Kritische Gesamtausgabe: Band 9 Kirchenpolitische Schriften 9783110828665, 9783110168945

Der Band enthält in kritischer Edition neun Druckschriften und elf Manuskripte, mittels derer Friedrich Schleiermacher s

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Kritische Gesamtausgabe: Band 9 Kirchenpolitische Schriften
 9783110828665, 9783110168945

Table of contents :
Einleitung des Bandherausgebers
I. Historische Einführung
Schleiermachers kirchenpolitische Unternehmungen 1808–1830
Schleiermachers kirchenpolitische Schriften 1808–1830
II. Editorischer Bericht
Schleiermachers kirchenpolitische Schriften 1808–1830
Vorschlag zu einer neuen Verfassung der protestantischen Kirche für den preußischen Staat vom 18. November 1808
Votum vom 20. Juni 1811 zur Einführung eines Landeskatechismus
Synodalordnung für die protestantische Geistlichkeit in sämtlichen Provinzen (Entwurf vom 2. Januar 1813)
Reskript an die Geistlichen und Schuldeputationen sowie an die Universitäten (Entwurf vom 2. Januar 1813)
Glückwünschungsschreiben an die Hochwürdigen Mitglieder der von Sr. Majestät dem König von Preußen zur Aufstellung neuer liturgischer Formen ernannten Commission (1814)
Ueber die neue Liturgie für die Hof- und Garnison-Gemeinde zu Potsdam und für die Garnisonkirche in Berlin (1816)
Ueber die für die protestantische Kirche des preußischen Staats einzurichtende Synodalverfassung. Einige Bemerkungen vorzüglich der protestantischen Geistlichkeit des Landes gewidmet (1817)
Amtliche Erklärung der Berlinischen Synode über die am 30sten October von ihr zu haltende Abendmahlsfeier (1817)
Ordnung bei den Verhandlungen der Synode (1818)
Notizen zur „Anleitung zum Entwurf der Kirchenordnung“ (1818)
An die Mitglieder beider zur Dreifaltigkeitskirche gehörenden Gemeinden (1820)
Ueber das liturgische Recht evangelischer Landesfürsten. Ein theologisches Bedenken von Pacificus Sincerus (1824)
Zur Agende (wohl 1824/25)
Erklärung des Unterzeichneten vom 13. September 1825 wegen der Agende
Vorstellung der unterschriebenen Berlinischen Prediger vom 7. Oktober 1825 an das Konsistorium der Provinz Brandenburg
Entwurf zum Memorandum der zwölf unterschriebenen Berliner Prediger vom 1. März 1826 an König Friedrich Wilhelm III
Memorandum der zwölf unterschriebenen Berliner Prediger vom 1. März 1826 an König Friedrich Wilhelm III
Protestschreiben der zwölf unterschriebenen Berliner Prediger vom 27. Juni 1826 an den Staatsminister Freiherrn von Altenstein
Gespräch zweier selbst überlegender evangelischer Christen über die Schrift: Luther in Bezug auf die neue preußische Agende. Ein letztes Wort oder ein erstes (1827)
Ueber das Berliner Gesangbuch. Ein Schreiben an Herrn Bischof Dr. Ritschl in Stettin (1830)
Anhang
Entwurf der Synodal-Ordnung für den Kirchenverein beider evangelischen Confessionen im Preußischen Staate (1817)
Anleitung zum Entwurf der Kirchenordnung (1818)
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Namensregister
Register der Bibelstellen

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Friedrich Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe I. Abt. Band 9

W G DE

Friedrich Daniel Ernst

Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe Im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen herausgegeben von Hermann Fischer und Ulrich Barth, Konrad Cramer, Günter Meckenstock, Kurt-Victor Selge

Erste Abteilung Schriften und Entwürfe Band 9

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2000

Friedrich Daniel Ernst

Schleiermacher Kirchenpolitische Schriften

Herausgegeben von Günter Meckenstock unter Mitwirkung von Hans-Friedrich Trauisen

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2000

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche Bibliothek —

CIP-Einheitsaufnahme

Schleiermacher, Friedrich: Kritische Gesamtausgabe / Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Im Auftr. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen hrsg. von Hermann Fischer — Berlin ; New York : de Gruyter Abt. 1., Schriften und Entwürfe Bd. 9. Kirchenpolitische Schriften / hrsg. von Günter Meckenstock. - 2000 ISBN 3-11-016894-4

© Copyright 2000 by Walter de Gruyter G m b H & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: Rudolf Hübler, Berlin Satz: Rheingold-Satz, Flörsheim-Dalsheim Druck: Strauss Offsetdruck, Mörlenbach Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin

Inhaltsverzeichnis

Einleitung des Bandherausgebers I. Historische Einführung Schleiermachers kirchenpolitische Unternehmungen 1808-1830 Schleiermachers kirchenpolitische Schriften 1808-1830 1. Vorschlag zu einer neuen Verfassung der protestantischen Kirche für den preußischen Staat vom 18. November 1808 2. Votum vom 20. Juni 1811 zur Einführung eines Landeskatechismus 3. Synodalordnung für die protestantische Geistlichkeit in sämtlichen Provinzen (Entwurf vom 2. Januar 1813) 4. Reskript an die Geistlichen und Schuldeputationen sowie an die Universitäten (Entwurf vom 2. Januar 1813) 5. Glückwünschungsschreiben an die Hochwürdigen Mitglieder der von Sr. Majestät dem König von Preußen zur Aufstellung neuer liturgischer Formen ernannten Kommission 6. Über die neue Liturgie für die Hof- und GarnisonGemeinde zu Potsdam und für die Garnisonkirche in Berlin 7. Uber die für die protestantische Kirche des preußischen Staats einzurichtende Synodalverfassung . 8. Amtliche Erklärung der Berlinischen Synode über die am 30. Oktober von ihr zu haltende Abendmahlsfeier 9. Ordnung bei den Verhandlungen der Synode . . . 10. Notizen zur „Anleitung zum Entwurf der Kirchenordnung" 11. An die Mitglieder beider zur Dreifaltigkeitskirche gehörenden Gemeinden 12. Uber das liturgische Recht evangelischer Landesfürsten

IX IX X XXV XXV XXX XXXII XXXVII

XXXV/// XLVI XLIX LIV LXIV LXVIII LX/X LXX1

VI

Inhaltsverzeichnis

13. Zur Agende 14. Erklärung des Unterzeichneten vom 13. September 1825 wegen der Agende 15. Vorstellung der unterschriebenen Berlinischen Prediger vom 7. Oktober 1825 an das Konsistorium der Provinz Brandenburg 16. und 17. Entwurf zum Memorandum sowie Memorandum der zwölf unterschriebenen Berliner Prediger vom 1. März 1826 an König Friedrich Wilhelm III 18. Protestschreiben der zwölf unterschriebenen Berliner Prediger vom 27. Juni 1826 an den Staatsminister Freiherrn von Altenstein 19. Gespräch zweier selbst überlegender evangelischer Christen 20. Ober das Berliner Gesangbuch II. Editorischer Bericht Schleiermachers

kirchenpolitische

Schriften

LXXX1 LXXXIV LXXXV

XCVJJ C1 CX CXII CX1V

1808-1830

Vorschlag zu einer neuen Verfassung der protestantischen Kirche für den preußischen Staat vom 18. November 1808 Votum vom 20. Juni 1811 zur Einführung eines Landeskatechismus Synodalordnung für die protestantische Geistlichkeit in sämtlichen Provinzen (Entwurf vom 2. Januar 1813) Reskript an die Geistlichen und Schuldeputationen sowie an die Universitäten (Entwurf vom 2. Januar 1813) Glückwünschungsschreiben an die Hochwürdigen Mitglieder der von Sr. Majestät dem König von Preußen zur Aufstellung neuer liturgischer Formen ernannten Commission (1814) Ueber die neue Liturgie für die Hof- und Garnison-Gemeinde zu Potsdam und für die Garnisonkirche in Berlin (1816) Ueber die für die protestantische Kirche des preußischen Staats einzurichtende Synodalverfassung. Einige Bemerkungen vorzüglich der protestantischen Geistlichkeit des Landes gewidmet (1817 ) Amtliche Erklärung der Berlinischen Synode über die am 30sten October von ihr zu haltende Abendmahlsfeier (1817) Ordnung bei den Verhandlungen der Synode (1818) Notizen zur „Anleitung zum Entwurf der Kirchenordnung" (1818 )

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Inhaltsverzeichnis An die Mitglieder beider zur Dreifaltigkeitskirche gehörenden Gemeinden (1820) Ueber das liturgische Recht evangelischer Landesfürsten. Ein theologisches Bedenken von Pacificus Sincerus (1824) Zur Agende (wohl 1824/25) Erklärung des Unterzeichneten vom 13. September 1825 wegen der Agende Vorstellung der unterschriebenen Berlinischen Prediger vom 7. Oktober 1825 an das Konsistorium der Provinz Brandenburg . . Entwurf zum Memorandum der zwölf unterschriebenen Berliner Prediger vom 1. März 1826 an König Friedrich Wilhelm III. . Memorandum der zwölf unterschriebenen Berliner Prediger vom 1. März 1826 an König Friedrich Wilhelm III Protestschreiben der zwölf unterschriebenen Berliner Prediger vom 27. Juni 1826 an den Staatsminister Freiherrn von Altenstein Gespräch zweier selbst überlegender evangelischer Christen über die Schrift: Luther in Bezug auf die neue preußische Agende. Ein letztes Wort oder ein erstes (1827) Ueber das Berliner Gesangbuch. Ein Schreiben an Herrn Bischof Dr. Ritsehl in Stettin (1830)

VII 203 211 271 285 295 335 347 361 381 473

Anhang Entwurf der Synodal-Ordnung für den Kirchenverein beider evangelischen Confessionen im Preußischen Staate (1817) . . . 515 Anleitung zum Entwurf der Kirchenordnung (1818) 532 Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis Namensregister Register der Bibelstellen

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Einleitung des

Bandherausgebers

Der vorliegende Band vereinigt die kirchenpolitischen Schriften und 1 Entwürfe, mittels derer Friedrich Schleiermacher seit 1808 in Preußen auf die staatliche Kirchenpolitik und die kirchlichen Reformbemühungen in Fragen der Kirchenunion, Kirchenverfassung und gottesdienstlichen Kirchenerneuerung Einfluß zu nehmen versucht hat. Es sind neun Druckschriften und elf Manuskripte. Eine Druckschrift wurde bei der Editionsarbeit an diesem Band wiederentdeckt. Bei zwei Druckschriften konnten die handschriftlichen Druckvorlagen zur Textkonstitution herangezogen werden. Vier Manuskripte werden hier erstmals publiziert, vier weitere Manuskripte erstmals für die Textkonstitution gedruckter Aktenstücke zum Agendenstreit genutzt.

I. Historische

Einführung

Kirchenpolitische Themen hat Schleiermacher bereits vor 1808 literarisch erörtert. In seinen Reden „Uber die Religion"2 forderte Schleiermacher 1799 die strikte Unabhängigkeit der Kirche vom Staat. In seinem ebenfalls anonym veröffentlichten Reformprogramm „Zwei unvorgreifliche Gutachten in Sachen des protestantischen Kirchenwesens zunächst in Beziehung auf den Preußischen Staat"3 unterbreitete er in seiner Stolper Zeit 1804 ohne amtlichen Auftrag genaue Vorschläge zur Kirchenverbesserung. Nach seiner Ubersiedlung von Halle nach Berlin im Dezember 1807 beteiligte sich Schleier mach er in seinen vielfältigen Amtern und in der freien literarischen Diskussion immer

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2

3

Zitatnachweise und Belegverweise rich Schleiermacher. Vgl. Kritische Gesamtausgabe, Bd. G. Meckenstock, Berlin/New York York 1998) Vgl. Kritische Gesamtausgabe, Bd. ser Band ist in Vorbereitung.

ohne Angabe

des Autors beziehen

sich auf

Fried-

1/2, Schriften aus der Berliner Zeit 1796-1799, ed. 1984, S. 185-326 (= Studienausgabe, Berlin/New 1/4, Schriften aus der Stolper Zeit 1802-1804.

Die-

χ

Einleitung des

Bandherausgebers

wieder an den zahlreichen kirchenpolitischen Reform- und Restaurationszeit Preußens.

Schleiermachers

Konflikten

kirchenpolitische Unternehmungen

während

der

1808-1830

Schleiermachers kirchenpolitische Schriften seit 1808 sind als Gelegenheitsschriften eng auf die Entwicklung der kirchlichen, politischen und verwaltungsorganisatorischen Zustände in Preußen bezogen. Die staatlichen Veränderungen in der Reformund Restaurationszeit griffen stark auch in die Rechtsstrukturen der evangelischen Konfessionskirchen ein. Die staatskirchenleitenden Bemühungen um eine Belebung der Frömmigkeit (Reformen von Liturgie, Katechismus, Gesangbuch) waren mit Bestrebungen zur Onion der beiden protestantischen Konfessionskirchen und zum Aufbau einer landeskirchlichen Repräsentationsverfassung verknüpft. König Friedrich Wilhelm III. von Preußen hatte sich schon bald nach seiner Thronbesteigung am 16. November 1797 um eine Verbesserung der kirchlichen Zustände bemüht.4 So berief er 1798 eine Agen-

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Vgl. Erich Foerster: Die Entstehung der Preußischen Landeskirche unter der Regierung König Friedrich Wilhelms des Dritten nach den Quellen erzählt, Bd. 1—2, Tübingen 1905—1907, hier 1, 95-124. Das unter seinem Vorgänger Friedrich Wilhelm II. am 9. Juli 1788 erlassene „Edict die Religions-Verfassung in den Preußischen Staaten betreffend" (vgl. GStA PK, HA I, Rep. 76 III, Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. 146, Bl. 1-4 [Druck, Berlin bei Deckerj) hatte Friedrich Wilhelm III. in seinem Schreiben vom 11. Januar 1798 an den verantwortlichen Minister Johann Christoph Wöllner (17321800) scharf kritisiert: „Die Deutung, welche Ihr Meiner Cabinets-Ordre vom 23. Nov. in Eurem unterm 5. Dec. an die Consistoria erlassenen Rescripte gegeben habt, ist sehr willkührlich, indem in jener Ordre auch nicht ein Wort vorhanden ist, welches nach gesunder Logik zu einer Einschärfung des Religions-Edicts hätte Anlaß geben können. Ihr sehet daraus, wie gut es sein wird, wenn Ihr in Euren Verordnungen zukünftig nicht ohne vorherige Berathung mit den geschäftskundigen und wohlmeinenden Männern, an denen in Eurem Departement kein Mangel ist, zu Werke gehet, und hierin dem Beispiele des verewigten Münchhausen folget, der denn doch mehr wie viele andere Ursach gehabt hätte, sich auf sein eigenes Urtheil zu verlassen. Zu seiner Zeit war kein Religions-Edict im Lande, aber gewiß mehr Religion und weniger Heuchelei als jetzt, und das Geistliche Departement stand bei Einländern und Ausländern in der größten Achtung. Ich selbst verehre die Religion, befolge gerne ihre beglückenden Vorschriften und \ möchte um vieles nicht über ein Volk herrschen, welches keine Religion hätte; aber Ich weiß auch, daß sie Sache des Herzens, des Gefühls und der eigenen Ueberzeugung sein und bleiben muß, und nicht durch methodischen Zwang zu einem gedankenlosen Plapperwerke herabgewürdiget werden darf, wenn sie Tugend und Rechtschaffenheit unter den Menschen befördern soll. Vernunft und Philosophie müssen ihre unzertrennlichen Gefährten sein; dann wird sie durch sich selbst fest stehen, ohne der Authorität derer zu bedürfen, die es sich anmaßen wollen, ihre Lehrsätze künftigen Jahrhunderten aufzudringen, und den Nachkommen vorzuschreiben,

Einleitung des Bandherausgebers denkommission und trug den lutherischen und reformierten dern auf, eine gemeinschaftliche Kirchenagende auszuarbeiten Aussicht auf eine freiwillige Annahme durch die Gemeinden.5

5

XI Mitgliemit der Die hier

wie sie zu jederzeit und in jeden Verhältnissen über Gegenstände, die den wichtigsten Einfluß auf ihre Wohlfahrt haben, denken sollen. Wenn Ihr bei Leitung Eures Departements nach acht lutherischen Grundsätzen verfahret, welche so ganz dem Geiste und der Lehre des Stifters unserer Religion angemessen sind. Wenn Ihr dafür sorget, daß Predigt- und Schulämter mit rechtschaffenen und geschickten Männern besetzt werden, die mit den Kenntnissen der Zeit und besonders in der Exegese fortgeschritten sind, ohne sich an dogmatische Subtilitäten zu hängen, so werdet Ihr es bald selbst einsehen ler\nen, daß weder Zwangsgesetze noch deren Erneuerung nöthig sind, um wahre Religion im Lande aufrecht zu erhalten, und ihren wohltätigen Einfluß auf das Glück und die Moralität aller Volksklassen zu verbreiten. Ich habe Euch diese Meine Meinung auf Euren Bericht vom 10. d. nicht vorenthalten wollen, und bin übrigens Eurer pp." (Bl. 5r-6r [Abschrift]) Die am 10. Juli 1798 formulierte Anfrage des Königs, „was es mit dem dem Dohm Ministerio gegebenen Auftrage der Anfertigung eines zweckmäßigen CommunionBuchs für eine Bewandniß habe" (GStA PK, HA I, Rep. 96 A, Nr. 30 E, Bl. lr-v, hier Ir), nutzte der für die reformierte Kirche zuständige Minister Friedrich Wilhelm Freiherr von Thulemeier dazu, die Ausarbeitung einer neuen unierten Agende zu empfehlen und abschriftlich ein vom 13. Juli 1798 datierendes „Unterthäniges Pro memoria die Einführung einer neuen Kirchen Agende betreffend" des königlichen Konfirmators Friedrich Samuel Gottlieb Sack (vgl. Bl. 2r-5r; Foerster: Entstehung 1, 105-108) mitzuteilen. Auf Grund dieser Vorschläge beauftragte Friedrich Wilhelm III. in einer Kabinettsorder vom 18. Juli 1798 die für die reformierte und die lutherische Kirche zuständigen Minister, eine Agendenkommission zu berufen: „Meine liebe Etats Ministres Freiherr von Thulemeyer und von Massow. Aus dem von Euch dem Baron von Thulemeyer eingereichten Promemoria des Ober Consistorial-Raths Sack, eine neue Kirchen-Agende betreffend, habe Ich mit Wohlgefallen ersehen, daß sehr viele Prediger und Gemeinden beider Confessionen, das Bedürfniß einer verbesserten Liturgie sehr lebhaft fühlen und daher eine den gereinigten Religions-Begriffen angemessene neue Agende sehnlichst wünschen. Ganz besonders aber freuet es Mich daß Hoffnung vorhanden ist, beide Confessionen durch eine gemeinschaftliche Agende, der bleibenden Verschiedenheit der Meinungen ungeachtet, einander näher zu bringen, und dadurch selbst den unaufgeklärten Theil der kirchlichen Gemeinden immer mehr und mehr zu überzeugen, daß Friede, Duldung und Liebe die einzig möglichen Mittel der Einigkeit in Religions-Sachen sind. Durchdrungen von dieser Wahrheit, will Ich, daß bei der vorhabenden Liturgie, nicht bloß aller Zwang, denn an diesen darf in Angelegenheiten des Gewissens und der Ueberzeugung gar nicht gedacht werden; sondern auch so viel als möglich alle bürgerliche Authorität vermieden, und die auszuarbeitende verbesserte Agende anfänglich bloß als eine Privat Unternehmung einzelner Gelehrten angesehen werden soll. In dieser Hinsicht finde Ich die ganz in diesem Geiste gemachten Vorschläge des Rath Sack sehr zweckmäßig und empfehle sie Euch zur angelegentlichsten Beherzigung. Nächstdem aber befehle ich Euch, einigen ernsthaften, tolerant denkenden und in jeder Rücksicht zu diesem Geschäfte brauchbaren Männern, nach vorgängiger Meiner Genehmigung derselben, den Auftrag zu machen, eine Sammlung von kirchlichen Gebeten, Tauf-, Trauungs- und Abendmahls-Formularen mit Benutzung der schon vorhandenen und allgemein geschätzten Agenden zu veranstalten, diese Arbeit sodann von der Behörde prüfen, und nach von derselben erhaltener Billigung,

XII

Einleitung des Bandherausgebers

vorgenommene Verknüpfung von Liturgiereform und Unionsbestrebung hat die weitere Entwicklung geprägt. Der von der Kommission am 13. März 1804 vorgelegte Agendenentwurf wurde aus verschiedenen Gründen bis zum Herbst 1806 nicht in Geltung gesetzt.6 Nach der militärischen Niederlage im Vierten Koalitionskrieg gegen Frankreich 1806/07 und der territorialen Verkleinerung im Tilsi-

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solche dem großen Publikum zur allgemeinen Prüfung durch den Druck vorlegen zu lassen, die Stimme der Verständigern darüber zu vernehmen, ihre gegründeten Erinnerungen zu benutzen, und wenn die öffentliche Meinung für die Zweckmäßigkeit derselben entschieden hat, auch die mehresten Prediger und Gemeinden die Einführung derselben verlangen, unter Einreichung derselben an Mich zu berichten. Alsdann werde Ich bestimmen, ob der öffentliche Gebrauch der verbesserten Agende, denen die sie verlangen, unter gänzlicher Freiheit eines jeden, sich noch der alten Agende zu bedienen, erlaubt werden solle. Nur auf diese Weise, wird eine, in dieser wichtigen Angelegenheit, wovon die Wiederbelebung der in neuern Zeiten so merklich in Abnahme gekommenen Religiösität abhängt, so höchst wünschenswerthe Verbesserung, ohne anstößige unruhige Auftritte bewirkt werden können. Ich empfehle Euch daher, bei der Ausführung dieses Auftrages, mit der möglichsten Vorsicht und Behutsamkeit zu Werke zu gehen, und versichere Euch daß Ihr Euch dadurch aufs neue befestigen werdet, in der Gnade Eures wohlaffectionirten Königs." (GStA PK, HA I, Rep. 76 III, Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. 4a, Bl. lr-2r [Abschrift]; Peter Heinrich Wilhelm Hombach zitierte in seiner Agendenerklärung vom 17. Oktober 1825 aus dieser Kabinettsorder, vgl. EZA 14-2402, Bl. 27r-28r, hier 28r). Die von den Ministern Thulemeier und Eberhard Julius Wilhelm Ernst von Massow (1750-1816) am 2. August 1798 vorgeschlagenen Kommissionsmitglieder (vgl. GStA PK, HA I, Rep. 96 A, Nr. 30 E, Bl. 6r) bestätigte König Friedrich Wilhelm III. durch seine Kabinettsorder vom 5. August 1798: „Meine lieben Etatsminister von Thulemeier und von Massow. Die zu Besorgung einer für beide Confessionen gemeinschaftlichen Kirchenagende in den Personen des Oberconsistorialraths Sack, Hofpred. Conrad des ältern, und Kirchenraths Meierotto von reformirter, und der Oberconsistorialräthe Teller, Zöllner und Hecker von lutherischer Seite, von Euch getroffene Auswahl hat meinen vollkommenen Beifall, indem ich mir von den Einsichten und von der Mäßigung dieser Männer, so wie von ihrem gegründeten Rufe verspreche, daß meine Intention vollkommen erreicht werden wird. Ich gebe Euch dieses auf Euern Bericht vom 2ten d. M. zu erkennen als Euer wohlaffectionirter König." (Actenstücke, betreffend die neue Preußische Kirchenagende, ed. N. Falck, Kiel 1827, S. X f ) . Die Kommissarien Teller, Zöllner, Hecker, Sack und Conrad erläuterten dem König am 13. März 1804 in ihrer der gedruckten Agende voranzustellenden „Vorerinnerung" die Hauptbestandteile der Liturgie (vgl. GStA PK, HA I, Rep. 76 III, Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. 3, Bl. 71r—74v [Abschrift]) sowie in ihrem gleichzeitigen Begleitschreiben zu ihrem Agendenentwurf die ihnen wichtigen Reformgesichtspunkte (vgl. Bl. 75r-77v [Abschrift]). Dabei verwiesen sie zustimmend auf die Vorschläge des lutherischen Oberkonsistoriums zur „Beförderung größerer Religiosität" vom 8. April 1802 (vgl. Bl. 79r-97v [Abschrift]). Durch Ministerialbescheid vom 29. Juli 1804 gab der König den Agendenentwurf zur Überarbeitung zurück, wobei er besonders „eine zu große Einschränkung der Freiheit der Prediger" ablehnte und die geforderte Beendigung der „Publication der Edicte von den Kanzeln" (Bl. 78r-v [Abschrift], hier 78r) hinausschob.

Einleitung des Bandherausgebers

XIII

ter Frieden vom 7. Juli 1807 war Preußen faktisch auf die Position eines Pufferstaates zwischen Frankreich und Rußland reduziert. In dieser Lage kamen unter Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein (1757-1831) und Karl August von Hardenberg (1750—1822) verstärkt die politischen Bemühungen der Reformwilligen zum Zuge. Stein suchte eine umfangreiche politische, administrative und soziale Umgestaltung nach der Leitidee der Selbstverwaltung? Er wollte die tiefe Kluft zwischen Staat und Gesellschaft durch eine Beteiligung der Bürger an den öffentlichen Belangen überwinden und die Bürger zum Engagement für den Staat anregen. Das Reformwerk Steins zielte auf eine Integration der disparaten Territorien zu einem einheitlich verfaßten und regierten Staat sowie auf den belebenden Zusammenschluß von Staat und Gesellschaft. Schleier mach er war kirchenpolitisch an den behördlichen Reformbemühungen beteiligt, auch wenn er amtlich nicht zur Kultusverwaltung gehörte. Wohl auf Anregung Steins formulierte er 1808 einen „Vorschlag zu einer neuen Verfaßung der protestantischen Kirche für den preußischen Staat".* Dieser Verfassungsvorschlag blieb im Begutachtungsverfahren stecken. Doch war die Aufgabe, der protestantischen Kirche über die Bestimmungen im „Allgemeinen Landrecht" hinaus eine landesweite einheitliche Struktur zu geben, unabweisbar und veranlaßte Schleiermacher im Zuge weitgreifender behördlicher Begutachtungsprozesse zu einem neuen Vorstoß in dieser Sache. Sein Entwurf einer „Synodalordnung für die protestantische Geistlichkeit in sämtlichen Provinzen" vom 2. Januar 1813 kam wegen des Freiheitskrieges 1813/14 ebenfalls nicht zur Entscheidung.9 Die Steinschen Reformbemühungen im Blick auf staatliche Verwaltung und bürgerliche Repräsentation waren nur hinsichtlich der Regierungsorganisation erfolgreich.10 Das Ergebnis der staatlichen

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Vgl. Steins Nassauer Denkschrift vom Juni 1807 (Freiherr vom Stein, Briefe und amtliche Schriften, ed. W. Hubatsch, Bd. 11, ed. P. G. Thielen, Teil 1, Stuttgart 1959, S. 380-398) und sein Reformprogramm vom Oktober 1808 (Bd. 11/2, Stuttgart 1960, S. 902-905) Vgl. unten XXV-XXX Vgl. unten XXXII-XXXVIII Stein hatte schon vor dem Vierten Koalitionskrieg auf die Mängel der preußischen Regierungsorganisation in seiner Denkschrift „Darstellung der fehlerhaften Organisation des Kabinetts und der Notwendigkeit der Bildung einer Ministerialkonferenz" vom 26. und 27. April 1806 (vgl. Briefe und Schriften IUI, 206-214) hingewiesen. Nach dem Tode Friedrich 11. hatte sich das Nebeneinander von Kabinettssystem und Ministerialsystem immer stärker antagonistisch entwickelt. Die Kabinettsräte hatten Einfluß auf den König, aber nicht auf die ausführende Verwaltung; die Minister hatten Einfluß auf die ausführende Verwaltung, aber nicht auf den König. In seinem

XIV

Einleitung des Bandherausgebers

Reorganisation wurde im „Publikandum betreffend die veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden der Preußischen Monarchie in Beziehung auf die innere Landes- und Finanzverwaltung"11 vom 16. Dezember 1808 gesetzlich formuliert. Hier wurden einheitlich für alle Provinzen die fünf Ministerien des Innern, der Finanzen, des Auswärtigen, des Krieges und der Justiz als reine Fachressorts etabliert. Die staatliche Reorganisation wurde, nachdem Stein im November 1808 durch Vorgabe Napoleons entlassen werden mußte, unter der Leitung Hardenbergs ergänzt durch die „ Verordnung über die veränderte Verfassung aller obersten Staatsbehörden in der Preußischen Monarchie"n vom 27. Oktober 1810. Durch die Behördenreform von 1808 wurde die Kultusverwaltung ins Innenministerium eingegliedert. Im Innenministerium, das in sechs Sektionen unterteilt war, wurden die kirchlichen Angelegenheiten gemeinsam mit den Schulangelegenheiten in der „Sektion für den Kultus und öffentlichen Unterricht" zusammengefaßt. Diese Sektion war ihrerseits zweigeteilt in selbständig organisierte Abteilungen für Unterricht einerseits und für den Kultus andererseits. Der Sektionschef leitete direkt nur die Unterrichtsabteilung, während für die Kultusabteilung ein Vorsitzender Staatsrat speziell zuständig war. Sektionschef und Leiter der Unterrichtsabteilung war 1809/10 Wilhelm von Humboldt (1767—1835), sein Nachfolger bis 1814 Kaspar Friedrich von Schuckmann (1755—1834), der dann Innenminister wurde. Leiter der Kultusabteilung war Georg Heinrich Ludwig Nicolovius (1767—1839). Schleiermacher war vom 1. September 1810 bis August 1815 im besoldeten Nebenamt Mitglied der Unterrichtsabteilung des Innenministeriums. In diesem Amt gab er am 20. Juni 1811 sein Votum zur Einführung eines Landeskatechismus ab.13 Die Kultusabteilung des Innenministeriums hatte das staatliche Aufsichtsrecht (ius circa sacra) über alle Religionsparteien sowie das

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„Organisationsplan der oberen Behörden des preußischen Staats" und seinem „Plan zu einer neuen Organisation der Geschäftspflege im preußischen Staat" vom November 1807 (vgl. Briefe und Schriften 11/2, 506—514 und 514-545) schlug Stein die Bildung eines reinen Ministerialsystems mit verantwortlichem Ersten Minister und die Abschaffung der Gebietsministerien zugunsten reiner Fachressorts vor. Vgl. Sammlung der für die Königlichen Preußischen Staaten erschienenen Gesetze und Verordnungen von 1806 bis zum 27sten Oktober 1810 mit Ausschluß der in der ersten Abtheilung des zwölften Bandes der Myliusschen Edikten-Sammlung schon enthaltenen Verordnungen aus dem Jahre 1806. Als Anhang zu der seit dem Jahre 1810 edirten Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, Berlin 1822, S. 361-373 sowie Freiherr vom Stein, Briefe und Schriften II/2, 1001—1007 Vgl. Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1810, S. 3—23 Vgl. unten XXX-XXXII

Einleitung des Bandherausgebers

XV

Konsistorialrecbt (ius sacrorum) für die protestantischen Kirchen. Die Kultusangelegenheiten wurden nachgeordnet und weisungsgebunden durch die Geistlichen und Schuldeputationen der Regierungen (Kammern) verwaltet. Eine Änderung brachte die „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-Behörden"u vom 30. April 1815, in deren Folge die Geistlichen und Schuldeputationen der Regierungen aufgehoben und neue Provinzialkonsistorien geschaffen wurden.15 In den gemischt konfessionellen Provinzialkonsistorien hatte der Oberpräsident den Vorsitz. In den Regierungsbezirken ohne Provinzialbehörden übernahm eine Kirchen- und Schulkommission die Kultusverwaltung vor Ort. Die genauere Bestimmung und gegenseitige Abgrenzung der Kompetenzen der Provinzialkonsistorien einerseits und der Kirchenund Schulkommissionen der Bezirksregierungen andererseits erfolgte durch die Instruktionen vom 23. Oktober 1817.16 Ein eigenständiges Kultusministerium, wie es bereits Stein in seiner Nassauer Denkschrift vorgesehen hatte, wurde erst durch die Kabinettsorder vom 3. November 1817 geschaffen17 und die Leitung Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein (1770-1840) übertragen.

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Vgl. Gesetz-Sammlung 1815, S. 85-98 Preußen wurde in fünf Militärregionen (Preußen, Brandenburg-Pommern, SchlesienPosen, Sachsen und Niederrhein-Westfalen), zehn Provinzen und 25 Regierungsbezirke eingeteilt. An der Spitze der Provinzen Preußen (mit Regierungen in Königsberg und Gumbinnen), Westpreußen (mit Regierungen in Danzig und Marienwerder), Brandenburg (mit Regierungen in Berlin, Potsdam und Frankfurt an der Oder), Pommern (mit Regierungen in Stettin und Köslin), Schlesien (mit Regierungen in Breslau, Reichenbach, Liegnitz und Oppeln), Posen (mit Regierungen in Posen und Bromberg), Sachsen (mit Regierungen in Merseburg, Magdeburg und Erfurt), Westfalen (mit Regierungen in Münster, Minden und Hamm), Kleve-Berg (mit Regierungen in Kleve und Düsseldorf), Niederrhein (mit Regierungen in Köln und Koblenz) standen Oberpräsidenten, die „keine Mittel-Instanz zwischen den Ministerien und den Regierungen", sondern „beständige Kommissarien des Ministeriums" (Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-Behörden, § 4, Gesetz-Sammlung 1815, S. 87) sein sollten. Vgl. Dienst-Instruktion für die Provinzialkonsistorien vom 23. Oktober 1817, GesetzSammlung 1817, S. 237-245 sowie Instruktion zur Geschäftsführung der Regierungen in den Königlich-Preußischen Staaten vom 23. Oktober 1817, Gesetz-Sammlung 1817, S. 248—282, hier 5 18, S. 259—261. Die Aufgabenstellung und Struktur der Konsistorien wurde durch die Kabinettsorder vom 31. Dezember 1825 (vgl. Abänderung in der bisherigen Organisation der Provinzial-Verwaltungsbehörden, in: Gesetz-Sammlung 1826, S. 5-12, zu den Konsistorien S. 5—7) dahingehend verändert, daß das Provinzialschulkollegium abgetrennt, die staatliche Rechtsaufsicht über die römisch-katholische Kirche den Oberpräsidenten zugewiesen und die Konsistorien auf die „evangelischen geistlichen Sachen" (S. 5) konzentriert wurden. Vgl. dazu: „Der Minister des Innern giebt das Departement für den Kultus und öffentlichen Unterricht und das damit in Verbindung stehende Medizinalwesen ab. Die Würde und die Wichtigkeit der geistlichen und der Erziehungs- und Schulsachen macht es räthlich, diese einem eigenen Minister anzuvertrauen, und Ich ernenne dazu

XVI

Einleitung des Bandherausgebers

Die Bemühungen der Reformer um eine Repräsentativverfassung scheiterten. Zwar gab Friedrich Wilhelm III. mit der „Verordnung über die zu bildende Repräsentation des Volks" vom 22. Mai 1815 das Versprechen zu einer Repräsentation des Volkes ab: Provinzialstände sollten wiederhergestellt oder neu eingerichtet werden, aus denen „die Versammlung der Landes-Repräsentanten gewählt" werden sollte zur „Berathung über alle Gegenstände der Gesetzgebung, welche die persönlichen und Eigenthumsrechte, mit Einschluß der Besteuerung, bels treffen" . Doch wurde im Zuge der politischen Restaurationsmaßnahmen dieses Versprechen nicht eingelöst. Der Sieg über das napoleonische Frankreich beflügelte auch die Bemühungen um eine Verbesserung der kirchlichen Lage aufs neueJ9 Hinsichtlich der Kirchenverfassung wurde eine stärkere Beteiligung der Geistlichen und Kirchenglieder an der Kirchenleitung angestrebt.20

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den Staatsminister Freiherrn von Altenstein." (Gesetz-Sammlung 1817, S. 289-292, hier 290) Gesetz-Sammlung 1815, S. 103 f, hier 103 Die Bemühungen um die Kirchenreform, speziell die Diskussionen um die Kirchenverfassung wurden zwar durch die Kriegsereignisse verlangsamt, kamen aber nicht zum Erliegen. Nach Aufforderung durch das Departement für den Cultus und öffentlichen Unterricht vom 19. November 1813 (Vgl. GStA PK, HA X, Rep. 40, Nr. 1867, Bl. 35r) wandte sich die Geistliche und Schul-Deputation der Kurmärkischen Regierung am 18. Dezember 1813 „An die sämtlichen Herren Superintendenten in der Kurmark", in Beantwortung von acht Leitfragen Erfahrungsberichte über schon gegründete Pfarrsynoden zu geben, damit das Departement für den Cultus und öffentlichen Unterricht daraus nützliche Anregungen bei der „beabsichtigten Einführung einer kirchlichen Synodalverfassung" (Bl. 36r-38v, hier Bl. 37r; gedrucktes Zirkular Bl. 40r—v) gewinnen könne. Überlegungen zur Synodalverfassung, in der achten Leitfrage thematisiert, sollten auch seitens der gesamten Pfarrerschaft, der diese Verfügung mitgeteilt werden sollte, geäußert werden. Die Superintendenten sollten bis Mitte Februar 1814 Bericht erstatten, doch säumten viele von ihnen. Sie wurden deshalb im März und noch einmal im April 1814 dringend ermahnt. Die Geistliche und Schul-Deputation ihrerseits wurde am 22. August 1814 seitens des Innenministeriums durch Schuckmann selbst an ihren noch ausstehenden Bericht erinnert (vgl. Bl. 48r), der schließlich, verfaßt von Offelsmeyer, am 28. September 1814 an die Kultusabteilung des Innenministeriums erfolgte (vgl. Bl. 50r-61r). Unabhängig von den behördlichen Maßnahmen ergriffen engagierte Geistliche selbst die Initiative. Der Pariser Frieden vom 30. Mai 1814 lenkte die von den Befreiungskämpfen gegen die französische Herrschaft wachgerufenen Reformhoffnungen nach der militärischen Auseinandersetzung nun auf innenpolitische Wandlungen. So trafen sich ohne amtliche Aufforderung der vorgesetzten Behörde 22 Superintendenten der Kurmark am 8. und 9. Juni 1814 in Berlin, um die Vorstellungen für die Kirchenverfassung zu diskutieren und die Reformmaßnahmen zu beschleunigen. Die Superintendenten wandten sich am 8. Juni 1814 mit einer Immediateingabe an König Friedrich Wilhelm HL, um ihre Bitte vorzutragen, „daß Ε. Κ. M. als Oberhaupt unsrer Kirche geruhen mögen eine Commission aus den ersten und vorzüglichsten Geistlichen des Landes zu ernennen, damit diese ihre Vorschläge zum Wiederemporheben unsrer Kirche Aller-

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des

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XVII

Friedrich Wilhelm III. berief 1814 unmittelbar eine Geistliche Kommission, die Reformvorschläge sammeln und ausarbeiten sollte.n Gegen die Festlegung des Kommissionsauftrags auf die Liturgiereform prote-

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höchstdenenselben ehrfurchtsvoll zur Prüfung und Genehmigung überreiche." (GStA PK, HA I, Rep. 74 L I, Nr. 18, Bl. 3 [Abschrift], hier 3v). Der König habe selbst, „von den Mängeln unsrer protestantischen Kirchenverfassung in ihrem Aeussren überzeugt, das Urtheil, in welchem große Verheissungen liegen, ausgesprochen, daß diese in vieler Hinsicht veraltete und dem Endzwek der Religion sogar entgegenwirkende Verfassung einer Verbesserung bedürfe" (Bl. 3r) und die geistlichen Staatsbehörden hätten zu Reformvorschlägen aufgefordert. Ihre durchaus vorhandenen Verfassungsvorschläge wollten die Superintendenten der künftigen Kommission als der angemessenen Empfängerin mitteilen. Parallel zur Immediateingabe an den König richteten die Superintendenten ebenfalls am 8. Juni 1814 ein Bittschreiben an den Staatskanzler Hardenberg (vgl. Bl. 2). Anknüpfend an die Reformpläne des Ministeriums für eine Verbesserung der Kirchenverfassung warben die Superintendenten mit Schreiben vom 9. Juni 1814 um Unterstützung durch das Departement für den Kultus und öffentlichen Unterricht (vgl. GStA PK, HA I, Rep. 76 III, Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. 22, Bd. I, Bl. lr-2r). Zugleich erbaten die 22 Superintendenten mit Schreiben vom 9. Juni 1814 die Unterstützung der Geistlichen und Schul-Deputation: „Die hier versammelten Superintendenten zeigen an, welches das Resultat ihrer Berathungen gewesen ist, indem sie Eine Hochlöbliche Geistliche und Schul-Deputation um Unterstützung zur Einreichung ihrer Wünsche ersuchen. Mit hoher Freude vernahmen wir und nicht wir allein, sondern eine große Anzahl unserer Amtsgenossen die Aufforderung Einer Königlichen Hochlöblichen Geistlichen und Schul Deputation vom 18. Decbr. a. pr. derselben unsere Vorschläge über die bessere Verfassung unserer Kirche einzureichen; und so mangelhaft sie auch gewesen sein mögen, so können wir doch sagen, daß wir sie nach möglichsten Kräften überdacht und geprüft hatten. Um indessen dem hohen Ziele unserer Wünsche: Die Kirche in ihrer Herrlichkeit erscheinen zu sehen, näher zu kommen, so haben wir uns hier in brüderlichem Geiste versammelt, um den wichtigen Gegenstand von mehreren Seiten reiflich zu erwägen, und dann des Königs Majestät unterthänigst zu bitten: uns eine bessere Einrichtung unserer Kirchengesellschaft aus freier Gnade zu schenken. Was in dieser Hinsicht wir dem Monarchen zu Füßen gelegt haben, theilen wir ehrfurchtsvoll Einer Königlichen Hochlöblichen Geistlichen und Schul Deputation abschriftlich in der Anlage mit, indem wir Dieselbe ganz gehorsamst ersuchen: II unsere Wünsche gütigst zu unterstützen, wenn Seine Majestät ihr Urtheil, als das Urtheil einer erleuchteten Behörde, fordern wird; II und wir schmeicheln uns mit der Hoffnung, daß unsere Bitte nicht vergebens sein werde; da wir uns dazu Glück wünschen, daß wir unter einem Collegio stehen, welches durch seine Humanität und durch seinen schönen Eifer für alles Gute unserer reinsten Achtung würdig ist, welche wir bei dieser Gelegenheit aufs Neue auszusprechen, uns verpflichtet fühlen." (GStA PK, HA X, Rep. 40, Nr. 1867, Bl. 46r-47r) Innenminister Schuckmann nahm die Initiative der Superintendenten auf, gab ihr aber inhaltlich ein anderes Gewicht, indem er kirchliche Verfassungsreform und liturgische Agendenreform miteinander verknüpfte. Im Bericht vom 9. September 1814 an Friedrich Wilhelm III. stellte Schuckmann den Antrag der Superintendenten in den Rahmen der ministeriellen Reformbemühungen. „Demzufolge sind nicht nur schon von dem ehemaligen Ober-Consistorio mehrere Vorkehrungen zu einer neuen Liturgie und Agende getroffen, und ausführliche Vorschläge geschehen, wie den in den kirchlichen Einrichtungen statt findenden Mängeln abgeholfen werden könne; sondern ich habe

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21 Tatstierte Schleier mach er in seinem „Glückwünschungsschreiben" sächlich hielt sich die Kommission nicht an die vom Ministerium betriebene Engführung, sondern machte 1815 in ihrem Bericht auch Vorschläge zur Kirchenverfassung.23

auch in den letzten jähren hierüber, und namentlich über die allgemeine Einführung der in einigen Provinzen der Monarchie schon früher bestandenen Synoden, von den Geistlichen und Schul-Deputationen aller Provinz-Regier. Gutachten eingefordert. Nach diesen vorbereiteten Einleitungen, und da die göttliche Vorsehung jetzt durch die glorreichen Erfolge der Waffen Euer Königlichen Majestät dem Vaterlande den Frieden wiedergeschenkt hat, wird nunmehr unverzüglich zur wirklichen Ausführung der beabsichtigten Verbesserungen geschritten werden können. Die nochmalige Revision der dazu bei dem Departement eingegangenen oder in Druckschriften geschehenen Vorschläge, die Entwerfung eines allgemeinen Verbesserungs-Plans, die Auswahl oder eigene Ausarbeitung dem Bedürfnisse der Zeit entsprechender liturgischer Formulare u.s.w. wird nach meinem unmaßgeblichen Erachten den dazu schon durch ihr Amt verpflichteten Geistlichen Rüthen des Departements aufzutragen, jedoch würden ihnen noch einige andere erfahrene und geachtete Geistliche, wozu ich den Ober-Consistorial-Rath Hecker und den Hofprediger Eylert vorschlagen darf, zuzugeben, übrigens aber diese Deputation zu autorisiren sein, auch andere Geistliche, deren Einsicht und Erfahrung ihnen nützlich werden kann, bei ihren Berathungen zuzuziehen." (GStA PK, HA I, Rep. 76 III, Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. 22, Bd. 1, Bl. 12r-13r [Entwurf], hier 12r-v). Am 15. September 1814 genehmigte Friedrich Wilhelm III. durch Kabinetts-Ordre an Schuckmann die beantragte Kommission. „Einverstanden mit Ihrem ganzen Antrage in dem Bericht vom 9. d. M. approbire Ich nicht nur die Zuziehung des Ober Consistorial Raths Hecker und des Hof Predigers Eylert zu der anzuordnenden geistlichen Deputation, deren Zweck Sie sofort öffentlich bekannt machen können, sondern will auch außerdem noch, daß auch der Consistorial Rath Offelsmeyer, als Feld Probst, mit zugezogen werde. In wiefern Sie noch andere Geistliche von Einsicht und Erfahrung benutzen wollen, bleibt Ihrem Ermeßen überlaßen. Ich hoffe und erwarte übrigens, daß nach Meiner Rückkunft von Wien diese wichtige Angelegenheit, die Ich Ihrer fortgesetzt besondern Aufmerksamkeit empfehle, so weit gediehen seyn wird, daß Mir das Resultat der Berathungen der gedachten Deputation von Geistlichen mit Ihrem gutachtlichen Bericht vorgelegt werden kann." (Bl. 14r) 22 23

Vgl. unten XXXVIII-XLVI Die am 15. September 1814 eingesetzte „Commission zur Prüfung der Vorschläge zur Verbesserung des protestantischen Kirchenwesens", so die amtliche Bezeichnung seitens der Kultusabteilung des Innenministeriums (vgl. GStA PK, HA I, Rep. 76 III, Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. 22, Bd. II, Bl. 90r), erhielt für ihre Arbeit zahlreiche Vorschläge aus der Pfarrerschaft und den Behörden. Die Geistliche Kommission stellte ihr Gutachten zur Kirchenverbesserung (vgl. GStA PK, HA I, Rep. 76 III, Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. 22, Bd. II, Bl. llr-89v; Foerster: Entstehung 1, 319-395) am 4. Juni 1815 fertig. Dabei ging sie, in Ubereinstimmung mit der Kabinettsorder vom 15. September 1814, über den im Publikandum auf die Liturgiereform eingeschränkten Auftrag hinaus und unterbreitete auch Reformvorschläge zur Kirchenverfassung (vgl. Bl. 56r-75v; Foerster: Entstehung 1, 360-381). Die Geistliche Kommission regte für die Kirchenverfassung eine Verknüpfung von konsistorialen und synodalen Strukturen an. Dieser Kompromiß war unausweichlich geworden zum einen wegen der in den westlichen Landesprovinzen bestehenden synodalen Kirchenverfassungen, andererseits wegen der mit der „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden" vom 30. April

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XIX

Gegen die behördlichen Verzögerungen mahnte Schleiermacher 1817 in seiner Schrift „Ueber die für die protestantische Kirche des preußischen Staats einzurichtende Synodalverfassung" die baldige Einführung einer synodalen Kirchenverfassung an.24 Schleiermacher nahm 1817-18 an der neu konstituierten Berliner Kreissynode maßgeblich teil und verfaßte als deren gewählter Präses 1818 die „Ordnung bey den Verhandlungen der Synode".25 Zur behördlichen „Anleitung zum Entwürfe der Kirchenordnung", die 1818 in der Kreissynode beraten werden sollte, hat Schleiermacher sich während der Lektüre handschriftliche Notizen gemacht 26 Höchst zweifelhaft ist allerdings Schleiermachers Verfasserschaft bei dem 1818 erschienenen anonymen Aufsatz zur Unionsthematik „Wie steht es mit der Union?" 27

1815 bereits bestätigten konsistorialen Verfassungsstrukturen, die in dieser Verordnung auch für die westlichen Provinzen vorgesehen war. Die Kommission schlug Reformmaßnahmen vor, die eine stärkere Selbstverwaltung der Kirche in ihren inneren Angelegenheiten ermöglichen sollten (vgl. Bl. 70r). Für die Kirchengemeinden wurde eine presbyteriale Ordnung empfohlen. In den Gemeindepresbyterien waren Pfarrer, Patron und Rendant geborene Mitglieder, während die anderen Mitglieder erstmalig durch Urwahl, dann für jeweils drei Jahre kooptiert werden sollten (vgl. Bl. 62v). Eine Wahl der Prediger durch die Gemeinden und damit verbunden die Aufhebung der Patronatsrechte lehnte die Kommission ab, sondern schärfte die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen und die Qualifikation der Kandidaten ein (vgl. Bl. 64r-65r). Die Kirchenkreise und Kirchenprovinzen sollten unter Ausschluß von Laien synodale Vertretungen der Prediger erhalten. Die Aufsicht über die geistlichen und schulischen Angelegenheiten sollte bei den Provinzialkonsistorien liegen, die ihrerseits einem Oberkonsistorium unterworfen waren. Die Konsistorialbehörden sollten ein eigenständiger Zweig der Verwaltung sein und aus der allgemeinen Staatsverwaltung gelöst werden. Es wurde „die Anordnung eines besonderen Ministerii für die geistlichen Angelegenheiten" (Bl. 74v) vorgeschlagen, aber auch die Anbindung an ein anderes Ministerium für hinnehmbar gehalten. Das genauere Bestimmen der kirchenregimentlichen Beteiligung des Staates an der Kirchenverfassung wurde dem „Ermessen" (Bl. 98r) des Staates überlassen. Eine gesamtstaatliche Generalsynode war nicht vorgesehen, vielmehr sollte das Oberkonsistorium die höchste kirchliche Landesbehörde sein, die alle kirchenregimentlichen Aktivitäten zentrierte und vereinigte. Gerade durch diese stärkere Beteiligung des Staates sollte den bestehenden Bedenken gegen einen neu aufwachsenden Klerikalismus begegnet und „einer, für Kirche und Staat gleich gefährlichen, Hierarchie, oder einem, in sich selbst widersprechenden, protestantischen Papstthum" (Bl. 61r) vorgebeugt werden. 24 25 26 27

Vgl. unten XL1X-L1V Vgl. unten LXIV-LXVII Vgl. unten LXVIII Der Beitrag „Wie steht es mit der Union?", der 1818 in der von Friedrich August Pischon herausgegebenen Zeitschrift „Märkisches Provinzialblatt" (Bd. 2, St. 8, S. 126— 156) erschien, ist als „Von einem Prediger in Berlin" stammend ausgewiesen. Ludwig Jonas hat 1848 diesen Aufsatz, der ihm „jetzt erst bekannt geworden" (Schleiermacher in seiner Wirksamkeit für Union, Agende und Kirchenverfassung, in: Monatsschrift für die unirte evangelische Kirche, Jg. 3, Bd. 5, Berlin 1848, S. 251-490, hier 370

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Der von Friedrich Wilhelm III. anläßlich der Säkularfeier des Reformationsgedenkens 1817 betriebene Beginn der Kirchenunion von Lutheranern und Reformierten stimmte mit den eigenständigen Unionsabsichten der vereinigten Berliner Synode zu einer gemeinschaftlichen Abendmahlsfeier gut zusammen. Schleiermacher verfaßte die „Amtliche Erklärung der Berlinischen Synode über die am 30. October von ihr zu haltende Abendmahlsfeier".28 In der von beiden Konfessionen simultan genutzten Dreifaltigkeitskirche, wo Schleier mach er seit 1809 reformierter Gemeindepfarrer war, erreichte er die erste Vereinigung einer lutherischen und reformierten Gemeinde in Berlin. Das Ergebnis der Unionsverhandlungen legte Schleiermacher 1820 in der Schrift „An die Mitglieder beider zur Dreifaltigkeitskirche gehörigen 29 Gemeinden" dar. Im Zuge dieser Gemeindeunion genehmigten die Behörden auch eine neue Agende dieser unierten Gemeinde.30 Dieser Sachverhalt gab Schleiermacher im Agendenstreit der 1820er Jahre eine starke Position?1 Die von König Friedrich Wilhelm III. mit Beharrlichkeit verfolgten Maßnahmen, zu einer landesweit einheitlichen Kirchenagende zu kommen, haben immer wieder Schleiermachers Protest hervorgerufen. Zunächst lieferte Schleiermacher 1816 einen kritischen Kommentar „Ueber die neue Liturgie".32 Wesentlich schärfer wurde die Auseinandersetzung nach Beginn der staatlichen Unterdrückungsmaßnahmen

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Anrn.), Schleiermacher zugeschrieben. Schleiermachers Notizen in SN 147, Bl. 5v „Wie steht's mit der Union?" deuten auf Vorüberlegungen zu diesem Thema hin, doch ist damit eine direkte Zuordnung zum Aufsatz nicht gesichert. Vielmehr kann Schleiermacher Anregungen für einen anderen (beispielsweise für Pischon) gegeben oder auch selbst eine nicht überlieferte Ausarbeitung, deren Beziehung zum Aufsatz nicht genau zu bestimmen ist, vorgenommen haben. Die Vermutung, Schleiermacher sei der Verfasser des Aufsatzes, trifft aus stilistischen Gründen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu. Vgl. unten UV-LXiV Vgl. unten LXIXf Mit der Vereinigung am 31. März 1822 wurde das vom Kultusministerium genehmigte „Statut für die vereinigte evangelische Gemeine der Dreifaltigkeitskirche hieselbst" (GStA PK, HA X, Rep. 40, Nr. 876, Bl. 86r-90v) und die zugehörige Agende (vgl. Bl. 92-112) rechtskräftig wirksam. In Altensteins Bericht vom 17. Mai 1827 an den König über den Stand der Agendeneinführung in der Provinz Brandenburg (danach hatten von 1178 Predigern 975 Prediger die neue Agende angenommen) ist in der zugehörigen Übersicht „Namentliches Verzeichnisz der Prediger und Kirchen in der Provinz Brandenburg, welche die neue Agende noch nicht angenommen haben, mit Angabe der jetzt im Gebrauche befindlichen Agenden und Kirchen-Ordnungen" für Schleiermacher und die beiden anderen Prediger der Berliner Dreifaltigkeitskirche „eine bei der Union verfaßte Agende" (GStA PK, HA I, Rep. 89, Nr. 23473, Bl. 292r-317r, hier 303r) angegeben. Vgl. unten XLVI-XLVIII

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1819 gegen alle liberalen Bestrebungen im Staat, in der Kirche, in der Wissenschaft.33 Indem König und Behörden den kirchlichen Verfassungsbau nicht vollendeten und die angekündigte Generalsynode nicht einberiefen3*, stellten sie ab 1822 die Agendenreform in den Mittelpunkt der Kirchenpolitik. König und Regierung betonten zunächst weiterhin die Freiwilligkeit der Agendenannahme und die Unantastbarkeit der religiösen Überzeugung. Doch hatte die 1822 begonnene erste behördliche Initiative zur Einführung einer erweiterten und etwas veränderten Agende wenig Erfolg. Deshalb beschritten die Behörden immer stärker den Weg zwingenden Durchsetzenwollens und bedrängten seit 1824 die Prediger durch werbende und drohende Maßnahmen.315 Im immer schärfer werdenden Agendenstreit war sowohl die inhaltliche Frage, wie die Agende gestaltet werden sollte, als auch die rechtliche Frage, wer die Befugnis zur Agendenfestsetzung habe, umstritten. Da das „Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten" dem Staat nur ein Genehmigungsrecht, den Kirchengemeinden aber 36 das Gestaltungsrecht zusprach , wurde die Rechtslage auch innerhalb der Behörden kontrovers beurteilt.37 In seiner pseudonym als Pacificus

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Behördliche Maßnahmen gegen Schleiermacher lassen sich der Akte GStA PK, HA I, Rep. 77, Tit. 21, Lit Sch, Nr. 6 entnehmen. Schleiermachers Briefe vom 14. März und 19. Dezember 1818 sowie vom 28. April, 17. Mai und 28. Juni 1819 lösten am 20. September 1821 seine Vernehmung wegen unehrerbietiger Äußerungen über den König aus (vgl. Bl. 7r—8v). Doch bereits seine Vorlesungen über Politik im Sommersemester 1817 (vgl. KGA II/8. Vorlesungen über die Lehre vom Staat, ed. W. Jaeschke, Berlin/ New York 1998, S. 205—376) hatten die Mißbilligung des Staatskanzlers Hardenberg gefunden, der die „politische Tendenz" am 8. Dezember 1817 in einem Brief an Altenstein tadelte, auf mehrfache Mißfallensbekundungen des Königs hinwies und forderte, diese Vorlesungen müßten „in Zukunft unterbleiben." (GStA PK, HA 1, Rep. 74, L V, Brandenburg, Nr. 16, Bl. 49v [Entwurf]). Zur Einschätzung dieser Vorlesung vgl. Dankfried Reetz: Staatslehre mit „politischer Tendenz"? Schleiermachers Politik-Vorlesung des Sommersemesters 1817, in: Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte 7, 2000, S. 205-250). Die Machtstellung der Behörden wurde sehr gestärkt durch die Kabinettsorder vom 12. April 1822 (vgl. Verfahren bei Amts-Entsetzung der Geistlichen und Jugendlehrer, wie auch anderer Staatsbeamten, in: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1822, S. 105-108), die zur wirksameren Bekämpfung der sog. Demagogen die bestehende Disziplinarregelung ALR II, 11, § 533 aufhob, die disziplinarische Amtsenthebung der Geistlichen und Lehrer den Gerichten entzog und dem Kultusminister (bei vorausgehender Begutachtung durch die Konsistorien) übertrug. Vgl. Schleiermachers Brief an Joachim Christian Gaß vom 20. Dezember 1823: „Von Generalsynode ist gar nicht mehr die Rede, und die ganze Sache der Kirchenverfassung wird wahrscheinlich einschlafen." (Briefe 4, 320) Vgl. unten Anm. zu 307, 21-4 u. 308, 5-8 Vgl. unten Anm. zu 269,lOf Vgl. Schleiermachers Brief an Ludwig Gottfried Blanc vom 26. Oktober 1824: „Denn seitdem der Magistrat hier sich auf die bekannte Stelle im Landrecht berufen hat, und

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Sincerus publizierten Schrift „Ueber das liturgische Recht evangelischer Landesfürsten" bestritt Schleiermacher 1824 die rechtliche Legitimation liturgischer Festsetzungen durch den König,38 Die seit Weihnachten 1821 mehrfach veränderte und erweiterte neue Kirchenagende wurde von den Behörden in der Fassung von 1824 landesweit verbreitet. Schleiermacher beurteilte diese zur allgemeinen Einführung vorgesehene Kirchenagende ablehnend in einem wohl 1824 oder 1825 verfaßten handschriftlichen Gutachten, das nicht publiziert 9 wurde? Im Herbst 1824 war Schleier mach er zuversichtlich, daß die neue Agende nicht „in ihrer ursprünglichen Gestalt und auf dem bisherigen Wege allgemein"40 werde eingeführt werden. Er erwartete weitere Verbesserungen und Anreicherungen mit regionalen Agenden, die dann allerdings eine radikale Ablehnung erschweren würden, sah aber die reformierten Prediger in einer günstigen Position. Zur Jahreswende 1824/25 verdunkelte sich seine Lageeinschätzung deutlich, und er hielt seine eigene Stellung für bedroht.41 Gegen die schärferen Durchsetzungsverfügungen 1825 und 1826 richtete Schleiermacher allein und in Gemeinschaft mit anderen Berliner Predigern in verschiedenen Aktenstücken seinen Protest und machte, da bei den zuständigen Behörden der Protest nichts fruchtete,

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man dem Könige hat sagen müssen, daß nicht nur nach der Natur der Sache, sondern auch actenmäßig die Stelle allerdings auch von liturgischen Anordnungen handle, was er nicht hatte glauben wollen, hat das geistliche Ministerium - ganz seiner würdig — ihm vorgetragen, daß man also das Gesez declariren müsse. Das hat ihm sehr eingeleuchtet, und das geistliche Ministerium soll auch schon eine Declaration entworfen haben, wonach dem Könige das streitige jus liturgicum beigelegt wird, aber der Justizminister sich geweigert habe sie zu zeichnen, weil die kirchlichen Collegiatrechte Privatrechte wären, und nach dem jezt bestehenden Gesez, was in diese eingreift, nur durch Berathung mit den Ständen geneuert werden kann. Das wäre also das erste Mal, daß die Stände zu etwas gut wären! Aber wie leicht ist auch das zu umgehen, oder dieses Gesez zu declarieren! Man muß auf alles gefaßt sein." (Briefe 4, 325) Vgl. unten LXXI-LXXXI Vgl. unten LXXXI-LXXXIV Brief an Blanc vom 22. November 1824, Briefe 4, 327 Vgl. Schleiermachers Brief an de ~Wette vom 2. Februar 1825: „Denn wie ich höre droht mir wieder ein neuer Sturm. Man thut mir nämlich die unverdiente Ehre an mich wie ehemals für den unsichtbaren Oberer der Demagogen, so jezt für das geheime Oberhaupt aller Opposition gegen die Liturgie anzusehen. Da nun Dein ehemaliger Kollege Augusti sich großmüthig entschlossen hat, in seiner lange schon erwarteten aber bis jezt noch nicht erschienenen Gegenschrift mich als pacificus sincerus zu nennen: so wartet man nur hierauf um mich dann zu einer Erklärung aufzufordern und zur Untersuchung zu ziehen. Ich begreife nun zwar nicht was daran zu untersuchen ist, aber man kann es ja vielleicht machen wie mit Deinem Briefe. Doch sollen sie auf jeden Fall einen tap fern Widerstand finden und die Wahrheit hören." (Briefe 4, 332; ähnlich bereits Schleiermachers Brief an Gaß vom 28. Dezember 1824, Briefe 4, 328 f )

Einleitung des Bandherausgebers

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diese Schreiben der Öffentlichkeit bekannt*1 Der von Nikolaus Falck 1827 im nichtpreußischen Kiel herausgegebene Band „Actenstücke, betreffend die neue Preußische Kirchenagende" versammelt vier wichtige an verschiedene staatliche Instanzen gerichtete Schriftstücke, nämlich drei von zwölf Berliner Predigern gemeinschaftlich verantwortete Protestschreiben, die einzeln teilweise schon gedruckt worden waren, sowie eine amtliche Erklärung, die Schleiermacher allein abgegeben hat und deren Publikation auf eine Initiative Schleiermachers besonders hindeutet. Diesen Sammelband, der wohl mit Wissen und auf Betreiben Schleiermachers veröffentlicht wurde, hat Schleiermacher 43 aber nicht im strengen Sinn autorisiert. Da die im Sammelband gedruckte Textfassung teilweise sehr fehlerhaft ist, werden deshalb für die kritische Edition die Manuskripte der Aktenstücke zugrunde gelegt und in einem Variantenapparat die Abweichungen der Druckfassungen notiert. Als Friedrich Wilhelm HL in einer anonymen Schrift apologetisch in den Agendenstreit eingriff, antwortete ihm Schleiermacher ebenfalls anonym. Die die Autorität Luthers beanspruchende Verteidigungsschrift des Königs bestritt Schleier mach er 1827 in seiner Schrift „Gespräch zweier selbst überlegender evangelischer Christen" mit satirischer Polemik.44 Der lange und erbittert geführte Agendenstreit ermüdete schließlich beide Seiten 4S Mit seiner Kabinettsorder vom 4. Januar 1829 an Altenstein setzte Friedrich Wilhelm III. für die Provinz Brandenburg einen von einer Konsistorialkommission erarbeiteten Nachtrag zur 46 Agende in Geltung. Dadurch wurden den Predigern einige liturgische Freiheiten eingeräumt, einige Wendungen sprachlich geglättet und, einige Anstößigkeiten, die im Kreuzfeuer des öffentlichen Protests gestanden hatten, beseitigt. Da Friedrich Wilhelm III. seine Forderung strikter

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Vgl. unten LXXXIV-CX Am 9. Dezember 1826 schrieb Schleier mach er an Gaß, daß „die ganze Trtlogie jezt wahrscheinlich gedrukt wird, und zwar nicht ohne mein Wissen." (SN 750, Bl. 42v; vgl. Briefe 4, 363) Vgl. unten CX-CX1I In seinem Vermächtnis vom 20. März 1828 für seine Nachfolger legte Friedrich Wilhelm III. seine Intentionen und Aktionen zur Agendenerneuerung und die Texte dar (vgl. GStA PK, BPH, Rep. 49 Ε III, Nr. 29, Bl. 285-290v). Vgl. ASupFW Berlin, alt Α. V. 2, neu Nr. 162, Bl. 63r-64v (Abschrift); Foerster: Entstehung 2, 191 f. Altenstein teilte dem reformierten Berliner Superintendenten Marot direkt mit Schreiben vom 16. Februar 1829 diese Kabinettsorder mit (vgl. Bl. 62r). Mit Konsistorialverfügung vom 9. April 1829 wurden alle Superintenden über die Kabinettsorder vom 4. Januar und die Agendenänderungen informiert (vgl. Domstiftsarchiv Brandenburg, Ze. Ε 73/83, Bl. 43r-44v).

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Einleitung des Bandherausgebers

liturgischer Uniformität aufgegeben hatte, entspannte sich die Konfrontation.4,7 Die neue Liturgie wurde am 12. April 1829 in allen Berliner Kirchen eingeführt.48 Nach zwölfjähriger Beratung wurde 1829 ein neues Gesangbuch in Berlin eingeführt. Schleiermacher wehrte 1830 in seiner Schrift „Ueber das Berliner Gesangbuch" die Vorwürfe ab, die seitens konservativer Gegner gegen dieses Gesangbuch publizistisch vorgetragen wurden*9 Das Kultusministerium unterstützte in diesen Auseinandersetzungen die von der Predigerschaft und den Gemeinden überwiegend gewünschte Einführung des Berliner Gesangbuchs von 1829.50 47

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Allerdings lehnte Schleiermacher erst mündlich am 23. Februar und dann schriftlich am 25. Februar 1829 auch die Annahme des Nachtrags zur Agende ab (vgl. ASupFW, alt Α. V. 2, neu Nr. 162, Bl. 69r—70v). Durch Ministerialschreiben Altensteins vom 3. März 1829 an Marot wurde Schleier mach er von der streng buchstäblichen Befolgung der Agende befreit (vgl. Bl. 80r-81r). Schleiermacher war mit diesen Zusicherungen zufrieden (vgl. Bl. 81v). Vgl. dazu auch Briefwechsel mit Gaß 211-213. Schleiermachers Sterbeabendmahl wurde von Friedrich Wilhelm III. in seiner Verfügung vom 21. Februar 1834 an Altenstein als mustergültig empfohlen: „Oer Prediger Schleiermacher hat das heilige Abendmahl auf seinem Sterbelager sich selbst gereicht. Der uralte in der evangelischen Kirche hie und da beibehaltene Gebrauch, daß der Geistliche nach der Austheilung des Sacraments es selbst genießt, statt es von einem andern Geistlichen zu empfangen, ist dadurch hier zu Meinem Wohlgefallen erneuert worden; indem man erwarten kann, daß dieses von einem der gelehrtesten Theologen und angesehensten Geistlichen gegebene Beispiel, besonders da, wo nur ein Ortsgeistlicher sich befindet, nicht ohne Nachfolge bleiben werde; und Ich veranlaße Sie daher, ein Circular, in welchem dieser alte Gebrauch empfohlen, und auf das von dem Prediger Schleiermacher gegebene Beispiel Bezug genommen wird, an die General-Superintendenten ergehen zu laßen." (GStA PK, HA I, Rep. 92, Nachlaß Altenstein Α. VI. c. 1, Nr. 1, Bl. 54r) Die Neuausgabe der Agende konnten die Prediger im Juni 1829 für 10 Groschen kaufen. Im August 1830 folgte noch ein Nachtrag mit Gebeten und Bibelsprüchen (vgl. ASupFW, alt Α. V. 2, neu Nr. 162, Bl. 102r). Uber seinen praktischen Gebrauch der Kirchenagende berichtete Schleiermacher am 31. Oktober 1832 an das Konsistorium (vgl. Bl. lUr-v). Vgl. unten CXII-CXIV Veranlaßt durch Streitigkeiten in der Berliner St. Gertraudenkirche, wo der Prediger Friedrich Gustav Lisco durch eine von ihm einberufene Gemeindeversammlung die Einführung des neuen Gesangbuchs bestätigen ließ, schilderte Altenstein in seinem Memorandum vom 16. August 1830 dem König die Lage: „Schon im Jahre 1818 hatte die Berliner Synode das dringende Bedürfniß der Herausgabe eines neuen Gesangbuchs geltend gemacht. Es stützte sich auf die entschiedene Mangelhaftigkeit der vorhandenen Gesangbücher, von denen das Porst'sche seiner Reichhaltigkeit ungeachtet, doch kaum 200 Lieder zählt, welche ohne Anstoß gesungen werden können und daher nur bei vorsichtigem Gebrauch unschädlich ist, und das damals sogenannte Neue Gesangbuch in keiner Rücksicht befriedigt, während das an sich sehr mangelhafte reformirte Gesangbuch gleichzeitig in zwei Auflagen vorhanden ist, deren Abweichungen von einander leicht Störungen bei dem Gottesdienste erregen können. II \ Hiezu trat, daß die Verschiedenheit der Gesangbücher seihst an einem großen Orte, wo sich

Einleitung des Bandherausgebers Schleiermachers

kirchenpolitische

Schriften

XXV 1808—1830

1. Vorschlag zu einer neuen Verfassung der protestantischen für den preußischen Staat vom 18. November 1808

Kirche

Schleiermachers „Vorschlag zu einer neuen Verfaßung der protestantischen Kirche für den preußischen Staat" vom 18. November 1808 ist nur in einer Abschrift erhalten, die im Geheimen Staatsarchiv Preu-

ein bedeutender Theil der Kirchgänger zu den seinem kirchlichen Bedürfniß vorzugsweise entsprechenden Predigern hinwendet, ein ganz besonders die Armen treffender Nachtheil ist. Es verdiente deshalb die Sache um so mehr die Begünstigung der geistlichen Behörden, als die Förderung der Union damit in wesentlicher Verbindung stand, deren Verbreitung so lange noch Berlin den Provinzen mit dem Festhalten an den Parthei-Namen und an den unterscheidenden reformirten und lutherischen Gesangbüchern vorleuchtete, keine schnellen Fortschriftte hoffen ließ. Das bei der erforderlichen Berücksichtigung von so mancherlei Bedürfnissen und Ansichten höchst schwierige Unternehmen wurde von der von der Synode gewählten Commission nach zehnjährigem angestrengten Fleiße zu Stande gebracht, die Arbeit von dem Consistorio der Provinz und in dem von mir allergnädigst anvertrauten Ministrio geprüft, und ungeachtet der hierbei bemerkten, zum Theil später verbesserten Mängel, da hiebet das so verschiedenartige Bedürfniß den Einzelnen in den hiesigen Gemeinen, von denen ein Theil grade dasjenige ansprechend und erbaulich findet, was der andere wegwünscht, oder für keiner Veränderung bedürftig erachtet, berücksichtigt werden, und somit allein der Werth des neuen Gesangbuchs im Ganzen zum Maaßstab dienen könnte, das übereinstimmende Urtheil \ gefällt, daß das neue Gesangbuch vor allen in neueren Zeiten erschienenen Gesangbüchern die entscheidendsten Vorzüge besitze. In den vielfach über diesen Gegenstand erschienenen Schriften, ist dieß auch ganz allgemein und unbedingt anerkannt, wenn gleich auch Manches zum Theil an dem neuen Gesangbuche noch getadelt worden ist. Eben so allgemein ist das Anerkenntniß, daß das Porst'sche Gesangbuch wegen der Zweideutigkeit vieler Lieder und der Beschaffenheit der Sammlung überhaupt keine Unterstützung verdiene und daß die Annahme des neuen Gesangbuchs daher ein merklicher Fortschritt zum Bessern sey, wenn solches auch noch durch einen Anhang oder durch Veränderung einiger Lieder in demselben einer weitern Vervollkommnung bedarf II Als eine Folge hiervon muß es betrachtet werden, daß sämmtliche Geistliche Berlins, denen das neue Gesangbuch demnächst zur Prüfung vorgelegt wurde, sich, ungeachtet sie ganz verschiedenen Richtungen und Gemeinen angehören, für dessen Einführung, mit einer nach der Erfahrung in solchen Fällen seltenen Einigkeit erklärten. Sie glaubten hierbei, in Betracht des vorerwähnten practischen Bedürfnisses, nach ihrer Kenntniß der Gemeinen darauf zählen zu können, daß sie deren Wünschen durch die Einführung des Gesangbuchs entgegen kämen und erbaten sich deshalb die Genehmigung hiezu von den ihnen vorgesetzten geistlichen Behörden. II Ew. Königl. Majestät haben durch die Allerh. Cabinets-Ordre vom 16. \ November pr., nach meinem ehrfurchtsvollsten Antrage, die Erlaubniß, unter eben dieser Voraussetzung zu ertheilen geruht. II Die Befugniß ein Gesangbuch für den gottesdienstlichen Gebrauch einzuführen, ist ein Theil des liturgischen Rechtes, welches in der Mark Brandenburg seit der Reformation von dem Landesherrn ausgeübt ist. Ew. Kgl. Majestät allerhuldreichst ertheilte Erlaubniß ist ein Ausfluß dieses landesherrlichen Rechtes. Die Art der Fassung verändert hierunter so wenig etwas, als an dem

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Einleitung

des

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ßischer Kulturbesitz, I. Hauptabteilung, Repositur 76 III, Sektion 1, Abteilung XIV, Nummer 5a, Blatt 3r—9v aufbewahrt wird. Die Abschrift umfaßt zwei fadengebundene Lagen mit jeweils zwei ineinandergelegten Doppelblättern nachgedunkelten Papiers mit Wasserzeichen. In die zweite Lage Bl. 7—9 ist vor das letzte unbeschriebene und nicht gezählte Blatt ein Votum von Süvern eingeschoben. Die Blätter von 20,4 cm Breite und 35 cm Höhe sind beidseitig sauber mit Sepiatinte beschrieben. Dabei ist jeweils links ein Rand von etwa 3 cm Breite gelassen. Jede Seite hat unten rechts ein Merkwort mit dem Anfang der nächsten Seite. Die Seiten waren nicht paginiert, die Blattzählung wurde erst nachträglich bei Aktenarchivierung vorgenommen. Die Datierung dieses Kirchenverfassungsvorschlags muß und kann durch externe Zeugnisse vorgenommen werden. Das Manuskript wurde von Schleiermacher ausweislich seines Tagebuchs am 18. November 1808 in Berlin fertiggestellt und nach Königsberg, wohl an Stein, abgesandt.51 Die überlieferte Abschrift ist jünger als das nicht mehr vorliegende Manuskript. Johann Wilhelm Süvern (1775—1829) hat im Zuge des behördlichen Begutachtungsverfahrens die Abschrift am 26. Februar 1809 angeordnet, die dann am 3. März 1809 vorlag.51

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Rechte, aus welchem die Einführung der erneuerten Agende erfolgt, dadurch etwas geändert ist, daß Ew. Kgl. Majestät die Agende bloß zur freiwilligen Annahme empfohlen haben. Wesentliche Veränderungen in liturgischen Gegenständen sind überall stets nur nach angehörtem Gutachten der geistlichen Behörden, welche was der Kirche frommt und die Gemeinen bedürfen, zu berathen berufen sind, und zum Besten der Gemeinen bewirkt worden. Auch bei der erneuerten Agende war dieses der beobachtete Gang. Niemals hat der Gemeine das Recht zugestanden, über Angelegenheiten dieser Art, deren Beurtheilung gründliche theologische Kenntnisse und Erfahrungen voraussetzt, wie über die sogenannten Externa, die Vermögens- und ähnliche Verhältnisse betreffend, nach Stimmenmehrheit zu beschließen. Sollte den Gemeinen eine größere Einwirkung bei solchen liturgischen Gegenständen gegeben werden, so müßten sie auch eine diesem entsprechende Organisation durch Presbyterien erhalten. Hier bildet sich ein ganz anderes Verhältniß der \ Theilnahme an kirchlichen Angelegenheiten und eine beschränkte Stimmgebung an durch die dazu vorgebildeten Gemeine-Mitglieder in dem Presbyterio. Auch hier hat aber der Antheil der Gemeine bestimmte Grenzen, wie am Rhein und in Westphalen dieß sich jetzt bei der Einführung der Agende gezeigt hat. Ohne eine solche Verfassung den Gemeinen ein Stimmrecht in liturgischen Angelegenheiten förmlich einräumen, bringt nicht bloß die Kirche, sondern den ganzen politischen Zustand in Gefahr, der allezeit leidet, wenn der ungebildete Haufe in großer Versammlung sich selbst geltend macht." (GStA PK, HA I, Rep. 92, Nachlaß Altenstein, Α. VI. c. 1, Nr. 20, Bl. 3r-12r [Abschrift], hier 5r-7r) In Schleiermachers „Erinnerungsbuch für das ]ahr 1808" (Tageskalender) findet sich erstmals am 2. November die Eintragung „Vorschläge, wenig aufgeschrieben" (SN 437, Bl. 32v), dann am 8. November (vgl. Bl. 32v) und erneut am 15., 16. und 17. November das Stichwort „Vorschläge" (Bl. 33v); schließlich am 18. November 1808 notierte Schleiermacher: „Vorschläge ins reine gebracht und abgesendet." (Bl. 33v) Vgl. Süvern: „Herrn Kanzley-Director Breithaupt ersuche ich, die Vorschläge zu einer

Einleitung des Bandherausgebers

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Schleiermacher hatte während seines konspirativen Aufenthalts vom 25. August bis 25. September 1808 in Königsberg, dem damaligen Sitz des Königshofs und der Regierung, Stein mehrfach getroffen und wohl von ihm dabei die Anregung erhalten, eine neue Kirchenordnung im Sinne der Selbstverwaltung zu formulieren. Schleier mach er schilderte seinem Studienfreund Brinckmann am 17. Dezember 1809 seine Pläne für die Universitätstheologie und fuhr fort: „Es sah einen Augenblick aus als sollte ich noch auf eine andere Weise wirksam werden. Ich hatte zum Theil auf Steins Veranlassung einen Entwurf gemacht zu einer ganz neuen Kirchenordnung für unsern Staat; er war auch zu meiner großen Freude im Ganzen angenommen worden, scheint aber jezt auch zu dem zu gehören was bei Seite gelegt wird."53 Schleiermachers Kirchenverfassungsvorschlag wurde vermutlich noch von Stein vor seiner Entlassung (24. November 1808) an König Friedrich Wilhelm III. weitergeleitet, der am 24. Dezember 1808 den damaligen Innenminister Alexander zu Dohna (1771—1832) zu einer genaueren Begutachtung aufforderte, wobei er gleich einige Bedenken notierte.54 Dohna gab am 23. Januar 1809 diesen Brief des Königs an Johann Wilhelm Süvern weiter und beauftragte ihn mit der Begutachtung. Das aufgetragene Votum gab Süvern unter Datum vom 9. Februar 1809 wohl an Nicolovius ab.55 Süvern lobte die hohe Qualität des Ver-

neuen Organisation der Protestantischen Kirche in den Preussischen Staaten (mich dünkt es ist N. 140 Sect, des Cultus) — wenn sie noch nicht sollten von Hrn. Kammergerichts-Rath Albrecht abgegeben seyn, von demselben abfordern, die Abschrift bald möglichst besorgen zu lassen und das Original Sr. Excellenz zuzustellen." Die Abschrift wurde vermutlich Anfang März 1809 angefertigt, denn unter Süverns Anordnung steht die Bemerkung: „fact: 3. März. Breith." (GStA PK, HA 1, Rep. 76 III, Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. Sa, Bl. 2r) 53 54

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Briefe 4, 173 Vgl. Friedrich Wilhelm III.: „Mein lieber Staats Minister Graf zu Dohna. Der anliegende Vorschlag zu einer neuen Verfassung der Protestantischen Kirche scheint für die neue Organisation sehr wichtig, und Ich empfehle ihn daher Euch zur näheren Erwägung bey der Sektion des Cultus, erwarte auch demnächst Bericht über diese ganze Angelegenheit. Vorläufig erinnere Ich gegen einzelne Stellen des Aufsatzes nur, daß II die Trauung der Vollziehung der Ehe stets vorangehen muß, damit sie nicht sonst unterlaßen werde (I. 13.) II - nicht drey Untersuchungsfälle nötig sind, um einen geistlichen Candidaten als unwürdig aus der Liste zu streichen (II. §. 8.) II - von katholischen Prinzen und Wortführern nicht die Rede seyn kann (IV. §. 4.) und II - die §§. 7. und 8. einer etwanigen künftigen StändeVerfassung auf unzuläßige Weise vorgreifen. Ich bin Euer wohlaffectionirter König. Königsberg den 24. December 1808." (GStA PK, HA I, Rep. 76 III, Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. 5a, Bl. Ir) Vgl. Süvern: „Der Vorschlag zu einer neuen Verfassung der protestantischen Kirche ist mit großem Scharfsinn und ausnehmender Consequenz ausgearbeitet. II Die Thatsache, worauf er sich gründet, ist wahr, obwohl sie, den Verfall der Religion und des

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Einleitung des Bandherausgebers

fassungsvorschlags, hielt aber die weitgehende Selbständigkeit der Kirche im Staat für unzweckmäßig und plädierte deshalb für Annahme der Gemeinde- und Synodalverfaßung unter Beibehaltung der staatlichen Konsistorialrechte.

geistlichen Standes zu erklären, allein nicht zureicht. Denn der geistliche Stand ist weit tiefer gesunken durch eignes Aufgeben seines Wesens, als seine Abhängigkeit und Unterordnung unter den weltlichen Staat ihn trieb. Ohngeachtet dieser hätte er sein ursprüngliches Princip in sich lebendig bewahren und vermöge desselben über den Zeitgeist sich erhoben halten können. Aber man darf nur die wissenschaftliche Bearbeitung der Theologie in den letzten Jahrzehnten, nur die Predigten und das Leben der Geistlichen erwägen, um wahrzunehmen, wie dies Princip und mit ihm alle innere Kraft durch das Uebergewicht eines ganz heterogenen Sinnes und Geistes ihm beynah völlig ausgegangen ist. Das Erziehungswesen steht in gleicher, ja noch größrer Abhängigkeit, hat aber, wiewohl es selbst von schädlichen Einflüssen nicht frey geblieben ist, doch einen weit höhern Grad eigenthümlicher Kraft bewahrt. H Zurückführung des geistlichen Standes zum Gefühl seiner ursprünglichen Bestimmung und Würde, Wiedererweckung des geistlichen Princips, das ihn beleben und durchdringen soll, vermittelst einer diesem Zweck angemeßnen Bildung und Beaufsichtung seiner Mitglieder, dürfte also das erste und vorzüglichste Mittel seyn, ihm und der heiligen Sache, die er verwaltet, wieder eingreifende Wirksamkeit zu verschaffen. II In wie fern es aber auf eine freyere und selbstständigere Form der gesammten Religions\verfassung, welche den ursprünglichen Geist des Standes aus ihm selbst wieder entbinden und im Leben erhalten kann, hiebey vornemlich ankommt, ist diese allerdings für wesentlich zur Erreichung des Zweckes zu achten. Doch mit der Bedingung, daß sie nichts enthalte und aufstelle, was dem wahren und ächten Geiste des Standes entgegenwirken und das ihm entgegengesetzte Prinzip begünstigen könnte. II Das Gebäude einer freyern und selbstständigem Kirchenverfassung ist nun in vorliegendem Aufsatze so folgerecht ausgeführt, daß es, realisirt, das erste Beyspiel eines in sich abgeschloßnen und vollendeten Protestantischen Kirchenstaates darstellen würde. II Denn den kirchlichen Staat stellt es dem weltlichen völlig gleich beyde so parallel, daß sie nur in der Person des Königs mit einander in Verbindung stehn. Oberaufsicht ist dem weltlichen Staate über die Kirche zwar zugestanden, aber diese durchaus nur negativ, indem die höchste Behörde der leztern inappellabel in Sachen der Disciplin, unbeschränkt in Sachen des Cultus, der gegenüberstehenden Behörde des erstem dagegen nur das Recht des Erinnerns, nicht einmal des Inhibirens, geschweige denn des Prohibirens zugestanden ist. Dies negative Verhältniß des Staats zur Kirche würde deutlicher in die Augen fallen, wenn, so wie bey den Instanzen der Kirchenverfassung geschehn ist, so auch in dem Kapitel, welches von der Oberaufsicht des Staats handelt, die Rechte und Befugnisse einer jeden der drey Behörden, wodurch er dieselbe handhaben soll, zusammengestellt wären. Die Einmischung und Zerstreuung derselben durch den ganzen Aufsatz hat ihre eigentliche Beschaffenheit verdunkelt und aus den Augen gerückt. II Wenn aber gleich eine vernünftige Staatsverfassung in ein negatives Verhältniß des Beobachtens und Controlirens gegen alle Thätigkeitszweige der Bürger sich stellt, so darf sie doch in keinem einzigen \ auf ein solches beschränkt werden, sondern, um jeden in seinen Schranken zu halten, muß sie wenigstens die Befugniß sich selbst nicht rauben, positiv einwirken zu können. Auch gegen die Kirche demnach kann der Staat in kein andres Verhältniß treten. Würde das vorgeschlagne vollständig durchgeführt, so müßte unausbleiblich ein Antagonismus beyder gegen einander entstehn, der nur entweder in Hierarchie, oder in noch tiefern Verfall der Kirche und ihres Ansehns durch Gleichgültig-

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Am 8. Mai 1809 erinnerte Friedrieb Wilhelm III. in einer Kabinettsorder Dohna noch einmal an Schleier mach ers Kirchenverfassungsvorschlag und mahnte die Berichterstattung an.56 Nicolovius, an den Dohna diese Kabinettsorder weitergegeben hatte, bat am 16. Mai 1809

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keit und Verachtung der Wehlichen gegen sie Übergehn könnte. II Das Letztere wahrscheinlicher: Theils wegen der herrschenden Stimmung der Gemüther; theils weil das der Kirche und ihren Obern nach dem Plan zu verleihende Ansehn nicht ein von Innen stammendes, nicht durch sich selbst erworbenes, sondern von außen verliehenes seyn, demnach wahre Ehrfurcht niemals einflößen würde. Vielmehr müßte eben dieses den ohnehin schon starken Trieb der Weltlichkeit — demnach eben das, dem entgegenzuarbeiten Noth thut - in den ohne innere Erhöhung ihrer Würde vom Staat mit Ehre bekleideten Geistlichen noch mehr anregen und in gleichem Maaße den Spott der Weltlichen reizen, wodurch diese an den auf keine Ueberlegenheit höhern Geistes gegründeten Ansprüchen der Geistlichen unfehlbar sich rächen würden. II Da es aber einzig darauf ankommt, den geistlichen Stand von fremdartigen Trieben wieder zu säubern, den Sinn und Trieb hingegen in ihm zu wecken, wodurch allein er geistlich ist, so wird, in wie fern die Kirchenverfassung dazu beiträgt, vollkommen dem Zwecke entsprechen, wenn diese noch weiter hin so frey und selbständig, wie möglich, gebildet, demnach die vorgeschlagene Gemeinde- und Synodal-Verfas sung, mit wenigen Modificationen, ausgeführt wird, die Consistorial-Rechte aber den Staatsbehörden verbleiben. Sind diese mit wahrhaft geistlichen und theologisch-gelehrten Männern besetzt, so vertreten sie vollkommen die Stellen | der kostspieligen Kapitel. Diese Bischöfe und Kapitel mögten zweckmäßig benutzt werden können, wären sie von der Reformation uns überliefert und ihr Ansehn im Glauben der Geistlichkeit und des Volks gegründet. Aber jetzt vom Staate neugestiftet würde man sie, ungeweiht oder auch mit neuangeordneter Weihe, nie höher, als weltliche Aemter, achten. Dagegen ein ächter Geistlicher, auch ohne Titel Zeichen und Weihe eines Bischofs, ist mit einer innern Weihe von oben begabt, die ihm unwiderstehliche Kraft und Haltung bey den Amtsgenossen wie beym Volk gewährt. Und ein solcher Bischof soll nach dem Geiste des Protestantismus ein jeglicher Geistliche seyn. U Des Weitern beziehe ich mich auf den Sr. Majestät abgestatteten Bericht über die von den Herrn Oberconsistorialräthen Hecker, Hanstein, Ribbeck und Nolte unmittelbar eingereichten Vorschläge zur Verbesserung des Geistlichen- und Schulwesens; und bin übrigens der Meinung, daß vorliegender Aufsatz ganz vorzügliche Berücksichtigung der Section des Cultus, nach ihrer vollständigen Organisation, in Hinsicht der Gemeinde- und Synodalverfassung verdiene. Fallen aber in der neuen Kirchenverfassung die Bischöfe und Kapitel gleich aus, so ist doch der gerechte Antrag auf Rückgabe der Einkünfte protestantischer Domstifter zu ihrer ursprünglichen Bestimmung für Kirchen und Schulen ernstlich zu beherzigen." (GStA PK, HA I, Rep. 76 III, Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. Sa, Bl. 10r-llv) Vgl. Friedrich Wilhelm III.: „Mein lieber Staats Minister Graf zu Dohna. Ich habe Euch unter dem 24. December v. J. einen Vorschlag zu einer neuen Verfassung der protestantischen Kirche übersandt, um solchen bey der Sektion des Cultus in nähere Erwägung zu nehmen, und Mir demnächst über die ganze Angelegenheit Bericht zu erstatten. Die mit der anliegenden Eingabe des Superintendenten Schwarzer zu Grünberg vom 17. v. M. eingegangenen Vorschläge verschiedener Schlesischer Superintendenten und Kreis Senioren, haben eine gleiche Tendenz, und Ich gebe Euch deshalb auf, auch diese zu prüfen, und darauf bey Erstattung Eures Berichts Rücksicht zu nehmen, diesen aber zu beschleunigen. Ich verbleibe Euer wohlaffectionirter König." (GStA PK, HA I, Rep. 76 III, Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. 5a, Bl. 20r)

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Einleitung des

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den Innenminister um Fristaufschub, bis die aus der Verwaltungsreform nötige Neuorganisation der Kultusabteilung vollzogen worden sei.51 Diese Neuorganisation ging langsam voran; so wanderte schließlich alles zu den Akten. Schleiermacher verfolgte auf anderen Wegen seinen Kirchenverfassungsplan weiter. Am 29. Dezember 1810 schrieb er an Joachim Christian Gaß (1766-1831) in Breslau: „Ich gehe mit dem Gedanken um, meinen Plan drukken zu lassen, aber mit Erläuterungen, wodurch sich alles begründet. Noch kann ich nur nicht dazu kommen."5* Am 23. Oktober 1811 schickte Schleiermacher sein einziges Exemplar seiner „Kirchenordnung" an Gaß und bat ihn um genaues Studium und Mitteilung aller Einwendungen. „Sie haben deren vielleicht jezt mehrere, seitdem Sie die Sachen und die Geschäfte damit genauer kennen. Ich habe nicht Zeit gehabt sie jezt noch einmal durchzulesen."59 Schleier mach ers Kirchenverfassungsvorschlag von 1808 wurde von dem Juristen Ludwig Aemilius Richter mit einer knappen Einleitung in der von Richard Dove herausgegebenen „Zeitschrift für Kirchenrecht" 1861 publiziert.60 Dieser Text wurde 1969 von Hayo Gerdes, mit einigen Erläuterungen versehen, in einem Sammelband erneut abgedruckt.61 2. Votum vom 20. Juni 1811 zur Einführung eines

Landeskatechismus

Schleiermachers „Votum zu No. 249 die Einführung eines Landes Katechismus betreffend" vom 20. Juni 1811 ist im Evangelischen Zentralarchiv Berlin in Bestand 7, Nr. 2537, Blatt 30r—31v archiviert. Das

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58 59 60

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Vgl. Nicolovius: „Die einliegende Cabinetsordre ist des Herrn Departements-Minister Excellenz zur geneigten Bestimmung vorzulegen, ob die Section für den Cultus, die den Bericht über die hier mitgetheilten, so wie über die frühem Vorschläge zur Verbeßerung des Kirchenwesens so lange auszusetzen wünscht, bis sie mit den ihr bestimmten Geistlichen Mitgliedern vereinigt seyn wird, diese Frist sich stillschweigend gestatten dürfe oder deshalb eine Anzeige bey des Königs Majestät machen müße." (GStA PK, HA I, Rep. 76 III, Sekt. 1, Abt. XIV, Nr. 5a, Bl. 21r). Dohna hielt eine Anzeige nicht für nötig. Briefwechsel mit J. Chr. Gaß, ed. W. Gaß, Berlin 1852, S. 87 f SN 750, Bl. 2r; vgl. Briefe 4, 185 Ein Kirchenverfassungs-Entwurf von Schleiermacher, ed. A. L. Richter, in: Zeitschrift für Kirchenrecht, Jg. 1, Berlin 1861, S. 326-341 (Einleitung des Herausgebers 326 f, Text 327-341) Vorschlag zu einer neuen Verfassung der protestantischen Kirche im preussischen Staate, in: Kleine Schriften und Predigten, Bd. 2. Schriften zur Kirchen- und Bekenntnisfrage, ed. H. Gerdes, Berlin 1969, S. 117-136

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eigenhändige Manuskript umfaßt vier Seiten eines Doppelblatts. Die Kanten sind geschnitten, die untere Kante angestoßen und leicht eingerissen. Das Papier hat Wasserzeichen. Die Blätter mit einer Breite von 21 cm und einer Höhe von 34,7cm sind hälftig gefaltet und auf der Vorderseite und Rückseite jeweils rechts mit etwas verblaßter Tinte beschrieben. Schleiermachers Votum ist Teil eines Begutachtungsverfahrens. Unter der Nr. 249 hatte die Geistliche und Schul-Deputation der Kurmärkischen Regierung in Potsdam am 14. April 1810 ein vom Geistlichen Rat Bernhard Christoph Ludwig Natorp (1774-1846) verfaßtes Memorandum „Betrifft die Einführung eines neuen Catechismus und eines neuen Gesangbuchs" erstellt.62 Dieses Memorandum ging am 24. April 1810 an das „Ressort Einer Königlichen Hochlöblichen Section für den Kultus und öffentlichen Unterricht" ab und erhielt dort bei seinem Eingang am 25. April den Vermerk: „HE. Nicolovius bei seiner Zurückkunft vorzulegen". Das Memorandum der Potsdamer Deputation wurde im Umlauf verfahren von Johann Peter Friedrich Ancillon (1767-1837) am 12. Januar 1811, von Gottfried August Ludwig Hanstein (1761—1821) am 30. Januar 1811, von Konrad Gottlieb Ribbeck (1757-1826) am 21. März 1811 und von Friedrich Samuel Gottlieb Sack (1738-1817) am 27. März 1811 begutachtet.63 Nicolovius ordnete durch eine Randnotiz am 13. Mai 1811 an: „ist jezt noch den Hrn. Räthen des Depts. Schleier mach er u. Süvern zum schriftlichen Votiren in Betreff der Frage wegen des Katechismus vorzulegen."64 Nach Schleiermacher gab Süvern sein Votum krankheitshalber erst am 2. Januar 1812 ab, Nicolovius schloß am 13. Januar 1812.65 Vermutlich von Nicolovius wurden die Kernpunkte der Voten zur Katechismusfrage notiert und als Resultat eine Beratung in den Synoden befürwortet. Zu Schleiermacher wurde festgestellt: „Schleiermacher verwirft a. den Vorschlag der Deputation, b. wünscht daß die Prediger die Wahlfreyheit behalten, doch so, daß ganze Synoden sich darin vereinigen und unter Genehmigung der Geistl. Behörde ihre Wahl treffen, verweiset endlich c. den Lutherischen Katechismus in die Elementarschulen."66 Nicolovius, der zwar für die Elementarschulen und für den Konfirmandenunterricht der Landbevölkerung dem Kleinen Katechismus

Vgl. unten Anm. zu 21, lf Vgl. EZA 7/2537, Bl. 20r-21v. 22r-27v. 28r-v. 28v-29r