Kriminologische Forschungen in Ungarn zwischen 1956 und 1981: Ein Beitrag zur Eigenständigkeit der Kriminologie [1 ed.] 9783428487707, 9783428087709

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Kriminologische Forschungen in Ungarn zwischen 1956 und 1981: Ein Beitrag zur Eigenständigkeit der Kriminologie [1 ed.]
 9783428487707, 9783428087709

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FERENC-STEPHAN TOTH

Kriminologische Forschungen in Ungarn zwischen 1956 und 1981

Kriminologische und sanktionen rechtliche Forschungen Begründet als "Kriminologische Forschungen" von Prof. Dr. Hellmuth Mayer Herausgegeben von Prof. Dr. DetIev Frehsee und Prof. Dr. Eckhard Horn

Band 7

Kriminologische Forschungen in Ungarn zwischen 1956 und 1981 Ein Beitrag zur Eigenständigkeit der Kriminologie

Von

Ferenc-Stephan T6th

DUßcker & Humblot · Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme T6th, Ferenc-Stephan: Kriminologische Forschungen in Ungarn zwischen 1956 und 1981 : ein Beitrag zur Eigenständigkeit der Kriminologie / von Ferenc-Stephan T6th. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Kriminologische und sanktionenrechtliche Forschungen ; Bd. 7) Zug!.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1995/96 ISBN 3-428-08770-4 NE:GT

D 188 Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0933-078X ISBN 3-428-08770-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1995/ 1996 am Fachbereich Rechtswissenschaften der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Eisenberg, der die Anregung zu der Arbeit gegeben und - stets ansprechbar - ihre Entstehung mit Interesse und Aufmerksamkeit verfolgt sowie auch durch Ermutigung zur rechten Zeit in vorbildlicher Weise gefördert hat. Zu danken habe ich ferner Herrn Prof. Dr. Roggemann, der als Zweitberichterstatter ebenfalls maßgeblichen Anteil bereits an der Konzeption der Untersuchung hatte. Auf ungarischer Seite gilt mein Dank zunächst natürlich meinen Interviewpartnern, auf deren unbürokratischer Kooperationsbereitschaft, Aufgeschlossenheit, Hilfsbereitschaft und nicht zuletzt Geduld die Arbeit in wesentlichen Teilen beruht. Stellvertretend auch für die übrigen seien an dieser Stelle nur genannt Prof. Dr. Uvai, Prof. Dr. Pusztai, Dr. F. lrk, Dr. Deri, Prof. Dr. F. Nagy, Prof. Dr. A. Szab6, Prof. Dr. Vigh, Prof. Dr. Korinek, Prof. Dr. Molnar und Prof. Dr. Györgyi. Nicht minder engagiert, geduldig und hilfsbereit begegneten mir der für die Erstellung von Kopien zuständige Mitarbeiter an der Elte Budapest, Herr Bir6, und die Angestellten der Bibliotheken der Elte Budapest sowie des Landesinstitutes für Kriminologie und Kriminalistik, denen ich gleichfalls sehr herzlich danken möchte. Wertvolle Unterstützung - auch in Form konstruktiver Kritik - erfuhr ich zudem durch meine damaligen Kollegen am Lehrstuhl für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug der FU Berlin (kurz: "einem der besten Lehrstühle der Welt"). Schließlich danke ich auch Herrn Prof. Dr. Frehsee, Herrn Prof. Dr. Horn und dem Verlag Duncker & Humblot GmbH für die, von mir als Ehre empfundene, Aufnahme in die Schriftenreihe. Die Arbeit wurde im April 1995 abgeschlossen. Ferenc-Stephan T6th

Inhaltsverzeichnis A. Gegenstand und Methoden der Untersuchung I. Problemaufriß: Die weithin (fehlende) Rezeption ungarischer kriminologischer Forschungsergebnisse (außerhalb des Landes, unter besonderer Berücksichtigung Deutschlands) .....................................................................

17

1. Kurze Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

2. (Traditionelles) Selbstverständnis der Kriminologie als internationale Wissenschaft ..........................................................................

18

3. Ursachen der "wissenschaftlichen Insellage" Ungarns ..........................

19

a) Die Sprachbarriere ..........................................................

19

b) Fehlendes Interesse an bzw. Skepsis gegenüber Forschungen in einem sozialistischen Staat in der "westlichen Kriminologie" ............................

20

11. Gegenstand der Untersuchung......................................................

22

1. Inhaltlicher Gegenstand ................. . .......... . ............... . ...........

22

a) Allgemeines.................................................................

22

b) Die Eigenständigkeit der Kriminologie als das durch die Sekundäranalyse tangierte Grundlagenproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

aa) Die Bedeutung politischer Vorgaben staatlicher Organe .................

23

bb) Das Verhältnis zum Strafrecht ..........................................

24

cc) Kriminologie und Kriminalpolitik .......................... . . . . . . . . . . . . .

26

dd) Chancen und Risiken sogenannter "angewandter Kriminologie" . . . . . . . . .

27

2. Zeitliche Eingrenzung ..........................................................

29

III. Methodisches Vorgehen ...........................................................

29

1. Vorüberlegungen ...............................................................

29

2. Sekundäranalyse schriftlicher Quellen ..........................................

31

3. Expertenbefragung .............................................................

34

a) Allgemeines zur Auswahl ...................................................

34

b) Methodische Einzelheiten der Befragung....................................

35

10

Inhaltsverzeichnis B. Kriminologische Forschung im Spannungsfeld zwischen offizieUer Parteidoktrin und"westlicher Kriminologie"

I. Allgemeines .......................................................................

39

I. Die gesamtgesellschaftliche Ausgangssituation 1956 ......... . ........ . ........

39

a) Vorgeschichte und Ursachen des Aufstandes ...................... . ..........

39

b) Die Lage im Anschluß an die Niederschlagung des Aufstandes ..............

42

2. Grundlagen einer relativ regen, kriminologischen Forschungstätigkeit in Ungarn

46

a) Wurzeln kriminologischen Denkens in Ungarn ..............................

46

b) Träger der Forschungstätigkeit (die personelle! institutionelle Basis) .........

48

c) Gesellschaftlicher Stellenwert der Kriminologie .............................

52

3. Die (ideologiegeleitete) Parteidoktrin bezüglich Aufgaben und Bedeutung der Wissenschaften unter besonderer Berücksichtigung der Kriminologie und einiger ihrer Bezugswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

a) Allgemeines.................................................................

53

b) Kriminologie ................................................................

54

c) Einige mit Kriminologie verknüpfte Bereiche................................

56

aa) Soziologie ..............................................................

56

bb) (Straf- und Strafverfahrens-)Rechtswissenschaft und sozialistische Gesetzlichkeit ..........................................................

56

cc) Kriminalistik ...........................................................

57

d) Aspekte der Hochschul-, Kultur- und Medienpolitik der USAP ..............

58

aa) Hochschulpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

bb) Kultur- und Medienpolitik ..............................................

58

4. Die pragmatische Erwartungshaltung gegenüber der Kriminologie ..............

60

5. Sonstige "ungeschriebene Spielregeln" kriminologischer Forschungstätigkeit ...

62

6. Sanktionsformen der Kaderverwaltung .........................................

66

a) Allgemeines.................................................................

66

b) Konkrete (Einzel-)Fälle .....................................................

67

11. Einzelne ausgewählte kriminologische Forschungsbereiche. .. . . ... . ... . . . .. . .. . . . ..

71

1. Grundlagenforschung ..........................................................

71

a) Erste Studien während des Untersuchungszeitraums .........................

71

b) Die Arbeiten von Vennes ....................................................

74

Inhaltsverzeichnis

11

c) Die diesbezüglichen Forschungen von Szab6. A.

79

d) Der Mitte der sechziger Jahre erreichte status quo ...........................

82

2. Jugendkriminalität .............................................................

89

a) Allgemeines.................................................................

89

b) Die Erscheinung im Spiegel einer Mitte der sechziger Jahre im Organ der Innenbehörden geführten Diskussion ..........................................

90

c) Die Arbeiten von Molmir zur Jugendkriminalität ............................

98

d) Die Arbeiten von Szab6. A. zur Jugendkriminalität .......................... 112 e) Medizinische und psychologische mikrostrukturelle Erklärungsansätze unter besonderer Berücksichtigung der Arbeiten Poppers.......................... 125 f) Untersuchungen zum Jugendstrafvollzug .................................... 132

g) Forschungen zur sog. "Nachbetreuung" .................... .. ................ 135 h) Sonstige aufschlußreiche empirische Untersuchungen ....................... 136 3. Beispiele für andere Forschungsbereiche ....................................... 138 4. "Blinde Flecken" der ungarischen Kriminologie des Untersuchungszeitraums ... 140 III. Summarische Darstellung die kriminologische Forschung in Ungarn (während des Untersuchungszeitraums) beeinflussender Faktoren................................ 142 1. Gesamtgesellschaftliche (geschichtliche) Faktoren.............................. 142

2. Fachspezifische (geschichtliche) Umstände..................................... 143 3. Sichtbarwerden der verschiedenen Faktoren im wissenschaftlichen Wirken einzelner Kriminologen ........................................................... 145 Literaturverzeichnis

148

Schlagwort- und Personenverzeichnis

167

Anhang I. Liste der Interviewpartner ......................................................... 170

11. Leitfaden für die Interviews. .. . . .. . . .. . . . . .. .. . .. . . . . . . .. . . . . .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. . . 171 III. Offene Fragen an die Führung der UAP ............. .. ............................ 172 IV. Summary, Resume, Összefoglal6 .................................................. 174

Abkürzungen a.A.

anderer Ansicht

ActaELTE

Acta Facultatis Politico-Juridicae Universitas Scientarum Budapestiensis de Lorando Eötvös nominatae (Schriftenreihe der ELTE)

ActaJATE

Acta Universitatis Szegediensis de Attila J6zsef nominatae (Schriftenreihe der JATE)

AeI

Allam es Igazgatas ("Staat und Verwaltung")

AJ

Allam es Jogtudomany ("Staats- und Rechtswissenschaft")

AJIE

Allam es Jogtudomanyi Intezet Ertesitöje (Bulletin des Staats- und Rechtswissenschaftlichen Institutes)

allg.

allgemein

Anm.

Anmerkung

Annales ELTE

Annales Universitatis Scientarum Budapestiensis De Rolando Eötvös Nominatae, Sectio Iuridica

ArchKrim

Archiv für Kriminologie

Aufl.

Auflage

Avo

Allam Yedelmi Osztaly (Staatsschutzabteilung)

Bd.

Band

BKA

Bundeskriminalamt

BMI

Bundesminister des Inneren

BMJ

Bundesminister der Justiz

BSz

Belügyi Szemle ("Innenverwaltungs-Rundschau"; zuvor RSz)

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

bzgl.

bezüglich

bzw.

beziehungsweise

CSJT

Csalad Jogi Törvenykönyv (,,Familiengesetzbuch")

D

Demografia ("Demografie")

DDR

Deutsche Demokratische Republik

ders.

derselbe

d.h.

das heißt

Diss.

Dissertation

Dvn

Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen eV München

Abkürzungsverzeichnis ELTE

13

Eötvös Lonint Tudomanyi Egyetem (Eötvös Lorant Universität [Budapest])

eng!.

englisch

f.

folgende

ff.

fortfolgende

Fn.

Fußnote

FS

Festschrift

Ft

Forint (ungarische Landeswährung)

GA

Goltdammers Archiv für Strafrecht

GBA

Generalbundesanwalt

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

ggf.

gegebenenfalls

grunds.

grundsätzlich

GySz

Gy6gypedagogiai Szemle ("Heilpädagogische Rundschau")

H.

Heft

h.M.

herrschende Meinung

Hrsg.

Herausgeber

insb.

insbesondere

i.S.

im Sinne

i.S.d.

im Sinne des

i.S.v.

im Sinne von

i.w.S.

im weiteren Sinne

i.Z.m.

im Zusammenhang mit

JATE

Jozsef Attila Tudomanyi Egyetem (Jozsef Attila Universität [Szeged])

JGG

Jugendgerichtsgesetz

JK

Jogtudomanyi Közlöny ("RechtswissenschaftIiches Mitteilungsblatt")

JPTE

Janusz Pannoniusz Tudomanyi Egyetem (Janusz Pannoniusz Universität [Pecs])

JVA

Justizvollzugsanstalt

JZ

Juristenzeitung

K

Kortars ("Zeitgenosse")

KFN

Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen

KlSZ

Kommunista Ifjusagi Szövetkezet ("Kommunistischer Jugendverband")

KKT

Kriminologiai es Kriminalisztikai Tanulmanyok ("Kriminologische und Kriminalistische Studien"; jährlich erscheinendes Bulletin des OKKRl)

KKW

Kleines Kriminologisches Wörterbuch

KPdSU

Kommunistische Partei der Sowjetunion

Krim.

Kriminalistik

KrimJ

Kriminologisches Journal

14

Abkürzungsverzeichnis

krit.

kritisch

KT

Kriminalisztikai Tanulmanyok ("Kriminalistische Studien"; jährlich erscheinendes Bulletin des OKRI)

KZfSS

Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie

LKA

Landeskriminalamt

MFSz

Magyar Filoz6fiai Szemle ("Ungarische Philosophische Rundschau")

MJ

Magyar Jog ("Ungarisches Recht")

M-L

Marxismus-Leninismus

rn-I

marxistisch-leninistisch

MPSz

Magyar Psychologiai Szemle ("Ungarische Psychologische Rundschau")

MschrKrim

Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform

MSzMP

Magyar Szocialista Munkas Part (Ungarische Sozialistische Arbeiter Partei)

MT

Magyar Tudomany ("Ungarische Wissenschaft")

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

n.

näher

nachf.

nachfolgend

Nr.

Nummer

o.

oben

OKKRI

Orszagos Kriminologiai es Kriminalisztikai Intezet (Landesinstitut für Kriminologie und Kriminalistik; zuvor [bis Februar 1971] OKRI)

OKRI

Orszagos Kriminalisztikai Intezet (Landesinstitut für Kriminalistik; später OKKRI)

P

Partelet ("Parteileben")

PSz

Pedag6giai Szemle ("Pädagogische Rundschau")

PT

Pszychologiai Tanulmanyok ("Psychologische Studien")

Rn.

Randnummer

Rspr.

Rechtsprechung

RSz

Rendörsegi Szemle (,,Polizei-Rundschau"; später BSz)

s.

siehe

S.

Seite; Siehe

s.E.

seines Erachtens

s.n.

siehe näher

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozeßordnung

StSz

Statisztikai Szemle ("Statistische Rundschau")

StV

Strafverteidiger

Sz

Szociologia ("Soziologie")

TSz

Tarsadalmi Szemle ("Gesellschafts-Rundschau")

Abkürzungsverzeichnis u.

und; unten

u.a.

unter anderem; und andere

UAP

Ungarische Arbeiter Partei

UAW

Ungarische Akademie der Wissenschaften

üE

Ügyeszsegi Ertesitö ("Staatsanwaltschaftliches Mitteilungsblatt")

ung.

ungarisch

USAP

Ungarische Sozialistische Arbeiter Partei

UStGB

Ungarisches Strafgesetzbuch

UStPO

Ungarische Strafprozeßordnung

usw.

und so weiter

u.U.

unter Umständen

V

Val6sag ("Wirklichkeit")

v.

vom; von

Verf.

Verfasser

vgl.

vergleiche

z.B.

zum Beispiel

ZfS

Zeitschrift für Soziologie

zit.

zitiert

ZK

Zentralkomitee

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechts wissenschaft

z.T.

zum Teil

zust.

zustimmend

15

Hinweis: Lange ö- und ü-Buchstaben des Ungarischen wurden aus schreibtechnischen Gründen mit den normalen kurzen ö- und ü-Buchstaben des deutschen Alphabets wiedergegeben.

A. Gegenstand und Methoden der Untersuchung I. Problemaufriß: Die weithin (fehlende) Rezeption ungarischer kriminologischer Forschungsergebnisse (außerhalb des Landes, unter besonderer Berücksichtigung Deutschlands) 1. Kurze Bestandsaufnahme

Kenntnisse über kriminologische Forschung im sozialistischen Ungarn sind außerhalb der ungarischen Landesgrenzen rar.' Differenzierende, vorurteilsfreie Betrachtungen sind in der "westlichen" Kriminologie selten? Soweit ersichtlich, findet in der Regel weitgehend eine Gleichsetzung der Begriffe "Kriminologie in sozialistischen Staaten" und "sozialistische Kriminologie" statt, wobei in Deutschland der Eindruck vom Wesen der letzteren in erdrückender Weise durch die Untersuchung des Schrifttums der tatsächlichen Verhältnisse in der ehemaligen DDR bestimmt wird? Neben dem besonderen Interesse am deutsch-deutschen Vergleich 4 ist dies zwanglos mit den nichtvorhandenen sprachlichen Zugangsproblemen erklärbar. Wird in diesem Zusammenhang auf die Existenz kriminologischer Forschung(sinstitute) in anderen osteuropäischen Staaten hingewiesen, so erfolgt dies doch in der Regel ohne, daß Ansprache konkreter eigenständiger Inhalte. 5 Vereinzelt gebliebene Veröffentlichungen im deutschsprachigen Schrifttum, die sich speziell dem Thema kriminologischer Forschung in Ungarn zuwenden 6 dokumentieren eher die (Größe der) Lücke, als daß sie diese schließen würden. 1 s. etwa die Seltenheit entsprechender Nachweise in der von Von Ende herausgegebenen, insgesamt etwa 2.400 Seiten umfassenden internationalen Bibliographie kriminalistischer und kriminologischer Veröffentlichungen aus der Zeit zwischen 1950 und 1980; siehe näher hierzu auch Fn. 19. 2 s. aber als solche Ausnahmen in dem deutschsprachigen Schrifttum: Eisenberg 1995 a), Rn. 10 zu § 44 und Rn. 43 zu § 50; ders. in der Voraufl. 1990 b) Rn. 38 ff. zu § 4; 5 zu § 44; ders. in der Zweitauflage 1985, Rn. 3, 8 ff. zu § 4; bereits in der Erstauflage (1979, S. 56 f.) wird u. a. durch Hinweis auf die in der damaligen DDR vertretene Auffassung, nach der auch in der sozialistischen Gesellschaftsstruktur verankerte Faktoren kriminogen wirken, eine unzulässig simplifizierende Darstellung der "sozialistischen Kriminologie" vermieden; s. auch Kaiser 1988, Rn. 1 ff. zu § 27; ders. bereits in der Vorauflage 1980 Rn. 1 ff., 21 zu § 6. 3 Vgl. Göppinger 1980,41 ff.;Mergen 1978, lOff.; 1995, 12ff. 4 s. hierzu etwa die Arbeiten von Freiburg 1979 und Sander 1979. 5 s. etwa Berckhauer 1993, 328 ff. (bzw. in der Vorauflage 1985 a], 155 ff.). 6 s. das Übersichtsreferat von Gönczöl1986, 77 ff.; als vergleichende Untersuchungen siehe Arnold/ Korinek 1985,65 ff.; Arnold u. a. 1988,909 ff.; Walter/ Fischer 1988, 228 ff.; zur

2 T6th

18

A. Gegenstand und Methoden der Untersuchung

2. (Traditionelles) Selbstverständnis der Kriminologie als internationale Wissenschaft

Dies erscheint nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses der Kriminologie als Mißstand. Diese versteht sich seit jeher als internationale Wissenschaft, so daß die Bezeichnung "Vergleichende Kriminologie" für (nur) einen Teilbereich derselben fast als Pleonasmus erscheint7 ; Villmow und Albrecht weisen in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, daß "empirische Kriminologie, soweit sie sich nicht mit dem Einzelfall befaßt, immer vergleichend" sei, 8 zumal letztlich jede These in den Sozialwissenschaften irgendeine Form von Vergleich impliziere. 9 Gleichwohl ist nicht zu bestreiten, daß der größte Teil der gegenwärtigen empirisch-analytischen Arbeiten weitgehend auf Vergleiche innerhalb einzelner Gesellschaften wie auch nationaler oder kultureller Einheiten begrenzt ist, so daß sich auch die Ergebnisse nur auf einen zeitlich und örtlich beschränkten Realitätsausschnitt beziehen können. 1O Das Ziel, die Reichweite der Erklärungen im Hinblick auf eine idealiter zeitunabhängige und internationale Gültigkeit zu verbessern, führte folgerichtig bereits Mitte der 50er Jahre zu der Forderung nach international und interkulturell durchzuführenden Forschungen 11, die unvermindert aktuell ist. 12 Dabei versprechen nicht nur (zeitaufwendige und mittelintensive) Replikationsforschungen oder gar international angelegte empirische Untersuchungen einen Erkenntnisgewinn. Bereits das Heranziehen ausländischer, kriminologischer Literatur 13 zwingt den Kriminologen, über den engen Bereich des eigenen Landes hinaus zu schauen, was nicht zuletzt zu einer kritischen Reflexion der eigenen "nationalen" Perspektive führen kann. Zugleich werden empirische Befunde auch in solchen Bereichen nutzbar, in denen die eigene national begrenzte Forschung noch keine Ansätze und Ergebnisse vorlegen kann. 14 Dies mag in besonderer Weise für die sogenannte "angewandte Kriminologie" gelten. 15 Andererseits können auch im Kriminalitätsentwicklung in Ungarn von 1965 bis 1978 Korinek 1979, 172ff.; zur Kriminalitätsentwicklung und Strafpraxis nach dem Inkrafttreten des StGB von 1978: LammichlNagy 1985, 176 ff. 7 Vgl. Kaiser 1978, 133; ders. 1988, Rn. 6 zu § 32, jeweils unter Hinweis auf frühe vor dem Ersten Weltkrieg erschienene kriminologische Arbeiten vergleichender Natur etwa von Tarde 1886, Lombroso 1891 oder auch Durkheim 1898; s. auch Szab6, D. 1973, 3; Vermes 1980, 542ff.; Gatti 1990, 177. 8 Villmow IAlbrecht 1979, 163. 9 s. hierzu Rokkan 1972, 7. 10 Vgl. Junger-Tas 1989, 17; Villmowl Albrecht 1979, 164. 11 Vgl. Glueck, Sh. 1964 (1956), 205; 1964 (1961),304. 12 Vgl. etwa Klein 1989; Mayhew 1990, 111 ff. sowie zu dieser in dem angegebenen Sammelband nachfolgend Amold, Bondeson, Gatti, Junger-Tas, Hood; Barak-Glantzl Johnson (Hrsg.) 1983, und zu den dort enthaltenen Beiträgen auch Kaiser 1984, 1091 ff. 13 Siehe grundlegend zu der Forderung nach derartigen Sekundäranalysen v.a. Mannheim 1965 (1974), S. XIII. 14 Vgl. Kaiser 1988, Rn. 26ff. zu § 32.

I. Problemaufriß

19

nationalen Kontext unpopuläre oder "unbotmäßige", rechtspolitische Fragestellungen vermittelt werden. 16 Vor dem Hintergrund der veränderten weltpolitischen Lage l7 in einer "immer kleiner werdenden Welt" dürften die Möglichkeiten vergleichender Kriminologie - auch unter Einbeziehung sogenannter "postsozialistischer, osteuropäischer" (Roggemann 1993, 9) Staaten - sich nachhaltig verbessert haben. Eine verstärkte Beachtung (auch) ungarischer Forschungsergebnisse ist gleichwohl, trotz einzelner gegenteiliger Anhaltspunkte in jüngerer Vergangenheit, kaum erkennbar. 18 3. Ursachen der "wissenschaftlichen Insellage" Ungarns

a) Die Sprachbarriere

Die Gründe hierfür sind vielschichtig. An erster Stelle zu nennen ist die Sprachbarriere, die der Rezeption ungarischsprachiger Veröffentlichungen außerhalb Ungarns als kaum überwindbares Hindernis entgegensteht und so etwas wie eine "wissenschaftliche Insellage" zur Folge hat. 19 Voraussetzung dafür international zur Kenntnis genommen zu werden, scheint für ungarische Forscher die Veröffentlichung möglichst außerhalb Ungarns beispielsweise in englischer, französischer oder auch in deutscher Sprache zu sein. 2o Über solche, nicht zuletzt von bereits er15 Göppinger (1988, S. 17f.) reklamiert für diese gar grenzüberschreitende Gültigkeit, da sie streng erfahrungswissenschaftlich ausgerichtet sei und seines Erachtens ,,keine strafrechtlichen Normenelemente enthalte". 16 Kaiser 1988, Rn. 28 zu § 32. 17 Zu dieser könnte letztlich auch Ungarn in gewisser Weise am 10. September 1989 durch die faktische "Förderung der Reisefreiheit Deutscher" aus der damaligen DDR in Richtung damaliger Bundesrepublik, im Rahmen seiner Möglichkeiten in bescheidenem Maße beigetragen haben. 18 Vgl. Böhm u. a. (1985, 1) zu der "erstaunlich positiven" Resonanz auf die Einladung, im Rahmen eines wissenschaftlichen Symposium Fragen der Kriminologie und Kriminalpolitik in sozialistischen Ländern interdisziplinär zu diskutieren. 19 In der von Von Ende herausgegebenen internationalen Bibliographie (s. Fn. 1) kommt z. B. Gönczöl (S. 738) ebenso nur auf eine Nennung (dabei handelt es sich um eine in englischer Sprache abgefaßte Abhandlung in einer ungarischen Zeitschrift), wie Vigh (S. 2208); von Gödöny (S. 737) werden immerhin drei Arbeiten aufgeführt (eine in englischer, eine in deutscher und eine in ungarischer Sprache), während Szab6, A. gar nicht genannt wird. Soweit ersichtlich kommt nur einem ungarischen Kriminologen mit knapp 50 Nachweisen eine deutliche Ausnahmestellung zu: Dem Ehrenpräsidenten der internationalen Kriminologischen Gesellschaft Szab6, D. (S. 2097), der etwa 20jährig Ungarn verließ, und über Belgien (Universität Loewen) nach Kanada ausgewandert ist. Auf die vielleicht größte internationale Anerkennung stieß ansonsten noch der in die USA ausgewanderte ungarischstämmige Schäfer mit seinen Veröffentlichungen (1960 und 1968; siehe hierzu Adler u. a. 1991, 365). Dieser Hinweis soll in keiner Weise den verdienten Achtungsanspruch der Bibliographie (siehe etwa zu diesem Kaiser 1984,1119 ff.) schmälern, sondern ausschließlich das Problem der "wissenschaftlichen Insellage" veranschaulichen. 20 s. etwa Vermes 1978; Vigh/ Szab6. D. 1981; Viski 1982; Vigh 1986; Gönczöl 1992.

2*

20

A. Gegenstand und Methoden der Untersuchung

worbenem Renommee, Beziehungen oder auch finanziellen Mitteln abhängige Zugangschancen verfügen nicht viele, viele aber nicht. Es ist davon auszugehen, daß entsprechende Möglichkeiten in den 60er und 70er Jahren noch signifikant seltener waren, als in den 80er Jahren oder gar den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. b) Fehlendes Interesse an bzw. Skepsis gegenüber Forschungen in einem sozialistischen Staat in der" westlichen Kriminologie"

Zweitens ist sicherlich auch ein geringes Interesse westlicher Kriminologen, die sich zumindest seit dem Zweiten Weltkrieg (gleichsam traditionell) an den Vorgaben angloamerikanischer Forschung orientierten21 , an Untersuchungen in sozialistischen Ländern anzuführen. 22 Nicht zuletzt eine tief verwurzelte Skepsis gegenüber dem, was ,jenseits des Eisernen Vorhanges" geforscht worden sein mag, steht einer eingehenderen Beschäftigung mit diesem Thema nach wie vor entgegen. "Die Kriminologie gedeiht nur im demokratischen Rechtsstaat.,m Der Absolutheitsanspruch, der in einer derartigen Überzeugung, worauf immer sie auch beruhen mag, zum Ausdruck kommt24, läßt einen Gedankenaustausch von vornherein allenfalls in eine Richtung als fruchtbar erscheinen und verdeutlicht, warum bisweilen eine nähere Betrachtung der Forschungsergebnisse (ehemals) sozialistischer Staaten von vornherein als nicht lohnenswert erachtet wird und folglich unterbleibt. Dies bedeutet nicht, daß die Existenz kriminologischer Forschung in Ungarn gänzlich ignoriert wird. Etwa seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre ist eine verstärkte Bereitschaft feststellbar, Ungarn in komparative Forschungen miteinzubeziehen. 25 Einen gewissen Achtungserfolg konnte die ungarische Kriminologie Vgl. hierzu Junger-Tas 1989, 17. Ebenso Amoldl Korinek 1985, 73; s. auch Mergen 1978, 4: "Die Kriminologie ist aus vielen Wissensdisziplinen entstanden. Europa lieferte die Bausteine, Amerika baute, der Osten vertraute." 23 Schneider 1992, 34; vg!. auch inhaltlich differenzierter, in der Kernaussage aber ähnlich Mergen 1995, 12ff.; s. auch Kaiser 1987, Rn. 45 zu Kap. 5 mit einer Analyse, daß und warum seines Erachtens in sozialistischen Staaten bei deviantem Verhalten Sanktionen wie Einweisungen in Krankenanstalten mit Drogenbehandlung "unumgänglich" waren; s. demgegenüber aber auch Roggemann, der in anderem Zusammenhang die essentielle Bedeutung von Toleranz für einen Rechtsstaat betont (1993, 8: "Rechtsstaat ist verfaßte Toleranz"). 24 Vgl. demgegenüber zum Absolutheitsanspruch der klassischen "offiziellen", sozialistischen Kriminologie nachfolgend S. 53 ff. sowie Fn. 174; s. krit. auch Eisenberg 1990 a), Rn. 12 zu § 12, der unter Ideologie, "eine unangemessene Verallgemeinerung partiell sinnvoller Aussagen zu einem allumfassenden Anspruch" versteht. Gutman (zitiert nach einer Meldung im Tagesspiegel vom 15.3. 1994, S. 4) führt in seiner Eigenschaft als Forschungsleiter der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und Überlebender des Warschauer Ghetto-Aufstandes aus, daß Ideologien, die auf alles schon eine Antwort hätten, "nicht dem Menschen helfen, sondern den Menschen zum Opfer machen". 25 Vgl. AmoldlKorinek 1985, 65ff.; Amold u. a. 1988, 909ff.; WalterlFischer 1988, 228 ff. bzw. VighlTauber 1988 (eng!. 1989); Gönczöl1992, 225 ff. 21

22

I. Problemaufriß

21

nicht zuletzt durch den von der Internationalen Gesellschaft für Kriminologie 1993 in Budapest veranstalteten, 11. Internationalen Kriminologischen Kongreß verbuchen - exakt 10 Jahre nach Gründung der Ungarischen Kriminologischen Gesellschaft durch seinerzeit 350 natürliche und 5 juristische Personen. Die simplifizierende Vorstellung, die ungarische Kriminologie habe Anfang der 80er Jahre so etwas wie eine Geburtsstunde erlebt, in der sie sich gleichsam über Nacht von den dogmatischen Fesseln sozialistischer Kriminologie befreiend westlichen Erkenntnissen geöffnet habe, begegnet jedoch durchgreifenden Bedenken. Gegen sie spricht zum einen eine stattliche Anzahl wissenschaftlicher Arbeiten der vorausgegangenen Jahrzehnte 26 , die auf solche Art weiterhin (vermutlich ungelesen) unter den weitgehend unbestimmten Begriff sozialistische Kriminologie subsumiert würden. Zum anderen würde verkannt werden, daß es auch später noch Arbeiten gab, deren Veröffentlichung verboten wurde?? Schließlich spricht gegen eine solche Vorstellung nicht zuletzt die Kontinuität der Arbeit von Forscherpersönlichkeiten wie etwa Vigh, Gönczöl oder Andras Szab6. So läßt beispielsweise das 1992 in überarbeiteter Form neu aufgelegte Kriminologie-Lehrbuch von Vigh 28 im Vergleich zu dem von ihm zusammen mit Földvari 1965 veröffentlichten Lehrbuch (bei welchem allerdings Földvari die betreffenden Abschnitte bearbeitete) keine grundlegenden Richtungsänderungen erkennen. 29 s. zu diesen die nachfolgenden Teile der Arbeit (S. 71 ff.). s. Vtirhelyi, "Zuchthaus" (ung.). Es handelt sich um eine Sammlung von Interviews, die Varhelyi mit ehemaligen Bediensteten, den Leitern und Gefangenen des Zuchthauses Sopron Köhida, sowie einem Richter der zuständigen Strafvollstreckungskammer, einem Staats- und einem Rechtsanwalt geführt hat. Das Manuskript wurde 1987 fertiggestellt und u. a. durch den Leiter des Zuchthauses Dr. Goltz mit Schreiben vom 10. September 1988 auch wegen der Aktualität für eine alsbaldige Veröffentlichung möglichst noch im gleichen Jahr empfohlen. Mit Schreiben mit 14. Oktober 1987 wurde eine Veröffentlichung des Manuskriptes vom zuständigen Vertreter der Ministerialbürokratie T. Nagy im Hinblick darauf, daß es "dem Ziel und der Vereinbarung nicht entspreche" und eine "den tatsächlichen Verhältnissen und unseren Bemühungen widersprechende Tendenz erkennen lasse", untersagt. Es erschien schließlich 1992. 28 s. insbesondere die S. 77 ff., 97 ff. 29 Vgl. auch Vigh/ Földvari 1979, die der Darstellung "moderner bürgerlicher kriminologischer Forschungen und Theorien" (S. 67-81) mehr als doppelt so viel Raum widmen, wie den Grundlagen sozialistischer Kriminologie (S. 83-89). Bezeichnenderweise beschließen sie den Abschnitt mit der Erwartung, daß Straftaten die gesellschaftliche Entwicklung noch lange Jahrzehnte, ja Jahrhunderte begleiten werden, sowie der Betonung dessen, daß aus den speziellen nationalen Eigentümlichkeiten der Kriminalität auch die Notwendigkeit eines eigenständigen Weges der ungarischen Kriminologie innerhalb des sozialistischen Lagers folgt (S. 89). Um Mißverständnissen vorzubeugen: Das Ausgeführte läßt keine zuverlässigen Rückschlüsse auf die politische Einstellung der Verfasser zu. So hat Vigh sich 1992 im Gespräch mit dem Verfasser ausdrücklich zu den Grundwerten des Sozialismus bekannt, seinen Parteiaustritt Ende der 80er Jahre damit erklärt, daß die USAP nicht mehr "seine" Partei sei, weil sie nicht mehr die Interessen der Arbeiter vertrete, und zum ausgebliebenen Absterben der Kriminalität in Ungarn "spitzbübisch" bemerkt: "Man habe eben wohl noch keinen echten Sozialismus" gehabt. 26 27

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A. Gegenstand und Methoden der Untersuchung

Ungeachtet eines natürlichen, altersbedingten Ablösungsprozesses, der sich im wachsenden Einfluß nachrückender Wissenschaftler wie Uvapo oder Korinek31 widerspiegelt, hatte es in der ungarischen Kriminologie gerade keine "Wende" im Sinne eines plötzlichen Machtwechsels gegeben. So ist dem Verfasser keine entsprechende Entlassung eines Universitätsangehörigen, Mitgliedes der Akademie der Wissenschaften oder auch Mitarbeiters in einer (sonstigen) kriminologischen Forschungsstelle bekannt geworden. Umgekehrt wurde Andras Szab6, der sich überwiegend in den 70er Jahren mit unbequemen Thesen Gehör verschaffte 32 , 1990 vom Parlament zum Verfassungsrichter gewählt; Kulcsar war zwischen 1988 und 1990 Justizminister; Merenyi, der an der JATE-Universität in Szeged Kriminologie und Strafrecht gelehrt hat, ist seit 1992 Generalstaatsanwalt des Distrikts Csongnid; Györgyi wurde, als Dozent am Lehrstuhl für Straf- und Strafverfahrensrecht der ELTE, 1990 vom Parlament zum Generalstaatsanwalt Ungarns gewählt. Korinek wurde vorübergehend Unterstaatssekretär im Justizministerium. 33

11. Gegenstand der Untersuchung 1. Inhaltlicher Gegenstand

a) Allgemeines

Die vorliegende Arbeit will versuchen, einen bescheidenen Beitrag zur differenzierteren Betrachtung von Möglichkeiten und Ergebnissen (empirischer) kriminologischer Forschung im sozialistischen Ungarn im Zeitraum eines Vierteljahrhunderts, beginnend ab 1956, zu leisten. Neben der (unvermeidlichen) Sammlung und Dokumentation entsprechenden (empirischen) Forschungsmaterials - von der Grundlagenforschung bis zu der unmittelbar praxisorientierten - durch welche die Arbeit in Teilen den Charakter einer kommentierenden Bibliographie erhält, soll insbesondere aufgezeigt werden, in welchem Ausmaß die offizielle Parteidoktrin von bestimmenden Einfluß auf Auswahl und Ergebnis von Forschungsvorhaben gewesen ist bzw. inwieweit "trotz allem" eine undogmatische Forschungsarbeit so30 Uvai übernahm an der Universität Misko1c nach dem altersbedingten Ausscheiden von Horvath den Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie; s. von diesem etwa seine 1992 - mit englischsprachiger Summary - erschienene Habilitationsschrift "Drogen und Straftatbegehung" (ung.), die zugleich bereits seine 50. wissenschaftliche Veröffentlichung darstellt. 31 Korinek, der in Form einer kombinierten Opfer- und Informantenbefragung die erste Dunkelfelduntersuchung in Ungarn durchgeführt hatte, in die im April 1982 im Bezirk Baranya 2.148 Personen einbezogen worden waren (vgl. Korinek 1988; s. zu dieser auch Fn. 460), löste 1994 an der Universität in Pecs (JPTE) Földvari ab. 32 Vgl. etwa Szab6, A. 1977,22, 135, 142; ders. 1964,328. 33 Korinek sprach im Interview mit dem Verf. pointiert von einer "Machtergreifung der Dozenten" ab Anfang 1989.

11. Gegenstand der Untersuchung

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wie gegebenenfalls eine Orientierung an bzw. eine Rezeption von "westlicher Kriminologie" möglich blieb und auch erfolgt ist. 34 b) Die Eigenständigkeit der Kriminologie als das durch die Sekundäranalyse tangierte Grundlagenproblem

(Mittelbarer) Gegenstand der Untersuchung sind mithin auch Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die Kriminologie, so daß eine diesbezügliche Sekundäranalyse nicht nur von wissenschaftshistorischem Wert für die ungarische Kriminologie ist. Es sind dies insbesondere - auch in Deutschland viel diskutierte - Fragen nach der Eigenständigkeit und dem Standort der Kriminologie namentlich auch im Verhältnis zum Staat, dem Strafrecht und der Kriminalpolitik, wobei die Argumente, welche die Diskussion bestimmen, in den Teilbereichen häufig ähnlich, wenn nicht gar identisch sind. aa) Die Bedeutung politischer Vorgaben staatlicher Organe Von besonderem Interesse ist zunächst die erfahrungs wissenschaftliche Autonomie der Kriminologie im Sinne der Unabhängigkeit von (verbindlichen) politischen Vorgaben staatlicher Organe. 35 Geht man davon aus, daß kriminologische Untersuchungen "in aller Regel langwierig, zeitraubend, kostspielig und personalintensiv" sind 36 , wird die faktische Bedeutung sowohl der staatlichen Bereitstellung von finanziellen Mitteln als auch der Ermöglichung des Zugangs zu den gewählten Untersuchungsgegenständen unmittelbar eingängig?7 Wesentlich bleibt 34 Ein Anliegen der Arbeit ist die Erbringung eines Beitrages zu der in Anlehnung an bekannte Vorbilder (vgl. Kunz 1994, Fn. 27 zu Kap. 1) formulierten - Frage: "Was ließ die Partei von der Kriminologie übrig?" 35 s. etwa zur "Kooperation zwischen Wissenschaft und staatlichen Behörden" im Sinne der (versuchten) Einflußnahme letzterer auf erstere durch im Rahmen des Anfang der 80er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführten "Terrorismus-Projektes" Sack 1986, 6ff., der allerdings insoweit selbst zu bedenken gibt, seine Erfahrungen könnten "auch als Ausnahmen gelesen werden, welche die Regel bestätigen"; Feltes 1988, 59 vermutet die Ursachen für das schwindende Interesse an (praxisorientierter) Aktionsforschung darin, daß entsprechende Methoden anwendende Forscher an "politische Grenzen gestoßen" seien, ohne solche jedoch konkret zu benennen. 36 Engelhard 1986, 15. 37 Vgl. zum letztgenannten Faktor etwa Kersten 1988, 45 ff. mit substantiierten Beispielen; siehe auch Brusten 1985,205,215 ff. (Fn. 6) zur Vereitelung einer empirischen Untersuchung über das politische Bewußtsein von Polizeibeamten durch die zuständige Innenbehörde aufgrund der "Gefahr der Mißdeutung der Ergebnisse". In diesem Bereich keinen Forschungsbedarf zu sehen, erscheint zumindest aus heutiger Sicht nicht zuletzt vor dem Hintergrund wachsender diesbezüglicher Besorgnisse im In- und Ausland (siehe hierzu den Amnesty International Bericht 1993, 155 ff.), der am sinnvollsten mit erhöhter Transparenz zu begegnen wäre, nicht mehr nachvollziehbar; s. grundlegend zur empirischen Unter-

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A. Gegenstand und Methoden der Untersuchung

daneben aber auch, welche Möglichkeiten dem Forscher belassen oder gar eingeräumt werden, gegebenenfalls auch politisch unbotmäßige Standpunkte einer wissenschaftlichen Diskussion zuzuführen. Eng hiermit verknüpft ist die Frage nach den formellen und informellen Repressalien und (der Grenzen) ihrer verhaltenssteuernden Wirkung, sowie nach Techniken ihrer Vermeidung ohne Verzicht auf eine der eigenen Überzeugung entsprechende Sachaussage. Es wird davon ausgegangen, daß in diesem Zusammenhang in Ungarn als einem sozialistisch organisierten Staat (mit Stationierung sowjetischer Truppen) gemachte Erfahrungen, einerseits lehrreich, andererseits aber auch geeignet sind, dem im "westlichen" kritischen kriminologischen Schrifttum bisweilen in Ansätzen spürbar werdenden "Selbstmitleid" des Forschers im Zusammenhang mit den eigenen, als zu eng empfundenen Freiräumen 38 entgegenzuwirken. bb) Das Verhältnis zum Strafrecht Eine weitere, kontrovers diskutierte Frage grundsätzlicher Bedeutung, zu der die Arbeit Erkenntnisse beizusteuern in der Lage sein mag, ist die nach der Eigenständigkeit der Kriminologie gegenüber dem Strafrecht. Scheffler erachtet im Anschluß an Wolff den entscheidenden Unterschied zwischen sogenannter ,juristischer" und "kritischer" Kriminologie in ihrem Selbstverständnis gegenüber dem Strafrecht, welches bildlich gesprochen zwischen diesen steht und sie trennt; denn während erstere versuche, immanent als Ratgeberin des Strafrechts zu fungieren, stelle letztere die strafrechtliche Tätigkeit in einzelnen Abschnitten der Strafrechtspflege in Frage. 39 Dabei läßt sich beobachten, wie mit steigender Abstraktionsebesuchung von Forschungsbehinderung Brusten u. a. 1981, 11 ff., 26 ff., 278 ff. sowie schon Brusten u. a. 1977, IOff.; zur Erklärung von Abschottungstendenzen in der Praxis siehe auch Berckhauer 1985, 133. - Günstige Erfahrungen hat demgegenüber nach eigenen Angaben Staatsanwalt Scherp, der zuvor bereits mehrere Jahre Polizeibeamter bei der hessischen Bereitschaftspolizei gewesen war, mit dem hessischen Landeskriminalamt gemacht (betreffend seine Dissertation in Gestalt einer empirischen Untersuchung über die polizeiliche Zusammenarbeit mit V-Personen): Er empfand dieses Amt, als "grundsätzlich sehr kooperativ" (1992, 65), was im Hinblick auf weitreichende Hilfestellungen auch nicht als übertrieben erscheint; so übernahm es neben der Weitergabe der Fragebögen auf dienstlichem Wege (S. 66) auch die Auswahl der Stichprobe (S. 77). Scherp erfuhr hierzu nur soviel, wie er (aus Sicht des LKA) wissen mußte, nämlich, daß es sich um eine repräsentative Auswahl im Sinne statistischer Methodik gehandelt haben soll. Die Größe der Stichprobe wurde ihm nicht mitgeteilt, da sie Rückschlüsse auf die Zahl der zum Befragungszeitpunkt in Hessen geführten V-Personen zugelassen hätte (S. 65, 77). Auch die zu Prozentzahlen führende Auswertung der Fragebögen dürfte Teil der "organisatorischen Begleitung" durch das LKA gewesen sein (S. 65), da Scherp anderenfalls die Anzahl würde ermittelt haben können (vgl. wiederum allgemein zu Methoden und Auswirkungen sogenannter "defensiver sozialer Kontrolle" kriminologischer Forschung Brusten 1986,29 ff.). 38 Quensel1984, 201 spricht anschaulich von einem verbreiteten "Nichtstun rechtfertigenden Konzept einer monolithischen Kriminalpolitik eines übermächtigen Staates". 39 SchejJler 1987,69,62 ff.; Wolf! 1974,308.

H. Gegenstand der Untersuchung

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ne der Weg weg von konkreten Sachfragen über das eigene Verhältnis zum Strafrecht hin zur eigenen Stellung gegenüber dem "Staat" und den "Betroffenen" oder auch dem "Herrschenden" und dem "Herrschaftsunterworfenen" gegenüber führt. Zugleich ist auch eine zunehmende Poiarisierung40 und Polemisierung 41 zu verzeichnen. Eine nüchterne Betrachtung ergibt jedoch, daß die Positionen, ungeachtet ihrer inhaltlichen Differenzen, (zumindest) auf der Ebene ihrer Zielvorstellungen letztlich kompatibel sind42 und auch ihre Vertreter im gleichen, nämlich dem eigenen Lager stehen43 ; auch in diesem Zusammenhang dürfte Scheerers Kritik an der "anhaltenden Beliebtheit dieser Art disziplinärer Nabelschau ohne feststellbaren Wissenszuwachs", die vermutlich "nicht trotz, sondern wegen ihrer Unproduktivität so attraktiv" sei (1989, 30) den Nerv treffen. Die verbale Schärfe der Kontroverse erscheint mithin als Ausdruck von Konkurrenzverhalten 44 . Daß demgegenüber im (post)sozialistischen Ungarn - zumindest dem äußeren Eindruck nach - im Kreise der Kriminologen, ungeachtet unterschiedlicher Standpunkte in der Sache, eher so etwas wie eine Solidarität unter Wissenschaftlern sowie Toleranz und Respekt vor der Integrität des andersdenkenden Kollegen spürbar wurde, mag im übrigen u. a. mit einem (stärkeren, staatlichen) äußeren - das Lager einenden Druck oder auch den vergleichsweise bescheidenen materiellen Anreizen im Zuge einer wissenschaftlichen Karriere zusammenhängen45. Vgl. Becker 1967, 239 ff.: "Whose side are we on"; s. auch ders. 1973, 178. Von Seiten der sich (allein?) als "kritisch" verstehenden Kriminologen wird gegenüber der Gegenseite der Vorwurf erhoben, an "Verwertungsauflagen seitens der Praxis angebunden" (Sack 1978, 225), "Dienerin" und "Hilfs-" (Christie 1988, 7) bzw. "Legitimationswissenschaft des Strafrechts" zu sein (Peters, D./ Peters, H. 1972, 247), während diese sich selbst (allein?) als positivistisch und wertneutral verstehend, mit dem Vorwurf "ideologiegeleiteter, praxisferner Abgehobenheit" (Steinhilper / Berckhauer 1980, 128; Kerner 1988, 19: "Abgeschottetheit von den realen Erscheinungen des Lebens") kontert; s. zum Streit auch Blath 1985, 90ff., sowie Ansichten über Vor- und Nachteile einer (stärkeren) Praxisorientierung der Kriminologie bei fehle 1986, 27, 34 f. Fn. 9 f. 42 Vgl. Scheffler 1987, 64 ff., 67 f., der den kleinsten gemeinsamen Nenner in der Formel: ,,(anti-repressive) Resozialisierung der resozialisations-bedürftigen Täter und (nicht entsozialisierende) Anti-Repression gegenüber den nicht resozialisierungsbedürftigen Tätern" erkennt. 43 Vgl. Quensel 1985,47 ff., der (selbst)kritisch und differenziert auf die Eigeninteressen der Forscher eingeht. Seine erfrischend aufrichtige Einschätzung gewinnt vor dem Hintergrund der offenen Frage nach dem tatsächlichen Erkenntnisgewinn dieser Kontroverse als einer wortreichen Beschäftigung der Kriminologie mit sich selbst und ihrem effektiven Nutzen für die (herrschaftsausübenden und [zugleich] herrschaftsunterworfenen) Menschen noch an Überzeugungskraft. 44 Berckhauer 1985 b), 129, 136 gebraucht im Zusammenhang mit dem ähnlich gelagerten Streit um die sog. "Staatskriminologie" den Ausdruck "subjektiv motivierte Verteilungskämpfe". 45 s. auch Christie 1988, 12, der allgemein von einer Zunahme staatlicher Anerkennung, entsprechender Stellen und Leistungsanreizen einen "Prozeß der Domestizierung" der Kriminologie erwartet, Quensel 1985,49, der der These der Wertfreiheit lebenslange BeamtensteIlen gegenüberstellt, sowie Berckhauer 1985 b), 129 f., 137 mit dem Hinweis, auch Professoren seien beamtet und erhielten ihr Geld vom Staat. 40 41

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A. Gegenstand und Methoden der Untersuchung

In nicht unerheblicher Weise dürfte schließlich das Verhältnis der Kriminologie zum Strafrecht - und umgekehrt - durch das Verhältnis ihrer Fachvertreter zueinander geprägt werden. Besteht die Bereitschaft zur unvoreingenommenen Begegnung, was auf Seiten der Kriminologie nicht zuletzt vor dem Hintergrund ihres Selbstverständnisses als einer multi- oder pluridisziplinären (Eisenberg 1990 a], Rn. 19 zu § 1), wenn nicht gar interdisziplinären (Göppinger 1980, 1) Wissenschaft eine Selbstverständlichkeit sein sollte, so sind fruchtbare Anregungen, aber auch eine Harmonisierung bestimmter Positionen in Einzelfragen zu erwarten, die namentlich den Beschuldigten oder auch den Verurteilten, von größerem Nutzen sein könnten, als ein radikaler Abolutionismus 46 . Auch wird die Ansicht vertreten, die Kriminalpolitik sei die gemeinsame Quelle und das gemeinsame Ziel von Strafrechtsdogmatik und Kriminologie47 . cc) Kriminologie und Kriminalpolitik Rückschlüsse sollen auch ermöglicht werden auf einen möglichen Standort der Kriminologie im Spannungsfeld von Strafrechtspolitik und Strafrechtspraxis. Die Ansichten über den Einfluß kriminologischer Erkenntnisse auf die Rechtspolitik sind geteilt. Während einerseits die Bedeutung empirisch abgesicherten Wissens als "geradezu unentbehrliche" Grundlage kriminalpolitischer Entscheidungen bezeichnet48 bzw. im Einzelfall auch ausgewiesen wird49 , ist andererseits die Skepsis weit verbreitet, kriminologische Forschungsergebnisse würden weniger den eigentlichen Entscheidungsfindungsprozeß beeinflussen, als vielmehr nur dessen Legitimierung dienen 5o . Soweit demgegenüber von rechtspolitischer Seite vorgetragen 46 s. etwa Horstkotte 1986, 97 ff., dessen nachdenklichen Ausführungen, die wohl auch bei der deutlichen Mehrheit der Kriminologen konsensfähig wären, erahnen lassen, was durch einen verstärkten Gedankenaustausch gewonnen werden könnte. Er selbst erwartet, daß eine konkrete Information über die Situation im Straf- und Maßrege1vollzug, über die LebensverhäItnisse des Taters "und über die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit, Drogen, Alkohol und anderen Faktoren" jedenfalls im Bereich des Erwachsenenstrafrechts zu einer Milderung der Strafpraxis führen würde (S. 101). Dem kann der Verfasser auf der Grundlage seiner (bescheidenen) Erfahrungen in und mit der Strafjustiz nur zustimmen; s. andererseits aber skeptisch zur tatrichterlichen Bereitschaft, empirische Sanktionsforschung und auf dieser beruhende Strafzumessungsdogmatik auch tatsächlich - anders als (nur) legitimatorisch - in den Entscheidungsfindungsprozeß einfließen zu lassen, Kunz 1986, 150 ff. 47 Vgl. Naucke 1986, S. 89 ff., der an gleicher Stelle (88 f.) auf eine zunehmende Angleichung der Disziplinen in ihrer Methodik hinweist; zu der wissenschaftstheoretischen Frage der Eigenständigkeit der Kriminologie i.S. einer Unabhängigkeit von ihren Bezugswissenschaften und ihrer Selbständigkeit als Wissenschaftsdisziplin s. differenziert Eisenberg 1995 a), Rn. 32 ff. zu § I; vgl. auch Göppinger 1980, I; Kürzinger 1982, 11; Kunz 1994, Rn. 3 ff. zu § 3; Lüderssen 1984, 16. 48 48 Vgl. Engelhard 1986, 14, 16. 49 s. Lüdemann 1986, 109 ff. eingehend am Beispiel der Strafaussetzung bei lebenslanger Freiheitsstrafe; s. a. Schüler-Springorum 1984, 148 f.

11. Gegenstand der Untersuchung

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wird, kriminologische Befunde würden, da sie (aufgrund methodologischer Faktoren) soziale Sachverhalte nie voll erfassen könnten, in der Strafrechtspolitik, die es stets mit der vollen Komplexität sozialer Wirklichkeit zu tun habe, gleichsam naturgemäß nur bedingt entscheidungsrelevant werden können5!, stellt sich unweigerlich die Frage, was der vollen Komplexität sozialer Wirklichkeit besser gerecht wird, d. h. auf welchen zuverlässigeren Grundlagen Kriminalpolitik dann beruht. dd) Chancen und Risiken sogenannter "angewandter Kriminologie" Eine kritische Distanz der Kriminologie zur Kriminalpolitik mag i.S. der Effizienz der jeweiligen Aufgabenerfüllung nützlich, ja unabdingbar sein; irrationale Berührungsängste zwischen Kriminologen und Kriminalpolitikern aus Sorge vor "Schmutzeffekten, die sich beim Kontakt von Wissenschaft und Politik einstellen könnten,,52, helfen jedoch niemandem. Schüler-Springorum ist darin zuzustimmen, daß aus dem Verhältnis von Kriminologie und Kriminalpolitik nur etwas werden kann, "wenn erstere den Dreckeffekt nicht scheut, und zwar um der Rationalität und der Liberalität der letzteren willen, - und wenn die Kriminalpolitik, Kunst des Möglichen auch sie, beiden Werten den größtmöglichen Raum einräumt,,53. Angewandte Kriminologie i.S. praxisorientierter kriminologischer Forschung (Scheerer 1989, 35) wird dabei zur "Kunst des Nötigen" (Schüler-Springorum 1984, 156). Die starke Skepsis dieser gegenüber, die nicht zuletzt in der Begriffsbildung und dem Streit um die sog. "Staatskriminologie,,54 zum Ausdruck kam, scheint überwiegend einer nüchternen Betrachtungsweise gewichen zu sein55 . Dies dürfte nicht zuletzt Ursache und Folge der Erkenntnis gewesen sein, daß nicht nur die institutionell-organisatorischen Vorgaben auf den Forscher wirken, sondern auch dieser auf jene und daß die intellektuelle und moralische Integrität des Wissenschaftlers keine zu vernachlässigende Größe darstellt 56 . Die Bedeutung (auch) eines persona50 Vgl. Kreissll Ludwig 1986, 84: "Kriminologie agiert unseres Erachtens mehr als legitimatoriseher Lückenbüßer, denn als politik- und entscheidungssteuerndes Instrumentarium"; QuenseL 1985, 47 spricht von einem Legitimations- und Beliebigkeitscharakter, von einer "Degenerierung von Forschungsergebnissen zum austauschbaren Argument" bzw. "eher lächerlich wenn nicht stumpf wirkenden Florett" (S. 50), s. auch S. 52ff.; differenzierend Eisenberg 1995 a), Rn. 13 ff. zu § 2. 51 So Blath 1985,94 f. 52 Schüler-Springorum 1984, 156; vgl. auch Kerner 1988, 20f. 53 1984,156; vgl. auch Eisenberg 1995 a), Rn. 4 zu § 2: "Die Einsicht in die Möglichkeit, Legitimationsbeiträge zu leisten, wird es der Kriminologie jedoch kaum erlauben können, in Abstraktion von Strafrechtspraxis Forschung zu betreiben". 54 s. näher zur erforderlichen Differenzierung des Begriffes Berckhauer 1985 b), 129 ff. 55 Vgl. etwa WaLter 1982,29 ff; Scheerer 1989, 30 ff.; Feltes 1988,55 f. 56 Vgl. Szab6, D. 1989, 20; ebenso Kaiser 1986, 73 der unter Hinweis auch auf umfassende, wenngleich nicht näher ausgeführte, Erfahrungen im Ausland zwischen "Staatsforschern" und ihren "unabhängigen Kollegen" keinen Unterschied dergestalt erkennen kann,

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A. Gegenstand und Methoden der Untersuchung

len Elementes, welches letztlich dazu führt, "daß jede empirische Arbeit in der Kriminologie von Anfang bis Ende mit Positionen subjektiver Wertung durchsetzt ist" und "der Anspruch der Objektivität ein nur teilweise eingelöstes Desiderat bleibt"57, kann an dieser Stelle nicht willkürlich ausgeblendet werden. Es führt dazu, daß es keine gleichsam automatische und unvermeidliche Beziehung zwischen Kompromiuierung der Wissenschaft und staatskontrollierter Forschung gibt58 . Die Gefahr, eine kritische Distanz zu denjenigen Sektoren des Forschungsgegenstandes zu verlieren, die Träger von Herrschaft sind59, soll hierdurch nicht bagatellisiert werden. Zu vergegenwärtigen ist jedoch auch die mit dieser korrespondierende Gefahr, durch eine zu große Entfernung von der Praxis sich zwar seine "wissenschaftliche Unschuld,,6o zu bewahren, in seiner Kritik jedoch ineffektiv zu bleiben und letztlich (für die Betroffenen oder auch die Umsetzung der eigenen Vorstellungen) nichts zu bewirken. Dem Wissenschaftler, der beiden Gefahren begegnen will, stellt sich mithin nicht mehr die Frage nach dem "Ob" des "Praktischwerdens", sondern nach dem "Wie" (Scheerer 1989, 38 ff.). Über das Gelingen einer derartigen Gratwanderung entscheidet nicht zuletzt die erwähnte intellektuelle und moralische Integrität des Forschers, deren Stärkung mithin einer Absorption entgegenwirkt61 . Vergegenwärtigt man sich, daß der Grat für ungarische Kriminologen möglicherweise noch etwas schmaler war, als für ihre Kollegen aus der Bundesrepublik oder auch Norwegen, erscheint es nicht unwahrscheinlich, durch sie in diesem Zusammenhang aufschlußreiche Einsichten zur Reduzierung der Risiken "angewandter Kriminologie" zu erlangen, die ebenfalls Gegenstand vorliegender Arbeit sein sollen.

daß erstere wesentlich andere, eindeutig "konforrnere" Ergebnisse erarbeiteten; Scheerer 1989, 39 f. weist daraufhin, daß kritische Praxis überall möglich, aber nirgends garantiert sei und daß man den unterschiedlichsten Sachzwängen, sowohl beim BKA, dem BMI, dem KFN usw., als auch an Universitäten begegnen kann; ebenso Schüler-Springorum 1984, 155, wobei freilich beide eine Differenzierung z.B nach Art, Häufigkeit und Intensität nicht vornehmen. 57 Kühne 1990, 86, der an gleicher Stelle hervorhebt, daß dies den Forscher nicht von dem Streben nach größtmöglicher Objektivität entbindet. 58 Vgl. Sack 1986, 20. Eine Vielzahl von Arbeiten auch aus dem deutschsprachigen Raum belegen dies anschaulich, wozu exemplarisch an dieser Stelle hingewiesen sei auf die Arbeiten von Steffen 1976, Banscherus 1977; Eisenberg u. a. 1989; KühnelGörgen 1991 (in sb. 403 ff., 406 ff., 410 ff., 421 ff., 434 ff.); Ohder 1992 (insb. 245 ff.). 59 Eisenberg 1990 b, 550; Scheerer 1989, 37. 60 Der Ausdruck sei gestattet im Anschluß an Kerner s Analyse 1988, 20 f., derzufolge "jede Praxis in bestimmtem Sinne schlecht sei, da jeder (v.a. routiniert) Handelnde Abstriche von reinen Systemkonzeptionen in Kauf nehmen muß", sowie Schüler-Springorums Bild von den zwangsläufigen "Schmutz-" bzw. "Dreckeffekten" (1984,156). 61 Scheerer 1989, 40f. nennt, dem norwegischen Kriminologen Mathiesen (1981, 281) folgend, drei Mittel: 1. Organisierung auch außerhalb des "Systems", 2. externe Verarbeitung der internen Erfahrungen und 3. begrenzte Dauer des Aufenthaltes im "System"; s. auch Kaiser 1986, 73.

III. Methodisches Vorgehen

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2. Zeitliche Eingrenzung

Die Untersuchung erstreckt sich auf den Zeitraum von 25 Jahren, beginnend ab 1956. Die vorgenommene zeitliche Begrenzung erfolgte vor dem Hintergrund des am 4. 11. 1956 mit militärischer Gewalt der damaligen sowjetischen Besatzungsmacht niedergeschlagenen Volksaufstandes 62 einerseits, und des Umstandes, daß die Konsolidierung der ungarischen Kriminologie spätestens mit dem Anfang der achtziger Jahre auch außerhalb des Landes offen zu Tage trat und in der Gründung der Ungarischen Kriminologischen Gesellschaft 1983 zumindest für interessierte Fachvertreter ihren wohl augenfälligsten Ausdruck fand, andererseits. Darüberhinaus war eine zeitliche Beschränkung auf 25 Jahre auch aus Praktikabilitätsgründen (wie insb. der Materialfülle) erforderlich63 .

III. Methodisches Vorgehen 1. Vorüberlegungen

Die Bestimmung der Erkenntnismethode erfolgte im Hinblick auf den Forschungsgegenstand64, ohne daß dabei verkannt worden wäre, daß letzterer auch durch erstere konstituiert wird65 . Dabei wurde davon ausgegangen, daß sich durch (methodische) Triangulation i.S. vorsichtiger Kombination verschiedener Methoden die Breite und Tiefe der Analyse erweitern und die Validität der Ergebnisse mithin erhöhen läßt66 . Die Konvergenz mit Hilfe multi methodischer Vorgehens62 Die damals in Budapest lebenden Eltern des Verfassers - ihnen ist die Arbeit gewidmet - verließen unter dem Eindruck der Geschehnisse ihre Heimat und erhielten (über Österreich kommend) in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. 63 Der (bei vordergründiger Betrachtung gewiß naheliegende) Versuch, den gesamten Zeitraum Ungarns als "Volksrepublik" in die Analyse einzubeziehen, wäre demgegenüber vor allem aufgrund der gewaltigen Zunahme des Fachschrifttums in den achtziger Jahren nur auf Kosten der wissenschaftlichen Durchdringung möglich mithin ebensowenig opportun gewesen wie z. B. eine Beschränkung des schriftlichen Quellenmaterials auf sog. ,,kleine" und "große" Dissertationen (letztere entsprechen in Umfang und Anspruch Habilitationsschriften), zumal im ungarischen kriminologischen Schrifttum wesentliche Neuerungen zumeist ("nur") im Rahmen von Aufsätzen eingeführt wurden und die mitunter Jahre später erschienenen Dissertationen derselben Verfasser in sehr starker Weise auf die ursprünglichen Arbeiten Bezug nahmen. Auch andere Möglichkeiten selektiver Vorauswahl erschienen (schon mangels überzeugender Maßstäbe für eine solche) als nicht sachgerecht. 64 Vgl. zum Postulat der Orientierung am Gegenstand Mayring 1990, 107: "Denn eigentlich erfordert jeder Forschungsgegenstand seine eigene, spezifische Erkenntnismethode. "; s. auch Bortz 1984,228. 65 Flick 1992, 14, 17, 22; Lamnek 1988, 236; Musto 1983, 250 ff. 66 Vgl. hierzu Lamnek 1989, 384; Fielding / Fielding 1986, 33; Schnell u. a. 1992, 276 f.; Mayring 1990, 106; Hagan 1989,247. Der Begriff "Triangulation", der aus dem Bereich der militärischen Navigation stammt, wo damit eine Strategie bezeichnet wurde, um von ver-

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A. Gegenstand und Methoden der Untersuchung

weise erlangter Befunde setzt nicht ihre Deckungsgleichheit voraus; die Erkenntnisse können (und werden in der Regel auch eher) nicht kongruent, sondern komplementär sein. Erforderlich ist nur, daß sie auf einer Ebene liegen, sich ergänzen und zu einem Bild zusammenfügen 67 . Explorative Forschung, die sich nicht von vornherein auf einen bestimmten Kanon von Techniken beschränkt, gilt insb. wegen ihrer Flexibilität für eine möglichst authentische Deskription sozialer Realität als am besten geeignet68 , wobei unter explorativem Vorgehen die Anwendung jeder ethisch vertretbaren Vorgehensweise verstanden wird, die eine fundierte Möglichkeit bietet, ein klares Bild von den Vorgängen im Untersuchungsbereich zu erhalten 69 . Themenbedingt kamen sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten objektivistisch-quantitativer empirischer Sozialforschung allerdings 70 nicht in Betracht. Verschiedenen Postulaten qualitativer Sozialforschung71 fühlt sich die Untersuchung demgegenüber aufgrund ihres Gegenstandes in besonderer Weise verpflichtet. Hierzu gehört zunächst die Forderung, daß die von der Forschungsfrage betroffenen Subjekte Ausgangspunkt und Ziel der Untersuchungen sein müssen 72 • Dabei wird angestrebt das Subjekt in seiner Historizität zu würdigen, wobei davon ausgegangen wird, daß die Handlungen einer Person sich oft nur aus der Sicht ihrer biographischen Identität erschließen lassen 73. Zu nennen ist ferner die Auffassung, daß ein (ggfs. miß)verstehender Zugang zur Realität unumgänglich ist74 • Schließlich sei auch auf die Bedeutung der Offenheit des Forschers sowohl gegenüber den Untersuchungspersonen, als auch der Untersuchungssituation und den anzuwendenden Methoden 75 hingewiesen. Daß die Forderung nach Offenheit an subjektive

schiedenen Referenzpunkten aus die exakte Position eines Objektes zu lokalisieren, und der durch Denzin (1978, 291) in die Diskussion um sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden eingeführt wurde, ist freilich seinem Wesen nach geeignet, einer überhöhten auf so etwas wie "objektive Wahrheit" gerichteten Erwartungshaltung Vorschub zu leisten (s. ausf. zur Triangulation sowie insb. auch ihrer Chancen und methodologischen Probleme Lamnek 1988, 229 ff.; Flick 1992, II ff.). 67 Lamnek 1988, 236. 68 s. nur Lamnek 1984, 55; Hagan 1989, 245ff. 69 ebenso Lamnek 1984, 56. 70 Vgl. zur Bedeutung des Triangulationskonzeptes für die Verbindung von qualitativer und quantitativer Forschung Flick 1992, 25 ff.; s. allgemein zum Verhältnis von qualitativer und quantitativer Sozialforschung Garz/ Kraimer 1991, 14 ff., sowie Reitemeier 1984, 514 ff. und Mayring 1990, 107. 71 Es soll an dieser Stelle nicht verhehlt werden, daß die Befassung mit derselben die Überwindung anfänglicher - bei Juristen vielleicht nicht ungewöhnlicher - Vorurteile gegenüber der Wissenschaftlichkeit entsprechender "weicher" Methoden zur Voraussetzung hatte; vgl. zu entsprechenden Vorbehalten vor allem Lepenies 1989, 69 f., Reitemeier 1984, 512 f. m.w.N. 72 s. näher Mayring 1990,9. 73 Vgl. Lamnek 1984,58 m.w.N.; s. auch Atteslander 1993,21 ff; Selg u. a. 1992, 46f., Mayring 1990, 13,21. 74 Habermas 1981, 159; Garz/ Kraimer 1991, 13; Mayring 1990, 11.

III. Methodisches Vorgehen

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Grenzen stößt ist evident. Vorliegend ergeben sich solche u. a. aus dem z.T. wissenschaftshistorischen Charakter der Untersuchung. Bereits die retrospektive Betrachtungsweise birgt Gefahren, da der Blick zwangsläufig von heutigem Vorverständnis geprägt ist. Die Forderung einzelner Gruppen von Historikern, solches möglichst auszublenden und vergangene Erscheinungen aus sich selbst heraus zu begreifen, kann nicht vollständig entsprochen werden76 • Bereits hierdurch wird zwangsläufig ein Moment der Verfälschung gesetzt77 . Weitere mögliche Einwände beruhen auf dem Umstand, daß der Verfasser in einem anderen Kulturkreis geboren und aufgewachsen ist und mithin bezügl. kriminologischer Untersuchungen in Ungarn - mit Ausnahme von insgesamt etwa vier Monaten Forschungsaufenthalt in Ungarn - die Stellung eines externen Betrachters einnimmt78 , wenngleich dieser Umstand sicherlich auch Vorteile beinhaltet. 2. Sekundäranalyse schriftlicher Quellen

Die Untersuchung besteht zum einen aus einer Sekundäranalyse überwiegend ungarischsprachiger Texte. Es handelt sich bei diesen um Parteitagsbeschlüsse und (z.T. streng) vertrauliche Schreiben - soweit deren Einstufung als "streng vertraulich" auf Antrag im Einzelfall aufgehoben wurde und die Dokumente über das ungarische Landesarchiv besorgt werden konnten 79 - einerseits, sowie wissenschaftliche Arbeiten (sog. "kleine" und "große" Dissertationen so , Forschungsberichte, Monographien und vor allem Aufsätze) andererseits. Die Materialsichtung erfolgte von Ende März bis Ende Juni 1992 bzw. im Juli 1994, und zwar schwerpunktrnäßig in den Bibliotheken der ELTE (PB Staats- und Rechtwissenschaften), der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (UAW), des Landesinstitutes für Kriminologie und Kriminalistik (OKKRI), der Parlamentsbibliothek, sowie in dem Landesarchiv (für Dokumente). In unmittelbarem Anschluß daran wurde das Material (in ganz überwiegendem Maße durch Fotokopieren) "beschafft"sl. Die nähere 75 Vgl. Lamnek 1988, 22f., der dafür plädiert, "den Wahmehmungstrichter empirischer Sozialforschung so weit als möglich offen zu halten", was nach Hoffmann-Riem 1980, 343 nicht zuletzt den Verzicht auf eine Hypothesenbildung ex ante voraussetzt. 76 Liklerssen 1984, Rn. 757 vergleicht solches (honoriges) Unterfangen anschaulich mit dem Versuch der Konstruktion einer Landkarte im Maßstab 1: 1. 77 Vgl. auch Wieacker 1963, 14f. 78 Vgl. allgemein zu Problemen eines Kulturvergleiches Selg u. a. 1992, 52 f. 79 In diesem Zusammenhang scheint erwähnenswert, daß der Zugang zu diesen nach den Parlamentswahlen in Ungarn von 1994 leichter war als vor diesen. 80 Vgl.Fn.63. 81 Neben den Veröffentlichungen in Fachzeitschriften galt dies in starker Weise auch für Monografien und Dissertationen. Dies lag daran, daß in Ungarn entsprechende wissenschaftliche Arbeiten nur in geringer Auflagenstärke hergestellt und sehr preiswert angeboten wurden, so daß sie entsprechend schnell (idR spätestens nach 6 -12 Monaten) vergriffen waren. Im Untersuchungszeitraum erschienene, einschlägige Arbeiten wurden mithin nur noch in

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A. Gegenstand und Methoden der Untersuchung

Auswertung dauerte - mit Unterbrechungen - von Oktober 1992 bis März 1995. Im Rahmen der DOkumentenanalyse 82 wurde davon ausgegangen, daß häufig relativ allgemein gehaltene Fonnulierungen in Parteitags beschlüssen nur unvollkommen geeignet sind, die Sachzwänge, denen sich Forscher gegenübergestellt sehen konnten (oder auch mußten), widerzuspiegeln. Ministerratsbeschlüsse, konkrete Verordnungen, Richtlinien oder auch Anweisungen konnten jedoch nur in Ausnahmefällen, so sie nämlich nach der Sichtung vorlagen, berücksichtigt werden. Auch darf die handlungssteuernde Wirkung fonneller und materieller behördeninterner Handlungsnonnen 83 , die bisweilen auch ohne schriftliche Fixierung, ja mitunter sogar ohne Fonnulierung expressis verbis ihre Kraft entfalten können 84, nicht unterschätzt werden. Daß in diesem Zusammenhang subjektive Wertungen und Rationalisierungen seitens jeweiliger Betroffener in signifikanter Weise einfließen können und auch die Übergänge zwischen (tatsächlich) drohenden Nachteilen und dem Entzug oder der Versagung von Vergünstigungen ebenso fließend sind, wie das nicht quantifizierbare Maß an "vorauseilendem Gehorsam" unbestimmt ist, ist als grundsätzliches Problem weder zu übersehen, noch läßt es sich vollständig lösen. Aufgrund der in diesem Bereich uneinheitlichen Terminologie sei klargestellt, daß eine inhaltliche Analyse von Texten, nicht aber eine Inhaltsanalyse im engeren sozialwissenschaftlichen Sinn85 durchgeführt wurde. Es erfolgte insbesondere regelmäßig keine syntaktische Beschreibung (LS. einer Auszählung nach Buchstaben, Silben, Worthäufigkeiten USW. 86 ) oder auch semantische Analyse 87 . Aus dem Umstand, daß Interpretation grundlegende inhaltliche Kenntnisse des Gegenstandsbereiches erfordert, dem der Text zugehört, wird die Forderung abgeleitet, daß "Interpretierende über ein kognitives, motivationales und emotionales ,Vennögen' verfügen sollten, das dem im Text repräsentierten ,Niveau' (zumindest) entspricht,,88. Ungeachtet der Frage, aus wessen Perspektive dies anhand welAntiquariaten geführt, und auch dort eher theoretisch als praktisch. Entsprechende Versuche wurden nach dem 12. aufgesuchten Antiquariat abgebrochen, dort zurückgelassene "Wunschlisten" führten in keinem Fall zu einem greifbaren Ergebnis. In Einzelfällen wurden dem Verfasser allerdings von Interviewpartnern Arbeiten zur Verfügung gestellt. 82 s. Dölling 1984,268; vgl. auch zur deskriptiven Inhaltsanalyse Atteslander 1993,233 ff. 83 s. dazu systematisch Eisenberg 1995 a), Rn. 1 ff., 13 ff. zu § 40. 84 V gl. zur brauchbaren Illegalität bzw. Funktionalität i.S. behördeninterner Interessen Eisenberg 1995 a), Rn. 7 zu § 40. 85 Vgl. hierzu etwa Merten 1983, 14 ff., insb. 18 ff.; Atteslander 1993, 221 ff.; Bortz 1984, 235 f.; Petermann 1984,502; Früh 1992; 62 ff.; Friedrichs 1990, 314ff. 86 s. hierzu näher Merten, 1983, 18 ff., 119 ff., demzufolge ein solches Vorgehen jedoch den Anfang einer Textanalyse bildet, die ihrerseits wiederum erst eine Inhaltsanalyse im sozialwissenschaftlichen Sinn ermöglicht. 87 s. zu einer solchen näher Merten 1983, 133 ff. 88 Heckmann 1992, 156; allg. zu Grundgedanken der Hermeneutik Lamnek 1988, 80ff.; s. auch zur Definition des Hermeneutischen Zirkels als wichtiger Denkstrategie im Interpreta-

111. Methodisches Vorgehen

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cher Maßstäbe beurteilt werden sollte, kann und will der Verfasser solches im Hinblick auf das s.E. hohe "Niveau" einiger der in die Untersuchung einbezogenen Quellen nicht für sich in Anspruch nehmen. Er hofft gleichwohl, sich im Rahmen seiner Ausbildung und beruflichen Tätigkeit89 die für ein richtiges Verständnis der Texte erforderliche Fachkompetenz erworben zu haben, so daß die "hermeneutische Differenz" zumindest nicht zu groß ist. Eine angemessene Würdigung setzte allerdings zunächst das Bewußtwerden und die Aufgabe von an Äußerlichkeiten orientierten Vorurteilen voraus 90 . Bei der Auswertung der Quellen kamen dem Verfasser muttersprachliche Kenntnisse des Ungarischen und Deutschen zugute. Gewiße "Reibungsverluste", welche nicht zuletzt auf dem unterschiedlichen Gebrauch der Sprache beruhen und trotz aller Sorgfalt bei der Übersetzung nicht vollständig vermieden werden können, sind gleichwohl zu besorgen. Wenngleich davon auszugehen ist, daß die Veröffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten i.d.R. mit der Intention erfolgt, Außen wirkung und damit letztlich auch Reaktionen in irgendeiner Form zu erzielen, so daß auch eine gewisse Orientierung am potentiellen Adressatenkreis erfolgt, stellt doch die durchgeführte Sekundäranalyse ein non-reaktives Verfahren dar, da die zu erfassende Realität nicht durch den Untersuchenden mit Hilfe (bewußt) präsentierter Stimuli, auf welche das Forschungssubjekt reagiert, maßgeblich mitproduziert wurde91 . tionsprozeß Gadamer 1965, 251: "Wer einen Text verstehen will, vollzieht immer ein Entwerfen. Er wirft sich einen Sinn des Ganzen voraus, sobald sich ein erster Sinn im Text zeigt. Ein solcher zeigt sich wiederum nur, weil man den Text schon mit gewissen Erwartungen auf einen bestimmten Sinn hin liest. Im Ausarbeiten eines solchen Vorentwurfs, der freilich von dem her revidiert wird, was sich bei weiterem Eindringen in den Sinn ergibt, besteht das Verstehen dessen, was dasteht." 89 Er war als ehemaliger Student der Wahlfachgruppe Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug im Anschluß an sein 2. juristisches Staatsexamen zunächst als Staatsanwalt tätig und arbeitet seit November 1990 als vollbeschäftigter wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug der Freien Universität Berlin. 90 s. allgemein Heckmann 1992, 155 Regel 12. Konkret läßt sich dies an folgendem Beispiel veranschaulichen: Bei der Lektüre (insb. älteren) ungarischen Fachschrifttums können dem - an deutschsprachige juristische und kriminologische Literatur gewöhnten - Leser aufgrund der relativen Seltenheit konkreter Literaturhinweise sowie einer vergleichsweise vorsichtigen, bisweilen gar fast unverbindlichen Art der Formulierung, zunächst Zweifel am wissenschaftlichen Charakter und Wert der Arbeit kommen. Es zeigt sich jedoch bei näherer Betrachtung, daß es sich hierbei lediglich um Stilfragen handelt, die keine Rückschlüsse auf das Maß und die Tiefe der Auseinandersetzung mit den gedanklichen Inhalten der einschlägigen Literatur erlauben. Umgekehrt wird zugleich der Blick dafür geschärft, daß die Verbindlichkeit einer Formulierung, bisweilen mehr über das Selbstbewußtsein ihres Verfassers als über die Richtigkeit ihres Inhaltes aussagt, und auch ein umfangreiches Literaturverzeichnis, dessen Werke auch ausnahmslos in - wenn nicht gar zu - Fußnoten "verarbeitet" sind keine Gewähr für die Wissenschaftlichkeit einer Veröffentlichung bietet; s. hierzu bereits Mergen 1978, S. VI, sowie auch 1995, S. VII: "lch bin nicht der Meinung, daß die Seriosität eines Werkes am Umfang der als verarbeitet angegebenen Literatur gemessen werden kann. Auch nicht an der Zahl der Fußnoten oder Anmerkungen." 91 Vgl. zur Abgrenzung reaktiver und nicht-reaktiver Methoden Lamnek 1984, 69 f.; zu Inhalts- und Sekundäranalyse als non-reaktive Verfahren s. Friedrichs 1990, 309 ff.; zur Reak3 T6th

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A. Gegenstand und Methoden der Untersuchung

3. Expertenbefragung

a) Allgemeines zur Auswahl

Die Arbeit beruht zum anderen auf einer Reihe von Expertenbefragungen, die parallel zur Materialsichtung und -beschaffung stattfanden, und in welche überwiegend Hochschullehrer sowie Vertreter des OKKRI bzw. der Innenbehörden, die Generalstaatsanwälte Ungarns und des Distrikts Csongnid, ein Verfassungsrichter, sowie vereinzelt auch Praktiker (ein Strafrichter, ein Rechtsanwalt und eine Kriminalkommissarin) einbezogen wurden92 • Die Zusammenstellung des Panels von 20 Personen erfolgte nicht nach repräsentativen Grundsätzen. Einige Persönlichkeiten, deren Erfahrungen und Ansichten nicht zuletzt vor dem Hintergrund ihres wissenschaftlichen Wirkens hätten besonders aufschlußreich sein können, waren verstorben93 , andere waren nicht erreichbar. Daß dennoch ein erheblicher Teil der (noch lebenden) - gemessen an ihrem wissenschaftlichen Wirken und Einfluß führenden Persönlichkeiten der ungarischen Kriminologie zur Mitarbeit bereit war, zeugt zwar von einer erstaunlich hohen Kooperationsbereitschaft, verdeutlicht im Ergebnis aber auch ein grundsätzliches Problem der Arbeit, welches in der selektiven Auswahl der Befragten bestand. Aufgrund der Außenperspektive des Verfassers, die dazu führte, daß maßgeblich die Veröffentlichungen im Fachschrifttum den Kreis der potentiell zu Befragenden bestimmte, kam es zu einer sehr starken Berücksichtigung der Erfolgreichen. Andere Zeitzeugen, die möglicherweise mit der Verwirklichung "unbequemer Forschungsprojekte" (an Widerständen) gescheitert waren, ohne im Schrifttum eine Spur zu hinterlassen, konnten so - sollte es sie (ge)geben (haben) - nicht erreicht werden, obgleich gerade ihre Erfahrungen für die (Ausgewogenheit der) Untersuchung von einigem Wert gewesen wären. Zwar wurden die Interviewpartner (bis auf zwei Ausnahmen) erfolglos danach befragt, ob sie selbst entsprechende Erfahrungen gemacht oder auch nur mittelbar von solchen Fällen Kenntnis erlangt hätten. Die Aussagekraft eines solchen Negativbefundes ist jedoch ersichtlich eingeschränkt. Zum einen könnten existente, entsprechende Vorgänge den Befragten tatsächlich unbekannt geblieben sein. Zum anderen beruht dies auch auf der besonderen Stellung und Rolle der Gesprächspartner, die ganz überwiegend eben nicht nur Experten für ungarische Kriminologie, sondern zugleich Betroffene waren, so daß sich ihre Stellung und ihr Beitrag zur Erkenntnisgewinnung am ehesten mit der von "sachverständigen Zeugen" vergleichen läßt. Ihre arteigene Doppelrolle kam auch darin zum Ausdruck, daß sie Z.T. Zugang zum Forschungsgegenstand vermittelten, tivität des Forschungssubjekts s. Hagan 1989, 38. Nicht in Abrede gestellt wird hierdurch, daß bei der Interpretation Wertungen des Untersuchenden einfließen, weswegen etwa Merten (1983, 88 ff.) selbst die Inhaltsanalyse im sozialwissenschaftlichen Sinne als reaktives Erhebungsinstrument erachtet. 92 s. im Einzelnen Anhang I. 93 So etwa Viski (s. zu diesem den Nachruf von Jescheck 1978,475 ff.), Vennes und T6th, T.

III. Methodisches Vorgehen

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andererseits aber auch selbst, sozusagen als Repräsentanten der ungarischen Kriminologie, Gegenstand eben dieser Untersuchung waren. Bei der Würdigung ihrer Angaben war mithin die Möglichkeit der Verfolgung von Eigeninteressen stets in Betracht zu ziehen. Im genannten Zusammenhang ist mithin vorstellbar, daß Hinweise auf an (staatlichen) Widerständen gescheiterte Kollegen unterblieben, da solche (nach Ansicht der Befragten) potentiell geeignet gewesen wären, den Eindruck eines externen Betrachters von der ungarischen Kriminologie zu trüben oder bzw. und so auch das eigene Wirken in einem modifizierten Licht erscheinen zu lassen94 . Schließlich bleibt auch die Möglichkeit zu bedenken, daß gerade die Befragten für entsprechende Widerstände, die Kollegen scheitern ließen, verantwortlich waren. Daß sich im Rahmen der Gespräche für all dieses keine konkreten Anhaltspunkte ergaben, vermag die Relevanz der angeführten Bedenken allenfalls zu relativieren, keineswegs jedoch auszuschließen; denn bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Gesprächspartner blieb der Verfasser, sofern diese nicht anhand von Veröffentlichungen verifizierbar waren, weitgehend auf so wenig befriedigende Hilfen wie ,,Menschenkenntnis", "Intuition" und den subjektiven Eindruck von deren Integrität angewiesen, wobei letzterer z.T. auch durch deren nach außen in Erscheinung getretenem, wissenschaftlichen Wirken (mit-)bestimmt wurde 95 . b) Methodische Einzelheiten der Befragung

Angesichts der Überschaubarkeit des Personenkreises konnte die Befragung in der hier vorzugswürdigen Form der mündlichen Einzelbefragung durchgeführt werden96 . Die Interviews erfolgten überwiegend am Arbeitsplatz der Befragten, gelegentlich auch in deren Wohnungen, mithin jedenfalls in der alltäglichen Umgebung der "Forschungssubjekte" und nicht gleichsam "unter Laborbedingungen,,97. Der Zugang zu den Befragten wurde zumeist durch Dritte vermittelt, die deren Vertrauen in gleicher Weise besaßen, wie das des Verfassers 98 . Es wurde die Form von 94 Vgl. allgemein zum Problem der Kontrolle bzw. der Kontollierbarkeit von "Insidererfahrungen" bei Experteninterviews Meuser/NagelI991, 466f. 95 Daß der Verfasser allerdings darauf verweisen kann, für diese Aufgabe zumindest nicht schlechter ausgebildet zu sein als z. B. Tatrichter für ihre "ureigene Aufgabe der Tatsachenfeststellung bzw. insb. der Beweiswürdigung", ist schon wegen des grundsätzlichen Unterschiedes im Wahrheitsverständnis von Kriminologie und Strafrechtspraxis unerheblich. 96 Vgl. Friedrichs 1990, 237: "Mit schriftlichen Befragungen wird man arbeiten, wenn keine andere Methode als die der Befragung die notwendigen Informationen erbringt, aus Zeit- und Kostengründen aber Interviews nicht möglich sind." 97 s. zu diesem Postulat etwa Mayring 1990,9,11 f.; Lamnek 1989,68, 99f. 98 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insb. die Herren Bikes, Diri, Uvai und Korinek, wobei der Verfasser die bei den Erstgenannten jeweils bereits 1991 unabhängig von dieser Arbeit in Berlin kennengelernt hatte; s. auch Lamnek (1989,68), der im Hinblick auf die erforderliche Vertrauensbasis eine derartige persönliche Vermittlung bei qualitativen Interviews grundsätzlich empfiehlt.

3*

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A. Gegenstand und Methoden der Untersuchung

"lntensiv"- oder "Leitfadeninterviews" gewählt99 , d. h. die Interviews wurden nur anhand eines grob strukturierten Schemas 100 geführt, um stärker auf die Individualität der Befragten eingehen zu können und nicht ohne Not bzw. nur zum Zwecke einer erleichterten Auswertbarkeit "richtige" (und wichtige) Antworten, durch "falsche Fragen" bzw. die Beschränkung auf im vornhinein festgelegte Fragen, zu verhindern. Bestimmte im Zusammenhang mit dieser Befragungsform häufig genannte Probleme, wie die besonderen Anforderungen an das Verbalisierungs- und Artikulationsvermögen der Befragten und deren soziale Kompetenz 101 , vermochten - erwartungsgemäß - keinerlei Relevanz zu erlangen 102 • Andere Nachteile wie etwa der im Vergleich zu standardisierten Befragungen deutlich höhere Zeitaufwand 103 fielen angesichts des Umstandes, daß auch ansonsten nicht mehr Personen hätten einbezogen werden können, nicht ins Gewicht. Demgegenüber zeigten sich die Vorzüge einer offenen Gesprächsführung gerade bei Experteninterviews, die darin zu erkennen sind, daß deren Situationsdefinition, ihre Strukturierung des Gegenstandes und Bewertung stärker erfaßt werden 104 , durchaus deutlich. Als spezielle Methode wurde die des sog. "problemzentrierten Interviews,,105 gewählt. Als wesentliche Elemente gelten bei dieser u. a., daß es in eine Methodenkombination eingebettet ist und eine solche konstituiert, daß der Forscher zwar mit einem (vorläufigen) theoretischen Konzept ins Feld geht, dieses aber, zwecks Vermeidung suggestiver Beeinflussung, nicht mitteilt und die Dominanz der Konzeptgenerierung durch den Befragten erhalten bleibt, sowie auch, daß die theoretischen Konzepte des Forschers durch das Interview und in dessen Verlauf ständig modifiziert werden 106. Der Interviewer gesteht sich also einen gewissen Spielraum zu, innerhalb dessen er Fragen an Gesprächspartner und -situation anpaßt, formuliert, anordnet und ggfs. Nachfragen stellt 107. Es wird mit offenen Fragen gearbeitet, durch 99 Vgl. zur divergierenden Tenninologie in diesem Bereich etwa Friedrichs 1990, 224; Schnell u. a. 1992,389; Lamnek 1989, 80f.; Atteslander 1993, 170 jew. m.w.N.; s. auch Selg u. a. 1992, 72, zum synonymen Gebrauch der Begriffe "nicht-standardisierte Befragungen", "qualitative Interviews" und "Tiefeninterviews". 100 s. zum "Leitfaden" Anhang 11. 101 Vgl. hierzu Schnell u. a. 1992,392; Atteslander 1993, 171; Lamnek 1989, 69. 102 Die Befragten hatten dem Verfasser neben durchschnittlich etwa 2 Jahrzehnten Lebensund Facherfahrung auch ein (nicht zuletzt darauf beruhendes) nicht quantifizierbares Maß an Handlungskompetenz voraus, so daß dieser vor der Gefahr, das Gespräch zu dominieren und vom "Lernenden zum Lehrenden" zu werden, weitgehend gefeit war - eine Situation, wie sie wohl am ehesten bei Expertenbefragungen besteht. 103 s. Atteslander 1993, 171; Friedrichs 1990, 226; Schnell u. a. 1992, 392. Die Interviews dauerten im Durchschnitt etwa 130 Minuten (eine knappe Dreiviertelstunde das Kürzeste und 5,5 Stunden das Längste). 104 Vgl. speziell zu Experteninterviews Dexter 1970, 5 ff.; diesem folgend Meuser/Nagel 1991,442. 105 s. näher zu dieser Fonn Witze11985, 230; Lamnek 1989,74 ff.; Mayring 1990,46 ff. 106 V gl. Lamnek 1989, 78. 107 V gl. Friedrichs 1990, 224; Schnell u. a. 1992, 391; Atteslander 1993, 171.

III. Methodisches Vorgehen

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welche lediglich der interessierende Problembereich eingegrenzt und ein erzählgenerierender Stimulus angeboten wird 108 . Die Erstellung des Leitfadens diente dem Verfasser primär zur Sammlung potentiell fruchtbarer Themenkomplexe, d. h. letztlich zur eigenen Vorbereitung auf das Interview mit dem Ziel einer möglichst weitreichenden Ausschöpfung der Erkenntnisquelle. Kontraproduktiv i. S. d. letztgenannten Interesses wäre demgegenüber ein unflexibles Festhalten am vorgefertigten Konzept im Verlaufe der Befragung gewesen 109. Durch den Versuch, dem Befragten weitestgehende Freiräume zuzugestehen stellten sich in einzelnen Sequenzen fließende Übergänge zur Form des sog. "narrativen Interviews" ein 110. Die gewählte Interviewform, sowie insb. die Offenheit der Fragestellungen, spiegelt sich auch in dem Maß der Vergleichbarkeit der Ergebnisse und ihrer Auswertbarkeit wider. Ersteres ist im Vergleich etwa zum standardisierten Interview eher gering. Es entsteht eine Datenmatrix für die Befragten mit verschiedenen und ungleich umfangreichen Informationen, so daß nur wenige Variablen umfassend eruiert sind, wobei jedoch selbst die als vergleichbar zu bezeichnenden Informationen - in heterogenen Informationsprozessen gewonnen - für die Hypothesenprüfung nur von eingeschränktem Wert sind lll . Dieses wird häufig als (gewichtiger) Nachteil solcher Intensivinterviews erachtet l12 . Betrachtet man allerdings die mit der vorliegenden Expertenbefragung konkret verbundenen Zielvorstellungen und Erwartungshaltungen, so werden entsprechende Vorbehalte zumindest stark relativiert. Eine Auswertung nach quantitativen Gesichtspunkten erschien nicht zuletzt im Hinblick auf die Panelgröße ohnehin wenig sinnvoll. Aufschlußreich war die Befragung die ungarische Kriminologie maßgeblich prägender Persönlichkeiten jedoch zur Ermittlung ihres Bezugsrahmens, wichtiger Aspekte ihrer Meinung(sbildung) sowie der Analyse komplexer Einstellungsmuster auch unter Berücksichtigung biographischer Daten 113. Ziele (auch) dieser Experteninterviews waren ferner, das Überindividuell-Gemeinsame herauszuarbeiten sowie Aussagen über Repräsentatives, gemeinsam geteilte Wissensbestände, Relevanzstrukturen, Wirklichkeitskonstruktionen, Interpretationen und Deutungsmuster 114 zu treffen. Das Maß an Vergleichbarkeit, wie es für diese Zwecke erforderlich ist, kann aber in Anbetracht des gemeinsamen fachlichen Hintergrundes der Befragten bereits durch die leitfadenorientierte Interviewführung erreicht werden 115 • Vgl. Lamnek 1989, 74 f.; Mayring 1990,47. Vgl. auch Meuser/Nagel (1991, 449), die darauf hinweisen, daß ein Leitfaden nicht als zwingendes Ablaufmodell des Diskurses gehandhabt werden darf. 110 s. zu diesem näher Atteslander 1993, 172 f.; Lamnek 1989,70 ff.; Mayring 1990, 50ff. III Vgl. Friedrichs 1990,236. ll2 So etwa Schnell u. a. 1992, 392; Atteslander 1993, 171; differenzierend Friedrichs 1990, 226, 236. ll3 Vgl. zu (sinnvollen) Anwendungsmöglichkeiten von Intensivinterviews Atteslander 1993,171; Friedrichs 1990,226; Mayring 1990,49. 114 Vgl. allgemein zu diesem Zweck von Experteninterviews Meuser/NageI1991, 452. 108 109

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A. Gegenstand und Methoden der Untersuchung

Die Fixierung der Interviews erfolgte durch Anfertigung von Gedächtnisprotokollen im Anschluß an die Befragung 1l6 . Auf eine Tonbandaufzeichnung nebst vollständiger Transkription und Übersetzung, sowie ggfs. die Dokumentation von Stimmlagen Pausen bzw. sonstiger nonverbaler und parasprachlicher Elemente wurde im Hinblick auf das - nicht zuletzt aufgrund der sensiblen Themenbereiche bestehende - Erfordernis einer absolut vertraulichen und freundschaftlich-fachbezogenen Gesprächsatmosphäre verzichtet. Obgleich eine solche vollständige Erfassung grundsätzlich vorzugswürdig sein mag ll7 , erschien sie vorliegend nicht opportun, da zu besorgen war, daß die Befürchtung, auf eine Äußerung "festgenagelt" zu werden, bei Personen, für die es wichtig ist, als "zitierfähig" zu gelten (bzw. solches zu sein), zu einer größeren Vorsicht und Selbstbeschränkung in der Sachaussage und mithin zu einem möglicherweise erheblichen Informationsverlust geführt hätte 11 8. Der Wunsch des Verfassers nach eigener Absicherung durch Nachweisbarkeit entsprechender Äußerungen war gegenüber dem Interesse an gehaltvollen Aussagen mithin nachrangig. Darüberhinaus erschien schließlich auch der mit einer vollständigen Dokumentation verbundene Aufwand als unverhältnismäßig ll9 .

115 Meuserl Nagel (1991, 453) gehen demgegenüber bei Experteninterviews sogar soweit, einen "gemeinsam geteilten institutionell-organisatorischen Kontext der ExpertInnen" anzunehmen, was vorliegend im Hinblick auf die Heterogenität des Panels jedoch unzulässig wäre. 116 s. zur grundsätzlichen Zulässigkeit solcher Vorgehensweise Atteslander 1993, 171; Friedrichs 1990,229 f.; Schnell u. a. 1992,391; Mayring 1990,49; a.A. aber Lamnek (1989, 68, 77), der eine vollständige Erfassung mit Hilfe technischer Aufzeichnungsgeräte (Tonband oder Video) für unverzichtbar hält. ll7 So etwa Lamnek 1989, 68, 77; MeuserlNagel 1991, 455f.; Friedrichs 1990, 229f.; vgl. bzgl. der Vernehmung im Ermittlungsverfahren Eisenberg 1993, Rn. 11Uf., 117 ff. m.w.N. 118 So hingegen blieb die Möglichkeit, sich von "mißverstandenen Äußerungen" zu distanzieren, ersichtlich gewahrt, was - dem subjektiven Empfinden des Verfassers nach - auch tatsächlich zu größerer Offenheit i.S. der Bereitschaft zu "ungeschützten Aussagen" führte. 119 Eine solche hätte die übersetzende Transkription von etwa 43,5 Stunden Bandaufzeichnung bedeutet - vorausgesetzt die Befragten wären auch unter solchen Umständen zu Interviews bereit gewesen und diese hätten die gleiche Länge gehabt.

B. Kriminologische Forschung im Spannungsfeld zwischen offizieller Parteidoktrin und" westlicher Kriminologie" I. Allgemeines 1. Die gesamtgesellschaftliche Ausgangssituation 1956

a) Vorgeschichte und Ursachen des Aufstandes Kriminologische Forschung kann nicht losgelöst von den gesellschaftlichen Verhältnissen betrieben oder betrachtet werden. Für letztere war während des gesamten Untersuchungszeitraums, der vollständig in die Ära des am 25. 10. 1956 an die Macht gelangten Kfidfirs fällt, der Volksaufstand l20 zwischen dem 23. 10. und dem 4. 11. 1956 von prägender Bedeutung. Der Aufstand selbst wiederum kann nur vor seinem geschichtlichen Hintergrund verständlich werden. Nachfolgend sei daher knapp (und notwendigerweise vergröbernd) auf einige Faktoren hingewiesen. Ungarn mußte sich im Anschluß an den 2. Weltkrieg als ehemaliger Verbündeter des Deutschen Reiches mit deutlichen Gebietsverlusten 121 und sowjetischer Besatzung und Fremdherrschaft abfinden. In weiten Teilen der Bevölkerung, die sich weniger als Täter, denn als Opfer sah, stieß dies auf Ablehnung und Unverständnis. Die Rote Armee wurde weniger als Befreier, denn als Besatzer empfunden. Sie sicherte gleichermaßen den Transport industrieller Produktionsmittel und Güter sowie landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus Ungarn in die UDSSR, wie die Um- und Durchsetzung in der UDSSR getroffener (wirtschafts)politischer Entscheidungen in Ungarn. Dazu gehörten beispielsweise Verstaatlichungen i.S. entschädigungslo120 Die Bezeichnung erscheint im Hinblick darauf, daß die Bewegung - nach heutigem Verständnis - in seltener Einigkeit praktisch von allen gesellschaftlichen Gruppen (z. B. Studenten, Professoren, Arbeiter, Bauern, Kleingewerbetreibende, ungarische Soldaten bis hin zu den bereits längere Zeit in Ungarn stationierten und sich mit der ungarischen Bevölkerung solidarisierenden Soldaten der Roten Armee [, die daraufhin durch Truppenverbände aus entfernteren Regionen ersetzt wurden]) getragen wurde, ausnahmsweise gerechtfertigt; ebenso Janssen, in "Die ZEIT", Ausgabe vom 21. 10. 1966, S. 9 über das Geschehen am Nachmittag des 23. 10. 1956: "Tausende von Studenten strömten in den Straßen zusammen und marschierten hinter rot-weiß-grünen und roten Fahnen. Schriftsteller und Professoren schlossen sich an, bald auch die Arbeiter, die von der Schicht heimkehrten und sogar die Kadetten der Militärakadernie. Ein Volk stand auf." 121 Bereits der 1. Weltkrieg hatte zum Verlust von zwei Dritteln des ursprünglichen Territoriums des Landes geführt, vgl. Balla 1974,37 Fn. I.

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ser Enteignungen. Der Personenkult stalinistischer Prägung war in Ungarn untrennbar mit dem Namen des "Statthalters" Rtikosi verbunden 122. In der Wirtschaftspolitik setzte die Staatsführung deutlich auf die Förderung der Schwer- zu Lasten der Konsumgüterindustrie. Der Bevölkerung wurden die Folgen, beispielsweise in Form des sich verringernden Warenangebotes, zugemutet, ohne daß sie auch Einflußmöglichkeiten auf politische Entscheidungsfindungsprozesse gehabt hätte. Dies alles führte zu wachsendem Unmut quer durch die Bevölkerungsschichten, der auch durch Zensur sowie den Auf- und massiven Ausbau eines repressiven Kontrollapparates in Gestalt der Staatsschutzabteilung der Innenbehörden (AVO) nicht wirkungsvoll bekämpft zu werden vermochte. Am 27. /28.6. 1953 wurde unter dem Ministerpräsidenten Nagy ein Reformprogramm verabschiedet, welches in gewissem Maße eigenverantwortliche wirtschaftliche Betätigung von Landwirten und Kleingewerbetreibenden ermöglichte, um das Warenangebot zu verbessern, und welches in der Bevölkerung auf breite Zustimmung stieß. Der Kurswechsel der politischen Führung Ende 1954 vor dem Hintergrund der Wiederbewaffnung und des Nato-Beitrittes der Bundesrepublik, sowie dem Erstarken des stalinistischen Flügels in der KPdSU setzte aufkeimenden Hoffnungen jedoch wieder deutlich sichtbare Grenzen. Zunehmende Härte nach innen vermochte allerdings die offene und öffentliche Artikulierung unbequemer Fragen beispielsweise durch Studenten nicht zu verhindern 123 . Spätestens mit dem xx. Parteitag der KPdSU (zwischen dem 14. und 25. 2. 1956), bei welchem die Thesen von der "notwendigen Verschärfung des Klassenkampfes bei fortschreitender Entwicklung des Sozialismus" aufgegeben und anstelle der "langfristigen Unvermeidbarkeit eines Krieges der Systeme" das "friedliche Miteinander" propagiert wurde und in dessen Verlauf es zu Chruschtschows Generalabrechnung mit Stalin (sowie dem Personenkult und der Forderung einer Rückbesinnung auf die Werke in erster Linie Lenins sowie derer von Marx und Engels) kam, war das politische Ende des Stalinisten Rtikosi absehbar 124 . Bes. zu diesem anschaulich Nemes 1988, insb. 11 ff. Die in Anhang 111 wiedergegebenen Fragen betroffener Studenten scheinen exemplarisch geeignet, die Hintergründe der Unzufriedenheit (akademischer Kreise) zu beleuchten. 124 Chruschtschow betonte in seiner (erstmals 1989 veröffentlichten) Rede am 25.2. 1956: " ... daß es unzulässig und dem Geist des Marxismus-Leninismus fremd ist, eine einzelne Person herauszuheben und sie in eine Art Übermensch mit übernatürlichen, gottähnlichen Eigenschaften zu verwandeln. Dieser Mensch weiß angeblich alles, sieht alles, denkt für alle, vermag alles zu tun, ist unfehlbar in seinem Handeln. Eine solche Vorstellung über einen Menschen, konkret gesagt über Stalin, war bei uns viele Jahre lang verbreitet. .. Angesichts dessen, daß sich noch nicht alle bewußt sind, wohin in der Praxis der Personenkult geführt hat, welchen gewaltigen Schaden die Vergewaltigung des Prinzips der kollektiven Leitung der Partei und die Konzentration einer unermeßlichen und unbeschränkten Macht in den Händen einer Person angerichtet hat, hält es das Zentralkommitee für erforderlich, dem xx. Parteitag der KPdSU Materialien zur Kenntnis zu geben, die diese Frage betreffen. Es sei mir erlaubt, Sie vor allem daran zu erinnern, wie streng die Klassiker des Marxismus-Leninismus jegliche Erscheinung von Personenkult verurteilten." Es folgten Nachweise zu Marx, Engels und insbesondere Lenin. Sodann wurden eine Vielzahl der schwersten Fälle stalinistischen 122 123

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vor er vom ZK der UAP in der Sitzung vom 18.-21. 7. 1956 von seinen Aufgaben entbunden und ins sowjetische Exil abgeschoben wurde, hatte er noch seine Verantwortung für die Fehler des Personenkults öffentlich eingestehen müssen. Den Gärungsprozeß in der Bevölkerung vermochte dies jedoch nicht aufzuhalten, im Gegenteil - zumal in Gestalt Gerös eine Person Nachfolger Rdkosis wurde, der sich bereits als 2. Mann hinter diesem den Ruf eines überzeugten Stalinisten erworben hatte und von dem keine Wende zum Besseren erwartet wurde. Auch die Exhumierung der Leiche des 1949 hingerichteten Außenministers Rajk sowie anderer prominenter Opfer des Stalinismus nebst deren Beisetzung mit feierlichem Staatsbegräbnis am 6. 10. 1956 oder die Mitte Oktober 1956 vollzogene Rehabilitierung des von Rdkosi 1954 aus der UAP ausgeschlossenen überzeugten Kommunisten Nagy, der bei der Bevölkerung große Popularität genoß, seitdem er - 1953 nach Stalins Sturz als Ministerpräsident eingesetzt - die Konsumbedürfnisse der Bürger ernstgenommen und die überstürzte Kollektivierung der Landwirtschaft gebremst hatte, änderten nichts mehr. Derlei Zugeständnisse ließen die - allen voran vom sog "Petöfi-Kreis" der Schriftsteller und Akademiker artikulierte - Forderung etwa nach Meinungs-, Rede-, Presse- und Rundfunkfreiheit nicht leiser werden. Sie stärkten weniger die Stellung der Politführung als das Selbstbewußtsein der oppositionell eingestellten Bevölkerung. Soviel zur unverzichtbaren Vorgeschichte jenes 22. 10. 1956, in dessen Abendstunden sich in den Räumen der Technischen Hochschule Hunderte von Studenten versammelten, um den kommunistischen Hochschulverband abzuwählen und einen unabhängigen Hochschulbund zu gründen und an dem sie schließlich ein 16Punkte Programm zur Neuordnung Ungarns formulierten - dem Abend vor dem Beginn des Aufstandes 125 . Machtmißbrauchs, wie Massenverhaftungen und Deportationen vieler tausend Menschen, Vollstreckungen ohne Gerichtsurteil und ohne normale Untersuchung, Massenrepressalien gegen Andersdenkende bis hin zur Tötung einer Vielzahl unbescholtener Kommunisten als angebliche "Volksfeinde" berichtet, ehe der Redner aus all dem den Schluß zog: "Genossen! Wir müssen den Personenkult entschlossen ein für allemal beseitigen, entsprechende Konsequenzen sowohl in der ideologisch-theoretischen wie auch in der praktischen Arbeit ziehen. Zu diesem Zweck ist es erforderlich: Erstens auf bolschewistische Art den Personenkult zu verurteilen und auszurotten, der dem Geist des Marxismus-Leninismus fremd ist und mit den Prinzipien der Führung der Partei und den Normen des Parteilebens unvereinbar ist, unbarmherzig jegliche Versuche zu bekämpfen, ihn in dieser oder jener Gestalt zu verankern .... Drittens, die Leninschen Prinzipien der sowjetischen sozialistischen Demokratie voll wiederherzustellen, wie sie in der Verfassung der Sowjetunion ausgedrückt sind, die Willkür von Personen zu bekämpfen, die die Macht mißbrauchen. Bis zum Ende ist das Übel auszuräumen, das durch die Akte der Vergewaltigung der revolutionären sozialistischen Gesetzlichkeit bewirkt wurde und sich über längere Zeit infolge der negativen Folgen des Personenkults angesammelt hat. Genossen!" (zitiert nach der 1990 im Dietz Verlag erschienenen, auf Iswestija ZK KPSS, 1989, Nr. 3, S. 128-170 beruhenden authentischen Fassung). 125 s. zur Chronologie der Ereignisse zwischen dem 22. 10. und dem 4. 11. 1956 im einzelnen, aus "westlicher" Sicht und in deutscher Sprache, die zusammenfassende Kurzdokumentation von Janssen (1966), die auch den weltpolitischen Zusammenhang mit der Suezkrise aufzeigt. Die Darstellung stimmt bezüglich der Geschehnisse in Ungarn mit den freien unga-

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b) Die Lage im Anschluß an die Niederschlagung des Aufstandes

Vorrangige Ziele der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (USAP)126 unter Ktidtir 127 waren zunächst die Wiederherstellung des inneren Friedens l28, Schadensbegrenzung und Übergang zu "geordneten (sozialistischen) Verhältnissen". Die Geschehnisse hatten vor allem zweierlei verdeutlicht. Zum einen hatte es sich gezeigt, daß die Regierung die Bedürfnisse und den Willen einer deutlichen Bevölkerungsmehrheit nicht langfristig ignorieren und ihre Herrschaft ausschließlich auf repressive Mittel stützen konnte l29 , sondern - nicht zuletzt zur Um- und Durchsetzung von Handlungsvorgaben - auf Akzeptanz und Rückhalt in der Bevölkerung angewiesen blieb. Zum anderen wurden auch (von der Sowjetunion) bestimmte, notfalls mit militärischer Gewalt durchgesetzte Grenzen des eigenen nationalen, politischen Handlungsspielraums manifest. Verantwortungsbewußte Realpolitik setzte mithin Rücksichtnahme und Mäßigung in beide Richtungen voraus. Erforderlich wurde eine Gratwanderung zwischen dem der eigenen Bevölkerung real (noch) Zumutbaren und dem von der Sowjetunion politisch (noch) Tolerierten. Eine solche ist letztlich in unterschiedlicher Akzentuierung kennzeichnend für die gesamte Ära Ktidtir 130 • Bereits in dem (1.) Beschluß des - noch kommissarisch amtierenden - ZK der USAP, der (am 5. 12. 1956)131 unter seiner Federführug errischen Medienberichten überein (vgl. diesbezüglich die von Gyurk6 u. a. 1989 zusammengestellte Sammlung in diesem Zeitraum erschienener Rundfunkmeldungen und Zeitungsartikel) und wird auch durch die im Besitz des Verfassers befindliche Originalunterlagen sowie Schilderungen von Augenzeugen aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis des Verfassers gestützt. 126 Es handelt sich bei dieser faktisch um die Nachfolgeorganisation der während des Aufstandes aufgelösten UAP. Obgleich sie, noch vor dem 4. 11. 1956 gegründet, sich zunächst deutlich von dieser abgrenzte, weswegen die Parteiversammlung vom 27.-29. 6. 1957 ihre vor dem 4. 11. 1956 getroffenen Beschlüsse auch, "als dem Marxismus-Leninismus widersprechend" verwarf, zeigte sich ihr Charakter als Nachfolgepartei deutlich vor dem Hintergrund ihrer personellen Basis. Die USAP soll Mitte 1957 mit 345.733 registrierten Mitgliedern bereits 40,2 % des Bestandes der UAP (vor ihrer Auflösung) erreicht haben, wobei es sich zu 85,2 % um ehemalige Mitglieder der UAP gehandelt haben soll (vgl. Parteitagsbeschluß vom 27.-29. 6. 1957, unter Punkt II.1.). 127 Dieser war noch während des Aufstandes (am 25. 10. 1956) Parteichef sowie später auch Vorsitzender der sog. "Arbeiter- und Bauernregierung" geworden, auf deren Hilfeersuchen sich die sowjetische Intervention zu ihrer Legitimation nach außen stützte. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung seiner Rolle bei der Niederschlagung des Aufstandes steht noch aus. 128 Mehrere Interviewpartner charakterisierten von sich aus, unabhängig voneinander und übereinstimmend den damaligen Kurs der Partei durch die Kadar zugeschriebene Devise: "wer nicht gegen uns ist, ist für uns". 129 Kadar selbst war durch die Avo gefoltert und erst in der 2. Hälfte des Jahres 1956 rehabilitiert worden; vgl. Nemes 1988, 61. 130 Abstriche wären insofern allenfalls bezüglich der letzten Jahre seiner Amtszeit zu machen, die aber nicht mehr in den untersuchten Zeitraum fallen. 13l Dieser ist veröffentlicht u. a. in dem Parteiorgan "Nepszabadsag" ("Volksfreiheit") vom 8. 12. 1956.

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gangen ist, wird die Handschrift des Genannten bei retrospektiver Betrachtung erkennbar. Im Interesse des inneren Friedens wurde auf Harmonisierung gesetzt und der "Schulterschluß" mit der Bevölkerung gesucht. So wurden zur Erklärung des Aufstandes vier Faktoren angeführt 132 : (1) Allem voran wurden gravierende Fehler auf der Führungsebene der Partei eingeräumt. Man habe sich seit Ende 1948 von den Grundsätzen des M-L entfernt, in dem man sich einer sektiererischen und apodiktischen Politik verschrieben und einen befehlenden, bürokratischen, keinerlei Wider-spruch duldenden Führungsstil gepflegt habe. Dies habe eine stärkere Demokratisierung verhindert und die sozialistische Gesetzlichkeit gröblichst verletzt. Man habe dem Volk eine Wirtschaftspolitik aufgezwungen, welche die wirtschaftlichen Gegebenheiten des Landes außer Betracht ließ und die Verbesserung des Lebens-standards behinderte. Auch hätten das mechanische Nachahmen des sowjetischen Vorbildes, ein falsches Verständnis von der sowjetisch-ungarischen Freundschaft auf Kosten der eigenen Interessen, sowie die Geringschätzung der nationalen Werte die nationalen und vaterländischen Gefühle des ungarischen Volkes verletzt. Verantwortlich für all dies wurden jedoch nicht (ggfs. gar fortbestehende) strukturelle Bedingungen, sondern das Versagen der sog. "Rakosi-Gerä-Clique" gemacht, deren Führungsmethoden zu einer Entfremdung zwischen Parteiführung und -basis, Partei und Arbeiterklasse, Arbeiterklasse und Bauernschaft, sowie der Partei und der "Intelligenz" geführt und die (Arbeit der) Partei diskreditiert und geschwächt habe. Die sektiererische Politik der alten Parteiführung habe zu einer breiten, demokratischen Oppositionsbewegung vor allem im Anschluß an den Sommer 1953 geführt, in welcher verbitterte Kommunisten neben außerhalb der Partei stehenden demokratischen Massen für die Beseitigung der Fehler gekämpft hätten, ohne dabei jedoch den Grundsätzen des Kommunismus, der sozialistischen Gesellschaftsordnung und der ungarischen Volksrepublik untreu zu werden. Die Mitglieder dieser Massenbewegung hätten dies vor, während und nach den Ereignissen des Oktobers klar zum Ausdruck gebracht 133 . Mithin wurde - unter Ausblendung fortbestehender struktureller Ursachen - die Schuld an den Widerstand hervorrufenden Mißständen personalisiert und ausschließlich den unpopulärsten Repräsentanten der "alten Führung" zugewiesen 134.

Vgl. Punkt I des Beschlusses ebenda. s. zum ganzen Punkt I. Ziffer I des Beschlusses (Fn. 131). 134 Diese Vorgehensweise verband für die neue Führung mehrere Vorteile miteinander. Zum einen konnte sie sich in der Ablehnung der Genannten auf der Seite einer klaren Bevölkerungsmehrheit wissen, um deren Vertrauen sie gewissermaßen warb, indem sie "in der Sache" partielle Übereinstimmung mit den Zielen der Aufständischen signalisierte. Zum anderen nötigte es sie zu keinerlei praktischen Konsequenzen; Gerö, der am 23. 10. 1956 in Budapest vor dem Rundfunkgebäude in eine Versammlung unbewaffneter Demonstranten mit scharfer Munition hatte schießen lassen, war zwei Tage später untergetaucht und hatte sich Rdkosi folgend - ins sowjetische Exil abgesetzt. I32

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(2) Als weitere Ursache des Aufstandes wurde das Verhalten solcher Personen genannt, deren Kritik sich nicht allein gegen die Politik der ,,Rakosi-Gerö-Clique" gerichtet habe und die ihren Protest aus der Partei auf die Straße getragen hätten, wo auch reaktionäre Elemente sich hätten einschalten und die Kritik zu einem Angriff auf das verbleibende Ansehen der Partei, die Arbeiterklasse, die öffentliche Ordnung und die Grundlagen der ungarischen Volksdemokratie transformieren können. Namentlich genannt wurden Nagy und Losonczy. Letztlich wurde mithin bereits hier die Grundlage für die spätere Hochverratsthese geschaffen 135. (3) Ferner wurde angegeben, Faschisten und ehemalige Großgrundbesitzer, die sich überwiegend in der Bundesrepublik Deutschland gesammelt und organisiert hätten, seien bestrebt gewesen, die Kollektivierung der Landwirtschaft rückgängig zu machen 136. (4) Schließlich wurde die Verantwortung im kapitalistischen Ausland gesucht. Dortiges imperialistisches Streben habe zu ständiger Hetze mit Hilfe der Radiosender "Stimme Amerikas" und "Freies Europa" geführt, die auch starken Einfluß gehabt habe. In der Bundesrepublik Deutschland seien entsprechende Umsturzpläne langfristig geschmiedet worden, sowie die militärische Ausbildung, Bewaffnung und Bezahlung faschistischer Soldaten erfolgt, welche diese umsetzen sollten. Die Aktionen, die sich auf die gleichzeitige Besetzung strategisch wichtiger Punkte, wie der wesentlichsten militärischen und staatlichen Führungsquartiere, der Abteilung für Auslandsleitungen im Fernmeldezentrum, den Westbahnhof, die Radiostation, den Flughafen, die Rüstungsfabrik und das militärische Waffenlager gerichtet hatten, seien nicht das Werk der sich friedlich versammelnden Studenten, sondern besonders kampferfahrener und militärisch ausgebildeter Guerillagruppen gewesen 137 . Der Aufstand wurde als "Konterrevolution" gedeutet, die überwältigende Mehrheit der diesen tragenden Bevölkerung jedoch nicht als Konterrevolutionäre, sondern dem Grunde nach gut geartete, über bestimmte Mißstände zurecht empörte Personen bezeichnet, die von einigen wenigen mit Hilfe irreführender Verheißungen wie "Revolution" oder "Freiheit" zum Kampf für falsche, weitergehende Ziele wie Austritt aus dem Warschauer Pakt, Abzug der sowjetischen Truppen, allgemeine freie Wahlen usw., verführt und damit mißbraucht worden seien. Der Beschluß dokumentiert beispielhaft den Versuch, das Vertrauen der ungarischen Bevölkerung zu gewinnen, ohne dasjenige der sowjetischen Machthaber zu verlieren. Er betont außenpolitisch die feste Freundschaft und Zusammenarbeit mit 135 s. I. Ziffer 2.; Nagy, Gimes, Maleter und Szildgyi wurden 1958 wegen Hochverrats zum Tode, weitere Angeklagte zu Freiheitsstrafen zwischen 5 und 12 Jahren verurteilt. Die drei Erstgenannten wurden am 16.6. 1958 hingerichtet. Zwei weitere Mitarbeiter Nagy's waren bereits zuvor unter ungeklärten Umständen in ihren Zellen ums Leben gekommen. Ihre Rehabilitierung geschah erst nach dem Ende der Amtszeit Kdddrs (Mai 1988). 136 s. I. Ziffer 3. 137 s. I. Ziffer 4. und 11. (Fn. 131).

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der Sowjetunion und den volksdemokratischen Staaten, jedoch nach den Grundsätzen der nationalen Unabhängigkeit und Selbständigkeit sowie Souveränität. Dementsprechend wird das Bemühen um die baldige Aufnahme von Verhandlungen zwischen den Führungen der KPdSU und der USAP sowie der jeweiligen Regierungen mit dem Ziel, die Beziehungen zwischen beiden Staaten auf der Basis der völligen Gleichberechtigung, Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen zu regeln, als vorrangige Aufgabe bezeichnet. Am gesellschaftlichen Führungsanspruch der Partei auf marxistisch-leninistischer Grundlage wird festgehalten. Zugleich wird jedoch auch versichert, man wolle dem Vorbild anderer sozialistischer Staaten nicht blindlings folgen, sondern unter Berücksichtigung nationaler Gegebenheiten beim Aufbau des Sozialismus einen eigenständigen, ungarischen Weg gehen. Dabei wolle man - ganz im Sinne Lenins - auf die Lebenserfahrung und Weisheit der arbeitenden Bevölkerung vertrauen. Die Arbeiterräte, die sich seit dem 25. 10. 1956 konstituiert und im Anschluß an die Niederschlagung des Aufstandes Streiks und Protestkundgebungen veranstaltet hatten, wurden ausdrücklich als "wichtige Organe der Arbeiterklasse in Gegenwart und Zukunft" bezeichnet. Die Wirtschaftspolitik sollte auf der Grundlage nationaler Eigentümlichkeiten gestaltet werden, wobei Eigeninitiative und die Verwertung von Fachkenntnissen weitreichend gefördert werden sollten. Vorrangiges Ziel hätte die schrittweise Erhöhung des Lebensstandards der Arbeiter zu sein. Hierzu erforderlich sei auch eine gewaltige Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität, wozu eine Stärkung gleichermaßen des kollektiven wie des privatwirtschaftlichen Sektors vonnöten sei 138. Mit Blickrichtung auf die Intellektuellen schließlich wurde erklärt 139 : "Der Aufbau des Sozialismus hat auf wissenschaftlichen Grundlagen und mit wissenschaftlichen Methoden zu erfolgen. Man muß alles dafür tun, daß zugunsten des Fortschritts der Wissenschaft die günstigsten Umstände geschaffen werden, wozu auch Meinungsfreiheit, die Zusammenarbeit kommunistischer und nicht kommunistischer Wissenschaftler, das Kennenlernen wissenschaftlicher Erkenntnisse sozialistischer wie nicht sozialistischer Staaten, auch im Rahmen von Auslandsreisen und der Teilnahme an Kongressen gehört.... Unseren Wissenschaftlern, Künstlern und in den unterschiedlichsten Fachgebieten tätigen Intellektuellen muß - durch die Schaffung entsprechender Organisationsstrukturen - die Möglichkeit gegeben werden, auf ihrem Gebiet in größtmöglicher Weise ihr Wissen und ihre Fähigkeiten zu nutzen. Die Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei tut alles, damit die Jugend wieder beruhigt in die Schulen und Hörsäle zurückkehren kann, damit ihre wirklich demokratischen und nationalen Forderungen erfüllt werden, damit das Ausbildungswesen von den Fehlern der Vergangenheit befreit wird."

Mithin wurde Studenten, Wissenschaftlern, Professoren und sonstigen Intellektuellen, als treibenden Kräften des Aufstandes, nicht mit Verfolgung und Vergels. zum ganzen Teil V. (Fn. 131). Vgl. V. Ziffer 6) (im Hinblick auf die besondere Bedeutung erfolgt die Wiedergabe an dieser Stelle in wörtlicher Übersetzung). 138 139

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tung gedroht, sondern es wurde sogar der pragmatische Teil ihrer Forderungen aufgegriffen und als eigenes Handlungsziel formuliert. Die Ernsthaftigkeit und Verbindlichkeit dieser Bekenntnisse mußte sich zwar erst noch in der Praxis des wissenschaftlichen Alltags im Rahmen einzelner Sachfragen erweisen. Diesbezügliche Skepsis war verständlich. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, daß bereits die Anerkennung der genannten Forderungen durch die Partei und ihre Postulierung als eigene den Adressaten in der Folge eine durchaus willkommene und hilfreiche Argumentationsbasis an die Hand gab. 2. Grundlagen einer relativ regen, kriminologischen Forschungstätigkeit in Ungarn

Die in Relation zu der Größe des Landes ebenso beeindruckende wie zunächst überraschende Anzahl entsprechender Arbeiten wird verständlicher, wenn man sich folgende Faktoren vor Augen führt. a) Wurzeln kriminologischen Denkens in Ungarn

Kriminologisches Denken hat in Ungarn eine Geschichte, die in die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Nach Inkrafttreten des am Code Penal von 1815 orientierten ersten ungarischen Strafgesetzbuches im Jahre 1878 wuchs infolge des (bei beschleunigter wirtschaftlicher Entwicklung und gesellschaftlicher Umgestaltung) registrierten starken Kriminalitätsanstieges, insbesondere auch der Jugend- und Rückfallkriminalität, das Interesse an effizienten Formen der Prävention und daher auch an aetiologischen Fragestellungen. Die Folge war, daß die ungarische Kriminologie sehr schnell den Anschluß an die damalige, bereits entwikkelte westeuropäische Kriminologie fand, wobei von besonderem Einfluß auf die Arbeiten von Liszt's, von Hamet' und Prins' waren. 140 In den Reihen der Strafrechtler sollen entsprechende Reformbestrebungen zwar auf überwiegende Ablehnung gestoßen sein, was i.ü. auch für die positivistische Vorstellung eines Determinismus galt. Demgegenüber habe man sich der Erkenntnisse, die eine differenziertere Beurteilung der konkreten Tat und des konkreten Täters erlaubten, sehr wohl bedient. 141 So kam es 1908 zur ersten Strafrechtsnovelle, welche die Grundlage eines gesonderten Jugendstrafrechts einführte. Dem folgte 1913 das Gesetz über gesonderte Jugendrechte. All dies stellte Einschränkungen der ehemals starren Grundsätze der Verantwortlicheit und Zurechnungsfähigkeit dar. Neben der Tat wurde bei der Urteilsfindung nunmehr (idealiter) auch die Person des Täters in ihren sozialen Bezügen berücksichtigt. Voraussetzung einer Strafbarkeit war die Feststellung einer entsprechenden verstandesmäßigen, sittlichen Reife. Bei der An140 141

Vgl. Gönczöl1986, 77; Vigh/Földvari 1979, 54f., 62f. Vgl. hierzu Vigh 1992, 91.i.

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wendung des bereits unter dem Primat des Erziehungsgedankens stehenden Jugendstrafrechts wurde vorrangig zwischen "dem Grunde nach gutgearteten Personen" (in der Regel Ersttäter) und Rückfälligen unterschieden. Die Folgen eines gesonderten Jugendstrafrechts für die betroffenen Jugendlichen erwiesen sich als durchaus ambivalent. Die Rechtsfolgen konnten aufgrund des grundsätzlichen Vorranges von Erziehungsrnaßregeln im Vergleich zum Allgemeinen Strafrecht weniger belastend, sie konnten aber gegenüber von den Gerichten als "bereits verfestigte Straftäter" beurteilten Jugendlichen auch schwerer sein. 142 Ein Verbot der Schlechterstellung Jugendlicher gegenüber Erwachsenen bei vergleichbarer Verfahrenslage 143 gab es nicht. Gesondert erwähnt sei an dieser Stelle jedoch, daß die Staatsanwaltschaft bereits die Möglichkeit erhielt, in bestimmten Fällen von einer Strafverfolgung abzusehen, wenn ihr die Einstellung des Verfahrens im Interesse der weiteren Entwicklung des Minderjährigen geboten erschien. In dem Streit um die Existenz einer menschlichen Willensfreiheit als Grundlage des Schuldstrafrechts vertrat der ungarische Gesetzgeber eine vermittelnde Auffassung, indem er sich grundsätzlich zur Willensfreiheit bekannte, ohne jedoch den Einfluß kriminogener Faktoren negieren zu wollen. 144 Zu den bedeutendsten Vertretern ungarischer Kriminologie vor dem Zweiten Weltkrieg werden Jenö Balogh, Albert lrk, Ervin Hacker und Rusztem Vambery gezählt. 145 Obwohl von Hause aus Strafrechtler, vertrat Balogh als Hochschullehrer, Justizminister oder auch Hauptsekretär der ungarischen Akademie der Wissenschaften in seiner Kriminalpolitik stets den Positivismus der soziologischen Schule. Bei der Erklärung strafrechtlich relevanten Verhaltens ging er von Ursachen und Gesetzmäßigkeiten aus, die mit der starren Fiktion einer Willensfreiheit nicht vereinbar waren. 146 Er engagierte sich bei den Strafrechtsreformbestrebungen um die Jahrhundertwende, war maßgeblich an der Schaffung eines gesonderten Strafrechts für Jugendliche beteiligt und tat viel für die Verbesserung der Verhältnisse in den Vollzugsanstalten. Besondere Bedeutung maß er Elend und Armut als kriminogenen Faktoren bei. 147 Albert lrk (1884-1952) war als Strafrechtler und Kriminologe Verfasser des 1912 erschienenen ersten ungarischsprachigen Werkes mit s. näher Vigh 1992,92. Vgl. hierzu Eisenberg 1995 b), Rn. 9, 12 zu § 45. 144 Vgl. ung. Gesetzblatt 1908, 835: "Im Kampf zwischen den Deterministen und den Nicht-Deterministen stellt sich die Gesetzempfehlung auf die Seite der Befürworter der Willensfreiheit, erkennt aber die Einschränkung an, daß das bestehende gesellschaftliche Umfeld ("Milieu social") und die körperliche, geistliche und sittliche Entwicklung des Taters bei der Willensentschließung als bestimmende Einflußgrößen wirken. Daraus zieht die Empfehlung (zugleich) den Schluß, daß die staatlichen Organe durch Veränderung dieser Einflußgrößen nicht nur auf das äußere Verhalten, sondern auch auf die Entwicklung des inneren Wertesystems des einzelnen Einfluß nehmen können." 145 Vgl. Vigh/Földvari 1979, 63ff.; Vigh 1992, 93ff. 146 s. näher zu seinen Auffassungen sein Werk "Minderjährige und Strafrecht", 1909. 147 Vgl. Balogh 1908; s. ferner auch die Auswahl seiner Arbeiten in der Balogh-Gedenkschrift· 142 143

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dem Titel "Kriminologie", in welchem er sich vor allem mit aetiologischen Fragestellungen beschäftigte. Er vertrat dabei die Auffassung, Straftaten hätten verschiedene, teils auf die Umwelt bzw. das gesellschaftliche Umfeld (sog. "exogene"), teils auf die menschliche Natur des einzelnen (sog. "endogene") zurückführbare Ursachen, wobei der Schwerpunkt jedoch bei den gesellschaftlichen Faktoren liege. Er kann als Anhänger der Vereinigungstheorie von Liszts bezeichnet werden. 148 Gleiches gilt für Ervin Hacker (1888-1945), der - Hochschullehrer wie dieser im Vergleich zu Irk weniger an aetiologischer Systematisierung als vielmehr auch an mikro strukturellen Forschungen interessiert war. 149 Rusztem Vambery (18721948) schließlich maß den grundlegenden ökonomischen Strukturen in einer Gesellschaft bezüglich des strafrechtlich relevanten Verhaltens entscheidende Bedeutung bei. 150 Er distanzierte sich ferner von Begriffen wie "milder" oder "strenger" Kriminalpolitik und betonte demgegenüber, die Politik orientiere sich an der Effizienz entsprechender Maßnahmen, wobei freilich die Bestimmung der angemessenen, verhältnismäßigen Mittel eine Frage der Kultur bleibe. 151

b) Träger der Forschungstätigkeit (die personelle / institutionelle Basis) Kriminologische Forschungen wurden in Ungarn während des Untersuchungszeitraums vor allem durch das Landesinstitut für (Kriminologie und) Kriminalistik (O[K]KRI)152, die kriminologische Abteilung des Staats- und Rechtswissenschaftlichen Institutes der UAW sowie (den jeweils staats- und rechtswissenschaftlichen Fakultäten) der ELTE (Budapest), der JATE (Szeged) und der JPTE (Pecs) durchgeführt i53 . Das Spektrum dieser Arbeiten reicht von der Grundlagenforschung über 148 S. zu seinem wissenschaftlichen Wirken auch die Beiträge in der Irk, Albert-Gedenkschrift 1991. 149 Vgl. etwa Hacker 1916. Gleichwohl liegt der Schwerpunkt seiner Arbeiten bei makrostrukturellen Untersuchungen (vgl. [deutschsprachig] etwa Hacker 1931); s. auch die vollständige Bibliografie seiner ungarischsprachigen Veröffentlichungen in der Hacker-Gedenkschrift 1989, S. 258 ff. sowie die dort zusammengestellten Beiträge selbst. 150 So formulierte er in "Das Strafrecht, Erster Band" (ung.): "Wer den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Gegebenheiten und den Ursachen von Straftaten nicht leugnet, kommt auch nicht umhin, die treibenden Kräfte in der Struktur wirtschaftlicher Gegebenheiten namentlich in der unrichtigen Verteilung von Kapital und Arbeit zu suchen." (Zit. nach der Vdmbery-Gedenkschrift 1986). 151 s. Vdmbery 1928, S. 13 ff. (zitiert nach der Vdmbery-Gedenkschrift 1986). 152 Das Institut hieß bis Januar 1971 Landesinstitut für Kriminalistik und heißt seitdem Landesinstitut für Kriminologie und Kriminalistik. 153 An der JATE und der JPTE, an denen keine gesonderten Lehrstühle für Kriminologie eingerichtet wurden, waren die Mitarbeiter der Lehrstühle für Straf- und Strafverfahrensrecht mit den Arbeiten befaßt. Ohnehin ist eine starke Konzentration der Forschungsmittel auf Budapest unübersehbar. Diese wird in den anderen Universitätsstädten bisweilen mit einer Mischung aus Unzufriedenheit und Sarkasmus, als Benachteiligung im Sinne eines sachlich nicht begründeten "Hauptstadtzentrismus" empfunden. 1983 wurde die Universität Miskolc

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die Sammlung und Dokumentation kriminologisch relevanter Erkenntnisse bis zur unmittelbaren Bedarfsforschung, wo auch ihr quantitativer Schwerpunkt liegt. Darüber hinaus erfolgten, in deutlich bescheidenerem Umfang und jeweils stark am speziellen eigenen Bedarf orientierte, Untersuchungen auch an den kriminologischen Forschungsstellen des Innenministeriums, der Fachhochschule für Polizeioffiziere, dem Sekretariat der Ungarischen Generalstaatsanwaltschaft, der Staatsanwaltschaft für die Militärgerichtsbarkeit, sowie der Landeskommandatur für Strafvollzug. An verschiedenen Forschungen war ferner das Zentrale Amt für Statistik beteiligt 154. Die wesentlichsten institutionellen Voraussetzungen wurden in der ersten Hälfte der sechziger Jahre durch Gründung des OKRI (1960), der kriminologischen Abteilung an der UAW (1961) sowie der Begründung universitärer kriminologischer Forschung und Lehre, zunächst ab 1960 im Rahmen eines mehrjährigen Modellversuchs an der JATE, und ab 1964 landesweit, geschaffen. 155 Aus verschiedenen Gründen von besonderem Interesse ist dabei die Konstituierung des OKRI. Zum einen sind dort, gestützt auf das größte Finanzvolumen, die meisten empirischen kriminologischen Forschungsarbeiten entstanden I56 . Zum anderen dürfte dieses Institut schon aufgrund seiner Organisationsstrukturen der (westlichen) Vorstellung von (sozialistischer) Staatskriminologie in gleichsam idealtypischer Weise entsprechen und daher geeignet sein, durch seine Tatigkeit Möglichkeiten und Grenzen staatskriminologischer Forschung exemplarisch zu veranschaulichen. Im Gründungsbeschluß der USAP-Führung vom 6. Januar 1960 (Az.: 2004/ 1960.[1/6]) wird hinsichtlich der Organisations strukturen des OKRI u. a. festgelegt, daß an dessen Spitze ein von der Führung der USAP bestimmter Direktor steht. Die Aufsichtsbehörde des Institutes ist der ungarische Generalstaatsanwalt. Als wissenschaftlicher Beirat wirkt ein aus jeweils einem Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft, dem Innenministerium, dem Justizministerium, dem Gesundheitsministerium, der UAW, der Staats- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät der ELTE, sowie des Obersten Gerichtshofes gebildetes Gremium l57 , dessen Aufgabe, über die Beratung des Direktors in grundsätzlichen Fragen hinausgehend, auch in um einen Rechtswissenschaftlichen Fachbereich erweitert, an welchem sich unter Horvtith und Uvai ebenfalls eine rege kriminologische Forschungstätigkeit entwickelt hat. 154 Vgl. zum ganzen Bak6czi 1975, 2ff.; Gönczöl1980, 7ff.; dieselbe (deutschsprachig) 1986,81 f. 155 Die entsprechenden Forschungsstellen des Innenministeriums, des Sekretariats der Generalstaatsanwaltschaft und der Landeskommandatur für Strafvollzug nahmen ihre Tätigkeit 1964 und 1965 auf. 156 s. näher (als Abteilungsleiter im OKKRI) Bak6czi 1975, 2 f. mit einer quantitativen Auswertung der auf die verschiedenen Forschungsstellen entfallenden Untersuchungen. 157 Der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats ist der ungarische Generalstaatsanwalt. Die übrigen Mitglieder sind die stellvertretenden Minister der betreffenden Ressorts, der Direktor des Staats- und Rechtswissenschaftlichen Institutes der UAW, sowie der Dekan der Staats- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät der ELTE (vgl. Gödöny 1980, 3 f.; 1981, 5 f.). 4 T6th

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der Erstellung der Forschungspläne sowie der Koordinierung der Zusammenarbeit des OKRI mit den verschiedenen staatlichen Organen besteht. Aufgaben des Institutes sind, gemäß dem Gründungsbeschluß, die Erarbeitung, Erprobung und Einführung zur Kriminalprävention bzw. der effizienten Strafverfolgung geeigneter Methoden, die Erarbeitung und Veröffentlichung von Unterrichts- und Dokumentationsmaterialien, sowie die Registrierung (ggfs. nebst Übersetzung) des in- und ausländischen Fachschrifttums. Das OKRI ist zur Wahrnehmung dieser Aufgaben befugt, von jedem der Führung unterstehenden staatlichen Organ bzw. jedem Gericht erforderliche Daten anzufordern, wobei die um Auskunft ersuchten Stellen zur Auskunftserteilung verpflichtet sind. Der geplante Personalbestand des Institutes belief sich auf insgesamt vierzig (25 wissenschaftliche und 15 sonstige) Mitarbeiter. Das Institut nahm seine Tatigkeit am 1. September 1960 aufiSS. Kaum weniger aufschlußreich als der Gründungsbeschluß ist bereits ein vom damaligen Generalstaatsanwalt Ungarns Szenasi gezeichnetes, in zwei Ausfertigungen gefertigtes und als streng geheim eingestuftes Schreiben der Administrativen Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft an das Sekretariat des ZK der USAP vom 8. September 1959 (Az.: Ad/ 539/7 /1959), weiches die Empfehlung zur Gründung des OKRI enthält und geeignet ist, die Zielsetzungen der Gründung aus parteilicher und staatsanwaltschaftlicher Sicht zu erhellen. Unter Hinweis auf in anderen Volksdemokratien mit Hilfe kriminalistischer Institute erzielter Erfolge, und zwar sowohl bei der auf (natur-)wissenschaftliche Kriminalistik gestützten Verbrechensbekämpfung als auch der kriminalistischen Schulung (des Nachwuchses) der Strafverfolgungsbehörden, wird beklagt, daß die schädlichen Folgen von Ungarns Defiziten im Bereich auf empirische Erkenntnisse gestützter Verbrechensbekämpfung bereits konkret feststellbar seien und die Verbesserung der Sicherheitslage des Landes sowie die Steigerung der Gesetzlichkeit unbedingt die Einrichtung eines kriminalistischen Institutes erforderten. Nach Rücksprache mit Vertretern des Innen- und lustizministeriums, der UAW sowie der ELTE wurde dem Sekretariat in dem Schreiben auf der Grundlage dieser Erwägungen eine Beschlußempfehlung unterbreitet, die sich bezüglich der angestrebten Organisationsstruktur nur sehr geringfügig von der im späteren Gründungsbeschluß festgelegten unterschied 159. Auch bezüglich der angestrebten Aufgaben zeigt sich bereits eine weitestgehende Übereinstimmung mit dem späteren Gründungsbeschluß. So wurden neben kriminalistischen (und hierbei insbesondere kriminaltechnischen) auch eindeutig kriminologische Aufgaben - wie die Analyse von Ursachen und Erscheinungsformen von Kriminalität, bzw die Untersuchung der kriminalpräventiven Effizienz gesellschaftlicher und juristischer Maßnahmen nebst der Erarbeitung von Empfehlungen bzgl. entsprechender Neuerungen - zuvörderst genannt. Ziffer 3 der Beschlußempfehlung enthält Einzelheiten zum angestrebten Finanzvolumen. Darin wurden für 158 s. zusammenfassend zum Gründungsbeschluß auch Gödöny (in seiner Eigenschaft als Direktor des Institutes) 1961, 272 f. 159 Die Empfehlung sieht auch für den stellvertretenden Direktor des OKRI einen Platz im Beirat vor.

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die büromäßige Ausstattung 400.000,- Ft. veranschlagt, während für die wissenschaftlich-technische Ausstattung wie z. B. Laboratoriumsgeräte 2.500.000,- Ft. vorgesehen wurden. Die jährlichen Personalkosten allein für die festangestellten Mitarbeiter, d. h. ohne solche - ebenfalls vorgesehenen aber noch nicht konkret bezifferten - für extern beauftragte Gutachter, wurden mit 1.282.000,- Ft. in Anschlag gebracht. Ziffer 3 und 4 der Beschlußempfehlung ließ (auch) darüber hinaus deutlich Fürsorgeerwägungen gegenüber den künftigen Mitarbeitern erkennen. So wurde vorgeschlagen, daß wegen der Beschäftigtung von Personen mit langjähriger praktischer Berufserfahrung als Staatsanwälte, Richter und Polizeioffiziere eine großzügige, erweiternde Auslegung bestimmter besoldungsrechtlicher Vorschriften zur Anwendung kommen möge, um für die Betroffenen finanzielle Einbußen zu vermeiden. Auch sollte angesichts dessen, daß es nicht möglich sei, alle Stellen mit in jeglicher Hinsicht qualifizierten Personen zu besetzen, für angemessene Fortbildungsmöglichkeiten innerhalb 160 und außerhalb des Landes 161 gesorgt werden. Insbesondere diese Fürsorgegesichtspunkte für einen - unbeschadet fehlender Qualifizierung - bereits vorgesehenen Kreis von Beschäftigten sind geeignet, die von einem Mitarbeiter des OKKRI geäußerte Ansicht, das OKRI sei ursprünglich (zumindest auch) als "Kaderfriedhof' entstanden, um "verdiente Genossen", die fachlich nicht tragbar waren oder politisch "aus der Schußlinie gebracht werden sollten", in eine Art komfortablen "Vorruhestand" zu entsenden l62 , zu stützen. Aber auch wenn man eine derartige Doppelfunktion des OKRI i.S. einer Förderung kriminologischer und kriminalistischer Forschungen zur Verbesserung vornehmlich der Kriminalprävention und Verbrechensbekämpfung einerseits sowie der Förderung "verdienter Genossen" andererseits unterstellt, ist eine generelle Ablehnung in dortiger Regie entstandener Untersuchungen wissenschaftlich nicht gerechtfertigt und wird eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Einzelfall nicht entbehrlich. Dies gilt umso mehr, als das O(K)KRI während des gesamten Untersuchungszeitraums mit Gödöny einen Direktor hatte, der zwar bei seiner Ernennung das Vertrauen der Parteiführung gehabt haben wird, sich durch seine Tätigkeit aber den Respekt und das Vertrauen seiner Mitarbeiter erwarb, indem er nach der einhelligen Auffassung der befragten, ehemals (1) "unter ihm" beschäftigten Nichtparteimitglieder sich bei seinen Entscheidungen ausschließlich von fachlichen Gesichtspunkten leiten ließ und im Rahmen seiner Möglichkeiten "seine" Beschäftigten gegenüber politischen Einflußnahmen abzuschirmen verstand. 163 160 Es werden an dieser Stelle das Innenministerium, die Generalstaatsanwaltschaft, das Justizministerium sowie das Institut für forensische Chemie genannt. 161 Vorgesehen wurden sechs bis zwölfmonatige Fortbildungsaufenthalte in der Sowjetunion bzw. anderen "volksdemokratischen" Staaten. 162 So Irk, F. im Interview mit dem Verfasser. 163 Daß die interviewten Mitarbeiter des O(K)KRl im Hinblick darauf, in weIchem Licht ihre eigene Tätigkeit erscheint, ein Eigeninteresse an einer derartig positiven Darstellung ihres ehemaligen Vorgesetzten gehabt haben könnten, ist evident. Daß sie sich bei ihren Äuße-

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c) Gesellschaftlicher Stellenwert der Kriminologie

Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle, daß Grundzüge der Kriminologie, im Rahmen des - gemessen an dem bundesdeutschen, relativ stark "verschulten" rechtswissenschaftlichen Studiums gemäß der Hochschulreform von 1963 seit 1964 zu erwerben und im Rahmen einer Prüfung nachzuweisen sind. 164 Darüber hinaus müssen Studierende der Rechtswissenschaft, die für den Justizdienst vorgesehen sind, über die Dauer eines Semesters sog. "Fachkriminologie", die stark phänomenologisch ausgerichtet ist, gehört haben und eine entsprechende Prüfung bestehen. 165 Kriminologie wird daneben auch an der Hochschule für Polizeioffiziere (4 Semester) unterrichtet. Ferner ist es Pflichtfach im Rahmen des Hochschulstudiums der im Strafvollzug tätigen Sozialarbeiter. Entsprechende Fortbildungsveranstaltungen und -kurse werden auch für Kriminalisten, Schöffen, Bewährungshelfer und in der Kinder- und Jugendarbeit Beschäftigten angeboten. Der hiernach der Kriminologie in Ungarn beigemessene gesellschaftliche Wert besagt zwar natürlich nichts über den wissenschaftlichen Wert der dortigen kriminologischen Forschungen. Jedoch läßt der aufgeführte Lehrbereich, unbeschadet des unübersehbaren Nachholbedarfs an konkreter Aufarbeitung l66 , eine gewisse Praxisnähe vermuten.

rungen von einem solchen taktischen Eigeninteresse bestimmen ließen, erscheint dem Verfasser jedoch sowohl aufgrund seines persönlichen Eindrucks als auch wegen des dann unverständlichen, "ohne Not" aus den eigenen Reihen ergangenen Hinweises auf den ungeschriebenen Gründungszweck "Kaderfriedhof' als eher unwahrscheinlich. Die wissenschaftliche Integrität von Gödöny wird i.ü. auch insbesondere aus seiner 1976 erschienenen Monografie ersichtlich, seine "Handschrift" als Direktor des O(K)KRI aus seinen diesbezüglichen Tätigkeitsberichten (s. Gödöny 1970, 1971 a] und b], 1980, 1981 und 1986; vgl. zur Tätigkeit des OKRI auch Bak6czi 1971, Egressy 1971 und Patera 1971b). 164 Bereits seit dem Wintersemester 1961/62 war die Kriminalistik eine über zwei Semester jeweils zwei Semesterwochenstunden zu belegendes Pflichtfach an der ELTE gewesen, was insbesondere der Einsicht zu verdanken war, daß Fehlurteile seit jeher in den meisten Fällen nicht auf fehlerhafte Rechtsanwendung, sondern auf unrichtiger Tatsachenunterstellung beruhten. 165 Vgl. demgegenüber zu Überlegungen in Deutschland, Staatsanwälten bereits im Rahmen ihrer juristischen Ausbildung kriminologisches und kriminalistisches Wissen zu vermitteln, um die tatsächlichen Voraussetzungen für die Realisierung des normativen Leitbildes von der "Herrin des Ermittlungsverfahrens" zu schaffen, Kühne 1993, Rn. 62.2; siehe auch die Forderung von Tondorj' 1992, 121: "In der Juristenausbildung müssen kriminal technische Grundkenntnisse gelehrt werden." 166 Demgegenüber erwartet Kunz (1994, Rn. 3 zu § 6), daß die empirischen Erträge der "sozialistischen Kriminologie" in den Ländern des ehemaligen Ostblocks rechtstatsächlich ebenso in Vergessenheit geraten, wie das in den 30er Jahren in Deutschland unter rassenbiologischen Vorzeichen gesammelte Material.

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3. Die (ideologiegeleitete) Parteidoktrin bezüglich Aufgaben und Bedeutung der Wissenschaften unter besonderer Berücksichtigung der Kriminologie und einiger ihrer Bezugswissenschaften

a) Allgemeines

Nachfolgend wird unter der Parteidoktrin die in Parteitagsbeschlüssen und ähnlichen Quellen dokumentierte, ideologiegeleitete (sozusagen "offizielle") (Erwartungs-)Haltung der USAP verstanden. Diese postulierte vorrangig und durchgängig die Parteilichkeit aller bedeutsamen gesellschaftlichen Funktionsträger167. In der Wissenschaft sollten "im Interesse der Bewahrung und Fortentwicklung des Erreichten" die grundsätzlichen Fragestellungen stets im Lichte eines von den schädlichen Auswirkungen des Personenkultes und eines blinden Dogmatismus befreiten Marxismus betrachtet werden, so daß der "dialektische und geschichtliche Materialismus innerhalb der einzelnen Fachdisziplinen in noch stärkerer Weise zum Tragen kommt,,168. Wissenschaftlern wurde eine steigende Bedeutung für den Aufbau des Sozialismus bescheinigt und eine Zunahme verantwortungsvoller Aufgabenfelder in Aussicht gestellt. Doch während die Partei einerseits "mutige, innovative und zielbewußte Forschungsarbeit in allen Bereichen" einforderte, stellte sie zugleich unmißverständlich klar, "daß diese Forschungstätigkeit nur dann wirklich effizient werden, die Wissenschaft nur dann ihre gesellschaftliche Rolle erfüllen kann, wenn sie von dem alleinigen Geist wissenschaftlichen Denkens, nämlich der marxistisch-leninistischen Weltanschauung durchdrungen ist,,169. Unverkennbar ist eine Ideologisierung der Wissenschaften und eine Festschreibung der Erkenntnisperspektive. Die Werke von Marx und Engels werden nicht als wissenschaftliche Arbeiten, sondern als Parameter der Wissenschaftlichkeit behandelt, so daß aus wissenschaftlichen Thesen weltanschauliche Dogmen werden 170. Was mit den Lehren des M-L nicht vereinbar war, widerlegte sich nach diesem Verständnis 167 Vgl. zur Betonung der Parteilichkeit als essentiellem Wesensmerkmal "sozialistischer Kriminologie" Mergen 1978, 12. Daß diese nicht (unbedingt) mit Parteizugehörigkeit gleichgesetzt werden kann, zeigt sich etwa in dem Beschluß des nationalen Parteitages der USAP vom 27.-29. 6. 1957 - dessen Aufgabe war es, sich mit der Politik des seit dem November 1956 kommissarisch agierenden Zentralkomitees auseinanderzusetzen und die Grundsätze für die folgenden Jahre festzulegen -, in welchem (unter Punkt 11. Ziffer 5) bestimmt wird, daß, abgesehen von Parteifunktionen, alle Gemeinfunktionen, seien es gesellschaftliche oder staatliche, auf allen Ebenen auch Nicht-Parteimitgliedern theoretisch wie insb. auch praktisch offen zu stehen haben. 168 Ebenda Punkt VI. 169 Beschluß der USAP zu den Grundsätzen ihrer Kultur- und Wissenschaftspolitik vom 25. 7. 1958 Punkt V. Ziffer 2. An gleicher Stelle wurde auch erneut als "allerwichtigste Aufgabe" der Wissenschaften ausgewiesen, Theorie und Methodik des marxistischen, dialektischen Materialismus in den einzelnen Fachgebieten noch stärkere Geltung zu verschaffen. 170 Pusztai (unveröffentlichtes Ms. S. 77) gebraucht für deren Metamorphose zur "unerschütterlichen, nicht in Zweifel zu ziehenden Sammlung aller Weisheit" den treffenden Ausdruck der "Dogmatisierung des Marxismus".

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B. Forschung zwischen Parteidoktrin und "westlicher Kriminologie"

selbst. Von großer praktischer Relevanz in diesem Zusammenhang ist jedoch, daß auch Dogmen ihre Wirkung erst durch und in Form ihrer konkreten Auslegung im Einzelfall erfahren. Mit fortschreitendem Abstraktionsniveau wächst dabei auch der "Beurteilungsspielraum" der "Subsumierenden". Dementsprechende Bedeutung kann Opportunitätsgesichtspunkten im Rahmen der Bestimmung dessen, was (noch) als mit den Lehren des M-L vereinbar gelten soll, zuwachsen l7l . Allgemein wird festgestellt, daß "abstrakte wissenschaftliche Forschung nicht zum Selbstzweck werden darf, sondern sich nur in enger Verbindung mit der Praxis entwikkeIn kann. Die theoretische Arbeit speist sich aus der Praxis, verarbeitet deren Erfahrungen und dient auch selbst den Bedürfnissen der Praxis,,172. Gegen Ende des Jahres 1959 zeigte sich die Partei mit der Intelligenz des Landes sowie ihrem Verhältnis zu dieser äußerst zufrieden 173.

b) Kriminologie

Die Kriminologie sah sich vor dem Hintergrund des beschriebenen, herrschenden Wissenschaftsverständnisses zunächst besonderen Problemen gegenübergestellt. Sie hatte nach der noch stalinistisch geprägten Parteidoktrin keine Existenzberechtigung als eigenständige Wissenschaftsdisziplin und galt nach dieser als "bürgerliche Scheinwissenschaft", welche die durch den M-L aufgedeckten "wahren Ursachen" der im Kapitalismus auftretenden Kriminalität nur verschleiere. Aus der herrschenden Auffassung, nach der die Kriminalität dem Sozialismus wesens171 Es soll an dieser Stelle nicht in Abrede gestellt werden, daß die Prüfung theoretisch deduktiv, d. h. von den allgemeinen Lehren auf den Einzelfall bezogen, erfolgt. Gleichwohl sei der Hinweis erlaubt, daß eine induktive Vorgehensweise etwa in dem Sinne, daß aus der Sachgerechtigkeit einer Aussage auf ihre Übereinstimmung mit den marxistisch-leninistischen Grundsätzen geschlossen wird, praktisch ebenso wenig auszuschließen ist, wie z. B. die Möglichkeit, daß eine (Verwaltungs- oder Straf-)Gerichtsentscheidung nicht auf den verkündeten Gründen beruht, sondern letztere ersterer nachfolgen; vgl. hierzu etwa Eisenberg 1990 Rn. 6ff. zu § 31. 172 Grundsätze des ZK der USAP, veröffentlicht in TSz 1965, Heft 4 S. 1. 173 So heißt es im Beschluß des 7. USAP Kongresses vom 30. 11.-5. 12. 1959 unter Punkt V. Ziffer 32: "Einfluß und Ansehen der Partei haben in den akademischen Kreisen zugenommen. Die Mehrheit der außerhalb der Partei stehenden Akademiker ist gegenüber dem System loyal und fördert durch seine Arbeit den Aufbau des Sozialismus. Der Fortschritt von Technik, Wissenschaft und Kultur läßt ihre Bedeutung für diesen von Tag zu Tag zunehmen. Die Partei betrachtet die innovative Tätigkeit der Akademiker mit wachsendem Vertrauen und Achtung: sie distanziert sich bezüglich des Verhaltens von Akademikern von falschen Verallgemeinerungen, sektiererischer Verschlossenheit und Mißtrauen." In diesem Zusammenhang erscheint erwähnenswert, daß etwa ein halbes Jahr nach Niederschlagung des Aufstandes (ausweislieh Punkt II. 1. des Beschlusses des nationalen Parteitages vom 27.29. 6. 1957) Akademiker einen Anteil von 6,9 % der USAP-Mitglieder gestellt haben (sollen). Zur Betonung der Parteilichkeit und der steigenden Bedeutung der Gesellschaftswissenschaften s. auch Punkt V. Ziffer 33b der Grundsätze des 7. USAP Kongresses (30. 11.5. 12. 1959) zu den wirtschaftlichen Aufgaben und der Vorbereitung des 2. Fünfjahresplans.

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fremd war 174 , so daß durch den Übergang vom Kapitalismus zu diesem ihre gesellschaftlichen Ursachen zunehmend entfielen, ergab sich, daß ihr automatisches Absterben im Zuge des weiteren Aufbaus des Sozialismus vorbestimmt war. Kriminologischer (Grundlagen-)Forschung bedurfte es folglich nicht 175. Der Prozeß galt als unausweichlich und unumkehrbar. Kriminalstatistische Unterlagen wurden (vorsorglich) als geheim eingestuft und wissenschaftlicher Auswertung nicht zugänglich gemacht 176. Gleichwohl ("noch") auftretende Straftaten wurden systemimmanent als vorübergehende Erscheinungen gewertet, welche auf in der Phase des Übergangs noch bestehende Überreste kapitalistischen Denkens im Bewußtsein der Menschen, schädliche Einflüsse des bürgerlichen Auslandes oder auch Fehler und Unzulänglichkeiten beim Aufbau des Sozialismus zurückzuführen waren 177 . Eine Institutionalisierung der Kriminologie als solche war auf der Grundlage dieser Doktrin nicht denkbar, die Lage für die betroffenen Wissenschaftler wenig befriedigend 178. Dies änderte sich jedoch allmählich - ohne daß die dargestellte Doktrin ausdrücklich aufgegeben worden wäre 179 - bis zur Mitte der 60-er Jahre. Die Konsolidierung der Kriminologie in dem Sinne, daß sie nicht mehr als "bloße Scheinwissenschaft" diskreditiert, sondern auch von der politischen Führung als Wissenschaft anerkannt wurde, wird spätestens mit ihrer Einführung als Pflichtfach im Rahmen der juristischen Ausbildung durch die Studienreforrn des Jahres 1963 und durch das Erscheinen des 1. Universitätslehrbuches 1965 (FöldvarilVigh "Kriminologie. Einheitliches Universitätslehrheft") auch nach außen klar erkennbar. Seitdem hat sie ihren Platz behauptet und beständig ausgebaut. 174 V gl. etwa KOOtir, M. 1961, 105 ff.; Györök 1964, 15; Diri 1968 6 ff.; eher nachdenklich zweifelnd Vigh 1964, 60ff.; die Auffassung bereits distanziert darstellend FöldvtirilVigh 1965,93; rückblickend Gönczöl1980, 3 f. 175 s. aber auch Viski 1959, 900ff. und ihm insoweit folgend Csika 1960, 130f., die selbst auf der Grundlage der genannten Parteidoktrin der Kriminologie im (real existierenden) Sozialismus ihre Daseinsberechtigung als Wissenschaft nicht absprachen. 176 s. Vigh 1991,97; Vigh/ Földvtiri 1979,85. 177 Vgl. etwa Vennes 1978,35 f. und 71 m.w.N.; überwiegend wird erst in späteren Jahren Kriminalität auch im Sozialismus als durch gesellschaftliche Faktoren bedingtes Phänomen erachtet, vgl. etwa vorsichtig bereits Turi 1964, 30ff., Vennes 1978 (im ungarischen Original 1971), 67 f., was bisweilen auch im (westlichen) Ausland zur Kenntnis genommen wurde (vgl. etwa Eisenberg 1990, Rn. 10 zu § 4 [m.N. aus demjugoslawischen, polnischen und sowjetischen Schrifttum; s.a. Lamnek 1990,103 m.w.N.). 178 Szab6, A. (1980, 14f.) beschreibt die nachteiligen Folgen einer Ideologisierung der Wissenschaften aus der Sicht der Betroffenen wie folgt: "Der größte Schaden war, daß diese von vornherein Ergebnisse und Schlußfolgerungen der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen bestimmte, und mithin auf wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn gerichtete Anstrengungen als überflüssig erscheinen ließ. Wozu Kriminologie, wenn wir von vornherein wissen, daß Straftaten im Sozialismus keine gesellschaftlichen Ursachen haben und diese vielmehr im äußeren, feindlichen Umfeld zu suchen sind; welchen Sinn hat die soziologische/kriminologische Erforschung von Kriminalität, wenn wir ohnehin das Zurückbleiben des gesellschaftlichen Bewußtseins gegenüber dem gesellschaftlichen Sein kennen und damit jegliches strafrechtsrelevante Verhalten auf Überreste früheren Denkens zurückzuführen ist 1" 179 s. zu den Gründen des Wandels unten S. 60f. (insb. Fn. 199).

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B. Forschung zwischen Parteidoktrin und "westlicher Kriminologie"

c) Einige mit Kriminologie verknüpfte Bereiche

aa) Soziologie In ähnlicher Weise wurde auch die Soziologie einschließlich der Kriminal- und Rechtssoziologie als "charakteristisch bürgerlich" diskreditiert, so daß mithin genau diejenige "unbequeme" Wissenschaft unterdrückt wurde, zu deren Aufgaben es gehört hätte, den (propagierten) Vorstellungen der Partei vom "Ist-Zustand" der Gesellschaft ein mit wissenschaftlichen Methoden gewonnenes Bild von dieser gegenüberzustellen 18o. Dies blieb nach hiesiger Auffassung nicht ohne Einfluß auf die Entwicklung der Kriminologie im Untersuchungszeitraum. bb) (Straf- und Strafverfahrens-)Rechtswissenschaft und sozialistische Gesetzlichkeit Von besonderer Bedeutung war auch das Verständnis der Partei von "sozialistischer Gesetzlichkeit", demzufolge das Recht als Instrument der Herrschaftspolitik den - von der Partei zu bestimmenden - wohlverstandenen Interessen des Proletariates zu dienen hatte 18l, wobei der Entscheidungsfindungsprozeß von oben nach unten erfolgte 182. Der Strafrechtspflege wurde dabei die Aufgabe zugewiesen, "vor den breiten Massen der Arbeiter das strafbare Verhalten des Klassenfeindes aufzuzeigen und überzeugend nachzuweisen,,183. Die simplifizierende Vorstellung, jede Straftat stelle einen Angriff des Klassenfeindes dar, ist geeignet, die Bedeutung strafrechtsdogmatischer Differenzierungen zu relativieren. Die Strafrechtsdogmatik wurde folgerichtig gleichfalls zur "Scheinwissen schaft" erklärt und büßte ihre Funktion der Gewährleistung rechts staatlicher Grundsätze durch Schaffung von Rechtssicherheit und Verhinderung nicht nachvollziehbarer, willkürlicher Entscheidungen 184ein 185. Im Rahmen der Bemühungen um einen einheitlichen Straftatbegriff war nach herrschender Auffassung z. B. auch für eine Unterteilung in Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld kein Raum 186 . Das Straf180 Hegedüs (1967, 1016) maß der Soziologie in der Phase der "Selbstanalyse" für die erforderliche "Selbstkritik" des Sozialismus eine zentrale Rolle bei, " ... teils als das eigene Produkt der Selbstkritik des Sozialismus, teils gerade als der Zweig der Gesellschaftswissenschaften, der vielleicht das unmittelbarste wissenschaftliche Instrument für die Selbsterkennung der Gesellschaft und für die reale Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse darstellt"; s. auch Földesi 1989, 1 ff.; vgl. Gönczöl1986, 78; s. zur Situation der Rechtssoziologie in Ungarn im Jahre 1964 T~ri (1964, 30ff.). 181 Vgl. zum politischen Führungsanspruch der Partei Kaddr, J. 1959, 138 f. 182 s. näher Varga, es. 1989, 1 ff. 183 Vida 1952, 117. 184 s. zu dieser Garantiefunktion des Strafrechts etwa Viski 1974, 304; Kiraly 1962. 185 So auch Bekes 1986,595; Pusztai, unveröffentlichtes Ms. S. 82, 84. 186 Vgl. kritisch zur offiziellen Begründung, nach der die in der Strafrechtspflege tätigen Laienrichter leicht anwendbare Gesetze benötigten, Földvari 1985,241.

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recht stellte eine Waffe dar, die beliebig gegen politische Gegner eingesetzt werden konnte, und auch wurde 187 . Mit strafrechtlichen Mitteln wurde versucht, einer verfehlten Wirtschaftspolitik zum Erfolg zu verhelfen und die oppositionellen Kräfte zum Verstummen zu bringen - aus "Kriminalpolitik wurde die Kriminalisierung der Politik,,188. Davon ausgehend, daß Straftaten gegen die gesellschaftliche, politische oder auch wirtschaftliche sozialistische Ordnung ausschließlich von "Feinden des Volkes" begangen wurden, denen gegenüber das Strafrecht voll zur Anwendung gelangen sollte, wurde auch die Hauptaufgabe des Strafverfahrensrechts darin gesehen, den Rechtsbrecher einer strafrechtlichen Verurteilung zuzuführen. Die Bestimmung und die Gewährleistung verfassungsmäßiger Rechte (auch) des Beschuldigten galt demgegenüber als nachrangig und war nur dort geboten, wo sie die erstere Aufgabe nicht beeinträchtigte, so daß die Beschuldigtenrechte letztlich zur Disposition der Strafverfolgungsbehörden gestellt wurden 189 . cc) Kriminalistik In einer vergleichsweise günstigen Lage befand sich die Kriminalistik. Ihre Existenzberechtigung wurde (selbst) in der Sowjetunion nicht in Zweifel gezogen, zumal sie auf (z.T. natur)wissenschaftlicher Grundlage den Trägern staatlicher Herrschaft praktisch verwertbare Hilfestellungen zur Steigerung der Effizienz der Strafverfolgung bot. Obgleich durch den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus - nach herrschender Auffassung - die gesamtgesellschaftliche Grundlage zur Überwindung der Kriminalität zunehmend geschaffen wurde, galt es doch als sinnvoll, diesen Prozeß nach Kräften insb. auch mit Hilfe der Kriminalistik zu beschleunigen 19o. Ideologische Hindernisse, die darin bestanden, daß die Kriminalistik bereits der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung gedient hatte, erwiesen sich als überwindbar, indem zwischen der dem Grunde nach nützlichen Kriminalistik und ihrer Ausforrnung im Kapitalismus andererseits unterschieden wurde 191 . Die Kriminalistik erfuhr so eine spürbare Aufwertung und Sonderbehandlung im Kreise der gesamten Strafrechtswissenschaften. Vgl. Bikes 1986, 594f. Bikes 1986,595. 189 s. ausführlich Szab6, L. 1964, 104; s. aber kritisch schon Cselcsov 1954, 10: ,,ziel der in der sowjetischen Rechtspflege Tätigen kann es nicht sein, Unschuldige zu verurteilen oder überflüssige Zwangsmittel einzusetzen oder zu strenge Strafen zu verhängen, d. h. genau solches zu tun, was in den Händen bürgerlicher Richter und Strafverfolger Mittel zur völkischen, nationalen oder klassenspezifischen Diskriminierung darstellen." (Die Auffassung Cselcsov's - als eines sowjetischen Rechtsgelehrten - bot auch ungarischen Kollegen eine willkommene Argumentationshilfe. ) 190 So etwa Gödöny 1961,272 ff. 191 Vgl. anschaulich Ldddnyi 1952, 455: "Die bürgerlichen Kriminalisten wurden mithin an der Aufdeckung der wahren Ursachen der Straftaten und der Ausarbeitung eines geeigneten Systems der Strafverfolgung durch ihre Klasseninteressen und -sicht gehindert, so daß 187

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d) Aspekte der Hochschul-, Kultur- und Medienpolitik der USAP

aa) Hochschulpolitik Im Rahmen ihrer Hochschulpolitik bemühte sich die Partei um die Durchsetzung der ausgeführten Vorstellungen. Hierfür hielt sie es u. a. für erforderlich, "der politischen Erziehung der Lehrkräfte", der Hochschulzulassung nach politischen Gesichtspunkten sowie der fachlichen und weltanschaulichen Ausbildung der Studenten bei weitgehender Förderung der hochschulpolitischen Arbeit der KISZ" verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen l92. Wachsenden Schwierigkeiten, unter den Studienanfängern eine Quote von 50 % mit Personen zu besetzen, deren Eltern Arbeiter oder Bauern waren, begegnete sie allerdings u. a. durch eine gelokkerte Auslegung des Arbeiter- und Bauernbegriffes l93 . Die (Fach-)Hochschulen sollten eine wachsende Anzahl "weltanschaulich klar sehender, guter Fachleute" ausbilden, indem sie zum einen das Niveau des M-L Unterrichts, wie auch der fachspezifischen Ausbildung verbesserten, als auch zum anderen durch bevorzugte Zulassung solcher Personen, die bereits über (insbesondere in der Landwirtschaft gewonnene) Praxiserfahrung verfügten 194. An der ELTE wurde mit dem Studienjahr 1957/58 am juristischen Fachbereich "Sowjetisches Straf- und Strafverfahrensrecht" als Pflichtveranstaltung eingeführt und im Studienjahr 1959/60 wieder abgeschafft l95 . Ab dem Studienjahr 1961/62 wurde Kriminalistik zum Pflichtfach. Mit der Hochschulreform von 1963 folgt nach einer mehrjährigen Erprobungsphase an der JATE in Szeged unter Szab6, A. die Kriminologie. I.ü. bemühte sich die Partei, geeignete gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um "mit geduldiger, auf ihrer prinzipientreuen Politik beruhenden Aufklärungsarbeit" auch "kleinbürgerliche und akademische Schichten, als Verbündete der Arbeiterklasse und somit für den Aufbau des Sozialismus" zu gewinnen l96 . bb) Kultur- und Medienpolitik Für (ehemals kritische) Schriftsteller bedeutete das unter 3.4.1 zuletzt Ausgeführte, daß ihre berufliche Zukunft von einer deutlichen Abgrenzung gegenüber den nach dem Sprachgebrauch der Partei "imperialistischen sowie reaktionären ihre Theorien unwissenschaftlich und schädlich waren und zu reaktionärsten, faschistischen Ansichten führten." 192 Punkt VI des Beschlusses der nationalen Parteiversammlung vom 27.-29. 6. 1957. 193 s. Beschluß des ZK der USAP zur Verbesserung der Hoch- und Fachhochschulzulassungsordnung vom 27.2. 1959, Punkt I. Ziffer 1 und 11. Ziffer I.c). 194 Beschluß des VII. Parteikongresses zu den historischen Erfahrungen vom Kampf für den Sozialismus und den bevorstehenden Aufgaben (30. 11.-5. 12. 1959) Punkt IV Ziffer 27. 195 Vgl. Bekes 1978,298. 196 Beschluß des nationalen Parteitags der USAP (27.-29.6. 1957) vorletzter Absatz zu I.

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Kräften im Inneren und Äußeren", abhing l97 • Obgleich die staatliche Lenkung der Schriftsteller mit Hilfe bei entsprechenden Organen tätiger Kommunisten möglichst ohne "kleinliche Einmischung" durch Überzeugungsarbeit in der Sache erfolgen sollte, wurde doch zugleich klargestellt, daß "oppositionelle Bestrebungen notfalls auch mit administrativen Methoden zu unterbinden seien,,198. Bezüglich des Verlagswesens wurde bedauert, daß "insbesondere Ende des Jahres 1956 und Anfang des Jahres 1957 revisionistische Auffassungen zum Tragen gekommen und in deren Folge auch Bücher unzutreffenden Inhaltes erschienen" seien. In der Belletristik sollte der Stil des sozialistischen Realismus gefördert werden; Werke mit "z.T. zweifelhaften Inhalten" durften nur noch mit entsprechendem klarstellenden marxistischen Vorwort erscheinen und (gänzlich) "gegnerische" gar nicht mehr; Dissertationen und ähnliche Abhandlungen sollten zwar durch einzelne Privatpersonen auf eigene Kosten veröffentlicht werden können, aber auch dies nur in "politischer Mitverantwortung des Verlages,,199. Für das Pressewesen wurden noch deutlichere Formulierungen gewählt. Die Presse habe Partei zu ergreifen, d. h. sie habe stets rückhaltlos auf der Grundlage der Diktatur des Proletariats zu stehen und ihr Standpunkt habe stets derjenige der Arbeiterklasse zu sein. Die Lenkung durch die Partei habe sich auf die gesamte Presse zu erstrecken, da nur auf diese Weise die Parteilichkeit des vertretenen Standpunktes zu gewährleisten und die Veröffentlichung dem M-L fremder Ansichten zu verhindern seien 2OO . Wichtigstes Lenkungsmittel sei die regelmäßige Information der (führenden) Redaktionsmitarbeiter 201 . In der Arbeit von Presse und Rundfunk feststellbare "ungesunde" Tendenzen, wie insbesondere das "Nörgeln um jeden Preis", eine übereilte Sensationsberichterstattung oder auch "politische Gleichgültigkeit", seien beschleunigt abzustellen; Kritik sei zwar das Recht und die Pflicht der Presse, sie habe jedoch stets durchdacht und begründet zu sein und müsse verdeutlichen, daß es dem Urteilenden um die Beseitigung von Mißständen und Fehlern im Interesse der Verteidigung der Politik der Partei, des Aufbaus des 197 Vgl. den Beschluß der politischen Abteilung des ZK der USAP bezüglich einzelner mit der Literatur zusammenhängender Handlungen vom 12.9. 1957 Ziffer 3: " ... Wer dazu nicht in der Lage ist, schließt sich selbst aus dem literarischen Leben aus." 198 Ebenda Ziffer 7. 199 Vgl. zum Ausgeführten den Beschluß der politischen Abteilung des ZK der USAP zum Buchverlagswesen vom 21. 11. 1957 Ziffer 1,4 und 14; im Beschluß des gleichen Organs vom 21. 6. 1960, in welchem die Grundprinzipien des 2. Fünfjahresplanes zum Buchverlagswesen festgeschrieben wurden, wird unter h) bestimmt, daß "die problematischen oder gar gegnerischen Werke, die jedoch von wissenschaftlichem, künstlerischem oder politischem Wert sind, auf der Grundlage sorgfältiger Auswahl in geschlossener Auflage ausschließlich für Fachkreise zu veröffentlichen sind." (Aus dem Kontext ergibt sich kein Hinweis auf eine absichtlich ironische Verwendung des solcher Art geradezu ad absurdum geführten Begriffes der "Veröffentlichung".) 200 Beschluß der politischen Abteilung des ZK der USAP zur Lage und den Aufgaben der Presse vom 21. 1. 1958 Punkt 11. Ziffer 1 zur Lenkung der Presse. 201 Punkt 11. Ziffer 2 (Fn. 200).

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Sozialismus und der Stärkung der Diktatur des Proletariates geht202 . Der Lehrstuhl für Journalistik an der ELTE erfüllte die von der Partei in ihn gesetzten Erwartungen nicht und wurde abgewickelt. 203 4. Die pragmatische Erwartungshaltung gegenüber der Kriminologie

Die ("offizielle") Parteidoktrin spiegelt jedoch nur einen Teil der Erwartungshaltung der herrschenden USAP gegenüber der Kriminologie und ihren Vertretern wider; denn diese war während des gesamten Untersuchungszeitraumes von einer auffälligen Ambivalenz gekennzeichnet. Neben den ideologischen Anforderungen gab es auch die pragmatische Forderung nach effizienten Beiträgen zur Reduzierung von Kriminalität. Da beides häufig kaum miteinander vereinbar war, mußten Prioritäten gesetzt werden, die sich nach der gesamtgesellschaftlichen Situation aus Sicht der Partei - richteten und mithin, wie diese, Veränderungen unterworfen waren. Ungeachtet vorübergehender gegenläufiger Tendenzen jeweils im Anschluß an (aus Sicht der Parteiführung) problematische außenpolitische Ereignisse wie z. B. den "Prager Frühling" oder auch die Gründung freier Gewerkschaften in Polen läßt sich bei retrospektiver Betrachtung eine deutliche Zunahme der Gewichtung der pragmatischen Anforderungen sowie eine mit dieser korrespondierende Lockerung des ideologischen "Korsetts" feststellen 204 . Dies mag z.T. sicherlich auch in der zunehmenden Desillusionierung der politischen Führung aufgrund des offensichtlich ausbleibenden Absterbens der Kriminalität als gesellschaftlicher Massenerscheinung begründet liegen, die einer differenzierteren realpolitischen Einschätzung den Weg öffnete 205 • Wertete man die nicht wegzuleugnende Krimi202 Punkt 11. Ziffer 3 (Fn. 200) zu den gegenwärtigen Aufgaben der Presse. An gleicher Stelle werden bestimmte (scheinbar selbst im Parteisinne zu "brave" Zeitungen (wie "Ungarisches Volk", "Ungarische Jugend" und "Frauenblatt") zu einer "kritischeren" Berichterstattung ermutigt, da die Zielgruppe der außerhalb der Partei stehenden Massen, nicht zuletzt die Akademiker, ansonsten (gar) nicht erreicht und mithin auch nicht im Sinne der Partei beeinflußt werden könnten. S. auch den von allgemeiner Unzufriedenheit geprägten Beschluß des gleichen Gremiums vom 13.2.1959. 203 Punkt 11 a) (Fn. 200) zu den Aufgaben der Kaderpolitik im Pressewesen. 204 Szab6, A. (1980, 16 f.) konstatierte im Verhalten der politischen Führung eine "grundlegende Wende" dergestalt, daß letztere der wissenschaftlichen Forschung (etwa seit den sechziger Jahren) keine ideologischen Schranken (mehr) auferlegte, da sie zur Lösung der jeweils aktuellen Probleme effiziente Beiträge erwartete. 205 Das als streng vertraulich eingestufte Schreiben der administrativen Abteilung des ZK der USAP vom 28. 10. 1965 (Ad/ 1093/1965 sz.) an das Exekutivkomitee ist geeignet, die Hintergründe zu erhellen. Auf Seite 1 wird dort ausgeführt, daß die Kriminalitätsentwicklung seit 1956 trotz aller gesellschaftlichen, rechtspolitischen und gesetzgeberischen Anstrengungen im wesentlichen stagniere. Die Polizei leite jährlich durchschnittlich über 100.000 Ermittlungsverfahren ein. Die Zahl der Straftaten habe sich zunächst nur unwesentlich verändert. In den letzten beiden Jahren sei jedoch ein deutlicher Anstieg feststellbar. Im 1. Halbjahr 1965 seien 19,3 % mehr Anklagen bei den Gerichten eingegangen als in demselben Zeitraum des Vorjahres. Die ansteigende Tendenz bei den Tötungs-, Körperverletzungs- und den Delik-

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nalität (zumindest) in einer sozialistischen Gesellschaft als Mißstand, so erschien ein bloßes Zuwarten (im Wortsinne) auf bessere Zeiten als wenig hilfreich, wenn nicht verantwortungslos, ein entsprechender Handlungsbedarf (zumindest) i.S. "angewandter", praxisnaher Bedarfsforschung mithin evident. Das Bestreben, solche zu fördern, zeigt sich beispielhaft und anschaulich in der gemeinsamen Richtlinie des Generalstaatsanwaltes, des Innenministers und des lustizministers (Nr. 17 /1960) zu den einheitlichen Berichtspflichten der Strafverfolgungsorgane sowie der gemeinsamen Richtlinie (Nr. 8/1961) des Generalstaatsanwaltes und des Innenministers 206 . Erstere verpflichtet die Strafverfolgungsorgane, (auch) Ursachen und Bedingungen festgestellter Straftaten zu erforschen, um eine wirksamere Kriminalitätsbekämpfung zu ermöglichen; letztere statuiert die Aufgabe, zur Feststellung der "Gesellschaftsgefährlichkeit" des Taters sich u. a. auch mit seiner "Klassenzugehörigkeit", seiner Einstellung zur sozialistischen Gesellschaft, den Regeln des Zusammenlebens und der Arbeit sowie seinen politischen und weltanschaulichen Ansichten zu befassen. Es zeigte sich, daß zu Fortschritten in der Kriminalitätsbekämpfung führende Beiträge von einer Wissenschaft, die nicht nur bei der Wahl der Forschungsaufgaben, sondern auch den Ergebnissen eng an ideologische Vorgaben gebunden wurde, nicht zu erwarten waren. Die Kosten einer solchen ,,Scheinwissenschaft,,207 standen spätestens ab dem Zeitpunkt in krassem Mißverhältnis zu ihrem gesellschaftlichen Nutzen - sei dieser auch aus der Sicht der Parteiführung bestimmt -, zu dem ihre Ergebnisse nicht einmal mehr zur Legitimation taugten, da sie selbst von der Partei nicht mehr ernst genommen wurden. Demgegenüber wird konstatiert, daß effiziente praktische Tatigkeit die vertiefte (wissenschaftliche) Auseinandersetzung mit den aktuellen Fragen erfordert208 . Die Ambivalenz der Erwartungshaltung hatte mitunter seltsame, durchaus charakteristische Kompromißlösungen zur Folge. Solange die ideologische Verpönung der Kriminologie wirksam war, führte sie dazu, daß als notwendig erachtete kriminologische Forschung nur unter dem unzutreffenden Etikett "Kriminalistik" zugelassen wurde. So konnte noch 1959/60 die ursprünglich als "Nationales kriminologisches Institut" geplante Forschungseinrichtung nur unter der Bezeichnung "Nationales Kriminalistisches Institut" aus der Taufe gehoben werden, obgleich in ihrer Satzung als Zweck bereits von vornherein kriminologische und kriminalistische Forschung statuiert wurde 209 . Zugleich belegt allein die Schaffung dieses Institutes, ten, die sich gegen persönliches Eigentum und Vennögenswerte richteten, sei unzweifelhaft: die der ersteren steige seit 1960 kontinuierlich, die der letzteren seit 1956. Die Zahl der jugendlichen Täter bewege sich seit 1957 konstant um die 7.000. Der durch Delikte gegen sozialistisches Eigentum verursachte Gesamtschaden sei ebenfalls angestiegen und soll 1964 bei über 135 Millionen Forint gelegen haben. 206 Jeweils wiedergegeben bei Vennes 1962, 92f. 207 In diesem Zusammenhang erscheint der Begriff verwendbar. Gleichwohl ist nicht von einer "self-fulfilling prophecy" auszugehen. 208 Vgl. hierzu die Grundsätze des ZK der USAP, veröffentlicht in TSz 1965, Heft 4, S. 1. 209 Vgl. näher zu diesem "Etikettenschwindel" Gödöny 1986,9; Pusztai unveröffentlichtes Manuskript S. 80 f.

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daß die Parteiführung spätestens seit 1959 die Förderung der Wissenschaftlichkeit der Kriminalitätsbekämpfung als eine wichtige Aufgabe erachtete und mithin nicht mehr auf das allmähliche Absterben im Zuge des fortschreitenden Aufbaus des Sozialismus vertraute 21O • 5. Sonstige "ungeschriebene Spielregeln" kriminologischer Forschungstätigkeit

Die möglichen Reaktionsformen der USAP auf wissenschaftliche Forschungsvorhaben bzw. -ergebnisse ließen sich aus übereinstimmender Sicht der Befragten durch die drei Alternativen: fördern, dulden oder verbieten ("tamogatni, türni, tiltani") charakterisieren. Ebenso erwartungsgemäß differierten die Ausführungen jedoch stark, wenn es um die Frage ging, wo die praktisch bedeutsame Grenze zwischen dem, was noch geduldet bzw. dem, was bereits verboten bzw. gar sanktioniert wurde, verlief. Szab6, A. vertrat die Ansicht, daß etwa ab 1960 grundsätzlich alles schlüssig vertreten werden konnte, da die Partei ihren Anspruch auf grundsätzlichen Vorrang ihrer Auffassung aufgegeben hatte 211 • Auch Deri zufolge war alles erlaubt, mit Ausnahme einer direkten Schuldzuweisung an die Partei(führung), sei es dergestalt, daß sie durch eigenes Versagen für einen Kriminalitätsanstieg verantwortlich sei oder sei es gar, daß gegen sie der Vorwurf krimineller Praktiken erhoben würde. Vergleichsweise sibyllinisch muteten demgegenüber Vighs Ausführungen an, denen zufolge der Wissenschaftler seit 1965 grundsätzlich frei und "allenfalls" durch "fehlende finanzielle Mittel bzw. seine intellektuelle Leistungsfähigkeit" beschränkt war. Demgegenüber räumten die übrigen Befragten fast ausnahmslos zumindest die Existenz von "Tabus" ein, die besser nicht in Frage zu stellen waren. Genannt wurden u. a. die These von der Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsstruktur gegenüber der kapitalistischen, der Führungsanspruch der Partei im allgemeinen sowie (kritische) Instanzenforschung im besonderen. Als "sensibel" galten die Themen Jugendkriminalität im Sozialismus und auch Drogenkriminalität, die es "offiziell" in Ungarn zumindest bis zur Mitte der achtziger Jahre nicht gab, während demgegenüber empirische Untersuchungen zur Todesstrafe "nur" als nicht opportun erschienen, da von vornherein feststand, daß in diesem Bereich politisch nichts zu bewegen war. Auch bezüglich Dunkelfe1duntersuchungen wurde bis einschließlich 1982 kein hinreichender Bedarf anerkannt, wobei in diesem kosten- und arbeitsintensiven Bereich die Nichtförderung faktisch einem Verbot gleichkam. Erwartungsverletzend soll auch die Verwendung bestimmter s. hierzu bereits o. S. 49 ff., 60 f. (insb. Fn. 205). Es sei an dieser Stelle ausdrücklich klargestellt, daß Szab6, A. - seinen eigenen Angaben zufolge - nie Mitglied der U(S)AP gewesen ist und nach Niederschlagung des Volksaufstandes etwa 2,5 Jahre aufgrund des Vorwurfs der Beteiligung am Aufstand inhaftiert war. Seine Nicht-Mitgliedschaft, die auch im Kreise seiner Kollegen allgemein bekannt ist, soll faktisch politische Voraussetzung seiner Wahl zum Verfassungsrichter gewesen sein. 210

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Begriffe wie beispielsweise "Unterschicht" (im Zusammenhang mit der sozialistischen Gesellschaftsstruktur) gewesen sein. Sie wurden ersetzt durch Umschreibungen wie "mehrfach nachteilige Lage,,212, was zumindest in Fachkreisen zutreffend interpretiert wurde. Ein Wort von kaum zu überschätzender Wirkung soll das Modaladverb "noch" gewesen sein (z. B.: "es gibt in unserer Gesellschaft noch bestimmte Probleme", anstelle von "es gibt in unserer Gesellschaft bestimmte Probleme"). In den Augen von Parteifunktionären soll es geeignet gewesen sein, aus Kritik konstruktive Kritik werden zu lassen, indem zumindest die Behebbarkeit von Schwierigkeiten im Rahmen sozialistischer Verhältnisse und damit Konsens in grundsätzlichen Fragen signalisiert wurde - und die Fachkollegen soll es nicht gestört haben, da sie die "Relativierung" einzuordnen wußten. Obgleich es vermutlich übertrieben wäre, von der Entwicklung einer Art Geheimsprache auszugehen, bestand bei den Befragten doch darüber Einigkeit, daß die "Kunst, Worte in Staniol zu verpacken,,213 kultiviert wurde. I.Ü. ist selbstverständlich auch ein Wandel in (dem Grad) der Tabuisierung feststellbar, der vordringlich durch diejenigen bewirkt wurde, die bestrebt waren, die ihnen gesteckten Grenzen auszuloten und auszuschöpfen, wenn nicht gar (vorsichtig) zu verschieben 214 . Zu den bereits bis 1982 überwundenen Tabus gehörten beispielsweise die Klassifizierung der Kriminologie als eine autonome empirische Wissenschaft (anstelle einer "bürgerlichen Scheinwissenschaft"), die These von dem zwangsläufigen Rückgang bis hin zum allmählichen Absterben der Kriminalität im Rahmen einer sozialistischen Gesellschaft und die damit eng verwandte These, Kriminalität sei dem Sozialismus wesensfremd und hätte in diesem zumindest keine gesellschaftlichen Ursachen.

Ferner gab es auch ungeschriebene Spielregeln, die sich auf das persönliche Verhalten der Wissenschaftler bezogen. So stellte z. B. die Genehmigung einer Dienstreise in das Ausland oder gar eines Forschungsaufenthaltes im westlichen Ausland eine Vergünstigung dar, die nicht gänzlich bedingungslos gewährt, sondern regel212 s. etwa die Monografie von Vigh u. a. 1988 mit dem Titel "Der Zusammenhang zwischen nachteiliger gesellschaftlicher Lage und Delinquenz", in welcher die "nachteilige gesellschaftliche Lage" u. a. aus entsprechenden Einkommens- bzw. Wohnverhältnissen, der Schulbildung sowie der beruflichen Tätigkeit abgeleitet wurde. 213 Dieses Bild wurde unabhängig voneinander von mehreren Interviewpartnern gebraucht, ohne daß es dem Verfasser als feste Redewendung aus dem Ungarischen bekannt (gewesen) wäre. Er hat es auch seither nicht mehr gehört. 214 Ein relativ zuverlässiger und zugleich ungefährlicher Weg, die Grenzen des "Machbaren" zu sondieren, soll z. B. darin bestanden haben, die Arbeit dem RSz (bzw. BSz) zur "Veröffentlichung" einzureichen. Da diese Zeitschrift, als Organ der Innenbehörden für den Dienstgebrauch bestimmt und im freien Handel nicht erhältlich war (an den Universitäten wurde sie zwar geführt, vor unautorisierten Personen, wie beispielsweise auch Studenten, jedoch unter Verschluß gehalten), und somit auch keine Außenwirkung über den begrenzten Kreis von Fachvertretern hinaus bestand, konnten die Inhalte etwas freier formuliert werden. Zusätzlich gab die Redaktion "notfalls" Anregungen, in welcher Form, d. h. mit welchen Änderungen und Aussparungen ein eingereichter Text erscheinen könne und behielt sich schließlich sogar das Recht zu eigenen Kürzungen vor.

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mäßig mit der Verpflichtung verbunden wurde, anschließend einen Bericht in fünffacher Ausfertigung einzureichen, wovon ein Exemplar für die stets an Informationen aus dem Ausland interessierte Abteilung des Innenministeriums bestimmt war. 215 Ansonsten ergab sich bei den Befragungen kein einheitliches Bild von der Erwartungshaltung, der sich die Wissenschaftler von Seiten der USAP bzgl. ihrer beruflichen Tätigkeit wie auch ihres außerdienstlichen Verhaltens ausgesetzt sahen oder fühlten. Dies dürfte verschiedene Ursachen haben. Zum einen - und vor allem - sind an den verschiedenen in Betracht kommenden Arbeitsstellen, d. h. insbesondere den Universitäten, der kriminologischen Abteilung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, sowie dem OK(K)RI jeweils unterschiedlich hohe Anforderungen an die "politische Zuverlässigkeit" der Mitarbeiter i. S. d. USAP gestellt worden. Die höchsten diesbezüglichen Anforderungen scheinen - erwartungsgemäß - in dem OK(K)RI wirksam gewesen zu sein. So wurde wiederholt und übereinstimmend berichtet, daß die Parteimitgliedschaft dort zwingende Voraussetzung für einen Aufstieg in der Hierarchie war und bereits die Stellung eines Abteilungsleiters ohne eine solche nicht erreichbar gewesen sein S01l216. Demgegenüber war eine wissenschaftliche Karriere an den Universitäten sowie der UAW auch solchen Personen möglich, die nicht Mitglieder der USAP waren 217 • Eine Parteimitgliedschaft soll auch nicht geeignet gewesen sein, eine größere Toleranz der Kaderverwaltung gegenüber der Veröffentlichung kritischer Auffassungen zu bewirken218 , so daß derlei taktisch motivierte Überlegungen nicht für einen Eintritt sprachen. In mehrfacher Hinsicht ausgewirkt hat sich auch der Umstand, daß das O(K)KRI dem Generalstaatsanwalt Ungarns unterstellt ist. So führte dies zum einen dazu, daß die Einstellungsbedingung der Praxiserfahrung bei Juristen in der 215 Hierauf machte Györgyi im Gespräch mit dem Verf. aufmerksam. Zugleich betonte er, daß der bloße Umstand des Verfassens eines Berichtes noch nichts über dessen Inhalt aussagt. Tatsächlich sei die lediglich formale, "inhaltsleere" Erfüllung der ,,Berichtspflicht" sanktionslos möglich und s.E. in der Praxis auch die Regel gewesen. Lü. soll die Versuchung, im Rahmen einer genehmigten Dienstreise in die frühere Bundesrepublik einen nicht genehmigten Abstecher in das frühere Westberlin zu riskieren, aufgrund der Kenntnis (oder auch nur verbreiteten Annahme [7]), die zuständigen ungarischen Innenbehörden hätten Zugang zu den Passagierlisten der betreffenden Fluggesellschaften, sehr gering gewesen sein. 216 Daß diese Regel (zumindest in den achtziger Jahren) jedoch nicht (mehr) absolut galt, ergibt sich aus der Ernennung Pusztai's (als eines Nichtparteimitgliedes) zum Nachfolger von Gödöny als Direktor des OKKRI. 217 Das beste Beispiel hierfür dürfte Szab6, A. sein, der nach seiner Haftentlassung 1959 von dem damaligen Dekan an die JATE "geholt" worden war, als - seiner eigenen überzeugenden Einschätzung zufolge - , aufgrund ihrer Vergangenheit als "politisch unzuverlässig" geltenden Person eine Anstellung in der Justiz ebensowenig möglich war, wie es später eine Tätigkeit als hauptamtlicher Mitarbeiter des O(K)KRI gewesen wäre. Etwa Mitte der achtziger Jahre wurde Szab6, A. Leiter der kriminologischen Abteilung der UAW. Im Gegensatz zu der Ernennung Pusztais zum Direktor des OKKRI handelt es sich hierbei nicht um ein Beispiel mit Ausnahmecharakter. 218 Eine solche Einschätzung wurde von keinem der Interviewpartner vertreten. Demgegenüber wurde die Nichterheblichkeit von einigen ausdrücklich betont.

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Regel als Erfordernis einer staatsanwaltschaftlichen Fachprüfung ausgelegt wurde219 . Mithin ist eine Filterwirkung in zweierlei Hinsicht wahrscheinlich, da zum einen Bewerber eingestellt wurden, die sich im Anschluß an ihr juristisches Studium für eine Tätigkeit als Staatsanwalt entschieden hatten, und zum anderen davon auszugehen ist, daß die zweijährige Sozialisation in dieser (im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland zumindest nicht minder hierarchisch und autoritär strukturierten) Behörde zwangsläufig persönlichkeitsformende Wirkung entfaltet 220 • Zum anderen wurde Loyalität gegenüber der politischen Führung zumindest in Gestalt von Mäßigung im Rahmen öffentlicher Verlautbarungen oder Stellungnahmen erwartet 221 . Ferner ist in diesem Kontext stets zu berücksichtigen, daß letztlich auch die USAP keinen gleichsam monolythischen Block darstellte, sondern der Persönlichkeit des jeweils zuständigen Parteifunktionärs, welche faktisch in erster Linie die durch ihn verkörperte Erwartungshaltung prägte, (ggfs. sogar entscheidende) Bedeutung zukam. Im übrigen liegt eine gewisse Diffusität geradezu im Wesen "ungeschriebener Spielregeln" und stellt sogar ein funktionales Element derselben dar, indem sie bei 219 Die zweistufige Juristenausbildung verfolgt in Ungarn nicht das Ziel eines idealiter gleichermaßen zum Richter, Rechtsanwalt, Staatsanwalt oder auch Verwaltungsjuristen befähigten "Einheitsjuristen". An eine einheitliche universitäre Ausbildung - sie führt obligatorisch zur Verleihung des Doktortitels - schließt sich vielmehr eine in der Regel zweijährige fachspezifische, praktische Ausbildung bei einem Gericht oder der Staatsanwaltschaft oder einer sonstigen Behörde an, die mit einer Prüfung endet, in der die Befähigung für die konkrete Laufbahn festgestellt wird. 220 Die Intensität des Einflusses des unmittelbaren Dienstvorgesetzten scheint, auf bundesdeutsche Verhältnisse übertragen, vergleichbar mit der Situation eines Staatsanwaltes, der sich über einen Zeitraum von zwei Jahren in der Gegenzeichnung befindet. Auch ohne eine staatsanwaltschaftliche Fachprüfung wurde der Jurist lrk, F. hauptamtlicher Mitarbeiter des OKKRI, da ihm seine Tätigkeit bei den Budapester Verkehrsbetrieben als entsprechende Berufspraxis anerkannt wurde. Er selbst möchte keineswegs ausschließen, daß ihm seine Verwandschaft mit Albert lrk (s. zu diesem oben S. 47 f.) dabei zugute kam. Er schließt jedoch aus, daß er bereit gewesen wäre, für die Anstellung eine, wenn auch nur vorübergehende, Tätigkeit als Staatsanwalt in Kauf zu nehmen. Bei anderen Interviewpartnern, wie etwa Bikes und Uvai, ging dem Entschluß zu einer wissenschaftlichen Karriere eine Fachausbildung zum Richter bzw. Staatsanwalt voraus. 221 Dies bestätigte sich anschaulich im Zusammenhang mit einem in der Ausgabe vom 27. 10. 1978 (S. 13) der "Magyar Hirlap" ("Ungarisches Nachrichtenblatt") erschienenen Zeitungsinterview, in welchem lrk, F. kritisch zu der vom Parlament gerade verabschiedeten Reform des Strafgesetzbuches Stellung bezog und welches Passagen enthielt, die als grundlegende Kritik am bestehenden Rechtssystem zu verstehen waren. Der Artikel hatte ein Nachspiel. Noch am selben Tag mußte Gödöny persönlich bei dem Generalstaatsanwalt vorstellig werden, um zu diesem Vorfall Stellung zu nehmen. Nach diesem Gespräch ließ Gödöny, gleichfalls noch an diesem Tag, lrk, F. Rechenschaft ablegen. Dieser konnte anhand der Korrespondenz nachweisen, daß das zum Abdruck gelangte Interview in dieser Form von ihm nicht freigegeben worden war und die durch ihn autorisierte Fassung die beanstandeten Passagen nicht enthielt. Nach lrk's eigener Einschätzung war dies ausschlaggebend, da er "ansonsten vermutlich nicht einmal durch Gödöny hätte gehalten werden können".

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den Nonnadressaten ein Klima der Verunsicherung erzeugt, in welchem vorauseilender Gehorsam gut gedeihen kann. Sofern keine Sanktionen erfolgt sind, stellt es eine nicht verifizierbare und stark subjektiv geprägte Wertung des Einzelnen dar, wie weit seine Freiheit reichte. Daß durch die Unbestimmtheit und das starke personale Element die Gefahr kaum kontrollierbarer Rationalisierungen besteht, ist nicht zu übersehen. 222 Schließlich könnten Divergenzen im geschilderten Maß an (Un-)Freiheit auch durch auf Eigeninteressen beruhenden, bewußten Über- bzw. Untertreibungen verursacht worden sein, wofür konkrete Anhaltspunkte jedoch nicht ersichtlich wurden. 6. Sanktionsformen der Kaderverwaltung223

a) Allgemeines

Im Rahmen einer Erörterung des Einflusses der Erwartungshaltung der USAP auf die Tätigkeit von Wissenschaftlern kann das, für den Fall einer Erwartungsverletzung drohende Sanktionspotential der Kaderverwaltung nicht außer Betracht bleiben. Es umfaßt eine Reihe von (administrativen) Maßnahmen, die dazu bestimmt und (zumindest abstrakt-generell auch) geeignet waren, bei dem Adressatenkreis von "disziplinierender" Wirkung zu sein, und die von vergleichsweise leichten bis zu existentiellen Eingriffen reichten. Berichtet wurde von offen sichtlichem Übergehen bei anstehenden Beförderungen, der Nichtgenehmigung von Auslandsreisen bzw. der Ablehnung oder Einziehung des Reisepasses, persönlichen Publikationsverboten, "infonnellen" Abmahnungen, der beruflichen Degradierung LS. faktischer Entmachtung bis hin zur Entlassung, sowie selbst von Ausweisungen 224 . Sieht man von letzteren ab, ist festzustellen, daß die potentiellen Reaktionen sich mithin in erster Linie "nur" auf die weitere berufliche Karriere des Betreffenden bezogen, wobei sie in ihrer Wirkung faktischen Berufsverboten zumindest nahekommen konnten. Inhaftierungen oder Gefahren für Leib oder Leben wurden demgegenüber im Untersuchungszeitraum nicht bekannt. Gleichwohl waren es gerade diese berufsbezogenen Maßnahmen, die von dem konkreten Adressa222 Im allgemeinen wird ohnehin von Unterschieden in der Fähigkeit und Bereitschaft des Einzelnen, ihm gesetzte Grenzen unter Inkaufnahme auch eigener Risiken, auszuloten und sich ggfs. gar über diese hinwegzusetzen, (als nicht spezifisch ungarisches Phänomen) auszugehen sein. 223 s. zu den historischen und terminologischen Aspekten des Begriffes "Kaderverwaltung" Balla 1972, 154ff.; zu ihren positiven und negativen Leitbildern s. Balla 1973 a), 101 ff. 224 Als Sonderform soll vereinzelt auch die sog. "stille Ausweisung" vorgekommen sein, wenn einer legal - z. B. aufgrund einer Gastdozentur - im Ausland befindlichen Person bedeutet wurde, sie sei in Ungarn nicht mehr erwünscht und sollte nicht mehr zurückkehren. Bei Parteimitgliedern kamen auch Parteistrafen, deren schwerste Form der Parteiausschluß war, in Betracht.

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tenkreis als besonders belastendes Übel empfunden wurden. Aber auch die Versagung einer Auslandsreise oder die Einziehung des Reiseausweises, die bei vordergründiger Betrachtung nur als Ablehnung oder Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes und somit als relativ leichte Eingriffe erscheinen, stellen sich in der subjektiven Perspektive eines Betroffenen, für den der - gerade in sozialistischen Ländern verständlicherweise besonders verbreitete - Wunsch, "möglichst viel VOn der Welt zu sehen", einer der bestimmenden Gründe gewesen ist, sich unter Inkaufnahme eines gegenüber anderen potentiellen Tatigkeitsfeldern deutlich geringeren Einkommens für eine wissenschaftliche Karriere zu entscheiden, anders dar. Da aber das Privileg, im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung deutlich besserer Reisemöglichkeiten im Rahmen wissenschaftlichen Austausches 225 tatsächlich ein starker motivationaler Faktor des Adressatenkreises (häufig bereits) bei der Berufswahl war, war auch die im Raum stehende Drohung des Entzuges gerade dieser Möglichkeiten geeignet, den Betroffenen zu veranlassen, nach seiner Rückkehr seiner Berichtspflicht in fünffacher Ausfertigung 226 zumindest "formell" nachzukommen. Es konnten keine Fälle ermittelt werden, in denen Kriminologen entlassen, ausgewiesen oder mit einem persönlichen Veröffentlichungsverbot belegt worden wären. Aber selbst wenn es keinen entsprechenden Fall gegeben haben sollte, würde dies nicht den Schluß rechtfertigen, diese Formen der Sanktionierung seien ohne Einfluß auf ihr Verhalten geblieben. Das Ausbleiben einer diesbezüglichen Sanktionierung ließe sich vielmehr gerade auch als Folge einer bestehenden Wirkung i.S. effizienter (negativer) Generalprävention deuten. Mithin erscheint es wahrscheinlich, daß auch Kriminologen zumindest mittelbar Betroffene solcher Maßnahmen wurden227 • b) Konkrete (Einzel-)Fälle

Unmittelbar trafen solche Sanktionen vor allem Soziologen und Philosophen. Aufgrund des potentiellen Einflusses der statuierten Exempel auch auf ungarische Kriminologen (und damit die ungarische Kriminologie) erscheint eine summarische Darstellung einiger Fälle angebracht, die in sozialwissenschaftlichen Fachkreisen besondere Aufmerksamkeit und Besorgnis erregten. Durch Beschluß des Sekretariats des ZK der USAP vom 14.5. 1973 wurden der Soziologe (und ehemalige Ministerpräsident) Hegedüs, A., sowie die Philosophen Kis, J. und Vajda, M. aufgrund "ihrer Ansichten, die dem Marxismus-Leninismus 225 So berichtete z. B. Györgyi, im Rahmen seiner Tätigkeit als Hochschuldozent deutlich mehr Auslandsreisen gehabt zu haben denn als Generalstaatsanwalt Ungarns. Tatsächlich konnten mehr als drei Viertel der befragten (ehemaligen) Hochschulangehörigen bereits auf (einen oder auch mehrere) längere (3-12 monatige) Forschungsaufenthalte im Ausland zurückblicken. 226 s. hierzu oben S. 63 f. (einseht. Fn. 215). 227 Dies wurde auch in mehreren Interviews ausdrücklich bestätigt.

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zuwiderlaufen" 228 aus der Partei ausgeschlossen. Zur Begründung wurde ausgeführt, diese leugneten die Existenz der Arbeiterklasse als Klasse sowie die revolutionäre Rolle und die historische Bedeutung der internationalen Arbeiterbewegung, zweifelten den sozialistischen Charakter der sozialistischen Länder und ihre Errungenschaften an, verkündeten den Pluralismus des Marxismus sowie die Existenzberechtigung mehrerer Marxismen und brächen mit dem theoretischen Vermächtnis des Marxismus-Leninismus 229 . Hegedüs, der sich in den sechziger Jahren erfolgreich für die Wiederzulassung der Soziologie eingesetzt und zwischen 1963 und 1968 Direktor des maßgeblich von ihm aufgebauten soziologischen Forschungsinstitutes an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften gewesen war, wurde sowohl aus dieser Position als auch vom Institut entfernt 230 und an ein kleines und unbedeutendes Institut versetzt. Vajda, Lehrstuhlinhaber in Debrecen, wurde aus dem philosophischen Institut entlassen.

Das Philosophenehepaar Feher, F. 23l und Heller, wurde ausgewiesen.

A.

(beide Schüler bei Lulaics)

Einem anderen Ehepaar, der Soziologin Markus, M. und dem Philosophen Markus, Gy., wurde während eines legalen Auslandsaufenthaltes zur Wahrnehmung einer Gastdozentur mitgeteilt, es sei künftig in Ungarn nicht mehr erwünscht und dürfe nicht mehr zurückkehren. Der Literaturkritiker und Sozialarbeiter Konrad, Gy., der zwischen 1965 und 1973 am Wissenschaftlichen Forschungs- und Planungsinstitut für Städtebau mit stadtsoziologischen Forschungsarbeiten beschäftigt war und im Rahmen dieser Tatigkeit gemeinsam mit Szetenyi, I. die soziologischen Probleme der neuen Wohnsiedlungen sowie deren Zusammenhang mit Verslumungstendenzen und den "Weg der Intellektuellen zur Klassenherrschaft" kritisch und eindringlich beschrieb 232 , 228 Zitiert nach der Meldung der ungarischen Nachrichtenagentur MT! vom 8. 6. 1973 über den Parteiausschluß der Genannten. 229 s. Beschluß des Sekretariats des ZK der USAP vom 14.5. 1973, abgedruckt im Parteiorgan "Partelet" (= "Partei leben") XVIII, 6, S. 44. 230 Sein Nachfolger als Direktor wurde 1969 der gelernte Jurist (und spätere Justizminister) Kulcsdr, der 1968 in der Soziologie promoviert hatte. 231 Dieser war verantwortlicher Redakteur der sozialkritischen Zeitschrift "Daraber" (= "Tagelohn") gewesen. 232 "Wie wir gesehen haben, werden von den Wohnsiedlungen hauptsächlich Angehörige der (oberen) Mittelschicht der Stadteinwohner und unter ihnen hauptsächlich die aufstrebenden, mobilen jungen Familien angezogen ... An die Stelle jener Familien, die aus dieser letzten Zone in die Wohnsiedlungen - evtl. auch in Mehrfamilienhäuser - umziehen, rücken hauptsächlich über niedrigere Einkommen und Qualifikation verfügende, aus demographischem Gesichtspunkt weniger konkurrenzfähige (ältere oder kinderreiche oder teilweise aufgelöste) Familien nach, durch die, zusammen mit den in diesen Wohngebieten verbleibenden Familien gleicher Art, der Slum-Charakter dieser Stadtteile unterstrichen wird .... , dürfen wir aufgrund unserer Beobachtungen mit Sicherheit annehmen, daß in dem vergangenen Jahrzehnt sich in den Villenvierteln unserer Städte - und jüngstens gerade in zunehmendem

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verlor seine Stellung und erhielt Veröffentlichungsverbot; Szetenyi emigrierte freiwillig.

Kemeny, I. durfte seine Forschungsarbeiten über die Armut nicht veröffentlichen 233 . Aufschlußreich und sicherlich zumindest für alle Sozialwissenschaftler Ungarns von Interesse und Bedeutung war, wie die Sanktionen legitimiert wurden 234 ; Allgemein wurde Hegedüs, Kis, Vajda, Heller, sowie M. und Gy. Markus unter Bezugnahme auf meist nicht nachprüfbare Quellenangaben (in sb. zur Veröffentlichung nicht zugelassene Manuskripte) vorgeworfen, sie hätten durch willkürliche Interpretation von Grundbegriffen und Sätzen des Marxismus sowie einzelner aktueller gesellschaftlicher Erscheinungen, der Form nach eine marxistische Analyse vortäuschend, die Theorie und die Politik der marxistisch-leninistischen Parteien einer Revision unterzogen und sich für eine Pluralisierung des Marxismus eingesetzt. Aufgrund des eindeutigen politischen Inhaltes der Arbeiten, erforderten sie neben wissenschaftlicher Kritik auch eine strenge politische Beurteilung. Insbesondere Hegedüs und M.Markus hätten ihre politische Konzeption "am eindeutigsten und in gemeinverständlicher Form" formuliert 235 • Inhaltlich wurde den beiden vorgeworfen, sie behaupteten, die sozialistischen Länder üsteuropas würden ihrem eigenen Anspruch sozialistisch zu sein nicht gerecht, da sie weder für eine größere wirtschaftliche Entwicklung noch für humanere gesellschaftliche Bedingungen gesorgt hätten als die entwickelten kapitalistischen Gesellschaften. Ferner nähmen die Genannten zu Unrecht an, in den sozialistischen Ländern seien völlig geschlossene hierarchische Gesellschaftsstrukturen entstanden und der Unterschied zwischen entwickelten kapitalistischen und osteuropäischen, sozialistischen Ländern sei nicht struktureller Natur, sondern entspräche dem Verhältnis zwischen entwickelten und weniger entwickelten Gesellschaften. Soweit die Autoren demgegenüber als "sozialistische Alternative" eine Versöhnung von wirtschaftlicher Effizienz und Humanisierung, welche ohne eine ernste strukturelle Umgestaltung der sozialistischen Gesellschaften nicht möglich sei, propagierten, seien ihre Ausführungen nebulös, enthielten nur globale Kritik und spekulative und gefährliche Utopien, nicht aber konkrete, brauchbare Ansätze. Tempo - die oberen Mittelschichten konzentrieren, während die nach dem Krieg dahin geratenen sozialen Gruppen niedrigeren Einkommens verdrängt werden." Szetenyi/ Konrdd 1969, 144 ff.; in deutscher Sprache auch veröffentlicht in Balla (Hrsg.) 1974,98 ff. 233 Dieser Hinweis beruht auf einer Auskunft von Balla; diesbezügliche Literatumachweise sind nicht möglich. 234 s. zum nachfolgenden die Stellungnahme der kulturpolitischen Arbeitsgemeinschaft bei dem ZK der USAP über die antimarxistischen Ansichten einiger Sozialforscher, die (wie zur Warnung) in der Sz 1973, Heft I, S. 45-55, sowie in der MFSz 1973, Heft 1/2, S. 159169, veröffentlicht wurden. 235 Diese Passage läßt den Eindruck entstehen, stärker verklausulierte und dadurch für weniger Leser verständliche Kritik wäre nachsichtiger behandelt worden.

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Heller wurde vorgeworfen, sie spreche der Oktoberrevolution die Qualität einer gesamtgesellschaftlichen Revolution ab und behaupte, die sozialistischen Revolutionen könnten auf dem bisherigen Weg ihr Ziel, die radikale Umgestaltung des Kapitalismus, nicht erreichen, da sie letztlich nur im Kapitalismus entstandene Forderungen verfolgten und somit in dessen Denkschablonen verblieben seien. Vajda negiere die Existenz einer "objektiven Wahrheit" und halte die Wahrheit für eine "praktische Frage", über welche die Kräfteverhältnisse innerhalb bzw. zwischen den Gesellschaften entschieden. Insbesondere sei s.E. auch vorstellbar, daß unterschiedliche Gesellschaften zur gleichen Zeit jeweils "ihre Wahrheit" haben könnten. Auch leugne er die Existenz eines "authentischen Marxismus" und die Gesetzmäßigkeit des menschlichen Verhaltens sowie des Ganges der Geschichte, so daß im Ergebnis auch die Entstehung der sozialistischen Gesellschaft keine historische Notwendigkeit sei.

Kis und Gy. Markus schließlich hätten gar darüber hinausgehend "nicht nur die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse negiert", sondern gar behauptet, es gäbe keine am Sturz des kapitalistischen Systems einheitlich interessierte Arbeiterklasse, und wer gleichwohl mit diesem Anspruch als solchem auftrete, handele mit falschem Bewußtsein236 .

Im Hinblick auf den hier vorliegenden Gesamtkontext ist zwar festzustellen, daß eine generalpräventive Wirkung der geschilderten Maßnahmen nur im Anschluß an diese, d. h. erst etwa ab Anfang der siebziger Jahre, möglich gewesen sein kann. Durchaus von disziplinierender Wirkung konnten jedoch zuvor bereits die Strukturen sein, die entsprechende Maßnahmen ermöglicht und welche in diesen ihren sichtbaren Ausdruck gefunden haben 237 . Daß eine erkennbare Solidarisierung unter ungarischen Sozialwissenschaftlern ausblieb, könnte, neben einer verständlichen Vorsicht, u. a. auch in der Auswahl der Sanktionierten begründet liegen. Vereinzelt wurde z. B. mitgeteilt 238 , sie seien (zumindest überwiegend) jüdischer Her236 Vgl. auch zum Ganzen Balla 1973 b), der (S. 4ooff.) anhand der zugänglichen Veröffentlichungen von Hegedüs und Mdrkus, M. die Schlüssigkeit der Vorwürfe überprüfte und dabei zu differenzierten Ergebnissen gelangte. 237 So resümiert Balla (1973 b], 405), daß die Betroffenen "mit politischen und persönlichen Konsequenzen aus der Tatsache konfrontiert werden, daß sie in ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit Fehleinschätzungen betreffs des Ausmaßes der Erstarkung und der Fähigkeit zur Selbstanalyse eines Gesellschaftssystems, Fehleinschätzungen betreffs der Notwendigkeit des Kommens von umfassenden Gesellschaftsreformen gemacht und nicht bedacht haben, daß es immer die jeweiligen Gebote und Verbote der Partei sind, die den Rahmen einer als ,gesetzmäßig' erachteten gesellschaftlichen Entwicklung abgeben." Demgegenüber erscheint jedoch auch vorstellbar, daß die Betroffenen nicht Fehleinschätzungen erlagen, sondern bewußt Risiken eingingen sind - getragen von der Auffassung, ansonsten noch mehr zu verlieren. 238 Auf diesen Gesichtspunkt wies lrk im Gespräch hin, der darin eine besondere Perfidität der Vorgehensweise der Machthaber erkennt und in diesem Zusammenhang nicht ausschließen möchte, daß auch Eigeninteressen nachrückender Wissenschaftler entsolidarisierend gewirkt haben könnten.

11. Einzelne ausgewählte kriminologische Forschungsbereiche

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kunft gewesen, und dieser Umstand sei in Teilen der ungarischen Bevölkerung etwa vorhandenen antisemitischen Gefühlen entgegengekommen.

11. Einzelne ausgewählte kriminologische Forschungsbereiche239 1. Grundlagenforschung

a) Erste Studien während des Untersuchungszeitraums

Vor dem Hintergrund der skizzierten Erwartungshaltung der politischen Führung war kriminologische Grundlagenforschung von nur denkbar nachrangig(st)em Interesse. An ihrer Notwendigkeit mußten zum einen zunächst in besonderer Weise ideologische Zweifel aufkommen, die sich auf das prognostizierte allmähliche Absterben ihres Gegenstandsbereiches stützten. Zum anderen versprach sie, allenfalls langfristig und mittelbar von praktischem Nutzen (etwa bei der Kriminalitätsbekämpfung) zu sein. Gleichwohl ist festzustellen, daß bereits seit Ende der fünfziger Jahre Arbeiten erschienen, die sich mit der Frage der wissenschaftlichen Autonomie der Kriminologie, ihrem Verhältnis zum Straf-(verfahrens)recht, der Kriminalistik und der Kriminalpolitik, ihrem Gegenstandsbereich oder auch ihrer gesellschaftlichen Funktion auseinandersetzen. Sie belegen in beeindruckender Weise den Willen ihrer Verfasser, trotz ideologischen Gegenwindes, kriminologische Forschungen durchzuführen und die Existenzberechtigung der Kriminologie als empirischer Wissenschaft (auch) in einer sozialistischen Gesellschaft nachzuweisen. Ein Beispiel hierfür stellt bereits die Arbeit Kulcsars da?4o, obgleich die Begriffe Kriminologie oder kriminologisch, im Gegensatz etwa zu denen der Rechtsbzw Kriminalsoziologie, an keiner Stelle ausdrücklich genannt werden. Nach scheinbar müheloser Erledigung der ideologischen Anforderungen - was konkret eher wie eine elegante Entledigung des "ideologischen Marschgepäcks" wirkt241 verdeutlicht er schon auf der ersten Seite seine fehlende Bereitschaft, sich damit zufrieden zu geben, indem er ausführt: "Selbstverständlich bedeutet dies nicht, daß die Kriminalität über die Klassenverhältnisse hinaus nicht auch mit anderen Faktoren in Verbindung steht, daß andere gesellschaftliche Faktoren und Einflußgrößen nicht auf sie einwirken oder, was ihre Erforschung betrifft, man bei den grundlegenden Feststellungen stehenbleiben und man die Klärung anderer Faktoren unter239 Die nachfolgende Darstellung erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es können nur einzelne - aus Sicht des Verfassers allerdings besonders aufschlußreiche - Schwerpunkte kriminologischer Forschung in Ungarn behandelt werden. 240 s. Kulcsar 1959, 300ff. 241 Es findet sich auf der ersten Seite ein inhaltlich unverfangliches Lenin-Zitat ("das Wesentliche der Dinge verbirgt sich in ihren geschichtlichen, konkreten Umständen"), welches wohl mit Bedacht dessen Ausführungen zu "Statistik und Soziologie" entnommen worden war, sowie ein knapper Hinweis darauf, daß "letztendlich die gesellschaftlichen Klassenverhältnisse bestimmend für Makrostruktur, Umfang und Entwicklung von Kriminalität seien".

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B. Forschung zwischen Parteidoktrin und "westlicher Kriminologie"

lassen müßte. Im Gegenteil. ,,242 Er untersucht in der Folge die kriminogene Relevanz demografischer Faktoren auch und insbesondere unter Berücksichtigung soziologischer Aspekte, wobei er sich auf diejenigen konzentriert, zu denen die Statistiken Angaben enthalten: Alter und Geschlecht, familiäre Verhältnisse, sozio-ökonomischer Status und ausgeübte Tätigkeit. Dabei dominiert die Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen und Thesen sog. "bürgerlicher Kriminalsoziologen,,243, die sich in der kritischen Rezeption auch englisch-, deutsch- und französischsprachiger kriminologischer Fachliteratur niederschlägt244 . Es geht ihm insoweit ersichtlich nicht darum, die Reichweite "westlicher" Kriminalitätstheorien von vornherein auf das kapitalistische Ausland zu begrenzen, sondern im Gegenteil gerade um die vorurteilslose Prüfung der Frage, inwieweit sie auch zur Erklärung von Kriminalität im sozialistischen Ungarn beitragen können. Daß seine Abhandlung auch Passagen enthält, die der Partei sicherlich willkommen waren, wie z. B. den Hinweis auf den im Vergleich zu den Zahlen des Jahres 1938 starken Rückgang der im Hellfeld ausgewiesenen Straftaten Jugendlicher in Ungarn, der im krassen Gegensatz zu der diesbezüglichen Entwicklung im kapitalistischen Ausland stand245 , spricht nicht gegen ihren wissenschaftlichen Charakter. Kulcsar weist in diesem Zusammenhang auf mögliche Verzerrungen durch eine unterschiedliche Strafverfolgungsintensität und kriminalpolitische Gesichtspunkte, aber auch die stärkere staatliche Unterstützung der Teilnahme beider Geschlechter am Erwerbsleben in Ungarn (durch zur das Angebot staatlicher Einrichtungen zur Kinderbetreuung hin), "so daß die Auswirkungen einer Berufstätigkeit der Mütter für das Kind weniger schädlich sind,,246, als wenn es sich selbst überlassen aufwachse. Gesonderte Erwähnung verdient aus hiesiger Sicht, die ausgeprägt soziologische Betrachtungsweise Kulcsars, die auch zu dem Hinweis auf den konstitutiven Charakter der Norm für delinquentes Verhalten führt 247 . Kulesar 1959, 300f. Bezeichnenderweise beziehen sich über zwei Drittel der in den Fußnoten enthaltenen Literaturnachweise auf diese, wobei dieses quantitative Verhältnis die inhaltliche Schwerpunktsetzung noch nicht einmal voll widerspiegelt. 244 Neben einschlägigen "Klassikern", wie insbesondere solchen von Sutherland, Cohen. Shaw / Me Kay, Burt, Whyte. Trasher; Middendorf, König und Tappan bezieht Kulesar auch weniger bekannte Veröffentlichungen wie z. B. solche von Hartshorne. Shideler; Philippon. Halfter; de Graf, Neumeyer; Bernert. Andry und Glatt in seine Analysen mit ein. 245 Kulesar 1959, S. 316. 246 Kulesar 1959, S. 310. 247 Kulesar (1959, 302) bezieht die Einsicht bezüglich der Relativität von Strafrechtsnormen, die auch dazu führen kann, daß die staatlichen Träger der Definitionsmacht den Blick des Forschers auf bestimmte Punkte hin- (und von anderen vielleicht ab-)zulenken vermögen, ausdrücklich nicht nur auf kapitalistische Gesellschaften. Abschließend sei angemerkt, daß die Abhandlung, obgleich sie in der "Demognifia" ("Demografie") und somit einer Zeitschrift mit einer relativ niedrigen Auflagenstärke erschienen war, in der ungarischen Fachöffentlichkeit doch auf deutliche Beachtung stieß. Die Anerkennung, die ihr bis in die heutige Zeit entgegengebracht wird, kommt auch darin zum Ausdruck, daß sie im Rahmen der 1990 von Horvath und Uvai herausgegebenen zwei bändigen Sammlung ungarischen kriminolo242

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II. Einzelne ausgewählte kriminologische Forschungsbereiche

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Auch Viski und ihm folgend Cseka setzten sich bereits frühzeitig für eine gegenüber der Kriminalistik gleichberechtigte Stellung der Kriminologie mit einem eigenständigen Aufgabengebiet im Kreise der Strafrechtswissenschaften ein. 248 Hierfür wird eine "sozialistische Kriminologie" als eine Wissenschaft, die auf dem Boden des M-L stehend sich mit (den einzelnen Formen, Strukturen und näheren Umständen von) Straftaten und deren unmittelbaren Ursachen beschäftigt, von einer "bourgeoisen Kriminologie" abgegrenzt, gegen die (allein) der Vorwurf der Scheinwissenschaftlichkeit erhoben werden könne 249 . "Während kriminologische Forschung in den bürgerlichen Gesellschaften zum abgehobenen Selbstzweck würde, sich in ausweglosen Klassifizierungsversuchen verliere und bewußt oder unbewußt zur Verschleierung der wahren Ursachen beitrage,,250, habe die "wahrlich wissenschaftliche sozialistische Kriminologie" eine klare Aufgabe und Perspektive; ihr Ziel sei es zur vollständigen Überwindung von Kriminalität beizutragen,,251. Zur Etablierung der Kriminologie wird mithin einerseits ihre potentielle Nützlichkeit zur effizienten Durchsetzung der staatlichen Kriminalpolitik herausgestellt, sowie zum anderen - durch die Unterscheidung sozialistischer von bourgeoiser Kriminologie - der politischen Führung ein "ideologisch vertretbarer" Weg aufgezeigt, die ausgestreckte Hand ohne Gesichtsverlust zu ergreifen. Es dürfte dies ziemlich genau das gewesen sein, was die Partei als konstruktiv empfunden haben wird252 . Aus Sicht kriminologisch interessierter Wissenschaftler stellt es sich als realpolitischer Schritt auf dem Weg zur Institutionalisierung der Kriminologie und Stärkung ihrer Handlungsfähigkeit dar, ohne die jegliche - und damit auch staatskritische - Forschung dauerhaft nicht existenzfähig ist. Der Begriff "sozialistische Kriminologie" ermöglichte somit eine Annäherung von Wissenschaftgischen Fachschrifttums, welche den gesamten Zeitraum von Balogh bis zum Erscheinungsjahr abzudecken trachtet, in voller Länge abgedruckt ist. 248 s. Viski (1959, 898ff.) und Cseka (1960, 129ff.). Es handelt sich um einen kurzen Aufsatz bzw. eine etwas längere Anmerkung zu diesem, wobei es sich beide erlauben, den offiziell noch verpönten Begriff .. Kriminologie" in der Überschrift zu verwenden. 249 V gl. Viski 1959, 900; Cseka 1960, 131; Zujkov / Györök (1960, 593 f.) begrüßen als ranghohe Polizeioffiziere diese Differenzierung ausdrücklich, kritisieren jedoch (S. 594 Fn. I), daß ..Genosse Viski", der sozialistischen Kriminologie ihrer Ansicht nach eine zu große Eigenständigkeit gegenüber dem Strafrecht und einen zu umfangreichen Gegenstandsbereich einräumen wolle. 250 Viski 1959, 900. 251 Viski 1959, 898; ebenso Cseka 1960, 129; Bama 1961, 338: ..... Die Überwindung der Kriminalität kann einerseits durch Aufklärung bereits begangener Straftaten, sowie andererseits auf dem Wege der Vorbeugung erfolgen ... Kriminalität ist auch unter sozialistischen Verhältnissen noch nicht völlig verschwunden. Trotz der quantitativen Abnahme darf die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Fragen der Kriminalitätsbekämpfung nicht in den Hintergrund gedrängt werden. Dabei nimmt die Erforschung der Kriminalitätsursachen eine wichtige Stellung ein." 252 Dadurch wird die Möglichkeit, daß es sich um ein Zugeständnis nach Art und Wirkung eines trojanischen Pferdes handelte, nicht ausgeschlossen.

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B. Forschung zwischen Parteidoktrin und "westlicher Kriminologie"

lern und politisch Herrschenden. Nicht zu verkennen ist dabei das Risiko eines zu großen Distanzverlustes, der Vereinnahmung und Korrumpierung ersterer durch letztere. Es korrespondierte allerdings mit der Chance der wissenschaftlichen Einflußnahme auf Strafrecht(spraxis) und Kriminalpolitik. Inwieweit sich eher die Chancen oder die Risiken realisieren, hängt in starker Weise von der persönlichen und fachlichen Integrität der Forscherpersönlichkeit ab und kann nur retrospektiv einzelfallbezogen vor dem Hintergrund des jeweiligen Wirkens beurteilt werden. Allerdings ist generell zu konstatieren, daß bereits ein solches Wirken bestimmte objektive Bedingungen voraussetzt, die ihrerseits zunächst geschaffen (und ggfs. verteidigt) werden müssen. b) Die Arbeiten von Vennes

Zahlreiche Veröffentlichungen bereits aus den Jahren zwischen 1960 und 1966 dokumentieren das besondere Interesse von Vennes an kriminologischer Grundlagenforschung 253 . In diesen leitet er die Erforderlichkeit kriminologischer Forschungen sowie die Existenzberechtigung der Wissenschaftsdisziplin Kriminologie auch - und gerade (!) - in einer sozialistischen Gesellschaft vorrangig aus ihrer (vermeintlichen) Aufgabe ab, die phänomenologischen und aetiologischen Erkenntnisse zu Struktur, Umfang und Entwicklung der Kriminalität sowie der Persönlichkeit des Rechtsbrechers zu gewinnen, derer die Strafrechtswissenschaft und - praxis und auch der Gesetzgeber bedürfen 254. Gleichwohl erkennt er in der Kriminologie eine autonome Wissenschaftsdisziplin 255 , was er aus ihrem Verhältnis zum Strafrecht, zur Kriminalistik und der Kriminalpolitik ableitet 256 . Dem antizipierten Vorwurf der Scheinwissenschaftlichkeit begegnet (auch) er mit dem Hinweis auf essentielle Unterschiede von Rolle, Sinn und Perspektive der Kriminologie im Sozialismus und im Kapitalismus. In einer kapitalistischen Gesellschaftsstruktur sei sie eine Herrschaftswissenschaft, die herrschaftsstabilisierend wirken solle, und mithin dazu verdammt sei, die in den Klassengegensätzen bestehenden grundlegenden Ursachen von Kriminalität außer acht zu lassen und sich statt dessen ausschließlich mit sekundären Faktoren zu beschäftigen257 . Im Endeffekt führe 253 s. Vermes 1960, 1961, 1962 a) und b), 1963, 1964, 1966. Dieses Interesse drückt sich vor allem auch in seiner 1971 in ungarischer (und 1978 in englischer) Sprache veröffentlichten "großen" Dissertation "Die Grundfragen der Kriminologie" aus, die - von einigem ideologischen Ballast befreit - die Kontinuität zu seinen frühen Arbeiten wahrt. 254 Vgl. Vermes 1960,37,47; 1962a)74,92ff.; 1963,200f.; 1964, 133f. 255 Vermes 1961,76,78. 256 s. hierzu näher nachfolgend S. 78 f. 257 Vgl. Vermes 1960, 39f.; 1963,195. Es sei jedoch an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß sich Vermes im Zusammenhang mit konkreten Sachfragen sehr wohl als offen für derartige Erkenntnisse erweist, was darauf schließen läßt, daß die ideologische Abgrenzung weniger von innerer Überzeugung getragen, als vielmehr taktisch motiviert ist.

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aufgrund der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse auch die Täterorientierung der "bürgerlichen Kriminologie", welche diese in Konflikt zu dem traditionell eher tatorientierten Strafrecht kommen ließ, nur zu einem weiteren Ausbau des Repressionsapparates unter Loslösung selbstpropagierter rechtsstaatlicher Prinzipien, wie der Bestimmtheit und der Verhältnismäßigkeit der Sanktion, und der Förderung von Richterwillkür. Exemplarisch weist er in diesem Zusammenhang auf die unbestimmte Freiheitsstrafe in den Vereinigten Staaten und die Sicherungsverwahrung in der Bundesrepublik Deutschland hin 258 . Gleichwohl könne all dies, da die grundlegenden Ursachen kriminellen Verhaltens unangetastet blieben, den ständigen Kriminalitätsanstieg nicht aufhalten, was bei westlichen Kriminologen zu der resignierenden Vorstellung geführt habe, Kriminalität sei eine normale Erscheinung des gesellschaftlichen Lebens und der Glaube an ihre Überwindbarkeit eine Illusion259 . Demgegenüber bestünde im Sozialismus, bedingt durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, die reale Chance zur vollständigen Überwindung von Kriminalität, woraus sich für die sozialistische Kriminologie (im Gegensatz zur "bürgerlichen") Sinn, Perspektive und konstitutive (anstelle von nur beschreibenden) Aufgaben ergäben 26o • Eingebettet in ideologisch wohlfeile Formulierungen261 , erfolgt mithin eine grundlegende Verschiebung, indem an die Stelle der These von dem automatischen Absterben der Kriminalität diejenige von ihrer Überwindbarkeit tritt. Vennes betont, daß die Überwindung nicht gleichsam aus sich heraus, allein aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse erfolgt, sondern die Erforschung und Bereitstellung hierfür notwendiger Mittel und Wege erfordert 262 . Ferner stellt er der noch wirkenden Parteidoktrin, nach der das effizienteste Mittel der Kriminalitätsprophylaxe in dem zügigen Aufbau und der Entwicklung des Sozialismus besteht, die pragmatische Auffassung entgegen, daß der Weg zum Aufbau des Sozialismus über eine effiziente Verbrechensprophylaxe führe, da eine solche wesentliche Hindernisse der Errichtung beseitige263 • Diese ideologische Modifizierung erweist sich bei genauerer Betrachtung als 180 Grad-Wende und hat für die Kriminologie nicht weniger zur Folge, als die unauffällige Metamorphose von einer entbehrlichen zu einer erforderlichen Wissenschaft. Der Gegenstandsbereich der Kriminologie umfaßt nach Vennes: Delinquenz sowie sonstige für die Gesellschaft besonders gefährliche Formen von Devianz und zwar sowohl als individuelles Verhalten als auch als (geVgl. Vennes 1960,40; 1961,77 Fn. 4; 1962 b) 88f. Vennes 1962 b) 84; 1963, 194 f. 260 Vennes 1960, 37 f.; 1963, 200. 261 So weist er (1960, 41) ebenso daraufhin, daß "in der Sowjetunion bereits unmittelbar nach der Großen sozialistischen Oktoberrevolution das Interesse an kriminologischen Fragestellungen erwacht" sei, wie er auch an die Gründung des Nationalen Institutes für experimentelle Kriminologie während der nur 133 Tage dauernden ersten ungarischen Räterepublik erinnert; s. zu diesem näher Kddtir, J. 1959,469. 262 s. Vennes 1960 38, 42; 1963, 196 f. 263 Vennes 1962 b) 88. 258

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samt)gesellschaftliche Realität, und die Effizienz des Einsatzes strafrechtlicher Mitte1 264 . Sie habe die Aufgabe - "auf der Grundlage des dialektischen und historischen Materialismus,,265 - ihrem Gegenstandsbereich entsprechende Forschungsmethoden zu entwickeln, wobei zu beachten sei, daß Gegenstandsbereich und Forschungsmethode jeder Wissenschaft in einer konstitutiven Wechselbeziehung zueinander stünden 266 . Wissenschaftliche Beobachtung müsse zielgerichtet sein, wobei der Gegenstandsbereich der Wissenschaft das Ziel bestimmte, bzw. den sachgerechten Blickwinkel vorgebe. Forschungsleitende Hypothesen müßten nicht nur bemerkt und offengelegt, sondern auch ihrerseits erläutert werden (1961, 87 f.). Die Untersuchung des Einze1bereiches i. S. d. kriminellen Verhaltens des Einzelnen erfordere grundsätzlich eine andere Herangehensweise, als die der Makrostruktur. Bei ersterem gehe es u. a. auch um die Erforschung in Erscheinung getretener kriminogener Faktoren in der Persönlichkeit des Straftäters, die ihrerseits nicht als etwas statisches, sondern sich grundsätzlich (aufgrund gesellschaftlicher Einflüsse) veränderndes, beeinflußbares erachtet wird (1961, 82). Analytische Einzelfallbetrachtungen seien jedoch ein kaum taugliches Element, um zu überindividuellen, allgemeinen Feststellungen zu gelangen. Werden sie gleichwohl "hochgerechnet", drohen unzulässige Verallgemeinerungen zu entstehen (1962 a], 72 m.w.N.). Insbesondere auch zur Beurteilung von Kriminalitätsentwicklungen bedürfe es anderer - vorzugsweise kriminalstatistischer - Vorgehensweisen (1960, 46). Aus all dem ergebe sich notwendigerweise, daß die Erkenntniswege sich ergänzen müssen, da sie nur kumulativ die Erfassung der ganzen Wahrheit ermöglichten (1962 a], 72 f.). Dementsprechend postuliert Vermes zur Ermöglichung interdisziplinärer Forschung 267 aus Strafrechtlern, Soziologen, Psychologen und Statistikern zusammengesetzte Forschungsgruppen. Im Sachzusammenhang mit kriminalstatistischer Forschung macht er auf verschiedene (methodische) Probleme aufmerksam. So relativiert er den Aussagewert von Kriminalstatistiken bezogen auf die Gesamtheit strafrechtlich relevanten Verhaltens durch Hinweise auf das Dunkelfeld, der den Strafverfolgungsbehörden nicht zur Kenntnis gelangten Taten (1960,46; 1961, 92), bei welchem man s.E. auf "bloße Schätzungen" angewiesen sei,,268. Auch problematisiert er den Umstand, daß Kriminalstatistiken bei Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht und Strafvollzugsbehörde dem eigenen Geschäftsanfall entsprechend erstellt werden, "wobei jedoch jedes dieser Organe ihre, den eigenen Vennes 1960, 45ff.; 1961, 80ff. Es handelt sich bei der Einschränkung ersichtlich um eine ideologische Demutsgebärde ohne praktische Folgen. 266 Vennes 1960, 46; 1961, 79; 1962 a), 71. Diesen Gesichtspunkt veranschaulicht er (1960, 43) am Beispiel der verschiedenen kriminologischen Bezugswissenschaften. 267 s. Vennes 1961,93; ausführlicher geht er auf das Verhältnis der Kriminologie zu ihren Bezugswissenschaften in methodologischer Hinsicht, soweit ersichtlich, erst im Rahmen seiner "großen" Dissertation (1978, 132ff.) ein. 268 1962 b), 83; Vennes macht in dem Zusammenhang deutlich, daß er nicht von einem "Gesetz der konstanten Verhältnisse" zwischen Hell- und Dunkelfeld ausgeht. 264

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operativen Erfordernissen entsprechende Sichtweise zur Geltung bringt", so daß "die verschiedenen Statistiken quantitative wie qualitative Unterschiede aufweisen", und daß die statistischen Erhebungen zur Beantwortung kriminalaetiologischer Fragestellungen kaum etwas beizutragen vermögen (1961, 92). Bezogen auf hellfeldorientierte Verlaufs untersuchungen macht Vermes gleichermaßen auf die Gefahr von Verzerrungen durch eine sich wandelnde Strafverfolgungsintensität z. B. aufgrund von Veränderungen des formellen und materiellen Strafrechts oder demografische Veränderungen, als auch auf die Relevanz von Ent- bzw. Neukriminalisierungen aufmerksam 269 . Im Rahmen seiner kriminalaetiologischen Betrachtungen - als deren unverzichtbare Grundlage er solide phänomenologische Erkenntnisse erachtet (1960, 43) geht Vermes von folgenden Grundannahmen aus: Strafrechtlich relevantes Verhalten ist, ebenso, wie jedes andere menschliche Verhalten, Produkt der gesellschaftlichen Verhältnisse, auf die es allerdings seinerseits auch wieder einwirkt (1961, 80f.; 1962 a], 85); dies gilt auch für das sozialistische Ungarn (1963, 197). "Menschen werden nicht als Straftäter geboren, sondern erlernen strafbewehrte Verhaltensweisen ebenso wie alle sonstigen Formen menschlichen Verhaltens, so daß es darauf ankommt, ihre Sozialisation bis zu dem Punkt zurückzuverfolgen, der erkennen läßt, unter Einfluß welcher gesellschaftlicher Umstände sie zu einer die Straftat bejahenden inneren Einstellung gelangt sind,mo. Zur Erklärung von Kriminalität auch unter sozialistischen Verhältnissen bedient sich Vermes einerseits der "Rudiment-" sowie der "Kontaminationstheorie" (1960, 42; 1962 b], 88), weist andererseits aber auch auf die kriminogene Wirkung "innerer Widersprüche" beim Aufbau des Sozialismus hin 2 ?l. Vorsorglich stützt er sich zur "ideologischen Absicherung" dieser These bei ihrer erstmaligen Veröffentlichung auf ein Mao-tse-tung - Zitat. Bemerkenswerterweise beschränkt er sich nicht auf die allgemeine Formulierung, sondern nennt (zur Veranschaulichung) auch konkrete Beispiele, wie die ungleichmäßigen Erwerbsmöglichkeiten trotz gleichmäßiger Verteilung der Produktionsmittel, die einseitige Konzentration der staatlichen Anstrengungen auf die beschleunigte Industriealisierung bei gleichzeitiger Vernachlässigung der sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bürger, oder allgemein: die Widersprüche zwi269 s. Vennes 1962 b), 83, 85 f.; vgl. auch speziell zu Fehlerquellen kriminal statistischer Forschung etwa Szabo, J. 1959; Heller 1961; Dux-Nagy 1965 und 1966; Labath/Vigh 1965; Tiba 1965; Turi 1966; Csonka/Vdvro 1966 b) und 1968; Hooz 1968; Borsi 1968 und 1971; Borsi/Haldsz 1972; Vdvrol976. 270 Vennes 1962 a), 87. Der Einfluß "bürgerlicher Kriminalitätstheorien", wie insb. der Theorie der differentiellen Assoziation, wird auch ohne ausdrückliche Berufung auf Sutherland unübersehbar; ihn und andere, wie z. B. Ross sowie Sh. und E. Glueck nennt Vennes an anderer Stelle (1960, 38 ff.), wo er der Darstellung "bürgerlicher" Kriminalitätstheorien mehr Raum widmet als der dieser folgenden Erörterung der sozialistischen Kriminologie. 271 s. Vennes 1960, 42 f. ; 1962 b), 87 f., 1963, 198 f., wenngleich er sich jeweils hinzuzufügen beeilt, daß solche Widersprüche, im Gegensatz zum Kapitalismus, im Sozialismus nicht systemimmanent und mithin ohne grundlegende Änderung der Gesellschaftsordnung behebbar seien.

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B. Forschung zwischen Parteidoktrin und "westlicher Kriminologie"

schen den Interessen des Einzelnen und denen der Gesamtgesellschaft, die durch ihn an dieser Stelle wohl mit denen des Staates gleichgesetzt werden 272 . Kriminologie und Strafrecht(sdogmatik) stellen nach Vennes eigenständige Wissenschaftsdisziplinen dar, und es sei keineswegs so, daß erstere sozusagen nur das empirische Fundament für letztere liefere (1961, 78). Zwar sei es richtig, daß das Strafrecht einen Großteil des Gegenstandsbereichs der Kriminologie definiere, indem letztlich dieses vorgebe, ob ein bestimmtes Verhalten einen Straftatbestand verwirklicht. Auch hätten beide Disziplinen s.E. in Gestalt der Kriminalitätsbekämpfung ein gemeinsames Ziel und seien wechselseitig aufeinander angewiesen (1961, 76 f.). Ihre jeweilige Eigenständigkeit ergebe sich jedoch bereits aus den unterschiedlichen Blickwinkeln, die ihrerseits auch zu unterschiedlichen Methoden führten; denn während sich die Strafrechtswissenschaft mit der dogmatischen Analyse von Normen befasse, gehe es der Kriminologie um die empirische Erfassung mit diesen zusammenhängender gesellschaftlicher Realitäten (1961, 78). Auch beschäftige sich die Kriminologie zwar überwiegend, aber keineswegs ausschließlich mit als strafbar definierten Verhaltensweisen, sondern auch mit sonstigen Formen als besonders gesellschaftschädlich einzustufender Verhaltensweisen, die vom Gesetzgeber (ggfs. noch) nicht unter Strafe gestellt wurden (1961, 77). Schließlich käme der Kriminologie im Rahmen der Kriminalitätsvorbeugung schon deshalb eine besondere - eigenständige - Bedeutung zu, da sie (der Kriminalpolitik) auch Erkenntnisse zu der Frage liefere, wie Straftaten mit nicht-strafrechtlichen Mitteln effizienter vorgebeugt werden könnte (1961, 78). In ähnlicher Weise grenzt Vermes auch die Kriminologie und die Kriminalistik als s.E. verwandte, aber eigenständige Wissenschaftsdisziplinen voneinander ab (1960, 43 f.). Ihre Nähe zueinander beruhe darauf, daß sich beide mit Straftaten und Straftätern befaßten, und zwar jeweils mit dem Ziel, Beiträge zu einer möglichst effizienten Kriminalitätsbekämpfung zu leisten. Sie hätten jedoch einen unterschiedlichen Blickwinkel und suchten nach Antworten auf unterschiedliche Fragen, was seinerseits auch zu unterschiedlicher Methodik führen müsse. Während die Kriminologie nach Gründen für das strafrechtlich relevante Verhalten des Einzelnen, bzw. die Kriminalität auf gesamtgesellschaftlicher Ebene forsche, suche die Kriminalistik nach den wirkungsvollsten Mitteln und Methoden der Sachverhaltsfeststellung, sowie des Nachweises im Hinblick auf strafrechtlich möglicherweise relevantes Geschehen. Ferner setzt sich Vennes auch mit dem wechselseitigen Verhältnis zwischen Kriminalpolitik und Kriminologie auseinander, wobei er die Frage, ob es sich bei ersterer um eine eigenständige Wissenschaftsdisziplin handelt, ausdrücklich offen läßt273 . Unter Kriminalpolitik i.w.S. versteht er die Gesamtheit aller aus Wissenschaft und Praxis stammender Erkenntnisse, unter deren Verwendung die Staatss. Vennes 1960,42; 1962 b), 87f.; 1963, 198. Vgl. Vennes 1960,44; im Rahmen seiner "großen" Dissertation, in welcher er sich dieser Frage ausführlich widmet (1978,141 ff.), verneint er dies. 272 273

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macht Kriminalitätsbekämpfung betreibt, sei es mit (straf-)rechtlichen Mitteln oder mit eher präventiv orientierten Aktivitäten z. B. auf wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder auch sozialen Gebiet274 . Aufgabe der Kriminologie wie der Kriminalistik sei es, als Tatsachenwissenschaft die mit Hilfe ihrer Untersuchungen gewonnenen empirischen Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen, aus denen die entsprechenden Schlüsse zu ziehen Aufgabe der Kriminalpolitik sei. Pönologie und Kriminalitätsprophylaxe seien nicht der Kriminologie, sondern der Kriminalpolitik zuzuordnen. Pönologische Forschungen kämen für die Kriminologie nur insoweit in Betracht, als es um eine möglicherweise kriminalitätsfördernde Wirkung von Strafvollstreckung z. B. bei sekundärer oder Rückfalldelinquenz geht. c) Die diesbezüglichen Forschungen von Szab6, A.

Von maßgeblichem, belebenden Einfluß auf die kriminologische Grundlagenforschung in Ungarn während des Untersuchungszeitraumes waren insbesondere die Arbeiten von Szab6, A. 275 • Bereits 1963 hielt er sich nicht mehr damit auf, die Daseinsberechtigung der Kriminologie als eigenständiger Wissenschaftsdisziplin nachzuweisen, sondern bezeichnete diese selbstbewußt als "mittlerweile allgemein anerkannt,,276. Als Prämisse sozialistischer Kriminologie nannte er u. a. die Auffassung, das Wesentliche der Straftaten liege in ihren gesellschaftlichen Ursachen und Folgen begründet und das strafrechtlich relevante Verhalten unterliege denselben Gesetzmäßigkeiten und Strukturen, wie jegliches sonstige Verhalten, so daß auch die Ursachen nicht in irgendwe1chen ,,kriminellen Eigentümlichkeiten" zu suchen seien; im Vordringen sei ferner die Erkenntnis, daß Kriminalität als gesamtgesellschaftliche Massenerscheinung auch im Sozialismus gesellschaftlich determiniert ist277 und nicht einfach als Gesamtheit pathologischer Reaktionen abnormer Persönlichkeiten gesehen werden könne, so daß dementsprechend auch die Prophylaxe eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstelle, und nicht ein gesondertes Feld ausschließlich ärztlicher Bemühungen sei. Obgleich strafrechtlich relevantes Verhalten (auch) im Sozialismus gesellschaftlich determiniert sei, bestehe kein wesensmäßiger Zusammenhang zwischen der politischen Herrschafts- und der Kriminalitätsstruktur, was jedoch nicht bedeute, daß Zusammenhänge zwischen strafrechtsrelevantem Verhalten und den objektiven Widersprüchen in der sozialistischen Gesellschaft geleugnet werden könnten (1963, 323 f.). Die Notwendigkeit der Feststellung bzw. Offenlegung dieser Prämissen folgt für Szab6, A. be274 s. aber auch Vemzes (1973, 11): "Kriminalpolitik ist der Teil der allgemeinen Politik, der zur Kriminalitätsbekämpfung auf der Grundlage der praktischen, gesellschaftlichen Erfahrungen die allgemeinen Methoden und Mittel der Strafverfolgung und Vorbeugung festlegt." 275 s. Szab6, A. 1963; 1964; 1965; 1978. 276 Szab6, A. 1963, 319 f., sowie insbesondere 322. 277 Speziell auf die Jugenddelinquenz bezogen führt Szab6, A. den Gedanken an anderer Stelle (1964, 597 f.) weiter aus.

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reits aus seinem Wissenschaftsverständnis; denn der Umstand, daß die Kriminologie "zweifellos eine empirische Wissenschaft" sei 278 , besage noch nichts über die anzuwendenden Forschungsmethoden und Erkenntniswege. Auch die empirische Annäherung erfolgt nicht voraussetzungslos - gleichsam frei schwebend im luftleeren Raum -, sondern erfordere die Bildung von (forschungsleitenden) Hypothesen und Forschungsmodellen (1963, 324,328 ff.). Von vornherein sei danach zu unterscheiden, ob beispielsweise die Ursachen oder Bedingungen für eine konkrete Straftat eines konkreten Jugendlichen oder die allgemeinen Ursachen und Bedingungen für Jugendkriminalität gesucht würden. Während ersteres eine Einzelfallbetrachtung ggfs. unter Rückgriff auf psychologische Erkenntnisse erfordere, bedürfe letzteres einer sozialwissenschaftlichen Analyse, die nicht durch eine Hochrechnung von Einzelfällen ersetzt werden könne (1965, 620. Die multidisziplinäre Annäherung an den Untersuchungsgegenstand strafrechtsrelevantes Verhalten als gesellschaftliche Erscheinung vermöge diesen zwar von verschiedenen Seiten zu beleuchten und mithin unterschiedliche fachspezifische Erkenntnisse zu diesem zu erbringen, sie könne interdisziplinäre Forschung jedoch nicht zu ersetzen. Erst die gegen- und wechselseitige Einflußnahme der verschiedenen Disziplinen, die Integration oder zumindest Annäherung der unterschiedlichen Erkenntnisperspektiven vermöge die Impulse zu liefern, die für vertiefte und vertiefende Fragestellungen erforderlich seien, so daß im Rahmen soziologischer Erklärungsansätze beispielsweise (tiefen-)psychologische, erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse gleichfalls bereits berücksichtigt seien. Andernfalls würde kein organisches Ganzes geschaffen, die Kriminologie käme nicht über die Summe der "BindestrichKriminologien" hinaus und verbliebe nicht mehr als angewandte Soziologie, angewandte Tiefenpsychologie usw. (1963, 326). Während die Bezugswissenschaften strafrechtsre1evantes Verhalten als eine Möglichkeit menschlichen Verhaltens behandelten, beschäftige sich die Kriminologie ausschließlich mit diesem, d. h. mit anderen Worten, während für die Soziologie Delinquenz nur einen Teilbereich devianten Verhaltens und für die Psychologie nur eine von zahlreichen Verhaltensalternativen in einer konkreten Situation darstellten, sei die Kriminologie berufen, das notwendige Bindeglied zu finden, d. h. zu klären, wie und warum (auch im Sozialismus) aus potentiellem strafrechtsrelevantem Verhalten delinquente Realität wird 279 . Szab6 zeigt ein ausgeprägtes Interesse an soziologischen Fragestellungen und beklagt die Vernachlässigung entsprechender Perspektiven in der ungarischen Kriminologie. Insbesondere kritisiert er den Widerspruch zwischen den marxistischen und mithin soziologischen geistigen Grundlagen der sozialistischen Strafrechtswissenschaft und deren normativen Praxis, der u. a. auch darin zum Aus278 In einem Vortrag an der Berliner Humboldt Universität (im September 1964) warnte Szab6. A. nachdrücklich vor der Gefahr "hohler, theoretischer Spekulation", worunter er ausdrücklich verstand, "daß man aufgrund der umfassenden Gesellschaftstheorie des Marxismus-Leninismus auch die Fragen der Kriminologie für gelöst hält" (1964, 598). 279 Vgl. zum ganzen Szab6. A. 1963,325 ff.; zum leztgenannten Gesichtspunkt auch 1972, 120.

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druck komme, daß die Strafrechtswissenschaft davon ausgehe, das Wesentliche der Straftat läge in ihrer gesellschaftlichen Natur begründet, auf ihre gesellschaftliche Determiniertheit jedoch nicht eingehe bzw. einfach nicht bereit sei, eine solche im Sozialismus anzunehmen. Dies habe zur unmittelbaren Folge, daß zur Beantwortung der unausweichlichen Frage nach den Kriminalitätsursachen im Sozialismus nur auf "spekulative", "psychologisierende" und "blutleere" Erklärungen zurückgegriffen werde (1963, 330ff.). Im Rahmen des Forschungsplans für eine komparative kriminologische Untersuchung in sozialistischen Staaten nennt er konkrete Faktoren, die S.E. näherer Analyse bedürften, wie u. a.: die Entstehung einer neuen Klassenstruktur im Sozialismus, welche die Veränderungen der Arbeitsteiligkeit und der Machtverhältnisse widerspiegelten, neue ökologische Strukturen i. S. d. veränderten Verhältnisses der Anteile von Stadt- und Landbevölkerung aufgrund planwirtschaftlicher Umstrukturierung, - die Herausbildung neuer Sozialisationsinstanzen neben der Familie, wie die Arbeitskollektive und die Hausgemeinschaften, die Schaffung eines neuen Schulsystems und eines ,,2. Bildungsweges", der Wandel des moralisch-politischen Wertesystems und die Entwicklung sozialistischer Gesellschaftskontrolle, - die veränderte Aufgabenteilung zwischen den Familien und staatlichen Einrichtungen bei der Erziehung neuer Generationen, die zunehmende Emanzipation und Berufstätigkeit von Frauen mitsamt der Folgen für das Familienleben und die Kultur der Kindererziehung, - die aufgrund schnellebiger Entwicklungen gewachsenen Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen280. Die juristische Ausbildung verbunden mit dem Interesse an soziologischen Fragestellungen schuf letztlich auch die Grundlage für seine Hinwendung zum labeling-Paradigma bzw. zumindest der Rezeption wesentlicher Erkenntnisse daraus: Delinquenz sei nicht nur deshalb ein gesellschaftliches Produkt, weil es an das gesellschaftliche Sein anknüpfe ("ohne Straßenverkehr keine Straßenverkehrsdelinquenz"), sondern bereits durch den konstitutiven Charakter der strafrechtlichen Norm. Delinquenz beginne mit der Normsetzung, die aus manchen Handlungsalternativen strafbewehrte Handlungsalternativen mache, diese damit der Privatsphäre und Entscheidungsgewalt des Einzelnen entziehe und zugleich den folgenden 280 s. Szab6, A. 1970, 115. Erwähnt sei, daß er sich im Rahmen seines Eröffnungsreferates zu einem von der UAW veranstalteten internationalen Symposium zu Struktur und Entwicklung der Kriminalität in der sozialistischen Gesellschaft, an die sowjetischen Delegierten gewandt, in Bezug auf "den endgültigen Sieg des Sozialismus und den Übergang zum Kommunismus" den Satz "fabula de nos narratur" erlaubte; s. zu konkreten, objektiven Widersprüchen in der ungarischen sozialistischen Gesellschaft bereits Szab6, A. 1965,63.

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staatlichen Eingriff legitimiere. Da stets normative Wertungen zugrunde lägen, gebe es auch kein "natürliches Verbrechen". Delinquente Verhaltensweisen seien auch aufgrund ihres problemlösenden und bedürfnisbefriedigenden Charakters gesellschaftlichen Ursprungs. Kriminalität als Massenerscheinung werde durch gesellschaftliche Instanzen bestimmt und dargestellt. Delinquente Verhaltensweisen seien zudem nicht nur Folge bestimmter Umstände, sondern auch deren Ursache und auch im Sozialismus führten (abstrakte und konkrete) Definitionsprozesse zur besonderen Delinquenzbelastung bestimmter Kreise und Schichten 281 . d) Der Mitte der 60-er Jahre erreichte status qua

In welchem Ausmaß bestimmte ideologische Schranken bereits Mitte der sechziger Jahren an Relevanz für die Kriminologie verloren hatten, wird zum einen an der Entwicklung der Kriminologie von einer ehemaligen "Scheinwissenschaft" zu einer (staatlich) als autonom anerkannten, in Instituten betriebenen und an Universitäten gelehrten und geprüften Wissenschaft. Deutlich wird es zum anderen an der Metamorphose der These, "die Kriminalität sei dem Sozialismus wesensfremd", von einer die Notwendigkeit kriminologischer Forschungen insgesamt in Frage stellenden "unerschütterlichen Wahrheit" zu einem bloßen abstrakten Glaubensbekenntnis ohne forschungshindernde Wirkung. Die meisten Wissenschaftler übergingen die - im Gegensatz zur anhaltenden (registrierten) Kriminalität - absterbende These einfach stillschweigend282 . Vigh jedoch unterzog sich, soweit erkennbar als letzter, der Mühe, sich mit dieser wissenschaftlich auseinanderzusetzen, und er tat dies allem Anschein nach genüßlich 283 . Den Satz, "Kriminalität ist der sozialistischen Gesellschaftsordnung fremd,,284, aufgreifend, kritisiert Vigh zunächst, daß die Behauptung trotz ihrer zentralen Bedeutung eine ernstgemeinte Begründung vermissen lasse 285 . Sodann stellt er seinen Ausführungen - aufgrund der von ihm erörterten Begriffsvielfalt in diesem Bereich - unter Bezugnahme auf Deklarationen des XX. und XXI. Parteitages der KPdSU - eine pragmatische Definition des Begriffes "sozialistische Ge281 s. zum ganzen Szab6, A. 1978, 132 ff.; bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang auch sein Hinweis auf den konstitutiven Charakter der Nonnsetzung bereits 1963 (S. 321);" ... schließlich ist die rechtliche Regelung ebenso ein soziologischer Faktor, wie die massenhafte Überschreitung der rechtlichen Nonn." 282 Man ist versucht zu schreiben, sie hätten sie "nicht einmal mehr ignoriert". 283 Ergänzend sei darauf hingewiesen, daß er seinen Standpunkt zuvor bereits in der Sowjetunion im Rahmen seines Habilitationsvortrages offensiv vertreten hatte und ihm dies eher Respekt als Repressalien eingebracht hatte. Auch war der Umstand, daß sein Aufsatz in der BSz, d. h. einer Fachzeitschrift, die nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt war, erschien, zumindest geeignet, eine größere Offenheit in der Ausdrucksweise zu erleichtern. 284 Györök 1964, 15; der Satz findet sich auf der 10. Seite des Aufsatzes und ist dort ersichtlich nur von untergeordneter Bedeutung. 285 Vigh 1964, 60.

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seIlschaftsordnung" voran und geht anschließend auf die Existenz und die Bedeutung von Kriminalität auf der "gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungsstufe" ein (S. 61 f.). Der Satz, "Kriminalität sei der sozialistischen Gesellschaftsordnung fremd", könne auf zweierlei Weise verstanden werden: a) die Existenz von Kriminalität beruhe nicht auf zwingenden Ursachen, bzw. b) sie stehe in keinem zwingenden Zusammenhang mit den sozialistischen gesellschaftlichen Bedingungen. Die erstgenannte Auffassung hält Vigh auf der Grundlage einer deterministischen Konzeption schon angesichts des Umstandes, daß Kriminalität in sämtlichen "den Sozialismus errichtenden" Staaten, ja sogar der Sowjetunion, als bereits entwickeltem sozialistischen Land vorkomme, für nicht vertretbar. Aus der allgegenwärtigen Existenz von Kriminalität ergebe sich vielmehr, daß diese auf der gegenwärtigen Entwicklungsstufe zwingenden Gesetzmäßigkeiten entspringe, woran auch eine sinkende Tendenz dem Grunde nach nichts ändern könne. Der Unterschied zwischen der Kriminalität in einer sich sozialistisch entwickelnden Gesellschaft und in einer kapitalistischen bestehe nicht in der Zufälligkeit der Existenz derselben in ersterer, sondern in ihrer sinkenden Tendenz, sowie ihren strukturellen und sonstigen Eigentümlichkeiten. Dies gelte nicht nur für die Gesamt-, sondern auch für die Jugendkriminalität. Aber auch die Auffassung zu b) sei zweifelhaft, insbesondere soweit sie davon ausgeht, das Ausmaß an aus Armut begangenen Straftaten spiegele den Zusammenhang zwischen Kriminalität und Gesellschaftsstruktur wider; denn auch in kapitalistischen Ländern lasse sich nur ein Teil der Kriminalität unmittelbar auf finanzielle Probleme zurückführen, gleichwohl gehe man in Ungarn zu Recht von einem zwingenden Zusammenhang zwischen der kapitalistischen Gesellschaftsstruktur und der Kriminalität in derselben aus. Nach weiterer Erörterung (noch) wirksamer kriminogener Faktoren im real existierenden Sozialismus gelangt Vigh schließlich zu folgendem Resümee (S. 68): "Die Tatsachen beweisen mithin, daß die Kriminalität der sozialistischen Gesellschaftsordnung nicht fremd ist, sondern ihre Existenz auch unter sozialistischen gesellschaftli chen Verhältnissen eine zwingende gesellschaftliche Erscheinung ist, die nicht nur auf Überreste kapitalistischen Bewußtseins zurückzuführen ist, sondern auch im Zusammenhang mit jenen gesellschaftlichen Bedingungen steht, die ... auf der gegenwärtigen Entwicklungsstufe noch zu gesellschaftsfeindlichen Einstellungen, zur Entstehung geseIlschaftfeindlicher Ansichten führen oder führen können.,,286

286 Soweit ersichtlich, blieb dieser Aufsatz in der Folge unwidersprochen; auch der Polizeioffizier Sikl6si (1964, 67), der ihn in seiner 1. Fußnote zitiert, grenzt sich inhaltlich nicht ab. Dem stellvertretenden lustizminister Mark6ja blieb es vorbehalten, abschließend zu den unterschiedlichen Auffassungen von Györök und Vigh Stellung zu nehmen (1965, 49 f.), wobei er zwar einen wesensmäßigen Zusammenhang zwischen einer sozialistischen Gesellschaftsordnung und Kriminalität als gesellschaftlicher Massenerscheinung bestritt, dadurch allerdings nicht behaupten wollte, sie sei in der ungarischen sozialistischen Gesellschaft "zufällig". "Dadurch würde die Tatsache verschwiegen, daß es in unserer Gesellschaft noch eini6*

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Daß spätestens Mitte der sechziger Jahre das (wissenschaftliche) Interesse (auch der Innenbehörden) nicht mehr der Frage nach dem "ob", der kriminologischen Forschung galt, sondern sich dem "wie" und dem "in welche Richtung" zugewendet hatte, zeigt sich schließlich auch in einer zwischen Juli 1965 und April 1966 im Rahmen von acht Beiträgen in der BSz geführten Grundlagendiskussion. Deren Anfang machte der Polizeioffizier und Direktor der Fachhochschule für Polizeioffiziere Györök mit einem Aufsatz zu "Lage und Programm der sozialistischen Kriminologie,,287, der einleitend die "in Ungarn feststellbare Rückständigkeit auf dem Gebiet der sozialistischen Kriminologie" beklagte, welche "eine aktivere und effizientere Bewältigung der bedeutenden Aufgaben des Innenministeriums allmählich behindert". Unter allgemeiner Bezugnahme auf kurze Zeit zuvor veröffentlichte Grundsätze des ZK der USAp288 betonte er, daß deren praktische Umsetzung eine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Fragen der Kriminalaetiologie und -prophylaxe erfordere. Nach längeren Ausführungen 289 , die belegen, daß dies (mittlerweile) dem Anliegen der Partei entsprach 29o, stellte er fest, daß man sich in dieser Hinsicht noch im Anfangsstadium befinde. Dabei sei nicht nur das Bedürfnis nach kriminologischen Forschungen gewachsen, sondern es hätten sich auch die Voraussetzungen entwickelt, die einen Aufschwung der Wissenschaft "nicht nur erforderlich, sondern auch möglich machten". Als Faktoren, welche für die Entwicklung der Kriminologie in der Vergangenheit hinderlich gewesen seien, nannte er - neben dem Mangel an speziellen Forschungsmethoden bzw. der fehlenden Institutionalisierung - Mutlosigkeit und fehlenden Widerspruchsgeist, bestimmte ideologische Gleichgültigkeit, fehlende Koordination und mangelhafte Lenkung, sowie schließlich die vergleichsweise kleine Anzahl ausgebildeter Kader. Zugleich verdeutlichte er, was er für die Grundvoraussetzung einer besseren zukünftigen Entwicklung hielt, nämlich - ganz im Sinne der aktuellen Parteidoktrin - einen ausgeprägten Praxisbezug 291 . Der Gegenstandsbereich ge Erscheinungen, Widersprüche gibt, die zwar nicht untrennbar mit dem Sozialismus verbunden sind, diesem im Gegenteil vielmehr widersprechen, gleichwohl aber kriminogen wirken". Dies aber entsprach inhaltlich genau der Position Vighs. 287 Györök 1965, 5 ff. 288 S. zu diesen TSz 1965, Heft 4, S. 1 ff. 289 Diese umfaßten konkret über 40 Zeilen und 9 Fußnoten. 290 Wenig später wies der Verfasser (in Fußnote 11) darauf hin, daß die Kriminalität in Ungarn in den vorangegangenen zwei bis drei Jahren insgesamt stagniert hätte, bestimmte Straftaten, wie Diebstähle, Delikte gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit, sowie die Verkehrsdelinquenz, jedoch sogar in Besorgnis erregender Weise zugenommen hätten. (Geht man in den genannten Bereichen von einer Zunahme aus, erscheint Lü. auch eine Stagnation der Gesamtkriminalität als sehr zweifelhaft, da nicht nachvollziehbar ist, in welchen Bereichen es zu dem erforderlichen Rückgang hätte kommen können.) 291 "Die theoretische, ideologische Arbeit ist nicht Selbstzweck, sondern kann sich nur in enger Verbindung mit der gesellschaftlichen Praxis entwickeln. Die theoretische Arbeit speist sich aus der Praxis, verwertet deren Erfahrungen und dient auch selbst den Zielen der Praxis. Effiziente praktische Arbeit erfordert wiederum die vertiefte Auseinandersetzung mit den ak-

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sozialistischer Kriminologie umfasse die Kriminalität als gesellschaftliche Erscheinung, deren Ursachen, die wesentlichsten der Kriminalitätsprophylaxe dienenden Maßnahmen, sowie die Methoden zur Reduzierung, Zurückdrängung und Überwindung der Kriminalität (1965, 9). Im Verhältnis zum Strafrecht erkennt Györök in der Kriminologie eine eigenständige Wissenschaft, was insbesondere auf der Möglichkeit ihrer Befruchtung durch die Soziologie und Psychologie beruhe. Auf der Grundlage des historischen Materialismus nutze sie auch die Methoden der Statistik, der Pädagogik, der Demografie und anderer Sozialwissenschaften und verwerte deren Erkenntnisse, so daß sie den Rahmen des Strafrechtes sprenge. Langfristig könne die Kriminologie zum eigenständigen Bereich der marxistischen Soziologie werden (1965, 10). Die Kriminologie lasse sich in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil unterteilen (1965, 10). Der Allgemeine Teil befasse sich mit den grundlegenden Strukturen und Tendenzen der Kriminalität, ferner den Ursachen bzw. wesentlichen Mitteln der Prophylaxe, die allgemein und auf alle Straftaten bezogen gelten, unabhängig von den jeweiligen Deliktsarten, Tatorten, Subjekten und den konkreten kriminologischen Untersuchungsmethoden (1965, 10). Der Besondere Teil umfasse demgegenüber die Untersuchung von Kriminalität bezüglich geographischer Gesichtspunkte im vorbestimmten Rahmen, nach Deliktsarten, nach einzelnen Täteraspekten, sowie spezielle Fragen der kriminologischen Erforschung einzelner wesentlicher strafrechtlicher und gesellschaftlicher Themenkomplexe (1965, 11). Im Rahmen kriminal statistischer Forschung habe die Kriminologie die Aufgabe, das Wesen der Gesetzmäßigkeit des Sinkens der Kriminalität unter sozialistischen Verhältnissen aufzuzeigen, sich aber auch sorgfältig mit den Gründen eines vorübergehenden, zeitweiligen Anstiegs auseinanderzusetzen (1965, 11). Besondere Bedeutung mißt Györök aetiologischen Fragestellungen bei, in deren Rahmen er eine uneinheitliche Verwendung der Begriffe Ursache, Voraussetzung, Gelegenheit, Motiv, Umstand und Faktor bemängelt292 • Die Wichtigkeit der Kriminalaetiologie ergibt sich für ihn daraus, daß sie die Grundlage für die Prävention bilde, die ihrerseits die Hauptaufgabe der Kriminologie darstelle. Kriminologische Forschungen dürften nicht zum "Selbstzweck" werden; die Erforschung von Ursachen und Voraussetzungen der Kriminalität sei nur Grundlage - Vorbedingung - zur AusarbeituelIen Fragen" (Györök 1965, 9, der seinerseits die Grundsätze des ZK der USAP [TSz 1965, Heft 4, S. I] zitiert). 292 In diesem Zusammenhang zitiert er ein kriminalistisches Ausbildungsheft des Innenministeriums, in welchem es heißt: "Unter sozialistischen gesellschaftlichen Bedingungen auch in unserer Heimat ... kommt Diebstahl noch vor... dies hat jedoch keine gesellschaftlichen Ursachen ... der Grund dafür, daß auch in unserem Land Diebstahl noch vorkommt, verbirgt sich in subjektiven Faktoren". Dem stellt Györök - im Geiste und unter Bezugnahme auf Vigh - entgegen, daß die Kriminologie des Diebstahls in Ungarn noch keineswegs erforscht sei, und daß erst dann, wenn entsprechende - wissenschaftlichen Anforderungen genügende - Untersuchungen zur Verfügung stünden, beurteilt werden könne, welches die tatsächlichen Ursachen und Voraussetzungen von Diebstahl in unserem Land sind (1965, 12).

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tung der entsprechenden Maßnahmen der Vorbeugung. Sodann benennt er eine Vielzahl von speziellen Einzelthemen, bei denen er einen erhöhten kriminologischen Forschungsbedarf erkenne93 , ehe er abschließend eine deutliche Zunahme von Lehraufgaben im Rahmen der Polizistenausbildung in Aussicht stellt und die Gründung einer Kriminologischen Arbeitsgemeinschaft im Rahmen des Innenministeriums ankündigt. Györöks Aufsatz folgten zunächst weitere, seine Position bestätigende Stellungnahmen überwiegend von Polizeioffizieren 294 . Trotz einer in der Einleitung sehr auf Abgrenzung bedachten Rhetorik295 , bezog auch Földvari in den wesentlichen Punkten zustimmend Stellung. So habe insbesondere die Kriminalitätsvorbeugung für die Kriminologie identitätsstiftende Bedeutung. Diese sei als Wissenschaft entstanden, als das Strafrecht aufgehört hätte, befriedigende Antworten und Lösungen auf die im Zusammenhang mit den quantitativen und qualitativen Veränderungen der Kriminalitätsentwicklung sich aufdrängenden Fragen geben zu können und im Interesse der Verbesserung der Kriminalitätsbekämpfung neue Mittel und Wege er293 Die summarische Auflistung (S. 14-20) stellt quantitativ ein Drittel seiner Veröffentlichung dar. 294 Vgl. Boross, der noch einige Parteigrundsätze beisteuert, die Verbindung zwischen der Zwangspause der Kriminologie und dem Personenkult herstellt (1965, 55), die Bezugswissenschaften als "Hilfswissenschaften" der Kriminologie bezeichnet (S. 57), eine Vormachtstellung der Juristen in der Kriminologie postuliert (S. 55: "Die Kriminologie kämpft mit ihren eigenen Mitteln gegen die Kriminalität. Die praktische Lenkung dieses Kampfes wiederum ist zweifellos Aufgabe der Innen- und Justizbehörden, d. h. von Juristen.") und im übrigen Györök zustimmt. PaL begrüßt ebenfalls die Ausführungen des "Genossen Györök" (1966, 59 ff.), greift die Bezeichnung der "Hilfswissenschaften" der Kriminologie auf und wiederholt sie auffalligerweise im Rahmen derselben Spalte noch dreimal, wobei er letzterer gegenüber ersteren Koordinierungsaufgaben zuspricht (S. 64); zustimmend auch Kasa (1966, 65 ff.), der die Liste der von Györök benannten Einzelthemen mit dringlichem kriminologischen Forschungsbedarf noch um die der Staatsschutzdelikte sowie bestimmte, mit ,,konterrevolutionärer Zielsetzung verübter Delikte gegen sozialistisches Eigentum" ergänzt, und im Rahmen der zu gründenden Kriminologischen Arbeitsgemeinschaft auch eine angemessene Beteiligung von Vertretern des Staatsschutzes fordert (S. 69); s. aber auch differenzierter Baldzs (1966, 76 ff.), der für eine Modifizierung der Definition des Gegenstandsbereiches dahingehend eintritt, daß betont wird, daß sich die sozialistische Kriminologie mit den in der sozialistischen Gesellschaft entstandenen und wirkenden inneren und äußeren Widersprüchen beschäftigt, welche als Gründe oder Bedingungen von Straftaten als gesellschaftlicher Erscheinung wirken (S. 77), sowie beim Allgemeinen Teil die gesellschaftliche Bedeutung der sozialistischen Kriminologie zum eigenständigen Untersuchungsobjekt erklärt sehen möchte (S. 78). Dies stellt insofern einen mutigen Vorschlag dar, als es leicht zu dem Vorwurf führen konnte "kriminologische Forschung solle insoweit zum Selbstzweck werden" (bemerkenswerterweise nahm der Verfasser ausdrücklich davon Abstand, diese Anregung zu begründen); aus staatsanwaltschaftlicher Sicht s. auch Turi (1965, 68 ff.), der allerdings die Eigenständigkeit der Kriminologie als Wissenschaftsdisziplin anzweifelt. 295 s. Földvari 1966, 72: "Györök Ferenc unternimmt in seinem Artikel den Versuch ... Seine Feststellungen - wenngleich sie mich in einzelnen Punkten auch zum Widerspruch herausfordern - sind inspirierend und geeignet, einer gehaltvollen Diskussion zur Grundlage zu dienen."

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forderlich geworden wären, welche die Kriminologie angeboten hätte 296 . Allgemein verdanke sie ihre Existenzberechtigung dem Umstand, daß ihre Erkenntnisse der Vorbeugung von Straftaten dienten (S. 79). In weiteren Abschnitten widmet sich Földwiri methodischen Fragen, wobei er vor allem auf die Bedeutung der Hypothesenbildung eingeht (S. 73 f.), sodann der von ihm favorisierten Unterteilung der Aufgabenbereiche in Kriminalaetiologie, Kriminalmorphologie und Prävention (S. 74 ff.), und schließlich Frage nach der Eigenständigkeit der Kriminologie sowie ihrem Verhältnis zur Strafrechtswissenschaft, wobei er - gegen Turi (1965, 69) aus dogmatischen wie ergebnisbezogenen praktischen Erwägungen von ihrer Eigenständigkeit ausgeht (76 ff.). Auch der diskussionszusammenfassende und zugleich beendende Beitrag von Vennes (1966, SOff.), in welchem sich dieser vorwiegend mit methodischen Fragen der Kriminologie befaßt, ihre Eigenständigkeit als Wissenschaftsdisziplin insbesondere auch der Strafrechtswissenschaft gegenüber feststellt und als deren beider Ziel den Erfolg im Kampf gegen die Kriminalität bezeichnet, verdeutlicht noch einmal den bestehenden Konsens in Grundfragen, sowie insbesondere in dem wertenden Vorverständnis von Kriminalität. Insbesondere dem Aufsatz von Györök kommt grundlegende Bedeutung zu. Indem er, neben seiner persönlichen Ansicht, allem Anschein nach auch die herrschende Sicht der USAP festlegt, stellt er (im wahrsten Sinne des Wortes) eine Standortbestimmung der Kriminologie in der sozialistischen Gesellschaft Ungarns dar. Vor dem Hintergrund wachsender Desillusionierung über die Kriminalitätsentwicklung im Lande wird ihr ein fester Platz eingeräumt297 und eine Aufgabe zugewiesen. Dabei wird zu erkennen gegeben, daß auch gewisse, zur effizienten Wahrnehmung dieser Aufgaben erforderliche (ideologische) Freiheiten gewährt werden. 298 Zugleich wird der Kriminologie zusammen mit den Aufgaben jedoch auch eine Verständnisebene vorgegeben nach welcher Kriminalität, makro- wie mikrostrukturell, allgemein als eine negative, letztendlich zu bekämpfende Erscheinung zu bewerten ist299 und die zumindest bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes 296 Földvtiri (1966, 72) nimmt sich die Freiheit, im Zusammenhang mit der von ihm selbst aufgeworfenen Frage, woran es liege, daß die Kriminologie gerade in den vorangegangenen Jahren aus ihrem jahrzehntelangen "Dornröschenschlaf erwacht" sei, hieran zu erinnern. 297 Auch dies kann im Hinblick auf die Schaffung neuer PersonalsteIlen durchaus wörtlich verstanden werden. 298 Einen gewissen Anhaltspunkt für die Etablierung kriminologischer Grundlagenforschung auch i.S. staatlicher Tolerierung (wenn nicht gar Förderung) stellt neben der erörterten Grundlagendiskussion im BSz auch der Umstand dar, daß Molntir im Rahmen seiner 1971 vom OKKRI herausgegebenen Dissertation zur Delinquenz von Jugendbanden zunächst auf den ersten knapp 100 Seiten auf Grundlagenfragen eingehen kann (s.n. hierzu Fn. 361). 299 s. exemplarisch veranschaulichend etwa Diri 1968,6: "Die Kriminalität ist eine gesellschaftliche Erscheinung, die Krankheit einer gegebenen Gesellschaft. Diese Krankheit kann "ererbt" oder "erworben" oder auch beides sein, sie charakterisiert aber jedenfalls den allgemeinen Zustand der Gesellschaft, ihre Resistenz oder Resignation, ihre Entwicklung, ihre Stagnation oder auch ihren Rückschritt."

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B. Forschung zwischen Parteidoktrin und "westlicher Kriminologie"

in der ungarischen Kriminologie - auch bei den meisten soziologisch orientierten Forschern30o - eindeutig vorherrschend war30I . Diese Verständnisebene kommt denjenigen, die in einer Gesellschaft über die Macht verfügen, generell-abstrakt bzw. individuell-konkret zu entscheiden, was bzw. wer kriminell ist, naturgemäß entgegen. Entsprechend schnell kann sie gegenüber dem Forscher zu dem Vorwurf führen, auf der Seite der gesellschaftlich Mächtigen stehend deren Interessen mit wissenschaftlichen Mitteln zu verteidigen. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, daß die solcher Art gescholtenen Kriminologen in den osteuropäischen Ländern von der gleichen Verständnisebene ausgingen wie gerade einige der engagiertesten westlichen Kritiker sozialistischer Kriminologie 302 . Die in der ungarischen Kriminologie in den sechziger und siebziger Jahren zu konstatierende Schwerpunktsetzung auf aetiologische Fragestellungen dürfte einerseits Basis sowie andererseits Folge dieses Grundkonsenses bei der Verständnisebene sein. Sie knüpft an die Tradition kriminologischer Forschungen in Ungarn an 303 , steht im Einklang mit der in der ungarischen Kriminologie ganz herrschenden deterministischen WeItsicht und findet in einer Vielzahl von Arbeiten ihren klaren Ausdruck304 . s. etwa Gönczöll980, 7. Erkennbar um Objektivität auch im Sinne wissenschaftlicher Wertfreiheit (s. hierzu näher Kunz 1994, § 21 Rn. 9, 19 f.; vgl. aber auch krit. gegenüber einem solchen Anspruch Eisenberg 1995 a), Rn. 10, 15 f. und insb. 18 zu § 12) bemüht war demgegenüber z. B. Szab6, 300 301

A.

302 Vgl. etwa Schneider, der zunächst (1992,30) die Frage aufwirft "was die Kriminologie der westlichen Welt aus dem Versagen der sozialistischen Kriminologie der DDR für ihr Selbstverständnis lernen kann", um sich u. a. die Antwort zu geben (1992, 34): "Die Kriminologie gedeiht nur im demokratischen Rechtsstaat" (s. bereits Fn. 23; es sei darauf hingewiesen, daß Schneider an anderer Stelle [1987, 413 ff.] eine differenziertere Darstellung kriminologischer Forschungen in sozialistischen Staaten gibt). Zugleich verdeutlicht Schneider (1992,34: "Ihre Aufgabe ist, mit wissenschaftlichen Mitteln die Gesellschaft kriminalitätsärmer zu machen.") ein wertendes Verständnis von Gegenstand und Aufgabe der Kriminologie, welches den dogmatischen Vorgaben der gescholtenen sozialistischen Kriminologie entspricht. 303 s. hierzu oben S. 46 ff. 304 Vgl. bereits Vigh 1963; FöldvarilVigh 1965 (sowie auch 1979); Szekeres 1965 und 1969; Simar 1968 a) und b), sowie 19q9; Vigh 1968, 1975 a) und 1976 a); Gödöny 1978; s. speziell zum Determinismus und seiner Bedeutung Vigh 1974, 1975 b), 1976; umfassend zum genannten Themenkomplex Vigh 1980 (engl. 1986) insb. S. 41 ff., 51, 56f., 61 ff., 145ff. - In der Studie von Talnai (1974) zu den Ursachen der Grenzverletzungen Jugendlicher wird die Vorgehensweise anwendungsbezogener Kriminologie - mitsamt ihr zugrundeliegender Vorstellungen - exemplarisch deutlich: von dem Hellfeld ausgehend werden tat- und täterbezogene Merkmale erhoben und ausgewertet, die wesentlichsten solcher Art festgestellten Ursachen und Motive der betreffenden Betroffenen analysiert, die ihrerseits wiederum zur Grundlage der Erörterung wirksamer Formen der Vorbeugung gemacht werden; s. demgegenüber Kukarelli 1978, der sich in einem Aufsatz den Fragen widmet, ob ein "Paßzwang" notwendig sei, es ein subjektives Recht auf Erteilung eines Reisepasses gibt, welche Einschränkungen hiervon auf der Grundlage welcher Prinzipien zulässig und welches wiederum die prozessualen Garantien sind, und dabei zu der Auffassung gelangt, es gebe ein Grundrecht

H. Einzelne ausgewählte kriminologische Forschungsbereiche

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2. Jugendkriminalität

a) Allgemeines

Für die kriminologische Untersuchung der Jugendkriminalität im besonderen gilt dasselbe wie für kriminologische Forschungen im allgemeinen: der Schwerpunkt lag auf der Analyse aetiologischer Fragestellungen mit dem Ziel einer Verbesserung der Kriminalprävention 305 . Dabei wurde der Jugendkriminalität als gesellschaftlicher Erscheinung aus verschiedenen Gründen besonders große Beachtung entgegengebracht306 . Zum einen bestand die Befürchtung, diese stelle gleichsam den Vorboten der späteren gesamtgesellschaftlichen Kriminalitätsentwicklung dar307 , wobei man davon ausging die Erscheinung, wie eine Krankheit, am wirkungsvollsten makro- wie mikro-strukturell in ihrem Anfangsstadium bekämpfen zu können 308 . Zum anderen bestand auch aus ideologischen Gründen ein erhöhter Erklärungsbedarf, waren die Jugendlichen doch bereits "nach der Befreiung" und mithin in einer (vom eigenen Anspruch her) sozialistischen Gesellschaft geboren oder hatten zumindest den größten Teil ihrer Jugend in einer solchen erlebt309 .

zum Verlassen des Landes, welches in der Phase des Aufbaus einer fortgeschrittenen sozialistischen Gesellschaft konstitutiven Charakter habe. 305 Vgl. etwa schon Molmir 1958, 300: "Auch in unserem Land werden immer mehr Anstrengungen zur Senkung der Kinder- und Jugendkriminalität unternommen, insbesondere auf dem wichtigsten Bereich, dem der Vorbeugung. Diese können jedoch nur erfolgreich sein, wenn mit Hilfe kriminalaetiologischer Untersuchungen diejenigen Ursachen und Faktoren zunächst ermittelt und nachfolgend beseitigt werden können, welche Jugendkriminalität hervorrufen"; Dux 1963 mit einer Auswertung polizeilicher Kriminalstatistiken eben zu diesem Zweck; aus demografischer Sicht Kovacsics 1962, dessen Untersuchung eine Stichprobe von 20 % der 1958 in vier Verwaltungsbezirken jugendstrafrechtlieh Verurteilten (n = 1234) zugrunde lag; vgl. auch die Monographien von Huszar 1964, sowie auch hierzu Vigh 1964, insb. S. 111 ff., 271 ff. 306 Von dem (relativ) frühen Interesse zeugt etwa eine 1958 von dem wissenschaftlichen Beirat des Fachbereiches Staats- und Rechtswissenschaften der Universität Pecs veranstaltete Tagung zu dem Thema "Über die Ursachen von Jugendkriminalität", an der über 100 Personen (neben Vertretern der Wissenschaft auch Praktiker wie Jugendrichter, Staatsanwälte, Pädagogen, Kriminalbeamte, Ärzte usw.) teilnahmen. 307 s. Z. B. Vigh (1964, 271: "So wie die Jugendkriminalität zum Teil ihre Schatten vorauswirft auf die künftige Entwicklung und Struktur der Erwachsenenkriminalität ... "; ähnlich Szab6, A. 1959,227. 308 Vgl. etwa Szab6, A. 1966,75: " ... da der kriminelle Lebensweg (des Jugendlichen; der Verf. - ET.) im Rahmen seiner natürlichen Weiterentwicklung im Erwachsenenalter zur gewohnheitsmäßigen Delinquenz reife. Der Kampf gegen die Rückfallkriminalität Erwachsener ist mithin in erster Linie eine Frage der Vorbeugung: man muß ihren ersten Akt, den ersten Grad - die Jugendkriminalität - beizeiten beseitigen." 309 Vgl. (zu dieser Form der "Gnade der späten Geburt") etwa Tavassy 1966, 112, der zudem in den Straffälligen der Gegenwart bereits die Rückfälligen der Zukunft vermutet.

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B. Forschung zwischen Parteidoktrin und "westlicher Kriminologie"

b) Die Erscheinung im Spiegel einer Mitte der sechziger Jahre im Organ der Innenbehörden geführten Diskussion

Das Ausgeführte und die Aufmerksamkeit, die der Erscheinung Mitte der sechziger Jahre von Seiten der ungarischen Innenbehörden zuteil wurde, zeigt sich anschaulich in Form einer (zwischen April 1964 und April 1965) in der BSz im Rahmen von 11 Aufsätzen geführten Diskussion, wobei sieben der Beiträge von Polizeioffizieren und jeweils einer von einer Fachhochschuldozentin und Mitarbeiterin des Pädagogischen Landesinstitutes, einer Ärztin, einem Staatsanwalt, sowie von dem stellvertretenden Justizminister stammten. Der die Leser ausdrücklich zur Stellungnahme auffordernde, diskussionseröffnende Aufsatz war auch in diesem Fall von Györök31O • Das ideologische Problem dem Adressatenkreis eindringlich vor Augen führend 311 , widmet er sich im ersten Abschnitt der Arbeit der Darstellung von Entwicklung und Struktur des Hellfeldes der Jugendkriminalität (S. 6-11), wobei erunter Hinweis auf eine allgemein ansteigende Tendenz in den kapitalistischen Ländern - anhand der absoluten Verurteiltenzahlen sowie auch der Verurteiltenziffern für Ungarn eine zwar sinkende, aber wellenförmige Bewegung feststellt und insbesondere konstatiert, daß der Rückgang bei den Jugendlichen geringfügiger ausfalle als bei den Erwachsenen. Deliktsstrukturell seien 1960 und 1961 bei Jugendlichen 19-23% auf den einfachen Diebstahl persönlichen bzw. 13-14% gesellschaftlichen Eigentums, 9-12 % auf Einbruchsdiebstahl betreffend persönliches Eigentum, 10-11 % auf Körperverletzungsdelikte, sowie 7-8 % auf illegale Grenzüberschreitungen entfallen. Im Vergleich zur Erwachsenenkriminalität erkennt er relative Deliktsschwerpunkte beim Einbruchsdiebstahl sowohl persönlichen als auch gesellschaftlichen Eigentums, dem einfachen Diebstahl persönlichen Eigentums, dem Raub, dem Rowdytum, der Vergewaltigung und der Sachbeschädigung. Über dem Gesamtdurchschnitt hätte der Anteil Jugendlicher ferner bei der vorsätzlichen Körperverletzung und dem Totschlag gelegen, darunter insbesondere beim Widerstand gegen Hoheitsträger und dem Betrug. Im 2. Teil (S. 11-19) geht er auf Ursachen und Umstände der Jugendkriminalität ein. Dabei unterscheidet er grundsätzlich zwischen den allgemeinen grundlegenden auf kapitalistischer Gesellschaftsstruktur beruhenden Faktoren und den sonstigen konkreten Umständen, denen er sein Augenmerk widmet, und von denen er Mängeln in der Erziehungsarbeit herausragende Bedeutung beimißt. Auf der Grundlage der Auswertung von 15.000 ausgefüllten polizeilichen Vordrucken nennt Györök 310 1964, 5 ff. Nach zwei kurzen einleitenden Absätzen etwa des Inhaltes, daß der Sozialismus und die Jugend sich in Ungarn im großen und ganzen bestens entwickelten, widmet er sich auf den nachfolgenden 22 Seiten den noch bestehenden Problemen. 3ll Györök (1964, 27): "Polizeibeamte dürfen nicht nur aufgrund ihrer beruflichen Eigenschaft, sondern auch als Staatsbürger und Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft der J ugendkriminalität nicht gleichgültig gegenüberstehen. Jeder jugendliche Straftäter, jeder Jugendliche, der auf die Angeklagtenbank gerät, stellt einen Vorwurf gegenüber unserer Parteiund gesellschaftlichen Ehre dar."

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folgende Ursachenkomplexe: 1. die aus Mängeln familiärer Erziehung, einem disharmonischen Familienleben bzw. einer Scheidung der Eltern resultierenden Probleme, 2. die auf Mängeln der Erziehungsarbeit der Pädagogen, der schulischen und der Arbeitskollektive beruhenden Gründe, 3. die Wirkung eines kriminellen Umfeldes, d. h. insbesondere die schädlichen Einflüsse delinquenter Erwachsener, 4. den Alkoholismus (der Eltern oder auch der Jugendlichen selbst) und 5. den ideologischen Einfluß des imperialistischen Lagers. Im Rahmen des 1. Komplexes geht er u. a. auf folgende Bereiche ein: defizitäre familiäre Verhältnisse, in denen sowohl der Vater als auch die Mutter kriminell seien und mithin schlechte Vorbilder lieferten, bzw. dem Kind keine Nestwärme bieten könnten, so daß dieses in verwahrloste und kriminelle Gesellschaft gerate; unrichtiges Erziehungsverhalten und zwar insbesondere in Form einer Vernachlässigung der elterlichen Erziehungspflicht; auf den in der Mehrzahl schädlichen Einfluß einer Scheidung der Eltern, insbesondere wenn es von diesen als Mittel hierbei mißbraucht wird und in der Folge vater- oder mutterlos aufwächst; die Erziehung zum Haß gegen die sozialistische Ordnung; schwierige wirtschaftliche oder schlechte Wohnverhältnisse, die jedoch nach Maßgabe der erhobenen Daten nach Györöks Auffassung kaum einmal eine Rolle gespielt haben sollen. Im Rahmen des 2. Komplexes beschäftigt er sich zunächst mit der Wirkung lustloser Lehrer, die sich nicht bemühten, ihre Schüler zu selbstbewußten Persönlichkeiten zu erziehen und zu eigenständigem Denken zu ermuntern, der Behandlung aktueller Themen auswichen und sich statt dessen auf eine mechanische Vermittlung des Stoffes beschränkten. Sodann setzt er sich mit dem Problem inkonsistenter, widersprüchlicher Erziehungsarbeit auseinander, wobei es ihm nicht um Inkonsequenz im Verhalten einer Bezugsperson bzw. beider Elternteile geht, sondern um die schädlichen Folgen einer Diskrepanz zwischen von Elternhaus und Schule vermittelten Wertvorstellungen. Diese bestünden in einer tiefgreifenden (normativen) Verunsicherung der Kinder bzw. Jugendlichen, die nun nicht mehr wüßten, wem sie glauben sollten, und die Erwachsenenwelt insgesamt als unredlich und scheinheilig empfinden müßten. Insbesondere vor dem Versuch einer religiösen Erziehung im Elternhaus sei daher dringend zu warnen. Geradezu grotesk sei es vor allem auch, wenn das Kind gar in der Schule mit naturwissenschaftlichen Lehren einerseits und religiösen andererseits konfrontiert würde. Noch nicht hinreichend entwickelt sei auch die Erziehungsarbeit in den Arbeitskollektiven, in welchen bisweilen im Hinblick auf insgesamt befriedigende Resultate des Kollektivs leichtfertig über das Versagen einzelner ihrer Mitglieder hinweggesehen würde. Während Györök im Rahmen des 3. Komplexes die in 10-12 % der Fälle festgestellte unmittelbare Verführung des Jugendlichen durch kriminelle Erwachsene nennt und insbesondere auf dem Einfluß letzterer beruhende, wachsende Probleme bei der Verhinderung von Sekundärdelinquenz Jugendlicher einräumt, werden die beiden letzten Komplexe erkennbar nachrangig behandelt. Im 3. Abschnitt schließlich befaßt sich Györök mit den für die Prävention zu ziehenden Schlußfolgerungen ("ohne welche die Forschungen zum Selbstzweck wür-

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den"). Konkret bedeutet dies vorrangig die Erörterung der Möglichkeiten einer Intensivierung staatlicher Erziehungsarbeit i.S. einer Einwirkung auf Eltern wie Kinder. Dazu gehört für ihn eine bessere Aufklärung und Sensibilisierung der Eltern und Jugendlichen über bzw. für die ausgeführte Problematik im Rahmen von landes weit jährlich an die 2.000 durch Polizeiorgane veranstaltete sog. "Rechtspropaganda-Vortäge". Er postuliert ferner eine Rechtspflicht von Polizeibeamten, bereits die Eltern gefährdeter Kinder und Jugendlicher, auch wenn diese (noch) keine Straftat verübt haben, nachdrücklich zur Wahrnehmung ihrer Erziehungs- und Aufsichtspflichten anzuhalten 312 , sowie erforderlichenfalls ein Jugendschutzverfahren einzuleiten 313 bzw. bei den Vormundschaftsorganen den Entzug des elterlichen Sorgerechts anzuregen, wobei in der Begründung eine Gleichsetzung von Kindeswohl und Gesellschaftswohl vorgenommen wird 314 . Die Existenz weitreichender hierzu erforderlicher Kontrollbefugnisse wird augenscheinlich stillschweigend angenommen. Des weiteren sei die Erziehungsarbeit der Schulen und Arbeiterkollektive zu verbessern; verstärkte Angebote zur Verkehrserziehung werden ausdrücklich begrüßt. Eine bedeutende Aufgabe der Polizei wiederum auch unter präventiven Gesichtspunkten sei es, erwachsene Straftäter daran zu hindern, Kinder und Jugendliche zur Straftatbegehung zu verführen, wozu auch die Auflösung krimineller Banden gehöre. Alkoholismus bzw. Alkoholkonsum sei bei Jugendlichen entschlossen entgegenzuwirken. Auch sei die Präsenz uniformierter Ordnungskräfte z. B. in Kinos, auf Spielplätzen, in Parks und Bahnhöfen, sowie der Umgebung von Schulen ein wirksames Mittel der Prävention. Schließlich sei eine noch stärkere Einbeziehung anderer in der Jugendarbeit tätiger Organe, wie allen voran der KISZ wünschenswert und es sei eine noch effizientere Nutzung der durch Massenmedien (wie Fernsehen, Rundfunk, Zeitung) gebotenen Möglichkeiten zur positiven Beeinflussung von Jugendlichen möglich. Smetana wies in der Folge darauf hin, daß das Problem der Jugendkriminalität in Ungarn in erster Linie die Hauptstadt betreffe und mithin auch nur dort wirkungsvoll zu lösen sei. Die Bedeutung "in vorderster Front stehender Praktiker" für die Ursachenforschung betonend geht er auf drei Beispiele polizeilicher Medienarbeit ein, und bekundet ansonsten weitgehende Zustimmung zu den Ausführungen Györöks 315 . 312 Dabei deutet er eine sich an Eltern wendende Norm (§ 75 CSJT: "In der sozialistischen Familie müssen die Eltern darauf hinwirken, daß ihr Kind zu einem gesunden, gebildeten, moralischen, seinem Volke treuen, seine Heimat liebenden, zu der Errichtung des Sozialismus mit nützlicher Arbeit beitragenden Menschen werde") offensichtlich als polizeiliche Ermächtigungsgrundlage (S. 21). 313 Zwischen 1961 und 1963 waren 497, 715 (und erneut) 715 derartiger Verfahren eingeleitet worden, von denen 410, 520 und 473 der Staatsanwaltschaft zwecks Anklageerhebung zugeführt wurden. 314 s. näher zu dieser besonders bedenklichen arteigenen "Gleichschaltung" Györök 1964, 22; ebenso Pap 1962, 191). 315 s. Smetana 1964, 64ff.

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Szildgyi gibt zu bedenken, daß nur eine nach den Entwicklungsphasen des Kindes bzw. Jugendlichen differenzierte Analyse der Kriminalitätsursachen zuverlässige Ergebnisse zu liefern vermag, unterscheidet hierzu die drei Phasen der Kindheit, der (beginnenden) Pubertät und der ,,Jugend,,316 und geht im Anschluß daran ausführlich auf die Aufgaben(verteilung) der Ordnungsbehörden im Bereich des Jugendschutzes ein. Dabei spricht (auch) er sich gegen eine Beschränkung auf reaktive Maßnahmen zu einem Zeitpunkt aus, in demVerwahrlosung oder Straffälligkeit bereits eingetreten seien und empfiehlt stattdessen operative Vorfeldmaßnahmen, ohne allerdings eine überzeugende Ermächtigungsgrundlage für solche anzuführen 317 . Ferner fordert er eine pädagogische Ausbildung des Personals der Ordnungs behörden. Györöks Aufsatz zum Anlaß nehmend, betont Jdro den aus ihrer Sicht bestehenden großen Bedarf an pädagogisch-(entwicklungs)psychologischer Forschung. Ausschließlich äußere kriminogene Faktoren könnten zur Erklärung kriminellen Verhaltens nicht ausreichen, da manche Personen diesen gegenüber resistenter zu sein schienen als andere. Es gelte, sich u. a. mit dem in der Kindheit nicht überwundenen und später kaum noch heilbaren Trotz zu beschäftigen, der sich letzten Endes nicht allein gegen die erziehende bzw. um Erziehung bemühte Person richte, sondern die ganze Erwachsenengesellschaft mitsamt deren berechtigten Anforderungen umfasse, und der die individuelle Grundlage der Entwicklung jugendlicher Delinquenz darstelle. Da gerade die frühkindliche Entwicklung die Basis für die Effizienz aller späteren Einwirkungsversuche sei, müßten die diesbezüglichen Forschungen intensiviert werden 318 . Szendrö befaßt sich in seinem Beitrag schwerpunktmäßig mit der Kriminalität der ,,(Jugend-)Banden", der für die gesamte Jugendkriminalität eine besondere Bedeutung zukomme319 . Auffällig ist, daß 316

s. Szilagyi 1964, 74 f.

Vgl. Szilagyis Hinweis auf die Begründungen zum 1. Teil des 15. Abschnittes des UStGB ("... wenn der Staat ... solch große Opfer für die Entwicklung der Jugend erbringt, kann er auch mit Recht erwarten, daß die Bürger ihrerseits auch alles im Dienste der genannten gesellschaftlichen Interessen tun") bzw. § 274 des UStGB ("Die Erziehung als Folge gezielter Einwirkungen, die Pflege als die, die normale körperliche Entwicklung des Minderjährigen sichernde Tätigkeit, die Aufsicht, als andauernde ununterbrochene Kontrolle umfaßt die unterschiedlichsten nicht aufzählbaren Pflichten"). 318 s. zum ganzen (aus Sicht einer Fachhochschuldozentin und Mitarbeiterin am Pädagogischen Landesinstitut) fara 1964, 55 ff., die daher in dem Streit zwischen der Medizinerin György (1961,119) und dem Juristen Szab6, A. (1964 b], 92) zugunsten ersterer Stellung bezieht und die Beschäftigung mit abweichenden Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen vorrangig für eine Aufgabe der Pädagogischen und Jugendschutzorgane und nicht der Justiz hält. Daß auch der Gesetzgeber dies so sehe, ergibt sich ihrer Ansicht nach aus der zuvor erfolgten Anhebung der Schuldfähigkeitsgrenze auf das vollendete 14. Lebensjahr (während Szab6, A. demgegenüber gerade darauf verweist, daß Straftaten Jugendlicher - wie sich auch aus der genannten Gesetzesnovelle ergebe - [weiterhin] in die Kompetenz der Strafgerichte fielen). 319 Szendrö (1964, 69 f.) belegt dies mit dem Hinweis darauf, daß, bezogen auf den Durchschnitt der vergangenen Jahre im Hellfeld Jugendliche "ihre" Straftaten zu 55-56 % gemein317

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Szendrö deren Entstehung und Verbreitung ausdrücklich mit ökologischen Faktoren wie insb. schlechten Wohnverhältnissen in Verbindung bringt, d. h. er nennt auch gesellschaftliche Bedingungen und beschränkt sich nicht darauf, die Ursachen in (ggfs. gehäuft auftretenden) individuellen Erziehungsdefiziten zu suchen. Ferner macht er auch Angaben zum sozio-ökonomischen Status der polizeilich bekanntgewordenen Bandenmitglieder und führt hierzu aus, es handele sich überwiegend um Hilfsarbeiter, welche durch das organisierte Freizeitangebot nicht erreicht würden, und der hohe Anteil der Beschäftigungslosen verdeutliche die Notwendigkeit verstärkter Bemühungen auf dem Arbeitsmarktsektor. Erwähnenswert erscheint auch, daß Szendrö bei "Banden" differenziert und darauf hinweist, daß der altersgemäße Zusammenschluß zu Peer-groups, auffällige Kleidung sowie ggfs. auch bloßes provokatives gemeinschaftliches Auftreten eine Kriminalisierung nicht rechtfertigt. Darüberhinaus enthält der Beitrag eine Tabelle, die bezüglich des Hellfeldes (der Jahre 1961-1963) Aufschluß über die Anzahl durch Banden(mitglieder) verwirklichter Straftatbestände sowie über Geschlecht, Alter und berufliche Beschäftigung der Mitglieder gibt320 . Szendrö setzt sich auch einfühlsam mit der großen Bedeutung von Peer-groups für Jugendliche in wesentlichen Entwicklungsstadien auseinander, mahnt zur Gelassenheit und geht in seinem Abschnitt zu möglichen Formen der Prävention ausschließlich auf kriminaltaktische Fragen ein321 . Cseh steuert im Rahmen seines Beitrages einige Erkenntnisse und Erfahrungen, die im Verwaltungsbezirk Komarom mit (Bekämpfung von) Jugendkriminalität gemacht wurden, bei 322 , während Sikl6si (1964, 67ff.) eher in allgemeiner Form den Ausführungen Györöks beipflichtet und sie durch seine eigenen, aus Einzelfällen gezogene Lehren ergänzt323 ; B6dogh geht auf die polizeilichen Erfahrungen im Verwaltungsbezirk Bacs-Kiskun ein324 .

Eine ganze Fülle anregender An- und Einsichten liefert der Beitrag von David325 . Dieser wendet sich zunächst gegen eine Betrachtungsweise, die das zugrunschaftlieh begingen, sowie daß polizeilich im Laufe der vorangegangenen drei Jahre in Budapest über 2.000 junge Menschen als Mitglieder ,,krimineller Banden" registriert worden waren. 320 Bei dieser überrascht in erster Linie der mit zwischen 11-25 % im Vergleich zu bundesdeutschen Verhältnissen, eher hohe Frauenanteil an Bandenmitgliedern, wobei allerdings deliktsstrukturell nicht geschlechtsspezifisch differenziert wird. 321 Szendrä (1964, 73 ff.) befaßt sich z. B. mit der Bedeutung der Treffpunkte für die Banden (und der daraus folgenden für die Polizei) wie auch mit etwaigen Möglichkeiten, den schädlichen Einfluß der Anführer auf einfache Mitglieder ggfs auch im Zusammenwirken mit den Eltern letzterer zu paralysieren. 322 s. Cseh 1964, 59 ff., der auch praktische Fragen der Polizeiorganisation erörtert. 323 So weist er etwa unter dem Sammelbegriff subjektive Umstände auf die Bedeutung "arbeitsscheuer" und "leichtsinniger" Einstellung, "fehlender Kultur", sowie der Motive Geltungssucht und Rache hin (S. 69ff.). 324 s. näher B6dogh 1964, 73 ff. 325 s. (aus staatsanwaltschaftlicher Sicht) Ddvid 1965, 69 ff.

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deliegende gesellschaftliche Problem auf die Jugenddelinquenz beschränkt, und tritt demgegenüber für eine Einbeziehung auch sonstiger Formen der Devianz ein 326 . Auch die Prävention habe sich nach Möglichkeit auf alle Bereiche zu erstrecken. David bemängelt, daß nicht das ganze Ausmaß der Devianz statistisch erfaßt wird und mahnt vor diesem Hintergrund zumindest einen besonders sorgfältigen Umgang mit den vorhandenen Daten an. Er kritisiert in diesem Zusammenhang, daß die im Rahmen der vorangehenden Diskussionsbeiträge enthaltenen Zahlenangaben allenfalls die der Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung vorgelegten Verfahren berücksichtigten, wodurch all die anderen, bei denen eine Anklage mangels Strafmündigkeit nicht in Betracht kam oder die als Ordnungswidrigkeit an die Gesellschaftsgerichte bzw. die zuständigen Behörden abgegeben wurden, übergangen worden seien. Insbesondere zuverlässige Daten zu der sog. "Kinderkriminalität", die auch von den Jugendbehörden nicht bereitgehalten würden, seien aber für eine, eine effiziente Prävention ermöglichende Analyse unverzichtbar. Sodann kritisiert er, daß bei der Würdigung der statistisch ausgewiesenen sinkenden Tendenz eine Reihe relevanter Veränderungen der Erfassungsmodalitäten unberücksichtigt geblieben seien, was im Ergebnis den Rückgang im Hellfeld ausgeprägter erscheinen lasse, als es der Realität entspreche (S. 70 ff.). So seien in den vorangegangenen Jahren seit 1956 eine Reihe von Straftatbeständen vom Gesetzgeber zu Ordnungswidrigkeiten umgewandelt worden. Derartige Entkriminalisierungen bedeuteten jedoch keineswegs, daß die entsprechenden Verhaltensweisen abgenommen hätten. Auch die am 1. 7. 1962 in Kraft getretene Anhebung der Strafmündigkeitsgrenze von 10 auf 14 Jahre habe nur zu einem statistischen Schwund durch Kinder erfüllter Straftatbestände geführt327 . Ferner reduziere die 1963 ausgesprochene Generalamnestie die Vergleichbarkeit der Werte dieses Jahres mit denen der vorangehenden oder auch nachfolgenden. Auf der Grundlage einer modifizierten Berechnung der Tatverdächtigenziffer kommt David schließlich zwischen 1961 und 1963 gar trotz der Amnestie zu einem Anstieg. Den Gedanken, daß die Realität einer (vermeintlichen) Abnahme "gesellschaftsfeindlicher Verhaltensweisen durch Kinder und Jugendliche stark hinter der statistisch ausgewiesenen zurückbleiben dürfte, belegt er ferner durch Hinweise darauf, daß sich im hauptstädtischen Kinderheim 19544.670 und 19639.450 Kinder in staatlicher Ob326 Zur Begründung (S. 69) verweist er darauf, daß nach geltendem Recht ein und dieselbe Verhaltensweise (sein Beispiel: der Diebstahl einer Hose) je nach Alter des Täters entweder nur Reaktionen der Jugendbehörden oder aber auch der Strafverfolgungsbehörden auslösen kann. Für letztere hinge es wiederum vorn Wert der Hose ab, ob das Verhalten als Ordnungswidrigkeit oder Straftat verfolgt würde. Hiernach trachtet er, bisweilen fließende (ja mitunter geradezu zufällige) Übergänge zwischen Delinquenz und sonstigen Formen der Devianz zu belegen, die s.E. gegen eine weitreichende kriminologische Sonderbehandlung der Delinquenz sprechen. 327 Es fällt auf, daß Ddvid, die Veränderungen wohl am ehesten für ein Zurückweichen des Gesetzgebers vor der Kriminalität erachtend, nicht bereit ist, den naturwissenschaftlich gleichen Verhaltensweisen aufgrund ihrer veränderten legislatorischen Wertung auch selbst eine andere Qualität zuzuerkennen.

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hut befunden hätten, sowie daß 1961 gegen 1.362 Jugendliche Ordnungswidrigkeitenverfahren durchgeführt worden seien, gegenüber 2.107 im Jahr 1963. Vor dem Hintergrund des solcher Art skizzierten Handlungsbedarfes wendet sich David seinem Hauptanliegen zu, der Empfehlung einer veränderten Konzeption der Tätigkeit der Jugendämter. Diese, noch unter kapitalistischen Bedingungen entstanden, ziele ausschließlich auf reaktive Hilfsrnaßnahmen ab, sobald ein entsprechender individueller Handlungsbedarf durch deviante Verhaltensweisen des Kindes oder Jugendlichen erkennbar geworden sei. Bis zu diesem Zeitpunkt könnten sich entsprechende Fehlentwicklungen jedoch bereits verfestigt haben. Über diese klassische Gefährdetenhilfe hinausgehend, biete sich im Sozialismus erstmalig die Möglichkeit, früher anzusetzen und bereits gefährdenden Umständen entgegenzuwirken, worunter er in erster Linie die verstärkte Schaffung und Bereitstellung staatlicher Einrichtungen zur Kinderbetreuung versteht, in denen Minderjährige regelmäßig und pädagogisch fachkundig beschäftigt und beaufsichtigt würden, versteht. Abschließend fordert er für die Jugendämter das Recht und die Pflicht zu operativen Vorfeldermittlungen, um frühzeitig Gefährdungen in der kindlichen Entwicklung aufzuspüren und zu bekämpfen und nicht mehr solange untätig zu bleiben bis abweichendes Verhalten auftritt und die Möglichkeiten effektiver Einwirkung sich durch Verfestigung der Entwicklung reduziert haben. Auch Szöts spricht sich dafür aus, daß die Gesellschaft im Interesse einer wirksamen Prävention bereits ,,im Kindergartenalter mit der pädagogischen Aufsicht beginne, was freilich voraussetze, daß die Erzieher nicht nur die Erziehung der Kinder, sondern auch die Untersuchung des elterlichen Umfeldes als ihre Aufgabe" erachteten. Bemerkten sie ein ,,kriminologisch schädliches familiäres Umfeld", sollten die Erzieher einerseits erzieherisch auf die Eltern einwirken und notfalls die zuständigen staatlichen Stellen, wie Polizei und Jugendamt, zwecks Einleitung der erforderlichen Schritte (z. B. Unterbringung des Kindes in einem Jugendheim, Einleitung eines Strafverfahrens usw.) verständigen 328 . Markojas diskussionsbeendender Beitrag schließlich stellt die Auffassung des damals stellvertretenden Justizministers zu einigen der angesprochenen Punkte dar329 . Auf den Beitrag Davids bezogen, der die Kriminalitätslage s.E. etwas übertrieben dargestellt habe, bestätigt er in der Sache, daß wesentliche Fragen des Kinder- und Jugendschutzes einer grundlegenden Analyse bedürften33o, die Lösung dieser Fragen jedoch nicht in den Aufgabenbereich der Strafverfolgungs- und Jus. (aus ärztlicher Sicht) Szöfs 1965, 72. s. Markoja 1965, 47 ff., der ein knappes Drittel seines Beitrages darauf verwendet, zu begründen, warum in einer sozialistischen Gesellschaft trotz des "bedeutenden Rückganges der Jugendkriminalität" dieses Thema überhaupt von notwendigem Interesse und Bedeutung ist. (Die diesbezüglichen Ausführungen, die geradezu im Stil einer Rechtfertigung gehalten sind, lassen das Unbehagen ihres Verfassers erahnen.) 330 Der auffällige Konsens regt an dieser Stelle zu den Hinweisen an, daß in Ungarn der Justizminister gegenüber dem Generalstaatsanwalt nicht weisungsbefugt ist, und daß Dtivid vor seiner Tatigkeit als Staatsanwalt Mitarbeiter im Justizministerium war. 328 329

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stizorgane gehöre. Zuzustimmen sei David auch insoweit, als er im Hinblick auf die Vermeidung der Herausbildung von gesellschaftsschädlichen Verhaltensweisen keine grundlegenden Unterschiede zwischen der Prävention von Delinquenz und sonstigen gestörten Verhaltensweisen erkennen könne. Bezüglich reaktiver Maßnahmen auf bereits verwirklichtes gesellschaftsfeindliches Verhalten gelte dies jedoch nicht; insoweit könne keine Gleichsetzung erfolgen. Nicht zu folgen sei auch der Empfehlung vereinzelter Pädagogen und Psychologen, mit deviantem Verhalten von Kindern und Jugendlichen sollten sich grundsätzlich in erster Linie die Jugendämter befassen. Die im 6. Abschnitt des UStGB getroffenen Bestimmungen, die sich auf Straftaten Jugendlicher beziehen, ständen dem - zu Recht - entgegen. Dies solle natürlich nicht die Bedeutung der Anwendung pädagogischer und psychologischer Mittel und Erkenntnisse im Strafverfahrensrecht schmälern. Im Gegenteil bedürften das Strafverfahrensrecht und der Strafvollzug dringend einer fundierten Kriminalpädagogik. Auch die von Szilagyi vorgeschlagene pädagogische Ausbildung des Personals der Ordnungsbehörden sei zumindest noch nicht zeitgemäß. Schließlich nennt er noch einzelne Bereiche, in denen er erhöhten Forschungsbedarf erkennt33 I. In der gesamten Diskussion zeigt sich der hohe Stellenwert, welcher dem Problem der Jugendkriminalität von Seiten der Innenbehörde beigemessen wird. Diese trifft sozusagen den Nerv. Diese gleichsam als Wurzel künftiger Kriminalitätsentwicklung erachtend 332 , kommt es zu einer Dramatisierung der Erscheinung, die zu einer sehr starken Betonung des Ziels effizienter Kriminalprävention führt, welche ihrerseits nicht ohne Einfluß auf die Auswahl der zur Zielerreichung als opportun und noch verhältnißmäßig erachteten Mittel bleibt. Am deutlichsten wird dies bei Davids Beitrag, in welchem die Vision einer (jugend)kriminalitätsfreien Gesell331 Mark6ja (1965, 53) erwähnt hierbei: die Lage der Jugendkriminalität in der Hauptstadt, den relativ hohen Anteil erneut straffälliger Jugendlicher, die sog. "Bandenfrage", Mängel der Nachbetreuung und die qualitative Steigerung der Erziehung in den "Besserungsanstalten". (Es handelt sich um die wortgetreue Übersetzung eines Ausdrucks, der rechtstatsächlich für eine Einrichtung steht, die nach deutschem Sprachgebrauch am ehesten als Jugendstrafanstalten zu bezeichnen wäre. Rechtsdogmatisch handelt es sich, um so etwas wie ein geschlossenes Erziehungsheim, in weIchem die einschneidendste Form von Erziehungsrnaßregeln [§ 91 UStGB lautet: "Erziehung in einer Besserungsanstalt ordnet der Richter an, wenn die erfolgreiche Erziehung des Jugendlichen nur durch Anstaltsunterbringung zu gewährleisten ist."], nicht aber Jugendstrafe vollstreckt wird). 332 s. anschaulich, wenngleich jeweils außerhalb der dargestellten Diskussion, Hegedüs, S. 1980,369 mit einer Analyse der "Kinder- und Jugendkriminalität" im Verwaltungsbezirk Baranya, in weIche jene 734 Jugendliche einbezogen wurden, die zwischen 1976 und dem I. Halbjahr 1978 angeklagt worden waren; speziell zur "Kinderdelinquenz" in Ungarn s. Mesko 1976,252 ff., 267 ff.; vgl. auch Szildrd u. a. 1975,83 ff., die der Frage nachgingen, inwieweit aus der "Präkriminalität" von Kindern auf die Wahrscheinlichkeit späterer Delinquenz geschlossen werden könne, indem sie 85 wegen "anti- oder asozialen Verhaltens" in die neuropsychiatrische Abteilung einer Klinik eingewiesenen Kinder untersuchten; Kovacs 1972, 58 bringt gar die Sorge zum Ausdruck die starre Strafmündigkeitsgrenze führe dazu, daß sich Kinder zwischen 10 und 13 Jahren delinquente Verhaltensweisen derartig angewöhnten, daß sie sich in der Folge gar nicht mehr von ihnen lösen könnten. 7 T6th

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schaft, um den - offensichtlich für völlig unproblematisch erachteten - Preis einer umfassenden staatlichen Erziehung, durch koordinierte Mobilisierung aller Sozialisations- und Sanktionsinstanzen zum frühestmöglichen Zeitpunkt, d. h. bereits im Vorfeld eines Verdachtes, manifest wird. Mäßigende, zur staatlichen Zurückhaltung ermutigende Beiträge wie z. B. der von Szendrö bildeten demgegenüber im Rahmen der Diskussion eher die Ausnahme. Ein Hinweis auf die mögliche Episodenhaftigkeit von Straftaten Jugendlicher fehlte völlig. Es dominierten täterorientierte persönlichkeitsspezifische entwicklungsspsychologische Antworten auf aetiologische Fragen, eine Pathologisierung der individuellen Erscheinung, die ihrerseits wiederum Anstrengungen insbesondere auf psychiatrischem, psychologischem oder kriminal pädagogischem Gebiet angezeigt erscheinen ließ. Auffällig ist auch, daß gerade Molnar und Szab6, A. als diejenigen Kriminologen, die mit den meissten Veröffentlichungen zu diesem Themenkomplex hervorgetreten waren 333 , sich an dieser Diskussion nicht beteiligten 334 . c) Die Arbeiten von Molnar zur Jugendkriminalität

Eine Vielzahl von Veröffentlichungen zwischen 1958 und 1976 belegen das besondere Interesse des "frühen Molnar,,335 für diesen Themenkomplex, für den er in Ungarn, spätestens seit dem Erscheinen seiner Monographie über die Kriminalität von Jugendbanden im Jahre 1971, allgemein auch als einer der anerkanntesten Spezialisten gilt. Nicht unwesentlich zu diesem beigetragen haben dürfte ein einjähriger Forschungsaufenthalt in den Vereinigten Staaten, der zu einer Sensibilisierung für die Erscheinung sowie zur hierauf beruhenden Auswertung der englischsprachigen Fachliteratur geführt hat, so daß er, als nach seiner Rückkehr die Verbreitung von Jugendbanden in Budapest zu einer nicht mehr zu leugnenden gesellschaftlichen Erscheinung wurde, die auch einen entsprechenden kriminologischen Handlungsbedarf erkennen ließ, beinahe "zwangsläufig" zu einer der Personen "der ersten Stunde" wurde. Sein besonderes Interesse galt vorwiegend mikrostrukturellen, insbesondere (sozial)psychologischen Untersuchungen, wobei er jedoch auch der Auseinandersetzung mit sozialen Faktoren, sofern deren Relevanz (ggfs. auch gehäuft) im Verhalten des Einzelnen feststellbar wurde, (soweit ersichtlich) nie auswich. 336 Seine Arbeiten zur Jugenddelinquenz repräsentieren gleichsam die empirische Forschungstätigkeit des OK(K)RI in diesem Bereich. s. näher zu den Genannten nachfolgend S. 98 ff. und 112 ff. A.A. bzgl. Szab6, A. aber Markoja (1965, 50), der sich dabei auf eine Veröffentlichung Szab6s stützt, in welcher dieser sich außerhalb des BSz und ohne Bezugnahme auf die dort geführte Diskussion zu methodologischen Fragen der Untersuchung von Jugendkriminalität äußerte (1964 cl, 597 ff.). 335 Vom Verfasser 1992 auf seine Forschungsschwerpunkte angesprochen, bemerkte er selbstironisch: "Wissen Sie, junger Mann, als ich jung war, habe ich immer über die Jugendkriminalität geforscht. Wissen Sie, womit ich mich jetzt beschäftige? - Mit Alterskriminalität." 333

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1962 wurden unter seiner Federführung die Ergebnisse durch das OKRI erfolgter umfangreicher empirischer Untersuchungen vorgestellt 337 • Die Arbeiten waren von sechs mit Juristen, Ärzten, Pädagogen und Psychologen besetzten Forscherteams in einer dem Vollzug von Untersuchungshaft an Jugendlichen dienenden Einrichtung, einem Jugendgefängnis, einem dem Strafvollzug an weiblichen Jugendlichen dienenden "Mädchenheim", der Jugendschutzabteilung der Budapester Innenbehörde und in Familien gefährdeter Jugendlicher durchgeführt worden. Die Untersuchungen bezogen sich auf 186 Jugendliche. Es kamen als unterschiedliche Forschungsmethoden die Auswertung der Ermittlungs- bzw. Gerichtsakten mit Hilfe eines für diesen Zweck konzipierten Fragebogens, die Exploration (in verschiedenen Unterarten) und die Beobachtung zur Anwendung, wobei der Schwerpunkt auf psychologischen Erhebungsverfahren lag. Die Methodenvie1falt hatte gleichsam als erwünschte Nebenwirkung die Gewinnung aufschlußreicher Erkenntnisse bzgl. der (beschränkten) Reichweite einer einzelnen Vorgehensweise zur Folge. So ergab sich, daß von den 1.365 Einzeldaten, die in jedem der Fälle eruiert werden sollten338 , mit Hilfe der Aktenanalyse durchschnittlich lediglich etwa 48 % erhoben werden konnten, während es mit Hilfe explorativer Gespräche 70 % waren. Bei 13 % widersprachen die auf unterschiedliche Art gewonnenen Angaben einander, was nach Molnar nachdrücklich einen vorsichtigen Umgang mit "Aktenwirklichkeiten" anmahnt. Speziell bezüglich der Anamnese der persönlichen Verhältnisse und des familiären Millieus erweise sich die Aktenanalyse gegenüber explorativen Gesprächen als klar unterlegenes Erkenntnismitte1, was vor dem Hintergrund, daß die Gerichtsakten nicht selten psychologische oder ärztliche Gutachten bzw. pädagogische Stellungnahmen enthielten, zumindest nicht in der vorgefundenen Schärfe erwartet worden war339 . Als günstig werden nachträgliche explorative 336 Nach dem subjektiven Empfinden des Verlassers spiegelt sich in seinen Arbeiten stets wider, daß für ihn in erster Linie das konkrete Schicksal des Einzelnen, d. h. letztlich der Mensch im Mittelpunkt steht. 337 s. zum nachfolgenden Molmir 1962, 95 ff. 338 Zu diesen gehörten etwa die persönlichen sowie die biografischen Daten unter besonderer Berücksichtigung des erlahrenen Erziehungsverhaltens, des schulischen Werdegangs und der Einstellung gegenüber der Arbeit, die Einkünfte des Jugendlichen unter Einbeziehung der Frage, wofür er diese verwendet, eine Analyse seiner physischen und psychischen Verlassung mitsamt der (möglicherweise hierlür relevanten) Faktoren (wie z. B. Ablauf der Geburt, Säuglings- und Kinderkrankheiten), die sozialen Kontakte (d. h. v.a. der Freundeskreis) und das Freizeitverhalten, Angaben zu den Eltern (Alter, Schulbildung, wirtschaftliche Verhältnisse Gründe eines etwaigen Getrenntlebens, deren Verhältnis zueinander), die familiären Verhältnisse im Hinblick auf Geschwister, Wohnraum usw., sowie schließlich die den Jugendlichen betreffenden Pläne der Eltern bzw. bei den Nicht-Ersttätern Zusammenhänge mit früheren Taten und Entwicklungsstrukturen. 339 Dies wird an einem Einzelfall, in welchem das Gericht als Tatmotiv für einen Fahrraddiebstahl im Urteil schlicht "Abenteuersucht" angenommen hatte, anschaulich verdeutlicht (S. 101). Nach den tatrichterlichen Feststellungen sei die Mutter nach dem vermeintlichen Tod des Kindesvaters im 2. Weltkrieg mit der Erziehung überlordert gewesen und hätte das Kind daher in ein Heim gegeben. Der Junge hätte sich mit den vorgefundenen Verhältnissen nicht abfinden können und sei daher in der Folge aus verschiedenen Heimen entwichen, wo-

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Gespräche, d. h. solche nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils erachtet, da zu diesem Zeitpunkt zumindest die Gefahr taktisch motivierter Verfälschungen reduziert sein dürfte. Ferner ist anzumerken, daß die explorativen Gespräche sich nicht auf die Person des Delinquenten beschränkten, sondern sich auch auf die Eltern erstreckten, was ebenfalls zu wesentlichen Aufschlüssen geführt habe 34o • Die Unterbei er im letzten Fall ein Fahrrad für die Flucht entwendete. Demgegenüber ließen die psychologischen Untersuchungen auf einen starken, unterdrückten Eltern-Kind-Konlikt schließen. Folgender Sachverhalt stellte sich schließlich heraus: Nachdem der Kindesvater sich, die Familie verlassend, ins Ausland abgesetzt hatte, fand der Verurteilte gemeinsam mit seinen beiden Schwestern und der Mutter bei einem anderen Mann Unterkunft. Der "Hausherr" ließ sie allesamt für sich arbeiten und schlug die Kinder im Einvernehmen mit der Mutter, die der Verurteilte dafür haßte. Letzterer wollte zu seinem leiblichen Vater, was ihm nach seiner Flucht 1956 auch gelang. Eines Tages traf er seinen Vater beim Liebesspiel mit einer ihm unbekannten Frau an. Darauf angesprochen schlug ihn sein Vater zusammen, woraufhin der Verurteilte enttäuscht wieder nach Ungarn zurückgekehrt sei. Vor diesem Hintergrund, resümiert Molntir, erscheine die "Abenteuersucht" freilich in einem modifizierten Licht. 340 Molntir schildert einen Einzelfall, bei dem eine vordergründige Betrachtungsweise ergäben hätte: Eltern leben zusammen, beide arbeiten und erziehen ihren Sohn mit großer Sorgfalt. Die näheren Untersuchungen ergaben demgegenüber folgendes differenziertere Bild: Die Kindesmutter war bei der Geburt 42 Jahre alt. Es war dies ihre 4. Schwangerschaft gewesen. Es war zu zwei Totgeburten sowie der Geburt eines Kindes gekommen, welches nach wenigen Stunden starb. Nach Darstellung der behandelnden Frauenärzte habe ein verborgener Infekt der Mutter die Leibesfrucht vergiftet und getötet. Es wurde bei der Mutter eine schwere Neurasthenie festgestellt. Der "Delinquent" entwickelte sich körperlich zunächst altersgemäß, sei jedoch bereits im Kindergarten als "zu lebhaft" auffällig geworden. Häusliche Erziehungsschwierigkeiten hätten zu schweren Schlägen durch den Vater geführt. (Auffällig sei auch gewesen, daß die Eltern hierüber nicht von sich aus, sondern erst auf ausdrückliche Nachfrage gesprochen hätten.) Die schulischen Leistungen des Kindes seien dem Vater sehr wichtig gewesen, entsprechende Erwartungsverletzungen schwer bestraft worden. In der fünften Klasse hätte der bereits mit starkem Trotz gegenüber seinem Vater erfüllte und urteilsschwache Jugendliche sich von einem Mitschüler im Rahmen einer Mutprobe dazu verführen lassen, die Wandzeitung der Schule in Brand zu setzen. (Als erwähnenswert erscheint Molntir, daß der Vater zu dieser Zeit Gewerkschaftssekretär seiner Firma war.) Die Tat sollte schwerwiegende Folgen haben. Es wurde ein Exempel statuiert. Anstatt sich intensiver mit den Hintergründen der Tat zu befassen, wurde er nicht "nur" aus der eigenen, sondern sämtlichen Schulen des Bezirkes, sowie auch dem Pionierverband ausgeschlossen. Vor der gesamten Schule gedemütigt mußte er diese verlassen. In der Folge hätten sich nach Darstellung der Mutter die schulischen Leistungen sowie der Gemütszustand des Kindes schlagartig verschlechtert. Es sei apathisch geworden und hätte immer häufiger und länger "herumgestreunt". Darauf folgende häusliche Strafen hätten den Zustand verstärkt. Es kam zu ersten vereinzelten Diebstählen. So stahl der Junge von einem Mitschüler 100,- Forint, die er seiner Mutter mit einer erfundenen Geschichte anbot. Zu Hause entwendete er seinem Vater kleinere Beträge, was zu Beschimpfungen und Zurechtweisungen seitens der Mutter führte. Der ohnehin nicht übermäßig begabte und infolge der geschilderten Umstände bereits schwer depressive Junge erreichte einen Zustand, in welchem er zu regelmäßiger Arbeit und konzentrierter Aufmerksamkeit weder in der Schule noch am Arbeitsplatz in der Lage war. Er blieb beidem fern, woraufhin es zweimal zu Entlassungen kam. Als er auch an seinem dritten Arbeitsplatz, als angelernter Arbeiter, die Norm nicht erfüllte und sich für den daraus resultierenden niedrigen Lohn schämte, bestahl der Junge, der mehr Angst vor der Strafe des Vaters hatte als vor derjenigen der Gesellschaft, mit welcher er kaum zu rechnen schien, einen Kollegen. Der Vater beglich den Schaden unter der Bedingung, daß der Junge wieder an den Ar-

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suchungen hätten ergeben, daß Jugendkriminalität nie monokausal erklärt werden könne, sondern stets in ihrer Prozeßhaftigkeit zu sehen sei (S. 107). Im 2. Abschnitt (S. 108 ff.) werden die Ergebnisse der statistischen Auswertungen im Hinblick auf die Altersstruktur, die Schulbildung, die Struktur der begangenen Delikte, sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse der (in über 50 % der Fälle) getrennt lebenden Eltern mitgeteilt. Dabei widmet sich Molmir insbesondere der Analyse der Häufigkeit (in 101 von 186 Fällen) einer gemeinschaftlichen Tatbegehungsweise (S. 111 f.), wobei er bzgl. der (im Rahmen der Theorie der differentiellen Assoziationen) aufgeworfenen Frage, ob der Jugendliche Kontakte mit kriminellen Verhaltensweisen suche oder ihnen nicht entgehen könne, dahingehend Stellung bezieht, daß der Jugendliche sich seinen Freundeskreis im Rahmen einer bewußten und gewollten (ggfs. auch gegen andere Personen gerichteten) Entscheidung auswähle. Hinsichtlich der signifikant hohen Scheidungsrate der Eltern erscheint erwähnenswert, daß Molmir sich - im Gegensatz zu nicht wenigen anderen - nicht mit deren Feststellung begnügt, so als ob diese zwangsläufig unmittelbar als kriminogener Faktor wirke, sondern auf die regelmäßigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und psychologischen Folgen des Getrenntlebens der Eltern für die Kinder eingeht. Er betont zudem die vielfach jugendtypische Art der Delikte, bei denen es erkennbar häufig nicht um die "Beute", sondern um die emotionale Spannung, den "Nervenkitzel" gehe, wofür er auch induktive Beispiele anführt (S. 114). Mit Blick auf das Subkulturkonzept berichtet er, daß sich bei den Untersuchungen gezeigt habe, daß die klare Mehrheit der Delinquenten den rechtswidrigen Charakter der Tat bei deren Begehung gekannt habe. Auffällig sei gar ein - im Vergleich zu strafrechtlich unauffälligen Jugendlichen - erhöhtes Maß an juristischem Spezialwissen gewesen, z. B. im Hinblick auf die Bedeutung des Wertes des Tatobjektes beim Diebstahl341 , die Antragsbefugnis beim Familiendiebstahl oder auch, "daß die Gerichte die unbefugte Benutzung eines Kraftfahrzeuges als Diebstahl ahndeten,,342. Die ausgewiesen psychologische Betrachtungsweise kommt auch in der abschließenden Charakterisierung der menschlichen Entwicklung vom Kleinkind zum Erwachsenen, als einen Prozeß der Beseitigung eines ursprünglich rein beitsplatz zurückkehrte. Der Junge riß aus, tauchte unter und blieb wochenlang verschwunden, bis ihn die Polizei schließlich aufgriff. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits völlig den Boden unter den Füßen verloren und in verzweifeltem Zustand eine Serie von Einbruchsdiebstählen in Umkleideräumen von Sportstätten begangen. Die beim Vater durchgeführten Untersuchungen hätten zwar keine Neurasthenie, wohl aber eine schwere Neurose ergeben, die zu einer außergewöhnlichen und letztlich auch mit Hilfe starker, bewußt hierauf gerichteter Anstrengungen nicht wirksam zu unterdrückender Aggressivität geführt habe. (Als bezeichnend empfindet Molndr auch die einverständliche gemeinsame Aktion der Eltern in der Zeit der Inhaftierung des Jungen, dessen Hund und damit den einzigen "Gegenstand" seines Interesses zu verkaufen, um die Hundesteuer zu sparen.) 341 Je nach Wert des Tatobjektes wurde die Tat in Ungarn entweder als Straftat oder als Ordnungswidrigkeit verfolgt. 342 Die distanzierte Haltung Molndrs gegenüber dieser Judikatur wird an dieser Stelle offensichtlich.

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egozentrischen Weltbildes und der parallel dazu erfolgenden Entwicklung moralischen Verhaltens (S. 119), sowie der Forderung nach notwendiger Beiziehung eines psychologischen Sachverständigen in Strafverfahren und die Organisation psychotherapeutischer Arbeit im Jugendstrafvollzug (S. 128) zum Ausdruck343 . Im Rahmen einer anderen Arbeit 344 werden diese Ergebnisse um die bei der Untersuchung der Verhältnisse der Asz6der "Besserungsanstalt" gewonnenen Erfahrungen ergänzt, die u. a. auf der Befragung der 580 Gefangenen beruhen. Deren Familienverhältnisse werden als "bis in die Wurzeln gesellschaftliches Problem" (S. 36) erachtet, weswegen auch die Eltern-Kind Beziehung zunächst im Vordergrund des Interesses steht. In diesem Zusammenhang wird festgestellt, daß die Sehnsucht nach "draußen" bei den Jugendlichen, die erst einige Monate in der Anstalt sind deutlich ausgeprägter sei, als bei denjenigen, die sich bereits 2 Jahre in dieser befinden. Dem entspreche es auch, daß die Perspektive der Rückkehr ins Elternhaus für die Jugendlichen mit fortschreitender Dauer der Inhaftierung signifikant an Bedeutung verliere 345 . Ihren Tiefpunkt erreiche die Eltern-Kind Beziehung (aus Sicht der Jugendlichen) in der Regel in der auf die gerichtliche Entscheidung folgenden Phase. In der Mehrzahl erfolge der Einweisungsbeschluß mit Zustimmung der Eltern, nicht selten gar ihrem ausdrücklichen Wunsch entsprechend. Diese Erfahrung verursache bei den Jugendlichen häufig schwere Krisen, die in Einschätzungen wie "ich bin wegen meiner Eltern hier . .. die haben mich dem Richter verkauft", zum Ausdruck kommen. Daß die Jugendlichen nach ihrer Entlassung bzw. im Fall ihrer Flucht in der Regel gleichwohl ins Elternhaus zurückkehrten, beruhe am ehesten auf einem Mangel an Alternativen und bedeute keineswegs die Lösung der familiären Probleme. In einem gesonderten Abschnitt beschäftigt sich Molmir mit den Beziehungen der Jugendlichen zueinander, wobei er zwar die Existenz von Jugendbanden in der Anstalt bestreitet, zugleich aber verschiedene Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer Gefangenensubkultur nennt. Diese sei durch einen starken Gemeinschaftsgeist geprägt, wobei Gemeinschaft nicht i.S. einer abstrakten Idee, sondern durchaus konkret durch die gesetzten Bedingungen (wie gemeinsame Mahlzeiten und Arbeit, Gemeinschaftszellen usw.) er343 Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch die Dominanz entsprechender Blickwinkel im Rahmen des adaptierten nicht ungarischsprachigen Schrifttums, welches er bereits in der 1. Fn. (S. 95) seinen nachfolgenden Ausführungen sozusagen zugrunde legt; es handelt sich um die von Mannheim in Cambridge durchgeführten Untersuchungen, die Forschungen von W. und J. McCord, sowie die tiefenpsychologische Arbeit von Stephens und die Studie von Lander, B. 344 Vgl. Mo/mir 1963, 33ff. 345 Bei den in der Landwirtschaft eingesetzten Jugendlichen nannten 66 % (die absoluten Zahlen wurden nicht mitgeteilt) der erst höchstens 6 Monate in der Besserungsanstalt befindlichen Jugendlichen dies als ihr Hauptzie1, gegenüber nur 10% der bereits zumindest 2 Jahre eingesperrten Gefangenen; bei den in der Industrie eingesetzten Jugendlichen lauteten die entsprechenden Anteile 8 % bzw. 4 %. Dabei sollen die Unterschiede darauf beruhen, daß die letzteren einen Facharbeiterabschluß erlangten, der ihnen nach ihrer Entlassung die Chance auf wirtschaftliche Unabhängigkeit gegenüber dem Elternhaus eröffnete, während erstere in stärkerer Weise zurück in die Abhängigkeit vom Elternhaus entlassen wurden (S. 36 f.).

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lebt werde. Bereits hierdurch käme es zu Modifizierungen der Einstellung 346 • Als dauerhaft sichtbaren Ausdruck des Zusammengehörigkeitsgefühls führt Molntir T~itowierungen an. Die Gefangenen seien zu 61 % tätowiert, wobei die meisten Tätowierungen erst in der Anstalt angebracht worden sein sollen. Zum Teil sei ein Gruppendruck spürbar, so daß die Sorge, sich andernfalls auszugrenzen, als Motiv erkennbar werde. In der Anstalt am stärksten verbreitet sei das sog. "Besserungskreuz", welches aus einem Kreuz und drei waagerechten Strichen unter diesem besteht und die Zusammengehörigkeit und "ewige Freundschaft" ihrer Träger als Insassen eben dieser Anstalt symbolisieren soll. Es stehe auch für die Verpflichtung zur Hilfeleistung "draußen". Im Laufe der anstaltsinternen Sozialisierung sei ein Wertewandel dahingehend feststellbar, daß für Neue zunächst Eigenschaften wie Stärke, Mut und Wagemut als wesentlichste Tugenden gelten, an deren Stelle nach bereits einem Jahr Aufenthalt Eigenschaften, wie "clever", "belesen" und "erfahren" getreten seien. Die Einstellung gegenüber "den Erwachsenen" sei zumeist durch fehlendes Vertrauen bzw. gar den Haß gegenüber den eigenen Eltern geprägt, was im übrigen im Rahmen der geschlossenen Institution einen fruchtbaren Boden finde. Schließlich geht Molndr auf Fortschritte der schulisch-beruflichen Ausbildung sowie die kulturellen Interessen der Jugendlichen ein, wobei er in diesem Zusammenhang Defizite bei der Aufarbeitung der Straftat beklagt347 . Besonders betont Molndr die Verantwortung der Gesellschaft nach der Entlassung, wobei er ausdrücklich das in Arbeitskollektiven häufig festzustellende Fehlverhalten der Ausgrenzung bemängelt, die zu weiterer Delinquenz führen könne. Die Jugendlichen, die im Hinblick auf ihren Anstaltsaufenthalt auf eine Wand des Mißtrauens und der Ablehnung stießen, erhielten das Gefühl, wie durch ein "nicht zu entfernendes Kainsmal" zum Ausgestoßenen "abgestempelt" zu werden. Dies aber hätte, zumindest in der Regel, eine weitere delinquente Entwicklung zur Folge348 • Vorwiegend mit den rechtstatsächlichen Zuständen beschäftigte sich Molndr im Rahmen einer Untersuchung zur "Persönlichkeitsformung" (i.S. von Erziehung) delinquenter Jugendlicher in Besserungsanstalten349 , die 1962 von Juristen und 346 Molmir (S. 37) zitiert z. B. die differenzierende Haltung eines Jugendlichen zum Diebstahl innerhalb und außerhalb der Anstalt als typische und herrschende Einstellung: "Draußen haben wir es alle gemacht ... hier drin ist es aber was anderes, hier sind wir Schicksalsgenos-

sen ... ".

347 So führt er zur Veranschaulichung (z.T. seines Erachtens zynische) Aussagen Jugendlicher wie folgende an: " Ich hab' s mit ihr (gemeint ist die Straftat; der Verf. - F. T.) ganz gut erwischt. Mein Komplize, den sie nicht erwischt haben, ist Hilfsarbeiter, und ich komme hier als Facharbeiter ,raus"', oder (auf die Frage, warum wohl der eine Mensch stehle und der andere nicht:) "manche Menschen sind mutig, andere eher feige". 348 s. Molmir; 1963, 40, wobei die auffällige Nähe zum Etikettierungsansatz in Rhetorik und Inhalt weder zufällig noch vermeidbar erscheint; s. auch allgemein zur sog. "Nachbetreuung" Molmir 1964b), 203 ff.; s. zur "Nachbetreuung" hier näher unten S. 219ff. 349 s. Molmir 1964a), 222 ff., der die Arbeit auch Jugendrichtern als praktische Prognosesowie Entscheidungshilfe bzgl. der Frage, ob im konkreten Einzelfall Erziehungsmaßnahmen ausreichen oder die Verhängung einer Jugendstrafe erforderlich ist, empfiehlt.

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Psychologen des OKRI durchgeführt worden war. Sie erstreckte sich auf insgesamt 1816 (überwiegend männliche) Jugendliche 35o, die anonym schriftlich befragt wurden. Ferner wurden die Gerichtsakten sowie die Personalakten der Anstalt herangezogen. Im Hinblick auf die große Bedeutung, die dem gesamten Strafverfahren beigemessen wurde, da sie als erste staatliche Reaktion idealiter sozusagen die Grundlage der "Umerziehung" zu schaffen habe (S. 229), wurde eruiert, wie die betroffenen Jugendlichen dieses subjektiv erlebt hatten 351 • Naturgemäß konzentrierte sich das Interesse stark auf die Frage, wie die Richterpersönlichkeit bzw. das Urteil empfunden worden sei352 • Als ermutigend wird erachtet, daß nur 28% der Befragten keine eigene (Mit-)Verantwortung für ihre Tat einräumten, während mit fortschreitender Aufenthaltsdauer die Bereitschaft, die Schuld sogar ausschließlich bei sich selbst zu suchen, zugenommen habe (S. 238). Letzteres zeige freilich auch, daß die Möglichkeiten, den Jugendlichen bereits im Rahmen des Strafverfahrens, d. h. spätestens in der Hauptverhandlung zu dieser Einsicht zu bewegen, noch nicht ausgeschöpft würden (S. 241). Die weiteren Teile der Arbeit enthalten neben einigen kriminalpädagogischen Hinweisen vor allem umfangreiche Ausführungen zu Zukunftsplänen, Einstellungen, Gruppenstrukturen und Interaktionen der Insassen 353 . Zunächst im Rahmen mehrerer Aufsätze widmete sich Molnar etwa ab der 2. Hälfte der sechziger Jahre, als Mitarbeiter des OKRI, der Untersuchung der Delinquenz von Jugendbanden. Unter bewußtem Verzicht auf den Versuch einer allgemein konsensfahigen Definition des Begriffs der ,,Jugendbande" gab er 1968 eine Übersicht über das (vorwiegend soziologisch orientierte) US-amerikanische Schrifttum zu diesem Themenkomplex, in der er sich ohne Vollständigkeitsanspruch auf die Darstellung der s.E. wesentlichsten Standpunkte beschränkte354 . 350 Es handelte sich neben Insassen von Besserungsanstalten um Untersuchungshaftgefangene, sowie eine aus Schülern verschiedener Schul(form)en gebildeten Kontrollgruppe. 351 Der Umstand, daß sich die Mehrheit der Insassen der Besserungsanstalt bereits zumindest ein Jahr in dieser befunden hatte (19 % 0-6 Monate, 28,5 % 6-12 Monate, 34,5 % 12-24 Monate, 18 % 2 Jahre und mehr), soll sich nach Ansicht des Verfassers, vermutlich aufgrund der besonderen Bedeutung des Geschehens für die Jugendlichen, allenfalls bei etwa 13 % nachteilig bemerkbar gemacht haben (S. 233 f.). 352 Hierzu wird festgestellt, die (nicht näher konkretisierte) "entscheidende Mehrheit" gehe davon aus, der Richter "habe nur seine Pflicht erfüllt" und sei dabei sachlich vorgegangen. Das Urteil selbst sei von knapp einem Drittel (32,5 %) als "zu hart und ungerecht" empfunden worden, während 7,5 % der männlichen Insassen es als "relativ mild" empfunden hätten (S. 234, 236). 353 Inhaltlich werden dabei bereits zuvor veröffentlichte Ergebnisse (Molmir 1963, 36 ff.) weitgehend bestätigt, weswegen an dieser Stelle zur Vermeidung von Wiederholungen auf die diesbezügliche Darstellung (s.o. S. 102 ff.) Bezug genommen wird. 354 s. Molmir 1968, 171 ff., der einen diesbezüglichen Erkenntnisvorsprung in den USA nicht nur auf den früheren Forschungsbeginn, sowie die größere qualitative und quantitative Bedeutung der Erscheinung, sondern erkennbar auch auf die sehr viel weiter fortgeschrittene Institutionalisierung der Soziologie (S. 174) zurückführt.

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Dabei stützte er sich schwerpunktmäßig auf die Arbeiten von Thrasher; McKay, Cohen, Merton, Ohlin/Cloward und Yablonsky355. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der seinerzeit herrschenden Pathologisierung der Jugendkriminalität in Ungarn ist auch seine Feststellung bemerkenswert, "die allgemein verbreitete Ansicht, nach der Jugendliche in einem bestimmten Stadium ausnahmslos in dieser oder jener Form gelegentlich eine Straftat begehen, beinhalte zumindest viel Wahrheit" (S. 173). Eine vom OKRI durchgeführte empirische Untersuchung hatte zum Ziel, die Umstände der Entstehung von Jugendbanden in Budapest, ihre charakteristischen Funktionsweisen, sowie das Volumen und die Struktur der durch diese begangenen Straftaten zu erforschen 356 . Es wurde dabei von einem Hellfeld von insgesamt 2.767 jugendlichen bzw. heranwachsenden Mitgliedern, von denen 2.260 männlichen und 507 weiblichen Geschlechts waren, ausgegangen 357 . Im Rahmen der Arbeit wurden Daten über 56 im Zusammenhang mit Straftaten auffällig gewordene Banden nach deren Organisation sowie Funktionsweisen erhoben, wobei diese z.T. Gerichtsakten entnommen wurden, vorwiegend aber auf Interviews mit in Besserungsanstalten befindlichen Jugendlichen beruhten. Die Forschungen erstreckten sich z.T. auch auf nicht delinquente Jugendgruppen. Die Verfasser betonen die Notwendigkeit einer exakten Definition des Gegenstandsbereiches und treten dabei für eine restriktive Begriffsbestimmung der sog. "Jugendbande" ein, um nicht unnötigerweise durch negativ wertende Etikettierung auch relativ harmloser Jugendgruppen bei solchen gesellschaftsfeindliche Einstellungen und Wertungen zu erzeugen oder zu fördern. Hiernach verstehen sie unter Jugendbanden folgendes (S. 63 f.): auf eine gewisse Dauer erfolgte, strukturierte Zusammenschlüsse358 mindestens dreier Personen359 , deren absolute oder relative Mehrheit zwischen 14 und 18 Jahre alt ist, und die eine antisoziale, die Werte der Gesellschaftsmehrheit ablehnende Haltung einnehmen. Bezüglich der Ursachen für den Anschluß an eine solche Gruppe wird zum einen auf die allgemein angenommenen Gründe für Jugendkriminalität, wie insbesondere bestimmte Umstände der familiären Situation, 355 Erwähnenswert ist gleichwohl auch sein einleitender Hinweis auf Recker s "Outsiders. Studies in the Sociology of Deviance" (Fn. 3). 356 s. Legrddy / Molndr 1969, 62 ff., die einleitend eine Verbindung zu Jugendausschreitungen in kapitalistischen Gesellschaften (Bundesrepublik Deutschland, Österreich, England, Frankreich, Niederlande, Italien, Japan bzw. gar Phillipinen) und sozialistischen Ländern ([ehemalige] Sowjerunion, Polen, [ehemalige] DDR und Tschechoslowakei) herstellen (wobei sie pointiert darauf hinweisen, daß in der Tschechoslowakei etwa, unter strikter Vermeidung des Begriffes "Bande", von "tadelnswerten Gruppen Jugendlicher" berichtet werde, die damit gemeinte reale Erscheinung jedoch gleichwohl dieselbe sei). 357 Zwischen 1962 und 1966 wurden polizeilicherseits 1.996 Personen als Bandenmitglieder registriert. 358 Dies Merkmal soll von bloßen situativen (Täter-)Gemeinschaften abgrenzen. 359 Bei lediglich zwei Personen könne noch nicht von einer Gruppe gesprochen werden, da der charakteristische Einfluß des Willens einer Mehrheit auf den eines Einzelnen noch nicht möglich sei.

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Bezug genommen (S. 65 f.). Zum anderen wird insbesondere jedoch auch auf eine Fülle jugendtypischer Faktoren eingegangen, die den Zusammenschluß zu Peergroups, quasi als "Selbsthilfegruppen" in der Phase des Übergangs, d. h. insb. beim "Herauswachsen aus der Familie" zur Folge haben. So übe beispielsweise gerade die Dynamik und Aktivität der Gruppe eine äußerst intensive Anziehungskraft auf die ohnehin aus der Familie herausdrängenden Jugendlichen aus. All dies geschehe zu einem frühen Zeitpunkt, zumal ein industriealisiertes (groß)städtisches Umfeld den biologischen und psychologischen Reifeprozeß von Jugendlichen vorverlagere. Dem würde durch die unveränderte Volljährigkeitsgrenze nicht Rechnung getragen. Auch würden Jugendliche nicht nach ihrem individuellen biologischen und psychischen Entwicklungsgrad, sondern schablonenhaft nach dem Grad ihrer gesellschaftlichen Integration beurteilt, wobei in diesem Bereich durch Verlängerung der der schulischen und beruflichen Ausbildung dienenden Phase die Integration als "vollwertiges" Mitglied in die Gesellschaft sogar nach hinten verschoben sei 36o • Diese widersprüchliche Tendenz, d. h. die schnellere körperliche und psychische Reifung bei gleichzeitiger Verlängerung der Lebensphase Jugend, erzeuge die Spannung, welche die Gruppe als Mittel der Selbstverwirklichung erfordern könne. Unübersehbar sei ein Interessenkonflikt zwischen dem sich von der Familie emanzipierenden Jugendlichen, der versuche, in der Gruppe Gleichaltriger "seine eigene Gesellschaft zu erschaffen", und der Familie, die ihn zurückhalten und die eigenen Macht auf den aufbegehrenden Jugendlichen auszuüben und zu bewahren trachte. Auch verändere sich die Familie in ihrer Eigenschaft als Sozialisationsinstanz durch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wie die zunehmende Erwerbstätigkeit und darauf basierende wirtschaftliche Unabhängigkeit beider Elternteile voneinander. Die Demokratisierung der Gesellschaft, der Rückgang autoritärer und patriarchalischer Strukturen finde in der Familie seine Entsprechung. So begrüßenswert dies auch sei, sei jedoch nicht zu verkennen, daß dies zugleich zu einem Autoritätsverlust des Vaters führe, der wiederum zur Folge habe, daß es zwar weiterhin Jugendliche reglementierende (wie z. B. gegen Rauchen, Alkoholgenuß oder Vagabundieren gerichtete) Vorschriften gebe, es aber in der Familie an einer natürlichen Autorität zu ihrer Durchsetzung fehle. Der Jugendliche verfolge die Angelegenheiten der Familie kritisch, sehe ein, daß es nicht in seiner Macht stehe, effektiv auf diese einzuwirken, bezweifle aber zunehmend auch die elterliche Macht hierzu. Demgegenüber könne er sich in der Peer-group auf vielfältige Weise einbringen, gar Führungspositionen erreichen, jedenfalls aber eine wichtige Rolle einnehmen. Die bemängelten gesellschaftlichen Regeln verlören in der Gruppe an Bedeutung und würden durch eigene, "praktischere" Regeln ersetzt, die auf erhöhte Akzeptanz stoßen. Von besonderer Bedeutung sei das Schutz bietende und Solidarität verlangende "Wir-Gefühl" der Gruppe. Von solchen Ursachen zu unterscheiden seien die durch die Bandenmitglieder bei Befragungen angegebenen Motive für die Konstituierung der Bande. Hiernach hätten sich 17 Banden zwecks gemeinsamer Freizeitgestaltung, 4 zur Teilnahme an Schlägereien, 11 zur Begehung von 360

Siehe hierzu auch Christie 1970, 11 ff.; Eisenberg 1990, Rn. 12 zu § 48.

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(sonstigen) Straftaten, 2 zur Selbstverteidigung, eine aus Rache und eine zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse gebildet. Bei dreien hätte es keinen bestimmten Grund gegeben und bei 17 sei ein solcher zumindest nicht feststellbar gewesen. Auffällig sei bei den Mitgliedern ein belastetes Verhältnis zur Arbeit gewesen, welches sich in einem häufigen Arbeitsplatzwechsel niedergeschlagen habe 361 • An Stelle der gesamtgesellschaftlichen Erwartungen etwa auf Leistungsbereitschaft und Arbeitsdisziplin würden in der Gruppe allenfalls solche Anforderungen an die Mitglieder gestellt, denen diese eher entsprechen könnten (wie z. B. Wagemut, Geschicklichkeit). Eine hohe Relevanz ökologischer Faktoren leiten die Verfasser aus einer auffälligen Konzentrierung auf bestimmte Stadtteile und Plätze ab. Diese beruhe allerdings - "im Gegensatz etwa zu kapitalistischen Großstädten - natürlich nicht auf sozio-ökonomischen Faktoren", was sich vor allem daraus ergebe, daß es in Ungarn an den "im Westen so häufigen und amtlich anerkannten" (S. 71; Hervorhebung im Schriftbild durch den Verfasser: ET.) Elendsvierteln fehle. Entscheidend sei vielmehr der Einfluß des Millieus im Sinne von über Generationen weitergegebener Traditionen, Werten und Verhaltensregeln. Die Schulbildung der (einbezogenen) Bandenmitglieder war unterdurchschnittlich 362 . Die frustrierenden schulischen Erfahrungen hätten bei den Jugendlichen zu Verunsicherung geführt bzw. bereiteten diese geradezu auf die spätere Erfolglosigkeit vor. Der Mangel an (Schul-)Bildung erschwere eine spätere Selbstverwirklichung als Erwachsener. Geringe Urteilskraft und erhöhte Labilität machten sie vergleichsweise anfällig für kriminelle Versuchungen. Wesentlich sei auch, daß die Schule in dem Maße, wie die Familie als Sozialisationsinstanz zurücktrete, an Bedeutung gewinne. Dies führe dazu, daß auch entsprechende Frustrationen an Gewicht gewönnen und eine Kompensation im Rahmen einer Jugendbande, die sich in der Ablehnung der schulischen Maßstäbe und Werte sowie deren Ersetzung durch andere, subjektiv (leichter) erfüllbare einig sei, noch dringender erforderlich werde. Für die Banden sei die gemeinschaftliche, unkontrollierte Freizeitgestaltung zentrales Anliegen, wobei diese unübersehbare hedonistische Züge trage. "Geradezu akribisch mieden sie lehrend-erzieherische Einflußnahmen" und suchten allein das Vergnügen. Da solches in einer Gruppe, die als Verstärker wirke, potenziert werde, trage auch dies zu deren Anziehungskraft bei. Alleinsein würde demgegenüber geradezu mit Lange361 Nach den Forschungsergebnissen hätten 25,5 % der Befragten einmal, 14,7 % zweimal, 18,1 % dreimal, 7,4 % viermal und 32,8 % bereits fünfmal oder noch häufiger den Arbeitsplatz gewechselt, obgleich es sich um eine Altersgruppe handele, deren Mehrheit erst kurze Zeit zuvor den Einstieg in das Arbeitsleben vollzogen habe. 362 Gemäß den Untersuchungsdaten besuchten 74,8 % 8 Grund- bzw. Hauptschulklassen, nur 5,2 % seien (ehemalige) Realschüler und nur 1,5 % seien Gymnasiasten gewesen bzw. hätten das Abitur bestanden. 1,2 % bzw. 18,4 % hätten nicht einmal die 4. bzw. 6. Klasse erfolgreich abschließen können. Auch im Rahmen des jeweiligen Klassenverbandes seien die Leistungen nur unterdurchschnittlich gewesen; den 10 % "guten" Schülern hätten (bei 60 % "durchschnittlichen") 30 % gegenüber gestanden, deren Leistungen nur ausreichend bzw. mangelhaft oder ungenügend gewesen seien. Relativ viele hätten bereits eine, zwei oder gar drei Klassen wiederholen müssen.

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weile gleichgesetzt 363 . Von entsprechender, geradezu konstitutiver Bedeutung seien für die Banden der soziale Raum, d. h. insbesondere ihre Treffpunkte, was sich nicht zuletzt auch darin ausdrücke, daß sie sich häufig nach diesen (z. B. Plätzen, Straßen, Cafes oder auch Kinos) benannten. Die fonnelle Reaktion auf delinquentes Verhalten Jugendlicher werde den Eigentümlichkeiten kaum gerecht. Während Einzeltäter in aller Regel grundsätzlich die in der Gesellschaft herrschende Werte- und Rechtsordnung akzeptierten, auch wenn sie bisweilen gegen letztere verstießen - nicht selten um auf solche Weise allgemein propagierte Ziele zu erreichen -, lehnten Bandenmitglieder geradezu das System in seiner Gesamtheit ab. Die Bande liefere ein neues Wertesystem, welches die gesamtgesellschaftlichen Konventionen außer Kraft setze. Die strafrechtliche Reaktion auf ein bestimmtes delinquentes Verhalten werde von dem Jugendlichen als Angriff auf sein gesamtes verinnerlichtes Wertesystem empfunden. So wie zuvor der Verlust der Achtung vor den Eltern die "Ausgrenzung aus der Familie" für den Jugendlichen möglich und psychisch erträglich werden ließ, so lasse der Kontakt mit der Polizei die Möglichkeit der Ausgrenzung aus der Gesellschaft erkennen, was jedoch aufgrund der vorausgegangenen Entwicklung an Schrecken für den Jugendlichen verloren habe. 364 Mithin läßt bereits der sich vorwiegend mit den Entstehungsbedingungen von Jugendbanden befassende erste Abschnitt der Untersuchung (S. 62-79) erkennen, in welchem Ausmaß insb. auf Subkulturkonzepten beruhende Feststellungen und Thesen bestätigt wurden. Entsprechendes gilt auch für den 2. Abschnitt (S. 79-105), der sich mit der Organisation und Funktion von Jugendbanden beschäftigt, wobei der Schwerpunkt auf die Analyse ihrer inneren (Organisations-)Strukturen gelegt wird365 . Im wesentlichen der Überprüfung und Bestätigung der erlangten Erkenntnisse dienten die 1973 unter Federführung Molmirs veröffentlichten, durch das OKKRI und die Jugend- und Kinderschutzabteilung des Budapester Polizeipräsidiums kooperativ durchgeführten Forschungen, die sich auf 31 zwischen dem 1. 7. 1970 Nur 8,6 % der hiernach Befragten (n = 403) gaben an, in ihrer Freizeit zu lesen. Erwähnenswert ist auch, daß die Verfasser in diesem Zusammenhang das Abschneiden von langen Haaren bzw. Rasieren gegen den Willen des Betroffenen notfalls unter Einsatz unmittelbaren Zwanges als unverhältnismäßig und kontraproduktiv erachten (S. 78). 365 Dabei wird eingegangen u. a. auf die identitätsstiftende Bedeutung des Bandennamens, die Internalisierung des in der Gruppe herrschenden (geschriebenen oder ungeschriebenen) Norrnen- und ggfs. Sanktionssystems, sowie die hierdurch aufgeworfene Frage, warum Jugendliche augenscheinlich bereit sind, sich (zumindest) von einem Teil ihrer nicht selten mühsam erkämpften Freiheit sogleich wieder zu trennen, die Bedeutung des Gemeinschaftsgefühls, relevante Gesichtspunkte bei der Wahl ihrer Anführer, die Verteilungsmechanismen durch die Bande erlangter materieller Güter, den vielfach übergangslosen Wechsel von Phasen "kollektiver Langeweile" zu Phasen stärkster Aktivität, Fragen der Bewaffnung, die Rolle von weiblichen Jugendlichen in der Bande bzw. das dort herrschende "Frauenbild", sowie der äußeren Kenntlichmachung als Bande und schließlich die (äußeren) Beziehungen unterschiedlicher Banden zueinander. Zur Bedeutung des engeren gesellschaftlichen Umfeldes bei der Entwicklung delinquenter Jugendbanden s. auch Legrddy/ Molmir 1970, insb. 88 ff. 363

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und dem 31. 12. 1971 verbotene Jugendbanden bzw. ihre 422 polizeilich registrierten Mitglieder bezogen366 . Gesonderter Erwähnung bedarf die 1971 erschienene (vom OKKRI herausgegebene) Monografie Molnars. Sie stellt die erste kriminologische Dissertation in Ungarn dar, die auf primär erhobenen empirischen Untersuchungsergebnissen beruht367 und gibt die Erkenntnisse einer mehr als fünfjährigen Forschungstätigkeit wieder. Dabei beschäftigt er sich in dem ersten Abschnitt (S. l3-96) mit Grundlagenfragen der Kriminologie und der kriminologischen Forschung 368 . Im zweiten Abschnitt (S. 97-166) widmet er sich methodischen Fragen und stellt die im Rahmen der eigenen Untersuchung verwendeten Erkenntnismittel dar369 . Im dritten Abschnitt erörterter den bisherigen Sach- und Streitstand zum Thema ,,Jugendbanden", wobei auffällig ist, daß allein die Darstellung des nordamerikanischen kriminologischen Schrifttums quantitativ etwa die Hälfte an Raum einnimmt und auch die westeuropäische Literatur noch deutlich umfangreicher wiedergegeben wird, als die der sozialistischen Länder. Der vierte Abschnitt enthält schließlich die Ergebnisse der empirischen Untersuchung und stellt mithin sozusagen das "Herzstück" der Arbeit dar. Inhaltlich entsprechen diese allerdings weitgehend den bereits 1969 gemeinsam mit Legrddy veröffentlichten Befunden, weswegen auch an dieser Stelle auf die entsprechenden Ausführungen Bezug genommen werden kann. Neu sind insofern nur die sich mit der Problematik des Dunke1fe1des und der Prävention befassenden Teile. In dem erstgenannten Teil relativiert Molndr selbst die Aussagekraft seiner im Hellfeld gewonnenen täterorientierten Daten (S. 450 ff.) durch konkrete Hinweise auf Anhaltspunkte für ein hohes Dunkelfeld, für welches das Hellfeld nicht unbedingt repräsentativ sein müsse 370 . 366 s. Molmir 1973 a), 251 ff., dessen Ausführungen in den grundsätzlichen Fragen die Beibehaltung seiner bereits dargestellten Auffassungen zu erkennen geben, wenngleich er in Einzelfragen auch auf Veränderungen der Erscheinung eingeht, wie z. B. einen im Vergleich zu früheren Studien festgestellten nachlassenden Organisationsgrad (S. 258: während von den 52 Mitte der sechziger Jahre untersuchten Jugendbanden 64,1 % als fest, 30,8 % als mittelmäßig und 5,1 % als nur lose organisiert erachtet wurden, sollen die entsprechenden Zahlen für die Anfang der siebziger Jahre untersuchten 31 Jugendbanden 9,7 %, 22,6 % und 67,7 % betragen haben); inhaltlich gleichbleibend auch Molndr 1973 b), 91 ff. 367 Als solche würdigt sie auch Szab6, A. 1972 b), 114; s. auch die Rezensionen von GönczölI972, 472ff., (kritisch bis polemisch) Sebes 1972, 53ff., sowie gegen letztere die Replik von Szük 1972, 76 ff. 368 Molndr geht in diesem Zusammenhang u. a. ein auf das Verhältnis der Kriminologie zum Strafrecht bzw. zu ihren (sonstigen) Bezugsdisziplinen, wie insb. der Soziologie und der Psychologie, die Frage ihrer wissenschaftstheoretischen Eigenständigkeit, die Bedeutung ihres empirischen Selbstverständnisses, sowie den kriminologischen Forscher. 369 Als solche sind u. a. zu nennen: Aktenanalysen, Fragebogenerhebungen, Einzel- und in Gruppensituation durchgeführte Interviews, die Beobachtung, die Exploration, sowie die Selbstbeschreibung der Untersuchten in mündlicher und schriftlicher Form. Ferner erläutert er die Auswahl seiner Stichprobe. 370 So stellt er etwa (S. 452) fest, daß insoweit, als bei den untersuchten Banden die Dauer delinquenter Betätigung vor ihrer erstmaligen polizeilichen Registrierung ermittelt werden konnte (77 % der Fälle), sie in der Mehrzahl zwischen einem und zwei Jahren (bisweilen auch länger) von Strafverfolgungsorganen unbemerkt wiederholt Straftaten begingen. Auch

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Betreffend Prävention differenziert er zwischen den Möglichkeiten der Strafverfolgungsorgane, (spezial-) präventiv zu wirken, und denen sonstiger gesellschaftlicher Gruppen und Funktionsträger. Dabei spricht er sich - unter Würdigung der erzieherischen Bedeutung, die bereits das Strafverfahren sowie insb. die Hauptverhandlung günstigenfalls für den Jugendlichen haben könne - mit Blick auf die Praxis in einigen schweizer Kantonen gegen eine grundSätzliche Entkriminalisierung des Jugendstrafrechts aus, soweit eine solche dazu führen würde, daß der Jugendliche mit der Begründung, das gesamte Verfahren diene ohnehin seinem Schutz bzw. seiner Erziehung, d. h. ausschließlich seinen (von anderen definierten) Interessen, in wesentlichen Verteidigungsrechten beschnitten wird (S. 458 ff.)371. Bezüglich der Praxis der Rechtsfolgenauswahl erwähnt er, daß sich "stark vergröbernd feststellen lasse, daß hohe Strafen für die Aufgabe der Hoffnung auf Erziehbarkeit stehen und das Anliegen zum Ausdruck bringen, diejenigen, die in einer Jugendbande schwere Straftaten verübt hätten, für diese nicht billig davon kommen zu lassen ... auch wenn dies selbstverständlich nie ausdrücklich erklärt werde" (S. 488). Faktisch wirkungslos sei das Verbot einer bestimmten Bande, zumal es widernatürlich sowie praktisch kaum durchsetzbar sei und im Ergebnis in der Regel den Organisationsgrad ihrer Mitglieder erhöhte. Zumeist führte ein solches allenfalls zu einer kurzen ,,zwangspause" bzw. zur Verlagerung der Treffpunkte und Aktivitäten. Schließlich geht Molmir noch auf verschiedene Beispiele durch unterschiedliche Träger geleisteter (aus damaliger Sicht) innovativer Jugendarbeit außerhalb Ungarns ein, denen die Intention gemeinsam ist, Jugendlichen Alternativen zu Jugendbanden sowie insb. attraktive Angebote zur Freizeitgestaltung zu bieten, d. h. letztlich sich primär (bereits) um die Probleme zu kümmern, die Jugendliche haben und nicht (erst) um die, die sie machen. Schließlich berichteten Molmir und der Psychologe Münnich 1976 von einem vom OKKRI und den Mitarbeitern des Lehrstuhls für Strafrecht an der Staats- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät der ELTE in Kooperation durchgeführten Forschungsprojekt zu der Frage, ob die starre Begrenzung des Jugendstrafrechts auf die unter 18-jährigen vor dem Hintergrund der normalen psychologischen und sozialen Entwicklung als sinnvoll und gerechtfertigt erscheint372 . Zu diesem Zweck sei bei der Beurteilung der Kriminalitätsstruktur zu bedenken, daß, wie sich aus Interviews zuverlässig ergeben habe, bestimmte Delikte, ggfs. auch aufgrund einer erlangten Geschicklichkeit und Übung, eine sehr geringe Entdeckungswahrscheinlichkeit aufwiesen. So hätte die aus 15 Mitgliedern bestehende "F6ti-Straßen-Bande" beispielsweise zwischen November 1962 und April 1964 gemeinschaftlich ganze Serien von Eigentumsdelikten begangen, ohne daß auch nur eines der Mitglieder deswegen je in Kontakt mit den Strafverfolgungsorganen geraten wäre. Aufgefallen sei diese Bande erst bei dem Versuch einer verbotenen Grenzübertretung. 371 s. hierzu auch (deutschsprachig) Molmir 1972, 125 ff. (= [ungarischsprachig] 1973 c). 372 s. zum ganzen Molndr / Münnich 1976, 129 ff., die in diesem Zusammenhang das Jugendstrafrecht (auch aus ungarischer Sicht), als "die Hintertür des allgemeinen Strafrechts" charakterisieren, "durch welche die meisten theoretischen und praktischen Innovationen in das schon etwas abgenutzte Gebäude des Strafrechts gelangt" seien (S. 151).

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wurden zum einen, jeweils betreffend Insassen des Jugendgefängnisses und -zuchthauses 373 Tököl, vergleichende Persönlichkeitsuntersuchungen bei einer Gruppe von 96 Jugendlichen und 41 Heranwachsenden 374 vorgenommen, um mit Hilfe dreier psychologischer bzw. psychodiagnostischer Testverfahren ("Cattel", "Eysenck" und "IES") Aufschlüsse u. a. über die "Ich-Stärke", die Reife des Gefühlslebens, die "Über-Ich"-Entwicklung, den Temperamentsbereich, die Geltung des Realitätsprinzips, den Einfluß krimineller Tendenzen, sowie die Frage, inwieweit das Selbstbild bereits Elemente einer "ich-bin-kriminell-Einstellung" aufweist, zu erhalten (S. 154 ff.). Im soziologischen Teil der Untersuchung, bei der man von der Hypothese ausging, im Hinblick auf die Eingliederung in die Gesellschaft gäbe es zwischen jugendlichen und heranwachsenden Delinquenten keinen signifikanten Unterschied (S. 171), wurden zunächst 147 Personen (76 Jugendliche und 71 Heranwachsende) bzgl. ihrer sozialen Lage (z. B. im Hinblick auf Einkommen, Wohnverhältnisse, Familienstand usw.) untersucht. Darüberhinaus wurden mit Hilfe der Akten von vier hauptstädtischen Gerichten die entsprechenden Daten der zwischen 1967 und 1971 rechtskräftig verurteilten Jugendlichen (n = 347) und Heranwachsenden (n = 248) erhoben und ausgewertet. Schließlich wurde auch die (festgestellte) Kriminalitätsstruktur der beiden Altersgruppen verglichen. Ergebnis der empirischen Forschungen war, daß ein signifikanter Unterschied zwischen den jugendlichen bzw. den heranwachsenden Delinquenten weder in (entwicklungs)psychologischer oder in soziologischer noch in kriminologischer Hinsicht erwiesen werden konnte. Es habe sich vielmehr gezeigt, daß Entwicklungsstand, Lebenssituation und Lage der Heranwachsenden deutlich eher derjenigen von Jugendlichen als derjenigen von Erwachsenen entspricht. Vor dem Hintergrund umfangreicher rechtsvergleichender Untersuchungen treten die Verfasser de lege ferenda für eine Anhebung der Altersgrenze für die zwingende Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf die Altersgruppe der zumindest 2I-jährigen ein. Für die Altersgruppe der Heranwachsenden solle demgegenüber durch das Gericht jeweils einzelfallbezogen entschieden werden, ob materiell Jugendstrafrecht zur Anwendung komme. Strafprozessual sollten Verhandlungen gegenüber heranwachsenden Angeklagten auf der Grundlage einer noch näher zu bestimmenden Synthese jugendstrafverfahrensrechtlicher und allgemeiner strafverfahrensrechtlicher Normen erfolgen. Sachlich zuständig sollten nach Ansicht der Verfasser aus praktischen Gründen (u. a. zwecks Vermeidung unvertretbarer Verfahrens verzögerungen) die Erwachsenengerichte bleiben (S. 221 f.)375. 373 Es handelt sich um eine Einrichtung in welcher der Vollzug von Freiheitsstrafe unter repressiveren Bedingungen erfolgt als in "herkömmlichen" Vollzugsanstalten. 374 Gemeint ist hiermit die entsprechende Altersgruppe nach § I des deutschen JGG. Es sei erwähnt, daß das ungarische Strafrecht eine Kategorie der "Heranwachsenden" (noch) nicht kennt. Lediglich im Rahmen vereinzelter Sonderregelungen, welche etwa die Verhängung der Todes- oder auch der lebenslangen Freiheitsstrafe für Personen, die (zur Tatzeit) jünger als 20 Jahre gewesen waren, bzw. ihre Verurteilung als sog. "besonders gefährliche Rückfalltäter" ausschlossen, erfuhr ein Teil dieser Altersgruppe eine gewisse Spezialbehandlung.

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d) Die Arbeiten von Szab6, A. zur Jugendkriminalität

Ein ausgewiesenes Interesse an soziologischen Fragestellungen und makrostrukturellen Forschungen376 wird bei den Arbeiten Szab6s (auch) zu diesem Themenbereich sehr deutlich. So wie Molntirs Veröffentlichungen die umfangreichen empirischen Untersuchungen des OK(K)RI repräsentieren, spiegeln Szab6s die diesbezügliche Tätigkeit der UAW wieder. Im Rahmen einer 1959 erschienenen, überwiegend rechts philosophisch und strafrechtsdogmatisch orientierten Abhandlung widmet sich Szab6, A., unter besonderer Berücksichtigung französisch- und deutschsprachiger Quellen, in 34 Abschnitten grundsätzlichen Fragen des Jugendstrafrechts 377 . Dabei geht es dem Verfasser (- gleichsam "typischerweise" -) weniger darum, fertige Konzepte anzubieten, als vielmehr den Blick auf bestimmte klärungsbedürftige Punkte zu lenken und Fragen aufzuwerfen, um so die Grundlagen für eine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung zu schaffen378 . Zum Teil sehr kritisch setzt sich Szab6, A. im 375 Erwähnt sei, daß dieser Vorstoß im Untersuchungszeitraum keine legislatorischen Folgen hatte, weswegen ihn Molmir - knapp zehn Jahre später - 1985 im Rahmen eines quantitativ etwa auf ein Sechstel der ursprünglichen Länge reduzierten (deutschsprachigen) Aufsatzes wiederholte. 376 s. insbesondere nachfolgend S. 185 ff. 377 s. Szab6, A. (1959, 222 ff. [russisch- und französischsprachige Zusammenfassung S. 258 ff.]), der einleitend die strafrechtliche Stellung Jugendlicher als "eines der am stärksten vernachlässigten Bereiche im sozialistischen strafrechtlichen Schrifttum" charakterisiert und zugleich darauf hinweist, daß "bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität die Mittel des Strafrechts nur von zweitrangiger Bedeutung sein" könnten und "es entscheidend auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen" ankomme. Dadurch gibt er zu erkennen, daß er auch unter den bestehenden sozialistischen Verhältnissen gesellschaftliche Faktoren für die Hauptursachen von Jugendkriminalität erachtet, was zumindest 1959 so noch im Widerspruch zur "herrschenden Meinung" (der Kaderverwaltung) stand. 378 Nach umfangreichen Ausführungen zur Geschichte der bürgerlichen Jugendstrafrechtsreforrnbewegung, die im Ergebnis von einer reinen Tat- zu einer verstärkten Täterorientierung mit einem eigenständigen mehrdimensionalen, teils Erziehungshilfen, teils repressive Maßnahmen umfassenden Rechtsfolgensystem geführt habe, tritt Szab6, A. dafür ein, daß Jugendstrafrecht in Ungarn auch weiterhin Strafrecht bleibe und Erziehungsrnaßnahmen nicht anstelle von strafrechtlichen Rechtsfolgen, sondern als solche zu bestimmen seien. Ausführlich geht er auf den möglichen episodenhaften Charakter von Straftaten in dieser, an Widersprüchen reichen Entwicklungsphase ein und leitet aus dem Umstand der noch nicht abgeschlossenen Entwicklung und der hierauf beruhenden erhöhten Beeinfluß- und Erziehbarkeit eine besondere Verantwortung der Gesellschaft ab (Ziffer 17). Einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit stellen seine Bemerkungen zur Frage der (Entwicklung der) strafrechtlichen Verantwortlichkeit dar (Ziffer 18-24), wobei er konstatiert, daß diese im Vergleich zu der eines Erwachsenen nichts grundsätzlich anderes darstelle; zugleich tritt er bei Jugendlichen für eine konkrete Prüfung im jeweiligen Einzelfall ein. Abschließend setzt sich Szab6, A. mit den Möglichkeiten einer erzieherischen Einwirkung in einem auf Zwang beruhenden Verfahren auseinander und gelangt zu dem Ergebnis, Zwang und Erziehung seien unter der Prämisse eines gerechten Urteils zumindest in einer sozialistischen Gesellschaftsordnung unter nicht unerheblichen Anstrengungen miteinander vereinbar (vgl. umfassend zum Themenkomplex auch Szab6, A. 196Ia).

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Rahmen eines 1961 erschienenen Aufsatzes mit (von ihm zu der Zeit als modern erachteten) bürgerlichen Theorien zur Jugendkriminalität bzw. der Lage der Kriminologie im allgemeinen in kapitalistischen Staaten auseinander 379 . Vor dem Hintergrund eines allgemeinen Kriminalitätsanstieges sei in den kapitalistischen Staaten die Jugendkriminalität zur Massenerscheinung geworden, die an Volumen, Tatschwere, sowie Bedeutung innerhalb der Gesamtkriminalität zunehme und die dortige Kriminologie zu der fehlerhaften, resignativen Annahme verführe, es handele sich bei ersterer um eine in einer industriealisierten Gesellschaft normale Erscheinung, wobei dieser Ansatz nicht nur in der modifizierten Erneuerung Durkheims soziologischer Erklärungen, sondern auch in neueren psychologischen Theorien, die kriminelles Verhalten als Folge und Symptom natürlicher psychischer Aktivität sehen, zum Ausdruck komme 38o . Aus der objektiven Unmöglichkeit, menschliches Verhalten abschließend als Folge biochemischer Prozesse zu erklären, werde fälschlicherweise abgeleitet, es sei nicht determiniert. Thre aktuelle philosophische Grundlage finde diese, dem Postulat der Willensfreiheit im Schuldstrafrecht erkennbar entgegenkommende Auffassung, im Existentialismus (S. 111 ff.). Festzustellen sei auch eine zunehmende Psychologisierung selbst der soziologischen Richtung in der Kriminologie. Diese versuche nicht mehr, Straftaten makrostrukturell als gesellschaftliche Erscheinung mit Hilfe gesellschaftlicher Gesetzmäßigkeiten zu erklären, sondern befasse sich mit der Frage, welche soziologischen Faktoren im Rahmen der individuellen psychischen Entwicklung des einzelnen Delinquenten relevant sind. Dabei würden diese Faktoren offensichtlich als gegeben und nicht erklärungs bedürftig erachtet. Selbst im Rahmen der Subkulturtheorie würde ganz überwiegend die gesellschaftliche Bedingtheit von unterprivilegierten und hiergegen aufbegehrenden Subkulturen ignoriert381 und das Augenmerk allein auf 379 s. Szab6, A. 1961 b), wobei sich der Verfasser allerdings in den ersten vier Abschnitten (S. 95-107) der Darstellung der Entstehung der Kriminologie im Kapitalismus als "strafrechtliche Modifizierung soziologischen Denkens" mit dem Ziel der "Verwissenschaftlichung der bürgerlichen Gesellschaftskontrolle" (S. 95), der ,,klassischen" (bereits) deterministisch ausgerichteten Kriminologie, mitsamt ihrem Erbe für das traditionelle, auf der Vorstellung einer Willensfreiheit beruhende Strafrecht, sowie der von individualisierenden, vornehmlich biologischen und psychatrischen, (s.E.) indeterministischen Erklärungen beherrschten Phase zwischen den Weltkriegen, widmet; i.ü. stellt der Aufsatz schwerpunktmäßig eine kritische Stellungnahme des Verfassers zu den Beiträgen der von König, R. herausgegebenen "Soziologie der Jugendkriminalität" dar. 380 Der Verfasser charakterisiert den diesbezüglichen, aus seiner Sicht beklagenswerten Zustand in kapitalistischen Staaten (nicht ohne Hohn) wie folgt (1961b], 110): "Wir stehen hier vor einer rätselhaften Erscheinung: die kapitalistische Gesellschaft erzeugt eine zu den eigenen Werten und Normen im Widerspruch stehende Lebensform, deren weltanschauliche Grundlagen von ihren Massenmedien und ihrer Kulturindustrie propagiert werden, die Kriminologie erachtet all dies für normal und in einer modernen Industriegesellschaft als natürlich und die Strafgerichte halten die Stellung und ahnden die Taten." 381 Von diesem Vorwurf ausdrücklich ausnehmen möchte Szab6, A.lediglich Cohen selbst, der "engagiert nach einer soziologischen Erklärung gesucht habe und dabei auch vor einer mutigen, radikalen Kritik der bürgerlichen Gesellschaft nicht zurückgeschreckt sei". Er habe kriminelle Subkulturen in ihrer Abhängigkeit von den allgemeinen gesellschaftlichen Struk-

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die psychologischen Bedürfnisse des Individuums gerichtet, die zu dem Anschluß an eine solche führten. Der sozialpsychologische Charakter nur scheinbar soziologischer Erklärungsansätze werde auch in der Theorie der differentiellen Assoziationen sowie insbesondere in Glasers diese modifizierenden Theorie der differentiellen Identifikation deutlich. - Die Dominanz der psychologischen Richtung in der Kriminologie zeige sich ferner auch in einer wachsenden Anzahl psychiatrisch orientierter Arbeiten, deren Grundschwächen der Verfasser in ihrer einseitigen Fixierung auf das Säuglings- und Kleinkindalter sowie einer von Faktoren der Außenwelt isolierten Betrachtung psychischer Vorgänge sieht (S. 116 ff.). Mit der kriminalpädagogischen Sollbeschaffenheit der Hauptverhandlung gegen jugendliche Angeklagte bzw. des Jugendstrafvollzuges, sowie den rechtstatsächlichen Zuständen insb. im Hinblick auf in Jugendstrafanstalten bestehende Subkulturen beschäftigt sich Szab6 im Rahmen von zwei Aufsätzen 382 . Gehe man richtigerweise davon aus, daß die subjektiven Voraussetzungen von Jugendkriminalität durch objektive Umstände geschaffen werden, so ergebe sich bereits hieraus die Notwendigkeit, Freiheitsentziehung so auszugestalten, daß erzieherische Defizite kompensiert werden könnten. Jugendstrafe sei zwar eine strafrechtliche Sanktion, habe aber pädagogisch zu wirken und müsse mithin von Prinzipien und Methoden der Pädagogik bestimmt werden (1962, 388 f.)383. Nach in Jugendstrafanstalten gesammelten Erfahrungen sei das Strafverfahren von maßgeblichen Einfluß auf die pädagogische Beeinflußbarkeit und das Verhalten des Jugendlichen in der Anstalt, zumal es gleichsam "das Forum des formellen, gesellschaftlichen Vorwurfs" darstelle und den Jugendlichen zwingend vor die Wahl stelle, sich von seinem bisherigen Verhalten loszusagen oder die Konsequenzen eines delinquenten Lebenswandels in Kauf zu nehmen (1962, S. 392f.)384. Dabei zeige sich, daß aufgrund der bereits eingetretenen delinquenten Persönlichkeitsentwicklung ein Abbruch i.S. einer neuen Weichenstellung wesentlich mehr Kraft erfordere, als sich ein "Sichweiter-Treiben-Iassen" auf dem einmal eingeschlagenen Weg, so daß in der Regel turen erkannt, konsequenterweise die Delinquenz von Unter- und Mittelschichtsjugendlichen separat untersucht und im Ergebnis die amerikanische Gesellschaftsstruktur, deren Eigentumsverhältnisse und widersprüchlichen Werte und Normen für die wachsende Jugendkriminalität verantwortlich gemacht (1961b], 116). 382 s. Szab6, A. 1962 und 1966, wobei der Verfasser sich verschiedentlich auf die Ergebnisse von im Jugendstrafvollzug durchgeführten Befragungen stützt, ohne jedoch die Zeit, den Ort und die näheren Umstände der Befragung bzw. die Anzahl der Befragten zu konkretisieren. 383 Der Verfasser hebt in diesem Zusammenhang hervor, daß jugendliche Delinquenten nicht dem Grunde nach anders geartet seien als (vermeintliche) Nichtde1inquenten. und daßsie insbesondere nicht über irgendweiche speziellen, nur bei ihnen vorzufindenden psychischen Eigentümlichkeiten verfügten. Entsprechende "Defekte" seien vielmehr ausschließlich sozialisationsbedingt. 384 Die hierbei erkennbar werdende Außerachtlassung der Möglichkeit eines zu Unrecht angeklagten Jugendlichen beruht augenscheinlich darauf, daß der Verfasser trotz der diesbezüglich allgemeinen Formulierung von den befragten Gefangenen und damit verurteilten Angeklagten ausgeht.

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auch das Gesetz der Trägheit für letzteres spreche. Nach Ansicht des Verfassers sei eine autoritäre, unnachgiebige richterliche Haltung, welche dem Delinquenten die Wehrhaftigkeit der Gesellschaft vor Augen führe, im allgemeinen am ehesten geeignet, eine Umerziehung einzuleiten. Auf Überzeugung setzende Maßnahmen seien demgegenüber bedenklich, da sie häufig zu Zynismus führten, während "Milde" und "Weichherzigkeit" kontraproduktiv seien (1962, 394). Äußerst begrenzt seien demgegenüber die präventiven Möglichkeiten rein repressiver Maßnahmen im Vollzug, da sich mit Zwang allenfalls ein äußerliches Wohlverhalten erwirken lasse, welches mit diesem stehe und falle, nicht aber die gewünschte Persönlichkeitsveränderung, welche die unmittelbare Zwangssituation überdauere (1962, 401). Erfolgreiche Kriminalpädagogik habe stets ein Stück weit Reeducation zu sein, soweit nämlich die bereits eingetretene fehlerhafte Persönlichkeitsentwicklung zu korrigieren sei, darüberhinaus aber auch stets (problemlösende Verhaltens)Alternativen aufzuzeigen. Bezüglich ihrer Zielvorstellungen unterscheide sie sich nicht von der allgemeinen, auf die ,,richtige" Erziehung aller Jugendlichen gerichteten, sozialistischen Pädagogik. Auch beruhe die Gefangenengemeinschaft auf Zwang, und es sei in erster Linie von der geleisteten pädagogischen Arbeit abhängig, ob aus dieser eine echte Gemeinschaft mitsamt positiver erzieherischer Wirkungen erwachse. Fehle es an diesbezüglichen Anstrengungen, würden nicht nur Chancen vertan (so daß es bei einer reinen Zwangsgemeinschaft bleibe), sondern das Vakuum würde von der Gefangenengesellschaft selbst gefüllt, so daß es zu einer Erziehung zur Delinquenz kommen könne - und rechtstatsächlich auch komme (1962, 403). Von großer spezialpräventiver Bedeutung sei ferner die Vermittlung der Fähigkeit zur "sinnvollen,,385 Freizeitgestaltung, da erfahrungsgemäß diesbezügliche Defizite in der Regel "schlechten Umgang,,386 zur Folge hätten (1962, 405). Schließlich sollte die pädagogische Kontrolle und Einflußnahme idealiter Mut und Fähigkeit zu eigenverantwortlichem sozialen Verhalten fördern, was im Rahmen vollständiger Reglementierung kaum möglich sei. In mehrfacher Hinsicht besonders aufschlußreich sind die beiden sich mit Subkulturen im Jugendstrafvollzug befassende Aufsätze von Szab6, A?87, wobei 385 Es bleibt an dieser Stelle offen, aus wessen Perspektive der Verfasser dies beurteilt sehen möchte. Die Vermutung liegt allerdings nahe, daß er (im Zweifel) seine eigene favorisiert. 386 Darunter dürfte gemäß sozialpsychologischer Lemtheorien solcher zu verstehen sein, der mittels des Kontaktes mit delinquenten Verhaltensweisen zu eben solchen führt. 387 1965b), 105 ff. und 1966, 69 ff. Auffällig ist bereits, daß er bei letzterem (gleich im ersten Absatz) Jugendkriminalität in Ungarn ausdrücklich als gesellschaftliche Massenerscheinung bezeichnet, die nicht abschließend oder umfassend erklärt werden könne, weswegen entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen auch nicht an einer derartig übertriebenen Erwartungshaltung zu messen seien. Der Verfasser nimmt mithin eine Haltung ein, die er selbst nach Maßgabe seines 1961 erschienenen Aufsatzes (s. oben S. 113 ff., insb. Fn. 380) fünf Jahre zuvor wohl noch als ,,resignativ" erachtet hätte; vgl. auch schon Szab6, A. 1964c), 597, wo er ebenfalls bereits den Ausdruck "gesellschaftliche Massenerscheinung" in Bezug auf die Jugendkriminalität in Ungarn gebraucht.

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Grundlage dieser (nicht von der UAW, sondern) von dem OKRI durchgeführte empirische Forschungen waren, an denen der Verfasser als externer Mitarbeiter beteiligt war. Forschungsleitend war die Hypothese Straftaten begünstigende und dadurch die Dauerhaftigkeit delinquenten Verhaltens sichernde Einstellungen würden teilweise bereits "draußen" internalisiert und mit in die Anstalt eingebracht388 , teilweise aber auch in der Gefangenengesellschaft weiter verstärkt 389 (1966, 71). Aus schriftlichen Befragungen habe sich ergeben, daß die Gefangenensubkultur vor allem drei Typen von Gefangenen mit hohem Sozialstatus kenne: den "stets auf seinen materiellen Vorteil bedachten und diesen in der Regel auch erreichenden sog. 'Geschäftsmann''', den seinen Willen notfalls auch gewaltsam durchsetzenden, andere beherrschenden "Führer" und den auf seinem jeweiligen delinquenten Fachgebiet zu besonderen Leistungen fähigen "Spezialisten" (1966, 71 f. u. 73 f.). Die klar überwiegende Mehrheit der Gefangenen halte die normwidrige Aneignung und den Einsatz physischer Gewalt als Mittel der Konfliktaustragung trotz Kenntnis der Gesetzwidrigkeit unter gewissen Umständen für legitim. Das Grundproblem sei eine auf Abstumpfung beruhende Resistenz gegenüber der normierten gesellschaftlichen Erwartungshaltung, die zwar bekannt sei, subjektiv aber als "nicht sehr verbindlich" (i.S. von unbedeutend) empfunden werde. Erkennbar sei auch eine überraschend schlichte Art der Neutralisierung der gesellschaftlichen Erwartung auf norrnkonformes Verhalten dergestalt, daß ein Grund für eine Straftat zugleich bereits deren "Entschuldigung" beinhalte 39o . Jenseits der Neutralisierung sei auch eine (Um-) Deutung von Straftaten zu besonderen, statuserhöhenden Leistungen erkennbar (1962, 396 f.; 1966, 73 f.). Eine solche Idealisierung delinquenter Verhaltensweisen, die, einhergehend mit einer Idealisierung von "Gewalt" und "Mut", dazu führten, daß in der Subkultur der bewaffnete Raub - im Gegensatz etwa zu der (nach dem seinerzeitigen UStGB strafbaren) sog. "Arbeitsscheu" - mit viel Sozialprestige honoriert werde, sei der gefährlichste Faktor des abweichenden subkulturellen Wertesystems (1962, 397). Verbreitet sei ferner ein deutlicher Fatalismus bezüglich der eigenen Zukunftsperspektive 391 . Diese Schicksalsergebenheit 388 Vgl. etwa Irwin/Cressey 1964,244; siehe auch Eisenberg 1995 a), Rn. 11 zu § 37 mit weiteren Nachweisen. 389 s. zur Auffassung die Gefangenenkultur stelle eine Reaktion auf die Deprivationen durch den Strafvollzug dar Sykes 1958, 106; zu vennittelnden Ansichten die für die Untersuchung forschungsleitend waren vgl. Eisenberg 1995 a), Rn. 13 f. zu § 37. 390 Neutralisierungen würden auch in bestimmten Ausdrücken der Gefangenensprache spürbar, wie z. B. "die Übergabe des verbotenen Schlüssels" (für Beihilfe zu einem Tötungsdelikt), "aus Rache mitgenommen" (für Diebstahl) oder auch "einen Freund beschützt" (für eine als schwere Körperverletzung subsumierbare Tat). 391 Bei der Frage, wer aus der eigenen Gruppe wohl wieder vor Gericht kommen würde, soll die Mehrheit der Antwortenden auch sich selbst angekreuzt haben. Als die typische GrundeinsteIlung veranschaulichende Begründungen hierfür wurden etwa angegeben: "es ist schwer, aus sowas wieder ,rauszukommen''', "die Kumpels würden eh nicht glauben, daß ich mich gebessert habe" oder auch "es (gemeint sind Straftaten; der Verfasser - F.T.) ist wie mit der Prostitution: nach der I dem ersten kommen die weiteren" (1966, 74).

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werde auch durch die Gefangenengesellschaft kultiviert, was sich nach Ansicht des Verfassers im Zusammenhang mit Tätowierungen zeige, die als Symbol des Einfügens in die Gefangenensubkultur angesehen werden könnten 392 . Grundlage des Fatalismus soll die fehlende Erfahrung der Erreichbarkeit von Zielen mit Hilfe eigener zäher Anstrengungen sein. Diese führe zugleich zu einer passiven, auf den "glücklichen Zufall" wartenden Lebenseinstellung. Abschließend spricht sich der Verfasser für eine entschlossene Bekämpfung von Subkulturen aus, "da diese sich ansonsten reproduzierten". Die Umerziehung habe solange solche wirkten unter Zwang zu erfolgen 393 . Von einer umfangreichen, sich auf vier Staaten (Frankreich, [ehemaliges] Jugoslawien, Polen und Ungarn) erstreckenden vergleichenden empirischen Untersuchung über den Einfluß der gesellschaftlich - wirtschaftlichen Entwicklung auf die Delinquenz der Altersgruppen der Jugendlichen bzw. der 18-24jährigen berichtet Szab6, A. im Rahmen einer Monographie sowie mehrerer Aufsätze 394 . Die ungarischen Forschungen wurden unter Federführung des Verfassers (Sz., A.) von den Mitarbeitern des Staats- und Rechtswissenschaftlichen Institutes der UAW durchgeführt395 . Ausgangspunkt dieses Projektes war die Beobachtung, daß ab einem gewissen Grad an Industriealisierung die Kriminalitätsrate in stärker industriealisierten Gemeinden in der Regel deutlich höher ist, als in solchen, die dem unmittelbaren Einfluß des Wechsels zur industriealisierten Lebensform nicht ausgesetzt waren. Vor diesem Hintergrund wurden, gleichsam als "gemeinsame Geschäftsgrundlage" der beteiligten Länder, neun Arbeitshypothesen formuliert 396 . Über392 Szab6, A. berichtet in diesem Zusammenhang als von einem charakteristischen Phänomen, daß wenn eine Fachausbildung sich ihrem erfolgreichen Ende nähere und damit die realistische Chance auf eine nicht delinquente Zukunft nach der Entlassung aufleuchte, Gefangene sich ihre Tätowierung in der Anstalt regelrecht ausbrennen ließen, um sich von dem "Stempel der Kriminalität" zu befreien - was insoweit als eine schmerzhafte Art des "delabeling" angesehen werden kann. 393 Nicht zuletzt vor dem Hintergrund seines 1961 gegenüber dem Subkulturkonzept eingenommenen Standpunktes (s. oben S. 113, Fn. 381) ist mithin erwähnenswert, daß Szab6, A. vorliegend die Frage nach den Ursachen für den Gedeih von Subkulturen im Strafvollzug ausklammert und ganz auf restriktive Maßnahmen zu setzen scheint. 394 V gl. Szab6, A. 1972 c) bzw. 1969 und 1976, sowie Vennes / Szab6, A. 1965. (Der Inhalt keines der Aufsätze ist vollständig in der Monographie enthalten. Während letztere Arbeit ausschließlich den nationalen [ungarischen] Beitrag darstellt, wird z. B. der abschließende Vergleich der ungarischen Ergebnisse mit denen der anderen teilnehmenden Staaten in dem 1976 erschienenen Aufsatz vorgenommen. Der 1965 gemeinsam mit Vennes verfaßte Beitrag wiederum enthält neben aufschlußreichen Zwischenberichten auch Stellungnahmen Abgesandter aus nicht teilnehmenden Staaten (i.w.S.), wie der [ehemaligen] UDSSR und den USA.) 395 s. hierzu sowie zur Vorgeschichte der Untersuchung Vennes/Szab6, A. 1965,601; Szab6, A. 1969, 429f., 1972, 5f. 396 1. Gesellschaftlich-wirtschaftliche Entwicklung führt in erster Linie bei dem System der Arbeitsteilung zu massiven Veränderungen. 2. Diesen folgen eine sozio-ökonomische Umschichtung der Bevölkerung, sowie geographische Wanderungsbewegungen. 3. Die geographische und auf Beschäftigung bezogene Mobilität verändert die gewohnte Lebensweise

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greifender Gegenstand der Untersuchung war die Frage, ob es einen gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Entwicklung und der Delinquenz der jungen Altersgruppen gibt bzw. in welcher Fonn sich ein solcher gegebenfalls im konkreten Einzelfall auswirkt (1972,21 u. 76, 1976, 198). Hierfür bediente man sich zum einen statistischer Untersuchungen, sowie zum anderen (einer Vielzahl) konkreter Einzelfallbetrachtungen. Der statistische Teil der Untersuchung erfolgte auf der Grundlage einer alle 20 Verwaltungsbezirke Ungarns umfassenden, landesweiten Totalerhebung bezüglich des Zeitraums von 1963 bis einschließlich 1967, wobei für die gesamte Phase für jede örtliche Untersuchungseinheit anhand verschiedener Faktoren ein einheitlicher Durchschnittswert gebildet wurde. Dieser Wert sollte Aufschluß über den jeweiligen Grad der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Entwicklung geben und eine Vergleichbarkeit der Bezirke bzw. allgemein eine Operationalisierbarkeit gewährleisten397 . Ferner wurden diese Faktoren(gruppen) auch ihrerseits mit der Delinund die traditionelle Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen grundlegend. 4. Die von der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Entwicklung betroffenen gesellschaftlichen Gruppen, Familien und Individuen müssen sich auf die neuen Anforderungen der veränderten Situation einstellen. 5. Das Erkennen der neuen Anforderungen, das Erlernen entsprechender, auf diesen beruhender Verhaltensnonnen und die Anpassung des eigenen Verhaltens an solche kann einen mehr oder weniger großen Zeitraum erfordern. 6. In der neuen Lebenssituation kann es zu Widersprüchen zwischen den Anforderungen der neuen Lebensfonn und Lebensweise und den eingeübten, früher erforderlichen Verhaltensweisen kommen. 7. Diese widersprüchliche Lage bringt für das individuelle Verhalten problematische Konflikte und Ambivalenzen mit sich. 8. Bis zur Internalisierung der neuen Anforderungen und Verhaltensnonnen erscheint das Verhalten der betroffenen Personen als unangepaßt bzw. mangel- oder fehlerhaft angepaßt. 9. Die Delinquenz der jungen Altersgruppen ist eine wesentliche Erscheinungsfonn fehlerhafter oder mangelhafter Anpassung (1972, 20). 397 Berücksichtigt wurden dabei Indikatoren aus 11 verschiedenen und jeweils unterschiedlich gewichteten Indikatorengruppen (1972, 37ff.). Solche waren die geographische Bevölkerungsverteilung (Einwohnerzahl, Bevölkerungsdichte, Anteil städtischer Bevölkerung), die Altersstruktur der Wohnbevölkerung (differenziert nach drei Gruppen: 0-14, 15-59, sowie 60 Jahre und älter), das Ausbildungsniveau, der erreichte Wohlstand (nach Maßgabe des pro Kopf-Verbrauchs an Konsumgütern, der Anzahl der zugelassenen Kraftfahrzeuge und Motorräder auf je 1000 Einwohner, sowie der durchschnittlich auf 100 Wohnungen entfallenden Zahl von Bewohnern), der Beschäftigungsstruktur (LS. der Verteilung der arbeitenden Bevölkerung auf die drei Bereiche Landwirtschaft, Industrie und sonstige volkswirtschaftliche Bereiche), die Einkommensverhältnisse (jährliches pro Kopf-Einkommen in einem Arbeiter- oder Angestelltenhaushalt, dem Haushalt eines Privatbauern, sowie dem Haushalt eines Mitgliedes eines landwirtschaftlichen Kollektivs), die Bevölkerungsmobilität (Anteile der zwischen 1960 und 1967 Zu- bzw. Abgewanderten, sowie der Berufspendler), die Anzahl und Größe der Industriebetriebe (Anzahl der Betriebe mit weniger als 500 Beschäftigten, mit 500 bis 2.000 Beschäftigten, sowie mit mehr als 2.000 Beschäftigten), die Verbreitung von Massenmedien (gemessen am Anteil der Zeitungs-, Rundfunk- und Fernsehabonnenten, sowie der Kinobesucher), der "moralische Zustand" der Bevölkerung (gemessen an der Zahl der jeweils auf 1.000 Einwohner entfallenden Ehescheidungen, Unterhaltsprozesse und Suizide), sowie schließlich der medizinischen Versorgung (gemessen an der auf 1.000 Einwohner entfallenden Zahl an Ärzten und Krankenhausbetten, sowie der Säuglingsterblichkeit auf 1.000 Lebendgeburten).

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quenzbelastung in Beziehung gesetzt. Schließlich wurden neun aus verschiedenen Gruppen entstammende Indikatoren 398 zu einer sog. "Superkomponente" zusammengefaßt. Bei den Verurteilten wurde nach Geschlecht und Altersgruppe (14-17 bzw. 18-24 Jahre) unterteilt. Bezüglich der beiden Altersgruppen männlicher Verurteilter wurde deliktsstrukturell differenziert nach Delikten, die gegen privates Eigentum bzw. sozialistisches Eigentum gerichtet waren, Delikten gegen die Person, Sexualstraftaten, gemeingefährlichen Straftaten, sowie Staatsschutzdelikten; bei den weiblichen Verurteilten wurden Sexualstraftaten, gemeingefährliche Straftaten und Staatsschutzdelikte nicht gesondert erfaßt. Erhoben wurden ferner auch die jeweiligen Gesamtzahlen Verurteilter 399 . Der Verfasser selbst weist auf folgende, bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigenden methodischen Probleme hin (1972, 69). Die Verurteiltenstatistik bezieht sich auf die Tatorte und nicht auf die Wohnorte der Tater, so daß sie die Kriminalitätsbelastung eines Verwaltungsbezirkes, nicht aber die seiner Bevölkerung widerspiegelt. Ferner wurden bei der Erhebung der demographischen Daten die registrierten Einwohnerzahlen zugrunde gelegt. Der arbeitende Anteil der Wohnbevölkerung eines Verwaltungsbezirkes ist jedoch nicht identisch mit den in diesem Bezirk Arbeitenden; entsprechende Verzerrungen durch Berufspendler sind nicht auszuschließen. 4oo Die statistische, ausschließlich makrostrukturelle Analyse führte im nationalen Kontext u. a. zu folgenden Feststellungen: Die (vereinfachend) als "entwickelt" zu charakterisierenden Verwaltungsbezirke spiegelten bezüglich der auf je 10.000 Einwohner bezogenen Verurteiltenziffer in etwa den Landesdurchschnitt wider401 • Damit lagen sie jeweils deutlich über denen der als "nicht entwickelt" eingestuften Bezirke402 • Eine beachtliche Sonderrolle nahm die gesondert ausgewiesene und bei den "entwickelten" Bezirken nicht berücksichtigte Landeshaupstadt ein, die in Ungarn etwa ein 398 Dieses waren die Bevölkerungsdichte, der Anteil der Realschulabsolventen, die Anzahl der (registrierten) Fernsehbesitzer, der pro Kopf-Verbrauch an Konsumgütern, der Anteil der in der Landwirtschaft Tätigen, das pro Kopf-Einkommen in einem Arbeiter- bzw. Angestelltenhaushalt, die Ärztedichte, die Anzahl der Betriebe mit über 2.000 Beschäftigten, sowie die Anzahl der Ehescheidungen. 399 Vgl. Szab6, A. 1972,60; zu den näheren Einzelheiten der angewendeten statistischen Auswertungsverfahren s. Szab6, A. 1969, 431 ff., bzw. 1972, 23 ff., insb. 26 ff., wobei der Verfasser "vorsorglich" darauf hinweist, daß der Entwurf des der Untersuchung zugrunde gelegten mathematischen Modells das Werk des Mathematikers Nemet ist (1972, 4), der auch das Programm, mit dessen Hilfe die computergestützte Auswertung vorgenommen wurde, entwickelt hatte (1969, 436). 400 Unerwähnt bleibt demgegenüber, daß die Aussagekraft der Untersuchung möglicherweise noch stärker durch das relativierende grundSätzliche Problem der Gleichsetzung des Hellfeldes mit der tatsächlichen Kriminalität geschwächt wird. Angesichts der Vielzahl der erhobenen Faktoren ist es umso auffälliger, daß keine mit der Anzeigebereitschaft in Verbindung zu bringenden Faktoren, wie etwa die Polizeidichte oder die (regionale) Aufklärungswahrscheinlichkeit, eruiert wurden. 401 Setzt man den jeweiligen Landesdurchschnitt mit 100 % gleich, so waren es bei den jugendlichen männlichen und weiblichen Personen 102 bzw. 104 %, während es bei den 1824 jährigen 97 und 99 % waren (vgl. hierzu und zum folgenden Szab6, A. 1976,202). 402 Die entsprechenden Werte lagen dort bei 71 und 77%, bzw. 77 und 84%.

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Fünftel der Bevölkerung stellt403 . Mithin ist zu erkennen, daß die Unterschiede zwischen den Verurteilungsziffern der "nicht entwickelten" und der "entwickelten" Bezirke noch deutlich ausgeprägter gewesen wären, wenn Budapest systemgerecht bei letzteren mit einbezogen worden wäre. Besonders hohe Korrelationswerte (jeweils über + 0,8) ergaben sich zwischen der Gesamtdelinquenz der untersuchten Altersgruppen einerseits und der sog. "Superkomponente" sowie auch den Indikatorengruppen der geographischen Bevölkerungsverteilung, den Einkommensverhältnissen und der Anzahl und Größe der Industriebetriebe andererseits. Aus diesen Werten sowie einer Vielzahl von speziellen Einzelbefunden zieht der Verfasser den Schluß, daß die gesellschaftlich-wirtschaftliche Entwicklung Elend als kriminogenen Faktor (zwar) beseitigt, zugleich aber wachsender Wohlstand auch zu einer Steigerung der Bedürfnisse geführt habe, so daß die Motivation zur Begehung von Eigentumsdelikten nicht nachgelassen habe. Als das dynamische Element der wirtschaftlichen Entwicklung erweise sich die Industriealisierung, welche die Mobilität der Bevölkerung erhöhe, die ihrerseits wiederum zu einer größeren Delinquenzbelastung von industriealisierten Gebieten führe, da die dort anwesende Bevölkerung stärkeren Reizsituationen ausgesetzt sei. Der Industriealisierung folgte auch eine Abwanderung ländlicher Bevölkerung in die Städte, deren organische Aufnahmekapazitäten jedoch hinter den, durch die veränderten Beschäftigungsverhältnisse entstandenen, Bedürfnissen zurückblieben, so daß sich um die Industriezentren Wohngegenden bildeten, die aufgrund ihrer unausgereiften Struktur eine kriminogene Wirkung entfalteten. Schließlich führte auch der, durch das zunehmende Auseinanderfallen von Arbeits- und Wohngegend erzeugte Mobilitätsdruck gerade auf die aktivsten Altersgruppen zu einem Delinquenzanstieg. Unter Einbeziehung der in Frankreich, Polen und (dem ehemaligen) Jugoslawien erlangten Ergebnisse kommt der Verfasser zu folgenden der Kaderverwaltung in unterschiedlichem Maße gefälligen Feststellungen: Trotz der verschiedenen politischen Systeme, seien die Unterschiede bezüglich der Delinquenzbelastung zwischen den gesellschaftlich-wirtschaftlich unterschiedlich stark entwickelten Regionen eines Landes ausgeprägter, als die zwischen den vergleichbaren Regionen verschiedener Länder404 . Auffällig sei auch, daß das Stadt-Land Gefälle in Ungarn, vor allem aufgrund des Umstandes, daß die Eigentumskriminalität der jungen AItersgruppen sich fast ausschließlich als städtische Erscheinung darstellt, deutlich ausgeprägter sei, als in Polen oder auch Frankreich. Demgegenüber sei der statistische Einfluß der Beschäftigungsstruktur in Frankreich beinahe doppelt so hoch Die entsprechenden Werte für Budapest betrugen 158 und 172 %, bzw. 149 und 199 %. 1976,206. Szab6, A. kann sich dabei vor allem auf die in Frankreich und Ungarn berechneten Verurteiltenziffem stützen. Diese betrugen in den nicht entwickelten Bezirken bei den männlichen Jugendlichen 100,9 bzw. 96,5 und in den entwickelten Bezirken 167,9 bzw. 139,4, wobei die letztgenannte Differenz deutlich geringer ausgefallen wäre, wenn Paris (192,2) und Budapest (214,5) jeweils bei den entwickelten Bezirken einbezogen worden wären. Bei der Altersgruppe der männlichen 18-24jährigen betrugen die entsprechenden Daten 181,6 gegenüber 189,2 bzw. 274,3 gegenüber 242,0 (letztere ohne Berücksichtigung von Paris [302,2] und Budapest [367,4]). 403

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wie in Ungarn. Die starke Korrelation zwischen der Delinquenz und dem Anteil der in der Industrie Beschäftigten beruht Szab6, A. zufolge auf der in Frankreich vorzufindenden Klassenstruktur405 . Auch scheine umgekehrt der Umstand, daß in Ungarn als einzigem der vier Länder mit bereits erfolgter Kollektivierung der Landwirtschaft die dortigen Arbeitsstrukturen die stärksten Gemeinsamkeiten mit denen der in der Industrie Beschäftigten aufweisen, tendenziell zu einer Nivellierung beizutragen406 . Im Rahmen des zweiten Teils der Untersuchung wurde überprüft, ob aus den im nationalen Kontext ermittelten statistischen Korrelationen aetiologische Schlüsse gezogen werden können, d. h. ob der als delinquent registrierte Teil der Bevölkerung im Rahmen der jeweiligen Gesamtpopulation tatsächlich zu den von den gesellschaftlich-wirtschaftlichen Entwicklungen am stärksten betroffenen Teilen gehört, und wenn ja, welche Umstände charakteristisch für die Anfälligkeit gerade dieser Gruppe sind407 . Es dienten mithin (stichprobenartige) mikrostrukturelle Erhebungen der Ergänzung und zugleich Validierung vorläufiger makrostruktureller Ergebnisse. Zu diesem Zweck wurden im Jahre 1968 an einer insgesamt 279 Personen umfassenden, nach repräsentativen Gesichtspunkten bestimmten, Stichprobe der Verurteilten der genannten Altersgruppen mündliche Einzelbefragungen durchgeführt. Die Auswahl der Stichprobe betraf vier, bezüglich ihrer gesellschaftlichwirtschaftlichen Entwicklung stark unterschiedliche Verwaltungsbezirken. Zum einen wurden die Verurteilten, sowie zum anderen deren gesetzliche Vertreter (in der Regel in Gestalt der Mutter) interviewt. Beides erfolgte anband eines jeweils sehr umfangreichen Fragebogens408 . 405 1976,207: ..Es dürfte schwer sein, dieses Ergebnis nicht mit der Klassenstruktur zu erklären ... ". Gleichwohl tut Szab6, A. genau dieses - zumindest teilweise - durch seinen nachfolgenden Hinweis auf eine gewisse Angleichung der Arbeitsbedingungen in Landwirtschaft und Industrie in Ungarn. 406 Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß es sich jeweils um Verhältniswerte handelt, die von zwei Seiten interpretiert werden können - die ausgeprägteren Unterschiede in Frankreich lassen sich ebenso gut auf die relativ starke (registrierte) Delinquenzbelastung der in der Industrie Beschäftigten, wie die relativ niedrige der Landbevölkerung - ergibt sich mithin, daß der statistische Befund anstelle mit einer relativ hohen (registrierten) Delinquenzbelastung der industriell Beschäftigten in Frankreich ebenso gut mit Hilfe der relativ hohen (registrierten) Delinquenzbelastung der in der Landwirtschaft Tätigen in Ungarn erklärt werden könnte. Darüberhinaus dürfte auch der unterschiedliche Grad der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Entwicklung in den jeweils stark bzw. jeweils schwach entwickelten Regionen der beiden Länder kaum identisch sein, was (gerade auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse aller Wahrscheinlichkeit nach) nicht ohne Einfluß auf das Ergebnis geblieben sein wird. 407 Die Notwendigkeit hierzu ergibt sich für SzabO, A. (1972, 75) bereits aus dem Umstand, daß bloße Korrelationen für sich genommen noch keinerlei Erklärungswert beinhalten und der ausschließliche Blick auf Gesamtheiten leicht irreführend sein kann. So wäre es z. B. zumindest vorstellbar, daß die Verurteilten eines relativ wohlhabenden Verwaltungsbezirkes. entgegen dem statistischen Anschein. nicht wohlhabender sind. als diejenigen in einem relativ armen Bezirk. 408 Die im Anhang zur Untersuchung abgedruckten Fragebögen umfassen insgesamt 71 Seiten. Der das Interview mit dem Verurteilten betreffende besteht aus 86 z.T. mehrfach un-

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Diese mikrostrukturellen Untersuchungen führten zu folgenden Feststellungen: Maßgebliche Bedeutung kommt dem Gesichtspunkt der Mobilität zu. Dieser stelle sozusagen den soziologischen Faktor dar, der das Bindeglied zwischen makrostrukturellen Veränderungen und das Individuum unmittelbar umgebenden Sozialisationsinstanzen wie Familie, Schule und Freundeskreis bilde (1972, 77). "Nicht entwickelte" Verwaltungsbezirke unterschieden sich von "entwickeltene" vor allem bzgl. des Lebensstandards der Familien, der Struktur des familiären Zusammenlebens, der Aufteilung der Erziehungsarbeit unter den Eltern, der innerhalb der Familien feststellbaren kulturellen und schulischen Bildung, sowie den grundlegenden Einstellungen, Zielen und Ambitionen der Familien409 . Charakteristisch für die untersuchte Population ländlicher Bezirke sei, daß die (geographische wie auch gesellschaftliche) Mobilität noch neu sei und sich ausschließlich auf den Haushaltsvorstand erstrecke, während für die Großeltern noch das Fehlen jeglicher Mobilität typisch sei. Die Mobilität des Haushaltsvorstandes steige vertikal an4JO • In den Familien seien in der Regel mehrere Personen erwerbstätig; der Anteil arbeitender Mütter sei mit 65 % sehr hoch. Das pro Kopf Einkommen liege in den Familien um fast 20 % über dem Bezirksdurchschnitt. 80% der Haushaltsvorstände arbeiteten außerhalb des Bezirkes, davon 20 % in entfernten Bezirken. Die vom Vater zu Hause verbrachte Zeit lag zu 65 % unterhalb deIjenigen der Gesamtpopulation. Ein großer Teil der Ehen beruhe nicht auf einer gefühlsmäßigen Nähe der Partner, sondern lasse sich vielmehr als eine durch rational-wirtschaftliche Erwägungen bestimmte Interessengemeinschaft charakterisieren. Die Eltern hatten in der Regel einen geringeren schulischen Bildungsstand als ihre Kinder; von letzteren hatten 70 % (zumindest) einen Hauptschulabschluß, wobei allerdings 30 % von ihnen hierfür zwei Jahre länger als üblich gebraucht hatten. 10 % der untersuchten Stichprobe habe noch in der schulischen Ausbildung, 70 % in einem Arbeitsverhältnis gestanden. Von letzteren wären 85 % lieber weiter zur Schule gegangen, was jedoch innerhalb des Bezirkes nicht möglich gewesen sei. Auch hätten die Eltern ihre Kinder in der Regel zur Aufnahme einer bezahlten Arbeit gedrängt. Ferner hätten die Eltern zumeist nur wenig über das Gefühlsleben ihrer Kinder, deren Freunde und schulischen Angelegenheiten gewußt. Ihr Interesse habe sich vielmehr auf die Frage konzentriert, ob ihre Kinder einer regelmäßigen Arbeit nachgingen. Dieses sei auch, in der Regel durch die Mütter, sorgsam kontrolliert worden. Von diesen eingesetzte Sanktionen seien zumeist verbaler Natergliederten Fragenkomplexen zuzüglich sechs vom Interviewer zu beantwortenden, auf seinen persönlichen Eindruck bezogenen Fragen. Der andere Fragebogen besteht aus 117 Fragenkomplexen zzgl. 7 entsprechenden Fragen. 409 Diese und die nachfolgenden Ausführungen beruhen insbesondere auf den im Verwaltungsbezirk Szabolcs als dem am wenigsten entwickelten Bezirk einerseits, sowie in Budapest erlangten Ergebnissen andererseits. 410 Aus landwirtschaftlichen Arbeitern seien in der Industrie Hilfs- oder angelernte Arbeiter geworden. Die Mehrzahl sei in der Bauwirtschaft tätig, wo der jeweilige Arbeitsalltag in starker Weise durch das jeweilige Projekt geprägt werde.

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tur gewesen, während die Vater auch andere Strafen (z. B. Entzug von Geschenken) vervandt hätten. Äußerst selten seien Schläge gewesen, was im wesentlichen auf der Einstellung beruht haben soll, "ein arbeitendes Kind schlägt man nicht (mehr)". Die Delinquenzstruktur411 sei - eng mit der Arbeit verbunden - überwiegend beschaffender Natur, sowie zum anderen durch die traditionelle "bäuerliche" Einstellung der ,,handgreiflichen Regelung eigener Angelegenheiten" bestimmt gewesen. Zusammenfassend konstatiert Szab6, A., daß die Jugendkriminalität in ländlichen Bezirken kein pädagogisches, sondern ein soziales Problem darstelle. 412 Mobile Eltern und in der vertikalen Mobilität stagnierende Jugendliche böten das typische Bild. Die Jugendkriminalität werde durch die mit der wirtschaftlichen Betätigung verbundene Mobilität bedingt und verursacht. Von Seiten der Eltern stehe die Mobilität in unlösbarem Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit; die Familie sei mit ihrer Aufgabe der Existenzsicherung ihrer Mitglieder voll ausgelastet und könne in der Folge ihre Funktion als Sozialisationsinstanz nicht mehr hinreichend wahrnehmen. Die Bedeutung, die der Erlangung materieller Güter in der Familie (notgedrungen) beigemessen wird sei geeignet, die Betriebskriminalität früh ins Arbeitsleben einsteigender Jugendlicher verständlich werden zu lassen. Die noch bestehende Nähe zum "bäuerlichen" Lebensstil beeinflusse andererseits die Art der Regelung persönlicher Konflikte. Das frühe Ende der schulischen Ausbildung und der frühe Einstieg in das Erwerbsleben seien eindeutig die Folgen der Unterentwicklung der Bezirke, die, verbunden mit der Anziehungskraft entwickelter Bezirke, zwangsläufig zu wirtschaftlich bestimmter Mobilität führten. Die Zunahme von Bedürfnissen und der Mangel an Möglichkeiten zu ihrer Befriedigung seien im wesentlichen die Erklärung für die Jugendkriminalität in ländlichen Bezirken. Differenzierter sei demgegenüber die Situation in Budapest, als der am meisten entwickelten Region zu beurteilen. Nach Mobilität und sozio-ökonomischem Herkunftsstatus der Eltern seien drei Gruppen zu unterscheiden. Die erste werde durch die Abkömmlinge der angestellt beschäftigten Akademiker gebildet. Diese umfasse 30 % der untersuchten Population, was gegenüber dem budapester Durchschnitt einer Überhöhung um 10 % entspreche. Bezüglich der Mobilität der Vater sei kennzeichnend, daß diese ihrererseits zu 70 % nicht von Akademikern abstammten, sowie seit dem 2. Weltkrieg in Budapest lebten, so daß sie sich bereits in der neuen Gesellschaftsordnung ihre Fachkompetenz erworben 411 Etwa 60 % Diebstahl sozialistischen Eigentums standen nur 10 % Diebstahl privaten Eigentums gegenüber (bei 20 % Körperverletzungen und 10% sonstigen Delikten). 412 Diese im deutlichen Widerspruch zur herrschenden Meinung stehende Erkenntnis wird im Schriftbild durch Unterstreichung hervorgehoben. Szab6s schonungslose Analyse ist für die politische Führung belastend. Berücksichtigt man die beträchtlichen staatlichen Mittel, welche die Untersuchung gekostet haben muß (- obgleich hierzu keine konkreten Angaben erlangt werden konnten, lassen allein schon der Untersuchungszeitraum von mehreren Jahren, verbunden mit dem hohen Personalaufwand, einen entsprechenden Schluß zu -), dürfte die Wertung "unbestechlich" an dieser Stelle angemessen sein.

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hätten. Weniger ausgeprägt sei demgegenüber die sozio-ökonomische Mobilität der Mütter, die zu 55 % bereits in die entsprechende Schicht hineingeboren worden seien. Die Beschäftigungsverhältnisse beider, der oberen Mittelschicht zugerechneten Elternteile seien außergewöhnlich stabil. Berufliche Veränderungen führten zu Verbesserungen. Bei 8 % der Jugendlichen dieser Gruppe sei bereits vor der Straftat bezogen auf den Status der Eltern ein gesellschaftlicher Abstieg erkennbar geworden. Bezüglich dieser Gruppe waren ausnahmslos beide Elternteile berufstätig. 90 % der Eltern kannten den Freundeskreis ihrer Kinder und bemühten sich diesbezüglich nicht um Einflußnahme. Der deutliche Schwerpunkt elterlicher Sanktionen liege bei der "Strafpredigt". Die Mehrheit der Kinder verbindet mit der Familie mit Ausnahme des Fernsehens und des Urlaubs keine gemeinsamen Aktivitäten. Die Freizeit wird außerhalb der elterlichen Wohnung in Gesellschaft Gleichaltriger verbracht. 75 % äußerten, der Schule gegenüber negative Gefühle zu haben, die zumeist auf die dort erfahrene schlechte Beurteilung der eigenen Person zurückzuführen waren. 70 % der Jugendlichen sollen den Eltern eher negative Gefühle entgegengebracht haben. 20 % dieser Gruppe seien als Bandenmitglieder delinquent geworden. Zusammenfassend sei festzustellen, daß die Delinquenz dieser Gruppe einen signifikanten Zusammenhang mit pädagogischen Konflikten aufweise. Die zweite und mit 50 % größte Gruppe werde durch Hilfs- und Gelegenheitsarbeiter gebildet. Auffällig sei ein Fehlen sowohl gesellschaftlicher als auch geographischer Mobilität413 . Die Mütter seien zu 78 % nicht erwerbstätig. Hinsichtlich der Schulbildung sei das Fehlen selbst eines Hauptschulabschlusses charakteristisch. 40 % dieser Gruppe sei bereits aufgrund "moralischer Gefährdung" in staatliche Jugendheime eingewiesen gewesen. Der sich aus den Angaben der übrigen 60 % ergebende elterliche Erziehungsstil sei dadurch gekennzeichnet, daß die Eltern ihre Kinder kaum kennen und ihre Aktivitäten nicht kontrollierten. Die familiären Sanktionen seien in der Regel sehr schwerwiegend, Schläge seien typisch. Auch Vertreter dieser Gruppe würden häufig in Banden delinquent. Kennzeichnend für die Gruppe sei das gänzliche Fehlen gesellschaftlichen Aufstiegs; die Lebensweise lasse sich als diejenige des "Lumpenproletariates" bezeichnen 414 . Die dritte Gruppe (20 %) werde schließlich aus solchen Personen gebildet, die erst seit höchstens fünf Jahren in Budapest leben. Die Eltern der delinquenten Jugendlichen seien zu 10 % Hilfsarbeiter und zu 90 % angelernte bzw. Facharbeiter. Die Mütter seien zu 60 % erwerbstätig. Das Einkommen liege zu 10 % höher als in der zweiten Gruppe, die Wohnverhältnisse seien jedoch (trotz besserer Ausstattung des Haushaltes mit modernen Geräten) deutlich schlechter. 87 % der Ar413 Bereits die Großeltemgeneration habe in Budapest gelebt und aus "Tagelöhnern, Gelegenheits- und Hilfsarbeitern" bestanden. 414 Auch dieses Ergebnis, daß sich nämlich die jugendlichen Delinquenten in Budapest zur Hälfte aus unterprivilegierten Jugendlichen einer Schicht rekrutierten, an deren Lebensbedingungen sich seit Generationen und d. h. auch nach der "Befreiung" nichts geändert hat, muß mithin aus Sicht einer sich selbst als sozialistisch definierenden politischen Führung als stark erwartungswidrig bezeichnet werden.

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beiter dieser Gruppe hätten parallel zu ihrer Berufstätigkeit in der Abendschule einen Hauptschulabschluß erreicht. Das schulische Bildungsniveau der Kinder lasse gegenüber dem der Eltern einen Fortschritt erkennen. Charakteristisch sei jedoch, daß 82 % in dem letzten Schuljahr vor der Straftat sitzengeblieben waren. Ursache hierfür sollen in der Regel Anpassungsschwierigkeiten an das Großstadtleben gewesen sein. e) Medizinische und psychologische mikrostrukturelle Erklärungsansätze unter besonderer Berücksichtigung der Arbeiten Poppers

Wertet man Delinquenz Jugendlicher nicht als problemlösendes Verhalten etwa i.S. einer gesunden Reaktion auf eine defizitäre soziale Situation415 , sondern als ernstes Anzeichen eines individuellen Defektes, der seinerseits wiederum allenfalls mittelbar und vorsichtig mit ("noch") vorhandenen gesellschaftlichen Bedingungen in Verbindung gebracht werden konnte, so erklärt sich bereits hieraus ein dringender Bedarf für täterorientierte psychologische Erklärungen. Diese erwiesen sich für die Jugendkriminalität in besonderer Weise als opportun und konsensfähig. Zum einen erschien bei Jugendlichen der Versuch einer möglichst vollständigen Erfassung aller entwicklungspsychologisch relevanten Faktoren zumindest aussichtsreicher als bei Erwachsenen. Zum anderen waren psychologische Studien am ehesten geeignet, aus einem charakteristischen Dilemma herauszuführen. Simplifizierend läßt sich nämlich konstatieren, daß sich desto größere Zweifel an der Zulässigkeit eines individuellen Schuldvorwurfs aufdrängen, je jünger ein Delinquent ist und je mehr die Zuschreibung eines eigenverantwortlichen Verhaltens als utilaristisch erscheint. Daß die hieraus folgenden legitimatorischen Probleme eines strafrechtlichen Eingriffes in einer Rechtsordnung nicht geringer sind, in der das Postulat einer Willensfreiheit gegenüber einer deterministischen Konzeption weniger herrschend ist, als z. B. in der Bundesrepublik Deutschland, ist offensichtlich. Eine Pathologisierung von Delinquenz hat nicht nur zur möglichen Folge, daß sie einer Vorstellung des Inhalts, "schuld" sei weder der Jugendliche noch die Gesellschaft, sondern so etwas wie eine "Krankheit", Vorschub leistet. Vielmehr vermag sie auch dazu beizutragen, daß der belastende staatliche Eingriff, als im Interesse des Adressaten liegend, sozusagen als "Heileingriff' - ggfs. sogar in der Vorstellung, je weiter die "Krankheit fortgeschritten" sei, desto schwerwiegender müsse auch der Eingriff sein, um Wirksamkeit entfalten zu können - legitimiert werden kann. Beides dürfte geeignet sein, die verantwortungsbewußte Tätigkeit von Strafjuristen erleichtern zu helfen, indem (potentiell) aufkeimendem Unbehagen solcher Art entgegengewirkt wird.

415 So etwa zumindest für bestimmte Bereiche provokativ Voss, 1991, 38: " ... gesunde Reaktion auf eine krankmachende Umwelt", sowie ihm folgend Pilz 1992, 89.

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Das Ausgeführte sollte die Entstehung einer Vielzahl medizinischer, sowie vor allem (individual)psychologischer Arbeiten, von denen nachfolgend nur eine bescheidene Auswahl vorgestellt werden kann, verständlich werden lassen. Bereits 1960 konstatiert Majlath, daß die Vorstellung, Jugendkriminalität sei eine zu vernachlässigende Erscheinung, die mit fortschreitender Entwicklung des Sozialismus mangels gesellschaftlicher Verwurzelung von alleine vergehen würde, sich als Irrglaube erwiesen habe, aufgrund dessen sich das Problem nunmehr umso dringlicher stelle 416 • Als wesentlichste Ursachen für Straftaten Jugendlicher wurden emotionale Vereinzelung und Abstumpfung der Betroffenen in Kindheit und Jugend genannt, die ihrerseits wiederum auf einer Vielzahl von Faktoren beruhen könnten, wozu u. a. genannt wurden eine unglückliche Ehe der Eltern, die hierdurch bedingten schweren seelischen Konflikte des Kindes, Kinderkrankheiten, Traumen, zwischen Extremen pendelndes Erziehungsverhalten in der Familie, Verunsicherung, ein liebloses Umfeld, sowie ein Negativ-Vorbild in Gestalt eines oder beider Elternteile. Zentrales Anliegen des Verfassers ist freilich die Feststellung aus medizinischer Sicht, daß der überwiegende Anteil kindlicher oder jugendlicher Delinquenten neben psychischen auch organische Schädigungen aufweise. Letztere könnten bereits pränatal verursacht worden sein oder etwa auf einer frühen Hirnhautentzündung beruhen. Jedenfalls hätten derlei organische Schäden ihrerseits i.d.R. psychische Fehlentwicklungen zur Folge, die, wenngleich nicht im Sinne einer Gesetzmäßigkeit, so doch mit einer hohen Wahrscheinlichkeit strafrechtlich relevantes Verhalten bewirkten. Aufschlußreich ist mithin, wie der Verfasser, der sich mangels konkreter Statistiken ausschließlich auf seine eigenen berufsbedingten Erfahrungen zu stützen vermag, eine Pathologisierung delinquenter Minderjähriger betreibt, indem er eine feste Verbindung zwischen organischer Schädigung und Delinquenz herzustellen trachtet417 • Auf dieser Grundlage beschäftigt er sich allerdings auch kritisch mit einer Reihe von Faktoren im sozialen Umfeld, die zu psychischen Fehlentwicklungen führen können, wobei er bemerkenswerterweise nicht nur auf die regelmäßig ausgeführten familiären Schwierigkeiten (Alkoholprobleme der Eltern, Scheidung, Kindesmißhandlung usw.), sondern auch die unbefriedigenden Zustände in den staatlichen Jugendheimen und sog. "Besserungsanstalten" eingeht, aus "denen die Minderjährigen häufig entwichen, da sie dort weder das erforderliche Verständnis noch eine Linderung ihrer seelischen Nöte erhielten" (S. 404). Die Anziehungskraft von Jugendbanden beruhe insb. darauf, daß sie Jugendlichen ansonsten fehlende Werte und Identifikationsmöglichkeiten böten. Des weiteren geht Majlath auf die besondere Lage suizidgefährdeter Kinder und Jugendlicher ein. Dabei resümiert er pragmatisch, das Hauptproblern bestehe (noch) nicht (einmal) in der Gleichförmigkeit der Schicksale dieser Jugendlichen bis zum Kontakt mit den s. zum ganzen Majlath 1960, 402 ff. Vgl. aber auch Lempp (1979, 45) und Szewczyk (1984, 129), die auf der Grundlage differenzierterer Untersuchungen zu tendenziell ähnlichen Ergebnissen gelangen. 416 417

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Jugendämtern bzw. der praktischen Nichtdurchführbarkeit von Therapie, sondern darin, daß der Minderjährige nach seiner Entlassung wieder hilflos dem Leben ausgeliefert werde, erkennbar ohne eine Alternative zur Rückkehr in die alte Umgebung mitsamt ihrer ungelösten Probleme bzw. einem neuerlichen Suizidversuch. Partiell in ähnlicher Weise beschäftigt sich auch Krajcsovics mit biologischen Ursachen von Jugendkriminalität, wobei er sich aus der Analyse somatischer Veränderungen eine Bereicherung der "Pathogenese der Jugendkriminalität" verspricht418 . Bezüglich Krankheiten unterscheidet er zwischen solchen, welche die Persönlichkeitsentwicklung unmittelbar419 oder aber mitte1bar42o beeinflußten. In der Folge benennt er dieseebenso wie eine Reihe weiterer potentieller organischer Faktoren, die bei Kindern und Jugendlichen zu Anpassungsschwierigkeiten führen könnten. Solche Anpassungsschwierigkeiten organischen Ursprungs stellten S.E. ebenso einen kriminogenen Faktor dar, wie schwierige Familienverhältnisse oder der Einfluß eines kriminellen Umfeldes. All dies könne zu Verhaltensauffälligkeiten, antisozialem Verhalten, Straftaten und schließlich zum Suizid des Betroffenen führen. Insgesamt läßt sich in Anspruch und Vorgehensweise eine gewisse Nähe zu Buikhuisens "Biosozialer Kriminologie" feststellen 421 . Majlath und Pick befassen sich im Rahmen einer Einzelfall-Studie mit dem kriminogenen Einfluß einer Frau auf das strafrechtsrelevante Verhalten ihrer beiden Kinder, sowie der Jugendbande, der diese angehörten. Dabei untersuchten sie die Gründe und die Struktur der psychischen Fehlentwicklung sowohl der Mutter als auch ihrer Kinder, wobei als psychodiagnostische Testverfahren T.A.T. und Szondi zur Anwendung kamen422 •

Von herausragender Bedeutung im diesbezüglichen ungarischen Schrifttum sind die Untersuchungen des Psychologen Popper zur Entwicklung krimineller Persönlichkeitsstörungen423 . Im Rahmen eines Aufsatzes berichtete Popper 1962 von den Ergebnissen der Persönlichkeitsuntersuchung von 60 jugendlichen Untersuchungsgefangenen im Alter zwischen 12 (!) und 18 Jahren, denen eine Vergleichsgruppe von 40 als neurotisch beurteilter Kinder gegenübergestellt wurde424 . Nach kurzer Darstellung der Struktur der ihnen zur Last gelegten Delikte sowie der potentiellen 418 s. Krajcsovics 1972, 534 ff., dessen Untersuchung die Anamnesen von 479 minderjährigen Straftätern aus Budapest zu Grunde liegen; vgl. ähnlich auch schon György 1967. 419 Hierzu nennt er: Commotio cerebri, Meningitis, Epilepsie und Apoplexia cerebri. 420 Zu solchen zählt er: häufige Pneumonie, die zu Hospitalismus, chronische Otitis, die zu Schwerhörigkeit und Enuresis nocturna, die zu starkem Körpergeruch und daraufberuhenden Schamgefühlen führen könne. 421 Vgl. Buikhuisen 1993, 230 ff. 422 s. näher Majlath/ Pick 1962,517 ff., insb. 524 ff. 423 s. Popper 1962 ; 1970; 1975; s. auch grundlegend zu Gegenstand, Aufgaben und Anwendungsgebieten der Kriminalpsychologie sowie deren Beziehungen zur allgemeinen Psychologie, zum materiellen Strafrecht, dem Strafverfahrensrecht, der Kriminalistik, der Kriminologie und der Strafvollstreckung Molmir / Popper 1962. 424 s. hierzu und zum nachfolgenden Popper 1962, 533 ff.

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gesamtgesellschaftlichen Faktoren425 , geht er auf das Hauptanliegen der Arbeit ein: die Analyse, welche Folgen für die emotionale Entwicklung eines Kindes eine defizitäre familiäre Situation hat und wie dies zu Delinquenz bzw. Neurosen führt. Als festgestellte relevante familiäre Faktoren benennt Popper bezüglich delinquenter bzw. neurotischer Verhaltensweisen: eine unvollständige Familie bei 30 % / 17,5 % der Fälle; innere Zurückgezogenheit, späte Scheidung der Eltern bei 11 % / 17,5%; Stiefeltern 16%/22,5%; Alkoholsucht der Eltern 18%/12,5%; brutales ("Erziehungs-")Verhalten 25 % / 15 %; schwerer Geschwisterkonflikt 6 % /12,5 %; Vernachlässigung 23 % /10 %; sonstige nachteilige familiäre Situation 20 % / 17,5 %. Sodann werden die mit Hilfe des angewendeten Rohrschach-Testverfahrens erlangten Werte vorgestellt und analysiert. Im nächsten Abschnitt unterteilt Popper den Entwicklungsverlauf einer kriminellen Persönlichkeitsstörung idealiter in zwei Phasen, welche durch die erste Straftatbegehung bzw. die Tatsache der Strafverfolgung voneinander getrennt werden. Die erste Phase beginne i.d.R. mit der Auflösung bzw. mangelhaften Herausbildung von - für eine gesunde psychische Entwicklung unverzichtbaren - emotionalen Bindungen, die zu einer für den Minderjährigen nicht annehmbaren ambivalenten emotionalen Situation und in der Folge zu einer schweren Verängstigung führe. Resultat all dessen seien schwere reaktive Depressionen, die notwendigerweise mit Aggressionen und einer neurotischen Anspannung gepaart seien. Sekundäre und tertiäre Folgen seien der Verlust der Möglichkeit zum "akzeptablen" Aggressionsabbau u. a. aufgrund von emotionaler Abstumpfung, Bindungsunfähigkeit, motorischer Unruhe, Unkonzentriertheit, gefühlsmäßiger Labilität, gesteigerter Gereiztheit, Motivations- und Perspektivlosigkeit, wachsender Gleichgültigkeit und Zynismus, nachlassendem Realitätssinn, "sensation-seeking" (und zwar vermutlich zur Kompensation der emotionalen Mangelsituation), Zurückbleiben in der Entwicklung der Intelligenz (vor allem im Bereich des abstrakten und logischen Denkens). Auch zeigten sich von Seiten des Minderjährigen gegenüber der Familie "anti soziale" Verhaltensweisen, an deren Ende der Rückzug aus der Familie und der Anschluß an Subkulturen stehe. - Die zweite Phase beginnt Popper zufolge nach Begehung der ersten "ernsten" Straftat, die das Bewußtsein hervorrufe, nunmehr außerhalb der gesetzestreuen Bevölkerung zu stehen und von den hierfür zuständigen Organen verfolgt zu werden, was einen qualitativ neuen, den Teufelskreis in der Regel verschlimmernden Aspekt darstelle. Gerade auch deshalb sei die Situation, in die der Jugendliche nach seiner Festnahme gerate, von elementarer Bedeutung. Werde der repressive Charakter der gesellschaftlichen Reaktion stark betont, führe dies zu erneuter Aggression beim Jugendlichen, und ein Resozialisierungsprozeß könne kaum stattfinden, "er wird 425 Popper stellt hierzu fest, daß Annut als kriminogener Faktor eine zu vernachlässigende Größe darstelle und in den wenigen Fällen, in denen solche erkennbar geworden sei, sie immer in Verbindung mit "Alkoholismus der Eltern, ihrem asozialen Lebenswandel usw." gestanden habe. Dabei geht er allerdings der Frage, welches die Ursachen und welches die Folgen gewesen seien, nicht nach. Des weiteren verweist er auf gravierende gesellschaftliche Veränderungen im Laufe der Kindheit und Jugend der vorwiegend zwischen 1942 und 1946 Geborenen, welche auf die Situation der Familien eingewirkt haben mögen.

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fönnlich als Außenseiter abgestempelt". Gelingt es demgegenüber, den Jugendlichen erleben zu lassen, daß er (nach wie vor) Teil der Gesellschaft ist, eröffne sich ein fruchtbares Feld für wirkungsvolle Resozialisierung. Auch im Rahmen seiner 1970 erschienenen Monographie beschäftigt sich Popper mit der Frage, aufgrund welcher Faktoren Störungen der Persönlichkeitsentwicklung in manchen Fällen zu neurotischen bzw. zu delinquenten Verhaltensweisen führen. Zugleich befaßt er sich mit dem Niveau der moralischen Entwicklung jugendlicher Straftäter, und kommt zu dem Ergebnis, daß diesbezügliche Defizite stets auf Störungen der emotionalen Entwicklung zurückzuführen seien. Eine kriminelle Persönlichkeitsstörung habe mithin nicht intellektuelle, sondern emotionale Ursachen. Bemerkenswerterweise merkt Popper auch an, daß von der Nonn abweichende Verhaltensweisen noch nicht "krankhaft" sein müßten, sondern vielmehr zwischen nonnalen und pathologischen Reaktionen noch die Mehrzahl devianter Reaktionen stünden, zu denen er auch den überwiegenden Teil der Delinquenz zählt426 . Im Rahmen eines 1975 erschienenen Aufsatzes schließlich untersucht Popper aus Sicht der klinischen Psychologie die Entstehung sog. "anti-sozialer Gruppen,,427. Es geht ihm vorrangig um das "Individuum in der Jugendbande", wobei er darauf hinweist, daß zwar die einzelnen Persönlichkeiten die Basis für das Wesen der Gruppe seien, daß die Gruppe aber auch eine Eigendynamik entwickele, und daß infolge von Interaktionen das Mitglied auch scheinbar persönlichkeitsfremdes Verhalten an den Tag legen könne. Popper beschäftigt sich insbesondere mit den Fragen, welche Bedürfnisse des Einzelnen die Jugendbande befriedige, welche Bedingungen sie hierfür an den Einzelnen stelle und welche Persönlichkeitsstruktur Jugendlicher zu einer (besonderen) Anfälligkeit führe. Er charakterisiert die Jugendbande als eine phasenhafte vorübergehende Fonn der Gemeinschaft, die stark von der Statusunsicherheit ihrer Mitglieder geprägt sei, und er grenzt Jugendbanden von kriminellen Banden ab. Als wesentliche Unterschiede nennt er dabei die auf öffentliche Beachtung gerichtete Deliktsstruktur ersterer, sowie auch das offene, bisweilen bewußt provokative sonstige Auftreten ihrer Mitglieder. Ferner sei bei den Aktivitäten von Jugendbanden die emotionale Motiviertheit von besonders hoher Intensität, während kriminelle Tätergemeinschaften sich stärker von rationalen utilaristischen Einstellungen leiten ließen. Schließlich zeigten sich bedeutende Unterschiede auch gerade im Verhalten ihrer Mitglieder nach ihrer Festnahme. Auffällig sei, daß sie, während sie in der Gruppe außergewöhnlich aggressiv und überheblich wirkten, von ihrer Bande isoliert geradezu "haltlos", konformistisch, häufig gar devot wirkten. Käme die Bande jedoch wieder zu426 Vgl. zum ganzen Popper 1970, insb. S. 143 ff., 230 ff; s. auch Lang 1971, 108 ff., der in seiner Rezension der Arbeit zwar eine "durchgängig marxistische Sichtweise" bescheinigt und sie als hervorragende Darstellung der Kriminalpsychologie würdigt, sich aus Sicht der Innenbehörden jedoch noch für die Praxis einen anwendungsbezogenen deliktsspezifischen Besonderen Teil gewünscht hätte. 427 Vgl. zum ganzen Popper 1975, 349 ff.

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sammen - wie z. B. bei der Gerichtsverhandlung -, kehrten auch das "Selbstbewußtsein" ihrer Mitglieder und mit diesem aggressives und überhebliches Verhalten wieder. In einem weiteren Abschnitt charakterisiert er das Individuum in der Jugendbande als häufig allein in der Gemeinschaft. Im Gegensatz zu dem scheinbar festen Zusammenhalt stelle sich bei näherer Betrachtung heraus, daß die Beziehungen ihrer Mitglieder zueinander nur locker und oberflächlicher Natur seien und sie genaugenommen nur wenig voneinander wüßten. Es handele sich um eine Interessengemeinschaft, wobei die Anforderungen an die Mitglieder sich in der Teilnahme an gemeinsamen, ggfs. auch delinquenten Aktionen, diesbezüglicher Verschwiegenheit gegenüber Außenstehenden und Gehorsam gegenüber dem Anführer erschöpften. Die Bindungsunfähigkeit, die den Einzelnen in eine solche Notgemeinschaft treibe, wirke sich gezwungenermaßen auch auf diese aus. Die Bande gewährleiste nur schein-emotionale Beziehungen428 • Schließlich sei die Jugendbande eine "unreife Gemeinschaft unreifer Individuen". Sie biete Gruppensicherheit bei fehlendem Selbstbewußtsein, die Möglichkeit einer gewissen Rebellion, sowie "billige", da ohne besondere Arbeit erreichbare Erfolgserlebnisse. Familiäre Ursachen ausklammernd, weist Popper auf folgende schulische Faktoren hin, die den einzelnen Jugendlichen in solche Banden trieben: überhöhter Konforrnitätsdruck, schädliche Monotonie unter ständiger Aufsicht im Rahmen der staatlichen Betreuungseinrichtungen, ein stark auf repressive Maßnahmen (Tadel, Strafen) setzendes Erziehungssystem, welches zu zahlreichen, einander ggfs. bedingenden und wechselseitig verstärkenden Frustrationen führe, sowie ein zunehmender Leistungsdruck nebst einer schematischen, der Persönlichkeitsentwicklung wenig gerecht werdenden Leistungsbeurteilung. Während Poppers Interesse vor allem der emotionalen Entwicklung gilt, konzentrieren sich andere Untersuchungen auf die intellektuelle Leistungsfähigkeit jugendlicher Delinquenten. So nahmen Szab6, L.. Fekete und Stenczer zwischen Mai 1972 und Oktober 1973 an 251 aufgrund der Begehung einer Straftat gerichtlich in das Jungen-Erziehungsheim Asz6d eingewiesenen Jugendlichen Intelligenzmessungen vor, wobei die ungarische Adaption des Wechsler-Testes zur Anwendung kam429 . Forschungsleitende Hypothesen waren die diesbezüglichen Ergebnisse des Ehepaares Glueck. Szab6, L. u.a. gelangten zu der Feststellung, die untersuchten jugendlichen Delinquenten verfügten im Durchschnitt über eine niedrigere intellektuelle Leistungsfähigkeit als die gleichaltrigen ,,Nichtdelinquenten"; während 42 % über ein durchschnittliches und 11,6 % gar über ein überdurchschnittliches Niveau verfügten, hätten die Messungen bei 46,4 % unterdurchschnittliche Werte ergeben. Es konnten keine für die Gruppe der Delinquenten signifikanten Merkmale bzgl. spezieller Testbestandteile festgestellt werden. Auffällig seien jedoch in 428 Poppers diesbezüglichen Beobachtungen stimmen in starker Weise mit Yablonskies Konzept einer "Near-Group" überein (vgl. Yablonsky 1959, insb. llOff.). 429 s. Szab6. L. 1974, ll8 ff.

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30 % der Fälle deutlich unterdurchschnittliche Werte beim Mosaik-Test gewesen. 430 Daß die Frage der Repräsentativität der Probandengruppe bzgl. der Gruppe der "Delinquenten" (nebst der Wirkungen auf die Validität der Ergebnisse) problematisiert worden wäre, wurde nicht ersichtlich. Demgegenüber kam Lukdcs-Mezei bei ihren Messungen in einer Jugendstrafanstalt zu durchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten der Gefangenen 431 . Die Bedeutung von Frustration und Überkompensation für suizidales und delinquentes Verhalten bei in Kasernen lebenden Heranwachsenden untersuchte Mayer432 . Unter Ablehnung monokausaler Erklärungen erkennt Mayer suizidales Verhalten als Endpunkt einer Verlaufsentwicklung, die sich retrospektiv als Kette von Frustrationen darstelle. Er beklagt, daß Frustrationen, als Hauptursache für Aggressionen hervorrufenden Stress, selbst in der Neurologie und Psychatrie vernachlässigt würden und knüpft insoweit an Middendorf an, der diesen sowohl als Ursache für aggressives, als auch autoaggressives Verhalten große Bedeutung beigemessen habe (S. 582). Mayer erachtet die frühkindliche Erziehung als entscheidend dafür, inwieweit die adäquaten Reaktionen und Techniken zur Bewältigung von Frustrationen, als notwendiges Rüstzeug im Prozeß des Erwachsenwerdens, internalisiert werden. Problematisch sei es sowohl dem Kind Frustrationen weitestgehend zu ersparen, da dies den Erwerb adäquater Reaktionstechniken verhindere, als auch andererseits ihm ein Übermaß an Frustrationen zuzumuten, da dieses zu einer zu niedrigen Frustrationstoleranz führe. Die (ebenfalls vertretene) These, wonach ersteres eher suizidales, letzteres hingegen delinquentes Verhalten zur Folge habe, habe sich bei seinen Untersuchungen nicht bestätigt. Ferner geht Mayer auf die spezielle Situation in Kasernen lebender Heranwachsender ein, deren Probleme s.E. nicht gebührend berücksichtigt würden. Gerade als Heranwachsender in einer Phase noch unbewältigter innerer Widersprüche aus vergleichsweise selbstbestimmten Lebensumständen in eine geschlossene Gemeinschaft eintreten zu müssen, in der buchstäblich alles durch Vorschriften, Befehle und Verbote reglementiert sei, stelle eine besondere Belastung dar, mit der nur umgehen könne, wer über ein hinreichendes Maß an Frustrationstoleranz und Möglichkeiten adäquater Bewältigung verfüge. Für besonders aufschlußreich erachtet er in diesem Zusammenhang Durkheims Analysen, die dieser im Rahmen seiner Monographie über den Selbstmord, der Situation von Soldaten widmet, zumal sie geeignet seien in der erforderlichen Selbstverleugnung eine Hauptursache für die hohe suizidale Gefähr430 Nach Auffassung der Autoren sei eine stärkere Einbeziehung von Heilpädagogen in die Erziehungsarbeit jugendlicher Straftäter wünschenswert. Ebenso auch Vari 1975, 64 im Hinblick allerdings auf intellektuell stark zurückgebliebene Erwachsene vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die im Zuchthaus von Vac mit der Förderung erwachsener Analphabeten gemacht werden konnten; vgl. auch Szücs / Kravidnski 1970, 110 zu dem überdurchschnittlichen Anteil Jugendlicher ohne Schulabschluß in den Jugendstrafanstalten. 431 s. Lukdcs-Mezei 1974,89. 432 s. Mayer 1975, 581 ff., dessen Studie mehr als 100 Fälle suizidalen Verhaltens zugrunde lagen.

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dung dieses Personenkreises erkennen zu lassen. Mayer berichtet auch von den Ergebnissen der Vergleichsuntersuchung einer Gruppe 19-20 jähriger Soldaten und einer Gruppe gleichaltriger, männlicher Studenten mit Hilfe des Rosenzweigsehen Frustrationstestes. Bei dieser habe sich gezeigt, daß erstere Aggressionen sehr viel seltener nach außen (31,2% gegenüber 51,7%) und häufiger nach innen richteten als letztere (36,4% zu 22,5%; die impunitiven Reaktionen sollen 32,4% gegenüber 26,6% betragen haben). Abschließend geht Mayer anhand eines Einzelfalles auf die potentielle Bedeutung von Überkompensation für den Heranwachsenden ein.

fJ Untersuchungen zum lugendstraJvollzug Unübersehbare Probleme gab es bei der Umsetzung entsprechender kriminalpsychologischer Erkenntnisse im Jugendstrafvollzug 433 .

Varga, z., dessen Erkenntnisse auf einer knapp anderthalbjährigen Beobachtung der Verhältnisse in einer (nicht bezeichneten) Jugendstrafanstalt und einer Vielzahl von Interviews mit allen, während dieser Zeit inhaftierten, männlichen Gefangenen beruhen434 , geht der Frage nach, auf welche Weise versucht wird, das durch den Gesetzgeber vorgegebene Vollzugsziel 435 zu erreichen. Die Situation der Aufnahme eines (neuen) Gefangenen in den Vollzug erfolge in manchen Fällen ..vollzugsöffentlich", d. h. der ..Neue" wird den übrigen Gefangenen mitsamt der Gründe seines Aufenthaltes vorgestellt, um diesen ..mit seinen Fehlern zu konfrontieren" und die übrigen zu informieren. Die erste Phase sei geprägt durch die Notwendigkeit verschiedenartigster Anpassung an die vorgefundene Situation, einerseits im Hinblick auf die Anforderungen der Vollzugsverwaltung, andererseits der Gefan433 Vgl. hierzu näher Varga, Z. 1964, 549 ff. Daß es mit dessen spezialpräventiver Wirkung (zumindest i.S. der erwünschten Legalbewährung) unübersehbare Probleme gab, wird exemplarisch auch aus der Feststellung Kovucs (1972,58) anschaulich erkennbar, der eine kontraproduktive Wirkung des Strafvollzuges dergestalt beklagt, daß "die jugendlichen Gefangenen glaubten aufgrund der im Gefängnis gesammelten Erfahrungen und ,kriminalistischen Erkenntnisse' nach ihrer Entlassung mit mehr Geschick und Erfolg Straftaten begehen zu können" und z.T. auch deswegen erneut straffällig würden; s.a. Molnur 1963, 38; ders. 1964, 230 ff., der insb. den Umstand, daß sich in der Anstalt keine stabilen sozialen Beziehungen und Bindungen entwickeln könnten, als eine organische Schwäche bezeichnet, aber auch die geringen Ausbildungsmöglichkeiten vor allem für intelligente und begabte Personen bemängelt und die fehlende Möglichkeit zum Erwerb der Fähigkeit zu selbstbestimmter und sinnvoller Freizeitgestaltung als Problem erkennt, welches nach der Entlassung neue Straftaten zur Folge haben kann. 434 Vgl. zum ganzen Va~a, Z. 1964, 549 ff.; Molnur 1964, 222 ff. insb. 242 ff. gelangte demgegenüber bei seinen Untersuchungen in Besserungsanstalten zu einer weitaus positiveren Einschätzung (s. oben S. 156ff.). 435 § 86 des 6. Abschnittes des UStGB bestimmt: "Vorrangiges Ziel der gegenüber Minderjährigen angewandten Erziehungsarbeit oder Strafe ist es, darauf hinzuwirken, daß der Minderjährige sich in die richtige Richtung entwickele und zu einem nützlichen Mitglied der Gesellschaft werde."

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genengesellschaft, sowie der örtlichen Bedingungen. Die Vollzugsverwaltung erwarte "unbedingten, widerspruchslosen Gehorsam" und reagiere andernfalls mit Sanktionen unterschiedlicher Schwere. Auch die bereits etablierte Gefangenengesellschaft, die gleichfalls über erhebliches informelles Sanktionspotential verfüge, erwarte i.d.R. (zumindest zunächst) von dem "Neuen" Unterordnung. Die wesentlichsten örtlichen Faktoren seien die räumliche Einschränkung, die erhebliche körperliche Beanspruchung, der Mangel an Tageslicht, fehlende Alternativen bei der Verpflegung, sowie die eingeschränkten Möglichkeiten des Rauchens, die von vielen Gefangenen als besonders belastend empfunden würden. Das Vollzugsziel erfahre in der Praxis eine Modifizierung dahingehend, daß das Schwergewicht auf formelle Anpassung gelegt wird. Zum einen sehe die Vollzugsordnung ein "Hinwirken auf diszipliniertes Verhalten" ausdrücklich vor, zum anderen fehle es beim Anstaltspersonal auch an der Fachkompetenz zur Erreichung darüber hinausgehender Ziele. Die eingesetzten Mittel seien die "Überredung", bei welcher dem Gefangenen sein Unrecht, welches ihn in die Anstalt geführt habe, mitsamt dessen Konsequenzen für ihn und ihm nahestehende Personen vor Augen geführt werde, der (ggfs. mit großer Lautstärke vorgebrachte) Vorwurf oder Befehl, die Drohung mit Disziplinarmaßnahmen bzw. dem Entzug von Vergünstigungen, die Strafe, sowie die Belohnung. Im zweiten Abschnitt seiner Arbeit geht Varga, Z. auf die Reaktionen der Jugendlichen auf den Strafvollzug ein, wobei er nach verschiedenen Phasen bzw. Gesichtspunkten differenziert. Die Einstellung der Jugendlichen gegenüber der Strafzumessung werde durch Opposition bestimmt. Dessen Ursache sei 1. der natürliche Fluchtinstinkt, der durch die massiven physiologischen und psychischen Beschränkungen unmittelbar ausgelöst werde, 2. das Gefühl ungerecht behandelt worden zu sein, welches wiederum auf einem von dem Gesetz abweichenden Werte- und Normensystem des Delinquenten beruhe 436 , sowie 3. der Eindruck der auf Schutz- und Rechtlosigkeit beruhenden Ohnmacht gegenüber den Vertretern von Justiz und Vollzug. Verstärkend wirke bei letzterem, daß in der Regel zwischen Straftat und (rechtskräftigem) Urteil längere Zeit verstreiche (- die Dauer steige tendenziell mit der Schwere der Tat -), in welcher das anfängliche Schuldbewußtsein an Intensität einbüße. So entstehe bei dem Jugendlichen vor Gericht vielfach der emotionale Eindruck die "Starken, Mächtigen und Unverwundbaren" hätten sich gegen ihn, den "Hilflosen" verbündet, wobei nach Varga, Z. die äußere Form einer strafgerichtlichen Hauptverhandlung einem derartigen Gefühl auch in starker Weise Vorschub leiste. Die Notwendigkeit sich, mit den Gegebenheiten abzufinden, führe zu einer pragmatischen Einstellung, die auch auf verschiedenen Ängsten, wie der Furcht vor dem Unbekannten und insbesondere der Sorge, eine mögliche vorzeitige Entlassung zu gefährden, beruhe, und die sich als Konformismus äußere. An die 436 Varga, Z. berichtet (S. 555), daß dieses Gefühl, wenngleich in unterschiedlicher Intensität, bei jedem Verurteilten vorhanden gewesen und das Urteil mithin in keinem einzigen Fall auf Akzeptanz gestoßen sei; s. demgegenüber bzgl. Insassen von Besserungsanstalten Molmir 1964, 236 (oben S. 103 f.).

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Stelle des natürlichen Fluchtinstinktes trete der Wunsch "so früh wie möglich entlassen zu werden", der dazu führe, daß der Gefangene den überwiegenden Teil seiner psychischen Energie darauf ver(sch)wende künstliches, im Widerspruch zu seiner inneren Überzeugung stehendes, äußeres Wohlverhalten erkennen zu lassen. Dabei komme es auch zu Persönlichkeitsveränderungen. Die Reglementierung habe Zwangscharakter, sei zum Teil kaum nachvollziehbar437 , unbeeinflußbar und unpersönlich. Daraus resultierende feindselige Gefühle könnten so kaum bewältigt werden. Ein Ventilwirkung wird durch Personalisierung geschaffen, mit deren Hilfe der Unmut gegen die Vertreter dieser Ordnung gerichtet werden kann, die mithin als Gegner gesehen werden. Die Reglementierung bewirke auch ein Bewußtsein der Erniedrigung. Die Anstaltsordnung, die sich auf "den" (Einheits-) Jugendlichen bezieht, trage der Ungleichartigkeit verschiedener Individuen nicht Rechnung und richtet sich somit tendenziell gegen die Individualität der ihr Unterworfenen, als solche. Sie sei ein Hauptmittel der Beseitigung der individuellen Persönlichkeit. Die Einhaltung und verbale Annahme der Anstaltsordnung führe zu einer inneren Spannung und negativen Einstellung gegenüber jeglicher Form von Regeln. Das Vollzugszie1 lasse sich auf solche Art mithin kaum erreichen. In einem weiteren Abschnitt befaßt sich Varga, Z. gesondert mit dem Verhältnis zwischen den Gefangenen und dem Anstaltspersonal. Dabei weist er insb. auf den Mißstand hin, daß die Vollzugsordnung den Gefangenen ein Verhalten abverlangt, als seien die Bediensteten ohne Ausnahme fehlerlose und unbedingten Respektes würdige Menschen. Indem sie Wertschätzung, Autorität und Respekt zu erzwingen suche, mißachte sie pädagogische Selbstverständlichkeiten und sei mit ihrem Anliegen zum Scheitern verurteilt. Echter Respekt erwachse demgegenüber am ehesten den Beamten gegenüber, die sich erkennbar nicht persönlich mit der Anstaltsordnung identifizierten, und die als Menschen erkennbar blieben. Abschließend setzt sich Varga, Z. (S. 560 f.) in besonders kritischer Weise mit dem Bewußtsein des Gefangenen, gedemütigt zu werden, mitsamt der Folgen für dessen Selbstbild und der auch hieraus resultierenden Wahrscheinlichkeit erneuter Delinquenz auseinander. Von starkem Einfluß sei die Erfahrung der Trennung von der Gesellschaft, die dem Jugendlichen aufzeige, er sei anders als die anderen. Wie er sei und welche Wertschätzung ihm entgegengebracht wird, erfahre er schnell: Man spricht in anderer Weise mit ihm - häufig auf eine Art, wie er sie "draußen" noch nicht erlebt habe -; man gibt ihm andere, ausgrenzende, häßliche Kleidung; er erhält keine Gelegenheit (mit sich) allein zu sein und ist permanent in fremdbestimmter Gesellschaft anderer, der er sich nicht entziehen kann; er muß widerspruchslos einen äußerst bestimmten, jede Stunde umfassenden Tagesablauf hinnehmen und sein Verhalten in ein Korsett zwängen, welches ihm fremd ist. Im wesentlichen sei der Gefangene mithin zu ständiger Anpassung unter vollständiger oder zumindest wesentliche Teile umfassender Aufgabe seiner Persönlichkeit ge437

an.

Der Verfasser führt als konkretes Beispiel das Redeverbot beim gemeinsamen Hofgang

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zwungen. Er mache permanent die Erfahrung, daß von ihm ,,rein gar nichts" abhänge. Faktoren des Bewußtseins der Demütigung seien mithin die Ausgrenzung aus der Gesellschaft, die zwangsweise Zerstörung der Persönlichkeit, sowie - in allgemeiner Form - der Umgang mit ihm. Die Konsequenzen seien: die Entstehung außergewöhnlich starker Aggressionen, die häufig zu erneuter Delinquenz und in einzelnen Fällen zum irreversiblen Zusammenbruch der Persönlichkeit führten, sowie die Steigerung der Gesellschaftsfeindlichkeit. g) Forschungen zur sog. "Nachbetreuung"

Demgegenüber standen die Bemühungen um die (Re-)Sozialisierung delinquenter Jugendlicher und Heranwachsender nach ihrer Entlassung insb. im Rahmen der sog. ,,Nachbetreuung" (auch rechtstatsächlich) erkennbar im Vordergrund. Der gesellschaftliche Stellenwert, der dieser Aufgabe im Hinblick auf die erhoffte Legalbewährung beigemessen wurde, spiegelt sich zum einen bereits in den ("legislatorischen") Rahmenbedingungen wieder438 . An der Nachbetreuung beteiligten sich unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen. Zu diesen gehörte z. B. seit 1965 über den gesamten restlichen Untersuchungszeitraum hinweg auch der Kriminologische Wissenschaftliche Studentenkreis der Staats- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät der ELTE in Zusammenarbeit mit der Verwaltung der Strafvollzugsanstalt Tökö1 439 , was ersterem erleichterten Zugang zu dem diesbezüglichen "Forschungsgegenstand" verschaffte. Bereits 1964 erschien eine Untersuchung von Molmir zu dem angesprochenen Themenkreis, deren Schwerpunkt aus dem Vergleich der Lebensbedingungen Jugendlicher nach ihrer Entlassung aus der Erziehungshaft mit denen einer Kontrollgruppe unbescholtener Gleichaltriger bestand44o . Der Verfasser gelangte zu der Feststellung, daß der Jugendstrafvollzug zumindest dann nicht zu dauerhaften Erfolgen führen kann, wenn nicht zugleich dafür Sorge getragen wird, daß der kriminogene Einfluß der Familien, in welche die Jugendlichen in aller Regel nach ihrer Entlassung zurückkehren, spürbar gesenkt wird. Gleichzeitig konstatiert Molmir, daß der wichtige Versuch einer Einflußnahme auf die Familie ,,keinesfalls durch staatliche Inobhutnahme entlassener Jugendlicher ersetzt werden" könne (S. 226). Desweiteren geht er der Frage nach, wie sich Eheschließungen, deren Zweck nicht unwesentlich darin zu bestehen scheine, den belastenden 438 s. hierzu die Regierungsverordnungen 55/ 1960 bzw. 5/ 1965 und 6/ 1969, die sich mit dem Themenkreis befassen. Während erstere noch ein Antragserfordernis des zu Betreuenden und die Zweckbindung der Hilfe ausschließlich zur Beschaffung eines Arbeitsplatzes vorsah, wurden durch die nachfolgenden Verordnungen Aufgaben und Kompetenzen der zuständigen Organe bzw. "gesellschaftlichen Aktivisten" erweitert; s. näher Vigh/Gönczöl 1972, 356f. und Gönczöl1976, 509 ff.; zu den Aufgaben der Räte im Rahmen der Nachbetreuung s. bereits Gönczöl 1968, 805 ff. 439 Vgl. hierzu Vigh 1969,93 ff.; Gönczöll976, 509. 440 s. Molmir 1964b), 203 ff., der (insb. S. 225 ff.) auch besonders aufschlußreiche Stellungnahmen der Betroffenen wiedergibt.

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familiären Verhältnissen zu entkommen, sich in der Folge auswirken. Weitere Abschnitte der Arbeit beschäftigen sich eher mittelbar mit den Möglichkeiten der Nachbetreuung, dafür aber unmittelbar mit den besonderen Problemen des Jugendstrafvollzuges44l . Nach Darstellung und Erörterung der Schwierigkeiten einer (Wieder-) Eingliederung in das Arbeitsleben stellt der Verfasser schließlich zusammenfassend fest, daß die (Re-) Sozialisierung delinquenter Jugendlicher eine Aufgabe darstellt, mit der Strafvollzug und Nachbetreuung zwangsläufig überfordert seien und die allenfalls im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Anstrengungen erfolgreich gelöst werden könne. Ein Beitrag von Vigh enthält die Auswertung der durch den Kriminologischen Wissenschaftlichen Studentenkreis der Staats- und Rechtswissenschaftlichen Fakultät der ELTE in Fragebögen von 120 entlassenen, jugendlichen Strafgefangenen erhobenen Daten zu den familiären Verhältnissen, der Frage, wie die Gesellschaft sie "empfange", ihrem Verhältnis zur Arbeit, ihrem Freundeskreis, ihrer Weiterbildung und ihren Interessen, sowie der Beurteilung der Wirksamkeit des Strafvollzuges 442 . h) Sonstige aufschlußreiche empirische Untersuchungen Mit der Rolle des Freizeitverhaltens Jugendlicher für die Kriminalprävention befaßte sich eine mehrjährige Studie, die vom OKKRI als ungarischer Beitrag im Rahmen einer international vergleichenden Untersuchung zu diesem Thema durchgeführt wurde443 . Es wurden Daten von insgesamt 303 jugendstrafrechtlich verurteilten, männlichen Personen im Alter zwischen 15 und 20 Jahren, von denen sich 204 in einem Jugendgefängnis und 99 in einer "Besserungsanstalt"444 befanden, sowie einer Kontrollgruppe von 120 männlichen Facharbeiterauszubildenden der gleichen Altersklasse erhoben und ausgewertet445 . Die Daten bezogen sich auf die s. näher bereits oben S. 102 ff., 132 ff. (Fn. 433). s. Vigh 1969,93 ff., (deutschsprachige Zusammenfassung S. 103); s. auch VighlGöncz611972, 356ff., die im Rahmen ihres Beitrages (S. 359f.) auch aus spezial- wie generalpräventiven Gründen gegen kurzzeitige Jugendstrafen (von weniger als 6 Monaten) Stellung beziehen, deren Anteile an allen Jugendstrafen in Ungarn jedoch 1950 sowie von 1966 bis 1968 jeweils zwischen 48,4 % und 49,7 % betrugen, ehe sie über 41,9 % (1969) auf 34,7 % (1970) sanken; vgl. auch Gönczöl1976, 509ff., m.w.N. (S. 514). 443 Die Untersuchung erfolgte auf Anregung des Internationalen Zentrums für vergleichende Kriminologie I Montreal. Als weitere sozialistische Staaten beteiligten sich Polen und die ehemalige Tschechoslowakei an ihr. Ihre Durchführung erstreckte sich von 1974 bis 1976; s. zu den Grundlagen der Untersuchung ParizeaulDelisle 1974. 444 In einer solchen wird an Jugendlichen eine mit der früheren "unbestimmten Jugendstrafe" vergleichbare Sanktion vollzogen, bei der in der Einweisungsentscheidung die Dauer nicht von vornherein festgelegt wird, sondern erstmalig nach einer Mindestaufenthaltsdauer von einern Jahr geprüft wird, ob das Erziehungsziel erreicht wurde. Rechtsdogmatisch handelt es sich allerdings nicht um eine Strafe, sondern lediglich um eine Erziehungsmaßnahme. 445 s. zum ganzen Vennes 1978, 219ff.; 1980,541 ff. 441

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schulischen und familiären Verhältnisse, die bevorzugten Mittel und Institutionen der Freizeitgestaltung, Mitgliedschaften in verschiedenen Organisationen 446, das Quantum an zur Verfügung stehender Freizeit, sowie bei den Verurteilten auf Fragen der Kriminalitätsstruktur. Differenziert wurde nach häuslichen und außerhäuslichen Aktivitäten, sowie dem Gesichtspunkt, mit wem die Freizeit verbracht wurde (z. B. Freunde, Mädchen, Geschwister, Klassenkameraden, alleine, mit den Eltern). Bezogen auf das Einkommen des Vaters (- eingeteilt wurde in drei Gruppen: niedrig, mittel und hoch -) ergaben sich die aufflilligsten Befunde beim Fernsehen, Lesen und Musikhören. Während bei den Verurteilten die Bedeutung von Fernsehen als Hobby mit dem Einkommen des Vaters zunahm (42,2 %, 56,0 % und 88,9%), nahm es bei der Kontrollgruppe entsprechend ab (57,2%, 29,7% und 25,0 %). Ähnlich waren auch die Werte zum Lesen (37,5 %, 42,8 % und 77,8 % gegenüber 35,7%, 21,9% und 25,0%) bzw. Musikhören (29,7%, 30,1 % und 75,0% gegenüber 28,6 %, 17,2 % und 0 %). Abschließend wurde vor dem Hintergrund der Erhebungen die Bedeutung der Schaffung von solchen Strukturen auch in Neubaugebieten hervorgehoben, die eine Befriedigung der Bildungs-, Vergnügungs- und Bewegungsbedürfnisse von Jugendlichen ermöglichten, sowie resümiert, daß die Ausgangshypothese, nach der (staatliche) Organisation und Lenkung der Freizeitgestaltung Jugendlicher ein wirksames Mittel der Kriminalprävention darstelle, bestätigt worden sei447 • Auch im Jugendstrafvollzug müsse die Erziehung zu einem (aus Sicht des Verfassers) "sinnvollen" Umgang mit der Freizeit mithin ein zentrales Anliegen sein (1980, 555). Mit der gerade auch im vorliegenden Kontext wesentlichen Frage, welchen Einfluß jugendkriminologische Forschungsergebnisse auf die Tätigkeit von Jugendrichtern haben, beschäftigt sich schließlich die in das Ende des Untersuchungszeitraums fallende empirische Analyse von Sebes, die untersucht, in welchem Ausmaß die persönlichen und gesellschaftlichen Umstände jugendlicher Delinquenten, d. h. letztlich Tätergesichtspunkte, bzw. die Tatschwere bei der Urteilsfindung berücksichtigt werden448 • Sie gelangt dabei bezüglich der Grundfrage, ob und ggfs. in 446 So waren z. B. ("nur") 77 % der befragten Verurteilten gegenüber 92,5 % der Kontrollgruppe Mitglieder der Pfadfinder ( der Begriff steht in Ungarn nicht für das Gleiche, wie in der "alten" Bundesrepublik Deutschland, sondern entspricht eher den "Jungen Pionieren" in der ehemaligen DDR, 26,4 % gegenüber 71,7 % Mitglied der KISZ, 8,2 % gegenüber 45 % Mitglied des ungarischen Wehrverbandes. Während von den Verurteilten 14,5 % keinerlei derartige Mitgliedschaften aufzuweisen hatten, karn solches bei der Kontrollgruppe in keinem einzigen Fall vor. 447 Vermes 1978, 250 f.; 1980, 554 f.; s. auch Tolnail Erdilyi 1975, 80, die auf der Grundlage der Auswertung eines Drittels der 1974 gegen Jugendliche erhobenen Anklagen (411 von etwa 1250) beklagten, die Jugendlichen erhielten zu wenig Hilfestellungen zur Freizeitgestaltung; s. zum Vergleich der Freizeitgestaltung Verurteilter mit einer Kontrollgruppe Nichtverurteilter auch Glueck, Sh.t Glueck, E. 1968, 107 ff. 448 s. zum ganzen Sebes 1981, deren Untersuchung die Daten von insgesamt 526 der 2294 in den Jahren 1965 und 1975 in Budapest rechtskräftig verurteilten Jugendlichen zugrunde liegen, wobei die Verurteilungen deliksstrukturell sämtliche Gewaltdelikte sowie (für 1965

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welchem Ausmaß die persönliche Situation des Angeklagten neben der Tatschwere für die Rechtsfolgenentscheidung Relevanz erlangt, zu der Feststellung, daß diese mindestens in dem gleichen Maß entscheidungserheblich sei. Dies wirke sich im Ergebnis in zumindest statistisch signifikanter Weise zu Ungunsten solcher Jugendlicher aus, die aus defizitären Verhältnissen stammen, bzw. deren vom Tatrichter angenommenes Maß an "Erziehbarkeit" aus dessen Sicht stärkere Eingriffe erfordere. Gesellschaftsstrukturell wird konstatiert, daß zwischen 1965 und 1975 eine Polarisierung dergestalt eingetreten sei, daß einerseits mehr Verurteilte im Hinblick auf Einkommen, Wohnverhältnisse usw. in "besseren" Verhältnissen aufgewachsen seien, zugleich aber auch der Anteil der aus "schwierigen" Verhältnissen hervorgehenden, d. h. konkret der "Heimkinder", der Sinti und Roma, der mit nur einem Elternteil lebenden Kinder bzw. der von ihren Eltern vernachlässigten Jugendlichen, zugenommen habe. Bei letzteren sehe sich der Richter, der gehalten sei, spezialpräventive Gesichtspunkte im Hinblick auf eine "Umerziehbarkeit" zugrunde zu legen, i.d.R. zu einschneidenderen Maßnahmen i.S. einer Krisenintervention, d. h. konkret häufiger zu freiheitsentziehenden Sanktionen genötigt, um den Jugendlichen zunächst aus seinem kriminogenen Umfeld zu entfernen. Vor dem unausgesprochenen Hintergrund der möglichen kriminogenen Wirkung freiheitsentziehender Maßnahmen tritt die Verfasserin für eine Ausweitung des jugendrichterlichen Instrumentariums um weitere ambulante Alternativen ein, um flexibler Freiheitsentzug vermeidende Reaktionen zu ermöglichen. Zugleich bestehe das wirksamste Mittel allgemeiner Prävention in der Veränderung der "Ordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse" (S. 68), die jugendliche Straftäter hervorbringe. 3. Beispiele449 für andere Forschungsbereiche

Während nahezu des gesamten Untersuchungszeitraums wurde Rückfalltätem450 ein erhebliches Interesse entgegengebracht451 . Dies gilt sowohl für die universitäre und 1975 jeweils) etwa 20 % der Diebstahlsdelikte umfaßten (S. 11 f.). Es wurden jeweils die vollständigen Gerichtsakten einschließlich sämtlicher Ermittlungsvorgänge ausgewertet; zur Methodik der rechnergestützten Auswertung s. S. 69 f.; vgl. bzgl. des Forschungsgegenstandes ähnlich die Dissertation von Momberg 1982 a) (zusammenfassend vorgestellt in 1982 b]), der im Rahmen einer bundesweiten Untersuchung von 276 Strafverfahrensakten der Frage nachging, welche Teile des Berichtes der Jugendgerichtshilfe in welchem Ausmaß in die schriftliche Urteilsbegründung eingehen. 449 Es handelt sich nicht um eine abschließende Aufzählung der Forschungsschwerpunkte. Aus der fehlenden Nennung bestimmter Bereiche, wie etwa der Eigentums- und Vermögensdelikte ist mithin nicht darauf zu schließen, daß diesbezügliche Untersuchungen nicht durchgeführt worden wären; s. zu solchen (soweit ersichtlich) tatsächlich nicht behandelten Bereichen der Kriminologie nachfolgend S. 229 ff. 450 Dieser Ausdruck wird an dieser Stelle und nachfolgend i.S.v. wiederholter Deliktsbegehung auch nach zumindest einmal erfolgter strafrechtlicher Verurteilung, nicht aber im Sinne einer Legaldefinition (etwa des früheren bundesdeutschen § 48 StGB) verwendet.

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Forschung, in deren Rahmen der Habilitationsschrift von Gönczöl zu diesem Thema zentrale Bedeutung zukommt452 , als auch für die Tätigkeit des OK(K)RI, bei der sich vor allem Tavassy und Patera auf dieses Gebiet spezialisiert haben453 . Als gesellschaftliche Minderheit, deren Delinquenz mit großer Aufmerksamkeit registriert und verfolgt sowie häufig kriminologisch untersucht wurde, ist die Gruppe der Sinti und Roma zu nennen. Dabei zeigten sich bei der Auseinandersetzung mit dieser Erscheinung gewisse Parallelen zu der Behandlung der sog. "Ausländerkriminalität" im kriminologischen Schrifttum der Bundesrepublik Deutschland454 . Dies gilt namentlich für die diesbezüglichen Beiträge im BSz, als dem publizistischen Forum der Innenbehörden455 . Eine differenzierte, wissenschaftliche Behandlung des Themas erfolgt vor allem in den von Tauber (mit)verfaßten Arbeiten 456 . Mit der Delinquenz weiblicher Personen befassen sich die Veröffentlichungen Rask6s aus der zweiten Hälfte der siebziger Jahre457 . Deliktsspezifisch lag ein erkennbarer Schwerpunkt bei der kriminologischen Untersuchung der Gewaltkriminalität458 . Diesbezüglich wurden umfangreiche empirische Forschungsarbeiten sowohl durch Vertreter des OKKRI - insbesondere Bak6czi und R6zsa - ,459 als auch auf universitärer Ebene 460 durchgeführt. 451 Von diesem zeugt etwa eine im Rahmen der BSz geführte Diskussion, welche 1963 durch Vennes (1963b], 5 ff.) eröffnet wurde. Seinem Aufsatz folgten neun Stellung nehmende Beiträge. 452 s. Gönczöl1980a] (bzw. hierzu TauberJk 1979, 300ff.); vgl. auch als weitere Beitäge Vigh in Vigh u. a. 1973, Vennes in Vigh (Hrsg.) 1973, sowie VighlGönczöl1972 b). 453 Vgl. Tavassy 1966; 1968; 1979; 19; Patera 1971; 1977; 1979;1980; PateralTavassy 1975; s. auch die weiteren Arbeiten von Vennes 1965, Adam 1974 und Gödöny 1980. 454 Vgl. kritisch zu letzterer bzw. ihrer kriminalpolitischen Verwendung etwa Wolter 1984; Manse11989; Albrecht 1990; Kubink 1993; Walterl Kubink 1993. 455 s. als solche etwa MaglPinter 1961; Kratk6czki 1974; BorsilHalasz 1976; Ferencz 1976; Gonda 1976; Olasz 1976. 456 s. Tauber 1979; MezeylTauber 1980; FerenczlTauber 1981; TauberlWg 1982; s. aber auch etwa Rasko 1981. 457 s. Rask6 1975; 1976; 1977, sowie ihre 1978 vom Okkri herausgegebene Monographie, die über empirische Forschungen zur Tötungs- bzw. Vermögensdelinquenz weiblicher Personen Aufschluß gibt und sich mit der Lage von Frauen im ungarischen Strafvollzug auseinandersetzt. 458 Hierunter werden nachfolgend vorsätzliche Tötungsdelikte, schwere Körperverletzungen, Raub, Erpressung, sowie mit physischer Gewaltbeibringung verbundene Sexualdelikte gefaßt. 459 So etwa Fadgyas 1965 (Kindestötungen); Avar (schwere Körperverletzung); Bak6czi 1978; 1979; 1980 (jeweils vorsätzliche Tötungsdelikte); R6zsa 1969 (Raub); 1979 (Totschlag). 460 Hervorzuheben ist insoweit die (sich vorwiegend mit dem verurteilten Täter in seinen sozialen Bezügen befassende) Untersuchung von Vigh u. a. 1973, in die über die genannten Delikte hinaus auch die sog. "Gewalt gegen Hoheitsträger" einbezogen worden war; s. auch Vigh 1973b); Kutrucz 1978 (Tötungsdelinquenz i.V.m. Alkohol).

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Mit der Untersuchung der Sexualdelinquenz waren im Hochschulbereich Merenyi461 und an dem OKKRI vorwiegend R6zsa462 befaßt. Der kriminologischen Analyse der Straßenverkehrsdelinquenz als einem Bereich, in dem der sozio-ökonomische Status der als Tater Verfolgten zumindest weniger einheitlich unteren Schichten zugeordnet werden kann als bei Allgemeiner Kriminalität, widmeten sich in Ungarn allen voran Viski 463 und lrk, F. 464 , als dessen "Schüler,,465. Eine rege Forschungstätigkeit entwickelte sich auch hinsichtlich viktimologischer Fragestellungen 466 , wobei allerdings mit T6th, T. und Endre die beiden in Ungarn während des Untersuchungszeitraum am stärksten auf diesen Bereich spezialisierten Forscher durch frühen Tod bzw. gesundheitliche Gründe an einer Fortsetzung ihrer diesbezüglichen Arbeiten gehindert wurden, was sich zwangsläufig auf die gesamte Forschungsrichtung negativ ausgewirkt hat.

4. "Blinde Flecken" der ungarischen Kriminologie467 des Untersuchungszeitraums

Nicht existent sind explicite Forschungen zur Normgenese 468 • Es fehlt auch an Instanzenforschung i.S. der Untersuchung der Tatigkeit der Stafverfolgungsorgane und Strafgerichte unter dem Gesichtspunkt möglicher Se1ektivität469 . Ferner hat es 461 s. Merenyi in Vigh (Hrsg.) 1973 (hingewiesen sei auch auf dessen 1987 [und damit außerhalb des Untersuchungzeitraums erschienene] Monografie zur sexuellen Gewalt). 462 s. R6zsa/Münnich 1971; R6zsa 1971a) und b); R6zsa 1975; sowie vor allem R6zsa 1977 (mit seiner Monografie zur Sexualkriminalität). 463 s. Viski 1973a) und b); 1974 a) und b); 1975 (sowie seine posthum 1982 [und damit außerhalb des Untersuchungszeitraums] in englischer Sprache erschienene Monografie). 464 s. Irk, F. 1973 a) und b); 1974 a), b), und c); 1975 a) und b);1976; 1977; Irk, F.I Merenyi 1975; s. auch Münnich/Szalaics 1974. 465 Diese Bezeichnung beruht auf dem Hinweis Irk's im Rahmen seiner melujährigen Zusammenarbeit mit Viski in jeglicher Hinsicht sehr viel von diesem gelernt zu haben, was sich nach hiesiger Auffassung (zumindest für den fachlichen Bereich) auch in seinen Arbeiten widerspiegelt. 466 s. hierzu T6th, T. 1969; 1971; 1976; Endre 1969; 1976; Endre/Vigh 1971; Ferencz 1980; sowie auch die diesbezüglichen Beiträge von Irk, F. 1973 a); Vigh 1973a); R6zsa 1975 467 Die nachfolgenden Ausführungen sind von dem subjektiven Kriminologieverständnis des Verfassers beeinflußt. Es ist anzunehmen, daß der eine oder andere von ihm vermißte Bereich, nach Ansicht anderer kriminologisch Interessierter (- in Ungarn wie in Deutschland-) ohnehin nicht oder nur am Rande zum Gegenstandsbereich der Kriminologie gehört. 468 Vgl. Irk, F. 1981, 119f., der dies ebenfalls als Mangel beklagt und einen entsprechenden Forschungsbedarf erkennt. 469 Mithin ist festzustellen, daß sowohl die abstrakte wie die konkrete Zuschreibung des Merkmals "kriminell" zumindest nicht zum eigenständigen Untersuchungsgegenstand kriminologischer Forschungen erhoben wurde. Daß dies eine gleichsam beiläufige Berücksichti-

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keine empirische Dunkelfeldforschung gegeben47o • Schließlich fehlt es an Untersuchungen zur Kriminalität der gesellschaftlich Mächtigen wie insb. durch Staatsoder eben auch Parteiführungen begangener Delikte 471 • Mithin ist vergröbernd festzustellen, daß im wesentlichen die in "westlichen" Staaten von der nach ihrem eigenen Anspruch "neuen", ,,radikalen" bzw. ,,kritischen" Kriminologie behandelten Themenkomplexe ausgespart blieben. Daß dies nicht mit einem allgemeinen Verzicht auf Kritikfähigkeit gleichgesetzt werden kann, ergibt sich schon daraus, daß im Rahmen der konkreten Forschungsarbeit sowie der jeweiligen Verständnisebene die bestehenden Verhältnisse auch kritisch analysiert wurden, wie im Rahmen der vorangegangenen Abschnitte aufgezeigt wurde.

gung zentraler Thesen des labeling approach im Rahmen anderer, konkreter und ggfs. auch praxisnaher Forschungen nicht ausschließt, sollte nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Arbeiten etwa Kulcsars, Molnars und Szab6, A.'s erkennbar geworden sein. 470 Dabei wurde die Bedeutung eines Dunkelfeldes für die Aussagekraft des Hellfeldes sehr wohl gesehen und analysiert (vgl. etwa Diczig 1971, 16ff. und 1978, 30ff.; BorsilHaldsz 1972,58; Balazs 1972, 1974, 44ff.; Vigh 1974,161; Gödöny 1976, 27ff.). Gleichwohl wurde die erste auf Befragungen (kombinierte Opfer- und Informantenbefragung; s. näher zum Fragebogen Korinek 1988, S. 209-278) gestützte Untersuchung, in die jeder hundertste Einwohner über 14 Jahren der Bezirke Baranya und Pecs einbezogen wurde, erst zwischen 1982 und 1985 - und zwar aus Mitteln des Kultusministeriums (Korinek 1983,72) - durchgeführt (s. allerdings zur Forderung nach einer solchen bereits Korinek 1981, 57 ff.; s. zur Untersuchung der strafrechtlichen Kenntnisse von Nicht-Juristen als relevantem diesbezüglichen Einflußfaktor Tauber 1982, 35 ff., der von den Ergebnissen einer von der Elte durchgeführten Befragung [n = 919] berichtet; kritisch zu dieser wiederum Korinek 1983, 72 f.). Umfassend von dieser Untersuchung berichtet Korinek im Rahmen seiner 1988 erschienenen Habilitationsschrift. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, daß Pusztai's Forschungsvorhaben einer empirischen Dunkelfelduntersuchung in den siebziger Jahren vom Okkri unter Hinweis auf "im Hinblick auf den zu erwartenden Nutzen unverhältnismäßige Kosten" abgelehnt worden war. 471 Eine gewisse Ausnahme hiervon hätten möglicherweise die Arbeiten von Kranitz zur Bestechungsdelinquenz darstellen können (vgl. etwa Kranitz 1979 a] und b], 1983; s. zu diesem Themenkomplex auch schon Ferencz 1975), wäre ihr nicht auferlegt worden, sich auf die Fälle zu beschränken, in denen nicht mehr als 500,- Ft. (diese Summe entsprach zu der Zeit etwa 50,- DM und stellte noch nicht einmal ein Zehntel eines durchschnittlichen, monatlichen Facharbeitereinkommens dar) "angelegt" wurden. - Wenn auch nicht gerade mit der Kriminalität der "Mächtigen", so doch ausschließlich mit der "untypischen" Kriminalität der "ansonsten Braven" beschäftigte sich Irk, F. indem er seinen Arbeiten zur Verkehrsdelinquenz (s. bereits Fn. 454) solche zu Fahrlässigkeitsdelikten folgen ließ (1979; 1980; 1982; 1983).

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III. Summarische Darstellung die kriminologische Forschung in Ungarn (während des Untersuchungszeitraumes) beeinflussender Faktoren472 1. Gesamtgesellschaftliche (geschichtliche) Faktoren

Ungarn hatte Gelegenheit, sich an Fremdherrschaft zu gewöhnen. Die (jeweilige) ungarische Bevölkerung hat - insoweit vergleichbar mit der polnischen - im Laufe der vergangenen viereinhalb Jahrhunderte mehr Zeit unter der Herrschaft von Besatzungsmächten (Türkei, Österreich, Sowjetunion) verbracht als ohne eine solche. Der Status eines ,,kleinen" und in der Neuzeit gleichsam in der Regel besetzten Landes blieb nach hiesiger und auch bei den Interviewpartnern stark verbreiteter Auffassung nicht ohne Einfluß auf die Mentalität der Bevölkerung473 . (Anerzogener) Nationalstolz wurde dabei zur wesentlichen Voraussetzung für die Erhaltung einer eigenen nationalen Identität. Zugleich wurde mit dem optimistischen Glauben an die Vergänglichkeit von Besatzungsmächten eine gewisse Resistenz bzw. Nonchalance i.S. einer kritischen (nicht selten humorvollen) Distanz gegenüber deren aufoktroyierten Vorgaben kultiviert. Die Skepsis gegenüber bzw. die Ablehnung von unbeeinflußbaren, von außen vorgegebenen Wertvorstellungen korrespondierte bisweilen mit einem spürbaren Vertrauensvorschuß, welcher dem Gegenteil des von den Herrschenden Propagierten entgegengebracht wurde. Aus subkulturellen Konzepten bekannte Mechanismen führten in Ansätzen gleichsam zu einer "Kontrakultur,,474. Von das gesamte gesellschaftliche Leben in Ungarn langfristig prägender Bedeutung war auch der Volksaufstand 1956. Dieser hatte zum einen zur Abwanderung größerer Teile gerade der jüngeren, mobileren Generationen geführt, wobei anzunehmen ist, daß es sich tendenziell um die mit den bestehenden Verhältnissen am wenigsten Zufriedenen gehandelt haben wird. Zum anderen hat er bei den Zurückgebliebenen wie der politischen Führung die Einsicht der Notwendigkeit einer Mäßigung in beide Richtungen bewirkt bzw. bestärkt. Die Grenzen nationaler Handlungsfreiheit wurden ebenso manifest wie die Gefahren einer übersteigerten Hoffnung auf entspechendes außenpolitisches Engagement der westlichen Industrienationen. Zugleich hatte sich jedoch auch gezeigt, daß der Wille der Bevölke472 Nachfolgend wird davon ausgegangen, daß eine - zunächst naheliegende - Differenzierung nach objektiven und subjektiven Faktoren vor allem aufgrund der im Rahmen der einzelnen Themenkomplexe festzustellenden wechselseitigen Einwirkungen sowie bisweilen fließender Übergänge nicht sinnvoll möglich ist. 473 Mangels hinreichender empirischer Absicherung sind diese Erwägungen an dieser Stelle nur als Thesen zu verstehen, auf deren Darstellung jedoch, zumal sie zumindest Plausibilität für sich in Anspruch nehmen können, nicht verzichtet wurde. 474 Simplifizierend läßt sich diese, in dem wissenschaftlichen Bereich ebenso wie in anderen Lebensbereichen feststellbare Tendenz durch die unausgesprochene und zumeist unbewußte Vorstellung charakterisieren, nach der "wenn das, was ,im Osten' propagiert wurde, so evident falsch war, das ,Westliche' (seien es Markenartikel, Kraftfahrzeuge oder auch Ansichten) richtig sein mußte".

III. Summarische Darstellung wesentlicher Einflußgrößen

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rungsmehrheit nicht folgenlos über einen längeren Zeitraum ignoriert werden konnte. Die politische Konsequenz aus beidem war eine pragmatische Suche nach dem Mittelweg i. S. d. von der Sowjetunion noch Tolerierten und der eigenen Bevölkerung noch Zumutbaren, die für die "Ära Kcidar" bestimmend war. Im Hinblick auf die Entwicklung der Wissenschaften möglicherweise die bedeutsamste Folge dieses Bestrebens war die im Vergleich zu anderen Staaten des Warschauer Paktes relativ liberale Genehmigung von Forschungsreisen auch ins westliche Ausland, die einen wissenschaftlichen Austausch ermöglichte, dadurch (etwaigen) Vorurteilen bzw. Vorbehalten entgegenwirkte und zu einer Erweiterung der Perspektive beitrug. Von im Ergebnis kontraproduktivem Einfluß auf die Fähigkeit der USAp, ihre Vorstellungen gesamtgesellschaftlich durchzusetzen, soll ihre zu stark an quantitativen Gesichtspunkten orientierte Mitgliederwerbung gewesen sein. Diese habe zu einer Aufblähung der Partei i.S. einer Erhöhung des Anteils der Parteimitglieder "ohne innere Überzeugung" geführt, die sich nachteilig auf die Effizienz der Parteiarbeit auswirken mußte475 .

2. Fachspezifische (geschichtliche) Umstände

Geradezu traditionell wird die Kriminologie in Ungarn (seit ihren Anfängen476 ) von Juristen dominiert. Stark vorherrschend war und ist dabei (gleichwohl) eine deterministische WeItsicht. Dementsprechend ausgeprägt war stets die Betonung kriminalaetiologischer Fragestellungen, von deren Beantwortung der Schlüssel zu einer effizienten Kriminalitätsvorbeugung erwartet wurde. Diese Dominanz blieb auch nach der Phase der Unterdrückung der Kriminologie als Wissenschaft erhalten, als in erster Linie delinquente Jugendliche eine Desillusionierung bewirkten und so auf ihre Weise dazu beitrugen, daß die Notwendigkeit kriminologischer Forschungen (wieder) allgemein anerkannt wurde und es zu einer Institutionalisierung kommen konnte, erhalten. Ihren sichtbaren Ausdruck findet die Dominanz von Juristen in dem Umstand, daß - mit Ausnahme der Ärztin György, der Psychologen Popper und Münnich sowie des Soziologen Huszar - alle durch Veröffentlichungen bekannteren Kriminologen in Ungarn "gelernte" Juristen sind477 . Strukturelle Faktoren hierfür waren vor allem, daß Kriminologie als Lehr- und Prüfungs475 Auf dieses charakteristische Dilemma einer "Mitgliederwerbung um jeden Preis" durch rührige Aktivisten, die dazu führen konnte, daß sich Personen nicht aus Überzeugung oder auch nur Ehrgeiz, sondern aus Bequemlichkeit der Partei anschlossen, um weiteren, ihnen lästigen Rekrutierungsbemühungen auszuweichen, so daß es zu einer zwar unbeabsichtigten aber umso effektiveren "Bekämpfung der Partei von innen durch Trägheit und Desinteresse" kam, wies insbesondere Bekes den Verfasser im Gespräch hin. (Zur Vermeidung eines unzutreffenden Eindrucks sei vorsorglich klargestellt, daß Bekes selbst zu keiner Zeit Mitglied der U(S)AP war.) 476 s. näher o. S. 46 ff. 477 Dieses gilt insbesondere auch für Kulcsdr und (natürlich) SzabO, A., deren Arbeiten ein starkes Interesse an soziologischen Fragestellungen erkennen lassen.

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fach an den juristischen Fakultäten der Universitäten eingeführt wurde, sowie daß an der UAW das Institut für Staats- und Rechtswissenschaften es war, welches mit kriminologischen Fragestellungen befaßt wurde bzw. daß das O(K)KRI der Generalstaatsanwaltschaft unterstellt ist. Von langfristigem Einfluß scheint auch der Umstand gewesen zu sein, daß in der Phase der Diskreditierung der Kriminologie als "Scheinwissenschaft" die Kriminalistik staatlicherseits anerkannt und gefördert wurde, während die Soziologie das Schicksal der Kriminologie teilte. Mithin bot zunächst die Kriminalistik den "Schutzraum", innerhalb dessen kriminologische Forschungen möglich wurden. Dies mag in der Folge die Bereitschaft zu einer gewissen Anpassung an deren Ziele und Vorgaben sowie einer Abgrenzung gegenüber der Soziologie erhöht haben, zumal die solcher Art favorisierte Verständnisebene ganz in der Tradition der Kriminologie im noch nicht sozialistischen Ungarn stand, an die mithin nahtlos angeknüpft werden konnte. Die Kriminologie blieb in Ungarn mithin gleichsam ein "soziologenfreier Raum", was auch durch das ausgewiesen soziologische Interesse einiger Kriminologen nicht hinreichend kompensiert wurde. Inwieweit auch die beschriebenen Sanktionierungen478 zu diesem Zustand beitrugen, vermag an dieser Stelle nicht beurteilt zu werden. Während des gesamten Untersuchungs zeitraums entsprach es der - auch unter den Kriminologen - herrschenden Auffassung, daß die Kriminologie mit ihren wissenschaftlichen Mitteln letztlich die Grundlage für eine effizient(er)e Kriminalitätsvorbeugung zu schaffen habe. Nach hiesiger Auffassung von erheblicher Bedeutung für die Entwicklung der Wissenschaften in Ungarn ist auch die Besonderheit, daß nach der ungarischen Promotionsordnung die im Rahmen einer Prüfung nachzuweisende befriedigende Kenntnis (zumindest) einer Fremdsprache normative Voraussetzung einer wissenschaftlichen Karriere ist, wodurch zumindest die Möglichkeit der Adaption auch nicht ungarischsprachigen Schrifttums gewährleistet werden soll und zugleich diejenige für Forschungsaufenthalte außerhalb Ungarns geschaffen wird. Nicht ohne Einfluß scheint ferner der Umstand zu sein, daß eine wissenschaftliche Karriere in Ungarn eine hohe fachliche Qualifikation voraussetzt, aber kaum materielle Anreize bietet, so daß sie eine Entscheidung gegen bessere Verdienstmöglichkeiten in anderen Tätigkeitsfeldern erfordert, die, da das Ausmaß an sozialer Absicherung keine relevanten Unterschiede beinhaltet, am ehesten mit Hilfe ideeller Motive 479 erklärt werden kann. Dieser wirkt nicht nur wie ein "idealistischer Filter", sondern ist tendenziell auch geeignet, vor dem Hintergrund anderer, lukrativerer beruflicher Alternativen, wissenschaftlich lähmendem Besitzstandsdenken entgegenzuwirken und die Bereitschaft, für die eigene Überzeugung einzutreten, zu fördern. s.o. S. 67 ff. Zu diesen dürften u. a. etwa wissenschaftliche Neugierde, "Sendungsbewußtsein" sowie die Hoffnung auf ein relativ abwechslungsreiches, selbstbestimmtes, Kreativität und ggfs. auch Auslandsaufenthalte ermöglichendes Tätigkeitsfeld zu zählen sein. 478 479

III. Summarische Darstellung wesentlicher Einflußgrößen

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3. Sichtbarwerden dieser Faktoren im wissenschaftlichen Wirken einzelner Kriminologen

So wie die Entwicklung einer Wissenschaft nicht losgelöst von der Leistung der jeweiligen Forscher betrachtet werden kann, so nimmt auch die Relevanz der diese prägenden Rahmenbedingungen erst in dem Wirken des Wissenschaftlers greifbare Gestalt an und wird sozusagen durch dieses mittelbar sichtbar. Von unmittelbarem Einfluß auf die ungarische Kriminologie des Untersuchungszeitraums war zunächst der Versuch der USAp, im Interesse einer raschen Konsolidierung der Verhältnisse zu einer Aussöhnung mit den (im Lande verbliebenen Teilen der) akademischen Kreise zu gelangen 480. Die vereinzelt bereits erwähnte essentielle, die Kriminologie in Ungarn befruchtende Wirkung, die ferner insbesondere den Auslandsaufenthalten und Fremdsprachenkenntnissen ungarischer Kriminologen beizumessen ist481 , zeigt sich exemplarisch an einer Reihe von Einzelfällen. So wären Szab6, A. 'S482 Arbeiten nach hiesiger Auffassung ohne die Auswertung der Werke Durkheims und anderer französischer Soziologen während eines entsprechenden Forschungsaufenthaltes sowie der kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen Strömungen vorwiegend der französischen Kriminologie in der gegebenen Form ebensowenig vorstellbar wie die von M6lncir (englisch/russisch) ohne seine in den Vereinigten Staaten durchgeführten Studien der englischsprachigen, vorwiegend sozialpsychologischen Literatur. Als "Franzosen" gelten neben Szab6, A. auch Baldzs, Bekes, Kiraly und Merenyi, obgleich sie allesamt auch der deutschen Sprache mächtig sind. Die unmittelbare Zugriffsmöglichkeit auf deutsch- und englischsprachige Quellen wird bei Irk, F., Tauber und Viski erkennbar, wobei ersterer zusätzlich noch schwedisch und dänisch versteht. Der produktive Einfluß auch englischer Sprachkenntnisse zeigt sich u. a. in den Arbeiten Gönczöls, Vighs sowie Uvais, wobei sie bei letzterem im Rahmen seiner Habilitationsschrift zur Drogenkriminalität von nachgeradezu unverzichtba480 Die ungarische Kriminologie hätte sich z. B. anders entwickelt, wenn etwa Szab6, A. nach seiner Haftentlassung die Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Karriere mit administrativen Mitteln verwehrt worden wäre. Entsprechendes gilt auch für andere kritische Wissenschaftler. 481 Daß die inspirierende Wirkung des wissenschaftlichen Gedankenaustausches von "offizieller" ungarischer Seite bisweilen nicht ohne Sorge verfolgt wurde, verdeutlicht ein Hinweis von Irk, E, demzufolge der Kontakt zu bestimmten ,,kritischen" Kriminologen in Hamburg zunächst (vermutlich auch aus Respekt vor deren unbestechlichen Analyse der in der Bundesrepublik herrschenden Zustände gern und später aus Sorge davor, daß der ,LabelingBazillus' die ungarische Kriminologie infizieren und zu einer übertrieben staatskritischen Haltung verführen" könnte) durchaus ungern gesehen wurde. Die Anregung Scheerers (s.o. Fn. 61), der Gefahr eines zu großen Distanzverlustes gegenüber dem Staat durch "Organisierung auch außerhalb des Systems" bzw. "externe Verarbeitung der internen Erfahrungen" vorzubeugen, erhält vor diesem Hintergrund eine neue, arteigene Dimension. 482 Szab6, A. hat eine entsprechende Sprachprüfung in Deutsch und Französisch abgelegt und sieht selbst seine Stärken eindeutig im Französischen.

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rer Bedeutung sind. Spätestens seit ihren jeweils längerfristigen Forschungsaufenthalten in der Bundesrepublik gelten schließlich Györgyi, Korinek und Nagy als "Deutsche". Selbstverständlich soll an dieser Stelle kein Automatismus dergestalt behauptet werden, daß in den genannten Fällen Fremdsprachenkenntnisse und Auslandsaufenthalte voraussetzungslos die wissenschaftliche Entwicklung der Forscher bestimmt hätten. Zum einen geht solchen bereits zumeist eine bewußte Entscheidung für eine bestimmte Fremdsprache bzw. einen bestimmten Forschungsaufenthalt voraus, die in der Regel nicht zufällig, sondern an den spezifischen Neigungen und Interessen des Forschers orientiert getroffen worden sein wird. Zum anderen zeigt sich vielfach auch im späteren Wirken, daß bestimmte Sprachkenntnisse gegebenfalls im Gegensatz zu anderen, (ursprünglich) in gleicher Weise vorhandenen, intensiv genutzt werden, während die anderen folgenlos bleiben (und verkümmern). Es ist mithin davon auszugehen, daß entsprechende Kenntnisse und Aufenthalte vielfach eine Erweiterung der Perspektive und eine wissenschaftliche Weiterentwicklung des Forschers über eine bestimmte Stufe hinaus ermöglichten, aber keinesfalls gewährleisteten. Umgekehrt ist nicht zu verkennen, daß eine restriktive Regulierung der Möglichkeiten systemübergreifenden wissenschaftlichen Gedankenaustausches, wie sie insbesondere in der ehemaligen DDR nicht zuletzt aufgrund ihrer besonderen politischen Lage betrieben wurde, tendenziell geeignet war, Vorurteile und Feindbilder zu erhalten und wissenschaftlichen Fortschritt zumindest zu erschweren. Die von der USAP erhobene ideologische Forderung nach Parteilichkeit der Wissenschaften führte in Ungarn, soweit ersichtlich, in der Mehrzahl zu einer Entpolitisierung der Wissenschaftler und zu einer Aufwertung der (scheinbar) unpolitischen empirischen Fachkriminologie bzw. der Kriminalistik. Dies könnte neben einer eventuellen, sich über Generationen spezifisch entwickelten Mentalität der Bevölkerung vor allem auf dem Umstand beruhen, daß gerade im Bereich der Wissenschaften ideologische Vorgaben offensichtlich erkenntnishinderlich sind und mithin kontraproduktiv wirken. Es entwickelte sich das Idealbild des "unpolitisehen Wissenschaftlers", der durch Leistung und Argumente überzeugt und nicht durch Parteizugehörigkeit483 . Dem wissenschaftlichen Renommee war eine Mitgliedschaft in der USAP - zumindest außerhalb dieser - keineswegs förderlich 484 . 483 Da im öffentlichen Bewußtsein die Mitgliedschaft in der USAP geeignet war, eine Karriere auch ohne oder mit nur beschränkter Fachkompetenz zu ermöglichen, entstand unterschwellig der Eindruck, Parteimitgliedschaft und Fachkompetenz stellten gleichsam einen Gegensatz dar. Im Rahmen der Interviews wurde deutlich, daß es für die Mehrheit der Befragten nicht nur eine Frage des "Rückgrates", sondern auch der wissenschaftlichen Ehre bzw. Integrität war, nicht in die Partei einzutreten. 484 Dies gilt zumindest für die Kriminologie und ihre Bezugswissenschaften, wobei anzumerken ist, daß die deutliche Mehrheit der Wissenschaftler nach allgemeiner Ansicht der Befragten außerhalb der Partei gestanden haben soll. Dies mag dazu beigetragen haben, daß aus dem vielfach spürbaren Stolz der (in den Jahren 1992 und 1994 und damit zumindest etwa vier Jahre nach der politischen Wende in Ungarn) Befragten auf ihre Nichtmitgliedschaft kein elitäres Bewußtsein entstanden ist.

III. Summarische Darstellung wesentlicher Einflußgrößen

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Die Mißachtung des Parteilichkeitsgebots und der Respekt vor ideologiefreien empirischen Arbeiten führte zu einer starken Beachtung insbesondere auch des "westlichen" Fachschrifttums485 . Die nicht zuletzt im Rahmen der individuellen Ausbildung erfahrene juristische Prägung des ganz überwiegenden Anteils der ungarischen Kriminologen korrespondierte mit dem Grad an Verbreitung der Vorstellung, vorrangige Aufgabe der Kriminologie sei die Erforschung der "Kriminalitätsursachen" mit dem Zweck ihrer Beseitigung. Nicht gänzlich unerwähnt bleiben sollen schließlich die die Kriminologie während des Untersuchungszeitraumes in Ungarn ebenfalls beeinflussenden personalen Faktoren 486 wie das Maß an Zivilcourage, Neugierde, Mut und Geschicklichkeit der Kriminologen.

485 Mitunter wurde sogar die Erwartungshaltung spürbar, eine Auffassung sei ,,richtig", weil sie in der "westlichen" Kriminologie entwickelt wurde und damit von (sozialistischer) Ideologie unbeeinflußt sei (s.a. allgemein Fn. 464). 486 Im Hinblick auf das zwangsläufig subjektiv wertende Element bei der Zuordnung sowie die nicht hinreichende empirische Belegbarkeit solcher Eigenschaften wird auf eine ausführlichere Erörterung dieses Bereichs gleichwohl verzichtet.

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Voß, R: Hyperaktivität: Warum Philipp zappelt, Psychologie heute 1991, H. 6, S. 36 ff. Walter, M.: Praxisorientierte kriminologische Forschung - Möglichkeiten und Gefahren, in: H. Kury (Hrsg.), Prävention abweichenden Verhaltens. Maßnahmen der Vorbeugung und Nachbetreuung, Köln u. a. 1982, S. 29ff. Walter, M.I Fischer, W.: Strukturen registrierter Jugendkriminalität und Fonnen ihrer Bewältigung in Budapest und Hamburg, MschrKrim 1988, S. 228 ff. Walter, M. I Kubink, M.: Ausländerkriminalität - Phänomen oder Phantom der (Kriminal-)politik?, MschrKrim 1993, S. 306ff. Wieacker, E: Notizen zur rechtshistorischen Henneneutik, Göttingen 1963 Witzei, A.: Das problemzentrierte Interview, in: G. Jüttemann (Hrsg.), Qualitative Forschung in der Psychologie. Grundfragen, Verfahrensweisen, Anwendungsfelder, Weinheim 1985, S.227ff. Wolff, J.: Das Verhältnis von Theorie und Praxis in der Kriminologie, KZfSS 1974, S. 301 ff. Wolter, 0.: Befürchtet - und gewollt? Fremdenhaß und Kriminalisierung ausländischer Jugendlicher, KrimJ 1984, S. 265 ff. Yablonsky, L.: The delinquent Gang as a Near-Group, Social Problems 1959, S. 108 ff. Zujkov, G.G. I Györök, I.: Einige Aspekte der kriminalätiologischen Forschung und der Verbrechensvorbeugung im Zeitalter des Aufbaus des Kommunismus*, RSz 1961, S. 585 ff.

Schlagwort- und Personenverzeichnis* Albrecht, P.-A. 18 "angewandte" Kriminologie 18, 22, 27 f., 98 f., 105 ff., lOSf., II 0 f., 136 f. Arnold, H. 17,20 Bak6czi, A. 49, 139 Bahizs, J. 145 Balla, B. 39, 66, 69 f. Balogh, J. 47 Bedarfsforschung 98 f., 105 ff., 110 f., 136 f.; - s.a. Kriminologie, pragmatische Erwartungshaltung der USAP Bekes, I. 56ff., 65,143,145 Berckhauer, F. 17, 24 f. B6dogh, Gy. 94 Brusten, M. 23 f. Christie, N. 25, 106 Chruschtschow, N. 40 Cseh,J.94 Cseka, E. 73 David, F. 94 ff. Delinquenz, - Gewaltdelinquenz s. unter Gewaltdelinquenz - Jugendgruppen 105 ff., 129 f. - Jugendlicher s. Jugenddelinquenz - Sexualdelinquenz s. unter Sexualdelinquenz - Straßenverkehrsd. s. unter Straßenverkehrsdelinquenz - weiblicher Personen 139 Deri, P. 55, 62, 87 Dokumentenanalyse 32 f. Dunkelfeldforschung 22, 141 Durkheim, E. 18, 145

Eisenberg, U. 17, 20, 26 ff., 38, 47, 54 f., 106, 116 Endre, K. 140 Entlassenenhilfe, sog. "Nachbetreuung" 135f. Expertenbefragung 34 f., 37 f. Feher, F. 68 FÖldvan,J.21,46,55,86 Gerö, A. 41, 43 f. Gewaltdelinquenz 139 GödÖn~J. 19,49,51,65 Gönczöl, K. 17, 19,21,46,139,145 Göppinger, H. 17, 26 Grundlagenforschung, kriminologische 22, 24f., 71-88 György,J. 127, 143 Györgyi, K. 22, 64, 67, 146 Györök, F. 84 ff., 90 ff. Hacker, E. 47 f. v. Hamel46 Hegedüs, A. 67 ff. Heller, A. 68 ff. Horstkotte, H. 26 Horvath, T. 22, 49, 72 Huszar, T. 143 Irk, A. 47 f., 65 Irk,F.51,65,70, 140, 145 Jar6, M. 93 "Jugendbanden" s. Delinquenz, Jugendgruppen Jugenddelinquenz 89-132 - als "ideologisches Problem" 89 ff. - Forschungen Molnars 98-111

* Das Register weist vollständig nur die im Text genannten Personen aus und berücksichtigt mithin nicht jeden in den Fußnoten enthaltenen Nachweis.

168

Schlagwort- und Personenverzeichnis

- Forschungen Szab6, A. 112-125 - medizinische und psycologische Erklärungsansätze 125-132 Jugendstrafvollzug 115 ff., 132-135 - Subkulturen im J. 115 ff.

~olnar,

Kadar, J. 39, 42 Kaderverwaltung, Sanktionsformen 66-70 Kaiser, G. 17f., 20, 27 Kemeny, I. 69 Kiraly, T. 145 Kis, J. 67 ff. Korinek,L. 17,22, 141, 146 Krajcsovics, P. 127 Kriminalistik 57 f., 61, 74, 78, 90 Kriminalpolitik 26 f., 74, 78 f. Kriminalstatistik 55, 60 f., 72, 76 f. Kriminologie, - als Ausbildungsfach 52, 55, 144 - "angewandte" s. "angewandte" Kriminologie - Eigenständigkeit der K. 23-28, 74, 85 - pragmatische Erwartungshaltung der USAP60-62 - Selbstverständnis der K. 18, 24 ff. - "sozialistische" 17, 20, 53, 73, 79 f. - Etablierung der "s.K." 73 f., 75 f., 82 f., 84f., 86f. - (vor)herrschende Verständnisebene der "s.K." 87 f. - ungarische K. s. unter ungarischer Kriminologie - vergleichende 18 f. Kukorelli, I. 88 f. Ku1csar, K. 22, 68, 71 ff., 143 Kunz, K.-L. 23, 52

OKKRI 49 ff., 64, 98 f., 105 ff., 108 f.,

Levru,~.22,49,65,

Liszt, F. 46

72,145

Gy. 126 f. H. 18 ~arkoja, I. 96 ~arkus, Gy. 68 f. ~arkus, ~. 68 f. ~ayer, B. 131 f. ~erenyi, K. 22, 140, 145 ~ergen, A. 17,20,53 ~ajlath,

~annheim,

J. 98-111,135,145 I. 110f., 143

~ünnich,

Nagy, F. 19, 146 Nagy, I. 40

116f.,136f.

Parteidoktrin, kriminologische 53-56 Patera, A. 139 Peters, D. 25 Peters, H. 25 Pick, I. 127 Popper, P. 127-131, 143 Prinz 46 Pusztai, L. 56 f., 61 Quensel, S. 24 f. Rakosi, ~. 40 f., 43 f. Rask6, G. 139 Roggemann, H. 19f. R6zsa, J. 139f. rückfällige Delinquenten 138 f. Scheerer, S. 25, 27 f., 145 Scheffler, U. 24 Schneider, H.-J. 20, 88 Schüler-Springorum, H. 27 Sebes, A. 137f. Sekundäranalyse von Texten 32 f. Sexualdelinquenz 140 Smetana, J. 92 Sozialforschung, qualitative 30 f., 35 f. Soziologie 56, 67,80, 144 Stalin, J. 40 Strafrecht(swissenschaft) 24 f., 56, 58, 78 Straßenverkehrsdelinquenz 140 Subkultur im Jugendstrafvollzug 115 ff. "Subkulturtheorie" 113 f. Szab6, A. 21, 55, 58, 62, 64, 79-82, 98, 112125, 143, 145 Szab6, D. 18 f., 27 Szab6, L. 130 f. Szelenyi, I. 68 Szenasi, G. 50 Szendrö, S. 93 f.

Schlagwort- und Personenverzeichnis Szihigyi, S. 93 Szöts, H. 96 Tauber, I. 139 Tavassy, T. 139 T6th, T. 34, 140 Triangulation 29 Turi, 1.87 UAW 64,117,144 - ungarische Kriminologie - Anfange der u.K. 46-48 - "blinde Flecken" der u.K. 140f. - institutionelle Basis 48-51,143 f. - "ungeschriebene Spielregeln" 62-66 Ungarische Kriminologische Gesellschaft 21,29

169

Vajda, M. 67 ff. Vambery, R. 47 f. Varhelyi, A. 21 Varga, Z. 132-135 Vermes, M. 18f., 34, 61, 74-78, 87 Vigh, J. 19, 21, 46, 55, 62, 82 ff., 136, 139, 145 Viktimologie 140 Villmow, B. 18 Viski, L. 34, 73, 140, 145 Volksaufstand, ungarischer - Konsequenzen aus dem u.v. 42-46 - Vorgeschichte 39-41 Wolff, J. 24

Anhang I. Liste der Interviewpartner Prof. Dr. Balint Balla, Technische Universität Berlin, FB Soziologie, Marchstr. 4-5, D-10587 Berlin Dr. Karoly Bard, Staatssekretär, lustizministerium, Szalay u. 16, H-1055 Budapest Prof. Dr. Imre Bikes, ELTE, FB Staats- und Rechtswissenschaften, Egyetem ter 1-3, H-1055 Budapest, (z.Zt. als Richter am EuGH in Straßburg) Dr. lanos Boross, Strafrichter a.D., Pipacs u. 3, H-8200 Veszprem Dr. Pal Deri, Polizeioberst a.D. und ehemaliger, Chefredakteur der Belügyi Szemle, Gellerthegy u. 33, H-1011 Budapest Prof. Dr. Katalin Gönczöl, ELTE, FB Staats- und Rechtswissenschaften, Egyetem ter 1-3, H-I055 Budapest Dr. Kaiman Györgyi, Generalstaatsanwalt der Republik Ungarn, (Postanschrift: 1372 Budapest, Pf.: 438), Mark6 u. 16, H-1055 Budapest Dr. Ferenc Irk, Hochschuldozent, sowie als hauptamtlicher Mitarbeiter, Gruppenleiter im OKKRI, (Postanschrift: Pf.: 41, H-1525 Budapest, ), Maross u. 6, H-1l22 Budapest Dr. Agnes Köver, Hochschulassistentin an der ELTE, FB Staats- und Rechtswissenschaften, Egyetem ter 1-3, H-1055 Budapest Prof. Dr. Laszl6 Korinek, Staatssekretär (im Innenministerium) a.D., Chefredakteur der Belügyi Szemle, 0 u. 27, H-I066 Budapest Dr. lanos Laek6, Rechtsanwalt, Nemetvölgyi u. 4, H-1l26 Budapest Prof. Dr. Mikl6s Uvai, Universität Miskolc, FB Staats-, und Rechtswissenschaften, H-3515 Miskolc-Egyetemvaros Dr. Kaiman Merinyi, Generalstaatsanwalt des Verwaltungsbezirks Csongrad, Szechenyi ter, 1-3, H-6724 Szeged Prof. Dr. l6zsej M6lnar; ELTE, FB Staats- und Rechtswissenschaften, Egyetem tef 1-3, H-1055 Budapest Dr. Ferene Nagy, Hochschuldozent und Lehrstuhlinhaber, lATE, FB Staats- und Rechtswissenschaften, (Postanschrift: Pf.: 454, H-6701), Rak6czi tef 1, H-6724 Szeged

H. Leitfaden für die Interviews

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Dr. Eva Oszldcs, verh. Csontos, Rendörsegi hadnagy, fövizsgal6, (dies dürfte in Deutschland in etwa dem Dienstrang, einer Kriminalhauptkommissarin entsprechen; , Frau Dr. Oszldcs ist ferner Juristin und hat die, Fachhochschule für Polizeioffiziere besucht), Botond u. 4, (IV./16), H-6000 Kecskemet Dr. Piter Polt, ELTE, FB Staats- und Rechtswissenschaften, Egyetem ter 1-3, H-1055 Budapest Prof. Dr. Ldszl6 Pusztai, Direktor des OKKRI, (Postanschrift: 1525 Budapest Pf.: 41), Maross u. 6, H-1l22 Budapest Prof. Dr. Szab6 Andras, Richter am Ungarischen Verfassungsgerichtshof, (Postanschrift: 1525 Budapest Pf. 773), Donati u. 35-45, H-lOl5 Budapest Prof. Dr. J6zsej Vigh, ELTE, FB Staats- und Rechtswissenschaften, Egyetem ter 1-3, H-1055 Budapest

11. Leitfaden für die Interviews*

1. Persönliche Angaben - Name, Vorname - Alter - Berufsausbildung (z. B. Jurist) - gegenwärtig und früher ausgeübte Tätigkeiten - Fremdsprachenkenntnisse - Forschungsaufenthalte im Ausland - Mitgliedschaft in (Berufs-)Verbänden, Parteien usw.

2. Fachliche Themenkomplexe - In welche Phasen läßt sich der Zeitraum zwischen 1956 und 1981 hinsicht-

lich kriminologischer Forschungen in Ungarn untergliedern?

- Durch welche bzw in welchen (staatlichen) Einrichtungen wurden kriminologische Forschungen durchgeführt? - Wie war es mit der personellen und finanziellen Ausstattung dieser Einrichtungen beschaffen?

* Das Interview mit Prof.Dr. Balla erfolgte nicht auf der Grundlage dieses Leitfadens. Ausschließlicher Inhalt dieses Gespräches waren vielmehr die in dieser Arbeit unter Punkt 11. A. 5.2 erörterten Fälle. Im Rahmen der übrigen Interviews wurden die genannten Punkte mit unterschiedlicher, von der Persönlichkeit der jeweiligen Gesprächspartner abhängigen Intensität behandelt, so daß im Ergebnis einzelne nur (erfolglos) angesprochen wurden, während andere einer vertieften Erörterung zugeführt werden konnten.

172

Anhang

- Durch wen wurden Forschungspläne erstellt, Fragender Finanzierung geregelt und über die Veröffentlichung entschieden? - Gab es inhaltliche oder sonstige Tabus und wenn ja, welcher Art waren diese (ggfs. in welcher Phase) und wie wurde ggfs.die Tabuisierung erreicht? - Gab es Möglichkeiten diese zu unterlaufen, und wenn ja, welche? - Hat Ihrer Ansicht nach die Mitgliedschaft in der USAP die Veröffentlichung ideologisch unbequemer Ansichten erleichtert oder gar erst ermöglicht? - Ist es richtig von einer ausgeprägten Praxisnähe des weit überwiegenden Anteils kriminologischer Forschungen auszugehen, und worauf beruht eine solche ggfs.? - Wäre es verfehlt zu sagen, daß kriminologische Forschungen stets der effizienten Kriminalitätsbekämpfung bzw. -vorbeugung dienen sollten und mithin eine vorgegebene Aufgabe zu erfüllen hatten? Entspricht dies auch Ihrer Auffassung von den Aufgaben der Kriminologie? - Ist es richtig, daß Dunkelfeld- und Instanzenforschung, sowie Untersuchungen zur Normgenese bzw. der sog. "Kriminalität der Mächtigen" bis zum Anfang der achtziger Jahre in Ungarn nicht betrieben wurden, und worin sind gegebenenfalls die Gründe hierfür zu sehen? III. Offene Fragen an die Führung der UAP

Die nachfolgenden Fragen wurden im März 1955 auf einer öffentlichen Veranstaltung der ELTE von Studenten formuliert. Sie richten sich an die Parteispitze. (Sie sind einem zusammenfassenden Bericht Gosztonyis an Rakosi vom 11. 3.1955 im [nach bestem Wissen übersetzten] Wortlaut entnommen, zitiert nach Nemes 1988, S. 121 ff.) "Presseveröffentlichungen zeigen auf, daß in der letzten Zeit die Beschlüsse vom Juni 1953 in bestimmter Weise modifiziert werden. Unsere Fragen hierzu lauten: a) Sind die in den Beschlüssen vom Juni bestimmten Umstrukturierungen restlos vollzogen und wenden wir uns erneut der Förderung der Schwerindustrie zu? oder aber b) Haben sich die Beschlüsse vom Juni zur Umstrukturierung der Volkswirtschaft als übertrieben erwiesen? oder

III. Offene Fragen an die Führung der UAP

173

c) Werden unsere Aufgaben auf volkswirtschaftlichem Gebiet weiterhin durch die Beschlüsse vom Juni 1953 bzw. Oktober 1954 bestimmt? Im Führungsprogramm vom Juni war davon die Rede, daß der Ausbau der Schwerindustrie durch unseren diesbezüglichen Mangel an Rohstoffen (Erz, Koks, Energie) gebremst wird. Gibt es gegenwärtig irgendwelche Veränderungen in diesem Bereich, welche eine positive Einschätzung rechtfertigen? Einige Studenten empfehlen Eile bei der Wiederherstellung unserer Beziehungen zu Jugoslawien, damit Stalinstadt mit von dort importierten Eisenerz arbeiten kann. Wie wird die schnellere Entwicklung der Schwerindustrie sich auf unseren Lebensstandard auswirken? Bedeutet sie keine Rückkehr zu den Zuständen vor dem Führungsprogramm vom Juni 1953? Was ist mit dem Genossen Gerö (seinerzeit der 2. Mann hinter Rdkosi; der Verfasser - ET.)? In letzter Zeit sind von ihm weder Reden noch Artikel erschienen. Die Zentralregierung hat in ihrer Sitzung vom 01. - 03. 10. 1954 festgestellt, daß in der Wirtschaftspolitik weiterhin an der Führung einer Person festgehalten wird. Wir meinen dies bezieht sich auf den Genossen Gerö. Im Interesse einer Anhebung des Lebensstandards erhielten viele Kleingewerbetreibende ihre Gewerbeerlaubnis zurück. Damit wird anerkannt, daß der sozialistische Bereich die Versorgung noch nicht gewährleisten kann. Werden die Möglichkeiten des Kleingewerbes wieder aufgehoben, sobald der sozialistische Bereich einen entsprechenden Entwicklungsstand erreicht haben wird? Wie wird dies vonstatten gehen, und stimmt es, daß bereits z.Zt. keine neuen Gewerbeerlaubnisse mehr ausgegeben werden? ... Bedeutet die heutige Politik der Sowjetunion eine Umkehr von der im August 1953 beschlossenen Richtung? Warum wurde Genosse Malenkov abgelöst (Malenkov wurde am 08. 02. 1955 von seinen Funktionen als sowjetischer Ministerpräsident entbunden; der Verfasser - ET.)? Was für Auswirkungen wird dies für uns haben? Einige vermuten einen Zusammenhang von Malenkovs Abgang mit dem verstärkten Ausbau der Schwerindustrie einerseits, und damit, daß die Sowjetunion - angeblich - außenpolitisch die Zügel stärker anziehen will, andererseits. Weiterhin wird in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen, ob dies auch bei uns Auswirkungen dergestalt haben kann, daß es zur Ablösung bestimmter Personen kommt. Kann man von ungarischer Souveränität sprechen, solange auch bei uns sowjetische Truppen stationiert sind? Wofür werden bei sämtlichen Organen unserer Armee, bei sämtlichen Ministerien und größeren Betrieben sowjetische Berater in großer Anzahl gebraucht? Warum weiht uns die Sowjetunion nicht in ihre uns betreffenden Pläne zur friedlichen Nutzung der Atomenergie ein? Warum kann man nicht frei in die befeundeten Staaten reisen, warum sind die Grenzen gesperrt (Rumänien, Tschechoslowakei)?

174

Anhang

Was ist der Grund dafür, daß man die zwischen 1945 und 1950 erschienenen Exemplare bestimmter Zeitungen, unter ihnen "A szabad nep" ("Das freie Volk"; d. Verf. - ET.) und der "Ludas Matyi" (eine Satirezeitschrift; d. Verf.- ET.) in keiner Bibliothek einsehen kann? Die Bibliothekare sagen, sie seien auf dem Index und antworten auf die Frage nach dem ,warum', das müsse man die höheren Funktionäre fragen. Wir möchten dies hiermit ausdrücklich tun. Was ist der Grund dafür, daß man in Moskau die westlichen Tarzan- und Cowboyfilme öffentlich vorführt, sich bei uns aber nicht traut? Warum führt man keine Chaplin-Filme auf? Was ist der Grund dafür, daß führende Partei- und Staatsfunktionäre in besonderen Geschäften, deutlich billiger, anderswo nicht erhältiche Waren kaufen können? ... . .. Ist Tito unterwegs zu uns? Wir möchten umfassend über die Beziehungen zwischen Jugoslawien und Ungarn aufgeklärt werden. Wie beurteilen Sie Titos Politik? ... Ein Teil der Studenten hat Freunde oder Bekannte unter den vor kurzem im Zuge der Überprüfung der Tätigkeit der Avo aus Straf- und Untersuchungshaft Entlassenen. Diese sprechen davon, daß die Freigelassenen und Rehabilitierten durch Organe des Staatsschutzes gefoltert wurden und berichten in einigen Fällen von Mißhandlungen, wie dem Ausschlagen von Zähnen, Nierenschlägen mit schweren gesundheitlichen Folgen usw. Was ist der Grund für die starke Unbeliebtheit der Avo in der Bevölkerung und dafür, daß selbst Parteifunktionäre Angst vor diesem haben? Manche meinen, weil die Avo nicht dem arbeitenden Volk, sondern dem Schutz einzelner Cliquen diene."

IV. Summary, Resume, Összefoglalo Summary

Criminological Research in Hungary between 1956 and 1981

A Contribution to the Autonomy of Criminology Starting with the suppression of the Hungarian Upheaval in 1956, the author examines the development of criminological research in the former People's Republic of Hungary over aperiod of 25 years from an external point of view. The People's Republic of Hungary was - by its own claim - a socialistically structured society. The goal of this paper is to gain insight into the degree of the - scientific autonomy of criminology and hopefully as weIl into the underlying basic problem of a scientist researching criminology as weIl as opportunities and risks of judicially determined so-called "applied criminology".

IV. Summary, Resume, Összefoglal6

175

This study is based on a secondary analysis of written sources as criminological publications, party conference resolutions and sometimes confidential letters, as weIl as problem-centered intensive interviews with twenty Hungarian experts. After a short description of the historic and holistic societal approach influencing all aspects of everyday life, and some basic of criminological research in Hungary as the traditionally determined attitude of focusing on criminal-ethiological problems and institutionalisation, we introduce the ideologically led dogmatic as weIl as the pragmatic expectations of the Hungarian Socialistic Laborparty towards sciences in general as weIl as criminology an a few related sciences in particular. In this context we touch on the specific sanctions at the disposal of the cadre administration. Against this background we centre on the two areas of basic research and juvenile delinquency in order to examine to what extent the works were determined by the distinctions, or in other words to what extent (state-)critical, analysis violating expectations would manifest themselves. Within the scope of basic sciences the path of criminology from a formerly ideologically discredited and suppressed "bourgeoise pseudo-science" to a govemmentally subsidised, institutionalized discipline taught and persued at universities is reconstructed, while the price criminologists were - not always successfully - required to pay in by way of fixation of the cognitive level is covered as weIl. In this context we have to acknowledge that the demanded cognitive level of the "violation of expectations" was defined in the tradition of judicar Hungarian criminology and was not considered a constraint by the majority of criminologists. Regarding juvenile delinquency we describe in which way this was suitable to falsify ideological dogmas and stimulate the interest (even of the ruling dass) for criminological questions with the aim of more efficient crime prevention. Apart from medical and psychological micro-structural attempts of explanation with special regard to the works of Peter Popper, we deal in particular with the investigations carried out by J6zsej Molmir at the National Institute of Criminology and Criminalistics and Andras Szab6 at the Hungarian Academy of Sciences. Finally we cite a few examples of further criminological areas of research as weIl as the "blind spots" of Hungarian criminology within the period of analysis, before we summarize the factors, that in the opinion of the author, dominate criminological research in Hungary.

176

Anhang

Resume Recherehes criminologiques en Hongrie de 1956 a 1981

Une contrubution a l'autonornie de la crirninologie D'un point de vue exterieure, l'auteur s'interroge sur le developement de la recherche en crirninologie dans l'ex Republique Populaire de Hongrie, societe (se pretandant) a structure socialiste pendant une periode de 25 ans a partir de la repression du soulevement populaire de 1956. L'objectif de ce travail est de deterrniner la part d'autonornie de la crirninologie voire du crirninologe ainsi que les possibilites et risques de la "crirninologie appliquee" comme le probleme de base indirectement lie. La recherche s'appuie sur une etude secondaire des sources ecrites, particulierement des publications en crirninologie, des resolutions prisent lors des congres du partie, de quelques ecrits confidentiels ainsi que dans des cas isoles des interviews intensifs avec vingt experts hongroix. Apres une rapide presentation de la situation historique et sociale influencant tous les domaines de vie et quelques bases de la crirninologie influencant en Hongrie (comme par exemple la concentration traditionelle sur des questions de crirninologie ainsi que la fondation d'instituts), l'auteur decrit l'attente ideologique et dogmatique du Parti Socialiste Ouvriers de Hongrie envers les sciences en general et la crirninologie et les sciences adjacentes en particulier. Dans ce contexte, il est bri 'vement explique comment les differents formes de sanctions par les dirigents de l'adrninistration ont fonctionne. Dans ce contexte sociale et historique, les domaines de la delinquence juvenile et da la recherche de base ont ete particulierement exarnines pour montrer dans quelle mesure l' etat a influence les recherches relatives. Dans le cadre de sa recherche de base, l'auteur montre en meme temps le changement d'attitude de l'etat par rapport a la crirninologie, autrefois critiquees ideologiquement comme (fausse science bourgeoise) a l'universite. Cependant, l'influence etatique mentionnee risquait de dirninuer l' objectivite, mais en raison de la tradition crirninologique hongroise, ce risque n'a pas toujours ete condidere restrictif. A l'exemple de la delinquence juvenile, realite incontestable, pourtant propre dogmes ideologiques, l' auteur a explique comment l' etat a essaye d'attirer l'interet sur des questions de crirninologie pour parvenir a une prevention crirninelle plus effective. A cote des explications medicales et de la psychologie rnicrostructurelle, cette etude mentionne particulierement les travaux de Peter Popper, J6zsej M6lmir, faits a l'Institut National de Crirninologie et du Criminalisme, et des recherches de Andras Szab6 a l' Acadernie des Sciences d'Hongrie.

a falsifierdes

IV. Summary, Resume, Összefoglal6

177

Apes avoir cite quelques exemples dans le domaine de la recherche en criminologie et mentionne les domaines "ignores", l'auteur a finalement resume les facteurs qui ont inflence, a son avis, la recherche en criminologie en Hongrie.

Összefoglal6

Kriminol6giai kutatasok Magyarorszagon 1956 es 1981 között.

Adalek a krimino16gia öna1l6saganak kerdesehez. A tanulmany ir6ja egy kivüla1l6 megfigyelö szemszögeböl foglalkozik az egykori Magyar Nepköztarsasag, mint (sajat kijelentese szerint) szocialista felepitesü tarsadalom kriminologiai kutatasainak fejlödesevel egy 25 eves idöintervallumon keresztül, kezdve az 1956 - os nepfelkeles leveresevel. A munka celja az is, hogy ezaltal ismereteket szerezzen a kriminologia, illetve a krimino16giai kutat6 függetlensegenek mertekeröl, valarnint a jogilag formalt ugynevezett "alkalmazott krimino16gia" eshetösegeiröl, mint a közvetetten erintett alapproblemar61. A vizsgalat irasbeli forrasok, föleg krimino16giai publikaciok, valamint parthatarozatok es egyes esetekben bizalmas iratok masodlagos elemzese mellet husz magyar szakemberrel keszitett problemacentrikus interjukra tamaszkodik. Az összes eletterületet forma16 törtenelmi, össztarsadalmi kiindulasi helyzetnek, valamint a magyar krimino16giai kutatasi tevekenyseg alapjainak, mint peldaul a hagyomanyos egy deterrninista koncepci6bol eredö etio16giai kerdesekre va16 sulyponthelyezes, es az intezmenyesites rövid vazolasa utan, elöször az MSZMP nek a tudomannyal altalaban, ugy mint a specialisan a krimino16giaval es egyes rokontudomanyaival szembeni ideo16giailag vezthelt dogmatikus, azonkivül pragmatikus elvarasai is lesznek bemutatva. Ebben az összefüggesben a kaderadminisztracio konkret szankci6formait is targyalja röviden a tanulmany ir6ja. Ezzel a hatterrel sulypontszerüen ket terület - alapkutatasok es ifjusagi bünözes - alapjan lesz vizsgalva, hogy a munkak az elöre adott meghatarozasok altal milyen mertekben forma16dtak, illetve mennyire tudtak manifeszta16dni (allam)kritikus elvarassertö elemzesek. Az alapkutatasokhoz szamoland6 munkak kereten belül egyuttal vazolva lesz, hogyan valt a krimino16gia egy ideo16gialag "burzsoa altudomannya" karhoztatott es elnyomott tudomanyagb6l egy alllamilag tamogatott, intezmenyesitett es egyetemeken folytatott es tanitott tudomanyagga, valamint az a krimino16gusokt6l ennek fejeben megkivant konkret hozzaallas a kutatasi targyukhoz. Ebben az összefügesben nem felreismerhetö, hogy az ut6bbi megfelelt a jogilag formalt magyar krimino16gia hagyomanyanak, es a kriminologusok többsege altal nem lett megszoritasnak erzekelve. 12 T6th

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Anhang

A fiatalkoni bünözesre vonatkoz6lag lesz kifejtve, hogy ez, mint nem vitathat6 tarsadalmi tömegjelenseg különösen alkalmas volt ideol6giai dogmak megdöntesere, es a bünmegelözes hatekonysaganak fokozasa celjab61 a kriminol6giai kerdesekre iranyul6 erdeklödes felkeItesere illetve felebresztesere (a politikai hatalmon levöknel is). Az individualis viselkedesre vonatkoz6 orvosi es pszichol6giai magyarazatok mellett, - Popper Peter munkai különös figyelembevetelevel- többek közt Molmir J6zsejnek az OKKrI - nal, valamint Szab6 Andrasnak az MTA - nal vegzett munkai lesznek külön targyalva. Vegül tovabbi kriminol6giai kutatasi területekröl egyes peldak, illetve a vizsgalati idöszak magyar kriminol6giajanak a "vak helyei" kerülnek emlitesre, amielött befejezesül, az, a tanulmany ir6ja szemszögeböl, a kriminol6giai kutatasokat Magyarorszagon sulypontszerüen befolyaso16 tenyezök lesznek kimutatva.