Kontroverse Gewalt: Die imperiale Expansion in der englischen und deutschen Presse vor dem Ersten Weltkrieg [1 ed.] 9783412500313, 9783412500290

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Kontroverse Gewalt: Die imperiale Expansion in der englischen und deutschen Presse vor dem Ersten Weltkrieg [1 ed.]
 9783412500313, 9783412500290

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Kontroverse Gewalt Die imperiale Expansion in der englischen und deutschen Presse vor dem Ersten Weltkrieg

Christian Methfessel

PERIPHERIEN Neue Beiträge zur Europäischen Geschichte

Herausgegeben von Christof Dejung, Johannes Feichtinger, Martin Lengwiler, Ulrike Lindner, Jakob Vogel und Bernhard Struck

Band 3

Christian Methfessel

KONTROVERSE GEWALT Die imperiale Expansion in der englischen und deutschen Presse vor dem Ersten Weltkrieg

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR



Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek    : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie    ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung  : „Europa in Trauer: ‚Wie mir die armen Buren leid thun!‘“, „Karikatur vom Tage“ aus: Berliner Morgenpost, Nr. 10, 12.1.1901. © Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz. Einbandgestaltung    : Michael Haderer, Wien Satz  : Büro m+n, Düsseldorf

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-412-50031-3

Inhalt Vorwort  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung: Mediale Darstellungen kolonialer Gewalt und die Politik Großbritanniens und Deutschlands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Imperialistische Aufbruchstimmung 1896 – 1899  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Das Empire in den Medien seit dem Indischen Aufstand  . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Im ­­Zeichen der ‚Zivilisierungsmission‘: Der Sudankrieg  . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 ‚Forward Policy‘ und panislamische Gefahr: Der indische Grenzkrieg  . . . . . 1.4 Kolonialpolitische Kontroversen auf dem Weg zur ‚Weltpolitik‘  . . . . . . . . . . 1.5 Auf den Spuren der katholischen Mission: Annexionspolitik in China  . . . . . 1.6 Symbol deutscher Weltgeltung: Der Erwerb Samoas  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Englisch-­deutsches Belauern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8 Skepsis und Triumph: Zur Popularität der imperialen Expansion  . . . . . . . . .

33 34 45 57 69 73 98 109 114

A Kommunikationsstrukturen, Massenmedien und imperiale Militäreinsätze  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2 Mediale Kulminationspunkte 1899 – 1902  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Zunehmende Kompromissbereitschaft: Der Burenkrieg  . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Rachegefühle und Kostendebatte: Der Boxerkrieg  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Vom Kooperationsappell zum englisch-­deutschen Zerwürfnis  . . . . . . . . . . . 2.4 Taumel und Ernüchterung: Zum Wandel der Wahrnehmung der imperialen Expansion  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167 167 181 196 205

B Repräsentationen von Globalität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

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Inhalt

3 Unpopuläre Militäreinsätze 1902 – 1911  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Wachsender Respekt vor dem Gegner: Der Krieg in Somalia  . . . . . . . . . . . . 3.2 Diplomatische Mission im ­­Zeichen der Gewalt: Das Empire und Tibet  .. . . . 3.3 Kritik und Durchhalteparolen: Der Krieg in Südwestafrika  .. . . . . . . . . . . . . . 3.4 Kein Kolonialkrieg, kein Medienereignis: Der verhinderte Aufstand in Samoa  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Verfestigung deutsch-­englischer Feindbilder  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Jubel und Frustration: Zur Unpopularität der imperialen Expansion  .. . . . . .

251 252 261 266 289 293 300

C Zur Legitimation und Kritik von Kolonialkriegen und Interventionen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Am Ende gescheitert: Politische Instrumentalisierungen imperialer Militäreinsätze im Zeitalter der Massenmedien  . . . . . . . . . . . 351 Abbildungsverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Quellen- und Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Register  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393

Vorwort Diese Studie habe ich im Sommer 2013 an der Universität Erfurt als Dissertation eingereicht und verteidigt. Seinen Anfang im Jahr 2008 nahm ­dieses ­Vorhaben jedoch in Berlin, und in vielerlei Hinsicht prägte das akademische Umfeld d ­ ieser Stadt meine Arbeit. Der größte Dank gilt hier Prof. Dr. Hartmut Kaelble, der das Projekt in meiner Zeit an der Humboldt-­Universität zu Berlin betreute. Ihm verdanke ich nicht nur zahlreiche Hinweise und wichtige Anregungen, mit seiner offenen und freundlichen Art trug er auch dazu bei, dass die Arbeit an meiner Dissertation trotz aller mit einem solchen Projekt verbundenen Mühen und Zweifeln eine schöne Zeit war, an die ich mich gerne zurückerinnere. Auf seinen Vorschlag hin wurde ich zudem als assoziiertes Mitglied in den Sonderforschungsbereich 640, Teilprojekt A5: Europarepräsentationen, aufgenommen und konnte von den Veranstaltungen ­dieses SFB profitieren. Darüber hinaus hatte ich erfreulicherweise die Möglichkeit, mein Projekt im Kolloquium von Prof. Dr. Birgit Aschmann, auf dem 3. ADEF Junior Workshop (Berlin, September 2010) und auf der Tagung „Translating Europe“ (Gießen, Juni 2011) vorzustellen. Gleich mehrfach mussten sich die Mitglieder des Kolloquiums von Prof. Dr. Hartmut Kaelble Ausführungen zum Stand der Dinge meiner Arbeit anhören, ihnen sei deswegen besonders gedankt. Als sehr hilfreich erwiesen sich auch die ­Gespräche mit Doktorandinnen und Doktoranden, mit denen mich das Interesse an einem bestimmten Thema oder einer spezifischen Frage verband. Allen, die zu Austausch und Zusammenarbeit bereit waren, möchte ich danken; namentlich genannt ­seien Andreas Weiß, Thomas Werneke und Merle Zeigerer, deren Hinweise und Hilfe für diese Studie besonders wichtig waren. Weiterhin danke ich den Archivaren und Bibliothekaren des Reuters Archive, des Unternehmensarchivs Axel Springer, der British Library sowie besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Zeitungsabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin, in der ich den Großteil meiner Recherchen durchführte. Der British Library und der Staatsbibliothek zu Berlin (bzw. der Bildagentur bpk) danke ich zudem für die Genehmigung zum Abdruck der Abbildungen in d ­ iesem Buch. Großer Dank gilt auch dem Land Berlin für die finanzielle Unterstützung durch das Elsa-­Neumann-­Stipendium (vormals NaFöG), ohne das die Arbeit an dem Projekt nicht möglich gewesen wäre. Der DAAD half mit einem Aufstockungsstipendium für einen Forschungsaufenthalt in London.

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Vorwort

Prof. Dr. Iris Schröder hat nach meinem Wechsel an die Universität Erfurt im Jahr 2013 die Betreuung meiner Dissertation übernommen. Unterstützt hat sie das Vorhaben von Beginn an, ihr bin ich für hilfreiche Kommentare zu meiner allerersten Forschungsskizze genauso wie für wichtige Hinweise bei der Überarbeitung der Dissertation für die Buchpublikation sehr dankbar. Weitere Gelegenheiten, mein Projekt zu diskutieren, boten Vorstellungen im Kolloquium von Prof. Dr. Ulrike Lindner und auf den Tagungen „Nation, Kultur und Zivilisation“ (München, Dezember 2015) und „The Bonds That Unite?“ (Augsburg, Juni 2016). Zudem danke ich den Kolleginnen und Kollegen des Historischen Seminars der Universität Erfurt für ihr Interesse an der Buchveröffentlichung und hilfreiche Hinweise hierzu, stellvertretend genannt sei Silvan Niedermeier. Zu meiner großen Freude wurde mein Manuskript in die Reihe „Peripherien. Neue Beiträge zur Europäischen Geschichte“ aufgenommen, die Gutachten von Prof. Dr. Jakob Vogel und Dr. Bernhard Struck gaben hilfreiche Empfehlungen für die letzte Überarbeitungsrunde. Sehr angenehm war auch die Zusammenarbeit mit Johannes van Ooyen, der die Publikation für den Böhlau Verlag betreut hat. Zu außerordentlich großem Dank verpflichtet bin ich schließlich Barbara Methfessel, Hermann Schöler, Moritz Kläger, Philipp Metzler, Franziska Rantzsch und Klaus Methfessel, die das komplette Manuskript in unterschiedlichen Fassungen korrekturgelesen haben. Letzterer hat dies sogar mehrfach in den verschiedenen Phasen des Projekts getan. Die Unterstützung meiner Eltern ging allerdings weit über die Hilfe beim Korrekturlesen hinaus, ohne sie hätte ich ­dieses Unterfangen weder beginnen noch abschließen können. Ihnen ist ­dieses Buch gewidmet.

Einleitung: Mediale Darstellungen kolonialer Gewalt und die Politik Großbritanniens und Deutschlands Am 12. Januar 1901 brachte die Berliner Morgenpost eine gleich in mehrfacher Hinsicht provozierende Karikatur.1 Sie zeigt im Vordergrund einen weinenden Raben, der auf einem auf einen Pfahl gesteckten Kopf eines Menschen kauert. Daneben sind weitere ebenfalls gepfählte Köpfe zu sehen, dahinter Leichen und eine brennende Ortschaft. Die Zöpfe der Geköpften wie auch die Pagode im Hintergrund verweisen auf den im Sommer 1900 ausgebrochenen ‚Boxerkrieg‘, in dem sechs europäische Staaten sowie die USA und Japan gemeinsam in China militärisch interveniert hatten. Dieser Krieg fesselte die europäischen Medien, zeitweise dominierte er die Titelseiten der englischen und deutschen Presse. Dabei veröffentlichten die Zeitungen auch Nachrichten über Massaker und Brandschatzungen der europäischen ­Truppen, die das Vorgehen der imperialistischen Staaten in einem wenig positiven Licht erscheinen ließen.2 Die Karikatur verstört die Leser aber nicht allein durch den Hinweis auf die Kriegsgräuel der eigenen Truppen. Der Karikaturist hat den weinenden Raben zudem mit dem Etikett „Europa“ versehen – eine provozierende Zuschreibung, wurde Europa doch ansonsten in der Berichterstattung über den Boxerkrieg mit Vorstellungen zivilisatorischer Überlegenheit gegenüber dem als barbarisch charakterisierten China assoziiert. Dazu passt, dass der Rabe als symbolbeladener Vogel neben Trauer auch Klugheit versinnbildlichen kann. Im Zusammenhang mit den getöteten Chinesen dürfte der Karikaturist aber eher dessen negative Konnotationen im Sinn gehabt haben. In der europäischen Mythologie gilt der Rabe auch als Galgenvogel, als Aasfresser auf Schlachtfeldern und Hinrichtungsstätten, als Symbol für Diebstahl, Raub und Tod.3 Indem der Karikaturist Europa als Raben darstellt, verweist er auf den räuberischen, mörderischen Charakter der imperialen Expansion.

1 Vgl. Europa in Trauer: „Wie mir die armen Buren leid thun!“, in: Berliner Morgenpost, Nr. 10, 12. 1. 1901 (Abb. 1). 2 Zur Mediengeschichte des Boxerkriegs vgl. Klein, Propaganda, 2007. 3 Vgl. Peuckert, Art. Rabe, 1936/1987.

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Abbildung 1  Berliner Morgenpost, 12. Januar 1901

Doch die Provokation geht weiter. Denn die Tränen des Raben gelten gar nicht den chinesischen Opfern des Boxerkriegs. Vielmehr bereiten ihm die Opfer auf einem ganz anderen, weit entfernten Kriegsschauplatz Kummer, wie die Bildunterschrift klarstellt: „Europa in Trauer: ‚Wie mir die armen Buren leid thun!‘“. Der zur gleichen Zeit in Südafrika stattfindende Kampf des Britischen Empires gegen die Buren löste in der kontinentaleuropäischen Öffentlichkeit große Empörung aus. Gerade in Deutschland sympathisierte der Großteil der Medien mit den Buren.4 Damit unterschied sich die Darstellung des Burenkriegs in den deutschen Medien wesentlich von der des Boxerkriegs. Fast alle Zeitungen unterstützten den Militäreinsatz in China und auch die ­Morgenpost formulierte kaum Kritik am Vorgehen der eigenen Truppen.5 Wenn die Karikatur nun die unterschiedliche Wahrnehmung des Leids der Buren und der Chinesen thematisiert, verweist sie auf die „Raster des Krieges“, die der amerikanischen Intellektuellen Judith Butler zufolge dafür sorgen, dass Leiden und Tod nur selektiv als betrauernswert wahrgenommen werden.6 In 4 Vgl. Bender, Burenkrieg, 2009. 5 Vgl. Methfessel, „Oxident gegen Orient“, 2009. 6 Butler, Raster, 2010.

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­diesem Sinne kritisiert die Karikatur der Morgenpost den unterschiedlichen Umgang der Presse mit den während des Boxeraufstands dämonisierten Chinesen und den in Deutschland als ‚stammesverwandt‘ beschriebenen weißen Buren. Der weinende Rabe auf dem chinesischen Kriegsschauplatz ist in dieser Lesart ein Repräsentant der als einseitig empfundenen medialen Wahrnehmung der beiden Konflikte. Dass die Karikatur nicht nur die Kriege in Südafrika und China selbst thema­ tisiert, sondern auch deren Wahrnehmung in Europa, verdeutlicht die große Aufmerksamkeit der Presse für die imperiale Expansion zu dieser Zeit.7 Beide Medienereignisse waren Höhepunkte des im späten 19. Jahrhundert zunehmenden Interesses für das militärische Ausgreifen der Kolonialmächte in der außereuropäischen Welt. Im Zeitalter des „Hochimperialismus“ 8 wurden Kolonialkriege und imperialistische Interventionen zu beliebten, die Auflage steigernden ­Themen für englische und deutsche Zeitungen. Grundlage hierfür war der in den 1880er-­Jahren einsetzende ‚Wettlauf ‘ um die noch nicht der Kolonialherrschaft unterworfenen außereuropäischen Regionen, an dem seit 1884 auch das Deutsche Kaiserreich teilnahm. Dies führte dazu, dass die imperiale Expansion zu einem Konfliktfeld der innereuropäischen Beziehungen avancierte. Trotz zunehmender Rivalitäten kam es bei den Auseinandersetzungen um den Erwerb von Kolonien jedoch zu keinem innereuropäischen Krieg. Die Dekaden vor Ausbruch des ­Ersten Weltkriegs waren für Europa selbst eine relativ friedliche Zeit.9 Zu Kriegen kam es vor allem außerhalb Europas. Dort setzten die europäischen Staaten regelmäßig ihr Militär ein, um ihren Einflussbereich zu erweitern. Während die imperiale Gewaltausübung für die Bevölkerung in den betroffenen Regionen verheerende Auswirkungen hatte,10 waren die meisten Menschen in Europa hiermit nur bei der Zeitungslektüre konfrontiert. Für sie waren diese Kriege vor allem ein 7 Vgl. Leggewie/Lenger, Funktion, 2006, S. 14, denen zufolge nur von einem Medienereignis gesprochen werden kann, wenn „die Berichterstattung über das Ereignis selbst zum Gegenstand der Berichterstattung wird“. 8 Vgl. Osterhammel, Kolonialismus, 2001, S. 40; Ders., Verwandlung, 2009, S. 577 f. 9 Vgl. Dülffer u. a., Vermiedene Kriege, 1997. 10 Vgl. auch Walter, Imperialkriege, 2011, S. 11, nach dem es ein wesentliches Element von Imperialkriegen ist, „dass der Konflikt zwar für die Gesellschaft des indigenen ­Gegners insgesamt existenziell sein kann, aber nie für die räumlich entfernte Metropole der Imperialmacht“.

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Medienphänomen. Aber als solches gewannen sie zunehmend an Bedeutung. Die um 1880 schon durch Überseekabel und Telegraphie vernetzte Welt erlaubte eine zeitnahe Berichterstattung auch über die meisten nichteuropäischen Regionen. Für die zur gleichen Zeit expandierende Massenpresse waren internationale Konflikte und Militäreinsätze gegen nichteuropäische Gegner willkommene Th ­ emen, mit denen sich breite Leserkreise gewinnen ließen. Diese Studie untersucht systematisch die Berichterstattung über Militäreinsätze in der außereuropäischen Welt und die damit verbundenen politischen Debatten über die imperiale Expansion. Sie setzt Mitte der 1890er-­Jahre ein, als neue Entwicklungen in den Medien und in der Kolonialpolitik dazu führten, dass die politische Bedeutung der öffentlichen Auseinandersetzungen über die imperiale Expansion erheblich zunahm. Zwar waren zu dieser Zeit die kolonialen Machtansprüche über große Teile der Welt bereits abgesteckt, die Auseinandersetzung um die noch umstrittenen Regionen wurde dafür jedoch umso heftiger geführt.11 Zudem kamen in Großbritannien und Deutschland Politiker an die Macht, die eine aktivere Imperialpolitik verfolgten als ihre Vorgänger. In London übernahm Joseph Chamberlain das Colonial Office. Im Widerspruch zur traditionellen britischen Politik setzte er sich für großangelegte Investitionen in den Kolonien ein. Der von ihm verfolgte systematische Ausbau der eigenen Herrschaft stieß insbesondere in Afrika vielerorts auf Widerstand, sodass es zu zahlreichen Kolonialkriegen kam.12 In Berlin ernannte der deutsche ­Kaiser Wilhelm II . 1897 Bernhard von Bülow zum Staatssekretär des Äußeren und Alfred von Tirpitz zum Staatssekretär des Reichsmarineamtes. Beide wurden mit der Aufgabe betraut, die vom ­Kaiser proklamierte ‚Weltpolitik‘ in die Tat umzusetzen, jene spezifisch deutsche Form des Imperialismus, die durch eine

11 Nach Wolfgang J. Mommsen „flammten“ zu dieser Zeit „die imperialistischen Tendenzen […] weltweit auf breiter Front wieder auf “, Ders., Grossmachtstellung, 1993, S. 131. Insbesondere die Forschung zu Südafrika und Ostasien hebt hervor, dass sich 1895 – dem Jahr des japanisch-­chinesischen Krieges und des James Raid in S­ üdafrika – die imperialen Rivalitäten deutlich verschärften, zu Südafrika vgl. Fröhlich, Konfrontation, 1990, S. 180; zu Ostasien vgl. Jung, Deutschland, 1996, S. 14. Zudem führte der 1896 begonnene britische Feldzug in den Sudan zum Höhepunkt des britisch-­ französischen Kolonialkonflikts während der Faschodakrise 1898, vgl. hierzu Keiger, Omdurman, 1998. 12 Vgl. Marsh, Joseph Chamberlain, 1994, S. 408 – 419; Porter, The Lion’s Share, 2013, S. 160 – 163, sowie zum „new imperialism“ in den 1890er-­Jahren allgemein S. 111 – 120.

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aggressivere Vorgehensweise in der außereuropäischen Welt und einen großangelegten Flottenbau gekennzeichnet war.13 Für die Perspektive dieser Untersuchung ist entscheidend, dass die imperialistischen Ambitionen der Regierungen die Öffentlichkeiten Englands 14 und Deutschlands intensiv beschäftigten. Die späten 1890er-­Jahre gelten als Hochphase des ‚Jingoismus‘ in Großbritannien – so bezeichneten Zeitgenossen wie auch die aktuelle Forschung die Verbindung von aggressivem Nationalismus und imperialistischer Begeisterung in der britischen Bevölkerung.15 Hierzu trug auch die Entwicklung der Massenpresse bei. Neu auf den Markt kommende Blätter wie etwa die seit 1896 erscheinende Daily Mail heizten die Stimmung an, indem sie die im ­­Zeichen des Imperialismus ausbrechenden Konflikte und Krisen bewusst und sehr erfolgreich zur Steigerung der Auflage nutzten.16 Auch Chamberlain arbeitete gezielt daran, die Begeisterung für das Empire zu schüren. Er pflegte intensive Kontakte mit Journalisten und zeigte „ein geradezu besessenes Interesse an allem, was mit der Presse zusammenhing“.17 Gleiches lässt sich für jene Zeit über Mitglieder der deutschen Regierung sagen. Tirpitz initiierte eine großangelegte Propagandakampagne, um den Aufbau der deutschen Flotte in die Wege zu leiten. Bülow war so sehr um sein öffentliches Bild besorgt, dass die mediale Wahrnehmung von Beginn an ein bestimmender Faktor seiner Politik war.18 Beiden Politikern kam dabei entgegen, dass seit Mitte der 1890er-­Jahre Rufe nach einer aktiveren Rolle Deutschlands in der außereuropäischen Welt aufgekommen waren.19 Auf diese Stimmung aufbauend, sollte die neue ‚Weltpolitik‘ nicht zuletzt dazu dienen, das Prestige

13 Für Paul M. Kennedy nahm die deutsche Politik damit eine „entscheidende Wendung“, vgl. Ders., The Samoan Tangle, 1974, S. 122. 14 Wie auch um 1900 üblich, werden die Bezeichnungen ‚Großbritannien‘ und ‚England‘ in dieser Studie synonym genutzt, vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 1, FN 1. Da keine schottischen oder walisischen Zeitungen behandelt werden, wird zumeist die Bezeichnung ‚englisch‘ für die Presse verwendet, wohingegen für die Politik des Empires tendenziell die Bezeichnung ‚britisch‘ bevorzugt wird. 15 Vgl. MacKenzie, Propaganda, 1984, S. 1 – 7; Porter, The Lion’s Share, 2013, S. 118. 16 Vgl. Taylor, The Great Outsiders, 1996, 36 f., 44 f.; Thompson, The Empire Strikes Back?, 2005, S. 41 f. 17 Geppert, Pressekriege, 2007, S. 62. 18 Vgl. Mommsen, Grossmachtstellung, 1993, S. 143 f. 19 Vgl. Canis, Von Bismarck zur Weltpolitik, 1997, S. 223 – 232.

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des monarchischen Regimes zu steigern.20 Die wachsende Sorge um das eigene Ansehen hing dabei eng mit der durch das rasante Wachstum der Massenpresse verursachten „Fundamentalpolitisierung“ des Deutschen Kaiserreichs zu dieser Zeit zusammen.21 Diese Studie analysiert, wie die eben skizzierten, Mitte der 1890er-­Jahre einsetzenden Entwicklungen zusammenwirkten. Dazu untersucht sie die englische und deutsche Presseberichterstattung über zahlreiche imperiale Militäreinsätze bis hin zur deutschen Intervention in Marokko 1911, der letzten großen internationalen Krise unter den Konflikten um Einfluss in der außereuropäischen Welt vor dem ­Ersten Weltkrieg. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse von Zeitungen als Leitmedium im untersuchten Zeitraum. Zwar entstanden auch Bücher,22 Postkarten,23 Lieder 24 und sogar Filme 25 anlässlich einzelner Kriege. Aber trotz dieser medialen Vielfalt waren Zeitungen vor 1914 die wichtigste Informationsquelle für die britische und deutsche Bevölkerung, um sich über das politische Geschehen zu informieren.26 Der Vergleich beider Länder wird mit der Analyse der Verflechtungen und Wechselwirkungen in der englischen und deutschen Berichterstattung verbunden.27 Dabei knüpft diese Studie an Debatten der Imperial- und der Mediengeschichte an. Im Folgenden werden die hierfür wichtigen Forschungsfragen und -ergebnisse erörtert.

20 Vgl. Mommsen, Public Opinion, 1991, S. 385 f.; Ders, Grossmachtstellung, 1993, S. 139 f. 21 Vgl. Bösch, Katalysator, 2006, S. 25 – 27, der mit Verweis auf das Wachstum der Presse im späten 19. Jahrhundert von einer um 1900 beginnenden Fundamentalpolitisierung spricht. Retallack, Obrigkeitsstaat, 2009, S. 133 f., spricht sich zwar dagegen aus, die gesamten 1890er-­Jahre als Jahrzehnt der Fundamentalpolitisierung zu bezeichnen, verweist jedoch auf die seit 1898 wieder steigende Wahlbeteiligung sowie auf die an Bedeutung gewinnende Flottenpropaganda und die politischen Aktivitäten nach der Jahrhundertwende. 22 Vgl. Daniel, Bücher, 2005. 23 Vgl. Krüger, Propaganda, 2007. 24 Zu den populären Liedern und Aufführungen über das Empire in den britischen music halls vgl. Summerfield, Patriotism, 1986. 25 Vgl. zum Boxerkrieg: Osterhammel, Verwandlung, 2009, S. 81. Dabei handelte es sich vor allem um in England und Frankreich „nachgestellte“ Szenen, Dokumentaraufnahmen aus Peking entstanden erst im Jahre 1901, als der dortige militärische Konflikt schon beendet war. 26 Vgl. Requate, Zeitung, 2004, S. 139. 27 Zur Verbindung von Vergleich und Transfer vgl. Kaelble, Debatte, 2005; zum Vergleich klassisch Ders., Der historische Vergleich, 1999, sowie jüngst Ders., Historischer Vergleich, 2012.

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Forschungsperspektiven und Fragestellung Die neue Imperialgeschichte zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Geschichte der kolonialen ‚Metropole‘ und ‚Peripherie‘ als gemeinsame Geschichte betrachtet und die zahlreichen Bezüge und Einflussnahmen ­zwischen europäischen und außereuropäischen Entwicklungen untersucht.28 Dabei vertreten insbesondere kulturhistorische Arbeiten häufig die These, dass die Kultur in den kolonisierenden Staaten entscheidend von der imperialen Expansion geprägt wurde. Anhand von Quellen wie Kolonialromanen oder Werbung wird argumentiert, dass die Präsenz des Kolonialreichs in der heimischen Kultur sowie die damit verbundenen Vorstellungen von Exotik und kolonialer Eroberung dazu beitrugen, imperiale Expansion und Kolonialherrschaft zu legitimieren.29 Eine derartige Fokussierung auf ­solche Quellen, die bewusst mit rassistischen Stereo­typen arbeiteten, kann jedoch dazu führen, dass existierende Zweifel an der imperialen Expansion übersehen werden.30 Gleiches gilt tendenziell auch für die Forschung zur Presseberichterstattung über Kolonialkriege. Die wenigen vorliegenden übergreifenden Arbeiten hierzu kommen zu dem Schluss, dass die Zeitungen Kolonialismus und Kriege in der außereuropäischen Welt überwiegend positiv darstellten.31 Einzelne Fallstudien verweisen dagegen durchaus auf die Unpopularität bestimmter Kriege in den Öffentlichkeiten der kolonisierenden Staaten. Ebenfalls hat die Forschung zu anderen medienhistorischen Aspekten der Kolonialgeschichte überzeugend herausgearbeitet, dass die imperiale Expansion Kontroversen und Empörung 28 Vgl. klassisch Stoler/Cooper, Between Metropole and Colony, 1997. 29 Vgl. für Deutschland: Friedrichsmeyer u. a. (Hg.), Imperialist Imagination, 1998; ­Kundrus (Hg.), Phantasiereiche, 2003; Honold/Scherpe (Hg.), Mit Deutschland um die Welt, 2004; für Großbritannien MacKenzie, Empire, 1999; Hall/Rose (Hg.), Home, 2006. Für frühe kulturwissenschaftliche Inspirationen in diese Richtung vgl. Hall, West, 1992; Said, C ­ ulture, 1993. 30 Vgl. auch zum Kaiserreich: Kundrus, Peripherie, 2009, S. 370, nach der „Kolonialismuskritik ein nach wie vor unterbelichtetes Feld der Forschung ist“. Eine ­solche Feststellung mag inzwischen übertrieben sein, gerade aus der klassischen Politik- und Ideengeschichte liegen durchaus umfangreiche Arbeiten vor, so jüngst Stuchtey, Die europäische Expansion, 2010. Anders als in solchen Studien gilt das Interesse hier nicht primär den prominenten Kritikern des Imperialismus, sondern der Frage, wann massenmedial wirksame Bilder allgemein zu wachsender Kolonialskepsis beitrugen. 31 Übergreifende Studien liegen bislang nur zur englischen Geschichte vor, vgl. Wilkinson, Depictions, 2003; Badsey, New Wars, 2007.

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auslösen konnte.32 Hieran anknüpfend analysiert diese Studie sowohl Legitimation als auch Kritik imperialer Militäreinsätze, um so ein differenziertes Bild der medialen Wahrnehmung der imperialen Expansion zu zeichnen. Wenn so die Zustimmung zu Kolonialkriegen und Interventionen hinterfragt wird, rücken Fragen ins Blickfeld, die schon länger in der Politikgeschichte diskutiert werden und die durch das Interesse an den Rückwirkungen der imperialen Expansion in der neueren Forschung wieder an Bedeutung gewonnen haben. Im Sinne der Sozialimperialismustheorie interessiert hier, inwieweit Regierungen versuchten, durch eine aktive Kolonialpolitik ihr eigenes Prestige zu steigern. Sowohl für die britische wie für die deutsche Geschichte sind s­ olche Bestrebungen und ihr Erfolg kontrovers diskutiert worden.33 In Anschluss daran wird deswegen immer auch gefragt, wie sich die Berichterstattung über die imperiale Expansion auf das Prestige der verantwortlichen Regierungen auswirkte und ­welche Wendepunkte sich diesbezüglich im behandelten Zeitraum ausmachen lassen.34

32 Vor allem in klassischen kolonialhistorischen Studien wird auch thematisiert, wenn ein Krieg eher unpopulär war, vgl. etwa Fleming, Bayonets to Lhasa, 1961, S. 96, 137. Die vorliegende Mediengeschichte untersucht vor allem die Kritik und Empörung, die die Skandale über Gewaltexzesse und Machtmissbrauch in den Kolonien auslösten, sowie die heftige Kontroverse über den Einsatz von chinesischen Vertragsarbeitern in Südafrika, vgl. Bösch, Öffentliche Geheimnisse, 2009, S. 225 – 327; Ders., ‚Are we a cruel nation?‘, 2008; Startt, Journalists, 1991, S. 31 – 105. 33 Insbesondere Hans-­Ulrich Wehler vertritt im Rahmen der Debatte über den deutschen ‚Sonderweg‘ die These, dass die imperialistische Politik vor allem dazu diente, das politische Regime zu stabilisieren, vgl. Ders., Sozialimperialismus, 1979; Ders., Das Deutsche Kaiserreich, 1988, S. 165 – 181; Ders., Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, 1995, S. 1137 – 1145. Dieser Ansatz geht zurück auf Eckart Kehr, der 1930 den Schlachtflottenbau als innenpolitische Strategie zum Machterhalt der herrschenden Klasse interpretierte, vgl. Ders., Schlachtflottenbau, 1930. Mit Verweis auf die verbreitete Kolonialkritik kritisch zum behaupteten Erfolg dieser Strategie: Gründer, Geschichte, 2004, S. 235 – 239; Bösch, Öffentliche Geheimnisse, 2009, S. 322 – 324. Zentral für die Forschung zur britischen Geschichte sind die Arbeiten von John MacKenzie, der argumentiert, dass der Imperialismus sich seit den 1880er-­Jahren als dominante Ideologie durchsetzte, vgl. Ders., Propaganda, 1984; für eine Kritik dieser These vgl. bes. Porter, The Absent-­Minded Imperialists, 2004. 34 Diesbezüglich liegen insbesondere für die britische Geschichte widersprüchliche Forschungsinterpretationen vor. So vertritt MacKenzie, Propaganda, 1984, die These einer Kontinuität der imperialen Ideologie und auch Glenn R. Wilkinson betont in seinen medienhistorischen Arbeiten die andauernde Popularität der Imperialkriege, vgl. Ders., ‚There is No More Stirring Story‘, 1991; Ders., Depictions, 2003. Dagegen betrachten vor

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Im Rahmen dieser Debatte argumentiert insbesondere John MacKenzie, dass die imperialistische Stimmung in Großbritannien eng mit dem seit Ende des 19. Jahrhunderts zunehmenden Militarismus verbunden war.35 Auch manche medienhistorischen Studien vertreten die These, dass die Berichterstattung über imperiale Militäreinsätze und die damit verbundenen Bilder von scheinbar leicht zu gewinnenden Kriegen zur Kriegsbegeisterung 1914 beitrugen.36 Ähnlich wird für die deutsche Geschichte argumentiert, dass während des Boxerkriegs auch unter sozialdemokratischen Arbeitern die Unterstützung für den Militäreinsatz groß und die „deutsche Volksgemeinschaft […] erstmals über kriegerische Verwicklungen im Jahre 1900 geschlossen“ war.37 Charakter und Ausmaß des Militarismus sind jedoch weiterhin für die Geschichte beider Länder umstritten.38 Hier wird deshalb der Frage nachgegangen, ob die Berichterstattung über imperiale Militäreinsätze geeignet war, das Prestige des Militärs zu steigern und Krieg als attraktive Option erscheinen zu lassen. Ein weiteres Themenfeld, in dem sich die Frage nach den Rückwirkungen der imperialen Expansion stellt, bildet die Geschichte der Selbst- und Fremdbilder in Europa. Im Einklang mit den Forderungen der neuen Imperialgeschichte berücksichtigen gerade Arbeiten zu den englisch-­deutschen Pressebeziehungen, wie sehr die gegenseitige Beobachtung beider Länder von der kolonialen Expansion geprägt war.39 Die hier vorgenommene Untersuchung der ­wechselseitigen

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allem politikhistorische und imperialgeschichtliche Arbeiten den Burenkrieg häufig als Wendepunkt, nach dem eine aggressive imperialistische Politik erheblich an Zustimmung verlor und mit zur Wahlniederlage der Unionisten 1906 beitrug, vgl. Hyam, ­British Empire, 1999, S. 50; Sharpe, The Liberal Party, 2000, S. 7 f. MacKenzie, Propaganda, 1984. So Dominikowski, ‚Massen‘medien, 1993, S. 39; Wilkinson, Depictions, 2003, S. 134 f.; vgl. auch MacKenzie, Introduction, 1992, S. 20, zur Kriegsbegeisterung 1914 sowie zum Bild von Kolonialkriegen in der Populärkultur allgemein. Martin, Ermordung, S. 78. Vgl. auch Rohkrämer, Militarismus, 1990, bes. S. 45 f., 240 – 246, 254, 268 f., der aus dem Schrifttum der Kriegervereine schließt, dass die Unterstützung für Kolonialpolitik und Imperialismus bei deren Mitgliedern weit verbreitet war. Gegen einen Zusammenhang von Imperialismus und Militarismus in der englischen Gesellschaft argumentierend: Summers, Edwardian Militarism, 1989; skeptisch zum Ausmaß des militaristischen Gedankenguts in der deutschen Gesellschaft: Ulrich u. a., Einleitung, 2001. Geppert, Pressekriege, 2007; Bösch, ‚Are we a cruel nation?‘, 2008; Ders., Öffentliche Geheimnisse, 2009, S. 225 – 327. Vgl. auch zur englischen Seite Reinermann, K ­ aiser, 2001,

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englisch-­deutschen Wahrnehmung im Kontext der imperialen Expansion kann auf diese Forschung aufbauen und sie zugleich um bislang nur am Rande betrachtete Ereignisse und Aspekte erweitern. Ein wichtiges Anliegen hierbei ist es, das Zusammenspiel der nationalen Selbstund Fremdbilder mit den in der Presse zum Vorschein kommenden Darstellungen des Europäischen und Außereuropäischen zu analysieren. Im Anschluss an Arbeiten zum europäischen Selbstverständnis wird davon ausgegangen, dass die imperiale Expansion keinesfalls nur zur Verschärfung nationaler Konflikte beitrug und so der Entwicklung europäischer Ideen entgegenstand.40 Vielmehr wurde der Kolonialismus auch als gesamteuropäisches Projekt verstanden, die zunehmenden Kontakte mit der außereuropäischen Welt waren wesentlich für die Entstehung europäischer Repräsentationen des Eigenen und des Anderen.41 In dieser Studie wird den in der Forschung aufgeworfenen Fragen und Thesen für einen Zeitraum nachgegangen, in dem eine wachsende Massenpresse intensiv über Militäreinsätze in der außereuropäischen Welt berichtete. Um dem kontroversen Charakter der Auseinandersetzung über die imperiale Expansion gerecht werden zu können, werden dabei Europabilder sowohl der Kolonialbefürworter als auch der Kolonialkritiker betrachtet.42 Bei der Untersuchung der Wahrnehmung und der Rückwirkungen der imperialen Expansion in der englischen und deutschen Öffentlichkeit kann auf neue Ansätze der Mediengeschichte zurückgegriffen werden. Diese rückt zunehmend das Wechselspiel unterschiedlicher journalistischer und politischer Akteure in den Fokus.43 Dabei kann zur Medienpolitik der Regierungen auf eine ­umfangreiche Forschung aufgebaut werden.44 Mit Blick auf die Informationsquellen für die

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sowie zur deutschen Seite den wegweisenden Aufsatz Daniel, Einkreisung, 2005, sowie Bender, Burenkrieg, 2009. So jüngst noch Elvert, Europäische Leitbilder, 2009, S. 84 f. Vgl. Frevert, Eurovisionen, 2003, S. 78 – 100; Schmale, Geschichte, 2008, S. 91 – 99; Kaelble, Eine europäische Geschichte, 2008, S. 69 – 71; Bösch u. a. (Hg.), Europabilder, 2012; Greiner, Wege, 2014, S. 300 – 323. Für eine frühe Berücksichtigung des Einflusses imperialistischen Denkens auf die Geschichte der Europaidee vgl. Gollwitzer, Europabild, 1964, S. 328 – 332. Zur politischen Instrumentalisierung von Selbst- und Fremdbildern vgl. Kaelble, Representations, 2012. Zum Zusammenspiel von Medien und Politik vgl. etwa Geppert, Public Challenge, 2008; Bösch/Hoeres (Hg.), Außenpolitik, 2013. Vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, bes. S. 47 – 70; Ders., Public Challenge, 2008. Zu Deutschland vgl. auch Mommsen, Public Opinion, 1991. Zudem wird die Medienpolitik der

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Berichterstattung über imperiale Militäreinsätze liegen primär Arbeiten zur Geschichte der Kriegsreporter vor.45 Diese Studie leistet einen Beitrag zur Erforschung d ­ ieses Themenfelds, indem ausgehend von Zeitungen analysiert wird, ­welche Informationsquellen der Presse darüber hinaus zur Verfügung standen und ­welche Akteure die politischen Debatten prägten. An den Kontroversen über Kolonialkriege und imperialistische Interventionen nahm eine Vielzahl von Akteuren teil. Die Zeitungen selbst beeinflussten sie nicht nur durch ihre spezifische Rahmung und Darstellung der Ereignisse, sondern auch durch ihre Kommentare. Leitartikel erschienen zumeist ohne Angabe des Autors und galten als Position der Zeitung.46 Namentlich genannt waren in der Regel die Akteure, deren Stellungnahmen Eingang in die Berichterstattung der Zeitung fanden und die so eine wesentliche Rolle in der politischen Debatte spielten. Hier gilt das Interesse der Frage, ­welche Akteure Zugang zur massenmedialen Öffentlichkeit hatten, also inwieweit etwa Politiker, Experten, von den Militärereignissen betroffene Personen oder Nichteuropäer die Debatten beeinflussen konnten. Die Untersuchung der Beiträge von Akteuren aus den Krisenregionen erlaubt auch Aufschluss über die Informationsquellen der Presse. Diesem Thema w ­ idmet sich die historische Forschung bislang vor allem anhand der Geschichte der Kriegsreporter. So existieren mehrere Studien zu Arbeitsbedingungen und Selbstbild dieser Journalisten.47 Allerdings besteht bei dieser Forschungsperspektive

Regierungen zumeist auch in den politik- und kolonialhistorischen Fallstudien zu den hier untersuchten imperialen Militäreinsätzen behandelt. 45 Zur Geschichte der Kriegsreporter allgemein vgl. Daniel (Hg.), Augenzeugen, 2006; zum hier behandelten Zeitraum s. u. 46 Welcher Journalist für ­welchen Kommentar verantwortlich war, steht deswegen in dieser Studie nicht im Fokus des Interesses. Zum einen konnte auch die damalige Leserschaft nicht z­ wischen den Journalisten einer Zeitung unterscheiden. Zum anderen verfolgten die Blätter in der Regel ohnehin eine klare redaktionelle Linie, die die Grundausrichtung der einzelnen Kommentare bestimmte, sodass es möglich ist, einzelne Zeitungen als einheitlichen Akteur zu betrachten. So ist bekannt, dass George Earle Buck, Chefredakteur der Times von 1884 bis 1912, großen Wert darauf legte, dass in den Kommentaren Positionen vertreten wurden, die als Standpunkt der Times zu verstehen waren und nicht als Meinung einzelner Journalisten. Einem Kollegen schrieb er über seine Arbeit: „[I]t was not so much important to emphasize what you as an individual thought but what ought to be the view of that great impersonal organ, The Times.“ Zit. nach Startt, Journalists, 1991, S. 26. 47 Arbeiten liegen vor allem zu den britischen Kriegsreportern vor. Sie zeigen, wie diese sich in Imperialkriegen ganz selbstverständlich mit den Truppen der Kolonialmächte

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die Gefahr, die Geschichte der Kriegsberichterstatter mit der Geschichte der Kriegsberichterstattung gleichzusetzen.48 Dagegen haben Fallstudien gezeigt, dass die Berichte der Korrespondenten vor Ort keinesfalls die einzige, ­häufig nicht einmal die entscheidende, Informationsquelle der Presse waren. D ­ en Zeitungen standen in der Regel auch die offiziellen Meldungen von Regierung und M ­ ilitär sowie häufig Soldatenbriefe und Mitteilungen von anderen vor Ort Tätigen wie Siedlern und Missionaren zur Verfügung.49 Mit Blick auf die Vielzahl der beteiligten Akteure wird in dieser Studie herausgearbeitet, ­welche Informationen in bestimmten Krisenregionen an die Öffentlichkeiten der kolonisierenden Staaten gelangen konnten und wie diese die politischen Auseinandersetzungen beeinflussten. Bei der Analyse der Informationsquellen müssen die damaligen Kommunikationswege stets mitgedacht werden. Die für den Untersuchungszeitraum charakteristische telegraphische Vernetzung der Welt steht bereits seit längerer Zeit im Fokus der Mediengeschichte. Die Verlegung von interkontinentalen Unterseekabeln war in den 1880er-­Jahren bereits weit fortgeschritten und um die Jahrhundertwende berichtete die Presse ganz selbstverständlich schon am Folgetag über Ereignisse aus weit entfernten Weltteilen.50 Allerdings umfasste das Telegraphennetz keinesfalls alle Weltregionen gleichermaßen.51 Daher wird gefragt, wie sich die unterschiedliche Anbindung der einzelnen Kriegsschauplätze

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identifizierten, handelte es sich doch häufig selbst um ehemalige Militärs mit starken imperialistischen Überzeugungen. Entsprechend positiv war das Bild, das sie vom Kriegsschauplatz an die heimischen Zeitungen übermittelten; vgl. Wilkinson-­Latham, From Our Special Correspondent, 1979; Stearn, War Correspondents, 1992; zur Geschichte der deutschen Kriegsreporter, vgl. Zeigerer, Kriegsberichterstatter, 2016. Anders ebd., die die Berichte der Korrespondenten im Zusammenspiel mit anderen Informationsquellen, etwa Soldatenbriefen oder Lokalzeitungen aus den Kolonien, untersucht. Zu den Soldatenbriefen während des Boxerkriegs vgl. Wieland/Kaschner, Reichstagsdebatten, 2002; in der Forschung zum Burenkrieg wird zudem den Berichten von Emilie Hobhouse über die Zustände in den ‚concentration camps‘ eine große Bedeutung zugeschrieben, vgl. Morgan, Boer War, 2002, S. 3, 11. So erzeugte nach Klein, Propaganda, 2007, S. 173, die Aktualität in der Berichterstattung über den Boxerkrieg ein „Gefühl von Unmittelbarkeit“ für die Zeitungsleser. Zur Telegraphie allgemein vgl. Headrick, Tools, 1981, S. 157 – 164; Ders., Invisible Weapon, 1991; W ­ enzlhuemer, „I had occasion to telegraph to Calcutta“, 2011; Ders., Telecommunication, 2010. Ders., Globalization, 2010, S. 31.

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an die globalen Kommunikationswege auf die Berichterstattung und Wahrnehmung der Ereignisse auswirkte. Eng verbunden mit dem Aufbau des Telegraphennetzes war die Entstehung international tätiger Nachrichtenagenturen.52 Arbeiten zu ­diesem Thema widmen sich vor allem dem Verhältnis von Nachrichtenagenturen und Regierungen sowie den Kartellverträgen, in denen die führenden Agenturen die Welt unter sich aufteilten. So war in erster Linie die britische Agentur Reuters für jene Regionen zuständig, in denen sich die imperialen Krisen Ende des 19. Jahrhunderts zuspitzten.53 Entsprechend war die Berichterstattung über die außereuropäische Welt britisch dominiert. Dies wurde noch dadurch verstärkt, dass englische Zeitungen in der Regel weitaus mehr Auslandskorrespondenten einsetzten, als es in der deutschen Presse üblich war.54 Diese Studie geht daher auch der Frage nach, wie sich diese britische Dominanz auf die deutsche Berichterstattung über imperiale Krisen und Konflikte auswirkte.55 Neben der Intensivierung der globalen Kommunikation durch Telegraphie und Nachrichtenagenturen gilt die Entstehung eines medialen Massenmarktes als wichtiges Charakteristikum der Mediengeschichte in den Dekaden vor dem ­Ersten Weltkrieg. Die Gesamtauflage der Presse nahm rapide zu, und es entstanden neue Zeitungsformate, die primär aus kommerziellem I­ nteresse danach strebten, einen möglichst großen Leserkreis zu erreichen. Blätter wie die Daily Mail (gegründet 1896) und die Berliner Morgenpost (gegründet 1898) erzielten aufgrund ihrer Aufmachung, etwa durch den zunehmenden Einsatz von Bildern und Fotos, ihres Stils und ihres günstigen Preises immer neue Rekordauflagen.56

52 Vgl. allgemein Nalbach, „The Software of Empire“, 2003; Barth, Formation, 2014. 53 Zu den Kartellverträgen vgl. Dussel, Deutsche Tagespresse, 2004, S. 71; Bösch, Mediengeschichte, 2011, S. 133 f.; zu Reuters vgl. Read, Truth, 1995; Ders., Relationship, 1996; Ders., Power, 1999; Potter, News, 2003, S. 87 – 105; Winder, London’s Global Reach?, 2010. 54 Insbesondere die Times verfügte über ein eigenes weltweites Netzwerk von Berichterstattern und war neben Reuters die führende Referenz über die Politik der imperialistischen Mächte in der außereuropäischen Welt, vgl. Woods/Bishop, Story, 1983. 55 Zur Reaktion der deutschen Presse auf die Dominanz von Reuters vgl. auch Nalbach, „The Software of Empire“, 2003, S. 80 f., 83; Geppert, Pressekriege, 2007, S. 80 – 82. 56 Zu England vgl. Chalaby, Invention, 1998, sowie zur Daily Mail: Taylor, The Great Outsiders, 1996; Catterall u. a. (Hg.), Northcliffe’s Legacy, 1996, dort bes. Chalaby, Northcliffe,

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In der Forschung diskutierte Fragen zur damit einhergehenden Sensationalisierung und Personalisierung sind auch für die hier behandelte Analyse der medialen Darstellung von imperialen Militäreinsätzen relevant.57 Gerade Kolonialkriege boten sich für eine reißerische Berichterstattung an, mit der sich die Auflage steigern ließ. Zugleich gelten die ‚Massenblätter‘ Daily Mail und Daily Express (gegründet 1900) aufgrund ihrer dezidiert prokolonialen Ausrichtung als Antreiber der zunehmenden imperialistischen Stimmung in England.58 Diese Studie untersucht nicht nur, inwieweit die Presse Zustimmung für Militäreinsätze in der außereuropäischen Welt mobilisieren konnte, sondern auch, wann die Mechanismen des Medienmarktes dazu beitrugen, dass für die Kolonial­ befürworter unangenehme Nachrichten im Zentrum der Berichterstattung standen und die Aufmerksamkeitsprioritäten der Presse die imperiale Expansion in einem weniger attraktiven Licht erscheinen ließen. Durch die hier skizzierte Zusammenführung von imperial- und medienhistorischen Perspektiven soll so eine Reihe von Leitfragen beantwortet werden: Unter ­welchen Bedingungen berichteten die Zeitungen und wie bereiteten sie die Ereignisse für das heimische Publikum auf? Welche Militäreinsätze waren in ­welchen Teilen der Presse populär und wie groß war die Zustimmung zur imperialen Expansion allgemein im behandelten Zeitraum? Wie beeinflussten die Debatten hierüber die innenpolitischen Auseinandersetzungen und wie wirkte sich die imperialistische Politik auf das Prestige der verantwortlichen Regierungen aus? Welche nationalen und europäischen Selbst- und Fremdbilder kamen in der Berichterstattung zum Vorschein? Um sich diesen ­Fragen methodisch anzunähern, wird auf Herangehensweisen der neuen Politik­ geschichte zurückgegriffen.

1996; zu Deutschland vgl. Dussel, Deutsche Tagespresse, 2004, S.83 – 90; zu Berliner Lokal-­ Anzeiger und Berliner Morgenpost vgl. Wagner, Berliner Morgenpost, 1977; Mendelssohn, Zeitungsstadt Berlin, 1982, S. 120 – 126, 158 – 176; Fritzsche, Reading Berlin, 1996. 57 Zu Sensationalisierung und Personalisierung in der historischen Forschung vgl. ­Chalaby, Invention, 1998, S. 147 – 166; Bösch, Zwischen Populärkultur und Politik, 2005, bes. S. 565 – 569; Ders., Katalysator, 2006; Ders./Borutta, Medien, 2006. Aus Perspektive der Medientheorie: Östgaard, Factors, 1965, S. 48 – 50; Galtung/Ruge, Structure, 1965, S. 68 f. 58 Vgl. Bourne, Lords, 1990, S. 30 f.; Taylor, The Great Outsiders, 1996, 36 f., 44 f., 55 – 72; Chalaby, Invention, 1998, S. 144 f.; Thompson, The Empire Strikes Back?, 2005, S. 41 f.; Kaul, Popular Press, 1996, bes. S. 53 f.

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Massenmediale Kommunikation und politische Kommunikation Die neue Politikgeschichte folgt der Annahme, dass politisches Handeln immer auch kommunikatives Handeln ist. Dabei ist politische Kommunikation an Macht gebunden. Es geht um die Möglichkeit, allgemein verbindliche Entscheidungen durchsetzen zu können. Politiker streben danach, in einem ständigen Aushandlungsprozess Entscheidungen zu beeinflussen und ein günstiges Klima für ihre Forderungen zu schaffen. Es wird versucht, Th ­ emen in den Vordergrund zu stellen, mit Sinn zu versehen und Bedeutungen zu erzeugen. Darüber hinaus geht es um den Kampf um Ämter und Positionen, die es erlauben, Macht auszuüben. Wird Politik in ­diesem Sinne verstanden, ist das Medium der Kommunikation entscheidend für die Form des politischen Handelns.59 Infolge der Ende des 19. Jahrhunderts steigenden Partizipationserwartungen gewann die massenmediale Öffentlichkeit eine entscheidende Bedeutung für die politische Kommunikation. Gerade in Deutschland war das Aufkommen politischer Parteien im 19. Jahrhundert eng mit der Gründung neuer Zeitungen verbunden. Im Kaiserreich arbeiteten viele Reichstagsabgeordnete zugleich als Journalisten, die Pressearbeit erfüllte eine wesentliche Funktion bei der Herausbildung politischer Programme und dem öffentlichen Werben für diese.60 In England hingegen waren die Zeitungen institutionell zumeist nicht in dem Maße an eine Partei gebunden, wie es in Deutschland der Fall war. Vielmehr gilt die englische Presse als Vorläufer der Idee einer ‚vierten Gewalt‘, die einen kontrollierenden Einfluss auf die staatlichen Institutionen ausübt. In mancherlei Hinsicht ist diese Vorstellung jedoch irreführend, tatsächlich lassen sich auch in England die meisten Zeitungen einer politischen Partei oder zumindest einer klaren politischen Richtung zuordnen.61 Auch die Ende des 19. Jahrhunderts neu aufkommenden ‚Massenblätter‘, die ihre parteipolitische Unabhängigkeit betonten, verfolgten zumeist eine mehr oder weniger klare politische Linie. Die Daily Mail und der Daily Express warben für eine

59 Vgl. Frevert, Neue Politikgeschichte, 2002, S. 158 f.; Dies., Politische Kommunikation, 2004, S. 10 – 13. Ein solches Politikverständnis orientiert sich an Luhmann, Politik, 2000, bes. S. 100, 254, 286. 60 Vgl. Requate, Zeitung, 2004, S. 150 f. 61 Zur Idee des „Fourth Estate“ vgl. ebd., S. 158; kritisch hierzu Bösch/Hoeres, Im Bann der Öffentlichkeit?, 2013, S. 22. Für eine Relativierung des Unterschiedes ­zwischen deutscher Parteipresse und überparteilicher britischer Presse plädiert auch Bösch, Öffentliche Geheimnisse, 2009, S. 472.

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aktive imperialistische Politik, die Berichterstattung der Berliner Morgenpost war von den linksliberalen Überzeugungen der Verlegerfamilie Ullstein geprägt, die diese Zeitung auf den Markt brachte. Die in vielen Städten erscheinenden ‚Generalanzeiger‘ sowie der Berliner Lokal-­Anzeiger mochten sich zwar unpolitisch geben, ihre Darstellung der Ereignisse war jedoch in der Regel konservativ. Diese starke Politisierung des Medienmarkts brachte es mit sich, dass die Zeitungen mit ihrer Berichterstattung und ihren Kommentaren selbst die politische Auseinandersetzung beeinflussen wollten, um je nach Ausrichtung die Regierung zu unterstützen oder zu kritisieren und für das Programm ihnen nahestehender Parteien zu werben.62 Allerdings konnten gerade die mit stark kommerziellem Interesse auf den Markt gebrachten Blätter die Erwartungen der Leserschaft nicht ignorieren. Sie waren darauf angewiesen, die Ereignisse in einer Art und Weise aufzubereiten, die dem Geschmack der Kundschaft entsprach. Bei allem politischen Sendungsbewusstsein, das Verlegern und Journalisten zu eigen war, folgte die Berichterstattung der Presse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer Eigenlogik, die sich von jener der politischen Kommunikation unterschied. Aufgabe der massenmedialen Kommunikation war es, möglichst aktuell über die jüngsten Ereignisse zu informieren; sie orientierte sich daran, relevante neue Informationen von bereits Bekanntem zu unterscheiden.63 Die Entstehung dieser Eigenlogik lässt sich gerade bei den neu auf den Markt kommenden ‚Massenblättern‘ beobachten. Aber auch die älteren Parteizeitungen konnten die Gesetze des Medienmarkts Ende des 19. Jahrhunderts nicht ignorieren und standen unter dem Druck, für ihre Zielgruppe attraktiv zu bleiben, um gegen die Konkurrenz zu bestehen. Ebenso waren Politiker gezwungen, die Regeln der Massenmedien zu beachten. Wollten sie ihrem Programm in einer breiteren Öffentlichkeit Gehör verschaffen, mussten sie sich so darstellen, dass ihre Forderungen der Aufmerksamkeit für Wert befunden und nicht nur in ihnen nahestehenden Zeitungen abgedruckt wurden.64 Diese Studie will dazu herausarbeiten, ­welche medialen Mechanismen die Berichterstattung über Kolonialkriege und imperialistische Interventionen sowie die politischen Debatten hierüber bestimmten und wie sich die Eigenlogik des im späten 19. Jahrhundert aufkommenden Medienmarktes auf die öffentliche politische Debatte auswirkte. 62 Zur Politisierung der Medien vor 1914 vgl. Mergel, Politisierte Medien, 2010, bes. S. 39. 63 Vgl. Luhmann, Realität, 2004. 64 Zur Medialisierung der Politik vor 1914 vgl. Bösch/Frei, Ambivalenz, 2006, bes. S. 10 f.

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Zur Analyse der massenmedialen Kommunikation wird dabei auf die Nach­ rich­tenwerttheorie und die Deutungsrahmenanalyse zurückgegriffen. Die Nachrichten­werttheorie beschäftigt sich mit der Frage, ­welche Ereignisse und Nachrichten als des Berichtens würdig betrachtet werden.65 In ­diesem Sinne wird untersucht, wie prominent bestimmte ­Themen waren, wenn die Presse um 1900 über die imperiale Expansion schrieb. Welche Militäreinsätze etwa dominierten die Berichterstattung und ­welche standen im Schatten anderer Ereignisse? Welche Aufmerksamkeit widmete die Presse dem Ausbruch von Kriegen im Vergleich zu ihrem Ende? Wie groß war das Interesse an den Folgen der Militäreinsätze für die Zivilbevölkerung in den Kriegsgebieten? Welche Nachrichten schafften es auf die Titelseite, w ­ elche wurden nur kurz im hinteren Teil der Zeitung wiedergegeben? Über ­welche Ereignisse wurde kontinuierlich berichtet, über ­welche nur beim Eintreffen besonders dramatischer Nachrichten? Bei der Analyse der Darstellungsformen der Presse lässt sich diese Studie vom kommunikationswissenschaftlichen Konzept der ‚Deutungsrahmen‘ leiten (Englisch ‚frames‘, manchmal auch als ‚Raster‘ übersetzt). Diesem Ansatz zufolge strukturieren Deutungsrahmen einen Text. Laut Robert M. Entman geschieht dies folgendermaßen: Framing essentially involves selection and salience. To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text, in such a way as to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation, and/or treatment recommendation for the item described.66

Welche Raster die Zeitungsartikel strukturieren, lässt sich aufzeigen, indem man die dort vorgenommene Auswahl von Begriffen, Selbst- und Fremdbildern und Informationen herausarbeitet und analysiert, wie diese sich zu einem Komplex sich gegenseitig verstärkender Problemdefinitionen und Urteile verdichten. Inwieweit etwa wird bei Ausbruch von Aufständen in Kolonien der Schwerpunkt auf konkretes Regierungshandeln und etwaige Fehler der dortigen Administration gelegt? Oder richtet sich der Blick auf die kolonisierte Bevölkerung, deren scheinbare Rückständigkeit und angebliche Abneigung 65 Vgl. Östgaard, Factors, 1965; Galtung/Ruge, Structure, 1965; Erbring, Nachrichten, 1989; Kepplinger, Nachrichtenwert, 1998. 66 Vgl. Entman, Framing, 1993, Zitat S. 52.

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gegen jegliches Vordringen der ‚Zivilisation‘? Auf diese Weise kann darüber hinaus die historische Forschung zu Selbst- und Fremdbildern erweitert werden. Das Interesse gilt nun nicht mehr nur der Entstehung und dem Wandel bestimmter Repräsentationen über einen längeren Zeitraum, sondern auch deren Instrumentalisierung als Legitimationsressource für spezifische politische Forderungen.67 Somit trägt die medienwissenschaftliche Deutungsrahmenanalyse auch zur Untersuchung der politischen Kommunikation bei. Fokus dieser Studie ist hierbei die öffentliche Auseinandersetzung um die Legitimität der Militär­ einsätze in der außereuropäischen Welt und der imperialen Expansion im Allgemeinen sowie der Einfluss dieser Debatten auf die Reputation der verantwortlichen Regierungen. Die Analyse der politischen Auseinandersetzung fragt hier zum einen im oben skizzierten Sinne nach den Deutungsrahmen und damit verbundenen Argumentationsmustern, etwa der Rolle von völkerrechtlichen, moralischen oder ökonomischen Argumenten. Zum anderen wird untersucht, wie der Verlauf des Krieges die Popularität eines Militäreinsatzes beeinflusste, also wie sich das Eintreffen von Nachrichten über Erfolge oder Niederlagen, aber auch Nachrichten über die Art und Weise der Kriegsführung auf die öffentliche Debatte und die Zustimmung zur imperialen Expansion auswirkten.68 Bei einem solchen Ansatz muss sich die Untersuchung auf die Zustimmung zur imperialen Expansion in der Presse beschränken. Vereinzelt lassen sich weitere Quellen wie die Spitzelberichte der Hamburger Polizei heranziehen, die protokollierten, wie Arbeiter in Kneipen über Politik diskutierten. Ergänzend zur Zeitungsanalyse können ­solche Dokumente aufschlussreich sein.69 Aussagen über die Stimmung der gesamten Bevölkerung erlauben sie allerdings nicht. Meinungsumfragen, die es ermöglichen, die öffentliche Debatte mit der Stimmung in der Bevölkerung zu kontrastieren, gab es damals noch nicht. Allerdings steht diese Studie damit vor dem gleichen Dilemma wie die damaligen Politiker.

67 Zur politischen Instrumentalisierung von Selbst- und Fremdbildern vgl. Kaelble, Representations, 2012. 68 „Popularität“ wird hier immer im Sinne der Zustimmung zu einer Politik oder einem Militäreinsatz verstanden, nicht bezogen auf das Interesse und die Aufmerksamkeit, die Zeitungen einem Thema widmeten. 69 Evans (Hg.), Kneipengespräche, 1989, vgl. hierzu Bösch, Zeitungsberichte, 2004.

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Auch ihnen blieb zumeist nur der Blick in die Presse, um sich über die Popularität ihrer Politik zu informieren.70 Inwieweit der Blick in die Presse tatsächlich aufschlussreich für die Stimmung in der Bevölkerung sein kann, ist in der Medienwirkungsforschung höchst umstritten. Experimentelle Ergebnisse der Deutungsrahmenanalyse zeigen, wie sich Leser von den vorgegebenen Rastern leiten lassen.71 Dagegen betonen Arbeiten der Birmingham School die individuelle Aneignung des Zeitungsinhalts, die durchaus den Intentionen der Autoren widersprechen kann.72 Eine empirische Überprüfung der sich widersprechenden Annahmen ist hier nicht möglich. Deswegen wird die Frage der Medienwirkung gar nicht erst gestellt, aber dennoch versucht, sich der Stimmung in der Bevölkerung soweit wie möglich anzunähern. Dazu wird nicht nach der Wirkung der Medien auf die Meinung der Leserschaft gefragt, sondern vielmehr nach der Wirkung der (wahrgenommenen) Stimmung des Volkes auf Berichterstattung und öffentliche politische Debatten. Hierfür reicht es nicht, aufzuzeigen, w ­ elche Zeitungen w ­ elche Kriege und Interventionen unterstützten. Nur sehr selten änderte ein Presseorgan seine Position zu einzelnen Militäreinsätzen. In der Regel blieben die Zeitungen bei dem Kurs, den sie zu Beginn eines Krieges eingeschlagen hatten. Deswegen gilt es, die Zwischentöne zu beachten. Wann stellte etwa eine prokoloniale Zeitung Militäreinsätze und das Vorantreiben der kolonialen Expansion allgemein als wünschenswert dar und wann betonte sie eher defensiv die Notwendigkeit eines für unvermeidbar erklärten Krieges? Wann versuchten Politiker und Partei­ zeitungen, ein Thema zu meiden, und wann stellten sie es selbstbewusst in den Vordergrund, um ihre Gegner anzugreifen? Zudem wird analysiert, wie die Zeitungen selbst die Popularität der imperialen Militäreinsätze einschätzten. Wann stellten sie ihren Standpunkt als Meinung der gesamten Nation dar, wann räumten sie ein, eine aktuell unpopuläre Position zu vertreten und klagten über mangelnde Unterstützung für ihren Kurs? Bis zu einem gewissen Grade sind ­solche Ausführungen sicher Rhetorik, aber häufig verweisen sie durchaus darauf, wie ihre Autoren die Zustimmung der Bevölkerung zu dem von ihnen vertretenen Kurs bewerteten.

70 Vgl. Kaul, Reporting, 2003, S. 18 – 20. 71 Vgl. Entman, Framing, 1993, S. 56; Berinsky/Kinder, Making Sense of Issues, 2006. 72 Vgl. Mergel, Politisierte Medien, 2010, S. 45 f.

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Natürlich konnten Journalisten sich in ihrer Einschätzung der Leserschaft irren.73 Aber gerade kommerziell ausgerichtete Zeitungen mussten die Stimmung im Land und die Erwartungen ihrer Leserschaft berücksichtigen, um erfolgreich zu sein. Die Daily Mail etwa verfolgte zwar der politischen Überzeugung ihres Herausgebers entsprechend einen imperialistischen Kurs, war aber gezwungen, dies journalistisch so aufzubereiten, dass die Verkaufszahlen dabei nicht gefährdet wurden. Auch die eher traditionellen Parteizeitungen konnten allgemein vorherrschende Meinungen nicht ignorieren, wenn sie ihre politische Botschaft verbreiten wollten.74 Bei einer vorsichtigen Interpretation lässt sich die Berichterstattung also durchaus als Indiz für die Stimmung ihrer Leserschaft auswerten. Um darüber hinaus Aussagen zur Popularität der imperialen Expansion in der Bevölkerung treffen zu können, werden zudem öffentliche Versammlungen und Wahlen berücksichtigt. Die Auswahl der Zeitungen erfolgte mit dem Ziel, sowohl prokoloniale als auch imperialismuskritische Stimmen einzubeziehen. Neben den traditionellen ‚Qualitätszeitungen‘ werden auch die Ende des 19. Jahrhunderts neu entstandenen ‚Massenblätter‘ untersucht, um der Transformation der Medienlandschaft im behandelten Zeitraum gerecht zu werden. Für die englische Seite wurden hauptsächlich folgende Zeitungen ausgewertet: Die wohl meist beachtete Zeitung der damaligen Zeit, die konservative Times, die als regierungsnah galt und eine prokoloniale Linie vertrat; der renommierte linksliberale Manchester Guardian, der sich häufig imperialismuskritisch äußerte; die Pall Mall Gazette, die zu den Wegbereitern des neuen Journalismus gehörte, im behandelten Zeitraum aber schon den eher traditionellen Blättern zugeordnet werden kann und politisch im konservativen, prokolonialen Lager angesiedelt war; die beiden ‚Massenblätter‘ Daily Mail und Daily Express, die 1896 bzw. 1900 neu auf den Markt gebracht wurden und darauf setzten, mit einer patriotisch-­imperialistischen 73 Für einen Fall, bei dem die öffentliche Empörung der Medien sich signifikant von der Reaktion der Bevölkerung unterschied, vgl. Luhmann, Realität, 2004, S. 82 – 84. 74 Dabei sahen sich viele Journalisten regelmäßig mit der Stimmung breiter Bevölkerungskreise zu einzelnen politischen T ­ hemen konfrontiert, etwa weil sie als Mitarbeiter einer parteipolitischen Zeitung auch öffentlich Reden zu den tagesaktuellen ­Themen hielten, vgl. hierzu Sperlich, Journalist, 1983, S. 32 f., 53 – 62. Arthur Brehmer, Chefredakteur der Berliner Morgenpost von 1898 bis 1900, schrieb sogar seine Artikel in einem Café und unterhielt sich dort mit anderen Gästen, vgl. Mendelssohn, Zeitungsstadt Berlin, 1982, S. 163.

Einleitung

Berichterstattung möglichst viele Zeitungen zu verkaufen; sowie die eng mit der Arbeiterbewegung verbundene, imperialismuskritische Wochenzeitung Reynolds’s Newspaper. Für die deutsche Seite wurden folgende Zeitungen untersucht: die national­ liberale, prokoloniale Kölnische Zeitung, die gute Kontakte zum Auswärtigen Amt hatte und deswegen auch als ein Sprachrohr der Regierung galt; die Zentrumsblätter Germania und Kölnische Volkszeitung, die dem Kolonialismus zwar nicht ablehnend gegenüberstanden, aber häufig die Politik der Regierung kritisierten; das liberale und prokoloniale Berliner Tageblatt; der sozialdemokratische Vorwärts, der in Opposition zum Imperialismus stand; das Lokalblatt Freiburger Zeitung, das der nationalliberalen Partei nahestand, prokoloniale Positionen vertrat und auch Stellungnahmen der äußersten Rechten Platz einräumte; das 1889 gegründete, konservative ‚Massenblatt‘ Berliner Lokal-­Anzeiger, das die Kolonialpolitik unterstützte; sowie die 1898 als Konkurrenz zum Lokal-­Anzeiger auf den Markt gebrachte linksliberale Berliner Morgenpost, die in kolonialen Fragen keine einheitliche Linie vertrat. Weitere Quellen dienen vor allem der Kontextualisierung der vorgenommenen Presseanalyse. Archivquellen, Quelleneditionen und Parlamentsprotokolle werden herangezogen, um die in der Arbeit vertretenen Thesen zum Wandel der Popularität von Militäreinsätzen in der außereuropäischen Welt auf eine breitere Quellenbasis zu stellen.

Aufbau und Gliederung Die folgende Untersuchung ist in drei chronologische und drei thematische Kapitel aufgeteilt. Die drei chronologischen Kapitel beschäftigen sich jeweils mit einer abgrenzbaren Phase der Mediengeschichte der imperialen Expansion. Innerhalb dieser Teile widmen sich Unterkapitel ausgesuchten Fallbeispielen, abschließend wird dann jeweils die Entwicklung der wechselseitigen Wahrnehmung von Deutschland und England in dieser Phase und der Wandel der Popularität von imperialen Militäreinsätzen diskutiert. Nach Rückblicken auf die Mediengeschichte der kolonialen Expansion vor Beginn des eigentlichen Untersuchungszeitraums behandelt das erste Kapitel die zweite Hälfte der 1890er-­Jahre, in der sowohl die britische als auch die deutsche Regierung eine weitaus aktivere und aggressivere Politik in der außereuropäischen Welt verfolgten und die imperialistische Stimmung tendenziell zunahm. Untersucht werden auf britischer Seite der Feldzug im Sudan

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(1896 – 1899) und der Grenzkrieg in Indien (1897/98), auf deutscher Seite die Intervention in China (1897/98) sowie die Samoakrise (1899), die sowohl Deutschland wie England betraf. Das zweite Kapitel widmet sich dem Burenkrieg (1899 – 1902) und dem ­Boxerkrieg (1900/01), die beide die Presseberichterstattung der damaligen Zeit dominierten. Niemals zuvor und danach berichtete die Presse so intensiv über Imperialkriege. Zugleich bildete die Zeit um den Jahreswechsel 1900/01 den Höhe- und Wendepunkt der zuvor behandelten imperialistischen Aufbruchstimmung. Angesichts steigender Kosten und negativer Nachrichten sank die Begeisterung für ­solche Kriege, die Popularität von Militäreinsätzen und das Interesse an ihnen nahm generell ab. Damit weist die Untersuchung schon auf zentrale Aspekte des dritten Kapitels hin. Hier wird herausgearbeitet, wie sich die Debatten über die Legitimität von Militäreinsätzen und die Popularität der imperialen Expansion nach der Jahrhundertwende wandelten. Behandelt werden die britischen Militärexpeditionen in Somalia (1901 – 1904) und Tibet (1903/04), der deutsche Kolonialkrieg in Südwestafrika (1904 – 1907), die ‚Unruhen‘ in Samoa (1909) sowie schließlich die wechselseitige englisch-­deutsche Wahrnehmung im Kontext der imperialen Expansion von der Venezuelakrise (1902/03) bis zur Zweiten Marokkokrise (1911). Hier lässt sich zeigen, wie sehr sich die negativen Selbst- und Fremdbilder Englands und Deutschlands im Kontext imperialistischer Interventionen und Rivalitäten verfestigt hatten. Zudem war die Zweite Marokkokrise der letzte (gescheiterte) Versuch der deutschen Regierung, durch eine imperialistische Intervention an Prestige zu gewinnen. Im Anschluss an jeden der drei chronologischen Teile befasst sich jeweils ein Kapitel systematisch mit einem ausgewählten Aspekt für den gesamten behandelten Zeitraum. Das erste geht der Frage nach, wie sich der Wandel der Medienlandschaft, also die Entstehung neuer ‚Massenblätter‘ und die telegraphische Vernetzung der Welt, auf die Berichterstattung über die imperiale Expansion auswirkte. Das zweite widmet sich den in der Presse zum Vorschein kommenden Selbst- und Fremdbildern in ihren globalen Kontexten, etwa den Darstellungen Abessiniens, Japans, der Vereinigten Staaten und Europas. Im dritten werden die in der öffentlichen Debatte verwendeten Deutungsrahmen und Argumentationsmuster analysiert und auf ihre politische Bedeutung hin befragt.

Einleitung

Die vorliegende Studie untersucht auf diese Weise die Wahrnehmung der imperialen Expansion systematisch vergleichend und kontinuierlich über einen längeren Zeitraum. Mit dem Fokus auf Zeitungen steht das Leitmedium der damaligen Zeit im Zentrum. Das Spektrum der in der Presse zum Vorschein kommenden Darstellungen und Stimmen erlaubt es dabei, ein differenziertes Bild der Rückwirkungen der imperialen Expansion zu zeichnen. Neben kolonialer Propaganda kommen auch kritische Positionen zu Wort. Es können Konjunkturen von imperialer Begeisterung wie Skepsis aufgezeigt werden. So wird auch der Frage nachgegangen, wie Gesellschaften mit Kriegen umgehen, die in ihrem Namen in fernen Weltregionen geführt werden. Die eingangs vorgestellte Karikatur erinnert uns daran, dass die Wahrnehmung solcher Kriege bestimmten Rastern folgt. Diese Studie stellt sich der impliziten Aufforderung der Karikatur, diese Raster zu reflektieren. Anhand der Analyse typischer Deutungsrahmen der Presseberichterstattung und der politischen Debatte zeigt sie, wann eine Regierung große Unterstützung für den Einsatz von Gewalt mobilisieren kann, wann sie mit Kritik rechnen muss und wann Kriege in fernen Weltregionen nur sporadisch in der Zeitung auftauchen, ohne politische Kontroversen auszulösen.

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1 Imperialistische Aufbruchstimmung 1896 – 1899 Sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland kamen Mitte der 1890er-­Jahre Politiker an die Macht, die für eine aktive Imperialpolitik standen. Infolgedessen beeinflussten Ereignisse in der außereuropäischen Welt wesentlich die politischen Debatten in beiden Ländern. Insgesamt nahm in dieser Zeit die Begeisterung für die imperiale Expansion zu, wenngleich es immer auch skeptische Stimmen und Kritik an der Regierungspolitik gab. Diese Entwicklung soll zuerst für England herausgearbeitet werden. Um die neue Dimension der imperialistischen Aufbruchstimmung erfassen zu können, wird zunächst die Wahrnehmung des Empires in der englischen Öffentlichkeit in der Zeit davor, von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn der 1890er-­Jahre, skizziert. Danach werden die beiden britischen Kolonialkriege behandelt, denen die Presse in der zweiten Hälfte der 1890er-­Jahre die größte Aufmerksamkeit widmete: Der Feldzug in den Sudan (1896 – 99) und der Aufstand an der Indischen Grenze (1897/98).1 Der Sudankrieg war dabei nicht nur die mit Abstand meist beachtete Militäroperation im behandelten Zeitraum, er stieß in der Öffentlichkeit auch auf die höchste Zustimmung, sodass ihm entscheidende Bedeutung für die folgende Zunahme der imperialistischen Stimmung zukam. Im Unterschied dazu sorgte der Aufstand an der indischen Grenze vor allem für schlechte Nachrichten über die imperiale Expansion, sodass sich an ihm typische Deutungsmuster unpopulärer Kolonialkriege aufzeigen lassen. Auch für Deutschland wird zunächst die öffentliche Wahrnehmung der Kolonialpolitik bis zum Beginn des Untersuchungszeitraums behandelt. Im Zentrum der Untersuchung stehen danach die Intervention in China und die damit verbundene Annexion Kiautschous (1897/98). Keine deutsche imperiale Militär­ aktion stieß zu dieser Zeit auf größeres Interesse der Presse, sodass die deutsche

1 Die Volltextsuche nach dem Begriff „Sudan/Soudan“ (13. 3. 1896 – 6. 6. 1899) im Times Digital Archive ergibt insgesamt 2106 Treffer, die Suche nach den Begriffen „India“ und „Frontier“ (27. 7. 1897 – 7. 4. 1898) 660 Treffer. Der am dritthäufigsten beachtete Kolonialkrieg war die Rebellion in Sierra Leone („Sierra Leone“, 26. 2. 1898 – 27. 7. 1899: 457 Treffer), die in Kap. 1.8 und Kap. C thematisiert wird.

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Chinapolitik die Debatte über die neue ‚Weltpolitik‘ entscheidend prägte.2 Im Anschluss wird die Samoakrise (1899) untersucht, bei der infolge einer anglo-­ amerikanischen Militäraktion die britischen und deutschen imperialen Interessen kollidierten. Dieser von den Zeitungen rege diskutierte Konflikt ist nicht nur aufschlussreich für die wechselseitige Wahrnehmung beider Länder, dem Deutschen Kaiserreich gelang zudem mit dem Erwerb Samoas der größte imperialistische Erfolg seit der Annexion Kiautschous.3 Im Folgenden wird die wechselseitige englisch-­deutsche Wahrnehmung systematisch behandelt. Zu dieser Zeit war die Entwicklung der Beziehungen beider Länder noch nicht in dem Maße festgelegt wie nach der Jahrhundertwende, gerade das englische Deutschlandbild wandelte sich vor 1900 mehrfach. Das Ende ­dieses Kapitels befasst sich mit dem Wandel der Popularität der imperialen Expansion in England und Deutschland. Neben der wachsenden Zustimmung zu dieser Politik sind auch skeptische Stimmen und gegenläufige Entwicklungen festzuhalten.

1.1 Das Empire in den Medien seit dem Indischen Aufstand Schon bevor sich Ende des 19. Jahrhunderts die imperialen Rivalitäten zuspitzten und Zeitungen wie die Daily Mail darauf setzten, mit den Th ­ emen Krieg und Kolonialismus alle bisherigen Verkaufs- und Auflagenrekorde zu brechen, zogen Militäreinsätze im Britischen Empire die Aufmerksamkeit der Medien auf sich. Am meisten Aufsehen erregte der Indische Aufstand 1857. Zu Beginn des Konflikts gab es zunächst durchaus Kritik an der britischen Kolonialverwaltung, deren Politik für den Aufstand verantwortlich gemacht wurde. In England eintreffende Berichte über die Ermordung ‚weißer‘ Frauen und ­Kinder führten jedoch zu einer breiten Unterstützung für die Niederschlagung des Aufstands, die mit einer Dämonisierung des Gegners sowie einer Glorifizierung des britischen Militärs einherging.4 Insbesondere die Massaker infolge der

2 Zur gleichen Zeit fand zudem eine imperialistische Intervention in Haiti statt, vgl. hierzu Kap. 1.8. 3 Die Volltextsuche nach „Samoa“ (29. 3. 1899 – 10. 11. 1899) im Times Digital Archive ergibt insgesamt 212 Treffer. 4 Vgl. Nünning, ‚Daß jeder seine Pflicht thue‘, 1996, S. 370 f., 379 – 386; MacKenzie, ­Heroic Myths, 1992, S. 116 – 125; Ders., Empire, 1999, S. 280 – 282; Peters, ‚Double dyed Traitors

Das Empire in den Medien seit dem Indischen Aufstand

Belagerung von Kanpur prägten sich in die kollektive Erinnerung ein.5 Zahlreiche Gerüchte über angebliche indische Grausamkeiten erhöhten darüber hinaus die Dramatik der Berichterstattung. Vor allem Nachrichten über die Vergewaltigung britischer Frauen prägten die zeitgenössische Wahrnehmung, sie konnten später aber nicht belegt werden.6 Ungeachtet aller Gerüchte ist es jedoch unbestritten, dass es auf beiden Seiten zum Einsatz rücksichtsloser Gewalt kam.7 Infolgedessen erreichten auch Informationen über die unbarmherzige britische Kriegsführung die englische Presse. Diese konnten den vorherrschenden Ruf nach Vergeltung zwar nicht verdrängen, führten jedoch in Teilen der heimischen Öffentlichkeit auch zu Kritik und Unbehagen über die eigene Rolle im Konflikt.8 Der Indische Aufstand sollte die Medien in der Folgezeit immer wieder beschäftigen, er wurde ein fester Bestandteil der britischen Erinnerungskultur.9 Insgesamt blieb das Interesse am Empire jedoch gering, imperiale Expansion und Intensivierung der kolonialen Herrschaft waren keine offensiv propagierten politischen Ziele zur Mitte des 19. Jahrhunderts. In der englischen Öffentlichkeit wie in der Londoner Politik galt es nicht als erstrebenswert, das Territorium des Empires zu vergrößern. Zwar wurde auch in dieser Zeit der britische Machtbereich mittels Annexionen ausgeweitet, aber die Initiative hierzu kam in der Regel von den ‚men on the spot‘ in der Peripherie, teilweise entgegen ausdrücklicher Anweisungen

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and Infernal Villains‘, 2000, S. 113 – 120; Pionke, Plots, 2004, S. 88; Pratt, Ernest Jones’ Mutinity, 2006, S. 88 – 90, 92, 97 f. Vgl. Park, ‚The Story of Our Lives‘, 2000, S. 88; Herbert, War, 2007, S. 182 – 194. Vgl. Mukherjee, ‚Let Satan Loose upon Earth‘, 1990, S. 115 f.; English, Kanpur Massacres, 1994, S. 174; Nünning, ‚Daß jeder seine Pflicht thue‘, 1996, S. 370, 375 f.; Peters, ‚Double dyed Traitors and Infernal Villains‘, 2000, S. 188, 124; Pratt, Ernest Jones’ Mutinity, 2006, S. 97 f.; Herbert, War, 2007, S. 69 – 7 1. Einer Forschungsposition zufolge war das Massaker von Kanpur auch eine Reaktion auf die ähnlich grausame britische Kriegsführung, vgl. Mukherjee, ‚Let Satan Loose upon Earth‘, 1990, S. 111 f., Ders., Kanpur Massacres, 1994, S. 182; kritisch hierzu English, ­Kanpur Massacres, 1994, S. 174. Zur Dominanz des Rufs nach Vergeltung vgl. Nünning, ‚Daß jeder seine Pflicht thue‘, 1996, S. 370 f., 374. Zur Kritik vgl. Pratt, Ernest Jones’ Mutinity, 2006, S. 98; Herbert, War, 2007, S.  81 – 86, 93 – 95, 104 f. Zur Erinnerung an den Indischen Aufstand vgl. Forman, Peking Plots, 1999, S. 20, 23; Park, ‚The Story of Our Lives‘, 2000; Wagner, ‚Treading Upon Fires‘, 2013, S. 168 – 170.

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der Metropole.10 In Großbritannien war ‚free trade‘ das vorherrschende politische Dogma. Ziel war, den Freihandel in der ganzen Welt zu verbreiten, nicht das formal beherrschte Territorium in der nichteuropäischen Welt zu vergrößern. Da die Briten zur Öffnung freier Märkte regelmäßig ihre Kanonenboote einsetzten, wird diese Politik in der Forschung als informeller Imperialismus oder Freihandelsimperialismus bezeichnet. Aus Perspektive der Zeitgenossen ging es aber nicht um die Erweiterung des imperialen Herrschaftsbereichs, sondern um das Vorantreiben eines ohnehin unausweichlichen globalen Trends, des Freihandels.11 In einigen Gebieten des Empires kam es dessen ungeachtet zu Widerstand gegen die Kolonialherrschaft. Der bekannteste Fall ist wohl der Morant-­Bay-­Aufstand 1865 in Jamaika, dessen blutige Niederschlagung zu einer Kontroverse über die Politik des Gouverneurs Edward John Eyre in Großbritannien führte.12 In den späten 1860er-­Jahren lassen sich erste Verschiebungen in der Wahrnehmung der globalen Rolle Großbritanniens feststellen. Einige Publizisten forderten eine aktivere imperiale Politik.13 Auf der politischen Bühne verkörperte Benjamin Disraeli diesen Kurs. Als Schatzkanzler war er der Architekt des britischen Feldzugs gegen Abessinien (1867/1868). Anlass d ­ ieses Kriegs war die Geiselnahme des britischen Konsuls vor Ort, Charles Cameron, sowie einiger weiterer Europäerinnen und Europäer durch den abessinischen Herrscher Theodor II. im Jahre 1864.14 Nachdem die Nachricht hierüber Großbritannien erreichte, nahmen trotz der zu dieser Zeit grundsätzlich wenig kriegsfreudigen englischen Öffentlichkeit die Rufe nach einer militärischen Expedition zur Befreiung der Geiseln zu. Disraeli sah nun in der Geiselnahme eine Chance für die Regierung, in Zeiten innenpolitischer Spannungen Stärke zu demonstrieren. Es kam zu einer sorgfältigen Inszenierung der großangelegten Kampagne, zahlreiche Journalisten, Wissenschaftler und europäische Militärbeobachter 10 Vgl. Galbraith, The „Turbulent Frontier“, 1960, bes. S. 156 – 163; Gough, „Turbulent ­Frontiers“, 1972; Smith, Lagos Consulate, 1974, S. 402, 410 – 414; Hopkins, Property Rights, 1980, S. 788 f.; Saunders/Smith, Southern Africa, 1999, S. 603 f. 11 Vgl. Gallagher/Robinson, Imperialism, 1953, bes. S. 5 f., 8 – 12; Osterhammel, Kolonialismus, 2001, S. 23 – 26, 39; Porter, The Absent-­Minded Imperialists, 2004, S. 94 – 96, 104 – 109. 12 Vgl. ebd., S. 99 f.; Heuman, Art. Eyre, Edward John, in: ODNB, 2004/2008. 13 Vgl. Harcourt, Disraeli’s Imperialism, 1980, S. 108; Webster, Debate, 2006, S. 34 – 36; Berenson, Heroes, 2011, S. 85. 14 Zur Geiselnahme und der diplomatischen Vorgeschichte des Krieges vgl. Matthies, Unternehmen Magdala, 2010, S. 21 – 28.

Das Empire in den Medien seit dem Indischen Aufstand

begleiteten die Truppen. Die glückliche Befreiung der Geiseln – Theodor II. ließ sie in vergeblicher Hoffnung auf eine diplomatische Beilegung des Konflikts in letzter Minute frei – und den militärischen Sieg über den abessinischen Gegner feierte man in Politik und Öffentlichkeit schließlich als großen Erfolg, wenngleich es auch Kritik am britischen diplomatischen Vorgehen im Vorfeld des Kriegs und an den Kosten des Militäreinsatzes gab.15 Als Premierminister (1874 – 1880) setzte Disraeli auf das Empire zum Prestige­ gewinn für Land und Regierung, etwa durch die Ernennung der englischen Königin Victoria zur ‚Empress of India‘.16 In seiner Amtszeit fanden die Begriffe ‚Imperialismus‘ und ‚Jingoismus‘ Eingang in die politische Auseinandersetzung. Letzterer ging auf den Song ‚By Jingo‘ zurück, den G. W. Hunt 1877 während des Russisch-­ Türkischen Krieges geschrieben hatte. Das Lied beschwor Großbritanniens Kriegsbereitschaft gegen ein auf Konstantinopel vorrückendes Russland und erfreute sich in den music halls großer Beliebtheit. In der politischen Debatte verwendeten vor allem Disraelis Gegner den Begriff ‚Jingoismus‘, der seit dieser Zeit für aggressive nationalistische und imperialistische Außenpolitik steht. Die Anhänger einer aktiveren Imperialpolitik verwendeten hingegen den Begriff ‚Empire‘, um ihren Standpunkt zu verdeutlichen.17 Tatsächlich lässt sich die Politik Disraelis in der außereuropäischen Welt aus historischer Perspektive durchaus in der Tradition seiner Vorgänger einordnen. So waren die beiden Kolonialkriege in Afghanistan (1878 – 80) und Südafrika (1880/81) zum Ende seiner Amtszeit nicht die Folge seiner Politik, sondern das Werk ambitionierter ‚men on the spot‘, die ohne Autorisierung aus London handelten. Dennoch führten Disraelis rhetorisches Bekenntnis zum Empire und die Entwicklung in den Kolonien dazu, dass die liberale Opposition ihm eine Politik der territorialen Annexionen vorwarf. In den Wahlen 1880 war die Opposition unter William Ewart Gladstone mit ­diesem Kurs erfolgreich, auch weil die zeitweise populäre Politik Disraelis durch Rückschläge und Niederlagen in Afghanistan und Südafrika an Zustimmung verloren hatte.18

15 Vgl. Harcourt, Disraeli’s Imperialism, 1980; Matthies, Unternehmen Magdala, 2010, bes. S.  35 – 40, 49 – 54, 67 – 73, 149 – 158, 168 f. 16 Vgl. Durrans, A Two-­Edged Sword, 1982, S. 263. 17 Vgl. Cunningham, Jingoism, 1971, S. 429 f., 447; Ders., Jingoism, 1983, S. 190; Durrans, A Two-­Edged Sword, 1982, bes. S. 262, 277; Summerfield, Patriotism, 1986, bes. S. 25 f. 18 Vgl. Durrans, A Two-­Edged Sword, 1982, S. 263 – 267.

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Gladstone galt wie kaum ein anderer Politiker als expansionsfeindlich. Er trat sein Amt als Premierminister mit dem Vorhaben an, Annexionen in der nichteuropäischen Welt zu vermeiden. Doch unter seiner Regierung kam es zu einer folgenreichen Militäraktion, die wesentliche Bedeutung für die weitere britische Imperialgeschichte haben sollte: Als in Ägypten der Widerstand gegen die imperialistische Einflussnahme der europäischen Staaten wuchs, setzte sich der imperialistische Flügel der liberalen Partei durch, und es kam 1882 zur Besetzung Ägyptens. Gladstone selbst rechtfertigte die Militäraktion mit Verweis auf ein Massaker an Europäern in Alexandria und die Instabilität des Landes. Dabei hoffte er zusammen mit den linksliberalen Mitgliedern seiner Regierung zunächst, dass die Besetzung nur temporär sei. Tatsächlich sollte die Okkupation noch Jahrzehnte andauern und zu einer Verschlechterung der Beziehungen mit Frankreich führen.19 Zudem sah sich Großbritannien in seiner Rolle als Besatzungsmacht mit der Erosion der ägyptischen Herrschaft im Sudan konfrontiert. Dort gewann eine religiöse Bewegung unter Muhammad Ahmad, dem ‚Mahdi‘, an Zulauf und fügte der ägyptischen Armee herbe Niederlagen zu. Große Teile des politischen Establish­ments in London, Premierminister Gladstone eingeschlossen, standen einem verstärkten Engagement in Ägypten skeptisch bis ablehnend gegenüber. Aber eine von der Pall Mall Gazette initiierte Pressekampagne zwang die Regierung zur Entsendung des Offiziers Charles George Gordon in den Sudan, der zuvor schon im Dienste des ägyptischen Khediven in dieser Region tätig gewesen war. Offiziell war Gordon mit dem vage definierten Auftrag betraut, die Evakuierung der Ägypter zu organisieren. Im März, kurz nach seiner Ankunft in Khartum im Februar 1884, umzingelten die aufständischen Mahdisten die Stadt, Gordon war eingeschlossen. In England kam daraufhin die Forderung nach einer militärischen Expedition zur Unterstützung Gordons auf. Gladstone sträubte sich zunächst gegen einen solchen Schritt, im August gab er jedoch nach und stimmte einer Rettungsexpedition nach Khartum zu. Doch zwei Tage bevor die Expedition in Sichtweite Khartums gelangt war, stürmten die Mahdisten die Stadt. Dabei wurde auch Gordon getötet. Die Nachricht von seinem Tod führte im Februar 1885 in England zu großer Empörung über das späte und zögerliche

19 Für unterschiedliche Interpretationen der Ursachen und Folgen der Besetzung Ägyptens vgl. Robinson u. a., Africa, 1961, S. 76 – 159; Hopkins, Victorians, 1986.

Das Empire in den Medien seit dem Indischen Aufstand

Handeln der Regierung, der wütende Kritiker vorwarfen, für die Tragödie im Sudan verantwortlich zu sein.20 Die unmittelbaren politischen Folgen der zeitweise großen Empörung über den Tod Gordons waren allerdings begrenzt. Trotz öffentlicher Forderungen, Gordon zu rächen, Ägypten im Sudan zu verteidigen und einen Krieg gegen den Mahdi zu führen, beschloss das Kabinett im April 1885 die Räumung des Sudans. Auch die folgenden konservativen Regierungen (Juni 1885 bis Februar 1886 und Juli 1886 bis August 1892) unternahmen zunächst keine Schritte, um eine Wiedereroberung des Sudans einzuleiten. So blieb die immense Aufmerksamkeit, die die Presse dem Schicksal Gordons gewidmet hatte, zunächst eine Ausnahme in der Berichterstattung über Afrika und andere nichteuropäische Regionen.21 Tendenziell nahm in den 1880er- und 1890er-­Jahren im Kontext der zunehmenden Rivalitäten mit anderen europäischen Staaten um die ‚Aufteilung Afrikas‘ die Unterstützung für das Empire und die koloniale Expansion aber zu.22 Dass sich zumindest in Teilen der Presse zunehmend eine imperialistische Stimmung durchsetzte, zeigt die Berichterstattung über den ­Ersten Matabelekrieg 1893. Dieser war eine Folge des Vordringens der von Cecil Rhodes gegründeten British South Africa Company (BSAC) in das Territorium nördlich des 20 Vgl. Johnson, The Death of Gordon, 1982; Davenport-­Hines, Art. Gordon, Charles George, in: ODNB, 2004/2011; Berenson, Heroes, 2011, S. 83 – 121. In der Forschung wird Gordons Einsatz im Sudan häufig als Schlüsselereignis für die sich wandelnde Einstellung zur imperialen Expansion in England angesehen. In ihrer Monographie zur Geschichte der Times urteilen Oliver Woods und James Bishop: „For The Times the Gordon ­episode was an important turning-­point. From this time dates the beginning of its definitive identification with British imperialism.“ Dies., Story, 1983, S. 135. Auch Edward Berenson konstatiert einen Wandel in der britischen Wahrnehmung der außereuropäischen Welt: Gerade weil Gordon in der britischen Öffentlichkeit als Person galt, die durch persönliches Charisma die ‚Zivilisation‘ verbreitet und über nicht-­europäische Völker herrschen kann, führte sein Tod dazu, dass die Idee einer friedlichen Verbreitung der ‚Zivilisation‘ an Zustimmung verlor. In der britischen Öffentlichkeit wie bei den Eliten verbreitete sich eine aggressivere Geisteshaltung und der Einsatz von Gewalt wurde immer häufiger als notwendig erachtet, vgl. Ders., Heroes, 2011, S. 13, 120 f. 21 Vgl. Robinson u. a., Africa, 1961, S. 24, 154 f.; Steele, Lord Salisbury, 1998, S. 15 – 20; zu den Racheforderungen der Presse nach dem Tod Gordons vgl. auch Berenson, Heroes, 2011, S.  113 f. 22 In der Forschung werden insbesondere das Goldene Thronjubiläum Victorias 1887 und das Diamantene Thronjubiläum 1897 als wichtige Beiträge zur Popularisierung des Empire­ gedankens gewertet, vgl. MacKenzie, Propaganda, 1984, S. 4 f., 8, 27.

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Flusses Limpopo, dem späteren (Süd-)Rhodesien und heutigen Simbabwe. Die Präsenz der BSAC in ­diesem Gebiet stellte einen neuen machtpolitischen Faktor ­zwischen den dort lebenden Völkern der Shona und der Ndebele (zeitgenössisch: Matabele) dar. Der Verwalter der BSAC, Leander Starr Jameson, nutzte einen Angriff der Ndebele auf die Shona in der Nähe der Siedlung Fort Victoria, um gegen das Matabele-­Königreich vorzugehen. Obwohl der König der Ndebele, Lobengula Khumalo, einen Krieg zu vermeiden versuchte, konnte Jameson den Gouverneur der Kapkolonie, Sir Henry Loch, von der Notwendigkeit eines Militäreinsatzes überzeugen. Die britischen Truppen besiegten die Ndebele nicht zuletzt mithilfe ihrer Maxim-­Maschinengewehre und erweiterten damit das Territorium der BSAC.23 In der Öffentlichkeit löste das britische Vorgehen durchaus kontroverse Debatten aus. Die Unterstützer einer expansiven Imperialpolitik schilderten den Krieg als heroischen Siegeszug der ‚Zivilisation‘ gegen die ‚Barbarei‘. Humanitäre Organisationen und liberale Medien äußerten sich jedoch kritisch. Besonders der Abgeordnete Henry Labouchere und seine Wochenzeitung Truth kritisierten die Mitglieder der BSAC als gierige Eroberer, die brutal und unmoralisch vorgingen. So berichtete ein Korrespondent der Zeitung unter Berufung auf einen am Feldzug teilnehmenden Offizier, dass verwundete Kriegsgegner getötet worden s­ eien. In den Regierungskreisen allerdings ignorierte man Laboucheres Kritik, im House of Commons lachten die Konservativen ihn aus. Der Reuters-­Korrespondent Charles Norris-­Newman, der über den Feldzug berichtete, hielt die verwendeten Methoden bei der Eroberung zwar für bedauerlich, für ihn letztlich entscheidend aber war der immense Gewinn für das Empire. Proimperiale Zeitungen wie die Times und die Pall Mall Gazette feierten den Krieg als Siegeszug der ‚Zivilisation‘. Nicht zuletzt das verbreitete Bild der ‚wilden‘ und ‚barbarischen‘ Ndebele, die die wehrlosen Shona brutal angriffen, legitimierte den Militäreinsatz.24 In einem Rückblick auf die Ereignisse interpretierte die Times den Vormarsch der BSAC als Beleg für den Siegeszug der proimperialistischen Stimmung in Großbritannien. Anlass bot ihr ein Vortrag von Jameson im Imperial Institute vom 28. Januar 1895, den sie am Tag darauf abdruckte. In ­diesem schilderte Jameson die Ausweitung des britischen Herrschaftsbereichs als den Verdienst

23 Vgl. Phimister, Art. Lobengula Khumalo, in: ODNB, 2004. 24 Vgl. MacDonald, Language, 1994, S. 120 – 135.

Das Empire in den Medien seit dem Indischen Aufstand

eines Mannes, Cecil Rhodes. Dieser habe in einer Zeit, als die „‚Little England‘ policy […] in full force“ gewesen sei, das Territorium für das Empire gesichert. Dadurch sei „a liveable country, a country where white men and women can live, where white children can be reared in health and vigour“ erworben worden, welches aufgrund seiner Bodenschätze und Umwelt die besten wirtschaftlichen Zukunftsaussichten habe. Auch für die dortige afrikanische Bevölkerung habe die Eroberung nur positive Auswirkungen. Die ehemaligen Kriegsgegner s­ eien nun „a quiet and peaceable body of citizens“, ihre Führer „thankful the past régime is over, and […] thoroughly grateful for the protection of the civilized government under which they are living“.25 In ihrem Kommentar zu dem Vortrag schloss sich die Times der positiven Einschätzung der Ereignisse an: The advance into Matabeleland and the inevitable conflict with Lobengula appealed in a somewhat similar way to the imagination of our people. The flavour of romance and adventure was irresistible. Mr. Rhodes and Dr. Jameson and the brave men who served under their orders have given the ‚Little England‘ spirit a blow from which it will not lightly recover.26

Auch die konservative Pall Mall Gazette unterstützte Jameson und Rhodes, eine Position, die sie auch in den „difficult times of the unpopular Matabele War“ immer vertreten habe.27 Die Formulierung „unpopulärer Matabelekrieg“ lässt es zwar zweifelhaft erscheinen, dass das Vorgehen der BSAC eine so ungeteilte Zustimmung erhalten hatte, wie es die Times rückblickend darstellte. Wenn die Pall Mall Gazette allerdings nicht ohne Stolz schrieb, dass sie schon immer an den Erfolg der Aktion geglaubt habe, spricht dies dafür, dass sich letztlich eine positive Deutung der Ereignisse durchgesetzt hatte. Allerdings sollte man die Wirkung ­dieses Krieges auf die politische Kultur in Großbritannien nicht überbewerten. Bei den Wahlen im August 1895 gewann zwar das Bündnis aus Konservativen und Liberalen Unionisten, das der imperialen Expansion positiver gegenüberstand als die unterlegenen Liberalen.28 Die

25 26 27 28

Dr. Jameson on South Africa, in: The Times, Nr. 34486, 29. 1. 1895, S. 10. Rhodesia and Its Makers, in: The Times, Nr. 34486, 29. 1. 1895, S. 9. O. T., in: The Pall Gazette, Nr. 9313, 29. 1. 1895, S. 2. Für Unterschiede in der Bewertung der Rolle des Empires ­zwischen Unionisten und Liberalen vgl. die Times-­Kommentare zu Wahlreden von Arthur Balfour und Henry

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Imperialistische Aufbruchstimmung 1896 – 1899

Expansion des Empires spielte jedoch im Wahlkampf kaum eine Rolle, entscheidend waren innenpolitische ­Themen und die Zukunft Irlands.29 Zudem gehörte der vorherige Premierminister Rosebery zum imperialistischen Flügel der liberalen Partei, seine kolonialpolitischen Ziele unterschieden sich nicht wesentlich von denen des neuen Premierministers Salisbury. Aber die neue Regierung war in diesen Fragen im Gegensatz zu ihrer Vorgängerregierung nicht gespalten und konnte sich auf eine solide parlamentarische Mehrheit stützen, sodass nun ein weitaus entschlosseneres Handeln in den außereuropäischen Weltregionen möglich war. Zudem gehörte mit dem Liberalen Unionisten Joseph Chamberlain ein Kolonialminister der Regierung an, der imperialistischer dachte, als es zuvor in Großbritannien üblich war. Er setzte sich nicht nur dann für eine Ausweitung des britischen imperialen Herrschaftsbereichs ein, wenn die Sicherheitsinte­ ressen des Empires es zu erfordern schienen. Chamberlain war ein überzeugter Expansionist, Erweiterung und Intensivierung der britischen Kolonialherrschaft waren für ihn ein grundsätzlich erstrebenswertes Ziel.30 Insbesondere den britischen Territorien in Westafrika maß Chamberlain eine hohe Bedeutung zu, und er unterstützte die koloniale Expansion ins Innere Afrikas, um die eigenen Machtansprüche gegenüber Frankreich zu behaupten. Entgegen der britischen Tradition setzte er sich für Investitionen in die Kolonien ein. Diese Politik der Expansion und Intensivierung der Kolonialherrschaft stieß vielerorts auf Widerstand. So kam es in der zweiten Hälfte der 1890er-­Jahre zu zahlreichen Kolonialkriegen in Westafrika, die die Medien durchweg thematisierten. Im Unterschied zur Politik seiner Vorgänger stellte ­Chamberlain etwa Ende 1895 Geld für einen weiteren Krieg gegen die Aschanti bereit, der den eigenen Machtbereich gegen konkurrierende Ansprüche sichern sollte. In Nigeria erhöhte er die militärische Präsenz des Empires, um das französische Vordringen ins Innere Westafrikas zu blockieren. Im Gegensatz zu seinen Kabinettskollegen

Campbell-­Bannerman: Mr. Balfour in Manchester, in: The Times, Nr. 34476, 17. 1. 1895, S. 9; Political Oratory, in: The Times, Nr. 34477, 18. 1. 1895, S. 7. 29 Vgl. Readman, The 1895 General Election, 1999, dort auf S. 492 f. eine Übersicht, wie häufig Konservative und Liberale Unionisten auf der einen und Liberale auf der ­anderen Seite ­welche T ­ hemen erwähnten. Bei den Konservativen und Liberalen Unionisten kommt das Empire auf den 18. Platz, bei den Liberalen kommt es nicht vor. 30 Vgl. Robinson u. a., Africa, 1961, S. 339 f.; Davis, Art. Primrose, Archibald Philip, in: ODNB, 2004/2011; Marsh, Art. Chamberlain, Joseph, in: ODNB, 2004/2011.

Das Empire in den Medien seit dem Indischen Aufstand

war er bereit, für den Besitz dieser Region einen ernsthaften Konflikt mit Frankreich zu riskieren.31 Neben der kolonialen Expansion trug auch die internationale Entwicklung dazu bei, dass schon kurz nach Amtsantritt der neuen Regierung imperiale ­Krisen und Konflikte in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit rückten. So sah sich die unionistische Regierung mit einer Intervention der USA in einem Grenzkonflikt ­zwischen Venezuela und Britisch-­Guayana konfrontiert, der Ende des Jahres zu einer diplomatischen Krise z­ wischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten eskalierte. Die USA forderten eine Lösung des Disputs durch Schlichtung und verwiesen dabei auf die Monroe-­Doktrin, die auf eine Rede des US-Präsidenten James Monroe aus dem Jahre 1832 zurückging. In dieser hatte er die europäischen Mächte vor einer Rekolonisierung der unabhängig gewordenen Staaten Südamerikas gewarnt. Infolge der in den 1890er-­Jahren zunehmenden machtpolitischen Aktivitäten der USA in Südamerika interpretierte die Regierung in Washington die Doktrin jedoch weitergehender und stellte sich auch gegen andere Formen der imperialistischen Einflussnahme europäischer Staaten. London akzeptierte im Folgejahr die Forderung einer Beendigung des Grenzkonflikts durch Schlichtung – eine Einigung, die in der britischen Öffentlichkeit parteiübergreifend begrüßt wurde.32 Dass die anfängliche öffentliche Empörung über die Einmischung der Vereinigten Staaten schnell abkühlte, lag auch daran, dass sich im Januar 1896 Englands Entrüstung ganz auf Deutschland konzentrieren konnte.33 Anlass hierfür war die Reaktion ­Kaiser Wilhelms II. auf den ‚Jameson Raid‘ im südlichen Afrika: Der schon erwähnte Leander Starr Jameson fiel ohne offizielle Autorisierung aus London am 29. Dezember 1895 mit 400 Mann unter dem Vorwand, englische Landsleute in Transvaal schützen zu wollen, in die Burenrepublik ein. Hintergrund waren jedoch die wachsende wirtschaftliche Stärke und der umstrittene völkerrechtliche Status der Burenrepublik, die in den 1890er-­ Jahren die strategische Kontrolle des Empires über die Region bedrohten und zu sich verschärfenden Konflikten ­zwischen Briten und Buren führten. Der Angriff auf die Republik Transvaal endete schon am 2. Januar 1896 mit einem 31 Vgl. Robinson u. a., Africa, 1961, S. 395 – 409. 32 Vgl. Humphreys, Presidential Address, 1967; Boyle, Venezuela Crisis, 1978, sowie etwa Real, not Mock, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9868, 10. 11. 1896, S. 1. 33 Vgl. Humphreys, Presidential Address, 1967, S. 156.

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Desaster, Jameson und seine Truppe mussten sich bedingungslos ergeben und wurden gefangen genommen, Jameson später an Großbritannien ausgeliefert. Zu einer Solidarisierung mit Jameson und einem Anwachsen der imperialistischen Stimmung in England trug ein Telegramm des deutschen Kaisers an den Präsidenten der Burenrepublik, Paul Krüger, bei, in dem er ­diesem zur erfolgreichen Verteidigung der Unabhängigkeit gratulierte. Die anfängliche Kritik am illegalen Vorgehen Jamesons wandelte sich in Empörung über die deutsche Reaktion auf das Ereignis.34 Der Jameson Raid bildete ein Schlüsselereignis für die bis zum E ­ rsten Weltkrieg zunehmend von Misstrauen und Konflikten geprägte britisch-­deutsche Wahrnehmung, auch wenn sich die Beziehungen beider Länder in den folgenden Jahren bis zum Burenkrieg allmählich erst einmal wieder besserten.35 Die britische prokoloniale Presse nutzte jedoch das Ereignis, um die imperialis­ tische Stimmung im Land anzufeuern. Der Prozess gegen Jameson nach ­dessen Rückkehr aus Südafrika und ein Untersuchungskomitee zum Raid führten dazu, dass die Zeitungen noch einige Zeit Neuigkeiten über den Vorfall zu berichten hatten, zugleich blieb die Situation in Südafrika ein stets präsentes Thema der Medien.36 Darüber hinaus sollten zahlreiche Kolonialkriege die Amtszeit der 1895 angetretenen unionistischen Regierung begleiten. Im März 1896 entschloss sich London zu einem ersten Schritt zur Wiedereroberung des Sudans. Im südlichen Afrika folgte auf den ­Ersten Matabelekrieg ein Zweiter, 1896 kämpften Ndbele und Shona zusammen gegen die Invasion der BSAC.37 Die Politik des stärkeren staatlichen Engagements und des Ausbaus der kolonialen Herrschaft in Westafrika ging regelmäßig mit dem Einsatz militärischer Gewalt einher. Auch in Indien kam es 1897 zu einem Krieg an der Nord-­West Grenze, der für die britische Kolonialadministration ein ernsthaftes Problem darstellte. Militäreinsätze

34 Vgl. Woods/Bishop, Story, 1983, S. 166 – 175; Fröhlich, Konfrontation, 1990, S. 177 f.; ­Geppert, Pressekriege, 2007, S. 92 – 108. 35 Vgl. Fröhlich, Konfrontation, 1990, S. 178 – 181; Geppert, Pressekriege, 2007, S. 109 – 121, sowie Kap. 1.7. 36 Vgl. Woods/Bishop, Story, 1983, S. 175 – 183; Geppert, Pressekriege, 2007, S. 106 f., sowie Kap. 2.1. 37 Vgl. Ranger, Revolt, 1967, sowie zur Mediengeschichte d ­ ieses Krieges MacDonald, ­Language, 1994, S. 118 – 120, 129, 135 – 138.

Im ­­Zeichen der ‚Zivilisierungsmission‘: Der Sudankrieg

in der außereuropäischen Welt und die damit verbundenen imperialen Rivalitäten wurden so zu einem ständigen Thema der Presse und wichtigen Bestandteil der politischen Debatte in Großbritannien. Es war absehbar, dass das öffent­liche Ansehen der Regierung wesentlich davon abhängen würde, inwieweit es ihr gelang, die eigenen imperialistischen Ambitionen gegen den Widerstand in den Kolonien und die Opposition anderer Mächte durchzusetzen.

1.2 Im Zeichen ­­ der ‚Zivilisierungsmission‘: Der Sudankrieg Der Feldzug zur Wiedereroberung des Sudans von 1896 bis 1899 war der von der Presse am stärksten beachtete Kolonialkrieg im späten 19. Jahrhundert, bis dann um die Jahrhundertwende die Kriege in Südafrika und China alle vorherigen Medienereignisse in den Schatten stellten.38 Die militärische Kampagne im Sudan zog sich mehr als zwei Jahre hin, über 30 Korrespondenten begleiteten das Expeditionskorps und berichteten über das militärische Vorgehen.39 Von der Notwendigkeit der Eroberung des Sudans war Premierminister Salisbury schon seit Längerem überzeugt, ging es doch um die Kontrolle der für Ägypten wichtigen Nilquellen gegenüber anderen Kolonialmächten.40 Dabei war der Krieg offiziell ein ägyptisches Unternehmen, doch Ägypten stand seit der Besetzung 1882 unter britischem Einfluss und die Entscheidung für den Feldzug wurde in London getroffen.41 Anlass für die Entscheidung zur Invasion in den Sudan im Frühjahr 1896 waren die Rückschläge Italiens im Krieg gegen Abessinien und das deutsche Drängen auf britische Unterstützung. So konnte sich Salisbury sicher sein, dass der Dreibund (das Deutsche Reich, Österreich-­Ungarn und Italien) ihm keine Probleme bei der Invasion bereiten würde. Die Militäroperation zu ­diesem Zeitpunkt war vielmehr ein Beitrag zur Verbesserung der in

38 In der Forschung finden sich vor allem im von Edward M. Spiers herausgegeben Sammelband „Sudan: The Reconquest Reappraised“ einige Beiträge, die die medienhistorischen Aspekte ­dieses Ereignisses beleuchten. Deren Augenmerk richtet sich vor allem auf die Kriegsreporter und -zeichner vor Ort und die Darstellung des Feldzugs in illustrierten Zeitschriften, vgl. Ders. (Hg.), Sudan, 1998. 39 Vgl. Cecil, British Correspondents, 1998, S. 102. 40 Vgl. Robinson u. a., Africa, 1961, S. 284 – 287; Steele, Lord Salisbury, 1998, S. 15 – 20. 41 Zur Besetzung Ägyptens vgl. Kap. 1.1.

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jüngster Zeit immer angespannteren Beziehungen zu Italien und Deutschland.42 Zudem ließ die Entwicklung im Sudan selbst militärisches Handeln immer notwendiger erscheinen. Hatte es bis dahin so ausgesehen, als sei die Herrschaft des Khalifa, des Nachfolgers des 1885 verstorbenen Mahdi, im Niedergang befindlich, löste die jüngste Entwicklung bei Salisbury Sorgen über eine mögliche Stärkung des sudanesischen Gegners aus, der zeitgleich mit Abessinien gegen die Italiener vorging.43 Die Initiative zum Krieg war keinesfalls unumstritten. Nicht nur unterschieden sich die Bewertungen durch prokoloniale und imperialismuskritische Presse, auch innerhalb der konservativen Presse stieß die Militäraktion keineswegs auf uneingeschränkte Zustimmung. Voll auf Linie der Regierung war die Times, in der auch am 13. März 1896 die erste Nachricht über den geplanten Feldzug erschien. Deren Kairoer Korrespondent berichtete, dass ein Vorstoß zum sudanesischen Dongola zu erwarten sei. Die Unruhen der Derwische im Grenzgebiet hätten ein solches Vorgehen schon seit einiger Zeit wünschenswert erscheinen lassen, die jüngste italienische Niederlage habe dann den Ausschlag für die Aktion gegeben.44 In ihrem Kommentar unterstützte die Times den Vorstoß mit der Argumentation, die italienische Niederlage sei schädlich für die „interests of civilization“ und könne sich auf die Sicherheit der ägyptischen Grenze auswirken, die Lage in Dongola sei ohnehin Besorgnis erregend und die britische Besetzung d ­ ieses 45 Ortes sei zweifelsohne eine Hilfe für die Italiener. Auch als in den folgenden Tagen, unter dem Eindruck der hierzu stattfindenden Parlamentsdebatten, die Presse die Diskussion über die Notwendigkeit des Militäreinsatzes weiterführte, hielt die Times an ihrer Argumentation fest. Zwar druckte sie den Brief eines Korrespondenten ab, dem zufolge die Derwische in Dongola keine unmittelbare Gefahr s­ eien und der Vormarsch dorthin für Italien keine wirkliche Hilfe bedeute.46 In ihren Kommentaren vertrat sie dagegen die 42 Vgl. Hargreaves, Entente Manquée, 1953, S. 84 f.; Robinson u. a., Africa, 1961, S. 347 f., 351 f.; Marsden, Salisbury, 1968, S. 7 – 11; McLean, The ­Kaiser’s Diplomacy, 1998, S. 146 – 149; Steele, Lord Salisbury, 1998, S. 24. 43 Vgl. Robinson u. a., Africa, 1961, S. 346 f., 349 f. 44 Egypt and the Sudan, in: The Times, Nr. 34837, 13. 3. 1896, S. 5. 45 The Egyptian Frontier, in: The Times, Nr. 34837, 13. 3. 1896, S. 9. 46 Sudan, To the Editor of the Times, in: The Times, Nr. 34839, 16. 3. 1896, S. 10; dennoch sprach sich der Korrespondent für die Wiedereroberung des Sudans aus, da dies der dortigen Bevölkerung Frieden bringen würde. Auch wenn die Times die Regierung unterstützte,

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Position, dass die Bedrohung durch die Derwische ernst zu nehmen sei. Wenngleich sie bei der Bewertung des Einflusses der britischen Aktion auf die Lage der Italiener schwankte, verwies sie immer wieder auf die Hilfe für Italien und die grundsätzliche Notwendigkeit „of counteracting the peril to civilization in Africa which is involved in any reverse inflicted upon white men by the natives“.47 Darüber hinaus ließ die Times keinen Zweifel daran, dass der Vormarsch nach Dongola nur der erste Schritt zur Rückeroberung des Sudans sein könne, und lobte die Regierung dafür, dass sie keine Grenze für den weiteren Vormarsch festlegte. Durchweg beschrieb sie die Wiedererrichtung der ägyptischen Herrschaft im Sudan als für die ‚Zivilisation‘ allgemein wünschenswert und das Regime des Khalifa als barbarisch und tyrannisch. Die Rückeroberung des Sudans sei schon früher langfristiges Ziel gewesen, er bilde den „key to Egypt“. Dies sei keinesfalls ein abenteuerlicher Plan, anders als 1885 verfüge Ägypten nun über die Ressourcen für die Unternehmung. Sicher müsse überstürztes Vorgehen vermieden werden, aber „no solid reasons […] have been put forward […] why it should not be carried out step by step, and finally accomplished to the profit of Egypt, England, and of civilization“.48 Anders als die Times schwankte die konservative Pall Mall Gazette in ihrer Bewertung der Entwicklung. In der Zeit vor dem Bekanntwerden des geplanten Militäreinsatzes war es für sie in der Berichterstattung über Italiens Probleme im Krieg gegen Abessinien selbstverständlich, dass Italien keine Hilfe von britischer Seite erwarten könne. Auch wenn Italien möglicherweise einen militärischen Prestigeerfolg brauche, so sollte es sich doch mit der Situation abfinden und einen Vertrag mit Abessinien schließen. Großbritanniens eigene Erfahrung mit Afghanistan habe gezeigt: „[F]iercely independent mountaineers are best left to their independence.“ 49

druckte sie doch Stellungnahmen ab, in denen Aspekte der Regierungspolitik kritisiert wurden, vgl. auch Adye, John, To the Editor of the Times, in: The Times, Nr. 34840, 17. 3. 1896, S.  4. 47 The Situation, in: The Times, Nr. 34851, 30. 3. 1896, S. 9; vgl. auch The Egyptian Debate, in: The Times, Nr. 34844, 21. 3. 1896, S. 11. 48 The Advance on the Nile, in: The Times, Nr. 34840, 17. 3. 1896, S. 9; zur Darstellung Abessiniens und der Gefahr, die von ­diesem Staat für die britischen Interessen ausgehe, vgl. auch The Sudan Advance. (From a Correspondent.), in: The Times, Nr. 34839, 16. 3. 1896, S.  10. 49 The Lesson of Adowa, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9654, 4. 3. 1896, S. 1; vgl. auch A Tight Corner, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9657, 7. 3. 1896, S. 1; Foolish Invention, in:

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Doch schon kurz nach Anlaufen der Militäroperation änderte sich die Einstellung der Pall Mall Gazette. Jetzt rechtfertigte sie das Vorgehen gegen die Derwische des Khalifa auch mit Verweis auf die Situation Italiens: Die Wirkung der jüngsten Ereignisse sei leider nicht auf die italienische Sphäre beschränkt geblieben, da die „fine distinctions between one white nation and another“ in Afrika unbekannt s­ eien. Italien könne nun mit aktiver britischer Unterstützung rechnen.50 In den folgenden Tagen unterstützte die Pall Mall Gazette zwar weiterhin den Vorstoß nach Dongola. In ihren Kommentaren nahmen aber die Solidaritäts­ erklärungen mit Italien ab, für sie war nun die Sicherheit der ägyptischen Grenze der einzige gerechtfertigte Kriegsgrund. In einem Leitartikel sowie einem Bericht von einem Korrespondenten aus der Region wurden Zweifel geäußert, dass die Aktion die Lage Italiens beeinflusse.51 Zudem war für das Blatt immer nur der Khalifa, nicht aber Abessinien der Gegner. Die Niederlage Italiens, „the victory of a savage race over a civilized country“, sei zwar ein „blow to European Prestige“, letztlich berühre sie die britische Position aber nicht. Abessinien sei offen für die ‚Zivilisation‘, besonders den technischen Fortschritt, und müsse als Macht in der Region anerkannt werden.52 Eine dauerhafte Okkupation Dongolas oder einen darüber hinausgehenden Vorstoß lehnte die Pall Mall Gazette ab. Zunächst erklärte sie diese Möglichkeit mit Verweis auf die Person des britischen Generalkonsuls in Ägypten, Cromer, als abwegig, später kritisierte sie die Regierung dafür, dass sie in dieser Hinsicht keine Klarheit schaffe.53 Ein Militärkorrespondent bewertete den Vorstoß

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The Pall Mall Gazette, Nr. 9660, 11. 3. 1896, S. 1. Zur Darstellung des Krieges in der Times vgl. ­Pankhurst, British Reactions, 2005, S. 217 – 224. A Necessary Demonstration, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9662, 13. 3. 1896, S. 1. The Security of Egypt, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9666, 18. 3. 1896, S. 1; The Situation in Egypt (By a Correspondent), in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9666, 18. 3. 1896, S. 1 f.; The Coming Campaign (By a Military Correspondent.), in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9671, 24. 3. 1896, S.  1 f. The Negus Menelik (By an Occasional Correspondent), in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9668, 20. 3. 1896, S.  1 f. Vgl. A Necessary Demonstration, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9662, 13. 3. 1896, S. 1; Cook and Son to the Front, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9664, 16. 3. 1896, S. 1; kritisch zur Informationspolitik der Regierung über das Ausmaß der Kampagne und den Aussichten eines über Dongola hinausgehenden Vorstoßes: The Security of Egypt, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9666, 18. 3. 1896, S. 1; The Situation in Egypt (By a Correspondent.),

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jedoch optimistisch, er hielt zwar die Qualität der ägyptischen Truppen für diskussionswürdig, lobte dafür aber die sudanesischen Soldaten, die als ehemalige Sklaven aus dem Sudan zusätzlich motiviert ­seien, und traute den britischen Offizieren den Erfolg zu.54 Das oppositionelle Reynolds’s Newspaper hingegen lehnte die Kampagne von Beginn an ab. Unter der Überschrift „Another Soudan War“ verwies es auf den jüngsten Ägypten-­Bericht Cromers, nach dem die Derwische sich, von insignifikanten Raubzügen abgesehen, defensiv verhalten hätten. Das Blatt äußerte sich zuversichtlich, dass die Mehrheit der Liberalen die Militäraktion ablehnen würde.55 Der Krieg würde der Sicherheit Ägyptens wie des Empires schaden und auch für Italien keine Hilfe sein. Stattdessen würden die Italiener durch die britische Aktion noch tiefer in den „morass in Abyssinia“ hinein­gezogen, anstatt den schnellen Rückzug einzuleiten, den die italienische Bevölkerung wünsche.56 Darüber hinaus waren die internationalen Reaktionen auf den britischen Vorstoß Thema der Presse. Das Deutschlandbild war dabei zunächst noch von dem Konflikt um den Jameson Raid geprägt. So wandte sich die Pall Mall Gazette schon vor der ersten Meldung über die geplante Militäroperation scharf gegen deutsche Vorwürfe mangelnder britischer Unterstützung für Italien.57 Nach Bekanntgabe des geplanten Vorstoßes nach Dongola äußerste sie die Vermutung, dass, wenn schon nicht die Deutschen, so doch zumindest die Italiener diese Hilfe anerkennen würden.58 Ähnlich schrieb die Times zunächst am 18. März, dass die bittere Kritik von Deutschland weit unverständlicher

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in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9666, 18. 3. 1896, S. 1 f.; Conquest by Progression, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9669, 21. 3. 1896, S. 1. The Situation in Egypt (By a Correspondent.), in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9666, 18. 3. 1896, S. 1 f.; The Coming Campaign (By a Military Correspondent.), in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9671, 24. 3. 1896, S. 1 f. Another Soudan War. Troops to Occupy Dongola. Order Given – Yesterday, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2379, 15. 3. 1896, S. 1. The Question of the Soudan, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2380, 22. 3. 1896, S. 4. The Lesson of Adowa, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9654, 4. 3. 1896, S. 1; vgl. auch A Tight Corner, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9657, 7. 3. 1896, S. 1; Foolish Invention, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9660, 11. 3. 1896, S. 1. Zur Darstellung des Krieges in der Times vgl. ­Pankhurst, British Reactions, 2005, 217 – 224. A Necessary Demonstration, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9662, 13. 3. 1896, S. 1.

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als die von Frankreich sei, schließlich habe Deutschland ein Interesse an dem britischen Vorgehen.59 Vom 19. März an argumentierte sie dann aber, dass die Unterstützung Deutschlands, gerade weil d ­ ieses Land sonst nicht englandfreundlich sei, die Legitimität der britischen Politik beweise. Die Mitglieder des Dreibundes hätten als „civilized states“ und „guardians of European peace“ ein Interesse am Vorgehen gegen „fanatic barbarians“.60 Auch deutsche Zeitungen, denen keine Parteilichkeit für die britische Sache nachgesagt werden könne, würden anerkennen, dass es um die Verteidigung der Interessen der „European civilization“ gehe.61 Die Pall Mall Gazette kritisierte zwar am 16. März als erstes die „National Zeitung“, sie sei genauso englandfeindlich und habe genauso undankbar auf die britische Kampagne reagiert, wie es die Pall Mall Gazette zuvor für die deutsche Presse prognostiziert habe, räumte dann aber ein, dass die deutsche Presse insgesamt die britische Aktion anerkenne.62 Einig waren sich Times und Pall Mall Gazette in ihrer Kritik an Frankreich und Russland, weil diese beiden Länder in der Caisse de la Dette, der für die ägyptischen Finanzen zuständigen internationalen Kommission, die Gelder für die Militäroperation ablehnten.63 Völlig anders bewertete das Reynolds’s Newspaper die internationale Lage. Es warnte vor einem möglichen Krieg mit Frankreich und Russland 64 und kritisierte die schwankende Außenpolitik der Regierung: Zuerst hätten die „music hall J­ ingoes“ dem deutschen ­Kaiser – zu Recht – unfreundliches Verhalten gegenüber England vorgeworfen, nun sei man fast in einer Allianz mit Deutschland. Dabei sei es gut möglich, dass der K ­ aiser das Vorgehen im Sudan nur unterstütze, weil er davon ausgehe, dass es der britischen Position schade. Zugleich hob das R ­ eynolds’s News­ paper hervor, dass freundschaftliche Beziehungen mit Frankreich vorzuziehen ­seien, da sie der demokratischen Sache in Europa eher helfen würden.65

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The African Question, in: The Times, Nr. 34841, 18. 3. 1896, S. 9 f., hier S. 10. The Advance in the Nile Valley, in: The Times, Nr. 34842, 19. 3. 1896, S. 9. The Operations on the Nile, in: The Times, Nr. 34843, 20. 3. 1896, S. 9. Cook and Son to the Front, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9664, 16. 3. 1896, S. 1. Vgl. The Caisse and the Powers, in: The Times, Nr. 34849, 27. 3. 1896, S. 9 f.; Dogs in the Manger, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9674, 27. 3. 1896, S. 1. Zur Caisse vgl. auch H ­ argreaves, Entente Manquée, 1953, S. 85 – 92. 64 The Question of the Soudan, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2380, 22. 3. 1896, S. 4. 65 England and France, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2382, 5. 4. 1896, S. 4.

Im ­­Zeichen der ‚Zivilisierungsmission‘: Der Sudankrieg

So zeichnet sich in den hier untersuchten Zeitungen zu Beginn des Sudankrieges ein gemischtes Bild ab. Die tendenziell die Regierung unterstützenden Zeitungen sahen die Expedition nach Dongola als notwendig an, waren sich aber über die wünschenswerte Reichweite der politischen Zielsetzung nicht einig. Die Pall Mall Gazette hielt zwar eine militärische Machdemonstration für erforderlich, lehnte die Besetzung Dongolas oder gar eine darüber hinausgehende Kampagne zur Wiedereroberung des Sudans jedoch auf absehbare Zeit ab. Die Times hingegen unterstützte von Beginn an eine dauerhafte Okkupation und hielt eine Fortsetzung der Kampagne im Interesse der ‚Zivilisation‘ für wünschenswert. Demgegenüber verurteilten die beiden imperialismuskritischen Zeitungen Manchester Guardian und Reynolds’s Newspaper die Expedition als unnötig und gefährlich und warnten vor einer möglichen Kampagne zur Rückeroberung des Sudans.66 Der Krieg im Sudan konnte jedoch aus Perspektive der britischen Regierung problemlos anlaufen und erfreute sich nicht zuletzt aufgrund der militärischen Erfolge wachsender Zustimmung in der Öffentlichkeit. Die Daily Mail etwa, die kurz nach Beginn der Expedition nach Dongola in den Markt eingeführt worden war, begrüßte enthusiastisch die ersten militärischen Erfolge gegen den Khalifa, zeigte aber auch Respekt vor dem Mut der Gegner „dying […] in the faces of the foe“.67 Auch die Pall Mall Gazette stand einer Ausweitung der Kriegsziele nun weniger skeptisch gegenüber. Noch am 11. Mai hatte sie einen Krieg zum Sturz der ‚Tyrannei‘ des Khalifa abgelehnt: „[W]e personally, are not among those who have ever argued that it is our national mission to go ­a-­crusading in behalf of oppressed peoples wherever they may be.“ 68 Aber einen Monat ­später, am 13. Juni, hielt sie zumindest die dauerhafte Okkupation Dongolas für sinnvoll: „The province is naturally fertile, and its commerce by no means to be d ­ espised.“ 69 Am 21. September schließlich begrüßte sie die Ausweitung der ägyptischen Grenze nach Dongola. Zudem hielt die Pall Mall Gazette ­inzwischen ein schrittweises Vordringen in den Sudan für erstrebenswert und warnte nur noch vor falscher Eile.70

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Für den Guardian vgl. etwa o. T., in: Manchester Guardian, Nr. 13345, 6. 6. 1896, S. 7. The Soudan War, in: The Daily Mail, Nr. 32, 9. 6. 1896, S. 4. Rescue and Retire, in: Pall Mall Gazette, Nr. 9711, 11. 5. 1896, S. 1. A Full Stop, in: Pall Mall Gazette, Nr. 9740, 13. 6. 1896, S. 1. Fuzzy Wuzzy on the Run, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9825, 21. 9. 1896, S. 1.

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Nach der Besetzung Dongolas wurde der weitere Vormarsch zunächst aufgeschoben, und der britische Oberkommandierende Kitchener reiste nach England zurück, um Lobbyarbeit für die Finanzierung der Kampagne zu betreiben. Dabei kam ihm die zunehmend imperialistische Stimmung in England entgegen. Als das Parlament im November 1896 über britische Kredite für die Finanzierung des Krieges abstimmte, da eine ägyptische Finanzierung aufgrund des französischen und russischen Widerstands in der Caisse nicht möglich war, bewilligten auch viele liberale Abgeordnete die Gelder.71 So konnte Kitchener schon im Dezember zur Fortsetzung der militärischen Operationen nach Ägypten zurückkehren und im Folgejahr die Ausweitung des anglo-­ägyptischen Einflusses weiter vorantreiben. Nach der Besetzung Berbers am 31. August 1897 kam die Kampagne wiederum zu einem Halt, da Generalkonsul Cromer einer weiteren Finanzierung des Krieges widersprach. Kitchener setzte sich jedoch durch, und Anfang 1898 konnte er den Feldzug mit britischer Verstärkung fortsetzen.72 In der Berichterstattung über den Militäreinsatz galt Frankreich weiterhin als innereuropäischer Gegner des anglo-­ägyptischen Vorrückens. Nachdem zunächst der französische Widerstand in der Caisse gegen eine ägyptische Finanzierung des Krieges im Vordergrund stand,73 verlagerten sich später die Presseattacken gegen Frankreich auf ein mögliches französisches Vorrücken von der Nigerregion ins Nilgebiet. Die Nigerregion selbst war z­ wischen Großbritannien und Frankreich umstritten, und französische Besitzansprüche auf die Nilquellen stießen in der englischen Öffentlichkeit auf scharfe Ablehnung. Schon im März 1895, also zu Zeiten der liberalen Regierung, hatte Edward Grey als Staatssekretär des Außenministeriums eine französische Expedition ins Niltal als „unfriendly act“ bezeichnet.74 Am 10. November 1897 unterstützte die Pall Mall Gazette eine weitere Warnung Salisburys an Frankreich und bestritt das Recht auf permanente Besetzung durch französische „adventurers who have hurried up towards the

71 Vgl. Robinson u. a., Africa, 1961, S. 358. 72 Vgl. Neilson, Art. Kitchener, Horatio Herbert, Earl Kitchener of Khartoum, in: ODNB, 2004/2011. 73 Vgl. etwa A Very Mixed Tribunal, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9736, 9. 6. 1896, S. 1; Twenty-­Five Years After, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9755, 1. 7. 1896, S. 1; More Judicial Humour, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9888, 3. 12. 1896, S. 1; The Use of Plain Speaking, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9944, 8. 2. 1897, S. 1. 74 Robbins, Art. Grey, Edward, Viscount Grey of Fallodon, in: ODNB, 2004/2011.

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spoil“.75 Nicht zuletzt die Rivalität mit Frankreich trug zur Unterstützung für die Fortsetzung der Militäraktionen bis zur vollständigen Wiedereroberung des Sudans bei. Anfang September 1898 fand die entscheidende Schlacht bei Omdurman gegen den Staat des Khalifa statt. Als am 5. September die ersten ­Nachrichten über den Sieg der anglo-­ägyptischen Truppen eintrafen, war der Jubel in Großbritannien über die Niederwerfung des sudanesischen Gegners groß. Der Labour Leader beklagte, dass die Arbeiterklasse mehr an Omdurman-­Feiern als am Kohlestreik in Wales interessiert sei.76 Die Pall Mall Gazette, die zu Beginn des Krieges noch auf Gordons Schicksal verwiesen hatte, um vor den Gefahren des Feldzugs zu warnen, zelebrierte nun die Schlacht gegen die Truppen des Khalifa als Rache für den 1885 verstorbenen Gordon: „One thought has leapt to expression by everybody, from the man in Trafalgar-­square to the German Emperor and every leader-­writer; Gordon is avenged.“ Darüber hinaus begrüßte sie den Sturz des Khalifa: „But is it not Gordon alone who has been avenged; Omdurman and Egypt’s lost provinces are avenged too, and, what is more, are rescued, as Gordon was not.“ Der Hinweis auf den ­Kaiser bezog sich auf ein Glückwunschtelegramm Wilhelms II . Nach Ansicht der Gazette hatte dieser damit schlussendlich seinen „Jameson slip“ wiedergutgemacht und die freundschaftlichen Beziehungen ­zwischen Großbritannien und Deutschland gestärkt.77 Während die prokoloniale englische Presse die Unterstützung Deutschlands zu Beginn der Kampagne zwar begrüßt hatte, aber der deutschen Politik weiterhin skeptisch gegenübergestanden war, bekundete sie nun Sympathie für den ­Kaiser. Dass die deutschen Solidaritätsbekundungen so positiv aufgenommen wurden, hing mit der angespannten internationalen Lage zusammen.78 Tatsächlich kam es kurz nach der Schlacht bei Omdurman zu einem Konflikt z­ wischen Großbritannien und Frankreich, der zu einem Krieg ­zwischen beiden ­Ländern hätte führen können. Etwa eine Woche nachdem die Presse den Sieg von ­Omdurman gefeiert hatte, traf die Nachricht ein, dass in Faschoda Weiße aufgetaucht s­ eien, und die Zeitungen vermuteten zurecht, dass es sich um die Expedition des französischen

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Frank and Firm, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10180, 10. 11. 1897, S. 1. Vgl. MacKenzie, Propaganda, 1984, S. 7. Smashed, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10434, 5. 9. 1898, S. 1. Vgl. ebd.: „If difficulty arises in Egypt, Germany will not be found against us.“

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Offiziers Jean-­Baptiste Marchand handle.79 Damit hatte der englisch-­französische Konflikt um Afrika seinen Höhepunkt erreicht, beanspruchte Marchand doch nun im französischen Namen einen Teil des Oberen Niltals, den auch Großbritannien für sich reklamierte. Während Kitchener sich auf den Weg nach Faschoda machte, begann in Europa der diplomatische und publizistische Konflikt ­zwischen den beiden Ländern.80 Die britische Regierung weigerte sich zu verhandeln und forderte den bedingungslosen Rückzug Marchands. Dabei wurde sie lautstark von der englischen Presse unterstützt.81 Für die Daily Mail stand am 16. September fest: „The French have got to go, and the sooner they make up their minds to it the better.“ 82 Während sich die Lage in Europa zuspitzte, gestaltete sich das englisch-­französische Treffen im Sudan friedlich. Marchand, der anders als Kitchener keine Möglichkeit hatte, mit seiner Regierung zu kommunizieren,83 begleitete das britische Militär nach Khartum und wurde über das Schlachtfeld von Omdurman geführt. Als das französische Kabinett schließlich nachgab und sich am 3. November einverstanden erklärte, Faschoda zu räumen, triumphierte die britische Presse. Für die Mail handelte es sich um den größten diplomatischen Sieg Großbritanniens seit zwanzig Jahren.84 Die militärischen Operationen gegen die Derwische dauerten noch bis in das folgende Jahr an, aber in der britischen Öffentlichkeit hatte die Kampagne ihre dramaturgischen Höhepunkte mit den Siegen von Omdurman und Faschoda erreicht. Die Presse feierte nun das Ende des Feldzugs und erörterte die Zukunft des Sudans. Von besonderer Bedeutung war hierbei der Plan zu Errichtung eines Colleges zu Ehren von Gordons Andenken, das die während der Militäropera­tionen so häufig beschworene britische Zivilisierungsmission in die Praxis umsetzen sollte. Die Daily Mail berichtete schon kurz nach der Schlacht von Omdurman über das Vorhaben. Für die Mail zeigten sich die Engländer

79 Vgl. etwa Pass Along, Please, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10441, 13. 9. 1898, S. 1. 80 Zur französischen Presse vor und während der Faschodakrise vgl. Keiger, Omdurman, 1998, dem zufolge die Mehrheit der Zeitungen für einen Ausgleich mit England waren. Zu Marchand als Medienfigur vgl. auch Berenson, Heroes, 2011, S. 166 – 196. 81 Vgl. Robinson u. a., Africa, 1961, S. 376 f.; Berenson, Heroes, 2011, S. 183 f. 82 O. T., in: Daily Mail, Nr. 743, 16. 9. 1898, S. 4. 83 Vgl. Headrick, Invisible Weapon, 1991, S. 84 f.; Potter, Jingoism, 2014, S. 37. 84 Fashoda Evacuated, in: Daily Mail, Nr. 786, 5. 11. 1898, S. 4.

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mit ­diesem Projekt nun von einer anderen Seite. Nachdem die Geschichte bisher eine von „slaughter and conquest“ gewesen sei, wolle man nun mit einem Institut die Söhne der sudanesischen Elite in den praktischen Elementen der ‚Zivilisation‘ ausbilden.85 Spendensammlungen für das College hielten das Inte­ resse an dem Projekt aufrecht. Kitchener selbst war noch vor Ende der Faschoda­ krise zurück nach England gereist und warb dort für das Vorhaben. So war er bei einer ­großen Spendenaktion anwesend, über die die Times am 2. Dezember ausführlich berichtete. Die englische Elite zelebrierte sich dabei als wohlwollender Herrscher über nichteuropäische Regionen. Kitchener zufolge hatte die Errichtung des Colleges zum Ziel, dass die britische Flagge in Afrika nicht nur respektiert, sondern auch geliebt werde.86 Die Popularität des Gordon College zeigte sich nicht zuletzt darin, dass auch der Manchester Guardian, der den Sudankrieg abgelehnt hatte, die Idee unterstützte.87 Um die Jahreswende 1898/99 trübten allerdings Berichte über Kriegsverbrechen der anglo-­ägyptischen Truppen das Bild des glorreichen Feldzugs. Schon zuvor waren Nachrichten über die Tötung verwundeter Gegner erschienen, die aber teilweise widerlegt werden konnten und das Bild des Krieges kaum beeinflussten. Zum Jahreswechsel 1898/99 veröffentlichte jedoch der Kriegsreporter Ernest Bennett ein Buch und einen Aufsatz in der Contemporary Review, in dem er britischen Soldaten vorwarf, Verwundete getötet und das Grab des ­Mahdis, des Anführers des sudanesischen Aufstands und Gegner Gordons in den 1880er-­Jahren, nach der Eroberung Karthums geschändet zu haben. Die Anklage ­Bennetts löste eine Kontroverse aus, und mehrere Kriegsreporter machten es sich zur Aufgabe, seine Ausführungen zu widerlegen.88 Die Reaktion auf die Vorwürfe war insgesamt erfolgreich, der Bericht über die Grabschändung löste zwar Irritationen aus, schaffte es aber nicht, das positive Bild von Sudankrieg und Kitchener ernsthaft zu beschädigen. Aufschlussreich ist hier die Debatte über die Verleihung einer Zuwendung in Höhe von 30 000 Pfund an Kitchener, mit denen dessen Verdienste gewürdigt werden sollten. C. P. Scott, der Herausgeber des Manchester Guardians, versuchte die publizierten Kriegsverbrechen für eine Kampagne gegen die Ehrung zu ­nutzen, scheiterte 85 86 87 88

To Honour Gordon, in: Daily Mail, Nr. 739, 10. 9. 1898, S. 4. The Gordon College at Khartum, in: The Times, Nr. 35689, 2. 12. 1898, S. 7. O. T., in: Manchester Guardian, Nr. 16320, 30. 11. 1898, S. 4 f. Vgl. Cecil, British Correspondents, 1998, S. 119 – 121.

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damit aber letztlich.89 In ihren Berichten zur Parlamentsdebatte über die Auszeichnung Kitcheners Anfang Juni 1899 argumentierten kritische Zeitungen wie der Guardian und das Reynolds’s Newspaper defensiv, man merkt ihnen die Schwierig­keit an, gegen eine weit verbreitete Bewunderung der Leistungen ­Kitcheners anzuschreiben. Der Guardian stellte zu Beginn seines leaders klar, dass sich die Kritik keineswegs gegen die militärischen Verdienste Kitcheners richte: „Everyone recognises that the Sirdars’s conduct of the campaign was, from the military point of view, masterly“, ausschlaggebend für die Ablehnung ­seien die Verstöße gegen den „code of civilised military warfare“.90 Auch das Reynolds’s Newspaper räumte ein, dass die Expedition gut geplant war, schränkte diese Aussage jedoch dahingehend ein, dass es sich nur um einen Sieg mit Maschinengewehren gegen „a few naked barbarians“ gehandelt habe, der sich nicht mit einem Kampf gegen europäische Gegner vergleichen lasse.91 So endete der am meisten Aufsehen erregende britische Kolonialkrieg vor der Jahrhundertwende als populärer Sieg für Militär und Regierung. Der Krieg dauerte zwar über zwei Jahre, doch in den Nachrichten über die Operationen konnte die prokoloniale Presse stets Erfolge vermelden. Die Zeitungen lobten die Performance der Truppe, insbesondere Kitcheners Planungsfähigkeiten, die für den „perfect clock-­work success“ verantwortlich s­ eien.92 Rechtlich legitimierten die Regierung und die sie unterstützende Presse den Feldzug mit der Wiedereroberung von Territorium, das zu Ägypten gehöre. Dabei stellten sie öffentlichkeitswirksam hauptsächlich das Ziel der Verbreitung von ‚Zivilisation‘ in dieser Region in den Mittelpunkt. Zunehmend spielte auch die Rivalität mit Frankreich eine Rolle. Die Befürworter des Krieges erwähnten zudem bei passenden Gelegenheiten, dass durch den Feldzug auch eine ökonomisch vielversprechende Region unter britische Kontrolle gerate. Das Motiv der Rache für Gordon hoben die Zeitungen vor allem nach der Schlacht von Omdurman hervor. Zu Beginn des Feldzugs spielte es noch keine Rolle, auch wenn die Geschichte des britischen Engagements im Sudan sicher dazu beitrug, dass die ‚Wiedereroberung‘

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Vgl. ebd., S. 121 f. O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16481, 6. 6. 1899, S. 6 f. Parliament and the Mahdi’s Head, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2548, 11. 6. 1899, S. 4. Smashed, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10434, 5. 9. 1898, S. 1. Der Korrespondent der Daily Mail, Georg Warrington Steevens, beschrieb Kitchener in seinen populären Berichten als Maschine, vgl. Cecil, British Correspondents, 1998, S. 107.

‚Forward Policy‘ und panislamische Gefahr: Der indische Grenzkrieg

der gesamten Region von Beginn an als eine Option diskutiert wurde.93 Wenn die Pall Mall Gazette zu Beginn der militärischen Operationen an die Geschichte des Sudans erinnerte, dann um zu warnen, dass ein unüberlegtes Vorrücken zu einer Wiederholung des „disaster of Khartoum“ führen könne.94 Dass diese Zeitung ihre Skepsis immer mehr zurückstellte, zeigt jedoch, wie sehr der militärische Verlauf des Krieges letztlich dazu beitrug, die Kampagne zu legitimieren und die Popularität der imperialen Expansion in Großbritannien zu steigern.

1.3 ‚Forward Policy‘ und panislamische Gefahr: Der indische Grenzkrieg Während der Feldzug im Sudan mit zunehmender Dauer immer populärer wurde, verhielt es sich beim Krieg an der indischen Grenze genau andersherum: Anfangs, als auch dort die Gewalt eskalierte, schien es sich um einen weiteren kleinen Kolonialkrieg im Grenzgebiet ­zwischen Indien und Afghanistan zu handeln. Doch wider Erwarten weiteten sich die Kampfhandlungen kontinuierlich aus. Die Niederschlagung des Aufstands dauerte deutlich länger, als zunächst erwartet, und am Ende war die prokoloniale Presse erleichtert, als ein unpopulärer Krieg zu Ende ging.95 Am Schauplatz des Geschehens waren die Truppen des Empires in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast durchgängig in Kämpfe verwickelt. Zwischen 1856 und 1899 gab es nur in zwei Jahren keine gewaltsamen Konflikte ­zwischen den in dieser Region lebenden Stämmen und den britischen sowie indischen

93 In dieser Hinsicht müssen die Thesen der bisherigen Forschung zur Rolle Gordons für die Legitimation des Sudankriegs differenziert werden, vgl. Johnson, The Death of G ­ ordon, 1982, S. 303 f.; MacKenzie, Heroic Myths, 1992, S. 128 – 130; Berenson, Heroes, 2011, S. 120 f. 94 Conquest by Progression, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9669, 21. 3. 1896, S. 1. 95 In der Forschung beschäftigen sich bisher zwei Artikel mit der Mediengeschichte d ­ ieses Kolonialkrieges: Edwards, Mad Mullahs, 1989, widmet sich den Kriegsberichten von Winston Churchill über die Operationen in Malakand; Wilkinson, Purple Prose, 2000, der Darstellung der Tirah-­Expedition in der Tagespresse. Beide Aufsätze beinhalten wertvolle Analysen der in d ­ iesem Kontext medial vermittelten Selbst- und Fremdbilder, an die hier angeknüpft werden kann. Darüber hinaus werden die mit den Militäreinsätzen verbundenen britischen Sorgen über eine mögliche panislamische Gefahr sowie die Debatten über die Ursachen und möglichen Ziele des Krieges behandelt, vgl. hierzu auch Surridge, The Ambiguous Amir, 2008, S. 426, 430.

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Truppen, die mit der Grenzsicherung beauftragt waren. Doch im Sommer 1897 brach ein Aufstand aus, der die vorangegangenen Konflikte bei weitem übertraf. Mehrere Stämme griffen in kurzer Folge britische Stützpunkte an, und das Empire sah sich gezwungen, über die normalerweise in der Grenzregion stationierten Truppen hinaus Militär in die Krisenregionen zu entsenden. Das Grenzgebiet z­ wischen Indien und Afghanistan hatte in den 1890er-­Jahren wiederholt die Aufmerksamkeit der britischen Politik gefordert. Der afghanische Amir Abdur Rahman, 1880 von den Briten infolge des Zweiten Anglo-­ Afghanischen Krieges als Herrscher installiert, weitete seinen Machtbereich kontinuierlich aus und löste mit seiner Politik im Grenzgebiet zu Indien Besorgnis bei britischen Politikern aus. 1893 gab es deswegen Verhandlungen, die zu einem Vertrag ­zwischen dem Amir und dem Repräsentanten Indiens, Henry Mortimer Durand, führten, der die offizielle Grenze ­zwischen Afghanistan und Indien festlegte (die „Durand-­Linie“).96 Damit sollten die Probleme in dieser Region allerdings nicht enden: 1895 kam es zu einem dynastischen Konflikt im Königreich Chitral, infolgedessen am 4. März der lokale britische Vertreter und der von ihm eingesetzte Herrscher belagert wurden. In der englischen Öffentlichkeit verfolgte man die Verteidigung Chitrals mit großer Spannung, bis die Ankunft imperialer Truppen am 20. April die Belagerung beendete.97 Die Briten

96 Vgl. Surridge, The Ambiguous Amir, 2008, S. 420. 97 Der Reuters-­Korrespondent Edward Buck erinnerte sich in seinen im Jahre 1919 verfassten, unveröffentlichten Erinnerungen an die große Medienaufmerksamkeit für d ­ ieses Ereignis und seinen Wettstreit mit dem Times-­Korrespondenten, wer als erstes die Nachricht über das Ende der Belagerung übermittelt: „Perhaps my earliest successful effort as a Reuter’s correspondent was in the year 1895 when the progress of the expedition in relief of the Chitral garrison was being anxiously watched throughout India and the civilised [sic!] world. […] I had a great race with my dear old friend and rival, the late Howard Honsman (Pioneer and Times) over the final story of the siege. We both met in the bed room of Sir W. C ­ unningham then Foreign Secretary to the Govt. of India at ‚Fingask‘ Simla about 6.30 in the morning. Honsman had got certain information from the Adjutant General at the United Service club: I had received mine from the Quarter Master General, and for five minutes the Foreign Secretary, who was a mutual friend of each of us had a difficult time. I think our messages eventually went off simultaneously on that occasion.“ Buck, Reminiscences of my connection with Reuter’s Limited, mss. f. 2, Reuters MF 431, Reuters Archive. Zur Berichterstattung in der Times vgl. Huttenback, The Siege of Chitral, 1970, S. 127 – 129. Siehe auch den Eintrag zum Kommandeur der britischen Truppen im Oxford Dictionary of National Biography: Moreman, Art. Townshend, Sir Charles Vere Ferrers, in: ODNB 2004/2008.

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vermuteten, der afghanische Amir habe den Konkurrenten des britischen Verbündeten in Chitral unterstützt; dies konnte allerdings nie bewiesen werden. In den folgenden beiden Jahren beobachteten britische Politiker in London und Indien daher die Aktivitäten des Amirs mit Misstrauen.98 Obwohl also die indische Grenze in den 1890er-­Jahren keinesfalls ruhig war, überraschten die Meldungen über den Ausbruch der Gewalt im Sommer 1897 und besonders die nachfolgenden Berichte über das Ausmaß der Aufstände die britische Politik und Öffentlichkeit. Noch in der ersten Hälfte des Jahres 1897 hatten britische Offizielle Fortschritte in den Beziehungen zur lokalen Bevölkerung im Swat-­Tal gesehen. In London feierte man im Juni das Diamantene Thronjubiläum Victorias, die Situation in Südafrika war verhältnismäßig ruhig, der Zweite Matabelekrieg und der Feldzug im Sudan waren zwar noch nicht beendet, aber im Empire schien die Lage insgesamt nicht kritisch.99 Von Juni bis August brachen dann aber in unterschiedlichen Regionen der ­indischen Nord-­West-Grenze Aufstände aus, und das Britische Empire sah sich an mehreren Fronten mit Angriffen der dort lebenden Stämme konfrontiert.100 Zunächst unterschätzte die Presse die Gefahren an der Grenze. Als am 26. Juli ein Angriff auf die britische Garnison am Malakand-­Pass im Swat-­Tal stattfand, stellte die Times den Aufstand als überschaubar und bezwingbar dar. Es handele sich um einen „local ‚jehad‘“, angestachelt von einem „‚mad mullah‘“, spätestens nach Eintreffen der schon auf dem Weg befindlichen Verstärkungen sollte die Nieder­schlagung des Aufstandes problemlos erfolgen.101 Doch je mehr sich der Aufstand in den folgenden Wochen ausweitete, umso besorgniserregender und unübersichtlicher erschien die Lage an der Grenze. Die Presse veröffentlichte ausführliche Artikel, die Geographie und Ethnographie der Region beschrieben. So erklärte ein britischer Offizier den Lesern der Pall Mall Gazette, dass es an der Grenze zwei Stämme mit dem Namen ­„Mohmands“ gäbe, die zwar gleichen Ursprungs ­seien, nun aber kaum noch etwas gemeinsam haben würden – beide ­seien aber nicht mit den „Mahmunds“

98 Vgl. Surridge, The Ambiguous Amir, 2008, S. 420 f. 99 Vgl. Edwards, Mad Mullahs, 1989, S. 649 – 652. Zu Südafrika vgl. Porter, Origins, 1980, S. 139. 100 Für den ersten Ausbruch der Gewalt im Juni vgl. etwa den leader der Pall Mall Gazette: A Short Way with the Waziris, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10050, 12. 6. 1897, S. 1. 101 The Incident in the Swat Valley, in: The Times, Nr. 35267, 28. 7. 1897, S. 11.

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zu verwechseln.102 Zudem spielten an den unterschiedlichen Fronten drei ­‚Mullahs‘ eine Rolle, denen die Briten vorwarfen, die Aufstände angestachelt zu haben, und die Zeitungen verglichen das religiöse Prestige und den Einfluss dieser Mullahs auf Stämme und Kampfhandlungen.103 Dass in der Presse Mitte August die Frage aufgeworfen wurde, ob der Aufstand nur Teil einer gegen das Empire gerichteten panislamischen Bewegung sei, trug zusätzlich zur Bedrohungswahrnehmung bei. Politiker und Presse befürchteten, dass der türkische Sieg über Griechenland im Frühjahr 1897 die Aufständischen ermutigt habe. Kontakte ­zwischen dem Osmanischen Reich und Afghanistan sowie ­zwischen dem Amir von Afghanistan und dem am Aufstand beteiligten Hadda Mullah erregten Sorge und Misstrauen. Dem Osmanischen Reich warf man vor, antibritische Propaganda in Indien zu verbreiten, nach Ausbruch des Aufstandes verbot die dortige Verwaltung zwei türkische Zeitungen. Den Amir schließlich verdächtigte man, den Aufstand angestachelt oder zumindest unterstützt zu haben. Das Misstrauen verstärkten Meldungen, wonach der Amir alle seine Vertreter aus Indien abgezogen habe, afghanische Agitatoren antibritische und antichristliche Propaganda verbreiteten und Afghanen am Aufstand beteiligt ­seien.104 Auch der Manchester Guardian hielt in einem Kommentar vom 16. August eine Beteiligung des Amirs für sehr wahrscheinlich, schrieb ihm jedoch ganz andere Motive zu als die Mehrheit der Presse. Für ihn war die Unterstützung des Aufstands eine verständliche Reaktion auf die britische Expansion ins indisch-­afghanische Grenzgebiet und die damit einhergehende Bedrohung für die Unabhängigkeit Afghanistans.105 Die Nachrichten der folgenden Tage trugen dann etwas zur Beruhigung bei. In der Pall Mall Gazette erschien am 18. August ein Gespräch mit dem Vertreter des Amirs in Europa, dem Schotten Guthrie. Demzufolge sei der Abzug der afghanischen Agenten aus Indien schon länger geplant gewesen und habe nicht 102 About the Frontier. II. – The Mohmands. (By a British Officer), in: The Pall Mall Gazette, 6. 9. 1897, S.  2. 103 Vgl. etwa The Swat Valley, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10090, 28. 7. 1897, S. 1. Zu den Mullahs vgl. auch Surridge, The Ambiguous Amir, 2008, S. 422. 104 Zur regierungsinternen Debatte vgl. Surridge, The Ambiguous Amir, 2008, S. 422 – 425; für die Presse vgl. His Peculiar Ways, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10105, 14. 08. 1897, S. 1.; The Government of India and the Ameer, in: The Times, Nr. 35283, 16. 08. 1897, S. 7; The Treacherous Afghan, in: Daily Mail, Nr. 403, 16. 8. 1897, S. 4. 105 O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 15917, 16. 8. 1897, S. 4.

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mit den jüngsten Ereignissen zu tun, der Amir sei Indien weiterhin freundlich gesonnen.106 Zudem traf aus Indien die Meldung ein, dass der Amir in einer Erklärung seinen Untertanen die Beteiligung an dem Aufstand verboten habe. Die Presse zeigte sich erleichtert über die öffentliche Unterstützung des Amirs, auch wenn ihr seine Rolle beim Ausbruch des Aufstands weiterhin zwielichtig erschien.107 Es herrschte jedoch Konsens, dass ein Krieg gegen Afghanistan keine Option sei. Es schien am vernünftigsten, gute Miene zum wahrscheinlich bösen Spiel des Amirs zu machen. Die Pall Mall Gazette urteilte schon am 14. August, als das Misstrauen gegen den Amir am größten war: „With all his faults he is a strong man; and a weakling on the musuud of Kabul would be a far greater nuisance than this crabbed curmudgeon.“ 108 Ähnlich argumentierte der konservative Journalist Frederick Greenwood am 23. August in einem Gastbeitrag in der Pall Mall Gazette. Er begann zunächst mit der Feststellung, dass der Amir zwar durchaus einen religiösen Aufstand anzetteln, diesen jedoch nach Ausbruch des Fanatismus nicht einfach per Befehl beenden könne. Deswegen gelte für ihn: „[B]usiness requires that he should d ­ isavow all connection with them [den Aufständen] in his communications with the Viceregal Government.“ Solange seine Erklärungen nicht durch offenkundige Fakten widerlegt würden, sollte man sie akzeptieren, „business demands that we should be in no hurry to treat the Ameer as an open foe“.109 Nachdem sich der Amir offen auf die Seite des Empires gestellt hatte, nahmen die Befürchtungen vor einer panislamischen Gefahr ab und die Rolle Afghanistans verlor an Bedeutung für die mediale Darstellung des Aufstandes. Die politische Debatte konzentrierte sich stärker auf die Fragen, ob die britische Politik der vergangenen Jahre selbst zum Ausbruch des Aufstands beigetragen habe und wie die zukünftige Grenzpolitik zu gestalten sei. Für die oppositionelle Presse war die ‚forward policy‘, das Vorrücken britischer Truppen in den 106 Is the Ameer Hostile? (An Interview with his Agent-­General), in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10107, 17. 8. 1897, S. 1 f. 107 Vgl. The Ameer and the Government of India, in: The Times, Nr. 35285, 18. 8. 1897, S. 7; The Tirah Expedtions, in: The Times, Nr. 35349, 1. 11. 1897, S. 7; Dean! Dean!, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10114, 25. 8. 1897, S. 1 sowie Surridge, The Ambiguous Amir, 2008, S. 426. 108 His Peculiar Ways, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10105, 14. 8. 1897, S. 1. 109 Frederick Greenwood, The Ameer and His Friendship, in: Pall Mall Gazette, Nr. 10112, 23. 8. 1897, S.  1 f.

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indisch-­afghanischen Grenzraum und insbesondere die Besetzung Chitrals, für den Aufstand verantwortlich. Die konservative Presse hingegen bestritt ­diesen Zusammenhang und sah in dem religiösen ‚Fanatismus‘ der Stämme die Ursache der Gewalt.110 Für besondere Härte in der parteipolitischen Ausein­ andersetzung sorgte zudem, dass die Opposition der Regierung einen Treuebruch (‚breach of faith‘) vorwarf: Den Stämmen sei bei der Entsetzung Chitrals zugesagt worden, dass eine britische Besetzung der Region nicht geplant sei, um daraufhin doch Truppen in Chitral und an einer wichtigen Route in der Region zu stationieren.111 Die konservative Presse wies den Vorwurf empört zurück und argumentierte, dass die Stämme, denen eine s­ olche Zusage gegeben worden sei, sich gar nicht am Aufstand beteiligen und damit das britische Vorgehen nicht als Treuebruch betrachten würden.112 Die Debatte über die zukünftige Politik drehte sich um die Frage, ­welche Grenze den größten Nutzen für Indien habe. Die Anhänger der ‚forward policy‘ vertraten dabei die These, dass man eine russische Invasion in Afghanistan abwehren müsse, bevor sie Indien erreiche. Diese als ‚scientific frontier‘ bekannte Strategie war das Konzept von General Frederick Roberts, von 1885 bis 1893 Oberbefehlshaber in Indien, und wurde von 1885 an in die Tat umgesetzt.113 Der Manchester Guardian kritisierte das Vorrücken in das Grenzgebiet scharf. Er setzte die ‚scientific frontier‘ stets in Anführungszeichen und argumentierte, dass der Indus die natürliche Grenze und die gebirgige Grenzregion z­ wischen Indien und Afghanistan die beste Barriere gegen eine Invasion sei: „British India is defended on the North-­west by a desert of stone and snow.“ Das Vorrücken in diesen Raum sei strategisch wertlos, die Militäreinsätze würden nur die ohnehin kritische Finanzlage weiter verschlimmern: „Of course India, in spite of plague and famine, would have to pay for it all.“ 114 Mit dieser Politik, so führte der Guardian am 18. September aus, tue die britische Regierung alles, um den Wert der natürlichen Grenze zu mindern:

110 O. T., in: The Daily Mail, Nr. 483, 17. 11. 1897, S. 4; The Frontier Debate, in: The Times, Nr. 35441, 16. 2. 1898, S. 11. 111 Vgl. Huttenback, The Siege of Chitral, 1970, dort auch zur Debatte über die Besetzung Chitrals bis zum Ausbruch der Gewalt im Sommer 1897. 112 Vgl. etwa The Road to Chitral, in: The Times, Nr. 35351, 3. 11. 1897, S. 9; Where is the ­Breach?, in: Pall Mall Gazette, Nr. 10190, 22. 11. 1897, S. 1. 113 Vgl. Johnson, „Russians at the Gates of India“?, 2003, bes. S. 710. 114 O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 15902, 29. 7. 1897, S. 6 f.

‚Forward Policy‘ und panislamische Gefahr: Der indische Grenzkrieg

Hätte man die dort lebenden Stämme in Ruhe gelassen, hätten sie jede fremde eindringende Armee in Stücke gehackt. Nun würde man sie dazu bringen, Feinde des Empires als Freunde zu betrachten. Darüber hinaus würden durch den Ausbau der Infrastruktur schrittweise die natürlichen Hindernisse beseitigt, die einen Angriff auf Indien sonst praktisch unmöglich gemacht hätten.115 Auch innerhalb der konservativen Presse gab es Stimmen, die einem weiteren Vorrücken in die Grenzregion skeptisch gegenüberstanden.116 Ein Raum, der durch eine unwegsame Umwelt gekennzeichnet und von kriegerischen Stämmen bewohnt war, die ihre Freiheit liebten, galt in der britischen Öffentlichkeit allgemein nicht als eroberungswert. Die Daily Mail verteidigte die Regierung zwar am 22. November gegen den ‚breach of faith‘-Vorwurf 117 und hielt eine Fortsetzung des Krieges bis zum siegreichen Ende für notwendig, da alles andere als Schwäche ausgelegt werden würde. Aber sie sprach sich zugleich gegen eine Fortsetzung der Expansion in das Grenzgebiet aus und fragte rhetorisch: Shall we force upon the native of India (and the heavily-­taxed white man there) the cost of the maintenance of an army of occupation of these dreary haunts of starvation? Shall we stifle railway and irrigation work in the Land of Regrets by the cost of a further extension of the frontier?118

Für die Mail hatten Südafrika und der Sudan Priorität, sie beklagte, dass aufgrund des indischen Grenzkrieges notwendige Operationen in anderen Teilen der Welt verzögert würden.119 Selbst die Anhänger der ‚forward policy‘ gaben sich keineswegs expansionsbegeistert. So warf die Pall Mall Gazette den Kritikern der ‚forward policy‘ vor, die Pläne der Regierungen in London und Indien übertrieben darzustellen. Keinesfalls ­seien die Besetzung des Territoriums und eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Stämme geplant, es ginge nur um den Ausbau von Infrastruktur und die Erhöhung der militärischen Präsenz. Die britische Kontrolle

115 O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 15946, 18. 9. 1897, S. 6. 116 Vgl. auch Surridge, The Ambiguous Amir, 2008, S. 430. 117 O. T., in: Daily Mail, Nr. 487, 22. 11. 1897, S. 4. 118 The War – and After?, in: Daily Mail, Nr. 487, 22. 11. 1897, S. 4. 119 Ebd.

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über die Region müsse allerdings sichergestellt werden, da das expandierende Zarenreich immer näher an die indische Grenze rücke.120 Die Argumentation der Regierung in der politischen Auseinandersetzung lässt darauf schließen, dass sie nicht als alleiniger Verantwortlicher für die Ereignisse an der indischen Grenze dastehen wollte. Sie appellierte an die Opposition, den Krieg nicht zur Parteienfrage zu machen. Die konservative Presse kritisierte die Liberalen, sich unpatriotisch zu verhalten, und erinnerte daran, dass die ‚forward policy‘ auch von der vergangenen Regierung getragen worden war und der indische Vizekönig Elgin ein Liberaler sei.121 Der M ­ anchester Guardian stritt dies nicht ab, er bedauerte, dass eine liberale Regierung 1891 dem Kurs Roberts gefolgt sei.122 Geschlossen angreifen konnte die Opposition die Regierung jedoch mit ihrer Kritik an der Besetzung C ­ hitrals: 1895 hatte die liberale Regierung nach der Entsetzung Chitrals gegen das Drängen des indischen Vizekönigs Elgin entschieden, Chitral wieder zu räumen; die danach an die Macht gekommene unionistische Regierung revidierte diese Entscheidung jedoch.123 An der Debatte beteiligten sich zahlreiche Experten, darunter auch Militärs, die selbst an der Grenze gedient hatten. So erschien in der Times ein Brief, dessen anonymer Autor sich selbst als jemand vorstellte, „who has some knowledge of the Indian frontier“, und der die Besetzung Chitrals verteidigte: „If ever any decision was justified by weight of expert and professional advice it was this, and, though political partisanship may ignore, it cannot controvert the fact.“ 124 Der Manchester Guardian nutzte diesen Brief als Aufhänger für einen Kommentar, in dem er sich dagegen aussprach, auf die Experten zu hören, die für die ‚forward policy‘ verantwortlich gewesen s­ eien und mit

120 Vgl. etwa Ways and Means, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10123, 4. 9. 1897, S. 1; Where is the Breach?, in: Pall Mall Gazette, Nr. 10190, 22. 11. 1897, S. 1. 121 Vgl. The Road to Chitral, in: The Times, Nr. 35351, 3. 11. 1897, S. 9; Mr. Balfour on Foreign Affairs, in: The Times, Nr. 35410, 11. 1. 1898, S. 9; The Indian Frontier Debate, in: The Times, Nr. 35440, 15. 2. 1898, S. 9; A Plain Sign-­Post, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10262, 15. 2. 1898, S.  1. 122 Vgl. o. T., in: Manchester Guardian, Nr. 16107, 26. 3. 1898, S. 7. 123 Vgl. Huttenback, The Siege of Chitral, 1970; The Frontier Debate, in: The Times, Nr. 35441, 16. 2. 1898, S.  11. 124 N., The Indian Frontier Risings. To the Editor of the Times, in: The Times, Nr. 35304, 9. 9. 1897, S.  6.

‚Forward Policy‘ und panislamische Gefahr: Der indische Grenzkrieg

ihren vergangenen Prognosen immer wieder falsch gelegen hätten. Bei den anstehenden Entscheidungen ­seien „common sense“ und „common honesty“ gefragt, „and it is only by the free exercise of these qualities on the part of the general body of electors at home that further mischief will now be prevented“.125 Diese Expertenschelte hinderte den Guardian allerdings nicht daran, später selbst auf Expertenbeiträge zu verweisen, wenn sie der eigenen Linie entsprachen. So machte er am 18. September seine Leser auf einen Artikel von General Neville Chamberlain aufmerksam, der sich durch seinen Dienst an der Nord-­West-Grenze ausgezeichnet hatte und die ‚forward policy‘ kritisierte.126 Tatsächlich nahmen an der Debatte neben Befürwortern auch zahlreiche Kritiker der ‚forward policy‘ teil, die auf berufliche Erfahrung im Grenzgebiet verweisen konnten.127 Die Regierung äußerte sich zunächst nur vage zur zukünftigen Grenzpolitik, erst Mitte Februar 1898 stellte sie in einer Parlamentsdebatte Leitlinien für die zukünftige ‚forward policy‘ vor, die primär auf eine Kontrolle der wichtigsten Straßen und Routen in der Region und den Erhalt Chitrals hinausliefen. Damit blieben die Pläne hinter Ideen zurück, die teilweise in der Pall Mall Gazette propagiert wurden. Dennoch lobte diese am 16. Februar die Regierung dafür, dass sie eine „frontier policy“ vorgestellt habe „in a form that ought to carry conviction to the Peace Society itself “.128 Der Manchester Guardian räumte zwar ein, dass die Linie der Regierung nicht die extremste Ausprägung der ‚forward policy‘ sei, blieb aber bei seiner prinzipiellen Opposition gegen die britisch-­ indische Präsenz im Grenzraum: Die von der Regierung behauptete „friedliche Kontrolle“ der Stämme würde, wie die Kämpfe in d ­ iesem Winter gezeigt hätten, nur das Niederbrennen von Dörfern sowie Hunger und Leid für die Frauen und Kinder der Region bedeuten.129 Während die Debatte über die Ursachen der Aufstände und die Zukunft des Grenzgebietes andauerte, zogen sich die Kämpfe in der Kriegsregion in die Länge. Immer wieder verzögerte sich das erwartete Ende der Kampagne, bis die Presse Ende 1897 feststellen musste, dass der Krieg leider nicht vor Weihnachten beendet

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O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 15942, 14. 9. 1897, S. 4. O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 15946, 18. 9. 1897, S. 6. Zu den prominenteren Kritikern vgl. auch Surridge, The Ambiguous Amir, 2008, S. 430. The Key of the Front Door, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10263, 16. 2. 1898, S. 1. O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16074, 16. 2. 1898, S. 6 f.

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sein werde.130 Am schwierigsten erwiesen sich dabei die Expedition nach Tirah und der Krieg gegen die Afridis. Die Afridis setzten bei ihrem Kampf gegen das Empire auf Guerillataktiken und vermieden die offene Schlacht (boten den Briten jedoch einer Meldung zufolge den offenen Kampf an, falls diese auf den Einsatz von Artillerie verzichteten).131 Den vor Ort kämpfenden Truppen zollte die Presse überwiegend große Anerkennung.132 Allerdings wäre es falsch, deswegen zu schlussfolgern, dass der Krieg populär war. Sicher stellte die Daily Mail das Kampfgeschehen als „Stirring Story“ dar,133 im erwähnten Kommentar vom 22. November bezeichnete sie den Krieg jedoch als „unexpected, irritating and terribly costly war“.134 Zudem stand bei aller Heroisierung der Truppen die militärische Führung der Kampagne nicht außerhalb der Kritik. Die Pall Mall Gazette setzte sich mehrmals mit der Kritik anglo-­indischer Zeitungen am Stab des Oberkommandierenden auseinander und widersprach den Vorwürfen nur teilweise und vorsichtig.135 Das Reynolds’s Newspaper äußerte sich weniger zurückhaltend: „For so far the campaign has shown that Tommy Atkins, and our native Tommies, too, have fought splendidly. So have the regimental officers. But there has been a miserable breakdown among the staff officers – a lot of pampered favourites.“ 136 Um die Rückschläge und Niederlagen der Truppen des Empires zu erklären, betonte die konservative Presse immer wieder, dass man es in einer feindlichen Umwelt mit einem kampfstarken Gegner zu tun habe. Dabei wuchs der Respekt vor dem Gegner, der zunächst vor allem als abergläubisch und fanatisch beschrieben wurde.137 Anfangs galten die Afridis zwar als kriegerisch, aber auch

130 Vgl. The End in Sight, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10172, 1. 11. 1897, S. 1; Taking a Pull, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10211, 16. 12. 1897, S. 1. 131 Vgl. Wilkinson, Purple Prose, 2000, S. 266 – 268. 132 Nach Glenn R. Wilkinson imaginierten die englischen Zeitungen den Kriegsschauplatz als Raum, der es ermöglichte, sich der eigenen Überlegenheit einem durchaus ernstzunehmenden, kriegerischen und männlichen Gegner gegenüber zu v­ ergewissern, vgl. ebd. 133 Zit. nach ebd., S. 257. 134 The War – and After?, in: Daily Mail, Nr. 487, 22. 11. 1897, S. 4. 135 Vgl. etwa So Far so Good, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10218, 24. 12. 1897, S. 1. 136 The Talking Shop. By a Victim, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2489, 20. 2. 1898, S. 5. 137 Vgl. auch Edwards, Mad Mullahs, 1989, zur Darstellung von Fanatismus und Aberglaube sowie Wilkinson, Purple Prose, 2000, S. 264, 269 ff., demzufolge die Darstellung

‚Forward Policy‘ und panislamische Gefahr: Der indische Grenzkrieg

als primitiv. Die Pall Mall Gazette zeigte sich am 25. August zuversichtlich, dass die eigenen Truppen diese „unamiable warriors“ schnell niederwerfen würden: „With 42,000 men at hand, the dogs of Afridis will soon get such a banging as will make them wish that their Mullahs had gone to Mecca, or further.“ 138 Am 1. November jedoch nannte die Pall Mall Gazette die Afridis „splendid fighters“ und bezeichnete es als das eigentliche Ziel der ‚forward policy‘, die Freundschaft der Stämme in der Grenzregion zu gewinnen und diese als Kämpfer für die britische Flagge anzuwerben.139 Am 16. Februar 1898 widersprach die Times der Kritik der Opposition an den hohen Verlustzahlen und erklärte diese mit der Kriegsführung „in perhaps the most difficult country ever penetrated by c­ ivilized troops, stubbornly defended by skilful [sic!] guerilla fighters“.140 So lassen sich für den Krieg an der Nord-­West-­Grenze Indiens mehrere Charakteristika von unpopulären Kolonialkriegen aufzeigen: Die Kämpfe dauerten länger als erwartet, der Gegner schaffte es geschickt, den Truppen des Empires mit einer Guerillataktik Probleme zu bereiten, es gab mehrere Rückschläge und Niederlagen. Dazu galt die Landschaft als feindlich und nachteilig für euro­pä­i­ sche Truppen. In der politischen Debatte gab sich die Opposition angriffslustig, die Regierung und die ihr nahestehende Presse appellierten hingegen an die Staatsräson. Während die Opposition Fehler der Regierungspolitik in den vergangenen Jahren für den Aufstand verantwortlich machte, erklärte die konservative Presse ihn mit dem Fanatismus der Stämme und stellte ­solche Gewaltausbrüche als unvermeidbar dar. Zugleich zeigte sich die prokoloniale Presse keineswegs expansionsfreundlich, sondern betonte, dass man nur maßvolle Ziele verfolge. Einen Krieg mit Afghanistan gar wollte niemand, auch wenn es die meisten Zeitungen für mehr als wahrscheinlich hielten, dass der Amir an dem Ausbruch der Gewalt zumindest mitschuldig war. Zu sehr stand die Erinnerung an die vergangenen Kriege gegen Afghanistan für eine fehlgeleitete und von Niederlagen geprägte Imperialpolitik. Zudem trat ein Phänomen auf, das sich in der Geschichte des Britischen Empires häufiger beobachten lässt: In Anbetracht zunehmender Schwierigkeiten nahm der Respekt vor dem Gegner

der Afridis als „worthy adversary“ die Funktion hatte, die britische Überlegenheit noch deutlicher herauszustellen. 138 Dean! Dean!, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10114, 25. 8. 1897, S. 1. 1 39 The End in Sight, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10172, 1. 11. 1897, S. 1. 1 40 The Frontier Debate, in: The Times, Nr. 35441, 16. 2. 1898, S. 11.

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zu. Gerade in Indien hatte die Rekrutierung von ‚kriegerischen Stämmen‘ Tradition, und nachdem die ausgesandte Expedition die Afridis nicht so schnell wie erwartet niederzwang, erschien es als wichtigstes Kriegsziel, diesen Stamm für das Empire zu gewinnen. Anfang April endete schließlich die Kampagne in Tirah, die Afridis akzeptierten die britischen Bedingungen für die Einstellung der Kämpfe (sie mussten Gewehre abgeben und eine Strafe zahlen). Anders als etwa beim siegreichen Ende des Krieges im Sudan feierte die Presse den Abschluss der Kämpfe an der indischen Grenze nicht als Triumph, sondern zeigte sich eher erleichtert. Die Times freute sich über die „gratifying assurance that all sections of the Afridis accepted the terms offered to them by the Government of India“ und das Ende der „novel and arduous campaign“. Zudem widersprach sie dem Vorwurf, dass durch den Krieg der Hass gegen die Briten geschürt worden sei, solch eine Kritik zeuge nur von Unkenntnis des „orientalischen Geistes“: „The fighting races of the East respect the men who can beat them, and they bear no malice when the process has been completed.“ Gerade die härtesten und zähesten der ehemaligen Gegner würden schon jetzt ihre Kooperation anbieten und es als Ehre betrachten, zukünftig an der Seite der britischen Truppen zu kämpfen.141 Die Pall Mall Gazette äußerte in einem k­ urzen Kommentar die Hoffnung, dass aus den Fehlern der Kampagne die richtigen Lehren gezogen werden, und hob die inzwischen guten Beziehungen ­zwischen dem britischen Befehlshaber und den Afridis hervor: It is no slight matter of satisfaction to notice that Sir William’s farewell to the ­Afridis who gathered to see him off at the station was marked by incidents of the most cordial character and that he has entirely re-­established his influence over that brave and independent clan.142

Am Ende eines langen und unpopulären Krieges betrachtete die konservative Presse es als größten Erfolg, dass man nun von dem ehemaligen Gegner respektiert werde.

141 The Submission of the Afridis, in: The Times, Nr. 35484, 7. 4. 1898, S. 7. 142 O. T., in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10304, 5. 4. 1898, S. 2.

Kolonialpolitische Kontroversen auf dem Weg zur ‚Weltpolitik‘

1.4 Kolonialpolitische Kontroversen auf dem Weg zur ‚Weltpolitik‘ Die Geschichte des deutschen Kolonialismus lässt sich bis in die Frühe Neuzeit zurückverfolgen. Forderungen zum Bau einer Flotte, um die deutsche Position global zur Geltung bringen zu können, gab es schon während der Revolution von 1848. Zudem waren immer wieder Deutsche an der imperialen Expansion anderer Nationen beteiligt, besonders im Rahmen britischer Projekte.143 Deutsche Militäraktionen in der außereuropäischen Welt konnten aber erst nach Beginn des deutschen Kolonialismus 1884 zum Thema der Massenmedien werden. Im Kaiserreich hatte sich schon um 1880 eine Vereinsbewegung geformt, die sich für eine deutsche Kolonialpolitik einsetzte.144 In Anbetracht dieser Entwicklung war Bismarcks Initiative im Jahr 1884, mit der Erstellung von Schutzbriefen für einige Regionen in Afrika und in der Südsee kolonial aktiv zu werden, auch ein Versuch, die Popularität der Regierung und seine innenpolitische Position zu stärken.145 Kurzfristig hatte Bismarck mit dieser Strategie Erfolg, bei den Wahlen 1884 gewannen die prokolonialen Nationalliberalen und die Konservativen Mandate hinzu, die kolonialkritischen Linksliberalen mussten hingegen Verluste hinnehmen. (Betrachtet man die ­absolute Stimmenzahl und nicht die Mandate, war der Sieg der regierungsnahen Parteien jedoch weit weniger eindeutig.)146 Die 1884/85 in Berlin stattfindende Kongokonferenz werteten nicht nur die regierungsnahe nationalliberale und konservative Presse, sondern auch linksliberale Zeitungen und die Zentrumspresse als Erfolg der Diplomatie Bismarcks.147 In den folgenden Jahren sollten die deutschen Kolonien Bismarck jedoch weit weniger Freude bereiten. Seine Hoffnung, die Verwaltung der Kolonien privaten Handelsgesellschaften überlassen zu können, erwies sich als trügerisch. Aufstände und Widerstand zwangen das Deutsche Reich, sich militärisch in den Kolonien zu engagieren und die Verwaltung zu übernehmen. Die damit einhergehenden steigenden Kosten führten jedoch dazu, dass sich die Begeisterung

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Vgl. Fenske, Imperialistische Tendenzen, 1978. Vgl. Gründer, Geschichte, 2004, S. 39 – 43. Vgl. ebd., S. 51 – 62. Vgl. Baumgart, Eine neue Imperialismustheorie?, S. 199, FN 8; Pogge von Strandmann, Consequences, 1988, S. 111 f., 119. 1 47 Vgl. Bendikat, The Berlin Conference, 1988, S. 386, 394.

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für die deutsche Kolonialpolitik abkühlte und die Regierung einem weiteren Ausbau des Kolonialreiches skeptisch gegenüberstand.148 Im Jahr 1888 führte der Ausbruch eines Aufstandes an der ostafrikanischen Küste – zeitgenössisch ‚Araberaufstand‘ genannt – zu einer kurzfristigen Wiederbelebung des Kolonialenthusiasmus. Für die Legitimation des darauffolgenden Einsatzes von deutschem Militär spielte die Antisklavereipropaganda des französischen Kardinals Lavigerie eine entscheidende Rolle. Bismarck stand der Antisklavereibewegung zwar an sich skeptisch gegenüber, er instrumentalisierte sie nach Ausbruch des Aufstandes aber, um sich die Unterstützung des Reichstags für die deutsche Politik in Ostafrika zu sichern.149 Eine wichtige Rolle spielte dabei der Kolonialpublizist und ehemalige Leiter der Rheinischen Mission Friedrich Fabri. Er mobilisierte die evangelische Seite und wirkte an der Organisation einer großen interkonfessionellen Antisklaverei­ versammlung im Oktober 1888 mit. Die dort verkündete Propaganda hatte zwar wenig mit der Wirklichkeit an der ostafrikanischen Küste zu tun, sondern reproduzierte ältere Stereotype über die Sklaverei in Afrika. Politisch war sie aber ein Erfolg, denn im Dezember brachte die zuvor kolonialkritische Zentrumspartei einen Antrag ein, der die Regierung zur Bekämpfung des Sklavenhandels aufforderte.150 Zugleich gelang es, Großbritannien zu einer gemeinsamen Blockade der Küste zu bewegen. Wie spätere militärische Kooperationen stieß auch jetzt schon diese Zusammenarbeit auf Skepsis und Ablehnung in der britischen Öffentlichkeit, wenngleich die Pressebeziehungen beider Länder noch keinesfalls so vergiftet waren wie später anlässlich des ‚Krügertelegramms‘ nach dem Jameson Raid oder der Venezuelakrise 1902/03.151 Auch in Deutschland hielt die neu erweckte Kolonialbegeisterung nicht an, schon im April 1889 registrierte Fabri ein Nachlassen des Interesses an der Antisklavereibewegung.152 Die Regierung sah sich zwar durch die Ereignisse in Ostafrika gezwungen, dort stärkeres Engagement zu zeigen, blieb aber ansonsten bei einem vorsichtigen Kurs in der Kolonialpolitik. So verzichtete Deutschland im deutsch-­englischen Helgoland-­Sansibar-­Vertrag 1890 im Tausch gegen die Insel

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Vgl. Gründer, Geschichte, 2004, S. 79 – 96. Vgl. Ders., „Gott will es“, 1977. Vgl. Bade, Antisklavereibewegung, 1977. Vgl. ebd., S. 49; Fröhlich, Konfrontation, 1990, S. 73 – 85, zur Presse S. 77 f. Vgl. Bade, Antisklavereibewegung, 1977, S. 55 f.

Kolonialpolitische Kontroversen auf dem Weg zur ‚Weltpolitik‘

Helgoland auf Gebietsansprüche in Afrika.153 Allerdings gab es im Reichstag noch eine prokoloniale Minderheit, und aus Empörung über den Helgoland-­Sansibar-­ Vertrag gründeten nationalistische Kreise 1891 den ‚Allgemeinen Deutschen Verband‘ (seit 1894 ‚Alldeutscher Verband‘), die wohl radikalste aller ‚patriotischen‘ Gesellschaften im Deutschen Kaiserreich.154 Insgesamt war Kolonialismus zu Beginn der 1890er-­Jahre jedoch kein populäres Thema der deutschen Politik.155 Zudem erregten von Ende 1893 an eine Reihe von ‚Kolonialskandalen‘ die deutsche Öffentlichkeit. Machtmissbrauch und Verbrechen deutscher Kolonialbeamter beschädigten das Ansehen der deutschen Kolonialpolitik.156 Seit Mitte der 1890er-­Jahre mehrten sich dann aber die Stimmen, die eine aggressivere deutsche Außenpolitik forderten, um die zukünftige Position Deutschlands in der Weltwirtschaft zu sichern. Publizisten verbreiteten die Idee, dass Deutschland seinen Anteil am Welthandel nur erhalten und ausbauen könne, wenn die wirtschaftliche Expansion von einer starken Flotte flankiert werde.157 Auch Wilhelm II., seit 1888 deutscher K ­ aiser, war ein glühender Anhänger von Flotte und Kolonialpolitik. Seit dem Rücktritt des Reichskanzlers Caprivi 1894 griff er immer stärker und häufiger in die Politik der Regierung ein, um den Ausbau einer deutschen Flotte voranzutreiben, die eine aktivere Politik in der außereuropäischen Welt ermöglichen sollte.158 In einer Rede zum 25-jährigen Bestehen des Deutschen Reiches am 18. Januar 1896 verkündete Wilhelm II., dass aus „dem Deutschen Reiche […] eine Weltmacht geworden“ sei: „Überall in fernen Teilen der Erde wohnen Tausende unserer Landsleute. Deutsche Güter, deutsches Wissen, deutsche Betriebsamkeit gehen über den Ozean.“ Und, an seine Zuhörer gewandt, forderte er von diesen Hilfe ein, um seine „Pflicht nicht nur Meinen engeren Landsleuten, sondern auch den vielen Tausenden Landsleuten im Auslande gegenüber zu erfüllen, das heißt, dass Ich sie schützen kann, wenn Ich es muss“ 159. 153 Vgl. Bade, Einführung, 1984, S. 2 – 6; Mommsen, Grossmachtstellung, 1993, S. 112 – 114; Gründer, Geschichte, 2004, S. 236 f. 154 Vgl. Chickering, We Men who Feel Most German, 1984, S. 48 – 55. 155 Vgl. Gründer, Geschichte, 2004, S. 236 f. 156 Vgl. Schwarz, „Je weniger Afrika, desto besser“, 1999, S. 121 – 130, 194 – 198, 283 – 294. 157 Vgl. Canis, Von Bismarck zur Weltpolitik, 1997, S. 223 – 232. 158 Vgl. Mommsen, Grossmachtstellung, 1993, S. 123 – 139. 159 Rede Wilhelms II. über Deutschland als Weltreich (1896), in: vom Bruch/Hofmeister (Hg.), Deutsche Geschichte, Bd. 8, Nr. 65, S. 266 f., Zitat S. 267.

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Das Versprechen des Kaisers, sich für den Schutz seiner Landsleute einzusetzen, reihte sich in die Debatte über die ‚Auslandsdeutschen‘ ein, denen die Presse zu dieser Zeit viel Aufmerksamkeit widmete. Zwar hatte es auch zuvor militärische Operationen zum Schutz von Deutschen in nichteuropäischen Regionen gegeben, und schon vor Beginn des deutschen Kolonialismus standen die Deutschen im Ausland für das Prestige des Kaiserreichs.160 Aber von 1895 an gewann die Debatte über die ‚Auslandsdeutschen‘ an neuer Intensität und wurde eng mit den Forderungen verbunden, dass das Deutsche Reich weltweit eine aktivere Machtpolitik betreiben müsse.161 Mit dem schon erwähnten ‚Krügertelegramm‘ drückte die deutsche Regierung ihren Mitspracheanspruch im Süden Afrikas öffentlichkeitswirksam aus. Für diesen Schritt konnte sie sich großer Sympathien in der deutschen Presse erfreuen.162 In den Jahren 1897 und 1898 schließlich erreichte die mediale Auseinandersetzung über den Beginn der deutschen ‚Weltpolitik‘ einen neuen Höhepunkt. 1897 ernannte Wilhelm II. Bernhard von Bülow zum Staatssekretär des Äußeren und Alfred von Tirpitz zum Staatssekretär des Reichsmarineamtes; beide Politiker personifizierten neben dem deutschen K ­ aiser die Weltmachtambitionen der deutschen Politik. Ende 1897 und im Frühjahr 1898 diskutierte die Öffentlichkeit anhand eines Gesetzes über den Ausbau der Flotte über Sinn und Notwendigkeit des neuen politischen Kurses. Zwar diente das 1897 von Alfred von Tirpitz entworfene Flottengesetz vor allem dem Aufbau einer Schlachtflotte, die einen Seekrieg gegen einen europäischen Rivalen ermöglichen sollte.163 Aber in der Propaganda für die neue Flotte und der Pressedebatte darüber spielte immer wieder die Funktion der deutschen Marine eine Rolle, zum Schutz von Deutschen in außereuropäischen Regionen eingreifen zu können. Hierzu trugen nicht zuletzt zwei imperialistische Interventionen bei, die das Deutsche Reich zu dieser Zeit durchführte. Zum einen die Aggression gegen China nach der Ermordung zweier deutscher Missionare. Zum anderen die Kanonenbootpolitik in Haiti nach der Inhaftierung eines deutschen Kaufmanns.

160 Vgl. etwa zur Darstellung von Auslandsdeutschen in den Schulbüchern des Kaiserreichs Weiß, Nationale Identität, 2007, S. 35, 48. 161 Vgl. Fiebig-­von Hase, Lateinamerika, Bd. 1, 1986, S. 216. 162 Vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 95 f. 163 Vgl. klassisch Berghahn, Tirpitz-­Plan, 1971.

Auf den Spuren der katholischen Mission: Annexionspolitik in China

Neben diesen beiden Militäreinsätzen fanden weitere, kleinere Kolonialkriege in Afrika statt, ­welche die Presse allerdings weniger beachtete. Die imperialistischen Bestrebungen Deutschlands waren zudem während des Spanisch-­Amerikanischen Krieges und der Palästinareise Wilhelms II. 1898 Gegenstand der Presseberichterstattung.164 1899 erregte dann die Samoakrise das Aufsehen der Öffentlichkeit.165

1.5 Auf den Spuren der katholischen Mission: Annexionspolitik in China Deutschlands Intervention in China begann im November 1897, als Wilhelm II. nach der Lektüre von Pressemeldungen über die Ermordung von zwei deutschen katholischen Missionaren den Einsatz von Kriegsschiffen befahl, die umgehend die Jiaozhoubucht in der Provinz Shandong (zeitgenössisch: ‚Schantung‘) besetzten. Im Frühjahr 1898 folgte die Annexion des besetzten Territoriums, das als Kolonie ‚Kiautschou‘ bekannt werden sollte. (Auch hier wird im Folgenden die Bezeichnung ‚Kiautschou‘ für die betreffende Region verwendet.)166 Die deutsche Regierung legitimierte den Militäreinsatz mit dem Schutz von Staatsangehörigen im Ausland. In ­diesem Fall waren es Missionare, die an die Schutzverpflichtung des Deutschen Reiches appellierten. Der Beginn der deutschen Kolonialpolitik in China sowie die Debatten über den Beginn der ‚Weltpolitik‘ und das Flottengesetz waren also eng mit der Geschichte der christlichen Mission verwoben. Deren Wurzeln reichen zurück bis ins 7. Jahrhundert, um 1800 war die Mission jedoch zu einem Stillstand gekommen, es gab nur noch wenige Missionare in China. Mit der imperialistischen Penetration Chinas im 19. Jahrhundert kamen

164 Zur Palästinareise vgl. Fröhlich, Imperialismus, 1994, S. 11 – 16; zum Spanisch-­ Amerikanischen Krieg vgl. Hugo, ‚Uncle Sam I Cannot Stand, for Spain I have No ­Sympathy‘, 1999, zu Deutschlands Ambitionen während ­dieses Krieges bes. S. 83 – 85. 165 Vgl. Kap. 1.6. 166 Trotz der Bedeutung dieser Ereignisse für die politische Debatte zu Beginn der deutschen ‚Weltpolitik‘ gibt es noch keine medienhistorische Studie, die sich der Besetzung und Annexion Kiautschous widmet. Allerdings sind medienhistorische Aspekte ­dieses Konfliktes teilweise schon in der Parteien-, Missions-, Diplomatie- und Kolonialgeschichte behandelt worden, vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 2, 1935, S. 1010, 1012, 1030 f.; Gottwald, Zentrum, 1965, S. 204; Gründer, Christliche Mission, 1982, S. 279, zur Kölnischen Volkszeitung; Mühlhahn, Herrschaft, 2000, S. 98; Liu, Von der „Gelben Gefahr“ zur Eroberung Chinas, 2004, zur Kolonialliteratur.

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aber wieder mehr Missionare ins Land. In den Verträgen nach den beiden Opium-­ Kriegen (1839 – 42 und 1856 – 60) wurde die chinesische Regierung gezwungen, den Missionaren Schutz sowie Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit im ganzen Land zu garantieren, ihnen den Rang chinesischer Beamter zu verleihen und die europäischen Länder als Schutzmächte der Missionare zu akzeptieren. Die ersten beiden deutschen katholischen Missionare erreichten China im Jahre 1879. Es handelte sich um Johann Baptist Anzer und Josef ­Freinademetz, ihnen wurde 1882 der Süden Shandongs als Missionsgebiet zugewiesen. Zunächst standen sie wie alle katholischen Missionare unter französischer Protektion; in Berlin zeigte man nur wenig Interesse für die katholische Mission. Im Jahre 1890 übernahm das Deutsche Reich dann das Protektorat. Die deutsche Politik sah in der Übernahme der Schutzverpflichtung für die Missionare auch einen Weg, den französischen Einfluss in China zurückzudrängen und den eigenen auszuweiten. Bei der Überwindung des Widerstands aus Frankreich und dem Vatikan fand das Deutsche Reich in dem 1886 zum Bischof aufgestiegenen Anzer eine wichtige Hilfe. Dieser stellte den Vatikan vor vollendete Tatsachen, indem er sich deutsche Pässe für seine Missionare ausstellen ließ. Nach einigem diplomatischen Tauziehen ­zwischen Frankreich, Deutschland und dem Vatikan wurde Anzer schließlich erlaubt, seine Schutzmacht selbst zu wählen.167 Neben einer nationalen Gesinnung war Unzufriedenheit mit der französischen Unterstützung Anzers Motiv für sein aktives Werben um deutsche Protek­tion. Die Protektion durch eine imperiale Macht war in den Augen Anzers essenziell für die Verbreitung des Christentums in China. Shandong galt als schwieriges Feld für die Mission: In der Provinz war die Staatsmacht schwach, Räuberbanden und kriegerische Geheimbünde waren weit verbreitet. Mit Hilfe der deutschen Diplomaten in Peking und gestützt auf seine Rechts­ privilegien als chinesischer Beamter konnte Anzer dennoch ansehnliche Erfolge erreichen. So suchten häufig Chinesen bis hin zu ganzen Dorfgemeinschaften Schutz bei den katholischen Missionaren, wenn sie in Konflikt mit dem chine­ sischen Staat gerieten. Nach der Taufe ihrer neuen Schützlinge erklärten die Missionare diese Auseinandersetzungen zu religiösen Konflikten und griffen zugunsten der Bekehrten in die Prozesse ein. Diese Missionspraxis schürte eine große Christenfeindlichkeit in der nichtchristlichen chinesischen Bevölkerung,

167 Vgl. Gründer, Christliche Mission, 1982, S. 255 – 270; Chen, Mission, 1992, S. 78 – 105.

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die das Zusammenleben von Christen und Nichtchristen in den chinesischen Dorfgemeinschaften erschwerte. Das Leben in den chinesischen Dörfern war in dieser Zeit durch die Rituale der Volksreligion geregelt. Mit der Annahme der neuen Religion weigerten sich die chinesischen Christen aber, am kulturellen Leben der traditionellen Dorfgemeinschaft teilzunehmen und die damit verbundenen finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen. In der Mission war ­dieses Ausnutzen weltlicher Anreize für die Verbreitung des christlichen Glaubens nicht unumstritten, aber gerade Anzer hielt diese Vorgehensweise für unerlässlich, um die christliche Gemeinde zu vergrößern.168 Wahrscheinlich waren es ­solche Konflikte, die in der Nacht vom 1. zum 2. November 1897 zum Mord an den beiden Steyler Missionaren Franz Nies und Richard Henle führten, die in der Missionsstation von Georg Stenz zu Gast waren. In jener Nacht wurde die Missionsstation von einer bewaffneten Gruppe überfallen, Stenz jedoch, der aufgrund der räumlichen Gegebenheiten nicht im Hauptzimmer schlief, überlebte. Die Urheberschaft des Überfalls war damals umstritten und ist auch in der heutigen Forschung nicht eindeutig geklärt. Die chinesische Regierung machte nach der Tat Räuber dafür verantwortlich, aber vieles spricht dafür, dass auch Dorfbewohner beteiligt waren. Stenz’ Mission war bei den nichtchristlichen Einwohnern verhasst. Die meisten chinesischen Christen waren zuvor Mitglieder der Weißen-Lotus-Sekte gewesen und gehörten zu den wohlhabenden Dorfbewohnern. Nach dem Übertritt zum Christentum weigerten sie sich, ihren finanziellen Beitrag für die Dorffeste zu leisten. So war wahrscheinlich Stenz das eigentliche Ziel des Überfalls, und es war somit wohl ein Zufall, dass nicht Stenz, sondern seine beiden Gäste, die in seinem Zimmer schliefen, erschlagen wurden.169 Stenz meldete den Überfall am nächsten Morgen seinem Kollegen ­Freinademetz, dem vertretungsweise die Leitung der Mission oblag, da Anzer in Europa weilte. Freinademetz telegraphierte daraufhin an die deutsche Gesandtschaft in Peking mit der Bitte, der Gesandte möge sich dafür einsetzen, „die schwebende Angelegenheit in zufriedenstellender Weise und dem Ruhm des Deutschen R ­ eiches wür170 diger Weise beizulegen“. Ein zweites Telegramm schickte er an das Missionshaus 168 Vgl. Esherick, Origins, 1987, S. 79 – 91; Mühlhahn, Herrschaft, 2000, S. 335 – 354; Gründer, Rolle, 2002, S. 25 – 29. 169 Vgl. Esherick, Origins, 1987, S. 123 – 127. 170 Zit. nach Chen, Mission, 1992, S. 171.

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in Steyl, das die Nachricht an die Presse weiterleitete. Aufgrund der Verbindung zur Mission spielte die Zentrumspresse eine wichtige Rolle für die ­ersten Meldungen über den Vorfall. Die Kölnische Volkszeitung veröffentlichte am 5. November die Nachricht über den Tod der Missionare. In dem ­kurzen Artikel stellte das Blatt den Mord in Zusammenhang mit dem „großen Hass gegen die christliche Religion“.171 Die Germania veröffentlichte die Meldung einen Tag später und erklärte die Tat ebenfalls mit dem chinesischen „Christenhass“. Zum Schluss forderte der kurze Artikel: „Hoffentlich wird die Strafe der Missethat auf dem Fuße folgen. Sollte die chinesische Regierung zögern, Genugthuung zu geben, dann wird Deutschland schon im Interesse seines Ansehens dafür zu sorgen haben, dass das schmachvolle Verbrechen alsbald eine Sühne findet.“ 172 Die Kölnische Volkszeitung vom selben Tag hielt sich dagegen mit Rufen nach der Regierung zurück.173 An ­diesem Tag erfuhr auch Wilhelm II. aus der Presse vom Tod der Missio­ nare und telegraphierte sogleich den Befehl zur Besetzung Kiautschous an das Auswärtige Amt.174 Die Ereignisse in China kamen dem deutschen ­Kaiser in mehrfacher Hinsicht gelegen. Zum einen bildete China einen Schwerpunkt der deutschen imperialistischen Politik, seit Deutschland nach dem chinesisch-­ japanischen Krieg 1895 interveniert und in einer Koalition mit Russland und Frankreich den Sieger Japan zum Verzicht auf einen Teil seiner Forderungen gezwungen hatte. Dafür erwarteten die Deutschen, dass die Chinesen aus Dankbarkeit einen ­Flotten- und Handelsstützpunkt abtreten würden. Dem widersetzte sich die chinesische Regierung jedoch, und so suchte Deutschland einen Vorwand, um den – nach Ansicht der deutschen Regierung zu Unrecht

171 Steyl, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 803, 5. 11. 1897, Zweites Blatt. 172 Eine Trauernachricht aus der Mission von Süd-­Schantung, in: Germania, 6. 11. 1897, Erstes Blatt. 173 Sie zitierte die offiziöse ‚Norddeutsche Allgemeine Zeitung‘, die meldete, dass die Ermordung an „‚maßgebender Stelle‘ noch nicht bekannt“ sei, um hinzuzufügen: „Wir möchten dazu bemerken, dass in ­diesem Falle das Mutterhaus der betreffenden Missionare, Steyl, wohl ebenso ‚maßgebend‘ sein dürfte, wie die von der Nordd. Allg. Ztg. in’s Auge gefasste Stelle.“ Die Ermordung der beiden deutschen katholischen Missionare in Süd-­ Schantung, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 806, 6. 11. 1897, Zweites Blatt. 174 Kaiser Wilhelm II. an das Auswärtige Amt, in: Lepsius u. a. (Hg.), Die große Politik, Bd. 14, Erste Hälfte, 1927, Nr. 3686, S. 67.

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verweigerten – Stützpunkt gewaltsam zu annektieren.175 Zum anderen sah die deutsche Regierung in dem Umstand, dass es sich um katholische Missionare handelte, zu deren Schutz sie nun intervenierte, eine Chance, die Zentrumspartei für die deutsche Welt- und Flottenpolitik zu gewinnen. Das Zentrum nämlich spielte im Reichstag eine Schlüsselrolle. Bei der Verabschiedung des Etats für die Flotte im März 1897 waren die Planungen der Regierung nicht zuletzt an dieser Partei gescheitert. Wohl mit Blick auf die innenpolitische Situation fügte Wilhelm II. seinem Befehl zur Besetzung Kiautschous hinzu: Es ist das energische Auftreten um so mehr geboten, als ich dadurch meinen katholischen Untertanen inklusive der Ultramontanen von neuem beweisen kann, dass mir ihr Wohl genauso am Herzen liegt und sie ebenso auf meinen Schutz rechnen können als meine übrigen Untertanen.176

Die Skeptiker in der Regierung, besonders im Reichskanzleramt und im Auswärtigen Amt, konnten den K ­ aiser gerade noch überzeugen, zuvor das Einverständnis Russlands zu ersuchen. Nach einer ausweichenden Antwort des Zaren 177 erging dann am 7. November 1897 der kaiserliche Befehl zur Besetzung Kiautschous an den Kommandeur des ostasiatischen Geschwaders, Diederichs.178 Parallel dazu wies Berlin den deutschen Gesandten in China, Heyking, an, so hohe Forderungen nach Wiedergutmachung zu stellen, dass die chinesische Regierung unmöglich sofort darauf eingehen könne.179 Schon am 14. November erfolgte die Besetzung Kiautschous ohne militärischen Widerstand. Die

175 Vgl. Jung, Deutschland, 1996, S. 14, 25 – 28. 176 Kaiser Wilhelm II. an das Auswärtige Amt, in: Lepsius u. a. (Hg.), Die große Politik, Bd. 14, Erste Hälfte, 1927, Nr. 3686, S. 67. 177 Die Antwort des Zaren lautete: „Cannot approve, nor disapprove Your sending German Squadron to Kiautschou as I have lately learned that this harbour only had been temporily ours in 1895 – 1896.“ Abgedruckt in: K ­ aiser Wilhelm II. an den Reichskanzler Fürsten von Hohenlohe, in: Lepsius u. a. (Hg.), Die große Politik, Bd. 14, Erste Hälfte, 1927, Nr. 3689, S. 69. 178 Telegramm von K ­ aiser Wilhelm II. an den Chef des Kreuzgeschwaders in Ostasien, ­Diederichs (7. 11. 1897), in: Leutner/Mühlhahn (Hg.), „Musterkolonie Kiautschou“, 1997, Nr. 19, S. 119. 179 Telegramm des Reichskanzlers Hohenlohe an den deutschen Gesandten Heyking (7. 11. 1897), in: ebd., Nr. 20, S. 119.

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chinesischen Truppen zogen sich unter Protest zurück und Diederichs proklamierte offiziell die deutsche Besatzung.180 Vom 20. November an führte Heyking Verhandlungen mit dem Zongli Yamen, Chinas Behörde für auswärtige Beziehungen. Am 7. Dezember einigte man sich über die Entschädigung für die Mission; am 4. Januar 1898 akzeptierte die chine­sische Regierung einen Vertragsentwurf zur Pachtung Kiautschous auf 99 Jahre; am 15. Januar wurde der Missionszwischenfall durch einen Notenwechsel offiziell beigelegt; am 6. März wurde schließlich das Abkommen über die Pachtung Kiautschous abgeschlossen. Anders als im Vertragsentwurf vom 4. Januar waren hierin auch die wirtschaftlichen Privilegien geregelt, die Deutschland für die Provinz Shandong gefordert hatte.181 In Bezug auf die anderen imperialen Mächte lief die Besetzung nicht ganz so problemlos, wie es sich Wilhelm II. nach seinem telegraphischen Austausch mit dem russischen Zaren gedacht hatte. Russland konnte auf im Winter 1895/96 von China erworbene Ankerrechte in Kiautschou verweisen und meldete Einwände gegen eine dauerhafte deutsche Annexion an. China versuchte deshalb in den Verhandlungen Russland gegen Deutschland auszuspielen. Zu einem Eingreifen zugunsten Chinas zeigte sich die russische Regierung allerdings nicht bereit und akzeptierte schließlich das deutsche Vorgehen. Russland besetzte dann am 16. Dezember 1897 Port Arthur, um selbst einen eisfreien Flottenstützpunkt in China zu erhalten. Dies wiederum weckte den Widerstand Großbritanniens und Japans, die daraufhin eine Flottendemonstration im Gelben Meer veranstalteten, die auch in Berlin Besorgnis hervorrief. Am Ende kam es jedoch zu keinem Zusammenstoß der imperialen Mächte, Großbritannien entschied sich, einen weiteren Hafen zu besetzen, sodass die Interessenkonflikte der euro­pä­i­ schen Staaten auf Kosten Chinas gelöst wurden.182 Die deutsche Presse berichtete erstmals am 13. November über die geplante Besetzung,183 zuvor waren nur vereinzelt Nachrichten zu den getöteten M ­ issionaren

180 Proklamation des Chefs des Kreuzgeschwaders in Ostasien, Diederichs (14. 11. 1897), in: ebd., Nr. 22, S. 120 – 121. 181 Gründer, Christliche Mission, 1982, S. 285 f.; Jung, Deutschland, 1996, S. 42 – 46, 62 – 67; Mühlhahn, Herrschaft, 2000, S. 107 – 110. 182 Vgl. Jung, Deutschland, 1996, S. 35 – 62; Dülffer u. a., Vermiedene Kriege, 1997, S. 475 – 489. 183 Vgl. etwa Zur Ermordung der Steyler Missionare in Süd-­Schantung, in: Germania, 13. 11. 1897, Zweites Blatt.

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erschienen. Insgesamt schrieben die Zeitungen dem Vorfall keine entscheidende politische Bedeutung zu.184 Die Zentrumsblätter berichteten zwar etwas ausführlicher über den Tod der Missionare, aber auch für sie war China nicht das dominierende Thema.185 Ein Artikel der Kölnischen Volkszeitung vom 11. November kündigte dabei einen Wandel des Deutungsrahmens an, der sich so später in der gesamten deutschen Presse wiederfand: Demnach hätten nicht, wie anfangs vermutet, eine geheime Sekte oder Räuber die Tat verübt, sondern christenfeindliche Schriftgelehrte die Bevölkerung zu dem Mord angestachelt.186 Diese Interpretation lag voll und ganz auf der späteren Linie der deutschen Regierung, die den chinesischen Beamten vor Ort die Schuld an den Morden gab; die chine­sische Regierung hingegen argumentierte, dass es sich um einen normalen kriminellen Raubmord gehandelt habe.187 Mit der Besetzung Kiautschous gewann die Situation in China an politischer Brisanz und die Folgen der deutschen Militäraktion rückten in den Fokus der Mediendebatten. Zum einem galt das Interesse dem politischen Konflikt mit China, und die Zeitungen fragten, ob China gegen das deutsche Vorgehen Widerstand leisten oder in die Forderungen einwilligen werde. Als besonders kritisch betrachtete man dabei die Frage, ob Deutschland Kiautschou nur zeitweise zur Unterstreichung seiner Forderung nach Entschädigung besetzt habe oder eine dauerhafte Annexion plane. Zum anderen beobachtete die deutsche Presse die Reaktion der übrigen in China aktiven Mächte. Wie für imperialistische Interventionen in umstrittenen Regionen typisch, ging mit der militärischen Aktion gegen einen nichteuropäischen Staat auch eine Machtdemonstration an die Adresse der anderen europäischen Staaten einher (sowie im Fall einer Intervention in China auch an die Vereinigten Staaten und Japan). So stand die Frage im Raum, ob ein anderer imperialistischer Staat (oder eine Koalition mehrerer Staaten) sich Deutschland entgegenstellen werde. 184 Die Kölnische Zeitung etwa gab am 10. November das Gerücht wieder, Frankreich und Deutschland führten Verhandlungen über eine gemeinsame Demonstration in China, da auch französische Missionare ermordet worden ­seien. Es handelte sich jedoch nur um eine kürzere Meldung im hinteren Nachrichtenteil. China, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1001, 10. 11. 1897, Abend-­Ausgabe. 185 Vgl. Zu der Ermordung der Missionare in China, in: Germania, 12. 11. 1897, Erstes Blatt. 186 Zur Ermordung deutscher Missionare in China, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 820, 11. 11. 1897, Zweites Blatt. 187 Vgl. Chen, Mission, 1992, S. 170 f.

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Für Informationen über den Stand der Verhandlungen war die deutsche Presse vor allem auf englische Quellen angewiesen. Zwar reiste ein Militärkorrespondent des Berliner Lokal-­Anzeigers mit den Verstärkungen, die im Dezember 1897 von Deutschland aus aufbrachen, nach Kiautschou,188 und der Lokal-­Anzeiger hatte von Ende Dezember an einen Informanten in Peking, der manchmal Meldungen zum Stand der Verhandlungen nach Berlin telegraphierte.189 Für den Zeitraum, in dem das Ergebnis der deutschen Militäraktion noch offen war, waren jedoch insbesondere der Pekingkorrespondent der Times sowie die Nachrichtenagenturen Reuters und Dalziel die Hauptquelle für die regelmäßige Berichterstattung über die Lage in China und die internationalen Konflikte in Ostasien. Die aus China eintreffenden Nachrichten waren für die deutsche Presse allerdings kaum überprüfbar und die Zeitungen druckten die Meldungen häufig mit Hinweis auf ihren unsicheren Wahrheitsgehalt ab. Besonders Dalziel galt als unzuverlässig, tatsächlich waren viele Informationen dieser Agentur schlichte Falschmeldungen.190 Die deutsche Regierung äußerte sich lange kaum zu ihrer Chinapolitik, nur vereinzelt konnten Zeitungen wie der Berliner Lokal-­Anzeiger mit Verweis auf regierungsnahe Kreise Details, die aus englischer Quelle an die Öffentlichkeit drangen, dementieren.191 In den ersten Nachrichten über die Besetzung der Bucht erschien die deutsche Aktion als Erfolg. Die Zeitungen berichteten, dass sich die Chinesen ohne Gegenwehr zurückgezogen hätten.192 Dass China militärischen Widerstand gegen das deutsche Vorgehen leisten könnte, löste bei der Mehrheit der deutschen 188 Der Berliner Lokal-­Anzeiger warb an prominenter Stelle damit, dass sein Militärberichterstatter als einziger Korrespondent die Truppen begleitete, vgl. Expedition nach China, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 603, 25. 12. 1897. 189 Vgl. ostasiatischen Frage, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 611, 31. 12. 1897, 1. Ausgabe; Anleihefrage, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 31, 20. 1. 1898, 1. Ausgabe. 190 Vgl. Fuchs, Telegraphische Nachrichtenbüros, 1919, S. 142 f. Als Dalziel etwa die Meldung herausgab, dass es bei der Besetzung der nordwestlich der Bucht gelegenen Stadt ­Kiautschou Anfang Dezember zu militärischen Widerstand und toten deutschen Soldaten gekommen sei, schenkte die deutsche Presse dieser Nachricht wenig Glaubwürdigkeit, vgl. etwa o. T., in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 573, 8. 12. 1897, 1. Ausgabe. 191 Vgl. etwa deutsch-­chinesischen Konflikt, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 567, 4. 12. 1897, 1. Ausgabe. 192 Vgl. etwa o. T., in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 540, 18. 11. 1897, Abend-­Ausgabe; Besetzung der Bucht von Kiautschou, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 541, 19. 11. 1897, 1. Ausgabe; Zum chinesisch-­deutschen Konflikt, in: Vorwärts, Nr. 270, 19. 11. 1897.

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Zeitungen keine Besorgnis aus. Hierfür war sicherlich das Chinabild infolge des Japanisch-­Chinesischen Krieges mitentscheidend. In der Kölnischen Volkszeitung etwa erschien nur wenige Tage bevor der Missionszwischenfall bekannt wurde ein Artikel darüber, wie leicht es den Japanern gefallen sei, die Küstenbefestigungswerke Chinas einzunehmen.193 Auch der deutsche ­Kaiser schien chinesischen Widerstand nicht zu fürchten. Auf die Gefahr hingewiesen, dass China von Russland und Frankreich zu kriegerischen Aktionen angestachelt werden könnte, bemerkte Wilhelm II., „dass die Chinesen keine Krieger sind“.194 Selbst im Vorwärts, der in der kritischen Phase des Konfliktes „Verwicklungen“ mit China befürchtete,195 entfaltete ­dieses Chinabild seine Wirkungsmacht. So warnte er am 11. Dezember, dass man „im Ernstfall an einen bewaffneten Widerstand Chinas […] denken“ müsse. Zwar lasse der Chinesisch-Japanische­Krieg Chinas Militär nicht in einem „glänzenden Lichte“ erscheinen, aber es wären doch „immerhin Zusammenstöße zu befürchten“.196 Die einzige Ausnahme in der öffentlichen Debatte nach der Besetzung Kiautschous war ein Artikel der Kölnischen Volkszeitung, in dem auf die Schwierigkeiten verwiesen wurde, sollte es zu ernsthaftem Widerstand der Chinesen kommen.197 Die Mehrheit der Presse lobte hingegen das ‚energische‘ Vorgehen Deutschlands, häufig verbunden mit dem Argument, dass der Einsatz von Gewalt die einzige Sprache sei, die von China verstanden werde.198 Die Kölnische Zeitung, der Berliner Lokal-­Anzeiger, die Freiburger Zeitung und die Germania unterstützten die Regierung uneingeschränkt und feierten den deutschen Militäreinsatz als patriotische Großtat. Die Frage einer möglichen Annexion des besetzten Territoriums ließen sie zunächst offen und bewerteten die Besetzung als den

193 China’s Küstenbefestigungswerke, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 794, 2. 11. 1897, Zweites Blatt. 194 Randbemerkung des Kaisers zu folgendem Telegramm: Der Reichskanzler Fürst von Hohenlohe an ­Kaiser Wilhelm II., z. Z. in Kuchelna in Schlesien, in: Lepsius u. a. (Hg.), Die große Politik, Bd. 14, Erste Hälfte, 1927, S. 79 – 81, Zitat S. 81, FN 1. 195 Überseeische Machtentfaltung, in: Vorwärts, Nr. 275, 25. 11. 1897. 196 Die chinesische Frage, in: Vorwärts, Nr. 289, 11. 12. 1897. 197 Die Bewegungen der deutschen Kriegsflotte, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 842, 20. 11. 1897, Zweites Blatt. 198 Vgl. etwa Asien. Zur Ermordung der deutschen Missionare, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1025, 19. 11. 1897, Erste Morgen-­Ausgabe; Bei einer Unterredung, die der K ­ aiser, in: Freiburger Zeitung, Nr. 266, 21. 11. 1897.

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richtigen Weg, um von China ‚Sühne‘ für die ermordeten Missionare zu erlangen. In ihrer ersten Meldung über das Aussenden der ostasiatischen Kreuzerdivision zur Besetzung eines Hafens an der Küste Shandongs bezeichnete die Kölnische Zeitung am 14. November Kiautschou als geeignetes „Pfandobjekt“, welches man solange besetzen werde, bis „endlich einmal ein vorbildliches Beispiel aufgestellt ist, das die Chinesen in Zukunft davon abschreckt, Europäer und insonderheit deutsche Staatsunterthanen wie die Hunde totzuschlagen“.199 Ähnlich wertete der Berliner Lokal-­Anzeiger die Militäraktion als Maßnahme, um dafür „Vorsorge zu treffen“, dass „derartige Ausschreitungen gegen Angehörige des deutschen Reiches in Zukunft sich nicht wiederholen können.“ Ob nur „eine vorüber­gehende Beschlagnahme“ oder „eine dauernde Niederlassung“ geplant sei, wäre „noch nicht bekannt“.200 Für die Germania war „die Erlangung der Sühne für die Ermordung der katholischen Missionare“ das nächste Ziel, aber wenn sich zugleich „die Kohlenstationsfrage lösen“ ließe, ergänzte sie, sei „dagegen gewiss nichts einzuwenden“.201 So konnte die deutsche Presse anfangs nur darüber spekulieren, ob eine Annexion des besetzten Territoriums geplant sei. Die Freiburger Zeitung etwa schrieb am 25. November, dass es unter „gewissen Voraussetzungen […] terri­ toriale Zugeständnisse“ von chinesischer Seite geben werde.202 Der Berliner Lokal-­Anzeiger dagegen meinte am 28. November, dass, sollte China nachgeben, die Okkupation nur von kurzer Dauer sein werde. Aufgrund der chinesischen

199 Die Ermordung der deutschen Missionare, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1011, 14. 11. 1897, Sonntags-­Ausgabe. Ähnlich nach der Bestätigung, dass Kiautschou das Ziel der ausgesandten Kreuzerdivision sei: China, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1017, 16. 11. 1897, Erste Morgen-­Ausgabe. 200 Kreuzer-­Division, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 539, 17. 11. 1897. 201 Zur Besetzung von Kiautschau, in: Germania, 25. 11. 1897, Erstes Blatt. In ­diesem Artikel warnte sie jedoch bezüglich einer Annexion Kiautschous auch: „Es empfiehlt sich indes, die letztere Angelegenheit nicht zu forcieren.“ Ähnlich zur möglichen Annexion: Zum deutsch-­chinesischen Streitfall, in: Germania, 26. 11. 1897, Erstes Blatt: „Zunächst sind wir in unserem guten Recht, wenn wir von China Genugtuung verlangen. Darüber hinaus hat unsere Reichsregierung noch nichts verlauten lassen; der Lärm englischer und franzö­ sischer Blätter über die Besetzung von Kiautschou ist nur ein Z ­­ eichen des Unmutes über die bloße Möglichkeit, dass Deutschland bei der Erledigung des Streitfalles etwas ‚herausschlagen‘ könnte. Unsere Presse tut gut daran, wenn sie sich auf keinerlei abenteuerliche Kombination einlässt.“ 202 Deutschland zur See, in: Freiburger Zeitung, Nr. 269, 25. 11. 1897.

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„Hartnäckigkeit“ sei jedoch die „Ueberführung unseres Pfandbesitzes in Eigenthum“ möglich.203 Aber auch wenn die Zukunft Kiautschous zunächst offenblieb, erschien der Kölnischen Zeitung, dem Berliner Lokal-­Anzeiger, der Freiburger Zeitung und der Germania eine Annexion durchaus wünschenswert. So wurde in einigen Artikeln auf die Vorzüge eines Hafens in dieser Region hingewiesen.204 Anders als die Germania stand das zweite große Zentrumsblatt, die K ­ ölnische Volkszeitung, einer Annexion zunächst sehr skeptisch gegenüber. In einem längeren Leitartikel vom 20. November kritisierte sie die Stimmen, die eine dauerhafte Besetzung forderten, und bezweifelte, dass zu der „Genugtuung die vertragsmäßige dauernde Festsetzung der deutschen Macht in Kiautschou gehören wird“. Der Aufbau eines Hafens würde Millionen kosten und zu einer Steigerung der Marine-­Forderungen führen.205 Am folgenden Tage verteidigte sich die Kölnische Volkszeitung gegen den Vorwurf, in der Chinapolitik zu ängstlich zu sein. Sie mahnte weiterhin zur Vorsicht, argumentierte aber nun: „[W]enn […] deutsche handelspolitische Zwecke sich bei dieser Gelegenheit ohne Gefährdung wichtiger Interessen fördern lassen, so wird niemand in Deutschland etwas dagegen einzuwenden haben.“ 206 Am kritischsten äußerte sich erwartungsgemäß die sozialdemokratische Presse zur deutschen Chinapolitik. In seinem ersten ausführlichen Leitartikel dazu wies der Vorwärts am 25. November darauf hin, dass die deutsche Regierung in der Vergangenheit nur wenig für die Mission getan habe und die Ermordung der Missionare deswegen nur ein Vorwand für die Annexion des Flottenstützpunktes sei. Die Berechtigung zur Annexion bestritt der Vorwärts grundsätzlich, er warnte vor Konflikten mit China oder anderen europäischen Mächten und einem politischen Kurs, der Deutschland in „die Bahnen einer uferlosen Weltmachtspolitik“ führe.207

203 Umschau, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 557, 28. 11. 1897. 204 Vgl. etwa Eine Unterredung mit Bischof Anzer, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 537, 16. 11. 1897, 1. Ausgabe; China, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1017, 16. 11. 1897, Erste Morgen-­ Ausgabe; Der Hafen von Kiautschau, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1026, 19. 11. 1897, Zweite Morgen-­Ausgabe. 205 Die Bewegungen der deutschen Kriegsflotte, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 842, 20. 11. 1897, Zweites Blatt. 206 Deutschland und China, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 843, 21. 11. 1897, Zweites Blatt. 207 Überseeische Machtentfaltung, in: Vorwärts, Nr. 275, 25. 11. 1897.

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Von Anfang Dezember an stellte sich dann immer deutlicher heraus, dass Deutschland die dauerhafte Besatzung Kiautschous plante. Am 30. November erschien in der englischen Presse eine Reuters-­Meldung aus Shanghai mit einer Liste der deutschen Forderungen, die neben umfangreichen Entschädigungen für die katholische Mission auch die Abtretung Kiautschous beinhaltete.208 Daraufhin erschien in der semioffiziellen „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ ein Artikel, der gegenüber „Vermutungen“ in der Presse betonte, die Besetzung Kiautschous diene ausschließlich der Erlangung von Genugtuung für die ermordeten Missionare. Die Kölnische Zeitung druckte diese Darstellung am 1. Dezember ab,209 ging in den folgenden Ausgaben aber auf ausländische Pressestimmen ein, die sich mehrheitlich wohlwollend oder zumindest nicht ablehnend über eine dauerhafte Besetzung Kiautschous durch Deutschland äußerten.210 Am 4. Dezember folgerte die Kölnische Zeitung schließlich, dass die Reuters-­Meldung über die deutschen Forderungen wohl korrekt sei, da die deutsche Regierung sie nicht dementiert hatte, und widmete sich in einem Leitartikel ausführlich der Legitimation der offenbar anstehenden Annexion. Dabei lief ihre Argumentation darauf hinaus, dass die deutschen Forderungen zwar hoch, aber angemessen ­seien, da es nicht nur um „Buße für die Ermordung der Missionare“ gehe, sondern auch um die „noch rückständige Entschädigung für die Dienste, die Deutschland beim Friedens­schluß mit Japan […] geleistet hat“.211 Der Berliner Lokal-­Anzeiger, die Freiburger Zeitung und die Germania ignorierten die Reuters-­Meldung zu den deutschen Forderungen zwar weitgehend, aber auch in diesen Zeitungen wurde die Annexion Kiautschous zunehmend als Ziel der deutschen Politik dargestellt.212 Wichtig erschien der deutschen Presse

208 Vgl. etwa Germany and China, in: The Times, Nr. 35374, 30. 11. 1897, S. 5. 209 O. T., in: Kölnische Zeitung, Nr. 1062, 1. 12. 1897, Erste Morgen-­Ausgabe. 210 Am 2. Dezember kontrastierte sie den freundlichen Ton der Times mit der „deutschfeindlichen Morning Post“, die eine Besetzung ablehnte, vgl. China, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1066, 2. 12. 1897, Erste Morgen-­Ausgabe. Am 3. Dezember gab sie den Inhalt eines Artikels des „Journal des Débats“ wieder, demzufolge Frankreich in der betreffenden chinesischen Region keine ernsten Interessen habe, vgl. China, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1071, 3. 12. 1897, Abend-­Ausgabe. 211 Deutschland in China, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1075, 4. 12. 1897, Abend-­Ausgabe. 212 Der Berliner Lokal-­Anzeiger etwa interpretierte die erwähnte Meldung der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ dahingehend, dass der Annahme, Deutschland wolle ­Kiautschou dauerhaft behalten, von „halbamtlicher Seite widersprochen“ worden sei, vgl.

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dann eine Meldung der Times vom 8. Dezember, nach der China alle deutschen Forderungen außer der Abtretung Kiautschous akzeptiert habe.213 Von Ende November an zogen zudem Reden führender deutscher Politiker zur Chinapolitik die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich. Neben der ersten Rede des neuen Staatssekretärs des Äußeren, Bülow, am 6. Dezember im Reichstag 214 waren dies insbesondere zwei Reden des Kaisers: seine Thronrede zur Eröffnung des Reichstags am 30. November 215 sowie vor allem die Rede in Kiel am 16. Dezember bei der Verabschiedung seines Bruders, des Prinzen Heinrich. Dieser reiste als Kommandeur einer Kreuzerdivision nach China, die als Teil eines Geschwaders die deutschen Ansprüche unterstreichen sollte. Nachrichten über die Entsendung der Verstärkung und die führende Position des Prinzen Heinrich dabei erschienen schon früh in der Presse, und die regierungstreuen Zeitungen berichteten daraufhin über jede Bewegung des Prinzen mit patriotischem Pathos.216 In der Kieler Rede betonte Wilhelm II. sein Schutzversprechen für die „deutschen Brüder kirchlichen Berufs“ sowie allgemein für Deutsche im Ausland. Ziel des Militäreinsatzes sei es, „das ­gleiche Recht, was von Fremden allen anderen Nationen gegenüber zugestanden wird“, auch für die Deutschen sicherzustellen.

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Kiautschou-­Bucht, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 561, 1. 12. 1897, 1. Ausgabe. Acht Tage später hingegen konnte der Lokal-­Anzeiger berichten, dass der K ­ aiser bei einem Gespräch mit dem Reichstagspräsidium die Pachtung Kiautschous auf „recht lange Zeit“ als mögliches Ergebnis der Verhandlungen mit China angedeutet hatte, vgl. Aeußerungen des Kaisers, Nr. 575, 9. 12. 1897, 1. Ausgabe. The Occupation of Kiao-­Chau. German Demands Accepted. (From Our Own Correspondent.), in: The Times, Nr. 35381, 8. 12. 1809, S. 7. Der Berliner Lokal-­Anzeiger führte das chinesische Nachgeben vor allem auf das „energische Vorgehen des deutschen Kreuzergeschwaders“ zurück, das kurz zuvor die Stadt Kiautschou besetzt hatte, vgl. Der deutsch-­ chinesische Streitfall, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 574, 8. 12. 1897, 2. Ausgabe. Zur Rede Bülows siehe Kap. 1.8. Der Presse zufolge wurde die Stelle der Rede, in der sich der ­Kaiser zur Aktion in China äußerte, mit einem „Bravo“ aufgenommen, vgl. Die Eröffnung des Reichstags, in: ­Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 560, 30. 11. 1897, 2. Ausgabe; o. T., in: Kölnische Zeitung, Nr. 1062, 1. 12. 1897, Erste Morgen-­Ausgabe. Vgl. Bildung einer zweiten Kreuzerdivision, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 519, 24. 11. 1897, 1. Ausgabe. Besonders ausführlich berichtete der Lokal-­Anzeiger über den Besuch H ­ einrichs bei Bismarck vor seiner Abreise nach China: Prinz Heinrich und Fürst Bismarck, in: ­Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 575, 9. 12. 1897, 1. Ausgabe.

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Mit der Formel „Reichsgewalt bedeutet Seegewalt“ warb er für die deutsche Marine. Neben der Kaiserrede und der Antwort seines Bruders veröffentlichte die Presse noch am gleichen Tag Depeschen des Kardinals Kopp und des Erzbischofs Stablewski, die dem ­Kaiser ihre Unterstützung für die Militäraktion versicherten.217 Mit ihrer martialischen Diktion kann die Rede als Vorläufer der berüchtigten ‚Hunnenrede‘ betrachtet werden,218 auch wenn sie weitaus weniger kontrovers war. Den größten rhetorischen Fehltritt leistete sich in ­diesem Fall auch nicht Wilhelm II., sondern sein Bruder, der es als sein Anliegen bezeichnete, „das Evangelium Euerer [sic!] Majestät geheiligter Person im Auslande zu künden“ 219. In der Presse stießen die Reden auf ein geteiltes Echo. Für den Berliner Lokal-­Anzeiger waren sie „bedeutsame Reden“, der ­Kaiser habe in „markigen Zügen die Umrisse der überseeischen Politik“ gezeichnet.220 Der Vorwärts kritisierte sie und warnte davor, die toten Missionare zum Anlass zu nehmen, „um weite Weltmachtpläne auszuspinnen“.221 Die Kölnische Volkszeitung kritisierte die Stimmungsmache für die Marine und konstatierte, dass es „den Flottenplänen offenbar sehr gelegen“ komme, „daß gerade jetzt in China Missionare ermordet worden sind“. Zu den Worten des Prinzen Heinrichs merkte sie an: „Wollen wir den Chinesen das ‚Evangelium‘ mit Kanonen verkünden und einen neuen Kreuzzug unternehmen?“ 222 Weitaus positiver äußerte sich das zweite wichtige Zentrumsblatt, die Germania. Sie lobte, dass der ­Kaiser die Schutzverpflichtung für die Missionen betont habe, die „in den Erörterungen der letzten Zeit mehr in den Hintergrund gedrängt wurde“.223 Einen Tag ­später referierte

217 Zit. nach Prinz Heinrichs Abschied, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 588, 16. 12. 1897, 2. Ausgabe. 218 Dies betrifft besonders die Aufforderung Wilhelms II. an seinen Bruder, wenn nötig mit „gepanzerter Faust“ vorzugehen, vgl. Mühlhahn, Herrschaft, 2000, S. 97. 219 Zit. nach Prinz Heinrichs Abschied, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 588, 16. 12. 1897, 2. Ausgabe. 220 Ebd. 221 Das Evangelium von 1897, in: Vorwärts, Nr. 294, 17. 12. 1897; vgl. auch Die Evangeliums-­ Reden von Kiel, in: Vorwärts, Nr. 295, 18. 12. 1897. 222 Wo hinaus?, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 915, 17. 12. 1897, Zweites Blatt; vgl. auch Wochen-­ Rundschau, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 917, 18. 12. 1897, Erstes Blatt; Die Kieler Ansprache des Kaisers und die Antwort des Prinzen Heinrich, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 918, 18. 12. 1897, Zweites Blatt. 223 Die Ausfahrt des Prinzen Heinrich, in: Germania, Nr. 288, 17. 12. 1897, Erstes Blatt.

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die Germania jedoch in einem Leitartikel ausführlich kritische Pressestimmen zu den Kieler Reden, deren Kritik sie sich vorsichtig anschloss. Insbesondere wies sie darauf hin, dass der Monarch nicht geheiligt sei und es nur das christliche Evangelium gebe.224 Wie die Reaktion der Germania auf die Kaiserrede zeigt, spielten die Missionare nach der erfolgten Besetzung keine große Rolle mehr für die Berichterstattung, im Vordergrund standen nun die politischen Folgen der deutschen Aktion.225 Allerdings war die Germania insoweit eine Ausnahme in der deutschen Presse, als sie mehrere Artikel veröffentliche, die die Lage der Mission in China als bedrohlich schilderten.226 Einen Artikel vom 29. Dezember mit einer positiven Stellungnahme Bischof Anzers zu den wirtschaftlichen Vorzügen Kiautschous und Shandongs ergänzte die Germania um den Hinweis, dass auch „zum Schutz der bedrohten Missionen in Schantung Kiao-­tschau einen vortrefflichen Stützpunkt abgeben würde“. Und sie zog die Schlussfolgerung: „Das Evangelium bedarf der Waffen nicht zu seiner Verbreitung. Aber dass deutsche Missionare

224 Die Abschiedsrede des Kaisers und des Prinzen Heinrich, in: Germania, Nr. 289, 18. 12. 1897, Erstes Blatt. 225 Auch der Berliner Lokal-­Anzeiger beobachtete, dass in Zeiten der politischen Verhandlungen ­zwischen den Mächten „die Ermordung der deutschen Missionare […] naturgemäß für den Augenblick in den Hintergrund getreten“ sei, vgl. Kiautschou-­Angelegenheit, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 554, 26. 11. 1897, 2. Ausgabe. Der Lokal-­Anzeiger selbst widmete den Missionaren noch vergleichsweise große Aufmerksamkeit. So veröffentlichte er etwa Ende des Jahres 1897 am 16. November ein Gespräch mit Bischof Anzer, über den er auch später noch vereinzelt berichtete, und am 20. November einen älteren Bericht des Missionars Stenz, der zuvor in der Kölnischen Volkszeitung erschienen war, vgl. Eine Unterredung mit Bischof Anzer, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 537, 16. 11. 1897, 1. Ausgabe; o. T., in: Berliner-­Lokal-­Anzeiger, Nr. 544, 20. 11. 1897, 2. Ausgabe; Anzer, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 608, 29. 12. 1897, 2. Ausgabe. 226 Vgl. Zu der Ermordung der Missionare in China, in: Germania, 12. 11. 1897, Erstes Blatt; Über die Ermordung der Steyler Missionare in China, Germania, 19. 11. 1897, Erstes Blatt; Für die Christenhetze in China, in: Germania, 20. 11. 1897, Erstes Blatt; Die Stimmung in China, in: Germania, 21. 11. 1897, Viertes Blatt; Das Apostolische Vicariat Süd-­Schantung, in: Germania, 23. 11. 1897, Zweites Blatt; Wr. Prinz Arenberg über die katholischen Missionen in den deutschen Kolonialgebieten, in: Germania, 23. 11. 1897, Zweites Blatt; Eine Unterredung mit dem Bischof v. Anzer von Südschantung, in: Germania, 28. 12. 1897, Zweites Blatt; Über die Ermordung der chinesischen Missionare in Süd-­Schantung, in: ­Germania, Nr. 2, 4. 1. 1898, Zweites Blatt; Die Ermordung der beiden Steyler Missionare in Süd-­Schantung, in: Germania, 6. 1. 1898, Erstes Blatt.

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den Schutz des mächtigen deutschen Reiches genießen, wo d ­ ieses angängig ist, das ist ganz in der Ordnung.“ 227 Kritischer setzte sie sich in einem Leitartikel mit der Politik der Regierung auseinander, in dem sie es als „schreiendes Unrecht“ bezeichnete, dass in China für alle Missionen das Recht auf freie Niederlassung und Tätigkeit garantiert sei, während in Deutschland die Jesuiten immer noch verboten ­seien. Im Ausland schütze das Deutsche Reich die katholischen Missionen, im Inland würden sie teilweise verfolgt.228 Dieser Artikel bildete allerdings die Ausnahme in der sonst sehr regierungsfreundlichen Kommentierung der Ereignisse in China durch die Germania. Die Kölnische Volkszeitung dagegen publizierte zunächst weniger Artikel über die Mission als die Germania,229 und sie bewertete die deutsche Militäraktion weitaus skeptischer. So kritisierte sie die Instrumentalisierung der toten Missionare für die deutsche ‚Weltpolitik‘230 und stellte am 16. Dezember bezüglich einer möglichen Annexion Kiautschous infrage, „ob gerade die Missionen eine große Förderung davon erfahren werden“.231 Der Mehrheit der deutschen Presse stellte sich diese Frage nicht. Während die Zentrumspresse die Schutzverpflichtung vor allem mit der Übernahme des Protektorats für die deutsche katholische Mission durch das Reich begründete,232 betrachtete die prokoloniale Presse die Intervention in China zumeist als Bestandteil einer neuen, begrüßenswerten Politik, die zum Ziel hatte, sich allgemein stärker

227 Kiao-­tschau, in: Germania, Nr. 297, 29.12,1897, Zweites Blatt. 228 Schutz der Deutschen im Auslande – Verfolgung im Inlande, in: Germania, 19. 11. 1897, Zweites Blatt. Die Post widersprach der Germania, wobei ihre Argumentation im Wesentlichen darauf hinauslief, dass es so etwas wie deutsche Jesuiten nicht gebe, vgl. Der Schutz der Deutschen im Auslande und das Jesuitengesetz, in: Die Post, Nr. 319, 21. 11. 1897. 229 Vgl. Zu den Missionar-­Morden in China, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 844, 21. 11. 1897, Zweites Blatt. 230 So schrieb die Kölnische Volkszeitung am 6. Dezember: „[N]och weniger könnten selbstverständlich die deutschen Katholiken damit einverstanden sein, dass die katholischen Missionen in China zum Ausgangspunkte einer sogen. Weltpolitik würden, w ­ elche uns in unabsehbare Schwierigkeiten und Verwicklungen zu führen geeignet wäre.“ Die Vorgänge in Ostasien, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 884, 6. 12. 1897, Zweites Blatt. 231 Die Kieler Ansprache des Kaisers und die Antwort des Prinzen Heinrich, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 918, 18. 12. 1897, Zweites Blatt. 232 Vgl. etwa Kiao-­tschau, in: Germania, 29. 12. 1897, Zweites Blatt.

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für die Belange der Deutschen in der außereuropäischen Welt zu engagieren.233 Anders als beim Boxerkrieg wenige Jahre später gab es in Deutschland kaum kritische Stimmen zum Wirken der Missionare in China.234 Sehr ernst nahm die deutsche Presse die Meldungen über mögliche Konflikte ­zwischen den Mächten und die Kommentare der Zeitungen aus den anderen imperialistischen Staaten. Obwohl der Widerstand gegen eine Annexion ­Kiautschous zunächst von russischer Seite ausging, betrachtete gerade die rechte Presse vor allem Großbritannien als Rivalen. Russland hingegen galt als Verbündeter Deutschlands. Selbst Gerüchte über russischen Widerspruch führten nicht zu antirussischer Stimmungsmache.235 Dies mag auch daran liegen, dass Regierungsstellen offensichtlich früh Informationen an ihr nahestehende Presse­ organe gaben, die auf ein Einvernehmen mit Russland hinwiesen. Die Germania zitierte am 21. November einen Artikel der rechten „Hamburger Nachrichten“, der versicherte, dass Deutschland sich nicht dauerhaft in Kiautschou festsetzen würde, falls dies die Beziehungen zu Russland beeinträchtige.236 Die Kölnische Zeitung schrieb in einem Artikel zur Landung der deutschen Truppen in ­Kiautschou, dass „Behauptungen, China habe Kiautschou in einem geheimen Vertrage an Russland abgetreten“, sich „als falsch erwiesen“ hätten.237 Später gab sie eine Meldung der Times wieder, nach der China sich vergeblich um russische Vermittlung bemüht habe.238 Einer Dalziel-­Meldung über ein angebliches Bündnis Frankreichs, Deutschlands und Russlands mit dem Zwecke, große Gebiete in China zu erwerben, maß die Presse zwar wenig Glaubwürdigkeit bei, aber 233 Natürlich gingen auch andere Zeitungen auf die Übernahme des Protektorats durch das Deutsche Reich ein, vgl. etwa Eine Unterredung mit Bischof Anzer, in: Berliner Lokal-­ Anzeiger, Nr. 537, 16. 11. 1897, 1. Ausgabe; Die deutsche Action in China, in: Berliner Lokal-­ Anzeiger, Nr. 46, 28. 1. 1898, 2. Ausgabe. Aber der gängige Deutungsrahmen der Regierung und der sie unterstützten Presse war es, die Intervention zum Schutz der Missionare als Teil der allgemeinen Schutzverpflichtung des Reiches für Auslandsdeutsche zu legitimieren. 234 Zu den Debatten über die Mission während des Boxerkriegs vgl. Kap. 2.2 sowie zur Berichterstattung über die Mission allgemein Kap. C. 235 So gab die Freiburger Zeitung eine Meldung, der zufolge Russland „wegen der Besetzung des Kiau-­Tschou-­Hafens Vorstellungen erhoben“ habe, unkommentiert wieder, vgl. Deutschland und China, in: Freiburger Zeitung, Nr. 274, 1. 12. 1897. 236 Über die Einmischung des Auslands in die deutsche Aktion bei Kiaut-­schau, in: G ­ ermania, 21. 11. 1897, Erstes Blatt. 237 China, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1017, 16. 11. 1897, Erste Morgen-­Ausgabe. 238 China, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1071, 3. 12. 1897, Abend-­Ausgabe.

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sie passte zur verbreiteten Darstellung eines einvernehmlichen Vorgehens von Russland und Deutschland.239 Der Petersburg-­Korrespondent des Berliner Lokal-­Anzeigers schrieb am 30. November mit Blick auf anscheinend wenig freundliche Pressestimmen in Russland, dass die russischen Zeitungen offensichtlich „schlecht unterrichtet“ ­seien. Ihm sei „aus hochstehenden Regierungskreisen versichert“ worden, dass „zwischen ­Kaiser Wilhelm und dem Zaren ein Briefwechsel stattgefunden“ habe, „worin ein vollständiges Einverständnis bezüglich des deutschen Vorgehens in China erzielt wurde“.240 Zwar waren die folgenden Artikel in der Frage einer möglichen Annexion und der russischen Position hierzu nicht immer eindeutig, sie standen aber durchweg unter dem Zeichen ­­ guter deutsch-­russischer Beziehungen.241 Spätestens mit der Nachricht über die russische Besetzung von Port Arthur schien das Einvernehmen mit Russland sicher.242 Die Freiburger Zeitung etwa kommentierte, dass Russland zwar den im Vergleich zu Kiautschou besseren Hafen bekommen habe, aber die Russen hätten „auch wegen ihrer Ostpolitik ein größeres Interesse und einen politisch und wirtschaftlich gerechtfertigten Anspruch auf die günstigere Lage Port Arthurs“.243 Wenngleich die deutsch-­russischen Beziehungen eine gewisse Aufmerksamkeit in der deutschen Presse fanden, interessierten sich die Zeitungen kaum für die Stellungnahmen russischer Medien. Ganz anders verhielt es sich mit den Kommentaren der englischen Presse, über die die deutschen Zeitungen ausführlich berichteten.244 Für die deutsche Wahrnehmung der britischen öffentlichen Meinung war vor allem die regierungsnahe Presse und hier ­insbesondere die Times entscheidend. Diese zeigte in ihrem ersten leader zur Besetzung am 16. November Verständnis für die Militäraktion. Mit dem Einsatz von Kriegsschiffen habe

239 Vgl. China, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1073, 4. 12. 1897, Erste Morgen-­Ausgabe; Kiautschou-­ Bucht, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 564, 2. 12. 1897, 2. Ausgabe. 240 Vom deutsch-­chinesischen Streitfall, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 560, 30. 11. 1897, 2. Ausgabe. 241 Vgl. Kiautschou-­Bucht, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 564, 2. 12. 1897, 2. Ausgabe; Kiautschou-­Bucht, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 566, 3. 12. 1897, 2. Ausgabe; ­Kiautschou, Nr. 575, 9. 12. 1897, 1. Ausgabe. 242 Vgl. Russland in Port Arthur, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 594, 20. 12. 1897, Abend-­ Ausgabe. 243 Die Vorgänge in China, in: Freiburger Zeitung, Nr. 292, 23. 12. 1897. 244 Vgl. Kap. 1.7.

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Deutschland gezeigt, dass es den chinesischen Charakter richtig einschätze; im Falle von „Outrages upon Europeans“ würden diplomatische Verhandlungen mit Peking wenig bringen. Eine mögliche dauerhafte Besetzung betrachtete die Times zwar skeptisch, sah hiervon aber vor allem Russland betroffen.245 Am 30. November übte sie dann vorsichtige Kritik an den deutschen Forderungen, konzedierte jedoch: „We are certainly not prepared to contend that in no ­circumstances is any other European nation entitled to do substantially what we have ourselves done in Hong-­kong.“ Einspruch sei, wenn dann von Russland oder Japan zu erwarten.246 Im Folgenden blieb die Times dabei, dass die Annexion Kiautschous nicht auf britischen Widerstand stoßen werde, über die Kieler Reden machte sie sich dennoch ausführlich in einem leader lustig.247 Die deutsche Presse reagierte unterschiedlich auf die Stellungnahmen der eng­ lischen Presse. Anfangs hob sie teilweise die Kommentare hervor, die Zustimmung signalisierten. Die Kölnische Volkszeitung ging zwar auf die skeptischen Passagen des Times-­leader vom 16. November zur möglichen dauerhaften Besetzung Kiautschous ein, schrieb aber auch, dass diese anerkenne, dass „Deutschland mit seinen energischen Maßnahmen der Allgemeinheit der Mächte nur einen Dienst erwiesen“ habe. Schließlich ­seien für die Chinesen alle „Westlichen ‚Teufel‘, […] einerlei, ob Deutsche, Russen, Engländer oder Franzosen“.248 Am 19. November schrieb die Kölnische Zeitung, es sei „bezeichnend“, dass die „besten Kenner des Landes, die Engländer, uns in dieser Hinsicht offen Beifall spenden“.249 Anders die konservative Post, die kommentierte, dass England die Entwicklung mit „scheelen Augen“ verfolge. Sie zitierte am 19. November die „St. James-­ Gazette“, die ähnlich wie die Times das entschlossene Vorgehen der Deutschen lobte. Darin sah die Post allerdings „keine loyale Anerkennung eines deutschen Erfolges“, vielmehr stelle der Hinweis auf eine mögliche Annexion einen Versuch dar, „Rußland gegen alle etwaigen Pläne Deutschlands einzunehmen“.250 245 246 247 248

Germans in China, in: The Times, Nr. 35362, 16. 11. 1897, S. 7. Germany and China, in: The Times, Nr. 35374, 30. 11. 1897, S. 9. The Sailing of Prince Henry, in: The Times, Nr. 35389, 17. 12. 1897, S. 11. Die Bewegungen der deutschen Kriegsflotte, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 842, 20. 11. 1897, Zweites Blatt. 249 Asien. Zur Ermordung der deutschen Missionare, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1025, 19. 11. 1897, Erste Morgen-­Ausgabe; vgl. auch China, in: Kölnischen Zeitung, Nr. 1019, 16. 11. 1897, Abend-­Ausgabe. 250 Unser Kreuzergeschwader in der Bucht von Kiao Tschau, in: Die Post, 19. 11. 1897, Nr. 317.

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Die ­Freiburger Zeitung und der Berliner Lokal-­Anzeiger zeigten anfangs wenig Interesse an britischen Stellungnahmen, zeichneten dann aber ein negatives Englandbild. Erstere wertete am 12. Dezember eine Nachricht der Times über einen möglichen Austausch Kiautschous gegen einen anderen Hafen als einen weiteren „Aufhetzungsversuch“ gegen Deutschland.251 Der Lokal-­Anzeiger hielt sich zunächst mit Urteilen zu den englischen Kommentaren zurück.252 Am 21. Dezember schrieb er jedoch, dass man in England Deutschland einen Hafen in China „mißgönnt“.253 Ein ähnlicher Blick auf die englische Presse setzte sich schließlich auch in der Kölnischen Zeitung durch, nachdem die internationale Lage beruhigt schien. So schrieb sie am 11. Dezember von „Aufhetzungsversuchen“ der Times.254 Allerdings galt Großbritannien nicht als direkter Gegner des Deutschen Reiches, die antienglische Stimmung in großen Teilen der Presse beschränkte sich auf Schadenfreude über die Probleme Englands im ostasiatischen Machtkampf mit Russland, der infolge des deutschen Vorgehens ausgebrochen war.255 Spätestens mit der Nachricht über die Einigung zur Abtretung Kiautschous im Rahmen eines Pachtvertrags schien der deutsche Erfolg besiegelt. Die hier untersuchten Zeitungen – mit Ausnahme des sozialdemokratischen Vorwärts – konzentrierten sich darauf, sich des Wertes der neu erworbenen Kolonie zu vergewissern. Der Berliner Lokal-­Anzeiger veröffentlichte als erstes Blatt am 5. Januar 1898 auf Basis eines Telegramms aus Peking die Meldung, dass China

251 Die Times, in: Freiburger Zeitung, Nr. 283, 12. 12. 1897. 252 So beobachtete er am 30. November eine „bemerkenswerthe Zurückhaltung“ in der englischen Presse, schrieb zwar, dass im jüngsten Times-­leader die deutschen Forderungen „im nicht sehr freundlichen Sinne“ besprochen würden, referierte aber andererseits auch die Passage, nach der anderen Mächten nicht verwehrt werden könne, was Großbritannien in Hongkong getan habe, vgl. Vom deutsch-­chinesischen Streitfall, in: Berliner Lokal-­ Anzeiger, Nr. 560, 30. 11. 1897, 2. Ausgabe. 253 Das russische Geschwader in Port Arthur, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 595, 21. 12. 1897, 1. Ausgabe. Auch am 25. Dezember stellte der Lokal-­Anzeiger die Einstellung der englischen Presse zu Deutschland als negativ dar, hätten sich doch die englischen Blätter vergeblich bemüht, „unsere Beziehungen zu anderen Mächten zu trüben“, Umschau, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 603, 25. 12. 1897. 254 O. T., in: Kölnische Zeitung, Nr. 1096, 11. 12. 1897, Erste Morgen-­Ausgabe; vgl. auch Großbritannien. Cabinetsveränderungen und Heeresneuerungen, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1098, 11. 12. 1897, Abend-­Ausgabe. 255 Vgl. Kap. 1.8.

Auf den Spuren der katholischen Mission: Annexionspolitik in China

Deutschland Kiautschou überlasse.256 Am folgenden Tag widmete er sich ausführlicher der Vereinbarung und leitete seine Ausführungen damit ein, dass nun „allen Einwürfen und Besorgnissen ein Ende“ gemacht worden sei. Von informierter Seite sei dem Blatt berichtet worden, dass der Vertrag das Ergebnis „durchaus friedlicher und freundschaftlicher Verhandlungen“ sei und „keinerlei Beeinträchtigung fremder, berechtigter Interessen“ beinhalte.257 Insgesamt bemühten sich die deutsche Regierung und die sie unterstützende Presse nun, die angeblich guten Beziehungen mit China hervorzuheben, um dadurch möglichen Sorgen über Probleme von dieser Seite entgegenzuwirken.258 Schon in der erwähnten Reichstagssitzung vom 6. Dezember 1897 hatte Bülow – das Protokoll vermerkte an dieser Stelle „Heiterkeit“ – von „wohlwollenden und freundlichen Absichten“ gegenüber China gesprochen.259 Auch die Kölnische Volkszeitung ließ nun alle zuvor geäußerte Skepsis fallen und sah die Nachricht über den Abschluss eines Pachtvertrags als Bestätigung der Ausführungen Bülows im Reichstag und als Beleg für die „Fortdauer guter Beziehungen“ mit China. Zugleich legitimierte sie nun erstmals die Annexion mit dem Schutz der dortigen katholischen Mission: „Nach Ansicht des Hrn. Bischof Anzers würde das Leben der 40 000 Katholiken seines Bezirkes schon jetzt aufs äußerste gefährdet sein, wenn unser Geschwader die Kiautschou-­ Bucht verließe.“ 260 Der Vorwärts tat sich schwer damit, die Meldungen über den Pachtvertrag zu kommentieren. Am 6. Januar 1898 urteilte er nur kurz, die Operation werde anscheinend vorerst friedlich ausgehen, wies aber auf mögliche Konflikte in der Zukunft hin.261 Diese Zurückhaltung stieß in anderen sozialdemokratischen Blättern auf Kritik, mit der sich der Vorwärts in den folgenden Tagen auseinander­ setzte.262 Am 13. Januar erwiderte er den parteiinternen Kritikern, dass „die 256 Dabei platzierte er die Meldung prominent auf der Titelseite, vgl. Kiautschou an Deutschland überlassen, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 6, 5. 1. 1898, 2. Ausgabe. 257 Der deutsch-­chinesische Vertrag, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 7, 6. 1. 1898, 1. Ausgabe. 258 Nach einer Nachricht vom 13. Januar betonten sowohl Bülow als auch der kürzlich eingetroffene neue chinesische Gesandte die freundschaftlichen Beziehungen beider Länder, vgl. Kabinetsordre des Kaisers, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 20, 13. 1. 1898, 2. Ausgabe. 259 SBR, Bd. 159, 6. 12. 1897, S. 60. 260 Die Pachtung von Kiautschou, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 13, 7. 1. 1898, Erstes Blatt. 261 Kiaotschou, in: Vorwärts, Nr. 4, 6. 1. 1898. 262 Vgl. Die Frankfurter „Volksstimme“, in: Vorwärts, Nr. 7, 9. 1. 1898.

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Bethätigung unserer internationalen Gesinnung doch nicht soweit“ gehe, „dass wir es als eine Aufgabe unserer Partei betrachten, die Interessen der Mandschu-­ Dynastie, dieser gewaltsamen Eroberer und Unterdrücker Chinas, mit Pathos zu vertreten“. Die Annexion sei „ein Glied in der notwendigen Entwicklung des Kapitalismus“.263 Dieser Artikel löste Freude bei der Presse anderer politischer Lager und harte Kritik in der sozialdemokratischen Presse aus, besonders in der „Leipziger Volkszeitung“, sodass der Vorwärts im Folgenden vor allem durch Konflikte innerhalb der eigenen Partei auffiel.264 Er hatte dem positiven Bild der Regierungsaktion offensichtlich wenig entgegenzusetzen und versuchte deswegen, ­dieses Thema zu meiden. Zu ­diesem positiven Bild gehörte auch, dass weder von der chinesischen Regierung, noch von der Bevölkerung in Kiautschou und der Umgebung des annektierten Territoriums eine Gefahr auszugehen schien. Schon die Nachrichten über die widerstandslose Räumung Kiautschous vermittelten den Eindruck, dass kein Widerstand zu erwarten sei. So veröffentlichten mehrere Zeitungen um die Jahreswende herum einen zuerst in der Kölnischen Zeitung abgedruckten „Privatbrief “ eines an der Landnahme beteiligten Deutschen. Diesem Schreiben zufolge wurde der chinesische Oberbefehlshaber, konfrontiert mit der Androhung militärischer Gewalt, „kreidebleich“ und tat, „was vom Standpunkte der Vernunft und der Menschlichkeit aus das einzig Richtige war, was er freilich, vom Standpunkte unseres militärischen Ehrgefühls betrachtet, nie und nimmer tun durfte: Er holte schließlich seine Flagge nieder“ und rückte ab.265 Die Artikel über Kiautschou beschrieben die dortige Bevölkerung als friedlich und den

263 Sozialdemokratie und deutsche Chinapolitik, in: Vorwärts, Nr. 10, 13. 1. 1898. 264 Chinapolitik, in: Vorwärts, Nr. 12, 15. 1. 1898; Chinapolitik, in: Vorwärts, Nr. 14, 18. 1. 1898. Bei ­diesem innersozialdemokratischen Konflikt mag es auch eine Rolle gespielt haben, dass das Verhältnis z­ wischen den Chefredakteuren der beiden hauptsächlich beteiligten Zeitungen nicht allzu gut war und sich die beiden Blätter schon im April 1897 einen partei­ internen Pressekrieg geliefert hatten, vgl. Sperlich, Journalist, 1983, S. 80 f. Für Spott und Hohn in der übrigen Presse vgl. etwa Berlin, in: Freiburger Zeitung, Nr. 19, 25. 1. 1898. 265 Ueber die Besetzung von Kiautschou, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 606, 28. 12. 1897, 2. Ausgabe; Über die Besetzung von Kiautschou, in: Germania, Nr. 297, 29.12,1897, Zweites Blatt; vgl. auch Wochen-­Rundschau, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 2, 1. 1. 1898, Zweites Blatt. In der Kölnischen Volkszeitung wurde anders als in der Germania kritisiert, dass Vernunft und Menschlichkeit den deutschen militärischen Tugenden gegenüber­ gestellt wurden.

Auf den Spuren der katholischen Mission: Annexionspolitik in China

Deutschen wohlgesonnen.266 Auch die Ende Januar eintreffende Nachricht über einen auf Streife ermordeten Matrosen änderte nichts daran, dass die Berichte in den Zeitungen den Eindruck vermittelten, dass ­zwischen „Deutschen und Chinesen […] aufrichtigste Harmonie“ herrsche.267 Die Wirkungsmächtigkeit des Bildes vom friedlichen Chinesen tritt noch deutlicher hervor, wenn man berücksichtigt, dass die Ermordung zweier Missionare der Anlass für das militärische Eingreifen in China gewesen war. Auch die Berichte über Räuberbanden und geheime Sekten stehen in direktem Widerspruch zum Stereotyp der friedlichen Bewohner von Shandong. Tatsächlich war diese Provinz eine der kriegerischsten und gewalttätigsten in China. Dies traf vor allem auf den Südwesten Shandongs zu, in dem die Missionare ermordet worden waren. Hier war die Staatsgewalt schwach, es gab zahlreiche Banditen und lokale Milizen.268 Der wirtschaftlich besser dastehende Osten Shandongs war zwar weniger kriegerisch geprägt als der Westen, aber es war keinesfalls sicher, dass die Besetzung des Hafens in dieser Region nicht zu militärischem Widerstand führen würde. So appellierte der Gouverneur von Shandong, Li Binheng, an die Regierung in Peking, ihm zu erlauben, Truppen a­ uszuheben und sich auf den Krieg vorzubereiten, nachdem deutsche Truppen in der Kiautschou-­Bucht

266 So ging Anfang Januar die Anekdote durch die Presse, dass ein chinesischer Offizier sich den Zopf abgeschnitten und den Deutschen seine Dienste angeboten habe, vgl. etwa o. T., in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 5, 5. 1. 1898, 1. Ausgabe; Die Proklamation des V ­ izeadmirals von Diederichs, in: Freiburger Zeitung, Nr. 5, 8. 1. 1898. 267 Vgl. Tsimo ermordeten Matrosen Schulze, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 50, 31. 1. 1898, Abend-­Ausgabe. Die Kölnische Volkszeitung wies zumindest am Ende eines Artikels, der dem „Ostasiatischen Lloyd“ entnommen war, auf die Widersprüchlichkeit der eintreffenden Nachrichten hin: „Hier ist von Schimpfworten, die sonst in China freigiebig oft in Begleitung von Erdklößen, Koth und Steinen den Europäer an den Kopf geworfen werden, keine Rede; auch nicht im Inneren des Okkupations-­Gebietes. Unbelästigt kann man selbst mutterseelenallein durch die Dörfer wandern und reiten. In der nächsten Umgebung von Tsingtau wird einen meist ein freundlicher unseren Matrosen hier abgeguckter militärischer Gruß zum Teil. Möchte das immer so bleiben [Vgl. die Ermordung des Matrosen Schulz!]“, Welt und Wissen. Aus der Kiaotschau-­Bucht, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 99, 8. 2. 1898, Drittes Blatt. Der Vorwärts bewertete die Ermordung des Matrosen zwar in Anbetracht der deutschen Politik als erwartbar, widmete dem Vorfall aber auch keine größere Aufmerksamkeit, vgl. Ein deutscher Matrose, in: Vorwärts, Nr. 23, 28. 1. 1898. 268 Vgl. Esherick, Origins, 1987, S. 1 – 54.

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gelandet waren.269 Aber die Zentralregierung wollte einen Krieg mit Deutschland vermeiden. Das Ausbleiben von Widerstand gegen die Besetzung und einige Berichte über die neu erworbene Kolonie konnten so den Eindruck vermitteln, dass, anders als in den afrikanischen Kolonien, Aufstände nicht zu befürchten ­seien.270 Von den traditionell kolonialskeptischen Medien abgesehen, setzte sich ein sehr positives Bild der wirtschaftlichen Verhältnisse in Shandong durch, bei dem nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die dortigen Bodenschätze gute Zukunftsaussichten versprachen.271 Der Berliner Lokal-­Anzeiger begann das Jahr 1898 gar mit dem Toast: „Wie den Engländern in Indien, so sollen uns in China Schätze zufließen“.272 Für diese Zeitung schrieb der Hauptmann a. D. Dannhauer, der, wie der Lokal-­Anzeiger stolz mitteilte, „als einziger Zeitungs-­ Correspondent“ die nach China entsandten Verstärkungen begleitete.273 Auch die Kölnische Volkszeitung engagierte mit Ernst von Hesse-­Wartegg einen Korrespondenten, der ihr exklusiv Berichte aus China zusandte, die zur Legitimation der Annexion beitrugen.274 Zudem erschien im Feuilleton eine fiktionale Erzählung über einen jungen chinesischen Christen, die mit dem Happy End schloss, dass dieser zusammen mit seiner Frau trotz der Christenfeindlichkeit

269 Vgl. Telegramm des Gouverneurs von Shandong, Li Binheng, an die Prinzen und Minister des Zongli Yamen (19. 11. 1897), in: Leutner/Mühlhahn (Hg.), „Musterkolonie Kiautschou“, 1997, Nr. 28, S. 130 f. 270 Vgl. Die Bildung einer Schutztruppe für Kiaotschau, in: Germania, 20. 1. 1898: „Man darf übrigens annehmen, dass die spätere endgültige Besatzung Kiaotschaus den Etat nicht in derselben Höhe belasten wird […] wie die verschiedenen afrikanischen Schutztruppen, da für Ostasien die Unterhaltsbedingungen wesentlich günstiger sein werden. Außerdem wird auch die ständige Ausrüstung für die Kiaotschauschutztruppe eine mit geringeren Kosten verknüpfte sein als für die afrikanischen Schutztruppen, da ja größere Expeditionen in das Hinterland nicht in Frage kommen können.“ 271 Zu dieser Deutung trugen nicht zuletzt die in der Presse wiedergegebenen S­ tellungnahmen von Experten bei, vgl. Kap. A. 272 Umschau, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 1, 1. 1. 1898. 273 Expedition nach China, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 603, 25. 12. 1897; vgl. auch O. Dannhauer, Nach Kiautschou!, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 9, 7. 1. 1898, 1. Ausgabe. 274 Vgl. etwa Ernst v. Hesse-­Wartegg, Chinesische Briefe. III. Von Shanghai nach Kiautschou, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 347, 29. 4. 1898, Erstes Blatt; Ders., Chinesische Briefe IX. Bei den Missionaren in Süd-­Schantung, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 253, 21. 6. 1898, Erstes Blatt.

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unter den dortigen chinesischen Würdenträgern nun dank der deutschen Präsenz in Sicherheit leben kann.275 Nachdem der Vorwärts angekündigt hatte, der Annexion keine große Aufmerksamkeit mehr zu widmen und damit Empörung in der eigenen Partei hervorgerufen hatte, versuchte er Ende Januar 1898 die deutsche Chinapolitik und ihre ökonomischen Folgen aus einer anderen Perspektive anzugreifen. Am 28. Januar warnte der Autor einer längeren Titelgeschichte, die „Erschließung“ Chinas führe dazu, dass in Asien eine gefährliche Konkurrenz für die europäische Industrie entstehen werde. Gerade ihre „Bedürfnislosigkeit“ mache die Chinesen zu gefährlichen Wettbewerbern für die europäischen Arbeiter, schon jetzt würden agrarische Stimmen vorschlagen, „chinesische Kulis als billige Arbeitskräfte zu importieren“.276 Auch wenn der Vorwärts damit eine populäre Position vertrat, gelang es ihm nicht, dem insgesamt positiven Echo auf die Annexion Kiautschous etwas entgegenzusetzen und die Debatte über die wirtschaftlichen Folgen der deutschen Chinapolitik zu beeinflussen, zumal keine relevante politische Stimme ernsthaft die Anwerbung chinesischer Arbeiter für die deutsche Landwirtschaft forderte. Die Berichterstattung über die ‚Erwerbung‘ Kiautschous dauerte nach der Veröffentlichung der deutsch-­chinesischen Vereinbarung über die Abtretung Kiautschous Anfang Januar noch ein paar Monate an. Die kolonialfreundliche Presse publizierte erfreut Nachrichten zu den Verhandlungen über die Eisenbahnund Bergbaukonzessionen im ‚Hinterland‘ Kiautschous. Es blieb aber im Wesent­ lichen bei dem Deutungsrahmen, der sich zur Jahreswende 1897/98 heraus­ gebildet hatte. Auch die Veröffentlichung des endgültigen Vertrags z­ wischen China und Deutschland im März 1898 löste keine größeren Pressedebatten mehr aus.277 Die Nachrichten über die internationale Politik entsprachen ganz den Wunschvorstellungen der Anhänger der deutschen ‚Weltpolitik‘: Nachdem 275 Die Geschichte erschien verteilt über mehrere Ausgaben: Friedrich Reutter, Tien-­te. Eine Erzählung aus der Provinz Schantung, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 153, 28. 2. 1898, Drittes Blatt; Nr. 154, 1. 3. 1898, Erstes Blatt; Nr. 156, 2. 3. 1898, Erstes Blatt; Nr. 159, 3. 3. 1898, Erstes Blatt. 276 China’s Erschließung und ihre Folgen, in: Vorwärts, Nr. 23, 28. 1. 1898. Zu den innenpolitischen Debatten über die Anwerbung chinesischer Arbeiter vgl. auch Conrad, Globalisierung, S.  168 – 228. 277 Vgl. etwa die kurze Meldung: o. T., in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 111, 8. 3. 1898, 1. Ausgabe.

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Deutschland durch ‚entschlossenes‘ Handeln einen Sieg errungen hatte, konnte die deutsche Presse sich darauf konzentrieren, aus der Perspektive des Zuschauers über die infolge der Besetzung Kiautschous zunehmenden Rivalitäten ­zwischen den Mächten, insbesondere ­zwischen Großbritannien und Russland, zu berichten.

1.6 Symbol deutscher Weltgeltung: Der Erwerb Samoas Die Samoa-­Krise 1899 war der letzte internationale Konflikt vor Ausbruch des Burenkrieges, bei dem sich die machtpolitischen Ambitionen Großbritanniens und Deutschlands gegenüberstanden und anhand derer die Zeitungen das Verhältnis beider Länder in imperialen Kontexten diskutierten.278 Infolge von Konflikten vor Ort kam es im März 1899 zu einer amerikanisch-­britischen Militärintervention, die den schon lange schwelenden Konflikt um Samoa wieder auf die Tagesordnung brachte. Zunächst standen sich Deutschland und England als Antagonisten gegenüber, schließlich erreichte man nach dem Kriegsausbruch in Südafrika aber eine Einigung, die eine Lösung der territorialen Konflikte in der Südsee enthielt. Auslöser für die amerikanisch-­britische Militärintervention waren Rivalitäten auf Samoa, die eine lange Vorgeschichte hatten. Deutsche, amerikanische und britische Unternehmen waren seit längerem auf Samoa aktiv; 1879 wurde die gemeinsame Präsenz mit einer Munizipalkonvention geregelt, die zur häufig so bezeichneten ‚Herrschaft der drei Konsuln‘ führte. Die Teilung der Herrschaft funktionierte aber keinesfalls harmonisch, das Zusammenleben der Nationen auf der Insel war von Interessengegensätzen geprägt, bei denen sich die Konfliktlinien ­zwischen Regierungsvertretern, Siedlern und Händlern der imperialistischen Staaten, die Antagonismen z­ wischen katholischer und evangelischer Mission sowie die der verschiedenen samoanischen Bevölkerungsgruppen überlagerten und überschnitten. Unterschiedliche Interessen z­ wischen den Europäern und Amerikanern auf der Insel sowie den Regierungen in den Metropolen,

278 Zwar beschäftigt sich die neuere medienhistorische Forschung bisher kaum mit Samoa, die beiden älteren Studien von Alfred Vagts (Deutschland, Bd. 1, 1935) und Paul M. ­Kennedy (The Samoan Tangle, 1974) zu den diplomatischen Konflikten um diese Region behandeln aber auch die Pressepolitik und -berichterstattung, sodass hier auf Vorarbeiten zurückgriffen werden kann, die durch eigene Quellenrecherchen ergänzt wurden.

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teilweise eigenmächtige und schwer kontrollierbare Aktionen der ‚men on the spot‘ sowie die subimperialistischen Interessen Australiens und Neuseelands an dieser Region verkomplizierten darüber hinaus die Lage.279 In der deutschen Öffentlichkeit hatte Samoa eine besonders hohe symbolische Bedeutung, galt die vom Reichstag abgelehnte Samoavorlage 1880 doch als erster, wenn auch gescheiterter, kolonialer Gehversuch des Deutschen Reiches. Zudem stand Samoa wie keine andere nichteuropäische Region für die Exotik, die mit der imperialen Expansion in Deutschland verbunden wurde.280 Als im Januar 1898 Nachrichten über einen samoanischen Thronfolgekrieg und die Rolle der Konsuln der drei Mächte dabei die internationale Öffentlichkeit bewegten, versuchte Deutschland wieder einmal auf diplomatischem Weg die Samoafrage im eigenen Sinne zu regeln. Als London ­dieses Ansinnen zurückwies, wurde Samoa „in der national-­konservativen Presse geradezu zum unverzichtbaren Symbol deutscher Weltgeltung“.281 Die Lage in Samoa spitzte sich währenddessen weiter zu. Ein kurz zuvor von den Vereinigten Staaten entsandter Kreuzer ging, unterstützt von britischen Truppen, in der Hafenstadt Apia militärisch gegen den Thronprätendenten Mataafa vor, der von deutscher Seite unterstützt worden war. Meldungen über die anglo-­amerikanische Intervention trafen am 29. März in Europa ein – Samoa war noch nicht an das globale Telegraphennetz angeschlossen und Nachrichten mussten zunächst mit dem Schiff zur nächsten Station gebracht werden. In Deutschland reagierten die nationalistischen Blätter Deutsche Tageszeitung und Deutsche Zeitung mit heftiger Kritik sowohl in Bezug auf England wie auch auf die als schwach empfundene Außenpolitik der deutschen Regierung. Das Pressebüro des Auswärtigen Amtes versuchte daraufhin mit Hilfe der regierungsnahen Presse zu beschwichtigen, mit der Folge, dass in der Kölnischen Zeitung und im Berliner Lokal-­Anzeiger besonnenere, moderatere Kommentare erschienen.282

279 Vgl. Dülffer u. a., Vermiedene Kriege, 1997, S. 283 – 304. Für Australien und Neuseeland war der Verbleib Samoas innerhalb der Einflusssphäre des Britischen Empires weit wichtiger, als es für London der Fall war, worauf die Politiker in der englischen Metropole stets Rücksicht nehmen mussten. 280 Vgl. Gründer, Geschichte, 2004, S. 91; Krug, „Der Hauptzweck ist die Tötung von K ­ anaken“, 2005, S. 364. 281 Dülffer u. a., Vermiedene Kriege, 1997, S. 305. 282 Vgl. Kennedy, The Samoan Tangle, 1974, S. 153 – 165.

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Anfang April änderte Bülow seine Pressepolitik aber: Die Ereignisse in Samoa wurden für die Flottenpolitik instrumentalisiert, das Stocken in den diplomatischen Verhandlungen der beteiligten drei Staaten vor allem England angelastet. Damit sollte Salisbury unter Druck gesetzt werden, den deutschen Vorschlag anzunehmen, eine internationale Kommission nach Samoa zu entsenden. Diese sollte dort die Kontrolle ausüben und die Vorfälle untersuchen. Die Kommission war Teil der deutschen Position, dass über die Zukunft Samoas nur Verhandlungen der drei Mächte entscheiden dürften, nicht aber die Akteure vor Ort (womit die von den anglo-­amerikanischen Truppen geschaffenen Fakten als illegitim bewertet wurden). Weitere Nachrichten über Gefechte in Samoa steigerten darüber hinaus die deutsche Empörung über England. Der Alldeutsche Verband und der Flottenverein forderten angesichts der „Schmach“ in Samoa mehr Schiffe, sie ­seien die einzige Lösung, um international respektiert zu werden.283 Die englische Presse reagierte besonnener als die deutsche und auch die amerikanische.284 Die Times stellte am 31. März fest: „[N]ews of fresh fighting in Samoa has given rise to more feeling in the United States and in Germany than it has occasioned here“. Den Unterschied erklärte sie mit der längeren britischen Erfahrung in der Administration von „distant countries under untoward conditions“. Demgemäß zeigte sie sich zuversichtlich, dass die betroffenen Staaten die Probleme mit Samoa in Eintracht lösen würden. Eine Aufgabe Samoas von Seiten Großbritanniens hielt sie jedoch für unmöglich und begründete dies unter anderem mit der öffentlichen Meinung in Neuseeland.285 Auch in den folgenden Kommentaren mahnte die Times zur Ruhe und plädierte dafür, die Regierungen in ihren friedlichen Absichten zu unterstützen.286 Der Verweis auf die längere koloniale Erfahrung Großbritanniens und die damit einhergehende Besonnenheit entspricht sicher dem von der Times gepflegten Selbstbild. Für den zurückhaltenden Ton der englischen Presse war

283 Vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 1, 1935, S. 855 – 860, 867 f., Zitat S. 860, 868. 284 In dieser Beobachtung waren sich die Times und der Manchester Guardian einig, vgl. o. T., in: Manchester Guardian, Nr. 16427, 4. 4. 1899, S. 5, sowie die folgenden Ausführungen der Times. 285 The Situation in Samoa, in: The Times, Nr. 35791, 31. 3. 1899, S. 7. Die Morning Post lehnte ebenso eine Aufgabe Samoas ab, vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 1, 1935, S. 854 f. 286 The Disturbances in Samoa, in: The Times, Nr. 35793, 3. 4. 1899, S. 7; The Samoan Negotiations, in: The Times, Nr. 35800, 11. 4. 1899, S. 9.

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aber wohl entscheidend, dass man auf britischer Seite die jüngste diplomatische Annäherung an Deutschland nicht gefährden wollte. Besonders die Daily Mail zeigte sich deutschfreundlich.287 Am 29. März begann ihr leader mit Ausführungen über die „complete calm which reigns at the Foreign Office“ und blickte zurück auf „an extraordinary clearing on the European horizon“. Besonders froh zeigte sich die Mail darüber, „that a rapprochement with Germany has been reached“. Den Eindruck der französischen Presse, dass es über Samoa Streitigkeiten ­zwischen beiden Ländern geben könnte, hielt sie für „simply ridiculous“.288 Als sie am Folgetag die Meldungen über die Kämpfe auf Samoa kommentierte, schätzte sie die Lage so ein, dass die Ereignisse Anlass dazu geben würden, die Lösung der Samoafrage in Angriff zu nehmen, und plädierte für eine Einigung, ­welche die deutschen Interessen respektiert.289 Am 31. März bewertete sie das Verhalten der deutschen Regierung als loyal und sah keinen Grund für „anti-­German tirades“.290 Auch in den weiteren Kommentaren äußerte sich die Mail nicht negativ über die deutsche Regierung, übte aber Kritik an den deutschen ‚men on the spot‘ in Samoa und an der deutschen Presse. Auch wenn für sie zweifelsfrei feststand, dass der deutsche Konsul auf Samoa unrechtmäßig gehandelt habe, sah sie weiterhin keinen Grund anzunehmen, dass sich die deutsche Regierung in der Samoafrage unfreundlich verhalte.291 Sie verschärfte ihre Kritik jedoch, als Meldungen über die Niederlage einer anglo-­amerikanischen Expedition und dabei gefallenen Briten und Amerikanern eintrafen, in denen auch einem Deutschen vorgeworfen wurde, den Anhängern des Thronprätendenten Mataafa geholfen zu haben. Ein längerer Artikel am 13. April kam zu dem Schluss, dass diejenigen nicht falschlägen, die Deutschland die Schuld an der verfahrenen Situation geben. Zum einen hätten die Konflikte ihre Ursache in der Berliner Samoa-­Akte von 1889, die ein Ergebnis der Diplomatie Bismarcks gewesen sei; zum anderen würden sich die Deutschen auf Samoa durch „duplicity, brusqueness, and chicanery“ auszeichnen und dabei weit über die Instruktionen der Berliner Regierung

287 288 289 290 291

Vgl. auch Kennedy, The Samoan Tangle, 1974, S. 261. A Clear Horizon, in: Daily Mail, Nr. 909, 29. 3. 1899, S. 4. Bloodshed in Samoa, in: Daily Mail, Nr. 910, 30. 3. 1899, S. 4. O. T., in: Daily Mail, Nr. 911, 31. 3. 1899, S. 4. O. T., in: Daily Mail, Nr. 914, 4. 4. 1899, S. 4.

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hinausgehen.292 Im dazugehörigen leader schrieb die Mail, dass Deutschlands Rolle in der Krise in England genau untersucht werden würde, und forderte den ­Kaiser auf, seine „embullient consuls and disorderly traders“ unter Kontrolle zu bringen. Zudem kritisierte sie die deutsche Presse für ihre „anti-­English ­diatribes“ und kontrastierte diese mit der eigenen Zurückhaltung.293 Ganz anders kommentierte der Manchester Guardian den Ausbruch der Gewalt auf Samoa. Nicht nur äußerte er Zweifel an der Notwendigkeit der anglo-­amerikanischen Bombardierung Samoas, der Guardian machte es sich am 31. März auch zur Aufgabe, die Ereignisse „with a single eye to the interests of the Samoans“ zu erörtern. Aus dieser Perspektive kam er zu dem Schluss, „that Mataafa is the right king for the Samoans“. Er sprach sich gegen eine Teilung Samoas aus und forderte die drei Mächte auf, bei der Neuverhandlung der samoanischen Verfassung das Versprechen einzuhalten „to respect the independence of the Samoans.“ 294 Auch am 4. April setzte sich der Guardian von der in England vorherrschenden Einschätzung der Ereignisse ab: „It is characteristic of the stupendous political egoism of the age that the bombardment should be treated as an ‚international incident‘ and hardly at all from the point of view of the unfortunate Samoans who were bombarded.“ Der leader endete mit der Aufforderung: „Treat Samoa not as a piece in a game of high politics […], but as a country inhabited by human beings with rights and interests, passions and ambitions of their own.“ 295 Bei seinem Plädoyer für Samoa berief sich der G ­ uardian auf den 1894 in Samoa verstorbenen Schriftsteller Robert Louis Stevenson, der sich in seinem Buch „A Footnote to History: Eight Years of Trouble in Samoa“ kritisch zu den Vertretern der imperialistischen Staaten und positiv zu Mataafa geäußert hatte. Stevensons Stiefsohn Lloyd Osborne unterstützte in der Wochenzeitung Truth ebenfalls die Position Mataafas, Engländer und Amerikaner waren für ihn in dieser Sache „cruelly and brutally in the wrong“.296

292 All About the Trouble in Samoa. How It Arose and Who is to Blame, in: Daily Mail, Nr. 923, 13. 4. 1899, S. 4. 293 Wanted, Cool Heads, in: Daily Mail, Nr. 923, 13. 4. 1899, S. 4. 294 O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16424, 31. 3. 1899, S. 5. Offiziell war Samoa unabhängig. 295 O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16427, 4. 4. 1899, S. 5. 296 Zit. nach Vagts, Deutschland, Bd. 1, 1935, S. 875; vgl. auch Kennedy, The Samoan Tangle, 1974, S. 256.

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In Deutschland setzte sich Bülow Mitte April 1899 gegen Kritiker des angeblich zu schwachen Kurses der Reichsregierung durch. Entscheidend hierfür war eine Interpellation des nationalliberalen Abgeordneten Lehr, zugleich der Geschäftsführer des Alldeutschen Verbands, im Reichstag. Dieser kontrastierte die jüngsten Ereignisse mit der seit Jahren gehegten Hoffnung auf die „Alleinherrschaft des Deutschen Reichs über jene Inselgruppe“ und bedauerte, „daß wir diese Entwicklung der Dinge nicht haben verhindern können“. Dabei war für ihn klar: „Der Hauptschuldige ist England“. Auch das amerikanische Vorgehen kritisierte Lehr im Folgenden so scharf, dass er sich bemüßigt fühlte, klarzustellen, dass niemand „England und Amerika aus Anlaß d ­ ieses Vorkommnisses den Krieg erklären“ möchte. Allerdings verlangte er eine Politik, die „lediglich die Wahrung unserer eigenen Interessen im Auge hat“, und forderte wirtschaftspolitische Maßnahmen gegen die Vereinigten Staaten.297 Bülow erwiderte darauf, dass er nichts sagen werde, was „eine friedliche Beilegung der entstandenen Schwierigkeiten in Frage stellen“ könnte. Die deutsche Position charakterisierte er als „Festhalten an der durch die Samoa-­Akte gegebenen Rechtslage“, also das Eintreten für die eigenen Rechte, aber auch die Achtung der Rechte der anderen Mächte. Zudem konnte er darauf verweisen, dass Washington und London inzwischen den deutschen Vorschlag einer Kommission, die einstimmig entscheidet, angenommen hatten.298 Im Folgenden distanzierten sich von links bis rechts alle Redner von Lehrs Interpellation, sogar der Sozialdemokrat Wilhelm Liebknecht bescheinigte Bülow, dass dessen Darlegungen „durchaus korrekt“ ­seien: „Die Regierung hat sich auf den Boden des Rechts gestellt, und auf d ­ iesem Boden wird sie von uns allen unterstützt werden.“ 299 Auch die Presse stellte sich hinter Bülow. Die der nationalliberalen Partei nahestehende Freiburger Zeitung fasste das Presseecho so zusammen, dass „Einmüthigkeit darüber herrscht, dass der nationalliberale Abg. Dr. Lehr mit seiner Begründung der Interpellation Fiasko gemacht hat“.300 In England nahm man die

297 SBR, Bd. 166, 14. 4. 1899, S. 1754 – 1757, Zitate S. 1754, 1756. Vgl. auch Vagts, Deutschland, Bd. 1, 1935, S. 869 – 871, dort auch zu den der Anfrage vorausgehenden Versuchen agrarischer Kreise, die Samoakrise für eine antiamerikanische Wirtschaftspolitik zu instrumentalisieren, sowie Kennedy, The Samoan Tangle, 1974, S. 264 f. 298 SBR, Bd. 166, 14. 4. 1899, S. 1757 f., Zitat S. 1757. 299 Ebd., S. 1758 f., Zitat S. 1759. 300 Ueber die Samoa-­Interpellation im Reichstage, in: Freiburger Zeitung, Nr. 89, 18. 4. 1899.

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Rede Bülows ebenfalls positiv auf. Die Times sah keinen Grund, Ton und Geist der Rede zu kritisieren. Mit Blick auf die Wirkung der Interpellation schrieb sie ironisch: „[I]t is almost a pity that Dr. Lehr had not earlier opportunity of showing his hand.“ 301 Auch die Daily Mail freute sich über die ablehnende Reaktion auf die Anfrage im Reichstag: „Most gratifying was the conduct of the many German members who rose one after another and expressly dissociated themselves from the Anglophobe attitude of Herr Lehr.“ 302 So herrschte infolge der amerikanisch-­britischen Militärintervention Einigkeit, dass eine friedliche Lösung des Konflikts angestrebt werden müsse und die Schuld für die Eskalation bei den Akteuren in der Krisenregion zu suchen sei. Dabei bedauerte man immer wieder, dass aufgrund der fehlenden telegraphischen Anbindung Samoas die Kontrolle der Vertreter der beteiligten Staaten auf der Inselgruppe durch die Zentralen nicht möglich sei. So schrieb die Daily Mail: „It is a thousand pities that Samoa cannot be connected with the outside world by telegraph for then there might be some cessation of the incessant and troublesome intrigues which have disturbed the harmony of the three Powers.“ 303 Ähnlich vermutete die Freiburger Zeitung, dass der Konflikt „die gegenwärtige bedenkliche Zuspitzung wohl kaum erfahren“ hätte, „wenn die Vertreter der Mächte direkt von Apia aus ihren Kabinetten die täglichen Vorgänge hätten berichten können, oder wenn die Vertreter in Apia sofort hätten Befehle ihrer Regierungen auf eingegangene Meldungen erhalten können“.304 Allerdings war sich die Presse überwiegend auch darin einig, dass vor allem die ‚men on the spot‘ der jeweils anderen Seite Schuld an der Eskalation der Ereignisse hätten. So stimmte die Daily Mail Bülow darin zu, dass von allen Beteiligten die loyale Einhaltung der Samoa-­Akte erwartet werden müsse. Aber während sie versicherte, dass man hier bei England und Amerika keinen Fehler finden werde, forderte sie Deutschland auf, „to restrain the exuberant energy of her Consul and of her traders, who seem to consider that the petty sphere of Samoa is the hub of the universe, and have eyes for nothing else“.305 Der zitierte

301 Samoa and the Powers, in: The Times, Nr. 35804, 15. 4. 1899, S. 11. 302 Herr Buelow on Samoa, in: Daily Mail, Nr. 925, 15. 4. 1899, S. 4. 303 Ebd. 304 Ein Ruf nach neuen Kreuzern, in: Freiburger Zeitung, Nr. 85, 13. 4. 1899. 305 Herr Buelow on Samoa, in: Daily Mail, Nr. 925, 15. 4. 1899, S. 4.

Symbol deutscher Weltgeltung: Der Erwerb Samoas

Artikel der Freiburger Zeitung hingegen drückte am Ende seine Hoffnung aus, „daß es einer diplomatischen Aktion gelingen werde, die durch die Schuld der Engländer und Amerikaner in Samoa selbst arg verfahrenen Dinge ins rechte Gleise zu bringen“.306 Wenn Zeitungen oder politische Akteure öffentlich Gemeinsamkeiten der drei beteiligten Staaten hervorhoben, diente diese vor allem zur Beschwichtigung der angeheizten Stimmung. So sprach Bülow in seiner Reichstagsrede davon, dass es „ruchlos“ wäre, wegen einer „Inselgruppe in der fernen Südsee […] ­zwischen drei großen und gesitteten und christlichen Völkern den Krieg zu entfesseln“.307 Zwar zeigte sich die englische Presse bemüht, die Beziehungen zu Deutschland nicht unnötig zu gefährden, die Nachrichten aus Samoa trugen aber vor allem dazu bei, das Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Vereinigten Staaten zu stärken.308 Für die Daily Mail kämpften Briten und Amerikaner zusammen, „shoulder and shoulder as British and American ever should fight“. Die Gefallenen ­seien ­„brothers in death as they were brothers in race and language“.309 In Samoa beendeten die anglo-­amerikanischen Truppen auf Anweisung aus London und Washington widerwillig ihren Kampf gegen die Anhänger ­Matafaas, und die am 13. Mai eintreffenden Kommissare begannen mit ihrer Arbeit. Die erste Proklamation der Kommission am 10. Juni betraf die Vorgeschichte der amerikanisch-­britischen Militärintervention: Die Entscheidung des amerikanischen Oberrichters Chambers, der im Thronfolgestreit Tanu, den Konkurrenten Mataafas, zum König ernannt hatte, bewertete die Kommission als legal. Da gerade diese Entscheidung vom deutschen Konsul auf Samoa nicht anerkannt worden war, wertete die deutsche Presse diese Nachricht als Niederlage.310 Die Times hingegen lobte die Kommission für die diplomatische Lösung des Konflikts. (Tanu trat sogleich als König zurück und die Kommission verkündete die Abschaffung der Monarchie.) 311 Auch die weiteren Entscheidungen der Kommission stießen in Deutschland auf stärkere Kritik als in England, wobei hier vor allem der englische Kommissar

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Ein Ruf nach neuen Kreuzern, in: Freiburger Zeitung, Nr. 85, 13. 4. 1899. SBR, Bd. 166, 14. 4. 1899, S. 1758. Vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 1, 1935, S. 875; Kennedy, The Samoan Tangle, 1974, S. 261. Wanted, Cool Heads, in: Daily Mail, Nr. 923, 13. 4. 1899, S. 4. Vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 1, 1935, S. 888. The Samoan Commission, in: The Times, Nr. 35862, 22. 6. 1899, S. 11.

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Eliot scharf angegriffen wurde.312 Die Times wies am 17. August in einem Rückblick auf die Arbeit der Kommission die Kritik der deutschen Presse zurück und lobte die Kommissare dafür, dass sie in Samoa eine Regierung hinterlassen hätten, „conducted under the influence of three of the most powerful and progressive States of the civilized world, with a free hand to develop the resources of Samoa and to maintain order among the people of the islands“.313 Der Manchester ­Guardian hingegen sah die Kommission kritisch. Er blieb bei seiner Einschätzung, dass Chambers mit Tanu den Falschen zum König ernannt habe: „But rather than admit that any white man was in the wrong the Commissioners preferred to do an act of grievous personal injustice to Mataafa, the friend of ­Stevenson and the only man in Samoa fit to be king.“ Die Abschaffung der Monarchie bewertete der Guardian als illegalen Angriff auf die Unabhängigkeit Samoas.314 Mit dieser grundsätzlichen Kritik befand sich der Guardian in Großbritannien in der Minderheit. Aber in anderen Zeitungen verbesserte sich zumindest die Bewertung Matafaas, trugen doch Berichte von nach Samoa entsandten Korres­ pondenten nun zu einem differenzierteren Bild der Konflikte in der englischen Presse bei.315 So erschien in der Times vom 16. August ein längerer Artikel, in dem Mataafa sehr positiv dargestellt wurde. Der Autor hob dessen Loyalität zur Kommission und Willen zum Frieden hervor und berichtete von einem Treffen des britischen Kapitäns Stuart mit Anhängern Matafaas, auf dem Stuart gesagt habe, sie hätten sich als „brave enemies“ erwiesen. Der Autor fügte noch hinzu, dass auch die Samoaner nur Gutes über Stuart sagen würden. Kritisch zur Militäraktion äußerte sich der Times-­Korrespondent in einem Bericht über eine Missionsschule, die während des Konflikts von Schüssen durchsiebt worden war, „though we were solemnly assured by the sisters in charge that its only occupants on March 21, the date of this gallant bombardment, were themselves and a score of young girls“.316

312 Für Kritik an den Ergebnissen der Kommission vgl. etwa Apia, in: Freiburger Zeitung, Nr. 178, 3. 8. 1899 sowie Vagts, Deutschland, Bd. 1, 1935, S. 896, zur Kritik der agrarischen Presse an Bülow. 313 The Situation in Samoa, in: The Times, Nr. 35910, 17. 8. 1899, S. 7. 314 O. T., in: Manchester Guardian, Nr. 16496, 23. 6. 1899, S. 5. 315 Vgl. auch Vagts, Deutschland, Bd. 1, 1935, S. 900 f., Anm. 5, zu den Korrespondenten der Times und der Morning Post. 316 Samoa. (From Our Special Correspondent.), in: The Times, Nr. 35909, 16. 8. 1899, S. 10.

Symbol deutscher Weltgeltung: Der Erwerb Samoas

In Deutschland kam es der Politik besonders entgegen, dass die Kommission sich kritisch zur geteilten Herrschaft der drei Staaten in Samoa geäußert hatte. Die Reichsleitung ergriff daraufhin Ende August wieder die Initiative und setzte eine Aufteilung der Inseln unter den drei Mächten auf die diplomatische Tagesordnung. Dabei nutzte die deutsche Diplomatie die sich zuspitzende Lage in Südafrika, um Großbritannien zu einer Einigung zu drängen. Die Androhung einer deutlichen Verschlechterung der deutsch-­englischen Beziehungen zeigte Wirkung, auch wenn London aus deutscher Perspektive wie stets in der Samoafrage zu langsam reagierte und alles unnötig hinauszögerte. Im November, nach Ausbruch des Kriegs in Südafrika, konnten schließlich die Verhandlungen abgeschlossen werden.317 Dabei gelang es der britischen Politik, trotz der international schwierigen Situation einen nach damaligen strategischen und kolonialwirtschaftlichen Relevanzkriterien guten Handel abzuschließen, weil für die deutsche Politik ökonomische Aspekte sekundär waren. Für den britischen Verzicht auf Samoa machte Berlin gegenüber London Zugeständnisse in Afrika und anderen Gebieten der Südsee. Die Vereinigten Staaten stimmten dem Abkommen zu und bekamen die für die amerikanische Marine wichtigen Inseln im Osten Samoas zugesprochen. Mit dem Erwerb der beiden symbolbeladenen, größeren Inseln im Westen hatte Bülow schließlich sein Ziel erreicht, in der Öffentlichkeit einen Prestigeerfolg zu erringen, der die in Deutschland unpopuläre Neutralitätspolitik in Südafrika legitimieren sollte.318 Als am 8. November die Einigung sicher schien, ließ Bülow – vor der offiziellen Unterzeichnung des Vertrags und ohne vorherige Rücksprache mit seinen englischen Kollegen – den Vertrag veröffentlichen.319 Sein Kalkül ging auf, die deutsche Presse feierte die Erwerbung der lange umstrittenen Inseln als Erfolg und lobte Bülow; nur einige Zeitungen kritisierten, dass man für Samoa einen zu hohen Preis gezahlt habe. In England bewertete die konservative Presse das Abkommen überwiegend als fair, während die oppositionellen Zeitungen

317 Vgl. Dülffer u. a., Vermiedene Kriege, 1997, S. 308 – 313. 318 Laut Paul Kennedy war der Hauptgrund des britischen Rückzugs von den Samoainseln der Glaube Salisburys und Chamberlains „that they believed they were getting an incredibly good bargain“, Ders., The Samoan Tangle, 1974, S. 249. Zum deutschen Blick auf den Burenkrieg vgl. Kap. 2.3. 319 Vgl. Dülffer u. a., Vermiedene Kriege, 1997, S. 49.

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erwartungsgemäß Kritik übten.320 Für das Reynolds’s Newspaper war Samoa der Preis für die deutsche Neutralität im Burenkrieg, man habe „a fine race of men“ gegen „some cannibals“ getauscht.321 Der Manchester Guardian interpretierte das Abkommen ähnlich, wenn auch im Ton etwas zurückhaltender. Er stellte klar, dass er Salisbury unter diesen Umständen keine Vorwürfe wegen Samoa mache, schenkte dessen öffentlichen Ausführungen, dass es sich um ein für beide Seiten profitables Abkommen handle, jedoch keinen Glauben. Stattdessen forderte der Guardian ihn auf, zuzugeben, dass das Abkommen der Preis für die deutsche Neutralität in Südafrika sei, um anschließend die Politik der Regierung anzugreifen, die zu dem Krieg geführt habe.322 Die konservative Presse vermied eine s­ olche Interpretation und lobte stattdessen in ihren Kommentaren die guten Beziehungen zu Deutschland. Am plakativsten warb die Daily Mail für die deutsch-­englischen Beziehungen. Sie kommentierte, dass man zwar ­zwischen Deutschland und Frankreich geschwankt, Deutschland aber immer respektiert habe. Zu Frankreich hingegen sei die Abneigung gewachsen. Nach Verweisen auf koloniale Konflikte in Afrika und die Dreyfus-­Affäre stand für die Mail fest: „Nothing like an ‚entente cordiale‘ can subsist between England and her nearest neighbour.“ 323 Allerdings machte es Bülows Pressepolitik mit ihrem Bestreben, den Erwerb Samoas als diplomatischen Erfolg Deutschlands darzustellen, es der britischen Regierung und der sie unterstützenden Presse schwer, das Abkommen als ­­Zeichen guter englisch-­ deutscher Beziehungen zu verkaufen.324 So versuchte die Times in ihrem leader dem Eindruck entgegenzutreten, dass die Freude der deutschen Presse ein ­­Zeichen

320 Vgl. Kennedy, The Samoan Tangle, 1974, S. 262 f., 266 f. 321 Germany and Transvaal. Price of Neutrality. Gift of Samoa, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2570, 12. 11. 1899, S. 6. 322 O. T., in: Manchester Guardian, Nr. 16616, 10. 11. 1899, S. 7. 323 The Agreement with Germany, in: Daily Mail, Nr. 1108, 9. 11. 1899, S. 4. 324 Bei der Wiedergabe der deutschen Pressestimmen wies der Berliner Korrespondent der Times darauf hin, dass die offiziöse Kölnische Zeitung und viele andere Blätter hervorhoben, durch den Vertrag keinesfalls gebunden zu sein, die Reichsregierung habe weiterhin eine ‚freie Hand‘ in der Außenpolitik, vgl. The Samoa Agreement. (From Our Own Correspondent.), in: The Times, Nr. 35983, 10. 11. 1899, S. 5. Nach der Reichstagsrede im Februar 1900 zeigte sich der Standard enttäuscht, dass Bülow keine freundlichen Worte für Großbritannien in seiner Rede hatte, vgl. Kennedy, The Samoan Tangle, 1974, S. 262.

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dafür sei, dass London einen schlechten Handel abgeschlossen habe.325 Für den Guardian hingegen zeigte das Samoa-­Abkommen, dass die von Salisbury und der konservativen Presse behauptete Freundlichkeit Deutschlands wenig bedeute: With regard to certain foreign Powers the term ‚friendliness‘ is, we fear, applicable only in a diplomatic sense. They have their various little accounts which they wish to settle with us, and it is not in human nature, at any rate it is not in diplomatic nature, to resist the opportunity of forcing a settlement when an opponent is occupied with other matters.326

Insgesamt stand die Berichterstattung über das Ende der Samoakrise im Schatten des Krieges in Südafrika. Das Bekenntnis zu den guten englisch-­deutschen Beziehungen in der britischen Presse bezog sich hauptsächlich auf die deutsche Neutralitätspolitik.327 Die oppositionelle Presse sah im Samoaabkommen vor allem eine Möglichkeit, den Kriegskurs der Regierung anzugreifen. Das britische Kabinett konnte sich allerdings zu ­diesem Zeitpunkt noch großer Unterstützung erfreuen, selbst in Australien und Neuseeland hielt man sich, trotz der Enttäuschung über das Ergebnis der Verhandlungen, in Anbetracht der Ereignisse in Südafrika mit Vorwürfen an das Mutterland zurück.328 Für die Legitimität des imperialistischen Kurses der unionistischen Regierung und die zukünftigen Beziehungen mit Deutschland waren nicht Samoa, sondern die Ereignisse in Südafrika und die öffentliche Debatte über den Burenkrieg entscheidend.329

1.7 Englisch-­deutsches Belauern Im späten 19. Jahrhundert prägte die zunehmende imperiale Rivalität die wechselseitige Wahrnehmung Englands und Deutschlands. Schon in den frühen 1890er-­ Jahren waren es vor allem kolonialpolitische Spannungen, die zu Angriffen auf

325 The Anglo-­German Agreement, in: The Times, Nr. 35983, 10. 11. 1899, S. 9. 326 O. T., in: Manchester Guardian, Nr. 16616, 10. 11. 1899, S. 7. 327 Am gleichen Tag, an dem die Presse über das Samoa-­Abkommen berichtete, erschienen auch Nachrichten über die Umsetzung der deutschen Neutralitätspolitik, vgl. German Neutrality, in: The Times, Nr. 35983, 10. 11. 1899, S. 5. 328 Vgl. Kennedy, The Samoan Tangle, 1974, S. 258 – 261. 329 Vgl. hierzu Kap. 2.

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das jeweils andere Land in englischen und deutschen Zeitungen führten. Insgesamt waren die Pressebeziehungen ­zwischen beiden Ländern in der ersten Hälfte der 1890er-­Jahre aber nicht schlecht. Im Januar 1896 führte das Krügertelegramm dann jedoch zu einem heftigen Pressekrieg z­ wischen beiden Ländern.330 In der Folgezeit verbesserten sich die Pressebeziehungen allmählich wieder, wenngleich die Darstellung des Verhältnisses beider Länder zueinander immer wieder Schwankungen ausgesetzt war.331 Die deutsche Unterstützung für den Feldzug im Sudan 1896 konnte die englische Skepsis gegenüber dem Wilhelminischen Reich nicht beseitigen. Wenn die Times zustimmend auf das deutsche Wohlwollen verwies, erinnerte sie zugleich daran, dass die deutsche Presse keinesfalls englandfreundlich sei und die Gegensätze in Südafrika weiter fortbestünden. Aber bis zu einem gewissen Grade verbesserte sich die Darstellung Deutschlands in der Presse. Die Antipathie der englischen Zeitungen konzentrierte sich wieder stärker auf Frankreich und Russland, die beiden Gegner des britischen Kriegs im Sudan.332 Den Beginn der deutschen ‚Weltpolitik‘ 1897 betrachtete die englische Presse insgesamt mit wenig Sympathie. Die konservativen Zeitungen bestritten zwar nicht das Recht, zur Erlangung von Wiedergutmachung für getötete Staatsangehörige in außereuropäischen Ländern militärisch zu intervenieren, davon abgesehen zeigten die Daily Mail und die Pall Mall Gazette aber offen ihre Abneigung gegenüber den deutschen machtpolitischen Ambitionen. Für die beiden Blätter war der Tod der Missionare nur ein Vorwand, den die Reichsleitung nutzte, um die eigenen politischen Ziele voranzutreiben. Dementsprechend kontrastierten sie die Annexionspolitik des Reiches mit der moralischen Empörung in Deutschland über den Jameson Raid. Sie spotteten über den ­Kaiser und die Kieler Reden und zeigten sich erfreut, wenn die deutsche Politik auf Probleme stieß. Zudem beanspruchten sie, dass Großbritannien bei den kommenden Auseinandersetzungen um China ein Wort mitzureden habe und forderten Kompensationen.333 Allerdings verlangte kaum eine Zeitung, dass das Britische

330 331 332 333

Vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 91 – 108. Vgl. zum Folgenden auch Reinermann, ­Kaiser, 2001, S. 180 – 185. Vgl. Kap. 1.2. Vgl. Berlin China, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10191, 23. 11. 1897, S. 1; o. T., in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10204, 8. 12. 1897, S. 2; „My Dear Henry“, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10212, 17. 12. 1897, S. 1; o. T., in: Daily Mail, Nr. 481, 15. 11. 1897, S. 4; Germany’s „Little

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Empire sich einer deutschen Annexion entgegenstellen sollte. Die Forderungen nach Kompensationen gewannen erst richtig an Lautstärke, nachdem Russland Port Arthur besetzt hatte.334 Die Times äußerte anfangs mehr Verständnis für Deutschland und lobte zunächst das harte Vorgehen gegen China.335 Mit der Zeit verstärkte sie dann aber ihre Kritik: Von den Kieler Reden des Kaisers und seines Bruders distanzierte sie sich mit klaren Worten und machte sich darüber lustig, dass der K ­ aiser und sein Bruder eine Expedition, die ein britischer Offizier als angenehme Reise betrachten würde, als Beginn einer neuen Ära verklärten.336 Auch der Manchester Guardian verurteilte das deutsche Vorgehen, kritisierte aber in einem Kommentar am 20. Dezember die englische Presse zugleich dafür, dass sie zwar über die Kieler Reden spotte, sonst aber keine substantielle Kritik an der Intervention übe, sondern nur danach frage, was Großbritannien im Gegenzug als Kompensation erhalte. Er betrachtete die Besetzung als Ausdruck des imperialistischen Zeitgeistes, der „unhappily cosmopolitan“ sei und eine Gefahr für den europä­ ischen Frieden darstelle.337 Nach der russischen Besetzung von Port Arthur konzentrierte sich das britische Misstrauen dann hauptsächlich auf das Zarenreich und der Spott über das deutsche Vorgehen ließ zu Beginn des Jahres 1898 deutlich nach. Die Pall Mall Gazette stellte am 10. Januar fest: „We have ceased to poke quite so much fun at the mailed fist and the very much revised Gospel, mainly because the prettiest of jests palls after a week or two.“ 338 Neben der begrenzten Halbwertszeit von Witzen war

Affairs“. Sailors Seriously Maltreated in Oporto (From Our Own Correspondent.), in: Daily Mail, Nr. 485, 19. 11. 1897, S. 5; o. T., in: Daily Mail, Nr. 490, 25. 11. 1897, S. 4. 334 In keinem hier ausgewerteten Zeitungsartikel wurde gefordert, dass Großbritannien Deutschland direkt entgegentreten sollte. Auch in den deutschen Presseschauen findet sich diesbezüglich nur der Hinweis auf einen Artikel der „deutschfeindlichen Morning Post“, die prognostizierte, dass andere Mächte einer dauerhaften Besetzung Kiautschous nicht tatenlos zusehen werden, vgl. China, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1066, 2. 12. 1897, Erste Morgen-­Ausgabe. Für Kompensationsforderungen infolge der Besetzung Port Arthurs vgl. etwa Where do We Come in?, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10214, 20. 12. 1897, S. 1; China and the European Powers, in: The Times, Nr. 35391, 20. 12. 1897, S. 9. 335 Vgl. Kap. 1.5. 336 The Sailing of Prince Henry, in: The Times, Nr. 35389, 17. 12. 1897, S. 11. Vgl. auch Kap. B. 337 O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16025, 20. 12. 1897, S. 4. 338 Taels We Win, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10231, 10. 1. 1898, S. 1.

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es nicht zuletzt die politische Lage, die zu einer stärkeren Zurückhaltung in der englischen Presse führte. So wirkte die Queen im Januar durch einen Vertrauten mäßigend auf britische Journalisten ein.339 Zudem sagte Deutschland, anders als Russland in seiner Einflusssphäre, freien Handel in Kiautschou zu und erfüllte damit die wesentliche britische Forderung an die anderen Mächte. Die Pall Mall Gazette kommentierte am 26. Januar, Deutschland „seems to have decided upon a policy which exactly squares with ours and the interests of the world“.340 Als Chamberlain jedoch in einer Rede im Mai 1898 die Möglichkeit einer Allianz mit Deutschland andeutete, war das positive Echo begrenzt. Für ein Bündnis mit dem Wilhelminischen Reich ließ sich die Öffentlichkeit nicht mobilisieren.341 In Deutschland interpretierte die prokoloniale Presse englische Pressestimmen über mögliche Probleme infolge der Besetzung Kiautschous zunehmend als ­­Zeichen von Missgunst.342 Nachdem Russland Port Arthur besetzt hatte, war Schadenfreude über Großbritanniens Probleme im ostasiatischen Machtkampf mit dem Zarenreich weit verbreitet. Am 29. Dezember 1897 höhnte der Berliner Lokal-­Anzeiger, dass England aufgrund seines globalen Machtverlustes wie „ein Huhn“ in „großer Aufregung“ sei.343 Zu Beginn des Jahres 1898 gingen die direkten Angriffe auf England allmählich zurück, freundlich gesonnen stand die Mehrheit der deutschen Presse dem Britischen Empire jedoch nicht gegenüber. Der B ­ erliner Lokal-­Anzeiger stellte am 22. Januar klar, dass die Öffnung Kiautschous für die Schiffe anderer Mächte „kein Zugeständnis an England, sondern durch unser eigenes Interesse geboten“ sei.344 Im Reichstag sprachen sich nur die oppositionellen Linksliberalen für eine enge Zusammenarbeit mit Großbritannien aus.345 In der englischen Presse verbesserte sich das Deutschlandbild Ende 1898 noch einmal deutlich. Dafür war zum einen die demonstrative Solidarität des deutschen Kaisers nach dem britischen Sieg im Sudan verantwortlich.346 Zum 339 Vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 112. 340 Compensation without Disturbance, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10245, 26. 1. 1898, S. 1. 341 Vgl. Otte, ‚Avenge England’s Dishonour‘, 2006, S. 407 f. 342 Vgl. Kap. 1.5. 343 England in Ostasien, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 607, 29. 12. 1897, 1. Ausgabe. 344 Schachzüge in der chinesischen Frage, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 35, 22. 1. 1898, 1. Ausgabe. 345 Für Eugen Richter war die „Interessengemeinschaft mit England“ in Ostasien „natür­ gemäß“, SBR, Bd. 160, 8. 2. 1898, S. 893. 346 Vgl. Kap 1.2.

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anderen schlossen Großbritannien und Deutschland am 30. August 1898 einen Vertrag über die Aufteilung des portugiesischen Kolonialreichs im Falle eines Staatsbankrotts von Portugal. Insbesondere weil Deutschland darin Südafrika als britisches Einflussgebiet anerkannte und damit die deutsche Neutralität im Falle eines Konfliktes mit der Burenrepublik Transvaal gesichert schien, begrüßten englische Zeitungen den Vertrag.347 Die imperialistische Presse betrachtete die ‚weltpolitischen‘ Ambitionen Deutschlands nun mit weit größerer Sympathie. So griff die Daily Mail im April 1899 in einem Kommentar zu einer deutschen Strafexpedition in Shandong die Semantik der Kieler Reden affirmativ auf und schrieb: The mailed fist has struck again in Shantung. Three villages have been destroyed as the penalty for firing upon a German patrol. The only comment upon this p ­ roceeding is that the Germans know how to deal with the corrupt and weak authorities in Pekin [sic!].348

Zu dieser Zeit trafen allerdings schon Nachrichten aus Samoa ein, die das positive Deutschlandbild trübten. Die englische Presse bemühte sich jedoch, vor allem die deutschen ‚men on the spot‘ in Samoa zu kritisieren, mit Kritik an der deutschen Regierung hielt sie sich auffällig zurück. In Deutschland hingegen verurteilte die Presse nicht nur die anglo-­amerikanische Militäraktion in Samoa, sondern griff auch die britische Regierung an. Teils versuchte Bülow mäßigend auf die Presse einzuwirken, teils schürte er die antienglischen Ressentiments. In England zeigte man sich wenig erfreut über die Ausfälle der deutschen Presse, bemühte sich aber dennoch, Kooperationswillen mit der deutschen Regierung zu bekunden. Als sich dann Großbritannien und Deutschland im November auf eine Lösung des Dauerkonfliktes in Samoa geeinigt hatten, hob die englische Presse die guten Beziehungen zu Deutschland hervor. Dabei war es vor allem die deutsche Neutralität im Burenkrieg, die die englischen Zeitungen zur Wertschätzung des Wilhelminischen Reiches bewegte. Am deutlichsten bekannte sich dabei die Daily Mail zur Freundschaft mit Deutschland, wenngleich sich ­dieses Bekenntnis vor allem in antifranzösischen Polemiken ausdrückte.349 347 Vgl. Fröhlich, Konfrontation, 1990, S. 182 – 213, zur Presse S. 212 f. 348 O. T., in: Daily Mail, Nr. 921, 11. 4. 1899, S. 4. 349 Vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 304, sowie Kap. 1.6.

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Die Verbesserung der wechselseitigen englisch-­deutschen Wahrnehmung in der zweiten Hälfte der 1890er-­Jahre hatte jedoch enge Grenzen. In Deutschland war die Neutralitätspolitik während des Burenkriegs unpopulär, die Solidaritätsbekundungen nach der Einigung über den Samoakonflikt waren einseitig: Positive Darstellungen Deutschlands in der englischen Presse in der zweiten Hälfte der 1890er-­Jahre bezogen sich zumeist auf die deutsche Politik, nicht auf positive Artikel über England in der deutschen Presse – aufgrund der weit verbreiteten anglophoben Stimmung in Deutschland wäre es für englische Zeitungen auch schwer gewesen, hier Material zu finden. Zudem beschränkte sich die Würdigung der guten Beziehungen mit Deutschland auf die konservativen Blätter, die imperialismuskritische linksliberale Presse dagegen interpretierte die Kooperation mit Deutschland als ­­Zeichen der Schwäche des Empires infolge des in Südafrika ausgebrochenen Krieges. Für sie war die Notwendigkeit guter Beziehungen mit dem Wilhelminischen Reich das Ergebnis der verfehlten Außen- und Kolonialpolitik der Regierung Salisburys, und konsequent bewertete sie den Wert der Freundschaft mit Deutschland skeptisch.350 Tatsächlich war die diplomatische Annäherung auf beiden Seiten kaum von einem Willen zu einem dauerhaften Bündnis begleitet. In Deutschland versuchte Bülow im Rahmen seiner Politik der ‚freien Hand‘ sich weder an Großbritannien noch an Russland zu binden. In Großbritannien erwog Chamberlain eine Allianz mit Deutschland, Salisbury stand dem jedoch skeptisch gegenüber. Die deutsche Diplomatie tat das Ihre, um das Misstrauen gegenüber den eigenen Intentionen zu stärken. Die englische Presse freute sich zwar über die öffentlichen Glückwünsche des Kaisers nach dem Sieg im Sudan; in Regierungskreisen löste ­Wilhelm II. jedoch Befremden aus, wenn er mit seinen diplomatischen Manövern versuchte, eine Eskalation des britisch-­französischen Konflikts herbeizuführen.351

1.8 Skepsis und Triumph: Zur Popularität der imperialen Expansion Insgesamt lässt sich für die späten 1890er-­Jahre sowohl in England als auch in Deutschland eine wachsende Zustimmung für eine zunehmend aktivere Politik in der außereuropäischen Welt konstatieren. Dies war jedoch kein linearer

350 Vgl. Kap. 1.6. 351 Vgl. McLean, The ­Kaiser’s Diplomacy, 1998, S. 155 – 158.

Skepsis und Triumph: Zur Popularität der imperialen Expansion

Prozess, auch ging die Popularität einer expansiven Politik nicht immer mit einem Reputationsgewinn für die verantwortlichen Regierungen einher und in beiden Ländern gab es hartnäckige Gegner und Kritiker der imperialistischen Politik. Aus den britischen imperialen Besitzungen kamen zu Beginn der untersuchten Phase erst einmal unangenehme Nachrichten für die 1895 an die Macht gekommene unionistische Regierung. Schon kurz nach Amtsantritt sah sie sich mit der Venezuelakrise und einem diplomatischen Konflikt mit den Vereinigten Staaten konfrontiert. Zudem waren die ersten Reaktionen auf den Jameson Raid im Januar 1896 überwiegend negativ. Doch nach dem Krügertelegramm kam es zu einer massiven Zunahme der imperialistischen Stimmung, die die mögliche innenpolitische Brisanz von Venezuelakrise und Jameson Raid für die Regierung erheblich abschwächte.352 Als London dann im März 1896 die Entscheidung für eine militärische Operation im Sudan traf, schien die Popularität des imperialistischen Regierungskurses wieder fraglich. Auch die konservative Pall Mall Gazette zeigte sich skeptisch gegenüber einer zu weitgehenden Militäraktion in einer Region, in der es schon einmal zu einer als demütigend empfundenen britischen Niederlage gekommen war. Das Reynolds’s Newspaper interpretierte die Sudankampagne in einem Kommentar vom 22. März 1896 als Teil einer insgesamt aggressiven Außenpolitik und bezweifelte, dass dieser Kurs von der Bevölkerung gewollt sei, um am Ende aber zu einer Wählerschelte auszuholen: When the voters of this country gave such an enormous majority last year to the party of reaction they did not dream of the trouble and danger in store for the land. For months we have had scarcely a moment of peace. […] And yet it is the policy which thousands of foolish thoughtless votes enables an unscrupulous Ministry to carry out.353

Allerdings war das kolonialkritische Lager sich keinesfalls sicher, dass die Wähler den Kurs der Regierung nun ablehnten. So zitierte das Reynolds’s Newspaper in der gleichen Ausgabe auch einen Redner der Social Democratic Federation, der sich darüber beklagte, dass der von der Republik Transvaal an Großbritannien

352 Vgl. Kap. 1.1. 353 The Question of the Soudan, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2380, 22. 3. 1896, S. 4.

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ausgelieferte Jameson mit „hallelujahs“ empfangen werde, obwohl „he ought to be received with groans and condemnation“.354 Tatsächlich nahm in den folgenden Monaten die Zustimmung zur imperialen Expansion zu, die Erfolge im Sudan bestärkten die imperialistische Presse in dem Glauben, die Mehrheit der Bevölkerung an ihrer Seite zu haben. Die anfangs skeptische Pall Mall Gazette äußerte immer weniger Bedenken gegen das weitere Vorrücken in den Sudan und die Daily Mail begrüßte Neujahr 1897 sogar die kommenden Militäreinsätze: There will be fighting in the New Year, of course, for the reconquest of the Sudan awaits us and the turbulent tribes of South Africa are by no means reconciled to civilised government. But a little blood-­letting is good for a nation that tends to excess of luxury.355

Diese Stimmung änderte sich, als im Sommer 1897 an der indischen Grenze ein Krieg ausbrach, der für das britische Militär von Rückschlägen geprägt war und weitaus länger dauerte, als von der englischen Presse zunächst erwartet worden war. Dieser Krieg führte zu einer Kontroverse über die Ausweitung der britischen Präsenz im indischen Grenzgebiet. Dabei erschien selbst imperialistischen Zeitungen wie der Daily Mail eine Intensivierung der Herrschaft in dieser Region wenig attraktiv und auch die Regierung entschloss sich letztlich für eine Politik, die hinter den Erwartungen der Expansionsbefürworter zurückblieb.356 Im Frühjahr 1898 löste dann ein Aufstand in Sierra Leone eine weitere Debatte über die Wünschbarkeit eines stärkeren kolonialen Engagements aus. Hintergrund ­dieses Krieges war der von Chamberlain vorangetriebene ­Ausbau der Kolonialverwaltung in Afrika.357 Zumindest unmittelbar nach Ausbruch des Konflikts schien viel gegen die Politik der Regierung zu sprechen. Die Presse machte allgemein die vorherige Einführung einer Hüttensteuer für die Eskalation der Gewalt verantwortlich. Für den Manchester Guardian stand in

354 355 356 357

Socialism, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2380, 22. 3. 1896, S. 1. A Happy New Year, in: Daily Mail, Nr. 209, 1. 1. 1897, S. 4. Vgl. Kap. 1.2. Zu ­diesem Aufstand vgl. J. D. Hargreaves, Establishment, 1956, der auch die öffentliche Debatte über die Ursachen der Rebellion behandelt, sowie Füllberg-­Stolberg, Christliche Missionare, 2005, S. 136, zur amerikanischen Missionspresse.

Skepsis und Triumph: Zur Popularität der imperialen Expansion

seinem ersten leader zu den Ereignissen in Sierra Leone fest: „[T]he direct cause undoubtedly is the imposition of the hut tax“. Er konnte sich dabei auf die Afrikareisende Mary Kingsley und Handelskreise berufen.358 Die zunehmenden Probleme von Chamberlains Afrikapolitik und der sich dagegen bildende Widerstand führten schließlich dazu, dass eine Mitte 1898 eingereichte Kolonialvorlage in Anbetracht der parlamentarischen Opposition wieder zurückgezogen werden musste.359 Am problematischsten für die britische Regierung war aber die Entwicklung in China infolge der deutschen Annexion Kiautschous und der daraufhin an Schärfe gewinnenden britisch-­russischen Rivalitäten.360 Insbesondere die Nachricht, dass London die Öffnung des von Russland besetzten Hafens Talienwan für den Freihandel gefordert hatte, diese Forderung aber später zurückzog, sorgten für einen Ansehensverlust der nun als überfordert geltenden Regierung.361 Bei den by-­elections, den Nachwahlen freigewordener Sitze im House of Commons, verlor die Regierung 1898 immer wieder Mandate an die Opposition. Weniger weil das britische Kabinett vom Wert ­dieses Hafens überzeugt war, als vor allem um in der Öffentlichkeit einen Erfolg vorweisen zu können, entschloss sich London im März, Chinas Angebot der Pachtung Wei-­hai-­Weis anzunehmen. Die Hoffnung, durch diesen Landgewinn den Anschein eigener Schwäche zu kaschieren, erfüllte sich jedoch nicht. Die Position Englands in Ostasien bildete weiter einen Schwerpunkt der politischen Debatte. Am 24. August gewannen die Liberalen die Wahlen in Southport vor allem mit Angriffen auf die Chinapolitik der Regierung. Allerdings führte die Kritik an der Regierung keineswegs zu einem Popularitätsverlust der imperialen Expansion. Die Angriffe aus der kolonialkritischen linksliberalen Presse

358 O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16124, 15. 4. 1898, S. 5. Mary Kingsley sowie die Manchester und Liverpooler Handelskammern kritisierten nach Ausbruch des Aufstandes die Einführung der Hüttensteuer, vgl. Hargreaves, Establishment, 1956, S. 74 f. Zur Debatte über die Ursachen der Rebellion vgl. auch Kap. C. 359 Vgl. Robinson u. a., Africa, 1961, S. 400 f. 360 Die folgenden Ausführungen folgen der Interpretation von Otte, ‚Avenge England’s ­Dishonour‘, 2006. 361 Vgl. etwa Very Stagey Thunder, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10253, 4. 2. 1898, S. 1. Der Ansehensverlust der Regierung infolge des Rückzugs einer einmal erhobenen Forderung ließe sich politikwissenschaftlich am besten mit der „Audience Costs“-Theorie erklären, vgl. Fearon, Domestic Political Audiences, 1994.

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waren für die Regierung weit weniger gefährlich als die Vorwürfe der liberalen Imperialisten und der konservativen Presse.362 Im Herbst 1898 trafen dann aber Nachrichten aus einer anderen Krisenregion ein, die zu einer wieder positiven Berichterstattung über die imperialistische Politik der Regierung führten. Im September feierte die englische Öffentlichkeit den Sieg Kitcheners gegen den Khalifa im Sudan, und in der darauffolgenden Faschodakrise konnte London gegenüber Paris diplomatische Stärke beweisen.363 1899 setzte sich Chamberlain schließlich mit seiner Politik des stärkeren staatlichen Engagements in Westafrika durch. Schon im Sommer des vorherigen Jahres hatte sich ein Wandel der Debatte über den Aufstand in Sierra Leone abgezeichnet. Verteidiger der dortigen Kolonialpolitik machten nun die Ausbreitung der ‚Zivilisation‘ und Bekämpfung der Sklaverei für den Ausbruch der Gewalt verantwortlich. Ein im Sommer 1898 dorthin entsandter Royal Commissioner benannte zwar Hüttensteuer und Kolonialverwaltung als Hauptursachen für die Rebellion, Chamberlain gab dem verantwortlichen Gouverneur Cardew jedoch die Möglichkeit zur Gegendarstellung und schloss sich selbst dessen Position an. Der Manchester Guardian stellte sich im Einklang mit seinen früheren Kommentaren auf die Seite des Royal Commissioner, dessen Report er als eine eindeutige Verurteilung der Kolonialpolitik in Sierra Leone und als Beweis sah, dass der Aufstand auf die Hüttensteuer zurückzuführen sei. Er griff Chamberlain an, dass er den Bericht wie „waste paper“ behandle, und urteilte, dass die Untersuchung nur ein Trick gewesen sei, damit die Öffentlichkeit den Skandal vergesse: „But the matter cannot be allowed to end here.“ 364 Doch die Hüttensteuer wurde nicht abgeschafft und Cardew blieb bis zum Ende seiner regulären Amtszeit Gouverneur in Sierra Leone.365 Anfang August konnte Chamberlain zudem die ein Jahr zuvor gescheiterte ‚Colonial Loans Bill‘ im House of Commons durchbringen, die größere Investitionen in Westafrika vorsah, unter anderem für eine dritte Eisenbahn in Sierra Leone.366 Insgesamt schienen die Aussichten für den Ausbau der

362 363 364 365 366

Vgl. Otte, ‚Avenge England’s Dishonour‘, 2006. Vgl. Kap. 1.2. O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16525, 27. 7. 1899, S. 7. Vgl. Hargreaves, Establishment, 1956, S. 79 f. Vgl. Robinson u. a., Africa, 1961, S. 400 – 402. Ein Jahr zuvor hatte Chamberlain das Gesetz in Anbetracht starker Opposition zurückziehen müssen.

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­ olonialherrschaft 1899 so gut wie nie zuvor. Kritische Stimmen zum stärkeK ren staatlichen Engagement in Westafrika wie Mary Kingsley gerieten zunehmend in die Minderheit.367 Die konservative Presse berichtete mit Freude über die Uneinigkeit der Liberalen bei der Abstimmung über die ‚Colonial Loans Bill‘, auch der Manchester Guardian kritisierte das Gesetz nur vorsichtig und halbherzig.368 Chamberlain hatte sich mit seinem Kurs in Westafrika, zeitgenössisch als ‚scientific development‘ beworben, durchsetzen können.369 Als dann die Situation in Südafrika eskalierte, konnte die unionistische Regierung auf eine Reihe von Erfolgen verweisen. Bei allen militärischen Konflikten in der nichteuropäischen Welt hatten die Truppen des Empires letztlich gesiegt, und die imperialistische Presse forderte, nun auch in Südafrika die eigenen Interessen konsequent durchzusetzen.370 In Deutschland begann 1897 eine intensive Debatte über die neue ‚Weltpolitik‘. Neben der zuvor behandelten Expansionspolitik in Asien 371 beschäftigte die Zeitungen eine Machtdemonstration in der westlichen Hemisphäre. Im Dezember 1897 intervenierte das Kaiserreich mit Kanonenbooten in Haiti, um Entschädigungsforderungen für einen aus deutscher Perspektive dort zu Unrecht inhaftierten Kaufmann durchzusetzen. Nach Ende des Konflikts mit Haiti wurde ­dieses Ereignis von den Vorgängen in China überschattet und geriet in Vergessenheit. Zeitweise diskutierten Politik und Medien den Vorfall in Haiti jedoch zusammen mit dem Vorgehen in China, beide Militäreinsätze standen für das verstärkte Engagement zum Schutz der Deutschen im Ausland und damit für die neue ‚Weltpolitik‘.372 Anlass des Konflikts war die Inhaftierung des Kaufmanns Emil Lüders nach einer Auseinandersetzung mit der haitianischen Polizei im Oktober 1897. Nachdem deutscher Druck vor Ort keine Wirkung zeigte, bat der amerikanische 367 Vgl. E. D. M., The Hut-­Tax in West-­Africa, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10709, 24. 7. 1898, S. 1 f.; M. H. Kingsley, The Hut-­Tax in West Africa, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10713, 28. 7. 1899, S.  1 f. 368 Vgl. Colonial Finance and Imperial Credit, in: The Times, Nr. 35898, 3. 8. 1899, S. 9; To Develop the Empire, in: Daily Mail, Nr. 1024, 3. 8. 1899, S. 4; O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16531, 3. 8. 1899, S. 7. 369 Vgl. Robinson u. a., Africa, 1961, S. 400 – 402. 370 Vgl. Kap. 2.1. 371 Vgl. Kap. 1.5. 372 Vgl. zum Folgenden Methfessel, Rassistische Prestigepolitik.

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Gesandte um Gnade für Lüders und erreichte so dessen Freilassung. Erst Anfang November, als Lüders schon wieder aus der Haft entlassen worden war, erreichten Nachrichten über den Vorfall die deutsche Presse. Sie veröffentlichte Briefe von Deutschen aus Haiti, die unter Rückgriff auf zahlreiche rassistische Stereotype über die Verhaftung Lüders und das Rechtssystem der karibischen ­Republik klagten. Weite Teile der deutschen Presse forderten daraufhin Wiedergutmachung für das behauptete Unrecht, nur die sozialdemokratische Presse verteidigte konsequent die Position Haitis. Für die Regierung kamen die medialen Forderungen zunächst ungelegen. Insbesondere für Wilhelm II. hatte die kurz nach Bekanntwerden des Konflikts mit Haiti angelaufene Aktion in China Priorität. In Anbetracht der öffentlichen Empörung sah sich die Reichsleitung jedoch zum Handeln gezwungen und entschloss sich, die Vorgänge bestmöglich für die Flottenpropaganda auszuschlachten. Am 7. Dezember erschien schließlich die Meldung über das Aufkreuzen zweier Schulschiffe vor der haitianischen Hauptstadt Port-­au-­Prince. Am Folgetag berichteten die Zeitungen, dass Haiti nachgegeben und die deutschen Forderungen erfüllt habe. Die prokoloniale Presse zelebrierte daraufhin den „Sieg weißgekleideter, deutscher Knaben über ungeschlachte Neger“.373 Damit endeten die militärischen Interventionen 1897 in Haiti und China, die beide für die neue ‚Weltpolitik‘ standen, aus Perspektive der deutschen Regierung erfolgreich. Der Erfolg lag nicht zuletzt daran, dass die deutschen Truppen auf keinen Widerstand stießen und glückliche Umstände hinzukamen: In Haiti trafen die beiden deutschen Schulschiffe kurz vor einem von den Vereinigten Staaten entsandten Kriegsschiff ein. Auch wenn ­dieses Schiff offiziell nur zur Beobachtung entsandt worden war, hätten die deutschen Kanonenboote wohl nicht so aggressiv und frei handeln können, wenn es zu der Zeit schon vor Port-­ au-­Prince gelegen hätte.374 Auch haitianischer Widerstand gegen das Ultimatum hätte den Eindruck einer friktionslosen ‚Weltpolitik‘ gestört. Noch riskanter war das Vorgehen in China: Dort drängte der chinesische Kommandeur in Shandong

373 Umschau, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 581, 12. 12. 1897. 374 So freute sich der Schreiber eines Briefes, den die Freiburger Zeitung am 15. Januar 1898 veröffentlichte, besonders darüber, dass die beiden deutschen Schiffe drei Tage vor dem amerikanischen Kreuzer eingetroffen waren, denn: „Was hätten da zwei Schulschiffe angefangen??“, Vom Bord eines der beiden Kriegsschiffe, die jüngst vor Haiti, in: Freiburger Zeitung, Nr. 11, 15. 1. 1898.

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auf militärischen Widerstand gegen die Besetzung, konnte sich damit in Peking aber nicht durchsetzen. Auch Russland bereitete zunächst mehr Probleme, als Wilhelm II. es beim Befehl zur Landung in Kiautschou vermutet hatte. Wenn in der Presse teilweise der Eindruck vermittelt werden konnte, dass die Besetzung mit Russland abgesprochen sei, zeigt dies, wie sehr es der Regierung gelungen war, den Eindruck guter Planung zu vermitteln und die tatsächlichen Risiken vor der Öffentlichkeit zu verbergen.375 Die Annexion Kiautschous fand schließlich weit über das traditionell prokolo­ niale Lager hinaus Zustimmung. Auch der sonst kolonialkritische linksliberale Abgeordnete Eugen Richter unterstützte sie, wenngleich er sich ähnlich wie die Kölnische Volkszeitung gegen höhere Investitionen in die Kolonie aussprach.376 Spitzelberichte über Gespräche in Hamburger Arbeiterkneipen zeigen darüber hinaus, dass das deutsche Vorgehen in China selbst im sozialdemokratischen Arbeitermilieu eine gewisse Zustimmung fand. So äußerte sich laut eines Berichts ein Gast folgendermaßen: „Über die Besitzergreifung in China ist man sehr geteilter Ansicht. Der eine freut sich und der andere tadelt.“ Einem Kritiker der deutschen Eroberungspolitik widersprechend, argumentierte er, dass „der deutsche Michel aufgepasst hat und zur rechten Zeit zufasste“.377 Und wenn der Vorwärts nach der Veröffentlichung des deutsch-­chinesischen Abkommens zunächst erklärte, die Opposition gegen die Annexion nicht fortführen zu wollen, dann wohl auch, weil er merkte, hiermit bei den Wählern nicht punkten zu können.378 Dementsprechend waren regierungstreue Zeitungen wie der Berliner Lokal-­ Anzeiger voll des Lobes für die gesamte Reichsleitung, am 6. Januar 1898 kommentierte er, dass die „glückliche Lösung […] bekanntlich in erster Linie der energischen Initiative des Kaisers“ zu verdanken sei, aber man auch „die Geschicklichkeit des Staatssecretairs von Bülow doppelt würdigen“ müsse.379 Am 9. Februar bezeichnete der Lokal-­Anzeiger die Annexion als den größten außenpolitischen Erfolg seit dem Rücktritt Bismarcks.380 Obwohl in der deutschen Öffentlichkeit bekannt war, dass die Initiative zur Besetzung Kiautschous von Wilhelm II .

375 376 377 378 379 380

Vgl. Kap. 1.5. SBR, Bd. 160, 8. 2. 1898, S. 892. Graumann, 9. 3. 1898, in: Evans, Kneipengespräche, Nr. 287, S. 354 – 356. Vgl. Kap. 1.5. Der deutsch-­chinesische Vertrag, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 7, 6. 1. 1898, 1. Ausgabe. Stimmungsbild aus dem Reichstage, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 65, 9. 2. 1898, 1. Ausgabe.

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ausgegangen war, profitierte Bülow etwas stärker vom Prestige der erfolgreichen Annexion. Anders als der deutsche ­Kaiser leistete er sich keine rhetorischen Patzer und schaffte es in seinen Reden zudem geschickt, die Erwartungshaltung unterschiedlicher politischer Lager zu bedienen. Dies betraf etwa die Kölnische Volkszeitung, die den „absolutistischen Bestrebungen“ des Kaisers misstraute.381 Nach den Reden zur Verabschiedung des Prinzen Heinrich kontrastierte sie die Worte des Kaisers mit den in ihren Augen akzeptableren Ausführungen des Reichskanzlers Hohenlohe im Reichstag. Gleichzeitig bedauerte das Blatt, dass „die kaiserliche Initiative in den letzten Jahren mit einer Unmittelbarkeit und Bestimmtheit hervorgetreten“ sei, „neben welcher für die Einflußnahme und Einwirkung verantwortlicher Rathgeber des Kaisers kaum noch Raum zu sein scheint“.382 Trotz dieser pessimistischen Einschätzung sah die ­Kölnische Volkszeitung in manchen Artikeln Bülow als mögliches Gegen­gewicht zum deutschen ­Kaiser. So schrieb sie nach dessen erster Reichstagsrede im Dezember 1897, dass der Reichstag unter dem Eindruck stand, „den zukünftigen Reichskanzler vor sich zu sehen“. Besonders hob sie seine „Zurückhaltung und Vornehmheit“ hervor, niemals schlage seine Stimme ins „Schnarren“ um oder werde „schneidig“.383 Bülow wurde als Politiker beschrieben, der sich vom preußisch-­militaristischen Establishment positiv unterscheide. Im Februar 1898 lobte sie, die Reden Bülows erinnerten „an die besten Zeiten des Fürsten Bismarck“.384 Allerdings kann man von der weit verbreiteten Zustimmung zu den beiden Militäraktionen nicht automatisch auf große Popularität der neuen ‚Weltpolitik‘ als politisches Programm schließen. Bei den konkreten Interventionen konnte die Regierung zwar mit Unterstützung großer Teile der Presse ­rechnen. Die allgemeine Forderung, sich stärker für den Schutz der Deutschen im Ausland zu engagieren, stieß jedoch nicht nur in der sozialdemokratischen Presse, 381 Kein Absolutismus, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 853, 24. 11. 1897, Zweites Blatt; Vgl. auch Das persönliche Regiment, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 70, 28. 1. 1898, Zweites Blatt. Zum Misstrauen gegenüber dem ­Kaiser im rheinischen Flügel des Zentrums vgl. zudem Zeender, The German Center Party, 1976, S. 58 – 63. 382 Das Lob der Nüchternheit, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 923, 20. 12. 1897, Zweites Blatt. Vgl. auch Angesichts der Erwiderung des Prinzen Heinrich, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 923, 20. 12. 1897, Zweites Blatt. 383 Der erste Tag der Marine-­Berathung, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 887, 7. 12. 1897, Zweites Blatt. 384 Der Staatssekretär v. Bülow, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 102, 9. 2. 1898, Drittes Blatt.

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sondern auch bei den Linksliberalen und in der Zentrumspresse auf Skepsis.385 Die Kölnische Volkszeitung schrieb am 16. November 1897 in einem flotten­ kritischen Artikel von „Reichsangehörigen im Auslande […], die dort zunächst ihren eigenen Interessen und erst mittelbar denen des Staates ­dienen“.386 Die skeptischen Stimmen bestritten somit zwar keinesfalls die Notwendigkeit der Unterstützung von ‚Auslandsdeutschen‘ in konkreten Fällen. Sogar sozial­ demokratische Medien schlossen sie zumindest theoretisch nicht aus. Die Forderung nach mehr Schutz für die Reichsangehörigen in ‚Übersee‘ als Teil der größeren ‚Weltpolitik‘ sahen sie jedoch kritisch. Den Ruf nach einer aktiveren Politik in den außereuropäischen Regionen der Welt erhob vor allem die nationalliberale und regierungsnahe Presse. Programmatisch ausformuliert findet sie sich in einem Leitartikel der Kölnischen Zeitung über „Deutschland am Scheidewege“: Wir glauben daran, daß unser Volk nicht dazu bestimmt ist, nachdem es die Welt mit seinen Gedanken befruchtet, für alle Zeit auf diesen Winkel Europas beschränkt zu bleiben, der einst eine Welt bedeutete und jetzt längst nichts mehr ist als ein kleiner Bruchteil des Ganzen.387

Es gehe um die Frage, ob „unser Volk auch für die Zukunft in der Welt die Stelle einnehmen soll, die ihm zukommt“. Denn jetzt wehe „ein eisiger Wind auf dem Weltmeer“ und es herrsche eine Konkurrenz um die „noch nicht verteilte Welt“. Deutschland müsse nun handeln, damit „unserer Volkskraft ein angemessener Raum zu ihrer Bethätigung gewährt werde“.388 Diese Auffassung gewann zumindest in Teilen der Bevölkerung an Popularität. So schrieb der ehemalige chinesische Militärberater Constantin von Hanneken in einem Artikel für den 385 So unterstützte Eugen Richter am 7. Dezember 1897 im Reichstag zwar den Schutz von Reichsangehörigen in „unzivilisierten oder halbzivilisierten Staaten“, mahnte aber zur Vorsicht und sprach in Anlehnung an den früheren Staatssekretär des Äußeren Freiherr von Marschall von „cives von Deutschland, bei denen das Selbstbewußtsein im Ausland die hervorragendste Eigenschaft ist, die sie zu repräsentiren [sic!] im Stande sind“. SBR, Bd. 159, 7. 12. 1897, S. 69. 386 Zur Mission des Contre-­Admirals Tirpitz, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 832, 16. 11. 1897, Erstes Blatt. 387 Deutschland am Scheidewege, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1080, 6. 12. 1897, Morgen-­Ausgabe. 388 Ebd.

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Berliner Lokal-­Anzeiger, der für Investitionen in die neue Kolonie Kiautschou warb, dass „unsere Volksvertretung“ bisher „nur wenig Neigung gezeigt hat, freigebig in Bezug auf die außereuropäischen Interessen zu sein, – wenn wir auch mit Freuden constatiren können, daß momentan ein etwas gesunderer Wind weht“.389 Auch Kolonialkritiker räumten ein, dass diese Stimmung im Wachsen begriffen war. So äußerte sich Eugen Richter im Reichstag besorgt darüber, dass „in weiten Kreisen der Bevölkerung die Phantasie“ sich „in Erwartungen, in Vorstellungen bewegt, die weder in absehbarer Zeit noch überhaupt je in Erfüllung gehen können“.390 Wie die zitierte Rede Richters zeigt, traf die Forderung nach stärkerem Engagement in den nichteuropäischen Regionen auf eine durchaus selbstbewusste Opposition. Nicht nur der sozialdemokratische Vorwärts, auch die Kölnische Volkszeitung bezeichnete die neue ‚Weltpolitik‘ häufig als ‚Abenteuerpolitik‘, die vor allem Gefahren, Risiken und Kosten verspreche.391 Davon, dass ­solche Befürchtungen trotz der zunehmenden weltpolitischen Begeisterung in Teilen der Bevölkerung durchaus verbreitet waren, zeugen nicht zuletzt die Bemühungen der Regierung und der ihr nahestehenden Presse, diese Sorgen zu entkräften. So zeigte sich die Kölnische Zeitung zuversichtlich, dass sich die Regierung nicht den Wunsch von „gute[n] Patrioten, aber oft schlechte[n] Politikern“ nach der Errichtung eines „großen Colonialreich[s] in Ostasien“ zu eigen gemacht habe, sondern einen Kurs verfolge, bei dem „wir Verwicklungen kaum zu fürchten haben“.392 Zwei Tage später betonte sie, dass man „keine Eroberungspolitik großen Stiles“ wolle.393 Der Berliner Lokal-­Anzeiger schrieb infolge der Veröffentlichung des deutsch-­chinesischen Abkommens am 6. Januar 1898, dass selbst jene, die „anfangs mit unruhiger Besorgniß zusahen“, jetzt einräumen müssten, dass „der ganzen Action offenbar ein wohlüberlegter Plan zu Grunde gelegen“ habe.394 3 89 C. von Hanneken, Kiautschou, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 605, 28. 12. 1897, 1. Ausgabe. 390 SBR, Bd. 160, 8. 2. 1898, S. 893. 391 Vgl. etwa Wo hinaus?, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 915, 17. 12. 1897, Zweites Blatt; Die Kieler Ansprache des Kaisers und die Antwort des Prinzen Heinrich, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 918, 18. 12. 1897, Zweites Blatt. 392 Deutschland in China, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1075, 4. 12. 1897, Abend-­Ausgabe. 393 Deutschland am Scheidewege, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1080, 6. 12. 1897, Morgen-­Ausgabe. 394 Der große Erfolg der deutschen Politik, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 8, 6. 1. 1898, 2. Ausgabe.

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Besonders der neu ernannte Staatssekretär des Äußeren Bülow versuchte, Befürchtungen nach Möglichkeit zu widerlegen. Wenn aus Bülows Rede im Reichstag vom 6. Dezember immer die Floskel vom „Platz an der Sonne“ zitiert wird, wird ein wesentlicher Bestandteil seiner Öffentlichkeitsarbeit ignoriert. Seine Forderung nach einer wichtigeren weltpolitischen Rolle für das Deutsche Reich war Teil einer rhetorischen Strategie, die zugleich versuchte, die Gefahren ­dieses Vorgehens herunterzuspielen. Bülow bezeichnete die eigenen Forderungen als „maßvoll“ und bestritt, dass man sich „in Abenteuer stürzen“ wolle. Kritikern entgegnete er: „Fürchten Sie gar nichts, meine Herren!“ Er hob hervor, dass man „China weder brüskieren noch provozieren“ und „in Ostasien den Interessen anderer Großmächte Rechnung […] tragen“ wolle. Kurzum: „[W]ir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.“ 395 Neben den möglichen Folgen der Militäraktionen war es vor allem die geplante Vergrößerung der Flotte, die in der Zentrumspresse sowie in linksliberalen und sozialdemokratischen Medien Kritik hervorrief. Wie in der Forschung herausgestellt und in der zeitgenössischen Debatte auch von kritischen Stimmen angemerkt, diente Tirpitz’ Marineprogramm letztlich dazu, eine Flotte aufzubauen, mit der Deutschland gegen eine andere ‚Großmacht‘ bestehen konnte.396 Gerade zu Beginn der Berichterstattung über das geplante Flottengesetz waren die Kontroversen über die maritime Aufrüstung jedoch stark mit den Nachrichten über die Militäraktionen in China und Haiti verschränkt. So behaupteten Regierung und marinefreundliche Presse immer wieder, dass ein Mangel an Schiffen das Vorgehen in Haiti erschwere.397 In Bezug auf China stand besonders das Zentrum im Fokus des Interesses, dessen Haltung zur Flotte gespalten war und dessen Stimmen im Reichstag ausschlaggebend für die Bewilligung des Flottengesetzes waren. Hier ging es um die Frage, inwieweit die deutsche Intervention zugunsten zweier katholischer Missionare die Haltung des katholischen Zentrums zur Flottenvergrößerung beeinflussen würde. Die Kölnische Volkszeitung widersprach solchen Erwartungen dezidiert. Sie bestritt einen Zusammenhang z­ wischen den beiden Th ­ emen und schrieb am 23. November mit Blick auf die nationalliberale Presse: 395 SBR, Bd. 159, 6. 12. 1897, S. 60. 396 Vgl. klassisch Berghahn, Tirpitz-­Plan, 1971. 397 Vgl. etwa o. T., in: Kölnische Zeitung, Nr. 1089, 9. 12. 1897, Erste Morgen-­Ausgabe, sowie Methfessel, Rassistische Prestigepolitik.

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Anscheinend ist die National-­liberale Corresp. der Meinung, die Centrums-­Presse müsse ganz einfach sagen: weil in China katholische Missionare ermordet worden sind, muss die deutsche Flotte so stark gemacht werden, dass sie nicht nur von China Genugtuung erlangen kann – wozu die Flotte zweifellos stark genug ist – sondern auch ohne alle und jede Rücksicht auf die andern Großmächte in China weiter vorzugehen vermag. Diese eigentümliche Konsequenz zieht die Centrums-­ Presse allerdings nicht.398

Aber gerade die Berichterstattung Anfang Dezember zeigt, wie sehr die ­Debatten über die beiden Interventionen, das Flottengesetz und die deutsche Innenpolitik miteinander verwoben waren und wie das Timing der Ereignisse in Haiti und China der deutschen Regierung entgegenkam. Am 3. Dezember schrieb die Times mit Blick auf die Eröffnung des Reichtags, dass das deutsche Parlament normaler­weise den maritimen Ambitionen der Regierung Grenzen setze. In ­diesem Jahr aber ­seien die Erfolgsaussichten für die Flottenvorlage besser: [T]he circumstances of the moment have been so ordered by fortune or so manipulated by statecraft – possibly both agencies have been at work – as to make it appear that, in the words of the Imperial speech at the opening of the Diet, „the development of the fleet does not correspond with the duties which Germany is compelled to impose upon her naval forces.“ 399

Im Folgenden widmete sich die Times dann den Vorgängen um Haiti und China, die – so der allgemeine Eindruck – die Bereitschaft zur Bewilligung des Flottengesetzes erhöht hätten. Am 7. Dezember, einen Tag nachdem Bülow sich im Reichstag zuversichtlich gezeigt hatte, dass Deutschland sich mit seinen Forderungen gegenüber Haiti und China durchsetzen werde, hielt der Zentrumsführer Ernst Lieber eine Rede zum Flottengesetz. Darin äußerte er zwar finanzpolitische Bedenken, zum Ende seiner Rede aber betonte er, es „dem deutschen Vaterlande schuldig“ zu sein, „die Vorlage einer ernsten, gründlichen Prüfung zu unterziehen“.400 Die folgende Berichterstattung überschnitt sich mit den eintreffenden Meldungen, 398 Zur Flottenfrage, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 850, 23. 11. 1897, Zweites Blatt. 399 The German Navy, in: The Times, Nr. 35377, 3. 12. 1897, S. 7. 400 Lieber, SBR, Bd. 161, 7. 12. 1897, S. 83 – 89, Zitat S. 89.

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nach denen Haiti sich dem deutschen Ultimatum gebeugt und China alle deutschen Forderungen mit Ausnahme der Abtretung Kiautschous akzeptiert habe. Die Times kommentierte daraufhin, dass die Erfolge deutscher Diplomatie sowie die Kriegsschiffe im Westen und Osten dem Widerstand gegen das Flottengesetz wohl den Gnadenschuss geben würden und, auf die Rede Liebers verweisend, „that the Clericals are only waiting to be ‚squared.‘“ 401 Ähnlich schrieb der ­Berliner Lokal-­Anzeiger am 12. Dezember über die beiden deutschen Schulschiffe, die die deutschen Forderungen in Haiti durchgesetzt hatten: Sie haben zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen; als sie einem Deutschen, dem auf dem fernen Eilande Unrecht angethan war, die verweigerte Schadloshaltung auswirkten, hat dieser Akt elektrisch ausgestrahlt bis nach dem Königsplatz in Berlin, wo der Abgeordnete Lieber plötzlich aus einem Saulus der Flottenablehnung in einen Paulus des Marineseptennats sich umgewandelt fühlte.402

Auch linksliberale und sozialdemokratische Zeitungen werteten die Rede zunächst als Zustimmung.403 Der Vorwärts warf dem Zentrum mit antisemitischem Vokabular vor, umgefallen zu sein.404 So erschien am 10. Dezember ein Leitartikel mit dem Titel „Die Handelsjuden des Reichstags“, in dem die Argumente des Zentrums aus früheren Reichstagsdebatten gegen eine Flottenvermehrung aufgezählt wurden, unter anderem die Ende 1896 vertretene Position, dass Kanonenboote den katholischen Missionaren mehr schaden, denn ­nutzen.405 Die beiden Zentrumszeitungen hingegen wehrten sich gegen den Eindruck, dass die Rede Liebers Zustimmung signalisiert habe, und bemühten sich, die Vorbehalte in der Rede hervorzuheben und den offenen Ausgang der Verhandlungen zu betonen.406 Somit blieb die Haltung des Zentrums zum Flottengesetz im Gegensatz 401 Germany’s Successes, in: The Times, Nr. 35381, 8. 12. 1897, S. 11. 402 Umschau, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 581, 12. 12. 1897. 403 Vgl. Gottwald, Zentrum, 1965, S. 185 f. 404 Vgl. die Reaktion auf die Rede Liebers: Zentrum Judas, in: Vorwärts, Nr. 287, 9. 12. 1897. 405 Die Handelsjuden des Reichstags, in: Vorwärts, Nr. 288, 10. 12. 1897. 406 Dr. Liebers Rede zum Flottengesetz, in: Germania, 10. 12. 1897, Erstes Blatt; Kann die Marinevorlage vom Reichstage angenommen werden?, in: Germania, Nr. 14, 19. 1. 1898, Erstes Blatt; Centrum und Marine-­Vorlage, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 895, 10. 12. 1897, ­Zweites Blatt; Kann die Marine-­Vorlage vom Reichstage angenommen werden?, in: ­Kölnische Volkszeitung, Nr. 895, 18. 1. 1898, Erstes Blatt.

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zur Position der anderen Parteien unklar. In der folgenden Berichterstattung über das Flottengesetz stand deshalb besonders die Politik des Zentrums im Fokus des Interesses.407 Dabei spielte wiederum der schon erwähnte Bischof Anzer eine Rolle, auch wenn er nicht öffentlich für das Flottengesetz warb, wie er es zuvor für die ­Annexion Kiautschous getan hatte. Als Wilhelm II. Anzer während eines Treffens am 17. November 1897 vorhielt, dass die Katholiken sich gegen den Flottenaufbau wehrten, versicherte dieser ihm, dass er deswegen schon mit einigen Zentrumsmitgliedern im Gespräch sei.408 Anfang Januar 1898 druckten flottenfreundliche Zeitungen dann die Nachricht, dass Anzer dem Papst über den ungünstigen Eindruck der Haltung des Zentrums zur Flotte auf den ­Kaiser berichtet habe und in vatikanischen Kreisen die Opposition des Zentrums als ungerechtfertigt betrachtet werde, da es doch „die deutschen katholischen Missionen“ ­seien, „welche von der Vermehrung der Seemacht […] den größten Vortheil ziehen würden“.409 In der Zentrumspresse selbst spielten die Missionare als mögliches Argument für die Vergrößerung der Flotte fast keine Rolle. Die Ausnahme bildet hier eine am 30. Dezember 1897 in der Germania abgedruckte Rede des Abgeordneten Georg von Hertling, der zu den Unterstützern der Flotte im Zentrum zählte. Auch wenn Hertling mit Verweis auf die Missionare für die Marine warb, zeigen seine vorsichtige Argumentation und die notierten Reaktionen des Publikums doch vor allem die Abneigung der katholischen Bevölkerung gegenüber dem Argument, dass die Missionare von der Flotte profitieren würden: Was haben endlich die Missionen mit der Flotte zu tun? Ihr Vorsitzender hat schon recht: die Apostel Christi sind nicht mit Kanonen ausgezogen. (Heiterkeit.) Auch die heutigen Missionare leisten nichts mit Gewalt, sondern durch die Kraft des göttlichen Wortes und ihre Opferfähigkeit und Begeisterung für die Sache. (Sehr richtig!) Und 407 Vgl. etwa Wer weiß?, in: Vorwärts, Nr. 18, 22. 1. 1898. 408 Vgl. Gründer, Christliche Mission, 1982, S. 280; Der Stellvertretende Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Freiherr von Rotenhan an den Staatssekretär Bernhard von Bülow, z. Z. in Rom, in: Lepsius u. a. (Hg.), Die große Politik, Bd. 14, 1927, Erste Hälfte, Nr. 3694, S. 75 f., bes. S. 76, FN *. 409 Bischof Anzer, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 6, 5. 1. 1898, 2. Ausgabe; Ueber den Inhalt der Unterredung, die Bischof Anzer bei seinem Aufenthalt in Rom, in: Freiburger Zeitung, Nr. 5, 8. 1. 1898; weitaus kürzer die Meldung zu dem Thema in der Germania: China und der Vatican, in: Germania, 5. 1. 1898, Erstes Blatt.

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doch hat mir ein Vertreter von Missionen gesagt, nicht um die Gewinnung, sondern um die Erhaltung des Gewonnenen handelt es sich. In einem Augenblicke ist zerstört, was eine Generation gepflanzt. Das ist nicht bloß in China. Wenn es gelungen, dort Fuß zu fassen, so ist es der Erwägung wert, ob man zum Schutze der Mission dort eine Flottenvermehrung braucht. Die Weise allerdings, wie uns die katholischen Missionen vorgeführt werden von den Flottenenthusiasten, ist mir ganz und gar ekelhaft.410

Die Aussage, dass Missionare keine Waffen bräuchten, findet sich ähnlich auch in Artikeln der Zentrumspresse zur Besetzung Kiautschous 411 und entsprach offenbar einer in der katholischen Bevölkerung weit verbreiteten Meinung. Dennoch scheinen die Vorgänge in China zur Kompromissbereitschaft des Zentrums in der Flottenfrage beigetragen zu haben. Als sich eine Verständigung abzeichnete, druckte die Germania am 2. März eine Zentrums-­Korrespondenz ab, in der sechs Gründe für die Annahme des Gesetzes genannt wurden. Als zweiter Grund wurde dabei genannt: „Die Ereignisse in Kiautschou und die Hoffnungen für den Handel und die Missionen haben die Opferwilligkeit für die Marine gesteigert.“ 412 Die höhere Opferwilligkeit betraf allerdings nur Teile des Zentrums. Zwar stimmte die Mehrheit der Fraktion für das Gesetz, eine Minderheit jedoch, darunter das komplette bayerische Zentrum mit Ausnahme des erwähnten Hertlings, stimmte dagegen. Die Opposition in Bayern ging so weit, dass einzelne Stimmen eine Abspaltung der bayerischen von der preußischen Zentrumsfraktion forderten. Auch die Kölnische Volkszeitung, die über die Verständigung mit der Regierung berichtete, zeigte sich keineswegs begeistert, sondern räumte ein, dass in „den Wählerkreisen des Centrums […] der Verlauf der Flotten-­Angelegenheit viel Mißstimmung hinterlassen“ habe, und appellierte angesichts der parteiinternen Konflikte an den Zusammenhalt des Zentrums.413 Die Zustimmung zum Flottengesetz war angesichts der Stimmung an der Basis eine heikle Angelegenheit. Mit Blick auf die Unpopularität der Marine in der katholischen Bevölkerung reagierte der Vorwärts auf die erzielte Einigung mit mehreren Leitartikeln, in denen er dem Zentrum Verrat am Volk sowie

410 Abg. Freiherr v. Hertling über das Flottengesetz, in: Germania, 30. 12. 1897, Erstes Blatt. 411 Vgl. etwa Kiao-­tschau, in: Germania, Nr. 297, 29. 12. 1897, Zweites Blatt. 412 Stimmen der Centrumspresse zur „Verständigung“ über das Flottengesetz, in: Germania, Nr. 49, 2. 3. 1898, Erstes Blatt. 413 Das Flottengesetz, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 244, 29. 3. 1898, Zweites Blatt.

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bedingungslose Staats- und Regierungsnähe vorwarf.414 Die Regierung hingegen konnte sich freuen, sie hatte nicht nur mit zwei militärischen Aktionen die zuvor proklamierte ‚Weltpolitik‘ in die Tat umgesetzt und gegenüber zwei nichteuropäischen Staaten Stärke demonstriert, sondern mit dem Flottengesetz auch den Grundstein für die maritime Aufrüstung gelegt, die langfristig die globale Position Deutschland stärken sollte. Wenige Wochen später gründeten Anhänger der ‚Weltpolitik‘ den ‚Deutschen Flottenverein‘, der in kurzer Zeit alle vergleichbaren Organisationen an Mitgliederzahlen überholen sollte und so weiter zur Mobilisierung der Unterstützer des Regierungskurses beitrug.415 Allerdings gelang es der Regierung nicht, ihre ‚weltpolitischen‘ Erfolge bei den Reichstagswahlen 1898 in einen Sieg umzumünzen. Der Gewinner der ­Wahlen war die oppositionelle Sozialdemokratie. Die einzige Partei, die offensiv für ‚Weltpolitik‘ und Flotte warb, die Nationalliberalen, gehörte zusammen mit den regierungsnahen konservativen Parteien zu den Verlierern. Das Zentrum büßte trotz seiner Zustimmung zu dem an der eigenen Basis unpopulären Flottengesetz nur geringfügig an Stimmen ein und konnte sogar Mandate hinzugewinnen.416 Im Wahlkampf hatte das Zentrum jedoch Distanz zur Regierung zu wahren versucht und vor allem auf innenpolitische Th ­ emen gesetzt. Zur Flotte konnte man im Wahlaufruf des Zentrums lesen, dass man sich für „Sparsamkeit“ einsetze und „neue Steuern, namentlich ­solche, ­welche die breiten Volksmassen weiter belastet haben würden“, abgewehrt habe.417 Sicherlich ist es schwer, von den Ergebnissen der Wahlen 1898 direkte Rückschlüsse auf die Popularität der deutschen ‚Weltpolitik‘ zu schließen. Es waren vor allem innenpolitische ­Themen, die den Wahlkampf dominierten, den regierungsnahen Parteien war es jedenfalls nicht gelungen, im sozialimperialistischen Sinne von den Erfolgen in Haiti und China und der weit verbreiteten Flottenpropaganda zu profitieren. Dennoch konnte die Reichsleitung sich nach den Wahlen auf eine solide Mehrheit im Parlament stützen, da die Kooperation des Zentrums gewonnen war. In ihrer Außenpolitik konnte die Regierung den Kurs

414 Vgl. Das Volk muss es zahlen!, in: Vorwärts, 17. 3. 1898; Die blamierten Europäer in Admirals-­Uniform, in: Vorwärts, Nr. 69, 23. 3. 1898; Die Annahme der Flottengesetzes, in: Vorwärts, Nr. 71, 25. 3. 1898. 415 Vgl. Eley, Reshaping, 1978, S. 330. 416 Vgl. Fairbairn, Democracy, 1997, bes. S. 30, 32, 58 – 68, 166, 273. 417 Wahlaufruf, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 376, 7. 5. 1898, Zweites Blatt.

Skepsis und Triumph: Zur Popularität der imperialen Expansion

der imperialen Expansion fortsetzen und versuchen, territoriale Zugewinne für das deutsche Kolonialreich zu erzielen. Die nächste Gelegenheit hierzu schien der im April 1898 ausgebrochene Spanisch-­Amerikanische Krieg zu bieten. Die deutsche Regierung hoffte auf ‚Kompensationen‘ für den Fall der Auflösung des spanischen Kolonialreichs und entsandte ein deutsches Geschwader nach Manila. Offiziell dienten die deutschen Kriegsschiffe jedoch nur dem Schutz von dort bedrohten Deutschen, und die Regierung betonte, dass das Kaiserreich in ­diesem Krieg eine strikte Neutralitätspolitik verfolge.418 In der deutschen Öffentlichkeit forderten nur die alldeutschen Medien, den Krieg als Gelegenheit für weitere territoriale ­Annexionen zu ­nutzen.419 Den Großteil des spanischen Kolonialreichs annektierten dann auch die Vereinigten Staaten, Deutschland kaufte Spanien allerdings die Karolinen ab, sodass die Regierung der Öffentlichkeit im Juni 1899 eine weitere, wenn auch kleine koloniale Erwerbung präsentieren konnte.420 Zudem nutzten die Flottenanhänger den Konflikt, um für eine weitere Vergrößerung der Marine zu werben. Für viele Beobachter belegte der Seekrieg z­ wischen den USA und Spanien die Notwendigkeit einer starken Flotte, um sich als ‚Großmacht‘ behaupten zu können.421 Nach Ausbruch der Samoakrise 1899 stand (wieder einmal) die Erwerbung der symbolbeladenen Inseln auf der Regierungsagenda. Im Verlauf der diplomatischen Bewältigung der Krise war Bülow zwar zeitweise der Kritik ausgesetzt, nicht hart genug gegenüber den Vereinigten Staaten und England aufzutreten.

418 Vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 2, 1935, S. 1326 f. 419 Vgl. Hugo, ‚Uncle Sam I Cannot Stand, for Spain I have No Sympathy‘, 1999, S. 83 – 85. 420 Vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 2, 1935, S. 1375 f., zur Reaktion des Reichstags sowie Der Kolonialrath, in: Freiburger Zeitung, Nr. 137, 16. 6. 1899. 421 Vgl. Hugo, ‚Uncle Sam I Cannot Stand, for Spain I have No Sympathy‘, 1999, S. 86 f. In ­Kreisen des Zentrums trug der Spanisch-­Amerikanische Krieg zu einem größeren Verständnis für die unpopuläre Flotte bei. Auf den Katholikentagen im August 1898 verteidigte der Zentrumsabgeordnete Adolf Gröber die Zustimmung zum Flottengesetz folgendermaßen: „[A]ber glauben sie, dass jetzt, wenn die Abstimmung noch einmal kommen würde, nach den Erfahrungen des spanisch-­amerikanischen Seekrieges, auch noch diese Abstimmung so schwierig sich machen ließe wie damals? (Lebhafte Zustimmung.) Wenn irgend die Entwicklung der Dinge der Mehrheit des Reichstages Recht gegeben hat, dann ist es die Entwicklung der letzten Monate für die Abstimmung über das Flottengesetz. (Bravo!)“, Verhandlungen der 45. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands, 1898, S. 230.

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Im November 1899 konnte die Regierung jedoch schließlich den langersehnten Erwerb der Inseln verkünden.422 Zu dieser Zeit kritisierten aber bereits weite Teile der Öffentlichkeit die in ihren Augen zu englandfreundliche Neutralitätspolitik der Regierung in Südafrika. Um die Jahrhundertwende sollte die deutsche ‚Weltpolitik‘ von dem Dilemma geprägt sein, auf der einen Seite einen Expansionskurs zu verfolgen, der vor allem den Erwartungen der nationalistischen Presse entsprach, und auf der anderen Seite mit Großbritannien Beziehungen zu pflegen, die insbesondere in der burenbegeisterten nationalistischen Presse auf Ablehnung stießen.

422 Vgl. Kap. 1.6.

A Kommunikationsstrukturen, Massenmedien und imperiale Militäreinsätze Die militärische Expansion der imperialistischen Staaten in der außereuropäischen Welt und die damit verbundenen internationalen Konflikte und Krisen seit den 1880er-­Jahren wurden in England und Deutschland zu wichtigen ­Themen der expandierenden Massenpresse. Die zu dieser Zeit schon durch Telegraphie und Überseekabel vernetzte Welt erlaubte eine zeitnahe Berichterstattung über die meisten nichteuropäischen Regionen.1 Beide Entwicklungen, die imperiale Expansion und die Transformation des Medienmarktes, waren miteinander verflochten. Die Zeitungen berichteten im späten 19. Jahrhundert teilweise sehr ausführlich über Kolonialkriege. Ereignisse wie die Belagerung Karthums und der Tod von Charles George Gordon boten Geschichten mit hohem Nachrichtenwert, die dem Trend zur Personalisierung und Sensationalisierung entgegenkamen.

Reißerische Nachrichten: Der Wandel der Massenmedien und das Bild des Krieges Dieses Zusammenspiel von europäischem Ausgreifen in der Welt und Wachstum der Massenmedien intensivierte sich in der zweiten Hälfte der 1890er-­Jahre erheblich. Die Regierungen in Großbritannien und Deutschland betrieben eine aktive Expansionspolitik, ihr Ansehen im eigenen Land hing häufig von Erfolg oder Misserfolg militärischer Aktionen in der nichteuropäischen Welt ab. Immer mehr Menschen informierten sich anhand von Zeitungen über das Weltgeschehen, die Blätter wurden billiger und konnten so neue Rekordauflagen erreichen. In England brach die 1896 neu in den Markt eingeführte Daily Mail alle bisherigen Verkaufsrekorde. Sie setzte von Beginn an auf eine patriotische Berichterstattung über das Empire und eine sensationalistische Darstellung der Ereignisse in der außereuropäischen Welt. Bei der Charakterisierung von Kriegsgegnern, den Forderungen nach einer aggressiven Imperial- und

1 Selbstverständlich waren nicht alle Regionen gleichermaßen an das globale Telegraphennetzwerk angeschlossen. Zur Reaktion der Presse beim Ausbleiben aktueller Nachrichten s. u.

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Außenpolitik sowie dem Anheizen von innereuropäischen Konflikten ging sie plakativer und reißerischer vor als ältere prokoloniale Zeitungen wie die Times.2 Die neue Dynamik der imperialen Expansion am Ende des 19. Jahrhunderts lieferte den neuen Zeitungsformaten den inhaltlichen Stoff für die publizistische Expansion. Das öffentliche Interesse für Kriege in der außereuropäischen Welt erreichte um die Jahrhundertwende seinen Höhepunkt, als der Boxerkrieg in China und der Burenkrieg in Südafrika zeitweise die Berichterstattung dominierten. Während des Burenkrieges überschritt die Auflage der Daily Mail erstmals die Millionengrenze.3 Mit dem Daily Express kam 1900 zudem ein Konkurrenzblatt auf den Markt, das genauso wie die Mail auf eine patriotische Berichterstattung über das Empire setzte, aber nicht ganz so erfolgreich war. Während des Krieges in China traten beide Zeitungen im Sommer 1900, als die Boxer das Gesandtschaftsviertel in Peking belagerten, in einen Wettbewerb um die neuesten Nachrichten über das Schicksal der Eingeschlossenen. Da die telegraphischen Verbindungen im chinesischen Inland gekappt waren, konnten die Zeitungen aber eigentlich nur über die dortigen Zustände rätseln. Dennoch druckten Daily Mail und Daily Express ausführliche Berichte, denen zufolge alle Belagerten ermordet worden ­seien. Dabei stellten beide Zeitungen auch die hohen Summen heraus, die sie in die Nachrichtenbeschaffung aus China investierten. Die Daily Mail leitete am 16. Juli ihren ausführlichen Bericht über das angebliche Massaker in Peking damit ein, dass er mit der höchsten Prioritätsstufe aus Shanghai telegraphiert worden sei: „This means that it travelled at the highest possible telegraphic cost, and reached us in almost record time“. Der Bericht über ‚Weiße‘, die heroisch gegen eine Übermacht von Nichteuropäern kämpften, bot in jeder Hinsicht genau jene Nachrichten, mit denen sich Zeitungen zu dieser Zeit verkaufen ließen und Unterstützung für Militäreinsätze mobilisiert werden konnte.4

2 Bevor die Macher der Daily Mail diesen Stil in der Mail kultivierten, probten sie die neuen Darstellungsformen schon bei der Berichterstattung über den Jameson Raid in den Evening News, vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 106 f. 3 Vgl. Morgan, Boer War, 2002, S. 2. 4 The Pekin Massacre. All White Men, Women, and Children Put to the Sword. Awful Story of the 6th and 7th July. How Our People Died Fighting Prince Tuan’s Hordes. Full Details From Our Special Correspondent, in: Daily Mail, Nr. 1321, 16. 7. 1900, S. 5.

Kommunikationsstrukturen, Massenmedien und imperiale Militäreinsätze

Das deutsche Massenblatt Berliner Lokal-­Anzeiger, in Treue zum Staat fest auf Seiten der deutschen ‚Weltpolitik‘, war zwar in seiner Aufmachung traditioneller als die Daily Mail, aber in seinen antienglischen Kommentaren oder der Darstellung von Nichteuropäern ähnlich reißerisch und vereinfachend. Die 1898 gegründete Berliner Morgenpost trat mit dem Lokal-­Anzeiger in einen heftigen Wettstreit um die meisten Abonnenten, den sie im Frühjahr 1900 gewann.5 Mit entscheidend hierfür war, dass Aufmachung und Stil der Morgenpost im Vergleich zum Lokal-­Anzeiger weitaus weniger traditionell waren. Zudem unterschied sich die redaktionelle Linie der neu gegründeten Zeitung eindeutig von ihrem konservativen Konkurrenten. Während sich der Lokal-­Anzeiger unpolitisch gab, de facto aber durch große Regierungsnähe auszeichnete, trat die Morgenpost mit dem Anspruch auf, selbstbewusst politisch Stellung zu nehmen. Als Blatt aus dem Hause Ullstein vertrat sie überwiegend linksliberale Positionen, berichtete aber auch häufig mit Sympathie über die Sozialdemokratie. Damit entsprach ihr Profil weit eher den politischen Einstellungen der Berliner Bevölkerung als der kaisertreue Lokal-­Anzeiger.6 Bei der Darstellung imperialer Militäreinsätze verfolgte die Morgenpost jedoch eine weitaus weniger klare Linie als alle anderen hier behandelten Zeitungen. Ihrem Anspruch, kein „Parteigänger“, aber stets „Parteinehmer“ zu sein, wurde sie nicht durchweg gerecht. So vermied sie es immer wieder, zu kontroversen Fragen Stellung zu nehmen.7 Zudem war ihre Berichterstattung nicht frei von Widersprüchen. Während des Boxerkriegs etwa unterstützte sie, im Einklang mit der allgemeinen Stimmung, anfangs den Militäreinsatz und die

5 Laut der verlagseigenen Chronik war die Berliner Morgenpost seit dem 6. März 1900 mit 221 000 Abonnenten die größte Abonnentenzeitung Deutschlands, vgl. Statistisches Jahrbuch. Chronik des Hauses Ullstein seit dem Jahr 1862. Angelegt 1926/27 und dem Verlag zum 50jährigen Geschäftsjubiläum überreicht von J. Weiland, 14. Juli 1927. Ergänzt (insbes. Jahr 1937) und abgeschlossen im Dez. 1941 Dr. Schäfer, Unternehmensarchiv Axel Springer. 6 Vgl. Fritzsche, Reading Berlin, 1996, S. 72 – 81. 7 In ihrem ersten Leitartikel „Parteinehmer – nicht Parteigänger“ urteilte die Morgenpost am 20. September 1898: „Wer in den schweren politischen Kämpfen unserer Zeit nicht Partei nimmt, ist ein Schwachkopf, ein Faulpelz oder ein Feigling“, zit. nach Wagner, ­Berliner Morgenpost, 1977, S. 10. Während des Boxerkriegs bezog sie jedoch keine Stellung in der politischen Debatte über die Rolle der Missionare vor Ausbruch der Gewalt, vgl. Kap. 2.2.

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Mobilisierung deutscher Truppen, um später jedoch populistisch die Regierung und die hohen Kosten des Kriegs zu kritisieren.8 Wie kaum ein anderes Blatt versuchte sie, den Erwartungen der Leserschaft entgegenzukommen. Dementsprechend fanden sich in der Morgenpost auch die in der populären Presse weit verbreiteten stereotypen Darstellungen des Europäischen und Außereuro­ päischen, die die Dramatik eines Ereignisses und damit dessen Nachrichtenwert erhöhen konnten.9 Allerdings sollte der Unterschied z­ wischen neuen ‚Massenblättern‘ und traditionellen ‚Qualitätszeitungen‘ nicht überbetont werden.10 Die Verwendung von teilweise extrem rassistischen Stereotypen war allgemein in der prokolonialen Presse gängig. Dies trifft etwa auf die Briefe aus Haiti zu, die Ende 1897 zu Forderungen nach entschlossenem Regierungshandeln führten. Diese Briefe erschienen häufig zuerst in der parteipolitisch-­konservativen Presse, um dann von fast allen anderen Zeitungen nachgedruckt zu werden. Die rassistische Beschreibung der schwarzen Bevölkerung in Haiti und das gezeichnete Bedrohungsszenario für die dortige ‚weiße‘ und insbesondere deutsche Bevölkerung trugen wesentlich zur Legitimation der kaiserlichen Kanonenbootpolitik vor Port-­au-­Prince bei.11 Genauso gaben die Schilderungen der Missionare aus Shandong ein stark vereinfachtes Bild der Situation wieder, das dem Bedürfnis der Medien nach dramatischen Geschichten entsprach und der Rechtfertigung der deutschen Intervention in China diente.12 Während des Boxerkriegs hielten alle Zeitungen die Falschmeldungen über den Tod der in Peking Belagerten für glaubwürdig und auch die Times gab diesbezügliche Berichte der Daily Mail wieder.13 Sensationalisierung und Personalisierung in den Medien waren nicht auf die ‚Massen­ blätter‘ beschränkt, sie trugen gerade bei Ausbruch von Konflikten häufig zur Legitimation militärischer Einsätze der imperialistischen Mächte bei, insbesondere wenn es Berichte über ‚Weiße‘ gab, die von einem ‚barbarischen‘ Gegner bedroht oder ermordet wurden.14

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Vgl. Kap. 2.2. Vgl. Methfessel, „Oxident gegen Orient“, 2009. Vgl. auch Bösch, Öffentliche Geheimnisse, 2009, S. 471 f. Vgl. Methfessel, Rassistische Prestigepolitik, sowie Kap. 1.8. Vgl. Kap. 1.5. The Massacre in Peking, in: The Times, Nr. 36195, 16. 7. 1900, S. 11. Zu ­diesem Bild vgl. auch MacDonald, Language, 1994, S. 129.

Kommunikationsstrukturen, Massenmedien und imperiale Militäreinsätze

Der Hang zur Sensationalisierung war freilich nicht auf die prokoloniale Presse beschränkt. Der Manchester Guardian mochte zwar in emotional bewegten ­Zeiten an die Vernunft seiner Leser appellieren und die Hoffnung auf die Kraft des Arguments nicht aufgeben.15 Der Vorwärts und das Reynolds’s Newspaper hingegen hatten keine Probleme, Nachrichten reißerisch aufzubereiten, wenn sich so die Regierung angreifen ließ. Nach der Besetzung Kiautschous konnte man etwa in einem Leitartikel des Vorwärts lesen: „[D]er deutsche Michel in Afrika vernegert bis zur Handhabung der Nilpferdpeitsche, in China vermandarint [er] bis zur Handhabung des Bambusrohrs.“ 16 Anlass des Artikels war eine Meldung über einen deutschen Kommandierenden, der einen chinesischen Dorfvorsteher mit dem Bambusrohr züchtigen ließ, und der Vorwärts kritisierte die „bürger­ liche Presse“ scharf für den Gleichmut, mit der sie diese Meldung aufgenommen habe.17 Er verglich die Aktion mit Gewaltverbrechen in den afrikanischen Kolonien, die zuvor für Empörung in der deutschen Öffentlichkeit gesorgt hatten. Für den Vorwärts war diese Strafaktion demnach ein weiteres Beispiel für die moralisch korrumpierende Wirkung der Kolonialpolitik. Auf diese Weise versuchte der Vorwärts die Chinapolitik in die Tradition der ‚Kolonialskandale‘ einzureihen. Wie die Spitzelberichte der Hamburger Polizei zeigen, waren Nachrichten hierüber bei den Lesern der sozialdemokratischen Presse sehr beliebt und führten zu emotionalen Diskussionen, in denen die härtesten Strafen für die verantwortlichen Kolonialbeamten gefordert wurden. Die erwähnte Nilpferdpeitsche galt dabei als Symbol für die in ­diesem Zusammenhang kontrovers diskutierten Gewaltexzesse. Sie wurde von den deutschen Kolonialverwaltern bei der in den Kolonien – anders als in Deutschland – erlaubten Prügelstrafe genutzt; in Deutschland stand sie für Machtmissbrauch und die moralische Fragwürdigkeit des Kolonialismus. Am 17. Februar 1894 brachten sozialdemokratische Abgeordnete sogar einige Nilpferdpeitschen mit in den

15 Zum Selbstverständnis des Guardians während des Burgenkriegs vgl. Hampton, Press, 2001. 16 Mit Bambusrohr und Nilpferdpeitsche, in: Vorwärts, Nr. 296, 19. 12. 1897. 17 Als der Vorwärts die Meldung am 9. Dezember selbst erstmals gedruckt hatte, beließ er es nur bei einem k­ urzen, spöttischen Satz als Kommentar, vgl. Kiao-­Tschou, in: Vorwärts, Nr. 287, 9. 12. 1897. Dass die Nachricht zehn Tage später zum Mittelpunkt eines Leitartikels werden sollte, liegt wohl auch daran, dass zu dieser Zeit keine neuen Meldungen über China eintrafen, die sich gegen die Regierung wenden ließen.

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Reichstag, um die barbarischen Herrschaftsmethoden der deutschen Kolonialpolitik plastisch vorzuführen.18 In der Berichterstattung über die Besetzung Kiautschous scheiterten die Skandalisierungsbemühungen des Vorwärts. Auch nach dem Leitartikel brach kein Sturm der Entrüstung über das deutsche Vorgehen aus, und es erschienen keine weiteren Meldungen, die sich in einer solchen Weise skandalisieren ließen. Ausführlicher widmete sich der Vorwärts Nachrichten, die das Potenzial hatten, partei­ übergreifend Empörung auszulösen und die Reputation der Regierung ernsthaft zu beschädigen. So widmete er der berüchtigten ‚Hunnenrede‘ Wilhelms II. während des Boxerkriegs große Beachtung. Ausführlich verglich er die Versionen, die Journalisten mitgeschrieben hatten, mit jenen, die von amtlicher Seite veröffentlicht wurden, und hob die redigierten Stellen hervor. Er platzierte die Rede sogar zweimal in Großschrift oben auf der Titelseite, das zweite Mal mit der von offizieller Seite gestrichenen Passage, in der Wilhelm II. die deutschen Soldaten aufgefordert hatte, sich die Hunnen unter König Etzel zum Vorbild zu nehmen.19 Ähnlich bereitete das Reynolds’s Newspaper die für die Regierung unangenehmen Nachrichten möglichst publikumswirksam auf. Während des Kriegs an der indischen Grenze 1897/98 veröffentlichte es Nachrichten über Rückschläge und Niederlagen des Empires unter Überschriften wie „Sikhs Cut to Pieces“ (aus der Sikh-­Gemeinschaft wurde ein Regiment der Indischen Armee rekrutiert).20 Gerade dieser Krieg zeigt, dass die Aufmerksamkeitsprioritäten der Presse zu einem Problem für die imperialistische Politik werden konnten. Weil europäisches Militär allgemein gegenüber nichteuropäischen Gegnern als überlegen galt, hatten Meldungen über Niederlagen der imperialistischen Truppen einen hohen Nachrichtenwert. Im Falle des Kriegs an der indischen Grenze kam hinzu, dass sich die Debatte über die Ursachen des Aufstandes auf die von der unionistischen Regierung zu verantwortende Besetzung Chitrals konzentrierte.21 Wenn

18 Vgl. Schwarz, „Je weniger Afrika, desto besser“, 1999, S. 250 – 294; Bösch, Zeitungsberichte, 2004, S. 330. 19 Vgl. die Kopfzeile im Vorwärts, Nr. 173, 28. 7. 1900; Drei Lesarten!, Vorwärts, Nr. 174, 29. 7. 1900; Bösch, Öffentliche Geheimnisse, 2009, S. 404. 20 Sikhs Cut to Pieces. Thirty-­Five Men Massacred. Hard Fighting. Six Officers and Sixty Men Killed and Wounded. British Convoy Attacked, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2466, 14. 11. 1897, S.  5. 21 Vgl. Kap. 1.3.

Kommunikationsstrukturen, Massenmedien und imperiale Militäreinsätze

Opposition und kritische Presse so der Kolonialpolitik eine Mitschuld an der Eskalation geben konnten, wurden von Rückschlägen geprägte Kriege durchaus zum Problem für die verantwortliche Regierung und konnten die Popularität der imperialen Expansion beeinträchtigen. In den späten 1890er-­Jahren überwogen jedoch die Erfolgsmeldungen, insbesondere beim britischen Sudankrieg (1896 – 1899) und der deutschen Annexion Kiautschous (1898).22 Die Mechanismen der Berichterstattung der Massenpresse erleichterten es den Regierungen überwiegend, ihren Kurs durchzusetzen, während kritische Medien und die politische Opposition gegen ein sich verfestigendes positives Medienbild der imperialen Expansion argumentieren mussten.23 Bei den 1899 in Südafrika und 1900 in China ausgebrochenen Kriegen sollte sich dieser Trend zunächst fortsetzen. Sie wurden von den Medien nicht nur intensiver verfolgt als alle anderen Militäreinsätze in der außereuropäischen Welt vor 1914, sie stellten auch den Höhepunkt der imperialen Begeisterung dar. Die spezifischen Darstellungsformen der Massenmedien trugen dazu bei, die Kriegsbegeisterung ihrer Leserschaft anzuheizen. Während des Burenkriegs boten vor allem das Ultimatum der Republik Traansvaal, die Belagerungen Kimberleys, Ladysmiths und Mafekings sowie die britischen Erfolge in der ersten Hälfte des Jahres 1900 den Stoff für die Geschichten, die zur Popularität des Militäreinsatzes in Südafrika beitrugen. Ähnlich lieferte später auch der Boxeraufstand mit dem Bedrohungsszenario der in Peking eingeschlossenen Europäer dramatische Geschichten, die wesentlich für die Legitimierung des Krieges gegen China waren.24 Die Kriege in Südafrika und China offenbaren zugleich, auf w ­ elche Weise die Berichterstattung der Presse zu einem Popularitätsverfall von Militäreinsät­zen führen konnte. Nachdem die Buren den offenen Kampf gegen die briti­schen Truppen mieden und auf eine Guerillataktik setzten, bot der Krieg in Süd­ afrika nicht mehr jene spannenden Geschichten, die zu Beginn seine Dramatik und Popularität ausgemacht hatten. Stattdessen konnte die Presse nur über vereinzelte Gefechte und die Verlustzahlen der britischen Truppen berichten. Je l­änger sich dieser Krieg hinzog, desto mehr nahmen seine Unpopularität 22 Vgl. Kap. 1.2 und Kap. 1.5. 23 Vgl. Kap. 1.8. 24 Zur Geschichte von Belagerungen in Imperialkriegen vgl. auch Methfessel, Tagungsbericht „The Boxer War and its Media“, 2009 (den Abschnitt zum Vortrag von Thoralf Klein).

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und die Friedenssehnsucht im Land zu, ein Stimmungswandel, den auch die Befürworter des Militäreinsatzes einräumten.25 Im Falle des Boxerkriegs war der Popularitätsverlust nicht so gravierend, aber nach der Einnahme Pekings nahm das Interesse an den Ereignissen in China ab. In Deutschland erschien die großangelegte militärische Mobilisierung nun in einem weniger günstigen Licht. Die Freiburger Zeitung kommentierte am 2. September, dass Deutschland „zu temperamentvoll in den chinesischen Strudel gestürzt worden“ sei. Eine „recht warme Begeisterung für den Chinafeldzug, eine sozusagen aus dem Gemüth kommende Auflehnung gegen die chinesische Art“ scheine „nicht zu herrschen“.26 Im Reichstag kritisierte selbst der Führer der Nationalliberalen, Ernst ­Bassermann, am 20. November die übertriebene Inszenierung der Verabschiedung der nach China ausreisenden Truppen.27 Der Wandel in der Popularität der Kriege in Südafrika und China ging mit einem Wandel der Wahrnehmung der imperialen Expansion im Allgemeinen einher. Nach der Jahrhundertwende war die mediale Darstellung der britischen und deutschen Militäreinsätze in der außereuropäischen Welt kaum mehr geeignet, Begeisterung für die imperiale Expansion zu wecken und Unterstützung für die Regierung zu mobilisieren. Tendenziell ging damit auch ein Nachlassen des öffentlichen Interesses für imperiale Militäreinsätze einher. Diese ließen sich nicht länger von den neu entstehenden Zeitungsformaten zu großen Medienereignissen aufbauschen, um die Auflage zu steigern. Aber auch wenn es nicht mehr dazu kam, dass die imperiale Expansion die Berichterstattung über einen längeren Zeitraum dominierte, wie während des Burenkriegs und Boxerkriegs, so gab es doch noch einzelne Militäreinsätze, die das Interesse der Medien weckten. Der Krieg gegen Tibet 1903/04 war zwar politisch höchst umstritten, die Exotik des Schauplatzes machte ihn dennoch für die Medien zu einem attrak­ tiven Thema.28 Imperialistische Interventionen wie die deutsch-­britische Aktion gegen Venezuela 1902/03 fanden zudem aufgrund ihrer Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen große Aufmerksamkeit.29

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Vgl. Kap. 2.1. Zu den Wirren in China, in: Freiburger Zeitung, Nr. 204, 2. 9. 1900. SBR, Bd. 179, 20. 11. 1900, S. 46; vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 2, 1935, S. 1086. Vgl. Kap. 3.2. Vgl. Kap. 3.5.

Kommunikationsstrukturen, Massenmedien und imperiale Militäreinsätze

In einigen Fällen lässt sich jedoch ein Zusammenhang z­ wischen Popularität und Medieninteresse ausmachen. Etwa wenn die Kolonialmacht beim Versuch, Widerstand schnell niederzuschlagen, scheiterte, und es dem Gegner gelang, den Krieg mittels Guerillamethoden in die Länge zu ziehen. Dann war der Krieg nicht nur unpopulär, sondern bot auch nicht jene dramatischen Geschichten, die eine kontinuierliche und ausführliche Berichterstattung ermöglichten. Zwar beschäftigte sich die Presse kurzfristig mit einzelnen Ereignissen wie etwa Nieder­lagen der Kolonialmacht, doch der Krieg wurde schnell wieder von anderen Ereignissen aus den Zeitungen verdrängt. So ein abnehmendes Medieninteresse lässt sich, wenngleich auf hohem Niveau, schon feststellen, als die Buren begannen, auf Guerillataktiken zu setzen.30 Typisch war diese Entwicklung für den britischen Krieg in Somalia und den deutschen in Südwestafrika nach der Jahrhundertwende. Beide Konflikte zogen sich über Jahre hin und verdeutlichen die Schwierigkeiten von Kolonialmächten, gegen versierte Guerillakämpfer Erfolge zu erzielen.31

Zeichnungen, Fotografien und die telegraphische Vernetzung der Welt: Neue Technologien und die Berichterstattung über die imperiale Expansion Neben der stärkeren Sensationalisierung und Personalisierung in der Berichterstattung wandelten sich Ende des 19. Jahrhunderts auch die visuellen Darstellungsformen der Presse. Insbesondere die neuen ‚Massenblätter‘ machten die Medienereignisse durch eine Vielzahl von Illustrationen anschaulich für ihre Leser, wohingegen die traditionellen ‚Qualitätszeitungen‘ sich zumeist auf den Abdruck von Karten beschränkten, gelegentlich ergänzt von Portraitzeichnungen und Karikaturen.32 Während des Boxerkriegs etwa erschienen in den neuen Zeitungsformaten viele exotisierende, aber letztlich unpolitische Bilder über Leben, Architektur und Landschaft in China.33 Die beliebten Bilder chinesischer Foltermethoden trugen jedoch zu den negativen Stereotypen über den

30 Vgl. Kap. 2.1. 31 Vgl. Kap 3.1 und 3.3. 32 In der englischen Presse veröffentlichten etwa die Pall Mall Gazette und die Westminster Gazette regelmäßig Karikaturen. 33 Vgl. etwa Ediktsverlesung in China, in: Berliner Morgenpost, Nr. 155, 6. 7. 1900, sowie Elliott, Some did it for Civilisation, 2002, S. 62 – 70, zur Daily Mail.

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Kriegsgegner bei.34 Aber nicht nur die kriegsunterstützende Presse, auch das Reynolds’s ­Newspaper setzte zunehmend, wenngleich etwas später als die Daily Mail und der Daily Express, auf Illustrationen, um für seine Leserschaft attraktiv zu bleiben.35 Der Vorwärts wirkte zwar im Vergleich zu den neu auf den Markt gekommenen Zeitungen etwas altbacken, aber in seinen Artikeln zur ‚Hunnenrede‘ brach er mit seinen Layoutkonventionen, um die skandalösen Passagen der Rede besonders prominent hervorzuheben.36 Während die Berliner Morgenpost im Sommer 1900 vor allem Bilder brachte, die den Krieg gegen China legitimierten und allenfalls die Uneinigkeit der Mächte anklagten, veröffentlichte sie im Herbst und Winter neben Karikaturen, die das deutsche Vorgehen gegen China rechtfertigten, auch ­solche, die die ‚Weltpolitik‘ kritisierten.37 Auch mit ihrer Bildsprache versuchte die Morgenpost ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Um die Jahrhundertwende ergänzten zudem Fotografien das Spektrum der Bilder, dessen sich die neuen ‚Massenblätter‘ bedienen konnten. Die Bandbreite der Motive war allerdings begrenzt, die Zeitungen druckten in erster Linie Portrait­aufnahmen von Offizieren oder anderen Personen, die mit dem Krieg in Verbindung standen.38 Vor allem die illustrierten Wochenzeitungen brachten

34 Vgl. etwa Eastern Inquisitions. Punishments and Tortures of John Chinaman, in: Daily Express, Nr. 82, 27. 7. 2009; Chinesische Strafen, in: Berliner Morgenpost, Nr. 175, 29. 7. 1900. 35 Vgl. Kap. 2.1, Kap. 3.1 und Kap. 3.2. 36 Vgl. die Kopfzeile im Vorwärts, Nr. 173, 28. 7. 1900; Drei Lesarten!, Vorwärts, Nr. 174, 29. 7. 1900; Bösch, Öffentliche Geheimnisse, 2009, S. 404. 37 Vgl. für eine Zeichnung, die das Bild Chinas als Bedrohung für Europa thematisiert: Wie Chinesen ihre europäischen Gefangenen transportieren, in: Berliner Morgenpost, Nr. 166, 19. 7. 1900, online einsehbar im Themenportal Europäische Geschichte, vgl. „Ereignisse von schrecklichster Sensation“, 2009; die Konflikte z­ wischen den verbündeten Staaten thematisierend: Einigkeit macht stark, in: Berliner Morgenpost, Nr. 183, 8. 8. 1900. Zu Bildern der Uneinigkeit der imperialistischen Staaten allgemein vgl. auch Klein, Propaganda, 2007, S. 176 f. Vgl. für die Zeit nach der Belagerung, die deutsche Politik positiv mit der russischen kontrastierend: Karikatur vom Tage, in: Berliner Morgenpost, Nr. 253, 28. 10. 1900. Während der abgebildete Russe versucht, der chinesischen Kaiserin-­Witwe zu schmeicheln, verprügelt Waldersee sie. Kritisch zum Vorgehen der alliierten Mächte in China: Europa in Trauer: „Wie mir die armen Buren leid thun!“, in: Berliner Morgenpost, Nr. 10, 12. 1. 1901 (Abb. 1). 38 Während des Burenkriegs erschienen zudem Fotos von britischen Gefallenen, vgl. M ­ organ, Boer War, 2002, S. 9, dem zufolge mit den Fotos britischer Gefallener Belege für die Niederlagen der Empires nach England kamen; anders Steinsieck, Ein imperialistischer

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zahlreiche Fotos, in der Tagespresse waren sie hingegen noch die Ausnahme.39 Die Berliner Morgenpost veröffentlichte seit der zweiten Jahreshälfte 1900 vereinzelt Fotografien, die jedoch zahlenmäßig nicht an die Zeichnungen heranreichten. Die Fotos, die den Krieg in China thematisierten, waren allerdings wenig spektakulär, nicht zuletzt weil eine Wiedergabe aktueller Fotos vom Kriegsschauplatz technisch noch nicht möglich war.40 Als die Morgenpost in einer Titelgeschichte am 19. April 1901 die Leser über einen Brand des – zu dieser Zeit von den imperialistischen Staaten besetzten – Pekinger Kaiserpalastes informierte, druckte sie Fotos des dortigen Hauses und Schlafzimmers des Oberkommandierenden der alliierten Besatzungstruppen Waldersee. Anders als die Bildunterschrift „Das zerstörte Asbesthaus des Grafen Waldersee“ angibt, zeigt das Foto das Haus noch in einem unbeschädigten Zustand.41 In der Folgezeit setzte sich die Fotografie als wichtiges Bildmedium in der Presse durch, Zeichnungen erschienen immer seltener.42 Für die Darstellung von Kolonialkriegen und imperialistischen Interventionen war ihre Relevanz jedoch begrenzt, da den Zeitungen keine aktuellen Fotos zur Verfügung standen. In der politischen Debatte spielten sie keine Rolle. Nicht einer der im Rahmen dieser Arbeit ausgewerteten Leitartikel verwies auf eine Fotografie, um seinen Standpunkt zu untermauern. Da zugleich Zeichnungen als Mittel der Visualisierung abnahmen, führte der Siegeszug der Fotografie eher dazu, dass die Bebilderung der imperialen Expansion nach der Jahrhundertwende insgesamt zurückging.43

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Medienkrieg, 2006, S. 100 f., dem zufolge die Bilder der Gefallenen kaum Verbreitung in der britischen Presse fanden. Vgl. ebd., S. 100, zu Wochenzeitungen; Bender, Burenkrieg, 2009, S. 47, zu Tageszeitungen. Vgl. auch Klein, Propaganda, 2007, S. 174. Vgl. Brand des Pekinger Kaiserpalastes. Graf Waldersee gerettet. – General v. ­Schwarzhoff verbrannt, in: Berliner Morgenpost, Nr. 91, 19. 4. 1901; Das Schlafzimmer des Grafen Waldersee in dem zerstörten Asbesthause, in: ebd.; Das zerstörte Asbesthaus des Grafen Waldersees, in: ebd. In den hier untersuchten Presseorganen nahm nur im Reynolds’s Newspaper die Zahl der veröffentlichten Zeichnungen zu. So zumindest in der hier ausgewerteten Berichterstattung über britische und deutsche imperiale Militäreinsätze. In der Kampagne gegen die Gewaltexzesse im Kongo-­Freistaat, die ‚Kongogräuel‘, spielten Fotografien eine zentrale Rolle, vgl. Ryan, Picturing Empire, 1997, S.  222 – 224.

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Während die zunehmende Visualisierung der Berichterstattung eine Innovation des späten 19. Jahrhunderts war und die Fotografie sich erst im 20. Jahrhundert durchsetzte, waren die Kontinente schon in den 1880er-­Jahren durch Unterseekabel vernetzt.44 Allerdings waren nicht alle Regionen der Welt gleichermaßen an das globale Telegraphennetz angeschlossen. Häufig mussten Nachrichten aus Kriegsgebieten erst unter großem Aufwand mit Boten zur nächsten Telegraphenstation gebracht werden. Während der Rebellion in Sierra Leone (1898) waren eintreffende Nachrichten häufig veraltet, da die Truppen nur durch Brieftauben mit dem Sitz des Gouverneurs in Freetown kommunizieren konnten und keine Korrespondenten das Militär begleiteten. Ausführlichere Berichte erschienen teilweise auch auf Basis von in Liverpool eintreffenden Briefen, die nicht mehr dem aktuellen Stand entsprachen.45 Insgesamt jedoch gehörte die zeitnahe Berichterstattung auch über weit entfernte Regionen zu dieser Zeit schon zur alltäglichen Praxis der Presse. Insofern erzeugten Situationen eine besondere Dramatik, wenn die inzwischen für selbstverständlich gehaltene telegraphische Nachrichtenübermittlung nicht möglich war. Dies war etwa bei der Faschodakrise der Fall. Während des Feldzugs in den Sudan hatte Kitchener beim Vorrücken eine Telegraphenlinie errichten lassen, sodass eine aktuelle Berichterstattung gewährleistet war. Als er nach der Schlacht von Omdurman mit dem Dampfschiff nach Faschoda aufbrach, verzögerte sich die Nachrichtenvermittlung von dort jedoch um eine Woche. Zum Höhepunkt der britisch-­französischen Konfrontation lagen keine aktuellen Nachrichten über das Zusammentreffen von Kitchener und Marchand vom Ort des Geschehens vor. Die Zeitungen konnten nur Pressestimmen aus dem jeweils anderen Land wiedergeben und kommentieren, um die Berichterstattung über die Krise aufrechtzuerhalten.46 Mit ähnlichen Problemen mussten sich englische und deutsche Zeitungen während der Samoakrise 1899 auseinandersetzen. Hier führte der fehlende Anschluss Samoas an das Telegraphennetz dazu, dass die Presse den schlechten

44 Vgl. Headrick, Tools, 1981, S. 157 – 164; Ders., Invisible Weapon, 1991, S. 73. 45 Vgl. The Sierra Leone Hinterland, in: The Times, Nr. 35468, 19. 3. 1898, S. 7; The Distur­ bances in Sierra Leone, in: The Times, Nr. 35480, 2. 4. 1898, S. 7; The Disturbances in Sierra Leone, in: The Times, Nr. 35486, 9. 4. 1898, S. 4; Events in Sierra Leone and Lagos, in: The Times, Nr. 35489, 13. 4. 1898, S. 8. 46 Vgl. Potter, Jingoism, 2014, S. 37 f.

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Abbildung 2  Berlinger Morgenpost, 5. August 1900

Kommunikationsbedingungen und der dadurch erschwerten politischen Kon­ trolle der ‚men on the spot‘ die Schuld an der Eskalation des Konflikts gab.47 Vor allem aber zeigte die Berichterstattung über die Belagerung Pekings während des Boxerkriegs, wie groß inzwischen die Erwartungshaltung der Presse war, täglich Neuigkeiten über die Situation der dort Eingeschlossenen zu erfahren. Weil aber infolge der gekappten Telegraphenleitung kaum zuverlässige Informationen nach Europa gelangten, füllten die Zeitungen ihre Seiten mit den wildesten Gerüchten. Mehrfach meldeten sie den Tod aller Belagerten, um die Nachricht kurz darauf wieder zu dementieren oder infrage zu stellen.48 Mit Blick auf die Telegraphie lässt sich bei der Berichterstattung über imperiale Militäreinsätze um 1900 also vor allem beobachten, wie die Presse mit einer

47 Vgl. Kap. 1.6. 48 Vgl. Kap. 2.2 sowie die am 5. August 1900 in der Berliner Morgenpost veröffentlichte Karikatur, die sich über die – auch in dieser Zeitung erscheinenden – widersprüchlichen Nachrichten zur Lage der Gesandten lustig machte: Was für Lügner sind doch die Sterblichen!, in: Berliner Morgenpost, Nr. 181, 5. 8. 1900 (Abb. 2).

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etablierten Technik arbeitete. Zwar stand nach der Jahrhundertwende mit der drahtlosen Telegraphie Journalisten und Militärs eine neue Kommunikationsform zur Verfügung, die auch bei den Kriegen in Somalia und Südwestafrika zum Einsatz kam.49 Aus medienhistorischer Perspektive entscheidend für diese neue Form der Nachrichtenübermittlung war jedoch der Russisch-­Japanische Kriegs 1904/05. Über diesen berichteten mehrere Zeitungen von Schiffen aus, die mit Systemen für kabellose Telegraphie ausgestattet waren. Insbesondere der Times-­Berichterstatter Lionel James schaffte es, schneller als seine Konkurrenten zu berichten, sodass seine Korrespondententätigkeit zu einem Thema der Medien und öffentlichen Debatte wurde.50 Ähnlich wie im Fall der Fotografie waren es also auch bei der drahtlosen Telegraphie nicht Kolonialkriege und imperialistische Interventionen, die einer neuen Technik zur Durchsetzung in der Berichterstattung und öffent­ lichen Wahrnehmung verhalfen.

Nachrichtenagenturen, Kriegsreporter und Experten: Informationsquellen und Debattenteilnehmer Die Strukturen der globalen Kommunikation wurden vor allem dann ein brisantes Thema für die Presse und die politischen Debatten in Deutschland, wenn der überragende britische Einfluss auf die Berichterstattung über die außereuropäische Welt eine Rolle spielte. Da die Überseekabel und die telegraphischen Verbindungen ­zwischen Europa und der außereuropäischen Welt unter der Kontrolle des Empires standen und die den Nachrichtenmarkt über nichteuropäische Regionen dominierende Agentur Reuters eng mit der britischen Politik verbunden war, profitierte vor allem die Regierung in London von der Globalität der Nachrichten­ übermittlung. Besonders deutlich zeigte sich die britische Dominanz während des englisch-­französischen Zusammenstoßes in Faschoda, als die Regierung in London das Informationsmonopol über die Ereignisse im Krisengebiet hatte und diesen Vorteil im diplomatischen Konflikt mit Frankreich ausnutzen konnte.51 Für die deutsche Regierung war die britische V ­ orherrschaft in der Berichterstattung über die außereuropäische Welt weit weniger problematisch. Nach der Besetzung 49 Vgl. den k­ urzen Artikel Wireless Telegraphy in Somaliland, in: The Manchester Guardian, Nr. 17601, 8. 1. 1903, S. 8, sowie Headrick, Invisible Weapon, 1991, S. 123, zu Südwestafrika. 50 Vgl. Valliant, Selling of Japan, 1974, S. 436 f.; Götter, Kriegsberichterstattung, 2006, S. 46 – 51. 51 Vgl. Headrick, Invisible Weapon, 1991, S. 84 f.; Potter, Jingoism, 2014, S. 37.

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von Kiautschou drangen zwar regelmäßig Informationen über den Stand der deutsch-­chinesischen Verhandlungen aus englischer Quelle an die Öffentlichkeit, während die deutsche Regierung schwieg. Eine Gefahr für die deutsche Diplomatie stellten diese Nachrichten jedoch nicht dar. Zu Beginn der Samoakrise beklagten nationalistische Stimmen zwar die Einseitigkeit der britischen Nachrichten,52 aber gerade deswegen konnte die englische Darstellung der Ereignisse die deutsche Wahrnehmung nicht nachhaltig prägen, sondern trug stattdessen dazu bei, die antienglische Stimmung in Deutschland weiter zu schüren. Ihren Höhepunkt erreichten die Vorwürfe gegen die Dominanz der britischen Medien um die Jahrhundertwende. Während des Boxerkriegs druckte die ­deutsche Presse in der Regel die Nachrichten, die am Tag zuvor in englischen Zeitungen zu lesen waren. Die Zeitungen beließen es häufig bei der Angabe, dass die Nachrichten aus ‚englischen Sensationsblättern‘ stammten, wenn sie die neuesten Meldungen über die Lage der Gesandten wiedergaben.53 So vertieften die zahlreichen Falschmeldungen während des Boxerkriegs in Deutschland das Misstrauen gegenüber der englischen Presse. Die weitaus höhere Bedeutung für das schlechte Image britischer Informationsquellen in der deutschen Presse hatte allerdings der Burenkrieg. Die deutsche Presse warf den englischen Korrespondenten und der Nachrichtenagentur Reuters Lügen vor, die englischen Nachrichten über den Krieg bildeten in Deutschland genauso eine Angriffsfläche wie der Krieg selbst.54 Trotz Zensur und Selbstzensur der Korrespondenten in Südafrika und der unseriösen Berichterstattung während des Boxerkriegs waren die Vorwürfe der Einseitigkeit und Unzuverlässigkeit an die britischen Medien allerdings nur begrenzt berechtigt. Die deutsche Presse zeichnete sich während des Boxerkriegs kaum durch eine höhere Medienkompetenz aus als ihr englisches Pendant: Auch sie schenkte Mitte Juli der Nachricht Glauben, dass alle Europäer in Peking ermordet worden ­seien. Die Kölnische Zeitung etwa schrieb in ihrer Abendausgabe vom 16. Juli, dass „kein Zweifel mehr gestattet“ sei, „der Gesandten- und Fremden-­Mord in Peking ist eine historische Thatsache“.55

52 So etwa auch der nationalliberale Abgeordnete Lehr in seiner Interpellation im R ­ eichstag, vgl. SBR, Bd. 166, 14. 4. 1899, S. 1755. 53 Vgl. etwa Der Schrecken in China, in: Vorwärts, Nr. 156, 8. 7. 1900. 54 Vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 127 – 132; Bender, Burenkrieg, 2009, S. 37 – 39. 55 Die Wirren in China. Der Gesandten- und Fremden-­Mord zu Peking, in: Kölnische ­Zeitung, Nr. 549, 16. 7. 1900, Abend-­Ausgabe.

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Zudem waren die Nachrichten aus englischer Quelle keinesfalls einseitiger, als es die offiziellen Meldungen oder die Berichte deutscher Korrespondenten aus der nichteuropäischen Welt waren. Eher war das Gegenteil der Fall: Die Berichterstattung von Reuters im Vorfeld des Burenkriegs führte sogar dazu, dass imperialistische Zeitungen wie die Daily Mail die Nachrichtenagentur als unpatriotisch angriffen. In Südafrika misstraute der britische Hochkommissar Milner Reuters und setzte ganz auf die Zusammenarbeit mit der Times.56 Die Agentur Reuters widerlegte zudem Meldungen über angebliche Misshandlungen der Uitlanders in der Republik Transvaal. So hatte die Daily Mail am 2. Februar 1897 in einem ­kurzen Kommentar geschrieben: „Two Englishmen expelled, ­robbed, and ­starved by Transvaal black police already. One dead and the other driven to attempt ­suicide.“ 57 Am 11. Februar musste die Mail allerdings einräumen: „It is only just to notify our readers that the story of two Englishmen who were driven to death and attempted suicide […] is now denied by Reuter’s Agency.“ 58 Während des Kriegs in Südafrika engagierte Reuters dann auch einen Korrespondenten, der mit Sympathie von der Seite der Buren berichtete.59 Wenn deutsche Zeitungen während des Burenkriegs auf nicht-­britische Quellen zurückgriffen, waren diese häufig weit unseriöser als die verunglimpften eng­ lischen Medien. Die Agentur Kabel-­Korrespondenz etwa verkaufte frei erfundene Nachrichten erfolgreich an die deutsche Presse.60 Allerdings berichteten für die deutsche Presse auch einige wenige Korrespondenten aus Südafrika. Die Kölnische Zeitung etwa engagierte einen Berichterstatter, der durch die Krisenregion reiste (aber nicht an der Front war), andere Zeitungen veröffentlichten Briefe von Reportern, die die Buren begleiteten.61 Trotz der britischen Dominanz konnte die deutsche Presse also auch auf Nachrichten und Berichte aus deutschen Quellen zurückgreifen. Für die mediale Darstellung von Kriegen in deutschen Kolonien waren diese ­Quellen ohnehin maßgeblich. Auch in anderen Fällen standen den Zeitungen nicht

56 Vgl. Porter, Origins, 1980, S. 115 f., 191 f.; Read, Power, 1999, S. 92 f.; Geppert, Pressekriege, 2007, S. 129. 57 O. T., in: Daily Mail, Nr. 236, 2. 2. 1897, S. 4. 58 O. T., in: Daily Mail, Nr. 244, 11. 2. 1897, S. 4. 59 Vgl. Read, Power, 1999, S. 112 f. 60 Vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 131. 61 Vgl. Bender, Burenkrieg, 2009, S. 42 – 45.

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nur die Informationen der Nachrichtenagenturen zur Verfügung. Gerade bei Ausbruch von Konflikten waren häufig Mitteilungen von offizieller Seite entscheidend, Berichte der Regierungsvertreter und des Militärs vor Ort bildeten dann eine wesentliche Grundlage der Berichterstattung. Abhängig von Region, Dauer und Art des Konflikts standen darüber hinaus weitere Quellen zur Verfügung. Neben den Berichten von Korrespondenten konnten Briefe von Europäerinnen und Europäern aus der Krisenregion, Stellungnahmen von Expertinnen und Experten oder eigentlich nicht für die Veröffentlichung vorgesehene Briefe einfacher Soldaten die mediale Darstellung beeinflussen. In einigen Fällen kamen sogar Nichteuropäer in der englischen und deutschen Presse zu Wort. Deutsche Zeitungskorrespondenten, die aus den Krisenregionen berichteten, zeichneten sich in der Regel durch Regierungsnähe aus. Dies gilt etwa für Otto Dannhauer, der im Auftrag des Berliner Lokal-­Anzeigers 1897 mit den deutschen Truppen nach China reiste. Für das konservative Berliner Blatt war diese Berichterstattung „nicht nur eine journalistische, sondern noch mehr eine patriotische und nationale Pflicht“, und so schrieb Dannhauer mit sehr viel Sympathie über die militärische Expedition.62 Auch Ernst v. Hesse-­Warteggs Artikel in der ­Kölnischen Volkszeitung trugen zur Legitimation der Annexion Kiautschous bei. (Wie man der Autorenangabe entnehmen kann, hatte er zugleich das Amt eines „General-­Consul[s]“ inne.)63 Während der Samoakrise 1899 engagierte die Kölnische Zeitung einen Korrespondenten mit dem Ziel, der antideutschen Berichterstattung der englischen Presse etwas entgegensetzen zu können.64 Insgesamt berichteten aber nur wenige deutsche Korrespondenten aus nichteuropäischen Krisengebieten. Eine Ausnahme war nur der Boxerkrieg in China. Zu Beginn des Konflikts berichteten vor allem englische und amerikanische Journalisten, die sich schon vor Ort aufhielten, über die Kampfhandlungen. Die

62 Expedition nach China, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 603, 25. 12. 1897; vgl. auch O. Dannhauer, Nach Kiautschou!, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 9, 7. 1. 1898, 1. Ausgabe. Zu Dannhauer, der auch während des Boxerkriegs und der Niederschlagung des Aufstands in Südwestafrika die deutschen Truppen begleitete, vgl. Zeigerer, Kriegsberichterstatter, 2016, S.  179 – 182. 63 Vgl. etwa Ernst v. Hesse-­Wartegg, Chinesische Briefe. III. Von Shanghai nach Kiautschou, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 347, 29. 4. 1898, Erstes Blatt. 64 Vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 1, 1935, S. 881; Kennedy, The Samoan Tangle, 1974, S. 265.

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Kriegskorrespondenten aus Deutschland kamen erst mit den nach China entsandten deutschen Verstärkungen, die sie begleiteten. Sie trafen zwar erst ein, als der Höhepunkt des Konfliktes schon vorbei war, aber während ihrer Reise schickten sie häufig Briefe an die heimischen Redaktionen, die vom Leben an Bord der Kriegsschiffe erzählten und allerlei Touristisches über die einzelnen Stationen ihrer Reise schilderten. In China angekommen, konnten sie dann über die noch stattfindenden deutschen Militäroperationen berichten.65 Die englische Presse engagierte weitaus mehr Korrespondenten als die ­deutsche, die Times und Reuters hatten in vielen nichteuropäischen Regionen ständige Vertreter. Zudem entsandte regelmäßig eine größere Anzahl von Zeitungen Kriegsberichterstatter, wenn ein Imperialkrieg begann, wie etwa während des Feldzugs im Sudan oder während des indischen Grenzkrieges. Im Burenkrieg waren sogar über 70 Kriegsreporter offiziell registriert. Für die Daily Mail berichtete zudem die erste Kriegsreporterin, Lady Sarah Wilson, aus der belagerten Stadt Ladysmith. Dabei machte die Mail ihre Reporterin selbst zum Thema, indem sie ihre Arbeit heroisierte.66 Wie die deutschen fühlten sich auch die englischen Kriegsberichterstatter in der Regel dem Militär verbunden, ein kritischer Journalismus war von ihnen kaum zu erwarten. Während des Burenkriegs etwa respektierten die Korrespondenten die Zensurbestimmungen und kooperierten mit dem Militär.67 Es gab allerdings bemerkenswerte Ausnahmen: Während des Matabelekriegs (1893) und nach dem Sudankrieg berichteten Korrespondenten über die Tötung verwundeter Kriegsgegner. Im zweiten Fall sorgte zudem der Artikel von Ernest Bennett über die Schändung des Grabs des Mahdis für eine Kontroverse in der britischen Öffentlichkeit. Aber diese Berichte konnten in beiden Fällen nichts daran ändern, dass sich eine insgesamt positive Deutung der militärischen Expansion in den betroffenen Regionen durchsetzte.68 Eine weitere Ausnahme war der Ökonom und Journalist John A. Hobson, den der Manchester Guardian

65 Vgl. Zeigerer, Kriegsberichterstatter, 2016. Für einen touristischen Bericht vgl. B., Von Aden nach Colombo (Originalbericht für die „Berliner Morgenpost“.), in: Berliner Morgen­ post, Nr. 224, 25. 9. 1900. 66 Vgl. Badsey, War Correspondents, 2000, S. 190; Morgan, Boer War, 2002, S. 2. 67 Vgl. Steinsieck, Ein imperialistischer Medienkrieg, 2006; Badsey, War Correspondents, 2000. 68 Vgl. Kap. 1.2.

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im Vorfeld des Burenkriegs (1899 – 1902) nach Südafrika entsandte, um über den sich zuspitzenden Konflikt zu berichten. In seiner Analyse wies Hobson vor allem Cecil Rhodes und der Minenindustrie die Schuld an der Eskalation der Gewalt zu.69 Während des Kriegs thematisierte dann John Robenson, der Korrespondent des Morning Leader, die Zerstörung von burischen Farmen und die Auswirkungen des Kriegs auf die burische Zivilbevölkerung. Entscheidend für die politischen Debatten über die britische Kriegsführung waren aber eher die Berichte von Emily Hobhouse, die nach Südafrika gereist war, um Spenden zu verteilen. Mit ihrer Darstellung über die Bedingungen in den ‚concentration camps‘, in denen die burische Zivilbevölkerung während des Guerillakriegs interniert war, löste Hobhouse eine heftige Kontroverse in der englischen Öffentlichkeit aus.70 Während des Boxerkriegs berichteten britische und amerikanische Korres­pondenten zwar über die Plünderungen und Kriegsverbrechen der alliierten Truppen, aber die politische Brisanz dieser Nachrichten war begrenzt. In der Regel stellten die Zeitungen die Nachrichten über Vergehen des Militärs anderer Länder in den Mittelpunkt.71 Insgesamt zeichneten sich die Kriegsberichterstatter durch eine große Nähe zu den Truppen vor Ort aus und standen zumeist hinter der Kolonialpolitik ihrer Regierungen. Wenn innerhalb von Regierung und Militär unterschied­liche Ansichten über den richtigen Kurs bestanden, konnte es zwar vorkommen, dass Korrespondenten sich mit der von ihnen vertretenen Position bei einer Partei unbeliebt machten,72 zu grundsätzlicher Kritik fühlten sie sich in der Regel jedoch nicht berufen. Ihre Artikel unterschieden sich in der Substanz kaum von den Berichten, die das Militär der Presse zur Verfügung stellte; sie waren nur stilistisch elaborierter, farbenfroher und ausführlicher. Gerade auf deutscher Seite waren sie in keinem Fall entscheidend für die Berichterstattung, sondern trugen eher dazu bei, den schon in den prokolonialen Zeitungen gepflegten Deutungsrahmen weiter zu verstärken. Auf britischer Seite gab es hingegen Ausnahmen, allerdings waren diese Reporter Außenseiter in ihrer Profession. Ernest ­Bennett stieß mit seinem Artikel über die Sudankampagne auf heftigen 69 70 71 72

Vgl. Potter, Jingoism, 2014, S. 44 f. Vgl. Steinsieck, Ein imperialistischer Medienkrieg, 2006, S. 105 f. und Kap. 2.1. Vgl. Klein, Straffeldzug, 2006, S. 172 f.; Ders., Propaganda, 2007, S. 178. Für einen solchen Fall vgl. etwa Zeigerer, Kriegsberichterstatter, 2016, S. 271 – 274.

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Widerspruch anderer Kriegskorrespondenten, woraufhin er seinen diesbezüglichen Artikel bitter bereute.73 John Robenson wurde für seine Kritik an der britischen Kriegsführung im Burenkrieg scharf von der Times angegriffen, sein Buch vom ­Buchhandel boykottiert.74 Mit kritischem Journalismus konnte man als Kriegsberichterstatter keine Karriere machen. Dementsprechend stammten für die Regierung unangenehme Enthüllungen kaum von dieser Seite. Gleiches trifft tendenziell auch auf die Beiträge von europäischen Bewohnern der Krisenregionen zu. Berichte von dieser Seite waren für die deutschen Interventionen in China und Haiti 1897 sehr relevant. In beiden Fällen trugen sie zur Legitimation der Militäreinsätze bei. Zwar kamen Berlin die Briefe aus Haiti, die das Deutsche Reich zur Intervention aufforderten, anfangs ungelegen. Nachdem der Konflikt mit Haiti ein Thema der Öffentlichkeit geworden war und der deutsche Kanonenbooteinsatz erfolgreich endete, instrumentalisierte die Regierung ihn jedoch gerne für ihr Flottenprogramm und freute sich über den Prestigegewinn.75 Nach dem Tod der beiden katholischen Missionare in China hingegen musste die Regierung nicht von der Presse zum Handeln getrieben werden. Wilhelm II . gab sofort den Befehl zum Militäreinsatz, nachdem er in der Zeitung von dem Zwischenfall erfahren hatte. Das Verhältnis ­zwischen deutscher Politik und den Missionaren in China während der militärischen Intervention 1897/98 ist treffend als „[g]egenseitige Instrumenta­ lisierung“ charakterisiert worden.76 Dies trifft nicht nur auf die Telegramme und Briefe aus China zu, sondern gilt auch für den Leiter der Mission, Anzer, der zu dieser Zeit in Europa weilte. Während einer Audienz beim deutschen ­Kaiser am 17. November 1897 beschwor er diesen, auf jeden Fall in Kiautschou zu bleiben, unter anderem mit dem Argument, dass es in der Zukunft wirtschaftlich bedeutender als Shanghai sein werde.77 In der Öffentlichkeit unterstützte Anzer zudem immer wieder die deutsche Politik.

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Vgl. Cecil, British Correspondents, 1998, S. 121 f. Vgl. Steinsieck, Ein imperialistischer Medienkrieg, 2006, S. 105. Vgl. Kap. 1.8. Mühlhahn, Herrschaft, 2000, S. 293. Vgl. Gründer, Christliche Mission, 1982, S. 280; Der Stellvertretende Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Freiherr von Rotenhan an den Staatssekretär Bernhard von Bülow, z. Z. in Rom, in: Lepsius u. a., Die große Politik, Bd. 14, Erste Hälfte, 1927, Nr. 3694, S. 75 f., bes. S. 76, FN*.

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Nach der Besetzung Kiautschous kühlte sich das Verhältnis z­ wischen der deutschen Regierung und den Missionaren in China jedoch ab. Die Konflikte ­zwischen christlicher und nichtchristlicher chinesischer Bevölkerung ­nahmen zu, woraufhin die Mission militärisches Eingreifen von deutscher Seite forderte. In Deutschland standen aber insbesondere Tirpitz und Bülow dem Einsatz von Militär ablehnend gegenüber. Als es jedoch zu einem gewaltsamen Zwischenfall beim deutschen Eisenbahnbau kam, führten deutsche Truppen im März eine Strafexpedition in Shandong durch. Diese bewirkte zwar auch Entschädigungszahlungen für die Mission, in Berlin betrachtete man sie dennoch nicht als Erfolg. Bülow drängte schon während ihrer Durchführung auf eine schnelle Beendigung, und Tirpitz äußerte sich im Juni in einem Schreiben an den Gouverneur von Kiautschou kritisch zur Mission (Kiautschou unterstand als einzige Kolonie dem Marineministerium). Für ihn war das provozierende Verhalten der Christen die Hauptursache der Konflikte. Zudem hatte Deutschland nach seiner Ansicht nur die Verpflichtung, die eigenen Staatsbürger, nicht jedoch chinesische Christen zu schützen. Die Mission war deshalb mit der Unterstützung der deutschen Politik unzufrieden. In der Zentrumspresse führte sie daraufhin eine Kampagne gegen die Regierung, in der sie der Besetzung Kiautschous und dem Verhalten des deutschen Militärs die Schuld an der zunehmenden Christen- und Fremdenfeindlichkeit in Shandong gab. Da die Reichsleitung kein Interesse an Konflikten mit der Mission hatte, sagte Bülow ihr schließlich auch den Schutz chinesischer Christen zu (ohne sich völkerrechtlich dazu zu verpflichten).78 Während des Kolonialkriegs in Südwestafrika schließlich kamen Informationen aus missionarischen Quellen an die Öffentlichkeit, die die deutsche Kolonialherrschaft in einem äußerst ungünstigen Licht erscheinen ließen. Nach Ausbruch der Gewalt hatten sich die Missionare der evangelischen rheinischen Mission zunächst mit öffentlichen Stellungnahmen zurückgehalten. Die Angriffe prokolonialer Kreise führten aber dazu, dass die Mission selbst ihre Stimme in der Debatte über die Ursachen des Kriegs erhob. Kritiker warfen der Mission vor, dass auch die zum Christentum konvertierten Herero an dem Aufstand teilnahmen, und gaben der Mission deswegen eine Mitschuld 78 Vgl. Gründer, Christliche Mission, 1982, S. 286 – 298; Schreiben des Staatssekretärs des Reichsmarineamtes, Tirpitz, an den Gouverneur von Kiautschou, Jaeschke (27. 6. 1899), in: Leutner/Mühlhahn (Hg.), „Musterkolonie Kiautschou“, 1997, Nr. 74, S. 269 – 273.

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an dem Widerstand gegen die deutsche Herrschaft. Daraufhin veröffentlichten Missionare in ihnen nahestehenden Medien Artikel über die Ungerechtigkeiten, die den Herero von Seiten der Kolonialverwaltung, aber ­insbesondere auch von Seiten der Farmer und Händler, widerfahren waren. Allerdings hatten die Missionare trotz ihrer Konflikte mit der Kolonialverwaltung und den europäischen Siedlern weiterhin ein Interesse an der Aufrechterhaltung der deutschen Herrschaft in Südwestafrika. Gewaltsamer Widerstand gegen die „von Gott gegebene Regierung“ war in ihren Augen nicht zu rechtfertigen. Dementsprechend gaben sie den Herero die Hauptschuld für den Ausbruch der Kampfhandlungen und bewerteten die militärische Niederschlagung des Aufstands als notwendige „Lektion“.79 Die Berichte der Mission trugen wesentlich dazu bei, dass Teile der deutschen Öffentlichkeit das Wirken der Händler und Farmer in Südwestafrika kritisch betrachteten. Insbesondere für den Vorwärts boten die Berichte der Mission reichlich Material, um die alltägliche Gewalt gegen die Herero und die betrügerischen Praktiken der Händler in der Kolonie anzuklagen. Dabei ging er äußerst selektiv mit den Missionsberichten um und ignorierte in der Regel jene Stellungnahmen, die den Herero Schuld zuwiesen, um den Aufstand als legitime Erhebung gegen eine nicht zu rechtfertigende Herrschaft zu kritisieren. So zitierte der Vorwärts aus dem Vortrag eines Missionars eine Passage, die für die Stellungnahmen und das Handeln der Mission insgesamt keinesfalls charak­teristisch war: „Durch ihr frevelhaftes Treiben gereizt, hat schließlich das ganze Hererovolk nichts anderes getan, als was Hermann der Cherusker einstmals auch getan hat.“ 80 Wie die Debatte über den Krieg in Südwestafrika zeigt, konnten S­ tellungnahmen von Europäern aus den Krisenregionen in einigen Fällen durchaus ungelegen für die Regierung sein. Grundsätzliche Opposition gegen die imperiale Expansion war von dieser Seite jedoch ebenfalls nicht zu erwarten. Als Minderheit in der außereuropäischen Welt lebend, waren sie auf den Schutz der Imperialmächte angewiesen und hatten ein starkes Interesse an deren Präsenz. Für prokoloniale Interessenverbände und Zeitungen boten die Berichte von Siedlern, Missionaren 79 Vgl. Engel, Stellung, 1972, S. 184 – 188, die wiedergegebenen Zitate der Missionare auf S. 185 f.; Gründer, Christliche Mission, 1982, S. 127 f. 80 Praktisches Christentum in Südwestafrika, in: Vorwärts, Nr. 303, 25. 12. 1904. Vgl. auch Kap. 3.3.

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und Händlern in der Regel Propagandamaterial, um öffentlich für ihre Anliegen zu werben. Gerade nach Ausbruch von Aufständen konnte so der Einsatz von Militär legitimiert werden. Die Schilderungen, in denen Europäer beschrieben, wie sie nach der Eskalation der Gewalt gerade noch den Angriffen von als barbarisch charakterisierten Nichteuropäern entkamen, ließen militärisches Vorgehen notwendig und dringlich erscheinen.81 Während des Aufstands in Sierra Leone 1898 veröffentlichte die Times ein Reuters-­Interview mit amerikanischen Missionaren, die vom Kriegsschauplatz nach Liverpool geflohen waren. Zum Schicksal des Missionsleiters und den Mitgliedern seiner Station heißt es dort: „Had his party delayed their flight but a few hours all would have been slaughtered.“ Besonders dramatisch waren s­ olche Geschichten, wenn Frauen involviert waren. Eine Missionarin aus Sierra Leone beschrieb ihre Situation nach Ausbruch des Aufstands folgendermaßen: „I was the only European there, and I decided to stay in the mission.“ Erst nachdem sie von blutverschmierten Aufständischen mit dem Tod bedroht wurde, erschien schließlich die frontier police, um sie zu retten.82 Weniger dramatisch in der Darstellung waren die Debattenbeiträge von Experten. Nach Ausbruch eines Konflikts veröffentlichten englische und deutsche Zeitungen meist Artikel und Stellungnahmen von Personen, die aufgrund ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit oder früherer Aufenthalte am Ort des Geschehens als qualifiziert galten. Diese erklärten der Leserschaft den Konflikt, lieferten Hintergrundinformationen über die Region und schätzten häufig auch deren Wert mit Blick auf die imperialen Bestrebungen des eigenen Staats ein. Nach der Besetzung Kiautschous trugen ­solche Beiträge wesentlich zur Legitimation der Annexion bei. Eine besonders wichtige Rolle kam dabei dem Geographen Ferdinand von Richthofen zu. So erschien in der Kölnischen Zeitung zunächst am 19. November 1897 ein äußerst positiver Artikel über Kiautschou, in dem es

81 Schon nach dem Indischen Aufstand 1857 trugen „survivor letters“ zur Legitimation der Niederschlagung des Aufstands und zur Heroisierung des Militärs bei, vgl. Peters, ­‚Double dyed Traitors and Infernal Villains‘, 2000, S. 126 f. Ähnliche Berichte erschienen im hier behandelten Zeitraum insbesondere während des Boxeraufstands und während des Kolonialkriegs in Südwestafrika. 82 The Disturbances in Sierra Leone, in: The Times, Nr. 35528, 28. 5. 1898, S. 7. In kolonialen Kontexten bezeichnete die Presse auch Amerikanerinnen und Amerikaner regelmäßig als ‚Europäer‘, vgl. Kap. B.

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unter Berufung auf einen älteren Bericht Richthofens, „einem der besten Kenner von Land und Leuten“, hieß, dass das Klima „für Europäer das gesundeste von ganz China“ sei.83 Skeptischer urteilte am 4. Dezember ein Artikel des Sinologen Friedrich Hirth, ebenfalls einer „der besten Kenner Chinas“. Ihm zufolge war bei Kiautschou nur an die „Vorteile einer Flottenstation“ zu denken, die Aussichten für eine dortige „Handelskolonie“ sah er pessimistisch.84 Im schon erwähnten Leitartikel vom 4. Dezember schätzte die Kölnische Zeitung selbst, unter Verweis auf Richthofen und die Kohlefelder in Shandong, die wirtschaftlichen Aussichten Kiautschous positiv ein, warnte aber mit Verweis auf Hirth vor „überschwenglichen Hoffnungen“.85 Am 7. Dezember gab sie dann noch einmal ausführlich die Ausführungen Richthofens über Kiautschou wieder.86 Der Einfluss der Experten auf die öffentliche Wahrnehmung von Kiautschou zeigt sich auch in der Berichterstattung der Kölnischen Volkszeitung, die der Annexion nicht zuletzt aufgrund der befürchteten Lasten für den S­ teuerzahler lange kritisch gegenüberstand. Am 20. Dezember warnte sie, ebenso unter Berufung auf den älteren Bericht Richthofens, vor „Kosten über Kosten“.87 Auch als die Annexion eine ausgemachte Sache war und die Kölnische Volkszeitung ihre Position änderte, äußerte sie sich zu den wirtschaftlichen Aussichten weiterhin skeptisch. Sie räumte aber anderen Stimmen Raum ein, die das ökonomische Potenzial Kiautschous optimistischer bewerteten. So veröffentlichte sie am 3. Januar 1898 einen sehr positiven Artikel des „bekannten Weltreisenden“ Ernst von Hesse-­Wartegg, der die Bevölkerung Shandongs als „fleißig, arbeitsfreudig, mäßig und gutmütig“ beschrieb. Zugleich stellte die Kölnische Volkszeitung in einer Fußnote klar, dass sie die Ausführungen veröffentliche, „ohne im Einzelnen

83 Der Hafen von Kiautschau, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1026, 19. 11. 1897, Zweite Morgen-­ Ausgabe. 84 Asien, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1073, 4. 12. 1897, Erste Morgenausgabe. Unter anderem verwies er auf wiederkehrende Überschwemmungen und Hungersnöte. 85 Deutschland in China, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1075, 4. 12. 1897, Abend-­Ausgabe. 86 Kiautschou, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1084, 7. 12. 1897, Zweite Morgen-­Ausgabe. 87 Machtbewerb in Asien, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 924, 20. 12. 1897, Drittes Blatt. Wie der Vergleich von Kölnischer Zeitung und Kölnischer Volkszeitung zeigt, war die Interpretation der älteren Ausführungen von Richthofen durchaus umstritten. So warf auch die Freiburger Zeitung der „marinefeindlichen Presse“ vor, falsche Schlüsse aus dem Werk Richthofens zu ziehen, vgl. Ueber den Hafen von Kiau-­Tschau, in: Freiburger Zeitung, Nr.  295, 28. 12. 1897.

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überall für dieselben einzutreten“.88 Während sie selbst am 7. Januar vor zu viel Eifer bei den geplanten Investitionen in der neuen Kolonie warnte,89 gab sie am 12. Januar Richthofen die Gelegenheit, in einem längeren Artikel auf der Titelseite ihren skeptischen Ausführungen zu widersprechen und den ökonomischen Wert Kiautschous positiv herauszustellen.90 Das öffentliche Engagement Richthofens ist durchaus typisch für die deutsche Debatte. So plädierte auch der ehemalige chinesische Militärberater Constantin von Hanneken in einem Artikel für den Berliner Lokal-­Anzeiger dafür, durch den Ausbau Kiautschous „die Bedingungen für eine Handels-­Centrale zu schaffen“ und verwies, um seine Argumente zu untermauern, auf die „kaufmännische Regsamkeit“ der chinesischen Bevölkerung und den „mineralischen Reichthum“ der Region.91 Fast alle Experten unterstützten also den politischen Kurs der Reichsleitung. Eine seltene Ausnahme war der frühere deutsche Gesandte in Peking, Max von Brandt, der während des Boxerkriegs das Vorgehen der imperialistischen Staaten kritisierte.92 Im Gegensatz zur deutschen Regierung sah sich die Politik in London mehrfach der Kritik von Expertinnen und Experten an ihrer Kolonialpolitik ausgesetzt. Während des Krieges an der Nord-­West-Grenze Indiens konnten sich sowohl die imperialistische Presse als auch oppositionelle Zeitungen auf Teilnehmer an der öffentlichen Debatte berufen, die berufliche Erfahrung in der indischen Kolonialpolitik hatten.93 In der Debatte über die Ursachen des Kolonialkrieges in Sierra Leone griffen die bekannte Afrikaforscherin Mary Kingsley und Handels­kreise die Politik der dortigen Verwaltung scharf an. Dies trug mit dazu

88 Ernst von Hesse-­Wartegg, Schantung, die künftige deutsche Interessenssphäre in China?, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 3, 3. 1. 1898, Erstes Blatt. 89 Unsere Handels-­Interessen in China, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 13, 7. 1. 1898, Erstes Blatt. Dieser Artikel setzt sich mit einem zuvor im Berliner Lokal-­Anzeiger veröffentlichten Artikel von Constantin von Hanneken auseinander, der bis 1895 als Militärberater in China tätig war, vgl. C. von Hanneken, Kiautschou, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 605, 28. 12. 1897, 1. Ausgabe. 90 V. Richthofen, Die Aussichten der Bai von Kiaotschau, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 25, 12. 1. 1898, Erstes Blatt. 91 C. von Hanneken, Kiautschou, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 605, 28. 12. 1897, 1. Ausgabe. 92 Der Krieg in China. Amerika als Friedensmakler, in: Berliner Morgenpost, Nr. 226, 27. 9. 1900. Vgl. Kap. 2.2. 93 Vgl. Kap. 1.3.

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bei, dass unmittelbar nach dem Aufstand allgemein der Eindruck herrschte, dass die britische Kolonialpolitik Schuld an der Eskalation der Gewalt sei.94 Während des Burenkriegs spielte die schon erwähnte Emily Hobhouse eine wichtige Rolle in der Auseinandersetzung über die Zustände in den ‚concentration camps‘.95 Dass es auf englischer Seite weit mehr kritische Experten gab, mag daran liegen, dass Großbritannien auf eine weit längere imperiale Erfahrung zurückblicken konnte als das Deutsche Kaiserreich und über ein weitaus größeres Kolonialreich verfügte. Dementsprechend gab es auch mehr Personen, die auf Aufenthalte in den betreffenden Regionen zurückblicken konnten. Für die imperialismuskritische Presse war es so leichter, kritische Stimmen zu ­finden und ihnen Platz einzuräumen. Entscheidender dürften jedoch die Unterschiede im politischen System sein. In Deutschland ging Kritik an der imperialen Expansion mit einer Distanz zum deutschen Staat einher. Gerade weil die Kolonialpolitik symbolisch eng mit der Person des Kaisers verbunden war, stellten sich imperialismuskritische Stimmen außerhalb des Establishments. In Großbritannien hingegen griffen Experten die Regierung häufig im Einklang mit der Opposition an, die selbst nach der nächsten Wahl die Regierung stellen konnte. Durch die Kritik an Aspekten der Kolonialpolitik oder der Expansion in ein bestimmtes Territorium verstieß man nicht gegen den Grundkonsens der britischen Politik. Weniger gefragt als die Gastbeiträge von Personen, denen aufgrund ihrer Stellung in der Wissenschaft oder bisheriger Erfahrung in den Krisengebieten Expertentum zugesprochen wurde, waren Kommentare von Schriftstellern und Literaten. Wenn sich diese zu Wort meldeten, dann fast immer, um die imperiale Expansion zu unterstützen. Am bedeutendsten war diesbezüglich Rudyard Kipling, der etwa während des Burenkriegs für die Daily Mail das Gedicht „The Absent-­Minded Beggar“ verfasste, um Geld für Soldaten und

94 Später hielten sich die Handelskammern aus Manchester und Liverpool jedoch mit öffentlicher Kritik zurück, und im Sommer 1899 stand Mary Kingsley alleine als prominente Kritikerin der Politik des stärkeren staatlichen Engagements in Westafrika da und vertrat nur noch eine Minderheitsposition, vgl. Hargreaves, Establishment, 1956, S. 75; E. D. M., The Hut-­Tax in West-­Africa, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10709, 24. 7. 1898, S. 1 f.; M. H. Kingsley, The Hut-­Tax in West Africa, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10713, 28. 7. 1899, S.  1 f. 95 S. o.

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ihre Familien zu sammeln.96 Der Typus des kritischen Intellektuellen hingegen spielte in den englischen und deutschen Debatten über imperiale Militäreinsätze kaum eine Rolle. Dabei gilt die Zeit um die Jahrhundertwende als Geburtsstunde des Intellektuellenbegriffs, nachdem der Schriftsteller Émile Zola 1898 öffentlich für den zu Unrecht verurteilten jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfus eingetreten war. Seitdem gelten Intellektuelle als „tendenziell links, staats- und religionskritisch, unabhängig, als Anwälte der Wahrheit, des Universellen, der Demokratie und der Menschenrechte“.97 In den Vereinigten Staaten waren mehrere Schriftsteller in ­diesem Sinne aktiv. Aufsehen erregte insbesondere Mark Twains Solidarisierung mit dem chinesischen Widerstand gegen den Imperialismus im Jahre 1900 und seine Kritik an der amerikanischen Politik auf den Philippinen.98 In der englischen und deutschen Öffentlichkeit kam es äußerst selten zu solch einem kritischen Engagement von literarisch Tätigen. Eine Ausnahme war etwa Olive Schreiner, die sich öffentlich gegen den Krieg in Südafrika aussprach und um Verständnis für die Buren warb.99 In Deutschland bezog die Pazifistin und Schriftstellerin Bertha von Suttner in der Berliner Morgenpost Stellung gegen den Boxerkrieg.100 96 Vgl. Krebs, Gender, 1999, S. 80 – 108, 142 – 178, dort auch zu weiteren Schriftstellern (etwa Arthur Conan Doyle), die den Burenkrieg unterstützten; zu Deutschland vgl. die Stellungnahme des Schriftstellers Dagobert von Gerhardt-­Amyntor zum Boxerkrieg: Ders., Wer ist schuld am chinesischen Aufstand?, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 328, 17. 7. 1900. 97 Morat, Intellektuelle, 2011, der selbst allerdings für einen breiteren Intellektuellenbegriff plädiert: „Intellektuelle sind also in der Regel Angehörige akademischer oder künstlerischer Berufe, die sich auf ihrem jeweiligen Tätigkeitsfeld eine gewisse Reputation erarbeitet haben und sich nun in einer Angelegenheit öffentlich zu Wort melden, die außerhalb ihres originären Tätigkeitsfelds liegt und von allgemeinem politischen I­ nteresse ist.“ Dieser Definition zufolge waren die Intellektuellen, die sich zu Wort meldeten, Unterstützer der staatlichen Imperialpolitik. Entscheidend waren jedoch die Experten, die sich zu ihrem originären Tätigkeitsfeld äußerten. 98 Vgl. Gibson, Mark Twain, 1947. 99 Zu Schreiner vgl. Krebs, Gender, 1999, S. 109 – 142. Der Manchester Guardian berichtete wiederholt über das Engagement Schreiners und gab ihr Gelegenheit zur Darstellung ihrer Positionen, vgl. An Interview with Olive Schreiner. (From Our Special Correspondent.), in: The Manchester Guardian, Nr. 16620, 15. 11. 1899, S. 12; Olive Schreiner on The War: A Curious Incident. (From Our Own Correspondent.), in: The Manchester Guardian, Nr. 16839, 30. 7. 1900, S. 10. 100 Vgl. Ein Interview mit Frau von Suttner, in: Berliner Morgenpost, Nr. 229, 30. 9. 1900. Allerdings gab Suttner das Interview als ausgewiesene Pazifistin, sprach zu ihrem originären

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Während die Beiträge von Händlern, Missionaren, Siedlern, Experten und Schriftstellern mit Blick auf deren öffentliche Wirkung verfasst wurden, waren die Briefe von Soldaten, die die Zeitungen abdruckten, eigentlich an Familienmitglieder gerichtet, die diese an die Presse weiterleiteten. Diese privaten Briefe brachten eine Perspektive vom Schauplatz des Geschehens an die heimische Öffentlichkeit, die sich von der regulären Berichterstattung und den übrigen Gastbeiträgen unterschied. Soldaten beschrieben etwa das harte Leben an der Front und die Entbehrungen des Alltags im Krieg. In einigen Fällen thematisierten die Briefe zudem Kriegsverbrechen und lösten heftige Kontroversen aus. Vor der Jahrhundertwende spielten Soldatenbriefe jedoch keine wichtige Rolle für die politische Debatte über die Militäreinsätze. Während des Sudankriegs erschien zwar ein Brief eines Soldaten über ein Massaker der anglo-­ägyptischen Truppen; der Inhalt des Briefes konnte aber nach einer Befragung des Autors widerlegt werden. Entscheidend für die Kontroverse über das Vorgehen des Militärs waren hier die Artikel von Kriegskorrespondenten.101 Nach der Besetzung Kiautschous erschien der Brief eines Matrosen in der Presse, in dem ­dieser die Lage vor Ort als sehr gefährlich bezeichnete. Das verbreitete Bild der fried­ lichen Bevölkerung der neu ‚erworbenen‘ Kolonie konnte der Brief jedoch nicht beeinflussen.102 Ansonsten zeichneten die Briefe deutscher Matrosen oder Offiziere, die die Zeitungen während der Militärintervention veröffentlichten, ein positives Bild des Vorgehens und bestärkten so die schon vorhandene Wahrnehmung in der Presse. Um die Jahrhundertwende trugen aber während des Burenkriegs Soldatenbriefe dazu bei, den Militäreinsatz in einem weniger glanzvollen Licht erscheinen zu lassen. Solche Briefe wurden häufig von der Regionalpresse gedruckt. Besonders für die günstigen ‚Massenblätter‘, die auf einen möglichst breiten Leserkreis abzielten, boten die Erlebnisse der Söhne der eigenen Heimatstadt

Tätigkeitsfeld und ist mit Blick auf ihre öffentliche Rolle eher als Expertin oder Vertreterin einer politischen Vereinigung einzuordnen. 101 Vgl. Cecil, British Correspondents, 1998, S. 120. 1 02 Selbst im Vorwärts erschienen hierzu nur zwei kurze Artikel, Kiaotschau, in: Vorwärts, Nr. 34, 10. 2. 1898; Kiaotschau, Vorwärts, Nr. 42, 19. 2. 1898. Der Sozialdemokrat Wilhelm Liebknecht las zudem in einer Reichstagsdebatte vom 27. April 1898 aus einem Matrosen­ brief vor, in dem Kiautschou als „Drecknest“ bezeichnet wurde, vgl. SBR, Bd. 161, 27. 4. 1898, S. 1981.

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Geschichten mit hohem Nachrichtenwert. Das große Interesse an d ­ iesem Thema führte dazu, dass auch konservative Zeitungen Briefe abdruckten, die ausführlich über die Entbehrungen und das Leid an der Front berichteten.103 Für die deutsche Debatte über den Boxerkrieg hatten Soldatenbriefe eine darüber hinausgehende politische Bedeutung. So erschienen in der Presse mehrere Briefe, in denen Soldaten Massaker an wehrlosen chinesischen Zivilisten beschrieben. Die sozialdemokratische Presse taufte diese Briefe in Anlehnung an die berüchtigte Kaiserrede ‚Hunnenbriefe‘; in der Reichstagssitzung zum Krieg las August Bebel mehrere von diesen vor und schuf so eine breite Aufmerksamkeit für das Thema.104 Wenngleich durch Soldatenbriefe häufig Perspektiven und Informationen Eingang in die Zeitungen fanden, die sonst nicht ans Licht der Öffentlichkeit gekommen wären, haben sie doch mit den übrigen bislang erörterten Beiträgen eines gemeinsam: Sie gaben eine europäische Perspektive wieder. Die Presse druckte jedoch nicht nur Stellungnahmen von Europäern ab. Oppositionelle Zeitungen wie der Vorwärts oder der Manchester Guardian verwiesen auch auf die Positionen von Nichteuropäern, um ihre Kritik zu untermauern. So bezog sich der Vorwärts am 16. November 1897 auf die offizielle Darstellung Haitis, um den Kurs der deutschen Regierung gegenüber d ­ iesem Land anzugreifen.105 Der Guardian zitierte am 16. August 1897 den Amir von Afghanistan, um die Schuld der britischen ‚forward policy‘ an der Eskalation der Gewalt an der indischen Grenze nachzuweisen.106 In den Debatten über die Rebellion in Sierra Leone 1898 verwiesen linksliberale Stimmen teilweise auf Zeitungen der afrikanischen Bevölkerung, um ihre Position zu untermauern.107 Der Sekretär der Aborigines Protection Society, H. R. Fox Bourne, griff für seine Kritik an der Kolonialpolitik in der Fortnightly Review auf Berichte der Presse von Freetown zurück.108 Der Manchester Guardian ignorierte in seinen Kommentaren

103 Vgl. Beaven, Visions, 2012, S. 74 – 76. 104 Vgl. Wieland/Kaschner, Reichstagsdebatten, 2002, sowie Kap. 2.2. 105 Vgl. Der Konflikt mit Haiti, in: Vorwärts, Nr. 168, 16. 11. 1897. 106 Vgl. o. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 15917, 16. 8. 1897, S. 4. 107 Zu den Beziehungen ­zwischen westafrikanischer Presse, der Anti-­Slavery Society, der Aborigines Protection Society und linksliberalen Medien in England allgemein vgl. ­Coombes, ­Reinventing Africa, 1994, S. 29 – 42. 108 Vgl. Hargreaves, Establishment, 1956, S. 74.

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zwar die Zeitungen Sierras Leones, in einem leader vom 9. Juni verwies er aber zustimmend auf den „Lagos Weekly Record“ („representing the opinion of the educated natives“), demzufolge es nicht die Hüttensteuer selbst, sondern das extrem taktlose Vorgehen des Gouverneurs war, das den Widerstand in Sierra Leone hervorgerufen habe.109 In England verwiesen auch prokoloniale Zeitungen auf Stellungnahmen von Nichteuropäern, um die imperiale Expansion zu legitimieren. So druckte die Pall Mall Gazette am 6. September 1897 einen Gastbeitrag mit der Autoren­angabe „By a Native of India“ zur Lage an der indischen Grenze. Die geographischen Erörterungen in d ­ iesem Artikel über die strategische Bedeutung der Region und das abschließende Plädoyer, die Eisenbahn bis nach Kandahar auszubauen, um dort die ‚Zivilisation‘ zu verbreiten, unterschieden sich nicht wesentlich von den zahlreichen Gastbeiträgen zur indischen Grenze, als deren Autor ein „Anglo-­Indian“ angegeben wurde.110 Ein Alleinstellungsmerkmal ­dieses Artikels ist allerdings eine Anekdote, mit der der Autor den verräterischen Charakter und Fanatismus der Bewohner der beschriebenen Region zu belegen sucht. Er erzählt, wie ihm ein lokaler Reisebegleiter dort riet, nicht mehr für die Ungläubigen zu arbeiten: „He said they were all waiting for a ‚Jehad‘ procla­ mation from the Ameer, and then one and all they will rid the head of Islam from the ‚Kaffir’s yoke.‘“ 111 Die prokoloniale Presse Englands und Deutschlands druckte allerdings nicht nur Stellungnahmen von Nichteuropäern ab, die das eigene Vorgehen rechtfertigten, sondern auch kritische Debattenbeiträge. So gab die Times zwar den Zeitungen der afrikanischen Bevölkerung Freetowns eine Mitschuld an der Rebellion in Sierra Leone, veröffentlichte aber am 8. August auch die Erwiderung eines Vertreters der dortigen Presse, C. May, „Editor of the Sierra Leone Weekly News“. Dieser verteidigte sich gegen die Vorwürfe des Times-­Korrespondenten und fragte, warum dieser seine Angriffe nicht durch Zitate belegt habe.112

109 O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16171, 9. 6. 1898, S. 7. 110 Vgl. etwa British Relations with Frontier Tribes. (By an Anglo-­Indian.), in: The Pall Gazette, Nr. 10130, 13. 9. 1897, S. 1 f. 111 About the Frontier. (By a Native of India), in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10124, 6. 9. 1897, S.  1 f. 112 C. May, The Sierra Leone Rising. To the Editor of the Times, in: The Times, Nr. 35589, 8. 8. 1898, S.  4.

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Der Berliner Lokal-­Anzeiger brachte Ende 1897 ein Gespräch mit dem haitia­ nischen Geschäftsträger in Deutschland 113 und veröffentlichte mehrere Stellungnahmen von chinesischer Seite zur deutschen Kanonenbootpolitik. Schon am 22. November berichtete er über die erste offizielle Stellungnahme Chinas, der zufolge sofort nach Bekanntwerden der Morde an den beiden Missionaren Befehl zur Verhaftung und Bestrafung der Täter gegeben worden sei.114 Am Folgetag konnte man lesen, dass ein „hier lebender, europäisch gebildeter Chinese“ dem Lokal-­Anzeiger geschrieben habe, dass die Mörder der „niedrigsten, verwahrlosesten Klasse der Bevölkerung angehören müssten“, keinesfalls könne ein gebildeter Chinese oder gar der Gouverneur von Südshandong verantwortlich sein.115 Einfluss auf die Position des Lokal-­Anzeigers hatten diese Stellungnahmen nicht (in beiden Fällen wies er selbst kurz auf die mögliche Schuld von chinesischen Beamten hin), aber er druckte sie. Darüber hinaus gab er am 4. Januar 1898 auch kurz ein Interview des „New-­Yorker Herald“ mit dem chinesischen Staatsmann Li Hongzhang wieder, der das deutsche Vorgehen kritisierte und damit schloss, dass die „westlichen Länder“ an „Ungerechtigkeit“ noch stärker ­seien „als an Waffenmacht“.116 Im Gegensatz zum Vorwärts stimmte der Lokal-­Anzeiger der Kritik der nichteuropäischen Seite zwar in keinem Fall zu. Allerdings räumte er solchen Positionen weitaus mehr Platz ein als das sozialdemokratische Leitorgan und wurde selbst aktiv, um Debattenbeiträge von Nichteuropäern veröffentlichen zu können. In keiner anderen deutschen Zeitung konnte man sich zu Beginn der deutschen ‚Weltpolitik‘ so ausführlich über die Position von Nichteuropäern informieren wie in ­diesem regierungstreuen Berliner Lokalblatt. Dessen Motiv war dabei nicht, möglichst objektiv über die deutsche Politik zu berichten. Kritische Argumente der deutschen Opposition ignorierte der Lokal-­Anzeiger durchaus oder gab sie sehr verkürzt wieder. Vielmehr war sein Ziel, Informationen zu veröffentlichen,

113 Eine Unterredung mit dem Vertreter Haitis, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 513, 2. 11. 1897, 1. Ausgabe. 114 Conflict mit China, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 546, 22. 11. 1897, Abend-­Ausgabe. 115 Christenmorden in China, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 547, 23. 11. 1897, 1. Ausgabe. 116 China und die Mächte, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 4., 4. 1. 1898, 2. Ausgabe; zudem veröffentlichte der Lokal-­Anzeiger am 28. Januar 1898 noch eine Stellungnahme der chine­ sischen Gesandtschaft in Berlin, vgl. Ermordung eines deutschen Matrosen in Tsimo, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 45, 28. 1. 1898, 1. Ausgabe.

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die sich in den Blättern der Konkurrenz nicht fanden, und Artikel mit hohem Nachrichtenwert zu bringen. Positionen von Nichteuropäern stießen anscheinend auf ein gewisses Interesse in der deutschen Öffentlichkeit, auch wenn man deswegen nicht auf Zustimmung zu deren Kritik bei der Leserschaft des Lokal-­ Anzeigers schließen kann. Allerdings konnten sich keinesfalls alle Nichteuropäer in den Zeitungen der kolonialen Metropolen äußern. Nur bei Konflikten mit formal unabhängigen Staaten wie China und Haiti erschienen Beiträge von Gegnern der imperialistischen Mächte, nach Ausbruch von Gewalt in den Kolonien konnten sich die Aufständischen nicht direkt in der europäischen Presse äußern. Hier wurden höchstens kritische Beiträge von Nichteuropäern veröffentlicht, die nicht an den Kampfhandlungen gegen die Kolonialmacht beteiligt waren, wie etwa die erwähnte Erwiderung des Vertreters der Presse Sierra Leones. Allerdings berichtete die englische Presse über die Rechtfertigung der Afridis für ihren Kampf gegen das Britische Empire.117 Hierbei handelte es sich jedoch um Beschwerden an die indische Regierung, die die Presse als Nachricht, nicht als Debattenbeitrag wiedergab. Direkte Kontakte z­ wischen der Presse und Aufständischen gab es während Kolonialkriegen nicht, von zwei Ausnahmen abgesehen: Über den Krieg in Südafrika berichteten mehrere Reporter von der Seite der Buren. Allerdings handelte es sich bei den Buren um einen ‚weißen‘ Gegner, den die Presse in vielerlei Hinsicht anders behandelte als nichteuropäische Aufständische. Außergewöhnlicher war der Fall des Jakobus Morenga, ein Führer der Aufständischen während des deutschen Kolonialkriegs in Südwestafrika. Er floh 1906 vor den Deutschen in die Kapkolonie und gab mehreren dortigen Zeitungen Interviews, über die dann auch die deutsche Presse berichtete.118 Wenngleich so nichteuropäische Stimmen in der englischen und deutschen Öffentlichkeit zu Wort kamen, sollte ihre Präsenz nicht überbewertet werden. Kritische Zeitungen wie der Vorwärts und der Manchester Guardian instrumen­ talisierten sie vor allem zur Untermauerung ihrer eigenen Position. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit deren Perspektive fand dort nur begrenzt statt. Konservative Zeitungen wie die Times und der Berliner Lokal-­Anzeiger veröffentlichten ­solche Stellungnahmen, weil es ihrem Anspruch entsprach, möglichst ausführlich 117 Vgl. etwa The Indian Frontier Debate, in: The Times, Nr. 35440, 15. 2. 1898, S. 9. 118 Vgl. Bühler, Namaaufstand, 2003, S. 278 – 285; Lindner, Koloniale Begegnungen, 2011, S. 268 f. Vgl. auch Kap. 3.3.

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über die internationale Politik zu berichten. Nichteuropäische Stimmen hatten offensichtlich Nachrichtenwert; Einfluss auf die Position von prokolonialen Zeitungen, die diesen Stimmen Raum einräumten, hatten sie hingegen nicht. Das Bild der Konflikte in der Presse war europäisch geprägt und kam tendenziell den Regierungen entgegen. Die ersten telegraphischen Meldungen aus der nichteuropäischen Welt nach dem Ausbruch eines Konfliktes stammten häufig aus offizieller oder regierungsnaher Quelle. Die Nachrichten, die von Regierungen an die Öffentlichkeit weitergegeben wurden, waren eine wichtige Informationsgrundlage für die Medien in England und Deutschland. Zudem waren es vor allem prokoloniale Zeitungen, etwa die Times, die Daily Mail oder der Berliner Lokal-­Anzeiger, die Korrespondenten in die außereuropäische Welt entsandten. Die Europäer aus den Krisengebieten unterstützten in der Regel den Einsatz von Militär. Die Experten tendierten dazu, die imperiale Expansion zu unterstützen, wobei es hier auf britischer Seite auch kritische Stimmen gab. Wenngleich sich zu Beginn eines Konflikts die Strukturen der globalen Kommunikation häufig zugunsten der Regierungen auswirkten, nahm doch mit der Zeit die Vielfalt der Informationsquellen zu. So konnten etwa Soldatenbriefe ein anderes Bild des Krieges zeichnen als die offiziellen Meldungen und Berichte der Korrespondenten. Die potenzielle Vielfalt der Stimmen hing von den Bedingungen und dem Schauplatz des konkreten Militäreinsatzes ab: Nicht bei allen Kriegen begleiteten Korrespondenten das Militär; Soldatenbriefe konnten nur veröffentlicht werden, wenn eine signifikante Anzahl europäischer Truppen am Kampf teilnahm – bei Kriegen, die vor allem mit nichteuropäischen Hilfstruppen geführt wurden, gab es für die Presse keine Möglichkeit, Stimmen der einfachen Soldaten wiederzugeben; europäische Stimmen aus der Krisenregion konnten nur zitiert werden, wenn es vor Ort Siedler, Händler oder Missionare gab. Die Möglichkeiten der imperialismuskritischen Presse, die Regierung anzugreifen, waren aber nicht von der Vielfalt der Quellen abhängig. Gerade bei einigen besonders unpopulären Kriegen des Britischen Empires bildeten offizielle Meldungen und Berichte von militärnahen Korrespondenten die wesentliche Grundlage der Berichterstattung über die aktuellen Ereignisse, so etwa während des Aufstands an der indischen Grenze (1897/98), des Kriegs gegen Tibet (1903/04) oder des Kriegs in Somalia (1901 – 1904). Diese Beispiele zeigen, wie sehr letztlich Umstände und Verlauf des Militäreinsatzes sowie die allgemeine Stimmung die Popularität von Imperialkriegen beeinflussten. Oppositionelle Zeitungen und Politiker hatten Erfahrung darin, eintreffende Meldungen kritisch

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zu deuten und für ihre politischen Anliegen zu ­nutzen.119 Zudem gelangten Nachrichten über Niederlagen und Rückschläge auch aus offiziellen Quellen oder über Korrespondenten an die heimische Öffentlichkeit. Und für die Popularität der imperialen Expansion war es weit entscheidender, ob ein Militäreinsatz erfolgreich oder fehlgeschlagen war, als ob Nachrichten über Kriegsverbrechen der eigenen Truppen enthüllt wurden.120 Zusammenfassend lässt sich beobachten, dass die Entwicklungen des Medienmarktes und der globalen Berichterstattung in vieler Hinsicht vorteilhaft für die Regierungen in London und Berlin sowie für die Befürworter der imperialen Expansion waren. Die um die Jahrhundertwende neu auf den Markt kommenden Zeitungsformate wie die Daily Mail unterstützten überwiegend eine aktive Imperialpolitik. Allgemein führte der Trend zur Sensationalisierung und Perso­nalisierung zu stereo­typen Darstellungen des nichteuropäischen Kriegsgegners und legitimierte so den Einsatz militärischer Gewalt. Auch die globalen Kommunikationsstrukturen wirkten in diese Richtung: Die ersten eintreffenden Nachrichten nach Ausbruch eines Konflikts kamen häufig von offizieller oder regierungsnaher Seite. Auch sonst lieferten die Quellen der Berichterstattung über Kolonialkriege und imperialistische Interventionen eher Informationen, die darauf abzielten, militärisches Vorgehen zu rechtfertigen. Allerdings standen imperialismuskritischen Zeitungen manchmal auch Quellen zur Verfügung, die für die verantwortlichen Regierungen unangenehme Enthüllungen in die Öffentlichkeit brachten. Insgesamt boten die vorhandenen Informationen häufig Material für Angriffe auf die europäische Politik in der außereuropäischen Welt. Gelegentlich konnten die spezifischen Medienmechanismen sich auch ­nachteilig für die Regierungen auswirken. Rückschläge und Niederlagen europäischer Truppen hatten hohen Nachrichtenwert. Gerade wenn diese mehrfach auftraten und sich Militäreinsätze unerwartet in die Länge zogen, boten sie oppositionellen Zeitungen und Politikern eine willkommene Angriffs­ fläche. In den Jahren vor der Jahrhundertwende waren ­solche Kriege die Ausnahme, danach sollten sie jedoch zunehmend das Bild der imperialen Expansion bestimmen.

119 Am 17. April 1904 etwa kommentierte der Vorwärts die Lage in Südwestafrika folgendermaßen: „Gerade das, was man nicht meldet, was sich aber unschwer ­zwischen den Zeilen lesen läßt, legt die Vermutung nahe, daß der Kampf gegen die Hereros viel schwieriger ist, als man sich eingebildet hat.“ Koloniale Sorgen, in: Vorwärts, Nr. 90, 17. 4. 1904. 120 Vgl. Kap. 2.4. und Kap C.

2 Mediale Kulminationspunkte 1899 – 1902 Die Presseberichterstattung in England und Deutschland stand um 1900 völlig im Bann der imperialistischen Politik der beiden Länder. Die Kriege in Südafrika und China stellten mit Blick auf die Aufmerksamkeit, die ihnen die Presse widmete, nicht nur alle anderen hier behandelten imperialen Militäreinsätze in den Schatten, sondern sie dominierten auch die politische Debatte insgesamt.1 Zugleich stellten beide Kriege wichtige Wendepunkte in der Wahrnehmung der imperialen Expansion und in den britisch-­deutschen Beziehungen dar. Im Folgenden soll zunächst die englische Berichterstattung über den Burenkrieg untersucht werden, wobei der Popularitätswandel von Krieg und Regierung im Mittelpunkt der Analyse steht. Bei der Untersuchung des Boxerkriegs liegt der Schwerpunkt auf der öffentlichen Debatte in Deutschland, da insbesondere die Regierung in Berlin versuchte, die Ereignisse in China für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Danach wird gezeigt, wie es im Kontext der imperialen Expansion zu einer irreversiblen Verschlechterung der Bilder kam, die sich England und Deutschland wechselseitig zuschrieben. Abschließend wird die öffentliche Wahrnehmung der imperialen Expansion behandelt. Nach anfänglichen Prestigeerfolgen büßten die verantwortlichen Regierungen deutlich an Zustimmung zu ihrer um die Jahrhundertwende verfolgten Politik in der außereuropäischen Welt ein.

2.1 Zunehmende Kompromissbereitschaft: Der Burenkrieg Unter allen in dieser Studie untersuchten Kriegen war der Kampf z­ wischen dem Britischen Empire und den Burenrepubliken Transvaal und Oranje-­Freistaat der Militäreinsatz mit den höchsten Kosten und das Medienereignis, das am

1 Die Suche nach „South Afrika“ (10. 10. 1899 – 4. 6. 1902) im Times Digital Archive ergibt 13 206 Treffer, die nach „China“ (19. 6. 1900 – 8. 9. 1901) 5 059 Treffer. Zur politischen Debatte insgesamt vgl. die Jahresrückblicke 1899, in: The Times, Nr. 36026, 30. 12. 1899, S. 9 – 11; 1900, in: The Times, Nr. 36339, 31. 12. 1900, S. 11 f.; 1901, in: The Times, Nr. 36652, 31. 12. 1901, S. 7 f.; 1902, in: The Times, Nr. 36965, 31. 12. 1902, S. 6 – 8; Prosit Neujahr, in: Berliner Morgenpost, Nr. 1, 1. 1. 1901, sowie die Karikatur Internationaler Sylvesterball, in: Berliner Morgenpost, Nr. 1, 1. 1. 1901.

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meisten Aufmerksamkeit auf sich zog. Er war der einzige Kolonialkrieg, über den die Times unter der Überschrift „The War“ berichtete, die sie sonst nur bei zwischenstaatlichen Kriegen wie dem Spanisch-­Amerikanischen Krieg oder dem Russisch-­Japanischen Krieg verwendete. In mancher Hinsicht wies allerdings auch der Krieg in Südafrika Charakteristika eines Staatenkrieges auf. Bei den Buren handelte es sich um Immigranten aus Europa, das Empire kämpfte also gegen einen ‚weißen‘ Gegner, der für große Teile der kontinentaleuropäischen Presse nicht mit den typischen Gegnern in Kolonialkriegen vergleichbar war. Dem Ausbruch des Krieges gingen diplomatische Verhandlungen, ein Ultimatum und eine formelle Kriegserklärung voraus; die erste Phase des Krieges war von Schlachten und Belagerungen geprägt. Zwar warfen sich beide Seiten vor, die Regeln der ‚zivilisierten‘ Kriegsführung nicht einzuhalten, aber gerade weil es sich um einen Krieg z­ wischen ‚Weißen‘ handelte, hatten s­ olche Vorwürfe eine größere politische Brisanz als üblicherweise in Kolonialkriegen. Aus medienhisto­ rischer Perspektive unterschied sich der Burenkrieg nicht zuletzt von anderen ‚Aufständen‘ oder ‚Rebellionen‘, weil große Teile der kontinentaleuropäischen Presse offen mit den Buren sympathisierten und weil Journalisten die Truppen beider Seiten begleiten konnten. (Wenn auch die Berichterstatter im Lager der Buren mit sehr eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten nach Europa arbeiten mussten.)2 Nichtsdestotrotz weist der Burenkrieg alle Definitionsmerkmale eines Kolonialkriegs auf. Aus der Perspektive Londons unterstand die Republik Transvaal der Suzeränität des Empires, und das Streben der Buren nach staatlicher Eigenständigkeit bildete eine wesentliche Ursache für den Ausbruch der Gewalt. Ziel der britischen Regierung war es, die imperiale Vorherrschaft des Empires im südlichen Afrika zu sichern und die beiden Burenrepubliken in das Territorium des eigenen Kolonialreichs zu integrieren. Wenngleich es sich bei den Buren um ‚weiße‘ Gegner handelte, stellte die englische Presse sie doch als kulturell unterlegen dar. Gerade vor und zu Beginn des Krieges entsprach das Bild der Buren in vielerlei Hinsicht der typischen Darstellung nichteuropäischer Gegner, und die Regierung sowie die sie unterstützende Presse legitimierten den Militäreinsatz mit dem Argument, dass durch ihn die ‚Zivilisation‘ in Südafrika verbreitet werde.3 2 Vgl. Kap. A. 3 Die Forschung hat sich bereits ausführlich mit der Mediengeschichte d ­ ieses Krieges befasst. Von Kenneth Owen Morgan liegt ein Aufsatz zum gesamten Medienereignis

Zunehmende Kompromissbereitschaft: Der Burenkrieg

Anders als viele Kolonialkriege, bei denen durch den Ausbruch der Gewalt eine zuvor wenig beachtete Region auf einmal in den Fokus der Medienaufmerksamkeit rückte, stand der Konflikt z­ wischen dem Empire und der B ­ urenrepublik Transvaal schon Jahre vor Kriegsbeginn im Zentrum der Presseberichterstattung. Insbesondere der Jameson Raid trug dazu bei, dass die Zeitungen in England die Entwicklung in Südafrika genau verfolgten.4 Für Chamberlain war Südafrika von ­diesem Zeitpunkt an das bevorzugte Thema, um das Interesse der Öffentlichkeit am Empire aufrechtzuerhalten. Immer wieder hielt er Reden oder ließ offizielle Stellungnahmen verbreiten, um für die eigene Position zu ­diesem Konfliktherd zu werben. Zudem pflegte das Colonial Office gezielt Kontakte zu Journalisten, die in dieser Frage der Regierung nahestanden. Zugleich nutzte er die Stimmung in England, um Druck auf die Burenrepublik auszuüben. Im Mittel­punkt standen dabei die ‚grievances‘ der Uitlanders: Die britische Regierung und große Teile der englischen Presse warfen der Republik Transvaal vor, die kontinuierlich wachsende Gruppe der europäischen, hauptsächlich britischen Immigranten systematisch zu diskriminieren.5 Die ‚grievances‘ wurden allerdings von der Presse gelegentlich schon thema­ tisiert, bevor sie infolge des Jameson Raid ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit rückten. Ein leader der Times beschrieb am 10. Oktober 1895 die ­Situation folgendermaßen:

vor, vgl. Ders., Boer War, 2002; zudem existieren zahlreiche Studien zu Einzelaspekten, vgl. Beaumont, The Liberal Press, 2000; Dies., British Press, 2005; Harrington, Pictorial Journalism, 2000; Stearn, Boer War Image-­maker, 2000; Wilkinson, ‚To the Front‘, 2000; Hampton, Press, 2001; Steinsieck, In Zeiten des Krieges, 2006; insbesondere die Geschichte der Korrespondenten im Burenkrieg ist gut erforscht, vgl. Badsey, War Correspondents, 2000; Steinsieck, Ein imperialistischer Medienkrieg, 2006; die deutsche Wahrnehmung des Krieges ist Thema eines Kapitels in Dominik Gepperts Studie über die deutsch-­britischen „Pressekriege“ und einer Monographie von Steffen Bender. Beide zeigen, wie verbreitet die Anglophobie in der deutschen Presse war: Die meisten Zeitungen sympathisierten mit den Buren, Presseorgane, die Verständnis für das englische Vorgehen äußerten, bildeten hingegen die Ausnahme in der deutschen Öffentlichkeit, vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 125 – 177; Bender, Burenkrieg, 2009. Damit können die folgenden Ausführungen auf einer soliden Basis aufbauen, die durch Quellenrecherchen zum Wandel der Popularität des Krieges und der Debatte über die Verhandlungen mit den Buren ergänzt wurden. 4 Vgl. Kap. 1.1 und Kap 1.8. 5 Vgl. Porter, Origins, 1980, bes. S. 88 – 94, 101 – 104, 114 – 121.

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[T]he uitlander population remains wholly without recognition in the State. No ­language but Dutch is recognized in the Courts, rights of franchise are withheld from the foreigner, the right of public meeting is denied, the taxation of companies has, under the new law of registration, been carried almost to the verge of plunder, and at the end of a list of grievances already so substantial there has come an interference with trade so arbitrary as to amount to a temporary prohibition.6

Nach der Jameson Raid war es nicht nur das Engagement Chamberlains, das eine ausführliche Berichterstattung über die ‚grievances‘ der Uitlander bewirkte. Für Zeitungen wie die Daily Mail war die Diskriminierung der eigenen Landsleute in Transvaal genau die Art von Nachricht, die sich für eine sensationalistische Berichterstattung im Dienste des Empires eignete. In ihren ­Kommentaren setzte sich das Blatt für einen möglichst harten Kurs gegenüber den Buren ein. Am 30. April 1897 wählte die Mail sogar eine Zeile aus dem Jingo-­Song als Überschrift für einen Kommentar, um Kriegsbereitschaft zu signalisieren („We Don’t Want to Fight, but –“).7 Neben der Presse sorgte die im Mai 1896 gegründete ‚South African Association‘ (später ‚Imperial South African Association‘, ISAA ) mit zahlreichen Vorträgen dafür, dass der Konflikt in der Burenrepublik im öffentlichen Bewusstsein blieb. In einem Brief vom Dezember 1897 an das Colonial Office rühmte sich diese Organisation damit, dass ihre Veranstaltungen gleichermaßen von Anhängern aller Parteien besucht würden und deren Zustimmung zeige, dass die regierungskritische Presse und die politischen Führer der Radicals in keiner Weise repräsentativ für ihre Basis s­ eien, wenn es um Südafrika gehe.8 Die Öffentlichkeitsarbeit Chamberlains wandelte sich mit dem Amtsantritt von Alfred Milner als neuem Hochkommissar für Südafrika im Mai 1897. Milner wollte zunächst versuchen, ohne Störungen von Seiten der englischen Öffentlichkeit 6 The Transvaal, in: The Times, Nr. 34704, 10. 10. 1895, S. 7. 7 We Don’t Want to Fight, but –, in: Daily Mail, Nr. 0311, 30. 4. 1897, S. 4. Die Macher der Daily Mail, Alfred Harmsworth und Kennedy Jones, zitierten schon infolge der ­Jameson Raid in ihrem ersten Tageszeitungsprojekt, den Evening News, populäre music hall-­Lieder, vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 107, FN 60. Mit ­diesem offenen Bekenntnis zum populären Imperialismus unterschieden sich die neuen Massenblätter aus dem Hause ­Harmsworth von den traditionellen imperialistischen ‚Qualitätszeitungen‘, die ihr Bekenntnis zum Empire normalerweise vom ‚Jingoismus‘ der Massen abgrenzten. 8 Vgl. Porter, Origins, 1980, S. 108, 162 f.

Zunehmende Kompromissbereitschaft: Der Burenkrieg

vor Ort Fortschritte zu erzielen. Chamberlain respektierte dies und hielt sich von nun an mit publikumswirksamen Aktionen zurück, war allerdings froh, dass Presse und ISAA das Interesse an Südafrika weiterhin aufrechterhielten.9 Milner selbst wurde zu Beginn des Jahres 1898 jedoch zunehmend unzufriedener mit den Ergebnissen seines ruhigen, auf Verhandlung setzenden Kurses und erwog immer ernsthafter die Option eines Krieges zur Lösung der Konflikte in Südafrika. Er versuchte deshalb, die Öffentlichkeiten in Südafrika und England auf einen Konflikt mit den Buren einzustimmen. In Londoner Regierungskreisen stand man inzwischen aber aufgrund der angespannten internationalen Lage zu dieser Zeit einem zu aggressiven Kurs gegenüber der Republik Traansvaal ablehnend gegenüber. Chamberlain selbst bremste seinen Mann in Südafrika und verhinderte eine Wiederaufnahme der Agitation über die ‚grievances‘ der Uitlanders.10 So standen im Jahre 1898 der Spanisch-­Amerikanische Krieg, die Ereignisse in China und der Krieg im Sudan sowie der darauffolgende Konflikt mit Frankreich im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit.11 Um die Jahreswende 1898/99 stieg das Interesse der Medien an Südafrika wieder. Milner selbst hielt sich zu dieser Zeit in London auf und warb in Regierungs- und Pressekreisen für seinen Kurs. Zudem brachte im Dezember 1898 die Meldung, dass ein Polizist in der Republik Transvaal einen Uitlander erschossen habe, die Situation der dortigen Briten erneut auf die Agenda der englischen Zeitungen.12 Auch Chamberlain sah inzwischen wieder die Zeit gekommen, um öffentlichen Druck auf die Buren auszuüben. Für Milner ging Chamberlain allerdings nicht aggressiv genug vor. Zusammen mit dem Südafrikakorrespondenten der Times, W. F. Monypenny, und der ‚South African League‘, einer Organisation der Uitlander, zielte Milner darauf ab, die Frage des Wahlrechts zum Kern des Konfliktes ­zwischen dem Empire und der Republik Transvaal zu machen und die Regierung auf einen möglichst harten Kurs festzulegen.13

9 Vgl. ebd., S. 138, 162 f. 10 Vgl. ebd., S. 144 – 151. 11 In ihrem Jahresrückblick schrieb die Times zu Südafrika: „[A]ffairs have on the whole been quit“. Zugleich erinnerte sie daran, dass die dortigen Probleme noch keinesfalls gelöst ­seien, vgl. 1898, in: The Times, Nr. 35714, 31. 12. 1898, S. 8 – 10, Zitat S. 9. 12 Vgl. Porter, Origins, 1980, S. 183 f., sowie etwa o. T., in: The Pall Mall Gazette, Nr. 24. 12. 1898, S. 2. 13 Vgl. Porter, Origins, 1980, S. 180 – 196.

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Mit dieser Strategie gelang es ihm, die Regierung in London vor sich herzutreiben und Südafrika in den Fokus der politischen Debatte zu stellen. Im Sommer 1899 war Südafrika dann das zentrale Thema der Presse, zahlreiche Versammlungen unterstützten die Regierung in der Forderung nach mehr politischen Rechten für die Uitlanders in der Republik Transvaal. Je mehr sich der Konflikt zuspitzte, desto häufiger wurde jedoch in öffentlichen Resolutionen und Eingaben an das Colonial Office verlangt, auf diplomatischem Weg zu einer Lösung der Probleme in Südafrika zu kommen. Chamberlain war jedoch zuversichtlich, im Falle eines Krieges die öffentliche Meinung auf seiner Seite zu haben. Zwar hielt auch das Kabinett in London einen Krieg nicht für wünschenswert, allerdings schloss es diese Option nicht aus und versuchte durch verstärkten diploma­tischen Druck sowie die Entsendung von Truppen, eine Drohkulisse aufzubauen, um die Burenrepublik zum Nachgeben zu bewegen. Milner hingegen hielt einen Krieg mittlerweile für unvermeidlich und tat in Südafrika alles, um eine friedliche Lösung des Konflikts zu verhindern.14 Letztlich setzte sich Milner mit ­diesem Kurs durch. Die Republik Transvaal knickte angesichts der Drohkulisse nicht ein, stattdessen forderte Präsident Krüger am 9. Oktober 1899 die Briten in einem Ultimatum, dem sich auch die Burenrepublik Oranje-­Freistaat anschloss, zum Rückzug der mobilisierten Truppen auf. Als London das Ultimatum zurückwies, erklärten die Buren, wie von ihnen angekündigt, Großbritannien den Krieg. Die Kriegserklärung ermöglichte es ihnen, in Südafrika die Initiative zu ergreifen, bevor weitere britische Verstärkungen eintrafen. In der englischen Öffentlichkeit jedoch trug das Ultimatum entscheidend zur Legitimation des Krieges bei. Die liberale ­Westminster Gazette titelte am 11. Oktober „The Choice of the Boers“ und begann ihren ­leader mit der Feststellung: „If Mr. Chamberlain could have set down to write the despatch most convenient to him and the Government at this particular moment, he could have done nothing better than the ultimatum from Pretoria.“ 15 Auch wenn die Zeitung der britischen Politik im Vorfeld des Kriegs kritisch gegenübergestanden hatte, sah sie nun keine Alternative zur Unterstützung des Militäreinsatzes. Am 12. Oktober kommentierte sie zur Rolle der Liberalen: „The momentary duty is to support the government in making

14 Vgl. ebd., S. 196 – 257, zur Öffentlichkeit und Presse bes. S. 240 – 245. 15 The Choice of the Boers, in: The Westminster Gazette, Nr. 2057, 11. 10. 1899, S. 1.

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the expedition as prompt and effective as possible, and in convincing the Boers that our strength is in the long run irresistible.“ 16 Damit war die Position der Westminster Gazette im Einklang mit der Position des Führers der Liberalen im Unterhaus, Henry Campbell-­Bannerman. Allerdings waren die Liberalen, wie so häufig in imperialen Fragen, zerstritten. Das Spektrum in Partei und Presse reichte von imperialistischen Stimmen, die den Kurs der Regierung weitgehend unkritisch unterstützten, bis hin zu Kriegsgegnern, die ein sofortiges Ende des Konfliktes forderten und die von der konservativen Presse als ‚pro-­Boers‘ denunziert wurden.17 Ebenso dem Vorwurf ausgesetzt, mit den Buren zu sympathisieren, sahen sich Zeitungen wie der Manchester Guardian, die sich für begrenzte Kriegsziele und ein schnelles Ende der Kämpfe durch Verhandlungen aussprachen.18 Nach Ausbruch der Gewalt herrschte eine weit verbreitete Kriegsstimmung und die konservative Presse forderte einen kompromisslosen Kurs. Die Daily Mail kommentierte am 11. Oktober: „[I]n the end the Boers […] will receive the punishment which their insane attempt to perpetuate an almost barbaric system of government in the nineteenth century most thoroughly deserves.“ 19 In Anbetracht der vorherrschenden Atmosphäre mahnte die Westminster Gazette, die Buren als Gegner zu respektieren und sich nicht dem „bellicose mood of the hour“ hinzugeben.20 Die Kämpfe in Südafrika verliefen zunächst äußerst verlustreich für die B ­ riten. Am Kriegsschauplatz herrschte zwar ein strenges Zensurregime, aber die drastischen Niederlagen der Truppen des Empires ließen sich nicht vor der englischen Öffentlichkeit verheimlichen, und in der Presse nahm die Kritik an der Kriegsführung des Oberkommandierenden Buller zu.21 Insgesamt trug die Berichterstattung über den Konflikt in den englischen Medien allerdings zur Unterstützung der Kriegsanstrengungen bei. Dafür sorgten vor allem die Nachrichten über die Belagerungen Kimberleys, Ladysmiths und Mafekings. Das englische Publikum verfolgte das Schicksal der von den Buren eingeschlossenen Landsleute mit großer

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The Part of Liberals, in: The Westminster Gazette; Nr. 2058, 12. 10. 1899, S. 1. Vgl. Sharpe, The Liberal Party, 2000, S. 4 f.; Beaumont, The Liberal Press, 2000. Vgl. Hampton, Press, 2001. Who Will Rule South Africa?, in: Daily Mail, Nr. 1083, 11. 10. 1899, S. 4. The Opposition and the Coming Session, in: The Westminster Gazette, Nr. 2061, 16. 10. 1899, S. 1. 21 Vgl. Morgan, Boer War, 2002, S. 4.

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Spannung und Anteilnahme. Zahlreiche Kriegskorres­pondenten berichteten aus den belagerten Städten. Zwar hatten die Buren bei Beginn der Belagerung die telegraphischen Verbindungen gekappt, aber Läufer schafften es immer wieder, die Artikel der Journalisten zur nächsten Telegraphenstation zu bringen.22 Im Frühjahr 1900 wendete sich dann das Blatt zugunsten der Briten. Sie nahmen die Hauptstädte der Burenrepubliken im März und Juni ein und kämpften die belagerten Städte nacheinander frei. Zuletzt beendeten sie die Belagerung ­Mafekings und als im Mai 1900 die Nachrichten hierüber in England eintrafen, feierten die Menschen auf den Straßen die Befreiung der eingeschlossenen Landsleute.23 Nach den britischen Erfolgen in der ersten Hälfte des Jahres 1900 sank das Interesse an den Ereignissen in Südafrika wieder. Der Krieg schien praktisch gewonnen und die Zeitungen wandten sich dem im Sommer eskalierenden Konflikt in China zu.24 Die Entscheidung der Regierung am 25. September das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen, um aus den Siegesmeldungen politisches Kapital zu schlagen, rückte Südafrika jedoch wieder in den Mittelpunkt der politischen Debatte. Das Bündnis aus Konservativen und Liberalen Unionisten schaffte es, den Krieg gegen die Buren zum Leitthema des Wahlkampfs zu machen und von der Uneinigkeit der Liberalen in dieser Frage zu profitieren. Diese konnten geschlossen nur die Diplomatie Chamberlains im Vorfeld des Konflikts und die schlechte militärische Vorbereitung des Krieges kritisieren. Auch wenn Henry Campbell-­Bannerman die Liberalen im Juni darauf festgelegt hatte, die ­Annexion der Burenrepubliken zu akzeptieren, stellte die Regierung die Opposition als in imperialen Fragen unzuverlässig dar und warnte, dass im Falle eines liberalen Wahlsiegs die militärischen Erfolge in Südafrika umsonst gewesen ­seien. ­Chamberlain warb für die Regierung mit dem Slogan „a vote for the Liberal is a vote for the Boer“. Die Strategie der unionistischen Regierung ging auf, sie baute ihre Mehrheit im Parlament im Vergleich zum Wahlsieg 1895 sogar noch aus.25 Die Popularität der Regierung und des Krieges hielten allerdings nicht lange an.26 Anders als vor den Wahlen verkündet, war der Krieg keinesfalls vorbei,

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Vgl. Beaumont, British Press, 2005. Zu diesen Feiern vgl. auch Kap. 2.4. Vgl. Morgan, Boer War, 2002, S. 9. Vgl. Sharpe, The Liberal Party, 2000, S. 5 f., Zitat S. 5; Readman, Conservative Party, 2001. Vgl. auch Pelling, Popular Politics, 1968, S. 95.

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sondern sollte sich noch über eineinhalb Jahre hinziehen. Selbst innerhalb konservativer Kreise bestand kein Zweifel an dem Ansehensverlust der Regierung infolge der Unfähigkeit, den Konflikt in Südafrika zu einem schnellen Ende zu bringen. So schrieb der außenpolitische Redakteur des Daily Telegraph, E. B. Iwan Müller, am 6. Oktober 1901 seinem Korrespondenzpartner Arthur Balfour, dem Leader of the House of Commons, die Regierung sei die „least popular of modern times“.27 Balfour verteidigte in seiner Antwort gut eine Woche später zwar die Entscheidungen der Regierung, räumte aber ein: There is nothing surprising in the present tension of public feeling. It was quite ­inevitable that if we failed, as we have, to bring the war to a conclusion at the hoped-­ for date, there would be a feeling of irritable discontent in some quarters.28

Die Nachrichten aus Südafrika boten zudem nicht mehr die spannenden Geschichten, die zu Beginn das Pressebild des Krieges geprägt hatten. Die Times schrieb in ihrem Rückblick auf das Jahr 1901: „There have been no great ­battles, no great sieges, no occupations of capitals, no surrenders of considerable a­ rmies. Instead there have been unending raids, pursuits, skirmishes, small victories, small ­defeats“.29 Nachdem die Buren keine Chance mehr darin sahen, sich den britischen Truppen erfolgreich mit den Mitteln der konventionellen Kriegsführung entgegenzustellen, setzten sie auf eine Guerillastrategie. Kitchener, inzwischen zum Oberkommandierenden der Truppen in Südafrika ernannt, reagierte auf die neue Situation mit dem Niederbrennen burischer Farmen und der Internierung der Zivilbevölkerung in ‚concentration camps‘. Die Maßnahmen des Militärs stießen auf scharfe Kritik in der liberalen Presse, die zuvor vor allem die Regierung in London, nicht aber die Truppen in Südafrika angegriffen hatte. Insbesondere die Berichte von Emily Hobhouse sorgten für eine Kontroverse. Hobhouse war 1901 für den „South African Women and Children Distress Fund“ in die Krisenregion gereist, um in den ‚concentration camps‘ Spenden

27 E. B. Iwan Müller an Arthur Balfour, 6. 10. 1901, in: Arthur Balfour Papers, Bd. CXIV, British Library, S. 64. 28 Arthur Balfour an E. B. Iwan Müller, 14. 10. 1901, in: Ernest Bruce Iwan Müller Papers, British Library, S. 33 – 36. Im P. S. tröstete sich Balfour damit, dass die Presse ihn zwar allgemein zu schlecht bewerte, seine Fähigkeiten beim Golfen aber überschätze. 29 1901, in: The Times, Nr. 36652, 31. 12. 1901, S. 7 f., Zitat S. 7.

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zu verteilen, und war entsetzt von der Lage der Internierten. Nach ihrer Rückkehr verurteilte sie öffentlich die Bedingungen in den Lagern, insbesondere die hohe Todesrate der Frauen und Kinder. Zahlreiche liberale Zeitungen druckten den Bericht ab. Auch der liberale Führer Campbell-­Bannerman verschärfte seine Kritik an dem Militäreinsatz und sprach am 14. Juni 1901 von „methods of barbarism in South Africa“.30 Die Debatte über die Kriegsführung trug sicherlich zur wachsenden Unpopularität des Militäreinsatzes in Südafrika bei. Die Kritik an den Methoden des britischen Militärs blieb allerdings nicht unwidersprochen. Imperialistische Zeitungen wie die Daily Mail verteidigten Kitchener.31 Die Times bezeichnete die ‚concentration camps‘ als „great measure“ und gab dem angeblich mangelnden Hygiene- und Gesundheitsbewusstsein der Buren die Schuld an der hohen Todesrate in den Lagern – eine unter den Verteidigern Kitcheners verbreitete Argumentation.32 Auch im imperialistischen Flügel der Liberalen stieß der Barbarei-­Vorwurf Campbell-­Bannermans auf Widerspruch, was die Uneinigkeit der Opposition wieder einmal zum Thema in der Presse machen sollte.33 Weitaus gefährlicher als die Kontroversen über das Vorgehen des Militärs war für die Regierung, dass der Krieg einfach nicht enden wollte. Die wachsende Unpopularität des Krieges drückte sich allerdings nicht darin aus, dass Zeitungen, die den Krieg zuvor unterstützt hatten, nun die Seite wechselten. Einzige Ausnahme war die Daily News, die zu Beginn des Krieges die Position der liberalen Imperialisten vertreten und Chamberlain unterstützt hatte, aber Anfang 1901 von Kriegskritikern gekauft worden war.34 Abgesehen davon zeigte sich der Wandel in der Popularität des Krieges vor allem darin, dass die imperialistische Presse zunehmend defensiver argumentierte. Auch konservative Zeitungen räumten nun ein, dass eine große Sehnsucht nach dem Ende der Kampfhandlungen im Lande verbreitet sei.35 In Anbetracht dieser Stimmung gewann die Forderung der Liberalen wieder an Attraktivität, nicht auf einer bedingungslosen Kapitulation der Buren zu bestehen,

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Vgl. Morgan, Boer War, 2002, S. 11 f.; Sharpe, The Liberal Party, 2000, S. 6 f. Vgl. Bourne, Lords, 1990, S. 30. 1901, in: The Times, Nr. 36652, 31. 12. 1901, S. 7 f., hier S. 7. Vgl. Sharpe, The Liberal Party, 2000, S. 6 f. Vgl. Beaumont, The Liberal Press, 2000, S. 11. Vgl. etwa 1901, in: The Times, Nr. 36652, 31. 12. 1901, S. 7 f.

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sondern eine Politik der Aussöhnung zu verfolgen.36 Am Ort des Geschehens war Kitchener, der Südafrika so schnell wie möglich verlassen wollte, bestrebt, eine Verhandlungslösung mit den Buren zu erzielen. Dies stieß allerdings auf die Opposition Milners, der ganz auf einen militärischen Sieg setzte. Als Kitchener im Frühjahr 1901 das Gespräch mit dem Burengeneral Botha suchte, setzte sich Milner durch. Die Angebote, die Kitchener den Buren im Gegenzug für ihre Aufgabe machen wollte, wurden von Chamberlain in einigen Punkten gemindert, die Verhandlungen scheiterten. Ob Kitchener auf Basis seiner ursprünglichen Vorschläge mit den Buren einen Frieden hätte schließen können, ist rückblickend schwer zu sagen.37 Aber nachdem die Korrespondenz ­zwischen den beteiligten Akteuren veröffentlicht worden war, kritisierten die Opposition im Parlament und die liberale Presse die Regierung für die Änderungen an den ursprünglichen Vorschlägen Kitcheners. Der Manchester Guardian zeigte sich überzeugt, dass vor allem die Intervention der Regierung für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich gewesen sei. Am 23. März kommentierte er: The best part of Lord Kitchener’s suggestions were watered down by Sir Alfred Milner and iced by Mr. Chamberlain. […] The sum and substance of the story of the negotiations is, then, that, left to themselves, Lord Kitchener and General Botha would have come to terms and that Mr. Chamberlain intervened and prevented them.38

Die Times hingegen wies die Kritik an den in ihren Augen kleinen Modifikationen durch die Regierung zurück und schob allein den Buren die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen zu: Everybody is anxious that so costly, difficult, and destructive a struggle should come to an end, but, with the exception of a minority which certainly does not include one half of the Liberal party throughout the country, all are persuaded that the only

36 Am 5. Dezember freute sich der Manchester Guardian in einem Kommentar darüber, dass sich die nach Ausbruch des Krieges zerstrittenen Liberalen nun mit großer Mehrheit gegen die Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation und für Verhandlungen mit den Buren aussprächen, vgl. o. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 17261, 5. 12. 1901, S. 7. 37 Vgl. Pakenham, The Boer War, 1979, S. 487 – 491, 499 – 501, sowie Kap C. 38 The Peace Negotiations, in: The Manchester Guardian, Nr. 17041, 23. 3. 1901, S. 9.

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way to secure a lasting peace is to prosecute the war until the Boers themselves have recognized that resistance is hopeless.39

Ob die Unterstützung für die Fortführung des Krieges wirklich so verbreitet war, wie die Times es darstellte, ist zweifelhaft. Im gleichen Artikel kritisierte sie Campbell-­Bannerman dafür, dass er sich immer weiter auf die Position der ‚Pro-­ Boers‘ in seiner Partei zubewege.40 Allerdings gab es auch keine breite Massen­ bewegung und keine größeren Demonstrationen, die ein Ende des Militär­einsatzes forderten. Die wachsende Unpopularität des Krieges zeigte sich stattdessen in zunehmendem Desinteresse an den Ereignissen in Südafrika. So wies die Nachrichtenagentur Reuters ihre Korrespondenten vor Ort im Mai 1901 an: „Owing to the fact that the interest in the war is not so great as formerly, items of purely local interest should be omitted.“ 41 Als die Regierung schließlich Anfang Juni 1902 das Ende des Krieges verkünden konnte, war die Erleichterung im Land groß. Die Buren hatten sich bereit erklärt, die Annexion der Republiken zu akzeptieren, im Gegenzug hatte die britische Regierung Zusagen für die zukünftige Politik in Südafrika gegeben, die unter anderem die Behandlung der vorherigen Kriegsgegner, die zukünftige Verwaltung der ehemaligen Burenrepubliken und finanzielle Regelungen für den Wiederaufbau der burischen Farmwirtschaft betrafen. Der Manchester Guardian lobte die Regierung, sie habe mit diesen Zusagen ihre vergangene, verfehlte Politik aufgegeben. Damit sei sie nicht den Stimmen gefolgt, die eine bedingungslose Unterwerfung des Gegners gefordert hatten, sondern habe stattdessen die Richtigkeit der liberalen Position anerkannt. Zugleich merkte er kritisch an, dass mit den nun gemachten Zusagen schon ein Jahr zuvor Frieden möglich gewesen wäre.42 Das Reynolds’s Newspaper interpretierte die Friedensbedingungen sogar als Niederlage der Regierung und druckte eine Karikatur, in der John Bull, die Personifizierung Englands, auf den Knien einem Buren die Friedensbedingungen überreicht.43 Die Times hingegen betonte, dass genau die Kriegsziele erreicht worden ­seien, die man zu Beginn des Konfliktes formuliert hatte, und dass die Zusagen, die

39 40 41 42 43

1901, in: The Times, Nr. 36652, 31. 12. 1901, S. 7 f., Zitat S. 8. Vgl. ebd. LN 524, 1/910101, Reuters Archive. The Terms of Peace, in: The Manchester Guardian, Nr. 17414, 3. 6. 1902, S. 6. After 2 ½ Years, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2704, 8. 6. 1902, S. 4 (Abb. 3).

Zunehmende Kompromissbereitschaft: Der Burenkrieg

Abbildung 3  Reynolds’s Newspaper, 8. Juni 1902

den Buren gemacht worden waren, sich nicht substanziell von den vor einem Jahr offerierten unterschieden.44 Trotz aller Auseinandersetzungen, welcher Partei der Ausgang des Krieges nun recht gab, war Freude über das Ende der Gewalt das vorherrschende Gefühl. Nach zweieinhalb Jahren Krieg und mehr als 20 000 toten Soldaten, die das Britische Empire zu beklagen hatte, war die Bevölkerung in England kriegsmüde. In der Times konnte man lesen: „[W]e are all legitimately glad to have reached the end of a struggle which has been costly and severe“.45 Und das Reynolds’s Newspaper druckte neben der Karikatur, die den Friedensschluss als Niederlage Englands darstellte, eine weitere, die zuvor in der Daily News erschienen war und in der sich ein Engländer und ein Bure, beide sichtlich vom Kriege angeschlagen, die Hand reichten: „Peace on Terms which Brave Men Can Accept“.46 Aber auch wenn der Krieg im Juni 1902 zu Ende ging, sollte er die englische Öffentlichkeit noch einige Jahre beschäftigen. Eine Untersuchungskommission sorgte dafür, dass die schlechte militärische Vorbereitung weiter Gegenstand der

44 Vgl. The Terms of Surrender, in: The Times, Nr. 36784, 3. 6. 1902, S. 9; The Peace, in: The Times, Nr. 36785, 4. 6. 1902, S. 11. 45 The End of the War, in: The Times, Nr. 36784, 3. 6. 1902, S. 9. 46 Peace on Terms which Brave Men Can Accept. Cartoon by Walter Crane, A. R. W. S. Reproduced from the London Daily News of June 2, 1902, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2704, 8. 6. 1902, S. 5 (Abb. 4).

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Abbildung 4  Reynolds’s Newspaper, 8. Juni 1902

politischen Debatte blieb, und die Opposition war stets bemüht, die Erinnerung an diesen unpopulären Krieg wachzuhalten. Allerdings bedeutete das Ende der Kampfhandlungen zugleich auch das Ende des Burenkrieges als europäisches Medienereignis. Sowohl die Times als auch der Manchester Guardian zeigten sich erleichtert, dass der Friedensschluss mit den Buren im Ausland mehrheitlich begrüßt wurde.47 Mit dem Krieg endete die Berichterstattung zu einem Thema, das über Jahre hinweg zur Anglophobie auf dem Kontinent beigetragen hatte. Die europäische Presse hatte den Krieg in Südafrika so aufmerksam verfolgt wie sonst keinen Kolonialkrieg einer anderen Nation. Im Sommer 1900 brach jedoch

47 Vgl. The Peace, in: The Times, Nr. 36785, 4. 6. 1902, S. 11; Peace and Conciliation, in: The Manchester Guardian, Nr. 17415, 4. 6. 1902, S. 6.

Rachegefühle und Kostendebatte: Der Boxerkrieg

ein Imperialkrieg aus, der für einige Monate nicht nur ähnlich große internationale Aufmerksamkeit auf sich zog, sondern in dem alle imperialistischen Staaten militärisch involviert waren und gemeinsam gegen einen nichteuropäischen Gegner vorgingen.

2.2 Rachegefühle und Kostendebatte: Der Boxerkrieg Während die internationale Debatte über den Burenkrieg zu einer Verschärfung der innereuropäischen Spannungen führte, stand der Boxerkrieg ganz im ­­Zeichen der Kooperation – oder zumindest des Appells zur Zusammenarbeit gegenüber einer Gefahr, die in den Augen der europäischen Presse alle ‚zivilisierten‘ Staaten betraf. Von Juni 1900 an führten sechs europäische Staaten sowie die USA und Japan Krieg gegen China, und die dramatischen Ereignisse im Krisengebiet standen für Monate im Fokus der englischen und deutschen Presse.48 Wie der Burenkrieg weist auch der Boxerkrieg sowohl die Charakteristika eines Staatenkriegs als auch die eines Imperialkriegs auf.49 Zum einen waren gerade zu Beginn des Konflikts Schlachten und Kämpfe z­ wischen den Truppen

48 Die medienhistorische Forschung hat sich bereits eingehend mit dem Boxerkrieg beschäftigt, von Thoralf Klein liegt eine kurze, aber prägnante Skizze des gesamten Medienereignisses vor, vgl. Ders., Propaganda, 2007; auch in seinen übrigen Publikationen zum Boxerkrieg thematisiert Klein stets die Mediengeschichte ­dieses Ereignisses, vgl. Ders., Straffeldzug, 2006, S. 163 – 172, sowie den Bericht zu einer von Thoralf Klein organisierten Konferenz hierzu: Methfessel, Tagungsbericht „The Boxer War and its Media“, 2009; ­darüber hinaus existieren mehrere Studien zur Berichterstattung in einzelnen Ländern und Zeitungen sowie zu bestimmten Aspekten der öffentlichen Darstellung ­dieses Konflikts, vgl. zur Berichterstattung in Deutschland: Trampedach, „Yellow Peril“?, 2002; Lu Yixu, Germany’s War, 2008; Alsmeier, Berichterstattung, 2008; zur ‚Hunnenrede‘: Sösemann, Die sog. Hunnenrede, 1976; Ders., Pardon, 1991; Reinermann, K ­ aiser, 2001, S. 206 – 211; Bösch, Öffentliche Geheimnisse, 2009, S. 402 – 405; zu den Reichstagsdebatten in Deutschland: Wieland/Kaschner, Reichstagsdebatten, 2002; Wieland, Reichstagsdebatten, 2007; zur englischen Presse: Fabian, Instrumentalisierung, 2011, S. 69 – 75; unter anderem zur Berichterstattung der Times und den Karikaturen über den Boxerkrieg: Elliott, Some did it for Civilisation, 2002, sowie die medienhistorischen Beiträge in Bickers/Tiedemann (Hg.), Boxers, 2007. Für die folgende Darstellung des Boxerkriegs als Medienereignis konnte die bisherige Forschung durch eigene Quellenrecherchen ergänzt werden. 49 Vgl. auch Klein, The Boxer War – The Boxer Uprising, 2008.

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der imperialistischen Staaten und dem chinesischen Militär ein wichtiges Thema der Presse. Die chinesische Armee hatte erst kurz zuvor einen Modernisierungsprozess durchgemacht und bereitete den europäischen, amerikanischen sowie japanischen Truppen weitaus mehr Probleme, als es nichteuropäische Gegner bisher im Rahmen konventioneller Schlachten und Kämpfe getan hatten.50 Zum anderen aber hatten die alliierten imperialistischen Staaten China nicht den Krieg erklärt, offiziell bekämpfte man dort nur ‚Unruhen‘. Zudem war China nicht als gleichwertiger Staat anerkannt; die Darstellung des ‚barbarischen‘ Gegners in den Öffentlichkeiten der europäischen Staaten unterschied sich kaum von der in Kolonialkriegen. Nicht zuletzt hatte der Militäreinsatz das Ziel, das System der imperialistischen Einflussnahme auf die Entwicklung Chinas aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus kämpften die gegen China verbündeten Staaten nicht nur gegen das chinesische Militär, sondern auch gegen die ‚Boxer‘, eine Volksbewegung, die sich gegen die Präsenz der imperialistischen Staaten und deren Einflussnahme auf die chinesische Politik auflehnte.51 Der Boxeraufstand hatte seine Ursprünge im Norden der deutschen ‚Einflusssphäre‘ Shandong, er breitete sich seit 1899 in Nordchina aus und erreichte im Mai 1900 die Gegend um Peking. Unter der Parole „Unterstützt die Qing, vernichtet die Fremden“ gingen die Boxer gewaltsam gegen chinesische Christen, Missionare sowie die in China lebenden Ausländer vor.52 Die Vertreter der imperialistischen Staaten zeigten sich zunehmend beunruhigt über die Boxerbewegung. Auf ihr Drängen hin wurden Kriegsschiffe vor den zur Stadt Tianjin (zeitgenössisch: Tientsin) gehörigen Hafenbefestigungen, den Daguforts (Takuforts), zusammengezogen, um eine Drohkulisse aufzubauen und die chinesische Regierung zu einem harten Durchgreifen gegen die Boxer zu zwingen. Am 16. Juni forderten die Marinekommandeure der europäischen Staaten und Japans die Übergabe der Daguforts binnen weniger Stunden. Der dortige chinesische Befehlshaber lehnte dies allerdings ab, und am folgenden Tage stürmten Truppen der imperialen Mächte die Forts. Auch in Peking eskalierte kurz darauf die Lage: Am 20. Juni erschoss ein chinesischer Soldat den deutschen Gesandten Clemens von Ketteler, noch am gleichen Tag begann die

50 Vgl. Klein, Straffeldzug, 2006, S. 154 f. 51 Die Begriff ‚Boxer‘ geht auf die Selbstbezeichnung der chinesischen Aufständischen zurück: „Yihequan“, auf Deutsch: „In Rechtschaffenheit vereinigte Faustkämpfer“, später „Yihetuan“, „In Rechtschaffenheit vereinigte Milizen“, vgl. ebd., S. 148. 52 Zit nach ebd., S. 149.

Rachegefühle und Kostendebatte: Der Boxerkrieg

Belagerung des Gesandtschaftsviertels in Peking durch Boxer und chinesisches Militär. Die chinesische Regierung, die der Boxerbewegung zunächst uneinheitlich und zögernd gegenüberstand und zeitweise durchaus versucht hatte, sie zu unterdrücken oder zumindest einzudämmen, schwenkte nun auf Kriegskurs ein und solidarisierte sich mit den Boxern.53 Schon vor der Zuspitzung der Situation Mitte Juni berichteten die englischen und deutschen Zeitungen über fremden- und christenfeindliche Ausschreitungen der Boxer und forderten die Mächte auf, zum Schutz der Europäer gemeinsam aktiv zu werden. Dabei erschien die Lage in China den meisten Zeitungen immer bedrohlicher, allerdings war der Boxeraufstand zu dieser Zeit nur ein Thema unter mehreren und nicht unbedingt das wichtigste.54 Der Vorwärts maß den Ereignissen noch am 14. Juni 1900 „keine größere Bedeutung“ bei: Eine Gefahr stelle vor allem die Rivalität der Mächte dar, die zu einem Weltkrieg führen könnte, wahrscheinlich sei jedoch, dass am Ende China wieder zu „allerlei Garantien und Konzessionen gezwungen“ werde.55 Mit dem Beginn der Kampfhandlungen in Tianjin stand China dann aber im Fokus des Medieninteresses. Dass die letzte Nachricht aus Peking vom 14. Juni datierte (die Boxer hatten die telegraphische Leitung gekappt), erhöhte darüber hinaus die Besorgnis in Europa. Das Fehlen authentischer Nachrichten aus Peking hielt die hauptsächlich briti­ schen Zeitungskorrespondenten in Shanghai jedoch nicht davon ab, Berichte über die Lage im Gesandtschaftsviertel zu kabeln, die die Dramatik der tatsächlichen Ereignisse in Peking sogar noch übertrafen. Den Tod des deutschen Gesandten meldeten englische Zeitungen schon am 16. Juni, vier Tage bevor er starb.56 Am gleichen Tag erschien auch die Falschmeldung, dass die Boxer alle Gesandtschaften zerstört hätten.57 Die Presse spekulierte über das Schicksal der Eingeschlossenen, teilweise kamen Gerüchte aus China, denen zufolge alle Europäer in Peking ermordet worden s­ eien. Mehrheitlich bewertete die 53 Vgl. zum Boxeraufstand: Esherick, Origins, 1987; Cohen, History, 1997; zur chinesischen Regierung und dem Beginn des Boxerkrieges: Xiang, Origins, 2003. 54 Vgl. Klein, Propaganda, 2007, S. 174 f., sowie zur deutschen Presse: Alsmeier, Berichterstattung, 2008, S. 47 – 61. 55 Zur Lage in Ostasien, in: Vorwärts, Nr. 135, 14. 6. 1900. 56 Für eine mögliche Erklärung, wie es hierzu kommen konnte, vgl. Xiang, Origins, 2003, S.  343 – 345. 57 Vgl. Asien, in: Kölnische Zeitung, Nr. 465, 17. 6. 1900, Sonntag-­Ausgabe. Die Meldung bezog sich auf Londoner Abendblätter des Vortags.

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Presse die Zuverlässigkeit dieser Meldungen zwar skeptisch, traute den Chine­ sen s­ olche Aktionen aber durchaus zu. Auch Zeitungen, die sich von dieser Form des Journalismus distanzierten, druckten die Nachrichten oder setzten sich mit ihnen auseinander.58 Gerade weil man nichts Genaues über die Situation in Peking wusste, ­hatten die dortigen Ereignisse einen extrem hohen Nachrichtenwert. Insbesondere die Daily Mail und das erst kurz zuvor auf den Markt gebrachte Konkurrenzblatt Daily Express lieferten sich einen Wettbewerb über die aktuellsten und sensationellsten Nachrichten aus Peking. Der Shanghai-­Korrespondent des Express berichtete nach London, dass er chinesischen Offiziellen eine hohe Geldsumme für authentische Nachrichten angeboten habe.59 Am 16. Juli schien das Schicksal der Eingeschlossenen in Peking besiegelt, telegraphische Nachrichten aus Shanghai meldeten unter Berufung auf den Gouverneur von Shandong, dass alle Fremden in Peking massakriert worden s­ eien. Fast alle Zeitungen untermalten die Nachricht mit einem Bericht der Daily Mail, der detailliert den letzten Verzweiflungskampf der Europäer in Peking beschrieb.60 Der Daily Express betonte bei dieser Gelegenheit, dass die neu eingetroffene Meldung die Artikel seines Korrespondenten belegten, der den Tod der Eingeschlossenen schon früh gemeldet habe, und lobte die Zuverlässigkeit des eigenen Berichterstatters.61 Als dann am 20. Juli eine chiffrierte Nachricht des amerikanischen Gesandten in Washington eintraf – sie wurde von chinesischer Seite zugelassen, um zu beweisen, dass die Eingeschlossenen in Peking noch lebten –, konnte sich der Express die Nachricht nur damit erklären, dass das amerikanische Codebuch nach der Plünderung des Gesandtschaftsviertels in die Hände von chinesischen Offiziellen

58 Vgl. etwa Die Ereignisse in China. Der Gesandtenmord in Peking. – Bombardement und Einnahme der Forts von Taku, in: Berliner Morgenpost, Nr. 140, 19. 6. 1900; Der ­Schrecken in China, in: Vorwärts, Nr. 156, 8. 7. 1900. 59 Bad News of Tientsin. Artillery of Allied Force Hopelessly Outclassed. £ 1,000 Offered by „Express“. For Authentic News of Peking, but with no Result, in: Daily Express, Nr. 71, 14. 7. 1900, S.  1. 60 The Pekin Massacre. All White Men, Women, and Children Put to the Sword. Awful Story of the 6th and 7th July. How Our People Died Fighting Prince Tuan’s Hordes. Full Details From Our Special Correspondent, in: Daily Mail, Nr. 1321, 16. 7. 1900, S. 5. Für einen Wiederabdruck mit Danksage an die Daily Mail vgl. The Massacre in Peking, in: The Times, Nr. 36195, 16. 7. 1900, S. 11. 61 The Moral of Peking, in: Daily Express, Nr. 72, 16. 7. 1900, S. 4.

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gefallen sein musste.62 Obwohl das Außenministerium der Vereinigten Staaten die Nachricht für authentisch hielt, äußerten sich viele Zeitungen in Europa skeptisch und erörterten die Möglichkeit einer chinesischen Fälschung. Sicher, dass die Eingeschlossenen wirklich tot waren, war man sich aber auch nicht mehr.63 Wie gewöhnlich nach Aufständen in nichteuropäischen Regionen begann nach der Zuspitzung der Ereignisse in China die Debatte über die Ursachen des Gewaltausbruchs in der europäischen Presse. Einige englische Zeitungen spekulierten sogar für kurze Zeit über die Möglichkeit, dass eine russische Verschwörung für den Aufstand verantwortlich sei.64 Etwas ernsthafter und ausführlicher diskutierte die Presse, inwieweit die christliche Mission in China durch ihr häufig taktloses Verhalten zur Entstehung des Kriegs beigetragen habe. Premierminister Salisbury selbst mahnte hierzu in einer Rede mehr Zurückhaltung an und die englischen Zeitungen stimmten ihm zu.65 Auch die kolonialkritische deutsche Presse gab der Mission eine Schuld am Ausbruch der Gewalt. Während der Vorwärts sich noch 1897 mit Kritik an den Missionaren zurückgehalten hatte, thematisierte er nun in mehreren Artikeln deren Wirken und Verantwortung für die jüngste Entwicklung. Dafür konnte er sich auf Diplomaten berufen,66 aber auch auf Missionare, die die Missionare der jeweils anderen Konfession kritisierten.67 Den Missionaren wurde erstens vorgeworfen, dass sie kein Taktgefühl gegenüber der chinesischen Kultur zeigten und übereifrig missionierten. Zweitens kritisierte man, dass sie bei jeder Kleinigkeit die Gesandten in Peking zur diplomatischen Intervention aufriefen. Drittens wurde schließlich auf den schlechten Ruf und Charakter der chinesischen Christen verwiesen. Der Vorwärts zitierte dazu das bayrische Zentrumsblatt „Neue bayrische Landeszeitung“: „Der größte Fehler der Missionare besteht darin, dass sie jeden Taugenichts in Schutz nehmen zu müssen glauben, sobald er den Titel eines Christen führt.“ 68 62 63 64 65

Li – and Lies, in: Daily Express, Nr. 77, 21. 7. 1900, S. 4. Vgl. etwa Premature, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 11017, 21. 7. 1900, S. 1. W. F. W., Notes About, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10990, 20. 6. 1900, S. 1. Vgl. West Upon East, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10990, 20. 6. 1900, S. 1; The Situation in China, in: The Times, Nr. 36173, 20. 6. 1900, S. 11. 66 Der Fremdenkrieg, in: Vorwärts, Nr. 149, 30. 6. 1900; Die Schuld der Missionare, in: ­Vorwärts, Nr. 189, 16. 8. 1900. 67 Die Mission in China, in: Vorwärts, Nr. 178, 3. 8. 1900. 68 Die Schuld der Missionare, in: Vorwärts, Nr. 189, 16. 8. 1900.

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Die beiden großen Zentrumsblätter hingegen verteidigten die Mission.69 Die Kölnische Volkszeitung druckte ein längeres Gespräch mit Bischof Anzer, der jegliche Schuld der katholischen Mission bestritt und darauf verwies, dass er von allen höheren chinesischen Beamten aus seinem Bezirk Briefe erhalten habe, die dies bestätigten. Allerdings räumte er ein, dass es manchen Europäern an Feingefühl mangele und nannte das Beispiel eines amerikanischen Missionars in China. Zuletzt erwähnte die Kölnische Volkszeitung, dass Anzer einige Erlebnisse erzählt habe, „aus w ­ elchen hervorgeht, wie aufopferungsfähig und mutig die eingeborenen Christen sein können“.70 Kaum Thema waren die Missionare hingegen für die Berliner Morgenpost.71 Die Ereignisse in Peking dominierten regelmäßig ihre Titelseiten, und sie bereitete die Nachrichten in einer sensationalistischen Weise auf, die ganz ihrem Anliegen entsprach, möglichst hohe Verkaufszahlen zu erzielen.72 Die Rolle der Missionare in d ­ iesem Konflikt war für sie aber offensichtlich kein Thema, mit dem sich ein möglichst breiter Leserkreis ansprechen ließ. Wenn sie zu dieser heiklen Frage eine Position bezogen hätte, wäre dies wohl bei einem Teil ihrer Abonnenten auf Widerwillen gestoßen. Ein weiterer Grund, der häufig für den Ausbruch des chinesischen Volkszorns genannt wurde, waren die Annexionen der imperialistischen Staaten infolge der deutschen Besetzung Kiautschous. Da die Presse in England die Landnahmen ohnehin misstrauisch verfolgt hatte (wenngleich sich die britische Regierung mit der Pachtung Weihaiweis selbst an dem Wettlauf beteiligt hatte), schien ihr diese Erklärung durchaus plausibel. Die Pall Mall Gazette kommentierte am

69 Vgl. Die katholischen Missionen in China, II., in: Germania, Nr. 154, 10. 7. 1900, Zweites Blatt; Die Wirren in China. Über die Ursache der Katastrophe in China, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 620, 9. 7. 1900, Zweites Blatt; Verschulden die katholischen Missionen die Wirren in China?, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 639, 15. 7. 1900, Zweites Blatt. 70 Die Ereignisse in China. Bischof v. Anzer über die Lage in China, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 668, 24. 7. 1900, Zweites Blatt. Eine kurze Zusammenfassung: Die Wirren in China, in: Germania, Nr. 168, 26. 7. 1900, Erstes Blatt. 71 Missionskritische Argumente finden sich nur in der Wiedergabe eines Artikels des ehemaligen deutschen Gesandten in China, Max von Brandt, vgl. Der Krieg in China. Amerika als Friedensmakler, in: Berliner Morgenpost, Nr. 226, 27. 9. 1900. Am 19. September druckte die Morgenpost zudem einen Bericht über „Die Leiden Eines Missionars“ ab, den zuvor die „Kölnischen Volkszeitung“ veröffentlich hatte, vgl. Deutschland und China, in: Berliner Morgenpost, Nr. 219, 19. 9. 1900. 72 Vgl. Lu Yixu, Germany’s War, 2008, bes. S. 208; Methfessel, „Oxident gegen Orient“, 2009.

Rachegefühle und Kostendebatte: Der Boxerkrieg

20. Juni mit Blick auf die Rivalitäten der Mächte in den letzten Jahren und die damit verbundene Aufteilung Chinas in ‚Interessensphären‘: It is against that new form of acquisitiveness that the ‚Boxer‘ movement has made its hideously barbarous protest; and however much Europe may declaim against its savagery, the fact remains that there is patriotism of a sort behind these hideous slaughters of inoffensive converts.73

In Deutschland argumentierte vor allem der Vorwärts, dass die imperialistische Politik für den Ausbruch des Aufstandes verantwortlich sei. Er betonte die Verantwortung der Reichsleitung und die Rolle, die die Besetzung Kiautschous gespielt habe. Am 17. Juni kommentierte er, dass die „chinesische Frage […] durch die deutsche Invasion von 1898 aufgerollt worden“ sei: „Das deutsche Reich trägt die moralische Verantwortung für alle Folgen jener impulsiven Handlung.“ 74 Zur Untermauerung seiner Argumentation stützte sich der Vorwärts auf einen Artikel von Bischof Anzer aus der Zeit, als das Verhältnis ­zwischen deutscher Politik und Mission von Konflikten geprägt war. Darin war über die Christenverfolgung zu lesen: „Der erste und bedeutendste Grund der Verfolgung war also die Besetzung von Kiautschou.“ 75 Als Anfang Juli eine Nachricht eintraf, die den Tod Kettelers bestätigte, gab der Vorwärts der „europäischen Politik der gepanzerten Faust“ die Schuld an der Eskalation der Gewalt. Die Annexionen s­ eien ein Verstoß gegen das Völkerrecht gewesen, nun dürfe man sich „weder darüber beklagen noch darüber wundern, wenn das von den europäischen Mächten als vogelfrei behandelte China seinerseits den Vorschriften, die im Verkehr der Völker Geltung haben sollen, missachtet“.76 Im Berliner Lokal-­Anzeiger widersprach der Schriftsteller Dagobert von Gerhardt-­Amyntor der Kritik an der europäischen Chinapolitik und betonte das Recht der „Völker, die an der Spitze der Bildung marschiren, […] widerstrebende

73 West Upon East, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10990, 20. 6. 1900, S. 1. Als sich die Lage in den folgenden Wochen zuspitzte, zeigte die Gazette allerdings weitaus weniger Verständnis für das Vorgehen der Boxer, vgl. The China Crisis, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 11013, 17. 7. 1900, S. 1. 74 Der Fremdenkrieg, in: Vorwärts, Nr. 138, 17. 6. 1900. 75 Die weiße Gefahr, in: Vorwärts, Nr. 143, 23. 6. 1900. Im Original ist dieser Satz fett hervorgehoben. 76 Gewalt, in: Vorwärts, Nr. 151, 3. 7. 1900.

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Elemente zum Gehorsam zu zwingen“. Schuld an der Gewalt ­seien alleine „Wahn und Aberglauben, Fanatismus und Rohheit“ der Chinesen. Mit Blick auf die Kritik an der Annexion Kiautschous argumentierte Gerhardt-­Amyntor, dass Deutschland keine andere Wahl gehabt hätte, als genauso wie die anderen Mächte seinen Einfluss in China geltend zu machen: „Zum Untergange reif wäre ein Volk, das die Mittel und die Kraft zu einer mitentscheidenden Rolle besitzt, aber aus Mangel an Energie oder Einsicht mit der Zuschauerrolle sich begnügen wolle.“ 77 Im Gegensatz zu ihrem Konkurrenzblatt ließ sich die Berliner Morgenpost nicht auf die Debatte über die Ursachen ein, sondern stellte am 19. Juni klar: „Heute sind in erster Linie nicht die weit zurückliegenden Ursachen, sondern die unmittelbaren und unabsehbaren Folgen dieser Ereignisse ins Auge zu f­ assen.“ 78 Für die Morgenpost hatte die Rettung der in China bedrohten Europäer absolute Priorität, und die Legitimität des Militäreinsatzes zu ­diesem Zweck stand für sie außer Frage.79 Die Repräsentation der Ereignisse und die Nachrichten, die vom Kriegsschauplatz eintrafen, unterstützten vor allem die Argumentation derjenigen, die in den Chinesen die Schuldigen für den Konflikt ­zwischen China und den imperialistischen Staaten sahen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen stellten die Zeitungen die Chinesen als ‚barbarische‘ Gefahr für die Europäer in China dar. Der Vorwärts versuchte gegen diese dominante Sichtweise anzukämpfen und druckte die Nachrichten und Meldungen unter Überschriften wie „Der Fremdenkrieg“ 80 oder „Die weiße Gefahr“ 81 ab. Er sympathisierte offen mit den Boxern, in einer Beilage vom 1. August verglich er ihren Kampf mit dem von Arminius gegen die Römer und dem der deutschen Freiheitskrieger gegen ­Napoleon.82 Damit änderte er auch seine Einschätzung des noch am 14. Juni für

77 Dagobert von Gerhardt-­Amyntor, Wer ist schuld am chinesischen Aufstand?, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 328, 17. 7. 1900. Vgl. auch die Wiedergabe eines Artikels des „Hann. Cour.“ in der Freiburger Zeitung, der hervorhebt, dass Deutschland Kiautschou zum Schutz der bedrohten Mission in Shandong besetzt habe. Damit sei die Besetzung nicht Ursache, sondern Folge der chinesischen Fremdenfeindlichkeit gewesen, In der Frage, warum gerade der deutsche Gesandte, in: Freiburger Zeitung, Nr. 156, 8. 7. 1900. 78 Die Ereignisse in China. Der Gesandtenmord in Peking. – Bombardement und Einnahme der Forts von Taku, in: Berliner Morgenpost, Nr. 140, 19. 6. 1900. 79 Vgl. Methfessel, „Oxident gegen Orient“, 2009. 80 Der Fremdenkrieg, in: Vorwärts, Nr. 138, 17. 6. 1900. 81 Die weiße Gefahr, in: Vorwärts, Nr. 143, 23. 6. 1900. 82 Deutsche „Boxer“, in: Vorwärts, Nr. 176, 1. 8. 1900.

Rachegefühle und Kostendebatte: Der Boxerkrieg

wenig bedeutsam gehaltenen Aufstands. Nach der Eskalation der Gewalt wertete er die Rückschläge der verbündeten Truppen und deren Schwierigkeiten im Kampf gegen das chinesische Militär und die Boxer als Niederlage des europäischen Militarismus und kapitalistischen Systems.83 Die große Mehrheit der Zeitungen stand dagegen auf der Seite der verbündeten Truppen, die in Tianjin kämpften, und forderte in Anbetracht der Schwierigkeiten vor Ort ‚Europa‘ zu einem geschlossenen Vorgehen gegen den gemeinsamen Feind auf. Der Manchester Guardian kritisierte zwar die bisherige Politik der imperialen Mächte in China und verurteilte die Rachesemantik der konservativen englischen Presseorgane, aber auch er bestritt nicht die Legitimität des Militäreinsatzes zur Rettung der bedrohten Europäer und der Niederschlagung des Boxeraufstands. Im Einklang mit dem Großteil der Presse forderte er die europäischen Regierungen zur Kooperation in China auf.84 Nicht zuletzt die Uneinigkeit der verbündeten Truppen schien für die Rückschläge im Kampf um Tianjin verantwortlich zu sein. Die Pall Mall Gazette etwa forderte die Mächte am 13. Juli auf, einen Oberbefehlshaber zu ernennen und kritisierte: „[N]ow the siege is conducted by a debating society.“ 85 Der Appell zur Zusammenarbeit richtete sich nicht nur an die Militärs im Kriegsgebiet, sondern auch an die Politiker in den imperialen Metropolen. Die Presse verfolgte jede Äußerung der verantwortlichen Regierungsmitglieder genau, wobei insbesondere die deutsche Regierung den Zeitungen Nachrichten bot. Wilhelm II. war entschlossen, die Situation zu ­nutzen, um die eigenen Weltmachtansprüche ein weiteres Mal zu unterstreichen. Am 19. Juni forderte er in einem Telegramm an Bülow eine „große Militäraktion gemeinsamer Natur“, da „China im ganzen entschlossen ist, Europäer hinauszuwerfen“. Dafür würde er auch „den Obergeneral gern stellen“. Für den ­Kaiser war der deutsche Führungs­anspruch im Interesse Europas: Denn es muß die ganze Aktion in eine feste Hand gelegt werden, und zwar euro­ päische. Wir dürfen uns nie dem aussetzen, daß Rußland und Japan die Sache allein machen und Europa heraushauen. Es ist der Kampf Asiens gegen das ganze Europa!86

83 84 85 86

Vgl. Methfessel, Europa, 2012, S. 69. Vgl. Fabian, Instrumentalisierung, 2011, S. 72 – 74. General Paralysis, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 11010, 13. 7. 1900, S. 1. Kaiser Wilhelm II., z. Z. in Oldenburg, an den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Grafen von Blülow, in: Lepsius u. a. (Hg.), Die große Politik, Bd. 16, 1927, Nr. 4527, S. 14.

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In der Folgezeit mobilisierte Deutschland Truppen und sandte sie zur Verstärkung nach China. Die Regierung vertrat mehrfach öffentlichkeitswirksam die Position, dass ein hartes und geeintes Vorgehen der Mächte notwendig sei. Bülow tat dies in einer Note, über die die Presse am 13. Juli berichtete,87 Wilhelm II. in mehreren Reden bei der Verabschiedung von nach China gesandten Soldaten. In Erinnerung geblieben ist dabei die Rede des deutschen Kaisers am 27. Juli, die als ‚Hunnenrede‘ in die Geschichte eingehen sollte. Seine Aufforderung „kein Pardon“ zu geben und sich das Wirken der Hunnen in China als Vorbild zu nehmen, gekoppelt mit den vergeblichen Versuchen der Reichsleitung, die problematischsten Stellen der Rede zu zensieren und so vor der Öffentlichkeit geheim zu halten, verursachten einen Skandal in Deutschland. Sozialdemo­kratische und linksliberale Zeitungen kritisierten die Rede scharf. Manche konservative Zeitungen deuteten die Rede dahingehend um, der ­Kaiser habe die Soldaten gewarnt, dass ihnen von chinesischer Seite kein Pardon gegeben werde.88 Dass eine ­solche Umdeutung nicht der Intention des Kaisers entsprach, war für die damaligen Beobachter allerdings offensichtlich. Die Freiburger Zeitung bewertete es als „jammervolles Schauspiel“, wenn „eine ganze Reihe von Zeitungen“ versuche, „ihren Lesern klar zu machen, der ­Kaiser habe die Worte ganz anders gemeint, als sie jeder vernünftige Mensch versteht“. Gegen ­solche Verfälschungen verteidigte die Freiburger Zeitung die „kräftigen Worte“ des Kaisers. Es habe wenig Sinn, wenn man „mit dem chinesischen Gesindel recht fein säuberlich nach europäischen Kriegsbrauch verführe“, um sich dann „von den Gefangenen nachträglich hinterrücks überfallen“ zu lassen.89 Während die deutschen Zeitungen die ‚Hunnenrede‘ kontrovers diskutierten, übten die Zeitungen in England – anders als zu den Kieler Reden 1897 – auffällige Zurückhaltung in ihren Kommentaren.90 Aber auch wenn die ‚Hunnenrede‘ der Mehrheit der Presse zu weit ging und zu einem dauerhaften Ansehensverlust des deutschen Kaisers führte, forderten die deutschen Zeitungen weiterhin ein hartes, geschlossenes Vorgehen gegen China. Die am 8. August veröffentlichte Nachricht, dass Deutschland den Oberbefehl im Kampf gegen China übernehmen werde, begrüßte die Mehrheit der deutschen

87 Vgl. etwa Die Ereignisse in China. Ein Rundschreiben des Grafen v. Bülow, in: Berliner Morgenpost, Nr. 161, 13. 7. 1900. 88 Vgl. Bösch, Öffentliche Geheimnisse, 2009, S. 402 – 405. 89 Ein jammervolles Schauspiel, in: Freiburger Zeitung, Nr. 175, 31. 7. 1900. 90 Vgl. Reinermann, ­Kaiser, 2001, S. 206 – 211.

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Presse enthusiastisch.91 Für die Berliner Morgenpost schien „die Solidarität der abendländischen Mächte neu aufgerichtet zu sein“.92 Auch die englische Presse lobte die Entscheidung und äußerte sich positiv zum neu ernannten Oberbefehlshaber Graf Waldersee.93 Die Ernennung Waldersees bildete den Höhepunkt der öffentlichen Demonstrationen des deutschen Weltmachtstrebens. Insbesondere die weltpolitischen Vorstellungen Wilhelms II. schienen aufzugehen: Angesichts der Forderung der Presse an die verbündeten Staaten, im Kampf Europas gegen einen asiatischen Gegner hart und geschlossen vorzugehen, war es nun Deutschlands Aufgabe, die vereinten Truppen der imperialistischen Mächte anzuführen. Das Prestige, das mit dem Oberbefehl verbunden war, verlor allerdings schnell wieder an Glanz. So günstig das Timing der Ereignisse für die deutsche Regierung zu Beginn der ‚Weltpolitik‘ 1897 war, so ungünstig war es knapp drei Jahre später während des Boxerkriegs. Zur Enttäuschung Wilhelms II.94 meldeten englische Zeitungen am 18. August, kurz nach der Ernennung Waldersees, dass die verbündeten Truppen Peking eingenommen hatten.95 Damit endete der Höhepunkt des Medienereignisses ‚Boxeraufstand‘, bevor die deutschen Verstärkungen überhaupt in China angekommen waren. Auch der Ruf nach Rache für die ermordeten Europäer verlor an emotionaler Kraft, nachdem sich herausstellte, dass die Eingeschlossenen in Peking noch am Leben waren. Da der chinesische Kaiserhof kein Interesse an einer Fortführung des Krieges zeigte, sich aus Peking zurückzog und auf Verhandlungen mit den Mächten setzte, bestand Waldersees Aufgabe nach seiner Ankunft in China vor allem darin, die Besatzung Pekings durch die verbündeten Truppen zu organisieren und Strafexpeditionen gegen scheinbare ‚Boxernester‘ durchzuführen. Nur vereinzelt kam es zu Zusammenstößen z­ wischen den alliierten Truppen und dem chinesischen Militär, wobei die chinesische Seite versuchte, eine Eskalation der Gewalt zu vermeiden.96 91 Vgl. Lu Yixu, Germany’s War, 2008, S. 207, 209 f. 92 Deutschland hat die Führung. Graf Waldersee Oberbefehlshaber der Verbündeten in China, in: Berliner Morgenpost, Nr. 184, 9. 8. 1900. 93 Vgl. etwa The Commander-­In-­Chiefest, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 11033, 9. 8. 1900, S. 1; The Chinese Crisis, in: The Times, Nr. 36216, 9. 8. 1900, S. 7. 94 Vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 2, 1935, S. 1073. 95 Vgl. etwa The Chinese Surrender, Official News From Peking. Ministers Released. How the Allies Entered the City. Flight of the Empress, in: Daily Express, Nr. 101, 18. 8. 1900, S. 1. 96 Vgl. Klein, The Boxer War – The Boxer Uprising, 2008.

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Die Ereignisse nach der Einnahme Pekings verfolgten die Zeitungen in England und Deutschland bei weitem nicht mehr mit der Aufmerksamkeit, mit der sie über die Belagerung des Gesandtschaftsviertels und die Kämpfe um Tianjin berichtet hatten. Während in Deutschland die militärischen Operationen nach dem Eintreffen Waldersees noch ein gewisses Interesse fanden und die politische Debatte über den Krieg die Zeitungen im Herbst 1900 beschäftigten, waren aus englischer Perspektive vor allem Nachrichten über die Chinapolitik der beteiligten Mächte von Relevanz. Zudem führten Berichte über Plünderungen bei der Einnahme Pekings und Kriegsverbrechen der alliierten Truppen zu Kritik am Vorgehen der gegen China verbündeten Staaten.97 In Deutschland waren es vor allem Briefe von Soldaten, die Familienmitglieder an die Presse weiterreichten, die Informationen über das brutale Vorgehen der deutschen Truppen an das Licht der Öffentlichkeit brachten. Insbesondere die sozialdemokratische Presse instrumentalisierte die Briefe, die teilweise Massaker an der chinesischen Zivilbevölkerung beschrieben, um die Regierung zu kritisieren. Dabei interpretierte sie das Vorgehen der Soldaten als Folge der Aufforderung Wilhelms II., kein Pardon zu geben.98 Auch die Berliner Morgenpost veröffentlichte s­ olche Briefe, hielt sich aber wie auch bei anderen heiklen Th ­ emen mit einer eigenen Stellungnahme zurück.99 Vereinzelt brachte sie zudem Artikel, die das Vorgehen der verbündeten Truppen insgesamt in einem schlechten Licht darstellten.100 Der kritischste Beitrag der Morgenpost zum Boxerkrieg war allerdings kein Artikel, sondern die zu Beginn dieser Studie vorgestellte Karikatur, die das kontinentaleuropäische Mitgefühl mit dem Leid der Buren mit der gleichzeitigen Ignoranz gegenüber dem Leid der Chinesen kontrastierte.101 Die in dieser Karikatur formulierte Medienkritik konnte man auch auf die Berichterstattung der Berliner Morgenpost über die deutschen Soldaten in China beziehen. Sie berichtete, genauso wie die Kölnische Zeitung, mit patriotischem Pathos über die Truppen unter der Führung Waldersees.102 Aber auch wenn die Berliner Morgenpost bei ihrer

97 98 99 100 101

Vgl. Hevia, Looting, 2007; Klein, Propaganda, 2007, S. 176 – 178. Vgl. Wieland/Kaschner, Reichstagsdebatten, 2002. Vgl. etwa Der deutsch-­englische China-­Vertrag, in: Berliner Morgenpost, Nr. 257, 2. 11. 1900. Vgl. etwa Die Brandschatzung von Tien-­Tsin, in: Berliner Morgenpost, Nr. 224, 25. 9. 1900. Europa in Trauer: „Wie mir die armen Buren leid thun!“, in: Berliner Morgenpost, Nr. 10, 12. 1. 1901 (Abb.  1). 1 02 Vgl. Lu Yixu, Germany’s War, 2008, bes. S. 210 f.

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kriegsunterstützenden Linie blieb, ging sie im Herbst 1900 auf Stellungnahmen von Gegnern und Kritikern des Militäreinsatzes ein. Während sie zur Zeit der Belagerung des Gesandtschaftsviertels die sozialdemokratische Kritik am Krieg noch ignoriert hatte, berichtete sie nun am 20. September ausführlich über den sozialdemokratischen Parteitag in Mainz und gab die dort gehaltenen Reden zur deutschen ‚Weltpolitik‘ wieder.103 Am 27. September druckte sie einen Artikel des früheren deutschen Gesandten in Peking, Max von Brandt, der zuvor in einer Londoner Zeitung erschienen war. Darin mahnte Brandt, dass „es ein schweres Verkennen der Aufgaben Europas sein würde, das Bedürfnis nach der Herstellung künftiger besserer Zustände durch das brutale Streben nach Rache ersticken zu lassen“.104 Zugleich forderte die Berliner Morgenpost (im Einklang mit der Presse fast aller Parteien) die Regierung auf, den Reichstag einzuberufen, um die Abgeordneten über die Gelder für die deutschen Militäroperationen abstimmen zu lassen. Je länger die diesbezügliche Entscheidung auf sich warten ließ, desto schärfer wurde die Kritik der Morgenpost an der Regierung.105 Vor der schließlich am 19. November stattfindenden Debatte im Reichstag wies sie prominent auf die Kosten der Militärexpedition hin. Am 11. November titelte sie „Die Rechnung. 153 Millionen für China“ und schrieb über diese „schmerzliche Millionenliste“: Der Ansatz von 152 [sic!] Millionen übersteigt an sich die Vermuthungen, die man bisher in der Oeffentlichkeit hinsichtlich der Kosten des Chinafeldzugs gehegt hatte, um ein Bedeutendes, aber noch mehr ist die Vorauslage weiterer Aufwendungen geeignet, die Unruhe der steuerzahlenden Bevölkerung zu erwecken.106

Einen Tag vor Beginn der Debatte veröffentlichte sie zudem noch eine Karikatur, die die Steuerbelastung des Deutschen Reiches durch die ‚Weltpolitik‘ beklagte.107

103 Die rothe Woche. Der Parteitag der Sozialdemokraten in Mainz, in: Berliner Morgenpost, Nr.  220, 20. 9. 1900. 104 Der Krieg in China. Amerika als Friedensmakler, in: Berliner Morgenpost, Nr. 226, 27. 9. 1900. 105 Vgl. etwa Der Krieg in China. Kein Grund!, in: Berliner Morgenpost, Nr. 200, 28. 8. 1900; Die Parlamente. Der deutsche Reichstag, in: Berliner Morgenpost, Nr. 211, 9. 9. 1900. 106 Die Rechnung. 153 Millionen für China, in: Berliner Morgenpost, Nr. 265, 11. 11. 1900. 107 Deutschlands Weltpolitik, in: Berliner Morgenpost, Nr. 271, 18. 11. 1900 (Abb. 5).

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Abbildung 5  Berliner Morgenpost, 18. November 1900

Die Berichterstattung der Berliner Morgenpost ist in vielerlei Hinsicht aufschlussreich für die abnehmende Popularität des deutschen Militäreinsatzes in China. Die Macher der Morgenpost hatten vor allem die Aufgabe, die Auflage zu steigern, und das taten sie sehr erfolgreich. Dementsprechend bereiteten sie die Nachrichten über die Ereignisse in China in einer Weise auf, die den Erwartungen der Leserschaft entsprach und für ein möglichst breites Publikum attraktiv war. So ignorierte die Morgenpost zu Beginn des Krieges die Debatte über die Ursachen des Aufstandes sowie die Kritik an Militäreinsatz und Politik der imperialistischen Staaten.108 Stattdessen konzentrierte sie sich ganz auf die Berichterstattung über die Belagerung des Gesandtschaftsviertels und die schwierige Lage der Militärs der gegen China verbündeten Staaten. Die Mobilisierung der deutschen Truppen schien ihr im Angesicht der bedrohlichen Lage folgerichtig, die Morgenpost unterstützte den Kriegskurs der Regierung auf ganzer Linie, nur die ‚Hunnenrede‘ Wilhelms II . ging ihr zu weit.109

108 Für eine Ausnahme vgl. Alberti, Conrad [= Sittenfeld, Konrad], Frankreich und die chine­ sische Frage, in: Berliner Morgenpost, Nr. 155, 6. 7. 1900. Der Artikel bezog sich allerdings nicht auf die Kritik in Deutschland. 109 Vgl. Methfessel, „Oxident gegen Orient“, 2009.

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Auch nach dem Ende der Belagerung unterstützte die Morgenpost die deutschen Militäroperationen. Allerdings wurde das von ihr vermittelte Bild des Krieges vielschichtiger und auch Stellungnahmen von Kritikern und Gegnern des Krieges wurden abgedruckt. Offensichtlich hatten ­solche Stimmen ­inzwischen einen höheren Nachrichtenwert als zu Beginn des Krieges, und die Macher der Morgen­post gingen davon aus, dass s­ olche Positionen das Interesse ihre Leserschaft finden würden. Nachdem Peking eingenommen war und sich das militärische Blatt zugunsten der Invasoren gewendet hatte, erschien auch der großangelegte deutsche Militäreinsatz in einem anderen Licht. Vor der Reichstagssitzung stellte sie die Kosten des Krieges und die Belastung der Steuerzahler ähnlich plakativ dar wie die chinesische Bedrohung zu Beginn des Krieges. In Anbetracht der nachlassenden Begeisterung für den deutschen Militäreinsatz bediente die Morgen­ post unterschiedliche, sich teilweise sogar widersprechende Stimmungen und ließ sowohl Kritiker als auch Befürworter der deutschen Politik zu Wort kommen. Während der Reichstagsdebatten, dem Höhepunkt der innenpolitischen Auseinandersetzung über den Boxerkrieg, gab sie das Rededuell ­zwischen Bülow, der inzwischen das Amt des Reichskanzlers innehatte, und seinen Kontrahenten Richter und Bebel ausführlich wieder. Dabei zollte die Morgenpost beiden Seiten Respekt, ohne selbst Stellung zu beziehen.110 Die Reichstagsdebatten brachten die Auseinandersetzung über den deutschen Kriegseinsatz allerdings nur kurzfristig wieder in den Fokus der Öffentlichkeit, insgesamt nahm das Interesse an den Ereignissen in China ab. Im Dezember berichteten die Zeitungen noch relativ ausführlich über die militärischen Opera­ tionen unter Waldersee,111 im Folgejahr blieb es bei vereinzelten Nachrichten über Expeditionen und Gefechte.112 Wenn die Lage in China die Aufmerksamkeit der Medien fand, waren es die Beziehungen z­ wischen den Mächten, über die die Zeitungen berichteten.113 Über den offiziellen Abschluss des Krieges, die am 110 Vgl. Die China-­Session. Die Erklärungen des Reichskanzlers und die Debatte im Reichstage, in: Berliner Morgenpost, Nr. 272, 20. 11. 1900; Eugen Richter und Graf Bülow. Der China-­Debatte zweiter Tag, in: Berliner Morgenpost, Nr. 273, 21. 11. 1900; Der Schluss der China-­Debatte. Ein Rededuell Bebel–Bülow, in: Berliner Morgenpost, Nr. 275, 24. 11. 1900. 111 Vgl. Lu Yixu, Germany’s War, 2008. 112 Vgl. etwa Unsere Truppen im Feuer. Gefechte an der chinesischen Mauer, in: Berliner Morgenpost, Nr. 100, 30. 4. 1901. 113 Vgl. etwa Russland. Witte contra Bülow – Die Mandschureifrage. – Der Konflikt in ­Tientsin, in: Berliner Morgenpost, Nr. 66, 19. 3. 1901, sowie Karikatur vom Tage. Der Chinese: …

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7. September 1901 erfolgte Unterzeichnung des ‚Boxerprotokolls‘ durch die Vertreter Chinas und die der verbündeten Staaten, berichtete die Morgenpost nur in einem k­ urzen Artikel im hinteren Teil der Zeitung und kommentierte: „Es ist nur zu hoffen, dass die Sache wirklich definitiv ist, und von chinesischen oder anderen Diplomaten nachträglich keine neue [sic!] Schwierigkeiten gemacht werden.“ 114

2.3 Vom Kooperationsappell zum englisch-­deutschen Zerwürfnis Um die Jahrhundertwende kulminierte nicht nur das Medieninteresse für Imperialkriege. Die Jahre um 1900 bildeten auch einen wichtigen Wendepunkt in den deutsch-­britischen Beziehungen.115 Dabei lässt sich für die Zeit ­zwischen 1899 und dem Sommer 1901 eine „asymmetrische Struktur“ der Pressebeziehungen beider Länder beobachten: Während die britische Presse positiv über Deutschland berichtete und die wohlwollende Neutralität der Reichsleitung im Burenkrieg herausstellte, kam es in Deutschland zu einem Hassausbruch gegen England.116 Zwar gab es auch in Deutschland liberale Zeitungen, die Verständnis für das britische Vorgehen zeigten, und die Kölnische Zeitung verteidigte die Neutralitätspolitik der deutschen Regierung.117 Aber diese Blätter argumentierten aus der Defensive, die Mehrheit der Zeitungen sympathisierte mit den Buren und kritisierte die eigene Regierung für ihre zu englandfreundliche Politik. Versuche der deutschen Regierung, mäßigend auf die englandfeindliche Presse einzuwirken, waren angesichts der emotional aufgeheizten Stimmung nur sehr begrenzt erfolgreich.118

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Kinder, wollt ihr Euch nicht lieber in Europa prügeln?, in: Berliner Morgenpost, Nr. 70, 23. 3. 1901. Das Schlußprotokoll ist unterzeichnet, in: Berliner Morgenpost, Nr. 211, 8. 9. 1901. Die Bedeutung des Burenkriegs für die rapide Verschlechterung des Verhältnisses ­zwischen beiden Länder ist in der medienhistorischen Forschung ausführlich in den Monographien von Dominik Geppert und Stephen Bender untersucht worden, vgl. Geppert, Pressekriege, 2007; Bender, Burenkrieg, 2009. An ihre Ergebnisse kann hier angeknüpft und dabei die wechselseitige englisch-­deutsche Wahrnehmung im Kontext des Boxerkriegs einbezogen werden. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 175. Vgl. Bender, Burenkrieg, 2009, S. 61 – 64. Vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 132 – 150.

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Mit Blick auf das deutsche Englandbild zu Beginn des Burenkriegs erscheint es zweifelhaft, ob die zu dieser Zeit eingeleitete diplomatische Annäherung beider Länder Aussichten auf Erfolg gehabt hätte, selbst wenn sie auf politischer Ebene enthusiastischer verfolgt worden wäre.119 Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Massenmedien in der internationalen Politik und der antienglischen Stimmung in Deutschland war der Handlungsspielraum der Reichsleitung in dieser Hinsicht begrenzt. Der Burenkrieg bot offensichtlich kein Narrativ, das es erlaubt hätte, Zustimmung für die diplomatische Annäherung in den Öffentlichkeiten beider Länder zu mobilisieren und so die Zusammenarbeit auf eine tragfähige, dauerhafte Basis zu stellen.120 Allerdings kann man fragen, ob der Boxerkrieg eine ­solche Geschichte geboten hätte. Immerhin forderten sowohl englische als auch deutsche Zeitungen die europäischen Staaten zur Zusammenarbeit gegen die gemeinsame Bedrohung auf. Aber auch bei ­diesem Imperialkrieg war das deutsch-­britische Verhältnis nicht frei von Friktionen. So sah sich das Kaiserreich anfänglich dem Verdacht ausgesetzt, nicht alle Möglichkeiten für die Rettung der gefährdeten Europäer auszuschöpfen. Dabei ging es um die Rolle, die die Reichsleitung in den diplomatischen Verhandlungen über eine führende Position Japans bei der Befreiung Pekings spielte. Japan hatte am 23. Juni 1900 gegenüber den anderen imperialistischen Staaten seine Bereitschaft zu einem stärkeren militärischen Engagement im Rahmen des Konzerts der Mächte bekundet. Salisbury schlug daraufhin die Entsendung einer 20 000 bis 30 000 Mann starken Truppe vor. Während die Vereinigten Staaten dem Vorschlag zustimmten, lehnten ihn Deutschland und Russland ab.121 Anfang Juli bestätigte die britische Regierung offiziell, dass sie

119 Inwieweit überhaupt auf politischer Ebene auf beiden Seiten ein ausreichendes Interesse an einer ernsthaften Verbesserung der bilateralen Beziehungen bestand, kann im R ­ ahmen dieser Arbeit nicht systematisch erörtert werden. 120 Vgl. hierzu auch die politikwissenschaftlichen Überlegungen bei Kupchan, How E ­ nemies Become Friends, 2010, S. 50 – 52, 73 – 111. Diesem Ansatz zufolge ist für eine dauerhafte Aussöhnung zweier verfeindeter Staaten das parteiübergreifende Bekenntnis zur Zusammen­ arbeit und die Entstehung eines neuen Narrativs der Gemeinsamkeit eine Bedingung für die Möglichkeit eines dauerhaften Friedens. Als Beispiel führt er unter anderem die anglo-­amerikanischen Beziehungen nach der Venezuelakrise 1895/96 und die folgende Betonung der angelsächsischen Gemeinsamkeiten an. 121 Vgl. Varg, Foreign Policy, 1946, S. 280.

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japanische Verstärkungen in China begrüßen würde.122 Kurz darauf meldeten Zeitungen, dass die britische Regierung die deutsche gebeten habe, Russland zu überzeugen, Japan mit der ‚Befriedung‘ Chinas zu beauftragen. Deutschland habe aber abgelehnt, um Russland nicht zu verstimmen.123 Die englische Presse forderte daraufhin die volle Unterstützung für eine führende Rolle Japans und kritisierte insbesondere Russland, aber auch Deutschland für deren Verantwortung bei der Verhinderung eines größeren japanischen Engagements.124 Nur die Pall Mall Gazette warnte am 6. Juli vor einem solchen Schritt: „She is, after all, an Eastern Power, though she has most cleverly contrived to put on the manners of the West.“ 125 Die entgegengesetzte Position vertrat die Daily Mail. Am 7. Juli kommentierte sie mit Blick auf die neuesten Nachrichten über den angeblichen Tod aller Europäer in Peking: The Anglo-­Saxon does not always recall the fact that to men of the Bismarck or Muravieff type sacrifice of human life is nothing but an incident in the diplomatic game. […] It is the temper which prevented the dispatch of Japanese troops in June, when they might have arrived in time to save the representatives of civilisation and Christianity from the most horrible fate imaginable.126

Sollten die verantwortlichen Mächte bei ihrer Haltung bleiben, müsse Groß­ britannien ernsthaft über ein Bündnis mit Japan gegen die „Asiatic triple alliance of Russia, Germany, and France“ nachdenken.127 Nachdem in den folgenden Tagen die japanische Mobilisierung ohne interna­ tionalen Widerstand angelaufen war, ließ die Kritik an Deutschland jedoch nach. Und als die Mail sich am 16. Juli sicher war, dass alle Europäer in Peking tot sind, attestierte sie dem deutschen Gesandten Ketteler im Rückblick auf die Ereignisse eine „intolerance of fear which belongs as much to the German as to the Englishman“.128 122 Vgl. etwa In the Same Junk, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 11002, 4. 7. 1900, S. 1. 123 Vgl. etwa Chinese Rising. Hopeless Position of the Legations. Reported General Massacre. Story not Confirmed. Important British Action. Proposals to Japan. Chinese Authorities to Be Personally Responsible, in: Manchester Guardian, Nr. 16819, 6. 7. 1900, S. 5. 124 Vgl. etwa The Chinese Situation, in: The Times, Nr. 36187, 6. 7. 1900, S. 9. 125 The Powers and Japan, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 11004, 6. 7. 1900, S. 1. 126 Japan and the Powers, in: Daily Mail, Nr. 1314, 7. 7. 1900, S. 4. 127 Ebd. 128 Murder Most Foul, in: Daily Mail, Nr. 1321, 16. 7. 1900, S. 4.

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Die englische Presse berichtete auch weitaus zurückhaltender über die ‚Hunnenrede‘ als die deutsche und begrüßte die Ernennung Waldersees zum Oberbefehlshaber.129 Nach der Einnahme Pekings wurde dann vor allem Russland vorgeworfen, vom gemeinsamen Kurs gegen China abzurücken. Anfang September verkündete die russische Regierung ihre Intention, sich aus Peking zurückzuziehen, und die Vereinigten Staaten schienen mit d ­ iesem Vorhaben zu sympathisieren. Großbritannien und Deutschland hingegen hielten die Fortdauer der Besetzung Pekings für nötig, um Druck auf die chinesische Regierung auszuüben. Die Times kommentierte am 1. September die russische Politik folgendermaßen: The advantages of such a policy are not altogether manifest, and we very much doubt whether it will recommend itself to those Powers who, like this country or Germany, have a large commercial interest in the establishment of a stable and progressive Government in the place of the reactionary clique which has impeded all progress and development in China.130

Nur der Manchester Guardian sympathisierte mit dem russischen Vorgehen und zeigte sich enttäuscht über die Kritik an dem Vorschlag eines Rückzugs aus Peking: „Yet, strange to say, the proposal has been vehemently critised in this country – or rather in London“.131 Zum Bedauern des Guardians sprach sich die Mehrheit der großen Londoner Zeitungen für einen harten Kurs gegen China aus – ganz im Einklang mit der deutschen Politik. Die Daily Mail kommentierte am 9. Oktober: „It is not without significance, that our relations with Germany on the Chinese question have never been more cordial than they are now.“ 132 Auch die deutsche Presse forderte überwiegend ein möglichst geschlossenes Vorgehen gegen China und appellierte an die Solidarität ‚Europas‘ im Angesicht eines gemeinsamen Feindes.133 Antienglische Ausfälle, wie sie in der Berichterstattung über den Burenkrieg die Regel waren, bildeten in ­diesem Kontext die

129 Vgl. Kap. 2.2. 130 China and the Powers, in: The Times, Nr. 36236, 1. 9. 1900, S. 7. Vgl. auch Out of Tune, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 11054, 3. 9. 1900, S. 1. 131 O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16869, 3. 9. 1900, S. 4. 132 Finding a Chinese Policy, in: Daily Mail, Nr. 1394, 9. 10. 1900, S. 4. 133 Vgl. Methfessel, „Oxident gegen Orient“, 2009, zur Berliner Morgenpost, sowie Ders., Europa, S. 56 f., zum Berliner Lokal-­Anzeiger.

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Ausnahme. Unter den hier behandelten Presseorganen nutzte nur die Freiburger Zeitung jede Gelegenheit, um gegen England zu polemisieren. Zur Zeit der Belagerung Pekings beließ sie es dabei zumeist bei Seitenhieben auf Großbritannien, hielt sich aber mit Kritik an der eigenen Regierung zurück.134 Später verband sie ihre Kritik an dem ihrer Ansicht nach überstürzten deutschen Militäreinsatz mit Angriffen auf die englische Politik.135 Durchgängig vertrat sie die These, England zeige selbst kein Engagement im Kampf gegen China und intrigiere, um „die Finger anderer nach den Kastanien im Feuer für sich arbeiten zu lassen“. ­Darüber hinaus warf sie England vor, es versuche andere Mächte gegen Russland auszuspielen, um selbst nur auf den richtigen Moment zu warten, um die eigenen Sonderinteressen im Jangtsegebiet durchzusetzen.136 Allerdings boten die Nachrichten über den Boxerkrieg weitaus weniger Material für antienglische Polemiken als der Burenkrieg und so wirkten auch die diesbezüglichen Kommentare der Freiburger Zeitung häufig sehr bemüht. Beispielhaft sei auf einen Artikel vom 8. September verwiesen, in dem die Freiburger Zeitung aus einem Bericht des britischen Admirals Seymour zitierte, der die Leistung der deutschen Truppen in China in den höchsten Tönen lobte. Die Wiedergabe des Berichts endete mit einem Zitat Seymours, das die Freiburger Zeitung mit einem in Klammern angehängten Satz abfällig kommentierte: „Derartige Ereignisse tragen zur gegenseitigen Annäherung zivilisierter Nationen bei, wie es die unserigen sind. (Das ist einiges Selbstlob für die Engländer, denn wir dachten uns die Zivilisation anders, als die Art, wie die Engländer im Burenlande vorgehen.)“ 137 Auch in der Bewertung des russischen Rückzugs aus Peking nahm die Frei­ burger Zeitung eine Ausnahmestellung ein. Sie versuchte zunächst die Lage so darzustellen, als ob Deutschland nach der russischen Initiative isoliert dastehe und alle anderen Mächte sich zurückziehen wollten.138 Im Gegensatz dazu kriti­sierten die Kölnische Zeitung, der Berliner Lokal-­Anzeiger und die Berliner Morgenpost

134 Vgl. etwa Feindschaft Englands und Russland in China, in: Freiburger Zeitung, Nr. 154, 6. 7. 1900. 135 Vgl. etwa Zu den Wirren in China, in: Freiburger Zeitung, Nr. 205, 4. 9. 1900. 136 Wie sehr England auch im Kampf gegen China heuchelt, in: Freiburger Zeitung, Nr. 183, 9. 8. 1900. 137 Zu den Wirren in China, in: Freiburger Zeitung, Nr. 209, 8. 9. 1900. 138 Vgl. Zu den Wirren in China, in: Freiburger Zeitung, Nr. 204, 2. 9. 1900; Zu den Wirren in China, in: Freiburger Zeitung, Nr. 205, 4. 9. 1900.

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die Initiative zum Rückzug und stellten Russland als Außenseiter dar.139 Der Lokal-­Anzeiger fasste die internationale Lage am 4. September folgendermaßen zusammen: Nachdem die deutsche Diplomatie zuerst auf die Gefahren hingewiesen hat, die eine Räumung Pekings gemäß dem russischen Vorschlage unbedingt nach sich ­ziehen muss, bricht sich jetzt auch in den anderen Staaten die Ansicht Bahn, daß man unmöglich nach so kurzer Zeit die chinesische Hauptstadt aufgeben könne, ohne jede Garantie für eine Aenderung der Verhältnisse und etwaige Entschädigung für die aufgewandte Mühe zu haben.140

Die Morgenpost stellte am 6. September fest, „in der europäischen Presse“ sei „fast allgemeiner Widerspruch gegen den russischen Vorschlag zutage getreten“.141 Dass die deutsche Politik in China weitaus stärker mit Großbritannien als mit Russland kooperierte, hing auch mit den Interessen der deutschen Wirtschaft zusammen. Für die Reichsleitung hatte die Offenhaltung des Handels mit China Priorität. Die ökonomisch wichtigste Region für die deutsche Wirtschaft war das Jangtsegebiet, und die Reichsleitung befürchtete, dass England im Falle einer Teilung Chinas hier ein Monopol etablieren würde. Deswegen schlug die deutsche Regierung Großbritannien einen Vertrag vor, der beide Staaten auf das Prinzip der ‚open door‘ verpflichten sollte. Am 16. Oktober kam es schließlich zu einem Abkommen, in dem sich Deutschland und Großbritannien verpflichteten, in den Häfen, in denen sie Einfluss ausübten, die Grundsätze des Freihandels zu beachten. Zudem bekundeten sie den Willen, sich für die Aufrechterhaltung der territorialen Integrität Chinas einzusetzen. Das Abkommen stieß in der deutschen Presse mehrheitlich und parteiübergreifend auf ein positives Echo.142 Der Berliner Lokal-­Anzeiger berichtete am 21. Oktober, der Vertrag habe „in der Oeffentlichkeit eine sehr günstige Aufnahme gefunden. Allgemein wird betont, daß seine wirtschaftliche Bedeutung für die deutschen Handelsinteressen recht erfreuliche Aussichten eröffne“. Zugleich

139 Für die Kölnische Zeitung vgl. etwa Die Wirren in China, Die russisch-­amerikanischen Vorschläge, in: Kölnische Zeitung, Nr. 684, 1. 9. 1900, Abend-­Ausgabe. 140 Der Krieg in China, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 412, 4. 9. 1900, 1. Ausgabe. 141 Der Krieg in China, in: Berliner Morgenpost, Nr. 208, 6. 9. 1900. 142 Vgl. Canis, Von Bismarck zur Weltpolitik, 1997, S. 345 – 348.

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hob der Lokal-­Anzeiger hervor, dass der Vertrag sich nicht gegen einen anderen Staat richte, alle Mächte s­ eien eingeladen, ihm beizutreten.143 Die Freiburger Zeitung hingegen warnte vor einer Verschlechterung der Beziehungen mit Russland infolge des Vertrags.144 Um diese Position zu belegen, kontrastierte sie die Stellungnahmen von „offiziösen Beifallsräthen“, die die wirtschaftlichen Vorteile für Deutschland hervorhoben, mit englischen Pressestimmen, die vor allem das deutsch-­englische Bekenntnis zur territorialen Integrität Chinas betonten und in dem Vertrag eine Maßnahme gegen russische Annexionsbestrebungen sahen.145 Tatsächlich bewerteten mehrere englische Zeitungen das Abkommen in ­diesem Sinne. Der Daily Express veröffentlichte den Vertrag unter der Überschrift „Hands Off China“.146 Im leader zum Abkommen bekannte er sich zur Freundschaft mit Deutschland: „The Germans are our natural allies; their power on land fitly supplements our power at sea.“ 147 Auch die Daily Mail kommentierte den Vertrag enthusiastisch: „Practically it establishes an offensive and defensive alliance between England and Germany in the Far East.“ Nun müsse Russland bezüglich seiner Politik im Norden Chinas Farbe bekennen.148 Weitaus vorsichtiger bewertete die Times das Abkommen. Mit Blick auf die Stimmung in Deutschland kommentierte sie am 22. Oktober: „The Germans, our Berlin Correspondent tells us, are discussing the Agreement with business-­like coolness. That, no doubt, is the proper frame of mind in which to approach all documents of the sort.“ 149 Am Folgetag druckte die Times dann einen längeren Artikel ihres Korrespondenten aus Berlin, der berichtete, dass die deutschen regierungsnahen Zeitungen jegliche antirussische Stoßrichtung des Vertrags bestritten und ausschließlich die

143 Das deutsch-­englische Abkommen über China, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 494, 21. 10. 1900. 144 Vgl. Die Wirren in China. Ein deutsch-­englisches Abkommen, in: Freiburger Zeitung, Nr.  247, 23. 10. 1900. 145 Das deutsch-­englische Abkommen, in: Freiburger Zeitung, Nr. 249, 25. 10. 1900. Vgl. auch Der Vorstand des Vereins der Hamburger Rheder, in: Freiburger Zeitung, Nr. 248, 24. 10. 1900. 146 Hands Off China. Britain and Germany State Their Policy. Opinions from Abroad. The Open Door and Territorial Integrity, in: Daily Express, Nr. 156, 22. 10. 1900, S. 1. 147 Britain and Germany, in: Daily Express, Nr. 156, 22. 10. 1900, S. 4. 148 A Good Thing for Germany, in: Daily Mail, Nr. 1405, 22. 10. 1900, S. 4. 149 The Anglo-­German Notes, in: The Times, Nr. 36279, 22. 10. 1900, S. 7.

Vom Kooperationsappell zum englisch-­deutschen Zerwürfnis

eigenen Vorteile im Jangtsegebiet hervorhoben, während die Ansicht vorherrsche, dass Deutschland keinerlei Verpflichtungen eingegangen sei.150 Im leader in der gleichen Ausgabe kritisierte die Times diese Interpretation: Reciprocity is of the essence of the Agreement, and if Germany were to interpret it in the higgling spirit in which some influential German papers are now trying to construe it, we should be driven to the conclusion that even the moderate estimate of its significance we have formed was greatly exaggerated.151

Die Daily Mail äußerte sich am gleichen Tag zwar weniger kritisch, aber auch sie stellte in ihrem leader zum Presseecho in Deutschland fest: „In Germany there is exultation over the great and obvious advantages which Germans have ­obtained“.152 Der Daily Express hingegen konzentrierte sich am 23. Oktober ganz auf das negative Presseecho in Russland, um den Wert des Vertrages zu belegen.153 So blieben die Auswirkungen der britisch-­deutschen Kooperation in China auf die wechselseitige öffentliche Wahrnehmung in den beiden Ländern begrenzt. Dabei verfolgten Großbritannien und Deutschland in Ostasien ähnliche Ziele, und die Zeitungen beider Länder waren sich in ihren Forderungen an die verbündeten Staaten einig. Während der Belagerung forderte die Mehrheit der englischen und deutschen Presseorgane die Mächte zur Kooperation und zu einem harten Kurs gegen China auf. Den russischen Rückzug aus Peking betrachtete man in beiden Ländern überwiegend kritisch. Und sowohl die britische als auch die deutsche Regierung sprachen sich in einem gemeinsamen Abkommen gegen eine Teilung Chinas und für das Prinzip des Freihandels aus. In Deutschland war die Zusammenarbeit mit Großbritannien zwar nicht unumstritten, aber während in der öffentlichen Debatte über den Krieg in Südafrika die Stimmen, die sich gegen die weit verbreitete Anglophobie aussprachen, eine Minderheitsposition vertraten, bildeten in der Debatte über den Boxerkrieg dezidiert antienglische Stellungnahmen die Ausnahme und waren auf den rechten Rand der deutschen Öffentlichkeit beschränkt. Die Nachrichten aus China sowie die Unterstützung

150 The Powers and China. The Anglo-­German Agreement. (From Our Own Correspondents.), in: The Times, Nr. 36280, 23. 10. 1900, S. 3. 151 The Anglo-­German Notes, in: The Times, Nr. 36280, 23. 10. 1900, S.7. 152 Public Opinion on the Agreement, in: Daily Mail, Nr. 1406, 23. 10. 1900, S. 4. 153 Carping Criticism, in: Daily Express, Nr. 157, 23. 10. 1900, S. 4.

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für den deutschen Oberbefehl durch die britische Politik und Presse boten Blättern wie der Freiburger Zeitung wenig Material für englandfeindliche Polemiken und ließen die Kritik an England häufig bemüht erscheinen. Wenn die Zusammenarbeit beider Länder dennoch kaum zu einer Verbesserung der englisch-­deutschen Pressebeziehungen führte, lag dies nicht zuletzt an der Öffentlichkeitsarbeit Bülows, der den deutsch-­englischen Vertrag vor allem als Erfolg der eigenen Diplomatie verkaufte und zugleich jegliche Stoßrichtung gegen Russland bestritt. Während Bülows Pressepolitik durchaus bemüht war, angeblich gute Beziehungen mit Russland öffentlichkeitswirksam herauszustellen, gab es offensichtlich keine Versuche, die Kooperation mit Großbritannien in China zum Anlass zu nehmen, um der weitverbreiteten Anglophobie in Deutschland entgegenzuwirken. Der Blick auf die regierungsnahe Presse in Deutschland vermittelte den englischen Zeitungen den Eindruck, dass es der deutschen Politik nicht um ein engeres Zusammengehen mit Großbritannien, sondern nur um die Durchsetzung der eigenen wirtschaftlichen Interessen ging.154 Öffentliche Bekenntnisse zur Freundschaft mit England äußerte nur der deutsche ­Kaiser. Dessen Englandbesuch im Januar 1901 führte zu zahlreichen britischen Sympathiebekundungen für Deutschland (und Kritik in der deutschen Presse). Als Wilhelm II. am 19. Januar von der schweren Krankheit seiner Großmutter, Queen Victoria, erfuhr, reiste er spontan nach England. Die Berichte über sein würdiges Verhalten am Sterbebett der Königin und seine Entscheidung, auch an der Beisetzungszeremonie teilzunehmen, brachten ihm einen immensen Popularitätsgewinn in England ein.155 Die zukünftige Entwicklung der britisch-­deutschen Beziehungen sollte jedoch nicht von der Kooperation in China oder der zeitweise großen britischen Sympathie für den deutschen ­Kaiser bestimmt werden, sondern von dem britischen Blick auf die anglophobe deutsche Berichterstattung über den Burenkrieg und Bülows Öffentlichkeitsarbeit. Schon Mitte 1901 nahm die Skepsis gegenüber Deutschland in manchen englischen Zeitungen wieder zu.156 Im Oktober löste dann eine Rede Chamberlains einen Sturm der Empörung in Deutschland aus, die Antwort Bülows im Januar 1902 führte schließlich zu einer dauerhaften Verschlechterung des Deutschlandbildes in England. 154 Vgl. Canis, Von Bismarck zur Weltpolitik, 1997, S. 346 f., der den deutsch-­englischen Vertrag in dieser Hinsicht mit dem Samoaabkommen vergleicht. 155 Vgl. Reinermann, ­Kaiser, 2001, S. 212 – 243. 156 Vgl. ebd., S. 245.

Taumel und Ernüchterung: Zum Wandel der Wahrnehmung der imperialen Expansion

Auslöser der deutschen Empörung war Chamberlains Argumentation zur Verteidigung der britischen Kriegsführung in Südafrika. In der aufsehenerregenden Rede verwies er darauf, dass andere Nationen in der Vergangenheit schon mit den britischen Methoden vergleichbare Maßnahmen angewendet hätten. Unter den historischen Vorbildern, die er nannte, war auch der Deutsch-­Französische Krieg (1870/71). In seiner Antwort auf die Rede Chamberlains zitierte Bülow am 8. Januar 1902 Friedrich II.: „Lasst den Mann gewähren […] und regt euch nicht auf, er beißt auf Granit.“ Die Rede Bülows führte dazu, dass sich in England auch Zeitungen, die Chamberlain zuvor kritisiert hatten, nun mit ihm solidarisierten. Während vor den Reden Chamberlains und Bülows große Teile der englischen Presse ­zwischen der antienglischen Stimmung in den deutschen Zeitungen und der Politik der Reichsleitung unterschieden, galt Deutschland nun als Gegner Großbritanniens. Auch der zuvor deutschfreundliche Chamberlain änderte in Reaktion auf Bülows Rede seine Einstellung, von nun an war sein Deutschlandbild von Misstrauen geprägt.157 Als der Burenkrieg zu Ende ging, galt das Deutsche Reich als größter Rivale des Britischen Empires. Während sich Englands Abneigung zu Beginn des Krieges auf Frankreich und Russland konzentriert und insbesondere die konservative Presse die guten Beziehungen zu Deutschland gelobt hatte,158 schrieb die Times in ihrem leader zum Friedenschluss mit den Buren nun, die deutsche Presse sei die „most acrimonious and ungenerous in its comments“. Es sei ein „minor advantage that we have also discovered beyond all doubt where lies the most bitter jealousy of our power“.159

2.4 Taumel und Ernüchterung: Zum Wandel der Wahrnehmung der imperialen Expansion Trotz aller kritischen Kontroversen konnten sich die beiden Kriege zumindest in ihrer Anfangsphase großer Unterstützung in der Presse und wohl auch in der Bevölkerung erfreuen. In Bezug auf den Burenkrieg gelten besonders die öffentlichen Feiern nach der Befreiung Mafekings als Beleg für die weitverbreitete 157 Vgl. Bender, Burenkrieg, 2009, S. 232 – 255, Zitat S. 246; Geppert, Pressekriege, 2007, S.  153 – 159, 169 – 174. 158 Vgl. Kap. 1.7. 159 The End of the War, in: The Times, Nr. 36784, 3. 6. 1902, S. 9.

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‚jingoistische‘ Stimmung in allen Kreisen der Gesellschaft. Allerdings ist es fraglich, ob diese Feiern sich als Anzeichen einer generellen imperialistischen Gesinnung in der Arbeiterklasse werten lassen oder ob sie eher Ausdruck der Solidarität mit den Belagerten und den einfachen Soldaten waren. Jedenfalls werteten Imperialisten die feiernden Massen auf den Straßen als Beleg einer klassen­ übergreifenden Unterstützung für den Krieg, wohingegen ­dieses Phänomen bürgerlichen Kriegsgegnern einen Schrecken einjagte, sodass von beiden Seiten des politischen Lagers das Bild des ‚working-­class jingoism‘ verbreitet wurde.160 In den Versammlungen der working men’s clubs hingegen überwog die ­Gegnerschaft zum Krieg. Selbst nach Veranstaltungen mit Rednern der ISAA stimmten die Arbeiter am Ende für Resolutionen, die den Krieg ablehnten. Hierfür waren allerdings nicht die moralischen Argumente der bürgerlichen Friedensbewegung ausschlaggebend, sondern die Kosten des Krieges, die einer sozialen Reformpolitik entgegenstanden. Die Opposition gegen den Krieg war dessen ungeachtet begrenzt, der einzige Versuch der Clubs, eine öffentliche Demonstration zu organisieren, war wenig erfolgreich.161 Zudem war unter den Arbeitern große Sympathie für die einfachen Soldaten verbreitet. Viele spendeten für Sammlungen zugunsten von Familienangehörigen der eingezogenen Reservisten, die imperialistische Zeitungen wie die Daily Mail organisierten. Deswegen war auch die Kritik an der Kriegsführung unter den Arbeitern sehr unpopulär und wurde als Angriff auf die britischen Truppen gewertet. Teilweise verweigerten Funktionäre der Arbeiterbewegung, die sonst gemeinsam mit Liberalen in Resolutionen den Krieg verurteilten, in dieser Frage die Zusammenarbeit.162 Wie viele Arbeiter für und wie viele gegen den Krieg waren, lässt sich mit Gewissheit aber kaum feststellen.163 Auffallend ist jedoch die Toleranz gegenüber unterschiedlichen Ansichten unter den Arbeiten: Während in dieser Zeit 160 Gegen die Annahme einer weitverbreiteten imperialistischen Stimmung unter den Arbeitern argumentierend: Pelling, Popular Politics, 1968, S. 89 – 91; Price, Imperial War, 1972, bes. S. 132 f., 175. Für eine Kritik an dieser Interpretation vgl. Readman, Conservative Party, 2001, S. 133 – 136, dem zufolge unter den Arbeitern eine weitverbreitete imperialistische Stimmung vorherrschte. 161 Vgl. Price, Imperial War, 1972, S. 46 – 96. 162 Vgl. ebd. 163 In der Forschung ist diese Frage weiterhin umstritten. So ist Stephen Badsey zufolge die These von Richard Price (Imperial War, 1972, S. 178 – 232), dass es vor allem ökonomische

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die Versammlungen der bürgerlichen Friedensbewegung regelmäßig von Studenten und Angestellten angegriffen wurden, konnten Befürworter wie Gegner des Krieges in den working men’s clubs ihre Positionen ungestört darlegen.164 Zudem spricht vieles dafür, dass für die Unterstützung des Krieges unter den Arbeitern weniger imperialistische Überzeugung, sondern vor allem Solidarität mit den Soldaten an der Front entscheidend war.165 Der Glaube an die Notwenigkeit der Expansion des Empires am Ende des 19. Jahrhunderts scheint insbesondere im Bürgertum und unter Angestellten verbreitet gewesen zu sein. Die wachsende Zahl der Angestellten in England bildete schließlich die Zielgruppe der Daily Mail, vor allem in ­diesem Teil der Bevölkerung scheint die imperialistische Stimmungsmache Anklang gefunden zu haben.166 Auch die gezielten gewalttätigen Angriffe auf Friedensversammlungen gingen in erster Linie von jungen Männern der Mittelklasse aus, insbesondere Angestellten und Studenten.167 Konservative Kandidaten erreichten Arbeiter bei den Wahlen 1900 zumeist nur, wenn sie imperiale Rhetorik mit Engagement für im Wahlkreis wichtige ­soziale und lokale Fragen verbanden.168 Mit Blick auf das Wahlergebnis insgesamt spricht jedoch alles dafür, dass es der unionistischen Regierung gelang, den Krieg für ihren Machterhalt zu instrumentalisieren. Die Ereignisse in Südafrika waren das dominierende Thema der Wahl und die Unionisten gingen aus dieser als klarer Sieger hervor.169

Motive waren, die Arbeiter dazu veranlassten, sich freiwillig für den Krieg zu melden, durch spätere Studien widerlegt worden, vgl. Badsey, New Wars, 2007, S. 36 f. 164 Vgl. Price, Imperial War, 1972, bes. S. 94. 165 Hier folgt die Studie den Interpretationen von Pelling, Popular Politics, 1968, S. 89 – 91, und Price, Imperial War, 1972, bes. S. 132 f., 175. Vgl. dagegen auch Readman, Conservative Party, 2001, S. 133 – 136, der unter anderem Erinnerungen von Arbeitern zitiert, die die imperialistische Stimmung in ­diesem Teil der Bevölkerung belegen sollen. 166 Vgl. auch Thompson, The Empire Strikes Back?, 2005, S. 41 f., zur Daily Mail, dem Burenkrieg und der unteren Mittelklasse. 167 Nach Price, Imperial War, 1972, S. 145 – 154, ist die Bezeichnung „jingo crowds“ nur für ­solche Gruppen passend. Anders Thompson, The Empire Strikes Back?, 2005, S. 43, demzufolge sich Arbeiter genauso wie Angestellte an den gewalttätigen „jingo crowds“ beteiligten. Als Beleg hierfür führt er jedoch nur den zeitgenössischen Tagebucheintrag eines Labour-­Abgeordneten an, alle übrigen Verweise beziehen sich auf die – unbestrittene – Teilnahme von Arbeitern an den Siegesfeiern. 168 Vgl. Price, Imperial War, 1972, S. 97 – 131. Dagegen vgl. Readman, Conservative Party, 2001, S. 112. 169 Vgl. Sharpe, The Liberal Party, 2000, S. 5 f.

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Als der Krieg sich dann jedoch wider Erwarten noch über eineinhalb Jahre hinzog, verlor die Regierung rapide an Popularität, und auch die imperiale Expansion büßte als politisches Programm jegliche Attraktivität ein. Dabei war es vor allem Chamberlain, den die oppositionelle Presse für den immer unpopulärer werdenden Krieg verantwortlich machte. In der heutigen Forschung gilt zwar Hochkommissar Milner als die treibende Kraft für die Eskalation der Gewalt in Südafrika, aber zeitgenössische oppositionelle Stimmen warfen insbesondere Chamberlain vor, den Krieg gewollt zu haben. In seinem ersten Kommentar zum Friedensschluss am 3. Juni 1902 machte der M ­ anchester Guardian Chamberlain zudem dafür verantwortlich, dass es nicht schon früher zu einem Ende des Krieges gekommen sei, und bezeichnete die Lösung des Konfliktes durch Verhandlungen als „Triumph“ des Oppositionsführers Campbell-­Bannerman.170 Die Times hingegen lobte Salisbury, Chamberlain, Milner und Kitchener für die erfolgreiche Beendigung des Krieges.171 Zugleich stellte sie mit Blick auf die liberale Presse am 4. Juni 1902 fest: It is one of the humorous points of the situation that those who are usually ready to declaim against the military spirit and to concede grudgingly any recognition of military service, have in this case made the military servant of the country their hero.172

Tatsächlich findet sich in der Ausgabe des Manchester Guardians vom Folgetag ein lobender leader über Kitchener. Mit Blick auf die bekannte antidemokra­tische Einstellung des Oberkommandierenden hieß es zwar: „Lord Kitchener’s bent of mind is perhaps not one with which Liberals have much natural sympathy.“ Zudem ­seien auch die Methoden seiner Kriegsführung nicht immer die besten gewesen. Dafür habe er aber in Südafrika sein Talent für die Diplomatie bewiesen: „His personal influence has done more than any other man’s to bring about the peace on which the country is now congratulating itself.“ 173 Wenn einer der

170 The Terms of Peace, in: The Manchester Guardian, Nr. 17414, 3. 6. 1902, S. 6. 171 Vgl. The Peace, in: The Times, Nr. 36783, 2. 6. 1902, S. 11; The Peace, in: The Times, Nr. 36785, 4. 6. 1902, S. 11. 172 The Peace, in: The Times, Nr. 36785, 4. 6. 1902, S. 11. 173 Lord Kitchener, in: The Manchester Guardian, Nr. 17416, 5. 6. 1902, S. 6.

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v­ erantwortlichen politischen Akteure in den Augen des Guardian den Verdienst der Beendigung des Krieges für sich reklamieren durfte, dann nur Kitchener, nicht jedoch ein Mitglied der Regierung in London. Die Geschichte der Verhandlungen mit den Buren bot den oppositionellen Zeitungen durchaus eine gewisse Grundlage für diese Interpretation. So machte die Opposition und ihre Presse die unionistische Regierung, insbesondere Chamberlain, für die lange Dauer des Krieges und die damit verbundenen Kosten und Verluste verantwortlich. Und in Anbetracht der zunehmenden Unpopularität der imperialen Expansion erinnerte die oppositionelle Presse nach der Jahrhundertwende gerne an den Krieg, um die Regierung anzugreifen.174 Für die deutsche Regierung begann die Zeit um die Jahrhundertwende ebenfalls nicht ohne Erfolge. Zwar waren die guten Beziehungen, die Deutschland mit England pflegte, unpopulär. Aber als im Dezember 1899 die ­englische Marine den deutschen Postdampfer „Bundesrath“ vor der Küste Afrikas festhielt und auf Konterbande für die Buren durchsuchte, instrumentalisierte die Reichsleitung die Empörung darüber in Deutschland, um im Reichstag eine weitere Vergrößerung der Flotte durchzusetzen. Nachdem die Regierung anfangs versucht hatte, die Anglophobie in Deutschland zu mäßigen, nutzte sie nun die antienglische Stimmung für ihre Zwecke.175 Die Strategie war erfolgreich, die Berliner Morgenpost titelte am 7. Juni 1900: „Die Flottenvorlage angenommen. Ein müheloser Sieg der Regierung.“ 176 Der Boxerkrieg schließlich erfreute sich zu Beginn sowohl in Deutschland als auch in England großer Legitimität. Angesichts der Nachrichten über die Bedrohung der Europäer in Peking stellten sich nur fundamentaloppositionelle Blätter wie der Vorwärts gegen den Militäreinsatz. Die deutsche Regierung versuchte den weitverbreiteten Ruf nach einem geschlossenen Vorgehen gegen China für ihr eigenes Prestige zu instrumentalisieren und sandte ein großes Truppen­kontingent in das Kriegsgebiet. In der bürgerlichen Presse stieß der Kurs der Reichsleitung auf große Zustimmung. Die Kölnische Volkszeitung mahnte zwar nach den Reden Wilhelms II. „Besonnenheit“ an und hielt eine Politik der

174 Vgl. etwa die Karikatur What He Left Behind, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2743, 8. 3. 1903, S. 5 (Abb. 6). 175 Vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 151 – 153; Bender, Burenkrieg, 2009, S. 186 – 209. 176 Die Flottenvorlage angenommen. Ein müheloser Sieg der Regierung, in: Berliner Morgen­ post, Nr. 130, 7. 6. 1900.

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Abbildung 6  Reynolds’s Newspaper, 8. März 1903

territorialen Annexion in China nicht für wünschenswert. Aber auch sie sprach sich nach dem Tod des deutschen Gesandten für ein hartes Vorgehen gegen China aus.177 Innerhalb des Bürgertums stand die Legitimität des Militäreinsatzes kaum infrage. Wenngleich etwa die Ehefrau des Soziologen Max Weber, Marianne Weber, an eine Korrespondenzpartnerin schrieb, dass sie den Einsatz „gräßlich“ fände und „im Grund […] auf der Seite der Chinesen“ stehe, hielt sie dennoch daran fest, dass Deutschland an der Intervention teilnehmen müsse, dies sei „Selbstbehauptungspflicht“.178

177 Reden des Kaisers, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 604, 9. 7. 1900, Zweites Blatt. 178 Zit. nach Radkau, Max Weber, 2005, S. 353.

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Wie in England während des Burenkriegs ist aber auch im Fall der deutschen Arbeiter die Zustimmung zu dem Militäreinsatz in China fraglich.179 Für eine Kriegsunterstützung unter den Arbeitern spricht, dass, von einigen Versammlungen zu Beginn des Krieges abgesehen, die Opposition der Sozialdemokratie sich auf die Parteipresse und die Reichstagsdebatten beschränkte. Rosa Luxemburg, die die mangelnde Agitation auf dem Mainzer Parteitag im September 1900 kritisierte, meinte dazu, man könne fast den Eindruck gewinnen, dass die Sozialdemokratie sich „so ruhig verhält, weil sie auf den offiziellen und nichtoffiziellen Chauvinismus zu viel Rücksicht nimmt“.180 Ein anderes Bild vermitteln die Spitzelberichte aus den Hamburger Arbeiterkneipen. Im Unterschied zu den Gesprächen bei der Besetzung Kiautschous (1897/98) gab es während des Boxerkriegs keine einzige Stimme, die das Vorgehen der deutschen Regierung guthieß.181 Für den Aufstand wurden, ganz wie in der sozialdemokratischen Presse, in erster Linie die Großmächte (besonders Deutschland), in zweiter Linie die Missionare verantwortlich gemacht. Am 23. Juni 1900 nannte ein Arbeiter als Grund des Aufstandes, dass die europäischen Mächte „seinerzeit den Chinesen verschiedene Landstriche abzwickten und ihnen mit Gewalt europäische Kultur beibringen wollten“. Nun würden sich die Chinesen wehren und für den Arbeiter schien es sicher, dass das „Blutvergießen […] kein Ende nehmen“ werde. Auch für den Gesprächsteilnehmer rächte sich nun „das vielfach an den Chinesen begangene Unrecht“, Deutschland habe die „indirekte Veranlassung für den Aufstand gegeben“; statt der Gewaltpolitik plädierte er dafür, China sich selbst zu überlassen und friedliche Beziehungen zu knüpfen.182 In einem Gespräch im Juli machte ein Arbeiter „das rücksichtslose Vorgehen der Missionare“ für den Krieg verantwortlich, für einen anderen waren hingegen „nicht allein die Missionare schuld, sondern hauptsächlich die Großmächte“.183 179 Ute Wieland und Michael Kaschner vertreten in dieser Frage die These, dass „Flotten­ begeisterung und die Idee eines expansiven Nationalismus über die bürgerlichen Schichten hinaus auch in den Reihen der sozialdemokratischen Arbeiterschaft verbreitet waren“, vgl. Dies., Reichstagsdebatten, 2002, S. 191. 180 Zit nach ebd., S. 190. 181 So zumindest in der von Richard Evans herausgegebenen Quellenedition, Ders. (Hg.), Kneipengespräche, 1989, Nr. 289 – 292, S. 357 – 359. 182 Graumann, 23. 6. 1900, in: ebd., Nr. 289, S. 357 f. 183 Graumann, 19. 7. 1900, in: ebd., Nr. 290, S. 358.

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Allerdings lässt sich fragen, wie repräsentativ die eng ins sozialdemokratische Arbeitermilieu eingebundenen Hamburger Kneipenbesucher waren. Aufschlussreich ist hier ein Stimmungsbericht aus einer Beilage des Vorwärts vom 13. Juli 1900, der dem sozialdemokratischen Leitorgan aus dem rheinisch-­westfälischen Industriebezirk zugesandt worden war. Der Autor ­dieses Berichtes schrieb, dass er täglich mit dem Zug von Essen nach Dortmund und zurück fahre. Seit einigen Wochen würden sich alle Gespräche um China drehen und dabei sei „nirgends im Volk Begeisterung für einen Rache-­Kreuzzug“ zu finden. Darauf schilderte er mehrere Gespräche von Fahrgästen, die die unterschiedlichsten Berufe ausübten („Ein Schneidermeister, ein Hausbesitzer und ein Geschäftsreisender unterhielten sich im Eisenbahnwagen über das Thema“). In den Gesprächen wurden alle Argumente geäußert, die auch im Vorwärts zu lesen waren. Da der Bericht offensichtlich der politischen Agitation dienen sollte, ist sein Wert als Quelle für die Einstellung der Bevölkerung sicherlich begrenzt. Durchaus von Interesse sind aber die Relativierungen, zu denen sich auch dieser Artikel verpflichtet fühlte. So wird einem „alten Veteranen“ in den Mund gelegt, dass man die „Niedermetzelung der Europäer“ nicht zu billigen brauche, um gegen den Krieg zu sein. Und gleich am Anfang des Berichts heißt es: „Daß der deutsche Soldat dabei allen anderen gegenüber darausgestrichen wird, änderte an der eigentlichen Stimmung nichts.“ 184 Auch der Vorwärts bestritt also nicht, dass es in der Bevölkerung Sympathien für die Soldaten an der Front gab. Dass eine s­ olche Stimmung auch unter den Arbeitern verbreitet war, ist durchaus plausibel. So waren zahlreiche Arbeiter Mitglieder in den Kriegervereinen des Kaiserreichs, ein gewisser Stolz auf die eigene Militärzeit war auch unter den Anhängern der Sozialdemokratie verbreitet. Hierauf könnte sich Rosa Luxemburg bezogen haben, wenn sie den „nichtoffiziellen Chauvinismus“ unter den Arbeitern beklagte.185 Allerdings erscheint es ähnlich wie im englischen Falle fraglich, ob Sympathie und Unterstützung für die Soldaten an der Front als Zeichen ­­ für die Popularität einer expansiven, imperialistischen Politik gewertet werden können. Der Militarismus in der englischen und deutschen Gesellschaft schien eher dazu beigetragen zu haben, dass Arbeiter einen einmal ausgebrochenen imperialistischen Krieg aus

184 Stimmen aus dem Volke, in: Vorwärts, Nr. 160, 13. 7. 1900. 185 Vgl. Wieland/Kaschner, Reichstagsdebatten, 2002, S. 191.

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Solidarität mit den Soldaten unterstützten oder nur schwer für die Opposition gegen diesen Krieg zu mobilisieren waren. Ähnlich wie in England zu Beginn des Burenkrieges fanden in Deutschland keine größeren Demonstrationen gegen den Boxerkrieg statt. Hier gingen die Menschen auf die Straße, um die nach China abreisenden Truppen zu verabschieden – darüber berichtete die nationalistische Presse ausführlich –186 und sie organisierten zahlreiche größere antibritische Protestveranstaltungen gegen den Burenkrieg.187 Ob der Imperialismus um die Jahrhundertwende Kriegsbegeisterung und Militarismus in der Bevölkerung mobilisierte, ist jedoch fraglich. Nach dem Ende der Belagerung verlor der Militäreinsatz in China an Popularität, und die Kritik an seinen Kosten nahm zu. Insgesamt lässt er sich schwerlich als Prestigeerfolg für die kaiserliche Regierung bewerten. Allerdings wirkte sich der Popularitätsverlust des Militäreinsatzes auf die verantwortlichen politischen Akteure unterschiedlich aus. Die Sorgen und Ängste, die die ‚Weltpolitik‘ auslöste, assoziierte die kolonialskeptische Presse vor allem mit dem deutschen ­Kaiser. Als die Kölnische Volkszeitung in Reaktion auf eine Kaiserrede am 11. Juli 1900 wieder Befürchtungen vor einer „abenteuerlichen Weltpolitik“ äußerte, erinnerte sie zugleich daran, dass durch Bülows Äußerungen seit seinem Amtsantritt „ein Zug der Besonnenheit, der Friedensliebe, der Anerkennung der Rechte der anderen Mächte und besonders der Zurückhaltung hinsichtlich unserer Bestrebungen in China“ gegangen sei.188 Vor allem stieß die ‚Hunnenrede‘ des Kaisers auf scharfe Kritik, auch unter den Anhängern der Regierung fand sich kaum eine Stimme, die den ursprünglichen Wortlaut verteidigte.189 Bülow hingegen schaffte es in der Reichstagssitzung im November wieder geschickt, unterschiedlichen Erwartungen entgegenzukommen. Gleich zu Beginn seiner Rede stellte er klar, dass man „keine Politik der Abenteuer“ plane und „keinen Eroberungskrieg“ führe. Die ‚Hunnenrede‘ verteidigte er zwar, schränkte dies jedoch mit der Bemerkung ein, der ­Kaiser habe als Soldat gesprochen, nicht als Diplomat, und ergänzte: „Daß die Diplomatie dabei nicht zu kurz kommt,

186 Vgl. etwa Graf Waldersee, in: Freiburger Zeitung, Nr. 191, 18. 8. 1900. 187 Vgl. Eberspächer, Albion, 2006, S. 200; Bender, Burenkrieg, 2009, S. 30 f. 188 Graf Bülow und die auswärtige Politik des Deutschen Reiches, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 626, 11. 7. 1900, Zweites Blatt. 189 Vgl. Kap. 1.2.

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dafür lassen Sie mich sorgen!“ 190 Damit verfestigte auch Bülow „das Bild eines unmündigen Kaisers, der durch die Regierung und die Öffentlichkeit kontrolliert werden müsse“.191 So schaffte es Bülow mit seinen Reden im Reichstag zu punkten. Ein Hamburger Spitzelbericht fasst eine Unterhaltung sozialdemokratischer Arbeiter folgendermaßen zusammen: Der neue Reichskanzler hätte schon in seiner ersten Rede bewiesen, daß er sein neues Amt vorstehen könne. Trotzdem ihre Partei mit solchen Leuten nicht viel im Sinn hätte, müßten sie doch zugeben, dass Bülow ein Mann ist, der große Energie und Ausdauer besitze. […] Bebel habe bei der jetzigen Chinaangelegenheit auch teilweise sehr frei gesprochen, jedoch Bülow hätte seinen Worten in jeder Weise Rede und Antwort gestanden. Sie hätten schon eingesehen, daß er Bebel vollkommen gewachsen sei.192

Inhaltlich ähnlich urteilte die Berliner Morgenpost mit Blick auf die Rede des linksliberalen Abgeordneten Richter: „Am Grafen Bülow hat er auch einen ­Gegner, bei dem sich das Kreuzen der Klingen schon lohnt.“ 193 In der Folgezeit sollte jedoch auch die Popularität Bülows sinken. Zur Reichstagsdebatte über den Boxerkrieg im März 1901 kommentierte die Morgenpost: „Was den Inhalt seiner gestrigen Reden betrifft, so stand sich Bülow d ­ ieses 194 Mal sozusagen selbst im Wege“. Zudem nahm die Kritik an Bülow im Kontext der Debatten über die deutsche Neutralitätspolitik in Südafrika zu.195 Mit der ‚Granitrede‘ im Januar 1902 schaffte es Bülow zwar wieder, für ein positives Presseecho zu sorgen und sein eigenes Prestige etwas zu steigern.196 Insgesamt litt die Reputation der Reichsleitung jedoch erheblich unter der Berichterstattung über die beiden Imperialkriege, die um die Jahrhundertwende die Medienaufmerksamkeit fesselten. Die ‚Hunnenrede‘ trug zu einem dauerhaften 190 191 192 193

SBR, Bd. 179, 19.-20. 11. 1900, S. 13, 63. Bösch, Öffentliche Geheimnisse, 2009, S. 405. Sackmann, 24. 11. 1900, in: Evans (Hg.), Kneipengespräche, 1989, S. 339 f., Zitat S. 340. Eugen Richter und Graf Bülow. Der China-­Debatte zweiter Tag, in: Berliner Morgenpost, Nr.  273, 21. 11. 1900. 194 Graf Bülow über China. Die neue China-­Vorlage im Reichstage, in: Berliner Morgenpost, Nr.  64, 16. 3. 1901. 1 95 Vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 147. 1 96 Vgl. Bender, Burenkrieg, 2009, S. 246 – 249.

Taumel und Ernüchterung: Zum Wandel der Wahrnehmung der imperialen Expansion

Ansehensverlust des Kaisers bei, und die demonstrative Solidaritätsbekundung Wilhelms II . für England im Januar 1901 stieß gerade in der nationalistischen Presse auf scharfe Kritik.197 Große eigene Erfolge hatte die deutsche Regierung fast gar nicht vorzuweisen und das in einer Zeit, in der sich die Presse intensiv mit den Rivalitäten der imperialen Mächte und der außereuropäischen Welt beschäftigte. Zu Beginn des Burenkriegs konnte Bülow zwar mit dem Samoaabkommen einen langersehnten territorialen Erwerb verkünden, der die deutsche Neutralitätspolitik in Südafrika rechtfertigen sollte, und in der ersten Jahreshälfte 1900 konnte die Regierung eine weitere Vergrößerung der Flotte durchsetzen. Der Popularitätsgewinn für die Regierung infolge der Ernennung Waldersees zum Oberbefehlshaber war jedoch nur kurzfristig. Dass die deutschen Truppen erst in China ankamen, als der Höhepunkt der Kampfhandlungen schon vorbei war, nahm dem deutschen Militäreinsatz viel von dem Glanz, den der Krieg gegen China zu Beginn des Konfliktes in der Öffentlichkeit noch hatte. Dennoch kam es nicht zu einem Kurswechsel in der deutschen Außenpolitik. Während die Regierung in London infolge des Burenkriegs versuchte, das militärische Engagement in der außereuropäischen Welt möglichst gering zu halten und sich nicht mehr, wie noch in den Jahren vor der Jahrhundertwende, ausdrücklich zu einer Politik der imperialen Expansion bekannte, setzte die deutsche Regierung weiterhin darauf, durch imperialistische Erfolge und das Bekenntnis zum deutschen Kolonialreich ihr eigenes Prestige zu verbessern.

197 Vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 149 f.

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B Repräsentationen von Globalität Das lange 19. Jahrhundert gilt als „Epoche Europas“, der Ausbau der imperialen Vorherrschaft über große Teile der Welt nahm dramatisch zu, „Veränderungen, die von Europa ausgingen“, hatten niemals zuvor „ein ­solche Durchschlagkraft in der übrigen Welt“.1 Dementsprechend verbreitet war ein europäisches Überlegenheitsgefühl, gerade in der Berichterstattung über die imperiale Expansion stand Europa seinem Selbstverständnis nach für Fortschritt und kulturelle Höherwertigkeit. In der Presse waren unterschiedliche Begründungen für die behauptete Überlegenheit Europas zu lesen. In den Organen der ­Zentrumspartei finden sich erwartungsgemäß Artikel, die das Christentum den als minderwertig dargestellten nichteuropäischen Religionen gegenüberstellen.2 Dass die Begriffe ‚Europäer‘ und ‚Weiße‘ in allen Zeitungen austauschbar verwendet wurden, zeigt, wie stark auch der zeitgenössische Rassediskurs das Europabild prägte.3 Gerade die prokolonialen Zeitungen griffen häufig auf extrem rassistische Argumentationsmuster zurück, um den angeblichen Unterschied z­ wischen Europäern und Nichteuropäern zu belegen und festzuschreiben.4

Überlegenheitsglaube und antikolonialer Widerstand: Europa, Afrika und China Wenngleich sich die konkreten Argumentationsmuster je nach Ausrichtung eines Blatts unterschieden, war der Glaube an Europas Sonderrolle doch partei- und lagerübergreifend.5 Dies drückte sich nicht zuletzt in der gängigen synonymen

1 Osterhammel, Verwandlung, 2009, S. 20. 2 Vgl. etwa Zur Buddhismus-­Schwärmerei, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 148, 27. 2. 1898, Erstes Blatt. 3 Vgl. Methfessel, Europa, 2012; ­solche Vorstellungen sollten noch bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirksam bleiben, vgl. Dinkel u. a., „Murder of a European“, 2014, bes. S. 236 f. 4 Allerdings finden sich nur selten ausdrückliche Verweise auf jene biologistischen Theorien, die zeitgenössisch in der Wissenschaft diskutiert wurden. Vgl. hierzu Lipphardt/ Patel, Suche, 2007. Zur Bedeutung des Rassediskurses für das europäische Selbstverständnis allgemein vgl. Kaelble, Eine europäische Geschichte, S. 69. 5 Zur Verwendung von religiösen, rassistischen und ökonomischen Argumentationsmustern in der politischen Debatte vgl. Kap. C.

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Verwendung von Begriffen wie ‚Zivilisation‘ und ‚zivilisierte Welt‘ als gleichbedeutend für ‚Europa‘ aus. Nur die sozialdemokratische Presse setzte Europa, insbesondere in Artikeln über die imperialistische Politik in China, auch mit ‚Militarismus‘ und ‚Kapitalismus‘ gleich.6 Nach der Besetzung Kiautschous etwa stellte der Vorwärts China als Opfer kapitalistischer Ausbeutung dar.7 Eine Ende Dezember 1897 veröffentlichte zweiteilige Artikelreihe über „China’s Erschließung durch die Weltmächte“ („ein Stück echt kapitalistischer Geschichte“) kam zu dem Schluss, dass ein „so großer Staatsmann wie Li-­Hung-­Tschang […] mit Recht eine so große Verachtung der europäischen Kultur zur Schau“ trage.8 Aber selbst in der Sozialdemokratie war der Glaube an die kulturelle Überlegenheit Europas vorherrschend, und bei aller Kritik an den militärischen Mitteln der europäischen Staaten schien ihr die Verbreitung der eigenen Zivilisation in der außereuropäischen Welt doch wünschenswert.9 Europa war insgesamt ein äußerst positiv konnotierter Begriff. Auch wenn imperialismuskritische Zeitungen klagten, dass beim Kampf gegen außereuropäische Gegner die eigenen Werte verraten würden, trug dies letztlich zur Reproduktion des Bildes eines (eigentlich) überlegenen Europas bei.10 Den Widerstand, der sich infolge des imperialistischen Vordringens e­ ntwickelte, sah man in Europa nicht als ernsthafte Bedrohung für den Ausbau der eigenen Kolonialherrschaft. Nur vereinzelt erörterte die Presse die Gefahr durch ­größere Widerstandsbewegungen, die Europas globale Vorherrschaft infrage stellen könnten. So nahm der Manchester Guardian eine Meuterei sudanesischer Truppen in Uganda, die Ende 1897 ausbrach und zu Beginn des folgenden Jahres

6 Vgl. auch Methfessel, „Oxident gegen Orient“, 2009; Ders., Europa, 2012, S. 69. 7 Zugleich interpretierte er ganz marxistisch die Ausbreitung des Kapitalismus als Beitrag zu dessen Selbstzerstörung: „Indem der Kapitalismus Ostasien erobert, zeugt er sogleich seinesgleichen in den bevölkerten Landstrichen der Erde. Sobald aber die gelbe Rasse zur kapitalistischen Produktion geschritten sein wird, wird der europäische Kapitalismus ­seinen Bankrott anfangen müssen!“, Der Streit um China, in: Vorwärts, Nr. 297, 21. 12. 1897. 8 China’s Erschließung durch die Weltmächte, in: Vorwärts, Nr. 298, 22. 12. 1897; China’s Erschließung durch die Weltmächte. (Schluß.), in: Vorwärts, Nr. 299, 23. 12. 1897. Li ­Hongzhang war einer der führenden chinesischen Staatsmänner der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nicht zuletzt wegen seiner Weltreise 1896 war er auch den deutschen Zeitungslesern bekannt, vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 2, 1935, S. 1001 f. 9 Vgl. auch Schröder, Sozialismus, 1968; Wegner, Kriegs- und die Kolonialfrage, 2014. 10 Vgl. Methfessel, Europa, 2012, S. 71 f.

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niedergeschlagen wurde, zum Anlass, über die Folgen eines allgemeinen afrika­ nischen Aufstands gegen die europäische Kolonialherrschaft in Afrika nachzudenken.11 Als der Guardian Ende 1898 auf die Ereignisse zurückblickte, stellte er die Frage, was geschehen würde, wenn sich die Meuterei in einem größeren Maßstab wiederholen würde. Bisher gebe es kein afrikanisches Nationalgefühl, stellte der Guardian fest, aber das könnte sich ändern: „Yet imagine the crusade of black men against the white preached in Africa by some black Napoleon […], and the whole fabric of European civilisation in Africa would fall like a house of cards.“ Solche Überlegungen waren allerdings die Ausnahme in der öffentlichen Debatte über die sudanesische Meuterei, der Guardian räumte gleich zu Beginn seines leaders ein: „The Soudanese Mutiny in Uganda has not been one of the great events of the day, yet we should not be surprised if some future historian were to fix on it as one of the most significant.“ 12 Schon etwas ernster genommen wurden ­solche Befürchtungen in der deutschen Berichterstattung über den Kolonialkrieg in Südwestafrika. Als sich Ende 1904 der Aufstand ausweitete und nach den Herero im Norden nun auch die Nama im Süden gegen die deutsche Kolonialherrschaft rebellierten, berichtete die Presse, dass der Widerstand von einem „Propheten“ der „äthiopischen ­Kirche“ angestachelt worden sei. Die Berliner Morgenpost warnte vor den Gefahren einer Bewegung, die es sich zum Ziel gesetzt habe, alle afrikanischen Christen zu vereinen. Es handle sich um „die Anwendung des Grundsatzes ‚Afrika den Afrikanern‘ auf religiösem Gebiete: ‚Den Afrikanern eine afrikanische K ­ irche‘.“ Man wisse aus vergangenen kolonialen Konflikten, „was religiöser Fanatismus in Afrika vermag, noch dazu, wenn er dem Rassengegensatze aufgepfropft ist“.13 Aber auch ohne den direkten Verweis auf die ‚äthiopische Bewegung‘ stellten deutsche Zeitungen den Kolonialkrieg als Kampf „Afrikas gegen Europa“ 14 dar. Allerdings bildeten ­solche Darstellungen keinen dominanten Deutungsrahmen. Zudem dienten Warnungen über die Gefahren des Aufstandes für die

11 Zu ­diesem Aufstand vgl. Furley, Sudanese Troops, 1959; Beachey, Macdonald’s Expedition, 1967, S. 241 – 246. 12 O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16347, 31. 12. 1898, S. 7. 13 Der Prophet der Witbois. Die äthiopische ­Kirche, in: Berliner Morgenpost, Nr. 267, 12. 11. 1904. 14 Die schwarze Gefahr. Erhebung der Witbois in Südwestafrika, in: Berliner Morgenpost, Nr.  238, 9. 10. 1904.

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Kolonialherrschaft im südlichen Afrika auch dazu, mehr Kooperation vom Britischen Empire einzufordern. So beschwerte sich die Morgenpost am 1. Oktober 1904 darüber, dass Aufständische, die vor den Deutschen nach Südafrika geflohen waren, von den Briten nicht ausgeliefert wurden, und appellierte an die gemeinsamen Interessen der Kolonialmächte: Der Aufstand der Herero hat sich zwar zunächst nur gegen die Deutschen gerichtet und die Engländer verschont, im Grunde aber handelt es sich doch nur um einen Ausbruch des Rassenhasses, der, je weniger seine volle Unterdrückung gelingt, um so mehr zu Nachahmung reizen muß.15

Auch während des Boxerkriegs erschienen vergleichbare Artikel, in denen die Furcht vor einer Ausweitung des Aufstands in andere asiatische Regionen geäußert wurde. Allerdings waren sie sehr selten und hatten keinen Einfluss auf die gängige Wahrnehmung des Konflikts.16 Nur zu Beginn des indischen Grenzkriegs 1897 prägten s­ olche Deutungen die Debatte, als die englische Presse die Möglichkeit einer antibritischen, panislamischen Bewegung erörterte. Diese Bedrohung betraf in der zeitgenössischen Wahrnehmung aber nur das Britische Empire, nicht die europäische Kolonialherrschaft als Ganzes. Zudem dominierte sie die Berichterstattung nur für wenige Tage, bis sich die Gemüter in England nach Eintreffen der Nachricht über die offizielle Verurteilung des Aufstands durch den Amir von Afghanistan beruhigten.17 Insgesamt erschien Widerstand gegen den Kolonialismus vor allem als lokale Angelegenheit, Ängste vor einer allgemeinen Erhebung gegen die imperiale Vorherrschaft Europas kamen nur vereinzelt zur Sprache. Typisch war eher der Glaube, dass das europäische Ausgreifen über den Rest der Welt ein unaufhaltsamer Vorgang sei. Einzige Ausnahme war Abessinien, das in dieser Zeit allgemein als unabhängiger Staat anerkannt wurde.18 Alle in der Nilregion aktiven imperialistischen Staaten waren nach dem Sieg Abessiniens über Italien an guten Beziehungen

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Die Herero flüchten auf britisches Gebiet, in: Berliner Morgenpost, Nr. 257, 1. 11. 1904. Vgl. Methfessel, Europa, 2012, S. 70. Vgl. Kap. 1.3. Vgl. auch Gong, Standard, 1984, S. 119 – 123, dem zufolge hierfür neben dem Sieg über Italien entscheidend war, dass der abessinische König Menelik die europäischen Kriegsgefangenen

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mit ­diesem afrikanischen Staat interessiert. Das gilt auch für die britische Regierung, die den Beginn des Krieges gegen den Khalifa noch als Unterstützung für Italiens Feldzug gegen Abessinien dargestellt hatte. Als nach dem Rückzug ­Italiens Kontakte ­zwischen Abessinien und dem Sudan sowie Frankreich Sorgen bei den Briten auslösten, entschloss sich London diplomatisch aktiv zu werden. Im Mai 1897 schlossen Großbritannien und Abessinien einen Vertrag, in dem die abessinische Seite zusagte, Waffenlieferungen in den Sudan zu unterbinden und den Khalifa als Feind zu betrachten, wofür die britische Seite territoriale Zugeständnisse an der abessinisch-­somalischen Grenze machte.19 Zugleich wuchs der Respekt vor Abessinien in der britischen Presse.20 Während des Krieges 1896 hatte die Times zwar mit den Italienern sympathisiert und einen Sieg Abessiniens als Gefahr für die ‚Zivilisation‘ in Afrika dargestellt.21 Im Frühjahr 1897 begrüßte sie jedoch das Aussenden einer eigenen diploma­ tischen Mission nach Abessinien mit der Begründung, zuvor sei Großbritannien dort durch Italien vertreten worden, aber aufgrund der jüngsten Ereignisse sei es selbstverständlich, dass wieder direkte Beziehungen aufgenommen würden: „But since the new treaty which followed the mishap to the Italian arms at Adowa Menelik enjoys the unquestioned right to conduct his own foreign affairs.“ 22 Im April 1899 berichtete der Kairo-­Korrespondent der Daily Mail über

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(nicht jedoch die afrikanischen) gemäß den Standards des europäischen Kriegsrechts behandelte. Vgl. Marcus, Foreign Policy, 1966, S. 120 – 122; Sanderson, Conflict, 1969, S. 34 f. Zugleich pflegte der abessinische König Menelik aber auch gute Beziehungen mit Frankreich. Obwohl die beiden Historiker der Außenpolitik Meneliks, G. N. Sanderson und Harold G. Marcus, dessen politischen Ziele unterschiedlich interpretieren, stimmen sie beide darüber ein, dass er ein „far-­sighted diplomatist with an almost Bismarckian capacity for keeping several irons in the fire“ war, vgl. Sanderson, Foreign Policy, 1964, S. 93; Marcus, Foreign Policy, 1966, S. 122. Zum Wandel der Wahrnehmung Abessiniens vor und nach dem Krieg gegen Italien allgemein vgl. auch Marcus, Racist Discourse, 2005. Vgl. Pankhurst, British Reactions, 2005, S. 220 – 224, sowie etwa: The Egyptian Frontier, in: The Times, Nr. 34837, 13. 3. 1896, S. 9. A British Mission to Abyssinia, in: The Times, Nr. 35135, 24. 2. 1897, S. 9. Anfang März erschienen zudem zwei Gastbeiträge von Autoren, die beide auf Erfahrungen als britische Vertreter in Abessinien verweisen konnten. W. F. Prideaux führte vor allem wirtschaftliche Gründe für die Aufnahme von Beziehungen an (er lobte Klima und Bodenschätze), äußerte sich positiv zur abessinischen Kultur und dem an sich friedlichen Charakter der

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Rückschläge der französischen und russischen Diplomatie in Abessinien, die er darauf zurückführte, dass die beiden Mächte den dortigen Herrscher Menelik unterschätzt hätten: It must be humiliating to be outwitted by one who has been regarded as a half savage, but on mature reflection the astute diplomats who have been endeavouring to make the Abyssinian king their catspaw must surely realise that Menelik is able to see as far into a political milestone as the best of them.23

Von Abessinien abgesehen schien Afrika aber auf unabsehbare Zeit der europäischen Kolonialherrschaft unterworfen zu sein. Während des Konfliktes mit Haiti im Jahre 1897 stellte die Mehrheit der deutschen Presseorgane einen unabhängigen Staat mit schwarzer Bevölkerung als Anomalie dar. Die Kölnische Volkszeitung beschrieb Haiti als Land, „wo selbst ‚Generäle‘ auf den Sohlen laufen, die ihnen die Natur gab“ und stellte zufrieden fest, dass es nur noch drei Staaten „mit herrschender schwarzer Bevölkerung“ gab (Haiti, Liberia und Abessinien), da „die Colonisation der Mächte […] jeder weiteren politischen Emancipation“ vorgebeugt und die „unbedingte Herrschaft des weißen Mannes“ verbreitet und gesichert habe.24 In den späten 1890er-­Jahren berichtete die Presse darüber, wie die europäischen Staaten ihren Machtbereich auf dem Kontinent ausweiteten. Chamberlain konnte sich in Westafrika mit einem politischen Programm durchsetzen, das eine Intensivierung der Kolonialherrschaft und die Entmachtung der

Bevölkerung dort („earth-­hunger is not one of their weaknesses“), um abschließend mögliche territoriale Konzessionen an Abessinien zu erörtern, W. F. Prideaux, The Mission to Abyssinia. To the Editor of the Times, in: The Times, Nr. 35140, 2. 3. 1897, S. 14. V. Rolleston stimmte Prideaux’ Beitrag zu und kritisierte zudem die bisherige antiabessinische Politik Großbritanniens, V. Rolleston, The British Mission to Ayssinia, in: The Times, Nr. 35143, 5. 3. 1897, S. 4. 23 J. E. Woolacott, Menelik and His Friends. The Negus Gives Lessons in the Diplomatic Art, in: Daily Mail, Nr. 935, 25. 4. 1899, S. 4. Etwas später fuhr der Artikel fort: „Menelik’s annoyance at being presented with a musical box by his would-­be friends affords a ­glimpse into the man’s character. The ruler of an outlandish kigdom who questions European visitors as to the latest developments of the Röntgen rays and the progress of the plague in India is no savage.“ 24 Schwarze und weiße Zivilisation, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 831, 15. 11. 1897, Drittes Blatt.

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afrikanischen Eliten vorsah.25 Nach der Faschodakrise räumten Großbritannien und Frankreich ihre lang schwelenden territorialen Konflikte in der Nilregion aus; das im März 1899 geschlossene Abkommen gilt häufig als Ende der ‚Aufteilung‘ Afrikas. (Nach der Jahrhundertwende sollte jedoch noch Marokko in den Fokus der imperialen Rivalitäten geraten.)26 Auch die Entwicklung in China schien in der zweiten Hälfte der 1890er-­Jahre in den Augen mancher Betrachter dem Vorbild Afrikas zu folgen. Nach der Besetzung Kiautschous intensivierte sich die Debatte über die möglicherweise anstehende ‚Aufteilung‘ Chinas unter den imperialistischen Staaten, die zumeist als Teilung in exklusive Interessenssphären z­ wischen den ‚Mächten‘ imaginiert wurde. Dagegen wandte der Manchester Guardian am 23. Dezember 1897 ein: The former parallel is false, because the Africa that was divided between the European Powers was not covered by a single homogeneous civilisation, curiously backward in some respects, but also curiously elaborate in others, and extremely conscious and proud of its distinct and exclusive character, as is the case in China.27

In Afrika hätte ein guter Kolonialismus, den der Guardian vom real existierenden Kolonialismus Großbritanniens und Deutschlands abgrenzte, seiner Meinung nach tatsächlich „Zivilisation“ verbreiten können; China hingegen habe schon seine eigene „Zivilisation“. Mit dieser Stellungnahme bezog der Guardian eine Minderheitsposition, zu Beginn des Kommentars beklagte er, dass kein Imperialist und nur wenige Liberale sich bei der Debatte über die ‚Teilung‘ Chinas für die Perspektive der Chinesen interessieren würden.28 Allgemein herrschte in der englischen Presse zwar die Ansicht vor, dass ein territorial integres, für den Handel aller Staaten geöffnetes China den britischen Interessen am besten diene. Aber China galt als schwacher Staat. In Anbetracht der Annexionen an der Küste Chinas und insbesondere des russischen Vordringens in Nordchina sowie der Unfähigkeit Londons, die protektionistische Wirtschaftspolitik in den russisch kontrollierten Regionen zu verhindern, schien die

25 In Sierra Leone betraf dies sowohl die Krios in der Kolonie als auch die chiefs im Protektorat, vgl. Hargreaves, Establishment, 1956, S. 80. 26 Zur Faschodakrise vgl. Kap. 1.2, zu den Rivalitäten um Marokko Kap. 3.5. und 3.6. 27 O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16028, 23. 12. 1897, S. 4. 28 Ebd.

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Aufteilung Chinas immer weiter zu gehen. Nun waren vermehrt Stimmen zu vernehmen, die forderten, dass Großbritannien ‚Kompensationen‘ erhalten solle, wenn man schon die schleichende Aufteilung Chinas nicht aufhalten könne.29 In Deutschland diskutierte die imperialistische Presse die mögliche Aufteilung Chinas mit weit weniger Besorgnis.30 Für die Freiburger Zeitung machte es am 23. Dezember 1897 keinen Unterschied, „ob die chinesischen Zöpfe ein paar Tage weniger oder mehr in Freiheit dressirt [sic!] werden“.31 Die deutsche Regierung bestritt, dass die eigene Politik die Kohäsion Chinas gefährde. Sie benannte den Fortbestand Chinas als Ziel, betonte jedoch zugleich, dass die Aktivitäten Russlands den eigenen Interessen nicht widersprächen. Wenn Bülow sich im Reichstag gegen eine ‚Aufteilung‘ Chinas wandte, verwies er genauso wie der Guardian auf die lange Geschichte Chinas, allerdings weitaus weniger besorgt: „[D]as chinesische Reich bestehe nun schon seit 4377 Jahren, und ich sehe gar keinen Grund ein, warum das nicht noch wenigstens 3000 Jahre so weiter gehen solle. (Große Heiterkeit.)“ 32 Als dann im Sommer 1900 der Boxerkrieg in China ausbrach, erschien die Situation in China auf einmal weitaus ernster. Mit dem Angriff auf das Gesandtschaftsviertel hatte die chinesische Regierung in der Wahrnehmung der englischen und deutschen Öffentlichkeit ihren ‚barbarischen‘ Charakter offenbart, ein geschlossenes Vorgehen der verbündeten Staaten erschien nun zwingend. Die Rückschläge, die die alliierten Truppen zu Beginn der Kämpfe um Tianjin erlitten, führten zwar zu der Erkenntnis, dass man die militärische Stärke Chinas unterschätzt hatte.33 Auf die negative Darstellung des chinesischen Regimes hatten die Nachrichten über Probleme der alliierten Truppen jedoch keinen Einfluss. Allerdings ließ der Widerstand, den die Boxerbewegung und das chinesische Militär den imperialistischen Staaten entgegensetzten, die Idee einer ‚Aufteilung‘ Chinas nun weniger attraktiv erscheinen. Zwar betrachteten sowohl die britische als auch die deutsche Regierung die Erhaltung der territorialen Integrität

29 Vgl. etwa An Ugly Monday, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10279, 7. 3. 1898, S. 1. 30 Siehe auch: Das russische Geschwader in Port Arthur, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 595, 21. 12. 1897, 1. Ausgabe. 31 Die Vorgänge in China, in: Freiburger Zeitung, Nr. 292, 23. 12. 1897. 32 SBR, Bd. 160, 8. 2. 1898, S. 895 – 897, Zitat S. 896 f. 33 Vgl. etwa Le Malade Imaginaire, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 11015, 19. 7. 1900, S. 1.

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Chinas ohnehin als den besten Weg, um ihre dortigen Interessen zu wahren. In der englischen Presse mehrten sich jedoch darüber hinaus die Stimmen, die sich dafür aussprachen, dass Großbritannien selbst im Falle einer ‚Teilung‘ keine Annexionspolitik verfolgen sollte. Die Zeitungen äußerten die Vermutung, dass Staaten, die einen solchen Kurs verfolgen würden, wenig Freude an ihren neu erworbenen Gebieten haben würden.34 Auch in der deutschen Öffentlichkeit gab es kaum Stimmen, die eine Ausweitung des eigenen Machtbereichs in China forderten.35 Als ernsthafte Gefahr für die Kontinuität der bislang praktizierten imperialen Einflussmöglichkeiten in China betrachteten den Boxerkrieg allerdings weder englische noch deutsche Zeitungen. Der Vorwärts kommentierte zwar zu Beginn des Konfliktes, dass die Mächte sich beim Versuch der Niederwerfung des Boxeraufstands „vielleicht die Zähne ausbeißen werden“.36 Allgemein verbreitet war eine ­solche Beurteilung aber nicht. Die Spekulationen über eine ‚Aufteilung‘ Chinas endeten zwar mit dem Boxerkrieg, das europäische Überlegenheitsbewusstsein gegenüber China war jedoch ungebrochen.37

Monroe-­Doktrin und ‚Gelbe Gefahr‘: Europa, die Vereinigten Staaten und Japan Anders verhielt es sich bei der Berichterstattung über die imperialistische Politik in Südamerika. Grund hierfür war nicht der Widerstand der dortigen Staaten, sondern die zunehmend aktivere Politik der USA in der Region, die den europäischen Staaten die Grenzen ihres Expansionsdrangs aufzeigte.38 Ein wichtiges Ereignis war hier die Intervention im britisch-­venezolanischen Konflikt 1895. Während man in England die amerikanische Intervention akzeptierte und die Presse die Einigung ­zwischen beiden Ländern schließlich parteiübergreifend begrüßte, bewertete man in Deutschland die Monroe-­Doktrin als Verstoß 34 Vgl. Russia’s Yellow Danger, in: Daily Mail, Nr. 1323, 18. 7. 1900, S. 4; „Aged But not Sick“, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 11028, 3. 8. 1900, S. 1. 35 Für eine Ausnahme vgl. den Wiederabdruck eines Artikels aus den „Alldeutschen Blättern“ in: Freiburger Zeitung, Nr. 151, 3. 7. 1900. 36 Die gepanzerte Faust, in: Vorwärts, Nr. 139, 19. 6. 1900. 37 Zum europäischen Überlegenheitsdenken vor 1914 vgl. auch Kaelble, Eine europäische Geschichte, 2008, S. 69 – 7 1. 38 Auch in anderen für das damalige europäische Selbstverständnis wichtigen Debatten waren es vor allem die Vereinigten Staaten, die zu einer Verunsicherung des europäischen Überlegenheitsdenkens beitrugen, vgl. Kaelble, Europäer, 2001, S. 62 – 127.

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gegen das Völkerrecht und bedauerte das britische Nachgeben.39 Das britische Interesse an guten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zeigte sich auch in der Berichterstattung über den Spanisch-­Amerikanischen Krieg 1898 und die Samoakrise 1899, in beiden Fällen betonte die englische Presse die anglo-­ amerikanischen Gemeinsamkeiten.40 In Deutschland hingegen feierte die prokoloniale Presse die Intervention in Haiti nicht zuletzt deshalb, weil sie von Teilen der amerikanischen Presse (nicht jedoch der Regierung) als Verstoß gegen die Monroe-­Doktrin betrachtet wurde.41 Während des Spanisch-­Amerikanischen Krieges herrschte in Deutschland weitaus weniger Sympathie für die Vereinigten Staaten als in England. Insbesondere die Zentrumspresse unterstützte das katholische Spanien und interpretierte den Krieg als Konflikt z­ wischen Amerika und Europa.42 Insgesamt hielt sich jedoch das Mitleid mit dem Verlierer Spanien in Grenzen, der Krieg wurde vor allem als Auseinandersetzung ­zwischen einer aufstrebenden und einer im Niedergang befindlichen Weltmacht gedeutet.43 Der Vorwärts sympathisierte zwar während des Krieges mit den Vereinigten Staaten, verurteilte aber die folgenden A ­ nnexionen als Abkehr von den amerikanischen Gründungsidealen. Ähnlich wie bei England war das Amerikabild der Sozialdemokraten von einer Wertschätzung des freiheitlichen Charakters der dortigen Gesellschaft und Politik bei gleichzeitiger Kritik an der imperialistischen Außenpolitik geprägt.44 Wenngleich sich sozialdemokratische und linksliberale Medien weiter für Kooperation mit Amerika einsetzten,45 nahm in der deutschen Öffentlichkeit die Wahrnehmung der Vereinigten Staaten als nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch außenpolitischer Rivale zu. Die englische Presse hingegen sah in den USA zunehmend einen natürlichen Verbündeten. Dieser Prozess erreichte während der Venezuelakrise 1902/03 seinen Höhepunkt. Die Vereinigten Staaten stellten sich Ende 1902 einer 39 Vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 2, 1935, S. 1701 – 1706; Fiebig-­von Hase, Lateinamerika, Bd. 1, 1986, S. 374 – 376; Czaja, USA, 2006, S. 285 – 288. 40 Zum Spanisch-­Amerikanischen Krieg in der englischen Presse vgl. Seed, British R ­ eactions, 1958, S. 260 f.; Smith, British War Correspondents, 1999. 41 Fiebig-­von Hase, Lateinamerika, Bd. 1, 1986, S. 402 f. 42 Vgl. Czaja, USA, 2006, S. 11, 253 f. 43 Vgl. Hugo, ‚Uncle Sam I Cannot Stand, for Spain I have No Sympathy‘, 1999. 44 Vgl. Czaja, USA, 2006, S. 270, 274 – 277. 45 Vgl. ebd., S. 288 – 292.

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deutsch-­britischen Militäraktion gegen Venezuela entgegen. Aus Sorge vor einer deutlichen Verschlechterung der Beziehungen zu den USA wandte sich die große Mehrheit der englischen Presse gegen das Vorgehen der eigenen Regierung und die Zusammenarbeit mit Deutschland. Großbritannien erklärte sich daraufhin bereit, den Konflikt, wie von den USA vorgeschlagen, durch ein Schiedsgericht lösen zu lassen, und das Deutsche Reich folgte widerwillig d ­ iesem Kurs.46 Insgesamt trugen die imperialen Auseinandersetzungen in Südamerika dazu bei, dass die Vereinigten Staaten in Europa als eine Weltmacht betrachtet ­wurden, die auch dem alten Kontinent Grenzen der eigenen Einflussmöglichkeiten setzen konnte. Ebenso wie die zur gleichen Zeit rege geführten Debatten über den wirtschaftlichen Aufstieg der Vereinigten Staaten hatte die Berichterstattung über die internationale Politik in der westlichen Hemisphäre einen Anteil an der Verun­ sicherung des europäischen Selbstverständnisses vor 1914.47 In anderen imperialen Kontexten erschien die zunehmende Präsenz der USA jedoch weit weniger als Bedrohung für die Position Europas. In der Berichterstattung über Regionen, in denen die Monroe-­Doktrin keine Rolle spielte, wurden die USA als gleichberechtigtes Mitglied im imperialistischen Club und damit der eigenen Seite zugehörig wahrgenommen. In kolonialen Kontexten verwendeten die Zeitungen die Begriffe ‚Europäer‘ und ‚Weiße‘ gleichbedeutend, sodass auch die (weißen) Amerikaner ganz selbstverständlich mit zu den Europäern gezählt wurden.48 Wenn die englische und die deutsche Presse während des Boxerkriegs die Einheit Europas beschworen, taten sie dies in Abgrenzung zu China. Japan und die Vereinigten Staaten zählte man entweder mit zu ‚Europa‘ oder ließ sie außen vor. Dabei verwendeten die Zeitungen den Begriff ‚Europa‘ synonym mit anderen, eng verwandten Begriffen wie dem ‚Okzident‘ oder der ‚zivilisierten Welt‘. Als Bezeichnung für die gegen China verbündeten Staaten benutzte die Presse den Begriff ‚Konzert‘ und übertrug damit die prägende Ordnungsvorstellung der innereuropäischen Beziehungen auf den ostasiatischen Kriegsschauplatz.49 Zwar

46 Vgl. Kap. 3.5. 47 Vgl. auch zur Verunsicherung des europäischen Selbstverständnisses in den europäischen Debatten über den wirtschaftlichen Aufstieg der Vereinigten Staaten: Kaelble, Europäer, 2001, S.  62 – 127. 48 Vgl. Methfessel, Europa, 2012, S. 63. 49 Zur Ordnungsvorstellung des ‚Konzerts‘ vgl. Doering-­Manteuffel, Internationale Geschichte, 2000, S. 95 – 105; Kießling, Friedrich, Briand-­Plan, 2008; Kronenbitter,

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standen die Vereinigten Staaten teilweise in der Kritik, nicht vollständig mit den übrigen Alliierten zu kooperieren. Aber wenn die Zeitungen ­solche Konflikte thematisierten, stellten sie diese zumeist als Riss innerhalb des ‚Konzerts‘ dar, nicht als Gegensatz ­zwischen Weltregionen. Eine Gegenüberstellung von ‚Europa‘ und ‚Amerika‘, wie sie während der Berichterstattung über imperiale Rivalitäten in Südamerika verbreitet war, spielte für die Darstellung des Boxerkriegs keine Rolle. Anders verhielt es sich bei Russland, das in vereinzelten Artikeln als asiatische Macht charakterisiert wurde.50 Neben den USA war in der zweiten Hälfte der 1890er-­Jahre mit Japan ein weiterer nichteuropäischer Staat in den Kreis der imperialistischen Mächte eingetreten. Spätestens mit dem Sieg im Krieg gegen China 1895 wurde Japan zum politischen Faktor in den internationalen Rivalitäten um Ostasien. Die deutsche Politik reagierte nicht nur, indem sie zusammen mit Russland und Frankreich diplomatisch intervenierte und Japan zum Verzicht auf einen Teil der Kriegsbeute zwang. Wilhelm II. ließ zudem ein Gemälde mit dem Titel ‚Völker Europas, wahret Eure heiligsten Güter‘ in Auftrag geben, um vor der Gefahr des japanischen Einflusses in China zu warnen. Auf ­diesem Bild führt der Erzengel Michael die europäischen Nationen, verkörpert durch eine Gruppe von Kriegerinnen, über denen ein Kreuz leuchtet, während am Horizont Rauchschwaden wabern, die die Form eines Drachen sowie eines Buddha annehmen und Asien symbolisieren sollen.51 Die Mehrheit der deutschen Presse teilte die antijapanischen Positionen des deutschen Kaisers jedoch nicht. Sie sympathisierte mit Japan und feierte dessen militärische Erfolge gegen China.52 Auch während der Debatte über die sich Ende 1897 zuspitzenden imperialen Rivalitäten in China spielte die Darstellung Japans als Gefahr für Europa keine Rolle. Als Eugen Richter sich, nach einer Spitze gegen die frühere antijapanische Öffentlichkeitsarbeit Wilhelms II., im Reichstag für gute Beziehungen mit Japan

Friedenserklärung, 2009; zur Übertragung auf den ostasiatischen Kriegsschauplatz vgl. Otte, Boxer Uprising, 2007, S. 158. 50 Vgl. Methfessel, Europa, 2012., S. 55 – 61; Ders., Spreading the European Model by Military Means?, 2012, S. 51. 51 Vgl. Gollwitzer, Europabild, 1964, S. 330; Liu, Von der „Gelben Gefahr“ zur Eroberung Chinas, 2004, S. 248; Seligmann, Germany, 2007, S. 110 f. 52 Vgl. Gollwitzer, Die Gelbe Gefahr, 1962, S. 165 f., 209; Wippich, Japan-­Enthusiasm, 2006, bes. S. 65 f.

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aussprach, entgegnete Bülow, dass man nicht daran denke, „dem japanischen Volke zu nahe treten zu wollen, dessen rasche Entwicklung und hohe Begabung Europa Achtung einflößen“.53 Die prokoloniale Presse stellte Japan zwar als asiatische Macht dar, hielt gute Beziehungen zu ­diesem Land aber für wünschenswert.54 Manchmal berichtete sie sogar mit Sympathie über Japan. Wohl mit Blick auf die innenpolitische Debatte über das anstehende Flottengesetz bekundete der Berliner Lokal-­Anzeiger am 22. Dezember 1897 seinen Respekt vor den Anstrengungen ­dieses Landes beim Aufbau einer Marine: [D]enn Japans Volk ist äußerst kriegerisch, opferwillig, und bei einer unglaublichen Bedürfnislosigkeit in der Lage, Lasten auf sich zu nehmen, Ausgaben zu machen, die europäischen Staaten im Verhältnis nicht leicht fallen, selbst wenn sie zum Nutzen der Allgemeinheit gemacht werden müssen.55

In der englischen Öffentlichkeit erschien Japan neben den USA manchen sogar als möglicher Verbündeter gegen Russland in China.56 So fragte die Times am 18. Januar 1898 in Bezug auf Japans Einstellung zur britischen Freihandelspolitik in China: „Can we doubt that the one civilized and commercial Power in Asia – can we doubt that Japan will also give it her hearty approbation and support?“ 57 Ähnlich bedauerte die Daily Mail am 27. Juli 1899, dass eine japanische Anleihe nur auf wenig Interesse in London gestoßen sei: It appears, then, as though the British investor might do worse than turn his attention Japan-­wards, the more so as it is of great political importance to England that Japan, whose interests march with ours, should be strong and free from embarrassment.58

53 SBR, Bd. 160, 8. 2. 1898, S. 893, 897, Zitat S. 897. 54 Vgl. etwa Deutschland in China, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1075, 4. 12. 1897, Abend-­Ausgabe. 55 Die Mächte und die ost-­asiatische Frage, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 597, 22. 12. 1897, 1. Ausgabe. 56 Zu den frühen öffentlichen Unterstützern einer Allianz mit Japan vgl. auch Gollwitzer, Die Gelbe Gefahr, 1962, S. 55 – 58, 66; Tobel, China, 1975, S. 114; Nish, Anglo-­Japanese Alliance, 1985, S. 11 – 13, 368. 57 The Negotiations with China, in: The Times, Nr. 35416, 18. 1. 1898, S. 9. 58 Embarressed Japan, in: Daily Mail, Nr. 1018, 27. 7. 1899, S. 4. Für eine ähnlich positive Grundeinstellung zu Japan vgl. auch den ­kurzen Kommentar: o. T., in: Daily Mail, 10. 7. 1899, S. 4.

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Sicher gab es auch japankritische Artikel. So veröffentlichte die Daily Mail am 11. August einen Beitrag ihres Tokyo-­Korrespondenten, demzufolge die Japaner zwar europäische Kleidung tragen würden, aber sonst immer noch „true orientals“ ­seien.59 Die Pall Mall Gazette sprach sich explizit gegen die Zusammenarbeit mit Japan aus: „Could we trust our new-­found ally, who remains an Asiatic after all, despite the precocious imitativeness with which he has put on the garment of the West?“ 60 Während des Boxerkriegs fand das militärische Engagement Japans hingegen große Anerkennung in der englischen Öffentlichkeit, von wenigen Stimmen abgesehen setzte sich die Ansicht durch, Japan als gleichberechtigtes Mitglied der ‚zivilisierten‘ Staaten zu betrachten.61 Die gemeinsame Sorge über das russische Vorgehen in der Mandschurei infolge des Boxerkriegs führte dann dazu, dass es im Sommer 1901 auch auf politischer Ebene zu ernsthaften Bündnisverhandlungen z­ wischen Großbritannien und Japan kam, die im Januar 1902 zum Abschluss eines formalen Allianzvertrags führten. Aufgrund der weitgehenden Verpflichtungen, die das Empire durch die Allianz einging, zeigte sich der hauptsächlich für den Vertrag verantwortliche Außenminister Lansdowne durchaus besorgt über die öffentliche Reaktion auf das Abkommen. Zu seiner Erleichterung stieß es auf unerwartet große Zustimmung. Im Parlament unterstützten ebenfalls Teile der liberalen Opposition das Bündnis und auch die Presse reagierte – bei durchaus vorhandener Kritik – überwiegend positiv.62 Schon wenige Jahre später, während des Russisch-­Japanischen Krieges 1904/05, schien sich der Abschluss der Allianz zugunsten Großbritanniens auszuwirken. Die englischen Zeitungen sympathisierten mehrheitlich mit dem Verbündeten und freuten sich über die überraschenden militärischen Erfolge Japans gegen den traditionellen Rivalen Russland. Viele Zeitungen nahmen dabei Stellung gegen die rassistischen 59 The Lacquer off Japan. Her Material Progress, but Moral Retrogression, in: Daily Mail, Nr. 1031, 11. 8. 1899, S. 4. Vgl. zudem den japankritischen Gastbeitrag: T. H. B., Japan’s New Era. Why Many Foreigners Look on it with Apprehension, in: Daily Mail, Nr. 1001, 7. 7. 1899, S.  4. 60 Not Too Much Japan, in: Pall Mall Gazette, Nr. 10242, 22. 1. 1898, S. 1. 61 Vgl. etwa The Crisis in China, in: The Times, Nr. 36195, 16. 7. 1900, S. 11. Diesem Kommentar zufolge sollte Japan als „vanguard of the civilized Powers“ handeln. Vgl. auch Kap. 2.3. 62 Vgl. Nish, Anglo-­Japanese Alliance, 1985, S. 143 – 244, zur öffentlichen Reaktion bes. S. 224, 226.

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Argumentationsmuster und Beschwörungen einer von Japan ausgehenden ‚Gelben Gefahr‘, die sich teilweise in der kontinentaleuropäischen Presse fanden.63 So bewertete die Daily Mail am 10. Februar 1904 den Angriff Japans auf Port Arthur, der die Kampfhandlungen eröffnete, als „success of the utmost magni­ tude“. Für sie stand fest: „England has shown true foresight in r­ ecognising the high qualities of the Japanese. She has allied herself, not as a certain Continental organ declared at the time with ‚a race of monkeys,‘ but with a brave, determined civilised nation.“ 64 Der Observer schrieb am 29. Mai in Anbetracht der militärischen Lage: „The Japanese successes may well make Englishmen proud of their allies.“ Gegen die Anhänger der These, dass von Japan eine Gefahr für den Westen ausgehe, wandte der Observer ein: „Japanese statesmen have proved that they are reliable and trustworthy; their diplomacy so far has been honest and straight; they have displayed none of the crooked and perverse methods that have been a blot upon Russian statecraft.“ 65 Die Times ging am 7. Januar 1905 sogar soweit, in dieser Debatte Russland als die wahre asiatische Macht zu charakterisieren: „It must be remembered also that we beg many racial questions when we class Russia as a white or European Power. She is herself Asiatic and yellow to an extent difficult to define with precision, but unquestionably very great.“ 66 Während des Boxerkriegs war das Japanbild auch in der deutschen Presse überwiegend positiv.67 Insbesondere linksliberale Zeitungen äußerten große Sympathie für Japan.68 Die Berliner Morgenpost etwa zählte das Land a­ usdrücklich

63 Vgl. zum Folgenden auch Gollwitzer, Die Gelbe Gefahr, 1962, S. 57; Valliant, Selling of Japan, 1974, S. 427 f.; Fabian, Instrumentalisierung, 2011, S. 44 – 48; Porter, Military Orientalism, 2009, S. 88, 90 f., 95, 99 f. Zu einer Verschlechterung des Japanbildes trugen allerdings Berichte von Kriegsberichterstattern bei, die zutiefst verärgert über die rigiden Zensurbedingungen während des Krieges waren und deswegen von ihren ursprünglich projapanischen Positionen abwichen, vgl. Valliant, Selling of Japan, 1974, S.  433 f. 64 Two Disasters for Russia, in: Daily Mail, Nr. 2439, 10. 2. 1904, S. 4. 65 The War in the East, in: The Observer, Nr. 5897, 29. 5. 1904, S. 4. 66 The Yellow Peril, in: The Times, Nr. 37598, 7. 1. 1905, S. 9. 67 Vgl. auch Valliant, Selling of Japan, 1974, S. 415 – 421, zur Öffentlichkeitsarbeit, die von der japanischen Regierung während des Boxerkriegs in Europa durchgeführt wurde. 68 Vgl. auch Alsmeier, Berichterstattung, 2008, S. 54 f., zum positiven Japanbild in der linksliberalen Vossischen Zeitung.

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zu den ‚Kulturmächten‘.69 Und die Freisinnige Zeitung begrüßte am 27. Juli 1900 sogar eine mögliche japanische Expansion in China: Wo die Japaner herrschen, hat die deutsche Industrie auf den Kopf der Bevölkerung den zehnfachen Absatz wie in China und Korea. Gerade die Gelüste von Japan nach Korea und China lenken diesen aufstrebenden Staat von anderen Zielen ab und ­bringen innerhalb der gelben Rasse Streitigkeiten und Gegensätze hervor, die jede Gefahr Seitens derselben für die Völker Europas neutralisieren, selbst wenn eine ­solche aus einem Bunde von China und Japan erwachsen könnte.70

Am 24. August erinnerte die Freisinnige Zeitung an das 1895 von Wilhelm II . in Auftrag gegebenen Gemälde ‚Völker Europas, wahret Eure heiligsten Güter‘. Wohl auf die führende Rolle Japans bei der Einnahme Pekings anspielend, spottete sie, dass bei einer Neuanfertigung nun „unter den Figuren der Frauenschar einer Japanerin der Vortritt“ gebühre und neben dem Kreuz das japanische Nationalsymbol, die aufgehende Sonne, angebracht werden müsse.71 Die hier ausgewerteten konservativen Zeitungen waren zwar nicht ganz so japanbegeistert wie die Morgenpost und die Freisinnige Zeitung; eine Abneigung gegenüber Japan als nichteuropäischer Macht, wie sie sich in der internen Kommunikation Wilhelms II. zur gleichen Zeit finden lässt, bildete jedoch keinen gängigen Deutungsrahmen in der deutschen Presse.72 Erst während des Russisch-­Japanischen Kriegs wandelte sich zeitweise das Japanbild in einem Teil der deutschen Öffentlichkeit. Bei Ausbruch des ­Krieges stellten vor allem konservative und nationalistische Zeitungen Japan als asia­ tische Macht dem europäischen Russland gegenüber. Der Berliner Lokal-­Anzeiger vom 14. Februar 1904 warnte vor den „grundstürzenden Einwirkungen auf die politischen, sittlichen und vor allem auf die wirtschaftlichen Verhältnisse aller europäischen Staaten“, die „dem Triumphe des von Japan repräsentierten Mongolen­tums mit seiner heidnischen Welterfassung und seinen ungemessenen,

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Vgl. Methfessel, „Oxident gegen Orient“, 2009. Die „gelbe Gefahr“, in: Freisinnige Zeitung, Nr. 173, 27. 7. 1900. Es kommt immer anders!, in: Freisinnige Zeitung, Nr. 197, 24. 8. 1900. Vgl. etwa Beim Marquis Ito Hirobumi (Eine Unterredung), in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 314, 8. 7. 1900. Zu Wilhelm II. vgl. Kap. 2.2.

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billigen Arbeitskräften nachfolgen würden“.73 Die Freiburger Zeitung kommentierte am 9. Februar zwar, dass Deutschland „keine Veranlassung“ habe, „für den einen oder den anderen der kämpfenden Teile Partei zu nehmen“. Nichtdestotrotz sympathisierte sie zu Beginn des Krieges klar mit Russland und gab ausführlich einen Pressebericht wieder, der Japan als fremdenfeindliches Volk charakterisierte und den Krieg als Konflikt z­ wischen Asien und Europa darstellte.74 Im Berliner Tageblatt erschien am 11. Februar der Gastbeitrag eines Kaufmanns, der „lange Jahre in ernster Handelstätigkeit im fernen Osten gelebt“ hatte, Japan äußerst negativ beschrieb und prognostizierte, dass ein „Sieg Japans ein fürchterlicher Schlag für die gesamte weiße Rasse sein“ würde. Als Folge einer russischen Nieder­lage sei „ein Ringen um die Existenz ­zwischen der weißen und der gelben Rasse“ nicht auszuschließen.75 Eine ­solche Deutung der Ereignisse war keinesfalls typisch für diese liberale Zeitung. Im Anschluss an den Gastbeitrag leitete das Tageblatt mit der Feststellung, dass man „nicht aus Furcht vor Zukunftsmöglichkeiten die kühle Reserve verlassen“ solle, zum Nachrichtenteil über.76 Am 17. Februar veröffentlichte es zudem einen Gastbeitrag, der den japanfeindlichen Ausführungen des sechs Tage zuvor erschienenen Artikels vehement widersprach.77 Insgesamt berichtete das Tageblatt durchaus nicht ohne Sympathie über Japan und stand damit im Einklang mit der übrigen liberalen Presse.78 Eine klare Parteinahme zugunsten Japans findet sich in der sozialdemokratischen Presse.79 So kommentierte der Vorwärts am 12. Februar, „daß – soweit ein 73 Umschau, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 75, 14. 2. 1904. 74 Japan und Russland, in: Freiburger Zeitung, Nr. 33, 9. 2. 1904, Erstes Blatt. Vgl. auch Russland und Japan. Eine russische Stimme über die Japaner, in: Freiburger Zeitung, Nr. 33, 9. 2. 1904, Erstes Blatt. 75 Japan ohne Schminke, in: Berliner Tageblatt, Nr. 79, 13. 2. 1904, Morgen-­Ausgabe. 76 O. T., in: Berliner Tageblatt, Nr. 79, 13. 2. 1904, Morgen-­Ausgabe. Der Vorwärts ließ sich dennoch die Gelegenheit nicht nehmen, den Gastbeitrag des Tageblatts als Beleg dafür zu werten, dass nun nicht nur die „reaktionäre Presse“, sondern auch „die liberale Presse Partei gegen Japan zu ergreifen beginnt“. Die gelbe Gefahr, in: Vorwärts, Nr. 38, 14. 2. 1904. 77 Japan ohne Schminke. Eine Replik, in: Berliner Tageblatt, Nr. 86, 17. 2. 1904, Morgen-­ Ausgabe. 78 Vgl. Iikura Akira, ‚Yellow Peril‘, 2006, S. 90; Panzer, Prussians, 2016, S. 55. 79 Vgl. auch zur sozialdemokratischen Leipziger Volkszeitung: Paddock, Still Stuck at Sevasto­ pol, 1998, S. 365, 368 f. Zur sozialdemokratischen Russlandkritik im Reichstag im Vorfeld des Kriegs vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 2, 1935, S. 1168.

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moralischer Maßstab für die heutige Weltpolitik überhaupt zulässig ist – Japan im Rechte und Russland sich im Unrechte befindet“.80 Zwei Tage später widersprach er Warnungen vor den Folgen eines japanischen Sieges folgendermaßen: Ohne die Dicke des japanischen Kulturfirniß zu überschätzen, erblickt die Socialdemokratie in Japan doch das aufstrebende Kulturvolk, das sich gegen die dreiste Raubpolitik des hochstaplerischen russischen Absolutismus zur Wehr setzt. Die ­Zerschmetterung ­dieses Absolutismus wäre zugleich der Sieg des russischen Volkes, der Sieg des Fortschritts über aberwitzige Barbarei.81

Vor einer so eindeutigen Positionierung zur Frage der Kriegsschuld hielten sich die meisten Zeitungen jedoch zurück.82 Auch wenn nach Ausbruch des Russisch-­ Japanischen Krieges – anders als etwa während des Boxerkrieges – Stimmen aufkamen, die Japan als Gefahr für Europa darstellten, war eine ­solche Charakterisierung keinesfalls typisch für die deutsche Presse insgesamt.83 Überhaupt sollte die Debatte über die ‚Gelbe Gefahr‘ nicht überbewertet werden. Sie war vor allem Thema vereinzelter Kommentare und Gastbeiträge. Anders als in der Berichterstattung über Kolonialkriege, die durchweg mit Repräsentationen des Europäischen und Nichteuropäischen einherging, beschrieb die Presse den Russisch-­Japanischen ­Krieg zumeist als Konflikt ­zwischen zwei Großmächten, nicht als Auseinandersetzung ­zwischen Kulturen oder Weltregionen. Zudem nahmen die Warnungen vor den Folgen eines japanischen Sieges kurioserweise in dem Maße ab, in dem sich angesichts der eintreffenden Nachrichten immer mehr eine russische Niederlage abzeichnete.84 So kommentierte der Berliner Lokal-­Anzeiger noch am 8. Mai 1904 in Reaktion auf einen japanischen Erfolg, dass sich „das große Kriegsdrama einer entscheidenden Wendung“ nähere, „auf deren Gestaltung die europäischen ­Völker sehr gespannt sind, denn sie kann zu verhängnisreichen Folgen führen“.85 In der

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Einige Dokumente zum japanisch-­russischen Konflikte, in: Vorwärts, Nr. 36, 12. 2. 1904. Die gelbe Gefahr, in: Vorwärts, Nr. 38, 14. 2. 1904. Vgl. Paddock, Still Stuck at Sevastopol, 1998, S. 363. Vgl. auch Gollwitzer, Die Gelbe Gefahr, 1962, S. 209; Iikura Akira, ‚Yellow Peril‘, 2006, S. 89 f.; Panzer, Prussians, 2016, S. 53 – 55. 84 Anders Iikura Akira, ‚Yellow Peril‘, 2006, S. 90. 85 Umschau, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 215, 8. 5. 1904.

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gleichen Ausgabe wird ein Vortrag, den der Geograph Ferdinand von R ­ ichthofen in der Berliner Gesellschaft für Erdkunde hielt, folgendermaßen wiedergegeben: „Wird es Japan gelingen, dem natürlichen Drange Rußlands, sich nach Osten hin auszubreiten, Halt zu gebieten und es wieder nach Westen hin zurückdrängen, vom Meere abzuschließen? Wünschen können wir Europäer dies sicherlich nicht.“ 86 Als der Lokal-­Anzeiger jedoch Neujahr 1905 auf den Krieg zurückblickte, verzichtete er auf ­solche Wertungen und schrieb stattdessen anerkennend zur japanischen Kriegsführung: „Mit überraschender Tatkraft und blendenden militärischen Erfolgen hat der japanische Kaiserstaat seine Gleichberechtigung im Konzert der Großmächte erhärtet und zugleich seinen ersten Aufstieg zu den Höhen der führenden Macht innerhalb der gelben Rasse und an den ostasiatischen Gestaden unternommen.“ 87 Auch nachdem kurz darauf die von der Presse mit großer Spannung verfolgte Belagerung Port Arthurs mit der russischen Kapitulation endete, kommentierte der Lokal-­Anzeiger am 8. Januar nicht im Sinne einer ‚Gelben Gefahr‘. Stattdessen befasste er sich mit den Ursachen der russischen Niederlage und sah diese – zustimmend auf die Meinung „von allen Gebildeten“ des Zarenreichs verweisend – in der „Rückständigkeit des ganzen öffentlichen Lebens in Rußland“.88 In der gleichen Ausgabe erschien zudem ein Beitrag des Schriftstellers Victor Ottmann, der die Japaner gegen Anschuldigungen europäischer Reisender verteidigte.89 Anders sah es die Freiburger Zeitung, die nach dem Fall Port Arthurs einen Artikel der Leipziger „Neuesten Nachrichten“ wiedergab, die den russischen Kommandeur Port Arthurs, Anatolij Stößel, als „Schutzpfeiler der europäischen Kultur gegen die jäh heraufziehende gelbe Gefahr“ bezeichnet hatte. Dem Artikel zufolge hatte dessen langandauernder, zäher Widerstand trotz der letztlich erfolgten russischen Kapitulation das europäische Prestige gerettet:

86 Professor von Richthofen über den Kriegsschauplatz in Ostasien, in: Berliner Lokal-­ Anzeiger, Nr. 215, 8. 5. 1904. 87 Umschau, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 1, 1. 1. 1905. 88 Umschau, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 13, 8. 1. 1905. 89 Ottmann, Victor, Zur Verteidigung des japanischen Charakters, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 13, 8. 1. 1905. Für Ottmann verhielten sich die europäischen Reisenden selbst häufig in einem Maße taktlos, wie sie es sich in Europa niemals erlauben würden, und müssten sich über entsprechende japanische Reaktionen dann auch nicht wundern.

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Wäre es den Japanern gelungen, in raschem Ansturm die russische Macht im Osten zu zertrümmern, so wäre das europäische Prestige, die Autorität des weißen Mannes in der ganzen Welt der gelben Rasse verloren gegangen, so wäre in den siegreichen Japanern zugleich den unübersehbaren Massen des Ostens ein natürlicher Vorkämpfer erstanden, der bald den Schlachtruf erschallen ließe: Asien für die Asiaten!90

Trotz der Wiedergabe solcher Kommentare wandelte sich das Japanbild auch in der Freiburger Zeitung mit der Zeit. So erschien am 7. Januar ein Artikel über die beiden Kommandeure des Kampfes um Port Arthur, der nicht nur dem russischen General Stößel, sondern auch dem japanischen General Nogi Beifall spendete. Über Letzteren konnte man lesen: „Die Lehre der Selbstbeherrschung und der Askese, die tief in der Religion der Japaner wurzelt, hat ihn mit jenen Tugenden geschmückt, die die alten Römer besaßen.“ 91 Und ähnlich wie der Berliner Lokal-­ Anzeiger richtete auch die Freiburger Zeitung nach dem Fall Port Arthurs den Blick auf die inneren Zustände des Zarenreichs und äußerte die Befürchtung, dass die „Bewegung zur Einstellung der Feindseligkeiten in unerwarteterweise im russischen Volke sich ausdehnen und nicht nur gegen einen, die Finanzen des Reiches erschöpfenden Krieg, sondern auch und gleichzeitig gegen die Dynastie selbst und gegen eine korrupte Verwaltung sich wenden könnte“.92 Der Verweis auf die inneren Zustände Russland, insbesondere die korrupte Bürokratie, zur Erklärung der russischen Niederlage war in der deutschen Presse allgemein verbreitet. Die Ereignisse infolge der Revolution 1905 in Russland trugen darüber hinaus dazu bei, den Eindruck russischer Rückständigkeit in der deutschen Öffentlichkeit zu verstärken. Dabei gingen ­solche Darstellungen manchmal mit einer Enteuropäisierung Russlands einher.93 So stellte ein Artikel von Heinrich Graf Pückler im Berliner Tageblatt fest, dass der russische Oberkommandierende Kuropatkin auf seine Niederlage „in der dem Orientalen eigenen fatalistischen Ergebung“ reagiert habe. Er beschrieb die Russen in einer

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Port Arthur, in: Freiburger Zeitung, Nr. 3, 4. 1. 1904, Erstes Blatt. Der Sieger und der Besiegte, in: Freiburger Zeitung, Nr. 6, 7. 1. 1905, Erstes Blatt. Zur Kapitulation von Port Arthur, in: Freiburger Zeitung, Nr. 5, 6. 1. 1905, Erstes Blatt. Vgl. zur Debatte über die russische Rückständigkeit: Paddock, Still Stuck at Sevastopol, 1998, zur Darstellung Russlands als asiatisch etwa S. 366 f. In den hier ausgewerteten deutschen Zeitungsartikeln finden sich explizite Charakterisierungen Russlands als asiatisch allerdings seltener, als es die Zitate im Aufsatz von Paddock erwarten lassen.

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Weise, wie sie sonst eher für die Charakterisierung kolonisierter Völker typisch war: „Der Russe ist ein Kind, blind in seinem Aberglauben, sehr gutmütig, wohlwollend, wohltätig, dankbar, sehr generös, aber sorglos, ohne Initiative, ohne Ausdauer und vor allem fatalistisch indolent.“ 94 Die Hervorhebung der ‚Rückständigkeit‘ des Zarenreichs erlaubte es, die russischen Niederlagen zu erklären, ohne den eigenen Glauben an die europäische Überlegenheit hinterfragen zu müssen. Damit verlor auch die Debatte über eine von Japan ausgehende ‚Gelbe Gefahr‘ für Europa an Relevanz. Schlussendlich trugen auch die Bestimmungen des im September 1905 im amerikanischen Portsmouth geschlossenen Friedensvertrags dazu bei, die ­Sorgen vor der japanischen Machtentfaltung zu dämpfen. Japan hatte trotz seiner militärischen Erfolge großes Interesse an einem Ende der Kämpfe, da seine finanziellen Reserven erschöpft waren. So sah es sich gezwungen, zu Bedingungen Frieden zu schließen, die allgemein als diplomatischer Sieg Russlands gewertet wurden.95 Die deutsche Presse war voll des Lobes für die japanische Kompromissbereitschaft. So konnte man in der Freiburger Zeitung lesen: Seitdem Japan sich entschlossen hatte, in den Kreis der europäisch-­amerikanischen Kulturwelt einzutreten, ist es eine seiner Hauptsorgen gewesen, die Ueberzeugung zu erwecken, daß es in der Tat ein ebenbürtiger Kulturstaat sei, und so zu handeln, wie unter gleichen Verhältnissen ein europäischer Kulturstaat nach seiner Annahme gehandelt haben würde. Es steht außer Zweifel, daß dieser Gesichtspunkt auch jetzt die japanischen Diplomaten wieder mit bestimmt hat: sie wollten der Welt zeigen, daß Japan nicht nur tapfer, energisch und heldenhaft, sondern daß es auch maßvoll und menschlich zu handeln vermöge.96

Für den Berliner Lokal-­Anzeiger stand am Ende des Krieges „das siegreiche Aufsteigen eines asiatischen Volkes […], das nun vollberechtigt in die Reihe der Großmächte eintritt“. Dabei lasse „die Art, wie die friedliche Einigung herbeigeführt worden ist, […] keine Befürchtung aufkommen, daß dem jetzt beendeten Kriege in naher Zeit neue Konflikte im fernen Osten folgen könnten“. Aufgrund 94 Pückler, Heinrich Graf, „Zdielano.“ (Es ist geschehen), in: Berliner Tageblatt, Nr. 131, 12. 3. 1905. 95 Vgl. Schattenberg, Diplomat, 2008. 96 Zum Friedensschluß, in: Freiburger Zeitung, Nr. 206, 3. 9. 1905, Erstes Blatt.

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der „anerkennenswerten Selbstbeschränkung“ habe „Japan sich den größten Anspruch auf den Dank der Friedensfreunde aller Nationen erworben“.97 Trotz zeitweise aufkommender Warnungen vor der ‚Gelben Gefahr‘ führten Kriegsverlauf und Friedensvertrag also letztlich dazu, dass Japan parteiübergreifend in der deutschen Presse als Großmacht und gleichberechtigtes Mitglied im ‚Konzert‘ anerkannt wurde. Damit unterschied sich die Berichterstattung über Japan wesentlich von den sonst üblichen Repräsentationen der außereuropäischen Welt.

Imperiale Hierarchien: Nichteuropäische Kooperationspartner und die europäische Expansion Die Berichterstattung über Japan war ein Sonderfall, in der Regel stellte die Presse das Verhältnis ­zwischen Europäern und Nichteuropäern weitaus hierar­ chischer dar, auch wenn Nichteuropäer bei kolonialen Konflikten auf der europäischen Seite verortet wurden. Dabei waren die europäischen Staaten für ihre imperiale Expansion durchgängig auf die Kooperation von Nichteuropäern angewiesen. Die britische Presse widmete ihren Verbündeten denn auch große Aufmerksamkeit und stellte das Empire durchaus als Kooperationsprojekt mit nichteuropäischen Partnern dar. Für die Legitimation des Sudanfeldzugs etwa war es entscheidend, dass das Territorium im Namen Ägyptens zurückerobert wurde. Die Hierarchie z­ wischen Briten und Nichteuropäern stand dabei allerdings außer Zweifel. Die Pall Mall Gazette zitierte zu Beginn des Krieges zustimmend den britischen Generalkonsul in Ägypten, Cromer, das entscheidende Prinzip in der ägyptischen Politik sei: „European head and Egyptian hands.“ 98 Zu Beginn des Krieges äußerte sich die Presse manchmal skeptisch über die ägyptischen Truppen, die das Hauptkontingent des Militäreinsatzes bildeten. Der erfolgreiche Verlauf der Kampagne führte dazu, dass diese Sorgen nachließen, am Ende des Krieges stellte die Daily Mail beruhigt fest: „It is a great proof of the Sirdar’s capacity and of our young officers’ leadership that the once down-­trodden fellaheen have been converted into real soldiers.“ 99 97 Friede ­zwischen Japan und Russland, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 426, 30. 8. 1905, 1. Ausgabe. 98 Egypt in 1895, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9674, 27. 3. 1896, S. 1 f. 99 O. T., in: The Daily Mail, Nr. 738, 10. 9. 1898, S. 4.

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Auch infolge der sudanesischen Meuterei in Uganda (1897/98) war die Zuverlässigkeit der nichteuropäischen Truppen des Empires Thema der Berichterstattung. Die englische Presse jeglicher Couleur wies allerdings der Regierung und den Offizieren vor Ort die Schuld am Ausbruch des Aufstands zu.100 Es gab zwar eine kurze Debatte über den Sinn des Einsatzes nichteuropäischer Truppen in Regionen fern ihrer Heimat,101 ihr Ansehen war jedoch insgesamt sehr hoch. Vor allem der Status der indischen Armee war geradezu sakrosankt. Bezeichnend sind hier die Erörterungen der Pall Mall Gazette angesichts der Meldung über einen nicht näher erklärten Rückzugs der Sikhs während des indischen Grenzkriegs am 1. Februar 1898. Da Sikhs niemals ohne ausdrücklichen Befehl eine einmal eingenommene Stellung räumen würden, so schlussfolgerte die Pall Mall Gazette, müsse die Schuld bei den britischen Offizieren liegen.102 Weitaus weniger Sympathie als für die nichteuropäischen Truppen des ­Em­pires zeigte die prokoloniale Presse für die ehemaligen Sklaven, die in der Kolonie Sierra Leone angesiedelt worden waren, und deren Nachfahren. Die Mitglieder dieser Bevölkerungsgruppe werden in der heutigen Forschung zumeist als „Krios“ bezeichnet.103 Sie stellten den größten Anteil an den Opfern des 1898 ausgebrochenen Aufstands, und sie galten in der englischen Presse im Gegensatz zu den Bewohnern des Protektorats als ‚zivilisiert‘. In einem Times-­Artikel vom 14. Juni war über die Opfer des Aufstands zu lesen: „All these people are what are called the civilized part of the community“. Einem Missionar zufolge sei es das Ziel der Aufständischen gewesen, „to exterminate the civilized n ­ atives and 104 the whites“. In einem Artikel in der Times vom 28. Mai berichtete eine amerikanische Missionarin, wie sie von „Dr. Jarrett, a coloured colonial ­surgeon“, gerettet wurde.105 Auch wenn der Bericht über einen schwarzen Arzt, der eine weiße Missionarin rettet, alle Stereotype des Afrikanischen und des Europäischen aufbrach, löste er keine Reflexionen in der Times aus und war auch nicht charakteristisch für

100 Vgl. Furley, Sudanese Troops, 1959, S. 325 f. 101 Vgl. etwa G. E. Boyle, Foreign Troops and the British Dependencies. To the Editor of the Times, in: The Times, Nr. 35883, 17. 7. 1899, S. 7. 102 „Somehow.“, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10250, 1. 2. 1898, S. 1. 103 Vgl. Füllberg-­Stolberg, Christliche Missionare, 2005, S. 128. 104 The Sierra Leone Rising, in: The Times, Nr. 35542, 14. 6. 1898, S. 9. 105 The Disturbances in Sierra Leone, in: The Times, Nr. 35528, 28. 5. 1898, S. 7.

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ihre Darstellung der Krios. Die Presse der Krios hatte im Vorfeld des Aufstands die Einführung der in der Kritik stehenden Hüttensteuer scharf verurteilt. Der für die Steuer verantwortliche Gouverneur Sierra Leones sowie seine Verteidiger wiesen dieser ‚Agitation‘ eine Mitschuld am Ausbruch des Aufstands zu.106 Laut dem Autor eines Times-­Artikels vom 27. Juni war es vor allem der „evil i­ nfluence of the Freetown Press“, der beim Ausbruch des Krieges zur Ermutigung der Aufständischen beitrug.107 Die Times kommentierte am gleichen Tag, dass es sicher sei, dass die Opposition gegen die Hüttensteuer zumindest von einem Teil der Presse Freetowns begrüßt wurde.108 Diese Darstellung zeugte von der in konservativen Kreisen zunehmenden Skepsis gegenüber europäisch gebildeten Nichteuropäern, die auch in der Berichterstattung über Indien zum Ausdruck kam. So stellte die Pall Mall Gazette am 23. Juli 1897 in einem leader mit dem Titel „India – Loyal and Disloyal“ die indische Ehrengarde der Queen als Vertreter der loyalen Gruppe den „­ Occidentalized Oriental journalists“ in Indien gegenüber, die sie als Gefahr für das Empire betrachtete.109 Bei allem Respekt vor den indischen Soldaten des Empires war die Rollenverteilung z­ wischen Europäern und Nichteuropäern für die prokoloniale Presse eindeutig festgelegt. In Deutschland war die Zusammenarbeit mit Nichteuropäern bei weitem nicht so ein wichtiges Thema der öffentlichen Debatte wie in England. Bei der Darstellung der beiden militärischen Interventionen des Jahres 1897, die das Bild der deutschen ‚Weltpolitik‘ bestimmten, spielte die Zusammenarbeit mit

106 Vgl. Hargreaves, Establishment, 1956, S. 80. Auch Bischof Ingham wies in einem Brief der Presse in Freetown die Hauptschuld am Ausbruch des Aufstands zu, vgl. E. Graham Ingham, Sierra Leone. To the Editor of the Times, in: The Times, Nr. 35514, 12. 5. 1898, S. 7. Dieser Brief, insbesondere dessen Kritik an der Presse der Krios, führte dazu, dass der Pall Mall Gazette die Angelegenheit nun in einem anderen Licht erschien und sie sich mit einem Urteil zurückhalten wollte, bis die Ergebnisse der offiziellen Untersuchung vorlägen, vgl. o. T., in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10335, 12. 5. 1898, S. 2. Wenige Tage zuvor kommentierte diese Zeitung noch, dass es keinen Zweifel geben könne, dass die Hütten­steuer ein „bad mistake“ gewesen sei, vgl. o. T., in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10330, 6. 5. 1898, S. 2. 107 The Rising in Sierra Leone. (From a Correspondent), in: The Times, Nr. 35553, 27. 6. 1898, S. 4. 108 The Disturbances in Sierra Leone, in: The Times, Nr. 35553, 27. 6. 1898, S. 11. 109 India – Loyal and Disloyal, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10086, 23. 7. 1897, S. 1.

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Nichteuropäern fast keine Rolle. Der Kaufmann Lüders, dessen Verhaftung der Anlass für den Konflikt mit Haiti war, hatte zwar eine haitianische ­Mutter, für die Rechtfertigung der Militäraktion war es jedoch entscheidend, dass er deutscher Staatsangehöriger war. Die Presse stellte den Konflikt dann auch einhellig als einen ­zwischen ‚Schwarzen‘ und ‚Weißen‘ dar.110 Bei der Legitimation des Militär­ einsatzes in China standen die deutschen Missionare im Mittelpunkt. Chinesische Christen spielten praktisch keine Rolle, nur in der Zentrumspresse und den Berichten der Mission wurde ihnen eine Nebenrolle zugewiesen. Wichtiger war die Frage der Zusammenarbeit mit Chinesen jedoch in der Debatte über die Annexion Kiautschous. So erschien der prokolonialen Presse die dortige Bevölkerung insbesondere aufgrund ihres fleißigen und friedlichen Charakters vielversprechend. Hier werden wiederum die Unterschiede zum britischen kolonialen Selbstbild deutlich. Zwar waren auch die respektvollen und würdigenden Darstellungen der indischen Truppen Teil eines rassistisch-­hierarchischen Weltbildes, in Deutschland war die Beschreibung der zukünftigen Kooperationspartner aber offen herablassend. Typisch hierfür war eine in der Presse verbreitete Anekdote über einen chinesischen Offizier, der sich seinen Zopf abgeschnitten und den Deutschen seine Dienste angeboten habe.111 Während es zum englischen Selbstverständnis gehörte, sich eine besondere Fähigkeit in der Führung von Nichteuropäern zu attestieren und gerade als kriegerisch geltende Nichteuropäer als Kooperationspartner zu gewinnen, war die deutsche Darstellung der eigenen imperialen Expansion von dem Willen geprägt, durch möglichst hartes und entschlossenes Vorgehen Respekt zu erzwingen, um das Selbstbild als überlegene Europäer zu bestätigen. Die Kooperation mit Nichteuropäern erschien aus dieser Perspektive zumindest als problematisch. Während der Samoakrise genoss der mit den Deutschen verbündete Mataafa zwar Sympathien in Teilen der deutschen Öffentlichkeit. Bülow wollte sich jedoch keinesfalls an Mataafa binden und sorgte zu Beginn der Krise dafür, dass Zeitungen, auf die die Regierung zwar Einfluss ausübte, die aber nicht als offiziös galten, an die frühere antideutsche Haltung Matafaas erinnerten.112

110 Vgl. Methfessel, Rassistische Prestigepolitik. 111 Vgl. o. T., in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 5, 5. 1. 1898, 1. Ausgabe; Die Proklamation des Vizeadmirals von Diederichs, in: Freiburger Zeitung, Nr. 5, 8. 1. 1898. 112 Vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 1, 1935. S. 851 f.

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Wenig Aufmerksamkeit schenkte die Presse zu dieser Zeit der Kooperation mit afrikanischen Verbündeten, die für die deutsche Politik in Südwestafrika vor Ausbruch des Kolonialkriegs 1904 durchaus charakteristisch war. Da das öffentliche Interesse sich auf die imperialistischen Ambitionen in Ostasien und der westlichen Hemisphäre konzentrierte, schien die Zusammenarbeit mit afrikanischen Hilfstruppen jedoch nicht problematisch.113 So veröffentlichte der Lokal-­Anzeiger am 1. Januar 1898 den Bericht eines Offiziers über die Nieder­ schlagung eines kleineren Aufstands in Südwestafrika. Darin schrieb dieser, dass die von ihm angeforderten Truppen der verbündeten Witboois sich zwar nicht als nötig erwiesen hätten, es aber gut sei, dass die Aufständischen gesehen hätten, „daß bei einem möglichen Kriege die Witboois sofort auch gegen sie zur Verfügung stehen würden“.114 Als die Situation in Südwestafrika infolge des Ausbruchs der Gewalt 1904 zu einem intensiv diskutierten Thema der öffentlichen Debatte wurde, änderte sich die Wahrnehmung jedoch grundsätzlich. Vor allem Hendrik Witbooi perso­nifizierte in den Augen der Deutschen die Illoyalität der Afrikaner. Dieser hatte zunächst den Krieg gegen die aufständischen Herero durch Stellung von Hilfstruppen unterstützt. Im Oktober 1904 nahm er jedoch selbst den Kampf gegen die Kolonialherrschaft auf. Die meisten deutschen Zeitungen betrachteten nun die vorherige Zusammenarbeit als großen Fehler und unterstellten Witbooi, den Verrat schon lange geplant und nur auf den geeigneten Moment gewartet zu haben.115 Einen entschlossenen Verteidiger gegen diese Vorwürfe fand Witbooi allerdings im Vorwärts: „Wenn jetzt in der bürgerlichen Presse über die Treulosigkeit Witbois geklagt wird, so sind diese Vorwürfe vollständig unberechtigt.“ Dem Vorwärts zufolge hatte Witbooi in den vergangenen zehn Jahren den mit dem Kaiserreich geschlossenen Vertrag „getreulich eingehalten“. Als nach Ausbruch des Herero-­Aufstandes die südwestafrikanische Presse begann, über die Entwaffnung aller Kolonisierten und die Einführung

113 Vgl. Kap. 3.3. 114 Ueber den Raubzug der Afrikaner-­Hottentotten, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 1, 1. 1. 1898. 115 Vgl. etwa Hendrick Witboi unter den Rebellen. Die „Kriegserklärung.“ – Südwestafrika im Aufstande. – Verluste im Kampfe mit Morenga, in: Berliner Morgenpost, Nr. 243, 15. 10. 1904; Südwestafrika, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 836, 15. 10. 1904, Morgen-­ Ausgabe.

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von Zwangsarbeit zu spekulieren, habe Witbooi gesehen, „daß [man] es auf die vollständige Unterdrückung aller Eingeborenenstämme, also auch des ­seinigen abgesehen“ habe. In so einer Situation könne man keine Treue erwarten, Witboois Handeln sei „einem nur zu erklärlichen Selbsterhaltungstriebe zuzuschreiben“.116 Auch in der Berichterstattung über den Aufstand in Ostafrika (1905 – 1907), bei dem im Gegensatz zu Südwestafrika die Rekrutierung afrikanischer Soldaten eine entscheidende Rolle spielte, prägte die Furcht vor Illoyalität der angeworbenen Truppen zunächst die Darstellung des Krieges. Die ersten militärischen Erfolge führten dann allerdings zu einer gewissen Beruhigung und einer positiveren Einschätzung der ‚Askari‘.117 Typisch für die deutsche Darstellung war dies jedoch nicht, insgesamt überwog die Skepsis, wenn es um die Zusammenarbeit mit Nichteuropäern ging. Dies zeigt auch ein Artikel über „Geworbene Truppen in Afrika“ im B ­ erliner Lokal-­Anzeiger vom 23. Dezember 1897, der sich mit Ereignissen im Britischen Empire und im Kongo beschäftigt. Der Lokal-­Anzeiger schrieb über die Erfolge Kitcheners im Sudan abwertend, dass diese „nicht seine eigenen Soldaten erkämpft haben“. Für die zukünftige Entwicklung zeigte er sich skeptisch: „[D]ie Untreue steckt von Alters her im afrikanischen Blut“.118 Wenn deutsche Stimmen nach 1904 angesichts der als krisenhaft empfundenen Situation im eigenen Kolonialreich das Empire als vorbildlich bezeichneten, bezog sich dies nicht auf die Strategie, mit Nichteuropäern möglichst zu kooperieren. Die Wahrnehmung der britischen Vorgehensweise war äußerst selektiv. So kommentierte die Berliner Morgenpost nach der Kriegserklärung Witboois, dass es besser gewesen wäre, wenn man ihn schon früher „nach englischem Muster außer Landes“ gebracht hätte.119 In einem Interview, das der aufgrund seiner Gewaltexzesse umstrittene ‚Kolonialpionier‘ Carl Peters der Berliner Morgenpost gab, kritisierte dieser an der deutschen Kolonialpolitik, man dürfe nicht

116 Die Kriegserklärung Hendrik Witbois, in: Vorwärts, Nr. 244, 16. 10. 1904. Für einen ausführlichen Nachweis der Treue Witboois vgl. auch Der Lohn der Treue, in: Vorwärts, Nr.  258, 2. 11. 1904. 117 Vgl. Mezger, „Si vita yawele chani?“, 2004, S. 90 – 92. 118 Geworbene Truppen in Afrika, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 599, 23. 7. 1897, 1. Ausgabe. 119 Südwestafrika im Aufstande. Leutwein zieht gegen die Witbois, in: Berliner Morgenpost, Nr.  244, 16. 10. 1904.

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„die Häuptlinge heute als Untergebene behandeln und morgen zum Diner einladen“. Anders würden die Engländer verfahren: „Sie stellen sich nie mit den Eingeborenen auf die ­gleiche Stufe.“ 120

Der Blick nach innen: Europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl und internationale Konflikte Die positive Darstellung der britischen Kolonialpolitik ist nicht untypisch für die deutsche Wahrnehmung. Die in Deutschland weit verbreitete Anglophobie bezog sich vor allem auf die machtpolitische Rivalität ­zwischen beiden Staaten, äußerte sich jedoch kaum in Kritik an der kolonialen Praxis im Empire.121 Die einzige diesbezügliche Ausnahme ist der Burenkrieg, bei dem die deutsche Presse in ihrer großen Mehrheit die britische Kriegsführung verurteilte. Allerdings interpretierten die Zeitungen des Kaiserreichs diesen Konflikt nicht in den für Kolonialkriegen typischen Deutungsrahmen. Entscheidend für die Angriffe der deutschen Presse war, dass das Empire gegen einen ‚weißen‘ Gegner kämpfte.122 Allgemein zollte man der britischen Kolonialpolitik in der deutschen Öffentlichkeit jedoch Respekt. Im Gegensatz hierzu hatte das deutsche Kolonialreich in der englischen Presse lange Zeit ein schlechtes Ansehen.123 Die wechselseitige Wahrnehmung der kolonialen Praxis beider Staaten führte vereinzelt auch dazu, dass dem Gegenüber bis zu einem gewissen Grade die Europäizität abgesprochen wurde. So warfen deutsche Zeitungen dem Empire vor, dass die Einrichtung von ‚concentration camps‘ nicht mit den Regeln der europäischen Kriegsführung vereinbar sei und die eigenen zivilisatorischen Ideale verrate.124 Ähnlich urteilte die Times, als sie im Oktober 1901 auf die deutschen Kampfhandlungen während des Boxerkriegs zurückblickte und die „useless raids carried on by the Germans“ verurteilte: „The cause of Western

120 Dr. Karl Peters über Südwestafrika (Unterredung unseres Londoner Korrespondenten), in: Berliner Morgenpost, Nr. 257, 1. 11. 1904. 121 Vgl. Kap. 1.7 und Kap. 3.5. 122 Vgl. Bender, Burenkrieg, 2009, und Kap. 2.3. 123 Zeitweise führte allerdings die Ernennung Bernhard Dernburgs zum Direktor des Kolonialamts 1906 (ab 1907 dann Staatssekretär) zu positiveren Nachrichten über die deutsche Kolonialpolitik, vgl. Kap. 3.5. 124 Vgl. Bender, Burenkrieg, 2009, S. 107 f., 113.

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civilization was certainly not served by their facile onslaughts upon a rural population from which no serious danger was to be apprehended.“ 125 Schärfer noch urteilte Rudyard Kipling in seinem Gedicht „The Rowers“, das die Times während der Venezuelakrise im Dezember 1902 veröffentlichte, und in dem Kipling in Anspielung auf die berüchtigte Rede Wilhelms II. die Kooperation mit dem „shameless Hun“ beklagte.126 Nicht nur die deutsche Kriegsführung, auch das deutsche Regierungssystem und die Person des deutschen Kaisers wurden in der Times gelegentlich als wenig europäisch dargestellt. So spottete sie über die Reden anlässlich der Entsendung von Prinz Heinrich 1897 nach China, die den deutschen Anspruch auf Kiautschou untermauern sollte: „Every nation has its own conceptions of eloquence and good taste, and […] the language of German patriotism differs from that in which we are accustomed to express ourselves almost as much as English rhetoric differs from the Chinese.“ Die Sprache Prinz Heinrichs sei eine „language of adulation eminently suggestive of recent Oriental studies“, seine Rede ein Musterstück byzantinischer Huldigung.127 Insgesamt waren s­ olche Enteuropäisierungen jedoch nicht typisch für die wechselseitige Wahrnehmung der Kolonialmächte. Sie waren eher selten, zudem wurde der Vorwurf, in Kolonialkriegen gegen die Werte der eigenen Zivilisation zu verstoßen, auch von innenpolitischen Kritikern häufig erhoben. Vor dem ­Ersten Weltkrieg charakterisierte niemand die deutsche Politik so häufig als ‚hunnisch‘ wie der Vorwärts.128 Darüber hinaus lebte diese Rhetorik davon, dass die Zugehörigkeit Großbritanniens und Deutschlands zu Europa eigentlich unstrittig war. Ernster zu nehmen waren die Darstellungen Russlands als rückständige und teilweise asiatische Macht während des Russisch-­Japanischen Krieges.129 Dass auf diese Weise innereuropäische Differenzen z­ wischen Regionen, die als mehr oder weniger fortschrittlich – und damit mehr oder weniger europäisch – wahrgenommen wurden, in der Darstellung der imperialen Expansion zum Vorschein kam, war die Ausnahme. Anders als aus der europäischen Binnenperspektive 130

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Chinese Affairs, in: The Times, Nr. 36582, 10. 10. 1901, S. 7. The Rowers, in: The Times, Nr. 36957, 22. 12. 1902, S. 9. The Sailing of Prince Henry, in: The Times, Nr. 35389, 17. 12. 1897, S. 11. Vgl. etwa zum Krieg in Südwestafrika: Hunnisches, in: Vorwärts, Nr. 202, 30. 8. 1905. S. o. Vgl. hierzu Dejung/Lengwiler, Einleitung, 2016, S. 32 – 35.

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führte die Gegenüberstellung von Europa und der a­ ußereuropäischen Welt eher dazu, dass innereuropäische Unterschiede an Bedeutung verloren und Europa als Einheit erschien. Die Erörterung nationaler Unterschiede in der Berichterstattung über die imperiale Expansion führte kaum dazu, dass die klare Dichotomie von Europä­ ischem und Nichteuropäischem hinterfragt wurde. Allerdings trug die an Schärfe gewinnende Auseinandersetzung um Einfluss in der außereuropäischen Welt wesentlich zur Wahrnehmung eines von inneren Konflikten geprägten Europas bei. Die medialen Darstellungen Europas im Kontext der imperialen Expansion waren dementsprechend widersprüchlich: Einerseits kamen in der Berichterstattung zahlreiche Repräsentationen des Europäischen und Nichteuropäischen zum Vorschein, die wesentlich das Europabild der damaligen Zeit prägten und ein gewisses europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugten.131 Andererseits diskutierten die Zeitungen nach Anlaufen imperialer Militäreinsätze stets, wie diese sich auf die internationalen Beziehungen Europas auswirken würden und erinnerten so an die zahlreichen Konflikte, die die europäische Staatenwelt prägten. Am größten erschien der europäische Zusammenhalt noch während des Boxerkriegs, als alle imperialistischen Staaten gemeinsam gegen China kämpften. Doch selbst hier gingen die Forderungen nach europäischer Solidarität in der Presse stets mit der Darstellung zwischenstaatlicher Konflikte einher.132 Aus nationaler Perspektive unterschied sich freilich die konkrete Gefahrenwahrnehmung bei den Krisen, die die internationale Politik in den Dekaden vor dem ­Ersten Weltkrieg prägten. Sowohl für das Kaiserreich als auch für Großbritannien lässt sich ein Wandel in der Deutung der eigenen Position innerhalb Europas feststellen. Für Deutschland erschien die internationale Lage zu Beginn der ‚Weltpolitik‘ zunächst äußerst günstig zu sein. Das Krügertelegramm beeinträchtigte zwar um die Jahreswende 1895/96 kurzfristig die deutsch-­britischen Beziehungen, nachdem sich die Empörung hierüber gelegt hatte, galten in der englischen Öffentlichkeit aber wieder Frankreich und Russland als die wichtigsten Rivalen des Empires.133 Die Interventionen in Haiti und China 1897, mit

131 Vgl. Methfessel, Europa, 2012. 132 Vgl. Klein, Propaganda, 2007, S. 176. Zur Bedeutung der zunehmenden Spannungen und des Rüstungswettlaufs für das europäische Selbstverständnis vgl. auch Kaelble, Europäer, 2001, S.  66 – 68. 133 Vgl. Kap. 1.7.

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denen die eigenen Weltmachtansprüche unterstrichen werden sollten, schienen erstaunlich reibungslos zu verlaufen. Die Regierung konnte in der Öffentlichkeit erfolgreich das Bild vermitteln, dass das Deutsche Reich trotz der internationalen Spannungen gute Beziehungen zu allen anderen Mächten pflegte. Der Vorwärts warnte zwar vor den Folgen der wachsenden Rivalitäten um China, weite Teile der Presse hingegen betrachteten die 1898 erfolgte Annexion Kiautschous als großen Erfolg und erfreuten sich an den Konflikten ­zwischen Großbritannien und der französisch-­russischen Koalition.134 1904 kam es jedoch, für die Reichsleitung unerwartet, zur ‚Entente cordiale‘ ­zwischen Großbritannien und Frankreich und 1907 zu einem britisch-­russischen Vertrag über die Interessensphären in Asien. Für das Kaiserreich erschien die internationale Lage immer bedrohlicher. Insbesondere die Algeciras-­Konferenz 1906 nach der E ­ rsten Marokkokrise führte die Isolation Deutschland vor Augen, und in Politik wie Öffentlichkeit setzte sich das Denkmuster der ‚Einkreisung‘ des eigenen Landes in der Darstellung der innereuropäischen Beziehungen durch.135 Großbritannien verfolgte Ende des 19. Jahrhunderts zunächst bewusst eine Außenpolitik der ‚splendid isolation‘, die feste Bündnisse mit europäischen Staaten zu vermeiden suchte. Die zunehmenden Rivalitäten mit Frankreich in Afrika und mit Russland in Asien führten jedoch dazu, dass die selbstgewählte Isolation in den späten 1890er-­Jahren infrage gestellt wurde und Debatten über mögliche Bündnispartner aufkamen. Die militärischen Rückschläge während des Burenkriegs und die zu dieser Zeit auf dem Kontinent weit verbreitete Anglo­ phobie ließen die eigene Isolation darüber hinaus problematisch erscheinen.136 Zeitweise erörterten Politiker und Presse deswegen die Option eines Bündnisses mit dem Deutschen Kaiserreich. Spätestens mit der Eskalation des deutsch-­ britischen Pressekrieges über den Burenkrieg nach der ‚Granitrede‘ Bülows im Januar 1902 war diese Option aber nicht mehr gangbar.137 Stattdessen schloss Großbritannien kurz darauf das Bündnis mit Japan. ­Dieses war ursprünglich keinesfalls als Alternative zur Kooperation mit Deutschland gedacht, zeitweise betrachteten beide Seiten Deutschland als möglichen Partner. Japan hatte sich im Oktober 1900 uneingeschränkt zu den Prinzipien des 134 135 136 137

Vgl. Kap. 1.5. Vgl. auch Daniel, Einkreisung, 2005. Vgl. Fabian, Instrumentalisierung, 2011, S. 15 – 24. Vgl. Kap. 1.7 und Kap. 2.3.

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deutsch-­britischen China-­Abkommens bekannt  138 und hoffte nun, dass sich Deutschland genauso dem britisch-­japanischen Vertrag anschließen würde. Der britische Außenminister Lansdowne lehnte die Einbeziehung Deutschlands letztlich jedoch mit Verweis auf die öffentliche Stimmung infolge von Bülows ‚Granitrede‘ ab.139 Dennoch hatte das Abkommen keine antideutsche, sondern vielmehr eine antirussische Stoßrichtung. Den Kern des Vertrags bildete die Verpflichtung, gemeinsam mit dem Bündnispartner Krieg zu führen, falls dieser in Ostasien in einem militärischen Konflikt mehr als einer Macht gegenüberstehen sollte. Als konkrete Gefahr betrachtete man vor allem französischen Beistand für Russland in einem Krieg gegen Großbritannien oder Japan.140 Der Vertrag mit Japan bezog sich zwar nur auf Ostasien, hatte jedoch folgenreiche Auswirkungen auf die innereuropäischen Beziehungen und deren öffentliche Wahrnehmung. Als sich im Jahre 1903 die Konflikte z­ wischen Russland und Japan verschärften, war die britische Regierung bestrebt, den Eintritt des Bündnisfalls zu vermeiden und suchte deswegen die Annäherung an Frankreich.141 So kam es 1904 zum vertraglichen Ausgleich über die jeweiligen Inte­ ressensphären in Nordafrika, die ‚Entente cordiale‘. 1907 folgte schließlich eine Einigung mit Russland über die Konfliktpunkte in Asien. Die Vereinbarungen mit Frankreich und Russland stellten keine eigentlichen Bündnisverträge dar wie bei der britisch-­japanischen Allianz. Die politische Führung baute die Zusammenarbeit jedoch immer mehr in d ­ iesem Sinne aus. Auch die Times interpretierte die Entente schon 1904 als Gegengewicht zum kontinentaleuropäischen Dreibund aus Deutschland, Österreich-­Ungarn und Italien. Auf linksliberaler Seite stieß diese Stoßrichtung jedoch auf Widerstand. Dem Manchester Guardian zufolge sollte die Einigung mit Frankreich Ausgangspunkt für einen Ausgleich aller europäischen Mächte bilden. Er setzte sich dementsprechend für den Einschluss des Kaiserreichs ein und kritisierte die in der Öffentlichkeit zunehmende Interpretation der Entente als antideutsches Bündnis.142 Trotz unterschiedlicher Auslegungen und Bewertungen der Entente führte die Bündnispolitik nach der Jahrhundertwende schließlich dazu, dass Großbritannien nicht mehr isoliert

138 139 140 141 142

Zum Abkommen vgl. Kap. 2.3. Vgl. Nish, Anglo-­Japanese Alliance, 1985, S. 219 f., 232. S. o. Vgl. Otte, Fragmenting, 2007, S. 96 f.; Rose, Empire, 2011, S. 315. Vgl. ebd., S. 316, 318, 337 – 339; Fabian, Instrumentalisierung, 2011, S. 75 – 78.

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erschien. In der englischen Presse setzte sich das Bild eines in Staatenbündnissen geteilten Europas durch, in dem das eigene Land nun fest integriert war. So ging die Berichterstattung über die imperiale Expansion stets mit der Darstellung innereuropäischer Spannungen einher. Allerdings sah man die globale Vorherrschaft Europas durch die innere Zerstrittenheit nicht gefährdet; der Ausbau der europäischen Vorherrschaft über weite Teile Asiens und Afrikas erschien als unaufhaltbarer Prozess. Einzelne Rückschläge in Kolonialkriegen oder die Behauptung Abessiniens als unabhängiger Staat konnten diese Wahrnehmung nicht beeinflussen. Ebenso führte der Aufstieg der beiden nichteuropäischen Großmächte USA und Japan zu keinen Zweifeln an der Dauerhaftigkeit der europäischen Kolonialherrschaft. Beide Staaten galten als Teil der ‚zivilisierten Welt‘ und wurden etwa während des Boxerkriegs ganz selbstverständlich zu Europa gezählt oder an dessen Seite verortet. Mit Blick auf die Vereinigten Staaten führte nur die Berichterstattung über imperiale Rivalitäten in der westlichen Hemisphäre zu einer klaren Unterscheidung z­ wischen Europa und den USA. Das amerikanische Pochen auf die Monroe-­ Doktrin zeigte den europäischen Staaten Grenzen ihrer globalen Machtentfaltung auf, wobei zumindest in Großbritannien die zunehmende Präsenz der USA in der internationalen Politik begrüßt wurde. Auch Japan wurde von der englischen und deutschen Presse erstaunlich bereitwillig in den Club der imperialistischen Staaten aufgenommen. Während der in dieser Studie behandelten imperialistischen Interventionen äußerten nur wenige Zeitungen Vorbehalte gegenüber der gleichberechtigten Teilnahme eines asiatischen Staates in der internationalen Politik. Erst der Russisch-­Japanische Krieg führte dazu, dass antijapanische Vorurteile, die der deutsche ­Kaiser schon lange pflegte, in einer breiteren Öffentlichkeit Widerhall fanden – aber auch dann keinesfalls unumstritten waren und im Laufe des Krieges wieder abnahmen. So verstärkten in den Jahrzehnten vor dem ­Ersten Weltkrieg die im Kontext der Berichterstattung über Kolonialkriege und imperialistische Interventionen zum Vorschein kommenden Europabilder in beiden Ländern vor allen den Glauben an die eigene Überlegenheit.143

143 Ein Wandel d ­ ieses Europabildes lässt sich in den beiden Dekaden vor Ausbruch des ­Ersten Weltkriegs nicht feststellen. Allerdings änderten sich mit der Zeit die spezifischen Europarepräsentationen, die in den politischen Debatten über die imperiale Expansion zur Untermauerung der eigenen Position instrumentalisiert wurden, und die damit ­verbundenen politischen Zielvorstellungen, vgl. hierzu Kap. C.

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3 Unpopuläre Militäreinsätze 1902 – 1911 Nach der Jahrhundertwerde erreichten britische und deutsche Militäreinsätze in der außereuropäischen Welt nicht mehr ­solche Popularität wie vor der Jahrhundertwende. Damit stehen sie in der Kontinuität des Wandels, der sich um den Jahreswechsel 1900/01 abzeichnete: In Deutschland ebbte im Herbst 1900 die Begeisterung für den Boxerkrieg ab, und in England wurde der Burenkrieg im Verlauf des Jahres 1901 immer unpopulärer. Um typische Charakteristika in der Darstellung imperialer Militäreinsätze für die Zeit nach dem Burenkrieg und vor dem Ersten Weltkrieg aufzuzeigen, werden zunächst die beiden meistbeachteten britischen Kriege aus dieser Phase behandelt: die Expeditionen in Somalia (1901 – 1904) und der Konflikt mit Tibet (1903/04).1 Der Kolonialkrieg in Somalia fesselte die Aufmerksamkeit der Medien zwar nicht in dem Maße wie der Feldzug in den Sudan, der Boxerkrieg oder der Burenkrieg. Genaugenommen gab es sogar Phasen, in denen die Ereignisse in Somalia kaum Beachtung fanden. Aber dieser Militäreinsatz beschäftigte über viele Jahre hinweg immer wieder die Presse, insbesondere die militärischen Rückschläge lösten Debatten in Politik und Medien aus. Damit eignet sich dieser Krieg insbesondere für eine Analyse des Umgangs der Presse mit Niederlagen der eigenen Seite. Obwohl der Krieg gegen Tibet mit einem britischen Sieg endete, lässt sich auch anhand d ­ ieses Konfliktes aufzeigen, dass eine aggressive Imperialpolitik nach der Jahrhundertwende weit weniger Zustimmung fand als in den Jahren vor 1900. Der größte und meistbeachtete Krieg in der deutschen Kolonialgeschichte nach der Jahrhundertwende war der Aufstand in Südwestafrika (1904 – 1907). Nur mit einem massiven Militäraufgebot gelang es dem Kaiserreich nach Jahren, den Widerstand zu unterdrücken.2 Das unterscheidet diesen Krieg g­ rundsätzlich von 1 Die Suche nach „Somaliland“ (27. 5. 1901 – 7. 8. 1905) im Times Digital Archive ergibt 657 Treffer, die nach „Tibet“ (3. 11. 1903 – 28. 9. 1904) 546. Verhältnismäßig große Aufmerksamkeit fand auch der bis 1903 geführte Krieg gegen das Sultanat Sokoto in Nigeria (1. 1. 1900 – 3. 3. 1904, „Nigeria“: 409 Treffer, „Sokoto“: 149 Treffer), vgl. hierzu Kap. 3.6. Laut dem Jahresrückblick der Times fanden zudem im Jahr 1908 zwei Expeditionen an der indischen Grenze statt, vgl. 1908, in: The Times, Nr. 3844, 31. 12. 1908, S. 6 – 8 (1908, „Indian“ + „frontier“: 322 Treffer). 2 Auf ein Unterkapitel zum zweiten großen deutschen Kolonialkrieg, dem Aufstand in Ostafrika (1904 – 1907), wird verzichtet, da dieser im Schatten des Aufstands in Südwestafrika

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Unpopuläre Militäreinsätze 1902 – 1911

den ‚Unruhen‘, die 1909 in Samoa ausbrachen. Diese waren nicht mit Gewalt verbunden und die Nachrichten hierüber lösten nur geringes Interesse in der deutschen Presse aus. Aber gerade deswegen lassen sich anhand ­dieses Ereignisses die typischen Deutungsmuster aufzeigen, die sich nach der Jahrhundertwende in der deutschen Debatte herausbildeten. Weitere Schwerpunkte der Untersuchung sind die britisch-­deutsche Militäraktion gegen Venezuela (1902/1903) sowie die internationale Krise, die infolge der deutschen Intervention in Marokko 1911 ausbrach. Beide Ereignisse prägten die wechselseitige Wahrnehmung und die zwischenstaatlichen Beziehungen Großbritanniens und Deutschlands.3 Zugleich waren sie bedeutsam für Legitimität und Popularität der imperialen Expansion, die abschießend behandelt werden.

3.1 Wachsender Respekt vor dem Gegner: Der Krieg in Somalia Die militärischen ‚Expeditionen‘, die Großbritannien von 1901 bis 1904 in Somalia durchführte, stellen in vielerlei Hinsicht den idealtypischen unpopulären Kolonialkrieg in der Mediengeschichte des Empires dar. Sie lösten keine Begeisterung aus, sondern wurden mit der Zeit immer unbeliebter. Zudem standen sie nie im Fokus des Medieninteresses. Wenn besonders dramatische Nachrichten von der Front eintrafen, diskutierte die Presse den Krieg in Somalia zwar für einige Zeit kontrovers. Aber er war nie das dominierende Thema, zumeist erschienen, wenn überhaupt, nur kurze Nachrichten. Mit der Zeit änderte sich auch die Darstellung des Kriegsgegners. Der über Jahre andauernde Widerstand und die militärischen Erfolge des ‚Mullahs‘ führten dazu, dass die englische Presse ihm zunehmend Respekt zollte.4 stand und sich an ihm nur Entwicklungen aufzeigen lassen, die auch anhand des südwestafrikanischen Krieges behandelt werden können. 3 Für „Venzuela“ (9. 12. 1902 – 16. 2. 1903) zeigt das Times Digital Archive 657 Treffer, für „Morocco“ (3. 7. 1911 – 18. 11. 1911) 671. Auf eigene Unterkapitel für jedes der beiden Ereignisse wird verzichtet, da ihre Bedeutung für die englisch-­deutschen Pressebeziehungen schon gut erforscht ist, vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 183 – 189, 222 – 227. 4 In der Mediengeschichte ist der Krieg in Somalia bisher nur von Glenn R. Wilkinson behandelt worden. Obwohl er den Militäreinsatz einleitend als „outright defeat“ für das Empire bezeichnet, dient ihm auch die Berichterstattung über diesen Krieg als Beleg für das positive Bild von Krieg und Militär in der englischen Presse vor 1914, vgl. Ders.,

Wachsender Respekt vor dem Gegner: Der Krieg in Somalia

Der Gegner des Empires in d ­ iesem Krieg war Mohammed ‘Abdulle Hassan, in der damaligen Presse und in der heutigen Forschung zumeist nur der ­‚Mullah‘ genannt, ein charismatischer religiöser Führer, der in den späten 1890er-­Jahren eine steigende Zahl von Anhängern um sich versammelte und seinen Herrschaftsbereich in Somalia stetig ausweitete. Der Mullah hatte seine Basis zwar im italienisch beherrschten Somalia, drang aber wiederholt in abessinisches sowie britisches Territorium vor und kämpfte dort auch gegen Stämme, die unter dem Schutz des Empires standen. Die Briten wurden zunehmend besorgter über die Aktivitäten des Mullahs und entschlossen sich 1901 militärisch gegen ihn vorzugehen. Im Mai zog ein aus zwanzig britischen Offizieren und somalischen sowie indischen Hilfstruppen bestehendes Kontingent unter der Führung von E. J. E. Swayne gegen ihn zu Felde. Der Mullah stellte sich der Schlacht, seine Derwische mussten jedoch vor der überlegenen Feuerkraft der britischen Maschinengewehre zurückweichen. Ein wesentliches Ziel hatten die Briten jedoch nicht erreicht: Nach der Schlacht entkam der Mullah seinen Verfolgern und schaffte es, sich auf italienisches Territorium zurückzuziehen. Eine zweite, im Juli begonnene Militäraktion verlief ähnlich ergebnislos.5 Die englische Öffentlichkeit widmete der ersten Expedition gegen den Mullah kaum Aufmerksamkeit. Die Times begann ihren ersten leader zu den Ereignissen in Somalia am 30. Mai 1901 mit der Feststellung: In the absorption of public interest by the Boer war, but scant attention has been paid to our little wars in other parts of Africa. Yet in other circumstances they would have appeared as considerable undertakings, and might even have led to much outpouring of legislative eloquence.6

Zu Beginn der Kampagne zeigte sich die Times optimistisch, am 18. Juni äußerte sie die Hoffnung auf ein „decisive engagement“.7 Den Gegner schätzte sie als einen weiteren religiösen Führer von der Sorte ein, wie sie das Britische Empire schon häufiger niedergerungen hatte. Die englische Presse schmähte ihn als

Depictions, 2003, Zitat S. 13. Hier wird dagegen die These vertreten, dass der Krieg kaum geeignet war, Kriegsbegeisterung zu schüren. 5 Vgl. Hess, „Mad Mullah“, 1964, S. 418 – 420; Beachey, Warrior Mullah, 1990, S. 40 – 45. 6 Somaliland, in: The Times, Nr. 36468, 30. 5. 1901, S. 7. 7 Somaliland, in: The Times, Nr. 36484, 18. 6. 1901, S. 9.

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‚Mad Mullah‘. Das Attribut hatte sie schon für einen anderen Mullah verwendet, gegen den die indische Armee 1897 erfolgreich gekämpft hatte.8 Die Times kommentierte, die Biographie des Mullahs habe eine „family resemblance to that of the Mahdi and of other Oriental impostors“.9 Eine Reuters-­Meldung, der zufolge der Mullah seinen Anhängern predige, die britischen Kugeln bestünden aus Wasser und könnten ihnen kein Leid antun, verstärkte den Eindruck, es mit einem religiösen Fanatiker zu tun zu haben.10 Am 17. Juli äußerte sich die Times zufrieden mit den bis dahin stattgefundenen Militäroperationen. Der Mullah sei zwar entkommen, aber es gäbe Grund zu hoffen, dass seine Macht zerstört sei. Mit Blick auf die somalischen Hilfstruppen lobte sie die „unrivalled power of British officers to work up raw native material into first-­rate fighting men“.11 Die Hoffnung der Times erfüllte sich jedoch nicht. Der Mullah erholte sich schnell und führte schon bald wieder Raubzüge im britischen Teil Somalias durch. Swayne, inzwischen zum Commissioner für die Region ernannt, plante deshalb eine weitere Expedition. Diesmal hatte er mehr Truppen zur Verfügung und die Erlaubnis, den Mullah auch auf italienischem Territorium zu verfolgen. Im Oktober 1902 kam es erneut zum Kampf z­ wischen der Truppe Swaynes und den Derwischen des Mullahs. Zwar waren die Verluste auf Seiten des Mullahs weit höher als auf Seiten der Briten, aber Swayne verlor in der Schlacht ein Maschinengewehr, und beide Seiten mussten sich schließlich zurückziehen.12 In England bewertete man den Ausgang dieser Schlacht als Niederlage der eigenen Truppen. Die Times und die Daily Mail gaben dafür der Regierung in London die Schuld.13 Die Times kommentierte am 20. Oktober, dass die zweite Expedition die Gefahren einer „half-­hearted policy“ offenbare. Darüber hinaus

8 Vgl. Edwards, Mad Mullahs, 1989. 9 The Operations in Somaliland, in: The Times, Nr. 36509, 17. 7. 1901, S. 9. 10 The Expedition Aganist the Mad Mullah, in: The Times, Nr. 36484, 18. 6. 1901, S. 5. Die Times verwies in ihrem leader in der gleichen Ausgabe auf diese Meldung, vgl. Somaliland, in: The Times, Nr. 36484, 18. 6. 1901, S. 9. 11 The Operations in Somaliland, in: The Times, Nr. 36509, 17. 7. 1901, S. 9. Mit einem Seiten­blick auf China verglich die Times das britische Talent zur Führung nichteuropäischer Truppen zudem mit der deutschen Unfähigkeit, ein chinesisches Regiment in ­Kiautschou aufzubauen. 12 Vgl. Beachey, Warrior Mullah, 1990, S. 45 – 49. 13 Vgl. The Troubles in Somaliland, in: The Times, Nr. 36907, 24. 10. 1902, S. 7; The Somaliland Reverse, in: Daily Mail, Nr. 2029, 20. 12. 1902, S. 4.

Wachsender Respekt vor dem Gegner: Der Krieg in Somalia

gab sie den somalischen Hilfstruppen eine Mitschuld an der Niederlage und plädierte für mehr Soldaten aus anderen afrikanischen Regionen.14 Die oppositionelle Presse griff die Regierung für ihre Politik in Somalia scharf an. Das Reynolds’s Newspaper kommentierte am 26. Oktober: „Our Government of Rich Men and Great Landlords are at it again. Not yet out of the South African disaster, […] they have received a severe defeat in Eastern Africa.“ Zudem spottete das Blatt über die Charakterisierung des Mullahs als „mad“ in den „Jingo newspapers“ und kam selbst zu dem Urteil: „Well the madman has defeated the mules, for a more obstinate, incompetent, utterly despicable Ministry surely never disgraced this country.“ 15 (Tatsächlich nahm in der gesamten Presse nach dieser Expedition der Respekt für den Mullah zu und die Zeitungen hinterfragten die Angemessenheit des Adjektivs ‚mad‘.)16 Der Manchester Guardian bewertete die Expedition als sinnlos und sprach sich gegen eine Fortsetzung des Krieges aus.17 Somalia – so der Guardian am 21. Oktober 1902 – sei das „most worthless of our African protectorates“. Die Expedition sei eine Fehlentscheidung gewesen: „With a little tact it should have been as easy to maintain good relations with the Mullah as it has been with other Somali chiefs. But the experiment does not seem to have been properly tried.“ Der leader endete mit den Worten: „In the case of a barren country like Somaliland it will be difficult to persuade the ordinary elector that the pleasure of having it coloured red on the map is worth the additional taxes which its effective occupation involves.“ 18 Eine Ausweitung der britischen Herrschaft in das Innere Somalias erschien allerdings auch der kriegsunterstützenden Presse wenig wünschenswert. Die Daily Mail bezeichnete Somalia am 20. Oktober als „one of the least desirable countries on the face of the earth“.19 Selbst Arthur Balfour, der inzwischen das Amt des Premierministers von seinem Onkel Salisbury übernommen hatte,

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Fighting in Somaliland, in: The Times, Nr. 36903, 20. 12. 1902, S. 7. Mullah and Mules, in: Reynolds’s Newspaper, 26. 10. 1902, Nr. 2724, S. 1. Vgl. Wilkinson, Depictions, 2003, S. 19 f. Vgl. The Safety of Colonel Swayne’s Force, in: The Manchester Guardian, Nr. 17537, 24. 10. 1902, S. 6; English Policy in Somaliland, in: The Manchester Guardian, Nr. 17544, 1. 11. 1902, S.  6. 18 The Situation in Somaliland, in: The Manchester Guardian, Nr. 17534, 21. 10. 1902, S. 6. 19 The Somaliland Reverse, in: Daily Mail, Nr. 2029, 20. 12. 1902, S. 4.

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lieferte der oppositionellen Presse eine willkommene Vorlage. In einer Rede im November 1902 erklärte er: „Waterless wastes and nomad fanatics have always been difficult problems to deal with since the very dawn of civilised communities“. Zugleich bezeichnete er den Einsatz in Somalia als nicht besonders wichtig. Der Manchester Guardian nutzte diese Bemerkung, um ein Ende des Militäreinsatzes zu fordern: „As Mr. Balfour attaches no importance to the ‚nomad fanatic‘ in his ‚waterless wastes,‘ he surely ought to put a stop to the expenditure of British money on further attempts to catch this fanatic.“20 Das Foreign Office hielt jedoch eine weitere Expedition für nötig, grenzte aber die Ziele der Militäraktion bewusst ein. In einem Kommentar zur anlaufenden dritten Expedition berichtete die Times am 10. März 1903, Außenminister ­Lansdowne habe darauf hingewiesen, wie schwierig es sei, den Mullah gefangen zu nehmen, und es als Ziel der britischen Politik gegenüber dem Mullah bezeichnet, „to strike a blow at his prestige, restore our own authority, and perhaps compel him to come to terms with us“.21 Die Hoffnung auf einen Prestigeerfolg erfüllte sich jedoch nicht, die dritte Expedition endete in einem Fiasko. Dabei gingen parallel zum britischen Kontingent auch abessinische Truppen gegen den ­Mullah vor. Anfänglich konnte das britische Militär Erfolge melden,22 da der Mullah nun den offenen Kampf mied und sich zurückzog. Dann lockte er einen Teil des britischen Kontingents in eine Falle und schlug es vernichtend. Nach einem weiteren Erfolg des Mullahs zog der britische Oberkommandierende seine Truppen zurück und auch die abessinischen Truppen brachen die Kämpfe ab.23 Dennoch verkündete John Broderick, der Secretary of State for War, im Parlament, die Expedition sei ein „blow“ gegen den Mullah gewesen und es sei keine Folgeexpedition geplant. Die Times widersprach am 1. Mai 1903 dieser Interpretation:

20 Die Rede ist gedruckt in: International Politics. Speech of Mr. Balfour. A Possible Future Menace of Peace. The Continent and Great Britain. Plea for a Better Understanding. The Preservation of the Concert of Europe, in: Manchester Guardian, Nr. 17552, 11. 11. 1902, S. 7. Der Kommentar hierzu: Mr Balfour on Somaliland, in: The Manchester Guardian, Nr. 17553, 12. 11. 1902, S. 4. 21 The Advance in Somaliland, in: The Times, Nr. 37024, 10. 3. 1903, S. 9. 22 Vgl. The Somaliland Expedition. Retreat of the Mullah, in: The Times, Nr. 37053, 13. 4. 1903, S. 3. 23 Vgl. Beachey, Warrior Mullah, 1990, S. 50 – 53.

Wachsender Respekt vor dem Gegner: Der Krieg in Somalia

We have had to fall back before the Mullah, and, however gallant was our defence and however dearly bought his victory, the fact that it was a victory over the infidel is almost certain to increase his prestige and with his prestige his material power.24

Der Manchester Guardian sah sich durch die Rückschläge in seiner Kritik an dem Militäreinsatz bestätigt und forderte am 24. April in einer ersten Reaktion ein Ende des Krieges: „[W]e look to the common sense of the country to cry halt to a war in which valuable lives and a great deal of money are being thrown away.“ 25 Über den Versuch Brodericks, die Expedition als britischen Sieg zu verkaufen, spottete der Guardian am 1. Mai: Mr. Broderick says that the object of the expedition has now been attained, presumably by the two defeats in which British officers have been killed, Indian troops and native levies cut up, and four Maxims lost. This is no jesting matter, for the Government unfortunately cannot make a fool of itself without making a fool of the country. But if Mr. Broderick will, let him have it so.26

Die Ankündigung, keine weiteren Expeditionen durchführen zu wollen, begrüßte der Guardian jedoch. Am 19. Mai stellte er dann aber enttäuscht fest: „[T]he Government has again changed its mind about Somaliland“, und prognostizierte für den nun doch geplanten weiteren Militäreinsatz ein „fresh disaster in Somaliland“.27 Die Nachrichten, die in der Zeit z­ wischen der dritten und vierten Expedition aus Somalia eintrafen, lieferten den Gegnern des Militäreinsatzes reichlich Material für Kritik. Nach dem britischen Rückzug ging der Mullah in die Offensive und zerstörte die von den Truppen des Empires aufgebauten telegraphischen Verbindungen.28 Am 19. Juni druckte der Guardian folgende Meldung zur Situa­tion im Krisengebiet: „The difficulties of military operations in Somaliland, far from lessening, are in fact to all appearances increasing, and

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The Somaliland Debate, in: The Times, Nr. 37069, 1. 5. 1903, S. 7. The Reverse in East Africa, in: The Manchester Guardian, Nr. 17692; 24. 4. 1903, S. 6. The Somaliland Debate, in: The Manchester Guardian, Nr. 17698, 1. 5. 1903, S. 4. Continued Operations in Somaliland, in: The Manchester Guardian, Nr. 17713, 19. 5. 1903, S. 6. 28 The Somaliland Operations. Surprise March by the Mullah. Communications with B ­ erbara Threatened, in: The Manchester Guardian, Nr. 17736, 15. 6. 1903, S. 5.

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the situation is entirely in the hands of the Mullah.“ 29 Die Schuld dafür, dass der Krieg nun fortgesetzt werde, gab der Guardian den ‚men on the spot‘. Broderick habe gegenüber seinen „zealous subordinates in Somaliland“ nachgegeben: „The entire history of the Somaliland war is a history of the tail wagging the dog in this fashion“.30 Auch die Aussagen von Kriegsteilnehmern auf britischer Seite, die am Ende der dritten Expedition in der Presse veröffentlicht wurden, trugen nicht dazu bei, eine Fortsetzung der Kämpfe als wünschenswert erscheinen zu lassen. Der London-­Korrespondent des Guardians berichtete am 23. Juni, dass die Offiziere, die schon nach England zurückgekehrt ­seien, das War Office für die schlechte Planung der Expedition kritisieren würden und großen Respekt vor dem Mullah hätten.31 Darüber hinaus trug der Mullah mit Briefen an die Briten dazu bei, den Krieg wenig attraktiv erscheinen zu lassen. Ob er in diesen Botschaften nur die Militärs vor Ort als Adressat im Auge hatte oder auch an die englische Öffentlichkeit dachte, ist schwer einzuschätzen. (Bevor er zu einem politischen Machtfaktor in Somalia aufstieg, war er mehrmals nach Aden und Mekka gereist und hatte auf einem italienischen Dampfschiff gearbeitet.) Jedenfalls boten seine poetisch formulierten Briefe Material für die Kriegskritiker in England.32 Am 30. Juni kommentierte der Guardian: As the Mullah is reported to have said in a letter addressed to the British commander, his country „contains no gold, only stones and sand, dead trees, ant-­heaps, and fighting.“ – and in its tribal feuds we had no interest whatever in taking part.33

29 Situation in Somaliland. Increasing Anxiety. No News From the British Columns. Expected Raids, in: The Manchester Guardian, Nr. 17740, 19. 6. 1903, S. 5. 30 Increasing the Stakes in Somaliland, in: The Manchester Guardian, Nr. 17743, 23. 6. 1903, S. 6. 31 Our London Correspondence, in: The Manchester Guardian, Nr. 17743, 23. 6. 1903, S. 6. Am 21. August veröffentlichte der Guardian zudem die Eindrücke eines Buren, der auf Seiten der Briten gekämpft hatte und ein düsteres Bild des Krieges zeichnete, vgl. The Recent Somaliland Operations. A Boer’s Impressions of the Campaign, in: The M ­ anchester Guardian, Nr. 17791, 21. 8. 1903, S. 5. 32 Der Mullah ging nicht nur als Widerstandskämpfer gegen den britischen Kolonialismus, sondern auch als Poet in die somalische Geschichte ein, vgl. Sheik-‘Abdi, Divine Madness, 1993, S.  65 – 80. 33 Failure in Somaliland, in: The Manchester Guardian, Nr. 17749, 30. 6. 1903, S. 6.

Wachsender Respekt vor dem Gegner: Der Krieg in Somalia

Abbildung 7  Reynolds’s Newspaper, 18. Oktober 1903

Das Reynolds’s Newspaper veröffentlichte am 18. Oktober eine Karikatur, die Somalia als Sumpf darstellte, in dem John Bull, die Personifikation Großbritanniens, auf Drängen Arthur Balfours immer tiefer zu versinken drohte.34 Die Times hingegen unterstützte die Fortsetzung des Krieges. In einem Kommentar zur anlaufenden vierten Expedition am 25. Dezember 1903 argumentierte sie jedoch auffällig defensiv. Sie betonte die Notwendigkeit der Kampagne („plain duty“) und begründete sie vor allem damit, dass man gegenüber den verbündeten Stämmen eine Verpflichtung zu ihrem Schutz eingegangen sei. In ihren Ausführungen finden sich allerdings keine Argumentationsmuster im Sinne einer humanitären Intervention oder ein Bekenntnis zur Zivilisierungsmission, wie sie in der konservativen Presse während des Sudankriegs von 1896 bis 1899 verbreitet waren. Stattdessen führte sie nur das ‚Wort‘ an, das man den verbündeten Stämmen gegeben habe, und das nun zur Militäraktion verpflichte: „We can

34 Vgl. Muddle, and Stick to It, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2775, 18. 10. 1903, S. 5 (Abb. 7).

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hope to win little from it, beyond the advantage of having prooved once more to those who have trusted us that we are true to our word.“ Den Mullah charakterisierte die Times nicht als ‚Tyrannen‘, sondern bekundete Respekt vor seinen militärischen Leistungen. Seine Offensive nach der dritten britischen Expedition bezeichnete sie als „bold movement, which he executed with perfect success“.35 Die vierte Expedition verlief für die Briten erfolgreicher als die vorherige, im Januar fügten sie den Derwischen eine herbe Niederlage bei, und der Mullah zog sich zurück. Die Regierung hatte ihren ersehnten Prestigeerfolg und verkündete am 18. April 1904 das Ende der Kampagne. Die Times bezeichnete die Ankündigung am Folgetag als „unexpected announcement“ und bezweifelte, ob die Macht des Mullahs wirklich zerstört worden sei.36 Kurz darauf kam es aber zu einer weiteren Militäraktion, die dem Krieg in Somalia sogar etwas Glanz verlieh. Italien hatte sich zur Kooperation bereit erklärt, und am 28. April erschien die Nachricht, dass britische und italienische Truppen gemeinsam die Hafenstadt Illig eingenommen und die dortigen Derwische vertrieben hätten: „The Italian and British Flags were hoisted side by side.“ 37 Im leader in der gleichen Ausgabe freute sich die Times über die Kooperation der beiden Staaten und hoffte, der Mullah „has been run down at last“. (Sicher war sie sich allerdings nicht.)38 Der Manchester Guardian begrüßte am 19. April das Ende der Kampagne und sprach sich dafür aus, dem Mullah die Herrschaft über das Landesinnere von Somalia zu überlassen: „The Mullah […] is the man for the country.“ 39 Wenngleich es wieder nicht gelungen war, den Mullah vernichtend zu schlagen oder gefangen zu nehmen, herrschte doch parteiübergreifend Erleichterung, dass die kostspieligen Kampagnen in Somalia zu Ende gingen. Zumindest waren die Derwische aus dem britischen Teil Somalias vertrieben und der Mullah hatte sich auf italienisches Territorium zurückgezogen. Auch die Italiener hatten kein Interesse an einer Fortsetzung der Kämpfe. (Sie hatten die Erfolgsaussichten der britischen Expeditionen ohnehin skeptischer bewertet.) Sie versuchten nun, durch Verhandlungen eine Einigung mit dem

35 The Fighting in Somaliland, in: The Times, Nr. 37273, 25. 12. 1903, S. 7. 36 The Somaliland Expedition, in: The Times, Nr. 37372, 19. 4. 1904, S. 7. 37 Capture of Illig. Stronghold Stormed by a British Force, in: The Times, Nr. 37380, 28. 4. 1904, S. 5. 38 The Fighting at Illig, in: The Times, Nr. 37380, 28. 4. 1904, S. 9 f. 39 The Somali War Abandoned, in: The Manchester Guardian, Nr. 18000, 19. 4. 1904, S. 6.

Diplomatische Mission im ­­Zeichen der Gewalt: Das Empire und Tibet

Mullah zu erreichen. Am 5. März unterschrieben der italienische Verhandlungsführer und der Mullah in Illig eine Vereinbarung, die dem Mullah einen eigenen Staat innerhalb des italienischen Territoriums zusprach.40 Auch in England begrüßte man diese Vereinbarung, allerdings war sie kein großes Medienthema. Die Times veröffentlichte keinen eigenen Kommentar dazu, sie beschränkte sich auf die Wiedergabe positiver Stellungnahmen italienischer Zeitungen und Politiker. Am 15. April beendete der Italienkorrespondent der Times seinen Artikel mit der Feststellung: The Minister of Foreign Affairs has certainly full justification in speaking with some pride of the success of his negotiations. As it would appear, too, that the Mullah may be regarded for the future as a vassal of Italy and that the Italian Government, in conse­quence, makes itself more or less responsible for his good behavior, it is difficult to find any reasonable objection to an agreement of which the observance is thus practically guaranteed by the Italian Government.41

Die britische Regierung nutzte die Entspannung in Somalia, um die dort statio­ nierten indischen Truppen wieder abzuziehen. Das Reynolds’s Newspaper berichtete in einem ­kurzen Artikel am 20. August 1905 darüber und wählte hierfür die Überschrift: „Somaliland. ‚Mad‘ Mullah Triumphant. Indian Troops to be Withdrawn.“ 42

3.2 Diplomatische Mission im Zeichen ­­ der Gewalt: Das Empire und Tibet Der Krieg in Somalia war nicht der einzige, den das Britische Empire nach dem Burenkrieg führte, aber er war der am wenigsten erfolgreiche. Die übrigen Militäreinsätze waren nicht von vergleichbaren Niederlagen und Rückschlägen gekennzeichnet. So marschierte die indische Armee vom Dezember 1903 bis

40 Vgl. Beachey, Warrior Mullah, 1990, S. 61 – 64. 41 Italy and the Mullah (From Our Own Correspondent.), in: The Times, Nr. 37682, 15. 4. 1905, S. 7; zur italienischen Presse vgl. Somaliland. Italian Agreement with the Mullah, in: The Times, Nr. 20. 3. 1905, S. 3. 42 Somaliland. „Mad“ Mullah Triumphant. Indian Troops to be Withdrawn, Nr. 2871, 20. 8. 1905, S.  1.

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zum September 1904 in Tibet ein und zwang tibetische Offizielle, einen Vertrag zu unterzeichnen, der die britischen Interessen in der Region sichern sollte. Dieser Krieg war nicht so unpopulär wie der in Somalia, nicht zuletzt, weil die Militäroperationen mit einem Sieg endeten. Seine Darstellung in den Medien lässt sich aber auch nicht als Beleg für Kriegsbegeisterung oder als Zeichen ­­ der Zustimmung für die imperiale Expansion werten.43 Die Initiative zum Krieg ging von den politischen Akteuren in Indien aus. Die Regierung in London autorisierte den Militäreinsatz nur zögerlich, weil sie vermutete, dass es in England kaum Interesse an einem weiteren ‚kleinen Krieg‘ gebe.44 Auch in der Öffentlichkeit galten die ‚men on the spot‘ als die treibenden Kräfte, und die Opposition kritisierte die Regierung, sie sei genauso wie in Somalia unfähig, die Entwicklung vor Ort zu kontrollieren. Der Manchester Guardian lobte in ­diesem Zusammenhang am 14. Mai 1904 in einem leader eine Rede des Liberalen John Morley: „He drew unerringly the true moral from our two wars in Somaliland and Thibet – the need of a Government strong enough and firm-­principled enough to keep firm hand over its agents on the frontier.“ 45 Die Times unterstützte den Militäreinsatz zwar, argumentierte aber ähnlich defensiv wie beim Krieg in Somalia. Sie beschrieb die Invasion nicht als wünschenswert, sondern betonte lediglich die strategische Notwendigkeit des Vorgehens. In ihrem ersten Kommentar nahm sie den indischen Vizekönig Curzon vor Kritikern in Schutz, er sei „no friend to fussy activity which is not

43 In der Forschung ist die Popularität d ­ ieses Militäreinsatzes umstritten. Peter Fleming charakterisiert in seiner Monographie zur britischen Invasion in Tibet die Reaktion der Presse zu Beginn des Krieges als „cool at best“, später habe es höchstens eine „vague and slightly apprehensive curiosity“ gegeben, vgl. Ders., Bayonets to Lhasa, 1961, S. 96, 137. Die Mediengeschichte ­dieses Krieges berührt Fleming allerdings nur am Rande. Anders Glenn R. Wilkinson, der in einem Aufsatz systematisch die Presseberichterstattung analy­siert und ausdrücklich gegen Fleming argumentiert: „[A] comprehensive survey of British newspapers indicates both acute interest and a style of war reporting which portrayed war as exciting and glorious.“ Vgl. Ders., ‚There is No More Stirring Story‘, 1991, S. 1. Im Gegensatz dazu wird hier die These vertreten, dass zwar eine gewisse Faszination von den Ereignissen in Tibet ausging, das aggressive Vorgehen gegen Tibet aber immer ­kontrovers war. 44 Vgl. Fleming, Bayonets to Lhasa, 1961, S. 87, 96. 45 The Free Trade Hall Meeting, in: The Manchester Guardian, Nr. 18022, 14. 5. 1904, S. 8.

Diplomatische Mission im ­­Zeichen der Gewalt: Das Empire und Tibet

imperatively demanded by circumstances“.46 Auch in den folgenden Kommentaren betonte sie die „patience and moderation“ 47 sowie die „forbearance and self-­restraint“  48, die die indische Regierung im Vorfeld des Konflikts gezeigt habe. Offiziell berief diese sich zwar auf einen älteren Vertrag mit Tibet zur Legitimation des Krieges und warf den Tibetern vor, die damals getroffene Vereinbarung nicht einzuhalten. Öffentlich stellten die Unterstützer des Militäreinsatzes aber die Rivalität mit Russland in der Region und angebliche russische Aktivitäten in Tibet heraus, um die Alternativlosigkeit der Anwendung von Gewalt zu belegen.49 Darüber hinaus betonte die Times, ganz auf Regierungslinie, es handele sich um eine diplomatische ‚Mission‘, Gewalt werde nur im Fall von tibetischen Angriffen angewendet.50 Die Gegner des Krieges hingegen bestritten die Notwendigkeit der Expedition und verurteilten sie scharf. Das Reynolds’s Newspaper druckte die Nachrichten über den Krieg gegen Tibet unter Überschriften wie „Our Raid on Thibet“ oder „The Attack on Thibet“.51 Im leader vom 12. Juni 1904 bezeichnete das Blatt den Krieg als „buccaneering Raid“ und die Tibeter als „people who – like the Boers and the Somali – have done us no harm“.52 Der Manchester Guardian sprach am 5. April 1904 von einem „mad military scheme of annexation undertaken by the Indian Government“ und forderte den sofortigen Rückzug.53 Die Invasion war aus militärischer Perspektive vor allem deshalb erfolgreich, weil sich die Tibeter immer wieder dem offenen Kampf gegen die nach Lhasa vorrückende indische Armee stellten.54 In der ersten Schlacht am 31. März 1904 46 47 48 49 50 51

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India and Tibet, in: The Times, Nr. 37254, 3. 12. 1903, S. 7. The Tibetan Question, in: The Times, Nr. 37311, 8. 2. 1904, S. 9. The Tibet Mission, in: The Times, Nr. 37328, 27. 2. 1904, S. 11. Vgl. etwa The Advance into Tibet, in: The Times, Nr. 37292, 16. 01. 1904, S. 11, sowie ­Methfessel, Spreading the European Model by Military Means?, 2012, S. 53 f. Vgl. etwa The Tibet Mission, in: The Times, Nr. 37328, 27. 2. 1904, S. 11. Vgl. etwa Our Raid on Thibet. Native Drivers Desert. Jingoism Again!, in: Reynolds’s News­paper, Nr. 2786, 3. 1. 1904, S. 1; The Attack on Thibet. Meeting of Protest, in: R ­ eynolds’s Newspaper, Nr. 2790, 31. 1. 1904, S. 1. W. M. T., Blood and Plunder, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2809, 12. 6. 1904, S. 1. The War on Thibet, in: The Manchester Guardian, Nr. 17988, 5. 4. 1904, S. 4. Vgl. hierzu auch Wilkinson, ‚There is No More Stirring Story‘, 1991, S. 5, demzufolge die Kriegsreporter, die die Expedition begleiteten, die Kämpfe als „exciting, thrilling ­spectacle“ schilderten. Auf die politische Debatte hatten ­solche Darstellungen offensichtlich keinen Einfluss.

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Abbildung 8  Reynolds’s Newspaper, 7. August 1904

verloren innerhalb kurzer Zeit 700 Tibeter ihr Leben, weitere Kämpfe mit vergleichbarem Ausgang folgten. Für den Manchester Guardian belegten die ersten Nachrichten über die Konfrontation ­zwischen der indischen Armee und den Tibetern, dass die „peaceful mission“ nur eine „hypocritical fiction“ sei.55 Das Reynolds’s Newspaper bezeichnete die Kämpfe am 3. April als „slaughter“,56 am 12. Juni veröffentlichte es Nachrichten über ein Gefecht unter der Überschrift „Massacre of Thibetans. By the British ‚Mission‘“.57 Am 7. August stellte eine

55 The Thibet Expedition, in: The Manchester Guardian, Nr. 17986, 2. 4. 1904, S. 4. 56 Our „Peaceful“ Mission to Thibet. Nearly 500 Natives Killed and Wounded. Mowed Down with Maxims. Scene Like Shambles, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2799, 3. 4. 1904, S. 1. 57 Massacre of Thibetans. By the British „Mission“, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2809, 12. 6. 1904, S.  4.

Diplomatische Mission im ­­Zeichen der Gewalt: Das Empire und Tibet

Karikatur die „Mission“ als Löwen dar (ein gängiges Symbol für England), der in Tibet einen mit Skeletten gepflasterten Weg hinterlässt.58 Die Times dagegen verteidigte am 2. April das Vorgehen des Militärs, die Schlacht sei von den Tibetern provoziert worden: „It is not we who are in any sense the aggressors“.59 Am 8. April bezeichnete sie es als Ziel, die Tibeter mit einem „minimum of force and bloodshed“ von der Unmöglichkeit des Widerstands gegen die vorrückenden Truppen zu überzeugen.60 Neben den Kämpfen widmeten sich die Kriegsreporter auch ausführlich der Landschaftsbeschreibung. Wie kein anderes Kriegsgebiet übte Tibet eine Faszi­ nation als bisher von Europäern noch nicht erschlossener Raum aus, und die Zeitungen veröffentlichten ausführliche Beschreibungen der Himalayaregion.61 Es war nicht zuletzt die Exotik des Kampfschauplatzes, die für die Presse die Attraktivität der ‚Mission‘ nach Tibet ausmachte. Allerdings lässt sich von der Faszination der Landschaftsbeschreibungen nicht auf die Popularität der politischen Entscheidung zum Krieg gegen die Tibeter oder auf Zustimmung zur imperialen Expansion in die Region schließen. Auch die Times argumentierte hier vorsichtig. Sie wies ihre Leserschaft in einem Kommentar zwar auf den „singularly graphic account“ ihres Korrespondenten hin und vermutete, dass die Region „a greater influx of travellers“ anziehen könnte. Ob es hierzu kommen würde, überließ die Times allerdings den Tibetern.62 Am Ende trug der Erfolg des Krieges zu seiner Legitimität bei.63 Die Daily Mail berichtete am 2. September, dass eine Einigung bevorstehe und die Beziehungen ­zwischen Tibetern und den Mitgliedern der britischen ‚Mission‘ freundlich s­ eien.64 Am 12. und 19. September schließlich kommentierte sie die Unterzeichnung des Vertrags und freute sich über die Verpflichtung Tibets, keine Beziehungen mit anderen Mächten einzugehen und die älteren Vereinbarungen zum Handel

58 The Thibetan Mission. „Our Glory is to Slay!“ Oliver Wendell Holmes, in: Reynolds’s Newspaper, 7. 8. 1904, S. 7 (Abb. 8). 59 The Attack on the Tibet Mission, in: The Times, Nr. 37358, 2. 4. 1904, S. 7. 60 The Tibet Mission, in: The Times, Nr. 37364, 8. 4. 1904, S. 7. 61 Vgl. Wilkinson, ‚There is No More Stirring Story‘, 1991, S. 4 f. 62 The Tibetan Mission, in: The Times, Nr. 37484, 27. 8. 1904, S. 7. 63 Vgl. Fleming, Bayonets to Lhasa, 1961, S. 234, 239; The Treaty with Tibet, in: The Times, Nr. 37497, 12. 9. 1904, S. 7. 64 Peaceful Success at Lhasa, in: Daily Mail, Nr. 2615, 2. 9. 1904, S. 4.

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mit Indien einzuhalten.65 Damit ignorierte die Daily Mail einen Punkt, den das Reynolds’s Newspaper besonders herausstellte: Die Entschädigung von 500 000 englischen Pfund, die Tibet zahlen musste. Für das Reynolds’s Newspaper war der Vertrag deswegen „a disgrace to the British name and nation“.66 Auch die Times setzte sich mit der Höhe der Entschädigung auseinander. Sie äußerte sich zwar zuversichtlich, dass der britische Vertreter keine maßlosen Forderungen gestellt habe, schloss aber auch eine Reduzierung der Summe nicht aus.67 Die defensive Argumentation, die die Times schon in der Debatte über den Einsatz von Gewalt gepflegt hatte, und die Nichterwähnung der härteren Klauseln des Vertrags in der Daily Mail machen deutlich, dass auch die Unterstützer des Krieges den Eindruck eines rücksichtslosen Vorgehens gegen Tibet vermeiden wollten. Wenngleich die konservative Presse die ‚Mission‘ letztlich als Erfolg feierte, finden sich in der Debatte darüber doch kaum Anzeichen einer Begeisterung für den Einsatz von Militär zum Vorantreiben der imperialen Expansion.

3.3 Kritik und Durchhalteparolen: Der Krieg in Südwestafrika Mit dem Ausbruch des Herero-­Aufstands im Januar 1904 trat in Deutschland ein Wandel in der Wahrnehmung des imperialen Selbstbildes und der öffent­ lichen Debatte über den Einsatz militärischer Gewalt in der außereuropäischen Welt ein. In den Jahren von 1897 bis 1903 waren es die imperialistischen Interventionen in formal unabhängigen nichteuropäischen Staaten, anhand derer die Presse die Weltmachtansprüche des Kaiserreichs diskutierte. Das bestehende Kolonialreich hingegen spielte in der Debatte über die deutsche ‚Weltpolitik‘ kaum eine Rolle. Dabei versuchten die Kolonialanhänger durchaus, die imperiale Aufbruchstimmung auch für ein stärkeres Engagement in den deutschen Kolonien zu ­nutzen. So appellierte der Gouverneur von Südwestafrika Theodor Leutwein in einem Vortrag, über den der Berliner Lokal-­Anzeiger am 15. Januar 1898 berichtete, „nicht zu rasch die Geduld“ mit der von ihm regierten Kolonie zu verlieren: „Wir stehen augenblicklich […] am Vorabend einer Zeit, in welcher 65 The Submission of Tibet, in: Daily Mail, Nr. 2623, 12. 9. 1904, S. 4; The Tibetan Treaty, in: Daily Mail, Nr. 2629, 19. 9. 1904, S. 4. 66 A. E. F., Thibetan Infamy, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2824, 25. 9. 1904, S. 6 f. 67 The Treaty with Tibet, in: The Times, Nr. 37502, 17. 9. 1904, S. 9.

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an Stelle der politischen die wirthschaftlichen Gegensätze der Nationen treten. In ­diesem Kampfe ist jedes Stück deutscher Erde außerhalb Europas, auch wenn es vorläufig ertraglos ist, willkommen.“ 68 Die Entwicklung in den Kolonien stand jedoch im Schatten der deutschen imperialistischen Bestrebungen in China und der westlichen Hemisphäre; der Reichstag zeigte sich unwillig, höhere Summen für die Kolonien zu bewilligen. Erst 1907 sollte es zu einem stärkeren staatlichen Engagement und größeren Investitionen kommen.69 Entscheidend für diesen Wandel war die kontroverse Debatte, die in den Jahren von 1904 bis 1907 über die deutsche Kolonialpolitik geführt wurde. Dass d ­ ieses Thema solange im Bewusstsein der Öffentlichkeit präsent bleiben sollte und die Lage in den Kolonien zunehmend als krisenhaft wahrgenommen wurde, erwartete niemand, als im Januar 1904 die ersten Nachrichten über den Ausbruch der Gewalt in Südwestafrika eintrafen. Allerdings bestand schon früh die Erkenntnis, dass der Aufstand der Herero ernsthafter war als die Kolonialkriege, über die die Presse bislang berichtet hatte. Auf einen kurz zuvor beendeten kleineren Krieg im Süden der Kolonie verweisend, schrieb die Berliner Morgenpost am 14. Januar: „Der Aufstand der Hereros trägt nach den Dienstag nacht [sic!] und gestern eingetroffenen Telegrammen an das Kolonialamt einen sehr ernsten Charakter, allem Anschein nach einen weit ernsteren als der Aufstand der Bodelzwarts.“ 70 Dennoch war man in Deutschland zuversichtlich, durch die Entsendung von Verstärkungen den Aufstand schnell niederschlagen zu können. Der Berliner Lokal-­Anzeiger schrieb am 3. Februar 1904 über die Ankunft der mobilisierten Truppen in Südwestafrika: „Mit dieser Gesamtmacht ist die schließliche Nieder­ werfung des Aufstandes völlig gesichert.“ 71 Die Erwartung sollte sich nicht erfüllen, in den folgenden Monaten musste die Presse wiederholt über Rückschläge des deutschen Militärs und die Mobilisierung weiterer Verstärkungen berichten.72 Am 15. März veröffentlichte die Berliner Morgenpost eine amtliche Mitteilung, 68 Die Entwicklung von Südwest-­Afrika, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 23, 15. 1. 1898, 1. Ausgabe. 69 Vgl. anhand der Debatte über den Eisenbahnbau: Brendebach, Zug, 2012. 70 Der Aufstand der Hereros. Okohandia eingeschlossen, in: Berliner Morgenpost, Nr. 11, 14. 1. 1904. 71 Die Kriegslage in Deutsch-­Südwest-­Afrika, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 55, 3. 2. 1904, 1. Ausgabe. 72 Für Nachrichten über deutsche Rückschläge vgl. etwa Schwere Verluste in Südwestafrika, in: Berliner Morgenpost, Nr. 68, 20. 3. 1904.

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wonach die Entsendung weiterer Verstärkungen geplant sei. Sie selbst kommentierte: „Darnach wird uns die gänzliche Niederwerfung des Herero-­Aufstandes noch viele Millionen kosten, und wir können nur das Eine wünschen, daß uns wenigstens allzuschwere Verluste an Blut und Leben erspart bleiben.“ 73 Anders als bei den englischen Kolonialkriegen führten die militärischen Erfolge der Herero nicht zu mehr Respekt vor dem Kriegsgegner in der deutschen Öffentlichkeit. Wohl verbreitete sich die Einsicht, dass man die Herero militärisch unterschätzt habe, aber fast alle Zeitungen charakterisierten die Herero negativ und forderten ihre vollständige Niederwerfung. So zitierte die Freiburger Zeitung am 16. Februar 1904 die „Deutsche Ztg.“, der zufolge die Herero „völlig eingekreist und völlig niedergebrochen werden“ müssten.74 Insbesondere die Nachrichten über bedrohte Landsleute und ‚Weiße‘ in der Kolonie trugen zur Charakterisierung des Gegners als ‚barbarisch‘ bei.75 Die Sozialdemokratie und ihre Medien wiesen zwar bei jeder Gelegenheit darauf hin, dass die Herero nur deutsche Männer töten würden; Frauen, Missio­ nare, Briten und Buren hingegen würden sie verschonen. Die prokoloniale Presse aber ignorierte s­ olche Nachrichten oder schenkte ihnen keinen Glauben.76 Die Freiburger Zeitung etwa berichtete am 19. März, dass Bebel im Reichstag gesagt habe: „Den weißen Frauen, die den Hereros in die Hände gefallen ­seien, sei kein Haar gekrümmt worden. Ihm sei zweifelhaft, ob die Weißen ebenso mit den Herero­frauen verfahren würden.“ Sie beendete jedoch ihre Zusammen­fassung der Debatte mit der Aussage des prokolonialen Abgeordneten Reventlow, „dass die Hereros sich auch gegen Frauen und Kinder vergangen haben“.77 Die aus Südwestafrika eintreffenden Nachrichten b­ estätigen allerdings Bebels Einschätzung.78 Vor allem auf Grundlage von Berichten der evangelischen M ­ ission konnte der

73 Die neuen Verstärkungen nach Südwestafrika. Kolonialdirektor Stübel über den Herero-­ Aufstand, in: Berliner Morgenpost, Nr. 63, 15. 3. 1904. 74 Zum Herero-­Aufstand, in: Freiburger Zeitung, Nr. 39, 16. 2. 1904. 75 Vgl. etwa Der Aufstand der Hereros, in: Berliner Morgenpost, Nr. 13, 16. 1. 1904. 76 Teilweise versuchte sie auch die Bedeutung dieser Nachrichten herunterzuspielen. Vgl. zur Kölnischen Zeitung und zur Berliner Morgenpost: Methfessel, Europa, 2012, S. 75. 77 Deutscher Reichstag, in: Freiburger Zeitung, Nr. 67, 19. 3. 1904, Zweites Blatt. 78 Vgl. etwa Vom Herero-­Aufstand. VII. Die Bergkaffern von Okomhahe. – Bedrängte Frauen. – Ein gefährlicher Ritt. – „Nur über unsere Leiden.“ – Aufwiegelungsversuche. – Sebstverteidigung in Etiro, in: Kölnische Zeitung, Nr. 361, 10. 4. 1904, Zweite Beilage zur Sonntags-­Ausgabe.

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Vorwärts immer wieder nachweisen, dass die Aufständischen keines­falls wahllos töteten, sondern sehr gezielt vorgingen und bestrebt waren, Unschuldige zu schonen.79 Um der weit verbreiteten Dämonisierung der Aufständischen entgegenzuwirken, griff die Sozialdemokratie die Kolonialpolitik in der Debatte über die Ursachen des Aufstands scharf an. Auch hier berief sie sich auf Stellungnahmen von Missionaren. Schon am 19. Januar gab der Vorwärts aus einem Missionsbericht Folgendes wieder: „Besonders Unzucht und Trunkenheit herrschen in hohen Grade. Leider sind oft Weiße nicht allein schlechte Vorbilder in dieser Beziehung, sondern auch direkte Verführer.“ 80 Am 22. März druckte der Vorwärts einen längeren Artikel des evangelischen „Reichsboten“ ab, den ein Missionar aus Südwestafrika verfasst hatte.81 Dieser machte „Wucher und Raubhandel“ sowie „Ungerechtigkeiten“ für den Aufstand verantwortlich, die den Herero „nicht alleine allen Respekt gegen die Weißen nehmen, sondern sie auch mit bitterem Haß gegen dieselben erfüllen mußten“.82 Der Vorwärts beschränkte sich bei der Erörterung der Ursachen des Krieges nicht auf die Informationen der evangelischen Mission und der dieser nahestehenden Presse. Am 10. April begann er einen Leitartikel mit der Feststellung, dass die Missionsberichte „unumstößlich“ bewiesen: „Die Hauptschuld an dem Aufstande tragen unsre deutschen Kolonisatoren. Das deutsche Kolonialsystem hat die unterdrückten, ausgebeuteten Eingeborenen zu ­diesem Verzweiflungskampfe getrieben.“ Anschließend führte er aus, dass auch die amtlichen Denkschriften, wenn man „zwischen die Zeilen schaut“, Belege für die Verdrängung der Herero aus „ihrem bisherigen natürlichen Landbesitz“ und das ungerechte Justizsystem in der Kolonie liefern würden.83 Die intensive Debatte über die Ursachen führte dazu, dass sich auch Stimmen aus der Kolonie zu Wort meldeten, die jeweils anderen Gruppen die Schuld an der Eskalation der Gewalt gaben. So zitierte der Vorwärts am 17. Juni einen Brief, der sich gegen den Vorwurf von Regierungsvertretern verwehrte, dass Händler die alleinigen Schuldigen am

79 Vgl. Lügen über die Hereros, in: Vorwärts, Nr. 66, 18. 3. 1904; Ein Brief Samuel Mahareros, in: Vorwärts, Nr. 83, 9. 4. 1904. 80 Unser neuer Kolonialkrieg, in: Vorwärts, Nr. 15, 19. 1. 1904. 81 Im Vorwärts finden sich keine Angaben zur Autorenschaft. Nach Zeigerer, Kriegsberichterstatter, 2016, S. 384 f., wurde jedoch der rheinische Missionar Irle als Autor identifiziert. 82 Die Wahrheit über den Herero-­Aufstand, in: Vorwärts, Nr. 69, 22. 3. 1904. 83 Nochmals: Ursachen des Herero-­Aufstandes, in: Vorwärts, Nr. 84, 10. 4. 1904.

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Aufstande ­seien. Dagegen wandte der Autor des Briefes ein, dass der Hereroführer Samuel Maharero ausdrücklich Befehl gegeben habe, bestimmte Händler zu schonen, und ergänzte: „Ein derartiger Befehl über Beamte ist nicht bekannt geworden.“ 84 Am 5. Oktober gab der Vorwärts die längere Stellungnahme eines Farmers wieder, der dagegen in den Händlern die „Blutsauger der Hereros“ und dementsprechend die Hauptschuldigen sah. Darunter würden nun die „rechtschaffenen Leute – vor allem die Farmer“ leiden.85 Solche Vorwürfe veröffentlichte nicht nur der Vorwärts. Die Kölnische Volkszeitung widersprach zwar der sozialdemokratischen Kritik an der deutschen Kriegsführung und forderte „eine energische Unterdrückung des Aufstands“. Aber für sie stand dennoch fest, dass „die ‚schwarzen Bestien‘ durch Ungerechtigkeiten und Brutalitäten weißer ‚Kulturträger‘ auch schwer gereizt worden sind“.86 Die Freiburger Zeitung gab am 6. März einen Artikel der „Badische[n] Post“ wieder, die unter Berufung auf die evangelische Mission die Händler kritisierte. Diese Ausführungen sind weniger kritisch als die im Vorwärts wiedergegebenen und sie gehen mit einer deutlich abwertenden Charakterisierung der Herero – diese ­seien wie „Kinder“ – einher: Was sie sehen, wollen sie haben. So geraten sie in Schulden. […] Bei dem unbeschreiblichen Leichtsinn der Farbigen, die trotz ihrer Schulden alles kaufen, was sie auf Borg erhalten können, wäre ein Gesetz nötig, daß Schulden Eingeborener, die durch unberechtigtes Kreditgewähren entstanden sind, nicht einklagbar sind.87

Deswegen – so der Artikel – sei nicht nur auf Bestrafung der Aufständischen, sondern „eingedenk der Schuld der Weißen auch auf Abstellung der Mißbräuche im Handel“ zu achten.88

84 Südwestafrikanisches. Die Händler nicht die allein Schuldigen, in: Vorwärts, Nr. 140, 17. 6. 1904. Für den Vorwärts bewies die „einzelnen Händlern widerfahrene Schonung“ nur, „daß die Hereros ernstlich bemüht waren, ­zwischen Schuldigen und Nichtschuldigen sorgfältig zu scheiden, aber ganz und gar nicht, daß die Mehrzahl der Händler durch ihr Verhalten nichts verschuldet hätten“. 85 Neues Material zum Herero-­Aufstande, in: Vorwärts, Nr. 234, 5. 10. 1904. 86 Wochenrundschau, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 251, 25. 3. 1904, Morgen-­Ausgabe. Vgl. auch 200 Millionen Mark, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 872, 20. 10. 1904, Erste Abend-­Ausgabe. 87 Stimmen der Presse, in: Freiburger Zeitung, Nr. 56, 6. 3. 1904, Zweites Blatt. 88 Ebd.

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Zunehmend setzte sich in der prokolonialen Presse allerdings ein Deutungsrahmen durch, der die Ungerechtigkeiten der deutschen Herrschaft über die Kolonisierten infrage stellte und die Schuld für den Ausbruch der Gewalt alleine auf Seiten der Aufständischen verortete. So berichtete die Freiburger Zeitung am 20. August zustimmend über eine Denkschrift von Siedlern aus Südwestafrika, der zufolge „der innere und wirkliche Grund des Aufstandes lediglich der Haß der Hereros gegen die deutsche Fremdherrschaft und der Wunsch, diese Herrschaft abzuschütteln, sei“.89 Aus dieser Perspektive ließ sich der deutschen Kolonialpolitik höchstens zu große Milde vorwerfen. So urteilte das Berliner Tageblatt, dass „die letzte Ursache der gegenwärtigen Aufstände in Deutsch-­Südwestafrika in der von Grund aus verkehrten Eingeborenenpolitik des Gouverneurs L ­ eutwein zu suchen ist“. Der Fehler liege nicht in der Ungerechtigkeit und Brutalität gegenüber der afrikanischen Bevölkerung, wie kritische Stimmen behaupteten. Vielmehr sei die Politik Leutweins gekennzeichnet durch eine „Begünstigung der Eingeborenen gegenüber den Weißen, die dem Gouverneur sozusagen zur Manie geworden“ sei, was „bei den Schwarzen nur den Eindruck machen konnte, aus dem Gouverneur spreche das Gefühl der Schwäche“.90 Ähnlich argumentierte eine Artikelreihe zu den Ursachen des Aufstandes in der Kölnischen Zeitung im Mai 1905. Die Artikel stammten vom Journalisten Prosper Mühlendorff, der im Auftrag seiner Zeitung schon vor Ausbruch des Aufstands nach Südwestafrika gereist war. Nach seiner Rückkehr schrieb er – von der Zensur vor Ort nicht mehr eingeschränkt – ausführlich über den Konflikt und nahm dabei eine Position ein, die im Einklang mit den Forderungen der Siedler in der Kolonie stand und die Politik des Gouverneurs sowie der Rheinischen Mission verurteilte.91 Mühlendorff zufolge dürfe man dem „Treiben der Händler keine übertriebene Bedeutung zuschreiben und es als die alleinige Ursache des Aufstandes hinstellen“. „Grundursache der Erhebung“ s­ eien „nichts anderes als Rassenstolz, Fremdenhaß und Begehrlichkeit“. Zu kritisieren sei nur, dass die bisherige Kolonialpolitik nicht hart genug gewesen sei. Das Justizsystem sei ungerecht gewesen, da Europäer weit härter bestraft worden s­ eien als Afrikaner. Wenn nun behauptet würde, „die Eingebornen s­ eien schlecht behandelt worden“, 89 Ueber die Ursachen des Herero-­Aufstandes, in: Freiburger Zeitung, Nr. 194, 20. 8. 1904, Erstes Blatt. 90 Leutwein-­Politik, in: Berliner Tageblatt, Nr. 634, 13. 12. 1904, Abend-­Ausgabe. 91 Vgl. Zeigerer, Kriegsberichterstatter, 2016, S. 186 – 190, 264 – 270, 366 – 374.

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sei dies „eine törichte oder bewußte Entstellung der Tatsachen“. Statt gleich zu Beginn die Kolonisierten zu entwaffnen, sei eine Politik der „Verzärtelung“ und „Verhätschelung der Eingeborenen“ verfolgt und mit den Anführern der Herero kooperiert worden. Verantwortlich für diesen Kurs sei die Angst vor den Kosten eines Feldzugs gewesen. Der Gouverneur hätte gegen diese falsche Sparsamkeit protestieren müssen, vor allem aber gab der Autor der für das Kolonialbudget zuständigen Volksvertretung in Berlin die Schuld, auf die zu viel Rücksicht genommen worden sei: „Aengstlichkeit ist von jeher das Kennzeichen der Eingebornenpolitik in Südwest gewesen, einer Politik, die […] in letzter Linie auf den Reichstag zurückzuführen ist.“ 92 Angesichts einer Debatte, bei der prokoloniale Stimmen vor allem zu große ‚Milde‘ für die Eskalation der Gewalt verantwortlich machten, gab es kaum Stimmen, die sich für Verhandlungen mit dem Gegner aussprachen, um den Krieg zu beenden. In der schon erwähnten Reichstagssitzung las Bebel aus der „Swakopmunder Zeitung“ vor, der zufolge ein „Friede“ mit den Herero „nicht geschlossen werden“ dürfe: Hier kann nur eine vollständige Auflösung und Gefangenschaft des gesamten Volkes […] als ausreichende Sühne für die zahlreichen Mord- und Greueltaten und die sinnlose Vernichtung von vielen Millionen durch lange, mühsame Arbeit der Ansiedler im Lande festgelegten Kapitals angesehen werden.93

Bebel klagte, diese „Auslassungen“ s­ eien „in zahlreichen bürgerlichen Zeitungen im Deutschen Reiche nachgedruckt und mit Zustimmung begleitet worden“.94 Auch die Freiburger Zeitung thematisierte zu Beginn des Aufstandes die Frage von Verhandlungen. Am 8. März berichtete sie, Gouverneur Leutwein würde sich „seit geraumer Zeit ernstlich mit dem Gedanken tragen, Friedensverhandlungen mit den Hereros einzuleiten“, hiervon sei er aber von Berlin abgehalten

92 Die Ursachen des Aufstandes der Herero. I, in: Kölnische Zeitung, Nr. 488, 13. 5. 1904, Morgen-­Ausgabe; Die Ursachen des Aufstandes der Herero. II, in: Kölnische Zeitung, Nr. 514, 20. 5. 1904, Erste Morgen-­Ausgabe; Die Ursachen des Aufstandes der Herero. III, in: Kölnische Zeitung, Nr. 526, 22. 5. 1904, Dritte Beilage zur Sonntags-­Ausgabe. 93 SBR, Bd. 199, 17. 3. 1904, S. 1893. 94 Ebd.

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worden. Insbesondere der ­Kaiser würde sich dagegen aussprechen.95 Am 10. März druckte sie einen Artikel des liberalen „Berl. Tagbl.“ nach, das sich klar gegen Verhandlungen aussprach: Von ‚Friedensverhandlungen‘ mit den Hereros kann schon um deswillen keine Rede sein, weil die Hereros Deutschland gegenüber nicht als ‚kriegsführende Macht‘, ­sondern einfach als Rebellen zu gelten haben, die man züchtigt, und denen man dann die Bedingungen für ihr weiteres Verhältnis zum deutschen Reiche diktiert.96

Tatsächlich hatte Leutwein bis dahin eine pragmatische Politik verfolgt, die Verhandlungen mit Aufständischen nicht ausschloss und ehemalige Kriegsgegner wieder in das politische Machtgefüge der Kolonie integrierte. Über den schon erwähnten Vortrag von Leutwein im Jahr 1898 berichtete der Berliner Lokal-­ Anzeiger damals, jener habe „durchaus zutreffende Gründe“ vorgebracht, „die ihn dazu gebracht hätten, Witboi [den politischen Führer der Nama in Südwestafrika – CM] unter die deutsche Oberherrschaft zu stellen, obwohl die öffentliche Meinung des Heimathlandes eine viel strengere Bestrafung des Capitains verlangt habe“.97 Nach 1904 hatte ein solcher Kurs in Deutschland aber keine Chance mehr. Die Bedenken gegenüber Leutwein führten dazu, dass der ­Kaiser Lothar von Trotha zum neuen Oberkommandierenden ernannte. Nach seiner Ankunft in Südwestafrika setzte Trotha darauf, die Herero, die sich inzwischen an den Waterberg zurückgezogen hatten, vernichtend zu schlagen. Am 11. August 1904 kam es zur Schlacht, ein Teil der Herero konnte jedoch der deutschen Einkreisung entkommen und in die Wüste Omaheke fliehen.98 Daraufhin erließ Trotha am 2. Oktober seine berüchtigte Vernichtungsproklamation: Die Hereros sind nicht mehr deutsche Untertanen. Sie haben gemordet und gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten, und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen. Ich sage dem Volk:

95 Friedensverhandlungen mit den Hereros, in: Freiburger Zeitung, Nr. 57, 8. 3. 1904. 96 Ueber den Herero-­Aufstand, in: Freiburger Zeitung, Nr. 59, 10. 3. 1904. 97 Die Entwicklung von Südwest-­Afrika, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 23, 15. 1. 1898, 1. Ausgabe. 98 Vgl. Kuß, Kriegsführung, 2006, S. 235.

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Jeder, der einen der Kapitäne an eine meiner Stationen als Gefangenen abliefert, erhält tausend Mark, wer Samuel Maharero bringt, erhält fünftausend Mark. Das Volk der Herero muß jedoch das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut; so werde ich es mit dem Groot Rohr (!) dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber oder Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen.99

In einer Erläuterung präzisierte Trotha zwar, bei Frauen und Kindern nur über die Köpfe hinweg zu schießen, aber auch dies bedeutete in der Konsequenz die Vertreibung in die Wüste Omaheke und den Tod durch Verdursten.100 Die genozidale Kriegsführung des deutschen Militärs blieb der Öffentlichkeit nicht verborgen. Schon zu Beginn des Krieges erschienen Soldatenbriefe in den Zeitungen, aus denen hervorging, dass die deutschen Truppen ‚kein Pardon‘ gaben.101 Ende 1904 erschienen dann immer mehr Briefe, die in ihrer Gesamtheit die Radikalität der Vorgehensweise am Waterberg deutlich werden ließen. So konnte man in einem vom Vorwärts am 23. Oktober abgedruckten Brief lesen: „Wenn unsere Truppen am Platz sind, so hört der Kampf nicht eher auf, bis alle dahin sind.“ 102 Am 19. November erschien ein Brief, der beschrieb, wie deutsche Soldaten eine gefangengenommene, fast verhungerte Hererofrau erschossen. Der Vorwärts forderte eine Untersuchung der Regierung, um zu überprüfen, ob diese „unglaubliche Barbarei“ tatsächlich geschehen sei.103 Der Leitartikel in der gleichen Ausgabe kritisierte die deutsche Kriegsführung scharf. Nachdem der eindeutige Sieg bei der Schlacht am Waterberg nicht gelungen sei, würden die Herero nun durch Verdursten sterben. Die Kampfhandlungen bestünden nur noch aus „Menschenjagden“, und die Meldungen des Militärs selbst sprächen dafür, dass keine Gefangenen gemacht würden: Trotha berichtet da, daß in den verschiedenen Gefechten insgesamt 68 Eingeborene getötet worden s­ eien. Daß Verwundete gemacht wurden, davon berichtet er kein

99 100 101 102 103

Zit. nach Zimmerer, Krieg, 2003, S. 51. Vgl. ebd., S. 51 f. Vgl. Zeigerer, Kriegsberichterstatter, 2016, S. 383. Das deutsche Gemüt, in: Vorwärts, Nr. 250, 23. 10. 1904. Eine gefangene Hererofrau erschossen?, in: Vorwärts, Nr. 272, 19. 11. 1904.

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Sterbenswörtchen. Die deutschen Kugeln müssen außerordentlich gut getroffen haben, daß sie sämtlich zum Tode der Getroffenen führten, oder haben sich wiederum die Verwundeten verteidigt, so daß sie vollends getötet werden mußten, während die Unverwundeten ohne jeden Widerstand davonliefen? 104

Am 20. November berichtete der Vorwärts über eine weitere briefliche Mitteilung, nach der ein Gefangener „zum Tode verurteilt“ worden sei, „denn Mitleid kann man mit ­diesem Burschen nicht haben“.105 Eine am 25. Dezember veröffentlichte Zusammenstellung bis dahin in der Presse erschienener Briefe lässt die Dimension der genozidalen Kriegs­führung unter Trotha erkennen. In einem Brief hieß es beispielsweise: „Wir dürfen keine Gefangenen machen. Alles, was lebend ist und schwarze Farbe hat, wird niedergeschossen.“ In einem anderen: „Jeder Kaffer, der getroffen, soll erschossen und jede Frau und jedes Kind vertrieben werden.“ Zwei weitere Briefe aus dem Tagebuch eines Soldaten schließlich beschrieben die Situation der Herero folgendermaßen: Sicher möchten sie gern Frieden schließen, aber sie wissen nur nicht wie. […] Mit keinem Vieh aber muß der Herero zugrunde gehen, und so scheint mir der ganze Teil des Volkes, der sich am Aufstand beteiligt hat, dem Untergang geweiht, eine gerechte Strafe.106

Neujahr 1905 druckte der Vorwärts dann einen Brief ab, der nicht nur ein weiteres Mal bestätigte, dass alle männlichen Herero erschossen sowie Frauen und Kinder durch Schüsse in die Flucht getrieben werden sollten, sondern auch – zwar gekürzt und im Wortlaut abweichend, doch sinngemäß korrekt – die Vernichtungsproklamation wiedergab. Allerdings hielt der Vorwärts es für „recht unglaubhaft“, dass Trotha einen solchen Befehl erlassen habe, obschon der Brief von der „bestialischen Verrohung durch unsere koloniale Kriegsführung“ zeuge.107 Wenngleich der Vorwärts – vielleicht auch aus Sorge vor juristischen

104 105 106 107

Unser Kolonialkrieg, in: Vorwärts, Nr. 272, 19. 11. 1904. Ueber die südwestafrikanische Kriegsführung, in: Vorwärts, Nr. 273, 20. 11. 1904. Praktisches Christentum in Südwestafrika, in: Vorwärts, Nr. 303, 25. 12. 1904. Ein südwestafrikanischer Soldatenbrief, in: Vorwärts, Nr. 1, 1. 1. 1905: „Die Herero haben geraubt, geplündert und gemordet, deutsches Eigentum ruiniert und zerstört; sie sind

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­Konsequenzen  –108 am Wahrheitsgehalt einzelner Aussagen der Briefe zweifelte oder Untersuchungen zur Überprüfung konkreter Fälle forderte, charakterisierte er die deutsche Vorgehensweise doch unzweideutig als „Ausrottung“ 109 und verurteilte den „Vernichtungskrieg“ als „eines der entsetzlichsten kolonialpolitischen Vorkommnisse […], die die Geschichte zu verzeichnen hat“.110 Der Vorwärts setzte sich, wie stets seit Ausbruch des Aufstands, in Anbetracht der eintreffenden Nachrichten dafür ein, den Krieg durch Verhandlungen zu beenden und forderte am 7. Oktober 1904 ein „Generalpardon“ für die Gegner.111 Am 2. November berichtete er, dass sich erstmals auch „ein bürger­ liches Blatt“ für einen Friedensschluss einsetze. Anders als der Vorwärts forderte der „Reichsbote“ zwar im wiedergegebenen Artikel keine Verhandlungen und erörterte nicht die hierfür angemessenen Zugeständnisse, aber er sprach sich dafür aus, „möglichst Gnade denen [zu] verkünden, die sich unterwerfen“.112 Im Leitartikel vom 19. November, der die deutsche Kriegsführung scharf kritisierte, beklagte der Vorwärts: Natürlich erregt sich in Deutschland weder ein professioneller Prediger der christlichen Nächstenliebe noch einer der sonst so geräuschvollen Friedensfreunde gegen ­solche unwürdigen Schlächtereien. Es ist wiederum, von der einzigen Stimme des ‚Reichsboten‘ abgesehen, ganz allein die Sozialdemokratie, w ­ elche noch eine Empfindung für die Kulturehre der deutschen Nation besitzt!113

deshalb keine deutschen Untertanen mehr und haben deshalb das Land zu verlassen; jeder Herero, der erwischt wird, wird erschossen. Der große General der Weißen. v. Trotha.“ 108 Nach Veröffentlichung der ‚Hunnenbriefe‘ während des Boxerkriegs wurden gericht­ liche Untersuchungen gegen die Zeitungen eingeleitet, die diese veröffentlicht hatten, vgl. Wieland, Reichstagsdebatten, 2007, S. 171. 109 Die offizielle Verlustmeldung aus Südwest-­Afrika, in: Vorwärts, Nr. 9, 11. 1. 1905. 110 Die Vernichtung der Hereros, in: Vorwärts, Nr. 17, 20. 1. 1905. 111 Neue Zusammenstöße in Südwestafrika, in: Vorwärts, Nr. 236, 7. 10. 1904. 112 Für einen Friedensschluß mit den Herero, in: Vorwärts, Nr. 258, 2. 11. 1904. Mit Blick auf die auch vom „Reichsbote[n]“ für selbstverständlich gehaltene Aburteilung der „Rädelsführer“ forderte der Vorwärts „eine strenge Untersuchung über die Ursachen […], die die Hereros in den Aufstand getrieben haben“. Zu den Zugeständnissen, die der Vorwärts für notwendig hielt, vgl. 200 Millionen Kriegskosten für Südwestafrika!, in: Vorwärts, Nr.  247, 20. 10. 1904. 113 Unser Kolonialkrieg, in: Vorwärts, Nr. 272, 19. 11. 1904.

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Tatsächlich löste das Vorgehen nach der Schlacht am Waterberg in der breiteren Öffentlichkeit keine Empörung aus. An der Kriegsführung kritisierte die deutsche Presse vor allem, dass die Umzinglung des Gegners bei der Schlacht von Waterberg scheiterte, ein Teil der Kämpfenden flüchten konnte und nun ein langandauernder Guerillakrieg drohe. Zudem verurteilte man, dass die Regierung – wie schon während des Boxerkrieges – die parlamentarischen Rechte nicht achte, da sie den Reichstag nicht rechtzeitig einberufen hatte, um die für den Krieg notwendigen Gelder bewilligen zu lassen. Forderungen nach einem Wandel in der Kriegsführung gegen die Herero gab es jedoch kaum.114 Es war Reichskanzler Bülow, der Anfang Dezember die Debatte über eine Neuausrichtung der Vorgehensweise einleitete. Bülow stand, schon bevor er von der Vernichtungsproklamation erfuhr, dem kompromisslosen Kurs T ­ rothas skeptisch gegenüber. Er sympathisierte mit Leutwein, der Ende Oktober in Berlin um Erlaubnis gebeten hatte, Verhandlungen mit den Herero zu führen. Trotha konnte jedoch zu dieser Zeit auf die Unterstützung von ­Kaiser und Generalstab zählen, sodass ein Kurswechsel zunächst keine Chance hatte. Am 23. November informierte dann der Chef des Generalstabs, Alfred von Schlieffen, das Kolonialamt über die Vernichtungsproklamation und sprach sich – bei grundsätzlicher Unterstützung Trothas – dafür aus, unschuldige, sich ergebende Herero am Leben zu belassen und die Kopfprämie für die Anführer der Herero zu erhöhen. Bülow gingen die Vorschläge Schlieffens jedoch nicht weit genug. In seinen Augen war das Kopfgeld kontraproduktiv, zudem hielt er die Hilfe der Mission für notwendig, um die Herero zur Aufgabe zu bewegen. Der ­Kaiser entschied jedoch zunächst im Sinne Schlieffens. Erst als es Bülow Anfang Dezember gelang, den Generalstab von seiner Politik zu überzeugen, gab auch Wilhelm II. Bülows Drängen nach und befahl Trotha am 8. Dezember, die Vernichtungs­ proklamation zurückzunehmen.115

114 Vgl. etwa Wochenrundschau, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 938, 11. 1. 1904; Wochenrundschau, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 58, 20. 1. 1905, Zweite Abend-­Ausgabe; M ­ ichaelis, Paul, Politische Wochenschau, in: Berliner Tageblatt, Nr. 424, 21. 8. 1904, Sonntags-­Ausgabe; Levysohn, Arthur, Politische Wochenschau, in: Berliner Tageblatt, Nr. 27, 15. 1. 1905, Sonntags-­Ausgabe. 115 Zum Tauziehen um die Rücknahme der Proklamation Trothas vgl. Bley, Kolonialherrschaft, 1968, S. 205 – 207; Zimmerer, Krieg, 2003, S. 53 f.; Hull, Absolute Destruction, 2005, S.  63 – 66.

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Nachdem er den Generalstab von seinem Kurs überzeugt hatte, aber noch drei Tage bevor Trotha auf kaiserlichen Befehl die Vernichtungsproklamation zurücknahm, verkündete Bülow dann am 5. Dezember im Reichstag: Eins aber möchte ich ausdrücklich sagen. Wir sind weder so grausam, noch sind wir so töricht, die einzige Möglichkeit der Wiederherstellung geordneter Zustände darin zu erblicken, daß die jetzt aus den Wüsteneien des Sandfeldes hervorströmenden, halb verhungerten und verdursteten Hererobanden erbarmungslos niedergeknallt werden.116

Von einer „Ausrottung der Eingeborenen“ könne „abgesehen von allen Gründen der Menschlichkeit, die wir immer hochhalten werden, schon aus der praktischen Erwägung heraus nicht die Rede sein, daß wir die Eingeborenen für jede Art des wirtschaftlichen Betriebes in Südwestafrika […] nicht entbehren ­können“.117 Damit thematisierte Bülow das Vorgehen nach der Schlacht am Waterberg, ohne dass öffentlicher Druck ihn hierzu gezwungen hatte. Zuvor hatte der Zentrumsabgeordnete Spahn auf jede Kritik an der Kriegsführung verzichtet und den Truppen ausdrücklich seine Anerkennung ausgesprochen. Auch Bebel beließ es als unmittelbarer Vorredner dabei, auf Ausmaß und Kosten des Krieges in Südwestafrika hinzuweisen und nur allgemein über die „brutale Gewalt“ der deutschen Kolonialpolitik zu klagen.118 Im Wissen um die Vorgänge in der Kolonie war Bülow offensichtlich bestrebt, in der Öffentlichkeit für den von ihm durchgesetzten politischen Kurs zu werben. Dabei verschwieg er zwar, dass bis zu d ­ iesem Zeitpunkt in der Kolonie keines­falls im Sinne seiner Ausführungen gehandelt worden war. Aber bei seiner nächsten öffentlichen Stellungnahme hierzu war er doch bemüht, als Urheber eines Kurswechsels zu erscheinen. Am 13. Dezember erschien die Nachricht, dass Bülow die rheinische Mission um Vermittlung gebeten habe. Dem in der Presse veröffentlichten Schreiben Bülows an die Mission konnte man entnehmen, dass er die Behörden vor Ort angewiesen habe, mit den Missionaren zusammenzuarbeiten. Diese könnten demnach am ehesten die Herero zur Unterwerfung bewegen. Aus Bülows Erklärung der Motive für diesen Schritt konnte man durchaus Rückschlüsse auf die bis dahin praktizierte Kriegsführung ziehen: „Bei der durch 116 SBR, Bd. 201, 5. 12. 1904, S. 3376. 117 Ebd. 118 Ebd., S. 3345 (Spahn) und S. 3356 f. (Bebel).

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Gründe der Menschlichkeit und praktische Erwägungen gebotenen Notwendigkeit, die völlige Vernichtung des Hererovolkes zu verhindern, erscheinen mir die von Ihrer Mission angebotenen guten Dienste besonders wertvoll.“ 119 Die Kölnische Volkszeitung begrüßte die Initiative, zugleich mahnte sie: „Indes können die Missionare nicht viel zur Vermittlung des Friedens tun, wenn man den Ausrottungskrieg gegen die Herero in der Weise fortsetzt, wie es bis jetzt der Fall zu sein scheint.“ Wenn es stimme, dass keine Gefangenen gemacht und sogar hungernde Frauen und Kinder verjagt würden, „woher sollen dann die Eingeborenen Neigung und Mut gewinnen, ihre Unterwerfung anzubieten?“ 120 Dass die Kölnische Volkszeitung in ­diesem Artikel auf die Berichte über die rücksichtlose Kriegsführung einging, überrascht; zuvor hatte sie ­diesem Thema keine Aufmerksamkeit gewidmet. Andere Zeitungen sahen sich auch nach Veröffentlichung von Bülows Schreiben an die Mission nicht veranlasst, den Charakter der bisherigen Vorgehensweise kritisch zu hinterfragen. Die Berliner Morgenpost mahnte nur, dass „wir nicht etwa als friedensbedürftige Bitter erscheinen“ dürften. Aufgabe der Missionare sei es, auf „den Segen der Unterwerfung“ hinzuweisen.121 Das ­Berliner Tageblatt zeigte sich zunächst in der Morgenausgabe des 13. Dezember skeptisch über den „praktischen Wert dieser Vorschläge“ und erinnerte – auf die Beteiligung von zum Christentum konvertierten Herero an dem Aufstand anspielend – „an das Verhältnis ­zwischen der Mission und den Hereros […], wie es sich bei Beginn des Aufstands offenbarte“. So äußerte das Blatt nur die Hoffnung, dass von den Behörden vor Ort das Brauchbare der Vorschläge der Mission akzeptiert und „das Unbrauchbare abgelehnt wird“.122 In der Abendausgabe desselben Tages veröffentlichte das Tageblatt dann jedoch eine Zuschrift, nach der das Schreiben an die Mission Bülow „alle Ehre“ mache. Es müsse vom „Standpunkte des Realpolitikers aus, ganz abgesehen von Humanitätsgründen,

119 Zit. nach Die Mission der Missionare. Vermittlung mit den Herero, in: Berliner Morgenpost, Nr. 192, 13. 12. 1904. 120 Friedensvermittlung im Hereroland?, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 1032, 13. 12. 1904, Erste Abend-­Ausgabe. 121 Die Mission der Missionare. Vermittlung mit den Herero, in: Berliner Morgenpost, Nr. 192, 13. 12. 1904. 122 Aus Deutsch-­Südwestafrika, in: Berliner Tageblatt, Nr. 633, 13. 12. 1904, Morgen-­Ausgabe.

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so gehandelt werden“. Ansonsten bliebe „nichts anderes übrig, als chinesische Kulis ins Land zu holen“.123 Die Kölnische Zeitung veröffentlichte am 7. Januar 1905 einen Bericht, den ein Korrespondent der Zeitung schon am 7. Dezember 1904 in Südwestafrika verfasst hatte. Dem Autor zufolge war die Zeit gekommen, nun „goldene Brücken“ zu bauen. Die „blutige Strenge“ habe „ihre Zeit gehabt“, bei der Vermittlung könnten die Missionare hilfreich sein. Die Kölnische Zeitung stimmte in ihrem Kommentar dem Korrespondentenbericht zu, denn es müsse „dafür gesorgt werden, daß das Land wieder eingeborne Arbeiter erhält“. In der Zwischenzeit habe Bülow auch „Vertreter der Rheinischen Mission ersucht, die übrig bleibenden Herero zur Unterwerfung zu veranlassen, somit scheidet die völlige Vernichtung ­dieses Stammes aus dem Kriegsprogramm aus“.124 Auch in der Folgezeit vertrat die Sozialdemokratie eine Außenseiterposition, wenn sie die deutsche Kriegsführung verurteilte. Als Bebel am 30. Januar im Reichstag die „barbarische Kriegsweise“ anklagte und aus einem Brief vorlas, demzufolge weder Frauen noch Kinder verschont würden, stand die Sozialdemokratie alleine mit ihrer Kritik da. In Reaktion auf Bebels Ausführungen fühlten sich die ihm folgenden Redner vielmehr in der Pflicht, ihre Solidarität mit den Truppen vor Ort auszudrücken. Der Freikonservative Arendt etwa, der nach Bebel das Wort bekam, lobte „Tapferkeit und Hingebung unserer braven Truppen“ und bezweifelte den Wahrheitsgehalt der von Bebel vorgetragenen Briefe. Der linksliberale Abgeordnete Müller hielt es zwar für berechtigt, vereinzelte „Ausschreitungen“ von deutscher Seite zu benennen. Den Soldaten, die den Aufstand niederkämpften, müsse jedoch Anerkennung für „Tapferkeit und Opfermut“ gezollt werden.125 In Anbetracht des Prestiges des deutschen Militärs und der Nachrichten über die Strapazen, die die Truppen an der Front zu erleiden hatten, scheint eine Verurteilung der Soldaten weitaus heikler gewesen zu sein als Kritik an den Händlern und Farmern in Südwestafrika. Kein Zweifel mehr an der zeitweise genozidalen Kriegsführung konnte es jedoch geben, als die Zeitschrift Die deutschen Kolonien im August 1905 Trothas Vernichtungsproklamation veröffentlichte.126 Die Hintergründe der ­Veröffentlichung 123 124 125 126

Die Missionare als Vermittler, in: Berliner Tageblatt, Nr. 634, 13. 12. 1904, Abend-­Ausgabe. Die Lage im Hererolande, in: Kölnische Zeitung, Nr. 21, 7. 1. 1905, Erste Morgen-­Ausgabe. SBR, Bd. 202, S. 4104 (Bebel), 4105 f. (Arendt), 4113 (Müller). Vgl. Kuß, Kriegsführung, 2006, S. 209 f.

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sind von der Forschung noch nicht beleuchtet worden. Profitiert von ihr hat in jedem Falle Bülow, sein Widersacher Trotha hingegen fand in der deutschen Presse kaum Verteidiger.127 Die Berliner Morgenpost kommentierte: „Aber auch ­diesem Tagesbefehl liegt der Gedanke der rücksichtslosen Ausrottung des Herero­ volkes zugrunde, ein Programm, das ebenso sehr der Menschlichkeit und der Kultur Hohn spricht, wie es dem einfachsten Interesse der Kolonie an einer arbeitsfähigen Bevölkerung widerstreitet.“ Für die deutsche Regierung war die Veröffentlichung allerdings politisch nicht gefährlich. Die Vernichtungsproklamation wurde zusammen mit der Information publiziert, dass sie auf Bülows Drängen hin zurückgenommen worden war. Für die Morgenpost war klar, dass Bülow sich hierfür „in der Heimat der einmütigen Billigung aller Kreise sicher sein“ könne.128 In der breiteren Öffentlichkeit fanden sich, anders als in der Kolonialliteratur,129 also kaum Unterstützer einer Kriegsführung, die auf die Vernichtung aller Herero ausgelegt war. Allerdings sollte die Ablehnung von Trothas Vorgehensweise auch nicht überbewertet werden.130 Es war nicht öffentlicher Druck, der im Dezember 1904 zur Rücknahme des Vernichtungsbefehls führte. Im Zeitraum ­zwischen seinem Erlass und der Rücknahme erhoben sich außerhalb der Sozialdemokratie kaum Stimmen, die wie der Vorwärts auf Basis der eintreffenden Nachrichten und Soldatenbriefe herausarbeiteten, dass die Kriegsführung in Südwestafrika auf die ‚Ausrottung‘ der Herero hinauslief. Und selbst im Vorwärts war das Interesse an den Ereignissen begrenzt. Als sich Ende 1904 die Belege für den Völker­mord häuften, druckte er zwar

127 Vgl. auch Bley, Kolonialherrschaft, 1968, S. 207 f., zu Konflikten ­zwischen Bülow und Trotha. 128 „Ich, der große General!“ Trotha gegen Bülow, in: Berliner Morgenpost, Nr. 191, 16. 8. 1905. 129 Vgl. Brehl, Drama, 2003, bes. S. 86 f.; Ders., „Ich denke, ich habe Ihnen zu Tode verholfen“, 2004. 130 So Gründer, Deutscher Kolonialismus, 2011, S. 150, demzufolge es problematisch sei, den Genozid als ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts zu bezeichnen, da die Mitverantwortung von Reichsleitung und deutschem Volk fraglich ist. Trotha sei zur Rücknahme des Vernichtungsbefehls gezwungen worden und die Presse habe parteiübergreifend die Vernichtung der Herero als Kriegsziel abgelehnt. Wenn man wie Gründer die Frage der Mitverantwortung von Politik und Bevölkerung zum Kriterium macht, müsste allerdings auch berücksichtigt werden, dass es in Anbetracht der vorherrschenden Stimmung relativ lange dauerte, bis Bülow die Rücknahme der Vernichtungsproklamation gegen Widerstand durchsetzen konnte und das öffentliche Interesse an Gewaltexzessen gering war.

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mehrfach aufschlussreiche Soldatenbriefe ab und verurteilte die Kriegsführung Trothas scharf. Aber nur in einem einzigen Leitartikel stellte er die deutschen Gewaltexzesse in den Mittelpunkt.131 Mit dem Nachrichtenwert des zu dieser Zeit alles dominierenden Russisch-­Japanischen Krieges konnte der Genozid an den Herero auch im Vorwärts nicht mithalten. Die von Bülow initiierte Vermittlung durch die Missionare, die es den Herero erlauben sollte, sich zu ‚unterwerfen‘, fand zwar große Unterstützung – wie die meisten Blätter betonten, sprachen schon rein ökonomische Gründe hierfür. Eine kritische Betrachtung des bis dahin verfolgten Kurses der eigenen Truppen fand jedoch kaum statt. Als im August 1905 schließlich der Wortlaut der Vernichtungsproklamation veröffentlich wurde, stieß diese parteiübergreifend auf Ablehnung. Eine langanhaltende Diskussion löste die Proklamation jedoch nicht aus. Für den Vorwärts war es am 16. August „bezeichnend“, dass die Veröffentlichung „nur bei einem Teil der Presse Beachtung gefunden habe“.132 In der folgenden Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Presse konnte der Vorwärts zwar nur wenige Stimmen aufführen, die Trotha explizit unterstützen, er klagte jedoch wiederholt über die nicht ausreichende Reaktion der deutschen Öffentlichkeit.133 Allerdings brachte selbst der Vorwärts nur am 16. August einen Leitartikel zur Vernichtungsproklamation.134 Die am Folgetag erhobene Forderung, Trotha vor das Kriegsgericht zu stellen, erschien schon weit hinten im Politikteil der Ausgabe.135 Auch die bis zum Ende des Monats vereinzelt publizierten Artikel über die Kommentare anderer Zeitungen und die anstehende Abberufung Trothas schafften es nicht mehr auf die Titelseite.136

131 Unser Kolonialkrieg, in: Vorwärts, Nr. 272, 19. 11. 1904. Ein weiterer Leitartikel zu den Ursachen des Aufstandes thematisierte auch die Kriegsführung: Die Vernichtung der Hereros, in: Vorwärts, Nr. 287, 7. 12. 1904. 132 Die deutsche Schmach in Südwestafrika, in: Vorwärts, Nr. 190, 16. 8. 1905. 133 Vgl. Haltung der bürgerlichen Presse, in: Vorwärts, Nr. 191, 17. 8. 1905; Südwestafrikanische Indiskretionen, in: Vorwärts, Nr. 200, 27. 8. 1905; Raubmörderpolitik, in: Vorwärts, Nr. 201, 29. 8. 1905; Hunnisches, in: Vorwärts, Nr. 202, 30. 8. 1905. 134 Die deutsche Schmach in Südwestafrika, in: Vorwärts, Nr. 190, 16. 8. 1905. 135 Vor das Kriegsgericht mit Trotha, in: Vorwärts, Nr. 191, 17. 8. 1905. 136 Zu den Auseinandersetzungen mit der Presse s. o., zu Trothas Abberufung vgl. Wird Trotha gehen?, in: Vorwärts, Nr. 193, 19. 8. 1905; Trothas Zurückberufung, in: Vorwärts, Nr. 195, 22. 8. 1905; Trotha und Leutwein, in: Vorwärts, Nr. 198, 25. 8. 1905; Trotha ­künftiger Kommandant der Kolonialarmee, in: Vorwärts, Nr. 200, 27. 8. 1905.

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Insgesamt war die Empörung über den Genozid an den Herero also sehr begrenzt. Wenn der Militäreinsatz mit der Zeit dennoch zunehmend unpopulärer wurde, lag dies weniger an der Art und Weise der Kriegsführung, sondern daran, dass sich die Kampfhandlungen immer mehr in die Länge zogen und die deutschen Truppen unfähig schienen, den Aufstand erfolgreich zu unterdrücken. Noch während Trothas Armee die fliehenden Herero verfolgte, brach im Süden der Kolonie ein weiterer Aufstand aus. Die dort lebenden Nama rebellierten gegen die deutsche Herrschaft und das Kaiserreich sah sich für Jahre mit einem Guerillakrieg konfrontiert. In Reaktion auf die Nachrichten über den Ausbruch des Aufstands im Süden kommentierte die Kölnische Volkszeitung, dass die „Aussichten namentlich auf Vermehrung der schon so unverhältnismäßig hohen Feldzugskosten […] noch immer schlimmer“ würden.137 Das Berliner Tageblatt sah in dem „latenten Widerstande, dem die Ausdehnung des Kolonialbesitzes bei einem großen Teile des Deutschen Volkes noch immer begegnet, für die Regierenden ein höchst peinliches Problem“. In Anbetracht der steigenden Kriegskosten würde „doch schwerlich im Lande die Kolonialpolitik als ­solche an Popularität zu gewinnen vermögen“.138 Das Tageblatt sollte mit seiner Prognose Recht behalten. Im September 1905, nachdem im Monat zuvor ein weiterer Krieg im deutschen Kolonialreich ausgebrochen war, urteilte es: In Südwest- wie in Ostafrika sind es noch immer die Aufstände der eingeborenen Bevölkerung, die uns Opfer an Gut und Blut auferlegen, Opfer, die von dem deutschen Volke um so weniger freudig getragen werden, als die Mißstimmung über die inneren Verhältnisse immer weitere Kreise ergreift.139

Der Berliner Lokal-­Anzeiger schrieb am 27. August nach den „bedauerlichen Hiobsposten aus Deutsch-­Ostafrika“ zur Situation in den Kolonien: „Seit mehreren Jahren wollen die ungünstigen Meldungen ja kein Ende nehmen“. Das „Interesse der Steuerzahler“ verlange, „daß den Ursachen der Mißerfolge mit

137 Wochenrundschau, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 855, 14. 10. 1904, Zweite Abend-­Ausgabe. 138 Levysohn, Arthur, Politische Wochenschau, in: Berliner Tageblatt, Nr. 528, 16. 10. 1904, Sonntags-­Ausgabe. 139 Levysohn, Arthur, Politische Wochenschau, in: Berliner Tageblatt, Nr. 461, 10. 9. 1905, Sonntags-­Ausgabe.

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größter Genauigkeit und ohne jede Rücksicht umgehend auf den Grund zu kommen versucht und weiterem Unheil vorgebeugt“ werde.140 Um dem wachsenden Unmut über den unbeliebten Guerillakrieg entgegenzuwirken, appellierten die Kolonialbefürworter an die Solidarität der Heimat mit den Soldaten, beschworen den Durchhaltewillen und stilisierten den Krieg zu einer Frage der nationalen Ehre.141 Die Kölnische Zeitung bezeichnete es am 17. August 1905 als „Ungerechtigkeit“ des deutschen Volks „gegen seine Söhne“, dass das Interesse der Bevölkerung am Krieg sinke, weil die „Scharmützel, die unsere Truppen mit den Aufständischen fortwährend durchzuführen haben […] des großen heroischen Zuges entbehren, der auch den fernen Beobachter begeistert und fortreißt“.142 Die Appelle zur Solidarität mit den Soldaten trugen sicherlich zur Kriegsunterstützung bei. Allerdings ist es wie beim Boxerkrieg und beim Burenkrieg zweifelhaft, ob die Berichterstattung über den langen und unpopulären Krieg in Afrika umgekehrt auch zum Militarismus in Deutschland und zur Kriegsbegeisterung allgemein beitrug. Die Freiwilligenmeldungen für die Mannschaftsdienstgrade blieben schon im Mai 1904 unter dem Bedarf der Armeeführung.143 Vielmehr scheinen es die Kolonialbefürworter geschafft zu haben, die weitverbreitete Sympathie für die Soldaten an der Front für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Zudem betonten die Kolonialanhänger das wirtschaftliche Potenzial Südwestafrikas und widersprachen Kritikern, die ­dieses infrage stellten. Die vorgebliche ‚Zivilisierung‘ der afrikanischen Bevölkerung spielte in der deutschen Debatte hingegen kaum eine Rolle.144 Angesichts der Unfähigkeit des Militärs, die Aufstände in Südwestafrika schnell und effizient niederzuschlagen, kamen zudem wieder Forderungen auf, den Aufstand durch Verhandlungen zu beenden. Der Berliner Lokal-­Anzeiger schrieb am 13. August 1905, dass die Parteizeitungen soweit gingen, „die Notwendigkeit völliger Unterwerfung der Rebellen mit Rücksicht auf die allerdings immer beängstigender anschwellenden Opfer an Gut und Blut in Zweifel zu

140 Umschau, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 421, 27. 8. 1905. 141 Vgl. auch Kuß, Kriegsführung, 2006, S.230 – 232. 142 Eine Ungerechtigkeit, in: Kölnische Zeitung, Nr. 854, 17. 8. 1905, Zweite Morgen-­Ausgabe. Die zeitgleich in anderen Zeitungen diskutierte Vernichtungsproklamation erwähnte die Kölnische Zeitung nicht. 143 Vgl. Kuß, Deutsches Militär, 2010, S. 148 f. 144 Vgl. Methfessel, Spreading the European Model by Military Means?, 2012, S. 57 f.

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ziehen“.145 Auch am Ort des Geschehens gab es angesichts der sich in die Länge ziehenden Kämpfe Versuche, den Krieg mit den Aufständischen im Süden des Landes durch Verhandlungen zu beenden. Für die Presse waren vor allem Nachrichten über Gespräche mit dem Rebellenführer Morenga von Interesse, der in der deutschen Öffentlichkeit zeitweise große Sympathien genoss. Trothas Nachfolger als Oberkommandierender der deutschen Truppen, Oberst von Deimling, beschrieb ihn im Reichstag als edlen „Räuberhauptmann“, den man nicht mit einem „gewöhnlichen Kaffernhäuptling“ verwechseln dürfe.146 Der prokoloniale Berliner Lokal-­Anzeiger bedauerte am 31. August 1905, dass Verhandlungen mit „diesem ebenso kühnen wie fähigen Bandenführer“ gescheitert waren.147 Morenga war jedoch eine Ausnahmefigur, Gesprächen mit den übrigen Aufständischen widmete die Presse weitaus weniger Aufmerksamkeit. Dazu trug auch bei, dass Regierung und Militär bemüht waren, die Verhandlungen in der Öffentlichkeit stets als ‚Kapitulation‘ oder ‚Unterwerfung‘ der anderen Seite darzustellen.148 Tatsächlich unterschieden sich diese Verhandlungen erheblich von jenen, die zu Zeiten des Gouverneur Leutwein stattgefunden hatten. Dieser erkannte ehemalige Aufständische in der Regel als politische Akteure an und integrierte sie in das deutsche Kolonialsystem. Den Aufständischen unter Isaak Witbooi wurde im November 1905 hingegen im Gegenzug für Kapitulation und Entwaffnung nur das Leben und die Möglichkeit, sich in ihrer Heimat niederzulassen, zugesagt. Als die „Bedingungen, unter denen sich die Unterwerfung der Hottentotten vollzogen hat“, am 5. Dezember in der deutschen Öffentlichkeit bekannt wurden, bewertete das Berliner Tageblatt sie als „sehr human“, aber sie würden doch „den Anforderungen entsprechen, die man im Interesse des deutschen Prestiges […] stellen“ müsse.149 Für den gerade ernannten Gouverneur Friedrich von Lindequist waren aber auch diese Bedingungen zu milde, seiner Ansicht nach sollten alle sich Ergebenden in Kriegsgefangenschaft genommen werden.150 145 Umschau, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 395, 13. 8. 1905. 146 SBR, Bd. 216, 19. 3. 1906, S. 2124. 147 Zur Lage in Südwestafrika, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 428, 31. 8. 1905, 1. Ausgabe. Auch die prokoloniale Afrikapost hielt es für angemessen, dass man Morenga bei den Verhandlungen entgegenkomme, wohingegen sie gegenüber den aufständischen Nama unter Isaak Witbooi ein kompromissloses Vorgehen forderte, vgl. Bühler, Namaaufstand, 2003, S. 267. 148 Vgl. Kap. C. 149 Bedingungen, in: Berliner Tageblatt, Nr. 618, 5. 12. 1905, Morgen-­Ausgabe. 150 Vgl. Bühler, Namaaufstand, 2003, 264 – 270.

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Wohl auch deshalb hielt der Oberkommandierende Deimling spätere Verhandlungen mit dem Aufständischen Johann Christiaans vor dem Gouverneur geheim. In Unkenntnis der Lage im Kriegsgebiet bestritt die Regierung dann auch, dass es eine Alternative zur militärischen Niederschlagung des Aufstandes gebe. Dabei wurden in der deutschen Öffentlichkeit weiterhin Forderungen in ­diesem Sinne erhoben. Der sozialdemokratische Abgeordnete Ledebour fragte am 28. November 1906 im Reichstag, ob „auch nur der Versuch gemacht worden“ sei, „mit den Eingeborenen, den sogenannten Aufständischen, in Verhandlungen zu treten“.151 Der Zentrumsabgeordnete Erzberger fragte zwei Tage später vorsichtiger, ob Schritte zur „friedlichen Unterwerfung“ der Aufständischen unternommen worden ­seien.152 Der kurz zuvor ernannte Direktor der Kolonialabteilung, Bernhard Dernburg, antwortet jedoch knapp, dass dies zwar eine schöne Idee, aber mit den „Raubtiernaturen“, gegen die man kämpfe, nicht zu machen sei.153 Wenig später kamen in Südwestafrika die Verhandlungen z­ wischen Deimling und den Aufständischen unter Johann Christiaans zu einem erfolgreichen Abschluss. Dabei war Deimling mit den gegenüber Johann Christiaans gemachten Zusagen eindeutig über die politischen Direktiven hinausgegangen, er stellte den Gouverneur und die Reichsleitung in Berlin Ende Dezember 1906 vor vollendete Tatsachen.154 Von dem Konflikt z­ wischen Oberkommandierendem und Gouverneur drang allerdings nichts an die Öffentlichkeit, und so begrüßte die deutsche Presse die Nachrichten über die „Unterwerfung der Bondelzwarts“.155 Die Freiburger Zeitung berichtete unter der Überschrift „Ein wesentlicher Sieg in Deutsch-­Südwestafrika“ über die eintreffende Meldung.156 Nachdem die Kämpfe in Südwestafrika über Jahre hinweg

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SBR, Bd. 218, 28. 11. 1906, S. 3980. Ebd., 30. 11. 1906, S. 4040. Ebd., 3. 12. 1906, S. 4096. Vgl. Bühler, Namaaufstand, 2003, S. 296 – 310. Lindequist versuchte daraufhin, sich h ­ ierüber hinwegzusetzen. Am Ende entschied Wilhelm II., dass das Abkommen eingehalten werden müsse. In anderen Fällen konnte sich Lindequist durchsetzen und sich ergebende Nama wurden in die – unter südwestafrikanischen Bedingung häufig tödliche – Kriegsgefangenschaft genommen, vgl. ebd., S. 269. 155 Unterwerfung der Bondelzwarts. Das verhallte Feldgeschrei, in: Berliner Morgenpost, Nr. 302, 27. 12. 1906. Im Rahmen des Wahlkampfs löste jedoch die Frage, ab wann die Regierung über die Verhandlungen informiert war, Spekulationen aus, vgl. Kap. 3.6. 156 Ein wesentlicher Sieg in Deutsch-­Südwestafrika, in: Freiburger Zeitung, Nr. 301, 28. 12. 1906, Erstes Blatt.

Kritik und Durchhalteparolen: Der Krieg in Südwestafrika

zwar nie das dominierende Thema waren, aber immer wieder die Presse beschäftigt hatten, war man nun vor allem erleichtert, dass mit Johann Christiaans einer der letzten Aufständischen die Waffen gestreckt hatte.157 Eine kaiserliche Erklärung gab bekannt, dass der Kriegszustand am 31. März 1907 enden werde – wie Dernburg (inzwischen zum Staatssekretär befördert) am 6. März Reichstag erklärte, wurde dieser Termin „mit Rücksicht auf die Bequemlichkeit“ gewählt, „die dadurch entsteht, daß er mit dem Schluß des Rechnungsjahres übereinstimmt“ 158. Die Lage in der Kolonie schien sich beruhigt zu haben. Im August 1907 trafen allerdings Meldungen aus dem südlichen Afrika ein, die der Berliner Morgenpost zufolge zeigten, dass die „Hoffnung, daß man jetzt nach dem schrecklichen Krieg in Südwestafrika aufatmen“ könne, sich als „trügerisch erwiesen“ habe.159 Anlass für die Besorgnis der Morgenpost waren Nachrichten über erneute Aktivitäten des schon erwähnten Morenga. Dieser hatte sich im Mai 1906 von deutschen Truppen verfolgt nach Südafrika zurückgezogen, wo ihm die Kapkolonie Asyl gewährte. In einem Interview mit der dortigen Presse schloss er aus, sich jemals wieder unter deutsche Herrschaft zu begeben.160 Zunächst inhaftierte die Kapkolonie Morenga, da sie völkerrechtlich verpflichtet war, ihn von der deutschen Grenze fernzuhalten. Als später offiziell das Ende des Krieges verkündet wurde, kam Morenga wieder auf freien Fuß.161 Im August erschienen schließlich jene Nachrichten, die bei der Berliner Morgenpost Sorgen um den Frieden in Südwestafrika auslösten: Morenga habe wieder Männer um sich versammelt und die deutsche Grenze überschritten. Die Morgenpost erinnerte an ein Interview mit Morenga, in dem dieser erklärt habe, dass er „bis zum letzten Atemzuge ein Feind der Deutschen“ bleiben und

157 Deimling zufolge war man zwar überwiegend froh über das Ende der Kämpfe, in konservativen Kreisen gab es aber auch Stimmen, die ihn noch nach dem E ­ rsten Weltkrieg dafür kritisierten, dass er überhaupt Verhandlungen geführt hatte, vgl. Bühler, Namaaufstand, 2003, S. 308 f. 158 SBR, Bd. 227, 6. 3. 1907, S. 269. 159 Morenga auf dem Kriegspfad. Die Rebellen auf deutschem Gebiet, in: Berliner Morgenpost, Nr. 192, 17. 8. 1907. 160 Vgl. Bühler, Namaaufstand, 2003, S. 284 f.; Lindner, Koloniale Begegnungen, 2011, S. 269. Presseberichten zufolge wies Morenga hingegen deutsche Offiziere zurück, die auf ihrer Heimreise den früheren Gegner sehen wollten, vgl. Morenga in Gefangenschaft, in: ­Berliner Morgenpost, Nr. 288, 9. 12. 1906. 161 Vgl. Lindner, Koloniale Begegnungen, 2011, S. 269 f.

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den „Kampf mit ihnen bis zum letzten Blutstropfen führen“ werde. Zwar werde Morenga letztlich den „deutschen Truppen unterliegen […], aber darüber m ­ üssen wir uns klar sein, daß dieser Kampf viele neue Opfer kosten kann und daß er für die Unserigen sehr schwer werden wird“.162 Entgegen der Befürchtungen der Morgenpost sollte die Lage in Südwestafrika aber nur für kurze Zeit die Presse beschäftigen. In der Kapkolonie hatte Morenga durch seine Aktivitäten das Recht auf Asyl verwirkt und man erklärte sich zu einem gemeinsamen Vorgehen mit Deutschland bereit. Im September schließlich griffen britische Polizeitruppen Morenga an und töteten ihn. Die Morgenpost zeigte sich erleichtert: „Die große Sorge, die Morengas neuer Aufstand uns bereitet hatte, ist durch seinen Tod beseitigt, und alle, die der schwer geprüften Kolonie günstige Fortentwicklung wünschen, atmen wie von einem Alb erleichtert auf.“ Zugleich zollte sie dem Gegner aber auch Respekt und bezeichnete ihn als „bedeutenden Rebellenführer“, der „obwohl er der Todfeind des Deutschtums war […] auch gewisser sympathischer Züge nicht ermangelte“.163 Die dramatische Schilderung von Morengas Rückkehr an die Front ist sicherlich dem hohen Nachrichtenwert seiner Person und dem Aufsehen, das der Ausbruch von Gewalt in Kolonien immer erregte, geschuldet. Aber sie zeigt auch, wie unpopulär der „schreckliche Krieg“ war und wie sehr man ein Ende der Kämpfe herbeisehnte. Als das Militär vor Ort den Aufstand schließlich zumeist durch Verhandlungen beendete, zeigte sich die Presse vor allem erleichtert. Zwar stellten die offiziellen Meldungen die Abkommen als ‚Unterwerfung‘ des Gegners und Sieg der deutschen Truppen dar, aber Begeisterung für den deutschen Militäreinsatz konnten ­solche Nachrichten nicht auslösen. Dafür dauerte der Kampf gegen den zahlenmäßig weit unterlegenen Gegner zu lange und war von zu vielen negativen Schlagzeilen begleitet.164

162 Morenga auf dem Kriegspfad. Die Rebellen auf deutschem Gebiet, in: Berliner Morgenpost, Nr. 192, 17. 8. 1907. 163 Morengas Tod. Im Kampfe mit den Engländern gefallen, in: Berliner Morgenpost, Nr. 224, 24. 9. 1907. 164 Dass gerade der Krieg in Südwestafrika als Beispiel für große Kolonialbegeisterung in die Erinnerung eingehen konnte, hing nicht mit der Berichterstattung über diesen zusammen, sondern mit dem Erfolg der prokolonialen Parteien in den ‚Hottentottenwahlen‘, ein Erfolg, der sich nur aus der spezifischen Konstellation des Wahlkampfs erklären lässt, vgl. hierzu Kap. 3.6.

Kein Kolonialkrieg, kein Medienereignis: Der verhinderte Aufstand in Samoa

3.4 Kein Kolonialkrieg, kein Medienereignis: Der verhinderte Aufstand in Samoa Die ‚Unruhen‘ auf Samoa, über die die deutsche Presse im Jahre 1909 berichtete, erfüllen keines der Kriterien, nach denen die anderen in dieser Studie behandelten Fallbeispiele ausgewählt worden sind. Es gab keinen Krieg und weder in der deutschen Presse noch im Parlament lösten die Ereignisse eine große Debatte aus. Die militärischen Aktionen auf deutscher Seite beschränkten sich auf die Gewaltandrohung mit Kanonenbooten. Allerdings galt die Drohung nicht wie 1897 in Haiti und China einem unabhängigen Staat, sondern einer Bevölkerungsgruppe in der deutschen Kolonie Samoa. Dennoch sind die Vorfälle in Samoa aufschlussreich für die Debatte über den Einsatz von Gewalt und die politischen Handlungserwartungen in Deutschland. Auf Samoa begannen die ‚Unruhen‘ am 18. Januar 1909 mit einer Kriegserklärung, die Lauati, ein politischer Führer der Samoaner, dem Gouverneur Samoas, Wilhelm Solf, überreichte. Die deutschen Siedler in Samoa drängten daraufhin auf den Einsatz von Militär. Solf hingegen war bestrebt, Gewalt zu vermeiden. Er überzeugte Lauati, sich zurückzuziehen, und forderte Kriegsschiffe der deutschen Marine zur Unterstützung an, um die Aufständischen zur Aufgabe zu bewegen. Auch der Kommandeur des eingetroffenen Geschwaders, Admiral Coerper, hatte kein Interesse an einem ‚Buschkrieg‘. Nachdem Lauati zwei Ultimaten ignoriert hatte, hielt Coerper in einer samoanischen Versammlung eine Rede, in der er Befürchtungen entkräftete, die Deutschen würden blutige Rache für den Aufstandsversuch nehmen. Am 1. April gab Lauati schließlich auf. Er und einige weitere Anführer wurden verbannt, genossen aber auf den Marianen-­Inseln eine bevorzugte Behandlung und den Status als politische Gefangene.165 Da es in Samoa immer noch keinen direkten telegraphischen Anschluss gab, erschienen in der deutschen Presse erst im März Artikel zu dem Vorfall. Die Berliner Morgenpost titelte am 14. März „Unruhen auf Samoa“ und berichtete auf Basis einer amtlichen Mitteilung, eine „Bewegung gegen die deutsche Herrschaft“ mache sich auf Samoa bemerkbar. Solf sei es allerdings gelungen, Ausschreitungen zu verhindern, eine Gefahr für die „weißen Ansiedler“ bestehe nicht, Kriegsschiffe ­seien entsandt worden. Die Morgenpost äußerte die Hoffnung,

165 Vgl. Krug, „Der Hauptzweck ist die Tötung von Kanaken“, 2005, S. 348, 360 f., dort auch S. 361 zur Kolonialpresse.

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dass es wie amtlich erwartet nicht zum Ausbruch von Gewalt kommen werde, erinnerte aber in einem ­kurzen historischen Rückblick an die konfliktbehaftete Geschichte Samoas.166 Die Kölnische Zeitung beließ es dabei, die amtliche Meldung im hinteren Teil der Zeitung abzudrucken.167 Am 16. März erschien zudem noch ein kurzer Artikel, dem zufolge die Lage von einer „amtlichen Stelle“ nicht als ernst aufgefasst werde, Ziel sei es, die „Eingeborenen ohne Blutvergießen zur Aufgabe ihrer widersetzlichen Haltung und zur Auslieferung der Schuldigen, insbesondere des Häuptlings Lauati zu bewegen“.168 In den beiden folgenden Wochen trafen keine weiteren Nachrichten aus Samoa ein. Erst als der Reichstag Anfang April über die Ereignisse diskutierte, beschäftigte sich die Presse wieder mit dem Thema. Die Debatte begann mit einer Anfrage des Zentrumsabgeordneten Erzberger über die Entwicklung in Samoa. Erzberger kritisierte die Regierung, die Siedler auf der Insel würden „entsetzliche Furcht haben“, die Lage sei keinesfalls so ruhig, „wie man aus den offiziösen Verlautbarungen herauslesen konnte“. Die entsandten Schiffe würden nicht zum Schutz der Siedler genügen. Ihm sei von den Siedlern per Post der Wunsch übermittelt worden, die Regierung solle entweder ein Jägerbataillon oder den Geheimen Legationsrat Schnee nach Samoa senden.169 Der nationalliberale Abgeordnete Arning sprach sich daraufhin „für eine feste Hand“ aus, die den Samoanern „von Tag zu Tag vor Augen führt und klarmacht, daß wir die Herrschenden sind“. In seiner Antwort klärte Dernburg erst einmal über die Lage auf: Begonnen habe die Entwicklung damit, dass Samoaner in Apia Beschwerden vorgebracht hätten. Solf habe sie jedoch dazu bewegt, sich zurückzuziehen. Allerdings hätten „Eingeborene, […] die der Regierung sehr treu sind, Anstoß genommen“, und es sei ein Zusammenstoß befürchtet worden. Deswegen s­ eien Kriegsschiffe angefragt worden, gegen „die Weißen ist nie eine Bewegung gewesen“. Solf sei ein kompetenter Gouverneur, dem man vertrauen könne. Aber Erzberger bestand auf seiner Position, dass es sich durchaus um einen Aufstand gegen die Deutschen handle. Der nationalliberale Abgeordnete Arning

166 167 168 169

Unruhen auf Samoa. Drei Kriegsschiffe entsandt, in: Berliner Morgenpost, Nr. 62, 14. 3. 1909. Samoa, in: Kölnische Zeitung, Nr. 271, 14. 3. 1909, Sonntags-­Ausgabe. Berlin, in: Kölnische Zeitung, Nr. 278, 16. 3. 1909, Erste Morgen-­Ausgabe. Von Heinrich Schnee wäre ein weitaus härteres Vorgehen als von Solf zu erwarten g­ ewesen. Zu dessen Wirken in der Südsee vgl. Krug, „Der Hauptzweck ist die Tötung von Kanaken“, 2005, etwa S. 133.

Kein Kolonialkrieg, kein Medienereignis: Der verhinderte Aufstand in Samoa

und der freikonservative Abgeordnete Arendt unterstützten ihn und kritisierten die Kolonialpolitik Dernburgs, der ihrer Ansicht nach nicht hart genug vorging. Zu seiner Verteidigung sagte Dernburg, Samoa habe nun einmal keine Schutztruppe. „Infolgedessen haben wir uns einzurichten, und wenn Sie eine Politik, die mit den Eingebornen paktiert, ablehnen, dann müssen Sie eine Politik einschlagen, die um ein Vielfaches dasjenige an Kosten übersteigt, was Sie heute bewilligen.“ Er warnte davor, Aufstände herbeizureden: „Aber was soll denn alles dies ewige Graulen, was soll damit erreicht werden? Es soll erreicht werden, daß um so schärfer und gewalttätiger, vielleicht auch um den Privatinteressen besser zu entsprechen, die Eingebornenpolitik [sic!] durchgeführt werden kann.“ 170 Die Berliner Morgenpost berichtete am Folgetag nur kurz über die Debatte und räumte dabei den beruhigenden Worten Dernburgs mehr Platz ein als seinen Kritikern.171 Die Kölnische Zeitung beließ es bei einer Zusammenfassung der Debatte, wobei auch sie Dernburg am ausführlichsten zu Wort kommen ließ.172 Wenige Tage später erschien dann die Nachricht, „daß die Rädelsführer ohne Anwendung von Gewaltmaßregeln gefangen genommen worden sind“.173 Damit war es Dernburg und Solf gelungen, den Konflikt in Samoa wie gewünscht ohne Gewalteskalation beizulegen und weiterer Agitation für ein härteres Durchgreifen in Samoa die Grundlage zu entziehen. Dass Dernburg sich überhaupt gegen s­ olche Angriffe zur Wehr setzten musste, zeigt jedoch, wie weit verbreitet die Ansicht im nationalistischen Lager war, ­jegliche Form von Opposition seitens der Kolonisierten müsse mit einer eindeutigen Machtdemonstration beantwortet werden. Dieses deutsche Selbstbild wird besonders deutlich im Vergleich zum englischen. Die englische Presse feierte ihre Vertreter in den Kolonien, wenn sie es schafften, Nichteuropäer zur Kooperation zu bewegen. Britische Militärs und Kolonialbeamte schickten regelmäßig geschönte Berichte in die Heimat, nach denen beste Beziehungen mit Nichteuropäern herrschten, auch wenn man gegen sie soeben noch Krieg geführt hatte. In Deutschland hingegen erwartete die nationalistische Öffentlichkeit, dass ihre Vertreter durch möglichst hartes Durchgreifen den Status der Deutschen als ‚Herrschende‘ festigten. Inwieweit ­solche Forderungen repräsentativ für die 170 Vgl. SBR, Bd. 236, 1. 4. 1909, S. 8021 – 8025. 171 Reichstag. Endlich Ferien!, in: Berliner Morgenpost, Nr. 79, 3. 4. 1909. 172 Deutscher Reichstag, in: Kölnische Zeitung, Nr. 351, 2. 4. 1909, Abend-­Ausgabe. 173 Aus den Kolonien, in: Berliner Morgenpost, Nr. 81, 6. 4. 1909.

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Mehrheit der deutschen Bevölkerung waren, ist zwar fraglich. Aber sie waren von entscheidender politischer Bedeutung. Wilhelm II. war ebenfalls ein Anhänger eines möglichst harten Kurses. Obwohl er 1909 nicht mehr die ­gleiche politische Rolle spielte wie zuvor, war er immer noch Oberkommandierender der Streitkräfte und gab auf Nachrichten über Gefahren für die deutsche Kolonialherrschaft hin schnell den Befehl zum Einsatz von Gewalt. Genauso wie den Abgeordneten im Reichstag versicherte Dernburg deshalb auch dem deutschen K ­ aiser, dass es sich bei den ‚Unruhen‘ auf Samoa keinesfalls um einen Aufstand gegen die Kolonialherrschaft, sondern nur um innersamoanische Konflikte handle.174 Aufschlussreich ist die Debatte auch für die innenpolitische Konstellation nach den Reichstagswahlen 1907. Erzbergers Forderung nach einer härteren Kolonialpolitik waren Teil der Zentrumsstrategie, den Bülow-­Block von rechts aufzubrechen. Nachdem die Zustimmung des Zentrums zum Flottengesetz eine jahrelange Zusammenarbeit ­zwischen der Regierung und der katholischen ­Partei ermöglicht hatte, dann aber die Kritik des Zentrums an der deutschen Kolonialpolitik 1906 zum Bruch ­zwischen beiden Seiten führte, versuchte Erzberger nun, sich den nationalistischen Parteien als Kooperationspartner anzubieten. Der nationalliberale Abgeordnete Arning äußerte sich denn auch zufrieden zu Erzbergers Ausführungen: „Ich will nur hoffen, daß er dieselbe Politik, die er hier geschildert hat, auch in den anderen Kolonien getrieben wissen will. Dann werden wir alle zusammen eine sehr gute Kolonialpolitik machen können.“ 175 Zur Seite sprangen Dernburg nur die Linksliberalen, die seine Argumente über die hohen Kosten des Militäreinsatzes in den Kolonien sehr überzeugend fanden. Dass sich Dernburg und Solf mit ihrer Politik durchsetzen konnten, lag vor allem an den schlechten Kommunikationsmöglichkeiten mit Samoa. Die fehlende telegraphische Anbindung machte es den dortigen Siedlern unmöglich, eine Pressekampagne zu starten, um eine angeblich akute Bedrohungssituation zu übermitteln. Dernburg hingegen konnte argumentieren, die Diskussionen darüber, was in Samoa getan werden solle, s­ eien müßig, da alle vorliegenden Informationen veraltet ­seien und niemand wisse, w ­ elche Schritte in der Zwischen­ zeit schon in der Kolonie eingeleitet worden sind.176 Die fehlende telegraphische Anbindung machte zudem eine tagesaktuelle Berichterstattung über die neuesten 174 Vgl. Krug, „Der Hauptzweck ist die Tötung von Kanaken“, 2005, S. 361. 175 SBR, Bd. 236, 2. 4. 1909, S. 8024. 176 Vgl. ebd., S. 8025.

Verfestigung deutsch-­englischer Feindbilder

Entwicklungen unmöglich. Nach der amtlichen Meldung über die Aufstandsgefahr erschienen erst einmal keine weiteren Nachrichten. Die Platzierung der wenigen Artikel in der Berliner Morgenpost beleuchtet darüber hinaus das Aufmerksamkeitsregime der Presse in Bezug auf Gewalt in den Kolonien. Während die Meldung über die Gefahr einer Bewegung gegen die ‚Weißen‘ durch einen historischen Rückblick ergänzt und zur Titelgeschichte gemacht wurde, erschien zur friedlichen Beilegung des Konflikts nur ein kurzer Artikel im hinteren Teil der Zeitung.

3.5 Verfestigung deutsch-­englischer Feindbilder Deutschlands Ansehen als Kolonialmacht war in der englischen Presse traditionell schlecht. So unterstrich 1898 ein Händler in einem Interview mit der Pall Mall Gazette seine Kritik an der britischen Kolonialpolitik mit der Mahnung: „[I]f we are going to adopt the same tactics in all our West African colonies as we are now doing in Sierra Leone, we shall be more hated than the Germans, and this is saying a good deal.“ 177 Die Bewertung der eigenen Kolonialpolitik variierte in England: Je nach politischem Standpunkt war das Empire entweder das mit Abstand beste oder zumindest das am wenigsten schlimme Kolonialreich. Das schlechte Image der deutschen Kolonialpolitik verhinderte allerdings nicht, dass Teile der englischen Presse Deutschland von 1899 bis Anfang 1901 wiederholt als attraktiven Partner darstellten und den Willen zur Kooperation in kolonialen Fragen bekundeten. Im Kontext der danach zunehmenden Entfremdung ­zwischen beiden Ländern verfestigte sich jedoch die Wahrnehmung Deutschlands als rücksichtlos vorgehende Imperialmacht. Die englische Presse instrumentalisierte ­solche Repräsentationen nun, um sich gegen eine Kooperation mit Deutschland in imperialen Fragen auszusprechen. Am größten war in England die Empörung über die deutsche Kriegsführung während der gemeinsamen Militäraktion gegen Venezuela 1902/03. Anlass für die Intervention Großbritanniens und Deutschlands waren zum einen Schäden, die ihre Staatsangehörigen und Unternehmen während des venezolanischen

177 The Hut-­Tax Question in West Africa. [From a Liverpool Correspondent.], in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10329, 5. 5. 1898, S. 3.

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Bürgerkriegs seit Beginn der 1890er-­Jahre erlitten hatten. (Venezuela weigerte sich, für diese Schäden Wiedergutmachung zu leisten.) Zum anderen hatte das finanziell bankrotte Venezuela seinen Schuldendienst an ausländische Gläubiger eingestellt. Der britische Premierminister Balfour hoffte zudem, durch die gemeinsame Militäraktion der Entfremdung ­zwischen Deutschland und England entgegenwirken zu können. Er reagierte deswegen im Sommer 1902 positiv auf den Vorschlag aus Berlin, gemeinsam in Venezuela vorzugehen. Am 7. Dezember stellten die beiden Staaten Venezuela ein Ultimatum. Da der venezolanische Präsident Castro nicht darauf einging, kaperten die britischen und deutschen Kriegsschiffe die venezolanische Flotte. Am 12. Dezember zeigte sich Venezuela verhandlungsbereit und schlug eine schiedsgerichtliche Lösung des Konflikts vor.178 Entscheidend für den weiteren Verlauf des Konflikts war jedoch die Reaktion der Vereinigten Staaten. Die USA verhielten sich zwar öffentlich neutral, warnten London und Berlin jedoch, die durch die Monroe-­Doktrin festgelegten Grenzen nicht zu überschreiten. In London verkündete die Regierung daraufhin, dass keine Truppenlandung in Venezuela geplant sei. Zudem war das englische Kabinett gewillt, die auch von den USA unterstützte Lösung des Konfliktes durch ein Schiedsgericht zu akzeptieren. Berlin hätte zwar gerne einen härteren Kurs verfolgt, sah sich nun aber gezwungen, London zu folgen. Die Art und Weise der schiedsgerichtlichen Lösung blieb jedoch strittig, und Großbritannien und Deutschland begannen am 20. Dezember mit einer Blockade Venezuelas. Castro hoffte auf Unterstützung der USA und ernannte mit Einwilligung Washingtons den amerikanischen Gesandten in Caracas zum Vertreter in den Verhandlungen mit Großbritannien und Deutschland. Am 13. Februar einigte man sich schließlich und die Blockade endete. Das unterzeichnete Abkommen blieb zwar unter den deutschen Erwartungen, aber da London auf ein schnelles Ende der Intervention drängte, gab auch die Reichsleitung nach.179 Die englische Presse kritisierte die Zusammenarbeit mit Deutschland ­heftig, sie befürchtete angesichts der Reaktion der amerikanische Presse eine Verschlechterung des Verhältnisses mit den Vereinigten Staaten.180 Das Reynolds’s Newspaper kommentierte am 11. Januar 1903 in einem leader mit dem Titel „Puppets of Germany“ die verwandtschaftlichen Beziehungen des englischen 178 Vgl. Fiebig-­von Hase, Großmachtkonflikte, 1997, S. 529 – 534, 538 f. 179 Vgl. ebd., S. 539 – 554. 180 Vgl. zum Folgenden auch Geppert, Pressekriege, 2007, S. 185 – 189.

Verfestigung deutsch-­englischer Feindbilder

und deutschen Königshauses: „In view of what has taken place as to Venezuela, English citizens require to know whether or not their Court is still under Germanic influences.“ 181 Die Liberalen verurteilten die Intervention im Parlament, und die liberale Presse griff die Regierung scharf an. Aber auch in der konservativen Presse fand die Regierung kaum Unterstützung. Die Times verteidigte die Militäraktion am 16. Dezember zwar mit der Notwendigkeit „of giving Venezuela a lesson in the first rudiments of civilisation“.182 Die Zusammenarbeit mit Deutschland bewertete sie dennoch skeptisch und zeigte keinerlei Sympathie für den Verbündeten.183 Die Daily Mail veröffentlichte am 18. Dezember 1902 einen Gastbeitrag des Parlamentsabgeordneten Henry Norman, der argumentierte, dass für 99 % aller Engländer gute Beziehungen mit den Vereinigten Staaten die höchste Priorität in der Außenpolitik hätten. Eine militärische Zusammenarbeit mit Deutschland hingegen würde nicht zu Großbritannien passen: „German methods of punitive action are different from British methods – witness China“.184 Am Folgetag reagierte die Mail auf ein Interview mit Castro, in dem dieser kritisierte, dass der von den Vereinigten Staaten unterstützte Vorschlag einer schiedsgerichtlichen Lösung von Seiten Großbritanniens und Deutschlands ohne Antwort blieb. Die Mail kommentierte empört: „Opinion in England is unanimously in favour of arbitration“.185 Ein Sturm der Entrüstung brach schließlich aus, als die Nachricht eintraf, Deutschland habe am 21. Januar 1903 ein venezolanisches Fort bombardiert, dabei ­seien auch Zivilisten gestorben. Für die Mail war die Aktion Deutschlands gekennzeichnet von einem „absolute disregard for British wishes and by a sovereign contempt for considerations of humanity“.186 Die Einigung im Februar nahm die englische Presse mit Erleichterung auf. Die Daily Mail prognostizierte, das Ende der Blockade werde ein „sigh of relief “ im Land hervorrufen.187 Zugleich herrschte Konsens, dass sich die Zusammenarbeit mit Deutschland nicht wiederholen dürfe. Für die Times stand fest:

181 182 183 184 185 186 187

Puppets of Germany, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2735, 11. 1. 1903, S. 1. The Venezuelan Dispute, in: The Times, Nr. 36952, 16. 12. 1902, S. 9. Vgl. auch Geppert, Pressekriege, 2007, S. 186. Henry Norman, The Venezuelan Danger, in: Daily Mail, Nr. 2080, 18. 12. 1902, S. 4. Dangerous Delay, in: Daily Mail, Nr. 2081, 19. 12. 1902, S. 4. The „Admiral of the Atlantic“ at Work, in: Daily Mail, Nr. 2112, 24. 1. 1903, S. 4. Exit Venezuela, in: Daily Mail, Nr. 2131, 16. 2. 1903, S. 4.

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The country is quite aware that we cannot put ourselves out of relation to Germany, and it knows that business has to be done. […] But it does not wish any entanglement with Germany that can possibly be avoided; and it will remain uneasy and dissatisfied until it has the assurance that this is fully understood at the Foreign Office and that our foreign policy will be conducted in a spirit of wary aloofness.188

Auch während des deutschen Kolonialkriegs in Südwestafrika, der ein Jahr nach dem Ende der Venezuelakrise ausbrach, führte das Verhältnis der beiden Imperialmächte zu Auseinandersetzungen ­zwischen der deutschen und englischen Presse. Deutsche Zeitungen warfen dem Empire vor, keine Kooperationsbereitschaft bei der Niederschlagung des Aufstands zu zeigen.189 Diesen Vorwurf wies die englische Presse empört zurück. So kritisierte die Daily Mail am 22. September 1905, eine „fresh Anglophobe campaign is being engineered in the German Press“.190 Insgesamt trug die Darstellung des Krieges zu einem negativen Deutschlandbild in der englischen Presse bei. Die Times bekannte sich zwar zur ‚weißen‘ Solidarität in Afrika, aber sie kritisierte zugleich die deutsche Kolonialpolitik und die Kriegsführung Trothas.191 Kein Verständnis zeigte die Daily Mail, sie befürchtete, Deutschlands Unfähigkeit, den Aufstand niederzuschlagen, würde das „prestige of the white race“ gefährden. In Erinnerung an die deutsche Kritik an der britischen Kriegsführung in Südafrika stellte sie zudem mit einer gewissen Häme fest: The war is not a white man’s war, and after the violent German criticism of British failings in the struggle with the Boers, it is no doubt mortifying for German soldiers to find that their troops are not invincible when faced by far weaker enemies than the Boer.192

188 The Venezuelan Debate, in: The Times, Nr. 37018, 3. 3. 1903, S. 7. 189 Die Kölnische Zeitung distanzierte sich zwar von dem Vorwurf, der Aufstand werde von Südafrika aus unterstützt, aber auch sie forderte mehr Kooperation von Großbritannien, vgl. Der Aufstand in Deutsch-­Südwestafrika, in: Kölnische Zeitung, Nr. 15, 5. 1. 1905, Zweite Morgen-­Ausgabe. 190 Germany’s Little War, in: Daily Mail, Nr. 2945, 22. 9. 1905, S. 4. 191 The Rising in German South-­West Africa, in: The Times, Nr. 37294, 19. 1. 1904, S. 7; Kuß, Kriegsführung, 2006, S. 238. 192 Germany’s Little War, in: Daily Mail, Nr. 2945, 22. 9. 1905, S. 4.

Verfestigung deutsch-­englischer Feindbilder

Am 29. September veröffentlichte die Daily Mail Nachrichten über „German atrocities“ in Südwestafrika, die zuvor in einer südafrikanischen Zeitung erschienen waren.193 Der Daily Express berichtete am 16. August über Trothas Vernichtungsproklamation, ergänzte auch, dass diese auf Anweisung Bülows zurückgezogen worden sei.194 Drei Tage später brachte er einen Artikel über die Geschichte der „Herero Rebellion“. Darin erschien die deutsche Kolonialpolitik im Vorfeld des Aufstandes in einem schlechten Licht: „The natives showed no love for their new masters, whose severity was not moderated by tact.“ Bei aller Kritik an der deutschen Politik und Kriegsführung schloss der Artikel dennoch versöhnlich: „Englishmen can the better appreciate the trials of the Germans, for they have experienced very similar ones, and have made very similar mistakes themselves.“ 195 Insgesamt erreichte die Kritik an der genozidalen Kriegsführung in Südwestafrika niemals die Schärfe wie bei der Bombardierung des Forts durch deutsches Militär während der Venezuelakrise 1902/03. Aber auch wenn die englische Presse während des Krieges in Südwestafrika teilweise Solidarität mit Deutschland bekundete und Verständnis für die deutschen Probleme zeigte, verstärkte die Berichterstattung über den Militäreinsatz doch die Distanz zu Deutschland. Die Reformen unter Staatssekretär Dernburg führten dann dazu, dass die englische Presse die deutsche Kolonialpolitik etwas positiver bewertete, auch weil Dernburg seine Politik ausdrücklich an der britischen anlehnte und die Kooperation mit dem Empire suchte.196 Allerdings sollte der Einfluss Dernburgs auf das Deutschlandbild nicht überschätzt werden. Als die Times im April 1909 über die Reichstagsdebatte zu den Vorfällen in Samoa berichtete, hob sie die Kritik der Abgeordneten an Dernburg hervor.197 Aus englischer Perspektive waren die Forderungen nach einem harten Kurs in den Kolonien typisch für Deutschland, nicht jedoch eine Politik, die den Einsatz von Militär zu vermeiden versuchte. Als Dernburg schließlich 1910 zurücktrat, bewertete die englische Presse den Abgang des bürgerlichen Staatssekretärs vor allem als Beleg für die Vormacht

193 German Atrocities, in: Daily Mail, Nr. 2951, 29. 9. 1905, S. 5. 194 Kaiser’s ‚Great General‘ Issues Strange Manifesto which is Withdrawn, in: Daily Express, Nr. 1664, 16. 8. 1905, S. 1. 195 Germany’s Hard Task. Story of the Herero Rebellion, Its Cost and Future, in: Daily Express, Nr. 1667, 19. 8. 1905, S. 4. 196 Vgl. Lindner, Koloniale Begegnungen, 2011, S. 75 f., 87 – 90, 150 f. 197 The German Reichstag. The Situation in Samoa, in: The Times, Nr. 38924, 3. 4. 1909, S. 7.

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der alten Eliten und die verkrusteten politischen Strukturen des Kaiserreichs.198 So trug die deutsche Kolonialpolitik trotz der durchaus vorhandenen Sympathie für Dernburg kaum zu einem Wandel der englischen Wahrnehmung des Kaiserreiches bei. Insgesamt dominierte die Darstellung Deutschlands als rücksichtslose und brutale Kolonialmacht. Zur Zusammenarbeit bei der ­‚Zivilisierung‘ der außereuropäischen Welt, dem Kern des britischen imperialen Selbstverständnisses, bekannte sich die englische Presse selbst in den Jahren vor der Jahrhundertwende nicht, als das Kaiserreich manchen Beobachtern in England noch als attraktiver Bündnispartner erschien. Hierin unterschied sich die Berichterstattung über Deutschland von der über Frankreich. Selbst in den Hochzeiten der kolonialen Konflikte z­ wischen Frankreich und Großbritannien warf die englische Presse Frankreich vor allem die protektionistische Politik in den französischen Kolonien vor. Bei negativen Charakterisierungen Frankreichs verwiesen englische Zeitungen gern auf die Dreyfus-­Affäre.199 Die französische Kolonialpolitik war in englischen Augen natürlich nicht ganz so vorbildlich wie die britische, aber auch nicht so inhuman wie die deutsche. Im Zuge der anglo-­französischen Annäherung nach der Jahrhundertwende lobten englische Zeitungen Frankreichs Rolle bei der Verbreitung der Zivilisation. Die Times kommentierte am 4. Mai 1904 zum jüngst mit Frankreich erreichten Interessenausgleich, die Aufgabe, der Frankreich nun in Marokko gegenüberstehe, sei keine einfache, sie gab sich aber zuversichtlich mit Blick auf die Herausforderungen, die Frankreich erwarten: [W]e have no doubt that the qualities which have enabled our neighbours to raise the adjoining colony of Algeria from a similar state of chronic anarchy to its present condition of material prosperity and of civilization will overcome them in the end.200

Die Tragfähigkeit der Entente mit Frankreich zeigte sich, als Deutschland mit der Landung des Kaisers in Marokko im März 1905 seinen Anspruch auf Mitsprache über die zukünftige Entwicklung zum Ausdruck brachte. Zwar reagierten

198 Vgl. Herr Dernburg’s Resignation, in: The Times, Nr. 39292, 7. 6. 1910, S. 11; Herr ­Dernburg, in: The Manchester Guardian, Nr. 19920, 13. 6. 1910, S. 6. 199 Vgl. o. T., in: Daily Mail, Nr. 785, 4. 11. 1898, S. 4; Fashoda Evacuated, in: Daily Mail, Nr. 786, 5. 11. 1898, S. 4; The Agreement with Germany, in: Daily Mail, Nr. 1108, 9. 11. 1899, S. 4. 200 The Situation in Morocco, in: The Times, Nr. 37385, 4. 5. 1904, S. 9.

Verfestigung deutsch-­englischer Feindbilder

nicht alle englischen Zeitungen so deutschlandkritisch wie die Times. Aber Großbritanniens Solidarität mit Frankreich ging doch weiter, als es die Reichsleitung erwartet hatte. Auch in den folgenden diplomatischen Verhandlungen stand Großbritannien an der Seite Frankreichs. Statt wie von Bülow geplant die Schwäche der Verbindung ­zwischen Frankreich und Großbritannien öffentlich vorzuführen, bestand die Entente während der Marokkokrise 1905/06 ihre erste Bewährungsprobe.201 Darüber hinaus veränderte sich in England die Wahrnehmung Russlands in den folgenden Jahren. 1907 einigten sich Großbritannien und Russland über die offenen Streitpunkte in Asien. 1909 intervenierten beide Staaten gleichzeitig in Persien. Die Kooperation mit Russland stieß zwar auch auf Kritik in der englischen Öffentlichkeit, die Times aber unterstützte den liberalen Außenminister Edward Grey und argumentierte, dass die russischen Truppen dort genauso wie die britischen die durch den persischen Bürgerkrieg gefährdeten Europäer schützen würden.202 Das für Berlin unerwartete Zusammengehen Großbritanniens mit den ehemaligen Rivalen Frankreich und Russland führte dazu, dass sich in Deutschland immer mehr die Vorstellung einer ‚Einkreisung‘ des Kaiserreichs durchsetzte.203 Die Zweite Marokkokrise 1911 zeigte schließlich, wie sehr sich die neuen Bündniskonstellationen in Europa verfestigt hatten.204 Nach dem deutschen ‚Panthersprung‘ bekundete der britische Schatzkanzler Lloyd George am 21. Juli Solidarität mit Frankreich und stellte klar, dass Großbritannien im Falle eines Konfliktes an der Seite seines Partners stehen werde. Die englische Presse stellte sich parteiübergreifend hinter diese Position. Selbst linksliberale Zeitungen, die der Politik von Außenminister Grey, der zum imperialistischen Flügel seiner Partei gehörte, kritisch gegenüberstanden, hielten sich mit öffentlicher Kritik zurück.205 In Deutschland brach nach der Rede ein neuer Sturm der Anglophobie aus. Insbesondere nationalistische Zeitungen reagierten empört und verlangten von der Regierung einen kompromisslosen Kurs.206 Allerdings stimmten nicht alle Zeitungen dieser Forderung zu. Für die Berliner Morgenpost bestand kein Zweifel,

201 202 203 204 205 206

Vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 222 – 227. Vgl. Methfessel, Spreading the European Model by Military Means?, 2012, S. 54 – 56. Vgl. Kap. B sowie Daniel, Einkreisung, 2005. Vgl. hierzu auch Kap. 3.6. Vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 284 f. Vgl. Wernecke, Wille, 1970, S. 59 – 67; Geppert, Pressekriege, 2007, S. 286.

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dass das deutsche Volk mehrheitlich keinen Krieg wegen Marokko wünsche. Der linke Flügel der Sozialdemokratie schaffte es sogar, große Menschenmassen gegen einen möglichen Krieg zu mobilisieren.207 Der sozialdemokratische Parteivorstand sprach sich zwar auf dem Parteitag in Jena im September 1911 gegen einen Generalstreik im Falle eines bewaffneten Konfliktes aus.208 Aber es ist mehr als zweifelhaft, ob die deutsche Regierung in einem Krieg für Territorium in der außereuropäischen Welt auf ähnliche Unterstützung hätte bauen können wie 1914 nach der russischen Mobilmachung.

3.6 Jubel und Frustration: Zur Unpopularität der imperialen Expansion Sowohl in England als auch in Deutschland waren imperiale Militäraktionen nach der Jahrhundertwende überwiegend unpopuläre Ereignisse. In England war die Erinnerung an den Burenkrieg die entscheidende Ursache dafür, dass eine aggressive imperialistische Politik kaum noch Unterstützung fand. Darüber ­hinaus trugen die Kolonialkriege, die daraufhin die Zeitungen beschäftigten, kaum dazu bei, den Einsatz von Militär als attraktive Option erscheinen zu lassen. Auch in Deutschland signalisierten das militärische Engagement während der Jahrhundertwende und die zunehmende Kritik an dem kostspieligen Einsatz in China ein Umkippen der Stimmung. Ursächlich für die abnehmende Popularität der Imperialpolitik des Kaiserreichs waren zwei Entwicklungen: Zum einen führte die zunehmend problematischere Position des Kaiserreichs in der internationalen Politik dazu, dass es der deutschen Regierung nicht mehr wie in den Jahren vor 1900 gelang, mithilfe imperialistischer Interventionen den eigenen Einflussbereich in der außereuropäischen Welt auszuweiten. Die Aktionen in Venezuela und Marokko waren vielmehr ausgesprochene Misserfolge deutscher Außenpolitik. Zum anderen führte die deutsche Kolonialpolitik in Afrika dazu, dass zwei größere Aufstände ausbrachen. Das Kaiserreich reagierte mit einer Politik, die jegliche Kompromisse mit den Gegnern ausschloss, sodass sich die Niederschlagung der Aufstände über Jahre hinzog. Die Kriege in Südwestafrika und Ostafrika galten in der Öffentlichkeit als Beleg für das Scheitern der deutschen Kolonialpolitik.209 207 Vgl. Kap. 3.6. 208 Vgl. Wernecke, Wille, 1970, S. 90 f. 209 Vgl. Kap. 3.3.

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In Bezug auf die britischen imperialen Militäreinsätze ist das Ergebnis nicht so eindeutig. Am unpopulärsten war zweifelsohne der Krieg in Somalia, der von Meldungen über Niederlagen und Rückschläge geprägt war.210 Der Krieg gegen Tibet war zwar erfolgreicher, aber auch hier gab es keine Begeisterung für eine Ausweitung des eigenen Herrschaftsbereichs.211 Anders verhält es sich bei der Darstellung eines bislang noch nicht erwähnten Krieges, den das Britische Empire in der Kolonie Nigeria gegen das Sultanat Sokoto führte und im Jahr 1903 schließlich siegreich beenden konnte.212 Die Times legitimierte diesen Militäreinsatz wie die Kriege in Afrika vor 1900 mit dem Argument, er diene dazu, die Zivilisation zu verbreiten.213 So verfuhr sie etwa in einem Kommentar am 3. März 1904 anlässlich eines Vortrags von Lady Lugard, der Ehefrau des High Commissioner von Nordnigeria. Lady Lugard war von 1893 bis 1900 selbst Mitarbeiterin der Times gewesen.214 In dem Vortrag erinnerte sie daran, wie „a dominion one-­third of the area of British India has been permanently added to the possessions of the Crown and brought beneath the beneficent influences of the British civilization“. Diese Eroberung wäre nicht möglich gewesen „had the masses of the inhabitants cherished any affections for their rulers“. Das Regime des Sultans von Sokoto hätte demgegenüber alle „usual vices of barbaric despotism“ aufgewiesen: Die Herrschaft sei grausam und ihre wirtschaftliche Grundlage die Sklaverei gewesen.215 Allerdings gibt es auch Unterschiede in der Kommentierung der Eroberung von Sokoto und der Berichterstattung über die koloniale Expansion in Westafrika vor 1900. So stellte die Times im Einklang mit Lady Lugard klar: „Direct administration is of course out of the question, even were we sure that it would prove acceptable to the people.“ Sie hob hervor, dass nur eine sehr geringe Anzahl britischer Offiziere benötigt worden sei: „The means by which these conquests were effected, and by which the administration of Northern Nigeria is still carried on, were, and are, surprisingly small.“ 216 Anders als vor 1900 stand

210 Vgl. Kap. 3.1. 211 Vgl. Kap. 3.2. 212 Zu ­diesem Krieg vgl. Marjomaa, War, 1998. 213 Vgl. The Fall of Sokoto, in: The Times, Nr. 37042, 31. 3. 1903, S. 9. 214 Vgl. Bell, Flora Shaw, 1947. 215 Nigeria, in: The Times, Nr. 37332, 3. 3. 1904, S. 9. 216 Ebd.

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die Debatte über die Kolonialpolitik in Westafrika nicht unter dem Vorzeichen eines stärkeren staatlichen Engagements. Stattdessen formulierte die prokoloniale Presse ihre Zielvorstellungen weitaus vorsichtiger, um sie in einer Zeit, in der eine aggressive imperialistische Politik zunehmend unpopulärer wurde, für die Bevölkerung in England akzeptabel zu machen. Für die oppositionelle Presse war der Krieg in Nigeria vor allem ein weiteres Beispiel für die Unfähigkeit der Regierung in London, ihre Vertreter in den Kolonien unter Kontrolle zu halten. Der Manchester Guardian kommentierte am 19. Februar 1902: „Sir Frederick Lugard’s war on Kano and Sokoto, made without the consent of the Imperial Government or of the Imperial Parliament, is one of the most serious breaches of constitutional rule that anyone now living can remember.“ 217 Auch die Times hatte einen Tag zuvor eingeräumt, dass die jüngste Militäraktion eine Überraschung für das Colonial Office gewesen war. Allerdings verteidigte sie Lugard und rechtfertigte die Notwendigkeit des Militär­ einsatzes: „We all admire and respect Administrators who in time of need do not finch from responsibility – even when it is responsibility so grave a kind as that which Sir Frederick Lugard did not hesitate to assume.“ 218 Damit trug auch die Kommentierung der Times zum Bild einer schwachen Regierung bei, die ihre Vertreter in den Kolonien nicht unter Kontrolle hat. Am meisten aber schadete die deutsch-­britische Militäraktion gegen Venezuela 1902/03 dem Ansehen der Regierung in London, vor allem die Zusammenarbeit mit Deutschland war extrem unpopulär. Auch die Times, eine der wenigen Zeitungen, die die Regierung während dieser Militäraktion, wenn auch widerwillig, unterstützten, kommentierte am 17. Februar 1903, Balfour habe „somehow ­weakened his prestige in foreign affairs over the Venezuelan question“.219 Die Daily Mail, die die Regierung für die Intervention in Venezuela scharf kritisierte, rief sogar in den parallel zur Militäraktion stattfindenden by-­elections in Newmarket zur Wahl des liberalen Kandidaten auf, um die Regierung für die Kooperation mit Deutschland zu bestrafen. (Der Liberale gehörte allerdings zum imperialistischen Flügel seiner Partei.)220

217 218 219 220

Unauthorised Wars, in: The Manchester Guardian, Nr. 17637, 19. 2. 1903, S. 4. The Kano Expedition, in: The Times, Nr. 37007, 18. 2. 1903, S. 9. The Coming Session, in: The Times, Nr. 37006, 17. 2. 1903, S. 7. Vgl. A Question for Newmarket, in: Daily Mail, Nr. 2089, 29. 12. 1902, S. 4.

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Die Militäreinsätze in der außereuropäischen Welt schadeten also überwiegend dem Ansehen der unionistischen Regierung. Die Gegner einer aggressiven Expansionspolitik argumentierten zunehmend in dem Bewusstsein, den Zeitgeist auf ihrer Seite zu haben. Bei einer Versammlung der „Women’s Peace Association“ sagte der Vorsitzende Canon Hicks der Zusammenfassung des Manchester Guardian vom 24. Oktober 1902 zufolge: [E]verybody nowadays, even the „man in the street,“ appeared to be a convert to peace. Perhaps, however, the conversion of many people was due not to a horror of war but to the weight of the pecuniary and other burdens which had to be borne as a consequence of war. He thought that those who read the gradually enlarging telegrams and reports concerning the trouble in Somaliland day by day were far less anxious for a great and brilliant war than they would have been three years ago.221

Die Liberalen sahen in den Militäraktionen eine Angriffsfläche der Regierung und verurteilten sie allesamt als Teil einer fehlgeleiteten Politik.222 Insofern ist es zweifelhaft, ob die Kolonialkriege zur englischen Kriegsbegeisterung im Jahre 1914 beigetragen haben 223 oder ob der englische Militarismus nach der Jahrhundertwende untrennbar mit einer imperialistischen Ideologie verbunden war.224 Der Feldzug in den Sudan mag die Ansicht gefördert haben, dass Krieg eine attraktive politische Option sei. Aber nach der Jahrhundertwende führte die Berichterstattung über die Militäreinsätze in Südafrika und Somalia den englischen Zeitungslesern über Jahre vor Augen, dass Kriege länger dauern können als ursprünglich angenommen und oft mit hohen Verlusten an Geld und Menschenleben verbunden sind.225 Wenn der

221 The Women’s Peace Association. Canon Hicks on the Somaliland Expedition, in: The Manchester Guardian, Nr. 17537, 24. 10. 1902, S. 12. 222 Vgl. etwa Sir H. Campbell-­Bannerman. The Blunder in Venezuela. American Friendship of the First Importance. A Case for Arbitration. The Education Question. What Liberals Must Do, in: The Manchester Guardian, Nr. 17589, 24. 12. 1902, S. 7, zur Kritik an den Militäraktionen in Venezuela und Somalia. 223 So Wilkinson, Depictions, 2003, S. 134 f. 224 So MacKenzie, Propaganda, 1984. 225 Damit sind die Ergebnisse dieser Studie im Einklang mit den Arbeiten, die den Burenkrieg als Wendepunkt für die Wahrnehmung des Empires in der englischen Öffentlichkeit betrachten, vgl. etwa Hyam, British Empire, 1999, S. 50 f.

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Militarismus in dieser Zeit zunahm, war hierfür nicht die Begeisterung für die imperiale Expansion verantwortlich. Wie Forschungen zu den militärischen Freiwilligenverbänden gezeigt haben, spielte die Angst vor innereuropäischen Konflikten für ihre Mitgliederwerbung die entscheidende Rolle. Die National Service League, die größte militaristische Organisation in Großbritannien zu Beginn des 20. Jahrhunderts, konzentrierte sich in ihrer Außendarstellung denn auch auf die Heimatverteidigung, um keine Interessenten zu verschrecken.226 Die imperiale Expansion war offensichtlich kein populäres Thema mehr. Neben den Militäreinsätzen nach der Jahrhundertwende führte der ‚War Stores Scandal‘, ausgelöst durch Enthüllungen über Korruption während des Burenkriegs, zu einem Ansehensverlust der konservativen Regierung.227 Auch wenn andere imperiale ­Themen zur Debatte standen, profitierte die Opposition: ­Chamberlains Werben für eine imperiale Schutzzollpolitik war überwiegend unpopulär, die gespaltene Meinung der konservativen Partei in dieser Frage trug zusätzlich zu ihrer Schwächung bei. Der Einsatz chinesischer Vertragsarbeiter in ­Südafrika schließlich führte in der englischen Öffentlichkeit zu einem Aufschrei der Empörung und zu einer langanhaltenden Debatte, die mit zur Wahlniederlage der Unionisten 1906 beitrug. Gegner warfen der Regierung vor, die Einstellung chinesischer Arbeiter sei ein Verrat an den ‚weißen‘ Minenarbeitern, für deren Rechte man angeblich gegen die Republik Transvaal Krieg geführt habe.228 Diese Kontroverse zeigt zudem, dass das Schwinden der imperialistischen Begeisterung in England keinesfalls mit einer Abnahme von Rassismus einherging. Die sich imperialismuskritisch gebenden Teilnehmer der öffentlichen Debatte waren nur weitaus erfolgreicher darin, rassistische Vorurteile für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Das Reynolds’s Newspaper etwa griff in seinen Polemiken gegen den Einsatz chinesischer Arbeiter auf extrem rassistische und antisemitische Stereotype zurück.229

226 Vgl. Summers, Edwardian Militarism, 1989. 227 Vgl. Bösch, Öffentliche Geheimnisse, 2009, S. 256 – 262. 228 Vgl. Startt, Journalists, 1991, S. 31 – 105. 229 Vgl. The „Colonial“ Achievement – An Alternative Design, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2785, 27. 12. 1903, S. 6 (Abb. 9).

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Abbildung 9  Reynolds’s Newspaper, 27. Dezember 1903

Für die 1905230 an die Macht gekommene liberale Regierung waren imperiale ­Themen weitaus weniger gefährlich. Zwar führte auch sie Kolonialkriege, wenn sie es für notwendig erachtete, sie begann aber keinen Militäreinsatz, der ähnlich unpopulär war wie der Burenkrieg, die Expeditionen in Somalia oder die Intervention in Venezuela. Die Liberalen waren auch nicht mit Kritik konfrontiert, in denen ihnen eine zu zögerliche Politik in der außereuropäischen Welt vorgeworfen wurde. In den Jahren vor dem E ­ rsten Weltkrieg gab es keine Kampagne wie jene, die die liberale Regierung unter Gladstone 1884 zur Entsendung Gordons in den Sudan zwang. Mit dem Regierungswechsel 1905/1906 verloren kolonialpolitische ­Themen an Relevanz für die parteipolitischen Auseinandersetzungen. Noch in den späten 1890er-­Jahren hatte die imperiale Expansion die politische Debatte bestimmt, so war der Burenkrieg entscheidend für den 230 Die Liberalen wurden zunächst 1905 mit der Bildung einer Minderheitsregierung beauftragt, 1906 gewannen sie die Wahlen und verfügten über eine große Mehrheit im Parlament.

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Wahlsieg der unionistischen Regierung im Jahre 1900. In den folgenden Jahren trugen Kolonialkriege und imperiale Kontroversen dann zum rapiden Popularitätsverlust der Regierung bei. Nach dem Wahlsieg der Liberalen 1906 prägten hingegen innenpolitische Th ­ emen die parteipolitischen Auseinandersetzungen in Großbritannien. Für das Kaiserreich stellte sich die erste größere Militärintervention nach Ende des Boxerkriegs als Misserfolg heraus: Die gemeinsame Aktion mit Großbritannien gegen Venezuela war auch in Deutschland unpopulär. Nationalistische Zeitungen legten die deutsche Zustimmung zu einer schiedsgerichtlichen Lösung als Schwäche aus und kritisierten die Reichsleitung.231 Die Berliner Morgenpost gehörte zwar nicht zu den antiamerikanischen Pressestimmen in Deutschland, aber auch sie zeigte keine Begeisterung für den Militäreinsatz und kommentierte erleichtert, als die Blockade zu Ende ging: „Die Venezuela-­Müden werden aufatmen.“ Die „antivenezolanische Aktion“ habe in den letzten drei Monaten „wenig erfreuliche Momente beschert“.232 Der im Januar 1904 ausgebrochene Krieg in Südwestafrika sorgte dann während eines längeren Zeitraums dafür, dass die Presse Fehler der vergangenen Kolonialpolitik und die Unfähigkeit der deutschen Truppen, den Aufstand schnell und effizient niederzuschlagen, diskutierte.233 Um das durch den Krieg in Südwestafrika angeschlagene Prestige der deutschen Regierung wieder aufzupolieren, suchte Bülow im Frühjahr 1905 den Konflikt mit Frankreich über Marokko. Die deutsche diplomatische Intervention verfolgte dabei das Ziel, dem schleichenden Aufbau eines französischen Protektorats in Marokko Einhalt zu gebieten. Anfangs war diese Politik durchaus erfolgreich, Deutschland konnte sich mit seiner Forderung nach einer internationalen Konferenz durchsetzen.234 Während der von Januar bis April 1906 dauernden Konferenz offenbarte sich jedoch die internationale Isolation Deutschlands, und Frankreich stand am Ende als Profiteur der E ­ rsten Marokkokrise da. Die Reichsleitung sah

231 Vgl. Fiebig-­von Hase, Großmachtkonflikte, 1997, S. 552, 554; vgl. auch zu Parlament und Parteipresse Czaja, USA, 2006, S. 314 – 319. 232 Der Ausgleich mit Venezuela. Das Ende der Blockade, in: Berliner Morgenpost, Nr. 39, 15. 2. 1903. 233 Vgl. Kap. 3.3. 234 Katharine Anne Lerman zufolge erreichte die Popularität Bülows auch deswegen im Sommer 1905 einen neuen Höhepunkt, vgl. Dies., Chancellor, 1990, S. 127.

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sich scharfer Kritik von Seiten der deutschen Öffentlichkeit ausgesetzt, die sich insbesondere gegen den ­Kaiser richtete. Ein weiterer Versuch der deutschen Regierung, durch einen außenpolitischen Erfolg ihr Ansehen zu verbessern, war gescheitert.235 Auch die Entwicklung in den Kolonien hatte einen Anteil daran, dass die deutsche Politik in schlechtem Licht erschien. In Ostafrika brach 1905 ein g­ rößerer Aufstand aus.236 Die Presse diskutierte zudem eine Reihe von Kolonialskandalen wie Amtsmissbrauch, Gewaltverbrechen und Korruption deutscher Beamter in den Kolonien.237 Im Reichstag nahm die Kritik an der Kolonialpolitik zu und im Dezember 1906 verweigerten Zentrum und Sozialdemokratie die von der Regierung für Südwestafrika geforderten Gelder. Bülow löste daraufhin den Reichstag auf und es kam im Januar 1907 zu den ‚Hottentottenwahlen‘. Aufgrund der zahlreichen schlechten Nachrichten über die Lage in den Kolonien und der heftigen Angriffe, denen sich die Regierung ausgesetzt sah, war die Auflösung für die Presse eine Überraschung. Zeitgenössische Stimmen rechneten deswegen mit einer Niederlage der regierungsnahen Parteien.238 In Anbetracht der Stärke von Sozialdemokratie und Zentrum kommentierte die Times: It needs considerable courage to force a dissolution against such a combination, particularly at a time when many circumstances, both in the internal politics of the Empire and in its foreign relations, have united to cause open and widespread discontent amongst all classes of the nation.239

Für die Berliner Morgenpost stand direkt nach der Auflösung fest, dass „die Kolonialangelegenheit […] kein geeignetes Sprungbrett für eine große ‚nationale Erhebung‘ sein kann“. Dies müsse „Bülow so gut wissen, wie es jeder einfache Mann weiß, der sich sonst wenig mit politischen Dingen befasst“.240

235 Vgl. Mayer, Geheime Diplomatie, 2002; Daniel, Einkreisung, 2005, S. 318 – 325. 236 Zur Mediengeschichte ­dieses Krieges vgl. Mezger, „Si vita yawele chani?“, 2004. 237 Vgl. Bösch, Öffentliche Geheimnisse, 2009, S. 288 – 310. 238 Vgl. auch Lerman, Chancellor, 1990, S. 167. 239 The German Dissolution, in: The Times, Nr. 38203, 14. 12. 1907, S. 9.; vgl. auch Prince Bülow’s Appeal, in: The Times, Nr. 38220, 3. 1. 1907, S. 7. 240 Die grosse Plötzlichkeit. Zwischen zwei Wildschweinjagden, in: Berliner Morgenpost, Nr.  293, 15. 12. 1906.

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Tatsächlich hatte auch Bülow am 28. November 1906 im Reichstag eingeräumt, dass sich die Kolonialpolitik in einer Krise befinde: „Ich bin gewiß, keinem Widerspruch zu begegnen, wenn ich sage, daß wir auf d ­ iesem Gebiet eine ernste Krisis durchmachen.“ 241 Dieses Krisengefühl hatte Bülow jedoch selbst über seinen Pressereferenten mitgeschürt, nachdem der Reichstag im Mai 1906 eine Kolonialvorlage der Regierung ablehnt hatte. Zu dieser Zeit befand sich Bülows Ansehen auf einem Tiefpunkt, zudem konnte Bülow aus gesundheit­ lichen Gründen nicht die Regierungsgeschäfte führen. Durch die Schaffung einer krisenhaften Atmosphäre versuchte er nun, sich beim ­Kaiser als die einzige Person darzustellen, die die verfahrene Lage wieder in Ordnung bringen könne. Nach Wiederaufnahme der Arbeit in Berlin sprach Bülow sich dann offen für Reformen in der Kolonialpolitik aus und versuchte auf ­diesem Feld Stärke zu demonstrieren.242 Nachdem es hierüber zum Konflikt mit dem Reichstag gekommen war, engagierte er sich selbst intensiv im Wahlkampf, den er erfolgreich zu einer Abstimmung über die Zukunft der Kolonien inszenierte. Auf diese Weise gelang es ihm, dass die vergangene Politik in den Kolonien und die Unpopularität der dort geführten Kriege den Wahlkampf nicht entscheiden sollten. Zum Bruch ­zwischen Zentrum und Regierung war es über die Höhe der für den Krieg in Südwestafrika zu bewilligenden Gelder gekommen. Zu einer ernsthaften Auseinandersetzung über die bisherige Kriegsführung, die Lage vor Ort und die Berechtigung der geforderten Mittel kam es jedoch nicht. Dies zeigt insbesondere der Umgang mit den Nachrichten, die während des Wahlkampfs aus dem Kriegsgebiet eintrafen. Dort war eine Entwicklung im Gange, die sich als folgenschwer für die politische Debatte um die Jahreswende 1906/07 ­erweisen sollte. Während sich im Reichstag der Konflikt z­ wischen Regierung und Kolonialkritikern zuspitzte, bemühte sich in Südwestafrika der Oberkommandierende Deimling, den Krieg durch Verhandlungen zu beenden. Ziel war es, Johann Christiaans, den Anführer der Bondelzwarts, zur Aufgabe zu bewegen. Nicht zuletzt, weil Deimling in seinen Zugeständnissen über die Direktiven des Gouverneurs Lindequist hinausging, gelang es, ein Abkommen mit der letzten größeren aufständischen Gruppe zu schließen.243

241 SBR, Bd. 218, 28. 11. 1906, S. 3957. 242 Vgl. Lerman, Chancellor, 1990, S. 151, 163 – 166. 243 Vgl. Bühler, Namaaufstand, 2003, S. 301 – 304, sowie Kap. 3.3.

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So erschien Ende des Jahres die Nachricht, dass der „Stamm der ­ ondelzwarts […] sich unterworfen“ habe. Für die Berliner Morgenpost war B damit der „Hauptgegner in Südwestafrika beseitigt“, was der Regierung nicht „in ihren politischen Kram“ passen könne. Der Widerstand gegen die von den oppositionellen Parteien geforderte Truppenreduzierung scheine nun unangebracht und es stelle sich die Frage, ob die Regierung schon vor der Reichstagsauflösung ­hierüber informiert gewesen sei. In jedem Fall wisse die Regierung, dass die Nachricht sehr geeignet sei, „das nationale Pathos, das sie aufgeboten hat, abzudämpfen“. Nun stehe fest: „Die von der Regierung gewollte Wahlparole: ‚Auf zum Schutz unserer Südwestafrikaner‘ existiert nicht mehr. Und der Wahlkampf wird sich nun erst recht lediglich um politische und wirtschaftliche Fragen drehen“.244 Eine ­solche Prognose passte zur kritischen Einstellung der Morgenpost gegenüber der Regierung und der Reichstagsauflösung. Es sollte jedoch anders kommen. Die Zeitungen stritten zwar in vereinzelten Artikeln darüber, ob das Abkommen mit den Bondelzwarts die Position der Oppositionsparteien oder die der Regierung bestätige. Aber ob die von der Regierung geforderte Truppenanzahl gerechtfertigt war, spielte dann doch nur eine geringe Rolle im Wahlkampf.245 Zudem spekulierte die Presse darüber, ob die Regierung die Verhandlungen vor der Öffentlichkeit verheimlicht hatte, da das Wissen hierüber ihre Position im Vorfeld der Reichstagsauflösung geschwächt hätte. Die Sozialdemokratie konnte diesbezüglich auf einen Soldatenbrief verweisen, laut dem schon in der ersten Novemberhälfte Verhandlungen geführt worden ­seien.246 Tatsächlich hatte ­Deimling die Verhandlungen bewusst vor der Regierung geheim gehalten, da politische Einwirkungen in seinen Augen einen Erfolg unmöglich gemacht hätten.247 Die amtliche Erklärung, dass Meldungen hierüber erst Ende Dezember eingetroffen ­seien, entsprach also durchaus der Wahrheit. Da die Öffentlichkeit zu dieser Zeit allerdings nicht über die Meinungsunterschiede ­zwischen Gouverneur und militärischem Oberkommando informiert war, erschien der Berliner Morgenpost

244 Unterwerfung der Bondelzwarts. Das verhallte Feldgeschrei, in: Berliner Morgenpost, Nr.  302, 27. 12. 1906. 245 Vgl. Die Bondelzwarts und die Wahlen. Ein „unzeitgemäßer“ Erfolg, in: Berliner Morgen­post, Nr. 303, 28. 12. 1906; für eine Verteidigung der Regierungsposition vgl. Die ­Bondelzwarts usw., in: Freiburger Zeitung, Nr. 303, 30. 12. 1906, Erstes Blatt. 246 Vgl. Die Kapitulation der Bondelzwarts, in: Berliner Morgenpost, Nr. 12, 15. 1. 1907. 247 Vgl. Kap. 3.3.

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die offizielle Darstellung sehr zweifelhaft. Für sie war es „völlig unersichtlich“, warum Deimling nicht „über den Stand der Dinge […] nach Berlin berichtet hat“.248 Auch wenn es der Regierung schwerfiel, eine glaubwürdige Darstellung ihres Informationsstands bei den Verhandlungen zu vermitteln, spielte diese Frage im Wahlkampf nur eine unbedeutende Nebenrolle. Stattdessen hatte sich der Eindruck durchgesetzt, der Krieg nähere sich seinem Ende, sodass das prokoloniale Lager die Wahl zu einer Abstimmung über die Zukunft der Kolonialpolitik machen konnte. Aus dieser Perspektive ging es nicht darum, ob die bisherige Politik und Kriegsführung in den Kolonien richtig war, sondern ob man nach den jahrelangen Entbehrungen nun daran gehen sollte, die Kolonien nutzbar zu machen. So forderte die nationalliberale Fraktion in einem Aufruf: „Auf die Opfer an Gut und Blut, die wir bisher gebracht haben, richtet die Blicke, damit sie nicht vergebens waren.“ 249 Dass es der Regierung gelang, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft der Kolonien zu schüren, hing wesentlich mit der Ernennung Bernhard Dernburgs zum Kolonialdirektor zusammen.250 Nicht zuletzt durch diesen Schritt schaffte es Bülow auch, die traditionell kolonialkritischen Linksliberalen für sich zu gewinnen. Schon während der heftigen Kontroversen über die Kolonialpolitik im Mai 1906 hatte die Freisinnige Volkspartei für eine Regierungsvorlage gestimmt und damit die Bereitschaft zur Abkehr von ihrem bisherigen Kurs signalisiert. Mit der Ernennung des bürgerlichen Bankiers Dernburg ging Bülow nun auf die Linksliberalen zu. Tatsächlich stieß der neue Leiter der Kolonialabteilung bei ihnen auf große Sympathien, sodass die Linksliberalen in Reichstag und Wahlkampf die Kolonialpolitik der Regierung unterstützten.251 Weil Dernburg in der parlamen­ tarischen Auseinandersetzung selbstbewusst den Konflikt mit dem Zentrum suchte, wurde er in nationalistischen Kreisen sogar wie eine „Erlösergestalt“ gefeiert.252

248 Wann geschah die Unterwerfung der Bonderzwarts?, in: Berliner Morgenpost, Nr. 25, 30. 1. 1907. 249 Zit. nach Der Wahlkampf, 25. Januar – Wahltag, in: Berliner Morgenpost, Nr. 294, 16. 12. 1906. 250 Vgl. Bösch, Öffentliche Geheimnisse, 2009, S. 306. Böschs These, dass es vor allem die mit der Person Dernburg verbundene Hoffnung auf einen „kolonialen Neubeginn“ war, die zum Wahlsieg führte, wird auch durch die für diese Arbeit ausgewerteten Quellen bestätigt. 251 Vgl. Schiefel, Bernhard Dernburg, 1974, S. 35 f.; Thompson, Left Liberals, 2000, S. 23, 127, 158 – 166. 252 So Bösch, Öffentliche Geheimnisse, 2009, S. 306. Zur antikatholischen Stimmungsmache während des Wahlkampfs vgl. Becker, Kulturkampf, 1987.

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Die große Popularität Dernburgs wird nicht zuletzt in der Berichterstattung der Berliner Morgenpost deutlich. Insgesamt verfolgte sie die Entwicklung nach Auflösung des Reichstags kritisch und stand der neu entstehenden politischen Konstellation skeptisch gegenüber. So hielt sie während des Wahlkampfs konse­ quent daran fest, dass es ein reaktionäres Lager gebe, das den linksliberalen Parteien und der Sozialdemokratie gegenüberstehe. Dem Bündnis von Konservativen, Nationalliberalen und Linksliberalen hingegen räumte sie keine Zukunftsaussichten ein, für sie waren „der Geist der Reaktion und der Geist der Demokratie durch eine unüberbrückbare Kluft voneinander getrennt“.253 Mit Kritik an den linksliberalen Parteien hielt sie sich zwar ihrer Ausrichtung entsprechend zurück, die Regierung und insbesondere Bülow hingegen griff sie regelmäßig scharf an.254 Auch Dernburg brachte sie zunächst keine Sympathien entgegen, spottete über dessen erste Auftritte im Reichstag und beschrieb ihn als „cholerische[n], nervöse[n] Neuling“.255 Mit der Zeit konnte sich aber auch die Morgenpost der wachsenden Popularität Dernburgs nicht entziehen. So berichtete sie ausführlich und wohlwollend über die zahlreichen Reden, die dieser während des Wahlkampfs hielt, um für seine Kolonialpolitik zu werben. In der Ankündigung einer Rede am 27. Dezember 1906 hob sie hervor, dass erstmals „eine aktive Exzellenz“ bereit sei, „als Vereinsredner dem Publikum zu sagen, was ihm am Herzen liegt“. Die Morgenpost empfahl sein „Beispiel“ anderen Ministern „zur Nachahmung“.256 Am 12. Januar 1907 wertete sie eine Rede Dernburgs – „der schlanke, große Mann mit dem offenen Blick“ – als „großen Erfolg“.257 Im ­Februar schrieb sie schließlich anlässlich der Eröffnung des neuen Reichstags, dass Dernburg der „eigentliche Sieger im Wahlkampf “ sei.258

253 Bülows neue Wahlkundgebung. Das kolonialpolitische Zweckessen. – Die „Forderung des Tages“. – Die Paarung konservativen und liberalen Geistes, in: Berliner Morgenpost, Nr.  17, 20. 1. 1907. 254 Vgl. etwa Bülows Parole. Ein Wahlbrief des Reichskanzlers, in: Berliner Morgenpost, Nr.  2, 3. 1. 1907. 255 Kolonialstürme im Reichstag. Der Zweikampf Roeren-­Dernburg, in: Berliner Morgenpost, Nr. 283, 4. 12. 1906. 256 Ein Vortrag des Kolonialdirektors Dernburg, in: Berliner Morgenpost, Nr. 302, 27. 12. 1906. 257 Kolonial-­Apostel Dernburg. Die Versammlung des Handelstages, in: Berliner Morgenpost, Nr. 10, 12. 1. 1907. 258 Die Reichstagseröffnung. Die Thronrede. – Im weissen Saal. – Im weissen Haus am Königsplatz, in: Berliner Morgenpost, Nr. 43, 20. 2. 1907.

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Tatsächlich trug Dernburg wesentlich dazu bei, dass die Regierung bei den Wahlen 1907 ihren größten Erfolg bei der Instrumentalisierung der kolonialen Frage für die Innenpolitik erreichte. Zur Eröffnung des Reichtags am 19. ­Februar 1907 konnte der K ­ aiser verkünden: „Die schwere Krisis, die durch die Aufstände der Eingeborenen in Südwest- und Ostafrika über diese Schutzgebiete hereingebrochen war, ist überwunden.“ 259 Man sollte deswegen jedoch nicht die Zustimmung der Bevölkerung für diesen Kurs überbewerten. Die prokolonialen Parteien konnten zwar mehr Mandate gewinnen, die meisten Stimmen jedoch wurden für Zentrum und Sozialdemokratie abgegeben.260 Trotz der parlamentarischen Mehrheit der prokolonialen Parteien konnte Bülow nur für kurze Zeit die Früchte seines Sieges genießen. 1909 zerbrach der ‚Bülow-­ Block‘, das aus den Wahlen 1907 hervorgegangene Bündnis von Linksliberalen, Nationalliberalen und Konservativen; Bülow selbst musste infolgedessen zurücktreten. Bülows Nachfolger Theobald von Bethmann Hollweg zeigte zunächst kaum Ambitionen, durch Erfolge in der außereuropäischen Welt seine Popularität und das Prestige der Reichsleitung zu steigern. 1911 änderte sich dies jedoch mit der Ernennung von Alfred von Kiderlen-­Waechter zum Staatssekretär des Äußeren, der einen aggressiveren Kurs in der internationalen Politik verfolgte.261 Kiderlen-­Waechter bestimmte auch die deutsche Politik während der Zweiten Marokkokrise, dem letzten internationalen Konflikt um Machtansprüche in der außereuropäischen Welt vor dem ­Ersten Weltkrieg. Der Streit um Marokko verschärfte sich wieder, als französische Truppen marokkanische Städte besetzten, angeblich um dort bedrohte Europäer zu schützen. Die deutsche Presse zeigte wenig Sympathie für das französische Vorgehen. Für die Berliner Morgenpost war am 20. April 1911 die Behauptung, das Leben der Europäer in Marokko sei gefährdet, nur ein „Vorwand“, um „in Marokko Ernst zu machen“.262 Kiderlen-­Waechter wollte dem Ausbau der französischen Machtposition nicht tatenlos zusehen. Er sah im französischen Vorgehen eine Gefahr für das deutsche Prestige. Deshalb hielt er es für nötig, von Frankreich Kompensation für die schleichende Schaffung eines französischen Protektorats zu fordern. Gegenüber Kanzler Theobald von

259 260 261 262

SBR, Bd. 227, 19. 2. 1907, S. 1. Vgl. Reinhard, „Sozialimperialismus“, 1978, S. 414. Vgl. Mommsen, Public Opinion, S. 391. Marokkos „Freund in der Not“. Die geplante Intervention Frankreichs. – Und die Algeciras-­ Akte?, in: Berliner Morgenpost, Nr. 108, 20. 4. 1911.

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Bethmann Hollweg argumentierte er zudem, dass ein Prestigeerfolg sich positiv auf die kommenden Reichstagswahlen auswirken könnte.263 Um den Forderungen gegenüber Frankreich Nachdruck zu verleihen, sollte Deutschland einen Hafen in Marokko besetzen, um ein ‚Faustpfand‘ für die Verhandlungen mit Paris zu haben. Bevor Deutschland jedoch militärisch aktiv wurde, hielt es Kiderlen-­Waechter für hilfreich, wichtige Vertreter der öffentlichen Meinung einzubinden. Er traf sich mit dem Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes und nahm Kontakt mit Zeitungsredakteuren auf. Wie vom Staatssekretär erwartet, nahmen die Forderungen in der Presse nach einer aktiven Marokkopolitik des Deutschen Reiches zu.264 Am 1. Juli erfolgte dann der ‚Panthersprung‘: Das Kriegsschiff Panther kreuzte vor der Küste Marokkos auf. Normalerweise hatten imperialistische Interventionen einen Doppelcharakter: Zum einen dienten sie der militärischen Durchsetzung des eigenen Willens gegen einen nichteuropäischen Staat, zum anderen signalisierten sie konkurrierenden ‚Mächten‘ den eigenen Machtanspruch in der betroffenen Region. Der ‚Panthersprung‘ hatte ausschließlich die letztere Funktion. Offiziell legitimierte die deutsche Politik die Aktion zwar mit dem Schutz deutscher Bürger und Unternehmen im Süden Marokkos – der dafür notwendige ‚Hilferuf ‘ war zuvor von Berlin aus organisiert worden –, aber richtig ernst nahm dies niemand. Die Berliner Morgenpost bemerkte nur kurz: „Ob und in welchem Umfange die in Südmarokko ansässigen Deutschen durch die marokka­nischen Wirren tatsächlich an Leben und Eigentum bedroht sind, lässt sich natürlich im Augenblick nicht feststellen“.265 263 Vgl. Dülffer u. a., Vermiedene Kriege, 1997, S. 618 f., für die eine Schwächung der Sozialdemokratie ein zentrales Motiv Kiderlen-­Waechters darstellte. Anders Meyer, „Endlich eine Tat, eine befreiende Tat …“, 1996, S. 201 f., demzufolge der Gedanke an die Wahlen für Kiderlen-­Waechters Politik selbst „eher marginal“ war, aber dazu diente, den „widerstrebenden und ängstlichen Kanzler für seine gefährliche Politik zu gewinnen“. In jedem Fall spielten die Wahlen also im Entscheidungsfindungsprozess der Reichsleitung eine Rolle. 264 Vgl. Wernecke, Wille, 1970, S. 29 – 31, demzufolge Kiderlen-­Waechters die öffentliche Meinung gezielt mobilisierte. Anders Meyer, „Endlich eine Tat, eine befreiende Tat …“, 1996, der argumentiert, dass Kiderlen-­Waechter eher (vergeblich) versuchte, die Alldeutschen in seine Politik einzubinden und dadurch zu kontrollieren. Kiderlen-­Waechters Motive sind hier schwer zu bewerten, in jedem Fall ist die Argumentation plausibel, dass es für die Alldeutschen keine Ermutigung des Staatssekretärs brauchte, um lautstark eine Reaktion auf das französische Vorgehen zu fordern. 265 Ein deutsches Kriegsschiff nach Marokko. Der Panther nach Agadir entsandt, in: Berliner Morgenpost, Nr. 179, 2. 7. 1911.

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Letztlich war diese Frage irrelevant für die öffentliche Debatte. Die bürgerliche Presse in Deutschland äußerte sich überwiegend zustimmend zur Intervention. Die alldeutsche Presse forderte sogar schon die Aufteilung Marokkos und schloss einen Krieg zur Durchsetzung der eigenen Interessen nicht aus. Die nationalliberale und konservative Presse unterstützte die Aktion uneingeschränkt, und auch die Zeitungen der Zentrumspartei und der Linksliberalen begrüßten die Maßnahme.266 So betrachtete beispielsweise die Berliner Morgenpost den Militäreinsatz als legitim. Die Unterstützung der Regierung hatte allerdings eindeutige Grenzen, die Morgenpost stellte in ihrem ersten Artikel sogleich auch klar: „Sicher ist, dass das deutsche Volk in seiner Gesamtheit eine kriegerische Verwicklung um Marokkos willen mit der größten Entschiedenheit ablehnen würde.“ 267 Nur die sozialdemokratische Presse lehnte die Aktion grundsätzlich ab, der Vorwärts vermutete, die Regierung plane „das Spiel der Hottentottenwahlen“ zu wiederholen.268 Nachdem daraufhin der britische Schatzkanzler Lloyd George am 21. Juli klarstellte, dass Großbritannien im Falle eines Konfliktes Frankreich beistehen würde, erschien die internationale Lage äußerst gespannt.269 Die alldeutschen, nationalliberalen und auch die meisten konservativen Zeitungen reagierten empört und forderten die Regierung zu einem kompromisslosen Kurs auf.270 Angesichts der drohenden Kriegsgefahr organisierte der linke Flügel der Sozialdemokratie Protestveranstaltungen, am 3. September demonstrierten über 100 000 Menschen im Treptower Park für die Erhaltung des Friedens.271 Die deutsche Regierung setzte währenddessen auf Verhandlungen mit Frankreich. Am 4. November 1911 einigten sich beide Länder schließlich und unterzeichneten den Marokko-­Kongo-­Vertrag. Als Kompensation für die Anerkennung der französischen Machtposition bekam Deutschland Teile des französischen Kongos zugesprochen. Das Ergebnis blieb damit weit unter den Erwartungen 266 Vgl. Wernecke, Wille, 1970, S. 31 – 35. 267 Ein deutsches Kriegsschiff nach Marokko. Der Panther nach Agadir entsandt, in: B ­ erliner Morgenpost, Nr. 179, 2. 7. 1911; Deutschland in Marokko. Die Beweggründe der deutschen Aktion. – Keine Herausforderung Frankreichs. – Wird jetzt über Marokko Klarheit geschaffen? – Die Stimmung im Ausland, in: Berliner Morgenpost, Nr. 181, 4. 7. 1911. 268 Zit. nach Wernecke, Wille, 1970, S. 36. 269 Vgl. Geppert, Pressekriege, 2007, S. 284 f. 270 Vgl. Wernecke, Wille, 1970, S. 59 – 67; Geppert, Pressekriege, 2007, S. 286. 271 Vgl. Wernecke, Wille, 1970, S. 89 f.

Jubel und Frustration: Zur Unpopularität der imperialen Expansion

der nationalistischen Presse. Die alldeutsche und nationalliberale Presse warf der Regierung Versagen vor, und auch die übrigen Zeitungen bewerteten das Ergebnis nicht als Erfolg.272 So endete die letzte größere imperiale Krise vor Ausbruch des ­Ersten Weltkrieges und damit auch der letzte Versuch der deutschen Regierung, durch eine expansive Politik in der außereuropäischen Welt an Prestige zu gewinnen. Dieser Versuch scheiterte kläglich, das Ergebnis der deutschen Intervention bewertete die Öffentlichkeit als Niederlage der Reichsleitung. Aus den von innenpolitischen ­Themen dominierten Reichstagswahlen 1912 ging die Sozialdemokratie als Sieger hervor, während die Parteien, auf die sich die Regierung stützte, herbe Einbußen erlitten.

272 Vgl. ebd., S. 102 – 106.

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C Zur Legitimation und Kritik von Kolonialkriegen und Interventionen Der Einsatz von Gewalt im Rahmen der imperialen Expansion war in den politischen Debatten der Presse immer kontrovers, ging es doch darum, konkrete politische Entscheidungen gegen Kritiker zu vertreten. Forderungen und Handlungen, die in anderen Medien und Teilöffentlichkeiten unproblematisch waren, konnten in der massenmedialen Öffentlichkeit Gegenstand heftigster Auseinandersetzungen werden. Aus der Zeitschrift der Steyler Mission etwa konnte man im November 1897 erfahren, dass sich unter den chinesischen Konvertiten ein „Räuberhauptmann, der seit zwei Jahren ein guter Christ war“, befand.1 In Missionskreisen mochte die Aufnahme eines reuigen Sünders als Erfolg gelten. In der breiteren Öffentlichkeit jedoch trugen s­ olche Konvertiten nicht dazu bei, Unterstützung für die Mission zu mobilisieren. In den beiden Zentrumsblättern Germania und Kölnische Volkszeitung, deren Berichterstattung unter konstanter Beobachtung der übrigen deutschen Presse stand, sucht man dementsprechend vergeblich nach Hinweisen auf Konvertiten mit einer solchen Herkunft. In den dort nach der Besetzung Kiaustschous (1897/98) veröffentlichen Artikeln über die katholische Mission gab es keine Verweise auf ehemalige Kriminelle unter den chinesischen Christen.2 Als während des Boxerkriegs Zweifel am Charakter der Konvertiten aufkamen, nahm der Leiter der Mission, Bischof Anzer, seine Schützlinge ausdrücklich gegen ­solche Vorwürfe in Schutz.3 Die spezifischen Legitimationsmuster in der politischen Debatte werden auch im Vergleich zur Kolonialliteratur deutlich. In einem Roman über den Boxerkrieg konnte die Aussicht auf Beute die Kriegsbeteiligung der literarischen Hauptfigur rechtfertigen.4 In der politischen Debatte stießen die Plünderungen der imperialistischen Truppen hingegen auf scharfe Kritik. Auf öffentlichen Druck hin musste die deutsche Regierung China beispielsweise die Rückgabe von geraubten

1 Wewel, Anton, Einige Züge aus dem Missionsleben (Schluss), in: Kleiner Herz-­Jesu-­Bote, Nr. 2, November 1897, S. 14. 2 Vgl. Kap. 1.5. 3 Vgl. Kap. 2.2. 4 Vgl. Lu Yixu, Boxerbewegung, 2007, S. 196.

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astronomischen Instrumenten anbieten.5 Allgemein lässt sich der Erfolg der in dieser Zeit publizierten zahlreichen Kolonialromane sicherlich mit der Darstellung der außereuropäischen Welt als Schauplatz für Abenteuer erklären.6 In der Presseberichterstattung hingegen war ‚Abenteuer‘ ein äußerst negativ konnotierter Begriff. Kolonialkritische Stimmen bezeichneten die Militäreinsätze regelmäßig als ‚Abenteuer‘, um sie als risikohaft und für den Steuerzahler potenziell sehr teuer zu charakterisieren.7 Die größere Begründungspflicht in der politischen Debatte zeigte sich auch in der Berichterstattung über den Sudankrieg. Während biographische Publikationen über Gordons Wirken und Tod meist mit einem Aufruf zur Rückeroberung des Sudans endeten,8 fokussierte sich die Auseinandersetzung über den Beginn des Militäreinsatzes 1896 auf die konkrete Situation in der Region, auf seine Erfolgschancen und Risiken. G ­ ordons Tod fand in d ­ iesem Zusammenhang nur Erwähnung, um auf die Gefahren des Einsatzes hinzuweisen. Erst als das britische Vorgehen von Erfolg gekrönt war, wurde die Rache für Gordon zum zentralen Motiv des Krieges erklärt.9 Die Legitimationsmuster der politischen Debatte hatten ihre eigene Logik, die eng mit den spezifischen Darstellungsformen der Massenmedien verwoben waren.

In Namen Europas: Die Legitimation imperialer Militäreinsätze Charakteristisch für die politischen Debatten über die imperiale Expansion ist die hohe Präsenz von Repräsentationen des Europäischen und Außereuropäischen in den argumentativen Auseinandersetzungen über den Einsatz militärischer Gewalt. Gerade wenn es galt, die eigenen Interessen gegenüber anderen Nationen zu rechtfertigen, beriefen sich Kolonialbefürworter gerne auf ‚Europa‘ oder die ‚Zivilisation‘. In Reaktion auf den französischen und russischen Widerstand gegen den britischen Sudankrieg etwa argumentierte die englische Presse, dass der Militäreinsatz der Aufrechterhaltung des europäischen

5 Vgl. Wieland, Reichstagsdebatten, 2007, S. 171 f. 6 Vgl. etwa Richards, Popular Imperialism, 1992. 7 Vgl. Kap 1.8. zu Vorwärts und Kölnischer Volkszeitung sowie auch zur Reichstagsrede, in der Bülow bestritt, dass die neue ‚Weltpolitik‘ bedeute, dass sich die Regierung in ‚Abenteuer‘ stürze. 8 Vgl. MacKenzie, Heroic Myths, 1992, S. 128. 9 Vgl. Kap. 1.2.

Zur Legitimation und Kritik von Kolonialkriegen und Interventionen

Prestiges nach der italienischen Niederlage gegen Abessinien diene und mit der britischen Expansion die ‚Zivilisation‘ in einer ‚barbarischen‘ Region verbreitet werde.10 Die Besetzung Kiautschous nach der Ermordung der deutschen Missionare rechtfertigten deutsche Zeitungen damit, dass die Intervention der Sicherheit aller potenziell bedrohten Europäer in China diene.11 Während des Krieges in Südwestafrika forderte die deutsche Presse von britischer Seite Unterstützung mit dem Argument, dass der dortige Aufstand eine Gefahr für die Herrschaft aller Kolonialmächte in Afrika sei.12 Am verbreitetsten waren ­solche Aufforderungen zur Kooperation während des Boxerkriegs. In Anbetracht der Nachrichten über die im Pekinger Gesandtschaftsviertel belagerten ‚Europäer‘ bekannten sich die Regierungen aller imperialistischen Staaten zur Zusammenarbeit und fast alle Zeitungen in Europa forderten ein geschlossenes Vorgehen gegen China.13 Während des Boxerkriegs zeichneten sich die Artikel über bedrohte ‚Europäer‘ durch außergewöhnlich hohe Dramatik aus, aber ­dieses Muster beschränkte sich nicht nur auf diesen besonderen Fall. Vielmehr bildeten ­solche Nachrichten ein Leitmotiv des Kolonialdiskurses und wurden immer dann herangezogen, wenn es galt, imperiale Militäraktionen zu legitimieren. Berichte über ‚Weiße‘, die in kolonialen Gebieten von einem als barbarisch charakterisierten Gegner ermordet wurden oder in akuter Lebensgefahr zu sein schienen, boten der Presse Stoff für dramatische Geschichten. Zugleich trugen sie entscheidend dazu bei, gewaltsames Vorgehen der imperialistischen Staaten als gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Auch militärische Interventionen zum Schutz bedrohter Landsleute in zwar offiziell unabhängigen, aber nicht als gleichwertig anerkannten nichteuropäischen Staaten wurden weithin als legitim angesehen.14 Gerade für den Beginn der deutschen ‚Weltpolitik‘ 1897 waren s­ olche Interventionen entscheidend. Die Fähigkeit, selbst für den Schutz der eigenen Landsleute in der außereuropäischen Welt sorgen zu können, galt als das Kriterium für die Position Deutschlands unter den imperialistischen Staaten. Die Militäraktionen

10 11 12 13 14

Vgl. Methfessel, Appeals, 2017, S. 921, sowie Kap. 1.2. Vgl. Kap. 1.5. Vgl. Kap. B und Kap. 3.5. Vgl. Kap. 2.2. Zur Dauerhaftigkeit d ­ ieses Leitmotivs bis hin zur Zeit der Dekolonisation vgl. Dinkel u. a., „Murder of a European“, 2014.

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gegen China und Haiti sollten die Bereitschaft des Kaiserreichs belegen, aktiv für den Schutz von ‚Auslandsdeutschen‘ einzutreten, und damit die eigenen Weltmachtambitionen unterstreichen.15 Auch in der englischen Öffentlichkeit trugen Berichte über bedrohte oder getötete eigene Staatsangehörige zur Legitimation von Militäreinsätzen bei, vor der Jahrhundertwende allerdings weniger im Rahmen imperialistischer Interventionen als bei der Rechtfertigung der Niederschlagung von Aufständen in den afrikanischen Kolonien. Nachrichten über Landsleute oder allgemein ‚Weiße‘, die ein nichteuropäischer Gegner bedrohte oder getötet hatte, spielten in der Berichterstattung über den Zweiten Matabele­krieg 1896/97, über den Krieg gegen das Königreich Benin 1897 und über die Rebellion in Sierra Leone 1898 eine wichtige Rolle.16 Aber der Schutz eigener Staatsangehöriger spielte in der zweiten Hälfte der 1890er-­Jahre in England nicht im gleichen Maße wie in Deutschland eine so entscheidende Rolle in der öffentlichen Debatte über das verstärkte imperialistische Engagement. Eindeutig im Mittelpunkt standen bedrohte ‚Europäer‘ und Landsleute in den beiden großen Kriegen um die Jahrhundertwende, und zwar sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien. Die Berichterstattung über den Boxerkrieg fokussierte sich im Sommer 1900 ganz und gar auf die in Peking belagerten ‚Europäer‘. Die anfänglich große Unterstützung für ein gemeinsames Vorgehen aller imperialistischer Staaten hing entscheidend von der Darstellung der ungewissen Lage der Eingeschlossenen ab.17 Für die Legitimation des Burenkriegs in der englischen Presse waren die Uitlander zentral, die hauptsächlich britischen Immigranten in der Republik Transvaal. Deren rechtliche Position und Diskriminierungen durch burische Behörden waren in der Darstellung der Regierung in London und der sie unterstützenden Presse die Hauptursache des Konflikts.18 Nach der Jahrhundertwende spielten bedrohte Landsleute dagegen kaum noch eine Rolle in den englischen Debatten über imperiale Militäraktionen. In Somalia und Tibet gab es keine europäischen Siedler oder Missionare, über die man

15 Vgl. Kap. 1.5 und Kap. 1.8. 16 Zum Krieg gegen Benin und der öffentlichen Debatte über diesen Militäreinsatz vgl. Coombes, Reinventing Africa, 1994, S. 7 – 28; für die Bedeutung der Nachrichten über ein Massaker an einer britischen Handelsmission, das den Anlass für die Militärexpedition bildete, vgl. etwa o. T., in: Daily Mail, Nr. 218, 12. 1. 1897, S. 4. 17 Vgl. Kap. 2.2. 18 Vgl. Kap. 2.1.

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berichten konnte. Nur zur Rechtfertigung der Kooperation mit Russland während der Krise in Persien verwiesen Regierung und ihre Unterstützer in der Presse auf die Situation der dortigen Europäer.19 Anders war die Situation im deutschen Kolonialreich. Nach Ausbruch des Aufstands in Südwestafrika waren Nachrichten über ermordete Farmer und bedrohte Landsleute entscheidend für die ersten Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit.20 Als das Kaiserreich jedoch 1911 die Entsendung eines Kanonen­bootes nach Marokko mit Gefahren für die dortigen Deutschen rechtfertigte, nahm niemand diese Argumentation ernst. Im Gegensatz zu den deutschen Interventionen zu Beginn der ‚Weltpolitik‘ 1897 war der instrumentelle Charakter der angeblich Bedrohten zu offensichtlich und ihre tatsächliche Situation wurde in der Presse gar nicht erst erörtert.21

‚Zivilisation‘, Christentum und Freihandel: Rechtfertigungen der europäischen Expansion Die Zivilisierungsmission gilt als das gängigste Argument zur Legitimierung des europäischen Kolonialismus.22 Tatsächlich war sie Ende des 19. Jahrhunderts das Leitmotiv der Militäraktionen des Britischen Empires.23 Wie bei humanitären Interventionen heute stand das (vermeintliche) Wohl der einheimischen Bevölkerung in den Krisengebieten im Fokus der öffentlichen Darstellung,24 auch wenn für die Entscheidungen der Politik primär strategische und ökonomische Motive ausschlaggebend waren.25 Während des Kolonialkriegs in Sierra Leone etwa trug das Argument, die Sklaverei zu bekämpfen, wesentlich zur Legitimation

19 20 21 22 23

Vgl. Methfessel, Spreading the European Model by Military Means?, 2012, S. 54 – 56. Vgl. Kap. 3.3. Vgl. Kap. 3.6. Vgl. allgemein Barth/Osterhammel (Hg.), Zivilisierungsmissionen, 2005. In der Auseinandersetzung mit Südafrika spielte die Diskriminierung der eigenen Landsleute jedoch eine wichtige Rolle, vgl. Kap. 2.1. 24 Vgl. Münkler/Malowitz, Humanitäre Interventionen, 2008, S. 8, zur Unterscheidung von Interventionen zum „Schutz eigener Staatsangehöriger“ und solchen „zum Schutz von Menschen beliebiger Staatsangehörigkeit“ in der aktuellen völkerrechtlichen Debatte. Zur Geschichte humanitärer Interventionen vgl. auch Rodogno, Against Massacre, 2011; Klose (Hg.), Emergence, 2016. 25 Vgl. Robinson u. a., Africa, 1961, S. 563.

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des Militäreinsatzes und der folgenden Intensivierung der kolonialen Herrschaft bei. Aber keinen Kolonialkrieg rechtfertigten die Regierung und die imperialistische Presse so sehr mit der Verbreitung der ‚Zivilisation‘ wie den Feldzug in den Sudan. Die Vorstellung, die britische Herrschaft werde von der dortigen Bevölkerung begrüßt, war entscheidend für das positive Bild des Militäreinsatzes in der englischen Öffentlichkeit. So erwähnte die Daily Mail am 23. November 1897 in einem ­kurzen Kommentar die ­dieses Selbstbild bestätigende Nachricht, dass friedliche sudanesische Dorfbewohner, denen man Gewehre zur Verfügung gestellt hatte, erfolgreich einen Raubzug der Derwische des Khalifa abgewehrt hätten.26 Generell war es für das britische Selbstverständnis wichtig, dass das Empire nicht nur dem eigenen Nutzen diente, sondern dem höheren Nutzen der Menschheit insgesamt. An die Kritiker des Sudankriegs gerichtet, verwies die Mail am 17. November 1898 auf Sklavenhändler, die im Ostsudan gefangen worden s­ eien, und kommentierte: „Empire-­builders are not mere concession-­ hunters and land-­grabbers; they are ‚emissaries of civilisation‘ in the best sense. The Union Jack usually brings more benefits to the natives among whom it is taken than to the Englishmen who take it.“ 27 In Deutschland spielte das Argument der Zivilisierungsmission und die Legitimation militärischer Einsätze zugunsten nichteuropäischer Personengruppen in den späten 1890er-­Jahren eine weitaus geringere Rolle als in England. Wohl verwiesen die Unterstützer der Regierung in Bezug auf China manchmal d ­ arauf, dass Deutschland dort genauso wie die anderen imperialistischen Staaten in der Verbreitung von ‚Kultur‘ tätig sei. Constantin von Hanneken schrieb hierzu mit Blick auf die Bevölkerung in Shandong im Berliner Lokal-­Anzeiger: „Es ist fraglos eine dankenswerte Aufgabe, einem solchen Menschenschlag das Heil zu bringen, das ihnen der vorurtheilsvolle Geist chinesischen der Beamtenwelt [sic!] ängstlich vorenthält.“ 28 Anders als beim deutschen Kolonialkrieg in Ostafrika (1888 – 1890) war ein so ausdrückliches Bekenntnis zur Zivilisierungsmission im Kontext der beginnenden ‚Weltpolitik‘ selten.29

26 O. T., in: Daily Mail, Nr. 488, 23. 11. 1897, S. 4. 27 O. T., in: Daily Mail, Nr. 796, 17. 11. 1898, S. 4. 28 C. von Hanneken, Kiautschou, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 605, 28. 12. 1897, 1. Ausgabe. 29 Zu den Anfängen der deutschen Kolonialpolitik und der öffentlichen Debatte hierüber vgl. Kap. 1.4.

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Während des Boxerkriegs stand die Legitimation als Zivilisierungsmission weder in der englischen noch in der deutschen Presse im Vordergrund. Im Mittel­ punkt der öffentlichen Debatte stand die Forderung, die bedrohten Europäer zu retten und China für sein ‚unzivilisiertes‘ Verhalten zu bestrafen. Die Perspektiven einer zukünftigen Verbreitung der ‚Zivilisation‘ erörterten die Zeitungen hingegen selten.30 Dementsprechend spielte auch der Schutz von Nichteuropäern höchstens eine Nebenrolle. Zwar waren im Pekinger Gesandtschaftsviertel nicht nur Europäer, Amerikaner und Japaner bedroht, sondern auch die chinesischen Angestellten der Gesandten und chinesische Christen. In den Zeitungen war jedoch zumeist nur von den ‚Europäern in Peking‘ die Rede, wenn sie über die Ereignisse in China berichteten. Nur am Rande wurden kurze Meldungen oder Artikel über chinesische Opfer des Boxeraufstands veröffentlicht.31 Auch während des Burenkriegs verdrängte der Fokus auf die eigenen Landsleute die Berichterstattung über die Situation von Nichteuropäern in Südafrika, die zuvor durchaus zur Legitimation des Konfliktkurses gegen die Burenrepu­ bliken herangezogen worden war. Insbesondere die Lage der afrikanischen und indischen Bevölkerung in der Republik Transvaal hatte Besorgnis in London erregt. So widmete sich ein Kommentar in der Times vom 30. August 1895 der Situation der britischen Inder in Südafrika „where they undoubtedly have ­certain grievances“.32 Chamberlain entschied sich jedoch Anfang 1897, seine Öffentlichkeitsarbeit ganz auf die Situation der Uitlanders zu konzentrieren, da ihm diese geeigneter schien, Unterstützung für seinen Konfliktkurs mit der Republik Transvaal zu mobilisieren. So spielte die Lage der afrikanischen und indischen Bevölkerung kaum mehr eine Rolle in der politischen Debatte vor Ausbruch des Krieges.33 Nach Beginn der Kampfhandlungen wurde der Behandlung der ­‚natives‘ aber wieder eine Nebenrolle in der öffentlichen Legitimation des Militär­einsatzes zugewiesen.34 Bei den Verhandlungen mit den Buren im Frühjahr 1901 jedoch wollten sowohl Kitchener als auch Milner in dieser Frage den Buren entgegenkommen und die Festlegung der politischen Rechte der afrikanischen Bevölkerung bis

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Vgl. Methfessel, Spreading the European Model by Military Means?, 2012, S. 51. Vgl. Kap. 2.2. British Indian in South Afrika, in: The Times, Nr. 34669, 30. 8. 1895, S. 7. Vgl. Porter, Origins, 1980, S. 122 – 124. Vgl. Eberspächer, Albion, 2006, S. 198.

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zur Einführung von ‚self-­government‘ in den annektierten Burenrepubliken verschieben (und damit de facto aufgeben). Chamberlain bestand jedoch darauf, dass die afrikanische Bevölkerung in den Burenrepubliken die gleichen (sehr begrenzten) Rechte wie in der Kapkolonie bekommen sollte. Beim erfolgreichen Friedensschluss im Jahre 1902 setzte sich schließlich die Position Kitcheners und Milners durch. Der Kompromiss, den Briten und Buren schlossen, entstand nicht zuletzt auf Kosten der afrikanischen Bevölkerung in Südafrika.35 In den politischen Kommentaren zum Ende des Krieges spielte dieser Punkt aber keine Rolle. Der Manchester Guardian, der sich ansonsten bemühte, jedes Detail hervorzuheben, in dem Chamberlain 1901 weniger entgegenkommend war als die britische Regierung zum Ende des Krieges 1902, schwieg zu ­diesem Punkt.36 Das überrascht, gehörte der Guardian doch zu den Presseorganen in England, die sich am stärksten für die Rechte von Nichteuropäern einsetzten. Während des Burenkriegs jedoch hatte für ihn offensichtlich der Abschluss des Friedens Priorität. Er hob allerdings auch nicht positiv hervor, dass die Regierung 1902 in ­diesem Punkt kompromissbereiter war als noch vor einem Jahr. Der Wandel der Argumentationsmuster während des Burenkriegs ist damit typisch für den Zusammenhang, der ­zwischen der Popularität von Kriegen und den Rechtfertigungen im Sinne einer Zivilisierungsmission oder humanitärer Beweggründe bestand. Je länger sich der Krieg hinzog und je unpopulärer er wurde, umso mehr verlor die Situation der afrikanischen Bevölkerung in den Burenrepubliken an Relevanz in den Kriegszielen des Empires. Damit bildete der Burenkrieg einen Wendepunkt für die Bedeutung der Zivilisierungsmission in den britischen imperialen Militäraktionen. War sie vor 1900, als die imperialistische Begeisterung noch zunahm, das Leitmotiv des Empires, spielte sie in den unpopulären Kriegen nach der Jahrhundertwende kaum noch eine Rolle. Ähnlich argumentierten prokoloniale Stimmen während der deutschen Kolonialkriege in Südwestafrika (1904 – 1907) und Ostafrika (1905 – 1907) nur äußerst selten im Sinne der Zivilisierungsmission, wenn sie die Militäreinsätze rechtfertigten.37 Auch die Verbreitung des Christentums konnte als Teil der Zivilisierungsmission eine Rolle spielen, etwa wenn die britische Regierung und ihre Unterstützer 35 Vgl. Pakenham, The Boer War, 1979, S. 576 f. 36 Vgl. bes. Terms of Peace. A Comparasion Between 1901 and 1902, in: The Manchester Guardian, Nr. 17416, 5. 6. 1902, S. 5. 37 Vgl. Methfessel, Spreading the European Model by Military Means?, 2012.

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während des Kolonialkriegs in Sierra Leone den Militäreinsatz auch mit dem Schutz der im Hinterland tätigen Missionare rechtfertigten und argumentierten, dass diese mit dem Christentum auch die ‚Zivilisation‘ verbreiten würden.38 Die Unterstützung der christlichen Mission hatte jedoch klare Grenzen. In Regionen mit muslimischer Bevölkerung unterband die britische Regierung jegliche christliche Mission, um Konflikte zu vermeiden. Für die Verteidiger des ­Empires war es wichtiger, dass Großbritanniens Herrschaft über Muslime als legitim angesehen wurde.39 So verwies die Times während des indischen Grenzkriegs am 1. November 1897 erleichtert auf eine weitere Solidaritätserklärung des Amirs von Afghanistan: [H]e has been at pains to point out to the rebels that they are not true friends of their faith and are not carrying out its precepts when they attack a Power which has the support of Mahomedan potentates and populations of far greater weight and importance than themselves.40

Die britische Regierung und die Presse waren in Kriegen gegen muslimische Gegner stets bemüht, diese nicht als Konflikt ­zwischen Christentum und Islam erscheinen zu lassen. Dabei spielten religiöse Aspekte in der negativen Charakterisierung von Gegnern durchaus eine Rolle. Im indischen Grenzkrieg etwa galten die Aufständischen als ‚Fanatiker‘, und die Presse beschrieb den ‚Aberglauben‘ der Mullahs. Das von den Medien herausgestellte positive Selbstbild im Verhältnis zu ­diesem Fremdbild war allerdings nicht das Christentum, sondern die eigene ‚Rationalität‘ und ‚Zivilisation‘.41 Die Debatte über die Errichtung des Gordon College am Ende des Sudankriegs verdeutlicht die britische Einstellung zur kolonialen Expansion in Regionen mit überwiegend muslimischer Bevölkerung. Nachdem die diesbezüglichen Pläne

38 Zur Darstellung von Missionaren als Verbreiter von ‚Zivilisation‘ vgl. etwa E. Graham Ingram, The Sierra Leone Hut Tax. To the Editor of the Times, in: The Times, Nr. 35905, 11. 8. 1899, S.  8. 39 Vgl. auch Steele, Lord Salisbury, 1998. Der liberale Abgeordnete George Harwood sprach sich sogar mit dem Argument, dass es dem Prestige des Empires als muslimische Macht schade, gegen das Frauenwahlrecht aus, vgl. Hyam, British Empire, 1999, S. 48. 40 The Tirah Expedition, in: The Times, Nr. 35349, 1. 11. 1897, S. 7. 41 Vgl. auch Edwards, Mad Mullahs, 1989.

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bekannt wurden, forderten Missionskreise, dass das College auch der Verbreitung des Christentums dienen solle. Die Pall Mall Gazette widersprach d ­ iesem Anliegen vehement. Für sie offenbarte diese Forderung „an astonishing ignorance of the religious and social conditions of the population“. Ziel des College sei es vielmehr, die Kooperation „of one of the fiercest of fighting races, which professes the fiercest of fighting faiths“, zu sichern. Diesen Glauben gelte es zu respektieren. Es gebe keinen Grund, die Sudanesen dazu zu bringen „to desert a faith which, after all, has done, and is doing, infinitely more for the natives of Africa than Christianity has ever yet attempted“. Dementsprechend gelte: „Let us give the Soudan civilization first […] and then […] we may, perhaps, find it ready for the seed of Christianity.“ 42 Dass die Spannung ­zwischen dem christlichen Selbstverständnis Großbritanniens und der Politik, in muslimischen Regionen jeglichen Missionseifer aus­zuschließen, am Ende des Sudankriegs offen zum Vorschein kam, lag vor allem an der zu ­diesem Zeitpunkt beschworenen Erinnerung an Gordon. ­Dieser galt als „Christian hero“ 43 und auch die Pall Mall Gazette wehrte sich gegen den Vorwurf, ihre Position stehe im Widerspruch zur Erinnerung an diesen „great Christian soldier“.44 Wenngleich Kitchener Missionstätigkeiten an dem College ausschloss, versuchte er bei seinem Werben für diese Institution doch der christlichen Erwartungshaltung in England entgegenzukommen. Auf einer Spendenaktion für das College argumentierte er: „[I]f we can teach the inhabitants of that country to be educated, reasoning, thinking people, we are giving them the foundation of what I believe is our religion.“ 45 In Deutschland bekam die ‚Weltpolitik‘ mit der Intervention zum Schutz von Missionaren in China eine religiöse Komponente, die die Regierung für die öffentliche Legitimation mehr oder weniger geschickt instrumentalisierte. Adressat dieser Öffentlichkeitsarbeit war vor allem das Zentrum, und es waren 42 Gordon College, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10442, 14. 9. 1898, S. 1. 43 Vgl. etwa die Todesmeldung Gordons in den Daily News: Death of General Gordon. Telegram from Our Special Correspondent. Terrible Massacres in Khartoum. The Women and Children not Spared. All the Notables Put to the Sword, in: The Daily News, Nr. 12117, 11. 2. 1885, S. 5 f., Zitat S. 6. 44 Zur Widerlegung ­dieses Vorwurfs zitierte sie aus einem Brief Gordons, der der Verbreitung der ‚Zivilisation‘ Vorrang vor der Verbreitung des Christentums einräumte, Gordon College, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10442, 14. 9. 1898, S. 1. 45 The Gordon College at Khartum, in: The Times, Nr. 35689, 2. 12. 1898, S. 7.

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die Medien dieser Partei, die den Schutz der Mission als die zentrale Legitimationsgrundlage der deutschen Militäraktion betonten. Für die konservative und nationalliberale Presse hatten die Missionare zwar ebenfalls eine entscheidende Funktion, allerdings in ihrer Rolle als deutsche Staatsangehörige, die es nun in der ganzen Welt auch mit militärischen Mitteln zu schützen galt.46 So stieß die Intervention zum Schutz der Mission fast in der gesamten Presse­ landschaft auf Zustimmung. Selbst im Vorwärts erschienen nur zwei Artikel, die Kritisches zur Geschichte der christlichen Mission in China enthielten.47 In den Leitartikeln dazu verurteilte er zwar die Instrumentalisierung der Missionare für politische Zwecke, verzichtete aber auf Kritik an diesen selbst.48 Am 10. Dezember sah sich der Vorwärts sogar zu der Klarstellung veranlasst, dass er niemals gesagt habe, „China solle nicht Genugtuung geben für die Ermordung der Missionare“.49 In der hier untersuchten deutschen Presse findet sich zu Beginn der deutschen ‚Weltpolitik‘ der kritischste Artikel zum Wirken der Missionare in China überraschenderweise in der regierungsnahen Kölnischen Zeitung. Der Artikel beginnt mit der Feststellung, dass religiöser Fanatismus den Chinesen eigentlich fremd sei, aber während Buddhismus und Islam in China auf keinen Widerstand gestoßen wären, sei das Christentum verhasst. Grund hierfür sei, dass die christliche Mission China infolge von zwei demütigenden Kriegsniederlagen aufgezwungen wurde. Da die katholischen Missionare unter dem politischen Schutz Frankreichs und die evangelischen unter dem ihrer Herkunftsländer stünden, würden sie als „Eindringlinge“ mit einer „andersartigen Weltanschauung“ betrachtet. Die Missionsgebäude würden rücksichtslos den chinesischen Fengshui-­Glauben verletzen. Auch Waisenhäuser würden kein Verständnis finden, sondern hätten Anlass zu

46 Vgl. Kap. 1.5. 47 Ein Artikel über die „Erschließung“ Chinas thematisierte zum Ende kurz, dass die Chine­ sen nicht an das Evangelium glaubten, da sie wüssten, dass „hinter der frommen ­Predigt sich das Schwert verbirgt“, China’s Erschließung durch die Weltmächte. (Schluß.), in: Vorwärts, Nr. 299, 23. 12. 1897. Am 11. Januar 1898 druckte der Vorwärts zudem einen Brief Friedrich Wilhelms IV., der aus protestantischer Perspektive die Zersplitterung der christlichen Mission in China beklagte, vgl. Friedrich Wilhelm IV. und die chinesische Mission, in: Vorwärts, Nr. 8, 11. 1. 1898. 48 Vgl. etwa: China, in: Vorwärts, Nr. 290, 12. 12. 1897: „Man sieht, die Ermordung der Missionare wird noch goldene Früchte tragen.“ 49 Deutsche Helden, in: Vorwärts, Nr. 288, 10. 12. 1897.

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dem Aberglauben gegeben, dass Missionare Kinder stehlen und töten würden. An ­diesem Punkt warnte die Kölnische Zeitung „Mitteleuropäer“ davor, ­solche Ansichten zum „Prüfstein des Culturzustandes im heutigen China zu nehmen“ und verglich sie mit der zeitgenössischen antisemitischen Darstellung angeblicher jüdischer Ritualmorde in Deutschland. Trotz der ausführlichen Erörterung dieser (und weiterer) Kritikpunkte an den Missionaren schloss der Artikel mit einer positiven Bewertung der Mission und des deutschen Schutzes für diese. Nur wenn alle Staaten eine ­solche Politik der „Festigkeit“ befolgen würden, „wird allmählich auch die Frage der Missionen in China aufhören, für Europa wie für China eine politische und zugleich eine wirtschaftliche Gefahr zu bilden“.50 ­Dieser Artikel, der auch die Perspektive der Chinesen und deren Wahrnehmung der imperialistischen Penetration Chinas im Zusammenhang mit dem Vordringen der Mission thematisierte, war eine Ausnahme in der Kölnischen Zeitung. Insgesamt war die Unterstützung der Mission politisch noch unproblematisch für die deutsche Regierung. Dies änderte sich, als nach Ausbruch des Boxerkriegs eine kritische Debatte über den Beitrag begann, den die Mission zur Eskalation der Gewalt geleistet hatte.51 Für Regierungen wie für die sie unterstützende Presse war die Verbreitung des Christentums in China nun zumeist kein Kriegsgrund mehr, den sie offensiv in den Vordergrund stellten. So schrieb die Times mit Blick auf die Kontroverse über den Beitrag der Missionare an der Eskalation der Gewalt: As far as the present anti-­foreign outbreak is in any way connected to the labours of Christian missionaries the cooperation in its repression of forces drawn from a country like Japan, whose racial and religious affinities are Oriental and not Occidental, cannot fail to produce a salutary moral effect.52

Wilhelm II. forderte in der ‚Hunnenrede‘ die nach China abreisenden Soldaten zwar dazu auf, dafür zu sorgen, dass „das Christentum in jenem Lande seinen Einzug hält“. Diese Passage gehörte aber genauso wie seine Aufforderung, sich an den Hunnen zu orientieren, zu jenen Teilen der Rede, die Bülow vergeblich 50 Mission und Christentum in China, in: Kölnische Zeitung, Nr. 1039, 23. 11. 1897, Zweite Morgen-­Ausgabe. 51 Vgl. Kap. 2.2. 52 The Situation in China, in: The Times, Nr. 36173, 20. 6. 1900, S. 11.

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versuchte aus der Öffentlichkeit zu halten.53 Im Reichstag wies der Zentrumsabgeordnete Carl Bachem zwar die Kritik Bebels und Richters an den Missiona­ ren zurück, er betonte aber zugleich, dass es nicht Aufgabe der Politik sei, das Christentum zu verbreiten. Der Schutz der Missionare sei jedoch etwas anderes. Völkerrechtlich sei es klar, dass „die chinesische Regierung für die Sicherheit unserer Landsleute haftet, mögen sie […] nun Diplomaten, mögen sie Kaufleute oder mögen sie Missionare sein“.54 Nach der Jahrhundertwende spielte die Mission dann kaum noch eine Rolle für die Legitimation imperialer Militäreinsätze. Die britischen Kriege fanden in Regionen statt, in denen nicht missioniert wurde. In Deutschland stießen die Tätigkeiten der Missionare zunehmend auf Skepsis der Kolonialbefürworter. Während des Krieges in Südwestafrika (1904 – 1907) galt die dort tätige rheinische Mission als Hindernis für die Intensivierung der Kolonialherrschaft und sah sich scharfer Kritik ausgesetzt. Die Teilnahme von zum Christentum konvertierten Afrikanern an den Aufständen gegen das Kaiserreich interpretierten prokoloniale Stimmen als Versagen der Missionare. Dass diese von den Aufständischen verschont wurden und selbst nicht an den Kampfhandlungen gegen die Herero teilnahmen, verstärkte den Argwohn gegen die Mission. Im Reichstag sprach Bülow den Missionaren das Recht auf ‚Neutralität‘ ab. In der Folgezeit verbesserte sich das Verhältnis z­ wischen Regierung und Mission allerdings wieder. Ende 1904 nahm Bülow das Angebot der Missionare an, die Aufständischen zur Niederlegung der Waffen und ‚Unterwerfung‘ unter die deutsche Herrschaft zu bewegen.55 In prokolonialen Kreisen hielt die Abneigung gegen die Mission an, trotz derer Dienste zur Beendung des Aufstands. Die Kölnische Zeitung begrüßte zwar die Vermittlung durch die Missionare, warnte jedoch davor, der Mission Einfluss auf die zukünftige Kolonialpolitik einzuräumen. Die Missionare träten immer noch „in erster Linie als Anwälte der Herero auf “. Gerade in Bezug auf die Landverteilung nach Ende des Krieges müsse die Zukunft Südwestafrikas jedoch im Interesse der deutschen Siedler gestaltet werden.56 In Anbetracht der

53 Vgl. Sösemann, Die sog. Hunnenrede, 1976, S. 350, 353. 54 SBR, Bd. 179, 22. 11. 1900, S. 92 – 95, Zitat S. 95. 55 Vgl. Engel, Stellung, 1972, S. 186 – 188, 193 f., 196 – 200; Gründer, Christliche Mission, 1982, S.  127 – 129. 56 Die Lage im Hererolande, in: Kölnische Zeitung, Nr. 21, 7. 1. 1905, Erste Morgen-­Ausgabe.

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scharfen Angriffe prokolonialer Kreise wandelte sich der Vorwärts von einem Kritiker zu einem Verteidiger der Mission. Dass die Missionare von den Herero geschont würden, beweise deren „Dankbarkeit, dass die Missionare sich an ihrer Ausplünderung und Vergewaltigung nicht auch beteiligt haben“.57 Darüber ­hinaus nahm der Vorwärts die Missionare gegen Vorwürfe in Schutz, dass ihnen die Planungen zum Aufstand schon im Vorfeld bekannt gewesen ­seien und sie die Kampfhandlungen gegen die deutschen Truppen unterstützen würden.58 Insgesamt lässt sich also sowohl für Großbritannien als auch für Deutschland beobachten, dass Argumente im Sinne der Zivilisierungsmission und die Unterstützung der christlichen Mission vor allem vor der Jahrhundertwende eine Rolle spielten, danach jedoch an Bedeutung verloren. Doch auch zu Zeiten, in denen die Behauptung, die ‚Zivilisation‘ zu verbreiten, zum Kern der öffentlichen Rechtfertigung eines Krieges gehörte, war die Verbreitung europäischer Werte in der außereuropäischen Welt nicht unumstritten. Der am Ende des 19. Jahrhunderts zunehmende Rassismus führte dazu, dass die Stimmen lauter wurden, die Nichteuropäern die Fähigkeit zur Übernahme der europäischen Kultur absprachen.59 Ausdrücklich findet sich diese Sichtweise in der Pall Mall Gazette, die ihre Position zum Gordon College folgendermaßen formulierte: „What is wanted is an institution which (unlike the Indian schools which have produced that strange monstrosity, the ‚educated‘ Bengali Babu) shall not […] impart too much useless European book-­learning“.60 Diese rassis­ tische Überheblichkeit war typisch für die Kommentierung der britischen Kolonialpolitik in der Pall Mall Gazette. Als sie sich am 8. April 1897 mit der Kritik philanthropischer Kreise und des liberalen Abgeordneten John Morley auseinandersetze, die anklagten, dass das Arbeitsregime im Matabeleland eine Form

57 Eigenartige Meldungen aus Deutsch-­Südwestafrika, in: Vorwärts, Nr. 64, 16. 3. 1904. 58 Lügen über die Hereros, in: Vorwärts, Nr. 66, 18. 3. 1904; Ein Brief Samuel Mahareros, in: Vorwärts, Nr. 83, 9. 4. 1904. 59 Vgl. Osterhammel, „The Great Work of Uplifting Mankind“, 2005, S. 420, der die Idee der Zivilisierungsmission dem Rassismus als „unkorrigierbaren Glauben“ gegenüberstellt, „die Existenz anderer sei primär durch eine biologisch determinierte, unveränderliche Inferiorität bestimmt“. Da alle englischen Zeitungen einhellig die Zivilisierungsmission unterstützten, soll hier der Grad des Rassismus dadurch bestimmt werden, ­welche ­Grenzen bei der Verbreitung europäischer Bildung für nötig gehalten wurden. 60 Gordon College, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10442, 14. 9. 1898, S. 1. „Babu“ war in d ­ iesem Kontext eine pejorative Bezeichnung für europäische gebildete Inder.

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der Sklaverei sei und der dortigen Bevölkerung alle Rechte genommen würden, argumentierte die Gazette gegen Morley: If he meant honest treatment, and just pay, we are entirely with him; but if he implies liberties in the European sense, we disagree absolutely. Natives have to be kept in their places, there can be no doubt about that. They are unfit for freedom, and freedom would bring about the annihilation of the dominant races.61

Eine zur Pall Mall Gazette konträre Position bezog der Manchester Guardian in seinem Kommentar zum Gordon College. Er argumentierte gegen die Ansicht, dass die Verbreitung europäischer Bildung nur die Opposition gegen das Empire stärke: „There are people to whom the spread of education means the spread of sedition. But Lord Kitchener is not one of them.“ 62 Auch wenn der Guardian die Politik der imperialistischen Staaten kritisierte und den Sudankrieg abgelehnt hatte, war er ein überzeugter Anhänger der Zivilisierungsmission und der Überlegenheit der europäischen Kultur, deren Verbreitung er enthusiastischer begrüßte als die imperialistische konservative Presse. Allerdings wäre es verfehlt, der rechten, dezidiert prokolonialen Presse eine durchweg rassistische Grundierung zuzuschreiben. Häufig griffen die Zeitungen auf die Stereotype zurück, mit denen sich ihre politische Position am besten untermauern ließ. Auch die Pall Mall Gazette verfolgte nicht durchgängig eine rassistische Linie in ihrer Berichterstattung über die außereuropäische Welt. Im Fall von Abessinien gehörte sie zu den ersten und stärksten Verfechtern der Anerkennung d ­ ieses afrikanischen Staates.63 So zeichnen sich die Repräsentationen, auf die die Presse zur Untermauerung ihrer Argumente zurückgriff, durch eine gewisse Widersprüchlichkeit aus. Manchmal lässt sich dies nicht nur für bestimmte Zeitungen, sondern sogar in einzelnen Artikeln beobachten. So kommentierte der Vorwärts eine Meldung über einen deutschen Kommandierenden, der nach der Besetzung Kiautschous mit einem Bambusrohr einen chinesischen Dorfvorsteher schlagen ließ, mit den Worten: „[D]er deutsche Michel in Afrika vernegert bis zur Handhabung der Nilpferdpeitsche, in China vermandarint [er] bis zur Handhabung des Bambusrohrs.“ 61 White and Black, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 9995, 8. 4. 1897, S. 1. 62 O. T., in: Manchester Guardian, Nr. 16320, 30. 11. 1898, S. 4 f. 63 Vgl. Kap. 1.2.

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Auch wenn der Vorwärts für seine Angriffe auf die Regierung auf rassistische Stereotype zurückgriff, endete er mit einem flammenden Plädoyer für die Gleichbehandlung aller Menschen. Er stellte die rhetorische Frage, wie groß die Empörung in Deutschland wohl wäre, wenn ein russischer Offizier nach ähnlichen Vorfällen einen deutschen Dorfschulzen verprügeln lassen würde: „Mit ­welchen Recht messen wir denn am Chinesen oder Neger mit einem anderen Maße, als wir selbst gemessen sein wollen?“ Der Artikel schließt mit der Aufforderung: „Gleiches Recht für alles, was Menschenantlitz trägt!“ 64 Wie ­dieses Beispiel zeigt, instrumentalisierte die deutsche Sozialdemokratie durchaus rassistische Stereotype, wenn sich damit die Reichsleitung angreifen ließ. Gleiches gilt für Bebels Versuche, 1898 im Reichstag mit Reden über die Gefahren chinesischer Einwanderung Stimmung gegen die deutsche ‚Weltpolitik‘ zu machen oder das antisemitische Vokabular, mit dem der Vorwärts die Zentrumspartei für deren Unterstützung der Tirpitz’schen Flottenpolitik angriff.65 Noch verbreiteter waren rassistische, insbesondere antisemitische, Vorurteile in der Imperialismuskritik der britischen Linken. Vorwürfe, der Burenkrieg würde nur im Interesse der Kapitalisten geführt, waren häufig antisemitisch gefärbt. Nach dem Burenkrieg schließlich griffen Medien wie das Reynolds’s Newspaper mit Rekurs auf äußerst rassistische Stereotype die Regierung für die Anwerbung chinesischer Vertragsarbeiter für die südafrikanischen Minen an.66 Die koloniale Vorgeschichte des heutigen Rassismus ist somit genauso im Imperialismus wie im Antiimperialismus dieser Zeit zu verorten. Auch die Bedeutung ökonomischer Argumente variierte je nach Presseorgan und dem Militäreinsatz, über den berichtet wurde. In den späten 1890er-­Jahren war die Verbreitung von Freihandel ein wesentliches Argument in der englischen imperialistischen Presse für die Ausweitung des britischen Machtbereichs und ‚free trade‘ ein fester Bestandteil der Zivilisierungsmission. Allerdings stellten die englischen Zeitungen die eigenen ökonomischen Motive zumeist nicht ganz so plakativ in den Vordergrund wie die deutschen Medien. Vielmehr gehörte

64 Mit Bambusrohr und Nilpferdpeitsche, in: Vorwärts, Nr. 296, 19. 12. 1897. Zu d ­ iesem A ­ rtikel vgl. auch Kap. A. 65 Vgl. Kap. 1.5 und Kap 1.8. 66 Vgl. Wegner, Kriegs- und die Kolonialfrage, 2014, S. 125 – 136, sowie The „Colonial“ Achievement – An Alternative Design, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2785, 27. 12. 1903, S. 6 (Abb. 9).

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es zum guten Ton, darauf hinzuweisen, dass die Verbreitung von Freihandel genauso im eigenen wie im Interesse der gesamten Menschheit sei. Auf eine Rede Salisburys hin, der sie zustimmte, beschrieb die Times in einem Kommentar am 10. November 1897 die Ziele der britischen Afrikapolitik als „the extension of commerce, the advance of civilization, the opening of new markets“. Zugleich stellte sie klar: „The policy thus sketched out is for the benefit, not of this country alone, but of all the world.“ 67 Auf deutscher Seite wurden ökonomische Motive weit offener in der öffent­ lichen Debatte vertreten. Die meisten prokolonialen Zeitungen führten vor allem wirtschaftliche Gründe an, um die deutsche Annexion in China zu rechtfertigen, und auch die Regierung stellte stets die ökonomischen Vorteile des neuen außenpolitischen Kurses heraus.68 Allerdings wäre es falsch, von der öffentlichen Darstellung der Regierung auf primär wirtschaftliche Motive des deutschen Imperialismus zu schließen. Während der Samoakrise war es das wichtigste Ziel der deutschen Regierung, die Kontrolle über die symbolbeladenen Inseln zu erlangen; in den Verhandlungen mit Großbritannien waren ökonomische Erwägungen dem angestrebten Popularitätsgewinn untergeordnet.69 Die zentrale Bedeutung wirtschaftlicher Argumente in der Legitimationsarbeit der Regierung und der ihr nahestehenden Presse lässt sich am besten im Rahmen des für die Reichsleitung durchweg zentralen Strebens nach Prestige interpretieren.70 Während des Boxerkriegs stand der Schutz der bedrohten Europäer im Mittelpunkt der Legitimation des Militäreinsatzes. Wirtschaftliche Motive tauchten nur am Rande auf, etwa wenn Verteidiger des Imperialismus auf das Recht der europäischen Staaten verwiesen, China für Handel und ‚Kultur‘ zu öffnen, oder die englische Presse ihre Forderung nach einer führenden Rolle Großbritanniens bei den Entscheidungen über die Zukunft Chinas damit rechtfertigte, dass der eigene Handel mit China den aller anderen Nationen überrage.71 Offensiv vorgebracht wurden wirtschaftliche Argumente aber vor allem vom Vorwärts, wenn er dem „europäischen Kapitalismus“ die Schuld am Ausbruch der Gewalt gab.72

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Ministers at the Guildhall, in: The Times, Nr. 35357, 10. 11. 1897, S. 9. Vgl. Kap. 1.5. Vgl. Kennedy, The Samoan Tangle, 1974, S. 240, 305. Vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 1, 1935, S. 896. Vgl. etwa Kwang-­Hsu Washes His Hand of It, in: Daily Mail, Nr. 1317, 11. 7. 1900, S. 4. Vgl. etwa Der Fremdenkrieg, in: Vorwärts, Nr. 138, 17. 6. 1900.

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Während wirtschaftliche Argumente in der Legitimation des Militäreinsatzes in China noch ihren Platz hatten, bestritten Regierung und die kriegsunterstützende englische Presse in ihren Kommentaren zum Burenkrieg jegliche wirtschaftliche Motive. Salisbury betonte in einer Rede am 9. November 1899: „We seek no gold fields. We seek no territory. What we desire is equal rights for all men and all races and security for our fellow-­subjects and for the Empire.“ 73 Es waren ausschließlich die Kritiker des Krieges im In- und Ausland, die ökono­ misch argumentierten und der britischen Regierung wirtschaftliche Motive unterstellten. Das Reynolds’s Newspaper druckte Nachrichten über den Krieg unter Überschriften wie „The Gold Grabber’s War“ ab.74 Die anglophobe deutsche Presse warf England vor, die Behauptung, die ‚Zivilisation‘ verbreiten zu wollen, sei bloß Heuchelei, in Wahrheit gehe es beim Krieg in Südafrika nur um die Goldminen in der Republik Transvaal.75 Auch nach der Jahrhundertwende griffen die Unterstützer imperialer Militäreinsätze in England nicht mehr auf ökonomische Argumente zurück. Damit unterschied sich die britische Situation grundsätzlich von der in Deutschland. Hier drehte sich die öffentliche Debatte um den Wert der Kolonien, in denen das Kaiserreich Krieg führte. Skeptiker und Befürworter stritten sich um die ökonomischen Zukunftsaussichten von Südwestafrika und Ostafrika. Und die Popularität des 1906 zum Direktor der Kolonialabteilung (1907 dann Staatssekretär) ernannten Bernhard Dernburg hing nicht zuletzt mit seinem Versprechen zusammen, die bislang kaum ertragreichen Kolonien ökonomisch profitabel zu machen.76

73 Zit. nach The Lord Mayor’s Banquet. Lord Salisbury On The War, in: The Times, Nr. 35983, 10. 11. 1899, S. 7. Vgl. auch den unterstützenden Kommentar der Pall Mall Gazette zur Rede, in dem abweichend von der Version der Times die Rede folgendermaßen wiedergegeben wird: „What we desire is equal rights for white men of all races.“ What Must Come, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10802, 10. 11. 1899, S. 1. 74 The Gold Grabbers’ War. Fighting in the Cape Colony. Malan Mortally Wounded. Peace in the Balance, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2703, 1. 6. 1901, S. 3. Vgl. auch Galbraith, Pamphlet Campaign, 1952, S. 119 – 121, zu den Pamphleten der Kriegskritiker. 75 Vgl. Bender, Burenkrieg, 2009, S. 52 – 61, 67 f. 76 Vgl. Kap. 3 sowie Methfessel, Spreading the European Model by Military Means?, 2012, S.  57 f.

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Landnahmen und Kriegsverbrechen: Die imperiale Expansion und das Völkerrecht Fragen der völkerrechtlichen Legalität spielten bei der Debatte über die Legitimität der hier untersuchten Militäreinsätze kaum eine Rolle. Prinzipiell bestritt kaum eine Zeitung das Recht der Kolonialmächte zur Niederschlagung von Aufständen.77 Wenn kritische Stimmen die Regierung angriffen, dann um politische Fehlentscheidungen anzuklagen und etwa der bisherigen Kolonialpolitik eine Mitschuld am Ausbruch der Gewalt zuzuschreiben. So etwa, wenn die oppositionelle Presse während des Aufstands an der indischen Grenzen 1897/98 in der vorherigen Besetzung Chitrals die Ursache des Krieges sah; oder wenn für Gegner der von Chamberlain vorangetriebenen Intensivierung der Kolonialpolitik in Westafrika 1898 die Hüttensteuer zur Rebellion in Sierra Leone führte.78 In solchen Fällen ging es nicht um die völkerrechtliche Legalität der Unterdrückung von Widerstand in den Kolonien, sondern um die kontroverse Auseinandersetzung mit konkreten politischen Entscheidungen. Auch bei militärischen Interventionen in formal unabhängigen Staaten waren juristische Erörterungen nicht entscheidend für die politischen Debatten. Zu Beginn der deutschen ‚Weltpolitik‘ 1897 etwa erfreute sich die Rechtfertigung, zum Schutz bedrohter Landsleute im Ausland einzugreifen, großer Zustimmung. Nur die sozialdemokratische Presse bestritt grundsätzlich die Legitimität des deutschen Vorgehens. So bewertete der Vorwärts die Forderungen an Haiti und die Besetzung Kiautschous als Verstoß gegen das Völkerrecht. Zwar konzedierte er im Fall Kiautschous ein Recht auf Genugtuung. Da die Regierung aber militärisch aktiv geworden war, ohne zuvor den diplomatischen Weg zu gehen, bewertete er die Begründung der Regierung mit dem Mord an den Missionaren als reinen Vorwand, um machtpolitische Ziele durchzusetzen.79 Diese Position war allerdings die Ausnahme in der deutschen Presse, die große Mehrheit der Zeitungen war sich einig darin, dass die Chinesen nur ‚energisches‘ 77 Nach Ausbruch des Aufstands in Südwestafrika enthielt sich sogar die Sozialdemokratie im Reichstag der Stimme, da deutsche Siedler bedroht waren, vgl. Kap. 3.3. Später stimmte sie zwar gegen alle Mittel für den dortigen Militäreinsatz, aber die anfängliche Enthaltung zeigt doch, dass es sich für sie um keine völkerrechtliche Prinzipienfrage handelte, sondern um eine Frage der politischen Beurteilung. 78 Zur Debatte über die Besatzung Chitrals vgl. Kap. 1.3, zu Sierra Leone s. u. 79 Im Reichstag argumentierte Bebel ausdrücklich, dass in solchen Fällen die deutsche Regierung bei der Verweigerung von Genugtuung „verpflichtet ist, mit allem Nachdruck, der ihr zu Gebote steht, gegen das fremde Land vorzugehen“. SBR, Bd. 160, 8. 2. 1898, S. 899.

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Vorgehen verstehen würden, und äußerte keine Zweifel an der deutschen Rechtsposition. Die Annexion des besetzten Territoriums war zwar ein heikleres Thema, aber hier betrachtete die Presse vor allem mögliche imperiale Rivalitäten als Problem.80 Vom Vorwärts abgesehen, äußerte nur die Kölnische Volkszeitung einmal Zweifel an der Legalität der Landnahme. Falls die chinesische Regierung die Sühneforderungen vollständig erfülle, so das Zentrums­blatt, „würde der dauernden Besitznahme der Kiautschau-­Bai der völkerrechtliche Boden entzogen sein“.81 Insgesamt dominierte aber die Position, dass Deutschland das ­gleiche Recht auf einen Flottenstützpunkt habe wie die anderen Mächte. Mit dem Abkommen über die Abtretung Kiautschous Anfang Januar 1898 schien die Legitimität des deutschen Vorgehens bestätigt, die Germania etwa schrieb von der „freundschaftlichen und modern völkerrechtlichen Art“ der chinesischen Zugeständnisse.82 Die britische Presse bezweifelte zwar die völkerrechtliche Korrektheit der Annexion Kiautschous durch Deutschland. Die Empörung hierüber war jedoch begrenzt, wie der Manchester Guardian enttäuscht anmerkte. Am 20. Dezember 1897 bezeichnete er die deutsche Aktion als besondere Missachtung der Konventionen, die als „protection to civilised nations in their dealings with one another“ dienten.83 Am Folgetag lehnte er die Forderung nach Kompensationen für das eigene Land ab. Gegen Pressestimmen, die der Regierung die Unterstützung des Volkes für die kommende britische „Plünderung“ versicherten, erinnerte er Premierminister Salisbury daran, dass es im Lande auch Personen gebe, die „internationale Verbrechen“ ablehnen würden. Großbritannien habe zwar „legitime Interessen“ in China, sollte diese aber auch mit „legitimen Methoden“ durchsetzen.84 Anders als der Guardian begnügten sich die meisten englischen Zeitungen jedoch damit, das deutsche Vorgehen in China mit der deutschen Verurteilung des Jameson Raid zu vergleichen.85 80 Vgl. Kap. 1.5. 81 Die Bewegungen der deutschen Kriegsflotte, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 842, 20. 11. 1897, Zweites Blatt. 82 Über die Beziehungen z­ wischen Deutschland und China, in: Germania, 11. 1. 1898, Zweites Blatt. 83 O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16025, 20. 12. 1897, S. 4. 84 O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16026, 21. 12. 1897, S. 7. 85 Vgl. etwa o. T., in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10204, 8. 12. 1897, S. 2; The German Dr. Jim, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10228, 6. 1. 1898, S. 1.

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Abgesehen von den USA und Japan betrachtete man nichteuropäische Staaten nicht als völkerrechtlich gleichwertig. Den Vorschlag Haitis, den Konflikt durch ein Schiedsgerichtsverfahren zu lösen, betrachtete man in Berliner Regierungskreisen als Unverschämtheit.86 Zur Nachricht, dass China eine Lösung des Konfliktes mit Deutschland durch ein Schiedsgericht wünsche, schrieb der B ­ erliner Lokal-­Anzeiger, dass „dies wohl nur ein einseitiges Vorgehen der Pekinger Kreise“ sei.87 Ernsthaft erörterte die deutsche Presse diese Option nicht. Zum Einsatz von Schiedsgerichten kam es nur bei Konflikten ­zwischen ‚Großmächten‘. So übertrug man während der Samoakrise die Frage von Reklamationen für die durch die angloamerikanische Intervention verursachten Schäden an ein Schiedsgericht, das damit auch die Verantwortung hatte, über die Notwendigkeit des Militär­einsatzes zu urteilen.88 Während der Venezuelakrise führte amerikanisches Drängen dazu, dass Großbritannien und Deutschland eine Beilegung des Konflikts durch ein Schiedsgericht akzeptierten.89 Auch in den öffentlichen Auseinandersetzungen über die häufig sehr brutale Kriegsführung der imperialistischen Truppen spielten juristische Erörterungen kaum eine Rolle. Wenn kolonialskeptische Medien das Vorgehen der Truppen vor Ort kritisierten, dann kontrastierten sie die Kriegsführung in den Kolonien oft mit der in Europa. In ­diesem Sinne forderten sie, auch im Kampf gegen ‚Barbaren‘ den Werten der eigenen ‚Zivilisation‘ treu zu bleiben und etwa Verwundete nicht zu töten. Der Verweis auf die Regeln der Kriegsführung blieb aber vage, eine ausführliche Auseinandersetzung mit der 1864 beschlossenen Genfer Konvention erfolgte selten (sie war für Kolonialkriege ohnehin nicht bindend). Am häufigsten finden sich ausdrückliche Verweise auf das Völkerrecht in der Kritik an der britischen Kriegsführung während des Burenkriegs. Wohl vor allem, weil das Empire gegen einen ‚weißen‘ Gegner kämpfte, hatte der Vorwurf, dass die Briten in Südafrika gegen völkerrechtliche Prinzipien verstießen, größere

86 Vgl. Vagts, Deutschland, Bd. 2, 1935, S. 1715 f. Wilhelm II. kommentierte den haitianischen Vorschlag folgendermaßen: „Ich nehme überhaupt kein Schiedsgericht an, wo ich mir mit meinen Kanonen Recht besorgen kann“, zit. nach ebd., S. 1716. 87 deutsch-­chinesischen Konflikt, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 567, 4. 12. 1897, 1. Ausgabe. 88 Zur Freude der deutschen sowie zum Ärger der amerikanischen und englischen Presse kritisierte das Gericht 1902 die Militäraktion und entschied im Sinne der deutschen Entschädigungsforderungen, vgl. Kennedy, The Samoan Tangle, 1974, S. 280 – 282. 89 Vgl. Kap. 3.5.

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Brisanz als üblicherweise in den Debatten über Kolonialkriege.90 Ansonsten bildeten Verweise auf juristische Normen eine Ausnahme in den politischen Auseinandersetzungen über imperiale Militäreinsätze. Die Kontroversen drehten sich eher darum, ob eine bestimmte Vorgehensweise im konkreten Fall angemessen war. So stießen in Teilen der englischen Öffentlichkeit auch Maßnahmen auf Ablehnung, die mit dem europäischen Kriegsrecht durchaus vereinbar waren, wie etwa das massenhafte ‚Abschlachten‘ des Gegners mit Maschinengewehren im Matabelekrieg und im Sudan.91 Insgesamt war die Wirkung der Kritik an den Methoden des Militärs jedoch begrenzt. Die kriegsunterstützende Presse argumentierte regelmäßig, dass in den Kolonien nun einmal andere Methoden notwendig ­seien als in Europa. Wenn ein Militäreinsatz wie der Feldzug im Sudan populär war, änderten ­solche Kontroversen wenig an dem vorherrschend positiven Bild des Krieges.92 Kaum ein Thema der Berichterstattung waren zudem die Auswirkungen der Kriegsführung auf die Zivilbevölkerung in den betroffenen Regionen. Während des indischen Grenzkrieges warf der Manchester Guardian der Regierung zwar „the burning of villages, the destroying of thousands of fruit trees, and the ­exposure of the Pathan’s women and children to death by hunger or frost-­bite“ vor.93 Entscheidend für die öffentliche Debatte waren ­solche Argumente aber nicht, im Fokus der Kritik standen (auch im Guardian) die politischen Ursachen des Aufstands. Innerhalb des hier behandelten Zeitraums bildete das Leiden der Zivilbevölkerung nur bei zwei Kolonialkriegen ein wichtiges Thema der Berichterstattung. Zum einen in der Darstellung der spanischen Aufstandsbekämpfung auf Kuba, hier drangen amerikanische Schilderungen über Hunger und Leid der kubanischen Zivilbevölkerung in die europäische Öffentlichkeit (und trugen in den USA zur Legitimierung des Spanisch-­Amerikanischen Krieges bei). Auch die keineswegs amerikafreundliche Freiburger Zeitung druckte am 29. Januar 1898 einen solchen Bericht, dem zufolge man dort überall „halbnackte, bis zum Skelett abgemagerte Frauen und Kinder umherirren und um Brot jammern“ sehe.94 Zum anderen lösten Berichte über die Situation burischer Frauen und

90 91 92 93 94

Vgl. Bender, Burenkrieg, 2009, S. 112 f. Vgl. auch Berenson, Heroes, 2011, S. 13. Vgl. auch Methfessel, Spreading the European Model by Military Means?, 2013, S. 48 f. O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16074, 16. 2. 1898, S. 6 f. Von den entsetzlichen Zuständen auf Kuba, in: Freiburger Zeitung, Nr. 23, 29. 1. 1898.

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Kinder in den ‚concentration camps‘ Empörung in der kontinentaleuropäischen Öffentlichkeit und eine heftige Kontroverse in der englischen Presse aus. Entscheidend hierfür war, dass die betroffene Zivilbevölkerung weiß war, das L ­ eiden der in Camps internierten afrikanischen Bevölkerung fand kaum Interesse in der europäischen Öffentlichkeit.95

Kriegsgegner und Krisenregionen: Kolonialpolitische Kontroversen Wurden die Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung nur selten thema­tisiert, so standen Fehler der vergangenen Kolonialpolitik und damit verbundene Ungerechtigkeiten gegenüber der beherrschten Bevölkerung häufig im Fokus der öffentlichen Debatte. Besonders oppositionelle Zeitungen und Parteien versuchten auf diese Weise die Regierung anzugreifen und ihr eine Mitschuld am Ausbruch der Gewalt zu geben. Solche Vorwürfe und die typische Reaktion der Kolonialbefürworter hierauf lassen sich etwa in der Kontroverse um den Ausbruch der Rebellion in Sierra Leone 1898 beobachten. Die Berichterstattung über diesen Krieg war dabei eng mit der Diskussion um die von Chamberlain vorangetriebene Intensivierung der Kolonialherrschaft in Afrika verbunden.96 Die britische Präsenz in Sierra Leone beschränkte sich lange auf das Küstengebiet, hier siedelte das Empire in der Stadt Freetown und der Umgebung befreite Sklaven an. Erst 1896 wurde das britische Protektorat über das ‚Hinterland‘ der Kolonie deklariert. Der Gouverneur von Sierra Leone, Frederick Cardew, arbeitete zielstrebig daran, dort den britischen Einfluss auszubauen. Zur Finanzierung von Verwaltung und Infrastruktur führte er eine Hüttensteuer ein, die von Anfang 1898 an eingetrieben wurde. Im Februar stieß die Steuer im Norden des Protektorats auf Widerstand, der schließlich in einen gewaltsamen Konflikt mündete.97 Unmittelbar nach Ausbruch des Aufstandes waren sich alle Teilnehmenden der öffentlichen Debatte darin einig, dass die Einführung der Hüttensteuer für die Eskalation der Gewalt verantwortlich sei. Für den Guardian war die Kolonialadministration Schuld am Ausbruch des Konfliktes, er bezeichnete es als 95 Vgl. Krebs, Gender, 1999, S. 32 – 79. 96 Vgl. Kap. 1.8. 97 Vgl. auch Abraham, Bai Bureh, 1974, dem zufolge der Ausbruch des militärischen Konfliktes auf britische Initiative zurückging.

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„a little paradoxical“, dass man im Namen einer Hüttensteuer Dörfer abbrenne, und forderte die Regierung auf, die Steuer sofort zu suspendieren und die Aussöhnung mit den Aufständischen zu suchen.98 Ein Liverpooler Händler griff in einem Interview mit der Pall Mall Gazette die Legitimität der Hüttensteuer scharf an, er bezeichnete sie als „unjust and tyrannical policy“ und forderte die Abberufung des Gouverneurs.99 In einer ersten Reaktion auf den Ausbruch des Konfliktes betrachtete auch Chamberlain die Hüttensteuer als Fehler und Gouverneur Cardew als Verantwortlichen für den Aufstand. Nur die Sorge um das Prestige des Empires hielt Chamberlain davon ab, die Politik Cardews öffentlich zu verurteilen. Dieser konnte jedoch im Mai Chamberlain davon überzeugen, dass die Hüttensteuer keinesfalls der Hauptgrund für den Krieg sei, sondern dass es sich um einen Aufstand gegen das Vordringen der ‚Zivilisation‘ in das ‚barbarische‘ Hinterland Sierra Leones handle.100 Ein ähnlicher Meinungswandel lässt sich in der regierungsnahen Times beobachten. Auch hier galt die Hüttensteuer zunächst als Ursache des Aufstandes, wenngleich die Times diese Einschätzung nicht mit einer Kritik an der Kolonialadministration verband.101 Am 10. Mai veröffentlichte sie jedoch einen Brief von E. Graham Ingham, dem ehemaligen Bischof von Sierra Leone, der Cardew und die Hüttensteuer verteidigte.102 In einem längeren Artikel argumentierte am 27. Juni ein Korrespondent aus Sierra Leone dann, dass die Rolle der Hüttensteuer überschätzt werde, der Aufstand richte sich hauptsächlich gegen die Bekämpfung von Sklaverei und 98 Zitat in o. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16142, 6. 5. 1898, S. 5; vgl. auch o. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16130, 22. 4. 1898, S. 5; o. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16133, 26. 4. 1898, S. 7; o. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16139, 3. 5. 1898, S. 7; o. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16143, 7. 5. 1898, S. 9. 99 The Hut-­Tax Question in West Africa. [From a Liverpool Correspondent.], in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10329, 5. 5. 1898, S. 3. Er fuhr fort: „[I]f your own tax collectors adopted the system of arriving in front of our doors with a body of police, summoning us to pay at once, and, if we did not happen to have the money handy, pulling down our houses about our ears, insulting our wives and daughters, and ransacking our whole belongings, I think there would be a rebellion in England before many days were over.“ 100 Vgl. Hargreaves, Establishment, 1956, S. 73 f. 101 Vgl. The Disturbances in Sierra Leone, in: The Times, Nr. 35486, 9. 4. 1898, S. 4; The Colonies. The Disturbances in Sierra Leone, in: The Times, Nr. 35511, 9. 5. 1898, S. 12. 102 E. Graham Ingham, Sierra Leone. To the Editor of the Times, in: The Times, Nr. 35514, 12. 5. 1898, S.  7.

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Kannibalismus im britischen Protektorat.103 In einem Kommentar am gleichen Tag stellte die Times der Kritik an der Hüttensteuer die Ausführungen des Korrespondenten gegenüber und schloss sich der letzteren Position an. Die Unruhen in Sierra Leone s­ eien „one more instance of the resistance which barbarous social organism everywhere offer to the introduction of the first rudiments of order and justice“.104 In Reaktion auf die Kontroverse entsandte die Regierung einen Royal Commissionar, David Chalmers, nach Sierra Leone. Chalmers erreichte Freetown im Juli 1898 und blieb dort vier Monate, um Zeugen zu befragen. Im Januar 1899 reichte er einen Bericht beim Colonial Office ein, in dem er Hüttensteuer und Kolonialverwaltung für den Aufstand verantwortlich machte. Nach kurzem Schwanken entschied sich Chamberlain, Cardew die Möglichkeit zu einer Gegendarstellung einzuräumen. Den beiden Stellungnahmen fügte das Colonial Office einen dritten Teil hinzu, als dessen Autor Chamberlain angegeben wurde und der in den wesentlichen Punkten die Position Cardews unterstützte.105 Auch die Times bezog in ihrem Kommentar am 27. Juli im Sinne Cardews und Chamberlains Stellung. Sie machte vor allem die Ausbreitung der ‚Zivilisation‘ für den Ausbruch der Gewalt verantwortlich, nicht die Hüttensteuer, und kriti­ sierte Chalmers dafür, dass er die Frage der Sklaverei in seinem Bericht ignorierte hätte. Nicht nur Cardew, sondern auch „Mr. Parkes, the native Secretary for Native Affairs, […] and the missionaries“ wären sich einig, dass die Sklaverei ein wesentlicher Faktor für den Ausbruch des Aufstandes gewesen sei. Der Vorschlag Chalmers, die frontier police abzuschaffen und stattdessen stärker mit den politischen Führern im Protektorat zusammenzuarbeiten, hielt die Times für nicht geeignet, die Sklaverei zu bekämpfen.106 In der Pall Mall Gazette erschien schon am 24. Juli, einen Tag vor der Veröffentlichung des Berichts, ein Gastbeitrag, in dem der Autor prognostizierte, dass die Hüttensteuer beibehalten und die Regierung dabei wohl auf keinen ernsthaften Widerstand treffen werde – die Handelskammern von Manchester und Liverpool hätten deshalb zuletzt auf Kritik am Colonial Office verzichtet. Der

103 The Rising in Sierra Leone. (From a Correspondent), in: The Times, Nr. 35553, 27. 6. 1898, S. 4. 104 The Disturbances in Sierra Leone, in: The Times, Nr. 35553, 27. 6. 1898, S. 11. 105 Vgl. Hargreaves, Establishment, 1956, S. 75 – 79. 106 The Sierra Leone Papers, in: The Times, Nr. 35892, 27. 7. 1899, S. 9.

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Autor hielt indessen an der Kritik direkter Steuern in Westafrika fest.107 Anders die Pall Mall Gazette, für die der Chalmers-­Report zwar zeigte, dass Cardew mit der Hüttensteuer zu überstürzt vorgegangen sei, dessen Kritik an der frontier police und der Schwächung der afrikanischen Führer im Protektorat sie jedoch nicht zustimmen mochte. Insgesamt hielt sie den Kurs von Chamberlain, die Hüttensteuer fortzuführen, aber in Einzelfällen ganz oder teilweise erlassen zu können, für vernünftig.108 Cardew verstand es also geschickt, den Aufstand gegen eine unterdrückende Kolonialadministration in eine Rebellion gegen das Vordringen von ‚Zivilisation‘ und die Bekämpfung von Sklaverei umzudeuten. Gerade für Westafrika, das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Schwerpunkt der englischen Antisklaverei-­Bewegung war, konnte eine ­solche Interpretation symbolische Kraft gewinnen.109 In anderen Fällen erwies sich die Debatte über die Ursachen von Aufständen als weit gefährlicher für die Regierung. Während des Krieges an der indischen Grenze 1897/98 gelang es der prokolonialen Presse kaum, den Ausbruch der Gewalt als unvermeidbare Reaktion auf das Vordringen von ‚Zivilisation‘, Kultur und Fortschritt darzustellen. Die Expansion in diese Region erschien allgemein wenig attraktiv, sodass der Vorwurf oppositioneller Zeitungen und Politiker, die vorherige Besatzung Chitrals habe zum Aufstand geführt, durchaus politische Durchschlagskraft gewinnen konnte.110 Neben den Ursachen bildeten die politischen Ziele ein wichtiges Thema in den Debatten über Kolonialkriege und imperialistische Interventionen. Hier lässt sich beobachten, dass die Position eines Presseorgans häufig mit einer bestimmten Beschreibung des Kriegsgegners einherging. So schrieb der Manchester ­Guardian während des Aufstands in Sierra Leone: „The truth is that the West African races are not difficult to govern if they are treated with fairness and tact“.111 Diese Repräsentation des Gegners diente zum einen dazu, die Schuld der Kolonialverwaltung am Ausbruch des Aufstandes zu belegen, zum anderen passte sie zur Linie des Guardians, eine Politik der Aussöhnung mit den Aufständischen zu fordern.

107 E. D. M., The Hut-­Tax in West-­Africa, in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10709, 24. 7. 1899, S.  1 f. 108 O. T., in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10712, 27. 7. 1899, S. 2. 109 Vgl. Porter, Trusteeship, 1999, S. 206, 212. 110 Vgl. Kap. 1.3. 111 O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16171, 9. 6. 1898, S. 7.

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Ähnlich ging bei dem erwähnten Liverpooler Händler, den die Pall Mall Gazette interviewte, die Kritik an der Kolonialpolitik der Regierung mit einer positiven Darstellung des Gegners einher. Dieser Händler warf der Regierung vor, durch ihre Behandlung des Anführers der Aufständischen, Bai Bureh, unmittelbar vor der Eskalation der Gewalt die Schuld für den weiteren Gang der Ereignisse zu tragen: „The height of folly was reached when Baibureh, the Timini chief, who has been our ally in several of our small wars in the Protectorate, was nominally deposed by the Governor“.112 Der Times-­Korrespondent hingegen erwähnte, dass Bai Bureh in der Vergangenheit schon mit und gegen die Briten gekämpft habe, und beschrieb ihn als „illiterate and ignorant chief “.113 Chamberlain nannte Bai Bureh im Parlament einen „turbulent chief – constantly engaged in native wars and slave-­raiding expeditions“, um dessen Exilierung nach dem Krieg zu rechtfertigen.114 Ähnlich war während des Sudankriegs die Darstellung des Khalifa als Tyrann mit dem Ziel des Regime Change verbunden.115 Die Kontinuität in der Beschreibung des Khalifa war jedoch die Ausnahme in der Repräsentation der Gegner des Britischen Empires. Wenn sich ein Krieg länger hinzog, schlugen negative Charakterisierungen häufig in positivere um, wobei sich gleichzeitig auch die Debatte über die Ziele des Militäreinsatzes wandelte. Während des Grenzkriegs in Indien 1897 war die zunehmend respektvollere Beschreibung des härtesten Gegners, der Afridis, eng mit dem politischen Ziel verbunden, diesen zukünftig in die eigene Imperialpolitik einzubinden. Die Anzeichen der Kooperationsbereitschaft der Afridis am Ende des Krieges waren für die imperialistische Presse der größte Erfolg.116 Zu Beginn des Krieges in Südafrika 1899 stellte die englische Presse die Buren häufig als unzivilisiert dar, in vielerlei Hinsicht griff die Repräsentation des Kriegsgegners auf gängige Stereotype des Außereuropäischen zurück. Allerdings wuchs mit der Zeit der Respekt vor den Buren.117 Dabei erfüllte die zunehmend

112 The Hut-­Tax Question in West Africa. [From a Liverpool Correspondent.], in: The Pall Mall Gazette, Nr. 10329, 5. 5. 1898, S. 3. 113 The Rising in Sierra Leone. (From a Correspondent), in: The Times, Nr. 35553, 27. 6. 1898, S. 4. 114 Hansard Commons, Bd. 76, 7. 8. 1899, cc 16. 115 Vgl. Kap. 1.2. 116 Vgl. Kap. 1.3. 117 Vgl. Morgan, Boer War, 2002, S. 3, 5 f.

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positivere Charakterisierung des Kriegsgegners die Funktion, nach Ende des Krieges eine Kooperation mit ­diesem als wünschenswert und möglich erscheinen zu lassen. So kommentierte die Times den Friedensschluss mit den Buren: The many noble qualities displayed by the burghers in the course of the struggle have made a profound impression on the race which is proud to see them beneath its flag, and have intensified the desire we have felt all along to treat them with the utmost consideration which prudence would permit. […] It will be our object to induce them to transfer to the Empire King Edward rules the splendid patriotism they have ­cherished for the petty States to which they have hitherto belonged, and the terms we grant them on their admission ought to facilitate our task.118

Im Verlauf des Krieges in Somalia wurde auch der Mullah immer weniger als typischer religiöser Fanatiker angesehen. Die zunehmende Anerkennung seiner politischen und militärischen Fähigkeiten hat sicher mit dazu beigetragen, dass die englische Presse nach einem langen und zermürbenden Krieg den italienischen Vertrag mit dem Mullah begrüßte. Auf diese Weise erkannte sie den ehemaligen Gegner als legitimen politischen Akteur in Somalia an.119 Damit unterschieden sich die britischen Deutungsrahmen von langandauernden Guerillakriegen erheblich von den deutschen.120 Wie insbesondere die Debatte über den Krieg in Südwestafrika zeigt, war den Unterstützern der Kolonialpolitik des Kaiserreichs jedes Entgegenkommen gegenüber nichteuropäischen Gegnern

118 The Terms of Surrender, in: The Times, Nr. 36784, 3. 6. 1902, S. 9. Vgl. auch Methfessel, Europa, 2012, S. 74, zur Daily Mail. 119 Vgl. Kap. 3.1. 120 Vgl. Lindner, Koloniale Begegnungen, 2011, S. 222, die in Bezug auf deutsche Militäraktionen in Ostafrika argumentiert, dass das deutsche Vorgehen sich im Vergleich zum britischen „stärker an einem Prestigedenken orientierte“ und „kaum Kompromisse bei Auseinandersetzungen mit der afrikanischen Bevölkerung tolerierte“. Zu solchen deutschen Spezifika vgl. auch Hull, Absolute Destruction, 2005, etwa S. 12 f., 137, 177, 180. Während die genannten Studien die Kriegsführung in den Kolonien behandeln, richtet diese ­Studie den Blick auf die Erwartungen der heimischen Öffentlichkeiten an die Truppen. Auf diese Weise können auch Unterschiede ­zwischen Deutschland und England aufgezeigt werden, wenn – was durchaus vorkam – die deutsche Kolonialpolitik vor Ort pragmatisch war und Kompromisse nicht ausschloss, wie etwa im Fall des Vorgehens des deutschen Gouverneurs in Samoa 1909, vgl. hierzu Kap. 3.4.

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suspekt. Forderungen nach Verhandlungen wurden, wenn überhaupt, vor allem von ohnehin kolonialskeptischen Stimmen erhoben. Dabei argumentierten die bürgerlichen Parteien und Medien weitaus vorsichtiger, als dies in England der Fall war, und sprachen sich etwa für ‚Gnade‘ oder einen Kurs der ‚friedlichen Unterwerfung‘ aus. Nur die Sozialdemokratie setzte sich offensiv für Verhandlungen mit Aufständischen ein und schloss dabei auch Zugeständnisse von deutscher Seite nicht aus. Als es am Ende des Krieges gegen die Nama dennoch zu Verhandlungen kam, sprachen amtliche Stellen stets von der ‚Unterwerfung‘ des Gegners, um die Meldungen über Verhandlungen mit der in der prokolonialen Öffentlichkeit vorherrschenden politischen Stimmung in Einklang zu bringen.121 Sicherlich ging auch die englische Debatte über Verhandlungen stets mit der Darstellung typisch kolonialer Hierarchien einher. Aber dies schloss es nicht aus, den ehemaligen Gegner als politischen Akteur anzuerkennen und in die zukünftige Kolonialpolitik einzubinden. Auch betonte die Presse häufig die guten und freundlichen Beziehungen, die nach dem Ende des Konflikts ­zwischen beiden Seiten herrschten. In deutschen prokolonialen Kreisen wäre eine ­solche Schilderung als unerwünschte Schwäche ausgelegt worden. Die genannten britischen Militäreinsätze mögen in vielen Punkten nicht mit dem Krieg in Südwestafrika vergleichbar sein, unterschieden sich jene bezüglich ihrer politisch-­geographischen Bedingungen doch erheblich von ­diesem. Aber auch den Zweiten Matabelekrieg im südlichen Afrika konnten die Briten 1897 durch Verhandlungen beenden. Dieser Krieg fand genauso wie der in Südwestafrika in einer Siedlerkolonie statt und begann in der Darstellung englischer Zeitungen mit der Ermordung von ‚Weißen‘. Dennoch trugen gerade die Berichte über die Verhandlungen, die Cecil Rhodes mit den Aufständischen führte, zur Popularität der expansionistischen Politik in dieser Region bei.122 Nicht nur die Darstellung des Gegners, auch die Repräsentation der Kriegs- und Krisengebiete war eng mit der politischen Debatte verbunden. Wenn sich mit Beginn einer Militäraktion die Frage nach einer Erweiterung des eigenen Kolonialterritoriums stellte, stritten Befürworter und Gegner der Expansion über den Wert des betroffenen Gebietes. Ein für Europäer freundliches Klima, ein fruchtbarer Boden oder Bodenschätze konnte eine Annexion attraktiv erscheinen lassen. Umgekehrt

121 Vgl. Kap. 3.3. 122 Vgl. MacDonald, Language, 1994, S. 136 f.

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galt Westafrika als ‚white man’s grave‘ und das dortige Klima als tödlich für Europäer.123 Wenn der Manchester Guardian im Rahmen der Berichterstattung über den Aufstand in Sierra Leone am 7. Mai 1898 schrieb, dass die Hüttensteuer zu einem Krieg „in one of the worst climates in the world“ geführt habe, versuchte er ­dieses Bild Westafrikas gegen die Regierung zu wenden und die Dringlichkeit seiner Forderung nach einer Aussöhnung mit den Aufständischen zu unterstreichen.124 Allerdings schien das Klima Westafrikas aufgrund der Fortschritte in der Tropen­medizin Ende des 19. Jahrhunderts weniger gefährlich zu werden. In einem Artikel vom 5. April 1899 schrieb ein Times-­Korrespondent: [T]he unenviable notority that Sierra Leone has gained as the white man’s grave is to be attributed to the faulty economic policy hitherto pursued, which, while starving the colony, has left no funds for making roads and opening up the back country, and has thus confined the Europeans to the unhealthy sea fringes.125

Für den Ausbau der Infrastruktur – so der Korrespondent – sei allerdings die Hüttensteuer nötig, die inzwischen wieder problemlos eingetrieben werde.126 Zudem warben Chamberlain und die ihn unterstützende Presse für die ‚Colonial Loans Bill‘ 1899 mit dem Argument, dass die Region nicht als Siedlungs­ gebiet für Europäer, sondern vor allem wegen ihrer Bodenschätze relevant sei.127 Die Daily Mail kommentierte, dass die britischen Territorien in Westafrika zwar „unhealthy“ ­seien, aber zu den „richest and most promising possessions of the Crown“ gehörten.128 Wenige Wochen nach der Verabschiedung der ‚Colonial Loans Bill‘ konnten die Zeitungen zudem berichten, dass Ronald Ross in Sierra Leone die – oder eine der – Moskito-­Spezies identifiziert hatte, die in den Tropen Malaria überträgt, für die Times ein „forward step in the direction of rendering the tropics habitable by Europeans“.129 123 Vgl. Headrick, Tools, 1981. 124 O. T., in: The Manchester Guardian, Nr. 16143, 7. 5. 1898, S. 9. 125 The Present and Future of Sierra Leone. (From a Correspondent.), in: The Times, Nr. 35795, 5. 4. 1899, S.  8. 126 Vgl. ebd. 127 Vgl. Colonial Finance and Imperial Credit, in: The Times, Nr. 35898, 3. 8. 1899, S. 9. 128 To Develop the Empire, in: Daily Mail, Nr. 1024, 3. 8. 1899, S. 4. 129 The Malaria Mosquito, in: The Times, Nr. 35915, 23. 8. 1899, S. 7. Ross sollte 1902 für seine Forschungen den Nobelpreis für Medizin bekommen.

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Weniger umstritten als der Wert der westafrikanischen Kolonien war die Frage nach dem Ausbau der britischen Herrschaft im Inneren Somalias. Die allgemein verbreitete Darstellung dieser Region als für Europäer gefährliche Wüstenlandschaft trug erheblich dazu bei, dass parteiübergreifend eine Expansion in das Innere Somalias wenig erstrebenswert erschien.130 Auch während des britischen Krieges im Nord-­Westen Indiens 1897/98 sprachen die Beschreibungen des Krisengebiets nicht für eine Ausweitung des Territoriums aus wirtschaftlichen Gründen. Stattdessen verwiesen Anhänger der ‚forward policy‘ auf Sicherheitsinteressen, und die Öffentlichkeit diskutierte die strate­ gische Bedeutung der Region und die Vorzüge und Nachteile unterschied­licher Grenzkonzepte.131 Die Berichterstattung über nichteuropäische Räume war dabei entscheidend von den Konventionen der geographischen Reiseberichte geprägt, die seit Ende des 18. Jahrhunderts das Interesse der europäischen Öffentlichkeit fanden.132 Nach Ausbruch eines Konfliktes waren die Zeitungen bestrebt, die Leserschaft mit einer zuvor vielen unbekannten Region vertraut zu machen. Dazu griffen sie häufig auf ältere Forschungsberichte zurück, oft verfassten Geographen auch Gastbeiträge für die Presse. Manchmal berichteten die Zeitungen zudem über Veranstaltungen geographischer Vereine, in denen Vorträge über die betroffene Region gehalten wurden.133 Auch die Beschreibungen von Militärs, Händlern und Diplomaten, die auf persönliche Erfahrung im Krisengebiet verweisen konnten, bewegten sich innerhalb der Konventionen des geographischen Genres. Während des Grenzkriegs in Indien stellte die Times die geographische Erfassung der Region als einen Erfolg des (an Erfolgen nicht reichen) Krieges dar.134 So schrieb sie am 27. August 1897 zur Tätigkeit eines Kommandeurs vor Ort, Sir Bindon Blood: „He is able to add to our knowledge of geography undisturbed; and […]

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Vgl. Kap. 3.1. Vgl. Kap. 1.3. Vgl. Schröder, Das Wissen von der ganzen Welt, 2011. Vgl. etwa The Benin Expedition. A Traders Visit to the King, in: The Manchester Guardian, Nr. 15740, 21. 1. 1897, S. 10, zu einem Vortrag der Liverpool Geographical Society anlässlich des jüngst begonnenen Krieges gegen das westafrikanische Königreich Benin, sowie Kiaotschau-­Bucht, in: Berliner Lokal-­Anzeiger, Nr. 30, 19. 1. 1898, 2. Ausgabe, zu einer Veranstaltung des Vereins für Erdkunde in Halle (Saale). 1 34 Vgl. The Submission of the Afridis, in: The Times, Nr. 35484, 7. 4. 1898, S. 7.

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the reconnoissance up the Karakar Pass has made known a beautiful country as yet unvisited by Europeans.“ 135 Die Forschungsreisenden prägten allerdings nicht nur die Konventionen der Darstellung nichteuropäischer Regionen, sie konnten auch selbst Thema der Medien sein. So erinnerte Leander Starr Jameson in seinem erwähnten Vortrag über den Matabelekrieg an die Arbeit des berühmten Afrikaforschers David Livingstone im Bechuanaland, um die britische Expansion im südlichen Afrika in einem helleren Licht erstrahlen zu lassen.136 Das hohe Prestige, das die wissenschaftlichen Reisen ins Innere Afrikas in der europäischen Öffentlichkeit genossen, lässt sich auch daran ablesen, dass die Kritiker der imperialen Expansion sich ebenfalls auf die Ikonen der Afrikaforschung beriefen. Für den Vorwärts waren die Reisen in der Mitte des 19. Jahrhunderts der Beleg, dass die Kontakte ­zwischen Europäern und Nichteuropäern nicht von Gewalt geprägt sein mussten: „Jahrzehntelang haben europäische Forscher wie der deutsche Barth, der Engländer Livingstone, die Völker Afrikas durchwandert, und von der Ueberlegenheit ihres Geistes, von dem Adel ihrer ­Sitten, von dem Einfluß wahrer Menschlichkeit ihren Schutz erwartet und gefunden.“ Nicht „als gewaltthätiger Konquistador“, sondern „mit der Fackel der Wissenschaft“ solle „der deutsche Michel seinen Fuß auf fremden Boden setzen“.137 Allerdings waren nicht nur die Afrikareisen der Vergangenheit Thema der Presse. Die späten 1890er-­Jahre waren Höhe- und Endpunkt der Nationalisierung und Politisierung von Afrikareisen. Seit den 1880er-­Jahren hatten geographische

135 The Fighting in the Khaibar Pass, in: The Times, Nr. 35293, 27. 8. 1897, S. 7. Am 7. September erschien daraufhin ein Brief eines Majors H. G. Raverty, der klarstellte: „The ‚Karakar Pass as yet unvisited by Europeans‘ […] will be found fully described, as well as Swat, and all the other parts at present disturbed, in my ‚Notes on Afghanistan,‘ published 16 years ago, page 262, and pages 317 to 427.“ The Rising on the Afghan Frontier. To the Editor of the Times, in: The Times, Nr. 35302, 7. 9. 1897, S. 6. 136 Dr. Jameson on South Africa, in: The Times, Nr. 34486, 29. 1. 1895, S. 10. Die Instrumentalisierung Livingstones durch Jameson bestätigt die These, dass die Faszination der Afrikaforschung Phantasien der Kolonialisierung Afrikas begünstigte, vgl. Schröder, Das Wissen von der ganzen Welt, 2011, S. 198. 137 Mit Bambusrohr und Nilpferdpeitsche, in: Vorwärts, Nr. 296, 19. 12. 1897. Dabei grenzte der Vorwärts Livingstone und Barth nicht nur von der zeitgenössischen ­Kolonialpolitik, sondern auch von späteren Forschungsreisenden, „moderne Gewaltmenschen vom Schlage des Stanley und Peters“, ab.

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Reisen häufig nicht mehr primär das Ziel, das Wissen über eine bestimmte Region zu erweitern, sondern die entsprechenden Regionen als Kolonialbesitz für die eigene Nation zu reklamieren.138 Solche Besitzansprüche wurden während der Faschodakrise bei der Berichterstattung über die Expedition Marchands in der öffentlichen Debatte diskutiert. Die französische Expedition war offiziell nie eindeutig definiert worden, einer Lesart zufolge stellte sie ein wissenschaft­liches Unternehmen dar. Die englische Presse bestritt, dass Frankreich daraus politische Ansprüche ableiten könne, zollte Marchand aber höchsten Respekt für seine Reiseleistungen. Die Daily Mail bezeichnete Marchand am 29. September 1898 als ­„trespasser on Egyptian territory“, versprach aber auch für den Fall seines Rückzugs: „[I]f M ­ archand is reasonable, he too will doubtless be honoured by us with a F. R. G. S., as the reward of his journeyings.“ 139 (Das Akronym steht für ‚Fellow of the Royal Geographical Society‘ und war ein Namenszusatz, den verdiente Mitglieder der berühmten englischen geographischen Gesellschaft führen durften.) Am 4. November brachte die Mail ein Interview mit Marchand, sie selbst nannte ihn einen „gallant explorer“ und kommentierte: „It is the French Government, not Major Marchand, who is responsible for the Fashoda crisis.“ 140 Auch wenn sich die britische Regierung im Konflikt mit Frankreich mit ihrer Position gegen das Recht des Entdeckers durchsetzen konnte, zeigt die Darstellung Marchands in der englischen Presse doch, wie groß das Ansehen von Forschungsreisenden immer noch war. Zur Legitimation von kolonialen Besitzansprüchen hatten sie allerdings in der angespannten internationalen Lage am Ende des 19. Jahrhunderts ausgedient. Der Blick auf die gängigen Deutungsrahmen in der Berichterstattung über die imperiale Expansion zeigt, dass die damals verbreiteten Selbst- und Fremdbilder stets mit bestimmten Argumentationsmustern und Handlungserwartungen verbunden waren. Um die politische Bedeutung von Repräsentationen des Eigenen und Anderen zu verstehen, muss also stets der argumentative Kontext berücksichtigt werden. Aus dieser Perspektive ist vor allem die Vielfalt der zum Vorschein kommenden Selbst- und Fremdbilder auffällig. Je nach Presseorgan und

138 Vgl. Schröder, Das Wissen von der ganzen Welt, 2011, S. 196. 139 A Warning to France, in: Daily Mail, Nr. 754, 29. 9. 1898, S. 4. 140 O. T., in: Daily Mail, Nr. 785, 4. 11. 1898, S. 4.

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Militäreinsatz konnten unterschiedliche Repräsentationen zur Untermauerung des eigenen Standpunkts instrumentalisiert werden. Der Wandel in der Wahrnehmung der imperialen Expansion allgemein führte aber auch dazu, dass bestimmte Argumentationsmuster mit der Zeit an Bedeutung gewinnen oder verlieren konnten. So verwiesen Kolonialbefürworter aufgrund der zunehmenden Unpopularität imperialer Militäreinsatze nach der Jahrhundertwende immer seltener auf die Zivilisierungsmission, um die eigene Expansion zu rechtfertigen. Wenn der Einsatz militärischer Gewalt umstritten war und die damit verbundenen Kosten in der Kritik standen, hoben Regierung und die sie unterstützende Presse vor allem die eigenen Interessen hervor, nicht den angeblichen Nutzen der Kolonialherrschaft für die nichteuropäische Bevölkerung. In Bezug auf die Darstellung der eigenen Interessen lassen sich allerdings deutliche Unterschiede ­zwischen England und Deutschland aufzeigen: In England stellten die Verteidiger imperialer Militäreinsatze vor allem strategische Interessen in den Vordergrund, sie charakterisierten die eigenen Ziele als maßvoll und schlossen gerade in Anbetracht von Schwierigkeiten auch einen Kompromiss mit dem Kriegsgegner nicht aus. In Deutschland hingegen argumentierten prokoloniale Stimmen hauptsächlich mit dem wirtschaftlichen Nutzen der Kolonien, eine Mäßigung der eigenen Ziele und ein Entgegenkommen gegenüber dem Kriegsgegner wurden als nicht mit dem nationalen Prestige vereinbar betrachtet. Gerade die Reaktionen auf unpopuläre Entwicklungen verdeutlichen so die Unterschiede in den kolonialen Selbstbildern Englands und Deutschlands.

Am Ende gescheitert: Politische Instrumentalisierungen imperialer Militäreinsätze im Zeitalter der Massenmedien Militärische Einsätze zum Ausbau und zur Aufrechterhaltung der europäischen Vorherrschaft über große Teile der Welt waren von Mitte der 1890er-­Jahre bis zur Marokkokrise 1911 regelmäßig Thema der expandierenden Massenpresse in England und Deutschland. Dabei lässt sich für die Zeit um 1900/01 ein Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung der militärischen Expansion in die außereuropäische Welt feststellen. Bis 1900 waren Kriege wie der Feldzug in den Sudan und zu Beginn auch die Kriege in Südafrika und China für die Massenmedien ­Themen, mit denen sich die Auflage steigern ließ. Die Regierungen in London und Berlin sahen in den Militäreinsätzen eine Chance, an Prestige zu gewinnen. Die Kolonialkriege, über die die Presse nach der Jahrhundertwende berichtete, waren hingegen weniger populär und trugen in der Regel eher zu einem Ansehensverlust der verantwortlichen Politiker bei. Im Folgenden sollen die Ergebnisse systematisch nach drei Gesichtspunkten zusammengefasst werden: erstens der Einfluss der medialen Strukturen auf die Berichterstattung; zweitens die dabei zum Vorschein kommenden Selbst- und Fremdbilder; drittens die Legitimität von imperialer Expansion und Kolonialherrschaft sowie den damit verbundenen Einfluss von Kolonialkriegen und imperialistischen Interventionen auf die Popularität der verantwortlichen Regierungen.

Kolonialkriege, imperialistische Interventionen und die Massenmedien Die Dekaden vor 1914 waren medienhistorisch von zwei Prozessen geprägt: Der Expansion des Zeitungsmarktes und dem Aufstieg einer Massenpresse, die es fast jedem Interessierten ermöglichte, sich über die politischen Vorgänge zu informieren, sowie der zunehmenden Vernetzung der Welt durch Telegraphie, die eine zeitnahe Berichterstattung über weit entfernte Regionen ermöglichte. Die spezifischen medialen Darstellungsweisen von Konflikten in der außereuropäischen Welt kamen dabei gerade bei Ausbruch der Gewalt häufig den Regierungen entgegen, die sie somit zur innenpolitischen Profilierung ­nutzen konnten. Das betrifft vor allem die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

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zunehmende Sensationalisierung und Personalisierung der Berichterstattung. Gerade zu Beginn von Militäreinsätzen verarbeiteten die Zeitungen die eintreffenden Nachrichten häufig zu einer Darstellung des Konfliktes, in der bedrohte ‚Weiße‘ einer ‚barbarischen‘ Gefahr gegenüberstanden, während das Militär, das gegen diese Bedrohung kämpfte, in glänzendem Licht erschien. Die neuen ‚Massenblätter‘ wie die Daily Mail gingen dabei besonders holzschnittartig und plakativ vor, aber auch in ‚Qualitätszeitungen‘ wie der Times oder der Kölnischen Zeitung war eine stereotype Charakterisierung der Konflikte die Regel. Die Wirkung solcher Darstellungen hatte jedoch ihre Grenzen. Je länger die Militäreinsätze dauerten, desto mehr konnten neue Nachrichten zu einem differenzierteren Bild beitragen. Auch der Verlauf des Krieges selbst konnte zur Abnahme seiner Popularität und Legitimität führen. Zudem versuchten oppositionelle Zeitungen stets, die vorhandenen Informationen und die mit diesen transportierten Repräsentationen gegen die Regierung zu wenden. Die Rolle von Zeichnungen und Fotografien in der Presse verdient gewiss eine gründlichere Analyse, als sie diese Studie leisten kann. Aber mit Sicherheit trugen die Zeichnungen, wie sie die neuen Zeitungsformate wie die ­Berliner Morgen­ post und der Daily Express gerade in den ersten Jahren nutzten, zur stereo­typen Darstellung des Kriegsgegners als ‚barbarisch‘ bei. Diese Illustrationen entstanden zumeist in den Redaktionen fern vom Ort des Geschehens. Sie griffen ältere Stereotype auf und reproduzierten so die Selbst- und Fremdbilder, die man sich bei Ausbruch der Gewalt gemacht hatte. Auf der anderen Seite führte der Trend zur wachsenden Illustrierung im Reynolds’s Newspaper aber auch dazu, dass ­dieses Blatt seine Kritik am Imperialismus anhand von Karikaturen noch reißerischer zum Ausdruck bringen konnte. Der Fotografie jedoch, die sich seit der Jahrhundertwende als visuelle Darstellungsform in den Zeitungen etablierte, ist nur schwerlich eine entscheidende Rolle für das mediale Bild von Kolonialkriegen und die politischen Debatten hierüber zuzuschreiben. Zumeist druckten die Zeitungen nur Fotografien von Landschaften oder Portraits der leitenden Militärs ab (oder Zeichnungen auf Basis fotografischer Vorlagen). Fotos aus den Kolonien waren in der Regel älteren Ursprungs und wurden nur durch die Bildunterschriften mit dem aktuellen Konflikt in Verbindung gesetzt. Zwar gab es auch Ausnahmen, wie die Fotos getöteter britischer Soldaten während des Burenkriegs. Einen Referenzrahmen für die politische Debatte bildeten sie jedoch nicht. Kein einziger im Rahmen dieser Studie ausgewerteter Kommentar bezog sich auf eine Fotografie.

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Betrachtet man den zweiten wichtigen medienhistorischen Prozess, die zunehmende globale Vernetzung und das wachsende Interesse an der ­Berichterstattung über weit entfernte Weltregionen, wird deutlich, dass die zeitnahe Nachrichtenübermittlung durch Telegraphie um 1900 kein Aufsehen mehr erregte. Spektakulär war nicht mehr das Wissen über die Ereignisse des Vortages auf der anderen Seite des Globus, sondern wenn ­solche Informationen ausblieben. Dies war vor allem während des Boxerkriegs der Fall, als das Kappen der Verbindung nach Peking dazu führte, dass die europäische Presse für knapp zwei Monate nur darüber spekulieren konnte, was am Hauptschauplatz des Medieninteresses passierte. Auch zeigen die Klagen über die fehlende telegraphische Anbindung bei der Berichterstattung über die Ereignisse in Samoa, wo die Nachrichten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung längst nicht mehr aktuell waren, wie sehr das Vorhandensein zeitnaher Informationen wie selbstverständlich zur Erwartungshaltung der Presse gehörte. Sicher gab es im behandelten Zeitraum auch technologischen Fortschritt in der Nachrichtenübermittlung, die drahtlose Telegraphie verbreitete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts und kam während der Kriege in Somalia und Südwestafrika zum Einsatz. Aber entscheidend für die mediale Selbstreflexion über diese Technik war der Russisch-­Japanische Krieg. Mit Blick auf die Rolle von drahtloser Telegraphie und Fotografie lässt sich sagen, dass Kolonialkriege und imperialistische Interventionen nicht die zentralen ­Themen der Berichterstattung waren, anhand derer die kommunikationstechnologischen Innovationen des beginnenden 20. Jahrhunderts zum Vorschein kamen und diskutiert wurden. Die telegraphischen Nachrichten, die aus den Krisenregionen eintrafen, stammten zumeist von diplomatischen oder militärischen Vertretern der Regierung, einer Nachrichtenagentur oder einem Auslandskorrespondenten und damit aus einer mehr oder weniger staatsnahen Quelle. Somit waren die tagesaktuellen Nachrichten in der Regel von einer Tendenz zur Unterstützung der europäischen Vorherrschaft in der Welt und der Kolonialpolitik geprägt. Im Falle der Nachrichtenagenturen wirkte sich die Staatsnähe der professionellen Auslandsberichterstattung eindeutig zugunsten des Britischen Empires aus, dominierte die Nachrichtenagentur Reuters doch den Markt an Informationen über Asien und Afrika. Auch gab es in der außereuropäischen Welt weitaus mehr britische Zeitungskorrespondenten als deutsche. Während der Samoakrise (1899) und während des Burenkriegs (1899 – 1902) beklagte die deutsche Presse ­dieses Ungleichgewicht und kritisierte die aus deutscher Perspektive verfälschte

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britische Berichterstattung. Nach der Besetzung von Kiautschou (1897) konnte sie das Schweigen der deutschen Regierung nur mit den aus englischer Quelle stammenden Nachrichten über den Stand der deutsch-­chinesischen Verhandlungen kompensieren. Allerdings sollte man den Einfluss dieser britischen Dominanz auf die öffent­ liche Debatte über den deutschen Imperialismus nicht überbewerten. Am folgen­reichsten war es diesbezüglich, dass die deutsche Presse auch hierin einen Punkt fand, um England anzugreifen und die Anglophobie in Deutschland zu s­ chüren. In den hier untersuchten Ereignissen gab es keinen einzigen Fall, in dem exklusive Informationen über die deutsche Politik aus britischer Quelle an die Öffentlichkeit drangen, die für die Reichsleitung ein ernsthaftes Problem darstellten. Zudem betraf die britische Dominanz in der Nachrichtenberichterstattung nur die ­zwischen den imperialistischen Staaten umstrittenen Weltregionen, aus den deutschen Kolonien berichteten in Krisenzeiten, wenn überhaupt, nur deutsche Journalisten. Betrachtet man die Beziehung von Politik und Informationsquellen der Presse über die außereuropäische Welt im nationalen Rahmen, so war sie tendenziell vorteilhaft für die Regierungen der imperialistischen Staaten. Die aus offiziellen Quellen – Diplomaten und Militärs – stammenden Nachrichten bildeten einen nicht unwesentlichen Bestandteil der Informationsbasis der europäischen Redaktionen. Die Nachrichtenagenturen Reuters und W. T. B. waren mit der britischen bzw. deutschen Regierung eng verbunden. Die Zeitungen, die ein besonders dichtes Netzwerk an Auslandskorrespondenten hatten wie die Times, oder die es sich wie die Kölnische Zeitung und der Berliner Lokalanzeigers leisteten, nach Ausbruch von Krisen Korrespondenten in die Konfliktregionen zu entsenden, standen nicht zu Unrecht im Ruf besonders großer Regierungsnähe. Die Kriegsreporter, die die Truppen begleiteten, nahmen zumeist eine ähnliche Perspektive wie das Militär ein und bewerteten die Ereignisse von d ­ iesem Standpunkt aus. Unter den englischen Kriegsberichterstattern gab es allerdings bemerkenswerte Ausnahmen. So löste ein Kriegsreporter in seinem Rückblick auf den Sudankrieg mit seiner Kritik an der Grabschändung des Mahdis eine Kontroverse über das Vorgehen des britischen Militärs aus. In der Regel waren es allerdings nicht die professionellen Journalisten, die für Regierung und Militär unangenehme Informationen ans Licht der englischen oder deutschen Öffentlichkeit brachten. Während des Burenkriegs war es Emily Hobhouse, die zum Kriegsschauplatz gereist war, um dort Spenden

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an die Zivilbevölkerung zu verteilen, und die danach ihre kritischen Berichte über die Zustände in den ‚concentration camps‘ schrieb. Eine ähnliche Reise einer Kritikerin (oder eines Kritikers) der eigenen Kolonialpolitik zum Ort des Geschehens gab es auf deutscher Seite nicht. Aber der britische Fall war auch besonders gelagert: Er lässt sich vor allem damit erklären, dass man in ­Südafrika gegen einen ‚weißen‘ Gegner kämpfte und damit die Folgen des Krieges für die Zivilbevölkerung größere Aufmerksamkeit fanden. In Deutschland waren es vor allem in Zeitungen abgedruckte Soldatenbriefe, die Informationen über Gewaltexzesse der deutschen Truppen an die Öffentlichkeit brachten. Neben Soldaten trugen weitere europäische Akteure mit Briefen aus dem jeweiligen Krisengebiet zur Berichterstattung über Kolonialkriege und imperialistische Interventionen bei. Dabei hing der Facettenreichtum der Informanten naturgemäß von der Kriegsregion ab. Wenn das Militär wie während des britischen Kriegs gegen Tibet in ein Territorium eindrang, in dem es weder europä­ische Händler oder Siedler noch Missionare gab, lag das Nachrichtenmonopol bei Militärs und Kriegsreportern. Aber auch wenn die Bandbreite der europäischen Akteure aus den Krisengebieten, die das öffentliche Bild des Konfliktes bestimmten, vielgestaltiger war, stellte dies für die Legitimation des Militäreinsatzes normalerweise keine Gefahr dar. Kaufleute, Siedler und Missionare gehörten in der Regel selbst zu den in Krisenzeiten Gefährdeten und hatten großes Interesse an der Niederschlagung von Aufständen oder der Entsendung von Kanonenbooten durch ihr Heimatland. Häufig trugen die Berichte von Europäern, die beschrieben, wie sie gerade noch nach Ausbruch eines Aufstands dem Tod entkommen waren, wesentlich zur Legitimierung von Kolonialkriegen bei. Kritik an der Ausübung von Gewalt durch die Kolonialtruppen war von ihnen kaum zu erwarten. Dennoch wurden von dieser Seite in manchen Fällen Informationen nach Europa vermittelt, die die Politik ihrer Mutterländer in einem schlechten Licht erscheinen ließ. Für die politische Debatte relevant waren etwa die von Händlerkreisen geübte Kritik an der Einführung der Hüttensteuer während der Rebellion in Sierra Leone und die Stellungnahmen der Mission während des deutschen Kolonialkriegs in Südwestafrika. Auch wurden von diesen Gruppen gelegentlich kolonialpolitische Zielvorstellungen geäußert, die sich von denen der Regierungen in London oder Berlin unterschieden. Manchmal kamen Forderungen europäischer Händler und Siedler, militärische Gewalt einzusetzen, auch ungelegen für die Regierung. Dies war etwa zu Beginn des Konfliktes mit Haiti (1897) und während der ‚Unruhen‘ in Samoa (1909) der Fall. Während die Regierung

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in Haiti schließlich militärisch intervenierte und den Vorfall nach dem für sie glücklichen Ausgang für ihre Zwecke instrumentalisierte, konnten sich 1909 die Kolonialpolitiker Dernburg und Solf durchsetzen, die eine friedliche Lösung des Konflikts in Samoa bevorzugten (wenngleich Dernburg die Aufstandsgefahr in Samoa öffentlich kleinreden musste). Neben den Quellen aus der außereuropäischen Welt trugen Experten in Europa zum Wissen über die Kriegs- und Krisengebiete bei. Sie informierten die Leserschaft mit längeren Artikeln über Regionen, deren Namen häufig erst durch den beginnenden Militäreinsatz in das Bewusstsein der Öffentlichkeit drangen und die nun im Zentrum der Aufmerksamkeit standen. Bei den Personen, die von der Presse zu Experten für das Außereuropäische gemacht wurden, konnte es sich um Wissenschaftler und Reiseschriftsteller handeln oder um ­solche, die aus anderen Gründen schon in der betreffenden Region waren, etwa als Regierungsvertreter oder als Händler. Oft zitierte die Presse auch Reiseberichte oder ältere wissenschaftliche Abhandlungen. Wenn sich deutsche Experten aktiv an den politischen Debatten beteiligten, dann zumeist, um Militäreinsätze und die imperiale Expansion des eigenen Landes zu unterstützen. Die Kritik, die der ehemalige deutsche Gesandte in Peking, Max von Brandt, während der Debatte über den Boxerkrieg am Vorgehen der imperialistischen Staaten übte, stellte eine Ausnahme dar. In England hingegen konnten sich auch Gegner der imperialen Expansion häufig auf Personen berufen, die die betroffenen Regionen aus eigener Anschauung kannten, etwa auf die Afrikareisende Mary Kingsley, die Chamberlains Politik in der Debatte über die Rebellion in Sierra Leone kritisierte. Manchmal kamen auch nichteuropäische Akteure in der Presse zu Wort. So zitierte die prokoloniale Presse Stellungnahmen von Nichteuropäern, die mit der Imperialmacht kooperierten, um die eigenen kolonialen Ambitionen zu legitimieren. Häufig veröffentlichten die Zeitungen aber auch Erklärungen von Nichteuropäern, die die Politik der imperialistischen Staaten kritisierten. Inwieweit und in welcher Form das geschah, hing vom Grad der Asymmetrie des militärischen Konfliktes ab. Bei Auseinandersetzungen mit formal unabhängigen Staaten führten Zeitungen häufig Interviews mit politischen Vertretern dieser Länder, so etwa während des Konfliktes mit Haiti (1897) oder der Venezuelakrise (1902/03). Diese Staaten konnten sich auch selbst mit Stellungnahmen an die Weltöffentlichkeit wenden, wie es die haitianische Regierung tat. Im Falle von Kolonialkriegen bestand jedoch normalerweise kein direkter Kontakt z­ wischen europäischen Journalisten und Aufständischen. Hier konnte die Presse häufig

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nur Nachrichten abdrucken, die der Kriegsgegner an das europäische Militär schickte, etwa während des Krieges in Somalia die poetischen Briefe des Mullahs. Eine Ausnahme in dieser Hinsicht war der Krieg in Südafrika, bei dem Kriegsreporter auch von der Seite der Buren berichteten. Zu einer weiteren Ausnahme kam es, als der aufständische Morenga während des deutschen Kriegs in Südwestafrika in das britische Südafrika floh und der dortigen Presse Interviews gab, die in Europa nachgedruckt wurden. Die Bereitschaft, den Gegner des eigenen Landes zu Wort kommen zu lassen, hing erstaunlicherweise nicht von der politischen Linie der Zeitungen ab. Entscheidend war der Nachrichtenwert der Erklärung. So veröffentlichten häufig Blätter, deren Renommee davon abhing, ausführlich über internationale Politik und die Kolonien zu berichten, die Stellungnahmen von Nichteuropäern. Während der Debatten über den Beginn der deutschen ‚Weltpolitik‘ im Jahre 1897 war es zwar erwartungsgemäß der Vorwärts, der sich zustimmend zu den Standpunkten Haitis und Chinas äußerte, um die eigene Regierung zu kritisieren. Am ausführlichsten über die Positionen der Regierungen von Haiti und China informieren konnte man sich aber im Berliner Lokal-­Anzeiger, der mehrere Artikel dazu brachte. Auf die politische Linie des konservativen Berliner Blattes hatten diese jedoch nicht den geringsten Einfluss. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Strukturen der Presseberichterstattung zu Beginn der Militäreinsätze in vielerlei Hinsicht vorteilhaft für die Regierungen der imperialistischen Staaten waren. Gerade die telegraphischen Nachrichten kamen in der Regel aus offizieller oder staatsnaher Quelle. Die massenmediale Logik der Berichterstattung und die Strukturen der globalen Kommunikation kamen den jeweiligen Regierungen allerdings vor allem zu Beginn der Konflikte entgegen. Das erleichterte es ihnen, die militärische Maschinerie ins Rollen zu bringen. Bei Ausbruch der Gewalt hielten sich auch kolonialskeptische Zeitungen häufig zurück und verwiesen auf den Mangel an Informationen, der es ihnen erschwerte, die Lage zu bewerten. Je länger ein Krieg jedoch andauerte, umso mehr Informationen standen auch der kritischen Presse zur Verfügung. Die Gegner der imperialen Expansion hatten durchaus Übung darin, eintreffende Nachrichten in ihrem Sinne zu interpretieren. Zudem ließen sich Niederlagen, Rückschläge und Probleme nur bis zu einem gewissen Grade schönfärben. Letztlich bestimmten der Verlauf und der Erfolg des Krieges das Bild, das man sich in der englischen und deutschen Öffentlichkeit von den Konflikten in weit entfernten nichteuropäischen Regionen machte.

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England und Deutschland, Europa und die außereuropäische Welt: Selbst- und Fremdbilder in der medialen Darstellung der imperialen Expansion In den Darstellungen militärischer Gewalt in der außereuropäischen Welt kamen stets Repräsentationen der eigenen Nation, Europas und der außereuropäischen Welt zum Vorschein. Zudem spielten viele der hier behandelten Ereignisse eine wichtige Rolle in der Geschichte der wechselseitigen Wahrnehmung Englands und Deutschlands und trugen zur Entfremdung beider Länder bei. Dabei folgte dem Pressekrieg anlässlich des Krügertelegramms zunächst eine gewisse Entspannung. Der Burenkrieg, die Venezuelakrise und die Zweite Marokkokrise verschärften dann jedoch den Antagonismus ­zwischen beiden Ländern wieder. Ende des 19. Jahrhunderts war diese Entwicklung noch nicht vorgezeichnet. Zu Beginn des Burenkriegs zählte die englische Presse Deutschland zu den Staaten, mit denen man freundliche Beziehungen pflegte. Auf der deutschen Seite sympathisierten die meisten Zeitungen hingegen mit den Buren und die deutsche Regierung hatte große Probleme, ihre englandfreundliche Politik öffentlich zu rechtfertigen, teilweise instrumentalisierte sie auch die antienglische Stimmung für die eigene maritime Aufrüstung. Allerdings war die deutsch-­britische Wahrnehmung um die Jahrhundertwende nicht nur durch den Burenkrieg geprägt, mit dem im Sommer 1900 ausbrechenden Krieg in China entstand ein weiterer imperialer Schauplatz, dem die englische und deutsche Presse gleichermaßen große Aufmerksamkeit widmeten. In d ­ iesem Fall beschworen die Zeitungen beider Länder die europäische Einheit. Im Kontext der gleichzeitig immer mitdiskutierten imperialen Rivalitäten erschienen zwar auch unfreundliche Artikel über das jeweils andere Land. Aber im Fokus der Kritik standen die Vereinigten Staaten und Russland, die aus der Perspektive der imperialistischen Presse zu chinafreundlich waren und die nicht mit im Takt des ‚Konzerts der Mächte‘ marschierten. Großbritannien und Deutschland handelten sogar einen Vertrag aus, in dem sie sich auf ein gemeinsames Vorgehen in China festlegten. Die englischen ‚Massenblätter‘ Daily Mail und Daily Express feierten das Abkommen und bekannten sich zur Partnerschaft mit dem Kaiserreich. Auch in Deutschland wurde der Vertrag überwiegend begrüßt, allerdings ohne Freundschaftsbekundungen zu England. Ein Grund hierfür war die Taktik der deutschen Regierung, die Einigung vor allem als wirtschaftspolitischen Erfolg für Deutschland zu verkaufen, nicht als Zeichen ­­ von Kooperationswillen mit Großbritannien. So bestimmte der Burenkrieg die weitere Entwicklung der wechselseitigen

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Wahrnehmung Englands und Deutschlands. Bülows Granitrede im Januar 1902 führte dann zu einer irreversiblen Verschlechterung der Beziehungen z­ wischen beiden Ländern – in der Politik wie in der Öffentlichkeit. Die Bilder des deutschen Kolonialismus, die Nachrichten über die deutsche Kriegsführung und auch die Rhetorik deutscher Politiker förderten die Entfremdung ­zwischen beiden Ländern. Die englische Presse verurteilte das deutsche Vorgehen häufig als zu aggressiv und distanzierte sich von der Kolonialpolitik des Kaiserreichs. Allerdings waren die unterschiedlichen Vorstellungen über angemessenes Verhalten in imperialen Kontexten nicht die Ursache für die Verschlechterung der britisch-­deutschen Beziehungen. Wenn die englische Presse die Zusammenarbeit mit Deutschland als sinnvoll ansah, stellten die militärischen und kolonialpolitischen Methoden des Kaiserreichs für sie kein Problem dar. Während der Venezuelakrise (1902/03) verwies die englische Presse jedoch auf die Repräsentationen Deutschlands als einer inhumanen Kolonialmacht, um sich gegen die Zusammenarbeit mit dem Kaiserreich auszusprechen. Auch für die Geschichte der Bilder des Europäischen und Außereuropäischen ist die Berichterstattung über die imperiale Expansion aufschlussreich. In d ­ iesem Kontext verwandten die Zeitungen ‚Europa‘ zumeist synonym mit Begriffen wie ‚zivilisierte Welt‘ oder ‚Kulturstaaten‘. Während des Boxerkriegs zählte die Presse teilweise sogar die Vereinigten Staaten und Japan mit zu Europa. Anders gestaltete sich die Perspektive in der Berichterstattung über die westliche H ­ emisphäre. Hier führte die Monroe-­Doktrin zur Darstellung eines geopolitischen Interessenkonflikts ­zwischen den europäischen Staaten und den USA. Während der amerikanische Machtanspruch infolge der Venezuelakrise (1895/96) von Großbritannien anerkannt wurde und sich die englische Presse zur Freundschaft mit den USA bekannte, nahmen insbesondere die nationalistischen Blätter in Deutschland die Monroe-­Doktrin als Anmaßung wahr und griffen die Vereinigten Staaten scharf an. In den Fällen, in denen sich englische und deutsche Zeitungen zur europäischen Einheit bekannten, taten sie dies in Abgrenzung zu Afrika oder China, nicht gegenüber Amerika oder Japan. In Südamerika zeigten die USA den europäischen Staaten die Grenzen ihres Einflusses auf, ansonsten schien die europäische Vorherrschaft in der Welt nicht gefährdet. Bei Aufständen waren es in der Regel nur die Europäer vor Ort, die als bedroht dargestellt wurden, nicht aber Europas globale Position. Die Gefahr einer globalen antikolonialen Bewegung thematisierten die Zeitungen kaum. Nur vereinzelte Artikel warnten vor einer solchen Bedrohung. Zu Beginn des

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indischen Grenzkriegs 1897/98 zeigte sich die englische Presse kurzfristig ernsthaft besorgt über die Gefahren einer panislamischen ­Bewegung, mit der Zeit schwanden ­solche Ängste aber. Zudem wurde die panislamische Gefahr immer nur als Bedrohung für das Britische Empire, nicht für Europa, wahrgenommen. So führte der immer wieder aufkommende Widerstand in den Kolonien kaum dazu, dass in der Presse Zweifel an der für natürlich gehaltenen europäischen Vorherrschaft in der Welt aufkamen. Tatsächlich folgte dem Einsatz von Militär zumeist die Ausweitung des eigenen Machtbereichs oder die Intensivierung der Kolonialherrschaft. Im Kontext der Berichterstattung über imperialistische Militäraktionen reproduzierte die Presse das Bild eines überlegenen Europas, Spuren einer Verunsicherung des europäischen Selbstverständnisses, die in anderen Kontexten in dieser Zeit zunahm, lassen sich kaum finden. In der englischen Öffentlichkeit konnte langanhaltender Widerstand gegen das Empire allerdings dazu beitragen, dass die imperiale Expansion in bestimmte Regionen unattraktiv erschien. So herrschte in den Kriegen gegen den Mullah von 1901 bis 1904 parteiübergreifender Konsens, dass ein Ausbau der Kolonialherrschaft im Inneren Somalias keine Option sei. Die größte Gefahr für Europa ging aus der damaligen Perspektive nicht von den nichteuropäischen Gegnern der Kolonialherrschaft aus, sondern von den innereuropäischen Konflikten. Die Sorge vor der Gefahr eines europäischen Krieges infolge imperialer Rivalitäten begleitete häufig die Berichterstattung über die außereuropäische Welt. Insgesamt war ‚Europa‘ ein sehr positiv konnotierter Begriff, und auch Imperialismuskritiker reproduzierten ­dieses Bild, wenn sie den Kolonialmächten vorwarfen, selbst den Ansprüchen der ‚europäischen Zivilisation‘, die sie zu verbreiten behaupteten, nicht gerecht zu werden. Ausnahmen dieser Sichtweise waren hier lediglich die sozialistischen Darstellungen des kapitalistischen Europas, das für Militarismus, Imperialismus und ökonomische Ausbeutung verantwortlich sei. Die europäische Überlegenheit konnte dabei unterschiedlich begründet werden, je nach Presseorgan und Kontext war Europa primär ökonomisch, religiös, kulturell oder rassistisch definiert. Dabei lassen sich bestimmte Interpretationen des Europäischen und Außereuropäischen durchaus einzelnen Presseorganen zuordnen. Für die Zentrumspresse etwa ging die Verbreitung der ‚europäischen Zivilisation‘ vor allem mit der Ausbreitung des Christentums einher. Allgemein war das Gegenbild zu nichteuropäischem ‚Aberglauben‘ aber das rationale, nicht das christliche Europa.

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Allerdings ist es schwer, die hier untersuchten Europabilder auf einen Punkt zu bringen. Teilweise finden sich in derselben Zeitung je nach Kontext unterschiedliche Bilder des Europäischen und Außereuropäischen. So erschienen in der Pall Mall Gazette wiederholt leader, die sich für eine Kolonialpolitik einsetzten, die elementare Rechte der afrikanischen Bevölkerung nicht beachten sollte. Die Argumente gegen die Verbreitung europäischer Bildung in dieser Zeitung waren von einem rassistischen Weltbild geprägt. Zugleich gehörte die Pall Mall Gazette zu den vehementesten Verfechtern der Position, dass man Abessinien nach seinem Sieg gegen Italien als unabhängigen und im Fortschritt begriffenen Staat anerkennen müsse. Der Vorwärts vertrat zwar regelmäßig die Position der Kriegsgegner des Deutschen Reiches, konnte aber auch auf rassis­tische Stereo­type zurückgreifen, wenn sich so die Regierung angreifen ließ. Kennzeichnend für die Europadarstellungen in der Massenpresse ist ihre V ­ agheit und Widersprüchlichkeit, und das spezifische Bild Europas variierte je nach Zeitung und Medienereignis. Damit ist die Instrumentalisierung von Europabildern angesprochen. Wie auch in anderen Kontexten war Europa eine Legitimationsressource, auf die man sich in der Öffentlichkeit berufen konnte. So behaupteten die imperialis­ tischen Staaten regelmäßig, Europa in der außereuropäischen Welt zu vertreten, wenn auch häufig mitschwang, dass dies von den anderen europäischen Mächten nicht anerkannt werde. Gängig war dabei die Behauptung, die ‚europäische Zivilisation‘ verbreiten zu wollen oder zum Schutz von Europäern militärisch zu intervenieren. Der Appell an die europäische Einigkeit konnte dazu dienen, Kooperation gegenüber einem nichteuropäischen Feind zu fordern, was insbesondere während des Boxerkriegs die englische und deutsche Presse lautstark taten. Kolonialkritiker hingegen warfen der politischen und militärischen Führung im Allgemeinen vor, die Werte der eigenen ‚Zivilisation‘ zu verletzen, und forderten, auch im Kampf gegen ‚Barbaren‘ den eigenen Prinzipien treu zu bleiben. Zeitungen und politische Akteure instrumentalisierten ebenso die Bilder des Nichteuropäischen für ihre Zwecke. So stellten Kriegsbefürworter die Gegner als ‚barbarisch‘ dar, um Militäreinsätze zu legitimieren. In der englischen Presse lässt sich jedoch auch in mehreren Fällen beobachten, wie mit der Zeit der Respekt vor dem Gegner stieg. Damit ging häufig die Erwartung einher, dass nach Ende des Krieges ein Auskommen mit dem Gegner gefunden werden müsse. Bei der Darstellung von Krisenregionen und Kriegsschauplätzen zeigt sich die Wirkungsmacht, die geographischen Raumbeschreibungen Ende des 19. Jahrhunderts für

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die Darstellung der außereuropäischen Welt zukam. Zu Beginn von Konflikten in der außereuropäischen Welt erschienen in der Presse stets Karten, die für die Leserschaft die Geographie der betreffenden Region anschaulich machten, und es waren häufig Geographen, die in längeren Artikeln Land und Leute des aktuellen Schwerpunkts des Medieninteresses erklärten. Auch die Berichte von Militärs und Kriegsreportern standen in der Tradition der Landschaftsbeschreibung, wie sie von geographischen Forschungsreisenden etabliert worden war. Am exotischsten und aufsehenerregendsten waren die Darstellungen Tibets während des Krieges 1903/04, in denen die Kriegsreporter die Naturgewalt einer zuvor noch nicht von Europäern bereisten Region eindrücklich beschrieben. Politisch instrumentalisiert wurden Landschaftsbeschreibungen vor allem, wenn es um die Frage ging, ob eine Expansion in das Kriegsgebiet möglich und wünschenswert sei. Wenn eine Annexion gewollt war, hatten die betreffenden Regionen in den Artikeln der prokolonialen Presse in der Regel ein für Europäer vorteilhaftes Klima und die Zeitungen lobten das ökonomische Potenzial der Gegend. Andere Landschaften, etwa die Wüsten Somalias oder die Gebirgsregion an der indischen Grenze, galten als wenig attraktive Regionen für die koloniale Expansion.

Zur Legitimität und Popularität von Militäreinsätzen und der imperialen Expansion Allgemein betrachtet stand die Rechtmäßigkeit des Einsatzes militärischer Gewalt zur Aufrechthaltung der Kolonialherrschaft und zum Vorantreiben der imperialen Expansion kaum in Frage, sieht man von prinzipiell oppositionellen Zeitungen wie dem Vorwärts ab. In gewisser Hinsicht ist dies nicht überraschend, dienten doch die damaligen völkerrechtlichen Grundsätze dazu, die globale Dominanz Europas zu legitimieren. Das Recht auf die Niederschlagung von Aufständen oder zur militärischen Intervention zum Schutz bedrohter Staatsangehöriger wurde kaum bestritten. Wenn überhaupt, waren juristische Argumente zudem nur Bestandteil der politischen Debatte, es gab keine formale Instanz, die über die Rechtmäßigkeit von Militäreinsätzen urteilen konnte. Die beiden Ausnahmen waren die Überweisung strittiger Entschädigungsfragen an ein Schiedsgericht während der Samoakrise 1899, die auch die Legitimität des anglo-­amerikanischen Militäreinsatzes berührte, und die Beendigung des britisch-­deutschen Konfliktes mit Venezuela durch Überweisung an ein Schiedsgericht im Jahre 1903. In beiden Fällen waren es Konflikte ­zwischen Großmächten, die zur schiedsgerichtlichen

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Lösung führten. Nach der deutschen Besetzung Kiautschous (1897/98) erschien zwar die Nachricht, dass China eine schiedsgerichtliche Lösung des Konflikts wünsche. Aufmerksamkeit widmete die Presse dieser Meldung aber nicht und für die politische Debatte war sie bedeutungslos. So konzentrierten sich die Debatten über den Sinn von Militäraktion vor allem auf die politischen Ziele, die mit ihnen verfolgt werden sollten. Dabei verbreiteten sich am Ende des 19. Jahrhunderts Argumente über die ökonomisch bedingte Notwendigkeit der eigenen Expansion in der imperialistischen Presse. Gerade zu Beginn der deutschen ‚Weltpolitik‘ standen wirtschaftliche Argumente im Vordergrund, tatsächlich waren ökonomische Motive in der öffentlichen Legitimation weitaus wichtiger als im Kalkül der handelnden Politiker, für die Prestigefragen entscheidend waren. Diese Dominanz des Ökonomischen und der behaupteten Notwendigkeit der imperialen Expansion sollte sich in den Debatten über die Kolonialkriege in Afrika nach der Jahrhundertwende sogar noch verstärken. Auch für Großbritannien spielten ökonomische Argumente in der Legitimation von Militäreinsätzen vor 1900 eine wichtige Rolle, wenn auch in weniger plakativer Form als in Deutschland. Man verwies lieber auf die Verbreitung von Freihandel und ‚Zivilisation‘ oder die Annexion von wirtschaftlich wertvollen Territorien. Vereinzelt lassen sich s­ olche Argumentationsmuster auch nach der Jahrhundertwende finden, häufiger aber gehörte es zum guten Ton, wirtschaftliche Motive zu bestreiten und andere Gründe hervorzuheben. Während der Kriege in Tibet und Somalia stellten die Regierung und die sie unterstützende Presse sicherheitspolitische Argumente in den Vordergrund. Entscheidend für diesen Wandel war die zunehmende Unpopularität des Einsatzes von Militär zum Vorantreiben der imperialen Expansion. In d ­ iesem Kontext betonten Kriegsbefürworter die Alternativlosigkeit des Einsatzes von Gewalt und bestritten Motive, die den Eindruck erwecken könnten, dass eine Militäraktion gewollt sei. Aus ­diesem Grund nahm auch der Verweis auf die Zivilisierungsmission in der britischen Kriegspropaganda nach der Jahrhundertwende ab. In der Phase der imperialen Aufbruchstimmung vor 1900 hatte die britische Presse die Verbreitung von ‚Zivilisation‘ wie kein anderes Motiv in den Mittelpunkt gestellt, die zunehmende Unpopularität der Militäreinsätze führte aber dazu, dass d ­ ieses Argument nicht mehr zog. Auch in Deutschland verlor die Idee der Zivilisierungsmission für die Kriegslegitimation an Bedeutung. Noch während der militärischen Intervention in China 1897 stellte die deutsche Regierung das

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Reich öffentlich als Schutzmacht der deutschen Missionare dar. Während des Krieges in Südwestafrika von 1904 bis 1907 hingegen spielte die Idee der Verbreitung europäischer ‚Zivilisation‘ und Kultur höchstens eine Nebenrolle in der politischen Debatte, im Zentrum der Rechtfertigungen der Kriegsbefürworter standen ökonomische Motive, eine Dämonisierung des Gegners und das nationale Prestige. Nicht nur die politischen Ziele, auch die Nachrichten über den Verlauf des Krieges konnten Thema in den Debatten über die Legitimität von Militäreinsätzen sein. Dabei versuchte die kolonialkritische Presse immer wieder, Nachrichten über Kriegsverbrechen zum Angriff auf die militärischen und politischen Entscheidungsträger zu verwenden. Dieses Thema konnte kurzfristig durchaus zu Kontroversen führen, entscheidend für die Popularität von Militäreinsätzen war es letztlich nicht. Wenn der Sinn eines Krieges ohnehin fraglich erschien, wie während des britischen Vorgehens gegen Tibet, erschwerten Nachrichten über das brutale Vorgehen der eigenen Truppen der regierungstreuen Presse die Legitimationsarbeit. Aber die Analyse der öffentlichen Debatten über die Kriege im Sudan, China, Südafrika und Südwestafrika zeigt, dass Kontroversen über Kriegsverbrechen letztlich nicht entscheidend für die Legitimität von Imperialkriegen waren. Praktisch keine Rolle für die Beurteilung von Kolonialkriegen in der Presse spielten deren Folgen für die Zivilbevölkerung in den betroffenen Regionen. Zwar konnten Nachrichten über Massaker an Zivilisten in den Zeitungen diskutiert werden, aber die häufig verheerende Auswirkung von Kriegen auf die Lebensumstände der Bevölkerung war kein Thema. Dazu lassen sich nur zwei Ausnahmen nennen, bei denen besondere Umstände dazu führten, dass auch das Leiden der Zivilbevölkerung Gegenstand der Berichterstattung war: Während des Burenkriegs führten Berichte über die Zustände der ‚concentration camps‘ zu einer öffentlichen Kontroverse. Hier war entscheidend, dass es sich um einen ‚weißen‘ Kriegsgegner handelte. Während des spanischen Kubakrieges wiederum erschienen regelmäßig Nachrichten über die katastrophale Lage der kubanischen Bevölkerung. Hier verbreiteten amerikanische Zeitungen d ­ ieses Bild, um eine humanitäre Intervention der Vereinigten Staaten zu legitimieren. Der Spanisch-­Amerikanische Krieg war in dieser Hinsicht aber eine Besonderheit, ansonsten gab es keinen Fall, in dem ein imperialistischer Staat den Krieg mit einem anderen suchte und dies mit dessen inhumaner kolonialer Praxis legitimierte. Von europäischen Staaten wurde das Argument des Regime

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Change nur genutzt, um nichteuropäische Staaten anzugreifen. Die Behauptung, im Sinne einer humanitären Intervention zum Schutz der Bevölkerung gegen einen tyrannischen Herrscher vorzugehen, spielte vor allem für die Rechtfertigung der britischen Kriege in Westafrika und im Sudan eine Rolle. In Somalia begannen die Militäraktionen 1901 zwar auch mit der Begründung, dass man ‚verbündeten Stämmen‘ helfe, aber die Legitimation d ­ ieses Krieges entbehrte jeglicher humanitären Semantik, im Vordergrund stand die Verpflichtung, die gegenüber den Partnern in Somalia bestand. Die Legitimation der imperialen Militäreinsätze vor 1914 war nicht nur ein sehr präsentes Thema in den öffentlichen Debatten der damaligen Zeit, die Wahrnehmung der Konflikte in der außereuropäischen Welt hatte zeitweise auch entscheidenden Einfluss auf das Prestige der verantwortlichen Regierungen. Die beiden Wahlen, die nach Imperialkriegen benannt wurden, erwecken diesbezüglich zunächst den Eindruck, dass Kriege ein Thema waren, mit denen imperialistische Regierungen punkten konnten. Die ‚Khaki-­Wahlen‘ 1900 endeten mit einem Sieg der unionistischen Koalition, die ‚Hottentotten-­Wahlen‘ 1907 mit einer Niederlage der kolonialkritischen Parteien in Deutschland. Allerdings lassen sich diese Erfolge der Regierungen nur mit dem spezifischen Timing der Wahlen erklären: Beide Wahlen fanden statt, als der Krieg schon fast zu Ende schien, und die Regierungen schafften es, sie zu einer Abstimmung darüber zu machen, ob man es der kriegskritischen Opposition erlauben sollte, den sicher scheinenden Sieg und seine Früchte zu verschenken. Tatsächlich sind die beiden wahlentscheidenden Kriege eher Beispiele dafür, dass Kolonialkriege keinesfalls automatisch Medienereignisse waren, die die imperiale Imagination und koloniale Begeisterung der Leserschaft weckten und schürten. Letztlich war es der konkrete Verlauf eines Militäreinsatzes, der über dessen Legitimität und Popularität entschied. Ein klarer Sieg konnte zur Legitimierung eines weniger populären Krieges beitragen, wie im Falle der Expedition nach Tibet (1903/04). Wenn sich Kriege in die Länge zogen, konnten Niederlagen, Rückschläge und steigende Kosten hingegen dazu führen, dass auch Kriege, die sich anfangs großer Unterstützung erfreuten, unpopulär wurden, wie das Beispiel des Burenkriegs am deutlichsten zeigt. Innerhalb des hier untersuchten Zeitraums lässt sich ­dieses Phänomen erstmals während des indischen Grenzkrieges (1897/98) beobachten. Die Niederschlagung ­dieses Aufstandes dauerte weitaus länger als erwartet und war von Rückschlägen geprägt. Damit bildete der Krieg an der indischen Nord-­West Grenze aber die Ausnahme in den Jahren

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vor 1899, ansonsten endeten die untersuchten imperialen Militäreinsätze in dieser Zeit sowohl für Großbritannien als auch für Deutschland erfolgreich und trugen zur Popularität der imperialen Expansion bei. Die Kolonialkriege und imperialistischen Interventionen nach der Jahrhundertwende hingegen waren weit weniger erfolgreich, häufig dominierten Probleme und Rückschläge die Berichterstattung, populäre Medienereignisse wie der Feldzug in den Sudan oder die Besetzung und Annexion Kiautschous waren sie nicht. Somit ist es zweifelhaft, dass die Militäreinsätze in der außereuropäischen Welt den Militarismus förderten und zur Kriegsbegeisterung bei Ausbruch des ­Ersten Weltkriegs beitrugen. Vor der Jahrhundertwende ließ der Feldzug in den Sudan sicherlich Krieg als attraktive Option erscheinen, und die erfolgreiche Besetzung Kiautschous dürfte für die Durchsetzung des Flottengesetzes 1898 hilfreich gewesen sein. Nach der Jahrhundertwende kam es aber in beiden Ländern zu Kolonialkriegen, die länger dauerten als erwartet und unpopulär waren. In manchen Fällen trug zwar die Solidarität mit den Soldaten an der Front zur Kriegsunterstützung bei. Andersherum ist es aber unwahrscheinlich, dass Militäreinsätze in der außereuropäischen Welt Militarismus und Kriegsbegeisterung allgemein förderten. Wenn die imperiale Expansion zur Kriegsbereitschaft bei Ausbruch des ­Ersten Weltkriegs beitrug, dann weniger, weil die Nachrichten über die Kolonialkriege in den Jahren zuvor Krieg als attraktive Option erscheinen ließen, sondern weil die im Kontext der imperialistischen Rivalitäten zunehmende Entfremdung z­ wischen Deutschland und England dazu führte, dass man das jeweils andere Land als Gegner betrachtete. Die wachsende Unpopularität von Kolonialkriegen nach der Jahrhundertwende sollte allerdings nicht überbewertet werden. Sie konnte zum Reputationsverlust von Regierungen beitragen, Massen ließen sich mit der Opposition gegen Militäreinsätze in der außereuropäischen Welt nicht mobilisieren. Während des Burenkriegs gab es in England zwar kleinere Versammlungen gegen den Krieg, in Massen gingen die Menschen aber zu Beginn des Burenkriegs auf die Straße, um die Befreiung Mafekings zu feiern. Die größeren kontinentaleuropäischen Versammlungen gegen den Krieg in Südafrika waren kein Ausdruck antiimperialistischer Gesinnung, sondern Zeichen ­­ einer englandfeindlichen und burenfreundlichen Stimmung. In Deutschland organisierte die Sozialdemokratie nur kleinere Versammlungen gegen den Boxerkrieg, sehr zum Ärger des linken Flügels der Partei. Größere Demonstrationen für den Frieden gab es hingegen während der Zweiten Marokkokrise. Allerdings war es die Gefahr eines

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zwischeneuropäischen Krieges, der die Bevölkerung mobilisierte, zum Protest gegen militärische Gewaltausübung gegen nichteuropäische Gegner gingen die Massen nicht auf die Straße. Die Regierungen und die sie unterstützende Presse reagierten in Großbritannien und Deutschland unterschiedlich auf den Popularitätsverlust von imperialer Expansion und Kolonialpolitik. In Großbritannien waren die Khaki-­Wahlen der letzte große imperialistische Erfolg der unionistischen Regierung, und als sich der Burenkrieg anders als erwartet noch bis in das Jahr 1902 hineinzog, büßte die Regierung drastisch an Popularität ein. Auch in der Berichterstattung über die folgenden Kolonialkriege lässt sich keine imperialistische Begeisterung mehr erkennen. Die Regierung selbst versuchte nun nicht mehr, mit einer aggressiven Imperialpolitik zu punkten, sondern betonte in der Öffentlichkeit eher defensiv, dass man nur zu militärischen Mitteln greife, wenn es absolut notwendig sei. Damit argumentierte sie innerhalb des gleichen Deutungsrahmens wie die liberale Opposition, auch wenn sich beide Seiten darüber stritten, ob der Einsatz von Gewalt in Nigeria, Somalia und Tibet wirklich ohne Alternative sei. Auch in Deutschland brachten die Militäreinsätze nach der Jahrhundertwende der Regierung keinen Prestigeerfolg: Der Ausgang der Venezuelakrise blieb hinter den Erwartungen der imperialistischen Presse zurück und die Unfähigkeit der Regierung, die Aufstände in Südwest- und Ostafrika schnell niederzuschlagen, trug zur Krisenwahrnehmung des deutschen Kolonialismus bei. Anders als in England zeigte das deutsche prokoloniale Lager aber keine Neigung, deswegen die eigenen Zielvorstellungen zu mäßigen. So standen sich in Deutschland zwei Lager gegenüber: Das eine forderte den Rückzug aus den Kolonien oder zumindest eine gemäßigtere Kolonialpolitik, das andere meinte, jetzt erst recht den Durchhaltewillen beschwören zu müssen, und forderte eine Intensivierung der kolonialen Anstrengungen. Das durch den 1906 zum Direktor der Kolonial­abteilung ernannten Dernburg personifizierte Versprechen, die Kolonien zukünftig auch ökonomisch ertragreicher zu verwalten und die Fehler der Vergangenheit zu meiden, trug wesentlich dazu bei, dass die Wahl 1907 trotz der Unpopularität des Krieges in Südwestafrika zu einem Plebiszit für die Fortsetzung der Kolonialpolitik wurde. Die Existenz eines deutschen Kolonialreiches stand danach nicht mehr infrage, insofern hatte sich die Regierung durchsetzen können. Allerdings lässt sich für beide Länder sagen, dass die sozialimperialistische Strategie mit dem Ziel, die Massen durch eine imperialistische Politik an eine konservative Regierung zu binden, langfristig scheiterte. In Großbritannien

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trug die wachsende imperialismuskritische Stimmung mit zum Wahlsieg der Liberalen 1906 bei, und auch danach war bis zum Ausbruch des ­Ersten Weltkriegs das Thema ‚Empire‘ für die Unionisten nicht dazu geeignet, um gegen die liberale Regierung zu punkten. In Deutschland waren die ‚Hottentottenwahlen‘ eine Ausnahme, bei den darauffolgenden Wahlen 1912 setzte sich der 1907 nur unterbrochene Siegeszug der Sozialdemokratie fort. Die ungleiche Entwicklung der imperialpolitischen Zielvorstellungen und kolonialen Selbstbilder in Großbritannien und Deutschland nach der Jahrhundertwende lässt sich auch anhand der Unterschiede in der Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft gegenüber nichteuropäischen Kriegsgegnern aufzeigen, wobei sich schon vorhandene Divergenzen verstärkten. Vor 1900 war es durchaus kennzeichnend für die Politik des deutschen Gouverneurs in S­ üdwestafrika, Theodor Leutwein, einen Ausgleich mit ehemaligen Gegnern zu suchen und diese in das Herrschaftsgefüge des deutschen Kolonialismus zu integrieren. Diese Vorgehensweise stieß zwar im nationalistischen Lager teilweise auf Kritik, in Zeiten nicht allzu großen Interesses und eher geringer Begeisterung für die Kolonien konnte sich Leutwein mit seiner Politik aber durchsetzen und sie öffentlich selbstbewusst vertreten. Als aber 1904 ein größerer Aufstand in Südwestafrika ausbrach, vertrat die Regierung die Linie, dass Verhandlungen nicht möglich ­seien, und große Teile der Presse forderten eine bedingungslose Nieder­werfung des Gegners. Als es schließlich nach Ausweitung des Krieges im Süden der Kolonie doch zu Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges kam, wurden deren Ergebnis in der amtlichen Darstellung immer als ‚Unterwerfung‘ des Gegners beschrieben. Wenngleich sich die englische Presse mit Kritik am deutschen Vorgehen zurückhielt, verheimlichte sie doch nicht, dass ihr die frühere Kompromissbereitschaft Leutweins weitaus sympathischer war als die bedingungslose Kriegsführung, die sich mit der Ernennung von Trotha zum deutschen Oberbefehlshaber durchgesetzt hatte. Im Britischen Empire waren Verhandlungen mit Kriegsgegnern nichts Ungewöhnliches. Zwar wehrte auch dort die konservative Presse liberale Forderungen nach Verhandlungen häufig mit dem Argument ab, dass diese vom Gegner als Zeichen ­­ der Schwäche ausgelegt werden könnten und zuvor ein militärischer Sieg notwendig sei. Dessen ungeachtet war eine Konfliktbeendigung durch einen Ausgleich mit dem Gegner in der englischen Öffentlichkeit weitgehend als Lösung akzeptiert. So endete der Zweite Matabelekrieg 1897 durch Verhandlungen ­zwischen Cecil Rhodes und den Ndebele.

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Auch der Krieg in Südafrika endete nach Verhandlungen z­ wischen dem Empire und den Buren. Zwar betonte die Times, alle ursprünglich gestellten Ziele ­seien erreicht worden, aber auch sie sprach sich für einen versöhnlichen Kurs gegenüber dem ehemaligen Gegner aus. Die englische Presse reagierte anders als die deutsche, wenn ein Gegner es schaffte, durch eine geschickte Kleinkriegstaktik länger als erwartet Widerstand zu leisten. Zwar galt es als ritterlicher, sich einer offenen Feldschlacht zu stellen, und wenn die Gegner wie die Derwische im Sudankrieg massenhaft im Kugelfeuer der britischen Maschinengewehre starben, zollte die Presse ihnen Anerkennung für ihre Todesbereitschaft. Aber auch den Mullah, der die Briten jahrelang in Somalia beschäftigte, respektierten die Zeitungen zunehmend wegen seines militärischen Geschicks. Im Jahre 1905 begrüßte die englische Presse schließlich den Vertrag Italiens mit dem Mullah und akzeptierte damit dessen Position in Somalia. Bei Ausbruch eines Konfliktes erfreuten sich Gegner des Empires, die sich nicht einer offenen Schlacht stellen wollten, um von der Hand eines militärtechnologisch überlegenen Feindes zu sterben, zwar weniger Wertschätzung in der englischen Presse, langfristig aber konnte ihr erfolgreicher Widerstand dazu beitragen, dass sie als politische Akteure anerkannt wurden. In Deutschland hingegen galt die Kooperation mit Nichteuropäern nicht als erstrebenswertes Ziel, vielmehr forderten nationalistische Stimmen einen möglichst harten Kurs, um die Anerkennung des eigenen Status als ‚Herrscher‘ zu erzwingen. Dieser deutsch-­englische Unterschied hängt sicherlich mit der längeren Kolonialerfahrung Großbritanniens zusammen, ein Rückschlag in der imperialen Expansion bedeutete hier nicht gleich das Ende des Empires. In Deutschland schien hingegen gerade während des Krieges in Südwestafrika die Zukunft der deutschen Kolonialpolitik auf dem Prüfstand zu stehen. Die auch öffentlich so dargestellte größere Härte Deutschlands gegenüber nichteuropäischen Gegnern und die Unterschiede in den kolonialen Deutungsmustern in Großbritannien und Deutschland nach der Jahrhundertwende lassen sich auch mit den Unterschieden der nationalen Selbstbilder und politischen Regime der beiden Länder erklären. Zum einen war der Gründungsmythos des Deutschen Reiches ein militärischer Sieg, ein Zurückweichen vor einem nichteuropäischen Gegner wäre in nationalistischen Kreisen als weitaus größerer Prestigeverlust empfunden worden als in England. Zum anderen war in Deutschland die imperiale Expansion seit Mitte der 1890er-­Jahre untrennbar mit der Person des Kaisers und dem monarchischen Regime verbunden. Wilhelm II. selbst forderte gegenüber

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Nichteuropäern stets einen harten Kurs, womit die deutsche Regierung gezwungen war, diese Politik auch öffentlich zu vertreten. Das parlamentarische System Großbritanniens hingegen wurde nicht in seinen Grundfesten erschüttert, wenn eine imperialistische Regierung von einer weniger imperialistischen abgelöst wurde, derartige Kurswechsel lassen sich in der britischen Geschichte häufiger beobachten. In Deutschland hingegen vertraten die vom Monarchen ernannten Regierungen seit Mitte der 1890er-­Jahre stets eine konsequent imperialistische Politik, für die sie im Parlament Mehrheiten organisieren mussten. Niederlagen in der Imperialpolitik waren in der Öffentlichkeit somit immer auch N ­ iederlagen der kaiserlichen Regierung.

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Europa in Trauer: „Wie mir die armen Buren leid thun!“, in: Berliner Morgenpost, Nr. 10, 12. 1. 1901. © Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz. Abbildung 2: Was für Lügner sind doch die Sterblichen!, in: Berliner Morgenpost, Nr. 181, 5. 8. 1900. © Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz. Abbildung 3: After 2 ½ Years, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2704, 8. 6. 1902, S. 4. © The British Library. Abbildung 4: Peace on Terms which Brave Men Can Accept. Cartoon by Walter Crane, A. R. W. S. Reproduced from the London Daily News of June 2, 1902, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2704, 8. 6. 1902, S. 5. © The British Library. Abbildung 5: Deutschlands Weltpolitik, in: Berliner Morgenpost, Nr. 271, 18. 11. 1900. © Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz. Abbildung 6: What He Left Behind, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2743, 8. 3. 1903, S. 5. © The British Library. Abbildung 7: Muddle, and Stick to It, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2775, 18. 10. 1903, S. 5. © The British Library. Abbildung 8: The Thibetan Mission. „Our Glory is to Slay!“ Oliver Wendell Holmes, in: Reynolds’s Newspaper, 7. 8. 1904, S. 7. © The British Library. Abbildung 9: The „Colonial“ Achievement – An Alternative Design, in: Reynolds’s Newspaper, Nr. 2785, 27. 12. 1903, S. 6. © The British Library.

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Zeitungen und Zeitschriften Berliner Morgenpost Berliner Lokal-­Anzeiger Berliner Tageblatt Daily Express Daily Mail Daily News Die Post Freiburger Zeitung Freisinnige Zeitung Germania Kleiner Herz-­Jesu-­Bote Kölnische Zeitung Kölnische Volkszeitung Reynolds’s Newspaper The Manchester Guardian The Observer The Pall Mall Gazette The Times The Westminster Gazette Vorwärts

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Register Personenregister Abdallahi ibn Muhammad (Khalifa)  46 – 48, 51, 53, 118, 221, 322, 343 Abdur Rahman (Amir von Afghanistan)  58 – 61, 67, 161 f., 220, 325 Amir von Afghanistan siehe Abdur Rahman Anzer, Johann Baptist  74 f., 93, 128, 152, 186 f., 317 Arendt, Otto  280, 291 Arning, Wilhelm  290 f. Bachem, Carl  329 Bai Bureh  343 Balfour, Arthur  41 f./FN28, 175, 255 f., 259, 294, 302 Barth, Heinrich  348 Bassermann, Ernst  140 Bebel, August  161, 195, 214, 268, 272, 278, 280, 329, 332 Bennett, Ernest  55, 150 – 152 Bethmann Hollweg, Theobald von  312 f. Blood, Bindon  347 f. Bourne, H. R. Fox  161 Bismarck, Otto von  69 f., 85 / FN 216, 101, 121 f., 198, 221 / FN 19 Botha, Louis  177 Brandt, Max von  157, 193, 356 Broderick, John  256 – 258 Buck, Edward  58 / FN 97 Buck, George Earle  19 / FN 46 Bülow, Bernhard von  12 – 14, 72, 85, 93, 100, 103 – 108, 113 f., 121 f., 125, 131, 153, 189 f., 195, 204 f., 213 – 215, 224, 229, 241, 247 f., 277 – 282, 292, 297, 299, 306 – 308, 310 – 312, 328 f., 359 Campbell-Bannerman, Henry  41 f. / FN 28, 173 f., 176, 178, 208 Cameron, Charles  36 Caprivi, Leo von  71

Castro, Cipriano  294 f. Cardew, Frederic  118, 162, 240, 339 – 342 Chalmers, David  341 f. Chamberlain, Joseph  12 f., 42, 107 /  FN 318, 112, 114, 116 – 119, 169 – 172, 174, 176 f., 204 f., 208 f., 222 f., 304, 323 f., 335, 339 – 343, 346, 356 Chamberlain, Neville  65 Chambers, William Lee  105 f. Christiaans, Johann  286 f., 308 Churchill, Winston  57 / FN 95 Coerper, Carl  289 Cromer, 1st Earl  48 f., 52, 238 Cunningham, William  58 / FN 97 Curzon, George  262 f. Dannhauer, Otto  96, 149 Deimling, Berthold von  285 – 287, 308 – 310 Dernburg, Bernhard  244 / FN 123, 286 f., 290 – 292, 297 f., 310 – 312, 334, 356, 367 Diederichs, Otto von  77 f. Disraeli, Benjamin  36 f. Doyle, Arthur Conan  159 / FN 96 Dreyfus, Alfred  159 Durand, Henry Mortimer  58 Elgin, 9th Earl  64 Eliot, C. N. B.  106 Erzberger, Matthias  286, 290, 292 Eyre, Edward John  36 Fabri, Friedrich  70 Freinademetz, Josef  74 – 76 Friedrich II. (preußischer König)  205 Gerhardt-Amyntor, Dagobert von  159/ FN96, 187 f. Gladstone, William Ewart  37 – 39, 305 Gordon, Charles George  38 f., 53 – 57, 133, 305, 318, 326 Greenwood, Frederick  61

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Register

Grey, Edward  52, 299 Gröber, Adolf  131 / FN 421 Guthrie  60 f. Hanneken, Constantin von  123 f., 157, 322 Heinrich, Prinz von Preußen  85 – 87, 110 f., 122, 245 Henle, Richard  75 Hertling, Georg von  128 f. Hesse-Wartegg, Ernst von  96, 149, 156 f. Heyking, Edmund von  77 f. Hicks, Canon  303 Hirth, Friedrich  156 Hobhouse, Emily  20 / FN 49, 151, 158, 175 f., 354 f. Hobson, John A.  150 f. Hohenlohe-Schillingsfürst, Chlodwig zu  122 Honsman, Howard  58 / FN 97 Hunt, G. W.  37 Ingham, Graham  240 / FN 106, 340 Irle, Johann Jakob  269 / FN 81 James, Lionel  146 Jameson, Leander Star  40 f., 43 f., 115 f., 348 Jarrett 239 Ketteler, Clemens von  182 f., 187, 198 Khalifa siehe Abdallahi ibn Muhammad Kiderlen-Waechter, Alfred von  312 f. Kingsley, Mary  117, 119, 157, 356 Kipling, Rudyard  158 f., 245 Kitchener, Herbert  52, 54 – 56, 118, 144, 175 – 177, 208 f., 243, 323 f., 326, 331 Kopp, Georg von  86 Krüger, Paul  44, 172 Kuropatkin, Alexei  236 Labouchere, Henry  40 Lansdowne, 5th Marquess  230, 248, 256 Lauaki Namulauulu Mamoe (Lauati)  289 f. Lauati siehe Lauaki Namulauulu Mamoe Lavigerie, Charles Martial  70 Ledebour, Georg  286 Lehr, Adolf  103 f., 147 / FN 52

Leutwein, Theodor  266, 271 – 273, 277, 285, 368 Li Binheng  95 f., 163 Li Hongzhang  163, 218 Lieber, Ernst  126 f. Liebknecht, Wilhelm  103, 160 / FN 102 Lindequist, Friedrich von  285 f., 308 f. Livingstone, David  348 Lloyd Georg, David  299, 314 Lobengula Khumalo  40 f. Loch, Henry  40 Lockhart, William  68 Lüders, Emil  119 f., 241 Lugard, Flora (geb. Shaw)  301 Lugard, Frederick  301 f. Luxemburg, Rosa  211 f. Maharero, Samuel  270, 274 Mahdi siehe Muhamed Ahmad Marchand, Jean-Baptiste  53 f., 144, 349 Mataafa Josefo  99, 101 f., 105 f., 241 May, C.  162, 164 Menelik II. (Kaiser von Abessinien)  220 f. /  FN 18, 221 f. Milner, Alfred  148, 170 – 172, 177, 208, 323 f. Mohammed ‘Abdulle Hassan (Mullah)  252 – 261, 344, 357, 360, 369 Monroe, James  43 Monypenny, W. F.  171 Morenga, Jakobus  164, 285, 287 f., 357 Morley, John  262, 330 f. Muhamed Ahmad (Mahdi)  38 f., 46, 55, 150, 254, 354 Mühlendorff, Prosper  271 f. Mullah siehe Mohammed ‘Abdulle Hassan Müller, E. B. Iwan  175 Müller, Hermann  280 Napoleon Bonaparte  188, 219 Nies, Franz  75 Nogi Maresuke  236 Norman, Henry  295 Norris-Newman, Charles  40 Osborne, Lloyd  102

Personenregister

Ottmann, Victor  235 Peters, Carl  243 f., 348 / FN 137 Prideaux, W. F.  221 f. / FN 22 Pückler, Heinrich Graf  236 f. Raverty, H. G.  348 / FN 135 Reventlow, Ludwig zu  268 Rhodes, Cecil  39, 41, 151, 345, 368 Richter, Eugen  112 / FN 345, 121, 123 / FN 385, 124, 195, 214, 228 f., 329 Richthofen, Ferdinand von  155 – 157, 235 Robenson, John  151 f. Roberts, Frederick  62, 64 Rolleston, V.  221 f. / FN 22 Rosebery, 5th Earl  42 Ross, Ronald  346 Salisbury, 3rd Marquess  42, 45 f., 52 – 53, 100, 107 / FN 318, 108 f., 114, 185, 197, 208, 255, 333 f., 336 Schlieffen, Alfred von  277 Schnee, Heinrich  290 Schreiner, Olive  159 Scott, C. P.  55 f. Shaw, Flora siehe Lugard, Flora Solf, Wilhelm  289 – 292, 356 Spahn, Peter  278 Stablewski, Florian von  86 Stanley, Henry Morton  348 / FN 137 Steevens, Georg Warrington  56 / FN 92

Stevenson, Robert Louis  102, 106 Stenz, Georg  75, 87 / FN 225 Stößel, Anatolij  235 f. Stuart, Leslie  106 Suttner, Bertha von  159 Swayne, E. J. E.  253 f. Tanumafili, Malietoa (Tanu)  105 f. Theodor II. (abessinischer Kaiser)  36 f. Tirpitz, Alfred von  12 – 14, 72, 125, 153 Trotha, Lothar von  273 – 278, 280 – 283, 285, 296 f., 368 Twain, Mark  159 Victoria (britische Königin)  37, 39 / FN 22, 59, 112, 204 Waldersee, Alfred von  142 / FN 37, 143, 190 – 192, 195, 199, 215 Weber, Marianne  210 Weber, Max  210 Wilhelm II. (deutscher Kaiser)  12, 43 f., 50, 53, 71 – 73, 76 – 78, 81, 85 – 87, 90, 110 – 112, 114, 120 – 122, 128, 138, 152, 158, 161, 189 – 192, 194, 204, 209, 213 – 215, 228, 232, 245, 273, 277 f., 286 / FN 154, 287, 292, 307 f., 312, 328 f., 337 / FN 86, 369 f. Wilson, Sarah  150 Witbooi, Hendrik  242 f., 273 Witbooi, Isaak  285 Zola, Émile  159

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Register

Ortsregister Abessinien  219 – 222, 249, 253, 256, 331 –– Abessinisch-Britischer Krieg (1867/68)  36 f., 221 –– Italienisch-Abessinischer Krieg (1895/96)  45 – 50, 220 f., 319, 361 Afghanistan  47, 57 – 59, 60 – 62, 67, 161, 220, 325, 348 / FN 135 –– Afghanisch-Britischer Krieg (1878 – 1880)  37, 58 Ägypten  38 f., 45 – 53, 55 f., 160, 238, 349 (siehe auch Sudan) Algerien 298 Äthiopien siehe Abessinien Australien  99, 109 Benin  320, 347 / FN 133 Britisch-Guayana 43 China  113, 254 / FN 11, 280, 304 – 305 –– Chinesisch-Japanischer Krieg (1894/95) 12 / FN 11, 76, 81, 228 –– Annexion Kiautschous (1897/98)  30, 33 f., 72 – 98, 110 – 112, 117 – 130, 136 – 139, 146 f., 149, 152 f., 155 – 157, 160 f., 163 f., 171, 186 f., 211, 218, 223 f., 228 f., 240 f., 245 – 247, 267, 289, 317, 319 f., 322, 326 – 328, 331 – 333, 335 f., 337, 354, 357, 363 f., 366 –– Boxerkrieg (1900/01)  9 – 11, 14 /  FN 25, 17, 20 / FN 50, 30, 45, 89, 134 – 136, 138 – 143, 145, 147, 149 – 151, 157, 159, 161, 167, 174, 181 – 205, 209 – 215, 220, 224 f., 227 f., 230 – 232, 244 – 249, 251, 277, 284, 300, 317 – 320, 322, 328 f., 333, 351, 353, 358, 361, 364, 366 Deutsch-Ostafrika  344 / FN 120 –– Aufstand (1888 – 1890)  70, 322 –– Aufstand (1905 – 1907)  243, 251 f. /  FN 2, 283, 300, 307, 312, 324, 334, 367 Deutsch-Südwestafrika 242 –– Aufstand (1904 – 1907)  30, 141, 146, 153 f., 164, 219 f., 242 – 244, 251,

266 – 288, 296 f., 300, 306 – 310, 312, 319, 321, 324, 329 f., 334, 335 / FN 77, 344 f., 353, 355 – 357, 364 f., 367 – 369 Frankreich  38, 42 f., 50, 52 – 54, 56, 74, 76, 79 / FN 184, 81, 82 / FN 201, 84 / FN 210, 89, 91, 101, 108, 110, 113 f., 146, 171, 198, 205, 221 – 223, 228, 246 – 248, 298 f., 306, 312 – 314, 318, 327, 349 Griechenland –– Türkisch-Griechischer Krieg (1897)  60 Haiti –– Haitianisch-deutscher Konflikt (1897)  72, 119 f., 125 – 127, 130, 136, 152, 161, 163 f., 222, 226, 240 f., 246 f., 289, 319 f., 335, 337, 355 – 357 Helgoland –– Helgoland-Sansibar-Vertrag (1890)  70 f. Indien  37, 96, 222 / FN 23, 240 f., 251 / FN 1, 253 f., 257, 261 – 266, 301, 323, 330 –– Aufstand (1857/58)  34 f., 155 / FN 81 –– Chitral-Konflikt (1895)  58 f., 62 – 64, 335 –– Grenzkrieg (1897/98)  30, 33, 44, 57 – 68, 116, 138, 150, 157, 161 f., 164 f., 220, 239, 325, 335, 338, 342 f., 347 f., 359 f., 362, 365 Iran siehe Persien Irland 42 Italien  248, 253 f., 260 f., 344, 369 –– Italienisch-Abessinischer Krieg (1895/96)  45 – 50, 220 f., 319, 361 Jamaika –– Morant-Bay-Aufstand (1865)  36 Japan  9, 30, 78 – 79, 84, 91, 181 f., 189, 197 f., 227 – 230, 247 – 249, 323, 328, 337, 359 –– Chinesisch-Japanischer Krieg (1894/95)  12 / FN 11, 76, 81, 228

Ortsregister

–– Russisch-Japanischer Krieg (1904/05)  146, 168, 230 – 238, 245, 282, 353 Karolinen 131 Kongo (französische Kolonie)  314 Kongo-Freistaat  143 / FN 43, 243 –– Berliner Konferenz (1884/85)  69 Kuba  338, 364 Liberia 222 Marianen 289 Marokko  223, 298 –– Erste Marokkokrise (1905/06)  247, 298 – 300, 306 f. –– Zweite Marokkokrise (1911)  14, 30, 252, 299 f., 312 – 315, 321, 351, 358, 366 f. Namibia siehe Deutsch-Südwestafrika Neuseeland  99 f., 109 Nigeria  42 f., 52, 251 / FN 1, 301 – 302, 367 (siehe auch Benin) Osmanisches Reich  37 (siehe auch Ägypten, Palästina und Sudan) –– Türkisch-Griechischer Krieg (1897)  60 Österreich-Ungarn  45, 248 Palästina 73 Persien  299, 321 Philippinen  131, 159 Portugal 113 Rhodesien  330 f. –– Erster Matabelekrieg (1893)  39 – 41, 44, 150, 338, 348 –– Zweiter Matabelekrieg (1896/97)  44, 59, 320, 345, 368 Russland  37, 50, 64, 76 – 78, 81, 89 – 92, 98, 110 – 112, 114, 117, 121, 185, 189, 197 – 205, 222 – 224, 228 f., 246 – 248, 263, 299 f., 318, 321, 358 –– Russisch-Japanischer Krieg (1904/05) 146, 168, 230 – 238, 245, 282, 353 Samoa 353 –– Samoakrise (1899)  30, 34, 98 – 109, 113 f., 131 f., 144 f., 147, 149, 215, 226, 241, 333, 337, 353 f., 362 f.

–– ‚Unruhen‘ (1909)  30, 251 f., 289 – 293, 297, 344 / FN 120, 355 f. Sansibar –– Helgoland-Sansibar-Vertrag (1890)  70 f. Sierra Leone  346 –– Aufstand (1898)  33 / FN 1, 116 – 119, 144, 155, 157 f., 161 f., 164, 223 / FN 25, 239 f., 293, 320 – 322, 325, 335, 339 – 343, 346, 355 f. Simbabwe siehe Rhodesien Somalia 221 –– Krieg (1901 – 1904)  30, 141, 146, 165, 251 – 263, 301, 303, 305, 320 f., 344, 347, 353, 357, 360, 362 f., 365, 367, 369 Spanien –– Spanisch-Amerikanischer Krieg (1898)  73, 131, 168, 171, 226, 338, 364 Südafrika  59, 63, 113, 148, 220, 258 / FN 31, 287 f., 304 f., 357 –– Erster Burenkrieg (1880/81)  37 –– Jameson Raid (1895/96)  12 / FN 11, 43 f., 49 f., 53, 70, 72, 110, 115 f., 169 f., 246, 336, 358 –– Zweiter Burenkrieg (1899 – 1902)  10 – 11, 16 f. / FN 34, 20 / FN 49, 30, 45, 98, 107 – 109, 113 f., 119, 132, 134, 139 – 141, 142 f. / FN 38, 147 f., 150 – 152, 158 – 161, 164, 167 – 181, 196 f., 199 f., 203 – 215, 244, 247, 251, 263, 284, 296, 300, 303 – 306, 320, 323 f., 334, 337 – 339, 343 f., 351 – 355, 357 – 359, 364 – 367, 369 Sudan  38 f., 133, 305 –– Meuterei in Uganda (1897/98)  218 – 219, 239 –– Sudankrieg (1896 – 1899)  12 / FN 11, 29 f., 33, 44 – 57, 59, 63, 68, 110, 112, 114 – 116, 118, 139, 150 – 152, 160, 162, 171, 221, 238, 243, 251, 259, 303, 318 f., 322, 325 f., 330 f., 338, 343, 351, 354, 364 – 366, 369

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Register

–– Faschodakrise (1898)  12 / FN 11, 53 f., 118, 144, 146, 171, 223, 349 Tibet –– Britisch-Tibetischer Krieg (1903/04)  30, 140, 165, 251, 261 – 266, 301, 320 f., 355, 362 – 365, 367 Türkei siehe Osmanisches Reich Uganda –– Sudanesische Meuterei (1897/98)  218 f., 239 USA siehe Vereinigte Staaten von Amerika Vatikan  74, 128

Venezuela –– Erste Venezuelakrise (1895/96)  43, 115, 197 / FN 120, 225 f., 359 –– Zweite Venezuelakrise (1902/03)  30, 70, 140, 226 f., 245, 252, 293 – 297, 300, 302, 305 f., 337, 356, 358 f., 362 f., 367 Vereinigte Staaten von Amerika  9, 34, 43, 79, 98 – 105, 107, 113, 115, 131, 149, 151, 181 f., 186, 197, 225 – 230, 237, 249, 294 f., 323, 358 f. –– Spanisch-Amerikanischer Krieg (1898)  73, 131, 168, 171, 226, 338, 364

PERIPHERIEN – Neue Beiträge zur Europäischen Geschichte herausgegeben von Christof Dejung, Johannes Feichtinger, Martin Lengwiler, Ulrike Lindner, Bernhard Struck und Jakob Vogel Band 1 Christof Dejung | Martin Lengwiler (Hg.) Ränder der Moderne Neue Perspektiven auf die Europäische Geschichte (1800–1930) 2017. 246 Seiten, gebunden € 40,– D | € 42,– A ISBN 978-3-412-22535-3

Die Disziplin der Europäischen Geschichte steht wohl vor der größten Herausforderung ihrer noch jungen Geschichte: Die globalhistorische Wende hat viele Grundannahmen der Europäischen Moderne in Frage gestellt und neue Anforderungen formuliert. Die Geschichte Europas soll polyzentrische oder provinzialisierte Perspektiven aufzeigen, die sich als Teil einer transnationalen oder Globalgeschichte verstehen. Diesem Anspruch wird der vorliegende Band gerecht. Die Beiträger nutzen transnationale, postkoloniale und globalhistorische Zugänge, um einen neuen Blick auf die Europäische Geschichte zu werfen. Zudem führt die Auseinandersetzung mit den geografischen und analytischen Rändern zu einem neuen Verständnis der Geschichte Europas. »Europa« wird dadurch zu einer spezifischen sozialen und kulturellen Konstellation, die sich über innere Gemeinsamkeiten und Konflikte sowie über Abgrenzungen nach außen und Interaktionen mit anderen Weltteilen konstituierte. Die neue Reihe füllt eine Lücke zwischen globalhistorischen Reihen auf der einen und traditionelleren europahistorischen Reihen auf der anderen Seite.

PERIPHERIEN – Neue Beiträge zur Europäischen Geschichte herausgegeben von Christof Dejung, Johannes Feichtinger, Martin Lengwiler, Ulrike Lindner, Bernhard Struck und Jakob Vogel

Band 2 Sarah Lemmen Tschechen auf Reisen Repräsentationen der außereuropäischen Welt und nationale Identität in Ostmitteleuropa 1890–1938 2018. 358 Seiten, gebunden € 50,– D | € 52,– A ISBN 978-3-412-50798-5

Das Ende des 19. Jahrhunderts sah eine neue europäische Beschäftigung mit außereuropäischen Regionen, die aufgrund der weltweiten Vernetzung durch Eisenbahn und Linienschiff für immer mehr Menschen direkt erfahrbar wurden. Auch im tschechischen Kontext diskutierten Wissenschaftler, Publizisten und Reisende, wie sich die eigene Gesellschaft – und ab 1918 auch der tschechoslowakische Staat – in einer sich globalisierenden Welt zu verorten habe. Vor allem anhand von Reiseberichten über Afrika, Asien, Australien und Lateinamerika wird hier der tschechische Umgang mit Kolonialismus, Rassismus sowie Globalisierung und schließlich auch eine eigene Form des Reisens „zweiter Klasse“ aufgezeigt.