeitung. 11. Juni 1994, S. 60. 89. Eva Pfister. In: Börsenblatt 10./11. November 1994, S. 121. 90. Daniel Krochmalnik: Jüdischer Nietzscheanismus. Symposium in Weimar wegen Teilnahme von Ernst Nolte geplatzt. In: Der Landesverband der Israelit. Kultusgemeinde in Bayern. 9. Jg., Nr. 64, Dezember 1994, S. 14 – 15. 91. Peter Moser. In: Information Philosophie Nr. 5, Dezember 1994, S. 135. 92. Ludger Lütkehaus. In: Spiegel-Special, Oktober 1994, S. 26 – 27. 93. Henning Ritter: Ein Königstraum. Gershom Scholems frühe Tagebücher. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. April 1995, S. L29. 94. Rivka Horowitz. Maavke Gershom Scholem Ha-Zair, von den Kämpfen des jungen Gershom Scholem. In: Haaretz (Hebräisch), 11. September 1995. 95. Michael Löwy. In: Archives de Sciences Sociales des Religions, 90. Paris Avriel-Juin 1995, S. 119 – 120. 96. Jeremy Adler: There stood my Mr Benjamin. In: Times Literary Supplement, June 7, 1996, S. 10 – 11. 97. W.G. Lerch: Der offene Islam und seine Feinde. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Mai 1995, Nr. 103, S. 10.

460

129:

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140:

Friedrich Niewöhner

98. Dominique Urvoy: Bulletin Critique des Annales Islamologiques, 1995, Nr. 12, S. 125 – 126. 99. Hartmut Bobzin. Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes, 1995, S. 390 – 392. 100. Christoph von Wolzogen. In: Neue Zürcher Zeitung, 27. Mai 1997. 101. Frank Griffel. In: Die Welt des Islams, Bd. 38,2, 1998, S. 254 – 260. 102. Hans Daiber. In: Bibliotheca Orientalis LIV No. 3/4, Mai-August 1997, Sp. 507 – 510. 103. Alois Knoller. In: Augsburger Allgemeine. 21. April 1995. 104. Wolfgang Behringer: Weltnabel Augsburg. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Juni 1995, Nr. 134, S. 28. 105. Neue Zürcher Zeitung. 20./21. Mai 1995. 106. Wolfgang Zorn. In: Das historisch-politische Buch. Jg. 43, Heft 9/10, 1995, S. 374. 107. August Buck. In: Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen, Jg. XX, Heft 1, 1996, S. 31 – 32. 108. In: Archiv für Reformationsgeschichte, Bd. 25, 1996, S. 151 – 152. 109. James Thomas Ford. In: Sixteenth Century Journal, XXVIII/1 (1997), S. 180 – 183. 110. Alois Schmid. In: Zeitschrift für historische Forschung, 24. Bd., 1997, Heft 3, S. 446 – 447. 111. Volker Dotterweich. In: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte. Bd. 59, Heft 3, 1996. 112. R. Rohrbacher. In: Aschkenaz, 3. Jg., 1993, S. 321 – 322. 113. L. Perlitt. In: Theologische Rundschau, 59. Jg., Heft 1, 1994, S. 112. 114. Ricardo Pozzo. In: Informazione Filosofica 22/23, 1995, S. 64. 115. Bernd Jaspert. In: Theologische Literaturzeitung, 121. Jg., 1996, Nr. 12, S. 1175. 116. Uwe Neddermeyer. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte, 109. Bd., 1998, Heft 2, S.2 54 – 255. 117. ujw: Leute der Schrift. In: Neue Zürcher Zeitung, 2./3. März 1996, Nr. 52, S. 36. 118. Gotthard Fuchs. In: Religionsunterricht in höheren Schulen (rhs), Nr. 39, Heft 2, 1996, S. 136. 119. P. Johannes Schaber. In: Seckau. Jg. 6, Nr. 21, 1996, S. 34 – 35. 120. Fritz Popp. In: bn 2/1996. 121. hel. In: Deutsche Apotheker Zeitung, 28. März 1996. 122. In: Deutsches Pfarrerblatt 3/1996. 123. Alexander Riebel. In: Deutsche Tagepost, 15. Juni 1996, o.S. 124. Jörg Splett. In: Theologische Revue 92, Nr. 3, Frankfurt a.M. 1996, S. 259 – 260. 125. In: lesenwert 1/1996, o.S. 126. DR. In: Erbe und Auftrag, Jg. 72 (1996), Heft 2. 127. LK/MA: Altmeyer. In: ekz ID 14/1996. 128. In: Konradsblatt Nr. 28, 14. Juni 1996. 129. Hubert Pieper. In: Deutsche Tagespost, 6. Juli 1996. 130. Victor Hahn. In: Ordenskorrespondenz Jg. 38, 1997, Heft 1, S. 113 – 114.

Liste der Veröffentlichungen

146: 149:

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160: 167:

168: 171: 188: 208: 209: 220:

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131. Werner Trutwin. In: Freiburger Rundbrief 2, 1997. 132. U.H.-D. In: Bibliographie de la Philosophie, 4, 1995, Nr. 1485. 133. Mijo Korade. In: Kathenezu, 1, 1997, o.S. 134. Caroline Neubauer. In: Süddeutsche Zeitung, 21./22. November 1998, Nr. 269, S.V. 135. Detlef Thiel. In: prima philosophia, Bd. 13, Heft 2, 2000, S. 185 – 190. 136. Alan Soons. In: Romanische Forschungen. 115. Band, Heft 2, 2003, S. 238 – 241. 137. Frank Griffel. In: Die Welt des Islams, Bd. 38,2, 1998, S. 254 – 260. 138. Hans Daiber. In: Bibliotheca Orientalis LIV No. 3/4, Mai-August 1997, Sp. 510 – 511. 139. Nausikaa Schirilla: Friedrich Niewöhner: Kommentar des Averroes zu Platons Politeia. In: Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren, 1999, Heft 3, S. 90 – 91. 140. George Tamer. In: An-nahar, Beirut, 20. September 1996 (Arabisch). 141. Christoph von Wolzogen. In: Neue Zürcher Zeitung, 27. Februar 1997. 142. Oliver Leaman. In: Journal of Semitic Studies, Vol. XLII, Nr. 2, 1997, S. 450 – 451. 143. Mieczyslaw Markowski. In: Kwartalnik Filozoficzny. Tom. XXV, Zeszyt 1, Krakow 1997, S. 266 – 267. 144. Matthias Morgenstern: Isaac Breuer und Soma Morgenstern. In: Judaica. 54. Jg., Heft 3, 1998, S. 174 – 177. 145. Johannes Fried. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Juli 1997, Nr. 157, S. 33. 146. Michaela Dallapiazza. In: Letter DAAD, Nr. 4, Dezember 1997, S. IIIIV. 147. Hans-Jürgen Becker. In: Theologische Literaturzeitung, 125 (2000), 4, S. 382. 148. Martin Jay: Force Fields. In: Salmagundi Nr. 123, Summer 1999, S. 22 – 31. = Ders.: Die undankbaren Toten. In: Frankfurter Rundschau, 18. September 1999 149. Emanuel B. Krauskopf: Diktaturen als Höhepunkt der Aufklärung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. August 1998, Nr. 195, S. 8. 150. Rainer Stichel: Entdecker der jüdischen Kunst. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Juli 1999, Nr. 164, S. 10. 151. Gerhard Lauer. In: Arbitrium, Heft 1/1999, S. 1 – 4. 152. Georges Tamer: Gottlosigkeit hat viele Namen. In: Der Tagesspiegel, 2. Juli 2000, S. W6. 153. Johannes Neumann. In: humanismus aktuell. 5 (2001), Heft 9, S. 81 – 84. 154. C. H. in: „Medievo Latino“, 22 (2001), S. 87, 173, 361, 1070, 1193. 155. Revue Thomiste, 1 (2002), S. 113. 156. Marcus Pyka. In: Sehepunkte 2, 2002, Nr. 1. (www.sehepunkte-historicum.net/2002/01). 157. Martin Obst: In: Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen. Jg. 26, Heft 2, 2002, S. 159 – 163.

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226: 233: 240:

243: 249:

250: 268:

277:

Friedrich Niewöhner

158. V. Greyerz: In: Archiv für Reformationsgeschichte. Vol. 33, 2004, S. 9 – 10. 159. Dietrich Korsch: Adolf von Harnack kein völkisch-deutscher Antisemit. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 20. März 2000, Nr. 67, S. 10. 160. Katalin Meiwes: Spinoza als Mittelsmann. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 18. September 2000, Nr. 217, S. 12. 161. Ulrich Clewing: Archäologie des Denkens. Zum Averroes-Symposion im Hause der Kulturen der Welt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Dezember 1999, Nr. 291, S. BS3. 162. Hans-Michael Haußig: Averroes und der Dialog der Kulturen. In: Iranzamin. Echo der iranischen Kultur. XII. Jahrgang, Ausgabe 6 – 7, Bonn 2000, S. 375 – 378. 163. Martina Sabra: Ein Vermittler zwischen den Kulturen – Die Wiederentdeckung des arabischen Religionsphilosophen Averroes. In: Deutschlandfunk Köln, 15. März 2000, 20.10 bis 20.30 Uhr. 164. Hermann Imre Schmelzer: In: Judaica. Beiträge zum Verstehen des Judentums. 57. Jg., Heft 4, Dezember 2001, S. 299 – 300. 165. Dominique Urvoy: In: Revue Thomiste, 1 (2002), S. 122 – 123. 166. Günther Specovius in: NDR Radio 3, Kulturelles Wort, 29. 12. 2000, 19.25 – 19.30 Uhr. 167. Ludger Lütkehaus: Der Philologe als Mystiker inkognito. Gershom Scholems Tagebücher 1917 – 1923. In: Neue Zürcher Zeitung, 10. April 2001, Nr. 84, S. 35. 168. Michael Löwy: Messianismus im Frühwerk Gershom Scholems. In: Im Gespräch. Hefte der Martin Buber-Gesellschaft. Nr. 2, 2001, S. 24 – 34. 169. Andreas Kilcher: In: DeutschlandRadio/Deutschlandfunk, Donnerstag, 26. April 2001, 16.10 – 16.30 Uhr. 170. Andreas Kilcher: In: Frankfurter Rundschau, 8. August 2001, Nr. 183, S. 19. 171. Michael Brocke: In: Kalonymus. 4. Jg. 2001, Heft 2, S. 8 – 9. 172. Friedrich Wilhelm Graf: Lerne Hebräisch, um auf hebräisch zu schweigen. Ein Porträt des Kabbalisten als junger Schwärmer: Gershom Scholems Tagebücher von 1917 bis 1923. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Dezember 2001, Nr. 290, S. 52. 173. Jeremy Adler: In the absence of God. Isolation, Zionism and the anguish of Gershom Scholem. In: TLS, Jewish Studies, January 4, 2002, p. 3 – 4. 174. Lothar Stiehm: Gershom Scholem und Martin Buber, anläßlich des Erscheinens von Scholems Tagebüchern. In: „Im Gespräch“, Nr. 5, Herbst 2002, S. 93 – 98. 175. Christoph Nöthling: In: Freiburger Rundschau. 8. Jg. Nr. 4, 2001. S. 319. 176. upj: Seelentiere. In: NZZ, 20./21 April 2002, Nr. 91, S. 64. 177. Gotthard M. Teutsch. In: Altex, 19. Jg, Nr. 4, 2002, S. 172 – 174. 178. Andreas Urs Sommer: Die Seele der Tiere. In: Das Magazin (Tagesspiegel), Nr. 43, 25. Oktober 2003, S. 46. 179. Friedemann Voigt: Die Sache mit dem Chef. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 269, 22. 11. 2001, S. 19.

Liste der Veröffentlichungen

463

278: 180. Claudia Brosseder, in: Süddeutsche Zeitung, 21. Juni 2002, Nr. 141, S. 18. 181. Roland Kany, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Juni 2002, Nr. 143, S. 48. 182. In: Gnostika. 6. Jg., Heft 21, Juni 2002, S. 88 – 89. 183. Andreas Kilcher: Rätselspiel Rosenkreuz. In: Neue Zürcher Zeitung, 26. September 2002. 184. Charles Webster, in: The Journal of Ecclesiastical History. Cambridge 2004, Bd. 55, S. 193 – 194. 307: 185. upj: Denkwelten. In: Neue Zürcher Zeitung, 7. Dezember 2002, Nr. 285, S. 36. 186. Karin Hartbecke. In: http://www.sehepunkte. historicum.net/2004/04//4617.html. 187. Thomas Schwietring: Zahlenzauber der Jahrhundertwende. In: literaturkritik.de „Nr. 7, Juli 2004.“ 310: 188. Dimitri Gutas: Befangener Blick auf Muslime. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Dezember 2002, Nr. 283, S. 8. 189. Gerhard Knauss: Aufgeklärte Muslime? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. Dezember 2002, Nr. 302, S. 10 (Leserbrief). 311: 190. Friedrich Wilhelm Graf: Wann ist es soweit? Endzeit-Debatten: Maimonides wurden falsche Prognosen erlaubt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Januar 2003, Nr. 10, S. 35. 191. Yitzhak Ahren: Wann kommt der Messias? Ein Maimonidestext von 1172 erstmals vollständig auf Deutsch. In: Jüdische Allgemeine Nr. 2/03, 16. Januar 2003, S. 6. 192. In: „Im Gespräch.“ Hefte der Martin Buber Gesellschaft, Nr. 6, 2003, S. 106. 331: 193. Dr. Roderich Barth: Verfall der religiösen Ausdruckskultur. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Mai 2003, Nr. 112, S. 36 (Leserbrief). 348: 194. Cora Penselin: Bekannte Vorwürfe. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Montag, 24. November 2003, Nr. 273, S. 10 (Leserbrief). 353: 195. Volker Breidecker: Typisch Adorno. Kann man nach Auschwitz noch über Juden reden? In: Süddeutsche Zeitung, Dienstag, 23. September 2003, Nr. 219, S. 16. 360: 196. Friedemann Voigt: Vor der Reformation. Ketzer werden Heilige, der Papst wird der Antichrist. In: Süddeutsche Zeitung, Mittwoch, 2. Juni 2004, Nr. 125, S. 16. 197. In: Nederlands Dagblad, 7. Mai 2004. 198. tba. In: www.chrismon.de (Das evangelische Magazin), III. Quartal 2004. 199. Brettener Allerlei. In: www.fh-kehl.de/zeitung/ vom 26.07.2004. 200. In: Theologie und Glaube. 94. Jg., Heft 4, 2004, S. 587. 201. In: Dialogo Filosofico, Madrid 2004, S. 560. 202. J. Boada. In: Actualidad Bibliográfica de Filosofia y Teologia, Sant Cugat del Vallès (Barcelona/Spanien), 83, 2005, 83 – 84. 363: 203. Malte D. Krüger. In: Theologische Literaturzeitung. 130. Jahrgang, Heft 7/8, Juli-August 2005, Sp. 829 – 831. 368: 204. Arno Schilson: Unsagbares bei Lessing. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Samstag, 14. August 2004, Nr. 188, S. 9.

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Friedrich Niewöhner

389: 205. Andreas Gotzmann: Die kritische Suche nach dem Kern. Neues Altes zum Verhältnis der Weltreligionen: Friedrich Niewöhner hat Abraham Geigers Dissertation neu herausgegeben. In: Süddeutsche Zeitung, Mittwoch, 1. Juni 2005, Nr. 123, S. 16. 206. Arno Widmann: Offenbarung oder Überlieferung. In: Berliner Zeitung, Nr. 180, 15. August 2005, S. 27. 207. Andreas Kilcher: Jüdische Quellen des Koran. Eine philologische Pionierarbeit aus dem 19. Jahrhundert. In: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 193, 20. August 2005, S. 47.

Personenregister

˘

Abaelard 28f d’Abano, Pietro 92 Abduh, Muhammad 48 ˙ Abravanel, Isaak 179 Abu¯ l-Walı¯d Ahmad bin Muhammad ˙ bin Rusˇd ˙51 Abu Zaid, Nasr Ha¯mid 51, 58ff, 79f, ˙ ˙ 205f Aegidius von Rom 101 ˇ ama¯l ad-Dı¯n 48 Al-Afg˙a¯nı¯, G Agrippa 157 Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius 276 Albert der Große 101 Albert von Sachsen 92 Albertus Magnus 163 Alexander von Aphrodisias 92ff Alexander von Bremen 397 Allwoerden, Heinrich von 278f Alvinczi, Peter 140 Ambrosius von Mailand 21 Ammonas 20 Annet, Peter 246 Anselm von Canterbury 108 Aqiba (Aqiva), Rabbi 17, 382 Arendt, Hannah 25f Aristophanes 6 Aristoteles 7, 54, 68f, 90ff, 154,163, 173 Arnold, Gottfried 268, 270 d’Ascoli, Cecco 92 Augustinus 22, 90, 234, 397, 420 Averroes (Ibn Rushd) 28f, 32, 47ff, 60f, 67f, 75f, 93ff Bacon, Francis 231 Bacon, Roger 157 Baeck, Leo 391 Balmes, Abraham de 188 Barlaeus, Caspar 185

Barr, James 359 Barton, John 198 Basedow, Johann Bernhard 297 Basilius von Caesarea 20 Bauckham, Richard 429 Bauer, Wolfgang 220 Bayle, Pierre 251 Bazarov-Rudnev, Vladimir Aleksandrovich 422 Beccadelli, Antonio 120 Bellah, Robert N. 229 Benedikt von Nursia 20 Benitez, Miguel 256 Benz, Richard 410 Berckenmeyer, Paul Ludolph 272 Berdjajew, Nikolaj 422 Berengar von Tours 28f Bergsträsser, Gotthelf 375 Berkeley, George 310 Beza, Theodorus 142 Bialik, Chaim Nachman 344 Biester, Johann Erich 322f, 330 Al-Bı¯ru¯nı¯, Abu¯ Raih9a¯n 372f Bloch, Ernst 426f Blumenberg, Hans 1 Bocaccio; Giovanni 231, 277 Bockelson, Jan 403 Böckh, August 349f Bodin, Jean 121f, 238 Boehme, Jakob 404f Boehmer, Eduard 268 Bogdanow, Alexander Alexandrowitsch 422f Böhm, Hans 276 Böhmer, Justus Henning 288 Boie, Heinrich Christian 44 Boman, Thorleif 359 Bopp, Franz 358 Boysen, Peter Adolf 269 Bracciolini, Paggio 120

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Personenregister

Brentano, Clemens 225 Brockelmann, Carl 357f, 375 Bruno, Giordano 252, 284 Buhlau, Johann Adolf 269 Bulgakov, Sergej 422 Bullinger, Heinrich 141, 287 Bultmann, Rudolf 209 Buridan, John 92ff Buxtorf, Johannes 194, 342 Calvin, Johannes 132f, 188, 197, 268, 279, 282, 284f Campanellas, Tommaso 394 Canini, Angelo 361f Castellio, Sebastian 289 Castellus, Edmundus 364 Catull 9 Cervantes, Miguel de 290 Chwolson, Daniel 359 Cicero 9, 154, 253 Cizevskij, Dmitrij 405 Clarke, Samuel 241f Clemens von Alexandrien 18 Clemens von Rom 18 Cohen, Hermann 344, 351f, 377 Comenius, Johann Amos 405 Coornhert, Dirck Volckertszoon 121f Costa, Uriel da 28, 167ff, 187f Cromwell, Oliver 169 Curione, Celio Secundo 288

Fackenheim, Salomon 353 Al-Fa¯ra¯bı¯ 77, 82 Ferreolus von Uzès 21 Feuerbach, Ludwig 31, 418, 424 Ficino, Marsilio 157 Firpo, Massimo 113f Flavius Josephus 14 Fludd, Robert 146, 150ff Fra Dolcino 398 Francisci, Erasmo 222f Franck, Sebastian 276, 289 Francke, August Hermann 268 Fränckel, Jonas 383 Franke, Herbert 224 Franke, Otto 227 Frankel, Zacharias 378ff Freudenthal, Jacob 385 Friedrich der Große von Preußen 328 Gaarder, Jostein 360 ˇ a¯birı¯, Muhammad A¯bid 51, Al-G 65ff, 77f ˙ Gadamer, Hans-Georg 217 Galen 8, 154 Galilei, Galileo 145f Garcia, Carlos 277 Gassendi, Pierre 159ff Gatterer, Johann Christoph 297 ˙ aza¯lı¯, Abu¯ Ha¯mid 53f, 62 Al-G Gebauer, Georg ˙Christian 273 Geier, Manfred 23 ˘

Da Silva, Samuel 172, 176 Dante, Alighieri 277 Danzel, Theodor Wilhelm 231 David, Ferenc 111 Delmedigo, Elija 188 Demokrit 163 Descartes, Rene 145f, 302, 348 Deutsch, Gotthard 390 Dieu, Ludovicus de 363 Dionysius Areopagita 155 Döblin, Alfred 228 Döhnert, Albrecht IX Dostojewskij, Fjdor M. 428 Dürer, Albrecht 276 Dussaud, René 358

Eberhard, Wolfram 218 Edelmann, Johann Christian 255ff Ehrenberg, Samuel Meyer 348, 352 Eichhorn, Johann Gottfried 195, 361, 369 Engel, Johann Jakob 231 Engels, Friedrich 415f Enzinas, Francisco de 267 Epikur 180 Erasmus von Rotterdam 131, 275, 288 Euchel, Itzik 45 Euklid 312f Eusebius Hieronymus 21 Ewald, Heinrich August 366, 369

Personenregister

Geiger, Abraham 347, 378f, 385, 389, 391 Gerhard, Johann Ernst 365 Gerlach, Ernst Ludwig von 410 Gerlich, Albert Fritz 425 Gernet, Jacques 228 Gesenius, Wilhelm 347, 366f Glahn, Richard von 219 Gois, Damiao de 276 Goldziher, Ignaz 28, 375 Gorkij, Maxim 422 Götting, Husserlin 351 Graetz, Heinrich 385 Greaves, Thomas 364 Gregor von Nazianz 20, 398 Gribaldi, Matteo 289 Grimmelshausen, Johann Jakob Christoffel von 403f Groot, Jan J. M. de 277 Grossmann, Walter 257 Gründer, Karlfried VII, 235 Guglielma 398 Gundling, Nikolaus Hieronymus 271 Guy Le Fèvre de la Boderie (Guido Fabricius Boderianus) 363 Hackmann, Heinrich 228 Halevi, Jehuda 384 Hammer-Purgstall, Joseph von 357 Hamon, Moses 188 Hanagid, Samuel 384 Hebreo, León 280 Hegel, Georg W. F. 413f Heine, Heinrich 225 Heinrich von Segusia Ostiensis 119 Henning, Max 212 Herbert, Edward 239 Herder, Johann Gottfried 294, 321 Hermes Trismegistos 163, 285 Herz, Markus 46 Heumann, Christian August 278 Heydenreich, Karl Heinrich 259 Hippokrates 37ff, 154 Hirsch, Eric Donald 211 Hirsch, Samson Raphael 378, 389 Hirsch, Samuel 353 Hirszenberg, Samuel 167 Hitler, Adolf 425

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Hobbes, Thomas 146, 303, 316 Hodges, Benjamin 269 Hoffiser, Henrique 173, 179f Hofman, Murad Wilfried 212f Hofmann, Melchior 403 Holdheim, Samuel 380, 385, 389 Homer 5f, 9, 18, 154, 245 Hoornbeek, Johannes 186f Hottinger, Johann Heinrich 365 Huarte, Juan 280 Huet, Pierre-Daniel 250f Hume, David 242 Huska, Martin 401 Hyde, Thomas 364 Ibn Baga 77 Ibn Barun 361 Ibn Esra 384 Ibn Ezra, Abraham 193 Ibn Falaqera, Shem Tov ben Yosef 347 Ibn Giat, Isaak 384 Ibn Haldun 69 Ibn Hazm 69 Ibn Qurais, Jehuda 361 Ibn Tufails 32, 77 Ibn Verga 231 Ignatius von Loyola 268 Immanuel von Rom 231 Jacobi, Friedrich Heinrich 301 Jacobus Palaeologus 111ff Jahn, Johann C. G. 256 Joachim von Fiore 395f, 407, 419, 427 Johanan 16 Johannes a Lasco 135 Johannes Chrysostomos 22f, 398 Johannes von Damaskus 398 Jon, Francois du 136f Joris, David 289, 403 Jorissen, Matthias 225 Jost, Isaak 385 Juan de la Cruz 268 Justin der Märtyrer 18 Kant, Immanuel 3, 46, 79, 241, 314f, 319ff, 381, 407f, 418

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Personenregister

Kaplan, Yosef 190 Karolyi, Gaspar 142 Kaufmann, David 350 Kaufmann, Walter 229 Kepler, Friedrich Johannes 153 Khalafallah, Ahmad Muhammad 205 Kippenberg, Hans G. 230 Kircher, Athanasius 221 Kisch, Guido 390 Klein-Franke, Felix 37 Konfuzius 223 Körner, Felix 205 Kreyssig, Georg Christoph 258f Krochmal, Nahman 385 Kroner, Hermann 36 Kubin, Wolfgang 217 Al-Khu¯lı¯, Amı¯n 205 La Croze, Veyssière de 279 Ladenberg, Adalbert von 345, 350 Laguna, Andrés 280 Laktanz 8 Lange, Joachim 224 Lazarus-Yafeh, Hava 193 Le Jay, Guy-Michel 363 Leclerc, Jean 194 Leibniz, Gottfried Wilhelm 45, 224, 280, 299, 303f Leibowitz, Yeshayahu 353 Lessing, Gotthold E. VIIf, 25ff, 35f, 207f, 231ff, 283, 405f Levinas, Emmanuel 108, 353 Levinas, Emmaunel 108, 353 Lewkowitz, Albert 390 Ley, Hermann 29 Linné, Karl von 292 Livius 8 Locke, John 248, 280, 288 Loewe, Raphael 344 Löwith, Karl 413, 417f, 425 Lukian 113 Lullus, Raimundus 404 Lunacarskij, Anatoli V. 422f Luther, Martin 132f, 271, 276, 285 Luzzatto, Samuel David 385 Magnus, Isidor 347 Mähl, Hans-Joachim 408

Maigrot, Charles 223 Maimon, Salomo 340 Maimonides (Rabbi Mosche Ben Maimon) 24, 28ff, 34f, 81f, 176f, 188f, 207f, 211, 231, 233f, 384 Mannich, Johann 275 Marc Aurel 8 Marsilius von Inghen 92, 101 Martin, Gerhard Marcel 23 Martini, Cornelius 285 Marx, Karl 415ff Maspero, Henri 227 Matamoros, Alonso Garcia 277 Matthias Flacius Illyricus 120 Mauthner, Fritz 29 Maximus Konfessor 82 Melanchthon, Philipp 120, 276, 285 Menasse ben Israel 169, 172ff, 185ff Mendelssohn, Moses 26, 28f, 299ff, 321, 353 Mereschkowski, Dimitri 421f Mersenne, Marin 145ff Meurer, Jakob 93 Michaelis, Johann David 292 Modena, Leone 171 Molinos, Miguel de 268 Molnar, Albert Szenczi 142 Montaigne, Michel de 280 Montalto, Elias 188 Morgan, Thomas 243f Morus, Thomas 394 Mosheim, Johann Lorenz von 263, 267ff Muhlack, Ulrich 291 Mulsow, Martin 278f Münster, Sebastian 276, 361, 368 Muntner, Süssmann 37 Müntzer, Thomas 402, 427 Al-Mutawakkil 51 Nachmanides 179f, 384 Neusner, Jacob 341 Newmark, Catherine IX Niccolo de Tudeschi Panormitano 120 Nicholas von Amsterdam 100ff Nicolaus von Lyra 193

Personenregister

Nietzsche, Friedrich 85, 109, 229, 231, 345, 355 Niewöhner, Elke VII Niewöhner, Friedrich VIIff, 1, 25ff, 34ff, 167, 190f, 231, 234f, 300, 317, 375, 376 Nikolaus von Kues (Cusanus) 108, 113f, 119f Nöldeke, Theodor 359, 375 Nooms, Wilhelm 179f Novalis (Hardenberg, Friedrich von) 225, 405, 408f Ochino, Bernadino 289 Oetinger, Friedrich Christoph 405, 409 Origenes 19 Ovid 245 Pachomius 20 Pagnini, Antonio di Paolino Sante 274 Papper, Manuel M. 41 Paracelsus 158, 276, 280 Pareus, David 136ff Pascal, Blaise 109 Patai, Raphael 341 Pelacani, Biagio 91f Pelayo, Marcelino Menendez 267, 289f Pellegrino, Edmund D. 38f Pellicanus, Conrad 194 Pereira, Antonio Gómez 280 Perzynski, Wlodzimierz 218 Petermann, Heinrich 350 Petrarca, Francesco 277 Petros Sikeliotes 399 Petrus Johannis Olivis 398 Philo von Alexandrien 13, 82 Photius 399 Pico della Mirandola, Gianfrancesco 121, 158, 232 Pines, Shlomo 28 Pirckheimer, Willibald 275 Pirnat, Antal 111f Pistorius, Johannes 156 Plantijn, Christoffel (Plantin) 363

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Platon VII, 6f, 18, 23, 82, 101, 124, 145ff, 154, 284, 314 Plinius 8 Pococke, Eduard (d.Ä.) 364 Pomponazzi, Pietro 89f Postel, Guillaume 156, 289, 361, 368 Qichao, Liang 227 Rahman, Fazlur 209f Ranke, Leopold von 350 Rapoport, Solomon 385 Reael, Laurens 179f Reimarus, Hermann Samuel 247f Reina, Casiodoro de 267 Reiske, Johann Jacob 366 Renan, Ernst 357ff Reuchlin, Johannes 156f, 194, 342, 368 Ricci, Matteo 223 Roche, M. de la 269 Ronsburg, Bezalel 380 Rosner, Fred 37 Rössler, Otto 374 Rousseau, Jean-Jacques 297 Russell, Bertrand 228 Sabuco, Miguel 280 Sacy, Antoine Isaac Sylvestre de 366 Samarjai, Janos 141f Sarkozy, Nicolas 215 Scaliger, Joseph Justus 232 Schaeffler, Richard VII Schelhorn, Johann Georg 269 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 225, 229, 405, 409f, 421 Schelling, Karl Friedrich August 412 Schickard, Wilhelm 364f Schindler, Valentin 194 Schlegel, August Wilhelm 408f Schlözer, August Ludwig 360 Schlözer, Ludwig 291ff Schmidt-Biggemann, Wilhelm 405 Scholem, Gershom 26, 28, 344, 351 Schoock, Martin 186 Schopenhauer, Arthur 221, 225 Schultens, Albert 368f Scot, Thomas 241 Seelen, Johann Heinrich von 269

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Personenregister

Selden, John 232 Semler, Johann Salomo 195 Sen, Amartya 220 Servet, Miguel (Michael Villanovanus) 267ff Shijun, Tong 216 Sibiuda, Ramon 280 Siger von Brabant 88 Sigismund, Johann 127f Simeon ben Laqish 16 Simeon ben Yohai 16 Simon, Richard 194 Sozzini, Fausto 111 Spalding, Johann Joachim 263 Spann, Othmar 410 Spinoza, Baruch de 28f, 167, 193ff, 233, 251f, 255, 259, 309, 340 Stahl, Friedrich Julius 410 Steinheim, Salomon Ludwig 353 Steinschneider, Moritz 36 Strabo 250f Strauss, Leo 26 Szczucki, Lech 111f. 119, 123 Taubes, Jacob 351, 419, 425 Teresa de Avila 268 Tertullian 19 Thales 24 Theodor von Mopsuestia 398 Theodoret 398 Thomas von Aquin 101, 163, 179, 397 Thomasius, Christian 281, 292 Tillotson, John 241 Timpler, Clemens 284 Tindal, Matthew 240f Toland, John 249ff, 257 Trendelenburg, Friedrich Adolf 350, 355 Trithemius 157 Tsevat, Matitiahu 391 Tugendhat, Ernst 217 Ursinus, Zacharias 138

Valdés, Juan de 267, 268, 277 Valla, Lorenzo 92, 117ff, 232, 290 van den Bercken, William Peter 420 van den Bruck, Arthur Moeller 422, 426f van der Burgh, Albert Conrad 179f Vedelius, Nicolaus 185 Vergil 8, 154 Vernia, Nicoletto 92 Vesalius, Andreas 280 Vilanova, Arnaldo de 280 Vives, Juan Luis 267, 276, 277, 288 Voegelin, Eric 420, 425 Voetius, Gisbertus 186 Voltaire 224, 248f Vossius, Gerhard Johannes 185 Wagenseil, Johann Christoph 342 Walton, Byran 363 Weber, Max 215, 228 Weigel, Valentin 403 Weiß, Ernst 218 Welch, Holmes 227 Wellhausen, Julius 374 Werner, Eric 391 Wette, Wilhelm de 346, 348 Wheelock, Abraham 364 Wicquefort, Joachim de 179f, 183 Wieland, Christoph Martin 321 Wielandt, Rotraud 205 Wilhelm, Richard 228 Wilhem, David de 183 Wise, Isaac Meyer 378f, 385ff Wolf, Friedrich August 348f Wolfenstein, Solomon 385 Wolff, Christian 224, 247f, 299, 317 Xi, Zhu 223 Xun, Lu 226 Zamora, Alfonso de 362 Zhongyu, Liu 216 Zöllner, Johann Friedrich 321f, 330 Zunz, Leopold 342, 345ff Zwingli, Ulrich 139