Krise und Wiederherstellung: Österreichische Großmachtpolitik zwischen Türkenkrieg und »Zweiter Diplomatischer Revolution« 1787–1791 [1 ed.] 9783428500239, 9783428100231

Die Maria-Theresianische Staatsreform im Anschluß an die Krise des Österreichischen Erbfolgekrieges (1740-1748) und die

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Krise und Wiederherstellung: Österreichische Großmachtpolitik zwischen Türkenkrieg und »Zweiter Diplomatischer Revolution« 1787–1791 [1 ed.]
 9783428500239, 9783428100231

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Historische Forschungen Band 65

Krise und Wiederherstellung Österreichische Großmachtpolitik zwischen Türkenkrieg und „Zweiter Diplomatischer Revolution“ 1787 – 1791

Von Michael Hochedlinger

Duncker & Humblot · Berlin

MICHAEL HOCHEDLINGER

Krise und Wiederherstellung

Historische Forschungen Band 65

Krise und Wiederherstellung Österreichische Großmachtpolitik zwischen Türkenkrieg und „ Z w e i t e r Diplomatischer Revolution" 1787-1791

Von Michael Hochedlinger

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hochedlinger, Michael: Krise und Wiederherstellung : österreichische Großmachtpolitik zwischen Türkenkrieg und „Zweiter Diplomatischer Revolution" 1787 - 1791 / Michael Hochedlinger. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Historische Forschungen ; Bd. 65) Zugl.: Wien, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-428-10023-9

Alle Rechte vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0344-2012 ISBN 3-428-10023-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Bei der hiermit zum Druck beförderten Arbeit handelt es sich um die überarbeitete und gekürzte Fassung des ersten Bandes meiner im November 1996 abgeschlossenen Dissertation Die Krise der österreichischen Außenpolitik 1787 - 1792. Österreich, die „(französische Frage " und das Ende der Ära Kaunitz 2 Bde. (Wien 1997). Wegen des enormen Umfangs der Doktorarbeit erwies sich eine Drucklegung in einem Stück leider als unmöglich. Auf Anregung von Prof. Dr. Johannes Kunisch (Universität zu Köln) habe ich den Einleitungsband, in dem die allgemeinen Rahmenbedingungen österreichischer Außenpolitik in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts und die politischen Ereignisse der Jahre 1787 - 1791 behandelt werden, herausgelöst und zu einer selbständigen Publikation umgearbeitet. Band 2 mit Schwerpunkt auf der österreichischen Frankreichpolitik der Jahre 1789 1792 soll in absehbarer Zeit an anderer Stelle erscheinen. Die umfangreiche historiographiegeschichtliche Einleitung der Dissertation wurde in gekürzter Form in die von mir für die Österreichische Akademie der Wissenschaften besorgte Edition Der Weg in den Krieg. Die Berichte des Franz Paul Zigeuner von Blumendorf, k. k. Geschäftsträger in Paris 1790- 1792 (Fontes Rerum Austriacarum Π/90; Wien 1999) integriert. Professor Kunisch und dem Verlag Duncker & Humblot danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die „Historischen Forschungen". Dr. Lothar Schilling (Frankfurt), an dessen 1994 in der gleichen Reihe erschienene Dissertation vorliegende Studie in mancher Hinsicht anschließt, bin ich für die gründliche Durchsicht des Dissertations-Manuskripts und kritische Hinweise besonders verbunden. Dem Begutachter meiner Wiener Dissertation, Prof. Dr. Gerald Stourzh, habe ich schließlich die denkbar idealen Arbeitsbedingungen für meine extensiven Quellenstudien in den Jahren 1993 1995 zu verdanken. Im Rahmen des vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanzierten Forschungsprojekts Regesten zur österreichischen Frankreichpolitik 1787 - 1792 (P 9502-HIS) schuf er jenen Freiraum, ohne den derart ausgedehnte Archivforschungen niemals möglich gewesen wären. Prof. Dr. T. C. W. Blanning (Cambridge) leistete moralische Unterstützung, Dr. Hans Peter Hye (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien) bereinigte dankenswerterweise technische Probleme. Ich widme diese Arbeit meinen Eltern. Wien, im Sommer 1999

Michael Hochedlinger

Inhaltsverzeichnis Einleitung I. „Diplomatiegeschichte" oder „Geschichte der internationalen Beziehungen"? II. Joseph II. und Leopold II. - Krise und Wiederherstellung einer Großmacht III. Die Habsburgermonarchie als außenpolitisches Phänomen IV. Das „alte Gerümpel der Geopolitik" A. Voraussetzungen I. Der institutionelle Rahmen österreichischer Außenpolitik 1. Die obersten Beratungsorgane: Geheimer Rat, Deputierte Räte, Geheime Konferenz, Kommissionen 2. Die Exekutivbehörden: Reichshofkanzlei, Österreichische Hofkanzlei und Staatskanzlei a) Der Siegeszug der Österreichischen Hofkanzlei b) Die Gründung der Staatskanzlei und die „Ära Kaunitz" c) Die Auflockerung der Kaunitzschen „Alleinherrschaft" d) Wie arbeitete die Staatskanzlei? e) Das Verhältnis zwischen Staatskanzlei und Reichshofkanzlei nach 1753 Anhang I: Die Herrscher Anhang II: Der Personalstand der k. k. Geheimen Hof- und Staatskanzlei 1787 - 1792 Anhang III: Der Personalstand der Reichshofkanzlei 1787 - 1792 3. Das Kabinett 4. Die k.k. Auslandsvertretungen 5. Die Sprache des diplomatischen Verkehrs 6. Technische Voraussetzungen der Kommunikation zwischen Wien und den Auslandsvertretungen: Der Kurierdienst 7. Postlogen und Geheime Ziffernkanzlei II. Bündniskonstellationen 1. Das „gescheiterte Experiment" - Die französisch-österreichische Allianz 1756 - 1787 a) Erste Ausgleichsversuche b) Die Versailler Verträge 1756 - 1757 - 1758 c) „Chacun à son goût": Das Auseinanderdriften der Bündnispartner .

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Inhaltsverzeichnis

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d) Allianzfreier Raum: Der „Secret du Roi" und die antiösterreichische Publizistik e) Die Ära Vergennes 1774 - 1787 f) Die Allianz in der öffentlichen Meinung Frankreichs g) Die Vorteile der Allianz 2. Neue Bündniskonstellationen a) Der französisch-spanische „pacte de famille" von 1761 b) Das russisch-österreichische Geheimbündnis von 1781 III. Krisenherde und Bruchzonen 1. „... daß Preussen muß übern Hauffen geworffen werden, wann das durchlauchtigste Ertzhauss aufrecht stehen soll" - Die österreichischpreußische „Erbfeindschaft" 2. Das Reich als Austragungsort der österreichisch-preußischen Rivalität: Der Fürstenbund 3. Die britisch-französische Rivalität 4. Die „Unruhe des Nordens" 5. Die „orientalische Frage" 6. Die „polnische Frage"

B. Krise I. Frankreichs machtpolitischer Verfall im Zeichen der inneren Krise 1. Die österreichischen Versuche einer Fernsteuerung Frankreichs a) „L'Autrichienne" b) Das Ringen um die Nachfolge Vergennes' 2. Die „Prérévolution" - Frankreichs Weg in die Revolution II. Internationale Konflikte 1. Der „Kalte Krieg" - Die Resistenz des österreichisch-preußischen Erbfeindparadigmas a) Neu bleibt Alt b) Das Reich als Kampfplatz 2. Die preußische Intervention in Holland und die Formierung der Tripelallianz a) Die „Revolution" in den Vereinigten Niederlanden im Schnittpunkt der europäischen Mächtepolitik b) Die preußische Intervention c) Die Bildung der Tripelallianz 3. Die Hypothek der russischen Allianz: Österreichs Eintritt in den Türkenkrieg 1787 - 1788 a) Die taurische Reise b) Krisensymptome - Der belgische Verfassungskonflikt von 1787 . . c) Der Beginn des Türkenkriegs: Frankreichs Orientpolitik am Scheideweg

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Inhaltsverzeichnis 4. Vom Türkenkrieg zum Mehrfrontenkrieg a) Der „Hertzberg-Plan" und die Eröffnung des Türkenfeldzugs 1788 b) Die schwedische Diversion c) Tripelallianz gegen Tripelallianz: Die Bemühungen um ein russisch-französisches Bündnis d) „Une paix quelconque .. e) Die österreichische Friedensoffensive III. Die Katastrophe 1. Mißerfolge a) Das Scheitern der russisch-französischen Allianzgespräche b) Der Schiffbruch der österreichischen Friedensbemühungen in Konstantinopel c) Die Erneuerung der russisch-österTeichischen Allianz 2. Kein Weg zum Frieden a) Polens Erwachen b) Schwedens „Reaktivierung" c) Letzte Erfolge d) Die zweite österreichische Friedensinitiative in Konstantinopel . . 3. Frankreich „en révolution" a) Das neue Frankreich b) Die Explosion der anti-österreichischen Stimmung in Frankreich . c) Zwischenbilanz: Der Verlust eines Alliierten 4. Revolution im eigenen Hause a) Sezessionistische Tendenzen in Ungarn b) Der Abfall der Österreichischen Niederlande c) Revolution in Lüttich 5. Systemwechsel? a) Die Mission des Herzogs von Orléans nach London b) Österreichische Annäherungsversuche in London 6. Der außenpolitische Bankrott des Josephinismus a) Wettlauf um Frieden b) „... das Unglück kömmt bey uns Schlag auf Schlag" c) Die Wiederbelebung der Geheimen Konferenz C. Wiederherstellung I. Krisenbewältigung 1. Eine neue Ära? a) Die Distanzierung von der »josephinischen Erblast" b) Von der „Grauen Eminenz" zum „lästigen Alten": Die Entmachtung des Fürststaatskanzlers Kaunitz in der Regierungszeit Leopolds II

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Inhaltsverzeichnis

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c) Leopold II. - „Hirtenkönig" und „Friedensfürst" d) Neubeginn in Belgien? 2. Die österreichisch-preußische Krieg-in-Sicht-Krise a) Die Sicherung der sächsischen Neutralität b) Hinhaltetaktik 3. Reichenbach 4. Der Schiffbruch der österreichisch-französischen Allianz a) Die Revolution geht weiter b) Thronwechsel - Systemwechsel? c) Das Auseinanderbrechen des „pacte de famille": Die „NootkaSound-Controversy" 5. Die Konferenz von Den Haag und die Wiedereingliederung Belgiens . 6. Der Abschluß der Krisenbewältigung: Lüttich, Ungarn, die Kaiserkrone und der Zerfall des Fürstenbundes II. Das Staatensystem im Umbruch 1. Neuorientierung der preußischen Politik? a) Frankreich ein zweites Polen? b) Die „Mission Ephraim" in Paris 2. Die Krise der „orientalischen Frage" a) Der Waffenstillstand von Giurgiu und der Beginn der Friedensverhandlungen in Sistow b) Pitts „Russian Armament" c) Die Lockerung der österreichisch-russischen Allianz d) Die Geheimmission Bischoffwerders nach Wien 3. Stillstand und Ablenkung a) Die österreichisch-preußische Annäherung in der Sackgasse b) Die polnische „Revolution" c) Die Mission Elgin in Italien 4. Die „zweite diplomatische Revolution" a) Die 2. Mission Bischoffwerders und der Friede von Sistow b) Der österreichisch-preußische Präliminarvertrag

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Quellen und Literatur

462

Ungedruckte Quellen

462

Gedruckte Quellen

467

Nachschlagewerke, Behelfe, Bibliographien

470

Literatur

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Personenverzeichnis

513

Abkürzungen und Siglen A ADB A&F AHR AHRF AMAE AN AÖG AP Bd. BN CP d. DK DS dt. eh EHR FA Fasz. FBPG FHS FK FM fol. FRA FriedA Frkr. frz. FzDG GK HBP HHStA HJ HJb HK Hrsg., hrsg. HVJS

Abschrift, Kopie Allgemeine Deutsche Biographie [Arneth/Flammermont] 1889/1891 American Historical Review Annales Historiques de la Révolution française Archives du ministère des affaires étrangères, Paris Archives Nationales, Paris Archiv für Österreichische Geschichte [Archives Parlementaires] Band Bibliothèque Nationale, Paris Correspondance Politique Dossier Diplomatische Korrespondenz Druckschriften deutsch eigenhändig English Historical Review Familienarchiv Faszikel Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte French Historical Studies Familienkorrespondenz Feldmarschall Folio Fontes rerum austriacarum Friedensakten Frankreich französisch Forschungen zur deutschen Geschichte Große Korrespondenz Handbilletenprotokoll Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien Historical Journal Historisches Jahrbuch Hofkorrespondenz Herausgeber, herausgegeben Historische Vierteljahrsschrift

12 HZ IHR JGO JMH Κ ΚΑ Konv. ksrl. Kt. MD MIÖG

MÖStA NBG ND NDB NL NW Ο o. D. ο. K. o.O. ÖGL ÖZV RDV RF RH RHD RHMC RK RkgF RQH RTA RVK SA SB SEER StK Suppl. TB VKNGÖ WStLB ZHF

Abkürzungen und Siglen Historische Zeitschrift International History Review Jahrbücher für Geschichte Osteuropas Journal of Modern History Konzept Kabinettsarchiv Konvolut kaiserlich Karton Mémoires et documents Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (1920 - 1942: MÖIG, Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung) Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs Nouvelle Biographie Générale Nachdruck, Neudruck Neue Deutsche Biographie Nachlaß Notenwechsel Original, Ausfertigung ohne Datumsangabe ohne Konvolut (zerstörte Konvolutordnung) ohne Ortsangabe Österreich in Geschichte und Literatur Österreichische Zentralverwaltung Repertorium der diplomatischen Vertreter La Révolution française Revue Historique Revue d'histoire diplomatique Revue d'histoire moderne et contemporaine Reichskanzlei Reichskrieg gegen Frankreich Revue des Questions Historiques Reichstagsakten Reichsvizekanzler Staatenabteilungen Sammelbände Slavonic and East European Review Staatskanzlei suppléments Tagebuch Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Wien Zeitschrift für Historische Forschung

Abkürzungen und Siglen Zur Zitierweise: Archivalien aus den Beständen des Österreichischen Staatsarchivs/Abt. Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien, werden in der Regel ohne Voranstellung der Sigle HHStA zitiert. Die Pariser Archivalien erhalten stets die ihnen entsprechenden Provenienzkürzel. Auf Folioangaben mußte bei Nennung der Lokate im Normalfall verzichtet werden. Das Lokat bezieht sich in der Regel ohne nähere Bestimmung auf die beste greifbare Überlieferungsform. Nur bei wesentlichen Dokumenten und in Fällen zersprengter Überlieferung erfolgt eine kürzere aktenkundige Diskussion bzw. wird auf die verschiedenen Entstehungsstufen verwiesen, in denen die Stücke vorliegen. Zitate bewahren den originalen Buchstabenbestand, modernisieren jedoch Beistrichsetzung, Groß- und Klein-, Getrennt- und Zusammenschreibung sowie Akzentsetzung nach heutigem Gebrauch. Liegen Stücke bereits in Edition vor, so folgen die Zitate der mitunter modernisierten Druckfassung, wenn sonst keine gravierenden Mängel bestehen. Gedruckte Quellen und Literatur werden mit Kurztitel (Autor und Erscheinungsjahr) zitiert, der über die Bibliographie auflösbar ist. Herausgeber von Quellenwerken stehen in [ ] und sind so von der Sekundärliteratur deutlich geschieden. Bei mehreren Titeln desselben Autors und desselben Erscheinungsjahres wird durch Beifügung von a, b usw. in der Reihenfolge der Nennung im Quellen- und Literaturverzeichnis differenziert. Die Menge der verarbeiteten Archivstücke zwang in der Regel zu Sammelanmerkungen.

Einleitung „Aus dem Besonderen kannst du wohl bedachtsam und kühn zu dem Allgemeinen aufsteigen; aus der allgemeinen Theorie gibt es keinen Weg zur Anschauung des Besonderen." Leopold von Ranke, Politisches Gespräch (1836)

Ι. „Diplomatiegeschichte" oder „Geschichte der internationalen Beziehungen64? Die Zeit, da Arbeiten zur frühneuzeitlichen Außen- oder Mächtepolitik notwendigerweise mit einem Lamento auf das anhaltende Schattendasein, ja auf die Ächtung dieser einstigen Königsdisziplin der Geschichtswissenschaft anheben mußten, scheint vorbei. Diplomatie und Außenpolitik finden nicht zuletzt unter dem Eindruck aktueller Entwicklungen nach langer Durststrecke auch im Bereich der Frühneuzeitforschung wieder verstärkt Interesse und Anerkennung als eigengewichtiger Forschungsbereich. Paul Schroeders international Aufsehen erregender großer Wurf, wiewohl das Ancien Régime eher am Rande und gleichsam als negativen Gegenentwurf zum „Vienna System" nach 1815 streifend, wirkte hier ohne Zweifel außerordentlich befruchtend 1. In Deutschland lancierte Heinz Duchhardt ein auf neun Bände konzipiertes „Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen", das die Zeit von 1450 bis 1990 in den Blick nehmen soll und erfreulicherweise gerade der Frühen Neuzeit gegen bisherige Gepflogenheiten besonderen Stellenwert einräumen will 2 . Johannes Burkhardt hat an prominenter Stelle auf die „Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit" aufmerksam gemacht und daraus auch die entsprechenden Konsequenzen für eine 1 Schroeder 1994 a. Die Kernthese des Buches ist nochmals prägnant zusammengefaßt in Schroeder 1996. Dazu auch die der Diskussion von Schroeders Buch gewidmete Nr. 4 der IHR 16 (1994) mit den hier relevanten Beiträgen von Charles Ingrao, Hamish Scott (die gegen Schroeders harsche und etwas einseitige Kritik des vorrevolutionären Staatenystems eine „Ehrenrettung" des 18. Jahrhunderts versuchen) sowie von T. C. W. Blanning und J. Levy und der abschließenden Stellungnahme von Paul Schroeder selbst. Die Kritik von Harald Kleinschmidt 1997 scheint überzogen. Vgl. im übrigen auch Schroeder 1994 c, ders. 1997. 2 Der erste Band ist mittlerweile erschienen: Duchhardt 1997. Die Behandlung der „Strukturen" überwiegt die Darstellung der Ereignisse deutlich. Zu dem in Vorbereitung befindlichen Band 1 vgl. Kohler 1999.

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Einleitung

Betrachtung der „großen Politik" unter strukturellen Gesichtspunkten gezogen3. Der „Primat der Außenpolitik" wird mehr und mehr als eine die Wertehierarchie des frühneuzeitlichen Fürstenstaates zutreffend beschreibende Signatur erkannt und außer Streit gestellt. Insgesamt wäre man beinahe versucht, von einer Renaissance der „außenpolitischen Geschichte" der Frühen Neuzeit zu sprechen4. All dies bedeutet freilich, wie man zu betonen nicht müde wird, keine Wiederbelebung der „Diplomatiegeschichte" alten Typs, der „Geschichte der Haupt- und Staatsaktionen", sondern vielmehr ein Anknüpfen an eine perspektivenreichere, über das bloße diplomatische Verhandeln hinausreichende und möglichst viele Aspekte zwischenstaatlicher Kontakte integrierende „Geschichte der internationalen Beziehungen", wie sie sich in Frankreich spätestens seit den fünfziger Jahren (allerdings überwiegend für die Staatengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts) gleichsam als „Schule" etabliert hat und im anglo-amerikanischen Raum in recht pragmatischer Form traditionell gut gedeiht. Gerade in Deutschland ist im Hinblick auf eine „Struktur- und Ideengeschichte" von Außen- und Mächtepolitik in der Frühen Neuzeit in den letzten Jahrzehnten Bedeutendes geleistet worden5. So wenig freilich bisweilen die ältere, bevorzugt Aktenmaterial referierende, primär dem Ereignislauf folgende und in der Regel vom national aufgeladenen einzelstaatlichen Standpunkt ausgehende „Diplomatiegeschichte" als gewissermaßen „außengewandte Nationalgeschichte" den Anforderungen einer modernen Geschichte frühneuzeitlicher Außen- und Mächtepolitik adäquat scheinen will, so gefährlich wäre langfristig auch ein angesichts des Mißverhältnisses von üppig ins Kraut schießenden Synthesen und sehr schwachbrüstiger Detailforschung nicht auszuschließendes Erstarren in der permanenten Zusammenfassung und Kritik der Vorgängerliteratur. Um diesen wissenschaftlichen Stillstand abzuwehren, darf die Erschließung von quellenmäßig echtem Neuland auch weiterhin zumindest ebensolchen Stellenwert beanspruchen wie die verstärkte interpretativ-ordnende Durchdringung des bereits publiziert vorliegenden Materialwustes. Auch der zu Unrecht in Verruf geratene biedere Ereignisbericht hat - gerade im 3

Burkhardt 1997. Müller-Weil 1992, Hinrichs 1994, bes. 363 - 365, Schilling 1998 a, XIXf., Hochedlinger 1998. Vgl. allgemeiner auch Herren 1998. Für den „Primat der Außenpolitik", die Wichtigkeit geopolitischer Gegebenheiten und die Ergiebigkeit des „high-politics approach" plädiert Simms 1997, 2 - 18. Sogar die Beschäftigung mit der Französischen Revolution entdeckt den Einfluß internationaler Konjunkturen auf Entstehung und Radikalisierung der revolutionären Situation neu. Vgl. zuletzt besonders eindringlich Stone 1994. 5 Hinzuweisen ist besonders auf die Arbeiten von Johannes Kunisch. Beispielsweise seien genannt Kunisch 1979, ders. 1982 und ein Sammelband seiner wichtigsten Aufsätze (1992). 4

Einleitung

Bereich einer außenpolitischen Geschichte - keineswegs ausgedient, liefert dieser doch oft schon per se einen wesentlichen Schlüssel zu pragmatischpraktischen Erklärungen von Abläufen und Entscheidungen, zeigt er, daß „hohe Politik" meist situationsangepaßtes Reagieren und weniger staatsmännisch-gestalterisches Agieren nach einem festgefügten System ist eben die „Kunst des Möglichen". Die Beschäftigung mit der Geschichte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts und vollends die Zeitgeschichte haben sich bei aller Kritik einen von methodisch-darstellerischen Zweifeln viel weniger belasteten Zugang zur „erzählenden politischen Ereigisgeschichte" bewahrt. Es ist durchaus auch für den Bereich der Frühneuzeitforschung ein Mißverständnis, bestenfalls ein Mythos zu glauben, daß die extrem rührige Diplomatiegeschichte der positivistischen Ära Quellenforschung und Faktographie derart ausgereizt habe, daß heute nur noch die Synthese als innovatives und lohnenswertes Unterfangen übrigbleibe. Der „faux pas" in die vom Ereignisablauf losgelöste Überinterpretation, in monokausale, simplifizierende Deutungen oder gar in krasse ex-post Überftachtungen „großer Daten" liegt stets gefährlich nahe, wenn man die überraschenden Defizite an banalem Faktenwissen zu kaschieren sucht und das Zufällige, Unberechenbare, Unlogische und Episodische der internationalen Politik als darstellerisch problematisch oder unergiebig scheut. Damit soll nicht einer echten „Mikrohistorie" im Bereich der außenpolitischen Geschichte das Wort geredet, wohl aber für den Eigenwert einer „thick description" plädiert werden. Der im letzten wohl multilaterale Anspruch der „Geschichte der internationalen Beziehungen" scheint schwer einzulösen, solange nicht einmal das ereignisgeschichtliche Fundament solide gezimmert ist und auf der Ebene der Einzelstaaten gerade das besonders wichtige institutionengeschichtliche Korsett mitunter sehr unbefriedigend geschnürt erscheint. Bilaterale Themenstellungen dürfen durchaus noch Anspruch auf Sinnhaftigkeit erheben, und selbst eine weitere Reduktion des Blickwinkels auf die Außenpolitik eines Staates in einem überschaubaren Zeitrahmen ist forschungspraktisch legitim. Erst nach und nach werden sich die Bausteine zu einem überzeugenden Gesamtgebäude fügen können. Insoferne bilden „Diplomatiegeschichte" und „Geschichte der internationalen Beziehungen" kein unversöhnliches Gegensatzpaar; erstere ist vielmehr ein wesentlicher Baustein für letztere. Behält man das pointierte, aber in weiten Teilen wohl zutreffende Bild im Auge, das Charles Ingrao einmal gebraucht hat, als er Diplomaten und Außenpolitiker mit durch einen unbekannten Text stolpernden Schauspielern verglich, so wird man den Ereignisbericht entsprechend hoch einschätzen müssen6. 6

Ingrao 1982, 63 f.

2 Hochcdlinger

Einleitung

18

II. Joseph II. und Leopold II. Krise und Wiederherstellung einer Großmacht Die außenpolitische Geschichte Österreichs in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts zählt gewiß zu den „blind spots" der jüngeren Forschung. Geprägt wird unser immer noch unbefriedigendes Bild der Endphase der josephinischen Dekade (1780 - 1790) und des gerade in der aktuellen Debatte vielfach überschätzten leopoldinischen Intermezzos (1790 - 1792) auch heute, so scheint es, von den einflußreichen, weil einzigen einschlägigen jüngeren deutschsprachigen Darstellungen von Adam Wandruszka und Karl Otmar Freiherr von Aretin 7. Der Blick auf die Habsburgermonarchie als europäische Großmacht im ausgehenden 18. Jahrhundert ist durch den jeweils ganz spezifischen Sehwinkel der beiden Arbeiten und ihr Erkenntnisinteresse zwangsläufig verzerrt worden. Adam Wandruszka sieht und bewertet seinen „Helden" Leopold II. aus einer das Geistes- und Kulturgeschichtliche betonenden, die „hohe Politik" jedoch fühlbar scheuenden Perspektive und bemüht sich, ihn - das seinerzeit eifrig und überreich gespendete Lob der Aufklärung fortspinnend gegen den radikalen und wenig subtilen Joseph II. abzugrenzen. Wandruszkas Porträt Leopolds nimmt vor allem die „italienische Zeit" Leopolds als Großherzog von Toskana in den Blick. Für die hochinteressante österreichischen Jahre 1790 - 1792 fiel demgegenüber leider relativ wenig Raum und daher auch weniger Forschereifer ab. Implizit konnte auf diese Weise jedenfalls um so leichter das erfreuliche Bild des liberalen und sogar konstitutionell ambitionierten italienischen Duodezfürsten in die beiden Kaiseijahre fortwirken, in denen Leopold immerhin die von Joseph II. an den Rand des Ruins manövrierte Monarchie durch Konterreformen und überraschende Konzessionen innen- wie außenpolitisch saniert zu haben schien. Der Herrscher einer Großmacht, der Krieg und Machtpolitik ostentativ ablehnte, die von Mutter und Bruder geförderte Dominanz des Militärischen wenigstens relativierte und das josephinische Reformwerk entschärfte, mußte ganz nach dem Geschmack der Nachkriegszeit sein, die von engherzigen Staatsfanatikern, brutalen Machtpolitikern und „Kriegsfürsten" - von Soldatenkönigen oder -kaisern wie Friedrich II. oder Joseph II. - vorerst nichts mehr wissen wollte und sich in der Be- und Verurteilung absolutistischer Machtpolitik nach modernen Maßstäben gefiel. Gerne wandte man sich scheinbar „modernen", friedliebenden, angeblich konstitutionell-liberal gesinnten Herrschern zu und setzte daneben bestenfalls noch die klischeebeladene Verehrung der seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Integrationsfigur der Monarchie erhobenen Landesmutter Maria Theresia fort 8. Positive bzw. 7

Wandruszka

1963/65, Aretin 1967.

Einleitung

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unvoreingenommene Gesamtwürdigungen Josephs Π. blieben dagegen in jüngerer Zeit überwiegend ein Reservat ausländischer, besonders britischer Historiker 9. Staatskanzler Kaunitz wartet bislang vergeblich auf eine abschließende Bewertung als „Außenpolitiker" und interessiert gegenwärtig eher als führender Kopf der österreichischen Reformaufklärung 10, während 8 Die auf breitem Quellenstudium in allen größeren Archiven Europas basierende, Leopold II. sehr kritisch beurteilende Arbeit, die Pavel Mitrofanov (1873 1917) im Jahre 1916 zur Außenpolitik des Kaisers in den Jahren 1790/91 vorlegte, hat außerhalb Rußlands alleine schon aus sprachlichen Gründen das Fachpublikum nicht beinflußt bzw. nicht einmal erreicht: Leopol'd II Avstrijskij 1/1 (Petrograd 1916), der auch eine interessante „quellenkundliche" Einleitung bietet. Vgl. fürs erste die pointierte Zusammenfassung der Mitrofanovschen Studie durch Blanning 1996b. Eine deutsche Übersetzung der Petersburger Ausgabe von 1916 unter dem Titel „Leopold II. und Europa" wird zur Zeit von Prof. M. D. Peyfuß (Wien) für den Druck vorbereitet. (Ich zitiere im folgenden nach dem Manuskript der deutschen Übersetzung, der Einfachheit halber nur nach der Kapiteleinteilung.) Ein von Mitrofanov geplanter zweiter Teilband, der sich mit der Frankreichpolitik des Kaisers beschäftigen sollte, ist nie erschienen, muß aber schon druckfertig gewesen sein. Band 2 zur Innenpolitik des Kaisers lag 1916 bereits in einer Rohfassung vor. Der Weltkrieg und der frühe Tod Mitrofanovs verhinderten abschließende Recherchen in den Wiener Archiven und damit bedauerlicherweise die Drucklegung. Gerade die innenpolitischen Entwicklungen im Übergang von Joseph II. zu Leopold II. und schließlich zu Franz II. zählen, sieht man von Wangermanns Pionierarbeit (1959/1966) ab, zu den besonders ärgerlichen weißen Flecken. - Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf eine Manuskript gebliebene, aus den Akten der Staatskanzlei gearbeitete Studie des k.k. Hof- und Ministerialrates Freiherrn Wilhelm von Pflügl (gest. 1869), die ein treffendes Bild der österreichischen Außenpolitik im Betrachtungszeitraum zeichnet: „Österreichs politische Verhältnisse vom Tode Kaiser Joseph bis zur Zweyten Theilung Polens 1790 - 1793" (Österreichisches Staatsarchiv /Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien, Handschriftensammlung Hs. W 764 [Reinschrift], W 765 [Konzept], datiert: Oktober 1842). 9 Mitrofanow 1910, Beales 1986, Blanning 1994. Der große Ausstellungskatalog zur Niederösterreichischen Landesausstellung 1980 (Österreich zur Zeit Kaiser Josephs II.) verdient immerhin als Meilenstein genannt zu werden. 10 Das „innenpolitische Engagement" Kaunitz' ist lange Zeit negativ bewertet worden. Vgl. Walter 1932, ders. 1938. Dagegen ist in letzter Zeit Franz Szabo mit Erfolg aufgetreten: Szabo 1976, ders. 1979 a und nun abschließend und erschöpfend Szabo 1994. Ein weiterer Band ist in Vorbereitung. Vgl. einstweilen Szabo 1996. Durch Szabo überholt Posaner 1923. An der letztinstanzlichen Überordnung des Außenpolitischen über alle anderen Bereiche staatlichen Handelns wird dennoch nicht zu rütteln sein. Die Bemühungen um die innere Festigung des Staates dienten letztlich der Machtsteigerung nach außen und waren insoferne „außenpolitisch gerichtet" (H. Klueting). Vgl. auch Burkhardt 1997, 555 - 561. Immerhin wird man für die Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg im Denken Kaunitz' - neben wachsender Skepsis gegenüber Bündnissen und Zweifeln an der Prognostizierbarkeit der Staatenpolitik - den Rückgang einer rein „diplomatischen Außenpolitik" zugunsten einer ganzheitlicheren Betrachtungsweise, einer „kameralistischen Verwissenschaftlichung" (H. Klueting) mit dem Ziel der „Vergrözserung in sich selbsten", konstatieren müssen.

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das bittere historiographische Schicksal Franz Π./Ι. schließlich wohl zu den traurigsten und unverständlichsten Defiziten österreichischer Geschichtsschreibung gehört. Karl Otmar von Aretins opus magnum zur Geschichte der drei letzten Lebensjahrzehnte des Alten Reichs und seine daran anschließenden Arbeiten 11 haben den allgemeinen Aufschwung der Reichsgeschichte auch für das 18. Jahrhundert fruchtbar gemacht, zugleich aber alleine durch ihre Wirkmächtigkeit den Blick auf brennendere Problemfelder der Mächtepolitik des ausgehenden Ancien Régime etwas verstellt 12. Die Kanalisierung der letzten Ausläufer einer im deutschen Sprachraum allmählich versiegenden empirischen außenpolitischen Geschichte der Frühen Neuzeit in Richtung Geschichte des Heiligen Römischen Reichs, einer gerade nach 1945 als Gegenentwurf zum endgültig diskreditierten Macht- und Kriegsstaat besonders „modern" erscheinenden Rechts- und Friedensordnung, mußte die Forschung notwendigerweise von anderen außenpolitischen Themenbereichen und damit von jenen Hauptkampfplätzen ablenken, auf denen die egoistischen Machtinteressen viel ungebremster aufeinanderprallen konnten13. Für diese auf das nackte einzelstaatliche Interesse konzentrierte Realpolitik stand und steht auf österreichischer Seite vor allem Franz de Paula Freiherr von Thugut, der stets überaus kontrovers bewertete Leiter der österreichischen Außenpolitik in den Jahren 1793 bis 1800. Er war schon Angelpunkt jenes deutschen Historikerstreites gewesen, der in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts um die Bewertung der Politik der beiden deutschen Großmächte im Angesicht der französischen Bedrohung tobte14, und ist in jünge11 Nunmehr eindrucksvoll gekrönt durch die dreibändige Bilanz aus Aretins Forschungen: Aretin 1993/97. Vgl. dazu nun auch die Würdigung durch Duchhardt 1999 und die kritischen Bemerkungen von Schilling 1998 a, XIV f. 12 Auf die zu einseitige Hervorhebung der kaiserlichen („reichischen") Stellung im Gesamtrahmen habsburgischer Politik nach 1648 hat jüngst auch Klueting 1996, 166 - 169, sehr mit Recht hingewiesen. Klueting plädiert für eine Neugewichtung des Historikerinteresses zugunsten der Stellung der Habsburger als „österreichische" Landesfürsten und Gestalter einer eigengewichtigen Großmachtbildung. 13 Gerade Joseph II. wird denn auch von der Forschung für die Zeit nach dem Scheitern seiner Reformpläne relativ geringes Interesse am Reich und zum Teil beträchtliche Geringschätzung der Kaiserwürde attestiert; „das Reich per se [stellte] keinen Faktor der internationalen Politik mehr dar": Duchhardt 1997, 407. Die international verankerte und vernetzte Rechtsordnung des Reiches verhinderte, daß es wie etwa Polen oder das Osmanische Reich der „freien Gestaltung" durch die Großmächte unterworfen wurde. Vgl. zuletzt auch Aretin 1993/97, Bd. 1, 84, der anerkennt, daß habsburgische Großmachtpolitik für Wien im Vordergrund stand und die kaiserliche Reichspolitik nur mehr ein .Anhängsel der österreichischen Politik" bildete. 14 Über den in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts vorzüglich in der Geschichte der Revolutionszeit ausgetragenen „Historikerstreit" zwischen „klein-

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rer Zeit in der englischsprachigen Fachwelt neu entdeckt und monographisch behandelt worden 15. Auf weniger Interesse stießen demgegenüber Ausklang und Ende der „Ära Kaunitz", eine Zeitspanne, die an spektakulären Ereignissen und dramatischen Wendungen fürwahr keinen Mangel leidet: Österreichs Eintritt in den Türkenkrieg Katharinas Π., das Wegbrechen des Westflügels im österreichischen Bündnissystem durch das Ausscheiden Frankreichs aus der Pentarchie der europäischen Großmächte im Zeichen der Revolution und ihrer Vorwehen ab 1787, die damit verbundene Dynamisierung des europäischen Staatensystems und die Reaktivierung Preußens als Unruhestifter in Osteuropa, der drohende Zweifrontenkrieg Österreichs gegen Türken und Preußen, die Sanierung der verfahrenen Situation nach der Thronbesteigung Leopolds Anfang 1790, die Annäherung an Preußen bis hin zur „2. Diplomatischen Revolution" in Gestalt eines österreichisch-preußischen Bündnisabkommens im Juli 1791, dessen Abschluß schon von der als zunehmend bedrohlich eingestuften „französischen Frage" beschleunigt worden ist, und schließlich der schrittweise Weg in eine Konfrontation mit dem „neuen Frankreich". Ebenso unbeachtet blieb die „ Z w i s c h e n z e i t " von Sommer 1792 bis Anfang 1793, als nach dem Rücktritt des greisen Staatskanzlers Männer der zweiten Garnitur, Staatsvizekanzler Philipp Graf Cobenzl und Staatsreferendar von Spielmann, aus dem Schatten Kaunitz' traten und selbst das Ruder übernahmen16. Dabei scheint gerade das kurze Interim unter Cobenzl und Spielmann vor allem deshalb im Rahmen einer Gesamtbewertung der österreichischen Politik gegenüber der Französischen Revolution besonders interessant und untersuchenswert, weil hier mit größtem Nachdruck die Umsetzung jenes Projekts betrieben wurde, an dessen Realisierung schon Joseph II. gescheitert war: der Austausch der Österreichischen Niederlande gegen Bayern, der, wie man hoffte, die „geopolitische" Konfiguration der Habsburgermonarchie und damit ihre internationale Steldeutsch" und „großdeutsch" vgl. Hüffer 1868, 1 - 16. Hüffer selbst suchte zwischen den „Extremisten" Heinrich von Sybel (Preußen) und Alfred von Vivenot (Österreich), der Thugut zu rehabilitieren trachtete, eine Zwischenstellung zu beziehen. Vgl. die heftige Entgegnung bei Sybel 1868, unterstützt von Wehrenpfennig 1868. Darauf wieder Hüffer 1869. Zentrale Punkte des „Historikerstreits" waren im speziellen die Person Thuguts und seine Politik ab 1793. Einer schon viel gelasseneren, „überparteilichen" Position verpflichtet ist die spätere Synthese von Heigel 1899/ 1911, zum „Historikerstreit" unter seinen Vorgängern vgl. Heigel 1899, Bd. 1, 449 -451. 15 Roider 1987, Dean 1993. Das großteils vernichtende Urteil der älteren Literatur über Thuguts Politik und Charakter übernahm jüngst noch Aretin 1997, Bd. 3, 404 ff. 16 Die beiden einschlägigen Quellenbände von [Vivenot] 1873 und 1874 können ungeachtet ihres großen dokumentarischen Wertes das Fehlen einer Synthese nicht kompensieren.

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lung entscheidend verbessern sollte. Der neuerliche Schiffbruch dieser Bemühungen an der Jahreswende 1792/93 und die Störung des Gleichgewichts gegenüber den beiden anderen Ostmächten, Rußland und Preußen, durch Österreichs Nichtteilnahme an der 2. Polnischen Teilung fesselten die Wiener Politik über Jahre. Nicht konterrevolutionärer Fanatismus, sondern der krampfhafte Versuch, die Folgewirkungen der bitteren diplomatischen Niederlage von 1793 doch noch (territorial) zu kompensieren - also im Kampf mit Frankreich durchzusetzen, was man in Kooperation mit Berlin und Petersburg nicht erreicht hatte - legte die Habsburgermonarchie aller Schwierigkeiten ungeachtet bis 1797 auf den Kampf gegen die Revolution fest. Den dokumentarischen Grundstock für eine Korrektur des Forschungsdefizits zur österreichischen Außenpolitik der späten achtziger und frühen neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts zu schaffen bzw. über die ohnedies noch einer konsequenten Auswertung harrenden monumentalen Quelleneditionen der Jahrhundertwende hinaus zu erweitern war Ziel des Forschungsprojekts Regesten zur österreichischen Frankreichpolitik 1787 - 1792 (P 9502-HIS) des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung17. Von 1993 - 1995 konnten im Rahmen des genannten Projekts die reichen Bestände des Österreichischen Staatsarchivs/Abt. Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien durchgearbeitet und die daraus gewonnenen Erkenntnisse um die relevanten Fonds der Archives du Ministère des Affaires Etrangères (Paris) sowie der Archives Nationales (Paris) ergänzt werden 18. Die chronologischen Eckpunkte bildeten dabei der Tod des französischen Außenministers Comte de Vergennes zu Jahresanfang 1787 und der Beginn der „prérévolution" einerseits und die Beseitigung des französischen Königtums durch den Konvent sowie die gleichzeitige Abwehr der ersten österreichisch-preußischen Invasion bei Valmy (September 1792) andererseits. Die stark raffende und komprimierende Auswertung des so gewonnenen stattlichen Quellenfundus und die Einarbeitung der schwer übersehbaren Literatur im Anschluß daran wurden dem Verfasser schließlich als Dissertationsaufgabe gestellt. Das Bemühen, die österreichische Frankreichpolitik der Jahre 1787 - 1792 nicht isoliert, sondern eingebunden in das gesamteuropäische Panorama zu erfassen, da nur so erkennbar werden kann, wie und warum Österreich auf Frankreichs außenpolitischen Verfall nach 1787 und die revolutionären Erschütterungen ab 1789 so und nicht anders zu reagieren gewillt oder gezwungen war, führte schon im Stadium der Material17

Vgl. über Ziele und Ergebnisse dieses Forschungsprojekts im Überblick Hochedlinger 1999 a. 18 Archive anderer europäischer Hauptstädte konnten in der kurzen Zeit nicht besucht werden. Zur allgemeinen Einführung in die einschlägigen Bestände anderer Archive vgl. Thomas/Case 1959/1975 und auch noch Flammermont 1896.

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Sammlung zu einer deutlichen und durchaus aussagekräftigen Schwerpunktverschiebung: Wenigstens bis 1791 galt das Hauptinteresse Wiens und der meisten anderen europäischen Höfe keineswegs dem revolutionären Prozeß in Frankreich, sondern den Krisenherden in Nord-, Ost- und Südosteuropa, die auch im Mittelpunkt dieses Bandes stehen.

III. Die Habsburgermonarchie als außenpolitisches Phänomen Über die Ereignisebene hinaus zeigen gerade die Krisenjahre der achtziger und neunziger Jahre fundamentale strukturelle Probleme österreichischer Großmachtpolitik auf. Nicht zuletzt der außenpolitische „Bankrott" Josephs II. in den Jahren 1789/90 und die selbstverschuldete Übervorteilung der Habsburgermonarchie durch Preußen und Rußland in der 2. Polnischen Teilung von 1793 mitsamt ihren weittragenden Folge Wirkungen ver-

weisen einmal mehr auf die sensible und angreifbare Position Österreichs im Konzert der Mächte. Wiens Außenpolitik ruhte nach dem definitiven Scheitern habsburgischer Hegemonialpläne 1648/1659 traditionell auf Koalitionsdiplomatie nach außen und Konsens im Inneren 19, da die materiellen Ressourcen für europäische Großmachtpolitik im Alleingang, ja selbst für den das 16. und 17. Jahrhundert bestimmenden, zunehmend defensiven Zweifrontenkrieg gegen Frankreich und die Pforte zu schwach und zudem angesichts eines nur „unfertigen" Absolutismus alleine im gütlichen Austrag mit den Machteliten der Erblande mobilisierbar waren. Sogar die Innenpolitik des Wiener Hofes trug also bis Mitte des 18. Jahrhunderts „diplomatischen Charakter" 20. Hier, im Gegensatz zwischen Großmachtanspruch und faktischer Machtbasis, lag von alters her das entscheidende Dilemma der Habsburgermonarchie. Einerseits war sie ein zutiefst außenpolitisches Gebilde, das von ihrer Geburt bis zum Untergang im 1. Weltkrieg von den Konjunkturen des europäischen Staatensystems abhängig blieb 21 , andererseits erwiesen sich die Grundlagen für ihren Großmachtstatus immer wieder als äußerst brüchig. Oft genug hatte es den (in der Bilanz sicher unzutreffend idyllischen) Anschein, als sei die Monarchie bestenfalls aufgrund ihrer gewaltigen geographischen Ausdehnung und zentralen Lage, also dank ihres „geopoliti19

Besonders deutlich herausgestellt bei Ingrao 1983/84. Meisner 1941. 21 Auch in Österreich wandte sich die Frühneuzeitforschung nach 1945 natürlich von außen- und machtpolitischen Problemkreisen ab. Teile der einflußreichen und in manchen Bereichen marktführenden anglo-amerikanischen Forschung zur frühneuzeitlichen Geschichte der Habsburgermonarchie plädierten dagegen nach wie vor für den „Primat der Außenpolitik". Vgl. die historiographiegeschichtlichen bzw. -kritischen Bemerkungen bei Ingrao 1993, Evans 1994, Hochedlinger 1999 b. 20

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sehen" Eigengewichts, unter die Großmächte der Pentarchie zu zählen und letztlich doch nur eine mühsam durch Finanzspritzen zu aktivierende Hilfsmacht, „Festlandsdegen" und antifranzösische Barriere der Seemächte, mit denen Wien seit Ende des 17. Jahrhunderts gegen den alten Rivalen Frankreich kooperierte. Erst die wiederholten außenpolitischen Niederlagen am Ende der Regierungszeit Kaiser Karls VI. und vollends der „unverschmerzliche" Verlust Schlesiens an Preußen in den 1740er Jahren zwangen in der Maria-Theresianischen Staatsreform endlich zu jenem Modernisierungsschub, der die offensichtliche Rückständigkeit der Habsburgermonarchie aufheben sollte. Bisher hatte sich die Monarchie in der Sicht der Wiener Reformer eben nur durch Improvisation - durch „eitle Miracula", wie man sich jetzt ausdrückte - halten können. Daß der Anstoß zur Staatsreform aus der außenpolitisch-militärischen Niederlage kam und die Stabilisierung des habsburgischen Finanz- und Kriegsstaates im Zentrum des weitreichenden Sanierungswerkes stand, wird allseits einbekannt, doch hat man in der Forschungspraxis weder die konkrete Umsetzung der Reformen etwa auf dem Gebiet des Militärwesens 22 noch das große Fernziel des aggiornamento im österreichischen Aufgeklärten Absolutismus, nämlich die „puissance réelle" zu stärken und die Habsburgermonarchie nach dem tief sitzenden Schock des Österreichischen Erbfolgekrieges durch innere Reformen im kompetitiven internationalen System möglichst unabhängig und aus sich selbst heraus überlebensfähig zu machen, wirklich ernsthaft in den Blick und in Angriff genommen. Die in der vorliegenden Darstellung behandelte Endphase der Alleinherrschaft Josephs II. eignet sich, so scheint es, hervorragend für die kritische Prüfung einer entscheidenden Frage: Ging die Habsburgermonarchie aus einem halben Jahrhundert aufgeklärten Reformschaffens hinreichend gestärkt und schlagbereit für weitere außenpolitische Bewährungsproben hervor? Oberflächlich betrachtet hat sich die Natur der österreichischen Außenpolitik durch die Reformen gewiß verändert. Gerade im Dezennium der Alleinherrschaft Josephs II. stand endlich auch Wien gleichsam in einer Reihe mit den beiden anderen aggressiv-expansiven aufgeklärt-absolutistischen Monarchien Mittel- und Osteuropas, Preußen und Rußland23; auch in 22 Dazu in näherer Zukunft Michael Hochedlinger, Militarisierung und Modernisierung. Heeresergänzung und Herrschaftsintensivierung in der Habsburgermonarchie im Zeitalter des Aufgeklärten Absolutismus 1740 - 1790 (in Vorbereitung). 23 ,As such, enlightened absolutism directly increased the war-making potential of states (often its explicit purpose) and indirectly weakened traditional norms and restraints in international politics. It is no accident that enlightened absolutists ruled the most expansionist, aggressive great powers in the latter half of the eighteenth century, Russia, Prussia, and Austria, or that France, the great power with the most moderate foreign policy, also had the least success with enlightened centralizing reforms at home." Schroeder 1994 a, 50.

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der Habsburgermonarchie bildete sich als Reaktion auf die außenpolitische Herausforderung ein militärisch-absolutistisches System nach preußischem Vorbild aus. Die Reformen verstärkten allenthalben die Machtpotentiale, vergrößerten die Handlungsfreiheit und schienen so ein offensiveres Auftreten nach außen zu ermöglichen. Der außenpolitische Schiffbruch Josephs II. in den Jahren 1789/90 und die daraus entspringende Staatskrise schienen gleichwohl zu beweisen, daß Österreich selbst nach der verspäteten Durchsetzung eines echten Staatsabsolutismus international nicht konsensfrei agieren konnte. Die (kurzfristige) Rückkehr der österreichischen Außenpolitik in der Anfangsphase der kurzen Regierungszeit Leopolds Π. zu ihrer alten, überwunden geglaubten defensiv-reaktiven Natur, wie sie der früheren schmalen Machtbasis notwendigerweise entsprochen hatte, leistete nun immer noch - bisweilen sehr zum Ärger der resoluten Machtpolitiker um Staatskanzler Kaunitz bis zur Selbsterniedrigung getrieben - bei der raschen Sanierung des delabrierten josephinischen Erbes erstaunlich gute Dienste; ebenso eine nun wieder deutlich behutsamere innenpolitische Linie. Indem das durch außenpolitische Niederlagen ausgelöste und auch in weiterer Folge in seiner Zielsetzung außengerichtete Reformwerk des Aufgeklärten Absolutismus in Österreich den Testfall nicht bestand (bzw. zumindest selbst den Eindruck des Versagens hatte und auch nach außen vermittelte), mußte schließlich seine Substanz selbst in Gefahr kommen24. Von der den Reformwettlauf auslösenden Staatskrise der vierziger Jahre zur Staatskrise der Jahre 1789/90 hatte sich, was die außenpolitische Schlagkraft und Standfestigkeit der Habsburgermonarchie in Krisenfällen anlangte, scheinbar wenig geändert: die Monarchie unterlag, worauf Paul Schroeder jüngst mit Recht hingewiesen hat, in ihrem ganzen Wesen als politischer Organismus sui generis speziellen Grundregeln und war daher auch nach der Reformära den Herausforderungen echter Großmachtpolitik der vorrevolutionären balance of power offensichtlich nicht gewachsen25. In letzter Konsequenz entzog sich die praktische internationale Politik nicht nur dem von Staatskanzler Kaunitz bis zur „Bürokratisierung" perfektionierten Bemühen um Berechenbarkeit und Systematisierung außenpolitischer Entwicklungen26, das vielleicht gerade dem beunruhigenden Wissen 24

Zur Außengerichtetheit absolutistischer Systeme am preußischen Beispiel nun sehr überzeugend und eindringlich Müller-Weil 1992. Vgl. dazu meine Besprechung in MIÖG 106 (1998) 218 - 220 mit der Aufforderung, Müller-Weils Erkenntnisse auch für die Geschichte der Habsburgermonarchie fruchtbar zu machen. Vgl. im übrigen Simms 1998, 23 - 53 (v.a. das Kapitel „Reform Absolutism: Modernization under the Primacy of Foreign Policy"). 25 Schroeder 1994a, 33 - 35. 26 Zu den konzeptionellen Voraussetzungen Kaunitzscher Außenpolitik vgl. eingehend Schilling 1994, nochmals prägnant zusammengefaßt ders. 1996 a. Eine Fortsetzung der Arbeit von den siebziger Jahren bis zum Ausscheiden Kaunitz' 1792 wäre

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um die Fragilität der Monarchie entsprang; auch die konzentrierte und rücksichtslose Bündelung der inneren Kräfte nach preußischem Vorbild, die Funktionalisierung weiter Bereiche der Innen- und Wirtschaftspolitik für die Bewährung im Staatensystem reichte letztlich nicht aus, um die außenpolitischen Wunschvorstellungen gegen den Widerstand anderer Mächte durchzusetzen, zumal ja das weitgespannte und zunehmend radikale Reformoeuvre in internis auch den inneren Frieden der Monarchie ernstlich zu gefährden begann. Harter Reformwille und ungeniertes Brechen mit den alten Traditionen des Konsenses und des Interessenausgleichs schadeten zwangsläufig dem Status der Habsburgermonarchie in gefährlicher Weise innen- wie außenpolitisch. Anders als dem unfertigen Hohenzollernstaat und dem einstweilen noch in den Randgebieten des zivilisierten Europa sich ausdehnenden, von strukturellen Defiziten geplagten Zarenreich schien die internationale Öffentlichkeit der „monarchia austriaca" keine ruhestörerisch-expansiven Aktivitäten, keinen „esprit de conquête" gestatten zu wollen. Habsburg war ein wichtiger Faktor in der europäischen Mächtelandschaft, doch sah man es viel lieber in seiner angestammten „natürlichen" Rolle als passives Gewicht, das sich nach Bedarf gegen andere Bedrohungsbilder verschieben ließ. Das war die natürliche Rolle Österreichs im Herzen Europas. Über Gebühr gestärkt und aktiv - noch dazu im Bund mit Rußland - konnte Wien rasch zu einer Bedrohung des kontinentalen Friedens werden. Was Kaiser und Staatskanzlei nach der Kompensationsmechanik des „système co-partageant" lediglich defensiv unter dem Aspekt der Verteidigung der eigenen Machtposition, der österreichischen „puissance relative", und damit als Mittel zur Wahrung der internationalen Konkurrenzfähigkeit betrachteten, wurde in der Außensicht zum sinnfälligen Ausdruck einer ins Expansiv-Aggressive umschlagenden österreichischen Außenpolitik.

IV. Das „alte Gerümpel der Geopolitik" Den Grund für die trotz Machtsteigerung und tendenzieller Militarisierung anhaltende Verwundbarkeit des habsburgischen Machtkomplexes sah man zunehmend in der ungünstigen territorialen Konfiguration der Monarchie, wie sie die Friedensschlüsse am Ende des Spanischen Erbfolgekrieges festgeschrieben hatten. Diese Form des territorialen Zuwachses in Belgien und Italien wurde sehr rasch als machtpolitische Schwächung gesehen und bewertet 27, zumal man sich nach dem Verlust Schlesiens und dem Aufstieg ein dringendes Desiderat. Vgl. weiters Küntzel 1923, Rohden 1939, Klueting 1986, 167 - 235, Hochedlinger 1997 a, Bd. 1, 46 - 55. Über „bürokratische Außenpolitik" Kissinger 1957. 27 Klingenstein 1987.

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Preußens unter die europäischen Großmächte auf den gefährlichsten Gegner unmittelbar ante portas konzentrieren wollte und mußte, für die Verteidigung der dislozierten Außenposten, geopolitische Achillesfersen erster Ordnung, aber mehr denn je auf die, wie man klagte, alles andere als selbstlose Hilfe von Verbündeten angewiesen war. Ausgerechnet eine Zeit, die prinzipiell bündnispolitische Unabhängigkeit anstrebte, war für die Monarchie bestimmt durch ein besonders stark von Bündnisverklammerungen geprägtes Denken. Das „old system", das Zusammengehen mit den Seemächten, hatte sich aus österreichischer Sicht nicht bewährt, da sich diese nicht für eine Reduktion Preußens auf das Niveau einer Mittelmacht einspannen lassen wollten, Auch mit Frankreich war man nicht wirklich zufrieden. Das „renversement des alliances" von 1756 hatte schon die Bewährungsprobe des Siebenjährigen Krieges nicht bestanden, da man Preußen wider alle Erwartung nicht niederzukämpfen vermochte. Italien, der stets brennende Krisenherd der ersten Jahrhunderthälfte, war zwar durch den Ausgleich mit den Bourbonen dauerhaft ruhiggestellt, und sogar die Österreichischen Niederlande als Sorgenkind im Spannungsfeld zwischen Frankreich und den Seemächten schienen nun hinreichend gedeckt. Doch auch das Bündnis mit dem alten Erbfeind geriet nach einer Phase zunehmender Beziehungslosigkeit spätestens seit Mitte der siebziger Jahre wieder in die Bahnen einer kaum noch zu bemäntelnden Frontstellung, als sich zeigte, daß Frankreich besonders im osteuropäischen Verteilungskampf seinen österreichischen Verbündeten weniger zu unterstützen als vielmehr zu bremsen gesonnen war. Überholt geglaubte Befürchtungen für die Sicherheit der Österreichischen Niederlande, ja selbst der Lombardei begannen wieder durch die Überlegungen von Hofburg und Staatskanzlei zu spuken. Nicht viel besser fuhr Wien mit dem zweiten wichtigen Bündnissystem, mit der russischen Allianz von 1781. Während Frankreich auf den österreichischen Bündnispartner langfristig bremsend einwirken wollte, entfaltete die russische Allianz eine gefährlich dynamisierende Wirkung, indem Petersburg Österreich in seine Expansionspläne gegen das Osmanische Reich hineinzog, ohne dabei letztlich zwischen Österreich und Preußen wirklich Stellung beziehen zu müssen. Dieses Lavieren zwischen den beiden deutschen Großmächten, die man je nach Bedarf gegeneinander ausspielen konnte, entsprach vollkommen dem russischen System. Während Rußland sich allmählich als nahezu unverwundbare Flankenmacht erwies, die jeden Konflikt bis auf die Spitze treiben und sich notfalls auch eine Art „splendid isolation" leisten konnte28, fiel auf Wien auch noch das Malheur, von jenen bei Bedarf unter Druck gesetzt zu werden, die auf diesem Wege eigentlich Rußland treffen wollten. Die Habsburgermonarchie war von ihren großen Vertragspartnern 28 Joseph II. erkannte und thematisierte dies schon 1782 neiderfüllt: Mitrofanow 1910, Bd. 1, 158.

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in der Regel wirklich abhängig und daher notwendigerweise bündnistreu; sie konnte eben keine machiavellistisch-flexible Einstellung zum Instrumentarium der Bündnispolitik entwickeln, solange sie im Interesse der Positionsstabilisierung ihr gesamtes außenpolitisches Konzept auf jeweils sofort axiomatisch überhöhte Allianzsysteme abstützen mußte29. Es ist verständlich, daß man angesichts derart ernüchternder, bisweilen traumatischer Erfahrungen mit Bündnissen, die die österreichische Politik entweder erpresserisch hemmten oder in unerwünschte Konflikte verwickelten, nach Wegen sann, die geopolitische Fragilität einigermaßen zu beheben und sich so von dem ärgerlichen Zwang zu Bündnispolitik und „leoninischen Verträgen" wenn möglich überhaupt zu befreien. Bereits im ausgehenden 17. Jahrhundert hatte es wenig befriedigt, daß die Monarchie in ihren „Hauptbündnissen" stets die Rolle des Juniorpartners spielte. Der österreichische Kameralist Philipp Wilhelm Hörnigk hatte schon damals in seiner programmatischen Schrift „Österreich über alles, wann es nur will" (1684) Maßnahmen zur Kräftigung der Staatsfinanzen als probates Mittel angepriesen, um Österreichs lästige Abhängigkeit aufzuheben: „Seind wir nun durch unsere Ökonomie in der Cassa etwas stärker worden, so haben wir nicht allein ausländischer Allianzen und Hilfe keine Not, sondern sie würden auch so vielmehr von selbst kommen, sich anzubieten. Dann viel Geld, viel Allianzen, welches Frankreich genug zeuget."30

Die Riesenschritte in Richtung Modernisierung, wie sie die HaugwitzReform ab 1747 gesetzt hatte, waren gewiß geeignet und in der Lage gewesen, Wiens finanzielle Leistungsfähigkeit und damit auch sein Durchhaltevermögen in kriegerischen Verwicklungen zu erhöhen. Die gleichzeitige Verteidigung des österreichischen Territoriums samt Außenposten blieb dagegen nach wie vor eine aufgelegte Unmöglichkeit. Je weitläufiger die Grenzen eines Staates, so wußte schon Johann Gottlieb Justi eindringlich zu machen, desto höher der Aufwand zu seiner Verteidigung. Definierte sich eine starke Macht durch gedeckte Grenzen, Sicherheit gegenüber den Nachbarn und weitgehende Unabhängigkeit von Bündnissen, wie es Staatskanzler Kaunitz selbst im Jahre 1776 formulierte 31, so mußte man Österreich 29 Die russische Allianz war bei allen revisionistischen Wunschvorstellungen gegenüber Preußen auch oder in erster Linie als defensives Instrument zur subtilen Zügelung russischer Balkanpolitik gedacht; das Bündnis mit Frankreich hatte nach dem Scheitern der anti-preußischen Großoffensive im Siebenjährigen Krieg seine aggressive Zeit längst hinter sich. 30 Hörnigk 1684/1983, 106. 31 Klueting 1986, 221 f. Schon Montesquieu stellte in „Vom Geist der Gesetze" (9. Buch, 6. Kapitel) fest, daß die wahre Macht eines Herrschers nicht so sehr in Eroberungen bestehe, sondern vielmehr in einer günstigen Verteidigungsposition, „in der Unverletzbarkeit seiner Stellung". Jede Vergrößerung lege nur neue Schwachstellen bloß. Selbstbeschränkung sei daher ein Gebot der Staatsklugheit.

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unter eben diesen Gesichtspunkten wohl eher als schwache und prekäre Großmacht einstufen. Nachdem die Wiedereroberung Schlesiens im Siebenjährigen Krieg gescheitert war und Preußen sich in der Polnischen Teilung merklich konsolidiert hatte, blieb nur noch eine Alternative, um die Position der monarchia austriaca zu verbessern: der rationale Umbau des über die Jahrhunderte durch Erbschaft und Krieg monstro simile gewachsenen Staatsgebildes, am besten durch die Auspolsterung der Kernlande mit Bayern und die massive Stärkung der österreichischen Position in Süddeutschland. Dabei war man freilich wieder in einem schier unentrinnbaren circulus vitiosus auf den Konsens wenn nicht der Staatengemeinschaft, so doch der Großmächte angewiesen, die kaum Interesse hatten, Druckmittel aus der Hand zu geben und an der Emanzipierung der Habsburgermonarchie tatkräftig mitzuwirken. Hans-Ulrich Wehler hat sich - allerdings mit Blick auf die deutsche Geschichte der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts und die vielbeschworene „Mittellage" des Kaiserreichs - wiederholt und in bekannter Schärfe gegen geopolitische Sachzwänge postulierende Erklärungsmuster ausgesprochen und derlei als „inhaltsleere Metapher" und „altes Gerümpel" qualifiziert 32. Gerade bei der Deutung frühneuzeitlicher Außenpolitik empfiehlt es sich, geopolitisch-strategische Konzeptionen nur mit größter Behutsamkeit als Interpretament zum Einsatz zu bringen, denn sie unterstellen einer Epoche, die zunächst durchaus selbstverständlich mit weithin fehlenden festen Grenzen und den buntesten territorialen Gemengelagen lebte, beinahe anachronistisch moderne Denkkategorien. Immerhin: Einkreisungspsychosen (wie jene Frankreichs im Angesicht der habsburgischen Umklammerung im 16. und frühen 17. Jahrhundert), Bemühungen um die Schaffung von politischen Sperriegeln (z.B. Frankreichs barrière de l'Est gegen Rußland) oder veritablen militärischen Pufferzonen (man denke an die Barrierefestungen in den Österreichischen Niederlanden nach 1715) oder die zielgerichtete Inbesitznahme von strategischen Ausgangsbasen (sichtbar in Richelieus Pforten- und Passagenpolitik im Dreißigjährigen Krieg) sind gleichwohl der Frühen Neuzeit keineswegs fremd gewesen. Der Rationalismus des 18. Jahrhunderts, der bekanntlich auch der Staaten- und Machtpolitik der Zeit seinen Stempel aufgedrückt hat, bringt hier freilich einen Quantensprung. Als ein wesentliches Charakteristikum tritt dabei mehr und mehr die bewußte Einhegung jener Expansivität in Erscheinung, die weithin als typisches Signum für das außenpolitische Agieren des absoluten Fürstenstaats 32

Wehler 1988 a, 33, und 1988b, 75. - Die schwere Kompromittierung durch die nationalsozialistische Aufbereitung für den rassistischen Expansionsanspruch aus „völkischem Selbsterhaltungstrieb" spielte gewiß eine nicht unbeträchliche Rolle bei der anhaltenden Diskreditierung geopolitischer Argumentationsmuster im deutschen Sprachraum. Zur Geschichte der Disziplin nunmehr Parker 1998.

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definiert wird. Nicht das zufällige Anhäufen von disparaten Territorien und Besitztiteln, das beliebige, von fürstlichem Ruhm- und Prestigedenken angefeuerte „agrandissement" steht nun im Vordergrund, sondern das vernunftgeleitete „arrondissement", der systematische Zugewinn von angrenzenden, den Kern des Staatsgebiets sinnvoll abrundenden und damit das Staatsganze konsolidierenden Landstrichen, allerdings weiterhin im Rahmen der üblichen Macht- und Konvenienzpolitik33. Dieser noch deutlich vor der radikalen „Flurbereinigung" unter dem massiven Außendruck der Französischen Revolution einsetzende Zug zur Rationalisierung lief sichtlich parallel zum Rückgang des Dynastischen und zur allmählichen Ausformung des die Dynastie langsam aufsaugenden Staates „an sich", der das Kompakte und Einheitliche suchte und nicht mehr „patrimoniales Eigentum des Fürsten" (H. Duchhardt) war. Dieser unterlag natürlich auch einer anderen Systemrationalität, gerade in bezug auf die territoriale und administrativjurisdiktionelle Gestalt des oft genug noch unfertigen „Flächenstaates". Gerade die Geschichte der Habsburgermonarchie der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts ist durch die Fülle und Dichte entsprechender Fallbeispiele besonders illustrativ. Dabei beschränkte sich der Modernisierungsschub keineswegs bloß auf die Abstoßung lästiger Außenposten fernab der Kernlande. Es galt vielmehr, staatliche, kirchliche, administrative etc. Grenzen und Sprengel auf allen Ebenen zur Deckung zu bringen und so einen durchgehenden complexus subjectionis mit möglichst homogenem Untertanenverband zu schaffen. Dazu mußte das altfeudale Wirrwarr durch klare Grenzziehung (tunlichst an natürlichen Grenzen), Abtausch störender Enklaven und Exklaven und Beseitigung fremder Herrschafts- und Eingriffsrechte aufgelöst werden. Die Beschleunigung der steckengebliebenen Landwerdung Vorarlbergs, die Rationalisierung der Grenzen des Landes ob der Enns zum Hochstift Passau (1765/1782), die allmähliche Aufsaugung der von der gefürsteten Grafschaft Tirol umschlossenen und mit dieser konföderierten Reichsbistümer Trient und Brixen, die Schaffung von Landesbistümern in Linz und St. Pölten durch Beschneidung des Passauer Diözesansprengels wären unter anderen als Marksteine zu nennen. All dies erfolgte erstmals auf der Grundlage einer zunehmend perfektionierten Kenntnis der Monarchie und ihrer Bevölkerung durch systematische Mappierung und die seit den 1750er Jahren ins Werk gesetzten Volkszählungen. Die bei der militärischen Konskription der österreichisch-böhmischen Erblande in den frühen siebziger Jahren entdeckten Gebrechen in der lokalen Verwaltung führten zu immer neuen Reformansätzen. Nach dem Reichsdeputationshauptschluß 33

Schon Duchhardt 1997, 409, verweist mit Recht auf dieses Charakteristikum der Epoche: „Einer der »produktivsten* politischen Leitgedanken der Epoche ist vielleicht der der geographischen Geschlossenheit. [...] überall war der kompakte, durch keine Enklaven oder Binnengrenzen behinderte politische Raum das Ziel des politischen Handelns."

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von 1803 und dem Wiener Kongreß von 1814/15 erreichte die territoriale Konfiguration der Habsburgermonarchie endlich jene Geschlossenheit und Solidität, die man sich immer gewünscht hatte. Für Preußen auf dem Weg zur Großmacht ist die territoriale Arrondierung als scheinbar unverzichtbares Mittel zur Festigung der prekären „geopolitischen" Position und zur Sanierung staatlicher „Unfertigkeit" unter dem Schlagwort „Sicherheit durch Expansion" wiederholt thematisiert worden 34. Für die Habsburgermonarchie als saturierten Länderkoloß scheint das Bemühen um „security through arrondissement" (Paul W. Schroeder) noch nicht gehörig in den Blick genommen worden zu sein35. Dabei sind das Wissen um die eigene „geopolitische" Verwundbarkeit und das hektische Bemühen um eine Sanierung dieser Situation bei den verantwortlichen österreichischen Außenpolitikern des ausgehenden 18. Jahrhunderts beinahe zu einer Obsession geworden, die - durch den für einen Staat in zentraler Mittellage typischen „cauchemar des coalitions" dramatisch verstärkt - die habsburgische Politik bei allem nach außen zur Schau getragenen Militäraktionismus in kritischen Momenten zögerlich, halbherzig und schließlich ängstlich machte. Der Verlust Schlesiens, eines Kernlandes der Monarchie, bedeutete nicht nur psychologisch, sondern durchaus auch strategisch einen Stoß ins Herz und galt als viel bedrohlicher als die territorialen Amputationen an der südlichen und südöstlichen Peripherie im letzten Regierungsjahrzehnt Karls VI. Ein guter Teil der geopolitischen Fragilität Preußens vor 1740 übertrug sich mit dem Übergang Schlesiens an die Hohenzollern auf die habsburgischen Lande. Hatten schon die revisionistischen Ambitionen der spanischen Bourbonen in Italien im Zusammenspiel mit Habsburgs altem Erbfeind Frankreich die Grenzen des vom Wiener Hof Leistbaren deutlich gemacht, so brachte die neue preußische Gefahr in unmittelbarer Nachbarschaft bei gleichzeitig fortlaufenden traditionellen Verteidigungsverpflichtungen in den niederländischen und italienischen Außenposten sowie - wenngleich schrittweise an Dramatik und Unmittelbarkeit verlierend - am Balkan definitiv die völlige Überdehnung aller Verteidigungsressourcen. Schon im Österreichischen Erbfolgekrieg hatte der spätere Staatskanzler Kaunitz, damals noch Gesandter am sardinischen Königshof, den bewußten Verzicht auf die Wiedereroberung verlorener habsburgischer Positionen in Süditalien und im Gegenzug den Eintausch Bayerns zur Stärkung der habsburgischen Kernlande propagiert. „Diese machen", so führte er damals aus, 34

Besonders eindringlich von Schöllgen 1984, ders. 1992. Hassinger 1949 ist bedauerlicherweise völlig wertlos. Einzig Charles Ingrao scheint sich systematisch und im Überblick mit den geopolitischen Herausforderungen habsburgischer Außenpolitik beschäftigt zu haben. Vgl. besonders Ingrao 1982. 35

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„wegen ihrer Contiguität und Lage das Corpus aus und sind die Quelle, woraus vor die übrige zwar ansehnliche, doch entfernte Glieder die Nahrung und Kräfften herfließen müßen."36 In unzähligen Varianten unzählige Male wieder aufgewärmt war damit der „Bayerische Tauschplan" wieder aus der Trickkiste einer nur scheinbar willkürlichen Politik von Ländertausch, Länderteilung und Länderschacher geholt, deren rationaler Kern die Abstoßung der dislozierten Provinzen zur Konzentration auf das Herz der Monarchie gewesen ist. Andere Tauschprojekte der späten 1740er und frühen 1750er Jahre, mit denen Frankreich für ein gemeinsames Vorgehen gegen Preußen und für die Rückgewinnung Schlesiens gewonnen werden sollte, brachten als Lockmittel - durchaus konsequent - alternativ Teile der italienischen und der niederländischen Achillesfersen ins Spiel. Während Wien aber in dem seit 1748 für nahezu 50 Jahre ruhiggestellten und von den Dynastien Habsburg und Bourbon einträchtlich hegemonisierten Italien bald eher an eine territoriale Umgruppierung zur Stärkung der eigenen Position dachte (etwa an die Schaffung eines durchgehenden habsburgischen Einflußbereichs von der Toskana bis Mantua durch Rücktausch von Parma, Piacenza und Guastalla), schätzte man den Wert der niederländischen Provinzen zunehmend kritisch ein, zumal man auch angesichts der bündnispolitischen Neuorientierung Mitte der fünfziger Jahre eines „Bindeglieds" zu den Seemächten nicht mehr bedurfte und daher Frankreich gerade hier um so leichter für seine erwartete Mithilfe an der Zerschlagung der preußischen Großmachtstellung belohnen zu können meinte. Die lästigen Außenposten - speziell die belgischen Provinzen - hatten den Wiener Hof nicht nur in Gewinn und Verlust zu einseitig verteilende Allianzen mit den Seemächten getrieben. Die italienischen und belgischen Annexe blieben auch - gemeinsam mit Ungarn - sehr weitgehend außerhalb der Staats- und Verwaltungsreformen der maria-theresianisch-josephinischen Zeit. Der Gegensatz zu dem 1749 geschaffenen österreichisch-böhmischen Kernstaat wurde dadurch um so augenfälliger, die Konsolidierung des Gesamtstaates aber um so schwieriger. Der 1764 einmal mehr thematisierte Eintausch des, wie man wohl hoffte, leicht assimilierbaren Kurfürstentums Bayern gegen die Österreichischen Niederlande oder die in ihrer extremen territorialen Zersplitterung gleichfalls nicht der Staatsrationalität des aufgeklärten Absolutismus entsprechenden vorderösterreichischen Provinzen sollte daher neben der strategischen Auspolsterung auch mit Blick auf die Interna der Monarchie eine wertvolle qualitative Bereicherung der Kernlande darstellen. Die außenpolitische Initiative in Ost(mittel)europa lag spätestens seit dem preußisch-russischen Bündnis von 1764 und vollends seit dem rus36

Zit. nach Klueting 1986, 175.

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sisch-ttirkischen Krieg von 1768 - 1774 nicht mehr bei Österreich, sondern bei den noch nicht saturierten Konkurrenten in diesem Raum, bei Preußen und vor allem bei Rußland, das spätestens seit Mitte der 1770er Jahre den Wiener Entscheidungsträgern gehörigen Respekt einflößte. Einer rein rationalen Ausgestaltung der habsburgischen Position waren in dieser Zwischenlage durchaus enge Grenzen gesetzt. Das eigene Sicherheitsdenken und die darin verwobene eigendynamische Mechanik von Gleichgewichts- und Prestigepolitik der Zeit gestatteten, auch wenn man die territoriale Expansion im Osten und Südosten nicht aktiv suchte, kein die eigene Großmachtstellung gefährdendes untätiges Beiseitestehen, sobald Preußen und Russen sich anschickten, die politische Landkarte in diesem Raum zu revidieren. Die Tatsache, daß Österreich in unmittelbarer Nachbarschaft zu machtpolitischen Vakuen wie Polen und dem Osmanischen Reich lag, die scheinbar zur Disposition standen und so eine überaus gefährliche Sogwirkung auf ihre expansiven Nachbarn entfalteten, verwickelte auch die Wiener Politik nolens volens in den osteuropäischen Umverteilungskampf. So ließ man sich wohl oder übel auch mit Territorium beteilen, an dem man eigentlich gar kein vordringliches Besitzinteresse hatte (wie etwa Galizien in der 1. Polnischen Teilung), doch zog dies im Dominoeffekt weitere Acquisitionswünsche nach sich (Annexion der Bukowina 1774/75). Die ab und an propagierte Verhinderung territorialer Verschiebungen durch allseitigen Verzicht auf Landerwerb mochte vielleicht einer saturierten Großmacht wie Österreich gerecht werden, bei jüngeren Puissancen mit entsprechendem Nachholbedarf verfing derlei selbstauferlegte Enthaltsamkeit freilich nicht. Der Zwang, im Expansionswettlauf mitmachen zu müssen, wurde durch das österreichisch-russische Bündnis von 1781 nur noch dringender, wollte man die eigene bündnispolitische Attraktivität nicht selbst in den Augen Rußlands aufheben und Petersburg so in die Arme Preußens treiben. Derart half die Habsburgermonarchie - anstelle einer im Alleingang natürlich nicht zu bewerkstelligenden Vorfeldsicherung - selbst mit, die Axt an die politische Existenz Polens und der Pforte zu legen, obwohl man diese Lieblingsopfer des „internationalen Brigantentums" im Grunde längst als erhaltenswerte Puffer einschätzte37. Schwache Staatengebilde sanken so von Stoßdämpfern zwischen den drei Großmächten des Ostens zu „Selbstbedienungsläden" für landhungrige Nachbarn ab. Damit eröffnete man aber andererseits wieder die bereits obsolet geglaubte Front gegen den zweiten Verbündeten und ehemaligen Erbfeind Frankreich, der gerade in bezug auf das Osmanische Reich den russischen Absichten diametral entgegengesetzte Interessen verfolgte, und zog sich auch den wachsenden „Zorn" anderer Großmächte zu. 37

Man denke an Montesquieus Fingerzeig auf den Wert schwacher Nachbarn, die alle Erschütterungen abfedern. Erobere man sie, verliere man mehr, als man gewinne (Vom Geist der Gesetze, 9. Buch, 10. Kapitel). 3 Hochedlinger

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Anders als im Osten und Südosten, wo die Monarchie an sich Landerwerb wegen der Rückständigkeit des zur Disposition stehenden türkischen Territoriums zu scheuen vorgab 38 und angeblich nur die Verteidigungslinie verbessernde Grenzkorrekturen anstrebte, erwies sich mehrfach, daß der stets als „erwünschlich", ja als summum bonum bezeichnete Gewinn Bayerns gegen ziemlich geschlossenen internationalen Widerstand nicht zu bewerkstelligen war. 1778/79 scheiterte der Versuch einer nur dünn bemäntelten militärischen Besetzung weiter Teile des Kurfürstentums, 1784/85 ein großangelegtes Tauschvorhaben, das Bayern, Salzburg und Berchtesgaden im Austausch gegen die Österreichischen Niederlande an Habsburg bringen sollte. So ging Wien mit seinem alten „security dilemma" (Paul W. Schroeder) in die turbulente internationale Politik der späten achtziger Jahre, die durch das Ausscheiden Frankreichs als Großmacht und österreichischer Verbündeter bei gleichzeitigem Aufflammen von Krisenherden im Osten des Kontinents eine gefährliche Belebung erfuhr. Das allmähliche Zurücktreten des Versailler Hofes aus dem europäischen Areopag ab 1787 hatte man in Erinnerung an die gespannten Beziehungen der letzten Jahre und die Behinderung durch den angeblich mißgünstigen Verbündeten zunächst noch als erfreuliche Entwirrung begrüßt, indem das bisher nie völlig gebannte Gespenst einer außenpolitisch ernstzunehmenden französisch-preußischen Annäherung vorerst verschwand und Wien sich in der direkten Frontstellung mit dem preußischen Kunststaat turmhoch überlegen glaubte. Der gefährliche Kalkulationsfehler wurde nur zu rasch offenbar, als Preußen Anschluß an die Seemächte, speziell an Großbritannien fand und sich daran machte, der gemeinsam mit dem russischen Verbündeten in einem längere Zeit durchaus blamablen Türkenkrieg festgehaltenen Habsburgermonarchie eine zweite Front in ihrem Rücken zu eröffnen. Den angeblich gewonnenen Freiraum hatte die Wiener Politik also mit dem Verlust eines schützenden, Großbritannien von intensivem kontinentalem Engagement abhaltenden Bündnisses bezahlt; was fehlende französische Rückendeckung bedeutete, war dabei schon 1778/79, 1783 und 1784/85 deutlich geworden, als Frankreich noch Großmachtstatus hatte und Wien aus Kalkül behinderte. Der Stellenwert der österreichisch-französischen Allianz von 1756 als tragender und stabilisierender Eckstein des internationalen Systems in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts zeigte sich gerade post mortem, als sich die erstarrten Fronten gefährlich lockerten, in aller Deutlichkeit und äußerte sich für Österreich in einer veritablen Krise seiner nun ins Wanken geratenden Außenpolitik. Eine echte Staatskrise, die für viele noch schwerer wog als 38

Die (nicht immer konsequente) ,Anti-Balkan-Ideologie" der österreichischen Außenpolitik des späten 18. Jahrhunderts vielleicht etwas zu pointiert bei Roider 1994.

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die nach dem Tod Karls VI. durchlittene, war die Folge; sie überschattete die letzten Regierungsmonate Josephs II. und stellte zumindest das Reformwerk der josephinischen Alleinregierung seit 1780 ernstlich in Frage. Der schwerkranke Kaiser selbst verlor in dieser dramatischen Zeit vor allem angesichts des befürchteten Zweifrontenkriegs gegen Preußen und die Pforte die Contenance und vollzog eine radikale Kehrtwendung zu einer resignativ-zahmen, ja kleinlauten Politik, die sein Bruder und Nachfolger, Leopold II., nur fortsetzen mußte, um die Früchte zu ernten. Der Zäsurcharakter des Regierungswechsels sollte daher nicht überschätzt werden. Die echte und für die Sanierung der gefährlichen Situation gewiß hilfreiche Zäsur lag hauptsächlich im Herrscherwechsel selbst: Josephs Reputation als internationaler Ruhestörer und Despot hatte sich bereits soweit verfestigt, daß selbst der dramatische Schwenk seiner Außenpolitik 1789/90 nicht mehr die erhoffte entkrampfende Wirkung entfalten konnte. Der Regierungsantritt Leopolds II. wirkte dagegen beinahe schlagartig entspannend. Der schon als Großherzog von Toskana von der zeitgenössischen Aufklärung gefeierte neue Herrscher war nicht mit dem Odium eines außenpolitischen Abenteurers behaftet und kultivierte eifrig den Ruf eines sowohl Macht- und Prestigepolitik als auch jedem Reformdespotismus völlig abholden Friedensfürsten. Diese Vorschußlorbeeren der internationalen Öffentlichkeit schätzte zunächst auch Staatskanzler Kaunitz, der in der letzten Regierungsphase Josephs II. - im Gegensatz zum Kaiser zu unbedingtem Durchhalten entschlossen - den Kleinmut Josephs noch nach Kräften bekämpft und die außenpolitische Situation der Monarchie trotz der allgemeinen Destabilisierung weniger schwarz gesehen hatte, als wertvolles Kapital im Ringen um eine rasche Sanierung der angeschlagenen Position Österreichs im Mächtekonzert sehr hoch ein 39 . Doch Leopolds Abneigung gegen das gewagte „Pokern" der Mächtepolitik alter Prägung, seine exzessive Bereitschaft zu Kompromiß und Rückzug ohne Rücksicht auf Reputation und „considération" einer Großmacht war nicht bloß Fassade oder taktische Waffe, die kurzfristig als Aushilfsmaßnahme eingesetzt wurde, bis man die Wogen geglättet hatte; all dies entsprach vielmehr zutiefst dem konfliktscheuen und schwer faßbaren Charakter des neuen Herrschers, der mit den Spielregeln echter Großmachtpolitik nicht vertraut war und sich mit ihnen auch in seinen beiden Kaiserjahren nicht anzufreunden ver39 Mitrofanow 1916 passim hat die bei Zeitgenossen und Historikern gleichermaßen vorherrschende extrem pessimistische Sicht der innen- wie außenpolitischen Lage Österreichs am Ende der Regierungszeit Josephs II. relativiert und der Gelassenheit von Staatskanzler Kaunitz gegen das allseitige Zurückweichen Leopolds II. recht gegeben. Vgl. dagegen jüngst noch Rumpier 1997, 20 - 34 („Die nachjosephinische Staatskrise"), der die Monarchie „in heller Auflösung" und letztlich durch den „leopoldinischen Kompromiß" als „gelungene ständische Gegenrevolution" gerettet sieht.

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mochte, und prägte somit die gesamte Regierungszeit. Dergestalt mußte auch - ohne radikales Revirement - die Position des Fürsten Kaunitz ins Wanken geraten, dem als Denkmal und Bollwerk der selbstbewußten österreichischen Außenpolitik aus den Tagen Josephs Π. notwendigerweise auch ein wenig von dem Makel des Ruhestörerischen anhaftete, der mit der Erinnerung an die „goldenen Zeiten" kämpferischer Großmachtpolitik zugleich verbunden war. Die Debatte zwischen „Kaunitzianern" und „Josephinern" über die Frage, wem nun die eigentliche Führungsrolle in Habsburgs offensiver Außenpolitik während der siebziger und achtziger Jahre zukomme, ist noch nicht abgeschlossen. In den außenpolitischen Grundlinien dürften der Kaiser, der vielleicht wirklich „eine naivere Freude an der Ausdehnungspolitik empfand" (G. Küntzel), und sein Staatskanzler weitgehend übereingestimmt haben40. Hast und Übereifer Josephs konnten dagegen schwerlich nach dem Geschmack des außenpolitischen Methodikers Kaunitz sein, der freilich selbst erstaunlich aggressiven Offensivgeist entwickelte, wenn es um die Bewahrung der österreichischen Großmachtstellung ging. Erst in den letzten Jahren seines Löbens überzog Kaunitz, wenn man den dazu recht dünn gesäten Quellen überhaupt trauen darf, sein stets zutiefst pragmatisches „politisches System" mit „moralistischer" Patina und scheute nicht vor rückwirkenden Umdeutungen der eigenen Politik zurück. Die Gespräche, die er in seinen letzten Lebenswochen 1794 mit dem ragusani schen Ministerresidenten Ayala führte, geben Zeugnis von dieser „moralischen Besinnung"41, die den Staatskanzler beinahe als Vorläufer der Architekten des „Vienna System" von 1814/15 erscheinen lassen. 40 Friedrich Walter 1959, 30, hat Kaunitz „zum Bannerträger einer durch moralische Rücksichten in keiner Weise gehemmten Machtpolitik" ohne „völkischen [!] Blick" stilisiert. Vgl. Beates 1986, 292f., 302 - 305, der die hohe Bereitschaft Kaunitz* zur aggressiven Verwendung der österreichischen Militärmacht sehrrichtigbeobachtet. Dazu auch den Disput zwischen Szabo, Beales und Blanning: Szabo 1979 b, Beales/Blanning 1980, Szabo 1980. Weiters Mitrofanow 1910 (zur Außenpolitik nicht wirklich befriedigend), Wagner 1982, Kann 1985, Beales 1985. Eine ausgewogene Gesamtsicht bietet Press 1988. Die zutreffenden einleitenden Bemerkungen von Beer 1872 über die einzelnen Stadien der Kaunitzschen Staatskanzlerschaft sollten nicht übersehen werden. Über das Problem des „ministériat" im 18. Jahrhundert nun grundsätzlich Scott 1996 a. 41 Vgl. „Les entretiens du prince de Kaunitz dans les dernières semaines de sa vie 1794 par l'abbé comte d'Ayala" (Hs. Weiß 808). Das eigenartige Vertrauensverhältnis zwischen dem ragusanischen Ministerresidenten und dem Staatskanzler ermöglichte täglich 5-6stündige Gespräche, die Ayala sogleich schriftlich zur Belehrung der Großen und ihrer Minister, wie er selbst es formulierte, niederlegte. Die Annahme Wangermanns, daß Kaunitz „mittels seines erkorenen Gesprächpartners eine Art politisches Testament hinterlassen wollte", hat einiges für sich, auch wenn Quelle und Überlieferungsform kein allzu großes Vertrauen einflößen: Wangermann 1996. Über Sebastiano Graf Ayala (1738/44 - 1817), 1777 - 1804 ragusanischer Vertreter in Wien auf verschiedenen diplomatischen Rangstufen: Wurzbach 2/1,

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Nach Ayalas Aufzeichnungen äußerte sich der sterbende Kaunitz besonders eingehend und kritisch zur 1. Polnischen Teilung, die Österreich machtlos gegen die Verbündeten Preußen und Rußland und von Frankreich im Stich gelassen - nicht verhindern konnte, und betonte mehrmals die ausnehmende Ungerechtigkeit, die „superchérie criminelle" des Partagegeschäfts. In Kaunitz' Augen nun ein verheerend unmoralisches Beispiel für alle erwerbshungrigen Mächte (das ihn angeblich noch 1794 zittern machte), aber zugleich auch zutiefst „unpolitisch", eine „faute en politique", konnte doch eine Vergrößerung Preußens und Rußlands keinesfalls im Interesse Wiens liegen. Um jede Vergrößerung Preußens - „notre ennemie mortelle" - zu verhindern, hätte es der Erhaltung der polnischen Integrität bedurft, ein Unterfangen, das trotz herzhafter Versuche Kaunitz' bei widrigen Umständen fehlgeschlagen sei ... „le partage de la Pologne a été pour nous l'ouvrage de l'immoralité, de l'injustice, du scandale et en même tems de l'impuissance où nous étions alors de nous y opposer efficacement." 42 Sogar den tieferen Grund für die instabile und konfliktgeneigte Natur des vorrevolutionären europäischen Staatensystems wollte Kaunitz seit langem gefunden haben, und zwar in der „bellizistischen Disposition" der Fürsten, wie er Friedrich II. von Preußen angeblich schon anläßlich des „Gipfeltreffens" von Mährisch Neustadt von 1770 vorgehalten hatte: „Or voilà le noeud gordien. L'union loyale et étroite [entre les puissances] trouvera toujours une opposition insurmontable dans les coeurs des princes pour qui la haine, la rivalité, les jalousies de la puissance des autres sont un genre de nourriture, et cela dès leur plus tendre enfance." Selbst das Gleichgewichtsprinzip fand späterhin in den Augen des Staatskanzlers keine Gnade mehr. Es galt ihm, wie eine merkwürdige Skizze aus den späten 1780er Jahren nahelegt - ganz im Sinne Justis, Kants und der beißenden Kritik der (französischen) Aufklärung an der fürstlichen Machtpolitik und in scharfer Abwehrhaltung gegen den propagandistischen Mißbrauch des Balance-of-Power-Arguments - lediglich als billiger Deckmantel für territoriale Vergrößerung in einer oft genug heuchlerischen machtpolitischen Praxis. Jeder Angriff auf den Besitzstand einer anderen Macht wurde daher rundweg abgelehnt. Kein Staat, „sans violer manifestement le contrat social établi de nation à nation, sans l'exposer à sa dissolution et sans s'exposer lui-même à se voir traiter à tour de rôle comme il auroit osé vouloir traiter son semblable, ne peut attenter à une propriété quelconque légitimement acquise ni se permettre sans l'injustice la plus manifeste de 97 f., Dizionario biografico degli Italiani 4 (Rom 1962) 727 - 729, RDV 3, 343. Ein Nachlaß Ayala (ehemals: Staatenabteilungen Ragusa 3) wurde vom HHStA an Jugoslawien abgetreten. 42 Diese Interpretation hatte in Wien lange Tradition. Vgl. ganz in diesem Sinne Joseph II. an Cobenzl/Beilage (31. 7. 1787; StK Vorträge 143 Konv. 1787 V - VII).

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rien exiger d'un autre à cet égard sous aucun prétexte quelque spécieux qu'il puisse être." Die Herrscher wären sich nun aber dieser „respectables vérités" nicht hinreichend bewußt, vielmehr setzte man ihnen mit angeblichen Rechten stets aufs neue Flöhe ins Ohr. „On les séduit et les entraîne par le faux argument du prétendu droit et de la prétendue nécessité du maintien de ce que l'on appelle l'équilibre de l'Europe qui est au vrai une expression vuide de sens et en même tems l'idée d'une chose aussi injuste qu'elle est impossible." Für Kaunitz, der die gängige zwischenmenschliche Moralvorstellungen für das Zusammenleben der Staaten reklamierte, stellte sich das „Gleichgewicht" automatisch ein: „parce que ce que Ton appelle l'équilibre s'est toujours retrouvé et se retrouvera toujours dans les secours et la protection que chaque état individuel peut et doit se promettre d'un nombre suffisant de l'ensemble du reste des. puissances de l'Europe ou au moins de la part de ses alliés contre un injuste aggresseur en raison de leur propre intérêt. [...] Il est fort à désirer par conséquent que l'on abandonne une bonne fois l'idée de l'injuste chimère du soi-disant équilibre et que l'on se dise une bonne fois pour toutes: quod tibi ne vis fieri, alteri ne feceris."43 Solche „Träumereien" eines Machtpolitikers am Ende seiner Karriere verdienen zwar unser Interesse, haben aber in ihrer Zeit keinerlei Wirkung entfaltet; vielleicht war derlei überhaupt nur einem Pensionär möglich, der die machtpolitische Alltagspraxis mit einem abgehobeneren Standpunkt vertauschen konnte. Auch die Politik Leopolds Π. scheint mir keineswegs jenen Beifall zu verdienen, der ihr gerade in jüngerer Zeit verstärkt gespendet wird 4 4 . Nach Paul Schroeder hat der Kaiser ernsthaft versucht, in 43 „Réflexions sur l'idée de ce que l'on appelle l'équilibre des puissances de l'Europe", undatiert, angeblich aus dem Jahre 1781: StK Vorträge 134 Konv. 1781 XI - XII. Szabo hat die Denkschrift 1979 ediert (wie Anm. 40) und kommt zu einer zeitlich anderen Einordnung, indem er - wohl zu Recht - die Réflexions in die letzten Jahre der Amtszeit des Staatskanzlers setzt, für die ja mehrere Denkschriften moralisierenden Einschlags vorliegen. Beales und Blanning haben in ihrer Erwiderung das Mémoire als „deathbed repentance of Machiavellism" angesprochen. Schon Küntzel hat die moralistische Wende in der Politik des Staatskanzlers als unglaubwürdig und verspätet bezeichnet. Die „neue politische Sittenlehre" war doch nur Ausfluß konventioneller Interessenpolitik. Die Starrheit der Kaunitzschen Stabilitätspolitik in der zweiten Hälfte der Amtszeit schien Küntzel nicht Produkt grundlegender Überzeugung, sondern logische Folge der deutlich reduzierten Offensivkraft Österreichs, das sich nun darauf verlegen mußte, anderen zu verwehren, was es selbst nicht mehr erringen konnte. Eine Politik, die sich schließlich zu der Erkenntnis durchrang, daß es eher konvenierte, die Vergrößerung anderer Mächte zu blockieren, als selbst ein Stück dazuzugewinnen. Unter diesem Diktat sollte ganz Europa - so Küntzel - erstarren: Küntzel 1923, 109 f. 44 Ich vermag in diesem Punkt Paul Schroeders speziell an der Polenfrage festgemachter Überhöhung der Außenpolitik Leopolds II. nicht zu folgen (Schroeder 1994a, 34, 52, 64, 82, 88 - 93, 110) und bin der Ansicht, daß die Quellenlage für die Postulierung eines ernstzunehmenden und stimmigen „leopoldinischen Systems",

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Abkehr von dem stets zur konfliktreichen Entladung drängenden Konzept der „balance of power" ein moralisches, territorialen Erwerbungen entsagendes „new international system" zu schaffen. Leopold habe damit das auf friedlichen Ausgleich bedachte „politische Äquilibrium" gleichsam vorweggenommen, wie es sich endlich auf dem Wiener Kongreß unter dem Eindruck eines fast 25jährigen Krieges als grundsätzlich neue stabilisierende Ordnung, als Friedens- und Sicherheitssystem im Nachkriegseuropa realisierte, um nach 1848 wieder der zerstörerischen Kraft des Nationalismus und einem neuen Bellizismus der Staaten zu erliegen. In der Bilanz hat der durchaus „rätselhafte" Kaiser zwar erkannt, daß 1790 ein Schritt zurück zugleich auch einen Schritt nach vorne bedeuten konnte, um ein treffendes Wortspiel von Ernst Wangermann abzuwandeln. Dem ins Wanken geratenen „alten System" hat Leopold aber wohl kein „neues", wirklich kohärentes folgen lassen. Die Politik machte, wie es dem außerordentlichen Beharrungsvermögen der Wiener Administration entsprach, weiterhin die Staatskanzlei, in der sich freilich die Machtverhältnisse zugunsten der flexibleren Mitarbeiter des Kanzlers, Staatsvizekanzler Cobenzl und Staatsreferendar von Spielmann, verschoben; der Herrscher gab immerhin an entscheidenden Weggabelungen die Richtung vor, und diese stimmte nicht immer mit den Wünschen und Vorschlägen der Behörde überein: 1790 diktierte Leopold seiner Diplomatie unbedingtes Nachgeben gegenüber Preußen, um die Sanierung des josephinischen Erbes nicht durch fortgesetzte außenpolitische Wagnisse zu gefährden. 1791 entschied er sich nach langem Zaudern für das Bündnis mit einem sich zahm gebenden Preußen, das hilfreich und notwendig schien, um sich der zunehmend kritischen Situation in Frankreich zuwenden zu können, und dem Kaiser mehr behagte als die ihm angeblich nie geheure Allianz mit dem aggressiven Rußland. Das „Kaunitzsche System", das massiv auf den bündnispolitischen Rückversicherungen durch Versailles und Petersburg ruhte, das über vereinzelte Impulse hinausführt, nicht wirklich ausreicht. Gerade die Tatsache, daß selbst personalpolitisch innerhalb der Staatskanzlei letztlich keine wirklich klare Entscheidung fiel und die österreichische Außenpolitik zur Verwunderung ausländischer Diplomaten über zwei Jahre mit vielerlei Zungen sprach, muß unterstrichen werden. Das außenpolitische Erbe, das der vielverurteilte Franz II. 1792 antreten mußte, war jedenfalls alles andere als glänzend. Gerade in der „französischen Frage" ist die besonnen-reservierte Linie der österreichischen Politik hauptsächlich Staatskanzler Kaunitz als Verdienst anzurechnen, während sich der Kaiser, kaum der Kontrolle durch die Staatskanzlei ledig, oft genug aus der Reserve locken ließ. Die im Sommer 1791 begonnene, von Kaiser und Staatskanzlei gleichermaßen getragene Drohpolitik gegenüber der Französischen Revolution entsprach ganz dem Schattenboxen der „alten" Kabinettsdiplomatie. Selbst der überaus flexible Kaiser war dem machtpolitischen Poker nicht abgeneigt, jedenfalls solange der Einsatz bescheiden blieb. Schroeders These vertieft nunmehr Ulrich Lappenkiiper (in Vorbereitung).

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war damit völlig zum Einsturz gekommen: Frankreich hatte sich durch die Revolution selbst ausgeschaltet, der Wesenskern der österreichischen Politik in der 2. Jahrhunderthälfte, die „klassische" antipreußische Orientierung, wurde vom Souverän für überholt erklärt. Das wenigstens potentiell auch gegen Preußen gerichtete Bündnis mit der Zarin verlor so an Stellenwert. Im Sommer 1791 war damit der österreichische Großmachtstatus einerseits zwar wieder retabliert, das außenpolitische System sah sich aber nun auf völlig neue bündnispolitische Grundlagen gestellt. Ob sich aus diesem „Systemwechsel" ein fundamentaler Wandlungsprozeß in Richtung einer wirklich „neuen" Politik ableiten läßt, scheint durchaus zweifelhaft. Eine echte Interessenskongruenz entwickelte sich natürlich im neuen freundschaftlichen Verhältnis zwischen Wien und Berlin ab 1791/92 am allerwenigsten. Preußens Hauptabsichten waren und blieben weiterhin auf Polen gerichtet und trafen sich um so leichter mit der Polenpolitik Petersburgs, während Wien die Adelsrepublik definitiv als unbedingt erhaltenswerten Puffer im Spannungsfeld der drei schwarzen Adler betrachtete. Die schon seit der ernüchternden Waffenbrüderschaft im Türkenkrieg feststellbare Abkühlung der österreichisch-russischen Beziehungen öffnete indes Preußen den Weg zu einer einvernehmlichen Lösung der „polnischen Frage" - ohne Wien. Den bereits vor Beginn der Intervention gegen Frankreich einsetzenden Wettlauf um territoriale Entschädigungen für die Kriegskosten wollten Cobenzl und Spielmann unter ihrem neuen Herrn Franz II. ab Mai 1792 nützen, um den alten bayerischen Tauschplan nun mit dem Einverständnis Preußens, das sich in Polen arrondieren durfte, doch noch zu realisieren. Der Tausch alleine schien jene zum Topos gewordene Verbesserung der geopolitischen Konfiguration zu gewährleisten, die auch bündnispolitische Flexibilität, ja Unabhängigkeit verbürgte. In einer Denkschrift vom März 1793 kämpfte Staats Vizekanzler Cobenzl gegen das absehbare Scheitern des Tauschplanes und damit seiner Politik noch ein letztes Mal an. Für ihn war und blieb der Abtausch Bayerns gegen die Österreichischen Niederlande das einzig taugliche Projekt, „den allerhöchsten Hof von seinen abhänglichen Verhältnissen zu befreien und ihn durch Concentrirung seiner Kräfte in den selbständigen freien Genuss seiner Macht und Ressourcen zu setzen", um so „seinen Feinden durch die Contenance einer concentrirten Macht zu imponiren". „Wahrhafte und standhafte Alliirte", so beschwor er Kaiser Franz II., „wird und kann nie eine Macht haben, die auf der einen Seite durch die Zahl und Grösse ihrer Staaten die geheime Eifersucht und Beisorge aller übrigen erregt, auf der andern Seite aber durch die Zertrennung und Entlegenheit dieser Staaten in dem Fall sich befindet, wenn darunter mehrere zugleich weggerissen werden, für die Vertheidigung aller nicht selbst Rath schaffen zu können, sondern sich in dieser Hinsicht nothwendig entweder um einen mächtigern Freund umsehen oder aber mit dem einen Feinde sich aussöhnen muss, um sich des andern erwehren zu

Einleitung können. In beiden Fällen muss sie zu Nothallianzen die Zuflucht nehmen, die sich der andere Theil immer durch Opfer, eigenmüthige Pläne und eine beständige Déférence und Anhänglichkeit erkaufen lässt, und sich auch nie länger aufrichtig hält, als es sein Vortheil mit sich bringt. [...] Unabhängigkeit von andern ist das Ziel, dessen Erreichung für grosse Monarchien die höchste Vollkommenheit der Staatspolitik ausmacht. Selbe setzt als nothwendige Bedingnisse voraus: Zusammenhang der Theile und leichte, von keinen notwendigen Alliirten zu erwartende Defension aller Provinzen. Dann ist der Souverain im Stande, wenn es seine Neigung und das innere Bedürfniss seiner Staaten mit sich bringt, ein wahres, dauerhaftes Friedenssystem, ohne es durch Opfer und Demüthigung zu erkaufen, festzusetzen."45 Seit dem letzten Versuch, Bayern gegen die Niederlande abzutauschen, war vieles geschehen, was die Bindung der fernen Provinzen an das Haus Österreich - in beide Richtungen - noch zusätzlich geschwächt hatte: die heftige „allergische" Reaktion der Belgier gegen die josephinischen Reformen seit 1787, die Sezession 1789/90, das 1790 nochmals vertraglich fixierte „Einmengungsrecht" anderer Mächte, die Eroberung der belgischen Provinzen durch die französischen Revolutionsheere im November 1792 und damit die Freisetzung der französischen „Freiheitsgrundsätze" - all dies hatte Herrn und Untertanen entfremdet und ließ die rasche Abstoßung des abgelegenen, die Wiener Politik permanent in internationale Verwicklungen verstrickenden und Österreich zum „Sklaven und Opfer" seiner Alliierten machenden Fremdkörpers auch für die Zeit nach der 1793 geglückten Rückeroberung wünschenswert erscheinen. Ganz andere Empfindungen hegte man für Bayern, ein Land, das in Sprache, Sitten und Landeseinrichtung den österreichischen Stammlanden gleich oder ähnlich war und sich daher viel besser in die österreichische „Regierungsart" fügen würde. „Eine grosse Monarchie", hieß es schon im Juli 1792 in einem ausführlichen Memorandum über die Vorteile des niederländisch-belgischen Tauschplanes, „darf den Werth eines einzelnen Landes nicht einzig nach dem inneren Verhältniss des Wohlstandes und Erträgnisses desselben abmessen. Die relativen Verhältnisse der Lage, moralischen Beschaffenheit und Nachbarschaft eines solchen einzelnen Landes sind nothwendige Bestandtheile dieses Werthes. Die wahre Stärke einer grossen Monarchie bestehet in der inneren physischen und moralischen Verbindung ihrer Theile, die ihren Besitz versichert und ihre Verteidigung leicht macht; hat eine Provinz diese Eigenschaft nicht nur für sich, sondern auch den Vortheil, die Verbindung der übrigen zu verstärken, so vergrössert und vervielfältiget dieses ihren Werth in den Augen der echten Staatspolitik. Hingegen kann es gesegnete Provinzen geben, welche die Verbindung, Sicherheit und Ruhe einer Monarchie schwächen, ja ihr nach Umständen zur Last fallen. In Beziehung auf die österreichische Monarchie befinden sich die bayerischen Staaten in dem ersten Falle, die Niederlande in dem zweiten. [...] Die Lage Bayerns ist die glücklichste, die sich 45 Denkschrift („politisches Testament") Philipp Cobenzls (23. 3. 1793), gedruckt bei [Vivenot] 1874, 507 - 515.

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Einleitung

die österreichische Monarchie für eine Erwerbung wünschen könnte: der erspriesslichste Ausweg für unsere Natur- und Kunstproducte, eine gedeihliche Aushilfsquelle für die unfruchtbaren innerösterreichischen und tirolischen Lande. Letztere kommen durch Bayerns Strassen und Flüsse mit Oesterreich und Böhmen in unmittelbare Verknüpfung; die vorder-österreichischen Lande fangen nun erst an echte Bestandtheile des ganzen Staatskörpers zu werden; den gesammten Erblanden wird die bisher gesperrte Handelsverbindung mit dem deutschen Reiche geöffnet, und nicht nur kann diese Provinz im Angriffsfalle leicht und geschwind aus den übrigen Hilfe erhalten, sondern ihr Besitz würde noch den allgemeinen Defensions-Stand durch Verschaffung einer kürzeren und festem Grenzlinie verbessern."46

Daß innere Reformen, für die man offensichtlich den Bedarf noch nicht erschöpft glaubte, nur bei äußerer Ruhe durchführbar und vor allem haltbar waren, schien gerade das Beispiel Josephs Π. treffend zu lehren. Selbständigkeit und Unabhängigkeit mußten daher auch unter diesem Gesichtspunkt einem „grossen Monarchen anständiger und schätzbarer" sein „als alle Erwerbungen und Einkünftevermehrungen" 47. Das hieß nichts anderes, als daß die Umsetzung des Tauschplanes auch dann noch das „größte Glück des Staates" ausmachte, wenn die vielumstrittene „Zuwaage" zur Austarierung des mit dem Tausch vermutlich verbundenen Verlustes an Steuereinnahmen ausblieb. Die Westorientierung der österreichischen Kompensationspläne endete schließlich mit einem Debakel. Während der britische Einspruch gegen den Tausch und gegen einen nur schwachen wittelsbachischen Barrierestaat sowie die definitive Eroberung Belgiens durch Frankreich 1794 den Tauschplan ad absurdum führten, hatten sich in der 2. Polnischen Teilung Rußland und Preußen unter Ausschluß Österreichs zu Anfang des Jahres 1793 längst jene territorialen Kompensationen genehmigt, die das Gleichgewicht zwischen den drei Ostmächten gefährlich und nachhaltig störten. Zwar verschwand der Tauschplan auch unter der Ägide Thuguts ab März 1793 nicht völlig aus der Diskussion, doch mußte man die hektische Suche nach territorialer Entschädigung unter dem enormen Druck, nicht nur den Rückstand auf Preußen und Rußland aus der polnischen Teilung aufzuholen, sondern auch den ersatzlosen Verlust Belgiens 1794 zu kompensieren, notgedrungen flexibler und phantasievoller gestalten und die auf den Tausch fixierte, sonst aber zurückhaltende, bewahrende Politik von Cobenzl und Spielmann umgehend aufgeben. „Arrondissements réels" anstelle des 46 Abschnitt „Vortheile des Austausches" aus der Konferenzvorlage der Staatskanzlei (17./18. 7. 1792), abgedruckt bei [Vivenot] 1874, 136 - 141. - Zum allgemeinen Kontext der belgisch-bayerischen Tauschpläne vgl. u.a. Hanfstaengl 1930, Aretin 1962, Bernard 1965. 47 So Staatsvizekanzler Cobenzl Anfang August 1792: [Vivenot] 1874, 142 - 145, hier 144.

Einleitung

zunehmend hypothetischen Tauschplanes lautete seit März 1793 die Devise. Frankreich als Verursacher der europäischen Irrungen der 1790er Jahre, Polen und vor allem Italien, das nach beinahe 50 Jahren der Stabilität mit dem Einbruch der französischen Revolutionsarmeen in die Poebene 1796 erneut dem internationalen Länderschacher zum Fraß vorgeworfen wurde, sollten die Zeche zahlen. Die 3. Polnische Teilung von 1795 brachte für Österreich keine befriedigende Revision der Weichenstellungen des Jahres 1793, denn nicht nur Rußland zog ein weiteres Mal mit; auch Preußen konnte nicht aus dem Teilungsgeschäft ausgeschlossen werden. Das Gleichgewicht blieb also immer noch denkbar schief. Erst der Friede von Campoformido vom .Oktober 1797, der eine kurze Kampfpause in den österreichisch-französischen Beziehungen brachte, verschaffte der Habsburgermonarchie territorialen Zuwachs, ohne daß auch die Rivalen Preußen und Rußland einbezogen wurden. Venedig, die Terra Ferma sowie Istrien und Dalmatien - schon unter Joseph II. als lohnende Beutestücke ins Visier genommen - fielen nun an Österreich, die Lombardei und die ehemals österreichischen Niederlande mußten abgetreten werden. Im Reich wurden dem Kaiser Salzburg, Berchtesgaden und ein Teil Bayerns in Aussicht gestellt, während der Breisgau an den nunmehr landlosen Herzog von Modena kommen sollte. Die seit langem geforderte Kontraktion und Konzentration der Habsburgermonarchie war nun ein fait accompli: Außenposten ohne direkte Verbindung zu den österreichischen Kernlanden wurden abgestoßen, unmittelbar angrenzende Territorien gewonnen. Auch wenn Campoformido schließlich nur Waffenstillstandscharakter hatte, so wiesen die Abmachungen doch, was die Südflanke der Monarchie betraf, in die Zukunft und spiegelten sich auch in den dauerhaften Verhandlungsergebnissen des Wiener Kongresses wieder. Anstelle einer nachhaltigen Stärkung des deutschen Bevölkerungselements gegen „so viele fremdartige Bestandteile", wie man sie im Sommer 1792 auf dem Höhepunkt der Tauscheuphorie sichtlich als zusätzlichen Vorteil der bayerischen Option zur Sprache brachte, griff die Monarchie aber mit dem lombardo-venetianischen Königreich und den habsburgischen Satelliten tief in die italienische Halbinsel aus und belastete sich so mit einer weiteren, bald zur Entladung drängenden „nationalen Frage". 1868 sah Herrmann Hüffer schon im Vertrag von Campoformido den bedauerlichen Anfang vom traurigen Ende der „deutschen Mission" Habsburgs und die „Ursache unendlicher Verwicklungen und Uebelstände", die 1866 in der gleichzeitigen Ausschaltung Österreichs aus Italien und Deutschland gipfelten 48. 48 Hüffer 1868, 474. Vgl. auch Press 1989, 1, 41. - Daß Österreich mit seiner starken Stellung in Italien eine Barriere gegen Frankreich bilden sollte und damit einen wesentlichen Auftrag des europäischen Sicherheitssystems nach 1815 erfüllte, betont jüngst wieder Gruner 1996, 341 - 346.

Α. Voraussetzungen Ι. Der institutionelle Rahmen österreichischer Außenpolitik 1. Die obersten Beratungsorgane: Geheimer Rat, Deputierte Räte, Geheime Konferenz, Kommissionen

Daß sich der Herrscher in wichtigen Fragen mit vertrauten Personen seiner Umgebung besprach, war stets üblich. Als erstes institutionell verfestigtes Diskussionsforum treffen wir in Österreich zunächst den Geheimen Rat an, der in der Hofstaatsordnung Ferdinands I. von 1527 als vornehmstes Beratungsorgan des Fürsten erscheint, v. a. in Sachen der äußeren Politik, zur Erledigung der Gesandtschaftsberichte und bei der Ausarbeitung von Antworten auf die Briefe fremder Fürsten1. Nach der Hofstaatsordnung von 1527 bestand der Geheime Rat als „Seele der Regierung" nur aus wenigen Vertrauten und drei Personen, die kraft Amtes diesem Gremium angehörten: dem Obersthofmeister, dem ersten Repräsentanten des Herrschers und obersten Hofbeamten, der in Abwesenheit des Monarchen dem Geheimen Rat präsidierte und später, sofern von entsprechender Durchsetzungskraft, oft als eine Art „primado" oder „Principalminister" auftreten konnte, dem Obersthofmarschall, der bereits unter Rudolf II. wieder ausschied, und dem Kanzler, der als Referent fungierte und die Expeditionen besorgte. Seit der Vereinigung der Herrschaft über die habsburgischen Erblande mit der deutschen Kaiserwürde in der Person Ferdinands I. oblag letztere Aufgabe dann dem Reichsvizekanzler mit seinem Personalstab (1559), da der Geheime Rat über keine eigene Kanzlei verfügte. Die Zahl der Geheimen Räte war anfangs sehr gering. Noch unter Rudolf Π. hören wir von bloß vier bis sechs Personen, die täglich in der Geheimen Ratsstube zusammenkamen. Die stete Zunahme der Geheimen Räte führte dann jedoch mit der Zeit dazu, daß die Plenarsitzungen ausuferten und die Beratungen und Beschlüsse kaum noch geheimgehalten werden 1

Fellner/Kretschmayr 1907, 37 - 67, Zolger 1917, 66 - 79, 146 - 150, Schwarz 1943, Bérenger 1975, Ehalt 1980. Zum allmählichen Entstehen der Geheimen Konferenz in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts und ihrer weiteren Entwicklung bis zum Tod Leopolds I. nun vor allem Sienell 1995, ders. 1997 (eine Druckfassung ist zur Zeit in Vorbereitung, wonach auch die vorliegenden, überwiegend noch der älteren Literatur folgenden Ausführungen zu korrigieren sein werden).

I. Der institutionelle Rahmen österreichischer Außenpolitik

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konnten. »Kommissionen4, »Konferenzen* und »Deputationen4 (deputierte Räte) wurden immer mehr zur Vorberatung einzelner Gegenstände eingesetzt. Das anhaltende Fehlen einer unumstrittenen, gut organisierten Zentralbehörde für äußere Angelegenheiten, wie sie sich in Frankreich seit dem Ende des 16. Jahrhunderts ausbildete, wirkte sich auf die außenpolitische Linie Habsburgs denkbar ungünstig aus. Die zersplitterte Beratung verschiedener Agenden in verschiedenen Gremien führte zu leicht vorstellbaren Konfusionen und Kompetenzüberkreuzungen. Auch die im wesentlichen beharrende und bewahrende, vorsichtige Linie der habsburgischen Außenpolitik hing mit der prozessualen Basis der Entscheidungsfindung zusammen: Tatkräftige Initiative war von einem kollegialisch vorentscheidenden Gremium in aller Regel nicht zu erwarten. Dazu kam noch der starke Einfluß personeller Machtkämpfe, etwa in Form deutlicher Rivalitäten zwischen dem federführenden „Principalminister 44 und den vielköpfigen Beratungsorganen; durch die ansehnliche Zahl der beteiligten Personen waren die Gefahr des Verrats von Geheimnissen und der Hang zu Parteikämpfen besonders groß; Meinungsgegensätze drangen rasch nach außen. In diesem Machtkampf bediente sich der dirigierende Minister nicht selten einer die „offizielle 44 Politik unterlaufenden Sekretdiplomatie, die bisweilen eine ganz andere Richtung einschlagen konnte. Die entsprechenden Weisungskollisionen führten dann zur Lähmung der Aktionen, wie wir sie auch im Rahmen der Geheimdiplomatie Ludwigs XV. von Frankreich im 18. Jahrhundert kennen, und zu einer von Klientelwesen, persönlichen Bekanntschaften und Kongruenz politischer Anschauungen diktierten Anlehnung der Gesandten im Ausland an einzelne Fraktionen innerhalb der Beratungsgremien in der Zentrale. Dies schlug sich auch in der diplomatischen Korrespondenz nieder, die je nach Vertraulichkeit gegenüber dem Adressaten in Wien in wenig aufschlußreiche offizielle, semi-offizielle und hochinteressante private Briefwechsel zerfiel. Obwohl viele Räte mehreren Kommissionen angehörten, waren daher nicht alle über alles gleichermaßen informiert. Dazu kam noch der Einfluß des Kaisers, der, wie etwa für Leopold I. behauptet, nicht integrativ, sondern weiter verwirrend wirkte, zwar meist den Vorträgen zustimmte, aber auch zu Umgehungsaktionen greifen konnte. Um die Mitte der sechziger Jahre des 17. Jahrhunderts trat die Geheime Konferenz, wieder unter Vorsitz des Obersthofmeisters, als stark begrenzter Ausschuß des Geheimen Rates für die wichtigsten Staatsgeschäfte ins Leben. Der nominell fortbestehende Geheime Rat erhielt zuerst nur mehr die minderwichtigen Stücke aus dem Geschäftsgang der Reichshofkanzlei vorgelegt, wurde dann überhaupt auf Jurisdiktionsangelegenheiten und schließlich auf höfische Funktionen zurückgedrängt. Allmählich hatten die Geheimen Räte bei Hoffestlichkeiten bloß noch das Gefolge und bei Hofund Staatsakten den „Umstand44 zu bilden. Der begehrte, mit dem Prädikat

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Α. Voraussetzungen

Exzellenz verbundene Titel eines Geheimen Rates, der nach den obersten Hofchargen die vornehmste Stellung bei Hof verlieh, wurde weiterhin gerne als Auszeichnung vergeben. Neben der personell gleichfalls bald auswuchernden Geheimen Konferenz entwickelten sich rasch wieder Deputationen oder besser Kommissionen von zwei bis drei Räten zur Vorberatung einzelner Gegenstände. Deren vorbereitendes Referat wurde dann in der Konferenz verlesen und vom Kaiser resolviert. Es sind sogar Fälle bekannt, in denen einzelne Stücke ohne weitere Anhörung der zusehends an Gewicht verlierenden Plenarkonferenz vom Kaiser approbiert wurden. Die Ablösung der Konferenz durch mehrere Kommissionen (die in den Quellen gleichfalls die verwirrende Bezeichnung „Konferenzen" trugen) war bereits gegen Ende der Regierung Leopolds I. institutionalisiert. Joseph I. hob die Geheime Konferenz im Juni 1705 gänzlich auf und überließ die eigentliche Bearbeitung der Materien sieben Kommissionen mit bestimmten Kompetenzbereichen. Jede dieser Kommissionen (bzw. Konferenzen) bestand aus drei bis fünf Räten. Obersthofmeister und österreichischer Hofkanzler wurden stets beigezogen, vermochten aber dadurch noch keineswegs die wünschenswerte Koordinierung zu erreichen. 1709 wurde dann wieder ein Gesamtgremium mit allerdings stark beschränkter Teilnehmerzahl konstituiert, die „Ständige Konferenz" (Generalkonferenz). 1721 erhielt die Konferenz eine neue Ordnung. Nun konnten auch der Hofkriegsrat, der Spanische und Niederländische Rat sowie die Ungarische und Böhmische Hofkanzlei zum Vortrag bestellt werden. Schlüsselfigur und Hauptberichterstatter der Konferenz war der Erste Österreichische Kanzler. Der noch zu Anfang des Jahrhunderts mächtige Obersthofmeister blieb zwar Leiter der Konferenz, verlor jedoch seinen Einfluß sehr weitgehend an den Vorstand der für die Außenpolitik hauptsächlich zuständigen Fachbehörde. Die Berichte der Gesandten zirkulierten zur Information unter den Konferenzministern oder wurden erst in der Konferenz verlesen. Hier besprach man auch die zu erteilenden Weisungen und Antworten. Mit fremden Gesandten konnte in wichtigen Angelegenheiten direkt in der Konferenz verhandelt werden. Die Vielköpfigkeit des Gremiums gab den ausländischen Diplomaten natürlich weiterhin die Möglichkeit, diesen Umstand und persönliche Rivalitäten zur Betreibung ihrer Angelegenheiten tunlichst zu nützen und die einzelnen Fraktionen gegeneinander auszuspielen, bot allerdings auch wiederholt Anlaß zu Klagen über die Schwerfälligkeit und Langsamkeit des Entscheidungsprozesses.

I. Der institutionelle Rahmen österreichischer Außenpolitik

47

2. Die Exekutivbehörden: Reichshofkanzlei, Österreichische Hofkanzlei und Staatskanzlei

a) Der Siegeszug der Österreichischen

Hofkanzlei

Die österreichische Kanzlei Ferdinands I. verschmolz 1559 mit der altehrwürdigen Reichshofkanzlei zu einer Behörde (Reichshofkanzleiordnung vom 1. Juni 1559)2. Gegen den Willen des Reichserzkanzlers, des Kurfürsten von Mainz, expedierte von nun an die von einem Reichsvizekanzler in Wien geleitete Reichskanzlei mit ihren beiden Abteilungen, der deutschen bzw. der lateinischen „Expedition", und dem österreichischen Sekretariat, auch die erbländischen Materien. Die nach außen immer aufs neue betonte Scheidung von Haus- und Reichssachen wurde in der Praxis nie wirklich durchgesetzt. Die Bestellung des geschäftsführenden Reichsvizekanzlers und der übrigen Beamten stand nach der Kanzleiordnung von 1559 dem Mainzer Kurfürsten im Einvernehmen mit dem Kaiser zu. In der Realität übte aber lange Zeit der Kaiser das Ernennungsrecht nach Befragung des Mainzers ... und sogar ohne diese. 1653/1658 wurde das Präsentationsrecht des Kurfürsten bestätigt und kaiserlicherseits de iure auf die Ernennung des Reichsvizekanzlers verzichtet. In Wirklichkeit freilich ging die Besetzung dieses Postens auch in den folgenden Dezennien beinahe nie ohne hartnäkkige Verhandlungen zwischen Wien und Mainz ab. Schon zu Jahresanfang 1620 wurde die österreichische „Abteilung" aus der Reichskanzlei herausgelöst und als Österreichische Hofkanzlei für Haus- und Familiensachen verselbständigt. Die Bipolarität von Erblandsfürst und Reichsoberhaupt fand nun in den beiden Wiener Kanzleien ihre institutionelle Entsprechung. Bis zum Ende des Alten Reiches im Jahre 1806 ziehen sich wie rote Fäden die Zwistigkeiten und Kompetenzstreitigkeiten zwischen der Reichskanzlei und ihrer jüngeren Rivalin hin. Das Ringen von Erzkanzler und Kaiser um die jeweiligen Eingriffsrechte bzw. um die Kompetenzen der Reichskanzlei selbst und die Rivalität zwischen Hofkanzlei und Reichskanzlei bildeten seit 1636 einen festen Bestandteil in 2

Zum Folgenden: Großmann 1872, 459 - 474, Kretschmayr 1898, 383 - 501, Fellner/Kretschmayr 1907, 139 - 173, Walter 1938, 239 ff., 353 ff., 493 ff., ders. 1950, ders. 1956, 203 - 214, Groß 1924/25, 279 - 312, Hantsch 1929, Groß 1933, 41 - 95, 172 - 187, 237 - 247, Klingenstein 1974, 243 - 263, und besonders dies. 1977, 74 - 93, Cordes 1978, Press 1986, 23 - 45, Matsch 1986, Schlösser 1986, 140 - 172, Stoeckelle 1987, Szabo 1994, 36 - 72. Eine „Geschichte der Staatskanzlei" für das 18. Jahrhundert bleibt ein gewichtiges Desiderat. Insofeme beachtliche Ausnahmen sind daher Arbeiten zur italienischen Abteilung der Behörde: Capra 1982, 61 - 85, und Scharrer 1991. Hintergründe zum österreichischen Beamtentum bis zum Ende des Vormärz bietet Heindl 1991. Weiters Dickson 1987, Bd. 1, 207 256, ders. 1995 und Höbelt 1995.

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Α. Voraussetzungen

den Verhandlungen über die kaiserlichen Wahlkapitulationen; eigene „Kanzleiverträge" bemühten sich seit Anfang des 18. Jahrhunderts um eine Festlegung der Zuständigkeiten. Der Anteil der Hofkanzlei war in den ersten Jahren nach ihrer Gründung 1620 noch relativ gering. Man beschränkte sich anfangs auf die Hofkorrespondenz, d.h. auf die „Privatschreiben" an andere Potentaten, ohne selbst hier zu einer klaren Teilung der Zuständigkeiten zu finden. Im Umfeld des Westfälischen Friedens nahmen dann die außenpolitischen Agenden der Hofkanzlei weiter zu, obwohl die Reichskanzlei immer noch führend war. Das Auf und Ab in der Rivalität zwischen Hofkanzlei und Reichskanzlei während des 17. und frühen 18. Jahrhunderts ist speziell unter personellen Gesichtspunkten zu verstehen; je nach Ansehen und Gewicht des Behördenchefs beim Kaiser schwankte auch der Stellenwert seiner Kanzlei. Ein Wendepunkt war hier der Tod des Reichsvizekanzlers Ferdinand Sigmund Graf Kurz-Senftenau (1592 - 1659), da nun der Mainzer Erzkanzler, Johann Philipp von Schönborn (1605 - 1673), das 1653/1658 neuerlich bestätigte Ernennungsrecht wirklich zu üben gedachte. Die Hofkanzlei zog in dem Maße Agenden an sich, in dem der Reichsvizekanzler mehr zu einem Vertreter des Mainzer Kurfürsten wurde, dieser aber in der internationalen Politik eher Gegenspieler denn Parteigänger Leopolds I. war. Nach dem raschen Einzug des österreichischen Hofkanzlers in den Geheimen Rat, wo bislang der Reichsvizekanzler neben dem Vorsitzenden, dem Obersthofmeister, die zentrale Rolle spielte, bedeutete die Entstehung der Geheimen Konferenz den nächsten Rückschlag für die Reichskanzlei. Der Reichsvizekanzler war in diesem neuen Gremium nun in der ersten Zeit gar nicht mehr vertreten. Der österreichische Hofkanzler Dr. Paul Hocher (1616 - 1683) erreichte, daß die Gesandten des Kaisers die eigentlichen Arcana fast nur noch an die Hofkanzlei berichteten. Seit 1671 führte auch ein Beamter der Hofkanzlei die Protokolle der Geheimen Konferenz, nachdem zuerst noch Bedienstete der Reichshofkanzlei - ungeachtet der Nichtteilnahme ihres Behördenchefs - die Sekretärs- und Schreibarbeiten übernommen, weiterhin die Protokolle besorgt und die resolvierten Stücke ausgefertigt hatten. Noch vor Ablauf der siebziger Jahre gewann der Reichsvizekanzler aber wieder an Boden und erschien endlich in der Geheimen Konferenz. Auch fungierten neuerlich regelmäßig Reichsreferendare als Sekretäre der Konferenz. Nach dem Tode Hochers konnten weite Terraingewinne zugunsten der Reichskanzlei verbucht werden; unter der starken Führung des Reichsvizekanzlers Dominik Andreas Graf Kaunitz (1655 - 1705) ergriff sie auch wieder von den außenpolitischen Korrespondenzen Besitz, wohl weil Kaunitz, wie reichisch gesinnte Beobachter kritisierten, ohnedies mehr dem Kaiser als dem Reich diente. Unter dem Mainzer Protégé Friedrich Karl von Schönborn (1674 - 1746) verspielte die

I. Der institutionelle Rahmen österreichischer Außenpolitik

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Reichshofkanzlei in aufreibenden Konflikten mit der Österreichischen Hofkanzlei aber endgültig (1705 - 1734). Als Joseph I. die Kommissionen als beratende Organe in Sachen der Außenpolitik institutionalisierte (1705), bestimmte er zugleich definitiv die Hofkanzlei zur Ausfertigung der diplomatischen Korrespondenzen, und zwar mit Ausnahme der deutschen Reichsangelegenheiten sowie der russischen und türkischen Materien. Zur 1709 instituierten „Ständigen Konferenz" erhielt der Reichsvizekanzler zwar noch im selben Jahr Zutritt, doch wurden Möglichkeiten einer Aussperrung offengehalten (etwa durch Bildung einer „geheimen" oder „kleinen" Konferenz als Ausschuß der „Ständigen Konferenz"). Unter Joseph I. scheint auch eine eigene „Staatsexpedition" bei der Hofkanzlei errichtet worden zu sein. Mit der Hofkanzleiordnung vom März 1720 wurden die Kompetenzen innerhalb der Hofkanzlei säuberlich abgezirkelt. Der Erste Hofkanzler erhielt die außenpolitischen Agenden, der Zweite Hofkanzler die Provincialia und Justizsachen zugewiesen. Der Erste Kanzler hatte an den Sitzungen der Konferenz teilzunehmen und - außer in Reichssachen - das Protokoll führen bzw. die Expeditionen vornehmen zu lassen. Seit 1726 fungierte Johann Christoph Freiherr (1736) von Bartenstein (1690 - 1767) als Hofrat (1733 Geheimer Staatssekretär) und guter Geist der auswärtigen Sektion der Hofkanzlei, der Referate, Promemorien u.ä. erledigte und ab 1727 das Protokoll der Konferenzen führte. In den zwanziger Jahren gab es bei der außenpolitischen Sektion der Hofkanzlei immerhin bereits zwei Konzipisten, zwei Kanzlisten, einen Registrator und einen Expeditor. Zwar wurde das Personal noch in den dreißiger Jahren vermehrt, doch die eigentliche Stütze der Staatskanzlei blieb einzig und allein Bartenstein, der die Behörde im Grunde als Einmannbetrieb führte und die Konferenz nicht selten geschickt umging bzw. ihre Beschlüsse sogar offensichtlich mißachtete. Die Reichskanzlei - sie erledigte im 17. Jahrhundert auch die moskowitischen Sachen und verlor sie Mitte der zwanziger Jahre des 18. Jahrhunderts - und die Hofkanzlei waren aber, wie wir hier bloß im Vorübergehen anmerken wollen, nicht die einzigen expedierenden Behörden in Fragen der Außenpolitik: der Hofkriegsrat behandelte von etwa 1610 bis 1753 bekanntlich die Turcica, nicht ohne sachlich nötige Ingerenz der Hofkanzlei, die Böhmische Hofkanzlei u.a. die Polonica durch den die schlesischen Agenden betreuenden Referendar. Dazu kamen noch der Spanische und Niederländische Rat (Conseil suprême des Pays-Bas , seit 1717) und das Staatssekretariat innerhalb des Spanischen Rates (1711 - 1737).

4 Hochedlinger

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Α. Voraussetzungen

b) Die Gründung der Staatskanzlei und die „Ära Kaunitz" Die völlige organisatorische Trennung der Außenpolitik von den „innenpolitischen" - administrativen wie jurisdiktionellen - Agenden erfolgte nach dem Tod des Ersten Hofkanzlers Philipp Ludwig Graf Sinzendorf (1671 - 1742) Anfang Februar 1742, dem Verlust der Kaiserkrone an Wittelsbach und damit dem Ende der Kontrolle über die Reichshofkanzlei, die ihren Amtssitz im Reichskanzleitrakt der Hofburg zu verlassen und nach Frankfurt zu übersiedeln hatte. Die Kanzleikonvention zwischen Karl VII. Albrecht und dem Kurfürsten von Mainz vom Januar 1742 verschaffte der Reichskanzlei während des bayerischen Zwischenspiels ein letztes Mal ihren Ausschließlichkeitsanspruch auf die Vertretung des Kaisers nach außen; die Konkurrenz der Österreichischen Hofkanzlei fiel ja nun für kurze Zeit weg. Viel entscheidender aber waren die Unterbrechung der habsburgischen Kaiserreihe zwischen 1740 und 1745 sowie später das Nebeneinander von Maria Theresia als Erblandsfürstin und Franz I. Stefan bzw. Joseph II. als Kaiser bis 1780 für die Ausbildung eines eigenen österreichischen „Außenministeriums" nach modernen Verwaltungsprinzipien und die endgültige Zurückdrängung der reichischen Komponente zugunsten einer „österreichischen Außenpolitik". Mit königlicher Entschließung vom 14. Februar 1742 wurde die auswärtige Sektion der Hofkanzlei als Staatskanzlei verselbständigt und an ihre Spitze Anton Corfiz Graf Ulfeid (1699 - 1769), 1740 Großbotschafter an der Hohen Pforte, berufen. Die Staatskanzlei war fortan für die Expedition sämtlicher Haus- und auswärtiger Sachen zuständig. Entscheidendes beratendes Gremium blieb nach wie vor die Konferenz. Dies änderte sich erst mit der Berufung des Grafen Kaunitz zum Staatskanzler. Noch vor seiner Rückkehr von den Aachener Friedens Verhandlungen war er am 15. Januar 1749 in die Konferenz berufen worden und, Staatskanzler Ulfeid überflügelnd, zunehmend zum eigentlichen Vertrauten der Kaiserin-Königin in außenpolitischen Fragen aufgestiegen, mit der er auch während seiner Pariser Botschafterzeit über den Kabinettssekretär Ignaz Koch in stetem Kontakt stand. Im Dezember 1751 hatte ihm dieser auftrags der Kaiserin den Posten des Staatskanzlers angetragen, an dessen Annahme Kaunitz vielerlei Bedingungen v.a. organisatorischer Natur knüpfte. Maria Theresia gab seinen Forderungen nach, die einen tiefen Griff in den Staatssäckel bedeuteten; spätestens im Oktober 1752 war die Sache zu Kaunitz* Gunsten entschieden, der nun aus Paris abberufen wurde und im April 1753 wieder in Wien eintraf. Die alte Garde der Staatskanzlei mußte nach der Einsetzung Kaunitz' das Feld räumen: Ulfeid wurde Obersthofmeister, Bartenstein Vizekanzler beim Directorium in publicis et cameralibus und wirklicher Konferenzminister.

I. Der institutionelle Rahmen österreichischer Außenpolitik

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Mit der definitiven Bestellung Kaunitz' zum Staatskanzler am 13. Mai 1753 wurde nicht nur der Geschäftsgang der Staatskanzlei rationalisiert, sondern diese Behörde zur unumstrittenen Lenkerin der habsburgischen Außenpolitik ausgebaut. Der Staatskanzler trug in dauerndem Kontakt mit dem Monarchen weitgehend die alleinige Verantwortung für die Außenbeziehungen Österreichs; die „außenpolitische Sprache" der Habsburgermonarchie war endlich eine wirklich einheitliche und konsequente, die Stimme der zusehends verfallenden Geheimen Konferenz dagegen immer weniger vernehmbar, ehe sie bald ganz verstummte. An die Stelle des Einmannbetriebes à la Bartenstein trat im Sinne einer ausgreifenden Bürokratisierung eine tragfähigere Organisation. Die Agenden wurden nach dem Modell des französischen Staatssekretariats in Ressorts eingeteilt und vor allem neue höher qualifizierte Beamte nach den Vorstellungen Kaunitz* berufen (vgl. auch Anhang Π). Der höhere Adel blieb weitgehend ausgesperrt. Aus der von Bürgertum und Briefadel getragenen inneren Hierarchie der Staatskanzlei entstand vielmehr eine Bürokratie sui generis. Die Staatskanzlei wurde für lange Zeit zur fast ausschließlichen Anlaufstelle der eigenen wie der ausländischen Gesandten. Letzteren räumte man wohl nach französischem Vorbild zur Kontaktnahme mit der Zentralbehörde u.a. dienstägliche Jours fixes bei Kaunitz ein. Teile des diplomatischen Korps bildeten auch das Stammpublikum der Kaunitzschen Empfänge im Staatskanzleigebäude oder in seinem Lieblingswohnsitz, dem Sommerpalais in Wien-Mariahilf (Palais Kaunitz-Esterhäzy, Amerlingstraße, Wien VI, 1971 abgebrochen). Die Kaunitzschen Soiréen und besonders die sonntäglichen „assemblées" blieben bis ins Todesjahr des Staatskanzlers 1794 ein wichtiger gesellschaftlicher Fixpunkt für die ausländischen Gesandten, die bei dieser Gelegenheit auch Sachfragen mit Kollegen oder österreichischen Verantwortlichen besprechen konnten. Ende März 1757 kam es zu einer neuen Kompetenzerweiterung der Staatskanzlei durch Angliederung des italienischen (ehemals spanischen) und des niederländischen Rates und der Schaffung entsprechender Departements („k. k. Geheime Hof- und Staatscanzley der auswärtigen, niederländischen und italiänischen Geschäften") 3. Erst zu Beginn der neunziger Jahre wurden eine eigene Niederländische und eine Italienische Hofkanzlei geschaffen (1793). Im Juni 1762 erhielt Kaunitz noch die Oberaufsicht über das Hausarchiv übertragen. Das ursprünglich vorgesehene Amt eines Vizekanzlers blieb nominell längere Zeit unbesetzt, de facto führte es anfangs ein alter Vertrauter und Mitarbeiter Kaunitz', Friedrich Freiherr Binder von Krieglstein (1708 - 1782), als Geheimer Staatsreferendar, 1766 - 1771 Staatsminister 3

4*

Vgl. dazu etwa Zedinger 1996, Galand 1996, Capra 1996.

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Α. Voraussetzungen

Johann Anton Graf von Pergen (1725 - 1814) als „Quasi-Vizekanzler" mit Aufsichtsfunktionen über alle Abteilungen der Staatskanzlei, ab 1771 wieder Binder 4. c) Die Auflockerung

der Kaunitzschen „Alleinherrschaft"

Die intensiven Reformschübe der spät-mariatheresianischen und schließlich auch der josephinischen Zeit gingen an der Staatskanzlei spurlos vorüber. Gefahr drohte ihr immerhin in den frühen siebziger Jahren durch Reformpläne Josephs II., in denen es vor allem um administrative Neuordnungen und nicht zuletzt um die Errichtung eines obersten Kabinetts für Interna und Außenpolitik ging; der Vorstoß konnte von Kaunitz abgewehrt werden. Die Bruchlinien verliefen auch weniger im vordergründig institutionellen Bereich; viel entscheidender war die faktische Machtverschiebung nach 1765. Wechselseitige Rücktrittsdrohungen des Staatskanzlers, der in seiner langen Laufbahn übrigens wiederholt zu dieser taktisch wirksamen Maßnahme griff (1766, 1773, 1776, 1779, 1790), bzw. des Kaisers zeigten über konkrete Streitpunkte hinaus, wie gespannt das Klima war, als Joseph II. mehr und mehr in die hohe Politik, v. a. auch in die Außenpolitik, drängte. In einem komplexen Prozeß der Veränderung wurde die „Alleinherrschaft" des Kanzlers wenigstens seit 1765 allmählich durch ein nicht selten dissonantes „Triumvirat" (D. Beales) bzw. eine „Politik zu dreien" (F. Walter) mit wechselnden Koalitionen zwischen Maria Theresia, Joseph II. und Kaunitz abgelöst. Schon im Mai 1779 gelang durch die Berufung des bei Joseph Π. seit der gemeinsamen Frankreichreise 1777 in hoher Gunst stehenden österreichischen Verhandlungsleiters bei den Teschener Friedensgesprächen und den Vizepräsidenten der Ministerialbancodeputation, Graf Johann Philipp Cobenzl (1741 - 1810) zum Hof- und Staats Vizekanzler, der den Staatskanzler entlasten und nötigenfalls vermittelnd eingreifen sollte, eine personalpolitisch wichtige, nicht zuletzt der Entspannung gegenüber dem Kaiser dienende Neugestaltung innerhalb der Kanzlei ... eine Vorauszahlung auf das Dezennium der Alleinherrschaft Josephs Π. Der altgediente, nunmehr kränkelnde und bei Joseph II. ohnedies nicht beliebte Staatsreferendar Binder schied aus dem Dienst, um Rangkomplikationen zu vermeiden. Kaunitz selbst hatte Cobenzl in Vorschlag gebracht und auf dessen „Nähe" zum Kaiser sicher einige Hoffnungen gesetzt: „Ich finde bey ihm [Cobenzl]", hieß es in dem entsprechenden Vortrag des Staatskanzlers vom 21. Mai 1779, „einen Caracter voller Rechtschaffenheit, einen sistematischen Kopf, leichte undrichtigeBegriffe, die Gabe, geschwind zu übersehen und zu combiniren, eine praktische Fertigkeit in Behandlung der Geschäfte, einen 4

Bernard 1991. Über Binder zuletzt Strimitzer

1996 und dies. 1998.

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angenehmen und billigen Conciliationsgeist mit Standhaftigkeit vereiniget, die erforderliche Arbeitsamkeit und mit einem Worte alle jene Eigenschaften, die von ihm mit Hilfe einer fleissigen Verwendung, längerer Erfahrung und unter meiner Anleitung sehr nützliche und vorzügliche Dienste in allen mir unterstehenden Departemens mit vollem Grunde anhoffen lassen."5 Cobenzl bildete auch, wie schon vor ihm Freiherr von Binder, das lebende Bindeglied zwischen Souverän und Staatskanzler, da Kaunitz seit längerem nicht mehr bei Hof erschien und, wenn nicht die Monarchen selbst sich zum Staatskanzler verfügten, die Einsendung schriftlicher Vorträge die mündliche Besprechung völlig ersetzen mußte; so kam Kaunitz mit dem schwerkranken Joseph II. - eine Folge seiner Hypochondrie und panischen Angst vor Ansteckung - nach dessen Rückkehr aus dem Türkenkrieg seit Ende 1788 nicht mehr zusammen. Auch an den 1790 reaktivierten Konferenzen nahm der Staatskanzler persönlich nicht teil. Leopold Π. und Franz II. suchten später wieder das persönliche Gespräch und erwiesen dem schwierigen Charakter durch ihre Visiten in der ja nur wenige Meter von der Burg entfernten Staatskanzlei ihre protokollarisch mehr als merkwürdige Reverenz. Die Nonchalance Kaunitz' im Umgang mit seinen Souveränen, seine „Désagréments" und „Wunderlichkeiten" sorgten für entsprechend reichhaltigen Gesprächsstoff und für staunendes Kopfschütteln ausländischer Beobachter 6. Cobenzls enger Kontakt zu Joseph II. erlaubte vor diesem Hintergrund in Teilbereichen eine vorsichtige Umgehung des Staatskanzlers; Belege für eine völlige Überflügelung Kaunitz' durch den Vizekanzler lassen sich nicht aus5 Vortrag Kaunitz (21. 5. 1779; StK Vorträge 129 Konv. 1779 V; zit. bei [Schiitter] 1899a, Ulf.). An die ausländischen Gesandten und Minister in Wien erging ein Rundschreiben, das sie über die neue Gestaltung der Behörde in Kenntnis setzte, denn Cobenzl wurde als „vice-chancelier de tous les départemens" gerade im Verkehr mit dem diplomatischen Korps zu einem alter ego des Staatskanzlers und zu einer wichtigen Anlaufstelle: „Ce ministre en conséquence sera autorisé dorénavant à écouter tout ce que Messieurs les ambassadeurs et ministres des cours étrangères accrédités à la cour impériale et royale jugeront à propos de lui confier en affaires relatives à mes différents départements, et ce qu'il aura l'honneur de leur dire de son côté, ils pourront le regarder comme dit par moi-même." StK Interiora Personalia C-D 2 Konv. StK Personalia alt Fasz. 3 Dossier Cobenzl: Rundschreiben Kaunitz* an die ausländischen Diplomaten in Wien (22. 5. 1779). Vgl. auch Arneth 1879, Bd. 10, 643 - 646. Grundlegend [Arneth] 1885 mit der zusammenfassenden Einleitung und interessanten, leider aber relativ knappen Bemerkungen Philipp Cobenzls über das „Innenleben" der Staatskanzlei. 6 Eine mittlere Sensation war es daher, als Kaunitz im Mai 1790 für die erst zwei Monate nach ihrem Gatten Leopold II. von Florenz in Wien eintreffende Apostolische Königin seine selbstgewählte Isolation durchbrach und ihr in Laxenburg seine Aufwartung machte: Noailles an Montmorin (20. 5. 1790; AMAE CP Autriche 359). Kaunitz an Veigl (17. 5. 1790; SA Toskana Weisungen 32 Konv. Staatskanzlei-Veigl 1790), Zirkular der Staatskanzlei (19. 5. 1790; SA Holland 93 Konv. Holland Weisungen 1789 - 1792).

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Α. Voraussetzungen

machen. Von Situation zu Situation wechselten auch hier die Koalitionen. Einmütigkeit herrschte vor allem dann zwischen Kaunitz und seinem Vizekanzler, wenn man - ohne allzu offenen Widerstand zu wagen - etwa im belgischen Verfassungskonflikt von 1787 die kaiserliche Linie durch eine Art Arbeitsstreik boykottierte oder sich über Versuche außenstehender Dritter skandalisierte, die direkten Einfluß auf den Kaiser zu gewinnen suchten, wie etwa Ferdinand Graf Trauttmansdorff-Weinsberg (1749 - 1827), der bevollmächtigte Minister in den Österreichischen Niederlanden (1787/89), der unmittelbar mit Joseph II. verkehrte und die Staatskanzlei als vorgesetzte Behörde mit angeblich hohlen Berichten abspeiste ... „démarches irrégulières, infiniment préjudiciables au service du maître" 7. Mag sein, daß unter dem selbständigeren und mit viel Widerspruchsgeist ausgestatteten Joseph II. ein bloß „leidliches Verhältnis" (A. Novotny) des Staatskanzlers zum Monarchen an die Stelle der jahrzehntelang fast ungetrübten und zunehmend verklärt gesehenen Zusammenarbeit mit Maria Theresia trat, obwohl Kanzler und Kaiser auch in ihren „philosophischen Grundsätzen" überraschend weitgehend übereinstimmten. Unbestritten ist: auf die lange Erfahrung und das enorme Fingerspitzengefühl des Staatskanzlers wurde auch zwischen 1780 und 1790 größter Wert gelegt, selbst wenn man seinen Rat nicht mehr zwangsläufig befolgte. Daß nach wie vor alle wesentlichen Fäden in der Staatskanzlei zusammenliefen, bewährte sich dabei ganz vorzüglich und engte auch die Möglichkeiten zu ihrer Übergehung drastisch ein. Der Fürst-Kanzler - nicht mehr treibende Kraft der österreichischen Außenpolitik, die ihre Impulse vom Kaiser empfing, und daher auch viel weniger „autonom" als zu Lebzeiten der Kaiserin - rückte mehr in die Rolle eines geschätzten Konsulenten und - bei der Sprunghaftigkeit Josephs besonders nötigen - Koordinators und Bremsers gegen Hast und Übereifer; F. Walter hat es mit dem Gegensatzpaar überstürzendes Temperament versus pedantische Gemächlichkeit zu umschreiben versucht. Vielleicht charakterisiert eine Bemerkung Staatsvizekanzler Cobenzls aus dem Jahre 1787, Kaunitz habe „le jugement fort bon, mais pas autant de mémoire et malheureusement 76 ans sur les épaules", den greisen Behördenchef in seinen letzten aktiven Jahren am besten8. 7 Ph. Cobenzl an Kaunitz (7. 1. 1789; GK 406 Konv. A; Druck: [Schiitter] 1899a, 51) und Kaunitz an Trauttmansdorff P. S. réservé (8. 8. 1789; Belgien DD A Weisungen 64; Druck: [Schiitter] 1902, VII Anm.). Vgl. auch [Arneth] 1885, 33. Man verdächtigte Trauttmansdorff, die Nachfolge Kaunitz' anzustreben. Über Trauttmansdorff: Wurzbach 47, 57 - 61. Er wurde 1793 niederländischer Hofkanzler, 1805 in den Fürstenstand erhoben, 1807 schließlich Obersthofmeister. 8 Ph. Cobenzl an L. Cobenzl P. S. (11. 10. 1787; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 208). Ausländische Botschafter spekulierten seit 1789 für die Zeit nach dem zu erwartenden Tod Josephs mit einem Rückzug Kaunitz': Montmorin an Noailles (5. 6. 1789; AMAE CP Autriche 357).

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d) Wie arbeitete die Staatskanzlei? Über den Geschäftsgang und das Funktionieren der Staatskanzlei unter der Ägide Kaunitz', aber auch über die Arbeitsweise des Staatskanzlers selbst sind wir bedauerlicherweise nicht oder nur spärlich informiert. Eine gründliche Behörden- und Kanzleigeschichte wird Voraussetzung für jede tieferstrebende Erkenntnis sein. V.a. für die Spätzeit der Ära Kaunitz, als Männer des zweiten Gliedes und »homines novi* vermehrt Beachtung fanden, die Reihen der alten, dem Kanzler eng verbundenen Mitarbeiter sich aber weiter gelichtet hatten, fällt es schwer, die Machtkämpfe innerhalb der Staatskanzlei und den unterm Strich real verbleibenden Anteil des greisen Fürsten am Betrieb der Staatskanzlei und damit auch an der Außenpolitik Österreichs korrekt einzuschätzen. Vizekanzler Cobenzl eröffnete dem Kaiser jedenfalls schon 1788, daß Kaunitz selbst nichts mehr lese, und hielt daher Informationen zurück, von denen er nicht wollte, daß sie innerhalb des Mitarbeiterkreises der Staatskanzlei frei zirkulierten und so zu „sujets de conversation" würden. Die zunehmend langsame, wenig expeditive Arbeitsweise des Staatskanzlers erforderte bisweilen merkwürdige Irrwege, indem man etwa durch mit den Ideen des Fürsten vertraute Beamte Materialien schon zum voraus ausarbeiten ließ oder ihn überhaupt überging bzw. vor vollendete Tatsachen stellte, wenn die Zeit besonders drängte9. Die Handschrift Kaunitz' begegnet gegen Ende seiner Amtszeit fast nur noch in Form von Unterschriften, Paraphen oder im privaten Briefverkehr mit engeren Vertrauten in Gestalt eines eigenhändigen „tout à vous" anstelle der Unterschrift, bemühte man sich doch verstärkt, ihm durch Rationalisierung häufiges Signieren nach Möglichkeit zu ersparen 10. Den verläßlichsten Hinweis auf den authentisch „Kaunitzschen Ursprung" eines Schriftstücks liefern Bemerkungen wie „dicté par S. Α." oder „dictante celsissimo" auf Reinkonzepten. Die Unterschrift alleine, die der Behördenchef unter alle wichtigen Dokumente setzte, sagt mit den Jahren zunehmend wenig aus, und auch die von uns im folgenden stets gepflogene Zitierung des diplomatischen Briefverkehrs mit „Kaunitz an ..." trägt mehr dem Formalen Rechnung als der tatsächlichen Urheberschaft. 9

Ph. Cobenzl an Joseph II. (28. 2. 1788 u. 2. 10. 1789; StK Vorträge 145 Konv. I - IV u. 146 Konv. 1789 X - XII; Druck: [Brunner] 1871, 94f). Über „Bruchstellen" in der Struktur der Staatskanzlei und ζ. T. sehr mangelhafte Koordinierung zwischen Behördenchef, Kanzlei und dem gleichfalls eigenständig agierenden Kaiser vgl. etwa auch kritische Bemerkungen des Staats Vizekanzlers gegenüber seinem 1901, Bd. 2, Vetter Ludwig Cobenzl, k.k. Botschafter in Petersburg: [Beer/Fiedler] 207 f., 228, 346. 10 Zu dieser „Kanzleireform" ausführlicher Ph. Cobenzl an Kaunitz (10. 3. 1787; GK 406 Konv. A; Druck: [Schiitter] 1899 a, 45).

Α. Voraussetzungen

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e) Das Verhältnis zwischen Staatskanzlei und Reichshofkanzlei nach 1753 Der meteorhafte Aufstieg der Staatskanzlei seit 1753, die auch Haus- und Hofkanzlei und als Vertreterin der Gesamtstaatsinteressen nach innen wie nach außen vornehmste Zentralbehörde war, hatte die Reichskanzlei endgültig deklassiert und selbst die einstige organisatorisch-protokollarische Vorrangstellung der Reichsbehörde im Rahmen der habsburgischen Außenpolitik, wie sie noch in der Konvention zwischen dem Inhaber des Erzkanzleramtes, dem Mainzer Kurfürsten, und Franz Stephan von Lothringen vom 9. September 1745 greifbar wird, in Frage gestellt. Nach dem Vertrag von 1745 (v.a. Punkte 3 und 4), der dem Kanzlei vertrag Karl VII. Albrechts von 1742 entsprach, sollten die kaiserlichen Minister an fremden Höfen ihre Kreditivschreiben, Instruktionen und weiteren Verhaltensbefehle eigentlich von der Reichskanzlei erhalten und im Wege des Reichsvizekanzlers die Berichte zu Händen des Kaisers einsenden. Gleichermaßen mußten die fremden Gesandten ihre „Recredentiales" aus der Reichskanzlei (wo auch ihre Kreditivschreiben aufbewahrt wurden) ausgestellt bekommen, ebenso „kaiserliche Verbescheidungen oder Decreta" auf ihre Anbringen 11. Starke Widerstände am Wiener Hof führten zu neuerlichen Verhandlungen im Oktober, die mit großen Zugeständnissen des Erzkanzlers endeten („Erläuterungen" zum Kanzleivertrag, 17. Oktober 1745). 1764/65 kam kein neuer Kanzleivertrag zum Abschluß. Anläßlich eines 1781 nach der Wiedervereinigung der habsburgischen Familienkronen mit der Kaiserkrone in einer Hand aufflammenden neuerlichen Kompetenzstreites zwischen Staats- und Reichskanzlei um die Frage, welche Behörde zur Ausstellung von Beglaubigungs- und Abberufungsschreiben für die k.k. Diplomaten und zur Übernahme von Schriftsätzen der fremden Gesandten befugt sei, legte Kaunitz eine Position offen, die, wie er selbst ausführte, dem alltäglichen, rechtlich nicht abgesicherten Usus entsprach. Nach Darstellung des Staatskanzlers hatte sich durch die neuerliche Personalunion von Kaiserwürde und Herrschaft über die Erbländer nach 1780 für die fremden Mächte eben die Gepflogenheit eingeführt, von ihren diplomatischen Vertretern in Wien bloß ein Kreditivschreiben einhändigen zu lassen, und auch die habsburgischen Diplomaten im Ausland übergaben nur mehr einfache Beglaubigungen. Der Reichsvizekanzler war nach Ansicht Kaunitz' einzig für Formalsachen und Korrespondenzen mit den Reichsständen zuständig, die Staatskanzlei für „die übrigen politischen Weltgeschäfte und das Verhältnis des k.k. Hofes mit allen anderen Höfen, welche nicht bloß Kuhrfürsten, Fürsten und Stände des Reichs sind". Immerhin wurde wechselseitige Informationspflicht konzediert und eine 11

Kretschmayr

1898, 488 - 493.

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entsprechende Aufteilung der kanzleimäßigen Zuständigkeiten vorgeschlagen. Der Kaiser folgte dem Einraten Kaunitz' und instruierte den Reichsvizekanzler in diesem Sinne 12 . Das Zusammenwirken der Staatskanzlei mit der Reichskanzlei erfolgte durch Beratungen zwischen dem von den Reichsreferendaren unterstützten Reichsvizekanzler einerseits und Staatskanzleibeamten andererseits; gleichzeitig etablierte sich zum gegenseitigen Informationsaustausch ein Notenwechsel zwischen den beiden Behörden, der allerdings nicht immer reibungslos funktionierte. In einem neuen Kanzleivertrag zwischen Leopold Π. und Kurmainz vom 29. September 1790 (ratifiziert am 14. Oktober 1790) wurde schließlich festgestellt, daß die Vorschriften der Abmachung von 1745 „seit verschiedenen Jahren" abgekommen seien, und ein für beide Seiten akzeptabler 12 Vortrag Kaunitz (19. 8. 1781; StK Vorträge 134 Konv. 1781 VII - XII). Vgl. auch Mainzer Erzkanzlerarchiv Reichskanzlei 97 mit Material zu den Konflikten zwischen Staats- und Reichskanzlei im Umfeld der Kanzlei Verträge von 1790/92, u. a. „Monita zu einem künftigen Kanzleyvertrag" (o. D.), wo von der Reichskanzlei unter Punkt 10 zur Nichteinhaltung der Art. 3 und 4 des Kanzlei Vertrags von 1745 Stellung bezogen wird: „Wey land Seine Kay serliche Mayestät haben hingegen unterm 17ten August 1781 zu verordnen geruhet, daß die Creditive deijenigen hier ankommenden fremden Gesandten, deren Höfe zum Reich nicht gehörten, bey der erbländischen Staatskanzley aufbewahret und auch von dieser nicht nur die Recreditiven für solche fremde Minister, sondern auch die eigene Creditive für die an solche Höfe von hier abzufertigende Gesandte expediret werden solten. Die geheime Reichshofkanzley bezweifelt ganz und gar nicht, daß ein Regent des Erzhauses Österreichs auch bios qua talis Gesandte an fremde Höfe schicken könne, da aber diese Gesandte den Namen und Rang eines kayserlichen Gesandten behaupten, so ist nothwendig, daß alle Gesandte, sie mögen geschickt werden, wohin sie wollen, um würcklich als kayserliche Gesandte agnoscirt zu werden, sich mit würklichen kayserlichen Creditiven legitimiren, welche nach deutlicher Vorschrifft der bisherigen Wahlcapitulationen nur allein in der Reichskanzley gefertigt werden können. Ebenso legitimiren sich alle hieher kommende fremde Gesandte bey dem hiesigen Regenten zugleich auch als des teutschen Reichs Oberhaupt, und sie besorgen alle Angelegenheiten ihrer Herren, die auf das teutsche Reich einen Bezug haben. Die kayserliche Eigenschaft ist die erste, sie geht der königlich hungarischen, böhmischen, erzherzoglich oesterreichischen etc., kurz allen, vor. Die Reichskanzley muß also bitten, daß ihr die Creditive aller an des Kaisers Mayestät abgeschickten Gesandten zur Aufbewahrung zugefertiget und auch ihr gestattet werden möge, alle solche Gesandte mit Recreditiven zu versehen." Nach dem Tod Josephs II. 1790 wurde der französische Botschafter in Wien mit zwei Kreditivschreiben ausgestattet, eines zur Vorlage an den neuen Apostolischen König, eines für die Königin. Beide wurden auch tatsächlich eingehändigt. Die Wiener Behörden waren einigermaßen verwirrt und wußten nicht recht, worauf sie diese Rückkehr zu den Zuständen von vor 1780 zurückführen sollten: Vorträge Kaunitz (10. u. 13. 4. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 IV - V). Noailles an Montmorin (10. 4., 26. 5. 1790; AMAE CP Autriche 359).

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Α. Voraussetzungen

modus operandi gesucht: Kreditive und Rekreditive waren aus Reichs- und Staatskanzlei auszufertigen. Mit Berichten und Instruktionen in Reichssachen mußte die Reichskanzlei, mit solchen in „Haussachen" die Staatskanzlei befaßt werden. Die Kreditive fremder Minister wollte man - außer in Fällen der Doppelausfertigung - im Original bei der Reichskanzlei, „in authentisirten Abschriften" bei der Staatskanzlei deponieren (§ 1). Reichsvizekanzler und Reichsreferendare sollten allen das Reich betreffenden Geheimen Staatskonferenzen beigezogen werden (§ 5). Franz II. bestätigte das Abkommen seines Vaters am 14. Juli 179213. Schon vor Ajourierung des Kanzlei Vertrages 1790/92 berichteten die k.k. Botschafter, Gesandten etc. - und zwar nicht nur die im Reich stationierten - in Ausführung allfälliger Instruktionen der Reichshofkanzlei an den Reichsvizekanzler und sandten im Bedarfsfall zugleich Auszüge dieser ihrer Relationen an die Staatskanzlei. Dabei war der Schriftwechsel mit der Reichskanzlei den Einberichtungen an die Staatskanzlei ganz eindeutig untergeordnet, wie auch die Reichskanzlei aus der Sicht Habsburgs hinter der Staatskanzlei rangierte. Selbst in Reichssachen wurden Vorträge des Reichsvizekanzlers an den Kaiser regelmäßig zur Begutachtung an den Staatskanzler weitergeleitet und somit in erster Linie nach genuin österreichischen Erwägungen beurteilt. Reichspolitik war eben längst zur Außenpolitik geworden14. Das Präsentationsrecht des Mainzer Erzkanzlers für den Posten des Reichsvizekanzlers wurde dagegen streng gewahrt. So verzichtete man 1788 darauf, neben dem von Mainz präsentierten Fürsten Colloredo die Bewerbung des bevollmächtigten Ministers in den Österreichischen Niederlanden und ehemaligen Gesandten in Mainz, Graf Trauttmannsdorff, ins Spiel zu bringen, um nicht durch einen Zweiervorschlag das Nominationsrecht zu verletzen oder auch nur einzuengen, obwohl Staatsvizekanzler Cobenzl ausdrücklich wünschte, die Stelle zum Besten des allerhöchsten 13 Die Kanzleiverträge sind abgedr. bei Kretschmayr 1898, 494 - 500 und 500 f. Die Übergabe der Kreditive erfolgte natürlich an den Kaiser selbst. Die Staatskanzlei erhielt zuvor durch den neu akkreditierten Diplomaten eine Abschrift seiner Beglaubigungsschreiben, erstattete Bericht an den Kaiser und verwies den Diplomaten zur Übergabe der Originale in einer besonderen Audienz an den für den inneren Dienst zuständigen Oberstkämmerer, der Tag und Stunde der Audienz beim Monarchen festsetzte. Ein weiteres Hofamt kam gleichfalls - wenigstens auf protokollarischer Ebene - mit den ausländischen diplomatischen Vertretern in Kontakt: Dem Obersthofmarschall standen der Empfang und die Begrüßung von Gesandtschaften zu, er betreute Rechtsangelegenheiten des diplomatischen Korps und übernahm die Anzeige gewisser Festlichkeiten bei Hof an die Diplomaten: Zolger 1917, 108, 120. 14 Diese Gutachten sind für die Zeit von 1767 - 1790 erhalten und bilden im Fonds StK Interiora als Reichszirkulanden einen eigenen Bestand. Mehrfach enthält auch der Bestand StK Vorträge Stellungnahmen zu Vorträgen der Reichskanzlei.

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Dienstes mit einer der Staatskanzlei verpflichteten und von ihr steuerbaren Person zu besetzen15. Die ursprünglich starke Rolle der Staatskanzlei in Reichssachen scheint dann unter Leopold Π. deutlich verblaßt zu sein, und schon bald kam es wieder zu störenden Doppelgleisigkeiten im Agieren von Reichs- und Staatskanzlei. Leopold II. entschied Reichsangelegenheiten allein auf Vortrag des Reichsvizekanzlers bzw. nach Anhörung der „Reichskonferenz", die sich aus dem Reichsvizekanzler, den Reichsreferendaren und gegebenenfalls aus dem Reichshofratspräsidenten zusammensetzte. Die Teilnahme des Reichsvizekanzlers sowie die Beiziehung von Reichsreferendaren zur geheimen Staatskonferenz blieben ungeachtet der Bestimmungen des Kanzlei Vertrags von 1790 sehr eingeschränkt. Lediglich das Protokoll zur Konferenz vom 17. Januar 1792 weist noch eine Beteiligung Reichsvizekanzler Colloredos aus, der dabei auch sogleich die alte und kanzleivertragsgemäße Forderung nach Einbindung der Spitzen der Reichskanzlei in die Konferenz unterstrich. Die Frage der Entschädigung jener Reichsstände, die im Elsaß begütert und durch die Aufhebung des Feudalregimes in Frankreich von den revolutionärem Neuerungen direkt betroffen waren, verhalf der Reichskanzlei nach 1789 zu neuer Aktivität, zumal sich die Staatskanzlei in dieser als Reichssache betrachteten Angelegenheit nicht an vorderster Front engagierte, aber - wenn nötig - die weniger pragmatisch und mehr formalrechtlich argumentierende Reichskanzlei zur Mäßigung anhielt. Nach den Beobachtungen des französischen Botschafters kam es mehrfach zu Spannungen zwischen den beiden Behörden, deren Beruhigung die eifersüchtige und bisweilen gereizte Aufsicht von Reichsvizekanzler Colloredo über die Agenden und Vorrechte seiner Kanzlei gewiß nicht zuträglich war. Ein sehr ausgebreiteter Notenwechsel und ein ebenso umfangreicher Informationsaustausch zeigten immerhin über die eitlen Kompetenzkonflikte hinweg die beiderseitigen Bemühungen um enge Kooperation in einer Frage, in der einerseits die reichsoberhauptliche Würde ohne den Rückhalt der habsburgischen Hausmacht eitle Hülle hätte bleiben müssen, Österreich aber andererseits Gefahr lief, durch die kaiserlichen Verpflichtungen rascher als genehm in einen gefährlichen Konflikt verwickelt zu werden 16. 15

Joseph II. an Ph. Cobenzl u. Ph. Cobenzl an Joseph II. (15. bzw. 16. 12. 1788; StK Vorträge 145 Konv. 1788 XI - XII). Ph. Cobenzl an Kaunitz (25. 11., 21. 12. 1788; GK 406 Konv. A; Druck: [Schiitter] 1899a, 50f.). Trauttmansdorff an Joseph II. (15. 11. 1788), P. S. Joseph II. an Trauttmansdorff (28. 11. 1788): [Schiitter] 1902, 155 - 157, 163. KA NL Zinzendorf TB 33 (14. 12. 1788). - Noailles an Montmorin (5. 11., 25. 12. 1788; AMAE CP Autriche 355). 16 FA Handarchiv Kaiser Franz 19 Band „Konferenzen der inländisch und auswärtigen Geschäften von Jahren 1790 & 1791" (Notât zur Konferenz vom 17. Januar 1792). - Noailles an Delessart (26. u. 30. 11. 1791; AMAE CP Autriche 23).

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Α. Voraussetzungen Anhang I: Die Herrscher

Joseph II. (Wien 13. März 1741 - ebd. 20. Februar 1790) ADB 14, 542 - 562, NDB 10, 617 - 622 (H. Wagner), Peter Baumgart in: Schindling/Ziegler 1990, 249 - 276. Mitrofanow 1910, 2 Bde., Beales 1987. Eine sehr nützliche Zusammenfassung neuerer Forschung ist Blanning 1994, für deutsche Leser gerafft Mikoletzky 1979. 1764 römischer König (Wahl 27. März 1764, Krönung 3. April 1764) 1765 Kaiser nach dem Tod (18. August) seines Vaters Franz I. Stephan (1708 1765) 1765 Mitregent (17. September), nach dem Tod Maria Theresias (29. November 1780) Alleinherrscher, König von Böhmen und Ungarn (keine Krönung) verheiratet: 1. 1760 Maria Isabella von Parma (1741 - 1763), 2. 1765 Maria Josepha von Bayern (1739 - 1767) Kinder: 1 Tochter Maria Theresia (1762 - 1770) aus 1. Ehe Leopold II. (Wien 5. Mai 1747 - ebd. 1. März 1792), Bruder des vorigen ADB 18, 322 - 336, NDB 14, 260 - 266 (A. Wandruszka), Lorenz Mikoletzky in: Schindling/Ziegler 1990, 277 - 287. Wandruszka 1963/65, 2 Bde., Peham 1987. 1765 - 1790 Großherzog von Toskana 1790 König von Böhmen und Ungarn (Krönung Prag 6. September 1791, Preßburg 15. November 1790) 1790 römisch-deutscher Kaiser (Wahl 30. September, Krönung 9. Oktober 1790) verheiratet: 1765 Maria Ludovica von Spanien (1745 - 1792) Kinder: 12 Söhne - darunter Franz (siehe dort), Ferdinand (1769 - 1824), Großherzog von Toskana, Karl (1771 - 1847), Alexander Leopold (1772 - 1795), 1790 ungarischer Palatin, Johann (1782 - 1859), 4 Töchter; 1 außerehelicher Sohn von Olivia Raimondi: Ludwig von Grünn (1788 - 1814). Franz II. (Florenz 12. Februar 1768 - Wien 2. März 1835), Sohn des vorigen ADB 7, 285 - 290, NDB 5, 358 - 361 (H. Hantsch), Walter Ziegler in: Schindling/ Ziegler 1990, 289 - 328. Eine abschließende Biographie fehlt. Das zweibändige Werk von Drimmel 1981, hier Bd. 1, ist „wissenschaftlich wertlos" (W. Ziegler). Zu Jugend und Herrschaftsantritt vgl. v.a. Wolfsgruber 1899 und Langsam 1954. 1792 König von Böhmen und Ungarn (Krönung Prag 9. August 1792, Ofen 6. Juni 1792) 1792 römisch-deutscher Kaiser (Wahl 5. Juli, Krönung 14. Juli 1792) 1804 (11. August) Errichtung des österreichischen Kaisertums (als Kaiser von Österreich Franz I.) 1806 (6. August) Niederlegung der Kaiserkrone des römisch-deutschen Reiches verheiratet: 1. 1788 Elisabeth von Württemberg (1767 - 1790), 2. 1790 Maria Theresia von Neapel (1772 - 1807), 3. 1808 Maria Ludovica (1788 - 1816), 4. 1816 Karoline Auguste von Bayern (1792 - 1873) Kinder: 1 Tochter aus 1. Ehe, 4 Söhne und 8 Töchter aus 2. Ehe

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Anhang II: Der Personalstand der k.k. Geheimen Hof- und Staatskanzlei 1787 - 179217 Hof- und Staatskanzler

(13. Mai 1753)

Wenzel Anton Graf, 5. Januar 1764 Reichsfürst Kaunitz-Rietberg, erbländischer Fürstenstand, 27. Juni 1776, „Fürst von Kaunitz, Graf von Rietberg" (Wien 2. Februar 1711 - Wien-Mariahilf 27. Juni 1794, begraben Slavkov/Austerlitz bei Brünn/Brno) Eine abschließende Biographie des Staatskanzlers fehlt und bleibt „ein echtes Desiderat der Forschung" (G. Klingenstein). Eine Reihe von Fragmenten und Teilstudien kann diese grobe Lücke nicht wirklich füllen, die Kurzbiographie bei Wurzbach 11, 70 - 86, ist völlig ungenügend. Eine überaus nützliche, aber nur bis in die siebziger Jahre reichende Quellensammlung legte [Beer] 1872 vor. Arneth 1899 bleibt für die faktenmäßige Aufbereitung der Frühzeit unentbehrlich, bricht jedoch mit 1750 ab, da Arneth seine Geschichte Maria Theresias nicht „wiederholen" wollte. Vgl. auch seine Notiz in der ADB 15, 487 - 505; für die NDB schrieb K.O. Freiherr von Aretin den Eintrag über den Staatskanzler, den er als eigentlichen Schöpfer der österreichischen Großmachtstellung würdigt (Bd. 11, 363 - 369). Küntzel 1923 liefert oft brillante und scharfsinnige Analysen, bleibt aber letztlich zu sehr dem Essayhaften verpflichtet. Novotny 1947 beschränkt sich als geistesgeschichtliches Gegenstück zu Küntzel auf eine interessante eklektizistische Charakter- und Geistesskizze des Staatskanzlers, die aber eben nicht auf den Erkenntnissen einer gründlichen Durchdringung der Biographie aufzubauen vermag. Dem jungen Kaunitz verschreiben sich das mehr geistes-, bildungs- und sozialgeschichtlich orientierte Panorama von Klingenstein 1975, das die frühe Biographie des Staatskanzlers gleichsam als „case study" aufgreift und in einen breiteren Kontext einzuordnen sucht, und die Dissertation von McGill 1960, aus der mehrere Artikel hervorgingen. Als eine Art „bibliographie raisonnée" mag Jäger 1982 dienen. Nicht ganz ohne Nutzen, wenngleich bruchstückhaft und für ein breites Publikum konzipiert ist schließlich auch Simânyi 1984. Eine bittere Abrechnung mit Charakter und Wesen des Staatskanzlers lieferte Walter 1959, 40 - 59, auf die wegen ihrer (über-)pointierten Aussagen noch öfters Bezug zu nehmen sein wird. Wesentliche neue Einsichten bieten die veröffentlichten Beiträge einer wissenschaftlichen Tagung anläßlich des 200. Todestages des Staatskanzlers (Brünn 1994): Klingenstein/Szabo 1996. Von den neuesten (nicht-biographischen) Arbeiten von Lothar Schilling (1994) und Franz Szabo (1994) war schon in der Einleitung die Rede. Auf die nur wenige Politica enthaltenden Privatpapiere Kaunitz* innerhalb des Familienarchivs Kaunitz ist nachdrücklich zu verweisen (Landesarchiv Brünn). Vgl. Zaoralovà 1992, 33 - 80. Die Prunkstücke der Sammlung (Verleihung des Goldenen Vlieses, Fürstenstandsdiplome von 1764 und 1776) waren im Rahmen der Ausstellung „Wenzel Anton Fürst Kaunitz-Rietberg und seine Zeit" im Historischen Museum in Schloß Slavkov/Austerlitz (11. 6 . - 4 . 12. 1994), dem Stammsitz der Familie, zu sehen. „Amtliches" Schriftgut des Staatskanzlers ist nur bruchstückhaft im Familienarchiv erhalten (Voten, Protokolle, Vorträge an Maria Theresia, Konferenznotizen. ..). 17 Hof- und Staatsschematismen 199, 1791, 137 - 141.

1787, 202 - 207, 1788, 179 - 183, 1789, 195 -

Α. Voraussetzungen

62

Aus altem mährischem Geschlecht, das 1642 in den böhmischen Grafenstand, 1683 in den Reichsgrafenstand erhoben wurde, Sohn des Max Ulrich Grafen Kaunitz (1679 - 1746), der nach Tätigkeit als Reichshofrat und Diplomat von 1720 bis 1746 als Landeshauptmann von Mähren amtierte, und der Maria Ernestine geb. Gräfin Rietberg (1687 - 1758), Enkel des Reichsvizekanzlers Dominik Andreas. 1736 Heirat mit Marie Ernestine Gräfin Starhemberg (1717 - 1749), der Enkelin des Konferenzministers und Präsidenten der Ministerialbancodeputation Gundakar Thomas Grafen Starhemberg, 7 Kinder. 1731/32 Studium der Rechts- und Staats Wissenschaften an der Universität Leipzig, 1732 - 1734 Studienreise durch das Reich, die Vereinigten Provinzen, die Österreichischen Niederlande, Italien und Frankreich, 1734 kurzes Praktikum bei der Niederösterreichischen Regierung als Regimentsrat, 1735 - 1740 Reichshofrat der Herrenbank. 1741 Mission zur Notifikation der Geburt Erzherzog Josephs an den Höfen von Turin, Florenz und Rom, 1742 - 1744 außerordentlicher Gesandter in Turin, 1744 wirklicher Geheimer Rat, 1744 - 1746 Obersthofmeister der Generalstatthalterin Maria Anna, Schwester Maria Theresias und Gattin Karls von Lothringen, in Brüssel, nach deren Tod bevollmächtigter Minister (1745); danach längere Zeit aus gesundheitlichen Gründen ohne Verwendung. Im Dezember 1747 zum kaiserlichen Vertreter auf dem Aachener Friedenskongreß (1748/49) bestimmt, 1749 Konferenzminister, November 1749 Ritter des Goldenen Vlieses, ab 1750 kaiserlicher Botschafter am französischen Königshof. Hof- und Staatsvizekanzler

(Mai 1779)

Johann Philipp Graf von Cobenzl (1741-1810) NDB 3, 298 f., ADB 4, 363 - 369, Wurzbach 2, 391 f. Seine Memoiren (Hs. Weiß 978) wurden von [Arneth] 1885 ediert. An der Savoyischen Akademie in Wien und an der Universität Salzburg ausgebildet, seit 1760 in den Österreichischen Niederlanden in der Chambre des Comptes und im Conseil des Finances tätig, niederländischer Staatsrat, Hofkammerrat in Wien, 1774 Vizepräsident der Ministerialbancodeputation, 1777 Begleiter Josephs II. auf dessen Frankreichreise, 1779 österreichischer Verhandler auf dem Friedenskongreß in Teschen und Hof- und Staatsvizekanzler. Geheimer Hof - und Staatsreferendar

(Januar 1790)

Anton Edler (Reichsfreiherr) von Spielmann (1738 - 1813). - Nach Studium und ersten Berufserfahrungen bei der Hofkammer und der Niederösterreichischen Regierung wurde er in die Staatskanzlei versetzt; dort Hofsekretär, Rat und schließlich Hofrat, 1790 Geheimer Hof- und Staatsreferendar: ADB 35, 168 - 171, Wurzbach 36, 150 - 155. Hofräte

(Staatsoffiziale)

Heinrich Gabriel Freiherr (1763) von Collenbach (1706 - 1790). - Ursprünglich nassauischer Geheimer Rat, seit 1753 in der Staatskanzlei: ADB 4, 405.

I. Der institutionelle Rahmen österreichischer Außenpolitik

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Joseph Freiherr (1771) von Sperges (1725 - 1791). - 1763 Hofrat der Staatskanzlei, seit 1766 Leiter des italienischen Departements: ADB 35, 135 f., Wurzbach 36, 138 - 141, Pascher 1965. August Gottlob Freiherr (1778) von Lederer (1723 - 1795). - Seit 1766 Leiter des niederländischen Departements: Wurzbach 14, 294 f. Andreas Adolph Freiherr (1790) von Krufft (1721 - 1793): Wurzbach 13, 275f. Ägidius Freiherr von Collenbach (gest. 1805). - Seit Januar 1790 Hofrat der Staatskanzlei, Protokollführer der Geheimen Konferenz: WStLB, Portheim Katalog. Bernhard (1800 Freiherr) von Jenisch (1734 - 1807). - Einer der ersten Zöglinge der Orientalischen Akademie, seit 1770 im Dienst der Staatskanzlei, 1772 kurzzeitig als Legationssekretär während der Abwesenheit des Internuntius Geschäftsträger an der Hohen Pforte, 1776 Staatskanzleirat, Januar 1791 Hofrat, betreute die türkischen Angelegenheiten: ADB 13, 768, Wurzbach 10, 163f., Vortrag Kaunitz (24. 1. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 I). Karl Daiser (1800 Freiherr) von Sillbach (1756 - 1802). - 1787 Hofsekretär, Rat, seit Januar 1791 Hofrat der Staatskanzlei, betreute „mit den hierzu erforderlichen wissenschaftlichen Kenntnißen des deutschen Staatsrechts" die Reichsangelegenheiten; später Direktor des Staatsarchivs. WStLB, Portheim Katalog, Vortrag Kaunitz (24. 1. 1791; HHStA StK Vorträge 148 Konv. 1791 I), Bittner 1936/40, Bd. 1, 27. Die hierarchisch zwischen den Hofräten und den Hofsekretären angesiedelte Kategorie des Rates war in unserem Betrachtungszeitraum sichtlich nur kurzfristiges Durchgangsstadium. Einzig Jenischfiguriert in den Schematismen von 1787, 1788 und 1789 als Rat; der Schematismus des Jahres 1791 weist überhaupt keinen Staatskanzleirat mehr aus. Collenbach wurde 1790 direkt vom Hofsekretär zum Hofrat befördert. An Beamten des gehobenen und mittleren Dienstes verfügte die Staatskanzlei über einen Expeditor, 5 Hofsekretäre, 7 - 1 0 Offiziale und 1 - 2 Registratoren. Dazu kamen noch Türhüter und Kanzleidiener sowie die eigenen Beamtenstäbe der niederländischen und italienischen Abteilungen und des Archivs. Das Staatskanzleigebäude am Ballhausplatz/Schauflergasse - heute Sitz des Bundeskanzleramts - wurde nach Plänen von Lukas von Hildebrandt gegenüber der Burg für Zwecke der 1719 reorganisierten und erweiterten Österreichischen Hofkanzlei errichtet und später mehrmals umgebaut. Nach der Abtrennung der Staatskanzlei von der Österreichischen Hofkanzlei 1742 war der erste Staatskanzler, Graf Ulfeid, vorerst gezwungen, von seiner Wohnung im Schlegelhof (Renngasse) aus zu amtieren, da der österreichische Hofkanzler weiterhin das Gebäude bei der Burg mit Beschlag belegte. Bartenstein und sein Stab residierten dagegen von Anfang an im Gebäude der „Mutterbehörde", von der man sich eben abspaltete. Erst nach der Vereinigung der Österreichischen mit der Böhmischen Hofkanzlei 1749 überließ man das Palais am Ballhausplatz vollständig der Staatskanzlei. Die 1757 angegliederten niederländischen und italienischen Departements waren in der Herrengasse untergebracht18. 18

Zur Baugeschichte vgl. auch auch Wandruszka/Reininghaus

1984.

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Α. Voraussetzungen Anhang ΠΙ: Der Personalstand der Reichshofkanzlei 1787 - 179219

Reichsvizekanzler Rudolph Joseph Fürst (1763) von Colloredo-Waldsee (1706 - 1788). - 1737 bereits Substitut des Reichsvizekanzlers, während des Interregnums 1740 - 1742 geschäftsführender Reichsvizekanzler, Reichsvizekanzler 1745 - 1788: ADB 4, 420 - 422, NDB 3, 329. Franz de Paula Gundakar Fürst von Colloredo-Mannsfeld (1731 - 1807). - Sohn des vorigen, 1753 Reichshofrat, diverse ausländische Missionen, 1767/70 Botschafter in Madrid, 1788 - 1806 Reichsvizekanzler: ADB 4, 413f., NDB 3, 326. Geheime Referendare

der Deutschen Expedition

Franz Georg Freiherr von Leykam (1724 - 1793). - 1766 - 1788 Referendar der Deutschen Expedition, 1788 Konkommissar des Prinzipalkommissars in Regensburg: Wurzbach 15, 58 - 60. Franz Joseph Edler (1790 Freiherr) von Albini (1748 - 1816). - Seit 1775 am Reichskammergericht, 1787 lateinischer Referendar, 1788 - 1790 deutscher Referendar, 1790 kurmainzischer Hofkanzler: ADB 1, 220f., NDB 1, 149, Menzel 1974. Peter Anton (1800 Freiherr von) Frank (1746 - 1818). - Doktor beider Rechte, Januar 1791 deutscher Referendar (bis 1806): ADB 7, 261 f., Wurzbach 4, 327 f. Kanzleipersonal: 1 Registrator, 1 Konzipist, 1 Expeditor, 1 Expeditorsadjunkt, 14 Kanzlisten (1788: 15, 1789: 16, 1791: 17). Geheime Referendare

der Lateinischen Expedition

Karl Reichsfreiherr von La Sollaye zu Wartenberg. - 1782 - 1786 lateinischer Referendar: Groß 1933, 431 f. Noailles an Montmorin (19. 3. 1787; AMAE CP Autriche 352). Franz Joseph Edler von Albini (siehe oben). - 1787/88 lateinischer Referendar. Johann Baptist Reichsfreiherr (1790) von Horix (1730 - 1792). - 1789 lateinischer Referendar bis zu seinem Tod am 30. September 1792: ADB 13, 127f., Wurzbach 9, 270 - 272. Kanzleipersonal: 1 Registrator, 1 Konzipist, 1 Konzipistenadjunkt, 1 Registrant, 5 Kanzlisten (1789: 4, 1791: 5). Schließlich verfügte die Reichshofkanzlei noch über Diener, Heizer und Hausmeister sowie über die Sonderämter des Taxamtes, der Judizialregistratur und des Wappeninspektorsamtes, die hier nicht weiter interessieren.

19 Hof- und Staatsschematismen 171, 1791, 169 - 172 sowie Groß 1933.

1787, 176 - 179, 1788, 153 - 156, 1789, 168 -

I. Der institutionelle Rahmen österreichischer Außenpolitik

65

3. Das Kabinett

Neben den Amtskanzleien für die offiziellen Expeditionen bedienten sich die habsburgischen Herrscher von altersher vertrauter Schreibkräfte für Sekretkorrespondenzen. Kaiser Leopold I. griff selbst zur Feder und pflegte besonders wichtige Privatbriefwechsel mit seinen Diplomaten am spanischen Königshof. Hier konnte beiderseits ohne jene mehr oder minder große Rücksichtnahme, wie sie bei den zirkulierenden offiziellen Berichten und Instruktionen angebracht war, in médias res geschritten werden, so daß gerade der Informationswert dieser Privatkorrespondenzen besonders hoch einzustufen ist. Unter Karl VI. ging die unmittelbar vom Kaiser selbst betriebene Geheimdiplomatie zurück und verlagerte sich auf den engeren Beraterstab des Monarchen. So führte Prinz Eugen im Auftrag des Kaisers mit verschiedenen Gesandten geheime Korrespondenzen, die von der Zirkulation unter den Konferenzministern ausgeschlossen waren. Anfang der dreißiger Jahre nahm Karl VI. mit Hilfe Bartensteins den vertraulichen Verkehr mit wichtigen diplomatischen Vertretern wieder deutlicher in die eigene Hand. Prinz Eugen, dessen Entlastung der neue Modus dienen sollte, blieb anfangs eingebunden, ehe die Bedeutung Bartensteins wuchs und eine gewisse Tendenz zur Verdrängung des Savoyers erkennbar wird. Das System der kaiserlichen geheimen Handschreiben, das der Ausschaltung des Ersten Hofkanzlers Sinzendorf dienen sollte, breitete sich mehr und mehr aus, ein wachsender Kreis von Diplomaten wurde ins Vertrauen gezogen20. Die Existenz eines „echten" kaiserlichen Kabinetts ist erstmals unter Joseph I. bezeugt. Unter seinem Nachfolger Karl VI. begegnet 1716 ein Kabinettssekretär, Johann Theodor Freiherr (1721) von Imbsen (gest. 1742), der 1720 auch als Geheimer Cabinetssecretarius genannt wird. Mit zunehmender personeller Ausstattung und institutioneller Etablierung stieg die Kabinettskanzlei durch Übernahme der Vorträge der Behördenchefs und Ausgabe der allerhöchsten Resolutionen zur amtswegigen Vermittlerin zwischen den Hofstellen und Kanzleien einerseits und dem Monarchen andererseits auf, behielt aber zugleich ihre Funktion als geheimes Sekretariat. Zugeordnet wurde es bis nominell 1793 dem Oberstkämmereramt. Maria Theresia beschäftigte schon seit 1736 Joseph Ignaz von Wolffscron (gest. 1773) als Cabinetssecretarius. 1742 erhielt dieser in dem Hofkriegsrat Ignaz Freiherrn (1748) von Koch (1697 - 1763) einen Nachfolger mit zunehmend beträchtlichem Einfluß auch auf die auswärtige Politik, wo er nun ein Gegengewicht zu dem allzu übermächtigen Bartenstein bildete. 20

Vgl. Reinöhl 1963.

5 Hochedlinger

66

Α. Voraussetzungen

Koch hatte zuvor bereits jahrelang als Geheimsekretär Prinz Eugens für dessen Sekretkorrespondenz reiche Erfahrungen sammeln können21. Koch verfügte mit Karl Joseph Freiherrn (1770) Püchler seit 1742 über eine höhere Hilfskraft und eine größere Anzahl von Schreibkräften. Doch beschnitt die Berufung Kaunitz' zum Staatskanzler 1753 Kochs außenpolitischen Agenden deutlich; die Schaffung des Staatsrates entlastete ab 1761 die Kabinettskanzlei noch um die Bearbeitung der von den verschiedenen Hofstellen einlaufenden Berichte. Nach Kochs Tod 1763 kam es zu einer Art Zweiteilung der Kabinettskanzlei zwischen Cornelius Freiherrn (1765) von Nenny (gest. 1776) und Püchler, die nach dem Ableben Nennys mit der Wiedervereinigung der beiden „Abteilungen" unter Püchler wieder beseitigt wurde (1776). Unbeschadet der überragenden Vertrauensstellung Kaunitz' an der Spitze der Staatskanzlei führte auch Maria Theresia den alten Brauch fort, ex camera außen- bzw. familienpolitische Korrespondenzen! unter Umgehung der zuständigen Kanzlei abzuwickeln. So besorgte das Kabinett die geheime familiäre Korrespondenz der Kaiserin-Königin mit ihrem Botschafter in Paris, Graf Mercy-Argenteau, durch den sie sich dann insbesondere über die Geschicke ihrer 1770 mit dem Dauphin vermählten Tochter MarieAntoinette berichten ließ 22 . Joseph (II.) verfügte schon relativ bald über ein eigenes Kabinett, das er nach Übernahme der Kaiserkrone und der Mitregentschaft im Jahre 1765 kräftig ausbaute. In einer Zeit, da der Kompetenzstreit zwischen Reichsund Staatskanzlei durch die personelle Trennung der Kronen weitgehend ruhte, schob sich dafür bereits 1765, was die Erledigung von Reichssachen betraf, eine gewisse Rivalität zwischen dem Reichsvizekanzler und dem Kabinett des Kaisers in den Vordergrund. Als Kaiser Joseph II. 1773 versuchte, auch das Kabinett der Mutter zu reformieren und zu einem obersten Kontrollorgan auch für die Außenpolitik auszubauen, dem sogar die Kontrolle der Staatskanzlei obliegen sollte, führte dies zu einer ernsten „Führungskrise", indem Kaunitz, der nach Verdrängung seiner Behörde aus der Verwaltung der neuen polnischen Gebiete auch eine Entmachtung in den niederländischen und italienischen Geschäften befürchtete, um seine Entlassung ersuchte (Dezember 1773) und auch Joseph um Enthebung von der Mitregentschaft bat. Der Gedanke der Bildung eines obersten Kabinetts wurde später vom Kaiser nicht wieder aufgenommen. 1780 vereinigte Joseph sein Kabinett mit dem Maria Theresias unter Püchler (letzteres zählte 1779 immerhin 14 Personen), doch sank es nun vollends zu einer 21 1899 b edierte geheime KorreSiehe Huber 1983 und Kochs von [Schiitter] spondenz mit Graf Kaunitz während dessen Pariser Botschafterzeit. 22 [Arneth/Geffroy] 1874, 3 Bde.

I. Der institutionelle Rahmen österreichischer Außenpolitik

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Art Schreibstube des arbeitswütigen Kaisers herab. Kabinettsdirektor Püchler trat im Dezember 1786 in den Ruhestand, ihm folgte Joseph Franz Stephan von Kronenfels (1735 - 1812). Nach Herrschaftsantritt im März 1790 entließ Leopold II. bis auf Kronenfels den gesamten Stab der Kabinettskanzlei und berief neue Vertrauensleute.

4. Die k.k. Auslandsvertretungen

Das prinzipielle Widerspiel zwischen dem Kaiser als Erblandsfürsten bzw. als Reichsoberhaupt treffen wir auch in bezug auf die Außenvertretungen an, doch kam es hier, anders als in der Zentrale, insgesamt zu keiner echten Doppelgleisigkeit. Der Kaiser wurde in seinen beiden Rechtsnaturen nur einfach vertreten, so daß »kaiserlich* und »österreichisch* durchaus synonym verwendet werden können. Lediglich in der Reichstagsstadt Regensburg „spaltete" sich Wien in verschiedene Vertretungsbehörden 23. Nach 1648 waren insbesondere die Erklärung von Krieg und Frieden und der Abschluß von Bündnissen für das Reich in corpore gemeinsame Angelegenheiten von Kaiser und Reichsständen (Art. VIIIIPO, §§ 62 - 66 IPM). Die Tendenz des Wiener Hofes ging jedoch immer dahin, die Reichsstände von Friedensverhandlungen auszuschließen, die Entsendung von Reichsdeputationen zu verhindern und den kaiserlichen Diplomaten einen unbedingten Alleinvertretungsanspruch zu sichern; dies führte auch regelmäßig zu Komplikationen. Einzelne Staatsrechtler billigten dem Kaiser das Gesandtschaftsrecht als Reservat zu, meinten aber, daß der Verhandlungsgegenstand mit den Reichsständen abgesprochen werden sollte. Ohne Zustimmung des Reiches durften die kaiserlichen Diplomaten eigentlich nicht abschließen, so daß vom Wiener Hof selbständig vereinbarte Abkommen nur den Kaiser als Erblandsfürsten banden. Der Staatsrechtler Johann Jakob Moser (1701 - 1785) trat in diesem Sinne auch für die seit dem 17. Jahrhundert allmählich unterwanderte Vorrangstellung der Reichshofkanzlei ein. Kreditive, Instruktionen und Vollmachten mußten seiner Meinung von der Reichshofkanzlei ausgefertigt werden; ein Gesandter des Wiener Hofes konnte nur dann als kaiserlicher Gesandter gelten (und die damit verbundenen Privilegien in Anspruch nehmen), wenn er wenigstens mit einem Kreditiv der Reichskanzlei versehen war. Seit den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts kam es hier allerdings zu schweren Einbrüchen, selbst für Gesandte ins Reich fertigte nun die Hofkanzlei Beglaubigungsschreiben aus. Für die Akkreditierung der 23

Eine vorzügliche Basis bietet Müller 1976. Eine Fortsetzung dieser verdienstvollen Arbeit für die spätere Zeit fehlt leider. Vgl. allgemein Blaga 1938, Anderson 1993, Bély 1998. 5*

68

Α. Voraussetzungen

Vertreter in Konstantinopel war lange Zeit der Hofkriegsrat zuständig. Ungeachtet der fortschreitenden Mißachtung der Reichshofkanzlei wurden auch späterhin die Diplomaten Wiens problemlos als kaiserliche Gesandte anerkannt. Die Bindung an den Erblandsfürsten erwies sich als die stärkere. Dies zeigte sich auch darin, daß der Tod des Kaisers auf die Tätigkeit der Auslandsvertretungen keinen nennenswerten Einfluß nahm und eine Neuakkreditierung etwa seitens der Reichsvikare nicht erfolgte. Starb der Kaiser, so wurde beispielsweise aus einem k.k. Botschafter ein königlicher Botschafter, der als solcher aus Wien neue Kreditivschreiben für die Überbrükkung der Zeit bis zur Kaiserkrönung des Nachfolgers erhielt. Ein aktenkundiges Kuriosum veranschaulicht diese automatische „Rückstufung" der kaiserlichen Diplomaten während eines solchen „Interregnums" besonders treffend: Verwendeten die Wiener Kanzleien imperatore vivente schwarzgelbe Bindfäden, so wurden bei Vakanz des Kaiserthrones ordnungsgemäß rot-weiß-rote Schnüre gebraucht! Die Ausbildung stabiler diplomatischer Missionen des Kaisers und ihre Verknüpfung zu einem systematischen Netz sind Produkte der Jahrzehnte nach dem Westfälischen Frieden. Erst relativ spät - speziell gemessen an der französischen Diplomatie - kam es durch Verlängerung von Ad-hocMissionen zu dauernder Vertretung auch an jenen Höfen, mit denen im Grunde keine aktuellen politischen Probleme zu verhandeln waren. Die Trennlinie zwischen Ad-hoc-Mission mit akutem Bedarfscharakter und dauernder diplomatischer Vertretung war zunächst fließend; der Etablierungsprozeß kam erst gegen Mitte des 18. Jahrhunderts zum Abschluß, als sich das Stückwerk zu einem System formte und man an den europäischen Höfen von der Gesamtheit der jeweils akkreditierten Vertreter als dem „diplomatischen Korps" zu sprechen begann. Die Anwesenheit eines ständigen Repräsentanten schloß aber auch späterhin feierliche Sondergesandtschaften etwa zur Überbringung von Glückwunsch-, Kondolenz- und sonstigen Notifikationsschreiben nicht aus. Hand in Hand mit der Vervollkommnung des diplomatischen Netzes ging zusätzlich zu der sich schon aus der Stellung der Sendestaaten ergebenden Hierarchisierung auch die Ausdifferenzierung einer Rangordnung unter den diplomatischen Vertretern mit ihren nicht unwichtigen Auswirkungen auf das Zeremoniell vor sich. Ungeachtet einer gewissen Begriffsverwirrung ist um 1750 die Ausbildung einer dreistufigen Hierarchie abgeschlossen. An ihrer Spitze steht der Botschafter, der seinen Herrn sozusagen in persona vertritt und daher Anrecht auf besondere Ehrenrechte hat, gefolgt vom Gesandten oder „envoyé" und an dritter Stelle vom Residenten. Das Attribut „außerordentlich" oder „extraordinaire", das ursprünglich zur Kennzeichnung der Sondergesandten diente, wurde mehr und mehr auch von residierenden Botschaftern und „envoyés" geführt, da damit eine weitere

I. Der institutionelle Rahmen österreichischer Außenpolitik

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protokollarische Rangerhöhung verbunden war. Außerhalb der traditionellen Hierarchie entwickelte sich dann noch ein weiterer diplomatischer Charakter, der vorerst durch relativ weitgehendes Beiseiteschieben des protokollarischen Zwanges komplikationsloseres Arbeiten ermöglichen sollte: der bevollmächtigte Minister (minister plenipotentiarius, ministre plénipotentiaire). In den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts hatte er sich dann bereits in der Hierarchie zwischen den Botschaftern und Gesandten etabliert bzw. verband sich schließlich regelmäßig mit der Funktionsbezeichnung „envoyé extraordinaire". Minister war aber im 18. Jahrhundert auch eine allumspannende Gattungsbezeichnung, die den Typus des Diplomaten schlechthin meinte („Minister vom 1. oder 2. Rang"). Die bis zur Revolution ausgebildete Hierarchie war und blieb ein Produkt des Herkommens. Erst der Wiener Kongreß gab einem Drei-Stufen-Modell (Botschafter Gesandter - Geschäftsträger) die völkerrechtliche Sanktionierung (März 1815). Der Aachener Kongreß schob 1818 noch den Ministerresidenten zwischen den Gesandten und den Geschäftsträger; die Wiener Konvention vom April 1961 griff bei ihren Reglementierungsmaßnahmen auf das dreiklassige Schema des Wiener Kongresses zurück. Parallel mit der Verbreitung der diplomatischen Vertretungen über den europäischen Kontinent verlief auch die zunehmende Regulierung der personellen Verhältnisse an den Missionssitzen, ohne daß es noch zu der im 20. Jahrhundert feststellbaren Personalexplosion gekommen wäre. Neben den Privatsekretär und den persönlichen Hofstaat des diplomatischen Vertreters trat immer regelmäßiger ein Legationssekretär, der als Staatsdiener vom Kaiser besoldet wurde. Seine oftmals lange Erfahrung mit den Besonderheiten und Tücken des Postens ließ ihn nicht selten weit über den Rang einer bloßen Hilfskraft hinauswachsen. Die niedrigere soziale Stellung verhinderte aber meist einen engeren Kontakt mit den führenden Gesellschaftsschichten und den Hofkreisen des Gastlandes. Im Laufe des 18. Jahrhunderts begann schließlich auch der Einsatz echter Fachleute in Sonderbereichen (Militär, Handel, Finanz) - gewissermaßen die Vorläufer der Attachés. Größere Vertretungen verfügten selbstverständlich über eine Kanzlei mit zusätzlichem Personal. Eine strenge Trennung zwischen privat und staatlich war aber auch im 18. Jahrhundert noch nicht wirklich durchgesetzt, und wie sehr die mehr oder weniger rasch wechselnde Person des Gesandten über dem transpersonal Staatlichen stand, zeigt das Fehlen staatseigener Gesandtschaftspalais bis ins 19. Jahrhundert. Selbst die Besoldung (,Ausstaffierungs- und Reisegelder' zu Amtsantritt und ,Subsistenzgelder' für die Dauer des Auslandsaufenthalts) lag lange Zeit im argen, so daß zur Unterfütterung des oft genug unregelmäßig überwiesenen staatlichen Salärs Privatvermögen oder Einkommen aus anderen Funktionen Mitvoraussetzung für die Berufung auf einen Gesandtenposten

70

Α. Voraussetzungen

waren; das Fehlen von ausreichendem Eigenkapital bedingte z.B. auch den sehr stockenden Beginn der diplomatischen Karriere des nachmaligen Staatskanzlers Kaunitz zu Anfang des Österreichischen Erbfolgekrieges, als die gähnende Leere der Staatskassen die Selbstfinanzierung einer diplomatischen Mission zu einer Investition à fonds perdu machte. Und noch 1788 heißt es bei einem Vorschlag Kaunitz' für die Besetzung des k.k. Gesandtenpostens in Kopenhagen sinnig zu den Voraussetzungen der zwei Kandidaten: „Beyden fehlet zugleich nicht die zu einer auswärtigen Anstellung nöthige Beyhilfe eines Familienvermögens." Forderungen nach Gehaltsverbesserungen, wie einmal des Gesandten in London, konnten dagegen zu scharfen Zurückweisungen führen. Auf einen entsprechenden Vortrag des Staatsvizekanzlers resolvierte Joseph IL: „II faut que chaqu'un contribue du siens [!] aux besoins de l'état, et Rewitzky [der k.k. Gesandte in London], pour ce qu'il fait, est en vérité bien payé."24 Nicht zulezt diese Verpflichtung, Eigenmittel zum Wohle des Herrscherhauses aufzuopfern, führte verständlicherweise zu einer weiteren sozialen Einengung der Personalressourcen für die Berufung in die oberen diplomatischen Rangklassen, wobei natürlich auch der Erwartung des Gastlandes Rechnung zu tragen war. In einer im wesentlichen aristokratisch-geburtsständisch dominierten Gesellschaft wollte und konnte man das Gastland meist nicht durch die Entsendung eines Vertreters bescheidener Herkunft vor den Kopf stoßen. Je nach Gewicht und altem Herkommen stellte der Gesandtschaftsposten per se unterschiedliche gesellschaftliche Anforderungen an den Vertreter des Kaisers, Anforderungen, die oft vor fachlicher Qualifikation und Geschick rangierten (das Prinzipalkommissariat in Regensburg erforderte etwa den weltlichen oder geistlichen Reichsfürstenstand). Die „nationale" Zugehörigkeit spielte trotz zunehmender Widerstände gegen „Ausländer" eigentlich keine Rolle 25 . Joseph II. zeigte im übrigen auch auf dem Feld der Diplomatie wenig Verständnis für die Überbetonung des Zeremoniellen. Den Antrag der Staatskanzlei etwa, dem österreichischen Gesandten und bevollmächtigten Minister in Venedig wegen protokollarischer Schwierigkeiten den Botschaftercharakter zu verleihen und damit zugleich der Signoria eine „Achtungsbezeigung" zu erweisen, lehnte er ohne Rücksicht auf die Eitelkeit der 24 Vortrag Kaunitz (19. 12. 1788; StK Vorträge 145 Konv. 1788 XI - XII), Vortrag Cobenzls mit Resolution des Kaisers (25. 1. 1789; StK Vorträge 146 Konv. 1789 I - II). 25 Zur Bevorzugung von „Reichskavalieren" im österreichischen diplomatischen Dienst auf Reichsebene, die zu einer Entmutigung des österreichischen Adels führe, vgl. „Motiva, aus welchen die Ernennung des oesterreichischen Reichstagsgesandten Baron Hügel zum kaiserlichen Concommissarius und dessen Ersetzung durch ein erbländisches Subjekt angerathen worden ..." (o.D. [1794]) in RK Vorträge 8b.

I. Der institutionelle Rahmen österreichischer Außenpolitik

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Venezianer ab und verlangte, daß sich der Gesandte nach den Vorschriften zu richten habe, die ein „Minister vom zweiten Rang" eben gegenüber Botschaftern beachten müsse26. Auch die großen österreichischen Außenvertretungen waren nicht unbedingt mit reinen Karrierediplomaten besetzt. Ein diplomatischer Posten galt vielen bloß als Durchgangsstadium auf dem Sprung zu höheren Ehren und Würden und war ja auch tatsächlich nicht selten - die glückliche Bewältigung der Aufgaben vorausgesetzt - Ausgangsbasis für die Berufung in die Konferenz oder ein Hofamt; Residenten und Gesandtschaftssekretäre konnten sich nach langen Diensten immerhin Hoffnung auf die Erhebung in den Adelsstand machen. Diplomatenschulen fehlten in ganz Europa. Praktische Erfahrung, die sich auf unterer Stufe auf Sekretärsposten, für die Adligen im Gefolge größerer Gesandtschaften sammeln ließ, mußte die fachspezifische Ausbildung ersetzen, soferne nicht die bisher geübte berufliche Tätigkeit eine gute Schulung für die Aufgaben eines Teils des diplomatischen Dienstes bot. So erwies sich etwa der Reichshofrat als regelrechter „Personalpool" speziell für die kaiserliche Diplomatie im Reich. Reichshofräte und bürgerliche Juristen trugen schon die Hauptlast der Westfälischen Friedensverhandlungen in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts. Eine Ausnahme unter soviel Unprofessionalität bildete der diplomatische Verkehr mit dem Osmanischen Reich, der relativ bald eine gewisse Spezialisierung erzwang und zur Gründung von Sonderinstitutionen Anlaß bot. Es waren dies die „Sprachknaben" und ab 1754 besonders die Orientalische Akademie, aus deren Absolventen sich zahlreiche Angehörige des k.k. diplomatischen Dienstes rekrutierten. Ihr Einsatz sollte sich schon sehr rasch nicht mehr auf den Verkehr mit dem Osmanischen Reich beschränken27.

5. Die Sprache des diplomatischen Verkehrs

Während sich das Französische als lingua franca im internationalen Verkehr und in den persönlichen Briefwechseln der Souveräne durchgesetzt hatte und Monarch, Staatskanzler und k.k. Diplomaten selbst ihre Partikularkorrespondenz mehrheitlich auf französisch führten, blieb Deutsch 26

Vortrag Kaunitz (28. 2. 1787; StK Vorträge 143 Konv. 1787 I - II). Weiss-Starkenfels 1839, Die k. und k. Konsular-Akademie 1904, Pfusterschmidt-Hardtenstein 1989. - Auch in Frankreich bestand übrigens keine institutionalisierte Ausbildungsstätte für Diplomaten. Die 1712 zu diesem Zweck gegründete Académie Politique schloß bereits nach wenigen Jahren ihre Pforten, ohne die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt zu haben: Klaits 1971, frz. 1975 und jüngst Thuillier 1996. 27

72

Α. Voraussetzungen

anders als in Preußen - die Sprache der österreichischen Diplomatie im Innenlauf, das alleinige Vehikel der offiziellen Weisungen und Berichte 28 . Auch hier trug sich aber der Reformkaiser Joseph Π. mit dem Gedanken einer Systemvereinfachung, die allerdings nicht zustande kam. Im Juni 1789 schrieb er an den Staatskanzler: „Da jetz [!] die französische Sprache bey nah allgemein geworden und an den meisten Höfen bey allen Negociationen gebraucht wird, auch unsere Minister öfters in ihren Berichten, um sich pünktlich auszudrücken und die Stellen in ihrem wahren Sinn vorzutragen, selbe auch in französischer Sprache beyfügen müssen, so glaube ich, daß denselben - besonders jenen, die aus Mangel einer zureichenden Kenntniß der deutschen Sprache ihre Aufsätze zuerst in der französischen Sprache verfassen und dann in das Deutsche übersetzen lassen - viele Erleichterung verschaffet und ihrem Personale viele doppelte Arbeit, Mühe und Zeitverlust ersparet würde, wenn man ihnen ihre Berichte in französischer Sprache einzusenden gestattete. Dieses würde eben nicht hindern, daß von seite der Staatskanzley ihnen noch fernershin die zu ertheilende Weisungen und Antworten in deutscher Sprache gegeben werden könnten."29 Ein Charakteristikum der Wiener Kanzleien - besonders natürlich der Reichskanzlei - blieb der anhaltende Gebrauch des Lateinischen im internationalen Verkehr für feierlich-offizielle Notifikationen, Kondolenzbriefe, Kreditivschreiben usw. Dabei erwartete man auch von ausländischen Mächten unter Hinweis auf althergebrachte Sitten v.a. bei Reichsmaterien eine entsprechende Antwort in lateinischer Sprache. Dieser Usus war nicht unumstritten, und besonders im Verkehr mit Frankreich nach 1789 stieß das Lateinische mehrfach auf Ablehnung. Paris gebrauchte (gleichfalls unter Hinweis auf uraltes Herkommen) auch in Reichssachen nur mehr das Französische. „Si cette dernière [la langue française] a prévalu dans ces derniers temps, c'est uniquement parce qu'elle est répandue dans toute l'Europe, parce qu'elle a une grande précision et parce que le latin, outre qu'il est sujet aux équivoques, n'est plus une langue usuelle surtout pour les correspondances politiques, qu'elle est, 28

Aus Anlaß eines kaiserlichen Schreibens an den Kurfürsten von Sachsen, das Kaunitz zu Anfang 1790 in deutscher Sprache vorgelegt hatte, „weil mir die für dergleichen Schreiben übliche deutsche Courtoisie der Eigenliebe dieses Fürsten gemäß etwas schmeichelhafter schien", bestand der Kaiser darauf, „daß nämlich, nachdem es allerorten beynahe eingeführet ist, daß die Partikularkorrespondenz in französischer Sprache geführet wird, mein an den Kurfürsten zu erlassendes Schreiben ebenfalls in dieser Sprache verfaßt werden muß": Vorträge Kaunitz mit Resolution des Kaisers (15. u. 16. 1. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 I - III). Mit der k.k. Gesandtschaft/Botschaft in Venedig korrespondierte die Staatskanzlei in unserem Betrachtungszeitraum überwiegend auf italienisch. Zum häufigen Gebrauch der französischen Sprache in Österreich siehe auch Wagner 1961. Über den Siegeszug des Französischen als Diplomatensprache allgemein vgl. Scott 1924. 29 Joseph II. an Kaunitz (12. 6. 1789; StK Vorträge 146 Konv. 1789 VI - IX).

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pour ainsi dire, reléguée aux collèges et aux universités", so die offizielle Linie des französischen Außenministeriums 1791/9230. 6. Technische Voraussetzungen der Kommunikation zwischen Wien und den Auslandsvertretungen: Der Kurierdienst Den technischen Voraussetzungen der Kommunikation zwischen dem Sendestaat und seinen diplomatischen Vertretungen im Ausland ist ebenso wie den administrativ-institutionellen Rahmenbedingungen meist recht wenig Beachtung geschenkt worden 31 . Dies überrascht um so mehr, als die kommunikationstechnischen Barrieren der Zeit vor der Revolutionierung der Nachrichtenübermittlung durch Telegraph, Telephon usw. natürlich entscheidenden Einfluß auf die Aktionsmöglichkeiten der Diplomatie ausübten. Rückfragen und kurzfristige Direktiven aus der Zentrale waren unmöglich, so daß der Spielraum der Diplomaten vor Ort entsprechend anwuchs und meist Generalinstruktionen zu den politischen Maximen und große „Lageanalysen" den Rahmen abstecken mußten 32 . 30

Noailles an Montmorin (26. 10. 1791), Delessart an Noailles (3. 1. 1792 und 15. 2. 1792), Noailles an Delessart (20. 1., 28. 2. 1792): AMAE CP Autriche 363, suppl. 23 u. 24. Das Zitat aus Delessart an Noailles vom 15. 2. 1792. 31 Vgl. zu Nachstehendem insgesamt: Vortrag vom 3. 2. 1780, Joseph II. an Kaunitz (18. 3. 1780): StK Vorträge 131 Konv. 1780 I - V; Vorträge vom 21., 23., 27. 3. 1787: StK Vorträge 143 Konv. 1787 III - IV; Denkschrift 7. 8. 1787 (Beilage 19): Vorträge 144 Konv. 1787 VIII - IX; Vortrag o.D.: Vorträge 149 Konv. 1791 VI; StK Interiora 43 (Kabinettskuriere), v.a. die Reglements vom 9. 5. 1742, 27. 4. 1750, 14. 7. 1750, 24. 3. 1756, die Kurierslista der Kameralhofbuchhalterei von 1753 und 1776, das Reformprojekt Josephs II. vom 27. 1. 1780 und die Instruktion vom 13. 7. 1791; Votum vom 15. 4. 1790: KA Kaunitz-Voten 5 Konv. 1784 - 1790. - Eine eingehendere Behandlung dieser interessanten Thematik ist bisher nicht erfolgt. Der Bestand Leibgarden im Obersthofmeisterarchiv des HHStA wurde 1922 dem Kriegsarchiv überlassen, 1927 aber, soweit die Ungarische Garde betroffen war, an Budapest abgetreten. Er könnte noch Details über die Kurierdienste der ungarischen Gardisten zwischen 1780 und 1791 enthalten. Vgl. einstweilen Luedin 1965, Rakuschka 1981. Das Kurierrecht als völkerrechtliches Problem beleuchtet Wildner 1945. 32 An ordentlicher Weisungspolitik scheint es im 18. Jahrhundert generell gemangelt zu haben. Ein besonderer Fall war das an institutionellen Kinderkrankheiten laborierende, personell schwach ausgestattete englische Foreign Office, dessen Vorstände zudem oft unter der Dominanz anderer starker Männer des Kabinetts zu leiden hatten. Vgl. auch Horn 1961. Auch in unserem Betrachtungszeitraum wird noch von krassen Mißständen berichtet. Der Qualität der Weisungen aus der Staatskanzlei kam v.a. im Verkehr mit den wichtigeren Vertretungsbehörden in Rußland und Frankreich hoher Wert zu, quantitativ zeigt sich freilich auch für die österreichische Diplomatie bei der Gegenüberstellung von Weisungen und Berichten ein beträchtliches numerisches Gefälle zugunsten der Berichterstattung von außen. Den Vertretungsbehörden oblag nach allgemeiner Verfügung regelmäßige Berichterstattung, mindestens alle vierzehn Tage, und zwar auch dann, wenn, wie Kaunitz dem gele-

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Α. Voraussetzungen

Die weit verbreitete Verletzung des Briefgeheimnisses durch die staatlichen Postdienste in fast allen Ländern ließ es verständlicherweise unklug erscheinen, diplomatische Korrespondenzen von einiger Wichtigkeit mit der „ordinari Post" zu befördern. Lediglich Schriftstücke, von denen man bewußt in Kauf nahm oder gar wollte, daß sie anderen Höfen zur Kenntnis gelangten, vertraute man der Post an. Ansonsten setzte man eigene Stafettenreiter oder Kuriere ein, deren Unverletzlichkeit in der Regel respektiert wurde. Die österreichischen Kuriere („Hof- und Kabinettskuriere") unterstanden dem Obersthofmeisteramt und wurden durch je nach Bestimmungsort unterschiedlich hohe Rittgelder und ein bewußt niedrig gehaltenes Jahresfixum („Hofbesoldung") entlohnt. Die vielen Reformen und Konterreformen des 18. Jahrhunderts zeigen den relativ unbefriedigenden Stand der Dinge und die harte Konkurrenz zwischen den „wirklichen Kurieren" und den „Supernumerarii", die dann bemüht wurden, wenn ein wirklicher Kurier ausfiel, diesem aber einen Teil des Rittgeldes abliefern mußten. Verschiedene Mißbräuche schlichen sich mit der Zeit ein, etwa der, daß die wirklichen Kuriere sich überhaupt vor den Ritten drückten und, „wann ihnen die Jahreszeit oder der Ritt nicht anständig, eine Unpäßlichkeit vorschützten, so sie ihrem Vorgeben nach außerstande setzte, derley Ritte zu verrichten, gleichwohlen aber nachgehends dieses Vorwandes ohngeachtet in der Stadt herumgehen gesehen würden" und doch von den supernumerären Kurieren ihre Anteile an den Rittgeldern einstrichen. 1750 wurde für kurze Zeit (bis 1756) ein Pensionssystem eingerichtet, das der Versorgung der alten, dienstuntauglichen, bisher immer noch auf den Dienstlisten geführten Kuriere dienen sollte; gespeist wurde der Fonds aus den nun nicht mehr den dienstunwilligen Kurieren zustehenden Anteilen an den Rittgeldern. Späterhin rissen die alten Übelstände neuerlich ein. Wieder waren die Kuriere in Ermangelung eines Pensionssystems überaltet und aus gesundheitlichen Gründen nicht selten dienstunfähig; man hört von siebzig- bis achtzigjährigen Kurieren, von insgesamt 10 Kurieren befanden sich nur noch zwei „bei guten Jahren". Die Versorgung mit Postmeisterstellen war die einzige Form der „Pensionsvorsorge". Joseph II. legte am 27. Januar 1780 ein umfassendes Reformprogramm für das österreichische Kurierwesen vor, das schließlich auch Zustimmung fand und zur Beseitigung der Hof- und Kabinettskuriere führte. Eine wesentliche Verbesserung versprach gentlich säumigen österreichischen Vertreter in Florenz spezifizierte, „kein hauptsächlicher Stof dazu vorhanden seyn sollte, weil doch immer was, es sey an dem Orte selbst oder in der Nachbarschaft, zum Einberichten kann gesammelt werden und Eurer [etc.] selbst auch daran gelegen seyn muß, nicht in Vergessenheit zu gerathen": Kaunitz an Veigl (12. 7. 1790; SA Toskana Weisungen 32 Konv. Staatskanzlei-Veigl 1790).

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sich der Kaiser von der Verwendung von Offizieren der Ungarischen Leibgarde, deren Angehörige eher gute Erziehung, Sprachkenntnise, Körperkraft und Treue mitzubringen schienen als die bisher gerne im Kabinettskurierdienst verwendeten ehemaligen Köche und Domestiken. Am 26. März 1780 erging eine entsprechende Instruktion für zwanzig zum Kuriersdienst eingeteilte Angehörige der Ungarischen Leibgarde, eine Instruktion, die vor allem auch auf eine Schulung und Fortbildung der Kuriere durch gründliches Studium von Land und Leuten an ihren Bestimmungsorten abzielte. Politische Beobachtungen sollten neben den Reisetagebüchern in einem eigenen Aufsatz zusammengefaßt, nützliche praxisrelevante Reisebeobachtungen in ein allgemeines Protokoll zur Information der Kameraden eingetragen werden. Zur Vorbereitung wurde die Lektüre von Fachliteratur vorgeschrieben und die Einschulung durch erfahrene Kabinettskuriere in „Proberitten" empfohlen. Die Gesandten hatten die Studien der Offiziere vor Ort nach Möglichkeit zu fördern und über ihr Betragen in Form eines Zeugnisses Bericht zu erstatten. Die Reise des Kuriers erfolgte - zu Pferd oder in einer vierrädrigen, mit zwei Pferden bespannten Kalesche - in einem „gewöhnlichen deutschen Reisekleid", doch wies ein „Kurierschild" auf die besondere Funktion des Reisenden hin. Erst bei Übergabe der Briefschaften an den Empfänger war die schmucke ungarische Uniform anzulegen. Im Sommer 1791 kehrte Leopold II. dann zum System der Hof- und Kabinettskuriere zurück. Von 80 Bewerbern wurden 24 in die engere Wahl gezogen, die Auswahl der zwölf letztlich zu bestellenden Kuriere verblieb dem Kaiser nach der von der Staatskanzlei ausgegebenen Richtschnur: „Um unter diesen die Auswahl zu bestimmen, kömmt es hauptsächlich auf folgende Rücksichten an: daß sie treue, sehr verläßliche Leute, daß sie in guten Jahren, von gesunder, robuster Leibeskonstitution, daß sie im Reisen erfahren, im Reiten geübt und wo nicht mehrerer, doch wenigstens der deutschen und französischen Sprache kündig sind."

Eine Unterscheidung zwischen wirklichen und überzähligen Kurieren bestand nicht mehr, dafür aber richtete der Kaiser eine Pensionskasse ein, deren Grundgerüst Anteile der Rittgelder bildeten33.

33

Der Kurierdienst bediente Staats- und Reichskanzlei. Es scheint offensichtlich vorgekommen zu sein, daß die Kuriere die Reichskanzlei bisweilen „übersahen". Kaunitz versicherte dem Reichsvizekanzler im Februar 1792 jedenfalls, „die Vorsehung zu treffen, daß hinfüran alle an fremde Höfe abgehende Kuriere erinnert werden, sich bey des Herrn Reichsvizekanzlers Fürsten von Colloredo-Mannsfeld Liebden und bey der Reichskanzley, wie es dieß allerdings die Ordnung erfordert, zu melden." - Kaunitz an Colloredo (3. 2. 1792; RK RkgF 3/5).

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Α. Voraussetzungen 7. Postlogen und Geheime Ziffernkanzlei

Wie wir bereits feststellten, zwangen die laufenden Verstöße gegen das Briefgeheimnis alle Höfe dazu, ihre wirklich vertraulichen und wichtigen Korrespondenzen nach materieller Möglichkeit durch Kuriere befördern zu lassen und die fremden Postverwaltungen, denen man gemäß Transitvertrag die Postpakete an der Grenze übergab, tunlichst zu meiden34. Wenigstens die Kurierspost war dann den Augen unbefugter Dritter in der Regel entzogen, es sei denn man bestach, wie dies von Staatskanzler Kaunitz berichtet wird, auch die Kuriere. Vor keiner Missetat schreckte man zurück, um sich Kenntnis über die Schachzüge und Vorhaben anderer Staaten zu verschaffen, besonders wenn sie dem gegnerischen Lager angehörten. Selbst die von befreundeten ausländischen Vertretungen österreichischen Kurieren zu treuen Händen anvertrauten Korrespondenzen wurden geöffnet, fremde Chiffrenschlüssel auf „unverfängliche", aber doch kriminelle Weise gestohlen und kopiert 35. Die Post hatte sich seit Beginn der Neuzeit zu einem mehr und mehr perfektionierten Organismus entwickelt, die Beförderung wurde enorm beschleunigt, da nun anders als früher nicht ein Bote den ganzen Weg zurücklegen mußte, sondern die Postsäcke („Felleisen") von Poststation zu Poststation durch eine Kette von Postreitern befördert wurden. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts war die Strecke Brüssel-Venedig bereits in 10 Tagen zu bewältigen. Aus den ursprünglich rein obrigkeitlichen Posteinrichtungen wurde mit der Zeit durch unternehmerische Betriebsführung eine jedermann zugängliche kommerzielle Institution. Im habsburgischen Einzugsbereich beherrschte die bergamaskische Familie der Taxis von Italien über Spanien und die Niederlande bis ins Reich und die Erblande seit dem 16. Jahrhundert das Postwesen. 1595 wurden sie Reichsgeneralpostmeister, 1597 erhob der Kaiser das Postwesen zum Reichsregal. 34 Stix 1937. Die vielzitierte Arbeit von König 1899, bes. die historische Einleitung 1 - 140, ist gänzlich ungenügend und steht v.a. im Bann tagespolitisch-aktueller Fälle von Verletzungen des Briefgeheimnisses. Wichtig und illustrativ dagegen, wenngleich einer anderen Zeit gewidmet: Mayr 1935. Vgl. auch Hubatschke 1975. Vgl. auch StK Interiora Chiffrenschlüssel 21. Über die Arbeitsweise der Wiener Ziffernkanzlei geben besonders die zwischen der Staatskanzlei und der k.k. Botschaft in Petersburg gewechselten Korrespondenzen wichtige Auskünfte. Die Vertretung in Petersburg interzipierte selbst Briefwechsel anderer Gesandtschaften, besonders natürlich die der preußischen Konkurrenz, und sandte sie zur Dechiffrierung nach Wien ein. Aus dem weiten Bereich der „Postgeschichte" seien lediglich genannt: Kießkalt 1938, Dalimeier 1977, Schilly 1983, 448 - 467, Behringer 1990. Speziell für Österreich vgl. u.a. Effenberger 1916, Wurth 1985. 35 P. S. Kaunitz an Herbert (17. 1. 1787; SA Türkei II 95 Konv. Expeditionen 1787 I - VI) mit dem Auftrag, den schwedischen Chiffrenschlüssel zu „besorgen".

I. Der institutionelle Rahmen österreichischer Außenpolitik

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Die größeren Reichsstände sperrten sich natürlich gegen den übermächtigen Einfluß der Reichspost, die vor allem nach dem Westfälischen Frieden zunehmend mit der Konkurrenz eigener, rasch unter landesfürstliche Oberleitung gestellter Landesposten zu kämpfen hatte. Lediglich im süddeutschen Raum war das Taxissche Postunternehmen stets unangefochten tonangebend. Immerhin betreute die Thum und Taxissche Reichspost noch im Jahre 1790 ein Gebiet von über 222.000 Quadratkilometern gegenüber 12 Landesposten mit fast 450.000 Quadratkilometern. Die Habsburger selbst hatten rasch ihre Kernlande aus dem Einzugsbereich der Reichspost ausgespart (mit Ausnahme Vorderösterreichs und der belgischen Provinzen) und das erbländische Obersthofpostmeisteramt 1624 den Grafen Paar übertragen; 1722 wurde die österreichische Post „verstaatlicht". Der österreichischen Politik standen mit der Kontrolle der erbländischen Post und der immer noch weitgespannten Reichspost besondere Instrumentarien zur Überwachung des Briefverkehrs zur Verfügung; dazu kam die günstige geographische Lage der Habsburgermonarchie, die automatisch für den Anfall großer Mengen Transitpost sorgte. Der polizeistaatlichen Überwachung verdächtiger Korrespondenzen im Inneren, die später besonders im Vormärz bis zum Exzeß getrieben wurde, und dem Abfangen (Interzipieren) diplomatischer Berichte, die bei Lücken im Kurierverkehr auf dem Postweg unter Deckadressen und ähnlichen Vorsichtsmaßregeln doch unbemerkt zu entschlüpfen suchten, eröffnete sich somit ein weites Feld. An den zentralen Postknotenpunkten der Erblande wurden als Kontrollorgane sogenannte „Postlogen" auf die staatliche Postverwaltung aufgepfropft, die man entweder aus der Zentrale beschickte oder mit vertrauenswürdigen Leuten der Poststationen selbst besetzte. In den Postlogen des Reiches („Reichslogen") wie Frankfurt, Nürnberg, Augsburg, Regensburg, Hildesheim oder Hamburg stand die Thum und Taxissche Postverwaltung als willfähriges „geheimdienstliches Instrument" zur Verfügung. In diesen Logen wurden unter Anwendung kunstfertigster Techniken verdächtige Briefschaften geöffnet, im Bedarfsfalle kopiert und dann gekonnt wiederverschlossen - und dies meist unter enormem zeitlichem Druck zwischen den Ankunfts- und Abgangszeiten der Postkurse und der Briefausgabe bzw. Briefaufgabe. Als Schaltzentrale fungierte in Wien die sogenannte Geheime Ziffernkanzlei. Derartige „Schwarze Kabinette" bestanden in vielen Ländern; neben dem französischen „Cabinet Noir" scheint es aber besonders die Wiener Ziffernkanzlei zu Weltruhm gebracht zu haben. Zwar hören wir bereits 1703/05 von einem Ziffernsekretär, die Ziffernkanzlei selbst dürfte als eigenständige Behörde dann aber erst unter Karl VI. festere Gestalt angenommen haben. Sie hatte ihren Sitz in der Stallburg und war seit der Zeit des Kabinettssekretärs Imbsen in der Regel in Personalunion mit der Leitung des kaiserlichen Kabinetts verbunden, bis sie im Jahre

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Α. Voraussetzungen

1812 endgültig in diesem aufging. Das Revolutionsjahr 1848 brachte das Ende der Ziffernkanzlei, die zu Recht als Inbegriff eines düsteren Despotismus galt. Aus der Ziffernkanzlei wurden einerseits zum Teil die Postlogen in der Provinz besetzt, andererseits fungierte die Behörde im Verbund mit dem Obersthofpostamt in Wien zugleich als Loge für die Hauptstadt. Die vornehmste Aufgabe der Ziffernkanzlei war jedoch die Lösung von schwierigen Chiffriersystemen, die die ausländischen Gesandtschaften für ihre ungesicherten Post- und Estafettensendungen in die Heimat gebrauchten. Schon Mitte des 18. Jahrhunderts erreichten die durch Sondergratifikationen im Erfolgsfall angespornten Beamten der Wiener Ziffernkanzlei bei der Lösung von Ziffernschlüsseln solche Meisterschaft, daß die ausländischen Vertreter angeblich ununterbrochen ihre Chiffriersysteme änderten. Sammelstelle der wichtigsten Interzepte war nach einer ersten Sichtung durch die Ziffernkanzlei in weiterer Folge der Kaiser, der die Pakete mit den Interzepten lange Zeit selbst öffnete und die bedeutenden Stücke den zuständigen Behördenchefs vorlegte, also dem Staatskanzler die abgefangene diplomatische Korrespondenz, dem Chef der Polizei bzw. später der Polizeihofstelle die verdächtigen Interiora; nach Kenntnisnahme wurden die Interzepte regelmäßig verbrannt. Bereits unter Joseph II., der sich um Ziffernkanzlei und Postlogen ganz besonders bemühte, war die Zusammenarbeit mit der Staatskanzlei deutlich intensiviert worden (eine Einverleibung in die Staatskanzlei lehnte Fürst Kaunitz aus Sicherheitsgründen ab), aber erst unter Federführung Metternichs kam es nach einer Reform der in den neunziger Jahren wieder zunehmend verfallenden Institution zu einer besonders starken Rückkoppelung an die Staatskanzlei, vor deren Neugier nun praktisch niemand mehr gefeit war - nicht einmal Beamte der Staatskanzlei selbst oder Mitglieder des kaiserlichen Hauses. Baron Thugut etwa bediente sich schon 1790 von der Türkenkriegsfront aus in seiner privaten Korrespondenz mit einem Kollegen der Staatskanzlei für besonders heikle Stellen der arabischen Schrift, um wenigstens eine Auflösung prima vista zu erschweren. Auch die Geschwister Josephs II. trachteten in ihrer Korrespondenz die scharfen Augen der Ziffernkanzlei zu umgehen oder zu täuschen (etwa durch Verwendung von Zitronenschrift), insbesondere wenn sie, wie im Endstadium der Regierung des Kaisers, die politische Linie des Bruders recht heftig kritisierten 36. Die Staatskanzlei selbst verfügte natürlich auch über ein besonderes Ziffernkabinett zur Erstellung und Verwahrung der eigenen Schlüssel und zur 36

Die Korrespondenz Thuguts mit Jenisch in GK 447 (Thugut). - Maximilian Franz von Köln an Leopold von Toskana (Spa, 15. 8. 1789; FA FK A 26 Konv. Max Franz-Leopold).

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Auflösung chiffrierter Berichte der k.k. Diplomaten. Mit der Zeit wurden die Vorsichtsmaßnahmen mehr und mehr ausgebaut, um Sicherheitsmängel möglichst auszuschalten. So waren die chiffrierten Originaldepeschen nach Auflösung zu vernichten, und nur die entschlüsselte Transkription durfte das Ziffernkabinett verlassen. In unserem Betrachtungszeitraum wurde noch viel sorgloser umgegangen, indem etwa die Auflösung verschlüsselter Passagen meist interlinear auf dem Originalbericht erfolgte. Pannen und Versehen waren häufig, sei es, daß Ziffernschlüssel in Verstoß gerieten oder die Chiffrierung so mangelhaft erfolgte, daß der Inhalt der Depesche unklar blieb und um nochmalige Berichterstattung ersucht werden mußte. Die professionelle Brechung des Briefgeheimnisses ist, wie die Ereignisse gegen Ende der Regierungszeit Josephs II. zeigen, von mehr als akzessorischer Wichtigkeit, gaben doch abgefangene preußische Briefe der kaiserlichen Politik der Jahre 1787/89 ganz entscheidende Impulse. Besonders die preußischen diplomatischen Korrespondenzen auf den Routen Wien-Berlin und Berlin-Konstantinopel waren Angriffspunkt des Interzipierungs- und Dechiffrierungsgeschäftes, dessen erfolgreiche Durchführung dem preußischen Gegenüber nicht in vollem Umfang bewußt gewesen sein kann. Einem zu offensichtlichen Gebrauch der aus dieser Quelle geschöpften geheimen Informationen gegen andere standen daher Hindernisse entgegen. Kaunitz gab dem Kaiser, der eine schonungslose Offenlegung der preußischen Intrigen wünschte, zu bedenken: „Es würde andurch unser Intercipirungs- und Dechiffrirungsgeheimniß öffentlich bekannt und der preussische Hof sicher verleitet werden, alle Wege einzuschlagen, die nur immer möglich sind, um uns die Habhaftwerdung seiner Correspondenz zu erschweren oder gar zu vereiteln, welches uns den unschäzbaren Vortheil, auf der Stelle unter seine größten Geheimniße zu kommen, entziehen würde"37. 37

Joseph II. an Kaunitz (2. 6. 1789), Vortrag Kaunitz (3. 6. 1789): StK Vortrage 146 Konv. 1789 VI - IX. - Andererseits scheinen ausländische Diplomaten ihr Wissen um die Interzipierung ihrer Briefschaften bewußt ausgespielt zu haben, um in Wien Zwietracht und Mißtrauen zu säen, was einige Male gut gelang. Noch als Großherzog von Toskana war etwa Leopold von Toskana in einen peinlichen Skandal verwickelt worden. Joseph II. hielt ihn über die Staatsgeschäfte in der gemeinsamen Korrespondenz und durch Übersendung wichtiger Schriftstücke auf dem laufenden. Hinweise auf eine unbedachte Weitergabe von „secrets de l'Etat" seitens Leopolds und teilweise Mißbilligung der kaiserlichen Politik fanden sich nun in interzipierten Briefschaften des russischen Vertreters in Florenz und des sächsischen Gesandten in Wien, so daß Joseph mit einer Kommunikationssperre drohte und sich weitere Illoyalitäten, wenn auch in sehr freundschaftlichen Worten, verbat. In diesem Zusammenhang die Bemerkung Leopolds von Toskana vom 29. 10. 1787, der sächsische Gesandte habe in seinem Brief nach Dresden absichtlich die Unwahrheit gesagt, „dans l'espoir et intention que sa lettre puisse être ouverte et par là vous donner des soupçons et mésintelligence contre moi, [...] puisqu'il savait très-bien que toutes ses lettres y étaient ouvertes et qu'entouré d'espions, il ne disait et écrivait que ce qu'il vouloit faire parvenir à votre connaissance.": Joseph II. an Leo-

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Α. Voraussetzungen

Selbst österreichischen Behörden und Würdenträgern bis in die höchsten Kreise war der „Briefoperationsdienst" nicht näher bekannt. Peinliche Folgerungen drohten daher beispielsweise, als die Generalgouverneurin der Österreichischen Niederlande, Erzherzogin Marie Christine, wie der Brüsseler Postdirektor dem Direktor der Kabinettskanzlei mitteilte, der bislang nach alter Tradition nur den bevollmächtigten Ministern, nicht aber den Statthaltern zugänglichen Briefinterzipierung in Brüssel auf die Spur zu kommen schien. Staatskanzler Kaunitz plädierte indes für eine Fortführung des bisherigen Usus: „Da das Geheimniß der Intercipirung nicht sorgfältig genug beobachtet werden kann, folglich immer räthlich bleibt, die Einsicht derselben auf so wenige Personen als nur immer möglich zu beschränken, damit man sich nicht der Gefahr aussetze, daß hievon irgendein indiscreter oder minder vorsichtiger Gebrauch gemacht werde, so glaube ich, daß es bey dem vorhin immer bestandenen Sistem auch für das künftige zu belassen, folglich die intercipirte Correspondenz nur privative dem gevollmächtigten Minister allein mitzutheilen sey"38.

Gegenüber den wichtigen k.k. diplomatischen Vertretungen verfuhr man allerdings weit weniger zimperlich. Regelmäßig erhielten die bedeutenderen Auslandsvertretungen zu Informationszwecken („zur geheimsten Wissenschaft") umfängliche Mitteilungen von interzipierten Korrespondenzen übermittelt, die nicht vernichtet wurden und so in den Gesandtschaftsarchiven erhalten blieben.

II. Bündniskonstellationen 1. Das „gescheiterte Experiment 64 Die französisch-österreichische Allianz 1756 - 1787

Die alles umstürzende Französische Revolution zerstörte auch den zentralen Pfeiler Kaunitzscher Politik, die französische Allianz - so sah es jedenfalls der Staatskanzler selbst gegen Ende seines Lebens in seinen merkwürdigen Gesprächen mit dem Grafen Ayala 39 ; „système admirable et unique", setzte der greise Fürst selbstgefällig hinzu, pold (30. 9. 1787), die Rechtfertigung Leopolds (8. 10. 1787), Joseph an Leopold (18. 10. 1787), Leopold an Joseph (29. 10. 1787): [Arneth] 1872, Bd. 2, 123 - 130, 131 f., 134 - 138; Joseph II. an Ph. Cobenzl (17. 10. 1787; StK Vorträge 144 Konv. 1787 X; Druck: [Brunner] 1871, 66). 38 Vortrag Kaunitz (28. 6. 1791; StK Vorträge 149 Konv. 1791 VI). 39 Eine durchgehende Untersuchung der österreichisch-französischen Beziehungen im genannten Betrachtungszeitraum fehlt leider. Die gelungene Studie von Buddruss 1995 schließt trotz des etwas irreführenden Titels einen beträchtlichen Teil dieser Lücke, auch wenn er sich für die österreichische Seite überwiegend auf die Edition von Arneth/Flammermont stützt. Besonders lohnend wäre neben der Rekon-

II. Bündniskonstellationen

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„système qui nous conduisait à la paix générale perpétuelle, non par des moyens puérils ou impraticables comme ceux que proposa le pauvre abbé de St. Pierre, mais par des moyens sûrs, praticables et admissibles, est aujourd'hui [1794], je l'avoue, tombé dans le néant. C'est que je ne pus prévoir la Révolution. [...] Par cette malheureuse Révolution française le système politique de l'Europe [a] changé du tout au tout, et le mien de tenir toujours étroitement unies les maisons d'Autriche et de Bourbon a été anéanti. La maison d'Autriche, à beaucoup près, s'est trouvé dans la même situation où la mirent les Anglais, ses anciens amis,

struktion der „äußeren Entwicklung" der Allianz eine gründliche prosopographische Ausleuchtung der österreichfeindlichen Zirkel in Frankreich bei Hof, in Armee und Diplomatie sowie ihrer Filiationen bis in die „Hochzeit" der Austrophobie ab 1789. Einen kurzen Durchgang mit interessanten Schlaglichtern auf die Allianz in der öffentlichen Meinung bietet immerhin Sorel 1885 - 1911, Bd. 1, 291 - 310. Im folgenden nenne ich nur einige Bausteine für meine skizzenhaften Vorbetrachtungen: Filon 1872, [Sorel] 1884, Broglie 1895, Waddington 1896, Boutry 1903, ders. 1905 Bourguet 1907, Mitrofanow 1910, Bd. 1, 19 - 59 und 113-185, Arnaud-Bouteloup 1924, Taubert 1941, Dollot 1940/41, Braubach 1952, Stürmer 1957, Combet 1964, Eichwalder 1969, McGill 1971, Antoine 1989. Batzel 1975 war mir nicht zugänglich. Erschöpfend zum Zustandekommen des Renversement nun der „diplomatiegeschichtliche" Teil der Dissertation von Schilling 1994 [mit entsprechender Detailbibliographie]; zur Bewertung der längerfristigen Bedeutung der „diplomatischen Revolution" als Erwiderung auf Burkhardt 1995, der das „renversement" als Musterbeispiel für aufklärerische Innovationsakzeptanz und Vorurteilskritik wertet, vgl. Schilling 1996 b; die Westpolitik Österreichs im großen Zusammenhang bei Scott 1996 b. Auf die Nennung biographischer Literatur zur Person Bernis', Choiseuls u.ä. verzichte ich. Die monumentale Arbeit von Butler 1980 reicht leider nicht in die uns interessierende Zeit. Zu Choiseul als „Vater der französischen Linken" nunmehr Chaussinand-Nogaret 1998. Laugier 1984, hier 196 - 249, ist ungenügend. Die Bemühungen Aiguillons um eine Annäherung bzw. Partnerschaft mit England u.a. zur Verhinderung der polnischen Teilung reißt an Fraguier 1912. Die Selbstausschaltung Frankreichs aus der Ostpolitik eingehend mit einer diffizileren Bewertung der Ära Choiseul bei Burkert 1978. Eine ausschließlich aus der Edition von [Arneth/Flammermont] geschöpfte, wegen ihrer Prägnanz gleichwohl nicht unnützliche Übersicht über die österreichisch-französischen Beziehungen im Jahrzehnt der Alleinregierung Josephs II. liefert Pichler 1896/97. Eine Nacherzählung der französischen Botschafterberichte bietet Rauscher 1951. Zu geopolitischen Aspekten der französisch-österreichischen Erbfeindschaft Hochedlinger 1998. Zu den konstellationsbildenden Achsen Wien-London bzw. ab 1756 Wien-Versailles vgl. auch die zusammenfassenden Überlegungen von Black 1990 b. Eine summarische Darstellung des Zustandekommens der Allianz von 1756 von „amtlicher" österreichischer Seite in HHStA Hs. Weiß 923, fol. 140 - 146 ν („Spielmannisches Mémoire über die Allianz mit Frankreich"). Der große Vortrag Kaunitz' vom 7. 8. 1787 (StK Vorträge 144 Konv. 1787 VIII) über die wichtigsten Etappen der österreichischen Außenpolitik seit Antritt der Mitregentschaft durch Joseph II. 1765 enthält einige interessante Aspekte zur Selbsteinschätzung der Wiener Diplomatie. Zu den Subsidienzahlungen Frankreichs im Siebenjährigen Krieg vgl. Dickson 1987, Bd. 2, 173 - 184. Zu den frz. Subsidienrückständen nach dem Krieg Bernard 1982. Ein von Österreich angeregter Handelsvertrag zwischen den beiden Bündnispartnern kam übrigens nie zustande. Die Folgewirkungen des Krieges für die französischen Finanzen bei Riley 1986. 6 Hochedlinger

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Α. Voraussetzungen

lorsqu'ils se séparèrent d'elle et la traitèrent comme son ennemie. A la paix d'Aix-la-Chapelle ils portèrent le coup de grâce à la bonne intelligence qui avait régné depuis si longtems entre ma cour et l'Angleterre. Je puis dire aussi qu'ils le portèrent à notre rivalité avec la France, car c'est alors que je conçus cet admirable système qui devait faire le bonheur de[s] deux puissances et, j'ose vous le dire, de l'Europe entière." Aber selbst für die Zeit vor dem revolutionären Umbruch konnte Kaunitz sogar im verklärenden Rückblick seinem „französischen System" kein ausschließlich positives Zeugnis mehr ausstellen; es war bereits gefährlich ausgehöhlt, als es die Revolution endgültig zertrümmerte: „Si l'inconcevable légèreté française, si l'esprit toujours remuant, les intrigues habituelles, la méchanceté même des ministres de Louis XV & XVI ne s'y étaient pas opposés, l'Europe aurait joui de la paix pour des siècles. Lorsque j'étais à Paris, j'avais si bien prouvé à Madame Pompadour, qui ensuite en persuada le Roi, que de multiplier les grandes puissances en Europe c'était un grand mal pour tout le monde que depuis le moment elle envisagea l'agrandissement de la Prusse comme une erreur impardonnable à la France qui y avait contribué. Ces grandes vérités n'étaient pas faites pour entrer dans toutes les têtes, aussi n'y entrèrent-elles pas. Des ministres insensés assaillirent Louis XV et XVI et s'ils ne parvinrent pas à les faire changer de système, ils les refroidirent au point que mon système perdit presqu'entièrement sa force et son influence sur toutes les affaires générales de l'Europe."40

a) Erste Ausgleichsversuche Die altehrwürdige „Erbfeindschaft" zwischen Frankreich und dem Hause Österreich war im Laufe des 18. Jahrhunderts durch eine deutliche Verschiebung der primären Feindbilder nach und nach entschärft worden. Galt in Frankreich zunehmend Großbritannien als hauptsächlicher Gegner, der sowohl die ambitionierte Kontinentalpolitik der Bourbonen, aber auch und vor allem deren maritime und kolonialen Bestrebungen hemmte, ja das Bestehende gefährdete, so wuchs in den Augen der Habsburgermonarchie 40

„Les entretiens du prince de Kaunitz dans les dernières semaines de sa vie 1794 par l'abbé comte d'Ayala" (Hs. Weiß 808). - „Nahezu bis an die Grenze der Unmöglichkeit versuchte der Fürst-Kanzler sein grosses politisches System, eine dauernde Allianz Oesterreichs mit Russland und Frankreich, trotz der Ungunst der Verhältnisse aus den Trümmern einer Weltordnung zu retten, unter denen er selbst, das Haupt und der Lehrmeister einer aufgeklärten und stolzen Diplomaten-Schule, gleich einer einsamen Säule aufrecht stand, nachdem er fünfzig Jahre lang der Politik des conservativen Europa die Bahnen gewiesen hatte": [Vivenot] 1873, XVf. Küntzel 1923, 84 („Für Kaunitz wurde die französische Revolution geradezu zum persönlichen Schicksal; sie zerstörte ihm den Stolz seines Lebens, sein Bündnis mit Frankreich"). Die stabilisierende Wirkung der französisch-österreichischen Allianz auf das europäische Staatensystem betonte jüngst nochmals sehr mit Recht Schweiler 1994 a, 42.

II. Bündniskonstellationen

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seit den Schlesischen Kriegen das Königreich Preußen mit seiner aggressivexpansiven Außenpolitik in die Rolle eines ernstzunehmenden „Erbfeindes". Seit 1715 kam es, wie Max Braubach nachgewiesen hat, zuerst von französischer Seite zu Versuchen, die alten axiomatischen Gegensätze aufzubrechen. 1735/40 startete Kardinal Fleury nach dem Ausklingen des Polnischen Thronfolgekrieges eine neue Initiative. Der Gegensatz zwischen Frankreich und der seit Jahrhundertbeginn ohnedies auf den deutschen Zweig beschränkten Maison d'Autriche wurde - wenigstens von einigen Verantwortlichen - als zunehmend sinnentleert empfunden. In der Psyche des französischen Militäradels aber, der sich seit Jahrhunderten auf den Schlachtfeldern gegen Habsburg bewährt hatte, blieb die „routine antiautrichienne" (M. Antoine) freilich weiterhin eine beherrschende Kraft, und noch 1741 setzte sich die Kriegspartei mit ihrem scharf antiösterreichischen Kurs ein weiteres Mal gegen den Friedenswillen von König und Prinizpalminister durch. Gerade im Moment der allseitigen Bedrohung der habsburgischen Kernlande schien vielen der Moment gekommen, den alten „Erbfeind" endgültig zu liquidieren. Der Friede von Aachen 1748 ließ Frankreich selbst dann allerdings leer ausgehen; lediglich ein Verwandter, der spanische Bourbone Don Philipp (1720 - 1765), Sohn Philipps V. von Spanien und Schwiegersohn Ludwigs XV., schlug Profit aus den glänzenden Erfolgen der französischen Waffen. Ihm mußte Österreich Parma, Piacenza und Guastalla überlassen. Der entscheidende Vorstoß zu einer Politik des Miteinander erfolgte schließlich von österreichischer Seite. Im Anschluß an die Konferenz vom 5. März 1749 erging durch Maria Theresia an alle Konferenzminister die Einladung, Überlegungen zu Österreichs künftigem außenpolitischem System anzustellen. Bestimmend war die Denkschrift des erst im Januar 1749 in die Konferenz berufenen Grafen Kaunitz vom 24. März 174941. In ihr ist die von einigen Konferenzmitgliedern noch strikt abgelehnte „Umkehr der Bündnisse", zumindest eine zeitweilige Abkehr vom „alten System", bereits als Desiderat angelegt. Unter den Hauptfeinden des Hauses Österreich rangierte nun Preußen an oberster Stelle; die Wiedergewinnung Schlesiens und die Schwächung des Balancestörers Preußen wurden zum eisernen Gebot jeder österreichischen Außenpolitik stilisiert. Die Mittel dazu konnte allerdings nach Meinung Kaunitz' nicht mehr das lediglich gegen die Bourbonen gerichtete „alte Systema" mit seinen Bündnisverbin41

[Pommerin/Schilling] 1986. Daß die Denkschrift ältere Überlegungen (etwa aus den Instruktionen für Kaunitz* Aachener Mission von 1747) aufgriff und überhaupt die Linie der Annäherung an Frankreich eine gewisse Kontinuität BartensteinKaunitz nicht verleugnen kann, hat Schilling in seiner Dissertation (1994) klargemacht. *

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Α. Voraussetzungen

düngen zu den unverläßlichen und unwilligen Seemächten bereitstellen, die sich der projektierten Zurückstutzung des Hohenzollernstaates verschlossen, sondern nur eine über wechselseitige Neutralität hinausgehende Kooperation mit Frankreich, das Kaunitz durch Territorialrochaden in Norditalien oder im Beneluxraum gewinnen wollte. Kaunitz* Gesandtschaft in Paris 1750/1752 - die der Annäherung an Frankreich dienen sollte, allerdings ohne das sehr direkte Angebot eines Länderabtauschs - war insoferne eine Enttäuschung, denn die erhoffte Bindung Frankreichs an Österreich kam trotz eines intensiven Werbefeldzuges nicht zustande, doch verlor Kaunitz - nach seiner Rückkehr im Mai 1753 als Staatskanzler installiert - das grundsätzlich erstrebenswerte Rapprochement nicht aus den Augen. Die Arbeit von L. Schilling über das Renversement hat dabei die von Braubach doch zu geradlinig und folgerichtig skizzierte Entwicklung auf den „renversement des alliances" von 1756 relativiert und die beachtliche Flexibilität der Kaunitzschen Bündnisüberlegungen zu Beginn der fünfziger Jahre in ihrem anhaltenden Schwanken zwischen den Seemächten und Frankreich deutlich herausgestellt. b) Die Versailler

Verträge

1756 - 1757 - 1758

Im August 1755 unternahm Wien einen weiteren Vorstoß, Frankreich für eine zeitlich begrenzte Kooperation gegen Preußen zu gewinnen. In der Konferenz wurde ein neues außenpolitisches Programm auf der Basis der Zusammenarbeit mit Frankreich skizziert. Als Lockmittel für Ludwig XV. zog man den Verzicht auf die Österreichischen Niederlande in Erwägung, die gegebenenfalls dem Wunsch nach einer dauerhaften Reduktion Preußens und der Wiedergewinnung Schlesiens den Franzosen bzw. Don Philipp von Parma geopfert werden sollten. Zugleich konnte damit ein alter Reibungspunkt mit Versailles, ein nun unnötiges Bindeglied zu den Westmächten beseitigt und durch Abstoßung eines exponierten und permanent gefährdeten Außenpostens zudem die unabhängige Stellung Österreichs auf geopolitischer Ebene ausgebaut werden. Neben diesem Hauptanreiz wollte man sogar eine Unterstützung der französischen Polenpolitik in Aussicht stellen. Am 21. August 1755 erging die Ermächtigung an den k.k. Gesandten in Paris, Georg Graf (1765 Fürst) Starhemberg (1724 - 1807), Geheimverhandlungen einzuleiten. Über Madame de Pompadour - ein Faktum, das die Allianz in den Dunstkreis vulgärer Boudoirdiplomatie rückte, zumal auch Kaunitz während seiner Pariser Zeit bereits gute Kontakte zur Pompadour gepflegt hatte - wandte sich Starhemberg an Ludwig XV., der wegen der Österreichfeindlichkeit seiner Minister zunächst den ehemaligen Botschafter Frankreichs in Venedig, François-Joachim de Pierre Abbé Comte (1758 Kardinal) de Bernis (1715 - 1794), einen Günstling der Pompadour,

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mit der Führung der Anfang September 1755 aufgenommenen Gespräche betraute, ehe im Oktober 1755 auch einige Minister beigezogen wurden. Die Exponenten der Militärpartei blieben vorerst ausgesperrt. Wesentliche Zuarbeit für den Erfolg der österreichischen Bündnisanträge leistete Friedrich II. von Preußen selbst. Die Unterzeichnung der Westministerkonvention mit Großbritannien im Januar 1756 ohne vorangehende Konsultation Frankreichs, wie es der erst im Juni 1756 auslaufende Vertrag zwischen den beiden Mächten wohl erfordert hätte, versetzte Wien von der Rolle des Bittstellers in eine Position der Stärke gegenüber einem Gesprächpartner, der bereits seit 1754 in heftige koloniale Spannungen mit London verwickelt und damit in eine heikle Zwangslage gedrängt war. Am 1. Mai 1756 wurde der 1. Vertrag von Versailles abgeschlossen, der im wesentlichen drei Teile umfaßte: eine Neutralitätskonvention, in der Österreich sich aus den kolonialen Streitigkeiten zwischen Frankreich und Großbritannien zu halten versprach. Ludwig XV. seinerseits gelobte, die Österreichischen Niederlande oder andere Besitzungen Wiens nicht anzugreifen; einen Defensivvertrag, durch den man sich wechselseitig gegen Angriffe anderer Mächte Schutz und Beistand zusicherte, wobei der bereits tobende Konflikt zwischen Frankreich und Großbritannien ausgenommen blieb. Der 3. Teil des Vertragsinstruments, die Geheimkonvention, milderte diese Bestimmung, indem Maria Theresia für den Fall, daß ein Verbündeter Großbritanniens Frankreich angreifen sollte, Hilfe versprach und Frankreich analoge Verbindlichkeiten auf sich nahm. Reinhart Koselleck verglich - eine immerhin kuriose Marginalie - die Allianz als „kontinental-europäische Absurdität" in ihrer schockierenden Wirkung mit dem Hitler-Stalin-Bündnis von 193942, und vielen Zeitgenossen erschien sie in der Tat als „système monstrueux"; nicht wegen der „Asymmetrie der Vertragsbestimmungen" (E. Buddruss), die sich im Laufe der Zeit noch zu einer gewaltigen Hypothek entwickeln sollte, sondern auf Grund des tiefen Traditionsbruchs. Selbst in den Instruktionen für die ersten französischen diplomatischen Missionen nach Wien in den Jahren nach 1756 schwingt noch tiefer Zweifel mit, ob sich das recht junge Vertrauen zwischen den Souveränen beider Staaten in gleichem Maße auf ihre an die lange Erbfeindschaft gewöhnten Untertanen übertragen könne. Mit bemerkenswerter Hartnäckigkeit hielt aber Ludwig XV. am Vertrag mit Österreich, an dem niemals populären „système de 1756", fest, das er als sein zutiefst persönliches Werk betrachtete. Seiner „Freundschaft" mit Maria Theresia, mit der ihn auch ein „moralisches" Verständnis von Außenpolitik verband, korrespondierte eine Ablehnung des treulosen Preußenkönigs; eine Haltung, die ganz und gar nicht mit der großen Begeisterung 42

Koselleck 1992, 163 und 169.

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Α. Voraussetzungen

vieler Franzosen für den siegreichen Hohenzollern harmonierte. Ungeachtet der bitteren Prügel von Roßbach von November 1757, so mußte Bernis 1758 bekennen, verehrte Frankreich den König von Preußen in beinahe abgöttischer Weise, jenen Souverän also, zu dessen „réduction" Frankreich nach anfänglicher Ablehnung seit der zweiten Jahreshälfte 1756 die Hände zu bieten sich bereit zeigte. Es waren aber weniger die echten Lücken und Schwächen des Vertragswerks, das von französischer Seite nicht mit jener Gründlichkeit verhandelt wurde, die ein derartiger Systemwechsel gewiß verlangt hätte, als die schier unausrottbaren Vorbehalte besonders in Adel und Hofkreisen, in Diplomatie und Armee, die für anhaltende Resistenz gegen eine auch psychologische Aussöhnung mit dem Hause Österreich sorgten. Die allgegenwärtigen „austrophobes" behielten ihre Machtstellung und sollten eigenartigerweise zu Exekutoren jener neuen Politik im diplomatischen und militärischen Dienst werden, die sie unterschwellig konterkarierten. Der von 1743 - 1757 amtierende Kriegsminister Marc-Pierre de Voyer de Paulmy Comte d'Argenson (1696 - 1764) und der einflußreiche Premier Commis im Außenamt bzw. „directeur-général des affaires étrangères" Jean-Ignace Abbé de La Ville (1702 - 1774) galten als Exponenten einer anti-österreichischen Partei, deren allerhöchste Schirmherren bei Hof der bigotte Dauphin Louis und dessen Schwestern waren. Sie bildeten mit Madame de Marsan - Marie-Louise de Rohan-Soubise (1720 - 1802), Gouvernante des enfants de France - , und Antoine-Paul Jacques de Quélen de Stuer de Caussade Duc de la Vauguyon (1706 - 1772), Gouverneur des Duc de Berry (nachmals Ludwig XVI.), den Kern des sogenannten „parti dévot" oder „parti jésuite" 43 . Im Januar 1757 kam ein die Achse Wien-Versailles ausgestaltendes Abkommen zwischen Frankreich und Rußland zum Abschluß, dessen wechselseitige Beistandszusagen gegenüber den „alten Freunden" Frankreichs, Polen und der Pforte, böses Blut machten, auch wenn der König die Bestimmungen einer Geheimkonvention verwarf, die Frankreich zur Unterstützung Rußlands selbst gegen den Sultan verpflichtet hätte. Gerade Rußland war im Grunde der Spaltpilz der Achse Wien-Versailles. So wie Österreich Preußen aus dem Reigen der Großmächte zu verdrängen trachtete, so 43 Girault de Coursac 1972, hier 33: „Soeur du maréchal de Soubise, très amie du Dauphin, de la dauphine et de leur coterie, elle est également l'un des chefs de cette faction Rohan, appelée aussi souvent „parti devot", qui fait profession de défendre à la cour la cause de la religion et de la monarchie traditionnelle, et de combattre les nouveautés. Elle est l'ennemie de la faction Noailles, de tout ce qui touche de près ou de loin à la Philosophie, et spécialement du premier ministre philosophe de Louis XV, le duc de Choiseul." Zu La Vauguyon ebd. 278 - 284. Einige wenige Hinweise zum „parti dévot" bei Kaiser 1996.

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mußte es wesentlichstes Anliegen in Frankreichs Ostpolitik sein, dem weiteren Anwachsen Rußlands einen Riegel vorzuschieben. 1757 erfuhr auch der Vertrag mit Österreich eine Ausweitung; ein wieder von Bernis, seit Januar 1757 Mitglied des Conseil, ausgehandeltes Offensivabkommen vergrößerte die Lasten Frankreichs und verstrickte es endgültig in den kontinentalen Konflikt (1. Mai 1757). Mit Hilfe gewaltiger Subsidien und enormer militärischer Unterstützung des Allerchristlichsten Königs in Deutschland sollte Österreich wieder in den Besitz von Schlesien gelangen, Frankreich als Lohn für die vollständige Niederringung Preußens Teile der belgischen Küste mit Nieuport und Ostende erhalten, der Rest mit Luxemburg an Don Philipp von Parma fallen, der dafür Parma und Piacenza an Habsburg restituierte. Die eindeutige Verlagerung des Schwerpunkts französischer Bemühungen auf den Kontinent zugunsten Österreichs und die Ausblendung des Konflikts mit Großbritannien gaben den Vorbehalten gegen die Allianz neue Nahrung. Österreich als „sangsue de l'état", als „Blutegel" an Frankreichs Staatskörper - ein Bild, das schließlich die Sicht nicht nur des „Unglücksministeriums" Bernis (der Abbé übernahm im Juni 1757 die Agenden des Staatssekretärs für auswärtige Angelegenheiten), sondern der österreichisch-französischen „Partnerschaft" überhaupt bis zu ihrem endgültigen Schiffbruch prägen sollte. Schon die Katastrophe von Roßbach aber bewirkte einen radikalen Schwenk des zusehends überforderten Bernis; mit seiner nun fast panikartigen Friedenswilligkeit stieß er bei Ludwig XV. auf Ablehnung und wurde schließlich im November 1758 durch den französischen Botschafter in Wien 1757/58, Etienne-François Comte de Stainville, seit 1758 Duc de Choiseul (1719 - 1785), als Staatssekretär abgelöst. Erst in der Amtszeit Choiseuls (1758 - 1761, 1766 - 1770) kam es zu einer Wiederbesinnung auf Frankreichs primäre Kriegsziele, die gegen London gerichtet sein mußten, und nach der Devise „conserver l'alliance en dérogeant aux traités" zu einer „Rücknahme" des Vertrags vom Mai 1757. Im 3. Versailler Vertrag, den man am 30. März 1759 signierte, aber auf den 30./31. Dezember 1758 vordatierte, konnte endlich eine gewisse Entflechtung der beiden großen Konfliktpole (Österreich-Preußen, Frankreich-Großbritannien) vorgenommen werden. Frankreich verzichtete de facto auf Gebietsgewinne in den Österreichischen Niederlanden, reduzierte seine exorbitanten finanziellen Verpflichtungen gegenüber Wien und zog sich auf seine immer noch bedeutende Rolle als Auxiliarmacht im kontinentalen Konflikt zurück, um so mehr Freiraum gegen England zu gewinnen. Daß die Destruktion Preußens keinesfalls im Interesse der französischen Politik lag, hatte man in Versailles nach nur kurzer Verirrung rasch wieder zum Leitsatz gemacht. Im Gegenteil: Berlin sollte bei Bedarf jene Rolle des Bremsers gegenüber Österreich übernehmen, die der französische König als

Α. Voraussetzungen

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Verbündeter Habsburgs nicht mehr so ungeniert spielen durfte, ohne die Allianz vital zu gefährden. 1769 nahmen Frankreich und Preußen wieder reguläre diplomatische Beziehungen auf.

c) „Chacun à son goût": Das Auseinanderdriften der Bündnispartner Mit Kriegsende 1762/63 fiel die Allianz auf das Niveau des Defensivvertrags von 1756 zurück. Aus dem ursprünglich nicht als dauerhaftes „renversement" geplanten Umsturz der Bündnisse entwickelte sich ein Fixum in Kaunitz' außenpolitischem Konzept zur Friedenssicherung und Stabilisierung der internationalen Ordnung und, „realpolitisch" auf .das österreichisch-französische Verhältnis bezogen, zur Ruhigstellung ehemaliger „geopolitischer" Krisenherde zwischen Habsburg und Bourbon (Österreichische Niederlande, Italien) bzw. zur weitgehenden Entschärfung gefährlicher Verbindungen (Frankreich-Pforte). Auch Frankreich hielt sich den Rücken frei, entwand England den traditionellen Festlandsdegen. Beide Seiten beobachteten daher sehr genau die Kontakte des jeweils anderen gegenüber den Hauptgegnern Großbritannien und Preußen. Lothar Schilling hat die zunehmend unterschiedliche Schwerpunktsetzung in den außenpolitischen Konzepten von Wien und Versailles weniger als Belastung denn als wesentliche Voraussetzung für die Dauerhaftigkeit der Allianz begriffen. Kaunitz, so Schilling, behandelte die Allianz „als Randbedingung seiner Politik, durch die er eine noch immer als potentiellen Gegner eingeschätzte Macht an Übergriffen auf das Erzhaus hinderte, aber gleichwohl freie Hand behielt für eine Orientpolitik, bei der er bekanntlich auch weiterhin wenig Rücksicht auf den französischen Alliierten nahm"44. Trotz des festen Willens der beiden Monarchen, Ludwigs XV. wie Maria Theresias, an der Freundschaft festzuhalten, entwickelten sich die Bündnispartner also durch eindeutig divergierende außenpolitische Prioritäten mehr und mehr auseinander. So bewahrte die Allianz nach dem Wegfall der Grundvoraussetzung für die Annäherung zwischen den ehemaligen Erzfeinden mangels aktiver Kooperationsbereitschaft immerhin ihren Charakter als friedensstiftendes Element für Kontinentaleuropa. Choiseul blieb, obgleich der Allianz gegenüber in Teilbereichen durchaus kritisch eingestellt, mit seiner Anhängerschaft, dem aufklärerischen „clan lorrain", der Garant für den Fortbestand des „système autrichien" ... gegen den „parti dévot" um Sohn und Töchter Ludwigs XV., deren antiösterreichische Gesinnung auch der in diesem Ambiente aufwachsende nachmalige Ludwig XVI. in sich aufsog. 44

Schilling 1994, 301.

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Die Heiratsverbindung zwischen letzterem und der österreichischen Erzherzogin Marie-Antoinette im Jahre 1770, von den „dévots" um die Tanten des Thronfolgers, Mesdames Adélaïde und Victoire, und Duc de la Vauguyon, als Werk Choiseuls nach Kräften bekämpft, schuf hier nur bedingt Ausgleich, ja beeinflußte später die Stellung der Achse Wien-Versailles in der öffentlichen Meinung vielmehr in kontraproduktiver Weise. Die durchaus berechtigte Ansicht, Österreich wolle über die Dauphine bzw. über die Königin das außenpolitische Handeln Frankreichs in seinem Sinne steuern, verstärkte die Angst, definitiv zur österreichischen Marionette, zur Pacht des Hauses Österreich, wie Friedrich der Große sich ausdrückte, zu verkommen. Während Österreich nach 1763 hauptsächlich im Beziehungsfeld zu Preußen, Rußland und der Pforte agierte, stand für Frankreich nach der Demütigung des Siebenjährigen Krieges die kolonial-maritim bestimmte „guerre de revanche" gegen Großbritannien eindeutig im Vordergrund. Dem Primat der Revanche war auch eine intensive Reform von Heer und Marine - alle drei Ministerien (Äußeres, Marine und Heer) befanden sich in der Hand Choiseuls bzw. seines Cousins César-Gabriel Duc de Choiseul-Praslin (1712 1785), Staatssekretär für Äußeres 1761 - 1766, 1766 - 1770 für Marine dienend zugeordnet. Die traditionell starke französische Ostpolitik geriet demgegenüber ins Hintertreffen - eine Entwicklung, die sich auch an der dramatischen Unterversorgung der Gesandtschaftsposten im Osten ablesen läßt - und wurde zusätzlich durch eine nun besonders deutliche Doppelgleisigkeit zwischen offizieller Diplomatie des Außenamtes und Geheimdiplomatie des Königs behindert. Als sich im Jahre 1770 die spanisch-britischen Konflikte über der Falklandkrise zuspitzten, bot sich in den Augen Choiseuls Gelegenheit für ein gemeinsames Vorgehen der seit 1761 in einem „pacte de famille" vereinten Bourbonenhöfe von Madrid und Versailles gegen das „tyrannische Albion". Die unbedingte Friedensliebe Ludwigs XV., die ihn vor einem bewaffneten Kampf gegen England zurückschrecken ließ, die zweideutige Haltung Choiseuls im Dauerkonflikt zwischen Königtum und Parlements und seine Intimfeindschaft mit der neuen Favoritin des Königs Jeanne Bécu Comtesse Du Barry (1743 - 1793) beschleunigten den Sturz des Ministers, der sich im Dezember 1770 ins Privatleben zurückziehen mußte. In einem persönlichen Schreiben an den spanischen König begründete Ludwig XV. den Absprung Frankreichs vom rasenden Kriegskurs mit der schwierigen inneren Lage - der Kampf gegen das Parlement von Paris erreichte 1770/71 seinen entscheidenden Höhepunkt - und mahnte zum Ausgleich. Der „parti choiseuliste" verfügte aber weiterhin über starken Rückhalt und schließlich in der Dauphine Marie-Antoinette über einen wichtigen Sammelpunkt.

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Α. Voraussetzungen

Die Politik des nach längerem Interim im Juni 1771 zum Außenminister bestellten Emmanuel-Armand de Vignerot du Plessis-Richelieu Duc d'Aiguillon (1720 - 1788) paßte sich mit ihren (erfolglosen) Ausgleichsfühlern und Annäherungsversuchen in Richtung London und Berlin viel besser in das königliche Konzept einer „politique de paix à tout prix" (M. Antoine) ein als jene Choiseuls; die Passivität wurde schlechthin zum System erhoben und war gewiß wesentliche Voraussetzung für den harten innenpolitischen Kurs gegen die Parlamente 1771 - 177445. Die Zeit der Vakanz an der Spitze des Außenamtes nach dem Sturz Choiseuls hatte die französischen Auslandsvertretungen lange ohne die nötigen Direktiven gelassen, und dies zu einem Zeitpunkt, als vor dem Hintergrund des russisch-türkischen Krieges Osteuropa in Bewegung geriet und die Erste Polnische Teilung als Ventil für die österreichisch-russisch-preußischen Spannungen in die entscheidende Phase trat. Die kalte Realisierung dieser fadenscheinigen Friedensinitiative Preußens auf Kosten eines alten französischen „Freundes" und mehr noch die Tatsache, daß Frankreich uninformiert und völlig im Abseits geblieben war, machten die Blamage perfekt. Die schüchterne „Militärhilfe" für die antirussische Konföderation von Bar vermochte dies nicht aufzuwiegen. Auch ein weiteres Glied der französischen Sperrkette gegen Rußland, der sog. „Barrière de l'Est", das Osmanische Reich, befand sich in ernster Gefahr, von Rußland übel zugerichtet zu werden. Frankreich selbst hatte die Pforte zum 1768 ausgebrochenen Krieg mit der Zarin gedrängt. Die Beweggründe für dieses scheinbar widersinnige Programm sind sehr verschieden beurteilt worden (Rettung Polens - zu dem man seit 1764 keine offiziellen diplomatischen Beziehungen mehr unterhielt - vor der endgültigen Inhalierung durch Rußland, Beschäftigung der an Osteuropa primär interessierten Mächte während der drohenden Verwicklungen Frankreichs mit Großbritannien, handelsstrategische Überlegungen gegen ein Vordringen Rußlands im Schwarzmeerraum ...). Vor diesem tristen Panorama außenpolitischer Kraft- und Orientierungslosigkeit nimmt sich der mit französischer Unterstützung realisierte „Staatsstreich" Gustavs ΙΠ. von Schweden im Sommer 1772 zur Wiederherstellung der königlichen Vollgewalt gegen die Verfassung von 1720 und die Fremdbestimmung durch Rußland als vergleichsweise bescheidener Erfolg aus, für den die Ablenkung der übrigen Großmächte wenigstens ebenso hilfreich war. Immerhin: Durch einen Subsidienvertrag (1784 erneuert) konnte der alte Verbündete im Norden wieder an das französische System angebunden werden.

45 Aiguillon an den französischen Botschafter in Wien, Rohan (6. 1. 1772): „le rôle passif est en effet [...] le seul qui soit assorti aux voeux et aux sentiments du Roi". Vgl. [Sorel] 1884, 449.

II. Bündniskonstellationen

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d) Allianzfreier Raum: Der „Secret du Roi" und die antiösterreichische Publizistik Der „Secret du Roi", diese wohl eigenartigste Ausprägung monarchischer Sonder- und Geheimdiplomatie, hatte seine Wurzeln in der Unterstützung des Königs für die persönlichen Ambitionen von Louis-François de Bourbon Prince de Conti (1717 - 1776) auf den polnischen Thron (1745/46) und der Bestellung seines „Privatagenten" zum offiziellen französischen „chargé d'affaires" in Warschau46. Aus diesen gleichsam „privaten" und eng umgrenzten Anfängen, denen Ludwigs Marotte für Geheimniskrämerei vortrefflich zustatten kam, entwickelte sich mit der Zeit eine Art von Paralleldiplomatie mit eigenen, später auch den offiziellen Leitlinien entgegengesetzten außenpolitischen Zielvorstellungen; die Einrichtung des „Secret" fand selbst dann nicht ihr Ende, als Conti im Jahre 1756 über seinen Konflikt mit der Pompadour in Ungnade fiel. Charles-François Comte de Broglie (1719 - 1781), 1752 französischer Botschafter in Polen und als solcher Vertrauter des „Secret", übernahm 1756 provisorisch, 1759 definitiv die Leitung des „Secret de Conty", das so zum „Secret du Roi" wurde. Neben die offiziellen Weisungen und Berichte an die in den „Secret" eingeweihten Außenvertretungen (Warschau, Konstantinopel, Stockholm) traten geheime Instruktionen und Relationen, die einander bis zur gegenseitigen Negation widersprechen konnten ... Kopien der Berichte an das Staatssekretariat für Auswärtiges waren auch dem König zuzustellen; der „Secret" wurde zu einem letztlich nur halbherzig unterstützten Kontrollorgan gegen die offizielle Diplomatie. Im Staatssekretariat selbst saß von 1754 bis 1759 der speziell mit Rußland, der Türkei und Polen betraute Premier Commis Jean-Pierre Terrier (1704 - 1767) als Schlüsselfigur des „Secret", ehe er von Außenminister Choiseul, der von der Arkandiplomatie seines Herrn wußte und vergeblich hinter deren Geheimnisse zu kommen trachtete, entfernt wurde (Terrier blieb bis zu seinem Tod immerhin Sekretär des „Secret"). Die letzte Koordinationsstelle zwischen offizieller und geheimer Diplomatie war damit beseitigt. Auch Broglie, den Ludwig XV. wiederholt exilierte (1762 - 1764, 1773), ihm dabei aber die Leitung des „Secret" beließ, und andere Mitarbeiter der königlichen Geheimdiplomatie erhielten in Krisenfällen keinerlei offene Unterstützung durch ihren obersten Dienstherrn. Um 1747 war das Programm des Secret de Conty im wesentlichen mit der Bewahrung der deutschen „Libertät", dem Schutz und Ausbau des antirussischen Sperriegels (Schweden-Polen-Preußen-Osmanisches Reich) und der 46 Ozanam/Antoine 1956/1961, besonders die Einleitung (XI - CXIV). Die ältere Literatur ist dadurch weitgehend überholt.

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Α. Voraussetzungen

Trennung Österreichs von Rußland zu umschreiben, also mit den Zielen der „klassischen" französischen Außenpolitik weitgehend deckungsgleich, nur daß sie von Conti als Voraussetzung für den Erfolg seiner privaten Ambitionen begriffen wurden. Auch der „Secret du Roi" verstand sich selbst vordringlich als Bewahrer der traditionellen französischen Außenpolitik und suchte in einer durchaus zwiespältigen Stellung zum „système autrichien" das nach dem Bruch von 1756 gefährdete Bündel der alten Allianzen und Freundschaften Frankreichs so gut als möglich zusammenzuhalten. Unter der Amtszeit Choiseuls aber wuchs der Gegensatz zwischen offizieller und geheimer Außenpolitik an mehreren Punkten ins Groteske; die Schwierigkeit, das Bündnis mit Österreich von 1756 mit dem Interesse an den „natürlichen" Verbündeten und Trabanten der Zeit davor zu vereinbaren, spielte dabei sicherlich eine wesentliche Rolle. Die Widersprüche, die mangelnde Effizienz und die geringe Rückendeckung durch den König führten zu einer Zerfahrenheit und Verwirrung, die die Realisierung des konservativen Grundprogramms des „Secret" erschwerten, ja verunmöglichten. Dem „patriotischen Aufschrei" nach 1763 konnte sich auch der „Secret" nicht entziehen; die Revanche gegen England mit entsprechenden Invasionsplänen rückte in den Denkschriften und Briefwechseln der königlichen Geheimdiplomatie in den Vordergrund. Nach der Ersten Polnischen Teilung und dem schwedischen Verfassungsputsch von 1772, an dem sowohl die offizielle französische Außenpolitik als auch der „Secret", vereint in der Person des französischen Botschafters, führend beteiligt gewesen waren, raffte sich die Geheimdiplomatie unter Broglie noch einmal zu einem weitgespannten Aktionsplan auf, der das Ende der politischen Lethargie Frankreichs einläuten, die alten Allianzen stärken und neue zum Zwecke der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts schmieden sollte. Die dem König vorgelegte Bestandsaufnahme der außenpolitischen Situation Frankreichs im europäischen Gesamtzusammenhang (Conjectures raisonnées sur la situation actuelle de la France , April-August 1773), die nicht mit heftiger Kritik an der österreichischen Allianz und ihren Folgewirkungen, besonders an deren Ausführungsbestimmungen und der einseitigen Gewinnverteilung, sparte, zog eine triste Bilanz und bescheinigte in erster Linie ein peinliches „effacement" Frankreichs auf der europäischen Bühne. Ein erbitterter Machtkampf zwischen Außenminister Aiguillon und Broglie und seinem „Secret" endete dank der „affaire de la Bastille", in die Mitglieder des „Secret" und ihm Nahestehende verwickelt waren, mit der Exilierung Broglies und einem Knalleffekt, von dem sich die Geheimdiplomatie nicht wieder erholte. Ludwig XVI. hob die Einrichtung des „Secret" kurz nach seiner Thronbesteigung im Juni 1774 auf; immerhin: ein langjähriger Vertrauter der königlichen Geheimpolitik trat nun an die Spitze des Außenministeriums.

II. Bündniskonstellationen

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In Summe war der „Secret du Roi" nicht mehr als ein „moyen d'information privé, un organe de contrôle, une source d'idées et de projets" (D. Ozanam/M. Antoine). Doch erweist sich der „Secret" bei näherem Hinsehen zugleich auch als eine Art „école diplomatique" für Spitzenfunktionäre der französischen Diplomatie und Außenpolitik in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Namen wie Vergennes, Breteuil, St. Priest begegnen unter der Regierungszeit Ludwigs XVI. an prominenten Stellen der französischen Diplomatie und Zentralbürokratie. Nicht geistiger Vater, aber publizistischer Angelpunkt der antiösterreichischen Strömung in Politik und Diplomatie war Jean-Louis Favier (1716 1784). 1749/53 amtierte Favier als Sekretär des französischen Gesandten in Turin, 1759 war er mit einer Spanienmission im Vorfeld des „pacte de famille" betraut, wenig später mit einer Sendung nach Rußland, ehe er in Ungnade fiel und einige Jahre im selbstgewählten belgischen Exil verlebte. Die Kontakte Faviers reichten über die französischen Machtzirkel hinaus; so stand er etwa mit Prinz Heinrich von Preußen (1726 - 1802), dem Bannerträger der französischen Partei in Preußen, in Verbindung. Nach Mitarbeit am Sturz Choiseuls kehrte Favier 1771 nach Paris zurück und fand unter Aiguillon Verwendung. Doch war es Broglie, der als Chef der königlichen Geheimdiplomatie die Talente Faviers für seinen Secret und die Propagierung einer Erneuerung des klassischen Bündnissystems besser zu nützen verstand: die bereits genannten „Conjectures raisonnées" waren die wesentlichsten Früchte ihrer Zusammenarbeit. Durch einen seiner eifrigsten Jünger, Charles-François Dumouriez (1739 - 1823) - späterer französischer Außenminister - , und dessen merkwürdige Deutschlandmission im Auftrag des Kriegsministers Louis-François Marquis de Monteynard (1703 - 1791) wurde Favier 1773/74 in das sog. „Bastille-Komplott" verwickelt und für längere Zeit in Festungshaft genommen, aus der ihn erst der Tod Ludwigs XV. befreite. Faviers bekannteste Schrift sind ohne Zweifel die Doutes et questions sur le traité de Versailles du 1er mai 1756, die er im Juli 1756 auf Ersuchen des Kriegsministers d'Argenson verfaßte. Dieser wagte es schließlich nicht, das Pamphlet entsprechend beim König zu verwenden. Die Streitschrift blieb Manuskript, fand aber als solches in den österreichfeindlichen Kreisen Verbreitung; die Werke des Abbé Guillaume-Thomas-François de Raynal (1713 - 1796) transportierten gleichfalls wesentliche Gedanken Faviers. Erst 1778 erschienen die „Doutes et questions" - wohl mit Unterstützung des offiziellen Frankreich - in London. Den Triumph seiner Ideen während der Revolution erlebte Favier nicht mehr; immerhin war es ihm aber vergönnt, unter der neuen Regierung Ludwigs XVI. einen Mann an der Spitze des französischen Außenministeriums zu sehen, der seinem Programm und der antiösterreichischen Skepsis einiges abzugewinnen vermochte und ihn wie-

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Α. Voraussetzungen

derholt zur Zusammenarbeit heranzog ... Charles Gravier Comte de Vergennes (1719 - 1787) 47 . e) Die Ära Vergennes 1774 - 1787 Die Aufhebung des über Choiseul verhängten Exils 1774 führte, anders als die immer noch gewichtigen „Choiseulisten" im Umkreis Marie-Antoinettes hofften, zu keiner Rückkehr des alten Außenministers in das Zentrum der Macht. Vielmehr entschied sich der neue Souverän für einen Mann, dessen vorbehaltlose Allianztreue so manchem mehr als fraglich schien, zumal dem Einfluß der Tanten des Königs und der nostalgischen Erinnerung Ludwigs XVI. an seinen Vater und dessen antiösterreichische Gesinnung maßgeblicher Einfluß bei der Bestellung des französischen Botschafters in Schweden und Mitarbeiters des Secret, Vergennes, zum neuen Staatssekretär für Äußeres eingeräumt wurde. Auch Jean-Frédéric Phélypeaux Comte de Maurepas (1701 - 1781), den „Mentor" des knapp zwanzigjährigen Monarchen mit faktischer Premierministerstellung, rechnete man den Österreichskeptikern zu; er wurde eine wichtige Stütze Vergennes' 48 . Die Berufung Vergennes' zum Nachfolger Aiguillons war gewiß eine der wenigen glücklichen - und dauerhaften - Personalentscheidungen des 47

Das abenteuerliche Leben Faviers im Halbdunkel offiziöser Tagesschriftstellerei und Geheimdiplomatie hat Flammermont 1899 in einem gründlichen Artikel nachgezeichnet. Die „Doutes et questions" liegen in drei Auflagen vor: London 1778 (BN 8-Lb38-686), Paris 1789 (BN 8-Lb38-687A), Paris 1792 (BN 8-Lb38688). Die hochvertraulichen, nur für die Augen Ludwigs XV. bestimmten „Conjectures raisonnées" gingen erst 1793 in Druck, und zwar in einer mäßigen zweibändigen Edition nach dem in den Papieren Ludwigs XVI. gefundenen Exemplar. 1801 besorgte Louis-Philippe Comte de Ségur, 1773/74 ebenfalls ein Akteur der BastilleAffare, eine brauchbare Ausgabe in drei Bänden mit ausführlichem Kommentar. Vgl. auch Sorel 1885 - 1911, Bd. 1, 304 - 310, der neben Favier und Raynal noch den königlichen Historiographen Charles Pinot Duclos (1704 - 1772) und seine Mémoires secrets (veröffentlicht 1790, in Manuskriptform seit langem weit verbreitet) als prominenten antiösterreichischen Aktionisten nennt. Vgl. auch Hase 1976, Hochedlinger 1997b und v.a. Savage 1998. 48 Zu Vergennes vgl. Tratchevsky 1880/1881 (auch selbständig als Broschüre), mit einer Entgegnung von Albert Sorel 1881 [zur Verteidigung Vergennes* gegen die extrem negative Darstellung durch Tratchevsky] und einer Erwiderung von Tratchevsky 1881, Magnette 1896, Oursei 1921, Fagniez 1922 [Geschichte der französischen Mediation zwischen Preußen und Österreich 1778/79], Grosjean 1925, Pinon 1929, Chambrun 1944, Murphy 1982, Labourdette 1986, ders. 1990 sowie den Ausstellungskatalog Vergennes 1987 und die Gedenknummer der RHD 101 (1987). Das überaus reiche Schrifttum zur französischen Amerikapolitik unter Vergennes übergehe ich. Den zwiespältigen Stellenwert Preußens im Kalkül der französischen Politik behandelt noch gesondert Buddruss 1995, 153 - 179. Zu den innenpolitischen Verflechtungen vgl. Hardman 1972, ders. 1995 und Price 1989, ders. 1995 a.

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jungen Monarchen. Ausgerechnet die Abenddämmerung der französischen Monarchie sah nochmals einen Mann als Leiter der französischen Außenpolitik, dem man bei aller Umstrittenheit doch ein relativ ausgereiftes und in sich schlüssiges (außen-)politisches Programm nicht wird absprechen können. Unbedingte Anhängerschaft für ein absolutes Königtum, Ablehnung des zeittypischen „esprit philosophique" und der feste Glaube an eine gesamteuropäische Friedens- und Richtermission Frankreichs sind für Vergennes kennzeichnend und hatten sicher neben der privaten Sittenstrenge und einer Vorliebe des Ministers für bürgerliche Beschaulichkeit ihren Anteil an der stabilen Gunst des Monarchen. Die in einer Epoche permanenter ministerieller Revirements ungewöhnlich lange Dauer seiner Amtszeit, der erst der Tod zu Anfang des Jahres 1787 ein Ende setzte, und die schließlich weit über den Zuständigkeitsbereich des Außenamtes hinausgehende Einflußsphäre Vergennes' - nach dem Tode Maurepas' erreichte er, ohne den Titel zu führen, de facto den Rang eines Prinzipalministers sprechen eine deutliche Sprache. Der berufliche Werdegang des Außenministers ist für seine außenpolitische Doktrin in den Jahren 1774 - 1787 sicher entscheidend gewesen. So war er während seiner „Lehijahre" im diplomatischen Dienst eben an jenen Krisenherden tätig, denen er später auch als Leiter der französischen Außenpolitik große Wichtigkeit beimaß: in antiösterreichischer Mission zu Anfang der fünfziger Jahre im Reich (Trier, Hannover), 1755 - 1768 an der Pforte, deren politisches Überleben ihm mehr am Herzen lag als den Verantwortlichen der Zentrale, 1771 - 1774 in Schweden, wo er den Staatsstreich Gustavs III. unterstützte. Zwei große Schlußfolgerungen ergaben sich für Vergennes' Programm: 1. Nützung der bei richtigem Gebrauch durchaus zweckdienlichen Allianz mit Österreich zur Aufrechterhaltung der internationalen Ordnung und des europäischen Gleichgewichts bei gleichzeitigem Wiederanknüpfen an traditionelle Bündnisfäden, besonders zur Wiederherstellung des französischen Einflusses im Reich und 2. entschlossener Einsatz Frankreichs für das Fortbestehen des Osmanischen Reichs und Notmaßnahmen zur Rettung all dessen, was sonst noch von der „barrière de l'Est" Übriggeblieben war, etwa des schwedischen Gegengewichts zu Rußland. Neben dem traditionalistischen Grundtenor der „neuen" Außenpolitik à la Vergennes ist aber wohl das zutiefst moralische Verständnis der Rolle Frankreichs im Staatenkonzert als hervorstechendstes Charakteristikum zu bewerten. Ausgehend vom Grundsatz des Gleichgewichtsgedankens verstand sich Vergennes nicht wie etwa Kaunitz zu einer Verbeugung vor dem Konvenienzprinzip und einem Mitmischen im Wettlauf um territorialen Zugewinn. Vielmehr galt ihm das saturierte Frankreich durch bewußten Verzicht auf Vergrößerung und jedes herrische Streben nach eitler „gloire" als zum europäischen Schiedsrichter-

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Α. Voraussetzungen

amt berufen, als Beschützer der Klein- und Mittelstaaten gegen eine immer weiter um sich greifende „politique de brigandage", gegen eine Politik des Faustrechts im Stile Preußens, Österreichs und Rußlands. Die Stellung Vergennes' zur Allianz mit dem Hause Österreich ist sehr verschieden beurteilt worden; Kaunitz und sein verlängerter Arm in Paris, Botschafter Mercy-Argenteau, betrachteten ihn als überzeugten Gegner des „système de 1756" und verfolgten ihn dementsprechend mit Bitterkeit und Haß, Ressentiments, die kaum aus einer eingehenden Analyse der selbstbewußteren und widerspruchsgeneigteren Außenpolitik Vergennes' resultierten, sondern primär wohl die Enttäuschung über die weniger denn je gegebene Instrumentierbarkeit Frankreichs widerspiegelten. Der Außenminister verstand es dabei - geschickter und noch unverhohlener als seine Vorgänger - , die Angst Wiens vor einer französisch-preußischen Annäherung, der größten Schreckensvision Kaunitz', für seine Politik gegenüber dem Bündnispartner zu nützen. Zweifellos war Vergennes - wie auch Ludwig XVI. kein sentimentaler Freund der Allianz, wohl aber hat er die sich aus ihr ergebenden Möglichkeiten einer besseren Überwachung und Zügelung Wiens ebenso erkannt wie die Notwendigkeit, Habsburg durch die Allianz mit Frankreich von dessen Erzfeind Großbritannien fernzuhalten. Das Dezennium der Alleinherrschaft Josephs Π. nach 1780 mußte von diesen Prämissen her zwangsläufig dauernde Reibungen zwischen den ungleichen Bündnispartnern heraufbeschwören und die Allianz auf nie dagewesene Tiefpunkte drücken. Ludwig XVI. und Vergennes scheuten nun nicht mehr davor zurück, die Krise der Beziehungen durch unverhüllte Opposition zu verschärfen, wenn es galt, den unruhigen Kaiser bei seinen außenpolitischen Abenteuern in die Schranken zu weisen. Während der Bemühungen Josephs II. um das bayerische Erbe 1777/79 verweigerte Frankreich - durch seinen verdeckten, schließlich offenen Krieg mit Großbritannien, sein Engagement zur See und in den Kolonien gebunden - nach peinlichem Lavieren zwischen den Fronten die Anerkennung des casus foederis und vermittelte mit Rußland, das nun als Garantiemacht im Reich Fuß faßte, den Frieden von Teschen (13. Mai 1779). Ein erster schwerer Einbruch in den österreichisch-französischen Beziehungen. Auch der seit längerem ventilierte und 1784/85 von Wien offiziell lancierte Plan eines Tausches der Österreichischen Niederlande gegen Bayern - von Vergennes zunächst als für Frankreich günstig akzeptiert, aber von einer Welle antiösterreichischer Ressentiments im Conseil du Roi als gleichgewichtsstörend verworfen - scheiterte nicht zuletzt an der zwiespältigen Haltung Frankreichs und seiner Rücksichtnahme auf Preußen, das als unbedingt nötiges Gegengewicht gegen Joseph II. bei Laune gehalten werden wollte. So akzeptierte Frankreich auch als „eine Art stiller Teilhaber" (E. Buddruss) den Fürstenbund von 1785 als Schutzwall der deutschen Libertät, obwohl

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man eine von Wien und Berlin unabhängige Liga der Klein- und Mittelstaaten unter französischer Schirmherrschaft vorgezogen hätte. Dafür freilich war die anämische Reichspolitik Frankreichs spätestens seit dem Bayerischen Erbfolgekrieg viel zu schwach, das Klientelsystem - auch durch ein Ende der alten Subsidienpolitik gegenüber den interessanten Reichsständen - völlig zerborsten. Die laufende Konterkarierung der Bestrebungen des Kaisers und seiner turbulenten Außenpolitik schuf eine Intimfeindschaft zwischen Vergennes und der von Österreich als wichtiges Sprachrohr bei Ludwig XVI. genützten Königin. Auch in der dem Ruf der Königin so schädlichen Halsbandaffäre von 1785/86, die einen ersten Höhepunkt der Schmähschriftenliteratur brachte, spielte Vergennes eine ungünstige Rolle. Anders als bei vielen „Personalfragen" gelang es Marie-Antoinette allerdings trotz heftigster Konflikte, Ehekrisen und Standpauken für die königlichen Minister (gerade etwa im Umfeld des Tauschplanes von 1784/85) nicht, die feste Position des Außenministers bei Ludwig XVI. ernsthaft zu erschüttern. Der vom k.k. Botschafter in Paris Comte de Mercy so übel kritisierte König bewies durchaus Standfestigkeit, wenn es darum ging, Marie-Antoinette von den außenpolitischen Geschäften fernzuhalten. Der Konflikt Josephs Π. mit den Vereinigten Niederlanden - nach der Beseitigung der niederländischen Garnisonen in den belgischen Barrierefestungen sollte nun 1784/85 auch die von den Niederlanden gesperrte Scheide für die belgische Schiffahrt geöffnet werden - konnte von Versailles, das an einem Bündnis mit den Generalstaaten - von den Briten gedemütigter Partner im Kampf Frankreichs für die Freiheit der USA (4. Englisch-holländischer Krieg 1780 - 1784) - interessiert war, nur mit größter Anstrengung beigelegt werden (Friede von Fontainebleau, 8. November 1785). Einen Gutteil der von den Niederlanden zu leistenden Reparationszahlungen übernahm der Versailler Hof, um so 1785 doch noch den Bündnisvertrag mit den Generalstaaten abschließen und eine Wiederannäherung Den Haags an London verhindern zu können. Beurteilt man den Wert der Vergennesschen Politik, so wird man nicht zuletzt auch die schwierige Situation des Ministers im Auf und Ab höfischer Intrigen in Rechnung stellen müssen. Die „offizielle" Linie Vergennes' drohte zwischen einer Fülle von in die allgemeine Diskussion geworfenen außenpolitischen Konzepten und entsprechend agierenden Interessengruppen zerrieben zu werden. Neben der Dauerfeindschaft der von Wien gesteuerten Königin war es v.a. die Kritik prominenter Ministerkollegen und Diplomaten an einer vermeintlich kleinlich-scheuen Außenpolitik, die man weder als mit dem eigenen Programm des Außenministers verträglich noch als der großen Vergangenheit und der europäischen Berufung Frankreichs angemessen empfand. Der Pariser Friede von 1783 diente dabei keineswegs nur den Apologeten als Demonstrationsobjekt, brachte doch das 7 Hochedlinger

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Α. Voraussetzungen

großzügige Engagement im Unabhängigkeitskampf der amerikanischen Kolonien letztlich relativ wenig neues Prestige gemessen an den ungeheuren finanziellen Aufwendungen, die schließlich mit zum Staatsbankrott führten. Fällt es auch schwer eine eindeutige Bilanz der Ära Vergennes' zu ziehen, so wird man doch nicht umhin können einzubekennen, daß Frankreich, ohne freilich zur alten Größe des „grand siècle" zurückzufinden, im Rahmen seiner „politique réparatrice" wenigstens teilweise die von seinem letzten „großen" Außenminister vor der Revolution gepredigte Schiedsrichter· und Vermittlerrolle mit einigem Erfolg zu spielen vermochte; und dies, obwohl die innere Basis für eine starke Politik nach außen nicht mehr vorhanden war. Vergennes' historische „Größe" lebt gewiß vom Vergleich mit seinen Nachfolgern. Die letzte Phase seiner Ministerschaft war freilich schon von deutlichen Krisenerscheinungen geprägt. Sein größter Gegenspieler im Conseil, Marschall Charles-Eugène-Gabriel de La Croix Marquis de Castries (1727 - 1800), 1780 - 1787 Marineminister, präsentierte im Jahre 1786 ein Mémoire, in dem er mit der als schwächlich und feige gezeichneten Politik Vergennes' auf das schärfste abrechnete. Die Feindschaft des Außenministers mit dem ehemaligen „directeur général des finances" (1777 - 1781) Jacques Necker (1732 - 1804), den die österreichische Partei favorisierte und dem es während seiner Amtszeit gelungen war, für sich im Conseil als Gegengewicht zur Achse Vergennes-Maurepas eine starke Partei aus dem Umkreis der Königin zu bilden, und Vergennes' enge Allianz mit dem 1783 berufenen, aber zunehmend umstrittenen und von der Königin vehement bekämpften Generalkontrolleur der Finanzen Charles-Alexandre de Calonne (1734 - 1802) trugen in der sich merklich verschärfenden Finanzkrise zu einer weiteren Belastung des Klimas bei. f) Die Allianz in der öffentlichen

Meinung Frankreichs

Die Herausbildung einer kritischen, mitunter entscheidungsbeeinflussenden öffentlichen Meinung ist ein typisches Kennzeichen des französischen öffentlichen Lebens im ausgehenden Ancien Régime. Über die höfischen Intrigen und Machtkämpfe hinaus formte sich schon im Zuge der fortschreitenden Trennung von „cour" und „ville" nach dem Ende der Ära des Sonnenkönigs mit der Pariser Salonkultur der „lumières" ein Diskussionsforum, auf dem auch tagespolitische Themen zur Sprache gebracht werden konnten. Ja selbst in den unteren Bevölkerungsschichten der Hauptstadt machte sich seit den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts ein allgemeines Räsonieren breit. Der fortschreitende Prozeß einer Auflösung und Infragestellung von Autorität und Subordination, der von M. Antoine beschriebene „affaiblissement des sentiments d'obéissance et de dévouement", der Grundlagen

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für „grandeur" und Stabilität der Monarchie, führte dabei nicht nur zu heftigster Kritik an der königlichen Innenpolitik, sondern auch zu einer Infragestellung der Ecksteine französischer Außenpolitik und einem Eindringen der Öffentlichkeit in diesen heiligsten aller Arkanbereiche. Daß sich unter Ludwig XVI. und Vergennes die Bande der Allianz wesentlich gelockert hatten und die französische Außenpolitik gegen Wien eine fallweise durchaus selbstbewußte Sprache führte, war ein zu schüchterner Versuch, aus der vermeintlichen „Österreichhörigkeit" auszubrechen, genügte nicht zur Tilgung der Schmach und des harten, das Selbstwertgefühl empfindlich störenden Reputationsverlustes nach dem Siebenjährigen Krieg. Die Allianz mit Österreich, deren „widernatürlichem" Charakter man keinerlei schlagenden Erfolg zur Vergrößerung der Akzeptanz entgegenhalten konnte, wollten viele schon bald durch ein Wiederanknüpfen an die alten, „natürlichen" und, wie man argwöhnte, nur durch Mätressenlaune überlagerten Freundschaften abgelöst sehen. Dazu zählte mehr und mehr die Annäherung an Preußen, und zwar über die Nützung des Hohenzollernstaates als Mittel zur Ausbremsung Wiens, wie Vergennes sie ohnedies praktizierte, hinaus. Gerade unter den höheren Offizieren, in denen wir die Erben der Kriegspartie der vierziger und fünfziger Jahre vermuten dürfen, aber auch unter den Amerikakämpfern aus der „noblesse libérale" und wesentlichen Vertretern der Aufklärung läßt sich schwärmerische Bewunderung für Preußen und besonders für Friedrich II., „roi philosophe" und „philosophe guerrier" in einer Person, orten. Hier verband sich Verehrung für den überlegenen Gegner von einst und den hochgerüsteten Militärstaat mit den Früchten einer geschickten Propaganda des Preußenkönigs in Philosophenkreisen, die das „aufgeklärte Preußen" mit dem bigotten katholischen Österreich kontrastierte. Von den Philosophen der Aufklärung bis zu den französischen Liberalen des 19. Jahrhunderts läßt sich diese Parteinahme zugunsten des preußischen Adlers verfolgen 49. Botschafter Mercy machte „la gent lettrée, un nombre d'anciens enthousiastes et une quantité d'espèces que le roi de Prusse sait mettre en mouvement" als Träger des antiösterreichischen Gedankens in Paris aus, belustigte sich aber gleichzeitig über die lebhafte Propagandatätigkeit des preußischen Gesandten in Paris, von der Goltz, in den Caféhâusern der Stadt, da er bei Hof damit wenig Anklang finde 50 . Der Bruder des Königs und Hauptexpo49 Eine Untersuchung der „Austrophobie" in Frankreich fehlt (vgl. Hochedlinger 1997 b). Dafür wurde Preußens Stellung in der französischen öffentlichen Meinung mehrmals thematisiert: Skalweit 1952, Sagave 1982 (mit dem interessanten Hinweis, daß Preußen in der Encyclopédie als Frankreichs „allié naturel" bezeichnet wird), Malettke 1986, Pillorget 1986. Vgl. zur „Prussomanie" in frz. (Militär-)Kreisen einige Informationssplitter bei Hochedlinger 1990. 50 Mercy an Joseph II. (23. 12. 1782 u. 1. 2. 1783; Druck: A&F 1, 149, 159f.).

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Α. Voraussetzungen

nent der Frankophilen in Preußen, Prinz Heinrich, wurde aber 1784 während seines Parisaufenthalts doch erschreckend gut aufgenommen; der jüngere Bruder Ludwigs XVI. wieder, der Comte d'Artois, redete einem französisch-preußischen Rapprochement das Wort. Es kann also zwischen einer österreichfeindlichen „öffentlichen Meinung" und einer bedingungslos allianztreuen „Staatsspitze" und ihren Exekutivorganen kein sauberer Schnitt gesetzt werden. Auch oder gerade die an vorderster Front stehenden französischen Vertreter in Wien zählten häufig zu erbitterten Gegnern der Allianz, jedenfalls aber nicht zu den ehrlichen Freunden Österreichs, so Botschafter Louis-Auguste Le Tonnelier Baron de Breteuil (1733 - 1807), 1774 - 1783 Repräsentant Frankreichs in Wien, oder der Botschaftssekretär und Chargé d'affaires François Barthélémy (1747 - 1830), ein angeblicher Jünger Faviers und Neffe des berühmten Altertumsforschers Jean-Jacques Barthélémy (1716 - 1795). Der gehässige Ton in den Berichten der französischen Diplomaten aus Wien wurde schon von der älteren Forschung mit merklicher Verwunderung und Entrüstung ad notam genommen. Erst unter Botschafter Noailles kehrte hier nach 1783 eine gewisse „Beruhigung" ein 51 . Im Jahre 1783 hatte Emmanuel-Marie-Louis Marquis de Noailles (1743 - 1822) den zum Minister des königlichen Hauses bestellten Baron de Breteuil als Botschafter des Allerchristlichsten Königs in Wien abgelöst. Er sollte seinen Posten mit Urlaubsunterbrechungen bis nach Kriegsausbruch 1792 behalten52. Marquis de Noailles blickte zum Zeitpunkt seiner 51

Barthélemys Memoiren geben eindrucksvoll Zeugnis von der „Austrophobie" der in Wien tätigen französischen Diplomaten: [Dampierre] 1914. 52 Noailles gehörte einer in der französischen Geschichte immer wieder zu bedeutenden Ämtern und Würden berufenen Familie an. Sein Vater Louis de Noailles Duc de Noailles et d'Ayen (1713 - 1793) erreichte nach glänzender militärischer Karriere 1775 die Würde eines Marschalls von Frankreich. Die während der Revolution hingerichtete Mutter des Botschafters entstammte der nicht weniger illustren Familie der Cossé-Brissac, seine Schwester, Philippine de Noailles (1745 - 1791), ist als protokollstrenge „dame d'honneur" Marie-Antoinettes bekannt geworden. Adrienne de Noailles (1759 - 1807), die Tochter eines Bruders, heiratete 1774 den Marquis de Lafayette: NBG 38, 140f. Über die Familie vgl. Martin 1993. Die Personalakte AMAE Personnel Ire série volumes reliés vol. 54, fol. 146 - 203 enthält nichts Wesentliches. Über Noailles' kurze Verhaftung zur Zeit der Terreur und seine Freilassung vgl. ebd. sowie AN F 7 4774/58. Das revolutionäre Außenministerium bescheinigte ihm tadelloses Verhalten während seiner Wiener Botschafterzeit. Im französischen Botschaftspalais in der Johannesgasse logierten neben dem Botschafter und abgesehen von sicher zahlreichem Dienstpersonal in der Regel ein „secrétaire d'ambassade" und ein „secrétaire-interprète". Vgl. die Staatsschematismen 1787, 1788, 1789 und 1791: 1787, 1788 und 1789 ist ein gewisser Laquiante als „secrétaire-interprète" genannt (er ging 1789 als Legationssekretär nach München: Noailles an Montmorin, 25. 4. 1789; AMAE CP Autriche 356), 1788 Manoël de la Gravière, der spätere französische Resident in Brüssel, als Botschaftssekretär, der

II. Bündniskonstellationen

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Berufung bereits auf eine lange Diplomatenkarriere zurück: 1768/1770 beim Niedersächsischen Reichskreis und den Hansestädten Bremen, Hamburg und Lübeck akkreditiert, 1771/75 als Botschafter in den Niederlanden und schließlich - 1776/78 - in Großbritannien. Botschafter Mercy warnte im Juni 1783 vor dem neuen Botschafter, als er diesen der Staatskanzlei avisierte: „V.A. trouvera dans ce nouvel ambassadeur toutes les formes d'un jésuite, un peu de pédanterie, peu de connaissances réelles, mais beaucoup de douceur, beaucoup de régularité dans sa conduite privée et de modération dans son langage". Joseph II. hielt Noailles für einen „homme fort sensé", wenn auch - seinem familiären Hintergrund entsprechend - nicht unbedingt für einen „bon Autrichien", „mais au moins il n'a pas l'air d'être un boute-feu ni une tête aussi effervescente que son prédécesseur", und auch Kaunitz schätzte ihn als „un homme sage et honnête et que moyennant cela j'aime bien" 53 . Die antiösterreichische Stimmung zog sich, wie bereits angedeutet, bis in den Conseil des Königs, wo Marineminister Castries und der 1783 zum Minister des königlichen Hauses aufgestiegene Breteuil besonders im Umfeld des Tauschplanes und des Scheidestreites 1784/85 für eine harte Linie eintraten und ihrer antiösterreichischen Gesinnung keinen Zwang antaten. Eine Verwirrung der Loyalitäten, möchte man meinen, da beide als Kreaturen Marie-Antoinettes und „Choiseulisten" galten! Allerdings war der Dschungel an widerstreitenden Interessen in den letzten Jahren des Ancien Régime bereits derart undurchdringlich geworden, drehte sich das Intrigenkarussel mit rasch wechselnden Koalitionen und Zweckgemeinschaften so schnell, daß sich eine klare Linie nur selten nachvollziehen läßt. Die Beschäftigung mit den Parteiungen und Hofcliquen vor dem Sturm von 1789 ist freilich von einiger Bedeutung ... auch für die Geheimpolitik der königlichen Familie während der Revolution und die Konflikte mit den emigrierten Brüdern des Königs, da hier alte Feindschaften zum Schaden des Königtums fortliefen und das Ziehen an einem Strang verhinderten. Die Revolution erbte also eine in jeder Hinsicht unterwanderte Allianz mit jenem Land, in dem nicht zuletzt die Wiege der unpopulären und Barthélémy nach dessen Weggang nach London abgelöst hatte (Noailles an Montmorin, 21. 3. 1787; AMAE CP Autriche 352), seit 1789 der 1788 anstelle Lagravières berufene Dominique Gabard de Vaux ebenfalls als Sekretär. Gabard de Vaux war in Polen als Sohn eines französischen Vaters geboren worden und erscheint ab 1762 als Sekretär im diplomatischen Dienst Frankreichs: AMAE Personnel Ire série volumes reliés vol. 33, fol. 55 - 65, Samoyault 1971, 286 f. Gabard vertrat Botschafter Noailles während eines langen Heimaturlaubs 1790/91 als Geschäftsträger. 53 Mercy an Kaunitz (17. 6. 1783), Joseph II. an Mercy (30. 10. 1783) u. Kaunitz an Mercy (15. 10. 1786): A&F 1, 193, 220f. u. Bd. 2, 51.

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Α. Voraussetzungen

innenpolitisch denkbar umstrittenen Königin stand. Schon Leopold von Ranke hat in seinem Werk über „Ursprung und Beginn der Revolutionskriege" die österreichisch-französische Allianz von 1756 als „eines der wesentlichsten Motive der Revolution" qualifiziert. In der Tat sollte man den außenpolitischen Verfall Frankreichs in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, an dem die Bindung an Österreich nun einmal ihren Anteil hatte, bei der Betrachtung der zur Revolution führenden Entwicklungen berücksichtigen und ihm in der fortschreitenden „désacralisation" des Königtums, in der Entfremdung zwischen Krone und Nation, einen prominenten Platz einräumen 54, wie es der rechtsnationale royalistische Historiker und Publizist Jacques Bainville (1879 - 1936) durchaus zutreffend getan hat. Immerhin lag im Außen- und Kriegspolitischen jene Domäne, die, um einen mediävistischen Terminus zu gebrauchen, einen wesentlichen Teil des „Königsheils" ausmachte. Seit dem Österreichischen Erbfolgekrieg und dem als unnötig großzügig empfundenen Frieden von Aachen 1748 hatten die Bourbonen durch verfehlten Großmut und später durch Niederlagen viel von diesem Kapital verspielt. Auf die Wichtigkeit des volkstümlichen Bildes vom starken „roi guerrier" für die Stellung des Königs in der öffentlichen Meinung hat zuletzt auch Arlette Farge hingewiesen und den Abstieg Ludwigs XV. vom ersehnten Erlöser aus den moralischen Niederungen der Régence eines Philippe dOrléans zum enttäuschenden „roi tyrannique et vicieux", der nicht mehr auf die Zuneigung seiner Untertanen zählen durfte, klar herausgearbeitet. Gerade in dem uns hier interessierenden Punkt erweist sich einmal mehr, daß die Revolution nicht immer radikale Zäsuren setzte, sondern vielmehr langfristige Entwicklungen aus der Zeit des Ancien Régime fortführte und, was die antihabsburgische Maxime anlangt, ab 1792 sogar auf die ureigenste Politik des frühneuzeitlichen französischen Königtums zurückgriff 55. 54 Dies geschieht in jüngster Zeit nach den pionierhaften Vorstößen von T. C. W. Blanning (vgl. Blanning 1986, ders. 1991) in erstaunlicher Dichte. Vgl. v.a. Stone 1994, Blanning 1995, Price 1995 b, Murphy 1998, Scott (im Druck). Diese lange verschüttete Tradition begründete Leopold von Ranke schon in „Die großen Mächte" (1833/1995) 11 - 70, wo es u.a. heißt (Abschnitt „Französische Revolution", hier 51 f.): „Man hat so viel von den Ursachen der Revolution geredet, und sie wohl auch da gesucht, wo sie nimmermehr zufinden sind. Eine der wichtigsten liegt meines Erachtens in diesem Wechsel der auswärtigen Verhältnisse [sc. im außenpolitischen Abstieg Frankreichs], der die Regierung in tiefen Mißkredit gebracht hatte". Zum bemerkenswerten anglo-amerikanischen „revival of traditional political history" für den Bereich der französischen Geschichte der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts vgl. die aufschlußreichen review articles von Bell 1996, Gruder 1997, Van Kley 1997, Savage 1997, Censer 1999. 55 Bainville 1915/1941, besonders die Kapitel „La France entre la Prusse et l'Autriche" (83 - 129) und „La Révolution et l'Empire préparent l'unité allemande" (131 - 175) mit einer sehr skeptischen Beurteilung der österreichfeindlichen Stimmung der „philosophes", der Revolutionäre und des in dieser Tradition stehenden

II. Bündniskonstellationen g) Die Vorteile

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der Allianz

Den vielfältigen französischen Bedenken gegen den „système de 1756" konnten Staatskanzlei und österreichische Diplomatie nur mit wiederholten Aufrechnungen der angeblichen Vorteile der Allianz und ernsten Ermahnungen zu größerer Loyalität begegnen, während man intern durchaus bekannte, daß die Allianz letztlich doch für Österreich „ertragreicher" war 5 6 . Von Wien war ja schließlich auch im Jahre 1755 die entscheidende Initiative ausgegangen. In einem Mémoire des österreichischen Staatsreferendars Spielmann zu den wechselseitigen Motiven und Interessen der Allianzpartner wird rückblickend und zusammenfassend festgestellt 57 , „daß die Noth die eigentliche Veranlaßung und unsre Selbsterhaltung der Endzweck der mit Frankreich geschlossenen Verbindung war, woraus zugleich die Hauptursache hergeleitet werden muß, welche uns zur bisherigen unverletzten Beybehaltung dieser Allianz bewogen und die vorzüglich auf unser Verlangen sich gegründet hat, den allgemeinen Ruhestand zu befördern, alle jene Kriege, in welche wir als englische Alliirte beynahe seit hundert Jahren zu unsern größten Nachtheil verwickelt wurden, zu vermeiden und unsre Kräfte ungetheilt gegen Preußen zusammenzuhalten, mit welchem wesentlichen Vortheile für uns zugleich jener für Frankreich sich vereinigte, daß dieser Hof, auf der Landseite ausser Beysorge gesetzt, von der grossen Last des Unterhalts zahlreicher Landarmeen und den vielen Subsidien befreyet, seine Hauptaufmerksamkeit der Vermehrung der Seemacht widmen und seine wesentlichsten Kräfte gegen England concentriren konnte." Den Beginn der Alleinherrschaft Josephs II. nützte Kaunitz noch im Dezember 1780 zu einer expliziten Aufforderung, das Ministerium in Versailles und die französischen Auslandsvertretungen mögen in bezug auf die Allianz mit Wien weniger zweideutig agieren, besonders gegenüber dem Berliner Hof, da der Kaiser den französisch-preußischen Tändeleien gewiß Jules Michelet mit seiner Abneigung gegen „la dévote maison d'Autriche". Über die „opinion publique populaire" und den Respektverlust, die „désacralisation" des Königtums allgemein zuletzt Farge 1992. Zum enormen Stellenwert der Publizistik bei der Vorbereitung der Revolution vgl. u.a. auch als ersten Überblick Baker 1987 und Wilke 1988. Merrick 1990 ist einer anderen Form der „désacralisation" gewidmet. Vgl. aber Murphy 1998, 137 - 154 („Public Opinion and the Desacralization of Diplomacy"), 155 - 166. 56 „Politische Erinnerungen" aus Anlaß der Frankreichreise Josephs II. vom 22. 12. 1776, hier nach Schilling 1994, 290 Anm. 402. Eine französische ,Abrechnung" der Vorteile enthielt auch die Instruktion für den 1774 als Botschafter nach Wien abgehenden Baron de Breteuil unter der Rubrik „Des avantages respectifs de notre alliance avec la cour de Vienne et de la conduite politique du Roi à cet égard (28. 12. 1774): [Sorel] 1884, 484 - 489. 57 HHStA Hs. 923, fol. 140 - 146 v.

104

Α. Voraussetzungen

nicht so nachsichtig begegnen werde wie einst die Kaiserin-Königin. In einem Schreiben an Botschafter Mercy lieferte der Staatskanzler im Dezember 1783 auch eine Aufstellung der Erträgnisse der Allianz nach, wobei er darauf achtete, daß Versailles gegenüber Wien nicht nur als eindeutiger Gewinner erschien, sondern darüber hinaus noch den Makel des allianzschädlichen Egoismus eingebrannt erhielt. Frankreich habe durch das Bündnis mit dem Hause Österreich seinen mächtigsten kontinentalen Gegner verloren, dafür aber die Möglichkeit gewonnen, seine gesamten Ressourcen in den Konflikt mit England, also in die Marineaufrüstung zu pumpen. Wiens Vorteile seien demgegenüber bescheidener, da zwar die dislozierten belgischen Provinzen nun keinen französischen Angriff mehr zu befürchten hätten und Österreich seine Truppenmacht nicht länger zerteilen müsse, sondern bei Bedarf gegen Preußen oder die Pforte konzentrieren könne. Anders als die österreichische Haltung zu Großbritannien erscheine dafür die französische Haltung gegenüber den habsburgischen Hauptgegnern, Preußen und der Türkei, durchaus zwiespältig und dem alten Denken in den Bahnen der österreichisch-französischen Rivalität verhaftet. Mit einer langen Liste von Gravamina suchte Kaunitz nachzuweisen, daß Frankreich Wien im Grunde immer noch als Rivalen betrachtete, jede Vergrößerung Österreichs ablehnte und die Allianz unter diesem Gesichtpunkt bloß als bremsenden Stabilisierungsfaktor sehen wollte. Das Ausscheiden Frankreichs aus dem Siebenjährigen Krieg, das der Staatskanzler als Voraussetzung für den Absprung Rußlands namhaft machte (!), die fehlende Unterstützung während der Polnischen Teilung von 1772, die Nicht-Erfüllung der Bündnispflichten während des Bayerischen Erbfolgekrieges trotz preußischer Aggression, das skandalöse Verhalten Frankreichs in der orientalischen Krise des Jahres 1783, als Versailles sogar Truppen konzentrierte und Berlin und London auf den Plan rief ..., kurzum alles wurde bemüht, um die vermeintliche Undankbarkeit des Bündnispartners in ein schlechtes Licht zu rücken. Und dies, obwohl doch ein Schiffbruch der Allianz unzweifelhaft zur Katastrophe Frankreichs führen mußte. Der Grundsatz der Unauflösbarkeit der Allianz von französischer Seite wurde auch späterhin von Kaunitz beschworen, wenn er sich selbst über die Bündnistreue Frankreichs und bedenkliche „coquetteries" mit Berlin beruhigen wollte. „Ce qu'il y a de bien certain, c'est que le ministre français qui fera rompre l'alliance tôt ou tard sera à mon avis le roi des fous et un homme pendable, non pas par rapport au mal qui nous en arrivera, mais par rapport à celui qui en arrivera à la France à laquelle la maison d'Autriche aura en ce cas plus d'un moyen de faire payer bien cher sa sottise."

Seit 1785 dienten konsequent die Versuche Großbritanniens, sich direkt oder über Rußland Österreich zu nähern und die Allianz des Wiener Hofes

II. Bündniskonstellationen

105

mit Frankreich aufzubrechen, zur Unterdrucksetzung des französischen Hofes 58. 2. Neue Bündniskonstellationen

Um ihren „Hauptfeinden" besser begegnen und ihre Zielvorstellungen in den beiden sich nach dem Siebenjährigen Krieg doch sehr deutlich unter der „Käseglocke" des gesamteuropäischen Staatensystems herausformenden „Subsystemen", also im kolonial-maritimen Bereich bzw. in Osteuropa, erfolgreich ansteuern zu können, empfahl sich sowohl für Frankreich als auch für Österreich der Anschluß an eine Macht mit jeweils gleich oder wenigstens ähnlich gelagerten Interessen. Dies war für Frankreich die zweite bourbonische Marine- und Kolonialmacht Spanien, für Österreich das seit 1764 mit Preußen verbündete Rußland. Zu einer Anbindung der 1761 bzw. 1781 geschlossenen „Nebenallianzen" an die Achse Wien-Versailles ist es trotz späterer Bemühungen nie gekommen. a) Der französisch-spanische

„pacte de famille"

von 1761

Neben die kontinentale Achse Versailles-Wien trat noch während des Siebenjährigen Krieges eine kolonial-maritime Bündniskonstellation, die die bourbonisch-katholischen Großmächte Frankreich und Spanien gegen beider Hauptgegner Großbritannien vereinte: der dritte „pacte de famille" vom 15. August 1761, der - viel umfassender als die Familienpakte von 1733 und 1743 - Dynastisches, Kriegspolitisches und Ökonomisches vereinte. Die Garantiebestimmungen des Vertragsinstruments banden auch die Nebenlande der spanischen Bourbonen - Neapel und Parma - ein. Seit 1759 hatte das Ministerium Choiseul im Zeichen der Umorientierung der französischen Außenpolitik vom kontinentalen Überengagement im Sinne Österreichs in Richtung einer Konzentration auf den Machtkampf mit England heftig am Zustandekommen des neuen Bündnisses gearbeitet; die Thronbesteigung des seit seiner Zeit als König von Neapel nicht unbedingt englandfreundlichen Karl III. im Jahre 1759 war eine wichtige Voraussetzung für das erfolgreiche Verhandlungsergebnis. 58

Kaunitz an Mercy (6. 12. 1780, 8. 12. 1783, 9. 1. 1784 [Zitat]; Druck: A&F 1, 3, 236 - 242, 249). Ähnlich - mit immer längeren Beschwerdelisten - Kaunitz an Mercy (3. 3. 1784, 10. 10. 1784, 6. 9. 1786) u. Joseph II. an Mercy (17. 12. 1784): A&F 1, 254f., 304ff., 360, Bd. 2, 44f. Weiters Joseph II. an Mercy (26. 7. 1785, 29. 9. 1785), Kaunitz an Mercy (8. 12. 1785): A&F 1, 432f., 455, 472. Vgl. auch die „Considérations sur l'alliance de la maison d'Autriche avec la France" bei Kaunitz' Partikularschreiben an Mercy vom 18. 3. 1787 unter Betonung der „avantages réciproques": SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787, gedr. bei A&F 2, 86 - 88, hier 87 Anm. 2.

106

Α. Voraussetzungen

Dem Familienpakt wurde jedenfalls auch in den Folgejahren explizit der Vorzug vor dem „système de 1756" eingeräumt. Das militärische Ergebnis des Familienpaktes - noch 1762 trat Spanien entsprechend der Geheimkonvention des Vertrags von 1761 in den Krieg mit England ein - war dabei zunächst mehr als ernüchternd, doch gab die spanisch-französische Front mit ihrer wenn nicht ebenbürtigen, so immerhin ansehnlichen Marinemacht genügend Mut für die antibritischen Revanchebestrebungen der Nachkriegszeit. Freilich blieb die französisch-spanische Partnerschaft in vielem problematisch; besonders der arrogante Anspruch Frankreichs auf die Führungsrolle stieß in Madrid auf wenig Gegenliebe. Die spanisch-britischen Reibungen im Südpazifik (1766, 1770/71) und die Krieg-in-Sicht-Krise hatten die bekannten Rückwirkungen auf den Sturz Choiseuls, der wieder den Absprung Frankreichs nach sich zog und Spanien zum Einlenken gegenüber London zwang. Im Unabhängigkeitskampf der nordamerikanischen Kolonien vermochte Frankreich mit einiger Mühe, aber unterstützt durch ungeschicktes britisches Taktieren, den Familienpakt in der Konvention von Aranjuez (12. April 1779) neuerlich für ein spanisches Engagement gegen England zu aktivieren. Spaniens Lohn für ein in Madrid als bedenklich empfundenes Eingreifen zugunsten der nordamerikanischen „Rebellen" sollte die Einlösung seiner hohen Forderungen an Großbritannien (Menorca, Gibraltar, Florida) sein - Wünsche, die sich schließlich während der Friedensverhandlungen als Hemmschuh erwiesen, zum Teil aber realisiert werden konnten59. b) Das russisch-österreichische

Geheimbündnis von 1781

Unter Peter dem Großen hatte Rußland endlich die Abschottung von der Ostsee durchbrochen und seinen machtpolitischen Einfluß bis weit nach Westen hin ausgedehnt. Das „Fenster zum Westen" war mit dem Frieden von Nystad 1721 aufgestoßen, die schwedisch-polnische Barriere eingerissen. Auf das Drängen zur Öffnung der Ostsee im Kampf gegen Schweden folgten - vorerst gegen die französische „barrière de l'Est" - das Bemühen um die Sicherung des „Vorfelds" durch Satellitisierung Stockholms und Warschaus und eine „natürliche Feindschaft" mit Preußen, den seit den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts aufstrebenden Konkurrenten in diesem Raum60. Mit Österreich verbanden das Zarenreich dagegen nicht 59 Vgl. u.a. Bourguet 1906, Lynch 1989 und besonders die „Gedenknummer" der RHD 75 (1961) 289 - 350, dort besonders 307 - 340 den Beitrag von D. Ozanam\ eher kursorisch Bottineau 1993, 257 - 292. 60 Das Vordringen Rußlands nach Europa seit Ende des 17. bzw. Anfang des 18. Jahrhunderts ist in der wissenschaftlichen Literatur reich bedacht worden. Ich nenne hier nur die unmittelbar relevante Literatur: Madariaga 1959/60; dadurch überholt

II. Bündniskonstellationen

107

nur der antifranzösische Affekt der ersten Dezennien nach Nystad und die Konkurrenzsituation gegenüber den Hohenzollern, sondern auch der gemeinsame Kampf gegen das Osmanische Reich. Schon 1686 hatte sich Moskau der antitürkischen Liga angeschlossen, 1697 war ein Bündnis gegen die Pforte zustandegekommen, 1726 eine Allianz mit gesamteuropäischen Dimensionen, durch die Rußland bewußt in die Westpolitik Wiens hineingezogen werden sollte. Im Polnischen Thronfolgekrieg, im Türkenkrieg von 1736 - 1739 und während des Österreichischen Erbfolgekrieges griff konkrete militärische „Zusammenarbeit" Platz. Höhepunkt und Krise der österreichisch-russischen Kooperation, aber auch die ungewöhnliche und problematische Konstellation eines russischfranzösischen Bündnisses, ja eines Zusammenwirkens zwischen Schweden und Russen im Rahmen der großen Koalition gegen Friedrich d. Gr. brachte bekanntlich der Siebenjährige Krieg. Die Übermacht der Alliierten vermochte Preußen nicht in die Knie zu zwingen, und nach dem Tode der Zarin Elisabeth im Januar 1762 schied Rußland unter Peter III. nicht bloß aus der Koalition aus, sondern schloß sogar einen Defensivvertrag mit Preußen, ehe der Sturz des Zaren und die Thronbesteigung seiner Gattin Katharina (II.) die Situation bereinigte. Das Verhältnis zwischen den ehemaligen Verbündeten Österreich und Rußland blieb nun vorerst distanziert. Im April 1764 fanden Preußen und Rußland in einem Bündnis zusammen (1769 erneuert), sorgten für die Kürung des russischen Kandidaten Stanislas Poniatowski zum polnischen König und garantierten die schwedische Verfassung von 1720. Der 1768 ausgebrochene Türkenkrieg ließ in Wien angesichts der russischen Erfolge bereits alptraumhafte Szenarien einer unaufhaltsamen russischen Vormachtstellung gegenüber Polen und der Pforte aufsteigen, sogar Annäherung an das ebenfalls besorgte Preußen suchen, militärische Drohposition einnehmen und schließlich einen Pakt mit der Pforte abschließen (Juli 1771). Die 1. Polnische Teilung der drei schwarzen Adler zerschlug fürs erste den Knoten der Verwicklungen (1772).

Tratschewsky 1875. Weiters Paäover 1933, Winter 1959, Stribrny 1966, Hellmann 1978, Dyck 1980, Donnert 1985, Pommerin 1986, Vyslonzil 1986, Scott 1990b, Scharf 1995, 315 - 326, 395 - 416, 426 - 429. Ein Aperçu der österreichische Rußlandpolitik seit 1779 auch bei [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 1, VIII - XXIII. Einen summarischen Überblick für 1781 - 1793 bietet Michael Hochedlinger „Herzensfreundschaft-Zweckgemeinschaft-Hypothek?" (bislang unveröffentlichtes Manuskript für die Internationale Tagung des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Zerbst, 27. - 31. August 1996: Katharina II., Rußland und Europa). - Zum Ausbau der russischen Stellung im Reich vgl. insbesondere Aretin 1985 sowie ders. 1986 und „Rußland und die Reichspolitik Kaiser Josephs II." (unveröffentlichtes Manuskript für die Tagung Katharina II., Rußland und Europa), eingehender aber Härter „Möglichkeiten und Grenzen der Reichspolitik Rußlands" (ebd.).

108

Α. Voraussetzungen

Für Österreich mußte bereits seit längerem ein Bündnis mit der expansiven russischen Großmacht praktisch zielführender erscheinen als der allerdings des öfteren für eigentlich wünschenswert erklärte Versuch, sich der von St. Petersburg ausgehenden Dynamik politisch und militärisch zu widersetzen; und ein untätiges Beiseitestehen war mit dem Verständnis von Macht- und Prestigepolitik in keinem Fall vereinbar. So plante die Staatskanzlei seit den siebziger Jahren - gleichsam als geringeres Übel - einem österreichisch-russischen Kondominium über Osteuropa bei gleichzeitiger Niederhaltung Preußens zuzuarbeiten. Schon die Geheiminstruktion für den 1777 - 1779 amtierenden k.k. Gesandten in Petersburg, den Sohn des Staatskanzlers Josef Graf von Kaunitz-Rietberg (1743 - 1785), vom April 1777 entwarf wie später die Instruktion für dessen Nachfolger Johann Ludwig Cobenzl (1753 - 1809) aus dem Jahre 1779 den Plan einer vorsichtigen Sondierung und in weiterer Folge das Projekt einer „positiven Gestaltung des österreichisch-russischen Verhältnisses". Auch hier erschien wieder die Zurücksetzung Preußens „in seine alten Gränzen" als wesentliches Anliegen, das man der Zarin vielleicht schmackhafter machen konnte, wenn man hinzusetzte, daß „beyde Höfe [Wien und Petersburg] desto freyere Hände haben würden, ihre wechselseitige Convenienz in Absicht auf das ottomanische Reich unter sich zu bestimmen und auszuführen" (Geheiminstruktion für den Gesandten Kaunitz-Rietberg, § 21). Zugleich begann man bereits Teilungspläne auszuarbeiten, verstiegene Desiderate und reale Chancen abzuwägen. Die Möglichkeit einer österreichischen Teilnahme an den offensiven Maßnahmen der Zarin gegen das Osmanische Reich, einen guten und sicheren Nachbarn, wie Wien gerne einbekannte, diente also als wesentliches Lockmittel im Bemühen um ein Aufbrechen der die Wiener Politik stark behindernden, ja bedrohenden Allianz zwischen Berlin und Petersburg. An ihre Stelle sollte endlich ein Bündnis Wien-Petersburg treten, dessen oberstes Ziel sich für die Staatskanzlei mit Schwächung und Isolierung Preußens deckte. Das Treffen zu Mohilew zwischen Joseph II. und der Zarin im Frühjahr des Jahres 1780 war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung; ein Einverständnis mit Österreich mußte der Zarin als wesentliche Voraussetzung für die Realisierung etwaiger Absichten gegen die Pforte vor Augen geführt werden. Im Dezember 1780 - der Tod Maria Theresias im November 1780 erlaubte nun ein zügigeres Agieren - gingen Vorschläge zu einer Defensivallianz von Wien nach Petersburg. Die protokollarische Frage des Alternats, der „alternative" - die an sich übliche Regel, daß der jeweilige Staat in der für ihn bestimmten Ausfertigung des Vertragsinstruments zuerst genannt wird und zuerst unterschreibt, von der der Kaiser im europäischen Gebrauch aber ausgenommen war - gefährdete die Verhandlungen ernstlich. Den hochwillkommenen Ausweg bot schließlich die russische Anregung, den Vertrag in Form von wechselseitigen

III. Krisenherde und Bruchzonen

109

Handschreiben der Monarchen zu schließen, wovon eines die allgemeinen Bestimmungen, ein weiteres Geheimabmachungen für den Fall eines Türkenkrieges enthielt (Mai/Juni 1781). Die preußische Partei in Petersburg mit ihrem Kopf Nikita Panin (1718 - 1783) wurde entmachtet. Nach außen sollten die Allianzverhandlungen als ergebnislos abgebrochen erscheinen. Der Abschluß blieb tatsächlich bis ins Jahr 1783 weitgehend geheim, nur wenige Vertraute in Petersburg und Wien wußten Bescheid. Auch der österreichische Verbündete Frankreich wurde erst im Juni 1783 über die zwischen den beiden Kaisermächten bestehenden Verbindlichkeiten informiert und schließlich im Jahr darauf durch die Aufwertung der russischen Vertretung in Wien zur Botschaft auch noch protokollarisch vor den Kopf gestoßen. Dem zeremoniellen Zusammenprall der beiden Verbündeten Wiens entging man nur mehr durch Einführung des „pêle-mêle" bei den „cercles", den sonntäglichen Empfängen des Kaisers, also durch Aufhebung jeder Rangordnung (Juli 1784). Mit seiner Vermittlerrolle 1779 und durch die Bestätigung der großen vorangegangenen Vertragswerke im Friedensinstrument von Teschen etablierte sich Rußland neben, ja vor Frankreich auch im Reich als wesentlicher Faktor und baute diese Position in den Folgejahren zielstrebig aus, nach der Allianz mit Österreich 1781 in Partnerschaft mit diesem. Der dem russischen Reichstagsgesandten Achaz Ferdinand von Asseburg (1721 1797) beigegebene Nikolai Petrovic Graf Romanzow (1754 - 1826) wurde im Jahre 1782 als russischer Vertreter bei den wichtigen Reichskreisen und einigen kleineren Reichsständen mit Hauptsitz in Frankfurt akkreditiert. Rußland ersetzte gewissermaßen das in die zweite Reihe des Mächtekonzerts zurückgedrängte Schweden und das durch sein Bündnis mit Österreich weitgehend neutralisierte Frankreich als verläßliche Garantiemacht des status quo von 1648. Von einer erst mühsam zu aktivierenden „puissance auxiliaire" hatte sich Rußland zu einer echten und selbständig agierenden Großmacht aufgeschwungen.

I I I . Krisenherde und Bruchzonen

Das „freie Spiel der Kräfte" war auch in der Staatenwelt des vorrevolutionären 18. Jahrhunderts eingezäunt und strukturiert durch „ideologisch"traditionale Barrieren, durch „natürliche Rivalitäten", die eine - nach den Maßstäben kühler Realpolitik sicher wünschenswerte - beliebige Austauschbarkeit von Bündnispartnern stark relativierte. Diese „Erbfeindschaften", um einen zeitgenössischen Terminus aufzugreifen, waren wesentlich mitverantwortlich für die Konsistenz jener Krisenherde und Bruchzonen, die periodisch immer wieder auf die Beratungstische der europäischen Kabinette kamen. Sie bestimmten über ein überraschend festgefahrenes

110

Α. Voraussetzungen

„Blockdenken" die möglichen Optionen von Bündnissen und Gegenallianzen und füllten die wenigen verbliebenen freien Gestaltungsräume europäischer Mächtepolitik mit dem nötigen Sprengstoff. Auf diese Problemfelder wollen wir im folgenden kurz unseren Blick richten61.

1. „ . . . daß Preussen muß übern Hauffen geworffen werden, wann das durchlauchtigste Ertzhauss aufrecht stehen soll" Die österreichisch-preußische „Erbfeindschaft" „Daß, weilen der Verlust von Schlesien nicht zu verschmertzen und der König in Preußen als der gröste, gefährlichste und unversöhnlichste Feind des Durchläuchtigsten Ertzhauses anzusehen, also auch dießseits die erste, gröste und beständige Sorgfalt dahin zu richten, wie sich nicht nur gegen des ernannten Königs feindliche Unternehmungen zu verwahren und sicher zu stellen, sondern wie er geschwächet, seine Übermacht beschräncket und das Verlohrne wieder herbey gebracht werden könne", konstatierte Kaunitz schon in seiner bekannten Denkschrift aus dem Jahre 1749 und umriß damit zugleich das „unumstößliche" politische Programm für die Folgezeit: Rückstufung Preußens auf den Rang einer Mittelmacht (v.a. durch Wiedergewinnung Schlesiens), auch im Sinne des durch den „Aufstieg Preußens" schwer erschütterten „équilibre de l'Europe" 6 2 . 61

An „diplomatiegeschichtlichen" Überblickswerken sind beispielsweise zu nennen: Immich 1905, Wahl 1912, Droz 1959, McKay/Scott 1983, Black 1990a, Bély 1992, Schroeder 1994a, Duchhardt 1997. Mit speziellem Blickwinkel Kleinschmidt 1999. Anders als der vorbildlich ausgewogene Vorgängerband („Höfe und Allianzen 1648 - 1763") von Heinz Schilling 1998 b gibt Möller 1998 für den Bereich der Außenpolitik (zumal was die hier interessierenden Jahre betrifft) nur wenig her. Das wiedererwachte Interesse am Themenbereich „Außenpolitik" sogar im Rahmen des Seminarbetriebes belegt Reese 1995. 62 Den Zwischentitel entlehne ich der Kaunitzschen „Erleuterung des fünften Weegs" vom August 1755 (Zitat nach Schilling 1994, 48). Eine Gesamtdarstellung der österreichisch-preußischen Beziehungen im 18. Jahrhundert fehlt. Wolf 1880 gleicht mehr einer (relativ ungeordneten) Materialsammlung. Vgl. auch Hubatsch 1980, Treue 1982. Unser Wissen verteilt sich punktuell auf Einzelaspekte, besonders zu den kriegerischen Konflikten der vierziger bis siebziger Jahre und zur Frontstellung im Reich. Ich verzichte hier auf die Nennung der entsprechenden Einzelstudien. Die beste analytische Durchdringung über einen längeren Zeitraum bietet Schilling 1994, die Außenpolitik Preußens von den sechziger bis in die achtziger Jahre stellen im Überblick dar: Althoff 1995 mit weiterer Literatur, auch zu den französisch-preußischen Beziehungen, und zuletzt sehr prägnant Scott 1994 a. Das Jahrzehnt zwischen 1780 und 1790 behandelt Ranke 1875. Uber den Aufstieg Preußens zur Großmacht vgl. besonders überzeugend die rezente Zusammenfassung von Kunisch 1996. Rokos 1936 ist wertlos. Vgl. dagegen Bein 1994. Die Zitate aus der Kaunitzschen Denkschrift von 1749 entnehme ich der Edition von [Pommerin/Schilling] 1986, 205, 208.

III. Krisenherde und Bruchzonen

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Neben den weltpolitischen Antagonismus Frankreich-Großbritannien trat sohin als zweite mächtepolitische „Konstante" der für Ost(mittel)europa und das Reich bzw. Deutschland bis weit ins 19. Jahrhundert prägende preußisch-österreichische Dualismus, der ständig zur Entladung drängte. Die Tatsache, daß die Reduktion Preußens „à son état primitif de petite puissance très secondaire" - so Kaunitz rückblickend in einer „Opinion" aus dem September des Jahres 1778 zum Ziel der „großen Koalition" während des Siebenjährigen Krieges - nicht realisiert werden konnte, begründete noch keineswegs ein Sich-Abfinden mit dem ja wiederholt als „unverschmertzlich" qualifizierten Verlust Schlesiens. An dieser ehemals habsburgischen Provinz hing nicht nur die junge Großmachtstellung Preußens; die Neuerwerbung hatte auch große strategische Bedeutung als „Sprungbrett" in das Herz der deutsch-böhmischen Erblande Österreichs. Die Unversöhnlichkeit Wiens, von der Friedrich II. zutiefst und zu Recht überzeugt war, und zugleich das spiegelbildliche Bewußtsein Kaunitz' (schon 1749!), „daß die preußische Politique zu Erhaltung ihrer conquête beständig dahin gerichtet seye, Oesterreich immer mehrers zu schwächen, mithin ihm die Kräfften und Mittel zu Ausführung seiner weitern Absichten zu benehmen, und daß solchergestalten die beyden Höfe auch für das Künfftige in der grösten Eifersucht und ohnversöhnlichen Feindschafft fortleben werden", waren die Kardinalvoraussetzungen für eine schier unüberwindliche Frontstellung und die „Unmöglichkeit" eines ernsthaften Ausgleichs - selbst im Angesicht der gemeinsamen „Bedrohung" durch das gefährlich in den engeren Einflußbereich der beiden Mächte expandierende Rußland (Treffen von Neisse und Neustadt zwischen Joseph II. und Friedrich II., August 1769 und September 1770). Gegenüber der Ausgangslage zu Beginn der Regierungszeit Friedrichs des Großen, als Österreich sich gegen eine Vielzahl von Feinden zu wehren hatte und Preußen - die günstige Konstellation nützend - Schlesien annektieren konnte, war nun aber Berlin zu Beginn der achtziger Jahre in die Defensive und in eine noch gefährlichere Isolation geraten. Friedrich glich mit seiner erstarrten Politik dem „Kommandanten einer belagerten Festung" (P. Bailleu); die Vermeidung eines Krieges mußte oberstes Gebot sein. Zwar bestand das einst schützende Bündnis des Jahres 1764 zwischen Preußen und Rußland, an dem sich nach dem Siebenjährigen Krieg in bewußter Abkehr von den Westmächten die ganze preußische Außenpolitik orientiert hatte, nominell noch bis Ende der achtziger Jahre weiter, doch mußte bald klar sein, daß die von Berlin zunächst als „unnatürlich" und entsprechend prekär betrachtete Achse Petersburg-Wien von 1781 die Verbindung BerlinPetersburg in Wahrheit definitiv gesprengt hatte und - jedenfalls wenn es nach dem Willen der Staatskanzlei ging - ihre Spitze eindeutig gegen Preußen richtete. Zur außenpolitischen Isolation kamen die strukturellen Defi-

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Α. Voraussetzungen

zite des preußischen „Kriegsstaates". Die ganze preußische Staatsmaschinerie schien - nicht nur in den Augen Kaunitz' - durch eine hochbrisante Spannung zwischen relativ bescheidenen internen Machtressourcen einerseits und überproportionaler Hochrüstung andererseits bestimmt, sie verlor sich - so die auch später immer wiederkehrenden Kassandrarufe des Staatskanzlers in einem Vortrag vom November 1766 - in einem „bloß kriegerischen, gesätzlosen und despotischen Vergrösserungssystem". Und aus eben diesem inneren Gegensatz, aus der schwer zu überdeckenden Tatsache, daß Preußen noch keine in sich selbst gefestigte Großmacht, sondern das „Werk eines Mannes" war, mochte für den Hohenzollernstaat, aber auch für seine Nachbarn Bedrohliches erwachsen.

2. Das Reich als Austragungsort der österreichisch-preußischen Rivalität: Der Fürstenbund

Bevorzugter Austragungsort für den österreichisch-preußischen Gegensatz, der so die Nachfolge des Dualismus Kaiser-Stände und des konfessionellen Konflikts antrat, war v.a. seit den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts das Reich. Auch die wissenschaftliche Literatur über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation stand seit dem 19. Jahrhundert - angesichts anhaltender österreichisch-preußischer Frontstellung kaum verwunderlich - im Bann dieser Konkurrenzsituation, die die letzten Lebensjahrzehnte des Reichs überschattete63. Wesentliche Voraussetzung für die Auslieferung der Reichspolitik an die beiden deutschen „Großmächte" war die schleichende Deaktivierung Frankreichs als maßgeblicher Faktor im Reich nach dem Siebenjährigen Krieg. Der Rückzug des wichtigsten Garanten des Westfälischen Friedens und einstigen Protektors der deutschen Libertät, der dabei selbstredend hauptsächlich sein Eigeninteresse an einem schwachen Reich als „boulevard de la France" verfolgt hatte, nun aber durch die Allianz mit dem einstigen 63 Aretin 1967, zum Folgenden bes. Bd. 1, 110-218. Dort auch nützliche Bemerkungen zu den strukturellen und institutionengeschichtlichen Voraussetzungen des politischen Lebens im Reich: Bd. 1, 1 - 109. Nun auch Aretin 1993/97, Bd. 3, 299 - 351, und die knappe Zusammenschau zur österreichischen Reichspolitik in der 2. Jahrhunderthälfte von Whaley 1996. Aus der überreichen Literatur zum Fürstenbund nenne ich neben der Studie von Aretin, der auch das relevante Schrifttum verzeichnet, nur: Bailleu 1879 a [eigentlich eine Geschichte der preußischen Außenpolitik zu Ende der Regierungszeit Friedrichs II.], Weigel 1924, Cramer 1961, Köhler 1975. Die europäische Dimension und die hoch komplexe britisch-hannoversche Haltung zum Fürstenbund bringen u.a. verstärkt ein: Salomon 1903 und Blanning 1977. Die nicht weniger vielschichtigen österreichisch-britischen Beziehungen beleuchtet Black 1992.

III. Krisenherde und Bruchzonen

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Gegenspieler Österreich in Argumentationsnotstand geriet, schuf erst die Voraussetzungen für die Übertragung der preußisch-österreichischen Rivalität auf das Reich. Hier waren freilich der Politik Österreichs wie Preußens vergleichsweise enge verfassungsrechtliche Schranken gesetzt, die respektiert wurden und eine „Polonisierung" des Reiches lange Zeit verhinderten. Wien sah sich durch die Lasten und Pflichten der Kaiserkrone in seiner Bewegungsfreiheit eingeengt, Preußen hatte sich durch die selbst auf den Leib geschriebene Rolle des Hüters der Reichsverfassung gegen habsburgische Übergriffe den Weg zu machtpolitisch brutaler Vergrößerung und Arrondierung auf Kosten des Reichs verlegt. Denn innerhalb der Grenzen Deutschlands galten nicht die ansonsten auf das zwischenstaatliche Zusammenleben anwendbaren Regeln des „freien Wettbewerbs", sondern jene der spezifischen Rechts- und Friedensordnung der Reichsverfassung. Die kleineren deutschen Reichsstände - über 300 Territorien, davon viele mehr Großgrundbesitzern als „Staaten" im modernen Wortsinne gleich - verdankten Existenz und Überleben weniger eigener Tüchtigkeit und Macht, sondern dem Reich und der Reichsverfassung. Ihrer Erhaltung und Bewahrung diente auch die Arbeit des Reichstages und der Reichsgerichte, die konservierend sogar in die Interna der Territorien eingriffen. So stützte der Reichshofrat in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts die Landstände in den Territorien gegen absolutistische Versuche der nicht-exemten Landesherrn. Die beiden deutschen Großmächte selbst schienen dabei freilich immer weniger Teil dieses Reichskörpers zu sein, sie verließen den Boden der Reichsverfassung, wuchsen endgültig aus dem Reich hinaus, wiesen ein gänzlich anderes „Niveau staatlicher Wirksamkeit" auf; dies galt in gewisser Weise auch für die Mittelstaaten Sachsen und Hannover, die - zeitweise oder auf Dauer mit einer außerdeutschen Macht in Personalunion verbunden - Sonderstatus beanspruchen konnten. Großmachtstellung und Reichstandschaft bekamen den Geruch der Unvereinbarkeit. K. O. von Aretin hat neben dem beherrschenden österreichisch-preußischen Dualismus auf „außenpolitischer" Seite die Auseinandersetzung zwischen Reichsverfassung und Staatssouveränität in die Diskussion geworfen und in ihr das die Reichsstruktur eigentlich zersetzende Element erblickt. Der um sich greifende „Wille zum souveränen Staat" Schloß den „Willen zum Reich" aus; auch das geistige Deutschland glaubte sich im Reich nicht mehr finden zu können. „Deutsches Reich" und „deutsche Nation" galten so manchem nicht nur Friedrich Schiller - als zweierlei Dinge. Die europäische Aufgabe des Reichs als Gleichgewichtspol war über den Anachronismen und der Zersplitterung mehr und mehr in Vergessenheit geraten. Vorauszusehende Erbfälle zugunsten Preußens (Ansbach-Bayreuth) und drohende territoriale Umschichtungen im Sinne Österreichs durch das Erlöschen der alten kurbayerischen Linie gaben dem österreichisch-preußischen Lagerdenken im Reich zusätzliche Brisanz, die beiderseitige Suche nach S Hochedlinger

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Α. Voraussetzungen

Bundesgenossen teilte Deutschland in zwei Einflußsphären und ließ allenthalben Stellvertreterkriege aufflammen. Speziell nach dem Bayerischen Erbfolgekrieg, in dem sich Friedrich beinahe die Position eines „Gegenkaisers" zu erstreiten vermochte, hatte Preußen die Nase vorne. Das relative Unverständnis Josephs Π. für, seine geringe Rücksichtnahme auf Reichssachen und generell eine gewagte Außenpolitik machten es Berlin um so leichter, sich zum Verfechter der reichischen Libertät, kluger Mäßigung und eines antiösterreichischen „Föderalismus" aufzuschwingen und den preußischen Reichstagsgesandten in Regensburg zu einem regelrechten Oppositionsführer werden zu lassen. In Wahrheit stand die Sorge um die Reichsverfassung bei den innersten Motive der preußischen Fürstenbundbestrebungen von Anfang an im Hintergrund. Der Plan einer echten Reichsverfassungsreform, wie sie besonders Karl August von Sachsen-Weimar am Herzen lag, und die reichspatriotische „Sorge" vor einem „polnischen Schicksal" des Reiches können nur bei einzelnen kleineren Reichsständen verortet werden. Von ihnen gingen denn auch die ersten Bemühungen um eine Zwischenkraft im Reich in annähernd gleichem Sicherheitsabstand zu Berlin und Wien aus. An diesen kleinen, militärisch wertlosen Duodez-Ständen war Friedrich nicht so interessiert wie an den mächtigeren Kurfürsten von Sachsen und Hannover. Das Bekanntwerden der Verhandlungen um das reichsverfassungswidrige niederländisch-bayerische Tauschprojekt des Kaisers und seine gleichfalls Aufregung erzeugenden Diözesanregulierungspläne und -maßnahmen wirkten auf die preußische Initiative zur Realisierung eines Fürstenbundes beschleunigend, während die kaiserliche Diplomatie im Reich zu spät Gegenmaßnahmen einleitete. Am 23. Juli 1785 kam zwischen Hannover, Preußen und einem widerwilligen, eigentlich auf Neutralität bedachten Sachsen der sog. „Dreikurfürstenbund" als Kernstück des Fürstenbundes zustande, der nach außen der „Aufrechterhaltung und Befestigung des Reichssystems" dienen sollte. Also „conserver", nicht „réformer" lautete das Motto. Im Oktober 1785 Schloß sich auch der durch seine reichsrechtliche Stellung besonders bedeutende Kurfürst von Mainz für seine Person dem Fürstenbund an; 1787 tat es ihm der mit österreichischer Unterstützung gewählte Koadjutor und präsumtive Nachfolger, Karl Theodor von Dalberg, nach - ein besonders schwerer Schlag für die österreichische Reichspolitik, auch wenn Dalbergs Ziel die Herausführung der Fürstenunion aus preußischer Kontrolle gewesen ist. Die Reichsreformpläne Dalbergs fanden in Wien keinen Eingang; die Verbitterung des Kaisers über die Treulosigkeit „seines" Kandidaten war grenzenlos. Mainz blieb übrigens der einzige katholisch-geistliche Reichsstand, auch wenn einige katholische Kirchenfürsten im Angesicht der josephinischen Kirchenpolitik bewußt Nähe zu oder lose Verbindung mit dem Bund suchten. 1785 traten noch Sachsen-Weimar, Sachsen-Gotha, Pfalz-Zweibrücken, Braunschweig, Baden, Hessen-Kassel, Anhalt-Köthen, Anhalt-

III. Krisenherde und Bruchzonen

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Bernburg, Anhalt-Dessau und der Duke of York als Bischof von Osnabrück bei, 1786 folgten Ansbach und Pfalz-Birkenfeld, 1787 MecklenburgSchwerin, 1789 endlich Mecklenburg-Strelitz. K. O. von Aretin hat aus dem Blickwinkel des „Reichshistorikers" den Fürstenbund von 1785 nicht als außenpolitisch oder gar militärisch ernstzunehmendes Instrument oder als reichspatriotisches Unternehmen, sondern vielmehr als preußische „Waffe zur Zerstörung des österreichischen Einflusses im Reich" begriffen. P. Bailleu sah in den Bemühungen um den Fürstenbund eine letzte Initiative, die beinahe dramatisch zu nennende Isolierung Preußens zu Beginn der achtziger Jahre zu durchbrechen. Ließ sich nicht vielleicht auch über Hannover und das entsprechende Engagement des englischen Königs ein engeres Einvernehmen mit London erzielen, das aber immer noch lose und indirekt genug war, um Preußen nicht zu exponieren und zu einem unrettbaren Bruch mit Frankreich zu zwingen? Freilich hat die Forschung - gegen andere Ansätze, die auch von englischer Seite den Fürstenbund als ersten Schritt zur Annäherung an Preußen darstellen wollten - klar ermittelt, daß der Beitritt Hannovers zum Fürstenbund „ein Akt persönlicher Politik" Georgs III. (F. Salomon) in seiner Eigenschaft als Kurfürst von Hannover gewesen ist, völlig getrennt vom Wollen und Streben der britischen Außenpolitik dieser Tage, ja zum Teil in offenem Gegensatz zu dieser, jedenfalls aber unter Übergehung der britischen Verantwortlichen. Der in Konkurrenz zu den Annäherungsversuchen an Wien und Petersburg im Foreign Office kurzfristig und eigentlich halbherzig ventilierte Plan einer Verbindung mit Preußen hing dagegen nicht an Reichssachen, viel eher an Preußens möglicher Unterstützung für London in der niederländischen Frage (vgl. S. 150ff.) und scheiterte sicher nicht in erster Linie an der oft beschworenen Abneigung des „Alten Fritz" gegen das „treulose Albion", das ihn in der Stunde der Bedrängnis während des Siebenjährigen Krieges im Stich gelassen hatte, sondern hauptsächlich an der Sorge, es sich nachhaltig mit Frankreich zu verderben. Schon zeitgenössische Staatsmänner - gerade in Wien - hatten größte Schwierigkeiten, die vom Londoner Kabinett gerne betonte Trennung von kurhannoverscher und britischer Politik, die doch beide institutionell in der Person Georgs III. gipfelten, zu verstehen. Spätestens bis 1787 gewann freilich das Kabinett das an den um Eigengewicht bemühten König verlorene Terrain zurück, die „niederländische Frage" hatte allerdings nun auch ihm das preußische Bündnis nahegelegt. 1788 konnte der Fürstenbund, für Berlin ohnedies nur ein Durchgangsstadium, ausklingen, als Preußen, Großbritannien und die Vereinigten Provinzen endlich ein festes Allianzsystem begründeten. Der Fürstenbund war somit alles andere als eine „dritte Kraft" der kleinen und mittleren Reichsstände gegen die Bestrebungen Österreichs bzw. der Großmächte im Reich überhaupt, sondern letztlich nur Instrument Preu8*

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Α. Voraussetzungen

ßens, eine Union meist protestantischer Fürsten mit norddeutschem Schwerpunkt, die als Notbehelf die „Vereinsamung" Preußens in der internationalen Mächtelandschaft überbrücken sollte. Dies gelang in den Folgejahren ebenso wie die Zurückdrängung des österreichischen Einflusses im Reich und am Reichstag. Erst Leopold II. bewies nach 1790 wieder genug Geschick, um gleichzeitig und glaubwürdig „Oberhaupt eines feudalen Reiches und der Herrscher eines modernen Staates zu sein" (K. O. von Aretin), nachdem Preußen alle Hoffnungen bitter enttäuscht und selbst die josephinischen Ausritte an Skrupellosigkeit noch übertroffen hatte. Gerade für das Reich wirkte dann aber die kurzfristige Aussöhnung der beiden Rivalen Österreich und Preußen ab 1791 und ihr enges militärisch-politisches Zusammengehen als Schock. Drohte nun auch Deutschland, das, wie sich gezeigt hatte, nicht Akteur, sondern „Objekt der großen Politik" (K. O. von Aretin) war, eine einvernehmliche Teilung durch die deutschen Großmächte? 3. Die britisch-französische Rivalität

Die maritim-koloniale Rivalität zwischen den beiden bourbonischen Partnern Frankreich und Spanien einerseits und der „Supermacht" Großbritannien andererseits konnte durch die deutlich sichtbare Teilung des europäischen Staatensystems in ein westliches und ein östliches »Subsystem4 nach dem Siebenjährigen Krieg an Schärfe nur gewinnen64. 64

Vgl. nun v.a. den Generaldurchgang von Black 1987b; auch Jarrett 1973, der sich weit über reine „Diplomatiegeschichte" erhebt, leistet nützliche Dienste. Meyer/Bromley 1980 behandelt fast ausschließlich Aspekte der maritimen Rivalität. Weiters Black 1984 b mit nützlichen allgemeinen Bemerkungen über die institutionellen Wirmisse der englischen Außenpolitik. Black relativiert zudem die Rolle Pitts im Kabinett vor Sommer 1787 und die These von der völligen Entmachtung des Foreign Secretary seit Ende der achtziger Jahre zugunsten des Premiers. Die ersten beiden Dezennien nach dem Siebenjährigen Krieg deckt Scott 1990 a ab, der die Bedeutung eines als Schreckbild instrumentalisierbaren Frankreich für die englische Kontinentalpolitik unterstreicht (342: „The success of British diplomacy ultimately depended on the existence of a strong and aggressive French state") - ein „pattern", das erst die Revolutionszeit wieder herstellte. Die „definitive" Darstellung der englischen Außenpolitik von 1783 bis 1793 von Black 1994 enttäuscht bisweilen, denn leider läuft der Leser hier mitunter Gefahr, in einer unübersehbaren Masse von nicht immer hilfreichen Details zu ertrinken. Um so mehr vermögen Klassiker wie Ward/Gooch 1922 oder Ehrman 1984, der die älteren Arbeiten über Pitt (z.B. Salomon oder Rose) ablöst, noch ein sehr rundes Bild zu vermitteln. Übersichtswerke wie etwa Chamberlain 1988 oder Black 1991 sind für das Verständnis der „großen Linien" nützlich. Über die handelspolitischen und kolonialen Implikationen der französisch-britischen Beziehungen informieren v.a.: Holland Rose 1908, Henderson 1957, Ehrman 1962, Bolton/ Kennedy 1973, Donaghay 1979, Murphy 1998, 63 - 79 (mit weiterer Literatur). Zur britischen Politik der Handelsverträge vgl. insgesamt Ehrman 1984, Bd. 1, 467 - 515. Einen Überblick über die englisch-französi-

. Krisenherde und Bruchzonen

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Frankreichs Gewichtsverlust nach der Schlappe des Siebenjährigen Krieges führte auch in Osteuropa zu einer schwächlichen Politik; Großbritannien schien überhaupt bis Mitte der achtziger Jahre und seinem Ausbruch aus der „Splendid Isolation" in der kontinentalen Mächtepolitik nicht präsent zu sein. Angesichts der 1763 besiegelten Schwäche Frankreichs galt Großbritannien nicht mehr wie bisher als gesuchtes Gegengewicht zur Sicherung der „balance of power", sondern vielmehr selbst als potentielle Bedrohung, wäre Londons Aufmerksamkeit nicht durch koloniale Probleme abgelenkt gewesen; auch nach 1783 fesselte freilich noch für einige Zeit das Schlagwort „reconstruction" die Aufmerksamkeit des jüngeren Pitt, als er im Dezember 1783 das Amt des Premierministers antrat und noch nicht sonderlich fest im Sattel saß. Durchaus folgerichtig lag, neben einer noch etwas wirren Suche nach Bündnispartnern, mit deren Hilfe man aus der internationalen Isolation ausbrechen wollte, auf den „commercial negotiations" das Schwergewicht britischer Außenpolitik. Als sich im Laufe der achtziger Jahre der Kontinent in komplexen Verstrickungen wieder zum Brennpunkt der hohen Politik entwickelte und dabei - etwa in Holland vitale Interessen Londons auf dem Spiel standen, war auch eine „Re-Europäisierung" der britischen Aufmerksamkeit angezeigt. Wenden wir aber nochmals den Blick zurück auf die späten siebziger und frühen achtziger Jahre, auf Frankreichs endlich erfolgreiche Revanche gegen Großbritannien: Über der defensiven, konservierenden und konfliktlösenden kontinentalen „Politik der Ruhigstellung" darf die aktive Seite der französischen Außenpolitik nicht vergessen werden: die leitmotivisch verfolgte „diminution of British power" (G. Stourzh). Die Revanchepolitik gegen Großbritannien fand unter Vergennes ihre Fortsetzung, wurde aber zunächst - nicht zuletzt in Kenntnis der »pazifistischen* Grundhaltung Ludwigs XVI. - wesentlich behutsamer betrieben als unter Choiseul. Vor diesem Hintergrund erhielt das Bündnis mit Spanien, der „pacte de famille" von 1761, seine besondere Bedeutung. Die offene Parteinahme für die Sache der sezessionistischen englischen Kolonien in Nordamerika ab 1777/ 78 erfolgte allerdings - und hier ist sich das Programm Vergennes* treu geblieben - nicht mit dem Ziel der Vergrößerung der faktischen Machtstellung Frankreichs in den Kolonien, und schon gar nicht aus Sympathie für die „neuen politischen Ideen", die Vergennes etwa während der Genfer Revolte von 1782 energisch unterdrücken ließ. Das. Eingreifen in den Unabhängigkeitskampf der Kolonisten erscheint vielmehr als Maßnahme zur Wiederherstellung einer durch den britischen Triumph im Pariser Frieden sehen Rivalität im wirtschaftlichen Bereich bietet die Aufsatzsammlung von Crouzet 1985. Acomb 1950, Nordmann 1984. Daß die britischen Befürchtungen hinsichtlich französischer Absichten auf Indien nicht gänzlich unbegründet waren zeigte schon Barral-Montferrat 1892. Als Quellensammlung [Browning] 1909.

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Α. Voraussetzungen

von 1763 gestörten natürlichen Ordnung. Die Rückversetzung eines übermächtigen Großbritannien in vernünftige Schranken sollte die Basis abgeben für eine neue und dauerhafte Friedensordnung und ein eventuelles Rapprochement zwischen Versailles und London. Frankreichs vordergründiger Prestigesieg an der Seite der Vereinigten Staaten wurde freilich um den Preis einer heillosen Überschuldung zu teuer erkauft; die Demütigung Londons blieb eine durchaus relative und vorübergehende - einige (darunter Joseph Π.) sprachen gleichwohl bereits vom Rückfall Großbritanniens in die Kategorie der Mächte 2. Ranges - und war eben nicht das von Vergennes angesteuerte Fernziel. Vielmehr hat er Hoffnungen auf einen ernsten Ausgleich zwischen den beiden Staaten gehegt, einen Ausgleich, zu dem auch der so umstrittene, von den Briten nur schleppend verhandelte Handelsvertrag von 1786 (nach dem britischen Verhandler William Eden, später Baron Auckland [1744 - 1814] „Eden Treaty" genannt, 26. September 1786) beitragen sollte. Ein nicht uninteressanter erster Schritt vom außenhandelsfeindlichen Merkantilismus zum Abbau von Zollbarrieren, jedoch letztlich alles andere als ein Durchbruch bei dem Versuch, das klassische Feindschaftsparadigma zu überwinden, wie noch die französischen Cahiers de doléances im Vorfeld der Generalstände von 1789 zeigen sollten. Nicht zuletzt auch im gemeinsamen Bemühen um das politische Überleben der Pforte glaubte Vergennes schon 1783 eine Basis für eine englischfranzösische Kooperation gefunden zu haben, während in London die Angst vor anhaltender französischer Subversion gegen das britische Kolonialreich besonders in Ostindien umging und das 1785 geschlossene Bündnis Frankreichs mit dem traditionellen Festlandspartner Englands, den Generalstaaten, diese Befürchtungen noch verstärkte. Die in breiten Teilen der „British political nation" auf große Zustimmung stoßende konservativ-frankreichfeindliche Außenpolitik von Charles James Fox 1782/83 im Angesicht der Krimkrise, hartnäckige Annäherungsversuche Londons an Petersburg im Rahmen einer ausbaufähigen preußisch-russisch-britischen Allianz, die eifrigen Bemühungen der Briten um eine Sprengung der Allianz Wien-Versailles in der Ära Carmarthen, die heißen parlamentarischen Diskussionen um den von der englischen Opposition vehement bekämpften Eden Treaty und schließlich die Hollandkrise des Jahres 1787 - das alles bewies, wie tief die britisch-französische Rivalität verwurzelt war. Daß Pitt im Gegensatz zu seinem verbissen frankreichfeindlichen Außenminister Carmarthen noch im Februar 1787 vor den Commons unabänderbare Erbfeindschaft zwischen zwei Nationen als kindisch bezeichnete, änderte nichts an der verfahrenen Situation, dem beträchtlichen Einfluß der prinzipiell antifranzösischen öffentlichen Meinung und der nicht weniger francophoben Haltung vieler britischer Diplomaten. Auch in Frankreich blieb der Einfluß englandfreund-

III. Krisenherde und Bruchzonen

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licher bis anglomanischer Sentiments in verschiedenen Zirkeln der Pariser Sozietät während der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts im wesentlichen auf das Kultur- und Geistesleben beschränkt.

4. Die „Unruhe des Nordens"

Nach und nach verlor auch das „nordische System" die alten „Elemente der regionalen Abgeschlossenheit" (K. Zernack) und verzahnte sich mit dem gesamteuropäischen Geschehen, wie gerade die uns hier interessierenden Jahre 1787 - 1792 zeigen sollten. Die Zeit der schwedischen Großmachtstellung war mit der Niederlage gegen Rußland im Nordischen Krieg zu Ende gegangen; weitreichende territoriale Verluste - besonders an Rußland - unterstrichen den schwedischen Machtverfall. Mit dem Erwerb der baltischen Provinzen sowie Ingermanlands und Kareliens im Frieden von Nystad 1721 hatte nunmehr das Zarenreich Peters I. das „dominium maris baltici" und die Rolle Schwedens im Norden übernommen65. Hier im Baltikum lag bis ins 19. Jahrhundert, als Südrußland und das Schwarze Meer die Oberhand gewannen, das „Monopol in der Vermittlung des wirtschaftlichen und kulturellen Austausches zwischen Rußland und dem Westen" (W. Mediger); entsprechender Stellenwert kam diesem Raum in den strategisch-geopolitischen Überlegungen der russischen Verantwortlichen zu, und dies rechtfertigte selbst schamlose Einmischung in die Stockholmer Innenpolitik. Reichlich abrupt schien Schweden mit dem Tod Karls XII. 1718 von der absoluten Königsherrschaft in die „libertäre Ephorie" (G. Barudio) abzurutschen. Eine absolutistische Bastion nach der anderen fiel dem Bemühen des schwedischen Reichstages um eine Neuorganisierung des Königreichs im Sinne eines Vertragsverfassungsstaates zum Opfer (1720/23). Diese mit machtpolitischer Schwäche und Manövrierunfähigkeit gleichgesetzte „Freiheitszeit" Schwedens lag sehr wesentlich im Interesse des übermächtigen russischen Nachbarn. Im Frieden von Nystad war der Zar denn auch bestrebt, über die Garantie der freiheitlichen schwedischen Staats- und Regierungsverfassung die Kontrolle des niedergerungenen Feindes zu verstärken. Wie das Heilige Römische Reich nach 1648 und die Republik Polen im 18. Jahrhundert sollte auch Schweden durch die Festschreibung einer Art innerer „Anarchie" zum ungefährlichen Satelliten seiner unmittelbaren Nachbarn degradiert werden. Internationale Bestechungs- bzw. Subsidienpolitik bestimmte von nun an sehr wesentlich die außenpolitischen 65

Vgl. u.a. Brandt 1929, Rauch 1957, Mediger 1968, Zernack 1974, ders. 1981. - Einige originelle Gedanken zur traditionellen französisch-schwedischen Allianz bei Schefer 1892. Im großen Überblick eben dazu: Le Soleil et V Etoile 1994.

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Α. Voraussetzungen

Aktionen der einstigen Großmacht Schweden; gerade Frankreich bekundete durch entsprechenden Finanzaufwand anhaltendes Interesse daran, die Instrumentalisierung seines traditionellen Freundes und Verbündeten im Norden nicht gänzlich den Russen zu überlassen. Die frankreichfreundliche nationalistische Partei der „Hüte" war es auch, die nach einem Allianzpakt mit den Türken 1739 aggressive Revanchepläne gegen Rußland wälzte und 1741 in der Hoffnung auf Rückgewinnung der Ostseeprovinzen einen schließlich mit weiteren eklatanten Mißerfolgen endenden Krieg begann. Zwar kooperierten die Schweden während des Siebenjährigen Krieges bekanntlich mit der französisch-österreichisch-russischen Koalition gegen Preußen, schon die preußisch-russische Allianz von 1764 enthielt schließlich aber wieder ganz im Sinne einer Außensteuerung der Nachbarn auch eine Garantie der libertären Verfassung von 1720. Erst Gustav ΙΠ. versuchte mit einiger Radikalität, der Königsgewalt zu neuer Kraft zu verhelfen und Schweden wieder an die Maßstäbe einer absoluten Monarchie heranzuführen. Mit französischen Geldern setzte er sich vor einem günstigen, weil turbulenten internationalen Hintergrund im August 1772 in einem Staatsstreich durch und baute seine Position später weiter aus. Die innenpolitisch schwankende Situation, aber auch der ambitiöse Charakter des oft als „Theaterkönig" apostrophierten Monarchen schlugen sich in einer hektischen und bisweilen abenteuerlichen »Kompensationspolitik' nach außen nieder, mit der an Schwedens große Zeit angeknüpft werden sollte. Auf periodisch auftretende Aggressionsabsichten gegen Dänemark-Norwegen (zuletzt 1783/84) folgte schließlich im Sommer 1788 ein Angriffskrieg gegen die durch ihren Türkenkrieg behinderte Zarin (vgl. S. 208 ff.), die die „Revolution" des Jahres 1772 und damit das Ausscheren des Nachbarn aus dem Kranz abhängiger Trabanten nicht anerkannt und entsprechend gespannte Beziehungen zu Gustav in Kauf genommen hatte.

5. Die „orientalische Frage"

Den größten Stolperstein in den französisch-österreichischen Beziehungen und zugleich einen international mehr und mehr in den Blickpunkt europäischer Politik rückenden Krisenherd bildete zweifelsohne die „orientalische Frage". Aus dem einst mächtigen Freund und Gelegenheitspartner Frankreichs im Kampf gegen die Casa de Austria war mittlerweile ein „kranker Mann am Bosporus", eine für Frankreich primär handelspolitisch interessante „Ersatzkolonie" geworden, deren Überlebenssicherung gegen den Ansturm Rußlands und Österreichs eines der wesentlichsten Anliegen im außenpolitischen Konzept Vergennes' gewesen ist. Machtpolitisch gefährdeten Österreich und speziell Rußland das Fortbestehen der Pforte als

III. Krisenherde und Bruchzonen

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Großmacht, handelspolitisch bedrohten sie seit den siebziger und achtziger Jahren durch die Öffnung des Schwarzmeerhandels und der Frankreich bis 1802 verschlossenen Meerengen das blühende und anhaltend expansive französische Levanteimperium66. Besonders nach der mißtrauisch beobachteten Annäherung Josephs II. an die Zarin im Gefolge des Geheimbündnisses vom Jahre 1781 witterte man allgemein akute Gefahr für den Fortbestand des Osmanischen Reichs und besorgte die Realisierung der megalomanischen Pläne Katharinas, die - so die Gerüchte und Vermutungen - weit über die bereits sehr beträchtlichen Erfolge besonders im Schwarzmeerraum, wie sie der Friede von Kütschük Kainardsche 1774 festgeschrieben hatte, hinausreichten und in dem sog. „Griechischen Projekt" ihren krönenden Abschluß fanden. In einem Brief an Kaiser Joseph Π. legte die Zarin im September 1782 in der Tat ihre weitaussehenden, von der Forschung sehr unterschiedlich bewerteten Maximalpläne gegen die Pforte vor, die bei nur mäßigen Territorialforderungen für Rußland selbst auf nichts weniger als die Vertreibung der Osmanen aus Europa, die Errichtung eines von Petersburg unabhängigen neobyzantinischen Kaisertums für Katharinas Enkel Konstantin und die Errichtung eines „Pufferstaates" Dacien (Moldau, Walachei, Bessarabien) unter einem christlich-russischen Fürsten (Potemkin) abzielten. Die ansehnlichen habsburgischen Kompensationsforderungen, die sogar - auf Kosten Venedigs Istrien und Dalmatien umfaßten, dargelegt in Josephs Antwort von Mitte November 1782, Bedenken Wiens gegenüber der möglichen Haltung Preußens im Rücken und die österreichische Angst vor einem Bruch mit Frankreich ließen die „Träumereien" Katharinas nicht über das Stadium vorfühlender Gespräche hinaus gedeihen. Hatte schon russisch-österreichisches Gegeneinander zu verheerenden Auswirkungen auf Polen und die Türkei, die machtpolitischen Unterdrückgebiete Ost- und Südosteuropas, geführt und Wien trotz seines zur Schau getragenen defensiven Agierens 1772 ein beachtliches Stück Polen und aus der türkischen Konkursmasse 1774/75 in Reaktion auf den russischen Triumph von Kütschük Kainardsche die Bukowina als Bindeglied zwischen Siebenbürgen und Galizien eingebracht, so ließen sich für Frankreich die befürchteten Konsequenzen des habsburgisch-russischen Schulterschlusses der achtziger Jahre nur in den allerschwärzesten Farben ausmalen. Tröstlich 66

Aus der überreichen Literatur seien nur genannt: Sorel 1878, Beer 1883, Pingauä 1887, ders. 1887b, Uebersberger 1913, Salomon 1935, Anderson 1958/59, ders. 1966, Hösch 1964, Fisher 1970, Jankovic 1975, Plaschka 1975, Nathan 1982, Roider 1982 a, ders. 1994. Ragsdale 1988 stellte sich gegen Versuche, das „griechische Projekt" als reines Hirngespinst umzuinterpretieren. Weitere Literatur zur „orientalischen Frage", speziell aus französischem Blickwinkel, findet sich verzeichnet bei Hochedlinger 1994. Zur „orientalischen Frage" aus französischer Sicht vgl. auch den Überblick von Hochedlinger 1991.

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Α. Voraussetzungen

immerhin, daß die Beendigung des in den amerikanischen Unabhängigkeitskampf eingebetteten englisch-französischen Konflikts 1782/83 wieder mehr Raum für Engagement in der „orientalischen Frage" schuf. Frankreich selbst versagte sich - und dies war in der innerfranzösischen Diskussion durchaus umstritten - jede Teilnahme an den Destruktionsplänen der beiden Kaisermächte, solange das Osmanische Reich nicht endgültig und rettungslos verloren schien, lehnte den ihm mehrfach angebotenen Beuteanteil (Ägypten) ab, auf das man freilich neben dem Schwarzmeerraum seit den achtziger Jahren sein handelspolitisches Interesse richtete, setzte sich aber lange Zeit nicht hinreichend energisch für die Sache der Pforte ein; die Militär- und Entwicklungshilfe Frankreichs - eine Militärmission wurde 1783 auf ausdrücklichen Wunsch der Pforte entsandt bewegte sich in sehr bescheidenen Bahnen. Als dauernder Mahner zur Nachgiebigkeit gegenüber russischen Provokationen und Expansionsgelüsten wurde Frankreich durchaus berechenbar und letztlich ungewollt zum Handlanger der „Raubmächte". Diesem Eindruck hat auch Versailles durch eine merkwürdige Personalpolitik in Konstantinopel Vorschub geleistet. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß Marie-Gabriel-Florent-Auguste Comte de Choiseul-Gouffier (1752 - 1817), der letzte französische Botschafter des Ancien Régime an der Hohen Pforte (1784 - 1792), ein Vertreter jener russophilen Aufklärer war, die publizistisch ganz offen zur Zerschlagung des muslimischen Reichs der Geistes- und Kulturbarbarei aufgerufen hatten. Zu Beginn seiner Tätigkeit am Goldenen Horn hatte er denn auch mit entsprechenden Schwierigkeiten zu kämpfen und galt wie sein Vorgänger François-Emmanuel Guignard Comte de Saint-Priest (1735 - 1821) mehr als Agent Wiens bzw. Petersburgs. Einzig während der Krimkrise 1782 - 1784, als Rußland das 1774 für unabhängig erklärte und seitdem von ihm gelenkte Krimkhanat endgültig annektierte und, wie man mutmaßte, durch seine Provokation im Grunde viel weiterreichende Ziele ansteuerte, scheint durch geschicktes französisches Taktieren Schlimmeres verhindert worden zu sein. Zwar mahnte die französische Diplomatie auch in diesem Fall die Pforte zur Befriedigung der russischen Wünsche und zur Abtretung der Krim, verlegte aber Joseph II. durch das Gespenst einer französisch-preußischen Annäherung, der ein isoliertes Preußen gerne die Hände geboten hätte, die aktive Teilnahme an weiteraussehenden Plänen der Zarin und zwang somit auch diese zu einer Einschränkung ihrer Ambitionen.

III. Krisenherde und Bruchzonen

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6. Die „polnische Frage" Mit dem Tod des letzten polnischen Königs aus der Dynastie der sächsischen Kurfürsten im Oktober 1763 konnte ganz im Sinne der bereits mehrfach angesprochenen, nun deutlich intensivierten russischen Vorfeldsicherung die seit Anfang des Jahrhunderts eifrig betriebene Satellitisierung der „zurückgebliebenen", an fortschreitendem „Souveränitätsverlust" leidenden polnischen Adelsrepublik zu neuen Höhepunkten vorangetrieben werden 67 . Die Wahl eines echten russischen „Marionettenkönigs" mußte unter diesem Gesichtspunkt als besonders vorteilhaft und erfolgversprechend erscheinen. Gemeinsam mit dem neuen Alliierten Preußen setzte Katharina II. 1764 den polnischen Adligen Stanislas August Poniatowski, einen ihrer ehemaligen „Favoriten", als Kandidaten durch. Die verfassungsmäßigen Hemmschuhe für ein Aufblühen Polens gegen die systematische Förderung der inneren Unordnung durch die Nachbarn und die Hindernisse für dringend nötige Militär- und Finanzreformen sind bekannt. Reformbemühungen Poniatowskis, der, aus der Reformpartei der Czartoryski kommend, selbständiger agierte, als man erwartet hatte, wurden durch russische Intervention und die Festschreibung der geltenden Verfassungsbestimmungen in einem förmlichen russisch-polnischen Protektoratsvertrag gegen den bewaffneten Widerstand der »Konföderation von Bar 4 niedergehalten (1767/68). Der polnische Staatsapparat blieb schwach ausgebildet, die militärische Kraftlosigkeit erlaubte wenig Widerstand gegen die Fremdbestimmung, geschweige denn eine aktive Rolle in der Mächtelandschaft. Bekanntlich führten die Gefahr einer völligen Kontrolle Rußlands über Polen und die Verletzung türkischen Territoriums durch russische Truppen schließlich noch im Oktober 1768 zum Ausbruch eines Kriegs mit der Pforte, in dem Rußland glänzende, für das mit der Zarin verbündete und Subsidien zahlende Preußen, besonders aber für Österreich bedenkliche Erfolge errang und entsprechende Forderungen anmeldete. Wien sah mit größter Beunruhigung den Fortschritten der russischen Truppen in den Donaufürstentümern zu und Schloß sogar einen höchst eigenartigen Pakt mit den Osmanen (Juli 1771), hielt sich jedoch letztlich für zu schwach, die Zarin mit Waffengewalt an weiterem Vorrücken zu hindern. Die Aneignung polnischen Territoriums - Preußen hatte sein Interesse an entsprechendem Zugewinn bereits vor längerer Zeit angemeldet - bot sich gegen die bedrohlich angewachsene Kriegsgefahr als nützliches Ventil für die Spannungen zwischen den drei schwarzen Adlern an, auch wenn dem Teilungsgeschäft, 67

Die beste Einführung ist Müller 1984 (mit ausführlicher Literatur- und Forschungsdiskussion), Lukowski 1999. Weiters Davies 1981, Cegielski 1981, Michalski 1981, Aretin 1981, Zernack 1991a.

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Α. Voraussetzungen

das sich völlig von dynastischen Grundlagen und ernstzunehmender Rechtfertigungsideologie loskoppelte und insoferne vom Charakter des Länderschachers und Ländertausches während der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts etwa in Italien abwich, ein besonders bedenklicher Beigeschmack anhaftete. Der Teilungsvertrag konnte im August 1772 in St. Petersburg unterzeichnet, der polnische Reichstag zur Ratifizierung der Abgabe von beinahe 30% des Territoriums gezwungen werden; der russische Botschafter in Warschau übernahm die Stellung eines „Prokonsuls" und war bis in die achtziger Jahre sinnbildliche Verkörperung des russischen Würgegriffs. Die Westmächte standen im Abseits und hatten ihre einst gesamteuropäische Schiedsrichterrolle vorerst völlig verspielt. Preußens Zugewinn - zahlenmäßig am geringsten - war dennoch qualitativ sehr bedeutend, bildete doch die Annexion der Landbrücke Westpreußen endlich einen soliden Territorialblock und die Inbesitznahme des Weichsel-Unterlaufs ein handelspolitisch nützliches Druckmittel gegen Polen. V. a. Danzig und Thorn fehlten Preußen zur Arrondierung; die Zukunft sollte zeigen, welch brisanten Sprengstoff die appetitanregende Wirkung der Ersten Polnischen Teilung und die Aufsplitterung der traditionell Rußland zukommenden Kontrolle Polens auf die drei bedeutendsten Nachbarmächte in sich bargen.

Β. Krise Ι. Frankreichs machtpolitischer Verfall im Zeichen der inneren Krise 1787 war die „französische Frage" - zumindest in den Augen der europäischen Großmächte - noch weit von jener Dramatik entfernt, die ihr ab Sommer 1791 eignen und nach und nach die vorerst durchaus widerwillige Aufmerksamkeit der Kabinette auf sich ziehen sollte. Die „französische Frage" begann ihre steile Karriere auf dem Weg zum europäischen „Ärgernis" als innenpolitischer Schwächeanfall, der freilich rasch auf die Großmachtstellung Frankreichs durchschlug. Das französische „effacement" im Zeichen der inneren Krise weitete sich noch in den Jahren 1787 - 1789 von der momentanen „Unpäßlichkeit" einer Großmacht zum dauerhaften Ausfall aus der Pentarchie und entfaltete - für viele überraschend - eine dramatisch destabilisierende Wirkung auf das Staatensystem. Dieses destabilisierende Moment traf in erster Linie und relativ rasch Frankreichs Alliierte und insbesondere die Habsburgermonarchie, für deren außenpolitisches System die französische Allianz von 1756 bei allem Zweifel an der Bündnistreue und bei aller wütenden Kritik an der mangelnden Unterstützung für Josephs II. außenpolitischen Aktivismus doch ein tragender Pfeiler gewesen war. Die herablassenden Berichte des k.k. Botschafters am französischen Königshof über die Vorgänge und Hintergründe der „Prérévolution" von 1787/88 und die diesbezüglichen Kommentare von Kaiser und Staatskanzler reflektierten indes fürs erste noch mehr Schadenfreude über die selbstverschuldete und wohlverdiente Lähmung Frankreichs denn Sorge um eine die eigene Politik akut gefährdende Auflösung des österreichischen Bündnissystems1. Die primär machtpolitische Betrachtung der französischen „Staatsumwälzung" durch die meisten europäischen Kabinette und ihre Bewertung je 1

Zu Beobachtung und Beurteilung der „Prérévolution" von österreichischer Seite vgl. ausführlich Hochedlinger 1997 a, Bd. 1, 86 - 112. Die bedeutende Stellung des kaiserlichen Botschafters am Allerchristlichsten Königshof, Graf Mercy-Argenteau, auch in Belangen französischer Innenpolitik und sein hervorragender Informationsstand machen seine Einsichten in das „prärevolutionäre" und revolutionäre Geschehen und damit seine Relationen an Kaiser und Staatskanzlei zu einer (bisher nur zum Teil ausgewerteten) Quelle sui generis für die Beschäftigung mit dem französischen Transformationsprozeß. Vgl. im übrigen zum allgemeinen Kontext Egret 1962.

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Β. Krise

nach einzelstaatlicher Konvenienz schufen die Voraussetzungen dafür, daß sich Frankreich innerhalb eines nur fünfj ährigen Zeitraumes vor den zuerst desinteressierten, dann zunehmend perplexen Augen Alteuropas von einer krisengeschüttelten absoluten Monarchie göttlichen Rechts über das klägliche Intermezzo einer konstitutionellen Monarchie weitgehend ungestört zur mächtigsten Republik des Kontinents zu entwickeln vermochte. 1. Die österreichischen Versuche einer Fernsteuerung Frankreichs

a) „L'Autrichienne" Die Fremdbestimmung Frankreichs und die immer aufs neue versuchte Instrumentalisierung Marie-Antoinettes zugunsten der habsburgischen Außenpolitik sind Standardversatzstücke sowohl der zeitgenössischen antiösterreichischen Propaganda wie auch der späteren Geschichtsschreibung gewesen. Richtig ist, daß man anders als bisher, wo der enge Kontakt zwischen den nach Frankreich verheirateten fremden Prinzessinnen und ihren Heimatländern tunlichst unterbunden wurde, im Falle Marie-Antoinettes über den Symbolcharakter der Übergabezeremonie an der Rheingrenze hinaus niemals zu einer wirklichen Beseitigung der alten familiären Bindungen fand. Die ungewöhnlichen Versuche einer Königin von Frankreich, die französische Politik im Sinne ihres Mutterlandes bzw. nach den Einflüsterungen des kaiserlichen Botschafters zu beeinflussen, prägten das Bild einer leichtlebigen Monarchin mit, die das Österreichische nicht abgelegt hatte und durch ihre „zärtliche Anhänglichkeit" an ihre Mutter und an ihren Bruder Joseph II. breite Angriffsflächen für eine Fernsteuerung im Sinne Wiens bot. In der Zeit nach dem renversement des alliances zuerst dank der guten Beziehungen zum dirigierenden Minister Choiseul, vollends aber nach der heiratspolitischen Untermauerung des neuen Bündnissystems durch die Eheschließung zwischen dem Dauphin Louis und Marie-Antoinette im Jahre 1770 und dem Avancement der österreichischen Prinzessin zur Königin von Frankreich 1774 war die k.k. Botschaft in Paris, seit 1766 geführt von Florimond-Claude Comte de Mercy-Argenteau (1727 - 1794)2, mehr als eine 2

Mercy entstammte der Familie Argenteau, einem bedeutenden Lütticher Adelsgeschlecht, das im 17. und 18. Jahrhundert mit den Mercys fusionierte. Schon 1751 findet man den späteren Botschafter als „gentilhomme d'ambassade" im Gefolge Kaunitz' während dessen Pariser Botschafterzeit, Ausgangspunkt einer jahrzehntelangen vertraulichen Zusammenarbeit. So ist Mercy denn auch am Wiener MariaTheresien-Denkmal zwischen Kunsthistorischem und Naturhistorischem Museum in der der Außenpolitik gewidmeten Nische neben Kaunitz, Bartenstein und Starhemberg gebührend verewigt worden. 1754 - 1761 amtierte Mercy als bevollmächtigter Minister in Turin, 1761 - 64 als Botschafter in Petersburg und 1764 schließlich als

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gewöhnliche diplomatische Vertretung. Sie wurde zu einer ernstzunehmenden, den Einfluß der königlichen Minister konkurrenzierenden „Macht im Staate". Mercy-Argenteau fungierte schon im Auftrag Maria Theresias, der er regelmäßig vertrauliche Berichte über das Fortkommen der Tochter zu erstatten hatte, als Briefbote zwischen Mutter und Tochter, als väterlicher Mentor und einflußreicher Berater der Dauphine bzw. der Königin auf dem erbarmungslos glatten Parkett des Versailler Hofes, unter Joseph II. nach 1780 mehr denn je als „graue Eminenz" der Königin. Nicht von ungefähr bezeichnete Friedrich der Große den k.k. Botschafter in Paris als „vice-roi de France". Eben diese Tatsache macht auch die diplomatische Korrespondenz Mercys, besonders seinen vertraulichen Briefwechsel mit Joseph II. und Kaunitz, zu einer unerhört wichtigen und entsprechend oft bemühten Quelle, weit über das Außenpolitische hinaus3. Mercys gute Kenntnis von Charakter und Person der Königin, seine hervorragenden Kontakte zu anderen Vertrauten Marie-Antoinettes, durch die er auch über intimste privatpolitische Streitigkeiten zwischen König und Königin informiert war, rückten die „totale Kontrolle" der Monarchin in Griffnähe 4 .

Gesandter in Polen. Seit 1766 amtierte er, mit nur einer kurzen Abwesenheit, ununterbrochen als Botschafter am allerchristlichsten Königshof, vielleicht der bedeutendste Posten des k.k. diplomatischen Dienstes. - Über Mercy am besten die Biographie von Pimodan 1911. Dieser Abhandlung waren als Pionierarbeiten vorangegangen Juste 1863 und die biographische Einleitung zu A&F Bd. 1, II - LXXVII. Zur Genealogie der Familie - im übrigen aber vernachlässigbar - Seewann 1976/ 77. Nicht uninteressante Aspekte des französisch-österreichischen Kulturtransfers zeigt Hirschberger 1980 anhand der Biographie Mercy-Argenteaus auf. Einigermaßen treffend scheint die Beurteilung des sensiblen und gesundheitlich fragilen Botschafters durch Küntzel 1923, 84f. Siehe auch Wagner 1983. Ein Ärgernis ist hingegen die völlig ungenügende Notiz zu Mercy in der NDB 17, 127 f. - Unterstützt wurde Mercy von dem kongenialen Botschaftssekretär von Blumendorf. Über diesen jetzt [Hochedlinger] 1999. 3 Daß die Edition von Arneth und Flammermont nur die französische Partikularkorrespondenz zwischen Mercy, Kaunitz und Joseph II. umfaßt, hat wertvolles Material, nämlich die viel eingehenderen deutschsprachigen Hauptberichte des Botschafters in Vergessenheit geraten lassen und damit eine immens wertvolle Quelle für die Geschichte von Prärevolution und Revolution gleichsam verschüttet. Vgl. zur „Quellenkunde" Hochedlinger 1997 a, Bd. 1, 88 - 91. 4 „Le rêve, plus instinctif peut-être que raisonné, du gouvernement autrichien, eût été de voir la France conduite par un ministre aussi énergique et tenace pour le maintien du système, que peu agissant pour toutes les autres questions de politique générale. Un tel personnage était introuvable, mais la reine, habilement dirigée par Mercy-Argenteau, pouvait en tenir lieu, et c'est pour cela que les efforts incessants de la diplomatie impériale tendaient à grandir le crédit de Marie-Antoinette, tout en conservant sur elle une influence absolue." Pimodan 1911, 181. Ganz ähnlich Küntzel 1923, 87, der von den unausgesetzten Bemühungen Kaunitz* und Mercys spricht, „durch die Vermittlung Marie-Antoinettes Paris zur politischen Filiale von Wien zu machen."

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Die harten Kontroversen der achtziger Jahre ließen das anhaltende Tauziehen zwischen der von Mercy gelenkten Königin einerseits und dem vom König gedeckten Außenminister Vergennes andererseits nur noch deutlicher zutage treten, erschwerten freilich auch die Position Mercys, dessen Ansprüche an seine Stellung in Versailles durch die Jahrzehnte österreichischer Präponderanz beinahe ins Maßlose übersteigert waren. Als er im Jahre 1785 vor dem Hintergrund wankender französischer Allianztreue ein Absinken der k.k. Botschaft auf das Niveau einer „durchschnittlichen" diplomatischen Vertretung befürchten zu müssen glaubte, zog er tatsächlich seinen Abschied in Erwägung. Die Zeit der französischen Staatskrisen nach 1787 und die Turbulenzen der Revolution sollten ihm aber schon bald wieder ungeahnte Möglichkeiten der Mitgestaltung in der französischen Innenpolitik eröffnen. Der bequemen Instrumentalisierung der Königin standen aber vielfache Hindernisse entgegen, auch wenn die Monarchin sich zu einer sentimentalen Loyalität gegenüber dem Erzhaus verpflichtet fühlte: zum einen das Naturell Marie-Antoinettes, das im vertraulichen Briefwechsel Mercys mit Kaiser und Staatskanzler öfter schonungslos bloßgelegt wurde. Ihre Sprunghaftigkeit, ihr sehr geringes Interesse an politischen Vorgängen und Entscheidungsfindungsprozessen, wenn sie die rein personalpolitische Ebene verließen. Mit ausgeklügelten Techniken machte sich Mercy immer wieder an die Instruierung, ja Indoktrinierung der Königin, wenn in Versailles eine wichtige Weichenstellung in außenpolitischen Fragen anstand. Dabei ging der Botschafter bei komplizierten Materien dazu über, der Königin leicht faßliche Noten zu überreichen, die Marie-Antoinette dann bei den zu erwartenden Disputen mit den französischen Ministern als „Verhandlungsgrundlage" verwenden sollte. 1787 war die Königin längst „aus der Übung der deutschen Sprache und somit auch des Lesens der in dieser Mundart verfasten Schriften gekommen", so daß Mercy seine Noten und allfällige Auszüge aus den Wiener Weisungen für Marie-Antoinette ins Französische übertrug 5. Besonders schädlich und für die Position Mercys im Umkreis der Königin auf Dauer bedrohlich erwies sich der Einfluß ihres engeren Freundeskreises - der sogenannten „coterie de la Reine" (auch „société favorite" oder „alentours" genannt), mit dem sie sich soweit möglich vom großen Hofleben absonderte. Diese rufschädigende Ablenkung der Monarchin von wesentlicheren Dingen behinderten auch zunehmend die österreichischen Versuche, die Königin zu einem echten Faktor französischer Politik zu machen, so daß die großen Chancen, die sich nach der Geburt des Dauphin 5 Mercy an Joseph II. (19. 4. 1785; Druck: A&F 1, 413), an Kaunitz (20. 1. 1787; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787 I - IV).

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1781 und dem Tod des königlichen „mentors" Maurepas eröffneten, nicht wirklich genützt werden konnten. Dabei ist gewiß von Seiten Mercys, Kaunitz' und Josephs II. die Schwäche Ludwigs XVI. deutlich über-, seine Fähigkeit, sich den Wünschen seiner Gattin zu entziehen und die „große Politik" von ihr fernzuhalten, aber wesentlich unterschätzt worden. Auch die französische Öffentlichkeit machte sich von der tatsächlichen Machtstellung der Königin ein durchaus falsches Bild. Lediglich in Personalfragen und bei „objets des grâces", bei der Bestellung und Entlassung von Ministern - auch dies immerhin Entscheidungsetappen von großer Bedeutung - war von Marie-Antoinette einigermaßen energischer Einsatz zu erwarten, ein Einsatz freilich, der seine Impulse nicht von tiefen politischen Einsichten, sondern von ganz persönlichen Vorlieben und Abneigungen erhielt. Erst die Zeit der Revolution ließ MarieAntoinette förmlich über sich hinauswachsen und den eigentlich aktiven Part in der anti-revolutionären Politik der königlichen Familie übernehmen. Aber noch im Sommer 1790 stöhnte Mercy unter seiner schwierigen Aufgabe als „Beichtvater" und Vertrauensmann der Königin: „La Reine a un caractère fier et décidé. Le défaut d'instruction et de conoissances Tinduit quelques fois à des opinions peu justes. Elle y tient avec une constance qui ressemble à Γ opiniâtreté, mais douée d'assés d'esprit et de discernement il est possible quoique difficile de la rammener par la force du raisonnement. Quand on y a réussi, on est sûr alors qu'elle ne variera plus. Il faut bien observer qu'une demi-persuasion est insuffisante et laisse un retour aux préventions. Il faut, pour les détruire, une surabondance de bonnes raisons, et si malheureusement on en employ oit une mauvaise, elle détruiroit l'effet de plusieurs bonnes, parce que la tendence à l'opiniâtreté l'emporteroit."6

Mercys „Aufseherfunktion" über die Königin wurde durch eine wichtige „Hilfskraft" wesentlich erleichtert, durch den Vorleser („lecteur") MarieAntoinettes, Mathieu-Jacques Abbé de Vermond (1735 - 1806). Dieser war Studienkollege des späteren Erzbischofs von Toulouse und Prinzipalministers, Loménie de Brienne, an der Sorbonne gewesen, wurde dessen Generalvikar und amtierte seit 1760 als Bibliothekar des „collège des Quatre-Nations". Vermond war bereits im Jahre 1768 im Vorbereitungsstadium der Eheschließung zwischen dem Dauphin und der österreichischen Erzherzogin zur Vervollkommnung ihrer nicht sehr soliden Erziehung, insbesondere zur Verbesserung ihrer Französischkenntnisse, nach Wien entsandt worden und behielt auch nach Ende dieser Mission seine Vertrauensstellung durch die Ernennung zum materiell mit zahlreichen Pfründen gut abgesicherten Vorleser der Dauphine. Seine besondere Position in der engsten Umgebung seiner ehemaligen Schülerin machte ihn zum wichtigsten 6 Notiz Mercys über eine Konversation mit Comte de Lamarck (7. 7. 1790; FA SB 71 d. C). 9 Hochedlinger

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Informanten Mercys; allerdings war Vermond bald ähnlich übel beleumundet wie seine Konkurrenten, die „alentours" der Königin, und in der Öffentlichkeit verhaßt7. Gemeinsam mit Abbé de Vermond und unterstützt durch oft recht heftige Mahnschreiben des Kaisers aus Wien kämpfte Mercy mit relativ geringem Erfolg gegen den angeblich leichtfertigen, vergnügungssüchtigen Lebenswandel der Königin an. Neben dem Comte d'Artois, einem der ersten Gefährten bei tolldreisten Abenteuern, war es v. a. die Polignac-Clique, die seit 1775 die Königin in ihren Bann zog und die Steuerung der Königin durch Mercy konkurrenzierte. Gabrielle Yolande de Polastron (1749 1793), Gattin des Grafen Jules de Polignac (gest. 1817) und Nichte Maurepas', entwickelte sich mit ihrem bisweilen auch als „ministère occulte" bezeichneten Clan zusehends zu einer ernstzunehmenden Belastung nicht nur für die Staatskasse, sondern auch für den Ruf der Königin, der rasch mehr dem einer „maîtresses en titre" ähnelte oder an die ,/eines scélérates" vergangener Jahrhunderte gemahnte, sich jedenfalls zu den unterwürfigen, zurückgezogenen Vorgängerinnen auf dem Thron in deutlichen Kontrast setzte. Das problematische Eheleben Ludwigs XVI. und Marie-Antoinettes gab übelsten Gerüchten über angebliche sexuelle Eskapaden, später auch Zweifeln an der Vaterschaft der königlichen Kinder reiche Nahrung. Die legendäre Halsbandaffäre (auch hier spielte Botschafter Mercy übrigens eine beachtliche Rolle) fixierte vollends das negative Bild der Königin in der öffentlichen Meinung, während die zwielichtige Schlüsselfigur, der mehr als tolpatschige Fürstbischof von Straßburg Louis-René-Edouard Prince de Rohan-Guémenée (1734 - 1803), als bedauernswertes Opfer des königlichen Despotismus erschien. Ungeheure materielle Zuwendungen und bedenkliche Möglichkeiten der Einflußnahme auf Personalentscheidungen lohnten den Polignacs ihre Bemühungen um eine „Bereicherung" des sozialen Lebens der Königin; die Polignac erhielt 1782 die Stelle einer „gouvernante des enfants de France", ihr Mann wurde 1780 in den Herzogsstand erhoben. Erst in der 2. Hälfte der achtziger Jahre begann der Stern der Polignacs allmählich zu sinken8. 7

Welvert 1921/1922, Genêt 1940. ΚΑ NL Zinzendorf TB 37 (1. 7. 1792). Weder die definitive politische Biographie Ludwigs XVI. noch jene Marie-Antoinettes ist bislang geschrieben. Schon eine wirklich befriedigende Edition der bisher verstreut gedruckten Korrespondenz Marie-Antoinettes würde, gerade für die Revolutionszeit, eine empfindliche Lücke schließen. Vgl. einstweilen: Sorel 1885/ 1911 Bd. 2, 129 - 135, Riebet 1948 (ungenügend), Fay 1956, Lever 1985, dies. 1991, Hardman 1993, ders. 1995 und besonders Arnaud-Bouteloup 1924. Paul & Pierrette Girault de Coursac 1990 sind als Hagiographen Ludwigs XVI. in ihren eigenartigen Schlußfolgerungen stets mit größter Vorsicht zu benützen. Die Arbeit ist trotz einer haarsträubenden Verschwörungstheorie wegen ihrer (extrem kritischen) Beurteilung Botschafter Mercys, seiner Berichterstattung und seiner angebli8

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b) Das Ringen um die Nachfolge Vergennes' Noch vor dem Tod des Staatssekretärs für Äußeres war von österreichischer Seite der Kampf um dessen Nachfolge eröffnet worden. Der wichtige Posten des Staatssekretärs für Auswärtiges 9 sollte nach der langen Durststrecke seit 1774 wieder an einen gut österreichisch Gesinnten fallen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung war ganz in diesem Sinne die Placierung eines Vertrauensmannes im Conseil d'état 1 0 , um jedem Augenzwinkern gegenüber Preußen an kompetenter Stelle entgegenarbeiten zu können. Dies um so mehr, als selbst jene, die dem „parti de la Reine" zugezählt wurden, in außenpolitischen Fragen eindeutig zu den Österreichskeptikern bzw. -gegnern rechneten. Bereits Anfang Januar 1787 erteilte Kaunitz Mercy Anweisung, die Königin dazu zu bewegen, dem seit längerem kaltgestellten ehemaligen französischen Botschafter an der Hohen Pforte, „dem ebenso geschickten als wohldenkenden" Comte de Saint-Priest, ihren Schutz angedeihen zu lassen, um chen „Propagandaarbeit" gegen Ludwig XVI., v.a. aber wegen ihres Materialreichtums nicht ganz ohne Wert, leider aber in penetranter Weise auf das Geschlechtsleben des Herrscherpaares konzentriert. Die Verschwörungstheorie wird in dies. 1992 und 1996 fortgesponnen. Auch Lever hat die französischen Berichte Mercys für ihre Marie-Antoinette-Biographie sehr stark herangezogen. Über die „coterie de la Reine" und die Polignacs vgl. noch am besten Fleischmann 1910 und La Faye 1910 (auch dies eine Auswertung der Korrespondenz Mercys). Über das weitere (ältere) Schrifttum Tourneux 1901. 9 Nicht selten stieg gerade in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts der Außenminister zu einer Art „Premierminister" oder, wie man auch sagte, ,,Mentor" des Königs auf, wie etwa Choiseul (1758 - 1770) oder Vergennes (1774 - 1787) nach 1781. Von 1774 bis 1781 war Comte de Maurepas als ministre d'état ohne Portefeuille und Chef des Conseil royal des finances der starke Mann und Koordinationspunkt der Regierung gewesen. Vgl. zum Staatssekretariat für Äußeres v.a. Les affaires étrangères 1984, ein Auszug daraus ist Degros 1992. Trotz unverhohlener Revolutionsphobie und lästiger Fehlerhaftigkeit an Detailreichtum immer noch unübertroffen Masson 1877/1903/1977. Weiters Picavet 1930. Ein reich illustrierter Ausstellungskatalog ist Lemoine 1989. Die Geschichte der Staatssekretariate im allgemeinen behandeln u.a. Luçay 1881, Viollet 1912 und lexikalisch Maurepas /Boulant 1996. Allgemein zur französischen Ministerialbürokratie im Übergang vom Ancien Régime zur Revolution und darüberhinaus Church 1981. Der Vollständigkeit halber seien noch genannt: Doniol 1893, Mercier 1965. Eine erschöpfende Arbeit über die französischen Ministerien während der Revolution fehlt leider. - Zur frz. Verfassungsgeschichte vgl. u.a. Holtzmann 1910, Richet 1973, Hartmann 1985, Barbey 1992, Méthivier 1994. 10 Zum Conseil du Roi, speziell zum Conseil d'En-haut bzw. Conseil d'Etat vgl. die sehr knappe und übersichtliche Zusammenstellung bei Antoine 1955, erschöpfend schließlich ders. 1970. Vgl. auch den Generaldurchgang von Aucoc 1876 und den sozialgeschichtlich orientierten Sammelband von Mousnier 1970. Speziell den jurisdiktionellen Kompetenzen des Conseil du Roi gewidmet ist Monnier 1992. 9*

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ihm für das Rennen um das Erbe Vergennes' eine gute Ausgangsposition zu verschaffen. ,3ey dem Umstand", so der Staatskanzler am Neujahrstag 1787, „daß sich dermalen nicht ein einziges Mitglied in dem Conseil befindet, auf dessen günstige Denkungsart man sich nur in etwas verlassen könnte, und in dem fernem Anbetracht, daß eben dieser Conseil auf den König selbst fortan den entscheidensten Einfluß hat, ist es in der That höchst wichtig, mit der Zeit einen Mann in das Ministerium zu ziehen, der sich bey einer in so vielen Gelegenheiten erprobten devoten Gesinnung als die unmittelbare Kreatur Ihrer Majestät der Königin jederzeit dankbar erkennen würde und müßte." Den Wiener Fernsteuerungsversuchen war nicht viel Erfolg beschieden. Die Königin fand Saint-Priest nicht sonderlich sympathisch und sich selbst nicht in hinreichend starker Position, um einen „österreichischen" Kandidaten gegen Widerstand durchzusetzen 11. Als sich daher nach dem Tod Vergennes' am 13. Februar 1787 sofort der erwartete Parteienstreit entzündete, konnte von einer Personalentscheidung im Sinne der Wiener Politik und damit von einer Regenerierung und Aktivierung der Allianz nach österreichischen Wunschvorstellungen weniger denn je die Rede sein. Ludwig XVI. schwankte zwischen Charles-Léopold Marquis de Jaucourt (1736 -1799), der die Genfer „Rebellion" von 1782 niedergeschlagen hatte und als Preußenfreund galt, dem Botschafter in Madrid, Paul-François de Quélen de Stuer de Caussade Duc de la Vauguyon (1746 - 1828), dem Sohn seines Erziehers, und einem »Jugendfreund" mit längerer diplomatischer Erfahrung Armand-Marc Comte de Montmorin de Saint-Hérem (1746 - 1792) 12 , der auch die Unterstützung der königlichen Tanten und schließlich der gegen La Vauguyon eingenommenen Königin fand und somit am 14. 11 Kaunitz an Mercy (1. 1., 7. 2. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. KaunitzMercy 1787 I - IV), Joseph II. an Mercy (2. 1. 1787; Druck: A&F 2, 60 - 64); Mercy an Kaunitz (20. 1. 1787; wie Anm. 5), Partikularschreiben dess. an dens. (20. 1. 1787; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787; Druck: A&F 2, 68 f.), an Joseph II. (20. 1. 1787; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 65 - 68). 12 Seine Karriere hatte Montmorin als „menin du Dauphin", als mit dem Dauphin erzogener ,Junker", begonnen, war dann zum bevollmächtigten Minister beim Kurfürsten von Trier berufen worden (1775/77) und schließlich als Botschafter nach Spanien gegangen (1777/83). Er kehrte als Träger des Goldenen Vlieses zurück, wurde 1784 zum Maréchal de Camp und endlich zum „commandant en chef 4 in der Bretagne ernannt, wo er sich, so der k.k. Botschafter, nicht besonders bewährte. Trotz eines unvorteilhaften Äußeren - man bedachte vor allem seinen außergewöhnlich kleinen Wuchs mit spöttischen Bemerkungen - bewegte er sich überaus gewandt auf dem glatten Parkett des Hofes, war aber gleichzeitig den „idées philosophiques" der Zeit durchaus aufgeschlossen: Michaud 29, 184 f., NBG 36, 367 - 369, Masson 1877/1903/1977, 55 - 110, Scott/Rothaus 1985, Bd. 2, 679ff., Yvert 1990, 73 f., Maurepas /Boulant 1996, 175 - 178. Eine ausführliche biographische Skizze fehlt. Vgl. allenfalls Bardoux 1884.

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Februar 1787 dem König als neuer Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten präsentiert werden konnte13. Botschafter Mercy war verärgert und hielt mit seiner Empörung über den mangelhaften Einsatz der Königin für das Beste des französischen Staates und des Erzhauses nicht zurück. Marie-Antoinette habe, hieß es nun, „ihre Verwendung nicht mit jenen Nachdruck und Eifer vergesellschaftet [...], als sie bey anderen Gelegenheiten zu thun gewohnt ist, wenn Ihre Majestät aus eigenem Antrieb oder durch das ungestümme Zudringen derjenigen, welche sie ihre Societät nennt, angefeuert wird, bey ihrem höchsten Gemahl einen Gegenstand durchzusetzen." In seinem begleitenden Partikularschreiben an den Staatskanzler verbreiterte sich der verbitterte Botschafter über den inkonsequenten Charakter der Königin, ihren „dégoût de toutes affaires sérieuses" und ihre jüngsten Skrupel hinsichtlich der starken Einmischungsversuche Wien in die Bestellung französischer Minister; auch die mahnenden Briefe des Kaisers an seine Schwester halfen wenig. Es sei nicht korrekt „que la cour de Vienne nommât les ministres de celle de Versailles", äußerte die Königin gegenüber dem entmutigten Mercy, der sich in seiner Privatkorrespondenz mit Kaunitz zu derart scharfen Ausritten gegen die Königin hinreißen ließ, daß Arneth und Flammermont ihn Ende des 19. Jahrhunderts in ihrer Edition zensurieren zu müssen glaubten und die entsprechende Passage unterdrückten: „A mesure que la Reine avance en âge, elle semble perdre du côté de la tête et du jugement. La versatilité de ses idées la rapproche de l'enfance." Auch Ludwig XVI. wurde nicht geschont. Seinem Widerwillen, wirklich starke und verdienstvolle Personen zu berufen, von denen er fürchten mußte beherrscht zu werden, schrieb man die Ernennung eines weitgehend unbeschriebenen Blattes wie Montmorin zu. „Parmi ce ministère, il n'existe pas un individu auquel on ait lieu de supposer de l'affection pour le système de l'alliance", klagte Mercy gegenüber Joseph II. im März 1787 - trotz hehrer Freundschaftsschwüre des neuen Außenstaatssekretärs, der, wie die österreichische Diplomatie annahm, wohl nicht umhin konnte, die Linie Vergennes' fortzusetzen, wollte er wirklich den in ihn gesetzten Erwartungen genügen14. 13

Mercy an Kaunitz (13., 14. u. 21. 2., 1. 3. 1787 ; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787 I - IV), Partikularschreiben dess. an dens. (1. 3. 1787; ebd. Konv. Mercy-Kaunitz 1787; Druck: A&F 2, 79 - 81), an Joseph II. (1. 3. 1787; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 75 - 79). Marie-Antoinette an Mercy (14. 2. 1787; Druck: [Arneth] 1866, 109), Mercy an Marie-Antoinette (15. 2. 1787), Marie-Antoinette an Joseph II. (1. 3. 1787): SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787, FA SB 71 d. A/o.K. , gedr. A&F 2, 76 Anm. 1. Noailles an Kaunitz (6. 3. 1787; SA Frkr. NW 13 Konv. Korrespondenz mit der französischen Botschaft 1785 - 1788) zur offiziellen Anzeige der Bestellung Montmorins. - Montmorin an Noailles (21. 2. 1787), Noailles an Breteuil (24. 2. 1787), Noailles an Montmorin (28. 2., 7. 3. 1787): AMAE CP Autriche 352.

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Auch in der Wiener Staatskanzlei gab man sich enttäuscht. „Eine so äusserst wichtige und wesentlichste Gelegenheit, dem Allianzsistem beyder Höfe zustatten zu kommen und solches zu seiner ehemaligen wahren Wirksamkeit wieder zurückzubringen, nachdem es bisher bey so mancherley erheblichen Umständen fast nur dem bloßen Namen nach bestanden ist, wird sich leider lange nicht mehr ergeben", erklärte Staatskanzler Kaunitz. Nicht ohne sich selbst sogleich auf den Boden der Realität und der bündnispolitischen Bescheidenheit zurückzuholen. Wäre Marie-Antoinette angeheiratete Königin in einem anderen Land als Frankreich, so würde man ihr überhaupt keinen Einfluß auf die Regierungsgeschäfte zugestehen. Was Montmorin betraf, den der Staatskanzler keinesfalls als ebenbürtigen Nachfolger des verstorbenen Vergennes zu betrachten gesonnen war und mit den unglaublichsten Verbalinjurien eindeckte („pauvre sire", „cet. animal"), so wollte man die weitere Entwicklung der französischen Politik abwarten und im übrigen derii neuen Staatssekretär direkt und über Königin Marie-Antoinette die Nützlichkeit der Allianz und damit die Notwendigkeit unbedingter Bündnistreue einhämmern15. Die Karriere des Wiener Wunschkandidaten Comte de Saint-Priest wurde von der Staatskanzlei auch weiterhin genau verfolgt. Im Juni 1787 schien es, als ob er Noailles, der den Botschafterposten in Madrid anstrebte, in Wien ablösen würde. Schließlich erhielt er aber Sommer 1787 die französische Vertretung im Haag zuerkannt (vgl. S. 158). Im Dezember 1788 war Wien spät aber doch am Ziel seiner Karrierewünsche für Saint-Priest; dieser wurde endlich auf Druck Mercys und der Königin in den personell 14

Mercy an Kaunitz (1. 3. 1787; wie Anm. 13), an Joseph II. (1. 3. 1787; wie Anm. 13). Die nicht-edierte Passage aus der Partikularkorrespondenz Mercys trägt Lever 1991, 418 nach. 15 Kaunitz an Mercy (18. 3. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787 I - IV), Joseph II. an Mercy (18. 3. 1787; Druck: A&F 2, 82 - 84). Auch der Kaiser rechnete nicht mehr damit, daß Montmorin vom „System" seines Vorgängers abgehen werde, zumal der König daran hänge und der neue Minister zunächst von seinen Subalternen gelenkt würde. Partikularschreiben Kaunitz' an Mercy (18. 3. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787; Druck: A&F 2, 84 - 86). Ähnliche abfällige Äußerungen über Montmorin im Partikularschreiben des Staatskanzlers an Mercy (1. 5. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. KaunitzMercy 1787; Druck: A&F 2, 92f.). Zugleich stellte Kaunitz Mercy mit einem zweiten Partikularschreiben vom 18. 3. 1787 seine „Considérations sur Γ alliance de la maison d'Autriche avec la France" zu, in denen er die altbekannten Vorteile der Allianz hervorstrich und den Wunsch aussprach, daß diese „base fondamentale du système politique" endlich auch in Frankreich zu einer von Personalkonjunkturen unabhängigen Maxime erhoben werde (wie Teil A, Anm. 58). Mercy an Kaunitz (7. 4. 1787; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787 I - IV), Partikularschreiben dess. an dens. (7. 4., 19. 5. 1787; ebd. Konv. Mercy-Kaunitz 1787; Druck: A&F 2, 90f., 97 - 99), an Joseph II. (7. 4. 1787; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 88 - 90).

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ausgedünnten Conseil d'Etat berufen. Mercy Schloß eine Übernahme des Außenamts durch Saint-Priest nicht aus, „dazumalen Herr Graf von Montmorin bisher noch keinen rechten festen Grunde gefaßt hat". Saint-Priest mußte aber schließlich mit dem Portefeuille für die Maison du Roi, dem nachmaligen Innenministerium, vorlieb nehmen16. 2. Die „Prérévolution" - Frankreichs Weg in die Revolution

Auf Grund seiner besonderen Stellung in der Pariser Société des Ancien Régime und seines unmittelbaren Zugangs zu den Machtzirkeln von Versailles sind die Berichte Botschafter Mercys eine speziell wertvolle Quelle gerade für die interne Entwicklung Frankreichs in den Jahren von Prérévolution und Revolution, die er für seine vorgesetzte Behörde in Wien minutiös und auf der Basis langjähriger Bekanntschaft mit den französischen Interna nachzeichnete. Die Notablenversammlung von Februar bis Mai 1787, die erste seit 1626, die die vom Contrôleur Général des Finances Charles-Alexandre de Calonne (1734 - 1802) geplante „révolution fiscale" zur Sanierung der völlig deputierten Staatsfinanzen willfährig sanktionieren sollte, schließlich aber zum Zentrum einer noch vorsichtigen anti-absolutistischen Opposition wurde und so die von Mercy von Anfang an kritisierte reine Geldbeschaffungspolitik des Hofes ad absurdum führte; der Sturz Calonnes im April 1787; die Berufung des von Joseph II. besonders geschätzten, weil gut österreichisch gesinnten Erzbischofs von Toulouse, Loménie de Brienne, zum Staatsminister und Chef des Conseil royal des finances, schließlich (August 1787) zum letzten Prinzipalminister des Ancien Régime; seine Niederlage gegen das Pariser Parlement, das sich zum Anwalt einer politisch-verfassungsrechtlichen Beschränkung des absoluten Königtums machte, den allgemeiner werdenden Wunsch nach Einberufung der Generalstände unterstützte und auch durch seine vorübergehende Exilierung nach Troyes (August/September 1787) oder durch die Verhaftung und Verbannung einzelner besonders renitenter Mitglieder (November 1787) nicht zum Schweigen gebracht werden konnte; die Aufhebung der traditionellen Gerichtsverfassung in einem letzten gewagten Coup des Hofes (Mai 1788); seine rasche Kapitulation im Angesicht offener Rebellion; die Entlassung Loménie de Briennes (August 1788), der die in ihn 16 Mercy an Kaunitz (18. 6., 14., 27. 8. 1787, 10. 12. 1788, 6. 1. 1789; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787 V - VIII bzw. 1788 VIII - XII bzw. Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 I - III), Partikularschreiben Mercys an Kaunitz (22. 2. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789; Druck: A&F 2, 220), an Joseph II. (6. 1. 1789; ebd. Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 217 - 219); Kaunitz an Mercy P. S. 2 (6. 2. 1789; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1789 I - V). Saint-Priest übernahm schließlich den Platz Malesherbes' im Conseil. [Barante] 1929, Bd. 1, 195 ff., 212 - 216.

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Β. Krise

gesetzten Hoffnungen enttäuscht hatte und Mercy zu weich und konfliktscheu erschien, und die unter massiver Beteiligung des k.k. Botschafters herbeigeführte Wiederberufung Jacques Neckers als Finanzminister - all diese Vorgänge sezierte Mercy mit feiner Feder. Das düstere Bild, das sich daraus für den Kaiser und die Staatskanzlei ergeben mußte, war klar und eindeutig: Frankreich hatte mit dem Staatsbankrott, dem Verfall von Heer und Flotte und der weitgehenden Auflösung der inneren Ordnung aufgehört, eine Großmacht zu sein. Joseph II. hielt als Staatsabsolutist im übrigen wenig von einer „PseudoDemokratisierung" des Entscheidungsfindungsprozesses, wie sie Versailles mit der Notablenversammlung von 1787 versuchte. Der Kaiser erklärte diese Honoratiorenrunde denn auch zur „farce" - Kaunitz sprach von einer „arlequinade", einer ,ridicule chose", ja gar von einer „cacad'e dans toutes les formes" - und entschied im Briefwechsel mit seinem Bruder Leopold von Toskana stolz: „beaucoup d'objets sont conformes à ce que j'ai déjà fait et veux faire encore ici, sans y mettre tant d'appareil." 17 Das schrittweise Zurückweichen des Königtums und die rasche Opferung von Ministern auf dem Altar der öffentlichen Meinung nahm Joseph als gefährliches Omen. „Si le Roi mollit [...]", diagnostizierte er im April 1787, „son autorité est perdue pour jamais, et le clergé, la noblesse et les parlements feront une espèce de coalition, de manière qu'il ne trouvera en tout que de l'opposition et sera à la fin obligé d'accepter comme en Angleterre les ministres qu'ils voudront lui donner ou renvoyer ceux qui leur déplairont."18

Er sollte sich nicht täuschen: Der auch in den Augen Botschafter Mercys skandalöse Sieg der schwer eingrenzbaren Opposition über Macht und „dignité" des Königs im Frühjahr 1787 endete schließlich in einer peinlichen Kapitulation des königlichen Absolutismus. Von oben herab mockierten sich Botschafter Mercy und Staatskanzler Kaunitz als Vertreter einer einstweilen noch in ihren Grundfesten ruhenden absolutistischen Monarchie, in der die Landstände im Vergleich zu früheren Zeiten eine denkbar geringe Rolle spielten, über die ihrer Meinung grundsätzlich defekte Verfassungs- und Regierungsform des französischen Staates. Mercy schob vieles auf die „inconséquence" und „légèreté" der Franzosen, hielt nahezu alle Verwaltungszweige für „verdorben und entartet", und Fürst Kaunitz gab wirklich soliden und systematischen Reformen in einem Land geringe 17 Joseph II. an Mercy (26. 1. 1787; Druck: A&F 2, 69-71), Partikularschreiben Kaunitz' an Mercy (7. 2. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787; Druck: A&F 2, 69 - 74f.). Joseph II. an Leopold (12. 3. 1787; [Arneth] 1872 Bd. 2, 74). 18 Joseph II. an Mercy (Lemberg, 26. 4. 1787; Druck: A&F 2, 92), Kaunitz an Mercy (1. 5. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787 V - VII).

I. Frankreichs machtpolitischer Verfall

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Chancen „où presque tout tient aux personnes et très peu aux choses"19. Das Grundübel sah Botschafter Mercy in einer den Stürmen der Zeit nicht gewachsenen französischen Staatsspitze. „Deux inconvénients ruinent cette monarchie: le défaut de nerf et d'énergie dans le caractère du souverain ou dans celui qui le représente, le manque d'argent dans les coffres du monarque. Quant à ce demier article, il y aurait du remède, mais il ne paraît pas en exister pour le premier." 20

Joseph Π. sah - gerade im Vergleich zu den Turbulenzen in Belgien die Krise des Verbündeten viel weniger im Prinzipiellen wurzeln, sondern vielmehr als Folge eines permanenten Umverteilungskampfes um Macht und Einfluß innerhalb der Machteliten. Alles, so der Kaiser in einem Schreiben an seinen bevollmächtigten Minister in Brüssel, Graf Trauttmansdorff, im Juli 1788, „paraît se réduire dans ce pays-là à faire chasser des ministres et par là causer un changement d'employés qui procurent à des gens de la première comme de toutes les autres classes l'occasion et l'espoir d'obtenir des places dans lesquels [!] ils pourront se donner les avantages et les profits et voler également l'état, tout comme l'ont fait leurs prédécesseurs dont ils disaient tant de mal."21

Der in Frankreich schon seit 1787 um sich greifende Freiheitsgeist und die zunehmende, fast schon prinzipielle Widerspenstigkeit gegen zentralstaatliche Verordnungen wurden von der k. k. Diplomatie einstweilen noch nicht unter dem Gesichtspunkt der Ansteckungsgefahr beobachtet und bewertet. Erst die Radikalisierung des französischen Unruhepotentials im Übergang von der Prärevolution zur Revolution ab 1789 und vor allem der Schock angesichts der überraschend aufflammenden innenpolitischen Krise im eigenen Hause 1789/90 führten hier eine allmähliche Änderung herbei und durchlöcherten die Zuversicht, daß „französische Zustände" für die Habsburgermonarchie undenkbar waren. Auch in der josephinischen Staatskrise der ausgehenden 1780er Jahre zeigte sich, daß selbst die absolutistischsten Systeme vor massivem innerem Widerstand extrem rasch kapitulierten. Angesichts der gleichzeitigen Bedrohung von außen stürzte der Josephinismus noch rascher in sich zusammen als das französische 19 Partikularschreiben Kaunitz' an Mercy (28. 7. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787; Druck: A&F 2, 109 - 111). 20 Partikularschreiben Mercys an Kaunitz (18. 10. 1787; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787; Druck: A&F 2, 132f.). Viele glaubten ohnedies nicht mehr an eine echte „Reformfähigkeit" Frankreichs: KA NL Zinzendorf TB 32 (22. 10. 1787). 21 Joseph II. an Trauttmansdorff (18. 7. 1788; Druck: [Schiitter] 1902, llOf.). Anfang August 1789 wertete Joseph II. die Einberufung der Generalstände in Frankreich offen als „bêtise" und stellte Frankreich für die nächsten Jahre ein düsteres Horoskop: Joseph II. an Trauttmansdorff (6. 8. 1789; Druck: [Schiitter] 1902, 341 f.).

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Ancien Régime. Eine Unterdrückung innerer Turbulenzen mit militärischer Gewalt kam nicht in Frage; Kaunitz hatte schon im Sommer 1788 für Frankreich wiederholt, was er auch in der Belgienkrise von 1787 vertreten hatte: „remploi de la force ne rétablit jamais solidement une tranquillité parfaite et sur laquelle on puisse compter dans tous les cas dans lesquels il faudrait employer hors du royaume les moyens de la force" 22.

Innere Krisis und außenpolitische Ohnmacht - und dies leitet uns zum nächsten Kapitel über - schaukelten einander nach dem Befund Mercys auf. Der tiefe Fall Frankreichs von der europäischen Hegemonialmacht zur „quantité négligeable" ohne Stimmgewalt im Konzert der Mächte war auch der sich allmählich ausbildenden und zunehmend Gehör verschaffenden „opinion publique" unerträglich. „Was endlich [...] zur allgemeinen Unzufriedenheit und Gährung nicht wenig beyträgt", schrieb Botschafter Mercy im Juli 1788, „ist die Art von Verachtung, in welche Frankreich seit einiger Zeit bey den auswärtigen Mächten verfallen ist. Man schämt sich des fast gänzlichen Verlustes seines vorhin in Europa gehabten entscheidenden Einflußes. Es fällt der Nation unerträglich, daß sie nicht allein eine so wenig bedeitende Rolle spielen, sondern noch dabey manche höchst erniedrigende Demüthigungen erfahren müsse. Ihr nothgedrungender passiver Betrag bey den türkischen Händeln, zumalen aber die ihr so nachtheilige lezte Revolution in Holland und die noch ganz neulich dem hiesigen Botschafter in dem Hag zugefügte Unbild sind so viele schmerzhafte Wunden für ihren beleidigten Stolz und Eigenliebe."23

II. Internationale Konflikte Zu Jahresbeginn 1787 sah Europa - jedenfalls bei oberflächlicher Betrachtung - beinahe friedlich aus. Lediglich im Südosten des Kontinents, in der Bruchzone zwischen Rußland und dem Osmanischen Reich, auf die sich „bey der fast allgemeinen Stille in politischen Begebenheiten in Europa" die Aufmerksamkeit der Diplomatie konzentrierte, zogen wieder Gewitterwolken auf. Der einzige eigentlich „europäische" Konfliktherd mit bedenklicher Ausstrahlungskraft, das schon lange andauernde Ringen zwischen dem niederländischen Statthalter und den Gegnern des Hauses Oranje, schien durch das vermeintliche Desinteresse Preußens als Schutzmacht der Orangisten allmählich einzuschlafen. 22

Partikularschreiben Kaunitz* an Mercy (29. 6. 1788; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1788; Druck: A&F 2, 179 - 181). 23 Aus Mercys besonders ausführlicher Schilderung der innerfranzösischen Vorgänge von April bis Juli 1788 in seinem Hauptbericht (Teil II) vom 19. 7. 1788: SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1788 V - VII.

II. Internationale Konflikte

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Österreichs Bündnispartner Frankreich hatte, das mußte auch Wien zähneknirschend anerkennen, unter Comte de Vergennes durch den erfolgreichen Anteil am Unabhängigkeitskampf der nordamerikanischen Kolonien an Prestige gewonnen und konnte sich wieder um die Schiedsrichterrolle in großen europäischen Streitfällen bewerben. Englands außenpolitisches System war dagegen beruhigend verworren, und das seit 1783. Londons krampfhafte Suche nach Alliierten, um nach dem verlorenen Kampf um die nordamerikanischen Kolonien aus der Isolation auszubrechen, ließ die britische Diplomatie auch an Österreich und Rußland herantreten, während Georg III. größte Anhänglichkeit an den Fürstenbund demonstrierte. Gegen die Politik des Kabinetts verfolgte der König eine unabhängige, durch seine scheinbare „Preußenhörigkeit" mit der Generallinie Londons in eklatantem Widerspruch stehende Reichspolitik, die auch bei Österreich allerhand Verwirrung stiftete und den englischen Annäherungsversuchen wenig Chancen ließ. Als 1787 das Kabinett Pitt die verlorenen Positionen zurückgewann, war das Rapprochement gegenüber Wien bereits vom Programm abgesetzt, Staatskanzlei und Hofburg aber immer noch nicht aus ihrer Verwunderung über die „Zweifaltigkeit" des englischen Königs erlöst. Dessen von der britischen Diplomatie stets betonte Persönlichkeitsspaltung in den König von Großbritannien und den Kurfürsten von Hannover lief für die Wiener Betrachter im Grunde auf dasselbe hinaus, „als wenn wir den König in Hungarn und Böhmen von dem Herzog in Burgund und Mailand trennen und den einen zum unmittelbaren Antipoden des andern machen wollten", hieß es ironisch in der Instruktion des k.k. Gesandten für Den Haag Ende 1787. Aber England war und blieb für Wien und Petersburg wenigstens als Versailles' unerbittlicher Rivale besonders wichtig (ganz so wie umgekehrt Frankreich die „Aufrechterhaltung" Preußens und der Pforte wünschen mußte, um Österreich und Rußland nicht übermächtig werden zu lassen). Frankreich durfte im Ernstfall die Absichten der Kaisermächte im Osten nicht behindern und sollte durch den latenten Konflikt mit London beschäftigt werden. Der Durst der Kaisermächte nach Revanche gegen Preußen bzw. Vergrößerung auf Kosten der Pforte ließ sich wegen der allgemeinen Pattstellung und der „Eifersucht" auch des französischen Verbündeten nur in einem geduldig abzuwartenden Moment durch einen generellen Kompensationsringelreigen erwarten, wollte man eine totale Auflösung der bestehenden Bündnissysteme vermeiden. In der internen Diskussion der Staatskanzlei gab die „Borussophopobie" ungebrochen und gegen jedes allfällige Streben nach mehr „Flexibilität" weiterhin das Maß aller Dinge ab. Zumindest als frommen Wunsch können wir aber die Feststellung Kaunitz' in einer Weisung an den k.k. Botschafter in Spanien, Kageneck, vom Januar 1787 werten, daß die Gesinnungen des

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neuen preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. vielleicht doch die Aussicht auf eine einträchtigere Zukunft der beiden Nachbarn freigaben „und daß mit dem Hintritt des vorigen Königs auch die unversöhnliche und unaufhörlich geschäftige Scheelsucht desselben auf immer erloschen seyn wird." Der Kaiser wünsche es jedenfalls innigst, so beteuerte der Staatskanzler, „gleichwie überhaupt die ununterbrochene Fortdauer des gegenwärtig in allen Theilen von Europa verbreiteten Geistes der Ruhe und Eintracht als das Ziel aller Wünsche und Absichten eines Fürsten zu betrachten ist, der in der ungestörten innem Verbeßerung seiner Staaten das Augenmerk und die Glorie seiner Regierung setzet."

Als aber im September 1787 der k.k. Gesandte für Schweden, Graf Stadion, seine eigene (!) Instruktion entwarf, sah sich der als Programm vorangestellte Wunsch des Wiener Hofes nach Beibehaltung des Friedens, der den „ersten politischen Grundsatz" Österreichs ausmache, bereits von den widrigsten Entwicklungen in manchen Teilen Europas gefährdet 24. So war die Französische Revolution, wie im folgenden zu zeigen sein wird, sicher nicht ein „Schneesturm auf blühende Bäume", wie Albert Schweitzer es einmal formuliert haben soll; die Schockwellen der Revolution erschütterten nicht ein ruhiges, sondern ein seit den späten achtziger Jahren aufgewühltes, tief zerstrittenes Europa. Der allgemeinen Ablenkung der internationalen Aufmerksamkeit von den inneren Entwicklungen in Frankreich, der sich bis 1791 hinziehenden Bereinigung der „Altlasten" und dem Fehlen einer gewiß oft beschworenen, in Wahrheit aber nur schwach ausgebildeten „Fürstensolidarität" verdankte gerade die Revolution das politische Überleben bis zu ihrer Konsolidierung. Die Voraussetzungen für die totale Destabilisierung der bis 1787 erstaunlich soliden politischen Konstellationen aber hatte nicht zuletzt der machtpolitische Verfall Frankreichs im Zeichen der inneren Krise geschaffen. Wie anders als durch einen stürmischen Prozeß der Anpassung sollte sich das Staatensystem auf das plötzliche Ausscheiden Frankreichs aus der Pentarchie der Großmächte und den Wegfall einer tragenden Säule einstellen?

24

Kaunitz an Schlick (6. 1. 1787; SA Dänemark 69 Konv. Weisungen 1787), an Kageneck (11. 1. 1787; SA Spanien DK 118 Konv. 6), an Cobenzl (13. 2. 1787; SA Rußland II Weisungen 174 Konv. Expeditionen 1787). „Réflexions sur les circonstances réciproques des cours de Vienne et de Berlin ainsi que sur celles des deux cours impériales et de la France" (25. 3. 1787; StK Vorträge 143 Konv. 1787 III IV). Instruktion für Graf Stadion (28. 9. 1787; SA Schweden 68 Konv. 1786 1787/3). Instruktion für Graf Merode (8. 12. 1787; SA Holland 94 Instruktionen).

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1. Der „Kalte Krieg" - Die Resistenz des österreichisch-preußischen Erbfeindparadigmas

a) Neu bleibt Alt Der Tod Friedrichs II. von Preußen im August 1786 schien zunächst den Charakter einer Zäsur im Verhältnis der alten Erbfeinde Österreich und Preußen annehmen zu können. Aus dem Kreis um Kaiser Joseph II. kamen bereits gegen Jahresende 1786 Überlegungen zu einer Aussöhnung, ja zu einer Allianz mit Preußen; schon in den siebziger Jahren hatte ja die österreichische Diplomatie in Berlin den Kronprinzen Friedrich Wilhelm zu umgarnen versucht, ihm sogar das eine und andere Mal aus Geldverlegenheiten geholfen. Einmal vereinigt, hieß es in einer Denkschrift, die der Kaiser mit der Bitte um Begutachtung Anfang Dezember 1786 Staatskanzler Kaunitz unterbreitete, könnten Österreich und Preußen nahezu unüberwindlich sein und zu regelrechten „arbitres de l'Europe" aufsteigen, der allgemeine Friedensstand unterläge dann hauptsächlich ihrer beider Willen. Die alten Rivalen wären endlich von der störenden und staatsschädlichen Bedrohung durch den jeweils anderen befreit, man könne sich in aller Ruhe der Kultivierung der inneren Verhältnisse zuwenden; gleiche Nationalität, Sprache und gemeinsame christliche Kultur der Einwohner beider Staaten müßten die Annäherung und Aussöhnung erleichtern und befestigen. Schwer verständlich erschien Joseph II., warum man bisher an diese Möglichkeit eines Ausgleichs nicht ernstlich gedacht hatte, wohl, wie er nun vermutete, weil Maria Theresia und Friedrich II. die Geschehnisse seit 1740 unmöglich vergessen konnten. Jetzt, nach dem Tod der beiden Herrscher, eröffneten sich neue Perspektiven, die Problematik des bilateralen Verhältnisses „froidement et sans prévention" zu betrachten. In seiner Entgegnung sprach sich der Staatskanzler in sonst nur selten zu findender heißblütiger Vehemenz gegen die Idee Josephs aus. Eine preußische Allianz mußte Österreich um seine bisherigen Alliierten bringen und damit eine internationale Krise provozieren, die wohl weniger zur gewünschten Abrüstung, als vielmehr zu weiterer Aufrüstung und damit zu erhöhten Ausgaben führen würde. Die Österreichischen Niederlande und die Vorlande - einst traditionelle Bruchzonen gegen Frankreich - waren dann aber akut gefährdet, auch Galizien und Ungarn von russischer bzw. türkischer Seite bedroht, dafür jedoch alle Möglichkeiten zu territorialer Vergrößerung verlegt, da Österreich und Preußen auch als Verbündete dem jeweils anderen keine Erwerbungen konzedieren konnten. Ganz Europa würde sich zwangsläufig gegen das gleichgewichtsstörende Bündnis zwischen Wien und Berlin stellen. Eine völlige Neugewichtung des europäischen Äquilibriums mußte die Folge sein.

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In den Augen des Staatskanzlers waren und blieben die dem österreichischen Staatskörper von Preußen zugefügten Wunden unvergeßlich, bildete die traditionelle Erbfeindschaft den Grundbaustein des gesamten außenpolitischen Systems. Eine Beseitigung der preußischen Bedrohung hielt er nur für möglich „par la destruction ou tout au moins par un affaiblissement très considérable de la puissance prussienne". Die bisherige Feindschaft war aber, wie Kaunitz zu unterstreichen sich beeilte, keineswegs nur von irrationalen Gefühlen der Souveräne und ihrer Minister bestimmt, sondern beruhte auf begründeten Raisonnements, und diese hatten Gültigkeit ,jusqu'à ce qu'il arrive que l'une des deux puissances devienne la subalterne de l'autre." Ein Herrscherwechsel alleine konnte daher nicht wirklich zu einer Änderung in der „existence politique" der Staaten führen: „Les intérêts diamétralement opposés restant toujours les mêmes et les deux puissances ne pouvant avoir qu'un seul intérêt commun, c'est-à-dire sinon la destruction, au moins Γ affaiblissement assès considérable de l'une pour qu'elle ne puisse plus être redoutable à l'autre", gab es für Fürst Kaunitz an der Leitmaxime österreichischer Außenpolitik nichts zu rütteln, mithin auch gar keinen Grund, die bestehenden Allianzsysteme Österreichs durch eine letztlich sterile Annäherung an den Erbfeind zu gefährden. Der Kaiser kam nach der Standpauke durch den Fürsten - wenigstens äußerlich - rasch von seinen österreichisch-preußischen „Rêverien" ab, die er zwar selbst für noch unverdaut gehalten, von denen er sich aber doch „avantages incalculables" versprochen hatte. Auch in den folgenden Jahren vergaß der Fürst in nahezu keiner Weisung, keiner Instruktion auf die scharf anti-preußische Ausrichtung der Wiener Politik hinzuweisen, ja sie recht eigentlich zu beschwören; man müsse, hieß es etwa im Dezember 1787 in einer Instruktion für den nach Den Haag bestimmten k.k. Gesandten, Preußen als den „gefährlichsten Feind und Rivalen im Herzen" ansehen, dürfe es aber äußerlich nicht zeigen, um Berlin in Sicherheit zu wiegen25. In der Tat ist es auch auf preußischer Seite keineswegs zu einer Aufgabe der alten österreichfeindlichen Linie gekommen26. Im Gegenteil: Unter der 25 Billet des Kaisers mit „Réflexions" über den Vorteil einer Allianz zwischen Österreich und Preußen vom 6. 12. 1786 (14 Punkte), Kaunitz an Joseph II. (7. 12. 1787) mit ksrl. Apostille und die definitive Antwort des Staatskanzlers (10. 12. 1786) mit „Très-humbles observations du prince de Kaunitz-Rietberg sur les réflexions que Sa Majesté Impériale a bien voulu lui communiquer" und ksrl. Apostille: StK Vorträge 142 Konv. 1786 XII; die Denkschriften von Kaiser und Staatskanzler abschriftlich auch in StK DK Preußen Collectanea Borussica 202, gedr. bei Ranke 1875, 497 - 503. - Instruktion für Merode (8. 12. 1787; SA Holland 94 Instruktionen). - Ranke 1875, 207 - 217, Küntzel 1923, 79ff. 26 Eine wissenschaftlich befriedigende Biographie Friedrich Wilhelms II. liegt nicht vor. Vgl. einstweilen - z.T. sehr fehlerhaft - Bissing 1967 und spezieller Kunisch 1988. Besonders bedauerlich ist das Fehlen einer eingehenden Untersuchung der Machtkämpfe am preußischen Hofe und der zunehmenden Ausschaltung bzw.

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Ägide des Kabinettsministers Ewald Friedrich Freiherrn (1786 Graf) Hertzberg (1725 - 1795), der nach Jahrzehnten des oft kränkenden Kommisdaseins unter Friedrich II. nun sein Programm zum weiteren territorialen Ausbau Preußens zu verwirklichen gedachte, erhielt die preußische Außenpolitik mehr und mehr einen hektisch-aggressiven Zug, der sie von der zuletzt von Friedrich II. gesteuerten vorsichtigen Linie merklich unterschied. Wie auf österreichischer Seite Kaunitz weiterhin über die Jahrzehnte das Ruder der Außenpolitik in Händen behielt und damit die antipreußische Orientierung der Staatskanzlei verbürgte, so war auf preußischer Seite das Kabinettsministerium als - der Wiener Behörde freilich in keiner Weise ebenbürtige - „Schaltzentrale" der preußischen Außenpolitik fest unter der Kontrolle zweier altgedienter Staatsdiener, des Grafen Karl Wilhelm Fink von Finkenstein (1714 - 1800) (seit 1749), gemeinsam mit Prinz Heinrich von Preußen das Haupt der frankreichfreundlichen Partei, und eben des Grafen Hertzberg (seit 1763), der einen deutlich österreichfeindlichen Kurs befürwortete. Die Fortführung alter Traditionen war damit gesichert. Allerdings hatte die autokratische Regierung Friedrichs II. aus dem Kabinett in Preußen keine selbständige Gestaltung der Außenpolitik durch die Minister gestattet, wie sie Kaunitz in Wien lange Zeit führte, Hertzberg sich daher - von Friedrich II. mehrfach zurückgesetzt und verletzt - bereits vor 1786 dem Thronfolger genähert und mit außenpolitischen Denkschriften und Memoranden dem Tage X vorgearbeitet. Mit Erfolg: Denn wirklich erreichte Hertzbergs Einfluß langsam 1787/88 seinen Höhepunkt, um dann in den Folgejahren wieder abzunehmen, von Anfang an jedoch bedroht von den beiden mächtigsten Günstlingen des neuen Königs, dem ehemaligen Prediger Johann Christoph von Wöllner (1732 - 1800), Staats- und Justizminister, Chef des Geistlichen Departements und des Oberschulkollegiums, und dem Obersten und Flügeladjutanten, seit 1789 Generaladjutanten des Königs, Johann Rudolf von Bischoffwerder (1741 - 1803), die Friedrich Wilhelm mit ihren „Mysterienspielen" (W. Hubatsch) seit der Kronprinzenzeit in den Bann des Rosenkreuzerordens gezogen hatten27. Zurückdrängung des Kabinettsministeriums durch die politisch aktiven Günstlinge Friedrich Wilhelms II. Nützliche Dienste leistet jedoch: Koser 1921. Person und Politik Hertzbergs als der Schlüsselfigur der preußischen Außenpolitik bis 1790 sind gut ausgeleuchtet, bleiben aber in ihrer Gesamteinschätzung sehr kontrovers: Duncker 1877, Bailleu 1879 b, Wittichen 1906, Krauel 1899, Preuß 1909, Klueting 1986, 236 - 273, ders. 1988. Zur preußischen Administration vgl. Hüffer 1892, Kohnke 1978 und ganz allgemein Hubatsch 1983. 27 Besonders Wöllner begriff das Rosenkreuzertum als Machtinstrument zur Kontrolle des Königs und zur Durchsetzung einer anti-aufklärerischen Innenpolitik, die also keineswegs erst eine Reaktion auf eine allfällige revolutionäre Bedrohung aus Frankreich nach 1789 gewesen ist. In Berlin hatte schon das Edikt von 1788 („Wöllnersches Religionsedikt") gegen die „zügellose Aufklärung", gegen „Glaubenslosigkeit" und „Sittenverderbnis" - gefolgt von einem strengen Zensuredikt -

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Im Umkreis Kaiser Josephs Π. war ungeachtet aller Skepsis der Gedanke an einen Ausgleich mit Preußen auch nach Kaunitz* Standpauke vom Dezember 1786 nicht vollends fallen gelassen worden. Noch im Februar 1787 diskutierten der Kaiser, Staatsvizekanzler Cobenzl und Hofrat Spielmann - von der Sinnhaftigkeit einer Aussöhnung mit Preußen, „le seul bon parti à prendre", überzeugt - im geheimen und hinter dem Rücken Kaunitz' Möglichkeiten und Optionen, rechneten aber stets mit dem hartnäckigen Widerstand des Staatskanzlers für den Eventualfall. Kaunitz wurde indes nicht müde, die Unmöglichkeit einer Vereinigung, ja selbst eines entspannten Verhältnisses mit Preußen zu unterstreichen, und legte dem Kaiser sicherheitshalber nochmals die scheinbar unveränderlichen Bewegungsgesetze des europäischen Bündnissystems dar: nicht den Abglanz einer „liaison sincère" sah der Fürststaatskanzler zwischen Berlin und Wien für möglich an, sondern weiterhin nur das Bestreben um Vernichtung oder zumindest um Schwächung des Gegners - alles andere sei „positivement la chose impossible", bemerkte er in einer Denkschrift vom März 178728. Kaunitz sah daher auch keinen Sinn darin, auf einen vom königlichen Generaladjutanten Oberst Bischoffwerder im Sommer 1787 auf verschlungenen Wegen lancierten Vorschlag zu einer Entrevue zwischen dem Kaiser und Friedrich Wilhelm Π. einzugehen. Das persönliche Treffen sollte angeblich den schwerfälligen Weg der ministeriellen Explikationen unterlaufen und stand mit der sich zuspitzenden Lage in der Holland-Krise in Zusammenhang (vgl. S. 150ff.). Der Staatskanzler vermißte in der preußischen Anregung „die innerliche Reinigkeit der Absichten"; ihn erboste nicht nur die Art, wie Preußen das Ansinnen unterbreitet hatte - der Kaiser sollte den ersten Vorschlag zu einem Geheimgespräch machen! Nach Meinung Kaunitz' verdiente der neue König von Preußen anders als sein Onkel und Vorgänger keineswegs die Achtung Josephs II., und selbst wenn durch das Treffen eine persönliche Freundschaft zwischen den Monarchen begründet werden konnte, änderte dies nichts an den andauernd beschworenen Geboten des politischen Systems. Ein Antrag des Kaisers auf ein Treffen mit Friedrich Wilhelm II. war daher nicht nur unter der Würde Wiens, sondern sicher auch nutzlos, ja gegenüber Versailles und Petersburg kompromittierend. Hier vermutete der Staatskanzler auch die eigentliche Absicht den Versuch markiert, das zu freie Klima der spätfriderizianischen achtziger Jahre deutlich einzuhegen und der radikalen, ins Politische wirkenden Aufklärung den Kampf anzusagen. Vgl. Valjavec 1953, Bissing 1967, 152 - 157. Die Miszelle von M[ax] L[ehmann] 1889 bezieht sich nur auf Wöllners ablehnende Haltung gegen den Frankreichkrieg seit 1792. 28 Ph. Cobenzl an Joseph II. (23. 2. 1787; Druck: [Brunner] 1871, 61 f.), „Réflexions sur les circonstances réciproques des cours de Vienne et de Berlin ainsi que sur celles des deux cours impériales et de la France" (25. 3. 1787): StK Vorträge 143 Konv. 1787 I - II bzw. Konv. 1787 III - IV.

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Berlins. Auf den zu treuherzigen k.k. Gesandten in Berlin, „ce pauvre prince de Reuss", fiel nun ein Teil der Kaunitzschen Irritation zurück; der Staatskanzler fand ihn „un peu mou, terriblement prussien et archiantigallican" und empfahl ihm, mit etwas mehr innerlichem Mißtrauen zu agieren. Die Neigung des Kaisers aber für eine Absprache mit Preußen, durch die sich Joseph friedlich zu arrondieren und andererseits von Frankreich unabhängiger zu machen gedachte, war immer noch nicht restlos beseitigt, während der Staatskanzler seine Preußenfeindlichkeit bis ins Starrsinnige trieb, was mitunter auch zu einer bewußten Geringschätzung diplomatischer Courtoisie führte. Denn: Je mehr Achtung man Preußen erweise, so Kaunitz, desto eher werde es hochnäsig und gehe davon aus, daß Österreich ängstlich sei und die Feindschaft mit Berlin - „éternellement systématique" - ins Wanken gerate29. Für Kaunitz bestand schon im ruhigen März 1787 keinerlei Zweifel, daß die preußische Politik „unausgesetzt von Haß und Eifersucht geleitet wird und immerfort dahin abzielet, wider uns allenthalben Mißtrauen und Beysorge zu verbreiten. Im Grunde scheinet zwar das Berliner Sistem in der That friedfertig und von aller Selbstveranlassung eines Krieges gegen Seine Kaiserliche Majestät entfernet, gleichwohl aber immer so beschaffen zu seyn, daß man auf den Fall, wenn unser Hof mit einem dritten in irgendeinigen emsthaften Irrungen verwickelt wäre, schwerlich verabsäumen dürfte, diese Gelegenheit zu benützen und durch eine thätige Diversion im Trüben zu fischen."

Wesentliche Unterstützung für Preußens antiösterreichische Politik, besonders für seine Bemühungen um Stärkung und Ausbau des Fürstenbundes bedeutete dabei „die ganz unbegreifliche Blindheit und man darf sagen: wahre Tollsinnigkeit der englischen Politik". Ohne sich in eine britische Allianz einzulassen, also ohne es sich nachhaltig mit Frankreich verderben zu müssen, konnte Preußen das Wohlwollen des englischen Königs, der mit Leib und Seele am Fürstenbund hing, instrumentalisieren und mußte sich weiter nicht um das damit in Widerspruch stehende Buhlen des englischen Kabinetts um die Gunst Wiens und Petersburgs kümmern; solange dieser „Unsinn" in London obwaltete, durfte man - so die Maxime des Staatskanzlers - die „preussische Association", wie man den Fürstenbund auch spöttisch nannte, nicht auf die leichte Schulter nehmen, mußte vielmehr alles tun, um sie zu schwächen und ihr Mitglieder abspenstig zu machen. Dabei war die Berliner Politik in doppelter Hinsicht gefährlich, denn nicht 29 Joseph II. an Kaunitz (17. 8. 1787), Kaunitz an Joseph Π. (18. 8. 1787) mit Beilagen zur Vorgeschichte, Joseph Π. an Ph. Cobenzl (25. 9. 1787; Druck: [Brunner] 1871, 66): StK Vorträge 144 Konv. 1787 VIII - IX. Ph. Cobenzl an Kaunitz mit dessen unversöhnlich antipreußischen Bemerkungen (5. 1. 1788; GK 406 Konv. A; Druck: [Schiitter] 1899a, 48f.). Kaunitz an Reuß (23. 8. 1787; StK DK Preußen 65 Konv. Weisungen 1787). 10 Hochedlinger

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nur die im Aufbau begriffene Achse Berlin-London bedrohte Wiens Politik. Es gab auch eine starke französische Partei, die in Versailles heftig warb. Doch Kaunitz gab sich beruhigt: das österreichisch-französische Allianzsystem sei „auf allzufeste Pfeiler des wechselseitigen wesentlichsten Staatsintereße" gegründet, so daß die Ambitionen der „Franzosen" am Berliner Hof noch lange „fromme Wünsche" bleiben mußten; und eine offene Allianz mit London würde für Preußen in Frankreich alles verderben - ein Kalkül, das durch den machtpolitischen Verfall Frankreichs arg durcheinandergeraten sollte. Auch in Konstantinopel wähnte die Staatskanzlei natürlich preußische Wühlarbeiten am Werk. Berlin suche Einfluß zu gewinnen, hieß es, um sich nach Zeit und Umständen die Möglichkeit einer osmanischen Diversion gegen die beiden Kaiserhöfe offenzuhalten; die Pforte hatte angeblich bereits einen förmlichen Allianzantrag gemacht, dem Berliner Hof gehe es allerdings nur darum, „die Türken alsdann, wenn eine ihrige Diversion ihm nützlich zustatten kommen könnte, durch eine Allianz auf seiner Seite zu haben, im umgekehrten Falle aber sie mit leeren Worten abzuspeisen." Die Staatskanzlei, jedenfalls aber Kaunitz, schmeichelte sich gegen alle preußischen Intrigen mit dem tröstlichen Gedanken, daß die Hohenzollernmonarchie als durch das Mißverhältnis von Bevölkerungszahl, Heeresstärke, schmaler territorialer Grundlage und Großmachtstellung heillos überspanntes Staatsgebilde, als künstliche Schöpfung, als „puissance éphémère" mit dem Tode des großen Königs ihren Rang in der europäischen Mächtelandschaft langsam wieder einbüßen würde. Insoferne näherte man sich der überaus kritischen Sicht des preußischen Staates durch Mirabeau in seiner „Monarchie prussienne". Dem k.k. Gesandten in Berlin wurde dementsprechend ab März 1787 eingeschärft, seine Hauptaufmerksamkeit müsse sich richten „auf die gründliche und soviel möglich zuverläßige Beurtheilung der Frage [...], ob und inwieweit zu erwarten sey, daß unter der Regierung des dermaligen Königs eine von allen Seiten so künstlich zusammengesetzte, im Grunde überspannte, nur durch die genaueste Sparsamkeit, strengste Ordnung und größte Activität aufrechtzuerhalten mögliche Maschine, wie die preussische Staatsverfassung ist, mehr oder weniger abnehmen, lockerer werden und in Verfall kommen wird."

Entsprechende Anekdoten über „die schwachen Gemüths- und Regierungseigenschaften" des neuen Königs von Preußen machten Hoffnung auf Entkräftung und Zerrüttung des preußischen Staates, legten aber zugleich die Vermutung nahe, daß der König die Geschäfte jenen überlassen wollte, die die Maximen der letzten Regierung fortführten; peinliche Mätressenwirtschaft, von Joseph II. als „farces" belächelte Geisterbeschwörungen des neuen Vertrautenkreises und träge Arbeitsunlust charakterisierten für die Wiener Verantwortlichen schon damals Friedrich Wilhelm II. „Fridrich der

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Zweyte existirt nicht mehr, und sein Nachfolger hat sich bisher in allen seinen Handlungen forchtsam, schwach und schwankend gezeiget", freute man sich in der Staatskanzlei noch im August 1787 in einer Weisung nach Petersburg. Die Kränkung Frankreichs durch die Holland-Expedition des Jahres 1787 und das Einschwenken Berlins auf die britische Linie, von denen im folgenden noch zu handeln sein wird, mögen tatsächlich schwere politische Fehler, der Tod Friedrichs II. und die Thronbesteigung eines angeblich arbeitsfaulen Weichlings harte Schläge für den preußischen Staat gewesen sein; 1790 stand aber nicht die angeblich überspannte „Staatsmaschine" der Hohenzollern, sondern die habsburgische „monarchia austriaca" vor Zerfall und Auflösung 30.

b) Das Reich als Kampfplatz Kaunitz blieb also hartnäckig bei seiner borussophoben Grundhaltung, worin ihn auch wirklich sämtliche internationalen Entwicklungen zu bestätigen schienen. Allerorts flackerten preußische Intrigenherde auf. So erfuhr man im Februar/März 1787 von dem phantastisch anmutenden Plan, dem zweitgeborenen Prinzen von Preußen die Mainzer Koadjutorie zu verschaffen, wohl, vermutete man in Wien, um so eines Tages in den Besitz des Reichserzkanzleramtes zu gelangen, das in den Händen Berlins sicher von ganz anderer Kraft und Wirkung sein mußte, „als es je in den Händen eines vorhinnigen Privatkapitularen seyn kann". Aber vielleicht steckte noch mehr dahinter: über den Erwerb von Würzburg und Bamberg wollte Berlin vielleicht nach der früher oder später erwarteten Einziehung der fränkischen Markgrafschaften Ansbach und Bayreuth eine starke Position in Süddeutschland gewinnen. Die Staatskanzlei erwartete sich dabei auch vom Mainzer Kurfürsten, „ce fou enragé", wie Joseph II. ihn nannte, „alles mögliche Gehässige". Ja man wähnte in Wien sogar den Papst mit im Bunde und begann trotz der Skepsis des Kaisers, der hier einen Schachzug des Mainzer Kapitels selbst witterte, um die preußische und die österreichische Partei gegeneinander auszuspielen und so in den Genuß von Bestechungsgeldern zu kommen, Gegenmaßnahmen einzuleiten, im Mainzer Domkapitel Stimmung zu machen. An der Ausmalung ärgerlicher Szenarien wollte man sich gar nicht sattsehen: Die Berufung eines 14jährigen preußischen Prinzen zum Koadjutor könne bei der prekären Gesundheit des Kurfürsten Friedrich Karl von Erthal (1719 - 1802) gefährliche Folgen haben, es drohe die Wahl eines minderjährigen Kindes zur Würde des ersten geistlichen 30 Joseph II. an Mercy (2. 1. 1787; Druck: A&F 2, 60 - 64); Kaunitz an Reuß (10. 3. [Zitat], 10. 7. 1787; StK DK Preußen 65 Konv. Weisungen 1787), an L. Cobenzl (30. 8. 1787; SA Rußland II Weisungen 174 Konv. Expeditionen 1787), an Thugut (6. 1. 1788; SA Neapel Weisungen 23).

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Kurfürsten, des ersten Erzbischofs und Erzkanzlers des Reiches - für die ganze katholische Welt ein Skandal. Die im April 1787 erfolgte Wahl des Statthalters von Erfurt, des Freiherrn Karl Theodor von Dalberg (1744 1817), zum Koadjutor, der sich gegen einen preußischen Kandidaten durchsetzte, empfand die Wiener Politik daher zunächst als große Erleichterung. Man stellte dem neuen Koadjutor auch entsprechend günstige Zeugnisse aus und bemühte sich um dessen weitere Gewinnung für die österreichische Sache, wofür sich der „Exzeß seines Patriotismus" - will sagen sein Engagement für eine echte Reichsreform - als Ansatzpunkt zu eignen schien; der Kaiser aber verlachte Dalbergs Reichsreformpläne als „Hirngespinnste", die doch letztlich auf eine Beschneidung der kaiserlichen Position hinausliefen. Der Beitritt Dalbergs zum Fürstenbund im Juni 1787 bedeutete dann einen verheerenden Schlag ins kaiserliche Antlitz, blieb doch der Fürstenbund in den Augen der Staatskanzlei „une des choses les plus haineuses", die der Berliner Hof je ersonnen habe; er hielt das Reich mit in jener allgemeinen Gärung, die die Staatskanzlei so beklagte. Joseph Π. war bis zum äußersten irritiert und hielt mit seiner „Verachtung über seine [Dalbergs] entlarvte Falschheit" nicht zurück. Fürst Kaunitz aber zeigte sich weiterhin sehr gemäßigt und lobte die Reformpläne Dalbergs für das Reich, die in seinen Augen eine Anwendung der josephinischen Reformen auf den Reichskörper bedeuteten und für den Reichstag endlich eine „nützliche Beschäftigung" brächten31. Preußische Intrigen und zweibrückische Machinationen unterstellten dem Wiener Hof schon seit Jahresanfang 1787 ein Wiederaufwärmen des alten Tauschplanes, der Bayern gegen Abgabe der belgischen Provinzen an Österreich bringen sollte. „Mittels Versprechung goldener Berge", behauptete man, sei Wien wieder in Zweibrücken tätig geworden, um dort die alten Gegenstimmen zum Verstummen zu bringen. Eilig erhielten die k.k. Diplomaten Weisung, die böswilligen Gerüchte zu dementieren, für die Joseph II. die Trias der verhaßten „fripons" Hertzberg, des sächsischen Ministers Stutterheim und des zweibriickischen Geheimen Rates und „Erz31

Vortrag Kaunitz (12. 2. 1787; Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./ 1787; Druck: [Beer] 1873, 246 - 250), dto. (5. 3., 4. u. 7. 4., 17. 5., 14. 7. 1787), Joseph II. an Kaunitz (23. 10. 1787): StK Vorträge 143 Konv. 1787 I - II, III - IV, V - VII u. X; Kaunitz an Joseph II. (24. 7. 1787; FA SB 70 Konv. NW KaunitzJoseph II./1787; Druck: [Beer] 1873, 278). Joseph II. an Leopold (5. 3. 1787), Leopold an Joseph II. (16. 3. 1787): [Arneth] 1872, Bd. 2, 71 f., 75 - 77. - Kaunitz an Metternich (3. 4., 29. 5. 1787; StK DK Reich Weisungen 250 Konv. Weisungen 1787). Joseph II. an Trauttmansdorff (5. 5., 13. u. 18. 7. 1787; Druck: [Schiitter] 1902, 1 - 5 u. 534 - 547). Kaunitz' vernichtende Kritik am Kurfürst-Erzbischof von Mainz in Kaunitz an Schlick (26. 9. 1788; StK DK Reich Weisungen 250 Konv. Weisungen 1788/89). - Noailles an Montmorin (24., 31. 3., 7., 14. 4. 1787; AMAE CP Autriche 352). - Ranke 1875, 253 - 269, Herse 1907, Aretin 1963, Blanning 1974, 210 - 240.

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intriganten" Johann Christian von Hofenfels (1744 - 1787) verantwortlich machte. Generell sollte wohl mit solchen „Andichtungen", wie die Staatskanzlei bitter klagte, „eine gehäßige Aufsichtigkeit wieder uns gespannt" bleiben, mit der Zweibrücken vielleicht Preußen und Frankreich ohnehin nur als Geldquellen für die Prodigalität des zweibrückischen Herzogs anzapfen wollte. Im August 1787 durfte man sich zwar über den Tod Hofenfels' freuen, noch im Dezember 1787 lebten aber die altbekannten Unterstellungen zu Wiener Ländertauschplänen wieder auf, „in zwei Jahren nun gewiß schon zum dreisigsten Mal". Auch andere fantomhafte Gerüchte belasteten das Klima, „alle von der Art, daß nicht zu begreiffen ist, wie man solche armselige Ränke der Politik eines großen Hofes und irgendeines vernünftigen Staatskabinets einen Augenblick nur beimeßen konnte." Marchese Girolamo Lucchesini (1751 - 1825) bereiste 1787/88 Italien im Zuge einer „gehässigen" antiösterreichischen Werbemission der Preußen, bearbeitete in Rom den Papst, auch um dessen Zustimmung für die Wahl eines Koadjutors in Mainz zu erreichen, und vermittelte sogar aus primär anti-österreichischen Überlegungen im Auftrag seines Königs im Nuntiaturstreit zwischen dem Mainzer Kurfürsten und dem Hl. Stuhl - letztlich ohne Erfolg; selbst die Schweizer Kantone, ja sogar Sardinien sollten, so vermutete die Staatskanzlei im Dezember 1787, von Lucchesini zum Eintritt in die „endzweckloße Ligue Germanique" beredet werden, die ja im österreichischen Verständnis als rein „preußischer Bund" nur der Instrumentalisierung der Reichsstände gegen Österreich diente32. Daß die Verdachtsmomente gegen das Haus Österreich und seine Ambitionen, im Reich verstärkt Fuß zu fassen, nicht ganz ohne Grund, preußische Gegenmaßnahmen also berechtigt waren, zeigte sich in einer Denkschrift Kaunitz' aus dem Jahre 1787, in der er die großen außenpolitischen Ereignisse und Weichenstellungen seit 1765 Revue passieren ließ. Hierin enthüllt sich, welch weitaussehende Gedanken hinter den seit 1779 eingeleiteten Bemühungen um die schließlich 1780 erfolgte Wahl von Erzherzog Max Franz, seit 1769 bereits Koadjutor seines Onkels, des Hoch- und Deutschmeisters Karl Alexander von Lothringen (1712-1780), zum Koadjutor in 32

Vortrag Kaunitz (2. 8. 1787; StK Vorträge 144 Konv. 1787 VIII). Kaunitz an Mercy (7. 2. [wie Anm. 11], 18. 3. 1787 [wie Anm. 15]), Kaunitz an Mercy P. S. (18. 3. 1787; wie Anm. 15); Joseph II. an Mercy (18. 3. 1787; wie Anm. 15). Kaunitz an Schlick (26. 3. 1787; SA Dänemark 69 Konv. Weisungen 1787), an Gherardini (17. 12. 1787; SA Sardinien Weisungen 32), an Reuß (31. 12. 1787; StK DK Preußen 65 Konv. Weisungen 1787). Leopold an Joseph II. (1. 8. 1787; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 101 - 104). - Vergennes an Noailles (4. 2. 1787), Noailles an Vergennes (19. 2. 1787), an Montmorin (10. 6., 5. 12. 1787, 12., 30. 1. 1788), Montmorin an Noailles (5. 2. 1788): AMAE CP Autriche 352, 353, 354. - Immich 1895, 143 - 171, Marmottan 1908, hier 41 - 47, Höhn 1925, 10 - 18. Über Hofenfels vgl. zuletzt zusammenfassend Ammerich 1996.

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Köln und Münster standen; „mit Zuhilfnehmung eines bey solchen Gelegenheiten unvermeidlich nothwendigen hinlänglichen Geldaufwandes" hatte man sich letzten Endes durchgesetzt und in Summe fast 950.000 Gulden ausgegeben, wozu noch die von 1780 - 1784 an den Kurfürsten von Köln, Maximilian Friedrich von Königseck-Rothenfels (1761 - 1784) zu zahlende Pension von 50.000 Gulden jährlich kam. Eine Versorgung des Erzherzogs über das ihm 1780 endlich zugefallene Deutschmeistertum hinaus und die Ersparung der Hausapanage waren dabei nur Nebensächlichkeiten. Wesentlich schien die antipreußische Gesamtstrategie: Durchkreuzung der Ambitionen der preußischen Partei auf Münster und Köln, Sicherung einer weiteren „österreichischen" Stimme im Kurkolleg, Kontrolle des Direktoriums des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises, Aufwertung des Erzhauses im kaiserfernen Norddeutschland, strategische Kontrolle des Rheins in Köln, Bedrohung der offenen westfälischen Provinzen Preußens und der enklavierten preußischen Territorien und Rückhalt für die Österreichischen Niederlande. Im Jahre 1784 konnte Max Franz Kurfürstentum und Bischofsstühle wirklich in Besitz nehmen33. 2. Die preußische Intervention in Holland und die Formierung der Tripelallianz

a) Die „Revolution " in den Vereinigten Niederlanden im Schnittpunkt der europäischen Mächtepolitik Der 4. Englisch-Niederländische Seekrieg von 1780 - 1784 hatte neben einer bitteren Niederlage der Vereinigten Provinzen auch eine Verschärfung des innenpolitischen Klimas gebracht. Seit 1782/83 verstärkte sich jene Bewegung, die die Rechte des Statthalters aus dem Hause Oranien beschneiden und den seit dem Ende der statthalterlosen Zeit 1747 semimonarchischen Zustand im Sinne einer „konstitutionellen Wiederherstellung" korrigieren wollte 34 . 33

Vortrag Kaunitz/Beilage (7. 8. 1787; StK Vorträge 144 Konv. 1787 VIII). Braubach 1961, 51 - 64, Baum 1973, Beales 1987, Bd. 1, 425 - 431, Aretin 1993/ 97, Bd. 3, 212 - 216. 34 Insgesamt zum Folgenden neben der genannten Literatur über Hertzberg (bes. Bailleu 1879b, 448 - 463, 478 - 481) u.a. : [Auckland] 1866, Ranke 1875, 218 252, Witt 1886, Barral-Montferrat 1894, 177 - 255, Peyster 1905, Rose 1909b, Ward/Gooch 1922, Bd. 1, 159 - 181, Lodge 1923, 158 - 183, über den für das englisch-preußische Verhältnis in dieser Zeit besonders wichtigen britischen Diplomaten Joseph Ewart ebd. 208 - 212, Geyl 1971, Ehrman 1984, Bd. 1, 520 - 536, Carter 1975, 89 - 112, Black 1987a, ders. 1984b, 293 - 302 (Neubewertung der Rolle Carmarthens gegenüber Pitt), ders. 1994, 130 - 155, Saas 1992, Murphy 1998, 80 - 96. Im größeren Zusammenhang bei Palmer 1959/1964, Bd. 1, 324 - 340. Die frz. Politik in den Niederlanden im 18. Jahrhundert thematisiert Coque Ile 1902 und mit prä-

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Weite Teile des städtischen Patriziates, Familien, die die Institutionen der Urbanen Zentren und folglich auch der meisten Provinzen kontrollierten (die sog. „Regenten"), stellten sich mehr und mehr gegen den Statthalter Wilhelm V. von Oranien; ihren Schwerpunkt hatten die oranje-feindlichen „Regenten" in Amsterdam. Bereits während des Unabhängigkeitskampfes der nordamerikanischen Kolonien war es die Hauptstadt Hollands gewesen, die zum Bruch mit England gedrängt, die traditionelle Abhängigkeit von London vehement bekämpft und deren Galionsfigur, den Statthalter, der Aufopferung „nationaler Interessen" beschuldigt hatte. Eine neue Kraft schaltete sich in rasch brüchig werdender Koalition mit den »Regenten4 seit den frühen achtziger Jahren in diesen Konflikt zwischen , staatsgezinden4 (der Partei der Stände und Provinzen) und den oranjetreuen, v.a. auch in den sozial schlechter gestellten Bevölkerungsschichten verwurzelten ,stadhoudergezinden4 ein: die »Patrioten4, „bourgeois democrats44 (A. Cobban), mit einer deutlichen „demokratischen Orientierung44 ihrer Anliegen, die auf eine Erweiterung des politischen Lebens unter Einbeziehung der bislang weitgehend ausgeschlossenen „Mittelklasse44 abzielten, die „Verprivatisierung" der Spitzenämter ablehnten und auch gegen den hergebrachten, wichtige Funktionen für Angehörige der holländischen reformierten Kirche reservierenden religiösen Rigorismus ankämpften. Diese »Patrioten4 mit ihrer Hochburg in Utrecht rekrutierten sich überwiegend aus dem wohlhabenden Bürgertum (Bankiers, Händler, Professoren der Universitäten Leiden und Utrecht), schufen z.T. grobe Organisationsstrukturen und stellten schon seit 1783 paramilitärische Verbände (Freikorps) auf. Seit Mitte der achtziger Jahre erreichte der innenpolitische Konflikt in den nördlichen Niederlanden ein Ausmaß, das schon 1786 eine Aufspaltung der Vereinigten Provinzen nicht mehr ausgeschlossen erscheinen ließ. Holland, Groningen und Overijssel bildeten das Kerngebiet der Patrioten und Oranjegegner. Ab 1786 kam es in verschiedenen Provinzen, v.a. aber in Utrecht, zu ersten bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Freikorps der Patrioten und den Truppen des Statthalters, dessen Hochburgen in Friesland, Seeland und Geldern lagen. Schon im September 1785 hatte das Statthalterpaar Den Haag verlassen und sich nach Geldern zurückgezogen. ziserem Fokus [André /Bourgeois] 1924, 357 - 392. Die .sich um die Hollandkrise entspinnenden Grabenkämpfe im frz. Ministerium hat jüngst Price 1995 a, 187 222, ders. 1995 b ausgeleuchtet. Das heillose Wirrwarr europäischer Diplomatie und den extrem hohen Anteil von Mißverständnissen, Wahrnehmungsfehlern und Zufällen an der Gestaltung der Ereignisse hat wohl am besten und eingehendsten Cobban 1954 a eingefangen. Schama 1977, 64 - 135 ist für das Verständnis des schwer faßlichen Dreiecksverhältnisses Patrioten-Regenten-Orangisten unentbehrlich. - Das komplexe Gefüge der Vereinigten Niederlande ist in nuce sehr faßlich dargelegt bei Jongste 1994. Im übrigen Israel 1995/1998.

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Das innenpolitische Ringen wurde von den europäischen Mächten nicht nur gespannt mitverfolgt, sondern z.T. auch aktiv mitgestaltet. England und Frankreich trugen hier gewissermaßen einen Stellvertreterkrieg aus. Schon seit Ende 1784 tobte ein harter Kampf zwischen der britischen und der französischen Vertretung in Den Haag. Verfügten die Oranje-Gegner »Regenten4 und »Patrioten4 - über französische Unterstützung, da Versailles in ihnen eine brauchbare Speerspitze gegen die Briten und ihren Satelliten, den Statthalter, sah, so setzte sich die britische Diplomatie in steigendem Maße für die Interessen des Hauses Oranje ein. Frankreich hatte es 1785 verstanden, den unglücklichen Krieg der Vereinigten Niederlande mit Großbritannien und die damit einhergehende Abkehr von der traditionellen Orientierung nach London für sich zu nützen und - allerdings um einen hohen Preis - die Generalstaaten durch eine Allianz an sich zu binden. Großbritannien mag in dieser ungewöhnlichen Bündniskonstellation nicht nur eine Gefährdung der Kanalküste gesehen, sondern auch und vor allem die Einbeziehung des niederländischen Kolonialreichs in die französische Einflußsphäre befürchtet haben. Französische Umtriebe, durch die man ja eben die nordamerikanischen Kolonie verloren hatte, drohten das britische Kolonialreich und selbst die ohnedies stets prekäre Situation in Irland nachhaltig zu unterminieren. Die Nutzung niederländischer Außenposten wie Kapstadt oder Ceylon als Operationsbasen gegen britische Positionen in Indien waren klassische „geopolitische Angstträume" der Briten. Bei diesem Stellvertreterkrieg in den Vereinigten Provinzen erwies sich aber der scharf antifranzösisch orientierte britische Gesandte in Den Haag, Sir James Harris (1746 - 1820), der spätere Earl of Malmesbury, dem französischen Gegenspieler, Charles Olivier de Saint-Georges Marquis de Vérac (1743 - 1828), in seinem bedingungslosen Einsatz für die Sache des Hauses Oranien überlegen. Harris hatte zunächst selbst in Eigeninitiative die Federführung im Kampf gegen die französisch-niederländische Partnerschaft übernommen und London durch seine Aktionen im Haag eigentlich den Takt vorgegeben; eine Spezialität der englischen Außenpolitik der frühen Ära Pitt, in der sehr oft nicht die Diplomaten vom Kabinett, sondern das Kabinett von den Diplomaten geführt wurde. Der Ausbau des Kontakts zu Premierminister Pitt führte seit 1787 zu einem aktiveren, von entsprechenden Geldmitteln begleiteten Engagement der britischen Politik in den Niederlanden. Anders verhielt es sich mit der französischen Position, die sowohl durch die innenpolitischen Schwierigkeiten in den Jahren der „Prérévolution" als auch durch die mangelhafte Kontrolle der französischen Diplomatie über die sehr heterogenen oranje-feindlichen Kräfte in den Niederlanden von Beginn an in einer ungünstigen Ausgangsposition war; schon bald zeigte sich, daß Vérac - einigermaßen überfordert und selbst Außenstaatssekretär

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Vergennes mit in die Irre führend - sich viel zu sehr für die Sache der Patrioten engagierte und aus dem Bündnisvertrag von 1785 illusionäre Verpflichtungen Frankreichs ableitete; denn die Allianz band ja, wie die Engländer mit Recht unterstrichen, den Allerchristlichsten König an die Generalstaaten und bot keine Handhabe für die Unterstützung einer bestimmten Provinz oder einer bestimmten Partei. Aber selbst nachdem der Conseil spätestens zu Jahresbeginn 1787 die viel zu exponierte Stellung Véracs zur Kenntnis genommen hatte, blieb die französische Politik trotz gegenläufiger Bemühungen um eine gewisse Distanz zu den „Ultras", wie sie nicht zuletzt der Skepsis Ludwigs XVI. gegenüber den holländischen „Demokraten" entsprachen, auf die (halbherzige) Unterstützung der Patrioten festgelegt, war dabei aber schwankend und inkonsequent und mit Verschärfung der Lage sicherlich hauptsächlich auf Wahrung des Gesichts angelegt. Auch Preußen interessierte sich zunehmend für den neuen europäischen Krisenherd, an dem zwei für Berlins Position im Staatenkonzert maßgebliche Mächte aneinander zu geraten drohten: Frankreich als Verbündeter des österreichischen Erzfeindes, Großbritannien als potentieller Verbündeter, mit dessen Hilfe einzelne Verantwortungsträger in Berlin seit längerem die internationale Isolation der achtziger Jahre zu durchbrechen hofften. So sah besonders Graf Hertzberg in der Holland-Krise die seit langem herbeigewünschte Brücke für eine über das Konstrukt des Fürstenbundes hinausgehende Annäherung an England und arbeitete gemeinsam mit dem 1788 zum Gesandten bestellten Sekretär der britischen Vertretung in Berlin, Joseph Ewart (1760 - 1792), und James Harris, eifrig in diese Richtung. Die familiären Bande zwischen Berlin und Den Haag - Sophie Wilhelmine, die Gattin Wilhelms V. von Oranien, war die Schwester Friedrich Wilhelms II. - ließen sich dabei leicht zur Konstruierung eines „Anlaßfalls" heranziehen. Viele Hindernisse mußten freilich auf dem steinigen Weg zur preußischen Intervention überwunden werden, besonders der konterkarierende Einfluß der „französischen Partei" um Kabinettsminister Finkenstein und Prinz Heinrich von Preußen, die den König von einem schädlichen Konflikt mit Versailles abhalten wollten. Denn das kontinuierliche Tändeln der beiden Mächte hatte sich sowohl für Preußen als auch für Frankreich immer wieder glänzend bewährt, wenn es darum ging, Wien unter Druck zu setzen. Die Position der Interventionsgegner fand starken Rückhalt beim König selbst, der ganz in der Tradition seines 1786 verstorbenen Onkels die bedenkliche Lage seiner Schwester und ihres Gatten eher ruhigen Auges beobachtete und sich überraschend lange um eine friedliche Beilegung des Konflikts bemühte. Eine preußische und eine französische Vermittlungsaktion zur Befriedung der niederländischen Krisis trafen sich sogar an der Jahreswende 1786/87, scheiterten aber im Januar 1787 hauptsächlich an der

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starren Haltung des Statthalters und seiner Gattin. Wien beobachtete all dies als gefährliche Schritte zu einer möglichen Annäherung zwischen dem französischen Verbündeten und dem Erbfeind mit Beunruhigung; mit einigem Unmut mußte man zur Kenntnis nehmen, daß Berlin in den Niederlanden keineswegs Öl ins Feuer goß. Ein Zusammenhang des guten Einvernehmens zwischen Versailles und Berlin - man sprach sogar von einer Reise Friedrich Wilhelms nach Frankreich - mit der berechtigten Angst Frankreichs vor einem neuen russisch-türkischen Krieg und seinen leicht vorhersehbaren verheerenden Folgen für das politische Überleben der Hohen Pforte (vgl. S. 182ff.) drängte sich den stets mißtrauischen österreichischen Diplomaten auf: vielleicht nährte Frankreich in Berlin den Verdacht, daß Wien und Petersburg nur auf eine Verwicklung Preußens in den niederländischen Konflikt warteten, um sich an den Hohenzollern zu rächen und alte Rechnungen zu begleichen? Es entsprach somit keineswegs dem österreichischen Interesse an einer dauerhaften Unterbrechung des „heißen Drahtes" Versailles-Berlin, wenn sich sowohl Preußen als auch Frankreich in der holländischen Frage, die Kaunitz als für Wien an sich gleichgültig einstufte, so zurückhaltend verhielten und man beiderseits auf ein „Ausbrennen" des Krisenherdes wartete, wo man sich doch aus einer - eigentlich erwarteten - verstärkten Einmischung Preußens zugunsten des Oraniers eine nachhaltige Abkühlung des französisch-preußischen Verhältnisses hätte versprechen dürfen. Staatskanzlei und Kaiser, enttäuscht darüber, daß Friedrich Wilhelm II. den österreichischen Wünschen keineswegs durch radikales Gebaren in die Hände arbeitete, konnten ihren Ärger über die schwächliche Haltung des neuen preußischen Königs, über seine „excessive prudence" und fehlendes Format („étoffe") nicht verbergen. In Preußen regierte nach Einschätzung Josephs II. ganz einfach nicht mehr der König aus seinem Kabinett, sondern die Kabale der Rosenkreuzer Wöllner und Bischoffwerder. Eine Explosion des innenpolitischen Pulverfasses in den Niederlanden schien noch zu Jahresanfang 1787 allemal unwahrscheinlich, wozu sicher auch noch der Tod Vergennes' im Februar 1787 beitrug. Der neue französische Außenminister Montmorin machte alle Anstalten, die Linie seines Protektors und Vorgängers im Amte zunächst großteils fortführen zu wollen, sowohl was die prinzipielle Haltung gegenüber Preußen als auch die Hoffnung auf eine selbsttätige Bereinigung der Hollandkrise anlangte35. 35

Kaunitz an Mercy (1. 1. [wie Anm. 11], 7. 2. [wie Anm. 11], 18. 3. 1787 [wie Anm. 15]), Partikularschreiben des Staatskanzlers (1. 1. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787; Druck: A&F 2, 64f.); Mercy an Kaunitz (9., 20. u. 31. 1., 1. 3., 7. 4., 19. u. 30. 5., 6. u. 13. 6. 1787; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787 I - IV u. V - VIII), an Joseph II. (20. 1. 1787; wie Anm. 11); Joseph II. an Mercy (7. 2. 1787; Druck: A&F 2, 71 - 74). Kaunitz an Rewitzky (15. 2. 1787; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1787), an Reuß (10. 3.

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b) Die preußische Intervention Die Hollandkrise geriet erst außer Kontrolle und wuchs definitiv in den Rang einer Frage europäischer Mächtepolitik, als die Prinzessin von Oranien Ende Juni 1787 bei dem Versuch, aus dem Exil in Nim wegen zu Verhandlungen nach Den Haag zu reisen, von Freikorps gestoppt, kurzzeitig angeblich unter erniedrigenden Bedingungen - festgehalten und schließlich nach Nimwegen zurückgeschickt wurde. Dieser an sich marginale, von der orangistischen Propaganda rasch aufgeblähte Zwischenfall bestimmte schließlich auch den in einer ersten Aufwallung maßlos irritierten preußischen König zum Eingreifen. Es scheint nicht unplausibel, daß, wie v.a. die ältere preußische Forschung dargelegt hat, die „Beleidigung" seiner Schwester, die er als persönliche Kränkung, als Mißachtung seines Hauses wertete, wirklich das entscheidende Movens für Friedrich Wilhelm II. gewesen ist. Denn immer noch trachtete er eine nun sehr wahrscheinliche preußische Intervention primär als „private Strafexpedition" darzustellen und den Bruch mit Frankreich, also auch eine Gemeinschaftsaktion mit London, tunlichst zu vermeiden, während die Politik Hertzbergs ein ganz anderes Ziel verfolgte und erst im Herbst auch den König wirklich mitzureißen wußte. An die Staaten von Holland ergingen zunächst im Laufe des Sommers mehrere Ultimaten mit der Forderung nach Satisfaktion, in den preußischen Westprovinzen bei Wesel sollte ab Ende Juli 1787 ein starkes Truppenkorps konzentriert werden, um den Mahnungen militärischen Nachdruck zu verleihen. Frankreich sah die preußischen Drohgebärden gegen den holländischen Alliierten verständlicherweise anders und weniger differenziert. Auch England trat im Laufe des Sommers stärker auf den Plan und drängte Frankreich trotz gegenteiliger Äußerungen und Abrüstungsabmachungen allmählich immer weiter in einen aufwendigen Rüstungswettlauf. In Givet, an der Nordspitze der Richtung Niederlande weisenden, weit ins Belgische 1787; StK DK Preußen 65 Konv. Weisungen 1787). Zu Jahresanfang 1789 informierte Außenminister Montmorin den k.k. Botschafter in Paris auch über die nach einer ersten Privatreise (1785/86) zustandegekommene offiziöse Mission des Comte de Mirabeau in Berlin (1786/87), die angeblich dazu diente, „bey dem Berliner Hofe zu tripotiren". Seine Berichte über den Zustand der preußischen Monarchie kurz vor bzw. kurz nach dem Tod Friedrichs II., die auf indirektem Wege und deutlich überarbeitet an Calonne, Vergennes und den König gelangten, veröffentlichte Mirabeau Anfang 1789 in seiner aufsehenerregenden Histoire secrète de la cour de Berlin. Vgl. Mercy an Kaunitz (4. 2. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 I - III) u.ö. Joseph II. interessierte sich in besonderer Weise für die Berichte Mirabeaus an Calonne: Joseph II. an Ph. Cobenzl (15. 2. 1789; KA Kabinettskanzlei HBP 51). - Welschinger 1900, Wild 1902 [mit einer scharfen Kritik der Arbeit von Welschinger], Salleo 1977, Kérautret 1986.

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vorspringenden Landzunge, wollte Frankreich ein Militärlager von 10 12.000 Mann bilden und so Stärke demonstrieren, dabei aber - so wie auch England - anhaltende Friedenswilligkeit betonen. Man würde es sehr bedauern, ließ das französische Außenministerium auch in Wien Anfang Juli 1787 anbringen, „de voir la paix rompue pour un objet indirect aux deux nations [England und Frankreich] et pour une chose aussi insignifiante que Test le sort du prince de Nassau". Der französische Außenminister Montmorin gab sich verwirrt und überfordert; der Gesandte Frankreichs im Haag, Vérac, wurde zu spät ausgetauscht, ein Nachfolger - der „Liebling" der Staatskanzlei, Comte de SaintPriest - zu spät ernannt und zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt entsandt (August/September 1787). Im Conseil regte sich Kritik an der Politik des Außenministers und an der international kundgemachten Drohung mit der Bildung eines - letztendlich hohle Kulisse gebliebenen - Militärlagers in Nordfrankreich, die von Königin und Prinzipalminister Loménie de Brienne gleichermaßen als „übereilte Demonstration" verurteilt wurde. Auch in Wien sah man wohl ein, daß sich das Säbelrasseln des französischen Außenministeriums und ein nicht mehr gänzlich auszuschließender bewaffneter Konflikt schwerlich mit der ernsten inneren Lage Frankreichs vertrugen. Die preußischen Forderungen nach Satisfaktion für die der Statthalterin zugefügte Kränkung nährten natürlich den Verdacht einer koordinierten Aktion zwischen Berlin und London und ließen die Fronten verhärten, indem nun die Staaten von Holland gegen die preußischen Drohungen bei Frankreich Vermittlung und Rückhalt suchten (Juni/Juli 1787). Man wolle alles zur friedlichen Beilegung des Konflikts tun, dürfe aber dem niederländischen Verbündeten nicht zu einer Entschuldigung raten, die Preußen als Handlanger der Briten mit gewaffneter Hand erzwingen wollte, erklärte das französische Außenministerium und ließ unter Protest gegen die preußischen Rüstungen von Wesel bis Kleve keinen Zweifel daran, daß man den Niederländern im Ernstfall beistehen würde; Militär- und Finanzhilfe wurde auch tatsächlich geleistet. Sehr zur Freude Josephs II., der nun endlich den Zeitpunkt gekommen sah, da jedes französisch-preußische Kokettieren ebenso unmöglich wurde wie eitle Hoffnung auf eine Ruhigstellung der „Erbfeindschaft" zwischen Frankreich und Großbritannien, „deux puissances", so Staatskanzler Kaunitz in bildhafter Sprache, „qui courent le même lièvre et qui ont en tout et partout un intérêt diamétralement opposé". Damit entwickelte sich das Staatensystem allmählich wieder auf die „logische Ordnung" der natürlichen Freundschaften und Feindschaften zurück 36. 36 Kaunitz an Joseph II. (11. 7. 1787; StK Vorträge 143 Konv. 1787 V - VII, Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1787; Druck: [Beer] 1873, 275f.) mit Beilage: Montmorin an Noailles (2. 7. 1787; auch in SA Frkr. Varia 40 Konv. Frkr.

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An eine aktive Teilnahme Österreichs, dessen Aufmerksamkeit zunächst durch die traurigen Vorboten der belgischen Sezession von 1789/90 und dann seit Sommer 1787 fast gänzlich durch die wieder aufflammende „orientalische Krise" absorbiert wurde, dachte man weder in der Staatskanzlei noch in der Hofburg; und das wollte man im August 1787 auch in Frankreich klargestellt wissen: Wien sah die Vorgänge in den Niederlanden „mit ganz kalten Augen" und lehnte daher eine kaiserliche Vermittlungsaktion trotz positiver Anregungen des k.k. Botschafters am französischen Königshof ab. Totale Nichteinmischung und Äquidistanz zu allen Parteien im innenpolitischen Streit der Holländer wollte sich die Staatskanzlei auch weiterhin zur Richtlatte nehmen. So konnte man sich, solange der Ausgang noch ungewiß war, gute Beziehungen zu beiden Gruppierungen sichern (und damit auch Freundschaft mit dem Sieger des Ringens), fand aber nichts dabei, im August 1787 der Statthalterin zu ihrem Mißgeschick mit den patriotischen Freikorps durch den Kaiser selbst „kondolieren" zu lassen. Die französische Diplomatie freilich Schloß nicht aus, daß Kaiser und Staatskanzlei die Ablenkung der französischen Aufmerksamkeit nicht ungern sahen und die Krise der Beziehungen zwischen Berlin und Versailles noch selbst nach Kräften schürten - vollends nach Ausbruch des russisch-türkischen Krieges im August 1787. In der Tat hatte Wien auf die Mitteilung der preußischen Rüstungen gegen die Provinz Holland ungewöhnlich entgegenkommend geantwortet und sogar den Wunsch nach freundschaftlichem Einvernehmen eingeflochten. Von den Briten immer wieder ermuntert und mit Hilfszusagen unterstützt, von Hertzberg gedrängt, über das Scheitern eines letzten Ausgleichsversuchs im Verbund mit Frankreich und die Verweigerung der gewünschten Entschuldigung seitens der Holländer frustriert und schließlich durch die Ablenkung der beiden Kaisermächte angesichts des Türkenkrieges im Rücken entlastet (das französische Militärlager bei Givet entpuppte sich als Seifenblase, und Frankreich hatte bis zuletzt nicht an eine tatsächliche Militäraktion der Preußen geglaubt), intervenierte der preußische König schließlich mit gewaffneter Hand; französische Bereitschaft, Druck auf die radikaler gewordenen, auch gegen die Regenten mit Säuberungsmaßnahmen vorgehenden Patrioten auszuüben (die Abberufung Véracs, der wichtigsten Stütze der Patriotenpartei, im August 1787 schien insoferne vielen ein deutliches Zeichen zu sein), konnte dies um so weniger verhindern, als die franVaria 1787). Mercy an Kaunitz (18./22. 6., 20., 27. 6., 4., 14., 18., 25. 7., 1. 8. 1787; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787 V - VIII), Kaunitz an Mercy (30. 6., 28. 7. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787 V VII), Partikularschreiben des Staatskanzlers (28. 7. 1787 [Zitat]; wie Anm. 19); Joseph II. an Mercy (28. 7. 1787; Druck: A&F 2, 107 - 109). Joseph II. an Leopold (26. 7. 1787; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, lOOf.). - Montmorin an Noailles (2. 7. 1787), Noailles an Montmorin (14., 24., 28. 7. 1787): AMAE CP Autriche 353.

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zösische Politik bis zuletzt aller äußeren Friedenswilligkeit zum Trotz konfus und widersprüchlich blieb und gerade im September 1787 noch einmal einen Anflug kriegerischer Entschlossenheit bekam. Am 13. September 1787 überschritt endlich ein preußisches Armeekorps von 20.000 Mann unter dem Befehl von Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel (1735 - 1806) von den Westprovinzen aus die niederländischen Grenzen nach Geldern. Von hier führte der militärische „Spaziergang" die preußischen Truppen rasch gegen Amsterdam, das ohne Aussicht auf französische Hilfe - am 10. Oktober 1787 kapitulierte; auf letzte Versuche der Staaten von Holland, Zeit zu gewinnen und die preußische Invasion durch diplomatische Missionen abzuwehren, ließ sich der Herzog von Braunschweig nicht mehr ein. Selbst die klassische Verteidigungswaffe der Holländer, die Öffnung der Deiche, hatte den perfekt vorbereiteten Vorstoß der Preußen und das damit Hand in Hand gehende Rétablissement des Statthalters nicht aufhalten können. Eine Welle der Repression ging über das Land, umfassende Personalveränderungen trugen der neuen Situation Rechnung. Neuer Großpensionär von Holland und damit Schlüsselfigur im politischen Leben der Sieben Provinzen insgesamt wurde der ehemalige Pensionär von Seeland, der oranjetreue Pieter Laurens van de Spiegel (1737 - 1800). Ein bedeutender Flüchtlingsstrom - angeblich verließen ca. 40.000 Menschen die Niederlande führte die meisten holländischen Patrioten über Belgien nach Frankreich, wo ihre Führer den Ministern die Türe einliefen und die holländischen „Patrioten" für die weitere revolutionäre Entwicklung in Frankreich selbst eine sicher nicht unwichtige Scharnierrolle spieltén. Wie von vielen befürchtet und erwartet, hatte Frankreich sein Gesicht und einen Gutteil des Prestigegewinns aus dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg verloren; im kritischen Moment, als Preußen von den Staaten Hollands Unterwerfung begehrte, kehrte der französische Gesandte Vérac Den Haag den Rücken und ließ die Verbündeten im Stich; sein Nachfolger Saint-Priest reiste erst im September 1787 aus Frankreich ab und mußte nach Einlangen der verheerenden Nachrichten von der preußischen Intervention zunächst in Brüssel und dann in Antwerpen Halt machen. Im Oktober 1787 traf er, ohne seinen neuen Posten angetreten zu haben, wieder in der französischen Hauptstadt ein. Hardliner im Conseil wie Marineminister Castries und Kriegsminister Ségur hatten sich gegen den Prinzipalminister Loménie de Brienne und seine Hinweise auf die jedes außenpolitische Abenteuer verbietende verheerende innere Situation Frankreichs nicht durchzusetzen vermocht und demissionierten schließlich (Ende August 1787). Die Drohungen Montmorins, auch Frankreich müsse Truppen entsenden, und seine Vorsondierungen bei Botschafter Mercy wegen eines etwaigen Truppendurchzugs durch die Österreichischen Niederlande konn-

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ten so von niemandem besonders ernstgenommen werden. Ganz anders verhielt es sich mit den im September 1787 voll anlaufenden Seerüstungen der Briten und ihren Verhandlungen mit dem Landgrafen von Hessen-Kassel; ein Truppenstellungsvertrag kam Ende September 1787 zum Abschluß, und bis zur Krise des Jahres 1790 waren alleine in der Ära Pitt mehr als 20 neue Linienschiffe vom Stapel gelaufen. Auch die französische Sondermission des Baron Groschlag nach Berlin im Spätsommer/Herbst 1787 kam zu spät, um die militärische Intervention Preußens abzufangen. Die Befürchtungen der k.k. Diplomatie, der „verschmitzte" und intrigante Preußenfreund Groschlag könnte doch noch als „Corps de réserve der politischen Armee von Versailles" das Steuer herumreißen und die von Wien gewünschte Abkühlung der französisch-preußischen Beziehungen verhindern, erfüllten sich nicht. Im Gegenteil: Frankreich war auf das äußerste erbittert über die zu einem guten Teil aus dem verwirrenden Kampf zwischen der französischen und der englischen Partei erklärbare „Falschheit" Berlins, über das plötzliche und unerwartete militärische Eingreifen und interpretierte - verärgert - selbst die bisherigen Ausgleichsbemühungen Friedrich Wilhelms II. zu reinen Scheinmanövern zur Bemäntelung eines vorgefaßten Interventionsplanes um. Groschlag erhielt Auftrag zur sofortigen Abreise und traf - reichlich erbost über die preußische Arroganz und demütigend-spöttische Erklärungen zur Machtlosigkeit Frankreichs - im Oktober 1787 wieder in Paris ein. Selbst der sonst so phlegmatische König war nun nach Versicherungen Marie-Antoinettes „in Harnisch", der Conseil aber „in Hitz" geraten. Mercy schürte den Ärger der Franzosen so gut er konnte und regte sogar den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Preußen an. Natürlich - ungeachtet der Unterstützung der Königin - vergeblich, denn gerade jetzt angesichts einer so flagranten inneren wie äußeren Schwäche konnte man es sich nicht leisten, die Türe zu Preußen endgültig zuzuschlagen und sich gegen die Versicherungen Berlins, der König habe in Holland gar keine politischen Ziele verfolgt, sondern nur eine „injure personnelle" gerächt, taub stellen. Man wollte sich, wie der Prinzipalminister Loménie de Brienne meinte, die Revanche für später aufheben. Selbst die sich mehr und mehr artikulierende „öffentliche Meinung" in Frankreich, die sich sehr zum Entsetzen Botschafter Mercys nun sogar dreisterweise Urteile über „Staatsangelegenheiten" also über Außenpolitik - erlaubte, empfand aber die Demütigung durch Preußen bitter. Kaunitz und Joseph II. waren durch die dornenvollen Jahre der problematischen Partnerschaft mit dem Frankreich Vergennes' offensichtlich derart erbittert, daß sie, wie Botschafter Noailles zu Recht festzustellen glaubte, den französischen Gesichtsverlust nun fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt kindlich-unverhohlener Schadenfreude beurteilten und die

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verheerende Gefahr nicht (bzw. zu spät) sahen, die dem eigenen Bündnissystem durch das Effacement Frankreichs bei gleichzeitiger Annäherung Preußens an England drohte. Mit der schallenden Ohrfeige, die das „treulose" Frankreich von Preußen eben auf offener Weltbühne erhalten hatte, erntete es nur, so Staatskanzler Kaunitz zynisch, die Früchte seiner „Cajolerien, Menagirungen und verdeckten Begünstigungen" für Preußen, mit einem Wort: die verdiente Strafe für sein allianzwidriges, stets zweideutiges Betragen. Österreich aber wurde durch das Ende der „preußisch-französischen Entente" (E. Buddruss), wie sie Versailles in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren auch ohne förmliches Bündnis nützliche Dienste leistete, belohnt. Preußen und die Westmächte blieben ganz nach dem Wunsch der Staatskanzlei durch die Hollandkrise und ihre Nachbeben zunächst weiterhin abgelenkt und drängten sich vorerst nicht aktiv in den Türkenkrieg - seit der Krimkrise von 1783/84 und der „unrühmlichen" Rolle des französischen Verbündeten eine alte Angst Kaiser Josephs II. In der Tat konnten die Spannungen nicht als abgebaut betrachtet werden, ehe nicht auch Frankreich und England abgerüstet und Streitbeilegungserklärungen abgegeben hatten. Beiderseits des Ärmelkanals waren die Rüstungen trotz gegenteiliger Zusagen während des Sommers 1787 nach drohenden britischen Noten verstärkt worden. Die Gefahr eines preußischbritischen Schlages gegen Frankreich galt lange Zeit als durchaus real, und selbst ohne wirklichen bewaffneten Konflikt durfte sich London schmeicheln, Versailles durch den Zwang zu Gegenrüstungen immer weiter in den Staatsbankrott geführt zu haben. Nur unter größten Schwierigkeiten hatte Ludwig XVI. für die Armierungen in verschiedenen Kriegshäfen und die Küstensicherung die nötigen Finanzmittel flüssigmachen können. Im September 1787 bot Großbritannien schließlich an, die Seerüstungen einzustellen und den Konflikt durch wechselseitige Erklärungen definitiv beizulegen; eine Sondermission unter William Grenville sollte die wahre Linie Frankreichs klären helfen und die Streitigkeiten rasch entschärfen. Ende Oktober 1787 konnte zwischen Montmorin und den britischen Unterhändlern eine Desarmierungskonvention unterzeichnet werden, wobei die Engländer die Anerkennung des von den Preußen in Holland hergestellten status quo ante durch Frankreich mit der Abrüstungsfrage verknüpften. Frankreich widerrief feierlich die Hilfszusage an Holland von Mitte September 1787. Nun war die Niederlage Versailles' sogar formell besiegelt (27. Oktober 1787). Auch Preußen mußte daran interessiert sein, den Kontakt zu Frankreich nicht völlig zu verlieren und die aufgebrachten Gemüter nach Möglichkeit zu beruhigen. Im Oktober 1787 entsandte Berlin ergänzend zur englischen Mission unter Grenville Philipp Karl Baron von Alvensleben (1745 - 1802)

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zu einer „Good-Will-Tour" nach Versailles; man fand sogar Worte des Bedauerns über die unangenehmen Empfindungen, die die preußische Expedition gegen Holland in Versailles hervorgerufen haben mochte. Der Sonderbeauftragte, der später als neuer preußischer Gesandter für Den Haag vorgesehen war, wurde zwar gegen die Einflüsterungen des k.k. Botschafters von Ludwig XVI. empfangen, das preußische Doppelspiel gegenüber Frankreich ging indes ungeachtet der nach außen zur Schau getragenen Linie des Ausgleichs fort. Frankreich mußte sich durch seine innere Schwäche und die außenpolitische Demütigung in der Hollandkrise fast alles gefallen lassen, auch den Verlust der 1785 so teuer erkauften Allianz mit den Niederlanden, die nun in ein englisch-preußisches Bündnissystem, vielleicht sogar - so die österreichische Angst - in den „Fürstenbund" eingeschmiedet werden konnten; ja - trotz verbindlichster Zusagen des preußischen Gesandten - hatte sich Versailles selbst mit dem von den neuen, gesäuberten Generalstaaten gewünschten Verbleib von 4.000 Mann preußischer Truppen in den Niederlanden abzufinden. Botschafter Mercy benützte derlei „unlautere" Schritte der Preußen, um kräftig in den offenen Wunden der französischen Diplomatie zu wühlen und Außenminister Montmorin „ganz schamroth" werden zu lassen. Aber das Grundmißtrauen Österreichs gegen den Verbündeten war so stark, daß man selbst in dieser Situation noch Querschüsse der Franzosen gegen die bevorstehende Einbeziehung Österreichs in den russischen Türkenkrieg beargwöhnte; und was Frankreich nun im Zeichen der Machtlosigkeit nicht mehr alleine schaffen konnte, nämlich das Osmanische Reich vor der Zerschlagung zu bewahren, mochte es ja vielleicht noch gemeinsam mit England oder Preußen zuwege bringen. Botschafter Mercy sah in der Situation zu Jahresende 1787 durchaus Parallelen mit dem raschen britisch-französischen Friedensschluß von 1783 im Angesicht der Krimkrise 37. 37 Joseph II. an Kaunitz (6. 8. 1787) mit Beilage, Vortrag Kaunitz (9. 8. 1787): StK Vorträge 144 Konv. 1787 VIII bzw. Konv. 1787 VIII - IX, Cobenzl an Joseph II. (22. 11. 1787; ebd. Konv. 1787 XI - XII). Joseph II. an Leopold (12. 11. 1787; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 141 f.). Mercy an Kaunitz (14., 22., 27. 8., 5. u. 8. 9., 15., 19., 26. 9., 3., 10., 18., 24., 31. 10., 31. 10./2. 11., 7., 14., 24. 11., 6., 28. 12. 1787, 23. 2. 1788; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787 V - VIII, IX - Χ, XI - XII, Konv. Mercy-Kaunitz 1788 I - IV), an Joseph II. (14. 8., 18. 10. 1787, 23. 2. 1788; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 111 - 114, 130 - 132, 163 - 167); Joseph II. an Mercy (30. 8., 6. 10 1787; Druck: A&F 2, 116 - 118, 125 f.); Kaunitz an Mercy (30. 8., 5. 10., 5. 11. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787 VIII - XII). Französisches Kommunikat an die Staatskanzlei: Montmorin an Noailles (31. 10. 1787; SA Frkr. Varia 40 Konv. Frkr. Varia 1787). Kaunitz an Reuß (10. 7., 23. 8., 22. 9. 1787; StK DK Preußen 65 Konv. Weisungen 1787). Instruktion für Graf Stadion (28. 9. 1787; SA Schweden 68 Konv. 1786 - 1787/3). - Noailles an Montmorin (11., 25. 8., 14., 15., 26., 28. 9., 3., 6., 14. 10., 14. 11. 1787), Montmorin an Noailles (11. 8., 4., 14. 9., 11 Hochedlinger

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c) Die Bildung der Tripelallianz Frankreich hatte also die Niederlande knapp zwei Jahre nach dem mit vielen Schwierigkeiten durchgesetzten Bündnis von 1785 wieder aus seinem Einflußbereich verloren. Preußen erhielt für die Durchführung der Strafexpedition gegen die Provinz Holland, die kaum 200 Mann gekostet hatte, eine Entschädigung von 500.000 Gulden. Etwa 4.000 Preußen überwinterten in den Niederlanden und zogen erst im Frühjahr 1788 wieder ab. Der hauptsächliche Gewinner der holländischen Krise von 1787 war freilich Großbritannien, das in den Niederlanden - Preußen in den Hintergrund spielend, es aber als Ausführungsorgan gebrauchend - die Protektorsrolle an sich riß und, wie Versailles vermutete, die Vereinigten Provinzen vielleicht gar wieder zu einer „Ersatzkolonie", die Niederländer nach einem Wort Mirabeaus zu den „Indern Europas" umfunktionieren wollte. Dank des engagierten und kostenintensiven Einsatzes von Sir James Harris wurden die „Seemächte" nach kurzer Unterbrechung wieder eine Einheit ... sie kehrten wieder zum „Naturzustand" zurück; und welchen Stellenwert die Briten der Kontrolle über die Vereinigten Niederlande zumaßen, sollte sich neuerlich in den Jahren 1792/93 zeigen. In Preußen schlug Graf Hertzberg endlich aus der unnachgiebigen Haltung Frankreichs auf dem Höhepunkt des Konflikts im Sommer 1787 und aus der vollen Entzündung des russisch-türkischen Krieges - die Nachricht vom Ausbruch des Türkenkriegs langte Anfang September 1787 in Berlin ein - Kapital. Nach langem Sträuben Friedrich Wilhelms II. gegen eine von London seit September 1787 gesuchte enge Kooperation mit England setzte der Kabinettsminister - noch unterstützt vom Liebling des Königs, Bischoffwerder, und gegen starken Widerstand der Frankreichpartei - den Kurs der Annäherung an London durch, der nicht ohne Blick auf eine weitere Einschüchterung Frankreichs noch Anfang Oktober 1787 drei Wochen nach dem Beginn der Militärexpedition zu einem britisch-preußischen Pakt 2., 31. 10. 1787): AMAE CP Autriche 353. - Ségur 1895, 307 - 322 mit entsprechenden Hinweisen auf das nicht zustandegekommene Lager bei Givet, Castries 1979, 126 - 136. Rose 1909 a. - Über Probleme Österreichs mit den über Belgien nach Nordfrankreich strömenden niederländischen Flüchtlingen vgl. Ph. Cobenzl an Joseph II. (9. 12. 1787; StK Vorträge 144 Konv. 1787 XI - XII). Die patriotischen Flüchtlinge im frz. Exil beleuchtet u.a. auch Schama 1977, 143 - 163. Die Instruktion für Groschlag (30. 8. 1787) ist bei [Waddington] 1901, 551 - 566 abgedr. Die starke Betonung der „natürlichen" Freundschaft zwischen Versailles und Berlin als Gegengewicht zu Österreich ist bemerkenswert. Zur Mission Alvenslebens, der im Dezember 1787 Frankreich wieder verließ, siehe etwa Flammermont 1896, 116 127. - Über eine kuriose Interpretation der preußischen Hollandexpedition und damit zusammenhängender preußisch-holländischer Pläne, die hier zu einer großangelegten „Freimaurerverschwörung" umfunktioniert wurden: Ph. Cobenzl an Joseph II. (28. 11. 1787; StK Vorträge 144 Konv. 1787 XI - XII) mit Beilage.

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zur Wiederherstellung der alten Zustände in den Niederlanden, der erblichen Statthalterschaft und der Verfassung von 1747 führte (2. Oktober 1787). Die Verhandlungen um eine Vertiefung dieses Vorstufenabkommens zogen sich dabei hin. Bedenken gab es nicht nur bei den „Franzosen" in Berlin, sondern vereinzelt durchaus auch auf englischer Seite. London mußte v. a. fürchten, in die gefahrengeneigte preußische Ostpolitik hineingezogen zu werden (vgl. S. 202 ff.), für die Berlin nun eine machtvolle Grundlage suchte. Nicht jeder Gedanke an eine Wiederannäherung gegenüber Österreich war zudem aus den Köpfen der englischen Politiker entwichen; für Außenstaatssekretär Carmarthen galt Österreich ja noch 1786 ganz im Gegensatz zu Preußen als natürlicher Alliierter Londons. Bis April 1788 näherte man sich jedoch durch die Fertigstellung wesentlicher Teile eines Netzwerks von Verträgen: Preußen (4. April 1788) und Großbritannien (15. April 1788) - hier spielten auch Zugeständnisse in Übersee eine beträchtliche Rolle - schlossen jeweils Bündnisverträge mit den Niederlanden, die nun zum Gravitationspunkt des neuen Bündnissystems wurden. Um einer allfälligen Annäherung Preußens an Frankreich zuvorzukommen und durch die ruchbar gewordenen Verhandlungen um eine französisch-spanisch-österreichisch-russische Quadrupelallianz aufgeschreckt, die wohl neben der Nicht-Erneuerung des englisch-russischen Handelsvertrages den bisherigen Tiefpunkt in dem seit Jahren gespannten Verhältnis zwischen London und Petersburg markierten, einigte sich London dann auch mit Preußen. Während eines Besuches Friedrich Wilhelms II. bei seiner Schwester, der niederländischen Statthalterin, auf Schloß Loo konnte ein Präliminarabkommen ausverhandelt und unterzeichnet werden (13. Juni 1788). Der endgültige britisch-preußische Defensivallianzvertrag folgte am 13. August 1788 und schrieb - bei aller Schonung und Vorsicht gegenüber Rußland - in einem eigenen Sekretartikel auch gemeinsame Vermittlungsaktionen der neuen Verbündeten hinsichtlich des Türkenkriegs der Kaisermächte fest. Preußen sicherte sich für den Ernstfall den Beistand der britischen Flotte, Britannien verfügte nun auch - bei kolonialen Konflikten - über den preußischen Festlandsdegen. Endlich hatte sich das heillose, für den Historiker fast nicht darstellbare Durcheinander der europäischen Diplomatie, wie es in der holländischen Krise des Jahres 1787 vielleicht deutlicher als irgendwo sonst zutage getreten war, zugunsten einigermaßen klarer Fronten aufgelöst 38. Ohne ein alle drei Partner verbindendes Vertragsinstrument hatte sich damit jene Tripelallianz gebildet, die von nun an bis zu ihrem Auseinander38 Vgl. die oben zur Hollandkrise genannte Literatur u. auch Ranke 1875, 329 342, Ehrman 1984, Bd. 1, 536 - 542, Black 1994, 173 - 179. Die eingehendsten Spezialdarstellungen (mit ausführlicher Vorgeschichte zur Intervention Preußens in den Niederlanden) sind Wittichen 1902 und besonders Luckwaldt 1902, 33 - 116.

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brechen im Jahre 1791 das europäische Geschehen sehr weitgehend bestimmen sollte. Großbritannien war so aus dem „Isolationssystem" Chathams, aus dem 1763 eingeschlagenen „System der Kälte und Entfernung" und dem Prestigetief nach dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg ausgebrochen, indem man - jedenfalls nach Einschätzung der Staatskanzlei - die hannoversch-preußische Zusammenarbeit „auf die übrigen europäischen Eräugniße" ausdehnte und entsprechend „preußisch" agierte, wohl eingedenk, wie man in Wien vermutete, der vielen Abfuhren, die man sich mit verschiedenen Allianzsondierungen während der letzten Jahre bei Kaiser und Zarin geholt hatte. Von einer Unterordnung britischer Interessen unter das ,/asante System" Friedrich Wilhelms Π. ab 1789 konnte dabei freilich nicht die Rede sein. Pitt machte sich nicht zum Erfüllungsgehilfen preußischer Ambitionen. Aber schon das Gespenst einer möglichen preußisch-britischen Kooperation reichte aus, das zeigte sich sehr rasch nur allzu deutlich, um Wien nachhaltig zu erschrecken. Erweitert um die Niederlande und das sich gleichfalls zusehends aus dem französischen Orbit entfernende Schweden konnte sich um die Achse London-Berlin so etwas wie eine „nordische Kette" bilden, aus der bei Anschluß des Fürstenbundes „ein fürchterlicher Colossus" erstehen mochte. Da spielte es eine relativ geringe Rolle, daß mit Abschluß der Tripelallianz endlich jeder Verbindungsfaden zwischen Versailles und Berlin abgerissen war und Frankreich nicht länger „zwischen zwey Wässern" (Österreich und Preußen) schwimmen konnte. In der Tat hatten sowohl Preußen als auch Frankreich bis zuletzt versucht, sich Fluchttüren offen zu halten; Berlin versicherte lange Zeit, keine „systematische" Verbindung mit London anzustreben, Frankreich soll seinerseits sogar dem englischen Erzfeind im Sinne einer nachhaltigen Klimaentspannung eine Abgrenzung der Interessensphären (der Levantehandel als französisches, der Ostindienhandel als britisches Reservat) angeboten haben. Der Ärger saß bei den Franzosen und speziell bei den Verantwortlichen in Versailles recht tief. Zu allem Überfluß wurde der nach langer Pause seinen Posten in Den Haag antretende Botschafter Frankreichs, Saint-Priest, sehr übel aufgenommen; nach Handgreiflichkeiten zwischen Botschaftspersonal und orangistisch aufgeladenen Teilen der Haager Bevölkerung, für die eine adäquate Entschuldigung von niederländischer Seite ausblieb, reiste er bald nach seiner Ankunft wieder ab. Da bedurfte es nicht einmal des permanenten Drängens der niederländischen Flüchtlinge in der französischen Hauptstadt, um (vorerst unrealistische) Revanchegedanken wachzuhalten oder die Hoffnung auf eine Gegenrevolution zum Sturz des Statthalters zu nähren. Immer wieder tauchte während der Folgejahre auch in Gesprächen zwischen Außenminister Montmorin und Botschafter Mercy die Idee eines französischen Eingreifens in den Vereinigten Provinzen zur

II. Internationale Konflikte

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Unterstützung der Patriotenbewegung gegen Oranien und seine britischen und preußischen Helfershelfer auf, zu Jahresbeginn 1790 sogar in überraschend konkreter Form (der innenpolitisch unbequeme Wächter der Königsfamilie, Marquis de Lafayette, sollte dabei das Kommando über das französischen Hilfskorps übernehmen), ehe Finanzminister Necker diesen Hirngespinsten eine klare Absage erteilte. Ein Vergleich mit der Situation von 1756 und den damaligen Bündniskoalitionen, wie ihn die k.k. Diplomatie durch Parallelisierung der Westminster Konvention und der englisch-preußischen Defensivallianz von 1788 nun gelegentlich anstellte, war freilich mehr als unscharf, denn anders als im Jahre 1756 konnte Frankreich wohl schwerlich noch als attraktiver Alliierter gelten, ja es mußte sich mit fortschreitender innerer Erosion zu einem Klotz am Bein seiner Verbündeten entwickeln. Eine dringend angezeigte Ausbalancierung der Tripelallianz durch eine Quadrupelallianz zwischen Petersburg, Wien, Versailles und Madrid kam nicht zustande (vgl. S. 231 ff.). Das neue Axiom der internationalen Politik war jetzt nicht mehr die bestimmende Achse Versailles-Wien, sondern die machtpolitische Bedeutungslosigkeit der Bourbonen. So schien dem österreichischen Bündnissystem der gegenüber der neu erstandenen Tripelallianz um so nötiger gewordene Westflügel abhanden gekommen zu sein. Unter diesem Gesichtspunkt war es eher unerheblich, daß dem für die beiden letzten Jahrzehnte so charakteristischen Kokettieren zwischen Frankreich und Preußen nun keine Bedeutung mehr zukam; ein letzter Paris-Aufenthalt des Prinzen Heinrich von Preußen, des Oberhaupts der nun einflußschwachen „französischen Partei" am preußischen Hof, von November 1788 bis März 1789 mußte von der österreichischen Diplomatie nicht mehr mit jener hysterischen Aufmerksamkeit verfolgt werden, wie sie früher ähnlichen Kontaktnahmen zuteil geworden war; die gefährlichsten Feinde erwuchsen dem „System von 1756" seit der Krise des Königtums und der Lockerung seiner Autorität ohnedies im Inneren Frankreichs selbst. So hatte sich binnen kurzem die selbstgefällige Zufriedenheit der österreichischen Politik über die Ablenkung potentieller Konkurrenten und untreuer Alliierter als durchaus unberechtigt und reichlich kurzsichtig erwiesen. Stellte die Staatskanzlei noch Anfang Oktober 1787, als die Niederlage der Anti-Oranje-Kräfte so gut wie besiegelt schien, gegenüber dem k.k. Chargé d'affaires in Den Haag lehrhaft fest, wie bedenklich es doch gewesen wäre, „sich mit Worten, Schriften oder Thaten voreilig partheilich zu zeigen, und wie unerwartet öfters die Sachen ausgehen", meinte man damit, wie man etwa zur gleichen Zeit Fürst Reuß in Berlin wissen ließ, was das problematische österreichisch-preußische Verhältnis anlangte, durch die bewußte Abstinenz in der Hollandkrise bewiesen zu haben, „daß beyde Höfe [Wien und Berlin] keineswegs dazu bestimmt sind, um bey jeder

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Β. Krise

Gelegenheit sich hinderlich zu seyn und Lanzen miteinander zu brechen", so blieb doch der Lohn für die bewiesene Zurückhaltung aus: Zu spät hatte man in Wien die ernste Gefahr erkannt, die von der sich wider Erwarten eben nicht „in den holländischen Umständen" erschöpfenden und verzettelnden Tripelallianz ausging, zu sehr die Bedeutung der definitiven Festlegung, ja Fesselung Frankreichs auf bzw. an das Bündnissystem mit Österreich überbewertet, um Maßnahmen zur Sprengung oder Hintertreibung der neuen britisch-preußischen Bündnisklammer ins Werk setzen zu können. Bloße „Zufallsmittel" blieben nun noch übrig, wenn man der bedenklichen Entwicklung gegensteuern wollte, oder aber man flüchtete sich in Selbsttäuschung bzw. Selbstberuhigung, etwa wenn man vorgab, den preußischen Hof noch am liebsten von St. James aus geleitet oder kontrolliert zu sehen, da es keine natürlichen Interessengegensätze zwischen Österreich und England gebe und sich daraus notwendigerweise ein mäßigender Einfluß Londons auf Preußen ableiten lasse. Durch Wiederherstellung bzw. Festigung der traditionellen und stabilisierenden Bündniskonstellationen war so vielleicht ein erster Schritt zu einem „Friedens- und Aussöhnungssystem" auch mit Berlin möglich, „das aber", so belehrte Kaunitz den k.k. Gesandten in London im Oktober 1788, „nothwendig solange unmöglich bleiben wird und muß, als sich der Berliner Hof den immerwährenden Einblasungen, vermeintlichen Entdeckungen und Projeckten kleiner Intriguanten überlaßen und nicht endlich aufhören wird, dem Haus Oesterreich in jeden noch so geringen Gelegenheiten in den Weeg zu tretten". Aus dieser Perspektive mochten sich das Bündnis mit Großbritannien und selbst „der ohne Noth mit so vieler Gehäßigkeit verknüpfte Fürstenverein" wirklich als nützliche Zügel erweisen, die alte Isolationspanik des Berliner Hofes dämpfen und damit ganz allgemein die Stimmung beruhigen helfen 39. 39 Kaunitz an Mercy (7. 2. 1788; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1788 I - IV), Mercy an Kaunitz (23. 2. [wie Anm. 37], 19. 7./I+II [wie Anm. 23], 4. 2. 1789 [wie Anm. 35]), ders. an dens. (25. 4. u. 14. 9. 1788; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1788 I - IV u. 1788 VIII - XII), dto. (4. 1. u. 10. 3. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Mercy-Kaunitz 1790 I - IV); an Joseph II. (18. 7. 1788; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph IL; Druck: A&F 2, 181 - 185). Marie-Antoinette an Joseph II. (16. 7. 1788; FA FK 26 A; Druck: [Arneth] 1866, 116 - 118). Kaunitz an Rewitzky (28. 1., 30. 7. u. 13. 10. 1788; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1788). Rückblickende Einschätzungen zur britischen Politik im Instruktionsentwurf für Stadion (21. 10. 1790; SA England Weisungen 129). - „Projet d'instructions pour la mission dont je vais être chargé auprès des Etats-Généraux" (28. 10. 1787) und Instruktion für Graf Merode (8. 12. 1787): SA Holland 94 Instruktionen. Kaunitz an Schraut (8. 10. 1787; SA Holland 93 Konv. Expeditionen 1787), an Merode (2., 4. 2. 1788; SA Holland 93 o.K. ), an Reuß (17. 10. 1787; StK Preußen DK 65 Konv. Weisungen 1787). - Zu Saint-Priests Schwierigkeiten im Haag im Sommer 1788 vgl. u.a. Mercy an Kaunitz (18., 24., 25. 6., 30. 7. 1788; SA Frkr. Berichte 176 Konv. 1788 V - VII), Kaunitz an Mercy (28. 6. 1788; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1788 V - VII). [Barante]

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Ganz das Gegenteil war schließlich der Fall. Die preußische Politik entwickelte sich mit der - wie auch immer brüchigen und prekären - Rückendeckung durch die Tripelallianz bis zur großen Krisis des Jahres 1790 in zunehmend radikalen Bahnen. In Schweden, vor allem aber nach Ausbruch des Türkenkrieges 1787/88 an der Hohen Pforte schienen England und Preußen in den Augen der Staatskanzlei bald auf das engste gegen die Interessen der beiden Kaiserhöfe zu kooperieren. Die schwere Stoffwechselerkrankung Georgs ΠΙ. im Spätherbst 1788, die ihn geistig lähmte und eine Regentschaft des Prince of Wales, also auch einen Regierungswechsel zu der dem Königssohn nahestehenden WhigOpposition unter Fox und Sheridan wahrscheinlich machte („Regency Crisis") versprach hier wenn schon keine direkte Wiederanknüpfung mit England, so doch vielleicht eine neue außenpolitische Linie eines anderen englischen Kabinetts, ein Abgehen von der in Wien stark an der Person Georgs III. bzw. Pitts festgemachten „partheylichen und fast leidenschaftlichen Hitze" für den Berliner Hof und mehr gerechte Anerkennung für die Wiener Politik. Erhöhte Vorsicht war für Wien v.a. bei der im Spannungsfeld zwischen Reichsrecht und allgemeinpolitischen Rücksichten besonders diffizilen Klärung der Regentschaftsfrage für die kurhannöverschen Lande geboten, um im Falle einer baldigen Genesung des Königs den englischen Hof nicht vollends zu „alieniren" und die allgemeine Scheelsucht und Animosität gegen Habsburg nicht noch zu fördern, wie es wohl das Ergebnis einer die behutsame Taktik der Staatskanzlei störenden starren und recht „diktatorischen" Vorgangsweise der Reichskanzlei mit ihren massiven Einmischungswünschen in hannoversche Interna gewesen wäre. Bereits im Februar 1789 hatte sich die internationales Aufsehen erregende „Regency Crisis" durch die Gesundung Georgs ΙΠ. wieder zu einem Triumph Pitts, des „wahren" englischen Königs, gewandelt. Das anfänglich z.T. sehr mißverständliche bis herrische Verhalten Josephs II. in der hannoverschen Regentschaftsfrage war so auch bald Anlaß für kaum verhüllte Unzufriedenheit des wieder genesenen englischen Monarchen und garantierte das Fortdauern des englischen „Kaltsinns" gegen Österreich. In einen schwierigen Konflikt mit der Pforte verwickelt und mit einer explosiven internationalen Lage konfrontiert, konnte Wien gerade dies am allerwenigsten brauchen40. 1929, Bd. 1, 200 - 204, 206 - 211, [André /Bourgeois] 1924, 393 - 419, 426 - 438. - Der Parisbesuch des Prinzen Heinrich thematisiert bei Mercy an Kaunitz (23. 10., 5. 11. 1788 u. 11. u. 18. 3. 1789; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1788 VIII - XII bzw. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 I - III), ders. an Joseph II. (6. 1. 1789; wie Anm. 16). - Krauel 1901. Die gewaltige Kränkung, die man in Versailles ob des „unfreundlichen" Agierens der Preußen während der Hollandkrise empfand, wird etwa deutlich an der Instruktion für den nach Berlin zurückkehrenden frz. Gesandten Estemo (28. 4. 1788): [Waddington] 1901, 567 - 581.

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Β. Krise 3. Die Hypothek der russischen Allianz: Österreichs Eintritt in den Türkenkrieg 1787 - 1788

a) Die taurische Reise Schon seit Sommer 1786 lag eine Einladung der Zarin an den Kaiser vor, das letzte Zusammentreffen der beiden verbündeten Monarchen aus dem Jahre 1780 zu wiederholen. Die Besichtigungsreise Katharinas in ihre 1784 mit österreichischer Unterstützung neuerworbenen Krimprovinzen bot dafür geeignete Gelegenheit, freilich um den Preis großen internationalen Aufsehens. In Wien äußerte man sich zu dieser unwillkommenen Anregung mit mehr als gemischten Gefühlen, fand aber keinen Sinn darin, die geradezu „systembestimmende" Eitelkeit der Zarin zu kränken. So erfolgte noch im Dezember 1786 die Zusage von österreichischer Seite. Staatskanzler Kaunitz nützte die Zeit der Reisevorbereitungen seit Februar 1787, um Joseph Π. für die Entrevue mit der russischen Kaiserin gehörig zu präparieren. Denn aus der angesichts der unruhigen Lage zwischen Petersburg und Konstantinopel doppelt bedenklichen Rußlandfahrt mußte über die Äußerlichkeiten hinaus unbedingt staatspolitischer Nutzen erwachsen, wollte man am Ende doch noch einigermaßen positiv bilanzieren41. Die „Instruktionen" Kaunitz* für Joseph Π. zeigen recht deutlich, daß nicht nur in Versailles und an der Pforte ernste Bedenken gegen allfällige Kriegsgelüste der Zarin bestanden. Auch die Staatskanzlei fürchtete eine neue Eruption der russisch-türkischen Gegensätze, die die wesentlichen Kräfte der Russen dem Hauptziel der österreichischen Politik entzog: der Bekämpfung und Niederringung Preußens. Den russischen Aktivismus 40

Joseph II. an Kaunitz (17. 1. 1789), Vortrag Kaunitz (19. 1., 5. u. 9. 3. 1789): StK Vorträge 146 Konv. 1789 I - II bzw. Konv. 1789 III - V. Mercy an Kaunitz (26. 11. 1788, 4. 3., 11. 5. 1789; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1788 VIII - XII bzw. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 I - III bzw. IV - VI). Kaunitz an Cobenzl P. S. (28. 11. 1788; SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Expeditionen 1788), an Stadion (8. 12. 1788; SA Schweden 69), an Rewitzky (22. 12. 1788, 25. 3. 1789; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1788 bzw. 1789). - Noailles an Montmorin (22. 12. 1788; AMAE CP Autriche 355). - Derry 1963, Blanning/Haase 1977, Ehrman 1984, Bd. 1, 644 - 666, Black 1994, 189 - 203. 41 Das Verhältnis zwischen Joseph II. und Katharina II. wird von [Arneth] 1869 in der Einleitung zum Briefwechsel der beiden Souveräne im Überblick gewürdigt (ΠΙ - XXXIV), dort auch die Korrespondenz zwischen Kaiser und Zarin zur Rußlandreise 1787 (284 - 293). An etwas versteckter Stelle hat [,Schiitter] 1899 a, X XXXIV, mit episch breiten Zitaten aus damals noch unedierten Stücken des Wiener HHStA über die österr. Ostpolitik der Jahre nach 1787 gehandelt. Vgl. weiters Vyslonzil 1986, 103 - 171, und natürlich - neben Herrmann 1860, einer besonders detailreichen Diplomatiegeschichte - die außenpolitischen Kapitel bei Madariaga 1981.

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wieder auf diesen Punkt zurückzuführen, war der Kernpunkt der Kaunitzschen Reflexionen über die österreichisch-russische Allianz, die seiner Meinung durch keine vorteilhaftere Konstellation ersetzt werden konnte und daher „inséparable à jamais de l'intérêt des deux monarchies" sein mußte. Der eine war in natürlicher Weise der „principal allié" des anderen. Gewiß zählte auch Kaunitz die religiös fanatisierte Pforte unter die natürlichen Feinde der beiden Verbündeten, das Schwergewicht seiner Argumentation lag aber doch ganz eindeutig auf der axiomatischen Frontstellung gegen das Haus Brandenburg, das sich vor fünfzig Jahren zur europäischen Großmacht aufgeschwungen und dadurch das europäische Gleichgewicht wesentlich beeinträchtigt hatte. Die Angst Preußens, wieder aus der Pentarchie der Großmächte verdrängt zu werden, generierte in den Augen Kaunitz' zwangsläufig das hektische Bemühen, den beiden Kaisermächten entgegenzuarbeiten, wo es nur ging, Petersburg und Wien keine Vorteile zu vergönnen. Der preußische Feind im Rücken zwang daher permanent zu Alarmbereitschaft und Hochrüstung, engte die Handlungsfreiheit der beiden Verbündeten an anderen Krisenpunkten deutlich ein. Die während des Türkenkrieges schließlich so entscheidend werdende Frage des Zweifrontenkrieges gegen die Pforte einerseits und gegen Preußen andererseits begegnet schon jetzt im Februar 1787 in Kaunitz' Überlegungen. Sie führte ihn zu einer eindeutigen Schlußfolgerung: Ehe man sich auf andere Abenteuer einließ, mußten die beiden Verbündeten in einer raschen Gemeinschaftsaktion Preußen niederkämpfen und sich Teile seines Territoriums durch einen Partagevertrag sichern, um sich für andere Projekte freizuspielen. Vor diesem gesamtpolitischen Hintergrund war denn auch die österreichische Diplomatie an der Pforte bis zum Kriegsausbruch im August 1787 ganz deutlich auf Vermittlung und Ausgleich berechnet. Die französische Allianz, einst mit der Spitze gegen Preußen geschmiedet, hatte dagegen ihren antipreußischen Affekt längst verloren; Versailles nützte gerade in der Ära Vergennes während der achtziger Jahre gerne die anhaltenden Spannungen zwischen Berlin und Wien, um die eigene außenpolitische Attraktivität zu verbessern und sich aus den Fesseln zu befreien, die das egoistische Österreich dem Verbündeten anlegen wollte. Die verbliebenen Vorteile des „renversement" bestanden für den Kaiser jetzt überwiegend in der durch das Bündnis mit Frankreich leichter möglichen Abkehr vom Westen und verstärkter Konzentration auf Ost(mittel)europa. Wien gewann freie Hand gegen Preußen, Frankreich konnte sich auf seinen maritim-kolonialen Konflikt mit Großbritannien konzentrieren; die für Österreich erfreuliche Persistenz der Rivalität zwischen Frankreich und Großbritannien garantierte die Trennung des politischen Systems in Europa in eine westliche und eine östliche Hemisphäre, ließ also vorerst wenig Platz für ein ernstzunehmendes Engagement der Westmächte in den brennenden Fragen des Ostens. Nicht ohne Sorge beobachtete Wien vorübergehende

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französisch-britische Ausgleichsbemühungen in den letzten Amtsjahren Vergennes', konnte doch vielleicht der Handelsvertrag von 1786 die Vorstufe zu einem Freundschaftsabkommen sein. Dagegen die Rivalität zwischen Versailles und St. James zu unterhalten und anzufachen, mußte ebenso Ziel der russisch-österreichischen Politik sein wie eine Stärkung des gegen Preußen zu ziehenden „eisernen Vorhangs": Rußland sollte Dänemark gegen Schweden und Preußen an sich binden, Österreich wollte sich vermehrt der Reichsfürsten annehmen, um den verhaßten Fürstenbund zu schwächen. Dieses gewaltige antipreußische Programm der Staatskanzlei vermied es wohlbedacht, die Verbindung zum „großen Plan" der Zarin aus dem Blick zu verlieren, ja es schuf erst die Voraussetzung für seine Realisierung. Der Zeitpunkt eines Schlages gegen Preußen war dann gekommen, wenn England und Frankreich miteinander beschäftigt, die Lande der Hohenzollern aber durch den natürlichen Hang Friedrich Wilhelms zur Untätigkeit hinreichend mürbe sein würden. Dem stark antipreußischen Duktus der österreichischen Außenpolitik und den entsprechenden Mahnungen der Staatskanzlei an Petersburg, den Grundgesetzcharakter der Todfeindschaft zwischen Preußen und den Kaisermächten zu bekennen, widersprach nicht nur die viel eher nach Süden orientierte Stoßrichtung Rußlands. Eine Altlast aus der friderizianischen Zeit schuf den schier unglaublichen Zustand, daß Rußland - nominell immer noch mit Preußen, dem „ennemi naturel et nécessaire" Wiens und (so jedenfalls Kaunitz) auch Petersburgs, verbündet war, ehe der Vertrag im Jahre 1788 auslief 42. Wien hatte dabei seit Bestehen des Bündnisses von 1781 viel getan, die alten Verbindungslinien zwischen Petersburg und Berlin definitiv zu kappen und die preußische Partei um Großfürst Paul zu versöhnen, also die russische Allianz über die Lebenszeit der Zarin hinaus zu konservieren. Auch die von langer Hand - seit 1781 - vorbereitete, im Januar 1788 endlich geschlossene Ehe Erzherzog Franz' mit Elisabeth von Württemberg, der Schwester der Großfürstin, diente diesem Zweck. Minister Panin, der der preußischen Partei „mit Leib und Seele", wie Kaunitz schrieb, verfallen war, hatte bedenklich großen Einfluß auf den Großfürsten ausgeübt und in 42

Kaunitz an Joseph II. (12. 2. 1787; StK Vorträge 143 Konv. 1787 I - II, Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1787; Druck: [Beer] 1873, 246 - 250) mit „Considérations 1° sur le sistème de l'alliance des deux cours impériales, 2° sur leurs alliances respectives avec d'autres puissances, 3° et sur ce qui est de leur intérêt relativement au sistème politique des autres états de l'Europe les plus considérables" (Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 452 - 456). Kaunitz an L. Cobenzl (13. 2. 1787; SA Rußland II Weisungen 174 Konv. Expeditionen 1787) und das entspr. Partikularschreiben (Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 108 f.), Ph. Cobenzl an L. Cobenzl (12. 2. 1787; Druck: ebd., 112 - 114). Kaunitz an Schlick (5. 3. 1787; SA Dänemark 69 Konv. Weisungen 1787).

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dem Oppositionswillen des Thronfolgers gegen seine Mutter einen brauchbaren Ansatzpunkt gefunden. Panin konnte gestürzt werden, der Großfürst aber blieb ein wichtiger Faktor für alle Zukunftsprognosen. Durch ein kluges Anknüpfen an das Haus Württemberg, dem die Gattin Pauls entstammte, ließ sich vielleicht ein Ausgleich erzielen. Sogar in handelspolitischer Hinsicht beugte sich Wien russischen Egoismen, um der Befestigung der Freundschaft mit Petersburg nicht zu schaden. Nach langen und zähen Verhandlungen kam 1785 auf Initiative der Russen ein Handelsabkommen zustande, durch das - so sah es jedenfalls die Staatskanzlei - Petersburg nach dem Umdenkprozeß des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges die wettbewerbsfeindliche Dominanz der Engländer im russischen Handel wieder durchbrechen und den Konkurrenzkampf systematisch fördern wollte, gingen doch noch 1781 zwei Drittel der Ausfuhr auf englische Rechnung; v. a. das Baumaterial für die britische Flotte fiel darunter ins Gewicht. Rußland zeigte bei den Verhandlungen mit Österreich sehr wenig Kompromißbereitschaft, und die Staatskanzlei betonte, „daß die Eingehung eines Handlungseinverständnißes mit Rußland von Seiten des hiesigen Hofes im Grund als eine politische Gefälligkeit" zu verstehen sei43. Der Kaiser brach schließlich im April 1787 unter dem üblichen Inkognito eines Grafen von Falkenstein auf und gelangte über Lemberg und Brody „cette Jerusalem moderne", wie es Joseph wegen des hohen Anteils jüdischer Bevölkerung süffisant nannte - Mitte Mai 1787 nach einer kurzen Zusammenkunft mit dem polnischen König nach Cherson. Von hier eilte er der Zarin, deren Anreise sich verzögerte, nach Norden entgegen, und Ende Mai 1787 trafen die beiden Monarchen endlich gemeinsam in Cherson, ihrem ursprünglichen Zielort, ein. Anfang Juni 1787 unternahm Joseph II. eine Besichtigungstour auf der Krim und langte nach rekordverdächtig schneller Rückreise am 30. Juni 1787 wieder in Wien ein. Die während der Reise geführten Gespräche hatten freilich von Anfang an die österreichischen Bedenken gegen den turbulenten Charakter der Politik Katharinas nur bestätigt. Noch Ende Mai 1787 berichtete der Kaiser in seinem Briefwechsel mit dem Staatskanzler, die Zarin - Mahnungen zur Vernunft unzugänglich - vergehe nachgerade vor Begierde, endlich wieder gegen die Türken loszuschlagen und die noch bestehenden Hindernisse für weitere Ausdehnung im Schwarzmeerraum zu beseitigen, besonders die tür43

Vortrag Kaunitz (7. 8. 1787; StK Vorträge 143 Konv. 1787 VIII) - Mémoire zum Eheverlöbnis Erzherzog Franz' und zum „Handlungseinverständniß" mit Rußland. Die bemühte Korrespondenz zwischen Joseph II., dem Großfürstenpaar und der Herzogin von Württemberg aus den achtziger Jahren findet sich z.T. im Anhang der Edition von [Beer/Fiedler] 1901 gedr. - Zu den britisch-russischen Beziehungen ist auf ein Kuriosum aufmerksam zu machen: Marx 1980.

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kische Sperrfestung Oczakow; natürlich lud sie ihren Verbündeten ein, es ihr gleichzutun und den Türken wenigstens die 1739 im Frieden von Belgrad schmächlich verlorenen Gebiete wieder abzunehmen. Durch mancherlei „Potemkinsche Dörfer" zu unrealistischen Erwartungen verleitet, scherzte Katharina verdächtig viel über das „große Projekt" und gefiel sich in bedenklichen Wortspielen. So schlug sie für ein nächstes Monarchentreffen Konstantinopel vor; der Kaiser aber antwortete, schlagfertig und der von Kaunitz ausgegebenen antipreußischen Linie folgend das „große Projekt" auf Preußen drehend, mit... Königsberg. Die Österreicher plädierten gegen den raschen Kurs der durch ihre taurische Reise nur noch mehr echauffierten Zarin für eine sehr zurückhaltende Politik, die Europa über die Absichten der Kaisermächte beruhigen sollte; „cacher les ongles" und Zuwarten lauteten vorerst die Paßworte der österreichischen Diplomatie. Sogar eine etwaige Verlängerung der auslaufenden russisch-preußischen Allianz schien einigen Verantwortlichen zielführend, um den preußischen König nicht hellhörig zu machen. Joseph II. selbst verwies die Zarin, die Preußen als „quantité négligeable" abtat und Frankreich bei wachsenden inneren Schwierigkeiten zu etwaiger Hilfe für die Pforte unfähig hielt, auf seine schwierige geostrategische Lage, deren Verbesserung mit dem Schiffbruch des bayerischen Tauschplanes gescheitert war und die ihn nun außenpolitisch in seiner freien Gestaltung behinderte. Daß aber die Zarin früher oder später den „Tanz" beginnen würde, wie die österreichische Diplomatie spaßte, daran konnte kein wirklicher Zweifel bestehen. Botschafter Cobenzl in Petersburg riet dringend, keinesfalls passiver Zuschauer zu bleiben und so den Russen alle Vorteile bis hin zur Umsetzung des „grand plan" zu überlassen44.

44

Die Korrespondenz des Kaisers mit Kaunitz während der Reise nach Cherson bei [Beer] 1873, 253 - 272, besonders Joseph II. an Kaunitz (Cherson, 25. 5. 1787, u. Sewastopol, 3. 6. 1787). L. Cobenzl an Kaunitz (Sewastopol, 3. 6. 1787), ders. an Kaunitz u. an Ph. Cobenzl (13. 6. 1787): [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 150 - 169. Die Briefe des Kaisers an FM Lacy sind - nach den Vorlagen in FA FK A 26 - bei [Arneth] 1869, 353 - 376, abgedr. Die vorbereitende bzw. die Reise begleitende Korrespondenz zwischen Staatskanzlei und Kaiser einerseits, Botschafter Cobenzl andererseits findet sich im Bd. 2 bei [Beer/Fiedler] 1901. - Noailles an Vergennes bzw. an Montmorin (10., 13. 1., 30. 5., 2., 6., 10., 13., 20., 27. u. 30. 6. 1787; AMAE CP Autriche 352). - Thürheim 1877, 120 - 138. Der frz. Gesandte am russischen Hof, Comte de Ségur, durfte die Zarin auf der Reise begleiten. Er hat sie in seinen Mémoires ([Ségur] 1824/1827, hier Bd. 3) gemeinsam mit seinen Vermittlungsbemühungen ausführlich beschrieben.

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b) Krisensymptome - Der belgische Verfassungskonflikt

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Ärgerliche Ereignisse in den belgischen Provinzen hatten sich wie ein Schatten über die Entrevue zwischen Kaiser und Zarin am Schwarzen Meer gelegt und die eilige Rückreise Josephs nach Wien entsprechend beschleunigt. Das josephinische Reformprogramm stieß an der nördlichen Peripherie auf den ersten wirklich ernstzunehmenden Widerstand45. Die Bestandteile der nach dem Spanischen Erbfolgekrieg an die österreichischen Habsburger übergegangenen sog. „Österreichischen Niederlande" gehörten dem Burgundischen Reichskreis an, in dem Österreich als Herzog von Burgund einziger Kreisstand war. Die Bande an den Reichskörper blieben aber recht locker und gingen letztendlich im Formalrechtlichen auf. Mehrmals wurde in Wien eine Abstoßung Belgiens durch Ländertausch in Erwägung gezogen: statt der verwundbaren peripheren Provinzen sollten die Kernlande Habsburgs gestärkt und ausgebaut werden, und die bedenklichen sezessionistischen Entwicklungen der achtziger Jahre konnten diese Leitlinie nur weiter verstärken. Die harten religionspolitischen und administrativen Maßnahmen Josephs II. seit Beginn der achtziger Jahre (Klosteraufhebungen, Einschränkung der üppigen Barockfrömmigkeit, Aufhebung der bischöflichen Seminare 1786, 45

Die Literatur zur Belgischen oder Brabanter Revolution ist heute nahezu unübersehbar. Eine erste gründliche bibliographische Orientierung bietet neben Pirenne 1902, 222 - 224 mit der wesentlichen älteren Literatur von Borgnet bis Juste: België in de 18de eeuw 1983, besonders 41 - 66: L. Dhondt, De regering van Jozef II en de Brabantse omwenteling 1780 - 1790. Eine gute Übersicht über die revolutionären Geschehnisse gibt immer noch Henri Pirenne im Bd. 5 seiner Histoire de Belgique (1920). Eine Teilneuausgabe desselben wurde veranstaltet von Vercruysse 1992. Die Vorgeschichte bis Ende 1787 erschöpft Schiitter 1900. Vgl. auch noch Lorenz 1862. Im großen Kontext Palmer 1959/1964, Bd. 1, 341 - 357, nützlich die knappe Übersicht von Stradai 1968, 273 - 317. Die besten und erschöpfendsten Darstellungen scheinen mir Polasky 1982, dies. 1984, Heirwegh [o.J.] und v.a. für die Vorgeschichte Davis 1974. Von wirtschaftshistorischer Seite Craeybeckx 1970, der den Topos der Rückständigkeit Belgiens relativiert. Als „Klassiker" Ranke 1875, 302 - 316. - Besonders reichhaltig sind die Quelleneditionen: [Schiitter] 1900. Die Korrespondenz zwischen Leopold von Toskana bzw. Leopold II. und seiner Schwester, der belgischen Generalgouverneurin Marie-Christine, verteilt sich auf zwei einander überschneidende Editionen: [Wolf] 1867, der aus dem Nachlaß Alberts von Sachsen-Teschen schöpfte und bereits eine Biographie der Tochter Maria Theresias vorgelegt hatte: Wolf 1863, und [Schiitter] 1896 für die Jahre 1790 1792. Auch [Feuillet de Conches] 1864 - 1873 hatte in seiner großen Edition (Bde. 3 und 4) schon viele Stücke aus der Korrespondenz zwischen Leopold und MarieChristine berücksichtigt. Die alten Quellensammlungen und die Literatur faßt Impe 1979 nochmals zusammen. Einen sehr ansprechenden Bildband lieferten Koschatzky/Krasa 1982. Über das Amt des bevollmächtigten Ministers Boom 1932, hier 341 - 384. Vgl. weiters im Überblick Benedikt 1965.

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Einrichtung staatlicher Generalseminare und ähnliche typisch josephinische Reformschritte), mit denen einflußreiche Kräfte wie die Kirche und die sehr starken Zünfte getroffen wurden, waren nur die Vorboten einer totalen Umwandlung des buntscheckigen Verwaltungsgefüges und der alten Gerichtsordnung in den Österreichischen Niederlanden. Kaiserliche Verfügungen brachten den traditionsbewußten Belgiern zu Jahresbeginn 1787: - die Abschaffung der alten Brüsseler Ratskörper zugunsten eines einzigen „Conseil du gouvernement-général des Pays-Bas", dem der bevollmächtigte Minister vorstehen sollte. Die Generalgouverneure - seit 1781 amtierten die Schwester des Kaisers, Marie-Christine, und ihr Gatte Albert von Sachsen-Teschen in Brüssel - wurden auf das Niveau von Repräsentanten der Wiener Staatsgewalt reduziert. - die Einteilung der belgischen Provinzen in neun von Intendanten zu leitende Kreise (Brüssel, Antwerpen, Gent, Brügge, Tournai, Möns, Namur, Luxemburg, Limburg) - die völlige Neugestaltung der Justizverwaltung. Das tiefgreifende Reformprogramm, mit dem Joseph II. Belgien, diesem „museum of late-medieval corporate liberties" (R. Palmer), auf den Leib rücken wollte, stieß allenthalben auf Widerstand, zu dessen Bannerträgern besonders die Stände und die von der Auflösung bedrohten Gerichtshöfe der Provinzen wurden. Schon während seiner Belgienreise im Jahre 1781 hatte sich der „Kaiser der Neuerungen" in Belgien nicht sonderlich beliebt gemacht und mit der von oben verordneten Toleranz noch im selben Jahr erste Gegenstimmen provoziert. Der Sonderstatus der belgischen Provinzen galt als Schutzwall gegen den modernen Staatsabsolutismus, man unterstrich die Rolle der „corps intermédiaires" als „Volksvertreter". Die administrativen Schnitte vom Januar 1787 führten so alsbald zu einem Proteststurm mit Zentrum in Brabant, wo man sich zudem auf die geschriebene Verfassung der „Joyeuse Entrée" von 1356 und das darin verbriefte Widerstandsrecht berufen konnte. Die Steuerleistungen wurden einstweilen sistiert, die Mitwirkung an der Bildung der neuen Gerichtshöfe verweigert. Henri van der Noot (1731 - 1827), Advokat am „Conseil souverain de Brabant", publizierte im April 1787 ein Mémoire sur les droits du peuple brabançon et les atteintes y portées au nom de Sa Majesté, in dem er die vertragliche Bindung des Souveräns durch die „Joyeuse Entrée" betonte. Der Widerstand wurde mehr und mehr allgemein, jede Aussicht auf Kompromißbereitschaft gegenüber der Regierung schien ausgeschlossen. Die Generalgouverneure sahen sich so zur Relativierung und schließlich zur Suspendierung der von Wien angeordneten Reformen in Justiz und Verwaltung veranlaßt; unter massivem Druck hatte das auf sich gestellte und von der Staatskanzlei mit weitem Handlungsspielraum ausgestattete Generalgou-

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vernement den weiterhin Konfrontationskurs steuernden, ja sogar die Anrufung der Garantiemächte von Utrecht und Rastatt erwägenden Ständen und Provinzen weitere kopflose Zugeständnisse gemacht: die neue Gerichtsordnung blieb außer Kraft gesetzt, die Einteilung der Provinzen in Kreishauptmannschaften wurde zurückgezogen (30. Mai 1787). Schon sehr bald mußte Staatskanzler Kaunitz dem Kaiser auf seine Rußlandreise zutiefst beunruhigende Nachrichten über die Vorgänge in den Österreichischen Niederlanden und das geschlossene Agieren der Stände unter Anführung Brabants nachsenden. Kaunitz riet trotz allem zu großer Mäßigung. Ehe man gegen die eigenen Untertanen zu den Waffen griff die Zahl der Truppen reichte angeblich ohnedies nicht aus, um die Rebellion militärisch zu unterdrücken - , mußte man in seinen Augen alle anderen Mittel ausschöpfen. Einer Durchsetzung des josephinischen Reformwerks, also einer Gleichschaltung (oder wie die Belgier fürchteten einer „Austrifizierung") der belgischen Provinzen mit den übrigen Erblanden räumte Kaunitz freilich a priori nur sehr geringe Chancen ein. Es empfahl sich daher eine Reduzierung des Maßnahmenkatalogs auf realistischerweise durchzusetzende Punkte. Der Fürst riet dem Kaiser, die Sachen in dem Stande zu belassen, in dem sie nach den Zugeständnissen der Generalgouverneure ohnedies waren. Joseph II. reagierte zunächst von Cherson aus primär erstaunt angesichts der Schwierigkeiten, auf die die Durchführung seiner Ordonnanzen in Belgien stieß, und wollte selbst gegen die Boykottmaßnahmen der belgischen Stände hart bleiben, bis die Lähmung der Justiz und die Steuerverweigerung auf die Belgier selbst zurückfielen. Anfang Juni 1787 hatte sich die Haltung Josephs fühlbar verhärtet, nicht zuletzt durch die Überlegung, daß die belgische Renitenz und ein etwaiges Nachgeben eine katastrophale Vorbildwirkung für die anderen Erbländer - speziell für Ungarn - haben mußten. Noch Anfang Juni 1787 ordnete er von Südrußland aus Vorbereitungen für eine Strafexpedition gegen die belgischen Provinzen an; starke Verbände sollten für eine Stoßkolonne konzentriert werden, an deren Spitze er sich selbst zu stellen gedachte. Die furchtsame Zurückhaltung der Verantwortlichen in Brüssel, ihr Mißtrauen gegen die im Land stationierten Regimenter vermochte der Kaiser nicht nachzuvollziehen, unterstellte vielmehr Schwester und Schwager, daß sie ein etwaiges Scheitern seiner Reformpläne nicht ungerne sahen. Auch gegenüber den Mahnungen seines Kanzlers zur Vorsicht blieb Joseph bei seiner unnachgiebigen Linie. Kaunitz erhielt vom Kaiser Mitte Juni 1787 Auftrag, alle unautorisierten Konzessionen zu revozieren und die Regierung in Brüssel ungeschminkt zu tadeln. Angsterfüllte Berichte der Generalgouverneure pflanzten indes die Panikstimmung über den sich rasend ausbreitenden »esprit de liberté* bis nach Wien fort, forderten die schleunige Abberufung des verhaßten bevoll-

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mächtigten Ministers Karl Ludwig Graf von Barbiano-Belgiojoso (1728 1802) und bettelten um rasche Ratifizierung der von ihnen unter Druck gemachten Zugeständnisse. Der von den Generalgouverneuren als Mittler zwischen ihnen und dem Kaiser eingeschaltete Staatskanzler versuchte zunächst durch Unterbrechung der Befehlslinie von Rußland nach Brüssel die brutale Politik Josephs zu obstruieren. In einem Aufsatz vom 20. Juni 1787 fixierte Kaunitz nochmals seine Position in der belgischen Frage: Belgisches Blut zu vergießen hielt er für keinesfalls angebracht, denn im Grunde forderten die belgischen Untertanen ja nur die Einhaltung feierlich beschworener Verfassungsartikel. Breche man sie, so durften sich auch die Belgier legitimerweise ihrer Verpflichtungen ledig fühlen, vielleicht sogar ihre Unabhängigkeit erklären und - allenfalls gestützt auf Preußen, Großbritannien und die Vereinigten Niederlande - nach dem Vorbild der nordamerikanischen Kolonien die internationale Anerkennung sichern. Brutale Rückeroberung und dauernde harte Militärverwaltung wären die notwendigen Folgen eines wirklichen Abfalls der reichen und schönen niederländischen Provinzen, der unbedingt verhindert werden mußte. Eine diplomatische Mission nach Brüssel und väterliche Nachsichtigkeit des Kaisers sollten die Wogen glätten, Änderungen nur Schritt für Schritt eingeführt werden. Vizekanzler Cobenzl, der in vielen Fragen mehr als Kaunitz das Ohr des Kaisers hatte, schlug sich diesmal auf die Seite seines Behördenchefs und beredete diesen nach Möglichkeit zu einer Intensivierung des Arbeitsstreiks gegen die Weiterleitung der aus Rußland einlangenden kaiserlichen Befehle, bis sich die Erregung des Monarchen abgekühlt haben würde. Ratifiziere Joseph die Zugeständnisse der Generalgouverneure nicht, so provoziere er geradezu eine Unabhängigkeitserklärung der belgischen Provinzen, lautete die Ansicht des Staatsvizekanzlers. Kaunitz gab sich dagegen angesichts der geringen bis gegenteiligen Wirkung seiner Remonstrationen beim Kaiser zunehmend resignativ; nicht er, sondern der Souverän müsse sich später dafür vor Gott verantworten. Erbost über das dilettantische Betragen der österreichischen Verantwortlichen in Belgien, dachte Joseph gar nicht daran, auf die Beschwörungen des kopflosen Generalgouvernements einzugehen, ihre Versprechungen zu sanktionieren, nur um sich durch Nachgeben gegenüber einem „Volksaufstand", einer Rebellion, die mit Plünderung und Mord drohte, zum Gespött Europas zu machen; im Gegenteil: der Kaiser ließ Generalgouverneure und bevollmächtigten Minister nach Wien berufen und den Oberkommandierenden der k.k. Streitkräfte in den Österreichischen Niederlanden, General Joseph Graf Murray (1718 - 1802) für die Zeit der Abwesenheit Marie-Christines und Alberts von Sachsen-Teschen zum Generalgouverneur ad interim bestellen. Belgien selbst sollte den erzürnten Herrscher durch Entsendung einer Deputation aus Abgeordneten aller Provinzen milder stimmen.

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Auch auf Kaunitz fiel scharfer kaiserlicher Tadel, nachdem er in einem eher marginalen Punkt dem Drängen der Generalgouverneure ohne Rückfrage beim Kaiser nachgegeben und im übrigen die Politik des Kaisers vorsichtig boykottiert hatte. Nun mußte das Versäumte eilig nachgeholt werden. Auch nach seiner Rückkehr aus Rußland beharrte Joseph II. unabänderlich auf seinem Entschluß; für ihn blieben die Entsendung eines starken Armeekorps in die Österreichischen Niederlande oder besser gesagt: ernstzunehmende und entsprechend lärmende Vorbereitungen die beste Voraussetzung für Verhandlungen mit der erwarteten belgischen Deputation, um sie „geschmeidiger in ihren Forderungen" zu machen, im Weigerungsfalle aber gut gewappnet zu sein. Die Sackgasse der Konzessionswilligkeit, in die sich die Generalgouverneure und der bevollmächtigte Minister Belgiojoso „geflissentlich oder aus blöder Furcht" - so Joseph II. in seiner bekannt brutalen Art - verrannt hatten, mußte raschest verlassen werden. Der Kaiser erachtete den Staat und seine Ehre als zutiefst kompromittiert, ja beleidigt und gab sich schon Anfang Juli 1787 überzeugt, daß es den Belgiern ohnedies nicht mehr nur um die Wiederherstellung ihrer alten Verfassung ging, sondern vielmehr um die Durchsetzung der Unabhängigkeit, wozu sie der leichte Erfolg gegen die belgische Regierung geradezu einladen mußte. Ein mildes Reskript an die Brabanter Stände sollte aber Anfang Juli 1787 noch alle Verhandlungstüren offenlassen, während sich k. k. Truppen an den Westgrenzen der Erblande zum Einsatz in Belgien sammelten. Beruhigung der Situation oder „Bürgerkrieg" - die Entscheidung der Frage lag nun an der belgischen Deputation, die Joseph II. als Zeichen des Einlenkens wünschte. Er betonte, daß es niemals seine Absicht gewesen war, die belgische Verfassung umzustoßen. Alle Reformmaßnahmen zielten vielmehr auf Nutzen und Wohl der belgischen Untertanen ab, tunlichst ohne Auflösung der alten Rechte und Freiheiten; wegen der mißverständlichen Auslegung blieben die Ordonnanzen nun vorerst suspendiert. Staatskanzler Kaunitz sah den gescheiterten Reformversuch seines Herrn und Meisters dagegen in einem durchaus anderen Licht. Er war innerlich weiterhin davon überzeugt, daß die Belgier nur forderten, was recht und billig war („le maintien de la Constitution et du contrat social"), allerdings in verurteilenswerter Form. Im vertrauten Briefwechsel mit dem k. k. Botschafter in Petersburg, Graf Cobenzl, rechnete es sich der Fürst als Verdienst an, sein Möglichstes getan zu haben, um Unheil abzuwenden. Dem harschen ,sic volo, sic jubeo' des Kaisers konnte er nichts abgewinnen, und die Eskalation der Folgezeit schrieb er der Tatsache zu, daß Joseph II. wieder einmal nicht auf ihn gehört hatte, und gerade das endete jedesmal im Unglück46. 46

Joseph II. an Kaunitz (Cherson, 25. 5. 1787, Sewastopol, 3. 6. 1787, Cherson, 16. 6. 1787, 30. 6. 1787; Druck: [Beer] 1873, 262 - 272), dto. (Lemberg, 23./24. 6. 1787; Druck: A&F 2, 99 - 102), die Vorlagen in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz12 Hochedlinger

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Mit großem Entsetzen hatte man in der Staatskanzlei auch die leisen Verdächtigungen des Kaisers gegen den französischen Verbündeten vernommen, von dem er sogar eine förmliche Nichteinmischungserklärung verlangen wollte. Sie wurden durch Gerüchte aus Brüssel genährt und konnten sich immerhin auf die in Givet geplanten Truppenkonzentrationen berufen. Diese hatten freilich ganz andere Motive: nämlich die sich eben verschärfende Hollandkrise. Joseph II. erinnerte sich aber verbittert an die Ereignisse während des Scheidestreits, als Frankreich ebenfalls nach Absendung österreichischer Truppen Richtung Belgien seinerseits Militär konzentrierte. Der Allerchristlichste König war schockiert über die Gerüchte, die in den Österreichischen Niederlanden über den angeblichen Anteil Frankreichs an den Unruhen kursierten, und der französische Geschäftsträger in Brüssel, Yves-Louis-Joseph Hirsinger, erhielt aus Versailles Weisung, den böswilligen Ausstreuungen entgegenzuwirken. Botschafter Mercy wurde schon seit längerem von Belgiojoso aus Brüssel über die Vorgänge in Belgien auf dem laufenden gehalten; in Brüssel sprach man vielerorts davon, daß Versailles bei der belgischen Verfassungskrise mit unter der Decke steckte. Trotz eifriger Nachforschungen fand Mercy allerdings nicht den geringsten Anhaltspunkt für ein so „meineidiges Betragen". Auch die bedenkliche innere Lage Frankreichs selbst beruhigte den Diplomaten hinsichtlich möglicher französischer Verwicklungen: wegen der kritischen Finanzsituation hatte Frankreich gar nicht die materiellen Mittel, sich in fremde Händel einzumengen, war vielmehr gezwungen, für die nächsten Jahre stillzuhalten, und konnte es sich, von dem peinlichen Eindruck innerhalb der Staatengemeinschaft nicht zu reden, keinesfalls leisten, die eigenen Untertanen durch Unterstützung der aufrührerischen Belgier selbst noch zur Widersetzlichkeit zu ermuntern. Soviel stand fest: Mitglieder der Brabanter Stände hatten sich an den französischen Vertreter in Joseph II./1787. Kaunitz an Joseph II. (15. 5., 5. 6., 20. 6. 1787/I+II, 25. 6. 1787/ I+II, 30. 6. 1787), Joseph II. an Kaunitz (4. 7. 1787; FA SB 70 Konv. NW KaunitzJoseph II./1787; Druck: [Beer] 1873, 272 - 274), Kaunitz an Joseph II. (4. 7. 1787): StK Vorträge 143 Konv. 1787 V - VII. Ph. Cobenzl an Kaunitz (29. 6. 1787; GK 406 Konv. A; Druck: [Schiitter] 1899a, 46f.) mit Apostille Kaunitz'. KA NL Zinzendorf TB 32 (6., 13. u. 15. 7. 1787). Kaunitz an L. Cobenzl (5. 7. 1787; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 178f.); Joseph II. an Katharina II. (5. 7. 1787; Druck: [Arneth] 1869, 294 - 296). Joseph II. an Murray (3. 7. 1787; Druck: [Schiitter] 1900, 65 - 71). Wichtige Korrespondenzstücke zwischen den Generalgouverneuren und dem Kaiser bzw. dem Staatskanzler aus den Monaten Mai und Juni 1787 sind bei [Beer] 1873, 457 - 465, 474 - 488, abgedr. Die Belehrung des Kaisers durch Staatskanzler Kaunitz vom 5. 6. 1787 und der wichtige Vortrag vom 20. 6. 1787 finden sich bei Schiitter 1900, 246 f. Anm. 2 u. 248 f. Anm. 12; ebd. 256 f. Anm. 56 das Schreiben Josephs II. an die Stände von Brabant (Juli 1787) mit den eigenhändigen Verbesserungen des Kaisers. - Noailles an Montmorin (14., 19., 23. 5., 13. 6. 1787; AMAE CP Autriche 352).

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Brüssel gewandt und die Entsendung einer Deputation nach Versailles angekündigt, um allenfalls die französische Garantie der Jahre 1713/14 anzurufen. Frankreich winkte ab und betonte, sich keinesfalls in österreichische Domestica mischen zu wollen. Die Ängste der österreichischen Verantwortlichen in Brüssel waren damit freilich nur bedingt beruhigt. Dafür aber, daß man sich gerade in Versailles nicht doch über diese Ablenkung österreichischer Aufmerksamkeit von der „orientalischen Frage" freute, wollte selbst Mercy seine Hand nicht ins Feuer legen; auch den Preußen unterstellte man natürlich ähnlich hämische Genugtuung über die internen Schwierigkeiten Wiens, Schloß aber eine - optisch unmögliche direkte Intervention aus. Unbedingter Anhänger einer üppigen Verschwörungstheorie war dagegen Großherzog Leopold von Toskana. Ausgerechnet bei ihm, der ja der josephinischen Belgien-Politik am fernsten stand, weinte sich der Kaiser über die Schwierigkeiten mit den rebellischen Untertanen und den „Arbeitsstreik" der Staatskanzlei aus. Leopold suchte - jedenfalls im Briefwechsel mit dem kaiserlichen Bruder - die Wurzeln der belgischen Ereignisse in einer französischen Intrige, vielleicht sogar mit dem Ziel, die österreichischen Provinzen als Sekundogenitur für des Königs jüngeren Bruder, Graf Artois, angeboten zu erhalten. Für ihn steckte auch Rom - unterstützt von Preußen - mit in der Sache, wie das Engagement fanatischer Priester beweise ... eine Verschwörung von Ex-Jesuiten, ein Racheakt Roms auch für die aufsehenerregende Abschaffung der Nuntiatur in Brüssel Anfang 1787 und schließlich der Versuch, eine Weiterführung der Modernisierungsreformen in Deutschland zu verhindern. Eine Lösung der Verfassungskrise mit Waffengewalt wünschte Leopold für die schönen Provinzen freilich nicht 47 . 47

Mercy an Kaunitz u. P. S. 4 (18./22. 6. [wie Anm. 36], 14. 7. 1787 [wie Anm. 36]), Partikularschreiben dess. an dens. (14. 7. 1787; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787; Druck: A&F 2, 106f.), ders. an Joseph II. (14. 7. 1787; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 103 - 106); Kaunitz an Mercy (30. 6., 10. 7. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787 V - VII) mit „Copie de la dépêche de l'Empereur et Roi aux Etats de Brabant" (3. 7. 1787), Joseph II. an Mercy (Cherson/Wien, 16./30. 6. 1787; Druck: A&F 2, 99 - 103); Mercy an Belgiojoso (10. 6. 1787; Druck: Schiitter 1900, 243 f. Anm. 241), ders. an dens. (17. 7. 1787; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787 V - VIII). Kaunitz an Reuß (10. 7. 1787; StK DK Preußen 65 Konv. Weisungen 1787). Joseph II. an Leopold (23. 6., 6., 9., 19. 7. 1787), Leopold an Joseph II. (19. 7. 1787): [Arneth] 1872, Bd. 2, 82 - 99. KA NL Zinzendorf TB 32 (26. 7. 1787). Noailles an Montmorin (4., 7., 14. 7. 1787; AMAE CP Autriche 353). - Gegen den frz. Geschäftsträger Hirsinger, der angeblich unbedachte Äußerungen von sich gab, kräftig intrigierte und über allzu gute Beziehungen zu brabantischen Ständevertretern, speziell zu van der Noot verfügte, hielten die ernsten Bedenken der Österreicher an. Zu Jahresanfang 1788 ließ Joseph II. in Versailles um die Abberufung des 1*

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Ende Juli 1787 trafen das Statthalterpaar und der bevollmächtigte Minister Belgiojoso in Wien ein. Die Führungsspitze der österreichischen Verwaltung in Brüssel, die in den Augen des Kaisers ihre Unfähigkeit überdeutlich bewiesen hatte, von der Staatskanzlei aber immer noch Schützenhilfe erhielt, mußte ausgewechselt oder weiter kaltgestellt werden. Marie Christine und Albert blieben bis Januar 1788 in der österreichischen Hauptstadt und bekamen zu spüren, daß der Kaiser die Sachen nun lieber selbst in die Hand nahm; für Belgiojoso, diesen „fou d'Italien", wie man ihn nun qualifizierte, war in Graf Trauttmansdorff, dem bevollmächtigten Minister in Mainz, beim Oberrheinischen und Fränkischen Kreis, rasch Ersatz gefunden (August 1787). Kaunitz' Hoffnungen richteten sich weiterhin auf eine Beruhigung der Lage ohne Verschärfung der Drohgebärden sowohl im Sinne der lädierten kaiserlichen Würde als auch der belgischen Landesverfassung; „par une conduite conforme aux devoirs de bons et fidèles sujets" sollten die Belgier Vergangenes für die Zukunft vergessen machen und so eine schonendere, auf das Einverständnis auch der belgischen Untertanen Bedacht nehmende Vorgangsweise erleichtern. Zeit und Vorsicht schienen dem Staatskanzler einmal mehr - gegen den stürmischen Wagemut seines Kaisers - die besten Rezepturen gegen die „defensive belgische Revolution"48. frz. Diplomaten ersuchen: Joseph II. an Mercy (7. 2. 1788; Druck: A&F 2, 158 160), Mercy an Joseph II. (23. 2. 1788; wie Anm. 37), Marie-Antoinette an Joseph II. (22. 2. 1788; FA FK A 26; Druck: [Arneth] 1866, 112 - 114). Joseph II. an 1902, 66f.). Anstelle eines bevollTrauttmansdorff (7. 2. 1788; Druck: [Schiitter] mächtigten Ministers wollte Frankreich in Hinkunft nur mehr einen Residenten in Brüssel unterhalten, wobei die Wahl auf den gut österreichisch gesinnten Sekretär der frz. Botschaft in Wien, Lagravière, fiel. Dieser wurde in Wien durch den Botschaftssekretär in der Schweiz, Gabard de Vaux, abgelöst: Mercy an Kaunitz (24. 6. 1788; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1788 V - VII) als Beilage: Mercy an Trauttmansdorff (24. 6. 1788). - Montmorin an Noailles und Lagravière (13. 6. 1788), Noailles und Lagravière an Montmorin (28. 6. 1788), Noailles an Montmorin (24. 9. 1788): AMAE CP Autriche 354 u. 355. Als „Österreicher" war Lagravière in Frankreich nicht unumstritten. Vgl. Lamarck an Mirabeau (25. 6. 1790; Druck: [Bacourt] 1851, Bd. 1, 339 f.). 48 Joseph II. an Kaunitz (9. 7. 1787; FA SB 70 Konv. Kaunitz-Joseph II./1787; Druck: [Beer] 1873, 272), Kaunitz an Joseph II. mit ksrl. Apostillen (9., 11., 21. 7. 1787; StK Vorträge 143 Konv. 1787 V - VII; Druck: [Beer] 1873, 274 - 277), „Très humbles observations du prince de Kaunitz sur les différents objets..." (7. 8. 1787; StK Vorträge 144 Konv. 1787 VIII), Kaunitz an Joseph II. (8. 8. 1787; ebd. Konv. 1787 VIII - IX) mit „Projet de la réponse qu'il pourrait plaire à S.M. l'Empereur de faire de bouche à la députation des états des provinces belgiques" (Druck: Schiitter 1900, 267 f. Anm. 152), Joseph II. an Kaunitz (11. 8. 1787; Druck: Schiitter 1900, 264f. Anm. 134), dto. (13. 8. 1787; FA SB 70 Konv. Kaunitz-Joseph II./1787; Druck: [Beer] 1873, 279), Kaunitz an Joseph II. (14. 8. 1787; StK Vortrage 144 Konv. 1787 VIII - IX; Teildruck: Schiitter 1900, 266f. Anm. 147), Vortrag Kaunitz (22. 8. 1787; StK Vorträge 144 Konv. 1787 VIII - IX). Ph. Cobenzl an Joseph II.

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Freilich: die der Mitte August 1787 endlich in Wien eingelangten belgischen Deputation gestellten Bedingungen für weitere Verhandlungsbereitschaft des Kaisers - die Einrichtung der neuen Gerichtsverfassung und der Intendanzen wurde fallengelassen, ansonsten war (und dies bedeutete v.a. ein Festhalten an den kirchlichen Reformen) der status quo vor dem 1. April 1787 herzustellen - stießen auf hartnäckigen Widerstand der Brabanter Stände. Die Steuerverweigerung ging weiter. Im September 1787 versagte endlich auch der auf sich allein gestellte General Murray im Angesicht anhaltender Turbulenzen und bewaffneter Zusammenstöße zwischen der Zivilbevölkerung und k.k. Truppen in der ihm zugedachten Funktion eines Regenten mit eiserner Hand. Die feierliche Veröffentlichung der kaiserlichen Zugeständnisse, in der unter Überschreitung der Vorgaben aus Wien statt der vorläufigen Suspendierung die gänzliche Aufgabe der Reformedikte vom Januar 1787 besiegelt und die Rückkehr zu den „lois fondamentales" Belgiens beschworen wurde, trug in dieser aufgeheizten Stimmung den Charakter eines schmählichen Rückzugs und verdeckte völlig den eigentlichen Hintergedanken Josephs Π. bei der - nur teilweisen Sistierung der Reformen: den Belgiern sollte mit der Zeit selbst und ohne Zwang von oben die Nützlichkeit, ja Dringlichkeit des Reformprozesses bewußt werden. Nun schienen aber im Gegensatz dazu die Reformen definitiv vor dem belgischen Traditionalismus kapituliert zu haben (21. September 1787); „voilà les fruits d'avoir toujours cédé à l'impertinence et ne pas avoir exécuté les ordres avec la fermeté que j'avois tant recommandée" so der entsetzte Kaiser, der durchaus Zusammenhänge zwischen der Vorbildwirkung der Ereignisse im prärevolutionären Frankreich und den neuerlichen Eruptionen in Belgien sah. Einen „coup d'autorité" mußte er sich für günstigere Zeiten vorbehalten; der eben ausgebrochene Krieg zwischen Rußland und der Pforte absorbierte die gesamte Aufmerksamkeit der österreichischen Politik. So endete das erste belgische Abenteuer so traurig, wie (21. 7., 12. 8. 1787; Druck: [Brunner] 1871, 62 - 64). Joseph II. an Leopold (22., 26. 7., 2., 6., 13., 16., 23. 8. 1787), Leopold an Joseph II. (1., 7., 14. u. 28. 8. 1787): [Arneth] 1872, Bd. 2, 99- 115. Marie Christine an Leopold (21. 8. 1787; Druck: [Wölfl 1867, 35 - 37). Mercy an Kaunitz (25. 7. 1787; wie Anm. 36), Staatskanzlei an Mercy (26. 7., 16. u. 18. 8. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787 V - VIII), Kaunitz an Mercy (28. 7. 1787; wie Anm. 19 bzw. 36), Joseph II. an Mercy (28. 7. 1787; Druck: A&F 2, 107 - 109). Belgiojoso an Crumpipen (29. 7., 16., 18. u. 19. 8. 1787; Druck: [Schiitter] 1900, 26f., 34 - 39); Joseph II. an Murray ([14. 8.], 16., 21. 8. 1787; Druck: [Schiitter] 1900, 81 - 86). - Ein eigenes Selekt zu einer möglichen frz. Verwicklung in die belgischen Unruhen des Jahres 1787 findet sich in SA Frkr. Varia 41. Die Widerstände Kaunitz* gegen die Belgienpolitik des Kaisers führten offensichtlich zu einer schweren Führungskrise, bei der auch - wegen wiederholter Mißachtung seiner Vorschläge - von einem möglichen Rücktritt des Staatskanzlers gesprochen wurde: KA NL Zinzendorf TB 32 (9. 7., 8., 18., 21. 8. 1787). - Noailles an Montmorin (21., 28. 7., 1., 8., 15., 18., 22. 8. 1787), Montmorin an Noailles (11. 8. 1787): AMAE CP Autriche 353.

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es begonnen hatte. Noch im Oktober 1787 ersetzte General Richard Graf d'Alton (1732 - 1790) den glücklosen Murray als weitgehend autonomer Militärkommandant, und Ende Oktober 1787 traf der neue bevollmächtigte Minister Graf Trauttmansdorff in Brüssel ein. Kaunitz bestärkte die belgische Verfassungskrise einmal mehr in seiner fundamentalen Skepsis gegenüber den josephinischen Regierungsprinzipien in internis, die den Karren soweit in den Sumpf gefahren hatten. Gekränktes Selbstgefühl angesichts wiederholter Mißachtung seiner wohlgemeinten Ratschläge spielte dabei gewiß eine nicht zu unterschätzende Rolle: In den Augen des Staatskanzlers waren die sommerlichen Unruhen des Jahres 1787 ein extrem kostenintensiver Ausritt, den man bei Befolgung seiner „Wohlmeinung" problemlos hätte vermeiden können. Kaunitz blieb misanthropischer Pessimist genug, um zu bezweifeln, daß das belgische Exempel dem Kaiser für die Zukunft als Lehrstück dienen würde 49.

c) Der Beginn des Türkenkriegs: Frankreichs Orientpolitik am Scheideweg Seit langer Zeit schon bemühte sich die k.k. Diplomatie auch und gerade in Versailles, das Osmanische Reich als unheilbar zerrüttetes, dem Untergang geweihtes Staatsgebilde darzustellen und Frankreich aus seiner Rolle als Schutzmacht der Pforte hinauszumanövrieren, wenn es eines Tages galt, dem Koloß auf tönernen Füßen den Garaus zu machen. Dies lief nicht nur der konservierenden Außenpolitik des Comte de Vergennes schnurstracks entgegen, auch aus handelspolitischen Erwägungen durfte Frankreich einer Zerschlagung des Osmanischen Reichs, „une des riches colonies de la France", so der französische Botschafter an der Hohen Pforte im Januar 1788, nicht ruhig zusehen. Das rasche Vordringen der Russen seit 1774, die Öffnung des Schwarzen Meeres, des Bosporus und der Dardanellen für russische Schiffe war - selbst auf friedlichem Wege realisiert - bedrohlich genug für die französische Position in der Levante, die ihrerseits Expansionsgelüste Richtung Rotes und Schwarzes Meer kaum unterdrücken konnte, beide Male aber am Widerstand der Pforte schei49 Joseph II. an Murray (9., 21. u. 29. 9. 1787; Druck: [Schiitter] 1900, 86 - 93). Joseph II. an Kaunitz (4. 10. 1787; FA SB 70 Konv. Kaunitz-Joseph II./1787; Druck: [Beer] 1873, 280f.), Kaunitz an Joseph II. (6. 10. 1787; StK Vorträge 144 Konv. 1787 X; Druck: Schiitter 1900, 284 Anm. 270). Kaunitz an Murray (8. 10. 1787; Druck: Schiitter 1900, 284f. Anm. 273). Partikularschreiben Kaunitz' an Mercy (30. 8. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787; Druck: A&F 2, 118 - 120); Joseph II. an Mercy (6. 10. 1787; wie Anm. 37). Joseph II. an Leopold (6. 12. 1787; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 145 - 147).

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Vergennes' Nachfolger, Comte de Montmorin, schien aber aus weicherem Holz geschnitzt und war vielleicht zum Standpunkt der beiden Kaisermächte leichter zu bekehren. Immer und immer wieder erfüllte Botschafter Mercy bei seinen Gesprächen mit dem französischen Gegenüber den stereotypen Auftrag der Staatskanzlei, das Reich des Halbmonds als unmittelbar vom Einsturz bedrohte „delabrirte Maschine" darzustellen, und in Wien erhielt der französische Botschafter von den Beamten der Staatskanzlei dieselben Prognosen aufgetischt. Über kurz oder lang - daran zweifelte auch Staatskanzler Kaunitz im Februar 1787 nicht - war der Zusammenbruch des Osmanischen Reichs „mit voller Gewißheit" vorauszusehen. Frankreichs offensive Rußlandpolitik eröffnete neue Chancen: im Januar 1787 schloß Ludwig XVI. nach mühsamen und langwierigen Verhandlungen einen Handelsvertrag mit der Zarin, der die englische Prädominanz in Rußland aufbrach (englische Verhandlungen scheiterten im Frühjahr); für eine tiefergehende Ablösung von der alten Linie bedurfte es allerdings noch einiger Zeit 51 . Weiterhin beobachtete die französische Diplomatie mit größtem Mißtrauen die Bewegungen Wiens und Petersburgs gegenüber dem Großherrn. Die Reise des Kaisers nach Cherson - Joseph II. selbst bezeichnete sie im April 1787 als vordergründige „complaisance toujours nécessaire quand on a affaire au sexe" - , der dabei getriebene Aufwand und die die Zarin begleitenden Truppenmassen erregten beträchtliches Aufsehen und aktivierten das vorhandene Mißtrauenspotential; immerhin hatten sich auch die diplomatischen Vertreter der beiden Kaisermächte an der Pforte, Internuntius Peter Philipp Freiherr von Herbert (1735 - 1802) und der russische Gesandte Jakob Iwanowitsch Bulgakow (1743 - 1809), zu ihren Souveränen nach Südrußland verfügt, und dies sah den Franzosen verdächtig nach letzten Absprachen für den seit langem geplanten tödlichen Streich aus. Der Konflikt zwischen Petersburg und Konstantinopel über eine Klärung der Machtverhältnisse in Georgien und der ganz allgemein deutlich spürbar werdende Griff Rußlands nach der Herrschaft im Schwarzen Meer, auch die starke Einmischung in die Interna der Donaufürstentümer und des Archipelagus belasteten in der Tat das Klima zwischen den beiden europäischen Randstaaten, förderten Drohgebärden und - auf türkischer Seite hörbares Säbelrasseln. Frankreich konterte im März 1787 - der Kaiser war 50

Auch Kreta und Syrien wurden Mitte der achtziger Jahre zu Zielpunkten eigenartiger frz. „Visitationsreisen" (D. Gerhard): Charles-Roux 1906, ders. 1910. Gontaut-Biron 1937, 187 - 203. 51 [Ségur] 1824/1827, Bd. 2, bes. 414-421, Pingaud 1887 b passim, Regemorter 1963, Fox 1971. Zu Ségurs Gesandtentätigkeit vgl. auch [Rambaud] 1890, 385 478. Die britisch-russischen Handelsverhältnisse Ende der achtziger Anfang der neunziger Jahre bei Ehrman 1962, 92 - 136. Das russische-englische Verhältnis insgesamt hervorragend analysiert bei Gerhard 1933, zu den Handelsbeziehungen bes. 31 - 81.

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noch nicht nach Rußland aufgebrochen - mit einer Vermittlungsinitiative, bei der Joseph Π. eine wichtige Rolle als Bremser gegen die russischen Ambitionen zufallen mußte; er sollte die französische Position in Petersburg diplomatisch stützen und die brutalen russischen Forderungen in Georgien zurückschrauben helfen. Der Kaiser sagte zwar seine Unterstützung zu, sah dafür aber eigentlich gar keine Notwendigkeit, denn nach österreichischem Informationsstand - und dieser war, wie man zugeben mußte, mehr als dürftig - hatte Katharina, so beteuerte man jedenfalls, keinerlei kriegerische Ambitionen und Österreich ohnedies kein Interesse, ihr dabei vielleicht noch zu helfen; noch weniger aber wollte man sich in Petersburg durch ungebetene Ratschläge kompromittieren und so den Preußen die Türe zur Wiederannäherung an Rußland öffnen. Mit den Wochen schien Montmorin unter den Redekünsten' des kaiserlichen Botschafters allmählich mürbe zu werden, Frankreichs Entschlossenheit, Katharina II. aufzuhalten, ins Wanken zu geraten; auch im französischen Außenministerium keimten jetzt Zweifel an der (Über-)Lebensfähigkeit der Pforte, die aber einstweilen noch von ausweichendem Verhalten überdeckt wurden. Die österreichische Politik suchte dabei sehr geschickt den Eindruck zu vermeiden, als nagten Zerstörungswut und Landhunger der beiden Kaiserhöfe am Lebensfaden der Pforte, und drehte die Argumentation gegen die Türken, denen selbst auf dem Totenbett noch eine Art passiver Aggression zugeschrieben wurde. Der Zerfall des Vielvölkerstaats mußte - so die Linie Wiens - gerade für die Nachbarn weniger als Chance zur Bereicherung, sondern vielmehr - war man nicht gehörig vorbereitet als ernste Gefährdung der Stabilität auf dem Balkan begriffen werden. Aus österreichischer Perspektive stellte sich für den Fall eines Engagements im Südosten besonders das Problem der preußischen Bedrohung. Daß sich angeblich die Kontakte zwischen der Pforte und Berlin auf Initiative der Türken schon zu Jahresbeginn 1787 verstärkten, paßte gut in die alten Angstträume der Staatskanzlei. Solange Preußen volle Handlungsfreiheit hatte und auch Frankreich ein nicht gänzlich zu vernachlässigender Faktor blieb, war angesichts der drohenden internationalen Verwicklungen - das sollte auch Katharina II. einsehen - der „wahre Zeitpunkt" für die Lösung der „orientalischen Frage" nicht gekommen. Daß sich aber der Kaiser während seiner Rußlandreise von der Lehrmeinung seines Kanzlers entfernte, wollte auch die französische Diplomatie nicht ausschließen52. 52

Mercy an Joseph II. (20. 1. 1787; wie Anm. 11), Mercy an Kaunitz (20. 1. [wie Anm. 5], 1. 3. 1787 [wie Anm. 3]), ders. an dens. (7. 2., 6. u. 14., 23. u. 28 3. 1787; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787 I - IV); Kaunitz an Mercy (7. 2. 1787; wie Anm. 17), Joseph II. an Mercy (Lemberg, 26. 4. 1787; wie Anm. 18). Kaunitz an Joseph II. (16. 3. 1787; FA SB 70 Konv. Kaunitz-Joseph II./1787; Druck: [Beer] 1873, 250f.). Joseph II. an Mercy (18. 3. 1787; wie Anm. 15), Kaunitz an Mercy (18. 3. 1787; wie Anm. 15) mit dem Kommunikat des frz. Botschaf-

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Bis April 1787 hatte man den Umdenkprozeß des französischen Außenministeriums in bezug auf die „orientalische Frage" in Teilbereichen schon beachtlich weit vorantreiben können. Staatssekretär Montmorin gab zu, daß eine „Sanierung" des Osmanischen Reichs und damit eine Stärkung der Widerstandskraft gegen feindliche Absichten von außen kaum Aussicht auf Erfolg hatten. Was aber anstelle der Türkei erwachsen mochte, schien den Franzosen noch wesentlich bedrohlicher, gerade für Wien: ein gewaltiges russisches Reich vor der Haustüre der Erblande ... Grund genug für eine österreichisch-französische Gemeinschaftsaktion, um eine Zerschlagung der Türkei zu verhindern. Denn - daran ließ der Außenminister in seinen Konferenzen mit Mercy keinen Zweifel - Ludwig XVI. war keinesfalls gesonnen, einer Spoliierung des Osmanischen Reiches zuzustimmen. Mit sichtlicher Freude, die alten „Sünden" der Franzosen wieder auf das Tapet bringen zu können, wies die k. k. Diplomatie dem eigenartig allianzfernen Kurs unter Außenminister Vergennes wesentlichen Einfluß auf die primär gegen Berlin gerichtete Rußlandorientierung der österreichischen Außenpolitik zu, die nun in Versailles die bekannten Bedenken erweckte, und verweigerte sich der angeregten Rettungsaktion für den Sultan; die Pforte selbst, die „vermöge ihrer Religionsgrundsätzen wenigstens um ganze zwey Jahrhunderte hinter die polizirte Nationen noch zurückgesezt ist", widersetzte sich ja aus eben diesen Gründen konsequent auch Reformvorschlägen wohlmeinender Freunde. Dies wußte Frankreich, dessen für Rußland so ärgerliche Militärmissionen in der Türkei seit langem keinen leichten Stand hatten, besser als andere. An der wilden Entschlossenheit des Versailler Hofes, den Zusammenbruch der Pforte wenn nicht aufzuhalten, so doch wenigstens zu verzögern, bestand für Mercy kein Zweifel. Dabei mochte man sich am Plan einer großen Mächtekoalition, an preußischen und englischen Intrigen gegen die Kaiserhöfe aufrichten, oder sogar an dem Gedanken, der Tod der Zarin könnte ein Haltesignal für weitere russische Expansion sein. Für Kaunitz bestätigte ein derartiges Verhalten eines Verbündeten, daß man von Frankreich nur Gehässiges und ärgerliche Querschüsse zu erwarten hatte und gut beraten war, auch unter diesem Gesichtspunkt jeden Plan gegen den Sultan auf bessere Zeiten aufzuschieben. Vorerst bestand freilich wenig Hoffnung auf eine Beruhigung der Lage; die Türken verstärkten ihre Verteidigungsmaßnahmen an der Nordgrenze zu Rußland. Das von Petersburg ters: Extrakt aus Montmorin an Noailles (8. 3. 1787; SA Frkr. NW 13 Konv. Korrespondenz mit der frz. Botschaft 1785/88). Kaunitz an L. Cobenzl (26. 3. 1787; SA Rußland II Weisungen 174 Konv. Expeditionen 1787). Kaunitz an Herbert (3., 17. 3. 1787; SA Türkei II 95 Konv. Expeditionen 1787 I - VI). - Noailles an Vergennes bzw. Montmorin (6., 20., 24. 1., 3., 19. 2., 3., 7., 14., 16., 19., 31. 3., 11. 4. 1787), Vergennes an Noailles (4. 2. 1787), Montmorin an Noailles (8., 18. 3., 1. 4. 1787), Kaunitz an Noailles (17. 3. 1787), Noailles an Choiseul-Gouffier (17. 3. 1787): AMAE CP Autriche 352.

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begierig beäugte Oczakow wurde unter Anleitung französischer Offiziere stark befestigt, aber gleichsam zum Ausgleich kursierten bereits Gerüchte, Frankreich sondiere in Petersburg seinen Beuteanteil für den Fall des endgültigen Zusammenbruchs der Pforte (Mai 1787). In den Reihen der französischen Diplomatie selbst gab es ja ganz im Widerspruch zur offiziellen Linie seit langem Russomanen, etwa den liberal-aufklärerischen französischen Gesandten in Petersburg (1785 - 1789), Louis-Philippe Comte de Ségur (1753 - 1830), einen Liebling der Zarin und Amerika-Kämpfer, der sogar an der großen taurischen Reise Katharinas hatte teilnehmen dürfen und sich einen engeren Anschluß an Rußland wünschte53. Die Lunten für die Explosion waren längst gelegt, und die stets hochgestimmten Prätentionen der Zarin, die der russische Gesandte Bulgakow bei der Pforte zu deponieren hatte, keineswegs dazu angetan, das Glimmen des Kriegsfeuers zu ersticken. Wien und sogar Versailles mußten dabei einbekennen, daß die russischen Forderungen im Grunde - wenigstens zum größten Teil - den Buchstaben der Verträge für sich hatten. Diesen Rechtsstandpunkt der Russen zu unterstützen, konnten weder Österreicher noch Franzosen umhin. Auch in Wien aber war man über das turbulente Agieren der Zarin und die sehr wahrscheinliche Anrufung des casus foederis im Kriegsfall wenig erbaut; die anstrengende Rußlandreise des Kaisers hatte sichtlich die beabsichtigte kalmierende Wirkung verfehlt, und Botschafter Cobenzl in Petersburg war einer der wenigen, die dem unheilvollen Szenario noch Positives abgewinnen konnten. Ihm schwebte als Belohnung für Mithilfe an einem eventuellen Türkenkrieg der Russen eine Rückgewinnung Schlesiens vor! Mehr und mehr wurde auch der Staatskanzlei klar, daß - selbst wenn es die Zarin nach aufrichtiger Meinung des Kaisers nicht zum Äußersten kommen lassen konnte oder wollte - kaum noch Hoffnung auf eine Beruhigung des russisch-türkischen Verhältnisses bestand. Kaunitz bedauerte im Juli 1787, daß die Zarin nicht einsah, wie ungelegen („in tempore inopportuno") die Aussicht auf einen aus der Kaukasus-Krise erwachsenden Türkenkrieg gerade Österreich mit seinen belgischen Troublen kommen mußte. Russischen Zugewinnen wollte man zwar im Ernstfall durchaus gehörige Äquivalente für Wien entgegensetzen, einstweilen aber noch für eine Erhaltung des Friedens arbeiten, etwa im Zusammenwirken mit Frankreich durch Gemeinschaftsaktionen Herberts und des französischen Botschafters Choiseul-Gouffier am Goldenen Horn. Dabei mußte den Türken die von böswilligen Höfen bewußt genährte gefährliche Illusion genommen werden, sie 53 Mercy an Kaunitz (7. 4. 1787; wie Anm. 15), ders. an dens. (2. u. 19. 5. 1787; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787 V - VIII), Kaunitz an Mercy (1. 5. 1787; wie Anm. 18). - Noailles an Montmorin (4., 16., 21. 4., 2., 5., 9. 5. 1787), Montmorin an Noailles (28. 4. 1787): AMAE CP Autriche 352.

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hätten von österreichischer Seite ohnedies nichts zu fürchten, dafür aber von Preußen und v.a. von Frankreich solide Hilfe zu erwarten. Botschafter Mercy war sich ganz im Gegenteil zunehmend sicher, daß Montmorin und viele Franzosen, denen es hauptsächlich darum ging, Frankreich den volkswirtschaftlich so bedeutenden Levantehandel zu sichern, schon angefangen hatten, sich mit dem Gedanken eines Untergangs der Pforte zu „familiarisiren". Internuntius Herbert wurde wiederholt instruiert, alles zur friedlichen Beilegung der russisch-türkischen Streitsache zu tun und notfalls die Pforte durch geschicktes Drohen mit österreichischer Unterstützung für die Zarin zum Einlenken zu zwingen54. Mitte August 1787 durchschlug der Sultan selbst mit einem auch für die Russen unerwarteten Schwertstreich den lästigen Knoten der nicht enden wollenden Verwicklungen: Der russische Gesandte Bulgakow, eben erst zu großer Mäßigung und Kompromißbereitschaft instruiert* wanderte nach Ablehnung eines exorbitanten türkischen Ultimatums einer alten Tradition der Völkerrechtswidrigkeit folgend in das berühmt-berüchtigte Staatsgefängnis der Sieben Türme, das Zeichen zum Krieg und zur Befreiung von den jahrelangen russischen Demütigungen war damit gegeben (16. August 1787). Am 29. August langte die betrübliche Nachricht in Wien ein, sechs Tage später in Paris. Petersburg sah sich zu Anfang September 1787 mit diesem Schock konfrontiert: Die Verwicklungen in den Vereinigten Niederlanden und die ernsten Autoritätsprobleme des österreichischen Verbündeten in Belgien hatten die Zarin letztlich zu spät auf einen zurückhaltenden Kurs einschwenken lassen. Nun folgten auch von russischer Seite sofort die Kriegserklärung und eine Notifikation des türkischen Rechtsbruchs an die europäische Öffentlichkeit. Bei aller Erregung des Kaisers über diesen „tollsinnigen Schritt der Pforte" und den eklatanten Friedensbruch, für den es keine Rechtfertigung gab, galt nun plötzlich, da man vor vollendete Tatsachen gestellt war, besonders die Art des türkischen Vorpreschens bei näherer Betrachtung als durchaus günstig ... jedenfalls was die internationale Optik anlangte. 54 Kaunitz an Joseph II. (5. 6. 1787; StK Vorträge 143 Konv. 1787 V - VII). Kaunitz an L. Cobenzl (5. 7. 1787; SA Rußland II Weisungen 174 Konv. Expeditionen 1787); Ph. Cobenzl an L. Cobenzl (5. 7. 1787), L. Cobenzl an Joseph II. (9. 8. 1787): [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 180f., 187 - 194. Vgl. auch eine Denkschrift Ludwig Cobenzls (Juli 1787) abgedr. bei [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 462 - 467. Kaunitz an Herbert (17. 7., 4. 8., 18. 8. 1787; SA Türkei II 95 Konv. Expeditionen 1787 VII - XII). Mercy an Kaunitz (18./22. 6. 1787 [wie Anm. 36], 20. 6. 1787 [wie Anm. 36], 4. 7. 1787 [wie Anm. 36], 14. 7. 1787 [wie Anm. 36], 14. 8. 1787 [wie Anm. 16]); Kaunitz an Mercy (29./30. 6. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787 V - VII), ders. an dens. (28. 7. 1787; wie Anm. 36), Joseph II. an Mercy (28. 7. 1787; wie Anm. 36). - Montmorin an Noailles (2. 7. 1787), Noailles an Montmorin (14., 16. 7. 1787): AMAE CP Autriche 353).

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Unglaublich aber wahr: Nach Jahrzehnten der russischen Provokationen und Nadelstiche hatte der Sultan die Rolle des Aggressors übernommen und versetzte Rußland in die Lage, einen „gerechten Verteidigungskrieg" zu führen, erleichterte so das alte Bestreben, das geschwächte und auch anderwärts abgelenkte Frankreich als Schutzmacht weitgehend aus dem Rennen zu halten. An einem allianzgemäßen Einschreiten Wiens konnte jetzt weniger denn je begründeter Zweifel bestehen. Schweren Herzens - so beteuerte jedenfalls Joseph II. - mußte sich Österreich jetzt entschließen, mit ganzer Kraft der angegriffenen Zarin beizuspringen. Denn, anstatt wie bei der Krimkrise 1783/84 umsonst auf spätere russische Belohnung für die Bündnistreue zu warten, wollte man diesmal von Anfang an selbst und aktiv darauf sehen, daß die Waage zwischen den beiden Alliierten wenigstens einigermaßen im Gleichgewicht blieb. Auch wenn ein Totalumsturz des türkischen Reiches in Europa unerreichbar schien, empfahlen die Staatskanzlei und ein beunruhigter Kaunitz, den Krieg mit Nachdruck und möglichst rasch zu Ende zu führen. Frankreichs Politik mit ihrem anhaltenden Bemühen, das Überleben der Pforte sicherzustellen, bedurfte in diesem kritischen Moment einer besonders genauen Beobachtung, soferne es den Beschwörungen der verunsicherten und von der türkischen Schilderhebung überraschten französischen Diplomatie nicht doch noch gelang, den Sultan zum Nachgeben zu bewegen. Zwar ließ sich direkte Hilfe aus Versailles ausschließen, aber eine Stärkung der Türken durch Technik und Know-how war allemal mehr als wahrscheinlich, eine kurzfristige Interessengemeinschaft zwischen Frankreich und Preußen immer noch im Bereich des Möglichen. Frankreich jedenfalls signalisierte schon vorab Widerstand gegen jeden Versuch der Russen, die Türken aus Europa zu verjagen. Sogar über die angebliche Kriegshetze des britischen Gesandten an der Pforte, Sir Robert Ainslie (1730 - 1804), kursierten unerfreuliche Gerüchte, die auch von dieser Seite für die Folgezeit nichts Gutes verhießen. Über den bürgerkriegsähnlichen Verwicklungen in den Vereinigten Niederlanden hatte sich trotz des Handelsvertrags von 1786 und der berühmten Vertrauenserklärung Pitts auch der Himmel über den französisch-britischen Beziehungen wieder merklich verfinstert 55. Wesentliche Probleme, die sich im Laufe des Türkenkriegs bis 1790 wirklich auftaten, hat Joseph Π. schon im August 1787 in beängstigender Deutlichkeit als Gefahrenmomente gesehen, etwa die preußische Bedrohung im Rücken und das Grundärgernis, wegen russischer Untätigkeit die ganze 55

Ainslie hatte in der Tat im Dezember 1786 aus London Weisung erhalten, die russisch-türkischen Beziehungen nach Möglichkeit weiter zu vergiften. Dabei war die vorwaltende Grundidee die Beschäftigung der frz. Aufmerksamkeit am Balkan und im Schwarzmeergebiet und ihre Ablenkung von den niederländischen Wirren: Weisung Carmarthens an Ainslie (19. 12. 1786), zit. bei Black 1984 b, 289. Vgl. Gerhard 1933, 191 - 221, Black 1984a.

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osmanische Streitmacht auf den Hals zu bekommen. Auch Staatskanzler Kaunitz meldete von Beginn an Zweifel an der tatsächlichen russischen Schlagfertigkeit an. Österreich selbst blieb einstweilen bis zum Abschluß seiner Rüstungen in Abwarteposition und steuerte in Konstantinopel einen allen verbindlichen Erklärungen ausweichenden Kurs, um die Türken nicht vorzeitig zu Gegenmaßnahmen zu bewegen. Der kaiserliche Internuntius hatte sogar Auftrag, eher das Schicksal seines russischen Kollegen zu teilen, als sich eine unzweideutige Deklaration abtrotzen zu lassen56. Dabei liefen in Wien schon Anfang September 1787 die Vorbereitungen für den wirklichen Eintritt in den Türkenkrieg, bereits im Oktober 1787 waren die kaiserlichen Kriegserklärungspatente ausgearbeitet, die - ins Türkische, „Illyrische" und Walachische übersetzt - bei Kriegsausbruch an den Grenzen zum Osmanischen Reich massenhaft ausgestreut werden und durch verschiedene Zusagen an die Bevölkerung das Vorrücken durch Feindesland erleichtern sollten. Längst war Joseph II. dem förmlichen Hilfsersuchen seiner Freundin Katharina um Mitwirkung an der „correction exemplaire" der Türken mit entsprechenden Zusicherungen zuvorgekommen; der tatsächliche Beginn der Kampfhandlungen zog sich freilich noch Monate hin, gerade weil man die russischen Feldzugsplanungen nicht kannte. Kaunitz hielt jedenfalls jenen Zeitpunkt für den günstigsten, zu dem auch die ganz offensichtlich völlig unvorbereiteten Russen mit ihrem System der Unordnung einen Offensivschlag gegen die Türken führen konnten. Bis dahin schien es angezeigt, die Pforte im unklaren zu lassen und nicht mit einer unzeitigen Kriegserklärung vorzupreschen. Mit dem Großteil der österrei56

Joseph II. an L. Cobenzl (30. 8. 1787; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 194 - 196), Kaunitz an L. Cobenzl (30. 8. 1787; SA Rußland II Weisungen 174 Konv. Expeditionen 1787), das gleichzeitige Partikularschreiben, das des Staatsvizekanzlers und L. Cobenzl an Joseph II. (12. 9. 1787) bei [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 196 - 201. Joseph II. hatte der Zarin seine bündnismäßige Hilfe sofort in einem Schreiben vom 30. 8. 1787 zugesagt (Druck: [Arneth] 1869, 298 - 300; dazu Joseph II. an Kaunitz und die Antwort des Staatskanzlers, beide Stücke vom 30. 8. 1787: StK Vorträge 144 Konv. 1787 VIII - IX). Kaunitz an Herbert (5. 9. 1787; SA Türkei II 95 Konv. Expeditionen 1787 VII - XII). Joseph II. an Mercy (30. 8. 1787), Kaunitz an Mercy (30. 8. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787 VIII - XII), Partikularschreiben des Staatskanzlers (30. 8. 1787; wie Anm. 49). Joseph II. an Leopold (30. 8., 6. 9. 1787; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 115f., 117 f.). KA NL Zinzendorf TB 32 (31. 8. 1787). - Noailles an Montmorin (11., 18., 27., 29. 8., 1., 3., 5., 8., 12., 15., 19. 9. 1787), Montmorin an Noailles (4., 5., 7., 14. 9. 1787): AMAE CP Autriche 353. Choiseul-Gouffier an Noailles (9. 8. 1787) mit Begleitschreiben des letzteren an Kaunitz (27. 8. 1787): SA Frkr. NW 13 Konv. Korrespondenz mit der frz. Botschaft 1785/88. Über die Rolle Ainslies und die Vermutungen Wiens hiezu vgl. auch Kaunitz an Kageneck (16. 12. 1787; SA Spanien DK 118 Konv. 6), an Thugut (6. 1. 1788; SA Neapel Weisungen 23); „Instructionsentwurf 4 für Graf Stadion (21. 10. 1790; SA England Weisungen 129). KA NL Zinzendorf TB 32 (18. 10. 1787).

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chischen Heeresmacht, mit mehr als 240.000 Mann, wollte man - so die von Anfang an vielkritisierten Planungen der Militärs unter der Ägide des Militärexperten Josephs, Feldmarschall Franz Moritz Graf von Lacy (1725 - 1801) - einerseits den gesamten österreichisch-türkischen Grenzverlauf vom Dnjestr bis zur Adria decken und andererseits den entscheidenden Schlag gegen Belgrad führen. Erst nachdem die k.k. Truppenverbände feindliches Gebiet betreten hatten, sollte der Internuntius der Pforte die Kriegserklärung übergeben. Die abgrundtiefe Kluft zwischen Anspruch und Realität wurde schon jetzt augenfällig, wenn Botschafter Cobenzl aus Petersburg meldete, daß man für das angebrochene Feldzugsjahr 1787 von den Russen nichts mehr erwarten könne, und gleichzeitig für einen wechselseitigen Wettlauf um möglichst weitreichende Eroberungen plädierte 57. Bei den Verantwortlichen in Wien überwog natürlich nach außen das Maßhalten. Man gab sich gegenüber der Staatengemeinschaft sehr moderat in einem möglichst rasch wieder zu beendenden Konflikt, dessen Ziele, wie man beteuerte, nur sehr begrenzt waren und keineswegs auf die gänzliche Vertreibung der Osmanen aus Europa hinausliefen, nicht zuletzt auch deswegen, weil - so die Staatskanzlei trickreich - alle Eroberungen auf türkische Kosten letztlich nichts als unkultivierte, wenig bevölkerte Gebiete einbrächten. Den Österreichern gehe es wie den Russen letztlich nur um die Absicherung der Türkengrenze, für die man bisher unverhältnismäßig großen Aufwand habe treiben müssen. Selbst wenn das Osmanische Reich durch seine „Regierungsmängel" in den Augen vieler ein kaum gefährlicher Nachbar war ... die ungeheure Ausdehnung, die gewaltigen Ressourcen, die laufenden inneren Unruhen und die geringe Stabilität an der Staatsspitze blieben stets ernstzunehmende Unsicherheitsfaktoren; um so angebrachter mußte es sein, die günstige Gelegenheit zu nützen, solide, von den Wechselfällen der Zeitumstände unabhängige Grenzverhältnisse gegenüber der Pforte herzustellen58. 57 Joseph II. an Kaunitz (4. u. 29. 9. 1787), Joseph II. an Cobenzl (6. 10. 1787) mit dem Patentsentwurf, Joseph II. an Kaunitz (8. 10. 1787) mit Katharina II. an Joseph II. (11./22. 9. 1787; Druck: [Arneth] 1869, 300f.), Kaunitz an Joseph II. (8. 10. 1787): StK Vorträge 144 Konv. 1787 VIII - IX bzw. Konv. 1787 X. Am 13. 10. 1787 meldete sich Joseph II. bei Katharina Gewehr bei Fuß und versicherte die Zarin weiterhin seines Kriegswillens (30. 10. 1787), Katharina II. an Joseph II. (30. 10. 1787): [Arneth] 1869, 302 - 305. L. Cobenzl an Joseph II. (24 . 9. 1787), Joseph II. an L. Cobenzl (13. 10. 1787), Kaunitz u. Ph. Cobenzl an L. Cobenzl (12. 10. 1787): [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 202 - 212. KA NL Zinzendorf TB 32 (7., 28. 9. 1787). - Noailles an Montmorin (22., 26., 29. 9., 24., 27., 31. 10., 7. 11. 1787; AMAE CP Autriche 353). - Zu den Kriegsvorbereitungen auf österr. Seite vgl. auch Kotasek 1956, 171 - 175. 58 Vgl. u.a. Instruktion für Graf Merode (8. 12. 1787; SA Holland Instruktionen 94); Kaunitz an Kageneck (26. 1. 1788; SA Spanien DK 119 Konv. 1), an Rewitzky (22. 3. 1788; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1787). Kaunitz an L.

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Anfang September 1787 - die Nachricht vom Kriegsausbruch war noch nicht in Paris eingelangt - schien sich die französische Position erfreulich zu entkrampfen; auch der Prinzipalminister Erzbischof Loménie de Brienne schaltete sich ein. Die Suche nach letzten Rettungsmitteln und Drohgebärden gegen Rußland wie etwa die Mobilisierung des Mittelmeergeschwaders zu einem Zeitpunkt, da man schon gegen England in der Holland-Krise (vgl. S. 155 ff.) alle Hände voll zu tun hatte, rückten merklich in den Hintergrund gegenüber der neuentdeckten zweiten Option französischer Orientpolitik: der gemeinschaftlichen Teilung der Trümmer des Osmanischen Reiches. Freilich durch den unaufhaltsamen Aufstieg Rußlands, das durch seine Ausdehnung den europäischen Kontinent bald auf zwei Meeren zu umfassen drohte und besonders Habsburg gefährlich naherückte, eine immens konfljktträchtige Jahrhundertfrage. Frankreichs Hauptinteresse galt in dem nun von russischer Einflußnahme so bedrohten Mittelmeer dem Levantehandel; man erinnerte sich, daß Rußland und Österreich vor nicht allzu langer Zeit Frankreich Ägypten als Beuteanteil angeboten hatten, eine kostbare Acquisition, wie man gerne zugab, die aber wohl nur im harten Ringen mit England zu behaupten wäre. Noch aber hatte Frankreich außenpolitisch die Talsohle des Ansehens nicht erreicht und verfügte vielleicht noch über genug Handlungsspielraum, um Österreich - wie in vergangenen Zeiten - durch zwar allianzwidrige, aber wirksame Minen den Eintritt in den Türkenkrieg zu vergällen. Selbst Mercy schloß nicht aus, daß Frankreich in der Hollandkrise nur deshalb eiligst retirierte, um seine Aufmerksamkeit der orientalischen Frage zuwenden zu können, höchstwahrscheinlich im Einvernehmen mit Berlin (und dafür schienen die Anhaltspunkte nicht zu fehlen). Neutralität war so gesehen schon das Optimum dessen, was man sich letztlich realistischerweise von seinem nutzlosen bis hinderlichen Verbündeten versprechen durfte, dessen Staatsruder, klagte Fürst Kaunitz, von „pauvres petits hommes" geführt wurde. Einem letzten Friedensvorstoß der französischen Diplomatie war jedenfalls kein Erfolg mehr beschieden. Comte de Ségur hatte nämlich aus Petersburg berichtet, die Zarin zeige sich trotz der türkischen Aggression in ihren Forderungen weiterhin sehr gemäßigt und sei sogar bereit, gegen FreiCobenzl samt P. S. (12. 10. 1787; SA Rußland II Weisungen 174 Konv. Expeditionen 1787) zeigt freilich deutlich, daß Teile des „griechischen Projekts" durchaus in den Köpfen der Staatskanzlei herumspukten. So lehnte Wien eine Beteiligung Venedigs am Türkenkrieg u.a. auch deshalb ab, weil Österreich auf die istrischen und dalmatinischen Besitzungen der Signoria ein Auge geworfen hatte und sich diese für den Fall des gänzlichen Umsturzes des Osmanischen Reiches einverleiben wollte. Ein potentielles Opfer des für die Zukunft nicht ganz auszuschließenden Länderschachers zum Kriegsgenossen zu machen, als der gerade Venedig kaum nützliche Dienste leisten konnte, war daher mehr als absurd.

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lassung Bulgakows und einige türkische Zugeständnisse Frieden zu wahren. Hier wollte nun die französische Initiative nachstoßen und sich in Petersburg und Konstantinopel gleichermaßen Meriten erwerben. Die Staatskanzlei bestätigte zwar - mit der französischen Demarche konfrontiert - auf Wunsch des Kaisers, daß von österreichischer Seite von einer gänzlichen Vertreibung der Osmanen aus Europa nicht die Rede war, und wälzte so das Odium weitausladender Pläne auf Rußland ab; als Verbündeter Rußlands und - in absehbarer Zeit - als veritable Kriegspartei konnte man aber schwer Überlegungen zur Absicherung der Pforte anstellen, sich dafür noch in Petersburg dauerhaft kompromittieren und damit den ohnedies auf jede Chance lauernden Preußen die Rückkehr zum russischen Bündnis selbst eröffnen. Der „Zustimmung" Frankreichs zu einem Krieg mit der Pforte bedurfte man ohnedies nicht mehr, seit sich der Sultan selbst derart eklatant ins Unrecht gesetzt und so das ursprünglich mehr als kriegsunwillige Österreich nachgerade gezwungen hatte, die hohen Kriegsaufwendungen durch möglichst weitreichende territoriale Kompensationen wieder einzuspielen. Es galt, die Gelegenheit beim Schöpf zu packen, anstatt - noch dazu ohne entsprechende Aufforderung Rußlands - einem französischen Friedenskonzert die Hände zu bieten. Dies überlagerte nun das Bewußtsein, daß die Türken nach dem Eingeständnis des Staatskanzlers viel angenehmere Nachbarn waren als „aufgeklärtere", will sagen: modernere Machtstaaten europäischer Prägung, und machte es Wien unmöglich, den von Ludwig XVI. gewünschten Freundschaftsbeweis in dieser Form zu erbringen. Die Zeit der Friedensgespräche war, daran ließ Kaunitz keinen Zweifel, vorbei (Oktober 1787). Ein wesentliches Anliegen des Versailler Hofes wollten die Österreicher aber sehr gerne erfüllen: die Verhinderung einer englisch-russischen Annäherung, die auch dem österreichischen Staatsinteresse entgegen war. Dieser Wunsch des Verbündeten mußte nach Einschätzung Botschafter Mercys von Mitte Oktober 1787 vor dem Hintergrund einer nun definitiv geänderten Grundstruktur der französischen Orientpolitik gesehen und als positives Signal begrüßt werden: Frankreich, v. a. Außenminister Montmorin und der österreichisch gesinnte Prinzipalminister Loménie, hatte jetzt endlich selbst das Einsehen gewonnen, daß das Ende des Osmanischen Reichs bevorstand und man darauf sehen mußte, aus dem Wettlauf um Aufteilung der Beute nicht ausgesperrt zu werden. Loménie de Brienne plädierte für ein partnerschaftliches Teilungskonzert zwischen Versailles, Petersburg und Wien und warf eine weitergehende Annäherung Frankreichs an Rußland - selbstverständlich in Unterordnung unter das Bündnis mit Österreich - in die Diskussion. England und Preußen sollten unbedingt ausgeschlossen bleiben. Die Demütigung Ludwigs XVI. in der Hollandkrise hatte nicht nur die Feindschaft mit England deutlich wiederbelebt, sondern auch das Verhältnis zu Preußen in einem Maße getrübt und dauerhaft abgekühlt, das die kühn-

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sten Hoffnungen der k.k. Diplomatie übertraf; letzte Verdachtsmomente wegen eines englisch-preußisch-französischen Ausgleichs im Angesicht der „orientalischen Frage" zerstreuten sich jetzt rasch. Botschafter Mercy stieß unerbittlich nach, drängte Königin Marie-Antoinette, dafür zu sorgen, daß die Fehler und Vergehen Vergennes' ausgebügelt würden und man wenigstens das schlechte Gewissen durch eine weiche Linie abarbeitete; denn ernstzunehmendes außenpolitisches Handeln erwartete auch er von einem kraftlosen, in Ängstlichkeit gefangenen Frankreich nicht mehr. Immerhin beobachtete Österreich in Versailles mit großer Genugtuung die immer deutlicher werdende Abkehr des Alliierten von den österreichskeptischen Grundsätzen Vergennes', von denen sich zu distanzieren Comte de Montmorin nicht müde wurde. Rußland hatte seine anfänglich konziliante Sprache zwischenzeitlich längst aufgegeben; seit Oktober 1787 kam ein Einlenken gegen Freilassung Bulgakows und entsprechende Satisfaktion nicht mehr in Frage. Nicht einmal die Vorstellungen des gesamten diplomatischen Korps hatten in Konstantinopel die Befreiung des russischen Diplomaten aus den Sieben Türmen zu erreichen vermocht. Versuche des französischen Botschafters Choiseul-Gouffier, die in Hitze geratenen Türken doch noch zum Einlenken zu bewegen, scheiterten ebenfalls; die Kriegsparteien gingen zu Tätlichkeiten über. Alles spielte also einer Verstärkung der bereits grundgelegten Abkehr von der bisherigen Orientpolitik in die Hände. Auch die französische Militärmission - eine Altlast der Ära Vergennes', so das Außenministerium - wurde endlich nach und nach abberufen 59. Botschafter Mercy verabsäumte nicht, in alten Wunden der Franzosen zu wühlen und hervorzustreichen, wie wenig Dank der Allerchristlichste König bislang für seine Bemühungen um das Heil des Sultans geerntet hatte; nicht einmal die heißbegehrte Schwarzmeerschiffahrt wollte die undankbare Pforte den Franzosen gewähren. So war der Conseil du Roi bereits Anfang Oktober 1787 bereit, bei Scheitern der letzten Friedenssondierungen selbst an der Aufteilung der türkischen Konkursmasse mitzuarbeiten. Blieben die Türken bei ihrem entschlossenen Kriegskurs, mußte Frankreich sie ihrem Schicksal überlassen. Für Versailles kam gegen die gefährliche neue Achse LondonBerlin nur noch ein verstärkter Anschluß an die beiden Kaisermächte in Frage. Der ewig mißtrauische Kaunitz sah denn auch den sich abzeichnenden französischen Kurswechsel weniger in einem prinzipiellen Umdenken als vielmehr in augenblicklicher Schwäche begründet, die eine harte Sprache eben einfach nicht mehr gestattete und subtilere Mittel erforderte, um die beiden Kaiserhöfe auszuspionieren und nötigenfalls Berlin, das sich gewiß 59

Zur frz. Militärmission Boppe 1912, Bodinier 1987.

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immer noch Hoffnungen auf einen Bruch der Allianz von 1756 machte, gegen Wien auszuspielen. So artete der Wunsch des französischen Außenministeriums nach einer Absprache mit den beiden Kaisermächten in einen wechselseitigen Aushorchwettlauf aus, in dem sich keiner zuerst erklären, sondern den anderen aus der Reserve locken wollte. Das ärgerliche Stillschweigen Wiens über die eigenen Pläne in der „orientalischen Frage" und die operationellen Abreden mit den Russen stieß im Conseil zu Versailles auf Unverständnis. Endlich war Frankreich bereit, dem alten Drängen der Höfe von Wien und Petersburg nachzugeben, und nun sollten die Kaiserhöfe nicht mehr an einer Kooperation interessiert sein? Ségur in Petersburg jedenfalls sah Ende Oktober 1787 große Chancen für eine Wien-PetersburgVersailles vernetzende Allianzkonstruktion und empfahl die rasche Erneuerung der Dreier-Abmachungen von 175660. In der Wiener Staatskanzlei freilich verkannte man bei aller Verschlossenheit nach außen in den internen Diskussionen von Ende November 1787 die günstige Chance nicht, die sich aus dem erfreulichen Schwenk der Franzosen ergab. Denn es schien dringend wünschenswert, daß Österreich aus der kostspieligen Anteilnahme an den russischen Abenteuern endlich den größtmöglichen Gewinn für eigene Rechnung zog. Sowohl die Untätigkeit Frankreichs als auch ein (wenig wahrscheinliches) aktives Mitwirken Versailles' boten in diesem Sinne gewichtige Vorteile und die Aussicht, das 60

Joseph II. an Kaunitz (11. 10. 1787; FA SB 70 Konv. Kaunitz-Joseph II./ 1787; Druck: [Beer] 1873, 281 f.); Joseph II. an Kaunitz (12. 10. 1787; Druck: [Schiitter] 1899 a, XIV Anm. 1) u. Kaunitz an Joseph II. (12. 10. 1787), letzteres mit Entwurf einer Weisung an Mercy (6. 10. 1787), Joseph II. an Kaunitz (12. 10. 1787), Kaunitz an Joseph II. (13. 10. 1787) mit Kaunitz an Mercy (14. 10. 1787; Druck: A&F 2, 128 f.) und frz. Kommunikaten (diese auch in SA Frkr. Varia 40 Konv. Frkr. Varia 1787): StK Vorträge 144 Konv. 1787 X. Mercy an Kaunitz (15. 9. 1787; wie Anm. 37) mit Montmorin an Mercy (5. 9. 1787), Partikularschreiben dess. an dens. (SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787; Druck: A&F 2, 124 f.), Mercy an Joseph II. (15. 9. 1787; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 121 - 123), ders. an dens. (18. 10. 1787; wie Anm. 37), Mercy an Kaunitz (19. 9., 3., 18. 10., 31. 10./2. 11./II, 24. 11., 6. 12. 1787; wie Anm. 37), Kaunitz an Mercy (5. 10., 5. 11. 1787; wie Anm. 37), Partikularschreiben des Staatskanzlers (6. 10. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787; Druck: A&F 2, 127f.), Joseph II. an Mercy (6. 10. 1787; Druck: A&F 2, 125f.). Joseph II. an Marie-Antoinette (5. 11. 1787; Druck: [Arneth] 1866, llOf.), Marie-Antoinette an Joseph II. (23. 11. 1787; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 145f.). Noailles an Kaunitz (11. 11. 1787; SA Frkr. NW 13 Konv. Korrespondenz mit der frz. Botschaft 1785/88). Kaunitz an Herbert (17. 10. 1787; SA Türkei II 95 Konv. Expeditionen 1787 VII - XII). Kaunitz an L. Cobenzl (31. 10. 1787; SA Rußland II Weisungen 174 Konv. Expeditionen 1787), Joseph II. an L. Cobenzl (30. 10. 1787), 1901, Bd. 2, 212 - 214f. Ph. Cobenzl an L. Cobenzl (31. 10. 1787): [Beer/Fiedler] - Noailles an Montmorin (28. 9., 6., 9., 14., 17. 10. 1787), Montmorin an Noailles (2. 10., 4. 11. 1787): AMAE CP Autriche 353. Ségur an Montmorin (31. 10. 1787; AMAE CP Autriche suppl. 23).

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uralte Gespenst einer französisch-preußischen Diversion für immer zu verscheuchen und die seit der Hollandkrise frostige Temperatur zwischen Berlin und Versailles weiter fallen zu machen. Denn trotz des elenden inneren Zustandes der französischen Monarchie schien den Denkern der Staatskanzlei die hypothetische Möglichkeit einer Diversion gegen die belgischen Provinzen im Falle eines Bruches der Allianz keineswegs restlos gebannt ein verheerender Schlag, speziell für die Finanzkraft des Habsburgerreiches, das dadurch Einkünfte in der Höhe von 10 Millionen Gulden verlieren mußte, war also nicht ausgeschlossen. In Kooperation mit Spanien und Sardinien hielt man sogar eine französische Unternehmung gegen die nur schwach gedeckte habsburgische Lombardei für möglich. Ein Schreckensszenario, dem man durch geschickte Verwicklung Frankreichs in die Ostpolitik begegnen konnte. Stand Frankreich erst einmal definitiv auf der Seite der Kaisermächte und ihrer Politik, so waren mit dem Ende der allzu variablen Preußenpolitik à la Vergennes auch Berlins widrigen Absichten die Hände gebunden. In bemerkenswerter Weise schien sich die europäische Lage Ende 1787 der Konstellation von 1756 anzunähern, ein Neubeginn für die unter Vergennes fast zum Phantom verkommene österreichisch-französische Allianz war möglich, nachdem Friedrich Wilhelm II. Versailles in der Holland-Krise derart rücksichtslos gedemütigt hatte und Frankreich selbst v.a. durch seine Sondierungen in Petersburg tätige Teilnahme an der Zerschlagung des Osmanischen Reichs eher in Erwägung zog als unproduktive und isolierende Neutralität. Die Staatskanzlei schätzte die Lage durchaus richtig ein. Nach der schweren Schlappe in Holland mußte Frankreich mehr denn je daran gelegen sein zu verhindern, daß London nun auch in Rußland alte Positionen zurückeroberte; insoferne wollte man sogar ein vorsichtiges Mitmischen im „banditisme international" (Barral-Montferrat) der drei schwarzen Adler in Erwägung ziehen. Um gleichzeitig sowohl die Verbindung mit Petersburg als auch jene mit Versailles halten zu können, lag es von jeher durchaus im Eigeninteresse der Hofburg, den britischen Annäherungsversuchen der achtziger Jahre die kalte Schulter zu zeigen. Der Abschluß einer österreichisch-französisch-russischen Tripelallianz mußte aus diesem Blickwinkel alle weiteren Fluchtwege verlegen und zudem dem Gesamtsystem mehr Stabilität verleihen. Denn dadurch beschleunigte man im feindlichen Lager den Zusammenschluß zwischen England und Preußen, schnitt also dem Kokettieren Frankreichs mit Berlin für immer die Lebensader durch. Damit war eine Konstellation ganz nach Österreichs Geschmack gebildet, in dem sich die Westmächte gegenseitig die Waage hielten und Preußen neutralisiert wurde. Französische Abstinenz im Osten bot bei all diesen Überlegungen den Kaiserhöfen die günstigsten Aussichten und sollte in den Vertragsverpflich13*

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tungen der nun immer konkreter werdenden „Tripelallianz" entsprechend verankert werden: Rußland wollte bei einem Krieg Frankreichs gegen England neutral bleiben, dafür griff der französische König bei einem Türkenkrieg Rußlands nicht zugunsten des Sultans ein. Es ließ sich also eigentlich bei diesem Projekt weniger von einem Bündnis sprechen als von einer Abgrenzung der Interessensphären. Die deutliche Trennung zwischen Ost und West verwischte sich nur in der für Wien so wichtigen Frage der preußischen Bedrohung im Rücken der Erblande. Im Falle einer preußischen Diversion gegen die Kaisermächte sollte sich Frankreich zum Eingreifen verpflichten und dafür seinerseits bei preußischer Unterstützung für London während eines britisch - französischen Krieges gegen Berlin geschützt werden. Mit diesem durchsichtigen Versuch einer teilweisen Entflechtung der europäischen Krisenherde und einem von Wien angeregten Bekenntnis der Zarin zu vorerst beschränkten Kriegszielen waren auch die bedenklichen Weiterungen, wie sie aus einer französischen Beteiligung an der türkischen Beute erwachsen mußten, zu umschiffen. Denn solange es nicht um eine vollständige Zerstörung des türkischen Riesenreichs ging - und dies entsprach nur dann dem österreichischen Interesse, wenn der Kaiser die zu erwartenden gewaltigen russischen Vorteile durch die geplanten Gewinne im Venezianischen aufwiegen konnte - , hatte Frankreich als bloßer Zuschauer kein Anrecht auf irgendeinen Beuteanteil. Als Folge dieser Räsonnements plädierte die k.k. Diplomatie in Rußland denn auch vehement für eine derartige Allianzkonstruktion mit Frankreich, am besten durch Erneuerung des Beitrittsvertrags von 1756. Petersburg freilich war für dieses deutliche Signal gegen England noch nicht reif; erst der Abschluß der preußisch-englischen Allianz im Sommer 1788 sorgte für mehr Druck, auf die neuentdeckten Sympathien der Franzosen einzugehen und die unfreundliche Politik der Jahre Vergennes' zu vergessen61. Frankreich selbst hatte mittlerweile ohne Konzertierung mit dem zu verschlossenen österreichischen Verbündeten in Petersburg eine Offensive gestartet, die über die bisherigen Gespräche mit Wien weit hinausführte, 61

Denkschrift Spielmanns für Kaunitz (24. 11. 1787; GK 406 Konv. E; Druck: [Schiitter] 1899 a, 71 - 82). Kaunitz an L. Cobenzl (21. 11., 7. 12. 1787; SA Rußland II Weisungen 174 Konv. Expeditionen 1787), L. Cobenzl an Joseph II. P. S. (14. 11. 1787), Ph. Cobenzl an L. Cobenzl (10. 12. 1787), Joseph II. an L. Cobenzl (11. 12. 1787): [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 222f., 228 - 232. Kaunitz an Reuß (17. 10. 1787; StK DK Preußen 65 Konv. Weisungen 1787), an Kageneck (7. 2. 1788; SA Spanien DK 119 Konv. 1). Die Chancen, daß England auf Dauer aus Rußland ausgesperrt würde, standen schlecht, für Ségur ein Grund mehr, auf die Offerten Katharinas rasch und ohne wenn und aber einzugehen. Neutralität und Zweideutigkeiten waren nicht mehr möglich, ohne die Zarin in die Arme der Engländer zu treiben: Ségur an Montmorin (12. u. 23. 11. 1787), zit. bei Barral-Montferrat 1894, 325 - 330. Vgl. auch die entsprechenden Passagen im Bd. 3 der Mémoires von Ségur [1824/1827] (z.B. 263ff., 292 - 309).

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und der Zarin durch Comte de Ségur im Oktober 1787 signalisieren lassen, Versailles sei einer Zusammenarbeit mit den beiden Kaisermächten in der „orientalischen Frage", ja einem förmlichen Bündnis mit Rußland - selbst zum Schaden der Pforte - nicht abgeneigt. Man interessierte sich sogar schon dafür, welche Splitter der Türkenbeute für Versailles abfallen konnten. Der Aufschrei der Entrüstung blieb bei aller Irritation über die Form aus, als man in Wien durch Rußland von den französischen Allianzfühlern in Petersburg erfuhr, entsprach dies doch eigentlich den Wünschen der Wiener Diplomatie. Auch wenn Kaunitz immer noch bezweifelte, daß Frankreich wirklich gesonnen war, die Türe zu Preußen endgültig zuzuschlagen und reumütig in den Hafen der zur Scheinehe gewordenen Allianz von 1756 zurückzukehren - Versailles schien offensichtlich geneigt, sich in Verbindung mit Petersburg, Wien und wohl auch Madrid nützlich zu machen, bestand aber darauf, zuvor in die geheimnisumwitterten Pläne der Kaisermächte eingeweiht zu werden. Denn nach Informationen der französischen Gesandtschaft in Petersburg zielte die Zarin sehr wohl auf die völlige Vertreibung der Türken aus Europa. So war denn auch das Lockmittel, sich diplomatisch - also als Mediator - für moderate Zugewinne Rußlands (Oczakow und Umland) und Österreichs (Belgrad und Grenzkorrekturen) einzusetzen, ohne für sich etwas zu fordern, ein Preis, den man in Versailles auch jetzt noch gerne bezahlen wollte, um die Realisierung des „großen Planes" zu verhindern. Auch für diese Variante mußte Frankreich aber vorbereitet sein. Prinzipalminister Loménie de Brienne sprach gegenüber Mercy von einer stufenweisen Beteiligung des französischen Königs, und gerüchteweise verlautete, daß der ehemalige Botschafter in Konstantinopel, Saint-Priest, bereits mit Ausarbeitungen über französische Territorialforderungen betraut war. Selbst in Petersburg hatte Frankreich aber die Mauer des Schweigens nicht durchbrechen, die „orientalischen Pläne" von Zarin und Kaiser nicht ergründen können, relativierte nun die von Ségur angeblich unter Überschreitung seiner Instruktionen gemachten Avancen und insistierte Mitte Dezember 1787 nochmals in Wien, um zumindest die Grundlagen der russisch-österreichischen Kriegspolitik zur Kenntnis zu bekommen: dies war der Mindestlohn, wollte man, daß Frankreich die Pforte endgültig im Stich ließ und wieder ein England definitiv aus Petersburg ausschließendes Bündnis mit der Zarin Schloß. Oberstes Gebot für Kaiser Joseph II. war allerdings in Wahrheit nicht in erster Linie eine Maximierung des Territorialgewinn's auf türkische Kosten, sondern, daß Preußen auf jeden Fall aus dem Wettlauf um die Zerstückelung des Osmanischen Reiches ausgeschlossen wurde. Gewann das Haus Brandenburg auch nur ein einziges Dorf, so mußte das im Verständnis des Kaisers für Österreich auch den größtmöglichen Gewinn auf Kosten der Türken verdunkeln. Die Schwäche und „Verwirrung" Frankreichs, seine inneren Probleme ließen das Selbstbewußtsein der Staatskanzlei entspre-

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chend anwachsen. Weder Montmorin als Nachfolger Vergennes* noch der neue Prinzipalminister Loménie de Brienne hatten Format genug, um „das künstliche Gewebe des politischen Systems ihres Vorfahrers fortzusetzen" oder es gar an die zum Schlechten veränderten neuen Bedingungen anzupassen. Vergennes hatte sich noch einen hohen Ton in einer besseren, für Frankreich vergleichsweise glänzenden Zeit erlauben dürfen, Montmorin dagegen sah nach der Hollandkrise das Werk „einer vieljährigen Staatsklugheit" zerstört. Ohne politischen Kredit, ohne Ressourcen sah Frankreich nun nach Interpretation Wiens nur zu offensichtlich keine andere Möglichkeit mehr, als sich den beiden Kaiserhöfen in die Arme zu werfen, um bei einer Teilung der türkischen Depouillen, die man ohnehin nicht verhindern konnte, nicht ausgeschlossen zu bleiben. Der zu erwartende lebhafte Widerstand der Engländer gegen eine Beteiligung der Bourbonenhöfe an der Türkenbeute mußte Frankreichs Bewegungsfreiheit weiter einschränken und es letztlich zu einer neutralen Rolle ganz im Sinne Österreichs bestimmen. So bestand auch die für Wien nicht unvergnügliche Hoffnung, daß sich die Erschütterungen des Türkenkriegs doch nicht ins Ungemessene ausbreiten würden. Noch im Januar 1788 schienen dem Staatskanzler nahezu alle europäischen Höfe irgendwie „durch die Verwicklung ihrer eigenen und wechselseitigen Verhältniße gleichsam wider Willen gefeßelt". Die Bahn war frei 62 . An der Jahreswende 1787/88 gaben Joseph II. und Staatskanzler Kaunitz über Botschafter Mercy dem französischen Verbündeten endlich die bislang klarsten Erklärungen über die Kriegsziele Österreichs für den kurz vor dem offiziellen Ausbruch stehenden Konflikt mit den Türken und erfüllten so das lebhafte Ersuchen Versailles' um Offenlegung der Karten. Nun lag es an Frankreich, sich zu erklären und zwischen Neutralität und - was man weniger gerne sah - Kooperation zu wählen. Der Kaiser griff jedenfalls, so explizierte man den Franzosen, auf Grund seiner unleugbaren Bündnisverpflichtungen gegenüber der Zarin in einen von der Pforte mutwillig erklärten Krieg ein, und zwar ohne mit einer nach eigenem Bekenntnis schwer 62

Kaunitz an Mercy (8. 12. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787 VIII - XII), Partikularschreiben Kaunitz' an Mercy (9. 12. 1787; ebd. Konv. Kaunitz-Mercy 1787; Druck: A&F 2, 144 - 146), Joseph II. an Mercy (9. 12. 1787; Druck: A&F 2, 142 - 144); Mercy an Kaunitz (28. 12. 1787; wie Anm. 37), Partikularschreiben dess. an dens. (28. 12. 1787; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787; Druck: A&F 2, 149f.), Mercy an Joseph II. (28. 12. 1787; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 146 - 149). Kaunitz an Thugut (6. 1. 1788; SA Neapel Weisungen 23). - Noailles an Montmorin (18., 21., 24., 26., 28. 11., 1., 5., 8., 19. 12. 1787), Montmorin an an Noailles (14. 12. 1787) und an Ségur (9. 12. 1787): AMAE CP Autriche 353. - Barral-Montferrat 1894, 256 - 331 (Korrespondenzen des Pariser Außenministeriums mit den Vertretungen 1910, Bd. 1, 195 - 201, Savant 1947/48, in Wien und Petersburg), Mitrofanow Ragsdale 1986, Murphy 1986, Murphy 1998, 46 - 59, 119 - 133.

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möglichen und zur puren „phrase de conversation" gewordenen völligen Destruktion des Osmanischen Reichs zu spekulieren. Dabei war klar, daß man dem Feind, wie es das ius belli als ius infinitum mit sich bringe, nach Möglichkeit zu schaden trachtete, um sich für Unkosten und erlittenen Schaden zu revanchieren. Die weitere Entwicklung hing von den Kriegsereignissen ab und ließ sich nicht zum voraus bestimmen. Wenigstens Botschafter Mercy erfuhr vom Kaiser in secreto, was man sich idealerweise als Ergebnis des ungewollten Konflikts mit den Türken erwartete: Es waren dies im wesentlichen der Friedensstand von Passarowitz mit Bosnien und der Festung Chotin, die Galizien abschirmen konnte, und eine Entschädigung für die Rüstungskosten. Die Wiedergewinnung dessen, was man 1739 im Frieden von Belgrad verspielt hatte, die verstärkte Sicherung des Grenzverlaufs und die Gewinnung der ohnedies kärglichen Provinz Bosnien stellten in den Augen des Kaisers keine Gefährdung des europäischen Gleichgewichts dar, sondern verbürgten ganz im Gegenteil für die Zukunft die guten Beziehungen zu den Türken, von denen man danach definitiv nichts mehr zu fordern hatte. Preußen als „ennemi irréconciliable" Österreichs sah dies naturgemäß anders und wälzte im Sinne der Kompensationsmechanik beunruhigende Tauschpläne, von denen man in Wien schon bald Kenntnis erlangte (vgl. S. 202ff.). Diese notfalls zu verhindern wollte Joseph Π. jedenfalls seinen letzten Kreuzer und seinen letzten Soldaten in die Schlacht werfen 63. Seit Anfang November 1787 waren in Wien alle Vorbereitungen für den endgültigen Abbruch der Beziehungen zur Pforte getroffen. Der kaiserliche Internuntius erhielt die Kriegserklärung zum voraus zugestellt und sollte nur noch auf Weisung zur Übergabe warten. Für die europäische Öffentlichkeit hatte man längst ein österreichisches Kriegsmanifest gedruckt, eine Anklageschrift gegen die Türken und ihr Verhalten gegenüber den Russen, die nur einen gerechten Verteidigungskrieg führten und die an ihrem Gesandten Bulgakow verübte Völkerrechtsverletzung rächen durften. Während die österreichischen Truppenkonzentrationen nach Süden auf Hochtouren liefen und auch die Nordgrenzen gegen Preußen gedeckt sein 63

Kaunitz an Joseph II. (6. 1. 1788; StK Vortrage 145 Konv. 1788 I - IV). Kaunitz an Mercy (7. 1. 1788; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1788 I IV), Kaunitz an Mercy (6. 1. 1788, ostensibles frz. Schreiben; ebd. Konv. KaunitzMercy 1788; Druck: A&F 2, 153 - 156) mit Montmorin an Noailles (14. 12. 1787, kommuniziert 24. 12. 1787; auch SA Frkr. Varia 40 Konv. Frkr. Varia 1787) zur Richtigstellung des ursprünglich an Ségur erteilten Auftrags, Partikularschreiben Kaunitz' an Mercy (10. 1. 1788; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1788; Druck: A&F 2, 157f.), Joseph II. an Mercy (7. 1. 1788; Druck: A&F 2, 150 - 152). L. Cobenzl an Joseph II. (3. 2. 1788; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 236 - 247). - Noailles an Montmorin (2., 5., 10., 12. 1. 1788; AMAE CP Autriche 354).

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wollten, wurde schon zu Jahresende 1787 immer deutlicher, daß die verbündete Zarin, obwohl sie den Krieg langfristig provoziert hatte, letzten Endes nicht hinreichend für den Konflikt mit der Pforte gewappnet war. Noch tröstete man sich, daß die Russen das Defizit an Vorbereitung - Kaunitz schrieb dies der verkehrten russischen „Haushaltung" zu - durch Tapferkeit und kühne Operationen wettmachen würden. Aber die Vorzeichen standen nicht gut. Zwar konnten die Russen einen türkischen Angriff auf Kinburn blutig abweisen, doch litt zum Ausgleich die russische Schwarzmeerflotte in einem verheerenden Sturm, und von der russischen Hauptarmee fehlten überhaupt Nachrichten, denn ihr Befehlshaber, Fürst Gregor Potemkin (1736 - 1791), hüllte sich in ärgerliches, auch von den russischen Verantwortlichen mißbilligtes Schweigen. Der österreichische Verbindungsoffizier bei der russischen Bessarabien-Armee, Charles Joseph Prince de Ligne (1735 - 1814), ein Intimus der Zarin, der schon die „taurische Reise" mit viel Geschick mitgestaltet hatte, reiste erst im November 1787 ans Schwarze Meer. Die Aussicht, daß Rußland seine „fanfaronades" wirklich erfüllte, schwand mehr und mehr; die unterschiedlichen strategischen Zielobjekte der Verbündeten erleichterten von Anfang an die Ausbreitung des Spaltpilzes. Lag für die Russen der Interessenschwerpunkt zwischen Bug, Dnjestr und Pruth, wünschte man sich daher dementsprechend ein Vorgehen Wiens gegen die türkische Festung Chotin am äußersten Ostzipfel der österreichischen Monarchie, so sollte für den Kaiser der Vorstoß in den serbischbosnischen Raum unbedingten Vorrang haben. Den Österreichern erging es jedoch bei ihrem meineidigen Versuch, als Vorstufe zum projektierten Hauptschlag noch vor der förmlichen Kriegserklärung Stadt und Festung Belgrad im Handstreich zu nehmen, übel. Im Dezember 1787 und wieder im Januar 1788 scheiterte der Coup durch Verkettung unglücklicher Umstände, und der im Zuge der ersten Kriegsvorbereitungen 1787 diskutierte Zwei-Stufen-Plan, im ersten Feldzugsjahr Herr des linken Donauufers zu werden, sich in der darauffolgenden zweiten Campagne der Straßen Richtung Konstantinopel zu bemächtigen und schließlich dort gemeinsam mit den Russen den Halbmond von der Hagia Sophia zu holen, erhielt zunehmend weltfremden Charakter 64. 64

Joseph II. an Ph. Cobenzl (20. 10. 1787), Vortrag Kaunitz (22. 10. 1787) mit der ksrl. Resolution, Joseph II. an Ph. Cobenzl (30. 10. 1787), Vortrag Kaunitz (1. 11. 1787), Kaunitz an Joseph II. (5. 11. 1787; Ο in FA SB 70 Konv. NW KaunitzJoseph II./1787; Druck: [Beer] 1873, 282f.), Joseph II. an Kaunitz (29. 11. 1787): StK Vorträge 144 Konv. 1787 X bzw. Konv. 1787 XI - XII; Joseph II. an Kaunitz (1. u. 7. 12. 1787; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1787; die Note vom 7. 12. gedr. bei [Beer] 1873, 283), Kaunitz an Joseph II. (11. 12. 1787; Druck: [Beer] 1873, 283 - 286) mit einem Mémoire. Die Mitteilung des Kaisers vom 7. 12. 1787 zum Scheitern des Handstreichversuchs auf Belgrad in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1788. Das österr. Kriegsmanifest für Baron Herbert ging schon am 3. 11. 1787 mit entsprechender Weisung nach Konstantinopel; bis zur Übergabe

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Am 9. Februar 1788 mußte endlich Internuntius Herbert in Konstantinopel die Kriegserklärung übergeben. Damit war dem seit Jahresende 1787 immer heftiger werdenden Drängen der Russen auf einen förmlichen Kriegseintritt der Österreicher entsprochen und die in Konstantinopel für den seit Monaten jeder eindeutigen Erklärung ausweichenden Herbert letztlich unhaltbar gewordene Situation saniert. Anders als sein russischer Kollege Bulgakow durfte der österreichische Diplomat aber Mitte Februar 1788 in die Christenheit zurückkehren; nach wegen widriger Winde dreimonatiger Seereise traf er Anfang Mai 1788 in Livorno ein. Der französische Botschafter Choiseul-Gouffier bewährte sich dabei nicht nur als Stütze des Internuntius, sondern übernahm auch den Schutz über jene österreichischen Untertanen, die den Herrschaftsbereich des Sultans nicht rechtzeitig hatten verlassen können. Die Eröffnung der Kampfhandlungen großen Stils war für März 1788 vorgesehen. Der Kaiser und sein Neffe Erzherzog Franz wollten selbst zur Hauptarmee vor Belgrad stoßen65. Schon seit Dezember 1787 freilich herrschte aber bei den Spitzen der Staatskanzlei angesichts der eigenen Fehlschläge, der enormen Rüstungskosten, der russischen Untätigkeit und der wachsenden preußischen Bedrohung im Rücken ängstliche Ernüchterung, und der Wunsch, möglichst rasch wieder aus dem unliebsamen Abenteuer herauszukommen, dominierte. Kaunitz mahnte Joseph zwar zu energischem Vorgehen gegen die Türken, „ces animaux" und ihre armselige Kriegsmacht, die man nicht mit einer preußischen Feldarmee verwechseln durfte, drängte auf einen raschen Siegfrieden, um mit zunehmender Kriegsdauer wahrscheinlicher werdende Einmischungsversuche fremder Mächte zu unterbinden. Die Ablenkung der Pforte hatte der Internuntius eine wortgenaue türkische Übersetzung vorzubereiten und sich weiterhin „verschlossen" zu halten: Kaunitz an Herbert (3., 17. 11., 5. 12. 1787; SA Türkei II 95 Konv. Expeditionen 1787 VII - XII). Joseph II. an Leopold (11. 10., 1., 5., 29. 11., 6., 13. 12. 1787; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 130f., 138 140, 142, 144 - 149). L. Cobenzl an Joseph II. (14. 11. und 10. 12. 1787; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 215 - 228). - Noailles an Montmorin (10., 12., 15. u. 21. 12. 1787, 2. 2. 1788; AMAE CP Autriche 353 bzw. 354). - Thürheim 1877, 139 - 147. 65 An Literatur zum letzten Türkenkrieg sei verwiesen auf die oben zum Kapitel „Die orientalische Frage" genannten Titel, bes. auf Ranke 1875, 289 - 301, 317 328, 343 - 354, Beer 1883, 81 - 145 (unter konsequenter Verwendung bzw. Para1910, Bd. 1, phrasierung der österr. Akten), Wolf 1880, 162- 203, Mitrofanow 185 - 195, Uebersberger 1913, 338 - 380 (dünn), Roider 1982a, 169 - 188, Madariaga 1981, 393 - 412, Vyslonzil 1986, 172 - 183. - Eine wirklich tiefdringende „Diplomatiegeschichte" des Türkenkriegs mit all seinen internationalen Implikationen liegt bislang nicht vor. Roider 1976 kommt dem noch am nächsten. Zumindest ein Kuriosum: ders. 1982 b. Zu Mozarts Anteil an der propagandistischen Aufbereitung des Türkenkriegs vgl. Beales 1996, 13 - 17. Interessante Einblicke in die „öffentliche Meinung" zum Türkenkrieg eröffnet Ammerer 1997. Generell zur politischen Kleinpublizistik dieser Zeit Bodi 1995.

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durch sezessionistische Bewegungen in Ägypten und Albanien als Symptome innerer Auflösungsprozesse mußte den Kaisermächten dabei sehr zustatten kommen. Die seit dem Jahreswechsel 1787/88 in Wien bekannten monströsen Pläne des preußischen Kabinettsministers Hertzberg waren allerdings für den Kaiser alles andere als Anregung zu energischem Einsatz gegen die Pforte; sie stürzten ihn vielmehr, noch ehe der Türkenkrieg richtig begonnen hatte, in Gewissensnöte, aus denen ihn selbst Zusagen der Zarin, sich preußischen Einmischungsversuchen energisch zu widersetzen und den Türkenkrieg im Ernstfall zugunsten einer Konzentration auf Preußen defensiv umzugestalten, nicht erlösen konnten. In ganz Wien manifestierte sich nach Beobachtungen des französischen Botschafters zu Anfang des Jahres 1788 frustrierter Unwille über den Krieg als Danaergeschenk der russischen Allianz - ähnlich wie 1737. Die durch die gigantischen Rüstungen und die Abzweigungen für das Militär angefeuerte Teuerung der Lebensmittel und die entsprechend steigende Bedürftigkeit der unteren Bevölkerungsschichten waren in Wien offensichtlich derart deutlich, daß auch die für derartige „Minora" sonst wenig empfänglichen ausländischen Diplomaten darüber berichteten; im Sommer 1788 kam es in der Hauptstadt sogar zu einem „Brotaufstand" 66.

4. Vom Türkenkrieg zum Mehrfrontenkrieg a) Der „Hertzberg-Plan " und die Eröffnung

des Türkenfeldzugs

1788

Durch abgefangene Schriftsätze aus dem Verkehr zwischen Berlin und Wien bzw. Konstantinopel vom November 1787 drangen schon vor Jahresende die ersten Vorboten des großen Tauschplanes nach Wien, den Hertzberg, „pédant chicaneur de Berlin", wie ihn Kaunitz verächtlich nannte, entworfen hatte, obwohl Österreich noch gar nicht in den Krieg der Zarin 66

Vortrag Kaunitz (17. 1. 1788), Ph. Cobenzl an Joseph II. (30. 1. u. 10. 2. 1788): StK Vorträge 145 Konv. 1788 I - IV. Ph. Cobenzl an Kaunitz (30. 1. 1788; GK 406 Konv. A). Joseph II. an Leopold (17., 24. 1., 14. 2. 1788; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 158 - 160, 163). Joseph II. an L. Cobenzl (7. 1. 1788), L. Cobenzl an Joseph II. (3. 2. 1788), Joseph II. an L. Cobenzl (7. 2. 1788), Kaunitz an L. Cobenzl (7. 2. 1788), L. Cobenzl an Joseph II. (1. 3. 1788): [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 233 - 255; Joseph II. an Katharina II (7. 2. 1788), Katharina II. an Joseph II. (15. 2. 1788): [Arneth] 1869, 310 - 313. Kaunitz an Mercy (7. 2. 1788; wie Anm. 39), Partikularschreiben dess. an dens. (7. 2. 1788; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1788; Druck: A&F 2, 160 - 162), Joseph II. an Mercy (7. u. 21. 2. 1788; Druck: A&F 2, 158 - 160, 162). Marie-Antoinette an Joseph II. (22. 2. 1788; wie Anm. 47). - Noailles an Montmorin (26. 1., 9., 11., 13., 23. 2., 15., 22., 26., 29. 3., 9., 12. 4., 2. 8. 1788; AMAE CP Autriche 354 bzw. 355); Noailles an Kaunitz (9. 4. 1788; SA Frkr. NW 13 Konv. Korrespondenz mit der frz. Botschaft 1785/88) mit Kommunikaten Choiseuls aus Konstantinopel.

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mit dem Sultan eingetreten war. Der Hertzbergsche „plan de pacification" für den in Unruhe gekommenen Osten Europas konkretisierte sich in einer Denkschrift vom Dezember 1787 und erhielt schließlich im Januar 1788 eine endgültigere Form. Pläne zu einer Abdrängung Österreichs Richtung Südosten bei gleichzeitiger Einverleibung der zu Preußens Arrondissement im Osten dringend notwendigen polnischen Gebiete hatte Hertzberg schon zu Lebzeiten Friedrichs II. gewälzt und den Erwerb Galiziens durch Österreich 1772 immer wieder als strategisch bedrohlich dargestellt. Nun wollte er sich den russisch-türkischen Krieg und den zu erwartenden Kriegseintritt Österreichs an der Seite des russischen Verbündeten für die Abwicklung eines gewaltigen „Ringtausches" nutzbar machen. Ein ähnliches Tauschmanöver hatte der Kabinettsminister gemeinsam mit Prinz Heinrich bereits Anfang 1778 ventiliert; damals war noch Bayern die in Aussicht gestellte Belohnung für österreichische Konzessionen an Polen gewesen, das dafür u.a. Danzig und Thorn - und damit die wirtschaftlich wichtige Kontrolle der Weichsel - an Preußen hätte abgeben sollen. Der neue Plan basierte, wie nicht anders zu erwarten, vorerst auf der Annahme schwerer türkischer Niederlagen gegen die kaiserlichen Armeen. Auf dem Rücken der Pforte konnte daher getrost jener „Länderschacher" ausgetragen werden, den M. Immich einmal als Karikatur der Konvenienzpolitik des 18. Jahrhunderts bezeichnet hat. Nun hatte man selbst dynastisch-erbrechtliche oder historisch-staatsrechtliche Bande ad acta gelegt, die „rein geographische Argumentation" überwog (H. Klueting). Der Hertzberg-Plan sah vor: den endgültigen Verzicht des Sultans auf die Oberhoheit über die Krim, die Abtretung Bessarabiens und der Festung Oczakow an die Russen und die Überlassung der Donaufürstentümer Moldau und Walachei an Österreich. Dafür hatten Wien und Petersburg ihre angeblich viel weiterreichenden Ambitionen einzuschränken und nota bene das „griechische Projekt" fallen zu lassen, Österreich besonders seine Hoffnungen auf Serbien und Belgrad aufzugeben. Die Donau sollte hinfort unter englischer, preußischer und französischer Garantie die „natürliche" Grenze zwischen Christenheit und Halbmond bilden. Für den Gewinn der beiden Donaufürstentümer, die die 1774/75 erworbene Bukowina abrundeten, mußte Österreich aber, ging es nach den Vorstellungen Hertzbergs, einen überaus hohen Preis zahlen: das 1772 gewonnene Galizien sollte an Polen zurückfallen, Preußen für seine Kupplerdienste aber Danzig, Thorn sowie die Palatinate Posen und Kaiisch erhalten, Rußland eventuell Teile Finnlands an Schweden retournieren, Schweden dafür wieder Vorpommern an Preußen übertragen. Neben dem nützlichen Arrondissement der preußischen Monarchie im Osten ergab sich durch die Verschiebung Österreichs in Richtung der Donaufürstentümer hier notwendig ein Spannungsverhältnis gegenüber Rußland, das wenigstens seit 1774 an diesen türkischen Satelliten großes Interesse hatte. Die Rückgabe Galiziens an Polen entschärfte für

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Berlin nicht nur eine von Hertzberg vielbeschworene geopolitische Gefahr, sondern verschloß auch dem österreichischen Einfluß in der Adelsrepublik eine wichtige Einfallspforte 67. Für Staatskanzler Kaunitz war das Bekanntwerden der preußischen Hirngespinste seit Anfang Dezember 1787 primär Anlaß, auf einen möglichst konsequenten ersten Feldzug zu dringen, um rasch - am besten schon im Winter 1788 - zu einem Ende zu kommen. Dadurch sollte dem HertzbergPlan jede Aussicht auf Realisierung genommen werden. Die vorgesehene „Mediation" Preußens mußte ja von allen drei Mächte akzeptiert werden, und ehe Wien und Petersburg nicht gewaltige Fortschritte gegen die Türken erzielt hatten, entbehrte das Projekt Hertzbergs jeder Grundlage. Nach einem erfolgreichen Feldzug allerdings benötigten die Kaisermächte wohl kaum die Vermittlung Berlins, sondern konnten sich dann direkt mit der Pforte arrangieren. Kaunitz empfahl daher die geheimen Erkenntnisse nach Petersburg weiterzuleiten und die Russen so gleichfalls zu um so energischerem Vorgehen anzuspornen, aus Kostengründen und um niemandem Zeit zu geben „de pouvoir brouiller les cartes de façon ou d'autre." Zugleich mußte auf die Zarin Druck ausgeübt werden, „damit", wie man Botschafter Cobenzl in Petersburg Anfang Dezember 1787 instruierte, „beyde Höfe durch eine eigene schriftliche beyderseitige Ministerialdeclaration oder auf eine andere dort beliebige Art, welche die volle Kraft und Wirkung eines feyerlichen Tractats haben muß, zum voraus sich einverstehen und klar bestimmen, welche Maaßnehmungen ohne allem weitem Concert und Zeitverlust sie alsdann einschlagen werden, wenn wehrender Zeit, als sie in dem gegenwärtigen Türkenkriege verwickelt sind, der preußische Hof entweder eine unmittelbare gewaltsame Diversion wagen oder aber was immer für eine Vergrößerung auf Unkosten der Republik Pohlen oder auf irgendeine andere Art sich zuzuwenden vorhaben sollte."

Für den Staatskanzler bedeutete dies in allererster Linie den Türkenkrieg schleunigst zu Ende zu führen und dann die Hauptmacht gegen Preußen zu mobilisieren. Wien und Petersburg sollten „einander das unverbrüchliche Wort geben, alles nur immer mögliche anzuwenden, um den gemeinsamen Feind in solche Gränzen zurückzusetzen, die gedachten Höfen gegen alle 67

Über Hertzbergs Tauschpläne vgl. die bereits genannte Literatur über den preußischen Kabinettsminister, speziell Bailleu 1879 b, 463 - 478, 481 - 490, Krauel 1899, 36 ff. Die preuß. Politik gegenüber Rußland speziell Maks, Die Rußlandpolitik Hertzbergs und Friedrich Wilhelms II. 1787 - 1791 (unveröffentlichtes Manuskript für die Tagung: Katharina II., Rußland und Europa), ein Aperçu zur Polenpolitik Montfort 1946. Die englische Position angesichts des Hertzberg-Plans hat thematisiert: Luckwaldt 1908 [mit einer deutlichen Relativierung der Bedeutung der britisch-preußischen Allianz und unter Betonung des persönlichen Einflusses des englischen Gesandten, Joseph Ewart, der hier beinahe als „éminence grise" Hertzbergsfiguriert]. Eine Übersicht über die preußische Politik zu Ende der achtziger Jahre u.a. auch bei Aretin 1967, Bd. 1, 212 - 218.

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seine künftige Machinationen und Unternehmungen volle Sicherheit verschaffen können." Der Kaiser jedenfalls kenne keinen wie immer gearteten Vorteil auf Kosten der Türken, der „einer dem preußischen Hofe gleichsam spielend zugehenden Vergrößerung" die Waage halten könne68. In Petersburg ging Preußen allerdings noch an der Jahreswende 1787/88 ganz vorsichtig zu Werke, war man doch bestrebt, die so gefährliche russisch-österreichische Allianz nicht durch beunruhigende Signale zusammenzuschweißen, sondern vielmehr durch betonte Rücksichtnahme auf Petersburg und Förderung von Eifersüchteleien möglichst aufzuweichen. Aus Rußland kamen dafür im Gegenzug durchaus erfreuliche Signale, denn solange der Kaiser der Pforte nicht den Krieg erklärt hatte, liebkoste Katharina die Preußen nachgerade. Große Hoffnungen knüpfte Hertzberg in diesem Zusammenhang gerade an den Türkenkrieg und die damit erwartete Krisis der Beziehungen zwischen Zarin und Kaiser. Über seinen Gesandten, Dorotheus Ludwig Christoph Freiherr von Keller (1757 - 1827), ließ Berlin Katharina II. wissen (nominell war man ja immer noch verbündet und stellte sogar die Zahlung der vertragsmäßigen Subsidien in Aussicht!), daß man - so jedenfalls der Informationsstand der Staatskanzlei - etwaigen russischen Progressen gegen die Türken nichts in den Weg legen wollte, schließlich bot man Mediation und bons offices an, um der Zarin zu einem günstigen Frieden zu verhelfen, noch ehe die Waffen in ernstzunehmendem Maße gesprochen hatten. Auch England startete eine solche Initiative (Dezember 1787). Nach dem vollen Kriegseintritt des Kaisers aber entzogen sich die Russen den preußischen Zudringlichkeiten und lehnten die proponierte Mediation in höflichen Worten ab; auch eine Erneuerung der de jure erst jetzt auslaufenden preußisch-russischen Allianz kam nicht mehr in Frage (März 1788). In Wien gingen die Verantwortlichen einstweilen nicht davon aus, daß die Pforte einem derart absurden „leoninischen Vertrag" wie dem Hertzberg-Plan freiwillig die Hände bieten würde, auch wenn noch in der ersten Jahreshälfte die preußische Diplomatie in Konstantinopel ihre Aktivitäten deutlich verstärkte. Die Staatskanzlei jedenfalls war fest entschlossen, an der Durchsetzung eines seit langem angestrebten gewichtigen und folgenschweren Arrondissements Preußens unter keinen Umständen mitzuwirken, und auch die Zarin versprach nach wiederholtem Drängen Wiens auf eine kategorische Erklärung, sich im Ernstfall mit allen Mitteln den preußi68 Kaunitz an Joseph II. (2. 12. 1787, 30. 1. 1788; StK Vorträge 144 Konv. 1787 XI - XII bzw. 145 Konv. 1788 I - IV). Kaunitz an L. Cobenzl P. S. (7. 12. 1787; SA Rußland II Weisungen 174 Konv. Expeditionen 1787). Wien hatte auch vom Januar-Plan Hertzbergs durch Interzepte gute Kenntnis: Joseph II. an Kaunitz (28. 1. 1788; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1788; Druck: [Brunner] 1871, 138).

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sehen Polenambitionen zu widersetzen (Mai 1788). England lehnte den Hertzberg-Plan von Anfang an ab und wirkte - die Brüchigkeit der preußischen Staatsspitze nützend - am Berliner Hofe aktiv dagegen69. Trotz des hervorragenden Informationsstandes über die Grundlinien und die weiteren Modifikationen des Hertzbergschen Tauschplanes war sich Wien, was die Aufnahme des Projektes durch den preußischen König anlangte, nicht so sicher. Im Mai 1788 meinte man, Friedrich Wilhelm Π. habe ihn verworfen, im September aber, der Monarch sei nun endgültig für ihn gewonnen, und noch zu Jahresbeginn 1789 war Kaunitz der Ansicht, daß die preußischen Diplomaten in Wien und Konstantinopel selbst dem Hertzberg-Plan in höchstem Maße skeptisch gegenüberstünden, offenen Widerstand gegen den Kabinettsminister aber nicht wagten. Zur Sicherheit fühlte Wien in London wegen der preußischen geheimen Absichten vor und gab v.a. dem Fürsten Reuß schon im Mai 1788 Bausteine für sein Argumentieren gegen den abstrusen Hertzberg-Plan an die Hand, sollte von preußischer Seite die Rede darauf kommen. Für die Staatskanzlei war es schier unbegreiflich, „wie irgendein Hof einige Eroberungen, die wir gegen die Türken machen dürften, für eine unsrige reelle Vergrößerung ansehen könnte. Wenn man das viele zu vergiessende Blut, den Aufwand der Kriegskösten, den dadurch vermehrten Schuldenlast mit der Acquisition einiger türkischer entvölkerter ganz ruinirter Provinzen in Vergleich stellte, so zeige sich vielmehr ein offenbarer Verlust, der vielleicht in 100 Jahren und zwar abermal nicht ohne Verwendung der beträchtlichsten Unkosten zu ersetzen möglich seyn wird".

Wien dachte daher nicht daran, „einem neuen wesentlichen Verlust durch den Austausch eines schon ganz regulirten und in innerliche Ordnung gebrachten Landes [Galizien] gegen Wüste und ganz ausgemärgelte Provinzen" freiwillig zuzustimmen70. Kaum war der Kaiser Ende Februar 1788 von Wien über Triest und das Litorale zur Hauptarmee Richtung Peterwardein aufgebrochen (der jungver69 Kaunitz an Joseph II. (10. 2. 1788; StK Vorträge 145 Konv. 1788 I - IV; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 237 Anm. 1). Kaunitz an Reuß (6. 1., 19. 3. 1788; StK DK Preußen 66 Konv. Weisungen 1788/Sperrkonvolut u. Konv. Weisungen 1788), an L. Cobenzl (7. 2., 6. 4. u. 28. 6. 1788; SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Expeditionen 1788), L. Cobenzl an Joseph II. (24. 5. 1788; Druck: [Beer/ Fiedler] 1901, Bd. 2, 262 - 269) mit der russischen Verpflichtungserklärung (10. 5. 1788). - Noailles an Montmorin (27. 2., 17., 19. 3., 30. 4. 1788; AMAE CP Autriche 354). 70 Kaunitz an Rewitzky (22. 3. 1788; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1787), an Reuß (14. 5. 1788; StK DK Preußen 66 Konv. Weisungen 1788/ Sperrkonvolut [Zitate]); Kaunitz an Joseph II. (6. 2. 1789; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1789), dto. (14. 2. 1789; StK Vorträge 146 Konv. 1789 I - II; Druck: [Beer] 1873, 330 f.).

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mählte Erzherzog Franz folgte ihm 14 Tage später), kaum hatte man im April die Kampfhandlungen im größeren Stil begonnen, wuchs bei Joseph II. mit atemberaubender Schnelligkeit der Wunsch, möglichst rasch wieder dem unheimlichen Abenteuer zu entfliehen. Bereits Ende April 1788 tat sich im kaiserlichen Hauptquartier in Semlin, von wo aus die Belagerung Belgrads dirigiert wurde, der Ärger über die eklatante russische Untätigkeit ganz offen und überdeutlich kund. Es war Joseph II. „unausstehlich", daß die Passivität der russischen Armeen nun ausgerechnet ihm die anmarschierende türkische Hauptmacht, angeblich 200.000 Mann unter dem Befehl des Großwesirs, auf den Hals lud. Die Belagerung Belgrads war damit bereits Ende Mai 1788 akut gefährdet, da das österreichische Heer zwischen Garnison und Entsatzheer zu geraten drohte, und auch die Vorstöße der Bukowina-Armee unter Josias von Sachsen-Coburg (1737 - 1815) nach Süden sahen sich dadurch natürlich belastet. Aufmunterungen der Staatskanzlei, doch wie Prinz Eugen zu handeln, ohne Rücksicht auf den östlichen Verbündeten möglichst große Beutestücke zu reißen und den Krieg aus dieser günstigen Lage heraus zu beenden, und andere gute Ratschläge aus der Wiener Studierstube verstärkten bloß den Ärger des unzufriedenen Kaisers; ebenso die Berichte des k.k. Botschafters in Petersburg, Graf Cobenzl, der beobachtete, daß die Zarin und ihr Ministerium mit den beiden Kommandeuren der Feldarmeen, dem „Preußen" Marschall Peter Alexandrowitsch Romanzow (1725 - 1796) und dem zur Passivität neigenden Potemkin, eher verhandelten, als ihnen Befehle erteilten. Solange die Tatenlosigkeit der Russen verhinderte, daß der Großwesir seine Kräfte teilte, wollte auch Joseph in Warteposition verharren. Das Bekanntwerden des russischen Operationsplanes im Mai 1788 mit vorsichtigen Bewegungen zwischen Bug und Dnjestr und der Konzentration auf die Einnahme der starken Festungen Oczakow und Bender bestätigte den Kaiser und andere nur in ihren wütenden Verdächtigungen gegen die Verzögerungstaktik Petersburgs. Man habe sich von den Russen „nie was Aufrichtiges zu versprechen" und könne daher, so Joseph II., mit Fug und Recht den unverläßlichen Verbündeten mit jenen schönen Worten abspeisen, mit denen auch die Zarin so freigebig war 71 . 71 Joseph II. an Kaunitz (Futak, 8. 4. 1788; Ο in FA SB 70 Konv. NW KaunitzJoseph II./1788; Druck: [Beer] 1873, 287), Kaunitz an Joseph II. (18. 4. 1788), Joseph II. an Kaunitz (Klenak, 25. 4. 1788; Ο in FA SB 70 Konv. NW KaunitzJoseph II./1788; Druck: [Beer] 1873, 288f.), Joseph II. an Ph. Cobenzl (Semlin, 21. 4. 1788), Kaunitz an Joseph II. (1. 5. 1788), Joseph II. an Kaunitz (Semlin, 7. 5. 1788; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 415 - 417), Vortrag Kaunitz (8. 5. 1788) mit Reskript der Zarin an Botschafter Galiczyn (4./15. 4. 1788), Joseph II. an Kaunitz (Semlin, 9. 5. 1788; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 258 Anm. 1), Kaunitz an Joseph II. (15. u. 22. 5. 1788), Joseph II. an Kaunitz (Semlin, 27. 5.1788; Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1788; Druck: [Beer] 1873, 290 - 292),

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Bis weit in die Sommermonate des Jahres 1788 hinein klärte sich der verdunkelte Horizont nicht auf. Ganz im Gegenteil: Die ungeheuerliche Schilderhebung Schwedens im Juli 1788 behinderte die Russen zusätzlich, die aber doch noch Zeit genug fanden, auf dem Balkan zu agitieren und eifersüchtig auf ihre Rolle als Schutzmacht der christlich-orthodoxen Bevölkerung - österreichische Projekte zu konterkarieren, wenngleich die im Sommer 1788 akut werdenden Probleme vor der eigenen Haustüre im Baltikum die geplante Entsendung einer Propagandaexpedition ins Mittelmeer und die Wiederholung des Seesiegs von Tscheschme 1770 verhinderten. Die preußische Gefahr schien immer bedrohlicher, und so blieb Joseph II. in der großen Hitze des Sommers 1788 - sehr zum Ärger und Spott der Staatskanzlei - weiterhin im Lager von Semlin „en panne", um die weiteren Bewegungen der türkischen Hauptarmee abzuwarten, zunehmend geplagt von einem sich laufend verschlechternden Lungenleiden ... den ersten Anzeichen der Todeskrankheit72. b) Die schwedische Diversion Im Juli 1788 schlug Gustav ΙΠ. nach längeren, letztlich aber ungenügenden Vorbereitungen bzw. Sondierungen in Estland, Livland, Kurland und Polen und bei unsicherer innenpolitischer und finanzieller Ausgangslage gegen Rußland los. Annäherungsversuche an verschiedene europäische Joseph II. an Kaunitz (Semlin, 18. 6. 1788; Ο in FA SB 70 Konv. NW KaunitzJoseph II./1788; Druck: [Beer] 1873, 292), Resolution Josephs II. auf dem Kaunitzschen Vortrag vom 18. 6. 1788, Kaunitz an Joseph II. (24. 6. 1788; Druck: [Beer/ Fiedler] 1901, Bd. 2, 277 Anm. 1): StK Vorträge 145 Konv. 1788 I - IV bzw. Konv. 1788 V - VII. Joseph II. an Leopold (Semlin, 13. 5., 14., 25. 6. 1788; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 177 f., 181 - 185). Kaunitz u. Ph. Cobenzl an L. Cobenzl (6. 4. 1788), L. Cobenzl an Joseph II. (18. 4. 1788), Ph. Cobenzl an L. Cobenzl (31. 5. 1788), Joseph II. an L. Cobenzl (Semlin, 17. 6. 1788): [Beer/Fiedler], Bd. 2, 255 262, 269 - 274. Joseph II. an Mercy (Semlin, 6. 5. 1788; Druck: A&F 2, 177 f.). Noailles an Montmorin (1., 15. 3., 2., 19., 23., 26., 30. 4., 3., 9., 10., 17., 21., 24., 28., 31. 5., 4., 8., 11., 14., 18., 21., 25., 28. 6. 1788; AMAE CP Autriche 354). 72 Joseph II. an Kaunitz (Semlin, 17. 7. 1788; FA SB 70 Konv. NW KaunitzJoseph II./1788; Druck: [Beer] 1873, 292 - 295), ders. an dens. (Semlin, 2. 8. 1788; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1788; Druck: [Beer] 1873, 295 f.). Joseph II. an Leopold (Semlin, 29. 7. 1788; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 185 - 187). Ph. Cobenzl an L. Cobenzl (28. 6. 1788), Kaunitz an L. Cobenzl (29. 6. 1788), L. Cobenzl an Joseph II. (2. u. 21. 7. 1788), Joseph II. an L. Cobenzl (Semlin, 7. 8. 1788): [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 274 - 284, 289 - 297. Joseph II. an Mercy (Semlin, 4. 8. 1788; Druck: A&F 2, 186f.). - Noailles an Montmorin (2., 5., 9., 12., 30. 7., 2., 4., 6., 9. 8. 1788; AMAE CP Autriche 355). - Brückner 1872, Bernard 1983/84. Allgemeiner auch Vasilios N. Makrides, Orthodoxy and Politics: RussianGreek Relations in the Era of Catherine II. (unveröffentlichtes Manuskript für die Tagung: Katharina II., Rußland und Europa).

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Mächte - besonders an Großbritannien und das zunächst mit Rücksicht auf Rußland widerwillige Preußen, denen wesentliche Anteilnahme an der schwedischen Aggressionspolitik unterstellt wurde - brachten nicht die gewünschte Rückendeckung. Der Türkenkrieg der Zarin war aber - neben den innenpolitischen Motiven - in sich Anreiz genug, den Rubikon zu überschreiten und die Flucht nach vorne anzutreten. Nach einem unannehmbaren Ultimatum an Petersburg (Rückstellung der 1721/1743 gewonnenen Gebiete, Annahme der schwedischen Mediation im Konflikt mit der Pforte, Rückgabe der Krim an den Sultan, Wiederherstellung der russisch-türkischen Grenzen von 1774 oder 1768, Abrüstung der Zarin) wurde Anfang Juli 1788 ohne die nach der Verfassung von 1772 vorgesehene Konsultation des Reichstages der Krieg begonnen. Besonders innenpolitische Schwierigkeiten - Widerstand gegen Gustavs verfassungswidriges Vorgehen bei der Kriegserklärung an die Zarin, separatistische Tendenzen in Schwedisch Finnland und die Meuterei der schwedischen Finnlandarmee ab Juli 1788 (Anj ala-Verschwörung) mit ihren bedenklichen Fühlern Richtung Petersburg - hemmten jedoch zum entscheidenden Zeitpunkt den schwedischen Angriff auf den militärisch nur schwach gedeckten Raum Petersburg. Zugleich erklärte Dänemark als Verbündeter Rußlands gemäß seiner Vertragsverpflichtungen aus dem Jahre 1773 im August 1788 Schweden den Krieg und fiel im Süden des Landes ein. Göteborg wurde im Oktober 1788 eingeschlossen. Der dänische Kriegseintritt war für den bedrängten Schwedenkönig in wenigstens zweifacher Hinsicht ein Rettungsanker. Die österreichischen Hoffnungen, Dänemarks bewaffnete Unterstützung für Rußland würde die „Kriegsflammen in Norden" bald ersticken, erfüllten sich nicht: zum einen mobilisierte die dänische Invasion den nationalen Enthusiasmus der Schweden gegen den Feind von außen und den Landesverrat des Adels, zum anderen konnten Preußen und v. a. Großbritannien der drohenden Niederlage Gustavs, dem entsprechenden Machtzuwachs der Zarin und damit der endgültigen Zerstörung des status quo in der Ostsee nicht ruhigen Auges zusehen. Die antirussische Wende der Berliner Linie seit Sommer 1788 führte auch zu einer Neubewertung der schwedischen Aggression gegen Petersburg, in der Hertzberg zunächst eine Gefährdung seines Tauschplanes gesehen hatte, ja sogar zu einer Ausweitung des Länderschachers, indem man die Nöte König Gustavs für die Gewinnung Schwedisch Pommerns mit Rügen und Wismar mißbrauchen wollte (September 1788), während Whitehall v.a. an einem Herausbrechen Schwedens aus dem französischen Allianzsystem interessiert war. England und Preußen drängten sich als Mediatoren verstärkt in den nordischen Krieg. Im englisch-preußischen Definitivvertrag von Berlin vom August 1788 war die Erweiterung der Allianz um die nicht näher bezeichneten „Mächte des Nordens" vorgesehen, der Vermittlungsvorstoß im dänisch-schwedischen Konflikt nun „die erste Lebensäußerung der neuen Allianz in der großen Politik" (A. Siegel); 14 Hochedlinger

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eine preußisch-britische Vermittlungsaktion sorgte im Oktober/November 1788 für einen Waffenstillstand zwischen Dänemark und Schweden73. Österreichs Beziehungen zu Schweden waren nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges deutlich verfallen (erst im März 1787 hatte man beiderseits den diplomatischen Verkehr wieder auf Gesandtenebene angehoben), ehe die schwedisch-russische Krisis ab 1788 das „nordische Gleichgewicht" wieder stärker als maßgeblichen Faktor der gesamteuropäischen Politik ins Blickfeld der Staatskanzlei rückte. Lange Zeit hatte man in Wien eine Einbeziehung Schwedens in den deutschen Fürstenbund befürchtet (die vorpommerschen Besitzungen Stockholms boten hier eine geeignete Brücke), sich aber andererseits mit dem durch Preußens und Rußlands Aufstieg dramatischen Machtverlust des nordischen Königreichs getröstet. Nach der kriegerischen Überspannung unter Karl ΧΠ. durfte die einstige Großmacht im europäischen Gesamtsystem der achtziger Jahre als „wenig bedeutend" eingestuft werden. Eine gerade Entwicklungslinie, deren Revision man Gustav ΠΙ. und seinem schwankend-unsicheren Streben nach mehr Einfluß in Europa nicht wirklich zutraute. Aber die unerhört freche Nonchalance, mit der der Schwedenkönig - in Josephs II. Augen ein tragikomischer Don Quichotte - im Sommer 1788 den Kurs der beiden Kaiserhöfe zu stören wagte, sorgte doch für verwunderte Entrüstung. Die Position des österreichischen Gesandten in Stockholm, Johann Philipp Graf Stadion (1763 - 1824), gestaltete sich dabei durch die österreichisch-russische Allianz und die Freundschaft des k.k. Diplomaten mit seinem russischen Kollegen, Graf Andreas Kyrillowitsch Rasumowsky (1752 - 1836), besonders im Umfeld des Kriegsausbruchs 1788 denkbar schwierig. Die österreichische Vertretung mußte das russische Gesandtschaftsarchiv aufnehmen und sich auch für die Ausreise Rasumowskys einsetzen, den die Schweden nach Kräften schikanierten. Mehr noch aber entwickelten sich in der Folgezeit die Zumutungen des russischen Verbündeten, der über die k.k. Diplomatie in der schwedischen Hauptstadt weiterhin nach altbewährtem Muster in die Innenpolitik des Landes eingreifen und den Kontakt mit der „russischen" Adelspartei aufrechterhalten wollte, zu einem ernsten Ärgernis. Die Staatskanzlei mahnte zur Vorsicht: der eben im Werden begriffenen Tripelallianz, besonders Großbritannien und Preußen, durfte durch unmittelbare Einmischung Wiens kein Vorwand zu einer „Gegenoffensive" gegeben werden. Ein völliger Umsturz der königlichen Gewalt in Schwe73 Vgl. grundsätzlich die oben zur „nordischen Frage" genannte Literatur. Weiters Brückner 1869, Gerhard 1933, 221 - 242, Rössler 1966, Bd. 1, 137 - 147 [ungenügend], Bode 1979, 113 - 128, Nordmann [1986], 153 - 174, Barton 1986, 154 174, Black 1994, 179 - 189. Die preußische Schwedenpolitik erschöpft Siegel 1933. Hartmann 1983, 310 - 315.

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den war zudem gar nicht im Sinne Wiens, „da", wie man Graf Stadion noch im Oktober 1788 wissen ließ, „nach Zeit und Umständen eine ganz sorgenfreye Unabhängigkeit des rußischen Reiches von dieser Seite die Anhänglichkeit deßelben an seinen Alliirten, so wie die Erfahrung der Zeiten bestättiget, verhältnißmäßig zu schwächen vermögen könnte". Es empfahl sich bis auf weiteres ein nur scheinbares Eingehen auf die russischen Zudringlichkeiten. Nur im Falle eines österreichischen Konflikts mit Preußen und der drohenden Einbindung Gustavs ΙΠ. in denselben wollte man die bei einem für Schweden unglücklich verlaufenden Krieg gegen Rußland sicher chancenreicheren Umsturzpläne der Nationalpartei ernstlich unterstützen. Denn erst dann lag es im ureigensten Interesse des Kaisers, alles nach Möglichkeit zu beseitigen, was die russischen Kräfte schwächen oder ablenken mochte, und sämtliche anderen Rücksichten diesem Ziel unterzuordnen. Voraussetzung war und blieb aber, daß sich in Schweden selbst eine ansehnliche Gegenpartei konstituierte, die die eigentliche „Leitung der Sache" übernahm. Große Illusionen machte sich Wien allerdings nicht, die Zweifel an den Erfolgsaussichten der „patriotischen" Adelsfront gegen eine königstreue Allianz aus Bürgern, Bauern und Klerus und Bemühungen Gustavs um eine weitere Stärkung der Kronrechte überwogen. Zumindest blieb die k.k. Gesandtschaft in Stockholm stets in enger Verbindung mit Botschafter Graf Cobenzl in Petersburg und damit indirekt Informant des russischen Hofes - der wesentlichste Dienst, den man Rußland während des ganzen Krieges leistete. Auch an der scharfen Mißbilligung der schwedischen Aggression gegen die Zarin ließ man natürlich keinen Zweifel und kontrastierte mit einigem Zynismus das unlautere und völkerrechtswidrige Verhalten Gustavs mit dem Benehmen der Pforte, die wenigstens so zivilisiert gewesen war, eine förmliche Kriegserklärung zu erlassen. Das provozierende und anmaßende Verhalten des schwedischen Königs empfand die Staatskanzlei als eine Kette von Widersprüchen „und von wahren politischen Argernißen". Es erhielt durch die damit verbundene Gefahr einer weiteren Ausbreitung des Kriegsfeuers in Europa eine gefährliche Note und zugleich eine mögliche rationale Begründung, wenn man davon ausging, daß die nichtigen schwedischen Rechtfertigungsversuche nur der Bemäntelung des bezahlten Versuchs diente, die Abfahrt der russischen Flotte aus dem Baltikum ins Mittelmeer zu verhindern, was gerade London nach der Ablehnung der Vermittlungsofferten seit der 1. Jahreshälfte 1788 lebhaft betrieb. Auch Frankreich, der alte Verbündete und Subsidiengeber Schwedens, mißbilligte die Aggression des Sommers 1788. England, Preußen und die Pforte steckten weitverbreiteten Verdächtigungen zufolge hinter der Aktivierung des finanziell extrem schwachbriistigen 14*

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Schwedenkönigs und gefährdeten Versailles' Annäherungsversuche an Rußland. Mit seinen wirren Aktionen verursachte Gustav ΙΠ. allenthalben verärgertes Kopfschütteln. Bald verlangte er gegen angebliche russische Aggression von Frankreich die Erfüllung der Vertragsverpflichtungen des Jahres 1784, bald bot er in Wien die Vermittlung eines Friedens mit der Pforte an, bald ersuchte er Frankreich, aber auch Preußen und die Seemächte - seine Eroberungspläne angeblich begrabend - um Mediation in Petersburg, um einigermaßen unbeschadet aus dem unglücklich begonnenen Krieg mit Rußland zu entkommen. Die Tripelallianz - und nicht das machtpolitisch schwach gewordene, allianzpolitisch gefesselte Frankreich - war es schließlich, die Gustav vorerst durch Druck auf Dänemark den dringend notwendigen Halt gab; die Versuche der französischen Diplomatie, nach dem bitteren Verlust der niederländischen Allianz wenigstens den alten schwedischen Freund halten zu können, ohne es sich dabei mit der Zarin zu verderben, verhinderten nicht, daß seit Herbst 1788 vermehrt von der Möglichkeit einer Quadrupelallianz durch Anbindung Schwedens an die Achse London-Den HaagBerlin gesprochen wurde und Versailles in Petersburg weiter ins Zwielicht geriet. Für Frankreichs verzweifelte und kostenintensive Versuche (zwischen 1771 und 1789 sollen 35 Millionen Livres an Gustav ΙΠ. geflossen sein), Schweden in seinem Orbit zu halten, vermochte die Staatskanzlei durchaus Verständnis aufzubringen. Daß sich aber Preußen und v.a. Großbritannien derart engagiert für Schweden verwendeten, erfüllte Wien mit Verwunderung. Die erste Bewährungsprobe der englisch-preußischen Freundschaft im dänisch-schwedischen Krieg schien Kaunitz' Spekulation, das Bündnis zwischen London und Berlin sei lediglich als „zeitliches Aushilfsmittel" zu betrachten und diene nur dazu, Holland fest an den britischen Einfluß zu binden, einigermaßen ins Wanken zu bringen. Der scheinbare Wagemut und die Bereitschaft Londons, ausgerechnet durch Unterstützung eines notorischen Ruhestörers jede Aussicht auf Wiedergewinnung der russischen Freundschaft ernstlich aufs Spiel zu setzen, eröffneten bedenkliche Rückschlüsse für die weitere Entwicklung des glücklosen Türkenkriegs und die mögliche Realisierung des Hertzberg-Planes. Gegenüber dem k.k. Gesandten in Preußen, Fürst Reuß, spekulierte Kaunitz im November 1788, das englische Ministerium handle „gegen das eigene große, auf die Zukunft gerichtete Intereße Großbritanniens und laße sich entweder durch das eitle Verlangen, dem rußischen Hof seine Empfindlichkeit fühlen zu laßen, oder durch die übel calculirte Hofnung, Rußland endlich durch die Erfahrung, wieviel es an Englands Freundschaft verliehre, zurückzuführen, oder aber durch ein in England nicht ungewöhnliches, von dem Nationalinteresse abgesondertes Ministerialinteresse - vermög welchem ein zeitlicher Minister

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alles aufopfert, um nur seine Gestion mit dem Gepränge neuer Allianzen hervorstechen zu machen - zu solchen Schritten verleiten, die es mit der Zeit selbst zu bereuen Ursach haben dürfte." 74

c) Tripelallianz gegen Tripelallianz: Die Bemühungen um ein russisch-französisches

Bündnis

Hatten London und Berlin nach einer langen Phase der dornenvollen Annäherung endlich im Sommer 1788 zueinander gefunden, so steckte die Vernetzung der beiden bisher selbständigen österreichischen Bündnissysteme zu einer - als Gegengewicht besonders nötigen - durchgehenden Verbindungslinie Versailles-Wien-Petersburg immer noch in der Sackgasse. Freilich: Die Fortschritte, die man bereits im Februar 1788 seit dem knapp ein Jahr zurückliegenden Tode Vergennes* gerade in der „orientalische Frage" erzielt hatte, waren gewaltig. Frankreich hatte sich bei aller Unsicherheit den Argumentationsmustern der beiden Kaiserhöfe weit angenähert und die Türe zu Preußen zwar noch nicht verriegelt, wohl aber mit unfreundlicher Geste zugeschlagen. Auch die Publizistik bemächtigte sich, wie Mercy nicht entging, des Türkenkriegs und seiner möglichen Folgen für Frankreich: Constantin-François Chasseboeuf de Volney (1757 - 1820), durch seine Reise durch Syrien und Ägypten und die Publikation seines Reiseberichts bekanntgeworden (1787) und später Abgeordneter zur Constituante, hielt die Türken für rettungslos verloren, verurteilte die französische Militärhilfe der siebziger und achtziger Jahre und redete einer Beteiligung 74

Vortrag Kaunitz (1. 8. 1788; StK Vorträge 145 Konv. 1788 VIII) mit Beilagen. Instruktion für Graf Stadion, k.k. bevollmächtigten Minister in Schweden (28. 9. 1787; SA Schweden 68 Konv. 1786 - 1787/3); Kaunitz an Stadion (31. 7., 8. 9., 20. 10., 17. 11., 1. 12. 1788; SA Schweden 69). Mercy an Kaunitz (24. 6. [wie Anm. 47], 19. 7./I+II [wie Anm. 23], 27. 8. [wie Anm. 37], 14. 9. 1788 [wie Anm. 39]), ders. an dens. (23. 10., 5. 11. 1788; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1788 VIII - XII); Kaunitz an Mercy (28. 6., 28. 7., 6. 8. 1788; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy V - VII bzw. VIII - XII). Kaunitz an Reuß (6. 11. 1788; StK DK Preußen 66 Konv. Weisungen 1788). Kaunitz an Rewitzky (30. 7., 13. 10. 1788; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1788). L. Cobenzl an Joseph II. (2., 21. 7. 1788; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 278 - 289), Kaunitz an L. Cobenzl (2., 6. 8. 1788; SA Rußland II 175 Konv. Expeditionen 1788); Joseph II. an Katharina II. (Semlin, 16. 6. u. 7. 8. 1788), Katharina II. an Joseph II. (7. 7., 7. 10. 1788): [Arneth] 1869, 313 - 321. Kaunitz an Hartig (9. 8. 1788; StK DK Sachsen 28 Konv. Weisungen 1788/89), an Merz (25. 8., 8. 9., 13. 11. 1788; SA Dänemark 71 Konv. Weisungen 1788). Die dänischen Noten zum Kriegseintritt 1788 wurden auch der Staatskanzlei in Wien zur Kenntnis gebracht: SA Dänemark 71 Konv. NW 1788. - Noailles an Montmorin (10. 3. 1787; AMAE CP Autriche 352), Noailles an Montmorin (16., 26., 30. 7., 4., 9. 8., 24. 9. 1788; AMAE CP Autriche 355). Montmorin an Ségur (23. 11. 1788; SA Frkr. Varia 40 Konv. Frkr. Varia 1784 - 1788).

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Versailles' an der zu erwartenden Zerstückelung des Osmanischen Reiches das Wort, auch wenn ihm die Realisierung dieses Plans angesichts der inneren Schwierigkeiten Frankreichs zweifelhaft schien; eine Gegenschrift des ehemaligen französischen Konsuls in Smyrna, Charles de Peyssonnel (1727 - 1790), der bereits wiederholt als Verteidiger der französischen Orientpolitik aufgetreten war, fand trotz Unterstützung durch das französische Ministerium nicht das gleiche Echo75. Im Februar 1788 erklärte der Conseil du Roi ein Beiseitestehen in der „orientalischen Frage" für unzulässig und setzte die rasche Herstellung des Einvernehmens mit Wien und Petersburg auf die Tagesordnung. Die immer problematischer werdende innenpolitische Situation und die katastrophale Finanzlage legten freilich Frankreichs Außenpolitik ungekannte Fesseln an. Nicht mehr die Gloire des Königs, sondern das gerade noch Machbare mußten das Kalkül in Versailles bestimmen. Entsprechende Bedenken peinigten folgerichtig auch den Conseil, wenn es galt, sich mit zwei Mächten weiter einzulassen, die noch dazu mit dem Sultan, einem „alten Freund" des Allerchristlichsten Königs, im Krieg lagen. Ein diplomatisches Eingreifen zugunsten Wiens und Petersburgs - soferne sie ihre Forderungen auf das Maß einer gerechten „Satisfaktion" für erlittenes Unrecht zurückschraubten - schien in diesem Sinne noch die billigste und für Frankreichs Prestige erfolgversprechendste Variante: Alle Beteiligten und besonders die Pforte mußten in diesem Fall Ludwig XVI. zu Dank verpflichtet sein. Die zunächst relativ unklaren russischen Reaktionen auf Frankreichs Bereitschaft zu einem Geheimvertrag zwischen Versailles, Wien und Petersburg über das künftige Schicksal der Pforte nährten den Verdacht, daß Rußlands Pläne selbst vor dem Herzen des Osmanischen Reiches nicht haltmachen würden, und waren nicht eben dazu angetan, die versteinerten Fronten aufzubrechen. Auch auf russischer Seite - Vizekanzler Ostermann etwa neigte eher der „englischen" Partei zu - gab es Widerstände und anhaltendes Mißtrauen gegen Frankreich, der „alte Sauerteig des Unwillens" arbeitete noch - so Kaunitz witzig, aber zunehmend irritiert über die schlaffe Kriegsführung gegen die „Barbaren" (April 1788). Wollte man eine komplikationslose Fahrt der russischen Ostseeflotte in das Mittelmeer (von einer schwedischen Diversion war damals noch nicht die Rede) und ein Weiterflorieren des englischen Handels, durfte Petersburg es sich mit England nicht unwiederbringlich verderben. Diesem von den Russen hartnäckig geltend gemachten gravierenden Nachteil vermochte Versailles mit seinen Avancen nur wenig 75 Volney 1788, bes. 59 - 140 „Queis sont les intérêts de la France & quelle doit être sa conduite relativement à la Turquie", Peyssonnel 1788, Rêve politique sur le partage d'une partie de l'Empire ottoman (Paris 1788) u.a. m. Vgl. dazu u.a. auch Djuvara 1914, Fischer 1983, 137 - 140.

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Verlockendes entgegenzuhalten. Denn der angebotenen Neutralität war man sich angesichts der Schwäche Frankreichs ohnedies weitgehend sicher, und nur um den Preis ihrer vertraglichen Festschreibung sich zum voraus in den eigenen Kriegszielen beschränken zu lassen und sich der interessierten französischen Mediation zu unterwerfen schien nicht unbedingt empfehlenswert. Als Lockmittel für Frankreich wollte man natürlich die eventuelle Annahme französischer Vermittlung und die Öffnung des Schwarzen Meeres auch für das Lilienbanner nicht ausschließen und versprach, die britischen und preußischen Vermittlungsanträge in Petersburg energisch bekämpfen zu wollen, um den durch die preußisch-englische Interessenund Aktionsgemeinschaft erzwungenen „Systemwechsel" der Franzosen in seinem Kurs zu bestärken. Gerade der Verlust der preußischen Option an England war es in der Tat, der im Conseil du Roi ein weiteres Abrücken von der traditionellen Rolle einer Schutzmacht der Pforte wünschenswert machte. Näherte man sich den Kaisermächten, so bot man dem im Entstehen begriffenen englischen System Paroli und verhinderte vielleicht zugleich um so leichter die „subversion totale" des Osmanischen Reichs, ließ den beiden Kaisermächten nur vertretbare „conquêtes de convenance" und vermied es, von Zarin und Kaiser in einen kontinentalen Krieg verstrickt zu werden, aus dem das lauernde England wieder als großer Gewinner hervorgehen konnte. Daß man schließlich auch in Petersburg über die drohende preußische Haltung und Truppenmassierungen an der polnischen Grenze unruhig wurde und bis April 1788 allmählich und unter vielerlei Verzögerungen für Frankreich befriedigendere Zusicherungen gab, erleichterte Botschafter Mercys Aufgabe, im Frühling 1788 auf eine förmliche Eröffnung der Bündnisverhandlungen mit Rußland zu drängen. Die „polnische Frage" und das Bemühen, auch Frankreich zur Verhinderung des Hertzberg-Plans zu instrumentalisieren, waren es aber schließlich auch, die zusätzlich zu anhaltenden Zweifeln an der russischen Linie die weiteren Gespräche lähmte. Denn Frankreich wollte zwar einen direkten Angriff Preußens auf Österreich (bzw. für den Fall eines Allianzabschlusses mit Petersburg auch einen solchen auf die Zarin) als casus foederis anerkennen, keinesfalls jedoch einen Schlag Berlins gegen Polen oder eine Vergrößerung preußischen Territoriums auf Kosten der Republik. Die Polnische Teilung von 1772 und damit auch die Folgewirkungen des Länderraubs waren im Verständnis des französischen Außenministeriums res inter alios actae, die den Allerchristlichsten König nicht interessierten 76. 76 Kaunitz an Joseph II. (16. 2. 1788) mit Montmorin an Noailles (6. 2. 1788; als frz. Kommunikat in SA Frkr. Varia 40 Konv Frkr. Varia 1784/88), Kaunitz an Joseph II. (21. 3. 1788), Ph. Cobenzl an Joseph II. (21. 3. 1788), Joseph II. an Kaunitz (Futak, 27. 3. 1788; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 415): StK Vortrage 145

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Da half es nichts, wenn man den Franzosen einreden wollte, daß ein weiteres Anwachsen der preußischen Macht seit ihrer Verbindung mit England nicht mehr im Interesse Frankreichs liegen konnte, sie mit der Nase auf die durch Preußen in der Holland-Frage erlittene Demütigung stieß und auf die bei Erwerbungen Berlins in Polen drohende Gefährdung des Gleichgewichts verwies. Denn während die Kaisermächte den Türken mit Blut und Geld unfruchtbare, entvölkerte Gebiete bitter abringen mußten, hatte Friedrich Wilhelm II. allen Ernstes Aussicht, wertvollstes Territorium ohne Schwertstreich in seinen Besitz zu bringen; und dies lag auch daran, so sah es jedenfalls der Staatskanzler, daß die Verantwortlichen nicht verstanden, Krieg zu führen. Das französische Außenministerium blieb in jedem Fall viel lieber bei seinem Angebot vom Februar 1788, durch Mittlerdienste und nötigenfalls durch Drohungen die Pforte von ihrem Unrecht zu überzeugen, in einer Geheimkonvention die russischen Erwerbungen festzulegen und schließlich den von Versailles zu vermittelnden Definitivfrieden förmlich zu garantieren. Königin Marie-Antoinette selbst war im Sommer 1788 ehrlich genug, ihrem kaiserlichen Bruder die beschränkte Handlungsfähigkeit des krisengeschüttelten Frankreich als hauptsächlichen Beweggrund für die schüchterne Verhandlungsführung zu nennen. Nur mit Schrecken sah der Conseil des Königs alles, was den französischen Hof in weitere internationale - womöglich militärische - Verwicklungen trieb, und war daher bestrebt, die Verhandlungen mit Petersburg primär als sicherheitspolitisches Muß im Sinne des europäischen Gleichgewichts darzustellen. Dabei verhehlte man sich in der internen Diskussion durchaus nicht, daß die Erweiterung der Achse Versailles-Wien um das Verbindungsstück Wien-Petersburg die befürchtete totale Abhängigkeit eines schwachen, von Preußen definitiv getrennten Frankreich von einem bedenkenlos egoistischen Verbündeten wie Österreich verhinderte, also stabilisierend wirkte. Im Juni 1788 schien Petersburg mit den angebotenen bona officia Frankreichs - eine förmliche Mediation mochte unnötig Neid und Mißgunst der übrigen Mächte anstacheln - einverstanden, ebenso mit einer allfälligen Zuziehung Spaniens und einer Festschreibung der Ausnahmefälle innerhalb der wechselseitigen Beistandsverpflichtungen: Frankreich unterstützte die Konv. 1788 I - IV; Ph. Cobenzl an Kaunitz (18. 2. 1788; GK 406 Konv. A). Mercy an Kaunitz (23. 2. [wie Anm. 37], 25. 4. 1788 [wie Anm. 39]), Partikularschreiben dess. an dens.. (23. 2. u. 25. 4. 1788; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1788; Druck: A&F 2, 168 - 170, 174 - 177), Mercy an Joseph II. (23. 2. 1788 [wie Anm. 37], 25. 4. 1788; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 171 - 174), Kaunitz an Mercy (22. 3., 6. u. 19. 4. 1788; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy I - IV), Partikularschreiben des Staatskanzlers (6. 4. 1788; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1788; Druck: A&F 2, 170f.). Montmorin an Noailles (5. 2., 20. 3., 29. 4., 15. 5. 1788), Noailles an Montmorin (23. 2., 5. u. 8. 3., 5., 16. 4., 9., 14. 5. 1788): AMAE CP Autriche 354.

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Russen nicht in Kriegen gegen den Sultan (umgekehrt natürlich auch nicht den Sultan gegen die Zarin) und anderen Konflikten in Asien, Rußland durfte sich im Gegenzug aus französisch-britischen Kriegen sowie aus Konflikten in Übersee und Italien heraushalten. Für die großzügige Zulassung der französischen Handelsflagge im Schwarzen Meer und die freiwillige Beschränkung der russischen Territorialforderungen an die Pforte erwarteten sich die Russen nicht nur, daß man ihren Wunsch auf Komplettierung der „bourbonischen" Achse Madrid-Versailles zur Quintupelallianz durch Aufnahme des Königs von Neapel erfüllte und notfalls einen britischen Marineschlag abwehren half, sondern machten wohl mit Rücksicht auf Wien speziell die lästige Polenfrage zum Eckstein der Allianz Verhandlungen. Während der Sommermonate 1788 schien die Angelegenheit allmählich zu versanden. Die unterschiedlichen Interessensvorgaben der beiden Verbündeten Österreich und Rußland waren auch in den dornigen Verhandlungen mit Frankreich einmal mehr deutlich geworden. Dem Primat der Wiener Politik, den Spaltkeil zwischen Berlin und Versailles einzuzementieren und die französisch-britische Rivalität am Glosen zu erhalten, stand das Bedürfnis Petersburgs gegenüber, das Wohlwollen der Briten nicht gänzlich zu verspielen, wollte man wie im letzten Krieg mit dem Sultan eine Marineexpedition in das Mittelmeer entsenden. Im Laufe des Sommers mußte aber auch etwas anderes immer augenfälliger werden: Österreichs Bündnissystem erwies sich im Bedarfsfall als überraschend steril. Der dramatische machtpolitische Verfall Frankreichs war längst unübersehbar, und auch Rußland legte derart wenig Tatkraft an den Tag, daß fundamentale Zweifel an Armee- und Finanzorganisation und damit am Bündniswert an sich berechtigt schienen77. 77

Vortrag Kaunitz (18. 6. 1788), dto. (29. 7. 1788) mit der Apostille des Kaisers: StK Vortrage 145 Konv. 1788 V - VII. L. Cobenzl an Joseph II. (24. 5. 1788; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 262 - 269). Joseph II. an Mercy (Semlin, 24. 6. 1788; Druck: A&F 2, 178f.), Kaunitz an Mercy (28. 6. 1788 [wie Anm. 39], 29. 6. 1788 [wie Anm. 22]); Partikularschreiben Mercys an Kaunitz (18. 7. 1788; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Kaunitz-Mercy 1788; Druck: A&F 2, 185), ders. an dens. (19. 7./I+II, 30. 7., 6. u. 13. 8. 1788; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1788 V - VII bzw. VIII - XII), Mercy an Joseph II. (18. 7. 1788; wie Anm. 39) mit Marie-Antoinette an Joseph II. (16. 7. 1788; wie Anm. 39). - Noailles an Montmorin (8. 6. 1788), „Extrait d'une dépêche ..." (12. 7. 1788), „Plan vis-à-vis de la cour de Russie" (12. 7. 1788): AMAE CP Autriche 355. - Rußland hatte schon im Herbst 1787 vergeblich versucht, den König von Neapel für eine Teilnahme am Türkenkrieg zu interessieren. Als „Nachrichtendrehscheibe" für Mitteilungen aus Konstantinopel erlangte Neapel für die österreichische Politik nach Kriegsausbruch und Abreise des k.k. Internuntius große Bedeutung. Im Herbst 1787 war mit Franz de Paula Freiherrn von Thugut (1736 - 1818), dem ehemaligen Internuntius in Konstantinopel, ein bewährter und in türkischen Angelegenheiten erfahrener Mann als Gesandter und Koordinator nach Neapel gegangen: Ph. Cobenzl an Kaunitz (19. 11. 1787; GK 406 Konv. A; Druck: [Schiitter] 1899 a, 47 f.). Leopold an Joseph II.

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Die zähen Verhandlungen mit Frankreich quälten sich noch bis Jahresende 1788 weiter. Immer neue politische Häresien und unverschämte Anregungen von französischer Seite - so Kaunitz und der Kaiser einhellig hemmten den Fortschritt und vergrößerten den Überdruß. Im Spätsommer 1788 mußte sich die Staatskanzlei über den Vorschlag des französischen Außenministeriums erregen, Österreich solle doch seinem im Bündnisvertrag von 1756 peinlicherweise fixierten Recht auf allianzmäßige französische Hilfe gegen die Türken im Aggressionsfall entsagen, wie dies nun auch für den projektierten Parallelvertrag mit Rußland vorgesehen war, weil Frankreich so später die Vermittlerrolle glaubwürdiger spielen konnte. In den Augen des Staatskanzlers ein Skandal für die Allianz und für die Türken eine unverhüllte Einladung zu beliebiger Aggression in der Zukunft! Auch in der polnischen Frage bewegte sich nichts. Zwar konnte Botschafter Mercy im September 1788 aus Paris vermelden, daß sich Außenminister Montmorin angesichts der sich festigenden preußisch-englischen Allianz nun bemühen wollte, den Allerchristlichsten König doch zur Annahme des entsprechenden Vertragspassus über Polen zu bereden, dies obwohl sich Polen gerade ab Herbst 1788 zu einem weiteren Pulverfaß der europäischen Mächtelandschaft wandelte. Für diese Konzession verlangte Frankreich allerdings russische Unterstützung gegen England und provozierte damit wieder die Gegenforderung, Ludwig XVI. müsse als Ausgleichsleistung der Zarin im Krieg gegen die Türken beistehen. Das langweilige Hin und Her zwischen Versailles, Wien und Petersburg, verkompliziert durch die von Preußen hintertriebenen Nebenverhandlungen der Franzosen mit Madrid und die zwischenzeitlich aufgebrochenen Krisenherde Schweden und Polen, rückte schließlich in dem Maße in den Hintergrund, in dem Frankreichs innenpolitisches Dilemma den endgültigen Abschied aus der Reihe der dirigierendenden Mächte einläutete und die französische Diplomatie am Goldenen Horn bloß noch als Hilfsorgan der Kaisermächte interessant war. Allmählich schien selbst Botschafter Mercy das Schicksal jener k.k. Diplomaten an zweitrangigen Höfen zu drohen, die oft wochen-, ja monatelang ohne Nachricht und Weisung aus der Staatskanzlei blieben. Der Nachrichtenfluß zwischen der Botschaft in Paris und der Wiener Zentralbehörde dünnte sich merklich aus78. (9. 2. 1788; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 160 - 162). „Punctation" für Freiheim von Thugut (19. 10. 1787; SA Neapel Instruktionen 26), Kaunitz an Thugut (13. 3. 1788; SA Neapel Weisungen 23). - Noailles an Montmorin (27. 10. 1787; AMAE CP Autriche 353) mit einer Charakterisierung Thuguts. Zur Neapel-Mission Thuguts von November 1787 bis Juni 1789 siehe auch Roider 1987, 69 - 76. - Zur Position Spaniens vgl. Kleinmann 1967, 346 - 355, Schop Soler 1970, 142 - 150. 78 Vortrag Kaunitz (31. 8. 1788; StK Vorträge 145 Konv. 1788 VIII) mit Kaunitz an Mercy (27. 8. 1788; SA Frankreich Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1788

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d) „ Une paix quelconque ... " Während die schwedische Aggression ab Sommer 1788 die Überlegungen der Russen zwar verkomplizierte, aber noch keineswegs Katastrophenstimmung auslöste, genügte auf österreichischer Seite abgefangene preußische Diplomatenpost, um das Zaudern und die Wehleidigkeit des Kaisers weiter zu verstärken und dem Motto des recht kriegerisch gewordenen Staatskanzlers „Si vis pacem fac bellum!" jede Chance auf entsprechende Umsetzung zu nehmen. Nur in einem raschen und energischen Siegfrieden sah die Staatskanzlei - ihrer alten Gesinnung getreu - einen gangbaren Weg, den Türkenkrieg ohne nachhaltige Schädigung der kaiserlichen Reputation wieder zu verlassen und sich für die Bekämpfung der preußischen Gefahr freizumachen. Ein Ausscheiden ohne Kompensation mußte verheerende Auswirkungen haben. Doch während Kaunitz die preußischen Pläne - der Pforte wurde nun von Berlin aus verstärkt Hoffnung auf britische und preußische Unterstützung gemacht - in gespielter Kühle als kindische Ablenkung und Illusion bespöttelte, plagten den kränkelnden Kaiser im Feld Alpträume eines veritablen Zweifrontenkrieges. Das Hertzbergsche Projekt war wiederholt und z.T. recht deutlich modifiziert worden, je nach Konjunktur des Feldzuges von 1788. So plante Hertzberg für den Fall anhaltender türkischer Selbstbehauptung gar nicht auf Abtretungen zu dringen, sondern bloß die preußische Mediation anzubieten, die den Türken als Garantievorstufe „pour leur existence future" nützlich sein müsse, und nur bei türkischen Rückschlägen auf Herausgabe von Bender, Oczakow, Belgrad, der Moldau und der Walachei zu bestehen. Allfällige österreichische Gebietsgewinne blieben stets an die Rückgabe Galiziens an Polen und die Abtretung der seit langem anvisierten polnischen Territorien an Preußen gebunden. Das schwankende Kriegsglück war daher der Findung einer klaren Linie natürlich hinderlich, insgesamt aber nahm VIII - XII) mit zahlreichen Beilagen (frz. Kommunikate, österr. Noten bzw. Gutachten der Staatskanzlei) sowie Kaunitz an L. Cobenzl (28. 8. 1788). Partikularschreiben Kaunitz' an Mercy (27. 8. 1788; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1788; Druck: A&F 2, 187f.), Mercy an Kaunitz (14. u. 24. 9., 1., 15., 23. u. 29. 10., 12. 11., 3. 12. 1788; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1788 VIII XII), Partikularschreiben dess. an dens. (14. 9. 1788; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1788), an Joseph II. (14. 9. 1788/1; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 188f.). Noailles an Kaunitz (22. 8. 1788; SA Frkr. NW 13 Konv. Korrespondenz mit der frz. Botschaft 1785/88). - Montmorin an Noailles (13. 8., 4., 7. 11., 4. 12. 1788), Noailles an Montmorin (23. 8., 4. 10., 12., 20., 26. 11., 22. 12. 1788), sowie nicht genau datierte/nicht expedierte Entwürfe von Instruktionen für Noailles (Oktober 1788) und ein „Projet de convention à conclure entre la France et les deux cours impériales" (o.D. ): AMAE CP Autriche 355. Montmorin an Ségur (23. 11. 1788/1 - frz. Kommunikat; SA Frkr. Varia 40 Konv. Frkr. Varia 1784 - 1788).

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das Streben des preußischen Kabinettsministers eine Wendung Richtung bewaffnete Mediation. War die Pforte erst einmal mit dem preußische Plan einverstanden, wollte der König in Wien und Petersburg förmlich seine Vermittlung anbieten, von Großbritannien unterstützt die Armee in Bereitschaft setzen und gemeinsam mit London, Stockholm und Warschau der Pforte ihre transdanubischen Besitzungen garantieren 79. Trotz des hohen Truppenstandes von zeitweise mehr als 290.000 Mann kam für Joseph II. ein gleichzeitiger Krieg gegen Preußen und Türken unter keinen Umständen in Frage. Resignation schien ihm daher die einzig mögliche Bilanz aus dem unglücklichen Verlauf des bisherigen Feldzuges und der Unverläßlichkeit der Bündnispartner. Frankreich rutschte auf das Niveau einer „quantité négligeable" ab, und Rußland entblödete sich nicht, von der Hauptkriegspartei zum Nebenintervenienten zu mutieren, da es wegen eigener „nullité" und „foiblesse" zu mehr gar nicht imstande war. Sträflicherweise unterließen die Russen den dringenden notwendigen Vorstoß Richtung Donau und Moldau, erschwerten so die Abschirmung der österreichischen Ostflanke Galizien-Bukowina-Siebenbürgen und verhinderten die Bündelung der habsburgischen Kräfte gegen Bosnien und Belgrad. Aus dem wilden Ärger Josephs II. vermochte der Staatskanzler unschwer eine neue gefährliche Tendenz auszumachen: die drohende Auflösung der russisch-österreichischen Freundschaft, die - ganz wie von Berlin erhofft ihre erste wirkliche Bewährungsprobe offensichtlich nicht bestand und für Österreich mehr Probleme schuf als löste. Ohne brauchbare Alternative aber riet der Staatskanzler, den Russen gegenüber keinen zu pessimistischen Ton anzuschlagen, die unerwarteten Schwierigkeiten, mit dem türkischen Feind, diesem „grand troupeau de barbares", fertig zu werden, nicht überdeutlich hervorzukehren oder gar die empfindliche Zarin durch allzu prononcierte Kritik an der russischen Tatenlosigkeit zu kränken. Viel eher wollte Kaunitz dem Kaiser zur Stimmungsaufhellung vor Augen führen, daß es sich bei den potentiellen Partnern Preußens, Schweden und Polen, um „puissances nulles" handelte und Großbritannien - nur zur See eine Großmacht - keinerlei Lust an einem Offensivkrieg verriet. Und schließlich appellierte der Fürst an seinen defätistischen Herrn, das Vorbild des gloriosen Abwehrkampfs Maria Theresias gegen eine überlegene Phalanx von Feinden in den vierziger Jahren nicht zu vergessen. Dieses verzweifelte Heldentum vor Augen mußte es doch jetzt wohl möglich sein, sich mit 79

Der Hertzberg-Plan wurde seit Oktober 1788 von der k.k. Diplomatie in England konsequent und offen an den Pranger gestellt. Nicht zu Unrecht ging Wien davon aus, daß die Briten an den ruhestörerischen Aktivitäten des neuen Verbündeten nicht interessiert sein konnten: Kaunitz an Rewitzky (13. 10. 1788; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1788).

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100.000 Mann gegen die Türken zu verteidigen und die restlichen 200.000 Mann gegen Preußen zu formieren? In seinem Furor hatte sich Joseph II. aber längst für den Absprung vorbereitet und zu der Ansicht durchgerungen, die Bündnisverpflichtungen gegenüber dem russischen Alliierten seien ohnedies schon dadurch mehr als hinreichend erfüllt, daß die gesamte türkische Kriegsmacht auf der österreichischen Front lastete. Sollte Rußland für den Fall einer preußischen Aggression keine wirklich soliden Hilfszusagen machen können, empfahl der Kaiser nun sogar, der Pforte ein Friedensangebot vorzutragen; würde sich die Zarin auch dazu nicht verstehen, so mußte Wien wenigstens ein Separatfrieden mit den Türken gestattet werden. Kaunitz war entsetzt über die Bereitschaft zur Selbsterniedrigung. Dabei blieb es ohnedies höchst fraglich, ob die Türken - bisher ohne nennenswerte Verluste - nicht vielleicht selbst noch Forderungen stellten, die den bisherigen bescheidenen Zugewinn der Österreicher gefährdeten. Mit gutem Grund sah der Staatskanzler einen Separatfrieden Österreichs mit der Pforte als fundamentale Bedrohung für den Fortbestand der russischen Allianz. Eine kraftvolle Offensive noch vor Ablauf des Feldzugsjahres war in seinen Augen das einzige Mittel, die Scharten auszuwetzen und durch einige markante Erfolge sowohl in Petersburg als auch und vor allem bei der Pforte das Terrain für allfällige Friedenssondierungen zu bereiten. Großspurige Exhortationen aus dem Kabinett, die Joseph im Felde nicht gelten ließ. Auch Staatskanzlei und Souverän führten schließlich in den Monaten August und September 1788 einen erbitterten „Stellungskrieg". Denn der niedergeschlagene Kaiser sah die Dinge wesentlich weniger differenziert und rückte jetzt nicht mehr davon ab, daß Preußen in jedem Fall die Verwicklungen Österreichs auf dem Balkan für ein aggressives Auftreten nützen wollte. Seit dem letzten Türkenkrieg hatte sich auch bei den von Kaunitz verteufelten „Barbaren" einiges geändert. Die kostenaufwendige Peuplierungs- und Sanierungspolitik in den österreichischen Gebieten an den Grenzen zum Osmanischen Reich zwang zudem, das Werk auf der Suche nach Eroberungen nicht durch waghalsige Vorstöße zu gefährden, sondern vielmehr alten Besitz gegen türkische Verwüstungszüge zu decken. Der Kaiser ließ sich nicht umstimmen: Ein Zweifrontenkrieg gegen Preußen und Türken mußte für die „monarchia austriaca" zumal bei der Österreich nicht günstigen internationalen Lage tödlich enden; historische Vergleiche hinkten in den Augen Josephs, denn in der Tat war ein gleichzeitiger Konflikt mit Preußen und der Pforte selbst in der Ära Friedrichs d. Gr. ausgeblieben. Ihm schien daher unumgänglich, Überlegungen anzustellen, wie durch einen eiligen Frieden mit der Pforte Freiraum gegen Preußen gewonnen werden konnte.

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Aber auch Kaunitz blieb hart gegen die lamentose Denkungsart des Kaisers und seiner Berater im Feldlager von Semlin: Ein Separatfrieden mit der Pforte hieß zugleich zwangsläufig Rußland in ein für Österreich verhängnisvolles Bündnissystem, also in die Arme Preußens zu treiben. Einzig eine wirklich herzhafte Offensive zur Gewinnung eines Faustpfandes für Friedensverhandlungen konnte verhindern, daß man zuletzt gar noch einen entehrenden Frieden schließen und Zugeständnisse machen mußte ... „à ce troupeau de barbares que toute la terre s'attendoit à voir chasser de l'Europe par les forces des deux cours impériales". Nicht nur die Beamten der Wiener Staatskanzlei waren mit der Stagnation der militärischen Maßnahmen unzufrieden. Auch Graf Hertzberg wetterte Ende August 1788 in Berlin gegen die Untätigkeit der Verbündeten, da sie ja seinen großartigen Tauschplan akut gefährdete, und in Paris kursierten seit längerem anzügliche Reden über die Passivität der k. k. Armee. Der französische Verbündete sorgte sich um die Reputation des Kaisers. Die Monate August und September 1788 waren auch die Zeit der ersten militärischen Katastrophe des letzten österreichischen Türkenkriegs. Nach ungeschickten Manövern drückten die Türken Anfang August 1788 den Kordon der Kaiserlichen bei Orsowa ein und konnten über die Donau nach Norden Richtung Mehadia vorstoßen. Mit einem stärkeren Korps der Hauptarmee marschierte Joseph II. den Türken nach Osten entgegen, entschloß sich dann aber gleichfalls zum Rückzug. Während der Absetzbewegung verbreitete sich bei Karansebes unbegründete Panik in der österreichischen Kolonne, die sich in heilloser Flucht auflöste und bis Lugos zurückflutete (20./21. September 1788). Die Türken stießen nach und verwüsteten das Banat nach Kräften. Daß im äußersten Osten endlich im September 1788 - eigentlich gegen die Befehle Josephs II. - die Einnahme von Chotin geglückt war, vermochte die Katastrophe im Banat nicht aufzuwiegen. Auch des Kaisers Gesundheit verschlechterte sich zusehends. Kaunitz riet dringend, den Oberbefehl an seinen alten Liebling FM Laudon, den Kommandeur der einigermaßen erfolgreichen Kroatien-Armee, abzugeben80. 80

Kaunitz an Spielmann (8. 8. 1788; GK 406 Konv. E; Druck: [Schiitter] 1899 a, 82 f.). Kaunitz an Joseph II. (10. 8. 1788; StK Vorträge 145 Konv. 1788 VIII, Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1788; Druck: [Beer] 1873, 296 - 301), Joseph II. an Kaunitz (Jabuka, 15. 8. 1788; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1788; Druck: [Beer] 1873, 301 - 303), Kaunitz an Joseph II. (25. 8. 1788; Druck: [Beer] 1873, 303 - 305), Joseph II. an Kaunitz (Klein Dickwann, 26. 8. 1788, u. Illova, 9. 9. 1788; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1788; Druck: [Beer] 1873, 305 - 314), Kaunitz an Joseph II. (9. 9. 1788; StK Vorträge 145 Konv. 1788 IX - Χ, Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1788; Druck: [Beer] 1873, 315) mit „Très humbles observations du prince de Kaunitz44 (Druck: [Beer/ Fiedler] 1901, Bd. 2, 417 - 421), Joseph II. an Kaunitz (Illova, 15. 9. 1788; StK Vorträge 145 Konv. 1788 IX - Χ, Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./ 1788; Druck: [Beer] 1873, 315 - 319). Dazu eine wütende Bemerkung Spielmanns

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Das überraschende Durchhaltevermögen der Türken und die ersten Erfolge des Großwesirs im September provozierten immer neue Nachjustierungen an Hertzbergs Tauschplan, natürlich zum Schaden Österreichs. Für den Fall weiterer türkischer Progressen sollte etwa der Kaiser für seinen Verzicht auf Galizien nur mehr das von der Pforte eroberte österreichische Gebiet zurückerhalten, die Russen lediglich die Krim behalten dürfen, während der preußische Zugewinn auf Kosten Polens selbstredend gleichblieb. Seit Oktober 1788 verstärkten man die direkten Anbändelungen mit den Türken, die nach ihrer wackeren Haltung auch in preußischen Augen mehr bündnispolitischen Wert erhielten. Joseph II. dagegen rief - in tiefer Depression - lauthals nach einer „paix quelconque". Kaunitz sah freilich einen Frieden weiter entfernt denn je, riet zur Eroberung der Walachei und bemühte schließlich Anfang November 1788 die Beispiele Karls von Lothringen, des Markgrafen Ludwig von Baden oder Eugens von Savoyen, um den Kaiser zu einem durchschlagenden Feldzugserfolg anzufrischen. Diesem aber enthüllten sich auch nach seiner Rückkehr ins Hauptquartier zu Semlin im Angesicht der Festung Belgrad immer neue Schrecknisse. Nicht nur territoriale Verluste drohten nun im November 1788. Preußische Intrigen in Ungarn, das zum Aufstand gegen Wien angestachelt werden sollte, gefährdeten den inneren Zusammenhalt selbst des Kerngebiets der Monarchie (siehe Kap. III.4). Baron Konstans Philipp Wilhelm von Jacobi-Kloest (1745 - 1817), der kurbrandenburgische Vertreter in Wien, das dämonisierte und mit Haß verfolgte Schreckgespenst der Österreicher, schien als anachronistische Verkörperung des „diplomat of ill will" der Renaissance das sinistre Zentrum der preußische Umtriebe in der österreichischen Hauptstadt zu bilden. Nicht ohne Grund nahmen die Österreicher an, daß Jacobi - wiewohl unter scharfer „Polizey-Aufsicht" - in seinen Berichten nach Berlin nicht nur bewußt Lügen über die Wiener Politik verbreitete, Kaunitz und Joseph nach Mög(26. 9. 1788), der Josephs II. „Gegenvorstellungen" als „wahren Galimatias" qualifizierte (FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1788). Kaunitz an Joseph II. (18. 9. 1788; StK Vorträge 145 Konv. 1788 IX - X), Joseph II. an Kaunitz (Illova, 20. 9. 1788; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1788; Druck: [Beer] 1873, 319 321). Joseph II. an Leopold (13. 8. 1788, Karansebes, 2. 9. 1788, Illova, 20. 9. 1788, Lugos, 26. 9. 1788; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 187 - 189, 193 - 196, 198 - 201). Die Schlappe von Karansebes kam in ihrer verheerenden moralischen Wirkung einer eklatanten Niederlage gleich: KA NL Zinzendorf TB 33 (12. 10., 3., 22., 28. 11. 1788). - Noailles an Montmorin (13., 16., 21., 28., 30. 8., 3., 6., 10., 13., 17., 20., 24., 27. 9., 1., 4., 8., 11., 15., 18., 22., 25., 29. 10. 1788; AMAE CP Autriche 355). - Über die Operationen des Türkenkrieges vgl. neben dem Standardwerk von Criste 1904, 145 - 225 auch Kotasek 1956, 175 - 182; aus der Perspektive des „Helden" Laudon Janko 1869, 399 - 476 und - ohne neue Erkenntnisse Pesendorfer 1989, 210- 231. Zum Feldzug von 1788 nun Mayer 1997 mit dem Versuch einer Rehabilitierung Josephs II. als Feldherr.

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lichkeit zu entzweien suchte, sondern auch nachrichtendienstliche Tätigkeiten ausführte und österreichische Beamte zu bestechen trachtete, wenn es darum ging, den Erzfeind zu schwächen. Ein Blick auf das verheerende internationale Panorama von Spanien bis Schweden und Polen schien zu beweisen, daß Österreich wegen der „Schwäche und Unvermögenheit" bei seinen Verbündeten in der Bilanz auf sich alleine gestellt war. Zwar hatte man die österreichischen Gebiete im November 1788 bis zur Donau wieder von den Türken gesäubert, aber im Gegenzug keine wirklichen Fortschritte gemacht. Der Kaiser sah daher die einzige Möglichkeit, trotz dieser verfahrenen Pattstellung doch noch zu einem Frieden zu kommen, darin, auch die Russen zu größtmöglicher Mäßigung und Nachgiebigkeit zu bewegen. Er selbst wollte gerne auf der Basis des uti possidetis unter Erneuerung der alten Verträge mit der Pforte abschließen. Anfang November 1788 wurden die Operationen beiderseits weitgehend eingestellt, man ging in die Winterquartiere und zog Bilanz. Selbst in der sonst aufgesetzten Optimismus versprühenden Staatskanzlei fiel diese wenig erfreulich aus. Die enormen Kriegskosten lasteten schwer auf der Staatskasse, und der türkische Einfall ins Banat hatte durch Tod und Verschleppung einen gewaltigen Bevölkerungsverlust bewirkt, die Armee litt v.a. durch Krankheiten 81. Der im November 1788 dem österreichischen Verbündeten kommunizierte Vorschlag der Russen, sich gegenüber der Pforte defensiv zu verhalten, aktiv aber den König von Preußen zu bekriegen, bestärkte den Kaiser nur in seinem Zorn, schien doch dieser als „unverschämt" abgelehnte 81

Joseph II. an Kaunitz (Lugos, 29. 9. 1788; Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1788; Druck: [Beer] 1873, 321 - 323), Kaunitz an Joseph II. (11. 10. 1788; Druck: [Beer] 1873, 323 f.), Joseph II. an Kaunitz (Semlin, 28. 10. 1788; Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./188; Druck: [Beer] 1873, 325 f.), dto. (7. 11. 1788; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 421 - 424), Kaunitz an Joseph II. (7. 11. 1788) und vom gleichen Datum ein nicht expediertes Schreiben Kaunitz': StK Vortrage 145 Konv. 1788 IX - X bzw. Konv. 1788 XI - XII. Joseph II. an Leopold (7. 10. 1788, Tomaschowatz, 19. 10. 1788, Semlin, 29. 10. 1788, Semlin, 4. u. 17. 11. 1788; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 203 f., 206 - 210). Zu den österr. Verlusten vgl. auch KA NL Zinzendorf TB 33 (26. 11. 1788). Der Kaiser hatte Kaunitz schon Mitte Oktober 1788 eine zusammenfassende Darstellung der bisherigen militärischen Operationen übersandt: Joseph II. an Kaunitz (15. 10. 1788; StK Vorträge 145 Konv. 1788 IX - X). Kaunitz an Reuß (27. 9. 1788; StK DK Preußen 66 Konv. Weisungen 1788/Sperrkonvolut), an Thugut (13. 11. 1788; SA Neapel Weisungen 23). - Noailles an Montmorin (1., 5., 8., 12., 15. 11. 1788; AMAE CP Autriche 355). - Zur Gefahr preußischer Spionagetätigkeit im Hause FM Laudons: Ph. Cobenzl an Joseph II. (30. 3. 1789; StK Vorträge 146 Konv. 1789 III - V; Druck: [Brunner] 1871, 88 f.), zu (ungeschickten) Bestechungsversuchen des kurbrandenburgischen Residenten: Vortrag Kaunitz (13. 5. 1789; StK Vorträge 146 Konv. 1789 III - V). Wie intensiv umgekehrt die preußische Vertretung in Wien ausspioniert wurde, zeigt Mitrofanow 1910, Bd. 1, 225 Anm. 1.

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Aktionsplan - zumindest nach Einschätzung Josephs II. - alleine Österreich mit den 200.000 Preußen und 200.000 Türken belasten zu wollen. Für Rußland stellte sich ein Zweifrontenkrieg in jedem Fall anders dar als für Österreich. Für Petersburg, so der Kaiser, mochte ein solcher bei aller erwiesenen Impotenz recht bequem sein, da es ja letztlich nur die Krim und Cherson zu verteidigen hatte, im übrigen aber durch Wüsteneien von den Türken weitgehend abgeschirmt war, während die ungeheure Ausdehnung der österreichischen Grenzen zu beiden Gegnern die „monarchia austriaca" in ärgste Nöte stürzen mußte. In Wahrheit gab es für Joseph II. bloß eine klare Lösung: Wünschte die Zarin Krieg mit Preußen - und am gesteigerten „Preußenhaß" Katharinas schienen die aus Petersburg einlangenden Berichte keinen Zweifel zu lassen - , so mußte auch sie unbedingt mit der Pforte Frieden schließen. Wollte sie dagegen den Kampf mit den Türken fortsetzen, dann galt es, sich an den anderen Konfliktherden und besonders gegen Preußen entgegenkommend zu zeigen. Joseph II. selbst war unwiderruflich entschlossen, eher auf die russische Allianz zu verzichten, als seinen Landen die vorgeschlagene „double guerre" zuzumuten. Kaunitz suchte indes zu retten, was noch zu retten war. Die Allianz mit Rußland, das letzte tragende Element des österreichischen Bündnissystems, durfte bei allen Bedenken, bei aller berechtigten Kritik nicht der Gefahr einer Erkältung ausgesetzt werden. Der Staatskanzler ließ daher in Petersburg mit großer Wärme Österreichs Bereitwilligkeit zur tätigen Teilnahme an einem Krieg mit Preußen bestätigen, dabei aber doch einige Skepsis gegen das von Rußland vorgeschlagene Procedere durchklingen. Auch der Fürst gab sich keinerlei Illusionen darüber hin, daß die großen Töne des Zarenhofes mit dem Zustand der russischen Armee und den Herausforderungen eines dreifachen Krieges gegen Preußen, die Pforte und Schweden in keinem vernüftigen Verhältnis standen, schon gar nicht das lächerlich schwache Armeekorps, das für den Ernstfall gegen die preußische Übermacht vorgesehen war. Denn Preußen, so malte die Staatskanzlei auf Befehl des Kaisers schwarz in schwarz, verfüge nicht nur über die Unterstützung der Seemächte, sondern im Ernstfall auch über Hilfstruppen des deutschen Fürstenbundes in der Stärke von 60/70.000 Mann! Die k.k. Diplomatie mußte nun in Petersburg eingestehen, daß Österreich angesichts der preußischen Bedrohung im Rücken und den Wühlarbeiten Berlins im Inneren nicht nur ein Offensiv-, sondern auch ein Defensivkrieg gegen die Pforte unmöglich geworden war, solange es nicht den Großteil seiner Kräfte ohne Sorge gegen Süden konzentrieren konnte. Petersburg sollte daher endlich erkennen, was Wien schon seit langem ohne Unterlaß propagierte und jetzt Ende November 1788 ein weiteres Mal gegenüber Botschafter Cobenzl herausstrich: „daß, solange die preussische Macht nicht herabgesetzt seyn wird, von selber alle Absichten, Plane und Unternehmungen 15 Hochedlinger

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Β. Krise

der zwey kaiserlichen Höfe jederzeit werden gekreuzet, verhindert und vereitelt werden." Wien schlug demgemäß vor, noch im Winter 1788/89 Friedensverhandlungen mit der Pforte in die Wege zu leiten - schnell und geheim, wollte man vermeiden, daß Preußen diesen Plan hintertrieb. Als Kanal für diese Friedenssondierungen sollte Frankreich dienen, die Pforte durch den französischen Botschafter am Goldenen Horn dazu gebracht werden, den beiden Kaisermächten zuerst den Frieden anzutragen. Nachgiebkeit und Großmut, gegebenenfalls unterstützt von französischen Drohungen, an der Seite Petersburgs und Wiens in den Krieg einzutreten, schienen gute Zutaten für einen Erfolg. Der Kaiser, soviel stand fest, hatte nicht die Absicht, mehr zu fordern, als für die Sicherstellung der Grenzen nötig schien, und in Momenten eines Stimmungstiefs wollte Joseph Π. sogar dem status quo ante bellum zustimmen. Erst nach Ende des Türkenkriegs konnte Österreich dann mit seiner gesamten Macht im Falle eines preußischen Angriffs Gewehr bei Fuß stehen, „erzbereit", seinen letzten Mann und seinen letzten Gulden aufopfern, „damit der für die gemeinsame Wohlfahrt beyder alliirter Monarchien so wichtige, so heilsame, so nothwendige Endzweck erreichet und die preußische Macht so sehr als nur immer möglich beschränket werde." Unbedingt wollte die Staatskanzlei dafür jedoch eine preußische Aggression als Anlaßfall abwarten, um so - wenigstens auf dem Papier - Anspruch auf die allianzmäßige französische Hilfe anmelden zu können, Preußen aber die Aussicht auf Unterstützung durch den Fürstenbund zu rauben. Bei der Zarin selbst sollte nun die Wahl liegen, „ob wir derselben in dem embarras, in welchem sie sich von allen Seiten befindet, entscheidend nützlich oder aber mit dem besten Willen, mit der größten bonne foi und mit aller allianzmässiger Treue schlechterdings unnütz seyn sollen." Schöne Worte, die eine bitter gewordene Bündnisrealität verschleierten. Denn der Kaiser wünschte primo loco ganz ungeschminkt einen einseitigen Frieden Österreichs mit der Pforte, der natürlich viel einfacher zu erreichen sein mußte als ein gemeinschaftlicher mit der Zarin; bloß nach außen hin - nur „um dadurch die Anständigkeit zu salviren" - war noch von einem Bemühen um einen gemeinsamen Ausstieg aus dem Krieg die Rede. Auch der französische Botschafter, Marquis de Noailles, war überrascht über die extreme Friedenssehnsucht, die er in Wien beobachten mußte82 82 Vortrag Kaunitz (15. 11. 1788) mit der Resolution des Kaisers, Joseph II. an Kaunitz (Semlin, 17. 11. 1788; Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1788; Druck: [Beer] 1873, 326 - 328), Vortrag Kaunitz (18. 11. 1788) mit Entwürfen von Weisungen an Botschafter Cobenzl in Petersburg, der die Zitate entstammen (ostensibles Hauptschreiben und vertrauliches P. S. vom 28. 11. 1788 in SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Weisungen 1788), Joseph II. an Kaunitz (Adony, 24. 11. 1788/1; Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1788; Druck: [Beer] 1873, 328 f.) mit Joseph II. an Katharina II. (Adony, 24. 11. 1788; Druck: [Arneth] 1869,

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Angesichts einer durchaus verfinsterten internationalen Lage konnte den Ausritten Kaunitz* gegen das „unpolitische Gebaren" des Berliner Hofes im November 1788 bestenfalls der Charakter einer vordergündigen Selbstbeschwichtigung zukommen. Das preußische Betragen, so donnerte der Staatskanzler, lasse sich ebensowenig wie derzeit das englische durch „gesunde politische Grundsätze" erklären. „Eine lärmende und unbestimte Geschäftigkeit, überspannte Begriffe von eigener Macht und Klugheit, eine Begierde, Aufsehen zu erregen, die aber bloß schon das Vergnügen, schmeichelhafte Rollen zu spielen, wenn sie auch zu nichts führen, befriediget, sind die Triebfedern, welche die Politick der gegenwärtigen preusischen Regierung immer mehr zu beseelen scheinen", dozierte Kaunitz gegenüber Fürst Reuß. Zwar hatte es sich Preußen durch Unbedachtsamkeit bereits mit dem machtpolitisch fast bedeutungslosen Frankreich verdorben und sogar den bisher preußenfreundlichen jungen russischen Hof um Großfürst Paul verärgert, aber angesichts der ärgerlichen Bruchlinien im österreichischen Bündnissystem mußte darauf gesehen werden, daß Preußen seine ansehnlichen politischen Verbindungen nicht für die Umsetzung von „Vergrößerungsentwürfen" mißbrauchte, die notwendigerweise zum Krieg führten. Immerhin ließen sich am preußischen Hof „systemimmanente" Sperrmechanismen ausspähen, die in Berlin die „Ergreifung eines raschen und bedenklichen Entschlußes" erschwerten: Die Neigungen des Königs galten als alles andere denn kriegerisch. Letztlich schien sich die „lärmende Rolle" des Berliner Hofes auf schwächere Mächte wie Holland oder Dänemark zu konzentrieren, und die chimärischen Pläne Hertzbergs bzw. die ruhmsüchtigen Auftritte des Königs waren als Ablenkung durchaus willkommen, „solange solche nicht mit einer reiferen Politick als der bisherigen ausgedacht und vorbereitet werden". Kaunitz wünschte zwar, schrieb er dem k.k. Gesandten in Dresden, Franz Anton Graf Hartig (1758 - 1797), „die gehäßigen Vorurtheile, welche der Berliner Hof gegen die vermeintlichen Vergrößerungsabsichten des kaiserlichen Hofes von langer Zeit her gefast hat und bey demselben durch einen Schwärm geschäftiger Ohrenbläser immerfort unterhalten werden, möglichst zu verlöschen", wollte aber keinesfalls Furcht oder Verlegenheit erkennen lassen. In Preußen mußte im 321 - 323; dort auch 324f. die Antwort der Zarin vom 21. 12. 1788), Joseph II. an Kaunitz (Adony, 24. 11. 1788/11; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 425 -427), Kaunitz an Joseph II. (25. 11. 1788), Kaunitz an Joseph II. (27. 11. 1788; Druck: IBeer/Fiedler], Bd. 2, 428): StK Vortrage 145 Konv. 1788 XI - XII. Joseph II. an Leopold (Ofen, 28. 11. 1788) u. Leopold an Joseph II. (14. u. 16. 12. 1788): [Arneth] 1872, Bd. 2, 210 - 213. L. Cobenzl an Joseph II. (24. 10. 1788), Kaunitz u. Ph. Cobenzl an L. Cobenzl (28. 11. 1788), Joseph II. an L. Cobenzl (Adony, 24. 11. 1788): [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 298 - 300, 303 - 309. Joseph II. an Mercy (Lugos, 29. 9. 1788; Druck: A&F 2, 213f.). - Noailles an Montmorin (22. 11. 1788; AMAE CP Autriche 355). 1*

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Β. Krise

Gegenteil genügend Sorge unterhalten werden, „daß nämlich der kaiserliche Hof, wenn er von seite Preußens gezwungen würde, von seinen friedfertigen Gesinnungen wieder abzugehen, die äußersten Kräffte anwenden würde und müste, um einer so unversöhnlichen und zudringlichen Feindschafft die engeste Schranken zu setzen"83. e) Die österreichische

Friedensoffensive

Für die Zeit der Winterquartiere war im November 1788 mit dem Serasker von Rumelien an der serbischen Grenze ein Waffenstillstand vereinbart worden, Anfang Dezember 1788 kehrte der Kaiser endlich in seine Hauptund Residenzstadt Wien zurück. Eine Wiederholung der erfolglosen Feldherrntaten stand für 1789 wegen des schlechten Gesundheitszustandes des Monarchen nicht mehr zu erwarten. Den Friedenssondierungen in Konstantinopel, die man seit Herbst 1788 auch den Russen schmackhaft zu machen trachtete, standen indes vielerlei Hindernisse entgegen. Am Bosporus arbeiteten nach Berichten des französischen Botschafters Choiseul aus der 2. Jahreshälfte 1788 Preußen und England eifrig daran, die Pforte gegen etwaige Friedensfühler der Kaiserhöfe zum Durchhalten zu bereden - nicht ohne Wirkung auf den Fanatismus der Türken und die schüchterne Friedenswilligkeit einiger Würdenträger im Diwan. Gerade im November 1788 startete der preußische Gesandte in Konstantinopel, der dilettierende Orientalist Heinrich Friedrich von Dietz (gest. 1817), eine Offensive, konnte aber seine Vorschläge, obwohl er sich weit nach vorne wagte, für türkischen Geschmack nicht hinreichend konkretisieren. Wenigstens an der Pforte leistete der französische Verbündete den Österreichern über seinen (auch als Informanten ungemein nützlichen) Botschafter durchaus ersprießliche Dienste, indem die Friedenspartei hier gegen die preußenfreundlichen „Falken" nicht zu unterschätzenden Rückhalt fand. Bereits an der Jahreswende 1788/89 arbeitete der ehemalige Internuntius an der Pforte, Baron Herbert, in Wien an einer ausführlichen Denkschrift über die möglichen Friedensbedingungen. Grundsätzlich war das Prinzip des uti possidetis als Ausgangsbasis vorgesehen, doch schienen Konzessionen durchaus möglich. Als Kanal der österreichischen Sondierungen in Konstantinopel hatte die Staatskanzlei vorhabensgemäß den französischen Botschafter am Goldenen Horn, Choiseul-Gouffier, in Aussicht genommen, denn ohne die Pforte noch überheblicher zu machen, konnte man sich nach dem kläglichen Feldzug des Jahres 1788, also aus einer Position der Schwä83

Kaunitz an Reuß (6. 11. 1788; StK DK Preußen 66 Konv. Weisungen 1788), an Hartig (7. 11. 1788; StK DK Sachsen 28 Konv. Weisungen 1788/89).

II. Internationale Konflikte

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che heraus, nicht direkt an sie wenden: Der erste Schritt in Richtung Ausgleich mußte nun auch von dem gesetzt werden, der den Krieg so blindwütig begonnen hatte. Diese Initiative war von französischer Seite noch durch Hintergrundinformationen aus dem Diwan unterstützt worden. ChoiseulGouffier hatte nämlich im Oktober 1788 dem französischen Außenministerium - und letzteres im Dezember der Staatskanzlei - von beträchtlicher Friedensbereitschaft bei einzelnen türkischen Dignitären berichtet, die allerdings aus Angst um ihre Köpfe keinesfalls die Initiative ergreifen, sondern diese den Kaiserhöfen zuschieben wollten. Diesen Wunsch der türkischen Friedenspartei nach einem Anstoß von außen gedachte die Staatskanzlei wenigstens insoweit zu erfüllen, als man Frankreich als scheinbar selbständigen Motor der Ausgleichsgespräche vorschob. Choiseul-Gouffier sollte die Friedenspräliminarien gemeinsam für Österreich und Rußland im Namen seines Königs, aber unter österreichischer Anleitung ausverhandeln und unterzeichnen und so den Weg für den späteren Definitivfrieden ebnen. Die französischen Botschaften in Wien und Konstantinopel - die Weisungen Kaunitz' an Choiseul sollten durch den neutralen französischen Kurierdienst zwischen den beiden Vertretungsbehörden direkt aus Wien durch das Kriegsgebiet zugestellt werden - sanken dergestalt, von Versailles nur mit entsprechenden Vollmachten ausgestattet, zu Hilfsorganen der österreichischen Außenpolitik herab. Noch aber mußte der Widerstand des skeptischen Kaisers überwunden werden, der - voll des schwärzesten Mißtrauens gegen Frankreich und seine angeblich immer noch allianzfeindlichen Machinationen und eingedenk der nicht unumstrittenen Position Choiseuls in Konstantinopel - die Franzosen einer selbstlosen Vermittlungsaktion für unfähig hielt. Ausgerechnet in dieser kritischen Phase, im Dezember 1788, als Wiens Friedenssondierungen deutlichere Gestalt annahmen und man um die Zustimmung der Zarin warb, gelang den Russen mit der von einem entsetzlichen Gemetzel begleiteten Einnahme Oczakows der erste große Erfolg des Türkenkriegs. Wahrlich kein Ereignis, um die Friedenswilligkeit der Russen zu fördern. Botschafter Cobenzl in Petersburg konnte schwer verbergen, wie sehr er dem Verbündeten die Erreichung eines wesentlichen Feldzugszieles neidete, und auch Joseph Π. zeigte sich konsterniert über diesen Anreiz zur Fortsetzung der Kampfhandlungen und den harten Schlag gegen die Friedensbemühungen Wiens, die ohnedies von der Zarin mit wachsender Irritation aufgenommen worden waren. Staatskanzler Kaunitz wieder sorgte sich primär um den mit der Einnahme Oczakows verbundenen Prestigezuwachs des Fürsten Potemkin, der zusehends beunruhigende Zeichen eigensinnigen Verhaltens setzte und bald allgemein verdächtigt wurde, den russischen Kurs preußenfreundlicher gestalten zu wollen. Der österreichische Beobachter bei den russischen Feldarmeen, Prince de Ligne, kehrte mit großem Mißmut zurück und bestärkte durch seine beißende Kritik an

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den Russen und den russischen Feldherren im speziellen den Kaiser in seinem Ingrimm gegen den unwilligen Alliierten. Immerhin hatte sich Katharina Π. zu Jahresbeginn 1789 - allerdings schweren Herzens - dem Drängen Wiens auf Konzessionsbereitschaft gebeugt und - gegen Abtretung Oczakows und Reparationszahlungen einem gemeinsamen Türkenfrieden prinzipiell zugestimmt. Selbst einen österreichischen Separatfrieden gestand sie zu, sollte ein gemeinschaftlicher Abschluß nicht möglich sein. Natürlich stellte Petersburg dafür Bedingungen: Zum einen behielt man sich sehr zum Kummer Josephs, der nun ernstlich fürchtete, von seiner russischen „Herzensfreundin" vielleicht gar überrundet zu werden, vor, gleichfalls getrennt mit der Pforte abzuschließen, und forderte für die Dauer des Krieges die Überlassung der von den Österreichern eroberten Dnjestr-Festung Chotin als Operationsbasis. Vor allem aber sollte sich der Kaiser als Ausgleich für sein etwaiges Ausscheren aus dem gemeinsamen Kampf gegen die Pforte zu verstärkter Überwachung und - im Ernstfall - zu effektiver Bekämpfung des preußischen Erzfeindes verpflichten, der sich in Polen in eine bedenkliche Pose warf 84 .

84 Kaunitz an Joseph II. (6. 12. 1788; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./ 1788); Kaunitz an Joseph II. (2. 1. 1789) mit ksrl. Apostille (Druck: [Arneth] 1869, 325 Anm. 1), Joseph II. an Kaunitz (4. 1. 1789), Kaunitz an Joseph II. (4. 1. 1789) mit Beilagen, Kaunitz an Joseph II. (11. 1. 1789), Vortrag Kaunitz (13. 1. 1789): StK Vorträge 146 Konv. 1789 I - II. Kaunitz an L. Cobenzl (17. 12. 1788; SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Expeditionen 1788), begleitende Partikularschreiben von Joseph II., Kaunitz u. Ph. Cobenzl (17. 12. 1788; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 309 - 312), Kaunitz an L. Cobenzl (3. 1. 1789; SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Expeditionen 1789; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 314f. Anm.), P. S. an Cobenzl zum Gratulationsschreiben an die Zarin (5. 1. 1789; SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Expeditionen 1789), Joseph II. an L. Cobenzl (5. 1. 1789), Kaunitz u. Ph. Cobenzl an L. Cobenzl (5. 1. 1789), L. Cobenzl an Joseph II. (7. 1. 1789): [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 313 - 324; Joseph II. an Katharina II. (5. 1. 1789; Druck: [Arneth] 1869, 325 f.). Kaunitz an Mercy (29. 11., 6. u. 17. 12. 1788 ; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1788 VIII - XII), Partikularschreiben dess. (17. 12. 1788; ebd. Konv. Kaunitz-Mercy 1788; Druck: A&F 2, 216f.), Joseph II. an Mercy (16. 12. 1788; Druck: A&F 2, 215 f.). Joseph II. an Leopold (18. 12. 1788, 5. 1. 1789; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 214, 218). - Montmorin an Noailles (4. 12. 1788; AMAE CP Autriche 355 u. als frz. Kommunikat in SA Frkr. Varia 40 Konv. Frkr. Varia 1784 - 1788), Montmorin an Noailles und an ChoiseulGouffier (6. 1. 1789; AMAE CP Autriche 356 u. als frz. Kommunikat in SA Frkr. Varia 40 Konv. Frkr. Varia 1789). Noailles an Kaunitz (2. 9., 9. u. 15. 12. 1788; SA Frkr. NW 13 Konv. Korrespondenz mit der frz. Botschaft 1785/88). Noailles an Montmorin (29. 11., 3., 6., 8., 10., 13., 22., 25., 31. 12. 1788, 2., 3., 7., 10., 14., 17., 21. 1. 1789), Noailles an Ludwig XVI. (22. 12. 1788), Noailles an Ségur (7. 1. 1789): AMAE CP Autriche 355 u. 356.

III. Die Katastrophe

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III. Die Katastrophe 1. Mißerfolge

a) Das Scheitern der russisch-französischen

Allianzgespräche

Für Versailles war der von Wien in Aussicht genommene diskretgeheime Weg, die „orientalische Frage" doch noch in den Griff zu bekommen, allemal einer großflächigen diplomatischen Verwicklung auf der Grundlage eines viel belastenderen Bündnisses mit den beiden Kaiserhöfen vorzuziehen. Denn hier verhedderten sich die seit langem laufenden Verhandlungen, auch wenn die Staatskanzlei in Petersburg darauf drang, die Franzosen durch Aufnahme eines französisch-britischen Krieges unter die Beistandsverpflichtungen des in Verhandlung stehenden Paktes gefügig zu machen. In dem Bemühen, England aus Petersburg auszusperren und jede Wiederannäherung zu verhindern, ortete Kaunitz mit Fug und Recht den eigentlichen Anreiz für Versailles, sich in eine engere Gemeinschaft mit der Zarin einzulassen. Wiederholt verwies Wien den russischen Verbündeten darauf, daß England durch seine blinde „Anhänglichkeit" an Preußen wie der Hohenzollern-Staat selbst zum „offenbaren Antagonisten" der beiden Kaisermächte geworden war und daher keine Schonung mehr verdiente. Große Sprünge waren den Franzosen nicht mehr möglich, und dies konnte auch Außenminister Montmorin schwer verbergen. Die schleunige Beendigung des Türkenkrieges durch einen nach außen als französische Initiative getarnten Vorstoß Wiens schien vor diesem Hintergrund noch die schmeichelhafteste Lösung einer brennenden Frage der internationalen Politik und das größte Schlupfloch, um der machtpolitischen Lethargie ein Schnippchen zu schlagen. So fand der Allerchristlichste König - im Dezember 1788 von der Staatskanzlei endlich über den gefährlichen Hertzberg-Plan informiert - auch nichts dabei, seine Vertretungsbehörden in Wien und Konstantinopel, soweit es die Herstellung eines Türkenfriedens betraf, den Weisungen der Staatskanzlei unterzuordnen. Die Verbindung mit Rußland brachte dagegen im gegenwärtigen Zeitpunkt dem geschwächten französischen Staat im Vorfeld der Generalstände von 1789 nur unliebsame Verwicklungen. Im Conseil prallten die Meinungen hart aufeinander. Einigen galt der Zeitpunkt für ein französisch-russisches Bündnis als längst verpaßt, war doch Frankreichs Nordeuropapolitik durch'den Verlust Schwedens an die Tripelallianz, also auch durch den Ausfall eines wichtigen Gliedes für die geplante Sechserachse (Wien, Petersburg, Versailles, Kopenhagen, Stockholm) als Sperrkette gegen England-Preußen zum ungeliebten Stiefkind geworden; die „polnische Klausel", wie sie die Kaiserhöfe als Spitze gegen Preußen wünschten, bildete nach wie vor das entscheidende Hindernis. Botschafter Mercy warnte immer wieder, den guten Willen der Zarin -

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Β. Krise

ohnedies durch die französischen Subsidienzahlungen, die vertragsgemäß noch nach Schweden fließen mußten, und verdächtige Vermittlungsangebote aus Versailles auf harte Belastungsproben gestellt - zu überfordern. Nicht einmal das russische Ersuchen vom November 1788, gewissermaßen als Vorgeschmack auf das projektierte Bündnis in London und Berlin gegen eine allfällige Unterstützung des Schwedenkönigs durch die Tripelallianz zu intervenieren, glaubte Frankreich ohne Gefahr erfüllen zu können; man mußte sich fortwährend mit der eigenen Schwäche entschuldigen und die ganze Hoffnung auf die Versammlung der Generalstände und ihr Erneuerungswerk richten. Bis Februar 1789 hatte sich in all diesen Fragen nur sehr wenig bewegt. Lediglich Außenminister Montmorin und Saint-Priest, der ohnedies als „Russe" galt, votierten im Conseil entschieden für den beschleunigten Abschluß der russischen Allianz. Aber gegen die begründete Einsicht, daß die damit verbundenen Verpflichtungen die Leistungsfähigkeit Frankreichs bei weitem überstiegen und man sich bei Nichterfüllung der Vertragsklauseln vor aller Welt bloßstellte, vermochte auch die von der k.k. Diplomatie nach Kräften geschürte alte Angst, England könnte sich wieder mit Rußland aussöhnen, nur wenig; und das Vorhaben, provisorisch Verbindlichkeiten einzugehen, die bis zur Sanierung der inneren Krise durch einen geheimen Passus suspendiert werden sollten, erschien den meisten denkbar unbefriedigend. Selbst von Marie-Antoinette, die sehr vernünftig argumentierte, erhielt Botschafter Mercy in dieser Frage nicht die gewünschte Unterstützung. Besonders Finanzminister Necker, der, wie Mercy immer wieder klagte, alles nur vom engen Standpunkt seines Ressorts aus betrachtete, aber das größte Gewicht im Conseil hatte, war seit Januar 1789 zunehmend und konsequent gegen den vermessenen Plan aufgetreten, Frankreich in weitere außenpolitische Engagements zu verstricken. Der schon fertig aufgesetzte Allianzvertrag lag seit Mitte März 1789 in Versailles bereit und wurde dann auch Petersburg und Wien mitgeteilt - nur zur Ansicht, denn von einer raschen Unterzeichnung war nicht die Rede: Versailles brauchte Frieden und hatte überhaupt in den nervösen Monaten unmittelbar vor Zusammentritt der Generalstände wenig Freiraum für die Allianzfrage. So bedang sich Ludwig XVI. aus, daß die Aktivierung der Vertragsverbindlichkeiten vorerst ausgesetzt blieb. Dafür hatte man sich französischerseits doch noch zu einer Garantie der polnischen Grenzen durchgerungen, wünschte aber im Gegenzug wieder, daß Rußland auf die Aussparung Englands aus den Beistandsverpflichtungen verzichtete. Rußland winkte schließlich bis Sommer 1789 einigermaßen verärgert ab. Sehr zum Bedauern der Wiener Staatskanzlei, die mit tadelndem Kopfschütteln beklagte, daß bei so geringer Bereitschaft zur effektiven und sofortigen Kooperation die englische Allianz natürlich ohne Gegengewicht bleiben, Preußen aber um so mehr zu Kühnheit und Frechheit angespornt werden mußte85.

III. Die Katastrophe

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Wesentlichen Anteil an der Verschleppung der Allianzfrage, aber auch an der Unsicherheit der französischen Staatsminister maß Wien der Tatsache zu, daß Spanien - der Thronwechsel vom Dezember 1788 und die anfängliche Unklarheit um den möglichen Kurs des neuen Königs Karl IV. (1748 - 1819) hatten zusätzlich Verwirrung gestiftet - sich verschlossen hielt und schließlich nach längerem Zögern der Idee einer Allianz mit Rußland eine Absage erteilte (Februar 1789). Zwar wollte der spanische Königshof dem Senior des Hauses Bourbon dadurch keineswegs die Hände für seine eigenen Kalkulationen binden, doch lag klar auf der Hand, daß der Absprung Madrids das Gewicht des pacte de famille und damit auch die bündnispolitische Attraktivität Frankreichs ganz erheblich verringerte. Bereits im September/Oktober 1788 waren die kriegführenden Mächte durch eine spanischen Friedensinitiative in Kopenhagen, Stockholm, Petersburg und Wien einigermaßen überrascht worden. Kaunitz war verärgert, Joseph Π. fand die ganze Aktion recht „wunderlich", zumal angesichts der spanischen Macht- und Einflußlosigkeit, gerade in Konstantinopel; sie schien weniger auf die Bedürfnisse der Kaiserhöfe berechnet als vielmehr eine Unterstützung der unerwünschten Vermittlungsgier der Tripelallianz zu sein. Den Intrigen Berlins in Madrid und ihrem im Rahmen der gesamteuropäischen „guerre secrète" gegen Österreich zu sehenden Bemühen, auch zwischen den beiden bourbonischen Hauptmächten Zwietracht zu säen und die Bildung einer Quadrupelallianz zu verhindern, maß denn Kaunitz auch entsprechenden Stellenwert bei, während die Russen zunächst im Vorstoß der Spanier einen nützlichen Aufhänger für weiterführende Allianzverhandlungen erblickten. Mit Berufung auf die Schwierigkeiten der notwendigen Koordination mit Petersburg schob Wien die Frage spanischer Vermittlung auf die lange Bank und bemühte sich - vergeblich - den katholischen 85

Kaunitz an Cobenzl (28. 11. 1788; SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Weisungen 1788). Mercy an Kaunitz (6. 1. 1789 [wie Anm. 16], 4. 2. 1789 [wie Anm. 35]), Partikularschreiben dess. an dens. (6. 1. u. 4. 2. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789; Druck: A&F 2, 220, 221), Mercy an Kaunitz (22. 2., 18. 3. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 I - III), Partikularschreiben dess. an dens. (22. 2. 1789; wie Anm. 18), Mercy an Joseph II. (6. 1., 22. 2. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph Π.; Druck: A&F 2, 217 - 219, 222 - 224); Kaunitz an Mercy (15. 3. 1789; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1789 I - V), Partikularschreiben dess. an dens. (15. 3. 1789; ebd. Konv. Kaunitz-Mercy 1789; Druck: A&F 2, 228 f.), Joseph II. an Mercy (15. 3. 1789; Druck: A&F 2, 226 - 228). Marie-Antoinette an Mercy (27. 1. 1789; FA SB 71 d. A/Konv. 1789; Druck: [Rocheterie/Beaucourt] 1895/96, Bd. 2, 129f.). - „Précis de la dépêche de Monsieur le comte de Montmorin à Monsieur le comte de Ségur qui accompagnoit le projet d'alliance" mit „Observations" (o.D. ; SA Frkr. Varia 40 Konv. Frkr. Varia 1789). Montmorin an Noailles (20. 3., 24. 4., 1. 5. 1789), Noailles an Montmorin (30. 3., 18. 8. 1789): AMAE CP Autriche 356. [Ségur] 1824/27, Bd. 3, 471 - 476, 479 - 490, [Barante] 1929, Bd. 1, 216f.

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Β. Krise

König für den französischen Kurs der Annäherung an Rußland zu gewinnen. Umsonst malte man das Schreckgespenst der übermächtigen Tripelallianz an die Wand, dem nur durch eine entsprechend mächtige Gegenkonstruktion wirksam zu begegnen sei, resignierte bald und zog sich auf die Hoffnung zurück, daß Frankreich in einem Land mehr ausrichten würde, in dem Österreichs Politik sich ohnedies seit langem zugunsten Versailles' auf eine Statistenrolle beschränkte. Ein eigener russischer Beauftragter Karl Heinrich Nikolaus Otto Fürst Nassau-Siegen (1745 - 1808), ehemals in französischen und spanischen Kriegsdiensten und nunmehr russischer Admirai, eilte im Februar 1789 von Wien unterstützt - über Österreich nach Madrid, um die spanische Politik doch noch auf Kurs zu bringen. Auch ihm und den Beschwörungen Kaunitz* an die Adresse der Spanier, den pacte de famille doch nicht durch höchst mißverständliche Distanz zu Frankreich zu schwächen, war kein Erfolg beschieden (März/April 1789). Die Erklärungsmuster für das abweisende Verhalten Karls IV. reichten von durchaus nachweisbaren preußischen Intrigen und der angeblichen Angst Spaniens, in einem eventuellen Krieg durch die Schwäche Frankreichs à la longue die Hauptlast tragen zu müssen, bis hin zu der vermuteten persönlichen Abneigung des Staatsministers Floridabianca gegen die beiden Kaiserhöfe und „die imperialistischen Tendenzen des österreichisch-russischen Bündnisses" (H.-O. Kleinmann). Im Juli 1789 endlich hatte man auch in der Staatskanzlei jede Hoffnung auf eine Besinnung Madrids aufgegeben 86. 86 Vortrag Kaunitz (12. 10. 1788; StK Vorträge 145 Konv. 1788 IX - X), Vortrag Kaunitz (6. 2. 1789; StK Vorträge 146 Konv. 1789 I - II), Vortrag Kaunitz (8. 3. 1789; ebd. Konv. 1789 III - V) mit Kaunitz an L. Cobenzl (8. 3. 1789). Joseph II. an Leopold (9. 4. 1789; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 233 f.). Kaunitz an Kageneck (26. 10., 17. 12. 1788, 18., 28. 2. u. 5. 7. 1789; SA Spanien DK 119 Konv. 1 bzw. Konv. 10); Mercy an Kageneck (6. 3. 1789; ebd. Konv. 11). Kaunitz an Reuß (6. 11. 1788; StK DK Preußen 66 Konv. Weisungen 1788). L. Cobenzl an Joseph II. (21. 11. 1788; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 300 - 303), Kaunitz an L. Cobenzl (24. 4. 1789; SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Expeditionen 1789). Kaunitz an Mercy (17. 12. 1788; wie Anm. 84), ders. an dens. (6., 19. [mit Beilage], 28. 2., 8. 4. 1789; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy I - V), Mercy an Kaunitz (13. 4. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 IV - VI). Noailles an Montmorin (11. 10., 20. 11., 4., 8. 12. 1788, 7., 18. 2., 7. 3., 27., 29. 4. 1789), Ségur an Noailles (19. 12. 1788): AMAE CP Autriche 355 u. 356. Zur Mission des Fürsten von Nassau vgl. auch neben dem als Beilage zu Kaunitz an Mercy (19. 2. 1789) erhaltenen „Communiqué par le prince de Kaunitz au prince de Nassau" den Schriftwechsel zwischen Mercy und Botschafter Kageneck in Madrid in SA Frkr. Varia 41 Konv. Mercy-Kageneck 1789. [Ségur] 1824/27, Bd. 3, 446ff., [Rambaud] 1890, 430 - 476, Mousset 1923, 173 - 197, Kleinmann 1967, 355 - 376, der zu Recht das Gewicht betont, das Spanien durch die Schwäche Frankreichs zuwuchs, Schop Soler 1970, 151 - 170 (ausführlich zu den span. Vermittlungsversuchen); über Nassau selbst vgl. etwa Aragon 1893, hier 274 - 293 und auch

III. Die Katastrophe

b) Der Schiffbruch

der österreichischen in Konstantinopel

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Friedensbemühungen

Die bescheidenen Forderungen, die Wien an die Adresse der Türken zu richten gedachte (Chotin mit Umland, Teile der Moldau an Pruth und Sereth, die eroberten Festungen in Türkisch Kroatien, Erneuerung der alten Verträge), und hoffnungsvolle Signale türkischer Grenzbefehlshaber hinsichtlich einer Generalisierung des für Serbien vereinbarten Waffenstillstands verliehen den österreichischen Friedenssondierungen an der Pforte zu Beginn durchaus Realitätsbezug. Im Ernstfall wollte die Staatskanzlei sogar die Linie des uti possidetis aufgeben und den status quo ante bellum akzeptieren; denn, wenn man die Forderungen auch nach außen - gemessen an den ursprünglichen Erwartungen der europäischen Öffentlichkeit - als bescheiden qualifizierte, die Türken würden dies wohl anders sehen und die verdächtige Friedenswilligkeit der Kaisermächte in ihrem Interesse zu interpretieren verstehen87. Während man bis Anfang Februar 1789 in Wien einigermaßen nervös auf die Zustimmung der Zarin zu dem geplanten „versteckten" Vorstoß in Konstantinopel wartete, traf die Staatskanzlei bereits Vorkehrungen für die entsprechende Instruierung des französischen Botschafters an der Hohen Pforte, Choiseul-Gouffier. Die Zeit drängte, denn der preußische Gesandte beim Sultan, Dietz, bearbeitete die Türken nach Kräften und drohte mit der Aussicht auf eine Diversion seines Königs die türkische Friedensbereitschaft völlig zu verschütten: die Türken sollten - wenn überhaupt - nur unter preußischer Leitung und Vermittlung den Krieg beenden. Der internationale Horizont verfinsterte sich zusehends, nachdem ein weiterer preußischer Mediationsantrag in Petersburg abgewiesen worden war. Den moralischen Rückhalt für die nicht eben gloriose Initiative in Konstantinopel und die extreme Konzessionsbereitschaft suchte Wien vorerst in der Rechtfertigung, daß es ja um keinen förmlichen Friedensantrag von alliierter Seite ging, sondern lediglich darum, die Pforte auszuhorchen, zur Sprache zu bringen und sohin für die Zukunft Klarheit zu gewinnen88. Waliszewski 1894, 63 - 69. - In der ersten Jahreshälfte 1791 trat Spanien übrigens wieder mit einer Vermittlungsaktion zwischen den Kaiserhöfen und der Pforte auf den Plan. 87 Joseph II. an Kaunitz (14. 1. 1789; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 428f.), ders. an dens. (15. 1. 1789), Vorträge Kaunitz (16. u. 17. 1. 1789): StK Vorträge 146 Konv. 1789 I - II. 88 Zu den preußischen Mediationsvorschlägen der ersten Jahreshälfte 1789 aus Wiener Sicht: Vortrag Kaunitz (8. 3. 1789; StK Vorträge 146 Konv. 1789 III - V) mit Beilage Kaunitz an Cobenzl (8. 3. 1789). Kaunitz an Reuß (4. 2. 1789; StK DK Preußen 67 Konv. Weisungen 1789/Sperrkonvolut). Kaunitz an Rewitzky (4. u. 25. 3. 1789; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1789). Zu den Bemühungen

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Β. Krise

Am 6. Februar 1789 gingen mit Kurier der französischen Botschaft in Wien der wichtige Auftrag und genaue Verhaltensvorschriften der Staatskanzlei an Choiseul-Gouffier nach Konstantinopel ... mitten durch das Kriegsgebiet bei Belgrad. Dabei erwartete man, daß die Pforte - die Großzügigkeit der Kaisermächte beim Schöpfe packend und die akute Gefahr für ihr politisches Überleben in Europa erkennend - die Friedensbedingungen (uti possidetis und Freilassung des immer noch inhaftierten russischen Gesandten Bulgakow als unbedingt zu erfüllende conditio sine qua non für weitere Verhandlungsbereitschaft der Zarin) akzeptierte und nun selbst Choiseul autorisierte, Wien und Petersburg in ihrem Namen auf eben dieser Grundlage in aller Form Frieden anzubieten. Der französische Botschafter war zur Unterzeichnung der Präliminarien bevollmächtigt, dabei aber auf Weisung der Staatskanzlei gehalten, nicht als Sprachrohr von Kaiser und Zarin aufzutreten. Er sollte eine ganz eigenständige, mit Wien und Petersburg nicht abgestimmte Initiative Frankreichs vortäuschen. Zu derart umständlichen Finten glaubte man in Wien greifen zu sollen, um das Gesicht zu wahren und nicht als Angegriffener auch noch den ersten entehrenden Schritt Richtung Frieden machen zu müssen. Zur Abwehr der preußischen, englischen und schwedischen Manöver erhielt Choiseul ein »Mémoire anonyme4 des Staatskanzlers mit zugestellt, das den Türken die Augen über die rein egoistischen Motive besonders der Berliner Machinationen öffnen sollte. Nicht nur in Petersburg, wo böse Zungen schon Parallelen zwischen Österreichs raschem und sehr unrühmlichem Ausscheiden aus dem Türkenkrieg von 1739 und aktuellen Vorgängen zogen, war man durchaus skeptisch, ob es gelingen würde, auf der günstigen Basis des gegenwärtigen Besitzstandes mit der Pforte abzuschließen und ihr so für die nähere Zukunft die Hände zu binden, bevollmächtigte aber immerhin Fürst Potemkin gleichfalls zu Friedensverhandlungen (März 1789). Auch der Kaiser - „toujours au galope" - war von der umständlichen Art, die diesem Geisteskind Kaunitz' eignete, wenig angetan; eine gleichzeitige Vorbereitung auf die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen erschien mehr als ratsam 89. Dietz' in Konstantinopel auch Noailles an Kaunitz (5. 1., 2. 2. 1789): SA Frkr. NW 14 Konv. V. d. frz. Botschaft/von Noailles u. AMAE CP Autriche 356. - Die Anwesenheit eines russischen Sonderbeauftragten in Berlin, Maximilian Baron von Alopeus (1748 - 1822), der dem preußenfreundlichen Kreis um Großfürst Paul angehörte und ab Sommer 1789 engere Beziehungen zum Adjutanten des Königs, Bischoffwerder, aufbaute, machte zwischen den Verbündeten gewiß nicht das beste Blut; auch auf englischer Seite sah man nun verstärkt die Möglichkeit, die Zarin für die Sache der Tripelallianz zu gewinnen. Friedrich Wilhelm II. offerierte der Zarin mehrfach eine Erneuerung der alten preußisch-russischen Allianz: Luckwaldt 1908, 248, Wittichen 1899, 22, 39 f.

III. Die Katastrophe

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Berichte aus Konstantinopel ließen bei allen Schwankungen keinen Zweifel daran, daß die Türken in diesen ersten Monaten des Jahres 1789 einem einseitigen Frieden mit den Österreichern nicht unbedingt abgeneigt waren. Das uti possidetis schreckte aber selbst die Friedenspartei im Diwan ab, und die französische Diplomatie suchte folgerichtig Staatskanzler Kaunitz dringend zu vernünftigeren Konditionen, also zu der seinerzeit von ihm selbst ins Auge gefaßten Rückstufung der österreichischen Forderungen zu bewegen, um das begonnene Friedenswerk nicht zu gefährden. Das Zusammenspiel zwischen Staatskanzlei, französischer Botschaft in Wien und Choiseul-Gouffier in Konstantinopel funktionierte dabei vorerst überraschend gut, von der enorm langen Übermittlungsdauer und einigen wenigen Mißtrauensschüben bei den Österreichern abgesehen. An der grundsätzlichen Aufrichtigkeit des französischen Verbündeten gab es eigentlich ebensowenig zu rütteln wie an seiner machtpolitischen Nullität, die ihn nur um so mehr zu einem ehrlichen Mahner zum Frieden machte. Denn ein aus dem Türkenkrieg der Kaisermächte entflammtes „embrasement général" des europäischen Kontinents mußte Frankreich angesichts der internen Probleme des Jahres 1789 vor kaum lösbare Probleme stellen. So versuchte man auch, die Österreicher an der Türkenfront gegebenenfalls zur Annahme eines bislang von Kaunitz scharf abgelehnten Waffenstillstands anstelle eines Friedensschlusses zu bewegen. Allerdings schien bei allem aufrichtigen Bemühen - so behauptete jedenfalls der mit anderen stets gestrenge Staatskanzler - Choiseul-Gouffier, mehr „homme de lettres" als „homme d'affaires", der ihm von Wien übertragenen Aufgabe nicht ganz gewachsen. Seine ersten Reaktionen brachten nur wenig Klarheit über seine Vorgangsweise und die tatsächliche Wirkung der Eröffnungen am Goldenen Horn, wo die Ankunft französischer Kuriere aus Wien rasch allgemein ruchbar wurde und für beträchtliches Aufsehen 89

Ph. Cobenzl an Kaunitz (4. 2. 1789; GK 406 Konv. A); Kaunitz an Joseph II. (5. 2. 1789) mit „Observations sur le parti à prendre relativement à la paix à proposer dez que les réponses de Petersbourg seront arrivées sur ce sujet", Kaunitz an Choiseul-Gouffier (5. 2. 1789) mit Entwurf eines Mémoire für die Pforte und einem „Mémoire anonyme" (5. 2. 1789; Druck: A&F 2, 232f. Anm. 1), Vortrag Kaunitz (6. u. 17. 2. 1789): StK Vortrage 146 Konv. 1789 I - II. Die Instruktionen der Staatskanzlei für Choiseul-Gouffier finden sich auch in AMAE CP Autriche 356. L. Cobenzl an Joseph II. (24. 1. 1789; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 324 - 328), Kaunitz an L. Cobenzl u. P. S. (6./9. 2. 1789; SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Expeditionen 1789), Joseph II., Kaunitz u. Ph. Cobenzl an L. Cobenzl (8. 2. 1789; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 329 - 333); Joseph II an Katharina II. (9. 2. 1789; Druck: [Arneth] 1869, 326 - 328). Kaunitz an Mercy (6. 2. 1789; wie Anm. 16), Joseph II. an Mercy (7. 2. 1789; Druck: A&F 2, 221 f.). Noailles an Kaunitz (15. 2. 1789; SA Frkr. NW 14 Konv. V. d. frz. Botschaft/von Noailles 1789/92). Noailles an Montmorin (4., 7., 18., 21., 25., 28. 2., 4. 3. 1789): AMAE CP Autriche 356.

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Β. Krise

sorgte. Jede Aussicht auf echte Geheimverhandlungen war damit dahin. Ganz offensichtlich hatte der Botschafter die genauen Weisungen Kaunitz' für das Procedere in Konstantinopel mißachtet, indem er, anstatt zuallererst die preußischen Offerten an der Pforte als Falle zu entlarven, mit der Türe ins Haus fiel, die österreichischen Ansprüche auf den Tisch legte, die Türken durch die Forderung nach dem uti possidetis verschreckte, der Staatskanzlei in Wien aber sofort nach den ersten Schwierigkeiten eine Mäßigung der Forderungen empfahl. Auf dieses Ungeschick und auf Frankreichs letztlich axiomatische Mißgunst gegen jedes österreichische agrandissement führte Kaunitz es dann auch wieder zurück, daß die Pforte derart vehementen Widerstand leistete und sich immer noch auf die preußische Unterstützung bezog. Die Österreicher aber dachten trotz der Anregungen des französischen Botschafters am Goldenen Horn auch mit Rücksicht auf die „gloire" des Kaisers nicht daran, schon jetzt von der in ihren Augen ohnedies gemäßigten und für die Grenzsicherung unabdingbaren Linie des uti possidetis abzurücken. In Wien verschlechterte sich mittlerweile - unter den aufmerksamen Blicken der ausländischen Diplomaten und damit ganz Europas - der Gesundheitszustand Josephs II. in dramatischer Weise. Sein Ableben mußte verheerende Auswirkungen auf den österreichischen Staatskörper haben, war er doch, wie Vizekanzler Cobenzl im März 1789 seinem Cousin, dem k.k. Botschafter in Petersburg, gestand, der Mittelpunkt der gesamten Staatsmaschinerie, „toutes les affaires de la monarchie n'ayant point d'autre point de réunion que dans sa seule et unique personne". Und Kaunitz ließ sich gegenüber dem französischen Botschafter Ende März 1789 über den nun akut von der Pleite bedrohten josephinischen „Ein-Mann-Betrieb" ganz ähnlich vernehmen, setzte aber natürlich hinzu: „Personne n'oseroit rien prendre sur soy, si ce n'est moi [...] au cas que le salut de l'état en dépendît." Ein erster gesundheitlicher Zusammenbruch des Kaisers nach den anstrengenden Osterempfängen Mitte April 1789 ließ die Umrisse eines Kaunitzschen „Vizekönigtums" bis zur Ankunft Leopolds von Toskana bereits etwas klarer hervortreten 90. 90

Joseph II. an Leopold (19. 3., 2. 4. 1789; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 230f., 233). Kaunitz an L. Cobenzl (8., 21. 3. 1789; SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Expeditionen 1789) mit Interzept Hertzberg an Dietz (7. 3. 1789), Ph. Cobenzl an L. Cobenzl (25. 3. 1789; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 333 f.). Mercy an Kaunitz (2. u. 29. 4. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 IV - VI), Partikularschreiben dess. an dens. (2. 4. 1789; ebd. Konv. Mercy-Kaunitz 1789; Druck: A&F 2, 231 - 233), an Joseph II. (2. 4. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 229 - 231); Kaunitz an Mercy (25. 4. 1789; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1789 I - V), Partikularschreiben des Staatskanzlers (25. 4. 1789; ebd. Konv. Kaunitz-Mercy 1789; Druck: A&F 2, 235 237), Joseph II. an Mercy (25. 4. 1789; Druck: A&F 2, 233 - 235). - Choiseul-

III. Die Katastrophe

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Nicht nur die zwielichtige Rolle des immer noch allmächtigen Fürsten Potemkin sah man in Wien zunehmend in den schwärzesten Tönen; der russische Verbündete wurde ganz allgemein mehr und mehr zu einem schwer bestimmbaren Faktor. Kein Wunder, denn in dem Maße, in dem sich Österreich von den belastenden Bündnisverpflichtungen zurückzuziehen bestrebt war, mußte auch die Liebe der Zarin für ihren kranken Freund in der Hofburg abkühlen. Aber, so Kaunitz treffend Anfang März 1789, Rußland war und blieb „un allié précieux, parce qu'elle seroit celui du roi de Prusse, si elle n'étoit pas le nôtre". Wien hatte sich eigentlich ein längst fälliges entlastendes Vorrücken der Russen an die Donau gewünscht und entsprechende Koordinierungen eingeleitet. Als aber Anfang April 1789 der Operationsplan der Zarin für das neue Feldzugsjahr vorlag, konnte ein wütender Joseph II. darin nur „impertinence" und „absurdité" finden. Die Russen wollten offensichtlich die Passivität zum System erheben, die Moldau den Türken ausliefern, weil die Operationen zwischen Bug und Dnjestr eine Umgruppierung erforderten, damit letztlich auch die schwachen Kräfte Sachsen-Coburgs zum Rückzug auf Chotin und in die Bukowina nötigen und den Österreichern im Raum Belgrad wieder die gesamte türkische Hauptarmee auf den Hals laden. Von gemeinsamem Vorgehen der beiden Verbündeten war nun nicht mehr die Rede, jeder sollte nach dem Wunsch der Zarin für sich versuchen, auf seine Rechnung zu kommen; und das mußte den Russen durch das viel günstigere und offene Terrain am linken Donauufer, wo sich alle Vorzüge einer modernen regulären Armee entfalten konnten, wesentlich leichter fallen als den Österreichern, die sich mit unwegigem Gelände und einer das Hauptkampfgebiet - besonders Bosnien und Kroatien - durchsetzenden Menge von Burgen und Festungen herumzuschlagen hatten und zudem darauf bedacht sein mußten, durch kluge Defensive habsburgischen Boden keiner weiteren türkischen Invasion auszusetzen. Die russische Unwilligkeit zu aktivem Agieren an der Türkenfront schien sich im weiteren Verlauf des Monats April zunächst zu bestätigen, als verlautete, daß sich der Alliierte bis in den Spätherbst überhaupt defensiv halten und erst den üblichen Abzug der türkischen Hauptkräfte aus dem Felde abwarten wollte. All das und die russische Ansicht, ein preußischer Schlag könne für das Feldzugsjahr 1789 noch ausgeschlossen werden und sei erst für 1790 zu erwarten, bestärkte den Kaiser in seiner festen ÜberzeuGouffier an Noailles (14. 3. 1789; SA Frkr. Varia 40 Konv. Frkr. Varia 1789; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 486 - 490), Noailles an Kaunitz (6. u. 18. 4., 1. 5. 1789; SA Frkr. NW 14 Konv. V. d. franz. Botschaft/von Noailles 1789/92); die Note Noailles' vom 18. 4. 1789 geben im Auszug A&F 2, 236 Anm. 1. - Montmorin an Noailles (14. 3. 1789), Noailles an Montmorin (14., 18., 20., 25., 28., 30. 3., 1., 4., 8., 11., 15., 16., 18. 4. 1789), Choiseul-Gouffier an Noailles (22./23. 3., 6./8. 4. 1789), an Kaunitz (6. 4. 1789): AMAE CP Autriche 356.

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Β. Krise

gung, „daß wir nach ihrem [der Russen] Beyspiel, ohne uns um sie zu bekümmern, blos auf uns denken müßen". So geschah es denn auch, und Choiseul-Gouffier in Konstantinopel wurde mehr oder minder klar ausgedeutscht, daß Wien jetzt selbst ohne Rücksicht auf den russischen Verbündeten und notfalls bloß gegen eine Grenzregulierung im beiderseitigen Einvernehmen abzuschließen bereit war - Konzessionen, durch die man die Friedenswilligkeit der Türken zur vollen Reife bringen wollte. Freilich ... die Campagne des Jahres 1789 ließ sich nun nicht mehr aufhalten 91. Schon nach den ersten negativen Signalen wollte der Kaiser die Mission Choiseul-Gouffiers verloren geben und sein Ziel - einen einseitigen Türkenfrieden - auf weniger umständliche Art und Weise beschleunigt herbeiführen. Nach Verlängerung des Waffenstillstandes sollten österreichische und türkische Bevollmächtigte an der Grenze zusammenkommen und sofort in formlose Friedensgespräche eintreten. Für diesen Schritt vermochte sich Staatskanzler Kaunitz allerdings nicht zu erwärmen. Für ihn blieben der Ehrgeiz Choiseul-Gouffiers, der sich als Betreuer österreichischer Kriegsgefangener sehr bewährte und den Posten eines französischen Botschafters in Wien anstrebte, und der unbedingte Wunsch Frankreichs, als Vermittler des nächsten Türkenfriedens aufzutreten oder zumindest mit seinen bons offices die Grundlagen hierfür zu schaffen, wichtige Instrumente bei dem Versuch, die Intentionen der Pforte schon zum voraus zu erforschen. Ein Waffenstillstand auf unbestimmte Zeit, solange die Friedensbedingungen des Sultans nicht bekannt waren, lieferte den Türken nur Gelegenheit, die Gespräche in die Länge zu ziehen, so Fürst Kaunitz, der bei seinem ursprünglichen Plan blieb, über die französische Botschaft in Konstantinopel den Präliminarfrieden und erst später durch eigene Bevollmächtigte den Definitivvertrag aus91

Kaunitz an Joseph II. (4. 3. 1789), Vortrag Kaunitz (8. 3. 1789) mit Beilage, Ph. Cobenzl an Joseph II. (6. 4. 1789) mit ksrl. Apostille und Beilage, Vorträge Kaunitz (25. u. 26. 4. 1789) mit ksrl. Apostille: StK Vorträge 146 Konv. 1789 III V. Joseph II. an Leopold (30. 4. 1789; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 240 f.). Katharina II. an Joseph II. (27. 3. 1789; Druck: [Arneth] 1869, 327 - 330); L. Cobenzl an Joseph II. (15. 4. 1789), Joseph II. an L. Cobenzl (24. 4. 1789) u. Kaunitz bzw. Ph. Cobenzl an L. Cobenzl (24. 4. 1789): [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 334 - 343. Kaunitz an Noailles (21. 4. 1789) mit Kaunitz an Choiseul-Gouffier (22. 4. 1789) u. Noailles an Choiseul (23. 4. 1789), Noailles an Montmorin (24., 27. 4., 1. 5. 1789), Montmorin an Noailles (1. 5. 1789): AMAE CP Autriche 356 bzw. SA Frkr. NW 14 Konv. A. d. frz. Botschaft/an Noailles. - Vgl. auch „Considérations sur les avantages que les armées russes et celles de Sa Majesté l'Empereur peuvent avoir les unes sur les autres dans leurs opérations respectives, agissantes comme alliés dans la guerre de 1788 contre la Porte ottomanne" und „Réponse au rescrit ostensible de Sa Majesté Impériale de toutes les Russies communiqué ici par Son ambassadeur le prince Gallizin et à la note donnée par le prince Potemkin au comte Cobenzl pour ce qui regarde les opérations de la campagne", gedr. bei [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 491 - 501. „Kurze Betrachtungen über die anfangende Campagne 1789" (April 1789; KA Kabinettskanzlei HBP 51).

III. Die Katastrophe

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handeln zu lassen. Daß dabei auf Durchsetzung des uti possidetis und erst recht auf einen gemeinsamen Frieden mit den Russen nur sehr wenig Aussicht bestand, war auch der Staatskanzlei klar, die dementsprechend die österreichischen Forderungen wirklich auf die Sicherung der Grenzen für „eine gute und friedfertige Nachbarschaft" reduzieren wollte und den Wettlauf um den eigenen Frieden in Petersburg nur mehr lieblos und vordergründig als Vorbereitung („acheminement") für den russischen Abschluß tarnte. Der schwer angeschlagene Kaiser war schließlich rasch bekehrt, und der gänzlich unverhüllte Schwenk auf einen Separatfrieden - die entsprechende Weisung der Staatskanzlei erging Mitte Mai 1789 nach Konstantinopel - erfüllte auch das französischen Außenministerium mit um so größerer Zuversicht, als ein rasches Ausscheiden der Österreicher letztlich wohl auch die Russen zu einer Einschränkung ihrer Prätentionen zwingen mußte. Der mehr oder minder ehrenvolle Rückzug des Kaisers unter dem Schutz Frankreichs bedeutete aus dieser Sicht eine Generalpazifikation des Kontinents und erstickte auch die preußische Brandfackel. Speziell der heilsamen Furcht Österreichs vor Preußen dankte man die Friedenswilligkeit Wiens, das wußte auch das französische Außenministerium. Aber in Frankreich selbst fehlte es Anfang Mai 1789 nicht an entscheidenden, ja welthistorischen Weichenstellungen: Die Generalstände traten zusammen. „Voilà une grande scène qui va s'ouvrir", schrieb Außenminister Montmorin in den ersten Maitagen dem französischen Botschafter in Wien, „Dieu veuille que le dénouement en soit heureux". Die entscheidenden Schläge gegen die Friedensträume des Staatskanzlers kamen schließlich aus Konstantinopel. Bereits Anfang April 1789 war gerade zur Unzeit - Sultan Abdul Hamid gestorben. Selim ΠΙ., die Hoffnung der Kriegspartei und damit auch Preußens, bestieg den Thron; den Mitte Mai etwa gleichzeitig mit der Nachricht vom Thronwechsel in Wien einlangenden Berichten Choiseuls von Anfang April über die nicht ganz hoffnungslosen Aussichten der Friedensinitiative war damit über Nacht der Boden entzogen. Hatte es noch in den letzten Lebenswochen des alten Großherrn ausgesehen, als ob ein österreichischer Sonderfriede durchaus im Rahmen des Erreichbaren lag, so mußte Botschafter Choiseul-Gouffier nach ersten schlechten Erfahrungen mit dem stets als kriegerisch und blutrünstig beschriebenen neuen Sultan seine Friedenshoffnungen sehr weitgehend fallen lassen und Anfang Mai 1789 den Österreichern selbst den Rat erteilen, ihr Heil in der energischen Wiederaufnahme der Kampfhandlungen zu suchen92. 92 Dabei verfügte Ludwig XVI. über traditionell gute Verbindungen zu Selim, der schon als Kronprinz im Jahre 1786 durch einen Spezialagenten aus dem Serail heraus mit Versailles in Kontakt getreten war. Die Chance, das große Wohlwollen des neuen Sultans für seinen frz. „Bruder" auch für die Friedensinitiative über Choiseul16 Hochedlinger

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Β. Krise

Einstweilen mußten nach Meinung Kaunitz' Offensivschläge der Österreicher, besonders - anstelle der fruchtlosen Operationen in Bosnien und Serbien - die Eroberung von Walachei und Moldau, die Türken weiter mürbe machen (Ende Mai 1789). Nur so gewann man eine günstige Ausgangsposition, ein Faustpfand für die Friedensverhandlungen und konnte sich ausrechnen, den einen oder anderen faktischen Besitz auch de iure zugesprochen zu erhalten. Von einer Besetzung der Donaufürstentümer freilich wollte Joseph II. nicht sprechen hören. Nicht weil er der von FM Laudon forcierten Gewinnung des strategisch fraglos wichtigen Una-Gebietes im Bosnischen absolute Priorität einräumte, sondern weil man mit der Okkupation der türkischen Tributärstaaten an der Donau wesentliche Voraussetzungen für die Aktivierung des Hertzberg-Planes in seiner ursprünglichen Form erfüllte. Bis Ende Juni 1789 war auch in Wien jedenfalls völlig klar, daß die über Choiseul eingeleiteten Sondierungen nicht zum Ziel führen würden, weder zu einem Partikularfrieden mit der Pforte und noch weniger zu einem gemeinsamen österreichisch-russisch-türkischen Frieden. Nach den Berichten Choiseuls stellten die Türken nun derart impertinente, Österreich weit hinter den status quo ante bellum zurückwerfende Anträge, daß selbst Kaunitz riet, auf weitere Friedensfühler ganz zu verzichten und die Arroganz der Pforte nicht noch zu steigern. Wohl mit großem Ärger mußte Botschafter Choiseul-Gouffier - nun auch von den Türken als Kanal mißbraucht Anfang Juni 1789 nach einer langen Konferenz mit türkischen Groß Würdenträgern die Bedingungen des Sultans für einen Separatfrieden mit Österreich nach Wien melden: Rückstellung aller eroberten osmanischen Gebiete, Verzicht auf die Schwarzmeerschiffahrt und die alte Schutzverpflichtung des Sultans zugunsten der Österreicher bei Konflikten mit den Barbaresken, Abschaffung der k.k. Konsulate in den Donaufürstentümern, Reparationszahlungen an die Pforte. Nur ein echter coup d'éclat - hier waren sich die Staatskanzlei und der frustrierte französische Vermittler in Konstantinopel einig - konnte noch den Frieden erzwingen und die immer gefährlicher werdende preußische Gouffier nutzbar zu machen, schien freilich überaus gering, denn bereits die erste Mission des Jahres 1786/87 hatte primär dazu gedient, unter dem Deckmantel der Auffrischung der alten französisch-türkischen Freundschaft ganz konkret um frz. Beistand für den von Selim geplanten Revanchekrieg gegen Rußland zu werben, den schließlich der alte Sultan noch selbst in die Tat umsetzte. Schon in seiner Antwort vom Mai 1787 hatte Ludwig XVI. zur Enttäuschung der Pforte für eine friedliche Lösung der russisch-türkischen Streitigkeiten plädiert, und auch der türkische Geheimsendling Isaac Bey erhielt während seines zweiten, sich bis Winter 1789 hinziehenden Frankreichaufenthalts zum Ärger Selims keine Hilfszusage für die türkische Kriegspolitik. Zu den Missionen Isaac Beys seit 1786 vgl. Salih Munir Pacha 1908 und allgemein die Biographie des „Reform-Sultans" von Shaw 1971.

III. Die Katastrophe

243

Diversion abwenden. Ein solcher Donnerschlag gegen die Türken ließ sich freilich nicht erzwingen, nicht einfach „anschaffen", wie Joseph II. seinen Kanzler belehrte, sondern nur von Zeit um Umständen erwarten. Die Entschlossenheit des Kaisers manifestierte sich nun v.a. im anti-russischen Affekt seiner Äußerungen und in dem konsequenten Bemühen, sich, was den Türkenkrieg anging, von der Zarin tunlichst abzunabeln: Beide - Rußland und Österreich - sollten weitgehend unabhängig voneinander ihre je eigene Konvenienz verfolgen. Und Friede schien nach den Worten des Oberstkämmerers Graf Rosenberg nicht nur für die krisengeschüttelte monarchia austriaca, sondern auch für den kranken Kaiser die beste Medizin 93 . c) Die Erneuerung der russisch-österreichischen

Allianz

Dieser Prozeß der Abnabelung konnte allerdings in der beruhigenden Gewißheit erfolgen, die russische Allianz von 1781 zuvor nochmals erneuert und damit ein allfälliges Abdriften der Zarin in das gegnerische Lager weitgehend abgefangen zu haben. Die Russen selbst hatten Wien darauf aufmerksam gemacht, daß das seinerzeit auf acht Jahre in Form wechselseitiger Handschreiben der Souveräne geschlossene Bündnis zur Verlängerung anstand. Mißtrauische Zweifel fehlten freilich auf österreichischer Seite 93 Joseph II. an Kaunitz (20. 4. 1789), Vortrag Kaunitz mit Kaunitz an Joseph II. (21. 4. 1789), Vortrag vom gleichen Datum u. ein nicht expedierter Vortrag des Staatskanzlers: StK Vorträge 146 Konv. 1789 III - V. Joseph II. an Leopold (20. 4. 1789; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 238f.). Joseph II. an Katharina (24. 4. 1789; Druck: [Arneth] 1869, 330f.); Kaunitz an L. Cobenzl (24. 4. 1789; SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Expeditionen 1789). Vorträge Kaunitz (13. u. 14. 5. 1789), Auszug aus einem interzipierten Schreiben Choiseul-Gouffiers (Konstantinopel, 8. 5. 1789; Druck: [Beer] 1873, 335), Kaunitz an Joseph II. (30. 5. 1789), Kaunitz an Joseph II. (10. 6. 1789; Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1789; Druck: [Beer] 1873, 331 - 334) mit ksrl. Apostille, Vorträge Kaunitz (25. 6. u. 3. 7. 1789): StK Vorträge 146 Konv. 1789 III - V u. 1789 VI - IX. Mercy an Kaunitz (11., 20. 5., 4. 6. mit P. S. 4, 10. 6. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 IV - VI), Partikularschreiben (10. 5, 4. 6. 1789; ebd. Konv. Mercy-Kaunitz 1789; Druck: A&F 2, 240f., 248f.), an Joseph II. (10. 5. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 238 - 240); Kaunitz an Mercy (17. 5. 1789; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1789 I - V), Partikularschreiben des Staatskanzlers (17. 5. 1789; ebd. Konv. Kaunitz-Mercy 1789; Druck: A&F 2, 242 - 247). - „Copie de la lettre de Monsieur le comte de Montmorin à Monsieur le marquis de Noailles" (3. 5. 1789; SA Frkr. NW 14 V. d. frz. Botschaft/von Noailles). Montmorin an Noailles (3. [Zitat], 21. 5. 1789), Noailles an Montmorin (7., 9., 12., 16., 17., 20., 23., 27., 30. 5. 1789), Choiseul-Gouffier an Noailles (15., 21. 5. 1789), Choiseul-Gouffier an Montmorin (2. 6. 1789): AMAE CP Autriche 356 u. 357. Choiseul-Gouffier an Kaunitz (6. 4. 1789), Kaunitz an Choiseul-Gouffier (14. 5. 1789): AMAE CP Autriche 356, Druck: A&F 2, 242 - 246; Noailles an Choiseul-Gouffier (15. 5. 1789; SA Frkr. NW 14 Konv. V. d. franz. Botschaft/von Noailles 1789/92).

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Β. Krise

nicht. Fürst Potemkin schien mit England zu kokettieren und war, so dünkte den Kaiser in Wien wenigstens, auch was Preußen betraf, nicht ehrlich. Dennoch glaubte Staatskanzler Kaunitz eine Erneuerung des umstrittenen Bündnisses, das Österreich zwar in einen Türkenkrieg gerissen hatte, sich aber als Schutzschild gegen Preußen nicht so recht nach Wunsch instrumentalisieren ließ, unbedingt anraten zu müssen. Es war das einzige Bündnis, das Österreich noch blieb; von Frankreich hatte man sich bestenfalls noch auf Nullität und damit Neutralität zu versehen; immerhin auch dies ein Fortschritt gegenüber den konfliktreichen Zeiten unter Vergennes, aber ein schwacher Trost im Angesicht der heiklen internationalen Lage. Kaunitz konzedierte zwar, daß bislang Rußland ziemlich einseitig die reellen Vorteile der Allianz abgeschöpft hatte. Aber es gab noch einen zweiten Gesichtspunkt, der jenseits arithmetischer Aufrechungen ein Bündnis attraktiv und erforderlich machen konnte: die zu befürchtenden Nachteile und Konsequenzen bei Nichtbestand. Der Schaden, der in diesem Fall drohte, war nicht zu übersehen, denn Preußen und England standen seit langem gierig bereit, Katharina Π. „gleichsam mit der an ihre Brust angesetzten Pistole" für ihre gewaltige Liga zu gewinnen und Wien restlos zu isolieren. Wahre Horrorszenarien belasteten die Zukunftsplanungen der Staatskanzlei. Joseph II. approbierte schließlich die Reflexionen seines Staatskanzlers; wieder ersetzten Handschreiben des Kaisers bzw. der Zarin ein ordentliches Vertragsinstrument, um die formalen Streitigkeiten zu überspielen. Am 10. Juni 1789 wurden die beiden Schriftstücke unter größter Geheimhaltung in Petersburg ausgewechselt. Auf Wunsch des Kaisers hatte die Staatskanzlei zuvor noch insgeheim die Zustimmung seines präsumtiven Nachfolgers auf dem Thron, Leopold von Toskana, einholen müssen, denn angesichts der über verschiedene schwere Krisen allmählich ins Grab führenden Krankheit Josephs war abzusehen, daß sein Nachfolger die Hypothek der russischen Allianz noch länger zu tragen haben würde als er selbst. Fürst Kaunitz erachtete einen solchen Schritt für überflüssig und gefährlich, den „argwöhnischen Charakter" des Petersburger Hofes derart auf die Probe zu stellen, denn die Aktion legte ja nahe, daß an Leopolds Allianzgesinnungen offensichtlich Zweifel bestanden. Für die Zukunft kein gutes Omen. Die Gesinnungen des Staatskanzlers schienen dagegen über jeden Zweifel erhaben. Denn er drängte nach wie vor dazu, die russische Allianz nicht nur rein äußerlich zu konservieren, sondern - bei aller kritischen inneren Distanz - auch zu kultivieren, wollte man verhindern, daß die Freundschaft auch ohne Bruch nach und nach „auf den anfänglichen schwachen Fuß einer zweydeutigen Balancirung mit dem preussischen und englischen [Hof] wieder zurückgesetzt werde". Rußland und Österreich waren in des Staatskanzlers Augen immer noch natürliche Alliierte; nur durch widernatürliche Entgleisungen wie unter Peter ΙΠ. war ein „Unterbruch" möglich.

III. Die Katastrophe

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Noch nicht unmittelbar benachbart, durfte man sich wechselseitige Erwerbungen gönnen, hatte in der Pforte von altersher einen gemeinsamen Feind und seit einem halben Jahrhundert auch in Preußen einen für beide gleich gefährlichen Kontrahenten. Polen und die dort immer rühriger werdende preußische Politik, der es wie überall so auch hier um die Zerstörung des Einflusses der beiden Kaisermächte ging, stellte der Staatskanzler als primäres Konfliktfeld ins Rampenlicht. Nicht weil man selbst Vergrößerung auf Kosten der Republik wünschte, sondern weil man dem Erzfeind keinerlei Zugewinn vergönnte, betrachtete man in Wien jeden Territorialzuwachs für Berlin als „schädlichen Druck auf unsre politische Existenz und Wohlfahrt". Trotz seiner gesicherteren Stellung gegen Preußen gab es auch für Rußland Bedrohungsbilder, bei denen der Hohenzollern-Staat eine prädominante Rolle spielte, gerade in Polen, wo nun der russische Einfluß mit dem Rücken zur Wand stand. Mehr noch - die preußische Barrierepolitik in Polen und Schweden drohte Petersburg wieder vom übrigen europäischen Kontinent abzuschneiden. Soviel Sorge um das Wohlergehen des eigensinnigen Alliierten und alles schonungsvolle Vorgehen bei den peinlichen Bemühungen um einen eiligen Separatfrieden mit der Pforte konnten freilich nicht verhindern, daß ein schaler Nachgeschmack blieb, wenn man ausgerechnet jetzt („zur Unzeit") Verbindlichkeiten erneuerte, denen man sich eben zu entziehen bemühte94.

2. Kein Weg zum Frieden

a) Polens Erwachen Im Gefolge der Ersten Teilung von 1772 waren in Polen bereits 1773/76 innerhalb enger Grenzen im Sinne einer Befestigung des labilen inneren Zustandes unter russischer Aufsicht nicht unbedeutende Reformmaßnahmen 94

Vortrag Kaunitz (7. 5. 1789), dto. (10. 5. 1789) mit Joseph II. an Katharina II. [20. 5. 1789] und einem „Mémoire über die Räthlichkeit, Nützlichkeit und Nothwendigkeit, das zwischen uns und Rußland nun zu Ende gehende Allianzsistem nicht nur unverzüglich zu erneuern, sondern auch auf alle mögliche Art fortan bestens zu cultiviren" (10. 5. 1789), Vortrag Kaunitz (17. 5. 1789), Kaunitz an Joseph II. (28. 6. 1789) mit Katharina II. an Joseph II. (1./12. 6. 1789; Druck: [Arneth] 1869, 337 f.): StK Vorträge 146 Konv. 1789 III - V u. Konv. VI - IX. Joseph II. an Leopold (11. 5. 1789) u. Leopold an Joseph II. (18. 5. 1789): [Arneth] 1872, Bd. 2, 243 f., 246 - 249. Kaunitz an L. Cobenzl (12. u. 24. 5. 1789; SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Expeditionen 1789), Joseph II. an L. Cobenzl (19. 5. 1789), Ph. Cobenzl an L. Cobenzl (20. 5. 1789), Kaunitz an Cobenzl (24. 5. 1789), L. Cobenzl an Joseph II. (28. 5. 1789), L. Cobenzl an Joseph II. (13. 6. 1789): [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 343 - 356. Das allianzerneuernde Schreiben Josephs II. an Katharina II. ([20. 5. 1789]) und das Gegenstück von russischer Seite (30. 5./10. 6. 1789) sind bei [Arneth] 1869, 333 - 336, gedr. Vgl. Bittner 1909, 42.

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Β. Krise

eingeleitet worden, durch die das - an den Maßstäben absolutistischer Staaten gemessen - unterentwickelte „altfeudale" Polen ein wenig an den europäischen „Standard" herangeführt werden konnte. Das starke „aufgeklärte Reformstreben" auf breiterer Basis ließ sich so zwar fürs erste kanalisieren, aber nicht aus der Welt schaffen. Für einen Neuausbruch der Emanzipationsbestrebungen bedurfte es nur günstiger außenpolitischer Umstände. Die Ablenkung der russischen Aufmerksamkeit durch die eigenen internen Turbulenzen der siebziger Jahre und schließlich durch den Dauerkonflikt mit der Pforte in den achtziger Jahren führte allmählich zu einer Lockerung der Aufsicht und schließlich während des Vierjährigen Reichstags (1788 1792) zu einer Sprengung des Petersburger Protektorates 95. Gegen Ende der achtziger Jahre stellten weder Rußland (von geheimen Plänen des Fürsten Potemkin abgesehen) noch Österreich, das sich zugunsten der Zarin und ihrer „Dictatur im Norden" einflußpolitisch weitgehend aus Polen zurückzog, eine wirklich ernsthafte Bedrohung für die Adelsrepublik dar, auch die Westmächte zeigten wenig Interesse an den Geschehnissen in Warschau. Vielmehr war es Preußen, das - durch die Erste Teilung nicht wirklich gesättigt - am Zuerwerb der aus handels- oder geopolitischer Perspektive fehlenden Bausteine (Danzig, Thorn und das die Verbindung zwischen Schlesien und Ostpreußen herstellende Großpolen) arbeitete. Besonders seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms II. trachtete man die territorialen Wünsche durch verschiedene trickreiche Taktiken zu erfüllen, vorerst in freundschaftlicher, wenngleich weltfremder „Einigung" mit den Polen, wie sie der verhängnisvolle propreußische Affekt des Vierjährigen Reichstages nahelegte, später - gemeinsam mit den anderen Teilungsmächten - gegen sie. Auch Österreich wurde schon in ruhigeren Zeiten immer wieder in die Polenprojekte Preußens hineingezogen. Zum Jahreswechsel 1786/87 gingen Gerüchte von Bemühungen der Danziger Bürgerschaft, die Stadt möge doch endlich dem preußischen Hof überlassen werden. Petersburg trat diesen Wünschen auf das entschiedenste entgegen und drohte mit einem sofortigen Bruch. Gerüchte, aber für Wien doch Beweis genug, daß Berlin die Erwerbung der Hafenstadt nie aus den Augen verlieren und die erste günstige Gelegenheit ergreifen würde. Zu Jahresanfang 1788 unterstellte 95 Siehe die oben zur „polnischen Frage" genannte Literatur. Das Standardwerk zur polnischen Frage im Rahmen der Politik der drei schwarzen Adler ist - unter etwas mißverständlichem Titel Lord 1915, hier bes. 64 - 127. Als sehr bedeutende Quellensammlung nicht zu vernachlässigen [Dembinski] 1902. Die Geschichte des Reichstags erschöpft mit weit darüber hinausgehenden Exkursen Kaiinka 1896/98. Weiters: Palmer 1959/64, Bd. 1, 411 - 435. Die preußische Polenpolitik beleuchten u.a. Marmottan 1908, 47 - 58 (marginal), Wittichen 1899, Andreae 1905, Höhm 1925, 22 - 37, Zernack 1991b. Liske 1869. Manbar 1928. Rostworowski 1964.

. Die Katastrophe

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man sogar Österreich, es habe sich mit Preußen wegen „Unterwerfung" der Stadt Danzig - des „polnischen Gibraltar" - verabredet. Der Klatsch sollte nachdrücklichst dementiert werden: Österreich und Rußland, so unterstrich man, würden eine Vergrößerung Preußens auf Kosten Polens niemals akzeptieren. Kam es darauf aber noch an? Seit 1788 nahm der preußische Einfluß in Polen merklich und bedenklich zu, und wo, wie in den Augen Kaunitz* in Polen, der dabei wohl von Rousseaus Considérations sur le gouvernement de la Pologne nicht unbeeinflußt geblieben sein dürfte, „Mangel an Einigkeit und patriotischer Sorgfalt" herrschte, wurde ein Land mit entsprechend „anarchischer Verfassung" leicht zum Spielball der Mächte. Der Ausbruch und die internationalen Implikationen des Türkenkriegs ließen in der Staatskanzlei besonders ab Sommer 1788 ernste Befürchtungen aufkommen. Bei einer Ausdehnung des Kriegsfeuers auf andere Teile Europas war Polen durch seine Lage im Schnittpunkt Rußlands, Preußens und Österreichs, die mehr und mehr auf Konfrontationskurs gingen, besonders gefährdet und rückte so - wie auch die lebhafte Diskussion um die Polenklausel in den russisch-französischen Allianzverhandlungen bewies in den allgemeinen politischen Kalkulationen der Kabinette wieder an die oberen Ränge der Prioritätenlisten. Unter einem rasch gefundenen Vorwand konnte Preußen neben dem lästigen schwedischen Kriegstheater einen weiteren Krisenherd entzünden, der Wien keineswegs gleichgültig sein durfte. Selbsthilfe oder eine „union générale des citoyens" in Polen war zwar nötig, aber letztlich wenig wahrscheinlich. An der Position der Österreicher und ihrem fortgesetzten Wunsch nach Außensteuerung der Rzeczpospolita bestand dabei gar kein Zweifel. „Nous ne désirons [...] rien plus sérieusement", hieß es im August 1788 klipp und klar, „que de voir le sort et rintégrité de la Pologne assurés à jamais par le concours de toutes les puissances dont ils peuvent dépendre." Die Staatskanzlei begehrte zwar keine weitere Zerstückelung des nützlichen „Pufferstaates", aber gewiß noch weniger wollte man in dieser Phase eine größere Verselbständigung oder ein machtpolitisches Erwachen der Republik gutheißen. Dies hatte sich in aller Deutlichkeit gezeigt, als im Umfeld der Reise Katharinas nach Südrußland Anfang 1787 davon die Rede war, die Zarin könnte sich bei einem geplanten Zusammentreffen mit König Stanislas bereden lassen, der Familie Poniatowski die polnischen Krone gleichsam als Erbstück anzuvertrauen, und in Hinkunft auf das trickreiche Nachfolgespiel verzichten. Ewig zu bedauern wäre es, protestierte die Staatskanzlei im Februar 1787 in einer Weisung nach Petersburg, „falls man eine Krone, die man sozusagen zum Vergeben in Händen hat, ohne allem Vortheil vergeben und nicht vielmehr dadurch entweder Kursachsen oder irgendeinen andern ansehnlichen Reichsstand zu gewinnen suchen sollte, der mit seiner selbsteigenen Macht von beyden kaiserlichen Höfen nothwendig in eben

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Β. Krise

dem Verhältniße abhängig werden würde, in welchem er es als König von Pohlen ist und immer seyn müßte."

Auch hier unterlagen also schließlich alle maßgeblichen Überlegungen dem antipreußischen Primat. Die polnische Königskrone sollte bei nächster Vakanz keinem Piasten zufallen, sondern möglichst einem Mitglied des verhaßten Fürstenbundes, den man dadurch zu sprengen gedachte: Der sächsische Kurfürst war seit langem im Gespräch96. Der Polnische Konföderationsreichstag, der im Oktober 1788 in Warschau zusammentrat, machte indes alle Anstalten, statt zur Sanktionierung der russischen Allianzpläne des Königs zu schreiten, das Schicksal Polens in die eigene Hand zu nehmen und die Zeit der exzessiven Fremdbestimmung zu beenden. Von den drei Parteien, die sich alsbald immer deutlicher herauskristallisierten, waren es nicht die konservativen, oft pro-russischen Magnaten und ihr Anhang aus dem armen Landadel, auch nicht die Partei des aufgeklärten Königs Stanislas Poniatowski, die den Kurs zu bestimmen schienen, sondern die polnischen „Patrioten" unter Ignaz Potocki mit ihrem deutlich preußenfreundlichen Kurs. Der in Petersburg kühl aufgenommene und schließlich auf die lange Bank geschobene Plan des Königs Stanislas, Polen wieder enger an Rußland heranzuführen, vorsichtige Reformen mit russischer Billigung ins Werk zu setzen und die Republik als Belohnung für Truppenhilfe eventuell sogar an russischen Eroberungen auf Kosten der Pforte partizipieren zu lassen, stand am Beginn einer Lawine unglücklicher Entwicklungen. Kaum durchgesickert, provozierte er in der völlig entstellten Gestalt des erniedrigenden russischen Gegenangebots die lebhaftesten Proteste der erbosten Preußen, die sofort mit verlockenden Offerten ihres neuen starken Mannes in Warschau, Marchese Lucchesini, gegensteuerten. Katharina II. hatte mit ihrem Widerwillen, durch ein rasches Eingehen auf das ursprüngliche Allianzangebot des polnischen Königs vom Frühjahr 1787 weitere kräftigende Reformen zu gestatten, selbst der mehr versprechenden Orientierung der Polen Richtung Preußen das Tor aufgestoßen und Berlin vollends auf antirussischen Kurs gebracht (August/September 1788). Den seit Oktober 1788 sich abzeichnenden schweren Terrainverlust Rußlands in Polen hielt Wien aber für durchaus selbstverschuldet; durch eine unkoordinierte Politik und durch verstimmende Maßnahmen, durch übelausgegorene „reichstägliche Projekte", wie es die Staatskanzlei nannte, wäh96

Kaunitz an L. Cobenzl (13. 2. u. 7. 12. 1787; SA Rußland II Weisungen 174 Konv. Expeditionen 1787), an Mercy (1. 1. 1787; wie Anm. 11), an Caché (23. 2., 6. 8. 1788; SA Polen II Weisungen 82 Konv. Expeditionen 1788). Bei den Annäherungsversuchen Stanislas' gegenüber Katharina ging es v.a. um die aktive Teilnahme Polens an dem bevorstehenden Türkenkrieg. Polen träumte vom Gewinn eines Zugangs zum Schwarzen Meer bei Akermann. - Die josephinische Polenpolitik gut zusammengefaßt bei [Beer] 1874, 90 - 101.

III. Die Katastrophe

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rend Preußen - die russischen Positionen nach Kräften unterminierend und radikal gegen den Allianzplan auftretend - das erwachende Selbstgefühl der Polen durch geschickte Fingerzeige auf die verbliebenen Stacheln im polnischen Fleisch schürte. Eben die „polnische Frage" war es schließlich, die das bislang gegenüber Rußland so zurückhaltende Preußen seit August 1788 ziemlich radikal und an allen möglichen Konfliktherden Europas gegen die Zarin Front machen ließ - gemeinsam mit bzw. als Schutzmacht von Mächten wie Schweden, Polen und der Türkei, „die man im Grunde der Seele verachtete" (P. Bailleu). Die polnische Reichstagsopposition nützte die Schwäche der russischen und der königlichen Partei, um zunächst die drastisch auf 100.000 Mann aufzurüstende Armee dem Einfluß der Krone und des Conseil Permanent, eines von Rußland oktroyierten schattenhaften Regierungs- und Zentralorgans, zu entziehen und schließlich ihr Fernziel anzusteuern - die 1775 fixierte Verfassungsform umzustoßen und den russischen Einfluß definitiv zurückzudrängen. Die konservative Adelspartei war ihrerseits im Sommer 1788 mit dem Plan eines reaktionären Verfassungsputsches schwanger gegangen, den man mit österreichischer Hilfe umzusetzen gehofft hatte. Kaunitz beeilte sich allerdings, diese ärgerliche Initiative abzublocken, und verwies auf den vorbildlichen Charakter der freiheitlichen polnischen Verfassung mit ihrem ausgewogenen Verhältnis der Gewalten zueinander. Kein Volk, so der Staatskanzler plötzlich, verfüge über mehr Freiheit als das polnische, und dieses sei daher gut beraten, einen solchen Schatz durch patriotische Einigkeit zu erhalten (September 1788). Schon im November 1788 kam es zu schweren Konfrontationen zwischen Rußland und dem neuen polnischen Reichstag, der - von einer Allianz mit der Zarin ganz zu schweigen - keine russische Einmischung in Interna mehr dulden wollte, den König de facto entmachtete und den Permanenten Rat abschaffte, im Januar 1789 sogar die Entfernung russischer Truppen und Proviantmagazine von polnischem Territorium einmahnte und das Durchzugsrecht für die gegen die Türken operierenden russischen Armeen strenger zu handhaben gedachte. Kaunitz ließ bald verlauten, der stark angeschlagene russische Einfluß könne nur noch durch blanke Waffengewalt gerettet werden - natürlich um den Preis eines sicheren Krieges mit Preußen. Berlin wartete - so war man in Wien überzeugt - nur auf eine Gelegenheit, seine Truppen in Polen einrücken zu lassen, jene Territorien zu besetzen, deren Erwerb auch im Zentrum des Hertzbergschen Tauschplanes stand, und gleichzeitig durch eine enge Verbindung mit der Republik dort jene Rolle zu übernehmen, die bislang Rußland gespielt hatte. Ein entsprechender Vorwand durfte Berlin keinesfalls geliefert werden. Wien hatte sich in Polen stets bewußt zurückhalten, Petersburg weitgehend freie Bahn gelassen, war aber mit seinen Hinweisen auf die besorgniserregenden Ent-

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Β. Krise

Wicklungen seit Herbst beim russischen Verbündeten fast nur auf „ängstliche Verschlossenheit" gestoßen, die wesentlich mit dazu beitrug, die gegenwärtige Wirrnis zu befördern. Die eigentlichen Gesinnungen des russischen Verbündeten „in Ansehung des künftigen Zustandes und Verhältnißes der Republick" waren in Wien ebenso rätselhaft wie an anderen Höfen (November 1788). Sehr zum Ärger der Russen und Österreicher waren es ausgerechnet die „sujets mixtes", in Polen begüterte galizische Untertanen des Kaisers besonders Fürst Adam Kasimir Czartoryski (1734 - 1823) und sein Kreis - , die am Reichstag am lebhaftesten die „verfassungswidrigen" Projekte und die Hetze gegen die beiden Kaisermächte vertraten. Der polnisch-patriotische Enthusiasmus war für die Staatskanzlei längst zum „Unsinn" geworden und drohte in der sensiblen Bruchzone zwischen Berlin, Wien und Petersburg Polen zum Schauplatz übler Vorgänge zu machen, die, so schrieb man dem k.k. Geschäftsträger in Warschau im November 1788, „früh oder späth und vielleicht nur gar zu früh ein neues Kriegsfeuer veranlassen müssen, dessen unglücklichen Schauplatz, dessen wahrscheinliches Opfer vor allen anderen die polnischen Staaten selbst abgeben werden". Hatte Österreich bisher Rußland „aus freundschaftlicher Rücksicht auf sein Ansehen und Intereße" die Handhabung und Leitung der Dinge in Polen gerne überlassen, so mußte es nun, da es Petersburg selbst nur allzu offensichtlich an den nötigen Gegenmitteln gebrach, nicht etwa zu verstärkten Aktivitäten der k.k. Diplomatie in Warschau, sondern vielmehr zu einem noch weitergehenden Rückzug Österreichs aus der verwirrenden polnischen Politik kommen; auch die Russen steckten deutlich zurück 97. Die Orientierung der machtpolitisch an Gewicht zulegenden Republik Richtung Preußen zeichnete sich mehr und mehr ab, ja eine Allianz zwischen Warschau und Berlin rückte nun in greifbare Nähe. Wien gab sich einigermaßen verwundert, schienen doch Unterstützung für den polnischen Kräftigungsprozeß oder gar ein Bündnis mit Polen nur dann Sinn zu machen, wenn Friedrich Wilhelm Π. zum endgültigen Bruch mit den beiden Kaiserhöfen schon entschlossen war und die eigenen Polenambitionen fahren ließ. Denn ansonsten verlegte sich Preußen durch die Allianz oder jedenfalls durch ein zu enges Zusammengehen mit Polen, mit dem 97 Vortrag Kaunitz (18. 6. 1788), Joseph II. an Kaunitz (Semlin, 3. 7. 1788) mit Beilage, Kaunitz an Joseph II. (12. 7. 1788), Vortrag Kaunitz (8. 12. 1788) mit Beilagen: StK Vorträge 145 Konv. 1788 V - VII u. Konv. 1788 XI - XII. Kaunitz an Reuß (6. 11. 1788). Kaunitz an Caché (8., 19. 11. 1788; SA Polen II Weisungen 82 Konv. Expeditionen 1788). Vortrag Kaunitz (18. 9. 1788; StK Vorträge 145 Konv. 1788 IX - X) mit Kaunitz an Graf Rzewusky (15. 9. 1788; Druck: [Beer] 1874, 246f.). - Noailles an Montmorin (11., 25. 10., 15., 20., 26., 29. 11., 22. 12. 1788; AMAE CP Autriche 355).

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künftig zu Beraubenden also, den Weg, „unter Begünstigung der vorliegenden Kriegsumstände" seinen Landhunger zu Lasten der Republik zu stillen: ein Zwiespalt, der natürlich auch der Berliner Politik im Magen lag und gerade Hertzberg zur Vorsicht mahnen ließ. Der König aber suchte auch hier gerade im Zuge der Radikalisierung seiner Politik seit Herbst 1789 aller Warnungen ungeachtet die direkte Verbindung und eine Beteiligung Polens am bevorstehenden Schlagabtausch mit Wien. Die Staatskanzlei fand auch für diesen Fall positive Aspekte: Galt preußischer Zuerwerb in Polen als ein „für die Zukunft höchst lethales Übel", so war natürlich eine preußisch-polnische Allianz der für die Kaisermächte bequemste Weg, diese Gefahr gleichkam automatisch zu bannen, ohne daß man selbst aggressiv auftreten mußte. In Wien war man sich durchaus bewußt, daß man während des kritischen Jahres 1789 v.a. auch mit Zuckerbrot aufwarten mußte, um die Adelsrepublik nicht durch Peitschenknall noch beschleunigt und unwiderruflich ins Lager Berlins zu treiben. Man konnte etwa versichern, daß weder Wien noch Petersburg an eine Änderung bzw. Beschränkung der aktuellen Verfassung dachten, sondern sich gerne ruhig verhielten, „wenn sich die Republick nur auch von einer für sie selbst und andere alzu gefährlichen Dependenz von ihrem dritten Nachbar frei erhalten wolle", also die extreme Orientierung an Preußen aufgab. In Petersburg warb Wien weiterhin intensiv darum, die laufende „Pohlnischen Revolution" nicht durch einen coup d'éclat abzustellen, sondern vielmehr die Zeit arbeiten zu lassen, um Polen wieder deutlicher unter den Einfluß der beiden Kaisermächte zurückzuführen. Das bisherige Reformwerk und die Reformplanungen des Jahres 1789, unter denen v.a. die Verbesserung der polnischen Thronfolgeregelung bemerkenswert ist (man dachte bereits an den Kurfürsten von Sachsen und im Ablehnungsfall an den Herzog von Braunschweig), hatten in den hier recht kurzsichtigen Augen der Staatskanzlei ohnedies bloß innere Verwirrung und Spaltung der Gemüter bewirkt, die Untätigkeit nach außen aber nur bekräftigt; „von der Zeit und von gelinden Mitteln" erwartete sich die Staatskanzlei mehr als von gewaltsamem Dazwischenschlagen (Oktober 1789)98.

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Kaunitz an Caché (9. 2., 25. 3., 24. 12. 1789; SA Polen II Weisungen 82 Konv. Expeditionen 1789). Kaunitz an Mercy (15. 3. 1789; wie Anm. 85). Kaunitz an L. Cobenzl P. S. (19. 10. 1789; SA Rußland Π Weisungen 175 Konv. Expeditionen 1789). - Noailles an Montmorin (24., 31. 1., 11. 2., 2. 5. 1789; AMAE CP Autriche 356).

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b) Schwedens „Reaktivierung" Dank der preußisch-britischen Intervention im Herbst 1788 - Friedrich Wilhelm II. hatte in Kopenhagen offen mit einer Besetzung Holsteins und Schleswigs gedroht - konnte Gustav III. im Frühjahr 1789 auch mit Hilfe preußischer Anleihen seine Operationen gegen Rußland wieder aufnehmen. Der nötige Druck aus London und Berlin zwang Dänemark nach Auslaufen des Waffenstillstandes definitiv in die Neutralität (dänische Neutralitätserklärung, 9. Juli 1789), während Katharina II. den Mediationsofferten aus London und Berlin weiterhin einmal ablehnend (November 1788), dann wieder zustimmend (Januar 1789) begegnete. Nicht lange hatten also Dänemark und der von Kaunitz besonders geschätzte „verdienstvolle" Andreas Peter Graf Bernstorff (1735 - 1797) die standhafte Sprache gegen die despotischen Anwandlungen der Tripelallianz durchgehalten, während ein innerlich mehr und mehr geschwächtes Frankreich den bedrohlichen Seerüstungen Londons - zumal bei offensichtlicher spanischer Einsatzunlust auf sich alleine gestellt - nur recht schüchterne Warnungen entgegensetzen konnte. Dagegen stärkte ein Subsidienvertrag mit der Pforte die schwedische Position (Juli 1789) und band jedenfalls die beiden Kriegstheater zum Schaden der beiden Kaisermächte enger aneinander. Ja die Diplomatie Gustavs III. übertraf bei ihrer Kriegshetze an der Hohen Pforte beinahe noch die preußischen Bemühungen an Radikalismus. Mit Dänemark - es galt trotz merklicher Englandfreundlichkeit seit Regierungsübernahme durch den Kronprinzen Friedrich (1768 - 1839) und Bernstorff 1784 auch der Staatskanzlei als „billig denkende" Macht, weil es nur relativ kühle Beziehungen zu Preußen unterhielt und anhaltendes Mißtrauen gegen Schweden und dessen gierigen Blick nach Norwegen die Nachbarschaft seit langem belastete - war ein weiteres Glied aus der Bündniskette der beiden Kaisermächte gebrochen. Die „königliche Revolution" in Schweden - die Befreiung des Königs aus den Fesseln des Reichstags Anfang 1789 durch den Vereinigungs- und Sicherheitsakt mit seiner adelsfeindlichen Spitze zur Stärkung der absolutistischen Gewalt des Königs gerade in Fragen der Außen- und Kriegspolitik - war in den Augen der Staatskanzlei mehr als eine rein interne Angelegenheit: eigentlich der Höhepunkt einer vorsichtig „Sozialrevolutionären" Entwicklung in Schweden und eine Bedrohung für das „nordische Gleichgewicht", speziell für die Position des alten schwedischen Rivalen Dänemark. Nicht zuletzt angesichts der leichteren Mobilisierbarkeit des schwedischen Machtpotentials mußte, so hieß es im Juni 1789, die ohnedies scheue und vorsichtigte Politik Dänemarks „in eine ängstliche Sorgfalt für die eigene Erhaltung" flüchten, ausgeliefert den „Demüthigungen und Gewaltthätigkeiten des englisch-preusi-

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sehen Despotismus" und weitgehend steril für die Interessen der beiden Kaisermächte. Die merkwürdige Anteilnahme Berlins, das angeblich durch die zugesagte Abtretung Schwedisch Pommerns geködert wurde, und auch Londons am politischen Überleben des nordischen „Traumkönigs", ihre diktatorische Einmengung, wie es die Staatskanzlei sah, und der dadurch erleichterte Verfassungsumsturz von Februar 1789 zerstörten beinahe jede Aussicht auf die Realisierung der alten russischen Bemühungen um Stärkung der innerschwedischen königsfeindlichen Adelsopposition. Der angeblichen Unzufriedenheit Berlins mit dem brutalen Vorgehen Gustavs schenkte man in Wien keinen Glauben und strich lieber das große Vertrauen hervor, das Adrian Heinrich Freiherr (Graf) von Borcke (1736 - 1791), der preußische Sondergesandte in Stockholm, genoß; er galt der Staatskanzlei denn auch „als der geheime Rathgeber, wo nicht als die Triebfeder dieser gewaltsamen Unternehmung". Um so vorsichtiger und zurückhaltender mußte Graf Stadion in der schwedischen Hauptstadt agieren; große Hoffnungen konnte man auf den - sicher dramatisch gesunkenen - Mut der „Patriotenpartei" jetzt schwerlich setzen. Auch für Frankreich war Schweden ein Schauplatz herber Enttäuschung: nach Jahren der „Erkältung" hatte man nun endgültig jeden Einfluß an den Rivalen Großbritannien und dessen Verbündeten Preußen verspielt". c) Letzte Erfolge Im Juni 1789 hatte sich Wien in den Besitz eines preußisch-türkischen Vertragskonzeptes und jener egoistischen Hintergrundüberlegungen setzen können, die die nun deutlich aktiver betriebenen Berliner Allianzpläne gegenüber der Pforte und Warschau eigentlich motivierten: der Sultan sollte 99 Kaunitz an Stadion (9. 4. 1789; SA Schweden 70 Konv. 1789/3). Kaunitz an L. Cobenzl (14. u. 21. 3. 1789; SA Rußland II Weisungen 176/Sperrkonvolut bzw. 175 Konv. Expeditionen 1789). Kaunitz an Reuß (21. 3. 1789; StK DK Preußen 67 Konv. Weisungen nach Berlin 1789). Kaunitz an Mercy (15. 3. [wie Anm. 85], 17. 5. 1789 [wie Anm. 93]), ders. an dens. (18. 6. 1789; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1789 VI - VIII); Mercy an Kaunitz (2. 4. [wie Anm. 90], 11. 5. [wie Anm. 40], 4. 6. 1789 [wie Anm. 93]), ders. an dens. (4. 7. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 VII - VIII). „Punctation für den k.k. Gesandten in Daenemark Graf Breuner" (14. 6. 1789; SA Dänemark 72 Konv. Instruktion für Breuner); Kaunitz an Breuner (24. 8. 1789; SA Dänemark 72 Konv. Weisungen 1789). „Allgemeine Hinsicht über das gegenwärtige politische System des königlich schwedischen Hofes zur Grundlage meiner Anweisung" (zur Instruktion für Ludolf, 1. 10. 1789; SA Schweden 70 Konv. 1789/4); Kaunitz an Ludolf (11.3. 1790; SA Schweden 70 Konv. 1790/1). - Montmorin an Noailles (20. 3. 1789), Noailles an Montmorin (27. 4. 1789): AMAE CP Autriche 356. - Siegel 1933, 62 145, Björckmann 1932, 233 - 246, Nordmann [1986], 175 - 192.

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keinen Frieden schließen, ohne Preußen, Schweden und Polen einzubeziehen, und jedenfalls nur unter Mediation und Mitwirkung Preußens und seiner Verbündeten, wofür Friedrich Wilhelm Π. bei türkischen Rückschlägen eine Diversionsbewegung in Aussicht stellte und dem Großherrn jedenfalls den garantierten Besitz der Lande jenseits Donau und Kuban sichern wollte; etwaiger österreichischer Zugewinn war unbedingt an die Rückgabe Galiziens an Polen geknüpft. Um Türken und Polen die Augen über die Tragweite und die eigensüchtige Skrupellosigkeit des Hertzbergschen Tauschplanes zu öffnen, wollte Joseph II. die interzipierten beweiskräftigen preußischen Briefschaften in Konstantinopel und Warschau vorlegen. Der französische Botschafter in Konstantinopel sollte der Pforte die kompromittierenden Schriftstücke in die Hände spielen und so die Türken „vor den insidiosen preußischen Propositionen" warnen, sie ein für allemal desillusionieren. Kaunitz war sich, was Polen anlangte, bei der dort gegen Wien und Petersburg so aufgebrachten Stimmung nicht sicher, welche Wirkung eine Bekanntgabe des preußischen Vergrößerungsplanes haben mochte. Vielleicht würde die in Aussicht gestellte Rückgewinnung von Galizien „von dem grossen Hauffen der erhitzten und fanatischen Köpfe [in Polen] nicht wohl gar für erwünschlich angesehen"? Der Fürst vermochte dem gigantomanischen Gespinst des Hertzberg-Planes immer noch positive Seiten abzugewinnen; für ihn war es ein „grosses Glück", daß das Berliner Ministerium seine Zeit mit derart versponnenen Projekten vergeudete. „Die öffentliche Bekanntmachung desselben [Planes]", warnte der Staatskanzler Anfang Juni 1789, „könnte zur Folge haben, daß solcher abandonirt, zugleich aber in einen reellem und weit gefährlichem verwandelt würde." Dennoch ging das geheime Stück noch vor der Juni-Mitte 1789 mit den entsprechenden Weisungen an Choiseul-Gouffier nach Konstantinopel. Auch Hertzberg hatte auf preußischer Seite keinen leichten Stand. Als er im Sommer 1789 - die turbulenten Ereignisse in Frankreich ließen ihn die österreichisch-französische Allianz als definitiv zerstört, eine Rückkehr zur traditionellen preußisch-französischen Freundschaft als durchaus möglich ansehen - auf emstliche Demonstrationen drang, um die Kaiserhöfe zur Annahme der preußischen Mediation - also letztlich des Tauschplans - zu zwingen oder die polnischen Gebiete direkt zu okkupieren, konnte er sich gegen seinen König (und die Querschüsse der britischen Diplomatie) nicht durchsetzen. Friedrich Wilhelm II. sah ohne einen wirklichen Waffengang keine Aussicht auf Erfolg, glaubte aber für den kriegerischen Schlagabtausch die Jahreszeit verpaßt (August 1789). Der Entscheidungskampf sollte auf Frühjahr 1790 verschoben werden, und wirklich wurden im September 1789 eben mit Blick darauf die Verhandlungen mit der Türken verstärkt. Falsch interpretierte preußische Signale waren dagegen vom Kaiser im Juli 1789 noch als Chance zur „Herstellung einer ruhigen Nachbarschafft und wechselseitigen aufrichtigen Friedfertigkeit" begriffen

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und zu Diskussionen mit Vizekanzler Cobenzl und Hofrat Spielmann wieder hinter dem Rücken des Staatskanzlers - über einen eventuellen „freundschaftlichen Interessenausgleich" mit Friedrich Wilhelm Π. benützt worden, ehe die Seifenblase schon wenig später zerplatzte. Kaunitz* Linie schwankte nie, wenn es um die „Erbfeindschaft" mit Preußen ging. Statt einer für ihn unmöglichen Aussöhnung und einer Mitleid heischenden Denunzierung der preußischen Intrigen vor dem Forum der europäischen Mächte plädierte Kaunitz für eine würdevolle Gelassenheit: Wien sollte in seinen Beziehungen zu anderen Höfen den berechtigten Unmut nicht allzu deutlich spüren lassen, nicht auf gehässige Äußerungen gegen Preußen verfallen, keinen „Argwohn", keine „Vergeltungsgedanken" an den Tag legen 100 . Die durch den Kanal des französischen Botschafters in Konstantinopel eingeleitete österreichische Friedensinitiative war im Sommer 1789 längst als gescheitert zu betrachten; Ende Juni/Anfang Juli 1789 wurde sie daher auch offiziell für beendet erklärt. Bestenfalls auf einen energischen Feldzug und einen für Österreich ehrenvollen Siegfrieden durfte man Hoffnung setzen, den wilden Sultan „geschmeidiger" zu machen. Auf Choiseul-Gouffier hagelte es - hinterrücks, denn offiziell sagte man verbindlichen Dank harte Kritik des Staatskanzlers, und in Versailles quälte Botschafter Mercy den französischen Außenminister weiterhin mit der türkischen Frage, obwohl die Aufmerksamkeit des Kabinetts völlig von der stürmisch gewordenen Entwicklung im Inneren Frankreichs absorbiert wurde 101 . 100

Joseph II. an Kaunitz (2. 6. 1789), Vortrag Kaunitz (3. 6. 1789), Joseph II. an Cobenzl (11. 7. 1789): StK Vorträge 146 Konv. 1789 VI - IX. Der „böse Geist" Preußens in Wien, Freiherr Jacobi, drängte in Wahrheit auf einen offenen Kriegskurs Preußens: Joseph II. an Cobenzl (19. 7. 1789; StK Vorträge 146 Konv. 1789 VI - IX; Druck: [Brunner] 1871, 89). „Punctation für den k.k. Gesandten in Daenemark Graf Breuner" (14. 6. 1789; wie Anm. 99). - Bei dem preuß. Interzept handelte es sich wohl um Hertzbergs „Précis d'un traité d'alliance que je souhaiterais de conclure tout de suite avec la Porte Ottomane" vom Mai 1789 (Luckwaldt 1908, 240), als „Substance du traité" unter dem 15. 6. 1789 u.a. in AMAE CP Autriche 357 überliefert. Noailles an Montmorin (3., 5., 6. 6. 1789), Kaunitz an ChoiseulGouffier (9. 6. 1789), Noailles an Montmorin (10., 16., 17., 20. 6. 1789): AMAE CP Autriche 357. Kaunitz an Noailles (8. 6. 1789), Noailles an Kaunitz (10. 6. 1789): SA Frkr. NW 14 Konv. A. d. frz. Botschaft/an Noailles bzw. V. d. frz. Botschaft/von Noailles. 101 Kaunitz an Mercy (18. 6. 1789; wie Anm. 99), ders. an dens. (3. 8., 16. 9. 1789; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1789 VI - VIII bzw. IX XII), Partikularschreiben des Staatskanzlers (17. 6. 1789; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1789; Druck: A&F 2, 250 - 252), Mercy an Kaunitz (4. 7. 1789; wie Anm. 99), Partikularschreiben dess. an dens. (4. 7. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789; Druck: A&F 2, 254 - 256), Mercy an Kaunitz (17. 8., 16. 9. 1789; ebd. Konv. Mercy-Kaunitz 1789 VII - VIII bzw. IX - XII), an Joseph II. (4. 7. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck:

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In Wien setzte sich das alte, 1788 eröffnete Ringen zwischen einem vorsichtig optimistischen Kaunitz und einem zutiefst pessimistischen Joseph II. im Sommer und Herbst 1789 weiter fort. Rußland hatte mittlerweile gegenüber seinem österreichischen Verbündeten eine reichlich zurückhaltende Position eingenommen; das Verhältnis zum russischen Generalissimus Potemkin war und blieb problematisch, aber auch Botschafter Cobenzl in Petersburg bekam die allmähliche Abkühlung der „Herzensfreundschaft" zwischen Kaiser und Zarin zu spüren. Die Potemkin seit langem unterstellte Absicht, Rußland in dem Maße an die Tripelallianz anzunähern, in dem sich Österreich unfähig und unwillig zeigte, als gefügige Auxiliarmacht der Zarin zu agieren, vergrößerte die latente Furcht Josephs II., der russische Verbündete könnte nun die wechselseitige Erlaubnis zum Abschluß von Separatabkommen mit der Pforte nach einem entscheidenden Erfolg eher zu einer jähen Einigung nützen und Österreich auch am Balkan alleine zurücklassen. Ende Juli 1789 regte der Kaiser daher bei Kaunitz an, Potemkin dadurch die Hände zu binden und Verhandlungen ohne österreichische Aufsicht und Mitwirkung zu verhindern, daß man ihm schon jetzt in schmeichelhafter Form die Wiener Friedensbedingungen mitteilte und zugleich Abschlußvollmacht erteilte bzw. - was der aus Neapel zurückgekehrte Baron Thugut vorgeschlagen hatte - einen eigenen österreichischen Bevollmächtigten entsandte. Der Staatskanzler hielt einen solchen Vorstoß - in diktatorischer Manier, wie der Kaiser klagte - für unnotwendig, war doch ein derart eklatanter russischer Erfolg nicht zu erwarten, der den Haß der Türken gegen die Zarin hinreichend dämpfte und die Voraussetzungen für einen Separatfrieden schuf. Noch vor Eröffnung des Feldzugsjahres BedingA&F 2, 252 - 254). L. Cobenzl an Joseph II. (28. 7. 1789; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 356 - 358). - Zum weiteren Verlauf der Friedensmission ChoiseulGouffiers und seiner Instrumentalisierung zur Bekämpfung der preußischen Intrigen an der Pforte vgl. auch Noailles an Kaunitz (31. 5., 22. 6., 1., 18., 26. 7., 13. 8., 2. 9. 1789) u. Kaunitz an Noailles (5. 7., 1. 9. 1789): SA Frkr. NW 14 Konv. V. d. frz. Botschaft/von Noailles 1789/92 bzw. A. d. frz. Botschaft/an Noailles 1789 1792. Noailles an Kaunitz (21., 27. 6., 5., 6. 7., 28. 9. 1789), an Montmorin (23., 24., 27., 28. 6., 1., 4., 7., 8., 29. 7., 1. 8. 1789), Kaunitz an Choiseul-Gouffier (5. 7. 1789), Choiseul-Gouffier an Noailles (22. 7., 22. 8. 1789), Montmorin an Noailles (24. 7., 3. 9. 1789): AMAE CP Autriche 357 u. 358. Choiseul-Gouffier an Kaunitz (25. 6., 22. 7., 2. 8. 1789; SA Frkr. Varia 41 Konv. Choiseul-Kaunitz). - Ein der Pforte Mut machendes Mémoire des schwedischen Militärberaters bei den Türken, Joseph Freiherr von Brentano (1746 - 1798), mit dem Begleitschreiben Choiseuls an Noailles (8. 8.[?] 1789) in SA Frkr. Varia 40 Konv. Frkr. Varia 1789 u. AMAE CP Autriche 357. Oberst Brentano, ehemaliger Angehöriger der frz. Militärmission in der Türkei, war im Januar 1789 unter abenteuerlichen Umständen aus frz. Diensten ausgeschieden: Bodinier 1983, 67, Siegel 1933, 107 - 114. Von preußischer Seite hatte man schon im Frühjahr 1788 Oberstleutnant von Goetze, einen Adjutanten des Königs, als Militärberater entsandt: Noailles an Kaunitz (11. 10. 1789; SA Frkr. NW 14 Konv. V. d. frz. Botschaft/von Noailles).

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nisse mitzuteilen hieß in den Augen des Fürsten, sich schon a priori und ohne Nutzen der möglichen Gewinne während der diesjährigen Campagne zu entäußern. Und eben hier erwartete der Staatskanzler immer noch ein Ende der entmutigenden Pechsträhne, v. a. nachdem der glücklose und kränkelnde Oberkommandierende der Hauptarmee, Hofkriegsratspräsident FM Andreas Graf Hadik (1710 - 1790), sanft entfernt und durch FM Laudon ersetzt worden war (Ende Juli 1789) und man im September 1789 die Belagerung Belgrads endlich ernsthaft in Angriff genommen hatte. Auch Erzherzog Franz war Ende August 1789 wieder zur Hauptarmee abgegangen. Mit glänzenden Erfolgen wollte Kaunitz - gemäß der altbekannten Parole - den Friedensprozeß beschleunigen, zu einem für Österreich akzeptablen Ende führen, den drohenden „embrasement général" des Kontinents so noch rechtzeitig abwehren und den Kaiser, der alles - selbst das noch gar nicht eroberte Belgrad - aufzugeben bereit war, vor übereilten Schritten abhalten. Denn noch ging der Staatskanzler anders als Joseph nicht davon aus, daß im Frühjahr 1790 wirklich eine preußische Diversion zu befürchten stand, und riet sogar zu einer zeitigen Eröffnung auch des nächsten Feldzugsjahres, möglichst ehe die Türken noch ihre Streitkräfte konzentriert hatten, um so noch letzte große Fortschritte zu machen - „bien au-delà des limites de la paix de Passarowitz"! 102 Ein bedenklicher Schritt wurde allerdings noch im Oktober 1789 gesetzt, und zwar über den Kopf des Staatskanzlers hinweg. Der zunehmend ängstliche Kaiser hatte versucht, aus dem engen Käfig der stets gleich ablaufenden Diskussion mit Kaunitz auszubrechen, und ohne Wissen des Fürsten informelle Sondierungen in Berlin vornehmen lassen. Dazu benützte man eine private Berlinreise des Hofrats der Hofkanzlei, Beisitzers der Bücherzensurkommission und Mitglieds der Studienhofkommission, Johann Melchior Birkenstock (1738 - 1809), der als nicht unbedeutender österreichischer Aufklärer mit Graf Hertzberg „en relations littéraires" stand, um „durch einen von allem ministeriellen Schein entfernten Kanal" die An102 Joseph II. an Kaunitz (28. 7. 1789), Kaunitz an Joseph II. (29. 7. 1789; Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1789; Druck: [Beer] 1873, 336 - 338) mit ksrl. Apostille, Kaunitz an Joseph II. (31.7. 1789; Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1789; Druck: [Beer] 1873, 338 - 340) mit ksrl. Apostille, Kaunitz an Joseph II. (12. 8. 1789), dto. (24. 9. 1789; Ο in FA SB 70 Konv. NW KaunitzJoseph II.; Druck: [Beer] 1873, 342 - 344) mit ksrl. Apostille: StK Vorträge 146 Konv. 1789 VI - IX. Joseph II. an Leopold (6. 8. 1789; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 265 f.). Kaunitz an Mercy (28. 9. 1789; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. KaunitzMercy 1789 IX - XII), Partikularschreiben des Staatskanzlers (27. 9. 1789; ebd. Konv. Kaunitz-Mercy 1789; Druck: A&F 2, 266f.), Joseph II. an Mercy (28. 9. 1789; Druck: A&F 2, 264 - 266). - Joseph II. an Thugut (5. 8. 1789; KA Kabinettskanzlei HBP 51). - Noailles an Montmorin (11., 15., 18., 22., 25. 7., 5., 8., 12., 15., 18., 22., 26., 29. 8., 2., 5., 9., 12., 16., 19. 9. 1789), an Choiseul-Gouffier (15. 8. 1789): AMAE CP Autriche 357 u. 358. 17 Hochedlinger

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und Absichten des preußischen Kabinettsministers näher auszuforschen. Ein höchst „unpolitischer" Schachzug, wie der Fürststaatskanzler mit vollem Recht beklagte, als er im November 1789 erst post festum eingeweiht wurde. Während der kurzen Gespräche vom Oktober 1789 trachtete Hertzberg dem österreichischen Gegenüber seinen altbekannten Plan eines Ringtausches schmackhaft zu machen, die beiden Wien zugedachten Donaufürstentümer Moldau und Walachei im Gegensatz zu Galizien als wesentlich ertragreicher anzupreisen, die zu erwartenden preußischen Zugewinne aber herunterzuspielen und mehr unter dem minimierenden Aspekt einer bloß geringfügigen Grenzregulierung darzustellen. Wien hatte nichts erfahren, was man nicht schon aus der abgefangenen preußischen Korrespondenz wußte, dafür aber Hertzberg die einmalige und lang ersehnte Gelegenheit gegeben, einem offiziösen Beauftragten Österreichs direkt seinen „unverschämten Plan" zur entsprechenden Diskussion mitzuteilen und eine Stellungnahme quasi zu erzwingen, wo es doch für die bedrängte Wiener Politik so wichtig war, Preußen über die Absichten Österreichs im unklaren zu lassen. Birkenstock wurde schließlich einfach desavouiert 103. Die lange entbehrten Erfolge der österreichischen Waffen im Sommer und Herbst 1789 schienen schließlich Kaunitz und seinem gewagten Einsatz auf eine Politik der Härte recht zu geben. Deutliche Siege in den Donaufürstentümern - z.T. in Kooperation mit russischen Verbänden warfen die Türken fast völlig über die Donau zurück. Am 8. Oktober 1789 krönte die Einnahme Belgrads durch die Österreicher unter Laudon den letzten Höhenflug vor dem tiefen Fall. Kaunitz schrieb nicht nur den Feldherrntalenten des greisen Feldmarschalls, sondern auch sich und seinen andauernden Durchhalteappellen an den Kaiser wesentlichen Anteil an der Siegesserie zu. Im November 1789 fiel auch Bukarest in die Hände der Österreicher. Die Revanche für 1739 und 1788 kam dem sehr nahe, was Staatskanzler Kaunitz als idealste Voraussetzung für einen honorablen Friedensschluß galt, soferne man sich nicht ohnedies zu einer prinzipiell wünschenswerten Fortführung des Krieges entschließen mochte: totale türkische Entmutigung. Für Joseph II. freilich hieß das Zauberwort trotz der Wiener 103

Cobenzl an Joseph II. (2. 10. 1789; Druck: [Brunner] 1871, 94 f.), Cobenzl an Kaunitz (23. 11. 1789) mit den Gedächtnisnotizen Birkenstocks über seine Gespräche mit Hertzberg, Kaunitz an Joseph II. (29. 11. 1789): StK Vorträge 146 Konv. 1789 X - XII. Kaunitz hatte noch im Dezember 1788, sein Denken in „systematischen Erbfeindschaften" bestätigend, dem frz. Botschafter in Wien erklärt „que pour lui, prince de Kaunitz, il regarderoit toujours comme un insensé quiconque croiroit qu'on pouvoit faire quelque chose d'utile entre Vienne et Berlin comme entre Versailles et Londres": Noailles an Montmorin (22. 12. 1788; AMAE CP Autriche 355). - Zu Birkenstocks Biographie vgl. Weitensfelder 1996, 25 - 42. Die Mission Birkenstocks nach Berlin hat Schiitter 1907 ausführlich und unter Abdruck der relevanten Archivalien (auch aus preußischen Beständen) dargestellt.

III. Die Katastrophe

259

Siegesstimmung mit großem Te Deum im Dom zu St. Stephan (14. Oktober 1789) auch jetzt noch einzig und allein: Friede. Die Kommunikation mit den Russen, die das Feldzugsjahr 1789 mit der Einnahme der wichtigen türkischen Festungen Bender und Akkerman sehr erfolgreich abschlossen, funktionierte alles andere als zufriedenstellend, in Frankreich überschlugen sich die Ereignisse, strahlten in bedenklicher Weise in die Nachbarschaft aus und brachten die alte „Austrophobie" wieder an die Oberfläche. Als der Kaiser Anfang Oktober 1789 in einem Brief an die Zarin wieder einmal auf Herstellung des Friedens während der bevorstehenden Winterruhepause drängte, verwies er nicht nur auf den altbekannten Alptraum einer preußischen Diversion, sondern auch, ja vor allem auf den „espèce de délire", der spätestens in jenem „klassischen Revolutionsjahr" ganz Europa erfaßt zu haben schien. Ein von Freiheitsphrasen geblendeter Kontinent, der gewohnt war, „les modes françaises" zu übernehmen, erforderte ein schleuniges Ende der außenpolitischen Verwicklungen, um eben diese „effervescence" in Schach halten zu können. Mit dem faktischen Ausscheiden Frankreichs aus dem österreichischen Bündnissystem und dem definitiven Ende der russisch-französischen Allianzbemühungen (Graf Ségur reiste im Oktober 1789 über Wien zurück nach Paris, Frankreich war hinfort nur mehr durch einen Geschäftsträger in Petersburg vertreten) wollte man sich nun in Wien auch nicht länger gegen eine allfällige Annäherung Rußlands an England stellen, ja sich selbst sogar anschließen, soferne es nur gelang, den König von Preußen, den österreichischen Erb- und Erzfeind („ennemi naturel"), niederzuhalten104. d) Die zweite österreichische

Friedensinitiative

in Konstantinopel

Nach den jüngsten strahlenden Triumphen ließ sich die keineswegs neue Linie Wiens, sich nach außen als Friedenslamm zu verkaufen, das niemandem übelwollte und jedenfalls keine weitaussehenden Gewinnabsichten verfolgte, mit um so größerer Überzeugung steuern. In dem außenpolitischen Panorama, das die Staatskanzlei für den neuen k. k. Gesandten am schwedischen Königshof, Graf Ludolf, Anfang Oktober 1789 skizzierte, überwogen dementsprechend Mäßigung und Ausgleichsbemühungen. Österreich 104

Joseph II. an Katharina II. (2. 10. 1789; Druck: [Arneth] 1869, 338 f.); Joseph II. an L. Cobenzl (2. 10. 1789; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 358f.). Am 12. 10. 1789 verständigte Joseph II. den Staatskanzler vom Fall Belgrads (FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1789; Druck: [Beer] 1873, 344f.), Kaunitz an Joseph 11. (12. 10. 1789; StK Vorträge 146 Konv. 1789 X - XII; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 431). Joseph II. an Leopold (5., 12. u. 15. 10. 1789; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 277 - 280). - Noailles an Montmorin (23., 26., 30. 9., 1., 3., 4., 7., 10., 12., 14. 10. 1789; AMAE CP Autriche 358). - [Ségur] 1824/27, Bd. 3, 529 - 562, Waliszewski 1894, 276 - 280. 17*

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Β. Krise

wünschte, liest man hier, viel eher die Aufrechterhaltung der Pforte als große Erwerbungen auf ihre Kosten und habe im Vorfeld des Kriegsausbruchs entsprechend gehandelt. Nun machte man nicht etwa militärisches Versagen, sondern eben diese Sorge um die Existenz der Pforte als Grund für die eingeschränkten Operationen während des ersten Feldzugsjahres 1788 namhaft. Nicht einmal die unausgesetzte Verblendung der Pforte halte aber Österreich davon ab, im letzten nur Sicherung und Verkürzung der Grenzen sowie Entschädigung für die Kriegskosten zu verlangen. Danach sollte es weder von russischer noch von österreichischer Seite zu weiteren Anschlägen auf das politische Überleben der Pforte kommen. Das hohe Alter der Zarin, das dringende Ruhebedürfnis des russischen Reiches und die „Gemüthsbeschaffenheit" des Thronfolgers Großfürst Paul bestärkten die Staatskanzlei angeblich in dieser Hoffnung. Auch in Berlin scheiterten - so die Propaganda der Staatskanzlei in der Instruktion für den neuen k.k. Gesandten in Stockholm (Oktober 1789) die Wiener Bemühungen um „die künftige Herstellung eines ruhigen absichtslosen Verhältnißes" nur am üblen Willen der Preußen. „Ist es Begierde, eine denen etwas überspannten Begriffen seiner eigenen Macht und Furchtbarkeit entsprechende Rolle zu behaupten und dahero in allen großen und kleinen Weltgeschäften den Ton anzugeben?" Oder aber „unversöhnliche Scheelsucht und daraus fließende dringliche Vergrößerungsbegierde, die nie ruhen werden, biß nicht unser Erzhaus zum Ebenmaaß der preusischen Macht herabgebracht oder leztere zu dem unsrigen hinaufgeschwungen wäre?" 105 Einer weiteren und diesmal weniger umständlichen Friedensinitiative stand aber nun im Oktober 1789 nach dem Ausbrechen aus der lästigen Pattstellung, in der bisher jedem Annäherungsversuch an die Pforte der Beigeschmack der Selbsterniedrigung angehaftet war, nichts mehr im Wege. In Konstantinopel selbst waren die versponnenen Forderungen vom Juni 1789 bereits im September immerhin zugunsten eines echten status quo ante bellum aufgegeben worden, und den russischen Gesandten Bulgakow hatte man endlich freigelassen. Anfang Dezember 1789 saß dieser schon in Triest in österreichischer Quarantäne. Damit war eine wesentliche Vorbedingung für die Aufnahme von Friedensgesprächen erfüllt. 105

Instruktion für Graf Ludolf (1. 10. 1789; SA Schweden 70 Konv. 1789/4). Kaunitz an Rewitzky (21. 10. 1789; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1789). Die finanzielle Überforderung, die eine baldige Rückkehr zu friedlichen und geordneten Zuständen nach Ansicht der Staatskanzlei nicht nur für Wien wünschenswert machte, wurde in Österreich immer stärker fühlbar. In seinem Tagebuch notierte Graf Zinzendorf emsig die enormen Summen, die die Feldzüge gegen die Türken seit 1788 verschlangen. Vgl. etwa KA NL Zinzendorf TB 34 (21. 2., 14. 3., 25. 4., 1.8., 21. 11., 21. 12. 1789).

III. Die Katastrophe

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Ergriff man jetzt wieder die Initiative, so verlor man nicht das Gesicht, sondern gestaltete die Rolle des großmütigen Siegers in vorteilhafter Weise weiter aus und torpedierte vielleicht die immer gefährlicher werdende Hetze der Preußen und Schweden in Konstantinopel, über die man aus den Berichten des französischen Botschafters gut Bescheid wußte. Die Alternativen waren klar: Entweder wurde das Tor zum Frieden aufgestoßen und in weiterer Folge rasch der Verhandlungsweg beschritten, oder aber die Schuld nicht nur für den Beginn des Krieges, sondern auch für dessen Fortsetzung lastete einzig auf den Türken. In der vorteilhaft geänderten Situation des Oktober 1789 war es nun aber nicht mehr nötig, den französischen König als Sprachrohr der Kaisermächte vorzuschieben, man konnte direkt mit dem Sultan in Verbindung treten und schnitt jeglichen Vermittlungswünschen interessierter Mächte so den Weg ab. Botschafter Choiseul-Gouffier - für Kaunitz seit dem Schiffbruch der ersten Friedensinitiative lediglich ein eitler „poltron" - sollte nur mehr als Bote ohne jeden gestalterischen Freiraum mißbraucht werden, dem Sultan den Friedensantrag der beiden Kaiserhöfe in Form eines vorgefertigten Office der Staatskanzlei überreichen und im weiteren Verlauf die eigenständigen Bemühungen der Österreicher vom Goldenen Horn aus tatkräftig fördern. Choiseul-Gouffier wurde nur mehr insoferne geschmeichelt, als man befürchtete, daß er aus gekränkter Eigenliebe dem selbständigen Bemühen der Österreicher über seinen Kopf hinweg vielleicht Steine in den Weg legen würde. Wie wenig man ihm traute bzw. zutraute, beweist alleine die Tatsache, daß man die Note für die Hohe Pforte schon in Wien ins Türkische übersetzen ließ und ihm nur mehr die Überreichung zu treuen Händen übertrug. Botschafter Noailles und nicht minder Außenminister Montmorin waren mit der klar zutage tretenden neuen Linie Wiens, Frankreich keinen ernstzunehmenden Anteil an der Beendigung des Türkenkriegs einzuräumen, es zu mißbrauchen und auszutricksen, ansonsten aber die Sache direkt mit der Pforte zu regeln, kurzum mit der unerhörten Undankbarkeit Wiens höchst unzufrieden. Mit dem Office für Konstantinopel gedachte Wien im wesentlichen nur den parallellaufenden direkten Vorstoß zu unterstützen, den FM Laudon durch eine ähnliche Anregung gegenüber dem Großwesir im türkischen Kriegslager in Schumla zu führen hatte. So wie Potemkin von russischer Seite im Kriegsgebiet zur Einleitung von Friedensgesprächen bevollmächtigt war, sollten auf österreichischer Seite Laudon und - im Wege der Delegation - FM Sachsen-Coburg, der in der Walachei zur Beobachtung der Russen besser positioniert war, zu Verhandlungen autorisiert und zwei Sachverständige, die ehemaligen Internuntien Herbert und Thugut, für die faktische Abwicklung des geplanten Friedenskongresses in Bukarest oder Jassy zu Sachsen-Coburg entsandt werden.

Β. Krise

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Mitte Oktober 1789 stellte die Staatskanzlei das österreichische Office dem französischen Botschafter in Wien zur weiteren Beförderung nach Konstantinopel zu. Kurz und bündig und ohne übertriebene Friedenssehnsucht zu verraten - so der Wille des Staatskanzlers - durfte es auf ausdrücklichen Wunsch des Kaisers auch keine konkreten österreichischen Friedensbedingungen enthalten (Anfang Oktober sprach man in der Staatskanzlei noch vom uti possidetis und einer satten Reparationszahlung in der Höhe von 40 Millionen Piastern, das Ultimatum lag aber weit darunter), sondern nur allgemeine Bereitwilligkeit zum Frieden signalisieren. Denn weder wollte Joseph II. die Türken verschrecken, noch hatte man vor, sich durch zu große Offenherzigkeit dem französischen Verbündeten zu weit auszuliefern, dessen Bestreben ja auf einen möglichst raschen, nicht aber auf einen für Österreich besonders günstigen Türkenfrieden zielte. Das Ultimatum Wiens sollten erst die Verhandlungsdelegierten für den Friedenskongreß auf den Tisch legen. Vorerst ging es nur darum, die prinzipielle Bereitschaft der Türken zu einem (möglichst gemeinsamen) Frieden mit den Höfen zu Wien und Petersburg bestätigt zu erhalten, einem Abschluß „conforme aux circonstances actuelles", was die erhöhten Forderungen der Kaisermächte immerhin ankündigte106. Petersburg und Fürst Potemkin wurden von der neuen Initiative des Kaisers in Kenntnis gesetzt. Auch hier half das zurückgewonnene Selbstbewußtsein die Hemmschwelle überwinden. Nicht allein wie bisher die bittere 106

Ph. Cobenzl an Joseph II. (2. 10. 1789; Druck: [Brunner] 1871, 94f.), Kau1901, Bd. 2, 430f.) mit Beinitz an Joseph II. (5. 10. 1789; Druck: [Beer/Fiedler] lagen, Kaunitz an Joseph II. (6. 10. 1789) mit Beilagen, Kaunitz an Joseph II. (15. 10. 1789) mit ksrl. Apostille und Beilagen (Teildrucke: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 362 Anm. 1, 502f.), Vortrag Kaunitz (17. 10. 1789), Ph. Cobenzl an Joseph II. (21. 10. 1789; Druck: [Brunner] 1871, 98f.): StK Vorträge 146 Konv. 1789 X - XII; Kaunitz an Spielmann (13. 10. 1789; GK 406 Konv. E; Druck: [Schiitter] 1899a, 84), Spielmann an Kaunitz (14. 10. 1789; GK 406 Konv. E), Ph. Cobenzl an Kaunitz ([ca. 20. 10. 1789]; GK 406 Konv. A; Druck: [Schiitter] 1899a, 53). Kaunitz an Mercy (3. 11. 1789; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1789 IX XII), Partikularschreiben des Staatskanzlers (3. 11. 1789; ebd. Konv. Kaunitz-Mercy 1789; Druck: A&F 2, 280f.), Joseph II. an Mercy (3. 11. 1789; Druck: A&F 2, 273 - 275), Mercy an Kaunitz (18. u. 26. 11. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 IX - XII), Partikularschreiben dess. an dens. (18. 11. 1789; ebd. Konv. Mercy-Kaunitz 1789; Druck: A&F 2, 287f.), Mercy an Joseph II. (18. 11. 1789; ebd. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 281 - 286). Noailles an Kaunitz (9. 10. 1789), Kaunitz an Noailles (18. 10. 1789): SA Frkr. NW 14 Konv. V. d. frz. Botschaft/von Noailles bzw. A. d. frz. Botschaft/an Noailles. - Noailles an Kaunitz (16. 10., 2. 11. 1789), an Montmorin (17., 19., 21., 24., 28., 31. 10., 3., 8., 9., 11., 14., 18., 25., 28. 11., 1., 2., 12., 16. 12. 1789), Kaunitz an Noailles (17./18. 10., 3. 11. 1789), an Choiseul-Gouffier (17./18. 10. 1789), Montmorin an Noailles (3., 18. 11., 16., 22. 12. 1789), Choiseul-Gouffier an Noailles (8. 12. 1789) u. an Kaunitz (22. 9., 8. 12. 1789): AMAE CP Autriche 358.

III. Die Katastrophe

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Not, nein, die großen Erfolge ließen sich nun als wichtige Meilensteine auf dem Weg zum Frieden mit der Pforte verkaufen. Ein Friedensschluß, der die Aufmerksamkeit für die übrigen, immer gefährlicher werdenden Krisenherde freigeben sollte. Die Gefahr eines preußischen Angriffs im Rücken der Erblande lastete auf jedem Schritt der Wiener Politik. Schied man aber rechtzeitig und am Gipfel des Erfolgs aus dem Türkenkrieg aus, so konnte man sich noch auf den für Frühjahr 1790 erwarteten Angriff Preußens und Polens vorbereiten und zugleich durch die Zurschaustellung großzügiger Friedenswilligkeit Preußen vor dem Tribunal der internationalen Moral ins Unrecht setzen. Dies, der üble Zustand der habsburgischen Finanzen, die schlechte Ernte des Jahres 1789 und die fehlende Aussicht auf ernstzunehmende Hilfe aus Frankreich rechtfertigten sogar einen österreichischen Partikularfrieden, auch im Interesse der Zarin 107 .

3. Frankreich „en révolution 44

a) Das neue Frankreich Wir haben die innenpolitische Entwicklung in Frankreich im Herbst 1788 verlassen (S. 138). Die Darstellung der für Österreich zunehmend bedenklichen internationalen Ereignisse bis Oktober 1789 hat bereits erwiesen, daß sich der westliche Bündnispartner Wiens durch den 1787 erst langsam in Gang kommenden Erneuerungsprozeß noch keineswegs für eine Rückkehr auf die Bühne der Weltpolitik hinreichend konsolidiert hatte, sondern im Gegenteil erst dem Tiefpunkt seiner Weltgeltung entgegensteuerte. Botschafter Mercy berichtete weiterhin en détail über die innerfranzösischen Vorgänge 108, freilich in dem nicht eben schmeichelhaften Wissen, daß seine minutiösen Relationen über die Vorgänge am Hof von Versailles und in der französischen Hauptstadt für die an anderen Krisenherden interessierten staatspolitischen Kalkulationen der Staatskanzlei ihren einstigen Stellenwert längst eingebüßt hatten und jetzt bestenfalls noch beeindruckendes Anschauungsmaterial für den tiefen Fall des französischen Verbündeten lieferten. Der Kurierdienst zwischen Wien und Paris geriet ins Stocken, und auch die Partikularkorrespondenz zwischen Mercy, Kaunitz und Kaiser Joseph II. schien sich in dem Maße auszudünnen, in dem Frankreich auch 107 Joseph II. an Katharina II (12. u. 19. 10. 1789; Druck: [Arneth] 1869, 340 342). Kaunitz an L. Cobenzl samt P. S. (19. 10. 1789; SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Expeditionen 1789), Joseph II. u. Kaunitz an L. Cobenzl (12. u. 19. 10. 1789), L. Cobenzl an Joseph II. (24., 31. 10., 14. 11., 2. 12. 1789): [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 359 - 372. Noailles an Kaunitz (30. 11. 1789; SA Frkr. NW 14 Konv. V. d. frz. Botschaft/von Noailles). 108 Vgl. ausführlich Hochedlinger 1997 a, Bd. 1, 187 - 207.

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Β. Krise

für die bescheidensten Hilfsdienste zugunsten der Wiener Politik einfach nicht mehr zu mobilisieren war. Den Historiker der Französischen Revolution muß dies nicht genieren; er wird dem Botschafter für den informationsgesättigten, kaum noch durch außenpolitisch-diplomatischen „Ballast" getrübten „Blick hinter die Kulissen" der französischen Innenpolitik ewig dankbar sein müssen: für die eingehende Schilderung der Debatten um die Zusammensetzung der für 1789 einberufenen Generalstände; für seine Kritik an den in seinen Augen bereits deutlich anti-monarchischen „cahiers des instructions et des doléances" der Abgeordneten sowie an dem folgenschweren Versäumnis des Hofes, die Wahl der Deputierten zu beeinflussen, oder für seine sichtlich gelangweilte Würdigung der Eröffnungssitzung der Generalstände am 5. Mai 1789, der er persönlich beiwohnte. Das Jahr 1789 verlieh dem französischen Transformationsprozeß zugleich einen neuen, „populären" Charakter, der einem Grandseigneur von Mercys Format nicht behagen konnte: Der Tiers Etat, der sich am 17. Juni 1789 endlich als Assemblée Nationale konstituierte, etablierte sich als treibende Kraft, und sogar die städtischen und ländlichen Unterschichten - der „Pöbel" eben - verschafften sich durch Ausschreitungen und Lynchjustiz in nie dagewesener Form politisch Gehör; die Stadt Paris wurde zur allmächtigen Revolutionszentrale. Schon im Mai 1789, als die Revolution ihr gemäßigtes Fahrwasser noch nicht verlassen hatte, stand für den k.k. Botschafter, dessen Francophilie angesichts seiner zunehmenden, fast schon „rassistischen" Kritik an französischer Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit zumindest zweifelhaft scheint, eines außer Streit: „cette nation, qui prétend à tous les genres d'esprit et de connaissances, a perdu jusqu'aux moindres traces d'aptitude à se conduire, qu'elle a renoncé à son ancienne affection pour ses maîtres et qu'elle est pervertie dans tout ce que peut et doit dicter le patriotisme et la raison", schrieb er Kaiser Joseph II. Frankreichs Status als führende Kulturnation der europäischen Aufklärung mußte daher im Zuge der sommerlichen Radikalisierung der revolutionären Entwicklung in den Augen Mercys unwiederbringlichen Schaden nehmen. Von Laxenburg aus hatte Joseph II. noch im Mai kluge Ratschläge erteilt und vor allem empfohlen, die Generalstände nur als Konsultativorgan zu betrachten, jede Bindewirkung ihrer Beschlüsse zu leugnen und sie schließlich als erwiesenermaßen unnütz aufzulösen. Staatskanzler Kaunitz sah, mit einem gerüttelt Maß Schadenfreude ein altes Steckenpferd reitend, in der tiefen Krise der französischen Monarchie „les tristes effets des charlatanismes politiques de M. de Vergennes"109. Ludwig XVI. schien 109 Mercy an Kaunitz (11., 20., 27. 5., 4., 10., 17. 6. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 IV - VI), an Joseph II. (10. 5., 4. 6. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 238 - 240, 247f.); Joseph II. an Mercy (17. 5. 1789; Druck: A&F 2, 241 f.), Joseph II. an Mercy (17. 6. 1789;

III. Die Katastrophe

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zunächst gleichsam den österreichischen Ratschlag zu befolgen und suchte in einer feierlichen „séance royale" am 23. Juni 1789 die Offensive des Tiers Etat abzuwehren. Eine reaktionäre Kabale um die Prinzen von Geblüt und die Tanten des Königs drohte nach den Beobachtungen des k.k. Botschafters die Oberhand zu gewinnen. Den raschen Rückzug am 27. Juni und die königliche Zustimmung zur Vereinigung der Deputierten aller drei Stände zu einer echten Nationalversammlung schrieb Mercy seinem dringenden Rat an die Adresse der verzweifelten Königin zu. Schon am 11. Juli 1789 wurde indes der als Hoffnungsträger des Dritten Standes gehandelte Finanzminister und starke Mann des Kabinetts, Necker, entlassen. Der im Sommer 1788. zurückgetretene Minister des königlichen Hauses, Baron de Breteuil, wurde als Chef du conseil royal des finances an die Spitze eines neuen „Ministeriums der eisernen Hand" gestellt. Auch Saint-Priest und Montmorin verloren ihre Posten; das Portefeuille des Äußeren übernahm Montmorins Konkurrent aus dem Jahre 1787, Duc de la Vauguyon. Das weitverbreitete Bild einer „reaktionären Verschwörung" zur blutigen Niederwerfung der Revolution mit Hilfe großangelegter Truppenkonzentrationen im Raum Paris ist in jüngster Zeit v.a. unter Hinweis auf die völlig uneinheitliche und letztlich hilflose Linie des Hofes zugunsten einer nuancierteren Betrachtung revidiert worden. Der Wille zu einem rücksichtslosen Militäreinsatz fehlte; selbst das Vorhaben, die Assemblée Nationale gleich einem widerspenstigen Parlement zu behandeln und ihr eine Liste königlicher Zugeständnisse als nec plus ultra aufzunötigen, scheiterte 110. Das „Ministerium der 100 Stunden" zerbrach am Pariser Volkszorn, der in der Erstürmung der Bastille am 14. Juli 1789 einen symbolischen Triumph feierte. Das entlassene Kabinett Necker wurde zurückberufen, die „Revolte" war zur Revolution geworden. Mit den führenden Köpfen der gescheiterten Reaktion - allen voran der Bruder des Königs, Comte d'Artois - flüchteten in den folgenden Tagen die ersten französischen „Emigranten" ins Ausland, von wo sie bald zum Kreuzzug gegen die Revolution bliesen. Schon Mitte Juli 1789 glich das Versailler Schloß einer „Einöde" - jedenfalls in den Augen Mercys, der noch die glänzenderen Tage Ludwigs XV. miterlebt hatte. In Wien hatte der Kaiser von der „erfolgten grossen Revolution" zuerst durch Nachrichten des österreichischen bevollmächtigten Ministers in Brüssel, Trauttmansdorff, erfahren und seitdem gespannt auf Mercys detailliertere Einberichtungen gewartet; eine Einschätzung der „geheimen Triebfedern" oder gar eine Prognose wollte man noch nicht wagen. In einem Druck: A&F 2, 249f.), Partikularschreiben Kaunitz' an Mercy (17. 6. 1789; wie Anm. 101). no y g] Price 1990 gegen die alte, etwas resolutere Interpretation von Caron 1906/07. [Barante] 1929, Bd. 1, 229 ff.

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Β. Krise

ersten Schreiben an Mercy ließ der Kaiser jedenfalls seinem Abscheu über die Vorfälle in Paris freien Lauf: die französische Anarchie und besonders „les moyens humiliants qu'avec recherche on a pris pour déshonorer à la face de tout l'univers le chef et le représentant de la Nation, savoir le Roi, ne peuvent être conçus et ne seront pas crus d'ici en un siècle quand on en lira l'histoire". Die neue, weit über die englische hinausreichende Verfassung erwartete Joseph mit Spannung; „les états généraux, en connivant ou peut-être même en excitant cette émeute populaire à Paris, n'ont pas réfléchi que ces mêmes portefaix, décrotteurs, garçons de boutique etc. qui ont obligé le Roi par leur révolte à céder de son autorité pourront d'autant plus facilement, et le voudront pour sûr, donner la loi aux états généraux et à toute la France." In Brüssel aber kam Graf Trauttmansdorff - wenige Monate später sollte er selbst vor rebellischen Untertanen auf der Flucht sein - angesichts der weichlichen Haltung und der extremen Kompromißbereitschaft Ludwigs XVI. nicht mehr aus dem Staunen. „II [der König] renvoie ses troupes, il tend les mains pour qu'on les lui lie, et on redouble encore l'appareil vraiment hostile qu'on appelle précaution. Ce n'est pas pour en revenir à 200 ans, comme ici; ils sont bien plus sages encore - ils en reviennent à Adam, car le premier objet dont va s'occuper l'Assemblée pour former une nouvelle constitution est l'examen des droits de l'homme. Il est à espérer qu'ils n'oublient pas que leur Roi en est un aussi."

Botschafter Noailles dagegen zog, als er Mitte August 1789 die Wiener Reaktionen auf die ungeheuerlichen Vorfälle in Paris für das französische Außenministerium analysierte, eine klare Trennlinie: „la masse du public" begrüße, schrieb er, die Nachgiebigkeit Ludwigs XVI., der so Frankreich großes Unglück erspart hätte, der Hof und die Spitzenbeamten aber schienen auf das Äußerste pikiert, und Staatskanzler Kaunitz brachte sofort die Rede auf ein Kernproblem der nächsten Jahre: Auf das Schicksal der französischen Emigranten, die ihrem Mutterland den Rücken zu kehren begannen. Eine in Frankreich bald und zunehmend hysterisch befürchtete Intervention des Kaisers kam freilich überhaupt nicht in Frage; hier waren sich Joseph II. und Kaunitz völlig einig 111 . 111 Kaunitz an Mercy (3. 8. 1789; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1789 VI - VIII), Joseph II. an Mercy (3. 8. 1789; Druck: A&F 2, 259 - 261). Joseph II. an Leopold (9. 7. 1789; [Arneth] 1872, Bd. 2, 260). Vgl. weiters über die ersten Reaktionen in Wien: Kaunitz an Joseph II. (25. 7. 1789; Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1789; Druck: [Beer] 1873, 335 f.), Ph. Cobenzl an Joseph II. (31. 7. 1789; Druck: [Brunner] 1871, 91 f.): StK Vorträge 146 Konv. 1789 VI - IX; Kaunitz an Ph. Cobenzl (25. 7. 1789; Druck: [Schiitter] 1899a, 51); Joseph II. an Leopold (27., 30. 7. u. 3. 8. 1789; [Arneth] 1872, Bd. 2, 263 - 265). Der inhaltsarme Postbericht Mercys vom 17. 7. 1789 (SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 VII - VIII) und seine Flucht aufs Land erregten den Unwillen des Kaisers, der auf dem vorgenannten Brief Cobenzls erzürnt vermerkte: „Mercy a fait là un vilaine cacade, voillà comme agissent les égoïstes." Joseph II. an Trautt-

III. Die Katastrophe

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Bislang war die rasante innenpolitische Talfahrt Frankreichs als logische Folge von Mißwirtschaft und Konzeptlosigkeit, als unausweichliche Konsequenz einer katastrophalen Finanzlage erschienen. Die Revolution der Stadt Paris durchbrach diesen konventionellen Rahmen und machte neue Überlegungen zur französischen „crise violente" nötig. Mercy war noch unschlüssig, teilte aber das Vorurteil vieler Zeitgenossen, daß „popularische Exzesse" das Ergebnis finsterer Machenschaften sein mußten ... Ansätze zu der später so beliebten „Verschwörungstheorie": Dem Herzog von Orléans, aber auch Monsieur, dem Bruder des Königs, sowie dem Comte de Mirabeau wurden bald allgemein düstere Machinationen unterstellt; Großbritannien, hieß es, stecke „mit unter der Decke" und feuere die innenpolitische Krise seines Rivalen Frankreich insgeheim mit Geld an 112 . Die turbulenten Julitage brachten auch den Einbruch einer neuen Komponente in das Leben der Auslandsvertretungen in Paris. Zum verstärkten Druck des „Publikums", wie man damals sagte, also der sich immer deutlicher artikulierenden „öffentlichen Meinung", die bislang in der außenpolitischen Aktion der Kabinette eine sehr beschränkte Rolle gespielt hatte, gesellten sich gewissermaßen als Speerspitze die handgreiflichen Pressionen der Straße, des „Pöbels", ob spontan auftretend oder geschickt organisiert. Die Diplomaten, bisher durch ihre verbrieften Vorrechte verwöhnt, sahen sich mehr und mehr in den Strudel der revolutionären Turbulenzen hineingezogen, in denen diplomatische Immunität und zwischenstaatliche Courtoisie keine unübertretbaren Schranken darstellten. Besonders die k.k. Botschaft mußte nun fürchten, die Unbeliebtheit der österreichischen Allianz von 1756 am eigenen Leib zu verspüren, wie ja der bis zur Lynchjustiz gehende Volkszorn auch unbeliebte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und selbst die „geheiligten Personen" der königlichen Familie nicht mehr schonte. Angst vor Übergriffen der Pariser Bevölkerung und der „revolutionären" Stadtverwaltung prägten das Alltagsleben. Eine Proskriptionsliste kursierte, auf der sich auch der Name Mercys fand, „weil", wie der Botschafter die Staatskanzlei im Juli 1789 wissen ließ, „man mich als den mansdorff (26., 29. 7. 1789; Druck: [Schiitter] 1902, 319 - 323, 325 f.). Blanning 1994, 203. - Ein am 2. August 1789 in Wien angelangter Brief der Königin an den Kaiser ist nicht erhalten, ebensowenig die Antwort des Kaisers. Einen (unechten?) Brief der Königin vom 26. 7. 1789 gibt [Feuillet] 1864 - 1873, Bd. 3, 181. Zur Veranlassung der Beantwortung jedenfalls: Joseph II. an Kaunitz (3. 8. 1789; StK Vorträge 146 Konv. 1789 VI - IX). - Trauttmansdorff an Joseph II. (19. 7. 1789; Belgien DD A Berichte 315; Druck: [Schiitter] 1902, 314). Kaunitz an Trauttmansdorff (29. 7. 1789; Belgien DD A Weisungen 64): „Nous ne pouvons sans doute pas nous en mêler en manière quelconque ...". - Noailles an Montmorin (12. 8. 1789; AMAE CP Autriche 357). 112 Mercy an Kaunitz (4. u. 23. 7. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. MercyKaunitz 1789 VII - VIII).

Β. Krise

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vertrauten Rathgeber der Königin und somit als denjenigen betrachten will, der die Entfernung des Monsieur Neckers sowie die Zusammenziehung der um Paris und Versailles liegenden Truppen veranlaßet hätte." Der Botschafter flüchtete sich schließlich nach dem 14. Juli auf sein in Äquidistanz zu Versailles und Paris gelegenes Landgut Chennevières, etwa 30 km nördlich der Hauptstadt an der Seine gelegen, von wo aus er - von einer größeren Zahl Bewaffneter abgeschirmt - leichter mit der Königin in Kontakt zu kommen hoffte. Regelmäßig datierten nun die Berichte an die Staatskanzlei „von dem Lande unweit Paris" oder „auf dem Lande". Aber selbst auf seinem Landsitz fand der Botschafter, wie sich zeigen sollte, keine Ruhe vor allerhand Nachstellungen. Das Pariser Gesandtschaftspalais wurde zwar von einem starke Detachement der Nationalgarde bewacht, aber auch das „Wachpersonal" ließ sich Irregularitäten zuschulden kommen. Die anarchische Situation in und um Paris ließ sogar an der Sicherheit der k.k. Leibgardekuriere zweifeln, so daß selbst für die Kurierpost bisher ungewohnte Vorsichtsmaßnahmen wie etwa die Chiffrierung angezeigt schienen. Auch der direkte Kontakt Mercys mit der Königin sollte zugunsten eines intensiveren Briefverkehrs eingeschränkt werden, wozu Marie-Antoinette selbst riet, um den kursierenden üblen Gerüchten nicht noch mehr Nahrung zu geben113. Auch die diplomatische Berichterstattung hatte sich spätestens jetzt auf die Kräfteverschiebung in der französischen Innenpolitik einzustellen und damit neben der Beobachtung des revolutionären Prozesses - des „Anarchiegeistes" - auf die Beratungen in der Nationalversammlung zu konzentrieren. Schon im Laufe der prärevolutionären Krise hatte Mercy klar erkannt, daß es zunehmend um die prinzipielle Frage der Kompatibilität von Königtum und Staatsreform ging 114 . Die Bilanz aus der österreichischen „Revolutionsperzeption" der Jahre bis 1790 ist schnell gezogen: Erniedrigung und Herabsetzung des Königs, Verfall der exekutiven Gewalt, 113

Mercy an Kaunitz (17. 7. [wie Anm. 111], 23. 7. [wie Anm. 112; Zitat], 17. 8. 1789 [wie Anm. 101]), Kaunitz an Mercy (3. 8. 1789 [wie Anm. 101]); Mercy an Montmorin (19. 7. 1789; FA SB 71 d. C). - Vgl. auch den Bericht des belgischen Kuriers Strens über seine Sendung nach Paris im Juli 1789 (28. 7. 1789), abgedr. bei [Schiitter] 1902, 686 - 688 Anm. 584. 114 Vgl. etwa Bericht vom 2. 9. 1789 zur Erklärung der Menschenrechte und zu den beginnenden Beratungen über die Artikel der neuen Verfassung. Zur Veto-Frage Bericht vom 6. 9. 1789 und zu weiteren Beratungen und wesentlichen von der Versammlung dekretierten Verfassungsbestimmungen sowie zu Einzelreformen: Mercy an Kaunitz (17. 8. 1789; wie Anm. 101) zur Abschaffung des Feudalregimes, Berichte (9., 16., 23., 30. 9., 27. 10., 4. 11. 1789) zur Verstaatlichung des Kirchenbesitzes, Bericht (18. 11. 1789) zur bevorstehenden Aufhebung der Parlements und zur administrativen Neuordnung Frankreichs usw. Alle Berichte Mercys in SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 IX - XII.

III. Die Katastrophe

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schleppende oder mangelnde Durchsetzung der Verordnungen wegen des fehlenden Zugriffs auf die bewaffnete Macht, langsame Arbeitsweise der Versammlung. Dabei spielte sich auch immer wieder der Verdacht in die Mutmaßungen vieler Beobachter, die scheinbar spontanen Unruhen und Hungerrevolten könnten durch Intrigen von innen, aber auch aus dem Ausland gesteuert sein. „Politische Verschwörungen" unter mysteriöser Verwicklung prominenter Figuren des öffentlichen Lebens gehörten nun, so wollte es scheinen, zum Alltag. Die Anfang Oktober erfolgte gewaltsame Verbringung der königlichen Familie von Versailles nach Paris war neben dem 14. Juli sicher eine der folgenschwersten »journées révolutionnaires" und lieferte reichlich Stoff für allerlei Vermutungen über mögliche Hintermänner und Anstifter. „Der mit Bürgerwache umgebene und von allem glänzenden Gepränge, welches vormals die große Macht des hießigen Monarchens ausgezeichnet hatte, entblößete Hof stellt eine gefangene Familie vor, welche er auch in der That ist", erklärte Mercy, der selbst zufällig Augenzeuge der Erstürmung des Königsschlosses durch das aus Paris herbeigeströmte Volk gewesen war, im November 1789 in aller Offenheit und gab damit sicher auch die Meinung der Königsfamilie wieder 115 . Nach der Übersiedlung in die noch wenig komfortablen Tuilerien folgten bald auch die Nationalversammlung, die in der Manège der Tuilerien ein Unterkommen fand, und die verschiedenen Zweige der Zentralverwaltung, darunter auch das Außenministerium. Das umständliche Hin- und Herreisen zwischen Paris und Versailles hörte nun für die Diplomaten endlich auf 116 . 115

Mercy an Marie-Antoinette (6., 10., 25. 10. 1789; FA SB 71 d. C; Druck: [Feuillet] 1864-1873, Bd. 1, 250f., 256, 274f.), Marie-Antoinette an Mercy (7., 10. 10. 1789; FA SB 71 d. A/o.K. bzw. Konv. 1789; Druck: [Rocheterie/Beaucourt] 1895/96, Bd. 2, 146 - 149), Mercy an Montmorin (6., 9., 13. 10. 1789; FA SB 71 d. C; Druck der Schreiben vom 9. u. 13. 10. 1789: [Feuillet] 1864 - 1873, Bd. 1, 253 - 255, 264 - 266). Mercy an Kaunitz (13. 10. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 IX - XII), Partikularschreiben an dens. (12. 10. 1789; ebd. Konv. Mercy-Kaunitz 1789; Druck: A&F 2, 269 - 271), Mercy an Joseph II. (12. 10. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 267 - 269), an Kaunitz (18. 11. 1789 [Zitat]; wie Anm. 106); Kaunitz an Mercy (3. 11. 1789; wie Anm. 106). Auch für Joseph II. stand fest, daß der König und seine Familie, aber auch die Nationalversammlung jetzt Gefangene der Pariser Munizipalität waren, ... „la racaille de Paris va être le despote de toute la France": Joseph II. an Leopold (19. u. 22. 10. 1789; [Arneth] 1872, Bd. 2, 281 f.); Joseph II. an Trauttmansdorff (17. 10. 1789; Druck: [Schiitter] 1902, 428). - Zu Recht ging das französische Außenministerium von katastrophalen Folgewirkungen der Ereignisse von Anfang Oktober 1789 im Ausland aus: Montmorin an Noailles (11. 10. 1789; AMAE CP Autriche 358). Auch Kaunitz war zu dieser Zeit, wie der über Wien aus Petersburg zurückreisende Comte de Ségur in seinen Memoiren berichtet ([Ségur] 1824, Bd. 3, 560), über die Zustände in Frankreich („démence & frénésie") höchst unzufrieden. Minister Saint-Priest bestätigt übrigens in seinen Memoiren die Schilderung Mercys über seine „Verwicklung" in den Sturm auf das Schloß von Versailles am 6. Oktober 1789: [Barante] 1929, 19 f.

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Β. Krise

Mercy war freilich klug genug, der „Verschwörungstheorie" nicht im Übermaß zu huldigen und darüber die „causes profondes" der revolutionären Erschütterung - „une longue suite d'abus énormes et invétérés", wie er dem Kaiser im Oktober 1789 berichtete - nicht zu vergessen117. Zwar war noch nicht jede Hoffnung auf eine französische Selbsterneuerung aus der Krise aufgegeben, aber dieser vage Hoffnungsschimmer schien recht matt gemessen an der in der Realität durchaus katastrophalen Lage. „Dieße Monarchie", so urteilte Mercy Mitte August 1789, „löset sich von allen Seiten auf, die Nation äußert eine an ihr bisher unerkannte Grausamkeit und Verwilderung. Die Entschließungen der Landesstände legen einen wahren Wahnsinn, eine Unwissenheit in Regierungssachen, einen Despotismum und solche Ungerechtigkeiten an Tag, die durch Emigrationen und den gänzlichen Verfall des Handels und der Kunst Frankreich nach und nach zugrundrichten müssen."

Der Wille des Königs bedeutete, wie Joseph Π. im September 1789 richtig urteilte, nichts mehr, über die weiteren Schritte Frankreichs bestimmten die Generalstände. Und von ihnen ließ sich nichts Gutes erwarten 118. b) Die Explosion der anti-österreichischen

Stimmung in Frankreich

Verkörperte die Königin von jeher in den Augen vieler die unheilbringende Allianz mit Österreich und, was vorerst noch schwerer wog, die Hauptübel des Ancien Régime, so liegt es nahe zu vermuten, daß mit zunehmender Lockerung der königlichen Allgewalt und wachsender oppositioneller Haltung weiter Kreise so manche in ihr auch eine beliebte Zielscheibe des unverhüllten Spottes und der offen haßerfüllten Kritik fanden. Mit diesem Bild und entsprechenden Schimpfnamen wie „l'Autrichienne" oder „Madame Déficit" ist Marie Antoinette denn auch in die Geschichte eingegangen119. Die zusehends feindliche Stimmung gegen die Königin erschien weder Botschafter Mercy noch Marie-Antoinette selbst gerecht, immerhin konnte 1.6

Boulant 1989 sowie den Ausstellungskatalog La famille royale à Paris 1993. Allgemein Solnon 1987, 421 - 527, Mansel 1988. 1.7 Mercy an Joseph II. (12. 10. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 267 - 269). 1.8 Mercy an Kaunitz (17. 8. [wie Anm. 101], 6. 9. [wie Anm. 114], 23. 9. 1789 [wie Anm. 114]), Joseph II. an Mercy (28. 9. 1789; wie Anm. 102). 119 Die Unbeliebtheit der Königin als Angelpunkt der Österreichfeindlichkeit bliebe noch näher und über die brauchbaren Ausführungen von Arnaud-Bouteloup 1924 hinaus zu untersuchen. Einen ersten Schritt setzte Alméras [ο. J.]. Eine andere Richtung verfolgten Fleischmann 1908/1976 und Thomas 1989 a, eine Studie, die sich den pornographischen Pamphleten gegen Marie-Antoinette widmet. Vgl. ebenso Thomas 1989 b, dies. 1999. Nunmehr im größeren Zusammenhang der austrophoben Stimmung Hochedlinger 1997 b und Savage 1998.

III. Die Katastrophe

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sie das wesentliche Verdienst für sich in Anspruch nehmen, an den anfänglich allgemein begrüßten weichenstellenden Personalentscheidungen der letzten Jahre prominenten Anteil genommen zu haben: die Entlassung Calonnes, die Berufung Loménie de Briennes und schließlich Jacques Neckers wurden überwiegend von der Königin und dem sie führenden Mercy betrieben oder ausverhandelt. Daß ihr Einsatz in Fragen der Personalpolitik das erhoffte Ergebnis nicht erzielte und sich dadurch ihre Stellung in der öffentlichen Meinung auch nicht verbesserte, machte sie nach Einschätzung Botschafter Mercys immer unruhiger und furchtsamer und damit für die k. k. Diplomatie gleichzeitig mit der französischen Allianz selbst zu einem unbrauchbaren Instrument. Nicht so sehr die Person Marie-Antoinettes aber, sondern vielmehr ihre „alentours", die Polignac-Clique und ihre unverschämten Räubereien und Mißbräuche auf Kosten des Staates, waren für den k.k. Botschafter am Ruf der Königin und der „malveillance générale" schuld; doch konnte sich die Monarchin ungeachtet aller Bemühungen Mercys und des Kaisers und der Abnahme des Einflusses ihrer „alentours dévorants" von ihren alten Gewohnheiten noch nicht völlig lösen 120 . Dem auf ihr lastenden extremen Erwartungsdruck, das eigentliche Haupt der königlichen Familie zu sein, scheint Marie-Antoinette - das mußte auch der mit anderen stets extrem kritische Botschafter konzedieren - mit Fortschreiten der Revolution immer besser entsprochen zu haben. Der Monat des Bastille-Sturms brachte mit der ersten Emigrationswelle auch eine Erleichterung: Endlich waren die schon seit so langer Zeit von Mercy bekämpften Polignacs der Revolution zum Opfer gefallen und ins Ausland geflohen. Freilich: Mercys Mitstreiter gegen die „coterie", Abbé de Vermond, hatte sich schließlich ebenfalls nach Brüssel absetzen müssen121. Die feste und auf Gewinnung der öffentlichen Meinung abzielende Haltung der Königin 120

Mercy an Kaunitz (19. 3. 1788; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1788 I - IV), Partikularschreiben dess. an dens. (18. 7. 1788; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1788; Druck: A&F 2, 185), an Joseph II. (14. 7. [wie Anm. 47], 14. 8. [wie Anm. 37], 15. 9. [wie Anm. 50], 18. 10. [wie Anm. 37], 23. 2. [wie Anm. 37], 18. 7. 1788 [wie Anm. 39]), ders. an dens. (14. 9. 1788; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 189 - 196); Joseph II. an Mercy (6. 10. [wie Anm. 37]), ders. an dens. (5. 11. 1787; Druck: A&F 2, 133 - 135); Joseph II. an Marie-Antoinette (5. 11. 1787; Druck: [Arneth] 1866, llOf.). - Freiherr von Thugut fällte aus der Erfahrung eines längeren Frankreichaufenthalts noch im Herbst 1787 ein vernichtendes Urteil über König und Königin: „[...] le roi de France est méprisé et la Reine haïe, [...] elle est à 32 ans plus frivole qu'elle n'étoit à 25 [...]". Auch in Wien sprach man von einem mißverständlichen (lesbischen?) Verhältnis der Königin zur Duchesse de Polignac, deren Marie-Antoinette im Kampf gegen die Langeweile bedurfte: KA NL Zinzendorf TB 32 (2. 10. 1787). 121 Mercy an Joseph II. (10. 5. 1789; wie Anm. 93), ders. an dens. (23. 7., 17. 8. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 256 - 258, 261 f.), an Kaunitz (23. 7. 1789; wie Anm. 112) sowie Partikularschreiben Mercys an den Staatskanzler (23. 7. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz

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Β. Krise

fand nun auch das Lob Mercys, der zwar der Königin „douceur" und „patience", ja ostentative Zurückhaltung empfahl, die politische Schwäche des Königs aber lebhaft geißelte. „Elle semble oublier tout ce qui lui est personnel et ne s'affecter que de ce qui intéresse la chose publique, sans cependant vouloir y influer en rien", vermochte aber in bezug auf das Allianzsystem nur wenig gegen den „délire offensant de la nation" und ein zügelloses „projet de liberté chimérique"; „dans ces temps malheureux où chacun s'arroge le droit de former des systèmes et de les faire valoir, tout devient confusion et désordre" 122. In Summe mußte freilich außer Streit stehen, daß Marie-Antoinette nicht der Kitt war, der die brüchige Achse Wien-Paris weiter zusammenhielt, sondern vielmehr eine eben diese Allianz zersetzende Kraft. Sogar Außenminister Montmorin gab Mercy im Oktober 1790 zu bedenken, „daß die bisher geäusserte Entfernung der Nation von unserem allerhöchsten Hofe hauptsächlich von der persönlichen Abneigung gegen die Königinn von Frankreich herrühre" 123. Die innenpolitischen Schwierigkeiten und Autoritätsprobleme, besonders aber die Lockerung der Zensur im Vorfeld der Einberufung der Generalstände noch im Laufe des Jahres 1788 führten zu Pamphletkämpfen und einer Überflutung Frankreichs mit publizistischen Erzeugnissen, in denen sich nun auch die antiösterreichische Stimmung breiter Kreise deutlicher als bisher Luft zu verschaffen vermochte. Für die österreichische Seite besonders ärgerlich war der Ende April 1789 erschienene Orateur des Etats-Généraux pour 1789 von Jean-Louis Carra, der sich „tolldreiste" Anschuldigungen gegen den Wiener Hof erlaubte und seinen Landsleuten im Resümee Mercys von Anfang Juni 1789 nicht weniger nachzuweisen suchte, als „lo daß das bestehende Allianzsistem dem hiesigen nicht allein ganz unnütz, sondern wirklich schädlich sey, 2o daß seit dessen Bestand unser Hof von hieraus sehr beträchtliche Summen Geldes gezohen habe und noch wirklich ziehe, 3o daß die niederländischen Unterthanen eingeladen werden sollten, die oesterreichische Oberherrschaft abzuschütteln, sich an die hiesige Landesstände zu wenden und sich sodann an solche zu ergeben." 1789; Druck: A&F 2, 258f.). Mercy an Marie-Antoinette (16. 8. 1789; FA SB 71 d. C; Druck: [Feuillet] 1864 - 1873, Bd. 1, 242 f.). 122 Mercy an Joseph II. (12. 10. [wie Anm. 115], 18. 11. 1789 [Zitat; wie Anm. 106]), ders. an dens. (13. 10. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Joseph II.; Druck: A&F 2, 271 - 273), an Kaunitz (12. 10. [wie Anm. 115], 27. 10. [wie Anm. 114], 18. 11. 1789 [wie Anm. 106]). Mercy an Marie-Antoinette (21. 10. 1789 u. 4. 1. 1790; FA SB 71 d. C; Druck: [Feuillet] 1864 - 1873, Bd. 1, 268 - 271, 283). 123 Mercy an Kaunitz P. S. (4. 10. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. MercyKaunitz 1790 IX - X).

III. Die Katastrophe

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Ein stillschweigendes Übergehen der Anwürfe war nicht mehr möglich, als sich der Botschafter eingestehen mußte, daß die Behauptungen, besonders was die angeblichen Geldsendungen nach Wien betraf, beim Publikum und selbst in Versailles Glauben fanden. Eine vorerst inoffizielle Beschwerde beim französischen Außenminister sollte die österreichische Empörung unterstreichen und ein öffentliches Désaveu etwa in Gestalt eines Arrêt du Conseil nach sich ziehen; schließlich behielt es mit einer Zurückweisung der Unterstellungen, von denen der Vorwurf von Finanzzahlungen an Österreich in der Höhe von mehreren hundert Millionen gewiß am schwersten wog, durch ein förmliches Schreiben des französischen Außenministers sein Bewenden, dessen Abdruck in den Zeitungen sich allerdings nicht erreichen ließ 124 . 1789 wurden auch die 1778 in London erstmals publizierten Doutes et questions sur le traité de Versailles du 1er mai 1756 aus der Feder Faviers neu aufgelegt und mit einem scharfen Nachwort versehen, in dem der Herausgeber die Prophezeiungen des Autors als erfüllt darstellte und die Generalstände zur Beherzigung des politischen Programms der Schrift anmahnte - „que la principale cause de sa [Frankreichs] décadence politique réside dans le traité de Versailles". Eine weitere Auflage folgte im Mai 1792, also bereits nach der Kriegserklärung an Österreich. Ebenfalls im Jahre 1789 erschienen zwei Bände aus der Feder des uns schon bekannten ehemaligen französischen Konsuls in Smyrna Peyssonnel mit vielsagendem Titel: Situation politique de la France et ses rapports actuels avec toutes les puissances de l'Europe. Ouvrage dont Γ objet est de démontrer par les faits historiques et les principes de la saine politique tous les maux qu'a causés à la France l'alliance autrichienne . „Darinne sucht er", meldete Mercy im Oktober 1789, über die ungezügelte Publikationsfreiheit erbittert, „durch die trugsamste Raisonnements und aller Wahrheit und gesunden Politick zuwiderstreitende Scheingründe das zwischen 124 Marie-Antoinette an Mercy (27. 1. 1789; wie Anm. 35), Mercy an Marie-Antoinette (21. 10. 1789; wie Anm. 122); Mercy an Kaunitz (4. 6./P. S. 1 [wie Anm. 93], 4. 7./P. S. 2 u. Beilage [wie Anm. 99], 23. 7./P. S. 2 [wie Anm. 112], 17. 8./ P. S. 1 u. Beilagen [wie Anm. 101], 13. 10. 1789/P. S. 1 u. Beilagen [wie Anm. 115]), an Joseph II. (4. 7. 1789; wie Anm. 101]); Joseph II. an Mercy (17. 6. 1789; wie Anm. 109), Kaunitz an Mercy P. S. (18. 6. [wie Anm. 99], 3. 8. 1789/P. S. 2 [wie Anm. 101]). Die Korrespondenz Mercys mit frz. Stellen in SA Frkr. NW 14. Joseph II. an Leopold (8. 10. 1789; [Arneth] 1872, Bd. 2, 278 f.). Die Erstauflage des »Orateur des Etats généraux4 findet sich u.a. in der Pariser BN Lb39-1643. Ein zweiter Teil des ,Orateur des Etats généraux4 erschien im Oktober 1789 (Suite de Γ Orateur des Etats généraux): BN LÒ39-2547. Vgl. allgemein auch die wegweisenden Einsichten von Blanning 1986, 40 - 45 („Austrophobia in Old Regime France"). Ausführlich Flammermont 1899, 329 - 332, Hochedlinger 1997 b, Savage 1998. 18 Hochedlinger

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Β. Krise

unserem allerhöchsten und dem hiesigen Hof obwaltende Allianzsystema auf das schwärzeste abzuschildern". Montmorin versprach eine offizielle Gegenschrift; auch Kaunitz las das Werk Peyssonnels „en entier", befand es fïir „très absurde" und verwies einmal mehr auf die bekannten Vorteile der österreichischen Allianz, besonders auf die Möglichkeit einer Konzentration der Kräfte gegen England und den Aufbau einer Marine, die nun allerdings in den revolutionären Stürmen zu versinken drohte 125. Die Verurteilung des österreichischen Verhaltens und die naturhafte Unmöglichkeit einer Allianz zwischen zwei „natürlichen Feinden" fanden sich bei Peyssonnel in der Tat denkbar klar und deutlich ganz nach Art Faviers herausgestellt126: , Λ la longue inimitié qui a divisé pendant trois siècles les maisons de Bourbon & d'Autriche, a succédé, depuis trente ans, une union étroite & intime en apparence, dans laquelle la sincérité, la franchise & les charges ont été d'un côté, l'ingratitude, l'adresse, la simulation & les bénéfices de l'autre; une union qui nous a été plus nuisible qu'aucune des guerres que la haine des deux Maisons ait jamais allumée; une union qui a opéré la décadence & la dégradation de la France, l'agrandissement & l'élévation de l'Autriche, qui a porté celle-ci au rang que l'autre avoit toujours occupé dans l'ordre des Puissances de l'Europe; une union enfin, pendant le cours de laquelle la France n'a cessé de faire des sacrifices qui, bien loin d'exciter la reconnoissance de son alliée, & de lui inspirer un sincère & fidele attachement, n'ont jamais éteint en elle ses anciens sentimens d'aversion, de jalousie & de rivalité."

Der Botschafter mußte die neue Macht im Staate, die Presse, wohl oder übel anerkennen; er selbst sollte noch gelegentlich die Zeitungen zum Abdruck von Dementis und Protesterklärungen, also als Instrument der Öffentlichkeitsarbeit benutzen. Seine Verhandlungen in Den Haag gegen Jahresende 1790, als er regelrechte Propagandafeldzüge für die österreichische Sache führte, überzeugten ihn vollends von der Bedeutung der Zeitungsleute, auch außerhalb des revolutionären Frankreich. In einer Zeit des großen öffentlichen Interesses an innerer wie äußerer Politik mußte man seiner Meinung nach „cette classe de guides de l'opinion publique" - die Journalisten - nach Möglichkeit gewinnen und durch kleine Merkmale der

125 Mercy an Kaunitz (13. 10. 1789; wie Anm. 115), Partikularschreiben dess an dens. (18. 11. 1789; wie Anm. 106), Partikularschreiben Kaunitz an Mercy P. S. (3. 11. 1789; wie Anm. 106). Das Angebot zur Ausarbeitung einer Gegenschrift: SaintAnge an Mercy (28. 10. 1789; SA Frkr. Varia 40 Konv. Frkr. Varia 1789). St. Ange war Übersetzer der Metamorphosen des Ovid und ehemaliger Mitarbeiter Mirabeaus. Montmorin wählte ihn zur Ausarbeitung einer Widerlegung des Peyssonnelschen Opus: [Bacourt] 1851, Bd. 1, 301. - Vgl. in diesem Zusammenhang ein 146 Seiten starkes, die Werke Peyssonnels und Faviers resümierendes Manuskript Coup d'oeil sur les ouvrages de M. Peyssonnel et de M. Favier (nach 1793): KA Kaiser Franz Akten 168. 126 Peyssonnel 1789, 197 f.

III. Die Katastrophe

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Anerkennung wie die Verteilung goldener Gedenkmedaillen auf die Kaiserkrönung Leopolds II. fördern 127.

c) Zwischenbilanz: Der Verlust eines Alliierten Die innenpolitischen Schwierigkeiten Frankreichs seit 1787 hatten - für alle Beobachter unübersehbar - entscheidende Auswirkungen auf den machtpolitischen Handlungsspielraum der französischen Krone, zwangen diese zu größter „prudence". Verwicklung in einen Krieg mußte für Versailles den endgültigen Staatsbankrott bedeuten. Schon in der Hollandkrise des Jahres 1787 kam es zu einem für die außenpolitische Reputation Frankreichs verheerenden Gesichtsverlust. Die anhaltende Krise des französischen Königtums tangierte schließlich nach dem Eintritt des Kaisers in den russisch-türkischen Krieg im Februar 1788 auch das Bündnissystem Österreichs in fundamentaler Weise. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt größter Bedrohung der russisch-österreichischen Allianz von mehreren Seiten, konnte man auf die traktatmäßige Hilfe aus Frankreich nicht hoffen 128 . Zwischen anfänglicher Schadenfreude, vordergründiger Selbstbeschwichtigung über den Verlust eines ohnedies seit langem unsicheren Alliierten und verspäteter Furcht vor dem daraus resultierenden Zerfall des traditionellen Bündnissystems schwankend, beobachtete Österreich in den Jahren seit 1787 den Rückzug Frankreichs von der außenpolitischen Bühne. Dabei war mit Loménie de Brienne als Prinzipalminister endlich ein Mann an das Staatsruder gelangt, dessen Allianzgesinnung Österreich eigentlich mit Hoffnung erfüllen mußte. Zu Mercys Bedauern ging der Erzbischof allerdings völlig in den Interna des französischen Staates auf, hielt sich bezüglich der Politica - worunter die äußeren Angelegenheiten zu verstehen waren - bedenklich zurück und überließ sie weitgehend dem zuständigen 127

Mercy an Kaunitz (19. 12. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Haager Kongress/C). - Seit dem Aufblühen eines exuberanten Pressewesens durch die Lockerung der Zensur konnte auch die k.k. Botschaft in Paris für ihre Berichterstattung nach Wien nicht mehr auf journalistische Produkte verzichten, wenn es galt, die vorgesetzten Behörden möglichst minutiös über französische Interna zu informieren, besonders was die Debatten der Generalstände bzw. der Nationalversammlung betraf. Vgl. Hatin 1866, Rétat 1989. 128 Mercy an Kaunitz (14. 7. 1787; wie Anm. 36), Partikularschreiben dess. an dens. (25. 4. 1788; wie Anm. 76); Joseph II. an Mercy (Semlin, 4. 8. 1788; wie Anm. 72). Anders noch Kaunitz an Mercy (30. 8. [wie Anm. 37], 6. 4. 1788 [wie Anm. 76]). - Zum Gesichtsverlust Frankreichs im Jahre 1787 und seinem Ausscheiden aus der „internationalen Politik" vgl. auch Leopold von Toskana an Joseph II. (21. 10. 1787; [Arneth] 1872, Bd. 2, 133f.), der den Verfall Frankreichs mit „le manque d'un chef capable et par le manque d'ordre" erklärte. 18*

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Β. Krise

Ressortminister Montmorin, der allerdings auch „wohlgesinnter" war als sein Vorgänger unseligen Angedenkens129. Immerhin konnte Mercy schon im Oktober 1787 berichten, daß die französische Führung in ihrer allseits schwierigen Stellung so etwas wie Reue zeigte. Nach Aussage der Königin fürchtete Frankreich sogar, „der Kaiser mögte etwa in Ruckerinnerung auf das Vergangene Frankreich mit gleicher Münze bezahlen" - für Kaunitz eine durchaus heilsame Sorge. Von hier war der Schritt zur offenen Verurteilung Vergennes' und seiner Politik nur mehr kurz; in der Ära des Prinzipalministers Loménie de Brienne tat man sich auf französischer Seite keinen Zwang mehr an und distanzierte sich sehr offen von den „Verirrungen" dieser Zeit. Mercy wußte Mitte Oktober 1787 triumphierend zu vermelden: „Wenn der Herr Erzbischof seit etwas längerer Zeit das Staatsruder in Händen hätte, wenn eine längere Erfahrung mir eine grössere Sicherheit in betref seines persönlichen Karackters und von dem wirklichen Bestand seiner obberührten Grundsäzen gäbe, wenn man endlich gegen die unaufhörliche Veränderlichkeit des politischen Sistem des Versailler Hofes nicht immer auf seiner Hut seyn müste, so würde man mit einer Art von Gewißheit versichern können, daß seit vielen Jahren her die Umstände und die Dispositionen nimmermehr so günstig noch dem wahren Sinne der Allianz so anpassend gewesen sind, als sie dermalen zu seyn scheinen, und was hierüber noch ein helleres Licht ausstreuen würde, ist der ganz offenbare Tadel, mit welchem man ungescheuet alle die Operationen belegt, die währendem Ministerio des Herrn Grafen von Vergennes unternommen worden sind."130

Die nicht einmal 10 Monate nach dem Tode des viel verteufelten Comte de Vergennes plötzlich honigsüße Sprache des französischen Außenministeriums wertete Kaunitz v.a. als logische Folge der Schwäche und Erniedrigung Frankreichs. Daß es während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und nun in seiner tristen Lage nicht vollends von England erdrückt worden sei, schrieb der Staatskanzler dem Allianzsystem mit Wien zu, das England von Österreich ferngehalten habe. Bestenfalls Neutralität wollte man sich angesichts der Leere in den französischen Staatskassen und den Köpfen der Minister - ein bissiges „Bonmot" des Staatskanzlers - von seinem Verbündeten à la longue noch erwarten, zu einem österreichischen

129 Mercy an Joseph II. (14. 8. [wie Anm. 37], 15. 9. [wie Anm. 60], 25. 4. 1788 [wie Anm. 76]), ders. an dens. (24. 11. 1787; SA Frkr. Berichte 177 Konv. MercyJoseph II.; Druck: A&F 2, 136 - 141), an Kaunitz (15. 9. 1787; wie Anm. 37 bzw. 60). 130 Mercy an Joseph II. (15. 9. 1787; wie Anm. 60), an Kaunitz (18. 10. 1787 [wie Anm. 37 (Zitat) u. 20], 24. 11. 1787 [wie Anm. 37]), Kaunitz an Mercy (5. 11. [wie Anm. 37], 9. 12. 1787 [wie Anm. 62]).

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„agrandissement" werde dieser niemals beitragen, sondern im Gegenteil immer auch unter der Hand versuchen „de maintenir la puissance prussienne pour avoir quelqu'un à mettre à la place de la Porte et en état de nous contenir au besoin" und einer möglichst engen Auslegung des Defensiv- und Garantievertrags mit Österreich folgen (November 1787). Immerhin schien die französische Konfusion in den Augen Josephs Π. ein Garant dafür, daß sich der unberechenbare und - im Inneren wie nach außen ohne System agierende Alliierte nicht wie früher zu einer aktiven Durchkreuzung der österreichischen Absichten aufschwingen konnte; auch im Zuge der Allianzverhandlungen mit Rußland von 1788/89 war Frankreichs Betragen für den Wiener Geschmack wankelmütig und weich, und selbst im Falle einer entschiedeneren Verhandlungsführung schien eine effektive Erfüllung der Bündnispflichten angesichts der internen Schwierigkeiten ohnedies mehr als fraglich. Zudem fehlten auch die Mißtöne nicht. Denn die Freundschaftsbeteuerungen Frankreichs mußten in Wien rasch in Zweifel geraten, wenn Außenminister Montmorin angeblich gegenüber dem preußischen Gesandten von der Goltz äußerte, daß die österreichisch-französische Allianz nur mehr dem Namen nach bestehe, als „fantôme" Frankreich aber noch sehr nützliche Dienste leiste. Dabei entblödete sich der französische Außenminister auch nicht, wie Joseph Π. seinem Botschafter in Paris nach einem abgefangenen Bericht von der Goltz' mitteilte, die laufende Durchkreüzung der österreichischen Absichten unter Vergennes doch als wesentliches Verdienst französischer Politik anzurühmen131. Im Januar 1789 dissertierte Mercy ausführlich über die Lage Frankreichs im internationalen System: „Bey reifer Überlegung einer der außerordentlichsten Lage, worinne sich in diesem Jahrhunderte ein so großer und mächtiger Staat wie Frankreich befindet, will es allerdings scheinen, daß man das Kabinet zu Versailles nicht änderst als in dem Zustande einer tiefen Schlafsucht in Ansehung aller politischen auswärtigen Gegenständen betrachten könne, die einzige Porten ausgenommen, als bey wel131 Partikularschreiben Kaunitz an Mercy (5. 11. 1787; SA Frkr. Weisungen 174 Konv. Kaunitz-Mercy 1787; Druck: A&F 2, 135 f.), dto. (9. 12. 1787; wie Anm. 62), Joseph II. an Mercy (5. 11. [wie Anm. 120], 9. 12. 1787 [wie Anm. 62]); Mercy an Joseph II. (24. 11. 1787 [wie Anm. 129], 23. 2. 1788 [wie Anm. 37]), Partikularschreiben Mercys an Kaunitz (24. 11. 1787; SA Frkr. Berichte 176 Konv. Mercy-Kaunitz 1787; Druck: A&F 2, 142), Mercy an Kaunitz (19. 7. 1788/1; wie Anm. 23). Leopold von Toskana an Joseph II. (17. 12. 1787; [Arneth] 1872, Bd. 2, 151). Der „durchschnittliche Wahrheitsgehalt" der Relationen von der Goltz' ist allerdings von der Forschung und schon von Zeitgenossen in der Regel sehr niedrig veranschlagt worden. Die „mensonges de Goltz" waren eine stehende Wendung der k.k. Diplomatie, die die preußische Korrespondenz aus und nach Frankreich lange Zeit interzipierte. Daß Goltz lebhaft gegen die Königin und Österreich Stimmung machte, war allgemein bekannt: Flammermont 1896, 130 f. Vgl. auch Wolf 1987 und Ko coj 1998.

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cher es dennoch aus verschiedenen von dem uralten zwischen diesen beyden Höfen obwaltendem Verhältniße und Vorurtheile abstammenden Ursachen einen thätigen Einfluß forthin beybehalten haben dörfte. Frankreich befindet sich ohne Geld, ohne Armee und ohne der mindesten Theilnehmung an anderen fremden Höfen. Die vielfältigen Demiithigungen, so dasselbe abseiten Preußens, Englands und sogar abseiten Schwedens ganz neuerlich zu erdulden gehabt, ohne solche auf irgendeine Art ahnden zu können, sind leyder nur allzu trefende und frische Merkmale seines gänzlichen Unvermögens. Es fürchtet die geringste Verbindlichkeit, die dasselbe in irgendeinen Streit mit einflechten könnte, und dieser seiner traurigen Lage ist vorzüglich jener furchtsame unsichere Betrag zuzuschreiben, den der hiesige Hof in Ansehung aller anderer Mächte von Europa dermalen beobachtet. [...] Indessen sind diese Gesinnungen des hiesigen Hofes unserem Allianzsistem vielleicht mehr angemessen, als sie seit vielen Jahren her nicht gewesen sind. Seine Verbindungen mit Preussen sind wo nicht gänzlich abgebrochen, wenigstens auf lange Zeit hinausgesezt. Frankreich fühlt jezt mehr als jemals, wieviel ihm daran liege, sich an unserem allerhöchsten Hof genau angeschlossen zu halten. Allein, was kann wohl bey seiner äussersten Verlegenheit bloß dieser gute Willen für Früchte hervorbringen?" 132 Es kam freilich noch schlimmer. Mit der Ende September 1789 von Joseph II. bitter konstatierten Entmachtung des Königs und seines Ministeriums und dem Übergang der Handlungsgewalt an die Versammlung war in den Augen des Kaisers nicht nur Frankreichs Möglichkeit, die Allianz angesichts innerer Turbulenzen aufrecht und gegebenenfalls fruphtbar zu erhalten, weggefallen, sondern selbst der Wille hiezu; die „mauvaise volonté" Frankreichs konnte nach Josephs Π. Meinung jetzt durchaus offizielle Linie werden (September 1789): „On peut donc, outre rembarras et l'insuffisance du moment qui rend cet allié nul pour le présent aussi compter que, tant que le pouvoir restera entre les mains de ces mêmes démocrates, non seulement la maison d'Autriche n'a plus d'allié disposé d'en remplir les devoirs, mais que très sûrement elle a dans cette nation un ennemi non encore déclaré, mais prêt à prouver ses mauvaises intentions à la première occasion". Auch für die Zeit der nicht ganz auszuschließenden inneren Regeneration und der Machtsteigerung nach den Stürmen des Jahres 1789 - der Kaiser und mehr noch sein Bruder Leopold von Toskana veranschlagten entsprechende Aussichten und die heilsame Wirkung des „enthousiasme de la nation" durchaus sehr hoch - konnte daher schwerlich mit einer ehrlichen Wiederannäherung an Österreich gerechnet werden. Die „rasende Abneigung" gegen Österreich war zwar nicht allgemein, wie Mercy Ende Januar 132

Mercy an Kaunitz (6. 1. [wie Anm. 16], 4. 2. [wie Anm. 35], 4. 7. 1789 [wie Anm. 101]). Im Mai 1789 wiederholte der Botschafter seine Einschätzung „que l'on n'adopte ici des sentiments et des dispositions favorables que lorsqu'on se trouve dans une sorte d'impuissance de rendre l'un et l'autre efficacement utiles au bien de la chose": Mercy an Kaunitz (10. 5. 1789; wie Anm. 93).

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1790 diagnostizierte, sie hatte aber ausgerechnet jene Kreise erfaßt, „die nunmehr am mehresten zu bedeuten haben". Damit waren ernste strategische Gefahren verbunden, besonders für die durch die Allianz mit Versailles seit 1756 abgesicherten Österreichischen Niederlande. Außerdem vergrößerte die unverhüllte Zurschaustellung antiösterreichischer Sentiments wieder die nach der Hollandkrise gebannt geglaubte Gefahr preußischer Anknüpfungsversuche gegenüber Frankreich; und wenn solche sich doch nicht realisierten, so mochte immerhin die Nullität des französischen Verbündeten Preußen im Verband mit Großbritannien ein selbstbewußteres Auftreten gegen Österreich ermöglichen. Die Suche nach neuen Alliierten mußte also vernünftigerweise eingeleitet werden. Botschafter Mercy blieb nichts übrig, als in den Chor jener einzustimmen, die angesichts des Bankrotts des „système de 1756" zu mehr bündnispolitischer Flexibilität rieten133. Den so von der Entwicklung in Frankreich aufgenötigten Spielraum nützte man sogleich zu einem dringend gebotenen Annäherungsversuch an England. 4. Revolution im eigenen Hause

a) Sezessionistische Tendenzen in Ungarn Die Österreichischen Niederlande waren nicht die einzige habsburgische Provinz, in der die josephinische Reformpolitik, „dispotica e confusa", wie sie Leopold von Toskana gerne nannte, den bürokratischen Zentralismus bis zur Aufhebung alter Sonderrechte, überkommener Verfassungs- und Verwaltungsstrukturen trieb. Auch die 1786 „gleichgeschaltete" Lombardei und besonders Ungarn verdienen in diesem Zusammenhang genannt zu werden. In Ungarn schufen die Mißachtung der altehrwürdigen Sonderstellung und das historische Bewußtsein der Magyaren tief kränkende politische Zeichen wie die bewußte Nichtkrönung des Herrschers, der Abtransport der Stephanskrone nach Wien gemeinsam mit der Einführung der deutschen Amtssprache (1784), der Auflösung der alten Komitatsverfassung (1785) 133

Joseph II. an Mercy (28. 9. [wie Anm. 102], 3. 11. 1789 [wie Anm. 106]), Kaunitz an Mercy (3. 11. 1789; wie Anm. 106). Leopold von Toskana an Joseph II. (28. 6. 1789; [Arneth] 1872, Bd. 2, 257). Die französischen Vorbehalte galten ganz besonders der Person und der Politik Josephs II., während man sich später von Leopold II. mehr versprach. Vgl. in diesem Sinne Note Mercys zu Gesprächen mit Mirabeau aus dem Sommer 1790: FA SB 71 d. C. [Bray] 1911, 44 (20. 3. 1790). Mercy an Kaunitz (13. 10. [wie Anm. 115], 18. 11. 1789 [wie Anm. 106], 4. 1. 1790 [wie Anm. 39]), an Joseph II. (23. 7. 1789; wie Anm. 121), an Montmorin (9. 10. 1789; wie Anm. 115). Partikularschreiben Mercys an Kaunitz (28. 1. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Mercy-Kaunitz 1790; Druck: A&F 2, 292f.), Mercy an Kaunitz (30. 5., 25. 8. 1790; ebd. Konv. Mercy-Kaunitz 1790 V - VIII).

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und anderen Maßnahmen aus dem josephinischen Reformpaket ein Klima der Spannung, das im Verbund mit dem drohenden Zweifrontenkrieg gegen Berlin und die Osmanen die Kräfte der Habsburgermonarchie zunehmend lähmte. In Ungarn selbst kam es zu einer nationalistischen Besinnung in Sprache und Kultur; radikale Ungarn suchten daher besonders die Nähe zu Preußen und gingen in ihrem Haß auf Joseph II. sehr weit - sogar von Mordplänen war die Rede. Die Enragierten unter den Malkontenten Ungarns, besonders im Komitatsadel, aber auch in den höchsten ungarischen Behörden der Monarchie, nahmen direkt mit Berlin Verbindung auf - als Kontaktstelle diente seit Oktober 1788 der kurbrandenburgische Minister in Wien, Jacobi-Kloest und boten schließlich sogar Herzog Karl August von Sachsen-Weimar in zwei zwielichtigen Missionen in Weimar und Berlin im Laufe des Jahres 1789 die Stephanskrone an. Der Verfassungsbruch Josephs II. legitimierte in ungarischen Augen die Sistierung der habsburgischen Erbfolge und die Rückkehr zu Unabhängigkeit und „Wahlkönigtum". In Weimar und Berlin herrschte freilich keineswegs einhellige Freude über die merkwürdigen Anbote der Ungarn, deren erster Kurier ausgerechnet ein nicht übermäßig seriöser Abenteurer, der zum ungarischen Nationalisten mutierte pensionierte Rittmeister der k.k. Armee Karl Reichsfreiherr von Hompesch (1760 - 1812), ein Neffe des letzten Johannitergroßmeisters, Ferdinand von Hompesch (1744 - 1805), war. Die Österreicher, die die im Oktober 1788 auf Befehl Friedrich Wilhelms II. massiv verstärkten preußischen Bemühungen um eine „Revolutionierung" Ungarns aufmerksam mitverfolgten, waren ihm schon an der Jahreswende 1788/89 auf die Spur gekommen, hatten ihn verhaftet und schließlich verbannt. Nun setzte er im Ausland seine „subversive Tätigkeit" fort, wurde später als Major in preußische Dienste übernommen und starb als englischer Offizier. Aber ganz abgesehen von dem merkwürdigen Kanal, durch den die ungarischen Offerten übermittelt wurden, zeigte sich auch und gerade in der Ungarn-Frage wieder einmal die uneinheitliche Linie der Berliner „Kamerillapolitik", das „zweifelhafte Halbdunkel einer von Günstlingswirtschaft getrübten Staatsleitung" (W. Andreas). Kabinettsminister Hertzberg votierte stets für eine friedliche Durchsetzung seiner Tauschpolitik, der König neigte mit Bischoffwerder einer militärischen Lösung für das Jahr 1790 zu. So war Graf Hertzberg von der bedenklichen „ungarischen Diversion" nicht sonderlich begeistert, wie er ja auch die Vorliebe Friedrich Wilhelms II. für belastende, aber wenig ertragreiche Bündnisse mit Polen und der Pforte keineswegs teilte. Selbst der Adressat des ungarischen Anerbietens, der frustrierte Reichsreformer in Weimar, der „Kurier des Fürstenbundes", wie Ranke Herzog Karl August einmal nannte, begegnete dem ganzen Unterfangen mit Skepsis.

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Gleichwohl: vor dem Hintergrund der dramatischen außenpolitischen Lage 1789/90 störten die sezessionistischen Tendenzen Ungarns und die drohenden Folgen das Kalkül Wiens, das über die Aktivitäten und Pläne der ungarischen Radikalen sehr gut Bescheid wußte; erste Zugeständnisse wurden schon im Dezember 1789 gemacht. Ende Januar 1790 mußte Kaiser Joseph Π. auf massiven Druck auch der Staatskanzlei weite Teile seines Reformprogramms für Ungarn zurücknehmen. Leopold II., der seinem Bruder seit Dezember 1789 zu diesem Schritt geraten und die Aufhebung der kränkendsten Maßnahmen ausdrücklich gelobt hatte, setzte später mit Erfolg die Linie der Beschwichtigung fort 134 . b) Der Abfall der Österreichischen

Niederlande

Nach den Ereignissen des Jahres 1787 und der unehrlichen Pattstellung der Zeit danach konnte eigentlich kein Zweifel mehr daran bestehen, daß in den belgischen Provinzen über kurz oder lang wieder eine bedenkliche „Heimatfront" entstehen würde. Unser oberflächlicher Blick auf die Belgische Revolution der Jahre 1789/90, die einzig wirklich bedeutende „revolutionäre" Erschütterung innerhalb des habsburgischen Herrschaftsgebietes, muß zunächst die realpolitischen Implikationen ins Auge fassen und die Verflechtung der sezessionistischen Bestrebungen der malkontenten Belgier mit der außenpolitischen Katastrophe der Habsburgermonarchie in Beziehung setzen, um zu sehen, wie dramatisch der Verlust der reichen Provinzen Wiens Stellung in der europäischen Mächtelandschaft veränderte 135. Seit seinem Eintreffen in Brüssel Ende Oktober 1787 bestimmte der neue bevollmächtigte Minister Graf Trauttmansdorff in Belgien die Szene. Die Generalgouverneure - sie kehrten im Januar 1788 von ihrem Wiener 134

Briefwechsel Josephs II. mit Polizeiminister Pergen zu den verräterischen Kontakten der ungarischen Malkontenten in FA SB 27 mit preußischen Interzepten. Leopold an Joseph II. (14. 12. 1789, 16. 2. 1790; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 298 - 301, 318 - 320). An Literatur zum Ungarn-Problem in der Politik Josephs II. - besonders die Weimarer Kontakte der ungarischen Ultras und Goethes Rolle in diesem Zusammenhang sind schon oft behandelt worden - und darüber hinaus nenne ich nur: Ranke 1875, 385 ff., 398 - 402, Wertheimer 1900, Mitrofanow 1910, Bd. 1, 211 - 222, Andreas 1956, Gragger 1923, Crämer 1961, 115 - 131, Wangermann 1991. Allgemeiner: Drabek/Plaschka/Wandruszka 1982, Haselsteiner 1983, Szabo 1994, 305 - 345, Balâzs 1997 und besonders Kirâly 1969. 135 Vgl. die oben genannte Literatur zur „Belgischen Revolution", der ich im wesentlichen bei der Erstellung des Grundgerüstes gefolgt bin. Unentbehrlich ist die Quellensammlung von [Schiitter] 1902. Die Geschichte der Vonckisten erschöpft Tassier 1930. Zur militärischen Seite Criste 1904 y 226 - 242. Relativ ausführlich auch die Darstellung bei Ranke 1875, 355 - 384. Einer später im Zusammenhang mit der These von der „atlantischen Revolution" an Bedeutung gewinnenden Idee ging schon Gorman 1925 nach.

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Zwangsaufenthalt zurück - wurden zu repräsentativen Marionetten degradiert. Trauttmansdorff arbeitete subtil, zunächst unter relativer Schonung der belgischen Sensibilitäten und konnte im Dezember 1787 die abgestorbene Steuermaschine wieder anwerfen. Eines war aber auch dem bevollmächtigten Minister klar: die Entfremdung der Provinzen von der Wiener Zentrale hatte durch die unerfreulichen Ereignisse derart erschreckende Ausmaße angenommen, daß eine Abstoßung dieses von Joseph ohnedies wenig geliebten Außenpostens und eine Neubesinnung auf den Tauschplan der frühen achtziger Jahre durchaus vernünftig schienen136. Schon im Dezember 1787 wagte sich Trauttmansdorff - kaum waren die Stände nach Neubewilligung der Steuern auseinandergegangen - unter dem Druck des Kaisers, der seine Autorität voll und ganz wiederhergestellt sehen wollte, an die Einmahnung des von General Murray preisgegebenen status quo vor dem 1. April 1787 und provozierte damit neuerlich Proteststürme gegen die Wiener Tyrannei. Nur mit harter militärischer Macht ließ sich das alte neue Programm im Jahre 1788 durchsetzen, ehe sich in der ersten Jahreshälfte 1789 die Positionen weiter radikalisierten, Protest, Obstruktion und Steuerverweigerung wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Gegen den anhaltenden Widerstand der Stände verfuhr Joseph II. schließlich mit brutaler Härte und unter offener Mißachtung selbst der Grundfesten der belgischen Verfassung. Brabant traf es besonders schlimm: die ,Joyeuse Entrée" wurde im Juni 1789 kassiert, Ständevertretung und Conseil verfielen der Aufhebung. Während zu gleicher Zeit in Frankreich seit 1614 verschüttete verfassungsrechtliche Mechanismen wieder in Gang kamen und sich Wege eines erfolgreichen friedlichen Widerstandes gegen den königlichen Absolutismus auftaten, zerschlug Wien die alten belgischen Institutionen und begann dabei schon französische Einflüsse zu fürchten; in Brüssel kursierten angeblich Flugzettel mit dem Aufdruck „Ici comme à Paris!" Eingeklemmt zwischen den beiden großen Revolutionen, der holländischen im Jahre 1787 und der Französischen (Prä-)Revolution seit 1787, mit ihren Krisen der souveränen Gewalt tat sich auch das belgische Generalgouvernement schwer. Die Nachricht von der erfolgreichen „Nachbarrevolution" in Lüttich im August 1789 war gleichfalls wenig geeignet, die Gemüter zu beruhigen oder die Aussichten auf einen erfolgreichen Wider136

„Ce sont de superbes provinces, mais qui ne connaissent plus le prix de vous appartenir et ne méritent plus le bonheur de vous avoir pour maître [...]. Leur éloignement du corps de la monarchie m'en fesait toujours désirer l'échange, en politique et en bon patriote; mais aujourd'hui je le souhaite doublement sous un point de vue philosophique et comme sujet aussi zélé que personnellement dévoué à mon maître, prévoyant que ce lien d'intérêt si nécessaire entre le souverain et son peuple pour le contentement de l'un et la prospérité de l'autre restera toujours altéré par les événements malheureux que bien des causes ont fait naître.": Trauttmansdorff an Joseph II. (4. 12. 1787; Druck: [Schiitter] 1902, 23 - 27).

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stand gegen Wien zu trüben. In den Sommermonaten 1789 kam es zu ersten ernsteren Zusammenstößen zwischen k.k. Truppen und der belgischen Bevölkerung. In die Freude des Kaisers über die harte Hand, mit der Trauttmansdorff die belgischen Widerstandsnester ausfegte, mischte sich Ende Juli 1789 auch ernste Sorge um das schlechte französische Beispiel; Joseph II. jedenfalls zögerte nicht, Verbindungen herzustellen, und Trauttmansdorff, der sein Sanierungswerk durch die bedenkliche Vorbildwirkung der Ereignisse in Frankreich gefährdet sah, mußte bestätigen, daß auch die Belgier der Niederlage des absolutistischen Königtums in Frankreich applaudierten ... „la France fait tout notre malheur" 137. Die Führung der traditionalistischen ständischen Opposition gegen die Zerstörung der Privilegien und lokalen Partikularismen hatte - schon im August 1788 vor der Verhaftung in die Vereinigten Niederlande geflohen der Advokat van der Noot als „agent plénipotentiaire du peuple brabançon" übernommen. Im holländischen Breda formierte sich einigermaßen geordneter Widerstand („Comité de Breda"). Um Jean-François Vonck (1743 1792), wie van der Noot Advokat am „Conseil souverain de Brabant", bildete sich indes innerhalb des Landes eine weitere Oppositionsebene aus, die v.a. aus gutbürgerlichen Juristen und Weltgeistlichen bestand, rasch aber auch liberale Hochadelige und Notablen in ihren Bann ziehen konnte. Die vonckistische Bewegung organisierte sich seit Mai 1789 in der bis in die Provinzen verzweigten Geheimgesellschaft Pro aris et focis. Anders als der Kreis um van der Noot lehnten die „Vonckisten" Reformen nicht deshalb ab, weil sie alte Privilegien zerstörten, sondern weil es entgegen der Idee der Volkssouveränität von oben diktierte und aufgezwungene Maßnahmen waren. Liberale, aufgeklärte „Patrioten", die vorerst die Reformmaßnahmen Josephs II. begrüßt hatten, verurteilten die despotischen Mittel und propagierten gegen die Bemühungen Wiens um eine „Austrifizierung" Belgiens das Dogma der nationalen Souveränität und den „Geist der Freiheit". Im Wirkungsfeld um Voncks „Comité de Bruxelles" gewannen denn auch konstitutionelle Ideen an Terrain, Leitsätze, wie sie die fortschrittlichen Kräfte der sich anbahnenden Französischen Revolution vertreten und propagieren sollten, z.B. die Beschränkung des Souveräns auf die Exekutive und die Übertragung der legislativen Gewalt an eine aus den drei Ständen gebildete Assemblée. Von Anfang an zeichnete sich also der Gegensatz zwischen Vandernootisten oder Statisten, die gegen die Reformschläge 137

Joseph II. an Trauttmansdorff (7. 6. 1789), Trauttmansdorff an Joseph II. (20. 6. 1789): [Schütter] 1902, 266 - 269, 272 - 276. Zum Einfluß der Entwicklung in Frankreich: Trauttmansdorff an Joseph II. (16. 5., 18. - 21., 27. u. 30. 7., 2. 8. 1789; Belgien DD A Berichte 315; Druck: [Schiitter] 1902, 255 - 257, 313 - 319, 323 325, 327 - 332). Kaunitz an Joseph II. (25. 7. 1789; wie Anm. 111). Joseph II. an Mercy (3. 8. 1789; wie Anm. 111). Joseph II. an Leopold (2., 23. 7., 31. 8. 1789; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 258 f., 262, 272 f.).

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Josephs II. an den traditionellen Privilegien des belgischen Ancien Régime festhielten und Rückhalt bei Preußen, den Niederlanden und Großbritannien suchten, und den nach Frankreich orientierten Vonckisten und ihren fortschrittlichen Verfassungsvorstellungen mit einer verstärkten Öffnung der politischen Mitsprache für „Besitz und Bildung" innerhalb des dritten Standes ab. Seit Sommer 1789 nahmen die „Vonckisten" erste und letztlich für die Zukunft maßgebende Sondierungen in Paris und bei der Nationalversammlung in Versailles vor. Den „Nootisten" und ihren ersten Annäherungsversuchen an die Tripelallianz waren dagegen vorerst trotz großer Bereitschaft zu verschiedenen Konzessionen keine großen Erfolge beschieden. Denn die Tastversuche der belgischen „Flüchtlinge" wurden nicht wirklich ernst genommen; ein unabhängiges, gar ein Frankreich höriges Belgien lag zudem keineswegs im Interesse der Seemächte. Immerhin freute man sich aber in den Reihen der Habsburggegner über eine mögliche ernste Gefährdung der österreichischen Positionen, als sich an den Grenzen der belgischen Provinzen - vorerst bis zu ihrer Vertreibung durch eine österreichische Strafexpedition im Lüttichischen (Hasselt), dann bei Breda - Freiwilligenverbände bildeten. Ein ehemaliger k. k. Offizier, Oberst van der Meersch, übernahm die militärische Leitung der belgischen „volontaires". Nach anfänglichen Schwierigkeiten wurde endlich zwischen „Statisten" und „Vonckisten" eine Kooperationsbasis hergestellt, als sich im Oktober 1789 auch Vonck nach Zerschlagung seines „Comité de Bruxelles" zu van der Noot in das holländische Breda flüchten mußte. Die bedenkliche französische Nachbarschaft zum belgischen Krisenherd und die vermuteten preußisch-britischen Intrigen zur Schwächung der habsburgischen Position hielten in Wien die schlimmsten Befürchtungen wach. Permanent mußte man auf dem ,qui vive4 sein, die Spannung der ungewissen Lage belastete Handel und Gewerbe 138. Die prinzipiellen Gegensätze innerhalb der belgischen Opposition fanden vorerst noch nicht genügend Zeit, sich zu akzentuieren. Im Manifeste du peuple brabançon, der Rechtfertigung des belgischen Widerstandes gegen den verfassungsbrüchigen Kaiser (Oktober 1789), flössen folgerichtig Ideen und Zielvorstellungen beider oppositioneller Strömungen in einen merkwürdig kompromißhaften Text zusammen - „principes révolutionnaires" Seite an Seite mit mittelalterlichem Traditionalismus. Erste militärische Fortschritte folgten auf die politische Einigung; die belgischen Freiwilligen 138

Kaunitz an Mercy (28. 9. 1789; wie Anm. 102), Mercy an Kaunitz (30. 9. 1789; wie Anm. 114). Joseph II. an Leopold (22., 26., 29. 10. 1789; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 281 - 283). - Wittichen 1905, zu den ersten Unterhandlungen der „Statisten" in Berlin im August 1789 und der widersprüchlichen Belgienpolitik Preußens bis Dezember 1789 speziell ebd. 32 - 42.

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etwa 3.000 Mann, deren Präsenz den Generalstaaten einiges Kopfzerbrechen bereitete - drängten aus Holland einfallend seit Ende Oktober 1789 mit überraschender Leichtigkeit die desorientierten, zersplitterten, weniger als 20.000 Mann starken k. k. Truppen zurück. Die Wiederherstellung der alten Verfassung durch Trauttmansdorff Ende November 1789 fruchtete nichts mehr, die hoffnungslose Uneinigkeit zwischen den Spitzen der österreichischen Zivilverwaltung und der militärischen Führung tat ein übriges. Brüssel wurde am 12. Dezember 1789 fluchtartig unter Zurücklassung der Archive, der Kriegs- und Zivilkassen und des militärischen Geräts geräumt, die durch Desertion dramatisch geschrumpften österreichischen Verbände mußten sich nach Luxemburg zurückziehen; die Festung Antwerpen hielt sich noch bis März 1790. Bereits im Morgengrauen des 18. November 1789 hatten die Generalgouverneure widerwillig - auf Befehl des Kaisers und auf Druck des bevollmächtigten Ministers Graf Trauttmansdorff - Brüssel verlassen und schließlich beim Bruder Marie-Christines, dem Kurfürsten von Köln, in Bonn Zuflucht gefunden. Hier blieben sie fortan in gedrückter Stimmung abseits der offiziellen österreichischen Belgienpolitik. Das diplomatische Korps in Brüssel löste sich nach der Flucht der Österreicher gleichfalls weitgehend auf. Auch der französische Resident, Chevalier de la Gravière, traf im Dezember 1789 wieder in Paris ein. Joseph II. gestand seinem Bruder, dem Großherzog von Toskana, und v.a. dem belgischen Grandseigneur Prince de Ligne, wie tief ihn die Ereignisse in Belgien trafen und wie sehr sie seinen Krankheitsverlauf negativ beeinflußten: der Fall Brüssels war, so die traurige Metapher, sein Tod 1 3 9 . Am 18. Dezember 1789 konnte das „Comité de Breda" in Brüssel einziehen. In den Provinzen wurde nun von den Ständen die Souveränität proklamiert, am 10./11. Januar 1790 beschlossen und unterzeichneten nach Brüssel einberufene Ständevertreter der Provinzen in der ersten Generalständeversammlung seit 1630 den „acte de constitution des Etats belgiques unis", einen Unionsvertrag zur Bildung einer föderativen Republik der Vereinigten Belgischen Staaten. Einem „Congrès souverain des Etats belgiques unis" wurde die Ausübung der eigentlich den Provinzen zustehenden Souveränitätsrechte und die Vertretung kollektiver Interessen (Armee, Außenbeziehungen, Währungsfragen) übertragen. Die eilige Entsendung Staatsvizekanzler Cobenzls nach Brüssel Ende November 1789 war viel zu spät gekommen und mußte ihren ursprünglichen Zweck, durch gewaltige Konzessionen in allerletzter Minute die Kata139

Joseph II. an Leopold (2., 5., 12., 16., 19., 23. 11. 1789; Druck: [Arneth], Bd. 2, 283 - 288). Marie-Christine an Leopold von Toskana (Koblenz, 25. 11. 1789; Druck: [Wolf] 1867, 66 - 71). - Thürheim 1877, 162f.

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Β. Krise

Strophe zu verhindern, verfehlen. Der bevollmächtigte Minister Graf Trauttmansdorff hatte, während der Kaiser sich selbst im allesentscheidenden November 1789 noch lange Zeit gegen die Entsendung von österreichischen Mediatoren („commissaires") sträubte, ohnedies den rebellischen Belgiern bereits alle denkbaren Zugeständnisse gemacht, die Sezession der Provinzen aber nicht verhindern können. So sah sich Cobenzl als der Zivilund Militärgewalt vorgeordneter königlicher Kommissar mit weitreichenden Vollmachten schon auf dem Weg in die belgische Hauptstadt am Ende seines Latein. Ohne je bis Brüssel vorzustoßen, beschränkte er sich denn auch bis zu seiner Rückkehr nach Wien im März 1790 darauf, die bald akut gefährdete letzte österreichische Bastion, die treu gebliebene Stadt und Provinz Luxemburg, gegen den drohenden Ansturm der belgischen Rebellen in Verteidigungsbereitschaft zu versetzen und in Trier eine Art Exilregierung zu bilden. In der Luxemburger Auffangstellung übernahm FZM Bender das Kommando über die Reste des österreichischen Belgienkorps, nachdem sich General d'Alton seiner Rechenschaftspflicht noch im Februar 1790 durch Selbstmord entzogen hatte. So kam man gar nicht in die von Kaunitz perhorreszierte Lage, mit rebellischen Untertanen ernstlich verhandeln zu müssen, und noch weniger war man angesichts des Türkenkrieges und eines kurz bevorstehenden bewaffneten Konflikts mit Preußen und Polen in der Position, die Belgier mit Waffengewalt in den Schoß der habsburgischen Herrschaft zurückzuführen. Die neuerliche Aufhebung der wohlgemeinten und heilsamen josephinischen Verfassungsreformen durch den Kaiser und Landesfürsten, wie sie Kaunitz in einem Manifestentwurf an die Adresse der belgischen Provinzen Ende November 1789 in Aussicht stellte, um den angeblich kriminellen Machenschaften einer kleinen Gruppe von Aufständischen jeden Vorwand zu nehmen, Treue, Gehorsam und Zuneigung zum Herrscher zu sanieren, und die Zusicherung, in Hinkunft nur mehr im Einvernehmen mit den Ständen zu handeln, bestätigten quasi im Nachhinein schon vor Ort gemachte Zugeständnisse. Joseph II. selbst rechnete durchaus damit, daß sich die Belgier angesteckt von der grassierenden „folie de liberté" und unterstützt von Preußen und Frankreich - eine Verfassung à la française geben würden. Allfällige Hoffnungen, bis zu der für Frühjahr 1790 verbindlich erwarteten Generalattacke der Preußen, die Lage in den Österreichischen Niederlanden wieder unter Kontrolle zu bringen, waren jetzt kaum noch realisistisch, und die Entsendung eines Versöhnungskommissars anstelle einer starken Armee zur gerechten Bestrafung hatte im Angesicht der verzweifelten Lage der Habsburgermonarchie wenig Großmütiges, sondern eher den Beigeschmack der Selbsterniedrigung 140. 140 Joseph II. an Kaunitz (26. 11. 1789; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1789; Druck: [Beer] 1873, 354f.), Kaunitz an Joseph II. (29. 11. 1789; StK Vor-

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c) Revolution in Lüttich Die Erhebung in Lüttich, einem Reichsglied mit besonders engen Bindungen an Frankreich, gegen das autokratische Regiment des Fürstbischofs Hoensbroech im Sommer 1789 war nicht nur als bedeutendste revolutionäre Erschütterung auf dem Boden des Reichs im engeren Sinne von Gewicht. Hier zeigte sich vielmehr in besonders deutlicher Weise, wie weit der preußisch-österreichische Antagonismus seine Kreise zog und wie sehr sich andere Problemfelder diesem Primat der Erbfeindschaft unterzuordnen hatten141. Hatte Preußen seit Jahresende 1789 die stürmischen Ereignisse in Lüttich und die Intervention des Reiches dankbar aufgegriffen, um hier nicht nur die französisch-österreichische Dominanz aufzubrechen, sondern auch mit dem belgischen Widerstandspotential gegen Habsburg in engsten Kontakt zu kommen, es zur Schwächung der Stellung Wiens im bevorstehenden Entscheidungskampf aktiv formen zu können, so kehrte sich schließlich die Rollenverteilung um: das zwar außenpolitisch einleuchtende, reichspolitisch aber indiskutable Engagement Berlins in der Lütticher Frage leitete die Auflösung des Fürstenbundes und einen prohabsburgischen Klimawandel im Reich ein. Das endgültige Scheitern der Lütticher Revolution im Januar 1791 markierte für die Politik Preußens eine herbe Niederlage. Die Ereignisse im nahen Frankreich waren nicht ohne Einfluß auf den gewaltsamen Ausbruch bereits seit Jahren schwelender Differenzen und die träge 146 Konv. 1789 X - XII) mit Proklamationsentwurf „Aux états de toutes les provinces des Pays-Bas autrichiens", Kaunitz an Joseph II. (14. 1. 1790; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1790; Druck: [Beer] 1873, 356f.) mit ksrl. Apostille. Joseph II. an Trauttmansdorff (28. 11. 1789; Druck: [Schiitter] 1902, 508 - 510). Ph. Cobenzl an Kaunitz (24. 11. 1789; GK 406 Konv. A; Druck: [Schiitter] 1899 a, 52 f.), Kaunitz an Ph. Cobenzl P. S. (6. 12. 1789; GK 406 Konv. A; Druck: [Sehl titer] 1899 a, 54). Vorbereitende bzw. begleitende Korrespondenzstücke zur Mission Cobenzls 1789/90 sind bei [Brunner] 1871, 101 - 118, nach Belgien DD A Vorträge 14 abgedr., die Instruktion für Cobenzl (29. 11. 1789) u. weitere Piècen bei [Schiitter] 1902, 792 - 796. Kaunitz an Mercy (12. 12. 1789; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1789 IX - XII). - Joseph II. an Leopold (26., 30. 11., 3., 6., 7., 10., 17., 21., 24., 28., 31. 12. 1789, 7., 14., 25. 1. 1790; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 289 - 296, 302 - 306, 308 - 310, 313). Vgl. auch die Memoiren Cobenzls: [Arneth] 1885, 140 - 148. - Noailles an Montmorin (28. 11., 1., 5., 23. 12. 1789), Montmorin an Noailles (22. 12. 1789): AMAE CP Autriche 358. - Die Studie von Sprunck 1956 verliert sich leider in einer unkritischen Nacherzählung der ausgewerteten belgischen Quellen. Die Abteilung Belgien des HHStA enthält übrigens einen eigenen Fonds zur Mission Cobenzls 1789/90. 141 Aus Reichssicht Aretin 1967, Bd. 1, 218 - 229 (mit weiterer Literatur). Weiters Néve 1990. Wittichen 1905, 48 - 54, Doyon 1923, Braubach 1961, 207 - 233 (aus Kölner Perspektive), Dambacher 1974, 270- 329, Neugebauer-Wölk 1991. Harsin 1954 faßt die ältere Literatur sehr übersichtlich zusammen.

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politische Aktivierung der Stadtbevölkerung von Lüttich geblieben. Im August 1789 wurde die Lütticher Stadtverwaltung - seit der den 3. Stand entmachtenden Regelung des Jahres 1684 wesentlich vom Fürstbischof bestimmt - gesprengt und durch ein neues „patriotisches" Régime ersetzt. Fürstbischof Hoensbroech flüchtete nach anfänglicher Konzessionsbereitschaft Ende August nach Trier, ein Großteil des Domkapitels wartete in Aachen auf die Retablierung des status quo ante. Unter Einfluß des Kölner Kurfürsten, des Habsburgers Max Franz, erließ das Reichskammergericht - in diesen turbulenten Zeiten stets rasch und energisch eingreifend - noch im August 1789 an die Direktoren des Niederrheinisch-Westfälischen Kreises (Köln, Pfalzbayern für Jülich, Preußen für Kleve), dem Lüttich angehörte, Aufforderungen zur Wiederherstellung des verfassungsmäßigen Zustandes im Fürstbistum an der Maas. Anders als bei der Befriedung der kleineren Unruhen in Stablo-Malmédy kam es bei der Reichsexekution gegen Lüttich zu größeren Problemen, denn Preußen verfolgte dabei ganz andere als „reichische" Interessen und ließ den Lütticher Revolutionären sogar Sympathiebezeugungen übermitteln. Denn die Koordinierung oder wenigstens Beeinflussung des belgischen Widerstands gegen Habsburg und der mit Berlin in Kontakt getretenen lüttichschen Revolution als Spitzen gegen Wiens Positionen in diesem Raum sollte von Lüttich aus in preußischem Sinne erfolgen - bei allen Bedenken gegen ein „revolutionäres Pulverfaß" im Dreieck Belgien-Frankreich-Lüttich. Die preußische Außenpolitik im Angesicht der revolutionären Erschütterungen zu Ausgang der achtziger Jahre war keine Politik für die Revolutionäre in Belgien, Lüttich oder Frankreich, sondern in allererster Linie eine Politik gegen Österreich; unter diesem Gesichtspunkt radikalisierten sich gerade die Ansichten des Königs deutlich. Seit den frühen achtziger Jahren schon hatte Hertzberg dem Lütticher Gebiet, das die Österreichischen Niederlande in zwei Teile spaltete und zugleich die Verbindung mit dem „habsburgischen" Kurfürstentum Köln störte, größte Bedeutung beigemessen und früh Kontakt mit den „Patrioten" im Fürstbistum aufgenommen, sie durch die preußische Diplomatie unterstützen lassen. Als Anhänger eines gemäßigten Frühkonstitutionalismus bzw. als Vorreiter des „Geheimratsliberalismus" (W. Lüdtke) sah auch Hertzberg angeblich keine Probleme, die Nähe zu den Malkontenten im Fürstbistum zu suchen. Der Ausführung der Reichsexekution gedachte Berlin durch Vermittlung des preußischen Gesandten beim Westfälischen Kreis Christian Wilhelm von Dohm (1751 - 1820) zwischen dem geflüchteten Bischof und seinen rebellischen Untertanen zuvorzukommen, um so den Einfluß Berlins sicherzustellen und die Belgier nicht zu verschrecken (September 1789). Die Hoffnungen auf eine rein preußische Exekution, die so, wie von Berlin stets intendiert, mehr den Charakter einer Mediation angenommen hätte, erfüll-

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ten sich zwar nicht. Nach weitgehenden Zugeständnissen des preußischen Kreisgesandten an die Lütticher Revolutionäre rückten aber Ende November 1789 die Truppen Friedrich Wilhelms Π. durchaus als Garanten der neuen Freiheit in Lüttich ein; das preußische Exekutionskorps wurde quasi zu einem Auxiliarkorps der Revolution, der König von Preußen zum „protecteur des rebelles". Für Joseph II. und die Staatskanzlei stand außer Frage, was Preußen damit bezwecken wollte: den sprungbereiten Belgiern sollte Hoffnung auf gleichartige Unterstützung gemacht werden. Köln und Lüttich protestierten gegen die Vorgangsweise Preußens, Max Franz zog seine Truppen ab. Das Reichskammergericht gab dem reichsrechtlich korrekten Standpunkt der Kirchenfürsten in einem Urteil von Anfang Dezember 1789 Recht, ordnete die Herstellung des status quo ante an und desavouierte somit das preußische Entgegenkommen gegenüber der Revolution in Lüttich. Vor diesem Hintergrund begann sich auch das Fürstenbundmitglied Mainz deutlich von Preußen zu distanzieren und dem österreichischen Lager zu nähern; Köln bearbeitete den Mainzer auf das heftigste, auch Josephs Nachfolger, Leopold II., schmeichelte dem eitlen Kurfürsten so gut als möglich; die österreichische Partei am Hof des Kurfürsten wurde stärker. Selbst Hannover und Sachsen mißbilligten die recht vordergründigen „revolutionären Sympathien" des Preußenkönigs, sein reichskonstitutionswidriges, den Bestimmungen des Fürstenbundes von 1785 zuwiderlaufendes Verhalten 142. 5. Systemwechsel?

a) Die Mission des Herzogs von Orléans nach London Nicht nur an der revolutionären Basis, auch an der französischen Staatsspitze machte man sich um die Entwicklung in Belgien ernste Gedanken. Botschafter Mercy tat von Paris aus alles, um das Generalgouvernement in Brüssel über Querverbindungen und Intrigen zu informieren, von denen er in Paris Kenntnis erlangte, ehe die Kampfhandlungen im November 1789 den Kontakt in die Österreichischen Niederlande abreißen ließen. Der französische Außenminister selbst warnte vor dem regen Interesse im Pariser 142

Im Sommer 1790 trat der Referendar der Reichskanzlei Albini als Hofkanzler in die Dienste des Mainzer Kurfürsten. Zu seiner nicht erfolglosen Mission im Reich 1789/90, durch die bei wohlgesonnenen, den Österreichischen Niederlanden benachbarten Reichsständen um Truppenhilfe geworben und - v.a. gestützt auf Preußens zwielichtige Rolle in Lüttich - Stimmung für Österreich bzw. gegen Preußen gemacht werden sollte: Spielmann an Joseph II. (2. 12. 1789; StK Vorträge 146 Konv. 1789 X - XII) mit Beilage, Vortrag Kaunitz (14. 2. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 I - III; Druck: Ranke 1875, 545 f.). - Noailles an Montmorin (9., 12. 12. 1789, 2., 6., 30. 1. 1790; AMAE CP Autriche 358 u. 359). 19 Hochedlinger

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Publikum, vor den gefährlichen Ambitionen einzelner Klüngel in der Nationalversammlung. Hohe französische Offiziere, belgische Grandseigneurs in französischen Diensten gingen auch gegen den Widerstand der schon hoffnungslos schwachen königlichen Verwaltung in die Österreichischen Niederlande, um der antihabsburgischen Opposition auf die eine oder andere Weise den Rücken zu stärken (November 1789). Die französische Regierung selbst gab sich allerdings in der für den Kaiser so überaus sensiblen Belgienfrage, in der außenpolitische Erwägungen mit dem von den eigenen Untertanen gekränkten Selbstwertgefühl eines Monarchen zu einer hochexplosiven Mischung zusammenrannen, erschreckende Blößen und gefährdete dadurch mehr und mehr den Bestand des „système de 1756". Wenn Frankreich sich schon in zunehmendem Maße außerstande zeigte, auch nur den Schein der Paktfähigkeit zu wahren, so sollte es sich Wien zuliebe wenigstens ruhig verhalten. Es kam ganz anders: Aus primär innenpolitischen Gründen schien es Ludwig XVI. schon kurz nach den schrecklichen Oktobertagen 1789, an denen der Herzog von Orléans unrühmlichen Anteil genommea haben soll, angezeigt, den turbulenten Cousin - seine Anglophilie und private Verbindungen in die englische Politik und Gesellschaft nutzend - mit einer schrulligen diplomatischen Mission in London zu beschäftigen 143. Neben Sondierungen zur englischen Haltung in bezug auf die innere Krise Frankreichs - man verdächtigte die Briten ja seit langem, die Revolution zu schüren und für einen vernichtenden Schlag gegen den alten Rivalen nützen zu wollen - war es aber speziell die prekäre Zukunft der Österreichischen Niederlande, die im Zentrum der Instruktionen für Orléans stand. Plante die Tripelallianz nach dem befürchteten Ende der habsburgischen Herrschaft über Belgien, neu über die Provinzen zu bestimmen, sie den Vereinigten Niederlanden zuzuschlagen, eine unabhängige Republik zuzulassen oder aber ein selbständiges Fürstentum unter einem ausländischen Prinzen zu errichten, so wollte auch Frankreich sich - prinzipiell der dritten Variante zugeneigt - in die diesbezüglichen Verhandlungen einschalten ... die Zustimmung des Kaisers und eine anständige Entschädigung für Wien vorausgesetzt. Plante man lediglich die Abschiebung des unbequemen 143 Castelot 1950, 177 - 190, La Marie 1989, 412ff., Lever 1996, 360 - 384, und speziell Carton de Wiart 1924 (Dokumentenanhang 15 - 86). Am Rande auch [Elliot] 1862, 279 ff. Orléans zählte durch den Einfluß seines Erziehers von jeher zu den Gegnern des „système autrichien". - Der Autor der „Liaisons dangereuses", Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos, war Sekretär des Herzogs von Orléans und begleitete ihn in dieser Eigenschaft auf der Mission nach London. Vgl. Poisson 1985, 206 - 256, zur Reise nach England bes. 243 - 256. Poisson ist insgesamt eine überzeugende Relativierung der angeblich so schwarzen Verschwörerrolle Orléans während der Revolution gelungen. Vgl. weiters Lison 1904, [Orléans] 1973, Bd. 1, 105 - 113, Dard 1905.

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und gefährlichen Herzogs aus Paris, dann wären gewiß - so die Staatskanzlei zu Recht kritisch - weniger heikle Missionen zur Auswahl gestanden als jene, die man wohl besser und wesentlich unauffälliger durch die ordentliche diplomatische Repräsentanz in England hätte ausführen lassen können. Eine derart umstrittene und notorisch undiplomatische Person wie der Duc d'Orléans, der überall Porzellan zerschlug und sogar in London mit seinem Gefolge zum allgemeinen Aufsehen die trikolore Kokarde der Revolution trug, schien dafür denkbar ungeeignet, es sei denn, dem ,enfant terrible* der französischen Königsfamilie selbst wurden Chancen eingeräumt, jener Fürst eines unabhängigen Belgien zu werden, von dem in den Instruktionen die Rede war, und dafür fehlten weder die Anhaltspunkte noch entsprechende Eingeständnisse des französischen Außenministeriums! Die Optik war verheerend, die Signalwirkung für den Zustand der österreichisch-französischen Allianz vernichtend, noch dazu als die Entwicklung in Belgien bis Dezember 1789 der Mission Orléans' neue, am Beginn wohl noch ungeahnte Perspektiven eröffnete. Dadurch, daß man der Staatskanzlei bereitwillig eine Abschrift der Instruktionen für den Herzog von Orléans zur Verfügung stellte und sich offenherzig über die innenpolitische Motivation dieses verunglückten Manövers, also über den Wunsch einer möglichst intensiven Ablenkung des Herzogs von französischen Interna ausließ, konnte Paris den üblen Eindruck kaum mehr sanieren. Für Joseph Π. bestätigte sich mit diesem scheinbaren Triumph der „Orléans-Partei", einer allianzfeindlichen, an Preußen und England orientierten, stets gegen die Königin intrigierenden „clique infernale", die Skepsis, die er seit langem dem ärgerlichen und bei Bedarf meist nutzlosen Bündnis mit Frankreich entgegengebracht hatte. Es war die letzte Illoyalität, die nun beim Kaiser das Faß zum Überlaufen, die Beschwichtigungsversuche des Staatskanzlers aber in Argumentationsnöte brachte. Nun fielen bei Joseph Π. die letzten Hemmschwellen, bei dem anstehenden Verzweiflungskampf des Habsburgerreiches notfalls auch die ererbte Allianz mit Frankreich zugunsten neuer Partner zu opfern, also einen radikalen Systemwechsel zu vollziehen. Unter der scharfen Kontrolle der k.k. Gesandtschaft in London erwies sich, daß der Ende Oktober 1789 in der englischen Hauptstadt eingetroffene Orléans letztlich trotz seines neuentdeckten Eifers in der „belgischen Frage" nicht viel ausrichten konnte und - bei seinen Bemühungen um eine sachgerechte Umsetzung der Instruktionen von der französischen Vertretungsbehörde und dem Pariser Außenministerium nach Kräften boykottiert - sehr rasch in seinen bekannt skandalösen Lebenswandel zurückfiel. Paris dachte gar nicht daran, eine offizielle Kandidatur des Skandalherzogs zu fördern oder auch nur zuzulassen, und in Belgien selbst gab es ohnehin keine Basis für die Installierung Orléans. Zwar hatte Trauttmansdorff schon im Juli 1789 berichtet, daß anläßlich der sommerlichen Unruhen Vive19*

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Orléans-Rufe laut geworden waren, eine erfolglose orléanistische Demonstration vom Februar 1790 im nunmehr freien und selbständigen Belgien zeigte aber in wünschenswerter Deutlichkeit, daß kein Anlaß zu irgendwelchen Spekulationen bestand. Nur innenpolitisch war dem taktischen Manöver gegen den Herzog von Orléans, der im Juli 1790 wieder nach Paris zurückkehrte, schließlich der intendierte Erfolg beschieden. Nach und nach erstarb der „Orléanisme" als ernstzunehmende Kraft der revolutionären Bewegung 1 4 4 . Von einer Unabhängigkeit der belgischen Provinzen wollte das offizielle Frankreich in Wahrheit nichts wissen, schon gar nicht, wenn dadurch eine Patronanz der Tripelallianz über Brüssel drohte. Sollte dieser Schreckensfall eintreten, mußte man sogar im französischen Außenministerium bereuen, daß man Mitte der achtziger Jahre mit anderen den bayerischen Tauschplan Josephs II. zu Fall gebracht hatte. In Paris war man durchaus an einem Verbleib der Österreichischen Niederlande bei Wien interessiert, rückte dies aber aus dem Bereich des Möglichen, so sollte auch ein unbe144

Trauttmansdorff an Joseph II. (20., 26., 30. 10., 7. 11. 1789), Joseph II. an Trauttmansdorff (14. 11. 1789): [Schiitter] 1902, 431 - 435, 438 - 440, 445 - 448, 466 - 469, 479 f. Kaunitz an Joseph II. (12. 11. 1789; Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1789; Druck: [Beer] 1873, 347f.), „Réflexions sur le mémoire communiqué par le marquis de Noailles" (13. 11. 1789), Joseph II. an Kaunitz (13. 11. 1789; O in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1789; Druck: [Beer] 1873, 349 f.), Kaunitz an Joseph II. (15. 11. 1789; Ο in FA SB 70 Konv. NW KaunitzJoseph IL/1789; Druck: [Beer] 1873, 352f.): StK Vortrage 146 Konv. 1789 X - XII. Die den Österreichern mitgeteilte Abschrift der Instruktionen für die England-Mission des Herzogs von Orléans (13. 10. 1789) in SA Frkr. Varia 40 Konv. Frkr. Varia 1789. Montmorin an Noailles (3. 11., 22. 12. 1789), Noailles an Montmorin (14., 21. 11., 1. 12. 1789): AMAE CP Autriche 358. Die Instruktion ist auch bei [Voucher] 1965, 558 - 562 abgedr. Großherzog Leopold bestärkte den Kaiser in seinem Ärger über die Mission des Herzogs von Orléans („le comble de Γ iniquité et de la fausseté"), den er als Urheber der Französischen Revolution und Angelpunkt einer gewaltigen antihabsburgischen „Verschwörung" an den Pranger stellte: Leopold an Joseph II. (14. 12. 1789; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 298 - 301). Trauttmansdorff an Joseph II. (27. 7. 1789; Belgien DD A Berichte 315; Druck: [Schiitter] 1902, 323 - 325). Mercy an Kaunitz (27. 10., 4., 18. 11., 4., 11., 18., 26. 12. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 IX - XII), an Joseph II. (18. 11. 1789; wie Anm. 106); Joseph II. an Mercy (3. 11. 1789; wie Anm. 106), Kaunitz an Mercy (3. 11. 1789; wie Anm. 106). Mercy an Marie-Antoinette (21. 10. 1789; wie Anm. 122), Marie-Antoinette an Mercy (23. 10. 1789; FA SB 71 d. A/Konv. 1789; Druck: [Rocheterie/Beaucourt] 1895/96, Bd. 2, 150f.). Joseph II. an L. Cobenzl (6. 12. 1789; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 373 f.). Rewitzky an Kaunitz (23., 30. 10., 6. 11., 18. 12. 1789 usw.; SA England Berichte 127 Konv. Berichte 1789 VII - XII), Trauttmansdorff [?] an Rewitzky (6. 11. 1789; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1789). - Orléans drohte später damit, die wahren Hintergründe seiner Londoner Mission durch ein Mémoire offen zu legen: Abbé de Montesquiou an Montmorin (9. 4. 1791; Druck: [Bacourt] 1851, Bd. 2, 260).

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fangenes Herangehen an andere Lösungsansätze zulässig sein, denn mit Belgien drohte Frankreich ein schützendes Glacis zu verlieren. Um dies zu verhindern, hatte man freilich nicht genug Machtmittel zur Hand. Truppenhilfe gegen die belgischen Rebellen kam nicht in Frage, aber gegen Preußen, Briten und Holländer die Garantie der alten belgischen Verfassung zu übernehmen, dazu fühlte man sich auch an der Jahreswende 1789/90 noch in der Lage. Der von den Ereignissen in Belgien tief getroffene Kaiser allerdings hatte den französischen Verbündeten in seiner außenpolitischen Konzeption sehr weitgehend abgeschrieben. Der Schock der Orléans-Mission, die nur zu augenfällige Schwäche Frankreichs, die eine Zügelung des im Beneluxraum hektisch intrigierenden preußischen Königs von dieser Seite unwahrscheinlich machte, und das bedenklich große Interesse einzelner Gruppierungen innerhalb der französischen Nationalversammlung für die „Nachbarrevolution" und mögliche Gemeinsamkeiten ließen sich als gravierende Minuspunkte jetzt nicht mehr ausbügeln. Da half es auch wenig, wenn Paris der Staatskanzlei stolz ausrichten ließ, daß Ludwig XVI. Anfang Dezember 1789 ein Schreiben van der Noots, also eine Art „Unabhängigkeitserklärung" der Belgier, ungeöffnet zurückgeschickt und die Nationalversammlung, der ebenfalls solche Schriftstücke vorlagen, aufgefordert hatte, ein Gleiches zu tun. Denn der neue Hoffnungsträger der österreichischen Politik war Großbritannien, und die Abweisung der belgischen Bemühungen um internationale Anerkennung in Paris stieß in Wien weniger auf dankbare Anerkennung, mehr auf verwunderte Kritik. Joseph II., v.a. aber Staatskanzler Kaunitz fanden es bezeichnend, daß die Nationalversammlung dem Schritt des Königs nicht umgehend gefolgt war und Ludwig XVI. in seinem Schreiben an die Constituante überhaupt keinen Bezug auf die österreichisch-französische Allianz zu nehmen wagte, die per se ein Eingehen auf die Anwürfe van der Noots verbieten mußte. Botschafter Mercy enthüllte seinerseits der Staatskanzlei, daß nun auch das französische Außenministerium eine eigene Sondierungsmission nach Belgien gesandt hatte. Auch wollte er nicht ausschließen, daß die Nationalversammlung angesichts der allgegenwärtigen Begeisterung für Freiheit und Selbstbefreiung der Völker, aber auch wegen der weitverbreiteten Abneigung gegen das „système autrichien" nicht doch über kurz oder lang das ihr zugestellte Paket zur Verhandlung stellte und die Unabhängigkeit der belgischen Provinzen anerkannte. Mit bitterem Sarkasmus blickte Joseph Π. dem Zeitpunkt entgegen, da Frankreich sich auch im Angesicht der bevorstehenden bewaffneten preußisch-österreichischen Konfrontation davonstehlen und so endgültig der verdienten Verachtung des Staatenkonzerts verfallen mußte. Selbst Choiseuls Mittlertätigkeit in Konstantinopel bekam die Auswirkungen des dramatischen französischen Machtverfalls zu spüren und verblaßte mehr und mehr vor dem Hintergrund der schwedischen und v. a. der preußi-

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sehen Intrigen. Die katastrophale innere Entwicklung in Frankreich hatte endlich auch auf die Außenpolitik in nicht mehr überspielbarer Weise durchgeschlagen. „Der König sey tronlos, gefangen, seines künftigen Schicksals ungewiß und habe weder Einfluß noch Macht noch Minister, denen nicht von allen Seiten die Hände gebunden wären. Die hießige Monarchie sey im Begrif, sich ganz und gar verlaßen, ohne Sistem, ohne Alliirte und als ein Wurfballen jener gottlosen Menschen ausgesezt zu sehen, die sich aus deren gänzlichen Auflößung eine boshafte Freude machten", so das dramatische Eingeständnis des amtsmüden französischen Außenstaatssekretärs Montmorin, das Botschafter Mercy Ende Januar 1790 nach Wien weiterleitete 145.

b) Österreichische Annäherungsversuche in London Gegenüber der Bedrohung der Integrität der Habsburgermonarchie traten selbst die großen militärischen Erfolge der k.k. Armeen vom Sommer und Herbst 1789 in den Hintergrund. Im Denken des Kaisers waren diese schon vor der belgischen Katastrophe angesichts der gefährlichen Haltung der Tripelallianz und der drohenden Haltung der Polen auch nie mehr als geeignete Anknüpfungspunkte für einen schleunigen Frieden mit dem Sultan gewesen, während Kaunitz - an einem preußischen Angriff im Frühjahr konsequent zweifelnd - nach der alten Rollenverteilung im November 1789 immer noch für die energische Fortsetzung des Krieges gegen die Pforte und die selbständige Erreichung eines durchschlagenden Siegfriedens plädiert hatte. Bis Anfang Dezember 1789 verschlechterten sich allerdings nach Auskunft Choiseul-Gouffiers aller Zugeständnisse ungeachtet die Aussichten auf einen Erfolg der österreichischen Friedenssondierungen vom Oktober, während die Chancen für eine nun eifrig betriebene preußisch-türkische Allianz wuchsen, das Gespenst eines russisch-türkischen Separatfriedens an Konsistenz gewann und das drohende Auftreten Berlins eine Mobilisierung 145 Noailles an Kaunitz (29. 12. 1789; SA Frkr. NW 14 Konv. V. d. franz. Botschaft/von Noailles 1789 - 1792) mit Kommunikat zur Abweisung der Anwürfe van der Noots in Paris. AP 10, 493 (10. 12. 1789). Montmorin an Noailles (16. 12. 1789, 22. 1., 13. 2. 1790), Noailles an Montmorin (30. 12. 1789, 6., 13. 1., 10. 2. 1790): AMAE CP Autriche 358 u. 359. Mercy an Kaunitz (4. u. 28. 1. 1790 [Zitat]; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Mercy-Kaunitz 1790 I - IV), Partikularschreiben dess. an dens. (4. 1. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Mercy-Kaunitz 1790; Druck: A&F 2, 290), dto. (28. 1. 1790; wie Anm. 133); Joseph II. an Mercy (4. 1. 1790; Druck: A&F 2, 288 - 290), Kaunitz an Mercy (6. 1. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790 I - V; Druck: [Vivenot] 1873, 477 - 482), Partikularschreiben des Staatskanzlers an dens. (6. 1. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790; Druck: A&F 2, 291 f.).

III. Die Katastrophe

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starker österreichischer Verbände in Böhmen und Mähren nötig machte. Wien mußte schon den Mut der Verzweiflung nach außen kehren, um den Preußen „Stoff zum Nachdenken" zu geben; von Rußland erbat man sich Anfang Dezember 1789 zur Einschüchterung des preußischen Erzfeindes eindrucksvolle Truppenkonzentrationen in Weißrußland und der Ukraine und informierte den Partner in Petersburg zugleich über einen sensationellen diplomatischen Vorstoß in London, der der starken anglophilen Strömung in Rußland willkommen sein mußte und endlich den Schlußstrich unter die sterilen Verhandlungen mit Frankreich zog: Um Friedrich Wilhelm II. der britischen Rückendeckung zu berauben, offerierte der Kaiser dem englischen Ministerium Anfang Dezember 1789 eine Defensivallianz 146 . Hatte sich London seit Ausbruch aus der „splendid isolation" ab den frühen achtziger Jahren mehrfach und ohne Erfolg um eine Annäherung an Wien und Petersburg bemüht, schon wenig später aber den Kaiser durch Hannovers Fürstenbundaktivitäten auf das äußerste verstimmt, so war es nun seit November 1789 Joseph II., der bei seiner Politik der Notmaßnahmen ein Rapprochement gegenüber dem Hof von St. James versuchen mußte. Die traditionelle Bündnisachse mit Frankreich erwies sich durch die machtpolitische Nullität des Alliierten als Mittel zur Krisenbewältigung völlig untauglich, während eine signalhafte Anknüpfung mit London den Spaltkeil zwischen Preußen und Briten trieb, zügelnd wirkte und so vielleicht schon eo ipso die Ausbreitung des „Kriegsbrandes" durch die Berliner Feuerköpfe verhinderte. Daß die englische Diplomatie mit den phantastischen Plänen Hertzbergs wenig anzufangen wußte, war Staatskanzlei und Kaiser seit längerem bekannt und konnte sich vielleicht als dankbarer Ansatzpunkt für die österreichische Initiative erweisen. Die ärgerliche Mission des Herzogs von Orléans, die ein bedenkliches Licht auf die Verläßlichkeit Frankreichs warf, machte den Schritt in London wesentlich leichter, ließ v.a. beim Kaiser den Wunsch „bis zur Überzeigung" gedeihen, sich England zu nähern. Auch wenn man im letzten keine wirklich böse Absicht des französischen Ministeriums annehmen wollte, so sah man doch die merkwürdige Expedition dieses „schwarzen Schafes" der königlichen Familie für „wenigstens höchst ausserordentlich" an und glaubte sich hinfort 146

Kaunitz an Joseph II. (11. 11. 1789; Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1789; Druck: [Beer] 1873, 345 - 347), Joseph II. an Kaunitz (12. 11. 1789; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 431 - 433), Kaunitz an Joseph II. (13. 11. 1789; Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Joseph II./1789; Druck: [Beer] 1873, 350 352): StK Vorträge 146 Konv. 1789 X - XII. Kaunitz an L. Cobenzl (6. 12. 1789; SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Expeditionen 1789), Joseph II. an L. Cobenzl (6. 12. 1789; Druck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 373 f.); Joseph II. an Katharina II. (7. 12. 1789), Katharina II. an Joseph II. (23. 12. 1789/3. 1. 1790): [Arneth] 1869, 342 - 346.

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größerer Rücksichtnahme entbunden. Der durch den machtpolitischen Verfall Frankreichs prinzipiell gewonnene Freiraum kam auch der Staatskanzlei zupaß, als es galt, das gefährliche bündnispolitische Vakuum zu füllen. Schon lange bevor die Orléans-Mission das ohnedies durch die zunehmend greifbar werdende Allianzfeindlichkeit der „öffentlichen Meinung" in Frankreich erschütterte Vertrauensverhältnis einer neuen Belastungsprobe aussetzte, hatte Staatskanzler Kaunitz im September 1789 in seinem Gedankenaustausch mit dem k.k. Botschafter in Petersburg, Graf Cobenzl, die während des Sommers rasant beschleunigte revolutionäre Entwicklung in Paris und den Beginn einer längeren Phase der außenpolitischen Ohnmacht nicht nur als Schlag für das österreichische Bündnissystem, sondern auch als echte Chance für eine freiere Gestaltung des nach 1756 allmählich erstarrten internationalen Mächtespiels begriffen: Mit Frankreich blendete sich nämlich auch ein die Unabhängigkeit Petersburgs und Wiens beengender, die Ostpolitik der Kaisermächte permanent störender Faktor aus, der beizeiten nicht davor zurückgescheut war, die Feinde von Kaiser und Zarin zu unterstützen; die französischen Koketterien mit Preußen fielen weg, man versprach sich durch die Auflockerung der seit 1756 gültigen „Systemalmaßregeln" „eine ungebundnere und selbständigere Lage", mehr „Entschließungsfreyheit". Für England, den alten Hauptrivalen Frankreichs, galt ein solches Argument natürlich a fortiori. Mehrfach philosophierte die Staatskanzlei seit Ausbruch der Revolution über die Auswirkungen der französischen Staatskrise auf das englische außenpolitische System. Noch 1787/88 war es London gelungen, die Niederlande und Schweden aus dem französischen Orbit zu holen und an das Bündnis mit Preußen heranzuführen, und die nachhaltige Schwächung des französischen Rivalen mußte es Pitt und seinem Kabinett erlauben, soferne man den neuen französischen „Nationalgeist" nicht zu sehr reizte, eine Zeit der sicheren Ruhe zu genießen und die innere Konsolidierung voranzutreiben, ehe die allmähliche Erholung Frankreichs die alte axiomatische „Handlungs- und Schiffarthsrivalität" zwischen den beiden Konkurrenten vielleicht wieder auf die Tagesordnung setzte147. Am 23. November 1789 erhielt Staatskanzler Kaunitz aus der Hofburg Auftrag, die nötigen Schritte in London zu veranlassen. Der Fürst reagierte rasch und - zur Freude des Kaisers - positiv. Kaunitz hielt die Annäherung nicht nur für rätlich, sondern sogar ausdrücklich für „erwünschlich"; das von den Umständen diktierte Zusammengehen mit London sollte in seinem Verständnis für die Zeit der französischen Ohnmacht das „système de 147 Kaunitz an L. Cobenzl (2. 9. 1789; SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Expeditionen 1789), an Rewitzky (12. 9. 1789 [nicht expediert]; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1789). Instruktion für Graf Ludolf (1. 10. 1789; SA Schweden 70 Konv. 1789/4).

III. Die Katastrophe

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1756" vertreten, aber nicht völlig ersetzen, denn die Neutralität Frankreichs war und blieb - hatte sich Paris erst einmal wieder von seiner Krise erholt - ein wertvolles Gut, auf das man nicht verzichten konnte. Wien glaubte sich mit den Wünschen und dem „Staatsinteresse" Londons eins, das doch unmöglich den kriegstreiberischen Hertzberg-Plan, die daraus erwachsende allgemeine Gefahr für Europa, gar die Abspaltung der belgischen Provinzen billigen und schwerlich zugestehen konnte, daß sich Preußen auf Kosten Österreichs über Gebühr vergrößerte. So wollte man dem Hof von St. James auf Anraten des Staatskanzlers ein Defensivbündnis anbieten, von dem man behauptete, daß es sowohl mit der britisch-preußischen als auch mit der rein kontinental orientierten österreichisch-französischen Allianz vereinbar sei. Der ganz egoistische Wunsch, die große europäische „Koalition gegen Habsburg" zu durchbrechen und Preußens „Raserei" die Spitze zu nehmen, der einzig wahre Beweggrund, der Wien zu dem Versuch einer Neuorientierung seiner Außenpolitik bestimmte, ließ sich auf diese Weise nur dünn bemänteln. Aussicht auf Erfolg mag durchaus bestanden haben. Zwar war England seit 1788 mit Preußen in einer Defensivallianz vereint, hatte sich aber natürlich nie so antiösterreichisch gebärdet wie Berlin. Wien fand immer noch einen „Anstrich von Mäßigung und Billigkeit" in den britischen Äußerungen und hegte Zweifel, ob London überhaupt vollständig über die entsetzlichen Pläne Berlins informiert war. So konstruierte man einen Gegensatz zwischen dem völkerrechtswidrigen, alle Regeln der Billigkeit und Redlichkeit über Bord werfenden preußischen Betragen und dem nolens volens in dieses garstige Spiel hineingezogenen englischen Alliierten, der mit den „incendiarischen Projekten" Hertzbergs eigentlich gar nichts zu tun haben wollte und nur nach außen eine einträchtige Fassade aufrechterhielt. Die recht allgemeine Äußerung des britischen Außenstaatssekretärs Leeds vom Oktober 1789, England wünsche die europäische Ruhe wiederhergestellt zu sehen, kam hier gerade recht. Noch Anfang Dezember 1789 ergingen die entsprechenden Weisungen an die k.k. Gesandtschaft in London. Sie kreisten hauptsächlich um den „revoltanten" Hertzberg-Plan und um die belgischen Unruhen, „deren innerliche Triebfeder hauptsächlich in einem blinden Religionsfanatismus und in der hierdurch größtentheils veranlaßten Mißkennung der heylsamen Absichten bestehet, welche Seine Kaiserliche Majestät in dem zur Verbesserung verschiedener Administrationszweige festgesetzten Plane gehabt haben." Aber auch preußische Intrigen wurden namhaft gemacht. Wie auch immer - London informierte man, daß Joseph II. - an einem bloßen Reformstückwerk nicht interessiert - sein „Einrichtungswerk" für Belgien aufgegeben und Vizekanzler Cobenzl zur Wiederherstellung des status quo ante entsandt hatte. Um der durch preußische Wühlarbeiten an vielen Krisenherden

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Β. Krise

drohenden Explosion zuvorzukommen, wollte Wien nun „eine cordiale freundschafts- und vertrauensvolle Berathung" mit Großbritannien in die Wege leiten und sofort Verhandlungen für eine Defensivallianz aufnehmen. Über den k.k. Gesandten in London ließ man versichern, daß der Kaiser weder im Reich noch in Polen für die Preußen gefährliche Pläne verfolgte und sogar mit der Pforte einen würdevollen, in seinen Forderungen aber sehr gemäßigten und primär auf die weitere Absicherung der österreichischtürkischen Grenzen berechneten Frieden zu schließen bereit war 148 . 6. Der außenpolitische Bankrott des Josephinismus

a) Wettlauf um Frieden Während man in Wien mit recht übersteigerten Hoffnungen auf die Antwort aus London wartete, hatte man alle Hände voll zu tun, die schwelenden Krisenherde einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Während Belgien verlorenging, wuchs die Kriegsgefahr gegen Preußen, und separate Friedenssondierungen des Fürsten Potemkin gegenüber der Pforte schienen nicht ohne Aussicht auf Erfolg. Alleine in einem Zweifrontenkrieg gegen Türken und Preußen zurückgelassen zu werden, dem man sich schon gemeinsam mit dem russischen Verbündeten und ohne Ablenkung durch die belgische Sezession nicht gewachsen glaubte, war für die k.k. Diplomatie eine schier unüberbietbare Schreckensvision. Eiligst wurde daher die seit längerem geplante Entsendung Baron Thuguts an die Front ins Werk gesetzt und Vorsorge für die eventuelle Einleitung direkter Friedensverhand148 Joseph II. an Kaunitz ([15.?] u. 23. 11. 1789), Kaunitz an Joseph II. (28. 11. 1789), Vortrag Kaunitz mit ksrl. Apostille (2. 12. 1789; Teildruck: [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 1, XXI Anm. 1), Vortrag Kaunitz (3. 12. 1789): StK Vorträge 146 Konv. 1789 X - XII. Kaunitz an Rewitzky P. S. (6. 12. 1789; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1789). Die Hauptweisung fehlt in SA England und ist irrig in Belgien DD A Vorträge 14 eingeteilt (Regest bei A&F 2, 295 f. Anm. 1; Zitat). Eine rückblickende Zusammenfassung des österreichischen Annäherungsversuchs im „Instructionsentwurf" für Stadion (Frankfurt, 21. 10. 1790; SA England Weisungen 129). - Wittichen 1905, 54 - 61, Black 1992, 210f., ders. 1994, 203 - 224. - Das französische Außenministerium machte sich noch zu Jahresanfang 1790 ernste Gedanken über die weitere Ausbaufähigkeit der österreichisch-englischen Beziehungen für die Zeit nach der Thronbesteigung Leopolds. Dieser mochte immerhin in seiner bekannten Friedenssehnsucht veranlaßt werden, sich zum Schaden Frankreichs an die Tripelallianz anzuschließen und so fast alle Krisenherde mit einem Schlag einigermaßen einzudämmen. Bessere Aussichten eröffnete, abgesehen von unerfüllbaren Unterstützungsansuchen der Österreicher, ein Krieg zwischen Berlin und Wien, in dem sich so zwei kontinentale Rivalen Frankreichs aufreiben würden und Preußen vielleicht sogar wieder Annäherung an Paris suchte, um jede Unterstützung für Habsburg zu vereiteln: „Réflexions sur la mort prochaine de Γ Empereur" ([ca. Januar/Februar 1790]; irrig in AMAE CP Autriche 355 [Dezember 1788]).

III. Die Katastrophe

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lungen durch Laudon und Sachsen-Coburg getroffen; Internuntius Herbert hatte Vizekanzler Cobenzl auf seine Belgienmission begleitet und stand daher im Moment nicht zur Verfügung. Die Beendigung des hinderlichen Türkenkrieges war in den Augen Josephs Π. nun nicht mehr - günstige Bedingnisse vorausgesetzt - ein erstrebenswertes Ziel, sondern ein absolutes Muß. Entsprechend konzessionsbereit zeigte sich der Kaiser, als ihm Mitte Dezember 1789 von der Staatskanzlei die endgültigen Instruktionen für Thugut vorgelegt wurden. Hier fanden sich noch allerlei Bedingnisse an die österreichische Friedenswilligkeit geknüpft, und eben damit war der kriegsmüde Joseph nur sehr bedingt einverstanden. Angesichts der fast totalen Erschöpfung der Ressourcen, der bedrohlichen äußeren Lage und der Gärung im Inneren mußte der Frieden rasch und unter allen Umständen herbeigeführt werden, sämtliche schädlichen „Kunstgriffe", wie sonst bei diplomatischen Verhandlungen üblich, waren jetzt zu unterlassen. Ausgangsbasis sollte für die österreichische Verhandlungsposition nach Wunsch des Kaisers der Passarowitzer Friedensstand von 1718 sein, alles weitere Chotin, die besetzten Teile der Moldau und Walachei, ja selbst die zu weit außerhalb der Verteidigungslinie gelegene „österreichische" Walachei durfte aufgegeben und äußerstenfalls sogar unter Rückstellung aller Eroberungen abgeschlossen werden. Als Verwaltungskommissar für die österreichisch besetzten Teile der Donaufürstentümer getarnt verließ Thugut nach der Dezembermitte 1789 Wien Richtung Bukarest 149. Bei alledem war es kein Wunder, wenn Joseph II. Anfang Dezember 1789 seinem Bruder Leopold gestand: ,je vois très noir". Gegen Jahresende 1789 schien endlich jene Situation gegeben, von der die Preußen immer geträumt hatten: Nicht nur die Türken standen mit dem Rücken zur Wand, auch die Habsburgermonarchie taumelte mit dem todkranken Kaiser offensichtlich ihrem Untergang entgegen. Mit dem Verlust der Österreichischen Niederlande war Österreich so erpreßbar geworden, daß die Pforte für eine Realisierung des Hertzbergschen Ringtausches gar nicht mehr auf die Donaufürstentümer als Kompensation für Wien verzichten mußte. Die Rückführung Belgiens unter österreichische Botmäßigkeit mit Hilfe der Tripelallianz und unter stark beschränkenden Bestimmungen und der Grenzverlauf von 1718 mußten aus dem Blickwinkel der Preußen für Joseph II. eine mehr als großzügige Abfindung für die Rückgabe Galiziens an Polen sein. Hatte Berlin den Türken lange Zeit nur relativ abstruse Konstruktionen anbieten wollen, so ging Preußen seit 1789 verstärkt dazu 149

Joseph II. an Kaunitz (1., 5. u. 6. 12. 1789), Vortrag Kaunitz (7. 12. 1789) und dto. (13. 12. 1789) mit ksrl. Resolution (Druck: Ranke 1875, 540f., [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 433 f.), Vortrag Kaunitz (19. 12. 1789): StK Vorträge 146 Konv. 1789 X - XII. KA NL Zinzendorf TB 34 (7. 12. 1789). - Noailles an Montmorin (12., 23. 12. 1789; AMAE CP Autriche 358). - Roider 1987, 76 - 80.

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über, den Sultan mit einem Offensiv- und Defensivbündnis zu ködern und ihm die Hilfe der Tripelallianz in Aussicht zu stellen. Eng angebunden an den schwedisch-russischen Konflikt und den erwarteten Schlagabtausch zwischen Österreich einerseits, Polen und Preußen andererseits sollten die Türken den Krieg unter preußischer Leitung fortführen und nur unter Mediation Friedrich Wilhelms Π. Frieden schließen. Das einst massive Drängen auf Annahme der preußischen Vermittlung durch die beiden Kaiserhöfe war nun zugunsten einer direkten und gerade für Österreich Furcht gebietenden Anknüpfung mit der Pforte in den Hintergrund getreten. Marchese Lucchesini bereitete indes in Polen den preußischen Ambitionen und einer Diversion gegen Galizien das Terrain, schuf mit polnischer Unterstützung auch Voraussetzungen für eine Aufstandsbewegung im Inneren der ehemals polnischen Provinz und konnte sich ungeachtet der von der Staatskanzlei betonten schreienden Unvereinbarkeit zwischen der preußischen Beschützerrolle gegenüber Polen und den Vergrößerungsabsichten auf Kosten der Republik gute Chancen auf Erfolg ausrechnen. Sogar in den im Dezember 1789 endültig abgefallenen Österreichischen Niederlanden entdeckte man unzweifelhafte Spuren preußischer Intrigen, die von Lüttich aus ihre Fäden nach Brüssel und angeblich sogar - im Sinne einer „Vernetzung" der drei „Schwesterrevolution" - nach Paris spannen. Der hessische General Nikolaus Heinrich Freiherr von Schönfeldt (1733 1795) übernahm Anfang 1790 - auf Initiative Preußens, das sich um die Schlagkraft der Patriotenverbände sorgte - das Kommando über die belgische Insurgentenarmee. Daß im Reich die Stimmung für Preußen wegen der unrühmlichen, ja „reichsverräterischen" Rolle des Fürstenbundführers in der Lütticher Angelegenheit zunehmend ungünstig wurde, war dagegen vorerst nur ein Tropfen auf den heißen Stein und sollte sich erst langfristig als idealer Hebel für die Zertrümmerung des preußischen „Gegenkaisertums" erweisen. Ende Dezember 1789 waren auch für die bislang skeptische Staatskanzlei die letzten Zweifel an der für Frühjahr 1790 geplanten Offensive des preußischen Königs zerstreut; eine Annahme des Hertzberg-Planes unter Rückgabe Galiziens kam allerdings keinesfalls in Frage, wie man dem k.k. Gesandten in Berlin, Fürst Reuß, im Dezember 1789 in aller Deutlichkeit auseinandersetzte. Es wäre doch unbillig zu verlangen, daß Österreich nach zweijährigem Krieg „mit nahmhafter Vermehrung der Schuldenlast und Verminderung des eigenen Populations- und Wohlstandes" ohne Lohn für seine glänzenden Siege, ja ohne Wiedergutmachung für den erlittenen Schaden ausscheiden sollte, während Preußen ohne Gefahr und Mühe durch eine ungerechte und dem Völkerrecht widerstreitende ,aufgezwungene Mediation4 eine sehr wesentliche Acquisition machen durfte. „Anstatt allso daß der preusische Antrag den Beweggrund des zu erhaltenden dermaligen Gleichgewichts beider Mächte für sich hätte, würde dasselbe ofenbar ver-

III. Die Katastrophe

lezt und eigentlich eine preusische Vergrößerung auf unsere Kosten verlangt werden." Denn der „innere Wert" Galiziens war nun eben viel höher, etwa in Hinblick auf Bevölkerung und Industrie, nicht zuletzt durch die Sorgfalt und die beträchtlichen Investitionen Österreichs seit Erwerb der Provinz 1772, als der herabgewirtschafteter türkischer Provinzen. Besonders Moldau und Walachei galten als „so zugrund gerichtet und entvölkert [...], daß ein Jahrhundert erfordert würde, um selbe in den aequivalenten Zustand zu versetzen", und verlängerten nach Eingliederung in den habsburgischen Herrschaftsbereich die Türkengrenze in unnötiger Weise. Eine Rückgabe Galiziens ließ sich mit dem Ansehen des Kaisers niemals vereinbaren, „welches nicht erlauben kann, diesen durch den dreifachen Theilungstraktatt erworbenen Antheil einseitig zurückzugeben, indessen Rußland und Preusen die ihrigen behielten." Kurzum: „Es hat demnach der Plan des Grafen Herzberg nicht den mindesten Schein irgendeines billigen politischen Grundes, außer das man als einen solchen ansehe, daß Preusen sich berechtiget halte, jede Gelegenheit zu unsrer Verkürzung und seiner Vergrößerung insolang zu benüzen, biß daß beide Staaten an Macht und Umfang vollkommen gleich wären."

Um dem nun fest erwarteten Hauptstoß der Preußen zu begegnen oder ihn - im besten Fall - durch die martialische Demonstration von Verteidigungsbereitschaft noch im Ansatz zur Illusion werden zu lassen, mußten die Truppen in Böhmen und Mähren beschleunigt mobilisiert, alle Reserven ausgeschöpft, die preußischen Rüstungen und Konzentrationsbewegungen gegen Osten und Süden aber genau beobachtet werden. Der „Held von Belgrad", FM Laudon, übernahm schließlich Anfang Januar 1790 das Kommando über die Armee an der Nordgrenze mit Schwerpunkt in Mähren. Mit immerhin 113 Bataillonen und 73 Kavalleriedivisionen übertraf sie den Mannschaftsstand der an der Türkenfront verbliebenen Einheiten bei weitem. Der Kaiser mußte sich den Bankrott seiner Politik eingestehen, klagte seinem Bruder in Florenz bitter über seine Mißerfolge auf der gesamten Linie, über die Undankbarkeit, mit der die Untertanen seine Reformpolitik bedachten. Schwer krank, physisch und psychisch geschwächt, traute sich Joseph II. gar keine eigene Meinung mehr zu, hatte auch nicht mehr die Kraft, sie gegebenenfalls gegen die Bürokratie durchzusetzen, etwa gegen Staatskanzler Kaunitz, der immer noch die für seinen Geschmack zu hektischen Friedensbemühungen des Kaisers relativierte, so gut er konnte 150 . 150 Kaunitz an Reuß (24./26. 12. 1789; StK Vorträge 146 Konv. 1789 X - XII [Zitate]) u. dto. (23. 1. 1790; StK DK Preußen 68 Konv. Weisungen nach Berlin 1790). Joseph II. an Kaunitz (1. 2. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 I - III). Joseph II. an Leopold (3. u. 6. 12. 1789, 4., 7., 21. u. 28. 1. 1790; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 292 - 294, 307 - 309, 311 f., 313 f.). Joseph II. an Mercy (4. 1. 1790; Druck: A&F 2, 288 - 290), Kaunitz an Mercy (6. 1. 1790; wie Anm. 145). Kaunitz an Caché (6. 1.

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Β. Krise

Je größer und unmittelbarer die Gefahr eines preußischen Gewaltschlages im Frühjahr 1790, desto emsiger die österreichischen Direktverhandlungen mit den Türken. Auch hier hatten sich allerdings die Verhältnisse weiter zuungunsten der Österreicher verschoben. Zu Recht betrachteten die Türken die Russen als den gefährlicheren Feind, mit dem man sich einigen wollte, um sich im kommenden Feldzugsjahr gemeinsam mit den Preußen vorzüglich den bedrängten Österreichern widmen und die an sie verlorenen Gebiete zurückgewinnen zu können. Dementsprechend überhäufte man Fürst Potemkin mit Angeboten; die signalhafte Entlassung des russischen Gesandten Bulgakow aus den Sieben Türmen fügte sich gut in das Gesamtbild und vergrößerte die Verhandlungsbereitschaft der Russen, aber auch das Mißtrauen Wiens, das nun fürchten mußte, die von Österreich selbst eröffnete egoistische Friedenssuche könnte sich am Ende gar als spielentscheidendes Eigentor erweisen. Weniger die Hoffnung, Petersburg würde es letztlich nicht wagen, als Hauptkriegspartei auszuscheiden und die Auxiliarmacht im Regen stehen zu lassen, als die Beruhigung über die im Januar 1790 in Berlin vorgebrachten, immer noch überspannten russischen Forderungen - darunter die Bildung eines dacischen Pufferstaates - stärkten letztlich doch die Zuversicht in den eigenen Vorsprung. Als man im Dezember 1789 in Wien die Reaktion des Großwesirs auf die über Laudon ausgestreckten Friedensfühler diskutierte (von der Pforte selbst kam keine Antwort auf die Eröffnungen Choiseul-Gouffiers), lehnte man zunächst den von den Türken angebotenen Waffenstillstand ab, ohne freilich Zweifel an der Friedensbereitschaft aufkommen zu lassen. Kaum war allerdings die selbstbewußte Entgegnung für den Großwesir abgegangen, bestätigten sich die preußischen Kriegspläne definitiv und machten selbst einen längerfristigen Waffenstillstand über die Maßen wünschenswert. Eiligst wurde der Hofdolmetscher Stürmer dem ersten österreichischen Boten mit einer neuen, zustimmenden Antwort ins türkische Lager bei Schumla nachgesandt. Ließ sich der gewünschte Friedensschluß nicht erzielen - ihn rechtzeitig zu erzwingen, hatte man nicht die Möglichkeit, und ein Zweifrontenkrieg war nach dem einhelligen Urteil der Militärs gänzlich unmöglich - , so mußte vorerst auch ein von Kaiser und Sultan ratifizierter Waffenstillstand für 1 - 2 Jahre auf der Basis des uti possidetis genügen, wollte man ausreichend Kräfte für den Kampf gegen Preußen freimachen bzw. die Wartezeit bis zum Eintreffen der britischen Reaktion auf das Allianzangebot überbrücken. 1790; SA Polen II Weisungen 82 Konv. Expeditionen 1790). „Betrachtungen, wie bei einem doppelten Krieg mit den Türken, dann Preußen und Pohlen, die Truppen eingetheilt und die Länder defendirt werden können" (November 1789) und „Schilderung von der gegenwärtigen Lage der Monarchie" (22. 12. 1789): KA Kabinettskanzlei HBP 51. - Criste 1904, 242 - 251, Kotasek 1956, 182ff.

III. Die Katastrophe

Zwei österreichische Emissäre und ein russischer Beauftragter verhandelten so seit Januar 1790 im Kriegslager des friedenswilligen Großwesirs Gazi Hassan Pascha bei Schumla; die österreichischen Ultimativforderungen umfaßten nur noch den Passarowitzer Friedensstand, vermochten aber kaum die türkische Verhandlungsunlust gegenüber Österreich zu beheben. Selbst die im Februar 1790 eingeschlagene Linie der totalen österreichischen Nachgiebigkeit kam zu spät, um das Platzen der Bombe zu verhindem 151 . b) „... das Unglück kömmt bey uns Schlag auf Schlag" Ende Januar 1790 hatte Dietz, der preußische Vertreter an der Hohen Pforte, der mit seinen weitreichenden Versprechungen Berlin schon oft in unangenehme Situationen manövriert hatte, endlich einen Offensiv- und Defensivallianzvertrag zum Abschluß gebracht, wie es ihm von Berlin aus schon im September 1789 vorgeschrieben worden war. Preußen versprach der Pforte für Frühjahr 1790 nicht weniger als eine Kriegserklärung an Rußland und Österreich und eine Fortsetzung des Kampfes bis zur Erreichung zufriedenstellender Friedenskonditionen für die Türken, im Eventualfall sogar bis zur Rückgewinnung der Krim. Im Gegenzug sollte die Pforte keinen Frieden schließen, ohne Preußen, Schweden und Polen in diesen einzubeziehen (31. Januar 1790). Wien war definitiv zwischen zwei Fronten geraten, und am 29. März 1790 - Joseph II. hatte bereits das Zeitliche gesegnet - folgte ein weiterer Schlag: Preußen und Polen schlossen mit Zustimmung des polnischen Reichstags den seit langem in Verhandlung stehenden Bündnisvertrag, der die Einkreisung der Habsburgermonarchie vollendete. Der polnische König hatte schließlich seinen Widerstand aufgeben müssen. Der preußisch-polnische Defensivallianzvertrag enthielt zwar neben Garantiebestimmungen zur wechselseitigen territorialen Integrität und einer preußischen Zusage, ausländischer Einmischung in polnische Interna entgegenzutreten, auch moderate militärische Beistandsverpflichtungen, doch 151

Vortrag Spielmann (29. 12. 1789) mit Beilagen, besonders „Gedanken wegen Einleitung eines Waffenstillstandes mit den Türken" (als Vortrag des Staatskanzlers abgedr. bei [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 457 - 461) u. „Gedanken" des FM Lacy (29. 12. 1789): StK Vorträge 146 Konv. 1789 X - XII. Kaunitz an L. Cobenzl (8. u. 24. 12. 1789, 5. 1. 1790; SA Rußland II Weisungen 175 Konv. Expeditionen 1789 bzw. Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790), Partikularschreiben des Staatskanzlers an L. Cobenzl. (5. 1. 1790; Druck: [Vivenot] 1873, 1, [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 375); Joseph II. an L. Cobenzl (6. 1. 1790), L. Cobenzl an Joseph II. (12. 1. u. 1. 2. 1790): [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 375 - 384. - Noailles an Montmorin (8., 9., 18., 26., 30. 12. 1789; AMAE CP Autriche 358). - Zu den russischen Bemühungen vgl. Kramer/McGrew 1974.

Β. Krise

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mußte angesichts des geringen Wertes der polnischen Armee - die 1788 beschlossenen Heeresreformen hatten noch nicht gegriffen - eine effektive Instrumentalisierung der Adelsrepublik gegen Österreich und Rußland zweifelhaft erscheinen, ehe noch der unverschämte preußische „Hunger" auf polnisches Territorium - er hatte schon im Vorfeld des Vertragsabschlusses für ernste Verstimmungen und schließlich für einen Rückzieher der Preußen gesorgt, um das Bündnis nicht zu gefährden - den Enthusiasmus für Friedrich Wilhelm II. in Warschau weiter dämpfte. Schon seit Jahresende 1789 hatten die Polen eigentlich keinen Zweifel daran gelassen, daß für sie ein Eingehen auf den Tauschplan Hertzbergs nicht in Frage kam. Ein nützliches „Palladium" gegen die anderen Partagemächte war die Allianz mit Preußen aber allemal 152 . Größere Bedeutung kam selbstredend dem Bündnis mit der Pforte zu. Dietz hatte seine Vollmachten heillos überschreiten müssen, um die Allianz gegen die Friedenspartei im Diwan und die Sabotagearbeiten ChoiseulGouffiers durchzudrücken. Aber die nachträgliche Desavouierung des preußischen Gesandten, seine schon Ende Januar 1790, also noch vor Kenntnisnahme des Allianzabschlusses erfolgte Abberufung und Ersetzung durch Major Friedrich Wilhelm Ernst von Knobelsdorff oder die erst Monate später und unter Einschränkungen erfolgte Ratifikation des unheiligen Paktes waren bei der allgemein aufgewühlten Lage bloße Spitzfindigkeiten, die die Signalwirkung des Vertragsabschlusses nicht übertünchen konnten. Wichtiger und für die Entwicklung der Jahre 1790/91 wegweisend war etwas anderes: Deutliche Gegensätze zwischen der ganz auf den Tauschplan und dessen friedliche Durchsetzung ausgerichteten Politik Hertzbergs und der diffusen, prinzipiell schlagbereiten Linie des Königs taten sich auf preußischer Seite auf. Auch die beiden großen Vertragsabschlüsse der ersten Jahreshälfte 1790 - die preußisch-türkische Offensivallianz und der preußisch-polnische Bündnisvertrag - spalteten die Berliner „Führungsspitze"; Hertzberg war in beiden Fällen skeptisch und gegen die weitgehenden Zusagen, besonders gegen die Verpflichtungen, die Preußen an der Pforte nun auch gegen Rußland einging, unterlag aber dem Wunsch des Königs: Preußen wurde ohne großen Nutzen zur Schutzmacht „zweier ohnmächtiger Staaten" (F. C. Wittichen). Trotzdem war für die österreichische Seite die Bedrohung Galiziens durch Polen ein ernstzunehmendes Problem, das Gegenmaßnahmen erheischte. Nach preußischem Vorbild wollte Kaunitz zur Aussprengung des 152

Hausser 1854, Bd. 1, 287 - 317 (preußische Orientpolitik seit den achtziger Jahren), Kaiinka 1896/98, Bd. 2, 1 -78, Lord 1915, 112-127, Wittichen 1899, 27 - 36 (der Weg zur Allianz mit der Pforte), 45 - 50 (Allianz mit Polen). Höhnt 1925, 38 - 47. Beydilli 1981 war mir aus sprachlichen Gründen leider nicht zugänglich. Unergiebig Pröhl 1986, 147 - 159.

III. Die Katastrophe

polnischen Gliedes aus der Allianzkette Berlins eine Garantie der aktuellen Verfassungsreformen, ja sogar eine Allianz mit der Adelsrepublik in Aussicht stellen. Die Teilungsverträge von 1772 beinhalteten eine Garantie der damaligen polnischen Verfassung. Nun sah der Staatskanzler kein Bedenken, diese Garantieklausel auf die seit 1788 deutlich veränderten Verhältnisse „mit Anständigkeit" zu übertragen, betrachtete einen solchen Schritt „als keine ungebettene Einmengung, sondern als eine natürliche Folge der bestehenden Traktatte". Die Polen werteten derlei jedoch als das, was er war: als Zeichen der Schwäche und Angst. Auch in Bayern war die preußische Diplomatie übrigens mit antiösterreichischen Zielsetzungen vorstellig geworden; die Rückgewinnung des 1779 an Habsburg verlorenen Innviertels, Subsidienzahlungen, Bestechung von Beratern des Kurfürsten und die Versorgung der illegitimen Kinder Karl Theodors, der Reichsgrafen von Bretzenheim, sollten den Preußen dabei als Lockmittel dienen. Machtpolitisch und militärisch durfte aber der süddeutsche Kurstaat, dessen Landesvater sogar Absichten auf die Kaiserkrone unterstellt wurden, von der Staatskanzlei unter die Minora ihrer langen Problemliste gezählt und vielleicht schon alleine dadurch gänzlich gestrichen werden, daß man Karl Theodor warnend an das traurige Beispiel Karls VII. erinnerte 153. Der französische Botschafter am Goldenen Horn, Graf Choiseul-Gouffier, hatte die Staatskanzlei über die beunruhigenden Allianzverhandlungen und schließlich über den unerfreulichen Abschluß des preußisch-türkischen Bündnisses auf dem laufenden gehalten; die durch schwedisch-preußische Bestechungsgelder und die Aussicht auf einen Lageumschwung im Krieg wesentlich geförderte Zustimmung der Türken vermochte er nicht mehr zu sabotieren. Nicht nur den jungen und unerfahrenen Sultan, sondern auch das türkische „Ministerium" hatte die schwedisch-preußische Diplomatie entgegen der Hoffnung Kaunitz' zu verführen verstanden. Besorgt betrachtete die französische Diplomatie das permanente Bestreben Preußens, sich notfalls mit Waffengewalt - in die „orientalische Krise" zu drängen. Frankreich mußte zwar heilfroh sein, wenn es nicht in die unangenehme Lage kam, seine Bündnisverpflichtungen gegen Wien erfüllen zu müssen; daß man aber trotz der seit Ausbruch des Türkenkriegs sehr bemühten Dienste 153

Kaunitz an Caché (23. 1. 1790; SA Polen II Weisungen 82 Konv. Expeditionen 1790); Vortrag Kaunitz (3. 2. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 I - III). Später trachtete Bayern offensichtlich den Wunsch nach Rückgewinnung des Innviertels mit der Stimmzusage für die Kaiserwahl Leopolds II. zu verknüpfen. Wien wies den merkwürdigen Antrag, eine ohnedies beschwerliche Würde mit der Abgabe ganzer Provinzen zu erkaufen, empört zurück: Kaunitz an Lehrbach (22. 2., 16. 6. 1790; StK DK Bayern 63 Konv. Weisungen 1790/1 u. ebd. 64 Konv. Weisungen 1790/2). Leopold II. an Max Franz (30. 6. 1790; Druck: Lüdtke 1931b, 141). Brunner 1872, hier Bd. 1, 343 - 354. 20 Hochedlinger

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Β. Krise

um die beiden Kaiserhöfe nun durch die Berliner Aktivitäten und den bedrohlichen Annäherungsversuch Österreichs an London aus dem Vermittlungsgeschäft in Konstantinopel gedrängt wurde, empfand Paris dennoch bitter. Denn diese Entwicklung bedrohte auch die einstmals so starke Position Frankreichs bei der Pforte und damit letztlich das gesamte französische Levanteimperium. Graf Choiseul-Gouffier sah das Osmanische Reich als „Ersatzkolonie" Frankreichs ernstlich in Gefahr. Entging Frankreich die Vermittlung des Friedens zwischen den Kaiserhöfen und dem Sultan und verpflichtete man sich diesen nicht durch Garantie des türkischen Besitzstandes, so verlor Frankreich in Konstantinopel für ein halbes Jahrhundert jedes Ansehen154. Nicht weniger beunruhigend als die Erfolge der preußischen Diplomatie war die unerwartete Härte der Briten. Den blauäugigen Versuchen Wiens vom Dezember 1789, England als Rückendeckung für die preußischen Ostambitionen unbrauchbar zu machen, war kein Erfolg beschieden. Das englische Kabinett wich dem österreichischen Allianzangebot - auch unter Hinweis auf die seinerzeit stets erfolglosen Bemühungen der britischen Außenpolitik um eine Annäherung an Wien - freundlich, aber deutlich aus: Der Kaiser hatte den richtigen Zeitpunkt verpaßt (Januar 1790). Wien gab sich freilich nicht geschlagen und schraubte im Februar 1790 seine Anträge von der seinerzeit angetragenen Defensivallianz auf ein Ersuchen um englische Mediation im Türkenkrieg und Londons Mithilfe bei der Rückführung der abgefallenen belgischen Provinzen unter österreichische Oberhoheit zurück („mit Zuziehung der Vereinigten Niederlanden und einziger Ausschließung des Königs von Preußen"). Die Staatskanzlei machte dafür ansehnliche Konzessionen: lediglich die Wiederherstellung des Passarowitzer Friedensstandes, der keine übergroßen Erwerbungen für Österreich bringen, wohl aber die seit langem gesuchte Sicherstellung und Verbesserung der Grenzen zum Osmanischen Reich garantieren sollte, wollte man fordern. In Belgien versprach Wien die Wiederherstellung der alten Verfassung auf dem Fuß von 1780; selbst auf die unangenehme Diskussion über den von Joseph II. am Beginn seiner Alleinherrschaft einseitig gekündigten Barriere-Vertrag und das am Ende des Spanischen Erbfolgekriegs über die neuen belgischen Provinzen Habsburgs verhängte Teilungs-, Veräußerungs- und Tauschverbot gedachte man äußerstenfalls einzugehen. London ließ sich freilich so leicht nicht von seinem preußischen Alliierten trennen; es wünschte die weniger 154

Kaunitz an Mercy (2. 3. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790 I - IV), an L. Cobenzl (6. 3. 1790; SA Rußland Weisungen II 176 Konv. Expeditionen 1790). Der preußisch-türkische Vertrag ist abschriftlich in mehreren Versionen in verschiedenen Beständen des HHStA überliefert, darunter als Beilage zu Kaunitz an Reuß (30. 3. 1790; StK DK Preußen 68 Konv. Weisungen nach Berlin 1790). - Choiseul an Kaunitz (22. 1. 1790), Noailles an Montmorin (23. 1., 1. u. 2., 10. 3. 1790), Choiseul an Montmorin (7. 2. 1790): AMAE CP Autriche 359.

III. Die Katastrophe

zweideutige Herstellung eines „concert direct" mit allen Mächten der Tripelallianz. Gegen eine Absprache mit England und den Niederlanden hatte Österreich nichts einzuwenden. Preußen aber war - so der Wiener Standpunkt - Offensivverpflichtungen mit den Türken eingegangen und mußte somit nach Ansicht Wiens als interessierte Partei unbedingt ausgeschlossen bleiben 155 . Auch Petersburg ließ schließlich in London, ja sogar - wie bekannt beim Erzfeind in Berlin - ohne Konzertierung mit Wien - Annäherungsbereitschaft signalisieren. Die immer noch weitgespannten Forderungen Rußlands waren aber, sosehr die Russen gegenüber den Türken dadurch im Vergleich zu den maßvolleren Österreichern ins Hintertreffen gerieten, im Verhältnis zur Tripelallianz und v.a. zu dem nun so intensiv umworbenen Großbritannien keineswegs dazu angetan, die Lage zu beruhigen und Stimmung für die Kaiserhöfe zu machen. Gegenüber Frankreich rechtfertigte man sich in Wien mit einigem Geschick, ohne deswegen den peinlichen Geruch der Kränkung des Verbündeten vertreiben zu können. Aber als ehemalige Großmacht, die nun definitiv und für längere Zeit als „hors de combat" betrachtet wurde, mußte Paris es sich wohl oder übel - z.T. unter Protest - gefallen lassen, wenn Wien seine Schritte in London noch als Verdienst hinstellte, weil es Frankreich dadurch aus internationalen Verwicklungen heraushielt. Paris müsse einsehen, so Kaunitz, daß Großbritannien als Vermittler viel effizienter handeln konnte und eine französische Intervention bestenfalls widrige Maßnahmen seitens der Tripelallianz provozieren würde. Speziell mit Rücksicht auf die Österreichischen Niederlande wollte die Staatskanzlei den Franzosen ohnedies nicht trauen. Der König war zum Sklaven der eigenen Nation herabgesunken und diese nicht nur anti-österreichisch gesinnt, sondern „par ses principes et son exemple" zumindest mitschuldig an der Situation in Belgien, gerade in dieser Sache also zum Mediator völlig untauglich. Das französische Ministerium brachte für die Wiener Politik der Notmaßnahmen gewiß Verständnis auf, befürchtete aber - gerade mit dem Wissen um die allgemein kolportierte große Vorliebe Leopolds von Toskana für die Engländer - ungeachtet der Dementis von Botschafter Mercy für die Zeit der neuen Herrschaft mehr als eine bloß augenblickliche Umorientierung: einen vielleicht dauerhaften System Wechsel. In Frankreich hörten die Sondierungsversuche der belgischen Insurgenten nicht auf, und für österreichischen Geschmack trat Ludwig XVI. nicht energisch und mißbilligend genug gegen die Revolution in den Österreichischen Niederlande auf, von der auch für Frankreich eine ernstzunehmende Bedro155 Kaunitz an Rewitzky (30. 1., 12. 2. 1790; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1790). - Black 1992, 211 f. 20

Β. Krise

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hung ausgehen mochte. Durch Zusammenschluß des revolutionären Lüttich mit Belgien und Französisch Flandern entstand vielleicht anstelle eines schützenden Vorwerks eine revolutionäre Macht im Norden Frankreichs. Im Februar 1790 wurden wieder belgische Emissäre - diesmal in enger Verbindung mit Marquis de Lafayette, dem starken Mann der gemäßigten Revolutionsphase - bei Außenminister Montmorin in Paris vorstellig und übergaben Schriftsätze der vereinigten belgischen Stände. Einmal mehr wiesen König und Außenministerium die Ansinnen der Belgier zurück und rieten der Nationalversammlung die entsprechenden belgischen Anwürfe ebenso zu behandeln. Wieder blieb die Sache in der Nationalversammlung liegen. Von Lüttich aus suchten die Preußen intensiven Kontakt zu Lafayette und warben für die Unabhängigkeit der Österreichischen Niederlande von Wiener Botmäßigkeit, doch obsiegte in Belgien während der Bruderkämpfe der ersten Jahreshälfte 1790 definitiv jener traditionalistisch-katholische Flügel, der Anlehnung an die Tripelallianz suchte und in Paris wenig Sympathie fand 156 . Inmitten der aufgewühlten außenpolitischen Lage und vor der schwarzverhangenen Kulisse des innenpolitischen Bankrotts trat Joseph II. schließlich von der Bühne der Weltgeschichte ab. Am 18. Februar 1790 starb Elisabeth von Württemberg, die junge Ehefrau Erzherzog Franz', nach der Geburt einer Tochter. Die Verzweiflung des unglücklichen Gatten, die Bestürzung des todkranken Kaisers und die allgemeine Untergangsstimmung waren so groß, daß selbst Staatskanzler Kaunitz in einer Depesche nach Petersburg bitter feststellen mußte: „das Unglück kömmt bey uns Schlag auf Schlag". Nach diesem Todesstoß Schloß Joseph Π. in den frühen Morgenstunden des 20. Februar 1790 für immer die Augen. In den beiden letzten Lebensmonaten hatte sich der glücklose Reformkaiser noch verstärkt für eine Sanierung des schwer belasteten russisch-österreichischen Verhältnisses eingesetzt, um seinem Nachfolger wenigstens eine Bündnisachse für den bevorstehenden Überlebenskampf der monarchia austriaca zu erhalten. Mochte sich auch die Allianz mit der Zarin für Österreich letztlich als große Belastung und Enttäuschung erwiesen haben, Alternativen standen 156

Kaunitz an Mercy (6. 1. 1789; wie Anm. 145), ders. an dens. (17. 2. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790 I - V; Druck: [Vivenot] 1873, 481 - 486), Partikularschreiben dess. an dens. (17. 2. 1790; ebd. Konv. KaunitzMercy 1790; Druck: A&F 2, 294f.); Mercy an Kaunitz (12., 19. 2., 10., 19. 3., 15. 4., 16., 23. 6. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Mercy-Kaunitz 1790 I - IV bzw. V - VIII). Vortrag Kaunitz (10. 4. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 IV - V). Montmorin an Noailles (13. 2., 2. 4. 1790), Noailles an Montmorin (30. 1., 16., 24. 2., 14. 4. 1790): AMAE CP Autriche 359. Montmorin an den Präsidenten der Nationalversammlung (15. 3. 1790; SA Frkr. Varia 42 Konv. Frkr. Varia 1790). AP 12, 205 f. (17. 3. 1790). Zu den Kontakten zwischen General Lafayette und den Belgiern vgl. [Lafayette] 1837, Bd. 1, 339 - 352.

III. Die Katastrophe

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nicht zur Disposition. Der private Briefwechsel mit der Zarin endete so auf einem versöhnlichen Ton. Ein beruhigendes Schreiben seiner „Herzensfreundin" Katharina war für die Seele des sterbenden Joseph „wahrer Trost und Balsam", stellte es doch für den tatsächlichen Kriegsfall gegen Preußen die Erfüllung der österreichischen Forderung nach Mobilisierung russischer Truppen im Rücken Galiziens in Aussicht, wo sie den befürchteten preußisch-polnischen Flankenstoß abwehren helfen sollten 157 . c) Die Wiederbelebung

der Geheimen Konferenz

Auch in institutioneller Hinsicht hatte Joseph noch kurz vor seinem Tod entscheidende Weichenstellungen vorgenommen. Gerade in den letzten Jahren Josephs Π. hatten sich vermehrt ernste Risse in der Zusammenarbeit zwischen Kaiser und Staatskanzler gezeigt, die schließlich nicht ohne Folgewirkungen bleiben konnten. Die bedeutendste institutionelle Veränderung war zweifellos die Wiederbelebung der Geheimen Konferenz im Januar/ Februar 1790, die bei aller Schonung der Empfindlichkeit des Fürsten durch die Vermehrung der Entscheidungsträger einen weiteren Schritt Richtung Entmachtung bedeutete; Josephs Briefwechsel mit Leopold von Toskana ist zu entnehmen, daß der Kaiser gerade zu diesem Zeitpunkt mit der Arbeit der Staatskanzlei, besonders mit den Widerständen und der „façon vague de parier" des Kanzlers, unzufrieden war. Als er am 4. Februar 1790 seinen Bruder Leopold über die Wiedereinsetzung der Konferenz informierte, gewährte der sieche Monarch einen tiefen Einblick in das bedenklich rostende Getriebe der Staatskanzlei: „J'ai rétabli la conférence pour les objets majeurs de politique qui actuellement étaient traités par le seul référendaire Spielmann, Cobenzl absent [in Belgien], et le prince Kaunitz qui, quoiqu'avec une très-bonne judicature, est dans la 80ème année et baisse de mémoire, mais surtout a adopté une façon de vivre qu'il ne dérange pas et qui ne laisse aux affaires que peu de momens dans la journée. 157 Kaunitz an L. Cobenzl (17. 2. 1790; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790; Druck: [Vivenot] 1873, If.) u. P. S. (18. 2. 1790; Zitat). - Der Briefwechsel zwischen Joseph II. und Katharina II. aus den Monaten Januar und Februar 1790 bei [Arneth] 1869, 346 - 350. Der letzte Brief des Kaisers datiert vom 16. 2. 1790. Vgl. auch Joseph II. an L. Cobenzl (16. 2. 1790) u. L. Cobenzl an Joseph II. (20. 2. 1790): [Beer/Fiedler] 1901, Bd. 2, 385 f. Ranke 1875, 389 - 396. - Krankheit und Todeskampf des Kaisers in den Jahren 1788 - 1790 sind stets Fixpunkte in den Berichterstattungen der Diplomaten. Dies gilt natürlich auch und besonders für die Korrespondenz des französischen Botschafters Noailles: Noailles an Montmorin (8., 13., 16., 17., 19. u. 20. 2. 1790; AMAE CP Autriche 359). - EngelJânosi 1930, Mikoletzky 1986. Vgl. auch die „außenpolitische Bilanz" bei Mitrofanow 1910, Bd. 1, 201 - 204, 223 - 234. Zur außenpolitischen Situation bei Josephs Tod mit weit ausholender Retrospektive vgl. Mitrofanow 1916, Kap. 2, wegen der Einarbeitung der russischen Quellen besonders interessant.

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Β. Krise

Croiriez-vous possible que je ne Tai déjà pas vu presque deux ans? Depuis que je suis revenu malade de l'armée, je n'ai pu aller chez lui, et d'appréhension il ne veut pas venir chez moi, ainsi il n'y a pas moyen de discuter une affaire." 158

In der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts war die Konferenz zunehmend nur noch zur Beratung der allerwichtigsten Gegenstände zusammengekommen, da zumal unter Staatskanzler Kaunitz die Beratung und Lenkung des Herrschers in außenpolitischen Fragen als nahezu ausschließliche Domäne der über eine bloße Expeditionsbehörde zum „Außenministerium" herangereiften Staatskanzlei galt, und schließlich in den sechziger und siebziger Jahren allmählich eingeschlafen. Noch in der Zeit des Siebenjährigen Krieges rückten mehr und mehr andere institutionelle Beratungsgremien an die Stelle der Konferenz, so etwa das „War Cabinet" (F. Szabo), eine Versammlung der wichtigsten Behördenchefs, und schließlich der Staatsrat für die Interna ab 1761. Nun im Zeichen der Todeskrankheit Josephs II. und der akuten Staatskrise erwachte die Institution der Konferenz aus ihrem Dornröschenschlaf. Am 29. Januar 1790 überantwortete ihr der Kaiser den Beschluß wichtiger Staatsangelegenheiten. An Staatskanzler Kaunitz erging dazu eine genaue Verfügung, der zufolge der Monarch sich wegen seines schlechten Gesundheitszustandes entschloß, „die bestehende 3 Konferenzminister", nämlich Obersthofmeister Fürst Starhemberg, Feldmarschall Lacy und Oberstkämmerer Franz Graf (1790 Fürst) Orsini-Rosenberg (1723 - 1796), „zu allen wichtigen Entscheidungen in Staatsangelegenheiten zu versammeln und ihre Wohlmeinung darüber zu vernehmen." „Sie [Kaunitz] würden allemal wen von der Staatskanzley dazu abordnen, welcher den Casum ganz vorlegte, über den sie zu urtheilen hätten. Sie müßten ihnen auch alle Schriften, die dahin einschlagen, in die Circulation schicken und besonders anfangs sie in den ganzen Filum der Umstände setzen. Ein zweytes Individuum von der Staatskanzley müßte dabey das Protokoll führen und die Meynungen, wenn selbe nicht schriftlich abgegeben würden, aufzeichnen. Dieses Protokoll würde Ihnen gleich nach der Konferenz zugesandt, Sie setzten selbem Ihre Gesinnung bey, und so würde es mir zur Entscheidung heraufgegeben. Diese Konferenz hätte keine bestimmten Tage, sondern müßte nur so oft abgehalten werden, als wichtige Gegenstände zu entscheiden vorhanden wären; itzt aber 158 Joseph an Leopold (28. 1. u. 4. 2. 1790; Druck: [Arneth] 1872, Bd. 2, 313 315). Vgl. auch die negative Einschätzung des britischen Gesandten in Wien, Keith, über die Spitzen der Staatskanzlei, wobei Kaunitz als „increasingly supercilious", Cobenzl als „superficial dabbler" erscheinen und Spielmann als sozial inferior abqualifiziert wird: Roider 1987, 97. Erzherzog Karl gab seiner Tante Marie Christine im Frühjahr 1792 eine ebenfalls sehr ernüchternde Darstellung der Staatskanzleileitung. Hier tritt uns Cobenzl als eigentlicher ,Arbeiter", Spielmann als Impulsgeber entgegen. Kaunitz gilt bereits als »quantité négligeable4: Criste 1912, 47f. Ganz ähnlich Zinzendorf in seinem Tagebuch unter dem 18. 3. 1792: KA NL Zinzendorf TB 37.

III. Die Katastrophe müßten gleich eine oder zwey nacheinander gehalten und die 3 Herrn Konferenzminister, die so lange Zeit von den Geschäften entfernt sind, in den Filum derselben gesetzt werden. Die Staatskanzley hätte nur durch kleine Avisobillets den Herrn Ministem die Konferenz samt Tag und Stunde anzuzeigen. Diese Konferenz würde immerfort bey Hof abgehalten, damit, wenn es meine Gesundheit nur ein wenig gestattete, ich solcher selbst beywohnen könnte. [...] Ich hoffe, Sie werden in diesem Schritte die wahre Ursache erkennen, und ich habe geflissentlich gesucht, Ihnen alle persönliche Ungemächlichkeit zu vermeiden und Ihnen doch in Entscheidung des Ganzen die Gelegenheit beyzubehalten."159

Starhemberg, 1753/54 - 1766 Gesandter und bevollmächtigter Minister bzw. (ab 1757) Botschafter in Paris und damit Exekutor des „renversement", 1770 - 1783 bevollmächtigter Minister in den Österreichischen Niederlanden, seit 1783 Obersthofmeister, war bei Kaiser Joseph II. schlecht angeschrieben, wurde aber seit 1766 wiederholt als eventueller Nachfolger für Kaunitz gehandelt. Feldmarschall Lacy, seit seinem Ausscheiden als Präsident des Hofkriegsrates 1774 Staats- und Konferenzminister, galt als enger Vertrauter Josephs und gleichfalls als angeblicher Konkurrent des Staatskanzlers. Graf Rosenberg verfügte über Erfahrung im diplomatischen Dienst, hatte die Heirat des nachmaligen Leopold Π. mit der Tochter des spanischen Königs Karl ΠΙ. vermittelt und später als Erster Minister und Obersthofmeister die ersten Schritte Leopolds als Großherzog von Toskana gelenkt160. Den Erhalt der kaiserlichen Verfügung bestätigte Staatskanzler Kaunitz mit deutlichem Unmut, nicht vorher konsultiert worden zu sein, und versicherte mit nicht weniger irritierten Zwischentönen, „daß ich meines Orts, insoweit es die billige Achtung, welche jedermann sich selbst schuldig ist, erlauben wird, alles Mögliche zu Erfüllung Eurer Majestät Wünsche beyzutragen mir ein Vergnügen machen werde." Kaunitz unterließ es für diesmal mit Rücksicht auf die Gesundheit des Kaisers, mit seinem Rücktritt ein deutliches Signal des Unwillens zu setzen. Zudem: die Diskussionsvorlage der Staatskanzlei für die Konferenz und die Anwesenheit von immerhin drei sachkundigen Repräsentanten der Behörde kanalisierten ohnedies den Gang der Beratungen, und die Konferenzminister wurden, wie sich etwa Feldmarschall Lacy noch im April 1792 beschwerte, nicht vollständig in alle Arcana eingeweiht. Bereits am 6. Februar 1790 trat nach einem Bericht 159 Joseph II. an Kaunitz (29. 1. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 I - III; Druck: Ranke 1875, 543). - Vgl. auch Noailles an Montmorin (3. 2. 1790; AMAE CP Autriche 359) über die Wiederaktivierung der Konferenz und die möglichen Hintergründe dieser Maßnahme. KA NL Zinzendorf TB 35 (1., 2. u. 3. 2. 1790). Ranke 1875, 397 ff. 160 Zu Lacy und Starhemberg vgl. die Arbeiten von Kotasek 1956 und Eichwalder 1969. Über Rosenberg nur kurz Wurzbach 27, 14 - 17, NDB 19, 596 (K. O. von Aretin).

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Β. Krise

des französischen Botschafters in Wien die Konferenz erstmals in der Hofburg zur Beratung der angesichts des hoffnungslosen Zustandes des Kaisers dringend notwendigen „Einholung" des Großherzogs von Toskana nach Wien zusammen161. Mit Verfügung vom 20. Februar 1790, seinem Todestag, entledigte sich Joseph II. dann ganz der Geschäftsführung und setzte die Konferenz nach der Regelung vom 29. Januar 1790 für die Zeit des Interims in volle Aktivität. Auch die niederländischen Angelegenheiten und Fragen der „Hofämter von höherem Belang" wurden ihr übertragen. Die Unterschriften der Resolutionen „sowie die Firmen der übrigen Gegenstände" gingen an Erzherzog Franz über. Kaunitz kontrasignierte die Geschäftsstücke in auswärtigen, niederländischen und italienischen Angelegenheiten, Obersthofmeister Starhemberg in Sachen der Hofämter, Karl Friedrich Graf von Hatzfeldt und Gleichen (1718 - 1793) als „dirigierender erster Staatsminister in inländischen Geschäften" die Interiora und Feldmarschall Lacy die militärischen Betreffe; die geheimen Beobachtungen der Polizei erhielt einstweilen Kaunitz zur Sammlung und entsprechenden Beratung mit dem „Polizeiministerium" unter Graf Pergen zugewiesen162. Den Staatskonferenzen, auch Ministerialkonferenzen genannt, wohnten späterhin neben ihren ordentlichen Mitgliedern, den drei Konferenzministern und den Beamten der Staatskanzlei (dem Staatsvizekanzler als Vertreter des Staatskanzlers, dem Staatsreferendar und einem Hofrat als Protokollführer), in aller Regel auch Josephs Nachfolger Leopold II. und Erzherzog Franz bei. Der Reichsvizekanzler erschien nur mehr in der Konferenz vom 17. Januar 1792, in der auch Reichsbelange zur Sprache kamen 163 . Zudem bestand die Möglichkeit, bei Bedarf „externe Fachleute" beizuziehen, wie 161

Kaunitz an Joseph II. (30. 1. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 I - III; Druck: Ranke 1875, 544 f.). Kaunitz an Spielmann (29. 1. 1790; GK 406 Konv. E; 1899a, 84f.). Vortrag Kaunitz (3. 2. 1790; StK Vortrage 147 Druck: [Schiitter] Konv. 1790 I - III; Druck: Ranke 1875, 545). - Noailles an Montmorin (8. 2. 1790; AMAE CP Autriche 359). - Die Beschwerden FM Lacys vom April 1792 (vgl. Kotasek 1956, 190) führten immerhin dazu, daß die Staatskanzlei den gemessenen Befehl erhielt, die Konferenzminister in Hinkunft besser auf dem laufenden zu halten und die wichtigeren Stücke des Schriftverkehrs vorzulegen: Franz II. an Kaunitz (16. 4. 1792; KA Kabinettskanzlei HBP 106 a). Graf Zinzendorf hatte schon wenige Tage nach Wiederbelebung der Konferenz notiert (8. 2. 1790; KA NL Zinzendorf TB 35): „la conférence est, dans le fond, l'esclave du prince Kaunitz qui ajoute du [!] soupe à ses protocolles en les présentant à l'Empereur." 162 Joseph Π. an Kaunitz (20. 2. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 I - III). Schon anläßlich seines schweren gesundheitlichen Einbruchs im April 1789 hatte Joseph II. ähnliche Verfügungen für ein etwaiges Interim getroffen, wie sie dann Anfang 1790 in Kraft traten. Wegen der (relativen) Besserung der kaiserlichen Gesundheit wurden die Stücke schließlich nicht expediert: KA Kabinettskanzlei HBP 51 (April 1789).

III. Die Katastrophe

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etwa Feldmarschall Laudon während der Krieg-in-Sicht-Krise im Frühjahr/ Sommer des Jahres 1790, oder Behördenchefs ohne Zutritt, beispielsweise im Zuge der Kriegsvorbereitungen im April 1792 den Hofkriegsratspräsidenten oder den Hofkammerpräsidenten, gleich vorweg in den Entscheidungsprozeß einzubinden. Auch in einem anderen Punkt hatten sich seit den achtziger Jahren die Machtverhältnisse zuungunsten des Fürst-Staatskanzlers verschoben. 1781 und wieder 1787/1788 war noch Kaunitz bevollmächtigt worden, während der Abwesenheit des Kaisers in Dringlichkeitsfällen auch bedeutende Angelegenheiten anstelle Josephs II. zu entscheiden. In außenpolitischen Fragen von Stellenwert pflegte man freilich die wichtigen Stücke nachzusenden und die allerhöchste Entschließung abzuwarten. Der sich seit Sommer 1788 schubweise verschlechternde Gesundheitszustand Josephs veranlaßte diesen dann, für die Zeit seiner Verhinderung durch Krankheit oder im Falle seines Ablebens bis zum Eintreffen seines Bruders und logischen Nachfolgers Leopold von Toskana dessen Sohn, den seit 1784 in Wien erzogenen Erzherzog Franz, mit der interimistischen Führung der Staatsgeschäfte zu betrauen. Die seit längerem laufenden Vorkehrungen für die Ernennung Großherzog Leopolds zum Mitregenten waren schließlich durch den Tod des Kaisers am 20. Februar 1790 und die verspätete Ankunft seines durch eine „maladie des nerfs" in Italien festgehaltenen Nachfolgers unausgeführt geblieben. Am 25. Februar 1790 ermächtigte Leopold II. nach Erhalt der Todesnachricht seinen Sohn, bis zu seiner Ankunft in Wien in seinem Namen den Konferenzen beizuwohnen und die nötigen Entscheidungen, allerdings nach Mehrheitsbeschluß, zu treffen. Wichtige staatspolitische Entscheidungen waren aufzuschieben 164. 163

Er wurde dazu vom Kaiser selbst mittels Handbillet geladen: KA Kabinettskanzlei HBP 105 (an RVK Colloredo, 14. 1. 1792). 164 Die Aufforderung Josephs an Leopold, sofort nach Wien abzureisen, datiert vom 6. 2. 1790. Die nötigen Expeditionen für die Übertragung der Koregentschaft lagen in der Staatskanzlei bereit (Joseph an Leopold, 8. 2. 1790). Leopold entschuldigte sich jedoch wegen gesundheitlicher Probleme (an Joseph 16. 2. 1790, 24. 2. 1790): [Arneth] 1872, Bd. 2, 316 - 322. Zur Einbindung des Großherzogs hatte auch Staatskanzler Kaunitz dem Kaiser bereits am 25. 8. 1788 angesichts der gesundheitlichen Probleme Josephs geraten ([Beer] 1873, 305), und schon vor seiner Abreise zum ersten Feldzug des Türkenkriegs erteilte Joseph II. selbst seinem Bruder Auftrag (Joseph an Leopold, 28. 2. 1788) sich für den Emstfall zur Übernahme der Geschäfte vorzubereiten. Vgl. weiters Leopold an Joseph II. (10. 3. 1788), Joseph II. an Leopold (16. 4. 1789), Leopold an Joseph II. (18. 5. 1789): [Arneth] 1872, Bd. 2, 168 - 172, 235 f., 249. - Der Briefwechsel der beiden Brüder ist nicht nur eine berührende Dokumentation des völligen gesundheitlichen Verfalls Josephs II. seit August 1788, sondern zeigt auch, wie Großherzog Leopold von seinem Bruder durch Einweihung in die wichtigeren Staatsgeschäfte und Übersendung bedeutenderer Schriftstücke an seine künftige Aufgabe herangeführt bzw. z.T. in den Entscheidungsprozeß mit eingebunden wurde. - FA Handarchiv Kaiser Franz 18

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Β. Krise

Auch und besonders unter Leopold Π. nach 1790 ging die Stellvertretung des Herrschers später im Bedarfsfall wieder an Erzherzog Franz (z.B. für die Zeit der kaiserlichen Italienreise März/Juli 1791), der sich u.a. durch regelmäßige Teilnahme an den Staatskonferenzen und Lektüre der einlaufenden Gesandtenberichte auf seine späteren Herrscherpflichten vorbereitete; die „Staatsführung" schien auf dem besten Weg, wieder zu einer „Familiensache" zu werden. Nur wenn sich beide - Vater und Sohn - aus Wien entfernten (Kaiserkrönung in Frankfurt 1790, Krönung in Prag 1791), so war es Fürst Kaunitz, der mit umfassenden Vertretungsvollmachten ausgestattet wurde (September 1790, August 1791) 1 6 5 .

Bd. „Instruction des Kaiser Joseph an mich" - „Instruction für meinen Neffen den Erzherzog Franz" (o.D. [20. 2. 1790]): „Da ich nun ausserstand bin, die Geschäfte fortzuführen, so will ich ihm [Erzherzog Franz] die Unterschrift aller Vorträge und Noten insolang hiermit auftragen, bis sich entweder meine Gesundheitsumstände bessern oder der Großherzog nach meinem Ableben was anders verfügt. Bis dahin hat er sich zu unterschreiben mit dem Beysatz: wegen Unpäßlichkeit Seiner Majestät des Kaisers oder nach meinem Tode in Abwesenheit meines Herrn Vaters." Leopold II. an Franz (25. 2. 1790; FA SB 27 Konv. „Lettres de Sa Majesté l'Empereur et Roi à Son Altesse Royale l'archiduc François 1790"). 165 Leopold II. an Kaunitz (9. 8. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 VIII - IX): Einsetzung des Erzherzog-Thronfolgers zum Stellvertreter des Kaisers in absentia („ein für allemal"); dto. (17. 9. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 VIII - IX): Bevollmächtigung des Staatskanzlers, während der Krönungsreise nach Frankfurt „in Gemäßheit meines auf Sie gesetzten unumschränkten Vertrauens in allen keinen Verschub leidenden innerlichen Angelegenheiten secundum majora oder minora des Staatsraths nach Ihrem Gutbefinden in meinem Namen [...] das Nöthige zu verfügen und auszufertigen. [...] Die Staatsgeschäfte hangen ohnehin von Ihrer unmittelbaren Leitung ab. Nur werden Sie mir die wichtigem Ministerialberichte sowie über die niederländischen und italienischen Angelegenheiten die Vorträge wie bisher gewöhnlich zukommen lassen." Ebenso Leopold II. an Kaunitz (13. 8. 1791; StK Vorträge 149 Konv. 1791 VIII - X). Wie Kaunitz bei Abwesenheit des Kaisers und des Erzherzog-Thronfolgers zur Leitung der inneren und auswärtigen Geschäfte berechtigt wurde, so fiel dieselbe Rolle in Militärsachen Feldmarschall Lacy zu. - FA Handarchiv Kaiser Franz 19 Bd. „Befehle Seiner Majestät während Dero Abwesenheit in Italien von Anno 1791" - „Instruction pour S.A.R. Γ archiduc François en cas d'absence de S.M.I." Das Geschäftsjournal des Erzherzogs in FA Handarchiv Kaiser Franz 19 Band „Relation über die mir in Abwesenheit Seiner Majestät anvertraut gewesene Geschäfte". Zur Koordinierung zwischen Kaunitz und Erzherzog Franz vgl. die Verfügung Leopolds vom 12. 3. 1791 (FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1791; Druck: [Beer] 1873, 400f.). In FA Handarchiv Kaiser Franz 18 u. 19finden sich die eigenhändigen zusammenfassenden Protokollierungen eingelaufener Ministerialberichte (Juni-Oktober 1790) und die Konferenznotate des Erzherzog-Thronfolgers.

C. Wiederherstellung I . Krisenbewältigung 1. Eine neue Ära? a) Die Distanzierung von der „josephinischen Erblast"

Nicht nur der neue Herrscher, Leopold von Toskana, der in der Nacht des 12. März 1790 nach langen Verzögerungen endlich in Wien eintraf, folgte weiterhin, soweit es die Staatsklugheit gebot, getreu seinem Programm der deutlichen, oft brutalen Distanzierung vom ,Josephinismus". Daß in Wahrheit auch unter Leopolds Ägide wesentliche Grundzüge der „neuen" josephinischen Außenpolitik, wie man sie seit Jahresende 1789 betrieb, fortgeführt und vollendet wurden, sollte dabei nicht aus dem Blickfeld geraten, denn die Person Josephs II. war es nur zu oft, die - mehr als seine Politik - einer Beruhigung der Lage im Wege stand. Auch manche Dignitäre der Wiener Zentralstellen glaubten natürlich nach der Ankunft Leopolds einen neuen Kurs steuern zu müssen ... wenigstens äußerlich. Selbst Fürst Kaunitz tat sich unter den Kritikern des josephinischen Systems hervor; es war dies aber sicher kein rein opportunistisches Umschwenken, sondern entsprang wohl im tiefsten Inneren auch dem Ärger über ein von Joseph ungeschickt, z.T. gegen wohlgemeinte Ratschläge des Kanzlers provoziertes Staatsdilemma, das nun als Erblast schwer auf den Schultern der Verantwortlichen lastete. Der selbstbewußte Kaunitz hatte freilich nicht erst das Ableben des Reformkaisers abgewartet, um mit scharfen Verurteilungen hervorzutreten. Noch im Januar 1790, als es um die Aufhebung der kränkenden josephinischen Reformen für Ungarn ging, prangerte der Fürst das oft genug „verfassungswidrige" Vorgehen Josephs an. In seinem bekannten Vortrag vom 28. Januar 1790 über die ungarischen Angelegenheiten sparte der Staatskanzler - „als ein rechtschaffener Mann, welcher es mit seinem Souverainen wohl meinet" - nicht mit härtester Kritik 1 : 1

Vortrag Kaunitz (28. 1. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 I - III; Druck: Ranke 1875, 541 f., [Schiitter] 1899 a, XXXIV f. Anm. 1). Zu Konvergenz und Divergenz zwischen Kaunitz und Joseph II. bei den Verwaltungsreformen vgl. etwa den komparatistischen Blick bei Szäntay 1996, 266 - 277. Die Reformen in Belgien, aber auch in der Lombardei waren unter besonders deutlicher Überspielung des

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C. Wiederherstellung

„Euer Majestät belieben sich zu erinnern, daß Sie Ihre Niederlande bereits verlohren haben, vielleicht unwiderruflich verlohren haben, einzig und allein, weilen Sie meine wohlüberlegte Vorstellung von 20ten Junii 1787 nicht nur übel aufgenommen, sondern vielmehr seitdem in allen Stücken das gerade Gegentheil zu verfügen für gut befunden. Nur gar zu sehr ist zu besorgen, daß die Monarchie das nemliche Unglück, und zwar zuvörderst von seite der hungarischen Nation, welcher es nicht an auswärtigen Beystand fehlen dörfte, erfahren wird, woferne mein dermaliges Dafürhalten nicht glücklicher seyn sollte, als es das damalige gewesen ist."

Kaunitz' Haltung gegenüber dem seligen Kaiser war, soweit sich aus verstreuten Äußerungen ein schlüssiges Bild fügen läßt, stets sehr zwiespältig und jedenfalls gegen Ende der Regierungszeit, als die Monarchie ihrem Untergang zuzusteuern schien, merklich von Bitterkeit und durchaus wechselseitiger Unzufriedenheit getrübt. Anfang Januar 1790 beklagte sich der Staatskanzler in einem Brief an seinen alten Vertrauten Mercy-Argenteau in ziemlich harschen Worten über das despotische und für Österreich ruinöse Regime Josephs: „II est affreux que Γ obstination despotique ait mis cette belle monarchie dans l'état où elle est. J'en suis bien affligé [...] et il est fâcheux pour moi de n'être pas dans le cas de pouvoir rendre publici juris ma justification, [me] consolant cependant jusqu'à un certain point que tout le public est persuadé que tout ce qui est arrivé n'est dû qu'au peu de cas que l'on a fait pendant ce règne de mes avis et de mes courageuses remontrances dans toutes les occasions."

Dabei ging der Ärger über das zu starrsinnige Agieren des Kaisers und die entsprechenden Auswirkungen auf das Wohlergehen der monarchia austriaca in der Staatskanzlei freilich nicht so weit, daß man das frühe Ende Josephs mit Erleichterung begrüßt hätte. Immerhin hatte der Monarch in den letzten Wochen seines Lebens noch an einigen entscheidenden Punkten nachgegeben und den Staatskanzler selbst, seinen „eher ami", durch eine rührende „Abschiedsmarginalie" und die innige Bitte, dem Staatsdienst treu zu bleiben, erweicht und milde gestimmt; an den „très grandes qualités" des Kaisers und dem unstreitig positiven Potential seiner Herrschaft bestand kein Zweifel: was ihm fehlte, war die Bereitschaft zur bedingungslosen Unterordnung unter die „wohlgemeinten" Ratschläge Kaunitz'2. Staatskanzlers erarbeitet worden. In der brutalen Reformpolitik und vielleicht mehr noch im Bereich der verunglückten Reichspolitik des Kaisers mag die immer weitergehende Entfremdung zwischen Staatskanzler und Souverän mit eine Wurzel gehabt haben. Aretin spricht mit einem „kalten Schauer" sogar von „Verachtung und Haß" auf Seiten Kaunitz'. Gegenüber Trauttmansdorff legte Kaunitz dem sterbenden Joseph im Dezember 1789 sogar den Schandtitel „allzeit Zerstörer des Reiches" bei: Aretin 1963, 73. 2 Partikularschreiben Kaunitz' an Mercy (6. 1. 1790; wie Teil B, Anm. 145), dto. (17. 2. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790; Druck: A&F 2,

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Eben wegen dieses Kardinalfehlers fiel die Bilanz des josephinischen Dezenniums daher insgesamt doch negativ aus, jedenfalls was die ,hohe Politik 4 betraf. Noch im Sommer des Jahres 1791, als sich für Österreich der Horizont machtpolitisch längst wieder deutlich aufgeklärt hatte, mußte Joseph II. als „Prügelknabe" herhalten. Im Juli 1791 schrieb Staatskanzler Kaunitz die „Hauptursachen" der „verschlimmerten Lage" der Monarchie nach 1790 „nicht einer incurablen innerlichen Schwäche des Staatskörpers, nicht einem wesentlichen Mißverhältnis seiner Kräfte mit dem Gegendruck der Macht fremder Höfe" zu. Nein - die Katastrophe hätte leicht vermieden werden können, wäre man nur geschickter vorgegangen 3: „Welchen Stoß haben unsre Finanzen erlitten und welchen Zuwachs unsre Schulden erhalten durch den Krieg, welchen man nach den Hintritt des seligen Kurfürsten von Bayern selbst provocirte und sodann nicht zu führen wußte [1778/79]! Welche neue Wunden hat man den Finanzen durch die in allem Anbetracht so höchst unräthlich gewesten Kriegsanstallten gegen die Republik Holland geschlagen! Welchen ungeheuren Verlust an Geld und Menschen hat der nun auf den Punkt der Endigung stehende Krieg gegen die Türken veranlaßt! Ein Krieg, der ausser Zweifel zu hastig und zu frühzeitig angefangen und wobey demohngeachtet das ganze erste Jahr mit unermeßlichen Aufwand in einer totalen Unthätigkeit versplittert wurde. Ein Krieg, wehrend dessen man in den Niederlanden eine offenbare Rebellion wahrhaft erzwungen, dadurch die österreichische Hauptgoldund Kreditsgrube verloren, in Galizien der imminenten, in Hungarn einer grossen Gefahr eines ähnlichen Unglücks sich ausgesetzt und mittels dieser aller und mehrerer anderer Umstände [...] dem preußischen Hofe das Messer selbst in die Hände gegeben hat, welches er uns dergestallt auf die Brust setzte, daß man sich noch glücklich schätzen mußte, nur blos gegen Aufopferung unsrer obgleich theuer genug errungenen Vortheile aus der Presse zu kommen. So unangenehm es mir ist, eine Saite zu berühren, die mit so grossen andern verehrungswürdigsten Vorzügen des höchstseligen Kaisers Maiestät und überhaupt mit dem Texte de mortuis non nisi bene nicht harmonirt, so glaubte ich jedoch alles dieses nicht ganz mit Stillschweigen übergehen zu sollen, weil es zum Beweis der Wahrheit meiner Eingangs gemachten Bemerkung und zugleich zum Stoff der heylsamsten Betrachtungen für die Zukunft dienet."

294). Vortrag Kaunitz (16. 2. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 I - III; Druck: [Beer] 1873, 357f., [Brunner] 1871, 144f., Ranke 1875, 546) mit ksrl. Apostille. „Le prince de Kaunitz a dit qu'il est vieux, mais point assez pour ne pas voir encore la destruction de la monarchie, si l'Empereur continue de ce train-là": KA NL Zinzendorf TB 34 (18. 12. 1789). 3 Kaunitz Votum vom 20. 7. 1791 (ΚΑ Kaunitz-Voten 6 Konv. 1791 - 1792).

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C. Wiederherstellung b) Von der „Grauen Eminenz" zum „lästigen Alten": Die Entmachtung des Fürststaatskanzlers Kaunitz in der Regierungszeit Leopolds IL

Wer geglaubt hatte, daß sich der mit den Wiener Usancen nicht wirklich vertraute neue Herrscher dem Fürsten Kaunitz schon aus Orientierungslosigkeit gerne unterwerfen würde, irrte gewaltig. Leopold Π. neigte noch wesentlich deutlicher als sein Bruder Joseph zu betonter Eigenständigkeit gegenüber den Bevormundungsversuchen durch den Staatskanzler, ja es scheint klar, daß ihn Kaunitz nie wirklich auf die Federführung der Staatskanzlei und die Notwendigkeit einer dauernden Koordination einschwören konnte; die einst wohlgespannten Fäden begannen sich zu verwirren. Eilen wir chronologisch in unserer Darstellung etwas voran, um den Prozeß der endgültigen Entmachtung Kaunitz' insgesamt in den Blick zu nehmen. Schon im April 1790 kam der Staatskanzler bei Leopold um seine Entlassung ein. In einem persönlichen Gespräch konnte Erzherzog Franz als Vermittler den Fürsten aber angesichts der kritischen Lage des Staates zur Zurücknahme seines Abschiedsgesuchs bewegen4. Dennoch: Mißverständnis und Dissens, auch mit begründet in sehr prinzipiellen Meinungsunterschieden, zogen sich durch die gesamte Regierungszeit Leopolds, und nicht selten trübten peinliche Divergenzen zwischen der Linie des Kaisers und der des Staatskanzlers, gefördert durch die preußische und britische Diplomatie, die beide gegeneinander ausspielte, das Bild einer einheitlichen Politik. Das für Kaunitz zu radikale leopoldinische Programm der Aussöhnung mit Preußen coûte que coûte und die Tatsache, daß der stets lavierende Leopold im Gegensatz zu Joseph eben kein Machtpolitiker reinen Wassers war, gaben, wie unsere Darstellung noch ausführlich zeigen wird, mehrmals Anlaß zur Überspielung und ungeschminkten Desavouierung des Staatskanzlers. Die „principes de procrastination qui font la base de la politique de l'Empereur" und die daraus resultierenden Gegensätze zu Kaunitz hat der kurbrandenburgisch-preußische Gesandte in Wien, Baron Jacobi, im Sommer des Jahres 1791 treffend zusammengefaßt: „C'est le principe que ce monarque a puisé dans l'école de l'évêque de Pistoja [Scipione de' Ricci (1741 - 1810)]. C'est le seul qui convient à sa grande timidité naturelle et à son désir de voir venir et de profiter des accidens. Kaunitz répugne 4

Kaunitz an Leopold II. (26. u. 27. 4. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 IV V; Druck: [Beer] 1873, 366 f.). Zur Einführung des neuen Herrschers in den Wiener Kanzleigebrauch vgl. Kaunitz an Leopold II. (16. 3. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 I - III). - Zum Ausklingen der „Ära Kaunitz" im allgemeinen Hochedlinger 1996.

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jusqu'ici à cette politique qu'il apelleflorentine et indigne de la première cour de l'Europe. Son esprit fier ne sauroit s'accommoder de ces sortes de ruses".

Der französische Botschafter in Wien, Noailles, wußte auch nichts sonderlich Gutes über den »unsicheren4 Charakter Leopolds zu berichten (Dezember 1791): „II est d'un accès très facile et disposé à donner raison au demier qui lui parle. Il promet souvent plus qu'il ne peut ou ne veut tenir. Il aime la paix, parce qu'il ne s'est jamais appliqué à la guerre, et il craint les dépenses qu'elle entraîne. [...] La délation et l'espionnage entrent tellement dans les principes de son administration intérieure que sa politique extérieure peut bien avoir quelque chose [...] d'astucieux. On soupçonne que son système seroit de ménager tout le monde sans faire plus pour l'un que pour l'autre."

Des Kaisers Bruder, Max Franz von Köln, sah die „Formbarkeit" Leopolds weniger als Charakterschwäche denn als von vielen mißbrauchte Gutherzigkeit: „On détestoit l'Empereur dernier [Joseph II.], mais on le respectoit. Celui-ci [Leopold II.] se fait aimer plus que considérer." 5 Leopold liebte weder die Wiener Behörden noch die Reichshaupt- und Residenzstadt selbst, wo er sich immer unwohl fühlte. Ende März 1791 bezeichnete er die Donaumetropole sogar als „centre de la corruption, méchanceté, malignité et de tout ce qu'il y a de mauvais dans la monarchie"6. So waren die vielen Reisen, die er während seiner kurzen Regierungszeit unternahm, sicher auch willkommene Gelegenheiten, dem unsympathischen Wien zu entkommen, unbeaufsichtigt frei zu atmen. Von seinen zwei Regierungsjahren verbrachte Leopold etwa ein Drittel auf Reisen: im Spätsommer 1790 reiste er zur Einholung des neapolitanischen Königspaars nach Fiume, wenig später zur Kaiserkrönung nach Frankfurt, kurz nach der Rückkehr weiter nach Preßburg, um sich die Stefanskrone aufs Haupt zu setzen. Von März bis Juli 1791 absolvierte Leopold eine große Italienreise, die er selbst als verdienten „Urlaub" nach den Anstrengungen des turbulen5 Interzept - Jacobi an Friedrich Wilhelm II. (24. 6. 1791; StK FriedA 75 Konv. A/K - Intercepte die Négociation mit Bischofswerder und Lord Elgin betr.). Noailles an Delessart (6. 12. 1791; AMAE CP Autriche suppl. 23). - Max Franz an Metternich (25. 8. 1791; FA FK A 51 Konv. Kfst von Köln-Metternich). Auch Graf Zinzendorf ging mit Leopold II. sehr streng ins Gericht, als er am Todestag des Kaisers in sein Tagebuch zweideutig notierte (KA NL Zinzendorf TB 37 - 1. 3. 1792): „[Léopold étoit] prince bon, humain, pacifique que des causes physiques et morales avoient singulièrement affoibli depuis cinq ou six ans de manière à lui ôter toute énergie et à augmenter singulièrement la pusillanimité et la défiance qui étoient nées avec lui, affoibli encore par trop d'amour physique." Am 1. 11. 1792 kontrastierte Zinzendorf ganz nach Kaunitzscher Manier einen „besserungsfähigen" Joseph II. und Leopold II., der „n'étoit fait tout au plus que pour un petit état". Vgl. auch die eingehende Charakterisierung Leopolds bei Mitrofanow 1916, Kap. 1, § 1. 6 Leopold II. an Marie-Christine (Ende März 1791; Druck: [Wolf] 1867, 216).

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C. Wiederherstellung

ten Jahres 1790 betrachtete, und schon im August 1791 ging es weiter nach Sachsen und zur Königskrönung nach Prag. Nach der Thronbesteigung Leopolds II. kam es auch innerhalb der Staatskanzlei sehr rasch zu einer Machtverschiebung. Mit Anton von Spielmann trat endgültig ein neuer Akteur in die vorderste Reihe der Staatskanzleibeamten. Er begegnet im Staatsschematismus des Jahres 1767 als Hofsekretär der Staatskanzlei, ab 1770 als Rat, seit 1773 schließlich als jüngster Hofrat. Im Zusammenhang mit der Neuinstituierung der Konferenz, die, wie der eifersüchtige Vizekanzler Cobenzl mutmaßte, auf den entscheidungsunlustigen Charakter des alleine mit Kaunitz und dem sterbenden Kaiser in Wien zurückgebliebenen Spielmann zurückging, hatte Kaunitz selbst Hofrat Spielmann am 30. Januar 1790 Joseph II. mit Erfolg zur Wiederbesetzung der seit langem vakanten Staatsreferendarsstelle Baron Binders vorgeschlagen, „damit er mit dem nöthigen Anstand in meinem Namen bey den Conferenzen erscheinen könne und weil es ansonst auch billig ist, daß derjenige, welcher diese Stelle rühmlich und schon seit vielen Jahren versiehet, solche endlich auch würklich mit dem Namen und dem Gehalte genieße." Hofsekretär Collenbach, ein enger Mitarbeiter Spielmanns, wurde zum Hofrat und Protokollführer der Konferenz ernannt. Die Berufung des in wichtiger Mission in die Österreichischen Niederlande abgeschickten Vizekanzlers Cobenzl zum wirklichen Konferenzminister hatte Joseph II. dagegen trotz Drängen Kaunitz* zurückgestellt. „Euer Majestät werden zu erwägen geruhen", protestierte der Staatskanzler, „daß, wenn Graf Cobenzl nicht abwesend wäre, seine alsobaldige Ernennung zum Conferenzminister nicht verschoben werden könnte, weilen er als Staatsvicekanzler natürlicherweise von den Staatskonferenzen nicht ausgeschloßen werden könnte. Ob nun solche dieser zufälligen Abwesenheit, und zwar rei publicae causa, wegen bis zu seiner Zurückkunft auszusetzen seye, hanget allein von Allerhöchstdero Beurtheilung ab; aus vorerwähnter Betrachtung aber habe ich erachtet solche gehorsamst vorschlagen zu sollen." Der Kaiser beschied das Ansuchen abschlägig: „Graf Cobenzl gehört als Hofund Staatsvicekanzler vi officii zur Konferenz und insolang, als er diese Stelle bekleidet, nicht aber durch seine eigene Person, wie wenn er zu[m] Konferenzminister ernennet würde, zu welcher beständigen Würde er überhaupt gegen andere noch zu weit zurück ist." So wohnte Cobenzl bis zum Rücktritt des Staatskanzlers im Sommer 1792 den Konferenzen bei, „bloß um", wie er es später selbst nannte, „allda den Fürsten von Kaunitz als Staatskanzler und Conferenzminister vorzustellen und nach seiner Meinung abzustimmen"7. 7

Vorträge Kaunitz (30. u. 31. 1. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 I - III), Kaunitz an Joseph II. mit eh Apostille (31. 1. 1790; FA SB 70 Konv. NW KaunitzJoseph II./1790). Vortrag Cobenzls (27. 8. 1792; StK Vorträge 151 Konv. 1792 VIII).

I. Krisenbewältigung

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Spielmann überflügelte in der Zeit Leopolds Π. zunehmend Vizekanzler Cobenzl, mit dem er unter Joseph Π. noch unter Ausnützung des häufigen persönlichen Kontakts mit dem Kaiser ein die Linie des alten Kaunitz bisweilen und vorsichtig unterlaufendes Tandem gebildet hatte. Während Cobenzl, wie dieser in seinen Memoiren bitter schildert, unter dem neuen Regime als besonderer Günstling des verstorbenen Kaisers vorübergehend in Ungnade fiel und kurzfristig quasi zu einem Zuschauer auf der politischen Bühne degradiert wurde, riß Spielmann die Besorgung der auswärtigen Geschäfte an sich. Schon während seiner Österreichreise im Jahre 1784 scheint der mit Wien sonst so hart ins Gericht gehende Leopold Gefallen an dem emsigen Staatskanzleihofrat Spielmann gefunden zu haben, während er Kaunitz zwar für „frisch und redlich", Cobenzl aber für talentlos hielt. Spielmann wurde nun nicht nur zum wesentlichsten Ansprechpartner Leopolds II., sondern auch zur wichtigen Kontaktperson des diplomatischen Personals in Wien. Die von Kaunitz und vielen anderen so vernichtend beurteilte Verhandlertätigkeit Spielmanns in Reichenbach im Sommer 1790 (vgl. S. 353 ff.) und die Intensivierung des Kontakts mit dem neuen Herrscher seit der Frankfurter Krönungsreise nutzte dann allerdings wieder Cobenzl zur Rückeroberung verlorener Positionen, womit sich die Trias Spielmann - Cobenzl - Kaunitz definitiv gefestigt hatte8. Bereits gegen Jahresende 1790 hören wir von erschütternden Beispielen für eine bald nur mehr mühsam den Schein wahrende Marginalisierung des Fürststaatskanzlers. Ausgerechnet einem Intimus Kaunitz', Graf MercyArgenteau, vertraute Vizekanzler Cobenzl die Hintergründe für die nunmehr extrem verschlungenen Wege der Weisungspolitik aus der Wiener Zentrale an: „Vous pourriez être surpris à juste titre [...] de recevoir par ce courier des dépêches sous trois signatures différentes, si je ne vous informois en même tems que Kaunitz, Cobenzl und Spielmann sind bei Mitrofanow 1916, Kap. 1, § 2, 3 u. 4, gut charakterisiert. Vgl. auch [Arneth] 1863, 325 - 352 (Relation Dolfin), hier 349. 8 Die Zitate aus der Relation Leopolds vom Jahre 1784 bei Wandruszka 1963/65, Bd. 2, 88 f. (im italienischen Original ebd. 399 f.). Einem Bericht des preußischen Vertreters in Wien vom Sommer des Jahres 1791 entnehmen wir folgende Charakterisierung der Spitzenbeamten der Staatskanzlei: „Cobentzel, fort colérique de son naturel et infiniment moins circonspect que Kaunitz, s'échape à tout moment sur ses principes [...]. Spielmann, malgré la vivacité naturelle de son caractère, sait même se déguiser. L'Empereur continue à avoir beaucoup de confiance en lui, malgré ce qu'on en dit, c'est lui seul ainsi qui travaille. Il est d'ailleurs assés boutonné. On ne peut tirer son vrai sentiment de lui". Intercept - Jacobi an Friedrich Wilhelm II. (24. 6. 1791). Vgl. auch die vernichtende Beschreibung von Diplomaten, Konferenzministem und Spitzenbeamten der Staatskanzlei in den „Considérations sur la manière de concerter le plan d'opération qui doit terminer les inquiétudes des puissances de l'Europe ...", von Vivenot dem Prince de Ligne zugeschrieben (1. 2. 1793; [Vivenot] 1874, 467 - 474, hier bes. 473 f.). 21 Hochedlinger

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C. Wiederherstellung

notre digne prince-chancelier commence un peu à se ressentir de ses 80 années. Moi et tout le bureau, nous sommes censés ignorer ce que le prince vous écrit cette fois-cy et sans l'Empereur nous l'ignorerions en effet. Le prince nous ayant remis le pacquet tout cacheté pour vous être expédié. Pareilles choses pourroient bien arriver de jour en jour plus fréquemment sans que cela doive embarrasser Votre Excellence. Il suffira que dans vos réponses au Prince vous ne parliez jamais que d'objets contenus dans les dépêches signées par lui en réglant vos propos d'après les intentions de l'Empereur qui vous seront connues d'ailleurs et que sur les autres objets vous ne répondiez pas du tout s'il n'en est pas besoin ou bien que vous m'écriviez à moi au cas que vous eussiez nécessairement quelque remarque à faire. [...] C'est avec de semblables moyens que nous devons tâcher de tems en tems de ménager, sans nuire au service, la sensibilité de notre chef aussi longtems qu'il plaira à Dieu de nous le conserver."9 Cobenzl und auch Spielmann rückten in dem Maße stärker in den Vordergrund und wurden zur hauptsächlichen Anlaufstelle der ausländischen Diplomaten, in dem die anekdotisch oft breitgetretene Verschrobenheit und Eigenwilligkeit, die Extravaganz und Schrullen Kaunitz' den Gang der Geschäfte mehr und mehr zu belasten drohten 10 . Dabei scheint auch die Staatskanzlei nicht mehr jenes für fremdstaatliche Intrigen uneinnehmbare Bollwerk loyalen und unbestechlichen Beamtentums gewesen zu sein, auf das man in der Anfangszeit der Ära Kaunitz so stolz gewesen war. Ein abgefangenes Schreiben des schwedischen Geschäftsträgers in Wien, Knut Reinhold Bildt, nach Stockholm spricht im September 1790 von geheimen Konversationen zwischen Angehörigen des Hofkriegsrates und der Staatskanzlei auf der einen und dem so umtriebigen kurbrandenburgischen Gesandten Jacobi auf der anderen Seite. Als Ort der konspirativen Treffen diente - stimmungsvoll - ein Kirchhof. Dazu machte sich Jacobi ein von seinem schwedischen Kollegen besonders betontes Phänomen der Wiener Gesellschaft zunutze.

9 Cobenzl an Mercy (2. 11. 1790), Leopold II. an Mercy (31. 10. 1790): StK FriedA 70 Konv. 1790 Haager Kongress/D/c u. D/a). Leopold II.: „Par ménagement pour ce ministre vétéran, je n'ai pas voulu le contredire [...]". 10 Die Rolle Cobenzls und Spielmanns als ausgleichende Pole zu Kaunitz und eigentliche Anlaufpunkte der auswärtigen Diplomaten könnte besonders eine Sichtung ausländischer Gesandtenberichte ausleuchten. Vgl. etwa den Bericht des englischen Gesandten in Wien, Keith, vom 24. April 1790 an den Staatssekretär für Außeres. Der niederländische Gesandte berichtete um dieselbe Zeit von einer Spaltung der Wiener Politik in drei Linien, in die Kaunitz', die Leopolds und jene Cobenzls: Ward/Gooch 1922, Bd. 1, 195. Der französische Botschafter Noailles erwähnte späterhin noch mehrmals die ausgeprägte Launenhaftigkeit und Trockenheit des Staatskanzlers, dem er Cobenzl um vieles vorzog, schränkte aber ein, daß Kaunitz' häufige Tiraden bloß Ausdruck seiner persönlichen Meinung seien und daher nur mehr wenig bedeuteten: Noailles an Delessart (24. 12. 1791 u. 20. 1. 1792; AMAE CP Autriche suppl. 23 bzw. 24).

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,»Die hiesigen Beamten sind von den Beamten anderer Reiche in dem unterschieden: die hiesigen sind von den Hofcerclen und von den Cerclen des hohen Adels ohne Rucksicht auf ihre Chargen ganz ausgeschlossen. Der vorige Internuntius bey der Pforte, Baron Herbert, zum Beyspiel kann an einem Cour-Tag einzig und allein wegen seiner Geburt bey Hofe nicht erscheinen. Das Corps der hiesigen Beamten macht eine eigene Societät unter ihnen aus, und ein fremder Minister, der nur den hohen Adel frequentirt, hat keine Gelegenheit mit ihnen zusammenzukommen. Baron Jacobi hat sich seit langer Zeit angelegen seyn laßen, diesen Umstand zu benutzen, und hat sich öfters in den Cerclen dieser Ausgeschloßenen eingefunden. Dem Grafen Podewils [der königlich preußische Gesandte] hingegen schien es zu niedrig, mit anderen als mit jenen von hohem Adel umzugehen. Die von hohem Adel sprechen änderst nicht als en particulier von Affairen und haben zum Theil öfters auch wenig oder gar keine Känntniß davon"11. Die Rivalitäten innerhalb der Staatskanzlei nahmen ihren Fortgang, die Isolation Kaunitz' wuchs, der unbedingte Zugriff auf „seine" Behörde lokkerte sich, so auch durch den schon mit der Frankfurter Krönungsreise Leopolds 1790 einsetzenden Brauch, Staatsvizekanzler, Staatsreferendar und weitere Spitzenbeamte aus Wien abzuziehen und auf Reisen mitzunehmen, wodurch der in der Residenzstadt zurückbleibende Staatskanzler aus wesentlichen Entscheidungsprozessen ausgesperrt wurde. Seine Einsetzung zum „Vizekönig" im Falle der gleichzeitigen Abwesenheit von Kaiser und Thronfolger mag nur ein schwacher Trost gewesen sein. So tadelte Kaunitz in einem überaus scharfen Schreiben an Cobenzl vom Oktober 1790, daß dieser und Spielmann, die er ungeschminkt als Kreaturen von seinen Gnaden ansprach, ihm nicht wenigstens einmal pro Woche aus Frankfurt Bericht erstatteten und ihn vielmehr mit einem trockenen Kanzleischreiben abfertigten 12 . Schwere Belastungen des internen Klimas brachte Anfang 1791 ein interzipiertes britisches Schreiben, aus dem der Staatskanzler entnehmen konnte, daß der besondere Günstling Leopolds, Staatsreferendar Spielmann, sich offensichtlich in Gesprächen mit ausländischen Diplomaten den Rang eines 11

Bildt an den Leiter der schwedischen Außenpolitik, Ulric Gustaf Franc (16. 9. 1790 - aus dem Schwedischen übersetztes Intercept; StK Interiora Intercepte 1 Konv. Intercepte alt Fasz. 1). 12 Vortrage Kaunitz (5. 8. 1790, 24. 5. 1792; StK Vorträge 147 Konv. 1790 Vili - IX u. 150 Konv. 1792 V). Mit Schreiben vom 24. 6. 1792 protestierte der Staatskanzler gegen den übertriebenen Personalabzug nach Frankfurt und Prag, der die Arbeitsfähigkeit der Kanzlei zu lähmen drohte: StK Vorträge 151 Konv. 1792 VI, KA NL Lacy 11 Konv. X/2 mit der zustimmenden Verbescheidung Franz II. (29. 6. 1792). Im Juli 1791 hatte man den greisen Fürsten noch der Form halber befragt, ob er selbst sich der Reise nach Prag anzuschließen gedenke: Ph. Cobenzl an Kaunitz (13. 7. 1791; GK 406 Konv. A). - Zu den Verstimmungen rund um die Frankfurter Krönungsreise: Kaunitz an Ph. Cobenzl (12. 10. 1790; GK 406 Konv. 1899 a, 56 f.). Auch der Kaiser entschuldigte sich später bei A; Druck: [Schiitter] Kaunitz wegen des langen Schweigens: KA NL Zinzendorf TB 35 (26. 10. 1790). 21*

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„Premierministers" angemaßt hatte. Der Kaiser und Cobenzl mußten beruhigend eingreifen, ehe Kaunitz zusagte, als „homme incapable de prévention, d'humeur ou de rancune" das Vergangene vergessen zu wollen, „pourvu qu'on se remettra à la règle à l'avenir", immerhin aber bedauerte, daß andere autorisiert wären, mit ausländischen Diplomaten zu unterhandeln, ohne zuvor seine Meinung einzuholen, „comme il se fesoit jadis, lorsqu'il y avoit encore de la subordination"13. Das Mißtrauen Kaunitz' gegen die überdeutliche Favorisierung Spielmanns durch den Kaiser war aber durchaus berechtigt, wie aus der Instruktion erhellt, die Leopold dem in Wien zur Geschäftsführung zurückbleibenden Erzherzog Franz für die Zeit seiner Italienreise 1791 erteilte. Hier hieß es zwar: „Les affaires étrangères, celles des Pays-Bas et d'Italie, il [Franz] les recevra du prince de Kaunitz et les lui renverra directement, et toutes les fois qu'il y aura quelque chose d'importance à décider il passera lui-même chez le prince de Kaunitz où il s'entendra avec le comte de Cobenzl et le baron de Spielman. [...] Et s'il s'agissoit de quelque affaire particulière qui exigeât une prompte résolution, il rassemblera la conférence, mais déférant surtout à l'avis du prince de Kaunitz qu'il ira consulter lui-même et pour les affaires militaires à celui du maréchal Lacy."

Auf wessen Gutachten aber zugleich größtes Gewicht gelegt wurde, damit hielt der Kaiser nicht zurück: „Tous les paquets qui viendront du prince de Kaunitz à l'adresse de S. M. I., spécialement ceux cachetés avec le petit cachet dudit prince, seront ouverts par l'Archiduc qui les communiquera au baron de Spiellman qu'il fera chercher toutes les fois qu'il en aura besoin pour ne les envoier à S. M. I. que conjointement avec les observations du baron de Spiellman sur les mêmes affaires." 14

Das hintergründige Taktieren Leopolds gegenüber der Staatskanzlei, aber auch die Reisen des Kaisers und besonders die Italientour des Jahres 1791 machten die Leitung der außenpolitischen Geschäfte in erschreckendem Maße konfus, als Schlüsselereignisse klare und einmütige Entscheidungen erzwangen, die räumliche Distanz aber zusätzlich Verwirrung stiftete, Staatskanzlei und Kaiser aneinander vorbei agierten. 13 Kaunitz an Cobenzl (8. 1. 1791), Cobenzl an Kaunitz (o.D.), Vortrag Kaunitz vom 9. 1. 1791 mit Marginalie des Kaisers, Kaunitz an Leopold II. (12. 1. 1791; Druck: [Beer] 1873, 381 f.), Leopold II. an Kaunitz (13. 1. 1791; Druck: [Beer] 1873, 382 f.), Kaunitz an Leopold II. (14. 1. 1791), Kaunitz an Leopold II. (19. 1. 1791) und Leopold II. an Kaunitz (20. 1. 1791): StK Vorträge 148 Konv. 1791 I u. die dort fehlenden Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1791. KA NL Zinzendorf TB 36 (6. 1. 1791). 14 FA Handarchiv Kaiser Franz 19 Bd. „Befehle Seiner Majestät während Dero Abwesenheit in Italien von Anno 1791" - „Instruction pour S. A. R. l'archiduc François en cas d'absence de S. M. I.". KA Kabinettskanzlei Billietenprotokoll währender Abwesenheit Seiner Majestät 78 (Franz an Spielmann, 19. 3. 1791).

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Nicht nur innerhalb der Kanzlei begann sich das Bild zu verwirren. Mehr denn je wurden unter Leopold II. offensichtlich auch störende Einflüsse auf die Gestaltung der habsburgischen Politik fühlbar, die aus der privaten Entourage des Herrschers kamen. Der nur schwer zu bestimmende Einfluß der institutionell im Grunde nicht zur Beratung des Souveräns in Staatsfragen berufenen unmittelbaren Umgebung eines Monarchen, der dank des täglichen engen Kontakts nicht selten beträchtliche Ausmaße annehmen konnte, verdiente in jeder Studie zur „hohen Politik" größeres Augenmerk. So wissen wir von der übersteigerten „Kammerdienerwirtschaft" Rudolfs Π., und auch unter Joseph II. wurden wiederholt eifersüchtige und feindselige Stimmen gegen das einflußreiche „subalterne" Dienstpersonal des Kaisers laut. Wie die Vertrauten der Kabinettskanzlei standen etwa die beiden Kammerdiener und der Kammerheizer Josephs auf der „schwarzen Liste" seines Nachfolgers Leopold15. Das Fehlen jener Vielfalt an Memoirenwerken und privaten Briefsammlungen aus dem Milieu der Mächtigen, wie sie uns für das Frankreich des ausgehenden Ancien Régime in üppiger Fülle vorliegen, wirkt sich freilich bei allen Versuchen, in Wien hinter die „Kulissen der Macht" zu blicken, besonders hinderlich aus. Schon eine Rekonstruktion der Machtverhältnisse innerhalb der Staatskanzlei erweist sich als reichlich aufwendig und in ihren Ergebnissen letztlich wenig befriedigend. Um wieviel schwieriger und gewagter muß sich also die Suche nach offiziösen und privaten Einflußsphären am Kaiserhof gestalten! Die systematische Auswertung von fremdstaatlichen Gesandtenberichten aus Wien könnte hier erste wesentliche Bausteine liefern 16. Zwei „Lieblinge" Leopolds II. verdienen an dieser Stelle besonders hervorgehoben zu werden. Zum einen Federigo Marchese Manfredini (1743 1829). Manfredini war seit 1776 Sotto-Ajo der Kinder Leopolds in Florenz, seit 1784 nach der Übersiedlung Erzherzog Franz und seines Ajos Alleinerzieher der jüngeren Nachkommenschaft des Großherzogs von Toskana. Er begleitete Leopold Π. schon im März 1790 zum Herrschaftsantritt nach Wien. Der französische Botschafter notierte im Mai 1790 aufmerksam die besondere Stellung des Günstlings: 15

Vgl. auch Gutkas 1980, 238 f. Gschliesser 1955 ist wenig hilfreich und irritiert durch eine deutschtümelnde Tendenz. 16 Die ungemein wertvollen Tagebücher des Präsidenten der Hofrechenkammer und dirigierenden Staats- und Konferenzministers Karl Grafen von Zinzendorf (1739 - 1813) in französischer Sprache liegen immer noch unediert im KA NL Zinzendorf. Eine bescheidene Auswahl an Eintragungen präsentierte Hans Wagner in deutscher Übersetzung: [Wagner] 1972. Die gegenwärtig laufenden (sehr punktuellen) Editionsprojekte werden bedauerlicherweise die interessante Wiener Zeit Zinzendorfs ab den 1780er Jahren in absehbarer Zeit nicht erreichen. Vgl. meine Besprechung in MIÖG 107 (1999) 451 - 454.

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„C'est le seul que S.M. voit habituellement. Il dîne tous les jours avec Elle et Monsieur l'Archiduc et y passe la soirée. [...] C'est un homme entre 40 et 50 ans. Son extérieur est fort simple. Il a l'air de se tenir à l'écart pour éloigner toute idée du crédit qu'il peut avoir. Il se répand peu et il ne fait de visite que dans les endroits où il est sûr de prendre des renseignements sur ce qui tient à l'opinion publique soit sur les affaires ou les personnes en place." Gerade Manfredini wurde von preußischer Seite unter Hinweis auf eigene Aussagen besondere Bedeutung für die anti-josephinische Linie Leopolds II. und seinen auf Ausgleich mit Friedrich Wilhelm Π. abzielenden Kurs zugemessen, den er für nötig hielt, um eben jene Wunden zu heilen, die der „esprit novateur et ambitieux" Josephs Π. dem Staatskörper geschlagen hatte. In seiner Eigenschaft als Obersthofmeister Erzherzog Ferdinands, des Sohnes und Nachfolgers Leopolds als Großherzog von Toskana, bestimmte er während des 1. Koalitionskrieges maßgeblich die toskanische Neutralitätspolitik, die ihm üble Verdächtigungen eintrug 17 . Der zweite „favori en titre" Leopolds II., von dem der französische Botschafter Marquis de Noailles im Oktober 1791 erstmals ausführlicher berichtete und auf den im Laufe der Arbeit noch zurückzukommen sein wird, war der jung im Duell getötete Fürst Karl II. von Liechtenstein (1765 - 1795), ,jeune homme sans expérience, sans rien qui marque du côté des talents". Der Ursprung seiner bevorzugten Stellung, die es ihm so jedenfalls Noailles - erlaubte, gemeinsam mit dem Kaiser und Kaunitz zu konferieren, blieb unklar 1 8 . 17

Noailles an Montmorin (8. 5. 1790; AMAE CP Autriche 359); Interzepte Lucchesini an Friedrich Wilhelm II. (30. 10. 1790) und Anonymus an den 1. Pfortendolmetsch (Berlin, 14. 4. 1791): StK Interiora Interzepte 1 Konv. Intercepte alt Fasz. 1. - Zu Manfredini kurz Wurzbach 16, 371 - 373, über seine spätere Tätigkeit in der Toskana u.a. auch Pesendorfer 1984, Schäfer 1988. KA Kabinettskanzlei HBP 78b (an Manfredini, 8. 3. 1791). Leopold II. selbst war bereits im Sommer 1791 mit der Herrschaft seines Sohnes in der Toskana in hohem Maße unzufrieden. „A Florence, les choses n'iront jamais bien. Le Grand-Duc est faible et mal entouré de flatteurs. Il ne fait rien, son compagnon [Manfredini?] l'entoure de flatteurs, et on ne tend qu'à renverser tout ce que j'ai fait et persécuter mes gens.": Leopold II. an Maria Carolina von Neapel (Padua, 6. 7. 1791; SA Neapel Instruktionen 26). Vgl. Wandruszka 1963/65, Bd. 2, 345 f. 18 Noailles an Montmorin (19. 10. 1791; AMAE CP Autriche suppl. 23). - Die Spitzenbeamten der Staatskanzlei zeigten sich zunehmend verärgert darüber, daß Fürst Liechtenstein bei Gesprächen mit dem Kaiser stets anwesend war. Liechtenstein wurde sofort nach dem Tode des Kaisers im März 1792 entfernt: KA NL Zinzendorf TB 37 (1. 1. u. 3. 3. 1792). Über Liechtenstein biographisch kurz Falke 1882, Bd. 3, 341 - 343, wo er ebenso wie bei Wolf 1875, 229f. irrigerweise als Direktor der Kabinettskanzlei Leopolds II. bezeichnet wird! Liechtensteins Tätigkeit im Staatsdienst begann 1787 unter Trauttmansdorff in der Administration der Österreichischen Niederlande. Auch der Bruder des Kaisers, Max Franz, Kurfürst von Köln, wußte um die besondere Gunst Liechtensteins, der seiner Meinung nach ge-

I. Krisenbewältigung c) Leopold IL - „Hirtenkönig"

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und „Friedensfürst"

Noch ließ sich aber diese Entwicklung in Richtung totale Entmachtung nicht vorausahnen. Die Hoffnungen, die man in den ersten Monaten des Katastrophenjahres 1790 an die heilsame Wirkung des Regierungsantritts Leopolds knüpfte, waren zunächst keineswegs reine Rhetorik; auch die Staatskanzlei versprach sich gerade vom neuen Apostolischen König wesentliche Mitarbeit an der Entschärfung der unübersichtlich zahlreich gewordenen Konfliktfelder. Der friedfertige und mäßigungssvolle Ruf des Großherzogs von Toskana sollte die Besorgten ermuntern und die allgemeine Bestürzung überspielen helfen. In einem ungeheuren Arbeitsmarathon suchte Leopold II. das monströse Programm der Ruhigstellung einer völlig aufgewühlten, nach innen wie nach außen in ihren Grundfesten erschütterten Monarchie zu bewältigen, die offensichtlich während des dreiwöchigen „Interregnums" in Wien entstandene Unordnung zu beseitigen. Bis zu 17 Stunden verbrachte er nach eigenen Worten - oft von Migräneanfallen und dem heißen Wetter geplagt, nicht selten Verzweiflung und Resignation nahe - von morgens bis abends am Schreibtisch; unterstützt von Staatskanzler Kaunitz, der gerne Hand an eine Sanierung der katastrophal herabgewirtschafteten Monarchie anlegte, ... „remettre le bâtiment à flot", wie sich der greise Fürst blumig ausdrückte. Am 15. März konferierten König und Kanzler erstmals für mehrere Stunden. Gezielt arbeitete Leopold an seinem „Image" als „Friedensfürst" und „Hirtenkönig". Fürst Kaunitz zeigte sich besonders bemüht, diesen Bonus zu nützen, und gab Leopold „als guter Bürger und als rechtschaffener alter Diener des allerdurchlauchtigsten Erzhauses", reichlich gute Ratschläge, „boshafte fremde Einblasungen" gegen seine Grundsätze und Gemütsart zu beseitigen und das Publikum in allem vom Gegenteil dessen zu überzeugen, was man an Böswilligkeiten über den neuen Herrscher und seinen Charakter verbreitete. Denn die ersten Schritte der neuen Regierung mußten das Bild Leopolds für die Zukunft prägen und sollten sich daher wohltuend von den „traurigen" Entwicklungen unter Joseph II. abheben. Dazu bedurfte es nach Kaunitz in allererster Linie der Beruhigung der österreichischen Provinzen durch verschiedene Zugeständnisse und natürlich der Beschwichtigung der internationalen Lage. Selbst an die k.k. Auslandsvertretungen vermeinsam mit Staatsreferendar Spielmann den Kaiser umgarnte und das gute Herz des Monarchen ausnützte: Max Franz an Metternich (25. 8. 1791; FA FK A 51 Konv. Kfst von Köln-Metternich). Die Mémoires tirés des papiers d'un homme d'état 1828, Bd. 1, 248, 254 schreiben den großen Einfluß Liechtensteins seiner Mithilfe und Mitwisserschaft bei den sexuellen Eskapaden des Kaisers zu. Vgl. auch Wandruszka 1963/65, Bd. 2, 164 - 172.

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sandte man Zirkulare, in denen Leopolds „Gemüthscharakter eines wahren Vaters des Vaterlands" und sein vielsagender Wahlspruch „opes regum corda subditorum" angerühmt wurden 19. Noch von Florenz aus hatte Leopold II. Ende Februar 1790 seiner Schwester Marie-Antoinette in einem ersten Brief nicht nur Anteilnahme an ihrem Schicksal und unbedingte Ergebenheit für das französisch-österreichische Allianzsystem bekundet, sondern auch sein „politisches Programm" kurz skizziert: die Erbschaft der Väter zusammenzuhalten und Friede und Ruhe wiederherzustellen, oder, wie er zeitgleich aus der Hauptstadt der Toskana an den spanischen König schrieb, „le prompt rétablissement de la paix et le maintien de l'équilibre, tranquillité et repos de l'Europe". Im Prinzip ein bescheidenes Minimalprogramm, angesichts der internationalen Lage aber zunächst einer Sisyphos-Arbeit ähnlich20. Das Verhältnis zu Rußland oder besser: zu dem in seinem Hauptquartier in Jassy sehr selbständig agierenden Fürsten Potemkin war längst äußerst schwierig, ja unfreundlich geworden, erweckte der Generalissimus doch bisweilen durch sein Betragen, sein hartnäckiges Schweigen und die ostentative Unwilligkeit zur Kooperation den Eindruck, als sei das österreichischrussischen Bündnis mit dem Tod Josephs II. erloschen. Wien betrachtete die eigenen Erfolge gegen den Sultan nur mehr als „Zweckmittel" zur Beschleunigung eines Abschlusses, sah aber, daß die Türken primär verhandelten, um Zeit zu gewinnen und das Mißtrauen zwischen Russen und Österreichern geschickt ausnützten. Einen russischen Separatfrieden wollte Wien auf dringendes Anraten Baron Thuguts, des Verhandlungskoordinators in Bukarest, unbedingt vermeiden, stattdessen wieder gemeinsam mit Petersburg vorgehen und von der einst unter Joseph Π. so dringend gewünschten Befugnis, jeweils einseitig mit dem Halbmond traktieren zu 19 Das Kaunitzsche Programm für Leopold ist als „Entwurf eines Vortrags, der aber auf eine verschiedene Art zwey- und dreymahl in Concepte verändert worden, welchen Fürst Kaunitz bey der Thronbesteigung des Kaisers Leopold verfaßte, um ihm die Grundsätze aus den Fehlem des Kaisers Joseph an Händen zu lassen, wie er sich bey dem Antritt seiner Regierung gegen die auswärtigen Staaten, dann mit seinen Stellen zu benehmen habe" (17. 3. 1790; StK Vorträge 147 [irrig:] Konv. 1790 IV - V; eine Fassung gedr. bei Aretin 1967, Bd. 2, 204f., jedoch datiert Mai 1790) in verschiedenen Versionen erhalten. Partikularschreiben Kaunitz* an Mercy (16. 4. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790; Druck: A&F 2, 299 - 301), an Tassara (7. 4. 1790; SA Schweiz Weisungen 181). KA NL Zinzendorf TB 35 (15. 3. 1790). Zusammenfassend zur leopoldinischen Ausgleichspolitik, speziell gegenüber Preußen, auch Ranke 1875, 403 - 419 (Kap. „Wechsel der politischen Verhältnisse"). 20 Leopold II. an Marie-Antoinette (Florenz, 27. [26.] 2. 1790; FA FK A 26; Druck: [Arneth] 1866, 120f.). Leopold Π. an Karl IV. (25. 2. 1790; FA FK A 26). Kaunitz an Reuß (24. 2. 1790; StK DK Preußen 68 Konv. Weisungen 1790). - Sorel 1885 - 1911, Bd. 2, 49 - 76, Wandruszka 1963/65, Bd. 2, 220 - 231, 249 - 261.

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dürfen, gar nichts mehr wissen. Gemeinsam mit den Russen sollte durch zwischen Potemkin und Sachsen-Coburg koordinierte militärische Aktionen die Pforte zum Nachgeben gebracht werden, noch ehe sich andere Mächte einschalten konnten, so daß die nötigen Kräfte für ein gemeinsames Vorgehen gegen Preußen frei wurden. Wien jedenfalls erklärte sich im Angesicht der preußischen Bedrohung Petersburg gegenüber einmal mehr außerstande, den Türkenkrieg ohne äußerste Gefährdung der Erblande fortzusetzen. Erst der Tod des Großwesirs Gazi Hassan Pascha Anfang April 1790 enthob die Österreicher der panischen Sorge vor einem russischen Separatfrieden: an einen raschen österreichischen Austritt aus dem Türkenkrieg war aber angesichts der Verhärtung der türkischen Position bis Juni 1790 gleichfalls nicht mehr zu denken. Ende Juli 1790 hatten sowohl die russischen als auch die österreichischen Verhandler das Heerlager der Türken wieder verlassen. Der status-quo-Frieden unter britischer Mediation schien der einzige Ausweg. Auch für die polnischen Angelegenheiten wollte man den Russen ein schwarzes Horoskop stellen: Würden die Polen, wie man es wohl erwartete, mit den Preußen gegen Österreich losschlagen, so war es um den Einfluß Wiens und Petersburgs in der Adelsrepublik geschehen; nicht nur Danzig, Thorn und die von Preußen geforderten Palatinate fielen dann in preußische Hände, das Schicksal „dieser durch so unbesonnene Leidenschaften getriebenen Republick" überhaupt geriet in Abhängigkeit von Berlin. Friedrich Wilhelm II. wollte es, das stand für die Staatskanzlei fest, nur mit Österreich zu einem Kampf kommen lassen. Es war daher um so wichtiger, auch Rußland mit übergeordneten Argumentationsmustern in den Konflikt einzubinden und von den Russen weiterhin entsprechende Hilfe - notfalls die Ausführung von Diversionsbewegungen oder Demonstrationen besonders zum Schutze der österreichischen Achillesferse im ungeschützten Galizien - zu verlangen21. Einer der wichtigsten diplomatischen Vorstöße Leopolds II. nach seiner Ankunft in Wien war aber die Weiterführung und Intensivierung der Bemühungen um Freundschaft und wohlwollende Intervention Großbritanniens, für das man ihm ohnehin seit langem größte Sympathien unterstellte. Schon in Florenz hatte er Ende Februar 1790 kurz vor der Abreise in der Tat mit dem britischen Residenten Lord Hervey Sondierungsgespräche aufgenommen und seinen festen Willen zum Frieden ebenso bekundet wie eine deutliche Unzufriedenheit mit der zur Belastung gewordenen russischen Allianz. Die englischen Antworten auf die letzte noch unter Joseph II. gemachten Anträge waren dabei alles andere als zufriedenstellend; sie enthielten z.T. 21 Kaunitz an L. Cobenzl u. P. S. (5. 4. 1790; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790); Leopold II. an Katharina II. (30. 3. 1790; Druck: [Beer] 1874, 123 - 125). Vortrag Kaunitz (26. 4. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 IV V).

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ärgerliche „Zudringlichkeiten" und versetzten Kaunitz in einige Erregung, wagte man es doch, dem österreichischen Monarchen zuzumuten, mit seinen rebellischen belgischen Untertanen von gleich zu gleich zu verhandeln, wo sich diese nach österreichischer Lesart durch die Ablehnung der überaus gnädigen Bemühungen Leopolds um Behebung der Verfassungsbrüche endgültig selbst ausgrenzten. Dennoch wollte der neuen Apostolische König einen weiteren Versuch wagen und unterstützte den dritten Anlauf in London mit einem direkten Handschreiben an Georg III. (Anfang April 1790). Hier sprach er nun in der Tat von der wünschenswerten Rückkehr der beiden Staaten zu ihren „rapports naturels" und ersuchte dringend um die Mediation des Königs in den belgischen Angelegenheiten; die belgische Verfassung sollte unter Londoner Garantie wieder hergestellt werden. So würde er, Leopold Π., der Intervention Georgs III. die Rückgewinnung jener besonders wichtigen Provinz danken, deren Inbesitznahme Österreich Georgs Vorgängern auf dem englischen Thron schuldete. Auch gegenüber den Türken wurde britische Vermittlung für eine Wiederherstellung des Friedens auf dem Passarowitzer Friedensfuße beschworen. Der britische Gesandte in Wien, Keith, war von der Ehrlichkeit Leopolds überzeugt22. Die im April 1790 in Wien ruchbar gewordene harte britische Forderung nach einem Generalfrieden Wiens mit seinen Feinden auf der Basis des status quo ante bellum führte sofort zu Differenzen zwischen einem einigermaßen erbosten Kaunitz und Leopold, der die britischen „Freundschaftsdienste" anders beurteilte, doch behielt es letztlich sein Bewenden bei einer Verzögerungstaktik, für die die nötige Konzertierung mit Rußland als Ausrede herhalten mußte. Ende Mai 1790 schwenkte England dann ohnedies so sah es jedenfalls die Staatskanzlei nach entsprechenden Eröffnungen des britischen Gesandten in Wien - auf die preußische Linie ein und nötigte damit auch Österreich, auf die Zudringlichkeiten Hertzbergs einzugehen. Der drohende Konflikt der Briten mit Spanien (vgl. S. 377 ff.) führte jetzt angeblich zu einer gänzlichen Unterordnung Londons unter die Linie Berlins, die englischen Gesandten waren allenthalben nur mehr „der ledigliche Widerhall der preußischen Minister". Hatten die Briten bisher den Hertzberg-Plan, überzogenes Engagement für das bedrohte Schicksal des Os22 Kaunitz an Leopold II. (17. 3. 1790; Druck: [Beer] 1873, 363 f., Ranke 1875, 547), Vortrag Kaunitz (1. 4. 1790): StK Vorträge 147 Konv. 1790 I - III bzw. Konv. 1790 IV - V. Kaunitz an Rewitzky (4. 4. 1790) mit Leopold II. an Rewitzky (3. 4. 1790): SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1790; Leopold II. an Georg III. (3. 4. 1790; SA England HK 5 Konv. Leopold II. - Georg III.). Kaunitz an L. Cobenzl (5. 4. 1790; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790). Noailles an Montmorin (27. 3. 1790), Montmorin an Noailles (2. 4. 1790): AMAE CP Autriche 359. - Ward/Gooch 1922, Bd. 1, 193f: Bericht Herveys (28. 2. 1790) und Depesche Keiths (5. 4. 1790); Black 1992, 212f. Die Orientpolitik der Tripelallianz hat i.ü. Creux 1886 nach der damals greifbaren Literatur behandelt.

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manischen Reichs und jede Mitwirkung an einer speziell einsatzfreudigen Ostpolitik zurückgewiesen, so mußten in der Tat der drohende Konflikt mit Spanien und vielleicht auch Frankreich und der Wunsch nach preußischer Rückendeckung im Frühjahr 1790 sehr zum Kummer Österreichs ein vorsichtiges Abgehen von der bisher streng ablehnenden Haltung mit sich bringen 23. d) Neubeginn in Belgien?

Schon seit langem betrachtete Leopold nicht nur die Toskana, sondern auch die belgischen Provinzen als Spielwiese seiner verfassungsrechtlichen Träumereien, die von jeher v. a. auf eine Stärkung der Ständevertretungen bzw. auf eine Schaffung solcher Repräsentativkörper dort, wo sie noch nicht bestanden, hinausliefen. Seit 1787 hatte sich der Kontakt zu der nach der „kleinen Brabanter Revolution" als Generalgouverneurin weitgehend entmachteten Schwester Marie-Christine verdichtet. Beide verbanden Sympathien für die alte belgische Verfassung und ein letztlich gespanntes bzw. unaufrichtiges Verhältnis zu Joseph Π. Von Leopold von Toskana war allgemein bekannt, daß er den zu brutalen Reformzelotismus des Bruders nicht goutierte, die kriegerische Außenpolitik ablehnte und insbesondere das verfassungswidrige Vorgehen der österreichischen Politik in Belgien schärfstens verurteilte. Auch der Kaiser wußte natürlich trotz der erstaunlichen 23 Vortrag Kaunitz (15. 4. 1790), Leopold II. an Kaunitz (15. 4. 1790; Druck: [Beer] 1873, 364 - 366), Kaunitz an Leopold II. (19. 4. 1790): StK Vorträge 147 Konv. 1790 IV - V. Kaunitz an L. Cobenzl (5. 6. 1790; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790). Zu einem Gespräch mit Keith vgl. Ph. Cobenzl an Kaunitz (o.D. [Ende April 1790]; GK 406 Konv. A). Die unterschiedliche Beurteilung der brit. Politik sollte gerade im April/Mai 1790 zu einer tiefen inneren Krise zwischen Leopold und Kaunitz führen. Der König und Staatsvizekanzler Cobenzl suchten dabei auszubügeln, was der Staatskanzler mit seinen scharf anti-englischen Tiraden zu verderben Gefahr lief, und bekannten sich - unter Worten der Entschuldigung für die Schrullen Kaunitz* - gegenüber dem brit. Gesandten in Wien, Keith, offen zu einer systematischen Überspielung des Kanzlers in dieser Frage. Vgl. bes. die Berichte Keiths vom 11. 5. u. 24. 5. [recte: April] 1790 in [Gillespie Smyth] 1849, Bd. 2, 277 - 293. Ranke 1875, 420 - 422, hat bereits darauf aufmerksam gemacht. Ausführlich Mitrofanow 1916, Kap. 3. - Das Foreign Office hatte Anfang 1790 dem britischen Gesandten in Wien klar verdolmetscht, daß die Allianz mit Preußen „purely defensive" sei; die Verbündeten in Kriege verwickelt zu sehen „merely for the purpose of aggrandizement or ambition" war alles andere als im Interesse der Briten, die ihr oberstes Ziel in kontinentaler „tranquility" sehen wollten: Leeds an Keith (12. 1. 1790) zit. bei Black 1984b, 290, und schon ganz ähnlich Leeds an Ewart (24. 6. 1789): Ward/Gooch 1922, Bd. 1, 183. Die eigenartige Zwitterstellung des brit. Gesandten in Berlin, Ewart, der nicht nur brit. Diplomat, sondern auch eine ,Art freiwilligen preußischen Kabinettsministers" war (F. Luckwaldt) und stärkere Unterstützung der preußischen Pläne durch London wünschte, vernebelte freilich lange Zeit die durchaus klare Linie des britischen Kabinetts.

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Sicherheitsvorkehrungen im Briefverkehr zwischen Belgien und Toskana von der bedenklichen „tripotage" zwischen Brüssel (bzw. ab 1789 Bonn) und Florenz, die ihm zunehmend als pietätloser Vorgriff auf die Zeit nach seinem Tode erscheinen mußte, und scheint daher den Informationsstand des Bruders über die Belgica bewußt niedrig gehalten zu haben. Im September 1789 beschwerte sich der Großherzog, daß er über die Lage in Belgien kaum mehr wisse als über die Situation in China. Als Souverän mit konstitutionellen Ambitionen lehnte Leopold die Aufhebung gewachsener Verfassungen - in seinem Verständnis geheiligte Verträge zwischen Volk und Herrscher - rigoros ab. Gewissermaßen als Vorausschau auf seine Politik für die Zeit nach der Regierungsübernahme faßte Leopold bereits im Sommer 1788 für Marie-Christine und Albert von Sachsen-Teschen einige Fixpunkte seines belgischen Sanierungsprogramms zusammen und wiederholte seine programmatischen Erklärungen im Laufe des Jahres 1789 auf Ansuchen der Generalgouverneure noch mehrfach, z.T. mit aktualitätsbezogenen Neuerungen bzw. Modifikationen: Wiederherstellung der Vollgewalt der Generalgouverneure durch Unterordnung der Militär· und Zivilgewalt, Ende der Militärherrschaft und des Ausnahmezustandes, Wiedereinführung der , Joyeuse Entrée" und aufgehobener altehrwürdiger Institutionen, Generalamnestie, Einberufung der Stände und Einladung zur Deponierung von Gravamina, Möglichkeit einer Generalständeversammlung, Erarbeitung eines förmlichen Pakts zwischen Souverän und Nation, Anerkennung des Steuerbewilligungsrechts der Stände usw. waren dabei wesentliche Fixpunkte24. Nach dem Abfall der belgischen Provinzen an der Jahreswende 1789/90 wurde die Rückgewinnung dieses in den Augen Leopolds lebenswichtigen Teils der Gesamtmonarchie zu einem zentralen Anliegen seiner vorsichtigen „Schattenpolitik", zu der ihn das (berechtigte) Mißtrauen des Kaisers und die Bespitzelung durch österreichische Konfidenten bis auf weiteres zwangen. Der Großherzog ließ zwar keinen Zweifel daran, daß man seiner Meinung nach die Belgier durch die grausame Repressionspolitik zur Sezes24 „Points de direction donnés par le grand-duc de Toscane dans une lettre écrite dans le mois d'août 1788 et par lesquels il nous a manifesté ses intentions sur ce que dans le cas du décès de l'Empereur il devait se faire de sa part dans les PaysBas" ([Wolf] 1867, 44 - 46), Leopold an Marie-Christine (8. 3., 4. 6., 7. 7. 1789; Druck: [Beer] 1874, 209 - 220), Leopold an Marie-Christine (16. 9., 13. 10. 1789; Druck: [Wolf] 1867, 53 - 59, 62f.). Joseph II. an Trauttmansdorff (25. 4. 1789), Trauttmansdorff an Joseph II. (13. 5. 1789): [Schiitter] 1902, 238f., 253 - 255. Daß Leopold von Toskana in vielen Punkten nicht mit den Ideen seines Bruders einverstanden war, wußten auch ausländische Diplomaten zu berichten: Noailles an Montmorin (20. 10. 1787; AMAE CP Autriche 353). - Wandruszka 1963/65, Bd. 2, 202 - 212. Die belgische Frage ist bei Mitrofanow 1916, Kap. 4, sehr ausführlich behandelt.

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sion schlechterdings gezwungen habe, zu einer offenen Kränkung Josephs durch ein ihn schon jetzt klar desavouierendes Manifest war Leopold von Toskana aber noch nicht bereit. Für das bevorstehende Ableben des Kaisers hatte man freilich insgeheim eifrig vorgearbeitet, bei belgischen Grandseigneurs Stimmung für Josephs Nachfolger gemacht, Gerüchte über Leopolds angeblich areligiöse Haltung und den im streng katholischen Belgien natürlich negativen Eindruck seiner toskanischen Kirchenpolitik zu zerstreuen versucht. In einem Schreiben an Marie-Christine (25. Januar 1790), von A. Wandruszka zum politischen „Glaubensbekenntnis" Leopolds überhöht, wurden die wesentlichsten Eckpfeiler der anti-josephinischen Belgienpolitik, wie sie vom Nachfolger des Kaisers zu erwarten sein würde, nochmals zusammengefaßt und propagandistisch im Sinne einer möglichst deutlichen Distanzierung von der Linie Josephs Π. ausgeschlachtet. Die alten Richtlinien für die „neue" Belgienpolitik erhielten hier ihren letzten Schliff, die offenen Rechnungen mit dem Josephinismus wurden erbarmungslos beglichen. Einmal mehr entwickelte Leopold seine verfassungspolitischen Vorstellungen, von denen er annehmen mußte, daß sie gerade in Belgien auf fruchtbaren Boden und dankbare Resonanz stießen: Der Souverän als „Delegierter" des Volkes, durch Vertrag an den Willen der Untertanen gebunden und in seiner Macht beschränkt, verzichte auf seine Stellung und entbinde alle von der Gehorsamspflicht, wenn er den Pakt mißachte. Die strenge Teilung zwischen der exekutiven Gewalt des Herrschers, dem legislativen Arm des Volkes bzw. seiner Vertretung, die einmischungsfreie Zone der Rechtsprechung, die Rechenschaftspflicht des Monarchen für seine Finanzgebarung, das Steuerbewilligungs- und Gesetzessanktionierungsrecht der Stände schienen in der Tat unwiderstehliche Lockmittel für die freiwillige Rückkehr der Belgier in den Schoß der „monarchia austriaca". War das „Glaubensbekenntnis" im wesentlichen für den internen Gebrauch bestimmt, so lag andererseits für den Fall des baldigen Todes Josephs Π. eine noch deutlichere, noch konkretere Erklärung an die Adresse der Belgier bereit. Am 17. Februar 1790, als sich Leopold auf Befehl des Kaisers langsam zur Abreise nach Wien anschickte, übersandte er Marie-Christine ein sofort nach dem Ableben des Kaisers zu publizierendes Manifest. Während die Generalgouverneure in ihrem Bonner Exil an einer „innerösterreichischen" Lösung der Belgien-Frage zweifelten und die Rückkehr der Österreichischen Niederlande unter die Botmäßigkeit Wiens mehr und mehr als internationales Problem begriffen, wollte Leopold nochmals alles auf eine Karte setzen, zeigte sich im übrigen aber auch bereit, die Verfassungsgarantie einer ausländischen Macht für Belgien zu akzeptieren. Für dieses Va-banque-Spiel waren die erbarmungslose

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C. Wiederherstellung

Distanzierung von den letzten Zuckungen des josephinischen Regimes und der sichtbare Unwille, mit dem sterbenden Kaiser oder seinem Leichenbegängnis auch nur in irgendeiner Form in Berührung zu kommen, nicht ausreichend. Es bedurfte hierzu einer möglichst harten Verurteilung des josephinischen Despotismus, wie sie in dem Anfang März 1790 schließlich von Albert und Marie-Christine von Bonn aus an die Stände der einzelnen belgischen Provinzen versandten Manifest Leopolds erfolgte. Die Generalgouverneure hatten zunächst gezögert, sich lange mit dem Kurfürsten von Köln beraten und einige besonders bedenkliche Stellen vorsichtig entschärft. Auch andere skandalisierten sich darüber, wie weit Leopold in seiner Anerkennung für die Belgische Revolution gegangen war, besonders über die bewußte Kränkung des Ansehens Josephs II. Botschafter Mercy und Marie-Antoinette in Paris waren entsetzt, daß der Nachfolger dem Kaiser nicht Blumen, sondern Dornen aufs Grab streute, das französische Außenministerium hielt Leopolds Proklamation an die Belgier für eine „démarche impolitique". Ehe sich der Schiffbruch des Kurses abzeichnete und auch der neue Apostolische König begreifen mußte, daß die belgische Frage zu sehr in die internationale Krise verwoben war, steuerte Leopold zunächst konsequent eine auf völliges Nachgeben angelegte Linie. Kaum war die Nachricht von Josephs Tod endlich in Florenz eingetroffen, wurden sogar die österreichischen Truppen im Luxemburgischen - immerhin noch 8 - 10.000 Mann angehalten, sich rein defensiv zu verhalten. Überall wollte man größtmögliche Mäßigung zeigen, um den friedlichen Lösungsversuch nicht zu gefährden; belgische Prominenz sollte durch allerhand Versprechungen auf die österreichische Seite gezogen werden. Jeden Anteil an der von ihm stets mißbilligten Belgienpolitik seines Bruders wies Leopold in seinem schließlich auf 2. März 1790 datierten Manifest von sich und unterstrich, daß er Belgien immer als „la partie la plus respectable et la plus intéressante" der österreichischen Monarchie betrachtet habe. Ein Versuch, sich schon vorab gegen mögliche unliebsame Entdeckungen über den „bayerischen Tauschplan" in dem in Brüssel zurückgelassenen österreichischen Archiv abzugrenzen? Die Kündigung der „Joyeuse Entrée" und die Mißachtung der belgischen Verfassung hatten, so bekannte Leopold ein, die Belgier zur Rebellion berechtigt; er als Nachfolger Josephs sei jedoch für dessen Vergehen nicht verantwortlich, könne auf seine legitimen Rechte nicht verzichten und müsse daher seine Untertanen einladen, sich ihm zu unterwerfen. Nochmals wurden dafür die bekannten Zugeständnisse spiegelbildlich zu den Vergehen des josephinischen Reformversuchs aufgezählt und z.T. um einige zusätzliche Anreize vermehrt: Generalamnestie, vollständiger Austausch des gesamten Regierungspersonals auf Wunsch der Stände, Ausschluß von Landfremden in belgischen Regierungs- und Verwaltungsfunktionen (inclusive des bevollmächtigten Ministers und des Militärkommandanten), Emen-

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nung der Beamten auf Vorschlag der Provinzialstände, freie Entscheidungsgewalt der Bischöfe in geistlichen Fragen, Einrichtung von Generalständen aus Abgeordneten der einzelnen Provinzen zur Beratung der wichtigeren Staatsangelegenheiten, Selbstverwaltung der Provinzen für die inneren Angelegenheiten etc.25 Die Belgier nahmen die Proklamation des neuen Herrschers - Henri Pirenne wertete sie als formelle Kapitulation des Souveräns vor der Nation - gespalten auf; die Vonckisten neigten noch am ehesten zu Verhandlungen, beklagten aber die Überbetonung des traditional-ständischen Elements. Die Statisten lehnten Konzessionen ab, und da sie es waren, die sich in der Folgezeit durchsetzten, ging Leopolds Initiative letztlich ebenso ins Leere wie das in Wien mißbilligte Ausgleichsangebot durch den noch bis März 1790 als Kommissar in belgischen Angelegenheiten zwischen Trier und Luxemburg agierenden Staatsvizekanzler Cobenzl von Ende Februar 1790 oder die schüchternen Annäherungsversuche zwischen Vonckisten und Habsburg ab April 1790. Dabei eröffneten die dramatischen Konflikte in den Reihen der Insurgenten interessante und durchaus vielversprechende Perspektiven. Auch sollte nicht vergessen werden, daß die ganz auf ausländische Hilfe gegen das habsburgische Tyrannenjoch abgestellte Außenpolitik van der Noots durch den aufgesetzten „libéralisme généreux" Leopolds doch etwas durcheinandergeraten mußte. Kaum war in Brüssel das Wiener Joch abgeschüttelt und eine unabhängige Republik ins Leben gerufen worden, zeigten sich bei den belgischen „Rebellen" deutliche Risse in der ohnedies von Anfang an fragilen Koalition zwischen beharrenden und fortschrittlichen Kräften; erstere gewannen schließlich die Oberhand. Es kam zu keiner Schaffung neuer Institutionen, 25 Leopold an Marie-Christine (1., 4., 9., 15., 25., 28. 1., 7., 12., 17., 18. 2. 1790, o.D., 2., 15., 19., 21. 3. 1790, o.D., 25., 27., 29. 3., 2., 4., 9., 11., 14., 18., 21., 25., 28. 4., 2., 13., 16. 5. 1790; Druck: [Wolf] 1867, 73 - 78, 80 - 88, 90 - 92, 94f., 99 - 104, 108 f., 116- 145). Marie-Christine an Leopold ([Februar 1790], [zwei Briefe von Ende Februar 1790]; Druck: [Wolf] 1867, 96 - 99, 105 - 107, 111 - 113), Marie-Christine (Albert von Sachsen-Teschen) an Leopold II. (2., 10., 21., 26., 28. 3., 31. 3., 2., 5., 8., 12., 24., 28./29. 4., 21., 27. 5. 1790; Druck: [Schiitter] 1896, 1 - 42. Das Mémoire vom 2. 3. 1790 ist (in der ursprünglichen Fassung Leopolds II.) u.a. abgedr. bei [Schiitter] 1896, 276 - 279 Anm. 2. - Marie-Antoinette an Mercy (14. 3. 1790; FA SB 71 d. A/o.K; Druck: [Rocheterie/Beaucourt] 1895/96, Bd. 2, 163 f.), Mercy an Marie-Antoinette (15. 3. 1790; FA SB 71 d. C; Druck: [Feuillet] 1864 - 1873, Bd. 1, 298 f.). Graf Zinzendorf hielt die Deklaration für „impudente" und derart weitgehend, daß man den Wortbruch gleichsam schon vorprogrammiert sehen mußte. Als treibende Kraft der neuen Belgienpolitik erschien ihm die rein egoistischen Motiven gehorchende Generalgouverneurin Marie-Christine: KA NL Zinzendorf TB 35 (17. 3. 1790). - Montmorin an Noailles (2. 4. 1790), Noailles an Montmorin (13., 17., 20., 24. 3., 12. 5. 1790): AMAE CP Autriche 359. - 7assier 1929, Wandruszka 1963/65, Bd. 2, 213 - 219.

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vielmehr - im Widerspruch zu den Maximen der Vonckisten - zu einer merkwürdigen Konzentration von Exekutiv- und Legislativgewalt. In seinen Considérations impartiales sur la situation actuelle du Brabant vom Januar 1790, der Doktrin der vonckistischen „Société patriotique", die im Februar 1790 das „Comité de Bruxelles" als Trägerorganisation der Vonckisten ablöste, vertrat Vonck einmal mehr seine Gegenthese von der Notwendigkeit der Gewaltentrennung und entwarf einen Plan zur verfassungsmäßigen Neugestaltung Belgiens auf Grundlage der „nation instruite et possédante"26. Der Parteienzwist ließ letztendlich den von der belgischen Geschichtsschreibung gefeierten „National- und Unabhängigkeitswillen" realpolitisch zerbrechen. Die liberalen Zwischentöne aus der Vonckistischen Bewegung konnten noch rechtzeitig durch eine v.a. von der Kirche geförderte, von den unteren Bevölkerungsschichten getragene großangelegte Offensive des Konservativismus von Januar 1790 bis Sommer 1790 unterdrückt werden. Die „Société patriotique" Voncks wurde noch im März 1790 verboten. Die Kirche, bislang Bindeglied zwischen Statisten und Vonckisten, nun aber beunruhigt durch das traurige Beispiel Frankreichs, wo der Eifer der progressiven „Patrioten" an den Grundfesten der kirchlichen Organisation und am Wohlstand des Klerus rüttelte, schwenkte ganz eindeutig auf die Seite der Konservativen. Die anhaltende Widersetzlichkeit der Belgier gegen die Versöhnungsgesten aus Wien, die Wendung der belgischen „Revolutionäre" ins Ultramontane, ja die Förderung des religiösen Fanatismus durch den belgischen Kongreß bestärkten den ohnedies zu „Verschwörungstheorien" neigenden Leopold in der Überzeugung, daß Rom und die Geistlichkeit ihre Hände im Spiel hatten. Die Vonckisten verloren indes ihre Schlüsselfunktionen, besonders in der bisher von ihnen weitgehend dominierten belgischen Armee, und traten mehrheitlich den Weg ins Exil nach Frankreich an, wo sich die Bewegung im Laufe der Zeit radikalisierte. Auch Vonck selbst floh Anfang April 1790 nach Nordfrankreich. Zentrum der geflüchteten Vonckisten wurde Lille; ein „Comité de Lille" und die Geheimgesellschaft Pro patria konstituierten sich. Über die Flüchtlinge jener Bewegung, die am ehesten dem französischen Vorbild zuneigte, verstärkte sich auch das französische Interesse an der revolutionären Entwicklung beim nördlichen Nachbarn. Versuche der „Patrioten", Teile Belgiens gegen die „Statisten" aufzubringen, scheiterten, ebenso Ausgleichsverhandlungen zwischen den nun verfeindeten einstigen Kampfgenossen in Douai und in Paris (Mai/Juni 1790). Die Spitzen der französischen Patrioten, allen voran Marquis de Lafayette als liberale Ga26 Dazu und zum Folgenden vgl. die oben bereits genannte Belgien-Literatur und spezieller Sprunck 1958.

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lionsfigur, ließen sich von den Statisten nicht gewinnen, vertraten sie doch viel eher die Ziele und Ideale ihrer innenpolitischen Gegner, der Vonckisten. Zugleich suchten diese seit April 1790, also seit ihrer Entmachtung in Belgien, verstärkt Annäherung an die Österreicher. Ein gutes Kontaktglied bildeten dabei nun die liberalen Hochadeligen besonders aus der Familie Arenberg, die sich nach der Entmachtung der Vonckisten wieder in Paris sammelten und hier - wie Comte de Lamarck - zu nützlichen Instrumenten auch der österreichischen Frankreichpolitik wurden. Der gleichfalls nach Frankreich geflüchtete Bankier Edouard de Walckiers (1758 - 1837) ließ im April 1790 direkt bei den Generalgouverneuren sondieren. Marie-Christine allerdings stand diesen Annäherungsversuchen mehr als skeptisch gegenüber; ihr wurde buchstäblich übel bei dem Gedanken, mit Demokraten verhandeln und die belgischen Provinzen so der Gefahr einer „Französisierung" aussetzen zu müssen. Nur die schleunige Entsendung eines starken österreichischen Truppenkorps versprach eine echte Bereinigung der anstehenden Probleme und die dauerhafte Sicherung der unter dem Ansturm der belgischen Freiwilligenarmeen arg in Bedrängnis geratenen Provinz Luxemburg. Dafür aber standen die Zeichen in diesem nicht bloß klimatisch ungewöhnlich heißen Frühjahr 1790 keineswegs zum Besten. Auch die „belgische Frage" mußte daher auf internationaler Ebene gelöst werden, und hier bot die fortdauernde Uneinigkeit der Tripelallianz bei der Behandlung des Belgienproblems vielleicht einen dankbaren Ansatzpunkt; trotz der Preußen bindenden Geheimkonvention vom 9. Januar 1790, wonach eine Intervention der Verbündeten in der belgischen Frage nur auf Ersuchen des Kaisers oder notfalls bei Gefahr im Verzug zur Gewährleistung der eigenen Sicherheit erfolgen sollte, eine Einmischung anderer Mächte zurückzuweisen und der Erhalt der belgischen Verfassung sicherzustellen war, die belgische Unabhängigkeit aber allenfalls nur im konzertierten Vorgehen anerkannt werden durfte, ließ sich zwischen Berlin, London und Den Haag im letzten kein gemeinsamer Nenner finden: v.a. Preußen, das die Geheimkonvention vom Januar 1790 bald als durch die Ereignisse überholt betrachtete, drängte wiederholt auf Anerkennung der Unabhängigkeit der Österreichischen Niederlande durch den Dreibund, später - angesichts englischer Ablehnung auf einen Rücktausch der belgischen Provinzen durch Österreich, allerdings nur gegen Erfüllung des Hertzberg-Planes (Februar 1790); Den Haag kokettierte mit alten nootistischen Andeutungen einer möglichen Vereinigung der nördlichen mit den südlichen Niederlanden. London aber - Pitt hatte schon im August 1789 den preußischen Subversionsplänen in Belgien und Galizien eine klare Absage erteilt - sah durchaus die potentielle Gefahr einer Vereinigung der belgischen Provinzen mit Frankreich (Gespräche zwischen Lafayette und den Vonckisten waren in der ersten Jahreshälfte 1790 recht weit gediehen) und wollte auch dem preußischen Vorschlag einer Rückgabe Belgiens an Wien gegen Abtretung Galiziens nichts abgewinnen. Die Briten 22 Hochedlinger

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wünschten die Wiederherstellung des status quo ante und anerkannten daher auch den belgischen Kongreß nicht 27 . 2. Die österreichisch-preußische Krieg-in-Sicht-Krise a) Die Sicherung der sächsischen Neutralität

Bereits im März 1789 waren von den böhmischen Grenzen Nachrichten über angebliche kriegerische Maßnahmen des Fürstenbundmitglieds Sachsen eingelaufen. Die Rekrutierungswut der Sachsen sei so stark, hieß es damals in dem Bericht eines Grenzzollamtes, daß viele junge Burschen sich über die Grenze nach Böhmen flüchteten. Die sächsische Diplomatie gab der Staatskanzlei freilich beruhigende Versicherungen über die feste Absicht des Kurfürsten, sein Neutralitätssystem auch in der zusehends ungemütlicher werdenden Nachbarschaft zwischen Österreich und Preußen beizubehalten. Solange der österreichfeindliche Minister Stutterheim in Sachsen das Staatsruder führte und als „blinder Eiferer für die preußischen Grundsätze" das Mißtrauen des Kurfürsten gegen Wien nach Kräften schürte, mußte man aber in der Staatskanzlei die Möglichkeit einer Annäherung zwischen Dresden und Wien und die Aussicht auf eine Schwächung des engen Einvernehmens zwischen Sachsen und Preußen in Reichsangelegenheiten niedrig veranschlagen. Die heiratspolitische Verbindung, die man schon im Oktober 1787 hergestellt hatte - der Bruder des Kurfürsten und spätere König (1827 - 1836), Prinz Anton Klemens (1755 - 1836), heiratete Erzherzogin Maria Theresia (1767 - 1827), eine Tochter Leopolds von Toskana - , änderte nichts Wesentliches an der prinzipiell preußischen Orientierung der sächsischen Politik; der diplomatische Dienst des Kurfürstentums Sachsen galt als ähnlich gefährlich wie der preußische, ja war vielleicht insoferne noch maliziöser, als sich Dresden - vom „Geist der Feinheit und Verstellung" durchdrungen - „die Maske der Unpartheylichkeit" aufsetzen konnte. Mit Zunahme der österreichisch-preußischen Spannungen war dessenungeachtet das österreichische Interesse am sächsischen Nachbarn spürbar gewachsen; wie in Polen gab man sich freilich überaus zurückhaltend, wollte aber doch zu gerne wissen, woran man nun war: „Dem von Seiner Kaiserlichen Majestät gefasten und durch alle deßen Schritte erprobten Regierungssystem ist es gemäß", hieß es im Mai 1788, „fremde und benachbarte Mächte in der Wahl ihrer politischen Grundsätze und Anhänglichkeiten auf keine Weise zu beirren, sondern nur immer klar sehen zu wollen, worinn eine solche Wahl bestehe. Dieser lezte Wunsch ist billig: ersteres ist den Grundsätzen eines Monarchens zuwider, der ebensowenig Lust hat, fremde Ruhe zu 27

Wittichen

1905, 42 - 48, 61 - 79, Post 1961.

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stören, als in einer Verfaßung ist, fremde Störung der seinigen besorgen zu dürfen." 28

Mehr und mehr schien wahrscheinlich, daß man bei der sich seit 1789 abzeichnenden Konfrontation mit Preußen wohl auf die Neutralität Sachsens würde zählen können. Ein wichtiger Baustein für die Vorfeldsicherung an der Nordgrenze gegen Polen und Preußen. Mit dem Anwachsen der österreichisch-preußischen Kriegsgefahr und zunehmenden preußischen Intrigen in Dresden, wo im Februar 1790 auch Marchese Lucchesini für einen Beitritt Friedrich Augusts zur antiösterreichischen Koalition werben und ihm Hoffnung auf die polnische Königskrone machen sollte, wurde das Bemühen Wiens um eine vertragliche Sicherstellung der sächsischen Neutralität immer dringlicher. Eine (ohnedies unrealistische) direkte Unterstützung durch Sachsen sah Wien als kontraproduktiv an, zumal der Vorteil eines Truppenzuwachses von 30.000 Mann jenen Profit nicht wieder würde wettmachen können, den Preußen aus der Besetzung und Auspressung der blühenden kursächsischen Länder eventuell ziehen mochte, wie es im Siebenjährigen Krieg geschehen war. So optierte Wien für eine möglichst vollkommene „Neutralitätsbehauptung" Dresdens. Mit einer offenen Aggression Preußens gegen das bisher so wohlgesonnene Sachsen rechnete man nicht, würde Berlin doch damit seinen Ruf als Reichsverfassungshüter und Schützer der Fürstenbundmitglieder verspielen. Ziel der im Januar 1790 durch einen vertraulichen Briefwechsel Josephs II. mit dem Kurfürsten eröffneten Verhandlungen war lange Zeit eine förmliche Neutralitätskonvention. Dabei wollte man weder „Schleichwege" noch Kosten und Mühen scheuen; die engeren Vertrauten Friedrich Augusts, über die man unter Umgehung des Ministeriums die Neutralitätsanträge zu lancieren gedachte, sollten mit Fürstentiteln, dem Goldenen Vlies, Geldgeschenken und Pensionen geködert, der Kurfürst selbst durch Unterstützungszusagen für seine polnischen Ambitionen gelockt werden (Februar 1790). Sachsen zeigte sich nun in der Tat geneigt, im Falle eines Konflikts zwischen den Höfen von Berlin und Wien unbedingte Neutralität zu wahren, und begann auch schon mit der militärischen Sicherstellung derselben. Ein regelrechter Neutralitätsvertrag aber stieß auf Schwierigkeiten, denn Dresden wollte - unter massivem preußischen Druck - den nördlichen Nachbarn nicht verärgern. Wien fand sich in das Unvermeidliche und akzeptierte das 28 Zur sächsisch-habsburgischen Hochzeit vgl. Leopold an Joseph II. (9. 1. 1787), Joseph II. an Leopold (5., 22. 3., 5. 4., 16. 8. 1787): [Arneth] 1872, Bd. 2, 62f., 72, 77f., 109 - 111 et passim. - Noailles an Montmorin (12. 5., 23. 6., 14. 7. 1787), Montmorin an Noailles (2. 7.1787): AMAE CP Autriche 352 bzw. 353. - Kaunitz an Mercy (30. 6. 1787; wie Teil B, Anm. 36). Kaunitz an Hartig (17. 5., 7. 11. 1788, 4. u. 30. 3. 1789; StK DK Sachsen 28 Konv. Weisungen 1788/89). Joseph II. an Kaunitz (19. 3. 1789) mit Beilage, Vorträge Kaunitz (1. u. 28. 4. 1789): StK Vorträge 146 Konv. 1789 III - V. 2*

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Wort des Kurfürsten schließlich als der feierlichsten Konvention gleichwertig, kam es doch der Staatskanzlei, wie man betonte, auf die Sache an, nicht auf die Form. Am Schluß blieb es bei einem eigenhändigen Schreiben des sächsischen Kurfürsten an König Leopold Π. mit entsprechenden Zusicherungen (April 1790). Die intensiven preußischen „Gegenbearbeitungen" in Dresden waren vergeblich geblieben; selbst das direkte Angebot der polnischen Königskrone verfing nicht, und während der akuten Krieg-in-SichtKrise von Mai/Juni 1790 betätigte und bewährte sich die sächsische Diplomatie mehrmals als den Österreichern nützliche Vermittlerin 29.

b) Hinhaltetaktik

Ende März 1790 war auch bereits der wichtigste Stoß geführt worden: die Absendung eines eigenhändigen Schreibens Leopolds II. an den preußischen König, ein Schritt, von dem sich Kaunitz einiges versprach und dem er entsprechend große Aufmerksamkeit schenkte. Fast 10 Tage wurde ab Mitte März 1790 an dem Brief gefeilt, an dem beigelegten Mémoire zur Rechtfertigung der österreichischen Haltung im Türkenkrieg gearbeitet. Aber die Friedenswilligkeit Leopolds schien vielen schon recht bald etwas exzessiv und dem gängigen Ritual des risikoreichen Pokerns in der internationalen Politik, bei dem man erst im letzten Moment ausstieg und so lange als irgend möglich mithielt, wenig angemessen. Staatskanzler Kaunitz setzte sich rasch an die Spitze jener, die bei bloß scheinbarem Nachgeben die alte Linie der Machtpolitik noch fortzuführen und trotz der schwierigen Situation den Kopf hoch zu tragen wünschten. Gemeinsam mit seinen neuen Kreditivschreiben und den entsprechenden Weisungen erhielt Fürst Reuß in Berlin schließlich Anfang April 1790 auch ein eigenhändiges Schreiben Leopolds an Friedrich Wilhelm II. zugestellt, in dem der ernste Wille zur gütlichen Beilegung des zur kriegerischen Entladung drängenden Streits und der Wunsch, die gegenseitige Aufreibung der Kräfte zwischen Österreich und Preußen „zu ihren eigenen lethalen 29 Vorträge Kaunitz (15. u. 16. 1., 1., 3. u. 10. 2., 26. 2. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 I - III). Die Vortrage vom 3. u. 26. 2. 1790 gedr. bei Ranke 1875, 545, 546f. Kaunitz an Hartig (16./18. 1., 3., 10., 17./20. 2., 2./3. u. 29. 3., 28. 4. 1790; StK DK Sachsen 28 Konv. Berichte/Weisungen 1790). Der Briefwechsel zwischen Friedrich August v. Sachsen und Joseph II. bzw. Leopold aus den Monaten JanuarApril 1790 in StK DK Sachsen HK 1 bzw. 2. Vgl. daraus speziell Joseph II. an Friedrich August (16. 1. 1790), Friedrich August an Joseph II. (25. 1. 1790), Leopold II. an Friedrich August (28. 3. 1790), Friedrich August an Leopold II. (5. 4. 1790), Leopold II. an Friedrich August (18. 4. 1790). Kaunitz an L. Cobenzl (20. 1., 10. 2., 2. 5. 1790; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790). Noailles an Montmorin (17., 27. 2., 31. 3. 1790; AMAE CP Autriche 359). - Flathe 1871, Wittichen 1899, 41 -44 (zur strategischen Bedeutung Sachsens).

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Schaden" beendet zu sehen, nochmals deutlich bekundet wurden; „en bon voisin", ja „en bon ami" sollte man sich hinfort begegnen (Leopold sprach in seinem Brief sogar von einem möglichen Beitritt zum Fürstenbund), anstatt - wie es der preußische König tat - durch verdächtige Rüstungen aufwendige Gegenmaßnahmen an den gemeinsamen Grenzen zu provozieren. Österreich gab zu erkennen, daß es trotz des erfolgreichen Kriegsverlaufs gegen die Pforte auf der Basis des erweiterten Passarowitzer Friedensstandes und gegen Entschädigung für die Kriegskosten zur Beendigung des Konflikts bereit war. Daß mit Leopold nicht nur die Innenpolitik (ein ausführlicher Verweis auf die Proklamation an die Belgier fehlte nicht), sondern auch die österreichische Außenpolitik einen neuen Zug erhielt, machte man Friedrich Wilhelm Π. in dem Handschreiben des Apostolischen Königs so deutlich als möglich: „loyauté", »justice" und „modération" waren die moralistischen Leitschlagworte leopoldinischer Politik, die keine Vergrößerungsabsichten kannte, primär auf eine Beruhigung der Lage abzielte, aber doch, wenn es um den Schutz der Monarchie ging, Verteidigungsbereitschaft demonstrierte. Der schwarze Pessimismus hatte noch nicht von allen Wiener Amtsstuben Besitz ergriffen. Es gab vereinzelt Positiva, die man intern nun - auch zur Selbstberuhigung - besonders herausstrich: England werde wohl letztlich die Unabhängigkeit der Österreichischen Niederlande als seinem Staatsinteresse nicht angemessen erkennen, Sachsen sei zur Neutralität fest entschlossen, auf die „ephemere Hitze" der Polen könne Preußen nicht bauen. Gegen eine offene Aggression Berlins verfügte man angeblich über genügend Ressourcen, weniger über die dramatisch zur Neige gehenden finanziellen Mittel als über „den sich immer mehr verbreitenden Enthusiasmus der Unterthanen für Höchstdero Person und die allgemeine Wohlfahrt des Staats". Und gute „Kampfmoral" bescheinigte den Österreichern auch der französische Botschafter. Die Truppenkonzentrationen gegen Preußen wurden daher fortgesetzt, so sehr Leopold eigentlich die Entsendung von Verstärkungen nach Belgien für dringlich hielt. Für den komplikationslosen Marsch der Entsatzeinheiten nach Luxemburg bildeten ohnedies der vorübergehende Verlust der Kaiserkrone und die damit problematisch gewordenen Durchzugsrechte im Reich ein Hindernis. An der Türkenkriegsfront wünschte Kaunitz einen energischen Feldzugsbeginn, um so, ausgehend von den bekannt „bescheidenen" Minimalforderungen an die Pforte, aus einer Position der Stärke heraus vielleicht doch noch den Frieden zu sichern. Für alle Fälle erhielt FM Sachsen-Coburg einmal mehr entsprechende Vollmachten und Instruktionen. Ein möglichst sicherer Grenzverlauf zwischen Österreich und dem Osmanischen Reich war dabei das einzig vorwaltende Ziel, selbst dies aber schon eine Verbesserung gegenüber dem Zustand nach dem Frieden von Belgrad, der lästiger-

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weise zu dauernder Deckung der Grenzgebiete auch in Friedenszeiten gezwungen hatte. Leopolds Programm definierte sich - so Kaunitz bei Ausgabe der neuen Losung an die österreichischen Außenvertretungen - durch das allgemeine Glück seiner Untertanen, durch öffentliche Ruhe und die Freundschaft mit allen Mächten. Dies hieß aber nicht, präzisierte der Staatskanzler im April 1790 etwa in einer nach Spanien bestimmten Weisung, daß sich Wien bis zum äußersten erniedrigen werde. Nur aus Liebe zum Frieden konnte man nicht Bestimmungen annehmen, die kaum der unglücklichste Ausgang eines Krieges akzeptabel erscheinen ließ. Gemeint war der Hertzberg-Plan. Preußen selbst hatte ja Österreich durch die Polnische Teilung den Besitz Galiziens garantiert, Polen um die Rückgabe Galiziens gar nicht gebeten. Ohne Entschädigung für die enormen Kriegsaufwendungen durfte Leopold II. nicht aus dem Türkenkrieg ausscheiden30. Am 26. April 1790 versammelte sich in Gegenwart Leopolds und Erzherzog Franz' die Geheime Konferenz; FM Laudon wurde, wiewohl nicht Konferenzminister, als Militärfachmann beigezogen. Der preußische König hatte endlich auf das Versöhnungsschreiben Leopolds reagiert und in seiner Antwort zwei Optionen für einen friedlichen Ausgleich zur Wahl gestellt: den status quo ante nach britischem Wunsch oder aber - „ce qui vaudroit mieux", wie Friedrich Wilhelm II. schrieb - ein Spezialarrangement zur Erhaltung des Gleichgewichts („un arrangement général qui concilie par des échanges proportionnés des équivalens et des compensations les intérêts des puissances qui prennent part aux troubles présents de l'Orient et du Nord selon quelque plan qui me paroît très possible et peu difficile et qui écarterait pour toujours tout sujet de défiance et de jalousie mutuelle entre lesdites puissances et pourroit devenir la base permanente de l'équilibre et d'une paix constante dans cette partie de l'Europe"). Dieses beinhaltete u.a. 30 Kaunitz an Leopold II. (16. 3. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 I - III; Druck: [Beer] 1873, 360 - 363). Kaunitz an Reuß (30. 3. 1790; StK Preußen DK 68 Konv. Weisungen nach Berlin 1790) mit Leopold II. an Friedrich Wilhelm II. (26. [25.] 3. 1790) und einem „Mémoire confidentiel sur la conduite et les dispositions de la cour de Vienne relativement à la guerre actuelle avec la Porte" (A bzw. K dieser Schriftstücke auch in StK DK Preußen HK 1 Konv. Kaiser a.d. Kg. v. Preußen). Zur Entstehungsgeschichte des Briefs an den König von Preußen vgl. Kaunitz an Leopold II. (16. 3. 1790), Kaunitz an Leopold II. (26. 3. 1790) mit Beilagen: StK Vorträge 147 Konv. 1790 I - III. Zu Divergenzen zwischen dem Kaunitzschen Vorschlag und dem tatsächlich expedierten Schreiben vgl. Ranke 1875, 412 Anm. 1, zugleich eine interessante Anregung für (hier nicht mögliche) quellenkritische Untersuchungen. Kaunitz an Kageneck (15. 4. 1790; SA Spanien DK 120 Konv. 5). Leopold II. an Laudon (30./31. 3., 3. 4. 1790; KA Kabinettskanzlei HBP 75 a). Montmorin an Noailles (2. 4. 1790), Noailles an Montmorin (2., 10., 17., 20., 24., 27. u. 31. 3., 14. 4. 1790): AMAE CP Autriche 359. Die wichtigsten Schriftstücke zu den Verhandlungen zwischen der Tripelallianz und Österreich - darunter besonders die Korrespondenz Leopolds mit Friedrich Wilhelm II. seit März 1790 - sind abgedr. bei [Spiegel] 1841.

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die Rückgabe eines Großteils von Galizien an Polen, dafür die Sicherung der Passarowitzer Grenze für Österreich, die Gewinnung von Danzig und Thorn durch Preußen, preußische Unterstützung für die Rückführung der Österreichischen Niederlande unter Wiener Botmäßigkeit. In Preußen war es Hertzberg Mitte April 1790 gelungen, die unmißverständlichen Signale Englands gegen die gefahrengeneigte Politik Berlins zu nutzen, um den eingeschlagenen kriegerischen Kurs vorerst zu beenden und bei einem Einschwenken auf die von London geforderte Verhandlungslinie vielleicht trotzdem noch Danzig und Thorn zu erwerben. Ein Absprung von den friedlichen Gesprächen war notfalls immer noch möglich. Die Ratifikation des Vertrags mit der Pforte unterblieb bis auf weiteres, Friedrich Wilhelm II. setzte seine Rüstungen aber fort. Staatskanzler Kaunitz plädierte Ende April 1790 in seiner Konferenzvorlage für eine zwar höfliche, aber dennoch dilatorische Antwort. Man wollte auf Zeit spielen, um doch noch durch energische Operationen der Pforte einen Siegfrieden abzuringen. Der Fürst und die ihm folgenden Konferenzminister hofften mit dieser Ausweichtaktik noch einige Monate zu gewinnen; man wußte, daß Preußen noch nicht schlagbereit war und einige Zeit zur „Loßbrechung" benötigen würde. Zu viel durfte aber nicht riskiert werden: Denn die allesentscheidende Frage „Wäre Österreich in der Lage, notfalls gleichzeitig Krieg gegen die Pforte und gegen Preußen zu führen?" wurde von FM Laudon kategorisch verneint. V.a. die kritische finanzielle Situation, mehr noch aber die Zerrüttung, das Mißvergnügen und die Insubordination in den österreichischen Provinzen türmten unüberwindliche Hindernisse auf. Auch hatte, wie Laudon dartat, der Bayerische Erbfolgekrieg bewiesen, daß Österreich selbst in bester Verfassung letztlich nicht einmal imstande war, gegen Preußen alleine einen erfolgreichen Offensivkrieg zu führen. Die Herstellung von Ruhe und Ordnung im Inneren galt daher als ein viel beträchtlicherer Vorteil als der glücklichste Erfolg im Kriege. Die Konferenz einigte sich vor diesem düsteren Hintergrund darauf, daß alles versucht werden mußte, einen Zweifrontenkrieg auch „durch gütliche Wege und allfällige Opfer" tunlichst zu vermeiden. Welche der preußischen Alternativen sollte man aber im Ernstfall wählen: die Aufgabe aller türkischen Eroberungen oder aber die Retablierung des Passarowitzer Friedensstandes gegen Rückgabe Galiziens an Polen? Kaunitz ließ keinen Zweifel daran, daß die zweite Alternative, in der es - wie Hertzberg selbst bekannte - nur um das Sicherheitsbedürfnis Preußens ging, Österreich „weniger als nichts" beließ. Aber auch dem status quo ante, auf den England unter Zurückweisung des preußischen Tauschgeschäftes drang, ohne dabei ganz auszuschließen, daß es später noch zu kleineren Modifikationen zu Österreichs Gunsten kommen könne, war man bislang ja skeptisch bis ablehnend begegnet. Die Konferenzminister hielten bei ihren Beratungen zwischen

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Skylla und Charybdis die Aufgabe aller türkischer Eroberungen für die insgesamt günstigere Variante: Immerhin ging Preußen dabei völlig leer aus (und dies hielt man auch für den wahren Wunsch Großbritanniens), die türkischen Spolien konnten sich in ihrem Wert mit Galizien nicht messen. Eine Rückgabe Galiziens durfte sich Österreich nur dann gefallen lassen, wenn auch Preußen seine Erwerbungen aus der Polnischen Teilung retournierte! Allein dies entspreche, hieß es, der im Teilungsvertrag festgeschriebenen „égalité parfaite". Trotzdem wälzte man - sozusagen für den Notfall - komplizierte Ländertauschpläne; man kalkulierte die Abgabe eroberten türkischen Gebiets an Polen (Chotin und Umgegend, freie Schiffahrt auf dem Dnjestr) ein, das dafür wieder Danzig und Thorn an Preußen abtreten konnte. In extremis sollten von österreichischer Seite nur die weniger wertvollen Teile Galiziens abgetauscht werden; der galizischen Provinzen gegen die vergleichsweise wertlosen türkischen Eroberungen zu entsagen hielt man für fatal, nicht zuletzt auch auf Grund der dadurch erwarteten Verwicklungen mit Rußland in den Donaufürstentümern. Wirklich positiv zu bewerten waren daher ausschließlich Denkvarianten, die Preußen keinen territorialen Zugewinn versprachen. Dafür gab man sich selbst bereit, die eigene Erwartungshaltung zu drosseln. Zu gleicher Zeit wurden Anfang Mai 1790 die Schritte in Petersburg verstärkt, um einmal mehr und immer dringender Hilfe gegen Preußen zu erbitten, ja die Garantie der Zarin für Galizien anzurufen und Rußland v.a. auch zur Mäßigung seiner Forderungen gegen die Türken zu mahnen. Ein russisches Korps zur Deckung dieser „offenen" Provinz schien nun den Verantwortlichen in Wien die wohlverdiente Belohnung für die mannigfachen Dienste, die man Rußland bislang geleistet hatte. FM Sachsen-Coburg sollte indes sofort auf allfällige türkische Friedensfühler eingehen und ihnen durch Darstellung der preußischen Perfidie klarmachen, „daß es nur von ihnen abhange, durch einen unmittelbaren, von aller preussischen Einmischung entfernten Frieden viel leichter und wohlfeiler aus dem Spiele zu kommen"31. 31

Vortrag Kaunitz (28. 4. 1790) mit dem Konferenzprotokoll (26. 4. 1790) und weiteren Bezugsstücken: StK Vorträge 147 Konv. 1790 IV - V. Dazu auch die Notizen Erzherzog Franz* zur Konferenz in FA Handarchiv Kaiser Franz 19 Bd. „Konferenzen der inländisch und auswärtigen Geschäften von Jahren 1790 & 1791". Weiters Kaunitz an Reuß (28. 4. 1790; StK DK Preußen 68 Konv. Weisungen nach Berlin 1790) mit Leopold II. an Friedrich Wilhelm II. (27. [28.] 4. 1790; A auch in StK DK Preußen HK 1 Konv. Kaiser a.d. Kg. v. Preußen). Das Schreiben Friedrich Wilhelms II. (14. 4. 1790) mit einem „Mémoire confidentiel sur la paix à faire entre la cour de Vienne et la Porte Ottomanne" u.a. in StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/A, die Ο in StK DK Preußen HK 1 Konv. Kg. v. Preußen an Kaiser. Leopold II. an Friedrich August von Sachsen (29. 4. 1790; StK DK Sachsen HK 2). - Noailles an Montmorin (21., 24., 28. 4., 5. u. 8. 5. 1790), Montmorin an Noailles (5. 5. 1790): AMAE CP Autriche 359. - Roider 1976,

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An der Türkenfront mußte das Schwanken Österreichs zwischen direkten Friedensverhandlungen ohne preußische oder britische Intervention mit breiteren Zugeständnissen Österreichs (Berichtigung der Bukowiner Grenze, freie Schiffahrt auf Donau und Schwarzem Meer, Garantie gegen die Barbaresken, Abtretung der wichtigeren Grenzfestungen an der Donau...) und einem von England vorgeschlagenen Waffenstillstand mit dem Endergebnis einer „pacification générale" unter Vermittlung Londons bald aufhören. Realisierte sich ersteres nicht sehr rasch durch den einen oder anderen militärischen Erfolg und entsprechende türkische Verhandlungsbereitschaft, wurde letzteres zur einzigen Möglichkeit, den Krieg mit Preußen zu vermeiden. Auch dem russischen Verbündeten gegenüber bezeichnete Wien die preußischen Zudringlichkeiten in beide Richtungen als völlig unannehmbar, konnte doch der status quo ante die Menschenverluste nicht aufwiegen, die Zerstörung blühender Provinzen nicht sühnen. Aber der von Preußen gewünschte Ländertausch brachte noch viel weniger als nichts, die Aufgabe Galiziens für den Passarowitzer Friedensstand galt als reines Verlustgeschäft. Kurzum: Preußen mußte noch hingehalten werden, um allenfalls Zeit für einen erfolgreichen, kriegsentscheidenden Vorstoß gegen die Türken zu gewinnen32. Die - letztlich recht vagen - Reaktionen des Petersburger Hofes ließen noch einige Zeit auf sich warten, während nun Mitte Mai 1790 wieder die Preußen in Wien vorstellig wurden; Friedrich Wilhelm II. bestand bei Leopold II. auf einer klaren Erklärung. Man wollte die Verhandlungen noch bis maximal Ende Mai laufen lassen, um dann den Österreichern mit starker Macht in Schlesien zu drohen. Aber auch Berlin mußte Konzessionen machen, denn die preußische Heeresverwaltung zeigte sich der Aufgabe einer Totalmobilisierung gegen Österreich nicht recht gewachsen. Anfang Februar 1790 hatte der König Armierung und Verproviantierung verfügt, im März die Bildung eines Observationskorps und schließlich Anfang April 1790 die Mobilisierung der gesamten Armee beschlossen. Man erkannte Zögern und Scheu, in führenden Armeekreisen herrschte große Skepsis, die der gewaltige Respekt vor dem österreichischen Oberkommandierenden, FM Laudon, nur noch verstärkte. Während die Österreicher Ende Mai 1790 554 - 556, wertet die Konferenz als entscheidenden Wendepunkt bei der Abkehr Leopolds von der Linie Kaunitz* und setzt damit auch das Rücktrittsersuchen des Staatskanzlers vom April 1790 in Verbindung. Dazu auch Mitrofanow 1916, Kap. 3. 32 Kaunitz an L. Cobenzl (1./2. 5. 1790; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790) und das dazugehörige Partikularschreiben (2. 5. 1790; Druck: [Vivenot] 1873, 2f.); Leopold II. an Katharina II. (1. 5. 1790; Druck: [Beer] 1874, 126f.). Leopold II. an Kaunitz (10. 5. 1790), Kaunitz an Leopold II. (12. 5. 1790) mit Coburg an Leopold II. (Bukarest, 29. 4. 1790): StK Vorträge 147 Konv. 1790 IV-V.

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Gewehr bei Fuß standen - nahezu 150.000 Mann hatte Wien an den Grenzen Mährens, Böhmens und Galiziens gegen die Preußen mobilisiert, die man etwas stärker schätzte - , war auf preußischer Seite Einsatzbereitschaft schließlich bestenfalls für Juni oder Juli zu erwarten. Wieder versammelte sich in Wien die Konferenz am 21. Mai zur Beratung der prekären Lage. Preußen hatte zwar die englische Proposition zur Wiederherstellung eines status quo avant la guerre nochmals wiederholt, aber mit überdeutlich negativen Zwischentönen, die anzeigten, daß dies dem Berliner Hof „keineswegs anstehet". Die neueste Variante des Hertzberg-Plans (status quo approchant), neben dem status-quo-Frieden und dem großen Tauschprojekt (Rückgabe von Moldau, Walachei und Bessarabien an die Pforte, Garantie der Krim und Gewinn Oczakows und des Gebiets zwische Bug und Dnjestr für die Zarin; Wiederherstellung des Friedens von Nystad gegenüber Schweden; Rückgabe Galiziens an Polen, dafür Zusicherung der Passarowitzer Grenzen für Österreich) nun eine weitere Variante, forderte, wie es der mangelnden Schlagbereitschaft und der unsicheren Haltung Englands wohl entsprach, nur mehr einen mehr oder weniger beträchtlichen Teil Galiziens, dafür sollte Österreich - gegen Rückgabe Belgrads an die Türken - die natürlichen Grenzen Donau-Aluta-Una erhalten. Verringerte sich der zu restituierende Anteil Galiziens, schrumpfte proportional auch die Zubuße aus türkischem Gebiet. Preußen versprach die kurbrandenburgische Stimme für die Kaiserwahl und Unterstützung bei der Rückgewinnung der belgischen Provinzen („selon leur ancienne constitution"). Der status quo schien den Preußen nicht geeignet, die Konflikte in Ostmitteleuropa dauerhaft zu entschärfen. Diese Ruhigstellung war und blieb in den Augen Berlins unbedingt an den Gewinn Danzigs und Thorns geknüpft. Der Geheimen Konferenz freilich galt jede Abtretung Galiziens oder eines Teils davon nach wie vor als unzulässig; der Verlust der großen galizischen Salinen mit einem Jahresertrag von mehr als 5 Millionen Gulden, die Kappung jeder Verbindung zwischen einem allenfalls bei Österreich verbleibenden Restgalizien und Österreichisch Schlesien, der Verlust der Handelsstadt Brody konnten nichts anderes bewirken, als daß man den status quo ante bellum vorzog, zumal der herbe Verlust noch durch die Gewinne Berlins quasi verdoppelt würde. Die kritische Lage erforderte natürlich, trotz Verständlicher Wut angesichts der ärgerlichen Zumutungen des preußischen Hofes und „der bis auf den höchsten Grad der Unverschämtheit und Irraisonabilität getriebenen Hab- und Herrschsucht des Grafen Hertzberg", alle möglichen Ménagements. So antwortete man ein weiteres Mal dilatorisch. Den sich nun bereits deutlich als „österreichische Variante" abzeichnenden status quo ante bellum wollte man in Wien selbstredend nicht im stren-

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gen Wortsinne ausgelegt wissen. Österreich konzedierte zwar ein Ausscheiden ohne wesentlichen Zugewinn an Territorium, mußte aber doch zumindest sicherere Grenzen gegenüber den Türken an Save, Donau und Una zugesprochen erhalten (status quo modifié). Entsprechende Vorschläge waren von Armeeseite bereits entworfen worden; daß aber Preußen dies nach Möglichkeit hintertreiben würde, daran bestand überhaupt kein Zweifel. Berlin mußte sich weiterhin als Retter der Pforte gerieren und die Türken in der fatalen Illusion wiegen, „daß sie - unterstützt von Preußen jeden Krieg wider uns zu wagen und auch den unglücklichsten ohne Gefahr eines empfindlichen Verlustes zu führen imstande seyn werden". Diese Taktik erlitt Schiffbruch, wenn Berlin zwar seine Erwerbungen auf Kosten Polens realisieren konnte, die Republik dafür aber durch türkisches Territorium (Chotin und Umgegend) entschädigt wurde und auch Wien „ein anständiges Loos" aus türkischen Eroberungen erhielt. Das war es also, was Leopold II. in einem Schreiben an den sächsischen Kurfürsten als „application équitable" der preußischen Tauschpläne definierte und als eventuell gangbaren Weg sichtlich nicht ganz ausschloß: die preußische Vergrößerung durfte zumindest nicht auf österreichischen Kosten gehen! Indes sorgten angebliche russische Vorbereitungen für die Sprengung (und in weiterer Folge also für die Rückgabe) der eroberten türkischen Festungen Bender, Oczakow und Akermann für große Besorgnis. Stand Rußland kurz vor seinem Austritt aus dem Krieg, wollte es sich wirklich mit der Garantie der Krim begnügen? Um so mehr mußte sich auch Österreich genötigt sehen, rasch und „zu den wohlfeilsten Bedingnissen" aus dem Krieg zu schlüpfen. In seiner Antwort auf das Ultimatum des preußischen Königs unterstrich Leopold, daß die von Preußen in Aussicht gestellten türkischen Abtretungen wahrlich kein seriöses Äquivalent für den Verlust Galiziens darstellten. Österreich wünsche keine territorialen Vergrößerungen; die Herstellung des Friedensstandes von Passarowitz bedeute ja bestenfalls eine Entschädigung für die Kriegskosten und -Schäden. Man sei also mit der Verhandlung auf der Basis des status quo durchaus einverstanden, die ehrwürdige Kaiserkrone aber und die rechtlich unantastbare österreichische Hoheit über die belgischen Provinzen weigerte man sich nach preußischem Muster als „objets de litige ou de compensation", also als Versatzstücke im modifizierten Hertzberg-Plan zu betrachten und in die Verhandlungen einzubeziehen33. 33

Vortrag Kaunitz (19. 5. 1790) und Konferenzprotokoll (21. 5. 1790) mit Vorlage der Staatskanzlei: StK Vorträge 147 Konv. 1790 IV - V. Notât des Erzherzogs Franz: FA Handarchiv Kaiser Franz 19 Bd. „Konferenzen der indländisch und auswärtigen Geschäften von Jahren 1790 & 1791". Kaunitz an Reuß (23. 5. 1790; StK DK Preußen 68 Konv. Weisungen nach Berlin 1790). Der Brief Friedrich Wilhelms II. an Leopold II. (10. 5. 1790) mit „Exposé remis par le comte Herzberg au prince Reuss" in StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach /A, das Ο mit

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In Wien scheint sich in währender Zeit hinter den Kulissen ein Kampf zwischen unbedingten Friedensbefürwortern in der engeren Entourage des Monarchen - wozu besonders Marchese Manfredini gezählt wurde - und jenen abgespielt zu haben, die vor allem aus dem Kreise Kaunitz* Leopold zu einer energischeren Haltung rieten; vieles deutete aber für den außenstehenden Beobachter auf große österreichische Friedensbereitschaft - die verlangsamten Operationen gegen die Türken, die - nach nur kurzem Aufenthalt in Mähren - signalhafte Rückkehr Laudons von der Nordarmee, die Ende Mai 1790 gegen Preußen und Polen Stellung bezogen hatte. Aber der Kampf um das Ohr des schwer durchschaubaren Leopold Π. war noch nicht beendet. Aus der Staatskanzlei hieß es dazu Anfang Juni 1790 gegenüber dem kurbrandenburgischen Gesandten in Wien, Jacobi, in warnendem Ton: „[...] en effet ses [Leopolds] sentiments sont peut-être un peu trop pacifiques, mais qu'on ne s'y trompe pas. Il a des alentours qui ne lui parlent que de paix, mais heureusement il a deux oreilles, et s'il entend de l'une des conseils pacifiques, il entend aussi de l'autre des conseils de vigueur."34 Von preußischer Seite verstärkte sich indes der Druck. Die militärischen Demonstrationen sollten weiter verstärkt werden, der König selbst zur Armee abgehen, um die Österreicher vollends mürbe zu machen. Auf Wunsch Berlins und mit Zustimmung der Staatskanzlei begleitete auch der österreichische Gesandte in Berlin, Fürst Reuß, den König und sein Gefolge nach Schlesien, ebenso die diplomatischen Vertreter der Seemächte. Hier einer „Ouverture ministérielle du comte de Hertzberg au prince de Reuß" und Beilage in StK DK Preußen HK 1 Konv. Kg. v. Preußen an Kaiser. Leopolds Antwort vom 23./25. 5. 1790 mit „Réflexions préalables sur l'application des deux bases de négociation proposées par la cour de Berlin" in StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/A u. DK Preußen HK 1 Konv. Kaiser a.d. Kg. von Preußen. Leopold II. an Friedrich August von Sachsen (23. 5. 1790) und dessen Antwort (7. 6. 1790): StK DK Sachsen HK 2. - Noailles an Montmorin (20., 22., 26. 5. 1790; AMAE CP Autriche 359). - Der Widerstand gegen die Abtretung bzw. Rückgabe Galiziens ist bemerkenswert, da man in führenden Kreisen der Wiener Politik mit diesem Zugewinn aus der polnischen Teilung nicht viel anzufangen wußte. Staatskanzler Kaunitz beklagte noch zu Jahresbeginn 1791 den engen und problembeladenen Nexus, der Österreich durch die politisch besonders aktiven sujets mixtes Galiziens mit dem Pulverfaß Polen verband, um zu schließen: „Galizien ist ein von einer freyen Republik abgerissenes Land. Es ist nicht nur eine entfernte Provinz, sondern nach ihrer physikalischen Lage gleichsam ein hors d'oeuvre des ganzen übrigen Staatskörpers" (Votum 21./28. 1. 1791; KA Kaunitz-Voten 6 Konv. 1791/ 92). Vgl. übrigens zu den polnischen Aktivitäten in bzw. gegen Galizien Kaiinka 1896/98, Bd. 2, 93 - 171. 34 Ph. Cobenzl (?) an Reuß (2. 6. 1790; StK DK Preußen 68 Konv. Weisungen nach Berlin 1790) über ein Gespräch mit Jacobi. Dieses Stück und ein weiterer Bericht Ph. Cobenzls (4. 6. 1790) über die Fortsetzung der Konversation mit dem kurbrandenburgischen Vertreter sind abgedr. bei [Beer] 1874, 224 - 230. Leopold II. an Laudon (23. 5. 1790; KA Kabinettskanzlei HBP 75 a). - Noailles an Montmorin (29. 5., 2., 5. 6. 1790; AMAE CP Autriche 359).

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wollte man inmitten des eindrucksvollen Waffengeklirrs und unter großem Zeitdruck bis zur endgültigen Einsatzbereitschaft der preußischen Truppen, aber auch bei gleichzeitig verstärkter preußischer Wühlarbeit in Ungarn weiterverhandeln. Der neu versammelte ungarische Landtag sollte, so wünschte es Friedrich Wilhelm II., auf eine Garantie der ungarischen Verfassung durch Preußen drängen. Verbindungen reichten auch zu einigen Magnaten in Galizien, wo ohnedies eine von Marchese Lucchesini geschürte polnische Intervention drohte. Selbst den mittlerweile zum Frieden mit der Zarin neigenden Gustav III. suchte Preußen für die bevorstehende Generalabrechnung im Rennen zu halten. Ende Juni 1790 schien Friedrich Wilhelm II. zu einem Waffengang gegen das stets ausweichende Österreich entschlossen, und widerwillig mußte Hertzberg endlich die Ratifikation der Offensivallianz mit der Pforte ausfertigen (23. Juni 1790). In einem Schreiben an Leopold II. von Ende Mai 1790 hatte der preußische König nochmals auf dem Hertzberg-Plan bestanden, den er für die beste, weil dauerhafteste Lösung der schwelenden Krise hielt („la plus propre pour établir la base d'une amitié permanente entre nos maisons"). Zugleich sollte Leopold alle Hostilitäten gegen Preußens Verbündete einstellen, also - wie die Staatskanzlei verbittert klagte - einen nie dagewesenen einseitigen Waffenstillstand eingehen35. Schon Anfang Juni 1790 war die Haltung der Staatskanzlei insgesamt recht kleinlaut, „nachdem bey uns von allen Seiten nur eine Stimme herrschet, daß wir einen Krieg zu führen schlechterdings außerstand sind". Das plötzliche und gänzlich unerwartete Eintreten Englands für eine Art status quo approchant entfaltete seine Wirkung. Armeegutachten über günstige Territorialrochaden und optimale Grenzverläufe wurden immer aufs neue eingeholt und durchgespielt. Am 9. Juni 1790 versammelte sich daher wieder die Geheime Konferenz, einmal mehr unter Beiziehung von FM Laudon, um über die zu ergreifenden Maßnahmen und besonders über die je nach Lage der Dinge erforderlichen Konzessionen zu beraten. FM Sachsen-Coburg erhielt für den Fall eines möglichen direkten Friedens mit der Pforte freie Hand für sehr weitreichende Zugeständnisse, denn gegenüber den anhaltend verdächtigen Bemühungen des Fürsten Potemkin, mit den Türken ins Geschäft zu kommen, wollte man keinesfalls alleine im Felde zurückbleiben; man überlegte sich, welche Teile Galiziens man au pis aller aufgeben konnte, holte dazu genaue „Populationsausweise" ein. Umständli35 Ph. Cobenzl an Kaunitz (5. 6. 1790; GK 406 Konv. A; Druck: [Schiitter] 1899a, 54f.). Kaunitz an Reuß (5. 6. 1790; StK DK Preußen 68 Konv. Weisungen nach Berlin 1790). Friedrich Wilhelm II. an Leopold II. (26. 5. 1790; StK FriedA Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/A; das Ο in StK DK Preußen HK 1 Konv. Kg. v. Preußen an Kaiser). Friedrich August von Sachsen an Leopold II. (18. 5. 1790; StK DK Sachsen HK 2).

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che Gradationen dessen, was man herauszugeben gewillt war, wurden festgelegt. Auch für die Konferenzminister stand außer Frage, daß Preußen weiterhin auf galizischen Abtretungen beharren würde, um den Polen für die eigene unverschämte Forderung wenigstens das angenehmste Trostpflaster zu verschaffen, und dies war nun einmal Galizien, „weil den polnischen Familien mehr daran liegt, wenigstens einen Theil ihrer Besitzungen von einer fremden Herrschaft auf dieser Seite zu befreyen, als daß die Republik neue Acquisitionen [gemeint war der von Österreich vorgeschlagene Gewinn aus türkischem Territorium] mache." Einer galizischen Zession mußte nun allmählich ins Auge gesehen werden. Ihr wollte man zustimmen, wenn man etwa ganz Türkisch-Kroatien bis an den Vrbas oder den Una-Distrikt sowie die Festung Chotin mit Umland bekam36. Am 15. Juni 1790 kam die Geheime Konferenz, wieder um Laudon verstärkt, ein weiteres Mal zu einer mehrstündigen Sitzung zusammen. Friedrich Wilhelm II. hatte durch seinen Residenten Jacobi ein Schreiben überreichen lassen, in dem er nachdrücklich auf eine schnelle Entscheidung drang - möglichst zugunsten einer Konstruktion, die Preußen die bekannten Erwerbungen auf polnische Kosten, Österreich aber die Wiederherstellung des Passarowitzer Friedensstandes brachte, da angeblich nur so eine dauerhafte Entschärfung der konfliktgeladenen Nachbarschaft Österreich-Preußen möglich war. Ein drohender Fingerzeig, der den Preußen angesichts der deutlichen Neigung Leopolds II. für den viel einfacheren status quo besonders nötig schien. Kaunitz hatte sich wieder einmal gegen zu große Konzessionsbereitschaft gestellt und gemeint, daß man gegen einen „homme abominable et très dangereux" wie Hertzberg mit zuviel „facilité" ohnedies nichts erreichen könne; er sparte auch nicht mit Kritik an Fürst Reuß, von dem er annahm, daß er Wien in Berlin nicht das gebührende Ansehen zu 36

Vortrag Kaunitz (7. 6. 1790), Vortrag Kaunitz (11. 6. 1790) mit dem Protokoll der Konferenz vom 9. 6. 1790: StK Vorträge 147 Konv. 1790 VI - VII. FA Handarchiv Kaiser Franz 19 Bd. „Konferenzen der inländisch und auswärtigen Geschäften von Jahren 1790 & 1791". Material zur Kriegsgefahr zwischen Österreich und Preußen auch in KA NL Lacy 10 Konv. IX/10 u. IX/11. - Noailles an Montmorin (9., 12. 6. 1790; AMAE CP Autriche 359). - Großbritannien gab den Preußen in Wahrheit nur sehr beschränkte und kurzfristige Rückenstärkung für eine Abweichung vom status quo ante bellum (Instruktion Leeds' für Ewart vom 21. 5. 1790: [Spiegel] 1841, 261 - 268) und kehrte schon Ende Juni/Anfang Juli 1790 wieder zu heftigem Drängen auf Wiederherstellung des Vorkriegsstandes zurück (Instruktionen für Ewart, 25. 6. u. 2. 7. 1790). Dafür sollten Danzig und Thorn von den Polen gegen Abschluß eines günstigen Handelsvertrags abgetreten werden, eine Idee, die noch bis weit ins Jahr 1791 durch die Kabinette geisterte. Vgl. über London und die österreichisch-preußische Krise vom Frühjahr/Sommer 1790 auch Lodge 1923, 188 - 197, Ward/Gooch 1922, Bd. 1, 181 - 197 (mit Vorgeschichte), Gerhard 1933, 242 - 274, Ehrman 1984, Bd. 1, 547 - 552 (die brit. Haltung gegenüber Österreich seit 1789 im Überblick), Black 1994, 257 - 265.

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verleihen wagte und so die preußischen Einschüchterungsversuche gegenüber einem offensichtlich bloß noch als „pauvre espèce" empfundenen Österreich mit provozierte. Es kam aber noch schlimmer, als die beiden „eisernen Fürsten", Kaunitz und Obersthofmeister Fürst Starhemberg, Veteranen der k.k. Diplomatie seit den frühen Jahren Maria Theresias, vielleicht befürchtet hatten. Staatsreferendar Spielmann sollte nun nach dem Willen Leopolds in eigener Person mit den letzten Zugeständnissen Wiens zu den Preußen nach Schlesien reisen, dort mit Fürst Reuß die Verhandlungen zu Ende bringen und salva ratificatione notfalls ohne weitere Rückfrage abschließen; dies auf der Basis einer (der unklaren Situation entsprechenden) verwirrenden, zwischen verschiedenen Optionen springenden Linie der Härte (status quo essentiel) und Nachgiebigkeit („avantages réciproques sur un pied également convenable"). Leopold war grundsätzlich bereit, trotz seiner unumwunden erklärten Präferenz für die Variante des status quo den Preußen gegebenenfalls Danzig, Thorn und das Arrondissement in Großpolen zuzugestehen; die Polen sollten dafür in der Moldau (Chotin) oder, wenn dies nicht möglich war, auch in Galizien entschädigt werden. Mußte Österreich jedoch galizisches Territorium abtreten, so beharrte man auf entsprechend großem Zugewinn zu Lasten der Türken („nach dem Ebenmaß und Werth der preussischen Erwerbung") sowie jedenfalls auf Entschädigungszahlungen; ein Drittel der Walachei und die Grenzen von 1718 (ohne Belgrad) waren in dieser Kalkulation zu wenig. Wien hatte jetzt plötzlich solange nichts gegen preußische Zugewinne einzuwenden, wie die angestrebten österreichischen Vorteile (speziell Türkisch Kroatien und Una-Distrikt) diesen die Waage hielten. Im schlechtesten Falle sollten sich Reuß und Spielmann auf das österreichische „Ultimatum" zurückziehen und sich mit dem Passarowitzer Friedensstand begnügen. Als allerletzter Rettungsanker stand dann nur noch der status quo strict - also die englische Variante - zu Gebote. Unbedingt zu verhindern war jedoch eine Aufnahme von Bestimmungen zu den Österreichischen Niederlanden unter die Verhandlungsgegenstände oder gar unter die Vertragspunkte der Schlußkonvention. Die „belgische Frage", die man intern bislang trotz großer Kompromißbereitschaft nicht hatte lösen können, sollte von den Verhandlungen mit Preußen getrennt bleiben, der König von Preußen schriftlich versichern, daß er die Unabhängigkeit des aufständischen Belgien niemals anerkenne, vielmehr die Herstellung der alten Ordnung und der alten Verfassung wünsche. Die Garantie der belgischen Verfassung war Verhandlungen mit London vorbehalten. Einen Waffenstillstand mit den Insurgenten, wie ihn vielleicht Preußen vorschlagen wollte, lehnte man rundweg ab. Der österreichische Kommandeur in Luxemburg, FM Bender, mußte unbedingt gute Ausgangspositionen für die Unterwerfung der belgischen Provinzen gewinnen und Wien - dies stand

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für Leopold II. an der Spitze der Wunschliste - die Möglichkeit zur Entsendung der jetzt gegen Preußen massierten, nach der Einigung aber freiwerdenden Truppen Richtung Belgien erhalten37. Kaunitz kochte immer noch sein eigenes Süppchen; er war freilich nicht mehr der allmächtige „maître de cuisine" von einst und sah sich so letztlich bloß einer harten und peinlichen Zurücksetzung gegenüber: die Spielmannsche Mission erfolgte ohne, ja gegen sein Votum. Entrüstet mockierte sich der Staatskanzler über die kleinlaute Sprache, lehnte jedes „morcellement" Galiziens ab und bedauerte, „daß wir absolute und durch alle mögliche Nachgiebigkeitsmittel den Frieden mit Preußen zu erhalten suchen müssen, weil wir einen Krieg zu führen schlechterdings ausserstande sind". All das schien Kaunitz keinesfalls mit Leopolds „Dignität" und dem „wesentlichen Staatsinteresse" des Erzhauses vereinbar. Er war es auch, der vehement gegen die Entsendung eines Unterhändlers nach Schlesien auftrat, gegen die „démarche humiliante de Γ envoy de quelqu'un à Berlin qui auroit toujours l'air d'y avoir été envoyé pour demander grâce au roi de Prusse et nous feroit jouer un bien mauvais rôle au cas qu'il fût obligé de revenir re infecta, comme il n'est que trop possible qu'il pourroit arriver". In den Augen des prestigebewußten Machtpolitikers hatte Leopold also längst hinter sich gelassen, was der Apostolische König selbst seinem preußischen Gegenüber in einem letzten, hinter dem Rücken Kaunitz erarbeiteten Brief vom 17. Juni 1790 noch als unüberschreitbare Sperrlinie geschildert hatte: „la ligne que l'honneur me défend à moi de transgresser. Elle commence là où les condescendances cessent d'être justifiées par des motifs d'équité, d'intérêt général et d'égalité de convenances lesquels doivent seuls dicter les transactions des souverains". Leopold dankte dem Fürsten zwar für seine kritische „Wohlmeinung", in der Sache gab er aber nicht nach und notierte auf dem Vortrag des Staatskanzlers: „Unsre innerliche Umstände sind aber leider so beschaffen, daß wir alle nur einigermaßen anständige Mittel anwenden müßen, um einen Bruch mit Preußen abzuhalten." Denn Rußlands Haltung erwies sich wie gewohnt als zweideutig. Man war in 37 Friedrich Wilhelm II. an Leopold II. (4. 6. 1790) mit „Observations ultérieures sur les trois bases de négociation proposées à la cour de Vienne": StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/A, die Ο der Schriftstücke in StK DK Preußen HK 1 Konv. Kg. v. Preußen an Kaiser. Kaunitz an Leopold II. (9. 6. 1790; Druck: [Beer] 1873, 368), Vortrag Kaunitz (17. 6. 1790) mit dem Protokoll der Konferenz vom 15. 6. 1790 und Beilagen: StK Vorträge 147 Konv. 1790 VI - VII. Notât Erzherzog Franz': FA Handarchiv Kaiser Franz 19 Bd. „Konferenzen der inländisch und auswärtigen Geschäften von Jahren 1790 & 1791". - Noailles an Montmorin (16., 17., 19., 23. 6. 1790; AMAE CP Autriche 359). Daß Reuß zu preußenfreundlich und damit kein Mann nach dem Herzen Kaunitz' war, wußte auch die französische Diplomatie seit langem: Noailles an Montmorin (20. 11. 1788; AMAE CP Autriche 355).

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Wien empört, daß man auf wiederholte Urgenzen keine wirklich beruhigenden Nachrichten aus Petersburg erhielt und auch von Fürst Potemkin keiner Antwort gewürdigt wurde, das Vertrauen Leopolds in den Bündnispartner bald tief erschüttert. Auch als nach viel zu langer langer Wartezeit die diffuse Zusage eintraf, Galizien im Ernstfall zu decken, blieb man skeptisch bis verärgert. Eine echte „Bewerkstelligung" der russischen Hilfe - 60.000 Mann waren Anfang Mai in Aussicht gestellt worden, um die Polen im Kriegsfall in Schach zu halten und weite Teile des Landes zu besetzen, eine vorsorgliche Okkupation Galiziens aber lehnten die Russen ab - nahm man jetzt gar nicht mehr für bare Münze 3 8 . 3. Reichenbach Staatsreferendar Spielmann reiste am 19. Juni nach Schlesien ab. F M Laudon kehrte etwa zur gleichen Zeit nach etwa dreiwöchigem Wienaufenthalt zur Armee nach Mähren zurück 39 . Nach „wegen schlechter Wege, gros38 Vortrag Kaunitz (16. 6. 1790) mit Beilagen (darunter Kaunitzscher Entwurf für ein Schreiben Leopolds II. an Friedrich Wilhelm II.): StK Vorträge 147 Konv. 1790 VI - VII. Kaunitz an L. Cobenzl (19. 6. 1790; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790). Leopold II. an Friedrich Wilhelm II. (17. 6. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/A, das von Leopold eigenhändig verbesserte Konzept in StK DK Preußen 68 Konv. Weisungen nach Berlin 1790, zur Weisung Kaunitz* an Reuß 17. 6. 1790) mit „Réflexions ultérieures sur les bases de la négociation", beide Schriftstücke in A und K auch in StK DK Preußen HK 1 Konv. Kaiser a. d. Kg. von Preußen bzw. das UrK der Denkschrift irrig ebd. Konv. Kg. v. Preußen an Kaiser. Leopold II. an Friedrich August von Sachsen (20. 6. 1790) und dessen Antwort (2. 7. 1790): StK DK Sachsen HK 2. Leopold II. an Laudon (23. 6. 1790; KA Kabinettskanzlei HBP 75 a). 39 Die österreichischen Akten zum Reichenbacher Kongreß sind großteils in StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/A-H gesammelt. Dabei befinden sich der abschriftliche Briefwechsel zwischen Leopold II. und Friedrich Wilhelm Π., der die Ausgleichsverhandlungen seit Ende März 1790 begleitete (Konv. A), und auch Kollateralkorrespondenzen der österreichischen Bevollmächtigten mit österreichischen Militärs, besonders mit FM Laudon und Generalquartiermeister Mack (Konv. E). Die Formalia, darunter auch die Abschlüsse vom 27. 7. 1790 und die Vollmacht für Spielmann vom 19. 6. 1790 in Konv. C u. F. Die wesentlichsten Stücke zu den Reichenbacher Verhandlungen sind nach den Vorlagen in StK FriedA großteils schon bei Vivenot abgedr. Eine erschöpfende Darstellung aus den österreichischen Akten fehlt. Vgl. einstweilen v.a. [Beer] 1874 (Einleitung), 6 - 29, und unter einem irreführend verkürzenden - Titel Criste 1903, jeweils mit ausführlicher Vorgeschichte. Sowohl Janko 1869, 477 - 491, als auch Pesendorfer 1989, 231 240, sind für die Armeemobilisierung gegen Preußen unergiebig. Wandruszka 1963/ 65, Bd. 2, 262 - 272, bleibt an der Oberfläche, ebenso vernachlässigbar Marmottan 1908, 58 - 65. Für die preußische Seite vgl. zu Reichenbach und seiner Vorgeschichte seit März 1790 Häusser 1854, Bd. 1, 320 - 340, Sybel 1853/1882, Bd. 1, 156 - 189, Ranke 1875, 420 - 440, Duncker 1877, 14 - 43, Wittichen 1905, 79 103, Wittichen 1899, 50 - 75, Preuß 1909, 154 - 170, und Ritter 1898. Mitrofanow 23 Hochedlinger

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ser Hitze und unerträglichen Staub" äußerst mühsamer Anreise traf Spielmann am Nachmittag des 24. Juni 1790 in Breslau ein, wo er sich mit dem im preußischen Hoflager aus Berlin angereisten Fürsten Reuß besprach und schließlich nach Reichenbach in Niederschlesien, dem Ort der Konferenz, weiterreiste. Der preußische Hof ließ sich für die Zeit der Verhandlungen mit mächtigem Troß in Schönwalde nieder; die Verhandlungen begannen am 27. Juni 1790. Am selben Tag traf der Herzog von Braunschweig im Hauptquartier der preußischen Armee ein, deren Konzentrationsbewegungen noch bis in den Juli hinein fortdauerten 40. Ausgangspunkt der Gespräche war zunächst der Hertzberg-Plan; auch die problematische Rückkehr der belgischen Provinzen in den habsburgischen Herrschaftsbereich stand von Beginn weg durch preußische Initiative auf der Tagesordnung. Österreichischerseits hatte man zu Anfang für die Grenzen von Passarowitz (mit Belgrad) und vorteilhafte Korrekturen in Bosnien an Una und Vrbas einen kleineren Teil Galiziens anbieten wollen, lag damit aber unter den preußischen Erwartungen, die - ohne Belgrad zu konzedieren - sogleich bis zur letzten Stufe der österreichischen Konzessionsbereitschaft in Galizien gingen (29. Juni). Die ersten Gespräche übertrafen so jede pessimistische Erwartung bei weitem. Die beiden österreichischen Bevollmächtigten sprachen von einer „wahrhaft martervollen Negotiation", betonten die „wahre Höllenmarter [...], welche uns während der bisherigen Unterhandlung die Grobheit, der Stolz, die Aufgeblasenheit, die Zudringlichkeit und die unglaubliche Irraisonnabilität des Grafen Herzberg ausstehen gemacht hat". In Rededuellen, „welche die beste Brust in die Gefahr der Schwindsucht setzen können", vermochten sich die Österreicher aber kaum durchzusetzen, ja man rechnete nach den ersten Gesprächen mit einem baldigen Abbruch der Konferenz. Reuß und Spielmann akzeptierten für den Fall einer freiwilligen Unterwerfung der Belgier Amnestie und Wiederherstellung der alten Verfassung und eine Erneuerung der britischen und niederländischen Garantie, keinesfalls jedoch die von Hertzberg proponierte Garantie des Reichs oder gar einen Waffenstillstand mit den Rebellen, durch den die Preußen, wie sie 1916, Kap. 3 (mit ausführlicher Vorgeschichte). Lord 1915, 128 - 152. Die nicht sonderlich ergiebige Korrespondenz zwischen Marie-Christine und Leopold II. während der Ausgleichsverhandlungen mit Preußen bei [Wölfl 1867, 145 - 185, und [Schiitter] 1896, 42 - 79. 40 Spielmann an Kaunitz (22. u. 24. 6. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/C), Kaunitz an Reuß/Spielmann (25. 6. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/B; Druck: [Vivenot] 1873, 489), Ph. Cobenzl an Spielmann (25. 6. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/B; Dnick: [Vivenot] 1873, 490f.). Die preuß. „points préliminaires" vom 17. [recte 27.] 6. 1790 bei [Spiegel] 1841, 286f. - Noailles an Montmorin (26., 30. 6. 1790; AMAE CP Autriche 359).

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offen zugaben, eine Unterwerfung der Österreichischen Niederlande während der Verhandlungen und damit den Verlust eines praktischen Erpressungsmittels verhindern wollten. Zu nichts anderem hatten die seit Jahresende 1789 intensivierten Kontakte Berlins zu den belgischen „Rebellen" und ihre Unterstützung gedient41. Wien nahm die harte Haltung der Preußen in bezug auf Galizien - durch die geforderten Abtretungen wurde der verbleibende Teil fast völlig „unnutzbar und vertheidigungslos" - eigentlich relativ gelassen auf. Sogar Kaunitz hielt die Abgabe eines Teils von Galizien und damit österreichische Zustimmung für ein Zustandekommen des Hertzbergschen Ringtausches und eine bedenkliche Stärkung Preußens für unvermeidlich; aber selbst der Abschluß auf der Basis der Forderungen Hertzbergs erschien ihm - soferne nicht doch noch Günstigeres erreicht werden konnte - „comme une assés bonne et encore plus brillante paix selon l'état de nos circonstances au dehors et au dedans". Der Fürst fand daher nichts dagegen einzuwenden, die Verhandler zu einem Abschluß auf dieser Basis zu ermächtigen. Die letztinstanzliche Entscheidung dieser wichtigen Frage blieb der Geheimen Konferenz vorbehalten, die am 5. Juli 1790 zu einer Sitzung zusammentrat. Leopold Π. wünschte unbedingt die Sicherung des Friedens 41

Spielmann/Reuß an Kaunitz (29. 6. 1790), Spielmann an Ph. Cobenzl ([29.] 6. 1790), Spielmann/Reuß an Ph. Cobenzl (2. 7. 1790): StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/C bzw. D; Druck: [Vivenot] 1873, 491 - 497. Die Härte der preuß. Forderungen von Beginn an scheint auf eine eklatante Indiskretion des Fürsten Reuß zurückzuführen zu sein, der schon vor Aufnahme der offiziellen Verhandlungen das österr. Ultimatum preisgab: Hertzberg an Friedrich Wilhelm II. (26. 6. 1790; Druck: Ranke 1875, 548). Besonders die Generalstaaten hatten seit Mitte Juni 1790 durch direkte Anbringen in Wien lebhaft einen Waffenstillstand mit den belgischen Insurgenten, jedenfalls aber eine mäßige Vorgangsweise Österreichs und eine Suspendierung militärischer Maßnahmen propagiert, sich damit aber bei der Staatskanzlei verärgerte Reaktionen eingehandelt. Wien verdächtigte dabei die holländischen „Käsehandler", nur das Sprachrohr der Berliner Politik zu sein. Zu den niederländischen Waffenstillstands- und Ausgleichsvorschlägen vgl. besonders: Kaunitz an Buoi (1. 5. 1790; SA Holland Weisungen 93 Konv. Weisungen 1789 1792), Kaunitz an Buoi und Rewitzky (30. 6. 1790; SA Holland Weisungen 93 Konv. Weisungen 1789 - 1792 und SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 129); Kaunitz an Leopold II. mit kgl. Entschließung (28. 6. 1790; Druck: [Beer] 1873, 369 f.), dto. (2., 5. 8. 1790), Leopold II. an Kaunitz (6. 8. 1790) mit der Note verbale (16. 7. 1790; Druck: [Vivenot] 1873, 13 f.) und einem Antwortsentwurf von Kaunitz: StK Vorträge 147 Konv. 1790 VI - VII bzw. 1790 VIII - IX. - „Extrait d'une résolution secrète des Etats-Généraux arrêté le 23 août 1790 sur plusieurs rapports successifs de Mrs de Reede et de Haeften": [Neumann] 1855, Bd. 1, 421 f. Den niederländischen Vorschlag eines Waffenstillstands zwischen Leopold II. und den belgischen Insurgenten bei gleichzeitiger Suspendierung des Truppenmarsches (Juni 1790) druckt mit weiteren Bezugsstücken und der Note vom 16. 7. 1790 Sprunck 1958, 364 - 371. [Spiegel] 1841, 276 - 280, Post 1961, 88 - 96. - Noailles an Montmorin (26. 6., 10. 7. 1790; AMAE CP Autriche 359 u. 360). 2*

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mit Preußen und ordnete alles der Wiedergewinnung der Österreichischen Niederlande, der Befriedung Ungarns und dem allgemeinen Erholungsbedürfnis des Staates unter. Größere Erwerbungen auf Kosten der Türken, wenn sie mit einer Verlängerung des Krieges verbunden waren oder gar erst noch gewaltsame Inbesitznehmung erforderten, lehnte der König ab. Zugewinn zu Lasten der Pforte akzeptierte er daher nur insoferne, als dies keinen weiteren Feldzug erforderte. Reuß und Spielmann wurden für den äußersten Notfall, wenn man also nichts von den eigenen Wünschen würde durchsetzen können, bevollmächtigt, „in Gottes Namen so gut sie können zu schließen", um die Unterzeichnung der Präliminarien, damit den Rückzug der preußischen Truppen von Österreichs Nordgrenze zu beschleunigen und den Aufenthalt „in der Reichenbacher Hölle" abzukürzen. Es gab aber in Wien auch Stimmen, die zu mehr Bedachtnahme auf das arg bedrohte österreichische Prestige rieten: besonders Obersthofmeister Fürst Starhemberg, der in der Konferenz vom 5. Juli 1790, angeblich unterstützt von Vizekanzler Cobenzl und FM Lacy, einen bitteren Krieg einem ehrlosen Frieden vorgezogen haben soll. Abtretungen in Galizien kamen für diese Gruppe im Grunde immer noch nicht in Frage. Die Verhandlungen mit den Preußen in Reichenbach wurden dabei zusehends komplizierter, da die Machtkämpfe zwischen den einzelnen Fraktionen am Hofe Friedrich Wilhelms Π. mehr und mehr zum Ausbruch drängten: die Adjutanten des Königs um Bischoffwerder, der „geschäftige" Herzog von Braunschweig oder gar der erst seit Anfang Juli 1790 anwesende „archiintrigante und übelgesinnte" Marchese Lucchesini, Preußens Gesandter in Warschau, schienen sich in die Reichenbacher Gespräche drängen und den Hertzberg-Plan zu Fall bringen zu wollen. Auch der König näherte sich nun merklich der Idee des status-quo-Friedens42. 42 Kaunitz an Leopold II. (3. 7. 1790; StK Vortrage 147 Konv. 1790 VI - VII). Ph. Cobenzl an Spielmann (3. 7. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/B; Druck: [Vivenot] 1873, 497), „Aufträge, die von S.M. dem König mir gestern am 5ten abends annoch mündlich für den Herrn Staatsreferendar Freiherrn von Spielmann gemacht worden" (Notât des Generalquartiermeisters der Nordarmee, Mack; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/E), Kaunitz an Reuß/Spielmann (7. 7. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/B; Druck: [Vivenot] 1873, 497f.), Kaunitz an Leopold II. (8. 7. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 VI - VII), Ph. Cobenzl an Reuß/Spielmann (8. 7. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/B; Druck: [Vivenot] 1873, 498 f.); Spielmann an Mack (9. 7. 1790), „Raisonnement über die gegenwärtige militärische Lage der Sachen zwischen Oesterreich und Preußen" (zu Mack an Spielmann, 11. 7. 1790), Mack an Spielmann (12. 7. 1790): StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/E. Das Konferenzprotokoll vom 5. Juli 1790 ist nicht erhalten. Vgl. statt dessen die Notizen Erzherzog Franz': FA Handarchiv Kaiser Franz 19 Bd. „Konferenzen der inländisch und auswärtigen Geschäften von Jahren 1790 & 1791". Leopold II. an Laudon (5. 7. 1790; KA Kabinettskanzlei HBP 75 a). - Noailles an Montmorin (3., 6., 7., 10. 7. 1790; AMAE CP Autriche 360). - Höhm

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Angesichts der Nachgiebigkeit der Wiener Zentrale waren Reuß und Spielmann zunächst einigermaßen verwirrt; sie fürchteten, vollends an die Wand gestellt zu werden, und griffen zu einer Reihe von Tricks und Finten, um „den Grafen Herzberg mehr an der Klinge fechten zu machen, als welcher unendlich schwer bei irgendeinem Punkte zu halten und auf lauter unzusammenhängende Sprüngen wie alle Rabulisten seiner Art gewöhnet ist". Man mußte sehr vorsichtig taktieren und v.a. auf den Charakter des Königs von Preußen Rücksicht nehmen, „denn", so die österreichischen Unterhändler, „es ist unglaublich, wie er angeblasen und auf welchen Grad seine Einbildungskraft über seine eigene supérieure Macht und unsere Détresse zu exaltiren gesucht wird". Schon zeichnete sich aber jene signifikanten Änderung der preußischen Haltung ab, für die Staatsreferendar Spielmann den aus Warschau angereisten Gesandten Lucchesini verantwortlich machte. Dieser bestätigte seinem Herrn, daß sich die Polen zu einer Abtretung von Danzig und Thorn gar nicht bereitfinden würden, drängte anfangs auf Krieg, riet aber schließlich mit anderen, worunter besonders der Herzog von Braunschweig genannt zu werden verdient, zum Frieden. Hertzberg selbst mußte mit „Herzensbeklemmung" und deutlicher Mißbilligung den österreichischen Bevollmächtigten Nachricht von der zusehends erfolgreichen Kabale geben, die - von der britischen Diplomatie lebhaft unterstützt - Friedrich Wilhelm Π. vom Tauschplan abbrachte. Überall war letzterer auf scharfe Ablehnung gestoßen, v. a. auch nach nur kurzer Verirrung bei England, auf dessen Bündnishilfe man erst wirklich rechnen konnte, wenn Österreich sogar den status quo ante verweigerte. Polen fürchtete bei einer Einmischung in den preußisch-österreichischen Konflikt eine russische Invasion und erklärte seit Juni 1790 ohnedies, unbedingt neutral bleiben zu wollen. Der König von Preußen war nun plötzlich der Ansicht, daß die bisherige Verhandlungsbasis mit seiner Ehre unverträglich sei und das Vertrauen von Polen und Türken gleichermaßen verletzte und gefährdete. Viel glorreicher erschien Friedrich Wilhelm, vereinigt mit Großbritannien den status quo ante durchzusetzen, dafür sogar seine Absichten in Polen fahren zu lassen und die Rebellen in Belgien wie auch die Malkontenten in Ungarn durch Übernahme von Garantieverpflichtungen für die Verfassungen der beiden österreichischen Provinzen zu beeindrucken. Am 11. Juli waren bei den Preußen die Würfel definitiv für den status quo gefallen. Zwar wußten Reuß und Spielmann mangels entsprechender Instruktionen vorerst nicht, wie Wien auf die fundamentale Änderung der preußischen Verhandlungsführung zu reagieren gedachte, stellten aber doch sehr weitge1925, 48 - 55 (Relativierung des Einflusses Lucchesinis auf die Verhandlungen in Reichenbach).

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hende österreichische Gegenforderungen in Aussicht. Den strengen status quo konnte Österreich schwerlich akzeptieren. Der verärgerte und gekränkte Hertzberg nahm dies nicht ohne inneres Vergnügen zur Kenntnis, mochte dies dem König doch zeigen, wie schwierig Gespräche auf der von seinem Herrn gewünschten neuen Grundlage sein mußten. Preußen selbst würde dabei leer ausgehen und beträchtliche Unkosten für nichts verschwendet haben. Auch Spielmann war über die drohende Verzögerung der Verhandlungen irritiert. „Ich bin vor Kummer, Ärgerniß und fruchtloser ununterbrochener Arbeit seit meinem hiesigen Exilio um 10 Jahre älter geworden." Ja er fürchtete, „zuletzt noch in Reichenbach begraben" zu werden. Vizekanzler Cobenzl in Wien empfand die Situation als überaus bedrückend, ja schlimmer noch als nach dem Tod Kaiser Karls VI. 1740, denn damals herrschte wenigstens im Inneren der Monarchie Ruhe43. Ganz wie Reuß und Spielmann angenommen hatten, wollte Wien für Verhandlungen auf der Basis des status quo in der Tat gewisse Bedingungen und territoriale Forderungen an der Grenze zum Osmanischen Reich stellen, also auf einem status quo modifié beharren. In der Bilanz ließ sich festhalten: Eine „leidentliche Abkunft" auf der Basis dieses modifizierten status quo zog man dem Hertzberg-Plan letztlich vor. Für Illusionen war allerdings kein Platz mehr; man mußte annehmen, daß Preußen auf einer strengen Auslegung des status quo bestehen würde, und so bevollmächtigte die Staatskanzlei die Unterhändler (16. Juli 1790), soferne auch der König von Preußen „nichts Wesentliches" für sich verlangte und man in der Belgienfrage zufriedengestellt würde, „im ärgsten Falle auf den einzigen Vortheil des Besitzes von Orsowa [...] und - wo menschenmöglich - auch mit Schleifung Belgrads abzuschließen", das die Preußen ja keinesfalls in den Händen der Österreicher zu sehen wünschten; denn Leopold II. lag - wie bekannt - am meisten an der Freistellung von Truppen gegen Belgien angeblich drohte die Entsendung einer belgischen Deputation nach Reichenbach - und an der Kappung der gefährlichen preußisch-ungarischen Verbindungslinien, hatte doch der ungarische Reichstag zu Ofen Ähnliches im Sinn wie die „Kollegenschaft" in Brüssel. Jeder Versuch Berlins, die ungarische Verfassung garantieren zu wollen, mußte aber unbedingt abgeschmettert werden; hier erhielten die Österreicher immerhin die Schützenhilfe Hertzbergs und des Herzogs von Braunschweig - besonders Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel erklärte die Unterstützung aufständischer Untertanen für extrem gefährlich, zumal in einer Zeit flagranter „Revolutionswut" - , die die Ungarn-Phantasien ihres Königs endlich zu Fall brachten. Vizekanzler Cobenzls Appell an Spielmann zeigte, wie 43

Spielmann/Reuß an Kaunitz bzw. Ph. Cobenzl (13. 7. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/C u. D; Druck: [Vivenot] 1873, 499 - 504). - Noailles an Montmorin (14. u. 17. 7. 1790; AMAE CP Autriche 360).

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weit nun auch in Wien die Friedenssehnsucht ging: „Bringen Sie uns nur bald den Frieden. Dies ist der allgemeine heißeste Wunsch"44. In Reichenbach war inzwischen die Änderung der Lage perfekt und offiziell. Als man am 15. Juli zu einer weiteren Konferenz mit Hertzberg zusammentraf, saßen nun auch die von Berlin nach Reichenbach mitgereisten diplomatischen Vertreter der Seemächte am Verhandlungstisch. Damit stand außer Zweifel: Hertzbergs Tauschplan hatte endgültig Schiffbruch erlitten; der Kabinettsminister verteidigte das neue Projekt seines Herrn nur mit sichtbarer innerer Distanz gegen Reuß und Spielmann, die den status quo im engen Wortsinne zunächst als dem „decoro" und dem „Staatsinteresse" des Erzhauses widersprechend ablehnten. Von verbündeter Seite wurde ihnen freilich entgegengehalten, daß bereits der Erwerb eines einzigen Dorfes durch Österreich dem Prinzip des status quo widerspreche. Kurzum: Preußen, Großbritannien und die Niederlande wollten nicht hören, „weil man sich ein für allemal in den Kopf gesetzt hat, daß man uns alle beliebigen Gesetze vorschreiben kann". Ein Diktatfriede für Österreich mochte auch der einzige Trost für den preußischen König sein, dessen enorm hohe Unkosten für Aufrüstung und Mobilisierung jetzt gleichfalls ohne Lohn blieben. Preußen setzte den Österreichern eine kurze Frist von 8 - 1 0 Tagen, sich verbindlich zu erklären. „Welche herzdurchbohrende Zudringlichkeiten! Allein - vanae sine viribus irae", entfuhr es den österreichischen Unterhändlern. Reuß und Spielmann mußten in Wien nun schweren Herzens als einzige Alternative zum drohenden Krieg empfehlen, in Reichenbach Waffenstillstand und Friedensschluß mit der Pforte auf der Basis des strikten status quo zuzusagen, in der vagen Hoffnung, daß sich die Türken angesichts der Konzessionsbereitschaft Leopolds vielleicht doch noch in einige „Vergleichsmodalitäten" im Sinne einer Sanierung des österreichisch-türkischen Grenzverlaufs fanden. So ließ sich „die Pille, die man leider verschlingen muß", wohl noch einigermaßen versüßen. Eine auf sächsische Vermittlung zurückgehende neue Tauschvariante, die „den beiderseitigen point d'honneur salviren", Österreich die gewünschten Grenzkorrekturen verschaffen, Preußen aber für seine hohen Rüstungsaufwendungen ein Stückchen Österreichisch Schlesien sichern sollte, konnte nicht auf Realisierung rechnen. In der Zwischenzeit ereilte die Österreicher aber zu allem Überfluß eine weitere Katastrophe: FM Laudon erkrankte schwer und starb schließlich am 14. Juli 1790 in seinem Hauptquartier in Neutitschein. „Nun ist", so mußten Reuß und Spielmann nach Einlangen der verheerenden Nachricht gestehen, „das Maß unseres hiesigen Elends, unserer Verlegenheit und zugleich des preußischen Übermuthes voll." 44 Kaunitz bzw. Ph. Cobenzl an Reuß/Spielmann (16. 7. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/B; Druck: [Vivenot] 1873, 504 - 506).

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Die russische Allianz entwickelte sich währenddessen immer mehr zu einer störenden Last, zu einem rechten Hemmschuh; die seit langem parallel laufenden, ja einander konkurrenzierenden Friedensbemühungen der beiden Verbündeten belasteten das Klima. Wien wünschte sich immer noch einen gemeinsamen Frieden, um im schlimmsten Fall nicht allein zurückzubleiben. Die Russen sollten daher unbedingt an dem nach Reichenbach abzuhaltenden Friedenskongreß mit der Pforte teilnehmen - sie verfügten anders als Österreich noch über genügend Handlungsfreiheit und konnten so auch die Aussichten Wiens verbessern -, keinesfalls aber durch einen eiligen Abschluß mit den Türken oder verdächtige Annäherungssignale gegenüber Preußen die österreichische Position gefährden. Für Leopold war nun, wie man der österreichischen Botschaft in Petersburg erklärte, der entscheidende Augenblick der Bewährung gekommen, der über das Fortbestehen der russisch-österreichischen Allianz entscheiden sollte45. Alles drängte indes in Reichenbach zur Annahme des status quo strict; dies eröffnete günstige Aussichten auf ein künftiges Zusammenwirken mit Großbritannien und den Niederlanden, die in Reichenbach offen gegen den Hertzberg-Plan agitiert hatten und sich über die von Reuß und Spielmann in den kräftigsten Farben geschilderte „politique infernale" der Preußen in Ungarn und Belgien lebhaft entrüstet zeigten. Der englische Gesandte Ewart und sein niederländischer Kollege Arent Willem Baron van Reede (1747 - 1815) ließen während der Verhandlungen in einer Phase der Annäherung an Österreich die Möglichkeit einer Unterstützung der Seemächte für die von Wien gewünschten Modifikationen durchblicken, solange nur die Basis des status quo einmal im Prinzip hergestellt war. Größte Wichtigkeit erlangte diese Wendung der Dinge aber für die Mitwirkung Londons und Den Haags bei der Lösung der „belgischen Frage", die den Dreibund nach wie vor tief spaltete. Österreich verweigerte den Rebellen zwar einen Waffenstillstand, stellte aber für den Fall einer freiwilligen Unterwerfung unter österreichische Botmäßigkeit weiterhin Amnestie und eine Wiederherstellung der alten Verfassung in Aussicht. Die in Wien bisher rigoros abgelehnte Anbindung der preußischen Intervention an die britische und niederländische Mediation in der Belgienfrage sahen die österreichischen Verhandler in Reichenbach für nicht so schädlich an; der Hauptgedanke 45

Reuß/Spielmann an Kaunitz (16. 7. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/C; Druck: [Vivenot] 1873, 506 - 512), Kaunitz an Breuner bzw. Ludolf (15. 7. 1790; SA Dänemark 73 Konv. Weisungen 1790/91) mit einer Darstellung der Vorgänge in groben Zügen. Zur Abtretung von Österreichisch Schlesien: Vortrag Ph. Cobenzl (19. 7. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 VI - VII). Kaunitz an L. Cobenzl (13. 7. 1790; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790). Leopold II. informierte selbst mit Handschreiben vom 13. 7. 1790 die Zarin über den Beginn der erniedrigenden Verhandlungen mit Preußen (Druck: [Beer] 1874, 128 f.). Zum „Mythos Laudon" vgl. Kunisch 1998.

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dahinter sei die Verhinderung des alten josephinischen Tauschprojektes „eine Idee, die allem Ansehen nach vielleicht nie wieder auf das Tapet kommen und gegen den Willen der Seemächte ohnehin nie zu realisiren thunlich sein wird". Selbst dieser matte Hoffnungsschimmer am Horizont änderte bei Staatsreferendar Spielmann nichts an der melancholischen Überzeugung, daß in Reichenbach „die unüberwindliche Vorsehung" ihre Hand im Spiel hatte und ganz offensichtlich darauf ausging, „alle Opera des seligen Herrn [Josephs II.], alle ohne Ausnahme, funditus zu destruiren." Reichenbach - der traurige Schlußpunkt unter die josephinische Ära? Wie auch immer ... man mußte trachten, rasch vom Kurs der militärischen Konfrontation wegzusteuern und der preußischen Kriegsmaschine und damit der aufgeblasenen Haltung Friedrich Wilhelms II. den Rückenwind aus den Segeln zu nehmen, denn solange man an der Spitze einer Armee stehe, sei man eben „weit kärger im Eingestehen und weit zudringlicher im Fordern" 46. Am 20. Juli 1790 trafen sich in Wien die Konferenzminister zu einer abschließenden Beratung über das neue preußische Ultimatum. Österreich wollte auf der ganzen Linie nachgeben, „um nur bald aus dem Sumpf herauszukommen, da es immer leichter sein wird, später die üblen Folgen, die aus der dermaligen Nachgiebigkeit entstehen können, zu bekämpfen, als jetzt und auf allen Seiten zugleich gegen die dringlichsten Gefahren Rath zu schaffen, in Ermangelung fast aller dazugehörigen Mittel". Man plante den status quo strict oder plénier anzunehmen - eine Abtretung von Gebieten auf Kosten Österreichisch Schlesiens wurde ausgeschlossen - , wenn man dadurch den Krieg vermeiden konnte, sich aber gleichzeitig verschiedene Schlupflöcher sicherte, um doch noch in jedem Fall die gewünschten Grenzkorrekturen durchzusetzen. Immerhin hatte man ja mit den besetzten türkischen Territorien und besonders mit den Schlüsselfestungen Belgrad und Chotin ein nicht zu vernachlässigendes Faustpfand in Händen. Nur bei größeren Kompensationen auf Kosten der Türken „ohne Entgelt" von österreichischer Seite durften auch die Preußen adäquate Zugeständnisse („Belohnungen") fordern. Einer der zentralen Punkte des zu schließenden Abkommens sollte nach dem Willen Wiens - neben der schleunigen Abrüstung an den Nordgrenzen - die nötige diplomatische Absicherung für die Rückgewinnung der belgischen Provinzen sein. Der Absendung von Truppen Richtung Luxemburg durfte nichts in den Weg gelegt werden; dafür war man nolens volens bereit, das Amnestieversprechen auch für den Fall aufrechtzuerhalten, daß die Unterwerfung schließlich doch mit Waffengewalt erfolgen müsse. Die preußische Garantie für die belgische Verfassung 46

Reuß/Spielmann an Kaunitz (18. 7. 1790), Spielmann an Ph. Cobenzl (20. 7. 1790), Reuß/Spielmann an Kaunitz (20. 7. 1790): StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/C u. D; Druck: [Vivenot] 1873, 512 - 517.

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sollte - „wo menschenmöglich" - abgelehnt, die niederländische und britische, notfalls die des Reichs dagegen angenommen werden, denn die „Ehre des Königs" gestatte nicht mehr als die Erneuerung der alten „Garantie" der Seemächte von 1715. Erzherzog Franz notierte als biederen Kommentar zum Ausgang der Konferenz: „Dieser Schritt zum Frieden ist nicht allein der auswärtigen Laage wegen, sondern auch der inneren Zeriittung der Länder wegen unumgänglich nothwendig". Staatskanzler Kaunitz fand jetzt nach kürzerer Deviation in die alte Rolle des „Hardliners" zurück und gab sich über die Bereitschaft zur Selbsterniedrigung entsetzt: Noch nie habe er etwas unterzeichnen müssen, das den Weisungen an die Verhandler in Reichenbach zur totalen Nachgiebigkeit (20. Juli 1790) nahegekommen sei. Auch Spielmann war nicht nur mit der den Österreichern zur Unterbringung in Reichenbach zugewiesenen „Bettlerherberge" und der dauernden Abschirmung und Überwachung unzufrieden; auch seine Rolle als „Bettler um Frieden" behagte ihm wenig. Kaunitz' Vorhersage vom Juni hatte sich bewahrheitet47. Am 24. Juli 1790 legten die österreichischen Bevollmächtigten ihre Schlußerklärung vor. Hertzberg hatte gegen den Einfluß seiner Konkurrenten beim König eine herbe Niederlage erlitten, von der er sich nicht mehr erholte; der Kabinettsminister, dem auch Reuß und Spielmann als dem letzten Relikt der großen friderizianischen Zeit plötzlich ihre Anerkennung zollten, erhielt nun vom König aus Schönwalde sogar noch strenge Weisung (25. Juli), der nach der prinzipiellen Einigung zwischen den Streitparteien auszufertigenden Konvention durch eine preußische Gegenerklärung eine wesentlich unnachgiebigere Wendung zu geben, während er selbst in Einklang mit den konzilianteren Vertretern der Seemächte seinem Souverän zu einem Eingehen auf die österreichischen Vorschläge geraten hatte, was etwa die von Österreich gewünschten Grenzkorrekturen oder den vehementen Widerstand Wiens gegen eine preußische Garantie für die belgische Verfassung betraf. Reuß und Spielmann mußten auch diese „Verhärtung" in Kauf nehmen und sich den preußischen Kriegsdrohungen fügen; „eine unvermeidliche, nothwendige Folge unserer innerlichen Umstände und der 47

Das Konferenzprotokoll zur Sitzung vom 20. 7. 1790 fehlt. Vgl. dafür die Konferenznotizen Erzherzog Franz': FA Handarchiv Kaiser Franz 19 Bd. „Konferenzen der inländisch und auswärtigen Geschäften von Jahren 1790 & 1791". Kaunitz an Ph. Cobenzl (20. 7. 1790; GK 406 Konv. A; Druck: [Schiitter] 1899a, 55f.). Kaunitz an Reuß/Spielmann (20. 7. 1790), Ph. Cobenzl an Reuß/ Spielmann (20. 7. 1790), Kaunitz an Reuß/Spielmann (21. 7. 1790), Collenbach an Spielmann (22. 7. 1790): StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/B; Druck: [Vivenot] 1873, 517 - 523; Spielmann an Mack (22. 7. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/E). Hertzberg an Jacobi (Reichenbach, 22. 7. 1790; StK Interiora Interzepte 1 Konv. Intercepte alt Fasz. 1). - Noailles an Montmorin (21., 24., 25. 7. 1790; AMAE CP Autriche 360).

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beweinungswürdigen Nachwehen der vorigen Regierung", wie es Staatsreferendar Spielmann resignativ sah. Am Abend des 27. Juli 1790 unterzeichneten die österreichischen und preußischen Verhandler ihre jeweiligen Deklarationen, aus denen sich die Konvention von Reichenbach zusammensetzte, die englischen und niederländischen Diplomaten die verbindende Garantieakte: die österreichische Verhandlungsdelegation verpflichtete sich in ihrer Erklärung zu einem Waffenstillstand mit der Pforte und zur Wiederherstellung des Friedensstandes auf der Basis des status quo strict, gab aber ihrer Hoffnung auf türkische Kulanz während der unter preußischer, britischer und niederländischer Vermittlung abzuwickelnden Friedensgespräche und damit auf die Durchsetzung von kleineren Grenzmodifikationen Ausdruck, die nur der Sicherung der gutnachbarschaftlichen Beziehungen dienen sollten. Die vom preußischen König gewünschte Contre-Déclaration - für Kaunitz „insolente et humiliante" - verschob die Gewichte; sie fixierte den strengsten status quo auch für die Friedensverhandlungen und knüpfte die Zulassung von Korrekturen des Grenzverlaufs an ein entsprechendes „équivalent proportionné" für Preußen. Auch die in der österreichischen Deklaration zugesagte Nichteinmischung Österreichs in den anhaltenden Türkenkrieg Rußlands faßte die preußische Gegenerklärung viel despotischer. Österreich behielt Chotin, wie schon von Reuß und Spielmann zugestanden, als neutrales Depot bis zum Ende des Konflikts zwischen Petersburg und Konstantinopel, sollte sich aber gleichzeitig explizit dazu verstehen, den Russen „d'aucune manière, directe ou indirecte" irgendeine Unterstützung zukommen zu lassen, was ganz gegen den Wunsch der Instruktionen aus Wien verstieß. Preußen, Großbritannien und die Generalstaaten übernahmen die Garantie des österreichischen status-quo-Friedens mit der Pforte, für den sofort nach Abschluß des Waffenstillstandes ein Friedenskongreß unter Mediation der Tripelallianz auszurichten war. In einer Separaterklärung äußerte sich Preußen zur Belgienproblematik, sicherte seine Mitwirkung an der Rückführung der Provinzen unter österreichische Obedienz zu und drängte sich trotz heftigsten Widerstands der Österreicher erfolgreich an der Seite der Seemächte in die Garantie der wiederherzustellenden belgischen Verfassung. Staatsreferendar Spielmann reiste gleich nach Wien zurück und überließ Fürst Reuß den Austausch der Ratifikationsurkunden sowie die Verabredung der Truppenentflechtungen. Anfang August war er wieder in Wien eingetroffen. Die inneren »Verfallserscheinungen" auf preußischer Seite und das anstehende Ende der Ära Hertzberg konnten den österreichischen Prestigeverlust keinesfalls aufwiegen. Angesichts der sich abzeichnenden reichlich wirren Cliquenbildung bedauerte man fast schon im Fall Hertzbergs den Verlust eines bequemen Haupt- und Lieblingsfeindes, auf den sich die Österreich!-

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sehe Diplomatie in jahrelanger Praxis eingeschossen hatte. Spielmann meinte drei Parteien in Preußen ausmachen zu können: die des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig und des Generals Wichard von Möllendorf (1724 - 1816), die aufrichtig den Frieden wünschten; die Kriegspartei um Bischoffwerder und die anderen Adjutanten des Königs, die durch einen Krieg den König von seiner - ihren Plänen im Wege stehenden - Mätressenwirtschaft ablenken wollten, und schließlich die Partei Hertzbergs, die ebenfalls für den Frieden arbeitete, doch mit der Absicht auf günstige Modifikationen für Preußen und mit prononciert antiösterreichischer Orientierung 48. In Reichenbach konnten schon am 5. August die Ratifikationen ausgetauscht werden; die preußischen Truppen marschierten z.T. in ihre Stammprovinzen zurück oder nahmen einstweilen in schlesischen Städten Quartier, bis die Reaktion des türkischen Verbündeten auf die Mitteilung der österreichisch-preußischen Abmachungen eintraf. Am 6. August wurde Fürst Reuß in Schönwalde vom preußischen König empfangen; Oberst Bischoffwerder, der neue starke Mann und bisher nicht eben als Freund Österreichs eingeschätzt, „sprach viel von künftiger Freundschaft zwischen beiden Monarchen". In Wien hieß es nun Bilanz ziehen. Leopold war mit dem Diensteifer seines Lieblings Spielmann sehr zufrieden, der freilich mit „bösem Blut" und „dicker Galle" zurückkehrte. Auch Kaunitz wußte, so schrieb er jedenfalls Spielmann, den „rühmlichsten Patriotismus in Übernehmung und Ausführung eines so äußerst beschwerlichen und mühevollen Geschäfts" zu schätzen. Der Staatsreferendar habe geleistet, „was unter so verzweifelten Umständen von der geübtesten Staatsklugheit menschenmöglich zu leisten war". Es darf aber wohl bezweifelt werden, daß Spielmann sich über Lob und Zuspruch oder gar über das höchst prächtige Geschenk des preußischen Königs im Wert von mehr als 10.000 Gulden aufrichtig freuen konnte, das der kurbrandenburgische Resident Jacobi im September 1790 in Wien über48

Reuß/Spielmann bzw. Spielmann an Kaunitz (28. 7. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/C; Druck: [Vivenot] 1873, 523 - 530), Reuß an Kaunitz (31. 7. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/C). Die mehrteilige Reichenbacher Konvention mit den Garantieerklärungen und den Ratifikationstexten gedr. u.a. bei [Neumann] 1855, Bd. 1, 414 - 420, die Einladung der österreichischen Verhandlungsdelegation zur Garantie an die Seemächte nur bei [Vivenot] 1873, 14f. Vgl. Bittner 1909, Bd. 2, 44. Die Instruktion des preuß. Königs an Hertzberg (25. 7. 1790) mit einer Skizze der abzugebenden Contre-Déclaration bei [Spiegel] 1841, 296 f. Zusammenfassende Bemerkungen Erzherzog Franz* zu den Reichenbacher Verhandlungen („Einige Beyträge zum Ende der Negotiation in Reichenbach"): FA Handarchiv Kaiser Franz 19 Bd. „Konferenzen der inländisch und auswärtigen Geschäften von Jahren 1790 & 1791". - Noailles an Montmorin (28., 31. 7., 2., 4. 8. 1790; AMAE CP Autriche 360).

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gab. Denn hinter den Kulissen brodelte es heftig. Kaunitz' Lob mußte ebenso wie das Zirkularschreiben, das die Staatskanzlei am 4. August an die österreichischen Diplomaten in aller Herren Länder ergehen ließ, um diese vom „glücklichen" Ende der Reichenbacher Verhandlungen zu informieren, pure Fassade sein. In den wahrscheinlich Anfang Herbst 1790 entstandenen „Réflexions du prince de Kaunitz-Rietberg sur le congrès et la convention de Reichenbach" rechnete der Staatskanzler in aller Schärfe mit Ursprung und Zustandekommen der von ihm nie approbierten Reichenbacher Mission, aber auch konkret mit der Verhandlungsführung ab. Nie hätte man - „en sain politique" - einer demütigenden Maßnahme wie dem Kongreß zustimmen dürfen und viel besser mit Jacobi in Wien günstigere Bedingungen aushandeln können. Die Erklärung der österreichischen Verhandler schien dem echauffierten Fürsten „mal énoncée, basse, rampante, sans ombre de dignité, fournissante à des prises faciles, à des répliqués et à des interprétations forcées"; sie provozierte förmlich die preußische Gegenerklärung. Daß man aber mit der Konvention nun endlich wieder etwas mehr Bewegungsfreiheit erkauft hatte, mußte selbst Kaunitz eingestehen; „ce sera au moins la plus grosse épine tirée du pied". Und das preußische Gegenüber in der Person des schmollenden Hertzberg vermeinte gar, Österreich sei v. a. wegen der nun zur Gewißheit gewordenen Aussicht auf Konsolidierung der eigentliche Gewinner 49.

49 Vortrag Kaunitz (1. 8. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 VIII - IX). Kaunitz an Spielmann (1. 8. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/ B; Druck: [Vivenot] 1873, 530f.), Ph. Cobenzl an Spielmann (1. 8. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/B; Druck: [Vivenot] 1873, 531), Kaunitz an Reuß (1. 8. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/B), Reuß an Kaunitz (6. 8. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/C; Druck: [Vivenot] 1873, 531 - 537), Kaunitz an Spielmann (9. 9. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/B). Die „Réflexions" Kaunitz' sind in StK FriedA 70 Konv. 1790 Kongress von Reichenbach/G erhalten geblieben, einen knappen Auszug hat bereits [Vivenot] 1873, X, gedr. Weiters Kaunitz an Ph. Cobenzl (31. 7. 1790; GK 406 Konv. A; Druck: [Schiitter] 1899a, 56), Staatskanzlei an Mercy (4. 8. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790 VI - XII). Leopold II. an Friedrich August von Sachsen (4. 8. 1790; StK DK Sachsen HK 2). Leopold II. an Max Franz v. Köln (6. 8. 1790; Druck: Lüdtke 1931b, 143 f.). Friedrich Wilhelm II. an Leopold II. (31. 8. 1790; StK DK HK 1 Konv. Kg. v. Preußen an Kaiser). - Für Graf Zinzendorf war der Reichenbacher Stillstand eine „paix honteuse [...], puisque nous devons tout rendre aux Turcs, Chotyn, Belgrad, Orsowa, mais paix utile pour les peuples". Auch Freiherr von Thugut übte lebhaft Kritik an der Entsendung Spielmanns („sans aucune connoissance du monde et des cours") nach Reichenbach. Diesem Argument konnte der Staatsreferendar mit der prahlerischen Darstellung der enormen Rüstungsaufwendungen der Preußen (angeblich 24 - 25 Millionen Ecus) und den dilettantischen Kampfvorbereitungen Berlins nur mäßig erfolgreich begegnen: KA NL Zinzendorf TB 35 (31. 7., 17. 9., 16. 10. 1790).

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Anfang August 1790, als Wien seine Wunden leckte, mußte auch eine unangenehme Bündnispflicht erfüllt werden: Es galt, Rußland über das wenig ruhmvolle Ausscheiden Österreichs aus dem gemeinsamen Kampf zu informieren, dabei aber den Fortbestand der Allianz sicherzustellen; dieses Bestreben entwickelte sich in den folgenden Monaten zu einer sehr anforderungsreichen Gratwanderung, denn, während Österreich in Reichenbach zugesagt hatte, die Russen nicht mehr in ihrem Türkenkrieg zu unterstützen, schickte sich Berlin an, die gegen Wien mit soviel Erfolg angewandte Politik nun auch gegen Petersburg durchzusetzen und den drohenden Ton mit Rüstungen an den Ostgrenzen des Landes zu unterstützen: Rußland sollte gleichfalls auf der Basis des status quo Frieden mit der Pforte machen. Unter Krokodilstränen wünschte Leopold Π. einer unzweifelhaft verärgerten Zarin, als er sie über Reichenbach fast entschuldigend informierte, für ihren Kampf gegen die Türken einen baldigen, aber glücklicheren Abschluß mit „avantages proportionnés". Die Staatskanzlei ging natürlich nicht davon aus, daß Katharina, nachdem sie sich sehr zum Ärger des preußischen Königs im August 1790 mit Gustav ΙΠ. von Schweden geeinigt und so wieder mehr Bewegungsfreiheit gewonnen hatte, ihren Frieden mit der Pforte überstürzen und Wien sozusagen in den Friedensgesprächen mit dem Sultan überrunden würde. Das vielfältige Engagement Rußlands, der Türkenkrieg und die zunehmend besorgniserregende Lage in Polen, bewahrten das bankrotte Schweden, das von Preußen und England nicht mit der gewünschten Energie unterstützt wurde, nicht nur vor einer militärischen Katastrophe, sondern sicherten ihm einen wenigstens an zwei Punkten erfolgreichen Friedensschluß mit der Zarin (Värälä, 14. August 1790): Der status quo von 1788 wurde wieder hergestellt. Petersburg anerkannte die schwedische Verfassung von 1772 und verzichtete auf weitere Einmischung in innerschwedische Angelegenheiten. Gustav ΙΠ. gewann von nun an Raum, sich der „französischen Frage" zuzuwenden. Früher als andere Souveräne interessierte er sich „als begeisterter Anhänger des alten Frankreich" (A. Siegel) für das Schicksal Ludwigs XVI. und Marie-Antoinettes in den Tuilerien. Für den heraufziehenden Konflikt zwischen Preußen und England einerseits und Rußland andererseits aber war er trotz entsprechender Bemühungen verloren. Preußens „gehässiges" Vorgehen gegen die beiden Kaisermächte konnte nun - so jedenfalls die Hoffnung der Staatskanzlei - auch positive Folgewirkungen zeitigen; es mußte selbst Rußland, das nun seinerseits in Wien die vertragsgemäße Hilfe gegen Preußen einmahnte, definitiv von der Gefährlichkeit und Unversöhnlichkeit der Hohenzollern überzeugen. Dies mochte die brüchige Allianz Wien-Petersburg wenigstens noch für die Zeit kitten, in der man ihrer noch dringend zur Rückgewinnung von Ansehen

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und Einfluß in Europa bedurfte; so wollte man über die vielerlei Beschwerdepunkte, die sich im Laufe der Zeit gegen den „eigensinnigen" Verbündeten im Osten angesammelt hatten, großzügig hinweggehen. Kaunitz resümierte: „Im Grunde - und den Werth der rußischen activen Mitwirkung beyseite gesezt - ist und bleibt es auch wirklich eine Grund-Maxime für uns, daß wir die Allianz und Freundschaft des Petersburger Hofes ferners zu cultiviren suchen müßen, sollte auch dadurch kein anderer Vortheil erreicht werden können, als daß wir deßen Zurücktrettung in die preusische Freundschaft (ein Ereigniß, deßen Gefahr durch die enge Verknüpfung Preusens mit den Seemächten verdopelt würde) dadurch abwenden." Daß Preußen nun Front gegen Rußland machte und Petersburg recht diktatorisch unter Druck setzte, so gut es nur konnte, gab Grund zu der Hoffnung, in Hinkunft die Zarin auch ohne „die bißherigen directen Aneiferungs- und Aufhetzungsmitteln" gegen Preußen auf die Linie zu bekommen, „welches aus dem Grunde erwünschlich wäre, weil es bey der sattsam erfahrnen Eigenwilligkeit und dem Egoismus des dortigen [Petersburger] Hofes für die Zukunft räthlich seyn wird, das wechselseitige Verhältniß nach und nach in das Geleiß einer gleichern Reciprocität, Anhänglichkeit und Rücksicht einzuleiten"50. Die standhafte Sprache der Zarin gegen die preußischen und britischen Zudringlichkeiten und das gleichzeitige Bemühen Österreichs, nicht auch noch den russischen Alliierten zu verlieren, bestimmten in den Folgemonaten, ja letztlich bis Sommer 1791 - neben der Rückgewinnung und Befriedung der Österreichischen Niederlande - die Handlungen Wiens im internationalen Spannungsfeld. Frankreich war bündnispolitisch nicht nur längst vernachlässigbar geworden, sondern entwickelte sich vielmehr selbst mehr und mehr zum „europäischen Ärgernis", gegen das es letztlich einzuschreiten galt, sobald es die aufgewühlte internationale Lage gestatten würde.

50 Kaunitz an L. Cobenzl u. P. S. [Zitat] (6. 8. 1790; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790) mit Leopold II. an Katharina II. (6. 8. 1790; Druck: [Vivenot] 1873, 9f., u. [Beer] 1874, 132f.); Katharina II. an Leopold II. (12. 8. 1790; Druck: [Beer] 1874, 134), Leopold II. an Katharina II. (19. 9. 1790; Beilage zu Kaunitz an L. Cobenzl 19. 9. 1790 - SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790; Druck: [Vivenot] 1873, 24f., [Beer] 1874, 135f.). - [Beer] 1874, 29 33. Die preuß.-schwed. Beziehungen bei Siegel 1933, 145 - 188. Barton 1986, 190f.

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C. Wiederherstellung 4. Der Schiffbruch der österreichisch-französischen Allianz a) Die Revolution geht weiter

Auch nach dem letzten Eklat der „Oktoberrevolution" von 1789 lagen angesichts der anhaltend verwirrten Lage in Frankreich heftige Eruptionen weiterhin durchaus im Bereich des Möglichen, ja Wahrscheinlichen, besonders wenn die Ereignisse im Inneren mit außenpolitischen Interferenzen in Verbindung kamen und sich daraus ein Bürgerkrieg entwickeln sollte; dies schien angesichts verstärkter Agitation der im Ausland für ihre konterrevolutionären Anliegen werbenden Emigranten um den Comte d'Artois keineswegs ausgeschlossen. Die „Freiheitssucht" der Franzosen und besonders die „landverderblichen Operationen" der Nationalversammlung hatten das Land in den Augen des k.k. Botschafters unregierbar gemacht und in Anarchie und Auflösung gestürzt. Die von Mercy immer wieder geäußerte und schließlich zum Eckstein eines Programms der stillen Konterrevolution gemachte Hoffnung auf eine autogene Lösung der Krise, das Vertrauen darauf, daß der rasende Verfall des Staates und der öffentlichen Ordnung endlich der Nation die Augen öffnen und sie in den Schoß einer soliden monarchischen Ordnung zurückführen würde, sah sich ungeachtet eines fortschreitenden „Degenerationsprozesses" durchwegs enttäuscht. Mercy überbot sich schier an negativen Schilderungen der traurigen Lage Frankreichs: allmählicher Verlust der Kolonien, Insubordination der Truppen, kritische Lage der Staatsfinanzen, Unterdrückung von Adel und Klerus. ,AHe Federn, so die Staatsmaschine treiben sollen", meldete er im März 1790 nach Wien, „werden nach und nach abgespannet oder völlig vernichtet. Das Ministerium ist null, die königliche Macht und Einflus sind dergestalt herabgesezt, daß der Monarch bloß nur noch den Namen eines Königs trägt, in der That aber ein eiteles Scheinbild oder Simulacre vorstellt."51

Die allgemeine Anarchie fand der Botschafter eines anderen Systems und einer anderen Ära in den Beratungen der Nationalversammlung, die er später sogar als „Rotte von Aufrührern und unruhigen Köpfen" qualifizierte, gleichsam in nuce wieder. Anfang April 1790 wohnte Mercy erstmals nach der Eröffnungssession der Generalstände wieder persönlich einer Sitzung der Volksvertreter bei. Sein Eindruck war vernichtend: „Unglaublich ist es, wie sehr sich einige Mitglieder durch ihre unanständige, der Würde einer solchen Versammlung abträgliche Declamationen, durch ihr 51 Mercy an Kaunitz (4. 1. [wie Teil B, Anm. 39 u. 145], 28. 1. 1790/P. S. 1 [wie Teil B, Anm. 133 u. 145], 10. 3. 1790/P. S. 1 [Zitat; wie Teil B, Anm. 39]), ders. an dens. (5. 2. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Mercy-Kaunitz 1790 I IV), Partikularschreiben Mercys an Kaunitz (10. 3. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Mercy-Kaunitz 1790; Druck: A&F 2, 297 - 299); Mercy an Marie-Antoinette (25. 10. 1789; wie Teil B, Anm. 115).

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Schreyen und Lärmen, durch ihre drohende Geberden in den Augen aller Anwesenden erniedriget haben, so zwar daß diese Sitzung mehr das Bild einer Judenschule als einer über das Beste des Staates berathschlagenden Versammlung vorstellte."52 Zu allem Überfluß war im Februar 1790 auch noch Kaiser Joseph Π. gestorben und der Königin mit dem Bruder zugleich eine wichtige familiäre Stütze mit machtpolitischer Rückendeckung entrissen worden 53 . Der Regierungswechsel in Wien mußte, so vermutete man jedenfalls, auch auf die Stellung Mercys als „Familienbotschafter" Einfluß haben und zum außenpolitischen Desinteresse der österreichischen Monarchie an einem völlig entkräfteten Frankreich auch noch persönliche Zurückhaltung auf höchster Ebene fügen, da der Großherzog von Toskana bislang kein Naheverhältnis zu seiner Schwester aufgebaut hatte. Notfalls wollte der Botschafter gemeinsam mit dem Staatskanzler, an dessen Verbleib im Amte er seine eigene Karriere knüpfte, seinen Abschied begehren. „La France par sa position géographique, par sa population et les avantages de son sol conservera sans doute une force intrinsèque", so die ernüchternde Bilanz, „mais aussi longtemps que cette force ne sera ni organisée, ni adaptable au système générale de l'Europe, elle y restera un hors-d'oeuvre, et il n'est guère probable que la génération présente voie un changement à cet égard. Il s'ensuit que l'ambassade en France sera bien longtemps pour notre cour sans objet et sans intérêt. Celui que feu l'Empereur prenait personnellement à sa soeur deviendra selon toute apparence un motif bien faible pour le nouveau monarque; Lui et la Reine ne se connaissent presque pas, et ils ont toujours marqué assez peu de penchant l'un pour l'autre. Ces considérations sont aussi fâcheuses pour la chose publique que pour moi en particulier; elles ajoutent à la répugnance que doit inspirer le séjour d'un pays qui est devenu un théâtre d'horreurs." 54 Auf seinem Posten meinte Mercy seinem Dienstherrn angesichts der „gänzlichen Nullität" des Gastlandes jedenfalls abgesehen von monotonen Schilderungen „des fast unglaublichen Elendes" keine nützlichen Dienste mehr leisten zu können und bereitete sich schon zur Abreise nach Spa vor, wo er unter dem Vorwand einer Wasserkur bessere Zeiten abwarten wollte, zumal ihm Paris auch für Diplomaten ein zu heißes, persönlich gefährliches 52 Mercy an Kaunitz (15./21. 4. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Mercy-Kaunitz 1790 I - IV). 53 In Paris langte die traurige Nachricht am 2. März ein. Joseph II. hatte kurz vor seinem Tod noch zwei „Abschiedsbriefe" an Mercy gesandt, denen jeweils auch (heute verlorene) Schreiben für die Königin beilagen: Joseph II. an Mercy (13. u. 19. 2. 1790; Druck: A&F 2, 293 f., 296f.). 54 Partikularschreiben Mercys an Kaunitz (10. 3. 1790; wie Anm. 51). Leopold II. führte auch später keinen so ausgedehnten Briefwechsel mit seiner Schwester, wie dies Joseph II. getan hatte. Allerdings ließ die gespannte Lage dies auch wenig ratsam erscheinen: Mercy an Kaunitz (20. 5. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Mercy-Kaunitz 1790 V - VIII). 24 Hochedlinger

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Pflaster geworden zu sein schien. Auf die Respektierung des Völkerrechts wollte er sich nicht mehr verlassen55. Die Revolution zerstörte aber nicht nur, sie schuf auch Neues, wenngleich zum Schaden des Königtums. Relativ spät kam dabei die Reihe an die Komplexe Außenpolitik und Diplomatie. Spätestens ab 1790 war ganz abgesehen von der Schwäche Frankreichs und daraus erwachsender mangelnder faktischer Handlungsfähigkeit nach außen - auch im innenpolitischen Kontext von einer selbständigen Außenpolitik des Königs keine Rede mehr. Keineswegs nebensächlich durfte den sich etablierenden konstitutionellen Kräften nach Bereinigung der ersten gravierendsten Hauptfragen eine Abklärung des Einflußbereichs von König bzw. Nationalversammlung im außenpolitischen Bereich sein. D.h. die revolutionären Umwälzungen konnten selbstredend nicht ohne Rückwirkungen auf dieses typischerweise dem absoluten Monarchen reservierte Betätigungsfeld bleiben. Die erste Volksvertretung der Revolutionsära durfte dem König unmöglich die uneingeschränkte und regellose Verfügungsgewalt über das hochausgebildete außenpolitische Instrumentarium Frankreichs belassen, mußte es vielmehr unter „parlamentarische Kontrolle" zwingen, wollte man sein Auseinanderbrechen im Spannungsfeld der divergierenden Interessen und einen eventuellen Einsatz zum Schaden der Revolution vermeiden. Die Beschäftigung mit dieser doch für das Überleben des Erneuerungsprozesses eminent wichtigen Frage setzte dabei überraschend spät ein. Die außenpolitische Situation war für Frankreich anfangs nicht allzu stürmisch, das Hauptaugenmerk der europäischen Diplomatie galt anderen Teilen des Kontinents, die Explosivkraft der inneren Umgestaltung hatte sich noch nicht voll entwickelt, das Ausland verhielt sich um so eher abwartend. Die Constituante widmete sich daher zunächst kaum außenpolitischen Fragen; wenn, dann vor allem über den Umweg finanzieller Notmaßnahmen, die auch das Budget des Außenministeriums tangierten. Erst die britisch-spanischen Spannungen des Jahres 1790 (vgl. S. 377 ff.) lieferten schließlich die Kulisse für die eigentliche Behandlung der „außenpolitischen Kompetenz" und die Neuverteilung der Rollen zwischen Nationalversammlung und König 56 . 55

Mercy an Kaunitz P. S. 1 (15./21. 4. 1790; wie Anm. 52). Mercy nahm den erteilten Urlaub schließlich wegen der revolutionären Unruhen in Lüttich und den anhaltenden Gefahren für Privatreisende in der französischen Provinz schließlich nicht in Anspruch. Mercy an Kaunitz (30. 5., 30. 6., 7. 7., 20./25. 8. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Mercy-Kaunitz 1790 V - VIII), Partikularschreiben dess. an dens. (29. 5., 20. 8. 1790; ebd. Mercy-Kaunitz 1790; Druck: A&F 2, 301 f., 309f.). 56 Zu den verfassungsrechtlichen Umwälzungen der Jahre nach 1789 vgl. Aulard 1921 und Godechot 1951/1968. Abgesehen von den entsprechenden Debatten und Beschlüssen der Nationalversammlung vom Mai 1790, die hauptsächlich den Archives Parlementaires zu entnehmen sind (AP 15, 510f., 515 - 519, 526 - 530, 532 -

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Losgetreten wurde diese Frage von der Exekutive selbst. Bereits im Januar 1790 hatte Spanien Schwierigkeiten bei der Umsetzung der französischen Bündnisverpflichtungen im Falle eines bewaffneten Konflikts mit Großbritannien befürchtet. Zu Recht: Als das französische Außenministerium der Volksvertretung am 14. Mai 1790 den Entschluß des Königs mitteilte, 14 Schiffe zur Unterstützung Spaniens zu mobilisieren, und dafür die Nationalversammlung um Subsidien ersuchen mußte, entspannen sich heiße Debatten um das Recht zum Abschluß von Völkerrechtsverträgen und die Befugnis zur Kriegserklärung. Graf Mirabeau, seit kurzem in Sold und Diensten des Königs, brachte schließlich nach harten Debatten, in denen sich quasi nebenbei auch recht deutlich Stimmen gegen die französisch-österreichische Allianz Geltung verschafften, einen Kompromiß zustande (15. - 22. Mai 1790). Durch diesen wurde dem König, der im übrigen der alleinige Sachwalter der französischen Außenbeziehungen blieb, nur das Vorschlagsrecht zuerkannt, die Befugnis zur Kriegserklärung selbst - der „droit de la paix et de la guerre" - fiel der Nationalversammlung zu. Im Zuge der Diskussionen war auch ein Grundsatzentschluß gefaßt worden. Frankreich verzichtete für sich auf jeden Eroberungskrieg: „La nation française renonce à entreprendre aucune guerre dans la vue de faire des conquêtes et elle n'emploiera jamais ses forces contre la liberté d'aucun peuple."57 In praxi war natürlich die Ingerenz der Nationalversammlung in diplomatisch-außenpolitischen Fragen eine ganz massive und viel stärker, als der Text der Verfassungsbestimmungen vom Mai 1790 und später die Verfassung von 1791 vermuten ließen; denn Exekutive und Legislative standen weiterhin in Frontstellung zueinander. Das laufende Einbrechen der Versammlung in die Aktionsbereiche der Exekutivgewalt und die fortschreitende Usurpierung von verfassungswidrigen Aufsichtsrechten über die Minister als Spitzen der Exekutive blieben bis zuletzt gewichtige Beschwerdepunkte des in seinem Aktionsradius mehr und mehr eingeschränkten Königs. 548, 558 - 576, 584 - 590, 609 - 626, 632 - 645, 651 - 662; dort auch das endgültige Dekret in neun Punkten), liegt nur relativ wenig Spezialliteratur vor: Masson 1877/1903/1977, 74 - 83, Sorel 1885 - 1911, Bd. 2, 84 - 93, Stern 1890, 385 - 406, Rothaus 1974, Hampson 1988, 125 - 138. Unter verfassungsrechtlichem Gesichtspunkt Redslob 1912, 221 - 283, Troper 1980, 36 - 41, 71 - 85, 165 - 170 sowie die Thèse von Larroquette 1921. Allgemeiner u.a. zum Verhältnis von Exekutive und Legislative und zu den technischen Verfahren der Volksvertretungen: Mitchell 1988, hier bes. die Kapitel über die Komitees, 30 - 39, und die Minister, 147 - 176, Denis-Farge 1929, Castaldo 1989 und Macheion 1992. 57 Das Reformwerk des Jahres 1790 wurde schließlich auch in die Verfassung vom 3./14. September 1791 inseriert, die Kriegsverzichtserklärung vom Mai 1790 im Titre VI der Konstitution (Des rapports de la nation française avec les nations étrangères) wortgleich übernommen. 2

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C. Wiederherstellung

Mercy betrachtete die Neuregelung der außenpolitischen Kompetenz unter dem Druck der „Straße" als weiteren Schlag gegen die internationale Paktfähigkeit Frankreichs, mit dem Verträge abzuschließen nun zu einem ärgerlichen Hazardspiel wurde 58. Die Verbindung zwischen den Ministern und der Nationalversammlung stellten in der Regel die Comités her, die eigentlichen Keimzellen parlamentarischer Tätigkeit. Für den Bereich der Außenpolitik bestand zunächst kein eigenes Gremium. Erst am 29. Juli 1790 wurde in stürmischen, schon mit panikhafter Angst vor einer Intervention aus dem Ausland durchsetzten Debatten ein sechsköpfiges Comité Diplomatique eingesetzt59. Anlaßfall hierfür war ein von der Exekutive zunächst anstandslos bewilligtes Durchzugsbegehren für österreichische Truppen von Luxemburg Richtung Belgien, das am 27. Juli nach Beschwerden des Departements Ardennes in der Versammlung diskutiert und bald als Deckmantel für eine österreichische Invasion des angeblich in schlechtem Verteidigungszustand befindlichen Nordwestfrankreich gescholten wurde. Aus der Tatsache, daß die Bewilligung eines solchen Ansuchens gegen ein Dekret vom Februar 1790 verstieß, wonach fremdländische Truppen französischen Boden nur mit Zustimmung der Nationalversammlung betreten durften, entwickelte sich rasch der Wunsch, sämtliche völkerrechtlichen Verbindlichkeiten Frankreichs auf ihre Verfassungskonformität hin zu prüfen. Zur Begutachtung der Verträge von 1769 und 1779, auf deren Grundlage Österreich der Durchzug von der Regierung gestattet worden war, wurden von der Versammlung sechs Kommissare eingesetzt, deren Bericht die Vertragsauslegung durch Außenminister Montmorin Lügen strafte. Das Durchzugsbegehren wurde dementsprechend von der Versammlung verweigert. Die Mitglieder des am 29. Juli zur Überprüfung der völkerrechtlich verbindlichen Verträge Frankreichs definitiv eingesetzten Comité wurden am 1. August 1790 gewählt und bildeten fortan einen ernstzunehmenden Faktor, mit dem vielleicht mehr als mit Außenminister Montmorin kalkuliert werden mußte. Erregt machte Mercy von dieser neuerlichen Schlappe für die österreichisch-französische „Freundschaft" und einer abermaligen Hausse der österreichfeindlichen Stimmung Mitteilung. Wien ließ das Durchzugsbegehren fallen und wunderte sich fortan wenig, wenn sich auch im kleinen die Reibereien zwischen den beiden Staaten häuften und die Nationalversammlung oder die regionalen bzw. lokalen Gewalten die „Allianztreue" der Pariser Zentralbehörden nicht entsprechend umsetzen wollten - egal, ob es um 58 Mercy an Kaunitz (21./22. 5. 1790; SA. Frkr. Berichte 178 Konv. Mercy-Kaunitz 1790 V - VIII), ders. an dens. (30. 5. 1790; wie Anm. 55). 59 Olive 1908, zum Comité Diplomatique bes. 76 - 80. Vgl. auch Castaldo 1989, 204 - 254. Die Debatten und Beschlüsse der Nationalversammlung in AP 17, 379 381, 386 - 398, 399, 489.

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Gewehrlieferungen für die österreichischen Truppen in Belgien, die Teilnahme französischer Kämpfer auf Seiten der belgischen Insurgenten, um Grenzverletzungen durch reguläres französisches Militär oder die Einhaltung alter Vertragsverbindlichkeiten durch Frankreich ging 60 . Botschafter Mercy verließ das Land, in dem er beinahe dreißig Jahre als „Vizekönig" gewirkt hatte, und seinen Schützling Marie Antoinette im Oktober 1790 nicht, ohne ein gebührendes „Abschiedsgeschenk" zu hinterlassen. Die königliche Familie und ein den Umständen nicht mehr gewachsenes Ministerium agierten ohne System und versäumten auf diese Weise sogar jede unterstützende Vorarbeit für den von Mercy immer noch erhofften Fall, daß sich eines Tages aus dem heillosen Chaos doch wieder leidliche Ordnung herausbildete. Insgesamt schien daher eines klar: Die Tuilerien mußten im Interesse der Überlebensfähigkeit des Königtums selbst unter die Aufsicht eines „starken Mannes" aus den Reihen der Revolutionäre gestellt werden, der im geheimen - besser als der zu exponierte österreichische Botschafter - das königliche Paar durch die Fahrnisse der Zeit begleiten und ein Erneuerungsprogramm zur Stärkung von Krone und Exekutivgewalt durchsetzen sollte. Verhandlungen mit dem Marquis de Lafayette, der kein Mann nach dem Herzen Mercys oder gar der königlichen Familie war, gediehen nicht allzu weit. Dafür gelang es Mercy und seinen Kontaktmännern im Frühjahr 1790 um so rascher gegen materielle Zusagen die Galionsfigur des revolutionären Kampfes gegen den königlichen Despotismus, den Schrecken der Ultraroyalisten, Comte de Mirabeau, für die Sache des Hofes zu gewinnen, der weniger hohe Ansprüche stellte als der ambitionierte Kommandeur der Nationalgarde. Mit Eifer ging Mirabeau an die Umsetzung eines weitgespannten Sanierungsprogramms zur Versöhnung von Königtum und Revolution auf der Basis der Errungenschaften von 1789. König und Königin freilich konnten ihre massiven Vorbehalte gegen den einstigen „Radikalrevolutionär" nicht überwinden, schienen Mirabeau eher als königlichen Pensionär ruhigstellen zu wollen und betrachteten seine Ratschläge und Projekte bestenfalls als zusätzliche Versatzstücke in ihrer reichhaltigen, aber wenig effizienten Trickkiste. Mirabeaus Rolle als geheimer Berater der Königsfamilie blieb daher notwendigerweise steril 61. 60

Mercy an Kaunitz (30. 7., 25. 8. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. MercyKaunitz 1790 V - VIII); Montmorin an Mercy (6. 8. 1790; SA Frkr. NW 14 Konv. NW Paris 1789 - 1800); Kaunitz an Mercy (18. 8. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790 VI - XII). - Noailles an Montmorin (17. 8. 1790; AMAE CP Autriche 360). 61 Zur Gewinnung Mirabeaus ausführlich mit sämtlichen Belegen, v.a. zu bisher noch nicht gebührend ausgewerteten Wiener Archivalien, Hochedlinger 1997 a, Bd. 1, 268 - 272.

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C. Wiederherstellung

Die letzten Berichte Mercys von seinem Pariser Botschafterposten konnten folgerichtig nur wiederholen, was die diplomatischen Relationen seit 1787 stereotyp, wenngleich mit hörbarem Crescendo vermeldeten: Frankreich versank in Anarchie. Die Abreise auf den Kongreß in Den Haag, die zugleich ein Abschied für immer sein sollte, fiel dem Botschafter um so leichter 62. b) Thronwechsel - Systemwechsel? Mit den österreichischen Annäherungsversuchen gegenüber London seit Jahresende 1789 und definitiv mit dem Reichenbacher Abschluß hatte Frankreich auch seine Rolle als potentieller Friedensvermittler im Türkenkrieg an Preußen und die Seemächte verspielt. Nun dankte Wien der französischen Diplomatie für ihre langjährigen treuen Dienste als nützliches Sprachrohr zum Diwan auch und gerade in Kriegszeiten, erwartete sich aber ein rasches Beiseitetreten des Verbündeten, der nach eigenem Eingeständnis den Freunden nicht wirklich nützlich, den Feinden aber nicht schrecklich sein konnte. Das „Kaunitzsche System", 1756 durch die „diplomatische Revolution" geboren, sah sich jetzt durch eine Revolution ganz anderer Art seines tragenden Elements beraubt. Daß man sich von Frankreich keinerlei ernstzunehmende Hilfeleistung mehr erwartete, war spätestens seit den schleppenden Verhandlungen mit Rußland klar. Paris konnte in seinem „état de nullité" bestenfalls noch als passiver Beobachter auftreten, ja mußte hoffen, nicht weiter in die mannigfaltigen „Irrungen" jener turbulenten Jahre hineingezogen zu werden. Die Spannungen zwischen Berlin und Wien hatte man denn auch genau beobachtet, stets in Sorge vor einem allianzmäßigen Hilfsersuchen Wiens: denn woher Geld und Truppen nehmen, wo man sich doch nicht einmal gegen stets befürchtete englische Angriffe auf die französischen Kolonien würde zur Wehr setzen können? 62 Mercy an Kaunitz (20./25. 8. [wie Anm. 55], 20. 8. [Partikularschreiben, wie Anm. 55], 4. 10. 1790 [wie Teil B, Anm. 133]), an Cobenzl (4. 10. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Mercy-Kaunitz 1790 IX - X). Partikularschreiben Kaunitz* an Mercy (5. 9. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Haager Kongress/A u. D/b). - Jacques Necker, 1789 noch als Retter des Staates und Opfer des königlichen Despotismus gefeiert, erhielt im Spätsommer 1790 inmitten allgemeiner Gleichgültigkeit, bestenfalls bei übler Nachrede seine Entlassung. Mercy an Kaunitz (9., 17. 9. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Mercy-Kaunitz 1790 IX - X). Marie-Antoinette an Mercy (5. 9. 1790; FA SB 71 d. A; Druck: [Rocheterie/Beaucourt] 1895/96, Bd. 2, 195 f.). Necker stand auch weiterhin mit Mercy in Briefkontakt. Diese Briefe aus dem Privatarchiv Mercys erliegen heute in SA Frankreich NW 14 Konv. NW Paris 1789 - 1800.

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Außenminister Montmorin ließ schon im Januar 1790 keinen Zweifel daran, daß Frankreich bessere Zeiten abwarten mußte, um wieder mehr als eine Statistenrolle im Weltgeschehen spielen zu können. Dazu kamen noch die der Allianz erschreckend widrigen Gesinnungen der Nationalversammlung, die Zweifel am guten Willen der Franzosen sehr berechtigt erscheinen ließen. Das französische Außenministerium freilich mußte am unpopulären Bündnis mit Habsburg festhalten; ernstzunehmender „Ersatz" war nicht in Sicht, durch die schwierige innere Lage und die entsprechende Behinderung bei allen diplomatischen Verhandlungen auch sobald nicht zu erwarten. Aber entsprach nicht der breiten Allianzskepsis in Frankreich vielleicht eine gewisse Allianzmüdigkeit an der österreichischen Staatsspitze? Die Thronbesteigung Leopolds II. schien in Wien eine der anglophilen Neigung des neuen Herrschers und der traditionell österreichfreundlichen Gesinnung Londons korrespondierende außenpolitische „Systemänderung" und möglicherweise auch einen Absprung Wiens aus dem französischen Bündnis nicht eben unwahrscheinlich zu machen. Botschafter Noailles in Wien sah schon eine Erneuerung der „alten" politischen Ordnung in Europa heraufziehen: Rußland wieder an der Seite Preußens, Österreich neuerlich mit England im Bunde. Frankreich beobachtete diese Entwicklung mit großem Mißtrauen und auch mit einigem Ärger, erinnerte es sich doch gut der Zeiten, als Wien selbst jedes französisch-preußische Tändeln als „atteinte formelle à l'alliance" strikt unterbunden sehen wollte. Die französische Diplomatie erkannte durchaus richtig, daß nicht nur die Allianz von 1756, sondern mit ihr auch deren Architekt, der greise Fürst Kaunitz, sich zu überleben drohten. Der Staatskanzler, so berichtete Botschafter Noailles nach Paris, traute den englischen Mittlerdiensten nicht so blind, sah darin sichtlich mehr einen taktischen Schachzug zur vorübergehenden Zügelung Berlins und bewahrte sich wenigstens „un reste d'attachement" für Frankreich, während Leopold den ererbten Bündnisverpflichtungen mit Frankreich und Rußland offensichtlich prinzipiell skeptisch begegnete. In Paris ließ Kaunitz noch im April 1790 kurz nach dem Thronwechsel über Botschafter Mercy die österreichische Anhänglichkeit an die Allianz beteuern und versichern, „daß Seine Apostolische Majestät gleiche Freundschaft für das königlich französische Haus und die nämliche Anhänglichkeit für das Allianzsystem wie der höchstseelige Kaiser hege", um so mehr, „als es noch viel fehlt, daß wir englischerseits von allem Besorgniß partheyischer und unbilliger Behandlung frey wären und wir mithin immer auf die Anrufung der allianzmäßigen französischen Hülfe für den Nothfall Hofnung und Anspruch beybehalten müßen." Ein für Frankreich erschreckender Nebensatz, dem das Außenministerium mit den erschütterndsten Ausflüchten begegnen mußte. Die Revolution im eigenen Lande und die Gefahr einer Ausbreitung des „Revolutionsgeistes" boten

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dabei Argumentationshilfen. So wollte Außenminister Montmorin Ende Mai 1790 - also mitten während der österreichisch-preußischen Krieg-in-SichtKrise - den drohenden österreichischen Reklamationen nach Truppenhilfe begegnen, indem er schon vorab dem österreichischen Gegenüber zu bedenken gab, daß es wohl wegen der unter dem französischen Militär herrschenden „Gedenkensart" und der Ansteckungsgefahr sehr unklug sein müsse, die Armeen beider Länder zu „vermischen". Botschafter Noailles zog noch Anfang Juli 1790, ehe er einen mehr als halbjährigen Heimaturlaub antrat, in einem zusammenfassenden Aufsatz über die Entwicklung des österreichisch-französischen Verhältnisses keine allzu positive Bilanz, jedenfalls für die josephinische Ära: „la cour de Vienne [...] a été pour nous une alliée très exigeante pour ses intérêts, très ineficace pour les nôtres et en tout cas très vacillante dans sa marche", die Vorteile der Allianz seien fast immer zugunsten Österreichs ausgeschlagen. Die Machtübernahme durch Leopold von Toskana, der von Noailles als Inbegriff des „honnête homme" gesehen wurde, ließ neben düsteren Zweifeln auch Chancen einer Besserung erkennen. Des neuen Königs große Friedenssehnsucht, von vielen schon als reichlich übersteigert betrachtet, seine Konzentration auf die „administration politique-économique" schienen außer Zweifel zu stehen, und es war nicht ausgeschlossen, daß der neue Apostolische König nun als Herrscher einer großen Monarchie seiner Anglophilie vielleicht doch abschwören würde. Die beiden Verbündeten und die Friedensfürsten an ihrer Spitze, Ludwig XVI. und Leopold Π., konvergierten durch ein „système pacifique" und würden so unter Umständen gar zusammengeschweißt63. Am Fehlen österreichischer „Liebesbezeugungen" lag es allerdings nicht, daß man Englands Zuwendung trotz intensiver Bemühungen seit Ende 1789 nicht wirklich gewinnen konnte, eher schon an der mehr als zweideutigen Haltung Wiens im ersten Jahr nach Reichenbach. Durch „die Verwirrung und politische Nullität" Frankreichs zusehends abgestoßen, glaubte man in der Staatskanzlei mit der Zeit durchaus auch Positiva in der sich klar abzeichnenden Auflösung der Achse Paris-Wien erkennen zu können; war man nicht endlich „von der willkürlichen Abhängigkeit" einer Allianz befreit, die „oft nur zum Deckmantel heimlicher Verständniße mit unsern 63 Montmorin an Noailles (22. 1., 2. 4., 5. 5., 7. 8. 1790), Noailles an Montmorin (31. 3., 7., 10., 14. 4., 8., 14., 22. 5., 17., 26. 6., 4., 7., 11., 25. 8. 1790): AMAE CP Autriche 359 u. 360; Noailles an Montmorin (6. 7. 1790; AMAE CP Autriche 360) mit „Réflexions sommaires sur notre situation vis-à-vis de la cour de Vienne". Kaunitz an Mercy (15./16. 4. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790 I - V), Partikularschreiben Kaunitz' (16. 4. 1790; wie Anm. 19), Mercy an Kaunitz (30. 5. 1790; wie Anm. 55). Kaunitz an Noailles (4. 8. 1790; AMAE CP Autriche 360; SA Frkr. NW 14 Konv. A. d. frz. Botschaft/an Noailles 1789/92).

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Hauptfeinden diente"? Anders als noch in den achtziger Jahren sah London freilich nun keine dringende Notwendigkeit mehr, dieses allianzpolitische Vakuum sofort zum Schaden Frankreichs aufzufüllen und das „Old System" von vor 1756 wieder herzustellen. Wien mußte froh sein, wenn die Briten wenigstens aus der Rolle einer Hilfsmacht Preußens ausbrachen und sich mit der Zeit zu einer gewissen Äquidistanz zwischen Österreich und Preußen bequemten. Die Revolution in Paris hatte per se - so sah es jedenfalls die k.k. Diplomatie - einen für Britannien überaus günstigen Zustand hergestellt und den französischen Erzrivalen arg geschwächt; so konnte das Kabinett von St. James sein ganzes Augenmerk darauf richten, ohne großen Aufwand einen Zustand herzustellen, in dem niemandem das Übergewicht zufiel, wohl aber England als „eine ehrgeizige und von dem Continent ganz abgesonderte Macht" Einfluß und Ansehen vergrößerte. Es ging um die Schaffung einer rein kontinentalen „balance of power", der sich London selbst als Kolonial- und Marinemacht gar nicht mehr unterordnete. Die Zersprengung des spanisch-französischen „pacte de famille" war für die englische Großmacht ein erster Schritt in Richtung „Supermacht"64.

c) Das Auseinanderbrechen des „pacte de famille": Die „Nootka-Sound-Controversy" Der enge terminus technicus, unter dem diese Streitsache in die Geschichte eingegangen ist, sollte nicht vergessen machen, daß die Aktion einer spanischen Rottenabteilung gegen Schiffe britischer Unternehmer und ihre Niederlassung im Nootka Sound an der Westküste des heutigen Vancouver Island 1789 bloß Anlaßfall war, eine gewichtige Frage allgemeinerer Natur im Konflikt zwischen der absteigenden Kolonialmacht Spanien und dem expandierenden Weltreich Britanniens anzuschneiden. Es ging nicht primär um die materielle Satisfaktion geschädigter britischer Händler - die wahren Hintergründe und Umstände des spanischen Einschreitens gegen die britischen Eindringlinge sind durch die den Konflikt v. a. auf englischer Seite begleitende publizistische Campagne stark verzerrt worden - , sondern um die Infragestellung des territorialen Monopolanspruchs Spaniens auf die Nordwestküste Amerikas bis Alaska und die Öffnung der Pazifikküste für den britischen Handel und Walfang. Der spanisch-portugiesische Weltteilungsvertrag von Tordesillas 1494 war mit den Realitäten des ausgehenden 18. Jahrhunderts ganz einfach in Widerspruch gekommen. Bezogen auf die bündnispolitische Gliederung Europas bedeutete das Aus64

„Punctation für den k.k. ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister am königlich großbrittanischen Hofe Herrn Grafen von Stadion" (Frankfurt, 21. 10. 1790; SA England Weisungen 129).

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einanderbrechen des „pacte de famille" einen weiteren, wenngleich den letzten schlagenden Erfolg der Tripelallianz 65. Innenpolitische Motive spielten auf britischer Seite in diesem Wahljahr 1790 ebenso eine Rolle bei der demonstrativen Kriegsbereitschaft der Regierung wie die Interessen der Handelslobbies im Hintergrund. Schon in den achtziger Jahren hatten die Briten neue koloniale Überlegungen angestellt und den geistigen Rahmen für weiteres Ausgreifen in Übersee geschaffen, etwa hinsichtlich des Handels mit China und der Nordwestküste Amerikas. Privathändler bezogen energisch Stellung gegen das Monopol der East India Company, es mußten neue Erschließungsgebiete für die britischen „interloper" gefunden werden. Die „koloniale Theorie", der zufolge auf nicht wirklich besetztes Land kein Souveränitätsanspruch anzumelden war, diente der Bemäntelung skrupelloser Realpolitik. Die ersten noch sehr unklaren Nachrichten von den Zusammenstößen zwischen der spanischen Marine und britischen Händlern im Nootka Sound trafen im Januar 1790 in London ein. Nach anfänglichem Zögern und Unklarheit auf beiden Seiten verhärteten sich im Frühjahr 1790 die Fronten. Vom Parlament und der öffentlichen Meinung gestützt, konnte Pitt einen kriegerischen Kurs einschlagen und die Flotte mobilisieren (Mai 1790). Auch in Paris wurde sicherheitshalber eine britische Note überreicht. Frankreich reagierte freundlich-kalmierend und drängte in Madrid auf eine Ruhigstellung der angespannten Lage, London beteuerte gleichfalls seine Friedenswilligkeit. Ärgste Befürchtungen rankten sich bereits um die britischen Rüstungen und die möglicherweise dahinterstehenden „geheimen Absichten". Viele gingen davon aus, daß Großbritannien bei einer französischen Beteiligung am Konflikt sich nicht mit einer Niederringung Spaniens begnügen, sondern auch dem durch die internen Konflikte geschwächten Frankreich seine karibischen Inseln zu entreißen trachten werde, hielt man doch die französischen Kolonien ohnedies durch die „unausgegorene" Sklavereipolitik der Nationalversammlung für akut bedroht. Ließ man aber Spanien im Stich, so drohte dem „pacte de famille" der Todesstoß. Damit schien auch eine eventuelle spanische Unterstützung für die „konterrevolutionären" Pläne der königlichen Familie ernstlich gefährdet. Hatte die kritische Situation in Europa etwaigen Bemühungen um eine Durchbrechung des spanischen Souveränitätsanspruchs auf die Nordwestküste Amerikas noch 1789 weitgehend den Wind aus den Segeln genommen, 65 Die „Nootka-Sound-Controversy" war bereits oft Gegenstand ausführlicherer, wenngleich in Interpretation und Detailfragen divergierender Darstellungen. Ich nenne hier nur: Ward/Gooch 1922, Bd. 1, 197 - 202, Parrel 1950, Norris 1955 [sehr kritische Beurteilung der britischen „Raubpolitik"], Harlow 1964, Bd. 2, 419 - 481, Ehrman 1984, Bd. 1, 553 - 571, Black 1994, 225 - 256, Foucrier 1997. Zum frz.-spanischen Verhältnis speziell Mousset 1923, 198 - 226.

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so gab die sich abzeichnende Beruhigung des Kontinents im Sommer 1790 England dann prinzipiell freie Hand für ein Vabanquespiel gegen Spanien. Anfang Juli 1790 erging ein hartes Ultimatum nach Madrid, das zur Rückgabe der beschlagnahmten Schiffe, zur Entschädigung der Betroffenen und zu einem Schuldeingeständnis zwang, die Grundfragen allerdings weiter offen ließ. Spanien mußte noch Ende Juli 1790 darauf eingehen und damit im Prinzip nachgeben. Der Fixierung der endgültigen Bestimmungen sollten noch drei weitere Monate des Tauziehens vorangehen. Die Isolation Spaniens konnte dabei der von Preußen und den Niederlanden gestützten britischen Linie nur zuträglich sein. Im Mai 1790 hatte die Mitteilung des französischen Außenministers Montmorin an die Nationalversammlung, der König wolle zur Unterstützung Spaniens einen Teil der Flotte mobilisieren, in der Constituante zu jener großangelegten Debatte geführt, die der Krone schließlich die alleinige Verfügungsgewalt in außenpolitischen Fragen raubte. Zugleich steckte die französische Flotte in einer tiefen Krise; Matrosenmeutereien lockerten die Disziplin so weit, daß die Marine der zentralen Kontrolle zu entgleiten drohte und die Nationalversammlung mehrfach eingreifen mußte. Der spanisch-französische „pacte de famille" von 1761 war damit nicht mehr bedingungslos und einseitig durch den König aktivierbar. Endlose Debatten der Constituante verhinderten einen prompten Einsatz, den Spanien im Juni 1790 mit aller Vehemenz eingemahnt hatte; der Allerchristlichste König, der selbst noch während der Hollandkrise 1787 stark auf den spanischen Verbündeten gesetzt hatte, mußte vertrösten, und als sich die Deputierten nach Berichterstattung Mirabeaus zur Umwandlung des wegen seines dynastischen Charakters im neuen Frankreich unhaltbaren Familienpaktes in einen nationalen Staatsvertrag und Defensivpakt sowie zur Ausrüstung von 45 Schiffen durchgerungen hatten (26. August 1790), schien Madrid - zunehmend ungehalten - an dieser Hilfe aus einem mit „demokratischen Prinzipien" kontaminierten Land nicht mehr sonderlich interessiert 66. 66

AP 18, 263 - 267 (Debatte vom 25. 8. 1790), 291 - 293 (Debatte und Dekret vom 26. 8. 1790). Mirabeau selbst hatte die Bedenken des „neuen Frankreich" gegen den „pacte de famille" für den König zusammen zusammengefaßt: „Les rois ne peuvent pas tenir le même langage dans tous les siècles. Le traité est offensif dans plusieurs parties. Il n'est relatif qu'à l'intérêt des deux maisons; pour tout dire, en un mot, ce traité n'est pas national". Spanien sollte daher Ende Juni 1790 zu einer Neuverhandlung des Vertrags aufgefordert werden: vgl. u. a. Mirabeaus 3e Note à la Cour vom 23. 6. 1790 ([.Bacourt] 1851, Bd. 1, 337 f.) und 4e Note für den Hof vom 26. 6. 1790 (ebd. 343 - 345). Marie-Antoinette an Mercy (25. 6., 2. 7. 1790; FA SB 71 d. A/Konv. 1790; Druck: [Rocheterie/Beaucourt] 1895/96, Bd. 2, 179f., 182f.). - Floridabianca hatte angeblich in Frankreich nur pro forma um Unterstützung angefragt, dabei aber keine emstzunehmende Hilfe erwartet „nor in truth did he desire to receive any, at the immediate risk of introducing by that means into his kingdom

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Mit äußerster Spannung beobachtete man auch in Paris während des Sommers die britischen Rottenrüstungen, die, wie man mutmaßte, einem zweifachen Ziel galten: dem Baltikum zur Unterstützung Schwedens und Preußens gegen Rußland und Spanien. Premierminister Pitt selbst scheint nun lange Zeit keineswegs davon überzeugt gewesen zu sein, daß Frankreich nicht doch noch auf Seiten Spaniens eingreifen würde. Gewisse englandfreundliche Signale aus den Reihen der progressiveren Kräfte der Revolution lieferten ihm den Ansatzpunkt, hier meinungsbildend nachzustoßen. William Augustus Miles, umstrittener pittfreundlicher Publizist, von Juli 1790 bis April 1791 und der Diplomat Hugh Elliot im Oktober 1790 sollten in Paris quasi als „Geheimlobbyisten" des Premierministers für die britischen Anliegen in der Krisis mit Spanien werben und einem von einzelnen Gruppierungen in Paris - besonders der royalistischen Rechten - aus innenpolitischen Gründen gewünschten Kriegseintritt Frankreichs durch Freundschaftsversicherungen die Spitze nehmen. Während Miles als reiner Privatier und ohne Beziehung zum britischen Botschafter Kontakte zu den revolutionären Gesellschaften knüpfte und die Clubs eifrig frequentierte, konnte Elliot auf höherem, quasi offiziösem Niveau tätig werden. Nicht zuletzt die Freundschaft zu seinem „Schulkollegen" Mirabeau erleichterte ihm den Zutritt zu einflußreicheren Zirkeln, ja sogar zum Comité Diplomatique. Beide Geheimemissäre, Miles und Elliot, schössen aber über das ganz eng gesteckte Ziel Pitts hinaus und überidentifizierten sich mit ihrer gewiß nicht sonderlich bedeutsamen Sendung, indem sie ernsthaft britisch-französische Allianzpläne wälzten und diese London schmackhaft machen wollten. Ganz ohne Erfolg, denn kaum war die ursprüngliche Absicht, einen Kriegseintritt Frankreichs zu verhindern, gleichsam automatisch dank der nur zu offensichtlichen französischen Schwäche Realität geworden, ließ Pitt die Kontakte zum „parti populaire", die der Linie der Zurückhaltung in bezug auf die innenpolitische Entwicklung Frankreichs nicht unbedingt entsprachen, fallen. Es bedurfte also gar nicht der von der Gerüchtebörse kolportierten Bestechung führender französischer „Parlamentarier", ja wohl nicht einmal der Miles-Elliot-Mission, da der Lauf der Dinge den Briten in die Hände spielte; eine weitere Einmischung in französische Interna kam für die Briten entgegen häufiger Beschuldigungen, die Revolutionsglut nach Kräften zu schüren, keinesfalls in Frage 67.

those democratic principles now so universally prevalent [...] in France" (Fitzherbert an Leeds, 19. 8. 1790: Ward/Gooch 1922, Bd. 1, 200). 67 Evans 1974 [zur Miles/Elliot-Mission 1790/91], ders. 1970. Durch Evans u.a. überholt der Aufsatz von Mathiez 1920, immer noch nützlich dagegen Cobban 1954b. - Georg III. an Pitt (26. 10. 1790), zit. Ward/Gooch 1922, Bd. 1, 201: „We have honourably not meddled with the internal dissensions of France, and no object ought to drive us from that honourable ground." Eben wegen dieser internen

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Anfang Oktober 1790 wurde Spanien von London ultimativ zur Aufgabe seines Ausschließlichkeitsanspruchs auf die Nordwestküste Amerikas aufgefordert und durch die britischen Rüstungen schließlich zum Einlenken gezwungen. Nach hartem innenpolitischem Ringen auf spanischer Seite, das erst ein Machtwort Karls IV. beendete, unterzeichnete man am 28. Oktober 1790 das Abkommen von San Lorenzo. Großbritannien sicherte sich wie gewünscht zwischen Alaska und Kalifornien Zugang zum Pazifik. Auch zwischen Frankreich und Großbritannien beruhigte sich das Klima; Paris stellte seine Seerüstungen ein. Die hochgerüstete britische Flotte fesselte allerdings weiterhin die Aufmerksamkeit der europäischen Politik 68 . In Spanien selbst hatte sich die österreichische Diplomatie bereits seit längerem relativ passiv verhalten, wie es den durchaus gespannten Beziehungen zwischen Wien und Madrid entsprach. Von den angeblich so engen, auf persönliche Neigung und auf das beiderseitige Staatsinteresse gegründeten Freundschaftbanden, die Joseph II. mit Karl III. verbunden hatten - so jedenfalls die Staatskanzlei ruhmredig 1787 -, war nicht mehr allzuviel geblieben. Nicht etwa, weil sich die schon lange vor dem Tod Karls III. im Dezember 1788 auf den Prinzen von Asturien (Karl IV.) gesetzten englischen Hoffnungen auf dessen Frankreichskepsis und seine angeblich englandfreundliche Gesinnung in irgendeiner Weise erfüllt hätten. Die Staatskanzlei hielt die Londoner Spekulationen noch in einer Weisung an Mercy vom Februar 1787 für genauso irrig „als so viele andere widersinnige Schritte und Maaßnehmungen dieses von einem wahren Schwindelgeiste eingenommenen Hofes, welcher noch immerfort um unsere Allianz buhlet und dennoch zur nämlichen Zeit die Rolle nicht nur eines blinden Anhängers, sondern selbst des ersten eifrigen Beförderers der preussischen und übrigen deutschen Reichsligue spielet." Aber immerhin geisterte doch unbestreitbar zu Ausgang der achtziger Jahre das Gespenst einer Lockerung des „pacte de famille" durch die europäische Diplomatie, wurde schon zu Lebzeiten Karls III. von Annäherungsversuchen Madrids an London und einer Abkühlung des Verhältnisses zu Versailles gesprochen. Schwierigkeiten betrachtete die britische Diplomatie Frankreich seit 1789 als außenpolitisch vernachlässigbar: Depesche William Edens (20. 10. 1789), zit. ebd. 190. 68 Die Beobachtung der spanisch-britischen Spannungen und der französischen Position in diesem Konnex war bis zur Beilegung des Konflikts im Herbst 1790 meist zentraler Punkt der Berichterstattung der österreichischen Vertretung aus Paris; die Bemühungen der britischen Geheimdiplomatie im Herbst 1790 blieben dem nach der Abreise Mercys in Paris ausharrenden Geschäftsträger Blumendorf allerdings verborgen: Blumendorf an Kaunitz (13. 10. 1790, 21. 10. 1790, 29. 10. 1790, 5. 11. 1790, 10. 11. 1790, 17. 11. 1790, 27. 11. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Blumendorf-Kaunitz 1790 X - XII). - Montmorin an Noailles (7. 8. 1790; AMAE CP Autriche 360).

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C. Wiederherstellung

Wien war sich dann auch im kritischen Augenblick des Thronwechsels vom Dezember 1788 nicht wirklich sicher, welche Auswirkungen dieser letztlich haben würde. Karl IV. galt zunächst wirklich als Anhänger des „englischen Systems". Der dirigierende Minister, Graf Floridabianca, der kein Freund Österreichs war, hatte sich aber trotzdem Karls Gunst nach anfänglichen Spannungen schon während der Kronprinzenzeit erkaufen können und blieb jetzt weiter im Amt. Versailles tröstete sich im Angesicht der befürchteten Umpolung der spanischen Politik mit verstärkter Hoffnung auf die neue Königin, die als frankreichfreundlich gehandelt wurde und, wie alle Welt wußte, ihren Gatten völlig beherrschte, auch wenn Joseph II. meinte, sie scheine ihm „nicht zu einem politischen Kopf aufgelegt". Die ersten verbindlichen Nachrichten über die Gesinnungen des spanischen Herrschers beruhigten aber die Besorgnisse; der angebliche „Anglicismus" Karls IV. war eine fromme Mär. Österreich fürchtete viel mehr als eine englische Orientierung den möglichen preußischen Einfluß in Madrid, dem, wie Botschafter Mercy mutmaßte, noch Comte de Vergennes bei Lebzeiten in Spanien verstärkt Einlaß verschafft hatte, um sich so - zu feige, seine „Falschheit und zweydeitige Gesinnungen" offen und im eigenen Land zur Schau zu tragen - über Spanien die Hintertür zu einer Verbindung mit Preußen offenzuhalten. Noch im kritischen Frühjahr 1790 wurde Floridabianca geheimer Korrespondenzen mit dem preußischen „Feuerteufel" Graf Hertzberg verdächtigt. Die laxe Haltung des spanischen Ministeriums im Rahmen der Verhandlungen um eine Quadrupelallianz, seine Apathie und Gleichgültigkeit, seine „Schlafsucht" nährten auch ohne offenen Systemwechsel den Verdacht, daß Madrid den „Einflüsterungen" Londons und Berlins wirklich Gehör schenkte. Das französische Außenministerium gab sich zuversichtlich, daß Spanien zu den Verpflichtungen des „pacte de famille" stehen und der unzuverlässige Floridabianca über kurz oder lang stürzen werde, und unterschied dabei die Angst des schwachen, in unentwegten Hofintrigen um sein Überleben kämpfenden Ministers vor Einmischung in fremde Händel von den „wahren Gesinnungen" des spanischen Hofes 69. Direkte Reibungsflächen zwischen Wien und Madrid ergaben sich auf der italienischen Halbinsel, wo man sich gegenseitig ehrgeiziger Vorherrschaftsprojekte verdächtigte. Die Idee einer konsequenten Fremdbestim69

Resolution Josephs II. zum Vortrag Kaunitz (22. 10. 1787; StK Vorträge 144 Konv. 1787 X). Kaunitz an Mercy (7. 2. [wie Teil B, Anm. 11], 6. 1. 1790 [wie Teil B, Anm. 145]), ders. an dens. (3. 1. 1789; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1789 I - V); Mercy an Kaunitz (18. 10. 1787 [wie Teil B, Anm. 37], 6. 1. [wie Teil B, Anm. 16], 4. 2. [wie Teil B, Anm. 35], 4. 6. [wie Teil B, Anm. 93], 4. 7. 1789 [wie Teil B, Anm. 99]), ders. an dens. (21. 1. 1789; SA Frkr. Berichte 177 Konv. Mercy-Kaunitz 1789 I - III). Kaunitz an Rewitzky (18. 3. u. 28. 4. 1787; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1787). Kaunitz an Thugut (23. 2. 1789; SA Neapel Weisungen 23).

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mung Italiens durch die Stammländer der bourbonischen und habsburgischen Nebenlinien, die die italienische Kleinstaaterei administrierten, drängte sich so manchem Beobachter auf; entsprechende Rivalitäten schienen die logische Konsequenz dieser Fernsteuerungsversuche auf der Apenninenhalbinsel zu sein70. Seit den sechziger Jahren hatte Habsburg in der Tat - allerdings noch in Kooperation mit Madrid - starke heiratspolitische Netze mit dem Hause Bourbon und v.a. über Italien gespannt, angeführt von der 1. Ehe Josephs II. mit Isabella von Parma. 1765 heiratete Erzherzog Leopold von Toskana Maria Luisa, die Tochter Karls ΠΙ. von Spanien, Leopolds Schwester Maria Carolina (1752 - 1814) 1768 den König von Neapel, Ferdinand IV. (1751 - 1825), Erzherzogin Maria Amalia (1746 - 1804) 1769 den Infanten von Parma, Ferdinand (1751 - 1802), Erzherzog Ferdinand (1754 - 1806) 1771 Maria Beatrix von Este (1750 - 1829), die Erbin Modenas, eine Tochter aus dieser Ehe, Maria Theresia (1773 - 1832), im Jahre 1788 den zweitgeborenen Sohn des Königs von Sardinien, den späteren Viktor Emanuel I. (1759 - 1824). Die Beziehungen zwischen Madrid und der in Neapel-Sizilien herrschenden bourbonischen Nebenlinie, die nun vielleicht gar von jeder Nachfolge in Spanien ausgeschlossen werden sollte (enge Heiratsverbindungen des spanischen Zweiges nach Portugal hatten den nostalgischen Gedanken an eine dynastische Verschweißung der iberischen Halbinsel verstärkt), waren schon seit Jahren auf das äußerste gespannt, und Wien wurde bisweilen von beiden Seiten der Kollaboration mit dem jeweils anderen verdächtigt. Die Thronbesteigung Leopolds im März 1790 verschärfte die Spannungen weiter. Bereits im April des gleichen Jahres munkelte man von Krieg in Norditalien. Der Turiner Hof rüstete angeblich, um sich gemeinsam mit Madrid in das wegen territorialer Zwistigkeiten seit langem gespannte Verhältnis zwischen Parma und der österreichischen Lombardei bzw. Toskana zu mengen. Kaunitz nahm die Gerüchte nicht sehr ernst und hielt die Wiederherstellung bzw. Aufrechterhaltung der toskanischen Sekundogenitur durch Leopold - die Abolitionsurkunde Josephs II. wurde bald nach Herrschaftsantritt kassiert - für eine durchaus entkrampfende Maßnahme. Auch die überaus zurückhaltende österreichische Politik in Neapel ordnete man 70 Bedarida 1930, Boyer 1961. Zum „italienischen System" Leopolds vgl. Kretschmayr 1891/92, z.T. auch Wandruszka 1963/65, Bd. 2, 291 - 301. Allgemein über „Österreich in Italien" Wandruszka 1963 und Benedikt 1964. Im spanisch-neapolitanischen „Tauziehen" zwischen Emanzipation und Satellitisierung spielte auch die Person des 1778 aus toskanischen Diensten berufenen Kriegs- und Marineministers und Günstlings der Königin Maria Carolina, Acton, eine Rolle. Acton war seit 1789 auch Außenminister: Gunn 1978, 62 - 82. Vgl. auch Acton 1956/1998 und Robledo del Prado 1986.

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schon seit längerem dem Bemühen um eine Normalisierung der Beziehungen zu den spanischen Bourbonen unter. Denn eben die spanisch-neapolitanischen Irrungen wertete die Staatskanzlei als wahren Ursprung des Grolls, der Kälte und der Verschlossenheit Madrids gegen Wien. Dem Vorsatz, sich aus dem spanisch-neapolitanischen Streit - in der Einschätzung der Staatskanzlei rein private „Haus- und Familiensachen" - tunlichst herauszuhalten und „widrige Eindrücke" zu vermeiden, konnte man aber schließlich schwerlich gerecht werden, wenn eine Dreifachhochzeit im September 1790 die engen familiären Bande zwischen Habsburg und Bourbon-Neapel in die nächste Generation fortknüpfte: Erzherzog Franz heiratete in 2. Ehe MariaTheresia von Neapel-Sizilien (1772 - 1807), Erzherzog Ferdinand (1754 1824) Maria Luisa von Neapel-Sizilien (1773 - 1802), der neapolitanische Kronprinz Franz ehelichte Erzherzogin Maria Clementina (1777 - 1801)71. Die sich abzeichnende herbe spanischen Niederlage in der „NootkaSound-Crisis" des Jahres 1790 mußte vor dem Hintergrund des gespannten Verhältnisses zu Madrid auch in Wien eine gewisse Genugtuung hervorrufen. Als es Spanien nun seinerseits an den Kragen zu gehen schien, konnte sich Wien in der Tat einer gewissen Schadenfreude nicht erwehren. Madrid hatte seine Isolation im Streit mit Großbritannien letztlich sich selbst und seiner Weigerung, dem französisch-österreichisch-russischen Allianzplan beizutreten, zuzuschreiben. Jetzt war überall nur mehr Schadensbegrenzung gegen die von Preußen losgetretene Lawine internationaler Konflikte möglich. Kaunitz wollte es sich nicht verkneifen, mit erhobenem Zeigefinger auf das selbstverschuldete Debakel der Spanier hinzuweisen. Man bedauere in Wien, so hieß es im Juli 1790, „daß endlich auch Seine Katholische Majestät auf Kosten ihrer Ruhe überführt werden mußten, nach welchen Grundsätzen und Zweken die gegen den hiesigen 71 Leopold an Joseph II. (7. 1. 1787), Joseph II. an Leopold (25. 1. 1787): [Arneth] 1872, Bd. 2, 59 f., 66 f. et passim. Zur angeblichen „Frankreichhörigkeit" des neapolitanischen Hofes auch Leopold an Joseph II. (17. 12. 1787; ebd., 150 - 154). Kaunitz an Thugut (31. 1. 1788, 5. 1., 6. 4. 1789; SA Neapel Weisungen 23). Kaunitz an Kageneck (19. 11. 1789, 15. 4. 1790; SA Spanien DK 119 Konv. 10 u. 120 Konv. 5). Leopold an Marie-Christine ([ca. 20. 2. 1790]; Druck: [Wölfl 1867, 110). - Noailles an Montmorin (2. 5. 1787, 7. 4. 1790; AMAE CP Autriche 352 u. 359). Wandruszka 1960. - Die Staatskanzlei hatte sich gründlich verrechnet, als sie annahm, daß die „Ereiferung" zwischen Madrid und Neapel letztlich nicht zuletzt wegen der engen verwandtschaftlichen Bande rasch beigelegt werden könne: Kaunitz an Kageneck (11. 1. 1787; SA Spanien DK 118 Konv. 6). Zur Vorbereitung der neapolitanisch-österreichischen Heiratsverbindungen vgl. u.a. auch Ph. Cobenzl an Joseph II. (18. 3. 1789; FA FK A 26; Druck: [Brunner] 1871, 85 f.). Während des Aufenthalts des neapolitanischen Königspaars in Wien aus Anlaß der österreichischneapolitanischen Dreifachhochzeit erhielt der spanischen Botschafter in Wien Weisung, sich für diese Zeit aus der österreichischen Hauptstadt zu entfernen. Er kehrte erst im März 1791 zurück: Gabard an Montmorin (21. 8. 1790), Noailles an Montmorin (30. 3. 1791): AMAE CP Autriche 360 bzw. 361.

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und russischen Hof entstandene Ligue handelt und wie erwünschlich es gewesen wäre, wenn ihrer angemaßten Obermacht durch eine aufrichtige Vereinigung derjenigen Höfe, die nun das Opfer davon abgeben, zur Zeit, als es noch mit Wirkung thunlich war, Einhalt geschehen wäre." Immerhin konnte man sich mit der internationale Position Spaniens und würden es ab nun wohl kaum mehr der „Kaltsinn" Madrids gegen Wien f

beruhigenden Feststellung trösten, die auch der innere Zustand des Landes zulassen, daß die Zurückhaltung und „in schädliche Gehässigkeit" ausarte-

72

ten . 5. Die Konferenz von Den Haag und die Wiedereingliederung Belgiens A m 10. August 1790 versandte die Wiener Staatskanzlei zugleich mit den Ratifikationsurkunden der Reichenbacher Konvention die förmliche Einladung an die Seemächte, ihre Zusagen und die sehr komplexen Garantieverklammerungen für die Beendigung des Türkenkrieges und die belgische „Pazifikation" in die Tat umzusetzen 73 . Unter der Garantie Großbritanniens und der Vereinigten Niederlande sollten die alten Verfassungen und Privilegien der belgischen Provinzen wiederhergestellt werden, und zwar so, wie sie zu Beginn der Regierung Josephs II. 72 Kaunitz an Kageneck (15. 4., 3. 7. 1790; SA Spanien DK 120 Konv. 5). Zum Schiffbruch des „nordischen Allianzsystems", an dem Floridabianca zur Ausbalancierung des englischen Übergewichts arbeitete und in dessen Rahmen auch die emsigen Vermittlungsbemühungen Spaniens zwischen Schweden und Rußland bzw. zwischen Petersburg und Konstantinopel zu verstehen sind, vgl. Schop Soler 1970, 170 - 175. Das Bild des dekadenten Spanien war schon alt. Vgl. etwa zu den österreichischen Gesandtschaftsberichten Edelmayer 1993 nach der monumentalen Edition von [Kleinmann] 1970 - 1988. 73 Die wichtigsten Stücke zum Haager Friedenskongreß verteilen sich in unübersichtlicher Weise, z.T. nach den Überlieferungsformen getrennt, auf StK FriedA 70 Konv. 1790 Haager Kongress/A-I (darunter auch die Abschlüsse, die Ratifikation der Konvention und Kollateralkorrespondenzen Mercys mit Stadion in London und Reuß in Berlin) und SA Frkr. Weisungen 175 u. 182 u. Berichte 178 bzw. FA SB 20. Zentrale Stücke hat schon Vivenot in seine Quellensammlung aufgenommen. Eine gute Übersicht über Vorgeschichte und Ablauf der Verhandlungen gibt - aus österreichischer Sicht - der „Précis des faits" (I. Faits qui ont amené le congrès de La Haye; II. Faits relatifs au congrès de La Haye), mit dem man sich im Dezember 1790 gegenüber Preußen rechtfertigen zu müssen meinte. Der Précis ist bei [Vivenot] 1873, 63 - 66, gedr., A in StK DK Preußen HK 1 Konv. Kaiser a.d. Kg. v. Preußen. - Eine gründliche Darstellung des Haager Friedenskongresses haftet noch aus; die wichtigsten Dokumente schon bei [Spiegel] 1841, dort auch 4 1 - 4 8 eine übersichtliche Darstellung der Haager Verhandlungen (mit den Dokumenten 323 398). Vgl. Peyster 1905, 253 - 264, Wittichen 1905, 103 - 111, Post 1961, 97 127, Wandruszka 1963/65, Bd. 2, 312 - 320, 328ff. (unergiebig), Black 1994, 265 - 267. Mitrofanow 1916, Kap. 4, § 14 - 17. 25 Hochedlinger

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bestanden hatten. Zusätzlich stellte Leopold II. seinen „sujets égarés" in Belgien für den Fall einer freiwilligen Unterwerfung weitgehende Amnestie in Aussicht. Größere Zugeständnisse, wie sie die Seemächte anregten, schienen Wien nicht ratsam, wollte man nicht die Zeichen der Zeit übersehen und durch konstitutionelle Änderungen noch selbst den grassierenden Freiheitshunger („la funeste tendance des esprits à la licence et à l'anarchie") fördern. Diese Vorsicht hielten die Wiener Behörden und speziell Kaunitz, der ohnedies nicht an eine freiwillige Unterwerfung der Belgier glaubte, gerade in bezug auf die Österreichischen Niederlande für besonders ratsam, sowohl wegen der Nähe der Provinzen zu Frankreich als auch auf Grund der Entfernung von den habsburgischen Kernlanden. Denn eines mußte schon zum voraus klar sein: Für die Zeit nach der Wiedereingliederung der abtrünnigen belgischen Provinzen in den österreichischen Herrschaftsbereich wurden diese sofort wieder zur Achillesferse des habsburgischen Länderkonglomerats, zu jenem Punkt, an dem die seit 1790 in vielen Gesandtenberichten aus allen Teilen Europas kolportierten angeblichen Wühlarbeiten französischer „Revolutionäre", der „democratischen Parthey", am ehesten ansetzen konnten. Die Rückführung des aufständischen Belgien unter österreichisches Szepter wollte man aber nicht nur von Zeit und Umständen erwarten und allein vom filigranen Faden des guten Willens jener Mediatoren abhängen lassen, die schon in Reichenbach ihre „diktatorischen" Anwandlungen und eine bedenkliche Anhänglichkeit an die harte und unnachgiebige Linie Preußens unter Beweis gestellt hatten. Militärische Maßnahmen mußten unbedingt den einzuleitenden diplomatischen Verhandlungen parallel laufen, den nötigen Druck erzeugen, die Truppen in Luxemburg, der letzten österreichischen Bastion, dementsprechend verstärkt werden. Bereits wenige Tage nach Auswechslung der Reichenbacher Ratifikationsurkunden erging im August 1790 entsprechender Befehl an den Hofkriegsrat. Nur die bis zum Eintreffen der neuen Truppenkörper verbleibende Zeit wollte man für eine friedliche Lösung zur Verfügung stellen; der Spielraum für aktive Operationen wurde freilich durch die vorrückende Jahreszeit immer knapper74. 74 Kaunitz an Spielmann (August 1790; GK 406 Konv. E). Kaunitz an Rewitzky mit einem ausführlichen Rückblick auf die Reichenbacher Verhandlungen (24. 7. 1790; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1790; Druck: [Vivenot] 1873, 3 - 9), Kaunitz an Buoi incl. P. S. mit Promemoria (10. 8. 1790; SA Holland Weisungen 93 Konv. Weisungen 1789 - 1792) u. Rewitzky (10. 8. 1790; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1790; Druck: [Vivenot] 1873, 15 - 19) mit „Mémoire à présenter à Londres et à La Haye" (Druck: [Vivenot] 1873, 11 - 13). Leopold an General Graf Tige (9. 8. 1790; KA Kabinettskanzlei HBP 75 a). - Noailles an Montmorin (7., 17. 8. 1790), Note für Gabard (16. 8. 1790): AMAE CP Autriche 360.

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Die beinahe schon traditionellen und Ende Juli 1790 wieder einmal verstärkten Bemühungen Wiens, die Seemächte von Preußen (das sich, wie man wohl wußte, nur in die „belgische Frage" drängte, um hier ein dauerndes Einspruchs- und Einmischungsrecht zu erhalten) abzuspalten und Berlin in ein möglichst schiefes Licht zu rücken, brachten nicht den gewünschten Erfolg, obwohl man etwa gerade den Generalstaaten durch verschiedene Konzessionen entgegenzukommen gedachte (rasche Lösung der umstrittenen Grenzbestimmungen des Vertrags von Fontainebleau 1785, Sicherheitsgarantien als Ersatz für die Aufhebung der Barrierefestungen durch Joseph II.). Der Dreibund blieb bei seinem Vorsatz, die Rückkehr der belgischen Provinzen unter österreichische Herrschaft und die Wiederherstellung der alten Verfassung gemeinsam zu beaufsichtigen und zu garantieren. Auf einem eigenen Kongreß in Den Haag, zu dem Wien im September 1790 schließlich widerwillig und unter Druck auch Preußen bitten mußte, sollte die „belgische Frage" ehebaldigst gelöst werden - friedlich. Erst nach Ablauf eines noch nach Brüssel zu erlassenden Ultimatums und der Verweigerung der freiwilligen Heimkehr in den Schoß Habsburgs wollte man die österreichischen Truppen gegen die Belgier marschieren lassen. Staatskanzler Kaunitz wußte mit der „Auslagerung" der Gespräche nach Den Haag, ja überhaupt mit dem Vorhaben, ein „zweites Reichenbach" hinzunehmen, sichtlich wenig anzufangen: „Die Idee des Congresses, wenigstens im Haag, taugt den Teufel nichts", eröffnete er schon Anfang September 1790 Staatsreferendar Spielmann und empfahl statt dessen, nach Ablauf eines Ultimatums „mit dem größten Ernst der Waffen zu Werk zu gehen"75. Zugleich mit dem Requisitionsersuchen nach London und Den Haag erging am 10. August 1790 ein eigenhändiges Handschreiben Leopolds Π. an seinen Botschafter in Paris, Graf Mercy-Argenteau, in dem der Monarch den „Doyen" des österreichischen diplomatischen Korps um die Übernahme der Verhandlungsführung mit Großbritannien und den Niederlanden ersuchte. Mercy mußte auf seinem seit 1789 mit der totalen Verlagerung der österreichischen Politik auf das Gefahrendreieck Berlin-Petersburg-Konstantinopel reichlich unbedeutend gewordenen Posten für das schmeichelhafte Angebot sehr sensibel sein, bot es doch Gelegenheit, Paris für einige Monate zu verlassen und dem Erzhaus nach langer Durststrecke endlich wieder ersprießliche Dienste zu leisten, ehe seine Karriere ausklang76. 75

Vortrag Kaunitz (1. 9. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 VIII - IX) mit Rapport Vizekanzler Cobenzls zur „Ouverture verbale" Keiths ([1. 9. 1790]; Druck: [Vivenot] 1873, 19f.), Kaunitz an Spielmann (7. 9. 1790; Druck: [Schiitter] 1899a, 85 f.). Erklärung des Außenstaatssekretärs Leeds an Rewitzky (17. 9. 1790; u.a. als Beilage zu Ph. Cobenzl an Mercy 10. 10. 1790; SA Frkr. Weisungen 182 Konv. Cobenzl-Mercy 1790/91). 76 Leopold II. an Mercy (10. 8. 1790; FA SB 20 Konv. Lettres du comte de Mercy, Ο in StK FriedA 70 Konv. 1790 Haager Kongress/D/a; Druck: A&F 2, 310f.

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So nahm Mercy denn auch den Auftrag an - trotz seines schlechten Gesundheitszustandes und ungeachtet der großen Schwierigkeiten, die er von der „conduite très suspecte de l'Angleterre, la perfide malveillance prussienne et l'avidité hollandoise" erwartete. Alleine der nach eigener Schilderung verheerende Zustand seiner Privatfinanzen stellte ein von den Wiener Behörden rasch durch entsprechende Zusagen behobenes Hindernis dar. Der Unterhalt einer Leibwache gegen die stets befürchteten Übergriffe der französischen Bevölkerung, die Erpressungen des „Pöbels" und der Stadt Paris, vor allem aber das Versiegen der Einnahmen aus seinen Landbesitzungen in Frankreich und auch in Lüttich, das ja im Sommer 1789 gleichfalls von revolutionären Erschütterungen erfaßt worden war, hatten Mercy angeblich an den Rand des Ruins geführt. Der Botschafter war aber sichtlich froh, einem Land den Rücken kehren zu können, das nun in einem „état de confusion et de désordre inexprimable" versank. Mit tiefem Bedauern erfüllte ihn nur, daß er Marie-Antoinette, die er seit 20 Jahren als Mentor und väterlicher Freund auf den Irrwegen der politischen Ereignisse begleitet hatte, gerade in besonders kritischer Zeit allein zurückließ. Seit Ende August 1790 traf der Botschafter Reise Vorbereitungen und Vorkehrungen für die Überbrückung des Interims in Paris - ein Interim, das schließlich bis 1792 zum Dauerzustand verlängert wurde. Mercys engster Mitarbeiter, Botschaftssekretär Blumendorf, mußte als dienstältester Botschaftsangestellter aus Gründen der Optik in der französischen Hauptstadt zurückbleiben, um die Geschäfte weiterzuführen und nicht „den Anschein einer wirklichen Desertion der ganzen Bothschaft" zu erwecken. Statt seiner begleitete der Botschaftskanzlist Hoppé Mercy als hauptsächliche Hilfskraft nach Den Haag, doch stießen im Oktober/November 1790 noch Spitzenbeamte der 1789 aus Brüssel vertriebenen österreichischen Administration als sehr nützliche Konsulenten zur österreichischen Delegation; das Gefolge für die ursprünglich nur auf relativ kurze Zeit anberaumte Abwesenheit blieb bewußt klein. Da der direkte Landweg über Belgien durch die dortigen Turbulenzen verlegt war, reiste der Botschafter von Calais mit dem Paketboot nach Rotterdam und von dort weiter nach Den Haag. Mercy verließ Paris am 9. Oktober 1790 und traf bereits am 14. im niederländischen Verhandlungsort ein, nicht ohne in der französischen Öffentlichkeit mit seiner Reise häßlichen Gerüchten über die vermuteten wahren Ziele des Haager Kongresses und die tatsächlichen Absichten der Truppenverstärkungen für Luxemburg neue Nahrung zu geben. Anm. 1), Kaunitz an Mercy mitsamt Beilagen (10. 8. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790 VI - XII; Druck: [Vivenot] 1873, 10 - 19). Kaunitz an Buoi (3. 9. 1790; SA Holland Weisungen 93 Konv. Weisungen 1789 - 1792). Die Vollmacht Mercys für die Verhandlungen in Den Haag datiert vom 20. 9. 1790 (StK FriedA 70 Konv. 1790 Haager Kongress/A).

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Für die erfolgreiche Abwicklung der Verhandlungen durch Mercy sprach nicht nur das altbewährte Geschick des Botschafters. Das Staatsinteresse der Seemächte selbst schien auf eine rasche Rückgewinnung der belgischen Provinzen durch Österreich zu verweisen, um einen notorischen Unruheherd gleichsam vor der Haustüre ruhig zu stellen und den „französischen Volks-Grundsätzen" auch von dieser Seite einen Damm zu setzen. Bedenkliche „Nebenrücksichten" gefährdeten freilich in den Augen der österreichischen Diplomatie den bedingungslosen Sieg des „wahren Staatsinteresses" in London und besonders in Den Haag, waren doch die Prinzessin von Oranien und der englische König für ihre preußische „Vorliebe" bekannt; sie wirkten auch, wie es schien, durchaus in diesem Sinne auf ihre Ministerien ein und provozierten so widersprüchliche Erklärungen, die bedenkliche Einmischungsabsichten der Tripelallianz in die Neugestaltung der belgischen „Verfassungswirklichkeit" für die Zeit nach der Wiedereingliederung der sezessionistischen Provinzen erwarten ließen. Besonders der holländische Großpensionär gab mehrfach zu verstehen, daß er sich eigentlich mehr erwarte als eine bloße Wiederherstellung der alten belgischen Verfassung, also zusätzliche Konzessionen, die er auch für erforderlich hielt, um die Belgier wirklich mürbe und verhandlungsbereit zu machen. Marie-Christine, die sich durchaus selbstironisch als lästige Kassandra sah, äußerte ihrerseits Bedenken, besonders gegen den Verhandlungsort Den Haag, wo ihr der Einfluß der extrem anti-österreichisch gesinnten Prinzessin von Oranien zu handgreiflich schien, sparte aber auch nicht mit Kritik an der ihrer Meinung viel zu lockeren und schlaffen Vorgangsweise der Staatskanzlei in der belgischen Frage. Lord Auckland, der britische Verhandlungsleiter, der sich in den Niederlanden mehr die Position eines Vizekönigs als die eines gewöhnlichen Diplomaten erworben hatte, war Mercy bereits seit den Verhandlungen zum englisch-französischen Handelsvertrag in Paris 1786 als besonders verhandlungsgeschickt bekannt, wurde aber auch „eines falschen und zweideitigen Karackters" beschuldigt. So lagen mehrere Indizien vor, daß die Seemächte und Preußen mit den belgischen Insurgenten vielleicht gar „unter der Decke" steckten. Mercy hielt daher Ausgleichsversuche und Sondierungen mit Brüssel oder mit Teilen der Rebellen für nützlich und angezeigt; dabei ließen sich nun seine z.T. sehr freundschaftlichen Kontakte zum Hause Arenberg gut gebrauchen, dessen prominenteste Mitglieder ihr kurzfristiges Paktieren mit der Aufstandsbewegungen spätestens seit der Ausschaltung der liberalen vonckistischen Strömung bereuten, wieder Annäherung an Österreich suchten und durch besonderen „Diensteifer" ihre „revolutionären" Eskapaden vergessen machen wollten. Sie waren es, die Mercy und über ihn letztlich den im Bonner Exil lebenden Generalgouverneuren eine Interessengemeinschaft mit den nach Frankreich geflohenen Vonckisten empfahlen.

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Mercy wollte allerdings gerade auf der Basis seiner französischen Erfahrungen keinesfalls „allzu ausgedehnte popularische Freyheitsertheilungen" in Kauf nehmen. „Die Nachbarschaft Frankreichs und das um sich greifende epidemische Übel, welches diese Monarchie zugrunde richtet, werden fortan und unaussezlich abseiten unseres allerhöchsten Hofes die gröseste Wachsamkeit und Vorsichtsmittel dagegen erfordern", warnte der Botschafter noch Anfang Oktober 1790 vor seiner Abreise zum Haager Kongreß; seiner Ansicht bestand kein Zweifel, daß „französische Staatsfanatiker" darunter ein hoher Offizier namens Dumouriez mit reicher Erfahrung als Geheimdiplomat (er sollte es noch bis zum französischen Außenminister bringen) - vehement daran arbeiteten, „die gefährlichen Grundsätze ihrer angeblichen Freyheit oder besser zu sagen wahren Anarchie nicht allein in allen benachbarten Ländern, sondern gleichermaßen aller Orten" zu verbreiten. Auch das Ministerium und die Nationalversammlung schenkten den Vorgängen in der nördlichen Nachbarschaft mehr Aufmerksamkeit, hatten aber, so versicherte Außenminister Montmorin, durchwegs „reine Hände". Ein Anschluß Belgiens an Frankreich ließ sich in der Tat ausschließen: Frankreich war dazu machtpolitisch gar nicht mehr fähig, und die belgischen Provinzen wollten ja bekanntlich unabhängig sein und sicher keinesfalls aus Paris eine „soi-disante constitution démocratique" anstelle der eigenen „aristokratischen" Linie übernehmen77. Während der Frankfurter Krönungsreise wurden Mitte Oktober 1790 die definitiven Instruktionen für Graf Mercys Gespräche in Den Haag entworfen; auch die zu den Krönungsfeierlichkeiten angereisten Generalgouverneure legten Hand an. Der Botschafter wurde zugleich ganz gegen seinen Willen zur „Interimalbesorgung der niederländischen Administrationsgeschäfte" unter Übertragung der gesamten Vollgewalt der Generalgouverneure auch zum bevollmächtigten Minister für Belgien bestellt. In den Instruktionen für Mercy faßte man die österreichische Position nochmals 77

Mercy an Kaunitz (20./25. 8. [wie Anm. 55], 9. 9. [wie Anm. 62], 4. 10. 1790 [wie Teil B, Anm. 123]), Partikularschreiben dess. an dens. (25. 8., 4. 10. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Mercy-Kaunitz 1790; Druck: A&F 2, 310 - 312, 312f.), an Leopold II. (25. 8. 1790; FA SB 20 Konv. Lettres du comte de Mercy); Kaunitz an Mercy (5./6. 9. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790 VI XII; Druck: [Vivenot] 1873, 20 - 24) mit Beilagen, darunter besonders Buoi an Kaunitz (22. u. 24. 8. 1790), und das dazugehörige Privatschreiben an Mercy (5. 9. 1790; wie Anm. 62). Blumendorf an Kaunitz (13. 10. 1790; wie Anm. 68). Leopold II. an Marie Christine (9., 14., 20., 27., 29., 31. 8. 1790; Druck: [Wolf] 1867, 186 191, 195 - 200). Marie-Christine an Leopold II. (17., 25., 30. 8., 1., 6., 15., 17., 24. 9. 1790; Druck: [Schiitter] 1896, 79 - 95). - Gabard an Montmorin (1., 4., 8. 9., 9. 10. 1790), Montmorin an Gabard (24. 9. 1790): AMAE CP Autriche 360. - Das bei [Beer] 1873, 340 - 342, abgedr. Schreiben Kaunitz', in dem er sich für eine Beschleunigung des Truppenmarsches nach Belgien ausspricht, datiert natürlich vom 14. 9. 1790 (nicht 1789).

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zusammen: Annahme der Mediation der drei verbündeten Höfe, Beratung von Maßnahmen im Sinne einer gütlichen Rückkehr der Provinzen unter die Oberhoheit Leopolds, dafür Gewährung einer Amnestie (unter Ausnahme führender „Revolutionäre") und Wiederherstellung aller Provinzialverfassungen und deren Garantie durch die drei Mächte. Ein Waffenstillstand war weiterhin als mit der „allerhöchsten Würde" gänzlich unvereinbar abzulehnen. Die mehr als 30.000 Mann starken k.k. Truppen, die seit Herbst 1790 aus Böhmen und Österreich ob der Enns auf immer heftiger werdendes Drängen der Generalgouverneure allmählich Richtung Luxemburg und Limburg marschierten, mußten sofort nach ihrem Eintreffen raschestmöglich vorgehen - als Freund oder als Feind - und durften nicht über den Winter in Standquartieren versauern, für die man in Luxemburg gar nicht ausreichend Vorsorge treffen konnte. Kaunitz war nicht nur aus den in Frankfurt abgeführten Beratungen über die österreichische Linie in der „Belgienfrage" ausgesperrt geblieben, auch nach der Rückkehr des Hofes nach Wien Ende Oktober 1790 erwies sich Vizekanzler Cobenzl in belgicis als der eigentliche Ansprechpartner Mercys. Der Staatskanzler griff zwar noch mit eigenen Ideen und Projekten ein, wurde dann aber vom Kaiser - freilich nur hinterrücks - desavouiert, Mercy zur Nichtbeachtung der Kaunitzschen Instruktionen angewiesen (vgl. S. 321 f.) 78 . Überbringer der Weisungen sollte bei seiner Anreise über Den Haag der neue k. k. Gesandte für London, Graf Stadion, sein, dem man als Beobachter der Position des englischen Kabinetts eine nicht unwichtige Nebenrolle bei den anstehenden Verhandlungen zumaß. Zudem hatte man die Hoffnung auf eine Schwächung oder Beschränkung der englisch-preußischen Allianz noch immer nicht aufgegeben. Graf Stadions Instruktion vom Oktober 1790 skizzierte weiterhin das Desideratum einer Allianz mit England, jedenfalls aber das Wunschbild eines besseren Einvernehmens, das man nun aber 78 Ph. Cobenzl an Mercy (Frankfurt, 10. 10. 1790; wie Anm. 75), ders. an dens. (Frankfurt, 19. 10. 1790; SA Frkr. Weisungen 182 Konv. Cobenzl-Mercy 1790/91; Druck: [Vivenot] 1873, 26 - 35) mit Beilagen. Ph. Cobenzl an Rewitzky (Frankfurt, 10. 10. 1790; SA England Weisungen 129 Konv. Weisungen 1790). Vortrag Kaunitz (30. 10. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 X - XII), Kaunitz an Mercy (31. 10. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790 VI - XII; Druck: [Vivenot] 1873, 35 - 38; StK FriedA 70 Konv. 1790 Haager Kongress/D/b mit Leopold 11. an Kaunitz o.D.), Leopold II. an Mercy (31. 10. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Haager Kongress/D/a), Ph. Cobenzl an Mercy (1. 11. 1790; SA Frkr. Weisungen 182 Konv. Cobenzl-Mercy 1790/91). Kaunitz an Ph. Cobenzl [?] (o.D; GK 406 O.K.). Mercy an Ph. Cobenzl (13. 11. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Haager Kongress/D/d), an Kaunitz (13. 11. 1790; StK FriedA Konv. 1790 Haager Kongress/C), an Leopold II. (13. 11. 1790; FA SB 20 Konv. Lettres du comte de Mercy). Die „lettres patentes" Leopolds II. für Mercy als „ministre plénipotentiaire en l'absence de Leurs Altesses Royales" datieren vom 30. 11. 1790 und sind bei [Bacourt] 1851, Bd. 1, 204 f., abgedr.

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nicht mehr durch entwürdigende Anbiederung erbetteln wollte. Viel lieber strich die österreichische Diplomatie - kaum aus dem Reichenbacher Dilemma entkommen - schon wieder die eigene bündnispolitische Attraktivität und ganz besonders jene neue Flexibilität hervor, die man durch die Selbstzersetzung der Allianz mit Frankreich scheinbar gewonnen hatte. London mußte der Verdacht genommen werden, die Annäherungsversuche seit 1789 seien nur aus der damals verzweifelten Lage Habsburgs, nicht aber aus einer bereits länger grundgelegten Entwicklung zu erklären. Wien war während der letzten Jahre mit seinen beiden Alliierten eigentlich sehr schlecht gefahren, das um die französisch-österreichische Achse aufgezäumte, 1781 nach Petersburg verlängerte Kaunitzsche System stand vor dem Bankrott. Die einzige Alternative zur bedrohlichen Isolation bot ein offeneres Verhältnis zu London. Dabei rechnete Leopold IJ. durch sein neues politisches System „einer geraden und redlichen Politik" im Inneren wie nach außen auch bei den Engländern auf mehr Gegenliebe. Österreich hatte - freilich gezwungenermaßen - weiterer Vergrößerungsabsichten entsagt, wollte jedem das Seinige belassen und nur mehr für den europäischen Ruhestand, für „das Glück und die Zufriedenheit der Unterthanen" arbeiten. Zugleich trachtete man sich auch „geopolitisch" als optimaler „Festlandspartner" der Engländer anzupreisen und das nicht unproblematische Spannungsverhältnis zwischen London und dem viel zu umtriebig-kriegerischen Preußen als Hebel zu nützen. Das Hohenzollernreich war und blieb - so argumentierte Wien - ein unruhiger, stets schwankender Kunststaat, geschaffen und aufrechterhalten nur durch die „Staatskunst" Friedrichs II.; ein Gebilde also, das es mit den „wohlüberdachten Grundsätzen" Wiens und seinem gemäßigten System nicht aufnehmen konnte. Denn anders als Preußen benötigte Österreich nicht die stete Zuwendung eines Alliierten zu „Privatzwecken" und zog daher auch Verbündete nicht aus rein egoistischen Motiven in eigene Konflikte hinein. Kurz - anders als innerhalb der englisch-preußischen Beziehungen gab es angeblich zwischen Wien und London keine wirklichen „Kollisionspunkte", während für den preußischen Militärstaat apodiktisch erklärt wurde: „Solange als ihr [der preußischen Monarchie] der so weit über ihren innem Gehalt ausgedehnte äußere Einfluß erhalten wird, muß sie stetshin zum ersten Zwecke ihrer Politik führen, diesen Einfluß durch Vermehrung ihrer Besitzungen und durch Erhöhung ihrer Macht auf einen festen und beständigen Fuß zu bringen. [...] Ueberhaupt sollte es wohl keine Frage seyn, daß, solange der eine Staat in der Ruhe und der andere in der Verwirrung sein Glück sucht, der eine in Erhaltung, der andere in dem Umstürze der bisherigen Verhältniße seine Absichten erreicht, der eine endlich nach einem festen Systeme und der andere nach für jede neue Umstände rucksichtlichen Grundsätzen handeln muß, auch ebenso lange diese zwey Staaten nicht vermögend seyn sollten, in eine für beide Seiten auf irgendeine Art gleich vortheilhafte Verbindung zu tretten."79

I. Krisenbewältigung

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Ende Oktober 1790 hatte Mercy schon nach der ersten Konferenz in Den Haag im Einvernehmen mit den Vermittlern, die seit längerem den Kongreß in Brüssel und seine Vertreter in Den Haag vergeblich im Sinne eines raschen Waffenstillstandes beredeten, ein gedrucktes Manifest an die Belgier erlassen, rückdatiert auf den 14. Oktober 1790 und als Proklamation Leopolds ausgeführt. Dieses enthielt unter Garantie der drei Mediatoren die zentrale Zusage des Kaisers „à gouverner respectivement chacune de nos provinces belgiques sous le régime des constitutions, chartes & privilèges qui étoient en vigueur pendant le règne de feue S.M. l'Impératrice MarieThérèse". Dafür wurden die Belgier aufgefordert, die Autorität Leopolds II. umgehend anzuerkennen, den Eid zu leisten und bis zum 21. November 1790 die Waffen niederzulegen. Das Manifest blieb in Brüssel, wo es noch Anfang November bekannt wurde, ohne die erhoffte Wirkung. Auf die angedrohte bewaffnete Intervention reagierte der Brüsseler Kongreß mit Gegenrüstungen, aber auch mit verstärkten Sondierungen in Den Haag, wo man immer noch auf die Fürsprache der Tripelallianz rechnete80. Auf diese Weise gelang es den Belgiern und ihren Abgesandten in Den Haag - unter ihnen befand sich längere Zeit sogar der zu den Rebellen übergelaufene ehemalige k.k. Gesandte bei den Generalstaaten Graf Charles-Guillaume-Ghislain de Merode (1762 - 1830) - denn auch wirklich, die bisher sachlich verlaufenen Gespräche zwischen Botschafter Mercy und den Vertretern des Dreibundes nachhaltig zu vergiften. Preußen, Großbritannien und die Generalstaaten fanden wieder mehr zu einer echten Vermittlerrolle in dem nun in eine Sackgasse geratenen Konflikt zwischen abtrünnigen Untertanen und angestammtem Souverän und wollten sich von den dadurch in Bedrängnis gebrachten Österreichern nicht länger als bloße Aussöhner mißbrauchen lassen. Die Deputierten des belgischen Kongresses erklärten in der niederländischen Hauptstadt zwar ihre prinzipielle Bereitschaft zur Unterwerfung, ersuchten aber um Aufschub über die gesetzte Frist hinaus. Ein Begehren, dem die Mediatoren aus Gründen der Menschlichkeit, wie sie sagten, gerne zustimmten. So drohte der Haager Kongreß schon um die Novembermitte 1790 durch einen Eklat zu enden. Mercy lehnte es kategorisch ab, dem Wunsch nach einer Fristverlängerung zu willfahren, und 79

Vortrag Kaunitz (18. 9. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 VIII - IX). Das Zitat enstammt dem „Instructionsentwurf" für Stadion (Frankfurt, 21. 10. 1790; SA England Weisungen 129). 80 Leopold II. an Kaunitz (5. 11. 1790), Kaunitz an Leopold II. (13. 11. 1790): StK Vorträge 147 Konv. 1790 X - XII. Mercy an Kaunitz bzw. Ph. Cobenzl (1. 11. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Haager Kongress/C) mit „Déclaration de l'Empereur et Roi" (14. 10. 1790; Druck); Ph. Cobenzl an Mercy (7. 11. 1790; SA Frkr. Weisungen 182 Konv. Cobenzl-Mercy 1790/91), Kaunitz an Mercy (18. 11. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790 VI - XII; Druck: [Vivenot] 1873, 38 f.).

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mußte sich dafür den altbekannten Vorwurf gefallen lassen, Wien wolle die belgischen Provinzen ohnedies nur mit gewaffneter Hand unterwerfen und die Mittlermächte durch Scheinverhandlungen abdrängen. Der Kaiser blieb diesmal standhaft, das energische Betragen Mercys wurde approbiert, ein letzter verzweifelter Versuch des Kongresses, die österreichische Invasion abzuwehren, indem man Erzherzog Karl zum „grand-duc héréditaire" in Belgien erklärte, scheiterte (21. November 1790). Schon wenig später zogen die k.k. Truppen unter FM Bender in Namur ein, die belgischen Streitkräfte wichen überall zurück; am 2. Dezember 1790 konnten die Österreicher Brüssel wieder in Besitz nehmen - „tout sans coup férir et avec la meilleure volonté de la part du peuple" wie der Kaiser dem Staatskanzler sofort nach Eintreffen der Nachricht in Wien begeistert mitteilte. Nach und nach fielen auch die anderen Städte, der belgische Kongreß und seine Armee lösten sich auf. Die Verantwortlichen flohen ins Ausland. So hatte der Gang der Dinge - besonders das fruchtlose Ablaufen des österreichischen Ultimatums - die Rolle der Mediatoren schließlich recht klein gehalten und der k.k. Diplomatie relativ freie Hände gelassen, die Bindung an das Reichenbacher Abkommen zu minimieren. Mit der Wiederherstellung der belgischen Konstitution unter der Dreimächtegarantie sollte es daher sein Bewenden behalten. Das energische Auftreten Mercys war ganz nach dem Geschmack Kaunitz'; dies schien ihm der richtige Weg, wollte man mit der Zeit das angeschlagene und leichtfertig aufs Spiel gesetzte Ansehen Österreichs wieder heben81. Ausgerechnet Preußen war es aber, das sich nun entgegen der bisher als erfreulich gemäßigt gewertschätzten Haltung seines Bevollmächtigten in Den Haag, Baron Keller, bei der direkten Beschwerdeführung der drei Mediatoren in Wien an die Spitze setzte. Friedrich Wilhelm II. gab sich tief schockiert über das Vorgehen Österreichs in Den Haag und den Abbruch 81

Mercy an Kaunitz (23. 11. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Haager Kongress/C; Druck: [Vivenot] 1873, 39 - 45). Von englischer Seite dazu das Intercept Auckland an Straton (30. 11. 1790; Druck: [Vivenot] 1873, 48 - 50) u. Stadion an Mercy (28. 11. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Haager Kongress/F). Weiters Reuß an Kaunitz (28. 11. 1790), Kaunitz an Reuß (1. u. 4. 12. 1790): [Vivenot] 1873, 52 - 54. Ph. Cobenzl an Mercy (1. 12. 1790; SA Frkr. Weisungen 182 Konv. Cobenzl-Mercy 1790/91; Druck: [Vivenot] 1873, 50), Kaunitz an Mercy (4. 12. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790 VI - XII; Druck: [Vivenot] 1873, 50 - 56) mit preußischen und britischen Interzepten und weiteren Beilagen, darunter o.g. Notenwechsel zwischen Reuß u. Kaunitz, das begleitende Partikularschreiben mit „Observations" in StK FriedA 70 Konv. 1790 Haager Kongress/B u. D/b. Leopold II. an Kaunitz ([8. 12. 1790]; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1790), Vortrag Kaunitz (12. 12. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 X XII). Leopold II. an Marie-Christine (o.D. [8. 12. 1790]; Druck: [Wolf] 1867, 204 f.).

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der Vermittlungs- und Garantieverhandlungen durch Mercy und sah dahinter eine gerade Linie, die direkt auf einen allgemeinen Absprung Österreichs von den in Reichenbach eingegangenen Verpflichtungen hinauslaufen mochte. Die Mächte der Tripelallianz hatten nach Auslegung Preußens in der Reichenbacher Konvention das Recht erworben, nicht nur die belgische Verfassung zu garantieren, sondern auch an den Maßnahmen mitzuwirken, die zur Wiedereingliederung der belgischen Provinzen führen sollten. In seiner Antwort an den preußischen König suchte Leopold Π. Mitte Dezember 1790 die erhobenen Vorwürfe zurückzuweisen und benutzte die günstige Gelegenheit, zu einem offenen Angriff auf das ohnedies schon moribunde „System" des österreichischen Lieblingsfeindes, des Kabinettsministers Hertzberg. Immer noch versuchten offensichtlich Angehörige des preußischen diplomatischen Dienstes in Berlin und außerhalb, alle Schritte des Kaisers in ein gehässiges Licht zu setzen, das von den beiden Fürsten so innig gewünschte dauerhafte „System der Ruhe, Vergessenheit und unverstellter Freundschaft" zu untergraben und dabei vorzüglich die niederländische Frage als „reichhaltige Grube unerschöpflicher Materialien zu Anstößlichkeiten" zu verwerten. Man nehme in Wien, so ließ man den Preußen Mitte Dezember 1790 über Fürst Reuß bestellen, „von seite des dortigen Ministeriums und vieler auswärtigen preußischen Gesandten noch immer das nämliche Bestreben wahr, auch unsern bestgegründeten und bestgemeinten Schritten schiefe Auslegungen zu geben, unsere Absichten bei andern Höfen verdächtig zu machen oder uns durch bedenkliche Zumuthungen gleichsam solche Fallstricke zu legen, daß wir alle mögliche Mühe haben, Streitigkeiten mit dem dortigen Hofe auszuweichen, ohne auf der andern Seite unsere Ehre und Ruhe auf das Spiel zu setzen"; dazu zählte gegen Jahresende besonders die gefährliche Entwicklung in Osteuropa (vgl. S. 41 Iff.). „Leichtzuerachtendermaßen", hieß es in der Instruktion für Reuß lehrhaft, „wird es viele Zeit, Klugheit und Vorsicht brauchen, um zu hindern, daß nicht die Reste und Folgen des dasigen Empörungsgeistes einen Zunder von Unruhe, Zwietracht und Widerspenstigkeit zurücklassen, der bei erster Gelegenheit in neue Rammen wieder ausbrechen würde. Alle billig und unparteiisch denkenden Mächte müssen diese Besorgnis höchst gegründet erachten, wenn sie auf der einen Seite die Entlegenheit dieser Provinzen, auf der andern die Gährung, in der sich Frankreich befindet, und den Umstand erwägen, daß die niederländischen Unruhen durch das Beispiel und die Aufmunterungen der französischen Aufwiegler hauptsächlich entstanden und unterhalten wurden, und daß es mithin für die Zukunft ebenso schwer als nöthig sein wird, dem ferneren Einfluß einer solchen Nachbarschaft hinlänglich zu steuern. [...] Soll es [Vertrauen] Platz haben können, so muß es sich auf wechselseitiges Vertrauen gründen, muß kein Theil dem andern schaden wollen, muß einer die Ehre des andern schonen und keiner verlangen, daß sich der andere von ihm als ein Lütticher Fürst oder polnischer König behandeln lasse."

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Dem k.k. Gesandten in Berlin, Fürst Reuß, empfahl Kaunitz in einem Postscriptum ab sofort ein resoluteres Auftreten, wie es dem wiedergefundenen Selbstbewußtsein Österreichs entsprach: „II est tems, plus que tems même que nous reprenions vis-à-vis de la cour de Berlin successivement le ton qui convient à une puissance du premier ordre telle que la nôtre, si nous voulons la faire renoncer une bonne fois à celui de dictateur qu'elle a osé prendre vis-à-vis de nous". König Friedrich Wilhelm II. aber sollte eine Regierung aus dem Kabinett und unter Ausschaltung Hertzbergs ans Herz gelegt werden, um die preußische Politik endlich aus dem radikal antiösterreichischen Fahrwasser zu bringen 82. Bereits am 8. Dezember 1790 waren indes im Haag die abgebrochenen Gespräch wieder aufgenommen worden, und schon am 10. Dezember 1790 hatte Mercy den schwelenden Konflikt durch die offenbar überhastete Unterzeichnung der Haager Konvention entschärft, in der die weitreichenden Konzessionen Leopolds Π. an seine belgischen Untertanen nochmals im Detail zusammengefaßt wurden (Art. I - III) ... alles unter der Garantie der drei Mittlermächte, also auch Preußens: Wiederherstellung der „constitutions, privilèges et coutumes légitimes" der belgischen Provinzen „dont la jouissance leur a été assurée respectivement par les actes d'inauguration de l'Empereur Charles VI et de l'Impératrice Marie-Thérèse" (eine sehr ungeschickte Formulierung, wie sich noch zeigen sollte), Gewährung der ursprünglich nur für den Fall der freiwilligen Unterwerfung zugesagten Amnestie. Sogar die einst unter gleicher Bedingung in Aussicht gestellten „concessions ultérieures" - massive Korrekturen am josephinischen System für Belgien („qui n'altéreraient pas essentiellement la constitution") waren jetzt zu verbindlichen Zusagen geworden. Art. IV erneuerte das Versprechen der Unteilbarkeit der Österreichischen Niederlande und das Verbot der Abtrennung der peripheren belgischen Provinzen vom habsburgischen Kernland. Mercy hatte es für nötig befunden, die unerfreulichen Verhandlungen gegen Ende deutlich zu beschleunigen, als vieles auf eine Einigung zwischen den beiden innerbelgischen Konfliktparteien, zwischen den Statisten und den Vonckisten, zu deuten schien. Den Einmischungsversuchen fremder Mächte in Österreichs Interiora mußte in des Botschafters Ver82 Vortrag Kaunitz (11. 12. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 X - XII). Kaunitz an Reuß (13. 12. 1790; StK DK Preußen 68 Konv. Weisungen nach Berlin 1790; Druck: [Vivenot] 1873, 56 - 66 [Zitate]) mit Friedrich Wilhelm II. an Leopold II. (28. 11. 1790; Ο in StK DK Preußen HK 1 Konv. Kg. v. Preußen an Kaiser), Leopold II. an Friedrich Wilhelm II. (11. 12. 1790) mit „Précis des faits" (wie Anm. 73), P. S. Kaunitz an Reuß (14. 12. 1790; StK DK Preußen 68 Konv. Weisungen nach Berlin 1790), an Mercy (15. 12. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790 VI - XII; Druck: [Vivenot] 1873, 66f.). - Gabard an Montmorin (1., 4., 8., 11., 15. und 16. 12. 1790), Montmorin an Gabard (28. 12. 1790): AMAE CP Autriche 360.

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ständnis endlich das Wasser abgegraben werden. Wien brauchte Luft für die Ende Dezember 1790 unter Vermittlung der Tripelallianz beginnenden Friedens Verhandlungen mit den Türken in Sisto w 8 3 . Auch Den Haag hinterließ aber einen bitteren Nachgeschmack und hatte, wie sich zeigen sollte, ein langes, schließlich nie zum Abschluß gebrachtes Nachspiel. Zwar entzog sich Mercy sehr geschickt den Versuchen des holländischen Großpensionärs van de Spiegel, ihn zu verbindlichen Erfüllungszusagen hinsichtlich der den Holländern im Sommer quasi als Köder ausgelegten Versprechungen zu bewegen, Artikel I der Konvention selbst enthielt aber bedenkliche Formulierungen, die sich willkürlich auslegen ließen, vor allem durch „Erzchicaneurs wie Graf Herzberg und seine Consorten". Preußen ging es sichtlich darum, die Verfassungsmodifikationen möglichst breit auszudehnen und die österreichische Herrschaft in Belgien auf den Stand der Zeit Karls VI., ja auf den Frieden von Utrecht zurückzuführen, und leitete aus der überaus schwammigen Erklärung, die es in Reichenbach zur belgischen Frage abgegeben hatte, entsprechende „Mitgestaltungsrechte" ab. Die Befugnisse des Landesfürsten und speziell die Einkünfte aus den belgischen Provinzen sollten so möglichst beschnitten werden. Deshalb ratifizierte der Kaiser, um jeder Interpretationsakrobatik vorzubeugen, den Artikel der Konvention zur Verfassungsgarantie nur mit einer deutlichen Abänderung. Die belgische Verfassung wurde nach dem Willen Leopolds II. auf den Stand zurückgeführt, wie er „sub regimine imperatricis reginae Mariae Theresiae felicis memoriae vigebat antequam scilicet ulla illarum innovationum existeret quae regnante imperatore Josepho II felicis pariter recordationis novissimis animorum motibus ac tumultibus causam dederunt". Die Mediatoren nahmen die im Januar 1791 ausgefertigten Ratifikationsurkunden der Konvention wegen des kaiserlichen Vorbehalts allerdings nicht an. Dies änderte nichts am faktischen Zustand und der Wiederinbesitznahme der belgischen Provinzen durch die Österreicher. Die Haager Konvention war damit gegenstandslos geworden. Anfang Januar 1791 traf Mercy in Brüssel ein und suchte nach Kräften den alten Unruheherd in den Griff zu bekommen und normale Verwaltungsbedingungen wiederherzustellen, bald abgelenkt durch die Ereignisse im nahen Frankreich, die im Frühjahr 1791 in ein neues Stadium traten. Die Schuld an dem nicht gänzlich befriedigenden Ausgang der Haager Verhandlungen maß man aber nicht nur bzw. nicht überwiegend dem zeitlichen Druck und dem üblen Willen der Vermittler zu; bei der Schuldabrechnung fiel, wie ein englischer Beobachter in Wien feststellte, die Hauptlast auf den „Verursacher" der belgischen Revolution, auf Kaiser Joseph II., 83

Mercy an Kaunitz (19. 12. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Haager Kongress/C u. D/d). Die Konvention ist u.a. bei [Neumann] 1855, Bd. 1, 435 - 441, abgedr. Vgl. Bittner 1909, Bd. 2, 45.

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„von welchen man", so der Engländer durchaus scharfblickend, „wohl bei jeder Gelegenheit sagen kann: de mortuo nil nisi malum" 84 . Worte des Lobes erreichten Mercy nicht nur von Kaiser und Staatskanzler, sondern auch von „privater" Seite: durch den Kölner Kurfürsten, Max Franz, und den Prince de Ligne, der meinte, daß man den Kaiser endlich wieder zu einer würdigen, achtunggebietenden Sprache gebracht hatte, und für Mercy hinzusetzte: „Votre Excellence a racheté la honte de Reichenbach."85 6. Der Abschluß der Krisenbewältigung: Lüttich, Ungarn, die Kaiserkrone und der Zerfall des Fürstenbundes

Zugleich mit der „belgischen Revolution" konnte zu Jahresbeginn 1791 — spät aber doch - auch der Unruheherd Lüttich beseitigt werden. Im April 1790 - der Schlagabtausch mit Österreich stand bevor - waren die preußischen Truppen aus Lüttich abgezogen, die Sentenzen des Reichskammergerichts unausgeführt geblieben. Den Fürstbischof hatten die Lütticher abgesetzt, die Verwaltung umgestoßen. Der durch die Französische Revolution ruinierte Erzbischof von Cambrai, Ferdinand-Maximilien de Rohan-Guéménée (1738 - 1815), 1784 bereits erfolgloser Bewerber um das Fürstbistum Lüttich, übernahm im September im Einvernehmen mit den Revolutionären, allerdings ohne wirkliche Macht, die Regentschaft im Lande. Der Kurfürst von Köln nützte immerhin die erfreulich preußenskeptische Konjunktur und 84

Leopold II. an Mercy (30. 12. 1790; StK FriedA 70 Konv. 1790 Haager Kongress/D/a), Kaunitz an Mercy (31. 12. 1790; SA Frkr. Weisungen 175 Konv. Kaunitz-Mercy 1790 VI - XII; Druck: [Vivenot] 1873, 67 - 73) mit brit. und preuß. Interzepten; Mercy an Leopold II. (13. 1. 1791; SA Frkr. Berichte 180 Konv. MercyLeopold II. 1791). Vortrag Kaunitz (2. 1. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 I). Kaunitz an Reuß/Stadion/Buol (5. 1. 1791; SA England Weisungen 130 Konv. Weisungen 1791). Vortrag Kaunitz (9. 1. 1791; StK Vortrage 148 Konv. 1791 I) mit dem Intercept ,Elgin an Auckland4 (4. 1. 1791), das die interessanten Beobachtungen zum Wiener „Schuldzuweisungskarussell" enthält. Zu den Schwierigkeiten bei der Ratifikation der Haager Konvention vgl. u.a. Mercy an Kaunitz/Beilage (17. u. 28. 4. 1791; SA Frkr. Berichte 180 Konv. Mercy-Kaunitz 1791), an Stadion (1. u. 18. 2. 1791; SA Frkr. Varia 49 Konv. Mercy-Stadion 1791/93). - Gabard an Montmorin (26. 1., 26. 2. 1791), Noailles an Montmorin (6. 4. 1791): AMAE CP Autriche 361. Neben der Ratifikation mit Vorbehalt vom 2. Januar 1791 weist Bittner 1909, Bd. 2, 45, eine nach der Ablehnung der ersten durch die Mediatoren erfolgte zweite Ratifikation nach (19. 3. 1791). 85 Max Franz an Mercy (13. 12. 1790; SA Frkr. Varia 42 Konv. Frkr. Varia 1790). Prince de Ligne an Mercy ([Dezember 1790]; SA Frkr. 42 Konv. Fürst de Ligne-Mercy 1790). Eine scharf verurteilende Stimme für die „conduite molle et presque indécente" Mercys kam dagegen von seinem späteren Nachfolger als bev. Minister in Belgien, Graf Metternich: Metternich an Max Franz von Köln (22. 12. 1790; FA FK A 51 Konv. Max Franz-Metternich).

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beutete die „Lütticher Affaire" publizistisch aus; ein von Max Franz projektierter antipreußischer Bund kam jedoch nicht zustande, zu stark blieb das Mißtrauen gegen den Habsburger, den man engster Zusammenarbeit mit Wien verdächtigte. Im April 1790 hatte das Reichskammergericht das Mandat zur Erfüllung der Exekution gegen Lüttich auf den kur- und oberrheinischen, fränkischen und schwäbischen Kreis ausgedehnt, schließlich (Juni 1790) auch den niedersächsischen Kreis aufgeboten. Die Lütticher „Volksarmee" zeigte sich aber den heterogenen und schwachen Exekutionstruppen der Reichsstände überlegen und wies mehrere Vorstöße derselben zurück. Die Unterwerfung der Revolutionäre ließ daher noch länger auf sich warten, obgleich auch die Lütticher uneinig waren, Stände und Stadt Lüttich in ihren Verhandlungen mit den Reichsständen divergierende Positionen vertraten. Erst als die Kurfürsten von Köln, Mainz, Trier und der Fürstbischof von Lüttich selbst die Hilfe des Kaisers anriefen und Leopold Ende 1790 auf Ersuchen des Reichskammergerichts und unter massivem Druck aus Köln die Exekutionssache als Herzog von Burgund mit seinen Truppen aus dem eben unterworfenen Belgien in die Hand nahm, war die Lütticher Angelegenheit im Sinne der Reichs Verfassung beendet. Am 7. Januar 1791 drangen endlich k.k. Truppen auf Lütticher Territorium vor, am 12. Januar besetzten sie Stadt und Festung Lüttich. Späte Versuche Preußens, nun noch ausgleichende Mitsprache zu suchen, brachten nichts mehr ein. Wien hatte sich in der Lütticher Sache lange Zeit extrem ruhig verhalten. Staatskanzler Kaunitz empfahl noch im September 1789 dringend, sich nicht in die Lütticher Querelen einzumischen, auf kaiserliche Mahnschreiben zu verzichten, um die man auch gar nicht gebeten worden sei. Das Aufsehen stehe mit den bisherigen „Explosionen einer blos momentanischen Gehrung" in keinerlei Verhältnis. Dementsprechend hatte Joseph II. auch den Reichs Vizekanzler verbeschieden: Wo kein Kläger, habe auch das Richteramt des Kaisers zu schweigen, „besonders bey der jetzigen Stimmung der Geister". Selbst im Dezember 1790 blieb Kaunitz - gegen das hartnäckige Drängen des Kurfürsten von Köln - der alte Mahner zu allergrößter Vorsicht. Wien durfte nichts unterstellt werden, was ihm „den entfernten Schein einer eigenmächtigen willkührlichen Einmischung" eintragen konnte86. 86

Kühn 1915, Rain 1917/18. - Über die Haltung der Staatskanzlei in der Lütticher Frage vgl. Vorträge Kaunitz (7. 9. 1789, 11. 4. u. 20. 12. 1790, 12. u. 23. 1. 1791): StK Vorträge 146 Konv. 1789 VI - IX, 147 Konv. 1790 IV - V, 1790 X XII u. 148 Konv. 1791 I. Kaunitz an Mercy (2. 2. 1791; SA Frkr. Weisungen 179 Konv. Kaunitz-Mercy 1791 I - VII) mit Beilagen. Wenn nötig und aufwandslos möglich bekundete man natürlich großes Interesse an der Sache, so etwa gegenüber dem direkt betroffenen pfalzbayerischen Kurfürsten, freilich mit dem Argument, daß die Lütticher Angelegenheit mit den preußischen Revolutionstreibereien in die-

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C. Wiederherstellung

Frankreich mußte bei all diesen Vorgängen vor seiner Haustüre diplomatisch notgedrungen im Abseits bleiben, die Anteilnahme am Geschick der Lütticher Revolution und die nach Frankreich führenden Verbindungslinien waren dennoch beträchtlich und dicht gespannt. Von Sommer bis Winter 1790 versuchte eine Lütticher Sondermission nach dem Absprung Preußens vergeblich die französische Nationalversammlung für das Schicksal der gefährdeten Schwesterrevolution zu interessieren. Viele französische „Revolutionäre" wollten in ihrer Niederschlagung ein böses Omen für die Zukunft der eigenen Revolution erblicken. Lüttich aber wurde zu einem bevorzugten Terrain der französischen Emigration, der der retablierte Fürstbischof mit großem Wohlwollen begegnete. Die Aktivitäten der zahlreich nach Frankreich geflüchteten Lütticher Revolutionäre belasteten indes das Klima auch in umgekehrter Richtung87. Nicht nur an der Peripherie des habsburgischen Herrschaftsbereichs hatte Leopolds II. Wiederherstellungspolitik Erfolg. Eine für die vitalen Interessen Wiens besonders bedrohliche Bruchzone hatte man schon im November 1790 definitiv stabilisieren können: Ungarn, das seit 1788 einen „belgischen Weg" zu beschreiten schien. In einem geschickten Wechsel von weiteren Lockerungen und Zugeständnissen einerseits und Drohungen andererseits trachtete Leopold der ungarischen Opposition das Wasser abzugraben. Die widerspenstigen Stände wurden immer weiter eingekreist, ab August 1790 sogar durch Truppenkonzentrationen eingeschüchtert, Bürger und Bauern mittels heftiger Propaganda gegen Adel und Privilegierte ausgespielt; später sorgte der Kaiser durch administrative Umstruktierungen für eine Stärkung der nicht-magyarischen Bevölkerungsteile in den Ländern der Stephanskrone. Schließlich lenkte der Ofener Reichstag ein, die Gemäßigten setzten sich Anfang Oktober 1790 durch. Leopolds Sohn Alexander Leopold wurde zum ungarischen Palatin gewählt, der Kaiser selbst im November 1790 in Preßburg zum König gekrönt 88. sem Raum eng zusammenhing: Kaunitz an Lehrbach (19. 6. 1790; StK DK Bayern 64 Konv. Weisungen 1790/2). - Die „Befriedung" Lüttichs aus Sicht der österr. Politik bei Mathy 1969, 114 - 125. 87 Speziell zu den Lütticher Kontakten mit Frankreich: Magnette 1908. 88 Vgl. die in Teil Β Anm. 134 genannte Literatur. - Wandruszka 1963/65, Bd. 2, 273 - 290. Kaunitz' Stellung zur „Ungarn-Frage" erhellt aus einigen verstreuten Dokumenten: Kaunitz an Ph. Cobenzl (15. u. 19. 11. 1790; GK 406 Konv. A, Druck: [Schiitter] 1899a, 57 f.) sowie Kaunitz an Spielmann bzw. Spielmann an Kaunitz (7. 9. 1790; GK 406 Konv. E; Druck: [Schiitter] 1899 a, 85 - 88), mit den verfassungsrechtlichen Überlegungen Kaunitz' zum ungarischen Inaugurationsdiplom. Ausführlicher noch die Kaunitz-Voten vom 22. 7. 1789 (Äußerung des Staatskanzlers über verfassungspolitische Probleme in historisch-staatsrechtlicher Sicht), 2. u. 15. 8. 1790: KA Kaunitz-Voten 5 Konv. 1787 - 1790. Vgl. auch [Schiitter] 1899a, XXXIV - XXXVIII. - Die unrühmliche preußische Rolle in der Ungarnfrage war in einer recht heftigen österreichischen Broschüre bloßgestellt, Kabinettsminister Hertz-

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Bereits einen Monat zuvor, am 9. Oktober 1790, hatte sich Leopold Π. als letztlich einzig ernstzunehmender Kandidat - denn Karl Theodor von Bayern war zwar wiederholt im Gespräch gewesen, aber nicht wirklich tragbar - in Frankfurt auch die deutsche Kaiserkrone aufs Haupt setzen können. Der im August 1790 eröffnete Wahlkonvent - Preußen und Mainz hatten den Beginn bis nach dem Reichenbacher Stillstand hinausgezögert sah nochmals lebhafte Verhandlungen über Vorschläge des Fürstenbundes im Hinblick auf eine gründliche Umgestaltung des Reichs und eine Degradierung des Kaisers zum primus inter pares, die aber durch die katholische Einheitsfront Köln, Trier, Böhmen und Pfalzbayern abgeblockt werden konnten. Der Fürstenbund - durch den Willen Preußens von Anfang an negativ definiert - war letztlich als echte Chance für eine Reichsreform gänzlich ungenützt geblieben; das Ende des Experiments ließ die Reichsstände gespaltener zurück denn je. Nach der Vertrauenskrise um die unruhige Politik Josephs Π. hatte die Linie Hertzbergs und Friedrich Wilhelms Π. gleichfalls für Aufsehen und Unbehagen gesorgt. Die zwielichtige Rolle Preußens als (inkonsequenter) Handlanger revolutionärer Strömungen ließ den Hohenzollernstaat im Reich sehr rasch an Boden verlieren, nicht zuletzt dank des Kölner Propagandakrieges und der geschickten „Werbekampagne" Wiens für Leopold Π. Die Unterzeichnung der österreichischpreußischen Präliminarartikel in Wien im Juli 1791 sollte den Schlußpunkt unter das Experiment setzen und eine neue Vision in die Reichspolitik einbringen: den Angsttraum einer einvernehmlichen „Teilung" des Reichs zwischen den beiden deutschen Großmächten in zwei Interessensphären89.

berg darin als Drahtzieher der ungarischen Sezessionsbewegung übel hergenommen worden (Babel. Fragmente über die jetzigen politischen Angelegenheiten in U garn): Kaunitz an Reuß P. S. (13. 9. 1790; StK DK Preußen 68 Konv. Weisungen nach Berlin 1790). - Gragger 1923, 77 - 80. „Babel" und eine Fortsetzungsschrift (Ninive) waren Auftragswerke Leopolds II. für Leopold Alois Hoffmann (1760 1806): Valjavec 1959. 89 Ranke 1875, 441 - 453, Wittichen 1905, 112f., Aretin 1967, Bd. 1, 229 - 240, 241 - 250 (Reichspolitik Leopolds II.), und v.a. Lüdtke 1931b [mit einem bedeutenden Anhang aus der Korrespondenz zwischen Max Franz von Köln und Leopold II.]. Die Äußerlichkeiten der Frankfurter Krönungsreise und der Kaiserkrönung im Oktober 1790 behandelt Wandruszka 1963/65, Bd. 2, 302 - 311. 26 Hochedlinger

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II. Das Staatensystem im Umbruch 1. Neuorientierung der preußischen Politik?

Mit der Konvention von Reichenbach begann - zunächst vorsichtig, schwankend und durchaus nicht ohne Aufgabe einer gewissen Zweideutigkeit - das Ausstrecken preußischer Fühler nach Wien zum Zwecke einer weiteren Annäherung an den „Erzfeind". Die Enttäuschung über den englischen Verbündeten, der sich letztlich unwillig gezeigt hatte, Preußens Ambitionen im Osten bedingungslos zu unterstützen, spielte auch bei der Erarbeitung jenes Planes eine Rolle, den der König und sein engerer Vertrautenkreis im August 1790 entwarfen. Er zielte darauf ab, die Allianz zwischen Österreich und Rußland zu sprengen und dann eine der beiden Kaisermächte auf die preußische Seite zu ziehen. Dabei gedachte man sich vorerst noch alle Optionen offenzuhalten, in Polen ebenso wie an der Pforte oder in Schweden. Sogar ein Bündnis mit dem österreichmüden „demokratischen" Frankreich stand zur Not - wenigstens als Druckmittel - im Raum. Aber beginnen wollte man doch mit einem Annäherungsversuch an Österreich, gestützt auf das Angebot eines gemeinsamen Kampfes gegen das revolutionäre Frankreich. L. Sevin und besonders W. Lüdtke haben diese entscheidende Wegkreuzung der preußischen Außenpolitik - die Suche nach einer neuen Verbindung mit einer europäischen Großmacht, die im Bündnissystem Berlins die Stelle Großbritanniens einnehmen konnte - neu zu bewerten und vom Vorwurf der gänzlichen Systemlosigkeit freizusprechen versucht, wie er von der Hertzberg-freundlichen Historiographie erhoben wurde 90. a) Frankreich

ein zweites Polen?

In der Tat bemühte sich Friedrich Wilhelm II. von August bis Oktober 1790, als die belgische Frage noch gar nicht gelöst und das Verhältnis der beiden Staaten noch zu problematisch war, Österreich für eine Kooperation gegen das revolutionäre Frankreich zu gewinnen. Erst nachdem sich die Hoffnungen auf eine rasche Einigung mit Leopold II. nicht so leicht erfüllten, wie man erwartet hatte, suchte des Königs Geheimdiplomatie in Verfolg der nun schon einigermaßen eingeführten Rolle Preußens als „Protektor der Revolutionen" (L. Sevin) verstärkt - wenngleich kaum aufrichtig Tuchfühlung mit Frankreich. Auch Wien hatte in den Wochen nach Reichenbach versucht, wenigstens nach außen die Konvention als Möglichkeit eines Neubeginns in den mehr 90

Sybel 1853/1882, Bd. 1, 268 - 281, Lüdtke 1931b, 107 f., Lüdtke 1931a, 12 19, gegen Wittichen 1904. Sevin 1903.

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denn je belasteten Beziehungen der beiden Staaten zueinander darzustellen, und die Versicherung gegeben, „daß Seine Majestät [Leopold Π.] alles Vorgefallene aufrichtig verschmerzen werden, wenn Sie dadurch das Ziel erreichen, mit dem König in Preußen fürohinn in ruhigem, gutgemeintem und verdachtslosem Vernehmen zu leben". Leopold II. wünsche sich - im Gegensatz zu seinem Vorgänger - ein offenes Verhältnis der beiden Höfe, also v. a. ein Ende der dauernden wechselseitigen Verdächtigungen. Preußen sollte sogleich mit einem Freundschaftsdienst den ersten Schritt setzen und den belgischen Insurgenten unmißverständlich erklären, daß Berlin sie niemals als unabhängig anerkennen oder unterstützen würde, ja sich vielmehr für ihre Rückkehr „zur Pflicht und vorigen Constitution" „freundschaftlichst" einsetzen wollte (August 1790)91 . Auch die österreichische Aktenüberlieferung zeigt ganz klar die im September/Oktober 1790 von Preußen lancierten Vorschläge zu einer österreichisch-preußischen Gemeinschaftsaktion gegen Frankreich. Wien hegte einige Zweifel an der Seriosität dieser Angebote, die schwer als Beginn einer wirklichen Westorientierung der königlichen preußischen Politik oder als Ausgangspunkt einer echten Interventionspolitik gewertet werden können. Durch die Problematik der im Elsaß begüterten Reichsstände verstärkt auf die Revolution in Frankreich aufmerksam geworden und die französische Staatsumwälzung allmählich als ärgerliches Politikum begreifend, wollte Berlin vielleicht - abgesehen von der Chance für eine Arrondierung der Westprovinzen - die Anregung zu einer Polizeiaktion im Westen zur Ablenkung der mit Reichenbach keineswegs restlos geschwächten oder gar durchschaubar gewordenen österreichischen Diplomatie nützen, wenn es bald darum gehen sollte, auch Rußland vorhabensgemäß zu einem statusquo-Frieden mit der Pforte zu zwingen. Wesentliche Impulse für die preußische Initiative kamen aus den Kreisen der französischen Emigration um Artois, der über das Haupt der französischen Partei in Preußen, Prinz Heinrich, bereits 1789 Kontakte zu knüpfen versucht hatte. Damals war er abgewiesen worden, obwohl er in einem Schreiben an Friedrich Wilhelm Π. seine antiösterreichische Gesinnung sehr bewußt herausgestrichen hatte. Schon im Februar 1790 hatte dann aber auch Graf Hertzberg - der Argumentation Artois' folgend - die Möglichkeit eines Eingreifens in Frankreich in Erwägung gezogen, um so die Dankbarkeit des französischen Königs zu erwerben, die Achse Paris-Wien aber immerhin drohte Krieg mit Österreich - weiter zu schwächen. Nun im September 1790 kam der preußische Hof während seines Aufenthalts in Breslau wieder mit einem Abgesandten des Comte d'Artois, Baron 91 Kaunitz an Reuß (18. 8. 1790; StK DK Preußen 68 Konv. Weisungen nach Berlin 1790). 2

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de Roll, in Kontakt. Entsprechende Andeutungen über den Wunsch eines gemeinsamen Vorgehens mit Österreich machten Bischoffwerder und Generalmajor Hohenlohe-Ingelfingen dem k.k. Gesandten Fürsten Reuß. Dieser meldete unter zutreffender Herstellung der Querverbindung zur PreußenMission des Baron de Roll am 10. September 1790, „der König von Preußen wünsche sich zu beyderseitigem Vortheil mit Seiner Königlich Apostolischen Majestät einzuverstehen, ob man nicht jetzt, da ein zahlreiches österreichisches Corps in die Niederlanden käme und einige Zeit wird bleiben müssen, und Preußen dort soviel Truppen als nöthig zusammenziehen könne, die Disposition eines großen Theils der französchen Nation, zur Ordnung zurückkehren zu wollen, benuzen, aber sich nach zuwegen gebrachter Revolution zur Entschädigung der Kosten ein anständiges Stuck Land zurückbehalten wolle."

Leopold II. sollte als Belohnung den französischen Hennegau, Französisch Flandern, Preußen aber Jülich-Berg erhalten, Pfalzbayern dafür wieder durch Eroberungen im Elsaß entschädigt werden. Auftrag zu entsprechenden Eröffnungen samt Entschädigungsabreden hatte auch Marchese Lucchesini, der - zum preußischen Vermittler für die österreichisch-türkischen Friedensverhandlungen bestimmt - seinen Weg über Wien nahm, dort seine alten Kontakte zu einem besonderen Günstling Leopolds, Marchese Manfredini, zu nützen und gleichfalls eine etwaige Intervention Österreichs und Preußens in Frankreich zur Sprache zu bringen hatte, besonders in einer langen Audienz mit dem eben von der Kaiserkrönung in Frankfurt zurückgekehrten Leopold (Ende Oktober 1790). Als Vorwände für die Einmengung in die französischen Angelegenheiten mußten zum einen die familiären Bande zwischen dem Wiener Hof und den Tuilerien, aber auch die immer lauter werdenden Beschwerden der Reichsstände in Elsaß und Lothringen über die massiv betreffenden Reformen der Constituante herhalten. Manfredini, Kaunitz und auch Leopold schienen den preußischen Propositionen - so behauptete jedenfalls Lucchesini - nicht gänzlich abgeneigt, auch wenn Sicherheitsbedenken geltend gemacht wurden. Kaunitz verwies auf die von der preußischen Position gänzlich verschiedene Lage Österreichs. Auf Grund der verzwickten Situation in den zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder unterworfenen Österreichischen Niederlanden drohe gerade dort die unmittelbare Gefahr einer Unterstützung Frankreichs für die belgischen Insurgenten. Österreich erwachte zudem erst allmählich aus seiner bedrängten Lage, die ihm während des ganzen Jahres 1790 nur eine „passive, von allem sonstigen politischen Zusammenhang abgerissene Rolle" gestattet hatte, und konnte sich wahrlich auf ein derartiges Abenteuer nicht einlassen. Von der preußischerseits behaupteten englischen Zustimmung zu einem solchen Unterfangen war außerdem keine Rede; die englische Diplomatie äußerte sich vielmehr während der Frank-

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furter Krönung über eine etwaige Konterrevolution in Frankreich „unter heftigen Sarcasmen und mit großer Abneigung"92. b) Die „Mission Ephraim " in Paris Im September 1790 verfiel die königliche Geheimpolitik des verwirrenden Tastens u. a. auch auf eine Anknüpfung mit dem revolutionären Frankreich. Es bleibt bei alledem durchaus unklar, welcher Stellenwert diesem Versuch im preußischen Kalkül nun wirklich zukam. Die Anbahnungen der Mission Ephraim seit Jahresende 1790 dienten vielleicht wirklich nur - wie besonders Albert Sorel behauptet hat - der Unterdrucksetzung des noch nicht hinreichend annäherungswilligen Österreich und könnten so nicht einmal als ernsthafte Reserveoption für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen mit Wien bezeichnet werden. Die von einzelnen Autoren bislang vorgeschlagenen Interpretationsmuster differieren beträchtlich. In Wahrheit kann sich wohl Preußen bei seiner Suche nach effizienter Unterstützung von dem aus der großen europäischen Politik längst ausgeschiedenen Frankreich nur wenig versprochen haben, und Berlin hat denn auch die sich verschärfenden innenpolitischen Schwierigkeiten Frankreichs lange Zeit bestenfalls als - sehr willkommene - weitere Lockerung der österreichisch-französischen Allianz von 1756 gesehen93. Die zunehmende Infragestellung und schließlich die Beseitigung des königlichen Absolutismus, der wesentlichsten Stütze des „système autrichien", hatte, wir sahen es bereits, spätstens seit 1789 den österreichfeindlichen (preußenfreundlichen) Strömungen neue Kraft und die Möglichkeit zu freierer Artikulierung geboten, worüber der preußische Gesandte in 92

Kaunitz an Reuß (19. 9. 1790), Ph. Cobenzl an Reuß (Frankfurt, 10. 10. 1790): StK DK Preußen 68 Konv. Weisungen nach Berlin 1790 u. speziell die Berichte Reuß* aus Breslau vom 10. u. 14. 9. 1790 (ebd. Berichte 1790). Ph. Cobenzl an Kageneck (Frankfurt, 10. 10. 1790; SA Spanien DK 120 Konv. 5). Leopold II. an Kaunitz (26. 10. 1790; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1790; Druck: [Beer] 1873, 377). Interzipiertes Schreiben Lucchesinis an Friedrich Wilhelm II. (30. 10. 1790; StK Interiora Intercepte 1 Konv. Intercepte alt Fasz. 1). - Gabard an Montmorin (30. 10. 1790; AMAE CP Autriche 360). Mercy an Marie-Antoinette (16. 12. 1790; FA SB 71 d. B/b; Druck: [Feuillet] 1864 - 1873, Bd. 1, 373 f.). [Beer] 1874, 37, Krieg gegen die Französische Revolution 1905, Bd. 1, 17 ff., Böhm 1925, 58 - 60. 93 Sorel 1885/1911, Bd. 2, 156 - 159, Kühn 1916, Lüdtke 1929 [Widerlegung der angeblich engen Kontakte zwischen dem preußischen Gesandten von der Goltz und einzelnen Exponenten der „progressiven Kräfte" in der Constituante], Ollivier 1939 [die preußische Politik im Zeichen einer ,»Freimaurerverschwörung"]. Auf die vielkritisierten Berichte des preußischen Gesandten in Paris machten neuerlich aufmerksam Wolff 1987 und Kocój 1998. Vgl. Teil Β Anm. 131. Allgemein Kerautret 1991, bes. den Abschnitt „La nostalgie de Γ alliance prussienne".

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Paris, von der Goltz, schon bald höchst erfreut berichtete. Kabinettsminister Hertzberg selbst sah für die Zeit der kommenden „Demokratie" in Frankreich eine neue Form der antiösterreichischen Zusammenarbeit für möglich an (Juli 1789) und trug dem Gesandten auf, mit Hinweisen auf preußisches Handeln für französische Interessen Stimmung im Sinne Berlins zu machen. Mit Hilfe der üppigen Zeit- und Flugschriftenliteratur bekämpfte von der Goltz, unterstützt von dem Journalisten Carra, dem Autor des legendären Orateur des Etats Généraux , und seinem Hauptorgan, den Annales patriotiques et littéraires , die Königin und die österreichische Partei nach Kräften, schürte die v.a. gegen Wien gerichtete Interventionshysterie der Franzosen und suchte Einfluß auf die Nationalversammlung zu gewinnen. Das aufgeklärte, francophile Preußen sollte dabei als Widerpart zu den Mächten der Finsternis, Österreich und Rußland, dargestellt werden, geriet aber selbst ins Kreuzfeuer der Kritik, als im August 1789 aus dem Umkreis exilierter holländischer Patrioten eine Streitschrift mit dem Titel Les Prussiens dénoncés à l'Europe (Paris 1789; dt. Köln 1789) die „freiheitsfeindliche" Rolle Preußens in der für Frankreich so demütigenden HollandKrise des Jahres 1787 und die Unterdrückung der Patrioten wieder ins Gedächtnis rief. Die höchst irreführenden Meldungen des münchhausischen preußischen Gesandten in Paris über seine vorgeblich guten und sehr engen Kontakte zu einzelnen Exponenten der Revolution, deren lebhaftes Interesse an einer Allianz mit Preußen und die Möglichkeit einer Einflußnahme auf die Diskussionen und Entscheidungen der Nationalversammlung gaben schließlich die trügerische Basis ab für die Entsendung eines offiziösen Sonderemissärs und die eitle Hoffnung, die angeblichen Vorarbeiten des Grafen von der Goltz vertiefen zu können. Die Wahl für diese Mission des preußischen „Secret du Roi" fiel auf den jüdischen Kommissionsrat Benjamin Veitel Ephraim (um 1740 - 1811), den Sohn des Hofjuweliers und Generalmünzentrepreneurs Veitel Heine Ephraim, einen Spezialdiplomaten, den man anders als den ordentlichen Vertreter Preußens bei Bedarf leicht desavouieren konnte. Schon Friedrich Π. hatte Ephraim zu einigen Sondermissionen verwendet. Während der Belgischen Revolution war er dann als antihabsburgischer Agent seines Hofes im Beneluxraum tätig gewesen. Kaum im Sommer 1790 nach Preußen zurückgekehrt, betraute ihn Friedrich Wilhelm II. unter dem Vorwand handelspolitischer Anbahnungen mit der Sondierung der preußenfreundlichen Kreise in Paris, wo er im November 1790 eintraf und sehr rasch mit widrigen Umständen zu kämpfen hatte. Nicht nur der österreichische Geschäftsträger Blumendorf, von Botschafter Mercy noch beizeiten vorgewarnt, tat sein Möglichstes, den Aufenthalt Ephraims in der französischen Hauptstadt durch Intrigen zu verkürzen; selbst mit von der Goltz, der sich von

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Ephraim überwacht glaubte und jedenfalls nicht vollständig in die Absichten der Geheimmission eingeweiht war, geriet der Agent des preußischen Hofes in Widerspruch. Nachdem erste Kontakte mit dem französischen Außenminister Montmorin im Dezember 1790 noch einigermaßen erfolgversprechend verlaufen waren und der französische Gesandte in Berlin sogar Anweisung zur vorsichtigen Anbahnung engerer Kontakte erhalten hatte, schlug spätestens im Januar 1791 auch auf diesem Niveau die Stimmung um, als Frankreich Ursache zu haben glaubte, die Aufrichtigkeit der preußischen Annäherung zu bezweifeln, und den Hauptzweck der dubiosen Mission lediglich in der Entzweiung der beiden Verbündeten Österreich und Frankreich und in peinlicher Propagandaarbeit gegen die Königin erblicken wollte. Blumendorf unterstellte Ephraim sogar Bemühungen, die k.k. Truppen in den Österreichischen Niederlanden durch große, angeblich von Großbritannien vorgeschossene Geldsummen zur Desertion zu bewegen. Durch die in der ersten Jahreshälfte 1791 fortschreitende Annäherung zwischen Preußen und Österreich war der schillernden Unternehmung ohnehin rasch der Boden entzogen: Ephraim blieb ohne Weisungen, sein Verhältnis zu von der Goltz wurde immer trüber, Außenminister Montmorin intrigierte gegen ihn, ließ ihn in Druckschriften „übel hernehmen", der österreichische Gesandte in Berlin sollte auf Ersuchen Marie-Antoinettes intervenieren und auf Einstellung der Wühlarbeiten antragen; Graf Hertzberg machte sich noch kurz vor dem definitiven Ende seiner politischen Laufbahn für die Rückberufüng des sich durch zu intensive Kontakte mit den französischen »Jakobinern" kompromittierenden Emissärs stark, mit dessen Entsendung er nicht in Zusammenhang gebracht werden wollte. Kurzum: Von allen Seiten geriet Ephraim unter Beschüß. Mitglieder der Nationalversammlung verdächtigten ihn als royalistischen Agenten, nach dem „Massaker" auf dem Marsfeld wurde er unter der Beschuldigung, er habe Geld unter den „Pöbel" bringen wollen, um ihn aufzuhetzen, am 18. Juli 1791 verhaftet, aber bereits am 20. wieder freigelassen. Anfang August 1791 verfügte Friedrich Wilhelm II. endlich die Abberufung Ephraims, der zu Septemberbeginn 1791 wieder in Berlin eintraf 94. Auch von französischer Seite hatte es aber - es ist bereits angeklungen - nach längerer Eiszeit seit Sommer 1790 ein gewisses Interesse an guten Kontakten zu Preußen gege94

Blumendorf an Mercy (17. 12. 1790, 14. 2., 28. 3., 20. 4., 20., 22., 29. 7. 1791; SA Frkr. Varia 42 Konv. Blumendorf-Mercy 1790/91), an Kaunitz (19., 27. 12. 1790, 8., 30. 1., 9., 21. 2., 29. 3., 9. 4., 6., 26. 5., 31. 7. 1791; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Blumendorf Kaunitz 1790 X - XII bzw. 1791 I - VI u. VII - XII); Mercy an Blumendorf (Amsterdam, 27. 12. 1790; FA SB 71 d. B/A). Aus dem verspäteten Beginn der Berichterstattung ergibt sich, daß Blumendorf mehr als einen Monat lang im dunkeln tappte. Dreyer an Kaunitz (10. 9. 1791), Reuß an Kaunitz (7. 1. 1792): StK DK Preußen 69 Konv. Berichte 1791 bzw. 70 Konv. Relationen aus Berlin 1792 Januar-Juni.

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ben, so daß die Annäherungsversuche Berlins nicht auf gänzlich unfruchtbaren Boden fielen. Bereits im August 1790 schuf ein Personal Wechsel an der Spitze der französischen Gesandtschaft in Berlin die entsprechenden Voraussetzungen: Der Dragoneroberst Eléonore-François Comte Demoustier (1751 - 1817), wie so viele Offiziere ein „Prussomane" ersten Ranges, erhielt die Nachfolge des verstorbenen Gesandten in Berlin, AntoineJoseph-Philippe Régis Comte d'Esterno (1741 - 1790), zuerkannt. In seiner Instruktion vom November 1790 überwogen noch die kritischen Untertöne, denn die prestigetötenden Schläge, die man gerade von Seiten Friedrich Wilhelms Π. seit 1787 hatte hinnehmen müssen, und die Verdrängung aus der Mediatorenrolle im Osten waren keineswegs vergessen. Anfang Dezember 1790 traf Demoustier in Berlin ein und berichtete schon im selben Monat, verstärkt im Januar 1791, vom großen Interesse der Preußen an einer Annäherung an Frankreich, das ihm in der preußischen Hauptstadt in bemerkenswerter Übereinstimmung mit der Mission Ephraim in Paris bekundet wurde. Auch hier spielte des Königs Adjutant Oberst Bischoffwerder eine wesentliche Rolle, zeigte sich in diesem Fall allerdings angeblich stark anti-österreichisch gesinnt, ehe im April 1791 der Eifer für das preußisch-französische Rapprochement endete. Frankreich war schon seit Dezember 1790 peu à peu auf Distanz gegangen. Für die französische Diplomatie blieb die ganze Initiative Preußens ein reichlich vordergründiger und letztlich unmoralischer Versuch, den Kaiser, der nach der Schlappe von Reichenbach viel zu rasch wieder zu einem die preußische Politik bedrohenden Faktor wurde, abzulenken, und Ephraim schien in Paris weniger Werkzeug des preußischen Königs als vielmehr Instrument französischer „Revolutionäre" zu sein, die ihrerseits eine Annäherung an Preußen suchten und Friedrich Wilhelm über die Berichte Ephraims dafür günstig stimmen wollten 95 . Alles in allem hatte Preußen bei seinem Bemühen, zu viel Widersprüchliches in Einklang zu bringen, die französischen Emigranten, die „progressiven Kräfte" in Paris und die Österreicher gleichermaßen an der Lisière zu führen, nichts von seinen Ambitionen realisieren können. Die Beziehungen zu England kühlten ab; Friedrich Wilhelm Π. wies sogar zum Kummer Hertzbergs den englischen Vorschlag, dem Verbündeten durch einen polnisch-preußisch-englischen Handelsvertrag gegen eine starke Reduktion der Weichselzölle doch noch Danzig und Thorn zu verschaffen, mehrmals 95

„Mémoire pour servir d'instruction au sieur Demoustier, mestre de camp de dragons [...] allant résider à Berlin en qualité de ministre plénipotentiaire de S.M." (12. 11. 1790) u. die dazugehörige Geheiminstruktion (12. 11. 1790), Demoustier an Montmorin (10. 1., 13. 4., 10. 8. 1791): AMAE CP Prusse 211 u. 212. Wesentliche Stücke aus der diplomatischen Korrespondenz zwischen der französischen Vertretung in Berlin und dem Pariser Außenministerium sind nicht in AMAE CP Prusse, sondern in einem eigenen Selekt in AN AF III 76 d. 312 zu finden.

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zurück, nachdem im September 1790 der polnische Reichstag jeder territorialen Verstümmelung eine klare Absage erteilt hatte. Alleine die nun gegen Rußland einzunehmende kriegerische Haltung verhinderte vorläufig das Auseinanderbrechen der Tripelallianz. Das allseits verwirrende Gegeneinander von königlicher Geheimpolitik, offizieller Außenpolitik und privaten Konterattacken des verbitterten, zugunsten des königlichen Generaladjutanten Bischoffwerder mehr und mehr an den Rand gedrängten Hertzberg verurteilte gezwungenermaßen all das zum Scheitern, was man zur Erhaltung der seit 1787 so deutlich angewachsenen Machtgeltung Preußens in die Wege leitete. 2. Die Krise der „orientalischen Frage" a) Der Waffenstillstand von Giurgiu und der Beginn der Friedensverhandlungen in Sistow

Bei unserem Blick auf die westeuropäischen Seitenaspekte der Krise und ihrer allmählichen Lösung haben wir zeitlich schon recht weit vorgegriffen und müssen jetzt bei Betrachtung der „orientalischen Frage" wieder in den Sommer des Jahres 1790 zurückblenden. Ungeachtet der harten Bedingungen, die man ihm in Reichenbach diktiert hatte, hoffte Leopold Π. in Erinnerung an entsprechende Zusagen der Seemächte immer noch auf kleinere „Vorteile" und Grenzkorrekturen im UnaDistrikt und bei Alt-Orsowa - natürlich ohne die dafür von Preußen in seiner Reichenbacher Gegendeklaration geforderten Äquivalente zugestehen zu wollen. Noch vor dem endgültigen Abschluß der Reichenbacher Konvention war Ende Juli 1790 mit Oberst Spiridion Graf von Lusi (1741 - 1815), dem ehemaligen preußischen Gesandten in London (1781 - 1789), jener Mann in Wien eingetroffen, der nach der Unterwerfung Leopolds II. unter das Diktat der Tripelallianz den Waffenstillstand mit den Türken vor Ort herstellen sollte. Erst Anfang August 1790 erlaubten die Österreicher ihm und seinem Begleiter, dem später zu einiger Bedeutung gelangten Kabinettssekretär Johann Wilhelm Lombard (1767 - 1812), die Weiterreise ins Hauptquartier des Großwesirs in Nordbulgarien - unter Aufsicht, da man die Preußen mit gutem Grund verdächtigte, auch mit der Pflege der Kontakte zu den malkontenten Ungarn betraut zu sein. Sofort stimmte der Großwesir - noch ohne Weisung des Sultans - einem de-facto-Waffenstillstand mit den Österreichern zu. Im September kamen auch von der Pforte die Approbation der Reichenbacher Bestimmungen und grünes Licht für den Abschluß eines förmlichen Waffenstillstandes. Er wurde am 19. September 1790 in Giurgiu unterzeichnet und sollte bis Ende Mai 1791 währen; auf beiden Seiten rüstete man nun an den Grenzen auf Friedensstand ab.

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C. Wiederherstellung

Zugleich begannen die Vorbereitungen für den Friedenskongreß, der schließlich nach längerer Unklarheit über den Tagungsort auf Wunsch des Sultans nach Sistow, also auf türkisch kontrolliertes Territorium am rechten Donauufer einberufen wurde (Oktober 1790). Als Mediatoren der Seemächte fungierten deren Gesandte in Wien, Keith und van Haeften. Preußen wurde durch Marchese Lucchesini, Österreich durch den bereits Anfang Juli 1790 nach Bukarest angereisten Baron Herbert vertreten. Der französische Botschafter in Konstantinopel, Choiseul-Gouffier, leistete der österreichischen Delegation nützliche Zuträgerdienste. Baron Thugut - sein Verhältnis zu den österreichischen Militärs war seit längerem gespannt trat im September 1790 die Rückreise nach Wien an. Anfang März 1791 erhielt Herbert Graf Franz Esterhäzy als königlich ungarischen Delegierten zur Seite gestellt; dieser spielte aber in den folgenden Verhandlungen eine ebenso geringe Rolle wie der ungarische Standpunkt, den er angeblich auf dem Kongreß zu vertreten hatte. Am 30. Dezember 1790 fand die erste Sitzung des Sistower Friedenskongresses statt. Binnen kurzem gerieten die Friedensgespräche in eine Sackgasse: Österreich verstand unter dem status quo nicht nur die Wiederherstellung des territorialen Vorkriegszustandes, sondern auch - ganz gegen die Linie der Türken - die Erneuerung der alten Verträge und Abkommen, die man als Vorbedingung für alles Weitere werten wollte. Während sich der österreichische Standpunkt hier durchsetzte, führte das Bemühen, die Konvention von Reichenbach (und damit das preußische Garantierecht) keinesfalls im österreichisch-türkischen Friedensvertrag zu nennen, also nicht mehr als allgemeine und verbindliche Grundlage der Verhandlungen anzuerkennen im Februar 1791 zu einer ersten längeren Unterbrechung der Kongreßaktivitäten bis Mai 1791. Man warte auf Instruktionen, hieß es offiziell. In Wahrheit spielte Wien angesichts einer stark in Bewegung geratenen internationalen Lage bewußt auf Zeit, um die Gespräche in Sistow der weiteren Entwicklung anzupassen und auch hier die Reichenbacher Erniedrigung wenigstens a posteriori so gut als möglich aufzuweichen 96. 96

Mitrofanow 1916, Kap. 6/II, Golda 1941, 78 - 130, dort auch (9 - 77) eine gute Darstellung der österreichischen Friedenssondierungen an der Pforte seit 1789, und zwar unter Benützung der von mir nicht herangezogenen Sistower Friedensakten im Bestand StK des HHStA. Einige Ergänzungen von preußischer Seite bringt Burenstam 1898, Höhm 1925, 56 - 65. Interessante Einblicke gewährt auch der offizielle/private Briefwechsel des engl. Mediators Keith, der den Hauptteil in Bd. 2 des Quellenwerks von [Gillespie Smyth] 1849 ausmacht (297 - 483). Die Waffenstillstandsbestimmungen von Giurgiu sind u.a. bei Neumann [1855], Bd. 1, 431 435, abgedr. Vgl. Bittner 1909, Bd. 2, 45. Vortrag Kaunitz (28. 9. 1790), Kaunitz an Leopold II. (30. 9. 1790), Vortrag Kaunitz (9. u. 27. 10. 1790): StK Vorträge 147 Konv. 1790 VIII - IX u. Konv. 1790 X - XII. Kaunitz an Leopold II./Beilagen Entwürfe an Baron Herbert (19. 1. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 I). „Observations au sujet de Γ une des chicanes mises en avant au congrès de Sistow par le

II. Das Staatensystem im Umbruch

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b) Pitts „Russian Armament " Nach dem Erfolg in der Holland-Krise von 1787, dem Triumph des status-quo-Gedankens in Reichenbach und dem leichten Sieg über Spanien 1790 versuchte Pitt an der Jahreswende 1790/91, der „pax britannica" und seiner Vorstellung von „balance of power" - in schon prekärer Zusammenarbeit mit Preußen - auch in Osteuropa Geltung zu verschaffen. Während Habsburg jedoch verhältnismäßig leicht aus dem Wettlauf um die Aufteilung des Osmanischen Reichs geworfen werden konnte, fehlten Rußland gegenüber, zumal nach dem Ausscheiden Schwedens aus dem Krieg (August 1790), überzeugende Druckmittel. Das langanhaltende Mißtrauen der Briten angesichts preußischer Ostambitionen wich 1791 - der Hertzberg-Plan war längst zu Grabe getragen - nach und nach einem eindeutig antirussischen Kurs und einem überraschenden Interesse am Wohlergehen des „kranken Mannes am Bosporus". Politische wie kommerzielle Erwägungen und der anhaltende Druck aus Berlin, die preußischen Drohmanöver in Ostpreußen durch eine Flottendemonstration zu unterstützen, standen dabei Pate. Die führende Rolle der Zarin im Rahmen der Liga der Neutralen während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges hatte einige Aversion erzeugt und der grundsätzlich rußlandfreundlichen Stimmung, ja dem immer wieder vorgetragenen Wunsch nach einer Allianz in Großbritannien durchaus Abbruch getan. 1786 war zudem der englisch-russische Handelsvertrag ausgelaufen und 1787 durch ein französisch-russisches Pendant ersetzt worden; eine marinestrategisch gefährliche französisch-spanisch-russische Großallianz schien nicht ganz ausgeschlossen. In Großbritannien gewann unterdessen die Idee, Polen in Hinkunft die handelspolitische Rolle Rußlands als Rohstofflieferant und Absatzmarkt spielen zu lassen, an Boden. Aus diesem Blickwinkel galt es natürlich, einer weiteren Ausdehnung der russischen Einflußsphäre in Osteuropa, d.h. auch neuerlicher Expansion auf Kosten der Pforte an den Flußmündungen zum Schwarzen Meer hin, einen Riegel vorzuschieben, ein weiteres Anwachsen des autonomen russischen Schwarzmeerhandels zu unterbinden. Katharina Π. sollte daher gleichfalls, wie von Friedrich Wilhelm Π. gewünscht, zu einem Frieden auf der Basis des status quo ante bellum gezwungen werden. Ende März 1791 wurde Petersburg auf nachhaltiges Drängen des preußischen Königs nach mehrmaliger Ablehnung preußischenglischer Mediation durch ein letztes Ultimatum Londons zum Verzicht marquis de Lucchesini" als Beilage zu Kaunitz an Leopold II. (2. 2. 1791; Druck: [Beer] 1873, 388f.) und Kaunitz an Leopold II. (14. 2. 1791; Druck: [Beer] 1873, 393 f.) mit Beilagen: StK Vorträge 148 Konv. 1791 II. - Gabard an Montmorin (4. 8., 1., 11., 15., 18., 25., 29. 9., 9., 13., 20., 27., 30. 10., 10., 17. 11. 1790, 8. 1., 2., 23. 2. 1791 etc.; AMAE CP Autriche 360 bzw. 361).

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C. Wiederherstellung

auf Hafen und Festung Otschakow und das Territorium jenseits des Dnjestr aufgefordert. Dem Berliner Verbündeten sagte London die Entsendung einer größeren Flotte ins Baltikum und nötigenfalls einer kleineren Flotteneinheit ins Schwarze Meer zu; eine großangelegte diplomatische Offensive arbeitete dem angedrohten militärischen Schlag vor, in Kopenhagen sicherte man sich die Durchfahrt in die Ostsee. Geringe Unterstützung im eigenen Kabinett, deutlicher Widerspruch seitens der parlamentarischen Opposition, vieler Händler und der vom russischen Gesandten in London Woronzow geschickt bearbeiteten öffentlichen Meinung führten aber schließlich binnen kurzem zum völligen Schiffbruch des „Russian Armament" (April 1791), auch wenn die Rüstungen weiterliefen und sich die in Portsmouth konzentrierte Flotte in Bereitschaft hielt. Friedrich Wilhelm Π. stellte daraufhin seine Angriffspläne gegen Rußland endgültig ein (Juni 1791). Im Juli 1791 mußten Britannien - die Flotte wurde im August 1791 demobilisiert - und damit auch Preußen gegen die Zusicherung freier Schiffahrt auf dem Dnjestr Katharina für ihren Türkenkrieg endgültig freie Hand geben. Im August 1791 schlossen Russen und Türken wenige Tage nach dem Definitivfrieden zwischen Wien und der Pforte einen Waffenstillstand. Der Friede von Jassy vom 9. Januar 1792 - er brachte das Gebiet zwischen Bug und Dnjestr mit der Festung Oczakow endgültig an Rußland - sollte zeigen, wie gut Rußland diese günstige internationale Konjunktur zu nützen verstand. Die prinzipielle Bedeutung des ersten großen Auftritts der britischen Diplomatie auf der Bühne der „orientalischen Frage" und besonders des „Russian Armament" ist durchaus umstritten. Für die einen - in der internen Diskussion durchaus umstrittenes - Debüt Großbritanniens als Schutzmacht des „kranken Mannes am Bosporus" gegenüber den beiden raubgierigen Kaisermächten, für andere v.a. logische Konsequenz des Wunsches, Preußen durch Einschwenken auf dessen antirussische Politik als einzig relevanten Festlandsalliierten trotz einer zunehmenden Erkaltung der Beziehungen doch noch zu halten. Wie schon während der Nootka-Sound-Controversy war es im Kabinett zu harten Belastungsproben gekommen, Außenstaatssekretär Leeds trat im April 1791 schließlich zurück und erhielt in William Grenville einen auf Pitts Politik besser eingeschworenen Nachfolger 97. 97

Mitrofanow 1916, Kap. 5 u. 6/1, Ward/Gooch 1922, Bd. 1, 203 - 208, Lodge 1923, 199 - 206 (Oczakow-Krise und Ende der Tripelallianz), Lord 1915, 153 191, Gerhard 1933, 275 - 383. Cunningham 1964/65 vertritt eine besonders kritische Sicht der Politik Pitts in diesem Zusammenhang. Lojek 1975 [mit ausführlicher Vorgeschichte], Webb 1980, Madariaga 1981, 413 - 426, Ehrman 1983, Bd. 2, 3 41, Black 1994, 267 - 328. Lediglich als Kuriosum zu nennen Silberschlag [1926]. - Adams 1904, Jupp 1985, Duffy 1989. Pitt sprach nach dem Scheitern des „Russian armament" im April 1791 von „the greatest mortification he had ever received" ÇWard/Gooch 1922, Bd. 1, 207).

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II. Das Staatensystem im Umbruch

In Frankreich wurden die britischen Seerüstungen von Anfang an aufmerksam und mißtrauisch verfolgt; man armierte selbst Flotteneinheiten, um auf alles - besonders auf einen stets befürchteten Angriff der Briten gegen die französischen Kolonien in der Karibik - einigermaßen gefaßt zu sein98. Soweit im chronologischen Vorgriff der große europäische Hintergrund, vor dem auch die Politik Wiens in der etwa einjährigen Zeitspanne zwischen Reichenbach und dem Abschluß des Türkenfriedens von Sistow zu sehen ist.

c) Die Lockerung der österreichisch-russischen

Allianz

Sofort nach dem Ende der Reichenbacher Verhandlungen hatte Preußen also seine von entsprechendem Muskelspiel begleiteten Bemühungen verstärkt, mit englischer Unterstützung nun auch Rußland aus dem Türkenkrieg zu drängen. Zwar ließ Petersburg Kompromißbereitschaft erkennen und zeigte noch größeres Interesse, mit den Türken direkt ins Gespräch zu kommen, antwortete aber doch auf die preußischen Demonstrationen mit Gegenrüstungen und Truppenkonzentrationen im Livländischen. Die Zarin wollte es dem österreichischen Verbündeten nicht gleichtun und lehnte die förmliche Mediation Berlins und Londons im Türkenkrieg ab (September 1790). Nur „bons offices et conseils" gedachte man eventuell anzunehmen. Rußland war bereit, weite Teile seiner Eroberungen zurückzustellen, bestand allerdings auf der Verschiebung der russisch-türkischen Grenze an den Dnjestr und der Abtretung Oczakows. Die Türken freilich fürchteten eine völlige Öffnung des Schwarzen Meers und sahen in einem russischen Oczakow eine zu günstige Ausgangsbasis für einen Schlag der Zarin gegen Konstantinopel. Mochte man in Wien nach allen Seiten noch so sehr auf Zeit spielen: Das Vorgehen der Tripelallianz gegen die Zarin mußte für Habsburg notwendigerweise peinliche Konsequenzen haben. Der letzte Verbündete drohte endgültig verloren zu gehen, wenn man sich in Petersburg noch weiter kompromittierte. Denn die so oft und so pathetisch beschworene innige Verbundenheit zwischen Joseph II. und seiner „Herzensfreundin" Katharina II. war schon durch die negativen Erfahrungen einer brüchigen Waffenbrüderschaft während des Türkenkriegs und schließlich auch durch den nicht eben glorreichen Absprung der Österreicher deutlich abgekühlt. Für die Politik der Ruhigstellung, wie sie Leopold II. bis zur Erholung der 98

Vgl. etwa Blumendorf an Kaunitz (9. 4., 9. 5., 18. 6. 1791; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Blumendorf-Kaunitz 1791 I - VI), an Mercy (1. 5. 1791; SA Frkr. Varia 42 Konv. Blumendorf-Mercy 1790/91).

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C. Wiederherstellung

erschöpften Monarchie für angemessen hielt, mußte die Allianz mit Petersburg gerade jetzt vor dem aktuellen Hintergrund vollends zur Belastung, ja zur Last werden. Wien betrachtete sich selbst als immer noch „in der Klemme" der Seemächte und war durch die beiden Friedenskongresse von Sistow und Den Haag in der Tat leicht erpreßbar. So mußte es durchaus im österreichischen Interesse liegen, wenn auch Rußland wo nicht gleichzeitig, doch wenigstens bald nach Österreich aus dem Türkenkrieg ausschied, damit man auf diese Weise den besonders für die destabilisierte „monarchia austriaca" unangenehmen Folgewirkungen eines möglichen Krieges zwischen England und Preußen einerseits, Rußland andererseits entging. Die Schreckensvision einer wiederauflebenden, gegen Österreich und Rußland gerichteten Großkoalition aus England, Preußen, der Türkei, Polen, den Niederlanden und Schweden, wo speziell die preußische Diplomatie bis weit ins Jahr 1791 hinein mit finanziellen Versprechungen um eine Reaktivierung der „schwedischen Diversion" warb, wurde skizziert, um der eigenen Untergangsstimmung und Kleinmütigkeit mehr Berechtigung zu verleihen. Daß man die Rückgewinnung der belgischen Provinzen für Oczakow und dessen wüstes Umland opfere, könne Rußland von seinem Verbündeten bei Abwägung von Gewinn und Verlust von seinem Alliierten nicht ernstlich erwarten. Immerhin durfte der zusehends in Bedrängnis geratene Botschafter Cobenzl in Petersburg bei anhaltender russischer Insistenz österreichische Subsidien für den Fall eines preußischen Bruches mit Rußland versprechen". Auch Preußens Lage war aber trotz der Demütigung des österreichischen Erzrivalen nichts weniger als glücklich; in Reichenbach hatte man der Wiener Diplomatie die Hände nur zu offensichtlich nicht völlig zur Untätigkeit fesseln können. Diesen Zustand der Ungewißheit im Angesicht des drohenden Konflikts mit Rußland zu beheben, war Aufgabe des brandenburgischen Residenten in Wien, Jacobi, der Ende September 1790 beim Staatskanzler vorstellig wurde und ihn über die österreichische Haltung befragte: wie würde sich Österreich im Falle eines Krieges zwischen England und Preußen einerseits und Rußland andererseits verhalten? Auch in Abwesenheit Leopolds II. und der meisten Spitzenbeamten der Staatskanzlei, die eben zur Kaiserkrönung nach Frankfurt verreist waren und den Kanzler in Wien angeblich wegen der vielen Zeremonien und Festivitäten weitgehend ohne Nachrichten ließen, fühlte sich Kaunitz zu einer „authentischen Interpretation" der Reichenbacher Abmachungen durchaus in der Lage. 99

Vorträge Kaunitz (28. 8., 25. 9. 1790; StK Vortrage 147 Konv. 1790 VIII IX). Kaunitz an L. Cobenzl (19. 9. 1790; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790).

II. Das Staatensystem im Umbruch

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Nach zutreffender Auslegung des Fürststaatskanzlers hatte Österreich in Reichenbach nur versprochen, Rußland während des laufenden Türkenkrieges weder direkt noch indirekt zu unterstützen. Ein genereller Verzicht auf die allianzmäßige Erfüllung der Defensivverpflichtungen für andere Konflikte war daraus nicht ableitbar. Preußen hingegen zeigte sich bestrebt, dem Verbot österreichischer Hilfe für den russischen Alliierten eine viel weitere Ausdehnung zu geben, Reichenbach quasi zur völligen „Neutralisierung" Österreichs umzudeuten; für Kaunitz „la plus absurde des prétensions qui eût jamais été mise en avant depuis que le monde est monde". Der Staatskanzler war bestenfalls willens, österreichische bona officia in Petersburg einzulegen, und warnte Berlin davor, den casus foederis durch einen Angriff auf Petersburg zu provozieren, noch dazu aus nichtigem Anlaß ... „pour un lambeau de terre déserte, inculte et d'aucune autre valeur que celle de pouvoir contribuer entre les mains de la Russie au maintien de la tranquillité à venir entre elle et la Porte". Damit konnte sich Berlin unmöglich zufriedengeben und ließ daraufhin den Kaiser in Frankfurt bestürmen, um ein Désaveu der Kaunitzschen Deklamationen durchzusetzen. Graf Görtz, der preußische Gesandte in Regensburg, und Joseph Ewart, der seinen Heimaturlaub antretende englische Gesandte in Berlin mit beträchtlichem Einfluß auf Premier Pitt, drangen in eigenen Audienzen beim Kaiser und in Gesprächen mit den nach Frankfurt mitgereisten Spitzen der Staatskanzlei in die Österreicher - sichtlich mit Erfolg. Während Leopold Π. dem Staatskanzler in der persönlichen Korrespondenz mit diesem Recht gab und die ,réponse vigoureuse" auf Jacobis unverschämtes Vorbringen guthieß, desavouierte er gegenüber Briten und Preußen den Fürsten in besonders unschöner Art und Weise, ohne dabei aber jeden Zweifel zu beheben; denn die geforderten kategorischen Erklärungen blieben aus, „halbe Beruhigungen" waren letztlich alles, wozu sich selbst der Kaiser in dieser Frage herbeiließ. Die rigorose Sprache Kaunitz* bei anhaltend kritischer Situation entsprach dem alten machtpolitischen Hazardspiel, für das Leopold II. stets wenig Neigung zeigte. Dem russischen Verbündeten legte man daher noch von Frankfurt aus nahe, sich während des Winters direkt mit der Pforte zu einigen, um so England und Preußen von ihrer geplanten Offensive abzuhalten. Gelang der Zarin aber keine Einigung mit der Pforte, konnte man in Petersburg der österreichischen Unterstützung erst für die Zeit nach Wiedereingliederung der Niederlande sicher sein und mußte solange dem Ansturm der Feinde alleine standhalten. So wenig der von Berlin zwischen Kaiser und Staatskanzler gesäte Samen der Zwietracht an diesem präzisen Punkt wirklich fundamentale Differenzen reifen ließ, so sehr war doch - auch für außenstehende Beobachter - überdeutlich geworden, daß die „Ära Kaunitz" zu Ende ging, wenngleich

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C. Wiederherstellung

auch andere (z.B. Konferenzminister Fürst Rosenberg) für eine härtere Gangart und mehr Bündnistreue gegenüber Rußland eintraten und wohl die Kritik des Staatskanzlers an der „Weichlichkeit" und Unentschlossenheit Leopolds teilten. Weitere Vorfälle ähnlicher Art konnten diesen Eindruck nur verstärken, die ausländischen Diplomaten in Wien sich aber am sinkenden Stern Kaunitz' nicht sattreden und -schreiben. Dem nicht mehr allwissenden, alles bestimmenden Staatskanzler entschlüpften so zunehmend auch coram publico Worte des Mißfallens über die „neue Außenpolitik" des Kaisers; Wien sprach selbst in zentralen Fragen nicht mehr mit einer Stimme. Während seiner vielen Reisen - kaum am 22. Oktober 1790 von der Frankfurter Krönungsreise zurückgekehrt, ging es im November 1790 für kurze Zeit zur ungarischen Krönung nach Preßburg - konnte sich der Kaiser sehr leicht, aber meist zum Schaden der Kohärenz des außenpolitischen Systems dem Diktat Kaunitz' entziehen. Leopold, seine Entourage und einzelne „Abtrünnige" aus der Staatskanzlei selbst sahen das Bündnis mit Rußland längst weniger „systematisch", sondern viel pragmatischer als der alte Fürst: Entsprach die Allianz mit ihren lästigen Verpflichtungen überhaupt noch dem Interesse Österreichs, oder hatte man eine schickliche Möglichkeit, sich den Verbindlichkeiten zu entziehen? Waren die Anzeichen, die schon jetzt gelegentlich für die Absicht des preußischen Königs sprachen, sich mit Österreich ehrlich auszusöhnen, aufrichtig und damit Ansatzpunkte für einen weiteren Versuch eines „Systemwechsels"? Mit mehr Selbstbewußtsein und Bewegungsfreiheit wollte man nun unter den jüngeren Spitzen der Staatskanzlei an eine unbefangene Beantwortung dieser Fragen gehen. Staatsvizekanzler Cobenzl jedenfalls, der selbst im Oktober 1790 unverhohlenes Mißfallen über den gering gewordenen Stellenwert Österreichs für die „balance politique" in Europa bekundete, Schloß ein Umdenken im österreichisch-preußischen Rivalitätsklischee nicht mehr gänzlich aus und sah in der radikal geänderten Mächtelandschaft Ansätze, die einen Schwenk nahelegten; von den kurzfristigen preußischen Anbiederungen nicht zu reden. Im Herbst 1790 war aber die Zeit noch nicht ganz reif für die zweite „diplomatische Revolution" dieses Jahrhunderts, die preußische Haltung bei den Verhandlungen in den Haag und Sistow zu Ende des Jahres auch zur Begründung eines Freundschaftsverhältnisses wenig geeignet100. 100 Kaunitz an Leopold II. (28. 9. 1790; StK Vortrage 147 Konv. 1790 VIII - IX, Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1790; Druck: [Beer] 1873, 373 376) mit „Observations", Kaunitz an Leopold II. (3. 10. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 X - XII) mit „Observations sur les termes de la contredéclaration prussienne de Reichenbach", Ph. Cobenzl an Kaunitz (9. 10. 1790; FA SB 70 Konv. Diverse Schreiben an Kaunitz), Leopold II. an Kaunitz (15. 10. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 Vili - IX bzw. Χ - XII; Druck: [Beer] 1873, 377), Kaunitz an Leopold II. (23. 10. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 X - XII) mit preußischen und

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Eine Brüskierung der Preußen kam keinesfalls mehr in Frage. So konnte sich denn Kaunitz mit seinem Plan, die im November 1790 nach der Resignation des Grafen Friedrich Werner von Podewils drohende Vereinigung der bisher getrennten Funktionen eines kurbrandenburgischen Vertreters und eines königlich preußischen Gesandten in der Person des in der Staatskanzlei so verhaßten Baron Jacobi zu verhindern, nicht durchsetzen. Auch der Kaiser fand Jacobi wegen seiner schwarzen Vergangenheit „désagréable", die Bestellung und hierarchische Aufwertung des bei den Österreichern übel angeschriebenen Jacobi ganz und gar nicht dem angeblichen Wunsch Berlins nach Aussöhnung und Annäherung entsprechend; die Abneigung gegen den neuen brandenburgisch-preußischen Gesandten aber durch ostentative Mißfallensäußerungen zu bekunden oder gar seine Abberufung zu erzwingen, indem man mit einer Versetzung des Fürsten Reuß (der Staatskanzler gedachte ihn nach Neapel abzuschieben) und einer Besetzung des k.k. Gesandtenpostens in Berlin mit einer auf Jacobis sozialem Niveau stehenden Persönlichkeit drohte, dazu war Leopold in der noch kritischen Situation nicht bereit 101 . Das Fortdauern der „orientalischen Krise" im Spannungsfeld BerlinLondon-Petersburg brachte die Wiener Politik mehr und mehr in die schon lange befürchtete Zwangslage gegenüber dem russischen Verbündeten, der nach Wiener Geschmack zu wenig Verständnis für das österreichische Ruhebedürfnis zeigte. Und die anhaltenden Waffenerfolge der Zarin waren nicht eben dazu angetan, Rußlands Friedenswilligkeit auf die Basis des status quo ante bellum festzunageln. Auch die preußische Position in Konstantinopel wurde indes in dem Maße schwieriger, in dem die Türken auf die Einlösung der vertraglichen Zusagen drängten und die Schweden ihr Ausscheiden aus der Interessen- und Kampfgemeinschaft mit der Pforte britischen Interzepten, Kaunitz an Leopold II. (13. 11. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 X - XII). Ph. Cobenzl an Reuß (Frankfurt, 10. u. 19. 10. 1790; StK DK Preußen 68 Konv. Weisungen 1790 bzw. Sperrkonvolut/Weisungen 1790/91), an L. Cobenzl mit P. S. (Frankfurt, 10. 10. 1790; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790; Druck: [Vivenot] 1873, 25 f.). KA NL Zinzendorf TB 35 (13. 9., 27. 10., 25. 11. 1790). - Jacobi an Friedrich Wilhelm II. (24. 6. 1791; StK FriedA 75 Konv. A/K Interzepte). - Gabard an Montmorin (2., 6., 9., 16., 23., 29. 10., 3., 13. 11., 8. 12. 1790; AMAE CP Autriche 360). Selbst der k.k. Geschäftsträger in Paris, Blumendorf, wurde Ende Oktober 1790 vom französischen Außenminister mit der peinlichen Desavouierung Kaunitz* konfrontiert: Blumendorf an Kaunitz (29. 10. 1790; SA Frkr. Berichte 178 Konv. Blumendorf-Kaunitz 1790 X - XII). - Aus preuß.-brit. Quellenperspektive Mitrofanow 1916, Kap. 5 § 2. Wandruszka 1963/65, Bd. 2, 309 (Charakterisierung Leopolds II. durch den preuß. Diplomaten SchlitzGoertz). 101 Kaunitz an Leopold II. u. P. S. mit Beilage u. ksrl. Verbescheidung (5. 11. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 X - XII, Ο in FA SB 70 Konv. NW KaunitzLeopold II./1790; Druck: [Beer] 1873, 378f.). 27 Hochedlinger

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durch Abwälzen aller Verantwortung auf die preußische Politik zu entschuldigen trachteten. Den laufenden russischen „Zudringlichkeiten" begegnete Wien - nicht ohne Fingerzeig auf die eigenen selbstlosen Verdienste um Rußland während der Krimkrise 1783/84 und im Türkenkrieg - stereotyp mit dem Ruhebedürfnis der österreichischen Monarchie im Zeichen des inneren Rétablissements und der Rückgewinnung der belgischen Provinzen. Ein Programm, dessen erfolgreiche Durchführung man auch als wünschenswerte Stärkung der Allianz Wien-Petersburg darzustellen bemüht war. Österreich lehnte es ab, sich für den Gewinn Oczakows an den „Rand des Verderbens" zu setzen, hatte aber sichtlich Probleme, den Russen klarzumachen, daß Selbsterhaltungspolitik nicht automatisch Abnahme der Freundschaft bedeutete. Dabei kam der Staatskanzlei sicher zugute, daß sich die schon vor Ausbruch des Türkenkrieges dem russischen Verbündeten immer wieder gepredigte Prophezeiung in den Jahren 1789 und 1790 in denkbar deutlicher Art und Weise erfüllt hatte: Ein erfolgreicher Krieg mit der Pforte war unmöglich, so lange man den Erzfeind der beiden Kaisermächte - Preußen - nicht definitiv niedergerungen hatte. , Jetzt aber daran zu denken, daß die preußische Macht vorerst in die gehörigen Schranken zurückgesetzt werde, ja es mit beiden Mächten [Preußen und der Türkei] zugleich aufzunehmen in dem Zeitpunkte, wo die Kräfte der zwei alliirten Höfe so beträchtlich geschwächt sind, wo die Seemächte dem Berliner Hofe so blindlings anhängen, Frankreich ohnmächtig ist und dessen innere Zerrüttung andere Länder und insonderheit die unseren mit ähnlichen Gefahren bedrohet, dies wäre eine Unternehmung, deren Ausführung gegen alle Grundsätze echter Politik stritte und deren Ausgang aller Wahrscheinlichkeit nach höchst unglücklich und verkleinerlich ausfallen würde", belehrte man den k.k. Botschafter in Petersburg, Graf Cobenzl.

Die Zeit der Ruhe und einer gewissen außenpolitische Abstinenz wollte Wien - so instruierte die Staatskanzlei Cobenzl - zur Fortsetzung einer defensiven anti-preußischen Propaganda und zur Auflockerung des preußischen Anhangs in Europa nützen. Das Vertrauen auf die Friedensliebe und die Mäßigung Leopolds mußte durch eine bewußt ruhige Linie weiter gestärkt und „mit der aufgedeckten Herrschbegierde, Eigennützigkeit und Einseitigkeit der preußischen Politik" kontrastiert werden. Gerade gegenüber Großbritannien mochte dieses System einen günstigen Eindruck erwekken, und in London sah die Staatskanzlei auch zunehmend den Schwerpunkt des europäischen Staatenkonzerts. Nach dem Ausfall des alten französischen Rivalen und der glücklichen Entwicklung in Osteuropa konnte England ernstlich darangehen, die europäischen Großmächte unter das „balance-of-power"-Konzept à l'anglaise zu zwingen. Die alte Hoffnung auf eine Sabotierung der Achse London-Berlin hatte man im November 1790 sehr weitgehend aufgegeben. Die „Nootka-Sound-Controversy" und

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die preußisch-russischen Spannungen schien die Tripelallianz durch wechselseitiges Aufeinander-Angewiesensein der Bündnispartner vielmehr gestärkt zu haben102. So manchem Verantwortungsträger in der Staatskanzlei mag aber bei aller Skepsis gegen die bisher eher belastende denn hilfreiche Allianz mit der Zarin eine zu harsche Behandlung des Bündnispartners zumal angesichts der eigenen Isolation als reichlich gewagt erschienen sein. Es war Staatsreferendar Freiherr von Spielmann, der im Dezember 1790 auf zwei Schienen versuchen wollte, vom russischen Bündnis zu retten, was noch zu retten war, dabei aber auch kriegerische Verwicklungen tunlichst zu vermeiden; und zwar zum einen durch eine besonders eingehende, möglichst mitleiderweckende Darstellung der bedenklichen österreichischen Situation, zum anderen aber auch durch einen österreichischen Vermittlungsvorstoß, der den Russen Oczakow und etwas Territorium jenseits des Dnjestr sichern sollte. So glaubte man auf besonders geschickte Art und Weise den russischen Anwürfen entgehen zu können, „ohne zu sorgen, daß deren so oftmalige, obschon gegründete Abweisung nach der bekannten lebhaften Gemüthart der russischen Kaiserin eine doch immer bedenkliche Freundschaftserkaltung und zulezt den gänzlichen Verlust ihrer uns noch einzig übrigbleibenden Allianz nach sich ziehen möchte". Man gewann Zeit, bewies zugleich seinen guten Willen und verhinderte, daß vielleicht gar Preußen durch Zugeständnisse die verscherzte Gunst in Petersburg allmählich wieder gewann. Das Grundmuster des Planes ging von einer durch die russischen Erfolge deutlich vergrößerten Friedensbereitschaft der Pforte aus, die nun wohl kaum noch rückhaltlos auf dem status quo ante bestehen konnte. Dies eröffnete die Aussicht, der Zarin ohne üble Weiterungen Oczakow mit nur wenig Umland und die Garantie der Krim zu sichern; Rußland konnte derart zumindest das Gesicht wahren, die fehlenden Landstriche aber eventuell in einem späteren Krieg bei günstigerer Gesamtkonstellation erwerben. Den entsprechenden diplomatischen Vorstoß zur Wahrung des „point d'honneur" seines Alliierten wollte Österreich unternehmen, beginnend in London und dann mit Unterstützung der Briten auch in Berlin. Zugleich sollte der Kaiser versuchen, in einem geschickt abgewogenen Handschreiben jede russische Irritation über die österreichische Haltung im Keim zu ersticken, und die - lediglich durch die gegenwärtigen Umstände behinderte - Bündnistreue Wiens bekräftigen. Die endlich erfolgte Wiederinbesitznahme der belgischen Provinzen und die Sicherung der Kaiserkrone 102 Kaunitz an L. Cobenzl (28. 11. 1790; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790; Druck: [Vivenot] 1873, 45 - 48), Partikularschreiben Kaunitz' an L. Cobenzl (28. 11. 1790; Druck: [Vivenot] 1873, 48). - Gabard an Montmorin (10. 11. 1790; AMAE CP Autriche 360). 27*

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für das Erzhaus konnten dabei als Vorzeigeerfolge dienen, die die an sich schwächliche Sprache Österreichs als Gebot der Vernunft erscheinen ließen und bewiesen, daß sich des Kaisers Opfer und Konzessionen also in gewisser Weise bezahlt gemacht hatten. Rußland mußte zur Kenntnis nehmen, daß der österreichische Verbündete nicht in derselben glücklichen geopolitischen Position war, in der er von seinen Feinden nur wenig zu befürchten hatte, und für seinen Alliierten daher nicht Unmögliches oder gar Selbstmörderisches leisten konnte. Am 27. Dezember 1790 trat bei Erzherzog Franz in Abwesenheit des erkrankten Kaisers die Geheime Konferenz zusammen, um die nach allen Zusagen gegen beide Konfliktparteien letztlich immer noch unbeantwortete Grundfrage zu klären: Sollte bzw. konnte Wien im Falle eines preußischen Angriffs auf den Verbündeten den casus foederis anerkennen oder nicht? Zwei bedenkliche Klippen galt es dabei zu umschiffen: die Gefahr eines neuerlichen Bruches mit Preußen und die deutliche Erkältung, ja den definitiven Verlust der russischen Allianz. Kaunitz setzte sich schließlich mit seinem wütenden Widerstand gegen die „weichliche", ja für ihn „niederträchtige" Linie Spielmanns durch. Der Staatskanzler sah keinen Grund, aus einer unbegründeten „terreur panique" die Zarin mit einer larmoyanten Darstellung der österreichischen Monarchie zu verärgern und so noch selbst Zweifel am eigenen Bündniswert zu nähren. Fürst Kaunitz rechnete nicht mehr mit einem tatsächlichen Angriff der Preußen gegen Rußland, und Interzepte zeigten denn auch, daß Graf Hertzberg nicht wirklich gesonnen war, den preußischen Staat sich für die Interessen der Pforte verbluten zu lassen. Ein Entgegenkommen der Pforte schien selbst dem preußischen Kabinettsminister zur Verhinderung einer Ausbreitung des Kriegsfeuers angezeigt. Der von Spielmann in Vorschlag gebrachte Vermittlungsvorstoß zugunsten der russischen Absichten auf Oczakow wurde von der Konferenz fallengelassen, und das Handschreiben des Kaisers an die Zarin sollte nach Meinung der Konferenzminister keinesfalls in einer Mitleid erheischenden, selbsterniedrigenden Ausbreitung der internen Schwierigkeiten Österreichs gipfeln. Man entschloß sich zu einem „gleichgültigen", will sagen: gelassenen Brief an Katharina Π., der keineswegs jede Aussicht auf österreichische Hilfe geraubt werden durfte; und indem man Unterstützung versprach, sobald Österreich dazu in der Lage sei, hatte man in Wahrheit einmal mehr nichts wirklich Greifbares zugesagt. Hinter den Kulissen dürfte Spielmann, der zunehmend als eigentlicher Leiter der österreichische Außenpolitik aufzutreten begann, aber seinem Vermittlungsplan nicht gänzlich entsagt haben, denn entsprechende Gerüchte geisterten noch in den folgenden Wochen durch diplomatische Berichte und belasteten auch das gespannte Klima innerhalb der Staatskanzlei bis zum äußersten.

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Leopold Π. selbst scheint sich bei dieser Gelegenheit nicht wenig zweideutig betragen zu haben. Seit Mitte Dezember 1790 weilte der mit der offiziellen Komplimentierung Leopolds anläßlich der Kaiserwahl betraute englische Diplomat Thomas Bruce Earl of Elgin and Kincardine (1766 1841) - er sollte als Sammler antiker Kunstschätze und Namengeber der „Elgin Marbles" in die Geschichte eingehen - in Wien und führte hier sondierende Gespräche, sowohl was den Konflikt Londons und Preußens mit der Zarin als auch die belgische Pazifikation anlangte. Angeblich zu Unrecht - so behauptete jedenfalls der Kaiser gegenüber einem nach Lektüre entsprechender Interzepte merklich irritierten Kaunitz - berichtete Elgin über den Willen Leopolds und Spielmanns, doch zwischen London, Berlin und Petersburg zu vermitteln; ja gar von dem noch etwas vagen Wunsch des zunehmend über die Entwicklungen in Frankreich beunruhigten Kaisers nach einer Defensivallianz zwischen Großbritannien, Preußen und den beiden Kaiserhöfen war die Rede. Der Staatskanzler wies jede Vermittlungsinitiative von sich und weigerte sich sogar, das Spielmannsche Mediations-Projekt zur allfälligen Verwendung an die k.k. Botschaft in Petersburg verschicken zu lassen. Selbst gegenüber den im Dezember 1790 deutlich verschärften Drohungen Englands und Preußens blieb die Zarin hart, und auch der österreichische Eiertanz machte sie in ihrer unbedingten Forderung nach der allianzmäßigen Unterstützung aus Wien nicht wanken. Alles spielte Rußland für ein Verharren bei der sturen Linie in die Hände; wegen der fortgeschrittenen Jahreszeit konnten Engländer und Preußen in absehbarer Zeit nicht mehr aktiv einschreiten, die russischen Waffen blieben gegen den Halbmond weiterhin erfolgreich. Auch in Wien rechnete man letztlich immer weniger mit einer Realisierung der alliierten Drohungen gegen die Zarin. Besonders dem preußischen Staat lagen die hohen Aufwendungen für die Truppenkonzentrationen gegen Osten bereits schwer auf der Tasche, ein Krieg mit sehr ungewissem Ausgang und ohne preußischen Zugewinn mußte den von Friedrich II. angelegten Sparschatz endültig aufzehren, und auf die gänzliche Passivität Wiens durfte man sich in Berlin immer noch nicht wirklich verlassen, besonders wenn Preußen doch Ambitionen auf Zuerwerbungen erkennen lassen und dadurch den nach österreichischer Lesart in Reichenbach fixierten allgemeinen - also für alle Seiten verbindlichen - Grundsatz des status quo verletzen sollte. Was aber London betraf, konnte sich die Staatskanzlei schwer vorstellen, daß die Briten der Festung Oczakow wegen die noch nicht ganz erstorbene „natürliche" russische Freundschaft und die damit verknüpften möglichen Handelsvorteile endgültig aufs Spiel setzen wollten. Rußland war also nicht ohne Chancen, jedenfalls seine Ambitionen auf Oczakow durchzusetzen. Aber selbst ein für die Zarin etwa negativer Ausgang des „Russian armament" eröffnete für Wien

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nicht eben ungünstige Aussichten. Denn, sollte Rußland von Preußen und England tatsächlich zum status quo ante gezwungen werden, so mußten sich die beiden Mächte dadurch bei der Zarin auf ewig verhaßt machen und Österreich von dem Alpdruck einer russisch-preußischen Allianz definitiv erlösen. Den Mittelweg zwischen einer Verwicklung in einen Krieg um Oczakow und dem endgültigen Bankrott der russisch-österreichischen Allianz wollte man durch die bekannte Hinhaltetaktik steuern und sich - ohne die Reklamation des casus foederis zum voraus von der Hand zu weisen erst nach innerer Regeneration und Aufklärung der diffus gewordenen internationalen Lage wieder in die Mächtepolitik einschalten. Bei soviel Zurückhaltung auf österreichischer Seite gaben sich die Russen nach außen zwar gute Contenance, selbst ausländische Diplomaten munkelten aber schon im Januar 1791, daß die Zarin die weitgehend nutzlose Freundschaft mit dem Kaiser als fast beendet ansah103. d) Die Geheimmission Bischoffwerders

nach Wien

Es ist verständlich, daß vor diesem Hintergrund die seit Jahresanfang 1791 wieder verstärkten preußischen Annäherungsversuche in Wien mit einem gerüttelt Maß Skepsis aufgenommen wurden, besonders von Staatskanzler Kaunitz. Schon im November 1790, als die ersten Kontaktversuche vom September 1790 wieder eingeschlafen und die unerfreulichen Verhandlungen in Den Haag noch in vollem Gange waren, informierte Fürst Reuß aus Berlin den österreichischen Verhandler Graf Mercy über die angeblich ganz auf 103 Der Spielmannsche Plan ist entwickelt in einem nicht expedierten Vortrag (24. 12. 1790; StK Vorträge 147 Konv. 1790 X - XII) mit „Idée sur un moyen de faciliter la pacification russe" (gedr. bei [Vivenot] 1873, 145 - 147, unter falschem Datum). Zur weiteren Diskussion: Kaunitz an Leopold II. (25. 12. 1790), Leopold II. an Kaunitz (26. 12. 1790), Kaunitz an Leopold II. (26. 12. 1790) mit Interzepten, Vortrag Kaunitz (28. 12. 1790) mit dem Protokoll der Konferenz vom 27. 12. 1790 und weiteren Beilagen: StK Vorträge 147 Konv. 1790 X - XII; Notizen Erzherzog Franz' zur Konferenz vom 27. 12. 1790 (unter falschem Datum; Handarchiv Kaiser Franz 19 Bd. „Konferenzen der inländisch und auswärtigen Geschäften von Jahren 1790 & 1791"). Kaunitz an L. Cobenzl (erster Entwurf 30. 12. 1790; approbierter zweiter Entwurf 2. 1. 1791; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790 bzw. 1791; Druck: [Vivenot] 1873, 73 - 77), Note Kaunitz' (31. 12. 1790; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790). Der Brief Leopolds an Katharina vom 29. 12. 1790 ist bei [Beer] 1874, 137f., abgedr.; verschiedene Entwürfe hiezu erliegen bei obigen Vorträgen. Weiters: Elgin an Fitzherbert [Interzept] (4. 1. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 I), Kaunitz an Leopold II. (12. 1. 1791; wie Anm. 13), Leopold II. an Kaunitz (14. 1. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 I; Druck: [Beer] 1873, 384 f.). - Montmorin an Gabard (10. 2. 1791), Gabard an Montmorin (16. 12. 1790, 5., 8., 12., 15., 26., 29. 1. 1791): AMAE CP Autriche 360 bzw. 361. - [Beer] 1874, 33 - 36, Mitrofanow 1916, Kap. 5 § 5, Black 1992, 214f.

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ehrliche Aussöhnung abgestellte Linie wichtiger Persönlichkeiten am Berliner Hof, speziell Bischoffwerders und des Herzogs von Braunschweig; auch Finkenstein, Schulenburg und General Möllendorf waren einer Versöhnung nicht abgeneigt. Bischoffwerder schien Reuß mit seinen Nachstellungen geradezu zu verfolgen, drängte immer wieder auf ein Treffen der beiden Monarchen und beteuerte, Friedrich Wilhelm Π. habe die alten Vorurteile fallen lassen. Hertzberg, der Pol der antiösterreichischen Partei und - bei allen negativen Erfahrungen - ein unbedingter Verfechter der preußischen Orientierung auf die Seemächte, wurde dagegen mehr und mehr ins Abseits gedrängt und verlor zusehends an Kredit 104 . Anfang Januar 1791 bereits lag eine preußische Anregung zu einem Treffen zwischen Leopold Π. und Friedrich Wilhelm Π. auf dem Tisch. Bischoffwerder knüpfte daran in Gesprächen mit dem k.k. Gesandten Reuß unter Bezug auf die Meldungen Lord Elgins aus Wien die Hoffnung, der Kaiser werde im drohenden Konflikt mit der Zarin vermitteln. Alles - und besonders die in Berlin grassierende Furcht, Österreich könnte im Ernstfall doch zugunsten Rußlands in den Krieg eingreifen - deutete zunächst darauf hin, daß es Berlin nicht um wirkliche Aussöhnung, sondern primär um eine Ruhigstellung der habsburgischen Bedrohung im Rücken ging, während der Druck auf Preußen von allen Seiten wuchs. Insbesondere die Türken drängten Berlin zu einem Schlag gegen Rußland, und ausgerechnet jetzt weilte seit Mitte Februar eine türkische Sondergesandtschaft in der preußischen Hauptstadt und fiel den Preußen bis weit in den Herbst des Jahres 1791 lästig 105 . Leopold hatte dennoch gegen ernstere Gespräche mit Berlin und ein allfälliges Monarchentreffen nichts einzuwenden. Eine entsprechende Möglichkeit schien sich im Zusammenhang mit der für Herbst vorgesehenen böhmischen Königskrönung zu ergeben. Kaunitz aber, „der unentwegte Preußenhasser" (V. Bibl), stand den preußischen Sondierungen überaus reserviert gegenüber. Daß die Annäherungsofferten von Bischoffwerder an Hertzberg vorbei vorgetragen wurden, schien ihm zunächst weniger ein Beweis für ein Umdenken bei den Preußen, sondern von dem durchsichtigen Bemühen diktiert, die Vorschläge nicht schon ab ovo verdächtig zu machen; die endgültige Aufsplitterung der Berliner Politik in unterschiedli104 Preußische und englische Archivalien zur Annäherung zwischen Berlin und Wien hat Herrmann 1865 aufgearbeitet. Weitere Belegstücke samt verknüpfender Darstellung dazu und darüberhinaus in Herrmann 1866. Vgl. auch allgemeiner zum österr.-preuß. Verhältnis Ranke 1879, 7 - 28, nach den österr. Akten [Beer] 1874, 36 - 59, nach englischen Akten v.a. Clapham 1899, 58 - 85, Mitrofanow 1916, Kap. 5 § 6. 105 Reuß an Mercy (9. 11. 1790; SA Frkr. Varia 48 Konv. Reuß-Mercy 1790/93), an Kaunitz (1., 9., 18., 25. u. 29. 1. 1791; StK DK Preußen 69 Konv. Berichte 1791 u. DK Preußen 70 Sperrkonvolut/Berichte 1791). - Müller-Kolshorn 1918.

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che und rivalisierende Tendenzen wurde in der Staatskanzlei erst nach und nach in ihrer vollen Tragweite erfaßt, und besonders Staatskanzler Kaunitz blieb noch lange Zeit ganz von der Gleichsetzung preußischer Politik mit der antiösterreichischen Orientierung Hertzbergs beherrscht. In seinen erstarrten Denkkategorien witterte der Fürst hinter den Äußerungen Bischoffwerders letztlich nur ein Ränkespiel Preußens und Englands und wollte den viel flexibleren Kaiser zu einer bloß sehr allgemeinen und unverbindlichen Antwort verpflichten. Denn mehr als ein erträglicher Zustand zwischen den beiden seit fünfzig Jahren verfeindeten Höfen schien Kaunitz „auf ewig eine Chimère". Nur mit Mühe und sanftem Druck konnte sich der Kaiser gegen den Widerstand seines Staatskanzlers und dessen Borussophobie durchsetzen. Leopold war entschlossen, die von Preußen angebotene Entsendung eines königlichen Vertrauten nach Wien anzunehmen, um so „der gantzen Sache und den eigentlichen Absichten des Königs näher auf den Grund zu gehen" und vielleicht sogar bei den nur zäh vorangekommenen Friedensverhandlungen mit den Türken in Sistow doch noch Vorteile für Österreich herauszuschlagen, wenn - wie aus preußischen Andeutungen durchaus ablesbar war - auch Rußland und Preußen das Generalprinzip des status quo ante durchbrachen. Kaunitz befürchtete von derart kindlich-romantischen Geheimmissionen und dem von Bischoffwerder schon in Berlin ins Spiel gebrachten Antrag auf einen Freundschaftsund Defensivvertrag widrige Eindrücke bei nur geringem Nutzen; v.a. bei Rußland mochte so „bedenkliches Aufsehen" erweckt werden, und auch Leopold sah durchaus die Gefahr, daß Preußen mit all dem vielleicht einzig und allein versuchte, Rußland und Österreich zu entzweien106. Hatte Staatskanzler Kaunitz nur widerwillig grünes Licht für die Absendung der preußischen Geheimmission nach Wien gegeben, so arbeitete er Anfang Februar 1791 um so eifriger an mehreren Denkschriften für den Kaiser, in denen er seiner antipreußischen Grundhaltung getreu das Verhältnis zwischen den Häusern Habsburg und Hohenzollern in historischer Perspektive beleuchtete. Der preußisch-österreichische Gegensatz, daran ließ er keinen Zweifel, blieb für ihn auch weiterhin eine Grundmaxime im Verhältnis der beiden Staaten zueinander, eine ehrliche Verständigung daher „ein Ding der Unmöglichkeit" (A. Beer). In den Augen Kaunitz* konnte logischerweise nur die Frontstellung »Preußen gegen Österreich* eine dauerhafte Grundlage preußischer Außen106 Leopold II. an Kaunitz (14. 1. 1791), Vortrag Kaunitz (17. u. 18. 1. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 I), Leopold II. an Kaunitz (19./20. 1. 1791; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1791; Druck: [Beer] 1873, 386 - 388), Bemerkung Kaunitz' zu einer Weisung an Reuß vom 22. 1. 1791 (FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1791). Kaunitz an Reuß (21. 1. 1791; StK DK Preußen 69 Konv. Weisungen 1791) und P. S. (26. 1. 1791).

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politik sein; gerade nach seinem Aufstieg unter die „puissances principales" auf Kosten der österreichischen Monarchie mußte der Hohenzollern-Staat stets (und zu Recht) fürchten, von Habsburg wieder auf seinen ursprünglichen Rang reduziert zu werden und so die Rache für den Raub Schlesiens zu spüren zu bekommen. In einsichtiger Konsequenz hatte Preußen 50 Jahre lang unentwegt jede Vergrößerung Österreichs zu verhindern getrachtet und sogar nach Möglichkeit an dessen permanenter Schwächung gearbeitet, zum Teil auf skrupellose Art und Weise. Gegen ein solches System der eingefleischten Feindschaft konnte sich nach Meinung des Staatskanzlers keine „liaison politique de convenance réciproque" bilden, und ehrliche Beweise für die Aufgabe des „alten Systems" durch Preußen und für die Aufrichtigkeit dieser „Konversion" sah der Fürst nicht; vielmehr schienen schlagende Gegenbeweise wie die bestehende Offensivallianz zwischen Preußen und der Pforte seine Skepsis vollauf zu bestätigen. Nur die bisher von Bischoffwerder selbst ins Treffen geführten persönlichen Gesinnungen des Königs, die von Moment zu Moment schwanken konnten, genügten nicht. Ein grundlegender Systemwandel oder gar ein allfälliges Bündnis, aus dem Berlin schließlich vielmehr Vorteile erwachsen könnten, mußten schon auf prinzipiellem Umdenken gründen, da Preußen - wie die Praxis für Kaunitz zeigte - auch Verträge nicht notwendigerweise einhielt und ohnedies erst unter Friedrich Wilhelm II. das ererbte haßvolle System Friedrichs Π. auf die Spitze getrieben hatte. Trotz dieser sehr einseitigen Klärung der Schuldfrage ließ der Staatskanzler keinen Zweifel daran, daß auch Wien sich durch einen Vertrag mit dem Erbfeind nicht selbst der Möglichkeit einer eklatanten Revanche begeben durfte. Ihr Ziel war klar: Wiedergewinnung Schlesiens, dessen Verlust Kaunitz auch noch jetzt im Februar 1791 als für Habsburg un verschmerzlich bezeichnete. Die Rückeroberung dieser Provinz, deren Abtretung an Preußen die HohenzollernMonarchie überproportional gestärkt hatte, war und blieb hinreichendes Motiv, für den Ernstfall hochgerüstet eines Tages in einem günstigen Augenblick wieder gegen Berlin loszuschlagen. Es konnte nichts anderes als ein sehr übler Handel sein, wenn Wien nun die ergaunerte Großmachtstellung Preußens, das ohnedies nur durch die Güte Habsburgs und schließlich durch Usurpation auf Kosten Österreichs emporgekommen und in den Kreis der „puissances principales" aufgestiegen war, noch garantierte. Wie wollte man mehr als eine bestenfalls leidliche Nachbarschaft zwischen Höfen erwarten, deren Interessen einander stets diametral entgegenstanden und deren Bestreben unablässig auf die Schwächung des Gegenüber abzielte? Schwarz und weiß paßten, so das metaphorische Bild des Staatskanzlers bei Betrachtung des österreichisch-preußischen Verhältnisses, einfach nicht zusammen. Dem „Schurken" (Hertzberg) bzw. dem Berliner Hof konnte man bestenfalls durch eine ernsthafte, der Dignität einer großen Monarchie angemessene Sprache Eindruck machen.

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Die ausschließlich unlauteren Motive für die Sondierungen Preußens und die bevorstehende Geheimmission lagen damit klar zutage: der Kaiser sollte aus seiner bisher so geschickt gehaltenen Deckung herausgelockt und zu Aussagen gezwungen werden, die man dann mißbräuchlich zu verwenden gedachte. Mehr als allgemeine Zusicherungen und Zugeständnisse durfte man daher keinesfalls abgeben und sich über die vagen Frankfurter Zusagen nicht hinauswagen, also den König von Preußen nicht völlig beruhigen; dafür mußte der Kaiser die Zarin möglichst rasch über die Demarchen der Preußen unterrichten, um jede Verdächtigung im Keim zu ersticken 107. Es kam schließlich für die Österreicher keineswegs überraschend, daß Oberst Bischoffwerder selbst im Februar unter dem Decknamen eines Kommissionsrates Buschmann und natürlich unter größter Geheimhaltung nach Wien reiste. Seine nicht einmal einmonatige Abwesenheit aus Berlin hatte man dort als Ausdruck vorübergehender Ungnade getarnt, die Bischoffwerder angeblich zu einer Reise nach Sachsen nutzen wollte, und auf diese Weise sogar Hertzberg täuschen können. Auch der preußische Gesandte in Wien, Jacobi, wurde nicht eingeweiht und verfolgte so weiter die offizielle Berliner Politik des unnachgiebigen Drängens auf einen russisch-türkischen Frieden auf der Basis des status quo strict 108 . 107

Kaunitz an Leopold II. (2. 2. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 II; Druck: [Beer] 1873, 388 f.) mit „Mémoire sur le sistème politique de la cour de Berlin relativement à celle de Vienne", „Réflexions relatives à la cour de Berlin", „Mémoire sur les procédés de la cour de Berlin envers celle de Vienne depuis Tannée 1740 jusques au jour d'aujourd'hui, 1er février 1791" und „Réflexions du prince de Kaunitz-Rietberg sur l'arrivée prochaine du sieur de Bischofswerder" (Druck: [Beer] 1874, 230f.), Kaunitz an Spielmann (6. 2. 1791; GK 406 O.K.; Druck: [Schiitter] 1899a, 88), Kaunitz an Leopold II. und Antwort des Kaisers (8./9. 2. 1791; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1791; Druck: [Beer] 1873, 390f.), Kaunitz an Leopold II. (9. 2. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 II) mit Leopold II. an Katharina II. ([diktiert 9. 2.] 1791; Druck: [Beer] 1874, 139f.) zur Vorinformation der Zarin über die Mission Bischoffwerders und die Antwort des Kaisers auf das Schreiben Kaunitz' (10. 2. 1791; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./ 1791; Druck: [Beer] 1873, 391). 108 Reuß an Kaunitz (1., 5., 8., 15. u. 19. 2. 1791; StK DK Preußen 69 Konv. Berichte 1791); Kaunitz an Reuß (9. 2. 1791; StK DK Preußen 69 Konv. Weisungen 1791). Kaunitz an Leopold II. (14. 2. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 II, Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1791; Druck: [Beer] 1873, 392f.) mit den Anweisungen des Kaisers, Kaunitz an Leopold II. mit dessen Apostille (15. 2. 1791; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1791; Druck: [Beer] 1873, 394), Kaunitz an Leopold II. (16. 2. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 II, Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1791; Druck: [Beer] 1873, 395 [Auslassungen]) mit „Projet de réponse à chacun des numéros d'une pièce secrète de Berlin...", Leopold II. an Kaunitz (17. 2. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 II, O in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1791; Druck: [Beer] 1873, 397 - 399). Hertzberg an Lucchesini (26. 2. 1791; - Intercept, Druck: [Vivenot] 1873, 88 f.).

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Am 19. Februar 1791 traf Bischoffwerder mit einem sehr freundschaftlichen Schreiben Friedrich Wilhelms II., der seinen aufrichtigen Wunsch nach einem „rapprochement solide" beteuerte, in Wien ein und stieg in einem Gasthof in der Leopoldstadt ab. Seine hauptsächlichen Ansprechpartner waren Staatsvizekanzler Cobenzl und Spielmann; der Staatskanzler und der Kaiser wollten im Hintergrund bleiben, um die Geheimhaltung nicht zu gefährden. Die ursprünglich von Kaunitz ausgegebene Losung zur totalen Zurückhaltung gegenüber Bischoffwerder wurde schließlich bald nach den ersten Gesprächen aufgegeben. Nach einer Geheimaudienz des preußischen Emissärs beim Kaiser in der Hofburg Ende Februar waren - über die Köpfe der Staatskanzleibeamten hinweg - die Würfel für die prinzipielle Bereitschaft Leopolds zu einer Annäherung an Preußen, ja zur Errichtung eines Freundschafts- und Allianzsystems gefallen; Bischoffwerder, beseelt von der Sinnhaftigkeit seiner Mission, die er - zwar in Fragen der Diplomatie unerfahrener ,»honnête homme", aber mit den wahren Wünschen und Gesinnungen seines Herrn besser vertraut als die Minister - als Dienst an der Menschheit verstanden wissen wollte, war nach eigenem Bekenntnis hellauf begeistert. Die Detailverhandlungen wurden aber nun wieder Kaunitz und seinen Mitarbeitern überlassen, um endlich weitgehend im Sand von Forderungen und Gegenforderungen zu versickern. Die Verzögerungstaktik der Staatskanzlei hatte letztlich wieder die Oberhand behalten. Wie Leopold II. richtig angenommen hatte, erlaubte die Mission Bischoffwerders tiefe Einblicke sowohl in die politisch einflußreichen Zirkel Berlins, wo sich „Freunde" Österreichs (Bischoffwerder, Braunschweig, Möllendorf) und geschworene Anti-Österreicher und Befürworter einer Annäherung an Rußland zur Durchsetzung der Ambitionen auf Danzig und Thorn gegenüberstanden. Sie eröffnete also auch Einsichten in die für Preußen besonders brennenden außenpolitischen Tagesprobleme. Ganz oben an stand dabei die Aufweichung der österreichisch-russischen Allianz. Auch die Wiener Gesprächspartner suchte Bischoffwerder dabei durch Andeutungen über verdächtige russische Machinationen in Berlin zu beunruhigen und das aus den späten sechziger und frühen siebziger Jahren noch erinnerliche Schreckgespenst einer durch laufende Vergrößerung selbst für Österreich zunehmend bedrohlichen russischen Nachbarschaft in die geopolitischen Überlegungen der Staatskanzlei einzubringen. Die preußischtürkische Offensivallianz erhielt nun den Charakter einer harmlosen Schutzvorrichtung für das Überleben der Pforte im Angesicht der russischen Bedrohung. Die Umgehung des den Österreichern in Sistow so lästigen Kleinere bei [Beer] 1873 nicht abgedruckte Noten von Kaunitz und Leopold II. finden sich noch in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1791.

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strikten status quo winkte als Belohnung, wenn Österreich Preußen wenigstens friedlichen Territorialgewinn in Polen im Einvernehmen mit der Republik gestatten wollte. Die wesentlichen Grundsätze der preußischen Verhandlungsposition hatte der Herzog von Braunschweig in einer ersten Skizze zusammengefaßt, die nun - von Bischoffwerder verschiedentlich und z.T. abweichend kommentiert - den Österreichern als Articles qui pourraient servir de base... ausgehändigt wurden. Sie beinhalteten u.a.: - die Befreiung des Reichs von fremden (insbesondere russischen) Einflüssen und den gemeinsamen Schutz der Reichsverfassung - die Verdrängung Rußlands aus Polen und die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen polnischen Verfassung - die Einladung an die (in die preußischen Sondierungen bisher nicht eingeweihten) Seemächte, der zukünftigen österreichisch-preußischen Allianz beizutreten. Von einer Einbeziehung der österreichischen Alliierten war zunächst nicht die Rede. - die friedliche Lösung anstehender Erbschaftsfragen. Dies bezog sich besonders auf die Vereinigung der Hohenzollern-Territorien Ansbach und Bayreuth mit der Hauptlinie. 1769 nach dem Aussterben der Bayreuther Linie wieder in Personalunion vereint, sollten die fränkischen Markgrafschaften nach einer vertraglichen Einigung Berlins mit dem regierungsmüden und kinderlosen Markgrafen Karl Alexander (1736 - 1806) vom Januar 1791 durch Abdankung gegen Leibrente der Berliner Primogenitur zufallen. Der Markgraf ging noch im Mai 1791 nach England und resignierte am 2. Dezember 1791 offiziell. Für den Fall des Aussterbens der sächsischen Kurlinie dachte Preußen noch weiter: die beiden im 17. Jahrhundert an Sachsen gefallenen Lausitzen sollten in der Folge für Ansbach und Bayreuth eingetauscht werden - ein schon während des Bayerischen Erbfolgekrieges 1778 geäußerter Herzenswunsch der Preußen 109. - Österreichs Zustimmung zum Erwerb von Danzig und Thorn, wenn dies auf friedlichem Wege gelingen könnte, und zwar durch Handelszugeständnisse an die Polen. Auch Anspielungen auf die Auswirkungen der Französischen Revolution und entsprechende Gegenmaßnahmen fehlten schon damals in den Proposi109

Über die Wichtigkeit der ansbach-bayreuthischen Sukzession vgl. Süssheim 1902 und Sahrmann 1912 und allgemeiner Duchhardt 1986. Aretin 1967, Bd. 1, 249, hat die reichspolitischen Passagen der österreichisch-preußischen Gespräche vom Februar 1791 als revolutionär und für die alte Reichsordnung zerstörerisch qualifiziert. In der Tat sollten Österreich und Preußen nach den Vorschlägen Bischoffwerders offensichtlich zu gleichberechtigten Partnern bei der einflußpolitischen Aufteilung des Reiches werden.

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tionen Bischoffwerders nicht. Von Reziprozität und Ausgewogenheit - für Kaunitz die unentbehrlichen Grundlagen jeder Allianz - konnte freilich bei so einseitig verteilten Lasten und Vorteilen nicht die Rede sein. So mußte von österreichischer Seite auch auf das gepocht werden, was Preußen für seine Alliierten forderte, und territoriale Zugewinne durften nur gleichmäßig erfolgen, oder aber - für Österreich kam auch dies in Frage - sie unterblieben vollständig. Indem freilich die Staatskanzlei die von Preußen intendierte Aussperrung Rußlands nicht zulassen konnte und die Zarin auch in die von Berlin vorgeschlagene Kooperation der Partage-Mächte in Polen einbeziehen wollte, nahm sie den preußischen Wünschen die gegen Rußland gerichtete Spitze. Kaunitz ließ nicht den geringsten Zweifel daran, daß Wien unter keinen Umständen auf die russische Allianz verzichten, sie bestenfalls mit einer neuen preußisch-österreichischen Verbindung verknüpfen durfte, wies aber auf die Möglichkeit hin, daß man den Wunsch Berlins nach einem besseren Einvernehmen zwischen Österreich und Preußen auch ohne förmlichen Vertrag durch die Tat erfüllen könne, den Zweck also gleichermaßen erreiche, ohne das „sistème politique de l'Europe" durch einen derart fundamentalen Systemwechsel in Aufregung zu versetzen. Die Wiener Linie war aber auch gegenüber den von Bischoffwerder vorgebrachten preußischen Anträgen wenig einheitlich. Der Kaiser wünschte eine prinzipielle Einigung mit dem „neuen Preußen", offensichtlich unterstützt von Staatsvizekanzler Cobenzl. Kaunitz und Spielmann verhielten sich ablehnend. Der Staatsreferendar sah immerhin die Möglichkeit, den König von Preußen, der aus Trägheit und Bequemlichkeit vielleicht wirklich den Ausgleich mit dem Kaiser wünsche, in einem System der Ruhe und Freundschaft in Sicherheit zu wiegen und so zu einem weiteren Erschlaffen der preußischen „Maschine" beizutragen. Die weit überschätzte preußisch-türkische Offensivallianz galt den österreichischen Verantwortlichen als besonders schwer zu überwindendes Hindernis für eine Annäherung zwischen Wien und Berlin; anhaltende preußische Ansprüche auf Danzig und Thorn sah man als offene Verhöhnung der Reichenbacher Konvention, die besser unterbleiben sollten, jedenfalls aber durch entsprechenden österreichischen Zugewinn aufgewogen werden mußten. Bischoffwerder suchte die Österreicher zur Zustimmung zu ködern, indem er preußische Nachgiebigkeit in Sistow, also ein Abweichen vom Diktat des status quo strict, als Gegenleistung in Aussicht stellte. Ähnliche Bedenken machte die österreichische Seite gegen die Vereinigung Ansbach-Bayreuths mit den preußischen Stammlanden geltend. Auch die so wichtige Frage, wie sich der Kaiser im Falle eines Krieges zwischen Preußen und Rußland zu verhalten gedachte, konnte von Bischoffwerder nicht befriedigend geklärt werden. Freilich ließ Wien durchblicken - und befand sich hier auf einer

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Linie mit Berlin - , daß es nicht besonders erfreut war, daß Rußland mit Gewinn aus dem Türkenkrieg ausschied, während sonst alle leer ausgingen. Gelinge es also der Tripelallianz, Rußland zum Aufgeben auf der Basis des status quo ante zu bewegen, so habe Österreich nichts dagegen, solange die Alliierten die Russen nicht in die Möglichkeit versetzten, beim Kaiser den casus foederis zu reklamieren. Als Bischoffwerder am 4. März 1791 Wien wieder verließ, hatte er abgesehen von einem Brief Leopolds für Friedrich Wilhelm II. mit recht allgemeinen Versicherungen kaiserlichen Interesses an einer „union stable" zwischen den beiden Erzrivalen nur wenig für Preußen wirklich Befriedigendes mit auf den Weg erhalten. Ohne den preußischen Annäherungsversuchen vollends die kalte Schulter zu zeigen, wollten die Österreicher nichts aus der Hand geben, was Berlin die nicht auszuschließende geheime Absicht einer Entzweiung der beiden Kaiserhöfe erleichtern mochte oder es über die mögliche Rolle Wiens in einem eventuellen Krieg der Tripelallianz mit Rußland über Gebühr beruhigte 110 . 110

Kaunitz an Leopold II. (20. 2. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 II, Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1791) mit „Note du chancelier de Cour et d'Etat pour Monsieur le vice-chancelier comte de Cobenzl" (19. 2. 1791), einer Note Vizekanzler Cobenzls für Kaunitz und der Ankunftsmeldung Buschmanns/Bischoffwerders (20. 2. 1791), Kaunitz an Leopold II. (21. 2. 1791; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1791), Kaunitz an Leopold II. (22. 2. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 II, Ο in FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1791; Druck: [Beer] 1873, 399 f.) mit „Réflexions relatives à la cour de Berlin", Leopold II. an Kaunitz (22. 2. 1791; FA SB 70 Konv. NW Leopold II.-Kaunitz/1791), Kaunitz an Leopold II. (23. 2. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 II) mit Friedrich Wilhelm II. an Leopold II. (12. 2. 1791), dem Entwurf einer Antwort hierauf, Ph. Cobenzls „Rapport de ma conversation avec Monsieur de B. le 20 février 1791" (Druck: [Beer] 1874, 232 - 239, gehört eigtl. zu Kaunitz an Leopold II. 21. 2. 1791) und „Réponse verbale de Sa Majesté l'Empereur au sieur de Bischofswerder au sujet des ouvertures et propositions que contient le rapport du vice-chancelier", Vortrag Kaunitz (3. 3. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 III - IV) mit Ph. Cobenzl an Kaunitz (2. 3. 1791), „Réflexions de Monsieur le baron de Spielmann [...] sur les propositions du cabinet de Berlin" (28. 2. 1791), Leopold II. an Friedrich Wilhelm II. ([3. 3. 1791]; A auch in StK DK Preußen HK 1 Konv. Kaiser a.d. Kg. v. Preußen) und dem „Très-humble rapport sur ma seconde conférence avec Monsieur de B. (28. 2. 1791), Ph. Cobenzls „Très humble rapport sur mon demier entretien avec Monsieur de B. (4. 3. 1791; StK FriedA 75 Konv. A/B; Druck: [Vivenot] 1873, 98 - 101). Kaunitz an Reuß und P. S. sowie Ph. Cobenzl an Reuß (8. 3. 1791; StK DK Preußen 69 Konv. Weisungen 1791). Die preußischen Propositionen waren von Bischoffwerder in den „Articles qui pourraient servir de base à un traité d'alliance entre Sa Majesté l'Empereur et le roi de Prusse" (bei Bischoffwerder an Ph. Cobenzl, 21. 2. 1791 - StK FriedA 75 Konv. A/A; Druck: [Vivenot] 1873, 78f.) zusammengefaßt worden, die österreichische Entgegnung liegt als „Observations sur les articles remis comme pouvant servir de base à un traité d'alliance" vor (Beilage zu Kaunitz an Leopold II. 23. 2. 1791; Druck: [Vivenot] 1873, 92 - 94), dazu noch „Promemoria die künftige Wiedervereinigung der Fürstenthümer Bayreuth und Ans-

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Von Frankreich, dem anderen Verbündeten Österreichs, war indes überhaupt nicht mehr die Rede gewesen. Die Kardinalfrage, die das französische Außenministerium dem im März 1791 nach langem Heimaturlaub nach Wien zurückkehrenden Botschafter Noailles vorlegte, mutete nun schon reichlich naiv an: Betrachtete Leopold II. die französische Allianz noch als „pivot", als Angelpunkt, seines politischen Systems? Nicht einmal Kaunitz, der Architekt des französisch-österreichisch Bündnisses von 1756, wollte die verfallene Großmacht Frankreich in seinen machtpolitischen Kombinationen noch als aktive Komponente berücksichtigen. Der Staatskanzler mußte hart ringen, die noch bestehende Achse Wien-Petersburg gegen die Unbilden der Zeit und erste Anzeichnen einer problematischen bündnispolitischen Flexibilität des Kaisers vor dem Bruch zu bewahren, und fand für einen zusehends selbst zum europäischen Ärgernis werdenden Papieralliierten keinen Platz in seinen Kalkulationen111.

3. Stillstand und Ablenkung

a) Die österreichisch-preußische

Annäherung in der Sackgasse

Oberst Bischoffwerder war am 10. März wieder in Berlin angelangt, immer noch begeistert über die „herablassende Leutseligkeit" des Kaisers. Nun wurde in der preußischen Hauptstadt der Kreis der Eingeweihten erweitert und daher auch Kabinettsminister Finkenstein in die Geheimdiplomatie des Königs eingebunden. Der greise Veteran des Ministeriums entwarf sofort eine Antwort auf die österreichischen Bemerkungen zu den preußischen Propositionen, mit der er in Wien einigen Unwillen erregte. Berlin ging darin nicht davon aus, daß die von Bischoffwerder vorgelegten konkreten Punkte wie von Kaunitz moniert das Grundprinzip der Reziprozipach nebst dem Voigtlande mit der kurbrandenburgischen Primogenitur betr." (StK FriedA 75 Konv. A/H; Druck: [Vivenot] 1873, 79f.). Vgl. weiters »Allgemeine Betrachtungen über die gegenwärtige Explication mit dem preusischen Hof 4 (StK FriedA 75 Konv. A/H; Druck: [Vivenot] 1873, 80 - 86). Die intensive Korrespondenz zwischen Bischoffwerder und Staatsvizekanzler Cobenzl während des Wienaufenthalts des preußischen Emissärs ist mit anderem Material in StK FriedA 75 Konv. A/A bzw. Konv. A/B gesammelt und großteils bei [Vivenot] 1873, 86 - 89 und 96 - 98, abgedr. Katharina II. an Leopold II. (10. 3. 1791) und Leopold II. an Katharina II. (12. 3. 1791): [Beer] 1874, 141 - 143. - Auch Dänemark, der 1789 von der Tripelallianz aus dem Krieg gegen Schweden getriebene Verbündete Rußlands, wurde von der Staatskanzlei ermuntert, „sich in die gebieterischen Maasnehmungen der drey alliirten Höfe [sc. gegen Rußland] nicht einziehen zu laßen": Kaunitz an Breuner (21. 2. 1791; SA Dänemark 73 Konv. Weisungen 1790/91). 111 „Note pour Monsieur de Noailles" (10. 3. 1791; AMAE CP Autriche 361 [unvollständig]).

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C. Wiederherstellung

tät verletzten. Preußen sei es dabei, so hieß es nun, nur darum gegangen, möglichst rasch etwaige Problemfelder auszuräumen. Rußland durfte an der neuen Garantie Polens und - solange die Kriegsgefahr gegenüber Preußen und England bestand - an dem gesamten Bündnisprojekt keinen Anteil nehmen. Auf Thorn schienen die Preußen mittlerweile verzichtet zu haben; Danzig aber, dessen Erwerb Österreich allein schon aus Gründen der Geographie nicht beunruhigen könne, wollte man ohnedies nur dann, wenn Polen es freiwillig im Tausch gegen breite Zugeständnisse in einem die Tripelallianz an Polen anbindenden Handelsvertrag anbiete - eine von den Briten schon seit Reichenbach auch in Direktgesprächen mit den Polen und z.T. gegen den Willen des preußischen Königs verstärkt forcierte Idee, die Preußen nach der von England herbeigeführten Schlappe von Reichenbach gnädiger stimmen, den Einbau der Rzeczpospolita in eine nordische Bündniskette erleichtern, aber auch dem britischen Handel handfeste Vorteile und ein Ausbrechen aus der einseitigen Abhängigkeit von Rußland ermöglichen sollte. Die Handels- und Hafenstadt sei dann eigentlich, so die Preußen jetzt, gar kein Äquivalent mehr für die großen Zugeständnisse Preußens an die Republik („une perte plutôt qu'un avantage"). Das Eintreffen dieser „Remarques" versetzte den preußischen Annäherungsversuchen bei Kaunitz zunächst den Todesstoß. Die Verlegenheit der Berliner Verantwortungsträger, die zu einem großen Teil keinen Krieg gegen Rußland wollten, aus dem letztlich vor allem die Engländer Gewinn ziehen würden, war Wien nicht verborgen geblieben. Demonstrationen, diplomatischer Druck und Spiegelfechtereien sollten die Zarin ohne Blutvergießen aus dem Rennen werfen. Für den Staatskanzler stand nun definitiv außer Zweifel, daß die Anträge Bischoffwerders nur auf Trennung Österreichs von Rußland, auf Schwächung des ohnedies gefährlich lädierten österreichischen Bündnissystems und in weiterer Folge auf die Gewinnung der Zarin für die englisch-preußische „Ligue" hinausliefen. Eine preußischösterreichische Allianz bezeichnete er jetzt ganz offen als sinnlos, da beide Staaten ja letztlich nur den jeweils anderen zu fürchten hatten. Eine Entfernung des russischen Einflusses aus Polen kam nur für den Fall in Frage, daß auch der preußische verschwand; ansonsten blieb Rußland ein dringend nötiges Gegengewicht. So wollte Wien wieder einmal auf Zeit spielen; die lange Italienreise des Kaisers bot dafür den schicklichsten Vorwand. Fürst Reuß in Berlin wurde angewiesen, den preußischen Hof zu menagieren und durch „Freundschaftscontestationen" geduldig zu halten. Für Staatskanzler Kaunitz war klar, daß der Kaiser „conformément aux loix de l'honneur et de la probité" seine Verbindlichkeiten gegen Katharina, die im April 1791 für den Ernstfall zum ungezählten Mal die bündnismäßige Hilfe des Kaisers einforderte, unbedingt einhalten mußte, wollte er sich deren Freundschaft nicht für immer verscherzen. Nur für den Türkenkrieg Rußlands, so

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die Mahnung Kaunitz', hatte man (gezwungenermaßen) in Reichenbach Neutralität versprochen 112. Als der Kaiser am 14. März 1791 mit der neapolitanischen Königsfamilie, die nun nach den Hochzeits- und Krönungsfeierlichkeiten wieder die Heimreise antrat, und einem Teil der Erzherzoge nach Süden aufbrach u.a. auch um in Florenz Erzherzog Ferdinand als Großherzog von Toskana zu installieren -, verblieb die Weiterführung der Verhandlungen mit den Preußen bei Fürst Kaunitz, dessen kritische Sichtweise so vorerst die Oberhand behielt: Die Mission Bischoffwerders entsprang nach seiner Einschätzung lediglich einer momentanen Zwangslage Berlins und bot daher keinerlei solide Grundlage für eine radikale Systemänderung. Nicht einmal die einfachsten Regeln der Wechselseitigkeit hielten die Preußen ja ein: während sie selbst den Erwerb von Ansbach und Bayreuth bereits als selbstverständlich ansahen, wollte man die österreichischen Ansprüche auf die Lausitzen noch genauerer Prüfung unterziehen. Nach dem Tod des bayerischen Kurfürsten sollte Österreich stillhalten, Preußen dachte aber nicht daran, seine alten Ambitionen auf Jülich und Berg aufzugeben. Ein Krieg Friedrich Wilhelms II. mit Rußland hatte, wie immer sein Ausgang sein mochte, auch für Österreich etwas Gutes: Berlin würde sich ausbluten und seinen Staatsschatz endgültig leeren. Damit kam man gegebenenfalls dem alten Wunschtraum Kaunitz' näher, zum passenden Zeitpunkt vielleicht alleine schon durch eine imposante Demonstration „ins Mittel zu treten und jene Rolle zu erwiedern, welche der König von Preußen in Reichenbach gespielt hat". Wäre aber einmal der Krieg zwischen Preußen und Rußland außer Sicht, herrschten auch für etwaige Näherungsversuche zwischen Wien und Berlin bessere Rahmenbedingungen. Sofort mußte die k.k. Botschaft in Petersburg ausführlich über die preußischen Störmanöver informiert werden, um preußischen Intrigen bei der Zarin keinerlei Freiraum zu lassen und jeden Anflug von Mißtrauen noch im Keim zu ersticken. Man freute sich ostentativ über die kritische Lage Preußens, das sich durch seine diktatorische Sprache nun in eine ungemütliche Position gegenüber Rußland manövriert hatte, dabei aber kaum noch auf englische oder schwedische Unterstützung rechnen konnte und fürchten 112

Reuß an Kaunitz (1., 5., 8., 11. u. 15. 3. 1791; StK DK Preußen 69 Konv. Berichte 1791), Kaunitz an Reuß mit P. S. (1. 4. 1791; StK DK Preußen 69 Konv. Weisungen 1791). „Réflexions" Kaunitz* (24. 3. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 III - IV). Die preußischen „Remarques sur les observations préliminaires que S.M. l'Empereur a fait parvenir au Roi" sind bei [Vivenot ] 1873, 94 - 96, abgedr. Katharina II. an Leopold II. (15. 4. 1791; Druck: [Beer] 1874, 144f.). - Die engl. Polenpolitik bei Stratmann 1968, bes. 178 - 209. Zum polnischen Widerstand gegen die Abgabe von Danzig und Thorn an Preußen im Detail: Kaiinka 1896/98, Bd. 2, 236 - 301. 2 Hochedlinger

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mußte, daß bald auch die Pforte den russischen Schlägen erlag. Preußens Militärs rieten denn auch ihrem König von einem Waffengang ab. Während dieser prolongierten Hinhaltephase gegenüber Berlin sollte auch der im Februar 1791 bekanntlich unterbrochene Kongreß in Sistow „durch plausible Prätexte in suspenso" gehalten, der Waffenstillstand aber mit preußischer Hilfe verlängert werden. Daß die Pforte wieder Krieg gegen Österreich begann, solange dieses die eroberten türkischen Festungen besetzt hielt, wollte man nicht glauben. Bei fortschreitender Erholung wagte es Österreich jetzt um so leichter, wieder etwas entschiedener aufzutreten, war man sich doch durchaus im klaren, daß England und Preußen in Wahrheit inständig hofften, die Zarin würde alleine schon durch Drohungen zum Aufgeben bewogen werden ein Plan, den gerade die überraschend schnelle innere Regeneration Österreichs vereitelte; man hatte bewiesen, daß man seine alte Rolle in der „balance de l'Europe" wieder aufzunehmen gesonnen war. Zu effektiven Demonstrationen zugunsten Rußlands fühlte man sich aber immer noch nicht in der Lage. Nicht nur die traditionell feindselige, unaufrichtige preußische Außenpolitik, auch das neue System Englands mußte wegen der für das Londoner Kalkül befreienden Wirkung der Französischen Revolution als für die beiden Kaisermächte besonders gefährlich eingestuft werden. Der Gefahr eines ernstzunehmenden Konflikts mit dem französischen Rivalen weitgehend ledig, konnte das Kabinett Pitt nach dem Ausbruch aus der „splendid isolation" der sechziger, siebziger und frühen achtziger Jahre um so beschwingter eine tragende und aktive Rolle auf dem politischen Welttheater übernehmen: jene des europäischen Schiedsrichters und Wahrers der „balance of power". Durch Schwächung der allzu Mächtigen, Stiftung von Zwietracht und Eifersucht mochte das Inselreich die Höfe des Festlands einigermaßen bequem unter Kontrolle halten und mußte seit dem abrupten Absturz Frankreichs nicht mehr wie früher um ein Bündnis mit den beiden Kaiserhöfen buhlen. Im Gegenteil: Die Eindämmung und Demütigung Österreichs und Rußlands, jener Puissancen also, die das europäische Gleichgewicht aus britischer Sicht am meisten bedrohten, das Gegeneinanderausspielen der beiden, wurde jedenfalls nach österreichischem Empfinden für einige Zeit zur Leitlinie der Londoner Politik. In Berlin ließ Wien indes keinen Zweifel daran, wie unschicklich und unpassend die anhaltend böswillige Interpretation aller österreichischen Schritte und das von Friedrich Π. ererbte Mißtrauen waren und wie stark sie mit den Annäherungsversuchen des Februar 1791 kontrastierten. Bewußt gab Wien vor, daß man die den Gesinnungen des Königs widersprechende böswillige Linie der Berliner Diplomatie auf die anhaltenden Quertreibe-

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reien anderer preußischer Verantwortungsträger zurückführte, die die 50jährige Tradition antiösterreichischer Diplomatie fortsetzen wollten. Dabei bemühte man nicht nur das merkwürdige Verhalten des preußischen Mediators Lucchesini in Sistow, sondern auch und vor allem die eigenartige Mission Ephraim in Paris als Argumentationshilfen. Doch man durfte sich freuen: Hertzbergs Stern war längst im Niedergang begriffen; der König ließ ihn verstärkt seine Unzufriedenheit fühlen, Hertzberg kränkelte und bereitete so seinen allmählichen Rückzug aus der Geschäftsleitung vor. Anfang Mai 1791 kam es tatsächlich zu einer fast revolutionären Neugestaltung des Berliner Kabinettsministeriums, durch die die Hertzbergische Alleinherrschaft über die Außenbeziehungen Preußens gebrochen wurde: Generalleutnant Friedrich Wilhelm Graf von der Schulenburg-Kehnert (1742 - 1815), Präsident des Oberkriegskollegiums, und der ehemalige preußische Gesandte in Den Haag und London (1787 - 1790) Freiherr von Alvensleben, zogen in das Kabinettsministerium ein, das somit vorläufig vier Köpfe zählte. Das gesamte Kollegium hatte nun über die auswärtigen Angelegenheiten zu beraten, jede Privatkorrespondenz der Minister mit preußischen Vertretern im Ausland aber zu unterbleiben. Anfang Juli 1791 nahm Hertzberg - nach wiederholten Demütigungen und längst an den Rand des Entscheidungsfindungsprozesses gedrängt - endgültig seinen Abschied. Friedrich Wilhelm hatte so schnell erreicht, was Leopold II. Bischoffwerder im Februar 1791 als wünschenswert dargelegt hatte: daß beide Herrscher ihren im Annäherungsprozeß sehr hinderlichen leitenden Ministern Kaunitz und Hertzberg - die Türe weisen sollten. Entsprechende Schritte in Wien blieben aus - Kaunitz überlebte sogar noch Leopold Π. -, und dies nährte in Berlin selbst in gutwilligen Kreisen Zweifel an der Aufrichtigkeit des Kaisers. Viele fürchteten dort, daß es Wien auf nichts anderes anlegte, als die preußischen Anträge in Rußland aufzudecken und sich noch fester an Petersburg zu binden. Die Österreichskeptiker drohten, so jedenfalls ein ob der unklaren Lage zunehmend ängstlicher werdender Fürst Reuß, beim König die Oberhand zu gewinnen. Bischoffwerder konnte aber den ungeduldig werdenden König weiterhin zügeln, und der Rückzieher Englands gegenüber Katharina II. arbeitete ebenso für Österreich wie die im Mai 1791 unter massivem Druck der Emigranten heranreifenden Eingreifpläne Leopolds II. gegen die Französische Revolution, die bei Friedrich Wilhelm Π. auf wachsende Sympathie stießen; dies trotz großer Skepsis seitens des Ministeriums, das auch den anhaltenden Bemühungen Englands, Preußen Danzig auf friedliche Weise zu verschaffen, großteils überaus reserviert gegenüberstand. Die Preußen gaben ungeachtet des österreichischen Schweigens nicht auf und nützten, um den Druck auf Wien zu verstärken, angeblich verlockende 2*

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Sondierungen der Russen, die zu großen Konzessionen, ja zu einer Allianz mit England und Preußen bereit waren, wenn nur der Erwerb Oczakows außer Streit gestellt würde. Das Scheitern des „Russian armament", für das sich das englische Kabinett eiligst in Berlin entschuldigen ließ, konnte man so in Wien nach den Ängsten der letzten Monate als Silberstreif am Horizont empfinden. Denn während das englisch-preußische Verhältnis durch die herbe Schlappe notwendigerweise erkalten mußte, rühmte sich die Staatskanzlei gegenüber der Zarin als jenes politische Riff an, an dem die Tripelallianz mit ihrer Ostpolitik Schiffbruch erlitt. Erst die Zweideutigkeit der österreichischen Erklärungen und die Verzögerungstaktik in Sistow hatte nach Ansicht der Wiener Behörde Katharina den nötigen Handlungsspielraum für ihre starrköpfige Linie verschafft 113. b) Die polnische „Revolution " Im Frühjahr und Sommer 1791 waren die Ereignisse in Frankreich nicht die einzigen „revolutionären" Vorgänge, die die europäischen Mächte beschäftigten. Auch in Polen kam eben zu dieser Zeit eine Entwicklung zum effektvollen Abschluß, die schon in den achtziger Jahren mit dem Ver113

Vortrag Kaunitz (28. 3. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 III - IV; Druck: [Vivenot] 1873, 90 [dort falsch auf 28. 2. datiert]) mit „Gutachten des Fürsten Kaunitz über die von Berlin eingetroffene Rückäusserung und die allerhöchsten Orts zu ergreifende Parthey" (26. 3. 1791; Druck: [Vivenot] 1873, 110 - 115). Kaunitz an L. Cobenzl Hauptschreiben u. P. S. bzw. Begleitschreiben (28. 3. 1791; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1791; Teildruck: [Vivenot] 1873, 90 - 92, 115f., 116-118 [z.T. irrig datiert 28. 2. 1791]), dto. (16. u. 27. 4. 1791; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1791). Ph. Cobenzl an Reuß (9. u. 12. 4. 1791; StK DK Preußen 69 Konv. Weisungen 1791); Reuß an Kaunitz (21. 3., 4., 9., 12., 21. u. 30. 4., 3. 5. 1791), Friedrich Wilhelm II. an Reuß (3. 4. 1791), Bischoffwerder an Reuß (11. 4. 1791): StK DK Preußen 69 Konv. Berichte 1791; Reuß an Ph. Cobenzl (29. 3. u. 4. 4. 1791; StK DK Preußen 70 Sperrkonvolut/Berichte 1791). Kaunitz an Mercy (11. 5. 1791; SA Frkr. Weisungen 179 Konv. Kaunitz-Mercy 1791 I - VII). Mitrofanow 1916, Kap. 5 § 7. - Zur Italienreise des Kaisers von März bis Juli 1791 vgl. auch Wandruszka 1963/65, Bd. 2, 343 - 352. - Bezüglich der Umgestaltung des Kabinettsministeriums bzw. zum (endgültigen) Rücktritt Hertzbergs Anfang Juli 1791: Hertzberg an Lucchesini (19. 6. 1791; StK FriedA 75 Konv. A/K Intercepte), Demoustier an Montmorin (9., 12. 7. 1791; AMAE CP Prusse 212), Reuß an Kaunitz (9. 7. 1791; StK DK Preußen 69 Konv. Berichte 1791) mit der entsprechenden amtlichen Mitteilung von Schulenburg und Alvensleben (8. 7. 1791). Preuß 1909, 174 - 178, Krauel 1899, 59 - 84. Nach seinem Rücktritt, der ihn in der Folge erschütternden Demütigungen aussetzte, widmete sich Hertzberg u.a. der Vollendung seiner „autobiographischen" Materialsammlung „Recueil des déductions, manifestes etc. rédigés par la cour de Prusse", nicht ohne große Schwierigkeiten, was die jüngste „Zeitgeschichte" betraf.

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such einer allmählichen Befreiung aus dem russischen Dominât ihren Ausgang genommen hatte. A m 3. Mai 1791 setzten König und Patrioten auf dem Reichstag staatsstreichartig eine neue Verfassungsordnung - Europas erste „Konstitutionsakte modernen Typs" (M. G. Müller) - durch, die auf die Sprengung der bislang konstitutionell verankerten Selbstfesselung zielte und Polen zu einer kräftigeren Erbmonarchie machen sollte. Das berüchtigte liberum veto, der Einstimmigkeitsgrundsatz auf Reichstagen, fiel, die Position des Dritten und - rudimentär - des Vierten Standes wurde vorsichtig verbessert, die Gewaltenteilung brach sich Bahn und bildete mit das Trägergerüst für eine „gemäßigt monarchische Regierungsform, die sich auf eine demokratisch organisierte Nation von Staatsbürgern gründete" (H. Vahle) 1 1 4 . Nur für die übelwollende adelige Opposition hing ein gewisser „odor of Jacobinism" (R. Palmer) über dem sehr gemäßigten Reformwerk, das wohl kaum „französische Zustände" befürchten ließ, auch wenn im Juli 1791 114 Siehe die Teil A, Anm. 67 und Teil B, Anm. 95 zur „polnischen Frage" im allgemeinen genannte Literatur. Speziell Kaiinka 1896/98, Bd. 2/3, 512-761, Mitrofanow 1916, Kap. 6/III. Weiters: Liske 1873 [zu „Die Politik des österreichischen Hofes in Sachen der Constitution vom 3. Mai", poln., Krakau 1872, von Waleryan Kaiinka], Roepell 1891 [deutsche Zusammenfassung des postum herausgebrachten dritten Bandes des großen Werks ,Der vieijährige Reichstag4, poln., Lemberg 1880 - 1888, von Waleryan Kaiinka], Manbar 1928, 68 - 80, Lord 1915, 192 - 216, Donnert 1989, Kobuch 1994, Reinalter 1997. Gerade die Polenpolitik Leopolds führte bekanntlich zu einer ausgedehnten wissenschaftlichen Kontroverse zwischen H. von Sybel, der Leopold wenn nicht (wie anfangs) als Urheber, so doch als engagierten Protektor der „polnischen Revolution" von 1791 zeichnete, und E. Herrmann, der die konterrevolutionäre Position des Kaisers gegenüber Frankreich, „seine principiellen, excessiv reactionairen Anschauungen" stark herausstellte, die polnischen Ereignisse folgerichtig als unerwünschte Ablenkung der kaiserlichen Westpolitik wertete und Leopold daher ein Zusammenwirken mit Rußland zur Wiederherstellung des status quo in Warschau unterstellte, um „eine breitere und sichrere Reactionsbasis gegen das revolutionäre Frankreich zu gewinnen". Beide schrieben zunächst ohne tiefere Kenntnis der österreichischen Aktenüberlieferung. Erst Beer [1874] hat die „Außensicht" der Hauptkontrahenten Sybel und Herrmann nach den wichtigsten Aktenstücken der Wiener Archive in der ausführlichen Einleitung ,Zur Geschichte der Politik Leopold's I I / im Vorspann zu der weniger bedeutenden Edition der Herrscherkorrespondenz zwischen Leopold II., Franz II. und Katharina II. korrigiert und ergänzt (89 - 120, hier bes. 101 - 110), viel kursorischer dagegen in Beer 1883, 146 - 154. Zur Herrmann-Sybel-Kontroverse der sechziger Jahre siehe Sybel 1860, Herrmann 1861, Sybel 1862, ders. 1863, Herrmann 1864, Sybel 1864, ders. 1870, Beer 1872, 5 - 13, Sybel 1853/1882, Bd. 1, 281 - 298, Wandruszka 1963/65, Bd. 2, 362 - 364. Die Kontroverse Sybel-Herrmann faßt ganz übersichtlich zusammen und korrigiert nach Vivenot u.a. späteren Publikationen Genelin 1883. Schroeder 1994 a, 89, hat jüngst die absolute Priorität der Polenpolitik im Gesamtkonzept Leopolds II. erneut betont, scheint jedoch Konsequenz und Stimmigkeit der leopoldinischen Politik, ja den Herrscher überhaupt deutlich zu überschätzen.

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sicher eine etwas ungünstige Signalwirkung - nach langer Brache in den diplomatischen Beziehungen zwischen Polen und Frankreich ein neuer französischer Gesandter, Descorches de Sainte-Croix, in Warschau eintraf. In Paris jedenfalls nahm man, wie der k.k. Geschäftsträger Blumendorf meldete, die Nachricht von der „polnischen Revolution" vielerorts sehr freundlich auf und schrieb sich die Ereignisse in Polen - „Frucht und Wirkung" der französischen Vorgänge - als Verdienst auf die eigenen Fahnen; der französische Gesandte in Warschau aber geriet rasch in den starken Verdacht, bis zu seiner Ausweisung im Oktober 1792 hauptsächlich als jakobinisch-demokratischer Wühler gewirkt zu haben. Sehr zu Unrecht, denn Frankreich verfolgte in Polen bis ins Jahr 1792 im wesentlichen eine „politique d'abstention" und dachte vorerst nicht daran, seine ehemals so starke Position in Warschau zurückzuerobern; Descorches de. Sainte-Croix hatte in seinen Instruktionen ausdrücklich Befehl erhalten, jede revolutionäre Proselytenmacherei unbedingt zu unterlassen115. Viele polnische Magnaten - angeführt von Felix Graf Potocki (1752 1805) - entschlossen sich mit ihrer Anhängerschaft aus dem barfüßigen Adel zum Widerstand gegen die Verfassung vom Mai 1791. V.a. im Osten des Landes waren sie stark und ein, wie sich erweisen sollte, gefährliches Bindeglied zu Petersburg und seinen Revisionsabsichten im polnischen „Vorfeld". Entscheidender in den Augen der benachbarten und interessierten Mächte war nämlich die außenpolitische Kehrseite der innenpolitischen Reformschnitte: der Versuch einer Stärkung der Position Polens im internationalen System durch Anbindung an eine auswärtige Dynastie bedeutete einen Schritt von großer internationaler Tragweite. Statt der Unsicherheiten einer Wahlmonarchie wünschte man sich hinfort die Erblichkeit der polnischen Königskrone. Die Wahl fiel dabei für die Zeit nach dem Tod Stanislas Poniatowskis - nach der Wettiner Periode in der ersten Jahrhunderthälfte nicht sonderlich überraschend - wieder auf das Haus Sachsen, auf den in Äquidistanz zu Berlin und Wien geschickt agierenden Kurfürsten Friedrich August und im Falle seines Ablebens ohne männliche Erben auf seine neunjährige Tochter Marie Auguste. Dieser eigentliche Schlußstein zur Absicherung der Verfassungs- und Staatsreform in Polen lief dem Streben so manches Nachbarn nach schonungsloser Außensteuerung eines im wesentlichen als „Kompensationsreservoir zur Steuerung ihrer eigenen Spannungen und Rivalitäten" (K. Zernack) begriffenen machtpolitischen 115 Blumendorf an Kaunitz (26. 5. 1791; wie Anm. 94). - Doyon 1925/1927/ 1928, Grossbari 1929/30, Beauvois 1989 mit der entsprechenden polnischen Literatur. Von Henryk Kocój, dem besten Kenner der polnischen „Diplomatiegeschichte" jener Zeit, nenne ich hier nur Kocój 1991. Kocójs wichtigeren polnischen Publikationen verzeichnet Beauvois 1989. Die Instruktion für Descorches bei [Farges] 1888, 313 - 319 („notre doctrine n'est pas agréable").

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Vakuums und der Verhinderung von Reformen zur Gewinnung verstärkter innerer Konsistenz stracks entgegen. Österreich verfolgte in Polen immer noch die Linie größter Zurückhaltung und hatte in diesem Sinne auch in jüngerer Vergangenheit Annäherungsversuchen konservativer polnischer Adliger zur Unterminierung der sich abzeichnenden Verfassungsreform als unmoralisch zurückgewiesen. Im Verständnis Kaunitz' vertrug es sich nicht mit der Ethik des Kaisers (von den politischen Zielen ganz zu schweigen), in der Nachbarschaft Revolten und Bürgerkrieg anzuzetteln, nur um Polen definitiv wieder aus der preußischen Allianz zu brechen und in die Arme Österreichs und Rußlands zurückzuführen; dies um den Preis einer nochmaligen Garantie der alten polnischen Verfassung 116. Österreich war es schon zufrieden, wenn die Polen noch gegen Ende 1790 nach den ernüchternden Erfahrungen des Jahres von selbst und sichtbar aus ihrer Preußenhörigkeit erwachten. So konnte man sich, was die Polenpolitik anlangte, wieder zurücklehnen und warten, bis sich die Lage weiter beruhigte und die allgemeine Weltlage den Zeitpunkt herbeiführen würde, „in welchem sie [die beiden Kaisermächte] mit Frucht und Nuzen an die Wiederauflebung und Thätigkeit ihres dortigen Einflußes [...] fürdenken werden". Mehr als Hilfskraft der Russen wollte Wien dabei ohnedies nicht sein, und noch im März 1791 war der k.k. Chargé d'affaires in Warschau, Caché, dementsprechend instruiert worden, daß Österreich sich „sorgfältig von aller Theilnehmung an den pohlnischen Angelegenheiten ferner enthalten" müsse. Die unklaren Verhältnisse, die in der sehr starken Turbulenzen ausgesetzten Ostpolitik der drei schwarzen Adler bis zum definitiven Ende des Türkenkriegs herrschten, verfehlten dabei ihre sedierende Wirkung nicht 117 . Anders als Preußen, das bereits im Gefolge der Reichenbacher Verhandlungen gegenüber dem k.k. Gesandten Fürsten Reuß unverhüllt größte Besorgnis über ein allfälliges machtpolitisches Erstarken Polens, insbesondere über die Installierung einer Erbmonarchie geäußert und in der raschen 116

Kaunitz an Leopold II. (8. 2. 1791; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1791; Druck: [Beer] 1873, 390f.) mit ksrl. Apostille, dazu „Sentimens du prince de Kaunitz-Rietberg sur un projet communiqué à S.M. l'Empereur relativement à la Pologne" (8. 2. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 II; Druck: [Beer] 1874, 248), Leopold II. an Kaunitz (10. 2. 1791; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./ 1791; Druck: [Beer] 1873, 391). In diesen Zusammenhang wohl einzuordnen: Leopold II. an Kaunitz ([Februar?] 1791; StK Vorträge 149 Konv. 1791 VIII - X) und ein Mémoire (o.D.; StK Vorträge 149 Konv. 1791 XI - XII), Kaunitz an Ph. Cobenzl (?) ([Februar?] 1791; StK Vorträge 149 Konv. 1791 VIII - X). 117 Kaunitz an L. Cobenzl P. S. (31. 12. 1790; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1790), an Caché (28. 3. 1791; SA Polen II Weisungen 82 Konv. Expeditionen 1791).

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Unterbrechung dieser Entwicklung gemeinsames Interesse Berlins und Wiens vermutet hatte (August 1790), beurteilte Staatskanzler Kaunitz erste Nachrichten über die „Revolution" vom 3. Mai 1791 durchaus positiv; sowohl im Rahmen des österreichischen Verhältnisses zu Berlin und London, da „durch jenen merkwürdigen Vorgang" die Verlegenheit der beiden Höfe noch weiter vergrößert wurde, als auch unter dem spezifischeren Blickwinkel österreichischer Ostpolitik. Der Verfassungsputsch und seine Folgewirkungen schienen dem österreichischen Staatsinteresse günstig zu sein, stärkten sie doch die Kräfte der Republik für den Abwehrkampf gegen die preußische Bedrohung. Daß Preußen aber einer neuen Achse Dresden-Warschau und einer damit verbundenen Stärkung der königlichen Gewalt mit tiefer innerlicher Ablehnung gegenüberstand, daran bestand für die Staatskanzlei kein Zweifel. Wichtig schien Kaunitz daher.nun v.a., als er die Neuigkeiten aus Polen dem Kaiser auf seine Italienreise nachsandte, die »Freundschaft 4 mit dem sächsischen Kurfürsten weiter auszubauen und zu vertiefen, um nicht durch etwaige preußische Parallelmanöver überrundet zu werden. So ließ der Staatskanzler in Erwartung der kaiserlichen Reaktionen einstweilen selbständig über den österreichischen Gesandten in Dresden, Graf Hartig, in der sächsischen Hauptstadt eine „gefällige Demonstration" machen, und der Kaiser gratulierte Friedrich August von Sachsen wunschgemäß von Italien aus in warmen Worten zur lobenswerten Entscheidung der Polen. Für Spätsommer 1791 wurde gleich ein formloses Treffen mit dem preußischen König auf sächsischem Territorium fixiert. Leopold Π. fand die polnische „Revolution" in der internen österreichischen Diskussion „bien extraordinaire" und ging von Beginn an davon aus, daß sich nicht die gesamte politische Nation hinter die Errungenschaften der verfassungspolitischen Neuorganisation stellen würde. Wichtig war ihm, was Rußland dazu zu sagen hatte, denn - so der mißtrauische Kaiser Berlin steckte vielleicht gar mit dem polnischen König unter einer Decke und verfolgte insgeheim das Projekt, die in Zukunft erbberechtigte sächsische Prinzessin mit dem zweiten Sohn Friedrich Wilhelms zu verheiraten; ein, wie sich bald herausstellte, unbegründeter Verdacht, so wie auch der bis Sybel - auf preußischer Seite vertretene Standpunkt, Leopold Π. habe die Revolution aktiv gefördert, jeder Grundlage entbehrt. Immerhin betrachtete Preußen die polnische Revolution innerlich in der Tat mit „scheelen Augen", ergriff nur nach außen, wie die Staatskanzlei wußte, „die Partei, bei bösem Spiel freundliches Gesicht zu machen", empfand man doch gerade in der freilich allenthalben auf dem Rückzug befindlichen Partei Hertzbergs - die Stärkung Polens ohne gleichzeitige Kontrolle durch Berlin als gravierende sicherheitspolitische Bedrohung. Dem stellte der Staatskanzler ein ehrliches Interesse Österreichs an der erfolgreichen Umsetzung des polnischen Kräftigungsprozesses gegenüber, der die einzig für Preußen günstige Anarchie beendete und die für wohlgesinnte Nachbarn wünschens-

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werte Ruhe Polens verbürgte. Die Stärkung des Bürger- und Bauernstandes verbesserte die Position des Königtums gegen die großen Familien, während andererseits doch der „Samen republikanischer Grundsätze" weiter dafür sorgte, daß auch ein potenterer polnischer Souverän nicht allzu aktiv oder gar offensiv nach außen greifen konnte. Sachsen zauderte freilich, v.a. mit Rücksicht auf seine Nachbarn, aber auch wegen der lästigen Bedingungen, die die Polen an die Übertragung der Königskrone knüpften; das sächsische Ministerium schien einigermaßen entsetzt, der Kurfürst wollte sich weder zum bloß mechanischen Exekutor der Beschlüsse des Sejm machen noch, womit die Verbindung SachsenPolen bald Wieder abreißen konnte, die Erbfolge zum Schaden seiner Brüder auf die Linie seiner auch finanziell überaus attraktiven Tochter einschränken lassen, deren Hand vielleicht gar für den Neffen des polnischen Königs bestimmt war, jedenfalls aber jetzt ohne Mitsprache der Polen nicht mehr zur Disposition stand. Dieser wenig schmeichelhaften Option zog der Kurfürst eine Verheiratung mit Erzherzog Karl von Österreich vor und kam so einer lang gehegten Lieblingsidee Erzherzogin Marie-Christines entgegen. Während ihrer Rückreise in die Österreichischen Niederlande hatte sie ausgerechnet im Mai 1791, als hier die ersten Nachrichten aus Warschau eintrafen, Zwischenstation in Dresden gemacht und dabei dieses vielversprechende, aber zusehends folgenschwerer werdende Heiratsprojekt in ihrem Briefwechsel mit Kaiser Leopold II. verstärkt in Diskussion gebracht. Am schwersten wog aus sächsischer Sicht das Fehlen ehrlicher und offener russischer Zustimmung. Daß Wien in Petersburg mit reichhaltiger Argumentation auf eine Anerkennung der neuen Lage der Dinge drängte, um so Friedrich August von Sachsen wenigstens die ärgsten Bedenken zu nehmen, und andererseits auch Sachsen und Polen zur größtmöglichen Schonung der russischen Sensibilitäten zu bewegen suchte, brachte nicht den gewünschten Erfolg. Die Zarin ließ sich selbst durch den österreichischen Appell zu einer weniger engherzigen Polenpolitik nicht rühren, und wie konsterniert die Spitzen der russischen Politik schon bei Eintreffen der ersten Nachrichten aus Warschau waren, wußte man auch in Wien durch die Berichte des Grafen Cobenzl. Umsonst führte Kaunitz aus, daß die vor zwanzig Jahren für das russische „Staatsinteresse" noch undenkbare polnische „Revolution" heute, da die russischen Grenzen ein „non plus ultra der Solidität und Convenienz" erreicht hatten und die gefährliche Nachbarschaft zwischen Polen, Tataren und der Pforte längst nicht mehr zu besorgen war, nichts Bedrohliches an sich hatte. Eine zurückhaltende russische Position konnte sich ganz im Gegenteil - so die Staatskanzlei - auch langfristig bezahlt machen, da die Polen auf diese Weise am raschesten erkennen müßten, daß letztlich nur Preußen eine Vergrößerung auf Kosten Polens anstrebte, die beiden Kaisermächte aber zusätzlich zu einer jetzt zu erwartenden eigenverantwortlichen

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polnischen Widerstandshaltung Bürgen für das Überleben der Republik waren. Bis zum Ende ihres Türkenkriegs im Januar 1792 hüllte sich die Zarin in verdächtiges Schweigen; in der internen Diskussion freilich war seit Mai 1791 klar, daß, sollten mildere Restitutionsversuche scheitern oder Preußen nicht doch noch eine neuerliche Teilung erzwingen, Petersburg nur einen günstigen Zeitpunkt und den Hilferuf der innerpolnischen Opposition abwartete, um die Verfassungsreform auch mit militärischen Mitteln zu zerschlagen und den russisch garantierten status quo ante wiederherzustellen 1 1 8 . Die „polnische Revolution" hatte auch »komische4 Folgen, so etwa die, daß nun der bayerische Kurfürst - seit langem im Zusammenhang mit den belgisch-bayerischen Tauschplänen der Habsburger potentieller Kandidat für eine Königskrone - seinen Wunsch nach dieser Rangerhöhung verstärkt ins Spiel brachte. Offensichtlich witterte der bald letzte weltliche Kurfürst ohne Königstitel eine konzertierte Aktion der Nachbarmächte als Impulsgeber für die Umpolung der „polnischen Revolution" zu einer neuerlichen „Königskrönung" der Wettiner und wollte demgegenüber nicht zurückbleiben. Die Staatskanzlei beeilte sich allerdings klarzustellen, daß die „polnische Revolution" für alle eine beträchtliche Überraschung gewesen sei: „Kein Hof kann sich schmeicheln, diese Revolution erwirket und Sachsen auf diesen Tron befördert zu haben. Diese unerwartete Revolution ist die Wirkung 118

Reuß an Kaunitz (6. 8. 1790; wie Anm. 49). Vortrag Kaunitz (12. 5. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 V), Leopold II. an Kaunitz (Mantua, 20. 5. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 V; Druck: [Beer] 1873, 404 - 410). Kaunitz an L. Cobenzl u. P. S. (24./25. 5. 1791; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1791; Druck: [Vivenot] 1873, 138 - 145), an Reuß (15. 6. 1791; StK DK Preußen 69 Konv. Weisungen 1791), an Mercy (23. 6. 1791; SA Frkr. Weisungen 179 Konv. Kaunitz-Mercy I - VII; Druck: [Vivenot] 1873, 538 - 542). Friedrich August von Sachsen an Leopold II. (27. 5., 1. 7. 1791; StK DK Sachsen HK 2; Druck: [Vivenot] 1873, 147, 183 f.) u. Leopold II. an den Kurfürsten (Mailand, 11. und 18. Juni 1791; StK DK Sachsen HK 2; Druck: [Vivenot] 1873, 166f., 169). A dieser Korrespondenzstücke gesammelt in StK FriedA Konv. A/F. Kaunitz an Hartig (11. 5., 4. 6., 6. 8. 1791; StK DK Sachsen 29 Konv. Berichte/Weisungen 1791), an Caché (14. 5. 1791; SA Polen II Weisungen 82 Konv. Expeditionen 1791). Marie-Christine an Leopold II. (10., 12. 5. 1791; Druck: [Schiitter] 1896, 103 - 106). - Noailles an Montmorin (11., 14., 21. 5., 4. 6. 1791; AMAE CP Autriche 361). - Brème an Hauteville (23. 5. 1791; SA Frkr. Varia 45 Konv. Frkr. Varia 1791 I - V). Österreich distanzierte sich im Mai 1791 in aller Schärfe von Zeitungsmeldungen, wonach Wien in Reichenbach preußische Vergrößerungsabsichten auf Kosten Polens unterstützt habe, und legte im Gegenzug die Hertzbergischen Tauschpläne bloß: Kaunitz an Bossart (4. 5. 1791; StK DK Köln 19). Gerüchte über eine Verschwörung zwischen dem polnischen König und Friedrich Wilhelm II. von Preußen, wonach Poniatowski Danzig und Thorn an Berlin abtreten, dieses dafür aber die Bemühungen um eine Umwandlung Polens in eine Erbmonarchie unterstützen sollte, verbreitete auch die konservative polnische Adelsopposition. Vgl. „Lettre sur la Révolution faite à Varsovie le 3 de may 1791" ([Beer] 1874, 252 - 259).

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der Umstände und eines raschen Entschlußes, durch den die Einsichtigeren der Nation den innerlichen Unruhen einen Damm setzen und fremden Mächten die Gelegenheit benehmen wollten, mit dem pohlnischen Trone nach ihrer Konvenienz zu disponieren."

Daß die Wahl dabei auf die sächsische Kurlinie, den angenehmsten Nachbarn, fiel, schien Wien, das sich über die neugewonnene Konsistenz und „Berechenbarkeit" Polens erfreut gab, auch historisch logisch. Auf den eigenartigen Wunsch des bayerischen Kurfürsten, selbst in Polen mitzumischen, war man sichtlich nicht gefaßt, wollte ihm aber nicht jede Hoffnung auf den Königstitel rauben. Vielleicht würde ja die Möglichkeit zu einem neuen Versuch, den bayerischen Tauschplan ohne internationale Verwicklungen zu realisieren, eines Tages wiederkehren 119. Auch gegen Ende seines Lebens änderte Kaunitz seine prinzipiell positive Meinung über die 1791 versuchte Stärkung des polnischen Königtums nicht, räumte aber ein, daß Polen durch seine ungünstige Lage im Spannungsfeld der drei Großmächte in seiner Aktionsfreiheit eingeschränkt war. Ein absoluter König schien dem Staatskanzler für Polen ideal, aber gegen die Widerstände von innen und außen schwer durchsetzbar. „La Pologne, pour être heureuse", so Kaunitz 1794 kurz vor seinem Tode pointiert, „devrait changer de place sur le globe". Aber auch die wenig professionelle Art der Durchführung der Revolution von Mai 1791 - ohne Absprache mit den tonangebenden Nachbarn - ließ zu wünschen übrig. Die Polen hatten sich in den Jahren davor zu leichtfertig und zu tief mit Preußen eingelassen und zahlten schließlich den verdienten Preis für ihre Sorglosigkeit ebenso wie für die zu scharfe Abkehr von Rußland, mit dem man à la longue besser gefahren wäre 120 . c) Die Mission Elgin in Italien Lord Elgin weilte noch immer in Wien, wo er seinen Aufenthalt „par goût" und aus freien Stücken verlängert hatte, als ihn aus London der Befehl erreichte, dem Kaiser umgehend nach Italien zu folgen. Noch Anfang Mai 1791 brach er auf 121 . 119

Der erneuerte Wunsch nach Rückgabe des Innviertels wurde einmal mehr zurückgewiesen: Kaunitz an Lehrbach (18. 6. 1791; StK DK Bayern 66 Konv. Weisungen 1791/1). 120 „Les entretiens du prince de Kaunitz dans les dernières semaines de sa vie 1794 par Γ abbé-comte d'Ayala" (Hs. Weiß 808). Vgl. auch Votum vom 7. 1. 1793 (KA Kaunitz-Voten 6 Konv. 1791 - 1792) mit einer sehr günstigen Beurteilung des „sozialreformerischen" Elements (Stärkung der Städter und Bauern) innerhalb der Verfassungsreform von 1791. Dazu im Vergleich Vahle 1971. 121 S. zum Folgenden u.a. Herrmann 1865, 242 - 258; [Beer] 1874, 59 - 67; Mitrofanow 1916, Kap. 6/III § 8; Ward/Gooch 1922, Bd. 1, 208 f.; Black 1992, 215 f.

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Kaunitz befürchtete sofort „eine abermalige insidiose persönliche Behelligung" des Kaisers, vielleicht war sogar ein neuer englischer „Zwangsvorschlag" in dem nun schon üblich gewordenen „despotischen" Ton des Londoner Kabinetts geplant. Möglicherweise wollte man Wien zwingen, den neuen status quo modifié der Briten - er sah im wesentlichen eine Demilitarisierung der russischen Zuerwerbungen zwischen Bug und Dnjestr vor zu unterstützen, ein Vorschlag, der Anfang Mai 1791 durch die über Berlin reisende Sondermission von William Augustus Fawkener (1747 - 1811) nach Petersburg überstellt wurde und die drohende diplomatische Niederlage gegen Rußland etwas abpolstern sollte. Österreich hatte dabei allen Grund, mit England sehr unzufrieden zu sein: Es gab seine „diktatorische Sprache" nach wie vor nicht auf, verweigerte die Annahme der kaiserlichen Ratifikation der Haager Konvention und scheute sicher auch nicht davor zurück, sein System der „Anmassung eines entscheidenden Einflusses und Ansehens über alle übrigen europäischen Mächte" dort zu verfolgen, wo es vielleicht auf weniger Schwierigkeiten stieß, während es doch gegenüber der Zarin eigentlich klein beigeben mußte. Das größte Hindernis für den Sieg des „englischen Systems", die Allianz der beiden Kaisermächte, ließ sich vielleicht überwinden, indem man den Hebel bei Leopold II. ansetzte und mit diplomatischen Mitteln die Höfe von Wien und Petersburg spaltete, das leichter erpreßbare Österreich an sich zog und es gegen Rußland ausspielte. Nicht ohne Häme betrachtete freilich Fürst Kaunitz die Verlegenheit, in die sich Berlin durch das Scheitern des „Russian armament" der Zarin gegenüber manövriert hatte. Daß Preußen alleine Krieg gegen Rußland führen konnte, davon ging man in Wien keineswegs aus. Gab es aber nach, so verlor es viel: die gesamten Rüstungskosten, den Kredit bei der Pforte und den letzten Respekt der Polen, womit selbst die besonders von England betriebene preußische Erwerbung Danzigs im Ausgleichswege nicht mehr möglich schien. Hatte Rußland aber von preußischer Seite nichts mehr zu befürchten, so konnte es alle Kräfte gegen die Pforte einsetzen und seine Erfolge an dieser Front noch weiter ausbauen. Nun stand mit gutem Grund zu befürchten, daß angesichts dieser für die Verbündeten äußerst prekären Lage auch Österreich die Fessel des status quo endgültig abzustreifen trachten würde, und wirklich rechnete man sich in Wien wegen der Verlegenheiten Englands und Preußens erhöhte Chancen auf Nachgiebigkeit der geschwächten Alliierten auch zur Verbesserung der österreichischen Position in Sistow aus. Verzögerung durch Aufstellung neuer Forderungen an die Türken schien der Staatskanzlei dabei das ideale Rezept. Hier in Sistow hatten die preußisch-österreichischen Annäherungsversuche vom Februar/März 1791 und schließlich der Zusammenbruch der englisch-preußischen Interventionspoli-

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tik gegen Rußland (April/Mai 1791) das Mißtrauen der Türken recht rege gemacht. Im Mai 1791 nahmen die Österreicher in Sistow die Verhandlungen wieder auf, indem Baron Herbert österreichische Territorialforderungen vorlegte, die man aus (bislang nicht erfüllten) alten vertraglichen Verpflichtungen der Pforte ableitete - alles nur unter dem Gesichtspunkt der weiteren Verzögerung. Die neuen Forderungen betrafen die Sperrfeste AltOrsowa an der Donau und v.a. das Una-Gebiet, das als Einfallspforte aus Bosnien größere strategische Bedeutung hatte. Die aufgebrachten Türken lehnten natürlich ab und beharrten auf der strengen Auslegung des status quo, die Verhandlungen gerieten - kaum nach der langen Pause wieder aufgenommen - in eine tiefe Krise, die Preußen aber - zwischen der Annäherung an Österreich und der Durchsetzung des Diktats von Reichenbach hinund hergerissen - kamen zusehends unter türkischen Druck. Der Waffenstillstand vom September 1790 drohte bei steigendem türkischem Unwillen ohne Erneuerung abzulaufen, so daß die österreichischen Unterhändler den auf türkisch kontrolliertem Gebiet liegenden Verhandlungsort verließen und sich nach Bukarest zurückzogen („mit dem Vorbehalte der Offenhaltung des Congresses"); der Waffenstillstand wurde aber de facto weiterhin gewahrt. Anfang Juni 1791 waren so die Verhandlungen ein weiteres Mal sistiert. Nach Reichenbach und dem Waffenstillstand mit den Türken waren aber die k.k. Truppen an den Grenzen zur Türkei bereits dramatisch abgebaut worden. Weniger als 50.000 Mann standen, so errechnete man Anfang Mai 1791, von Kroatien bis in die Walachei noch unter Waffen, und der um die Junimitte erteilte Auftrag des Kaisers, die zurückgenommenen Truppen wieder an die Grenzen vorzuschieben, verursachte entsprechendes Kopfzerbrechen 122. Am 7. Mai 1791 war Lord Elgin dem Kaiser in Florenz präsentiert worden. Sofort unterbreitete er Leopold II. weisungsgemäß auf informeller Ebene erstaunliche Vorschläge, ohne jedoch eine korrekte schriftliche Erklärung aus den Händen zu geben oder eine authentische Ermächtigung vorweisen zu können. Der Kaiser selbst war überrascht über die „façon cavalière", mit der die Engländer die unglaublichsten Ansinnen stellten. Wohl nicht zu Unrecht mußte man in Wien annehmen, daß Pitt und der König 122 Vortrag Kaunitz (3. 5. 1791) mit Beilagen, dto. (8. 5. 1791; Druck: [Vivenot] 1873, 125 f.): StK Vorträge 148 Konv. 1791 V; Spielmann an Kaunitz (7. 5. 1791; GK 406 Konv. E; Druck: [Schiitter] 1899 a, 89). Reuß an Kaunitz bzw. Ph. Cobenzl (8. u. 10. 5. 1791; StK DK Preußen 69 Konv. Berichte 1791). Erzhzg. Franz an Kaunitz (6. 5. 1791) u. an General Graf Tige (18. 6. 1791): KA Kabinettskanzlei HBP 78. - Noailles an Montmorin (6., 23. 4., 18., 21. 5. 1791; AMAE CP Autriche 361). - Zu den Verhandlungen in Sistow incl. der zweiten Unterbrechung im Juni 1791 vgl. bes. Golda 1941, 152 - 211. Das Scheitern des „Russian armament" beleuchtet u.a. auch der Briefwechsel zwischen Mercy und Stadion vom Frühjahr 1791 in SA Frkr. Varia 49 Konv. Stadion-Mercy 1791/93.

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am Londoner Kabinett, aber auch an der Staatskanzlei vorbei die Annäherung an den Kaiser direkt und auf so ungewöhnlichem Wege suchten, um im Falle eines Scheiterns den Lord problemlos desavouieren zu können. Ging es darum, den ohne die strenge Aufsicht des gewitzten Fürststaatskanzlers reisenden Kaiser zu übertölpeln und ihn nach bekanntem Muster aus der von Kaunitz verordneten Reserve zu locken? Denn die Widersprüche zwischen der „Privatmeinung" Leopolds und der politischen Linie der Staatskanzlei waren auch den Engländern längst aufgefallen. Der Kaiser sollte, so forderte der britische Emissär nun tatsächlich wie von Kaunitz befürchtet, die Bemühungen der Alliierten um einen modifizierten status-quo-Frieden Rußlands mit der Pforte unterstützen und die eigenen Verhandlungen in Sistow sofort und auf der zugesagten Basis des status quo strict zu einem Abschluß bringen. Unter diesen Voraussetzungen war König Georg III. bereit (und Elgin behauptete, entsprechende Abschlußvollmacht schon in der Tasche zu haben), den Kaiser in sein Allianzsystem mit Preußen und den Vereinigten Niederlanden einzubeziehen. Das entsprechende Defensiv- und Garantiebündnis sollte auch eine Garantie des Besitzstandes der Pforte beinhalten, um jedem weiteren Versuch einer Zerschlagung des Osmanischen Reiches für die Zukunft vorzubeugen. Das geplante Defensivbündnis zwischen den vier Mächten unter Einbeziehung der Türken als „Garantieobjekt" kehrte damit also seine Spitze einmal mehr gegen Rußland, das durch eine derart eindrucksvolle Allianzkonstruktion doch noch zum Frieden gezwungen werden sollte. Wie Elgin nun auch dem Kaiser mitteilte, hatte sich das Londoner Kabinett entschließen müssen, angesichts der Opposition des Parlaments von der Forderung des status quo strict gegen die Zarin Abstand zu nehmen und ihr das Gebiet zwischen Bug und Dnjestr zuzugestehen, wenn die Russen dafür Oczakow rasierten. Das Gebiet sollte hinfort als eine Art Wüstenei einen echten Grenzgürtel zwischen den beiden Konfliktparteien bilden. Für Preußen wünschte sich Elgin Danzig als ein reines „objet de commerce", allerdings nur bei freiwilliger Abtretung durch die Polen und nicht anders. In den Augen Wiens blieb dagegen die rigorose Auslegung des Reichenbacher status quo auch für Preußen bindend, war auch das von den preußischen Gelüsten immer noch bedrohte Polen ein lohnendes „Garantieobjekt" für eine allenfalls zu schließende Defensivallianz. Nach dem Geschmack der Staatskanzlei und des sehr skeptischen, hier durchaus im Einvernehmen mit seiner Behörde handelnden Kaisers reduzierte sich die Mission Elgin auf zwei wesentliche Punkte: 1. Österreich sollte davon abgehalten werden, aus der unangenehmen Lage der Tripelallianz Nutzen zu ziehen, und sofort und ohne Gewinn aus dem Türkenkrieg ausscheiden. 2. versuchte man ein weiteres Mal, zwischen die beiden Kaisermächte den Spaltkeil zu treiben. Ein von Rußland getrenntes und von

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der englisch-preußischen Allianz um so abhängigeres Österreich war ein wichtiger Schritt zur Fesselung des Kontinents unter englischem Dominât. Jede Einbeziehung Rußlands, jede Absprache Wiens mit seinem Verbündeten lehnte der englische Emissär rundweg ab. Die altbewährte österreichische Taktik der letzten Jahre „hinhalten, ohne zu brüskieren" sollte auch diesmal wieder das österreichische Procedere charakterisieren. Die gewünschten kategorischen Erklärungen des Kaisers erhielt Lord Elgin, der doch selbst nur unter Schwierigkeiten eine schriftliche Zusammenfassung seines Vorbringens aus der Hand gegeben hatte, auch in den folgenden Wochen nicht. Da half es nicht einmal, daß er nostalgische Erinnerungen an die alte österreichisch-britische Freundschaft zu wecken suchte und auf die allgemeinpolitischen Möglichkeiten verwies, die sich aus dieser natürlichen Interessensgemeinschaft ergaben, sowohl für ein Vorgehen der europäischen Mächte gegen die „épidémie française" als auch für die Eindämmung der für den ganzen Kontinent bedrohlichen russischen Vergrößerungsabsichten. Bei aller Hoffnung auf die Abkehr der alliierten Höfe von ihrer „aliénation extrême", die ja nicht zuletzt Wien - gemeinsam mit anderen Faktoren - 1789/90 an den Rande des Ruins geführt hatte, bei aller sich mehr und mehr äußernden Vorliebe des Kaisers für eine europäischen Zusammenarbeit gegen Frankreich flößten die neuen englischen Annäherungsversuche nur sehr geringes Zutrauen ein. Die Staatskanzlei konnte die seit 1790 harte und zudringliche Linie der Briten nicht vergessen, mit der diese gleichsam als Ausführungsorgane des preußischen Erzfeindes die österreichische Nachgiebigkeit quittiert hatten bzw. dies in Sistow als Handlanger Lucchesinis immer noch taten. Kaunitz und seine Mannen riefen nun die k.k. Diplomaten allenthalben auf, diktatorischen Anwandlungen und willkürlichen Vertragsauslegungen nicht mehr zu weichen und endlich wieder - besonders im Verkehr mit London und Berlin den „Ton der Gleichheit und einer genau abgemeßenen und geforderten Reciprocità«" anzuschlagen. Denn hatte nicht Rußland während der „Russian-Armament"-Krise am treffendsten bewiesen, daß man sich nur durch Widerstand und Hartnäckigkeit gegen das tyrannische „englische System" durchsetzen konnte? Wien riet der Zarin (natürlich unter Bekräftigung glühender Allianztreue und mit offen geäußertem Unbehagen über peinliche Ratschläge zur Nachgiebigkeit), auf das englische Ultimatum, das der russischen Ehre und dem russischen Ruhm durchaus entsprach, einzugehen, um jeden Eklat zu verhindern und den österreichischen Verbündeten nicht wieder in einen Krieg zu verwickeln, wo doch der Abschluß in Sistow in greifbare Nähe rückte. Es schade nicht, so die Staatskanzlei Ende Mai 1791 an die k.k. Botschaft in Petersburg, wenn die beiden Kaiserhöfe, wenngleich ohne Hoffnung auf eine ehrliche Freundschaft mit London und Berlin, durch ein Eingehen auf die britischen Fühler ein etwas entspannteres Verhältnis schufen.

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Die z.T. verschlossene, z.T. widersprüchliche Haltung des Kaisers konnte Lord Elgin nicht aufbrechen, obwohl er Leopold kreuz und quer über die Halbinsel bis nach Mantua, Cremona und Mailand verfolgte und immer weiter in ihn drang, sich doch zu seinem Angebot verbindlich zu erklären und die Verhandlungen in Sistow zu einem raschen Ende zu führen. Eben die Klärung der offenen Fragen in Sistow in österreichischem Sinne - also ein Abgehen von der Reichenbacher Demütigung und dem status quo strict - betrachtete aber die k.k. Diplomatie als „Probierstein" für die angeblich freundschaftlichen Gesinnungen Londons und Berlins. So wenig die englische Diplomatie direkt erwirkte, so viel suchte sie in der Sicht der Staatskanzlei durch unlautere Ausschmückung der Geheimverhandlungen mit dem Kaiser und unterstützt von den Preußen der österreichischen Stellung bei der Zarin zu erreichen. Zwar ohne großen Erfolg, aber der wütende Staatskanzler warnte dennoch Leopold noch Anfang Juli 1791 eindringlich, nicht durch den Verdacht einer „Systemaländerung" der Wiener Politik die Freundschaft der Zarin und die einzig ernstzunehmende Allianz Österreichs leichtfertig aufs Spiel zu setzen, bloß um sich zwei Mächten anzuschließen, die sich ausschließlich durch eifersüchtige „Herrschbegierde" auszeichneten. Ende Juni 1791 erlöste der englische Sendling den Kaiser, nahm seine Abschiedsaudienz und kehrte über Wien und Berlin nach England zurück. Ein neuer Sonderdiplomat hatte mittlerweile die Sache in die Hand genommen: Friedrich Wilhelms II. Günstling Bischoffwerder 123.

123 Leopold II. an Kaunitz (Florenz, 9. 5. 1791; Druck: [Vivenot] 1873, 126) mit Beilagen, Leopold II. an Kaunitz (Florenz, 14. 5. 1791; Druck: [Beer] 1873, 403 f., [Vivenot] 1873, 127f.) mit Beilagen, darunter „Déclaration de Milord Elgin donnée à S.M. à Florence" (11. 5. 1791; Druck: [Vivenot] 1873, 127), Leopold II. an Kaunitz (Mantua, 20. 5. 1791): StK Vorträge 148 Konv. 1791 V; Leopold II. an Erzherzog Franz ([Mai 1791]; FA SB 27 „Lettres de S. M. l'Empereur à S. A. R. l'archiduc François 1791"). Kaunitz an Reuß (22. 5. 1791), Ph. Cobenzl an Reuß (22. 5. 1791; Druck: [Vivenot] 1873, 133 f.): StK DK Preußen 69 Konv. Weisungen 1791. Kaunitz an L. Cobenzl (24./25. 5. 1791; wie Anm. 118). Kaunitz bzw. Ph. Cobenzl an Stadion mit P. S. (30. 5. 1791; SA England Weisungen 130 Konv. Weisungen 1791). Die Verhandlungen Lord Elgins mit dem Kaiser sind nochmals zusammengefaßt in einem eigenen , Journal" (dieses und andere Stücke gesammelt in StK FriedA 75 Konv. A/C Verhandlungen mit Elgin; Druck: [Vivenot] 1873, 172 176). „Copie du mémoire de Milord Elgin donné par Monsieur Bischoffsverder à S.M. l'Empereur ([o.D.]; SA Frkr. Varia 43 Konv. Frkr. Varia 1791 I - V). Vortrag Kaunitz (4. 7. 1791; StK Vorträge 149 Konv. 1791 VII).

II. Das Staatensystem im Umbruch

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4. Die „zweite diplomatische Revolution"

a) Die 2. Mission Bischoffwerders

und der Friede von Sistow

Österreich hatte sich also bis Juni 1791 von den Schlägen des vergangenen Jahres so weit erholt, daß auch gegenüber England und seinen abenteuerlichen Versuchen, Wien auf die Seite der Tripelallianz zu zwingen, ein selbstbewußterer Ton angeschlagen werden konnte. Unmißverständlich erklärte man über die k.k. Gesandtschaft in London: Englischen Freundschaftsbezeugungen stehe man nur dann offen gegenüber, wenn sie auch aufrichtig gemeint und dem österreichischen Interesse bzw. der Ehre des Erzhauses angemessen waren. Durch „schöne Worte" und eine verstellte „süße Sprache" wollte man sich aber keinesfalls zu übereilten Schritten oder gar zur Aufgabe der für Österreich sicherheitspolitisch essentiellen russischen Allianz treiben lassen. Nicht viel anders verhielt es sich mit der preußischen Politik: auch sie war immer noch in einer fast unentwirrbaren Widersprüchlichkeit gefangen: Während Bischoffwerder Ende Mai 1791 nun ein weiteres Mal zum Kaiser gesandt wurde, um die eingeschlafene Annäherung zwischen den beiden Mächten wieder in Gang zu bringen, arbeitete Marchese Lucchesini in Sistow mit aller Heftigkeit daran, die Zusatzforderungen der Österreicher vom Tisch zu wischen. Daß zu gleicher Zeit Bischoffwerder wieder mit einem „Schwall von Freundschaftsversicherungen" beladen zu Leopold eilte und andererseits der preußische Mediator am Friedenskongreß nur die türkischen Interessen vertrat, war für den Staatskanzler ein auffallender Widerspruch „zwischen Worten und Thatbeweisen" und ein weiteres preußisches Beispiel von „Proben zweydeutiger und unzusammenhängender Gesinnungen". Und für dies alles sollte man die russische Freundschaft riskieren? „Die Nothwendigkeit unsrer rußischen Freundschaft fließt", so belehrte daher die Staatskanzlei den k.k. Gesandten in Berlin, „aus der bereits erprobten Gefahr der rußischen Feindschaft gegen uns", es entsprach dem System der Selbsterhaltung und auch „dem System von Ruhe und allgemeiner Verträglichkeit, welches den Herzenswunsch unsres Kaisers abgiebt" 124 . Bereits Ende Mai 1791 hatte Friedrich Wilhelm Π. in einem Brief an Leopold II. die beinahe abgerissenen Verhandlungsfäden zwischen Wien und Berlin wieder zu knüpfen versucht. Denn auf die preußische Denkschrift vom März 1791, die man in der Staatskanzlei mit soviel Ärger aufgenommen hatte, war noch keine adäquate Reaktion eingegangen. In Berlin 124

Vortrag Kaunitz (2. u. 9. 6. 1791) jeweils mit Beilagen und Kaunitz an Leopold II. (9. 6. 1791): StK Vorträge 149 Konv. 1791 VI. Kaunitz an Reuß (6. 6. 1791; StK DK Preußen 69 Konv. Weisungen 1791). 29 Hochedlinger

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C. Wiederherstellung

drohte die Stimmung allmählich umzuschlagen; viele argwöhnten, Wien wolle die Preußen letztlich „nur aufziehen". Der König von Preußen versicherte nun dem Kaiser selbst, er wolle den Erwerb Danzigs endgültig fallen lassen, habe er sich doch ohnehin nur aus „complaisance" für London dazu hergegeben. Friedrich Wilhelm bemühte sich redlich, den Kaiser von der Ehrlichkeit seiner Gesinnungen zu überzeugen, und gab seiner Hoffnung auf einen raschen Abschluß einer Verbindung zwischen Wien und Berlin Ausdruck. Der Beschleunigung dieses Wunsches diente die etwa eine Woche später erfolgte Entsendung Bischoffwerders nach Italien. Am Abend des 10. Juni 1791 war Oberst Bischoffwerder zu seiner zweiten Mission beim Kaiser in Mailand eingetroffen und drängte Lord Elgin rasch in den Hintergrund; Leopold nützte die von Preußen selbst bei Bedarf gerne behauptete Abkühlung der Beziehungen zum englischen Alliierten und die seit Reichenbach und Den Haag ohnedies mehr als deutliche Inkohärenz der Tripelallianz: er ließ keinen Zweifel daran, daß ihm die preußischen Sondierungen viel sympathischer waren als jene von englischer Seite, auch mit Blick auf die französischen Angelegenheiten, die seine Aufmerksamkeit immer mehr fesselten. Nur einem Partikularabkommen mit Preußen wollte der Kaiser daher schon im Sommer 1791 die Hände bieten, den Ausbau dieser neuen Achse durch Beiziehung der jeweiligen Bündnispartner aber für die Zeit nach dem russisch-türkischen Frieden aufschieben 125. Bischoffwerder, für die von Friedrich Wilhelm so sehr gewünschten konkreten Vorvertragsverhandlungen mit Vollmachten ausgestattet, insistierte nun nach seiner Ankunft in Mailand auf eine rasche Beantwortung der preußischen Anträge, auf schleunige Beendigung der Verhandlungen in Sistow und auf die Fixierung des seit längerem geplanten Monarchentreffens, das im September 1791 - „sans aucune étiquette" und unter Ausschluß ausländischer Diplomaten - in Schloß Pillnitz bei Dresden stattfinden sollte. Er beteuerte im Auftrag seines Herrn auch, daß Preußen keinen Anteil an der Polnischen Revolution vom Mai 1791 hatte, sie aber wohl akzeptierte und sich Gleiches von Österreich wünschte. Die Erbin des polnischen Throns sollte zur Vermeidung von Konflikten zwischen den drei Partagemächten keinen preußischen, habsburgischen oder russischen Prinzen heiraten. Auch die dem Kaiser merklich am Herzen liegenden französischen Angelegenheiten kamen ausführlich zur Sprache. Friedrich Wilhelm II. ließ Bereitschaft zur Unterstützung der französischen Emigranten bekun123

Friedrich Wilhelm II. an Leopold II. (21. u. 29. 5. 1791; Druck: [Vivenot] 1873, 133, 147 f.). Reuß an Ph. Cobenzl (24. 5. 1791), dto. (31. 5. 1791; Druck: [Vivenot] 1873, 155 f.): StK DK Preußen 70 Sperrkonvolut/Berichte 1791; Reuß an Kaunitz (31. 5. 1791; StK DK Preußen 69 Konv. Berichte 1791). - Herrmann 1865, 252 - 269; [Beer] 1874, 67 - 82; Mitrofanow 1916, Kap./III § 9.

II. Das Staatensystem im Umbruch

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den und wollte bei einer etwaigen Flucht des französischen Königs aus Paris seine Truppen in den Westprovinzen zur Verfügung stellen - stets aber in Absprache und Kooperation mit dem Kaiser. Der warnende Zeigefinger fehlte nicht in den Vorbringen Bischoffwerders, sowohl was die antiösterreichische Hetze einiger preußischer Diplomaten anlangte, die dem König Wien nach wie vor als größten und gefährlichsten Feld vorstellen wollten, als auch in bezug auf die ,»russische Gefahr", die im letzten Österreich selbst am meisten bedrohte. Ohne Wissen Wiens sondiere Petersburg in Berlin die Möglichkeiten einer Allianz! Aber es gab auch positive Winke: Für den unverzüglichen Abschluß auf der Basis des status quo strict in Sistow sagte Preußen zu, dem Kaiser gewisse Grenzverbesserungen zu gestatten. Zu einer eiligen Beendigung der Verhandlungen mit den Türken wollte Leopold Π. gerne die Hände bieten, als der Waffenstillstand vom September 1790 nun nach der monatelangen Verzögerungstaktik Österreichs ohne Verlängerung auslief und Wien an der Türkengrenze über keine unmittelbar einsatzfähigen und hinreichend starken Truppen mehr verfügte. Sogar auf der Basis des status quo strict, da der Kaiser, wie auch ausländische Diplomaten wiederholt feststellten, die Abmachungen von Reichenbach als moralische Fessel empfand. Weder wollte er nun wortbrüchig werden noch den Einfall türkischer Kräfte auf das schwach gedeckte österreichische Gebiet riskieren, und ein Eingreifen in Frankreich, das ein Nachgeben in Osteuropa erheischte, schien so manchem Beobachter schon Ende Mai 1791 das eigentliche Herzenskind der kaiserlichen „Privatpolitik" zu sein. Nach einer längeren Konferenz mit Bischoffwerder erteilte der Kaiser der Staatskanzlei endlich am 18. Juni 1791 die Weisung, in Sistow umgehend auf der Grundlage des status quo strict abzuschließen. Elgin und Bischoffwerder hatten im Gegenzug zugesagt, Preußen und die Seemächte würden sich nachträglich für die Durchsetzung der österreichischen Arrondierungswünsche stark machen, wenn Wien seinerseits die entsprechenden Verhandlungen aus dem Friedensgeschäft stricto sensu ausgliederte. Am 24. Juni 1791 reiste Bischoffwerder - mit dem Kaiser endlich handelseins - aus Mailand ab, um ab Mitte Juli 1791 in Wien die konkreten Allianzverhandlungen mit der Staatskanzlei zu einem Ende zu führen. So sehr Leopold die ungewöhnliche Art und die Formlosigkeit der Mission Elgins tadelte, aus der letztlich nur Mißverständnis und Verwirrung entstehen konnten, so sehr lobte er Bischoffwerder und bekannte sich gegenüber Friedrich Wilhelm II. bedingungslos zu dem nun in ein entscheidendes Stadium eintretenden Präliminarabkommen der Höfe von Wien und Berlin, das dem für die Zeit nach Beendigung des russisch-türkischen Krieges vorgesehenen Abschluß der endgültigen Bündniskonstruktion durch Verknüpfung des österreichischen und des preußischen Allianzsystems vorangehen sollte. 29·

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C. Wiederherstellung

In Wien schwelgte Kaunitz allerdings immer noch in antipreußischen Plänen; die verdiente Revanche für Reichenbach haftete noch aus. Zwar war der Karren in Sistow arg verfahren, aber angesichts der internationalen Lage, die endlich auch Rußland vom drohenden Würgegriff Englands und Preußens befreit hatte, versprach sich der Staatskanzler von einer gewissen Härte und Entschlossenheit durchaus noch Aussichten auf einen Gewinn Alt-Orsowas und eines Teils des Una-Distrikts: von gerechten Forderungen zurückzutreten schien dem greisen Fürsten nicht Mäßigung, sondern „verkleinerliche Schwachheit". Wie sehr sich die Staatskanzlei gegen ein Nachgeben in den Verhandlungen mit den Türken sträubte und die Gespräche später auch gegen den Willen des Kaisers hinauszuzögern bestrebt war, blieb kaum jemandem verborgen. Erzherzog Franz und Kaunitz hatten in Wien bereits Vorbereitungen getroffen, um - ohne an den Ernstfall wirklich zu glauben - für die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen an der Türkenfront gewappnet zu sein. In der Walachei und in Kroatien wurden die Truppen verstärkt. Auch Berlin rasselte wieder gefährlich mit dem Säbel und bereitete sich auf eine mögliche Konfrontation mit Österreich vor. Während Kaunitz also jede Nachgiebigkeit ablehnte, die „rohen" und ungehobelten Preußen weiter über zwischenstaatliche Courtoisie belehrte und auch leise Kritik an der Nachgiebigkeit Leopolds durchklingen ließ, der seine Ehre bisweilen zu sehr hinter die Sorge um sein zerrüttetes Erbe zurückstellte, galoppierte die von Leopold in Italien eingeleitete neue politische Entwicklung an ihm vorbei. Der anhaltende Widerstand des Staatskanzlers gegen eine echte Annäherung an Berlin wurde mehr und mehr zum Problem, und es waren sicher nicht nur die „Austrophoben" auf preußischer Seite wie Jacobi, Hertzberg oder Lucchesini, die Staatsreferendar Spielmann im Auge hatte, als er bedauerte, daß sich Minister in die zwischenstaatliche Aussöhnung mischten, die im Grunde ihres Herzens alles zu hintertreiben trachteten. Kaunitz ging in seinem Preußenhaß sehr weit und flüchtete sich bisweilen auch in recht kindliche Aktionen. Schon vor längerem hatte er seinem Privatsekretär kritische Reflexionen über eine österreichisch-preußische Allianz in die Feder diktiert und sie anonym an Bischoffwerder nach Berlin verschickt, wo sie „den übelsten Effect" hatten. Auch die ersten Aufforderungen des Kaisers aus Italien, die Abmachungen mit Bischoffwerder auf dem Friedenskongreß zu Sistow umsetzen zu lassen, stießen bei Kaunitz auf wenig Gegenliebe. Eine eben erhobene Forderung zum Schaden der Reputation sogleich wieder zurückzunehmen, den Türken Gebiet zurückzugeben, um es später auf dem Verhandlungswege wiederzugwinnen, das überstieg die Flexibilität eines in der Wolle gefärbten Macht- und Prestigepolitikers bei weitem. Über allem stand in den Kaunitzschen Überlegungen weiterhin der Imperativ der russisch-österreichischen Allianz, die er um keinen Preis gefährden wollte. Warum sollte Österreich

II. Das Staatensystem im Umbruch

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hinfort als unselbständiges Anhängsel der Achse London-Berlin sein Dasein fristen, wenn der Zeitpunkt für eine Festigung der Freundschaft zwischen Kaiser und Zarin denkbar günstig erschien? Katharina war gegen Preußen verständlicherweise sehr erbittert, und gegen die von Berlin dauernd ins Treffen geführte Gefahr einer russischen Hegemonie, die à la longue alle Nachbarn erdrückte, sprach ein deutlicher Einflußverlust Petersburgs in seinem Vorfeld, in Schweden und in Polen. Dies alles und das Vertrauen der Zarin sollte man nun durch einen überstürzten Frieden mit der Pforte aufs Spiel setzen, nur um Preußen zu gefallen? Selbst das geplante Treffen in Pillnitz und die Auswirkungen dieses Signals in Petersburg erfüllten den Staatskanzler mit leisem Schaudern; er konnte nicht von seiner „idée fixe" abrücken, daß es London und auch Berlin letztlich nur um die Sprengung der österreichisch-russischen Allianz ging. Leopold II. aber war seinerseits nicht mehr bereit, sich auf Kaunitz' machtpolitische Kalkulationen und seinen riskanten Seiltanz zwischen Krieg und Frieden einzulassen, während die Situation in Frankreich in den Augen des Kaisers doch dringend mehr Aufmerksamkeit und freie Hände erforderte; auch das vielversprechende Horoskop, das der Staatskanzler nun dem österreichischen Staat in der europäischen Mächtelandschaft stellte, um den Kaiser aus seiner „kleinlauten" Rolle herauszuführen und ihm die Augen für die preußische Notlage zu öffnen, die einzig und allein die „süße" Sprache des Erbfeindes diktiere, blieb letztlich ebenso ohne Wirkung wie das Plädoyer für militärisch-politisches „Übergewicht, standhafte Sprache und immer vorsichtige Politik" als einzig sinnvolle Requisiten im Verhältnis zum Haus Brandenburg. Der Kaiser setzte sich schließlich durch gegen einen Staatskanzler, der sich nur widerwillig der preußischen Arbitrage ausliefern wollte - weder der Verteidigungszustand an den Grenzen noch die Finanzlage erlaubten in den Augen des Monarchen einen Krieg; mit eitlen und zudem unbedeutenden Grenzfragen wollte sich Leopold nicht länger aufhalten und dafür vielleicht gar das Wiederaufflammen des Kriegsfeuers riskieren. Die österreichischen Unterhändler, die erst nach Mitte Juli 1791 wieder aus Bukarest an den Verhandlungsort in Sistow zurückkehrten, sollten ehebaldigst abschließen und die gewünschten Grenzkorrekturen in einer Separatkonvention durchsetzen. Dies gelang auch 126 . 126

Vortrag Kaunitz an Erzherzog Franz (21. 5. 1791; StK Vorträge 148 Konv. 1791 V), „Copie de la note envoyée de S.M. l'Empereur [...] relativement à la mission du colonel de Bischoffsverder" (StK Vorträge 149 Konv. 1791 VI), ,Journal" über die Verhandlungen mit Bischoffwerder (10.- 24. 6. 1791; StK FriedA 75 Konv. A/J; Druck: [Vivenot] 1873, 176 - 181); Stücke zur Mission Bischoffwerder sind auch gesammelt in StK FriedA 75 Konv. A/E und A/I, darunter Leopold II. an Friedrich Wilhelm II. (19. 6. 1791; A auch in StK DK Preußen HK 1 Konv. Kaiser a.d. Kg. v. Preußen; Druck: [Vivenot] 1873, 169f.). - Vortrag Kaunitz (17. 6. 1791), Erzherzog Franz an Kaunitz (19. 6. 1791), Doppel vortrag Kaunitz (21. 6. 1791),

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C. Wiederherstellung

Am 4. August 1791 konnte in Sistow der Hauptvertrag von Kriegsparteien und Vermittlern unterzeichnet werden; die allmählich durchgesickerte 2. Mission Bischoffwerders zum Kaiser hatte den Großwesir schon Ende Juni 1791 geschmeidiger und friedenswilliger gemacht. In der gleichzeitig mit dem Friedensvertrag abgeschlossenen Sondervereinbarung erhielt Österreich zur Ausräumung der, wie es hieß, „défectuosités de l'ancienne frontière" Alt-Orsowa und nur geringe Zugeständnisse im Una-Gebiet zuerkannt (Art. I - ΙΠ). Dafür betrachtete der Kaiser die neue Grenze als definitiv und versprach, für die Zukunft allen weiteren Ansprüchen zu entsagen. Der Zugewinn war nichts gemessen an dem, was man nun schweren Herzens gemäß dem Postulat des strengen status quo ante bellum restituieren mußte: die Inselfestung Neu-Orsowa („Ada-Kaleh"), Semendria, Belgrad, Sabac, Berbir, Dubica, Novi, Chotin usw., z.T. sogar in dem von den Österreichern nach der Eroberung wesentlich verbesserten und ausgebauten Verteidigungszustand. Die Umsetzung der Grenzberichtigungen zog sich bis ins Jahr 1796 hin. Immerhin hatte man erreicht, daß alle alten Abkommen durch die Türken erneuert wurden, darunter auch die Schutzklausel gegen die Barbaresken und die freie Schiffahrt auf allen Flüssen und Meeren im Machtbereich des Sultans. Chotin und Umland verblieben noch bis zum Ende des russisch-türkischen Krieges - einen Waffenstillstand hatten Russen und Türken bereits im August 1791 unterzeichnet - unter österreichischer Kontrolle. Am 23. August 1791 wurden die Ratifikationsinstrumente ausgetauscht, danach ging der Friedenskongreß auseinander. Baron Herbert reiste direkt nach Konstantinopel weiter, wo er wieder die Internuntiatur übernahm 127. Leopold II. an Kaunitz (Mailand, 18. 6. 1791) mit Mémoire über die Gespräche mit Bischoffwerder und Elgin (Mailand, 18. 6. 1791) und den beiden originale Briefen Friedrich Wilhelms Π. vom 21. bzw. 29. 5. 1791 (vgl. Anm. 125), „Note für den Staatsreferendar Freiherr von Spielmann" (Mailand, 18. 6. 1791), Leopold II. an Kaunitz (Mailand, 26. u. 27. 6. 1791; Druck: [Beer] 1873, 410 - 416), Vortrag Kaunitz (28. 6. 1791) mit Beilage: StK Vorträge 149 Konv. 1791 VI; Erzherzog Franz an Kaunitz (4. 7. 1791) und Vortrag Kaunitz (5. 7. 1791), Leopold II. an Kaunitz (Padua, 5. 7. 1791; Druck: [Beer] 1873, 416f.), Vortrag Kaunitz (9. 7. 1791/I+II) mit Beilagen, Leopold II. an Kaunitz (Triest, 13. 7. 1791; Druck: [Beer] 1873, 417 f.): StK Vorträge 149 Konv. 1791 VII; drei Briefe Leopolds II. an Erzherzog Franz ([Mitte und Ende Juni 1791]; FA SB 27 „Lettres de S. M. l'Empereur à S. Α. R. l'archiduc François 1791"). Kaunitz an Reuß (15., 18., 25. 6. 1791; StK DK Preußen 69 Konv. Weisungen 1791), Reuß an Kaunitz (4. und 26. 6. 1791) u. Reuß an Ph. Cobenzl (26. 6. 1791): StK DK Preußen 70 Sperrkonvolut/Berichte 1791. Kaunitz an Reuß (8. 7. 1791; Druck: [Vivenot] 1873, 193 - 197) u. dto. (9. 7. 1791): StK DK Preußen 69 Konv. Weisungen 1791. Kaunitz an Mercy (23. 6. 1791). Leopold II. an Katharina II. (18. 6. 1791; Druck: [Beer] 1874, 146 - 148); Kaunitz an L. Cobenzl (8. 7. 1791; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1791; Druck: [Vivenot] 1873, 187 - 193). KA NL Zinzendorf TB 36 (2. 7. 1791). - Noailles an Montmorin (17. 9. 1791; AMAE CP Autriche 362).

II. Das Staatensystem im Umbruch

b) Der österreichisch-preußische

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Präliminarvertrag

Mitte Juli 1791 traf Bischoffwerder in Wien ein, um dort auf Wunsch Leopolds die österreichisch-preußischen Allianzverhandlungen voranzutreiben 128 . Fürst Kaunitz war nun offensichtlich mit fliegenden Fahnen zu jenen übergegangen, die eine Verbindung mit Berlin für durchaus wünschenswert hielten. Wenigstens äußerlich. Den französischen Botschafter verwirrte dementsprechend der betont herzliche Empfang, den der Staatskanzler dem preußischen Sendling zur Julimitte in Wien bereitete. Mißtrauen schien angezeigt, zumal angesichts der prekären Lage in Frankreich und einer unzweifelhaft feindseligen Haltung der europäischen Mächte; und die prekäre Situation des Allerchristlichsten Königs war es wohl auch vor allem, die jetzt nach dem Scheitern der „Flucht von Varennes" selbst zwischen einst geschworenen Feinden wie Österreich und Preußen Solidarität zu stiften vermochte. Gerade die „französische Frage" - von den Preußen in der internationalen Krise nach dem Fluchtversuch Ludwigs XVI. geschickt als Lock- und Drohmittel gegenüber den Konzertplänen des Kaisers eingesetzt - und die Angst, Preußen durch längere Hinhaltetaktik zu verärgern und die „Österreicher" um Bischoffwerder dadurch selbst nachhaltig zu schwächen, verschafften den Kräften des Ausgleichs auch auf österreichischer Seite definitiv die Oberhand. Gegenüber den nur halbherzigen Vorverhandlungen vom Februar/März 1791 hatte man sich nun über die meisten Punkte überraschend schnell geeinigt. Der Türkenkrieg war mit den Weisungen des Kaisers de facto beendet, Preußen hatte dem Erwerb Danzigs und Thorns im Wege des Kuhhandels endgültig entsagt. Zwar waren zur Schonung Rußlands der Abschluß der österreichisch-preußischen Definitivallianz und die Beitrittsaufforderung an die Seemächte, Sachsen und den österreichischen Verbündeten Rußland erst für die Zeit nach dem Ende des russisch-türkischen Krieges vorgesehen, doch sollte über die wesentlichen Punkte der Vertragsbasis schon jetzt eine Interimalsratifizierung stattfinden. Zu diesen zentralen Punkten der Bündnisgespräche zählte natürlich auch die durch die Revolution vom Mai 1791 schlagartig veränderte „polnische Frage"; die Aufrechterhaltung der neuen polnischen Verfassung, der Ausschluß einer Heirat zwi127

Fritz 1878, Golda 1941, 212 - 241, Gardos 1971a und daraus über die Normalisierung der österr.-türk. Beziehungen sowie zur türk. Sondergesandtschaft in Wien 1792 ders. 1971b. Englische, niederländische und v.a. preußische Interzepte zu den Verhandlungen in Sistow sind bei [Vivenot] 1873, 87 - 89, 128 - 138, 148 155, 160 - 166, 181 - 185 und 197 - 199, zu finden. Der Vertrag mit dem „acte séparé" zur Grenzregulierung ist u.a. bei Neumann [1855], Bd. 1, 454 - 467, abgedr. Vgl. Bittner 1909, Bd. 2, 46. 128 Herrmann 1865, 269 - 290, hinsichtlich der polnischen Komponenten ders. 1864.

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C. Wiederherstellung

sehen der in Warschau potentiell thronfolgeberechtigten sächsischen Kurprinzessin und einem Prinzen aus einem der drei Nachbarländer und - für den Fall einer Rückkehr zum Wahlkönigtum - die Verhinderung der Berufung eines preußischen, österreichischen oder russischen Prinzen sollten nach einem Diskussionspapier Bischoffwerders vertraglich festgelegt werden. Während die Preußen dies wohl lediglich als vorauseilendes Eingehen auf österreichische Wünsche qualifizierten, erkannte Kaunitz in einem allerletzten Versuch Bischoffwerders, österreichische Nichteinmischung für den Fall eines jetzt schon völlig unwahrscheinlichen Konflikts zwischen Preußen und Großbritannien einerseits und Rußland andererseits förmlich im Abkommen zu fixieren, die Splitter der anti-russischen Speerspitze wieder. Der Staatskanzler schreckte immer noch vor handgreiflich gegen Rußland gerichteten „anstößigen" Bestimmungen zurück, mit denen man sich bei der in die Verhandlungen nicht einbezogenen Zarin gehörig in die Nesseln setzen konnte und bestenfalls Preußen die Aussicht auf eine „gratuite Compromittirung" Wiens bot. Denn daß Berlin die kräftigenden Reformen in Polen ehrlich begrüßte, wollte man in der Staatskanzlei nicht glauben. Generell hatte sich freilich die Lage Rußlands nach dem Scheitern des „Russian armament" beträchtlich aufgehellt; damit war auch der Handlungsspielraum der Österreicher gewachsen, und die nach den Jahren der Inkubation endlich virulent gewordene „Krisis der französischen Umstände" ließ eine preußisch-österreichische Annäherung - zumal wenn sie von entsprechend relativierenden Erläuterungen begleitet war - vielleicht auch in Petersburg in einem ganz anderen Licht erscheinen. Am 25. Juli 1791 unterzeichneten Kaunitz und Bischoffwerder - trotz aller Warnungen und Bedenken des Berliner Ministeriums, sich nicht einlullen oder in die radikalisierte Frankreichpolitik des Kaisers hineinziehen zu lassen - die Präliminarkonvention, der nach dem russisch-türkischen Frieden der eigentliche Vertragsabschluß und der Beitritt der wechselseitigen Verbündeten sowie Sachsens folgen sollten. Das Verbot von neuen Allianzabkommen ohne Wissen des Vertragspartners, die Festschreibung der Koordinierung der beiderseitigen diplomatischen Dienste und eines geregelten Informationsaustausches und v.a. die für Preußen wichtige Bestätigung der Verträge von Breslau (1742), Dresden (1745), Hubertusburg (1763) und Teschen (1779) bedeuteten wenigstens nach der Papierform das Ende der 50jährigen österreichisch-preußischen Erbfeindschaft. Als Punkt 4 des Vorvertrags hatte man die unverzügliche Realisierung des vom Kaiser vorgeschlagenen europäischen Mächtekonzerts in französischen Angelegenheiten aufgenommen und sich über die für Defensivallianzen charakteristischen „außenpolitischen" Beistandsklauseln hinaus für den Fall innerer Unruhen gegenseitige Unterstützung zur Unterdrückung solcher „troubles" zugesagt - angeblich ein von Friedrich Wilhelm II. gerne erfüll-

II. Das Staatensystem im Umbruch

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ter Sonderwunsch des Kaisers, der der Radikalisierung der Revolution in Frankreich und ihrer Abstrahlung nach Europa Rechnung trug. Ein eigener Artikel zur Garantie der Reichsverfassung war im Konzept gestrichen und dann in der Ausfertigung vergessen worden. Ein peinlicher faux pas, zumal angesichts der wachsenden Unruhe bei vielen Reichsständen, der erst nach einiger Zeit durch wechselseitige ministerielle Erklärungen behoben wurde. Berlin wollte man jedenfalls keine Möglichkeit geben, das vielsagende Versehen Österreich als weitere „Gefährde" aufzubürden, weil, so Kaunitz immer noch skeptisch, „nach der Berliner eingewurzelten Denkungsart man sich allda zu glauben nicht gewöhnen kann, daß es in der Welt noch irgendwo ehrliche Leute geben könnte". Ein ostensibler Separatartikel betraf die polnischen Angelegenheiten und sollte die drei schwarzen Adler im Sinne der Konfliktentschärfung künftighin zu konzertiertem Vorgehen und jedenfalls zur Anerkennung der neuen „freien" polnischen Verfassung verpflichten („qu'elles n'entreprendront rien pour altérer l'intégrité et le maintien de la libre constitution de Pologne") eine unschuldige Bestimmung, die Wien vor einer Bloßstellung in Petersburg bewahrte; niemals durfte ein preußischer, österreichischer oder russischer Prinz auf den polnischen Thron gelangen (weder durch Heirat mit der sächsischen „Infantin" noch durch eine neue Wahl). Ein Geheim- und Separatartikel galt den beiden während des Dreißigjährigen Krieges an Sachsen gelangten Lausitzen, die nach dem Erlöschen der Dresdener Kurlinie wieder an Österreich zurückfallen sollten. Berlin ersuchte für diesen Fall um Grenzkorrekturen, um Preußens „geostrategische" Bedenken einigermaßen ruhig zu stellen; denn durch den Rückerwerb der Lausitzen würde das habsburgische Territorium wieder weit nach Norden vorstoßen und Schlesien von Westen her fast völlig umfassen. Ein Separatartikel der Definitivallianz sollte später diese Frage abschließend regeln. Kaunitz hatte ursprünglich mit Seitenhieben auf die preußische Vorliebe für „Länderschacher" ernste Bedenken geäußert, die noch reichlich hypothetische Lausitz-Frage überhaupt zu diskutieren und durch derart wilde Spekulationen über das Aussterben der Wettiner den Kurfürsten von Sachsen zu verärgern, wo doch Preußen den Rückfall der Gebiete ebenso akzeptieren mußte, wie Österreich sich mit der Ausdehnung der preußischen Primogenitur in Süddeutschland durch Zugewinn der fränkischen Markgrafschaften Ansbach und Bayreuth abfand. Kürzlich noch eiserner Verfechter der antipreußischen Fixierung einer „gesunden" österreichischen Außenpolitik und Skeptiker bis zur letzten Minute, gerierte sich Kaunitz nun selbst notgedrungen als einer der eifrigsten Lobredner des „neuen Systems", wollte er nicht gleichzeitig mit dem hinfälligen Bündnis von 1756 definitiv zum alten Eisen geworfen werden. So

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C. Wiederherstellung

schlug man denn, meinte der Staatskanzler, als er dem Kaiser am Tag nach der Unterzeichnung zur neuen Allianz, sich selbst aber zur zweiten diplomatischen Revolution in seiner Karriere als Leiter der österreichischen Außenpolitik, gratulierte, mit dem preußisch-österreichischen Bündnis „le second tome du traité de Versailles" auf, „qui a étonné toute l'Europe dans son temps et a sauvé alors la monarchie autrichienne", ein Nebensatz, den man der Ehrenrettung des zu Grabe getragenen „système de 1756" schuldete. Ein trauriger Schwanengesang auf das „Kaunitzsche System" mußte es sein, wenn der Fürst in einem zur Belehrung des neuen preußischen Verbündeten bestimmten „Mémoire sur le système d'alliance entre les cours de Vienne et de Berlin" nun auch noch rückwirkend das 50jährige System der Feindschaft und des Gegeneinander, das die zwei Nachbarstaaten auch in Friedenszeiten zum Schaden der beiderseitigen Interessen in permanenter Unruhe unterhalten hatte, lebhaft bedauerte und die Schuld auf das „System" Friedrichs II. - „la plus grande des erreurs politiques possibles" abwälzte. Dabei vergaß der Staatskanzler freilich nicht, auf die Fortführung des böswilligen fridericianischen Systems durch Friedrich Wilhelm Π. hinzuweisen und den daraus für Preußen entstandenen Nachteil mit einiger Schadenfreude zu kommentieren. Es war aber sicher nicht nur Zweckopportunismus, wenn Kaunitz Positives an der Systemänderung fand, obwohl sie nicht durch seine Initiative zustande kam und noch der konkreten Umsetzung in die tägliche politische Praxis und schließlich einer Bewährungsprobe harrte. Das vertraglich vereinbarte Interesse an Integrität und Ruhe des über Nacht zum Partner mutierten „Erbfeindes", an Gewicht und Stabilität der Allianz und natürlich daran, daß der casus foederis nicht wirklich eintrat, entkrampfte nicht bloß die notorisch gespannten bilateralen Beziehungen: auch das gesamteuropäische System mußte sich nun nach und nach entwirren, ja durch die in Aussicht genommene Anknüpfung der „Nebenallianzen" der Vertragspartner nachgerade harmonisieren; der Urgrund für die „2. Diplomatische Revolution" scheint aber in der Tat in der geplanten „Reaction gegen die Revolution" (E. Herrmann) gelegen zu haben; jedenfalls auf österreichischer Seite 129 . 129

Leopold II. an Kaunitz (Graz, 18. 7. 1791; Druck: [Beer] 1873, 418), Vortrag Kaunitz (23. 7. 1791) mit Note Bischoffwerders (9 Punkte) und einer österreichischen Note, Kaunitz an Leopold II. (26. 7. 1791; Druck: [Beer] 1873, 419 -421) mit der Präliminarkonvention (25. 7. 1791, in Ο u. K; Druck: [Neumann] 1855, Bd. 1, 452 - 454; vgl. Bittner 1909, Bd. 2, 46) und dem „Mémoire sur le système d'alliance entre les cours de Vienne et de Berlin" (25. 7. 1791), Leopold II. an Kaunitz (26. 7. 1791; Druck: [Beer] 1873, 421): StK Vorträge 149 Konv. 1791 VII. ,Acte préliminaire qui pourrait être signé entre le prince de Kaunitz et le colonel de Bischoffwerder" (25. 7. 1791; StK FriedA 75 Konv. A/G; Druck: [Vivenot] 1873,

. Das Staatensystem im Umbruch

459

Die Ära der Freundschaft begann allerdings mit ernsteren Mißtönen: Wien sorgte sich, wie denn mit Leuten vom Schlage des verhaßten Jacobi oder Lucchesini in führenden Positionen der preußischen Diplomatie das neue System exekutierbar sei; Friedrich Wilhelm II. verzögerte die Ratifikation des Vorvertrags bis zur definitiven Unterzeichnung des Friedens von Sistow, und Kaunitz, auch verstimmt über die nicht wirklich nachgiebige Haltung der Preußen bei den Friedensverhandlungen mit den Türken und den daraus Rußland gegenüber drohenden Gesichtsverlust, entdeckte im August plötzlich die immer noch bestehende Offensivallianz Preußens mit dem Sultan als Grund dafür, auch von österreichischer Seite die Ratifikation hinauszuschieben und wieder grundlegende Bedenken gegen die Präliminarartikel anzumelden. Staatsreferendar Spielmann hatte alle Hände voll zu tun, die drohende Obstruktion des Behördenchefs abzuwehren und klarzumachen, daß mit dem Friedensabschluß in Sistow auch die preußisch-türkische Offensivallianz als gegenstandslos zu betrachten sei. Bischoffwerder stellte dem ärgerlichen Bündnis zwischen seinem König und der Pforte sogar noch einen förmlichen Totenschein aus, um die Zweifel des Staatskanzlers restlos zu beheben, so daß am 15. August 1791 die Ratifikationsinstrumente des Präliminarvertrags ausgetauscht werden konnten. Die preußischen Kabinettsminister Finkenstein, Alvensleben und Schulenburg waren dem entsprechenden Befehl ihres Königs nur schweren Herzens und widerwillig nachgekommen und hatten sogar einen Protest gegen die Überschreitung der Instruktionen und Vollmachten durch Bischoffwerder zu den Akten gegeben: Der Erfolg lag eindeutig auf österreichischer Seite, der Günstling des Königs hatte sich mit einem „Linsengericht" abspeisen lassen. Der gelehrige und nachgiebige Bischoffwerder allerdings - bald zum Generalmajor befördert - erhielt nun von Kaunitz mit Glückwünschen zu seinem „grand coup d'état", wie der Staatskanzler den Abschluß nannte, zwei Kupferstichporträts des Fürsten nachgesandt, nicht ohne die gemessene Aufforderung, bei seinem König doch darauf zu dringen, daß die preußischen Diplomaten schleunigst auf die neue Linie eingeschworen werden mußten. Der Zarin gegenüber versprühte Wien Optimismus angesichts der Tatsache, daß sich beide Verbündete doch so glücklich aus dem Türkenkrieg „herausgewickelt" hatten und ihr Hauptaugenmerk den anderwärts brennen217). Kaunitz an L. Cobenzl (23. 7. 1791; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1791; Druck: [Vivenot] 1873, 202 - 226), an Reuß (27. 7. u. 8. 8. 1791; StK DK Preußen 68 Sperrkonvolut/Weisungen 1790/91 bzw. 69 Konv. Weisungen 1791), an Stadion P. S. (29. 7. 1791; SA England Weisungen 130 Konv. Weisungen 1791). - Auszug aus der Instruktion für Bischoffwerder (28. 5. 1791; Druck: Herrmann 1864, 423 f.). - Noailles an Montmorin (16., 20., 30. 7. 1791; AMAE CP Autriche 362).

460

C. Wiederherstellung

den Fragen der Tagespolitik zuwenden konnten. Von einer Zurücksetzung der bewährten Achse Wien-Petersburg sollte, ging es nach dem Willen der Staatskanzlei, keineswegs die Rede sein. Im Gegenteil, denn von den neuen Anknüpfungspunkten mit Preußen und - über Berlin - auch mit London blieb letztlich unklar, welchen Nutzen sie mit sich brachten; vielleicht mußte es bei einem bloß „momentanischen" Konzert zur „Einschränkung des französischen Unwesens" sein Bewenden behalten, doch selbst das Minimum einer Abstellung jener Gehässigkeit, unter der die Kaisermächte die letzten Jahre über zu leiden gehabt hatten, konnte einen ernstzunehmenden Fortschritt bedeuten. „Die Ruhe, deren sie [Rußland und Österreich] zu ihrer Erholung eine zeitlang bedürfen, die Abwendung und Aufhaltung der Fortschritte des französischen Revolutionsgeistes, die Nothwendigkeit endlich, dem üblen Willen und den einseitigen und despotischen Grundsätzen der Londner und Berliner Höfe Schranken zu setzen, erfordern nunmehr, daß die zwèy kaiserlichen Höfe solche Maaßregeln zu Erzielung dieser Absichten in gröster Einmüthigkeit ergreiffen, welche die Wirksamkeit des Erfolges mit der klügsten Vorsicht und Behutsamkeit verbinden", dozierte Kaunitz Mitte August 1791 gegenüber dem k.k. Botschafter in Petersburg, Graf Cobenzl.

In Wahrheit war die kurzfristige Vernunftehe zwischen Berlin und London im August 1791 längst in Unfrieden geschieden worden; besonders auf preußischer Seite hatte sich viel Verbitterung aufgestaut, und auch zwei hochpolitische „wirkliche" Eheschließungen konnten das Ruder nicht mehr wirklich herumreißen: Der Duke of York heiratete ebenso eine Tochter Friedrich Wilhelms II. (Friederike aus 1. Ehe) wie Wilhelm Friedrich Prinz von Oranien, der nachmalige König der Vereinigten Niederlande, der den Zuschlag für Wilhelmine, die älteste Tochter aus 2. Ehe, erhielt 130 . Erstaunliche Entwicklungen wie jene in Frankreich erforderten harte Radikalkuren. So wischte die Französische Revolution nicht nur im eigenen Lande alte Ordnungen vom Tisch, auch im internationalen System machte 130

Zur domigen Frage der Ratifikation vgl. die einschlägige Korrespondenz zwischen Staatskanzler und Staatsreferendar von Ende Juli bis Mitte August 1791 mit der Erklärung Bischoffwerders über die Hinfälligkeit der Offensivallianz mit der Pforte (15. 8. 1791) in StK FriedA 75 Konv. A/D. Die Stücke sind allesamt bei [Vivenot] 1873, 216f., 222 - 225, abgedr.; Kaunitz an Bischoffwerder (August 1791; StK FriedA 75 Konv. A/E; Druck: [Vivenot] 1873, 229). Weiters die preußischen Interzepte aus dem Briefwechsel Bischoffwerder-Manstein (Juli/August 1791; StK FriedA 75 Konv. A/K; Druck: [Vivenot] 1873, 221 f.) mit Leopold II. an Kaunitz (29. 7. 1791; FA SB 70 Konv. NW Kaunitz-Leopold II./1791). Kaunitz an L. Cobenzl (13. 8. 1791; SA Rußland II Weisungen 176 Konv. Weisungen 1791). Insgesamt: „Réflexions impartiales sur le nouveau sistème politique que Ton se propose d'établir entre les cours de Vienne et de Berlin et leurs alliés respectifs" (o.D.; SA Frkr. Varia 45 Konv. Denkschriften des Fürsten Kaunitz; Druck: [Vivenot] 1873, 302 f.).

II. Das Staatensystem im Umbruch

461

sie fürs erste, wie Preußen und Österreich im Sommer 1791 bewiesen, tabula rasa mit langfristigen Erbfeindschaften und eingewachsenen Vorurteilen 131 .

131 Die Garantie der „alteuropäischen" Verfassungen und die Eindämmung der „democratic principles" im Angesicht der Bedrohung durch das revolutionäre Frankreich hatte Leopold II. schon Anfang Mai 1791 - auch für Außenstehende deutlich sichtbar - zu einem wesentlichen Anliegen seiner Politik gemacht (vgl. auch Elgin an Grenville, 9. 5. 1791: Ward/Gooch 1922, Bd. 1, 209). „[...] the restoration of affairs in France is the chief spring of His Imp. Majesty's system" und „the restoration of the royal authority in France and the crushing of the National Assembly and its principles are a main spring in the political system of His Imp. Majesty": Lord Elgin an Grenville (Venedig, 26. 5. 1791, bzw. Padua, 7. 7. 1791), zit. bei Herrmann 1865, 256 f., 269. [Beer] 1874, 78 hat die von E. Herrmann in seiner Polemik mit Sybel behauptete „konterrevolutionäre" Motivierung der österreichisch-preußischen Allianz und die unter dem Eindruck der Revolution erfolgte Wandlung des Kaisers zum „reaktionären Absolutisten" in Abrede gestellt: „Das Bündniss zwischen Oesterreich und Preussen hatte durchaus keine antirevolutionären Tendenzen; diese lagen den österreichischen Staatsmännern fem." Dagegen Herrmann 1860, Bd. 6, 389f: „Seine [Leopolds] Seele ersehnte von Herzens Grund nichts inniger als den Triumph, ganz Europa in einen principiellen Kampf gegen den Dämon der französischen Revolution verwickeln und alle Völker in unbedingt gehorsame Unterthanen verwandeln zu können. Zu diesem Zweck wollte er gem auch Polen den Maximen seiner Bundesgenossin preisgeben." Vgl. die ausgewogene Diskussion bei Hüffer 1868, 29 - 31. Bei aller Kritik an der Überzeichnung Leopolds durch Herrmann konstatiert auch Mitrofanow 1916 zunehmenden Einfluß der Entwicklungen in Frankreich auf die politische Linie des Kaisers. Zur österreichischen Frankreichpolitik 1791/92 eingehend Hochedlinger 1997 a, Bd. 2 passim.

Quellen und Literatur Ungedruckte Quellen1 I· Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hofund Staatsarchiv (= HHStA), Wien STAATSKANZLEI ( = StK)

Vorträge Kts. 129 (1779 V - VIII), 134 (1781), 143 (1787 I - VII), 144 (1787 Vili - XII), 145 (1788), 146 (1789), 147 (1790), 148 (1791 I - V), 149 (1791 VI - XII), 150 (1792 I - V), 151 (1792 VI - IX), 152 (1792 X - ΧΠ), 153 (1793), 154 (1794) Diplomatische Korrespondenz

(= DK)

Bayern: Korrespondenz Kts. 63 (1790/1), 64 (1790/2), 65 (1790/3), 66 (1791/1), 67 (1791/2), 68 (1792/1), 69 (1792/2) Köln: Kts. 1, 18 (1789/90), 19 (1791/92) Preußen: Hofkorrespondenz Kt. 1 (1740 - 1846); Korrespondenz Kts. 65 (1787), 66 (1788), 67 (1789), 68 (1790), 69 (1791), 70 (1791/92), 71 (1792/93); Collectanea Borussica Kt. 202 (1761 - 1806) Regensburg: Österreichische Gesandtschaft Weisungen Kt. 9 (1779 - 1792); Kurböhmische Gesandtschaft Weisungen Kt. 6 (1788 - 1794) Reich: Weisungen in das Reich Kts. 250 (1787 - 1789), 251 (1790 - 1791), 252 (1791 - 1793) Sachsen: Hofkorrespondenz Kts. 1, 2; Korrespondenz Kts. 28 (1788 - 1790), 29 (1791 - 1792) Trier: Korrespondenz/Diverses Kt. 5 Friedensakten

(= FriedA)

Kts. 70, 75 1

Eine ausführliche Diskussion der Quellenbestände bietet Hochedlinger Bd. 2, 721 - 733.

1997 a,

Ungedruckte Quellen

463

Interiora Reichscirculanden: Kt. 21 (1786 - 1790) Circularien und Notifikationen: Kt. 7 (1783 - 1792) Intercepte: Kts. 1 (1711 - 1794), 2 (1775 - 1809; Abschriften des 19. Jahrhunderts) STAATENABTEILUNGEN ( = SA)

Dänemark Korrespondenz: Kts. 69 (1787), 70, 71 (1788), 72 (1789), 73 (1790 - 1791), 74 (1792) Frankreich Hofkorrespondenz: Kts. 4, 5, 6, 8, 9, 10; Weisungen: Kts. 174 (1787/1788), 175 (1789/1790), 179 (1791/1792), 182 (1790/1794); Berichte: Kts. 176 (1787/1788), 177 (1787/1789), 178 (1790/1792), 180 (1791/1793); Varia: Kts. 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46,47,48,49; Notenwechsel (= NW): Kts. 13,14; Druckschriften (= DS): Kts. 8, 9 England Hofkorrespondenz: Kt. 5 (1790 - 1820); Weisungen: Kts. 129 (1787 - 1790), 130 (1791/92); Berichte: Kts. 127 (1789/90), 131 (1791/92) Holland Kt. 94 (Instruktionen 1707 - 1802), Kt. 93 (Weisungen 1785 - 1795, 1802 - 1806) Neapel Instruktionen, Hofkorrespondenz, Varia: Kts. 26, 27; Weisungen: Kts. 23 (1781 1790), 24 (1791 - 1801) Polen II Kt. 82 (Weisungen 1786 - 1792) Portugal Kt. 33 (Weisungen 1781 - 1799) Rom Korrespondenz: Kts. 210 (1791), 213 (1792)

464

Quellen und Literatur

Rußland II Weisungen: Kts. 174 (1785 - 1787), 175 (1788 - 1789), 176 (1790 - 1791), 177 (1792 - 1793) Sardinien Hofkorrespondenz: Kt. 35 (1700 - 1792); Weisungen: Kts. 32 (1770 - 1789), 33 (1790 - 1801) Schweden Korrespondenz: Kts. 68 (1784/85 - 1787), 69 (1788 - 1789), 70 (1789 - 1790), 71 (1791 - 1792), 72 (1792) Schweiz Weisungen: Kts. 181 (1780 - 1791), 182 (1792 - 1795) Spanien Hofkorrespondenz: Kt. 15 (1761 - 1841); Diplomatische Korrespondenz (= DK): Kts. 118 (1787 - 1788), 119 (1788 - 1789), 120 (1790), 121 (1791), 122 (1792), 123 (1792 - 1793) Toskana Weisungen: Kt. 32 (1787 - 1800, 1803 - 1811) Türkei II Korrespondenz: Kts. 95 (1787), 96 (1788), 97 (1789 - 1791), 98 (1791/92), 101 (1792) Venedig Weisungen: Kt. 11 (1784 - 1810) REICHSKANZLEI ( = R K )

Vorträge

des Reichsvizekanzlers

Fasz. 8b (1781 - 1793) Prinzipalkommission Weisungen: Fasz. 13 a (1790/91), 13 b (1792)

Ungedruckte Quellen

465

Reichstagsakten (= RTA) Reichsfürstenratsprotokolle: Fasz. 262 (1790/91), 263 (1791 - 1793); Diktate: Fasz. 365 (1791), 366 (1792) Reichskrieg gegen Frankreich Fasz. 1/2,3-5, 6/7, 11,30/31 Kleinere Reichsstände Fasz. 69 Basel (1790 - 1792) FAMILIENARCHIV ( = F A )

Handarchiv Kaiser Franz Kts. 18, 19 Familienkorrespondenz

(= FK) A

Kt. 26, 27, 51 Sammelbände (= SB) Kt. 20, 27, 70, 71, 74, 75, 88 KABINETTSARCHIV ( = K A )

Kabinettskanzlei

Protokolle

Handbilletenprotokolle (= HBP) Bd. 51 (1789), 75a (1790), 78 (Handbilleten Erzherzog Franz' während der Italienreise des Kaisers März 1791 - 1791), 78 b (1791), 105 (Januar/Juni 1792), 106a (Juli/Dezember 1792) Kaunitz-Voten

(Voten des Fürsten Kaunitz zu Staatsratsakten)

Kts. 5 (1784 - 1790), 6 (1791 - 1794) Kaiser-Franz-Akten Kt. 168 Nachlaß (= NL) Lacy Kts. 10 (IX/7-11 ), 11 (X/l-5) 30 Hochedlinger

Quellen und Literatur

466 Nachlaß (= NL) Zinzendorf

ΠΙ. Zinzendorf-Tagebücher (= TB): Bde. 32 (1787), 33 (1788), 34 (1789), 35 (1790), 36 (1791), 37 (1792) GROSSE KORRESPONDENZ ( = G K )

Fasz. 405, Fasz. 406/Konv. A, Konv. E; Fasz. 444: Philipp Cobenzl; Fasz. 447: Thugut; Kt. Alphabetischer Nachtrag I - L (s. v. Kaunitz) BELGIEN

Rep. DD Abt. A Vorträge: Fasz. 14 (1787 - 1794); Weisungen: Fasz. 64 (1789), 66 (1791), 67 (1791), 68 (1792); Berichte: Fasz. 315 (1789), 316 (1789), 318 (1790/91), 319 (1791), 320 (1791), 321 (1791), 322 (1791), 323 (1791), 324 (1792), 325 (1792), 326 (1792), 327 (1792), 328 (1792), 329 (1792) Rep. DD Abt. Β Fasz. 1/Konv. 1, Konv. 2; Fasz. 119; Fasz. 121/122; Fasz. 146- 148; Fasz. 152/ 153; Fasz. 167 - 167 1/2 HANDSCHRIFTENSAMMLUNG

Hs. Weiß 764; Hs. Weiß 765; Hs. Weiß 808; Hs. Weiß 923; Hs. Weiß 978 I I . Archives du ministère des affaires étrangères (= AMAE), Paris CORRESPONDANCE POLITIQUE ( = CP)

Allemagne vol. 663 (1791), 666 (1792) Angleterre vol. 578 (1791) Autriche vol. 352 (1787/1), 353 (1787/2), 354 (1788/1), 355 (1788/2), 356 (1789/ 1), 357 (1789/2), 358 (1789/3), 359 (1790/1), 360 (1790/2), 361 (1791/1), 362 (1791/2), 363 (1792). Autriche suppléments vol. 23 (1775 - 1791), 24 (1792) Pays-Bas espagnols/autrichiens (1792/1), 183 (1792/2)2 2

(Belgien) vol. 180 (1791/1), 181 (1791/2), 182

Von den Österreichern beschlagnahmtes französisches Aktenmaterial findet sich in HHStA Belgien DD Β Fasz. rot 1.

Gedruckte Quellen Pays-Bas espagnols/autrichiens

467

suppléments vol. 14

Prusse vol. 211 (1790), 212 (1791), 213 (1792) Russie vol. 138 (1792) MEMOIRES ET DOCUMENTS ( = M D )

Alsace vol. 59 Autriche vol. 46 PERSONNEL Ire SERIE

Π Ι . Archives Nationales (= AN), Paris AF III 76 d. 312 F7 4774/58

Gedruckte Quellen André , Louis/Bourgeois, Emile (Hrsg.): Recueil des instructions données aux ambassadeurs et ministres de France depuis les traités de Westphalie jusqu'à la Révolution française 23: Hollande 3 (Paris 1924) Archives Parlementaires de 1787 à 1860. Première Série: 1787 - 1799 bisher 98 Bde. (Paris 1867ff; ND Nendeln/Liechtenstein 1969 ff.) (= AP) Arneth , Alfred Ritter von (Hrsg.): Die Relationen der Botschafter Venedigs über Österreich im 18. Jahrhundert (= FRA II/22; Wien 1863) — Marie-Antoinette, Joseph II. und Leopold II. Ihr Briefwechsel (Leipzig/Paris/ Wien 1866) — Joseph II. und Katharina von Rußland. Ihr Briefwechsel (Wien 1869) — Joseph II. und Leopold von Toscana. Ihr Briefwechsel von 1781 bis 1790. 2: 1786 - 1790 (Wien 1872) — Graf Philipp Cobenzl und seine Memoiren (= AÖG 67/1; Wien 1885) Arneth , Alfred von/Gejfroy, Antoine (Hrsg.): Correspondance secrète entre MarieThérèse et le comte de Mercy-Argenteau, avec les lettres de Marie-Thérèse et de Marie-Antoinette 3 Bde. (Paris 1874) Arneth , Alfred Ritter von/ Flammermont, Jules (Hrsg.): Correspondance secrète du comte de Mercy-Argenteau avec l'Empereur Joseph II et le prince de Kaunitz 2 Bde. (Paris 1889/91) (= A&F) Auckland , William Lord: Journal and Correspondence Bde. 1 u. 2 (London 1860/ 62) 30*

468

Quellen und Literatur

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Stoney

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Literatur

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Quellen und Literatur

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Literatur

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Vergennes 1719 - 1787 et la politique étrangère de la France à la veille de la Révolution 1er octobre - 21 novembre 1987 (Ausstellungskatalog, Paris 1987) Viollet , Paul: Le Roi et ses ministres pendant les trois derniers siècles de la monarchie (Paris 1912) Vivenot , Alfred Ritter von: Zur Genesis der Zweiten Teilung Polens 1792 - 1793 (Wien 1874) Volney , Constantin-François de Chasseboeuf de: Considérations sur la guerre actuelle des Turcs avec les Russes (London 1788) VyslonziU Elisabeth: Zehn Jahre österreichisch-russische Beziehungen im Schatten des „griechischen Projektes". Von der Entrevue in Mogilev 1780 bis zu Habsburgs letztem Krieg gegen das Osmanische Reich (ungedr. phil. Diss. Wien 1986) Waddington , Albert: Louis XV et le renversement des alliances. Préliminaires de la guerre de Sept Ans 1754 - 1756 (Paris 1896) Wagner , Hans: Der Höhepunkt des französischen Kultureinflusses in Österreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: ÖGL 5 (1961) 507 - 517 — Die Reise Josephs II. nach Frankreich 1777 und die Reformen in Österreich. In: Österreich und Europa. Festgabe für Hugo Hantsch zum 70. Geburtstag (Graz/ Wien/Köln 1965) 221 - 246 — Die äußere Politik Kaiser Josephs II. In: Salzburg und Österreich. Aufsätze und Vorträge von Hans Wagner (= Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde Erg.-Bd. 8; Salzburg 1982) 391 - 412 — Die Herrscher und ihre Staatsmänner. In: Österreich im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus (= Schriften des Instituts für Österreichkunde 42; Wien 1983) 16-28 Wahl, Adalbert: Geschichte des europäischen Staatensystems im Zeitalter der Französischen Revolution und der Freiheitskriege 1789 - 1815 (München/Berlin 1912) K.: Autour d'un trône. Catherine II de Russie. Ses collaborateurs, ses amis, ses favoris (Paris 2. Aufl. 1894)

Waliszewskiy

Walter, Friedrich: Kaunitz' Eintritt in die innere Politik. Ein Beitrag zur Geschichte der österreichischen Innenpolitik in den Jahren 1760/61. In: MÖIG 46 (1932) 37-79 — ÖZV Abt. II: Von der Vereinigung der österreichischen und böhmischen Hofkanzlei bis zur Einrichtung der Ministerialverfassung. Bd. 1/1: Die Geschichte der österreichischen Zentralverwaltung in der Zeit Maria Theresias 1740 - 1780 (= VKNGÖ 32; Wien 1938) — ÖZV Abt. II, Bd. 1/2/1: Die Zeit Josephs II. und Leopolds II. 1780- 1792, Bd. 1/2/2: Die Zeit Franz' II. (I.) und Ferdinands I. 1792 - 1848 (= VKNGÖ 35, 42; Wien 1950/56) — Die Paladine der Kaiserin. Ein Maria-Theresien-Buch (Wien 1959)

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Quellen und Literatur

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Literatur Welschinger, 1900)

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Henri: La mission secrète de Mirabeau à Berlin 1786 - 1787 (Paris

Welvert, Eugène: L'éminence grise de Marie-Antoinette. In: Revue de l'histoire de Versailles et de Seine-et-Oise 23 (1921) 129 - 142, 227 - 240, 24 (1922) 40 60, 116 - 131, 221 - 244 Wertheimer, 649 - 681

Eduard: Baron Hompesch und Josef II. In: MIÖG Erg. Bd. 6 (1900)

Whaley, Joachim: Die Habsburgermonarchie und das Heilige Römische Reich im 18. Jahrhundert. In: Wilhelm Brauneder/Lothar Höbelt (Hrsg.), Sacrum Imperium. Das Reich und Österreich 996 - 1806 (Wien/München/Berlin 1996) 288 - 318 Wild, Erich: Mirabeaus geheime diplomatische Sendung nach Berlin (Heidelberg 1902) Wildner,

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Paul: Die polnische Politik Preußens 1788 - 90 (Göttingen 1899)

Adam: Marie Christine, Erzherzogin von Oesterreich 2 Bde. (Wien 1863)

— Fürstin Eleonore Liechtenstein 1745 - 1812 (Wien 1875) Wolf ; Gerhard: Le comte G. W. von der Goltz, un témoin oublié de la Révolution française. In: AHRF 59 (1987) 93 Wolf ; Gerson: Österreich und Preussen 1780 - 1790 (Wien 1880) Wolfsgruber,

Cölestin: Franz I., Kaiser von Österreich 2 Bde. (Wien/Leipzig 1899)

Wurth, Rüdiger (Red.): Zwei Jahrtausende Postwesen. Vom cursus publicus zum Satelliten. Ausstellungskatalog. Halbturn, 14. Mai bis 27. Oktober 1985 (o.O. o.D.)

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Quellen und Literatur

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Personenverzeichnis Staatskanzler Kaunitz, Botschafter Mercy-Argenteau, Kaiser Joseph II. und Kaiser Leopold II. wurden als beinahe allgegenwärtige Hauptakteure des vorliegenden Bandes nicht in das Personenverzeichnis aufgenommen. Unberücksichtigt blieben ferner sämtliche rein bibliographischen bzw. zitatweisen Nennungen von Autoren sowie Absender und Empfänger von Dokumenten. Abdul Hamid I. 185, 187, 188, 192, 193, 196, 201, 203, 214, 217, 235, 240, 241 Acton, John Francis Edward 383 Adélaïde (Tochter Ludwigs XV.) 89, 265 Aiguillon, Emmanuel-Armand de Vignerot du Plessis-Richelieu Duc d* 81, 90, 92, 93, 94 Ainslie, Sir Robert 188, 189 Albert von Sachsen-Teschen 174, 175, 176, 177, 178, 180, 281, 285, 332, 333, 334, 389, 390, 391 Albini, Franz Joseph Freiherr von 64, 289 Alexander Leopold, Erzherzog 60, 400 Alopeus, Maximilian Baron 236 Alton, Richard Graf d' 182, 286 Alvensleben, Philipp Karl Baron von 160, 161,435, 459 Antoine, Michel 98 Anton Klemens von Sachsen 338 Arenberg, Familie 337, 389 Aretin, Karl Otmar Freiherr von 18, 20, 61, 113, 115, 316 Argenson, Marc-Pierre de Voyer de Paulmy Comte d' 86, 93 Arneth, Alfred Ritter von 61, 133 Artois, Charles-Philippe Comte d' 100, 101, 130, 179, 265, 368, 403 Asseburg, Achaz Ferdinand von 109 Auckland, William Eden Baron 118, 389 Ayala, Sebastiano Graf 36, 37, 80 33 Hochedlinger

Bailleu, Paul 115 Bainville, Jacques 102 Barbiano-Belgiojoso, Karl Ludwig Graf 176, 177, 178, 180 Bartenstein, Johann Christoph Freiherr von 49, 50, 51, 63, 65, 83, 126 Barthélémy, Jean-Jacques 100 Barthélémy, François 100, 101 Beales, Derek 36, 38 Belgiojoso siehe Barbiano-Belgiojoso Bender, Blasius Kolumban Freiherr von 286,351,394 Bemis, François-Joachim de Pierre Comte de 81, 84, 86, 87 Bernstorff, Andreas Peter Graf 252 Bildt, Knut Reinhold 322 Binder-Krieglstein, Friedrich Freiherr von 51,52,53 Birkenstock, Johann Melchior 257, 258 Bischoffwerder, Johann Rudolf von 143, 144, 154, 162, 236, 356, 364, 404, 408, 409, 422, 423, 424, 425, 426, 427, 428, 429, 430, 431, 432, 433, 435, 448, 449, 450, 451, 452, 453, 454, 455, 456, 459, 460 Black, Jeremy 116 Blanning, T. C. W. 36, 38, 102 Blumendorf, Franz Paul Zigeuner von 127, 381, 388, 406, 407, 417, 438 Borcke, Adrian Heinrich Graf von 253 Braubach, Max 83, 84 Braunschweig siehe Karl Wilhelm Ferdinand

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Personenverzeichnis

Brentano, Joseph Freiherr von 256 Breteuil, Louis-Auguste Le Tonnelier Baron de 93, 100, 101, 103, 265 Bretzenheim, Reichsgrafen von 305 Broglie, Charles-François Comte de 91,92 Bulgakow, Jakob Iwanowitsch 183, 186,192,193,199,201,236,260,302 Burkhardt, Johannes 15 Caché, Benedikt Ritter von 250, 439 Calonne, Charles-Alexandre de 98, 135, 155, 271 Carmarthen, Francis Osborne, 5th Duke of Leeds, Earl of 118, 150, 163, 297, 412 Carra, Jean-Louis 272, 406 Castries, Charles-Eugène-Gabriel de La Croix Marquis de 98, 101, 158 Chatham siehe Pitt Choderlos de Laclos, Pierre-AmbroiseFrançois 290 Choiseul, Etienne-François Comte de Stainville Duc de 81, 86, 87, 88, 89, 90, 92, 93, 94, 105, 106, 117, 126, 131 Choiseul-Gouffier, Marie-Gabriel-Florent-Auguste Comte de 122, 182, 186, 193, 201, 228, 229, 235, 236, 237, 238, 240, 241, 242, 254, 255, 256, 261, 293, 294, 302, 304, 305, 306, 410 Choiseul-Praslin, César-Gabriel Duc de 89 Cobenzl, Johann Philipp Graf 21, 39, 40, 41, 42, 52, 53, 54, 55, 58, 62, 70, 144, 176, 238, 255, 266, 285, 287, 297, 309, 310, 312, 320, 321, 322, 323, 331, 335, 348, 356, 358, 391, 416, 427, 429, 431 Cobenzl, Johann Ludwig Graf 55, 108, 172, 177, 186, 190, 204, 207, 211, 225, 226, 229, 238, 256, 286, 296, 414, 418, 441, 460 Collenbach, Heinrich Gabriel Freiherr von 62 Collenbach, Ägidius Freiherr von 63, 320

Colloredo-Waldsee, Rudolph Joseph Fürst von 64, 66 Colloredo-Mannsfeld, Franz de Paula Gundakar Fürst von 58, 59, 64, 75, 312, 399 Conti, Louis-François de Bourbon Prince de 91,92 Cossé-Brissac, Familie 100 Czartoryski, Familie 123 Czartoryski, Adam Kasimir 250 Daiser von Sillbach, Karl Freiherr von 63 Dalberg, Karl Theodor von 114, 148 Dauphin siehe Louis bzw. LouisJoseph-François-Xavier Demoustier, Eléonore-François Comte 408 Descorches de Sainte-Croix, LouisMarie Marquis de 438 Dietz, Heinrich Friedrich von 228, 235, 236, 303, 304 Dohm, Christian Wilhelm 288 Du Barry, Jeanne Bécu Comtesse 89 Duchhardt, Heinz 15 Duclos, Charles Pinot 94 Dumouriez, Charles-François 93, 390 Elgin, Thomas Bruce Earl of E. and Kincardine 421, 423, 443, 445, 446, 447, 448, 450, 451 Elisabeth Petrowna von Rußland 107 Elisabeth von Württemberg 60, 170, 308 Elliot, Hugh 380 Ephraim, Benjamin Veitel 405, 406, 407, 408, 435 Erthal, Friedrich Karl von 114, 147, 148, 289 Esterhâzy, Franz Graf 410 Esterno, Antoine-Joseph-Philippe Régis Comte d' 167, 407, 408 Eugen von Savoyen 65, 66, 207, 223 Ewart, Joseph 150, 153, 204, 331, 360, 415 Farge, Ariette 102 Favier, Jean-Louis 93, 94, 100, 273, 274

Personenverzeichnis Fawkener, William Augustus 444 Ferdinand I. 44, 47 Ferdinand IV. von Neapel 383, 384 Ferdinand III. von Toskana 60, 326, 384, 433 Ferdinand von Parma 383 Ferdinand, Erzherzog 383 Fink von Finkenstein, Karl Wilhelm Graf 143, 153, 423, 431, 459 Flammermont, Jules 133 Fleury, André Hercule de 83 Floridabianca, José Monino Conde de 234, 379, 382, 385 Fox, Charles James 118, 167 Frank, Peter Anton Freiherr von 64 Franz I. Stefan 50, 56, 60 Franz (Erzherzog, als Franz II. römisch-deutscher Kaiser) 19, 20, 39, 40, 53, 58, 60, 170, 171, 201, 207, 257, 308, 312, 313, 314, 318, 323, 324, 342, 344, 347, 362, 364, 384, 420, 452 Franz von Neapel 384 Frederick, Duke of York 115, 460 Friederike Sophie Wilhelmine (Gattin Wilhelms V. von Oranien) 151, 153, 154, 155, 156, 157, 163, 389 Friederike von Preußen 460 Friedrich II. von Preußen 18, 37, 85, 89, 99, 107, 110, 111, 114, 115, 127, 141, 143, 144, 146, 147, 155, 221, 392, 421, 425, 434, 458 Friedrich von Dänemark 252 Friedrich August II. (III.) von Sachsen-Polen 123 Friedrich August III. von Sachsen 72, 248, 251, 338, 339, 340, 347, 438, 440,441 Friedrich Josias von Sachsen-Coburg 207, 239, 261, 298, 329, 341, 344, 349 Friedrich Wilhelm II. von Preußen 140, 141, 142, 144, 146, 147, 153, 154, 155, 157, 159, 162, 163, 164, 170, 195, 206, 216, 227, 235, 236, 246, 250, 251, 252, 254, 259, 280, 288, 289, 293, 295, 300, 304, 306, 326, 329, 340, 341, 342, 343, 344, 33»

515

345, 347, 348, 349, 350, 351, 353, 356, 357, 358, 361, 362, 363, 364, 366, 394, 395, 396, 401, 402, 403, 404, 406, 407, 408, 411, 412, 423, 424, 425, 426, 427, 429, 430, 431, 433, 434, 435, 442, 448, 449, 450, 451, 456, 458, 459, 460 Gabard de Vaux, Dominique 101, 180 Gazi Hassan Pascha 303, 329 Georg III. von Großbritannien 115, 139, 145, 167, 330, 389, 446 Georg, Prince of Wales 167 Görtz von Schlitz, Johann Eustach Graf 415,417 Goethe, Johann Wolfgang von 281 Goetze, Oberstleutnant von 256 Goltz, Wilhelm Bernhard Graf von der 99,277,405,406,407 Gravière siehe Lagravière Grenville, William 160, 412 Groschlag zu Dieburg, Friedrich Karl Willibald Freiherr von 159, 162 Grünn, Ludwig von 60 Gustav III. von Schweden 90, 95, 120, 208, 209, 210, 211, 212, 232, 252, 253, 349, 366 Hadik, Andreas Graf 257 Haeften van Ophemert, Reynier van 410 Harris, Sir James, Earl of Malmesbury 152, 153, 162 Hartig, Anton Graf 227, 440 Hatzfeldt und Gleichen, Karl Friedrich Graf von 312 Heinrich von Preußen 93, 99, 143, 153, 165, 167, 203, 403 Herbert, Peter Philipp Freiherr von 183, 186, 187, 199, 200, 201, 217, 228, 261, 323, 410, 445, 454 Herrmann, Emst 437, 461 Hertzberg, Ewald Friedrich Graf 143, 148, 150, 153, 155, 157, 162, 202, 203, 204, 205, 206, 209, 219, 220, 222, 227, 251, 255, 257, 258, 280, 288, 295, 297, 301, 304, 330, 343,

516

Personenverzeichnis

346, 349, 355, 357, 358, 359, 362, 363, 364, 365, 396, 397, 400, 401, 403, 406, 407, 408, 409, 420, 423, 424, 425, 426, 435, 436, 440, 452 Hervey, John Augustus Lord 329 Hildebrandt, Johann Lucas von 63 Hirsinger, Yves-Louis-Joseph 178, 179 Hocher, Dr. Paul 48 Hoensbroech, César-Constantin-François Reichsgraf von 288, 398, 399, 400 Hörnigk, Philipp Wilhelm 28 Hofenfels, Johann Christian von 149 Hoffmann, Leopold Alois 401 Hohenlohe-Ingelfingen, Friedrich Ludwig Fürst zu 404 Hompesch, Ferdinand von 280 Hompesch, Karl Reichsfreiherr von 280 Hoppé (Hoppe), Friedrich 388 Horix, Johann Baptist Freiherr von 64 Hüffer, Hermann 21, 43 Imbsen, Johann Theodor Freiherr von 65 Immich, Max 203 Ingrao, Charles 17, 31 Isaac Bey 242 Isabella von Parma 60, 383 Jacobi-Kloest, Konstans Philipp Wilhelm Freiherr von 223, 224, 255, 280, 318, 321, 322, 323, 348, 350, 364, 365, 414, 415, 417, 426, 452, 459 Jaucourt, Charles-Léopold Marquis de 132 Jenisch, Bernhard Freiherr von 63, 78 Johann, Erzherzog 60 Joseph I. 46,49,65 Justi, Johann Gottlieb 28, 37 Kageneck, Friedrich Graf von 139, 234 Kant, Immanuel 37 Karl VI. 24, 31, 35, 65, 77, 358, 396, 397

Karl VII. Albrecht 50, 56, 305 Karl IV. von Neapel 217 Karl XII. von Schweden 119, 210 Karl III. von Spanien 105,311,381, 383 Karl IV. von Spanien 233, 234, 328, 381, 382, 384, 385 Karl V. von Lothringen 223 Karl, Erzherzog 60, 310, 394, 441 Karl Alexander von Ansbach-Bayreuth 428 Karl Alexander von Lothringen 62, 149 Karl August von Sachsen-Weimar 114, 280 Karl Theodor von Bayern 305, 399, 401, 433, 442, 443 Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel 158,251, 354, 356,357, 358, 364,423,427,428 Karoline Auguste von Bayern 60 Katharina II. von Rußland 21, 40, 90, 107, 108, 120, 121, 122, 123, 164, 168, 170, 171, 172, 173, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 196, 197, 198, 200, 202, 204, 205, 207, 209, 212, 215, 217, 218, 219, 221, 225, 226, 227, 229, 230, 231, 235, 236, 239, 243, 244, 246, 247, 248, 249, 252, 256, 259, 260, 263, 296, 308, 309, 344, 346, 349, 360, 366, 367, 411, 412, 413, 415, 417, 419, 420, 421, 422, 423, 426, 429, 432, 433, 434, 435, 436, 441, 442, 444, 446, 447, 448, 453, 456, 459 Kaunitz, Dominik Andreas Graf 48, 62 Kaunitz, Max Ulrich Graf 62 Kaunitz-Rietberg, Josef Graf 108 Keller, Dorotheus Ludwig Christoph Freiherr von 205, 394 Keith, Sir Robert Murray 310, 322, 330, 331,410 Klueting, Harm 20 Knobeisdorff, Friedrich Wilhelm Ernst von 304 Koch, Ignaz Freiherr von 50, 65, 66

Personenverzeichnis Köln, Kurfürst von siehe Maximilian Franz Königseck-Rothenfels, Maximilian Friedrich von 150 Konstantin, Großfürst 121 Koselleck, Reinhart 85 Kronenfels, Joseph Franz Stephan von 67 Krufft, Andreas Adolph Freiherr von 63 Küntzel, Georg 38, 61 Kunisch, Johannes 16 Kurz-Senftenau, Ferdinand Sigmund Graf 48 Lacy, Franz Moritz Graf 190, 310, 311, 312, 314, 356 Lafayette, Marie-Joseph de Motier Marquis de 100, 165, 308, 336, 337 Lagravière, Manoël de 100, 101, 180, 285 Lamarck, Auguste-Marie-Raymond Comte de 129, 337 Laquiante, N. 100 La Sollaye-Wartenberg, Karl Freiherr von 64 Laudon, Gideon Emst Freiherr von 222, 223, 224, 242, 257, 258, 261, 299, 301, 302, 312, 342, 343, 345, 349, 350, 353, 359, 360 La Ville, Jean-Ignace Abbé de 86 Lederer, August Gottlob Freiherr von 63 Leeds siehe Carmarthen Leopoldi. 44,45,48,65 Leykam, Franz Georg Freiherr von 64 Liechtenstein, Karl II. Fürst von 326, 327 Ligne, Charles Joseph Prince de 200, 229, 285, 321, 398 Lombard, Johann Wilhelm 409 Loménie de Brienne, Etienne-Charles 129, 135, 156, 158, 159, 191, 192, 197, 271, 275, 276 Louis, Dauphin 86, 126

Louis-Joseph-François-Xavier, Dauphin 128 Lucchesini, Girolamo Marchese 149, 248, 300, 339, 349, 356, 357, 404, 410, 435, 447, 449, 452, 459 Ludolf, Karl Graf von 259 Ludwig XIV. 98 Ludwig XV. 45, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 93, 94, 102, 265 Ludwig XVI. 66, 82, 86, 88, 92, 93, 94, 96, 97, 99, 100, 117, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 136, 153, 159, 160, 161, 178, 183, 185, 192, 196, 197, 214, 215, 216, 218, 229, 231, 232, 241, 261, 264, 265, 266, 268, 269, 271, 278, 290, 293, 294, 307, 366, 368, 370, 371, 373, 376, 379, 403, 451, 455 Ludwig von Preußen 147 Ludwig Wilhelm von Baden 223 Lüdtke, Wilhelm 402 Lusi, Spiridion Graf von 409 Mainz, Kurfürst von siehe Erthal Mack von Leiberich, Karl Freiherr 353 Malesherbes, Chrétien-Guillaume de Lamoignon de 135 Manfredini, Federigo Marchese 325, 326, 348, 404 Maria Amalia von Parma 383 Maria Anna, Erzherzogin 62 Maria Beatrix d'Esté 383 Maria Carolina von Neapel 383, 384 Maria Clementina, Erzherzogin 384 Maria Josepha von Bayern 60 Maria Josepha von Sachsen, Dauphine 86 Maria Ludovica (Maria Luisa) von Spanien 53,57,60,311,383 Maria Ludovica (Gattin Kaiser Franz II.) 60 Maria Luisa von Neapel 384 Maria Luisa von Spanien 382 Maria Theresia 18, 50, 52, 54, 60, 61, 62, 65, 66, 83, 85, 88, 104, 108, 127, 141, 220, 351, 393, 396, 397

518

Personenverzeichnis

Maria Theresia (Tochter Josephs II.)

60

Maria Theresia (Tochter Leopolds II.) 338 Maria Theresia (Tochter Erzherzog Ferdinands) 383 Maria Theresia von Neapel 60, 384 Marie Antoinette 66, 89, 94, 97, 98, 100, 101, 102, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 159, 193, 216, 232, 265, 267, 270, 271, 272, 276, 277, 291, 328, 334, 366, 369, 373, 388, 406, 407 Marie Auguste von Sachsen 438, 440, 441, 450, 456, 457 Marie Christine, Erzherzogin 80, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 281, 285, 310, 331, 332, 333, 334, 335, 337, 354, 389, 390, 391, 441 Maurepas, Jean-Frédéric Phélypeaux Comte de 94, 95, 98, 129, 130, 131 Maxmilian III. Joseph von Bayern 317 Maximilian Franz von Köln 149, 150, 285, 288, 289, 319, 326, 334, 398, 399, 401 Meersch, Jan Andreas van der 284 Merode-Westerloo, Charles-GuillaumeGhislain Graf von 139, 142, 393 Metternich, Clemens Lothar Fürst 78 Metternich-Winneburg, Franz Georg Graf 398 Michelet, Jules 103 Miles, William Augustus 380 Mirabeau, Honoré Gabriel de Riqueti Comte de 146, 155, 267, 274, 371, 373, 379, 380 Mitrofanov, Pavel 19 Möllendorf, Wichard von 364, 423, 427 Monsieur siehe Provence Monteynard, Louis-François Marquis de 93 Montmorin de Saint-Hérem, ArmandMarc Comte de 132, 133, 134, 135, 155, 156, 158, 160, 161, 164, 183, 184, 185, 187, 192, 193, 198, 218, 231, 232, 241, 255, 261, 265, 272,

273, 274, 276, 277, 294, 308, 372, 375, 376, 379, 390, 407, 417 Moser, Johann Jakob 67 Müller-Weil, Ulrike 25 Murray, Joseph Graf 176, 181, 182 Nassau-Siegen, Karl Heinrich Nikolaus Otto Fürst von 234 Necker, Jacques 98, 136, 232, 265, 268, 271, 374 Nenny, Cornelius Freiherr von 66 Noailles, Familie 86 Noailles, Louis Duc de N. et d'Ayen 100 Noailles, Anne-Françoise de 100 Noailles, Emmanuel-Marie-Louis Marquis de 100, 101, 134, 159, 226, 258, 261, 262, 266, 309, 319, 322, 325, 326, 341, 375, 376, 431, 455 Noailles, Philippine de 100 Noailles, Adrienne de 100 Noot, Henri van der 174, 179, 283, 284, 293, 294, 335 Orléans, Philippe II Duc d' 102 Orléans, Louis-Philippe-Charles Duc d' 267, 289, 290, 291, 292, 293, 295, 296 Ostermann, Iwan Graf 214 Paar, Familie 77 Panin, Nikita 109, 170, 171 Paul, Großfürst 170, 171, 227, 236, 260 Pergen, Johann Anton Graf von 52, 281, 312 Peter I. von Rußland 106, 119 Peter III. von Rußland 107, 244 Peyfuß, Max Demeter 19 Peyssonnel, Charles de 214, 273, 274 Pflügl, Wilhelm Freiherr von 19 Philipp V. von Spanien 83 Philipp von Parma 83, 84, 87 Pirenne, Henri 335 Pitt (d. Ä.), William, Earl of Chatham 164 Pitt (d. J.), William 116,117,118, 139, 150, 152, 159, 167, 188, 189,

Personenverzeichnis 296, 337, 378, 380,411,412, 434, 445 Pius VI. 147, 149 Podewils, Friedrich Werner Graf von 323, 417 Polignac, Jules Duc de 130, 131, 271 Polignac, Gabrielle Yolande de Polastron, Duchesse de 130, 131, 271 Pompadour, Jeanne Antoinette Poisson Marquise de 82, 84, 91 Poniatowski siehe Stanislas Potemkin, Gregor Alexandrowitsch Fürst 121, 200, 229, 236, 239, 244, 246, 256, 261, 262, 298, 302, 328, 329, 349, 353 Potocki, Felix Graf 438 Potocki, Ignaz Graf 248 Provence, Louis-Stanislas-Xavier Comte de 101, 267 Piichler, Karl Joseph Freiherr von 66, 67 Raimondi, Olivia 60 Ranke, Leopold von 102, 280 Rasumowsky, Andreas Kyrillowitsch Graf 210,211 Raynal, Guillaume-Thomas-François de 93,94 Reede, Arent Wilhelm Baron van 360 Reuß zu Plauen, Heinrich XIV. Fürst 145, 146, 165, 206, 212, 227, 300, 340, 348, 350, 351, 352, 354, 355, 356, 357, 358, 359, 360, 362, 363, 364, 385, 395, 396, 404, 407, 417, 422, 432, 435, 439, 449 Rewitzky (Reviczky), Karl Emmerich Graf 70, 166 Ricci, Scipione de' 318 Rietberg, Maria Emestine Gräfin von 62 Rohan-Guémenée, Ferdinand-Maximilien de 398 Rohan-Guémenée, Louis-RenéEdouard Prince de 90, 130 Rohan-Soubise, Marie-Louise de 86 Roll, Baron de 404 Romanzow, Nikolai Petrowitsch 109

Romanzow, Peter Alexandrowitsch 207 Rosenberg, Franz Xaver Wolf Fürst Orsini-R. 243,310,311,416 Rudolf II. 44,325 Sachsen-Coburg siehe Friedrich Josias Saint-Ange, Ν. 274 Saint-Pierre, Charles Irénée Castel Abbé de 81 Saint-Priest, François-Emmanuel Guignard Comte de 93, 122, 131, 132, 135, 156, 158, 164, 166, 197, 232, 265, 269 Schiller, Friedrich 113 Schilling, Lothar 84, 88 Schönborn, Johann Philipp von 48 Schönbom, Friedrich Karl von 48 Schönfeldt, Nikolaus Heinrich Freiherr von 300 Schraut, N. 165 Schroeder, Paul W. 15, 25, 38, 39 Schulenburg-Kehnert, Friedrich Wilhelm Graf von der 423, 435, 459 Schweitzer, Albert 140 Ségur, Philippe-Henri Marquis de 158, 196 Ségur, Louis-Philippe Comte de 94, 172, 183, 186, 191, 194, 196, 199, 259, 269 Selim III. 241, 242, 253, 255, 261, 294, 300, 302, 305, 306, 328, 366, 409, 410, 454, 459 Sevin, Ludwig 402 Sheridan, Richard Brinsley 167 Sinzendorf, Philipp Ludwig Graf 50, 65 Sophie Dorothea von Württemberg (als Gattin des Großfürsten Paul: Maria Feodorowna) 170 Sorel, Albert 405 Soubise, Charles de Rohan, Prince de 86 Sperges, Joseph Freiherr von 63 Spiegel, Pieter Laurens van de 158, 389, 397 Spielmann, Anton Freiherr von 21, 39, 40, 42, 62, 103, 144, 222, 255,

520

Personenverzeichnis

309, 310, 312, 320, 321, 322, 323, 324, 327, 351, 353, 354, 356, 357, 358, 359, 360, 361, 362, 363, 364, 365, 387, 419, 420, 421, 422, 427, 429, 459, 460 Stadion, Johann Philipp Graf 140, 210, 253, 385, 391, 445 Stanislas II. August von Polen 107, 123, 171, 247, 248, 303, 437, 438, 440, 442 Starhemberg, Georg Fürst 84, 126, 310, 311, 312, 351, 356 Starhemberg, Gundakar Thomas Graf 62 Starhemberg, Marie Ernestine Gräfin 62 Stürmer, Ignaz Lorenz 302 Stutterheim, H. G. von 148, 338 Sybel, Heinrich von 21, 437, 440, 461 Szabo, Franz 19, 36, 38 Tercier, Jean-Pierre 91 Thugut, Franz de Paula Freiherr von 20, 21, 42, 78, 217, 218, 256, 261, 271, 298, 299, 328, 365, 410 Thum und Taxis, Familie 76 Trauttmansdorff-Weinsberg, Ferdinand Graf 54, 58, 137, 180, 182, 265, 266, 281, 282, 283, 285, 286, 291, 316, 326

Vergennes, Charles Gravier Comte de 22, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 117, 118, 120, 128, 131, 132, 133, 134, 139, 153, 154, 155, 159, 169, 170, 182, 183, 193, 195, 196, 198, 213, 244, 264, 276, 382 Vermond, Mathieu-Jacques Abbé de 129, 130, 271 Victoire (Tochter Ludwigs XV.) 89, 265 Viktor Emanuel I. von Sardinien 383 Vivenot, Alfred von 21, 321, 385 Volney, Constantin-François Chasseboeuf de 213 Vonck, Jean-François 283, 284, 336 Wagner, Hans 325 Walckiers, Edouard de 337 Wales, Prince of, siehe Georg Walter, Friedrich 54 Wandruszka, Adam 18, 333 Wangermann, Emst 19, 39 Wehler, Hans-Ulrich 29 Wilhelm IX. von Hessen-Kassel 159 Wilhelm V. von Oranien 150, 151, 153, 154, 158 Wilhelm Friedrich von Oranien 460 Wilhelmine von Preußen 460 Wöllner, Johann Christoph von 143, 144, 154 Woronzow, Semen Romanowitsch Graf 412

Ulfeid, Anton Corfiz Graf 50, 63 York siehe Frederick Vauguyon, Antoine-Paul Jacques de Quélen de Stuer de Caussade Duc de la 86, 89, 132, 265 Vérac, Charles Olivier de Saint-Georges Marquis de 152, 153, 156, 157, 158

Zinzendorf, Karl Graf 260, 310, 312, 319, 325, 335, 365