Kompendium Coaching & Teamcoaching [1 ed.] 9783896446244, 9783896736246

Freiwilligkeit, Freiheit, Ressourcenverfügung, Selbststeuerung und Vertraulichkeit. Denn erst durch diese Werte wird die

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Kompendium Coaching & Teamcoaching [1 ed.]
 9783896446244, 9783896736246

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Nina Meier (Hrsg.)

KOMPENDIUM COACHING & TEAMCOACHING

Verlag Wissenschaft & Praxis

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-89673-624-6 © Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2013 D-75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. +49 7045 93 00 93 Fax +49 7045 93 00 94 [email protected] www.verlagwp.de Druck und Bindung: Esser Druck GmbH, Bretten Einband: Janine Reisen, Mediengestalterin, Tridem Internet Services GmbH, Leer

Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Abkürzungsverzeichnis AG Bd. BGH BVerfG bzgl. f. ff. Fn. GE MSA MVWK o.ä. Rn. S. SGMM sog. TA TMS TZI u.a. Urt. usw. VA v. Chr. vgl. vs. z.B. ZEM 4W 5W 3A 8 GE

Amtsgericht Band Bundesgerichtshof Bundesverfassungsgericht bezüglich folgend(e) fortfolgende (mehrere Seite folgen) Fußnote Grundeinsicht (von Führung) MotivStrukturAnalyse Motiv Verhalten Wert Kontext oder ähnlich Randnummer Seite St. Galler Management-Modell sogenannt Transaktionsanalyse Team Management System Themenzentrierte Interaktion unter anderem Urteil und so weiter visuelle Aufstellung vor Christus (Geburt) vergleiche versus zum Beispiel Zielerreichungsmerkmal(e) vier gemeinsame Werte im Coaching fünf zentrale Werte im Coaching drei Wirksamkeitserwartungen (Anliegen) von Coaching acht Grundeinsichten von Führung

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Danksagung Herzlichen Dank an die vielen Helfer, Unterstützer und Denkanstößer 1. die Autoren Kathelijne Beerepoot M.Sc. Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie, studierte Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie an der Rijksuniversiteit Groningen in den Niederlanden, ist Mitarbeiterin in der Personalentwicklung von Hamburg Süd in Hamburg mit dem Schwerpunkt Personal- und Organisationsentwicklung. Danke für den Artikel „Wirtschaftspsychologie“ Dr. Klaus M. Bernsau M.A. Kommunikationswissenschaften, ist Gründer und Inhaber von KMB, Dr. Klaus M. Bernsau, Konzept / Management / Beratung für Unternehmenskommunikation in Wiesbaden. Seit mehr als 15 Jahren ist er Lehrbeauftragter für Zeichentheorie und Unternehmenskommunikation an der Universität Duisburg – Essen. [email protected] - www.komunikation-kmb.de Danke für den Artikel „Kommunikation in und vor Gruppen“ Werner Gerber ist sowohl Schauspieler und Regisseur als auch ausgebildeter systemischer Business-Coach und Dozent an der Steinbeis-University, Berlin und der Bundesakademie für Kirche und Diakonie, Berlin. www.gerber-coaching.de Danke für die Artikel „Rhetorik“ und „Spielen oder gespielt werden – das ist die Frage“ Prof. Dr. iur. Manfred Heinrich ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel sowie Direktor des juristischen Seminares der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. [email protected] Danke für den Artikel „Kausalität im Strafrecht“ Dr. psych. Andreas Huber Ist Diplompsychologe, geprüfter BDVT-Trainer und BDVT-Coach und wissenschaftlicher Leiter der Entwicklung und Umsetzung der MotivStrukturAnalyse (MSA) als Psychodiagnostikum und Proftool der Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung. www.msaprofil.com Danke für den Artikel „Die MotivStrukturAnalyse (MSA)®“

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Danksagung

Kathrin Schneider M.A. der Erziehungswissenschaft, Systemische Beraterin (IFW/ SG), Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Studiengangs Systemisches Managements an der TU Kaiserslautern und ab 01.04.2012 Referentin der Hochschulleitung der FH Kaiserslautern. Danke für die Artikel „Lernen aus Sicht einer systemischen Pädagogik“ und „Gruppen“ Prof. em. Dr. iur. utr. Christian Starck ist emeritierter Professor für öffentliches Recht an der Georg-August Universität Göttingen. [email protected] Danke für den Artikel „Gleichberechtigung von Mann und Frau – eine öffentlich-rechtliche Perspektive“ Gregor Weber Volljurist und Absolvent des Masterstudienganges Mediation in Frankfurt (Oder), arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Rechts- und Verwaltungswissenschaften an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus. [email protected] Danke für den Artikel „Mediation – ein Überblick“ Dr. Cordula Weißköppel M.A. Ethnologie, ist akademische Rätin am Institut für Kulturwissenschaft an der Universität Bremen. [email protected] Danke für den Artikel „Kulturwissenschaft – Interesse für vielfältige Lebensweisen unter Menschen“ 2. die Lektoren Sabine Machaczek und Kathelijne Beerepoot 3. die Unterstützer und Denkanstößer Dirk Meier, Jacqueline Lindner, Cynthia Dürr, Manfred Miglbauer, Carola Junghans, Janine Reisen und meine Familie. 4. die Helfer alle Menschen, mit denen ich über Coaching, Teamcoaching sowie andere Personalentwicklungsansätze und Führungsstile sprechen, die ich lehren und bei denen ich lernen durfte.

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Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis...............................................................................5 Danksagung ...............................................................................................7 I.

Einleitung ..........................................................................................15

1. Was genau ist Coaching / Teamcoaching?...........................................15 2.

Was zeichnet einen systemischen Management Coach aus? ..............16

3.

Ihre Reise! .........................................................................................17

II. Entwicklung des Teamcoachings ........................................................19 1. Team ..................................................................................................19 1.1 Begriff des Teams ......................................................................................... 19 1.2 Begriff der Gruppe ....................................................................................... 22 1.3 Fazit ............................................................................................................. 23

2. Coaching ............................................................................................23 2.1 Begriff Coaching .......................................................................................... 23 2.2 Begriff des Teams ......................................................................................... 26

3. Fazit ...................................................................................................28 III. Coachkompetenzen ...........................................................................29 1. Kompetenzmodell ..............................................................................29 1.1 Kompetenz anstatt Qualifikation .................................................................. 29 1.2 Art des Kompetenzmodells........................................................................... 30

2. Fachlich-methodische Kompetenz ......................................................32 2.1 Faktisches Wissen ........................................................................................ 32 2.1.1 Bedeutende Personen (sog. Personenregister) sind:........................... 32 2.1.2 Wichtige Definitionen (sog. Sachregister) sind: ................................. 38 2.2 Menschenbild .............................................................................................. 55 2.3 Systemisch vs. Systemtheoretisch ................................................................. 58 2.4 Konstruktivismus .......................................................................................... 61 2.5 Coaching ..................................................................................................... 62 2.5.1 Warum existiert Coaching?............................................................... 62 2.5.2 Wozu dient Coaching? ..................................................................... 65 2.5.3 Freiheit............................................................................................. 67

10

Inhaltsverzeichnis 2.5.4 2.5.5 2.5.6 2.5.7 2.5.8

Freiwilligkeit .................................................................................... 69 Ressourcenverfügung ....................................................................... 70 Selbststeuerung ................................................................................ 70 Vertraulichkeit und Vertrauen – als Analogieschluss......................... 71 Fazit ................................................................................................. 71

2.6 Coachingablauf ............................................................................................ 72 2.6.1 Rubikonmodell der Handlungsphasen .............................................. 73 2.6.2 Kepner-Tregoe-Methode ................................................................... 74 2.6.3 Coachingprozess nach der Hamburger Schule.................................. 75 2.7 Axiomatik von Coaching .............................................................................. 76 2.7.1 Axiomatik der Hamburger Schule..................................................... 76 2.7.2 Kritische Auseinandersetzung mit der Axiomatik .............................. 78 2.8 Verantwortung im Coaching......................................................................... 80 2.8.1 Rechtliche Perspektive ..................................................................... 80 2.8.2 Subsumtion Coaching ...................................................................... 83 2.8.3 Fazit ................................................................................................. 85 2.9 Hypothesenbildung ...................................................................................... 85 2.9.1 Bedeutungsklärung........................................................................... 85 2.9.2 Hypothesenbildung .......................................................................... 87 2.9.3 Fazit ................................................................................................. 88 2.10 Lernen.......................................................................................................... 88 2.10.1 Was zeichnet Lernen aus? ................................................................ 89 2.10.2 Die 10 Axiome des Lernens .............................................................. 95 2.11 Führung ....................................................................................................... 96 2.11.1 Erklärung........................................................................................... 96 2.11.2 Die acht Grundeinsichten des Führens .............................................. 99 2.11.2.1 2.11.2.2 2.11.2.3 2.11.2.4 2.11.2.5 2.11.2.6 2.11.2.7 2.11.2.8

Wie vieler Personen bedarf es, damit Sie von Führung reden? .............100 Führung als Überlaufsystem ................................................................100 Führung und Zeit ................................................................................102 Führung und Situation .........................................................................103 Führung und Zusammenhalt ................................................................104 Führung und Betriebswirtschaft ...........................................................104 Denk- und Handlungsstrategien der Führungskraft ..............................105 Politisch Denken – systemisch Handeln ..............................................107

2.11.3 Die 14 Führungsaufgaben .............................................................. 108 2.11.3.1 2.11.3.2 2.11.3.3 2.11.3.4 2.11.3.5

2.11.3.6 2.11.3.7 2.11.3.8 2.11.3.9 2.11.3.10 2.11.3.11

Auseinandersetzen mit der Zukunft .....................................................110 Motivation auslösen .............................................................................111 Arbeitsabläufe planen (Geschäftsprozesse) ..........................................114 Führen mit Zielen ................................................................................114 Entscheiden ..........................................................................................119 2.11.3.5.1 Systemcheck ......................................................................120 2.11.3.5.2 SWOT-Analyse ..................................................................122 2.11.3.5.3 Rubikonprozess .................................................................124 Delegieren ...........................................................................................125 Koordinieren .......................................................................................127 Organisieren und Verbinden ................................................................127 Informieren und Kommunizieren .........................................................128 Fördern und Entwickeln ......................................................................128 Mitarbeiter-Auswahl und Einsatz ..........................................................129

Inhaltsverzeichnis

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2.11.3.12 Mitarbeiter-Schutz ................................................................................130 2.11.3.13 Selbstentwicklung ................................................................................131 2.11.3.14 Messen und Bewerten ..........................................................................132

2.11.4 Führungspentagon........................................................................... 132 2.12 Systemische Visualisierung ......................................................................... 133 2.12.1 Themenzentrierte Interaktion (TZI) .................................................. 135 2.12.2 Das neue St. Galler Management Modell ........................................ 137 2.12.3 Interaktionen des kognitiv-biologischen Empfindens ....................... 140 2.13 Coachingfragen .......................................................................................... 143 2.14 Fazit ........................................................................................................... 146

3. Persönliche Kompetenz ....................................................................147 3.1 Emotionen.................................................................................................. 147 3.2 Motivation ................................................................................................. 155 3.2.1 Bedürfnisse .................................................................................... 156 3.2.2 Motive ........................................................................................... 159 3.2.3 Innere Antreiber ............................................................................. 164 3.3 Werte ......................................................................................................... 167 3.3.1 Wertewandel ................................................................................. 171 3.3.2 Leitwert .......................................................................................... 172 3.3.3 HALO-Wert.................................................................................... 173 3.4 Absicht....................................................................................................... 175 3.4.1 Vorsatz........................................................................................... 176 3.4.2 Fahrlässigkeit ................................................................................. 176 3.5 Intelligenzen .............................................................................................. 177 3.6 Fazit ........................................................................................................... 180

4. Sozio-kommunikative Kompetenz ....................................................182 4.1 Was macht Kommunikation aus? ................................................................ 183 4.2 Wahrnehmung ........................................................................................... 186 4.3 Kultur ......................................................................................................... 189 4.4 Team.......................................................................................................... 190 4.4.1 Teamrollen..................................................................................... 191 4.4.2 Phasenmodell ................................................................................ 195 4.4.3 Gruppendynamik ........................................................................... 197 4.4.4 Fazit ............................................................................................... 198 4.5 Ich-Zustände .............................................................................................. 198 4.6 Konflikt ...................................................................................................... 201 4.6.1 Konfliktstufen ................................................................................. 203 4.6.2 Sozialverhalten im Konflikt............................................................. 204 4.7 Fazit ........................................................................................................... 211

12

Inhaltsverzeichnis

5. Feldkompetenz .................................................................................212 5.1 Erfahrung ................................................................................................... 212 5.2 Kompetenzentwicklung.............................................................................. 213 5.3 Fazit .......................................................................................................... 214

6. Handlungskompetenz .......................................................................215 7. Fazit .................................................................................................217 IV. Coachingablauf des Teamcoachings.................................................219 1. Theoretischer Teil .............................................................................219 1.1 Kontakt und Kontrakt ................................................................................ 219 1.1.1 Vorstellung und Erwartung – sog. Kontakt ...................................... 220 1.1.2 Thema und Veränderungswunsch skizzieren .................................. 221 1.1.3 Coachingablauf und Verantwortungsbereiche im Coaching klären sowie formalen Vertrag vereinbaren – sog. Kontrakt ............ 222 1.2 Thema- und Zielklärung ............................................................................ 223 1.2.1 Ist-Zustand: Thema schriftlich fixieren und visuell systemisch aufstellen ...................................................................... 224 1.2.2 Soll-Zustand: Zielformulierung und systemische Zielerreichungsmerkmale schriftlich fixieren .............................................. 225 1.3 Ressourcenidentifikation ........................................................................... 229 1.4 Entwicklung und Auswahl von Verhaltensmöglichkeiten ............................ 230 1.5 Controlling und Abschluss ......................................................................... 231

2. Praktischer Teil .................................................................................232 2.1 Ablauf des Teamcoachings am Fallbeispiel................................................. 232 2.2 Auswahl von Handlungsoptionen .............................................................. 275 2.3 Analyse potenzieller Probleme ................................................................... 275 2.4 Handlungsoptionsplan ............................................................................... 278

3. Aufgabe und Abschluss.....................................................................280 V. Literaturverzeichnis .........................................................................281

Inhaltsverzeichnis

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VI. Hintergrundinformationen ...............................................................289 Mediation – ein Überblick......................................................................291 Ass. iur. Gregor Weber, Cottbus Wirtschaftspsychologie ...........................................................................307 Kathelijne Beerepoot, Hamburg Gruppen .................................................................................................321 Kathrin Schneider, Kaiserslautern Lernen aus Sicht einer systemischen Pädagogik ......................................335 Kathrin Schneider, Kaiserslautern Das Team Management Profil von Margerison – McCann ...............................................................345 Dipl. oec. Marc Tscheuschner, Bad Nauheim Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® in Teamcoaching und -entwicklung ..................................................361 Dr. psych. Andreas Huber, Wiesbaden Rhetorik..................................................................................................391 Werner Gerber, Berlin Kommunikation in und vor Gruppen ......................................................409 Dr. Klaus M. Bernsau, Wiesbaden Missverständnis und Irrtum .....................................................................425 Dipl. iur. Nina Meier, Kaltenkirchen Kausalität im Strafrecht ...........................................................................437 Prof. Dr. iur. Manfred Heinrich, Kiel Gleichberechtigung von Mann und Frau – eine öffentlich-rechtliche Perspektive .............................................449 Prof. em. Dr. iur. utr. Christian Starck, Göttingen Kulturwissenschaft – Interesse für vielfältige Lebensweisen unter Menschen .........................................................457 Dr. Cordula Weißköppel, Bremen

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Inhaltsverzeichnis

Spielen oder gespielt werden – das ist die Frage .....................................469 Werner Gerber, Berlin Stichwortregister .....................................................................................483

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I. Einleitung – Kognitive Einsicht gepaart mit emotionaler Lust – Das vorliegende Manuskript behandelt für Coachausbilder, Coachs und Interessierte das Thema „Teamcoaching – nach der Hamburger Schule“. Die Hamburger Schule befasst sich mit der Erklärungssystematik von systemischem Coaching und Coachausbildungen. Der Fokus liegt auf dem Konstruktivismus von Erkenntnissen verschiedener Wissenschaften und der Praxis. Aristoteles postulierte: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Auch im Coaching reicht es nicht aus nur einzelne Aspekte zu betrachten, man muss diese in einem systemischen Ansatz zusammenführen um ein Gesamtbild zu erhalten.

1. Was genau ist Coaching / Teamcoaching? Werden Menschen gefragt, was sie unter Coaching verstehen, so geben sie eine Vielzahl von Antworten. Im Sprachgebrauch gibt es zwei Arten der Übersetzung, Herleitung und praktischen Umsetzung: Einerseits beruht der Begriff Coach auf dem ungarischen Wort kocsi und wurde im 16. Jahrhundert für das Fortbewegungsmittel der Kutsche in der Stadt Kocs eingeführt. Das Wort verbreitete sich im Deutschen als Kotsche, im Französischen als coche und im Englischen als coach. Die zweite sprachliche Bedeutung stammt aus dem anglo-amerikanischen Sport. Seit 1830 bezeichnet das Verb to coach sb. / sth. das trainieren und einpauken. Hiervon leitet sich das Substantiv „Coach“ ab, das für Trainer, Einpauker, Repetitor steht. Coach und Trainer werden synonym für Ausbilder und Übungsleiter benutzt. Werden Menschen gefragt, die sich mit Veränderungsthemen beschäftigen, erhalten wir folgende Antworten auf Entwicklungsfragen. Im Mittelpunkt der Erklärung stehen die Identität der eigenen Person und der Wunsch für sich selbst ein erfülltes, zufriedenes, glückliches und erfolgreiches usw. Leben zu führen. Im Grunde will sich der Mensch nach seinen Kompetenzen freiwillig und durch eigene Überzeugung erfolgreich entwickeln. Sie suchen nach ei-

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Einleitung

ner Person, die ihnen Unterstützung bietet, jedoch nicht bevormundet oder negativ kritisiert. Sowohl aus den beiden voneinander abweichenden Begriffserklärungen zu Coaching, als auch aus den verschiedenen Erwartungshaltungen gegenüber dem Coaching erklärt sich eine große Bandbreite an Coachingmodellen auf dem Dienstleistungsmarkt. Beim systemischen Ansatz bildet jeder Kontext, jede Person, jedes Sächliche, jede Beziehung und jeder Grund einen Parameter, auf den Bezug genommen wird. Bereits Albert Schweizer stellte fest, dass die größte Entscheidung des Lebens darin liegt, das Leben zu ändern indem man seine Geisteshaltung ändert und appellierte damit an die intrinsische Motivation. Daher darf davon ausgegangen werden, dass die nachhaltige Bearbeitung eines Themas immer in der betroffenen Person liegt. Laut Biologen war und ist die Fähigkeit zur Zusammenarbeit (im Team) ein Schlüsselfaktor der Evolutionsgeschichte der menschlichen Rasse. Teamcoaching ist komplexer als ein Einzelcoaching und stellt mehr Ansprüche, Erwartungen und Kompetenzen an den Coach. Da es unterschiedliche Auffassungen sowohl über Coaching als auch die Kompetenzen des Coachs existieren, ist die Hamburger Schule als didaktische Erklärungssystematik von Coaching und Coachausbildungen 2005 gegründet worden. Die Liebe zur Nutzung und Entfaltung der Ressource Mensch macht Coaching und die Hamburger Schule einzigartig. Dahinter steht: Cognosce te ipsum – erkenne dich selbst.

2. Was zeichnet einen systemischen Management Coach aus? Konrad Adenauer bemerkte: „Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont.“ Im Coaching kommen viele Faktoren, wie die Einzigartigkeit des Menschen, die Zugehörigkeit von Menschen zu sozialen Gruppen / anderen Menschen und die Entwicklungsprozesse, die im Laufe eines Lebens stattfinden, zum Tragen. Aufgrund diverser Bedeutungen in einem Kontext, sowie einer Vielzahl von ausgelöster Motivation wird nach Definitionen gesucht und um Standards gerungen. Sinn und Zweck von Coaching ist es, den Coachee in der Entdeckung der eigenen Ressourcen und damit in der Offenlegung seiner Motivationsquellen zu unterstützen, aus welchen Strategien und Maßnahmen entwickelt werden um zukünftig erfolgreich

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Einleitung

Handlungen realisieren zu können. Daher muss ein Coach bestimmte Coachkompetenzen haben und auch leben. Diese Kompetenzen richten sich nach dem Kompetenzmodell mit seinen fünf Bereichen. Um von einem professionellen Coach zu sprechen, muss der Coach die erforderlichen Kompetenzen erlernt und entfaltet haben, womit dem Coaching eine klare Selbstlernkonzeption der eigenen Kompetenzen zugrunde liegt. Ziel ist es, fachlich, methodisch, persönlich und sozio-kommunikativ Coach zu sein. Sinn und Zweck ist die Förderung des lebenslangen Lernens, welches Horst Siebert gerne in seinem Ansatz des konstruktivistischen Lehren und Lernens erwähnt. Die Kompetenzen des Coachs bzw. Teamcoaches bilden einen Schwerpunkt dieses Buchs. Der zweite Schwerpunkt liegt auf dem Coachingablauf des systemischen Coachings. Dieser wird einmal theoretisch beschrieben und an einem Praxisfall illustriert.

3. Ihre Reise! Im Folgenden erleben Sie eine Reise durch die Entwicklung von Coaching / Teamcoaching über die Coachkompetenzen sowie dem Coachingablauf bis hin zu speziellen Hintergrundinformationen zum systemischen Teamcoaching.

Viel Freude und sinnvolle Erkenntnisse wünscht Nina Meier

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II. Entwicklung des Teamcoachings In diesem Kapitel möchte ich Ihnen einen Überblick über die Entwicklung des Teamcoachings vermitteln. Dazu gehört die Klärung der Bedeutung von Team und Coaching.

1. Team Jeder kennt den Spruch „Toll, ein anderer macht’s!“. So fühlen sich einige Menschen vernachlässigt, andere aber erleichtert, da bestimmte Aufgaben und Verantwortungen sie nicht (mehr) belasten. Sie sind sozusagen frei und befreit. Andererseits fühlen sich Menschen erleichtert, wenn sie genau die Aufgaben und Verantwortungen bearbeiten können, die sie kompetent erfüllen. So gesehen sind sie arbeitsbelastet stolz. Zu dieser Differenzierung kann man aus der realistischen Perspektive erwähnen, dass Zuständigkeiten eingehalten werden müssen und das gesamte Arbeitsergebnis an einer oder mehreren Personen scheitert. Würde man idealistisch sehen, sähe man Talente richtig und erfolgreich eingesetzt. Aber was ist der wahre und ernsthafte Grund des Ausspruchs?

1.1 Begriff des Teams Das Wort Team ist ein Anglizismus. Ursprünglich wurde damit Familie, Gespann oder Nachkommenschaft bezeichnet. Mittlerweile werden bestimmte Menschengruppen als Team bezeichnet. Die herrschende Meinung versteht unter einem Team eine Gruppe von Menschen, die gemeinsam an geteilten Zielen arbeiten, dabei verschiedene Rollen übernehmen und die miteinander kommunizieren, um so ihre Anstrengungen erfolgreich koordinieren zu können.1 Nach der Evolution des Menschen war der Schlüsselfaktor zum Überleben und zur Entwicklung die Fähigkeit zur Zusammenarbeit. 1

U. a. Rolf van Dick / Michael A. West, Teamwork, Teamdiagnose, Teamentwicklung, S. 2; C. P. Alderfer, Group and intergroup relations, in J.R. Hackmann / J. L. Suttle, Improving the quality of work life, 227-296; G. R. Hackmann, The design of work teams, in J.W. Lorsch, Handbook of organizational behavior, S. 315-342, E.D: Sundstrom / K.P. Meuse / D. Futrell, Work teams: Applications and effectivness, American Psychologist 1990, 45, S. 120-133; L. L. Thompson, Making the Team, A guide for managers, S.4.

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Entwicklung des Teamcoachings

Im Sport wird zwischen Einzel- und Mannschaftssport unterschieden, sodass sich jede sportliche Mannschaft in der jeweiligen Disziplin wie Fußball, Handball, Basketball, Eishockey usw. als Team bezeichnet.2 In der Arbeitswelt spricht man von Gruppen, Projekten, Abteilungen, Bereichen, Ressorts und Teams. Diese Differenzierung ist wertvoll, um die Ziele, Dynamik und Aufgaben / Verantwortungen konkreter zu benennen und aufzuteilen. In der Literatur haben sich folgende Kriterien gebildet:3 • ein Team hat mindestens zwei Mitglieder • die Mitglieder tragen zur Erreichung des Teamziels / der Teamziele mit ihren jeweiligen Kompetenzen und daraus folgenden gegenseitigen Abhängigkeiten bei • ein Team besitzt eine Teamidentität, welche sich von den individuellen Mitgliederidentitäten unterscheidet • ein Team hat eine eigene und spezielle Kommunikation sowohl intern als auch extern gebildet • ein Team überprüft sich regelmäßig Zusammenfassend gilt die Faustregel: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Richtig genutzt bewirkt dieser Synergieeffekt, der auf der Emergenz von Systemen beruht, Wertschöpfung anstelle von Werteverzehr. Denn die Vielfalt von Elementen und deren Wechselwirkungen begründet die Komplexität eines Systems, sodass die gegenseitigen Abhängigkeiten nicht mehr einfach wahrzunehmen sind, die Eigenentwicklung der Systemelemente nur begrenzt vorhersehbar ist und vor allem Systemverhalten emergent sind. Diese Emergenz beruht auf der komplexen Abhängigkeit der Systempartner und kann nicht auf ein konkretes Systemelement lokalisiert (zurückgeführt) werden, sondern besteht im Zusammenwirken der Verhaltensweisen und deren Interaktionsdynamiken der Systemelemente.4 Durch diese vielseitigen Abhängigkeiten und Dynamiken sind komplexe Systeme dynamisch und rekonstruieren sich ständig. Der angesprochene Summierungseffekt beruht auf einer gemeinsamen Zukunftshoffnung und einem Zusammengehörigkeitsgefühl, die eine Teamidentität schaffen. Systemisch entscheidend ist hierbei, dass das Team wichtiger ist 2 3 4

Lothar Linz, Erfolgreiches Teamcoaching, 3. Auflage, S. 21 U. a. Lothar Linz, Erfolgreiches Teamcoaching, S. 23; Christopher Mabey / Sally Caird, Building Team Effectiveness, S. 7ff.; Rolf van Dick / Michael A. West, Teamwork, Teamdiagnose, Teamentwicklung, S. 3. Vgl. Johannes Rüegg-Stürm, Das neue St. Galler Management-Modell, S. 18; vgl. Fredmund Malik, Strategie des Managements komplexer Systeme, S. 20, 37ff., 193 ff.

Team

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als das einzelne Teammitglied. Gemeinsame Werte sind entscheidend für den Erfolg als Team und seiner Teamentwicklung.5 Dafür schafft sich das Team ausgesprochene und unausgesprochene Regeln. Hier wirken materielle und immaterielle Wirkmomente aus systemischer Sicht auf den gemeinsamen Sinnhorizont samt gemeinsamem Hintergrundwissen als Kultur zusammen. Kultur eines Unternehmens oder eines Teams wird mit der Sprache vergleichbar, sodass eine sinnstiftende und logische sprachliche Verständigung auf grammatikalischen Regeln und semantischen Übereinkünften beruht. Andererseits entfalten Kultur und Sprache diese im Vollzug. Wie Johannes Rüegg-Stürm im neuen St. Galler Management Modell festgestellt hat, reproduzieren (aktualisieren) sich die Wirkmomente und können als Sprachgemeinschaft festgehalten werden.6 Dieser Effekt beruht auf dem abhängigen Kontext und seiner jeweiligen Bedeutung. Die Philosophie hinterfragt angesichts solcher individuellen Bedeutungsaufladungen, ob es Objektivität bzw. objektivierbare Subjektivität überhaupt geben kann. Denn die Bedeutung des Kontextes ist immer von der Beobachtung / Wahrnehmung der Systemelemente und deren Interpretation abhängig. Da wir Menschen unterschiedliche Werte, Motive und Bedürfnisse haben, wird das Wahrgenommene über die Repräsentationssysteme selektiert und interpretiert.7 Im Sport sind die kommunizierten Regeln die Wettkampfregeln sowie die Einhaltung der Werte von Fairness, Pünktlichkeit und einheitlicher Kleidung. Unausgesprochene Regeln können beispielsweise sein, dass ein Team den Aufstieg boykottiert und daher weniger ehrgeizig ist als es sportlich möglich wäre.8 Im Arbeitsalltag sind die kommunizierten Regeln das unternehmerische Leitbild, die arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten. Beispielsweise sollten Expertise, Kreativität und Pioniergeist im Hinblick auf Innovationen gefordert werden und im Rahmen der Auftragsabwicklung Werte wie Genauigkeit, Sicherheit, Zuverlässigkeit und Termintreue gelten.9 Hervorzuheben ist, dass ein komplexes System aufgrund seiner vielfältigen Wechselwirkungen und Abhängigkeiten gerade nicht chaotisch und unberechenbar ist. Wäre ein System durch Chaos beherrscht, würde es nicht existieren, da es sich sofort selbst zerstört bzw. auflöst. Insofern baut die Lebensfähigkeit von Systemen auf strukturierten Einflussmomenten und ordnenden Kräften.10 Die ordnenden Kräfte im Team sind die Kompetenzen der jeweiligen Teammitglieder, 5 6 7

Vgl. Rolf Meier, Team-Power, S. 59 ff. Vgl. Johannes Rüegg-Stürm, Das neue St. Galler Management-Modell, S. 56. Vgl. Johannes Rüegg-Stürm, Das neue St. Galler Management-Modell, S. 19, vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundlegung einer allgemeinen Theorie, S. 157 ff., 243ff. 8 Vgl. Lothar Linz, Erfolgreiches Teamcoaching, S. 24. 9 Johannes Rüegg-Stürm, Das neue St. Galler Management-Modell, S. 57. 10 Vgl. Johannes Rüegg-Stürm, Das neue St. Galler Management-Modell, S. 20.

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Entwicklung des Teamcoachings

sämtliche Kommunikationsregeln und die Teamkultur, auch als die jeweiligen Regeln / Normen des Teamkontextes.11

1.2 Begriff der Gruppe In Unterscheidung zum Team existiert die Gruppe. Unter Gruppe wird eine Ansammlung von Menschen verstanden. Soziologisch betrachtet ist eine Gruppe „ein soziales System, dessen Sinnzusammenhang unmittelbar durch diffuse Mitgliederbeziehungen sowie durch relative Dauerhaftigkeit bestimmt ist“ (Friedhelm Neidhardt). Diese Definition lässt bewusst die Personenanzahl, Sinn und Zweck (Ziel) sowie zeitlichen Rahmen offen. Durch eine offene Definition ist der Spielraum für Ermessen und Bedeutung größer und abstrakter. Wissenschaftlich wird über die Mindestanzahl gestritten, sodass von zwei oder drei Personen ausgegangen wird. Empfehlenswert ist von drei Personen zu sprechen, damit die Eigenart des Paares, der Einzelperson deutlich wird. Denn die Dynamik bzw. der ursächliche Zusammenhang ist bei drei Personen anders als bei zwei Personen. Wichtiges Merkmal ist das Ziel bzw. Sinn und Zweck einer Gruppe. In der Literatur findet man diverse Ansätze, sodass wir in jeder wissenschaftlichen Disziplin andere Definitionen haben. Aussagekräftig ist das Merkmal der Interaktion oder Abhängigkeit. So werden Gruppen von einer Person gebildet, da die Merkmale oder Menschen unter einen Begriff subsumiert werden können wie beispielsweise Bevölkerungsgruppen, Schulgruppen, Kindergartengruppen, Kinder, Teenager, Erwachsene oder Rentner, Arbeitsgruppen / Abteilungen, chemische Zeichen, biologische Merkmale usw. Andererseits können sich die Menschen auch untereinander kennen. Sie verfolgen jeder individuell und unabhängig voneinander ein Ziel. Solche Gruppen finden wir in Kindergärten, Schulen, Freizeitveranstaltungen usw. Aus beiden Sichtweisen ist zu erkennen, dass ein Ziel existiert, jedoch die gemeinsame Abhängigkeit nicht relevant ist. An dieser Stelle unterscheidet sich die Gruppe entscheidend vom Team. Anders argumentiert sind Gruppen informelle Gruppen (anstatt formelle Gruppen) und daher ist keine spezielle Struktur zur Erreichung eines Ziels vorhanden. Daraus kann man entnehmen, dass eine Zusammenarbeit für die gemeinsame Erreichung eines gemeinsamen Zieles nicht vorhanden ist. Wäre dies 11 Vgl. Johannes Rüegg-Stürm, Das neue St. Galler Management-Modell, S. 20.

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Coaching

der Fall würde man von Interessengruppen oder z.B. von Freundschaftsgruppen sprechen.12 Zu erwähnen ist, dass die Rollen der Menschen, empirisch gesehen, in Anführer, Mitläufer und Sündenbock differenziert werden. Oft existiert ein Außenseiter, Kasper und Konkurrent.13 Auch an dieser Stelle unterscheidet sich die Gruppe entscheidend vom Team.

1.3

Fazit

Zusammenfassend sind sowohl die Gruppe als auch das Team eine Ansammlung von Menschen mit einer speziellen Abhängigkeit und einem konkreten Sinn und Zweck bzw. Ziel. Vergleicht man konkreter, so erhält man spezielle Differenzierungen des Ziels samt Identität. Das Team besitzt über das Teamziel hinaus eine Teamidentität. Diese setzt sich aus dem gemeinsamem Potenzial und dem Teamzusammenhalt, der eine gemeinsame Zukunftshoffnung schafft, zusammen. Die Zielerreichung wird im Team durch spezielle Aufgabenverteilung in jeweiliger Abhängigkeit gemeinsam erreicht. In diesem Sinne existiert nur in einer Gruppe ein emotionaler / normativer Führer mit seinen Mitläufern, welche wiederum durch einen Konkurrenten des Anführers gestört / verstört werden. Eine unmittelbare Abhängigkeit von jedem Gruppenmitglied zu jedem Gruppenmitglied besteht nicht.

2. Coaching „Das Wertvollste im Leben ist die Entfaltung der Persönlichkeit und ihrer schöpferischen Kräfte.“ – Albert Einstein (deutsch / US-amerikanischer Physiker) –

2.1

Begriff Coaching

Im Sport wird Coach, vom englischen to coach sb./ sth. – jemanden trainieren / etwas einpauken, synonym für Ausbilder und Übungsleiter benutzt. Das ist besonders passend, seit der Sportcoach vom Ausbilder hin zum mentalen Begleiter avancierte, der den Sportler nicht nur körperlich und taktisch, sondern auch mental vorbereitet. Einer der ersten und bedeutendsten Coachs, der das Coaching vom Sport in die Wirtschaft transportierte, war Tim Gallway. In den 12 Vgl. Rolf van Dick / Michael A. West, Teamwork, Teamdiagnose, Teamentwicklung, S. 6. 13 Vgl. Manfred Sader, Die Psychologie der Gruppe.

24

Entwicklung des Teamcoachings

1960er Jahren entwickelte er besondere Formen des Sportcoachings und nannte sie: • The inner game of Golf, • The inner game of Tennis and • The inner game of Ski. Aufgrund seiner Erfolge wurde er gebeten, diese Art der Beratung im wirtschaftlichen / unternehmerischen Kontext anzuwenden. Sein erster Schüler war John Whitmore, der Tim Gallway assistierte, bis er ab den 1970er Jahren eigene Seminare gab. Das Besondere am Coaching der beiden ist die Erkenntnis, dass die Lösung im Coachee liegt. „Coaching setzt das Potenzial eines Menschen frei, seine eigene Leistung zu maximieren. Es hilft ihm eher zu lernen, als dass es ihn etwas lehrt.“ – Tim Gallway – „Wenn wir dieses Modell akzeptieren, muss die Art, wie wir lernen, und noch wichtiger, wie wir lehren und trainieren, in Frage gestellt werden.“ – John Whitmore – Die Schlüsselqualifikation ist bei beiden „zu fragen“ anstatt „zu sagen“. Offene Fragen anstatt geschlossene Fragen zu stellen, da erstere die Fantasie anregen und mehr Raum und Möglichkeiten zur Reflexion, zum Perspektivwechsel, zur Konzentration und zur Beantwortung bieten.14 Wie bereits in der Einleitung erwähnt, bedeutet das Substantiv Coach Kutsche / Bus und beschreibt somit ein Fortbewegungsmittel. Im Sinne dieses Sprachgebrauchs soll der Klient bzw. Coachee durch das Coaching sein Ziel erreichen. Sinnbildlich fährt und steuert der Coachee das Fortbewegungsmittel von seinem Anfangsort hin zu seinem Bestimmungsort / Ziel. Dabei hilft ihm der Coach als Antriebsmittel bzw. als sog. Kutscher. Dieser Prozess setzt den Willen etwas zu Verändern und geistige Gesundheit beim Coachee voraus. Es ist ein freiwilliger Prozess, da der Coachee selbst entscheidet, wohin die Fahrt geht, auf direktem oder indirektem Wege, schnell oder langsam, alleine oder mit Insassen und mit welchem Fortbewegungsmittel. Um Coaching ohne lange Herleitungen kurz zu erklären wird oftmals, abstrakt und verallgemeinernd, von „Hilfe zur Selbsthilfe“ gesprochen. Dabei wird 14 Vgl. John Whitmore, Coaching für die Praxis – Unentbehrlich für jeden Manager!.

25

Coaching

konkret sowohl die Förderung der Selbstreflexion als auch die selbstgesteuerte Änderung der Wahrnehmung, der eigenen Einstellung und des eigenen Verhaltens, gemeint. Dabei begleitet der Coach seinen Coachee (Klienten). Die Verantwortungen sind dabei so verteilt, dass der Coach die Prozessverantwortung und der Coachee die Lösungsfindungs- und Ergebnisverantwortung hat. „Es gibt zwei Dinge, auf denen das Wohlgelingen in allen Verhältnissen beruht. Das eine ist, dass Zweck und Ziel der Tätigkeit richtig bestimmt sind. Das andere aber besteht darin, die zu diesem Endziel führenden Handlungen zu finden. – Aristoteles (griechischer Philosoph) – In der Literatur liegt der Schwerpunkt von Coaching in der Lösung eines Problems. Jedoch wird über die Verantwortungen differenziert, ob der Coach Ratschläge und Tipps geben oder sogar seine Meinung und Erfahrung im Coaching kundgeben darf.15 Hingegen existieren Stimmen, die Coaching von Beratung, Training, Führung, Supervision und Therapie abgrenzen.16 Richtig erscheint es, Coaching von (allgemeiner) Führung, Beratung, Training, Supervision und Therapie abzugrenzen. Ein Coach erklärt nicht, sondern der Coachee soll selbst erkennen, dass ihm Wissen als Ressource fehlt oder bereits vorhanden ist. Ein Coach berät nicht, da er den Coachee sonst willkürlich manipuliert. Ein Coach ist kein Supervisor, da er kein Feedback gibt. Ein Coach therapiert nicht, da er kein vergangenes Einzelschicksal analysiert. „Der „Chef“, das ist nicht der, der etwas anweist, sondern der, der das verlangen weckt, etwas zu tun.“ – Edgar Pisani (französischer Politiker) – Dieser Ausspruch von Edgar Pisani zielt auf das Auslösen von Motivation. Das umgangssprachliche Wort des Verlangens meint die Einheit von kognitiver Einsicht und emotionaler Lust. Sowohl die bewussten als auch die unbewussten Entscheidungsprozesse sind aufgrund der eigenen und individuellen Motivstruktur, attraktiven Werten usw. gefallen. Wenn wir schon in der Personalentwicklung Menschen individuell fördern, fordern und entwickeln wollen, sollten wir auf die Nachhaltigkeit achten. Nachhaltigkeit entsteht nur durch eigenes Lernen und eigenes Anwenden und späteres Transferieren auf andere Kontexte. Daher kann Coaching als strukturierter, emotionaler und kognitiver 15 Beispiele: Michael F. Petz, Führen – Fördern – Coachen, S. 80 ff.; Astrid Schreyögg, Coaching, S. 48, 54, 65. 16 Rolf Meier, Coaching, S. 72f.; vgl. Lenz / Ellebracht / Osterhold, Vom Chef zum Coach, S. 26f., 54.

26

Entwicklung des Teamcoachings

Lernprozess zur Selbstentwicklung verstanden werden, der sowohl durch bewusstes und unbewusstes Lernen vollzogen wird. „Man hilft den Menschen nicht, wenn man für sie tut, was sie selbst nicht können.“ – Abraham Lincoln (16. Präsident der USA) – Grund und Ausmaß dieser Differenzierung erfolgt im Kapitel III „Coachkompetenzen“. Des Weiteren ist Coaching eklektisch, da es keinen eigenen spezifischen Gegenstand hat, sondern die Erkenntnisse von Wissenschaft und Praxis (Erfahrung) nutzt. Durch die neue Zusammensetzung von Methoden und Modellen, aber auch Weltanschauungen und Theorien, entsteht ein neues System. Diese Basis lässt neue Argumente, Synthesen und Ideen zu, sodass durch die Entwicklung neue Erkenntnisse auftauchen.

2.2

Begriff des Teams

Bezogen auf ein Team ist Coaching sinnstiftend und zukunftsweisend. Wenn wir vom systemischen Ansatz ausgehen, so ist die Lebensdauer und Lebensqualität des Teams von den einzelnen Teammitgliedern abhängig. Diese sind einzelne Subjekte, die eigene Bedeutungen, Erfahrungen und Kompetenzen mitbringen. Diese individuellen Befähigungen gilt es erfolgreich für das Team, das Teamziel und die Teamentwicklung miteinzubringen. Für den Erfolg des Teams – Emergenz – bedarf es einer nachhaltigen Selbstlernkonzeption. Dies schafft Coaching. In diesem Zusammenhang ist das Verständnis von Führung wichtig. Führung bedeutet vor allem aktivieren. Aus der systemischen Betrachtung wird sie dreiteilig differenziert17: • Selbstführung • Fremdführung • Eigenführung Führung kann im Coaching aufgrund der Verantwortungsteilung von Coach und Coachee/Teamcoachee, wegen der drei Anliegen und fünf Werte von Coaching wieder gefunden werden. Dem Aktivieren folgen unmittelbar weitere Fragen: 17 Rolf Meier, Coaching, S. 42.

Coaching

• • • •

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Wer soll aktiviert werden? Warum soll aktiviert werden? Wohin soll aktiviert werden? Wie soll aktiviert werden?

In Bezug auf Coaching stellt der Coachingprozess den Beeinflussungsfaktor von Coach an Coachee/Teamcoachee dar. Hinsichtlich des Teams muss zwar zwischen personaler Teamorientierung (individuelle Kompetenzen) und struktureller Teamorientierung (Organisationsform) differenziert, jedoch auch zusammengefügt werden.18 Daher sollte das Team • • • •

eine gemeinsame Vision, gemeinsame Ziele, gemeinsame Strategien und gemeinsam vereinbarte Maßnahmen

als gemeinsame Verantwortungsgemeinschaft haben. Folglich ist Coaching ein strukturierter Unterstützungsprozess in der persönlichen Kompetenzentwicklung. Daher folgt diese Ausarbeitung über Teamcoaching der Definition der Hamburger Schule: „Coaching ist der durch die Werte Freiheit, Freiwilligkeit, Ressourcenverfügung und Selbststeuerung gebildete vertrauliche Kontext, in dem mit Hilfe des strukturierten Coachingprozesses, in Bezug auf ein Thema, die Wahrnehmung erweitert, die Entscheidungsfähigkeit gefördert und Verhaltensalternativen ausgelöst werden, um eine emotional gewollte und nachhaltige Selbstlernkonzeption des Coachees, der Gruppe oder des Teams zu erreichen.“19 Hernach stellt Coaching nicht nur eine Methode, sondern gerade eine Wertehaltung da, welche sich an fünf Werten orientiert und die Realisierung dreier Anliegen anstrebt. Die Basis für eine erfolgreiche Mitgliedschaft in einem Team sind selbstständige Personen.20 Insofern muss Teamcoaching zunächst jeden Menschen als Individuum identifizieren, anerkennen und seine Kompetenzen analysieren, um in einem weiteren Schritt das Gefüge der einzelnen, beteiligten Menschen zu einem Team und dessen Teamentwicklung zu betrachten. 18 Vgl. Rolf Meier, Team-Power, S. 60. 19 Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 35. 20 Rolf Meier, Team-Power, S. 48.

28

Entwicklung des Teamcoachings

3. Fazit Das systemische Coaching von mehreren Personen (e. g. Teams und Gruppen) ist komplex. Diese Komplexität beruht einerseits auf dem systemischen Ansatz, welche wir im Coaching von einzelnen Personen erleben, aber andererseits bereits in der situativen Anzahl von Personen. Mehrere Personen müssen ebenfalls Ihre Gedanken sortieren, sich in der Gruppe / dem Team orientieren, um so ihren Standort zu bestimmen, was Zeit, Reflexion, Austausch / Diskussion und in Folge Verständnis usw. auslöst. Gemeinsame systemisch-konstruktivistische Arbeit benötigt Zeit und ist komplex, da jeder einzelne Mensch wertschätzend berücksichtigt werden muss und sich somit voll in das (Team-) Coaching einbringen muss. Das systemische (Team-)Coaching ist mehr als eine Methode, nämlich eine echte humanistisch philosophische Wertehaltung. Denn Coaching mündet in der Aneignung einer nachhaltigen Selbstlernkonzeption, was schwerpunktmäßig sowohl psychologische als auch pädagogische Aspekte voraussetzt.

29

III. Coachkompetenzen 1. Kompetenzmodell Woran messen wir die berufliche Qualität des Coaches? Ist es die Ausbildung, die Erfahrung, die Rückmeldung der Kunden oder die allgemeine Präsenz am Markt? Um Willkür zu vermeiden und eine einheitliche Qualität zu initiieren benötigen wir messbare Kriterien der beruflichen Umsetzung. Hierzu wird das Kompetenzmodell genutzt.

1.1

Kompetenz anstatt Qualifikation

Im Coaching bevorzugen wir den modernen Begriff Kompetenz anstatt Qualifikation. Denn Qualifikation beschreibt das personenbezogene Arbeitsvermögen, welches sich aus dem fachlichen Wissen und den soft skills zusammensetzt – wichtige und gebräuchliche Indikatoren sind die Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse. Dieser Begriff der Qualifikation bietet jedoch keinen Raum für die Tatsache, dass die fachliche Kompetenz von berufsspezifischem Wissen und Fachkenntnissen sowie Arbeitsmethoden sehr eng mit der sozialen Kompetenz verwoben sind.21 Hingegen ist Kompetenz weiter und allgemeiner gefasst, sodass Dispositionen durch den Menschen möglich, ja auch wünschenswert sind. Das Wort Kompetenz ist lateinischen Ursprungs und meint sowohl das Zusammentreffen oder zu etwas fähig sein als auch das für etwas stehen und zuständig sein. Die Kompetenz vereint bei Individuen die verfügbaren und erlernbaren kognitiven Fähigkeiten / Fertigkeiten ein Thema anzugehen, sowie die damit motivationalen (d.h., die Beweggründe betreffenden) und sozialen (d.h., das Zusammenleben betreffenden) Bereitschaften / Fähigkeiten verantwortungsvoll die Themenlösung zu initiieren. Unterteilungen erfolgen in persönliche Kompetenz, fachlich-methodische Kompetenz, sozio-kommunikative Kompetenz, Feldkompetenz und Handlungskompetenz, welche stets vom Kontext abhängig sind.

21 U.a. Alex Laszlo, Beschreibung und Erfassung von Qualifikationen, Berufsbildung 1991, S. 23-27.

30

Coachkompetenzen

Dieser Ansatz setzt sich aus dem psychologischen und dem pädagogischen Ansatz für Kompetenz zusammen. F.E. Weinert formulierte aus psychologischer Perspektive die Kompetenz als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen (d.h., willentlich) und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen und variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“22 Der Kompetenzbegriff ist ein allgemein systemischer und konstruktivistischer. Kompetenzen prüfen nicht nur einzelne Wissens- und Könnenselemente sowie abstrakten Lernstoff (vgl. alte pädagogische Lernziele). Vielmehr werden die Lebenswelt und lebensweltlichen Bezüge sowie das Subjekt des Menschen und seine individuelle Lernentwicklung miterfasst. Insofern war Jürgen Habermas mit seiner kommunikativen Kompetenz ein Vorreiter für die Anwendung des Kompetenzbegriffs.23 Sodann führte Heinrich Roth den Kompetenzbegriff in die Erziehungswissenschaft ein. In der Pädagogik wurden drei Kompetenzen zur Erziehung zur Mündigkeit für die verantwortliche Handlungsfähigkeit differenziert, nämlich Selbst-, Sach- und Sozialkompetenz.24 Diese wirken nicht nur motivational sondern auch normativ zur Gestaltung des Lernens. Seit den 1990er Jahren wird in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik mit vier Kompetenzen gearbeitet: soziale Kompetenz, fachliche Kompetenz, personale Kompetenz und Methodenkompetenz. Hierbei wurde die Selbstkompetenz zur persönlichen Kompetenz und die methodische Kompetenz ergänzt. An dieser Differenzierung lassen sich die fachliche und methodische Kompetenz kaum unterscheiden. Wiederum bilden in den Erziehungswissenschaften die drei Kompetenzen zusammen die Basis für die Handlungskompetenz. Wichtig ist dabei, dass die Handlungskompetenz erst entstehen kann, wenn Fach-, Sozial- und Selbstkompetenz zusammentreffen.

1.2

Art des Kompetenzmodells

Im (Team-)Coaching nach der Hamburger Schule wurde das pädagogische Kompetenzmodell zu Grunde gelegt und durch die Feldkompetenz erweitert. Dies macht auch Sinn, wenn wir gerade den Menschen als Ganzes ansehen 22 F.E. Weinert, Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – ein umstrittene Selbstverständlichkeit in ders., Leistungsmessung in Schulen. 23 Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. I Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. 24 Heinrich Roth, Pädagogische Anthropologie, Bd. 2, 1971, S. 180.

31

Kompetenzmodell

und in das System menschliches Leben die Lebens- und Berufserfahrung miteinbeziehen. Daher hat das Kompetenzmodell folgende fünf Bereiche: • • • • •

fachlich-methodische Kompetenz persönliche Kompetenz sozio-kommunikative Kompetenz Feldkompetenz Handlungskompetenz

Da das Kompetenzmodell die komplexitätsreduzierende und abstrakte Darstellung von der Wirklichkeit darstellt, sodass Erklärungen und Vernetzungen von einem Kompetenzbereich mit jedem anderem erfolgen können, ist dessen Inhalt zu erörtern. Im Folgenden werden die fünf Kompetenzen in Bezug auf Coaching und „Coach sein“ vorgestellt.

Das Kompetenzmodell

32

Coachkompetenzen

2. Fachlich-methodische Kompetenz Die fachlich-methodische Kompetenz bedeutet kontextabhängig über fachliche Kenntnisse und Fertigkeiten zu verfügen sowie fachliche Abläufe ergebnisorientiert organisieren und realisieren zu können. Die fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten im Coaching können einerseits in die Definition von Coaching, den methodischen Ablauf von Coaching sowie andererseits in die Verantwortungen von Coaching aufgeteilt werden. Die daraus resultierenden Interventionen werden wiederum differenziert.

2.1

Faktisches Wissen

Zur Basisarbeit eines Coaches zählt die Abrufbarkeit von faktischem Wissen, der Definitionen von Coaching sowie der unterschiedlichen Interventionen strukturiert am Kompetenzmodell. 2.1.1

Bedeutende Personen (sog. Personenregister) sind: A

Abraham Maslow

Aristoteles

*01.04.1908 – 08.06.1970; amerikanischer Psychologe, Gründervater der humanistischen Psychologie, welche die seelische Gesundheit anstrebt und die menschliche Selbstverwirklichung untersucht. Kreierte 1943 die Pyramide der Bedürfnisse. *384 v. Chr. – 322 v. Chr.; einflussreichster Philosoph, da er zahlreiche Disziplinen entweder selbst begründet oder maßgeblich beeinflusst hat wie: 1. Biologie (Methodologie als Trennung von Fakten und Ursachen), 2. Dichtungstheorie (sog. Poetik), 3. Ethik (Glück als das Ziel des guten Lebens, Tugenden, Lebensformen und Lust), 4. Logik (Bedeutungstheorie, Prädikate und Eigenschaften, Deduktion und Induktion, Dialektik als Theorie der Argumentation, Rhetorik als Theorie der Überzeugung, syllogistische Logik), 5. Physik (Ontologie und Theologie), 6. Psychologie (Theorie des Lebendigseins, Seelenleben), 7. Staatslehre (als politische Philosophie, Bestandteile des Staates, Bürger und Verfassung eines Staates), 8. Wissenschaftstheorie (Wissen und Wissenschaft).

33

Fachlich-methodische Kompetenz Avram Noam Chomsky

*07.12.1928 – dato; US-amerikanischer Professor für Linguistik; als bedeutender kognitiver Linguist entwickelte er nach der Chomsky-Hierarchie Beiträge zur allgemeinen Sprachwissenschaft bzw. Transformationsgrammatik.

B Benjamin Beinbridge Tregoe

Bruce Wayne Tuckman

*1927 – 2005; US-amerikanischer Unternehmer; entwickelte mit Charles Higgins Kepner 1958 die Kepner-Tregoe-Methode zur planmäßigen Lösung und Entscheidung betriebswirtschaftlicher Fragen. *1938 – dato; amerikanischer Wissenschaftler und Professor der „School of Educational Policy and Leadership & Director“ an der Ohio State University in der Stadt Columbus, 1965 beschreibt er den Prozess einer Teamentwicklung in vier Phasen und fügt 1970 die Auflösungsphase als fünfte hinzu.

C Carl Gustav Jung

Charles Higgins Kepner

Christoph Thomann

Christopher Rauen

*26.07.1875 – 06.06.1961; war schweizer Mediziner und Psychologe; entwickelte die analytische Psychologie; in der Psychologie manifestierte er: 1. Komplexität, 2. Introversion, 3. Extraversion und 4. Archetypus. *1922 – dato; US-amerikanischer Unternehmer; entwickelte 1958 mit Benjamin Beinbridge Tregoe die Kepner-Tregoe-Methode zur planmäßigen Lösung und Entscheidung betriebswirtschaftlicher Fragen. *1950 – dato; ist schweizer Psychologe und arbeitet in der Kommunikationspsychologie, entwickelte mit Fritz Riemann das Riemann-Thomann-Modell. *1969 – dato; ist deutscher Psychologe, Senior Coach und gründete 1996 sein Unternehmen: Coaching, Coachausbildung und Marketing für Coaches und Ausbildungsinstitute (mittlerweile Christopher Rauen GmbH). Herausgeber von Handbuch Coaching, Coaching-Magazin, Coaching-Tool-Serie, Coaching-Report und dem Coaching-Newsletter. Initiator und Vorstandsvorsitzender des Deutschen Bundesverbandes Coaching e.V (DBVC).

34

Coachkompetenzen

E Edward de Bono

Eric Berne Erich Gutenberg

Ernst von Glasersfeld

*1933 – dato; ist britischer Mediziner und Psychologe; gründete 1969 den Cognitive Research Trust zur Verbreitung seiner Lehren; ist führender Lehrer für kreatives Denken, prägte in der Kreativität das Wort des „Querdenkers“ und entwickelte eine Vielzahl von Kreativitätstechniken wie: 1. das laterale Denken (lateral Thinking), 2. das L-Spiel, 3. die Denkhüte (Six Thinking Hats). Eric Lennard Bernstein *10.05.1910 – 15.07.1970; war US-amerikanischer Arzt und Psychiater, entwickelte die Transaktionsanalyse. *13.12.1897 – 22.05.1984; deutscher Wirtschaftswissenschaftler, gilt als Begründer der deutschen Betriebswirtschaftslehre; ordentlicher Professor an der Technischen Universität Clausthal von 1938 bis 1940, an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von 1941 bis 1947, an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main von 1948 bis 1951 und zuletzt Universität Köln von 1951 bis 1966; betrachtet den Betrieb nicht in Teilbereichen sondern in der Gesamtheit seiner Funktionen (systemisch, sog. mikroökonomische Theorie); entwickelte das Marketing, sodass die Produktionsfaktoren in der Betriebswirtschaftslehre auf den Kunden konzentriert werden. *08.03.1917 – dato; ist österreichisch-amerikanischer Philosoph, Kommunikationswissenschaftler und Begründer des radikalen Konstruktivismus, da er von einem kognitiven Subjektivismus ausgeht (Wissen, Erfahrung, Kognitionen existieren nur in den eigenen Köpfen; seine Erkenntnistheorie ist eine Theorie des Wissens, da: 1. Wissen nur aktiv vom denkenden Subjekt aufgenommen wird, 2. Kognition adaptiver Art ist und auf Viabilität abzielt, 3. Kognition der Organisation der Erfahrungswelt des Subjekts dient.

F Francisco Varela

Frederick Irving Herzberg

*07.09.1946 – 28.05.2001; war chilenischer Biologe, Philosoph und Neurowissenschaftler; gilt neben Humberto Maturana und Ernst von Glasersfeld als Begründer des radikalen Konstruktivismus; führte mit Humberto Maturana die Autopoiesis in die Systemtheorie und den Konstruktivismus ein. *18.04.1923 – 19.01.2000; war ein US-amerikanischer Professor der Arbeitswissenschaft und der klinischen Psychologie; stellte 1959 die Zwei-Faktoren-Theorie der menschlichen Bedürfnisse auf (auch genannt als Motivator-Hygiene-Theorie, Hygienefaktoren nach Herzberg, Herzberg-Theorie), welche den Zusammenhang der Bedürfnisbefriedigung am Arbeitsplatz und der Arbeitszufriedenheit aufzeigt.

35

Fachlich-methodische Kompetenz Friedemann Schulz von Thun

Fritz Perls

Fritz Riemann

Fritz Zwicky

*06.08.1944 – dato; deutscher Psychologe und Kommunikationswissenschaftler, Professor der Psychologie an der Universität Hamburg, entwickelte das Kommunikationsquadrat, das innere Team; er wird mit dem Metamodell der Sprache assoziiert. Friedrich Salomon Perls *08.07.1893 – 14.05.1970; war Psychiater und Psychotherapeut deutsch-jüdischer Herkunft, Gründungsvater der Gestalttherapie; entwickelte die fünf Säulen der Identität. *15.09.1902 – 24.08.1979; deutscher Psychologe und Psychoanalytiker; veröffentlichte 1961 die tiefenpsychologischer Studie „Grundformen der Angst“ und stellt vier Typen der Persönlichkeit auf, die individuell wandlungsfähig sind; er nannte sie: a. schizoide Persönlichkeit, b. depressive Persönlichkeit, c. zwanghafte Persönlichkeit, d. hysterische Persönlichkeit. *14.02.1898 – 08.02.1974; war schweizer / amerikanischer Physiker und Astronom; neben seiner astronomischen Tätigkeit beschäftigte er sich mit der Methodik, damit aus Ideen konkrete Ergebnisse / Produkte entwickelt werden können und entwickelte die morphologische Analyse (sog. morphologischer Kasten).

H Hans Ulrich

Heinz Heckhausen

Humberto Maturana

*12.09.1919 – 23.12.1997; war schweizer Wirtschaftswissenschaftler, von 1954 bis 1985 ordentlicher Professor an der Universität St. Gallen und gründete das Institut für Betriebswirtschaftslehre; entwickelte das St. Galler Management Modell, welches zuletzt von Johannes Rüegg-Sturm 2002 (sog. Neue St. Galler Management Modell) überarbeitet worden ist. *1926 – 30.10.1988; war deutscher Psychologe und neben Franz Emanuel Weinert Gründer des Max-Planck-Instituts für Psychologische Forschung in München und ab 1982 dessen Leiter; forscht über Prozesse der Handlungsmotivation sowie über Leistungsmotivation und entwickelte das erweiterte kognitive Motivationsmodell für die Anwendung in der Schule und in der Arbeitswelt sowie das Rubikonmodell der Handlungsphasen vom Wechsel der Motivation zur Volition. *14.09.1928 – dato; chilenischer Biologe und Philosoph; gilt neben Francisco J. Varela und Ernst von Glasersfeld als Begründer des radikalen Konstruktivismus, da er die Beziehung zwischen der Biologie und der Erkenntnistheorie feststellte und entwickelte 1972 die Autopoiesis.

36 John Thomas Grinder

Joy Paul Guilford

Coachkompetenzen

*10.01.1939 – dato; US-amerikanischer Sprachwissenschaftler, Professor für Linguistik und Mitbegründer des Neurolinguistischen Programmierens (NLP); entwickelte mit Richard Bandler das spezielle Kommunikationsmodell des Meta-Modells der Sprache, arbeitete mit Virginia Satir zusammen. *07.03.1897 – 26.11.1987; US-amerikanischer Psychologe bzw. Persönlichkeits- und Intelligenzforscher, der faktoranalytisch arbeitete; entwickelte „Structure of Intellect“ (SOI) als Kontrast zum hierarchischen Intelligenzmodell von Charles Spearman und Philip E. Vernon, da er die Komponente der Kreativität hervorhob; dieses 1967 veröffentlichte Modell überarbeitete Guilford 1982 und räumte eine gewisse Vorstellung der Hierarchie ein; es ist die Grundlage für das Berliner Intelligenzstrukturmodell (BIS) von Adolf Otto Jäger (1984).

K Knut Bleicher

Konrad Zacharias Lorenz

*22.04.1929 – dato; deutscher Wirtschaftswissenschaftler, war ordentlicher Professor für Betriebswirtschaftslehre von 1966 bis 1984 an der Universität Gießen und von 1984 bis 1994 an der Universität St. Gallen; entwickelte das St. Galler Management Modell von Hans Ulrich und Walter Krieg weiter und hob dabei die drei Felder des Managements hervor. *07.11.1903 – 27.02.1989; war österreichischer Mediziner und Hauptvertreter der klassischen vergleichenden Verhaltensforschung; gilt als Hauptvertreter der evolutionären Erkenntnistheorie und rundete seine Vorstellungen über das Zusammenspiel genetischer und zivilisatorischer Einflüsse auf das Erkenntnisvermögen des Menschen ab; erhielt 1973 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für die Entdeckungen betreffend den Aufbau und die Auslösung von individuellen und sozialen Verhaltensmustern; berühmtes Statement: „Gedacht“ ist nicht gesagt, „gesagt“ ist nicht gehört, „gehört“ ist nicht verstanden, „verstanden“ ist nicht gewollt, „gewollt“ ist nicht gekonnt, „gekonnt“ ist nicht getan, „getan“ ist nicht beibehalten!“.

M Mary McClure Goulding

*16.03.1925 – dato US-amerikanische Psychotherapeutin; mit ihrem Ehemann Robert L. Goulding entwickelte sie die Neuentscheidungstherapie innerhalb der Transaktionsanalyse.

37

Fachlich-methodische Kompetenz Meredith Belbin

Michael Balint

*1926 – dato; ist englischer Experte in der Team- und Führungsentwicklung und entwickelte in den 1970er die Teamrollen samt ihren Beiträgen zum Team, ihren Stärken und deren zulässigen Schwächen. Mihaly Maurice Bergsmann *03.12.1896 – 31.12.1970; war ungarischer Psychoanalytiker, galt als Pionier der psychosomatischen Medizin; entwickelte 1950 die Supervision als Reflexionsgruppe für Ärzte.

P Paul Helwig

Paul Watzlawick

*27.05.1893 – 07.08.1963; war deutscher Psychologe und Philosoph, bearbeitete die Charakterologie von einerseits den psychologischen Typen und andererseits den Krankheitsbildern; entwickelte 1951 das „Werteviereck“ zur Erklärung und Ordnung von wertebehafteten Begriffen und dient der Erklärung von Verhaltensphänomenen; der Name „Werteviereck“ ist in „Werteentwicklung“ umbenannt worden. *25.07.1921 – 31.03.2007; war Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeut, Psychoanalytiker und Soziologe und begründete die Kommunikationstheorie mit seinen fünf Axiomen und arbeitete in der Familientherapie mit einem systemischen Denken.

R Richard Bandler

Robert Brian Dilts

Robert L. Goulding Ruth Charlotte Cohn

*24.02.1950 – dato; ist US-amerikanischer Psychologe und Begründer des Neurolinguistischem Programmierens (NLP); beschreibt linguistisch fundierte Sprachmuster und entwickelte mit Fritz Perls und John Grinder ein eigenes Kommunikationsmodell, das sog. „Meta-Modell“ der Sprache; führte neben dem Milton-Modell, das Ankern, das Reframing, das Belief change, das Nesting Loops und die Timeline ein. *21.03.1955 – dato; ist US-amerikanischer Gestalttherapeut und Mitbegründer des neurolinguistischen Programmierens (NLP); seine Arbeiten enthalten grundlegende Ansätze und Denkweisen zu Strategien und Glaubenssätzen bzw. Überzeugungen; kombinierte die systemische Therapie mit dem NLP, entwickelte die „logischen Ebenen“ als Beschreibung der Ebenen der Veränderung (sog. Entwicklungsebenen nach der Hamburger Schule). *29.10.1917 – 13.02.1991; war US-amerikanischer Psycho therapeut; mit seiner Ehefrau Mary McClure Goulding entwickelte er die Neuentscheidungstherapie innerhalb der Transaktionsanalyse. *27.08.1912 – 30.01.2010; war deutsch-jüdischer Abstammung und eine bekannte und einflussreiche Vertreterin der humanistischen und psychodynamischen Psychologie; entwickelte 1955 die Themenzentrierte Interaktion (TZI).

38

Coachkompetenzen

S Sigmund Freud

Steven Reiss

*06.05.1856 – 23.09.1939; war österreichischer Arzt und Tiefenpsychologe – hieß ursprünglich Sigismund Schlomo Freud – ist der Begründer der Psychoanalyse; erforschte die Hypnose und deren Wirkung, entwickelte die Psychoanalyse, welche auf der freien Assoziation und der Traumdeutung beruht, entwickelte die allgemeine Theorie der Persönlichkeit. ist US-amerikanischer Testanalytiker und Motivationsforscher, emeritierter Professor für Psychologie und Psychiatrie an der Ohio State University (USA). Als er 1997 lebensbedrohlich erkrankte, stellte er sich die Frage „War ich glücklich in meinem Leben?“ und fand eine Lücke in der Motivationsforschung zur Beantwortung seiner Frage. Über eine Faktoranalyse und einer Befragung von 7.000 Versuchspersonen in den USA, Kanada und Japan führte er menschliches Verhalten auf 16 „basic desires“ (sog. relevante Lebensmotive) zurück.

V Virginia Satir

*26.06.1916 – 10.09.1988; war US-amerikanische Familientherapeutin und wird als „Mutter der Familientherapie“ bezeichnet, führte diverse kreative Modelle ein, wie z.B. Familienaufstellungen und das Reframing.

W Walter Krieg

Wolfgang Nieke

2.1.2

ist schweizer selbstständiger Unternehmensberater und Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen am Institut für Betriebswirtschaftslehre, entwickelte mit Hans Ulrich das St. Galler Management Modell. *27.02.1948 – dato; seit 1993 deutscher ordentlicher Professor für allgemeine gemeine Pädagogik an der Universität Rostock; entwickelte mit Gabriele Lehmann das Kompetenzmodell in Zusammenhang mit dem erweiterten Lernbegriff.

Wichtige Definitionen (sog. Sachregister) sind: A

Absicht, die abstrakt Abstraktion, die

lateinisch intentio = die Absicht etwas zu tun oder der Vorsatz etwas zu machen; Absicht ist das Bedürfnis etwas zu verwirklichen. Adjektiv von Abstraktion, steht für theoretisch und ohne Bezug zur Realität; Gegensatz: konkret. ist das gedankliche Weglassen von konkreten Einzelteilen zur Erhebung eines allgemeinen Begriffs. Gegensatz: Konkretisierung.

39

Fachlich-methodische Kompetenz Alternative, die

Analyse, die

analytisch

Assoziation, die assoziiert

autonom autoritär

Axiom, das

von lateinisch alternus = abwechselnd, wechselweise; bedeutet die Wahlmöglichkeit zwischen zwei sich ausschließenden Optionen wie z.B. links oder rechts, ja oder nein, an oder aus usw.; In Unterscheidung zu: Möglichkeit und Variante; ist synonym zu Option. systematische Untersuchung eines Gegenstandes / Sachverhaltes hinsichtlich aller einzelner Komponenten / Faktoren, die ihn bestimmen; Gegensatz: Synthese, Assoziation. Adjektiv von Analyse; griechisch analytikos = auflösend; zergliedernd, zerlegend, durch logische Zergliederung entwickelnd; Gegensatz: analog, assoziativ. Verknüpfung von Vorstellungen, von denen die eine die andere hervorgerufen hat. Gegensatz: Dissoziation. Adjektiv von Assoziation; von lateinisch associare = vereinigen, verbinden, verknüpfen; eine bewusste oder unbewusste Verknüpfung von Gedanken. Gegensatz: dissoziiert. Adjektiv von Autonomie; selbstständig, unabhängig, willensfrei; Gegensatz: heteronom. Adjektiv von Autorität; selbstständig auftretend. • abwertende Bedeutung: totalitär, diktatorisch, unbedingten Gehorsam fordernd • aufwertende Bedeutung: leistungsabhängiger oder auf Tradition beruhender maßgebender Einfluss einer Person und das daraus erwachsende Ansehen; Gegensatz: antiautoritär. griechisch axiomata = als wahr angenommener Grundsatz; wissenschaftlicher Begriff für einen unbeweisbaren, aber in sich schlüssigen Grundsatz, der als Ausgangspunkt einer Theorie dient.

B Bedürfnis, das

Bedürfnis ist ein spezifischer Beweggrund für ein Verhalten. • allgemeiner Begriff für den Wunsch, einen empfundenen oder einen tatsächlichen Mangel Abhilfe zu schaffen; • psychologischer Begriff für einen spezifischen Beweggrund für ein Verhalten (die Hamburger Schule); vgl. Bedürfnispyramide von Abraham Maslow.

Begabung, die

Begabung ist eine themenspezifische individuelle Ressource, die sich in einem konkreten Kontext als vorteilhaft identifizieren lässt. englisch to black out = abdunkeln; ist das plötzliche völlige Versagen eines Zustandes, wie z.B. Gedächtnisverlust, Bewusstlosigkeit, kurzzeitige Erblindung. Wichtig, wenn Personen geprüft und (sozial, persönlich) bewertet werden.

Black-out, der

40

Coachkompetenzen

C Coaching, das

Coachingabgrenzung, die

Coachingablauf, der Coachingansatz, der

Coachingprozess, der

von englisch coach = Kutsche; befähigt zu einer nachhaltigen Selbstlernkonzeption, Coaching ist der durch die Werte Freiheit, Freiwilligkeit, Ressourcenverfügung und Selbststeuerung nebst Vertrauen sowie Vertraulichkeit gebildete Kontext, in dem mit Hilfe des strukturierten Coachingprozesses, in Bezug auf ein Thema, die Wahrnehmung erweitert, die Entscheidungsfähigkeit gefördert und Verhaltensalternativen ausgelöst werden, um eine emotional gewollte und nachhaltige Selbstlernkonzeption des Coachees, der Gruppe oder des Teams zu erreichen. Insofern erkennt der (Team-)Coachee selbst, welche Kompetenzen er im Zusammenhang mit seinem Ziel erlangen und welchen Weg (Strategie) er tatsächlich (Maßnahme) gehen muss (sog. Lösungsfindungs- und Ergebnisverantwortung). Über Vertrauen und Vertraulichkeit interveniert der Coach dissoziiert hypothesengeleitet nach dem Coachingablauf und initiiert mit Hilfe des Coaches eine nachhaltige Selbstlernkonzeption. nach der Hamburger Schule ist Coaching eine eigenständige Dienstleistung und möchte Missverständnissen vorgreifen, indem Coaching von 1. Beratung, 2. Mediation, 3. Supervision, 4. Therapie, 5. Training usw. abgegrenzt wird. Synonym für Coachingprozess. erklärt die Wirkungserwartung an das Coaching aus der sich die Verwendung des Prozesses von Modellen, Methoden und Werkzeugen zur Einhaltung von bestimmten Werten ableitet. nach der Hamburger Schule hat ein Coaching eine Struktur, sodass der Prozess eines Coachings eine Selbstreflexion beim Coachee / bei den Teamcoachees auslöst, um auf der Basis eigener Ressourcen des Coachees / der Teamcoachees Handlungsmöglichkeiten für selbstgewählte Veränderungsvorhaben durch ihn selbst zu ermöglichen; orientiert sich an der Kepner-Tregoe-Methode und der Rubikon-Methode. Folgende Phasen zeichnet den Ablauf eines Coachings aus: 1. Kontakt und Kontrakt, liegt vor dem eigentlichen Coaching, 2. Thema- und Zielklärung, ist Teil des konkreten Coachings, 3. Ressourcenidentifikation, ist Teil des konkreten Coachings,

Fachlich-methodische Kompetenz

Coachingziel, das

Coachkompetenzen, die

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4. Entwicklung und Auswahl von Verhaltensmöglichkeiten, ist Teil des konkreten Coachings, 5. Controlling und Abschluss, liegt nach dem eigentlichen Coaching; In allen fünf Phasen sind 1. die Wortverwendungen des Coachees / der Teamcoachees zu deuten und zu klären sowie für die Reflexionsangebote im Coachingprozess zu nutzen und 2. die Modelle, die Methoden, die (Hand-)Werkzeuge des Coachs angemessen einzusetzen, um die Themen und die Ressourcen zu identifizieren und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. nach der Hamburger Schule wird im Coaching zwischen zwei Zielen unterschieden: a. dem eigentlichen Ziel der Veränderung des Coachees / der Teamcoachees; b. dem zeitlichen Ziel des Coachingtreffens. Die Formulierung des Coachingziels ist fester Bestandteil des Coachingablaufs; muss folgende Merkmale aufweisen, um realistisch erreichbar zu sein: 1. Adressat (Ich-Form), 2. Zeit (Datum und Futur II bzw. am oder ab wann genau), 3. Quantität (Güte und Menge) 4. Qualität (positive Verbesserungen), 5. Kontext; folgendes darf nicht enthalten sein: a. negative Formulierungen, b. neutrale Formulierungen (ohne Adjektive), c. Absichten und Wünsche, d. Maßnahmen. nach der Hamburger Schule muss der Coach folgende Kompetenzen basierend auf dem Kompetenzmodell aufweisen: 1. die persönliche Kompetenz zum dissoziierten Vorgehen im Coaching, 2. die fachlich-methodische Kompetenz zur mentalen Vorbereitung auf ein Coaching, die Hypothesenbildung zum situativ angemessenen und sinnvollen Einsatz von Reflexionsangeboten, der Prozessverantwortung, 3. die sozio-kommunikative Kompetenz für einen wertschätzenden und respektvollen Kommunikationskontext, sodass der (Team-)Coachee seine Lösungsfindungs- und Ergebnisverantwortung wahrnehmen kann, 4. die Feldkompetenz mit seiner individuellen Lebens- und Erfahrungswelt in einem bestimmten Kontext / Themengebiet sowie 5. die Handlungskompetenz tatsächlich reflektiert als Coach im Coaching zu agieren. Angestrebt wird die Einhaltung der fünf Werte von Coaching sowie die drei Anliegen von Coaching.

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Coachkompetenzen

D dissoziiert

Adjektiv von Dissoziation; lateinisch dioassociare = trennen; • medizinischer / psychologischer Begriff für den teilweisen oder den völligen Verlust der normalen Integration von Erinnerungen an die Vergangenheit; • soziologischer Begriff für die Trennung bestimmter Werte und Normen der beteiligten Gruppen. Gegensatz: assoziiert; • nach der Hamburger Schule trennt der Coach das Wahrgenommene von seinen persönlichen Erinnerungen und Vorstellungen und verbindet dies mit dem faktischem fachlichen Wissen (fachlich-methodische Kompetenz).

E Emotion, die

Entwicklung, die Erkenntnis, die extrinsisch

lateinisch emovere = erschüttern, aufwühlen und dem Partizip motus = Motor und bedeutet starke innere Bewegung, Gemütsbewegung; ein psychologischer Prozess mit subjektivem Gefühlserleben und Änderung der Verhaltensbereitschaft. beschreibt ein grundlegendes Merkmal der Realität wie z.B. Kreativität, Veränderung, Umwandlung, Entstehung. ist sowohl der Prozess als auch das Ergebnis eines durch Einsicht oder Erfahrung gewonnenen Wissens. von Außen her; nicht aus eigenem Anlass erfolgend, sondern aufgrund äußerer Antriebe; Gegensatz: intrinsisch, autonom.

F fachlichmethodische Kompetenz

Feedback, das

interagierender Bereich des Kompetenzmodells: Umfasst nach der Hamburger Schule die Verfügung über fachliche Kenntnisse und Fertigkeiten in einem Kontext sowie die ergebnisorientierte Organisation von Arbeitsabläufen; Fähigkeiten, die zur fachlich-methodischen Kompetenz eines Coaches zählen sind: • Hypothesenbildung • abstrakte Angebote zur Reflexion • Prozess führen englisch feed = füttern, nähren sowie back = zurück; die zeitnahe Rückmeldung einer Wahrnehmung oder die Beurteilung von etwas nach einem allen Beteiligten verfügbaren Maßstab. Rückmeldungen sind Voraussetzungen für die Entwicklung von Kompetenz. Aus dem Vergleich der Rückmeldung mit der Selbstwahrnehmung des eigenen Verhaltens werden Veränderungen im eigenen Verhalten abgeleitet.

Fachlich-methodische Kompetenz Feldkompetenz, die

Freiheit, die

Freiwilligkeit, die

Führung, die Führungsaufgabe(n), die

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Umfasst nach der Hamburger Schule die Verfügbarkeit von reflektierten branchen-, themenspezifischen und kulturellen Erfahrungen in einem Kontext. lateinisch libertas; bezeichnet die Möglichkeit ohne innere oder äußere Zwänge zwischen verschiedenen Möglichkeiten entscheiden zu können. Bezeichnet den persönlichen nach eigenen Motiven, Werten sowie Neigungen gebildeten Willen zu einem Tun oder Unterlassen, wobei man auch anders handeln könnte, wenn man dies wollte. Absichtlich autoritäres oder kooperatives Beeinflussen von menschlichem Verhalten oder Organisationsstrukturen. Von Rolf Meier aus den fünf dispositiven Faktoren der Betriebswirtschaftslehre weiterentwickelt, auch bekannt als Initiativpflichten oder zeitgemäßer Regelkreis von Führung: 1. Auseinandersetzen mit der Zukunft 2. Motivation auslösen 3. Arbeitsabläufe planen 4. Führen mit Zielen 5. Entscheiden 6. Delegieren 7. Koordinieren 8. Organisieren und Verbinden 9. Informieren und Kommunizieren 10. Fördern und Entwickeln 11. Mitarbeiterauswahl und -einsatz 12. Mitarbeiterschutz 13. Selbstentwicklung 14. Messen und Bewerten

Führungsbetrachtungen, die Führungseinsicht(en), die

beziehen sich auf die Beeinflussungen der eigenen Person (Selbstführung), einer Gruppe durch sich (Eigenführung) und auf einer anderen Person (Fremdführung). intersdisziplinärer Ansatz für Führung, von Rolf Meier entwickelt: 1. Wer führt wen? 2. Führung als Überlaufsystem 3. Führung und Zeit 4. Führung und Situation 5. Führung und Zusammenhalt 6. Führung und BWL 7. Führung und Denk- und Handlungsstrukturen 8. Führung und politisch denken und systemisch handeln

44 Führungsstil, der Führungsverhalten, das

Coachkompetenzen ist ein wiederkehrendes Verhaltensmuster in unterschiedlichen thematischen Kontexten (vgl. Leitwert). ist ein konkret (situatives) wertegeleitetes beeinflussendes Verhalten in einem thematischen Kontext.

G Gefühl, das Gruppe, die

ist eine körperlich empfundene Bewertung einer Wahrnehmung; siehe Emotion. • allgemeiner Begriff für die Zusammenkunft von mehreren Personen; • rechtlicher Begriff der Ansammlung und bedeutet eine Menschenmenge, die sich auf einer öffentlichen Straße ansammelt; • arbeitsrechtlicher Begriff der Arbeitsgruppe und bedeutet Menschen, die gemeinsam in einem Betrieb / in einer Abteilung eine Arbeit ausführen; anders ist die Versammlung; Gegensatz ist das Team.

H HALO-Wert

Handlungskompetenz, die

Handlungsoptionen, die Handlungsplan, der heteronom Hypothese, die

ist ein Sonderfall des Leitwertes; existiert, wenn ein einzelner Wert alle anderen Werte überstrahlt, sodass sich das Verhalten (einseitig, fokussiert) an diesem Wert orientieren kann. bedeutet nach der Hamburger Schule den Sinn eines Kontextes sowie Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu anderen Kontexten zu erkennen und die Koordination aller persönlichen Ressourcen selbstgesteuert in einem situativ-individuellen Handeln (Tun oder Unterlassen) zu realisieren. sind unterschiedliche, vom menschlichen WiIlen gesteuerte Verhaltensweisen. Abfolge von Handlungen / Maßnahmen zur Zielerreichung. Adjektiv von Heteronomie; fremdgesetzlich, von fremden (sittlichen) Gesetzen abhängig; Gegensatz: autonom. von griechisch hypothesis = Unterstellung, Vermutung; allgemeiner Begriff für eine unbewiesene (wissenschaftliche) Annahme, die wahrscheinlich ist, aber noch eines Beweises bedarf; Gegensatz: Spekulation, die nicht widerspruchsfrei und nicht mit dem allgemeinen Wissen übereinstimmt; sie dienen 1. der Erklärung bereits bekannter Tatsachen, 2. die Prämisse eines Arguments; nach der Hamburger Schule sind Hypothesen im Coaching zum dissoziierten Verhalten des Coaches via Verbindung der wahrgenommenen

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Fachlich-methodische Kompetenz

Informationen des Coachees / der Teamcoachees mit bekannten Modellen, Theorien und Axiomen zu verwenden. hypothetische Frage, die

eine Frageart mit dem Ziel, den Befragten in den Zustand einer Annahme zu bringen und diese Annahme unter dieser Prämisse zu bewerten.

I inneren Antreiber, die

Intelligenz, die

Interaktion, die

Intervention, die

psychologische Begriffe aus der Transaktionsanalyse von Eric Berne, der das Kindheits-Ich in fünf Grundannahmen des Verhaltens einteilt; nach der Neuentscheidungstherapie von Mary McClure Goulding und Robert L. Goulding sind die inneren Antreiber das Gegenskript zu den negativen Antreibern nach Eric Berne; diese fünf Arten haben ihre Vor- und Nachteile: 1. „Sei liebenswürdig“, 2. „Sei perfekt“, 3. „Sei stark“, 4. „Beeil dich“, 5. „Streng dich an“. Die inneren Antreiber korrelieren mit dem Motiv Anerkennung (MSA) und dessen kindlicher Prägung (Entwicklung). Substantiv von lateinisch intelligentia = Einsicht, Erkenntnisvermögen bzw. intellegere = verstehen; ist eine individuell vererbte und gelernte strukturelle, neuronale Ressource, die in einem Kontext die Qualität kognitiver, emotionaler und psychomotorischer Entscheidung beeinflusst; • allgemeiner Begriff für die geistige Fähigkeit zum Erkennen von Zusammenhängen und zum Finden von Problemlösungen; • psychologischer Begriff für die kognitiven Fähigkeiten eines Menschen, also die Fähigkeit a. zu verstehen, b. zu abstrahieren, c. Probleme zu lösen, d. Wissen anzuwenden, e. Sprache zu verwenden. lateinisch inter = innen sowie actio = Handlung; bezeichnet das sich aufeinander beziehende soziale Handeln von wenigstens zwei sozialen Einheiten (Individuum / natürliche Person oder Organisation / juristische Person) mit dem Zweck, Werte zu vergleichen, abzustimmen und Verhalten auszulösen. lateinisch intervenire = dazwischentreten, sich einschalten; Begriff aus der Pädagogik; bedeutet den direkten Eingriff in das Geschehen, um ein unerwünschtes Phänomen zu vermeiden oder zu beseitigen; wichtige Ressource der Kompetenz als Coach.

46 intrinsisch

intuitiv

Irritation, die

Coachkompetenzen von Innen her; aus eigenem Antrieb durch Interesse an der Sache verfolgend; durch in der Sache / Person liegende Anreize bedingt; Gegensatz: extrinsisch, heteronom. Adjektiv von Intuition; lateinisch intuere = genau hinsehen; Fähigkeit, impulsiv und unbewusst zu entscheiden und zu handeln; Gegensatz: rational. lateinisch irritatio = ausgeübter Reiz; Zustand der Verunsicherung; Reizung, erregt sein; vgl. Perturbation.

K Kognition, die

Kompetenz, die

Kompetenzmodell, das

Konflikt, der

Konfrontation, die Konstruktivismus, der

lateinisch cognoscere = erkennen, erfahren; ist die von einem verhaltensgesteuerten System ausgeführte Informationsumgestaltung wie z.B. mentale Prozesse des Menschen. Kognitionen können Emotionen beeinflussen, so wie Emotionen die Kognitionen beeinflussen können. von lateinisch competere = zusammentreffen, zu etwas fähig sein; bedeutet, den Sinn eines Kontextes, sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu anderen Kontexten zu erkennen sowie die Koordination aller persönlichen Ressourcen selbstgesteuert in einem situativ-individuellen Handeln zu realisieren. ein allgemeingültiges Modell, das abstrakt die Fähigkeiten und Fertigkeiten beschreibt, die ein Mensch in einem bestimmten Kontext entwickelt haben muss, um in diesem Kontext situativ erfolgreich sein zu können; vgl. Coachkompetenz. lateinisch confligere = zusammentreffen, kämpfen; ein Konflikt entsteht, wenn mindestens zwei Interessen (Identitäten, Ressourcen, Werte, Ziele, Verhalten usw.) sich widersprüchlich trotz gegenseitiger Abhängigkeit für ein gemeinsames Ergebnis kognitiv und emotional gegenüber stehen. lateinisch confrontatio = Gegenüberstellung; Gegenüberstellung von sich gegenseitig störenden und zunächst unvereinbaren Meinungen / Deutungen. Ist ein Begriff in verschiedenen (wissenschaftlichen) Fachbereichen und Disziplinen. Grundsätzlich ist er Ausdruck für eine wissenschaftliche Denk- und Erkenntnishaltung, die davon ausgeht, dass Wissen, Erkenntnisse, Vorstellungen und andere Inhalte nicht naturgegeben sind, sondern vom Menschen als erkennendes Subjekt konstruiert werden. Diese Erkenntnis ist philosophischer Natur und durch Sokrates sowie Immanuel Kant geprägt und eroberte • die Psychologie durch Jean Piaget, Ernst von Glasersfeld, • die Naturwissenschaften durch Humberto Maturana, • die Neurowissenschaft durch Gerhard Roth, • die Sprache durch Paul Watzlawick, • die Systemtheorie von / durch Niklas Luhmann oder • die Pädagogik / Andragogik durch Horst Siebert.

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Fachlich-methodische Kompetenz Kontext, der

Konzept, das

Konzeption, die

Kreativität, die

lateinisch contexto = zusammensetzen bzw. contextus = verflochten, fortlaufend; ist ein individuell definierter und gedeuteter thematischer Bezugsrahmen (Konstruktivismus) zur Orientierung des eigenen Verhaltens; Gegensatz: Situation. lateinisch concipere = erfassen; Konzept ist die konkrete Anforderungsbeschreibung an das Ziel-Strategie-System eines Themas in seinem Kontext mit festem Absichtscharakter zum Handeln (der Aktionsplan). Konzeption ist die umfassende Beschreibung eines Ziel-, Struktur- und Handlungssystems eines Themas in seinem Kontext als flexibel gehaltenes Realisierungsvorhaben. (Grundsätzliche Bearbeitungsstruktur mit erlaubten Freiheitsgraden in den konkreten Handlungssituationen). lateinisch creare = etwas neu schöpfen, etwas erfinden, herstellen; ist das schöpferische Potenzial des Menschen, die Fähigkeit von gewohnten Denkschemata (analytisches Denken) abzuweichen, aus der Norm fallende Ideen (kognitiver Faktor) zu entwickeln und Werke zu gestalten.

L Leitbild, das

Leitbildentwicklung, die

bezeichnet die strategische Zielvorstellung eines Unternehmens (Unternehmensvision); beschreibt: 1. das angestrebte Ideal, 2. hohe gelebte Werte, 3. erfolgreiche und zufriedene Mitarbeiter, 4. zufriedene Kunden und Lieferanten, 5. qualitativ und quantitativ hochwertige Produkte und Leistungen, 6. Marketing und geografische Lage / Ausdehnung; hat vier Funktionen: 1. Orientierungsfunktion (Werte, Normen), 2. Integrationsfunktion (Wir-Gefühl, sog. Corporate Identity), 3. Entscheidungsfunktion (Risikomanagement), 4. Koordinierungsfunktion (von Mitarbeitern, Führungskräften, Öffentlichkeitsarbeit); hat folgendes Ziel: Vereinheitlichung und Überprüfbarkeit des Verhaltens der Personen im Unternehmen (sog. Corporate Behaviour). Methode fußt nach der Hamburger Schule auf dem neuen St. Galler Management Modell und der Vision des Unternehmens; aktiver Schritt einer visionären Zukunftsplanung; folgende Schritte sind wichtig: 1. linke Spalte für den Ist-Zustand (Realität), 2. rechte Spalte für den Soll-Zustand (Vision), 3. Punkte in Sätze fassen (Präsens); nach der Hamburger Schule dürfen a. keine Zahlen und b. keine vergleichenden Aussagen verarbeitet werden.

48 Leitwert, der

Lernen, das

Logik, die

Coachkompetenzen ist ein Sonderfall eines Wertes, der durch die Schnittmenge von Werten aus verschiedenen Kontexten entsteht; vgl. Axiom 18 der Hamburger Schule. Lernen wird als ein physiologischer Prozess, der relativ stabilen Veränderungen des Verhaltens, des Denkens und / oder des Fühlens aufgrund von Erfahrungen oder neu gewonnenen Einsichten sowie des Verständnisses, aufgefasst. Lernen wird in intentionales (absichtliches) Lernen und inzidenzielles / implizites (beiläufiges) Lernen differenziert. altgriechisch logiké téchné = denkende Kunst; Ist die Folgerichtigkeit, im Sinne von begründbar und nachvollziehbar, des Denkens.

M Marketing, das

Marketingkonzept, das

Maßnahme, die Mediation, die

Methode, die

englisch marketing = auf den Markt bringen; betriebswirtschaftlicher Begriff nach Erich Gutenberg für den Prozess im Wirtschafts- und Sozialgefüge durch den Einzelpersonen und Gruppen ihre Bedürfnisse und Wüsche befriedigen, in dem sie Produkte und andere Dinge von Wert erzeugen und miteinander austauschen; teilbar in 1. das strategische Marketing und 2. das operative Marketing. gilt als Unternehmensphilosophie bzw. Aspekt der Corporate Identity; es besagt, dass der Schlüssel zur Erreichung unternehmerischer Ziele darin liegt, die Bedürfnisse und Wünsche des Zielmarktes zu ermitteln und diese dann wirksamer und wirtschaftlicher zufrieden zu stellen als die Wettbewerber. aktive Umsetzung der langfristig geplanten Anstrebung der eigenen Bedürfnisbefriedigung. lateinisch mediare = vermitteln; ist ein strukturiertes freiwilliges Verfahren zur konstruktiven Beilegung oder Vermeidung eines Konfliktes zwischen mindestens zwei Parteien; die Konfliktparteien (sog. Medianten) wollen mit Unterstützung einer unparteiischen Person (sog. Mediator) zu einer einvernehmlichen Vereinbarung gelangen, die ihren Bedürfnissen und Interessen entspricht; wie im Coaching wird ein bestimmter Ablauf durchlaufen, in welchem weder (psycho-)therapiert, trainiert noch beraten (vorgeschlagen) wird. griechisch methodos bzw. aus meta = hinterher usw. und hodos = Weg, Gang; ist ein themenspezifisches Analyse- und Lösungsmuster, das ein „richtiges“ Ablaufverfahren im Kontext definiert. Beispiele: • Biografiearbeit • Coachingprozess • Denk- und Handlungsstrategien einer Führungskraft • Feedback • Kepner-Tregoe-Methode • Konfliktstufen

Fachlich-methodische Kompetenz

Mission, die

Modell, das

49

• kreativer Prozess • Mind-Mapping • Rubikonprozess • SWOT-Analyse • Systemcheck • Teamentwicklungsphasen • Visions-Box • Visions-Reservoir • Wahrnehmungspositionen wechseln • Walt-Disney-Methode • Zielerreichungsmerkmale • Zwei-Faktoren-Theorie lateinisch mittere = entsenden, schicken, gehen lassen; beschreibt Werte und Normen, die das Verhalten Einzelner und Gruppen in einem spezifischen thematischen Kontext leiten und verlangen. italienisch modello bzw. lateinisch modulus; wurde in der Renaissance als Maßstab der Architektur verwendet; Modell ist die komplexitätsreduzierende und abstrakte Darstellung von der Wirklichkeit; generalisierender Überblick. Beispiele: • acht Grundeinsichten des Führens • Bedürfnispyramide • Change-Kurve • Fragekompass • Führen mit Zielen – Zielanweisung • Führen mit Zielen – Zielvereinbarung • Führen mit Zielen – Zielvorgabe • Führungspentagon • Fünf Säulen der Identität • Grundbegriffe Marketing • Hypothesenbildung • Ich-Zustände (Transaktionsanalyse) • Interaktionen des kognitiv-biologischen Empfindens • JoHari-Fenster • Kompetenzmodell • Kompetenzentwicklungsmodell • Konfliktlösungsmuster • kreative Person • Kreativität • kritische Erfolgsfaktoren im Coaching • Lerntaxonomien • MotivStrukturAnalyse (MSA) • Motiv-Wert-Interaktion • multiple Intelligenzen • neue St. Galler Management-Modell (SGMM) • Riemann-Thomann-Modell • Rubikonmodell

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Coachkompetenzen • • • • • • • • •

Möglichkeit, die Motiv, das Motivation, die

Sozialverhalten im Konflikt Teamrollen themenzentrierte Interaktion (TZI) vierzehn Führungsaufgaben bzw. zeitgemäßer Regelkreis der Führung Werte-Entwicklungs-Quadrat Wissen – Wollen – Können – Dürfen zentrale Werte und Normen des Management Coaching Zielsystem Zwei-Faktoren-Theorie

ist die praktische oder theoretische Realisierbarkeit eines Gegenstandes, eines Vorganges oder eines Zustandes. ist ein unspezifischer Beweggrund für ein Verhalten. lateinisch motus = Bewegung; humanwissenschaftlicher Begriff für den Zustand, der die Richtung des Verhaltens beeinflusst bzw. nach Corell: die innere Bereitschaft zur Aktivität (sog. Verhaltensbereitschaft); wichtig für • die allgemeine Psychologie der Grundmotive nach den Motivberatern, • humanistische Psychologie der Bedürfnisse nach Abraham Maslow, • Arbeitspsychologie der Zwei-Faktoren-Theorie nach Frederick Herzberg, • das erweiterte kognitive Motivationsmodell / Rubikonmodell nach Heinz Heckhausen, • die Führungsaufgabe „Motivation auslösen“, • Aufteilung in extrinsische Motivation und intrinsische Motivation.

N Nachhaltigkeit, die

Norm, die



ursprünglicher Begriff aus der Forstwirtschaft für die Bewirtschaftung und sinnvolle Nutzung / Abrodung der Ressourcen (Baum und Tanne usw.); • Nachhaltigkeit meint, dass der Coachee / die Teamcoachees aus sich heraus vergleichbare, zukünftige thematische Situationen in unterschiedlichen Kontexten erfolgreich gestaltet. Nach der Hamburger Schule kann der Coachee / die Teamcoachees durch den Coachingprozess in Kongruenz zu seinem Veränderungsziel selbstständig seine Veränderungen initiieren und sein Verhalten durch seine Selbstreflexion auch in sich wandelnden, aber thematisch vergleichbaren Kontexten in der Zukunft stabilisieren. lateinisch norma = Winkelmaß, Maßstab; ein durch bestimmte Prozesse festgelegter allgemein anerkannter Standard wie z.B. Rechtsnorm, Standard, Vorschrift, Sprachnorm, medizinischer Referenzwert, sportliche Qualifikation.

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Fachlich-methodische Kompetenz

O Objektivität, die





lateinisch objectum = das dem Verstand vorgesetzte; erkenntnistheoretischer Begriff für die überindividuelle, unabhängig vom Einzelnen bestehende Wahrheit eines bestimmten Gegenstandes (Objekts), Sachverhalts (Kontextes) oder einer Aussage; auch die Eigenschaft der Unabhängigkeit von individuellen Umständen, historischen Zufällen oder beteiligten Personen; wissenschaftlicher Begriff für ein verbindliches Kriterium für die intersubjektive Geltung von Aussagen und Verfahren und kann allgemein überprüft werden; Gegensatz: Subjektivität.

P persönliche Kompetenz, die

Perspektivwechsel, der Perturbation, die

Potenzial, das

Prozess, der

bedeutet nach der Hamburger Schule in einem Kontext, eigene Gefühle, Motive, Bedürfnisse, Werte und Begabungen identifiziert zu haben und sich selbst in seinem Verhalten einschätzen zu können. lateinisch perspicere = hindurchsehen, hindurchblicken; Einnehmen einer anderen Sichtweise; Synonym zu Umdeutung (engl. Reframing). lateinisch pertubare = durcheinanderwirbeln; konstruktivistischer Begriff von Humberto Maturana für den systemtheoretischen Begriff, dass Störungen auch positive Auswirkungen auf Systeme haben können; Synonym für Irritation. lateinisch potentia = Macht, Kraft, Leistung; Potenzial ist die Wirkungsmöglichkeit eigener Ressourcen, um in thematischen Kontextbereichen Handlungskompetenz zu entwickeln. lateinisch processus = Fortgang, Fortschreiten; der Prozess (Methode) im Coaching ist die festgelegte Ablaufstruktur, die mit Hilfe von Reflexionsangeboten auf Abstraktionsebene die nachhaltige Selbstlernkonzeption auslösen soll.

R Rat, der Reflexion, die

ist eine (meist unverbindliche) verbale Unterstützung und enthält indirekt die Lösung zu einem Problem. lateinisch reflexio = das Zurückbeugen, das Zurückbiegen, das Zurückkrümmen; • philosophischer Begriff für ein prüfendes und vergleichendes Nachdenken; • pädagogischer Begriff für das Nachdenken über eine vergangene pädagogische Situation; physikalischer Begriff für das Zurückwerfen von Wellen / Strahlung.

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Ressource, die

Coachkompetenzen Nach der Hamburger Schule betrifft die Reflexion sowohl vergangene Situationen als auch zukünftige Situationen, um eine nachhaltige Selbstlernkonzeption mittels Coaching initiieren zu können. französisch la ressource = Mittel, Quelle; bezeichnet natürliche Vorkommnisse und Mittel wie: • ökologisch: die Luft, der Wind, das Wasser, die Erde, das Feuer, das Leben oder alle Rohstoffe; • ökonomisch: die Arbeit, der Boden, die Umwelt, das Kapital; • psychologisch: Fähigkeiten, Charaktereigenschaften usw., • soziologisch die Bildung, die Gesundheit, das Prestige usw.

S Selbstachtung, die

Selbstlernkonzeption, die

Selbststeuerung, die

Sitte, die

skalierende Frage, die Strategie, die

Subjektivität, die

psychologischer Begriff für den Eindruck oder die Bewertung, die man von sich hat. Der Eindruck bezieht sich auf das äußere und das innere Bild mitsamt seiner Kompetenzen in jedem Kontext; Synonym für Eigenwert, der Selbstwert, das Selbstwertgefühl, das Selbstwertkonzept; Gegensatz: Fremdachtung. Das Erstellen einer Selbstlernkonzeption bedeutet die Fähigkeit, ein Ziel-, Struktur- und Handlungssystem in einem thematischen Kontext in Bezug auf eigenes Lernen zu erstellen und zu realisieren. Aspekt der Vision / Mission / Definition von Coaching nach der Hamburger Schule und zentraler Wert; Selbststeuerung meint, dass der Coachee (die Teamcoachees) in der Lage ist, Veränderungsanforderungen selbst zu erkennen und selbst zu realisieren. lateinisch mos; ist der auf Tradition und / oder Gewohnheit beruhende, durch moralische Werte, Regeln und Normen bedingte, in einer bestimmten sozialen Gruppe oder Gemeinschaft übliche und für den Einzelnen verbindlich geltende Wertekanon. eine Frageart mit dem Ziel, Unterschiede wahrnehmbar zu machen. altgriechisch strategos; eine Strategie beschreibt eine optimale grundsätzliche Vorgehensweise in einem thematischen Wertekontext zur Zielerreichung. lateinisch subjectum = das (einer Aussage) Zugrundeliegende; erkenntnistheoretischer Begriff für das erkennende, mit Bewusstsein ausgestattete Ich; nach der Hamburger Schule steht der Coachee / der Teamcoachee als Subjekt mit seinem individuell persönlichem Veränderungsthema im Coachingfokus, da er seine persönlichen Gefühle äußert, seine Werte / Grundmotive und essenziellen Bedürfnisse kennen lernt, damit ihm seine Kompetenzen bewusst und Ressourcen mobilisiert werden können; Gegenbegriff: Objektivität.

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Fachlich-methodische Kompetenz Synthese, die

System, das

systematisch systemisch

systemische Fragen, die

lateinisch synthesis = die Zusammensetzung, Zusammenfassung, Verknüpfung; Zusammenfügung / Vereinigung verschiedener (ggf. gegensätzlicher) geistiger Elemente wie z.B. Verbindung von These und Antithese zu einem höherem Ganzen bzw. Aufhebung des in These und Antithese Widersprechenden in die höhere Einheit (abstrahieren); Gegensatz: Analyse. lateinisch systema = aus mehreren Teilen, ein zusammengesetztes und gegliedertes Ganzes; Prinzip / Ordnung, nach dem etwas organisiert oder aufgebaut wird. etwas in ein System gebracht / gegliedert; die Systematik betreffend; Gegensatz: chaotisch, willkürlich. Adjektiv von System; ein System in gleicher Weise betreffend bzw. auf sie wirkend; einzelne Komponente werden im Zusammenhang zu einem Großen und Ganzen betrachtet, dem sie angehören, sodass nicht das einzelne Element bewertet wird, sondern der Zustand des ganzen Systems. Gegensatz: analytisch, einseitig kausal, systemtheoretisch. Sammelbegriff für Fragen, die die Selbstreflexion fördern; ursprünglich aus der Familientherapie. Im Coaching angelehnt an den Begriff „systemisches Coaching“; differenziert in: • hypothetische Frage • zirkuläre Frage • skalierende Frage

T Team, das

Theorie, die

Tugend, die

altenglisch team = Familie, Gespann, Nachkommenschaft; bezeichnet einen Zusammenschluss von mehreren Personen zur Erreichung eines bestimmten und gemeinsamen Ziels; Gegensatz: Gruppe. lateinisch theoria = Betrachtung, zuschauen; System wissenschaftlich begründeter Aussagen zur Erklärung bestimmter Tatsachen / Erscheinungen und der ihnen zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten. Gegensatz: Praxis. ist die Fähigkeit und innere Haltung, das Gute mit innerer Neigung zu tun.

V Veränderung, die Verantwortung, die Vertrauen, das

ist der Ablauf oder der Verlauf von einer (nicht-)stofflichen Umwandlung, also eines Wechselprozesses innerhalb einer gewissen Zeit. Pflicht für die Folgen eigenen zurechenbaren Handelns einzustehen. ist die Annahme, dass Entwicklungen einen positiven bzw. erwarteten Verlauf nehmen. Vertrauen ist aber auch die Erwartung an Bezugspersonen oder Organisationen, dass deren künftige Handlungen sich im Rahmen von gemeinsamen Werten oder moralischen Vorstellungen

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Vision, die

Volition, die

Vorurteil, das

Coachkompetenzen bewegen werden. Voraussetzung ist Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Authentizität. Gegensatz: Hoffnung, Misstrauen. lateinisch visio = das Sehen, der Anblick, die Erscheinung; ist die Erwartung einer maximalen Befriedigung der eigenen Bedürfnisse in einer unbestimmten Zukunft. • psychologischer Prozess der Willensbildung, sowie der Aufrechterhaltung und Realisierung von Absichten. Die Willenskraft überwindet mittels der Umsetzung von Zielen und Motiven vermeintliche Handlungsbarrieren. • Prozess in der Managementwissenschaft der Willensbildung und -durchsetzung in sich selbst steuernden Systemen (auch Unternehmen). ist ein vorab wertendes Urteil, das eine Handlung abschließend und endgültig leitet. Es ist eine wenig bis kaum reflektierte Meinung ohne verstandesgemäße Würdigung aller relevanten Eigenschaften einer Person oder eines Sachverhaltes und kann somit feindselig und diskriminierend sein.

W Werkzeug, das

Wert, der Wille, der

ist eine funktionale Einzelmaßnahme im Coaching. Beispiel: offene, geschlossene Frage, skalierende Frage, hypothetische Frage, zirkuläre Frage, Erlaubnis zur Irritation und Konfrontation usw. Orientierung für attraktives Verhalten. Synonym für Volition.

Z Ziel, das

Zielerreichungsmerkmale, die

ist die bewusst angestrebte Befriedigung der eigenen Bedürfnisse zu einem bestimmten Zeitpunkt; Festlegung des Soll-Zustandes; es darf • mit der Wunderfrage, • mit der konfrontativen Frage nach dem konkreten Ziel oder • über eine visuelle Aufstellung nach dem Soll-Zustand eingeleitet werden. nach der Hamburger Schule sind die Festlegung der Merkmale der Erreichung des Coachingziels des Coachees / der Teamcoachees wichtiger Bestandteil im Coachingablauf, dient dem Controlling und gehört zur Coachkompetenz der Prozessverantwortlichkeit; muss anhand von systemischen Coachingfragen beantwortet werden, es müssen zwei Fragen zum Perspektivwechsel via zirkulärer Frage pro Merkmal gestellt werden • objektive / rationale Frage: Woran erkennt das Merkmal X, dass das Ziel XXX erreicht worden ist?

Fachlich-methodische Kompetenz •

zirkuläre Frage, die

2.2

55

subjektive / emotionale Frage: Welche Bedeutung hat die Zielerreichung XXX für das Merkmal X?, sollte mit Skalierungsfrage abgeschlossen werden.

eine Frageart mit dem Ziel, einen Perspektivwechsel auszulösen.

Menschenbild

Menschenbild ist die Vorstellung, welche jemand von dem Wesen des Menschen hat (psychologische Anthropologie). Das spezielle Menschenbild ist abhängig von seinen Überzeugungen / Werten oder Lehren, sodass vor allem das christliche, buddhistische, humanistische oder darwinistische Menschenbild anzuführen ist. Darüber hinaus gibt es noch unzählige mehr. Wichtig ist, dass das Menschenbild die Gesamtheit der Annahmen, • was der Mensch von Natur aus ist, • wie er in seinem Umfeld lebt und • welche Werte und Ziele sein Leben hat vereint. Aber wozu wird ein Menschenbild benötigt? Beispielsweise kann rechtsphilosophisch ein Menschenbild optimistisch und pessimistisch beschrieben werden.25 Einerseits muss aufgrund der feindseligen Gesinnung des Menschen sein Leben (in der Gemeinschaft) überwacht, reguliert und bestraft werden. Daher ist das Strafrecht sowohl präventiv als auch repressiv ausgestaltet. Andererseits kann und soll der Mensch aufgrund seiner freien Geburt natürlich frei leben dürfen. Daher ist das Zivilrecht zum freien Handeln und Aushandeln ausgestaltet und reguliert nur die essenziellen Aspekte, welche notwendig zum „Leben“ in der Gemeinschaft sind. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 23.05.1949 setzt auf das Spannungsfeld / die Zusammenhänge von Individuum und Gesellschaft, sodass sowohl die Bezogenheit sowie Gebundenheit der Person auf die Gemeinschaft als auch der unantastbare Eigenwert der Person nebeneinander bestehen (vgl. BVerfGE 4, 7 (15f.)). Dieses Menschenbild bestätigen die Grundrechte als objektive Werteordnung und das generelle nationale Rechtssystem.

25 Siehe u.a. Nina Meier, Rechtswissenschaft in Meier / Janßen: CoachAusbildung, S. 576ff.

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Coachkompetenzen

Hingegen bezieht sich das psychologische Menschenbild sowohl auf das Selbstbild als auch das Bild von anderen Personen. Nach dieser subjektiven Theorie entwickelt jeder Mensch sein eigenes Menschenbild aufgrund seiner Entwicklung, Erziehung, Kultur und Gesellschaft sowie Wertorientierungen. Nach Harold Kelley agieren Menschen wie Wissenschaftler, da sie die Personen und Ereignisse verstehen wollen. Daher interpretieren Menschen die eigenen Wahrnehmungen, entwickeln dadurch Annahmen / Thesen und prüfen diese anhand der wiederkehrenden Erfahrungen. Dieser Meinung vom Entstehen eines Menschenbildes folgt eine kontinuierliche Veränderung, sodass das individuelle Menschenbild eine Sammlung individueller und einzigartiger Lebenserfahrung ist. Kritik an dieser Theorie besteht in dem ausschließlichen behavioristischen Ansatz. Zu einseitig ist das Konstruieren eines Menschenbildes lediglich auf Erfahrung und der Wahrnehmung von Verhalten. Dieses einfache kausale Denken von Ursache und Wirkung wird der Lebenswelt und dem Menschenbild nicht gerecht. Vielmehr sollte komplex gedacht und ein komplexes Menschenbild konstruiert werden. Zur Begründung dessen sollen plakativ die charakteristischen Züge des Menschen in seiner Evolution herangezogen werden: zoon politikon, homo rationale, homo faber, homo oeconomicus oder der Mensch als das nichtfestgestellte Tier, welches sowohl ein gesellschaftsbestimmtes, arbeitendes und produzierendes Lebewesen als auch ein gesellschaftsgeschädigtes Reflexionswesen ist. Bereits Sigmund Freud statuierte sowohl ein atheistisches als auch ein pessimistisches Menschenbild und dient als Leitbild des therapeutischen Handelns. Denn bei ihm stand die Psychoanalyse und gerade nicht das menschliche Verhalten im Fokus seiner Arbeit und seines Denkens. Es gibt zwar noch mehr Ansätze, dem Coaching nach der Hamburger Schule liegt jedoch ein humanistisches Menschenbild zugrunde. Der Humanismus basiert auf der Einheit von Körper, Seele und Geist. Dieser Ansatz von Ganzheitlichkeit ist bemerkenswert, da es den Menschen systemisch erfassen will. Der Humanismus geht davon aus, dass ein Lebewesen das Resultat der biologischen Evolution und gerade nicht ein Resultat eines göttlichen Schöpfungsaktes sei. Der Mensch unterscheidet sich graduell vom Tier. Einer der wesentlichen Unterschiede sind die menschlichen Geisteskräfte. Die geistigen Kräfte lassen den Menschen sich seiner selbst bewusst werden. Aufgrund dieser Gedankenleistung kann der Mensch seinen Geist bewusst einsetzen, die Gegenwart von der Vergangenheit und der Zukunft trennen und planen. Neben der Erkenntnis des eigenen Ichs wird der Mitmensch / das Gegenüber erkannt und in das

Fachlich-methodische Kompetenz

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Bewusstsein aufgenommen. Aufgrund der Erkenntnis des Mitmenschen wird der Mensch zum Mitfühlen befähigt. Das Wissen um Krankheit, Schmerz und Tod, aber auch Glück und Freude können Menschen je nach Begabung mitfühlen und mitleiden. Aus diesen Ausprägungen strebt der Mensch nach Selbstverwirklichung, Selbstverantwortung, Selbstregulation und zur Emotionalität:26 • Einzigartigkeit: Den Menschen betrachten wir als ganzheitliches Wesen und somit einzigartig. Er beschäftigt sich mit existenziellen Problemen wie Liebe, Tod, Einsamkeit und Sinnfindung. • Selbstverwirklichung: Der Mensch kann sich physisch und psychisch weiterentwickeln und hat damit eine ganzheitliche Dynamik. Die Tendenz zur Selbstverwirklichung beruht auf der Entwicklung von kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten. • Selbstverantwortlichkeit: Der Mensch kann bewusst leben und erleben, aber auch seinen Entwicklungsspielraum eigenverantwortlich erweitern. Insofern übernimmt er die Verantwortung über seine Gefühle, sein Verhalten und seine Ideen. • Selbstregulation: Der Mensch kann sich über seine organische Basis steuern, sodass er sein Gleichgewicht herstellen und nach Entwicklungen streben kann. Daher kann der Mensch Möglichkeiten wahrnehmen und Probleme lösen. • Emotionalität: Der Mensch wird von seinen Gefühlen, seinem emotionalem Erleben, Verstehen und Verstand geleitet. Folglich bezieht sich das humanistische Menschenbild auf einen eigenständigen Menschen mit einer wertvollen Persönlichkeit, wobei die Verschiedenartigkeit von Menschen respektiert wird. Dabei wird betont, dass das Respektieren mehr als Tolerieren ist, um die Basis für Wertschätzung zu bilden. Nie sind zwei Menschen hundertprozentig identisch, da wir genetisch, motivational und werteorientiert individuell sind. Jeder Mensch muss ernst genommen werden, auch wenn beispielsweise Art und Ausdrucksweise unverständlich erscheinen. Da der Mensch ein ganzheitliches Wesen ist, kann er handeln, sprechen, fühlen und denken, aber auch sich entscheiden (Wille) und dies wollen. Insofern erscheint das humanistische Menschenbild vorzugswürdig und kann differenziert werden. Wenn wir mit Menschen arbeiten hat jeder eine grundsätzliche Vorstellung vom Gegenüber. Der Prozess des Miteinanders, der Kommunikation und der 26

Stumm / Wirth, Psychotherapie, S. 140 ff.

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Coachkompetenzen

Interaktion wird durch die Sichtweisen und Vermutungen über die Kompetenzen des Menschen beeinflusst. Im Endeffekt braucht Coaching und der Coach ein humanistisches Menschenbild, damit er dissoziiert methodisch seinem Coachee / seinen Teamcoachees sinnvolle Reflexionsangebote auf unterschiedliche Arten und Weisen anbieten kann.

2.3

Systemisch vs. Systemtheoretisch

Jeder Mensch ist ein Teil eines Systems. Diese Systeme können aus verschiedenen Perspektiven allgemeiner / abstrakter oder konkreter werden. Unsere Kompetenzen sind an den jeweiligen Kontext gebunden, da uns die Systempartner, die systemischen Beziehungen und Interaktionen beeinflussen. Nach der Theorie des reflexiven Subjektes Mensch existieren keine geradlinigen Beziehungen von Ursache und Wirkung, sondern ein zirkulärer Rückkoppelungsprozess. Insofern ist jede Aktion, jede Handlung ein wechselseitiges intra- und interaktives Geschehen. Daraus folgt, dass der Kontext gerade nicht die Handlung beeinflusst, sondern die individuelle Wahrnehmung des Kontextes und das innermenschliche Resultat des Wahrnehmungsprozesses im Kontext die Handlung beeinflusst. Mit der breiten Verwendung des Begriffs System, welcher sich heute nicht mehr nur auf die Wissenschaften und ihre Theorien beschränkt, hat der Begriff eine Vielzahl weiterer Anwendungsbereiche hinzugewonnen und so an Unschärfe zugelegt.27 Im Folgenden gilt es aus dieser Perspektive gezielt auf eine – weil häufig gemachte und daher unauffällige – Art der Unschärfe aufmerksam zu machen, ohne ihre Funktion in irgendeiner Weise in Frage zu stellen. Diese Art der Unschärfe tritt immer dann auf, wenn der Systembegriff auf Grund seines unerhörten Erfolges sowohl in einer systemtheoretischen als auch in einer systemischen Fassung genutzt und gleichzeitig verwechselt wird. Im Folgenden gilt es typische Unterschiede des systemischen und systemtheoretischen Beobachtens anhand des unterschiedlichen Zugriffs auf soziale Tatbestände darzustellen. Folgen wir als Einstieg den Ausführungen von Heinz von Foerster28 zur Begriffsgeschichte von Science und System, so zeigt sich im Begriff „Science“ das indogermanische Urwort ski bzw. skai29, welches in weiteren Begriffen wie Schisma 27 Vgl. Lukas Scheiber, Systemtheorie in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 624f. 28 http://www.youtube.com/watch?v=3uMmQL04jV0&feature=related 29 Gerhard Köbler Indogermanisches Wörterbuch.

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oder Schizophrenie Eingang gefunden hat und immer auf Trennen, Abspalten und getrennt Sehen abstellt. Als Theorie arbeitet Systemtheorie bei ihren Beobachtungen in bester wissenschaftlicher Tradition mit Trennungen und Abspaltungen in Form von Differenzen mit dem Zweck ein höheres Auflösungsvermögen im Bezug auf ihr Erkenntnisobjekt herzustellen. Der entscheidende Unterschied, den Systemtheorie an dieser Stelle macht – und dieser darf nicht mit dem theoriegeleiteten Vorgehen des Differenzierens verwechselt werden – ist die Beobachtung ihres Erkenntnisobjektes als etwas, dass selbst aus nichts anderem als aus Differenzen besteht. Und erst wenn diese systemkonstituierenden Differenzen gefunden sind, lassen sich Systeme als System-UmweltDifferenzen beobachten und in Bezug auf System-Beziehungen untersuchen. Legen wir an dieser Stelle das Erkenntnisobjekt „Einkaufen“ auf unseren Untersuchungstisch und stellen unser Mikroskop auf „systemtheoretisch“, so können wir beobachten, dass Einkaufen im theoriegeleiteten Sinn kein System bildet. Vielmehr lassen sich Zugriffe sozialer Systeme in Form von Interaktion, Organisation und Wirtschaft beobachten, da Anwesende kommunizieren, der Supermarkt als Unternehmen funktioniert und an der Kasse mit Geld gezahlt wird. Die Funktion dieser Beobachtung liegt darin, wissenschaftliche Wahrheit und Falschheit darüber zu gewinnen, welche Probleme soziale Systeme erzeugen und lösen müssen um Einkaufen zu ermöglichen, nötig zu machen oder zu verhindern. Folgen wir nun mit Heinz von Foerster der Begriffsgeschichte des Wortes „System“ so sehen wir das indogermanische Urwort sta bzw. sista30, welches immer auf das Zusammenstellen und Zusammenstehen abzielt. Systemisches Beobachten versucht demnach das zu Beobachtende als etwas zu betrachten, was als Ganzes in Form einer Einheit erscheint. Es spielt dabei in keiner Weise eine Rolle, ob aus systemtheoretischer Perspektive von einem System gesprochen werden kann oder nicht. Mit anderen Worten behandelt systemisches Beobachten das zu Beobachtende paradoxerweise zunächst so, wie es aus systemtheoretischer Perspektive nicht ist – nämlich als Ganzes. Sinn und Zweck dieser Zusammenschau ist die Vorstellung, dass lebensweltliche Probleme nur dann gelöst werden können, wenn hinreichend genug Wechselwirkungen, Abhängigkeiten und ableitbare Folgen in Form von Elementen und dynamischen Relationen des zu beobachtenden Tatbestandes bekannt sind. Meistens lässt sich systemisches Beobachten immer dann vorfinden, wenn Problemlagen im Bereich der Familie oder der Organisation auf Personen als Individuen zurückgerechnet werden, welche die markierten Problemlage mit Hilfe von ex30 Gerhard Köbler, Indogermanisches Wörterbuch.

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Coachkompetenzen

terner Beratung in eine Lösung überführen sollen. Dabei gilt es zusätzlich, die Fähigkeit des systemischen Beobachtens und Lösens dauerhaft für die betroffene Person verfügbar zu machen. Systemisches Beobachten spielt sich demnach nicht in den Wissenschaften sondern in Therapie, sozialer Arbeit, Beratung und Seelsorge ab und unterliegt nicht dem Kriterium der Wahrheit oder Falschheit, sondern beschäftigt sich mit Inklusionschancen bzw. kommunikativen Anschlüssen von Personen. Dieses Vorgehen muss sich zusätzlich, je nach dem welches Problem vorliegt, an modernen Werten wie Erfolg, Freiheit, Gleichheit und Nachhaltigkeit prüfen lassen. Legen wir an dieser Stelle nochmals das Erkenntnisobjekt „Einkaufen“ auf unseren Untersuchungstisch und stellen unser Mikroskop nun auf „systemisch“, so können wir beobachten, dass wir Einkaufen ohne Theorieprobleme zu bekommen als System benennen können. Es besteht aus Elementen wie dem Einkäufer, dem Einkaufswagen, der Waren, dem Kassierer, dem Portemonnaie usw. Wenn wir lange genug durch unser Mikroskop sehen, stellt sich irgendwann auf Grund von Überforderung oder Endlichkeitsproblemen das Gefühl ein, dass wir Einkaufen als Ganzes sehen und fortan alle Zusammenhänge verstehen um typische und überraschende Einkaufsprobleme wie die Schlange an der Kasse, unfreundliche Verkäufer und schlechte Qualität der Produkte vermeiden zu können. Die typischen Unterschiede des systemtheoretischen und systemischen Beobachtens lassen sich vor allem im Hinblick auf die Beheimatung der jeweiligen Beobachtungen und der daraus resultierenden unterschiedlichen Funktionen unterscheiden. Zusätzlich lässt sich jedoch mit folgendem Zitat von Heinz von Foerster ein weiterer Informationswert in Bezug auf die Unterscheidung von systemtheoretischer und systemischer Beobachtung gewinnen: „Ich zeige jemandem ein Bild und frage ihn, ob es obszön sei. Er sagt: „Ja.“ Ich weiß jetzt etwas über ihn, aber nichts über das Bild.“31 Ebenso liefert uns die Einsicht, dass jemand mit einem systemtheoretischen oder systemischen Okular beobachtet zuerst eine Information über den Beobachter und noch keine Information über das zu Beobachtende. Folglich ist unser Coaching systemisch und nicht systemtheoretisch, damit wir die Komplexität von Anfang an praktisch berücksichtigen. Das Thema ist die Veranlassung für ein Coaching, mithin ein wichtiger Teil in dem Lebens- und 31 Heinz von Foerster, Einführung in den Konstruktivismus, S. 85.

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Erfahrungssystem des Coachees / der Teamcoachees. Das Thema bleibt immer das Thema, lediglich verändert sich im Laufe des Coachingprozesses des Coachees / der Teamcoachees die persönliche Sichtweise / Meinung dazu. Denn bereits in der zweiten Phase des Coachings erfährt der Coachee / die Teamcoachees eine Erweiterung seiner / ihrer Wahrnehmung mit möglichen Erkenntnisgewinnen. Diese Entwicklung ist Garant für Entscheidungen basierend auf der Abwägung des Systemchecks.

2.4 Konstruktivismus Nun haben wir das objektive, systemische Gerüst und benötigen noch die menschliche Individualität. Dabei spielt der Konstruktivismus eine wichtige Rolle. Hier stellt sich die Frage, wie Selbst-, Fremd- und Weltbilder, Gedanken und Emotionen entstehen. Die Vertreter des Konstruktivismus meinen, dass die Wirklichkeit von den Menschen gerade nicht gefunden werde, sondern von ihnen erfunden wird. Dieser Ansatz geht davon aus, dass es den Objektivismus in reiner Form nicht gibt, da stets ein Individuum sich selbst und seine Umwelt subjektiv wahrnimmt usw. Insofern wird bereits in den Naturwissenschaften mit dem Konstruktivismus gearbeitet, da davon ausgegangen wird, dass Teile der Wirklichkeit ersetzbar sind. Hingegen vertritt die Geisteswissenschaft tendenziell das Gegenteil. Insofern wollen die Anhänger des Konstruktivismus die Hürde zwischen Natur- und Geisteswissenschaft überwinden. Bereits in den 1930er Jahren betonte Jean Piaget, dass die kognitiven Strukturen, welche man Wissen nennt, keine Kopie der Wirklichkeit sei, sondern das Ergebnis von Anpassung wäre.32 Hier könnte man die Evolution mit ihrer selektiven Auslese, der genetischen Vererbungslehre und ihren Mutationen, die Entwicklung des Menschen usw. anführen. Mittlerweile liegen Erkenntnisse der Forschung vor, dass sowohl Wahrnehmung als auch Erkenntnis keine abbildenden Tätigkeiten sondern gerade konstruierende (konstruktivistische) Tätigkeiten sind. Denn der Mensch nutzt seine Sinne, um die Welt subjektiv zu konstruieren. Wir bilden Farben und Formen, Töne und Klänge, Hitze und Kälte sowie Geschmäcker usw., indem wir faktisch die menschlichen Sinne nutzen. Dabei ist zu beachten, dass wir keinen Wunsch kreieren, sondern ein Abbild der Wirklichkeit schaffen, da wir mit dem „arbeiten“, was existiert. Unsere Perspektive ändert sich auf das Objekt, in dem Sinne, ob und wie es brauchbar ist. Daher stellt Heinz von Foerster die These auf, dass wir Objekte deuten und beschreiben, indem wir den Schatz unserer Erfahrung zu eben 32 Jean Piaget, La construction du réel chez l’enfant; vgl. Heinz von Foerster, Einführung in den Konstruktivismus, S. 29.

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dieser Deutung und Beschreibung nutzen. Dies scheint überzeugend zu sein, da der Mensch fünf Sinnesorgane (Augen, Nase, Mund, Ohren und Haut) sowie Organe in verschiedener Qualität besitzt. Diese sind wiederum physikalisch und biochemisch mit den Nervenzellen des Menschen verbunden. Die Resultate der Prozesse ergeben ihrerseits wiederum die subjektiv wahrgenommene Realität. Dieser Schatz an Deutung kann im (Team-)Coaching fatal sein, da wir mit unsere Überzeugungswelt jemand anderen steuern, gar manipulieren können. Dennoch ist der konstruktivistische Coachingansatz wertvoll, da wir als Coach den Coachee / Teamcoachee so „leben und arbeiten“ lassen, wie er ist. Es gibt weder abfällige und ehrverletzende Meinungsäußerungen noch eine inhaltlich thematische Steuerung.

2.5 Coaching Ausgehend von einem systemisch-konstruktivistischen Ansatz liegt unserem Coaching ein humanistisches Menschenbild zugrunde. Dabei ist es wichtig, dass der Mensch sich freiwillig, freiheitlich für sich und seine Entwicklung entschieden hat, er dabei auf seine eigenen Ressourcen zurückgreifen und sich im ganzen Lern- und Entwicklungsprozess selbst steuern kann. Wir nehmen den Coachee / die Teamcoachees als eigenständige Individuen und mit eigenen Kompetenzen war. Da jeder die Welt anders deutet, können wir im Coaching nicht von „Richtig“ oder „Falsch“ ausgehen, sondern lediglich als „anders“; quasi als (objektive) Feststellung und nicht als (subjektive) Bewertung. 2.5.1

Warum existiert Coaching?

Wie im Kapitel II. über die Entwicklung von Teamcoaching beschrieben, hat Coaching seinen Ursprung in der Veränderung von menschlichem Verhalten und Denken. Aber was sind genau die Ursachen für Coaching? Antwort: Veränderung / Change als ressourcenorientierte Wertschöpfung. Denn nur eine langfristige und nachhaltige Veränderung kann durch eigene freie Willensäußerung sowie über die Bewertung und den Einsatz der eigenen Ressourcen erst ermöglicht werden. Der Wunsch nach Unabhängigkeit und Selbstentwicklung wird nicht nur durch Coaching geäußert sondern auch erfüllt.

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Grundsätzlich ist die Globalisierung der Märkte und Wettbewerber eine Ursache, da diese neue internationale und nationale Herausforderungen darstellen. Folglich werden andere Dienstleistung, Produkte und Waren benötigt, die eventuell schneller produzierbar und umsetzbar sein müssen als die bisherigen. Dadurch benötigt der einzelne Mensch andere oder neue Kompetenzen, sodass er sich weiterbilden muss, seine Potenziale ausschöpfen sollte und sich selbst verwirklichen kann. Andererseits sind Marktveränderungen auch Ausdruck einer Art des Wertewandels; neue und andere Herausforderungen an die betroffenen Menschen lösen Sinnkrisen und Zweifel aus. Folgende Arten von Gründen konnten auf persönlicher Ebene33 identifiziert werden: 1. Veränderung – im Allgemeinen 2. Veränderung im Konkreten a. Wachstum und Karriere • • • • • • • • • • • • • •

Beitrag zum persönlichem Erfolg Blockaden auflösen Karriereschritte Karrieresprung Kompetenzentwicklung / Ressourcenausbau Kreativitätssteigerung Lebensphilosophie Neuorientierung persönliche Potenziale entdecken und entwickeln Persönlichkeitsentwicklung persönliche Ziele erreichen Selbstsicherheit Selbstwert Stärken- und Schwächen-Analyse

33 Vgl. Cynthia Dürr in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 13f.

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b. Sinnkrisen • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

Eintritt in die Selbstständigkeit Familiengründung Insolvenz Kündigung Neueinstieg neue Mitarbeiter neue Partnerschaft neuer Chef Standortbestimmungen Stellenwechsel Stressbewältigung und -abbau Todesfall Überforderung Unterforderung Umgang mit Ängsten Umgang mit Leistungsdruck Umgang mit Stillstand Umzug Vorbereitung auf den Ruhestand Zeit- und Selbstmanagement

c. Kommunikation • • • • • • • •

aktives Zuhören / Wahrnehmung Bewerbung und Vorstellungsgespräche Führung von Mitarbeitern Gesprächsführung Marketing Selbst-Marketing Unternehmensführung Vorträge und Präsentationen

d. Konflikte • Generationenwechsel • Konflikte in Projekten

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• • • • • • • • • • • • • •

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Konflikte in Teams Konflikte mit Lieferanten und Partnern (Stakeholders) Konflikte mit Kunden Konfliktlösung zwischen Mitarbeitern und Management Konfliktmoderation Kundenbindung Mitarbeiterbindung organisatorische Veränderungen Personalentscheidung Umgang mit Spannungen / Streitigkeiten Umgang mit Veränderungsprozessen Unternehmenskauf und -verkauf Wertkonflikte Zielkonflikte

e. Strukturveränderung • • • • • • • • •

Expansion Fusion Klärung von Schnittstellen Projektarbeit Reorganisation Umstrukturierung Unternehmensgründung Unternehmenskauf Unternehmensverkauf

Im Endeffekt befasst sich Veränderung mit allen Aufgaben und Maßnahmen, welche zur Umsetzung von Visionen, Strategien und Zielen in ihren jeweiligen Systemen dienen. 2.5.2 Wozu dient Coaching? Wir wissen, dass Menschen Pläne schmieden, Visionen entwickeln, Ziele setzen, Maßnahmen planen und umsetzen, jedoch auch lernen, anwenden und umsetzen sowie Transfere bilden und nachdenken. Diese Ideen können wiederum durch Informationen, Erfahrungen und / oder Bedingungen modifiziert,

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verworfen und realisiert werden. Dabei kann der Mensch sein Denken und Handeln sowie Emotionen und Beweggründe selbst interpretieren und hernach modifizieren und zur Lösung einsetzen. Aufgrund der Reflexion mit sich persönlich, kann der Mensch nicht nur sein Handeln auf Sinn und Zweck sowie Verhältnismäßigkeit überprüfen sondern auch die Folgen einschätzen. Daraus folgt, dass der Mensch rational denken und handeln kann (nach Imanuel Kant der „Vernunftmensch“). Diese beschriebenen Prozesse sind überwiegend kognitiv und zu kleinen Teilen affektiv, sodass der Mensch sowohl rational als auch intentional denkt und handelt. Diese Intentionalität bedeutet, dass der Mensch sich absichtlich einem Ziel / Objekt oder einer Person hinwendet. Aus der Sicht dieses Menschen ist diese intentionale Hinwendung stets sinnvoll und vernünftig, also psychologisch. Andererseits strebt der Mensch nach Bedürfnisbefriedigung, wenn ein Mangelzustand eingetreten ist. Dieser Mangelzustand kann alle Aspekte von Kompetenzen oder der Einheit von Geist, Seele und Körper beinhalten. Neben dem reflexiven und rationalen Wesen ist die Emotionalität das Gegenstück und macht den Menschen zu einem ganzen Wesen. Durch Erwartungen, Überzeugungen, Wertungen und Beurteilungen werden die kognitiven Prozesse beeinflusst. Er kann Lust und Unlust, Freude und Ärger, Angst, Betroffenheit, Mitleid und Trauer erleben und zeigen. Menschliches Handeln ist nur möglich, wenn kognitive und emotionale Prozesse existieren, die den Reiz-Reaktions-Mechanismus des menschlichen Wesens unterbrechen. Darüber hinaus ist der Mensch ein kommunikatives Wesen. Er setzt Mimik, Gestik und Sprache als Mittel der sozialen Beziehungen ein. Über verbale und nonverbale Kommunikation verleiht der Mensch seinen Gedanken und Gefühlen bzw. seinem Willen und seinem Wollen Ausdruck. Aufgrund seiner Aktivität kann der Mensch seine Wünsche und Intentionen in konkretes Handeln umsetzen. Dieser Vorgang des Wollens nennt man Volition. Zur Verdeutlichung ziehe ich rechtliche Konstrukte zur Erklärung des systemischen Coachings heran: Sowohl Coaching, Coach / Coachee als auch Coachausbildung sind keine geschützten Rechtsbegriffe, da weder das Grundgesetz noch einfach gesetzliche Normen Coaching als unbestimmten Rechtsbegriff aufgenommen haben. Insofern müssen vorhandene Rechte und Anspruchsgrundlagen mit der Thematik des Coachings ausgelegt werden. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen die vier bzw. fünf Werte von Coaching nach der Hamburger Schule:

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2.5.3

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Freiheit

„Durch den Coachee, die Gruppe oder das Team selbst festgelegte nachhaltige Selbstlernkonzeption.“ Diese Freiheit betrifft die Eigenverantwortlichkeit, sodass jeder Coachee / Teamcoachee seine Interessen, vor allem Ziele, Werte, Motive, Bedürfnisse vertritt und verfolgt. Diese Eigenverantwortlichkeit kann in der objektiven Werteordnung unserer Verfassung in verschiedenen Freiheitsrechten gefunden werden. Die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG schützt nicht einen bestimmten Lebensbereich, sondern jegliches menschliche Verhalten. Diese Generalklausel ist daher subsidiär allen anderen speziellen Grundrechten, sodass das Auffanggrundrecht nur Bedeutung gewinnt, wenn kein Schutzbereich eines spezielleren Grundrechts einschlägig ist. Allerdings hat der Schutz in der verfassungsgemäßen Ordnung seine Grenze, die wiederum die Rechte anderer spezifizieren und das Sittengesetz enthalten. (Team-)Coaching achtet auf eine klare Transparenz und das Bewusstsein auf die Verantwortlichkeiten im Coaching sowie die Möglichkeit der vertraglichen Beziehungen: Als wichtigstes Abwehrrecht kann das innominale, allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG zur freien Entfaltung der Persönlichkeit gesehen werden. Es schützt nicht nur den individuellen Achtungsanspruch einer Person, sondern auch die individuelle Lebensgestaltung. Dieses Freiheitsgrundrecht leitet sich aus der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG und der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG ab. Aus den Ansätzen des BGH und seiner Schachtbriefentscheidung vom 25.05.1954 (BGHZ 13, 334 (338 ff.) und den Folgeentscheidungen des BVerfG ab 1955 kategorisierte die Literatur das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach wissenschaftlichen Ansätzen der Auslegung. Daher werden aus den Elementen der „Persönlichkeit“ und der „freien Entfaltung“ folgende drei Arten kategorisiert: • das Recht der Selbstbestimmung, • das Recht Selbstbewahrung und • das Recht der Selbstdarstellung. Die Kategorien stellen gerade den Aspekt der Freiwilligkeit basierend auf dem optimistischen Menschenbild des Naturrechts als eigenes wichtiges Autonomierecht heraus. Geschützt sind vor allem das Recht am eigenen Bild, die informationelle Selbstbestimmung, die persönliche Ehre, das eigene Wort, der eigene Name sowie die Resozialisierung. Die persönliche Identität wird im Prinzip der Verhältnismäßigkeit unterteilt in die absolut geschützte Intimsphäre,

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Coachkompetenzen

die wenig schützenswerte Sozialsphäre und die relativ geschützte Privatsphäre, wobei vor allem letzterem eine Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall vorgenommen werden muss. Coaching stärkt die persönliche Kompetenz und Handlungskompetenz, um nachhaltiges Selbstbewusstsein zu schaffen und das Bewusstsein für die eigenen persönlichen angreifbaren Aspekte zu setzen. Folgendes wird in Bezug auf Coaching hervorgehoben: Niemand darf ohne Einwilligung des Betroffenen das Bildnis oder ein Bild anfertigen, verwenden und weitergeben (vgl. §§ 22 ff. KUG, § 201a StGB). Personenbezogene Informationen sind vertraulich und geheim zu behandeln, sodass ein Ausspähen, Abfangen, unbefugtes Speichern usw. verboten ist (vgl. BDSG, §§ 100 ff. StPO). Darüber hinaus darf niemand beleidigt und diffamiert werden (vgl. §§ 185 ff. StGB). Das mündliche und schriftliche Wort darf nicht entstellt werden, sodass eine Pflicht zur Zitattreue und Namensnennung des Urhebers / Autors besteht. Zusätzlich kann die Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 HS 2 GG herangezogen werden, die gewährt, dass sich jeder frei aus jeder Quelle unterrichten kann. Man darf sich über jeden Aspekt und über jede Person informieren. Jenes Recht hat seine Grenze wie die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 2 GG und deren bedeutsamsten Schranke in den allgemeinen Gesetzen. Insbesondere müssen geheime Daten, persönliche Informationen einer Person und über eine Person geheim gehalten werden. Daher ist der Datenschutz aus der informationellen Selbstbestimmung des innominalen allgemeinen Persönlichkeitsrechts die wichtigste Begrenzung der Informationsfreiheit. Coaching vermittelt Vertrauen und Verschwiegenheit, sodass sich vor allem der Arbeitgeber / der Betriebsrat und andere Dritte keine Informationen aus einem vertraulichen und persönlichen Coaching beschaffen dürfen. Wer sich im beruflichen Kontext freiwillig verändern möchte, tangiert damit seinen Beruf und die unternehmerische Freiheit. Die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG schützt sowohl die Berufswahl als auch die Berufsausübung, sog. Erwerb. Unter Beruf wird – seit dem Apothekenurteil des BVerfG vom 11.06.1958 – jede auf Dauer geplante, wirtschaftlich sinnvolle Tätigkeit verstanden, die einen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung bietet und die eigene Lebensgrundlage sichert. Aus der Wahl des Berufes ist die Ausübung aus der Natur der Sache ebenfalls mitgeschützt. Insbesondere fallen hier die Form, die Mittel und der Umfang aber auch die schlichte Betätigung unter die tatsächliche Berufsausübung. Der Schutz findet seine Grenzen, mit jeweils bestimmten angemessenen Schranken, nach der Dreistufenlehre in:

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1. Berufsausübungsregelungen, 2. subjektive Berufswahlbeschränkungen und 3. objektive Berufswahlbeschränkungen. 2.5.4

Freiwilligkeit „Der Coachee, die Gruppe oder das Team entscheiden ihre Veränderungsthematik und den Zeitpunkt.“

Diese Freiheit betrifft die freie Entscheidung über erstens das Coaching, zweitens den Coach, drittens das bestimmte (konkrete) Coachingthema und zuletzt die vereinbarten Daten und Termine (Zeitpunkt). Dies setzt voraus, dass keine Manipulation vorgenommen wird, der Coachee / Teamcoachee weder bedrängt, getäuscht noch bedroht wird. Die Entscheidungsfreiheit kann in der objektiven Werteordnung wie folgt entdeckt werden: Einerseits ist damit die Freiheit der Person gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG als körperliche Bewegungsfreiheit betroffen. Es umfasst das Recht, dass eine Person jeden beliebigen – nahen oder fernen – Ort aufsuchen und negativ jeden beliebigen Ort meiden kann. Daher muss man dort nicht bleiben, wo man nicht bleiben will. So hat der Coachee / Teamcoachee das Recht, das Coaching zu terminieren und zu determinieren. Zusätzlich ist auf das innominale allgemeine Persönlichkeitsrecht und vor allem der Ausprägung der informationellen Selbstbestimmung zu verweisen, da niemand das Recht hat, ohne Einwilligung des Betroffenen über Daten zu dieser Person zu verfügen. Insofern sollte ein Arbeitgeber, Chef, Betriebsrat oder Partner das Coachingthema für ein individuelles Einzel- oder Teamcoaching nicht einseitig festlegen. Andererseits ist die Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 HS 1 GG das gewährleistete subjektive Recht auf freie Rede, Äußerung und (öffentliche) Verbreitung einer Meinung in Wort, Schrift und Bild sowie allen weiteren verfügbaren Übertragungsmitteln. Die Meinung findet ihre Grenze nach Art. 5 Abs. 2 GG in • den allgemeinen Gesetzen • den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und • in dem Recht der persönlichen Ehre. Differenziert wird die Meinungsäußerung zwischen der Tatsachenbehauptung (Äußerung über objektivierbare Feststellungen) und dem Werturteil (subjekti-

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Coachkompetenzen

ve Äußerung ohne Tatsachenkern). Werden diese Aspekte und Freiheiten auf das systemisch konstruktivistische Coaching übertragen, so vermittelt Coaching den sozialen und kommunikativen Umgang mit anderen Personen und das Bewusstsein, niemanden zu beleidigen und zu mobben. Die Meinungsfreiheit steht sowohl dem Coachee / Teamcoachee bei der Reflexion über Themen, Menschen und Kontexten sowie dem Coach in der mentalen Vorbereitung auf sein Coaching und der mentalen Hypothesenbildung zu. Subsidiär ist die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG betroffen. 2.5.5

Ressourcenverfügung

„Der Coachee, die Gruppe oder das Team haben selbstständigen Zugriff auf die Ressourcen, die zur Selbstorganisation und Veränderungsrealisierung benötigt werden.“ Diese Freiheit ergänzt den oben genannten objektiven Wert der Freiheit im Coaching und kann in der Hierarchie der Rechtsnormen mit dem einfachen nationalen Recht gleichgesetzt werden. Parallelen können mit der Höchstpersönlichkeit eines Rechtsgeschäftes gezogen werden, sodass eine Stellvertretung i.S.d. § 164 ff. BGB nicht möglich und rechtsunwirksam wäre. Gleichzeitig ist dieser Aspekt die Abgrenzung zur Therapie. Denn man kann sich nur positiv entwickeln, wenn man mit seinen Ressourcen arbeiten kann. 2.5.6

Selbststeuerung

„Der Coachee, die Gruppe oder das Team sind in der Lage, Veränderungsanforderungen selbst zu erkennen und selbst zu realisieren.“ Diese Freiheit ergänzt den oben genannten objektiven Wert der Freiwilligkeit und der Freiheit im Coaching um den Aspekt der (eigenen bewussten) Selbstführung und kann in der Hierarchie der Rechtsnormen mit dem einfachen nationalen Recht gleichgesetzt werden. Parallelen können mit den Willensformen einerseits von Willenserklärungen, (beschränkter) Geschäftsfähigkeit der §§ 104 ff. BGB von Vorsatz und Fahrlässigkeit sowohl in zivilrechtlichen vgl. § 276 ff. BGB als auch in strafrechtlichen Kontexten gezogen werden. Denn die Veränderungsanforderungen, über die der Coachee alleine entscheiden und diese bewusst steuern kann, sind das Wie der Ausgestaltung der Werte von Freiheit und Freiwilligkeit.

Fachlich-methodische Kompetenz

2.5.7

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Vertraulichkeit und Vertrauen – als Analogieschluss

Im Zusammenhang dieser vier Werte ist auffällig, dass sowohl die Vertraulichkeit als auch das Vertrauen nicht positiv genannt werden. Da diese Werte aufgrund der persönlichen und individuellen Thematik ebenso wichtig sind, soll diese Lücke geschlossen werden. Hinweise werden vor allem der Freiheit und der Freiwilligkeit des Coachings entnommen werden.34 Des Weiteren existiert die Differenzierung der Verantwortlichkeiten des Coachs und des Coachees / Teamcoachees, aber auch der Einheit von kognitiver Einsicht und emotionaler Lust. Denn sowohl der Coachee als auch der Coach dürfen und müssen Vertrauen in die positive Entwicklung der gemeinsamen Arbeit unter Einhaltung der Werte von Coaching nach der Hamburger Schule und moralischen Vorstellungen am Veränderungsthema des Coachees / der Teamcoachees haben. 2.5.8

Fazit

Beziehen wir diese Erkenntnis auf das humanistische Menschenbild, so muss der Mensch autonom sein. Autonomie bedeutet, dass der Mensch selbstständig und aus der eigenen Vernunft heraus sowohl Entscheidungen treffen kann als auch aus eigener Kraft zielgerichtet handeln kann. Der Mensch kann in Kontexten kommunikativ und autonom handeln, wenn er sich akzeptiert fühlt und Anerkennung erfährt. Dies kann durch Zuhören, Erkennen, Verstehen, Erklären, Mitteilen und Interpretieren erfolgreich gestützt werden. Wessen wir am meisten bedürfen, ist jemand, der uns dazu bringt, das zu tun, wozu wir fähig sind. – Ralph Waldo Emerson –

34 Siehe Nina Meier in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 189.

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Coaching-Idee Wahrnehmungserweiterung - Entwicklung von Handlungsoptionen Auslösen von Entscheidungsfähigkeit

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Nina Meier · 2010

Freiheit - Freiwilligkeit - Ressourcenverfügung - Selbststeuerung

Somit ist es wichtig von einem humanistischen Menschenbild auszugehen, denn Ziel des Coachings ist die Erreichung der nachhaltigen Selbstlernkonzeption. Es geht darum, dass der Coachee / Teamcoachee selbst erkennt, welche Kompetenzen er im Zusammenhang mit seinem Ziel erlangen und wie er diesen Weg beschreiten muss. Aufgrund seiner Ressourcen mit der Analyse der vorhandenen und fehlenden Ressourcen sowie ihrer gegenseitigen Abhängigkeit / Interaktion, verfügt der Coachee / Teamcoachee eine Konzeption zur Zielerreichung.35 Insofern ist das Ergebnis von Coaching eine Konzeption über die eigene persönliche Entwicklung mit Kompetenzen / Erfahrungen und Erkenntnissen. Diese Selbstentwicklung kann man auch als Lernen bezeichnen.

2.6 Coachingablauf Damit Coaching funktioniert, die Werte und Anliegen berücksichtigt werden sowie die nachhaltige Selbstlernkonzeption eintreten kann, bedarf es eines speziellen Arbeitsprozesses. Dieser Arbeitsprozess ist der Leitfaden für den Coach, damit er nicht nur dissoziiert neutral arbeiten kann, sondern auch in jeder wichtigen Phase Hypothesen bilden und Reflexionsangebote geben kann. 35 Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 20 f., 290,

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Aus der Erkenntnis des Rubikonprozesses für den motivationalen und erlebnisreichen Charakter sowie des rationalen, systematischen Vorgehens der Kepner-Tregoe-Methode ist der Coachingprozess nach der Hamburger Schule entstanden. Im Folgenden werden beide Komponenten skizziert: 2.6.1

Rubikonmodell der Handlungsphasen

49 v. Chr. überschritt Gaius Julius Caesar das Flüsschen Rubikon in Italien, welches damals die natürliche Grenze zwischen Italien und der Provinz Gallia Cisalpina bildete. Seine Überquerung durch bewaffnete Truppen war gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung, die zum Bürgerkrieg führt. Damit seine Soldaten kämpften und nicht flüchteten zerstörte Caesar nach der Überquerung des Flusses Rubikon sämtliche Rückzugsmöglichkeiten, wie beispielsweise die hölzernen Brücken. Nun mussten alle Soldaten den Schritt nach vorne wagen und kämpfen. Es genügt nicht zu wissen, man muss es auch anwenden. Es genügt nicht zu wollen, man muss es auch tun. – Johann Wolfgang von Goethe – „Den Rubikon überschreiten“ ist daher Ausdruck für das unwiderrufliche Einlassen auf eine riskante Handlung. Der Rubikon ist namensgebend für das Rubikonmodell der Handlungsphasen von Heinz Heckhausen. Das motivationspsychologische Modell von Heinz Heckhausen besteht aus folgenden vier Phasen: 1. Phase des Abwägens, 2. Phase des Planens, 3. Phase des Handelns und 4. Phase des Bewertens. 1. In der Abwägungsphase werden aus den vielen Wünschen die derzeit wichtigsten Wünsche extrahiert, bestimmend an den Ressourcen Zeit und Kontext; sog. gezielte Suche nach Informationen. Sinn und Zweck der Phase ist die Intentionsbildung bzw. Bestimmung eines Ziels oder einer Zwecksetzung. Das festgelegte Ziel kommt auf mehr oder weniger gründlichen Erwägungen durch möglicherweise „Kurzentschlossenheit“ via Entscheidung auf ein bestimmtes Ziel zustande, was nach Heckhausen „Schritt über den Rubikon“ heißt. 2. In der Planungsphase liegt der Fokus auf dem Wie der Zielerreichung aus dem Was (Ziel) der Abwägungsphase. Die Motivation wird zur Volition verschoben, weil es um die willentliche und wissentliche Umsetzung / Realisierung der Zielintention geht. Die Planung umfasst nähere Spezifizie-

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Coachkompetenzen

rungen und Umstände der möglichen Umsetzung des Ziels via Implementierungsintention. Wenn mehrere Ziele miteinander konkurrieren, setzt sich die Dominanteste auf Grund verschiedener Faktoren durch. 3. In der Handlungsphase liegt der Fokus auf der Aktion bzw. Handlungsinitiierung. Die eigene Handlung wird ausdauernd auf das Ziel ausgerichtet, wobei Ablenkungen unterbunden werden und Flexibilität im Handlungsverlauf bei auftretenen Schwierigkeiten erforderlich ist. Entscheidend für die Wahrscheinlichkeit und Geschwindigkeit der Realisierung ist die Volitionsstärke. 4. In der Bewertungsphase liegt der Fokus auf der Bewertung der Zielerreichung. Die Intention wird deaktiviert, sodass beurteilt wird, ob die Handlung ein Erfolg war (oder nicht) und ggf. Nachbesserungen erforderlich sind (oder nicht) bzw. das Ziel verändert werden muss (oder nicht) – sog. SollIst-Vergleich. Gleichzeitig wir der Zusammenhang von Erfolg und Misserfolg basierend auf dem Vergleich von motivationalen und volitionalen Aspekten beurteilt – sog. Kausalattribution. Die Abfolge der Handlungsphasen ist eine idealtypische Vorstellung und existiert in der Realität sehr selten, da viele Handlungen ohne Abwägen und Planen erfolgen (sog. Gewohnheitshandlungen) oder die geistigen Tätigkeiten erfolgen gleichzeitig aufgrund paralleler Zielerreichung usw. oder man verfällt von einer späteren Phase in eine frühere Phase. 2.6.2

Kepner-Tregoe-Methode

Neben dieser emotionalen Komponente bedarf es auch des analytisch-rationalen Aspekts, damit eine einheitliche Qualität der motivorientierten Veränderung entstehen kann. Diese Methode wurde von Charles Kepner und Benjamin Tregoe 1958 aufgestellt und dient der Rationalisierung von Denkprozessen. Sie ist Basis der Arbeitsmethodik und besteht aus folgenden vier Bearbeitungsfeldern: 1. Problemanalyse, in der komplexe Situationen zergliedert und Prioritäten festgelegt werden. 2. Situations- / Ursachenanalyse, in der die wahre Ursache eines Problems zu finden ist. 3. Entscheidungsanalyse, in der alternative Lösungen entwickelt und bewertet werden. 4. Analyse potenzieller Probleme, in der mögliche Probleme erkannt und Gegen- bzw. Ersatzmaßnahmen festgelegt werden.

75

Fachlich-methodische Kompetenz

2.6.3

Coachingprozess nach der Hamburger Schule

Das pädagogische und psychologische Ergebnis wird im Kapitel III. „3. Persönliche Kompetenz“ sowie im Kapitel IV. theoretisch erklärt und durch ein Praxisbeispiel verdeutlicht.

Coachingablauf

76

2.7

Coachkompetenzen

Axiomatik von Coaching

Damit wir im Coaching nicht willkürlich arbeiten, helfen Axiome Coaching zu statuieren, zu erklären, ja sogar zu verstehen. Im Sprachgebrauch ist ein Axiom eine unbeweisbare aber in sich einsichtige grundlegende Aussage, die als Ausgangspunkt einer ableitbaren Theorie dient. Der klassische Ansatz wurde geprägt durch Aristoteles und Euklid, welcher unter einem Axiom einen unmittelbar einleuchtenden Grundsatz versteht. Hernach bedarf das Axiom keines Beweises noch ist dieses Axiom eines Beweises zugänglich.36 Wichtiges Beispiel ist die Theorie vom Urknall. Die Entstehung der Erde beruht auf dem Axiom, dass bereits vor Beginn der Erdgeschichte die heute bekannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten unverändert galten. Schwierig ist, dass sich dieses Axiom kaum von anderen Behauptungen unterscheidet. Sie sind lediglich nicht von irgendetwas abgeleitet, sodass keine deduktive Behauptung als Axiom vorliegt. Daneben entwickelte sich in den Naturwissenschaften der Ansatz, dass das Axiom auch Gesetze umfasst, welche empirisch bestätigt worden sind. Wichtiges Beispiel ist das Newton’sche Gesetz aus der Physik über die Mechanik. Danach ist ein Axiom jede unabgeleitete Aussage. Weder die Evidenz noch der ontologische Status sind relevant für die Begründung eines Axioms. Voraussetzung ist danach, dass das Axiom ein Bestandteil eines formalisierten Systems von Sätzen ist, welches ohne Beweis angenommen wird und gerade aus der Summe bzw. dem Zusammenhang mit anderen Axiomen alle Sätze des Systems logisch abgeleitet werden können. Daher kann aus der Axiomatik eine Theorie abgeleitet werden. Diese Theorie ist stets eine deduktive Theorie. Kritisch ist, dass Axiome so stets auf Willkür beruhen. Dies kann revidiert werden, da ein Axiom stets widerspruchsfrei, unabhängig und vollständig aufgestellt werden muss. 2.7.1

Axiomatik der Hamburger Schule

Heute finden wir nur eine Axiomatik zu Coaching, die von der Hamburger Schule aufgestellt worden ist. Die ursprünglichen 14 Axiome sind auf mittlerweile 20 Axiome der Hamburger Schule erweitert worden. Diese sind im Folgenden: 1. Coaching vollzieht sich unter den verschiedensten Rahmenbedingungen; entscheidend ist die Beachtung folgender Werte: 36 U.a. Joseph Maria Bochenski, Die zeitgenössischen Denkmethoden, S. 78 f.

Fachlich-methodische Kompetenz

2.

3.

4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

12. 13. 14.

77

• Freiheit: Durch den Coachee, die Gruppe oder das Team selbst festgelegte nachhaltige Selbstlernkonzeption. • Freiwilligkeit: Der Coachee, die Gruppe oder das Team entscheiden ihre Veränderungsthematik und den Zeitpunkt. • Ressourcenverfügung: Der Coachee, die Gruppe oder das Team haben selbstständigen Zugriff auf die Ressourcen, die zur Selbstorganisation und Veränderungsrealisierung benötigt werden. • Selbststeuerung: Der Coachee, die Gruppe oder das Team sind in der Lage, Veränderungsanforderungen selbst zu erkennen und selbst zu realisieren. Coaching muss der Komplexität der Lebens- und Erfahrungswelt des Coachees, der Gruppe oder des Teams gerecht werden. In diesem Sinne ist Coaching immer „systemisch“. Coaching führt den Coachee, die Gruppe oder das Team von linearem zu vernetztem Denken und Handeln. Es geht darum, Freiheitsgrade für eigenes Verhalten innerhalb eines „Bezugskontextes“ zu identifizieren und zu „Vergleichbarem“ zu erweitern. Coaching basiert auf Modellen von wissenschaftlicher Erkenntnis. Coaching definiert sich über eine wertegeleitete Arbeitshaltung und operationalisierbares Handwerk (Einhalten der Prozessstruktur). Die Lösung liegt im Coachee, in der Gruppe oder im Team. Erfahrungen bilden die Grundlage jeder individuellen und kollektiven Wirklichkeitskonstruktion. Systemisches Denken und konstruktivistisches Denken und Handeln sind nicht identisch, ergänzen sich aber. Motivgeleitete Interessen und Erkenntnis bilden einen Zusammenhang. Menschen orientieren sich innerhalb individuell definierter und gedeuteter Kontexte an Werten. Ein Kontext (Konstrukt oder auch Handlungssystem) ist dem Individuum, der Gruppe oder dem Team dann bewusst, wenn es / sie ihn kognitiv erschließen kann / können. Körper, Gehirn, Geist und Emotionen bilden eine unzertrennbare Einheit. Entscheidungen für ein Verhalten / eine Handlung werden durch Motive, Bedürfnisse, innerhalb von durch Werte gedeuteten Kontexten beeinflusst. Menschen handeln, da sie für sich einen persönlichen Vorteil im Sinne der Erfüllung von Motiven, Bedürfnissen und Werten erwarten. Dies gilt auch für Gruppen und Teams.

78

Coachkompetenzen

15. Werte entstehen durch wiederholtes, individuell erfolgreiches Handeln / Verhalten in einem spezifischen Kontext. 16. Grundsätzliche Verhaltensmuster ergeben sich aus Werten, die für das Individuum, die Gruppe oder das Team kontextübergreifend gelten. 17. Werte, die handlungsleitend sind, aber hinsichtlich ihrer Bedeutung nicht reflektiert werden, führen zu Glaubenssätzen. Glaube ist ein Wertekontext, der nicht hinterfragt wird. 18. Leitwerte sind Werte, die für das Individuum, die Gruppe oder das Team in allen konstruierten Kontexten gelten. Sie bilden die Schnittmenge aller Werte innerhalb dieser Kontexte. 19. Werte bilden die Grundlagen für Entscheidungen. Der Beginn einer Entscheidung ist die gefühlsmäßige Wahrnehmung eines Wertes. Der Abschluss einer Entscheidung begründet einen Wert (subjektiv) rational. 20. Wahrnehmung basiert auf der Wahrnehmung von Unterschieden. 2.7.2

Kritische Auseinandersetzung mit der Axiomatik

Wünschenswert ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Axiomatik. Im Folgenden werden beispielhaft Punkte kritisch gewürdigt. Axiom 1 Ursprüngliches Axiom 1; Hier stellt sich die philosophische Frage, ob sich Coaching als nichtmenschlicher Begriff überhaupt Werten widmen kann. Dies kann mit der allgemeinen Lebensweisheit ausgelegt werden, dass das Mittel Coaching durch Menschen ausgeführt wird, die wiederum wertegeleitet sind. Der spezielle Kontext Coaching Bedarf der Beachtung wichtiger Werte. Weiterhin kann man fragen, ob Ressourcenverfügung und die Selbststeuerung nicht per se schon in den Werten von Freiheit und Freiwilligkeit stecken. Aber um Missverständnissen vorzubeugen sollten wichtige Aspekte deutlich gemacht und fixiert werden. Meines Erachtens schließt die Freiheit und die Freiwilligkeit gerade die Ressourcenverfügung mit ein, denn ohne Ressourcen kann keine nachhaltige Selbstlernkonzeption entstehen. Ohne die eigene Entscheidung über Ressourcen kann wiederum keine Selbstlernkonzeption entstehen. Die Nachhaltigkeit beruht gerade auf der freien und individuellen Entscheidung des Coachees / Teamcoachees. Des Weiteren erscheint die Selbststeuerung als Synonym für die Freiwilligkeit, da es bei beiden um die bewusste eigene und bedingungslose Entscheidung der konkreten Selbstführung geht.

Fachlich-methodische Kompetenz

79

Axiom 16, 17, 18 und 19 Diese Axiome behandeln nur das Thema Werte und sind im Gegensatz zu anderen Thematiken verhältnismäßig oft vertreten. Vielmehr erscheinen diese Axiome als Erklärung von Werten, die keinen Bezug zum Coachingansatz haben, jedoch als Einzelteile für die Ressourcenarbeit wichtig sind. Vielmehr erscheinden diese Axiome als Differenzierungen und Erklärungen von Axiom 13. Allerdings sollte ein Axiom kein anderes Axiom näher erläutern, sondern unabhängig voneinander stehen. Axiom 20 Dieses Axiom scheint idem per idem, also ein unzulässiger Zirkelschluss. Diese Definition von Wahrnehmung erklärt sich selbst, da das Wort Wahrnehmung in der Erklärung für Wahrnehmung mit aufgeführt ist. Grundsätzlich wird etwas Unbekanntes, Umstrittenes oder Zweifelhaftes durch etwas Bekanntes, Anerkanntes oder Sicheres hergeleitet. Somit ist die Erklärung mit oder durch sich selbst ausgeschlossen und somit ein Fehlschluss. Selbst Immanuel Kant stellte schon eine Zirkeldefiniton auf: „Grund ist das, woraus man verstehen kann, aus welchem Grunde etwas eher ist als nicht ist“. Hier wurde der Grund mit dem Wort Grund erklärt. Legt man das Axiom aus, so könnte man entweder das erste Wort der Wahrnehmung durch beispielsweise Lernen ersetzen. Denn Lernen bedeutet das absichtliche und den beiläufigen Erwerb von geistigen, körperlichen und / oder sozialen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Dieser Prozess erfolgt über die Sinneswahrnehmung und dem Erkennen von Bekanntem und Neuem. Wer lernt, der verändert sich, sodass das Wort Unterschied auch als Veränderung oder Andersartigkeit gedeutet werden kann. Andererseits kann die Erklärung für Wahrnehmung ersetzt werden, indem es die unbewusste und bewusste Sammlung von Informationen mithilfe der Sinne darstellt; diese Informationen werden ausgewertet und mit gespeicherten Konstrukten abgeglichen. Der Inhalt und die Qualität der Sinneswahrnehmung (sog. Perzeption) kann durch gezielte Aufmerksamkeit verändert werden.37 Aber Wahrnehmung basiert auf der Wahrnehmung ist keine Erklärung, sondern eine Frage aufwerfende Wiederholung.

37 Vgl. Kurt Buser / Thomas Schneller / Klaus Wildgrube, Kurzlehrbuch medizinische Psychologie – medizinische Soziologie, S. 93.

80

2.8

Coachkompetenzen

Verantwortung im Coaching

Der nächste Aspekt ist die Verantwortung im Coaching. Verantwortung trägt sowohl der Coach / Teamcoach als auch der Coachee / die Teamcoachees. Grundsätzlich bedeutet Verantwortung, dass man über die Folgen eigener oder fremder Handlungen Rechenschaft ablegen kann / wird, in letzter Konsequenz auch muss. Hierzu zählt sowohl die bewusste Entscheidung als auch die Sorgfalt über die Entwicklung des Verantwortungsbereiches. Die Verantwortung ist wiederum ein Beispiel von Kausalität, also dem Zusammenhang von Ursache und Wirkung von Tun / Unterlassen. Wichtige Vertreter der Verantwortungsforschung waren Johannes Schwartländer und Max Weber. Johannes Schwartländer38 ist Anhänger von Kant und dem Vernunftmensch, sodass die Verantwortung einen Weltbezug und seiner Autonomie aufweisen muss. Die Verantwortung kann nur für eine Situation übernommen werden, die der Mensch beeinflussen kann sowie Normen vorliegen müssen, damit es zur Abweichung von Soll und Sollen führen können. Abschließend muss eine schuldhafte Zurechnung vorliegen. Das Verschulden bezieht sich wiederum auf Wissen und Wollen. Max Weber erklärt die Verantwortung im politischen Kontext mit Gesinnung und Ethik. Im Folgenden wird Verantwortung kurz rechtlich skizziert und sodann auf systemisches Coaching subsumiert. 2.8.1

Rechtliche Perspektive

Juristisch gesehen ist grundsätzlich jeder Mensch für sein Handeln verantwortlich. Die Verantwortungen spezifizieren sich auf die Art der Arbeit (Bank, Rechtsanwalt, Mediziner, Büroangestellter, Arbeiten mit Gefahrgütern, Arbeiten mit Kindern, Arbeiten mit Senioren, Arbeiten mit Behinderten usw.). Ausnahmen existieren für Menschen in einem bestimmten Alter: • mit Vollendung des 10. Lebensjahres beginnt die beschränkte Deliktsfähigkeit bei fahrlässigen Verkehrsunfällen (§ 828 Abs. 2 BGB), • mit Vollendung des 14. Lebensjahres beginnt die Strafmündigkeit gem. § 19 StGB jedoch unter Anwendung des Jugendgerichtsgesetztes (§ 3 JGG), die Religionsmündigkeit gem. § 5 RelKErzG, Widerspruch gegen die Organentnahme nach dem Tode gem. § 2 Abs. 2 TPG, der Besuch von Filmveranstaltungen bis 22 Uhr gem. § 11 Jugendschutzgesetz,

38 Johannes Schwartländer, Stichwort „Verantwortung“ in,Hermann Krings / Hans Michael Baumgartner / Christoph Wild, Handbuch philosophische Grundbegriffe.

Fachlich-methodische Kompetenz

81

• mit Vollendung des 15. Lebensjahres endet das allgemeine Beschäftigungsverbot gem. § 5 JArbSchG, beginnt die Fahrberechtigung für Mofas gem. § 5 i.V.m. § 10 Abs. 3 FeV, • mit Vollendung des 16. Lebensjahres gilt die Befreiung vom Eheverbot als beschränkte Ehemündigkeit gem. § 1303 BGB, die Testierfähigkeit gem. § 229 BGB, Handlungsfähigkeit nach § 12 Asylverfahrensgesetz und § 80 Ausländerrecht, Einwilligung in die Organentnahme nach dem Tod gem. § 2 Abs. 2 TPG; Aufenthalt in Gaststätten und bei Tanz- und Filmveranstaltungen bis 24 Uhr gem. § 4 und 5 Jugendschutzgesetz, Ende des Abgabeverbotes von Alkohol außer Branntwein gem. § 9 Jugendschutzgesetz, Erwerb der Segelfluglizenz gem. § 23 LuftVZO, Führerscheinerwerb der Klassen A1, M, S, L, T gem. § 10 Abs. 1 FeV. • mit Vollendung des 17. Lebensjahres existiert die Möglichkeit der vorsorglichen Betreuerbestellung und der Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes gem. § 1908 BGB, der Erlaubnis des begleiteten Fahren mit PKW gem. § 48a FeV, dem Import von zollfreien Waren (Tabak, Alkohol) gem. § 2 Abs. 5 Nr. 2 EF-VO, • mit Vollendung des 18. Lebensjahres beginnt die Geschäftsfähigkeit gem. § 2 BGB und die Deliktfähigkeit gem. § 828 Abs. 3 BGB, dem aktiven und passivem Wahlrecht zum Bundestag gem. Art. 38 GG sowie zu den Landtagen, den Kommunalvertretungen, zur Wahl des Europäischen Parlamentes, aber auch zum Betriebs- oder Personalrat, im Strafrecht die Möglichkeit als Erwachsener bestraft zu werden (sog. Heranwachsender gem. §§ 1, 105, 106 JGG), Führerscheinerwerb nach § 10 Abs. 1 FeV, Waffenscheinerwerb gem. § 4 Abs. 1 WaffG, Rauchen in der Öffentlichkeit gem. § 10 Jugendschutzgesetz, Zutritt zu Spielkasinos und Zutritt zu Solarien gem. § 4 NiSG, usw. Diese Liste erscheint zwar sehr detailliert und im ersten Moment kaum einen Bezug zum systemischen Management Coaching aufzuweisen, allerdings sind diese Aspekte als abstraktes Reflexionsangebot für die Bewertung eigener Ressourcen und der Konsequenz aus ressourcenorientiertem Handeln wichtig und nützlich. Da die Verantwortlichkeit auch an das Verschulden knüpft, muss das Verschulden im Zivilrecht und die Schuldfähigkeit im Strafrecht und Deliktsrecht regelmäßig konkret geprüft werden. Denn die Verschuldenshaftung setzt immer einen Schaden, eine verletzte Pflicht sowie die Kausalität zwischen verletzter Pflicht und Schaden voraus.

82

Coachkompetenzen

Im Zivilrecht wird das Vertretenmüssen als zivilrechtliches Verschulden nach § 276 BGB an den Merkmalen von Vorsatz und Fahrlässigkeit bewertet. Hernach ist Vorsatz das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit.39 Insofern sind die Voraussetzungen an das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit wie im Strafrecht zu sehen. Ein Tatbestandsirrtum lässt den Vorsatz entfallen.40 Vorsatz ist das Wissen und Wollen der Verwirklichung des Tatbestandes. Kritisch ist dabei, ob das voluntative oder das kognitive Element betont wird, ob beides von gleichem Gewicht ist. Für das kognitive Element spricht, dass der Wunsch des Täters regelmäßig nicht die Verwirklichung von Unrecht sei, sondern er das Unrecht als notwendiges Übel in Kauf nehme, um sein Ziel zu erreichen. Für das voluntative Element spricht, dass der Täter niemals alle Umstände seiner Tat kennen kann, wobei Unwissenheit ihm keinen Vorteil gewähren soll. Mittlerweile gibt es drei Stufen des Vorsatzes: Dolus directus 1. Grades

Dolus directus 2. Grades

Dolus eventualis

bezeichnet die Absicht, also muss der Täter seinen Willen zielgerichtet formen, um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. bezeichnet die Wissentlichkeit, also muss der Täter den Erfolg wissentlich herbeigeführt haben, wobei notwendig ist, dass der Erfolg das angestrebte Ziel darstellt. bezeichnet den bedingten Vorsatz. Nach Auffassung des BGH ist der bedingte Vorsatz gegeben, wenn der Täter den Taterfolg für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat.

Daneben existiert die Fahrlässigkeit. Nach herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung handelt der Täter nicht vorsätzlich, sondern lediglich bewusst fahrlässig, wenn dieser ernsthaft auf den Nichteintritt eines tatbestandlichen Erfolges vertraut. Getreu dem Motto „Na wenn schon...“ reicht für ein fahrlässiges Verhalten nicht aus. Vielmehr muss der Erfolgseintritt für möglich gehalten werden, also für nicht ganz fernliegend erachtet und billigend in Kauf genommen werden (sog. Billigungstheorie). Insofern handelt jemand bewusst fahrlässig, wenn er mit dem möglichen Eintritt rechnet, aber pflichtwidrig und vorwerfbar darauf vertraut, dass der Schaden nicht eintreten wird. Hingegen 39 Heinrichs in Palandt, BGB, § 276 Rn. 5ff.; Stefan Tetenberg, Der Bezugspunkt des Vertretenmüssen beim Schadensersatz statt der Leistung, JA 2009, S. 1. 40 Vgl. Nina Meier, Recht im Coaching in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 174 f.

Fachlich-methodische Kompetenz

83

zeichnet die unbewusste Fahrlässigkeit aus, dass der Handelnde den Erfolg nicht voraussieht, aber ihn doch bei der im Verkehr erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt voraussehen und verhindern könnte. 2.8.2

Subsumtion Coaching

Diese Differenzierungen von Vorsatz und Fahrlässigkeit helfen zum einen bei der Wahrnehmung der eigenen Verantwortung im Coaching, als auch der Überwachung des verantwortlichen Handelns von Coach und Coachee. Subsumieren wir die juristischen Verantwortungen bzw. Verschuldensfragen auf das Coaching, so kann im Coachingmarkt zwischen den Coachingansätzen differenziert werden. Fasst man Coaching als Beratung auf, so sind die rechtlichen Grundsätze eines Beratungsvertrages anzuwenden. Nach herrschender Meinung wird der Berater verpflichtet, den zu Beratenden richtig und vollständig über die tatsächlichen und wesentlichen Umstände zu informieren. Ist ein Schadensersatz wegen unrichtiger Beratung gegeben, so kann sich der Schädiger nicht darauf berufen, dass der Geschädigte sich nicht auf die Richtigkeit seiner Angaben verlassen hätte dürfen.41 Würde dem Schädiger dieser Einwand zustehen, so träfe den Geschädigten aufgrund seines (blinden) Vertrauens ein Mitverschulden. Dieser Umstand geht zu Lasten des Geschädigten und kann und wird aus Treu und Glauben gem. § 242 BGB nicht akzeptiert werden. Ist Coaching demnach eine Beratung, so haftet der Coach im Rahmen eines falschen Rates. Dieser kann unterschiedlicher Natur sein, da es im Coaching um die persönliche und individuelle Entwicklung des Coachees / der Teamcoachees geht, sodass dieser existenzielle Entscheidungen zu treffen hat und treffen muss. Verfolgt man andererseits den Dienstleistungscharakter von Coaching, so schuldet der Coach keinen bestimmten Erfolg bzw. keinen konkreten Rat oder Lösung des Anliegens des Coachees / der Teamcoachees. Vielmehr schuldet der Coach einen transparenten, operationalisierten Prozess, der nicht nur Selbstreflexion sondern auch eine nachhaltige Selbstlernkonzeption beim Coachee / bei den Teamcoachees auslösen soll. Allerdings ist die Qualität der Selbstreflexion und des Ergebnisses nicht vereinbart und somit nicht geschuldet. Des Weiteren müssen die Prozessschritte von 1. Kontakt und Kontrakt, 41 Vgl. BGH, NJW 2003, S. 1811 (1814); BGH, NJW 1998, S. 302 (302); OLG Celle, Urt. v. 08.03.2005, Az. 16 U 193/04.

84 2. 3. 4. 5.

Coachkompetenzen

Thema- und Zielklärung, Ressourcenidentifikation, Auswahl und Analyse der Handlungsmöglichkeiten und Abschluss und Controlling;

die drei Anliegen von Coaching • Erweiterung der Wahrnehmung, • Förderung der Entscheidungsfähigkeit und • Auslösen von Verhaltensmöglichkeiten sowie den Werten von Coaching 1. 2. 3. 4. 5.

Freiheit, Freiwilligkeit, Ressourcenverfügung, Selbststeuerung und Vertrauen und Vertraulichkeit

durch den Coach permanent eingehalten und überwacht werden. Nur so kann der Coachee / Teamcoachee reflektieren, seine Ressourcen zum Veränderungsthema finden, bewerten und zuletzt diese Lösung nachhaltig verinnerlichen. An dieser Stelle ist der Ansatz nach der Hamburger Schule vorzugswürdig, sodass das Coaching weder Training noch Beratung ist, da sich der Coach inhaltlich nicht einmischt. Jede Entscheidung zum persönlichen und individuellen Veränderungsthema trifft der Coachee alleine bzw. die Teamcoachees gemeinsam. Hernach kann der Coach nicht in den Regress genommen werden, wenn der Coachee u.a. folgende Entscheidungen bereut: Kündigung seines Anstellungsvertrages, Trennung von seinem Lebenspartner bzw. Ehepartner, Aufnahme von Darlehen usw. Diese Entscheidungen haben stets finanzielle Änderungen und emotionale Zusammenhänge zur Folge. Diese Risiken sind von erheblicher Natur. Folgt man dem Coachingansatz der Hamburger Schule und der strikten Trennung der Verantwortungsbereiche, so besteht für den Coach keine Gefahr für eine Haftung.

Fachlich-methodische Kompetenz

2.8.3

85

Fazit

Der Coach hat die Verantwortung für den Prozess und interveniert nach den Axiomen der Hamburger Schule, sodass der Coachee / Teamcoachee seiner Lösungsfindungs- und Ergebnisverantwortung voll nachgehen kann. Wichtig ist dabei, dass der Coach über den Prozess die formellen Strukturen für den Coachee / Teamcoachee setzt.

2.9

Hypothesenbildung

Das zentrale Element für den Coach besteht nicht nur darin, sich mental auf das Coaching vorzubereiten, sondern während des Coachings aufmerksam zu zuhören um zu professionellen Schlüssen / Reflexionsangeboten zu kommen. Nur dann kann der Coachee / Teamcoachee seine Veränderung und den Sprung über den Rubikon initiieren. Dazu im Folgenden, was eine Hypothese ist und wie diese Hypothese benutzt wird: Dazu im Folgenden: Wichtiger Vertreter von Hypothesen ist Platon in seinem Dialog Phaidon: „Ich lege meiner Untersuchung immer eine Behauptung zugrunde, die ich für besonders stark halte; und das, von dem ich dann den Eindruck habe, dass es damit in Einklang steht, nenne ich wahr; was dagegen damit nicht in Einklang zu stehen scheint, nenne ich unwahr.“ „Hypothesen, noch vibrierend von eigener In-Frage-Stellung, kommen selten bereits zum praktischen Beweis, zu dem der technischen, sozialen Veränderung, als gelingender. Sie bleiben im bloßen Versuch des bloßen Erklärens; mißlingt dieser, bleiben sie zwar durchaus innerhalb der Erkenntnis, sie stehen auch dann nicht mehr in limine außerhalb ihrer, wie die Abstraktion, aber sie wandern in die Versuchsgeschichte der Erkenntnis, der erkannten Irrtümer.“ 2.9.1

Bedeutungsklärung

Aus dieser systemischen und konstruktivistischen Erkenntnis, dass der Wahrnehmungsprozess intra- und interaktiv ist, ist es unumgänglich, dass wir nach der jeweiligen Bedeutung fragen. Bleibt etwas in der Bedeutung offen, so besteht die Gefahr, dass Missverständnisse und Irrtümer auftreten. An dieser Stelle ist es wichtig, den Konsens über Bedeutung zu schaffen und gerade den Dissens zu vermeiden. Im allgemeinen Sprachgebrauch steht Bedeutung für den Sinn oder die einem Gegenstand zugemessene Wichtigkeit. Fachsprachlich ist

86

Coachkompetenzen

die Bedeutung, was ein sprachlicher Ausdruck oder ein Zeichen zu verstehen gibt. Beispielsweise versteht jeder Mensch etwas anderes über den Sinn des Lebens, findet jeder Mensch Berufe attraktiver als andere, versteht unter Erholung, Entwicklung usw. etwas anderes. Folglich konstruiert jeder Mensch seine Welt mit seiner eigenen Bedeutung, Wichtigkeit und Sinnstiftung. Zur Veranschaulichung wird der Dissens im Recht skizziert. Den Dissens finden wir im Vertragsrecht als offenen und versteckten Einigungsmangel. Nach § 154 BGB besteht ein offener Einigungsmangel, wenn beide Vertragspartner einen Aspekt für den noch zu schließenden Vertrag noch nicht geklärt haben. Voraussetzung ist, dass mindestens einer der beiden diesen Aspekt zu klären wissen will. Der fiktive Vertrag ist noch nicht geschlossen (Rechtsfolge). Nach § 155 BGB besteht ein verdeckter Einigungsmangel, wenn die Vertragspartner davon ausgegangen sind, dass ein Vertrag zwischen ihnen geschlossen wurde und sich über die Aspekte des Vertrages einig sind. Erst bei der Auslegung des Vertrages aus der Sicht eines objektiven Dritten nach §§ 155, 133 BGB wird deutlich, dass die abgegebenen Willenserklärungen objektiv fehlerhaft sind. Der betroffene Vertragspartner hat die Möglichkeit der Anfechtung seiner fehlerhaften Willenserklärung. Hingegen ist der Vertrag nichtig, wenn der Dissens über einen oder mehrer essentialia negotii vorliegt. Grundsätzlich gilt der Vertrag soweit, wie er auch ohne den nichtvereinbarten Punkt geschlossen worden wäre. An dieser Stelle wäre der Coach / Teamcoach nicht professionell, wenn er seine Erfahrung als Maßstab der Bewertung des Veränderungsthemas einer fremden Person (sein Coachee / seine Teamcoachees) nutzt und gerade nicht den Coachee / die Teamcoachees in den Mittelpunkt des Coachings als seine Arbeit stellt. Ansonsten unterliegen wir einem Bewertungsfehler bzw. Irrtum. Unter Irrtum wird eine falsche Annahme, Behauptung, Meinungen oder Glauben verstanden, wobei die betroffene Person jeweils von der Wahrheit ihrer Aussage / ihrer Annahmen überzeugt ist. In diesem Fall fallen Wille und Wirklichkeit auseinander.42 Zur Vermeidung dessen muss ein Coach stets nach der Bedeutung von Wörtern, Mimiken und Gestiken, Zusammenhängen usw. fragen. Insofern wird die konstruierte Welt des Coachees / des Teamcoachees dem Coach transparent, erkennt Bedeutungen und Zusammenhänge. Hieraus wird gefolgert, dass die Bedeutungsklärung wesentlich im Coaching ist.

42 vgl. Kapitel V, Nina Meier: Missverständnis und Irrtum.

87

Fachlich-methodische Kompetenz

2.9.2

Hypothesenbildung

Als Coach / Teamcoach intervenieren wir, da wir als Dritter in die Welt des Coachees / der Teamcoachees eintreten und somit eine „Störung“ verursachen. Wichtig ist neben der Bedeutungsklärung jedoch auch die Hypothesenbildung. Der Coach hat die Aufgabe den Prozess zu steuern und dafür die Verantwortung zu tragen. Beste Methode zur Qualitätssicherung sind die hypothesengeleiteten Reflexionsangebote. Wichtig ist, dass die Hypothese gerade nicht das einzusetzende Reflexionsangebot, sondern eine widerlegbare und zu überprüfende Annahme über wichtige Aspekte in der Entscheidungs- und Veränderungsthematik des Coachees / der Teamcoachees darstellt. Weiterhin ist wichtig, dass eine Hypothese eine Annahme / einen Gedanke darstellt, dessen Wahrheitsinhalt eines Beweises bedarf. Die Beweisführung hängt jedes Mal von der Art der dazu geeigneten Regeln ab. Ist die These hingegen nicht haltbar, muss diese sofort verworfen werden. Eine These hat die Aufgabe, das Wesentliche aus einem komplexen Kontext bzw. aus komplexen Aussagen kurz und komprimiert (pragmatisch) zu verifizieren. Die wichtigsten Thesen unserer Geschichte sind die 95 lutherschen Thesen gegen die Ablasspraxis (ca. 1517).

Hypothesenbildung 9$.2*

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88

Coachkompetenzen

Da wir als Coach dissoziiert arbeiten, können und dürfen wir keine Thesen sondern Hypothesen aufstellen. Hypothesen sind wissenschaftlicher Natur und basieren auf den natürlichen systemischen Aspekten eines Menschen und dessen Umwelt, Forschung und Entwicklung. Solche natürliche Hypothesen sind essenziell für die Festlegung von Hintergrundwissen und den Ausgang der Konstitution von Wissenschaft und Forschung. Diese Hypothesen sind vorläufig aufgestellte Thesen und dienen als Grundlage der Arbeit als Coach. Insofern nehmen wir die Informationen unseres Gegenübers auf, verbinden diese Informationen über nonverbale, verbale und paraverbale Kommunikationen mit Themen im Kompetenzmodell und verbinden diese konkret mit Modellen, Methoden und Axiomen aus dem Coaching nach der Hamburger Schule. Beispiel: Coachee erzählt, dass er sich nicht entscheiden kann und stets hin- und herüberlegt, dabei sich nicht sicher ist, was er mag, fühlt usw. Unsere Hypothese: • Sicherheitsbedürfnis, da er sich „nicht entscheiden kann“ und sich „unsicher“ ist – Angebot Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow • fehlende Einheit von kognitiver Einsicht und emotionaler Lust – Angebot JoHari-Fenster von Joseph Luft / Harry Ingham und das Axiom „Gehirn, Geist, Körper und Emotionen bilden eine unzertrennbare Einheit“ • Motivausprägung geführt werden – Angebot MotivStrukturAnalyse (MSA) der emesa gmbh • Geringe Selbstführung – Angebot 14 Führungsaufgaben von Rolf Meier und acht Grundeinsichten von Führung von Rolf Meier • Erstarren – Angebot Sozialverhalten im Konflikt, da innerer Konflikt 2.9.3

Fazit

Der Coach nutzt sowohl die natürlichen Hypothesen als Arbeitshypothesen sowie die Bedeutungsklärungen zur Steuerung der Reflexionsangebote im Coachingprozess. Das A + O der Professionalität ist abrufbereites richtiges Wissen.

2.10 Lernen Wie bereits oben erwähnt, ist Coaching ein besonderer Prozess zum professionalisierten Lernen und die Erkenntnis und Wahrnehmung über die eigene Person samt aller Ressourcen. Da Menschen laut unserem humanistischen Menschenbild Individuen sind, und nach dem Konstruktivismus jeder Mensch die Welt mit anderen Augen sieht, so lernt jeder Mensch auch anders.

Fachlich-methodische Kompetenz

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2.10.1 Was zeichnet Lernen aus? Aus lernpsychologischer Sicht wird unter Lernen ein Prozess der stabilen Veränderung von Denken, Fühlen und Verhalten verstanden. Dieser kann entweder absichtlich (intentionales Lernen) oder beiläufig (implizites Lernen) aufgrund von neuem Wissen und neuen Einsichten oder auf Erfahrung beruhen. Ziel ist stets die Verarbeitung der wahrgenommenen Umwelt und der eigenen Person. Lernen ist hernach nicht nur ein Prozess der Entwicklung und Veränderung, sondern die Möglichkeit, sich an die Aspekte und Bedingungen des Lebens und seiner Umwelt anpassen zu können. Lernen zeichnet weiterhin Komplexität aus. Sensitivierung und Habituation ermöglichen einfaches Anpassen, hingegen ist das assoziative Lernen komplexer. Dieser assoziative Komplex benötigt das Miteinanderverbinden von mindestens zwei Ereignissen / Informationen.43 Gutes Beispiel ist die Verbindung von Bildern mit Definitionen. Beim Lernen darf man das Gehirn und das Gedächtnis nicht vergessen, sodass neben dem Wunsch nach Lernen und Erweiterung der Wahrnehmung und Eloquenz etc. gerade das Üben als solches eine bedeutende Rolle einnimmt. Wir lernen bereits mit Entstehung unseres Lebens, nämlich über unsere menschlichen Sinne. • Sehen: wir nehmen die Welt über das Auge visuell wahr. • Hören: wir sind „ganz Ohr“ mithilfe des auditiven Systems. • Tasten: die Haut als unser größtes Organ ermöglicht das Tasten und Fühlen (taktiles System). • Riechen: „immer der Nase nach“ ist das Motto des olfaktorischen Systems. • Schmecken: mittels unserer Zunge kommen wir auf den gustatorischen Sinn (Geschmack). • Körperliche Bewegung wahrnehmen: wir benötigen den Sinn für Raum-, Zeit-, Kraft- und Spannungsverhältnisse über die eigene Bewegung (kinästhetische System). • Gleichgewicht halten: das Spannungsverhältnis des eigenen Körpers und der eigenen Bewegung bleibt dank des vestibulären Systems in Balance. Bis zur Schulzeit nehmen wir einen intuitiven Lerntyp ein, sodass wir naiv, natürlich und universell unsere Umwelt entdecken und lernen. Grenze des 43 Vgl. Manfred Spitzer, Lernen, S. 19ff.

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Coachkompetenzen

Lernens sind neurobiologische und entwicklungsbedingte Rahmenbedingungen.44 Die kindliche Neugier führt zu vielfältige Aktivitäten, wie das Umdrehen von Steinen im Walde, das Planschen in Pfützen, das Matschen im Schlamm, das Malen mit Kreide / Wachsmalstiften / Buntstiften usw. Quasi ist die Natur und Umwelt das experimentelle Labor. Alle auf mannigfaltige Art und Weise gewonnenen Eindrücke erreichen über die Nervenbahnen das kindliche Gehirn. Nach der Speicherung, Verknüpfung und Verarbeitung von Informationen verdichten sich diese gewonnenen Informationen zu Erkenntnissen. Diese Erkenntnisse bilden die Grundlage für Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster, aber auch die kindliche Persönlichkeit bildet sich heraus. Das Manko unserer technisierten und kognitiven Welt schränkt die komplexe Lernentwicklung ein, sodass die Lebenswirklichkeit nur einseitiges Erleben fördert. Denn der Mensch ist unzähligen Reizen und Einflüssen seiner Umwelt ausgesetzt, die er durch die Sinne aufnimmt und die über die Nerven im Gehirn verarbeitet werden müssen. Die moderne Welt löst eine Reizüberflutung aufgrund von akustischer und visueller Wahrnehmung aus.45 Fakten müssen in einen Zusammenhang gebracht werden um für uns erlebbar und damit zugreifbar zu werden. Das stupide Auswendiglernen ist schwer, vielmehr helfen Bilder und Geschichten, die wir interessant finden und speichern. Daraus folgt, dass ein guter Lehrer oder ein Vorbild Geschichten erzählt. Eine tagtägliche Flut an Eindrücken und Informationen, wie sie die moderne Welt liefert, kann jedoch kaum in sinnvolle Zusammenhänge gebracht werden, da uns das Tempo der zu erledigenden Aufgaben keine Zeit zum Nachdenken lässt. Diese Reizüberflutung führt zu Hektik und möglicherweise zu aggressiven Reaktionen und zu schneller Erschöpfung. Eine anhaltende Reizüberflutung kann zu einem Realitätsverlust, dauerhafte Konzentrationsschwierigkeiten und mögliche Lernschwächen führen. Ausschlaggebend, ob wir lernen oder nicht, ist der Hippokampus. Dieser Neuigkeitsdetektor überprüft jede Information, ob sie bereits vorhanden und gespeichert ist, oder ob sie komplett oder teilweise neu ist. Der Neuigkeitswert wird mit den bisherigen Erfahrungen abgeglichen, sodass kognitiv beurteilt wird, ob eine Situation neu ist oder nicht.46 Erst in der Schule werden über die Fächer die Intelligenzen angeregt und vertieft. Diese Erkenntnisse werden schulisch routinierter und ritualisiert. In der Schule lernen wir deduktiv zu denken und deduktiv zu arbeiten, sodass wir 44 Vgl. Howard Gardener, Der ungeschulte Kopf, S. 29. 45 Alex Rühle, Reizüberflutung: Verblöden wir?, Süddeutsche Zeitung vom 23. Juli 2008; http://www.nscr. de/reizueberflutung/index.php zuletzt abgerufen am 19.03.2012. 46 Manfred Spitzer, Lernen, S. 34.

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Muster und Regeln abstrakt erkennen, um sie konkret umzusetzen. Leider verlernen wir aufgrund geistigen Lernens die natürliche Neugier. Unsere Informationsverarbeitung hat eine Grenze! George Miller war ein Psychologe, der 1956 einen Artikel über die magische Zahl 7 schrieb, plus oder minus 2. Dieser Artikel handelte von den Grenzen unserer Fähigkeit, die erhaltenen Informationen zu verarbeiten. Er war der Meinung, dass unsere Informationsverarbeitungskapazität eine Grenze hat. Diese Grenze ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Man kann es an der 7 messen und entweder 1 – 2 zuzählen oder 1 – 2 abziehen.47 Um es leichter zu sagen: Hat man 9 Zahlen vor sich, soll man sich 7 davon merken können, manche Menschen haben allerdings eben 2 Zahlen weniger oder auch 2 Zahlen mehr. Eine Studie hat ergeben, dass sich die meisten getesteten Personen weniger als 7 Dinge gut merken konnten, einige 7 Dinge verinnerlicht hatten und kaum jemand mehr als 7 Dinge behalten konnte. Aber stimmt diese Theorie? Da Miller einerseits an Zahlen, Wörter, Begriffe, Eindrücke, Gedanken und Geräusche dachte und andererseits die unterschiedlichen Menschen bedachte, können wir Menschen und in der Wirklichkeit 5 – 9 Dinge merken. Dies liegt an der Begrenzung unseres Nervensystems, welches nicht zulässt, dass man mehrere Dinge gleichzeitig im Gedächtnis halten kann. Wir sprechen umgangssprachlich vom Arbeitsgedächtnis.48 Diese Arbeit mit unserem Gedächtnis ist bei jedem Menschen anders ausgestaltet, sodass Kinder, Teenager und Erwachsene lernen, dies effizient und effektiv zu nutzen hingegen andere sich bequemen die Merkfähigkeit an die Umwelt und insbesondere die Technik zu delegieren. Trainieren Sie ihr Kurzzeitgedächtnis, lernen Sie auswendig, verbinden Sie dies mit Bildern – emotionalen Bildern und Sie können sich viele Details eines Kontextes merken. Faktenwissen ist wie das Skelett des Menschen, es ist die Basis für den Sinnzusammenhang (des Menschen). Lernen Sie in Geschichten und 47 Vgl. Manfred Spitzer, Lernen – Gehirnforschung und die Schule des Lebens, S. 5. 48 Vgl. Manfred Spitzer, Lernen – Gehirnforschung und die Schule des Lebens, S. 5.

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Bildern, sodass das faktische Auswendiglernen auch stattfinden kann und sich mit anderen Fakten zu einer sinnvollen Einheit verbinden kann.49 Beim Lernen von komplexen Strukturen müssen wir darauf achten, dass zunächst die simplen Strukturen gelernt werden und sich stetig in der Komplexität steigern. Wer ein komplexes Gebilde alleine und sofort lernen will, überfordert sich. Die Aufteilung macht Sinn, die Wiederholung manifestiert sich im Gehirn und wird zu Repräsentanten, der Hippokampus arbeitet auf Hochtouren. Über Lerntypen und Lernstrategien sind diverse Theorien und Meinungen erforscht und publiziert worden. Ich verfolge die Ansicht, dass es drei Lerntypen gibt, welche es nach der sog. sensumotorischen Wahrnehmung zu unterscheiden gilt: • der visuelle Lerner, • der auditive Lerner und • der kinästhetische Lerner. Frederic Vester50 typologisierte vier Lerner: 1. optische bzw. visuelle Lerner, 2. auditive Lerner, 3. haptische Lerner und 4. kognitive Lerner. Diese Einteilung ist sehr oberflächlich und wird von der Lernpsychologie und ihren Anhängern nicht ernst genommen. Diese Ablehnung erscheint logisch, da Frederic Fester nicht logisch begründet, warum er diese vier Typologien differenziert und der kognitive Lerner keine Typologie der sensumotorischen Wahrnehmung darstellt. Bereits Immanuel Kant betonte in seiner Kritik der reinen Vernunft, dass Gedanken ohne Inhalte leer seien usw. Richtig erscheint jedoch die Theorie vom Lernen von Frederic Vester, da er das ganzheitliche Lernen propagierte und somit den Menschen als ganzheitliches System ansah. Nach seiner Auffassung können zwar die Lerntypen differenziert werden, jedoch existieren in der Natur Mischformen. Insofern ist das systemische Denken zu befürworten. Das System wird als vernetztes Wirkungsgefüge angesehen, wobei sich die Systemelemente gegenseitige stärken oder schwächen. Dies erscheint vorzugswürdig, da ein lineares Denken einseitig erscheint und schlichtweg mit binären Formeln von richtig / falsch oder wahr / unwahr arbeitet. Hierzu passt das humanistische Motto, dass Körper, Gehirn, Geist und Seele eine unzertrennbare Einheit bilden. 49 Vgl. Manfred Spitzer, Lernen – Gehirnforschung und die Schule des Lebens, S. 35. 50 Frederic Vester, „Denken, Lernen, Vergessen – was geht in unserem Kopf vor, wie lernt das Gehirn und wann lässt es uns im Stich“.

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Des Weiteren beruhen die drei Lerntypen (visuell / auditiv / kinästhetisch) auf der biologischen Veranlagung des Menschen, sodass man zur Unterstützung die multiplen Intelligenzen nach Howard Gardner51 sowie die Motivstruktur des Menschen52 zugrunde legen kann. Neben den Lerntypen ist die individuelle Lernstrategie des Menschen ebenfalls hinzuzufügen. Neben der natürlichen Begabung haben Menschen das Lernen bzw. die Verarbeitung von Informationen gelernt. Des Weiteren erscheinen die drei Lerntypen vorzugswürdig, da bereits Benjamin Bloom 1956 eine Lerntheorie mit kognitiven, affektiven und psychomotorischen Lernzielen entwickelte.53 Kognitive Ziele beruhen auf dem Wissen, Verstehen und Anwenden bzw. Reflektieren, affektive Ziele zielen auf die innere Einstellung die Werteorientierung sowie die psychomotorischen Ziele basieren auf dem Imitieren, Präzisierung und Naturalisierung.

51 siehe Kapitel III 3.5 Intelligenzen. 52 siehe Kapitel III 3.2.2 Motive. 53 Benjamin S. Bloom, „Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich“; ders. „Taxonomien von Lernzielen im affektiven Bereich“.

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Lerntaxonomien

An dieser Stelle ist es wichtig zu wissen, dass Handeln sowohl bewusst als auch unbewusst erfolgt. Menschliches Handeln ist bewusst, überlegt und sinnorientiert, mithin reflektiert. Allerdings existiert unreflektiertes Verhalten durch Gewohnheits-, Affekt- und Zwangsverhalten. Unreflektiertes Verhalten wird in Reflexe und Automatismen / Routinen differenziert.

Fachlich-methodische Kompetenz

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„Reflexe (als angeborene oder erworbene Reiz-Reaktions-Verbindungen), Automatismen und Routinen (als erlernte, aber unreflektierte automatisch ablaufende Reaktionen und Verhaltensweisen), welche meist aus einst reflektiertem Verhalten (Handlung) entstanden sind und sich dann zu weniger bewussten Prozessen (rück-)entwickelt haben.“54 Im Coaching bedeutet dies, dass der Coach Reflexionsangebote geben muss, die zum Lerntyp und zur Lernstrategie des Coachees / des Teamcoachees passen. Daher sollte der Coach abwechslungsreich intervenieren: • von gedanklichem über räumlichen Perspektivwechsel, • kognitive und emotionale Erkenntnisse sowie • dem Erzählen, Aufschreiben und Aufmalen. Hierzu zählen definitiv die Axiome, dass die Lösung im Coachee / Teamcoachee liegt sowie die Einheit von Gehirn, Geist, Körper und Emotionen. Insofern werden stets abstrakt offene Fragen gestellt, damit der Coachee / Teamcoachee in seiner Beantwortung so wenig wie möglich beeinflusst wird. Erst danach kann und sollte der Coach dissoziiert konkreter werden, um die Wahrnehmung des Coachees / Teamcoachees zu erweitern und Erkenntnisse zu generieren. Dieses deduktive Vorgehen unterstützt gerade das dissoziierte Vorgehen des Coachees / Teamcoachees sowie die strikte Trennung der Verantwortungsbereiche von Coach / Coachee. Für die Feststellung der Entwicklung wird mit Flipchartpapier, Moderationskarten und einem großen Tisch, Laminaten und Pinnwänden gearbeitet. 2.10.2 Die 10 Axiome des Lernens Um die Wichtigkeit von Lernen herauszustellen, hat die Hamburger Schule 10 Axiome des Lernens für systemisches Coaching erarbeitet. Diese sind im Folgenden: 1. Bewusste und unbewusste Erfahrungen von Ausbildern und Lernenden sind systemisch-konstruktivistische Rahmenbedingungen für Lernen. 2. Lernen ist ein systemisch-konstruktivistischer Prozess, der vom Lernenden bewusst gesteuert werden kann. 3. Lernen erfolgt in Abhängigkeit von individuellen Gefühlen, Motiven, Bedürfnissen, Werten, Intellekt und Selbstwirksamkeitserwartungen innerhalb systemisch-konstruktivistisch gedeuteter Kontexte. 54 Wolfgang Mutzeck, Förderdiagnostik – Konzepte und Methoden, S. 65.

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4. Lernen ist im Ergebnis individuell pragmatisch und unvorhersehbar. 5. Lernen löst Bewusstsein und Motivation für routinierte Lösungsstrategien innerhalb bekannter Kontexte aus. 6. Lernen löst kreative und gewollte Lösungsstrategien für unbekannte Verhaltenskontexte aus. 7. Ausbilder sind Organisatoren individuell authentischer, komplexer Lehr-, Lern- und Anwendungskontexte. 8. Lernen erfordert Rückmeldungen über Unterschiede und Übungen aus dem Lehr- / Lernkontext zur individuellen Orientierung. 9. Faktenwissen und Faktendeutungen von Ausbildern und Lernenden sind untereinander vernetzt und individuell in unterschiedliche Anwendungskontexte transferfähig. 10. Lerner sind kompetenter in ihren Anwendungskontexten als ihre Ausbilder.

2.11 Führung Führung ist essenziell für die Selbststeuerung. Sowohl der Wert der Selbststeuerung als auch der Wert der Freiwilligkeit brauchen die Ressource von Führung. Führer nutzen Macht, Überzeugungskraft und Taktik, um ihre Ziele zu erreichen. Macht ist in erster Linie die intrinsische Motivation, in zweiter die verliehene Verantwortung. Überzeugungskraft entwickelt sich, wenn man Geschichten erzählt und den Nerv des zu Führenden trifft. Dieser fühlt sich verstanden und will geleitet werden. Taktik ist schlichtweg die Strategie zur ressourcenorientierten Zielerreichung. Im Coaching wird daher der Coach als Herr des strukturierten Prozesses und der sinnvollen Reflexionsangebote sowie der Coach als kreativer Inhaltsgeber akzeptiert. 2.11.1 Erklärung Führung hat eine lange geschichtliche Entwicklung und ist mit gesellschaftsspezifischen Merkmalen verbunden.55 Bereits im alten Ägypten und China ist Führung mit der Lenkung von Staat sowie Regeln und Verhalten von Heerführern und Staatsmännern perpetuiert worden. 1. Beispiel: Nehmen wir die Horde als Vorbild. Zunächst lebten Frauen und Männer in kleinen Gruppen zusammen, die Männer waren für die Beschaffung der 55 Gido Regel, Führung in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 343.

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Nahrung und die Frauen für die Zubereitung der Nahrung zuständig, aber kümmerten sich auch um das Aufziehen des Nachwuchses. Damals waren Frauen sehr wertvoll, damit die eigene Horde überlebt. Denn unter anderem gab es wenige Horden, sodass man sich nicht in die Quere kam, es sei denn, man benötigte Frauen. So ging man auf Frauenraub, um einerseits die fremde Horde zu schwächen oder gar auszurotten sowie andererseits der eigenen Horde genetisch das Überleben zu ermöglichen. Hier entdeckte man die erste Spezialisierung von Aufgaben und Verantwortung, sodass einige kompetente Männer zum Frauenraub eingesetzt wurden und andere kompetente Männer zur Nahrungsbeschaffung. Wenig später fingen die Horden an, ihre Frauen vor dem Geraubtwerden zu schützen und man erkannte spezielle Fähigkeiten zum Schutz der eigenen Horde. Sodann wurden Soldaten geboren, erzogen und eingesetzt. Da nun Kämpfe ausgeführt wurden, sind viele Männer auch verwundet worden und mussten gepflegt werden. Zu diesem Zeitpunkt glaubte man an das Übersinnliche und eine Wunderheilung, sodass der Schamane seinen Platz in der Horde gefunden hat. Dieser Mann war heilig und musste ebenfalls beschützt werden. Leibwachen erhielten ihren Platz in der Horde. Da der Schamane nicht die Horde organisieren und den Soldaten Befehle erteilen konnte, gab es einen Heeres- bzw. Stammesführer. Dieser erhielt im Laufe seines Lebens immer mehr Beachtung und Respekt, sodass er ebenfalls Leibwachen vor Gegnern und Neidern benötigte. Nun gab es nicht nur einen Schamanen sondern auch einen Anführer der Horde. Nachfolger des Anführers durften nur seine leiblich gezeugten Kinder sein, sodass es wiederum Neider gab. Irgendwann erkannte der Stammesführer die gemeinsame Kraft von Schamane und Anführer, sodass er sich im Gottes Namen krönen ließ und übernahm die Aufgaben des Schamanen. Prägnantes Beispiel stellten die Kirchen im Mittelalter dar. 2. Beispiel Ein Häuptling wurde nur der Anführer einer Gemeinschaft, wenn er von allen anerkannt wurde. Seine Häuptlingswürde besaß er nicht automatisch, er konnte sie nur durch Klugheit, Tapferkeit und durch herausragende Leistungen behalten. Wichtige Merkmale eines guten Häuptlings waren unter anderem die Redegewandtheit und das Fällen umsichtiger Urteile. Viele nordamerikanische Stämme unterschieden zwischen Friedenshäuptlingen und Kriegshäuptlingen. Das Amt des Friedenshäuptlings wurde meistens vererbt – der Kriegshäuptling musste sich sein Amt bei den Stammesbrüdern erst durch besondere Taten verdienen.

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Die Aufgabe eines Kriegshäuptlings bestand darin, bei kriegerischen Auseinandersetzungen die Taktik festzulegen, Wachposten aufzustellen, Lagerplätze auszusuchen und seine Krieger in die Schlacht zu führen. Der Friedenshäuptling hingegen war u. a. eine Art Richter, der Streitigkeiten zwischen den Stammesbrüdern schlichtete, sowie der Sprecher bei Verhandlungen zwischen den Stämmen und / oder bei Verhandlungen mit der Regierung der USA. Die einzelnen Häuptlinge konnten allerdings keine eigene Entscheidung treffen. Sie mussten sich dem Willen der Mehrheit beugen.56 Diese beiden beispielhaften geschichtlichen Auszüge sollen einerseits den Überlebenskampf in einer Gemeinschaft skizzieren und andererseits wie man Ressourcen erfolgreich einsetzt, diese stärkt und sodann entwickelt. Desto mächtiger eine Person ist, desto einsamer wird sie, da sie sich vor der eigenen Familie (Horde) schützen muss. Diese Strukturen existieren bis heute, sind jedoch durch die einzelnen Kulturen und zeitlichen Epochen differenzierter ausgestaltet worden. Zuletzt im Zeitalter der Industrialisierung und der einhergehenden Technisierung von Waren und Herstellungsprozessen. Daher wird Führung zerteilt in erstens Führung in der Sache und zweitens Führung von Personen. Werden sowohl sachliche als auch personelle Aspekte in den Führungsprozess aller Organisationsbereiche miteinbezogen, liegt die sog. Unternehmensführung vor. Wird hingegen mittelbar oder unmittelbar auf das Verhalten von Personen Einfluss genommen, spricht man von Personalführung.57 Des Weiteren finden wir Führung in verschiedenen Ebenen einer Organisation bzw. Unternehmung, sodass zwischen strategischer und operativer Ebene unterschieden wird. Nun können sowohl abstrakte und taktische Fragen als auch konkret handlungsorientierte Fragen beantwortet und erfolgreich umgesetzt werden.58 Allerdings sagen diese Differenzierungen nichts über die Art und Qualität der Führung aus. Die Antwort finden wir in verschiedenen Führungsansätzen, die unterschiedliche Werte als Orientierung haben. Nun widmen wir uns dem essenziellen Führungswissen für den Führungsalltag, nämlich den acht Grundeinsichten des Führens und der vierzehn Führungsaufgaben einer Führungskraft. (Näheres siehe: Rolf Meier in Meier / Janßen „CoachAusbildung – ein strategisches Curriculum“ 2. Auflage, S. 354 ff.)

56 http://www.welt-der-indianer.de/geschichte/haeuptling.html abgerufen am 06.02.2012. 57 Vgl. Heinz Schüler, Der Vorgesetzte und sein Mitarbeiter in Lutz von Rosenstiel / Erika Regnet / Michael Domsch, Führung von Mitarbeiterin, S. 158; Waldemar Pelz, Kompetent führen, S. 12, 21. 58 Gido Regel, Führung in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 345; vgl. Klaus Macharzina / Joachim Wolf, Unternehmensführung – das internationale Managementwissen – Konzepte – Methoden – Praxis.

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2.11.2 Die acht Grundeinsichten des Führens Im Folgenden werden die abstrakten Erkenntnisse von Führung skizziert, welche in jedem Kontext anwendbar sind. Diese Erkenntnisse beruhen auf Analyse und Forschung im Rahmen von Führung und Führungsverhalten.

Die acht Grundeinsichten des Führens 1.

Wie vieler Personen bedarf es, damit Sie von Führung reden? Selbstführung - Fremdführung - Eigenführung

2.

Führung als Überlaufsystem

3.

Führung und Zeit

4.

Führung und Situation

5.

Führung und Zusammenhalt

6.

Führung und Betriebswirtschaft

7.

Denk- und Handlungsstrategien der Führungskraft

8.

politisch Denken und systemisch Handeln Dr. Rolf Meier · 1994

100 2.11.2.1

Coachkompetenzen

Wie vieler Personen bedarf es, damit Sie von Führung reden?

In Personalentwicklungsmaßnahmen und in Diskussion über Personalentwicklung ist diese Frage ausschlaggebend für die weitere Arbeit mit Führung. Spontan wird die Antwort gegeben, man benötige zwei Menschen. Diese Meinung geht von einer Interaktion von zwei Menschen aus, sodass stets ein hierarchisches Gefälle verdeutlicht wird. Klassisches Beispiel: die Führungskraft und sein Mitarbeiter. Aus traditioneller Perspektive wird das Zusammenspiel von Führungskraft und seinem Mitarbeiter als sog. Fremdführung benannt.59 Dieser Ansatz ist nicht falsch, jedoch nicht umfassend. Denn das Thema Führung müssen wir wesentlich aufgrund einerseits unseres Verständnisses zeitgemäßer Führung aber andererseits auch aufgrund der Bedingungen in unseren Organisationen / Unternehmen erweitern. Insofern beginnt Führung im Grunde bei einer Person, nämlich bei uns ganz persönlich. Aufgrund der intrinsischen Motivation heraus führen wir uns selbst (sog. Selbstführung). Des Weiteren existiert ein weiterer älterer Aspekt, der in der neuen Zeit unter Führung subsumiert wird. Er knüpft an der ersten Aussage an, dass wir für Führung zwei Menschen benötigen. Wenn teilautonomes Handeln vorliegt wie in einer Ehe oder in Projekten, sprechen wir von sog. Eigenführung. In diesen Kontexten entscheiden mindestens zwei Menschen gemeinsam bzw. ergänzen sich über Inhalte und deren Realisierung. 2.11.2.2

Führung als Überlaufsystem

Nutzen wir diese drei Arten von Führung, so kann man davon ausgehen, dass jeder Beteiligte seine Kompetenzen sinnvoll und erfolgreich nutzbringend einsetzt. Ein Unternehmen wird in der Regel von einer Person gegründet, da diese Person eine Idee hat. Diese Idee soll realisiert und vermarktet werden. Ich arbeite alleine = ich bin für das Arbeitsergebnis 100 prozentig selbstverantwortlich! Zunächst kann die Person die Prozesse allein verantwortlich durchführen, jedoch kommt sie an seine natürlichen Grenzen. Diese natürlichen Grenzen sind einerseits die Zeit, die Gesundheit und die eigenen Fähigkeiten. Um produktiver und / oder umsatzstärker und / oder kundenorientierter zu sein, werden andere Menschen eingestellt, die entweder jeden Prozess mit begleiten oder für einen bestimmten Abschnitt der Produktion / Vermarktung eingesetzt 59 Rolf Meier, Coaching, S. 15f.; Rolf Meier, Führungswissen für den Führungsalltag in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 354.

Fachlich-methodische Kompetenz

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werden. In diesem Sinne delegiert die Gründungsperson Aufgaben und Verantwortung auf die neuen Mitarbeiter. Ich arbeite mit Helfer zusammen = Gesamtergebnis von Unternehmer und Helfer! Wenn ein Unternehmer, übertrieben formuliert, 24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche und das ganze Jahr arbeiten würde, müsste er feststellen, dass der Anteil seiner persönlichen Zeit nicht mehr ausreicht, er die anfallende Arbeit nicht länger allein bewältigen kann. An dieser Stelle trifft der Unternehmer die Entscheidung zum Wachstum und benötigt Unterstützung. Nun kann der Unternehmer seine Arbeitskraft nicht mehr allein in das produktive, aktive Tun legen, da er einen neuen Mitarbeiter auswählen und anleiten muss. Dieser neue Mitarbeiter hat dasselbe Wissen und die gleichen Fähigkeiten wie der Unternehmer, wird jedoch vom Unternehmer kontrolliert und für den Erfolg gelobt und akzeptiert. Somit entsteht Führung als „Überlaufsystem“, weil die persönliche Zeit nicht mehr ausreicht um alles selbst zu bewältigen. Entscheidend ist, dass der Unternehmer eine Vorstellung und eine Strategie haben muss, wie er diesen neuen Mitarbeiter beeinflusst, behandelt, ja führt. Desto mehr Menschen der Unternehmer anleiten, beeinflussen ja fördern, fordern und entwickeln muss, umso mehr Zeit benötigt er für Führungsaufgaben als für Sachaufgaben bzgl. seiner ursprünglichen Arbeitszeit. Ich bin Führungskraft = Führungstätigkeit und gleiche Arbeitstätigkeit! „Was man aber genau beobachten kann ist, dass es zwischen dem Mitarbeiter und der Führungskraft doch eine erhebliche gemeinsame Basis gibt. Die Arbeitsinhalte, die Arbeitsbedingungen und auch die Arbeitsmethoden sind im Grunde gleich. Das ist die Chance, miteinander auch erfolgreich kommunizieren oder aber auch sich erfolgreich beeinflussen lassen zu können.“60 Insofern sollte das Ziel jeder Führungskraft die Selbstführung der Mitarbeiter sein, um eigenverantwortliche und sich entwickelnde Menschen als Mitarbeiter zu haben. Ein Mitarbeiter ist einer, für den ich mitarbeite. – Gerhard Uhlenbruck, deutscher Immunbiologe – 60 Rolf Meier, Coaching, S. 17f.; Rolf Meier, Führungswissen für den Führungsalltag in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 355.

102 2.11.2.3

Coachkompetenzen

Führung und Zeit

Denken Sie bitte einmal über die spannende Frage nach: „Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie viel Prozent Ihrer Arbeitszeit der einzelne Mitarbeiter von Ihnen als Führungskraft partizipieren kann?“ Man muss die Dinge so tief sehen, dass sie einfach werden. – Konrad Adenauer, Bundeskanzler 1949–1963 – Nun müssen Sie ehrlich zu sich selbst sein. Wie viele Stunden in der Woche arbeiten Sie tatsächlich als Führungskraft? Sind es 50, 60 oder 30 Stunden pro Woche? Oder stehen Sie auf folgendem Standpunkt: „Wissen Sie, ich bin immer in Gedanken dabei, mich um meine Führungsaufgaben zu kümmern, und wenn Sie denn gerne möchten, dann können Sie das auch auf 24 Stunden auf 7 Tage in der Woche erweitern.“61 In der Realität hat keiner die Chance 100 % seiner Zeit als Führungskraft in Anspruch zu nehmen, sondern der Anteil wird maximal 5 % der Arbeitszeit ausmachen. Nach diesem ehrlichen Realitätsschock besteht eher die Frage, was passiert in den restlichen 95 % Ihrer Arbeitszeit?62 Zweifel bestehen: • • • •

ist er selbstständig, ist er eigenverantwortlich, entwickelt er sinnvolle Ideen und Aktivitäten, setzt er seine Kompetenzen erfolgreich um?

Fazit: Niemand kann seine Mitarbeiter voll überwachen, kontrollieren, lenken, sondern man ist allein auf sich angewiesen. Wichtig ist, wie Sie als Führungskraft auftreten, damit der Mitarbeiter sich im Sinne des Unternehmens und seiner Arbeit entfalten kann. Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun. – Molière, französischer Komödiendichter –

61 Rolf Meier in Meier / Janßen, Führungswissen für den Führungsalltag in CoachAusbildung, S. 355. 62 Rolf Meier, Coaching, S. 23f.

Fachlich-methodische Kompetenz

2.11.2.4

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Führung und Situation

Wie wird man Führungskraft? Wer entscheidet, ob man Führungskraft wird? Grundsätzlich entsteht Führung aus einer Not- oder Zwangssituation heraus. Grundsätzlich haben Kollegen und Mitarbeiter keinen Einfluss auf diese Entscheidung, sodass Fragen der Akzeptanz, des Vertrauens und der Glaubwürdigkeit im Raume stehen. Autorität wird nur dann nicht angezweifelt, wenn sie sich auf fachliche Leistung und untadelige menschliche Haltung gründet. – Gustav Heinemann, Bundespräsident 1969–1974 – Als Ausnahme zur Regel entsteht Führung freiwillig, wenn Menschen zusammenkommen, die gleiche Interessenlagen haben. Diese Interessen werden artikuliert, diskutiert und realisiert. Während dieser Interaktion kann man die jeweiligen Arten der Initiative der beteiligten Menschen feststellen. Folgender Klassiker als Beispiel: Sie sind auf der Straße und bedauerlicherweise knallt es, das heißt, ein Autounfall ist passiert. Eine Person ergreift die Initiative und sagt als Erster: „Ruft die Polizei an!“, „Ruft die Feuerwehr an!“ oder „Alles absperren!“. Sehen andere diese Aufforderungen als sinnvoll an / genauso, dann werden sie sich dieser Initiative beugen. Der Initiator hat somit in dieser Situation eine Führungsrolle eingenommen. Solch eine Führungsrolle wird solange anerkannt, wie die veranlassten Aktivitäten auf Akzeptanz stoßen und Führung in dieser Situation gebraucht wird. Die Führungsrolle wird abgegeben, wenn die Situation bereinigt ist, sprich wenn Polizei oder Feuerwehr eingetroffen sind, möglicherweise, wenn alle Dinge registriert sind, vielleicht auch Verletzte versorgt sind und der Verkehr wieder freigegeben wird. Freiwillige Führung wird stets für eine Situation übernommen.63 Fazit: Inwieweit gelingt es, bei jemandem Akzeptanz auszulösen, den ich beeinflussen will oder der von mir beeinflusst werden will / sollte? Der „Chef“, das ist nicht der, der etwas anweist, sondern der, der das Verlangen weckt, etwas zu tun. – Edgar Pisani, französischer Politiker – 63 Rolf Meier, Führungswissen für den Führungsalltag in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 356.

104 2.11.2.5

Coachkompetenzen

Führung und Zusammenhalt

Wie eingangs erwähnt, wird Führung in Personenbezogenheit oder Sachbezogenheit differenziert. Bei der personenbezogenen Führung hat die Führungskraft stets die Verantwortung für seine Mitarbeiter. Die Verantwortung umfasst sowohl das Wollen und Sollen der gemeinsamen, der erfolgreichen Zusammenarbeit als auch die Akzeptanz des Arbeitsergebnisses.64 Identität & Bewusstsein, Zukunftshoffnung & Vertrauen, in ... Sowohl als Vorstand, Geschäftsführer, Projektleiter, Bereichsleiter, Abteilungsleiter oder Teamleiter arbeiten Sie mit einer Gruppe von Menschen zusammen, um gemeinsam erfolgreiche Arbeit zu leisten. Zur Leitung von Gruppen werden bestimmte Kompetenzen zum Zusammenhalt benötigt. Voraussetzung ist eine Identifikation des Einzelnen mit der Gemeinschaft, mithin mit den beteiligten Personen, den zu bearbeitenden Arbeitsinhalten und Arbeitsbedingungen. Diese existiert, wenn dieser Einzelne der Meinung ist, dass alle zusammenhalten können und müssen, um gemeinsam zukünftig Erfolge verbuchen zu können. Somit besteht die Aufgabe der Führungskraft, diese gemeinsame Identifikation und Zukunftshoffnung zu initiieren, zu entwickeln, zu stabilisieren und weiterzuentwickeln. Praktisch wird Identifikation und Zukunftshoffnung ausgelöst, wenn jede beteiligte Person dies wirklich und wahrhaftig will und / oder gleichzeitig Feinde dessen bekämpft. Das Ich ist nichts anderes als Vorstellen und Wollen. – Novalis, deutscher Dichter – 2.11.2.6

Führung und Betriebswirtschaft

Als Führungskraft initiiert man permanent irgendetwas; man geht auf den Mitarbeiter zu, man redet mit ihm, man beeinflusst ihn, man will etwas von ihm. Solche Initiativen müssen bei dem betreffenden Mitarbeiter • auf Akzeptanz stoßen, • bei ihm Lernprozesse auslösen, • als richtiges und wertvolles Führungsverhalten bewertet werden. 64 Rolf Meier, Coaching, S. 24f.; Rolf Meier, Führungswissen für den Führungsalltag in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 356.

Fachlich-methodische Kompetenz

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Erst wenn es Ihnen gelingt, diese Akzeptanz in konkretes Wollen und Tun umzusetzen, dann wird beim / vom Mitarbeiter auch das Ergebnis erzielt, was Mitarbeiter und Führungskraft anstreben. Gelingt Ihnen dieses nicht, dann betreiben Sie in Wahrheit Werteverzehr.65 Quintessenz ist die Wertschöpfung aus Führung. Im Unternehmen ist der Effekt von Wertschöpfung, dass der Aufwand in Form von Gehalt und Personalnebenkosten sich vorteilhaft rentiert. Wertschöpfung heißt immer, dass Sie einen Zuwachs an Qualität / an Nutzen auslösen. Konkrete Fragestellung: Stundenlohn als Führungskraft – Ergebnis der Arbeitsstunde? Wie viel Wertschöpfung habe ich persönlich allein bzw. mit meinem Mitarbeiter erreichen können, oder ist Werteverzehr eingetreten? Denn das Unternehmen als Arbeitgeber zahlt pro Arbeitsstunde sowohl das Gehalt der Führungskraft als auch das Gehalt des Mitarbeiters. Der Erfolg wird sowohl der Führungskraft als auch dem Mitarbeiter zugerechnet, jedoch muss der Mitarbeiter das ausgegebene Stundengehalt für beide Personen erarbeiten. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind die ständigen Meetings von Führungskräften und Mitarbeitern kritisch zu hinterfragen, wenn keine Zeit der (qualitativen) Umsetzung des Meetingergebnisses eintritt. Wichtige Kontrollfrage als Führungskraft ist, ob die Besprechung hilfreich / förderlich war und somit Wertschöpfung eintreten konnte oder die Zeit vertrödelt und falsch genutzt worden ist, sodass ein Werteverzehr eingetreten ist. 2.11.2.7

Denk- und Handlungsstrategien der Führungskraft

Führung ist nicht gleich Führung, sondern bedarf einer gewissen Methodik des Denkens und Handelns, um als Führungskraft erfolgreich zu sein.

65 Rolf Meier, Führungswissen für den Führungsalltag in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 357; Rolf Meier, Coaching, S. 26f.

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Coachkompetenzen

Denk- und Handlungsstrategien einer Führungskraft

Aus der VISION

entwickelt sich die MISSION

daraus leiten sich ZIELE

ab, die mit unterschiedlichen

aber mit konkreten MASSNAHMEN erreicht werden.

Rolf Meier · 1994

STRATEGIEN

Fachlich-methodische Kompetenz

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Kurze Erklärung von Rolf Meier: Vision:

Leidenschaft für einen Zukunftsinhalt – Visionäre sind „Seher“, die Traumbilder, Trugbilder, Eingebungen haben. Ein rundum emotionaler Zustand, durchdringend und beglückend. Ein Rausch ohne Rauschgifte. Mission: Werte, Normen, Einstellungen – gibt Antworten auf Fragen wie: „Wie tun wir es?“, „Woran kann man uns messen?“, „Was zeichnet unser Handeln aus?“. Die Mission eines Unternehmens wird oft in „Leitsätzen“ oder „Grundsätzen“ beschrieben. Ziel: Ein konkret beschreib- und überprüfbarer Zustand ist an einem konkreten Termin eingetreten. Ziele sind Leistungsziele (Ergebnis). Ziele lassen die Vision konkret werden. Strategie: „Viele Wegen führen nach Rom“, sagt das Sprichwort. Strategien sind Wege – also grundsätzliche Richtungsentscheidungen des Handelns. Maßnahme: Ist eine Einzelaktivität in einer spezifischen Situation. Maßnahmen sind wie Mosaiksteinchen. Viele Mosaiksteine (strukturiert, sinnvoll vernetzt) ergeben das Bild der Strategie. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Persönlichkeit der Führungskraft, die die Ansätze von Führung wie klassisch und modern füllt.66 Wer persönlich konkret weiß, wie er seine Führungskompetenzen einsetzen möchte und was er damit bewirken will und kann, setzt Akzente mit seiner Vision, Mission, Ziel, Strategie und Maßnahmen-Abfolge. 2.11.2.8

Politisch Denken – systemisch Handeln

Da wir von einem systemischen Ansatz ausgehen, hat die Führungskraft sämtliche Aspekte der Selbstorganisation und der Ordnungsmomente eines Systems (Organisation, Unternehmen) zu berücksichtigen. Wir gehen nicht mehr von einer direktiven Führung von Ursache–Wirkung sondern von einer systemischen Führung aus. So müssen sämtliche Systempartner, deren Interaktionen und deren Auswirkungen und Zusammenhänge beachtet und analysiert werden.67 Um erfolgreich den eigenen Arbeitsauftrag zu erfüllen werden verschiedene inner- und außerbetriebliche Arbeitspartner benötigt. Sie können dies nie gegen ihre Umwelt, sondern stets nur mit ihrer Umwelt tun.68 An dieser 66 Siehe Gido Regel, Führung in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 348f. 67 Siehe Gido Regel, Führung in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 349. 68 Vgl. Rolf Meier, Führungswissen für den Führungsalltag in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 359.

108

Coachkompetenzen

Stelle muss neben diesem systemisch-objektiven Aspekt auch der konstruktivistische (subjektive) Ansatz berücksichtigt werden. Jeder Systempartner und potenzielle Arbeitspartner hat ebenfalls ein persönliches und berufliches Interesse. Jeder Führungsinitiative heißt auch, einen Interessenausgleich herzustellen. Denn politisch meint hier, dass die Aufgaben / Probleme nicht nur zum Aufbau und Erhalt sondern auch zur Veränderung und Weiterentwicklung der öffentlichen und gesellschaftlichen Ordnung betreffend, beachtet werden müssen. Politische Fragen sind normative Fragen, die nicht wissenschaftlich entscheidbar sind. Denn neben dem normativen und regelungsbedürftigem Charakter wird stets das Zwischenmenschliche tangiert sowie der Wille, seine Interessen und Rechte durchzusetzen. Wer politisch denkt und systemisch handelt, braucht dafür folgende Grundsystematik:69 • • • • •

Gesamtsituation erkennen und wertschätzen, Komplexität der Themenanalyse strukturieren, Ressourcen identifizieren, die beste aus mehreren Handlungsoptionen wählen; Welche Störungen können bei der Umsetzung entstehen und wie sind sie überwindbar?

2.11.3 Die 14 Führungsaufgaben Nachdem die abstrakten acht Einsichten von Führung vorgestellt worden sind, fragt man sich, wie nun Führung praktisch und konkret umzusetzen ist. Aus diesen acht Grundeinsichten lassen sich vierzehn Führungsaufgaben ableiten, die man als Initiativpflichten einstufen kann.

69 Vgl. Rolf Meier, Führungswissen für den Führungsalltag in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 359.

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Fachlich-methodische Kompetenz

Zeitgemäßer Regelkreis der Führung mitarbeiter- und ergebnisorientiert

Auseinandersetzen mit der Zukunft Messen und bewerten

Führen mit Zielen

Arbeitsläufe planen Mitarbeiterauswahl und -einsatz

Informieren und kommunizieren Motivation auslösen Mitarbeiterschutz Selbstentwicklung

Entscheiden

Delegieren Fördern und entwickeln

Koordinieren

93

Organisieren und verbinden · ier e fM Rol Dr.

19

Wenn man sagt, dass Erfolg durch vierzehn Führungsaufgaben entstehen kann, so meint man das Führen in einer Gruppe. Aus systemischer Sicht nehmen einzelne Mitarbeiter, die Gruppe, das Umfeld, die Situation und die Führungskraft Einfluss auf den Führungsprozess. Um auf diesen Prozess Einfluss zu nehmen, muss die Führungskraft in jeder Situation flexibel sinnvoll reagieren, um die Ziele zu erreichen. Dieses flexible Agieren und Reagieren muss durch social sensibility ergänzt werden.70 Ausschlaggebend ist das Empfindungsvermögen eines Menschen für das Verhalten von Individuen und Gruppen. Das richtige Nutzen der Spiegelneuronen, Empathie, ist der Schlüssel zur social sensibility. 70

Rolf Meier, Coaching, S. 31; vgl. Daniel Goleman, Soziale Intelligenz, S. 17, 66ff., 92ff., 109, 113, 136, 142, 144, 208, 483.

110 2.11.3.1

Coachkompetenzen

Auseinandersetzen mit der Zukunft

Jeder setzt sich tagtäglich mit der Gegenwart, also dem Hier und Jetzt, auseinander. Jedoch nicht alle setzen sich gedanklich bewusst mit der Zukunft auseinander. Oft wird Zukunft mit Problemen und der Überwindung von Stolpersteinen, Hindernissen und Ängsten verbunden. Allerdings ist Zukunft eine Chance, da jeder Mensch Einfluss auf seine persönliche Zukunft hat. Wer die Zukunft positiv als Chancen und Herausforderungen sieht und akzeptiert, der wird nicht nur anders wahrgenommen sondern ist selbstbewusster und kann eher seine Wünsche formulieren, Ziele setzen und erfolgreich erreichen. Dieser Erfolg ist das Ergebnis von Veränderung bzw. der Unterschied vom IST zum SOLL. Für den Weg der Veränderung nutzt man seit jeher die Problemlösung und Entscheidungsfindung. In den 1950er Jahren haben die Unternehmer Benjamin Tregoe und Charles H. Kepner vier Phase dessen ausfindig machen können. Seitdem wird die Kepner-Tregoe-Methode bzw. rationales Management bei Unternehmensentscheidungen eingesetzt und ist Grundlage jedes Beratungsprozesses.71 Die vier Phasen der rationalen Entscheidung sind: • • • •

Situationsanalyse: sichern und erkennen Problemanalyse: Ursachen definieren Entscheidungsanalyse: beste verfügbare Lösung Analyse potenzieller Probleme: Störungen erkennen

Hernach muss die rational identifizierte Lösung nur noch implementiert werden, um grundsätzliche Denkmuster dauerhaft zu etablieren. Subsumieren wir diesen Aspekt auf den Coachingansatz nach der Hamburger Schule, so muss sich der Coach selbst und ständig mit seiner Arbeit auseinandersetzen, sich reflektieren, sich die Themen bewusst machen und die unterschiedlichen Persönlichkeiten vor Augen führen lassen. Für die komplexe mentale Arbeit wurden die kritischen Erfolgsfaktoren erarbeitet:

71 Tregoe / Kepner, Management-Entscheidungen vorbereiten und richtig treffen, vgl. Walter Simon, GABALs großer Methodenkoffer – Managementtechniken, S. 177.

111

Fachlich-methodische Kompetenz

Modell der kritischen Erfolgsfaktoren des Systemischen Management Coach

Bezüg

· Prozess-/ Ergebniscontrolling

ngfundame ac h i nte Co

· Aktiomatik

· Verhaltensmaßnahmen

W

· Fragen · Selbstcommitment

· Modelle

· Perspektivwechsel

· Konfrontation · nutzbare Ressourcen

· Freiheit der Entscheidung

· Lösung liegt im Coachee · Selbststeuerung ā5HÀH[LRQ

· Coachingthema · Ergebnisverantwortung des Coachees

· konzeptionellsystemisches Denken/Verhalten · Freiwilligkeit · Assoziation für eigene Lösung

· Intervention

· Dissoziation · Ziel- und Lösungsorientierung

· bisheriges Analyseverhalten

· Prozessverantwortung des Coaches

· Diskretion

emotionale Lust & kognitive Einsicht

· Kontext · Coachinganlass

· Coaching mit seelisch Gesunden · Konstruktivismus

· Akzeptanz zu unterschiedlichen Ergebnissen

· alternatives Analyseverhalten

· Kontakt/ Kontrakt

· Coachingdauer

im Coachin erte g

· nachhaltige Selbstlernkonzeption

· Methoden

· neue Handlungsalternativen · Marketing

· bewusste und unbewusste Lösungsprozesse

· Selbstregulation

Coachingelemente

· Recht

· BWL

e im Coaching

· bisherige Lösungsversuche

· Organisation

· visuellsystemische Aufstellung · Umwelt

· Zielformulierung

· systemische Zielerreichungsmerkmale

· Führung

· vorhandene Ressourcen · Werte

· Kommunikation · Motivation

Dr. Rolf Meier · 2008

2.11.3.2

Motivation auslösen

Führungskräfte haben nicht nur die Aufgabe, sondern auch das Bestreben, das Engagement ihrer Mitarbeiter zu gewinnen. Insofern wollen sie Motivation seitens der Mitarbeiter auslösen. Denn wer motiviert ist, arbeitet gerne und freiwillig. Schlüssel für diese positive Bewertung ist stets, dass der Mitarbeiter seine persönlichen Interessen in Aufgaben und Zielsetzungen involvieren kann.72 72 Vgl. Rolf Meier, Coaching, S. 32; ders., Führen mit Zielen, S. 42.

112

Coachkompetenzen

„Wir müssen auf gute Leute setzen, denn wenn die nach Hause gehen, nehmen die ihr ganzes Wissen mit und wir können nur hoffen, dass sie am nächsten Tag wieder kommen. Hundertprozentig darauf verlassen können wir uns nur, wenn wir ein gutes Betriebsklima haben.“ – Sven A. Behrendt – Man kann aus der Aussage herauslesen, dass Vermeidungs- und Fluchtstrategien deutlich verbreiteter sind als Erfolgsstrategien. Vielmehr soll jeder Mitarbeiter Positives mit seiner Arbeit und der Zusammenarbeit verbinden, sodass eine gemeinsame Identität und Zukunftshoffnung entsteht, wobei der Mitarbeiter intrinsisch motiviert ist, seine Bedürfnisse stillen kann und sich wertgeschätzt fühlt. Dahinter stecken die eigenen Bedürfnisse, welche konkret in jeder Situation wirken und befriedigt werden möchten.73 Wer unsicher ist, bremst sich aus und kann sein Potenzial nicht entfalten. Folglich sollten Faktoren von Unsicherheiten und Ängsten eliminiert werden. In einer Analyse hat Frederick Herzberg 1959-1976 sowohl negative als auch positive Bedingungen für die Arbeitszufriedenheit herausfinden können.74 Diese Zwei-Faktoren-Theorie, unterteilt in Hygienefaktoren und Motivatoren, ist Basis für die weitere Forschung an Arbeitszufriedenheit und Leistungsbereitschaft. Nach Frederick Herzberg entstammen die Motivatoren dem Arbeitsinhalt des einzelnen Mitarbeiters und beeinflussen somit die jeweilige Motivation zur Leistung. Ihre Existenz beeinflusst die Zufriedenheit, allerdings führen weder die Existenz noch das Fehlen zur Unzufriedenheit. Im Gegensatz dazu stehen die Hygienefaktoren. Sie stehen für die Elimination von Unzufriedenheit in der Umwelt des betroffenen Menschen.75 Denn die positive Existenz verhindert die Entstehung von Unzufriedenheit sowie das Fehlen der Faktoren zur Unzufriedenheit. Hier wird der Unterscheid der Hygienefaktoren zu den Motivatoren deutlich. Hygienefaktoren beeinflussen nicht die Zufriedenheit, sondern bearbeiten die Unzufriedenheit. Die Motivatoren sind ausschließlich für die Zufriedenheit da.

73 Siehe hierzu die Bedürfnispyramide von Abraham Maslow. Kapitel III. persönliche Kompetenz, S. 154ff. 74 Vgl. Rolf Meier, Führen mit Zielen, S. 46; Frederick Herzberg / Bernard Mausner / Barbara Bloch Snyderman, The Motivation to Work; Frederick Herzberg, One more time: how do you motivate employees? In: Harvard Business Review 46(1968)1, S. 53-62; Oswald Neuberger, Arbeit: Begriff, Gestaltung, Motivation, Zufriedenheit; Eberhard Ulich, Arbeitspsychologie, S. 203-207. 75 David G. Myers, Psychologie, S. 889; Ricardo Buettner, Spezifische Kritik zur 2-Faktoren-Theorie von F. Herzberg.

113

Fachlich-methodische Kompetenz

Zwei-Faktoren-Theorie Motivationen

Hygienefaktoren

= die zur Zufriedenheit mit der Arbeit führenden Faktoren (leistungssteigernd)

= die zum Abbau von Unzufriedenheit im Betrieb führenden Faktoren (notwendige Voraussetzungen)

· erbrachte Leistungen

· angemessene Bezahlung

· Anerkennung

· befriedigende Arbeitsbedingungen

· Verantwortung (Kompetenz) · Zielsetzung · Aufstiegschancen · ausreichende Informationen

· fortschrittliche Sozialleistungen · gleichermaßen wirtschaftliche wie humane Unternehmenspolitik

· Erwerb neuer Kenntnisse und Erfahrungen · Teamarbeit

Frederik Herzberg

Hervorzuheben ist, dass Motivation kein eigenständiges Führungskonzept darstellt, sondern ein wichtiges Element im Zusammenleben und Zusammenarbeiten von Menschen.

114 2.11.3.3

Coachkompetenzen

Arbeitsabläufe planen (Geschäftsprozesse)

Wer führt, der muss Arbeitsabläufe planen. Die Planung stellt stets eine zeitliche Abfolge von aufeinander aufbauenden Maßnahmen dar. Diese gedankliche Vorwegnahme von Handlungsschritten beruht sowohl auf Prognosen als auch auf unvollkommenen Informationen hinsichtlich einer Zielerreichung. Planung dient der Sicherheit und Absicherung. Neben dem zukunftsbezogenen Aspekt bezweckt Planung vier wesentliche Merkmale. Erstens ist Planung komplexitätsreduzierend und bleibt dabei sinnvoll und logisch. Gefahr besteht jedoch in einer ungenauen Abbildung, sodass eine falsche Bewertung und Bearbeitung stattfinden kann. Zweitens wird in Prozessschritten geplant, sodass sinnvoll aufeinander aufbauende und miteinander abgrenzbare Phasen die Planung darstellen. Drittens wird die Gestaltung / Mitgestaltung der Zukunft für einen bestimmten Kontext, ein Gebiet oder eine Aufgabe erfasst. Und zuletzt liefert die Planung notwendige Informationen für die von der Planung Betroffenen. Insofern setzt Planung wieder Aktivität frei und hat Auswirkungen auf die Entscheidungsträger und Ausführenden.76 Die Frage ist: „Was soll alles wozu geplant werden?“ 2.11.3.4

Führen mit Zielen

Zwar gibt das Unternehmen, die Funktion, die Arbeitsaufgabe den Rahmen vor (sog. Kontext), jedoch keinen direkten Wegweiser. Wer führt, der arbeitet nicht nur mit sachlichem Inhalt und Motivation, sondern auch mit konkreten Zielen. Der Langsamste, der sein Ziel nicht aus den Augen verliert, geht immer noch schneller als der, der ohne Ziel herumirrt. – Gotthold Ephraim Lessing – Ziele ergeben sich aus der Motivation und seinen Interessen. Sie helfen aber auch den Alltag zu organisieren, das Chaos zu beseitigen und Hektik zu reduzieren. Unter Ziel verstehen wir einen definierten, angestrebten Endpunkt eines (menschlichen) Prozesses. Konkret ist der zukünftige Zustand erstrebenswert und stellt einen attraktiv veränderten Zustand zur Gegenwart dar, sodass die betroffene Person das Ziel anstreben wird. Ziele finden wir sowohl in der Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensführung als auch in der Motivationspsychologie. Forschungen haben ergeben, 76 Vgl. Dietrich Dörner, Die Logik des Misslingens – strategisches Denken in komplexen Situationen.

Fachlich-methodische Kompetenz

115

dass man eben nicht nur auf die Umwelt reagiert, sondern aus sich heraus eigenständig selbst festgelegte Ziele erreichen will. Denn wer nur reagiert, der arbeitet stupide seine Aufgaben ab, empfindet keine Identifikation mit der Aufgabe oder dem System, sodass die Gefahr der Langeweile und Unterforderung eintritt. Die Flucht des Mitarbeiters ist programmiert. Andererseits gibt es auch verschiedene Auswirkungen und Effekte von eigener Zielsetzung, die Ordonez / Schweitzer / Galinsky / Bazerman zusammengefasst haben.77 Werden Ziele zu hoch gesteckt, sind diese zu anspruchsvoll, desto wahrscheinlicher ist die Versagensangst und man hemmt sich. Tritt hingegen tatsächlich das Versagen / der Misserfolg ein, so beeinflusst man sich mental deutlich negativer. Dadurch senkt sich der Selbstwert und beeinflusst somit zukünftige Leistungen negativ. Des Weiteren sind zu niedrig gesteckte Ziel überhaupt nicht attraktiv. Sie sind zu schnell und zu einfach zu erreichen, sodass Langeweile eintreten kann und man sein wahres Potenzial vernachlässigt, gar verkümmern lässt. In diesem Zusammenhang sind nicht nur einzelne und isoliert betrachtete Ziele Auslöser von negativen Nebeneffekten, sondern das System als solches. Liegt der Fokus des Ziels sehr konkret und punktuell, so werden die Auswirkungen und Zusammenhänge dieses Zieles mit anderen Zielen und dem dazugehörigem System vernachlässigt, ignoriert und übersehen. Bedeutende Fragen bleiben unbeantwortet. Werden wiederum zu viele (Ergebnis-)Erwartungen auf einmal an den Mitarbeiter gestellt, so kann sich der Mitarbeiter nicht auf alle Ziele gleichzeitig und gleichwertig konzentrieren. Ein Schema von dringend, wichtig und irgendwann zu erledigen wird vernachlässigt, sondern vielmehr nach eigener Lust und Erfolgsquote ausgesucht. Daher werden Ziele mit frühem Termin bearbeitet und die mittelfristigen und langfristigen Ziele außer Acht gelassen, da diese kurzzeitigen Ziele als routinierte Leistungsgrenze wahrgenommen werden. Dies ist ein fataler Trugschluss. Zur knappen Erläuterung werden Zielvorgabe, Zielanweisung und Zielvereinbarung skizziert.

77 L.D Ordonez / M.E. Schweitzer / A.D. Galinsky / M.H Bazerman, Goals gone wild: The systematic side effects of overprescribing goal setting, Academy of Management Perspectives 23(1), S. 6–16.

116

Coachkompetenzen

steht fest

arbeiter u Mit nd

hrungskraf t

Ziel

on



I. Weg unbekannt, 0LWDUEHLWHU¿QGHWVHOEHU den Weg Mitarbeiter führt selber aus (Maßnahmen)

v

Führen mit Zielen – Zielvorgabe –

Kontrolle II. Weg unbekannt, Führungskraft entwickelt mit dem Mitarbeiter den Weg und die Maßnahmen (Trainerfunktion der Führungskraft) Merkmal: 0LWDUEHLWHUKDW(LQÀXVV auf den Weg (Partizipation). Mischung aus Selbst- und Fremdkontrolle

Er g e b

bekannt / festgelegt: Menge, Güte, Zeit

ni

s

Anweisung

Führen mit Zielen – Zielanweisung –

Fremdkontrolle

bekannt / festgelegt: Anforderungen, Verfahren, Abläufe Merkmal: der regulierte Mitarbeiter, Zentralsystem, Fremdkontrolle

117

Fachlich-methodische Kompetenz

entwickeln und vereinbaren Ziele

Kontrolle II. Führungskraft coacht Mitarbeiter bei der Weg- und Maßnahmenentwicklung (Entwicklungsgespräch). Mitarbeiter führt selber aus Merkmal: (Maßnahmen). Führungskraft und Mitarbeiter können vereinbaren (freiwillig), Selbstüberprüfung der Beteiligten

hrungskraf t

Führungskraft

arbeiter u Mit nd on



Mitarbeiter

I. Mitarbeiter entwickelt selbst den Weg und die Maßnahmen. Mitarbeiter führt selber aus (Maßnahmen).

v

Führen mit Zielen – Zielvereinbarung –

Eine Zielvereinbarung stellt die gemeinsame Zielvorstellung dar, bietet die Identifikation aller Beteiligten, da die beteiligten Mitarbeiter, Führungskräfte und das Unternehmen als solches Ihre Interessen miteinbringen konnten. Folglich macht es Sinn, dass die Erreichung von persönlichen Zielen in einem positiven Zusammenhang mit dem Wohlbefinden der Person steht. Es wurde herausgefunden, welche Kriterien ein Ziel bzw. Zielsatz im Rahmen einer Zielvereinbarung gegeben sein müssen, um das anvisierte Ziel erfolgreich erreichen zu können. SMART ist ein Akronym für specific measurable accepted realistic timely. „Spezifisch“ fokussiert, dass die Ziele so präzise wie möglich sein müssen. Voraussetzung ist eine konkrete IST- und Bedarfsanalyse sowie der Ausgleich von beteiligten Interessen. Dieser Aspekt wird diskutiert. Einige vertreten die Auffassung, dass unter specific lösungsorientierte Ansätze gemeint seien, um handlungskonkret das Ziel so schnell wie möglich erreichen zu können. Dieser konkrete Ansatz lässt allerdings keinen Spielraum zu. Erfolg und Scheitern hängen dicht beieinander. Denn Verhaltensziele oder konkre-

118

Coachkompetenzen

te Maßnahmen aktivieren im Gehirn bestimmte neuronale Muster, sodass der positive Affekt herabreguliert wird. Dieser Teil des Gedächtnisses arbeitet mit einem rationalen und denkbetonten Modus, sodass das bildhafte und metaphorische Gedächtnis pausiert bzw. nicht aktiviert ist. Daher vertreten andere die Meinung, dass Ziele allgemein abstrakt zu fassen seien. Der berühmte Rubikon wird besser mit allgemeinen als situationsbezogenen Zielformulierungen überquert. Wer allgemein abstrakt formuliert, benutzt die erfolgsorientierten Werte und Motive der betreffenden Person. Die emotionale Bindung und Identifikation der betroffenen Person mit dem Ziel ist stärker, sodass wir von Identitätszielen sprechen.78 Achten Sie darauf, dass Sie zukünftige abgeschlossene Zustände bearbeiten / beschreiben und keine konkreten und gegenwärtigen Maßnahmen. Haltung Situationsspezifisch

1

2

3

4

Situationsübergreifend

Verhalten M steht für das Messbarkeitskriterium sowie A für ausführbar und erreichbar. Damit ist gemeint, dass der Zieladressat das Ziel akzeptiert, wenn es angemessen, attraktiv und / oder anspruchsvoll ist. Wichtige Satzelemente sind Qualität und Quantität in Form von Adjektiven usw. Das realistische Moment ist wichtig, da es sonst Wunsch und Absicht bleibt. Insofern ist der Konjunktiv hinderlich – das Ziel muss in aktiver Form im Futur I oder besser Futur II formuliert werden. Außerdem gehören negative / neutrale Formulierungen gestrichen und müssen durch positive Wörter ersetzt werden. Zuletzt ist das Ziel zu terminieren, in Form eines konkreten Termins. So sind Ziele im Terminkalender fixierbar. An diesen fünf Kriterien ist das Ziel für alle Beteiligten überprüfbar, sodass eine Veränderung tatsächlich messbar ist. Nun kann der Prozess weiterverfolgt oder logisch-sinnvoll verändert werden. Anspruchsvoraussetzungen an das Ziel machen Sinn, da sie unnötige Arbeit verhindern. Wenn Unzulänglichkeiten in der Zielformulierung und der Zielplanung entdeckt werden, entsteht ein eifriges und effizientes Arbeiten um diese Unzulänglichkeiten auszugleichen. 78 Maja Storch / Frank Krause, Selbstmanagement – ressourcenorientiert, S. 92f.

119

Fachlich-methodische Kompetenz

Nachdem wir das Ziel endgültig aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen. – Mark Twain – Im Coaching haben wir sowohl objektive als auch subjektive Elemente für das konkrete Ziel aufgestellt. Allerdings benötigen wir noch Zielerreichungsmerkmale aufgrund des systemischen Ansatzes, sodass die Systempartner oder Aspekte von Teilkontexten des Veränderungswunsches mit involviert sind und deren Bedeutung und Zusammenhänge bewusst und verdeutlicht werden.

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Die Komponenten einer Zielformulierung

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2.11.3.5

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Entscheiden

Wer sich rational oder emotional entscheidet, der hat aus gegebenen realistischen Möglichkeiten die beste Lösung ausgewählt. Aber wie entscheiden wir uns?

120

Coachkompetenzen

Grundsätzlich müssen • Faktenentscheidungen und • Ermessensentscheidungen unterschieden werden. Wir entscheiden uns nicht nur faktenorientiert, sondern auch auf Basis von Vertrauen. Soziologisch gesehen ist Vertrauen ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität und gleichzeitig eine riskante Vorleistung.79 Denn das Vertrauen befähigt zur auf Intuition gestützten Entscheidung. Dies ist immer dann der Fall, wenn rationale Abwägung an erstens unüberschaubarer Komplexität, zweitens Zeitmangel oder drittens des Fehlens von Informationen scheitert. Basismerkmale der Entscheidung sind stets erstens die möglichen Zustände und zweitens die Handlungsmöglichkeiten. Beides wird in einer Ergebnisfunktion dargestellt. Funktion, da Entscheidung ein Teil der Entscheidungstheorie ist, die der Mathematik entspringt.80 Dies ist ein klassisches NutzwertanalyseVerfahren. Klassisches Beispiel ist der System-Check und die SWOT-Analyse. 2.11.3.5.1 Systemcheck Der Systemcheck dient der Überprüfung jeder Entscheidung. Er stammt aus der systemischen Familientherapie und bezeichnet die Integrität eines Systems als solches. Die Entscheidung der betroffenen Person wird nicht nur an den eigenen Ressourcen wie vor allem den Werten und Motiven überprüft, sondern auch, welche Konsequenzen diese Entscheidung im System der betroffenen Person auslösen kann. Diese Auswirkungen können sowohl förderlich (positiv) als auch hinderlich (negativ) sein, sodass die Unversehrtheit oder Integrität des Systems tangiert ist. Je nach Frageart und Fragegegenstand kann die betroffene Person aus verschiedenen Perspektiven ihre Entscheidung überprüfen und bewerten. Selbst potenzielle Probleme, Fantasien und Wünsche können reflektiert werden. Der Systemcheck wir anhand einer Matrix visualisiert, sodass Flipchartpapier sehr gut geeignet ist. Zunächst wird die Entscheidung bei erfolgreichem Eintreten mit den Vor- und Nachteilen überprüft und sodann die Entscheidung bei misserfolgreichem Eintreten mit den Vor- und Nachteilen analysiert. Im Coaching nach der Hamburger Schule ist die wichtigste Entscheidung das Ziel des 79 Niklas Luhmann, Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, S. 27. 80 Vgl. Beate Bergter / Andrea Hermann, Logik in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 337f.

121

Fachlich-methodische Kompetenz

Veränderungswunsches. Nach der Arbeit zur Zielformulierung und vor der Bearbeitung der Zielerreichungsmerkmale ist dieser Exkurs sinnvoll, wenn man merkt, dass der Coachee / Teamcoachee keine 100prozentige emotionale Verbundenheit verspürt. Als Coach bemerkt man dies an der Körpersprache im Zusammenhang mit der stimmlichen Betonung oder auch der Skalierung der Zielformulierung im Mittelfeld bis maximal Zahl 8.

Systemcheck 1. Ziel: ........................................................................................

2. Ziel erreicht

B

A

Nachteile

Vorteile

Fakten

Fakten

Emotionen .............................................

Emotionen .............................................

.............................................

.............................................

.............................................

.............................................

.............................................

.............................................

Skalierung der Bedeutung

Skalierung der Bedeutung

.............................................

.............................................

3. Ziel nicht erreicht

C

Nachteile

D

Vorteile

Fakten

Fakten

Emotionen .............................................

Emotionen .............................................

.............................................

.............................................

.............................................

.............................................

.............................................

.............................................

Skalierung der Bedeutung

Skalierung der Bedeutung

.............................................

.............................................

4. Addition der Skalen von A+C sowie B+D 5. Erkenntnis über Summe und Differenz

122

Coachkompetenzen

2.11.3.5.2 SWOT-Analyse SWOT ist ein englisches Akronym für Strengths, Weakness, Opportunities und Threats und gilt als wichtige Methode strategischer Analyse. Bereits in den Werken chinesischer Klassiker wurde eine Stärken-Schwächen-Analyse entdeckt. Dies diente dem Militär und Kampfsportlern sich besser strategisch aufzustellen.81 In den 1960er Jahren wurde die SWOT-Analyse an der Harvard Business School zur Anwendung in Unternehmen entwickelt. Betont wird, dass diese Art der Analyse erfolgsversprechender sei, da eine Strategie stets kreative unternehmerische Schöpfung ist.82 Jeder Unternehmer sollte sich seines Umfeldes bewusst werden und die Chancen und Risken aber auch Gefahren sorgfältig analysieren und bewerten. Sodann sind die eigenen Stärken und Schwächen zu analysieren und zu bewerten. Zu beachten ist, dass Umwelt und Innenwelt nicht identisch sind, bzw. die Stärken der Umwelt nicht gleich der Schwächen der unternehmerischen Inwelt sind. Oft müssen Schwächen bearbeitet werden, sodass Umwandlungs- und Neutralisierungsstrategien anzuwenden sind – Risiken und Schwächen werden neutralisiert, Schwächen in Stärken und Risiken in Chancen umgewandelt. Insofern wird ein Matchingverfahren benutzt, sodass mehr Optionen generiert werden können (kreativer Prozess). Die Kombination der Analysen lassen diverse unterschiedliche strategische Folgerungen und Konsequenzen zum Vorschein kommen.83 Die Basis für unternehmerischen Erfolg beruht auf rationalen Feststellungen und Entscheidungen. Nicht selten wird die SWOT-Analyse genutzt um dieses Bild des „guten Managements“ zu erzeugen, indem bereits vollzogene Handlungen nachträglich durch SWOT erklärt werden, sodass Stakeholder dem Unternehmen (weiterhin) ihr Vertrauen schenken und die Ressourcen aufrechterhalten bleiben.

81 Vgl. Robert M. Grant, Contemporary Strategy Analysis. 82 Philip Kotler / Roland Berger / Nils Rickhoff, The Quintessence of Strategic Management, S. 30. 83 Christian Homburg / Harley Krohmer, Marketingmanagement: Strategie – Instrumente – Umsetzung – Unternehmensführung, S. 479f.

123

Fachlich-methodische Kompetenz

Interne Analyse

124

Coachkompetenzen

2.11.3.5.3 Rubikonprozess Neben der formal-logischen Entscheidung, spielen unsere Emotionen eine große Rolle. Dies wird auch Intuition genannt, welche durch somatische Marker unterstützt wird. Laut Antonio R. Damasio sind somatische Marker Rückmeldungen durch biochemische und bioelektrische Vorgänge, das heißt jeder Begriff und jede Erinnerung erhält eine emotionale Markierung. Diese Markierungen werden in Entscheidungsprozessen bewusst oder / und unbewusst abgerufen und helfen, die nicht emotional tragbaren Handlungsmöglichkeiten auszuschließen. Emotionen helfen zur Vermeidung von Gefahren und somit zum Überleben, welche konkret egoistisch (da positiv) für den sich Entscheidenden gefällt werden.84 Hier wird auf die persönliche Kompetenz und insbesondere die Motive (MotivStrukturAnalyse), Bedürfnisse (Bedürfnispyramide von Abraham Maslow), Werte und Gefühle, aber auch Intelligenzen und innere Antreiber verwiesen. Wichtiges Beispiel ist der Rubikonprozess von Heinz Heckhausen.

Rubikon-Prozess

· Entscheidung Ziel

Rubikon

Handlungsbeginn

· Wünsche · Ideen · Fantasien · Visionen

· Bedürfnis Motive, Werte abwegen. · Möglichkeiten analysieren.

· Wissen, Wollen, Können, Dürfen.

· Prioritäten bilden.

Handlungsergebnis

· Wie

· Mit Handeln

· Wann

· die gesetzten Ziele erreichen.

· Was und

· das Bewirkte und · Erreichte überprüfen, evaluieren.

· Wo planen.

Klaus Grawe · Heinz Heckhausen · 1994 Vorentscheidungsphase

Verhandlungsphase

Handlungsphase

Nachhandlungsphase

84 Horst Siebert, Konstruktivistisch lehren und lernen, S. 50ff.; Daniel Goleman, Soziale Intelligenz, S. 488; Maja Storch / Frank Krause, Neurowissenschaftliches Wissen für Veränderungen und Lernen in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 507ff.; dies., Selbstmanagement – ressourcenorientiert, S. 92f., 37f., 48f.

Fachlich-methodische Kompetenz

125

Sowohl bei rationaler als auch emotionaler Entscheidung erkennen wir, dass der Wille der Kausalität unterzogen wird.85 Jede Entscheidung wird grundsätzlich mit dem Ursache-Wirkungs-Mechanismus durchdacht und erst dann in Abhängigkeit von und Wechselbezügen zu anderen unmittelbar und mittelbar beteiligten Aspekten und Personen gesetzt (systemisch). 2.11.3.6

Delegieren

Nachdem Ziele festgelegt und Strategien und Maßnahmen geplant worden sind, müssen bestimmte Aspekte an beteiligte und betroffene Personen übertragen werden. Dieses Direktionsrecht ist rechtlich in § 106 GewO verankert, sodass die arbeitsvertraglich geregelten Bedingungen wie Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung des Mitarbeiters sowie das Verhalten im Betrieb fixiert werden muss.86 Was wird übertragen? Grundsätzlich wird jede Aufgabe übertragen, die der Mitarbeiter (besser) wahrnehmen kann. Dazu benötigt der betroffene Mitarbeiter die für die Aufgabe erforderlichen Befugnisse (Kompetenzen), damit er diese selbständig bearbeiten (und bewältigen) kann. Allerdings bleibt die Führungsverantwortung bei der Führungskraft (dem Delegierenden), sodass nur die Handlungsverantwortung delegiert wird. „Bitte unterscheiden Sie Aufgabenkompetenz und Verantwortungsdelegation!“87 Das Weisungsrecht kann durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag erweitert bzw. beschränkt werden. Somit sind Weisungen grundsätzlich rechtmäßig, es sei denn, dass die Weisung gegen Arbeitsschutzvorschriften, die Gegenseitigkeit der Hauptleistungspflicht des Arbeitsvertrages oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers verstößt.88 Achten Sie hier auf die Mitbestimmungspflicht des Betriebsrates. Des Weiteren schränken arbeitsvertragliche Detailregelungen den Umfang der Delegation ein, sodass ein als „Filialleiter“ angestellter Mitarbeiter nicht als einfache Vertriebskraft o.ä. eingesetzt werden kann oder die Arbeitszeit von Montag bis Mittwoch nicht auf Donnerstag bis Freitag verlegt werden kann. 85 86 87 88

Hierzu Kapitel V, Prof. Dr. Manfred Heinrich: Kausalität im Strafrecht. Weidenkaff in Palandt, BGB, § 611 Rn. 45. Rolf Meier, Coaching, S. 34f. Vgl. Weidenkaff in Palandt, BGB, § 611 Rn. 47.

126

Coachkompetenzen

Warum wird delegiert? Arbeitsaufgaben werden delegiert, um den wechselnden betrieblichen Erfordernissen angemessen entsprechen zu können. Einerseits um selbst entlastet zu werden und das persönliche Zeitmanagement auszubalancieren, aber auch um Mitarbeiter und potenzielle Mitarbeiter (also auch Praktikanten, Auszubildende, Referendare, Volontäre, Trainees, sowie Kollegen und Mitarbeiter und sogar externe Service- und Stabsstellen) zu fördern. Daher sollten Führungskräfte keine Spezialisten, sondern eher Generalisten sein. Das in die Breite gehende fachliche Wissen der Führungskräfte ist • Grundsatzwissen und -können • Erfahrungswissen und -können • Methodenwissen und -können über die Tätigkeiten der Mitarbeiter. Auf dieser Grundlage wird es der Führungskraft ermöglicht • ihre Mitarbeiter richtig einzusetzen, • sie koordinierend zu unterstützen / entwickeln, • ihre Leistungen zu messen und zu bewerten. Maßstab der Delegation ist die Auswahl und Überwachung des Arbeitnehmers als Verrichtungsgehilfen (vgl. § 831 BGB). Hier wird deutlich, dass das klassische hierarchische Verhältnis von top-down die Basis ist, jedoch durch moderne Ansätze wie Kontrolle und Rückmeldung, oder auch Feedback von Führungskraft zum Mitarbeiter sowie vom Mitarbeiter zur Führungskraft durchbrochen wird.89 Aufgaben werden nicht mehr zentral sondern dezentral bearbeitet, sodass die Organisation dieser einen wichtigen Faktor des Erfolgs darstellt.

89 Vgl. Grün „Delegation“ in, Handwörterbuch der Führung, R. Höhn / G. Böhme, Der Weg zur Delegation von Verantwortung im Unternehmen – Ein Stufenplan; Manfred Schulte-Zurhausen, Organisation.

Fachlich-methodische Kompetenz

2.11.3.7

127

Koordinieren

Koordinieren steht in einem engen Zusammenhang mit Delegieren und Organisieren, damit das gemeinsame Ziel erreicht werden kann. Insofern bringen Sie zusammen, was zusammen gehört (gehören soll). Koordinieren in diesem Zusammenhang bedeutet also: • • • •

ein zielgerichtetes, aufeinander abgestimmtes Regeln von Sachprozessen und menschlichen Beziehungen in einer konkreten Situation!

Ausschlaggebend ist stets die Zeitpunktbetrachtung.90 2.11.3.8

Organisieren und Verbinden

Die zentrale Aufgabe einer Führungskraft im Sinne von „Organisieren“ ist das Management von Strukturen. Sie besteht darin, die Organisationselemente • • • •

Aufgaben, Informationen, Macht (formale Kompetenz) gedanklich, in einem Organisationsgefüge, auf die Strukturträger Mensch und Arbeitsmittel zu verteilen (Differenzierung) und

• deren zielentsprechende Koordination sicherzustellen (Integration). Im Zuge der Differenzierung sind folgende Aufgaben zu lösen: • • • • •

die Verteilung von Aufgaben, die Verteilung von Informationen, die Verteilung von Macht, die Gestaltung von Strukturen, die Gestaltung von Prozessen.

Dem Organisieren und Verbinden liegt ein systemischer Ansatz zugrunde, sodass die Systemelemente wie Mosaiksteine zu einem Kunstwerk zusammengefügt werden. 90 Rolf Meier, Führung für den Führungsalltag in Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 361; ders., Coaching, S. 34.

128

Coachkompetenzen

Vereinen heißt, die besondere Verschiedenheit besser verknüpfen, nicht sie auszulöschen um einer eitlen Ordnung WiIlen. – Antoine de Saint Exupéry – 2.11.3.9

Informieren und Kommunizieren

Neben den fachlich-methodischen Aspekten bedarf es auch der sozio-kommunikativen Aspekte. Denn Kommunikation schafft Nähe und Verständnis. Ziel von Informieren und Kommunizieren ist, den Mitarbeitern das Wissen und Können in Gesprächen, Ausbildungen, Beratungen usw. zu vermitteln, das notwendig ist, um die vereinbarten Ziele (siehe: Führen mit Zielen) zu erreichen. Reden schafft Nähe und Verständnis. Was müssen die Mitarbeiter wissen und können? • Informationen über die Arbeit selbst, • über etwaige Zusammenhänge, die wichtig werden können, um die Aufgabe auch zielgerichtet erledigen zu können; • Information über das Arbeitsergebnis (die Qualität der Leistung); • Gedankliche und gefühlsmäßige Übungen, um die Aufgaben lösen zu können. Siehe hierzu weitere Ausführungen unter der sozio-kommunikativen Kompetenz sowie den passenden Artikeln in Kapitel V. über Kommunikation und Konflikte. 2.11.3.10 Fördern und Entwickeln Wer Potenzial hat, der sollte einen Raum zum Ausleben des Potenzials erhalten. Wie in der Kindererziehung brauchen erwachsene Menschen ebenfalls Raum für ihre freie Entfaltung, das Ausloten von Grenzen und das Erkennen des eigenen Potenzials. Werden regelmäßig Gespräche zwischen Führungskraft und Mitarbeiter zu einem gemeinsamen effektiven und effizienten Arbeitsverständnis (Aufgaben- und Ergebnispotenzial) geführt, so werden die beiderseitigen Probleme analysiert, bewertet und die Zusammenarbeit gefördert. Bieten Sie Akzeptanz und Anerkennung, so wird der Mitarbeiter (emotional) sicherer und wird seine intrinsische Motivation gezielt zur erfolgreichen Aufgabenerledigung einsetzen.

Fachlich-methodische Kompetenz

129

Im Coaching bedeutet dies, jemandem abstrakte Angebote zur Reflexion zu geben. Abstrakt meint stets, dass diese neutral sind, sodass keine versteckte Bewertung, Meinung oder Willkür seitens des Coaches vollzogen wird. Auch wenn der Coach irritieren und konfrontieren darf, so sind Antwortfrage, suggestive Fragen und Bemerkungen verboten. Des Weiteren entsteht ein Ungleichgewicht, wenn beispielsweise nur eine oder eventuell zwei Karten aus der visuellen Aufstellung weggenommen oder verändert werden.91 Denn jede Intervention löst eine Reflexion aus und bringt eine Reaktion hervor. Hintergrund der Suggestion: Unter Suggestion wird die nicht als wahrgenommene manipulative Beeinflussung einer Vorstellung oder einer Empfindung verstanden. Aus psychologischer Sicht wird seit James Braid (1795–1860) unter Suggestion die Beeinflussung des Fühlens, Denkens und Handlens verstanden, sodass zwischen Autosuggestion (Beeinflussung durch sich selbst) und Heterosuggestion (Beeinflussug durch andere) unterschieden wird. Suggestionen finden in der Hypnose Anwendung, des Weiteren in der Werbung, der selbsterfüllenden Prophezeiung sowie im Placebo-Effekt. Suggestionen werden nicht nur durch Sprache, sondern auch durch Gestik und Mimik hervorgerufen. Beispiel: Der Kellner fragt den Gast, ob er nachschenken dürfe und nickt dabei mit dem Kopf. Der Gast bejaht dies in fast allen Fällen. Daher ist wichtig: • sinnvolle Förderung des Mitarbeiters, wobei seine Interessen und die des Unternehmens zu berücksichtigen sind; • Bereitstellen von Nachwuchskräften; • der richtige Mann / die richtige Frau am entsprechenden Platz. 2.11.3.11 Mitarbeiter-Auswahl und Einsatz Was ist zu überlegen? • Qualifizierte Mitarbeiter (Fähigkeitsprofile) sind ausschlaggebend, wenn Ziele erfolgreich erreicht werden sollen. • Dabei ist es wichtig, dass die konkreten Anforderungen eines Tätigkeitsfeldes erfasst worden sind (Anforderungsprofil). Grundlagen dafür sind gut strukturierte Aufgabenprofile. 91 Siehe Kapitel IV Coachingablauf, Kapitel III., Systemische Visualisierung.

130

Coachkompetenzen

Wer seine Mitarbeiter richtig auswählt, fördert und entwickelt, wird glückliche Mitarbeiter bemerken. Die Mitarbeiter müssen nicht nur die nötige Sachkunde sondern auch moralische Eigenschaft, Charakterstärke und Verantwortungsgefühl aufweisen. Nur so wird eine leichtfertige Gefährdung von anderen Menschen und ggf. Sachen verhindert.92 Desto schwieriger die Aufgabe, umso sorgfältiger muss die Auswahl des Mitarbeiters erfolgen. Daher existieren differenzierte Auswahlgespräche und Entwicklungsmethoden. Nur aus Rohdiamanten können Sie etwas machen. 2.11.3.12 Mitarbeiter-Schutz Eine essenzielle Aufgabe der Führungskraft ist es, die Mitarbeiter zu schützen. Der Fokus des Schutzes muss sowohl psychische und physische Integrität umfassen. Bis Ende der 1990er Jahre gab es viele krankheitsbedingte Ausfälle aufgrund von Unfällen. Mittlerweile ist der körperliche Schutz durch Unfallverhütungsvorschriften und Arbeitsplatzgestaltungsregeln besser gesichert und die Psyche als Opfer ist in den Vordergrund gerückt worden (so der Bericht des Robert Koch Instituts – Statistisches Bundesamt „Gesundheit in Deutschland“ von 2006). Psychische Krankheiten wie Burn-out und Bore-Out nehmen seit 2005 rapide zu. Des Weiteren sind Depressionen und ähnliche Krankheiten mehr und mehr sozial akzeptiert. Neben Arbeitsüberlastung ist Mobbing die Ursache für psychische Krankheiten. Mobbing durch Führungskräfte, Kollegen und Mitarbeiter ist zu erkennen und zu vermeiden. • Arbeitsbedingungen und Arbeitsatmosphäre dürfen nicht zu körperlichen und seelischen Schäden (Krankheiten) führen; • Zeitmanagement von der Führungskraft und ihren Mitarbeitern; • sinnvolle Entspannungszeiten im Tagesplan; • Ernährungs- und Essgewohnheiten?; • ausreichend und „richtiger“ Urlaub als Erholung; • Ist das eigene Privatleben wie ein „sicherer Hafen“? Wichtig ist ebenfalls die Kontrolle der ausgewählten und eingesetzten Mitarbeiter, damit diese während ihrer Verrichtung keinen Schaden anrichten. Planmäßige Kontrollen sind bei längerfristigen Projekten und Tätigkeiten erforderlich und im Falle der Pflichtverletzung als Entlastungsbeweis nachzuweisen.93 Des Weitern existieren Vorschriften und Richtlinien durch Tarifvertrag, Betriebs92 Vgl. Sprau in Palandt, BGB, § 831 Rn. 12. 93 Vgl. Sprau in Palandt, BGB, § 831 Rn. 13.

Fachlich-methodische Kompetenz

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vereinbarung und ggf. Arbeitsvertrag. Nehmen Sie sich Zeit, um einen Überblick über sämtliche Unfallverhütungsvorschriften zu bekommen oder nutzen Sie (betriebliche) Weiterbildungen. 2.11.3.13 Selbstentwicklung Als Führungskraft darf man nicht nur seine Umwelt beobachten, fördern und entwickeln, sondern muss den Blick auch auf die eigene Person richten. Man kann sich zwar tagtäglich ablenken und die vermeintliche innere Leere füllen. Aber findet man durch die Abwendung vom Selbst hin zur Außenschau Befriedigung, inneren Ruhe und inneren Frieden? Die Gefahr der Konzentrationsschwäche und des Vergessens bestimmter Potenziale und vor allem Emotionen besteht. Bereits C.G. Jung betonte neben der Findung des ICHs auch die Findung des Selbst. Dieses Selbst sei der Seelenkern und erhalte ein neues Symbol durch Auseinandersetzung mit seiner anima und seinem animus.94 Hintergrund ist, dass sich jemand nur dann Orientierung geben kann, wenn er selbst orientiert ist. Schlüsselfragen sind: • • • • • • • •

Tue ich das Richtige? (Frage der Effektivität), Tue ich das Richtige gut? (Frage der Effizienz), Bin ich aufgeschlossen? (Frage der Toleranz und Akzeptanz), Lerne ich? (Frage nach der Selbstentwicklung und Kritikfähigkeit), Bin ich neugierig auf Veränderung? Lasse ich mich „in Frage stellen“? Reflektiere ich mein Handeln? Kann ich mich „steuern“?95

Der psychologische Aspekt bei der Selbstentwicklung ist wichtig, da die innerseelische Wirklichkeit eine geheime Zielstrebigkeit besitzt, das Selbst des Menschen zu verwirklichen.96 Nicht nur die Beziehung des eigenen ICHs zum Selbst wird bestärkt, sondern auch die Beziehungen zu anderen Menschen, denn man interessiert sich plötzlich wieder für andere. Insofern ist es sinnvoll, dass Abraham Maslow in seiner Bedürfnispyramide die Selbstentwicklung als letzten Schritt zum Wachstum gesetzt hat und die MotivStrukturAnalyse (MSA) 94 Vgl. C.G. Jung, Der Mensch und seine Symbole, S. 196. 95 Rolf Meier, Coaching, S. 35f. 96 C.G. Jung, Der Mensch und seine Symbole, S. 202.

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Coachkompetenzen

Ausdruck der Selbstentwicklung durch Beachtung der intrinsischen Motivation darstellt. 2.11.3.14 Messen und Bewerten Erfolgsnachweise werden geschaffen, wenn das Arbeitsergebnis gemessen und bewertet wird. Hierbei gilt, dass es kein Ziel ohne Ergebnismessung aber auch keine Ergebnismessung ohne Ziel existieren sollte. Bewertet wird stets die qualitative und quantitative Leistung des Mitarbeiters, die Zusammenarbeit des Mitarbeiters mit Kollegen, ggf. eigenen Mitarbeitern und Kunden. Nutzen Sie die Erkenntnisse aus dem Rubikonprozess sowie der Kepner-Tregoe-Methode, sodass am Ende eines Prozesses stets das Controlling stattfindet. Insofern findet der Unternehmensbereich Controlling auch seine Daseinsberechtigung, um Mitarbeiter besser in ihrer Arbeits- und Leistungsbereitschaft messen und bewerten zu können. Konsequenzen sind meistens, dass der Mitarbeiter gute oder minderwertige Arbeit abliefert, sodass Weiterbildungsmöglichkeiten diskutiert werden bzw. in letzter Konsequenz mit der Kündigung gerechnet werden muss. 2.11.4 Führungspentagon Praktisches Beispiel für ein Führungsleitbild ist das Führungspentagon aus einem Hamburger Unternehmen; Leiter eines Bereichs eines Großunternehmens. Hier wurde, wie bei anderen Leitbildern einer Führungskraft, auf eine einfache und pragmatische Darstellung gebaut. Diese vereint sowohl Kognition als auch Emotion und reduziert die systemischen Aspekte von Führung nach dem lerntheoretischen Ansatz auf 5 – 7 Aspekte. Im Grunde sind die 8 Grundeinsichten und 14 Führungsaufgaben erneut sinnvoll strukturiert und geclustert worden, sodass jeder Mitarbeiter mit dem Modell etwas anfangen kann. Probieren Sie dieses Modell in Ihrem Führungsalltag aus, sei es zu Hause in der Partnerschaft, in der eigenen Familie oder im Arbeitsalltag als Führungskraft.

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Fachlich-methodische Kompetenz

Führungspentagon Vision und Mission

Führungsleitbild

Ziele

Man

fred

Migl

bau

er · 200 9

Control, Change & Management

Regel der Zusammenarbeit

Wir-Gefühl

2.12 Systemische Visualisierung Unter dem Aspekt von einem humanistischen Menschenbild sowie Lernen und Lerntypen wird eine adäquate Visualisierung benötigt. Schließ dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, dass es zurückwirke auf andere von außen nach innen.“ – Caspar David Friedrich – Wir benötigen nicht nur zur Kommunikation, sondern auch zur Selbstreflexion im Coaching eine angemessene Visualisierung. Grundsätzlich benötigen wir eine Visualisierung, wenn abstrakte Daten und Zusammenhänge visuell erfassbar gemacht werden sollen. Meistens wird dies graphisch / bildhaft vollzogen. Grund ist, dass schwer formulierbare Zusammenhänge sprachlich, bildlich und / oder logisch in visuelle Medien übersetzt werden müssen, damit man eine Basis zur weiteren Arbeit hat.

134

Coachkompetenzen

Sinn und Zweck: • Komplexität reduzierend; • Übersetzung schwer formulierbarer Zustände / Zusammenhänge; • erlebbare Kreativität, Argumentation, Präsentation usw. Wer visualisiert, der nutzt bewusst oder unbewusst Kenntnisse über • • • •

die Farbenlehre, den Aufbau des menschlichen Auges, die Psychophysik und die kognitive Psychologie

um visuelle Metaphern sinnvoll zu setzen. Visuelle Metaphern bewirken ein effizientes Erkennen von Datenmustern und verringern die Gefahr von Missverständnissen. Des Weiteren muss der Visualisierende den Sachverhalt kennen, welchen er konstruieren möchte. Dazu zählt, dass er nicht nur die Aspekte, sondern auch die Zusammenhänge des Sachverhaltes verstehen muss. Neben diesem Sachverhalt muss er die Zielgruppe als Empfänger der Visualisierung kennen, um zu wissen, wie die Aspekte und Zusammenhänge des Sachverhaltes am erfolgreichsten für diese Zielgruppe zu erklären sind. Denn es gibt diverse Visualisierungsmöglichkeiten: Präsentation, Moderation oder Workshop bzw. Logo, Cartoon / Animation, Porträt, Diagramm, Piktogramm, Foto, Pinnwand, Tafel / Flipchart usw. Für eine erfolgreiche Visualisierung sollte man die Methodik der Visualisierung beherrschen und überprüfen, ob alle wichtigen Bestandteile funktionsfähig sind. Im Hamburger Coaching hat sich die Visualisierung mit einem Flipchart, mit genügend Flipchartblättern, als die beste Variante herauskristallisiert. Darüber hinaus arbeiten wir mit einem großen Tisch, mit allen verfügbaren Moderationskarten (von rund über oval bis eckig), nebst mindestens vier verschiedenen Farben an Stiften (schwarz, rot, blau und grün) sowie ein bis zwei Pinnwänden. Dies sind die notwendigen Bestandteile zur Visualisierung durch den Coachee / Teamcoachee. Auf der anderen Seite benötigt der Coach noch seinen Coachkoffer, in welchem seine sämtlichen Modelle und Methoden als attraktive Grafiken laminiert sind. Die wichtigsten systemischen Strukturen zur Visualisierung des Veränderungsthemas des Coachees / der Teamcoachees sind erstens das Modell der themen-

Fachlich-methodische Kompetenz

135

zentrierten Interaktion (TZI), zweitens das neue St. Galler Management Modell und drittens das Modell des kognitiv-biologischen Empfindens. 2.12.1 Themenzentrierte Interaktion (TZI) Ursprünglich stammt das Dreieck der themenzentrierten Interaktion von Ruth Cohn vom Rhetorik-Dreieck Aristoteles` ab. Dieses Rhetorik-Dreieck gestaltete sich im griechischen Wortsinn durch Unterscheidung dreier Überzeugungsmittel, d.h. drei Arten, wie eine Überzeugung zustande kommen kann: • der Charakter des Redners (ēthos), • die Emotionen des Publikums (pathos), • das Argument (logos). Basierend auf diesen drei Arten kommt nach Aristoteles die Überzeugung zustande; jedoch hält er das Argument für das wichtigste Überzeugungsmittel (Rhet. I 1, 1355a7f.). Die drei Arten sind kunstgemäße Überzeugungsmittel (pisteis entechnoi), d.h. solche, die zur Rede selbst gehören. Nach Aristoteles kann es neben diesen Dreien keine weiteren kunstgemäßen Überzeugungsmittel geben (Rhet. III 1, 1403b10). Es gibt aber kunstfremde Überzeugungsmittel (pisteis atechnoi), d.h. Überzeugungsmittel, die nicht zur Rede selbst gehören. Damit ist 1. „Ich“, 2. „Zielgruppe / Hörer“ und 3. „Das Thema“ gefasst. Seit den 1950er Jahren wird die TZI mit ihren vier Faktoren zur Arbeit mit mehreren Personen / Gruppen benutzt. Sinn und Zweck des TZI ist das soziale Lernen, die persönliche Entwicklung sowie die Erhaltung der Gesundheit. Die Gesundheit bezieht sich nicht nur auf das Individuum als solches, sondern auch auf seinen gesundes Zusammenleben in der Gesellschaft samt politischer Verantwortung. Insofern hat Ruth Cohn nicht nur einen systemischen Ansatz, sondern auch ein konstruktivistisch-humanistischen Ansatz gewählt. An dieser Stelle kann die verbreitete Auffassung widerlegt werden, dass TZI nur für die Bearbeitung zwischenmenschlicher Konflikte bestimmt ist und genutzt wird. Sicherlich ist die Konfliktbearbeitung ein Teil der praktischen Anwendung, jedoch nicht abschließend. Die TZI wird in diversen Kontexten wie im Management, der Pädagogik und Andragogik, der psychologischen Beratung und Therapie, der Pflege und Supervision eingesetzt. Die TZI hat mehrere Postulate und Hilfsregeln97 neben den drei grundlegenden Axiomen, auf

97 Siehe unter Kapitel III: sozio-kommunikative Kompetenz.

136

Coachkompetenzen

die hier nicht näher eingegangen werden soll. Wichtiger erscheint es im Kontext Coaching, die drei Axiome als Basis zu skizzieren:98 a. Axiom:

b. Axiom:

c. Axiom:

Autonomie: Der Mensch ist nicht nur eine psycho-biologische Einheit sondern auch Teil des Universum. Daher ist er autonom (eigenständig) und interdependent (allverbunden), sodass die eigenen Autonomie stets mit dem Bewusstsein der Interdependenz wächst. Wertschätzung: Sowohl dem Lebendigem als auch dem Wachsenden / Wachstum gebührt Respekt, denn Wachstum bedingt die bewertenden Entscheidungen. Folglich ist das Humane wertvoll und das Inhumane wertbedrohend. Grenzen erweitern: Freie Entscheidungen erfolgen innerhalb innerer und äußerer Grenzen, wobei diese bedingten Grenzen erweiterbar sind.

Diese vier Faktoren sind: • Ich: • Wir:

die einzelne Person mit ihrer Biographie und Tagesform; das sich entwickelnde Beziehungsgefüge der Gruppe (sog. Interaktion); • Thema: der Inhalt / die Aufgabe, zu deren Erledigung die Gruppe zusammenkommt; • Globe: das organisatorische, physikalische, strukturelle, soziale, politische, ökologische, kulturell engere und weitere Umfeld, welches die Zusammenarbeit der Gruppe umrahmt und beeinflusst. Gleichzeitig wird der Globe von der Arbeit der Gruppe beeinflusst.

Es gibt auch Modelle der TZI, in welchen das „Thema“ mit „Es“ ausgetauscht ist, jedoch meistens dasselbe gemeint wird. „Thema“ ist zu bevorzugen, da dies sinnvoller in der Reflexion und Anwendung im Coaching ist.

98 Ruth Cohn, Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion, S. 120; vgl. Mina Schneider-Landolf / Jochen Spielmann / Walter Zitterbarth, Handbuch Themenzentrierte Interaktion (TZI); Barbara Langmaack, Themenzentrierte Interaktion – Einführende Texte rund ums Dreieck.

137

Fachlich-methodische Kompetenz

Das TZI-Dreieck im Globe

Di

e

e Be de deu s T tu Me he ng ine m as und M fü Wi d a ög r m rk s T lic ich ung he hke m i t e a zu n u b e nd a r Gr b e en ite ze n, n

e ob Gl

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Di

Glo be

Thema

Möglichkeiten und Grenzen, die die Gruppe mir bietet

Ich

Wir

Meine Möglichkeiten und Grenzen, die ich der Gruppe bieten kann

Globe

R ut

o hC

hn

9 ·1

75

2.12.2 Das neue St. Galler Management Modell Das neue St. Galler Management Modell gehört der systemorientierten Managementlehre an. Es wurde in den 1960er Jahren an der Universität St. Gallen von Hans Ulrich und Walter Krieg entwickelt und schließlich 1972 im deutschsprachigen Raum erstmals publiziert. 1991 hob Knut Bleicher aus dieser Managementlehre drei Ebenen der Unternehmensführung hervor: • das normative Management, • das strategische Management, • das operative Management. Schließlich entwickelte Johannes Rüegg-Sturm das ursprüngliche Modell zum neuen SGMM weiter. Diese hat folgende Parameter: 1. Umweltsphären:

stehen in Wechselwirkung mit den Elementen des Systems der Unternehmung, damit Veränderungen schnell analysiert werden können; ... wie Gesellschaft, Natur, Technologie, Wirtschaft;

138

Coachkompetenzen

2. Anspruchsgruppen: sind die von der Wertschöpfung betroffenen Individuen / Gruppen. Erst der Beitrag der Stakeholder ergibt den Sinn und Zweck der Unternehmung, jedoch mit konfligierenden Interessen; ... wie Kapitalgeber, Kunden, Mitarbeitende, Konkurrenten, Lieferanten / Partner, Staat, Öffentlichkeit / Medien / NGOs; 3. Interaktionsthemen: werden in personen- und kulturgebundenen Elementen sowie objektgebundenen Ressourcen differenziert. Diese Themen stehen in Wechselwirkung der Anspruchsgruppen und der Unternehmung; ... wie Ressourcen, Normen und Werte, Anliegen und Interessen; 4. Prozessperspektive: Die Unternehmung besteht aus routinierten Abläufen, damit unternehmerischer Erfolg eintreten kann. Insofern stellt die Unternehmung ein System von Prozessen dar; ... wie Managementprozesse, Geschäftsprozesse, Unterstützungsprozesse; 5. Ordnungsmomente: strukturieren und fokussieren das Alltagsgeschehen, sodass Prozesse und Ordnungsmomente ineinander (zirkulär) greifen; ... wie Strategie, Struktur, Kultur; 6. Entwicklungsmodi: bezeichnen zwei unternehmerische Weiterentwicklungen, nämlich die kontinuierliche Verbesserung und die sprunghaft stattfindende Schaffung von Neuem; ... wie Erweiterung und Optimierung. Das SGMM ist gerade nicht produktionsorientiert, sondern ein ganzheitliches Managementsystem, in dem Kommunikation ein wichtiger Bestandteil ist. Nur durch Kommunikation können Stärken und Schwächen offenbart, bewertet und bearbeitet werden. Folglich werden Leistungsträger gefördert, die rückmeldefreudig und zur Reflexion fähig sind. Dieser Ansatz ist ein wichtiges Element für das Coaching, sodass der systemische Aspekt für die Visualisierung des wirtschaftlichen / unternehmerischen Veränderungsthemas gut nutzbar ist. Wichtig ist, dass auch private und nicht nur berufliche Veränderungsthemen damit analysiert werden können, sondern alle Managementaspekte, die objektivierbar gemacht werden sollen.

Lieferanten

Staat

Konkurrenz

D

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Neues

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Mitarbeitende

Kapitalgeber

02 M) · 20 St. Galler Man M G S ( ll e d agement Mo

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Ressourcen Normen und Werte Anliegen und Interessen

Unterstützungsprozesse

Geschäftsprozesse

Managementprozesse

S

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Natur Technologie Wirtschaft

Gesellschaft

Das neue St- Galler Management Modell

Kunden

Fachlich-methodische Kompetenz

139

140

Coachkompetenzen

2.12.3 Interaktionen des kognitiv-biologischen Empfindens Aufgrund des systemischen Ansatzes wird für das Coaching neben den rationalen Aspekten des neuen St. Galler Management Modells die emotionale Komponente fokussiert. Für emotionale Themen zur Bearbeitung der WorkLife-Balance wurde das Modell der Interaktionen des kognitiv-biologischen Empfindens erfunden. Empfindung verdeutlicht die neurophysiologische Komponente. Dies ist eine Weiterentwicklung des Modells der Einflüsse auf das psycho-biologische Empfinden von Rolf Meier, Nina Meier und Axel Janßen.99 Empfindung ist neurowissenschaftlich die Vorbedingung der persönlichen Wahrnehmung, um Sinnlichkeit zu erfahren. Philosophisch betrachtet wird seit John Locke auf die äußere Erfahrung und seit David Hume auch auf die innere Erfahrung des Sensualismus wert gelegt. Für Gottfried Wilhelm Leibniz war die Selbsttätigkeit der Seele ausschlaggebend. Dies wird in der heutigen Neurophysiologie beachtet, sodass von sensibel (Empfindung im eigenen Körper) und sensorisch (Empfindung liegt in der Außenwelt) gesprochen wird. Insofern wird nicht erst seit Kant betont, dass Empfindung und Wahrnehmung für die Bildung des eigenen Bewusstseins wichtig sind. Daher ist psychologisch gesehen die Empfindung eine von vier psychologischen Grundfunktionen des Menschen. C.G. Jung differenziert in • • • •

Denken, Intuieren, Fühlen, Empfinden,

sodass das Empfinden abstrakt und konkret vorhanden ist. Denken steht dem Fühlen und Empfinden, steht dem Intuieren gegenüber. Abstrakt ist das Empfinden, wenn man von Ästhetik spricht. C.G. Jung behauptet, dass die Empfindung das Wesen des Kindes charakterisiere.100 Dieses Empfinden legt keinen Wert auf Logik und Sinn, sodass das Wahrgenommene gerade nicht bewertet, sondern nur aufgenommen wird. Da wir von der Ganzheitlichkeit des Menschen ausgehen, er denken und fühlen kann, werden die Elemente des Modells sowohl rationaler als auch emotionaler Natur sein. Hier sind Ansätze von Bedürfnisbefriedigung, Arbeits- und Leistungsbereitschaft, Führung und Kommunikation verarbeitet. Mittelpunkt der 99 Vgl. Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 223. 100 Carl Gustav Jung „Definitionen“ in gesammelte Werke, S. 456ff.

Fachlich-methodische Kompetenz

141

Betrachtung ist die betroffene Person (im Gegensatz zum neuen St. Galler Management Modell (SGMM) bei dem die Unternehmung im Mittelpunkt steht). Weiterer Aspekt ist die Psyche des Menschen. Bereits Roberto Assagioli hat Anfang des 20. Jahrhunderts den transpersonalen Ansatz von Psychologie und Psychotherapie begründet. Diese Psychosynthese bearbeitete C.G. Jung später. Es wurde zwischen drei Ebenen des Bewusstseins unterschieden:101 • unterbewusste, subpersonale Ebene: wie vor allem Triebe, Automatismen, Komplexen; • bewusste, personale Ebene: wie vor allem das Ich-Bewusstsein, der persönliche Wille, die Ich-Funktionen; • überbewusste, transpersonale Ebene: bestehend aus dem Selbst. Das Selbst repräsentiert das höchste und umfassendste Bewusstsein, was die Selbstrealisierung zum Ziel hat. Daher spielen Geburt und Tod jeweils nur als Anfangs- und Endzeitpunkt des Selbst eine Rolle. Nach Assagioli und Jung stehen die unbewussten Anteile für verdrängte oder abgespaltene Aspekte der Persönlichkeit, sodass unangenehme und unerwünschte Wesenszüge nicht akzeptiert sind und folglich verdrängt werden. Allerdings müssen diese Teile nicht nur nach innen verdrängt oder abgespalten werden, sondern können auch nach außen abgegeben werden (transpersonale Ebene). Diese sind hauptsächlich: • • • • •

Weisheit, Kreativität, Liebe, Freude und Einfachheit.

Konsequenzen der Verdrängung sind einerseits seelische Störungen (wie Depressionen, Burn-out / Bore-out oder Narzissmus) und andererseits die psychische und physische Gesundheit und (spirituelle) Vollkommenheit. Wichtig ist stets, dass der verdrängte / abgespaltene Teil erkannt und akzeptiert wird, damit dieser wieder integriert werden kann. Diese Form der Integration ist wieder wichtig. Im Coaching wird diese durch Interventionen des Coaches zur Selbstreflexion des Coachees / Teamcoachees hervorgerufen.

101 Roberto Assagioli, Psychosynthese – Prinzipien, Methoden und Techniken; ders. Psychosynthese und transpersonale Entwicklung; ders. Die Schulung des Willens. Methoden der Psychotherapie und Selbsttherapie; Andreas Patrzek, Fragekompetenz – Handbuch für erfolgreiche Gesprächsführung.

Normen

Kontext

Werte

Zeit

Vergangenheit

Gegenwart

Verbale Kommunikation

Sinnlichkeit

Arbeits- & Leistungsbereitschaft

Emotionen & Beweggründe

Kontext

Sicherheit

Erfahrung

Ich

Erfahrung Zukunft

Nonverbale Kommunikation

Selbstachtung

na Ni

Fremdachtung

physisches :RKOEH¿QGHQ

psychisches :RKOEH¿QGHQ

Gegenwart

Selbstverwirklichung

Andere

ei M

er

Kontext

01 0

·2

Bezugspersonen

Interaktionen des kognitiv-biologischen Empfindens

Annahmen

Kontext

Thematisches Wissen

142 Coachkompetenzen

Fachlich-methodische Kompetenz

143

2.13 Coachingfragen Im Coaching nutzen wir diverse Fragearten, da sie neben den Reflexionsangeboten mit die wichtigste Intervention des Coaches sind. Grundsätzlich existieren geschlossene und offene Fragen. Geschlossene Fragen setzen die Antwort bereits voraus, sodass eine Entscheidung zwischen zwei Alternativen oder mehreren Optionen provoziert wird. Beispiel: • Hat Ihr Thema etwas mit x zu tun? • Haben Sie Ressourcen? • Haben Sie eine Idee? Hingegen setzt die offene Frage zur Reflexion an. Voraussetzung ist für eine Antwort, dass man sowohl über die Frage als auch über mögliche Antworten und schließlich die gewählte Antwort reflektiert hat. Hierunter fallen die berühmten W-Fragen: Wer, Wie, Was, Wo, Wann, Wieso, Weshalb, Warum, Wozu, Womit. Beispiel: • • • • •

Wie lautet Ihr Veränderungsthema? Womit hat Ihr Thema zu tun? Welche Zusammenhänge erkennen Sie? Wie fühlen Sie sich beim Anblick Ihrer visuellen Aufstellung? Welche Ressourcen haben Sie bzgl. Ihres Veränderungsthemas?

Hierbei ist wichtig, dass die Frage des Warum sich auf den in der Vergangenheit liegenden Grund bezieht und die Frage des Wozu gerade einen Ausblick in die Zukunft ermöglicht. Systemische Fragen sind eine spezielle Technik des Fragens. Sinn und Zweck dieses systemischen Ansatzes ist es, die zwischenmenschliche Beziehung vor allem über das Denken, Wollen und Fühlen zu ergründen. Diesen Perspektivwechsel lernen wir in der Erziehung insbesondere durch die Eltern und andere prägende Vorbilder. Dadurch soll sowohl ein Nachdenken als auch eine emotionale Betroffenheit ausgelöst werden. Beispiel: Stelle Dir vor, deine Schwester würde Deine Legomännchen verstecken. Wie geht es Dir dabei?

144

Coachkompetenzen

Folgende acht Schlüsselthemen können durch systemische Fragen hinterfragt und infolge beantwortet werden: • • • • • • • •

Kommunikation, Sprache, Konstruktivismus, Zukunft, Ressourcen, Vernetztheit, Irritation, Hypothesen.

Wie fragen wir systemisch? Grundsätzlich sind die offenen und geschlossenen Fragen nicht systemisch, da sie auf Ursache-Wirkung abzielen. Vielmehr nutzen wir:102 • hypothetische Fragen, • zirkuläre Fragen, aber auch • skalierende Fragen. Die hypothetische Frage bezweckt die Auseinandersetzung mit Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten und führt daher fiktive Situationen in das Gespräch ein. Dabei können allgemeine und unklare Wünsche / Möglichkeiten konkretisiert werden. Beispiel: • Angenommen Sie haben Ihr Ziel erreicht, was sehen / hören / riechen / schmecken Sie? • Angenommen Sie sind misserfolgreich, was löst das bei Ihnen aus? • Angenommen Sie erhielten keine Reflexionsangebote, wie würden Sie dies finden? • Stellen Sie sich vor, Ihnen würde ein Wunsch erfüllt werden, was wäre das? Stellen Sie sich vor, Ihr Mitarbeiter X kann sich in einer wichtigen Verhandlung nicht durchsetzen. Was geschieht dann? Ein Unterfall der hypothetischen Frage ist die internalisierende Frage, da hier ebenfalls mit einer fiktiven Situation gearbeitet wird. Sinn und Zweck besteht 102 Vgl. Meier / Janßen, CoachAusbildung, S. 103ff.

Fachlich-methodische Kompetenz

145

jedoch darin, dass der Antwortende wieder reflektieren kann und somit handlungsfähig wird. Folglich sollen in der Person liegende Ressourcen bewusst gemacht werden, wobei drei Arten auftreten können: Wunderfragen, Ausnahmefragen und Verschlimmerungsfragen. Bei der Wunderfrage wird wie in einem Märchen eine besondere Situation gezaubert, sodass an angenehm positive Zielzustände gedacht wird. Im Gegensatz dazu steht die Verschlimmerungsfrage, die als letzte Intervention zur Konfrontation benutzt wird. Der Fokus liegt auf der Reflexion von sehr unangenehmen / extremen Situationen und Konsequenzen. Beispielsweise fragt man, ob der Antwortende sich eine Situation vorstellen kann, in welcher das Symptom durch sein Verhalten erheblich verschlimmert ist. Ziel ist es zu analysieren, ob der Kunde noch zur Reflexion fähig ist oder schon in einer Ohnmacht steckt. Kann der Kunde nicht nachdenken und findet nicht aus seiner derzeitigen Lage alleine / mittels Reflexionsangeboten heraus, muss eine Pause eingelegt werden oder im schlimmsten Fall über den Fall der therapeutischen Unterstützung nachgedacht werden. Ausnahmefragen setzen an dem Gedanken an, dass es nicht immer so ist und bleibt wie es ist. Die zirkuläre Frage führt die Perspektive einer anderen Person ein. Beispiel: • • • • •

Woran erkennt X, dass Sie Ihr Ziel (...) erreicht haben? Welche Bedeutung hat Ihre Zielerreichung für X? Welche Meinung hat Ihre Frau / Ihr Vorgesetzter zum Thema? Aus der Sicht Ihrer Emotionen, sind diese Emotionen akzeptiert? Wie würden Ihre Kollegen reagieren, wenn sich Ihr Mitarbeiter X in einer wichtigen Verhandlung nicht durchsetzen kann?

Die skalierende Frage führt Unterschiede ein und bezweckt die Differenzierung. Beispiel: • Auf einer Skala von 1 bis 10, wenn 1 wertlos und 10 wertvoll ist, wo stufen Sie Ihr Thema / Ziel ein? • Auf einer Skala von 10 bis 10, wenn 1 niedrig und 10 hoch ist, wie leben Sie Ihr Motiv Freiheit / Ihren Wert Loyalität aus? • Wie hoch schätzen Sie die Durchsetzungsfähigkeit Ihres Mitarbeiters X auf einer Skala von 1 bis 10 ein?

146

Coachkompetenzen

Fragekompass (PRWLRQHQ

Betroffenheit

Bedeutung

Konsequenzen

Entwicklung *HVFKLFKWH

5HÀH[LRQ 00 Patr zek 8

$XVEOLFN

Ursache

Entwicklung / Ziele

as re 2 And

Qualität

Ausmaß

)DNWHQ

2.14 Fazit Der Coach ist professionell, wenn er sein Faktenwissen auf den Coachingfall anwenden kann ohne dabei willkürlich vorzugehen, sondern sich anhand der vorgeschriebenen Hypothesenbildungsstrategien deduktiv vorwagt.

147

3. Persönliche Kompetenz Die persönliche Kompetenz bedeutet kontextabhängig die eigenen Gefühle, Bedürfnisse, Motive und Werte identifiziert zu haben und sich selbst in eigener Haltung und eigenem Verhalten einschätzen zu können. Emotionale Entwicklung entsteht, wenn der Mensch herausfordernde Momente sucht, die er gestalten muss, anstatt diese herunterspulen zu können, so der Theaterpädagoge Dietmar Sachser.103 Dieser Flow kann auf jeden Kontext des menschlichen Erlebens transferiert werden. Dies nicht nur, um den Zustand höchster Freude, Konzentration und Gestaltungskraft zu transportieren, sondern auch um Lampenfieber, Leistungsdruck und Konkurrenzdruck erfolgreich zu bewältigen. Im Folgenden werden die wichtigen Komponenten der persönlichen Kompetenz dargestellt.

3.1

Emotionen

Wir werden von Emotionen überrollt, aber können diese auch wunderbar genießen. Identifikation und kontrollierte Distanzierung sind Zeichen für die Auseinandersetzung mit sich selbst, seiner Rolle / Funktion und seiner Wirkung. Diese Wirkung erzeugt wiederum eine glaubhafte und glaubwürdige Beurteilung von anderen Personen gegenüber der eigenen Person. Man nennt es auch Authentizität. Aber welche Komponenten sind für eine authentisch wirkende Person oder eine wahrhaftige Selbstreflexion wichtig? Bereits Aristoteles (384–322 v. Chr.) verband die Affekte Unlust und Lust mit folgenden seelischen Vorgängen: Begierde, Zorn, Furcht, Mut, Neid, Freude, Freundschaft, Hass, Sehnsucht, Eifer und Mitleid. Sechs primäre Leidenschaften – Begehren, Freude, Hass, Liebe, Traurigkeit und Verwunderung – beschrieb Descartes (1596–1650), die neun Jahre später von Spinoza (1632–1677) auf drei Grundgefühle, nämlich Begierde, Freude und Hass reduziert wurden. Paul Ekman und Carroll Izard entwickelten aus der Veröffentlichung von Charles Darwin „The expression of the emotions“ (deutsch: Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren) von 1872 einen evo103 Dietmar Sachser in http://www.spielart-berlin.de/2010/11/29/buchempfehlung-dietmar-sachser.

148

Coachkompetenzen

lutionspsychologischen Ansatz. Denn in der menschlichen Psyche seien die Mechanismen für Gefühl und Emotion entstanden und weitervererbt worden. Sie konnten sieben kulturunabhängige Basisemotionen empirisch nachweisen:104 • • • • • • •

Freude, Wut, Ekel Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung.

Menschen auf der ganzen Welt können demnach diese sieben Basisgefühle erkennen. Allerdings unterscheidet sich die Art und Weise, wie diese Gefühle ausgedrückt und gelebt werden. Je nach Kultur und dem sozialen Miteinander sind Gefühle erwünscht oder nicht, sodass Menschen emotionale Rollen spielen müssen, um akzeptiert zu werden. Dadurch entstehen Täuschung und Irrtum, mit Emotionen wird bewusst getrickst. Auf der anderen Seite kann man Emotionen rein psychologisch betrachten. Hier sind die Gefühle zwar ebenfalls in der Psyche angelegt, sind jedoch Ausgangslage für weitere Gefühle. Bereits C.G. Jung unterschied zwischen Affekt und Gefühl. Er betonte, dass Affekte den Willen umgehen, steuern oder ausschalten können, hingegen sind Gefühle willkürliche Funktionen. Gefühle entstünden mit der Interaktion mit entweder der Intuition (passive irrationale Gefühle) oder mit der Subjektivität des Menschen (aktive rationale Gefühle).105 Insofern reduzierte Martin Dornes die menschlichen Emotionen auf folgende Basisemotionen:106 • • • • •

Ärger, Ekel, Furcht, Freude, Interesse / Neugier,

104 Paul Ekman, Gesichtsausdruck und Gefühl. 20 Jahre Forschung von Paul Ekman; ders. Gefühle lesen – Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren 105 Carl Gustav Jung, „Definitionen“ in Gesammelte Werke, Bd. 6 Psychologische Typen, Abgrenzung Affekt-Gefühl S. 440f., 463, Kategorienbildung S. 462, Wesen der Fühlfunktion S. 460ff., 494, Kollektiver Fühltypus S. 97, 476, 503f. 106 Martin Dornes, „Gedanken zur frühen Entwicklung und ihre Bedeutung für die Neurosenpsychologie“ in Forum der Psychoanalyse 11 (1995), S. 27-49.

Persönliche Kompetenz

• • • •

149

Scham, Schuld, Traurigkeit und Überraschung.

Diese Entwicklung von Forschung und Praxis ist interessant, jedoch erkennt man am letzten Punkt bereits das Alltagsphänomen der Gleichsetzung von Emotionen und Gefühlen als synonym, Gefühle sind jedoch ein Teil von Emotionen. Es wird der Ansatz von Charles Darwin bevorzugt, dass Gefühle der Ausdruck von Gemütsbewegungen sind und daher einen Bestandteil der Emotionen darstellen. Die erforschten Erkenntnisse sind gut und nutzbar, im Coaching arbeiten wir jedoch nicht mit Basisemotionen, sondern mit Basisgefühlen bzw. Grundgefühlen. Diese sind Ausdruck diverser Reaktionen und Erfahrungen aus neuropsychologischer Sicht des Menschen auf seine Umwelt. Dazu wurde für das ressourcenorientierte und systemische Coaching eine Grafik erstellt. Gefühle als somatische Marker / körperliche Befindlichkeiten sind demnach Anhaltspunkte für die emotionale Grundstimmung. Im Folgenden ein paar Beispiele: • Ärger beeinträchtigt oft die Konzentration, obwohl Ärger helfen soll. Er wird in unangenehmen und unerwünschten Situationen hervorgerufen, sodass das psychische Wohlbefinden durch Kränkung, Beleidigung, Diskriminierung oder Ungerechtigkeit aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Bereits bei der kleinsten persönlichen Empfindlichkeit kann diese innere Bewertung erfolgen und als taktlos gelten. Ärger kann unterschiedlich, von Groll, über Ohnmacht bis zur Wut, empfunden werden. • Angst bewirkt eine punktuelle Konzentration und Aufmerksamkeit, führt bei Übermaß zu Unsicherheit und Hemmung. Denn Angst ensteht in bedrohlich empfundenen Situationen und dient als Warnung / Schutzmechanismus. Sie kann in Erwartung einer physischen oder psychischen Bedrohung ausgelöst werden, damit man konzentriert Fluchtmöglichkeiten ausschöpfen kann. Allerdings kann eine Ohnmacht entstehen, die behindert oder antriebslos macht, da ein Kontrollverlust eingetreten ist. • Freude stellt einen glücklichen zeitlichen Moment dar, in welchem alle seelischen Bedürfnisse erfüllt sind. Insofern ist Freude eine spontane Reaktion auf angenehm empfundene Situationen. Es ist ein befreiendes Lebensgefühl. Dieses kann in unterschiedlicher Intensität zum Ausdruck gebracht werden: vom Lächeln bis zum Freudenschrei.

150

Coachkompetenzen

• Scham tritt in Situationen auf, in welchen man sich als unehrenhaft, unanständig oder erfolglos empfunden hat, da man den Erwartungen und Normen nicht entsprochen hat. Diese Verlegenheit oder Bloßstellung ist Folge von Werteverletzungen, insbesondere in der Intim- und Privatsphäre. • Trauer entsteht in Situationen von Verlust oder drohendem Verlust. Damit sollen Leid und Schmerz überwunden werden; dient als Reinigungsprozess. Da man betrübt ist hat dies Auswirkungen auf die Konzentration und Motivation, sich um alltägliche Dinge zu kümmern. • Überraschung entsteht in Situationen der plötzlich auftretenden Überrumpelung. Sie kann je nach Ereignis sowohl positiv als auch negativ empfunden werden. Folge ist immer eine spontane körperliche Reaktion (dies kann z.B. ein unkontrollierter Ausruf sein). Dem treten Menschen mit ererbten oder erlernten Schutzreflexen bzw. -instinkten entgegen. Für neue Situationen müssen solche Reflexe erst einmal erworben werden. Wichtig ist also, dass die meisten Situationen uns emotional treffen, wir etwas empfinden und dies körperlich ausdrücken. Diese Kausalität muss bewusst sein und kann im Folgenden bewertet und gesteuert werden. Machen Sie dies dem Coachee / Teamcoachee bewusst. Des Weiteren ist neben der Selbstreflexion wichtig, welche Auswirkungen diese Gefühle auf die Umwelt haben, da insbesondere andere Menschen diese über die Spiegelneuronen aufnehmen und nachempfinden können oder eben nicht. Sowohl Verständnis als auch Unverständnis kann ausgelöst werden, was wiederum eine unterschiedliche Qualität der Beziehung zur Konsequenz hat. Falls sowohl der Coach als auch der Coachee / Teamcoachee situationsbedingt nicht sprachfähig sind (Beispiel: Ein Finne hat es nicht gelernt, seine Emotionen zu artikulieren und sagt nur gut und schlecht. Insofern kann er Situationen nicht konkret beschreiben, obwohl er ein Bild vor Augen hat), arbeiten wir sowohl in der Coachausbildung für die Teilnehmer als auch im Coaching für den Coachee / die Teamcoachees mit Orientierungsbegriffen. Diese sind eine kleine Aufzählung alltäglicher Gefühle bzw. Wörter / Adjektive für Gefühlszustände.

151

Persönliche Kompetenz

me Sch

eb

Angst

el Ek

Li

rz

Grundgefühle

e

Ä

r

Freud

Scham Schuld

e rg

Grundgefühle Nina Meier · 2011

e

Trauer

152

Coachkompetenzen

Orientierungsbegriff Gefühle ängstlich

geehrt

schuldig

ärgerlich

gelassen

spaßig

aufgeregt

gleichgültig

stolz

befreundet

glücklich

sympathisch

begeistert

hoffnungsvoll

traurig

beklommen

hungrig

überrascht

bekümmert

interessiert

unbehaglich

bemitleidenswert

langweilig

ungeduldig

beschämt

liebevoll

unsicher

eifersüchtig

lustig

verantwortlich

einsam

lustvoll

verärgert

eklig

mitleidig

verhasst

energisch

müde

verletzt

entspannt

neidisch

verliebt

enttäuscht

nervös

verpflichtet

erfreut

panisch

verzweifelt

erregt

pflichterfüllt

wohlbehaglich

erschöpft

reuevoll

wütend

frei

reuig

zufrieden

freundschaftlich

ruhig

zugeneigt

geborgen

schmerzlich

zusammengehörend zusammengehörig

Wie bereits in Kapitel II. zur Entwicklung von Teamcoaching und unter Coaching skizziert, befasst sich Coaching mit diversen Ursachen und Zielen von

Persönliche Kompetenz

153

Veränderung. Stets sind dabei Emotionen und Gefühle betroffen. Wenn die Veränderung beginnt gibt es in der Folgezeit entweder den Weg des Scheiterns oder den Weg der guten / verbesserten Performance, jedoch auch der Kontinuität. Wer sich in seinen Emotionen und seiner Arbeit nicht verändert und beeinflussen lässt, der ist im Change (engl. to change (sich) ändern) nicht involviert und wird irgendwann als Fremdkörper analysiert. Fremdkörper im Sinne von abstoßender Wirkung oder erfolgreicher Stütze. Dies ist stets im Einzelfall aufgrund des gesamten Kontextes zu entscheiden. Forschungen haben ergeben, dass die von Change betroffenen Menschen stets einen bestimmten Prozess durchlaufen. Mit fortschreitender Zeit passieren diese Menschen unterschiedliche Zustände. Die erste Phase ist die kritische Phase, da negative und blockierende Gefühle sich bemerkbar machen und sich die positiven, förderlichen Gefühle erst nach einer gewissen Trauerarbeit frei entfalten können. Beobachten Sie sich einmal in einer Situation, die vermeintlich langfristig sicher und stabil erscheint, in der Sie sich emotional wohl fühlen. Plötzlich wird Ihnen diese Harmonie und Sicherheit genommen. Wie geht es Ihnen dabei? Eine weitere wichtige Komponente ist, ob die Veränderung von Sieg oder Niederlage geprägt ist. Sieg und Erfolg betört den Menschen, da er situativ eine Bedürfnisbefriedigung erfährt, intrinsisch motiviert wird und die wichtigen Werte ausleben kann. Hingegen sieht es bei Misserfolg anders aus. Hier müssen vermeintliche Angriffe auf das Selbstbewusstsein abgewehrt und verarbeitet werden. Konsequenz ist, dass viele negativ bewertete Gefühle entstehen und den Menschen unkontrolliert erscheinen lassen. Wichtig ist immer den Misserfolg als Chance zu nutzen, damit man sich weiterentwickeln kann. Der gesunde Draht zur Realität sollte geschult werden,107 sodass weder eine Dramatisierung der Situation noch ein Schönreden des Ergebnisses erfolgt. Dies sind schlichtweg Zustandsbeschreibungen als „weg von“, jedoch kein ressourcenorientierter Zukunftsblick im Sinne von „hin zu“. Wichtig ist, dass sich jeder betroffene Mensch in einem anderen Zustand befindet, jeder benötigt seine Zeit und Ausdrucksweise mit Veränderung klar zu kommen. Einige scheitern und andere sehen die Veränderung stets als Chance. Folgende Phasen hat Elisabeth Kübler-Ross im Rahmen der Trauerforschung analysiert:108 107 Vgl. Lothar Linz, Erfolgreiches Teamcoaching, S. 160. 108 Elisabeth Kübler-Ross, On death and Dying; dies., Erfülltes Leben – würdiges Sterben; vgl. Eike Wagner, Kommunikation entlang der Change Curve.

1

Schreck Schock

Vorahnung Sorge

Zustand

2

Abwehr Ärger

3

4

5 5

Öffnung Neugier

Emotionale Akzeptanz Trauer

Rationale Akzeptanz Frustration

Change-Kurve

Zeit

Integration Selbstvertrauen

6

154 Coachkompetenzen

Persönliche Kompetenz

3.2

155

Motivation

Motivation bedeutet, das auf emotionaler Aktivität beruhende Streben nach Wünschen bzw. Zielen. Die Theorie der Motivation hat seinen Ursprung im Hedonismus. Denn bereits Aristippos, ein Schüler Sokrates’, sah in den subjektiven und individuellen Empfindungen den primären und wichtigen Grund für menschliches Verhalten. Dieser Hedonismus wurde durch die wissenschaftliche Psychologie im 19. Jahrhundert durch Jeremy Bentham und John Stuart Mill als Utilitarismus weiterentwickelt. Nun betrachtete man die Instinkte und Triebe als Ursachen für Verhalten. In dieser Zeit war der Ansatz von Sigmund Freud, dass der Lebenstrieb als psychische Energie zu sehen ist (sog. Tiefenpsychologie), am bekanntesten. Dieser Trieb der Libido (Es) lenkt die Wahrnehmung und das Verhalten des Menschen entweder intrinsisch oder extrinsisch. In den folgenden Jahren wurden mehrere Grundbedürfnisse (Triebe) wie beispielsweise Aggression, Bewegungsdrang, Eifersucht, Harmoniestreben, Familie, Leistung, Ordnung, Neugier, Sex, Sparen, Spiel, Sympathie oder Wissbegierde entdeckt. Mangels Validität dieser Konzepte entstanden in den 1920er Jahren Konzepte über die erlernten Motive, welche das Verhalten durch Bestrafungs- und Belohnungsmechanismen steuern. Wichtiger Ansatz war die Verfestigung in Schemata und Gewohnheiten der erlernten Befriedigung der Motive bei Burrhus Frederic Skinner (sog. Behaviorismus).109 Seine Erkenntnis lieferte den Ursprung der kognitiven Verhaltenstherapie, da die Behandlung und deren Erfolge empirisch nachweisbar sind. Neben der Tiefenpsychologie Freuds und dem Behaviorismus Skinners entstanden weitere Inhaltstheorien, wie insbesondere die Theorie der Motivation (Abraham Maslow) sowie die Zwei-Faktoren-Theorie (Frederick Herzberg). Führen wir uns noch einmal die Häuptlingsgeschichte aus dem Themenkomplex Führung vor Augen. Dort wurde unterschieden, wer Häuptling werden durfte und welche Voraussetzungen und Anforderungen an ihn gestellt worden sind. Durch diese Charakteristik wurden sowohl die Bedürfnisse des Stammes als auch die Motive der betroffenen Person angesprochen. Der Friedenshäuptling musste andere Bedürfnisse, die nach Stabilität und sozialem Umgang und Wachstum, als der Kriegshäuptling stillen. Notwendig war hier Schutz und Verteidigung. Des Weiteren war es essenziell, taktisch und flink zu sein

109 Siehe Burrhus Frederic Skinner, Was ist Behaviorismus?.

156

Coachkompetenzen

als auch diplomatisch auf- und für die Beziehungen der Indianer einzutreten. Diese kleinen Differenzen werden im Folgenden deutlicher.110 Im Grunde werden Emotionen über die Antriebskraft der Motive und die Ziehkraft der Werte gesteuert. Persönlich erfolgreiches Verhalten ist demnach stets von den Motiven und Werten des Einzelnen abhängig. Insofern ist ein Coach / Teamcoach professionell dissoziiert, wenn er seine Motivstruktur kennt, diese bewusst für den Coachingansatz nach der Hamburger Schule und den essenziellen Werten von Coaching einsetzt.

M

Kontext

Motiv-Wert-Interaktion

erfolgreiches

W Verhalten

Motiv

Wert

N in a Me ier · 2006

Wichtig für die Arbeit als Coach ist, dass Beweggründe in unspezifische (Motive) und spezifische (Bedürfnisse) Beweggründe aufgeteilt werden. 3.2.1

Bedürfnisse

1943 entwickelte Abraham Maslow eine Bedürfnispyramide basierend auf der humanistischen Psychologie. Diese eindimensionale Theorie beschreibt menschliche Motivation (motivs und needs) in der westlich-industriellen Kultur und bezweckt die Anstrebung der seelischen Gesundheit und der mensch110 Siehe Kapitel V., Dr. Andreas Huber: Die MotivStrukturAnalyse (MSA) in Teamcoaching und -entwicklung.

Persönliche Kompetenz

157

lichen Selbstverwirklichung. Die fünf Stufen sind unterteilt in Defizitbedürfnisse und der letzten Stufe als Wachstumsbedürfnis. Dadurch erkennt man den kausalen Aufbau, sodass erst die niedrigere Stufe befriedigt sein muss, damit das nächste Bedürfnis erfüllt werden kann. Insofern sind die Bedürfnisse latent, wenn die „Bedürfnisstufe“ noch nicht erreicht ist. Das befriedigte Bedürfnis erhöht die Motivation, denn Ziel ist das Wachstumsbedürfnis der Selbstverwirklichung.111 Der vorhandene IST-Wert wird mit dem physiologischen SOLL-Wert verglichen, gibt es eine große Abweichung, wird ein Verhaltensmuster ausgelöst.112 Wichtig ist, dass diese Pyramide als Struktur der Befriedigung zu sehen ist. Ein einmal befriedigtes Bedürfnis ist nicht auf Dauer und für immer gestillt, sondern so lange bis der menschliche Körper, Geist oder Seele Nachschub verlangt. Dies verdeutlicht sehr gut die erste Stufe der physiologischen Grundbedürfnisse, da wir täglich Nahrung und Ruhe benötigen. Folglich kann die Pyramide als logische Struktur bzw. Infrastruktur angesehen werden, die stets Aufmerksamkeit und Arbeit benötigt. Des Weiteren ist die Pyramide keine Abbildung des realen Verhaltens und Verlangens der Bedürftigen, sondern dient als Empfehlung für die Sorge und Pflege von anderen Menschen.

111 Abraham H. Maslow, „A Theory of Human Motivation“ in Psychological Review 50 (1943), S. 370–396.; ders., Motivation und Persönlichkeit, S. 62ff., 127ff.; Philip G. Zimbardo, Psychologie. 112 Jens Asendorpf, Psychologie der Persönlichkeit, S. 22f.

158

Coachkompetenzen

Bedürfnispyramide

Wachstumsbedürfnis

Selbstachtung Bedürfnis nach 6HOEVW verwirklichung Persönlichkeitsentfaltung

Fremdachtung

Bedürfnis nach Anerkennung, Wertschätzung, Respekt, Wohlstand, SULYDWHXQGEHUXÀLFKH Erfolge, Status durch Dritte und sich selbst

'H¿]LW bedürfnisse

Selbsterhaltung Kontaktbedürfnisse = soziale Bedürfnisse Familie, Freunde, Nähe / Geborgenheit, Liebe, soziale Integration, Partnerschaft, Gruppenbildung, Kommunikation, regelmäßige Information usw.

Sicherheitsbedürfnisse Recht und Ordnung, Schutz vor Gefahren, festes Einkommen / sicherer Arbeitsplatz, Absicherung, Unterkunft

Grundbedürfnisse = physiologische Bedürfnisse Atmen, Schlaf, Nahrung / Trinken, Wärme, Gesundheit, Bewegung, Sex

Abraham Maslow · 1943

Persönliche Kompetenz

3.2.2

159

Motive

Wichtiges Beispiel für die intrinsische Motivation sind die Motive und dazu die MotivStrukturAnalyse (MSA). Die MotivStrukturAnalyse (MSA) ist eine wissenschaftliche Analyse der Persönlichkeit, da sie auf den Erkenntnissen der Persönlichkeits- und Motivationsforschung der letzten 10 – 15 Jahre beruht. Dabei wurden die Hypothesen von Abraham Maslow, William McDougall, Paul T. Costa & Robert R. McCrae sowie Steven Reiss als Ausgangslage zur Forschung benutzt. Die Forschung erfolgte an mehreren Universitäten im deutschen Sprach-, Handlungs- und Kulturraum. William McDougall beschäftigte sich nicht mit dem Verhalten, sondern mit der Psychologie von Mensch und Tier und betonte die inneren Antriebe von Instinkt, Trieb, Motiv und Wille. Dennoch schloss er das Bewusstsein nicht aus seinen Untersuchungen aus. Jeder Mensch besitzt eine Anzahl von angeborenen artspezifischen Instinkten wie: • • • • • • •

Kampf, Abwehr, Flucht, Neugier, Brutpflege, Selbsterhaltung und Selbsterniedrigung.

Jeder Instinkt ist mit einem Motiv verknüpft und drückt sich mit einer begleitenden Emotion als auch einem zielgerichteten Erhalten aus. Er stellte fest, dass man Einfluss auf die Instinkte hätte, jedoch nicht auf die Motive und Emotionen. Daher seien Instinkte sozial anpassbar.113 Paul T. Costa und Robert McCrae entwickelten das NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI) als Persönlichkeitstest für Jugendliche und Erwachsene. Diese fünf Dimensionen sind: • Neurotizismus, • Extraversion, • Offenheit für Erfahrungen, 113 Vgl. Wolfgang Schönpflug, Geschichte und Systematik der Psychologie. Ein Lehrbuch für das Grundstudium.

160

Coachkompetenzen

• Verträglichkeit, • Rigidität/Gewissenhaftigkeit, und werden die Big Five genannt. Studien ergaben, dass einzelne Positionen im Kindes- und Jugendalter stark schwanken und erst im Erwachsenenalter von 30 Jahren konstant bleiben. Die betroffenen Aspekte sind sowohl angeboren als auch durch das soziale Umfeld geprägt.114 Aus dieser psychologischen Forschung stammt, dass man erst ab dem 30. Lebensjahr in der Gesellschaft als erwachsen akzeptiert wird. Diese Studie wurde 1993 durch Peter Borkenau und Fritz Ostendorf ins Deutsche übersetzt. Beachten Sie bitte den Unterschied zwischen psychologischem Forschungsergebnis und dem Individuum, sowie dem Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters. Des Weiteren veröffentlichte Steven Reiss in seinem Buch „Who am I?“115 seine Theory of 16 Basic Desires zur Erklärung des menschlichen Verhaltens (basic desires engl. grundlegende Bedürfnisse). Darauf baute er sein Reiss-Profil auf. Die 16 Desires waren Ergebnis einer Befragung von knapp 7.000 Personen aus den USA, Kanada und Japan. Mittels einer Faktoranalyse kategorisierte er seine 328 vorgegebenen Begriffe zu 16 Kategorien. Jede Kategorie sei ein Motiv, welches schwächer, neutral oder stärker ausgeprägt sei: • • • • • • • • • • • • • •

Anerkennung Beziehungen Ehre Eros Essen Familie Idealismus Körperliche Aktivität Macht Neugier Ordnung Rache Ruhe Sparen

114 Peter Borkenau / Fritz Ostendorf, NEO-Fünf Faktoren Inventar nach Costa und McCrae (NEO-FFI). 115 Steven Reiss, Who am I?: 16 Basic Desires that Motivate our Actions and Define Our Personalities; ders., Das Reiss Profile: Die 16 Lebensmotive. Welche Werte und Bedürfnisse unserem Verhalten zugrunde liegen.

Persönliche Kompetenz

161

• Status • Unabhängigkeit. Mangels weiterer Forschungsergebnisse ist das Reiss-Profil nicht valide, zeigt jedoch praktikable Ausdrücke von menschlichen Motiven. Allerdings gehören diese dem amerikanischen und japanischen Kulturraum an und nicht dem europäischen. Insofern ist die MSA eine wissenschaftliche Analyse für den emotionalen Grundcharakter des Menschen. Diese 18 Grundmotive sind konstant und jedem Menschen zu eigen. Der individuelle Charakter zeigt sich durch unterschiedliche Ausprägung der Motive in seine beiden Motivstrebungen. Forschungen haben ergeben, dass die Motive zu 60 % angeboren und zu 40 % durch die Umwelt und Erziehung geprägt sind. Durchschnittlich erlebt diese Entwicklungsarbeit mit dem 7. Lebensjahr ihren Höhepunkt, sodass die persönliche Motivstruktur stabil bleibt. Sie gilt ein Leben lang, es sei denn, man erfährt „lebensbedrohende / einschneidende“ Situationen. In dieser Phase werden einige Motive erschüttert, sodass sich die Strebungen verändern. Wer selbstsicherer war kann nun sensibler sein – so hat sich die Strebung verändert. Die MSA fördert und stabilisiert die Selbstwirksamkeit, die Lebenszufriedenheit und die dauerhafte Leistungsfreude / -bereitschaft. Wichtig ist, dass die MSA kein Ergebnis aus dem klinischen Umfeld ist, sondern als positives ressourcenorientiertes Verfahren eingesetzt wird. Daher wird die MSA im deutschen Sprach-, Handlungs- und Kulturraum eingesetzt. Die 18 Grundmotive der Persönlichkeit ... • sind stabil und dauerhaft; • sind bipolar und ergänzen sich, da jeder Mensch beide Antriebe in sich trägt; • bestimmen in ihrer individuellen Ausprägung die Persönlichkeit und ihre Werte / Wertstruktur; • beeinflussen maßgeblich unsere Wahrnehmung und Kommunikation, unser Fühlen, Denken und Handeln und • wirken als Leistungsmotivatoren und „Glücksbringer“. Quintessenz ist, dass jeder Mensch eine individuelle Motivstruktur besitzt, die sein Denken, seine Wahrnehmung und sein Handeln maßgeblich beeinflusst. Die MSA ist Basiselement für die Persönlichkeitsentwicklung bzgl. des gesamten Lebens, den beruflichen Erfolg und seinen Kontext. Das private Wohlemp-

162

Coachkompetenzen

finden bestimmt alle systemischen Aspekte. Im Management ist die Bindung der Menschen und deren Leistung wichtig und dann am höchsten, wenn die betroffenen Personen ihre eigene Persönlichkeit erkannt haben. Selbstreflexion über die individuelle Motivstruktur lässt jeden sein Potenzial und sein Glücksmoment erkennen. Sodann sind weitere Entscheidungen über das berufliche Umfeld, die Karriere aber auch das private Glück klarer und einfacher zu treffen. Wichtig ist dabei, dass die Motivation intrinsische und extrinsische Quellen hat. Nach John Barbuto und Richard Scholl116 ist die intrinsische Prozessmotivation die Motivation, dass jemand eine Aufgabe um ihrer selbst Willen bewältigt. Die Person denkt nicht lange darüber nach, ob und warum sie das tut bzw. sie dafür Vorteile / Belohnungen erhält. Das interne Selbstverständnis dieser Motivation orientiert sich an internen Standards und Maßstäben der Personen. Hingegen wird bei der extrinsischen Prozessmotivation das Verhalten der Menschen von der Aussicht auf konkrete Vorteile / Belohnungen geleitet. Das externe Selbstverständnis dieser Motivation orientiert sich an der Erwartung des Umfeldes und der eigenen Rolle im Umfeld. Insofern machen sich die Personen extrinsischer Motivation die Ziele der anderen zu eigen.

116 Barbuto / Scholl, Motivation sources inventory: development and validation of new scales an integrative taxonomy of motivation, in: Psychological Reports, 1998, Vol. 82.

163

Persönliche Kompetenz

MotivStrukturAnalyse (MSA) Motiv

Ausprägung

Wissen

intellektuell

pragmatisch

Prinzipientreue

prinzipienorientiert

zweckorientiert

Macht

führend

geführt

Status

elitär

bodenständig

2UGQXQJ

VWUXNWXULHUW

ÀH[LEHO

Materielle Sicherheit

festhaltend

großzügig

Freiheit

eigenständig

teamorientiert

Beziehung

kontaktfreudig

distanziert

Hilfe / Fürsorge

fürsorglich

eigennützig

Familie

familienorientiert

selbstbezogen

Idealismus

idealistisch

realistisch

Anerkennung

sensibel

selbstsicher

Wettkampf

kämpferisch

ausgleichend

Risiko

risikofreudig

risikobewusst

Essen

genießerisch

genügsam

Körperliche Aktivität

bewegungsfreudig

bequem

Sinnlichkeit

sinnlich

sachlich

Spiritualität

sinnsuchend

rational

www.motivberater.de · 2005

164 3.2.3

Coachkompetenzen

Innere Antreiber

Bereits im frühen Kindesalter reagieren wir auf Ansprüche von Autoritätspersonen / Vorbildern. Diese sind vor allem Eltern, Verwandte und andere frühe Bezugspersonen. Diese Personen haben bestimmte Erwartungen an uns als Kind, sodass sich viele unterschiedliche Verhaltensmuster eines Kindes entwickeln und feststellen lassen. Erkenntnisse der Forschung ergaben, dass diese Verhaltensmuster einerseits aus der Transaktionsanalyse117 aufgrund der zwischenmenschlichen Kommunikation und andererseits aus dem Motiv der Anerkennung118 stammen. Es sind fünf Muster erforscht worden.119 Diese Muster der inneren Antreiber sind grundsätzlich positiv und repräsentieren: • • • • •

Stärke und Unabhängigkeit, Genauigkeit und Fehlerlosigkeit, Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit, Schnelligkeit und das Nutzen von Chancen, Gründlichkeit und Durchhaltevermögen.

Diese Antreiber steuern uns nicht 24 Stunden am Tag bzw. 7 Tage die Woche, sondern in extremen Situationen, die überwiegend belastend sind. Dann werden die positiven Ressourcen entwertet, sodass folgende Glaubenssätze entstehen: • • • •

Fehler machen ist immer schlimm! Zeit darf nie verschwendet werden! Alle müssen mich mögen! Schwächen darf man nie zeigen!

Daraus ist ersichtlich, dass die positiven Ressourcen nicht nur entwertet sondern zu Absolutheitsansprüchen gewandelt werden, die nie erfüllbar sind. Wer seine inneren Antreiber nicht kennt, kann negative Verhaltensweisen im beruflichen und privaten Kontext entwickeln, die Schaden anrichten können. Wer selbstkritisch mit sich ist, kann seine inneren Antreiber analysieren, steuern 117 Siehe Kapitel III: Ich-Zustände – sozio-kommunikative Kompetenz. 118 Siehe MotivStrukturAnalyse (MSA) – persönliche Kompetenz. 119 Taibi Kahler, „Das Manuskript“ in G. Barnes, Transaktionsanalyse seit Eric Berne Bd. 2, S. 91-132; Reinhard Köster, Von Antreiberdynamiken zur Erfüllung grundlegender Bedürfnisse, Zeitschrift für Transaktionsanalyse in Theorie und Praxis 4/1999, S. 145-169; Bernd Schmid / Joachim Hipp, Antreiber-Dynamiken – Persönliche Inszenierungsstile und Coaching, Zeitschrift für systemische Therapie, Heft 2 April 2001, S. 82-92.

165

Persönliche Kompetenz

und durch positive Einstellungen und Verhaltensweisen ersetzen und für sich erfolgreich einsetzen. Daher können die fünf Antreiber sowohl Antreiber als auch Blocker, jedoch auch Erlauber und Verbieter sein. Antreiber

Typ

Bedürfnis

Positiver Kern

• allein zurechtkommen, Sei Stark!

• Kämpfer, • Konkurrent

• Einfluss • alles unter Kon• Stärke, trolle halten, • Unabhängigkeit • keine Schwächen zeigen • Korrektheit, • Genauigkeit, • Fehlerlosigkeit • Freundlichkeit, • Liebenswürdigkeit, • Mitgefühl

Sei perfekt!

• Perfektionist

• Vollkommenes leisten

Mach es allen recht!

• netter, liebenswürdiger Mensch, • Harmoniker

• von allen gemocht und wertgeschätzt werden

• Hektiker

• Schnelligkeit, • schnell am Ziel • Zeit und Chansein cen nutzen, • Zielbewusstsein

Beeil Dich!

Streng Dich an!

• Überforderer, • Selbst-Ausbeuter

• beständig Aufgaben verfolgen, • nie aufgeben

• Durchhalte- und Beharrungsvermögen, • Gründlichkeit, • Ausdauer

166

Coachkompetenzen

Innere Antreiber

1. Antreiber

‡%HHLO'LFK ‡0DFKHVDOOHQUHFKW ‡6HLSHUIHNW ‡6HLVWDUN ‡6WUHQJ'LFKDQ

2. Ausprägung ‡$QWUHLEHU

‡%ORFNHU

‡(UODXEHU

‡9HUELHWHU

7DLEL.DKOHUā

Persönliche Kompetenz

3.3

167

Werte

Zur persönlichen Kompetenz gehören ebenfalls die Werte. Werte stellen nach überwiegender Meinung eine Orientierung für attraktives Verhalten dar. Diese Werte sind kulturell bedingt und prägen jeden einzelnen Menschen in seiner Entwicklung, Geisteshaltung und späteren Verhaltensmustern. Denn grundsätzlich können materielle und immaterielle Werte, jedoch auch objektive und subjektive Werte unterschieden werden. Grundsätzlich sind Werte die konstitutiven Elemente einer Kultur, sodass das Sozialsystem in Sinn und Bedeutung definiert wird. Vertreter der Wertphilosophie behaupten, dass die Anfänge und Quellen des philosophischen Denkens und Handelns bereits Fragen der Werte gewesen seien. Denn Aristoteles und sein Lehrer Platon beschrieben bereits eine antike Güterethik und die Idee des Guten. Dies wurde in der Theologie später aufgegriffen und in der Moralethik weitergeführt. Erst Hermann Lotze hat im 19. Jahrhundert dem Begriff Wert seinen philosophischen Sinn gegeben. Fortgeführt wurde dies von Max Schele 1913 – 1916 im Ansatz der materialen Wertethik, der diese von der traditionellen Güterethik absetzt.120 Allerdings ist, was philosophisch betrachtet als Wert und wertvoll erachtet wird überall im Gespräch und der (kontroversen) Diskussion. Dies kann nur für den Einzelfall in seinem Kontext / in seiner Kultur beantwortet werden. Psychologisch betrachtet werden Werte ebenfalls differenziert: 1. Lebewesen und Dinge haben Werte, die anziehend oder abstoßend wirken; 2. Jede Kultur hat Werte als Richtlinien für die Menschen, sodass jedes Verhalten danach auszurichten sei. Ein wichtiges Ergebnis in der psychologischen Forschung lieferte 1966 Jean Piaget, der erkannte, dass das im Kindheitsstadium erworbene formale Denken eine spätere affektiv begleitende Voraussetzung für die Planung von Lebensentwürfen im Erwachsenenalter ist.121 Insofern sind Werteinstellungen langfristige Wirkungskomplexe, die direkten Bezug auf die Persönlichkeit nehmen. Des Weiteren werden aus Werten soziale Normen (sog. objektive Wertordnung). Bereits die zehn Gebote des Testaments sind eine objektive Werteordnung. Mittlerweile sind die Grundrechte und das Strafrecht eine gute Struktur 120 Vgl. Jan Rohls, Geschichte der Ethik. 121 Bärbel Inhelder / Jean Piaget, Die Psychologie des Kindes, S. 109–111.

168

Coachkompetenzen

für Werte unserer westlichen (europäischen) Gesellschaft. Denn Werte sind zentraler Bestandteil der Vorschriften von Tun / Unterlassen. Daher sind Werte attraktiv, hingegen setzen Normen den restriktiven Rahmen.122 Der Psychologe Shalom H. Schwartz hat in den 1980er Jahren erforschen und empirisch in 20 Ländern nachweisen können, dass es universelle Werte gibt.123 Sein Ergebnis umfasst 10 Wertegruppen: • • • • • • • • • •

Self-Direction (Selbstbestimmung), Stimulation (Anregung, Ansporn), Hedonism (Suche nach Glück und Genuss), Achievement (Erfolg, das Erreichte), Power (Macht, Kraft), Security bzw. Safety (Sicherheit, Schutz), Confirmity (Gruppenzusammengehörigkeit und Gruppendruck, Solidarität), Tradition (Tradition), Benevolence (Wohlwollen, guter Wille), Universalism (weltweite Gültigkeit).

Nutzen Sie ein Beispiel aus dem Alltag und legen die Maßstäbe unseres Rechtssystems an. Sie werden sehen, dass Meinungen stets Werturteile sind. Werturteile sind geprägt durch Aspekte des Dafür und / oder des Dagegens. Kennzeichnend ist also die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage.124 Jede Beeinträchtigung durch Belästigungen, Beleidigungen oder „schädlichen“ Konkurrenzkampf wie Schikanen und Mobbing sind zu unterbinden.125 Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt.126 Insofern ist eine Äußerung immer dann eine Tatsachenbehauptung, wenn sie den Mitteln des Beweises zugänglich ist.127 Im Gegensatz zur Tatsachenbehauptung stellt ein Werturteil das Ergebnis einer vollzogenen Wertung dar. Prägend sind daher Elemente des Da122 Vgl. Hans Joas, Die kulturellen Werte Europas, S. 14. 123 Vgl. Anat Bardi / Shalom H. Schwartz, „Values and Behaviour: Strengt and Structure of Realtions“ in Personality ans Social Psychology, Bulletin, Bd. 29, H 10, S. 1207–1220. 124 Bethge in Sachs, GG, Art. 5 Rn. 22f, 44 f.; Frank Fechner, Medienrecht, Rn. 110; Jarass in Jarass / Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 3. 125 Berg in Däubler / Kittner / Klebe, BetrVG, § 75 Rn. 60; Kreutz in GK-BetrVG, § 75 Rn. 1, 69 ff., 82 f. 126 BVerfGE 90, 241 (247); BVerfGE 93, 266 (289); BVerfGE 94, 1 (8); Kannengießer in Schmidt-Bleibtreu / Hofman / Hopfauf, GG, Art. 5 Rn. 3. 127 Dem schließt sich der BGH an: U.a. BGH, NJW 2005, 279 (281 f.).

Persönliche Kompetenz

169

für- und des Dagegenseins, die subjektiv und eben nicht objektiv fokussiert sind.128 Bei Satiren, Karikaturen, Glossen, Comedy usw. muss der verdeckte, aber erkennbare Aussagekern von seiner Einkleidung unterschieden werden. Ist der Aussagekern schon beleidigend, so liegt auch eine Ehrverletzung vor. Betrifft es hingegen nur die Form als Einkleidung, so muss diese Gestaltungsfreiheit überprüft werden. Wichtig ist, dass dort mit den Mitteln der Übertreibung und Pointierung auf groteske und verzerrende Weise gearbeitet wird.129 Folglich darf die Gestaltungsfreiheit weiter ausgelegt werden, jedoch nicht zu einer Schmähung werden. Hingegen liegt eine Schmähung vor, wenn der Sinngehalt der Meinungsäußerung mehr als eine polemisch überspitzte Kritik darstellt. Das Phänomen trifft man oft in „Privatfehden“ an.130 Abschließend ist wichtig, dass viele Werte existieren und sie nicht immer in jedem Kontext miteinander im Einklang sind, sondern in einem Konkurrenzverhältnis stehen. Dies ist deutlich bei Interessenabwägung im Strafrecht, öffentlichen Recht usw. zu sehen, wenn zwei Parteien (vor allem zwei Menschen) einen Konflikt austragen. Daher ist es stets fraglich, wie die individuellen Werte durchgesetzt werden können. Orientierung gibt die gewaltfreie Kommunikation, Pflicht des menschenfreundlichen Handelns usw. Damit der Coach in Ausbildung als auch der Coachee / Teamcoachee eine erste Orientierung / Ahnung erhält, was alles ein Wert darstellen kann, haben wir eine Liste von Wertwörtern erstellt. Diese Liste ist ähnlich der der Orientierungsbegriffe für Gefühle und hat keinen abschließend vollständigen Charakter. Wichtig ist wiederum nicht zu beeinflussen und zu manipulieren, sondern eine Person sprachfähig zu machen. Werte lassen sich bestens durch Hauptwörter oder nominalisierte Verben zum Ausdruck bringen.

128 Kindhäuser, LPK-StGB, § 186 Rn. 6; Lackner / Kühl, StGB, § 185 Rn. 4; Sprau in Palandt, BGB, § 823 Rn. 102. 129 Lenckner in Schönke / Schröder, StGB, § 185 Rn. 8a. 130 BVerfGE 93, 266 (294); Clemens in Clemens / Umbach, GG, Art. 5 Rn. 159.

170

Coachkompetenzen

Orientierungsbegriffe Werte

Abgrenzung

Achtung

Eigennutzen Eigentum

gute Laune

Einfluss

Harmonie Heiterkeit

Akzeptanz

Empathie

Herkunft

Altruismus

Entspannung

Heroismus

Anerkennung

Erfolg

Hilfe

Ansehen

Erholung

Humor

Nachbarschaft

Selbstbewusstsein

Nachkommen

Selbstlosigkeit Selbstsicherheit

Natur

Nervenkitzel

Nutzen

Ernsthaftigkeit

Offenheit f

Aufmerksamkeit

Ethik

Ordnung

Ausgeglichenheit

Fairness

Autarkie

Familie

Kameradschaft

Pflichtbewusstsein

Familienleben

Klugheit

Pragmatismus

Fitness

Praxis Kunst

Freiraum

Lebensstil

Bildung

Gemeinsamkeitt

Leidenschaft Liebe

Demokratie

Distanz

Geschmack

Disziplin

Geselligkeit

Wahrheit

Sozialer Ausgleich

Weisheit

Sparen

Weitblick

Sparsamkeit Wohlwollen

Symmetrie

T Teamorientierung

Realismus

Tradition

Religion

Trendbewusstsein

Reserven

Treue

Risikobereitschaft

Macht

Robustheit

Gesundheit

Zielstrebigkeit

T Toleranz

Lust

Menschlichkeit

Struktur

T Tapferkeit Purismus

Bewegung

Genuss

Sieg

Integration

Freiheit

Dienstleister

V Verschwiegenheit

Wechsel

Aufbruch

Bequemlichkeit

V Verpfichtung

V Vertrauen

Idealismus

Beachtung

V Vernunft

Ruhe

Umweltschutz

Ruhm

Effizienz f

Gerechtigkeit

Moral

Ehre

Glaube

Musik

Ehrlichkeit

Gleichheit

Mut

Sachorientierung

Unterordnung

Zweck

Persönliche Kompetenz

3.3.1

171

Wertewandel

Klassisches Beispiel ist neben der Horde die Familie. Der Wert Familie unterlag im letzten Jahrhundert einem Wandel, weg von der Großfamilie und der gegenseitigen Versorgung hin zur Individualität. Der ursprüngliche Begriff der Familie bezeichnete den Besitz eines Mannes. Dieser umfasste neben dem gesamten Hausstand insbesondere seine Frau, seine Kinder, aber auch seine Sklaven und Freigelassenen sowie die Tiere. Insofern ist die Familie ursprünglich keine Verwandtschaftsbezeichnungen, sondern eine Herrschaftsbezeichnung. Damals und bis in die heutige Zeit begründete die Familie viele Funktionen: • Reproduktionsfunktion: Damit eine Familie über Generationen hinweg besteht, ist die biologische Reproduktion wichtig. Irrelevant ist mittlerweile, ob die Gebährfähigkeit und Zeugungsfähigkeit gegeben sind oder ob eine Adoption vorgenommen wird. Bei der Reproduktion liegt der Fokus auf der Sicherung der Generationenfolge durch Weitergabe des Lebens. • Sozialisationsfunktion: Ein dichtes und soziales Netz wird zwischen Säugling / Kind und Vater nebst Mutter begründet, durch Erziehung bestärkt und entwickelt. Wichtig ist, dass zwei Generationen zusammenleben und den Rahmen für Vertrauen, Geborgenheit und Entwicklung stellen. • wirtschaftliche Funktion: Da der biologische und der soziale Faktor nicht ausreichend zum Überleben sind, benötigt man eine materielle Versorgung zur Sicherung der Familie; Kleidung, Behausung und Nahrung aber auch medizinische Versorgung, Bildung usw., was in unserer Gesellschaft Geld kostet. Insofern benötigt die Familie zum Überleben ausreichend viel Geld, sodass die Familie diverse Strategien und Maßnahmen zur (Be-)Wirtschaftung umsetzen muss. • politische Funktion: Die Familie hat einen Platz in der Gesellschaft, welchen die Nachkömmlinge legitim einnehmen dürfen. Hier können wir Ober-, Mittel- und Unterschicht verorten, aber auch einzelne Platzierungen innerhalb der Familie zur Nachfolgeregelung oder Übernahme von Geschäften sind ausschlaggebend. • religiöse Funktion: Die religiöse oder wertevermittelnde Funktion gehört zur Sozialisation, da das soziale Gefüge durch Tradition, Riten und Sitten ausgefüllt wird; wie beispielsweise Tischgebet, Begrüßungsrituale, Feiern, aber auch der normale / friedliche / respektvolle Umgang mit Mensch und Umwelt.

172

Coachkompetenzen

Allerdings zeigt die bürgerliche Familie einen Wandel in der Einhaltung dieser Funktionen. Brauchte man die Kinder im 19. Jahrhundert noch zur Unterstützung in der Erziehung der gemeinsamen Kinder und zum Geldverdienen, so wandelte sich diese Großfamilie im 20. Jahrhundert. Die Kinder erhielten viel mehr Aufmerksamkeit, wurden stärker gefordert, gefördert und entwickelt als Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte zuvor. Die Wunschkinder erhielten und nahmen sich das Recht an Familienentscheidungen zur gemeinsamen Freizeitgestaltung, Ausübung des eigenen Hobbies oder der eigenständigen Berufswahl mitzuwirken. Da die Kinder einen anderen Wert erhielten, wuchsen diese mit mehr offen zur Schau gestellter Liebe und Zuneigung auf als noch im 19. Jahrhundert, aber auch mit mehr eigener Freiheit. Man könnte eine Parallele ziehen zur Arbeitshaltung. Waren die Arbeitnehmer der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch lebenslang einem Arbeitgeber treu, so änderte sich dies, da der Arbeitnehmer lieber die eigene Freiheit ausnutzt als sich Kontexten zu beugen und diese gemeinsam zu gestalten. Die Auswirkung des Wertewandels in der Familie ist, dass Wunschkinder, wenn sie nicht bewusst in der Gesellschaft anecken, konfliktscheuer geworden sind. Insofern hat der Wertewandel der Familie sowohl Vor- und Nachteile für das System der Gesellschaft geschaffen, die es nun zu meistern und zu bewältigen gilt.131 An dieser Stelle sind wieder der Führungsstil und die einhergehenden Einsichten von Führung samt der Aufgaben einer Führungskraft heranzuziehen.132 3.3.2

Leitwert

Leitwerte entstehen, da wir uns in diversen Kontexten bewegen und die wirkenden Werte reflektieren können. Befindet sich ein Wert in jedem Kontext, sodass er die Schnittmenge der Werte in den Kontexten dominiert, sprechen wir von einem Leitwert. In unserer Kultur gilt die Lebensqualität als attraktivster Leitwert.133 Dieser Leitwert muss systemisch interpretiert und realisiert werden, da eine egoistische und egozentrische Perspektive nicht langfristig und nachhaltig zum Erfolg verhilft. Vielmehr müssen die Umwelt und die sozialen Beziehungen mitbeachtet werden, da Harmonie ein wichtiger Faktor für Lebensqualität darstellt.

131 Vgl. Anita von Hertel, professionelle Konfliktlösung, S. 11f. 132 Bitte lesen Sie hierzu das Abstract Führung von Gido Regel in Meier / Janßen „CoachAusbildung – ein strategisches Curriculum“, S. 343 ff. 133 Vgl. Andreas Giger, LebensQualität.

173

Persönliche Kompetenz

Kon te

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Motiv-Wert-Interaktion Methode 3/Leitwert

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3.3.3

HALO-Wert

Der HALO-Wert ist ein besonderer Wert des Leitwertes. Bereits in einem Kontext überstrahlt ein Wert alle anderen und ist in diesem Kontext ein „kleiner“ Leitwert. HALO leitet sich vom englischen halo ab, was Nimbus oder Heiligenschein bedeutet. Dieser HALO spielt eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung von anderen Personen, da ein Wahrnehmungsfehler oder eine Wahrnehmungsverzerrung entstehen kann. Dieser Effekt kann sowohl bei Fremdbeurteilungen als auch bei Selbstbeurteilungen auftreten.134 Der HALO-Effekt als Erkenntnis der Sozialpsychologie ist eine kognitive Verzerrung, in dem von einer bekannten Eigenschaft des Menschen auf eine unbekannte Eigenschaft dieses Menschen geschlossen wird. Im Endeffekt liegt ein Urteilsfehler vor. Dieser Effekt wurde 1907 von Frederic L. Wells beobachtet.135 Edward Thorndike und Gordon Allport beschrieben den HALO-Effekt nach der Analyse einer Umfrage von Solda134 Jens Asendorpf, Psychologie der Persönlichkeit, S. 18f. 135 Mark Schweizer, Kognitive Täuschungen vor Gericht, Hofeffekt.

174

Coachkompetenzen

ten des ersten Weltkrieges. Die Offiziere sollten ihre Soldaten an Intelligenz, Kondition, Führungsqualitäten, Charakter usw. bewerten. Einige Soldaten waren Supersoldaten und andere Looser. Anscheinend trauten die Offiziere einem hübschen und gut gebauten Soldaten eher zu, zielgenau schießen, seine Schuhe blitzblank putzen, oder gar ein Instrument spielen zu können,136 obwohl keine Fakten darüber bekannt waren. Beispiel: • A mag generell Menschen und findet großzügige Menschen sympathisch. A trifft B und findet B sympathisch. Nun nimmt A an, dass B nicht nur sympathisch sondern auch großzügig ist. Mangels eines Beweises hat A einen Fehlschluss gezogen. • A bewertet die Leistungen vom gutaussehenden und freundlichen B höher als die gleichen Ergebnisse von C oder D. Dieser Effekt tritt immer dann auf, wenn die zu bewertende Person einen besonderen Wert, eine besondere Eigenschaft o.ä. auszeichnet, auf die der Beurteilende besonders positiv reagiert. Dieser Effekt ist im negativen Sinne ebenfalls möglich. In beiden Fällen werden festzustellende Verhaltensweisen überbewertet, sodass ein ungerechtes Ergebnis produziert wird. Folglich müssen HALO-Effekte minimiert werden, damit eine objektive Bewertung möglich ist. Man soll sich nicht vom Gesamteindruck beeinflussen lassen, sondern Punkt für Punkt analysieren, vergleichen und bewerten. Erst am Ende wird eine Summe / ein Gesamtergebnis erzeugt, sodass man sich einen Gesamteindruck von der zu bewertenden Person samt Leistung machen kann. Vor dem HALO-Effekt ist grundsätzlich kein Mensch gefeit, sodass Beurteilungsfehler nicht nur in der Schulzeit, sondern auch im Arbeitsleben ständig erfolgen. Manager treten öfter in dieses Fettnäpfchen, da sie mehr Entscheidungen im systemischen Kontext machen müssen als einfache Angestellte. Schauen Sie sich einmal journalistische Artikel über Unternehmensführungen an....

136 Phil Rosenzweig, Der Halo-Effekt: Wie Manager sich täuschen lassen, S. 72.

175

Persönliche Kompetenz

Motiv-Wert-Interaktion Methode 4/HALO-Wert

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Experimentieren Sie selbst, welche Kombination an Werten Sie haben, welche Leitwerte und welcher HALO-Wert Sie erstrahlen lässt.

3.4

Absicht

Aus der Motivation leitet sich die Absicht ab. Absicht finden wir in unterschiedlichen wissenschaftlichen Forschungen und Themen. Rechtlich ist die Absicht ein notwendiger Bestandteil zur Strafbarkeit und somit Fakt des strafrechtlichen Tatbestandes. Andererseits wird die Absicht im zivilrechtlichen Deliktsrecht zur Beurteilung über Schadensersatz und Schmerzensgeld benötigt. Die rechtlichen speziellen Anspruchsgrundlagen und Tatbestände sind für das systemische Coaching nicht relevant, sondern vielmehr die Zusammensetzung der Absicht. Denn der Vorsatz besteht immer aus einem Wissenselement (kognitives Moment) und einem Wollenselement (voluntatives Moment).137 137 Wessels / Beulke, Strafrecht. Allgemeiner Teil - Die Straftat und ihr Aufbau.

176 3.4.1

Coachkompetenzen

Vorsatz

Vorsatz ist die konkrete Absicht eine Handlung auszuführen. Strafrechtlich bedeutet dies das Wissen und Willen der Tatbestandsverwirklichung. • dolus directus 1. Grades – sog. Absicht: Der Täter hat den zielgerichteten Willen, den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. • dolus directus 2. Grades: Der Täter führt den tatbestandlichen Erfolg wissentlich herbei, obwohl dieser Erfolg nicht notwendigerweise sein Ziel sein muss. • dolus eventualis – sog. Eventualvorsatz: Der Täter hält den tatbestandlichen Erfolg für möglich und nimmt diesen billigend in Kauf. 3.4.2

Fahrlässigkeit

Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. • luxuria – sog. bewusste Fahrlässigkeit: Der Handelnde rechnet mit dem möglichen Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs und vertraut pflichtwidrig und vorwerfbar darauf, dass der Erfolg / Schaden nicht eintreten wird. • negligentia – sog. unbewusste Fahrlässigkeit: Der Handelnde sieht den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs nicht, allerdings hätte er ihn bei der im Verkehr erforderlichen und zumutbaren Sorgfalt voraussehen und verhindern können. Diese Darstellungen sind sowohl für den Coach als auch für den Coachee / Teamcoachee wichtig, um über die Folgen des eigenen Handelns nachzudenken. Zwar darf der Coach intervenieren, jedoch nicht manipulieren. Auf der anderen Seite muss der Coachee / Teamcoachee seine Ressourcen nicht nur auswählen und einzeln bewerten, sondern deren Einsatz unter Berücksichtigung von potenziellen Problemen bewerten. Stellen Sie sich vor, ein Mafiosi möchte Sie beauftragen, da er weiß, dass Sie verschwiegen sind und aus dem Ansatz des Coachings und der ethischen Grundhaltung als Coach keine persönlichen Fakten ausplaudern werden. Wie verhalten Sie sich? Stellen Sie sich andererseits vor, Sie bemerken erst im Laufe des konkreten Coachings die negative, zerstörerische und niederträchtige oder habgiergie Gesinnung des Mafiosis. Was tun Sie?

177

Persönliche Kompetenz

Nun müssen Sie entscheiden, auf welcher Seite Sie stehen. Welchen und wessen Werten und Normen folgen Sie? Einerseits ist es verlockend und interessant, den Motiven der kriminellen Pläne und Handlungen in einem professionellem Coaching auf den Grund zu gehen, zu erleben was Reflexion über Motive, Taten und Konsequenzen auslösen kann. Durch das Wissen können Sie sich jedoch ebenfalls strafbar machen, da Sie entweder Teilnehmer / Helfer sind oder im Anschluss die Tat vertuschen und so eine Strafvereitelung initiieren. Neben seelisch kranken Menschen, denen man den Besuch bei einem Psychologen nahelegen sollte, ist eine irgendwie geartete Teilnahme zu einer Straftat ein absoluter Grund kein Coaching durchzuführen! Abschließend ist die Absicht für jede Entscheidung essenziell, damit man den Kontext samt aller Parameter berücksichtigen und bewerten kann. Erst mit dem wissentlichen und willentlichen Element können wir den berühmten Rubikon überqueren. Denken Sie immer an unsere Axiomatik und dem provokanten Ausspruch: Kognitive Einsicht und emotionale Lust – Rolf Meier –

3.5

Intelligenzen

Über Intelligenz wird viel geforscht und diskutiert. Einigkeit besteht über die Wortbedeutung, denn Intelligenz stammt vom lateinischen intellegere ab. Dies bedeutet wörtlich „wählen zwischen...“, jedoch nach dem Sinn und Zweck her „verstehen“. Daher steht Intelligenz in der Psychologie für einen Sammelbegriff der kognitiven Leistungsfähigkeit des Menschen. In der allgemeinen (bzw. kognitiven) Psychologie wird für die Intelligenzforschung auf Erkenntnisse der Hirnforschung, der Entwicklungspsychologie und der künstlichen Intelligenz zurückgegriffen. Die Neuropsychologie arbeitet mit neuronalen Grundlagen sowie den Verarbeitungsprozessen von Informationen. Des Weiteren finden wir in der Informatik die künstliche Intelligenz, welche die menschliche Intelligenz für die ingenieurwissenschaftlichen und medizinischen Techniken nachbildet. Uneinigkeit besteht allerdings über die konkrete Definition von Intelligenz. Eine Auffassung ist, dass es nur eine Intelligenz gibt, die beim individuellen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt ist.138 Eine andere

138 U.a. David G. Myers, Psychology, S. 406, 427; Jens Asendorpf, Psychologie der Persönlichkeit.

178

Coachkompetenzen

Sichtweise ist, dass der Mensch über multiple Intelligenzen verfügt, die voneinander unabhängig sind.139 Überwiegende Einigkeit besteht über die Vererbung von Intelligenz, da die Menschen hinsichtlich der Intelligenz mit ihren Verwandten ähnlicher sind, als Dritte. Allerdings ist wiederum umstritten, welchen Umfang die Vererbung und welchen die Entwicklung / Erziehung auf die Intelligenz hat. Ob und wie Intelligenz zu messen ist, ist für diesen Beitrag nicht relevant, sie spielt vielmehr als Komponente der Persönlichkeit eine wichtige Rolle. Denn die Intelligenz korreliert mit der schulischen und beruflichen Leistungsbereitschaft sowie dessen folgendem Erfolg. Außerdem wird behauptet, überdurchschnittlich begabte Menschen würden gesünder leben und hätten dadurch eine höhere Lebenserwartung.140 Howard Gardener hat sich mit den Fähigkeiten und Fertigkeiten Themen zu bearbeiten und zu lösen in unterschiedlichen kulturellen Umfeldern befasst. Dabei hat er unterschiedliche Fähigkeiten und Fertigkeiten analysieren können. Während seiner Forschung arbeitete er auch das Potenzial von Menschen mit Inselbegabungen (sog. Savants) auf und untersuchte herausragende Persönlichkeiten wie Albert Einstein, Picasso, Stravinsky und Mahatma Ghandi. Aus diesen Forschungserkenntnissen beschrieb er sieben Intelligenzen und erweiterte diese später um eine.141 • bildlich-räumlich ist der theoretische und praktische Sinn für Strukturen großer weiter sowie kleiner enger Räume. – Beruf: Seemann, Pilot, Bildhauer, Chirurg, Schachspieler, Ingenieur, Grafiker, Architekt, Fotograf; – berühmte Persönlichkeiten: Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffael, Vincent van Gogh, Pablo Picasso; • interpersonal ist die Fähigkeit nicht ausgesprochene Motive, Gefühle und Absichten anderer Menschen nachzuempfinden und zu verstehen, aber auch deren Emotionen zu beeinflussen. – Beruf: politischer / religiöser Führer, Erzieher, Lehrer, beratende und heilende Berufe; 139 V.a. Howard Gardener, Frames of Mind, The Theory of multiple intelligences; Jie-Qi Chen / Seana Moran / Howard Gardener, Multiple Intelligences Around the World. 140 Linda S. Gottfredson / Ian J. Deary, Intelligence Predict Health an Longevity – but why? http//www.udel. edu/educ/gottfredson/reprints/2004currentdirections.pdf. zuletzt abgerufen 02.02.2012. 141 Howard Gardener, Frames of Mind, The theory of multiple intelligences; ders. Intelligence: multiple perspectives, New York 1996; ders. Creating minds.

Persönliche Kompetenz













179

– berühmte Persönlichkeiten: Mahatma Ghandi, Mutter Teresa, Nelson Mandela, Martin Luther King, Dalai Lama, Jean-Paul Sartre, Niccolò Machiavelli intrapersonell ist die Fähigkeit, die eigenen Gefühle, Motive, Bedürfnisse und Werte sowie Stärken und Schwächen zu verstehen und zu beeinflussen. – Beruf: Coach, Mediator, Schauspieler, Künstler, Philosoph; – berühmte Persönlichkeiten: Marcel Proust körperlich-kinästhetisch ist das Potenzial sowohl den Körper als auch einzelne Körperteile zur Problemlösung oder zur Gestaltung einzusetzen. – Beruf: Tänzer, Schauspieler, Sportler, Handwerker, Chirurg, experimentell arbeitender Wissenschaftler, Konstrukteur; – berühmte Persönlichkeiten: Mary Wigman, Anna Pawlowna Pawlowa; logisch-mathematisch ist die Fähigkeit, Probleme logisch zu analysieren, mathematische Operationen durchzuführen und wissenschaftliche Fragen zu untersuchen. – Beruf: Mathematiker, Logiker, Naturwissenschaftler, Detektiv, Jurist; – berühmte Persönlichkeiten: Aristoteles, Euklid, Blaise Pascal, Leonhard Euler, Carl Friedich Gauß, Gottfried Wilhelm Leibniz; musikalisch-rhythmisch ist die Begabung zum Musizieren, zum Komponieren sowie den Sinn der musikalischen Prinzipien zu verstehen und zu genießen. – Beruf: Musiker, Komponist, Tänzer, Tonmeister, Toningenieur; – berühmte Persönlichkeiten: Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven; naturalistisch ist die Fähigkeit, sich in Flora und Fauna auszukennen und diese in produktiver Weise einzusetzen. – Beruf: Naturwissenschaftler, Botaniker, Landwirt, Förster, Meeresbiologe, Naturschützer, Landschaftsarchitekt, -bauer; – berühmte Persönlichkeiten: Isaac Newton, Charles Darwin, Albert Einstein; sprachlich-linguistisch ist die Sensibilität für die gesprochene und geschrieben Sprache sowie die Fähigkeit Sprache zu lernen und diese zu bestimmte Zwecke einzusetzen. – Beruf: Dichter, Redner, Schriftsteller, Journalist, Schauspieler, Jurist; – berühmte Persönlichkeiten: Homer, Cicero, William Shakespeare, Johann Wolfgang von Goethe, Joseph Goebbels.

180

Coachkompetenzen

Auf den Erkenntnissen der inter- und intrapersonalen Intelligenz entwickelten John D. Mayer und Peter Salovey die Theorie der emotionalen Intelligenz, was Daniel Goleman veröffentlichte und popularisierte.142 Diese Intelligenzen können für eine Orientierung des Coachees / Teamcoachees für seine beruflichen Stärken genutzt werden, damit über die berufliche Laufbahn von Ausbildung / Studium, über Karriereschritte im Unternehmen oder in der Selbstständigkeit nachgedacht werden kann.

Die multiplen Intelligenzen

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3.6

Fazit

Folglich ist die Leistungsbereitschaft von Wissen – Wollen – Können – Dürfen abhängig. 142 Daniel Goleman, Emotionale Intelligenz; ders., Soziale Intelligenz.

181

Persönliche Kompetenz

Wissen – Wollen – Können – Dürfen

Wissen

Taxonomiestufe

Wollen

Willenserklärung

Vorsatz Fahrlässigkeit

Können

Handlung = Tun / Unterlassen Begabung / Kompetenz

Dürfen

Erlaubnis — Verbot — Regeln

182

Coachkompetenzen

4. Sozio-kommunikative Kompetenz Die sozio-kommunikative Kompetenz bedeutet kontextabhängig die eigenen und fremden Gefühle, Bedürfnisse, Motive und Werte (persönliche Kompetenzen / Interessen) zu analysieren, sodass Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkannt werden, um bewusst selbstbestimmt verbal und nonverbal kommunizieren zu können. Dies beruht darauf, dass sozio von Sozius (lateinisch) hergeleitet wird und damit den Gefährten meint. Insofern ist der Schwerpunkt dieser Kompetenz als Sozialkompetenz zu verstehen, da es um das Verhalten mit Mitmenschen und der Umwelt geht (Sozialverhalten). Die Soziologie ging aus dem Zeitalter der Aufklärung hervor und wurde von August Comte geprägt, sowie von Ferdinand Tönnies, Georg Simmel und Max Weber im deutschsprachigen Raum begründet. In diesem Sinne geht es einerseits um die Beziehung von Coach und Coachee / Teamcoachee, aber auch von Coachee zu anderen Menschen im eigenen System. „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ – Paul Watzlawick – Kommunikation stammt vom lateinischen communicare und bedeutet, dass etwas mitgeteilt wird. In der ursprünglichen Auffassung wird Kommunikation als Sozialverhalten verstanden. Wichtig ist, dass selbst in der Soziologie und nicht nur in der Rechtswissenschaft eine Handlung in Tun (aktiv) und Unterlassen (passiv) differenziert wird. Daher können wir aktiv und passiv bzw. verbal und nonverbal kommunizieren. Paul Watzlawick hat ein wichtiges Axiom in der Kommunikation herausgefunden; dass man stets kommuniziert. Wir müssen uns nur über Art und Weise unterhalten / vereinbaren. Derzeit existieren knapp 6.500 Einzelsprachen, die nach den ISO-639-Teilnormen eindeutig klassifiziert sind. Denn die menschlich gesprochene Sprache ist ein Zeichensystem. Diese Vielzahl an Zeichen (sog. Semiotik) wird über grammatikalische Regeln (sog. Syntaktik) zu unendlich vielen Aussagen verknüpft. Diese Zeichen und Aussagen haben wiederum ihre unterschiedlichen Bedeutungen (sog. Semantik), sodass bereits Ferdinand de Saussure Sprache als etwas Mentales klassifiziert.143 Von diesen Einzelsprachen sind mehr als die Hälfte vom Aussterben bedroht, denn ein wichtiger Aspekt ist, dass derzeit die 50 häufigsten auftretenden Sprachen von etwa 80 % der Menschheit als 143 Ludwig Jäger, Ferdinand de Saussure zur Einführung, S. 322.

Sozio-kommunikative Kompetenz

183

Muttersprache genutzt werden und der Rest der Sprachen von etwa 20 % der Weltbevölkerung.144 Nach Edward Sapir ist Sprache eine ausschließlich dem Menschen eigene, nicht im Instinkt wurzelnde Methode zur Übermittlung von Gedanken, Gefühlen und Wünschen mittels eines Systems von frei geschaffenen Symbolen.145 An dieser Stelle wird diskutiert, ob Sprache ein Medium ist oder ein schlichtes Repräsentationsmittel. Nach Auffassung von Wilhelm von Humboldt ist die Sprache ein Medium des Denkens und der Weltauffassung und daher ist sie nicht nur schlichtes Repräsentationsmedium, sondern beinhaltet jede Bedeutung und Auffassung von Menschen, Dingen und Aspekten in der Welt, welche bereits sprachlich strukturiert ist. Daher wird das System der Welt durch die Sprache in sinnvolle Zusammenhänge gesetzt. Oder auch: Man lebt in der Sprache und nicht nur mit der Sprache. Zu erwähnen ist, dass auch Lautsprache und Gebärdensprache neben dem gesprochenen und geschriebenen Wort zur verbalen Kommunikation gehören. Bekanntes literarisches Beispiel ist der 1949 veröffentlichte und verfilmte Roman „1984“ von George Orwell, in welchem ein fiktives und diktatorisch herrschendes Regime eine vorgeschriebene, konstruierte Sprache „Neusprech“ einsetzt, mit der die Bevölkerung nicht nur manipuliert, sondern auch stark kontrolliert wird. Des Weiteren ist zu betonen, dass Sprache nicht nur ein Medium des Denkens, sondern auch von Macht ist. Denn Mobbing, Diskriminierung, Beleidigungen usw. werden durch mündliche Kommunikation erst hervorgerufen und gesteuert. Daher ist es nicht nur als Coach sehr wichtig auf seine Wortwahl zu achten, um seinen Coachee / Teamcoachee weder einzuschüchtern, zu bewerten oder zu manipulieren. Andererseits muss neben Schriftstücken und Visualisierungen auch das gesprochene Wort des Coachs und Coachees / Teamcoachees hinterfragt werden, damit von der gleichen Bedeutung ausgegangen und weitergearbeitet wird.

4.1

Was macht Kommunikation aus?

Mittels Kommunikation wird Information vom Sender zum Empfänger transportiert. Sinnvoll ist, dass der Empfänger die Information so versteht, wie der Sender es gemeint und abgeschickt hat. 144 Liste der Sprachen von Ernst Kausen http://homepages.fh-giessen.de/kausen/klassifikationen/Grosse%20 Sprachen.doc abgerufen 01.02.2012. 145 Vgl. John Lyons, Die Sprache, S. 13.

184

Coachkompetenzen

Nach seiner wissenschaftlichen Forschung fand der Psychologe Albert Mehrabian heraus, was die Wirkung von gesprochener Sprache ausmacht. 7 % bewirkt der Inhalt des Gesprochenen, 55 % der Wirkung erzeugt die Körpersprache und 38 % bewegt die Stimme und die Sprechtechnik.146 Diese Erkenntnis müssen wir uns als Coach zu Eigen machen, sodass das Axiom „Geist, Gehirn, Körper und Emotionen bilden eine unzertrennbare Einheit“ eine wichtige Bedeutung erhält. Kommunikation ist alltäglich. Die erste Sprache, die wir gelernt haben ist unsere Gestik und Mimik, hernach Laut und Sprache. Säuglinge ahmen die Mutter und den Vater als vertraute Person nach, sodass die Spiegelneuronen aktiviert werden. Es lacht, wenn wir lachen, es weint, wenn wir weinen, es gähnt, wenn wir gähnen usw. Daher existiert das Ergebnis, dass das Baby denkt, sein Spiegelbild wäre eine echte Person, was auch der Grund ist aus dem es mit diesem verstecken spielen will. Erst im Laufe der Entwicklung lernt das Baby / Kind nicht nur die Nachahmung, sondern auch die eigene Wirkung kennen. So kann es Spiegel und Realität unterscheiden und darf reagieren.147 Erst bei Missverständnissen und Misserfolgen hinterfragen wir unsere Kommunikation.148 Während ihrer Arbeit hat die Psychologin Ruth Cohn verschiedene Parameter und Regeln für die gewaltfreie Kommunikation untereinander analysieren können. Diese Hilfsregeln sind im Folgenden: 1. Vertritt dich selbst in deinen Aussagen; sprich per „Ich“ und nicht per „Wir“ oder per „Man“. Diese Formen lassen auf ein „Verstecken“ hinter der Gruppe oder einer öffentlichen Meinung schließen. Hinzu kommt, dass es durch eine derartige Kommunikation leicht fällt, Hypothesen entgegen ihrer Natur als Tatsache darzustellen. 2. Wenn du eine Frage stellst, sage, warum du fragst und was deine Frage für dich bedeutet. Sage dich selbst aus und vermeide das Interview „Echte Fragen verlangen Informationen, die nötig sind, um etwas zu verstehen oder Prozesse weiterzuführen. Authentische Informationsfragen werden durch die Gründe für die Informationswünsche persönlicher und klarer.“ 3. Sei authentisch und selektiv in deinen Kommunikationen. Mache dir bewusst, was du denkst und fühlst und wähle, was du sagst und tust. 146 Tiziana Bruno / Gregor Adamczyk, Körpersprache, S. 9. 147 Daniel Goleman, soziale Intelligenz, S. 17, 66, 92ff.; siehe Constantin Sander, Change! Bewegung im Kopf, S. 64; vgl. Manfred Spitzer, Lernen, S. 201 ff.; ders. Wie Kinder denken lernen, Audiobook.. 148 Siehe Kapitel V., Nina Meier, Missverständnis und Irrtum.

Sozio-kommunikative Kompetenz

185

4. Halte dich mit Interpretationen von anderen so lange wie möglich zurück. Sprich stattdessen deine persönlichen Reaktionen aus. 5. Sei zurückhaltend mit Verallgemeinerungen. Verallgemeinerungen unterbrechen den Gruppenprozess. Sie dienen dem Gesprächsverlauf nur, wenn sie einen Themenbereich zusammenfassend abschließen und zu einem neuen Thema überleiten. 6. Wenn du etwas über das Benehmen oder die Charakteristik eines anderen Teilnehmers aussagst, sage auch, was es dir bedeutet, dass er so ist, wie er ist (d.h. wie du ihn siehst). 7. Seitengespräche haben Vorrang. Sie stören und sind meist wichtig. Sie würden nicht geschehen, wenn sie nicht wichtig wären. Auch wenn Seitengespräche vordergründig stören, sind sie meist wichtig für die tieferen Ebenen der Kommunikation. Sie können neue Anregungen bringen, Unklarheiten herausstellen, Missverständnisse verdeutlichen oder auf eine gestörte Interaktion (Beziehung) hinweisen. 8. Nur einer spricht zur gleichen Zeit. Niemand kann mehr als einer Äußerung zur gleichen Zeit zuhören. Und einander Zuhören signalisiert das konzentrierte Interesse füreinander, das Gruppen zusammenhalten lässt. 9. Wenn mehr als einer gleichzeitig sprechen will, verständigt euch in Stichworten, worüber ihr zu sprechen beabsichtigt. So werden alle Anliegen kurz beleuchtet, bevor die Gruppenaktion weitergeht. Auch hier ist wieder wichtig, die Signale des Menschen (verbal und nonverbal) wahrzunehmen, zu verarbeiten und ggf. nachzufragen, damit es zu keinen Missverständnissen oder in letzter Konsequenz zu Konflikten kommt. In diesem Zusammenhang sind sowohl die eigenen als auf die fremden Signale zu berücksichtigen. Diese Hilfsregeln aus der themenzentrierten Interaktion können die Interaktion(en) und somit die Beziehungen in einer Gruppe günstig beeinflussen. Zu beachten ist, dass die Hilfsregeln taktvoll (im Sinne von sinn- und respektvoll) und nicht diktatorisch angewandt werden. Denn jede Regel kann ad absurdum geführt werden.149 Bei Misserfolgen müssen das richtige Maß an Ärger gefunden und die negativen Gefühle zum Ausdruck gebracht werden. Damit die betroffenen Personen wieder handlungsfähig werden, müssen die Konsequenzen aus der Niederlage gezogen werden, sodass eine Lernerkenntnis enstehen kann. Zukünftig 149 Ruth Cohn, Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion, S. 123ff.

186

Coachkompetenzen

darf diese Folge nicht mehr eintreten, das wird erzielt, indem Handlungsoptionen entwickelt und eingeübt werden. Selbstreflexion über die eigene intrinsische Motivation und dessen systemische Auswirkungen sind das A und O der selbstbestimmenden Entwicklung. Nutzen Sie nicht nur Ihre eigenen Motive und Werte, sondern auch die ihres Gegenübers. Für ein wertschätzendes und respektvolles Miteinander dient die Grafik des gemeinsamen Kontextes vom Menschen mit seinen Werten und der Überschneidung mit denen der Mitmenschen.

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4.2

Wahrnehmung

Da wir uns nicht nur über Worte verständigen, sondern auch nichtsprachlich kommunizieren, muss im Folgenden die nonverbale Kommunikation skizziert werden. Die allgemeine Auffassung, dass verbale Kommunikation nur lautsprachlich und die nonverbale Kommunikation ausschließlich die nichtstimmliche Kommunikation sei, ist falsch. Nach der Linguistik bezeichnet die nonverbale Kommunikation jedes nichtsprachliche Verhalten, das Auskunft über innere Zustände des betroffenen Lebewesens gibt. Grundsätzlich sind damit Gestik und Mimik

Sozio-kommunikative Kompetenz

187

(z.B. Lachen, Weinen, Erröten usw.) gemeint, allerdings auch das Aussehen wie Frisur, Kleidung, Schmuck, Tätowierungen / Ziernarben, Narben, Geruch / Parfüm, Schweiß und Hautfarbe / Hautverfärbungen sowie Wohnungseinrichtungen, aber auch einzelne Zeichen wie • Zeichen, • Anzeichen (wie aufsteigender Rauch) und • nachahmende Zeichen (wie Symbole, Informationsgrafiken). Kleider machen Leute! Mit all diesen Aspekten kann man seine inneren Überzeugungen und Gemütszustände ausdrücken; berühmtes Beispiel ist der Hauptmann von Köpenick. Friedrich Wilhelm Voigt war ein ostpreußischer Schuhmacher. Am 16. Oktober 1906 verkleidete er sich als Hauptmann, drang mit einem Trupp gutgläubiger Soldaten in das Rathaus der Stadt Cöpenick bei Berlin ein, verhaftete den Bürgermeister und stahl die Stadtkasse. Dies gelang ihm nur aufgrund des Tragens einer Uniform mit hohem bekannten Dienstgrad und einem unauffälligen (von einem Hauptmann erwarteten) Verhalten. Der HALO-Effekt setzte zu seinen Gunsten ein. Die nonverbale Kommunikation übermittelt Informationen, die wir wieder dekodieren müssen. Auf die gleiche Weise wie die nonverbale Kommunikation bewusst und unbewusst erfolgt, ist auch die Informationsverarbeitung bewusst und unbewusst. Denn unsere Erfahrung, unser Wissen und unsere Spiegelneuronen helfen bei der Entschlüsselung und Verarbeitung der Informationen. Grundsätzlich sind die menschlichen Repräsentationssysteme von: • • • • •

Auge, wir sehen; Ohr, wir hören; Mund, wir schmecken; Nase, wir riechen; Haut, wir fühlen;

involviert. Auch hier ist wieder wichtig, dass neben der Wahrnehmung noch die Bewertung und die Beurteilung der Informationen hinzu kommt. Dies kann je nach Kontext bzw. Kultur und beteiligter Personen schwierig oder einfach sein.

188

Coachkompetenzen

Beispiel: A führt Daumen und Zeigefinger an den Spitzen zusammen und streckt die übrigen drei Finger gerade weg. • • • • •

Japaner denkt an Geld, Franzose denkt an die Zahl Null, Mexikaner denkt an Sex und der Äthiopier denkt an Homosexualität, Wir Deutschen erkennen darin ein OK-Zeichen.

Des Weiteren ist zu beachten, dass es unterschiedliche Distanzzonen zwischen den Kommunikationspartnern gibt. Seit den 1970er Jahren wird von Distanzzonen gesprochen und mit rudimentären Zahlen hantiert, bis heute fehlt jedoch ein eindeutiges Forschungsergebnis. Als Faustformel dienen folgende Radien: • • • •

intime Zone – eigener Körper bis ca. 50 cm; persönliche Zone – ca. 50 cm bis ca. 150 cm; gesellschafliche Zone – ca. 150 cm bis ca. 360 cm; öffentliche Zone / Fluchtdistanz – ab ca. 360 cm.

Allerdings ist diese Distanz je nach Kultur, aber auch nach extrovertierter oder introvertierter Persönlichkeit unterschiedlich.150 Daher sollten Sie darauf achten, in wieweit Ihr Coachee / Ihre Teamcoachees Nähe und Distanz kommunizieren und sich im bestimmten Abstand körperlich wohlfühlen.

150 R.M. Akert / A.T. Panter, Extraversion and the ability to decode nonverbal communication in Personality and Individual Differences, 9 (1986), S. 965-972.

Sozio-kommunikative Kompetenz

4.3

189

Kultur

Wenn wir mit anderen Menschen zusammenleben und zusammenarbeiten, dann entwickeln sich auch unterschiedliche Kulturen oder sie kollidieren miteinander. Das Wort Kultur stammt vom lateinischen cultura ab und meint, dass etwas gepflegt, urbar gemacht wird. Seit Ende des 17. Jahrhunderts bezeichnet Kultur die Bodenbewirtschaftung sowie die Pflege der geistigen Güter. Daher nutzen wir das Wort Kultivierung ebenfalls für Bewirtschaftung und Urbanisierung. Allgemein ist mit Kultur allerdings immer mehr der geistige Aspekt gemeint, welchen ursprünglich Cicero und Plinius philosophisch einführten.151 „Wir sind im hohen Grade durch Kunst und Wissenschaft cultivirt. Wir sind civilisirt bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber uns für schon moralisiert zu halten, daran fehlt noch sehr viel. Denn die Idee der Moralität gehört noch zur Cultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sittenähnliche in der Ehrliebe und der äußeren Anständigkeit hinausläuft, macht blos die Civilisirung aus.“152 – Immanuel Kant – Aus systemtheoretischer Sicht entsteht Kultur, wenn Menschen im Stande sind nicht nur den Menschen und die Umwelt zu beobachten, sondern das Beobachten der Beobachtung zu entwickeln. Niklas Luhmann stellte fest, dass die Gesellschaft zwar kulturell und arbeitsteilig (im Sinne von systemisch) arbeitet, sich Kultur jedoch erst durch das Beobachten aus einer anderen Perspektive de- und rekonstruieren lässt. Dieser Experte zweiter Stufe versteht die Inhalte von Kultur und klassifiziert sie nicht als menschliche Fähigkeit.153 Allerdings ist Kultur nicht nur Reaktion auf die menschlichen Herausforderungen und Gefahren der natürlichen Umwelt – Kultur muss keinen direkten Nutzen schaffen. Kultur ist: • ein symbolischer Bezug zur Welt; • Tradition und kulturelles Gedächtnis. 151 Tusc. II, 5, 13. 152 Immanuel Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 1784 AkademieAusgabe, Bd. 8, S. 26; vgl. Frits Boterman, Oswald Spengler und sein Untergang des Abendlandes, S. 143. 153 Niklas Luhmann, „Kultur als historischer Begriff“ in ders. Gesellschaftsstruktur und Semantik – Studien zur Wissenschaftssoziologie der moderenen Gesellschaft, Band 4, 1985, S. 31-54.

190

Coachkompetenzen

Wir setzen uns nicht nur mental mit der Welt auseinander, sondern nutzen auch Zeichen, Symbole und Sprache. Andererseits bilden Menschen, die in einer Gruppe leben, eine Identität. Diese Identität wird mit der Tradition verknüpft. Dabei erhalten das Denken und das Handeln der Person Geltung, wenn dies von Bedeutung ist. Man nennt dies auch wertvoll und spricht bei mehrmaliger Wiederholung von Werten. Wir können neben den verschiedenen Kulturen auf den fünf Kontinenten auch religiöse und philosophische Kulturen feststellen. Des Weiteren hat jede Familie, jede Gruppe, jedes Team und jedes Unternehmen seine eigene Kultur. Diese Kulturen haben ihre eigenen Regeln, Normen und Werte. Wer einer fremden Person begegnet, darf nicht davon ausgehen, dass diese die eigene Kultur / kulturelle Identität teilt. Gehen Sie um Missverständnissen und Konflikten aus den Weg zu gehen, lieber auf diese Person offen und respektvoll zu. Tauschen Sie sich aus, fragen Sie nach den Zusammenhängen, dem Sinn und den Erwartungen. Diese Vorgehensweise und Einstellung ist Ausdruck einer humanistischen Kultur.

4.4

Team

Wie bereits in der Einleitung und der Entwicklungsgeschichte von Teamcoaching ersichtlich, ist ein Team mehr als eine Gruppe von Menschen. Ein Team bedarf der optimalen Ressourcennutzung durch taktisch kluge Auswahl und Führung der Teammitglieder. Folge der ressourcenorientierten Zusammensetzung des Teams ist, dass jedes Teammitglied besonders angesprochen werden muss, um sein Potenzial entfalten zu können. Denn wie unter „Kapitel III. 3 Persönliche Kompetenzen“ ersichtlich, hat jedes Teammitglied seine eigenen Bedürfnisse, die es zu befriedigen gilt. Die jeweilige Einstellung und das daraus resultierende Verhalten sind geprägt durch die individuelle Motivstruktur und Wertevorstellung der betroffenen Person. Hier prallen quasi Welten von Kultur und Interessen aufeinander. Diese gilt es zu analysieren und zum Erfolg zu navigieren. Im Folgenden werden erstens die Teamrollen, zweitens die Phasen einer Teamentwicklung sowie drittens gruppendynamische Prozesse vorgestellt.

Sozio-kommunikative Kompetenz

4.4.1

191

Teamrollen

Forschungen haben ergeben, dass sich verschiedene Rollen in einem Team bilden und besetzt werden müssen. Hier geht es nicht um offizielle Funktionen, sondern um Eigenschaften. Bevor wir jedoch von einem Team sprechen gibt es charakteristische Rollen in Gruppen: • • • •

Alpha – der Anführer; Beta – die Spezialisten; Gamma – die Arbeiter; Omega – der Sündenbock.

Raoul Schindler154 fand dabei heraus, dass sowohl der Anführer als auch der Sündenbock immer besetzt sind bzw. werden muss und die Spezialisten kaum von Bedeutung sind, sodass diese des Öfteren fehlen. Besinnen Sie sich einfach auf Ihre Schulzeit oder führen Sie sich die Schulzeit Ihrer Kinder, Neffen und Nichten oder einfach befreundeter Schüler vor Augen, so erkennen Sie weitere Rollen: • • • •

Klassenkasper; Intrigant; Mitläufer; Beliebter.

Witzigerweise haben diese Rollen in Gruppen in erster Linie nichts mit den Eigenschaften der Persönlichkeiten zu tun, da Sie aufgrund von Sympathie oder Antipathie kulturell geprägt, zugeordnet und angenommen werden. Nähere Informationen finden Sie im Artikel von Marc Tscheuschner zu den Teamrollen des Teammanagementsystems von Dr. Charles Margerison und Dr. Dick Mc Cann. • Der informierte Berater: Er sammelt gerne Informationen und gibt sie gerne an andere weiter. – Unterstützer, Helfer; – tolerant; – sammelt Informationen; 154 Vgl. Raoul Schindler, Grundprinzipien der Psychodynamik in der Gruppe, 1957, Psyche 11 (5), S. 308-314; ders., Psychotherapie und Gruppendynamik: Visionen einer mündigen Gesellschaft.

192 – – – – – – – –

Coachkompetenzen

mag nicht gehetzt werden; weiß viel; flexibel; generell nicht aggressiv; achtet nicht sehr auf die Zeit; findet gerne Sachen heraus; kann Streitfragen persönlich nehmen; tendiert dazu, Entscheidungen aufzuschieben.

• Der kreative Innovator: Er entwickelt gerne neue Ideen und neue Arbeitsansätze. – – – – – – – –

fantasievoll, keativ; zukunftsorientiert; mag komplexe Fragestellungen und Themen; mag Forschungsaufgaben; hat oft eine unregelmäßige Arbeitsweise; vergisst manchmal gesetzte Fristen; sucht permanent nach neuen Wegen; unabhängig.

• Der entdeckende Promoter: Er entdeckt gerne neue Möglichkeiten und hält Ausschau nach Chancen. – – – – – – – –

Überzeuger, „Verkäufer“; mag vielseitige, aufregende und stimulierende Arbeit; leicht gelangweilt; einflussreich, geht auf Andere zu; zeigt viel Energie – guter Kommunikator; kennt viele Leute; kann gut Ressourcen ausfindig machen; Visionär.

• Der auswählende Enwickler: Er analysiert gerne Alternativen, Optionen und erschafft gerne neue Ideen, die die Kontexte der Organisationen berücksichtigen. – analytisch und objektiv;

Sozio-kommunikative Kompetenz

– – – – – – – –

193

entwickelt Ideen; arbeitet gern mit Prototypen; experimentiert gern; mag Projektarbeit; handlungsorientiert; mag keine Routine; gern unter Anderen, aber bewahrt seine Unabhängigkeit; mag Planungsprozesse.

• Der zielstrebige Organisator: Er verfolgt gerne konsequent Ziele, um Resultate zu erhalten. – – – – – – – –

plant und organisiert die Ingangsetzung; entscheidungsfreudig; aufgabenorientiert; erstellt Fristen für die Aktion / Systeme; analytisch; kann Druck ausüben; kann ungeduldig sein; übersieht manchmal die Gefühle Anderer.

• Der systematische Umsetzer: Er arbeitet gerne systematisch, um Aufgaben zu erledigen und Leistungen / Erfolge zu erbringen. – – – – – – – – – – –

praktisch orientiert; produktionsorientiert; mag Raster und Ablaufpläne; stolz darauf, Waren und Dienstleistungen zu erstellen; schätzt Effektivität und Effizienz; zeit- und fristenbewusst; bringt etwas zu Ende; mag keine Änderungen; zieht Routine vor; lässt Geplantes Wirklichkeit werden; betont Ergebnisse und Resultate.

194

Coachkompetenzen

• Der kontrollierende Überwacher: Er fokussiert gerne die detailorientierten und qualitätssichernden Aspekte der Arbeit. – – – – – – – – –

arbeitet gern in der Qualitätskontrolle; detailorientiert; braucht wenig Kontakt mit Anderen; inspiziert Verträge und Abläufe; achtet darauf, dass keine Fehler passieren; sorgt dafür, dass Regeln eingehalten werden; arbeitet sehr genau und präzise; ruhig und besonnen; konzentriert sich intensiv auf wenige Themen zur gleichen Zeit.

• Der unterstützende Stabilisator: Er achtet gerne auf die Einhaltung der Werte und Regeln, damit das Team hervorragend arbeiten kann. – – – – – – – – – –

wertkonservativ, loyal, unterstützend; persönliche Einstellungen und Werte sind wichtig; starkes Empfinden für Recht und Unrecht; Arbeitsmotivation entsteht durch Sinngebung; kann helfen, das Team zusammen zu schweißen; zieht beratende Rolle vor; kann gut verhandeln; bringt in der Regel seine Gefühle mit ein; ruhige Art, die Dinge anzugehen; setzt sich für seine Überzeugung ein.

195

Sozio-kommunikative Kompetenz

Teamrollen

(QWGHFNHQGHU 3URPRWHU .UHDWLYHU ,QQRYDWRU

$XVZlKOHQGHU (QWZLFNOHU

,QIRUPLHUWHU %HUDWHU

=LHOVWUHELJHU 2UJDQLVDWRU

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,QWHUVWW]HQGHU 6WDELOLVDWRU

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.RQWUROOLHUHQGHU hEHUZDFKHU

V 0 DUOH 'U&K

4.4.2

HU HUJ

Q LVR

U ' 

Phasenmodell

Das Team entwickelt sich nach Bruce W. Tuckmann grundsätzlich nach folgenden Automatismen / Phasen: • Formierungsphase (sog. forming): Alle Personen lernen sich kennen und haben einen höflichen aber distanzierten Umgang miteinander. Sie streben nach Sicherheit und einem Platz im Team. – „Man“-Orientierung – • Konfliktphase (sog. stroming): Konflikte entstehen und es bilden sich Gruppen (sog. Cliquen), da der Wettkampf um die informelle Führung nach der Selbstdarstellung ausgetragen wird. – „Ich“-Orientierung – • Regelphase (sog. norming): Teammitglieder entwickeln einen neuen Standard sowohl hinsichtlich des gegenseitigen Umgangs als auch des Miteinanderarbeitens. – „Wir“-Orientierung – • Arbeitsphase (sog. performing): Teammitgleider arbeiten solidarisch, offen und vertrauensvoll am gemeinsamen Ziel. Der Leistungsaustausch zur Zielerreichung steht im Vordergrund. – „Arbeits- und Leistungs“-Orientierung –

196

Coachkompetenzen

Dies kann durch die fünfte Phase der Auflösung (sog. adjounrning) ergänzt werden, da Teams nicht für ewig zusammengesetzt werden. Des Weiteren kann das Team jede Phase in unterschiedlicher Geschwindigkeit durchlaufen, wiederholen und vermeintlich überspringen. Denn jeder neue Aspekt bzw. Irritation des bestehenden Systems „Team“ kann die Entwicklung beeinflussen. Es gibt harmonische Teams, die anscheinend keinen Konflikt austragen, diese sind jedoch kurzzeitig im konstruktiven Austausch über Fakten und Interessen ersichtlich, wobei keine Person emotional betroffen / verletzt wird. Folglich wird das Storming überhaupt nicht wahrgenommen. Bei der Teambildung und Zusammenarbeit ist das Vertrauen sowie die Identifikation und Zukunftshoffnung ausschlaggebend. Während der ersten Begegnung besteht die Hoffnung auf eine gemeinsame vertrauensvolle Zusammenarbeit, die sich in der Phase 3 entfalten und stabilisieren kann. Insofern muss die schwierige Hürde der Phase 2 genommen werden, da hier Konflikte mehr oder minder Programm sind und Macht und Wettkampf als emotionale Bombe ausgelebt werden. Daher scheitern viele Teams, wenn die Führungskraft das Team nicht erfolgreich navigieren, die Streithähne nicht besänftigen sowie die Schüchternen und Außenseiter nicht integrieren kann.

Teamentwicklungsphasen

Wachstumsphase

Performing Norming

Kooperationsphase

Regeln

Kennenlernen

Orientierungsphase

Forming Storming

Konfrontationsphase

.RQÀLNWH 65

Arbeit

an ckm . Tu W Bruce

n

·1

9

Sozio-kommunikative Kompetenz

4.4.3

197

Gruppendynamik

Aber was passiert nun konkret mit den Personen, die sich zu einem Team zusammengefunden haben, scheinbar die Rollen erfüllen und den Automatismus der Teambildung durchlaufen? Was muss eine Führungskraft oder auch ein Teamcoach beachten? Neue und Außenseiter müssen in die Gruppe und das Team integriert werden, damit eine gemeinsame Basis des Vertrauens und der Identität entstehen kann. Hingegen müssen Personen, die ständig die Initiative ergreifen und die Führung beanspruchen gebremst werden, damit diese nicht nur ihre eigenen Interessen durchsetzen und zum Einzelkämpfer werden, sondern sich ebenfalls in das Team integrieren, um zusammen an einem Ziel zu arbeiten. Des Weiteren müssen Intriganten und Wettkämpfer unter Kontrolle gehalten werden, da sie ansonsten mobben, beleidigen und diskriminieren, um rücksichtslos an ihren eigenen Zielen arbeiten zu können. Diese Einzelkämpfer brauchen eine klare Richtlinie, brauchen Anerkennung und einen ehrlichen Hinweis, wie sie sich in die Gruppe / das Team integrieren können. Andererseits müssen die Klassenkasper oder Gruppenclowns vorsichtig und mit gütiger Strenge zur Ruhe gebracht werden. Schließlich sind Kann-nicht-Typen und Will-nicht-Typen eine Herausforderung, denn sie müssen die eigenen Blockaden und Schwächen überwinden. Hier ist echte wertschätzende Arbeit mit den Ressourcen notwendig. Sie erkennen, dass sowohl die Führungskraft des Teams als auch der Teamcoach mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten zu tun hat, diese akzeptieren muss und wertschätzend in die Arbeit und das Team zu integrieren hat. Seien Sie wie ein Wachhund, der die Schäfchen behüten muss. Schlüssel ist das ständige Beobachten und Wahrnehmen von Interaktionen, keiner darf verloren gehen und jede Entscheidung muss der Einzelne aus eigenem Antrieb unterstützen. Dies ist eine echte Herausforderung, da Sie als Teamcoach moderieren, knappe klare Regeln aufstellen, diese einhalten und jeder Person die notwendige Aufmerksamkeit zollen müssen. Im Ergebnis ist Ihre Arbeit als Teamcoach die Phase 2, nach dem Modell von Bruce Tuckmann, so effizient und effektiv wie möglich zu meistern. Das anzustrebende Ziel ist der Erfolg des Teams. Dieser setzt sich aus dem Gruppenleistungserfolg, dem Gruppenerhaltungserfolg und dem Individualerfolg zusammen. Also achten Sie auf Zusammenhalt und Stabilität, die Qua-

198

Coachkompetenzen

lität und Quantität der Arbeitsergebnisse sowie den individuellen Anteil jeder beteiligten Person. 4.4.4

Fazit

Teambildung, also Auswahl und Entwicklung der Teammitglieder, ist der Kern der Teamarbeit. Hier vereinen sich sowohl Individuen mit den persönlichen Bedürfnissen, Motiven, Werten, Gefühlen und Intelligenzien aber auch dem fachlichen Wissen sowie der individuellen Lebens- und Berufserfahrung. Auf alle Aspekte des Menschen muss bei der Teamarbeit Rücksicht genommen werden, damit sich aus der Zusammensetzung und der Dynamik ein Mehrwert ergibt (sog. Wertschöpfung). Prallen Menschen aufeinander, entwickelt sich stets eine eigene Dynamik, die nicht vorhersehbar ist, allerdings in der Situation erfolgreich bearbeitet werden kann. Die verschiedenen Individuen bedingen so den Konstruktivismus im System Team. Disziplin und die Beherrschung und Steuerung der eigenen Emotionen sind daher Gold wert.

4.5

Ich-Zustände

Da wir uns unsere eigene Wirklichkeit konstruieren und diese auch verbal und nonverbal kommunizieren, hat Eric Berne im 20. Jahrhundert die Transaktionsanalyse begründet. Die Transaktionsanalyse (TA) beschreibt nicht nur verschiedene Abläufe der Kommunikation, sondern auch die Persönlichkeit, sodass sich seit Eric Bernes Entdeckung bis zur heutigen Zeit mehrere Schwerpunkte gebildet haben: • • • • •

Neuentscheidungstherapie von Mary und Robert Goulding;155 Neubeelterung von Jacqui Lee Schiff;156 Ersatzgefühle von Fanita English;157 integrative Psychotherapie von Richard G. Erskine;158 beziehungsorienterte Transaktionsanalyse von Charlotte Sills, Helena Hargaden und William F. Cornell;159

155 Mary McClure Goulding / Robert L. Goulding, Neuentscheidung. 156 Jacqui Lee Schiff, Alle meine Kinder – Heilung der Schizophrenie durch Wiederholen der Kindheit. 157 Fanita Englisch, Transaktionsanalyse: Gefühle und Ersatzgefühle in Beziehungen; dies., Es ging doch gut – was ging denn schief? Beziehungen in Partnerschaft, Familie und Beruf. 158 Richard G. Erskine / Janet P. Moursund, Kontakt – Ich-Zustände – Lebensplan, Integrative Psychotherapie. 159 Helena Hargaden / Charlotte Sills, Transactional Analysis – a Relational Perspective.

Sozio-kommunikative Kompetenz

199

• systemische Transaktionsanalyse von Bernd Schmid.160 Daher werden nicht nur Analysen durchgeführt, sondern auch Entwicklungen initiiert, welche beeinflusst werden können. Denn unter Transaktion beschreibt Eric Berne eine bewusst oder unbewusst zwischen Menschen und ihrer Umwelt stattfindende Kommunikation. Diese Kommunikation wird in Abläufen beschrieben, damit sie für den Beobachter verständlicher wird. Diese Abläufe sind stereotyp und somit sowohl fixierte als auch einschränkende Muster des sozialen Miteinanders. Ursprünglich war die Transaktionsanalyse für die Psychotherapie entworfen worden, damit der Patient wieder seine Autonomie gewinnen kann. Der Ansatz ist jedoch auch auf seelisch gesunde Menschen anwendbar, denn es geht um Autonomie und Selbstreflexion des Individuums. Hintergrund der Transaktionsanalyse sind einerseits das zugrundegelegte Menschenbild und andererseits die drei Ich-Zustände (Kindheits-Ich, Eltern-Ich, Erwachsenen-Ich). Nach Heinrich Hage beruht zwischenmenschliche Aktion und Reaktion auf folgenden Gegebenheiten:161 • Jeder Mensch hat die Fähigkeit, zu denken und Probleme zu lösen. • Jeder Mensch ist in all seinen Facetten und in seiner Ganzheit in Ordnung. • Jeder Mensch ist in der Lage, Verantwortung für sein Leben und dessen Gestaltung zu übernehmen. Denn er kann bewusst wahrnehmen und seine mentalen, emotionalen und sensorischen Vorgänge steuern. • Jeder Mensch kann sein Lebenskonzept schöpferisch, zuträglich und konstruktiv gestalten. • Jeder Mensch kann aufgrund seiner Ressourcen autonome Entscheidungen treffen. Diese ressourcenorientierte Autonomie ist wichtig, um sich selbst zu steuern, seinen Willen zu formen und zu äußern sowie seine Freiheit zu gestalten. Diese Autonomie ist Basis für das hier beschriebene systemische Management Coaching.

160 Bernd Schmid, systemische Professionalität und Transaktionsanalyse: Mit einem Gespräch mit Fanita English; ders., Systemisches Coaching – Konzepte und Vorgehensweise in der Persönlichkeitsberatung. 161 Vgl. Heinrich Hagehülsman, „Das Menschenbild in der Transaktions-Analyse“ in W. Greive, Das Bild vom Menschen in der neuen Gruppenarbeit, Loccumer Protokolle Nr. 22 (1988), Ev. Akad. 89; Eric Berne, Spiele der Erwachsenen – Psychologie der menschlichen Beziehungen.

200

Coachkompetenzen

Die drei Ich-Zustände sind Erkenntnisse aus dem psychischen Ansatz und dienen als Strukturmodell. Denn ein Mensch kann unterschiedliche Erlebenszustände aktivieren, die jeweils ein zusammenhängendes Muster von Fühl-, Denk- und Handlungsweisen aufweisen. Wird das Erlebte von früher aktiviert, so nutzen wir den Zustand als Kind (sog. Kindheits-Ich). Das Kindheits-Ich beruht auf der Archepsyche und den Ansätzen von C.G. Jung und Jean Piaget. Haben wir Arten und Weisen von anderen übernommen, so agieren wir im Eltern-Ich. Dies wird Exteropsyche genannt. Hingegen agieren wir im Erwachsenen-Ich, wenn wir im Hier und Jetzt einen Erlebenszustand aktivieren, der sich ausschließlich auf die Gegenwart bezieht (sog. Neopsyche). In der Kindheit haben wir gelernt, wie wir uns verhalten müssen, um bei den diversen Bezugspersonen wie Mutter, Vater, Oma und Opa, aber auch Schwester und Bruder erfolgreich zu sein. Der Erfolg entspricht dabei einer konkreten Situation, sei es, das Lieblingsessen essen zu dürfen, später ins Bett zu gehen, Hilfe bei den Hausaufgaben zu erhalten, weniger Klavier spielen zu müssen oder Taschengeld / Süßigkeiten zu bekommen. Dies sind die Ausgangssituationen für unsere inneren Antreiber laut Taibi Kahler. Jedes Kind hat ein anderes Ziel und erkennt, wie es vorgehen muss, um erfolgreich zu sein. Allerdings gibt es auch extreme Situationen, in denen es die gesetzten Grenzen zu durchbrechen versucht, trotzig wird oder komplett frei sein möchte. Dabei lernen wir Kinder auch die unterschiedlichen Verhaltensweisen der Erwachsenen, da sie entweder sehr lieb, fürsorglich und besorgt sind oder sehr streng und diszipliniert. Diese Verhaltensweisen werden über Jahre hinweg gelebt, Routine entsteht. Diese Art der Kommunikation verläuft ohne Ende, sodass stets KindErwachsen kommuniziert bis diese Transaktion durchbrochen wird. Diese Routine kann im erwachsenen Alter wieder bewusst gemacht werden, sodass wir uns so wie als Kind oder unsere Eltern verhalten. Ausnahmen bestätigen die Regel, denn wenn wir uns bewusst machen, was diese Verhaltensweisen für Konsequenzen haben, können wir uns bewusst anders verhalten. Diese Entwicklung ist Bestandteil von Lernen und der Kompetenzentwicklung. Als Jugendlicher beginnt die Phase der Abnabelung, sodass Mensch sich langsam vom Kindheits-Ich verabschiedet, um erwachsen zu werden. Hier durchbrechen wir bestehende Muster und bleiben emotional ruhig und stabil oder Aktivieren Emotionen als Elternteil. Dazu kurz die knappe Charakterisierung der drei Ich-Zustände:

201

Sozio-kommunikative Kompetenz

Ich-Zustände

Erwachsenen-Ich Eltern-Ich 9HUKDOWHQ'HQNHQ XQG)KOHQGDVYRQ GHQ(OWHUQRGHU(OWHUQ¿JXUHQEHUQRPPHQZXUGH reagiert automatisch Fürsorglich ‡:HUWH ‡1RUPHQ ‡$QHUNHQQXQJ ‡+LOIHVWHOOXQJ ‡=XZHQGXQJ ‡*HGXOG Kritisch ‡:HUWH ‡1RUPHQ ‡9RUXUWHLOH ‡%HVWUDIXQJ ‡%HGURKXQJ ‡8QJHGXOG

9HUKDOWHQ'HQNHQ XQG)KOHQGDVHLQH GLUHNWH5HDNWLRQDXI GDV+LHUXQG-HW]WLVW reagiert bewusst

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:HUGHQ(OWHUQ,FK=XVWDQGRGHU .LQG,FK=XVWDQGDNWLYLHUWOlXIWGDV GXUFK(U]LHKXQJXQG6R]LDOLVLHUXQJ JHIRUPWH'HQNHQ)KOHQXQG 9HUKDOWHQDXWRPDWLVFKDE

Kindheits-Ich 9HUKDOWHQ'HQNHQ XQG)KOHQGDVDXV GHU.LQGKHLWVWDPPW XQGMHW]WZLHGHU DEOlXIW reagiert impulsiv Frei ‡6SRQWDQ ‡'LUHNW ‡1HXJLHULJ Angepasst ‡*HKRUVDP ‡1DFKJHEHQG ‡+LOÀRV ‡bQJVWOLFK ‡5HVLJQLHUW Rebellisch ‡$JJUHVVLY ‡:LGHUERUVWLJ ‡1LFKWNRRSHUD WLRQVZLOOLJ (ULF%HUQHā

4.6

Konflikt

Haben wir ein Missverständnis oder schon ein scheinbar unlösbares Problem? Befinden wir uns in einem gegenseitigen Konflikt? Das sind wichtige Fragen des Alltags sowie des Fallalltages eines Coachees / Teamcoachees. Das Gleiche lässt uns in Ruhe, aber der Widerspruch ist es, der uns produktiv macht. – Johann Wolfgang von Goethe – Konflikte entstehen, wenn mindestens zwei Parteien scheinbar miteinander unvereinbare Interessen aufgrund einer Ursache haben. Man geht davon aus, dass ein erheblicher Widerspruch entstehen muss und es sich nicht um schlichte Fehlinformation oder Missverständnisse handelt.

202

Coachkompetenzen

Wie bei der Thematik Führung, fängt Konflikt bereits bei einer Person an, die einen Konflikt mit sich selbst austrägt (sog. intrapersonaler Konflikt). Alle anderen Konflikte zwischen mehreren Personen nennt man interpersonale Konflikte. Ursachen für Konflikte gibt es viele. Sie sind definitiv eine Weiterentwicklung von Fehlinformationen, Missverständnissen und Missinterpretation. Der galoppierende Konstruktivismus schlägt zu. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf unvereinbaren Interessen. Interesse ist hier ein Sammelbegriff für Werte und Motive, die sich in Zielen, Meinungen und Standpunkten, aber auch Gefühlen und Verhalten äußern, welche sich eben vehement gegenüber stehen. Ursachen können Folgende sein: • Beziehungskonflikt: Die Beteiligten empfinden einen Gegensatz hinsichtlich des sozialen Verhaltens. • Identifikationskonflikt: Man empfindet das eigene Selbst, also was einen als Person ausmacht, als bedroht. • Informationskonflikt: Die Beteiligten arbeiten mit unterschiedlichen Informationen, die nicht vollständig, falsch oder falsch verstanden worden sind. • Machtkonflikt: Die Betroffenen empfinden die Verteilung der Macht als ungleich und ungerecht; z.B. Bürger – Behörde, Vater – Kind. • Rollenkonflikt: Die eingenommenen Rollen sind widersprüchlich, z.B. Führungskraft und Coach, Gewerkschaft und Arbeitgeber, Führungskraft und Betriebsrat. • Verteilungskonflikt: Die Beteiligten empfinden die Nutzung der Ressourcen als widersprüchlich und / oder gegensätzlich. • Wertkonflikt: Die Beteiligten nutzen ihre erlernten Ansichten von gut und böse bzw. richtig und falsch. • Zielkonflikt: Die formulierten Absichten, Wünsche und Ziele der Parteien stehen im Widerspruch. Allen Konflikten gemein ist die emotionale Betroffenheit, sodass man unter den Anforderungen bzw. der Konfliktlösung leidet. Nachdem bemerkt worden ist, dass es sich um einen Konflikt handelt, sollte analysiert werden, welches Ausmaß der Konflikt bereits angenommen hat. Dafür hat Gerhard Schwarz162, oder auch Friedrich Glasl163, die Konfliktstufen entwickelt. 162 Gerhard Schwarz, Konfliktmanagement: Konflikte erkennen, analysieren, lösen. 163 Friedrich Glasl, Konfliktmanagement: Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater.

Sozio-kommunikative Kompetenz

4.6.1

203

Konfliktstufen

Wie bereits erwähnt ist nicht jeder Konflikt negativ oder aussichtslos verloren. Vielmehr existieren notwendige Konflikte, aus denen die Beteiligten lernen müssen. Einerseits müssen Pannen und Missverständnisse repariert und somit aufgelöst werden. Die zukünftige Aufgabe ist es, dass diese Situationen nicht mehr eintreten. Andererseits können notwendige Konflikte nicht repariert werden, sondern sie müssen ausgetragen werden. Folglich werden Konflikte in das System integriert, analysiert und bearbeitet, sodass diese „Konflikte“ zukünftig „friedlich“ gepflegt werden müssen. Denn Reibung erzeugt Wärme und somit eine emotionale Auseinandersetzung. Wenn Emotionen beteiligt sind, sind stets Bedürfnisse, Motive und Werte betroffen und wollen befriedigt und in Einklang gebracht werden. Folglich besteht nicht nur die Chance des Verlierens, sondern auch der Weiterentwicklung. Sowohl Friedrich Glasl als auch Gerhard Schwarz haben Stufen des Konfliktes erforscht und analysiert. Diese Stufen sind kulturell geprägt. Glasl kommt daher von einem win-win über win-lose zu lose-lose. Die Stufen sind demnach nicht der Ausdruck von Erkenntnis und Reife, sondern des Abstiegs zu primitiven und unmenschlichen Verhaltensarten. Wer gerne mobbt und beleidigt ist evolutionär eher auf primitiver Stufe, denn zivilisiert wäre, selbst bei einer hitzigen Diskussion eine faktenbasierte Argumentation. Im Coaching arbeiten wir lieber mit den Konfliktstufen von Gerhard Schwarz, da er nicht die eigene Vernichtung wie Friedrich Glasl aufgenommen hat. Definitiv hat Friedrich Glasl recht, dass es Menschen und Persönlichkeiten gibt, die gerne und offensiv streiten und den Gegner vernichten wollen. Irgendwann übersehen diese, dass sie sich nicht mehr im Fokus haben, sondern nur noch die endgültige Vernichtung des Gegners als Ziel haben. Im Grunde entsteht die Gefahr, dass jemand sich nicht mit sich selbst auseinandersetzt, sondern nur mit dem Gegner. Eine Reflexion über sich selbst und seine Ressourcen kann schwierig werden. Besteht die Wahrscheinlichkeit, dass der Coachee seine Handlungen und Motive nicht mehr reflektieren kann, liegt dies entweder an einer Konzentrationsschwäche oder ist Anzeichen für eine seelische Krankheit. Auf welcher Stufe man sich befindet, bestimmt die Strategie der Deeskalation.

204

Coachkompetenzen

Stufe 1-3: Stufe 3-5: Stufe 4-6 Stufe 5-7: Stufe 6-8: Stufe 8:

Moderation; Prozessbegleitung; sozio-therapeutische Prozessbegleitung; Vermittlung / Mediation; Schiedsverfahren / gerichtliches Verfahren; Machteingriff.

Konfliktstufen 0LVV VWLPPXQJ geordnete verbale Auseinandersetzung

'HEDWWH kleine Überlegenheit

0LVVWUDXHQ Entschlossenheit

.RDOLWLRQ Imagewerbung

1.

(QWJOHLVXQJ Demaskierung

2.

Taktik

'URKXQJ Abschreckungsmanöver

3.

Schädigen

4.

Intensivierung

*HZDOW

Um-SichSchlagen

5.

Ausweitung

Gesichtsverlust

9HUQLFKWXQJ

6.

Gewaltandrohung

7.

begrenzte Gewalt

8.

totale Gewalt

$QEDKQXQJ win-win

lose-win

5DWLRQDOLVLHUXQJ win-lose

(PRWLRQDOLVLHUXQJ

RIIHQHU.DPSI

lose-lose Verlust bewusster Kontrolle und Steuerung point of no return Gerhard Schwarz · 1997

4.6.2

Sozialverhalten im Konflikt

Die Konfliktforschung hat ergeben, dass wir Menschen zu unterschiedlichen Verhaltensmustern im Konflikt neigen. Diese basieren grundsätzlich auf dem Überlebensinstinkt unserer Vorfahren. Einige Verhaltensmuster haben wir mit der Tierwelt gemein und im Laufe der Evolution konnten wir noch drei weitere kulturell geprägte Muster initiieren. Dies ist wichtig zum Verständnis für die Friedensforschung und den internationen Konfliktfeldern.

205

Sozio-kommunikative Kompetenz

Diese Muster tragen alle nicht per se zur Lösung eines Konfliktes bei, sie sind schlicht ein Bestandteil der Konfliktbearbeitung und -bewältigung. Wer sich immer versteckt, ruhig ist oder klein beigibt, löst das Problem durch Zeitablauf oder durch Verlust eigener Ressourcen (wie vor allem Motiven und Werten). Andererseits kommt ein diplomatischer Verhandler nicht zur Lösung, wenn die Gegenpartei grundsätzlich auf stur stellt oder nur auf den idealen Zeitpunkt des Vernichtungsschlages wartet. Tipp: Nutzen Sie eine Mischung aus verschiedenen Verhaltensmustern, um nicht Ihren Vorteil im Konfliktfall zu verlieren. Strategische Führung ist der Schlüssel.

Sozialverhalten im Konflikt

Anpassen

biologisch geprägt

Erstarren Flüchten Kämpfen Unterordnen Verstecken Delegieren an Andere

NXOWXUHOO geprägt

Kompromiss Konsens Dr. R D Rolf lf M Meier i & Nina Meier & Axel Janßen · 2010

Andererseits existieren diverse Strategien zur Konfliktlösung. Die erfolgreichste zur wirkungsvollen und dauerhaften Lösung eines Konfliktes ist derzeit das Harvard-Modell. In der ersten Phase muss deeskaliert werden, damit die Aggressionen abgebaut werden und das verletzende Verhalten eingestellt wird. Sodann wird in der nächsten Phase die Kommunikation zwischen den beiden Konfliktparteien eingeleitet. Denn wer miteinander redet, gibt seine Wünsche preis und kann verstanden werden. In der dritten Phase werden der Interessengegensatz herausgearbeitet, die Absichten analysiert sowie die Erwartun-

206

Coachkompetenzen

gen geäußert, um ein gegenseitiges Verständnis sowohl für die gemeinsame Situation als auch für die andere Partei aufzubauen. Essenziell ist, dass die betroffenen Werte herausgearbeitet, verstanden und beachtet werden. Erst diese Voraussetzungen lassen eine gemeinsame Lösung des Konfliktes entstehen. Dann ist das Ergebnis ein Win-Win. Dieses Muster ist Grundlage für Verhandlungen und der Mediation.164 Der angemessene Umgang entscheidet sich stets mit den beteiligten Interessen sowie dem Interesse der Art der gemeinsamen Beziehung. Hierzu haben Thomas Ruble und K. Thomas die Ergebnisse von Whetten und Cameron zur weiteren Forschung und Darstellung genutzt.165

Konfliktlösungsmuster +RKHV 'XUFKVHW]XQJVYHUP|JHQ

=ZDQJ

=XVDPPHQDUEHLW

1LHGULJHV 'XUFKVHW]XQJVYHUP|JHQ

JHULQJHU:LOOH]XU0LWDUEHLW

9HUPHLGXQJ

KRKHU:LOOH]XU0LWDUEHLW

1DFKJHEHQ

7KRPDV5XEOH .7KRPDVā

Wer mit Zwang arbeitet, setzt rücksichtslos sein Interesse auch gegen Widerstand beteiligter und unbeteiligter Personen durch. Diese Strategie ist win-lose, da einer gewinnt und einer verliert.

164 U.a. Anita von Hertel, Professionelle Konfliktlösung, S. 254, 260, 266. 165 T.L. Ruble / K. Thomas, „Support für a two-dimensional model of conflict behaviour, Chapter 16, S. 145 in Rosemary Thomson / Eion Farmer, Managring Relationships, Milton Keyes, S. 36/37; dies. D.A. Whetten / K.S. Cameron, Contract re-design, Personnel Administrator, S. 97-101.

207

Sozio-kommunikative Kompetenz

Auf der anderen Seite entsteht eine Strategie von lose-win, wenn stets nachgegeben wird und somit die eigene Position verloren wird. Der Nachgebende gibt ständig seine eigenen Interessen auf. Andererseits setzt Vermeidung darauf ab, sich gerade nicht mit dem Konfliktgegenstand und der Konfliktpartei auseinanderzusetzen, sodass die Situation unverändert bestehen bleibt. Der Konflikt wird nicht gelöst, sodass eine loselose Situation entsteht. Erst das Zusammenarbeiten ermöglicht einen Gewinn auf beiden Seiten, da die Parteien ihre Interessen (Werte und Motive) vollständig einbringen können, sodass gemeinsam an einem beidseitig tragbaren Ergebnis gearbeitet wird. Voraussetzung ist auch hier nicht nur das Wissen und das Können, sondern das Wollen. Im Folgenden werden die wichtigen Konfliktsituationen anhand der MotivStrukturAnalyse (MSA) skizziert. MOTIVBASIERTE EIGEN- UND FREMDWAHRNEHMUNG – ALLTAGSTYPISCHE KONFLIKTE – Fremdwahrnehmung (denkt über anderen Motivtyp) geistvoll, gebildet, neu- geistlos, denkfaul, eingrün überwiegt gierig, interessiert, klug, fältig, begriffsstutzig, under Intelektuelle gelehrt wissend, ungebildet Wissen realitätsfremd, untauganpackend, tätig, blau überwiegt lich, kann-keinen-Nagelaktiv schaffend, in-die-Wand-schlagen, der Praktiker keine-zwei-linken-Hände „Professor“ gewissenhaft, loyal, gewissenlos, illoyal, grün überwiegt ethisch, ehrenhaft, cha- unethisch, unmoralisch, rakterfest, pflichtbecharakterlos, pflichtverder Prinzipientreue wusst, Ehrgefühl gessen, kaltblütig Prinzipientreue selbstgefällig, unflexibel, flexibel, modern, blau überwiegt rigide, festgefahren, altsituativ offen; kein backen; Prinzipienreiter, der Zweckorientierte Prinzipienreiter „Moralapostel“ GrundmotivGrundmotiv Ausprägung

Eigenwahrnehmung (denkt über sich)

208

Coachkompetenzen leitungs- und führungsorientiert, einflussreich, der Macher/ zielbewusst, weiss-woder „Häuptling“ es-lang-geht „keine Macht für nieblau überwiegt mand“; easy going; der Zurückhaltende/ nicht fordernd, kontrolder „Indianer“ lierend und befehlend vornehm, bedeutend, grün überwiegt stilbewusst, berufen, erstklassig, „aristoder Elitäre kratisch“ „Gleicher unter Gleiblau überwiegt chen“, liberal und demokratisch orientiert, der Bescheidene unaufgeregt geordnet, kontrolliert, grün überwiegt klar, planvoll, zuverläsder Organisierte sig, genau, gründlich grün überwiegt

Macht

Status

Ordnung

blau überwiegt der Flexible grün überwiegt

Materielle Sicherheit

der Sammler blau überwiegt der Großzügige grün überwiegt

Freiheit

der Unabhängige blau überwiegt der Teamplayer

spontan, beweglich, aufgeschlossen sparsam, vorausschauend, genügsam, „vorratssicher“, Dinge zusammenhaltend

antriebsarm, entscheidungsschwach, lasch, einflusslos, Phlegmatiker, „Nullnummer“ kontrollierend, machtgeil, getrieben, anmaßend, Wichtigtuer, „Platzhirsch“ bedeutungslos, gewöhnlich, taktlos, belanglos, gemein; hässlich; „Proll/ Assie“ blasiert, dünkelhaft, überheblich, hochnäsig, herablassend, arrogant, Neureicher schlampig, leichtfertig, lotterig, oberflächlich, liederlich; „Chaot“ rigide, unflexibel, verknöchert, Oberbuchhalter, Ordnungsfanatiker, Erbsenzähler vergeudend, verschleudernd, dumm, auf-großem-Fuß-lebend, mit vollen Händen ausgebend, Verschwender

freigiebig, generös, selbstlos, spendabel

geizig, kleinlich, habgierig, knausrig; Pfennigfuchser, „Raffke“

frei, selbstständig, autark, ungebunden

abhängig, unmündig, unselbstständig, unfrei, angewiesen, ausgeliefert, hörig, sklavisch

teamorientiert, aufandere-eingehend, eingebunden

eigensinnig, unnahbar, kalt, abweisend

209

Sozio-kommunikative Kompetenz

Beziehung

Hilfe / Fürsorge

Familie

Idealismus

Anerkennung

verschlossen, unkommunikativ, geht-zumgrün überwiegt Lachen-in-den-Keller, (menschen)scheu, abder Gesellige weisend, unnahbar, unfreundlich selbstgenügsam, ernstalbern, lächerlich, närblau überwiegt haft, zurückgezogen, risch, infantil; Schwafler/ der Introvertierte ruhig Schwätzer, Hanswurst sensibel für andere, hilf- unmenschlich, selbstgrün überwiegt reich, mitfühlend, unter- süchtig, eigennützig, stützend, aufopfernd, kalt, abweisend, hartherder Helfer liebevoll, besorgt zig; Menschenfeind unselbstständig, „hilfloeigenständig, blau überwiegt ser Helfer“, Ich-schwach, Ich-stark, Hilfe-zurSelbstaufgabe; Gutder Ich-orientierte Selbsthilfe mensch / Mutter Theresa freudvolle/r Mutter/Vaegoistisch, oberflächlich, grün überwiegt ter, häuslich, „Rabenvater / -mutter“, familienorientiert, der Familienmensch verantwortungslos verantwortungsvoll spießig, abhängig, blau überwiegt (familiär)unbelastet, unhausbacken, angebehindert, unabhängig, der Außenorientierte/ passt, „Kindergärtner“, emanzipiert der „Individualist“ „Biedermann/-frau“ gemein, kaltherzig, engagiert, altruismitleidslos, unmenschgrün überwiegt tisch, sozial, wohltälich, gleichgültig, grautig, hingebungsvoll, der Idealist sam, unbarmherzig, weltverbessernd „Zyniker“ verträumt, wirklichkeitssachlich, nüchtern, rablau überwiegt fern, lebensfremd, unreational, illusionslos, listisch, weltfremd, Weltder Realist unpolitisch verbesserer grün überwiegt feinfühlig, achtsam, sen- gefühllos, unsensibel, arsibel, empfänglich rogant, seelenlos der Sensible selbstsicher, weiss(ich)-schwach, neuroblau überwiegt was-ich-kann, selbsttisch, unsicher, abhänkritisch, gesundes der Selbstbewusste gig, „Mimose“ Selbstvertrauen aufgeschlossen, kommunikativ, lebensfroh, kontaktfreudig, lustig, fidel, fröhlich, vergnügt

210

Coachkompetenzen

grün überwiegt der Kämpfer Wettkampf blau überwiegt der Kooperative grün überwiegt Risiko

der Risikofreudige blau überwiegt der Risikobewusste grün überwiegt

Essen

der große Esser blau überwiegt der schwache Esser grün überwiegt

Körperliche Aktivität

der Aktive blau überwiegt der Bequeme grün überwiegt

Sinnlichkeit

der Sinnliche blau überwiegt der Nüchterne grün überwiegt der Sinnsucher

Spiritualität

blau überwiegt der Rationale (der Atheist)

untätig, apathisch, gleichgültig, leidenschaftslos, phlegmatisch, abgestumpft, „Warmduscher“ rachsüchtig, mitleidlos, harmonisch, gütig, friedgewinnsüchtig, nachlich, gutgesinnt, umtragend, angriffslustig, gänglich, wohlwollend streitsüchtig (wage)mutig, furchtlos, feige, schreckhaft, kühn unerschrocken, angstvoll, neurotisch, stressrobust, „Weichei“ offensiv, siegesbewusst, aggressiv, kampfbereit, Gewinnermentalität

vorausschauend, vorsichtig, überlegt, sicher

fahrlässig, unüberlegt, unvorsichtig, unbesonnen, Draufgänger

gesund, genährt, Schlemmer, Genießer, Feinschmecker, Leckermaul (gerten)schlank / rank, gesund, unabhängigvom-(Fr)Essen sportlich, muskulös, trainiert, kräftig, topfit, gesund, frisch, leistungsfähig, dynamisch

essgestört, krankhaft, freudlos, spartanisch, Hungerleider, „Hungerhaken“ essgestört, krankhaft, maßlos, unkontrolliert, „Dummheit frisst“ unsportlich, unbeweglich, ungelenk, plump, schwerfällig, eingerostet, „Bewegungsanalphabet“

gemütlich, ruhevoll, gelassen, gemächlich

aufgeregt, unruhig, hektisch, rastlos

körperfeindlich, lustfeindlich, (alt)jüngferlich, verschämt, prüde, krank; Asket triebhaft, tierhaft, wolunabhängig, gesittet, laslüstig, unbeherrscht, terfrei, anständig zügellos gläubig, geborgen, spirikalt, seelenlos, keine tuell, sinnsuchend, gotGeborgenheit im Leben, tes-/schöpfungsfürchtig, Atheist geistig orientiert rational, im „Hier und esoterisch, abgehoJetzt“ lebend, realiben, welt- und realitätstätsnahe, weltlich und fremd, „Spökenkieker“, diesseitig Jenseitssucher erotisch, sexuell, sinnenhaft, lustbetont, kreatürlich, Ästhet

Sozio-kommunikative Kompetenz

4.7

211

Fazit

Wir sind nicht alleine auf der Welt! Es gibt viele Plätze wo, und Kontexte in denen, tatsächlich jeder Mensch sein Glück finden kann auf unserem Planeten. In unserer westlichen Gesellschaft haben Kriege, Vernichtung, Verletzungen und Diskriminierungen keinen Platz. Dennoch gehört Konfliktmanagement zum Alltag oder zum Tagesgeschäft einer Führungskraft. Nutzen Sie den systemisch-konstruktivistischen Ansatz und üben Sie mehr als Toleranz, nämlich Akzeptanz, aus. Achten Sie auf Kommunikation und Kultur sowie die maßgeblichen Werte und persönlichen Motive der beteiligten Personen ... sonst knallt’s.

212

Coachkompetenzen

5. Feldkompetenz Die Feldkompetenz bedeutet kontextabhängig über reflektierte branchenspezifische, themenspezifische und / oder kulturelle Erfahrungen zu verfügen.

5.1

Erfahrung

Bereits in der Philosophie existieren drei Ansätze, was Erfahrung sein könnte. Der Empirismus wertet die Erfahrung als einzige Quelle der Erkenntnis, der Rationalismus schreibt dem Denken überempirische Erkenntniskraft zu, der Kriticismus betont in verschiedener Weise die Notwendigkeit des Zusammenwirkens von Erfahrung und Denken.166 – Rudolf Eisler – Denn der Empirismus ist in Anlehnung an Immanuel Kant ein aposteriorischer Ansatz, der Rationalismus beschreibt Erfahrung als apriorisch und zuletzt existiert eine dualistische Linie. Hieraus folgt, dass über die Definitionen und Ausformungen von Erfahrungen diskutiert und geforscht wird. Einigkeit herrscht dabei, dass Erfahrung sowohl der einzelne Mensch als auch eine Gruppe von Menschen oder eine Kultur erleben kann. Des Weiteren können Erfahrungen in einer konkreten Situation oder allgemein im Leben gesammelt werden. Aber was sind Erfahrungen? Erfahrungen werden wahrgenommen. Wissenschaftlich betrachtet gibt es nur subjektive und individuelle Erfahrungen, die man Empirie nennt. So werden praktische Anteile in der Forschung auch empirische Forschung genannt. Pädagogisch betrachtet wird zwischen Primärerfahrung und Sekundärerfahrung unterschieden. Dies erscheint logisch, da in anderen Disziplinen zwischen unmittelbarem und mittelbarem Zusammenhang / Beweis unterschieden wird. Bestes Beispiel ist die Kausalität, also der Zusammenhänge von Ursache und Wirkung. Die Wirkung von Erfahrung machen Wissen, Kenntnisse und Fähigkeiten aus, die durch die eigenen Person direkt erworben, stabilisiert, ausprobiert und entwickelt oder mittelbar über Dritte verarbeitet worden sind. Diese mittelbare 166 Rudolf Eisler, Artikel „Erfahrung“ in Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Bd. 1.

Feldkompetenz

213

Erfahrung wird auch abstraktes Wissen genannt, da uns die Emotion zu dieser konkreten und individuellen situationsbedingten Erfahrung fehlt. Denn wie jede Erkenntnis basiert die Erfahrung auf den Erlebnisprozessen. Diese werden gebildet, geformt durch Emotionen und Motivationen, sodass Willensentscheidungen entstehen. Daher können Erfahrungen nie wertfrei sein. Hieran schließt sich die Entwicklungspsychologie an, die betont, dass Erfahrung die im Gehirn gespeicherten Ereignisse darstellen. Nur mit Erfahrungen können Lernprozesse und die menschliche Entwicklung initiiert und begleitet werden. Insofern ist Erfahrung stets bunt und vielfältig, sodass das Gegenteil von Erfahrung die Monotonie ist. Forschungsergebnisse zeigen, dass Monotonie Lernprozesse nicht förderlich beinflusst. Folglich be- oder verhindert Monotonie Entwicklung, und Erfahrung ist die Grundvoraussetzung für Kompetenzentwicklung. Erfahrungen sammeln wir mit unseren Eltern, dem Bruder / der Schwester, den Freunden und Bekannten, in der Schule, im Verein und später in der Ausbildung / im Studium sowie in den ersten beruflichen Stationen von Trainee, Young Professional über die Führungskraft bis hin zum Chef. Diese können positiv oder negativ sein, wertschätzend oder missbilligend, respektvoll oder diskriminierend. Eines sind Erfahrungen nie: sinnlos. Richtig ist, dass der Coach in der Ausbildung die vielfältigsten Erfahrungen sammeln muss, damit er im Alltag nicht überrascht wird und sich assoziiert verhält bzw. das Coaching abbricht. Des Weiteren braucht der Coachee / Teamcoachee Erfahrungen in der Bewertung und Umsetzung seiner Ressourcen, sodass vor allem die Phase V erst Wochen oder Monate später nach dem tatsächlichen Treffen beendet ist.

5.2

Kompetenzentwicklung

Wie bereits erwähnt streben viele Menschen das lebenslange Lernen an, sodass sie sich stetig weiterentwickeln. Dazu sind folgende abstrakte Parameter wichtig:

214

Coachkompetenzen

Das Kompetenzentwicklungsmodell

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Verhalten

Ressourcen 5.3

Fazit

Erfahrungen sind wichtig, damit wir uns stets entwickeln können, uns bestätigen oder auch einfach einmal anders sein dürfen. Desto mehr Erfahrungen ein Mensch in unterschiedlichen Kontexten gesammelt hat, desto leichter kann er seine Ressourcen zu Erfolg und Misserfolg ordnen. Erst dann können neue Einstellungen und Verhaltensmuster durch die neue Bewertung via betroffener Motive und Werte entstehen, die in der Veränderung helfen. Allerdings sollte der Coach nicht auf seine Erfahrungen zurückgreifen, da die Gefahr hoch ist, dass er assoziiert ist und sich assoziiert verhält. Unter assoziiert verstehen wir gerade eine nichtprofessionelle Haltung, die dazu führt, dass der Coachee / Teamcoachee manipuliert und bewertet wird. Bestes Beispiel ist eine jahrzehntelange erfolgreiche Führungskraft, die nun als Coach arbeitet. Dieser Coach hält es nicht aus, wenn der Coachee / Teamcoachee vor allem nicht die richtigen Fachwörter nutzt, nicht ein allgemeingültiges Verständnis von Führung besitzt oder tatsächlich nicht erkennt, wie Führungseinsicht und Führungsaufgaben zur persönlichen Lösung verhelfen. Bleiben Sie wachsam und respektvoll: schätzen sie die Werte von Coaching und die Ihres Gegenübers.

215

6. Handlungskompetenz Die Handlungskompetenz bedeutet kontextabhängig die eigenen Kompetenzen bzw. Ressourcen sinnvoll und koordiniert sowie individuell selbstbestimmt einzusetzen und erkennbar umzusetzen. Im Ergebnis finden wir hier jedes Tun oder Unterlassen, was ein objektiver Dritter wahrnehmen kann. Insofern wird die Handlungskompetenz stets in Kombination mit den anderen Kompetenzbereichen anzutreffen sein. Wer seine Motive kennt, der orientiert sich nicht nur an ihnen, sondern steuert auch sein Können und seine Handlungen danach. So ähnlich ist es mit dem Fachwissen und der Methodik. Methodik erhält erst Dynamik, wenn diese tatsächlich ausprobiert wird. Wichtig ist stets, dass wir nicht lernen, wenn die Praxis fehlt. Folglich hat das hier beschriebene systemische Management Coaching die nachhaltige Selbstlernkonzeption zum Ergebnis. Umgangssprachlich ausgedrückt erweitern wir unser Selbstbild. Zu diesem Selbst- und Fremdbild haben Joseph Luft und Harry Ingham 1955 eine Matrix veröffentlicht, die die bewussten und unbewussten Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale zwischen einem Selbst und anderen Menschen aufzeigen kann. Plastisch nannten sie es das Johari-Fenster.167 Sie wollten die Erkenntnis über sich selbst durch sich selbst und durch andere für gruppendynamische Prozesse nutzen, um ein besseres Miteinander zu schaffen. Ziel sei es in der Gruppendynamik, den gemeinsamen Handlungsspielraum nicht nur transparent, sondern auch größer zu gestalten. Dazu muss die betroffene Person ihre persönlichen Geheimnisse verkleinern und Fakten und Emotionen von sich preisgeben. Andererseits soll die Umgebung bewusst beobachtet und das aktive Zuhören geschult werden. Denn wer Feedback gibt, hilft den blinden Fleck bei anderen oder sich selbst zu verringern. Umgekehrt besteht hier die Gefahr, dass Menschen zu naiv mit ihren Daten umgehen und quasi mit sich selbst hausieren gehen. Persönliche Informationen, die früher meist nur die, daher negativ konnotierte, Klatschpresse mit Artikeln und Fotos verletzt hat, geben mittlerweile immer mehr Menschen von sich aus preis. Brennpunkt ist das Internet mit seinen social plattforms. 167 Joseph Luft / Harry Ingham, The Johari Window, a graphic model for interpersonal relations. Western Training Laborytory in Group Development.

216

Coachkompetenzen

Das JoHari-Fenster – Selbst- und Fremdwahrnehmung –

Die Arena

Bereich des freien Handelns

MIR UND AND ANDEREN DERE REN BEKANNT

Die Unkenntnis

Bereich des blinden Flecks

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Mein Geheimnis

Mein unbewusstes Wissen

Bereich des Verbergens

Bereich des Unbewusstseins

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Joseph Jos eph Lu Luft ft und Ha Harry rry In Ingha Ingham gham m · 19 1955 55

217

7. Fazit Professionelle Arbeit entsteht, wo das obige Grundlagenwissen nicht nur kognitiv erlernt, sondern auch emotional erlebbar gemacht wird, indem Sie dieses Wissen mit Ihrem Mentor des systemischen Management Coachings besprechen, vertiefen und ausprobieren. Ansonsten könnten Sie assoziiert und emotional verhaftet bleiben. Professionalität benötigt Disziplin sowie Zeit- und Selbstmanagement. Um sich als Coach am Markt zu platzieren, müssen Sie wirklich gut sein. Wirklich gut heißt, dass Sie absolut neutral bleiben, Bedeutungen und Zusammenhänge klären sowie abstrakte Reflexionsangebote geben, damit Sie keine Person manipulieren und durch eigene Bewertung verunsichern oder (fremd)steuern. Wenn Ihnen diese Art des Coachings als ein Privileg und eine Bereicherung vorkommt, freuen meine Partner und ich uns darauf, Sie in unserer Ausbildung zum systemischen Management Coach (Hamburger Coach) und spätereren Refresherstunden sowie ggf. der Zusatzqualifikation als Teamcoach (Hamburger Teamcoach) begrüßen zu dürfen. Für diejenigen, die gerne bewerten, Geschichten erzählen und als Vorbild dienen möchten, empfehle ich die Qualifikation als systemischer Management Mentor (Hamburger Mentor) mit späteren Refresherstunden.

219

IV. Coachingablauf des Teamcoachings 1. Theoretischer Teil Die im vorherigen Kapitel beschriebenen Coachkompetenzen benötigen Sie, um dem Ablauf des Coachings verantwortungsvoll und dissoziiert eine Struktur geben zu können. Im Folgenden wird der Coachingprozess theoretisch beschrieben, damit Sie eine Vielzahl an Möglichkeiten für ihr eigenes Handeln bzw. die Hypothesenbildung erhalten. Alles sollte so einfach wie möglich gemacht werden, aber nicht einfacher. – Albert Einstein – Dieser Spruch wird ernst genommen, sodass ein Prozess knapp strukturiert wird. Diese Struktur bietet Raum und Möglichkeiten, um kreativ und komplex das Ziel zu erreichen. Der Coachingprozess nach der Hamburger Schule hat fünf Phasen: • Phase 1: Kontakt und Kontrakt • Phase 2: Thema- und Zielklärung • Phase 3: Identifikation der Ressourcen • Phase 4: Entwicklung und Auswahl von Handlungsoptionen • Phase 5: Abschluss und Controlling

1.1

Kontakt und Kontrakt

Wichtig ist zunächst, was Sinn und Zweck sowie Wirksamkeitserwartung der einzelnen Phase sind. Sodann kann der Ablauf und die Methodik besser verstanden werden. Sinn und Zweck meint die objektive realistische Zielsetzung. Phase 1 stellt auf die gemeinsam erzielte Vereinbarung über die Zukunft eines Teamcoachings ab. Wirksamkeitserwartung meint die subjektive Bewertung einer erwarteten Zukunftshoffnung. Phase 1 erzeugt Transparenz bzgl. des Coachs und seines Coachingablaufs (Ressourcenverfügung – Coachingwert) sowie Sicherheit des Coachees / der Teamcoachees über Vertrauen und die freie (Freiheit – Coa-

220

Coachingablauf des Teamcoachings

chingwert) und autonome (Freiwilligkeit – Coachingwert) Entscheidung zum systemischen Coaching (Selbststeuerung – Coachingwert). 1.1.1

Vorstellung und Erwartung – sog. Kontakt

Der zeitliche Ablauf beginnt mit dem Kontakt. Unter Kontakt versteht man den ersten Schritt des gegenseitigen Kennenlernens, in dem man entweder ein Angebot einholt oder abgibt. Der Teamcoach gibt eine invitatio ad offerendum über seine Werbung und Akquisetätigkeiten ab. Im überwiegenden Fall kontaktiert aus wirtschaftlicher Sicht der Auftraggeber den Teamcoach um alle essenziellen Aspekte zu diskutieren und zu vereinbaren. Der Kontakt wird über Werbung per Internet wie Homepage, Datenbanken, google Adwords, Newsletter, per Flyer oder mittels persönlicher Kontaktpflege initiiert. Sodann ruft der potenzielle Auftraggeber beim Teamcoach an, um nach den Konditionen zu fragen. Diese essentialia negotii sind beim Coaching grundsätzlich: • der Austausch der eigenen Vorstellung und der eigenen Erwartung an den Teamcoach, das Team und das Teamcoaching, • die Skizzierung des Themas und des Veränderungswunsches sowie • die Klärung von Coaching, den Verantwortungsbereichen bzw. Rechten und Pflichten als auch die rechtliche Vereinbarung zum Teamcoaching. Nun müssen die gegenseitigen Vorstellungen und Erwartungen von Coaching, Coachkompetenzen und Coachingprozess ausgetauscht und diskutiert werden. Die Erwartungshaltungen des potenziellen Auftraggebers können von der hier vorgestellten Art und Qualität von Coaching abweichen bzw. variieren. Sie werden – wie bereits oben erwähnt – Coaching als Modewert, Coaching als Beratung, Coaching als Führung usw. aber auch Coaching als Coaching erklärt und erwartet bekommen. Argumentativ sollte der Teamcoach die Beweggründe für das Teamcoaching in Erfahrung bringen und sodann die Vor- und Nachteile von Training, Beratung und Coaching kurz und prägnant erklären. Erwähnenswert ist die Nachhaltigkeit von Coaching. Sie basiert auf den fünf Werten und den drei Anliegen von Coaching. Die fünf Werte finden wir sowohl auf den Seiten des Teamcoaches als auch auf denen der Coachees. • Freiheit bedeutet die durch den Coachee / das Team selbst festgelegte nachhaltige Selbstlernkonzeption.

Theoretischer Teil

221

• Freiwilligkeit bedeutet die durch den Coachee / das Team selbst festgelegte Veränderungsthematik und den dazugehörigen Veränderungszeitpunkt. • Ressourcenverfügung bedeutet den selbstständigen Zugriff des Coachees / des Teams auf die vorhandenen Ressourcen, welche zur Selbstorganisation und Veränderungsrealisierung benötigt werden. • Selbststeuerung bedeutet die durch den Coachee / das Team erforderliche Selbsterkenntnis und Selbstrealisation der erforderlichen Veränderungsanforderungen. • Vertrauen / Vertraulichkeit bedeutet sich in einem Rahmen von Schutz sowohl nach außen als auch nach innen zu bewegen. Die drei Anliegen sind quasi das Ergebnis des Coachings durch die Interventionen des Teamcoaches bei den Coachees. • Wahrnehmungserweiterung bedeutet das Bewusstsein und deren Erweiterung über das eigene Selbstbild. • Förderung der Entscheidungsfähigkeit bedeutet das Potenzial / die Kompetenz hinsichtlich der Wahl erstens zwischen Alternativen oder zweitens von Varianten. • Analyse der Handlungsoptionen bedeutet die individuelle Bewertung möglicher Optionen zur ressourcenorientierten Veränderungsrealisierung. Diese münden in der nachhaltigen Selbstlernkonzeption des Coachings nach der Hamburger Schule und werden mittels Fotoprotokoll der einzelnen Phasen verewigt. • nachhaltig bedeutet die Veränderungsthematik zukünftig im selben und anderen Kontexten erfolgreich zu begleiten / zu lösen. • Selbstlernkonzeption bedenkt die Fähigkeit ein Ziel-, Struktur- und Handlungssystem mittels eigener Ressourcen auf eigenes Lernen zu erstellen und zu nutzen. 1.1.2

Thema und Veränderungswunsch skizzieren

Nun ist es wichtig zu wissen, welcher Veränderungswunsch im Fokus liegt. Aufgrund der fünf Werte muss der Teamcoach sowohl Zielanweisungen als auch Zielvorgaben des potenziellen Auftraggebers ablehnen, sondern vielmehr den Impuls des potenziellen Auftraggebers aufnehmen.

222

Coachingablauf des Teamcoachings

Wichtige Anlässe / Themen sind: • • • • •

Neugründung Teamentwicklung Erfolgreicher werden Konfliktmanagement Changemanagement wie Stellenstreichung, Mitarbeiteraufstockung, Unternehmensverkauf, Unternehmenskauf, Kurzarbeit usw. • Auflösung • usw. 1.1.3 Coachingablauf und Verantwortungsbereiche im Coaching klären sowie formalen Vertrag vereinbaren – sog. Kontrakt Nach der Themenbenennung sollte der Teamcoach professionell sein abstraktes Vorgehen benennen. Das Vorgehen bedeutet sowohl die differenzierte und strikte Aufteilung der Verantwortungen von Teamcoach zu Coachees als auch die Erklärung des Coachingprozesses nach der Hamburger Schule. Fakten und Erklärungen schaffen Vertrauen und geben Sicherheit. Wichtig ist also, dass der Coach die Prozessverantwortung hat, dabei in die Welt der Teamcoachees durch diverse Reflexionsangebote interveniert und mal konfrontativ, mal irritierend und mal anders fragend vorgeht. Hingegen obliegen den Teamcoachees die Verantwortung über die Lösungsfindung und das Ergebnis. Hierbei stellen die fünf Coachingwerte die Leitwerte von Coach und Coachee im Coachingprozess dar, sodass auf die Konzentrations- und Lernfähigkeit des Coachees / der Teamcoachees geachtet wird. Pausen sind zur Erhaltung des Zugriffs auf die Ressourcen unbedingt notwendig. Außerdem muss der Coach die Teamcoachees auf No-Gos hinweisen und das Coaching unterbrechen, falls Themen berührt werden, die diese nicht preisgeben wollen. Stehen diese Aspekte im Einklang mit der Erwartung des potenziellen Auftraggebers als auch mit dem Teamcoach, so vereinbaren beide Parteien die Durchführung eines Teamcoachings. Neben dem Ob ist das Wie des Teamcoachings notwendig. Sowohl Ort, Datum, Uhrzeit und Räume samt Ausstattung wie Pinnwände mit Pinnadeln, Flipcharts mit ausreichend vorhanden Flipchartpapier sowie Moderationskarten in allen Farben, Formen und Größen müssen besprochen werden. Weiterhin wird ein Fotoprotokoll für die Teilnehmer

Theoretischer Teil

223

des Teamcoachings gefertigt und über den Einsatz der MotivStrukturAnalyse (MSA)® gesprochen. Darüber hinaus vereinbaren Sie ein angemessenes Entgelt für Ihre Dienstleistung. Üblich ist ein Stundensatz von 50,00 – 300,00 EUR pro Stunde,168 was sich an der Erfahrung und Kompetenz des Coaches orientiert. Neuanfänger werden 50,00 – 100,00 EUR pro Stunde verlangen können. Berufserfahrene und qualitativ hochwertige Coaches deutlich mehr. Bedenken Sie, dass ein Entgelt zwar nicht ausdrücklich vereinbart werden muss, da sich dies aus den Umständen des Einzelfalles ergeben kann, vgl. § 612 BGB, zur Rechtsklarheit und Rechtssicherheit sollte das Entgelt jedoch mit allen Konditionen sowohl ausdrücklich als auch schriftlich vereinbart werden. Denken Sie daran, dass Sie ab dem ersten Kontakt, dem ersten Wort bzw. der ersten nonverbalen und verbalen Kommunikation Hypothesen in Bezug auf den Coachee / die Teamcoachees (zur Arbeits- und Beziehungsgestaltung zwischen Teamcoach und Coachees) sowie auf den Veränderungswunsch (Coachingthema) bilden können. Fazit: Am Ende der Phase 1 wissen sowohl der Teamcoach als auch der Auftraggeber, ob und wie das Teamcoaching als auch zu welchen Konditionen stattfindet.

1.2

Thema- und Zielklärung

Sinn und Zweck der Phase 2 ist die vom Coachee kognitiv bewusste und emotional gewollte Zielformulierung im betroffenen Kontext. Wirksamkeitserwartung der Phase 2 ist sowohl die Standortbestimmung des Veränderungswunsches im Hier und Jetzt (sog. Ist-Zustand) als auch die Visualisierung des realistisch zukünftigen Zustandes des Veränderungswunsches (sog. Soll-Zustand). Dies schafft Sicherheit, Klarheit und Vertrauen erstens in sich selbst, zweitens in das Team und drittens in den Coach. Zu Beginn laden Sie als Coach jeden in die Welt des Coachings und dessen Prozessgestaltung ein. Sie weisen auf die informellen und formellen Rahmenbedingungen hin. Informell bezieht sich auf die Wertehaltung und emotionale Bedeutung von Coaching, nämlich der Hilfe zur Selbsthilfe als Unterstützer der eigenen Reflexionen hinsichtlich des zu bearbeitenden Veränderungswun168 Amtsgericht Kamen, Urteil vom 06.05.2005, 12 C 519/03.

224

Coachingablauf des Teamcoachings

sches. Formelle Aspekte stellen den ruhigen und geschützten Coachingraum, mit seinen Medien von Flipchart, Pinnwand sowie Tisch mit Moderationskarten und verschiedenfarbigen Stiften, dar. Mit der Einleitung und Wiederholung der wichtigen Aspekte von Coaching können Sie starten. 1.2.1

Ist-Zustand: Thema schriftlich fixieren und visuell systemisch aufstellen

Zur Unterstützung des Coachees / der Teamcoachees muss der momentane Zustand beschrieben werden, um eine Veränderung zu initialisieren. Grundsätzlich fragen Sie als Coach nach der jeweiligen Bedeutung des Themas als auch der benutzten Wörter für das Thema. Für eine gute Zusammenarbeit, der Feststellung der Veränderung und Weiterentwicklung des Coachees / der Teamcoachees sollte das Thema schlagwortartig fixiert werden. Am besten eignet sich ein großes Blatt Papier, wie ein Flipchartblatt. Diese knackige Benennung des Themas bleibt stets während des Coachings für den Coachee / die Teamcoachees sichtbar. Wichtig ist, dass sie das Axiom „Die Lösung liegt im Coachee“ beachten. Der betroffene Coachee kennt seine Welt und seine Deutungen am besten, sodass sie jede neue Phase mit einer offenen Frage beginnen, damit ihr Coachee seine Ideen und Wahrheiten aussprechen kann. Wichtig für die individuelle Lernentwicklung und der Nachhaltigkeit des Coachings ist allerdings die Visualisierung jedes Schrittes und jedes Aspektes des Veränderungswunsches. Insofern sollte der momentane Zustand nicht nur ausgesprochen, sondern auch visualisiert werden. Schriftliche Fixierungen geben Sicherheit, Transparenz, bilden die Komplexität ab, jedoch schaffen sie auch Verbindlichkeiten. Das geschriebene Wort dient als Beweis sowie als Anhaltspunkt, damit der Teamcoach gezielt und nachvollziehbar intervenieren kann. Zur Erweiterung der eigenen Wahrnehmung stellen Sie nicht nur Fragen, sondern geben strukturierende Modelle zur Reflexion vor. Bewährt haben sich TZI (Themenzentrierte Interaktion) von Ruth Cohn, das Neue St. Galler Management Modell von Johannes Rüegg-Sturm und das 10 Felder-Modell von Rolf Meier, Axel Janßen und Nina Meier, sondern auch dessen Innovation als Interaktion des kognitiv-biologischen Wohlbefindens von Nina Meier. Durch die vollständige Abfrage und Anwendung dieser Modelle zwingen Sie die Teamcoachees sich andere und neue Gedanken über den momentanen systemi-

Theoretischer Teil

225

schen Zustand ihres Veränderungswunsches zu machen. Zudem ermöglichen Sie ihnen, eine dissoziierte Haltung als professioneller Coach zu bewahren. Dabei sind witzige Ideen, dass Sie auf unterschiedliche Arten und Weisen Perspektivenwechsel anregen, herzlich willkommen. Einfach und wirkungsvoll ist sowohl das Aufstehen und als auch das Umlaufen der eigenen visuellen Aufstellung. Verschaffen Sie jedem Teamcoachee den Einblick in die Welten der anderen Teamcoachees, indem Sie in Ruhe die visuellen Ergebnisse präsentieren lassen oder sich wortlos vor und neben diese Ergebnisse stellen. Dieses Schauen und Reflektieren der anderen visuellen Aufstellungen schafft ein Bewusstsein über die Gemeinsamkeiten und Andersartigkeiten jedes Individuums. Stellen Sie dosiert zirkuläre, hypothetische und skalierende Fragen, da diese Formen anders und neu für jeden Coachee sind. Wählen Sie angemessen und bewusst ihre Interventionen aus. In einem Teamcoaching müssen Sie zunächst jede einzelne Person individuell zum Veränderungsthema ansprechen und sich ihre persönliche Perspektive visuell-systemisch aufzeigen lassen. Erst dann kann und muss aus jeder einzelnen Darstellung ein gemeinsames Bild des Hier und Jetzt erzeugt werden. So schaffen Sie eine Einheit der Coachingteilnehmer und der ersten Identifikation im Team und mit dem gemeinsamen Veränderungsthema. Hernach sollten Sie sowohl nach Erkenntnissen als auch nach dem aktuellen Befinden fragen. 1.2.2 Soll-Zustand: Zielformulierung und systemische Zielerreichungsmerkmale schriftlich fixieren Nach dem thematischen Hier und Jetzt wird sowohl konkretisiert als auch zukunftsbezogen gearbeitet. Der Coach kann verschiedene Reflexionsangebote machen, damit sich die Teamcoachees einen idealen und realistischen, selbsterreichbaren, anspruchsvollen und motivierenden Zustand in der Zukunft vorstellen können. Entweder mit der direkten und konfrontativen Frage „Was ist ihr gemeinsames Ziel?“, der weicheren Formulierung „Was werden Sie gemeinsam erreicht haben?“ oder einfach emotional kreativ Vorgehen. Letzteres kann durch die Bitte passieren, die visuelle Aufstellung des Ist-Zustandes zu einem idealen Soll-Zustandes zu verändern, die Teamcoachees können sich die Zukunft aber auch bei geschlossenen Augen erdenken und erfühlen. Die endgültige Zielformulierung muss folgende Komponenten aufweisen:

226

Coachingablauf des Teamcoachings

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Nahezu jeder Teamcoachee will sicherstellen, dass er sein Ziel erreicht haben wird, so werden noch Zielerreichungsmerkmale herausgearbeitet. ZEM dienen der Evaluation und stellen zusätzlich Indikatoren der Zielerreichung im System der Teamcoachees dar. Hierzu werden in der visuellen Aufstellung Cluster gebildet und mit Namen versehen. Diese Cluster stellen Teilkontexte im thematischen System (Kontext der Veränderung) der Teamcoachees dar.

227

Theoretischer Teil

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Merkmal

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Merkmal Nina Meier · 2009

Aufgabe des Coachs ist, die Teamcoachees in die Perspektive der einzelnen Begriffe zu versetzen. Sinnvoll sind zirkuläre Fragen. Aus dieser Perspektive werden zwei Fragen beantwortet: 1. Frage: Woran erkennt das Merkmal X, dass Ihr Euer Ziel erreicht habt? 2. Frage: Welche Bedeutung hat die Zielerreichung für das Merkmal X? Die erste Frage stellt auf die objektive und rationale Komponente ab, die zweite Frage betrifft die subjektive und emotionale Komponente. Für viele Menschen ist ein Perspektivenwechsel in andere Menschen einfach, hingegen nicht in normale Begriffe wie Werte, Gegenstände, Kompetenzen usw. Jedem Merkmal wird quasi Leben eingehaucht, damit dieses Merkmal überhaupt etwas objektiv Nachvollziehbares bemerken kann und andererseits eine emotionale Bedeutung erkennen und empfinden kann. Bleiben Sie als Coach dissoziiert, geben Sie gezielte Unterstützung zum Perspektivenwechsel und haben Sie Geduld.

228

Coachingablauf des Teamcoachings

Sowohl in der Phase 2.1 als auch in der Phase 2.2 sind wieder die Bildung von Hypothesen für Reflexionsangebote sowie die Klärung von Zusammenhängen und Bedeutungen wichtig!

Zielerreichungsmerkmale mit Handlungsoptionen

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Fazit: Am Ende dieser Phase 2 haben Sie zwei Zustände erarbeitet, nämlich das Thema (Hier und Jetzt) sowie das Ziel (Zukunft).

Theoretischer Teil

1.3

229

Ressourcenidentifikation

Sinn und Zweck der Phase 3 ist die vom Teamcoachee systemisch-konstruktivistische reflektierte Erfassung der Ressourcen im thematischen Kontext. Wirksamkeitserwartung der Phase 3 bedeutet Reflexion und Bewusstseinsschaffung über die eigenen unmittelbaren und mittelbaren Ressourcen. Sie erzeugt (Freiheit + Freiwilligkeit – Coachingwert) Transparenz und Sicherheit über die vorhandenen Kompetenzen (Ressourcenverfügung – Coachingwert) sowie Vertrauen in den Coach und den Coachingablauf. Die Phase 3 wird nach dem Kompetenzmodell und inhaltlich nach den gebildeten Hypothesen strukturiert. Inhaltlich muss das Kompetenzmodell bearbeitet werden, jedoch die Abfolge wird über die Hypothesen ersichtlich. a. emotionale Ressourcen im Kontext ermitteln Hier werden sämtliche Reflexionsangebote zur Emotion und Motivation wie Motive, Werte, Bedürfnisse und Gefühle, aber auch die inneren Antreiber verwendet. b. kognitive Ressourcen im Kontext ermitteln Hier werden sämtliche Reflexionsangebote zu Wissen und Führung wie 8 GE, 14 Führungsaufgaben, Ausbildung, Qualifikation, Fähigkeiten und Fertigkeiten verwendet. c. sozio-kommunikative Ressourcen im Kontext ermitteln Hier werden sämtliche Reflexionsangebote Kommunikation und Konflikt wie verbale / nonverbale Kommunikation, Wahrnehmung, Feedback, Kultur, Konflikt, Konfliktstufen, Team, Teamrollen, Teamentwicklung, Verhalten in Kommunikation, Konflikt und Team verwendet. d. bisheriges Analyse- und Lösungsverhalten im thematischen Kontext identifizieren Hier werden sämtliche Reflexionsangebote zur Entscheidung wie Erfolg / Misserfolg, Motiv-Wert-Interaktion, JoHaRi, SWOT-Analyse, Systemcheck verwendet. Aufgrund des systemisch-konstruktivistischen Coachingansatzes müssen stets die Zusammenhänge und Bedeutungen geklärt werden. In dieser Phase der Schatzkiste werden die bisherigen formulierten Hypothesen in unterschiedliche Angebote zur Reflexion über das Thema angeboten. Ab und zu werden noch konkreter Informationen wahrgenommen, die die bisherigen Hypothesen

230

Coachingablauf des Teamcoachings

vom ersten Kontakt bis zur Identifikation der thematischen Ressourcen unterstützen und detailliertere Zusammenhänge offenbaren. Das macht jedes Coaching einzigartig individuell. Fazit: Am Ende der Phase 3 haben Sie einen dritten Zustand der thematischen Ressourcen vorbereitet, der entweder mit dem Thema aus 2.1 visuell verwoben ist oder nicht.

1.4

Entwicklung und Auswahl von Verhaltensmöglichkeiten

Sinn und Zweck der Phase 4 ist die vom Teamcoachee kognitiv bewusste und emotional gewollte Handlungsoptionsplan zur Zielerreichung im Veränderungskontext. Wirksamkeitserwartung der Phase 4 bedeutet reflektierte Bewertung der eigenen und vorhandenen Ressourcen hinsichtlich der Zielerreichung (Ressourcenverfügung + Selbststeuerung – Coachingwert). Sie erzeugt (Freiheit + Freiwilligkeit – Coachingwert) Transparenz und Sicherheit über die vorhandenen Kompetenzen (Ressourcenverfügung – Coachingwert) sowie Vertrauen in den Coach und den Coachingablauf. a. Auswahl von Handlungsoptionen – sog. Initialisierung der Selbstlernkonzeption. Hier werden die Ressourcen der Phase 3 bewertet, reframed und ausgewählt. b. Analyse potenzieller Probleme. Die ausgewählten Ressourcen müssen in ihrer Wirkung + Anwendung analysiert und bewertet werden, denn blauäugiges Handeln kann genauso Schaden anrichten wie unverändertes Handeln. c. Handlungsoptionsplan erstellen. Nun werden die ausgewählten erfolgsversprechenden Ressourcen in eine To-Do-Liste gesetzt und mit Terminen versehen.169 Aufgrund des systemisch-konstruktivistischen Coachingansatzes müssen stets die Zusammenhänge und Bedeutungen geklärt werden. Zusätzlich sind nicht nur die Zusammenhänge, sondern auch die positiven und negativen Auswirkungen von Erkenntnissen und dem Einsatz von Ressourcen zu reflektieren. Fazit: Am Ende der Phase 4 haben Sie einen fokussierten Zustand auf die wichtigsten Ressourcen der Phase 3 zur Zielerreichung (Phase 2.2). 169 Vgl. Rolf Meier in Christopher Rauen, Coaching-Tools I

231

Theoretischer Teil

1.5

Controlling und Abschluss

Nach dem eigentlichen konkreten Coaching muss aus verschiedenen Gründen ein Controlling stattfinden. Sinn und Zweck der Phase 5 ist die Stabilisierung der nachhaltigen Selbstlernkonzeption des Coachees. Wirksamkeitserwartung der Phase 5 beruht auf dem Vertrauen und der Klarheit über die unzertrennbare Einheit von Gehirn, Geist, Körper und Emotionen eines Menschen. a. Motive und Werte zielgerecht bewerten b. ggf. Ressourcenaktualisierung und -anpassung c. Verhaltensnachhaltigkeit feststellen – sog. nachhaltige Selbstlernkonzeption Abschließend sind nur noch Wortbedeutungen zu klären sowie die Identität und Zukunftshoffnung aufgrund der intrinsischen Motivation zu hinterfragen.

M

Kontext

In der Regel werden ein bis drei Termine in den Handlungsoptionsplan gesetzt, der als Rückmeldung und Kontaktaufnahme mit dem Coach dient. Tipp: Rückmeldungen müssen schriftlich (per Mail) erfolgen, so dass man die kognitive Durchdringung der Veränderung lesen kann. Sofort sollte telefonischer Kontakt aufgenommen werden, damit die Emotionen durch die Abfrage der Befindlichkeit und der Erzählung der bisherigen Veränderung verlautbar werden. Nur so kann die Einheit der Kognition und Emotion spielerisch und pädagogisch wertvoll erarbeitet werden.

erfolgreiches

W Verhalten

Motiv

Wert

Nina Me ier · 2006

Fazit: Nun konnte sich der Coachee ausprobieren, indem er durch die mentale Vorbereitung des komprimierten Tages neues Verhalten umsetzen konnte. Eine Justierung auf die handlungsleitenden Motive und Werte ist essenziell notwendig.

232

Coachingablauf des Teamcoachings

2. Praktischer Teil Folgendes Fallbeispiel ist im Einverständnis der Teilnehmer erstellt, dokumentiert und zur Veröffentlichung frei gegeben worden. Namen und persönliche Angaben, die nicht dokumentiert sind, sind verändert worden.

2.1

Ablauf des Teamcoachings am Fallbeispiel

Phase 1 „Kontakt und Kontrakt“ Im September 2010 kontaktiert mich Thorsten S. telefonisch, da er auf der Suche nach professioneller Unterstützung in der Unternehmensgründung sowie erfolgreicher Implementierung dessen am Markt ist. Sowohl durch Empfehlung von seinen Businesskontakten als auch die eigene Recherche im Internet führt ihn zu mir. Die kompakte, logische und ansprechende Darstellung von der Definition meines Coachings samt der fünf Werte und der drei Anliegen, des systemischen Coachingablaufs und der Referenzen bilden für Ihn eine plausible und professionelle Darstellung von Coaching. Auf dieser Grundlage tauschten wir uns über Coaching, die Abgrenzung zu Training, Beratung, Therapie und Supervision aus. Im Hinblick auf Teams und Teamentwicklung wird die Skepsis genommen, dass Teilnehmer unter sozialer Faulheit leiden und später das Ergebnis nicht nachhaltig leben und realisieren. Unsere Erkenntnis ist, dass wir einer Meinung sind. Meine Hypothesen: Er besitzt Erfahrung mit Coaching, was entweder auf fachlich-methodischer Kompetenz oder der Feldkompetenz beruht. Motiv nach Wissen und Bedürfnis nach Sicherheit. Abstrakte hypothesengeleitete Reflexionsangebote: Kompetenzmodell, Maslowsche Bedürfnispyramide, MotivStrukturAnalyse (MSA). Auf Bitten von Thorsten S. stelle ich mich mit eigenen prägnanten Worten zu meiner Vita und Kompetenzen dar, welche er gelesen hatte. Insofern resümierte ich über meine Motivation der Hilfe in der Sache und für die Person, sodass rechtswissenschaftliches Know-how mit Personal-Persönlichkeitsentwicklung verknüpft wird, systemisch-konstruktivistisches Denken und Handeln natürlich ist, meine emotionale Lust auf Seiten der individuellen Begleitung zur eigenen ressourcenorientierten Zielerreichung mich erfüllt. Während dessen stellte er Fragen zum Verständnis und zur Orientierung.

Praktischer Teil

233

Meine Hypothese: Verständnisfragen und Bedeutungsklärung zeigen von Interesse in meine Person, schafft Sicherheit und Vertrauen. Er ist wertegeleitet, defizitäres Sicherheitsbedürfnis, risikobewusstes Motiv. Abstrakte hypothesengeleitete Reflexionsangebote: Kompetenzmodell, 14 Führungsaufgaben, 8 Grundeinsichten der Führung, MotivStrukturAnalyse, Bedürfnispyramide, Werte, Emotionen. Daraufhin frage ich nach seinem konkreten Anliegen. Im Sommer traf er Jaqueline S., Nicole K. und Katharina K. Sie entschieden sich, zusammen ein Unternehmen für Talentsuche im gesanglichen Bereich zu gründen und erfolgreich am Markt zu implementieren. Sowohl Thorsten S. als auch Katharina K. sind ausgebildete Sänger (Bariton bzw. Sopran) und lieben die klassische Musik mit jeweiligen kreativen Ein- und Umbrüchen im Musikstil. Katharina K. ist sehr jung und voller Tatendrang, liebt es auf Menschen zuzugehen, deren Talente zu erkennen (musikalisch hören und sehen) sowie Talente zu fördern. Hingegen paart Thorsten S. seine Leidenschaft mit dem Business als stellvertretender Geschäftsführer in dieser Branche. Beide arbeiteten gelegentlich für ein gemeinsames Projekt und stehen seitdem miteinander im Kontakt. Nicole K. und Jacqueline S. möchten sich beruflich verändern. Jacqueline S. sucht aufgrund frischer Familienplanung einen sicheren routinierten Job mit 30 Stunden/ Woche, wobei sie ihre Sprachen einsetzen kann. Bisher leitete sie zwei Büros in einem kleinen und mittelständischen Unternehmen, einerseits im Schwerpunkt Mode und andererseits in der Unternehmensberatung. Hingegen will Nicole K. nach Hamburg ziehen und ist ausgebildeter systemischer Coach, Sozialpädagogin und arbeitete sowohl in der Personalabteilung in der Automobilbranche als auch im Wissensmanagement. Thorsten S. kennt beide flüchtig. Nun will er die unterschiedlichen Kompetenzen zu einer erfolgreichen Einheit verbinden und qualitativ gute Arbeit in der Talentsuche & Talentvermarktung schaffen. Auf Nachfragen hin betont er, dass er ein harmonisches und konstruktives Miteinander im Sommer 2010 miteinander feststellen habe können. Meine Hypothese: realistische Feststellungen sowie idealistische Ausprägungen zum gemeinsamen Erfolg. Er ist wertegeleitet, teamorientiert, Ideengeber und Anführer. Abstrakte hypothesengeleitete Reflexionsangebote: Kompetenzmodell, 8 Grundeinsichten der Führung, 14 Führungsaufgaben bzw. Regelkreis der Führung, Maslowsche Bedürfnispyramide, MotivStrukturAnalyse, Teamrollen nach Margerison und McCann.

234

Coachingablauf des Teamcoachings

Sodann erklärte ich meine Aufgabe als Verantwortliche für den Prozess, wobei ich jeden Schritt transparent mache, diverse Reflexionsangebote über Modelle, Methoden, Axiome gebe. Meine Interventionen können auch merkwürdig, anders, provokativ oder irritierend sein. Damit locke ich neue Kombinationen, Reflexionen und Perspektiven hervor. Alle vier müssen gemeinschaftlich die gemeinsame Lösung für eine nachhaltige Selbstlernkonzeption bekommen. Dies ist erwünscht und möchte einen Termin vereinbaren. Zum gemeinsamen Termin soll jeder Teilnehmer freiwillig teilnehmen und sich des Coachings bewusst sein. Zu meiner Vorbereitung werde ich telefonisch Kontakt mit den Dreien aufnehmen, sodass ich von allen Vieren ein kurzes Statement per Mail über den Grund, die Erwartung und persönliche Befindlichkeiten erhalte. Zeitgleich werden alle vier die MotivStrukturAnalyse sowie das TeamManagementProfil ausfüllen. Nachdem Honorar sowie Zeit: Freitag 29.10.2010 14:00 – 18:30 Uhr sowie Samstag 30.10.2010 09:00 – 17:00 Uhr Ort: Großer Seminarraum des Hotels/Gastronomieservices in Hamburg vereinbart wurden, nahm ich Kontakt mit den anderen auf: Mail von Katharina K.: Hallo Frau Meier, ich bin sehr gespannt auf das Teamcoaching und hoffe einen guten Beitrag zu leisten. Ich erwarte ein gutes Teamcoaching, wobei jeder von uns einzeln geschätzt und geachtet wird. Bitte, bitte manipulieren Sie mich nicht und instruieren die anderen nicht zur Manipulation meiner Person. Bis dann und viele Grüße Katharina K. Mail von Thorsten S.: Liebe Frau Meier, vielen Dank für das ausführliche Vorgespräch. Ich bin guter Dinge, dass wir uns gegenseitig konkreter Kennenlernen, die Kompetenzen sowohl für die eigenen Aufgaben differenzieren und für die gemeinsame erfolgreiche Arbeit entdecken können.

Praktischer Teil

235

Katharina K. kann etwas wild und ungestüm auftreten, lässt sich aber sofort ruhig beschwichtigen. Jacqueline S. und Nicole K. sind spitze in Ihrer Arbeit, hoffentlich bringen Sie uns alle zusammen. Jacqueline S. soll die Koordination des Büros übernehmen, Schnittstelle zwischen Talentsuche (ich und Katharina), Talentförderung (Nicole K., Katharina K. und ich) sein. Nicole K. muss uns unbedingt den richtigen Umgang mit Wissensübertragung und Personalentwicklung lehren. Ich bin sehr gespannt und bin mir sicher, dass Sie mittels Teamcoachings die richtige Wahl sind. Beste Grüße Thorsten S. Mail von Nicole K.: Liebe Frau Meier, ich bin sehr gespannt auf Ihre Arbeit als Teamcoach, da ich bisher Einzelcoachings durchgeführt habe und Workshops geleitet habe. Ich habe die drei vor ein paar Wochen erst kennen gelernt. Der Kontakt entstand über Jacqueline S., weil wir uns bei Yoga und Meditation kennen gelernt haben. Ich hoffe, dass unsere Jüngste ihre Energie in die Talentsuche steckt. Mir ist es wichtig, dass ich meine Kompetenzen aus Coaching, Pädagogik und Personalmanagement vollkommen mit einbringen kann und eine neue Abteilung / Ressort kreieren kann. Für das Teamcoaching erwarte ich einen strukturierten Prozess mit viel Zeit und Raum zur Reflexion und Kombination untereinander. Die Findung unserer gemeinsamen Identität liegt mir am Herzen. Ich freu mich. Viele Grüße Ihre Nicole K. Mail von Jacqueline S.: Sehr geehrte Frau Meier, mit Spannung sehe ich dem Teamcoaching entgegen. Wir alle haben wertvolle Erfahrungen, Qualifikationen und Talente in uns. Lassen Sie uns diese gemeinsam entdecken, wertschätzen und kombinieren. Mit wertschätzender Demut sehe ich dieses Glück der gemeinsamen Entwicklung für unser Unternehmen der gesanglichen Talentsuche und Talententwicklung entgegen.

236

Coachingablauf des Teamcoachings

Ach, ein paar Fremdsprachen spreche ich und kann diese für eine europäische Expansion einsetzen. Gute und stabile Routine liegt mir, so kann ich mit Beruhigung an meine wachsende Familie denken. Bitte locken Sie so viel wie möglich aus uns heraus. Den Zugang zu den Analysen habe ich noch nicht erhalten. Mit freundlichen Grüßen Jacqueline S. Anm.: Phase 1 ist sehr individuell und erfolgt nach Aktion-Reaktion, sodass ein Gespräch entsteht und die wichtigen Punkte besprochen und vereinbart werden. Phase 2 „Thema- und Zielklärung“ Das konkrete Teamcoaching beginnt am Freitag 29.10.2010 um 14:00 Uhr im großen Seminarraum eines Hotels in Hamburg. Ausstattung: mindestens 50qm, 2 Flipcharts, 2 Pinnwände, diverse Moderationskarten (rund, oval, eckig und alle Farben), Beamer oder Overheadprojektor; Tageslicht; Verpflegung: Wasser, Säfte, Softgetränke, Kaffee, Tee, Obstkorb und Snacks. 14:00 – 14:30 Uhr Es erscheinen alle pünktlich. Sodann begrüße ich alle vier in der Runde und stelle den Seminarraum als Werk- und Wirkort des Teamcoachings vor. Ich repetiere die Definition von Coaching sowie den Sinn und Zweck des Coachings. Zur Unterstützung nutze ich die Coachingidee, fünf Werte von Coaching namens Freiheit, Freiwilligkeit, Ressourcenverfügung, Selbststeuerung und Vertraulichkeit, die drei Anliegen von Coaching namens Erweiterung der Selbstwahrnehmung, Förderung der Entscheidungsfähigkeit und Entwicklung von Handlungsoptionen sowie den systemischen Coachingablauf. Dabei erwähne ich, dass jeder Teilnehmer „Stopp“ rufen kann, wenn ein Thema zu persönlich wird und wir heute von 14:00 – 18:30 Uhr sowie morgen von 09:00 – 17:00 Uhr Zeit haben mit entsprechenden Pausen. Zur Einhaltung von Coaching ist die Aufteilung der Verantwortung extrem wichtig, sodass die vier als

237

Praktischer Teil

Coachees jeder und gemeinsam die Lösungsfindungs- und Ergebnisverantwortung und ich als Coach die Prozessverantwortung habe. Rückfragen sind immer erlaubt und erwünscht, sodass wir von einer gemeinsamen Begriffsbedeutung ausgehen. Sodann bitte ich jeden sich kurz und knapp vorzustellen, während ich jeden Coachee beobachte und so viele Informationen wie möglich aufnehme. 14:30 – 14:35 Uhr Zum Einstieg frage ich, ob das Thema des Coachings noch dasselbe ist, wie telefonisch und per Mail besprochen. Dies wird bestätigt und ich bitte Thorsten S. das Coachingthema schlagwortartig an das Flipchart zu schreiben. Dazu darf er sich jeder Farbe an vorhandenen Stiften aussuchen. Für die Nachhaltigkeit bitte ich „THEMA“ als Überschrift auf das Flip zu schreiben. Meine Frage: was bedeutet für Sie Firmengründung? Alle Antworten, dass sie ein Unternehmen zusammen gründen, noch die Rechtsform suchen, Räume haben und im Bereich der gesanglichen Talentsuche arbeiten wollen. Sie strahlen Wunsch nach Transparenz und Sicherheit aus. Ergänzend lasse ich die Wichtigkeit dieses Veränderungswunsches skalieren. Skala 1 (unwichtig) bis 10 (wichtig). Alle antworten deutlich mit 10 und ich ließ die 10 zum Thema auf das Flip schreiben.

Veränderungsthema

Meine Hypothesen: wirtschaftliches und rechtliches Thema, aber auch Organisations- Teamentwicklung und Führungsthema. Freiheit und Freiwilligkeit scheint bei allen Vieren vorzuliegen.

238

Coachingablauf des Teamcoachings

Abstrakte hypothesengeleitete Reflexionsangebote: Kompetenzmodell, 8 Grundeinsichten der Führung, 14 Führungsaufgaben bzw. Regelkreis der Führung, Maslowsche Bedürfnispyramide, Teamrollen nach Margerison und McCann. 14:35 – 15:00 Uhr Der nächste Schritt besteht in der differenzierten Darstellung der eigenen Person zu diesem Thema. Dafür darf jeder so viele Farben, Karten und Stifte benutzen, wie er möchte. Bedingung dieses Arbeitens ist, eine separate Momentaufnahme von jedem der vier Coachees visuell darzustellen. Im Raum ist Platz – Tische, Fensterbank und Fußboden. Ich gehe währenddessen ruhig hin und her, falls jemand Fragen zur Unterstützung benötigt. Dies ist nicht der Fall.

Ist-Zustände einzelner Personen:

Nicole K. – Personal

Meine Hypothesen: Ich-Fokus fehlt, Motive, Ausbildungen und Erfahrungen, Selbstreflexion. Abstrakte hypothesengeleitete Reflexionsangebote: Kompetenzmodell, MSA, Bedürfnispyramide, Wert, Emotionen, JoHarI, Teamrolle.

239

Praktischer Teil

Jacqueline S. – Bürovorsteherin und Fremdsprachenkorrespondentin

Meine Hypothesen: wertegeleitet, Bedürfnisse, Motive, selbstreflektiert Abstrakte hypothesengeleitete Reflexionsangebote: Kompetenzmodell, Bedürfnispyramide, MotivStrukturAnalyse, Werte & Emotionen, JoHarI, Teamrolle.

Thorsten S. – Chef und Initiator

Meine Hypothesen: abstrakter Denker, Ich fehlt, Führung / Initiator Abstrakte hypothesengeleitete Reflexionsangebote: 8 Grundeinsichten der Führung, 14 Führungsaufgaben, Feldkompetenz, fachlich-methodisches Wissen Kompetenzmodell, MotivStrukturAnalyse, Teamrolle.

240

Coachingablauf des Teamcoachings

Katharina K. – Talentscout

Meine Hypothesen: sensibel und hitzköpfig, Entwicklungspotenzial, Selbstverwirklichung, Konfliktpotenzial, kreativ und flexibel. Abstrakte hypothesengeleitete Reflexionsangebote: Kompetenzmodell, MotivStrukturAnalyse, Bedürfnispyramide, Emotionen, JoHarI, Sozialverhalten im Konflikt, Konfliktverhalten, Teamrolle. 15:00 – 15:40 Uhr Zur Wahrnehmungserweiterung, damit jeder Coachee aus seiner eigenen Gedankenwelt ausbrechen kann, neue Aspekte erkennt und Aspekte bewusster macht, nutze ich ein Modell. Zur Auswahl steht das Neue St. Galler Management Modell, Themenzentrierte Interaktion (TZI) sowie die Interaktion des kognitiv-biologischen Empfindens. Sie erkennen TZI in ihren eigenen visuellen Darstellungen und möchten das letzte Modell nutzen. Jeder Coachee erhält eine ausgedruckte Grafik des Modells und darf frei überlegen, in wie weit das Thema und die eigene Momentaufnahme mit diesem abstrakten Reflexionsangebot in Verbindung steht. Jeder möchte Missverständnisse vermeiden und fragt mich persönlich, wie er die Oberbegriffe deuten kann, wie die Anordnung erfolgen soll. Aufgrund mei-

Normen

Kontext

Werte

Zeit

Vergangenheit

Gegenwart

Verbale Kommunikation

Sinnlichkeit

Arbeits- & Leistungsbereitschaft

Emotionen & Beweggründe

Kontext

Sicherheit

Erfahrung

Ich

Erfahrung Zukunft

Nonverbale Kommunikation

Selbstachtung

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Fremdachtung

physisches :RKOEH¿QGHQ

psychisches :RKOEH¿QGHQ

Gegenwart

Selbstverwirklichung

Andere

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Kontext

· 2 01 0

Bezugspersonen

Interaktionen des kongnitiv-biologischen Empfindens

Annahmen

Kontext

Thematisches Wissen

Praktischer Teil

241

242

Coachingablauf des Teamcoachings

nes dissoziierten Verhaltens bitte ich die Grafik so zu nutzen, wie es jeder für richtig hält. Manchmal gebe ich in anderen Worten die Frage zurück. Anm.: Dissoziiertes Verhalten bedeutet an dieser Stelle, nicht für den Coachee zu denken / keine Tipps zu geben, sondern ihm selbst die Antworten geben zu lassen. Hier spielen die drei Anliegen und der Wert der Ressourcenverfügung primäre Rolle.

Katharina K.

243

Praktischer Teil

Jaqueline S.

Thorsten S.

244

Coachingablauf des Teamcoachings

Nicole K.

15:40 – 15:50 Uhr Als alle Vier fertig waren und Begriffe ergänzt haben sowie die Darstellung visuell verändert haben, lasse ich alle rotieren. Nach der Selbstwahrnehmung erfolgt die Fremdwahrnehmung. Ich beobachte, dass alle Vier sehr andächtig, langsam und ruhig von Visualisierung (Person) zu Visualisierung (Person) schreiten. Jeder macht sich Gedanken, zeigt sich in Gestik und Mimik von „interessant“, „neugierig“, „erstaunt“ hin zu „habe ich mir gedacht“ und „stimmt“. Meine Hypothesen: Sie gehen wertschätzend miteinander um, erkennen gemeinsame Werte. Abstrakte hypothesengeleitete Reflexionsangebote: Kompetenzmodell / soziokommunikative Kompetenz, Interaktion von Motiv und Wert. Nach dem stillen Rotieren dürfen sich alle austauschen, Fragen stellen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede feststellen, jedoch keine Bewertungen vornehmen. Anm.: Emotionale Spannungen und Missverständnisse sollen nicht entstehen, ansonsten wird ein Konflikt unnötig provoziert. Coachees sollen lernen, wertungsfreie Feststellungen zu treffen. PAUSE 15:50 – 16:00 Uhr 16:00 – 16:20 Uhr

Praktischer Teil

245

Da es sich um ein Teamcoaching handelt, müssen die vier Individuen zu einer Identität zusammengeführt werden. Sprich: Aus Vier mach’ Eins! Dafür bitte ich jeden die Karten seiner persönlichen thematischen Momentaufnahme zu nehmen und in die Mitte des Raumes zu legen. „Versuchen Sie eine Identität von Gemeinsamkeiten und individuellen Unterschieden / Charakteristiken zu legen“. Anm.: offene Fragen / Aufforderungen zur dissoziierter Einstellung anderen Menschen gegenüber sowie dissoziiertem Verhalten. Coachees spüren und erkennen den Konstruktivismus sowie die Komplexität von Leben.

Zusammenarbeit für eine gemeinsame Ist-Situation

Am Ende verspürten die vier Unmut, da kaum das Unternehmen zu erkennen ist. Woraufhin ich wirtschaftlichen Bezug in die Ist-Situation des Veränderungsthemas bringen werde. 16:20 – 17:20 Uhr Daher bot ich das St. Galler Management Modell in einzelnen Begriffen laminiert an. So können ohne systemische Eingliederung die Bedeutungen des Wortes im Kontext „Unternehmensgründung“ gefunden werden und in die gemeinsame systemisch visuelle Aufstellung gelegt werden.

246

Coachingablauf des Teamcoachings

Gemeinsamer Ist-Zustand mit SGMM

17:20 – 17:45 Uhr Nach dem Hier und Jetzt, geht es in die Zukunft (Phase 2.1 beendet, Eintritt in Phase 2.2). Es gibt diverse Wege zu einer Zielformulierung zu gelangen und entscheide mich für die kreative und emotionale Weise. Dies basiert auf meiner Hypothese bzgl. der gemeinsamen Zusammenarbeit, dass alle Vier die fünf Werte und drei Anliegen für sich beanspruchen und dabei sehr emotional kreativ vorgehen. „Sie dürfen spinnen, träumen und fantasieren: beschreiben Sie konkret die Zukunft des Veränderungswunsches!“ Dabei betone ich bestimmte Wörter, sodass eine Art von Zauber entsteht, der hilft, sich von der Gegenwart zu lösen. Jeder der Vier träumt, lächelt und hat Funkeln in den Augen. Eine kleine Diskussion entsteht, wie konkret die Zukunft aussehen soll. Nach ein paar Minuten werfe ich konkrete Fragen in den Raum: • Bis wann wollen Sie Ihr gemeinsames Ziel erreichen? • Ist dieses Datum realistisch? • Was wollen Sie konkret gemeinsam erreichen?

Praktischer Teil

247

• Was ist das Ergebnis des Coachings? • Ist das realistisch und anspruchsvoll? • Was wollen Sie lieber – die erste Version oder die zweite Version? Meine vier Coachees wählten wohl abgewogen jedes Wort und diskutierten über Qualität und Quantität, da Ihnen Klasse wichtiger als Masse ist und kein unreflektiertes Ergebnis produzieren möchten. Effektive und effiziente Arbeitsweise ist Ihnen wichtig, hingegen sozialerwünschte Antworten unbeliebt sind. Darüber hinaus diskutieren sie, wer konkret die Zielgruppe ist. Sind es nur die Talente oder auch die „Abnehmer“ oder gar Musikrichtungen. Sie einten sich auf folgende Zielgruppe: • • • •

alle Talente, insbesondere junge Absolventen aufzuspüren in den Unis / Akademien, der Kirche, den Plattenlabels schwerpunktmäßig im klassischen Gesang und Kirchenmusik, aber auch Jazz wünschen sich Europa und später die Welt.

Damit steht der Kontext des Zieles fest. Meine Hypothesen: sind wohlbedacht, wertschätzend, sorgfältig, strukturiert, intellektuell, unsicher in den Formulierungen und bedacht auf Kontakt und Austausch Abstrakte hypothesengeleitete Reflexionsangebote: Kompetenzmodell, MotivStrukturAnalyse, Bedürfnispyramide, Werte, Emotionen, 14 Führungsaufgaben. Über diese diversen Fragen erfrage ich die Komponenten einer Zielformulierung ab. Dabei bin ich mir bewusst, dass es objektive und subjektive Merkmale gibt (sog. Komponenten einer Zielformulierung) und ich zur Reflexion provozieren kann.

248

Coachingablauf des Teamcoachings

Zielformulierung

Komponenten einer Zielformulierung finden sich wie folgt wieder: Zeit

Datum 31.12.2011 Futur II werden ... etabliert haben

Adressat

wir

Qualität

gemeinsam, unser Unternehmen, europäischen Musikbranche, erfolgreich etablieren

249

Praktischer Teil

Quantität

unser Unternehmen, der Musikbranche

motivierend

gemeinsam, unser, 31.12.2011, erfolgreich etabliert, europäische Musikbranche

ressourcenorientiert kontextualisiert

unser gemeinsames Unternehmen unser Unternehmen „JazzPäpste“ in der europäischen Musikbranche

Wichtig ist stets das Fixieren dieser Erkenntnisse für die spätere nachhaltige Selbstlernkonzeption. Zusätzlich ließ ich emotionale Komponenten skalieren, damit diese überprüfbar werden und objektivierbar sind. Wie beim Thema bzw. Veränderungswunsch ist der höchste Wert festgestellt und vereinbart worden, sodass ich von der Einheit von emotionaler Lust und kognitiver Einsicht bzw. Axiom • Die Lösung liegt im Coachee • Gehirn, Geist, Seele und Körper bilden eine Einheit ausgehen kann. 17:45 – 18:30 Uhr Ich mache alle Vier neugierig, ob sie die Zielerreichung messen / kontrollieren möchten. Da alle Vier mit offenen Augen nickten, ließ ich sie wiederum zur visuellen Aufstellung schauen. Dort drinnen verstecken sich diverse Merkmale. Zur Überschaubarkeit bitte ich Sie, Kontexte / Oberbegriffe zu bilden. Diese sind: • • • • • • •

Motivation Künstler-Talentpool Nicole Thorsten Jacqueline Katharina Unabhängigkeit

und werden deutlich in der systemisch-visuellen Ist-Darstellung hervorgehoben.

250

Coachingablauf des Teamcoachings

Katharina – Thorsten – Jacqueline – Nicole Künstlertalentpool – Unabhängigkeit

Die Reihenfolge / Prioritäten setzen alle vier Coachees gemeinsam fest, jedoch müssen alle acht Begriffe bearbeitet werden. Ich bitte drei Farben auszuwählen, die erstens für Zielerreichungsmerkmal, Begriff, zweitens für die erste objektive Frage und drittens die subjektive Frage ausgesucht werden kann. Nun setze ich bewusst zirkuläre Fragen ein und gehe davon aus, dass jeder Begriff Gehirn (Kognition) und Herz (Emotionen) besitzt, sodass wir wieder eine Einheit von emotionaler Lust und kognitiver Einsicht herbeizaubern können. Zum Verständnis helfen dabei die Gedanken an das Zielsystem. 1. Frage:

„Woran erkennt das Merkmal XX, dass Sie Ihr Ziel (Zielformulierung) erreicht haben?“

2. Frage:

„Welche Bedeutung hat die Zielerreichung für das Merkmal XX?“

251

Praktischer Teil

ZEM

252

Coachingablauf des Teamcoachings

ZEM

Nach diesen neuen und merkwürdigen Perspektivenwechsel haben alle die diversen Komponenten von Phase 2.1 erkannt. Da es bereits kurz vor 18:30 Uhr ist, frage ich jeden Einzelnen nach dem Befinden und sodann nach den bisherigen Erkenntnissen. Diese Zusammenfassung ist sowohl für mich als Coach für meine Prozessverantwortung wichtig als auch

Praktischer Teil

253

für den Sinn und Zweck / die Wirksamkeitserwartung als Lösungsfindungs- und Ergebnisverantwortung von Coaching seitens der Coachees sicherzustellen. Alle Vier wirken glücklich und erschöpft und diskutieren auf dem Weg nach draußen weiter. Wir haben gelacht und gearbeitet. 2. Tag Samstag 30.10.2010 09:00 – 09:15 Uhr Zu Beginn des neuen Tages begrüße ich alle vier Coachees, frage nach dem Befinden und, ob sie über Nacht neue Erkenntnisse haben oder zu gestern etwas ergänzen möchten. Alle signalisieren mir, dass es ihnen gut gehe und sie unbedingt weiter arbeiten möchten. Der gestrige Tag war systematisch und systemisch umfassend, sodass keine neuen Erkenntnisse eingetreten sind. Für die Transparenz meines Vorgehens und das Vertrauen in meine Person erkläre ich, wie weit wir gestern im Coaching gekommen sind und welche Phasen heute anstehen. Phase 3 „Ressourcenidentifikation“ 09:15 – 09:30 Uhr Wir kommen zur Schatzkiste im Coaching und ich eröffne mit der allgemein offenen Frage, wo ein jeder Ressourcen in seiner visuell-systemischen Aufstellung vom Vortag erkennen könne. Anm.: offene Fragen unterstützen das Axiom „Die Lösung liegt im Coachee“ sowie das Axiom der vier Werte. Jeder erkennt diverse Ressourcen, sodass fast jede Karte als Ressource identifiziert werden kann. Alle vier Coachees erkennen Werte, Beweggründe, fachliche Ausbildung, fachliche Erfahrung, Interaktionen mit Mitmenschen und der Umwelt usw. Meine Hypothese: In der Lerntaxonomie analysieren sie bereits und können bisheriges Wissen / Erfahrung umsetzen. Zur Strukturierung kann bereits am Anfang das Kompetenzmodell als abstraktes Reflexionsangebot benutzt werden.

254

Coachingablauf des Teamcoachings

09:30 – 09:35 Uhr Das Kompetenzmodell erkläre ich zur Strukturierung der Phase 3 knapp ohne auszubilden / zu trainieren, sodass es sich aus fünf Kompetenzen zusammensetzt. Welche Bedeutungen die einzelnen Bereiche haben, kann jeder persönlich im Laufe des Coachings erkennen.

Das Kompetenzmodell

a. Persönliche Kompetenz und Handlungskompetenz 09:35 – 10:05 Uhr In der persönlichen Kompetenz werden vor allem Motive (MSA), Bedürfnisse (Bedürfnispyramide), Werte, Emotionen und die Interaktion von Motiv und

Praktischer Teil

255

Wert in einem Kontext ermittelt. Aufgrund meiner Hypothesenbildung fange ich mit den unspezifischen Beweggründen, namens Motive, an. Jeder soll auf einem DinA4-Blatt die Motivstruktur in seiner jeweiligen Motivausprägung MSA ankreuzen, sodass jeder sich selbst kennen sollte / selbstreflektiert ist. Sodann erfolgt ein Abgleich der angekreuzten MSA und der erstellten digitalisierten MotivStrukturAnalyse. Jeder hat die Erkenntnis, dass die Selbstbilder sich mit der MSA decken. Natürlich konnten keiner Prozentangaben machen, jedoch den Grad des Ausschlags ungefähr erkennen. Eine Auffälligkeit war bei Katharina K. hinsichtlich ihres Motivs der Sensibilität. Laut MSA ist sie sehr sensibel, hingegen schätzt sie sich eher als selbstbewusst ein. Hierzu bittet sie um kurze Unterbrechung. Da die anderen Drei ein kurze Fokussierung auf Katharina K. erlauben, erfrage ich die Bedeutung von • sensibel • selbstsicher sowie die Vor- und Nachteile von diesen Ausprägungen. Sie erkannte sich nach gründlicher Überlegung wieder und ist mit dem „Ergebnis“ sensibel einverstanden. Anm.: In einem Teamcoaching geht es zwar um das Team, jedoch auch um die jeweilige Person. Es ist ratsam für eine größere Gruppe noch einen Coachkumpanen für außerplanmäßige Coachings mit in den Auftrag zu nehmen. Oft benötigen einzelne Personen kurze Momente der Aufmerksamkeit, um sich wieder in die Gruppe zu integrieren. Sodann erfolgt ein Austausch der jeweiligen MSA unter den vier Coachees. In diesem Sinne nutze ich JOHARI, sodass das Feld der Arena bearbeitet wird. Zeitgleich frage ich, welche Erkenntnisse jeder gewinnen kann. Damit wird eine Reflexion über sich selbst, über die anderen sowie ein interaktiver Austausch initiiert. Verständnis für einander schafft eine erfolgreiche Teamentwicklung. Besonderes Interesse galt den neuen, sprich • • • •

Nicole K. zu allen drei Jacqueline S. zu allen drei Katharina K. bzgl. Jacqueline S. sowie Nicole K. Thorsten S. hinsichtlich Nicole K. und Jacqueline S.

256

Coachingablauf des Teamcoachings

Denn sie haben sich erst im Sommer 2010 für die gemeinsame Unternehmung zusammengesetzt und kennen gelernt. Hernach soll jeder Coachee seine fünf wichtigsten Motive (Ausprägungen) zur gemeinsamen Zielerreichung aussuchen. Hierbei gilt die Regel: 7 +/- 2 für die allgemeine Merkfähigkeit.

MotivStrukturAnalyse (MSA)

257

Praktischer Teil

Nicole:

• • • • •

intellektuell teamorientiert kontaktfreudig fürsorglich ausgleichend

Katharina: • • • • •

intellektuell zweckorientiert flexibel eigenständig risikobewusst

Jacqueline: • • • • •

intellektuell prinzipienorientiert fürsorglich kämpferisch risikofreudig

Thorsten:

intellektuell bodenständig festhaltend selbstsicher Wettkampf – sowohl kämpferisch als auch ausgleichend

• • • • •

Nun wieder die berühmte Frage nach der jeweiligen Erkenntnis. Erkenntnis: gleiche und unterschiedliche Motive. Nachdem die Motive neutral und zielführend bearbeitet wurden, müssen ebenfalls hinderliche Motive bearbeitet werden. Meine Bitte besteht darin, sich sowohl die innere Einstellung als auch das eigene Verhalten vor Augen zu führen. Bei dieser gedanklichen Überprüfung sollen sowohl vergangene als auch gegenwärtige Kontexte / Situationen miteinbezogen werden. Damit werden die systemischen Bedeutungen und Interaktionen deutlich. Coach: „Bitte wählen Sie max. drei hinderliche Motive (Ausprägungen) zur gemeinsamen Zielerreichung aus.“ Hinweis: lesen und spüren Sie die Zielformulierung und ihre unspezifischen Beweggründe.

258 Nicole:

Coachingablauf des Teamcoachings

• familienorientiert

Katharina: • distanziert • sinnlich Jacqueline: • distanziert • bequem Thorsten:

• distanziert

Zur Überprüfung, ob die Vier sich in das misserfolgreiche Verhalten der jeweiligen Motive hineinversetzt haben, stelle ich jedem dieselbe zirkuläre Frage: Was antwortet mir die Zielformulierung, welches Motiv / welche Motivausprägung hinderlich für diese ist? Erkenntnis: Faulheit und Schüchternheit blockt, denn distanziert sehen drei von vier als hinderliche Motivausprägung. Zum Abschluss möchte ich alle bitten, die eigenen Emotionen hinsichtlich der ausgewählten Motive niederzuschreiben und im Plenum die Bedeutung jedes Gefühls hinsichtlich des Motivs zu erzählen. Dahinter steht das Axiom der Einheit von Gehirn, Geist, Seele und Körper sowie dem Einfallstor der Gefühle hinsichtlich des eigenen kraftgebenden Antriebs. Anmerkung: Die Koppelung der unspezifischen Beweggründe mit den Emotionen lässt jeden spüren, wann diese Beweggründe aktiv und bewusst werden. 10:05 – 10:30 Uhr Nächstes abstraktes Reflexionsangebot sind die spezifischen Beweggründe namens Bedürfnisse. Ich gebe jedem Coachee ein Blatt mit der Grafik der Bedürfnispyramide von Abraham Maslow als abstraktes Reflexionsangebot zur eigenen Findung. Meine erste offene Frage zum strukturierten Nachdenken ist, welches Bedürfnis eine Ressource zum Veränderungsthema darstellt. Wie nach jeder ersten offenen Frage bin ich ruhig und still, sodass keine Ablenkungen / Störungen hervorgerufen werden.

259

Praktischer Teil

Bedürfnispyramide

Wachstumsbedürfnis

Selbstachtung Bedürfnis nach 6HOEVW verwirklichung Persönlichkeitsentfaltung

Fremdachtung

Bedürfnis nach Anerkennung, Wertschätzung, Respekt, Wohlstand, SULYDWHXQGEHUXÀLFKH Erfolge, Status durch Dritte und sich selbst

'H¿]LW bedürfnisse

Selbsterhaltung Kontaktbedürfnisse = soziale Bedürfnisse Familie, Freunde, Nähe / Geborgenheit, Liebe, soziale Integration, Partnerschaft, Gruppenbildung, Kommunikation, regelmäßige Information usw.

Sicherheitsbedürfnisse Recht und Ordnung, Schutz vor Gefahren, festes Einkommen / sicherer Arbeitsplatz, Absicherung, Unterkunft

Grundbedürfnisse = physiologische Bedürfnisse Atmen, Schlaf, Nahrung / Trinken, Wärme, Gesundheit, Bewegung, Sex

Abraham Maslow · 1943

260

Coachingablauf des Teamcoachings

Erkenntnisse: Grundbedürfnisse:

nicht tangiert

Sicherheit:

fester Arbeitsplatz – festes Einkommen – Absicherung

Kontakt:

Familie – Kommunikation und regelmäßige Information – soziale Integration

Anerkennung:

Wertschätzung – Respekt – Wohlstand – Erfolge – Status

Selbstverwirklichung:

Thorsten:

Chef, menschliche Verbindung, Gesangswissen einsetzen & entfalten

Katharina: Talentscout, Regie führen über qualitativ gute Stimmtalente Jacqueline: stabile Routine in Auftragskoordination und Spracheneinsatz Nicole:

Entwicklung eigener Person und anderer Personen via Coaching u.ä.

Meine zweite offene Frage zum Reflektieren ist, welches Bedürfnis als Ressource zur Zielerreichung hilft. Ihre Erkenntnis ist, dass die Pyramide hinsichtlich Ihres Coachingthemas ebenfalls eine Timeline verfolgt und dies der Schlüssel zum gemeinsamen Veränderungsthema ist. Dabei liegt der Schwerpunkt im Wachstumsbedürfnis mit dem wichtigen Beginn der Sicherheit von beruflicher und materieller Absicherung, damit wertschätzend und respektvoll die Leistungen der einzelnen aus bzw. zu der Selbstverwirklichung erreicht werden können. Wie bei den Motiven interveniere ich fragend, welches Bedürfnis / welche Bedürfnisse hinderlich zur Zielerreichung sind. Diese Frage ist ungewöhnlich, da es sich um konkrete Beweggründe im spezifischen Kontext handelt. Alle überlegen und argumentieren, dass jedes Bedürfnis sowohl positiv als auch negativ gesehen werden kann. Die defizitären Bedürfnisse bedingen das Wachstumsbedürfnis der Selbstverwirklichung. Zu Beginn des Veränderungsthemas der Unternehmensgründung haben alle ein defizitäres Bedürfnis, sodass sie sich gegenseitig Zukunftshoffnung geben müssen, um das Ziel plus die Selbstverwirk-

Praktischer Teil

261

lichung erreichen zu können. Dabei erkennen Sie, dass sie bereits hinderliche Ressourcen untereinander positiv gedeutet haben. Dies basiert auf Vertrauen. Erkenntnis: Unter absolutem Vertrauen, schaffen Sie gemeinsam ihre jeweilige Selbstverwirklichung im gemeinsamen Projekt und lächeln dabei. Zum Abschluss möchte ich alle bitten, die eigenen Emotionen hinsichtlich der ausgewählten Bedürfnisse niederzuschreiben und im Plenum die Bedeutung jedes Gefühls hinsichtlich des Bedürfnisses zu erzählen. Dahinter steht das Axiom der Einheit von Gehirn, Geist, Seele und Körper sowie dem Einfallstor der Gefühle hinsichtlich des eigenen kraftgebenden Antriebs. Anmerkung: Die Koppelung der spezifischen Beweggründe mit den Emotionen lässt jeden spüren, wann diese Beweggründe aktiv werden und diese bewusst werden. Pause 10:30 – 10:40 Uhr 10:40 – 11:20 Uhr Werte Als nächstes abstraktes Reflexionsangebot zur Generierung von Ressourcen ist die Frage nach den Werten. „Was sind Ihre jeweils fünf wichtigsten Werte bzgl. des Coachingthemas Unternehmensgründung?“ Alle Vier nutzen die Möglichkeit der Gruppendiskussion und zunächst der gegenseitigen Wertschätzung in dem sie sich gegenseitig Fragen stellen. Sie nutzen hypothetische und zirkuläre Fragen, damit jeder sprachfähig wird und seine Werte konkret benennen kann. Dabei haben Sie ein Muster des Abgleichs von Selbst- und Fremdbild sowie der gegenseitigen neutralen und wertschätzenden Unterstützung erkannt (sog. dissoziierter Perspektivenwechsel). Nach einiger Zeit der Überlegung und dem Aufschreiben auf Moderationskarten entsteht ein neugieriger Austausch untereinander. Sie fragen einander, was das Besondere an den jeweiligen Werten sei, welche Bedeutung dieser Wert hat und ob es untereinander Verbindungen gibt. Erkenntnis: Teilnehmer hören mir aufmerksam zu, lernen und nutzen die vorhanden Coachkompetenz von Nicole K. und gehen sowohl systemisch als auch systematisch vor.

262

Coachingablauf des Teamcoachings

Aus den jeweiligen fünf wichtigsten Werten werden die fünf gemeinsamen Werte herausgearbeitet. • • • • •

Verlässlichkeit Fairness Offenheit Akzeptanz Risikobewusstsein

Danach erfolgt wiederum die Frage nach erfolgreichem und misserfolgreichem Verhalten hinsichtlich der eigenen Werte. Jeder erzählt kurze Storys aus dem eigenen Leben zu positiven Erlebnissen mit den eigenen Werten als auch negative Erfahrungen mit den eigenen Werten. Erkenntnis: Im Nachhinein haben die Vier ihre eigenen Werte immer gespürt bzw. immer gekannt. Ihnen fehlte ab und zu die eigene Sprachfähigkeit zur Benennung des konkreten Wertes. Diese abstrakte Reflexion hilft enorm zur Transparenz des eigenem Verhaltens aufgrund der eigenen Wertvorstellung bzw. Werteinstellung. Des Weiteren bitte ich alle, die eigenen Emotionen hinsichtlich der ausgewählten Werte niederzuschreiben und im Plenum die Bedeutung jedes Gefühls hinsichtlich des Wertes zu erzählen. Dahinter steht das Axiom der Einheit von Gehirn, Geist, Seele und Körper sowie dem Einfallstor der Gefühle hinsichtlich des eigenen ziehenden Kraft. Anmerkung: Die Koppelung der Beweggründe mit den Emotionen lässt jeden spüren, wann diese Beweggründe aktiv und bewusst werden. Zur gemeinsamen Identität sowie der Einheit von kognitiver Einsicht und emotionaler Lust lasse ich die Vier jeweils für sich einen Satz anhand der fünf Werte formulieren. Anmerkung: Haben Sie als Coach immer die unterschiedlichen Lernaxiomen, von beispielsweise Benjamin Bloom, im Fokus, sodass Kognition, Emotion sowie Psychomotorik angesprochen und akzeptiert werden. Menschen müssen nicht nur wissen, sondern auch praktisch anwenden und die emotionale Wertigkeit erfassen.

Praktischer Teil

263

11:20 – 11:40 Uhr Als Abschluss der persönlichen Kompetenz soll jeder den Transfer von Motiven und Werten im Kontext erfassen. Möglicherweise haben die vier gemeinsam und / oder jeder für sich Erkenntnisse über die systemischen Bedingungen. Dabei wird das MVWK-Modell bzw. die Interaktion von Motiv und Wert in einem ausgewählten Kontext zum erfolgreichen Verhalten bewusst werden. Nach einiger Zeit des Überlegens und des Austauschens von Wunsch- und Selbstbild sowie Selbst- und Fremdbild entsteht eine positive Dynamik hinsichtlich der förderlichen Ressourcen. Anmerkung: Meine Hypothese bzgl. der multiplen Intelligenzen lasse ich als abstraktes Reflexionsangebot fallen. Mein Eindruck und das Feedback signalisieren mir, dass keiner der Vier über seine persönlichen Neigungen zweifelt und neue „Talente“ erkennen möchte. Zum Ausklang des Vormittags frage ich nach den Erkenntnissen sowohl des heutigen Tages als auch des gesamten Coachings. Jeder antwortet unterschiedlich, jedoch sind alle dankbar über die Fixierung sowie differenzierte und konkrete Vorgehensweise. Dadurch fühlen sie sich sicher und lassen Routine und das Unbewusste transparent werden. Alle fühlen sich gut, erledigt und wollen nach der Pause unbedingt weiter machen. Mittagspause 12:30 – 13:30 Uhr b. Fachlich-methodische Kompetenz und Handlungskompetenz 13:30 – 14:10 Uhr Aufgabe: Welche konkreten Ressourcen bringen Sie individuell fachlich-methodisch mit?

Ressourcen Nicole

Ressourcen Katharina

264 Coachingablauf des Teamcoachings

Ressourcen Jacqueline

Ressourcen Torsten

Praktischer Teil

265

266

Coachingablauf des Teamcoachings

Bei allen vier Coachees unterstütze ich durch hypothetische und zirkuläre Fragen, damit das eigene Bild umfassend ist und sich jeder mit seinen derzeitigen fachlichen Ressourcen im wohlwollenden Einklang steht. Sodann erfolgt der mittlerweile bekannte, ruhige Austausch untereinander. Eine Eigendynamik entsteht dahingehend, dass sich alle Vier gegenseitig loben und Stärken hervorheben, aber auch in der Präsentation auf ein oder zwei Schwächen gestoßen sind. Nicole K. kam auf die Idee nach den fehlenden fachlichmethodischen Ressourcen zu fragen. Diese Frage nahm ich auf und adressierte sie an alle vier Coachees. Sie sammelten fehlende Ressourcen wie rechtliche Kenntnisse über Unternehmensgründung, Besteuerung sowie die fehlenden Ressourcen bei Katharina K. und Thorsten S. bei Personalentwicklungsmethoden, wie sie Nicole K. bereits erfolgreich erworben hat und erfolgreich einsetzen kann. Bei dem Hinweis der lebenden Unternehmenskultur verwies ich auf gleich. Als niemand mehr fehlende Ressourcen benannte, ließ ich den Zusammenhang dieser fachlichen Ressourcen mit den persönlichen Kompetenzen ziehen. Jeder erkannte die Quellen und Gründe seiner fachlichen Neigungen in seinen Motiven und Werten. Anmerkung: Desto weiter und intensiver die Selbstreflexion in ehrlicher und vertrauter Form verläuft, umso schneller erkennt man die Abhängigkeiten und Vernetzungen der einzelnen Ressourcen. Systemisches und komplexes Denken löst langsam das lineare Denken ab. 14:10 – 15:00 Uhr Als Intervention zur abstrakten Reflexion gebe ich jedem ein Blatt mit dem „Regelkreis der Führung“ in die Hand und frage nach den Ideen dieses Modells im Abgleich mit den jeweiligen individuellen thematischen Ressourcen. Jeder der Vier erkennt, dass es nicht um sie als Person, sondern auch um sie als Vertreter der „Abteilung“ im Unternehmen geht.

267

Praktischer Teil

Zeitgemäßer Regelkreis der Führung – mitarbeiter- und ergebnisorientiert –

Auseinandersetzen mit der Zukunft Führen mit Zielen

Messen und bewerten

Arbeitsläufe planen Mitarbeiterauswahl und -einsatz

Informieren und kommunizieren Motivation auslösen Mitarbeiterschutz Selbstentwicklung

Entscheiden

Delegieren Fördern und entwickeln

Koordinieren

93

Organisieren und verbinden r· eie M f Rol Dr.

19

Sie arbeiten zunächst alleine die speziellen und konkreten Aspekte für sich und ihre Aufgaben im Unternehmen heraus. Dabei bilden sie eine Kombination aus den bereits festgestellten fachlichen und persönlichen Kompetenzen. Jacqueline S.: Ich werde seelenruhig und wertschätzend mit meinen Kollegen und unseren Kunden und Lieferanten umgehen, dabei meine Sprachen zur Kommunikation einsetzen und sofort meine Kollegen bei neuen Aufträgen, Aufgaben und wichtigen Informationen benachrichtigen. Alleine werde ich sorgfältig meine Aufgaben als Bürovorsteherin alle Aufgaben, Termine koordinieren und organisieren. Wichtig sind: Auseinandersetzen mit der Zukunft, Arbeitsabläufe planen, Entscheiden, Delegieren, Koordinieren, Organisieren und Verbinden, Informieren und Kommunizieren, Selbstentwicklung.

268

Coachingablauf des Teamcoachings

Nicole K.: Ich werde mit meiner fürsorglichen Art meine Kollegen respektvoll und menschlich in ihren Kompetenzen weiterentwickeln, wobei ich eine wöchentliche und monatliche Routine etablieren werde. Konkrete Arbeitsabläufe muss ich noch ausarbeiten und in wichtigen Punkten intern veröffentlichen. Wichtig sind: Auseinandersetzen mit der Zukunft, Motivation auslösen, Arbeitsabläufe planen, Entscheiden, Koordinieren, Informieren und Kommunizieren, Fördern und Entwickeln, Selbstentwicklung. Katharina K.: Ich werde selbstsicherer auf Kunden und Lieferanten zugehen, unsere Idee und Know-how vermarkten, dabei mich zügeln und meine Kollegen über den Fortschritt des Künstlerpools sofort unterrichten. Bei Schwierigkeiten werde ich insbesondere Thorsten im musikalischen Bereich und Nicole im Entwicklungsbereich mit einbeziehen. Wichtig sind: Auseinandersetzen mit der Zukunft, Führen mit Zielen, Informieren und Kommunizieren, Fördern und Entwickeln, Mitarbeiterauswahl und -einsatz, Mitarbeiterschutz, Selbstentwicklung. Thorsten S.: Ich werde als Chef auftreten, klare Regeln der Zusammenarbeit gemeinsam erarbeiten lassen, ein wertvolles Leitbild initialisieren und sonst meine Kollegen über die Unternehmensentwicklung im Turnus benachrichtigen und besprechen. Wichtig sind: Auseinandersetzen mit der Zukunft, Motivation auslösen, Arbeitsabläufe planen, Führen mit Zielen, Entschieden, Delegieren, Organisieren und Verbinden, Informieren und Kommunizieren, Fördern und Entwickeln, Mitarbeiterauswahl und -einsatz, Mitarbeiterschutz, Messen und Bewerten. Alle hatten die Erkenntnis, dass jedem eine konkrete Kompetenzbeschreibung fehlt, ein gemeinsames kraftvolles und wertvolles Leitbild fehlt, spezifizierte Arbeitsabläufe noch nicht erarbeitet worden sind. Diese Ideen werden geparkt für die nächste Phase 4 bzgl. der Entwicklung und Auswahl von Handlungsoptionen. Zwei der Vier wirkten etwas empört, da sie unbedingt lösungsorientierte vorgehen wollten, ohne noch mehr auf die Ressourcen zu achten. Als Coach danke ich für diesen Einwand und lenke die Aufmerksamkeit auf den systemischen Ansatz und der komplexeren Arbeit. Keine Idee geht verloren, sondern jeder darf sich in Geduld fassen. Nach dieser Intervention konnten wir weiterarbeiten. 15:00 – 15:20 Uhr

269

Praktischer Teil

Als nächste Intervention wähle ich das Thema MARKETING und frage nach den Kenntnissen von Marketing und schaue zunächst auf Thorsten S. und Katharina K., nach ein paar Sekunden dann auf Nicole K. und Jacqueline S. Sie erzählten von ihren Erfahrungen in gelungener und misslungener Form. Sie stellen Ihre Kenntnisse als rudimentär dar, jedoch mit bisher sehr zufriedenstellenden Erfolgen. Thorsten S. erkennt, dass er sich mehr Wissen über Marketing aneignen will. Durch Marketing können Sie sich als neues Unternehmen besser und sinnvoller vermarkten. Jede neue Entscheidung hinsichtlich Marketing will er mit seinen drei Mitstreitern diskutieren und entscheiden. Es geht vor allem um Onlinemarketing via Internetauftritt, Advertising, Kooperationen, Nutzung von den jungen social networks usw. aber auch um Messen und besondere Veranstaltungen sowohl interner als auch externer Art. Broschüren / Flyer, Podcasts usw. Hierzu gebe ich die Grundbegriffe von Marketing zur Reflexion und alle bedanken sich, da sie eine Wissenslücke bemerkt haben.

Ver Ver kauf trie b

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Grundbegriffe Marketing

M arkt Dr. Rolf Meier & Nina Meier · 2011

270

Coachingablauf des Teamcoachings

Sie geben sich Ideen über die bei der Zielformulierung festgestellten Zielgruppen von • • • •

alle Talente insbesondere junge Absolventen aufzuspüren in den Unis / Akademien, der Kirche, den Plattenlabels schwerpunktmäßig im klassischen Gesang und Kirchenmusik, aber auch Jazz wünschen sich Europa und später die Welt.

Meine vier Coachees wirken kreativ aber auch ermüdet. Pause 15:20 – 15:30 Uhr c. Sozio-kommunikative Kompetenz und Handlungskompetenz 15:30 – 16:00 Uhr „Sie sind nicht allein auf der Welt und merken schon in diesem Raum dieses weltbewegende Phänomen“. Im Folgenden werden die Ressourcen hinsichtlich der sozio-kommunikativen Kompetenzen eruiert. Wichtige Fragen sind: 1. Wie kommunizieren Sie? 2. Wirklich nur verbal oder auch nonverbal? In einer Diskussion werden zunächst idealistische Vorstellungen genannt, dann konstruktive Kritik als Appell der Vermeidung von Ignoranz, Beleidigungen, betrügerischem und hinterlistigem Verhalten benannt. Sie sind höflich, schaffen Vertrauen, lassen den anderen ausreden, aber manchmal hört Katharina nicht genau zu und produziert dadurch Missverständnisse bis hin zu Konflikten. Jacqueline forderte ein oder zwei Regeln der Zusammenarbeit, die jeder als kleine Karte im Portemonnaie haben sollte und als Bild auf seinen Schreibtisch stellen kann. Die nachhaltige Selbstlernkonzeption setzte wieder ein, da sie auf die ausgearbeiteten Werte verwies mit denen sie arbeiten sollten. Erkenntnis: Kommunikationsregeln aufstellen! 16:00 – 16:30 Uhr Wenn es um verbale Kommunikation geht sollten Sie sich über ihre Art zu reden klar werden. Es existieren nach der psychologischen Forschung drei IchZustände in jedem Menschen. Das kindliche Ich mit drei Ausprägungen, das elterliche Ich mit zwei Ausprägungen und das erwachsene Ich. „Erzählen Sie

271

Praktischer Teil

sich gegenseitig ihre Wahrnehmung über das bisherige Kommunikationsverhalten pro Person und überlegen Sie sich, ob Sie diese Wahrnehmung annehmen und/oder selbst entdecken können“. Nach dieser Übung gebe ich jedem ein Laminat mit den drei Ich-Zuständen aus der Transaktionsanalyse mit der Frage, wie Sie diese Erkenntnis als Ressource nutzen können.

Ich-Zustände

Erwachsenen-Ich Eltern-Ich 9HUKDOWHQ'HQNHQ XQG)KOHQGDVYRQ GHQ(OWHUQRGHU(OWHUQ¿JXUHQEHUQRPPHQZXUGH reagiert automatisch Fürsorglich ‡:HUWH ‡1RUPHQ ‡$QHUNHQQXQJ ‡+LOIHVWHOOXQJ ‡=XZHQGXQJ ‡*HGXOG Kritisch ‡:HUWH ‡1RUPHQ ‡9RUXUWHLOH ‡%HVWUDIXQJ ‡%HGURKXQJ ‡8QJHGXOG

9HUKDOWHQ'HQNHQ XQG)KOHQGDVHLQH GLUHNWH5HDNWLRQDXI GDV+LHUXQG-HW]WLVW reagiert bewusst

‡6DPPHOW  ,QIRUPDWLRQHQ ‡ 9HUJOHLFKWPLW  (UIDKUXQJHQ ‡ 6FKlW]W  :DKUVFKHLQOLFK  NHLWHQDE ‡ 7ULIIW(QWVFKHL  GXQJHQ

:HUGHQ(OWHUQ,FK=XVWDQGRGHU .LQG,FK=XVWDQGDNWLYLHUWOlXIWGDV GXUFK(U]LHKXQJXQG6R]LDOLVLHUXQJ JHIRUPWH'HQNHQ)KOHQXQG 9HUKDOWHQDXWRPDWLVFKDE

Kindheits-Ich 9HUKDOWHQ'HQNHQ XQG)KOHQGDVDXV GHU.LQGKHLWVWDPPW XQGMHW]WZLHGHU DEOlXIW reagiert impulsiv Frei ‡6SRQWDQ ‡'LUHNW ‡1HXJLHULJ Angepasst ‡*HKRUVDP ‡1DFKJHEHQG ‡+LOÀRV ‡bQJVWOLFK ‡5HVLJQLHUW Rebellisch ‡$JJUHVVLY ‡:LGHUERUVWLJ ‡1LFKWNRRSHUD WLRQVZLOOLJ (ULF%HUQHā

Erkenntnis: Hilft bei schwierigen Kunden und Lieferanten. „Wir haben das Laminat immer an unserem Arbeitsplatz.“

272

Coachingablauf des Teamcoachings

16:30 – 16:45 Uhr „Können Sie sich vorstellen, dass es bestimmte Rollen und Aufgaben in einem Team gibt? Welche würden Sie sich gegenseitig zu schreiben“. In dieser Diskussion werden vor allem die wichtigen Motive und Werte als Stärken benannt und durch die unterschiedlichen Neigungen in fachlicher Perspektive unterschiedliche Aufgaben unter den vieren zugeordnet.

Teamrollen

(QWGHFNHQGHU 3URPRWHU .UHDWLYHU ,QQRYDWRU

$XVZlKOHQGHU (QWZLFNOHU

,QIRUPLHUWHU %HUDWHU

=LHOVWUHELJHU 2UJDQLVDWRU

6\VWHPDWLVFKHU 8PVHW]HU

LF N 0F &D QQ ā 

,QWHUVWW]HQGHU 6WDELOLVDWRU

 '

.RQWUROOLHUHQGHU hEHUZDFKHU

H UJ 0H  V H DUO 'U&K

U '   RQ UL V

Damit meine vier Coachees sprachfähiger werden, lege ich Ihnen acht Teamrollen hin und lasse die Erkenntnisse fixieren.

273

Praktischer Teil

Teamrolle zielstrebiger Organisator systemischer Umsetzer kontrollierender Überwacher unterstützender Stabilisator informierter Berater kreativer Innovator entdeckender Promoter auswählender Entwickler

Thorsten S. xx

Jacqueline S. Nicole K. xx xx

x xx

x

xx

Katharina K.

xx

xx

xx

xx

x

x

x

x

x

xx

xx xx

xx

xx

x= vorhanden, xx= Schwerpunkt, = nicht oder kaum ausgeprägt Erkenntnis: Diese neue Sichtweise müssen und wollen die vier Coachees unbedingt als Ressource analysieren, einsetzen und als zentralen Aspekt in die Kompetenzbeschreibungen mitaufnehmen. d. Feldkompetenz und Handlungskompetenz 16:45 – 17:10 Uhr Als letztes soll jeder über erfolgreiches Verhalten und misserfolgreiches Verhalten mit seiner bisherigen Lebens- und Berufswelt nachdenken und die plakativsten Situationen beschreiben und im Anschluss mit seinen bisherigen Ressourcen abgleichen. Meine vier Coachees dachten an jeweils zwei Situationen und haben sich sofort nach dem Grund gefragt und sind auf die Beweggründe von Bedürfnissen, Motiven, Werten und Emotionen gekommen. Nur einer fehlte fachliches Wissen hinsichtlich einer misserfolgreichen Situation. Das Modell der Interaktion von Motiv-Wert in einem Kontext nutzten sie zur Erklärung für sich und zur Präsentation in der Gruppe.

274

Coachingablauf des Teamcoachings

M

Kontext

Motiv-Wert-Interaktion

erfolgreiches

W Verhalten

Motiv

Wert

N in a M e ier · 2006

Bei der Frage nach der Erkenntnis lag der Schwerpunkt in der mentalen Vorbereitung auf „neue“ Aufgaben und dem inneren Abgleich mit den eigenen Motiven und Werten. Wie zu jedem Ende einer Phase oder großen Teilstück einer Phase frage ich nach dem aktuellem Befinden und den bisherigen Erkenntnissen zur Standortbestimmung im Coaching. Erkenntnis: Jeder bringt eine Menge an Ressourcen mit, die bisher fast im Einklang mit der eigenen Antriebskraft steht. Sie fühlen sich gut und können sich gut ergänzen und unterstützen. Sie werden sich gegenseitig respektieren, die Aufgaben „demütig“ überlassen in Kenntnis der speziellen Aufgaben und „besseren“ Kompetenz. e. Zusammenfassung Zum Ende der Ressourcenidentifikation gebe ich allen erneut das Kompetenzmodell und frage nach den jeweiligen Erkenntnissen und Empfindungen. Phase 4 „Entwicklung und Auswahl von Verhaltensmöglichkeiten“

Praktischer Teil

2.2

275

Auswahl von Handlungsoptionen

Zur Auswahl von Handlungsoptionen suchen sie sich aus der Schatzkiste der Ressourcen ihre wichtigen Ressourcen zur gemeinsamen Zielerreichung heraus. • • • • • •

Kommunikationsregeln, Teamrollen, Motive, Werte, Bedürfnisse, Fachliches Wissen.

Alle Vier suchen Handlungsoptionen zum Ziel als Priorität 1 und zu den Zielerreichungsmerkmalen als Priorität 2 heraus.

2.3

Analyse potenzieller Probleme

Was könnten potenzielle Probleme sein, wenn Sie diese ausgewählten Ressourcen einsetzen? Da es sowohl innere, interne und externe Konflikte geben könnte, gebe ich noch ein Modell der Konfliktstufen von Gerhard Schwarz und eines zur Durchsetzungsfähigkeit hinein.

276

Coachingablauf des Teamcoachings

Konfliktstufen

Konfliktlösungsmuster (Durchsetzungsvermögen) +RKHV 'XUFKVHW]XQJVYHUP|JHQ

=ZDQJ

=XVDPPHQDUEHLW

1LHGULJHV 'XUFKVHW]XQJVYHUP|JHQ

JHULQJHU:LOOH]XU0LWDUEHLW

9HUPHLGXQJ

KRKHU:LOOH]XU0LWDUEHLW

1DFKJHEHQ

7KRPDV5XEOH .7KRPDVā

277

Praktischer Teil

Alle sind sehr wissbegierig und lernwillig, sodass ich die Lerntaxonomien von Benjamin Bloom als Geschenk gebe. Hieran können Sie sich messen, in wie weit jeder kognitiv und emotional gelernt hat.

Lerntaxonomien

278

2.4

Coachingablauf des Teamcoachings

Handlungsoptionsplan

Nach der Identifikation potenzieller Probleme bitte ich sie einen Plan der Umsetzung aufzustellen. Ich bitte um Terminierung via Kalender sowie der Informierung meiner Person. Im Folgenden eine knappe Übersicht: 1. Wollen einen Künstler beauftragen, der die wichtigen Werte, Kommunikationsregeln, das gemeinsame Ziel künstlerisch umsetzt. Kunst soll im Büro sichtbar aufgehängt werden. Termin 30.11.2010, Fertigstellung bis 31.01.2011. 2. Termin mit Rechtsanwalt zwecks Unternehmensgründung und Findung der passenden Gesellschaftsform. Termin 05.11.2010. 3. Beauftragen einen Freund für das Marketing hinsichtlich der Gestaltung der Internetseite, der Flyer und Visitenkarten. Termin 16.11.2010 mit der Fertigstellung zum 31.12.2010. 4. Talententwicklung mit Nicole K., Thorsten S. und Katharina K. mit Wissen über Gesang und Gesangsausbildung sowie Personalentwicklung. Termin 30.04.2011 5. Talentvermarktung über Jacqueline S. und Thorsten K. mit dem Marketingwissen und der eigenen Werte. Termin 31.07.2011. 6. Arbeitsabläufe pro Abteilung: Nicole

Personal- und Wissensmanagement eigenes Kompetenzprofil erstellen Katharina Talentscout Talentpool Kunden in der klassischen Musikbranche Analyse der Konkurrenz im Talentsucher klassischer Gesang eigenes Kompetenzprofil erstellen Thorsten Investition und Finanzierung Kunden in der klassischen Musikbranche Analyse der Konkurrenz im Talentsucher kirchlicher Gesang eigenes Kompetenzprofil erstellen Jacqueline Bürovorsteherin Talentpool eigenes Kompetenzprofil erstellen

15.11.2010 16.11.2010 16.11.2010 15.02.2010 15.01.2011 30.11.2010 16.11.2010 10.11.2010 15.01.2011 15.01.2011 16.11.2010 15.11.2010 15.02.2011 16.11.2010

Praktischer Teil

279

18 Uhr Zum Ende gegen 18 Uhr frage ich nach den Erkenntnissen des Coachings aus den eineinhalb Tagen, das jeweilige Befinden sowie nach dem Wunsch des Weiterarbeitens. Alle vier Coachees geht es gut, sind motiviert, sind voller Tatendrang, benötigen jedoch eine Auszeit zur Erholung, da das Coaching sehr intensiv war. Nun haben sie eine gute Basis, kennen sich genauer als vor dem Coaching und freuen sich auf die Umsetzung ihrer Ideen. Phase 5 „Controlling und Abschluss“ Nach dem eigentlichen Coaching erhielt ich am 20.11.2010 einen Anruf von Thorsten S. und berichtete über die Ereignisse zur Unternehmensgründung. Die Kompetenzprofile sind erstellt und wurden an mich per Mail weitergeleitet. Alle anderen Termine wurden eingehalten, jedoch werden Sie weitere Unterstützung beim Talentpool benötigen und werden mich im Februar 2011 erneut kontaktieren. Das Verhalten untereinander hat sich nicht verändert, da es auf guter Basis gestartet ist und sich alle Vier im klaren über Stärken und Schwächen, der gemeinsamen Leitwerte und Antriebe sind. Nun fehlt die Feststellung über die Verhaltensnachhaltigkeit. Zum Nikolaus 2011 erhielt ich ein Paket mit einem Bilderbuch von Thorsten S. Dort sind die Räumlichkeiten, die Personen mit Ihren neuen Lerngrafiken verewigt. Mehrere Bilder zeigen junge glückliche Talente mit Zertifikaten und Auszeichnungen in der Hand sowie Händeschütteln mit Kooperationspartnern. Mir kullern ein paar Freudentränen über die Wange, da ich so eine Geste nicht erwartet hätte.

280

Coachingablauf des Teamcoachings

3. Aufgabe und Abschluss Dies ist eine kleine Geschichte über 4 Kollegen namens Jeder, Jemand, Irgendjemand und Niemand. Es ging darum, eine wichtige Arbeit zu erledigen und Jeder war sicher, dass sich Jemand darum kümmert. Irgendjemand hätte es tun können, aber Niemand ist es. Jemand wurde wütend, weil es Jeder‘s Arbeit war. Jeder dachte, Irgendjemand könnte es machen, aber Niemand wusste, dass Jeder es nicht tun würde. Schließlich beschuldigte Jeder Jemand, weil Niemand tat, was Irgendjemand hätte tun können. Für Ihre Kontrolle über Teamcoaching können Sie sich folgende Aufgaben beantworten: 1. Welche Themen erkennen Sie für a. ein Einzelcoaching b. ein Teamcoaching in dieser Geschichte? 2. Welche Hypothesen können Sie bilden? 3. Welche Reflexionsangebote sind aufgrund der Hypothesen sinnvoll? 4. Wie würde ein Teamcoaching sinnvoll strukturiert durchgeführt werden? 5. Welche Ihrer Motive hindern / fördern Sie als Coach / Teamcoach?

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VI. Hintergrundinformationen Im Laufe von Entwicklungsprozessen lernen wir viele Personen, Themen und Aspekte kennen. Neues (Hintergrund-)Wissen macht uns neugierig und wird sofort mit den eigenen Erfahrungen verknüpft und auf Schnittstellen abgeglichen. Selbstverständlich bemerken wir dabei die Lücken im eigenen Wissensund Erfahrungsschatz. Oftmals kann es anstrengend oder gar schmerzhaft sein, diese zu schließen. Auf jeden Fall erfahren wir eine Bereicherung. So ist es auch im systemisch-konstruktivistischen Coaching. Als Coach kommen wir mit den unterschiedlichsten Charakteren in Kontakt. Wir bieten ihnen Unterstützung zur Selbstreflexion und eine daraus folgende Anleitung zur persönlichen Weiterentwicklung. Die „Veränderungsthemen“ lassen sich in wenige, grobe Bereiche einteilen, sind jedoch bei konkreter Beleuchtung sehr diffizil und different. Im systemischen Coaching mit mehreren Personen bestehen darüber hinausgehende Zusammenhänge, Berührungspunkte und Abhängigkeiten. Spontan kommen einem Begriffe wie „Team“, „Kreativität“, „Kommunikation“ und „Konflikt“ in den Sinn. Teamcoaching ist, wie Coaching, ein psychologischer und pädagogischer Prozess. Lernen, Gruppendynamik und die Anwendung der MotivStrukturAnalyse (MSA) sind hier wichtige Themen. Eine Spezialisierung des Teamcoachings ist die Mediation als Mittel des Konfliktmanagements, das Moderieren der Verhandlungsgespräche zwischen vermeintlichen Widersachern. Damit ein systemischer Ansatz greifen kann, muss ein Coach nicht nur reine Methoden zur Anwendung bringen, sondern ein großes Feld von Hintergründen verstehen. Um sich Bedeutungsinhalte bewusst zu machen ist es wichtig, gerade häufig genutzte Worte zu hinterfragen, indem man sie wie Fremdworte behandelt. In diesem Kapitel werden deshalb in Form von Einzelbeiträgen sowohl Methoden vorgestellt als auch Hintergründe zu ausgewählten Themenfeldern geliefert.

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Mediation – ein Überblick Ass. iur. Gregor Weber, M.A. Mediation Brandenburgische Technische Universität Cottbus

1. Einleitung Ziel des folgenden Beitrags ist die Erläuterung des Konfliktlösungsmechanismus Mediation in geraffter Form. Ausgehend von dessen geschichtlichen Hintergründen (Teil 2.) und einer begrifflichen Einordnung des Verfahrens in den Kontext der anderen Konfliktbeilegungsmethoden (Teil 3.) soll der Mechanismus vor allem anhand der Prinzipien und des Ablaufs des Mediationsverfahrens (Teil 4.) begreifbar gemacht werden. Auf eine Gegenüberstellung der Möglichkeiten und Grenzen der Mediation sowie der am Verfahren geäußerten Kritik (Teil 5.) folgt die Angabe fünf bedeutender wissenschaftlicher Beiträge zum Thema (Teil 6.). Im Interesse einer kompakten Darstellung beschränken sich die Ausführungen auf grundlegende Erkenntnisse zu den genannten Unterpunkten. Die Möglichkeit eines vertieften Verständnisses soll durch Nennung zahlreicher praktischer Beispiele sowie durch Verweise auf jeweils weiterführende Literatur eröffnet werden.1

2. Geschichtliche Hintergründe Der Mediation liegt eine ca. 2000-jährige Entwicklungsgeschichte zugrunde. Ihre Entstehung ist geprägt von zwei wesentlichen Aspekten, dem Vermittlungsund dem Ausgleichsgedanken.2 Die Idee der Vermittlung existierte bereits vor der Entstehung materieller Rechtsnormen und staatlicher Organisationsformen. Sie spiegelt sich in der Geschichte des Völkerrechts wider, ihre Wurzeln reichen zurück in das antike Griechenland.3 Zahlreiche kleinere griechische Städte boten ihre Vermittlungsdienste bei Streitigkeiten zwischen großen Stadtstaaten wie Sparta und Athen an.4 Jüngeres Beispiel für die Vermittlung auf dem Gebiet des Völkerrechts ist die Tätigkeit US-amerikanischer Präsidenten im 20. Jahrhundert, etwa die Bemühungen Jimmy Carters um den Friedensschluss 1 2 3 4

Der Autor dieses Beitrags beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Mediation im Verwaltungsverfahren. Viele im Text genannte Beispiele knüpfen deshalb an diesen Einsatzbereich an. Sofern nicht anders gekennzeichnet, gelten die Ausführungen aber für die Mediation insgesamt. Vgl. Hehn, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 8 Rn. 3 ff., 5, 20. Vgl. Probst, SchlHA 2010, 40, 40. Vgl. Besemer, Vermittlung in Konflikten, 3. Auflage 1995, S. 46.

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Hintergrundinformationen

von Camp David5 im Jahre 1979 zwischen den Streitparteien Ägypten und Israel.6 Der eng mit dem Vermittlungsgedanken verbundene Ausgleichsgedanke fand bereits im Mittelalter rechtliche Ausformungen. So sah beispielsweise das im Volksrecht von Sachsen (um 800 n. Chr.) und im Sachsenspiegel (um 1209 n. Chr.) verankerte sogenannte „Wergeld“ eine Ausgleichspflicht in Geld für anderen zugefügte Schäden nach entsprechender richterlicher Entscheidung vor. Nach dessen Intention sollte die Blutrache unter den Sippen bzw. zwischen Tätern und Opfern vermieden werden. Ziel war die Befriedigung der Interessen beider Konfliktparteien. Hier zeigt sich eine wichtige Parallele zum heutigen, auf Erzielung der „Win-Win-Situation“7 gerichteten Mediationsverfahren, welches eine dauerhafte Beilegung des Konfliktes sicherstellen soll.8 Im Zuge der fortschreitenden Verrechtlichung der Gesellschaft9 ab dem 18. Jahrhundert verloren Ausgleichs- und Vermittlungsgedanke zunächst an Bedeutung. An die Stelle von individuell interessenbasierten Entscheidungsfindungsprozessen traten universell einsetzbare Normen.10 Kehrseite dieser Verrechtlichung und (damit einhergehend) der Zunahme förmlicher Verfahren war, dass der Bürger mehr und mehr in die Rolle eines Verfahrensobjektes ohne eigene Einflussmöglichkeit versetzt wurde und außerdem die wegen der Regelungsvielfalt immer komplexer gewordenen hoheitlichen Entscheidungen häufig nicht mehr nachzuvollziehen vermochte.11 In der Folge wandelte sich das Selbstverständnis des Bürgers vom gehorsamen Untertan des Staates zum Individuum, welches die Berücksichtigung seiner Interessen sowie verstärkte Mitsprache insbesondere im Bereich der seine Belange unmittelbar betreffenden umweltrechtlichen und umweltpolitischen Entscheidungen verlangte.12 Ausdruck dieses neuen Selbstverständnisses war die Gründung zahlreicher Bürgerinitiativen zum Schutz der Umwelt ab den 70er Jahren in Deutschland, ein vorher nicht dagewesenes politisches Phänomen.13 5

6 7 8 9 10 11 12 13

Im Streit um die Halbinsel Sinai fanden die Konfliktparteien schließlich zur Übereinkunft, dass Israel die Halbinsel an Ägypten zurückgibt und Ägypten dieses Gebiet dafür dauerhaft entmilitarisiert. Für ihre Arbeit erhielten die Verhandlungspartner Begin und Sadat sowie später auch Präsident Carter den Friedensnobelpreis, vgl. Risse, Wirtschaftsmediation, 1. Aufl. 2003, § 2 Rn. 40. Vgl. Hehn, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 8 Rn. 13 ff. Näheres dazu unter „4.2. Ablauf des Verfahrens“. Vgl. Hehn, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 8 Rn. 24, 26 m. w. N. Zu diesem Phänomen und seinen Gründen auch Schlink, in: Dreier (Hrsg.), Rechts- und staatstheoretische Schlüsselbegriffe: Legitimität – Repräsentation – Freiheit, 1. Aufl. 2005, S. 9, 29. Vgl. Hehn, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 8 Rn. 27, 31. Vgl. Runkel, Umweltkonflikte sachgerecht lösen: Umweltmediation in Deutschland und den USA, 1. Aufl. 1996, S. 49 ff.; Hehn, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 8 Rn. 32. Vgl. Zilleßen, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 30 Rn. 12; Pitschas, NVwZ 2004, 396, 398. Vgl. Zilleßen, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 30 Rn. 10 f.

Mediation – ein Überblick

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In den USA, wo ähnliche Konflikte bestanden, entwickelten sich etwa zeitgleich verschiedene, heute unter dem Oberbegriff „ADR“14 bekannte Formen alternativer Streitbeilegung.15 Wegen ihrer Verfahrensgröße wurde dabei die Mediation besonders im Bereich des Umweltrechts weiten Teilen der Öffentlichkeit bekannt, was zu einem wahren „Mediationsboom“16 führte. Das erste große Vermittlungsverfahren dieser Art fand im Zusammenhang mit dem Bau eines Staudamms am Snoqualmie River im US-Bundesstaat Washington ab dem Jahre 1973 statt. Die Mediatoren Gerald W. Cormick und Jane McCarthy vermittelten hier in einem bereits seit Jahren schwelenden Konflikt zwischen Landwirten, der Industrie, Umweltorganisationen, Behörden und Nachbarschaftsgruppen.17 In Europa fanden die ersten Mediationsverfahren statt, nachdem europäische Fachleute diese Idee in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts aus den Vereinigen Staaten „reimportiert“ hatten.18 Zur Verdeutlichung ihres Bedeutungszuwachses hierzulande seien die von Ortloff19 vorgelegten Zahlen für die Mediation in der Verwaltungsgerichtsbarkeit genannt: Im Jahre 2007 war die Gerichtsmediation in sieben Bundesländern offiziell eingeführt. Von den dort durchgeführten Mediationsverfahren konnten ca. 75-90% gütlich beigelegt werden. Man schätzt, dass von 100% der am Verwaltungsgericht anhängigen Verfahren etwa 25% auf dem herkömmlichen Verfahrensweg entschieden werden müssen. Die verbleibenden 75% sind vergleichs- und damit mediationsgeeignet. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Mediation brachte eine zunehmende Strukturierung und Differenzierung des Verfahrens mit sich20 und gibt damit der Mediation ihre Eigenständigkeit im Kontext der übrigen alternativen Konfliktbeilegungs- und Entscheidungsfindungsformen. Weitere 14 Als ADR-Verfahren werden Alternativverfahren zum förmlichen Rechtsstreitverfahren (Gerichtsverfahren) verstanden. „ADR“ steht dabei als Abkürzung für „Alternative Dispute Resolution“, deutsch: Alternative Streitbeilegung, vgl. Pitschas, in: Eberle / Ibler / Lorenz (Hrsg.), Der Wandel des Staates vor den Herausforderungen der Gegenwart, 1. Aufl. 2002, S. 709, 721; Zilleßen, in: Zilleßen (Hrsg.), Mediation – Kooperatives Konfliktmanagement in der Umweltpolitik, 1. Aufl. 1998, S. 17, 19. 15 Gegenüberstellung der verschiedenen Formen alternativer Streitbeilegung z. B. bei Rüssel, Mediation in komplexen Verwaltungsverfahren, 1. Aufl., Baden-Baden 2004, S. 79 ff. und bei Stumpf, Alternative Streitbeilegung im Verwaltungsrecht, 1. Aufl. 2006, S. 275 ff. 16 So Hehn, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 8 Rn. 36. 17 Vgl. Runkel, Umweltkonflikte sachgerecht lösen: Umweltmediation in Deutschland und den USA, 1. Aufl. 1996, S. 49 ff. 18 Bereits 1990 erschien das bis heute vielzitierte Werk von Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I und II, 1. Aufl., Baden-Baden 1990. Dieses liefert eine länderübergreifende Darstellung der Praxis verhandlungsgeprägter Konfliktlösung im öffentlich-rechtlichen Bereich. 19 Vgl. Ortloff, NVwZ 2007, 33, 34. 20 S. zur Veranschaulichung z. B. den Beitrag von Kessen / Troja, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Auflage 2009, § 13 Rn. 1 ff.; Hehn, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 8 Rn. 37, 56; zum Phänomen der zunehmenden Differenzierung auch Gläßer, SchlHA 2010, 32, 33 f.

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Hintergrundinformationen

aktuelle Entwicklungstendenz ist die fortschreitende Institutionalisierung des Verfahrens.21 Institutionalisierung bedeutet die Herausbildung gemeinhin anerkannter und daher vergleichsweise stabiler Verhaltensmuster und Regeln für das gesellschaftliche Zusammenleben,22 was sich im Falle des Mediationsverfahrens unter anderem in dessen rechtlicher Normierung äußert.23 Exemplarisch ist dazu die vielfach so bezeichnete24 Mediationsrichtlinie der EU25 zu nennen, zu deren Umsetzung die Bundesrepublik das MediationsG26 erließ.

3. Begriffsbestimmung und Abgrenzung Vor Erlass des Mediationsgesetzes gab es in Deutschland keine Legaldefinition des Begriffs „Mediation“. Der Gesetzgeber hatte lediglich innerhalb anderer Regelungskontexte auf die Mediation Bezug genommen. Zum Beispiel bezeichnet § 5a Abs. 3 DRiG27 die Mediation als eine im Rahmen der deutschen Juristenausbildung zu erwerbende Schlüsselqualifikation. § 2 Abs. 3 Nr. 4 RDG28 normiert, dass es sich bei der Mediation um keine Rechtsdienstleistung im Sinne dieses Gesetzes handelt, es sei denn, der Mediator greift durch rechtliche Regelungsvorschläge in die Gespräche der Beteiligten ein. Auch seitens der höchstrichterlichen Rechtsprechung hatte es bis zum Erlass des Mediationsgesetzes keine Vorstöße in Richtung einer (gefestigten) Begriffsdefinition gegeben. Im Zusammenhang mit der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gütestellen- und Schlichtungsgesetzes von Nordrhein-Westfalen hat das BVerfG29 immerhin die einverständliche Streitbeilegung und damit auch die Mediation dahingehend gewürdigt, dass diese auch in einem Rechtsstaat „grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung“ ist. Gemäß § 1 MediationsG (Begriffsbestimmung) handelt es sich bei der Mediation um ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mit21 Dazu Gläßer, SchlHA 2010, 32, 32 ff.; Spindler, DVBl 2008, 1016, 1017 f.; Pitkowitz, ZKM 2005, 68, 71; Ronellenfitsch, DÖV 2010, 373, 378: Bislang formlose Mediation zeigt Tendenz, sich einem formalisierten gerichtlichen Verfahren anzunähern. 22 Begriffsbestimmung bei Troja, in: Mehta / Rückert (Hrsg.), Mediation und Demokratie, 1. Aufl. 2003, S. 120, 120 f. m. w. N. 23 Vgl. Gläßer, SchlHA 2010, 32, 33. 24 Z. B. von Bamberger, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 42 Rn. 71; Mayr / Weber, ZfRV 2007, 163, 169. 25 Richtlinie 2008 / 52 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen v. 21.5.2008, ABlEU Nr. L 136 v. 24.5.2008, S. 3. 26 Mediationsgesetz v. 21.7.2012, BGBl I 2012, 1577. 27 Deutsches Richtergesetz v. 19.4.1972, BGBl I 1972, 713. 28 Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (Rechtsdienstleistungsgesetz) v. 12.12.2007, BGB lI 2007, 2840. 29 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.2.2007 – 1 BvR 1351 / 01, NJW-RR 2007, 1073, 1074; dazu auch Ortloff, in: Dolde / Hansmann u. a. (Hrsg.), Verfassung – Umwelt – Wirtschaft, 1. Aufl. 2010, S. 533, 537 f.

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hilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konfliktes anstreben, wobei der Mediator eine unabhängige und neutrale Person ohne Entscheidungsbefugnis ist. Die gesetzgeberische Definition folgt im Wesentlichen den vor Erlass des MediationsG veröffentlichten wissenschaftlichen Beiträgen zum Thema.30 Für eine Abgrenzung zu anderen Streitbeilegungsverfahren bietet sich das Kriterium der Einflussnahme des Dritten auf das Verfahrensergebnis an. Im Gegensatz zu den anderen gängigen Verfahren der Streitbeilegung, also dem förmlichen Rechtsstreitverfahren (Gerichtsverfahren), den verschiedene Formen der schiedsrichterlichen Streitentscheidung31 und der Schlichtung32 ist bei der Mediation die Konfliktlösung eigens durch die Streitparteien zu artikulieren. Das Erfordernis der eigenverantwortlichen Konfliktlösung ist statuiert in § 1 Ab. 1 MediationsG. Auf dem Weg zu einer solchen Lösung kann der Mediator zwar die Informations- und Argumentationsbasis der Parteien durch Fakten, Normen und Regeln erweitern. Er kann auch durch eigene rechtliche Bewertung von Lösungsoptionen die Parteien vor unrealistischen Erwartungen schützen.33 Die Lösung muss jedoch in letzter Konsequenz von den Parteien selbst gefunden werden.34 In diesem Punkt unterscheidet sich die Mediation von den eben erwähnten Verfahren, auch wenn in anderen Fragen (Freiwilligkeit der Teilnahme, Rechtsverbindlichkeit des Verfahrensergebnisses, parteiautonome Verfahrensgestaltung u. a.) Parallelen zu anderen Formen der Streitbeilegung existieren.

30 Vgl. z. B. Breuer, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, 1. Aufl. 1990, S. 231, 236; Zilleßen, in: Zilleßen (Hrsg.), Mediation – Kooperatives Konfliktmanagement in der Umweltpolitik, 1. Aufl. 1998, S. 17, 17; von Mutius, SchlHA 2007, 121, 121; Weidner, in: Weidner (Hrsg.), Alternative Dispute Resolution in Environmental Conflicts, 1. Aufl. 1998, S. 11, 16 f.; Appel, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, 1. Aufl. 2008, § 32 Rn. 103; ausführlich zur Begriffserklärung Haft, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 2 Rn. 1 ff. 31 Detaillierte Gegenüberstellung für den Bereich des Verwaltungsrechts bei Stumpf, Alternative Streitbeilegung im Verwaltungsrecht, 1. Aufl. 2006. 32 Als ein Schlichtungsverfahren wird aufgrund des durch den Gesprächsleiter Heiner Geißler unterbreiteten Lösungsvorschlags auch das Vermittlungsverfahren zu „Stuttgart 21“ einzuordnen sein, vgl. Tagesschau-Interview mit Horst Zilleßen, im Internet abrufbar unter http://www.tagesschau.de-/inland/zillesseninterview100.html (letzter Zugriff: 1.3.2012). 33 Es handelt sich hierbei um den sog. „Evaluative Approach“ (übersetzt: Bewertender Verfahrensansatz), bei welchem der Mediator den vergleichsweise größten Einfluss auf das Ergebnis des Konfliktlösungsprozesses nimmt, vgl. Nierhauve, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 48 Rn. 4; Walz, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 37 Rn. 49. Eine derartige Einflussnahme verbietet das MediationsG nicht, vgl. BT-Dr 17/5335, S. 15. 34 So explizit Haft, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 2 Rn. 36 f.; vgl. auch Kracht, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 12 Rn. 102; Ortloff, NVwZ 2004, 385, 386 f.; Risse, Wirtschaftsmediation, 1. Aufl. 2003, § 1 Rn. 23; Pitschas, NVwZ 2004, 396, 397; Wagner / Engelhardt, NVwZ 2001, 370, 371.

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4. Prinzipien und Ablauf des Verfahrens 4.1 Verfahrensprinzipien Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit35 ist also Herausstellungsmerkmal der Mediation gegenüber den anderen Formen der Streitbeilegung.36 Die Parteien sind hiernach angehalten, die Lösung ihres Problems selbst zu erarbeiten. Der Mediator hingegen ist, die Autonomie der Parteien in Hinblick auf die Streitlösung achtend, zu diesem Schritt nicht befugt. Seine Aufgabe ist lediglich die Unterstützung der Verhandlung.37 Diese grundsätzliche38 Verantwortungszuschreibung resultiert aus der Überlegung, dass die Parteien am ehesten einzuschätzen vermögen, mit welcher Lösung sie sich identifizieren können. Außerdem ermöglicht die Wahrung des Eigenverantwortungsprinzips in der Verhandlung einen Konsens selbst dann, wenn die Lösung für die Parteien in einzelnen Punkten ungünstig ausfällt,39 denn es ist bereits das Verfahren deraktiven Partizipation, nicht erst dessen Ausgang, welches Ergebnisgerechtigkeit und folglich Akzeptanz schafft.40 Die eigenverantwortliche Lösungsfindung der Parteien erfordert Neutralität auf Seiten des Mediators, er darf sich nicht parteiisch verhalten.41 Es bestünde 35 Statt der Bezeichnung „Eigenverantwortlichkeit“ findet sich in der Literatur z. T. der Begriff „Selbstverantwortlichkeit“, z. B. bei Kracht, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 12 Rn. 102 ff. 36 So auch Gläßer, Mediation und Beziehungsgewalt, 1. Aufl. 2008, S. 75 f. 37 Vgl. Härtel, JZ 2005, 753, 755; Kracht, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 12 Rn. 102; Rüssel, Mediation in komplexen Verwaltungsverfahren, 1. Aufl. 2004, S. 87. 38 In der Mediationspraxis wurde von diesem Grundsatz mitunter abgewichen, wenn der Mediator um einen Schlichtungsvorschlag gebeten wurde. Schon vor Erlass des MediationsG war diese Vorgehensweise umstritten. Es besteht hier die Gefahr, dass sich die Parteien zu stark auf die Vorgaben des Mediators verlassen, statt eine parteiautonome Lösung zu erarbeiten, vgl. Risse / Wagner, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 23 Rn. 93. 39 Vgl. Risse, Wirtschaftsmediation, 1. Aufl. 2003, § 14 Rn. 16. 40 Vgl. Montada, in: Mehta / Rückert (Hrsg.), Mediation und Demokratie, 1. Aufl. 2003, S. 157, 164; Wagner / Engelhardt, NVwZ 2001, 370, 374. Den Zusammenhang zwischen Verfahren und Akzeptanz bei einem behördlichen Entscheidungsprozess thematisiert auch Niklas Luhmann in seinem Werk „Legitimation durch Verfahren“. Luhmann kommt aber im Gegensatz zur hier beschriebenen Konzeption des aktiven, eigenverantwortlichen Entscheidungsprozesses zur Annahme, dass die Akzeptanzbeschaffung gerade nicht auf einer persönlich verantworteten Lösungsfindung der Entscheidungsbetroffenen zu beruhen habe, sondern sich als Folge eines extern (gesellschaftlich) veranlassten Lernprozesses darstellen solle, in dessen Ergebnis der Entscheidungsbetroffene seine Erwartungshaltung der amtlichen Entscheidung anpasst. „Nur durch solche Ablösung von persönlicher Motivation und Verantwortung können in sehr komplexen Sozialordnungen, die zugleich Persönlichkeiten stark differenzieren und individualisieren müssen, das notwendige Gleichmaß der Normbefolgung und eine glatt abfließende Entscheidungspraxis sichergestellt werden.“, vgl. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 2. Aufl. 1989, S. 33, 34. Damit ist der Ansatz von Luhmann zwar dem gleichen Ziel (allseitige Akzeptanz der Entscheidung) verpflichtet, das Konzept zu dessen Verwirklichung unterscheidet sich jedoch vom Modell der eigenverantwortungsorientierten Mediation in einem zentralen Punkt. 41 Vgl. Pitschas, NVwZ 2004, 396, 397.

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sonst die Gefahr, die Autonomie sowohl der Partei, deren Lösung er nicht favorisiert, aber auch der Partei, deren Lösung er favorisiert, zu behindern. Neutral bedeutet unparteiisch im Sinne von unvoreingenommen-distanziert gegenüber Verfahren und Parteien.42 Aus dem Neutralitätserfordernis folgt laut § 3 Abs. 1 S. 1 MediationsG die Pflicht des Mediators, den Parteien alle eventuell neutralitätsgefährdenden Umstände offenzulegen. Weiteres Mediationsprinzip ist die Freiwilligkeit. Diese ist gegeben, wenn die Parteien das Verfahren als eine Option wahrnehmen, die nach ihrer Wahl, d. h. ohne äußeren Zwang zur Konfliktlösung in Anspruch genommen werden kann, ohne dass die Parteien bei Nichtinanspruchnahme negative Konsequenzen zu befürchten hätten.43 Konflikte im Umfeld komplexer, z. B. umweltrechtlicher Verwaltungsentscheidungen können Fragestellungen aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen aufwerfen. Neben rein juristischen Vorgaben sind im genannten Bsp. in vergleichsweise hohem Umfang ökonomische, ökologische, politische und sozialwissenschaftliche Erwägungen in Entscheidungsvorgänge einzubeziehen.44 Dieses Maß an Sachverhaltskomplexität bringt typischerweise Informationsasymmetrien zwischen wissenschaftlich-technischen Experten und Laien, der Verwaltung, Vorhabenträgern und Betroffenen mit sich. Das Verhältnis dieser Akteure ist dann oft geprägt von Vorbehalten und Missverständnissen, was in Misstrauen oder gar Ablehnung gegenüber der Verwaltungsentscheidung resultiert.45 Aus diesen Informationsdefiziten erwächst die besondere Aufgabe des Mediators, möglichst alle entscheidungsrelevanten Informationen zu sammeln, durch Offenlegung für die Beteiligten transparent zu machen und den auf diese Weise erlangten Wissenszugewinn als Ressource für die gemeinsame Problemlösung zu nutzen.46 Ein solches Vorgehen gebietet das Mediationsprinzip 42 Zum Neutralitätsprinzip v. a. Kracht , in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, § 12 Rn. 9 f., außerdem Gläßer, Mediation und Beziehungsgewalt, 1. Aufl. 2008, S. 63; Treiber, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band II, 1. Aufl. 1990, S. 287, 287; Rüssel, Mediation in komplexen Verwaltungsverfahren, 1. Aufl. 2004, S. 85; Härtel, JZ 2005, 753, 755; Schuppert, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band II, 1. Aufl. 1990, S. 29, 45; s. auch Erklärung des Begriffes „neutral“ in Wermke / Klosa / Kunkel-Razum / Scholze-Stubenrecht (Hrsg.), Duden – Die deutsche Rechtschreibung, Band 1, 25. Aufl. 2009. 43 Vgl. Pulter/Ribler, in: Lange / Kaeding / Lehmkuhl / Pfingsten-Wismer (Hrsg.), Frischer Wind für Mediation, 1. Aufl. 2007, S. 141, 143; Kracht, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 12 Rn. 99. 44 Vgl. Zilleßen, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 30 Rn. 17. 45 Vgl. Troja, in: Mehta / Rückert (Hrsg.), Mediation und Demokratie, 1. Aufl. 2003, S. 120, 123; Appel, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, 1. Aufl. 2008, § 32 Rn. 107; Steinberg, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I, 1. Aufl. 1990, S. 295, 296; Ritter, NJW 2001, 3440, 3443. 46 Vgl. Zilleßen, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 30 Rn. 57; ders., SchlHA

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der Informiertheit, wonach alle Parteien über die entscheidungsrelevanten Tatsachen umfassend in Kenntnis sein müssen, um auf diesem Weg die Akzeptanz der Verfahrensergebnisse für die Zukunft zu gewährleisten.47 Elementares Mediationsprinzip ist die Vertraulichkeit des Verfahrens.48 Es besagt im Wesentlichen, dass im Mediationsverfahren erlangte Informationen Außenstehenden nicht ohne den entsprechenden Willen der Mediationsbeteiligten zugänglich gemacht werden dürfen.49 Zweck des Grundsatzes ist insbesondere, dass Inhalte des Verfahrens keine Verwendung in späteren Gerichtsverfahren finden,50 darüber hinaus zielt der Vertraulichkeitsgrundsatz aber auch auf eine Unterbindung der Informationsweitergabe im außergerichtlichen Bereich.51 Mediatoren können außer Berufsgeheimnisträgern, z. B. Rechtsanwälten und Psychologen, auch Angehörige anderer Berufsgruppen sein, z. B. Hochschulprofessoren, Lehrer oder Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Für sie gab es bis vor kurzem keine vertraulichkeitssichernden Gesetzesbestimmungen.52 Diese Regelungslücke ist durch das MediationsG geschlossen worden; § 4 Abs. 1 MediationsG verpflichtet den Mediator nun (anknüpfend allein an die Mediationstätigkeit) grundsätzlich zur Verschwiegenheit in Bezug auf alles, was ihm in Ausübung dieser Tätigkeit bekannt geworden ist. 4.2 Ablauf des Verfahrens Trotz großer Methodikdiversität53 ist ein Grundmuster erkennbar, nach welchem Mediatoren aller Einsatzgebiete das Verfahren strukturieren. Zu Beginn der Mediation sind dessen rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen zu klären (Initiierungsphase). In der nächsten Mediationsphase (Durchführungsphase) werden nach Zusammenstellung der klärungsbedürftigen Fragen diesbezügliche Interessen und Befindlichkeiten der Parteien 2007, 119, 121. 47 Vgl. Kracht, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 12 Rn. 114. 48 Hartmann, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 44 Rn. 3: „Achillesferse der Mediation“. 49 Vgl. Gläßer, Mediation und Beziehungsgewalt, 1. Aufl. 2008, S. 65; ausführlich Bubnoff, NJW 2001, 338, 339; Rüssel, Mediation in komplexen Verwaltungsverfahren, 1. Aufl. 2004, S. 132; Kracht, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 12 Rn. 120. 50 Vgl. Bubnoff, NJW 2001, 338, 339. 51 Hartmann, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 44 Rn. 2 führt als Begründung für die Wichtigkeit dieser Zielsetzung an, dass durch außergerichtliche Informationsweitergabe z. B. die Gefahr der Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen oder der Abwerbung wichtiger Know-howTräger besteht. 52 Vgl. Hartmann, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2009, § 44 Rn. 9, 18. 53 Das Verfahren ist noch in der Entwicklung begriffen. Der Gesetzgeber macht daher in Bezug auf dessen Ablauf nur ganz grobe Vorgaben, z. B. indem er in § 1 Abs. 1 MediationsG zwar Strukturiertheit als solche vorschreibt, nicht jedoch bestimmte Verfahrensschritte, vgl. BT-Dr 17/5335, S. 11.

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ermittelt. Auf Basis dieser Erkenntnisse erfolgen dann Suche, Auswahl und Vereinbarung von Lösungsansätzen, welche den Befindlichkeiten aller Konfliktbeteiligten möglichst weitgehend Rechnung tragen. Diese sind abschließend (Umsetzungsphase) praktisch zu verwirklichen.54 Die Durchführungsphase dient der Bearbeitung des Konfliktstoffes in inhaltlicher Hinsicht55 und bildet daher den Kern des Mediationsverfahrens. Im ersten inhaltsbezogenen Konfliktbearbeitungsschritt sind die Mediationsparteien angehalten, ihre jeweils individuelle Sicht auf den bestehenden Konflikt zu schildern. Aus den subjektiven Beschreibungen von Positionen, Auffassungen und Anliegen werden die im weiteren Mediationsverlauf zu untersuchenden Konfliktthemen eruiert und die Parteien einigen sich auf eine bestimmte Reihenfolge von deren Bearbeitung.56 Häufig sind die Darstellungen der Parteien von gegenseitigen Angriffen und Schuldzuweisungen geprägt. Das Handeln der anderen Partei wird auf Egoismus, Machtstreben und Bösartigkeit zurückgeführt, deshalb habe sie den Konflikt herbeigeführt (Verantwortungszuschreibung).57 Eine solche Interpretation verstellt jedoch den Blick auf die inneren Beweggründe des Gegenübers, sich zu der streitigen Angelegenheit in einer bestimmten Weise zu positionieren. Das Verständnis dieser Beweggründe ist aber gerade der Schlüssel zur interessenbasierten Beilegung des Konfliktes.58 Daher besteht die Aufgabe des Mediators in dieser Gesprächsphase darin, auf eine bewertungsneutrale Konfliktthemenzusammenstellung59 hinzuwirken. Er schlägt 54 Die Terminologie der aufgeführten Verfahrensphasen und die Zuordnung einzelner Verfahrenshandlungen zu diesen Phasen variieren von Beitrag zu Beitrag. Bei Appel, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, 1. Aufl. 2008, § 32 Rn. 117 ff.; Gläßer, Mediation und Beziehungsgewalt, 1. Aufl. 2008, S. 85; Kessen / Troja, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 13 Rn. 10 ist jedoch die Reihenfolge der einzelnen Verfahrenshandlungen deckungsgleich mit der hier präsentierten Reihenfolge. 55 Vgl. Gläßer, Mediation und Beziehungsgewalt, 1. Aufl. 2008, S. 88. 56 Vgl. Rüssel, Mediation in komplexen Verwaltungsverfahren, 1. Aufl. 2004, S. 138; Kessen / Troja, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Auflage 2009, § 13 Rn. 20, 23 f.; Gläßer, Mediation und Beziehungsgewalt, 1. Aufl. 2008, S. 86; Wagner / Engelhardt, NVwZ 2001, 370, 373. 57 Vgl. zu diesem Problem Montada / Kals, Mediation, 2. Aufl. 2007, S. 238 f. („fundamentaler Attributionsfehler“); Kessen / Troja, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Auflage 2009, § 13 Rn. 21. Breidenbach, Mediation, 1. Aufl. 1995, S. 41 f. beschreibt dieses Phänomen als Zwischenstadium in der Entfaltung eines rechtlichen Konflikts: Nach Wahrnehmung und Benennung eines Unrechts („naming“) wird das Unrecht typischerweise der vermeintlich verantwortlichen Person zugeschrieben, mit ihr gewissermaßen verklammert („blaming“). Danach erfolgt die Aufforderung an diese Person, dem Zustand abzuhelfen („claiming“). 58 Vgl. Montada / Kals, Mediation, 2. Aufl. 2007, S. 235, 241. Montada / Kals bezeichnen die hier sog. inneren Beweggründe der Parteien als „Tiefenstruktur des Konfliktes“. 59 Eine der Grundideen des sog. Harvard-Konzepts, welches zu Beginn der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts Verhandlungsforschung und -praxis maßgeblich veränderte und auf welchem auch die Mediation basiert, ist die gedankliche Trennung von Verhandlungspartner und Verhandlungsgegenstand. Die Vermengung von Sachthemen mit Fragen der persönlichen Beziehung der Parteien zueinander gilt im Hinblick auf eine interessengerechte Konfliktbeilegung als kontraproduktiv, vgl. Fisher / Ury / Patton, Getting to Yes, 2. Aufl. 1992, S. 17, 21 f.; vgl. auch Risse, Wirtschaftsmediation, 1. Aufl. 2003, § 2 Rn. 34, 46.

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dazu z. B. Formulierungen vor, in denen sich die berichtende Partei zwar wiederfindet, in welcher die andere Partei jedoch keinen Angriff erkennt.60 Sind die klärungsbedürftigen Themen zusammengestellt, ermittelt der Mediator die mit den Themen jeweils verbundenen Interessen der Parteien gemäß einer zuvor festgelegten Bearbeitungsreihenfolge.61 Diese Vorgehensweise folgt der grundlegenden Erkenntnis, dass Konfliktparteien im Kern nicht um Positionen streiten, sondern um die Erfüllung von hinter den Positionen stehenden Interessen.62 Im Sinne einer überblicksartigen Unterscheidung lassen sich Positionen63 als die konkreten Ausgangsforderungen der Parteien, Interessen64 als die hinter diesen Positionen stehenden Ziele und Gründe definieren.65 Aufgabe des Mediators in dieser Gesprächsphase ist es, die Parteien darin zu unterstützen,66 zunächst ihre eigenen Interessen, darüber hinaus aber auch die Interessen der anderen Partei zu erkennen und zu respektieren. Durch eine Erweiterung des gegenseitigen Interessenverständnisses lösen sich verhärtete Positionen, die Parteien erlangen neue Perspektiven für eine gemeinsame, allseits befriedigende und folglich akzeptierte Konfliktregelung.67 60 Vgl. Kessen / Troja, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Auflage 2009, § 13 Rn. 21, 23. 61 Vgl. von Mutius, SchlHA 2007, 122, 129; Gläßer, Mediation und Beziehungsgewalt, 1. Aufl. 2008, S. 87; Kessen / Troja, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Auflage 2009, § 13 Rn. 26; Bercher / Engel, JZ 2010, 226, 228. 62 Auf dieser Erkenntnis fußt das gesamte Harvard-Konzept, vgl. Fisher / Ury / Patton, Getting to Yes, 2. Aufl. 1992, S. 41 f.; Risse, Wirtschaftsmediation, 1. Aufl. 2003, § 2 Rn. 35. 63 Position ist z. B. die Forderung gegenüber dem Vorhabenträger, den Bau einer Straße zu unterlassen, vgl. Holznagel / Ramsauer, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 28 Rn. 33. Position ist auch die Geltendmachung eines zivil- oder öffentlich-rechtlichen Anspruchs, vgl. Breidenbach, Mediation, 1. Aufl. 1995, S. 67 f. 64 Interessen sind auch Bedürfnisse, Erwartungen, Wünsche, Gebrauchsmöglichkeiten und Befürchtungen, vgl. Breidenbach, Mediation, 1. Aufl. 1995, S. 70. Hinter der Forderung, den Bau einer Straße zu unterlassen (Position), kann sich das Anliegen verbergen, vor Verkehrslärm geschützt zu sein und den Wert des Grundstückes zu erhalten (Interessen), vgl. Holznagel / Ramsauer, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 28 Rn. 33. Als Charakteristika von Interessen führt Gläßer, Mediation und Beziehungsgewalt, 1. Aufl. 2008, S. 81 ff. folgende Kriterien auf: 1. Emotionale Resonanz – das vorgebrachte Anliegen muss dem Vortragenden authentisch wichtig sein, 2. Lösungsoffenheit – das Anliegen muss durch mehrere praktische Maßnahmen umsetzbar sein, 3. Greifbarkeit – das Anliegen muss trotzdem so konkret sein, dass praktische Maßnahmen für dessen Umsetzung ermittelbar sind, 4. Positive Formulierung – das Anliegen muss ausdrücken, was (positiv) gewollt ist, nicht, was (negativ) nicht gewollt ist. 65 Vgl. Holznagel / Ramsauer, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 28 Rn. 33. 66 Methodisch bedient sich der Mediator dazu verschiedener Kommunikationstechniken, z. B. des aktiven Zuhörens und Paraphrasierens. Dabei fasst der Mediator das von der Partei Gesagte in eigenen Worten zusammen und stellt die mitgehörten Interessen heraus. Er ermöglicht dadurch der vortragenden Partei ein Verständnis ihrer eigenen Interessen und eröffnet diese Erkenntnismöglichkeit gleichzeitig für die andere Partei, vgl. Kessen / Troja, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Auflage 2009, § 13 Rn. 30 f. (Übersicht über Funktionen und Regeln des Paraphrasierens); Gläßer, Mediation und Beziehungsgewalt, 1. Aufl. 2008, S. 90; Wagner / Engelhardt, NVwZ 2001, 370, 373. Zu den Techniken des Mediators ausführlich auch Schweizer, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Auflage 2009, § 14. 67 Vgl. Gläßer, Mediation und Beziehungsgewalt, 1. Aufl. 2008, S. 89 f.; Kessen / Troja, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Auflage 2009, § 13 Rn. 26 ff.; Appel, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, 1. Aufl. 2008, § 32 Rn. 103.

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Wesensmerkmal von Interessen ist, dass sie durch mehrere konkrete Maßnahmen erfüllt werden können.68 Sind die Interessen der Parteien erforscht, bietet sich als interessenbefriedigende Lösung somit mehr als nur die Umsetzung der Ausgangsforderungen (Positionen) an. Mit Blick auf die Parteiinteressen lassen sich vielmehr verschiedene weitere Optionen ermitteln. Unter diesen befinden sich regelmäßig auch solche, die den Interessen der gegnerischen Partei nicht zuwider laufen, diesen im Optimalfall sogar zur Verwirklichung verhelfen.69 Eine Konfliktlösung, welche die Interessen aller Parteien befriedigt, bei der also alle Parteien profitieren, wird als Win-Win-Lösung70 bezeichnet. Bedeutet der Gewinn der einen Seite zugleich den Verlust der anderen, spricht man von einem Nullsummenspiel.71 Gegenstand des letzten Durchführungsschrittes ist zunächst die kreative Ermittlung von Lösungsoptionen vor dem Hintergrund der Parteiinteressen.72 In einem zweiten Schritt wählen die Parteien die ihnen im Sinne der Win-Win-Lösung am befriedigendsten erscheinenden, gleichzeitig aber auch unter praktischen, ethischen, ökonomischen und rechtlichen Gesichtspunkten machbaren73 Optionen als konkrete Konfliktlösung aus und legen diese als Verhandlungsergebnis in einer Abschlussvereinbarung74 schriftlich nieder. In der Abschlussvereinbarung können neben Ablauf und Zielen des Verfahrens auch die Konfliktthemen aufgeführt werden, für welche keine Einigung erzielt werden konnte.75

68 Vgl. Fisher / Ury / Patton, Getting to Yes, 2. Aufl. 1992, S. 43. 69 Vgl. Kessen / Troja, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Auflage 2009, § 13 Rn. 26. 70 Zur Illustration dieses Phänomens sei hier das Paradebeispiel der durch Mediation gefundenen Win-WinLösung angeführt: Zwei Schwestern streiten um eine Orange und machen jeweils einen Anspruch darauf geltend (Positionen). Der erkennende Richter stellt fest, dass beiden in gleichem Umfang Eigentum zusteht und teilt die Orange. Die Schwestern erhalten je die Hälfte der Frucht. Der die Parteiinteressen hinterfragende Mediator hingegen erkennt, dass eine der beiden Schwestern einen Kuchen backen möchte und nur die Schale braucht. Die andere Schwester möchte lediglich den Saft der Orange als Getränk (Interessen). Als Alternativlösung zum richterlichen Vorgehen (Nullsummenspiel) erhält die eine Schwester die gesamte Schale, die andere Schwester das gesamte Fruchtfleisch (Win-Win-Lösung). Dazu Risse, Wirtschaftsmediation, 1. Aufl. 2003, § 2 Rn. 39. 71 Vgl. Risse, Wirtschaftsmediation, 1. Aufl. 2003, § 2 Rn. 2; Holznagel / Ramsauer, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 28 Rn. 32. 72 Vgl. Wagner / Engelhardt, NVwZ 2001, 370, 373; Gläßer, Mediation und Beziehungsgewalt, 1. Aufl. 2008, S. 87 f. 73 Sofern diese Prüfung noch nicht in einem früheren Verfahrensstadium, etwa bei der Initiierungsphase oder der Interessenermittlung erfolgt ist, empfiehlt sich die Kontrolle im Zuge der Optionenauswahl, vgl. dazu Montada / Kals, Mediation, 2. Aufl. 2007, S. 268 f., 270 f. 74 So die gesetzgeberische Terminologie, vgl. § 2 Abs. 6 S. 3 MediationsG Ebenfalls die Bezeichnungen „Abschlusspapier“ und „Abschlusserklärung“, vgl. Zilleßen, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 30 Rn. 71. 75 Vgl. Zilleßen, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 30 Rn. 71; Holznagel / Ramsauer, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 28 Rn. 35.

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5. Möglichkeiten, Grenzen, Kritik Die hier so bezeichneten „Möglichkeiten“ der Mediation sollen im Folgenden durch einen Überblick über praktische Anwendungsbereiche und die durch den Verfahrenseinsatz erzielten Vorteile ermittelt werden. Unter Möglichkeiten seien hier also nicht nur Einsatzfelder, sondern auch Chancen zu verstehen, die die Mediation zur Verwirklichung bestimmter Parteierwartungen bietet. Bei den hier so bezeichneten „Grenzen“ handelt es sich dagegen um Umstäde, deren Vorliegen bewirkt, dass die Kosten des Mediationsverfahrens außer Verhältnis zu seinem Nutzen stehen.76 Die Mediation ist zur Konfliktbeilegung in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen einsetzbar.77 Für eine Vielzahl teils sehr spezifischer Anwendungsgebiete liegen wissenschaftliche Untersuchungen vor. Im öffentlich-rechtlichen Bereich kann Mediation z. B. als Instrument zur behördlichen Sachverhaltsermittlung78 nach §§ 24, 26 VwVfG,79 bei der Erörterung von Gegenstand, Umfang und Methoden der Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß § 5 S. 3 UVPG80 (Scopingverfahren)81 und im Erörterungstermin82 innerhalb des Planfeststellungsverfahrens nach § 73 Abs. 6 VwVfG eingesetzt werden. In Deutschland im öffentlich-rechtlichen Bereich am häufigsten zur Anwendung gekommen ist das Mediationsverfahren bei sog. Standortkonflikten, bei denen es um die Verwirklichung eines konkreten Bauvorhabens, etwa einer Müllverbrennungsanlage, einer Straße oder einer Kraftwerksanlage ging.83

76 Diese Betrachtungsweise folgt aus der laut Appel, in: Hoffmann-Riem / Schmidt-Aßmann / Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, 1. Aufl. 2008, § 32 Rn. 123 vor jeder Mediation vorzunehmenden Kosten-Nutzen-Prüfung zur Beurteilung der Geeignetheit des Verfahrens im Einzelfall. Der Begriff „Kosten“ umfasst dabei nicht nur solche im finanziellen Sinne, sondern z. B. auch den mit der Verfahrensdurchführung verbundenen zeitlichen und organisatorischen Aufwand. 77 Einen umfassenden Überblick über die Einsatzbereiche bietet Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009. Dessen drittes Kapitel liefert unter der Überschrift „Arbeitsgebiete“ eine nach „Privatleben – Wirtschaft – Beruf“, „Verwaltung – Planung – Politik“ und „Strafrecht“ gegliederte Darstellung. 78 Vgl. Holznagel / Ramsauer, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 28 Rn. 44 ff., 47; Pitschas, NVwZ 2004, 396, 400. 79 Verwaltungsverfahrensgesetz v. 23.1.2003, BGBl I 2003, 102. 80 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung v. 24.2.2010, BGBl I 2010, 94. 81 Vgl. Holznagel / Ramsauer, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 28 Rn. 51; Härtel, JZ 2005, 753, 758. Mediatoren fungieren dann als „Dritte“ i. S. v. § 5 S. 4 UVPG, so die heute h. M., vgl. Kaltenborn, Streitvermeidung und Streitbeilegung im Verwaltungsrecht, 1. Aufl. 2007, S. 116 f. 82 Aufgrund der gesetzlich vorgesehenen direkten Begegnung von betroffenen Bürgern und Behörden bietet dieser Termin die Chance zur frühzeitigen Erforschung und Vermeidung im Zusammenhang mit dem Vorhaben stehender Konflikte, vgl. Pitschas, NVwZ 2004, 396, 401. 83 Vgl. Zilleßen, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 30 Rn. 51 f. mit einer tabellarischen Übersicht über die verschiedenen umweltrechtlichen Anwendungsfelder.

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Die Entscheidungsfindung im Mediationsverfahren ist im Gegensatz zur herkömmlichen juristischen Vorgehensweise nicht (allein) regelungs-, sondern interessenbasiert. Der Mediator hinterfragt, welche Interessen, das heißt, welche Ziele, Anliegen und individuelle Befindlichkeiten den geltend gemachten Forderungen in einer Auseinandersetzung zugrunde liegen. Das Mediationsverfahren hat also die Befriedigung der Interessen der am Konflikt Beteiligten zum Ziel. Da diese Befindlichkeiten durch bloße Anwendung abstrakter Rechtsnormen häufig nicht ausreichend berücksichtigt werden, liegt in der Durchführung einer Mediation die Chance, dem Ziel der Zufriedenheit der Parteien näher zu kommen. Dadurch erhöht sich die Dauerhaftigkeit der gefundenen Lösung. Gerade in Anbetracht der fortschreitenden internationalen Verflechtung von Wirtschafts- und Rechtsbeziehungen sind die Verbindungen der beteiligten Akteure tendenziell immer stärker auf längere Sicht angelegt und damit auf eine dauerhafte, weil zukunftsorientierte Lösung angewiesen.84 Die durch Mediation erhöhte Resistenz der Lösung gegen spätere Anfeindungen verringert das Risiko einer gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung und verkürzt insgesamt die Verfahrensdauer zur Konfliktbeilegung. Gegenüber dem herkömmlichen juristischen Ansatz bzw. dem förmlichen Rechtsstreitverfahren (Gerichtsverfahren) kann sich also eine Konfliktbearbeitung unter Mediationseinsatz ressourcen-, also nicht nur zeit-, sondern auch geld- und nervenschonender, gestalten.85 Faktoren, welche die Anwendbarkeit der Mediation potenziell begrenzen, können subjektiver und objektiver Natur sein. Subjektive Faktoren liegen in den Mediationsbeteiligten selbst, objektive Faktoren bestehen dagegen unabhängig von persönlichen Befindlichkeiten der Mediationsparteien und entspringen z. B. der Natur des Konfliktgegenstandes.86 Sofern diese Faktoren bei Vorbereitung und Durchführung der Mediation nicht angemessen berücksichtigt werden, sieht sich das Verfahren Umständen gegenüber, welche dessen Einsatz verbieten, weil seine finanziellen, aber auch z. B. seine wirtschaftlichen oder ethischen Kosten den zu erwartenden Nutzen (Vorteile der Mediation) überwiegen. In einem solchen Fall ist die Grenze der Mediationsanwendbarkeit erreicht. Umgekehrt können jedoch situationsgerechte Maßnahmen in vielen Fällen potenziell begrenzender Faktoren die Durchführung der Mediation unter Einhaltung der Kosten-Nutzen-Balance ermöglichen. 84 Vgl. von Bargen, EuR 2008, 200, 219. 85 Vgl. von Mutius, SchlHA 2007, 122, 123; von Bargen, EuR 2008, 200, 219; Haft, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 2 Rn. 13. 86 Eine Einteilung in objektive und subjektive Voraussetzungen für die Mediation nehmen auch Holznagel / Ramsauer, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 28 Rn. 13 f. vor.

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Subjektive mediationsbegrenzende Faktoren können z. B. die fehlende Bereitschaft der Mediationsparteien sein, sich auf das Verfahren einzulassen oder auch die Einnahme bestimmter Positionen, von denen die Parteien, etwa aufgrund eines bestehenden Rechtsanspruchs87 oder aufgrund einer kompromissfeindlichen Grundhaltung bezüglich des Konfliktgegenstandes88, nicht bereit sind, abzurücken.89 Aber auch durch den Willen nicht steuerbare subjektive Faktoren können die Anwendbarkeit des Verfahrens an seine Grenze führen, z. B. im Falle psychopathologischer Störungen oder intellektueller Überforderung.90 Im Falle mangelnder Motivation kann es sich anbieten, den Parteien die zu erwartenden Vorteile des Verfahrens, z. B. die Schaffung von Arbeitsplätzen oder die Verbesserung der touristischen Qualitäten der Region bei Vorhabenverwirklichung, vor Augen zu führen.91 In Fällen psychopathologischer Störungen oder intellektueller Überforderung einer Partei hieße die Durchführung einer Mediation unter Umständen die Nichtbeachtung des Eigenverantwortlichkeitsprinzips,92 da solche Konstitutionen einer eigenverantwortlichen Interessenwahrnehmung durch die betroffenen Parteien entgegenstehen. Eine angemessene Berücksichtigung dieser Faktoren kann dann die anwaltliche oder psychologisch fachkundige Unterstützung, z. B. im Rahmen einer Mediationsunterbrechung, sein.93 Ist trotzdem eine eigenverantwortliche Lösung nicht zu erwarten, kann der Mediator gemäß § 2 Abs. 5 S. 2 MediationsG das Verfahren beenden. Rechtsnormen als hier beispielhaft zu nennende objektive Faktoren94 bilden niemals per se eine Verfahrensgrenze, da kein generelles Verbot der Mediation, selbst für den Bereich hoheitlichen Handelns, existiert. Verfahrensgrenzen ergeben sich insoweit erst aus der Nichtbeachtung der Regelungen. Ein Verstoß gegen (verfassungs-)rechtliche Vorgaben beim Einsatz der Mediation im eben genannten Bereich95 würde die darauf basierende behördliche Maß87 Speziell dazu Montada / Kals, Mediation, 2. Aufl. 2007, S. 295. 88 Dies ist vor allem bei stark ideologisch geprägten Konflikten zu beobachten, vgl. Siegel, NuR 2002, 79, 83; Wagner / Engelhardt, NVwZ 2001, 370, 371. 89 Vgl. Ronellenfitsch, DÖV 2010, 373, 377; Holznagel / Ramsauer, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl. 2009, § 28 Rn. 14. 90 Vgl. Montada / Kals, Mediation, 2. Aufl. 2007, S. 296 f. 91 Vgl. von Mutius, SchlHA 2007, 122, 127. 92 Ein Verzicht hierauf würde an den Grundfesten des Verfahrens rühren, da gerade dieses Verfahrensprinzip das Alleinstellungsmerkmal der Mediation gegenüber den anderen Konfliktbeilegungsformen ist – ein Preis, der durch den möglichen Nutzen eines solchen Gespräches nicht aufgewogen werden kann. 93 Vgl. Montada / Kals, Mediation, 2. Aufl. 2007, S. 296 f. 94 Als weitere objektive Faktoren sind z. B. begrenzte räumliche, personelle oder finanzielle Möglichkeiten zur Durchführung des Mediationsverfahrens denkbar. 95 Eine erhöhte Gefahr eines solchen Verstoßes sehen z. B. Krämer, NuR 2002, 257, 263 und Schäfer, NVwZ 2006, 39, 42. Zu der Problematik auch Grimm, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Band I, 3. Aufl. 2003, § 1 Rn. 80 f. m. w. N.

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nahme (z. B. Verwaltungsakt) der Gefahr der gerichtlichen Beseitigung aussetzen. Dies wäre ein Umstand, welcher durch den Nutzen des Verfahrens nicht aufgewogen werden könnte; die Mediation dient gerade der Vermeidung unter Umständen langwieriger förmlicher Rechtsstreitverfahren. Kritisiert wird das Mediationsverfahren, weil es, auf vertraulichen Informationsaustausch und eigenverantwortliche Streitlösung ausgerichtet, die Tür zur Durchsetzung eigennütziger Ziele einzelner Verfahrensteilnehmer zulasten anderer öffnet. Diese Befürchtung wurde mehrfach in Bezug auf die Mediation zur Unterstützung umweltrechtlicher Genehmigungsverfahren geäußert. Das Vetorecht der Verfahrensteilnehmer führe zur Nichtberücksichtigung von Allgemeinwohlinteressen.96 Im Gegensatz zu den gesetzlichen Informationsund Beteiligungsrechten, die lediglich zu einer transparenten Entscheidungsfindung führen sollen, habe das Mediationsverfahren die Beilegung des Streites als Zielstellung vor Augen. Das Allgemeinwohlinteresse „Umweltschutz“ werde unter diesen Umständen vernachlässigt, weil sich die an der Mediation beteiligte Behörde auf einen Lösungsweg allein mit den vetoberechtigten Verhandlungsteilnehmern einige.97 Art. 20a GG verpflichtet den Staat aber zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Allgemeinwohlinteresse).98 Wegen des praktisch unvermeidbaren Verstoßes verbiete sich die Anwendung der Mediation auf entsprechende Konfliktgegenstände von vorn herein. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass es sich bei dem befürchteten Verstoß keinesfalls um eine zwingende Folge des kooperativen staatlichen Agierens handelt. Im Stadium der Vorbereitung der Mediation,99 ersatzweise auch bei der Auswahl von Lösungsoptionen am Ende der Durchführungsphase,100 ist genau zu prüfen, welche rechtlichen Rahmenvorgaben in der konkreten Konfliktsituation bestehen, ob also die gefundene Lösung rechtlich „machbar“ ist.101 Wird diese Prüfung gewissenhaft durchgeführt, stoßen die Mediationsbeteiligten unweigerlich auf die Frage, ob die ermittelten Lösungsoptionen mit rechtlich geschützten Allgemeinwohlinteressen vereinbar sind. Aus einer Vielzahl vorgeschlagener Lösungsoptionen können sie diejenigen wählen, die mit den Gesetzesvorgaben im Einklang stehen und diese schließ96 Vgl. Krämer, NuR 2002, 257, 263; Schäfer, NVwZ 2006, 39, 42; Grimm, in: Isensee / Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Band I, 3. Aufl. 2003, § 1 Rn. 80 f. m. w. N. 97 Vgl. Krämer, NuR 2002, 257, 262 f. 98 Vgl. Weiß, DVBl 2002, 1167, 1170. Die staatliche Pflicht zum Schutz der Gesundheit und des Eigentums vor Umweltbelastungen lässt sich auch aus Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 14 Abs. 1 GG ableiten, vgl. Koch, NuR 2001, 541, 545. 99 Initiierungsphase, vgl. von Mutius, SchlHA 2007, 122, 127; Siegel, NuR 2002, 79, 81. 100 Vgl. zur Vorgehensweise auch Kessen / Troja, in: Haft / Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Auflage 2009, § 13 Rn. 87. 101 Vgl. von Mutius, SchlHA 2007, 122, 127 f.; Siegel, NuR 2002, 79, 81 ff.

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lich als Abschlussvereinbarung niederlegen.102 Im Übrigen sichert die Behörde die Beachtung gemeinwohlrelevanter Belange durch Wahrnehmung ihrer Letztverantwortung103 für den Konfliktgegenstand in der Phase der Umsetzung des Verfahrensergebnisses. Deren Entscheidung berücksichtigt dann auch außerhalb des Mediationsverfahrens liegende Umstände, nicht allein Einzelinteressen der Mediationsteilnehmer.104 Die geäußerten Befürchtungen sind allerdings nicht gänzlich von der Hand zu weisen. In privaten wie in öffentlichen Einsatzbereichen ist das Verfahren aufgrund seiner Konzeption praktisch anfällig für Manipulationen. Im Gegensatz dazu mildert die detaillierte gesetzliche Normierung förmlicher Rechtsstreite, welche formell-rechtlich u. a. die richterliche Entscheidungskompetenz und materiell-rechtlich die Befolgung jeweils einschlägiger (spezialgesetzlicher) Bestimmungen vorsieht, diese Gefahr von vorn herein. Die Erfüllung dieser Vorgaben bei gleichzeitiger Öffnung der Streitverfahren für eine interessengerechte Lösung ist eine der Herausforderungen, die der Mediationseinsatz stellt.

6. Fünf bedeutende wissenschaftliche Beiträge zur Mediation Fritjof Haft / Katharina Gräfin von Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation, 2. Aufl., München 2009 Jörg, Risse, Wirtschaftsmediation, 1. Aufl., München 2003 Leo Montada / Elisabeth Kals, Mediation, 2. Aufl., Weinheim 2007 Wolfgang Hoffmann-Riem / Eberhard Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Band I und II, 1. Aufl., Baden-Baden 1990 Roger Fisher / William Ury / Bruce Patton, Getting to Yes, 2nd ed., London 1992

102 Martini, in: Seok / Ziekow (Hrsg.), Mediation als Methode und Instrument der Konfliktmittlung im öffentlichen Sektor, 1. Aufl. 2010, S. 81, 91 führt in diesem Zusammenhang aus: „Die Mediation versteht sich denn auch keineswegs als Widersacher der Gemeinwohlidee – vielmehr im Gegenteil als ihre Agentin. Sie begreift sich als Instrument der Mitwirkung an dem Prozess arbeitsteiliger Gemeinwohlkonkretisierung: Sie beteiligt sich an der Suche nach der gemeinwohlgerechten Ausfüllung von Entscheidungsspielräumen.“ 103 Im Falle der verwaltungsbehördlichen Sachverhaltsermittlung gemäß §§ 24, 26 VwVfG verwirklicht durch die sog. nachvollziehende Amtsermittlung, vgl. Kopp / Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Aufl. 2008, § 24 Rn. 10 a. 104 Vgl. Kaltenborn, Streitvermeidung und Streitbeilegung im Verwaltungsrecht, 1. Aufl. 2007, S. 222.

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Wirtschaftspsychologie Kathelijne Beerepoot, M.Sc. Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie, Rijksuniversiteit Groningen

1. Wirtschaftspsychologie Um den Begriff Wirtschaftspsychologie zu definieren, ist es zunächst sinnvoll, die Bedeutung des Wortes Psychologie zu klären. Eine allgemeine und häufig verwendete Definition lautet: „Psychologie ist die Lehre von den Formen und Gesetzmäßigkeiten des Erlebens und Verhaltens des Menschen. Hierzu gehört sowohl das normale Erleben und Verhalten von Personen ohne psychische Auffälligkeiten als auch dasjenige von Personen mit psychischen Problemen oder Erkrankungen“ (vgl. zum Beispiel Uni München, http://www.unimuenchen.de/, 08.12.11). Das Verhalten von Menschen in Organisationen sowie die Entstehung und Weiterentwicklung der Organisationen wird in der Wirtschaftspsychologie untersucht. Organisationen, als eine Gruppe von Personen, verfolgen ein gleiches Ziel und verrichten bestimmte operative Tätigkeiten, um ein Produkt oder Service zu entwickeln. Die Wirtschaftspsychologie befasst sich mit der Forschung und dem einhergehenden Aufstellen von Theorien und Prinzipien, um aus den gewonnenen Erkenntnissen Strategien abzuleiten, die bestehende Organisationen verbessern. Im Gegensatz zur klinischen Psychologie liegt der Fokus in der Wirtschaftspsychologie weniger darauf, gute Strategien lediglich zu entwickeln, sondern vor allem darauf, die entwickelten Strategien anzuwenden und auf ihren Erfolg zu testen (Landy & Conte, 2007). Nach Landy & Conte (2007) lässt sich die Wissenschaftsdisziplin der Wirtschaftspsychologie in die folgenden drei Bereiche einteilen: Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie. Der Bereich Arbeitspsychologie beschäftigt sich mit Themen wie dem Arbeitsklima und Arbeitsplatz- und Tätigkeitsanalysen. Die Organisationspsychologie hingegen bezieht sich vor allem auf Themen wie Motivation, Teamarbeit und Organisationsentwicklung. Schließlich befasst sich der Bereich Personalpsychologie mit Themen wie Personalbesetzung und -entwicklung.

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2. Anfänge, Ursprünge und Quellen der Wirtschaftspsychologie Entsprungen ist der Zweig der Wirtschaftspsychologie aus dem Interesse, die Produktivität von Mitarbeitern zu messen. Pionier auf diesem Gebiet ist Hugo Münsterberg. Um allerdings tatsächlich von einer Wissenschaft in der Psychologie sprechen zu können, haben sich einige weitere interessante Entwicklungen aufgetan: 2.1 Messen der Produktivität von Mitarbeitern Hugo Münsterberg hat einen Grundstein der Wirtschaftspsychologie gelegt, in dem er die Fähigkeiten von Arbeitern gemessen und diese in Zusammenhang mit der Leistung gebracht hat. Anhand von einfachen statistischen Mitteln hat er versucht, seine Untersuchungsergebnisse auszuwerten. Anschließend hat er 1912 das erste arbeits- und organisationspsychologische Buch verfasst (Landy & Conte, 2007). 2.2 Testen von Fähigkeiten Mit dem Einzug der USA in den ersten Weltkrieg wurden zum ersten Mal in der Weltgeschichte große Gruppen von Individuen in Bezug auf ihre Fähigkeiten getestet. Walter Dill Scott und Walter van Dyke Bingham haben Tests an über einer Million Soldaten durchgeführt und sie auf Basis der Ergebnisse auf ihre Positionen eingeteilt (Landy, 1997). 2.3 Hawthorne Studies Ein paar Jahre später hat Mayo in den sogenannten Hawthorne Studies festgestellt, dass nicht nur bestimmte Fähigkeiten von Mitarbeitern eine Rolle spielen, sondern dass auch Emotionen einen großen Einfluss auf die Leistung von Mitarbeitern haben. In dieser Studie wurden das Licht, die Pausenzeiten und die Arbeitszeit pro Tag verändert. Das Ergebnis war zunächst verwirrend. Sogar bei schlechterer Lichteinstrahlung hat sich die Produktivität erhöht. Durch das Führen von Interviews mit den Mitarbeitern fand Mayo heraus, dass die Mitarbeiter sich so über die Aufmerksamkeit und das Interesse an ihnen gefreut haben, dass ihre Motivation anstieg (Roethlisberger & Dickson, 1939). Das Messen von Fähigkeiten und das Testen von Mitarbeitern im Hinblick auf die Produktivität haben einen Grundstein für die Wirtschaftspsychologie gelegt. Es dauerte allerdings nicht lange, bis vor allem anhand der Howthorne

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Studies festgestellt wurde, dass zum Funktionieren eines Mitarbeiters mehr gehört als das perfekte Abspulen von Arbeitsabläufen.

3. Entwicklung und bedeutende Richtungen der Wirtschaftspsychologie und deren Vertreter Es hat eine Vielzahl von bedeutenden, richtungweisenden Vertretern gegeben. Um einen guten Überblick zu verschaffen, werden im Folgenden grundlegende Theorien aus vier großen Bereichen der Wirtschaftspsychologie erläutert. Es handelt sich dabei um die Bereiche Arbeitsmotivation, Führung, Arbeitszufriedenheit und Produktivität der Mitarbeiter. 3.1 Arbeitsmotivation Hier finden wir vor allem folgende Theorien: 3.1.1 Vrooms VIE-Theorie Bei der VIE-Theorie von Vroom aus 1964 handelt es sich um eine der ersten Arbeitsmotivationstheorien. Laut dieser Theorie liegen der Motivation eines Individuums drei Faktoren zu Grunde: die Valenz, die Instrumentalität und die Erwartung. Die Valenz gibt an, wie wünschenswert das Erreichen eines Ziels für ein bestimmtes Individuum ist. Mit Instrumentalität wird gemeint, inwiefern die Bemühungen des Einzelnen zu einem gewünschten Ergebnis führen und die Erwartung bezieht sich auf die Wahrscheinlichkeit mit der ein bestimmtes Ergebnis eintritt. Die Leistungen von Mitarbeitern hängen somit laut der VIE-Theorie davon ab, wie hoch der einzelne Mitarbeiter die Wahrscheinlichkeit einschätzt, dass seine persönlichen Bemühungen zu einem guten Arbeitsergebnis führen, diese auch zu den erwünschten persönlichen Zielen führen und das Ziel insgesamt als attraktiv bewertet wird. 3.1.2 Job Characteristics Model Eine weitere Arbeitsmotivationstheorie ist das Job Characteristics Model von Richard Hackmans und Greg Oldhams (1980), welches speziell auf die Eigenschaften der Tätigkeiten eingeht. Die Motivation der Mitarbeiter hängt in diesem Modell vor allem vom Zusammenspiel verschiedener Kernmerkmale der Arbeit und dem Empfinden der Mitarbeiter ab. Die psychologischen Empfindungen

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der Mitarbeiter werden von den Kerndimensionen der Arbeit, den so genannten Job Characteristics, bestimmt. Die Faktoren Sinnhaftigkeit, empfundene Verantwortlichkeit und das Wissen über die eigenen Arbeitsergebnisse spielen hierbei eine entscheidende Rolle: • Die wahrgenommene Sinnhaftigkeit der Tätigkeiten ist von der Aufgabenvielfalt, dem Zusammenhang der Arbeitsprozesse und der Bedeutsamkeit der Aufgaben abhängig. • Die Verantwortlichkeit entsteht aus der Autonomie, die den Mitarbeitern zugestanden wird. • Für das Wissen um die eigene Wirksamkeit ist ein klares Feedback über die eigenen Arbeitsergebnisse notwendig. 3.2 Führung – Fiedlers Kontingenztheorie Eine der traditionellen Theorien der Führung ist Ewald Fiedlers Kontingenztheorie von 1967. Laut dieser Theorie ist eine Führungsperson effektiv, wenn eine so genannte Kontingenz zwischen ihrem Führungsstil und der Situation besteht. Unterschieden wird in dieser Theorie zwischen aufgabenorientierten und mitarbeiterorientierten Führungskräften. Die Situation wird an der Beziehungsqualität, der Aufgabenstrukturierung und der Positionsmacht gemessen. Danach ist eine eher aufgabenorientierte Führungskraft erfolgreich, wenn die Situation sehr günstig oder sehr ungünstig ist, das heißt: wenn die Beziehungen zwischen den Mitarbeitern sehr gut oder sehr schlecht sind, die Aufgaben sehr strukturiert oder sehr unstrukturiert und die Positionsmacht der Führungskraft besonders hoch oder niedrig ist. Eine eher mitarbeiterorientierte Führungskraft ist hingegen in Situationen erfolgreich, die eher mittelmäßig günstig veranlagt sind. 3.3 Arbeitszufriedenheit Hier finden wir vor allem folgende Zwei: 3.3.1 Job Descriptive Index (JDI) Der Job Descriptive Index von Smith, Kendall und Hulin (1969) ist der Fragebogen über Arbeitszufriedenheit, über den am meisten geforscht und dokumentiert wurde. Er misst Arbeitszufriedenheit in 5 Kategorien: Arbeit, Führung, Kol-

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legen, Bezahlung und Entwicklungsmöglichkeiten. Zusätzlich werden generelle Fragen über die Arbeit gestellt. Der Fragebogen enthält insgesamt 72 Fragen. 3.3.2 Value Theory Nachdem die Howthorne Studies die Sicht auf die Arbeitsmotivation grundlegend verändert haben, hat u. a. John Locke der Forschung eine neue Richtung gegeben. Anders als in JDI (in dem alle Merkmale gleich stark gewichtet werden), sind laut Locke`s Value Theory (1976) die Motive eines Mitarbeiters entscheidend für die Ermittlung seiner Arbeitszufriedenheit. Ist es dem Mitarbeiter zum Beispiel wichtig gut bezahlt zu werden, trägt vor allem dieser Aspekt zu seiner Zufriedenheit bei. Wenn es ihm allerdings wichtiger ist, gute Entwicklungsmöglichkeiten zu haben, wird eine Gehaltserhöhung im Vergleich zu einer Beförderung weniger Einfluss auf seine Arbeitsmotivation haben. Locke hat seine Untersuchungen über Arbeitsmotivation fortgesetzt und dabei festgestellt, dass vor allem Faktoren der folgenden beiden Kategorien Einfluss auf die Zufriedenheit von Mitarbeitern nehmen: 1. Tätigkeiten und Bedingungen: • • • • • •

Herausforderung der Tätigkeiten physische Belastung der Tätigkeiten persönliches Interesse an den Tätigkeiten Entlohnung physische Bedingungen Erreichbarkeit der Ziele

2. Agenten: • • • •

die Person selbst Vorgesetzte, Kollegen, Unterstellte Unternehmen und Management betriebliche Sozialleistungen

3.4 Produktivität der Mitarbeiter Productivity Measurement and Enhancement System (ProMES) Das System zur Messung und Steigerung der Produktivität wurde von Robert D. Pritchard und seinen Kollegen (Pritchard, 1995; Pritchard, Paquin, De Cuir,

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McCormick & Bly, 2001) entwickelt. Ziel dieses Systems ist es, die Motivation und Produktivität einer Arbeitsgruppe zu steigern. Mit Produktivität wird die Effizienz gemeint, mit der Arbeitsressourcen zur Zielerreichung eingesetzt werden. Die Schritte für die Einführung eines ProMES lauten wie folgt: 1. Zunächst wird ein Projektteam von fünf bis maximal acht Mitarbeitern gebildet, das die Umsetzung des Systems in den einzelnen Arbeitsgruppen steuert. 2. Anschließend stellen die Arbeitsgruppen in Absprache mit der Unternehmensleitung Ziele auf (ca. vier bis sechs Ziele), die anhand von festgelegten Indikatoren messbar sind. 3. Dann werden die Kontingenzen, das bedeutet die Zusammenhänge zwischen Zielwert und Effektivität, bestimmt. Der kleinste akzeptable Zielwert wird gleich Null gesetzt: wird dieser Wert nicht erreicht, befindet man sich im unakzeptablen negativen Bereich und so weiß man genau, in welchen Bereichen etwas zu tun ist. 4. Nachdem die Ziele, Indikatoren und Kontingenzen festgelegt wurden, wird ein Feedback-System eingerichtet: Die Mitarbeiter erhalten in regelmäßigen Abständen Feedback zu ihren selbst festgelegten Messwerten, anschließend wird in einem Feedbackgespräch besprochen, was auf Basis der Zahlen zur Steigerung der Effektivität getan werden muss. Insgesamt lässt sich in den 1980er Jahren feststellen, dass die Produktivität durch die Humanisierung der Arbeit geprägt war. Konstrukte wie Mitarbeiterzufriedenheit und Arbeitsmotivation spielen eine zentrale Rolle. Arbeitsprozesse wurden einerseits effizienter und andererseits menschenwürdiger gestaltet.

4. Typische Fragestellungen in der Wirtschaftspsychologie An der Rijksuniversiteit Groningen geht es in den Untersuchungen vor allem um die Themen Mitarbeiter Performance, Motivation, Führung und Arbeitszufriedenheit und Gesundheit. Dabei handelt es sich vor allem um empirische Sozialforschung, die dazu dient, allgemeingültige Hypothesen zu testen. Typische Fragestellungen sind zum Beispiel wie sich bestimmte Eigenschaften oder Fähigkeiten (wie Macht und Perspektivwechselfähigkeiten) auf das Verhalten von Führungskräften auswirken.

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Neben der empirischen Sozialforschung gibt es die angewandte Forschung. Dabei geht es darum, etwas in einem bestimmten Umfeld, wie in einem Unternehmen, zu erforschen. Typische Fragestellungen hierbei sind zum Beispiel welche Faktoren sich positiv auf die Motivation der Mitarbeiter in einem bestimmten Unternehmen auswirken oder wie zufrieden die Mitarbeiter mit ihrem Arbeitsumfeld, ihrer Führungskraft und den Leistungen des Unternehmens sind. Die Bandbreite der möglichen Fragestellungen ist sehr groß. Sie reicht von globalen Themen wie kulturelle Unterschiede über Untersuchungen über die Tätigkeiten der Mitarbeiter in einer bestimmten Position. Ein mögliches Thema wäre zum Beispiel die interkulturelle Anpassung und die Rolle von interpersonalen Netzwerken und sozialer Unterstützung im Rahmen von Auslandsentsendungen zu untersuchen. Es kann aber auch genauso gut um spezielle Themen gehen, wie den Trainingsbedarf in der Organisation oder die Produktivität vor und nach einer Umstrukturierung oder eines Trainings zu untersuchen. Wichtig dabei ist es, dass es immer um das Verhalten der Individuen in einer Organisation geht und nicht um rein betriebswirtschaftliche Faktoren wie Kosten oder Profit.

5. Typische Analysestrategien Die Anwendung von Tests ist eine häufig verwendete Methode zur Analyse der Fähigkeiten von Individuen. Tests werden nicht nur in der Forschung verwendet, sondern zum Beispiel auch in Assessment Centern oder zur Ermittlung des Trainingsbedarfs. Übersicht über Arten von Tests: • Das Testen von kognitiven Fähigkeiten: In diesen Tests geht es um Wissen, Verstehen, Erinnern, Anwenden usw., zum Beispiel: Tests über das Erkennen und Lösen von Problemen, über Wahrnehmung, über die Entwicklung oder Bewertung von Ideen. • Wissenstests: Sie dienen zur Ermittlung des Trainingsbedarfs oder zur Einschätzung wie viel ein Teilnehmer in einem Kurs oder einem bestimmten Training gelernt hat. • Testen von physischen Fähigkeiten: wie Muskelkraft, Koordination und Durchhaltevermögen. • Persönlichkeitstests: Es gibt eine Reihe von Tests, die bestimmte Persönlichkeitseigenschaften messen sollen. Einer der bekanntesten ist der Big Five

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(5-Faktoren-Modell): dieser Test misst Neurotizismus, Extraversion, soziale Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrungen. • Interviews: Auch das Führen von Interviews stellt eine häufig verwendete Analyseform dar, die häufig in Bewerbungsverfahren oder bei Beförderungen eingesetzt wird. • Work sample test: Test in dem die Fähigkeiten einen bestimmten Job auszuführen durch das Abnehmen von Arbeitsproben unter realistischen Bedingungen gemessen werden. (vgl. Landy & Conte, 2007) Ein weiteres Analyseinstrument, das häufig in Beurteilungen zum Tragen kommt, ist das Sammeln von Feedback. Es können diverse Beurteiler wie Arbeitskollegen, Führungskräfte oder Kunden herangezogen werden, um Feedback zu geben. Auch die Person selbst kann eine Selbsteinschätzung (self-rating) abgeben. Wenn verschiedene Quellen heranzogen werden, wird die Methode 360° Feedback genannt (Landy & Conte, 2007).

6. Typische Modelle und Theorien in der Wirtschaftspsychologie Aus der Vielfalt an Modellen und Theorien der Wirtschaftspsychologie habe ich drei Theorien ausgewählt, die die Bandbreite der Wirtschaftspsychologie von der Organisationsentwicklung über ein Training bis zu den persönlichen Kompetenzen widerspiegelt: 6.1 Organisationsentwicklungsmodell Das Organisationsentwicklungsmodell von Boonstra, Steensma & Demenint (2008) geht auf das wohlbekannte Entwicklungsmodell von Kurt Lewin (unfreeze, move, refreeze) zurück und wird in 5 Phasen eingeteilt. Es geht dabei um grundlegende Entwicklungen in einer Organisation oder Teilen einer Organisation, die meist fundamentale Veränderungen mit sich bringen. Für solche Veränderungen wird mindestens eine neutrale Person (wenn nicht sogar eine Gruppe von Personen) benötigt, die diese Veränderungen begleitet. Dabei handelt es sich häufig um externe Berater. Im Folgenden werden die fünf Phasen beschrieben: 1. Orientierung: In der Orientierungsphase wird von einer bestimmten Gruppe in der Organisation ein Problem formuliert, das es selbst nicht lösen konnte. Deshalb wird eine Gruppe von Beratern eingeschaltet, die Unterstützung bei der Problemlösung bieten soll. Zunächst versucht sich das Berater-

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team sich ein Bild von der Situation zu machen. Einerseits wird versucht Informationen aus geschriebenem Material zu sammeln; andererseits werden viele formale und informale Gespräche geführt. In dieser Phase geht es für den Berater vor allem darum, ob er glaubt, der Situation gewachsen zu sein und den Auftrag annehmen zu können. Diagnose: In der Diagnosephase werden alle möglichen Informationsquellen hinzugezogen und genaustens analysiert. Der Mitarbeiter wird aktiv miteinbezogen. Es können zum Beispiel Workshops oder Einzelgespräche mit Mitarbeitern von verschiedenen Positionen stattfinden. Zielbestimmung: Es werden alle Quellen ausgewertet, die zur Zielformulierung beitragen. Die Ziele werden von führenden Personen formuliert, da es in der Regel zu lange dauern würde, alle Mitarbeiter einzeln zu befragen. Anschließend werden diese Ziele an die Mitarbeiter kommuniziert. Veränderung: In der Veränderungsphase werden die Mitarbeiter wieder aktiv miteinbezogen. In dieser Phase kommt es häufig zu Trainings und Coachings, sowohl für Mitarbeiter als auch Führungskräfte. Evaluation: Nach Abschluss der durchgeführten Veränderungen werden diese in Bezug auf die in Phase drei formulierten Ziele evaluiert.

6.2 Training Model Nach Goldstein und Ford (2002) muss vor einem Training zunächst ermittelt werden, in welchem Bereich ein Training erforderlich ist, welche Inhalte trainiert werden sollen und vor allem wer trainiert werden muss. Dafür wird zunächst eine Trainingsbedarfsanalyse durchgeführt. Dabei werden im ersten Schritt auf Organisationsebene die Ziele, Ressourcen und das Umfeld (wie zum Beispiel die Branche) des Unternehmens / der Organisation betrachtet. Dies dient dazu, die Richtung des Trainings zu bestimmen. Als Zweites wird eine Tätigkeitsanalyse durchgeführt, in der bestimmt wird, was ein Mitarbeiter tun muss, um seine Arbeit erfolgreich zu verrichten. Zudem wird bestimmt, welches Wissen und welche Fähigkeiten ein Mitarbeiter benötigt, um die Arbeit erfolgreich zu verrichten. Im dritten Schritt werden die Stärken und Schwächen eines Mitarbeiters ermittelt, um daraus Trainingsziele ableiten zu können. Basierend auf dieser Analyse wird ein Training ausgewählt, dass im Anschluss auf die Durchführung gründlich evaluiert wird. Das Besondere an diesem Modell ist, dass das Training nicht nur direkt nach der Durchführung evaluiert wird, sondern auch ein paar Wochen später überprüft wird, ob der Trainee das Richtige (in Bezug auf die Bedarfsanalyse) gelernt hat und diese Inhalte an seinem

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Arbeitsplatz anwenden kann. Nachdem das Training validiert wurde, geht der Kreislauf mit der Ermittlung des Trainingsbedarfs wieder von vorne los. 6.3 Kompetenzmodell In einem Kompetenzmodell wird ermittelt, über welche Kompetenzen ein Mitarbeiter für bestimmte Tätigkeiten (sowie in seinem Stellenprofil beschrieben) verfügen sollte. Ein Mitarbeiter am Empfang sollte zum Beispiel vor allem über soziale Kompetenzen wie Respekt und Anerkennung verfügen. Sehr gute Analysefähigkeiten hingegen würden ihm vermutlich weniger weiterhelfen. Bei einem Forscher hingegen würde es vermutlich genau umgekehrt sein. In Tätigkeitsanalysen werden häufig genau die Kompetenzen ermittelt, anhand dessen der Trainingsbedarf eines einzelnen bestimmt werden kann (Landy & Conte, 2007).

7. Typische Anwendungsfelder der Wirtschaftspsychologie Der Beruf des Wirtschaftspsychologen ist nicht klar abgegrenzt, wie es in anderen Berufen häufig der Fall ist. Deshalb gibt es eine große Bandbreite von Feldern, in denen Wirtschaftspsychologen tätig sind (vgl. Landy & Conte, 2007): • Rekrutierung, Auswahl und Positionierung des Personals: Tests für Personal und Bewerber erstellen und validieren, Arbeitsplatz- und Anforderungsanalysen sowie Potenzialanalysen durchführen, Mitarbeiter- und Auswahlgespräche organisieren, begleiten und durchführen. • Training und Personalentwicklung: Trainings- und Entwicklungsbedarf analysieren, Erstellen und Implementieren von Entwicklungsprogrammen (z. B. für Führungskräfte), Trainingsevaluation, Karriereplanung und Coaching. • Organisationsentwicklung: Strukturen analysieren, Zufriedenheit und Produktivität der Mitarbeiter erhöhen, Organisationsveränderungen / Umstrukturierungen unterstützen (= Change Management). • Messen der Performance von Mitarbeitern: Messinstrumente entwickeln und implementieren, den wirtschaftlichen Gewinn der Leistung von Mitarbeitern ermitteln (Personalökonomie). • Analyse der Qualität des Arbeitslebens: Faktoren, die mit Arbeitszufriedenheit zusammenhängen, identifizieren; Stress der Mitarbeiter reduzieren; Arbeitsplätze umgestalten. • Engineering Psychologie: das Arbeitsumfeld gestalten, Effektivität zwischen Mitarbeiter und Maschine unter dem Aspekt der Arbeitssicherheit optimieren.

Wirtschaftspsychologie

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Typische Positionen liegen in der Personalabteilung, im Personalmanagement, in der Marktforschung und im Marketing. Auch werden Wirtschaftspsychologen häufig in Personal- und Unternehmensberatungen oder als selbständige Berater, Trainer oder Coachs tätig.

8. Typische Kritik an der Wirtschaftspsychologie Psychologie im Allgemeinen wird häufig kritisiert, keine richtige Wissenschaft zu sein. Dies liegt nicht zuletzt an den Schwierigkeiten in der Forschung. Die Wirtschaftspsychologie speziell wird allerdings eher im praktischen Bereich kritisiert. Hier geht es vor allem um die Manipulation von Mitmenschen. 8.1 Common Sense Common Sense steht für „gesunder Menschenverstand“ und macht der Psychologie als Wissenschaft zum Vorwurf, dass die Erkenntnisse auch mit Hilfe eines gesunden Menschenverstandes erschlossen werden könnten. Forschung ist demnach überflüssig. Dagegen spricht, dass intuitiv erschlossene Zusammenhänge nicht immer richtig sind. Deshalb ist es sinnvoll, dass Psychologen vor allem den Dingen auf den Grund gehen, die auf Basis von Common Sense als logisch zusammenhängend erscheinen (Houston, 1985). 8.2 Schwierigkeiten in der Forschung Wenn ein Psychologe etwas erforscht, wird häufig an der Gültigkeit der Ergebnisse gezweifelt. Die wohl größte Schwierigkeit dabei ist, dass es sich um die Untersuchung menschlichen Verhaltens handelt. Die Forschung nach sozial psychologischen Konstrukten wirft eine Vielzahl von Fragen auf: Wie kann man sicher gehen, dass die Probanden willkürlich selektiert wurden, sich in der Forschungsumgebung natürlich verhalten, ehrlich antworten oder keine äußeren Einflüsse die Ergebnisse beeinflussen? Ein Forscher sollte ermitteln, ob er konsistente Ergebnisse ermittelt hat und sicher gehen, dass er genau das misst, was er zu messen beabsichtigt. Doch reichen für die Ermittlung der Validität und Reliabilität aufgestellte Formeln aus, um sicher zu gehen, dass dies auch wirklich der Fall ist? 8.3 Vorwurf der Beeinflussung und der Manipulation Vor allem der Wirtschaftspsychologie wird häufig vorgeworfen, zu erforschen, wie Menschen beeinflusst und manipuliert werden können. Ein Beispiel dafür

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ist eine Studie von Areni und Kim (1993) zum Einfluss von Musik auf das Kaufverhalten bei Wein. In einer Weinhandlung wurde abwechselnd klassische Musik und Pop-Musik gespielt. Die Untersuchung hat ergeben, dass bei klassischer Musik sowohl mehr als auch teurerer Wein gekauft wurde. Kunden gaben über doppelt so viel Geld aus. Ein weiteres Beispiel aus der Organisationspsychologie ist, dass Mitarbeitern das Gefühl gegeben wird, an einer Entscheidung mitgewirkt zu haben, um sich stärker an das Ziel zu binden und mehr Leistung zu bringen, obwohl sie in Wahrheit nicht zur Entscheidung beigetragen haben. Die Strategie dahinter ist den Mitarbeitern nicht immer bewusst und auch nicht immer zu ihrem Vorteil. Somit kann man auch hier von Manipulation sprechen. Das Ausnutzen von wirtschaftspsychologischen Prinzipien zur Manipulation von Menschen trägt zur Befürchtung einer immer stärkeren Außensteuerung bei (vlg. http://www.wpgs.de/content/view/483/361/, 09.12.2011).

9. Typische Begriffe und deren Deutung in der Wirtschaftspsychologie • Assessment Center: eine Sammlung von Prozeduren zur Evaluation einer bestimmten Gruppe von Individuen, die von mehreren Assessoren (Beurteilern) gleichzeitig vorgenommen wird. • Kompetenzen: Fähigkeiten / Fertigkeiten, die normalerweise durch Erfahrung erworben werden und hilfreich sind bestimmte Ziele zu erreichen. • Organizational Citizenship Behavior: Verhalten, das über den Erwartungshorizont hinausgeht. • Burnout: Extreme psychologische Anstrengung / Belastung / Druck, entsteht durch anhaltenden, chronischen Stress auf der Arbeit, der über die eigenen Ressourcen mit Stress umzugehen hinausgeht. • Cross-cultural training: Training, das Individuen darauf vorbereitet, effektiv mit Individuen anderer Kulturen umzugehen: es geht vor allem darum, die fundamentalen Unterschiede in der Kommunikation und den Werten zu verstehen. • Arbeitsplatzanalyse: Analyse der Tätigkeiten, die unter eine bestimmte Stelle, inklusive der Fähigkeiten, die ein Mitarbeiter für diese Arbeit benötigt, fallen.

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• Tätigkeitsanalyse: Analyse der Leistungen eines Mitarbeiters, um eine bestimmte Stelle erfolgreich auszufüllen; wird u. a. verwendet um den Trainingsbedarf eines Mitarbeiters zu ermitteln. • Job enrichment: Erhöhung der Verantwortlichkeiten eines Mitarbeiters und das Interesse an seinem Job zur Steigerung der Motivation. • Job rotation: systematischer Arbeitsplatz- oder Aufgabenwechsel innerhalb eines Arbeitssystems zur Motivation des Mitarbeiters. • On the job training: Eine Tätigkeit erlernen durch das Observieren und Lernen von erfahrenen Mitarbeitern. • Work-life balance: In wie fern sich Zufriedenheit im Job auf das Privatleben auswirkt und umgekehrt (vgl. Landy & Conte, 2007). • E-learning: steht für elektronisches Lernen und umfasst alle Formen des Lernens, die mit dem Einsatz von digitalen Technologien verknüpft sind; Lerninhalte werden häufig computerbasiert übertragen; erfolgt die Übertragung über das Internet, handelt es sich um sogenannte Web-Based-Trainings (vlg. http://www.iwi.uni-hannover.de/lv/ucc_ws04_05/schoemburg/ E-Learning_ Definition.htm, 14.11.2011).

10. Basisliteraturangaben Mehr Informationen über die dargestellte Wissenschaftsdisziplin erhalten Sie beim Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen unter der Sektion Wirtschaftspsychologie (http://www.wirtschaftspsychologie-bdp.de/) und in der Fachzeitschrift Wirtschaftspsychologie aktuell.

11. Literatur J. J. Boonstra, H. O. Steensma & I. M. Demenint, Ontwerpen en ontwikkelen van organisaties. Niederlande: Reed Business 2008. I. L. Goldstein & J. K. Ford, Training in organization: Needs assessment, development, and evaluation (4th ed.). Belmont, CA: Wadsworth 2002. J. R. Hackman & G. R. Oldham, Work redesign. Reading, MA: Addison-Wesley 1980. J. Houston , Untutored lay knowledge of the principles of psychology: do we know anything they don‘t?, Psychological reports, 57, 567–570, 1985. F. J. Landy & J. M. Conte, Work in the 21st Century – An Introduction to Industrial and Organizational Psychology. USA: Blackwell Publishing 2007.

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Hintergrundinformationen

F. J. Landy, Early influences on the development of industrial and organizational psychology. Journal of Applied Psychologie, 82, 467–477, 1997. E. A. Locke, The nature and causes of job satisfaction. In M.D. Dunnette (Ed.), Handbook of industrial and organizational psychology (pp. 1297–1343). Chicago: Rand McNally 1976. R. D. Pritchard, Productivity measurement and improvement: Organizational case studies. New York: Praeger 1995. R. D. Pritchard, A. R. Paquin, A. D. DeCuir, M. J. McCormick & P. R. Bly, The measurement and improvement of organizational productivity: An overview of ProMES, the productivity measurement and enhancement system. In R.D Pritchard, H. Holling, F. Lammers & B.D. Clark (Eds.), Improving organizational performance with the Productivity Measurement and Enhancement System: An international collaboration. Huntingdon, NY: Nova Science 2001. R. J. Roethlisberger & W. J. Dickson, Management and the worker. Cambridge, MA: Harvard University Press 1939. P. C. Smith, L. M. Kendall & C. L. Hulin, Job satisfaction in work and retirement: A strategy fot the study of attitudes. Chicago: Rand McNally 1969 Universität Hannover, http://www.iwi.uni-hannover.de/lv/ucc_ws04_05/schoemburg/ E-Learning_Definition.htm, 14.11.2011 Universität München, http://www.uni-muenchen.de/, 08.12.11 V. H. Vroom, Work and motivation. New York: John Wiley 1964. WPGS, http://www.wpgs.de/content/view/483/361/ ,09.12.2011

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Gruppen Kathrin Schneider, M.A. Erziehungswissenschaften, Kaiserslautern Seit den 1940er Jahren befasst sich die Psychologie mit Gruppen und gruppendynamischen Prozessen (vgl. König 2010). Im Folgenden wird ein Überblick über deren zentrale Erkenntnisse und die Auswirkungen auf die Entwicklung von Gruppen und deren Leistungen gegeben. Dieser Artikel befasst sich daher mit Gruppen, deren Entstehung und Entwicklung, ihrem Einfluss auf das einzelne Gruppenmitglied und der Gruppenleistung. Der Beitrag ist so aufbereitet, dass Personen, die sich mit Gruppen beschäftigen, Hinweise bekommen, auf welche Aspekte sie in der Arbeit mit Gruppen das Augenmerk legen sollten.

1. Definition: Gruppe Innerhalb der Sozialpsychologie wird das Konstrukt der Gruppe unterschiedlich definiert. Allerdings ist allen Definitionen eigen, dass es sich immer um zwei oder mehrere Personen handeln muss, die in einem Verhältnis zueinanderstehen und miteinander agieren (vgl. z. B. Lewin 1963, Newcomb 1959, McDavid & Harari 19681). Nach Sader (2000, S. 39) bilden sich als folgende wesentliche Merkmale des Konstrukts Gruppe heraus: „Die Mitglieder • • • •

erleben sich als zusammengehörig definieren sich explizit als zusammengehörig verfolgen gemeinsame Ziele teilen Normen und Verhaltensvorschriften für einen bestimmten Verhaltensbereich • entwickeln Ansätze von Aufgabenteilung und Rollendifferenzierung • haben mehr Interaktionen untereinander als nach außen

1

Eine Zusammenstellung weiterer Definitionen ist z. B. bei Wellhöfer 2007, S. 6ff.; Sader 2000, S. 37ff. zu finden.

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Hintergrundinformationen

• identifizieren sich mit einer gemeinsamen Bezugsperson oder einem gemeinsamen Sachverhalt oder einer Aufgabe • sind räumlich und / oder zeitlich von anderen Individuen der weiteren Umgebung abgehoben“ (ebd., vgl. auch Wellhöfer 2007, S. 8). Der Begriff der Gruppe kann mit dem Begriff des Teams nicht gleichgesetzt werden, denn „ein Team ist eine spezielle Gruppe, bei der die Teilnehmer zusammenarbeiten (müssen), um gemeinsame (nicht unbedingt selbst gewählte Arbeits-) Ziele zu erreichen. In diesem Sinne ist zwar jedes Team eine Gruppe, aber nicht jede Gruppe ist ein Team!“ (Wellhöfer 2007, S. 8, Hervorhebung im Original).

2. Gruppenbildung Die im Folgenden dargestellten Effekte und Dynamiken basieren vor allem auf der sogenannten Kleingruppenforschung – zwei bis sechs Personen (vgl. Sader 2000). Sozialpsychologische Untersuchungen zeigen, dass es drei Gründe für Gruppenbildungen gibt: • Den Wunsch nach sozialem Vergleich: Wo stehe ich in der Rangordnung? Wer ist besser / schlechter gestellt als ich? Wie kann ich sozial auf- oder absteigen? etc. • Den Wunsch nach Angstreduktion: Ich bin nicht alleine, ich habe Unterstützer etc. • Den Wunsch nach Unterstützung bei der Informationssuche: In einer Gruppe ist üblicherweise mehr Wissen und Erfahrung als beim Einzelnen vorhanden, von der wiederum jedes Gruppenmitglied profitieren kann (vgl. Buunk 2002, Berkowitz 1976). Die Gruppe besteht dabei nicht nur aus mehreren Personen, die miteinander agieren, um ein Problem zu lösen, sondern stellt auch das vorherrschende Bezugssystem dar, an dem Handlungen und Meinungen gemessen werden. Darüber hinaus hat die Gruppe Einfluss darauf, wie die gesammelten Erfahrungen der Gruppenmitglieder wahrgenommen und bewertet werden. Diese Einwirkung von Meinungen und Einstellung anderer auf die eigenen Vorstellungen und Urteile wird sozialer Einfluss (vgl. van Avermaet 2002) genannt. Systemisch betrachtet schafft sich die Gruppe gemeinsame Deutungsmuster,

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die ihre Wahrnehmung der Umwelt beeinflussen und damit auch ihren Umgang mit ihr steuern.

3. Gruppenkohäsion Aspekte, die den Zusammenhalt einer Gruppe und damit die Bedeutung der Gruppe für die einzelnen Gruppenmitglieder steigern, sind vor allem: • „ […] die Stärkung sozialer Normen, die Kooperation vorschreiben; • […] effektive Kommunikation, d.h. Kommunikation über die beabsichtigte Entscheidung, zu der sich die Gruppenmitglieder verpflichten, und • […] verstärkte Gefühle der Identität mit der Gruppe bzw. […] ein Wir-Gefühl (z. B. Brewer & Kramer, 1986)“ (nach Van Lange & De Dreu 2002, S. 404). Beim zweiten Punkt spielt die wahrgenommene Autonomie in der Bestimmung über das Ziel (vgl. Selbstbestimmungstheorie nach Deci & Ryan 1994, 2003) eine verbindende Rolle. Wenn also Transparenz über die Gruppenziele und ein Einbeziehen der Gruppenmitglieder in die Zielfindung stattfindet, ist die Motivation der einzelnen Gruppenmitglieder größer, hinter dem gewählten, gemeinsamen Ziel zu stehen, weil die Identifikation mit diesem Ziel höher ist. Ob es sich um Schulklassen, Arbeitsteams oder einen Hobbyverein handelt, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass je stärker die intrinsische Motivation der einzelnen Gruppenmitglieder ist, der Gruppe anzugehören, desto größer ist auch der Einfluss der Gruppe auf die einzelne Person.

4. Gruppenentwicklungsphasen Seit Mitte des letzten Jahrhunderts beschäftigen sich Sozialpsychologen mit der Gruppenentwicklung (vgl. Summercamp-Experiment von Sherif 1956, nach Wellhöfer 2007). Gruppen durchlaufen in ihrer Entwicklung mehrere Phasen. Dabei bewegen sie sich zwischen den Polen Integration / Zentralisierung und Differenzierung. Der Ablauf der Entwicklungsphasen muss nicht linear verfolgt werden, sondern kann einem „Zick-Zack-Kurs“ (Wellhöfer 2007, S.11) folgen. Die Ausprägung und Dauer jeder Phase ist gruppenabhängig und folgt der Eigendynamik der Gruppe, sodass allgemeingültige Aussagen über Dauer und Ausprägung der einzelnen Phasen nicht gemacht werden können. Wellhöfer (ebd.: S. 12ff.)

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entwickelt ein Fünf-Phasen-Modell nach Vorgabe von Bruce Tuckmann, in dem er die klassischen Phasenmodelle der Gruppenentwicklung integriert: 1. Phase: Beginn – Orientierung und Exploration („Forming“): In dieser Phase sind sich die einzelnen Mitglieder noch fremd und es muss ein „antasten“ und „austesten“ möglich sein, damit sich stabile Beziehungen ausbilden können. Hierbei ist die Rolle des Gruppenleiters wichtig, denn an dieser richten sich die anderen Mitglieder aus. 2. Phase: Rollenklärung – Auseinandersetzung und Machtkampf („Storming“): In diesem Schritt loten die Mitglieder aus, wo ihr jeweiliger Platz innerhalb der neu entstehenden Gruppe ist. Dabei versuchen sie unter Demonstration ihrer Stärke sich in der „Hackordnung“ möglichst gut zu platzieren. Einzelne Mitglieder können hier auch mit dem Gruppenleitenden in Konkurrenz treten. Es muss ermöglicht werden, den jeweiligen Platz zu erringen, damit sich in der nächsten Phase… 3. Phase: Konsolidierung – Bindung und Vertrautheit („Norming“): … ein Gefüge entwickelt, indem sich ein Wir-Gefühl ausbilden kann. Die Gruppenmitglieder nähern sich in Verhalten, äußerem Erscheinungsbild, Meinungen etc. aneinander an. Wichtig ist es in dieser Phase Konflikte konstruktiv zu lösen und Prozesse für alle transparent zu machen, sodass alle Anteil nehmen können. 4. Phase: Differenzierung und Festigung („Performing“): Jetzt ist die Gruppe handlungsfähig. Jedes Mitglied hat seinen Platz gefunden, die Aufmerksamkeit kann sich auf die gemeinsam zu erreichenden Ziele richten. Gleichzeitig bildet sich nun ein Gruppenselbstbild heraus, das dazu beiträgt, dass deutliche Unterschiede zwischen der eigenen Gruppe und einer fremden Gruppen wahrgenommen werden. „Als Regel kann hier gelten: Je größer die Distanz zu anderen Gruppen, desto enger ist der Zusammenhalt in der eigenen und umgekehrt“ (ebd.: 14). In dieser Phase können neue Mitglieder problemlos aufgenommen und integriert werden, da die Gruppe eigene Traditionen und Normen ausgebildet hat, die sie stabilisieren. Problematisch kann sich allerdings „Gruppendenken“ auswirken, das einerseits zu einer Überschätzung der eigenen Gruppe und deren Fähigkeiten führt und andererseits die Gruppe zu einem unreflektierten und risikofreudigen Handeln veranlasst. 5. Phase: Trennung – Abschied und Neuorientierung („Adjourning“): Wenn das gemeinsame Ziel erreicht ist, benötigt die Gruppe entweder ein neues Ziel oder der Prozess der Auflösung beginnt. Oftmals ist das auch

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der Moment, in dem einzelne Gruppenmitglieder aus der Gruppe austreten können. „Eine kluge Gruppe weiß, wann sie aufhören muss, zu bestehen“ (Luft 1972, S. 34). Dieses Phasenmodell ist vor allem für aufgaben- und zielorientierte Gruppen, also auch für Teams, gedacht. Nicht jede Gruppe durchläuft alle der dargestellten Phasen in gleicher Weise. Einige lösen sich schon nach der zweiten Phase auf, andere Gruppen durchlaufen spiralförmig alle Phasen mehrfach und entwickeln sich immer weiter (vgl. Wellhöfer 2007).

5. Exkurs: Kommunikationsregeln An dieser Stelle soll ein kurzer Überblick über die Kommunikationstheorien gegeben werden, da Kommunikation essentiell für die Zusammenarbeit in Gruppen ist. Ohne Kommunikation kann es nicht zum Austausch (z. B. von Ideen und Gefühlen) kommen. Die neuere Kommunikationsforschung lehnt die Vorstellungen des einfachen Sender-Empfänger-Modell ab, die davon ausgehen, dass ein Kommunikationsinhalt eins zu eins vom Sender (z. B. eine Nachrichtensprecherin) zum Empfänger (z. B. ein Zuhörer) übertragen wird (vgl. Wellhöfer 2007). In dem Bewusstsein, dass sowohl der Sender, als auch der Empfänger mindestens vier mögliche Ebenen hat, auf denen eine Nachricht versendet oder verstanden werden kann, wird Kommunikation zu einem äußerst komplexen Prozess (vgl. Schulz von Thun 1981). Zu diesen Ebenen gehören: • Die Ebene der Selbstoffenbarung: Welche Auskunft gibt der Sender über sich selbst? Was hört der Empfänger über das Selbst des Senders? • Die Beziehungsebene: In welcher Beziehung steht der Sender zum Empfänger? Wie nimmt der Empfänger wahr, wie der Sender zu ihm steht? • Die Inhaltsebene: Welche Informationen werden gesendet? Welche Informationen werden wahrgenommen? • Die Appellebene: Welche Forderung wird vom Sender an den Empfänger gestellt? Was glaubt der Empfänger, was der Sender von ihm will (vgl. Konzept der Erwartungs-Erwartungen)? Durch diese Vielschichtigkeit und die Verwobenheit von Wahrnehmung der Botschaft des Senders und Wahrnehmung der Botschaft durch den Empfänger ist Kommunikation einer Eigendynamik unterworfen, die jeden Kommunikationsakt einerseits einzigartig macht, andererseits vorhandene Muster der

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Akteure widerspiegelt (vgl. Schneider in diesem Band zum Thema Informationsaufnahme, -verarbeitung und -interpretation vor dem Hintergrund eines systemischen Lernverständnisses). Vor dem Hintergrund, dass „menschliche Kommunikationsprozesse […] regelhaft [sind] und als […] Kreissysteme aufgefasst werden [können]“ (Wellhöfer 2007, S. 40) hat Paul Watzlawik (1986) fünf Axiome (Grundregeln) herausgearbeitet: 1. Man kann nicht nicht kommunizieren: Kommunikation findet immer statt und ist nicht auf das Verbale beschränkt. Informationen können auch durch Auslassungen in der Sprache, Gestik und Mimik kommuniziert werden. 2. Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt: Eine Trennung in rein informative Kommunikation ohne Wertung ist nicht möglich. Es findet auf der Beziehungsebene immer auch eine Bestätigung, eine Verwerfung oder eine Entwertung der vorangegangenen Kommunikation statt. 3. Kommunikation ist immer Ursache und Wirkung: Kommunikation ist immer eine Reaktion auf einen Reiz (der sowohl verbal, als auch non-verbal sein kann) und setzt weitere Reaktionen in Gang. 4. Menschliche Kommunikation bedient sich analoger und digitaler Modalitäten: Durch die digitale Modalitäten werden vor allem Informationen in Form von Daten und Fakten übermittelt. Analoge Modalitäten hingegen übermitteln Emotionen, dabei spielt im Gegensatz zu den digitalen Modalitäten das non-verbale eine bedeutendere Rolle. Der analoge Aspekt kann die Information, die auf digitaler Ebene gesendet wird, aushebeln. 5. Kommunikation ist symmetrisch oder komplementär: Die Beziehungen zwischen den Kommunikationspartnern können entweder auf Gleichheit oder Ungleichheit der Partner (z. B. Arzt und Patient etc.) beruhen. Innerhalb einer Kommunikation kann sich das Verhältnis in einer Beziehung mühelos ändern. Durch diesen Exkurs soll der Stellenwert der Kommunikation für die zwischenmenschliche Interaktion hervorgehoben werden. Im Gruppengeschehen ist der Einzelne ständig in Kommunikationsakte verflochten und damit konfrontiert. Ein Wissen über die Komplexität der Kommunikationsvorgänge und Kommunikationstheorien kann dazu beitragen, Kommunikation bewusster zu gestal-

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ten und Fallstricke zu umgehen. Gelungene Kommunikation trägt beträchtlich zur Gruppenatmosphäre bei.

6. Gruppeneinfluss Die Sozialpsychologie unterscheidet bzgl. des sozialen Einflusses der Gruppe zwischen einem Mehrheitseinfluss, der so genannten Konformität, und dem Minderheiteneinfluss, der so genannten Innovation (vgl. Sader 2000). De Vries et al. (1996) haben das sogenannte differenzielle Prozessmodell entwickelt, in dem sie sowohl die Einflüsse der Mehr- als auch der Minderheit auf eine Person zu erklären versuchen. Dabei gehen sie davon aus, dass die Anzahl der Personen einer Gruppe, die eine bestimmte Meinung vertreten und argumentativ unterstützen, eine Auswirkung darauf hat, wie mit einer neuen Information umgegangen wird. Vertreten viele eine andere Position wie die eigene, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dies zu großer Unsicherheit führt und zu einer schnelleren Angleichung der eigenen Position an die vorherrschende Gruppenmeinung führen kann (Bedürfnis nach einer systematischen Verarbeitung der Informationen). Unter der Prämisse, dass die angeführten Argumente stimmig und schlüssig sind, kann diese Änderung dauerhaft sein (informativer Einfluss). Bei einer weniger starken Argumentation kann der soziale Druck zur Zustimmung führen (normativer Einfluss). D.h. ein Gruppenmitglied schließt sich der Mehrheit an, um anerkannt zu bleiben oder nicht ausgeschlossen zu werden. Diese Meinungsänderungen sind meist nicht dauerhaft (vgl. auch Wellhöfer 2007, Berkowitz 1976). Eine Minderheitsmeinung dagegen führt seltener zur Verunsicherung, wenn sie von der eigenen Einstellung abweicht. Bei einer Meinungsveränderung hin zur Position der Minderheit ist eine intensive Auseinandersetzung mit der Minderheitsmeinung notwendig, da es keine direkten Vorteile hat, sich dieser Meinung anzuschließen. Damit eine Minderheit andere Teilnehmende einer Gruppe zur Meinungsänderung anregen kann, muss die Minderheit dauerhaft und konsistent zu ihrer Position stehen und diese durch starke Argumente oder Emotionen untermauern (vgl. van Avermaet 2002, Sader 2000). Wellhöfer (2007, S. 61) kristallisierte sechs Ergebnisse aus den Untersuchungen zum Gruppeneinfluss in Richtung Konformität heraus: 1. „Gruppendruck bewirkt eindeutig ein Nachgeben beim einzelnen Teilnehmer, das er ohne Druck nicht zeigen würde.

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2. Je schwieriger die Problemsituation, desto größer ist die Konformitätsbereitschaft. 3. Je bedeutsamer die Problemsituation für den Betroffenen, desto stärker hält er an den eigenen Ansichten fest. 4. Je größer der Gruppenzusammenhalt (Uniformitätsdruck, Bedrohung von außen) ist, desto höher ist der Konformitätsgrad. 5. Zwischen Status und Konformitätsverhalten besteht eine kurvlineare Beziehung: Personen mit mittlerer Statushöhe zeigen die größte Konformitätsbereitschaft. 6. Bei allen Untersuchungen zeigen sich große individuelle Unterschiede zwischen den Versuchsteilnehmern, wobei die individuell gezeigte Konformitätsneigung in den Untersuchungen weitgehend konstant blieb2.“ Diese Erkenntnisse sind für die Arbeit mit und in Gruppen wichtig, da sie die Prozesse der Meinungsbildung in den Fokus rücken und Mechanismen aufzeigen, auf welche Art Einstellungsänderungen gefördert oder verhindert werden können.

7. Gruppenleistung Der Erfolg und die Effektivität von Gruppen sind abhängig von der Gruppenleistung. Aber was ist unter Gruppenleistung zu verstehen? Hackman & Morris (1975, nach Wilke & Wit 2002) haben dazu folgende Gleichung aufgestellt: Tatsächliche Leistung = potenzielle Leistung – Prozessverluste + Prozessgewinne

Die potenzielle Leistung ist die Leistung, die erreicht werden kann, wenn die Gruppe alle vorhandenen Ressourcen optimal einsetzt. Prozessverluste sind als Prozesse definiert, „die verhindern, dass eine Gruppe ihre potenzielle Produktivität erreicht“ (ebd.: S. 499), vor allem Probleme bei der Koordinierung der Gruppenmitglieder und deren Motivation sind darunter zu verstehen (vgl. Kap. 7.4). Dagegen wird allgemein angenommen, dass • Zusammenarbeiten die Motivation erhöhen kann, da das Gefühl „Spaß haben“ antizipiert wird, • die entstehenden Lösungen kreativer sind und 2

Zur Methodenkritik vgl. Sader (2000).

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• die Anwesenheit anderer zu besonderen Anstrengungen ermuntert. Das sind die sogenannten Prozessgewinne (vgl. Wilke & Wit 2002) (vgl. Kap. 7.3). 7.1 Grad der Abhängigkeit voneinander Die Leistung einer Gruppe wird weiterhin maßgeblich durch den Grad der Abhängigkeit der Gruppenmitglieder voneinander bestimmt. Es werden drei verschiedene Arten von Abhängigkeiten unterschieden: a. kooperative Interdependenz b. Interdependenz mit gemischten Motiven c. wettbewerbsorientierte Interdependenz Bei Aufgaben, deren Erreichung von allen Gruppenmitgliedern gleichermaßen gewünscht ist (kooperative Interdependenz), werden alle Gruppenmitglieder eher bereit sein, ihre Ressourcen, wie Geld, Aufwand, Wissen, Zeit etc., zusammenzuführen. Anders bei Aufgaben, die nur für einen Teil der Gruppe oder sogar nur einzelne Gruppenmitglieder relevant sind (Interdependenz mit gemischten Motiven bzw. wettbewerbsorientierte Interdependenz). 7.2 Förderliche Faktoren für die Gruppenleistung Als förderlich werden vor allem emotionale Faktoren angesehen, die das Erleben von Gemeinschaft mit sich bringt. Dazu gehören3: • • • •

das Gefühl Spaß zu haben, das Gefühl nicht alleine zu sein, sondern dazuzugehören, Hilfestellung von der Gruppe bekommen zu können, teilen der Verantwortung für ein Ergebnis etc.

Die wahrgenommene Unterstützung durch eine Gruppe führt zu gefühlt höherer Zufriedenheit des Einzelnen. 7.3 Ambivalente Faktoren für die Gruppenleistung Die Einschätzung, ob eine bestimmte Bedingung hinderlich oder förderlich für eine gute Gruppenleistung ist, kann nicht allgemeingültig formuliert werden, 3

vgl. Buunk 2002; Wilke & Wit 2002.

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denn der Grad der Effektivität kann abhängig von einer ganzen Reihe von Faktoren und deren Zusammenspiel sein. So gestaltet sich z. B. das Bild, in Bezug auf den Einfluss von Aufmerksamkeit durch die Gruppe auf die eigene Leistung betrachtet wird, ambivalent. Einerseits kann die Aufmerksamkeit der Anderen bei einfachen, bekannten Aufgaben dazu führen, dass diese besser ausgeführt werden, vor allem, wenn eine Bewertung erwartet wird (vgl. Cottrell 1968, 1972; nach Wilke & Wit 2002). Andererseits kann diese Produktivitätssteigerung nicht für komplexe und neuartige Handlungen festgestellt werden. Im Gegenteil: die Aufmerksamkeit der Gruppe kann sich hemmend auf die Individualleistung auswirken. Verstärkt wird dieser Effekt, wenn eine negative Bewertung evtl. sogar gekoppelt mit Sanktionen (wie z. B. Verlust an Achtung oder gar Ausschluss aus der Gruppe) erwartet wird. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Untersuchungen, die sich mit dem „Aufmerksamkeitskonflikt“ beschäftigten. Grundsätzlich kann die Anwesenheit anderer zur Fokussierung und verstärkten Konzentration führen, muss aber nicht. Wenn die Anwesenheit anderer die Unsicherheit vergrößert und Aufmerksamkeit ablenkt, kann die Leistung schlechter sein, als bei einer individuellen Bearbeitung (vgl. ebd.). 7.4 Hinderliche Faktoren für die Gruppenleistung Steiner (1968, 1972; nach Wilke & Wit 2002) nennt zwei Arten von Prozessverlusten: einerseits die Koordinierungsverluste, andererseits die Motivationsverluste. a. Koordinierungsverluste: Während kooperative Interdependenz vor allem durch Koordinationsverluste belastetet wird, sind sowohl die Interdependenz mit gemischten Motiven als auch die wettbewerbsorientierte Interdependenz daneben auch noch durch Motivationsverluste belastet. Bei Koordinierungsverlusten kommt es dazu, dass die potenzielle Gruppenleistung nicht erreicht wird. Um dies zu minimieren ist eine „eindeutige Kommunikation über die zeitliche Planung gemeinsamer Handlungen, über Termine und über die Reihenfolge, in der die Ressourcen der Gruppenmitglieder zusammengeführt werden sollten“ (Wilke & Wit 2002, S. 505) wichtig. Eine Sonderform ist die Produktivitätsblockierung, die vor allem bei Ideen generierenden Kreativitätsaufgaben, wie dem Brainstorming, zu beobachten ist (vgl. Diehl & Stroebe 1987; nach Wilke & Wit 2002).

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b. Motivationsverluste: Die zweite Form von Produktivitätsverlusten, die sogenannten Motivationsverluste (vgl. Steiner 1972; nach Wilke & Wit 2002), zeigen sich in Form: • von sozialem Faulenzen (vgl. Jackson & Harkins 1985; nach Wilke & Wit 2002): Da die eigene Leistung nicht identifizierbar und dadurch nicht bewertbar ist, wird die Anstrengung verringert. • von Trittbrettfahren (vgl. Kerr & Bruun 1981; nach Wilke & Wit 2002): Ein Gruppenmitglied erbringt seine Leistung nicht, weil es glaubt, es fällt nicht ins Gewicht, was es tut. • des Trotteleffekts (vgl. Kerr 1983; nach Wilke & Wit 2002): Verringerung der eigenen Anstrengung, weil auch andere Gruppenmitglieder sich nur in geringem Maße einbringen. Durch soziale Kompensation, d.h. einige Mitglieder versuchen den Effektivitätsverlust durch Steigerung der eigenen Anstrengung zu kompensieren, können Gruppenmitglieder versuchen oben genannte Verluste aufzuheben (vgl. Zacarro 1984; nach Wilke & Wit 2002). Eine weitere Möglichkeit, Motivationsverluste zu minimieren, ist das Schaffen einer Identifizierbarkeit und Bewertbarkeit der einzelnen Beiträge zum Gruppenergebnis. Weitere Hemmnisse sind die sogenannten normativen Gruppeneinflüsse, die dazu führen können, dass z. B. Beiträge von kompetent wahrgenommenen Gruppenmitgliedern, überschätzt werden, während gute Lösungen, die von Gruppenmitgliedern kommen, die nicht so angesehen sind, übersehen werden (vgl. Untersuchungen zum Begriff „hidden curriculum“). Außerdem kann die Angst vor Bewertung und Ablehnung durch die Gruppenmitglieder dazu bewegen, Informationen zurückzuhalten. Durch diese „freiwillige Selektion“ bekommt das gemeinsam geteilte Wissen der Gruppe, als das was allen bewusst ist, eine Übermacht. Dann können entscheidende Informationen zur Aufgabenbewältigung nicht eingesetzt werden (vgl. Wellhöfer 2007). Gigone & Hastie sprechen dabei vom „Effekt des gemeinsamen Wissens“ (vgl. Wilke & Wit 2002), durch den die Leistungsfähigkeit der Gruppe praktisch beeinträchtigt wird, obwohl theoretisch das Wissen vorhanden wäre. Allerdings kann auch die Gruppenstruktur hinderliche Faktoren beinhalten, wie z.B. einerseits die Überlastung zentraler Mitglieder und andererseits die Demotivation und das Gefühl der Entbehrlichkeit von Mitgliedern, die am Rand der Gruppe angesiedelt sind (vgl. Wilke & Wit 2002).

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8. Soziales Lernen als Nebenwirkung Ein wichtiger Aspekt beim Agieren in Gruppen ist das soziale Lernen (vgl. auch Lernen am Modell nach Bandura et al. 1963 und Selbstwirksamkeit nach Bandura 1997), das nebenbei passiert und nicht nur eine erfolgreichere Lösung von Problemen und Unterstützung durch eine Gemeinschaft suggeriert, sondern auch noch die Möglichkeit zum informellen Erlernen sogenannter Soft Skills ermöglicht. Zu diesen Soft Skills gehören nach Renoldner et al. (2007) soziale Kompetenzen, die sich in der Fähigkeit ausdrücken: • • • •

„sich in andere Menschen einzufühlen, qualitätsvolle Beziehungen einzugehen und dauerhaft zu halten, in Konflikten gemeinsam nach Lösungen zu suchen und gut für sich selbst zu sorgen“ (ebd.: S. 64).

Des Weiteren findet eine Ausbildung von Werten und kommunikativen Fähigkeiten durch die Gruppenzugehörigkeit statt (ebd.).

9. Fazit Gruppen unterliegen vielfältigen Einflüssen, die sowohl auf das Gruppenklima als auch auf die Gruppenleistung Auswirkungen haben. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Wissen über Gruppendynamiken an Bedeutung, wenn man produktiv mit und in Gruppen arbeiten will. So ergibt sich die Chance den Fokus weg von einem problematischen Gruppengeschehen, hin zu den Phasen und Prozessen, die das Team gerade durchläuft, zu lenken. Durch die veränderte Sichtweise kann sich der Handlungsspielraum der Gruppe und / oder Leitung erhöhen. Die Gruppe kann sich entwickeln und ihre Ressourcen produktiv nutzen. Abschließend ist noch anzumerken, dass Gruppen Systeme sind, deren Subsysteme (die Mitglieder), je eine individuelle Geschichte mitbringen. Daher haben Gruppen nicht nur eine eigene Gruppengeschichte (vgl. Sader 2000), sondern in ihnen leben auch die Vorerfahrungen der einzelnen Mitglieder. Dies bedeutet, dass Gruppen individuelle Gebilde sind, auf die man sich jeweils neu einlassen muss.

Gruppen

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10. Literatur Eddy van Avermaet, Sozialer Einfluss in Kleingruppen. In: Wolfgang Stroebe, Klaus Jonas & Miles Hewstone (Hrsg.) (2002): Sozialpsychologie – Eine Einführung. Berlin u.a.: Springer 2002, 451-496. Albert Bandura; Dorothea Ross & Sheila A. Ross, Imitation of film-mediated aggressive models. Journal of Abnormal and Social Psychology, 66, 1963, 3–11. Albert Bandura, Self-efficacy: The exercise of control. New York: Freeman 1997. Leonhard Berkowitz, Grundriß der Sozialpsychologie. München: Juventa 1976. Bram P. Buunk, Affiliation, zwischenmenschliche Anziehung und enge Beziehungen. In: Wolfgang Stroebe, Klaus Jonas & Miles Hewstone (Hrsg.) (2002): – Eine Einführung. Berlin u.a.: Springer, 2002, 415–450. Edward L. Deci & Richard M. Ryan, Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik 02/1993, 39, 1993, 222–238. Edward L. Deci & Richard M. Ryan, Handbook of Self-determination Research. Rochester: University of Rochester Press 2004. Nanne K. de Vries; Carsten K. W. de Dreu; Ernestine Grodijn & Mieke Schuurman, Majority and minority influence: A dual role interpretation. In: Wolfgang Stroebe, Klaus Jonas & Miles Hewstone (Hrsg.) (2002): European Review of Social Psychology. Chichester: Wiley, 1996, 145–172. Paul A. M. van Lange & Carsten K. W. de Dreu, Soziale Interaktion: Kooperation und Wettbewerb. In: Wolfgang Stroebe, Klaus Jonas & Miles Hewstone (Hrsg.) (2002): Sozialpsychologie – Eine Einführung. Berlin u.a.: Springer, 2002, 381–414. Joseph Luft, Einführung in die Gruppendynamik. Stuttgart: Klett 1972. Oliver König, Familiendynamik und Gruppendynamik: Gegenstand und Verfahren – Konvergenzen und Konkurrenzen. In: Familiendynamik 04/2010, 35, 292–299. Christa Renoldner; Eva Scala & Reinhold Rabenstein, einfach systemisch! – Systemische Grundlagen & Methoden für Ihre pädagogische Arbeit. Münster: Ökotopia 2007. Manfred Sader, Psychologie der Gruppe. Weinheim / München: Juventa 2000. Friedemann Schulz von Thun, Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation. Reinbek: Rowohlt 1981.

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Hintergrundinformationen

Paul Watzlawik, Axiome. Online: http://www.paulwatzlawick.de/axiome.html (letzter Aufruf: 25.08.2011) Paul Watzlawik, Vom Schlechten des Guten oder Hekates Lösungen. München: Piper 1986. Peter R. Wellhöfer, Gruppendynamik und soziales Lernen. Stuttgart: UTB 2007. Henk Wilke & Arjaan Wit, Gruppenleistung. In: Wolfgang Stroebe, Klaus Jonas & Miles Hewstone (Hrsg.) (2002): Sozialpsychologie – Eine Einführung. Berlin u.a.: Springer 2002, 479–536.

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Lernen aus Sicht einer systemischen Pädagogik Kathrin Schneider, M.A. Erziehungswissenschaften, Kaiserslautern Dieser Artikel geht den Fragen nach, was versteht die systemische Pädagogik unter Lernen und welche Auswirkungen hat diese Vorstellung auf die Anforderungen an Lernende und Lehrende. Dazu werden in einem ersten Schritt kurz die vorherrschenden Menschenbilder skizziert, um darauf aufbauend Lernen zu definieren. Anschließend geht es um die Anforderungen an Lehrende und Lernende. Weiterhin soll geklärt werden, wie vor diesem Hintergrund eine gelungene Lernumgebung aussehen könnte.

1. Vom Menschenbild zum Lernbegriff Lernen findet sowohl bewusst und unbewusst als auch andauernd statt. Wenn man „Lernen … nach allgemein geteiltem Verständnis [als einen] Prozess der Auseinandersetzung mit der Umwelt“ (Holtz 2008, S. 73) versteht, wird deutlich, dass man nicht „Nicht-Lernen“ kann, da die Auseinandersetzung mit der Umwelt ein ständiger Prozess ist. Historisch betrachtet etablierte sich ein systemisch-konstruktivistisches Verständnis von Lernen und Lehren in den 1990er Jahren in Deutschland (vgl. Siebert 2003). Diesem Lernverständnis gingen behavioristische und kognitivistische Vorstellungen voraus (vgl. Edelmann 2000). Zwar bestehen zwischen systemischen und konstruktivistischen Denken einige Unterschiede, allerdings werden beide Konzepte wegen ihrer „erheblichen ‚Schnittmengen‘“ (Siebert 2003, S. 12) häufig zu einem Paradigma zusammengefasst – so auch in diesem Text. Menschen gelten nach konstruktivistischen Gesichtspunkten als „autopoietische, selbstreferentielle, operational geschlossene Systeme, die nur indirekte Kontakte zur Außenwelt haben und deren Erkenntnissystem die äußere Realität nicht ‚wahrheitsgemäß´ abbildet, sondern eigene Wirklichkeiten erzeugt und erfindet“ (Siebert 1996, S. 7, Hervorhebung im Original). Schiepek (1999) entwickelte fünf handlungsleitende Grundpositionen für systemische Therapeuten, in denen das systemische Menschenbild deutlich wird.

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Hintergrundinformationen

Da therapeutisches Arbeiten auf die Lernfähigkeit der Klienten angewiesen ist um (Verhaltens-)Änderungen zu bewirken, können diese Positionen auch auf das Lernen allgemein übertragen werden. Zu ihnen zählen: • • • • •

„Berücksichtigung der Autonomie von Systemen […] Berücksichtigung der Eigendynamik von Systemen […] Berücksichtigung der System-Umwelt […] Die Veränderung innerer Konstrukte und Wirklichkeitskonstruktionen […] Wechselseitiger Bezug (strukturelle Kopplung) zwischen individuellen Problemen und interpersoneller Kommunikation“ (ebd.: S. 36ff, zitiert nach Pätzold 2004, S. 79)

Vor dem Hintergrund dieser beiden Menschenbilder beinhaltet systemischkonstruktivistisches Lernen „differenzieren, Differenzen wahrnehmen und akzeptieren, die Möglichkeiten des Wahrnehmens und Handelns erweitern, sich bewusst sein, dass es immer mehrere Wahrheiten und Perspektiven gibt, das niemand im Besitz endgültiger Antworten ist, dass aber auch nicht alle Antworten ‚gleich gültig‘ sind“ (Siebert 2006, S. 171, Hervorhebung im Original). Dabei steht nicht mehr das Ergebnis oder Produkt des Lernens im Mittelpunkt, sondern der Prozess des Lernens (vgl. Renoldner et al. 2007, Siebert 1996). Im Folgenden wird ausgehend von diesem Lernverständnis aufgezeigt, was das für Lernende, Lehrende und die Gestaltung von Lernumgebungen bedeutet. 1.2 Exkurs: die evolutionäre Perspektive des Lernens Lernen ist aus systemischer Perspektive nicht nur ein Lernen für eine konkrete Handlungssituation, z.B. einen Test, oder für das Leben, sondern hat auch einen evolutionären Aspekt und damit eine Bedeutung für das Überleben der Menschen (vgl. Maturana und Glaserfeld, zitiert nach Huschke-Rhein 1998). Auf diesen Aspekt des Lernens kann im Rahmen dieses Artikels nicht weitereingegangen werden. 1.3 Anforderung: differenzieren können Lehrende müssen nach der systemisch-konstruktivistischen Definition von Lernen (vgl. Siebert 2006) in Lernprozessen gleich auf zwei Ebenen differenzieren können. Einerseits auf der inhaltlichen Ebene, auf der sie die „geeigneten“ Inhalte aus der Fülle der möglichen Inhalte auswählen (didaktische Reduktion). Dabei gilt es zu beachten, dass:

Lernen aus Sicht einer systemischen Pädagogik

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• der ausgewählte Inhalt anschlussfähig an die Lernenden ist und • gleichzeitig den Lerngegenstand adäquat abbildet. Während das zweite Kriterium aus fachlicher Perspektive betrachtet werden muss, fordert das erste die Schaffung von lebensbedeutsamen Lernsituationen. Diese Situationen gewinnen an Anschlussfähigkeit durch das Aufweisen einer persönlichen Relevanz für die Lernenden (vgl. Huschke-Rhein 1998). Die zweite Ebene betrifft die Lernenden. Aus systemischer Perspektive sind Lernende autonome, d.h. unabhängige, und operational geschlossene Systeme, die ihrer Eigendynamik folgen. Für die Aufnahme von Informationen im Lernprozess bedeutet dies, dass die Lernenden: • Informationen so aufnehmen, wie sie sie aufnehmen können. Aus allen verfügbaren Informationen einer Lernsituation können nur die ausgewählt werden, die jeweils für sie anschlussfähig sind (vgl. oben). • Informationen so verarbeitet, wie es ihren biografieindizierten kognitiven Fähigkeiten entspricht (vgl. Varela 1990). • Informationen in ihre „Wissenslandschaft“ integrieren, indem sie ihre inneren Wirklichkeitskonstrukte aktiv auf-, aus-, ab- oder umbauen oder „konstruieren“. In Anlehnung an Piaget können neue Informationen auf zwei Weisen verarbeitet werden: einmal durch Integration in die bestehende Wissensstruktur (Assimilation) oder durch die Schaffung einer neuen Struktur, die mit den neuen Informationen umgehen kann (Akkommodation). Huschke-Rhein (1998, S. 14) bezeichnet Lernende als zwar operational geschlossene, aber „energetisch offene“ Systeme, die aus dem Informationsangebot der Umwelt nach ihren Maßstäben Informationen aufnehmen und verarbeiten. Die Muster, wie Informationen verarbeitet werden, sind individuell, daher auch bei jedem Lernenden unterschiedlich. Diese haben sich im Lebenslauf durch eine Kopplung zwischen System und Umwelt ausgebildet und basieren auf Erfahrungen, die über diese Muster Einfluss auf gegenwärtiges Handeln nehmen können (vgl. Varela 1990). Dabei spielen besonders die emotionalen Aspekte der Erfahrungen im Lernprozess eine Rolle. Über Emotionen kann z.B. Aufmerksamkeit sowohl geweckt aber auch blockiert werden (vgl. Huschke-Rhein 1998). Für die Lehrenden heißt das, dass sie die Lernenden nicht losgelöst oder isoliert in der Lehr-Lern-Situation betrachten können, sondern immer im Blick behalten müssen, dass die Erfahrungen und die Umwelt der Lernenden Einfluss auf den Lernprozess haben. Da „jedes Lernen eine Umweltbeziehung konstruiert oder mit-konstruiert“ (Huschke-Rhein 1998, S. 116),

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Hintergrundinformationen

werden in jedem Lernprozess durch die Lehrenden und die Lerngruppe weitere Erfahrungen geschaffen, die wiederum Einfluss auf den weiteren Verlauf nehmen können.

2. Wirkungsunsicherheit aushalten und den Lernprozess wertschätzen Ausgehend davon beschreibt Bateson (1982; zitiert nach Holtz 2008, S. 84) die Aufgabe der Lehrenden folgendermaßen: „Man kann das Pferd zum Wasser führen, aber man es nicht zum Trinken zwingen. Das Trinken ist seine Sache. Aber selbst wenn Ihr Pferd durstig ist, kann es nicht trinken, so lange Sie es nicht zum Wasser führen. Das Hinführen ist Ihre Sache.“ Das Zitat verdeutlicht, dass Lehrende • lernen ermöglichen, • gleichzeitig mit der Wirkungsunsicherheit ihrer Interventionen und Methoden leben und • die Eigendynamik der Lernenden akzeptieren müssen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass „Lernen […] letztlich eine Leistung des autopoietisch-selbstreferenziellen Systems selber und nicht das Ergebnis einer Informationsübertragung“ (Huschke-Rhein 1998, S. 119) ist. Die Leistung der Lehrenden liegt im Ermöglichen vielfältiger Lernwege und dem wertschätzenden Umgang mit den Ergebnissen des Lernprozesses. Lernen ist hingegen nicht das Übertragen und Abbilden einer Information eins zu eins in die Köpfe der Lernenden.

3. Unterschiedliche Lernwege und -ergebnisse Durch die Vielfalt in der Informationsauswahl und der Eigendynamik, mit der Lernende die Informationen verarbeiten, entstehen unterschiedliche Lernwege. Daraus ergeben sich ebenso unterschiedliche Ergebnisse des Lernprozesses. An dieser Stelle kann ein Einblick in den Prozess des Lernens und seiner Determinanten helfen, zu erkennen, welche Einflussmöglichkeiten Lehrende haben. Nach dem systemischen Verständnis können Veränderungen in ein System nicht direkt eingebracht werden. Nur durch Eingriffe in die Systemumwelt

Lernen aus Sicht einer systemischen Pädagogik

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kann eine (nicht beeinflussbare) Reaktion des Systems provoziert werden (vgl. oben). Lehrende können also weder Inhalte direkt vermitteln, noch in den Lernprozess eingreifen und etwas korrigieren, wenn Probleme auftreten (vgl. Reich 1996). Sie müssen sich der Tatsache bewusst sein, dass „wir […] einander beeinflussen, jedoch die Wirkung nicht bestimmen“ können (Renoldner et al. 2007, S. 15). Das heißt, von einer direkten Steuerbarkeit, z.B. durch Verstärker wie in behavioristischen Lerntheorien postuliert (Belohnung und Bestrafung), kann nicht ausgegangen werden. Diese Wirkungsunsicherheit gilt auch für Rückmeldungen, die Lernende im Lernprozess bekommen. Dabei ist Lernen ein sozialer Prozess, innerhalb dessen Kommunikation gezielt dafür genutzt wird Feedback einzuholen oder auf Feedbacks zu lauschen. Feedback gilt als „Nahrung für persönliches Wachstum“ (Arnold & Arnold-Haecky 2009, S. 13). Lernen können Lernende nur, wenn sie es schaffen, ihre Wirklichkeitskonstruktionen zu ändern. Diese Änderung kann durch „Perturbationen“ (vgl. Siebert 1996, S. 16) ausgelöst werden. Durch diese Irritation des Lernersystems (Irritationslernen) von außen kommt es unter Umständen zu einer Anpassung der vorhandenen Konstrukte und damit zu einer veränderten Wahrnehmung der Wirklichkeit, da die vorhandene Wahrnehmung nicht mehr viabel ist. Dabei müssen Lernende die Vorstellung, dass und vor allem wie sie eine Aufgabe lösen können, entwickeln. Erst wenn sie sich die Lösung der Aufgabe zutrauen, können sie an die Umsetzung gehen. Völlig unabhängig vom Maß an didaktischer Unterstützung, die angeboten wurde, ist der respektvolle Umgang der Lehrenden gegenüber den Lernenden und ihrem Lernen. Lernen muss immer als Eigenleistung anerkannt werden (vgl. Huschke-Rhein 1998, S. 135). Lehrende können Lernfortschritte nur indirekt über Indikatoren, wie z.B. Verhaltensänderungen, messen (vgl. Renoldner et al. 2007). Der Lernprozess und nicht das Lernergebnis steht nach systemischen Verständnis zwar im Mittelpunkt, allerdings kann es innerhalb von formalen Lernsituationen, wie z.B. Schule, Hochschule, Aus- und Weiterbildung, notwendig sein, konkrete Lernergebnisse zu erhalten und als Lehrende zu bewerten. Auch für diesen Teil des Lernprozesses gilt eine grundsätzliche Wertschätzung der Vielfalt der Ergebnisse, allerdings vor dem Spannungsfeld, dass nicht alle Ergebnisse „gleich gültig“ sind (Siebert 2006, S. 171). Den Lehrenden obliegt es also, zwischen der Anstrengung der Lernenden im Lernprozess und der Gültigkeit des Ergebnisses zu differenzieren.

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Hintergrundinformationen

4. Anforderungen an die methodisch-didaktische Gestaltung von Lernumgebungen Um dem Anspruch gerecht zu werden, die Eigendynamik der Lernenden zu berücksichtigen, gilt für Lehrende der ethische Imperativ als Maxime bei der didaktisch-methodischen Gestaltung von Lernumgebungen. D.h. „Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird!“ (v. Foerster 1973, S. 49). Methodisch verlangen Lernszenarien daher eine Aufbereitung, • die sowohl anschlussfähig an die Lernenden ist (vielfältige Zugangswege), • die aber daneben auch auf Ebene der Handlungsmöglichkeiten eine größtmögliche Auswahl bieten sollte (vgl. Holtz 2008). In der Praxis bedeutet das für eine Lernumgebung, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, die es den Lernenden ermöglichen, auf verschiedene Materialien (Texte, Grafiken, Tabellen, Filme etc.) oder Informationsquellen (Internet, andere Lernende, Lehrende etc.) zurückzugreifen. Gleichzeitig muss es den Lernenden methodisch möglich sein, unterschiedliche Wege in der Bearbeitung und der Ergebnisdarstellung zu gehen. Somit sollen Arbeitsaufträge und Lernaufgaben Freiheitsgrade im Bereich der Bearbeitung und Darstellung enthalten. Um Lernumgebungen entsprechend zu gestalten, sollten bei der methodischen Entwicklung folgende sieben Fragen beantwortet werden: • „Fördert eine Methode, dass nicht nur ‚vom Lehrer‘, sondern auch von anderen und mit anderen Lernern gelernt wird? • Fördert eine Methode das Interesse an Sichtweisen anderer und eine wechselseitige Anerkennung? • Fördert eine Methode die Erweiterung der Beobachtungsmöglichkeiten? • Fördert eine Methode die Relativierung dualisierenden Denkens (richtig/ falsch)? • Fördert eine Methode die Freude am Lernen und die Neugier auf Fremdes? • Fördert die Methode nachhaltiges Lernen? • Fördert die Methode den Transfer des Gelernten?“ (Reich 2002, zitiert nach Siebert 2006: 171)

Lernen aus Sicht einer systemischen Pädagogik

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Die Aufgabe der Lehrenden ist es, Lernenden das Maß an Unterstützung anzubieten, welches diese in einer Lernsituation benötigen, um sich Lerngegenstände selbstständig anzueignen. „Eine Balance zwischen Instruktion und Konstruktion bildet die Basis problemorientierter Lernumgebungen. Der Kern besteht somit darin, dass ein aktiver Lernender durch Instruktion während des Lernprozesses angeleitet, unterstützt und beraten wird“ (Mandl 2004, S. 1). Die Lehrenden bewegen sich im Spannungsverhältnis zwischen dem Zulassen der Selbstorganisation durch die Lernenden einerseits und dem Geben eines stabilen Rahmens andererseits (vgl. Renoldner et al. 2007; Huschke-Rhein 1998). Dabei zeigte sich in empirischen Untersuchungen, dass das Rückmelden von Zwischenständen für Lernende unterstützend wirkt, weil es ihnen einerseits ermöglicht, aktiv und selbstgesteuert vorzugehen, sie aber gleichzeitig ihren eigenen Lernstand verorten können (vgl. Mandl 2004). Der Bedarf an Unterstützung durch die Lehrenden wächst, wenn die Lernenden nicht an den Lerngegenstand „andocken“ können (vgl. Huschke-Rhein 1998, S. 119), weil dieser entweder nicht für die Lernenden relevant, also nicht „lebensbedeutsam“ (Huschke-Rhein 1998, S. 135) ist oder das Vorwissen, an das angeschlossen werden sollte, fehlt. Vor dem Hintergrund des systemisch-konstruktivistischen Lernverständnisses müssen die Lehrenden den Lernprozess als: • • • • •

etwas sehr Subjektives wahrnehmen, was abhängig von der bisherigen Lernbiographie der Lernenden, abhängig vom Anregungsgehalt der Umwelt (Familie, Arbeitsplatz etc.), abhängig von der persönlichen Relevanz und der Selbsteinschätzung ist (vgl. Mandl 2004).

Die Pädagogik benötigt keine radikal neuen Methoden, um dem systemischen Lernverständnis zu entsprechen (vgl. Terhart 1999, S. 645), sondern bei der Wahl der Methoden ist darauf zu achten, Lernende als aktive und selbstgesteuerte Teilnehmende am Lernprozess zu achten und ihnen eine gewisse Offenheit im Lernprozess und der Ergebnisdarstellung zu erlauben.

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Hintergrundinformationen

5. Fazit Lernen kann aus systemischer Sicht als eine Notwendigkeit betrachtet werden, um das in Lernumgebungen geübte Handeln für das alltägliche Leben nutzen zu können, aber auch ganz allgemein um das Überleben und Weiterentwickeln der Spezies Mensch zu ermöglichen (vgl. Huschke-Rhein 1998). Dabei ist Lernen ein selbstgesteuerter, aktiver Prozess der Lernenden, der nur mittelbar beeinflusst werden kann. Diese nur mittelbare Beeinflussung kann auf die individuelle Ausbildung von Mustern der Informationsaufnahme, -verarbeitung und -verwertung der Lernenden zurückgeführt werden. Lehrende können vor diesem Hintergrund nur anregende Lernumgebungen bereitstellen (vgl. Reich 2002, zitiert nach Siebert 2006), die die Lernenden auf vielfältige Weise irritieren und so zu einer konstruktiven Auseinandersetzung motivieren. Selbst gelungene, allen Kriterien der Lehr-Lernforschung entsprechende Lernumgebungen sind kein Garant dafür, dass Lernende sie in der intendierten Form nutzen (vgl. Renoldner et al. 2007). Jeder Lernerfolg ist von den Lehrenden als Eigenleistung der Lernenden anzuerkennen (vgl. Huschke-Rhein 1998). Daher legt die systemische Pädagogik den Fokus auf das Lernen und das Lern-Begleiten durch die Lehrenden und nicht auf das Vermitteln von Informationen (vgl. Arnold & Arnold-Haecky 2009).

6. Literatur Rolf Arnold & Beatrice Arnold-Haecky, Der Eid des Sisyphos – Eine Einführung in die Systemische Pädagogik. Baltmannsweiler: Schneider 2009. Walter Edelmann, Lernpsychologie. Weinheim: Beltz 2000. Heinz von Foerster, Über das Konstruieren von Möglichkeiten. In: Paul Watzlawick (Hrsg.): Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Beiträge zum Konstruktivismus. 39–66. München: Piper 1973. Karl L. Holtz, Einführung in die systemische Pädagogik. Heidelberg: Carl Auer. Rolf Huschke-Rhein, Systemische Erziehungswissenschaft – Pädagogik als Beratungswissenschaft. Weinheim: Beltz 2008. Heinz Mandl, Gestaltung problemorientierter Lernumgebungen. In: Journal für Lehrerinnenund Lehrerbildung. 3/2004.

Lernen aus Sicht einer systemischen Pädagogik

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Henning Pätzold, Lernberatung und Erwachsenenbildung. Baltmannsweiler: Schneider 2004. Kersten Reich, Systemisch-konstruktivistische Pädagogik – Einführung in die Grundlagen einer interaktionistisch-konstruktivistischen Pädagogik. Weinheim: Beltz 1996. Christa Renoldner; Eva Scala & Reinhold Rabenstein, einfach systemisch! – Systemische Grundlagen & Methoden für Ihre pädagogische Arbeit. Münster: Ökotopia 2007. Horst Siebert, Konstruktivistische Lehr-Lern-Kulturen. In: Rolf Balgo & Holger Lindemann (Hrsg.): Theorie und Praxis systemischer Pädagogik. Heidelberg: Carl Auer 2006. Horst Siebert, Vernetztes Lernen – systemisch-konstruktivistische Methoden der Bildungsarbeit. München / Unterschleißheim: Luchterhand 2003. Horst Siebert, Bildungsarbeit – konstruktivistisch betrachtet. Frankfurt am Main: Verlag für Akademische Schriften 1996. Ewald Terhart, Konstruktivismus und Unterricht. Gibt es einen neuen Ansatz in der Allgemeinen Didaktik? In: Zeitschrift für Pädagogik 45(5): 629–647, 1999. Francisco J. Varela, Kognitionswissenschaft – Kognitionstechnik. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1990.

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Das Team Management Profil von Margerison – McCann Dipl. oec. Marc Tscheuschner, Bad Nauheim

1. Die Ursprünge und Anfänge von Typologien Menschliches Verhalten zu beschreiben ist eine überaus komplexe Angelegenheit. Und, wenn man ehrlich ist, in seiner Vielfalt kaum darstellbar. Die Persönlichkeit eines Menschen zeigt ganz unterschiedliche Merkmale: Verhaltensweisen, Vorlieben, spezifische Eigenheiten und vieles mehr. Das alles speist sich aus ganz unterschiedlichen Quellen. Da gibt es persönliche Anlagen, Erziehung, Traditionen, Erlebtes, Werte und kulturelle Einflüsse. Ein nicht zu überblickendes Sammelsurium, das dann das ergibt, was man Persönlichkeit nennt. Die Versuche, die Komplexität von Persönlichkeit und menschlichem Verhalten (be-)greifbar zu machen, reichen weit zurück. Schon Hippokrates (460 bis 370 v. Chr.) versuchte in seiner Temperamentenlehre Menschen nach bestimmten Eigenschaften zu kategorisieren, um ihre Grundwesensart zu erfassen. Wissenschaftlich längst widerlegt, ist es doch einer der ersten überlieferten Versuche, Verhalten in einem Modell zu beschreiben. 1921 entwickelte Carl Gustav Jung acht „Psychologische Typen“, die erste in der Psychologie weitgehend anerkannte Typologie. Seine Unterscheidung beruhte zunächst auf der Unterscheidung von extrovertierten und introvertierten Menschen. Er ergänzte diese grundlegende Achse um die Funktionen Denken, Fühlen, Intuition und Empfinden. Dieses Modell ist eine Urform vieler Typologien. Heute gibt es eine Vielzahl von Typologien, mit vielfältigen Ansätzen und Anwendungsbereichen. Manche Typologien nehmen in Anspruch „Persönlichkeit“ als Ganzes zu betrachten, andere Typologien konzentrieren sich auf einen Ausschnitt der Persönlichkeit. Oftmals haben sich die Anwendungsbereiche im Lauf der Zeit auch gewandelt, da viele Typologien in wirtschaftlich interessante Gebiete, wie das Coaching, Personalentwicklung und andere Einsatz-

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Hintergrundinformationen

felder im „Business“ streben – auch wenn sie ursprünglich für religiöse oder eher therapeutische Zwecke vorgesehen waren. Dies macht die Einordnung, Qualifizierung und Bewertung von Typologien für den Anwender schwierig. Von zentraler Bedeutung bleiben die klassischen Qualitätsmerkmale der Psychometrie und Statistik, wie z. B. die Validität und Reliabilität der Ergebnisse. Auf der anderen Seite lohnt auch oft die Frage, wofür ein Instrument eigentlich ursprünglich gestaltet worden ist und auf welche Anwendungsgebiete sich die Qualitätsmerkmale eigentlich beziehen.

2. Entstehung und Entwicklung des Team Management Profils Das Team Management Profil wurde Anfang der 1980er Jahre von Dr. Charles Margerison und Dr. Dick McCann entwickelt. Margerison ist promovierter Psychologe und war Inhaber der Lehrstühle für Management an der University of Queensland (Australien) und an der University of Cranfield (UK). Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit gründete er einen Verlag, verfasst zahlreichen Managementbücher und sammelte Erfahrungen als Geschäftsführer und Berater. McCann ist promovierter Ingenieur und arbeitete mehrere Jahre in diesem Beruf, bevor er sich auf Fragen der Personalführung und Teamentwicklung konzentrierte. Er berät zahlreiche Unternehmen in diesen Themen und ist Autor vieler Bücher über Teamarbeit. Zu Beginn ihrer Forschungsarbeit interessierte Margerison und McCann zunächst, warum manche Teams überaus erfolgreich arbeiten und andere scheitern – obwohl sie die gleichen Ausgangsbedingungen vorfanden. Sie führten breit angelegte empirische Studien zu den Erfolgsfaktoren von Teams durch und stellten fest, dass erfolgreiche Teams acht Tätigkeitsbereiche oder – wie sie inzwischen genannt werden – Arbeitsfunktionen (engl. types of work) wahrnehmen: • Beraten: Informationen einholen und weitergeben, überlegen, wer im Team welche Informationen haben muss, um mit seiner Arbeit beginnen zu können. • Innovieren: Völlig neue Ideen hervorbringen, mit neuen Ansätzen experimentieren, um das Bestehende (auch radikal) in Frage zu stellen. • Promoten: Seine Ideen und Produkte nach außen darstellen, andere über seine Leistungen oder die Leistungen des Teams informieren, Absatzchancen herausfinden.

Das Team Management Profil von Margerison-McCann

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• Entwickeln: Ideen und Konzepte auf ihre Erfolgsaussichten und Machbarkeit hin prüfen, Prototypen entwickeln und entscheiden, welche Idee die Beste ist. • Organisieren: Die Erbringung einer Leistung vorbereiten, dazu werden z. B. Aufbau- und Ablaufstrukturen geschaffen, Ressourcen zugeordnet und Budgets verteilt. • Umsetzen: Produkte und Dienstleistungen in hoher Qualität erbringen, die Produktion einer Leistung im Detail optimieren. • Überwachen: Die Qualität von Leistungen sicherstellen, Zielsetzungen und Abläufe kontrollieren. • Stabilisieren: Standards und Normen aufrecht erhalten, die Leistungsfähigkeit eines Teams oder einer Organisation sicherstellen, auf die Bedürfnisse und Gefühle aller Teammitglieder achten. Diese acht Tätigkeitsbereiche ordneten sie in einem kreisförmigen Modell an, dem Rad der Arbeitsfunktionen. Damit soll auch dargestellt werden, dass alle Tätigkeiten miteinander in Beziehung stehen. Als weitere Tätigkeit kommt das „Verbinden“ (engl. Linking) hinzu, das Element in der Mitte des Modells. Alle acht Arbeitsfunktionen müssen miteinander in Einklang gebracht werden, müssen koordiniert und abgestimmt werden. Eine zentrale Aufgabe, auf die jedes Teammitglied achten muss. Insbesondere fällt diese Aufgabe der Führungskraft zu – als „Linking Leader“.

Abbildung 1: Das Rad der Arbeitsfunktionen von Margerison – McCann

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Hintergrundinformationen

Unsere Arbeit mit Teams und Einzelpersonen zeigt immer wieder, dass erfolgreiche Menschen und Teams alle Arbeitsfunktionen in einer der Aufgabe angemessenen Gewichtung berücksichtigen. Weniger erfolgreiche Teams vergessen eine oder mehrere der Arbeitsfunktionen im Arbeitsalltag: Teams, die stark im Innovieren und Promoten einer Leistung sind, setzen ihre Ideen nicht ausreichend (oder gar nicht) um und kontrollieren nicht die Qualität ihrer Arbeitsergebnisse. Andere Teams, die solide eine Leistung über einen langen Zeitraum in hoher Qualität erbringen, entwickeln ihre Leistungen nicht weiter. Diese Beobachtung führte zum Konzept der Arbeitspräferenzen. Menschen nehmen in der Regel nur einige wenige der acht Arbeitsfunktionen von sich aus gerne wahr. Margerison und McCann stellten fest, dass Menschen häufig eine Präferenz für einige wenige Tätigkeiten haben, die einzelnen Arbeitsfunktionen zuzuordnen sind. Auf Grundlage der Arbeiten des Schweizer Psychologen Carl Gustav Jung entwickelten sie ein psychometrisches Messinstrument anhand von vier Skalen, die zentrale Verhaltensdimensionen von Menschen bei der Arbeit beschreiben. Zu diesen Arbeitspräferenzskalen wurde ein psychometrischer Fragebogen mit 60 Fragen entwickelt. Der Fragebogen ist auf die wissenschaftlichen Gütekriterien, wie Validität und Reliabilität, geprüft und optimiert. Die zentralen Ergebnisse dieser Studien sind öffentlich zugänglich und werden jedem Coach bzw. Berater, der sich für das Team Management Profil akkreditieren lässt, übergeben.

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Das Team Management Profil von Margerison-McCann

Extrovertiert

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Praktisch

Wie Sie mit anderen Menschen umgehen

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0

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Wie Sie Informationen beschaffen und nutzen

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30

10

0

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Kreativ

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Wie Sie Entscheidungen treffen

Analytisch

Begründet auf Überzeugungen

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0

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Wie Sie sich und andere organisieren

Strukturiert

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Introvertiert

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0

10

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Flexibel

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30

Abbildung 2: Die vier Arbeitspräferenzskalen des Team Management Profils von Margerison – McCann

Schließlich entwickelten sie eine Typologie mit acht Teamrollen, die passend zu den acht Arbeitsfunktionen und den vier Arbeitspräferenzskalen die Menschen im Arbeitskontext differenziert. Diese Teamrollen werden in einem umfassenden Feedback, dem Team Management Profil, in Abhängigkeit der Antworten im Fragebogen und den Ausprägungen auf den Arbeitspräferenzskalen beschrieben.

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Hintergrundinformationen

Abbildung 3: Das Team Management Rad von Margerison – McCann

Kurz zusammengefasst beschreibt das Team Management Profil die folgenden Teamrollen: • Informierter Berater: Sie sind informationshungrig. Sie recherchieren und sammeln gern Informationen, die sie auf leicht verständliche Weise an andere weitervermitteln. Solche Mitarbeiter besitzen meist Geduld und Ausdauer und vertagen lieber eine Entscheidung so lange, bis sie möglichst viel über eine Aufgabe in Erfahrung gebracht haben. • Kreativer Innovator: Sie besitzen eine große Vorstellungskraft, sind reich an Ideen und Visionen, die häufig weit in die Zukunft reichen. Sie sind Voraus-, Quer- und Vordenker im besten Sinn. Das Bestehende stellen sie gerne in Frage. Dabei neigen sie zur Unabhängigkeit, da sie gerne mit ihren Ideen experimentieren möchten. • Entdeckender Promoter: Sie besitzen meist eine hohe Kommunikationsfreude. Sie greifen gerne eine Idee auf und interessieren, ja sogar begeistern andere Menschen dafür. So finden sie auch leicht heraus, was innerhalb und außerhalb ihrer Organisation geschieht. Sie knüpfen gerne neue Kontakte, bei denen sie neue Informationen und Quellen erschließen.

Das Team Management Profil von Margerison-McCann

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• Auswählender Entwickler: Sie betrachten gerne neue Ideen und Produktentwicklungen unter verschiedenen Blickwinkeln. Dadurch analysieren sie deren Brauchbarkeit und Marktchancen. Sie sind gerne auf der Suche nach der besten Idee oder Lösung und stehen gerne an der Schnittstelle zwischen Idee und Tat. • Zielstrebiger Organisator: Sie möchten ihre Ideen zielorientiert und effektiv planen und vorantreiben. Mit dem Ziel stets im Blick schaffen sie die Rahmenbedingungen, damit etwas realisiert wird. Klare Aufbau- und Ablaufstrukturen sind ihnen wichtig, als Projektmanager nutzen sie alle Möglichkeiten, um ein Projekt innerhalb der gesetzten Fristen zu beenden. • Systematischer Umsetzer: Sie arbeiten gerne auf systematische Weise und nach festgelegten Verfahren. Sie konzentrieren sich darauf, ein Produkt oder eine Dienstleitung nach vorgegebenen Standards zuverlässig herzustellen oder zu erbringen. Am Ende des Tages möchten sie ein konkretes Ergebnis erzielt haben. Stabile und bewährte Systeme geben ihnen dabei Sicherheit. • Kontrollierender Überwacher: Sie arbeiten gerne auch an detailorientierten Aufgaben. Sie sorgen dafür, dass die Zahlen, Daten und Fakten stimmen. Dadurch sind sie Qualitätssicherer im besten Sinn. Sie arbeiten gerne sorgfältig und genau und besitzen einen hohen Sinn für Vollständigkeit. • Unterstützender Stabilisator: Sie möchten sowohl die tatkräftige als auch die gesellschaftliche Seite der Arbeit unterstützen. Solche Menschen können sich zum „Gewissen“ eines Teams entwickeln, da sie eine feine Nase für Spannungen und mögliche Konflikte haben können. Sie ermutigen andere und schlagen gerne Brücken. Auch wenn acht Teamrollen klar differenziert werden, vereinen Menschen doch mehrere dieser Rollen in sich, mit ganz unterschiedlicher Ausprägung. Eine Festschreibung eines Menschen auf eine einzelne Rolle ist nicht ausreichend. Augenfällig ist bei dieser Typologie, dass der Fokus zwar auf den Arbeitskontext gelegt ist, aber keine konkrete Aufgabenzuschreibung erfolgt. Es gibt keinen klar benannten „Chef“, „Assistenten“, „Verkäufer“ oder dergleichen. Letztlich kann jede Aufgabe in einem Unternehmen von jeder Teamrolle ausgefüllt werden. Die Aufgaben werden dann nur aus einem anderen Blickwinkel und mit einer anderen Arbeitsmethodik erledigt. Das schriftliche Feedback umfasst etwa 28 Seiten und gibt differenziert Auskunft über Hauptmerkmale der Teamrolle, verwandte Rollen, Arbeitspräferenzverteilung, Führungsqualitäten, Entscheidungsfindung, zwischenmenschliche

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Hintergrundinformationen

Fähigkeiten, Teambildung, Bereiche der Selbstbeurteilung und Tipps zum Verbinden mit anderen. Ergänzt wird das Feedback durch ausgewählte Referenzdaten, die die eigene Positionierung innerhalb der Stichprobe erlauben. Das Team Management Profil vereint soziologische und psychologische Ansätze auf elegante Weise. Auf der einen Seite zeigt es mit dem Rad der Arbeitsfunktionen, welche Tätigkeitsbereiche für langfristigen Erfolg (persönlich oder im Team) wichtig sind. Und auf der anderen Seite, für welche dieser Tätigkeiten eine Person eine Präferenz hat. Bis heute haben rund 1.500 Trainer und Coaches in den deutschsprachigen Ländern das Akkreditierungsseminar, das zum Einsatz des Profils berechtigt, besucht. Weltweit wurden bislang 1,25 Mio. Profile erstellt. Damit zählt das Team Management Profil zu den erfolgreichsten Instrumenten zur Verbesserung von Teamleistungen.

3. Typische Fragestellungen für den Einsatz des Team Management Profils Das Team Management Profil wird heute in einer Vielzahl von Kontexten eingesetzt. Die Anwendungsbereiche sind derart vielfältig, dass an dieser Stelle nur ein kleiner Ausschnitt benannt werden kann, um einen grundsätzlichen Einblick zu geben. Zunächst hilft das Profil dem Coachee, sein eigenes Verhalten bei der Arbeit einzuschätzen. Durch die Herausarbeitung von Arbeitspräferenzen zeigt es, welche Aufgaben einem persönlich prinzipiell liegen und aus welcher Blickrichtung Aufgaben angegangen werden. Damit ist eine Diskussionsgrundlage gelegt, auf der mit Unterstützung eines akkreditierten Coaches Strategien erarbeitet werden können, um die Präferenzen im Alltag bestmöglich zu nutzen. Die Stärken des Einzelnen und von Teams werden gestärkt. Es hat sich gezeigt, dass Menschen einen Job langfristig gerne – mit hoher intrinsischer Motivation – machen, wenn sie etwa 2/3 ihrer Arbeitszeit in ihrem Präferenzbereich tätig sind. Sobald Aufgaben überwiegend im Nicht-Präferenzbereich liegen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Aufgaben liegen bleiben, die Effektivität sinkt und sich der Coachee mittelfristig nach einer anderen Aufgabe umsieht. Daher wird das Team Management Profil auch häufig zur Einschätzung bestehender und neuer beruflicher Herausforderungen herangezogen: Soll ich den mir angebotenen beruflichen Schritt gehen – oder nicht?

Das Team Management Profil von Margerison-McCann

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So ist zum Beispiel ein Coachee mit seiner derzeitigen Aufgabe durchaus zufrieden. Im Gespräch stellt sich heraus, dass sein derzeitiger Job hervorragend zu seinen Teamrollen passt. Nun hat er einen neuen Job angeboten bekommen, der ihm ein etwas besseres Einkommen und höheren Status in seinem Unternehmen bringen würde. Anhand des Rades der Arbeitsfunktionen stellen wir fest, dass die neue Aufgabe ganz überwiegend in seinen Nicht-Präferenzbereichen liegen würde. Sobald der Reiz des Neuen sich gelegt hat, könnte die Aufgabe durchaus zäh für ihn werden. Damit kann gezielt diskutiert werden, ob dieser berufliche Aufstieg sinnvoll ist, oder ob die neue Aufgabe gar an seine Präferenzen anpassbar ist, z. B. indem das Aufgabengebiet etwas anders zugeschnitten wird. Möchte ein Coachee seine Leistungsfähigkeit gezielt verbessern, kann die Delegation von Aufgaben, die im Nicht-Präferenzbereich liegen, ein wichtiger Diskussionspunkt sein. Insbesondere für Unternehmensgründer ist dies ein wichtiges Thema: Mit wem sollte ich mich „verbinden“, damit alle wichtigen Arbeitsfunktionen von Anfang an – und bei geringen Ressourcen – ausreichend abgedeckt sind und die Gründung gelingt? Häufig sind Gründer Kreative Innovatoren, die eine Geschäftsidee entwickelt haben. Diesen Menschen kann es schwer fallen, wenn eine Idee erstmal entwickelt ist, eine Leistung daraus auch auf Dauer zu erbringen oder auch sich detailorientiert um Fragen der Qualitätssicherung oder Buchhaltung zu kümmern. Im Coaching kann dann geklärt werden, wie man mit diesen Themen umgeht. Im Teamkontext erhalten Teams zunächst durch das Modell der Arbeitsfunktionen und die Arbeitspräferenzskalen eine Sprache, um ihre Zusammenarbeit wertschätzend thematisieren zu können. Oft fehlt Teams schlicht ein Ansatz, eine Sprache, um sich über ihre Zusammenarbeit zielgerichtet austauschen zu können, und dann auch Lösungen für den Arbeitsalltag finden zu können. Irritationen und Konflikte bleiben dann unbearbeitet und können, gerade in Stresssituationen, zum Ausbruch kommen. Dann ist schnell die Arbeit eines ganzen Teams in Frage gestellt. Sind die Positionen aller Teammitglieder auf den vier Arbeitspräferenzskalen bekannt, wird Konflikten effektiv vorgebeugt. Denn im Arbeitsalltag werden unterschiedliche Ausprägungen auf den vier Skalen oft negativ bewertet. „Der ist so ruhig, richtig verstockt!“, „Die ist so chaotisch!“, dies sind nur einige Äußerungen, die auf unterschiedliche Verhaltensmuster hindeuten können. Die Verortung auf den vier Skalen macht die individuellen Eigenschaften deutlich und positiv nutzbar. Dabei erhalten auch Führungskräfte konkrete Hinweise,

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Hintergrundinformationen

wie sie eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter effizient führen können. Und Mitarbeiter erkennen, wie sie mit ihrem Chef präferenzgerecht umgehen. Die Verteilung der Arbeitspräferenzen zeigt, wie das Team insgesamt aufgestellt ist: Passen unsere Präferenzen zu der Aufgabe, die an uns gestellt ist? Oder haben wir „blinde Flecken“, also Arbeitsfunktionen, an die von sich aus keiner ausreichend denkt? Teams erhalten dadurch wichtige Hinweise für Entwicklungsfelder, mögliche Stolpersteine und Konflikte. Weitere Anwendungsfelder finden sich insbesondere im Projektmanagement. Projektteams müssen heute kurzfristig produktiv werden. Man denke nur an Tuckmans „Teamuhr“, nach der Teams verschiedene Phasen durchlaufen, bevor sie ihre volle Leistungskraft erreichen. Eine mehrwöchige Teamfindungsphase wird heute keinem Team mehr zugebilligt. Teams werden ad hoc zusammengestellt und müssen dann schnell produktiv werden. Wenn zu Beginn klar ist, aus welcher Richtung die einzelnen Teammitglieder kommunizieren, kann insbesondere die Stormingphase deutlich verkürzt werden.

4. Typische Axiome und Theoreme des Team Management Profils Mit dem Rad der Arbeitsfunktionen werden die acht für dauerhaften Erfolg wichtigen Arbeitsbereiche benannt. Durch die branchenübergreifende Forschung, die zu diesen acht Tätigkeitsbereichen führte, ist davon auszugehen, dass dies tatsächlich für alle Aufgaben und Wirtschaftszweige gültig ist: Teams, die zu wenig innovieren, sind auf Dauer weniger erfolgreich, gleiches gilt für Teams, die das Umsetzen, Organisieren oder Stabilisieren nicht ausreichend ausfüllen. Die Arbeitspräferenzskalen beschreiben die zentralen Verhaltensweisen bei der Arbeit. Die Forschung des Team Management Systems zeigt dass es noch weitere wichtige Skalen gibt. So ist das Wissen um den Grad der Chancen- bzw. Risiko-Orientierung in einem Team von großer Bedeutung, ebenso die Frage nach den Werten, die ein Team bezogen auf die Arbeit teilt. Für beide Themenbereiche bietet das Team Management System eigenständige Modelle und Profile an (QO2® Opportunity Orientation Profile, Window on Work Values). Im Team Management Profil werden die Arbeitspräferenzen für jede der acht Arbeitsfunktionen als Prozentzahl dargestellt. Daraus wird deutlich, dass sich ein Individuum nicht auf eine oder gar zwei Rollen festlegen lässt, sondern dass jeder Mensch in mehreren, überwiegend sogar in allen Arbeitspräferenzen

Das Team Management Profil von Margerison-McCann

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Anteile besitzt. Die drei am stärksten ausgeprägten Präferenzen werden als seine bevorzugten Rollen aufgefasst. Die grundsätzliche Aufteilung in acht Rollen beruft sich auf Erkenntnisse der Hirnforschung, nach denen der Mensch 7 + / - 2 Elemente gut unterscheiden kann. Sicherlich ist auch eine größere Differenzierung als in acht Teamrollen denkbar, die dann auch eine genauere Aussage zu einzelnen Personen erlauben würde. Allerdings wäre eine größere Differenzierung in der Praxis unübersichtlicher und immer schwerer zu handhaben. Mit dem Team Management Profil gehen wir davon aus, dass jeder Mensch von Beginn an einen wichtigen Beitrag zum Teamerfolg leisten kann. Auch wenn für einen Coachee die Weiterentwicklung seiner Persönlichkeit ein wichtiges Thema sein kann, so zeigen seine Präferenzen, welche Tätigkeiten ihr oder ihm prinzipiell liegen. Produktives Verhalten wird also nicht als Ergebnis eines Entwicklungsprozesses angesehen, sondern ist der Ausgangspunkt.

Abbildung 4: Das Modell der Linking Skills von Margerison – McCann

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Hintergrundinformationen

In der Mitte der beiden vorgestellten Modelle steht jeweils das „Verbinden“. Dies wird als die zentrale Führungsfunktion angesehen. Auch wenn alle Teammitglieder die grundsätzliche Bereitschaft zeigen sollten, auf Menschen mit anderen Präferenzen zuzugehen und deren Stärken zu nutzen, so ist es doch die Führungskraft, die ein besonderes Augenmerk auf das „Verbinden“ haben muss. Das „Verbinden“ stellt damit ein Führungskonzept dar, das durch 13 Fähigkeiten, die „Linking Skills“, eine inhaltliche Füllung erfährt.

5. Typische Analyse- und Lösungsstrategien Gibt es so etwas wie eine Standardlösung für meine Probleme und Herausforderungen, wenn ich ein Team Management Profil mit der Analyse meiner Arbeitspräferenzen in Händen halte? Glücklicherweise nicht – sonst wären viele Coaches um ihre Arbeit gebracht. Die Themen, die im Coaching bearbeitet werden sind vielfältig, sodass hier auch nicht der Eindruck erweckt werden soll, dass eine knappe Gebrauchsanleitung hilfreich wäre. Die folgenden Gedanken sollen eher beispielhaft zeigen, welche möglichen Ansätze und Methodiken es zur Arbeit mit dem Profil gibt. Zunächst: Das Profil selbst ist nicht die Lösung, sondern – im besten Falle – ein wichtiger Schritt dorthin. Warum es ein wichtiger Schritt sein kann? Weil oft die Erkenntnis der Arbeitspräferenzen einem Coachee hilft, alleine oder zusammen mit seinem Coach Ideen und Strategien zur Intervention zu formulieren. Das Profil zeigt, wie ausgeprägt die Verhaltensweisen eines Coachees auf den vier Arbeitspräferenzskalen sind. Dadurch wird dem Coachee vor Augen geführt, wie seine zentralen Verhaltensweisen im Vergleich zu anderen zu verorten sind. Mit dieser Erkenntnis kann im Coaching gearbeitet werden. Sind die Arbeitspräferenzen für einige Arbeitsfunktionen schwach ausgeprägt, kann gezielt auf die Suche nach Verstärkung gegangen werden. Entweder bei sich selbst (analog Schulz von Thun kann in manchen Fällen ein persönliches „Inneres Team“ aktiviert werden) oder durch die Einbindung eines Dritten, der die fehlenden Präferenzen zeigt und gerne aushilft. Ein Unternehmensgründer (wie bereits oben beispielhaft erläutert), der eine deutliche Stärke im Innovieren und Promoten hat, hingegen wenig Präferenz für das Überwachen zeigt, sollte sich gezielt in diesem Bereich verstärken. Bevor er beispielsweise viel Zeit in der Buchhaltung verbringt, sollte er seine Präferenzen im Promoten für den Verkauf seiner Leistungen nutzen.

Das Team Management Profil von Margerison-McCann

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Für Teams, denen die Präferenz für ein oder zwei Arbeitspräferenzen fehlt, kann es hilfreich sein, in regelmäßigen Abständen Meetings zu veranstalten, deren Agenda sich gezielt um die „fehlende“ Arbeitsfunktion dreht. Organisations- und Umsetzerteams veranstalten dann „Green Meetings“, bei denen über neue Entwicklungen und Innovationen gesprochen wird. Damit wird das Denken an Arbeitsfunktionen, die im Team nicht mit Präferenzen hinterlegt sind, ritualisiert und bei guter Moderation zumindest teilweise kompensiert.

6. Typische Anwendungsfelder Anwendungsfelder für das Team Management Profil sind die Personalentwicklung, Teamentwicklung und Organisationsentwicklung. Sich selbst besser verstehen, sich selbst im Vergleich zu anderen besser einordnen können und auf andere angemessen reagieren können (Pacing), sind die wichtigen Anwendungsfelder in der Personalentwicklung. Führungskräfte erhalten damit Anhaltspunkte zur Führung eines Einzelnen und ihres Teams. „Teamentwicklung“ ist ein schwammiger Begriff, der durch die Arbeit mit dem Team Management Profil eine klare inhaltliche Ausrichtung erfährt. Von „Teamentwicklung“ kann man dann sprechen, wenn Teammitglieder ihre eigenen Präferenzen und die ihrer Kolleginnen und Kollegen kennen, verstehen und nutzen können. Wenn Teams verstehen, wo ihre „blinden Flecken“ sind und sie diese zu kompensieren wissen, können sie auch langfristig ihre Ziele noch besser erreichen. Hinzu kommt das „Verbinden“, die Bereitschaft jedes Einzelnen, sich auf den anderen einzustellen und die 13 Linking Skills auszufüllen. Muss jede Unternehmenseinheit jede Arbeitsfunktion in gleicher Weise abdecken? Oder findet eine Aufgabenteilung mit klarer Ausrichtung statt? Auf organisatorischer Ebene diskutiert, können diese Fragen eine wichtige Fokussierung ermöglichen.

7. Typische Kritik an Typologien Jedes Instrument, das Wirkung zeigt, hat auch Nebenwirkungen. Zu Recht weisen Kritiker auf diese Nebenwirkungen hin. Typologien sollten nicht leichtfertig eingesetzt werden, sondern müssen zu der Problemstellung passen. Die zentralen Kritikpunkte sollen hier benannt werden.

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Hintergrundinformationen

Typologien sind kein Selbstzweck, sondern Instrumente, die bei der Lösung einer Herausforderung unterstützen sollen. Der Einsatz einer Typologie ist eigentlich nie die Lösung, sondern eine Hilfe, ein Baustein im Rahmen eines Trainings- oder Coachingkonzeptes. Nur ein Profil zu erhalten, nach dem Motto: „Wir haben jetzt alle ein Profil erhalten – und nichts ist passiert“, genügt nicht. Auch wenn diese Erwartungshaltung oft anzutreffen ist. Es besteht die Gefahr, in eine Instrument-Verliebtheit abzurutschen – sowohl bei Coaches, die gerne zeigen wollen, wie gut sie mit einer Typologie umgehen können, als auch bei technologieaffinen, analytisch begabten Coachees, die mit Begeisterung die Typologie auseinandernehmen, ohne zu überlegen, was denn das alles mit ihnen persönlich zu tun hat. Der Einsatz von Typologien wie dem Team Management Profil erscheint oft verblüffend einfach. Gerade daraus resultieren Gefahren, die von Kritikern gerne benannt werden. Offensichtliche Standard- oder Norm-Strategien können eine gute Diskussionsgrundlage sein. Eine passende Lösung braucht größeres Engagement. Typologien sind Modelle, Abbildungen und Vereinfachungen einer komplexen Realität. Durch die Vereinfachung sollen sie den Blick auf eine Facette fokussieren, einen neuen Blick ermöglichen und zur Lösungsfindung anregen. Im weiteren Prozess muss dann aber überlegt werden, was die Analyse mit der Realität zu tun hat. Denn Vorsicht: Die Ergebnisse des Einsatzes einer Typologie sind nicht die Realität, im besten Fall ein guter Ausschnitt. Es ist wichtig zu erläutern, was eine Typologie genau darstellt – und was nicht. Eine Übertragung der Ergebnisse auf den Arbeitsalltag ist in jedem Arbeitsschritt eines Coachings von zentraler Bedeutung. Kritiker führen gerne an, dass mit dieser Vereinfachung einem Schubladendenken Tür und Tor geöffnet sind. An dieser Stelle ist die Kunst des Anwenders, des Trainers oder Coach, gefragt. Das Team Management Profil liefert auf der einen Seite klare Aussagen und Analysen, die aber auf der anderen Seite nicht zum Schubladendenken verführen dürfen. Leicht können Coachees in eine Ecke gestellt werden, aus der sie nicht mehr so leicht herauskommen. Aus diese Grund werden Typologien, wie das Team Management Profil, nicht über den Buchhandel vertrieben, sondern nur im Rahmen von Coachings oder Trainings durch ausgebildete Coachs und Trainer genutzt.

Das Team Management Profil von Margerison-McCann

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8. Typische Begriffe und deren Deutung Typologie ist ein Oberbegriff für Instrumente, die Menschen nach bestimmten Kriterien einordnen und komplexe Verhaltensmuster in einem Modell soweit reduzieren, dass Analysen möglich werden. Eine Teamrolle stellt das eigene bevorzugte (Arbeits-) Verhalten im Kontext zu anderen Teammitgliedern dar. Sie zeigt Unterschiede und Gemeinsamkeiten, wie Aufgaben angegangen bzw. ausgefüllt werden. Arbeitspräferenz beschreibt, wie ein Mensch bevorzugt arbeitet. Das Team Management Profil stellt diese auf vier Skalen dar. Aufgaben, die mit einer persönlichen Arbeitspräferenz korrespondieren, werden in der Regel mit größerer Freude und Zufriedenheit ausgefüllt, als Aufgaben, die nicht im Präferenzbereich liegen. Die Arbeitspräferenzskalen (siehe Abb. 2) zeigen die individuellen Ausprägungen der Arbeitspräferenz auf vier Skalen. Sie geben ein differenziertes Bild, wie ein Mensch Aufgaben bevorzugt erledigt.

9. Bedeutung des Team Management Profils für das Coaching „Erkenne Dich selbst“ steht auf dem Tempel des Apoll in Delphi. Dies ist einer der wichtigsten Beiträge, den das Team Management Profil von Margerison – McCann leisten kann. Es hilft dem Coachee, sein eigenes bevorzugtes Verhalten im Arbeitskontext einzuordnen, zu reflektieren und mit Kolleginnen und Kollegen zu thematisieren. Mit dem Team Management Profil erhält das Wort „Teamentwicklung“ eine inhaltliche Füllung: Teams könnte man in diesem Kontext als entwickelt ansehen, wenn jeder um seine Stärken weiß, alle Teammitglieder gegenseitig ihre Arbeitspräferenzen kennen, sie gegenseitig nutzen können und das Team über ein ausgeprägtes „Linking“ verfügt: die Bereitschaft, sich auf den anderen einzustellen, teamrollengerecht zu kommunizieren und die 13 Linking Skills ausgefüllt werden. Es hat sich in der Praxis gezeigt, dass der Einstieg in Coaching und Teamentwicklung über Arbeitspräferenzen oft eine gute Wahl ist. Hier wird eine Ebene angesprochen, die auf der einen Seite etwas mit der Persönlichkeit zu tun hat, aber sich ausschließlich auf den Arbeitskontext bezieht – und nicht etwa in Privatem oder allzu Persönlichem. Das Konzept verbalisiert viele Dinge, die

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Hintergrundinformationen

man im Alltag wahrnimmt, die aber eher unbewusst bleiben, oft sogar negativ ausgelegt werden. Durch eine wertschätzende Sichtweise werden oft völlig neue Denkansätze möglich. Und ganz konkret liefert das Profil praktisch nutzbare Erkenntnisse, die im Alltag helfen, die Leistungsfähigkeit zu verbessern. Lieber gezielt die persönlichen Stärken nutzen, als zu viel Zeit mit Aufgaben verbringen, die nicht zur eigenen Präferenz passen. Das Rad der Arbeitsfunktionen und das Team Management Rad von Margerison – McCann sind geschützte Warenzeichen. Nutzung mit freundlicher Genehmigung von TMS Development International Ltd, York / UK. www.tmsdi.com.

10. Literatur Charles Margerison und Dick McCann, Team Management – Practical new approaches, Chalford / UK, 1990 Walter Simon (Hrsg.), Persönlichkeitsmodelle und Persönlichkeitstests, Offenbach 2006 Marc Tscheuschner und Hartmut Wagner, TMS – Der Weg zum Hochleistungsteam, Offenbach 2008

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Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® in Teamcoaching und -entwicklung Dr. psych. Andreas Huber, Wiesbaden

1. Einleitung Teams sind in jedem Unternehmen eine Erfolgsgröße – wenn sie funktionieren. Das notwendige Können – Qualifikationen, Kenntnisse und Kompetenzen – der Teammitglieder alleine genügt dazu aber nicht. Wichtiger sind meist ihre „psychosozialen“ und emotional-motivationalen Eigenschaften: das meist unterschätzte Wollen oder die individuelle, intrinsische Motivation. Da aber Teams immer noch weitgehend nach dem Können und Wissen zusammengestellt werden, führt die Nichtbeachtung des Wollens und der emotionalen Antriebs- und Motivstruktur der Teammitglieder häufig zu gravierenden Konflikten und Leistungsminderungen oder -ausfällen. Eines der effizientesten Tools zur Erfassung und zum Coaching des Wollens auch in Teams ist die MotivStrukturAnalyse (MSA)®.

2. Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® 2.1 Kerncharakteristik Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® ist ein psychodiagnostisches Testverfahren, das in Form von 18 bipolaren, komplementären Grundmotiven die individuell einzigartige, intrinsische Motiv- und Antriebsstruktur als „emotionalen Grundcharakter“ eines Menschen erfasst. Dabei ist die MotivStrukturAnalyse (MSA)® kein psychodiagnostisches Instrument aus dem klinischen Umfeld sondern ein ressourcenorientiertes Verfahren der Positiven Psychologie, das besonders für den berufsbezogenen Einsatz im deutschen Sprach-, Handlungs- und Kulturraum entwickelt wurde. 2.2 Grundfrage Wieviele (Grund-)Motive kann man unterscheiden, um eine individuelle Persönlichkeit in ihren wesentlichen Antrieben zu erfassen?

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Hintergrundinformationen

Dahinter steht die MSA-Grundannahme: Die historische Konzentration der Mainstreampsychologie nach dem Krieg auf drei Motive – Anschluss, Macht und Leistung – ist überholt und wird der individuell intrinsischen Antriebsvielfalt nicht gerecht. In der Tradition von Henry Murray – der kurz vor dem Krieg eine Liste mit 20 Grundmotiven („basic needs“) entwickelt und erforscht hatte – lautet die MSA-Grundfrage genauer: Welche beratungs- und coachingpraktischen Fundamente hat eine moderne multimotivationale Psychologie? 2.3 Aufbau Das MSA-Profil besteht aus 18 bipolaren, komplementären Grundmotiven: Wissen, Prinzipientreue, Macht, Status, Ordnung, Materielle Sicherheit, Freiheit, Beziehung, Hilfe / Fürsorge, Familie, Idealismus, Anerkennung, Wettkampf, Risiko, Essen, Körperliche Aktivität, Sinnlichkeit und Spiritualität. Diese grundlegenden Antriebe oder Motivatoren eines Menschen sind zu einem großen Teil angeboren und ändern sich im Laufe von Jahrzehnten oder eines Lebens vermutlich nur wenig. So werden beispielsweise kommunikative Kinder auch als Jugendliche und Erwachsene Freude an Austausch mit anderen haben (Grundmotiv Beziehung, BEZ) und Heranwachsende, die gerne planen und organisieren (Ordnung, ORD), werden dies auch als Erwachsene gern tun. Umgekehrt fühlen sich Menschen mit einer ausgeprägten Lust am Führen und „Machen“ schon in jüngeren Jahren wohl, wenn sie Anderen sagen dürfen, wo es lang geht (Macht, MAC). Jeder Mensch hat in jedem dieser Grundmotive eine individuelle und einzigartige Ausprägung, vergleichbar mit seinem persönlichen Fingerabdruck. Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® zeigt diese individuelle Motivationsstruktur: Mit diesem Wissen über sich selbst bekommen Sie den Schlüssel in die Hand, wie Sie sich selbst engagiert und motiviert zu dauerhafter Leistung und Lebenszufriedenheit führen können.

Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® in Teamcoaching und -entwicklung

GRUNDMOTIV Wissen Prinzipientreue Macht Status Ordnung Materielle Sicherheit Freiheit Beziehung Hilfe / Fürsorge Familie Idealismus Anerkennung Wettkampf Risiko Essen Körperliche Aktivität Sinnlichkeit Spiritualität

(Abk.) (WIS) (PRI) (MAC) (STA) (ORD) (SIC) (FRE) (BEZ) (FÜR) (FAM) (IDE) (ANE) (WET) (RIS) (ESS) (KAK) (SIN) (SPI)

ANTRIEB I intellektuell prinzipienorientiert führend elitär strukturiert festhaltend eigenständig kontaktfreudig fürsorglich familienorientiert idealistisch sensibel kämpferisch risikofreudig genießerisch bewegungsfreudig sinnlich sinnsuchend

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ANTRIEB II pragmatisch zweckorientiert geführt bodenständig flexibel großzügig teamorientiert distanziert eigennützig individuell realistisch selbstsicher ausgleichend risikobewusst genügsam bequem sachlich rational

Tabelle 1: Kompaktüberblick über die 18 MSA-GrundMotive & -Antriebe

2.4 Anwendung Die Erfassung der intrinsischen Motivationsstruktur und emotionalen Energie- und Antriebspotenziale ist effiziente Grundlage für individuelle (Team-) Beratungen und Coachings, wie Menschen ihre Persönlichkeit, (Lebens-)Zufriedenheit und dauerhafte Leistungsfreude wesentlich stabilisieren und weiterentwickeln können. Prinzipiell gilt für die MSA-Anwendung die These: Kein sinnvolles und im besten Sinne erfolgreiches (Team-)Coaching ohne qualitative Analyse, Deutung und Stärkung motivationaler Ressourcen – einschließlich grundmotivationsorientierter Ziele- und Wertereflexion! 2.5 Entwicklung und Gütekriterien Die Testentwicklung der MotivStrukturAnalyse (MSA)® bezüglich Itemselektion, Konstrukt-Validierung und Normierung umfasste von Mai 2006 bis Juni

364

Hintergrundinformationen

2007 vier Untersuchungen mit fast 1500 Teilnehmern aus 15 Branchen und über 140 unterschiedlichen Berufsgruppen. In weiteren sieben Studien wurde die MotivStrukturAnalyse (MSA)® hinsichtlich Konstrukt-, Konvergenz- und Kriteriumsvalidierungen, Retest-Reliabilität und einer repräsentativen Aktualisierung der Erstnormierung wissenschaftlich weiterentwickelt. An der MotivStrukturAnalyse (MSA)® Testentwicklung nahmen insgesamt weit über 9000 Personen teil – bis Ende 2011 wurden über 10.000 Analysen erfasst. Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® zeigt insgesamt hervorragende test-theoretische Gütekriterien: Sie ist absolut objektiv, sehr reliabel und valide. Im Vergleich mit den Daten aller anderen gängigen akademischen oder kommerziellen motiv- und persönlichkeitspsychologischen Verfahren ist die MSA genauso gut, vielfach besser: Im Gegensatz zu fast allen anderen Verfahren erfasst die MSA auch die Tendenz zur sozialen Erwünschtheit („Lügenskala“). Wissen

intellektuell

45 %

55 % pragmatisch

Prinzipientreue

prinzipienorientiert

75 %

25 %

Macht

führend

73 %

27 % geführt

Status

elitär

62 %

38 % bodenständig

Ordnung

strukturiert

30 %

70 % flexibel

Mat. Sicherheit

festhaltend

30 %

70 % großzügig

Freiheit

eigenständig

60 %

40 %

Beziehung

kontaktfreudig 83 %

Hilfe / Fürsorge fürsorglich

zweckorientiert

teamorientiert

17 % distanziert

88 %

eigennützig

Familie

familienorientiert

75 %

25 %

selbstbezogen

Idealismus

idealistisch

80 %

20 % realistisch

Anerkennung

sensibel

68 %

32 % selbstsicher

Wettkampf

kämpferisch

90 %

ausgleichend

Risiko

risikofreudig

29 %

71 % risikobewusst

Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® in Teamcoaching und -entwicklung

365

Körperliche Aktivität

bewegungsfreudig

46 %

54 % bequem

Essen

genießerisch

77 %

23 % genügsam

Sinnlichkeit

sinnlich

64 %

36 % sachlich

Spiritualität

sinnsuchend

69 %

31 % rational

Abbildung 1: Das individuelle MSA-Motivprofil (gelbe Spalte: 18 Grundmotive; graue Spalten: die beiden komplementären Ausprägungen eines Grundmotives; grüne und blaue Balken: individuelle Ausprägungen des jeweiligen Motivs)

2.6 Unterschiede zu anderen Verfahren Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® vereint die bisher meist getrennt voneinander behandelten Grundmotive in einem Gesamtsystem. Dies ermöglicht ein individuelles Abbild der gesamten Motiv- und Antriebsstruktur eines Menschen. Im Unterschied zu vielen gängigen Persönlichkeitstests, die rein auf die Verhaltensebene abzielen, zeigt die MSA, warum sich ein Mensch so verhält, wie er es tut. Zudem stellt die MSA diese persönliche Motivstruktur nicht als statischen Zustand dar, sondern erstmals in seiner Dynamik. Bei jedem Menschen sind die einzelnen Motive komplementär vorhanden und werden verständlich aufgezeigt. Zum Beispiel besteht das Machtmotiv aus dem Streben nach „führen“ und „geführt werden“. Das heißt, ein Mensch mit einem starken Antrieb zu führen und zu bestimmen, hat immer auch noch einen (mehr oder weniger geringen) Anteil des entgegengesetzten Pols, des „Geführtwerden-Wollens“. Obwohl also jeder Mensch in jedem dieser einzelnen Antriebe eine charakteristische, individuelle Ausprägung besitzt, strebt er zuweilen auch in die gegenteilige Richtung: So wird – wie in unserem Beispiel – auch der machtvollste Führer und „Häuptling“ dann und wann den Drang und die Freude am Geführtwerden und „Indianer-Sein“ leben wollen; der bindungsfreudigste Teamplayer mitunter dem Antrieb nach Eigenständigkeit „nachgeben“, der ausgeprägte Kämpfer seine Harmoniebestrebungen ausleben wollen und müssen. Diese dynamische, „bipolare“ und komplementäre Darstellung der individuellen Motiv- und Persönlichkeitsstruktur in der MotivStrukturAnalyse (MSA)® erklärt und löst viele bisherige Widersprüche und Unklarheiten anderer Erklärungsmodelle. Die jeweiligen Antriebskräfte beeinflussen Lebenszufriedenheit, Leistungsfreude und Leistungsbereitschaft dauerhaft: Mitarbeiter, deren Arbeitsumfeld so

366

Hintergrundinformationen

gestaltet wird, dass sie die persönlichen Motivausprägungen auch (aus-)leben können, sind zufriedener und leistungsfähiger. So hat sich gezeigt, dass jede Ausprägung eines Grundmotivs ein ganz persönlicher Leistungsmotivator ist: Das, was wir besonders gut können, wird durch das dauerhaft realisiert, was wir psychologisch wollen und uns gut tut. Ein Mensch mit hoher Intelligenz kann diese Fähigkeit und Kompetenz beispielsweise am besten in „Richtung“ seiner Motivausprägungen nutzen: wenn er also einen starken Antrieb „risikofreudig“ hat, kann er am besten unter Druck denken; dominiert jedoch der Antrieb „risikobewusst“, kann er seine intellektuellen Kompetenzen am stärksten – und dauerhaftesten – in einer angst- und stressfreien Umgebung nutzen.

3. Grundlagen für das MSA-Teamcoaching 3.1 Gruppenleistung: Können und Dürfen – plus Wollen Wir orientieren uns am zwar bekannten – auch bestens bewährten –, aber fast immer vernachlässigtem „Dreiklang“ von Dürfen, Können und Wollen: der praktischen Synergie von Dürfen im Sinne von Befugnissen und Verantwortung der Mitarbeiter, ihrem Können – Kompetenzen, Qualifikationen, Wissen – sowie dem Wollen als der inneren, intrinsischen Bereitschaft und Motivation, auf Dauer hohe und höchste Leistungen erbringen zu wollen. DÜRFEN

+

Haben Ihre MA das richtige Maß (Eigen-) Verantwortung?

+

KÖNNEN

WOLLEN

Haben Ihre MA die notwendigen (Zukunfts-) KOMPETENZEN? Æ Strategische KOMPETENZENTWICKLUNG

Sind Ihre MA wirklich dauerhaft MOTIVIERT?

+

Æ MSAMOTIVATIONSEMPOWERMENT

HIGH (TEAM-)PERFORMANCE Abbildung 2: Das synergetische MSA-TeamCoaching- und Consulting-Modell mit den drei Bausteinen Dürfen, Können und Wollen

Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® in Teamcoaching und -entwicklung

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Alle drei Bereiche sind elementar notwendig und fördern – oder behindern – sich wechselseitig. Während der Bereich des Könnens und des Wissens dabei selbstverständlich erscheint – zumindest in seiner traditionellen Variante der fachlichen und methodischen Fertigkeiten der Mitarbeiter –, werden die ebenso wichtigen beruflichen Leistungsdimensionen Dürfen und Wollen allerdings weitaus weniger beachtet oder meist gar übergangen: Dürfen: Bei Teamentwicklung denken viele zwar nicht sofort an Befugnisse und individuelle oder gruppenbezogene „Verantwortungs-Ermächtigung“. Aber Kompetenzmanagement ohne das Gestalten einer betrieblichen Kompetenzordnung hätte keinerlei Grundlagen, um umgesetzt und realisiert werden zu können: Optimale Ergebnisse strategischer Kompetenz-, Personal- und Teamoder Unternehmensentwicklung gründen wesentlich auf der verantwortlichen – und von Seiten der Mitarbeiter verantworteten – Verteilung von Zuständigkeiten und Befugnissen. Im MSA-TeamCoaching- und Consulting-Modell gilt daher: Fähigkeiten und Kompetenzen ohne entsprechende Befugnisse sind ebenso wert- und sinnlos, wie Befugnisse ohne entsprechende Fähigkeiten für alle Beteiligten gefährlich werden können. Wollen: Das hohe Lied des natürlich top-motivierten Personals wird zwar von allen Vorständen, Geschäftsführern und Führungskräften zu jeder passenden und weniger passenden Gelegenheiten angestimmt – der dazugehörige Mitarbeiterchor scheint aber dauerhaft verstimmt zu sein: Alle repräsentativen Umfragen der letzten Jahre bestätigen – besonders die national wie international repräsentativen Gallup-Studien –, dass maximal nur jeder Fünfte eine hohe emotionale Bindung zu seinem Arbeitgeber mit entsprechend hoher Leistungsmotivation entwickelt. Den gesamtwirtschaftlichen Schaden beziffern Experten im übrigen auf über 200 Milliarden Euro – entstehend aus schwacher Mitarbeitermotivation und -bindung, höheren Fehlzeiten, niedrigerer Produktivität und stärkerer Fluktuation. Das MSA-Coachingkonzept des individuellen wie gruppenbezogenen MotivationsEmpowerment für Führungskräfte und Mitarbeiter ist daher nachhaltig darauf ausgerichtet, die persönlichen und teambasierten Bedingungen für dauerhafte Leistungsbereitschaft zu schaffen oder zu stabilisieren: Das Wollen – als intrinsische, „von innen“ kommende Motivation – fundiert und aktiviert das Können.

368

Hintergrundinformationen

Wir erfassen die Motivation daher auch als Grundlage und Realisierungspotenzial von Qualifikationen und Kompetenzen in den betrieblichen Abläufen. Um das Mitarbeiterpotenzial des so wichtigen Wollens optimal erkennen und effizient einsetzen zu können, benutzen wir zum individuellen und teambezogenen MotivationsEmpowerment ein wichtiges und sehr effizientes Tool: die wissenschaftlich neu entwickelte MotivStrukturAnalyse (MSA)®. KÖNNEN oder KÖNNEN

*

WOLLEN

=

ERGEBNIS

*

WOLLEN

=

SPITZENLEISTUNG

Abbildung 3: Synergie von Wollen / Motivation und Können / Kompetenzen

3.2 Motivationale Ich-Projektionen Jeder weiß, dass Menschen unterschiedliche Interessen, Werte und Ziele verfolgen. Dabei kann es dem Einzelnen allerdings unverständlich erscheinen, wie es sein kann, dass andere nicht genau so denken und handeln wie er. Erschwerend kommt dann häufig die unreflektierte Überzeugung hinzu, dass Menschen ihre eigenen Interessen, Motive oder Werte für die besten und vernünftigsten halten, und dass diese Antriebe auch für andere gelten: „Typisch für die menschliche Kommunikation im Konfliktfall ist, dass jeder Kontrahent sich in ,seinem’ Wertehimmel sonnt“, analysiert beispielsweise Friedemann Schulz von Thun, „und den anderen im Keller der Entartung verortet“:

Abbildung 4: Eine gruppenbezogene Ich-Projektion am Beispiel des Grundmotives Ordnung (nach Schulz von Thun 2006, Seite 172):

Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® in Teamcoaching und -entwicklung

369

Diesen Sachverhalt nennen wir Ich-Projektion oder „motivationale Selbstbezogenheit“: Wir beurteilen andere Menschen nach unseren eigenen Motiven, Bedürfnissen, Interessen und Wertvorstellungen. Dies tun wir umso mehr, je gegensätzlicher die Grundmotive der anderen Seite (scheinbar) ausgeprägt sind. Drei psychologische „Mechanismen“ wirken bei einer Ich-Projektion zusammen: Missverstehen: Das ist die Konfusion, die entsteht, wenn man nicht glauben kann, dass sich andere wirklich gerne „anders“ verhalten – dass zum Beispiel der „Workaholic“ immer arbeitet und der „Lonesome Cowboy“ gesellige Veranstaltungen meidet. Während sich beispielsweise Ehrgeizige als erfolgsorientiert, stark und kraftvoll sehen, verstehen Nichtambitionierte sie als Wichtigtuer, kontrollierend und einseitig. Nicht-Ehrgeizige schätzen sich selbst als sozial und menschenorientiert ein, während sie Ehrgeizige als erfolglos und faul kritisieren. Ich-Illusion: Damit ist die Selbstverständlichkeit gemeint, mit der davon ausgegangen wird, dass die eigenen Werte und Motive auch für andere gelten müssen. Einer Selbstillusion unterliegen nichtehrgeizige Menschen, wenn sie ehrgeizigen Menschen raten, weniger zu arbeiten. Sie realisieren nicht, dass ehrgeizige Menschen das, was sie tun, genießen. Motivtyrannei: Das ist der ungute Versuch, andere mehr oder minder nachdrücklich von der eigenen, „richtigen“ Handlungsweise zu überzeugen und zu ändern. Ob Vorgesetzte die Arbeitsweise ihrer motivational anders „gepolten“ Mitarbeiter oder Teammitglieder den Arbeitsstil des Kollegen nicht akzeptieren, früher oder später endet dies in Problemen und Leistungsminderungen. Sehen wir uns dazu das im Zitat von Schulz von Thun thematisierte Beispiel des Grundmotives Ordnung an mit den beiden Antrieben „ordentlich“ und „flexibel“– siehe Tabelle 2:

370

Hintergrundinformationen

MOTIVBASIERTE EIGEN- UND FREMDWAHRNEHMUNG – ALLTAGSTYPISCHE KONFLIKTE – Grundmotiv

GrundmotivAusprägung grün überwiegt der Organisierte

Ordnung blau überwiegt der Flexible

Fremdwahrnehmung Eigenwahrnehmung (denkt über anderen (denkt über sich) Motivtyp) geordnet, kontrolliert, klar, planvoll, zuverlässig, genau, gründlich

schlampig, leichtfertig, lotterig, oberflächlich, liederlich; „Chaot“

spontan, beweglich, aufgeschlossen

rigide, unflexibel, verknöchert, Oberbuchhalter, Ordnungsfanatiker, Erbsenzähler

Tabelle 2: Ich-Projektion und die entsprechend verzerrte Eigen- und Fremdwahrnehmung am Beispiel des Grundmotives Ordnung

Kommt es zum Konflikt, sieht jede Partei – oder entsprechende „Team-Fraktionen“ – die Fehler der anderen Seite anhand der eigenen Weltanschauung: Die eine Gruppe schätzt Ordnung und verteufelt das „Chaos“ und die Schlampigkeit der anderen Seite. Umgekehrt – und gleichzeitig – bevorzugt die andere Gruppe Flexibilität und wirft den Kontrahenten verknöcherte Kleinkariertheit und „Erbsenzählerei“ vor. Solche Missverständnisse sind in aller Regel eine Medaille mit zwei Seiten. Wenn also Menschen mit gänzlich unterschiedlich ausgeprägten Grundmotiven – etwa Neugierige mit weniger Wissensdurstigen, Statusbewusste mit Statusgleichgültigen – in einem Team zusammentreffen, sind Verständnisschwierigkeiten vorprogrammiert. Ab der zweiten Stufe eines eskalierenden Konflikts lassen solche Stereotypisierungen und die dazu passenden moralischen Abwertungen auch zunächst harmlose Differenzen zu brutalen Konflikten ausarten: Was für den einen das kreative Chaos ist, wird vom Anderen nur als Sauhaufen gesehen – und schon führen die unterschiedlichen Motivausprägungen zu sich aufstachelnden Streitereien. Die ordnungsliebenden, organisierten Teammitglieder sehen sich selbst als kontrolliert, planvoll und gründlich – die Gegenseite, die Flexiblen, dagegen als schlampig, oberflächlich, liederlich und chaotisch. Umgekehrt verstehen sich die Flexiblen als spontan, aufgeschlossen, kreativ und beweglich, ihr

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371

Gegenüber – und Gegner – aber als weltfremde Ordnungsfanatiker, rigide, unflexible Oberbuchhalter, die ihnen nur im Weg stehen. Fazit: Beide Seiten projizieren auf den anderen das Negative des nicht gelebten, eigenen komplementären Antriebs. Dies gilt für alle 18 Grundmotive! Solche emotionalen, grundmotivationalen Konflikte können in Teams mit Mitgliedern (sehr) gegensätzlicher Grundmotivausprägungen immer schwelen, wenn sie nicht bewusst aufgearbeitet oder gecoacht werden. Im positiven Fall lösen sich solche Ich-Projektionen auf und machen Platz für gegenseitige Toleranz, Akzeptanz und Wertschätzung. Im negativen Fall sind sie Beziehungsund Teamkiller, Konflikteskalierer und können – gerade in Teams – auch zu Mobbing führen. Prinzipiell unterminiert ich-projektives Wahrnehmen, Denken und Handeln die Leistungsfähigkeit eines Teams eher heute als morgen. MOTIVBASIERTE EIGEN- UND FREMDWAHRNEHMUNG – ALLTAGSTYPISCHE KONFLIKTE – Fremdwahrnehmung GrundGrundmotivEigenwahrnehmung (denkt über anderen motiv Ausprägung (denkt über sich) Motivtyp) grün überwiegt der Intelektuelle

Wissen

blau überwiegt der Praktiker grün überwiegt

Prinzipientreue

der Prinzipientreue blau überwiegt der Zweckorientierte

geistvoll, gebildet, neugierig, interessiert, klug, gelehrt anpackend, tätig, aktiv schaffend, keine-zwei-linkenHände gewissenhaft, loyal, ethisch, ehrenhaft, charakterfest, pflichtbewusst, Ehrgefühl flexibel, modern, situativ offen; kein Prinzipienreiter

geistlos, denkfaul, einfältig, begriffsstutzig, unwissend, ungebildet realitätsfremd, untauglich, kann-keinen-Nagel-in-die-Wand-schlagen, „Professor“ gewissenlos, illoyal, unethisch, unmoralisch, charakterlos, pflichtvergessen, kaltblütig selbstgefällig, unflexibel, rigide, festgefahren, altbacken; Prinzipienreiter, „Moralapostel“

372

Hintergrundinformationen

MOTIVBASIERTE EIGEN- UND FREMDWAHRNEHMUNG – ALLTAGSTYPISCHE KONFLIKTE – grün überwiegt der Macher/ der „Häuptling“

Macht

blau überwiegt der Zurückhaltende/ der „Indianer“ grün überwiegt der Elitäre

Status blau überwiegt der Bescheidene

leitungs- und führungsorientiert, einflussreich, zielbewusst, weiss-woes-lang-geht „keine Macht für niemand“; easy going; nicht fordernd, kontrollierend und befehlend vornehm, bedeutend, stilbewusst, berufen, erstklassig, „aristokratisch“ „Gleicher unter Gleichen“, liberal und demokratisch orientiert, unaufgeregt

antriebsarm, entscheidungsschwach, lasch, einflusslos, Phlegmatiker, „Nullnummer“ kontrollierend, machtgeil, getrieben, anmaßend, Wichtigtuer, „Platzhirsch“ bedeutungslos, gewöhnlich, taktlos, belanglos, gemein; hässlich; „Proll/Assie“ blasiert, dünkelhaft, überheblich, hochnäsig, herablassend, arrogant, Neureicher

Tabelle 3: Ich-Projektionen am Beispiel der vier Grundmotive Wissen, Prinzipientreue, Macht und Status (die komplette Tabelle mit allen 18 Grundmotive finden Sie im Anhang dieses Kapitels)

4. Das MSA-Teamcoaching – die Tools Für die Praxis des angewandten MSA-Teamcoachings gibt es vor allem zwei essentielle Tools: die MSA-TeamMatrix und die MSA-TeamBipole („TeamQuadranten“). 4.1 Die MSA-Teammatrix Die MSA-MotivTeammatrix ist eine einfache Übersicht aller individuellen MSAAusprägungen der Teammitglieder – und des Teamleiters (siehe Abbildung 4). Die entscheidende Rolle spielt dabei der statistische Mittelwert der jeweiligen Grundmotivausprägungen: alle auffälligen Abweichungen vom reinen Durchschnitt „50“ in Richtung grün oder blau können – und müssen – als elementare psychologische Gruppenmentalität verstanden und beachtet werden.

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Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® in Teamcoaching und -entwicklung

Es gilt die Prämisse: Jedes Team-Coaching und jede Team-Entwicklung, die diese fundamentalen Gruppen-Antriebe und -Befindlichkeiten nicht beachtet und integriert, muss nachhaltig scheitern! Im Beispiel – ein zwölfköpfiges Projektteam zur Neugestaltung der (Vertriebs-) Logistik eines Großunternehmens – sind vor allem vier „Teammentalitäten“ von entscheidender Bedeutung (in der Graphik rot umrandet):

TeamMatrix („Gruppenmentalität/en“) GRUPPE Wissen Prinzipientreue Macht Status Ordnung Materielle Sicherheit Freiheit Beziehung Hilfe / Fürsorge Familie Idealismus Anerkennung Wettkampf Risiko Essen Körperliche Aktivität Sinnlichkeit Spiritualität

1 45 23 49 22 37 44 53 68 33 20 45 65 5 81 35 72 65 30

1 37 69 2 33 24 92 60 75 82 48 56 81 51 2 72 20 77 2

1 84 35 73 76 23 50 53 91 75 82 80 61 76 66 66 92 94 64

1 53 57 2 85 30 24 39 45 63 35 57 80 21 51 50 78 4 47

1 85 69 34 80 71 44 25 37 62 76 31 55 36 74 61 2 57 64

1 29 63 10 57 64 30 81 53 20 68 57 16 37 52 61 59 17 25

1 53 35 65 75 37 37 74 61 39 22 51 56 6 60 56 7 64 75

1 92 80 65 81 57 64 68 60 64 75 45 84 35 53 40 33 18 47

2 37 3 74 62 22 51 45 30 51 62 22 68 12 29 96 74 43 8

2 2 17 10 45 44 78 66 7 33 55 27 82 74 22 66 60 45 29

2 91 98 34 74 64 23 25 62 33 94 32 55 96 44 94 2 64 19

2 Mittelwert TL 22 50% 61 45 55 % 35 49 37 % 65 80 63 % 85 57 44 % 64 43 47 % 45 47 51 % 46 37 52 % 60 56 51 % 57 21 56 % 48 27 44 % 39 74 62 % 81 28 37 % 19 29 47 % 52 29 61 % 77 7 42 % 85 16 45 % 64 36 37 % 64

Abbildung 5: Eine MSA-TeamMatrix am Beispiel eines zwölfköpfigen Teams und ihres Teamleiters (1: männlich, 2: weiblich, TL: Teamleiter).

1. Status: Die fundamentale Kernmentalität der Projektgruppe: Acht von zwölf Teammitgliedern werden von grünen Statusfreuden angetrieben, nur zwei Blaue handeln demgegenüber bodenständig und „geerdet“. Ich-projektive Konfliktpotenziale: • Der grüne Status-Chef gegen seine beiden „Blauen“: „Wir sind etwas Besonderes und die Crème de la Crème – das begreifen die beiden einfach nicht, laufen immer in den letzten Klamotten ´rum, erscheinen in

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Hintergrundinformationen

Jeans anstatt Anzug zu Präsentationen und können sich in keinem Hotel ordentlich benehmen!“ • Die grünen „Aristokraten“ gegen die beiden blauen „Proletarier“ – und umgekehrt die kleine blaue „Keine-Privilegien“-Fraktion gegen die grünen „Möchtegern-Fürsten“. 2. Macht: Die Mehrheit der Mitglieder sind (blaue) Indianer, die kleinschrittig geführt und angeleitet werden müssen – ihnen stehen die (grünen) „Häuptlinge“ und Macher gegenüber, die den anderen, gleichberechtigten Kollegen gerne zeigen, wo-es-wirklich-lang-geht. Ich-projektive Konfliktpotenziale: • Der grüne Macht-Chef gegen seine „Blauen“: „Immer muss ich den (blauen) ,Luschen´ sagen, was sie machen müssen!“ • Die grünen „Platzhirsche“ gegen die blauen „Weicheier“ – und umgekehrt die blaue „Keine-Macht-für-niemand“-Fraktion gegen die grünen „Möchtegern-Chefs“. 3. Anerkennung: Die absolute Mehrheit der Mitglieder sind (grüne) Lobsüchtige, die ständig bestätigt und gelobt werden wollen / müssen, dabei einschließlich ihres hochsensiblen Chefs aber kritikschwach bis kritikunfähig sind. Ihnen gegenüber steht ein einziger (!) Blauer, der selbstsicher aus einer „weiß-was-ich-kann-Haltung“ heraus selbstkritisch handelt und kritisiert. Ich-projektive Konfliktpotenziale: • Der grüne Anerkennungs-Chef gegen seinen „Blauen“: „Der mit seiner Arroganz und Überheblichkeit, meint wohl, der Beste und Größte zu sein!“ • Die grünen „Sensiblen“ gegen den blauen „Selbstgefälligen“ – und umgekehrt der Blaue gegen den „Mimosen-Rest“. (Die ich-projektive Problematik hatte in diesem Fall vereinzelt schon zu quasi-Mobbing oder mobbingähnlichen Verhaltensweisen geführt). 4. Wettkampf: Die Mehrheit der Mitglieder sind (blaue) Diplomaten, die den Wettbewerb und den Konflikt scheuen – ihnen stehen wenige (grüne) „Kämpfer“ gegenüber, die sich „bissig“ engagieren, die Dinge durchziehen und gewinnen wollen. Ich-projektive Konfliktpotenziale: • Der blaue Kooperations-Chef gegen seine „Grünen“: „wieder diese Aggressiven, suchen den Konflikt statt den Ausgleich, fehlt ja oft nicht viel, dass die zu beißen und kratzen anfangen“

Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® in Teamcoaching und -entwicklung

375

• Die grünen „Platzhirsche“ gegen die blauen „Weicheier“ – und umgekehrt die grüne „Kampf“-Fraktion gegen die blauen „Weicheier“. Im Teamcoaching kam es auf Grundlage der vorangegangenen Individualcoachings darauf an, diese vier emotionalen „Gruppenströmungen“ bewusst zu machen – und ich-projektive „Sümpfe“ zu trocknen. Erst danach konnte eine gezielte Kompetenzentwicklung realisiert werden. 4.2 Die MSA-TeamBipole („Teamquadranten“) Bei den MSA-Teamquadranten oder -TeamBipolen werden zwei Grundmotive übereinander gelegt, was zu vier gruppenpsychologisch wichtigen Feldern oder „Quadranten“ führt, in denen die Teammitglieder entsprechend ihrer MSA-Werte positioniert werden. Die geometrische Nähe oder Ferne dieser „Stellung“ der Teammitglieder liefert oft entscheidende psychologische Einsichten, Grundlagen und Perspektiven für das TeamCoaching. Die einzelnen MSA-Grundmotiv-Bipole – möglich sind insgesamt 153 TeamBipole – und ihre vier Felder veranschaulichen prinzipiell viele psychologische Grundgrößen von Team- oder Unternehmensentwicklungen – etwa zu Veränderung / Flexibilität, Zuverlässigkeit oder angemessenen „Incentives“. So kann man beispielsweise – siehe Abbildung 6 – mit den Grundmotiven Macht und Wettkampf eine elementare „Kernmotivation“ des Alltagsbusiness aufspannen: der erste Quadrant (rechts oben) dieses Bipols heißt „führend/ kämpferisch“ – in aller Regel sollte er stark besetzt sein. Im Beispiel der gewählten zwölfköpfigen Logistikgruppe wird anschaulich sofort deutlich, dass praktisch alle Teammitglieder – einschließlich ihres Teamleiters – mit einer einzigen Ausnahme psychologisch, also emotional-motivational, relativ weit vom gewünschten „ersten Quadranten“ des Führend-Kämpferischen entfernt sind. Ein weiteres Beispiel zur „Internen Kommunikation“ mit den Grundmotiven Beziehung und Freiheit liefert Abbildung 7: Das Team bringt psychologisch, also emotional-motivational gesehen, zunächst wenig Potenziale mit, die in die gewünschte Richtung des vierten Quadranten des Kontaktfreudig-Teamorientierten (rechts unten) weisen.

376

Hintergrundinformationen

TeamBipol 1: Business-Kernmotivation (Macht – Wettkampf) geführt / kämpferisch

Macht

führend / kämpferisch

geführt / ausgleichend

Wettkampf

führend / ausgleichend

horizontal

vertikal

Abbildung 6: MSA-TeamBipol mit den Grundmotiven Macht und Wettkampf zur „Business-Kernmotivation“ der zwölfköpfigen Beispielgruppe (rot: Teamleiter; grün: männliche Teammitglieder, gelb: weibliche)

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TeamBipol 2: Interne Kommunikation (Beziehung-Freiheit) distanziert / ausgleichend

Beziehung

kontaktfreudig / eigenständig

distanziert / teamorientiert

Freiheit

kontaktfreudig / teamorientiert

horizontal

vertikal

Abbildung 7: MSA-TeamBipol zur „Internen Kommunikation“ mit den Grundmotiven Beziehung und Freiheit der zwölfköpfigen Beispielgruppe (rot: Teamleiter; grün: männliche Teammitglieder, gelb: weibliche)

378

Hintergrundinformationen

5. Praxisbeispiele 5.1 Teammanagement (Führung / Kommunikation) – Beispiel (1) – Ausgangsbasis: Eine Gruppe von sechs Vertriebsmitarbeitern eines mittelständischen IT-Unternehmens – für den besseren Überblick sind in Abbildung 8 nur sieben Grundmotive dargestellt:

MSA-Teammanagement: Ich-Projektionen?

Abbildung 8: MSA-TeamMatrix eines sechsköpfigen Teams. In der Darstellung der Teammatrix sind die Ausprägungen der Grundmotive prozentual dargestellt. Dabei sind alle sehr starken Antriebe ab 68 %dunkelgrün eingefärbt, die starken von 55 bis 68 % hellgrün. Entsprechend sind die sehr schwachen unter 32 % dunkelblau, die schwachen von 32 bis 45 % hellblau. Der ausgewogene Bereich ist neutral dargestellt. In einer Teammatrix signalisieren alle dunkelgrünen und -blauen Felder eines Grundmotives mögliche Konfliktfelder eines alltäglichen Zusammenarbeitens (gleichfarbig) oder „Gegeneinanderarbeitens“ (verschieden farbig).

Analyse mit der MotivStrukturAnalyse (MSA)®: Im Beispiel zeigte sich vor allem beim Grundmotiv „Beziehung“ ein besonders gravierender Konflikt. Während die Mitarbeiter B, C und F sowie D keine Gelegenheit zu kommunikativen und geselligen Anlässen im Berufsalltag und in der Freizeit ausließen, stand der Introvertierte A auf sprichwörtlich verlorenem Posten: Er musste sich dem „sozialen“ Gruppenzwang beugen. Dadurch erkrankte er häufig

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und konnte nicht mehr so konzentriert und effizient arbeiten, wie er das von seinen früheren Arbeitsjahren kannte. Ein aufklärendes Krisenmeeting beruhigte die Lage: Die Mitarbeiter B, C, D und F hatten verstanden, dass A nichts gegen sie hat, sondern einfach öfter seine „kommunikativen“ und geselligen Auszeiten benötigt. Umgekehrt begriff A, dass seine Kollegen diese nachdrücklich gesellige, „sozialorientierte“ Art leben, die ihnen in der Arbeit und in der Freizeit einfach gut tut. Ähnlich schwierig waren die Verhältnisse bezüglich der gegenteiligen Ausprägungen im Grundmotiv „Wettkampf“. Während A, B, C und F eine betont offensive, „bissige“ und wettbewerbsorientierte Arbeitsgestaltung nach außen und innen vertraten, waren D und E sehr viel zurückhaltender und versuchten eher, harmonische „Win-Win-Konstellationen“ im Geschäftsleben und kollegialen Miteinander zu schaffen. Tatsächlich standen die Zeichen fast auf Mobbing: Vor allem Mitarbeiter D wurde mehr oder weniger offen als „Weichei“ behandelt. Auch hier brachte ein Krisenmeeting mit den Betroffenen deutliche Besserung: Die „Kampffraktion“ verstand, dass sie mit ihrem aggressiven Vorgehen auch viel zerstört hatte und das ausgleichende, nicht wettbewerbsorientierte Vorgehen der Kollegen viele Vorteile haben kann. Ein weiteres Problemfeld ergab sich beim Grundmotiv „Risiko“. Während die „Hasadeure“ C, D und E gerne unter Druck & Thrill arbeiten – und auch oft für entsprechende Zustände sorgten –, machte das A und F geradezu verrückt. In einem MSA-Teamcoaching konnte auch dieses Problem weitgehend aufgelöst werden: A und F erkannten, dass sie mitunter etwas zu vorsichtig und stresssensibel handelten, während C, D und E akzeptierten, dass der Kessel nicht ständig unter Hochdruck feuern muss. Die anderen möglichen Konfliktfelder waren nicht oder kaum bedeutsam: Beim Grundmotiv „Wissen“ standen die „Intellektuellen“ D, E und F nicht gegen die „Praktiker“ B und C – sie hatten im Gegenteil schon früh erkannt, dass sich beide Arbeitsweisen im Alltag fast ideal ergänzen. Ähnlich komplettierten sich die „Führungsspieler“ und Häuptlinge D, E und F mit ihrem Einfluss- und Führungsmotiv Macht gut mit den „Indianern“ B und C sowie auch weitgehend A, die gerne Verantwortung abgaben.

380

Hintergrundinformationen

– Beispiel (2) – Ausgangsbasis: IT-Beratungshaus mit 25 Mitarbeitern; das Leitungsteam besteht aus 6 Personen und trifft gemeinsam Entscheidungen über die strategische Ausrichtung des Unternehmens. Problemstellungen: Unterschiedliche Erwartungshaltungen der Partner über die inhaltliche Positionierung des Beratungshauses am Markt sowie die fehlende Dynamik in der Expansion führten zu Spannungen im Leitungsteam. Diese wurden vom geschäftsführenden Gesellschafter nicht wahrgenommen. Wichtige Entscheidungen wurden teilweise ohne Einbindung der Partner getroffen. Die Stimmung im Führungsteam verschlechterte sich zunehmend. Zu diesem Zeitpunkt wurde auf Wunsch eines Partners ein externer Berater hinzugezogen. Macht Ordnung Annerkennung Wettkampf Risiko

grün führend strukturiert sensibel kämpferisch risikofreudig

blau geführt flexibel selbstsicher ausgleichend risikobewusst

1

5

6

10 15 22

Abbildung 9: MSA-Teamprofil eines sechsköpfigen Führungsteams (Nr. 1, 5, 6, 10, 15 und 22) – Auszug mit fünf Grundmotiven

Analyse mit der MotivStrukturAnalyse (MSA)®: Bei der Analyse des Leitungsteams gab es zwei für diese Problemstellung relevante Besonderheiten in den Motivstrukturen: Bis auf einen Partner (Nr. 6) haben alle Partner den überwiegenden (Ordnungs-) Antrieb flexibel zu handeln – also den Wunsch, Entscheidungen weniger strukturiert und geplant zu treffen. Weiterhin hat dieser Partner zusätzlich die Antriebe kämpferisch und führend stärker ausgeprägt. Somit erfolgte die Kommunikation dieses Partners im Team meist „dominant bestimmend“ – was zu negativen Reaktionen im übrigen Leitungsteam führte. Der Antrieb risikobewusst führte zu weiterem Konfliktpotenzial aufgrund von Überreaktionen in Krisensituationen. Lösung durch motivbasiertes Coaching des Führungsteams: Unterstützt durch die MSA-Ergebnisse wurden in Einzelcoachings Maßnahmen erarbeitet, wie die Kommunikation gezielt auf die Motive und den hieraus entstehenden Bedürfnissen der anderen Partner ausgerichtet werden kann – Verständnis für die Position und Sicht des „Anderen“ entwickeln.

381

Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® in Teamcoaching und -entwicklung

Fazit: Aufgrund der Kenntnis der eigenen Motivstruktur (individuelle Standortbestimmung) und der Motivstruktur des Managementteams konnte das Team das bisherige Kommunikations- und Entscheidungsverhalten sehr viel besser verstehen – eine entscheidende Grundlage für ein deutlich verbessertes Konfliktmanagement innerhalb des Teams. 5.2 Teamerweiterung (Personalauswahl) Ausgangsbasis: Ein IT-Beratungshaus (über 50 Mitarbeiter) sucht für ein zeitkritisches IT-Projekt einer Bank einen neuen Mitarbeiter, um das bestehende Entwicklerteam zu verstärken. Problemstellung: Im Laufe der Personalauswahl wurde die Anzahl der in Frage kommenden Bewerber am Ende auf drei Kandidaten eingegrenzt. Diese drei hatten vergleichbare Qualifikationen und Referenzen – und erzeugten zusätzlich zur Fachqualifikation ein ähnlich gutes „Bauchgefühl“ bei dem Geschäftsführer des Beratungsunternehmens und dem zuständigen Projektleiter. Beide waren sich in der endgültigen Entscheidung aber unschlüssig. Entscheidung mit Unterstützung der MotivStrukturAnalyse (MSA)®: Auf der Grundlage einer Teamanalyse des bereits bestehenden Projektteams und in Gesprächen mit dem Geschäftsführer und dem Projektleiter wurde zunächst ein MSA-Sollprofil erstellt. Wissen Prinzipientreue Macht Status Ordnung Freiheit Beziehung Anerkennung Wettkampf Risiko

grün intellektuell prinzipienorientiert führend elitär strukturiert eigenständigkeit kontaktfreudig sensibel kämpferisch risikofreudig

blau pragmatisch zweckorientiert geführt bodenständig flexibel teamorientiert distanziert selbstsicher ausgleichend risikobewusst

Soll K1

K2

K3

Abbildung 10: Ein MSA-Sollprofil („Soll“) und die Grundmotiv-Aus-prägungen von drei Bewerbern/Kandidaten (K1, K2, K3) – Auszug Für die einzelnen Motive wurden die Art und Stärke des „gewünschten“ Antriebs mit folgenden farblichen Gewichtungen festgelegt: gelb: beide Antriebe in etwa gleich stark, hellgrün oder hellblau: Antrieb mit Tendenz zu grün oder blau

382

Hintergrundinformationen

Lösung durch motivbasierte Personalauswahl: Nach der Erstellung des Sollprofils und dem Vergleich mit den Profilen der drei Bewerber zeichnete sich eine klare Rangfolge der Kandidaten ab. Der Kandidat K2 wurde aufgrund der hohen Passung zum Sollprofil eingestellt. In Gesprächen mit dem neuen Angestellten und dem Projektleiter konnte das größte Spannungsfeld – sehr starker (Macht-) Antrieb führend – geklärt werden. Konkret wurde dem neuen Mitarbeiter in absehbarer Zeit eine Option als stellvertretender Projektleiter in Aussicht gestellt. Fazit: Durch die frühzeitige Analyse und dem Erkennen des starken Machtantriebs konnte der Mitarbeiter sehr schnell in die langfristige Planung und Personalentwicklung in Richtung Führungskraft eingebunden werden. Dies war die Grundlage für optimale Leistung und hohe Mitarbeiterzufriedenheit – und somit die langfristige Bindung einer Fachkraft. 5.3 Teamzusammensetzung Ausgangsbasis: Ein Beraterteam arbeitet an einem zeitkritischen Projekt für einen Automobilhersteller. Problemstellung: Es kam immer wieder zu Problemen zwischen dem Projektleiter des Beraterteams und dem festen Ansprechpartner auf Kundenseite – es schien einfach keine gemeinsame „Wellenlänge“ zu geben. Verschärft wurde dieser Konflikt durch sich immer wieder verzögernde Projektentscheidungen, die mittlerweile das Projekt an sich bedrohten. Analyse mit der MotivStrukturAnalyse (MSA)®: Bei der Analyse des bestehenden Projektteams gab es zwei für diese Problemstellung relevante Besonderheiten in den Motivstrukturen. Alle drei hatten einen starken (Macht- )Antrieb geführt zu werden – also den Wunsch eher Entscheidungen umzusetzen, als diese zu treffen. Dies lieferte eine erste Erklärung für die bestehende „Entscheidungsträgheit“ im Projekt. Weiterhin hatten alle drei einen starken (Beziehungs-)Antrieb in Richtung distanziertes und introvertiertes Handeln: die Kommunikation mit dem Kunden erfolgte meist „kopfgesteuert“, eher lustlos und ohne Engagement – was der Kunde natürlich bemerkte und entsprechend negativ reagierte.

383

Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® in Teamcoaching und -entwicklung

Lösung durch motivorientierte Teamoptimierung: Unterstützt durch die MSA konnte auf Seiten des Consulting-Unternehmens ein Kollege gefunden werden, der fachlich einen der Berater sehr gut ersetzte und als neuer Projektleiter benannt wurde. Wesentlich war jedoch die motivationale Veränderung, da der neue Berater mit einem starken Antrieb führen – Entscheidungen beschleunigen – und mit einem starken Antrieb kontaktfreudig die Beziehungsebene zum Kunden deutlich verbessern konnte, siehe Abbildung 11.

Wissen Macht Freiheit Beziehung Anerkennung Risiko

PL PL neu alt

grün

blau

intellektuell führend eigenständig kontaktfreudig sensibel risikofreudig

pragmatisch geführt teamorientiert distanziert selbstsicher risikobewusst

PM PM

Projektleiter neu Projektleiter alt Abbildung 11: MSA-Teamprofil eines Beraterteams, Erläuterungen im Text (PL: Projektleiter, PM: Projektmitarbeiter).

Das kriselnde Projekt wurde mit leichter Verspätung erfolgreich abgeschlossen. Dem neuen „Teamleader“ gelang es aufgrund der guten Zusammenarbeit mit dem Ansprechpartner des Kunden einen Folgeauftrag zu akquirieren. Fazit: In diesem Fall hätte ein Projekt auf Grundlage des Könnens, der Qualifikationen und Fähigkeiten der Beteiligten, erfolgreich sein können – was in der Realität jedoch aufgrund der unterschiedlichen persönlichen emotionalen Antriebe und Bedürfnisse der Beteiligten beinahe gescheitert wäre. Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® dagegen ermöglichte es – zusätzlich zu bestehenden Verfahren –, mit der grundlegenden Analyse- und Beratungsdimension „Wollen“ ein emotional-motivational geeignetes Team zusammenstellen zu können. 5.4 Teamleistung: Wollen – und Können Auf der Grundlage der MSA können nun die leistungsbezogenen Könnensaspekte sehr viel effizienter – weil motivational getragen – „eingesetzt“ oder gefördert werden: Neben der fachlichen Qualifikation – dem Können – entscheidet

384

Hintergrundinformationen

auch in Teams das individuelle Wollen, die „intrinsische“, innere Motivation darüber, ob und wieweit die Mitarbeiter ihr Wissen und Können tatsächlich einsetzen – ob sie ihr „(Könnens-) Potenzial dauerhaft abrufen“. Im Folgenden wird dies kurz am Beispiel des Team-(Könnens)Systems von Meredith Belbin vertiefend erläutert. MSA und Belbin-System/KODEx: HIGH PERFORMANCE-POTENTIALCOACHING (teambezogen + individuell)

Abbildung 12: MSA-(Team)Modell zur Leistungsformel L(eistung) = D(ürfen) x K(önnen) x W(ollen)

Der englische Unternehmensberater und Teamexperte Meredith Belbin betonte in den 1970er Jahren unterschiedliche Teamrollen, die für die Teamleistung entscheidend sind: Teams sind dann besonders leistungsstark, wenn sie aus mehreren unterschiedlichen Rollen- und Könnenstypen bestehen. Er definierte dabei zu den drei Bereichen Handlung, Kommunikation und Wissen jeweils drei Rollenträger: • handlungsorientiert: Perfektionist (Completer), Umsetzer (Implementor), Macher (Shaper), • kommunikationsorientiert: Koordinator / Integrator (Coordinator), Wegbereiter (Resource Investigator), Mitspieler (Teamworker)

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385

• wissensorientiert: Beobachter (Monitor Evaluator), Neuerer (Plant), Spezialist (Specialist) Die folgende Tabelle zeigt in der letzten Spalte die ideale grundmotivationale Fundierung dieser Rollenträger: TEAMROLLE Neuerer / Erfinder (plant) Wegbereiter / Weichensteller (resource investigator) Koordinator / Integrator (coordinator) Macher (shaper) Beobachter (monitor evaluator) Teamarbeiter (teamworker)

BEITRAG

KENNZEICHEN

bringt neue Ideen ein

unorthodoxes Denken

entwickelt Kontakte

kommunikativ, extravertiert

Integration – fördert Entscheidungsprozesse Hindernisse überwinden – Neues wagen untersucht Vorschläge auf Machbarkeit verbessert Kommunikation, baut Reibungsverluste ab

MSA-GRUNDMOTIV ORD, blau WIS, grün ANE, blau BEZ, grün

ANE, blau BEZ, grün PRI, grün RIS, grün dynamisch, arbeiWET, grün tet gut unter Druck MAC, grün

selbstsicher, vertrauensvoll

nüchtern, strategisch, kritisch

WIS, blau ORD / grün

kooperativ, diplomatisch

WET, blau FRE, blau BEZ, blau

Umsetzer (implementor)

setzt Pläne in die Tat um

diszipliniert, verlässlich, effektiv

WIS, blau MAC, grün ORD, grün

Perfektionist (completer)

vermeidet Fehler, stellt optimale Ergebnisse sicher

gewissenhaft, pünktlich

ORD, grün PRI, grün

Spezialist

liefert Fachwissen u. Information

selbstbezogen, en- WIS, blau gagiert, Fachwissen SPI, blau zählt ORD, grün

Tabelle 4: Teamrollen nach Belbin und ihre MSA-Äquivalente im Überblick

386

Hintergrundinformationen

6. Fazit und MSA-Prämisse für die Teamentwicklung Wann immer man in einem Team allgemeine oder spezielle Kompetenzen fördern möchte (siehe Abbildungen 13 und 14), muss / sollte man neben der reinen Könnens-Qualifizierung gezielt auf ihre individuelle und teambezogene Wollens-Verankerung im Sinne entsprechend ausgeprägter MSA-Grundmotive achten und diese coachen. Ohne diese grundmotivationale „Vertiefung“ wird eine nachhaltige Kompetenz- und Teamentwicklung, sowie ein dauerhafter Leistungs-Transfer praktisch unmöglich oder rein zufällig bleiben.

7. Literatur Andreas Huber, Motivationspsychologie - Motive und Motivation, S. 456-477 in Meier / Janßen, CoachAusbildung - ein strategisches Curriculum, 2. Auflage, Sternenfels 2011.

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387

ANHANG GRUNDMOTIV WISSEN • intellektuell

• pragmatisch PRINZIPIENTREUE • prinzipienorientiert

• zweckorientiert

MACHT • führend • geführt

STATUS • elitär

• bodenständig

ORDNUNG • strukturiert

• flexibel

MAT.SICHERHEIT

CHARAKTERISTIK hat Freude am „Denken“ an sich, sammelt Wissen, ist intellektuell und neugierig, „geht den Dingen auf den Grund“ ist praktisch, anwendungsorientiert, denkt nutzenorientiert und handelt zeitnah, „Jetzt-Machen“ handelt kodexorientiert, ist loyal und moralisch integer, schätzt und wahrt Traditionen, Werte und Normen handelt zielorientiert, sieht Loyalität nicht als Selbstzweck, situative Flexibilität ist wichtiger als Prinzipien hat Einfluss, übernimmt Führung und Leitung, übt Kontrolle aus übt keine Macht und Kontrolle aus, akzeptiert Führung, kann sich gut ein- und unterordnen, ist dienstleistungsorientiert versucht sich durch Reichtum oder Titel „abzuheben“, sucht Aufmerksamkeit und Ansehen, orientiert sich an besonderen Marken und Trends ist auf Gleichheit bedacht, hat wenig Interesse an der öffentlichen Wahrnehmung, Titeln und dem Besitz von Statussymbolen strebt nach Stabilität und Klarheit, hält definierte Prozesse ein, hat eine Vorliebe für Rituale und Gewohnheiten, ist pedantisch handelt spontan, vermeidet oder umgeht Regeln, sucht Freiräume lässt diese zu, kann Unordnung ertragen

388 GRUNDMOTIV • festhaltend

• großzügig

FREIHEIT • eigenständig • teamorientiert

BEZIEHUNG • kontaktfreudig • distanziert HILFE / FÜRSORGE • fürsorglich • eigennützig

FAMILIE • familienorientiert

• selbstbezogen

Hintergrundinformationen

CHARAKTERISTIK sammelt Güter und häuft Besitz/Eigentum an, bewahrt und erhält Materielles, hält Geld zusammen und spart kann sich von Dingen trennen oder diese verleihen, hat wenig Interesse am Sammeln oder Sparen, neigt zu Verschwendung ist selbstgenügsam, emotional selbstbestimmt, autark, sucht Unabhängigkeit legt Wert auf Bindungen, Gemeinsamkeiten, sucht und schätzt emotionale Abhängigkeit und Unterstützung von anderen ist sehr kommunikativ, sucht und pflegt Freundschaften, schätzt Freude, Humor und Geselligkeit ist eher introvertiert, zurückgezogen, braucht Abstand, grenzt sich gerne ab, ist ernsthaft hilft anderen Menschen selbstlos, unterstützt andere, hat eine wohlwollende Haltung ist auf sich selbst konzentriert und auf die eigenen Aufgaben und Ziele, eigene Bedürfnisse stehen im Vordergrund schätzt ein aktives Familienleben, hat den Wunsch nach eigener Familie und Kindern, möchte gerne Vater oder Mutter sein ist eher sachorientiert, will nicht so stark von Kindern oder der eigenen Familie abhängig sein, hat wenig Freude an Erziehung

IDEALISMUS • idealistisch

hält soziale Gerechtigkeit und Fairness für wichtig, engagiert sich für Ideale und andere Interessengruppen, „Weltverbesserer“

Die MotivStrukturAnalyse (MSA)® in Teamcoaching und -entwicklung

GRUNDMOTIV • realistisch

ANERKENNUNG • sensibel

• selbstsicher

WETTKAMPF • kämpferisch

• ausgleichend

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CHARAKTERISTIK handelt nach persönlicher Nutzenoptimierung, „Jeder ist für sich verantwortlich, niemand kann die Welt verbessern“ sucht soziale Akzeptanz und Bestätigung durch Andere, Lob dient als Treibstoff, reagiert sensibel auf Kritik kann Kritik aushalten, ist selbstbewusst, motiviert sich selbst, ist unabhängig vom Feedback Anderer sucht Konkurrenz, ist wettkampforientiert, will kämpfen und gewinnen, sucht Vergeltung, will sich messen vermeidet Konflikte, strebt Harmonie an, schlichtet Streit, sucht den Konsens

RISIKO / STRESS • risikofreudig

• risikobewusst

ist belastbar, schätzt Herausforderungen, hat Mut zur Veränderung, Freude an Neuem, ist risikobereit will Risiken und/oder Veränderungen vermeiden, sucht Stabilität und Verlässlichkeit, sucht die eigene Komfortzone

ESSEN • genießerisch

• genügsam

isst gerne viel und/oder gut, beschäftigt sich gerne mit Essen, Denken und Handeln sind oft aufs Essen ausgerichtet ist wenig genussorientiert, Essen dient in erster Linie der Nahrungsaufnahme, isst um den Hunger zu stillen

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Hintergrundinformationen

GRUNDMOTIV CHARAKTERISTIK KÖRPERLICHE AKTIVITÄT • bewegungsfreudig • bequem

bewegt sich oft und gerne, hält sich gerne fit, betätigt sich oft sportlich meidet körperliche Betätigung, ist ein Bewegungsmuffel, ist wenig körperorientiert

SINNLICHKEIT • sinnlich

• nüchtern

genießt lustvolles Leben und Sexualität, hat Freude an Schönheit, Design, Kunst und Ästhetik erlebt Sinnlichkeit nicht als Lebenselixier, schätzt Nüchternheit und Purismus

SPIRITUALITÄT • sinnsuchend

• rational

sucht und fragt nach dem ( tieferen ) Sinn des Lebens, ist offen für die Existenz einer höheren ( göttlichen ) Instanz, glaubt an eine geistige Welt konzentriert sich auf das „Hier und Jetzt“, orientiert sich an rational erklärbaren Denk- und Weltmodellen

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Rhetorik Werner Gerber, Berlin1

1. Einleitung Rhetorikseminare sind en vogue, besonders für Menschen, die in der Öffentlichkeit, oftmals in der Führungsrolle, auftreten. Meistens geht es dabei nur darum, sich auf die Schnelle irgendwelche Tricks anzueignen, von denen ich nicht glaube, dass sie sehr nachhaltig wirken können, denn dabei wird vergessen, dass sich die Rhetorik aus der Philosophie entwickelt hat, also unmittelbar mit der Ethik verbunden war. Ich werde deshalb hier versuchen, angesichts des knappen Rahmens, einen kurzen Abriss der Geschichte der Rhetorik zu geben, von den Klassikern bis hin zur modernen Anwendung. Es werden einige Stilbeispiele aus der Technik der Rhetorik folgen, bevor ich mich dem Thema „Auftritt“ zuwende, in welchem die Körpersprache behandelt wird, gefolgt von der Verhandlungskunst als speziellem Aspekt der Rhetorik. Als Fazit werde ich mit Obamas berühmten, rhetorisch besonders wirkungsvollen Formel: Yes, we can schließen. Die Kunst der Rhetorik ist ein wichtiger Aspekt der Kommunikation, der schon immer im Fokus der menschlichen Wissenschaften stand. Im antiken Griechenland und Rom war das Studium der Rhetorik, der Kunst der Rede und der Persuasion, der Überredung – heute v.a. in der Werbung wichtig – ein grundlegendes Fach. Dabei wurde die Auseinandersetzung geführt, ob mehr der Inhalt der Rede, die Lehre, im Vordergrund stehen sollte oder die Technik des Redners. Da unsere moderne Welt sehr stark von den Medien geprägt ist, den Meinungsmachern, gewinnt die Rhetorik wieder an Bedeutung. Wie etwas gesagt wird, ist für die Wirksamkeit des Inhalts, der Botschaft entscheidender als das Was. Politiker, Wissenschaftler, Manager müssen sich in der Öffentlichkeit gut in Szene setzen können. Das Fernsehen, der Plenarsaal, das Internet, die Meetings sind die Bühnen auf denen sie ihre Ideen publikumswirksam präsentieren müssen. Empfehlenswert ist, sich von den entsprechenden Trainern beraten zu lassen. Wie bei jeder Kunst sind auch bei der Rhetorik zwei Aspekte zu unterscheiden, erstens die Begabung und zweitens das Handwerk.

1

Der Autor ist Dozent und Business-Coach

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Hintergrundinformationen

1.1 Begabung Die Begabung, ist eine angeborene Gabe und es ist letztlich ein unergründliches Geheimnis, woher sie kommt. Diese Ungerechtigkeit macht aber auch ihren Reiz aus. An ihr ist, vermeintlich, nicht zu rütteln. Wir Normalsterblichen können noch soviel üben, wir werden nie ein Mozart werden, der von sich sagen konnte: „Ich habe mich nie angestrengt originell zu sein.“ Oder mit Picasso: „Ich suche nicht, ich finde.“ Die weniger bzw. normal Begabten bewundern diese Genies, was bei den oben genannten Beispielen kein Problem sein dürfte, aber leider werden die Menschen auch immer wieder von gefährlichen Führern verführt. 1.2 Handwerk Wir sprechen von charismatischen, von begnadeten Rednern. Charisma bedeutet wörtlich übersetzt, göttliches Geschenk und stellt das Pendant zur Techne dar. Beispielsweise stellt der US-amerikanische Präsident Barack Obama heute ein positives Beispiel für charismatische Persönlichkeit dar. Positives Charisma, weil wir hinter seiner Überzeugungskraft eine vertretbare Ethik spüren. Trotz seiner bestimmt großen Begabung steht hinter seinem Erfolg aber auch viel Übung, womit wir bei dem zweiten Aspekt der Kunst wären, der handwerklichen Seite, der Techne, die man üben und entwickeln kann. Auch wir können unsere Rednerfähigkeiten durch Training verbessern und dadurch unsern Auftritt in der Öffentlichkeit effektvoller gestalten.2 Dabei entdeckt man oft erst seine versteckten Talente.

2. Zur Geschichte der Rhetorik In der Antike waren Kunst und Wissenschaft noch eng verbunden. Die Rhetorik bildete mit den Künsten, Grammatik und Logik, das so genannte Trivium der sieben Künste.3 Für die Philosophen, insbesondere für Platon, hatte die Rhetorik etwas Anrüchiges, weil sie einen hehren, absoluten Wahrheitsanspruch verfolgten. Sie kritisierten das Manipulative an der Redekunst. Bis heute hängt der Rhetorik dieser Beigeschmack an.

2 3

Vgl. Jan C. L. König, Die Wirkungsmacht der Rede, S. 66ff., 72ff., 156ff. Vgl. Isidor Sevilla, Die Enzyklopädie des Isidor Sevilla, Bd I und II, Wiesbaden 2008, S. 19-122; Gordontzi Leff in Walter Rüegg, Geschichte der Universität in Europa, Bd I: Mittelalter, München 1993, S. 279-302.

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Aristoteles hielt in der Schule seines Lehrers Platon in Athen zwischen 367 und 347 Vorlesungen über Rhetorik. Er wertete das so genannte Meinungswissen (doxa) gegenüber dem absoluten Wissen (episteme) auf. Auch auf der Basis von Wahrscheinlichem ist sinnvolles Handeln möglich.4 Damit wird die Kategorie Glaubwürdigkeit ebenso wichtig wie die Wahrheit. Daher ist es erforderlich, die Kunstfertigkeit anzuwenden, ohne dass man es merkt und die Rede nicht als verfertigt, sondern als natürlich erscheinen zu lassen – dies nämlich macht sie glaubwürdig, jenes aber bewirkt das Gegenteil, denn die Zuhörer nehmen wie gegen jemanden, der etwas im Schilde führt, Anstoß daran wie gegen gemischte Weine. – Aristoteles, Rhetorik, 3.2,4 – Für Aristoteles ging es bei der Rhetorik darum Alltagswissen, das über eine Wahrscheinlichkeit nicht hinauskommt, glaubwürdig zu vermitteln, sodass es als authentisch wahrgenommen wird. Der Begriff Authentizität stammt aus der Ästhetik (aisthesis – Wahrnehmung) und beschreibt eine Wirkung. Wir nehmen etwas als „echt“ wahr, ohne zu wissen, ob es wahr ist. Aristoteles Lehre ist also durchaus mit der heute stark vertretenen postmodernen Theorie des sozialen Konstruktivismus kompatibel. Die „Wirklichkeit“ wird in dieser systemtheoretischen Sicht als eine von Umwelteinflüssen bestimmte soziale Konstruktion gesehen. Sie entsteht somit erst im Dialog. Athen war ein kleiner Stadt-Staat, der von einigen wenigen Intellektuellen im persönlichen Wettstreit der unterschiedlichen Meinungen bestimmt wurde. In dem riesigen Imperium Rom wurden an die Politiker und damit an die Redner ganz andere Anforderungen gestellt. Jetzt ging es darum Massen zu überzeugen. Cicero, der in der Endphase der Republik lebte, verfasste seine Schrift „Vom Redner“ in der durch Julius Cäsar ausgelösten Krise (55 v. Chr.). Ihm ging es um die Rettung der Republik, weil nur in ihr jenes menschenwürdige Dasein möglich ist, das von der Rede geprägt ist.5 Cicero glaubt „nicht, dass jemand der für uns nicht verständlich spricht, etwas zu sagen weiß, was unsere Bewunderung erregen könnte“. Selbst Quintilian plädiert gegen Verdunkelung des Gedankens und gegen unverständliche Ausdrücke.6 4 5 6

Vgl. Jan Müller, DECORUM: Konzepte von Angemessenheit in der Theorie der Rhetorik von den Sophisten bis zur Renaissance, Berlin 2011, S. 51f. Karl-Heinz Göttert, Einführung in die Rhetorik, Paderborn 2009, S. 75ff.; vgl. Jan Müller, DECORUM, S. 89 ff. Bernhard Asmuth in Beetz / Dyck / Neuber / Ueding, Rhetorik Bd. 28, S. 1 (15).

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Damit steht der politische Aspekt, inwiefern sich der Bürger in der Republik einbringen und über die Rede auch durchsetzen kann, im Vordergrund. Es geht um die Wirksamkeit in der Welt, um die Macht, die über die Fülle der Gedanken, die „hinreißend“ sein sollen, die mit „glänzenden“ Reden erreicht werden soll. Der Hörer soll überwältigt werden. Aber ich habe es ja schon gesagt: nicht die Kraft meiner Begabung, nein die gewaltige Kraft meiner Leidenschaft entflammt mich sosehr, dass ich meiner selbst nicht mehr mächtig bin. Wird doch ein Hörer nur dann entzündet, wenn es eine flammende Rede ist, die ihn erreicht! – Cicero, Orator 132 – Dieses Pathos würde für uns heute wahrscheinlich übertrieben wirken. Wir wollen vom Redner nicht mehr überrumpelt werden, wir vertreten das Ideal des aufgeklärten, kritischen Bürgers. Darum passt hier der Philosoph der Aufklärung Denis Diderot (*1713 – 1784) als Gegenstimme: Man sagt, ein Redner taugt mehr, wenn er sich erhitzt, wenn er in Zorn gerät. Das bestreite ich. Es ist besser, wenn er den Zorn nachahmt. Die Schauspieler machen Eindruck auf das Publikum nicht wenn sie wutentbrannt sind, sondern wenn sie einen Wutausbruch gut spielen. Übertriebene Empfindsamkeit macht mittelmäßige Schauspieler. – Denis Diderot: Das Paradox über den Schauspieler. – Mit dem Niedergang des Forums verschwand die Bedeutung der Rede im öffentlichen Raum. Jetzt wurde sie Bestandteil der Erziehung jedes Einzelnen human gebildeten Elitemenschen. Quintillian (*35 – 96 n.Chr.) war der erste Inhaber eines Rhetoriklehrstuhls in Rom und verfasste „Die Ausbildung des Redners“. Die Rhetorik wurde einerseits immer weiter verschult, was zu seiner Ästhetisierung führte, anderseits privatisiert zur Wortkunst der Dichtung. Das Christentum wiederum lehnte die List der Rhetorik als unnötig ab, weil die Wahrheit ohnehin nur bei Gott sein kann. Als ich zu euch kam, Brüder, kam ich nicht um glänzende Reden oder gelehrte Weisheit vorzutragen, sondern um das Zeugnis Gottes zu verkünden. Meine Botschaft war nicht Überredung durch gewandte und kluge Worte, sondern war mit dem Erweis von Geist und Kraft verbunden, damit sich euer Glaube nicht auf Menschenweisheit stütze, sondern auf die Kraft Gottes. – 1 Korinther 2,1 und 4 –

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Bei dem Kirchenlehrer Augustinus (*354 – 430 n.Chr.) wird die Rhetorik eine des Lehrens und Lernens statt Diskutierens. Es ist eine Rhetorik der Schrift, statt der Rede, mit dem Ziel die Auslegung und Verkündigung der Heiligen Schrift zu befördern. Kurz zusammengefasst: Bei Aristoteles geht es um Wahrhaftigkeit, bei Cicero um Einfluss und bei Augustinus um Belehrung. Diese drei Grundmotive dürften bis heute die Ziele einer geglückten und guten Rede ausmachen.

3. Die neuere Geschichte der Rhetorik Schon das Wort „Aufklärung“ macht deutlich, dass zu dieser Zeit die Klarheit des Gedankens zur wichtigsten Kategorie in der Rhetorik wurde. Man berief sich dabei auf die Lehren der Klassiker Aristoteles, Cicero, Quintillian. Die zunehmende Nationalisierung in der europäischen Kultur führte folgerichtig auch zu unterschiedlichen Redekulturen.7 Für Friedrich Nietzsche ist die Sprache als solche Rhetorik, weil sie nicht etwa die Welt darstellt oder mimetisch abbildet, sondern sinnlichen Reiz, subjektive Erregung überträgt und damit nicht anders funktioniert als die rhetorischen Übertragungsfiguren, besonders die Metapher.8 Er formuliert hier einen narrativen Ansatz, der sich im weiter oben schon erwähnten sozialen Konstruktivismus wiederfindet. Die Welt entsteht im Sprechen. Deutschland, das Land der Dichter und Denker, kannte die demokratische Debattenkultur der angelsächsischen oder die rhetorische Sprachpraxis der romanischen Länder kaum.9 Hierzulande trat Hitler mit der Zauberkraft des gesprochenen Wortes (Mein Kampf) auf, um sein Publikum zu verführen. Er hatte das Charisma, von dem ich weiter oben gesprochen habe, was zu seiner Zeit erfolgreich war. Wenn wir heute alte Aufnahmen hören, dann können wir uns das gar nicht mehr vorstellen, denn für uns wirkt seine Rhetorik peinlich bis lächerlich. Nicht umsonst ist Hitler ein beliebtes Objekt für satirische Komiker.

7 8 9

Vgl. K. Nvidtfelt Nielsen in Beetz / Dyck / Neuber / Ueding, Rhetorik Bd. 21 „Neue Tendenzen der Rhetorikforschung“, Tübingen 2002, S. 102, 108f. Friedrich Wilhelm Nietzsche, Nietzsche Werke: Kritische Gesamtausgabe, Vorlesungsaufzeichnungen, 1993, S. 426. Karl-Heinz Göttert, Einführung in die Rhetorik, S. 137f., 181f. 196.

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Natürlich kann man die Inhalte von Rosa Luxemburgs oder Karl Liebknechts Reden nicht mit denen der Nazis vergleichen, aber der Gestus ihrer Reden: Pochen – bis Schlafende aufwachen. Peitschen – bis Träge aufstehen und handeln.10 hat durchaus eine gewisse Ähnlichkeit in der Form der Demagogie. Wie im alten Rom geht es darum die Massen zu mobilisieren. Heute sind Reden Formen der Medienunterhaltung. Immer mehr Talk-Shows imitieren die demokratische Diskussion. The New Rhetorik geht von den USA aus, wo sie sich seit den 1920er Jahren zu etablieren beginnt, dabei stehen v.a. Werbung und Propaganda als sog. Persuasion im Mittelpunkt.11 Sie verknüpft die alten Weisheiten der Antike, v.a. des Aristoteles mit den neuen Erkenntnissen der Kommunikationspsychologie (wie vor allem den Ansätzen von Gregory Bateson, Paul Watzlawick u. a.). In der gegenwärtig angewandten Rhetorik, wie sie in Rhetorikseminaren und Weiterbildungszusammenhängen praktiziert wird, sehen wir die Reduktion auf einfache, einprägsame Sätze und Regeln wie etwa die „AIDA-Formel“ aus dem Jahr 1898 von Elmo Lewis („Getting the Most Out of Business“, 1919).12 Dieses Akronym steht für eine besondere Strategie der zielgerichteten Kunst der Dialogführung im Marketing. A I D A

Attention Interest Desire Action

Aufmerksamkeit Interesse Drang Aktion

In dieser Gebrauchsrhetorik stehen nur noch wirkungsvolle Techniken der Manipulation im Vordergrund. Hat sich in der Antike die Rhetorik von der reinen Philosophie emanzipiert, ist hier keine mehr vorhanden und damit auch keine Ethik. Der Markt, die Werbung, sie sind das goldene Kalb, um das heute getanzt wird.

10 Heinz Kühn, Auf den Barrikaden des mutigen Wortes, 1986, S. 100; Karl-Heinz Göttert, Einführung in die Rhetorik, S. 142, 149 f. 11 vgl. Ch Perelman, The new Rhetoric and the Humanities – essays on Rhetoric and ist Applications, Dordrecht Holland 1979. 12 Siehe Vera Birkenbihl, Rhetorik, 12. Auflage 2010, S. 143.

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4. Die Arten der Rhetorik Die Rhetorik wird systematisch in 1. 2. 3. 4. 5.

Produktionsstadien einer Rede Redegattungen der Rede Redeteile Wirkungsweisen einer Rede Stil einer Rede

unterschieden.13 Der Rede gehen fünf Schritte von der Idee zur Umsetzung voraus. Zunächst müssen die Argumente aufgefunden werden (sog. inventio), welche im Vortrag gegliedert werden (sog. dispositio), sodass die Argumente / Gedanken in Worte gekleidet werden und mithin sprachlich gestaltet werden (sog. elocutio). Sodann muss sich der Redner die Rede einprägen oder gar auswendig lernen (sog. memoria). Erst beim öffentlichen Vortrag werden Mittel der Stimme, der Mimik und der Gestik eingesetzt, um die erwünschte Wirkung zu erzielen. Den ursprünglich drei Redearten nach Aristoteles, der Gerichtsrede (Urteil über Vergangenes), der Beratungsrede (Entscheidung über Zukünftiges) und der Lobund Festrede, sind ab der Spätantike der Brief, der Lehrvortrag und die Predigt hinzugefügt worden. Denn jede Rede soll ihre eigene Wirkung – von Belehren und Argumentieren, Gewinnen und erfreuen und / oder rühren und bewegen – beim Zuhörer entfalten. Insofern muss sowohl bei der Produktion und der Realisierung der Rede in einzelne gedankliche Abschnitte als sog. Redeteile differenziert werden. Zunächst versucht der Redner einleitend das Wohlwollen des Publikums zu erlangen und die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sicherzustellen. Sodann kann seine Erzählung als Schilderung des Sachverhaltes erfolgen. Der Beweisführung als argumentierendem Teil muss eine knappe Gliederung vorausgehen. Nachdem die Argumente glaubwürdig oder / und die gegnerischen Argumente umfassend widerlegt worden sind erfolgt der Redeschluss. Dieser Schluss sollte an die Emotionen des Publikums appellieren. Da die Rede zur Zielgruppe passen muss, sollte ein angemessener Stil eingesetzt werden. Bereits Cicero plädierte für die richtige Wahl des Stilmittels pro bestimmtem Redegegenstand: 13 Siehe Vera Birkenbihl, Rhetorik; Karl-Heinz Göttert, Einführung in die Rhetorik.

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• genus humile – schlichter Stil: Arbeitet mit einfacher Argumentation • genus medium – gemischter Stil: Typisch für den wissenschaftlichen Vortrag • genus grande – gehobener Stil: Arbeitet stark mit Affekterzeugung, sodass die dichterische Sprache sehr nahe ist

5. Zu den Techniken der Rhetorik Doch auch schon in der Antike wusste man, um die Wichtigkeit der Technik beim Reden, damit die Kunst der Beredsamkeit in meinungsbildenden Prozessen ihre Wirkung erzielt. Diese Technik muss sowohl Verstand als auch Gefühl anzusprechen wissen: Man übernimmt eine Meinung (leichter), wenn Kopf und Herz dazu bereit sind.14 • Der Kopf: Die intellektuelle Aufgabe des Redners bezieht sich auf die Logik und zielt auf die Einsicht. Sie will belehren (docere) oder beweisen (probare). • Das Herz: Die affektive Aufgabe des Redners bezieht sich auf den Ethos und zielt auf Besänftigung ab. Sie will gewinnen (conciliare) oder erfreuen (delectare). Oder sie bezieht sich auf das Pathos und zielt dabei auf Erregung. Sie will bewegen (movere) oder aufstacheln (concitare). Grundsätzlich wird die Technik der Rhetorik unterschieden in res (Sache, Inhalt) und verba (Sprache). Die sprachliche Darstellung der Gedanken wird wiederum differenziert in:15 • Sprachrichtigkeit: Es gilt dabei zu beachten, dass die Sprache ein lebendiges Gebilde darstellt, sich also ständig verändert. Was früher die lateinischen oder französischen Einsprengsel waren, die eine gewisse Bildung des Redners demonstrieren sollten, sind heute vielleicht die manchmal beklagten Anglizismen. Jugendliche zeigen in ihrem Slang ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Die Sprache ist eine Art Visitenkarte und definiert den Status des Sprechenden16 → Hoch- / Tiefstatus. • Klarheit des Gedankens (res) und des Stils: Der Stil (hoher, mittlerer oder schlichter) muss der Zuhörerschaft angepasst sein, ansonsten wird das Ziel der Rede verfehlt.17 14 Karl-Heinz Göttert, Einführung in die Rhetorik, S. 27f., 67, 100. 15 Vgl. Karl-Heinz Göttert, Einführung in die Rhetorik; Vera Birkenbihl, Rhetorik; Bernhard Asmuth in Rhetorik Bd. 28 „Rhetorik und Verständlichkeit“, Tübingen 2009, S.1 (5, 8); Jan König, Rede, S. 72 ff. 16 U. a. Bernhard Asmuth in Rhetorik Bd. 28 „Rhetorik und Verständlichkeit“, Tübingen 2009, S.1 (5, 8). 17 U. a. Bernhard Asmuth in Rhetorik Bd. 28 „Rhetorik und Verständlichkeit“, Tübingen 2009, S.1 (5).

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• Kürze: Es ist bezeichnend, dass gerade diese Regel in der New Rhetorik eine besondere Beachtung fand. KISS: keep it short and simple, ist ein schönes Beispiel für eine knackige Formel. Einem guten Redner zuzuhören kann aber ein großer Genuss sein, den man gerne länger auskosten möchte. Doch da in der Wirtschaft Zeit ist Geld gilt, hat man diese Geduld nicht mehr. Einem schlechten Redner allerdings, der blumig über die Welt schwadroniert, möchte man schon zurufen: In der Kürze liegt die Würze.18 • Angemessenheit in Bezug auf die Sache (res): Hier ist die Sachlichkeit gemeint, basierend auf einem fundierten Wissen, Informiertheit und Kompetenz bezüglich des Gegenstands der Rede.19 • Der Schmuck (ornatus): Wenn Cicero vom Glanz der Rede spricht, welcher der Redeschmuck bewirkt, so ist damit der Glanz gemeint, der die Rede lichtvoll, ja einleuchtend macht und „einleuchtend“ ist ja gerade so ein Beispiel einer sinnlich wirkenden Metapher. Niemals kann die reine Sachlichkeit (res) allein unsere Herzen bewegen. Heute sagen wir vielleicht, das klingt sexy. Das mag profan klingen, aber seit Sigmund Freud wissen wir von der großen Macht der Erotik im Unbewussten. Nicht umsonst arbeitet gerade die Werbung mit dieser Wirkung.20 In der lebendigen Sprache werden Wendungen (Tropen) verwendet, die das „Eigentliche“ durch etwas „Uneigentliches“ ersetzen. Diese Abwandlungen folgen der Ähnlichkeit (Metapher), der Nachbarschaft (Metonymie) oder dem Gegenteil (Ironie). Die Metapher ist uns wohl am geläufigsten. Die Kommunikationspsychologie bestätigt, dass wir mehr durch Bilder, als durch trockene Sachlichkeit bewegt werden. Eine Metapher die den guten, motivierenden Führungsstil beschreibt: Wenn du ein Schiff bauen willst, trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit zu verteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer. – Antoine de Sainte-Exupery – Für Aristoteles (zitiert nach K.H.Göttert, Einführung zur Rhetorik) war die Metapher die entscheidende Redetechnik:

18 U. a. Bernhard Asmuth in Rhetorik Bd. 28 „Rhetorik und Verständlichkeit“, Tübingen 2009, S.1 (8). 19 U. a. Bernhard Asmuth in Rhetorik Bd. 28 „Rhetorik und Verständlichkeit“, Tübingen 2009, S.1 (7). 20 U. a. Bernhard Asmuth in Rhetorik Bd. 28 „Rhetorik und Verständlichkeit“, Tübingen 2009, S.1 (6).

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Wenn Wahrheit auf „Einsicht“ beruht wirkt nichts mehr als das „sehen“, sodass es zur Aufgabe des Redners wird, gewissermaßen mit sprachlichen Mitteln die Grenzen der Sprache zu überschreiten. – Aristoteles – Die Metonymie sucht die Nachbarschaft. „Er zog sein Eisen“ meint natürlich sein Schwert aus Eisen. Die Emphase arbeitet nicht nur mit der Über-, sondern auch mit der Untertreibung: „Er ist auch nur ein Mensch.“ Was sollte er denn sonst sein? Die Hyperbel arbeitet mit Übertreibung: „Ein Herz aus Stein, er ist pickelhart, weinen wie ein Schlosshund“. Weiter kennen wir die Paraphrase, die (absurde) Scheinzustimmung (concessio), die so genannten rhetorischen Fragen, die auf keine Antwort warten, die Allegorie usw. Dies sind nur ein paar wenige Beispiele, wie die Rede durch Schmuck mehr Wirkung erzielen soll. Zum Schluss die metaphernreiche, kunstvolle Verurteilung der übertriebenen Redekunst durch Christoph Martin Wieland: Dem der unrecht hat, kommt es zu, durch Figuren und Wendungen und Fechterstreiche der Schulrhetorik Kindern und Narren einen Dunst vor die Augen zu machen. Gescheite Leute lassen sich dadurch nicht blenden. – Ch.M.Wieland: Geschichte der Abderiten, der Prozess um des Esels Schatten –

6. Der Auftritt des Redners Bereits die Alten haben großes Gewicht auf die performance gelegt. Wie spricht der Redner? Ich möchte dabei auf die Mittel der Sprechtechnik hinweisen, die in einer guten Atemtechnik, der Stimmarbeit und der Artikulation bestehen und auf die Wichtigkeit von Körpersprache. 6.1 Körpersprache Mehrabian Ferris hat 1967 herausgefunden, dass 93 Prozent des ersten Eindrucks von einem Menschen von Aussehen, Kleidung, Haltung, Gestik und Mimik, Sprechgeschwindigkeit, Stimmlage, Betonung und Dialekt bestimmt werden und nur sieben Prozent von dem, was jemand sagt. Und die Einschätzung der Person geschieht in weniger als einer Sekunde. Weil wir das körperliche Verhalten schwerer kontrollieren und beherrschen können als die verbalen

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Aussagen, gilt die Körpersprache als wahrer und echter.21 Unsere Wirkung auf andere Menschen wird also v.a. durch Körpersprache und Stimme geprägt. Bei Inkongruenz von verbaler und nonverbaler Mitteilung richten sich Menschen im Zweifel immer nach dem nonverbalen Signal. In Gesten und Körperhaltungen repräsentieren sich verborgene Empfindungen und Haltungen. Wir können unsere Körpersprache beeinflussen. Eine äußerliche Manipulation wirkt aber oft gekünstelt. Hier ist wieder die Frage nach Authentizität. Weiter oben habe ich schon ausgeführt, dass es dabei darum geht echt zu wirken. Um authentisch zu wirken, muss der Redner ein Ethos erzeugen, das Unverfälschtheit und Echtheit suggeriert. Wie jede Sprache, kann auch die Körpersprache mehrdeutig sein. Sie ist vom Kontext und der jeweiligen Situation abhängig. Darum sei auch hier von Seminaren und Büchern gewarnt, die simple Techniken versprechen, wie man seine Körpersprache Erfolg versprechend einsetzen kann. Der authentisch wirkende Körper folgt der inneren Haltung in Form von Gedanken und Gefühlen. Indem eine Situation anders „gedacht“ oder „gefühlt“ wird verändert sich die innere Haltung und damit die Körpersprache. Dieser Weg, der eine etwas tiefergehende Auseinandersetzung bedarf, scheint mir sinnvoller und nachhaltiger zu sein. Durch die Körpersprache zeigt die Person ihren Status: 6.2 Hoch- und Tiefstatus Diese Begriffe wurden von dem englischen Theatermacher Keith Johnstone entwickelt, um beim Improvisationstheater über ein nützliches Instrument für die Bühnenfiguren zu verfügen. Von seiner Kunst spontan und kreativ zu agieren können auch Nichttheaterleute sehr profitieren,22 da so das Machtgefälle der Beziehung durch die Körpersprache, die Handlungen und die Sprechweise der Beteiligten und gerade nicht den sozialen Status oder Sympathie / Antipathie verdeutlichen.

21 Vera Birkenbihl, Rhetorik, S. 30; Ernst W. Jaskolski / Marita Pabst-Weinschenk in Marita Pabst-Weinschenk, Grundlagen der Sprechwissenschaft und Sprecherziehung, 2. Auflage. München 2011, S. 49ff. 22 vgl. Keith Johnstone, Improvisation und Theater, 1993; ders., Theaterspiele, 1997.

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Johnstone stellt darin fest, dass Menschen auch im Alltagsleben unbewusst immer ein Statusverhältnis „hoch-niedrig“ herstellen, um zu einer Verständigung zu kommen. Er behauptet, ohne einen Status könnten wir im Flur nicht aneinander vorbeigehen, ohne Schläge auszutauschen. Es kommt so gut wie nie vor, dass zwei Leute haargenau den gleichen Status haben. Statussignale werden v.a. durch die Augen und die Körpersprache vermittelt. Die meisten Menschen haben einen Lieblingsstatus, der als Gestaltwerdung des inneren Sprechens von vor allem Stanislwaski und Wygotski fixiert wird.23 Wir spielen besser Hochstatus oder Tiefstatus. Als typischen Hochstatusspieler kann man Clint Eastwood dem Tiefstatusspieler schlechthin, Woody Allen, gegenüberstellen. Es wird dabei klar, dass die Status keine wertenden Kriterien darstellen. Wir finden in der Differenzierung der Status auch die beiden Theaterformen Tragödie und Komödie wieder. Am angenehmsten empfinden wir das Zusammenleben und -arbeiten mit Menschen, die flexibel mit ihrem Status umgehen können. Freunde lösen das Problem spielerisch, man neckt sich und weicht damit einen starren Status auf. Typische Merkmale eines Hochstatus sind: • • • • • • • • • •

sich ausbreitender, Raum einnehmender Körper sicherer Stand, etwa Hüftbreit dynamische, ausladende Gestik klarer, bestimmter Ausdruck ruhig und entspannt antworten mit Verzögerung, manchmal mit längerem „ähh“ ruhiger Atem, deutliche, volle Stimme berührt auch mal die andere Person übernimmt gerne die Kontrolle bestimmter Blickkontakt

Ein übertriebener Hochstatus wird als Dominanz, negativ wahrgenommen.24

23 Balder Neuber in Marita Pabst-Weinschenk, Grundlagen der Sprechwissenschaft und Sprecherziehung, S. 196f. 24 vgl. Keith Johnstone, Improvisation und Theater, 1993; ders., Theaterspiele, 1997.

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Typische Merkmale eines Tiefstatus sind: • • • • • • • • • •

sich zurückziehender, klein machender Körper wackliger Stand, häufig mit geschlossenen Beinen sparsame Gestik auf kleinem Raum leicht gesenkter Kopf, mit dem Blick von unten nach oben entschuldigendes Lächeln prompte Antworten kurzer Atem, leise Stimme häufige, kurze „ähhs“ allem zustimmen kurzer, flüchtiger Blickkontakt

Auch im Tiefstatus kann Macht ausgeübt werden, welche dann in Form von Manipulation negativ wahrgenommen wird.25 Als rhetorischer Trick wird gerne tiefgestapelt. Ein besonders schönes Beispiel ist in der berühmten Rede Marc Antons in Shakespeares Stück „Julius Cäsar“ zu finden. Nach der Ermordung Cäsars will Marc Anton das Volk gegen die Mörder um Brutus aufstacheln: Ihr guten lieben Freund’, ich muss euch nicht Hinreißen zu des Aufruhrs wildem Sturm; Die diese Tat getan, sind ehrenwert. Was für Beschwerden sie persönlich führen, Warum sie’s taten, ach! Das weiß ich nicht. Doch sind sie weis’ und ehrenwert und werden Euch sicherlich mit Gründen Rede stehen. Nicht euer Herz zu stehlen komm’ ich, Freunde; Ich bin kein Redner, wie es Brutus ist, Nur, wie ihr alle wisst, ein schlichter Mann, Dem Freund ergeben, und das wussten die Gar wohl, die mir gestattet, hier zu reden. Ich habe weder Witz noch Wort noch Gaben, Noch Kunst des Vortrags, noch die Macht der Rede, Der Menschen Blut zu reizen; nein, ich spreche Nur gradezu und sag’ euch, was ihr wisst. 25 vgl. Keith Johnstone, Improvisation und Theater, 1993; ders., Theaterspiele, 1997.

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Ich zeig’ euch des geliebten Cäsars Wunden, Die armen stummen Munde, heiße die Statt meiner reden. Aber wär’ ich Brutus Und Brutus Marc Anton, dann gäb’ es einen Der eure Geister schürt’ und jeder Wunde Des Cäsars eine Zunge lieh’, die selbst Die Steine Roms zum Aufstand würd empören. Wahrlich ein Meisterstück der Propagandarede, in der wir alle möglichen Formen von Schmuckstücken finden können. Die Emphase: „Ich habe weder Witz noch Wort noch Gaben“, die Hyperbel „euer Herz zu stehlen“, die Scheinzustimmung (concessio): „Die diese Tat getan (den Mord), sind ehrenwert“, jede Menge Metaphern, sehr bewegend: „Cäsars Wunden, die armen stummen Munde“ und der rhetorische Trick im ironischen Tiefstatus zu sprechen. Besonders raffiniert, dass er sein Ziel, das Volk zum Aufstand anzustacheln, verneint und dieses vielmehr dem Brutus unterstellt. Das Ganze soll durch gespielte Naivität authentisch wirken: „Ich spreche nur geradezu und sag euch, was ihr wisst.“

7. Rhetorik bei Konflikten Die moderne Rhetorik ist heute eingebunden in die Kunst der Kommunikation, dabei ist der Empfänger einer Botschaft genauso wichtig geworden wie der Sender. Die Kommunikation wird dabei meistens erst ein Thema, wenn sie gestört ist, was sicher verständlich ist, denn wenn sie problemlos läuft (sog. Flow), dann müssen wir nicht weiter darüber reden, sondern wir reden ja. Konflikte lassen sich auch als Verhandlungen unter schwierigen Bedingungen erleben, denn wenn ich Farbe bekenne und nicht immer klein beigebe, kann es natürlich sein, dass ich mich auch Konflikten stellen muss. Es empfiehlt sich Konflikte schätzen und lieben zu lernen, denn sie sind das Salz in der Suppe. Die Dosis muss stimmen, denn zuviel und die Suppe ist versalzen, zuwenig und sie schmeckt fade: „Ebenso wie eine aktive Einstellung zur Demokratie von einer positiven Einstellung zur Beteiligung abhängt, so wird eine aktive Einstellung zur Konfliktbewältigung von einer positiveren Konfliktauffassung abhängen. Man muss Konflikte schätzen. Und dies ist nicht nur eine Frage des Lernens ,mit Konflikten zu leben‘ Vielmehr verhält es sich damit wie mit der viktorianischen Einstellung zur Sexualität, Sexualität als etwas zu sehen,

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das man hinnehmen und mit dem zu leben man lernen muss, das man aber nicht genießen darf. Für Konflikte wie für Sexualität gilt der Satz, dass bloßes Hinnehmen nicht genügt: man muss sie auch mögen, ja, lieben. Denn beide können als das Salz des Lebens begriffen werden, das unser Dasein bereichert – wenn wir mutig und reif genug sind, der Herausforderung zu begegnen und sie zu genießen.“ – Johann Galtung: Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung – Bei der Kunst der Verhandlung steht wie bei jeder Kunst am Anfang ein Paradox: Erfolgreiches Verhandeln erfordert Härte und Offenheit. Die Voraussetzung für eine gute Verhandlung ist eine gute Vorbereitung: • • • •

Was ist mein wirkliches Interesse? Welche Strategien will ich verfolgen? Wie ist mein „Gegner“ aufgestellt? Welche Alternativen zum eigentlichen Verhandlungsziel habe ich?

Roger Fisher und William L. Ury haben 1981 basierend auf dem Harvard Negotiation Project ein sachbezogenes Verhandeln konzipiert und dies unter „Getting to Yes“ veröffentlicht. Das „Harvard-Konzept“ von Fisher / Ury hat allgemeingültige Maximen für eine konstruktive und friedliche Verhandlungsführung aufgestellt. Nach dieser Methode wird heute auch in schwierigsten internationalen Krisensituationen verhandelt, damit auch die persönliche Beziehung gewahrt werden kann. Die wichtigsten Kriterien dafür sind: • Nicht um Positionen feilschen. Aus Kontrahenten werden „Gegner“. Positionsgerangel provoziert unkluge Entscheidungen und man ist in seiner Positionen gefangen. Weniger „entweder oder“ – mehr „sowohl als auch“ • Interessen, nicht Positionen, in den Mittelpunkt stellen. Hinter Positionen stecken immer Interessen, Wünsche, Sorgen, Erwartungen o. ä. m. Diese Interessen können sich oft decken. Meist denkt man aber, aufgrund der unterschiedlichen Positionen sei auch die Interessenlage völlig different. Oft ist eine Übereinkunft gerade deshalb möglich, weil die Interessen unterschiedlich sind.

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• Objektive Beurteilungskriterien beachten. Faire Kriterien müssen objektiv und unabhängig vom beiderseitigen Willen, gesetzlich legitimiert und durchführbar sein und sollten theoretisch zu beiden Verhandlungsseiten passen. Dieser Kodex der Fairness, der zur Sachlichkeit verpflichtet, wird natürlich oft nicht eingehalten. • Wie soll man sich entscheiden, weich oder hart; weich wird man leicht zur Beute, hart gewinnt beim Streit, vernünftig ist beides oft nicht? Auf jeden Fall darf man sein eigenes Wertesystem nicht verletzen! • Verhandlungs-Aikido: Hart in der Sache, weich zu der Person und WinWin-Lösungen anstreben! Das Sieger-Verlierer-Modell führt längerfristig nur zum nächsten Konflikt, deshalb gilt ein Konflikt nur als gelöst, wenn beide Seiten von der Lösung profitieren Daher ist nicht derjenige der Inbegriff der Tüchtigkeit, der in hundert Schlachten hundert Siege erringt, sondern derjenige, der sich die Truppen des Gegners ohne Kampf unterwirft. – Sunzi: Kunst des Krieges –

8. Yes we can Mit diesem Slogan kann ich gerne schließen, denn Obamas Formel enthält, was heute wichtig ist. Er spricht optimistisch und ressourcenorientiert vom Können und zielt auf ein Machen. Das Subjekt ist ein Wir, folgend der Erkenntnis, dass die heutigen komplexen Aufgaben nur von Teams gemeistert werden können, die von modernen, starken Führungspersönlichkeiten geleitet werden. Das Bild ist berühmt geworden, auf dem die amerikanische Schaltzentrale in Erwartung der entscheidenden Minuten im Kampf gegen den Terroristen Bin Laden vor dem Bildschirm sitzt, auf dem die Aktion live gezeigt wird. Dabei sitzt der mächtigste Mann nicht im Zentrum sondern recht klein am Rand. Die Macht muss nicht dominant auftreten, sie spielt den Diener der Nation. Auch im Team werden rhetorische Kompetenzen nötig sein. Manchmal geht es darum in Diskussionen oder Debatten mit guten Argumenten den Wettstreit der Ideen zu bestehen, dabei brauche ich einen Standpunkt, eine gute Vorbereitung, das Studium des Gegenübers, ein paar rhetorische Grundfertigkeiten, eine selbstsichere Körpersprache, deutliche Stimme, gute Artikulation, Gelassenheit und vielleicht Humor. Am besten mit einer spielerischen Haltung.

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Noch fruchtbarer kann aber ein echter Dialog sein, bei dem alle Teilnehmer ihre Annahmen transparent und in der Schwebe halten und dabei gleichberechtigte Gesprächspartner sind. Aktives Zuhören ist dabei sehr wichtig. Ein Begleiter, Moderator, der den Dialog zusammenhält, kann hilfreich sein. Hier finden wir uns dann mehr in der Kunst der Kommunikation. Oder wir unterscheiden, wie der Quantenphysiker David Bohm, zwischen Diskussion und Dialog: In der Diskussion geht es darum den „Gegner“ mit Argumenten zu besiegen. Das Ziel beim Dialog ist nicht zu gewinnen, sondern ein neuer Sinn soll zwischen den Menschen fließen. (dia bedeutet „durch“, Logos „Wort, Sinn“) Auch hier: Das Feste soll flüssig werden.

9. Literatur Michael Argyle, Körpersprache & Kommunikation, Junfermann Verlag Aristoteles, Rhetorik, reclam Vera Birkenbihl, Rhetorik, Ariston Verlag David Bohm, Der Dialog, Klett-Cota Verlag Cicero, Über den Redner (De oratore), reclam Denis Diderot, Das Paradox über den Schauspieler 1770–1773 Programmheft zu SCHILLER der staatlichen Schauspielbühnen Berlin 1985/86 Fisher / Ury / Patton, Das Harvard Konzept, Campus Verlag Karl Heinz Göttert, Einführung in die Rhetorik, UTB W. Fink Keith Johnston, Improvisation und Theater, Alexander Verlag ders., Theaterspiele, Alexander Verlag Platon, Gorgias und Phaidro, Kröner Verlag F. Schulz von Thun, Miteinander Reden, rororo Stefan Spies, Authentische Körpersprache, Hoffmann und Campe

408 Sunzi, Die Kunst des Krieges, Insel Verlag Albert Thiele, Argumentieren unter Stress, dtv Gert Ueding, Moderne Rhetorik, C.H.Beck Ch. M. Wieland, Geschichte der Abderiten ders., Der Prozess um des Esels Schatten

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Kommunikation in und vor Gruppen Dr. Klaus M. Bernsau, Wiesbaden

1. Anfänge / Ursprünge / Quellen der Kommunikation! Die frühesten Auseinandersetzungen mit Kommunikation, ihren Funktionen und ihren Gelingensbedingungen nahmen ihren Anfang eben bei der Kommunikation vor Gruppen. Die Rhetorik als Lehre von der richtigen und der erfolgreichen Rede war zugleich immer eine Theorie der Kommunikation mit und vor Gruppen. Ob politische Rede, juristische Verhandlung oder Ehrung fast selbstverständlich ging man davon aus, dass ein Redner mehrere Adressaten, Zuhörer und Beobachter hat.1 Im Gegensatz dazu schien das Zweiergespräch dem reinen Erkenntnisgewinn und strenger Rationalität vorbehalten, frei von den Techniken, Tricks und Fouls der öffentlichen Rede. Prototypisch angelegt in den Platonischen Dialogen.2 Die Idee, die konstruktive Interaktion von genau zwei Personen als Schlüsselprozess herauszulösen und ihm eine spezifische verbindende Funktion beim Erkenntnisprozess dieser Personen zuzuweisen, ist dagegen ein recht junger Gedanke, der die eher einzelgängerischen Ansätze der Erkenntnistheoretiker mit denen der Rhetoriker fruchtbar kreuzt. Soziologie, Pädagogik und Psychologie bereicherten hier die Sprachwissenschaft entscheidend zur sozialwissenschaftlichen Kommunikationswissenschaft – in Abgrenzung zur publizistischen Kommunikationswissenschaft.3 Eine Skizze des zu Grunde liegenden Verständnisses der Zweier-Kommunikation habe ich an anderer Stelle4 recht aktuell und stimmig zu dem hier gewählten Vorgehen vorgelegt und möchte dies nicht wiederholen. Hier soll es jetzt um den wieder erweiterten Fokus gehen, wenn eine dritte Person oder gar mehrere zu unserem kommunizierenden Pärchen hinzutreten. Was verändert sich, was bleibt gleich? 1 2 3 4

Mehr dazu bei Hermann Schlüter: Grundkurs der Rhetorik, München 1974 u. später. Als Einstieg in diesen Seitenast: Platon: Die großen Dialoge, Köln 2010 übersetzt von Friedrich Schleiermacher. In Deutschland hat dies sicher Gerold Ungeheuer begründet: ders. Kommunikationstheoretische Schriften I, Aachen 1987. Klaus Bernsau: Kommunikation, in: Coaching Handbuch hsg. von Rolf Meier / Axel Janssen, Sternenfels 2011; 2., überarbeitete und erweiterte Auflage.

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Naturgemäß bleibt dieser Beitrag eine subjektive Sicht der Dinge, die sich eher als Denkanstoß versteht. Und die es genießt, frei und modern Gedanken sammeln und verschmelzen zu können ohne sich im Stile akademischer Oberseminare permanent fußnotenartig zur Quellenlage absichern zu müssen. Die Literaturhinweise an verschiedenen Stellen verstehen sich zusätzlich zu den genau drei Literaturhinweisen am Schluss als Anregung zum Weiterlesen in die eine oder andere Richtung.

2. Entwicklung und bedeutende Richtungen der Kommunikation und deren Vertreter! Die Rhetorik ist über Jahrhunderte eine der Schlüsselfertigkeiten der Wissenschaftler und gebildeten Schichten. Als zentraler Teil der 7 Freien Künste beeinflusst sie auch Diskussionen über Gott, Recht und die Politik. Von der antiken Philosophie bis zur Theologie des späten Mittelalters wird der gewinnenden Rede – somit der Kommunikation in Gruppen – große Bedeutung beigemessen. Wesentliche Elemente, wie z. B. die Figurenlehre, haben sich bis heute erhalten und sind sogar im Rahmen der Semiotik in andere Bereiche z. B. die visuelle Rhetorik übertragen worden.5 Mit der Aufklärung begegnete man der dem Gespräch innewohnenden Subjektivität zunehmend kritisch. Eine Haltung, die vereinfacht gesagt bis ins 20ste Jahrhundert anhielt. Bis dahin folgte nun die gelehrte Beschäftigung mit Sprache und Kommunikation eher empirischen (Gebrüder Grimm), später sogar naturwissenschaftlichen (Junggrammatiker) Modellen. Erst die „Wiederentdeckung“ des Subjektiven z. B. in Form der Psychoanalyse Freuds oder der Phänomenologie von Husserl und Alfred Schütz bereitet den Boden für eine Weiterentwicklung der Wissenschaft von der Kommunikation zwischen Subjekten.6 Mit der Ethnomethodologie, einer primär anthropologischen Forschungsrichtung der 50ziger Jahre, die sich mit dem Verstehen sozialer Praktiken von Gruppen beschäftigt, rückte dann auch die Kommunikation, die Frage wie sich ihre Abläufe organisieren und wie Verständigung und Verstehen entsteht,

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Ein Klassiker hier ist: Jacques Durand: Rhetorical Figures in the Advertising Image, in: Umiker-Sebeok (Hrsg.): Marketing and Semiotics. New Directions in the study of Signs for Sale, Berlin-New York-Amsterdam 1987, S. 295-318. Schlüsselwerk hier sicher: Alfred Schütz: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, Frankfurt a. M. 1974. Das spannendste Buch hier, das ich kenne, leider schwer zu kriegen: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen: Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. Symbolischer Interaktionismus und Ethnomethodologie, Hamburg 1973.

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wieder stärker ins Interesse, was in eine umfangreiche Konversations- oder Gesprächsanalyse mündet, auf der viele unserer heutigen Erkenntnisse beruhen und die vor allem den starren Formenkatalog der Rhetorik aufgebrochen hat und Kommunikation als dynamisches, subjektives und selbst organisierendes Verfahren schildert. Parallel entwickelte sich eine Kommunikationssoziologie, mit Erving Goffman als bekanntestem Vertreter, die sich basierend auf den Entwicklungen der Soziologie Anfang des vergangenen Jahrhunderts mit dem Wechselverhältnis von Kommunikation und Sozialität auseinandersetzt. Die Kommunikationssoziologie legt erhellende Beschreibungen vor, wie Erwartungen an Rolle und Situation Äußerungen und deren Verständnis prägen, wie andererseits symbolische Äußerungen Rollen und Situationen definieren können. Zudem stellt sie die formende und leitende Funktion von Kommunikation und Gemeinschaft gegenüber der Psyche jedes Individuums dar.7 In der Denktradition der Gruppendynamik, die nach wie vor für die Beschreibung von Kommunikation in Gruppen eine große Relevanz darstellt, da sie das Grundmuster für alle möglichen Klassifikationen abgibt, kann man eine Verbindung von Goffmannscher oder (Georg) Simmelscher Kommunikationsanalyse und Ethnomethodologie sehen. Die Gruppendynamik formuliert abstrakte, von spezifischen sozialen Bedingungen losgelöste Verhaltensmuster in der Interaktion und Kommunikation von Gruppen, wie das Bild vom Alphatier oder die Opposition von Kampf und Flucht.8 Mit der Sozio-Semiotik, hier ist Ferruccio Rossi-Landi als wichtigster Vertreter zu nennen, wird ein weiterer Faktor der Gruppenkommunikation beschrieben. Die Tatsache nämlich, dass sich in Zeichen, ihren Systemen und Bedeutungen, Gemeinschaft verdichtet. Eigentlich sind Zeichen – in allen physischen Ausprägungen – die einzigen Materialisierungen, in denen uns Sozialität verfügbar wird. Die Sozio-Semiotik schärft unseren Blick auf jahrtausende alte Techniken, wie Sprachregelungen, Gemeinschaft stiftende Symbole oder bewusste Exklusion durch Zeichensysteme.9 7 8 9

Goffmann und Simmel sind es immer wert, dass man sie im Original liest, z. B.: Georg Simmel: Individualismus der modernen Zeit, Frankfurt a. M. 2008; Erving Goffmann: Wir alle spielen Theater: Die Selbstdarstellung im Alltag, 9. Auflage, München 2003. Eine eher theoretische Vertiefung findet sich bei: Klaus Antons et al. Gruppenprozesse verstehen. 2. Auflage Wiesbaden 2004; wobei ich vermute, dass das Gute nahe liegt und Sie in diesem Werk genau dazu schon das meiste finden werden. Eine gute Sammlung findet sich in: Ferrucio Rossi-Landi: Semiotik, Ästhetik und Ideologie, MünchenWien 1976.

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In der gegenwärtigen Kommunikationswissenschaft, wie sie in Deutschland z. B. an der Uni Münster in der Nachfolge von Klaus Merten betrieben wird, finden wir weitgehend eine Synthese der hier beschriebenen Ansätze, mit einer starken zusätzlichen Berücksichtigung von Mediennutzung. Im Bereich der direkten Gruppenkommunikation – ob mit oder ohne Medieneinsatz, z. B. Videokonferenz, ist dabei weniger relevant – steht dabei ein durch soziale Rahmen und Gemeinsamkeiten in der Sozialisation eingebetteter Konstruktivismus im Mittelpunkt der Theorien. Denn die zentrale Funktion von Gruppenkommunikation ist es, die unhintergehbare subjektive Lebenswelt im Prozess der „gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit“ (Berger/Luckmann) für den Einzelnen und die Gruppe erträglich und lebbar zu machen.10

3. Typische Fragestellungen in der Kommunikation! Die klassischen Fragestellungen der Kommunikationswissenschaften sind: • Wie entstehen Bedeutungen, am besten in sozialen Gruppen geteilte Bedeutungen? • Wie kann man über Bedeutungen, über Zeichen und über Kommunikation Verhalten beeinflussen? • Kann man Kommunikationsverhalten operationalisieren, d.h. vorhersehbar und letztlich optimierbar machen? • Durch die Fragestellung nach der Gruppe kommen Aspekte hinzu, wie – Welche verändernden Wirkungen ruft die Anwesenheit von weiteren Personen hervor? – Was macht sozial geteilte Bedeutungen aus? – Gibt es unterschiedliche Funktionen und Rollen bei mehreren Kommunikationspartnern? Sind diese individuell durch die Persönlichkeit oder eher funktional durch die Interaktion bestimmt?

4. Typische Axiome, Theoreme und Begriffe in der Kommunikation! Die folgenden Theoreme stellen die Essenz von Kommunikation dar. Hier muss ich mich im Wesentlichen doch wiederholen, denn hier gilt, was für die 10 Das Überblickswerk über die aktuelle Kommunikationsforschung in Deutschland ist: Klaus Merten / Siegfried J. Schmidt / Siegfried Weischenberg (Hrsg.): Die Wirklichkeit der Medien. Opladen 1994; das soziologische Gegengewicht schafft: Peter L. Berger / Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt a. M. 1967.

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Zweier-Kommunikation gütig ist, ist auch für die Kommunikation mit oder vor mehr Personen von Belang. Trotzdem kann ich natürlich verschiedene Ergänzungen und Spezifikationen vornehmen gegenüber dem, was für die ursprüngliche Zweier-Kommunikation gilt! Dieser Absatz ist das Herzstück dieses Beitrags und hat schon starke Vorgriffe zu den folgenden Fragen. Diese werden meist nur noch bestimmte Facetten des hier gesagten vertiefen. Der eilige Leser mag sich darum mit der komprimieren Botschaft an dieser Stelle begnügen. • Das grundlegende Verständnis vorab: Es gibt ja fast beliebig viele Definitionen und Verständnisse von Kommunikation. Aus meiner Sicht hat sich gerade wenn man Kommunikation gestalten will oder mit Kommunikation gestalten will, ein enger Kommunikationsbegriff als nützlich erwiesen. Gerade wenn nicht jede zufällige Entäußerung Kommunikation ist, kann ich mit dem Konzept erst arbeiten. So wird im Weiteren unter Kommunikation nur verstanden: das absichtliche Handeln zweier (intelligenzbegabter) Lebewesen miteinander zum Zwecke der Beeinflussung (von Bewusstseinsinhalten und Handlungen) mittels Zeichen. Vor dieser Abgrenzung sind alle folgenden Äußerungen zu verstehen. Andererseits machen die folgenden Äußerungen diese etwas spröde Definition erst plastisch. • Du kannst nicht nicht-kommunizieren. Das populärste aller Kommunikations-Axiome. In letzter Konsequenz allerdings falsch, da Kommunikation einen wechselseitigen und absichtsvollen Prozess darstellt. Richtig ist vielmehr, dass man sich nicht dagegen wehren kann, von anderen (auch falsch) interpretiert zu werden, selbst wenn man nichts ausdrücken wollte. Trotzdem zeigt das Axiom, wie wichtig die permanente Verständnis sichernde Auseinandersetzung mit relevanten Mitmenschen ist. Was besonders bei der Kommunikation mit / vor Mehreren eine Herausforderung darstellt, weil der Kommunikator nun mehrere mögliche Interpretationen in sein Kalkül miteinbeziehen muss. Was dazu führt, dass mit der Zahl der Kommunikations-Partner die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Kommunikationsteilnehmer sozial vermittelte Rollen übernehmen, d.h. sie einfach nicht mehr „sie selbst“ sind. • Kommunikation ist ein Prozess. Man muss die zeitliche Dauer im Auge behalten. Die Reduzierung auf einzelne Akte oder gar einzelne Medien, wie z. B. den Wortlaut des gesagten Satzes, blendet wesentliche Aspekte wie die nachfolgende Interpretation oder begleitende Aktivitäten wie Gestik und Mimik aus. Gerade bei der Kommunikation in Gruppen ist es nicht das Wort oder der Satz, der Verhalten und Bedeutung bestimmt, sondern die Summe der Reaktionen (explizit oder implizit) aller Beteiligten. Der

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Glaube an eine objektive Kommunikation, an aus sich heraus wirkende Zeichen sprachlicher oder nicht-sprachlicher Art, ist eine Illusion gerade in der Gruppenkommunikation. Kommunikation ist intentional. Alles was nicht-intentional ist, ist etwas anderes. In der Beschäftigung mit Kommunikation liegt somit kein Allheilmittel für alle Formen möglicherweise störungsanfälligen Sozialverhaltens. Es liegt aber auch ein Vorteil darin, nicht jedes Verhalten als Kommunikation auf sich selbst beziehen zu müssen. Dieser vordergründig methodische Kniff scheint auf den ersten Blick gerade für Gruppenkommunikation unbefriedigend, gibt es doch gerade hier viele solcher Verhaltensmuster, z. B. das Ritual, oder das eher subkommunikative Imitationshandeln, das z. B. Aggression vermeiden soll oder Nähe erzeugen soll. Viel Potenzial für die Analyse von Gruppenkommunikation liegt in der Frage, ob solche Effekte bewusst intentional herbei geführt werden können, oder ob ihnen unbewusste Verhaltensstereotype – also in unserem Sinne „Nicht-Kommunikation“ – zugrunde liegt. An Kommunikation sind mindestens zwei Individuen beteiligt. Allerdings wird über den Punkt, ob die Individuen Menschen sein müssen oder auch Tiere und Maschinen sein können, viel gestritten. Und die Beteiligung kann durchaus indirekt (über Entfernungen und Zeiten) sein. So gesehen ist Medien-Kommunikation indirekt immer Kommunikation mit Gruppen, weil zur Medienerfahrung elementar das Verständnis gehört, dass auch andere die Nachricht ebenfalls rezipieren. Jeder kommunikativen Äußerung wohnt immer eine Vorstellung über den Anderen, sein aktuelles und sein zukünftiges Denken und Verhalten inne. In der Gruppenkommunikation entsteht zusätzlich eine Vorstellung über das den Teilnehmern Gemeinsame. D.h. zusätzlich hat jeder Kommunikator nicht nur ein Modell über seine Gegenüber, sondern auch über seine Gemeinschaft. Kommunikation kann scheitern – bemerkt und unbemerkt. Es ist zentral, dies zu wissen und entsprechende Vorsichts- und Kontrollmaßnahmen in sein kommunikatives Tun einzubauen. Für die Gruppenkommunikation bedeutet das, die grundsätzliche Entscheidung, wen man in die Gelingensbedingungen seiner (intentionalen) Kommunikation einbeziehen möchte. Will ich nur eine Person in ihrem Verhalten und / oder Denken beeinflussen und alle anderen sind (für mich) nur Rahmenbedingungen, positiver oder negativer Art, oder ist es meine Aufgabe mehrere Personen gleichzeitig zu beeinflussen. Kommunikation ist Arbeit. Wesentliche Teile der Arbeit werden nicht für die inhaltlichen Elemente, sondern für die Aufrechterhaltung und die

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Gestaltung der Rahmenbedingungen (z.B. physische Wahrnehmbarkeit, subjektive Sympathie, soziale Hierarchie) aufgewendet – und müssen dies auch. Kommunikation verbraucht daher Energie und ist im beruflichen und privaten Umfeld ein knappes und nicht beliebig reproduzierbares oder gar multiplizierbares Gut, auch nicht oder erst recht nicht durch den Einsatz von technischen Hilfsmitteln. Ein wichtiger Aspekt der Gruppen-Kommunikation ist die Hoffnung, durch das gleichzeitige Kommunizieren mit mehreren Individuen Arbeit, Zeit und damit Energie zu sparen. Hier gilt eine Art kommunikativer Unschärfe-Relation, je einfacher und offener mein Kommunikationsziel ist, desto mehr Personen kann ich gleichzeitig adressieren und desto mehr Energie kann ich sparen. So kann ich die reine Aufmerksamkeit auf meine Person durchaus noch bei 50.000 Menschen gleichzeitig erreichen, zum Beispiel als Flitzer in einem Fußball-Stadion. Emotionale Sympathie oder intellektuelle Synthese zu erzeugen verbrauchen ein Vielfaches an persönlicher Energie, sodass eine bestimmte Gruppengröße diese Ziele zum Scheitern durch fehlende kommunikative Kraft bringen kann. • Die Subjektivität jedes Einzelnen ist unhintergehbar. Wir müssen damit leben, dass wir unseren Mitmenschen nicht in die Köpfe schauen können. Selbst das unentwegte Wiederholen von Aussagen oder das lange Schleifen an Formulierungen ändern nichts an der Freiheit des Einzelnen und an der Unsicherheit über die Interpretation des anderen. Wir können uns dabei auch selbst nicht unserer eigenen Subjektivität erwehren – Objektivität ist keine Willenssache. Das spannende an der Kommunikation mit Gruppen ist, dass sich die Subjektivität auf der einen Seite potenziert. Auf der anderen Seiten können Gruppen, die über die reine Anwesenheit mehrerer Personen hinaus Eigenschaften sozialer Gemeinschaft aufweisen, Verhaltensweisen, Kommunikationsroutinen und auch Interpretationen stabilisieren, was uns zum nächsten Punkt führt. Dies ist aber keinesfalls gleichbedeutend mit der Aufhebung von Subjektivität. Vielmehr birgt jede sozial geteilte Bedeutung die Gefahr der Täuschung und des Missverständnisses. • Kommunikation objektiviert sich (nur) außerhalb der Kommunikatoren. Objektiv sind nur Äußerungen, Medien und Handlungen. Diese entfalten auch intersubjektive Wirkung und schränken die subjektiven Freiheitsgrade der Interpretation und des Handelns ein, ohne aber die Subjektivität ausschalten zu können. Ein gesagter Satz verändert die Situation zwischen zwei Personen, ohne dass sich genau festlegen lässt wie. Aber durch eine Kette von Äußerungen, Medien und Handlungen – durch Diskurs – erreichen Individuen und Gemeinschaften eine gewisse, lebensnotwendige Stabilität in ihren Interpretationen.

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• Kommunikation ist ein gemeinschaftlicher Gestaltungsprozess. Gestaltet werden zwei subjektive Welttheorien und ein intersubjektives Medium. Erst Gestaltung formt aus den beiden die Kommunikation zwangsläufig begleitenden Prozessen Interaktion und Wahrnehmung den Sinn, um den es bei Kommunikation geht und der Kommunikation lebensnotwendig macht. Im Medium und in Handlungen manifestiert sich dabei intersubjektiv Gemeinschaft, die auf diese und zukünftige Kommunikation zurückwirken kann. Hier sieht man auch, dass die Effizienzhoffnung der Gruppenkommunikation, einmal kommuniziert, X Personen erreicht, schnell an der Komplexität der zu gestaltenden Gemeinschaften zerschellt, denn ich muss nicht bloß X, sondern X*(X-1) Welttheorien gestalten, sobald ich unterstelle, dass die Gruppenmitglieder alle auch untereinander interagieren, d.h. auch potenziell sich gegenseitig interpretieren und letztlich beeinflussen. D.h. durch die Gruppe steigt das Risiko des Scheiterns von Kommunikation exponentiell, selbst wenn es im Gegenzug auch die Hoffnung auf positive gegenseitige Bestärkung von Interpretation gibt. Was sich mit der alltagsweltlichen Erfahrung deckt, wirklich schwierige und möglicherweise missverständliche Gespräche unter 4 Augen zu führen. • Alles ist Zeichen. Nicht alles ist nur Zeichen. Alles Belebte und Unbelebte kann durch Interpretation eine Bedeutung erlangen. Nur als Zeichen können wir uns diese Bedeutungen aneignen. Die Bedeutung eines Zeichens bestimmt sich – wie Wittgenstein so treffend gesagt hat – nur im Gebrauch. Wobei gerade in größeren Gruppen öfter auf vermeintlich sichere und sicher geteilte Interpretationen – also Bedeutungen vor Gebrauch – Bezug genommen wird. Geschieht dies unreflektiert und unkontrolliert, liegt hier die größte Fehlerquelle für Kommunikation mit Gruppen. • Medien sind nicht neutral, in Bezug auf Kommunikationsverlauf, -inhalt und -ergebnis. D.h. wie und worin Kommunikationsabsichten und -inhalte geäußert werden, ist wichtig für Kommunikationserfolg oder -misserfolg. Derselbe Wortlaut im persönlichen Gespräch, in einer Mitarbeiterversammlung, im Intranet oder in der Bildzeitung können grundlegend andere Wirkungen, d.h. Interpretationen, hervorrufen. Was letztlich auch mit der jeweils anderen Integration der mitkommunizierenden Gruppe zusammenhängt. • Durch eine dritte Person verändert sich Kommunikation grundlegend qualitativ. Kommunikation in Gruppen zerfällt nicht in Teile von ZweierKommunikation. Es entsteht die Notwendigkeit Verhaltensweisen und Bedeutung der Kommunikation zu externalisieren und zu objektivieren. Können sich zwei Personen zumindest theoretisch die gesamte Geschichte ihrer Kommunikation merken und ihre Interpretationen darauf aufbauen, muss

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ich mich bei Gruppenkommunikation zwangsläufig auf Verhaltensweisen und Interpretationen stützen, die nicht einer gemeinsamen Kommunikationshistorie entstammen. So sorgt erst die dritte Person für die Notwendigkeit, soziale Mechanismen zur Herstellung von Bedeutungsstabilität zu entwickeln, z. B. Mythen oder Schrift. Eine absolute Trennung von Zweier- und Dreier-Kommunikation ist aber hypothetisch, da ich auch im Zweier-Verhältnis nie nur auf symbiotisch geteilte Bedeutungen oder Kommunikationsmuster zurückgreifen kann. Und selbst im Selbstgespräch oder im Tagebuch bedienen wir uns sozialer Kommunikationshilfen, um unserer Vergesslichkeit und unserer eigenen Veränderung zu begegnen. Während die dritte Person die Kommunikation qualitativ verändert, hat jede weitere Person nur noch einen quantitativen Effekt auf unsere Wahrnehmung, Konzentration und Zuwendung aber keinen qualitativen. • Wir alle spielen Theater. Dieser Buchtitel von Goffman bringt plakativ auf den Punkt, dass sozial verdichtete Erwartungen an uns in starkem Maße unser Verhalten und auch unsere Kommunikation beeinflussen. Für die Betrachtung der Kommunikation zentral ist dabei, zu berücksichtigen, dass große Anteile unseres kommunikativen Verhaltens nicht der Vermittlung von Neuigkeiten, der Verhaltens- oder Verstehensbeeinflussung anderer dienen – also dem was wir gemeinhin als Zweck und Funktion von Kommunikation ansehen –, sondern der Entsprechung und dem Aufrechterhalten der sozialen Erwartungen. Es kann daher sehr fruchtbar sein, diese Aspekte als Nicht-Kommunikation von der eigentlichen Kommunikation zu trennen und sie z. B. unter dem Phänomen des Rituals zusammenzufassen. Dieser Ansatz hat sich aber weder im alltagssprachlichen noch im wissenschaftlichen Reden über Kommunikation durchgesetzt. Andererseits wird immer mal wieder die Forderung erhoben Kommunikation von den sozial vorgegebenen Masken zu entkleiden oder sie von der Bühne herunter zu holen (namentlich in so genannten Reality-Formaten in den Medien). Dabei wird verkannt, dass so meist nur ein sozialer Rahmen durch einen anderen ersetzt wird. Und dass wir als soziale Wesen von allen sozialen Masken entkleidet wahrscheinlich nicht unser „wahres Ich“, sondern ein uninterpretiertes, asoziales und somit unverständliches Es zeigen werden.

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5. Typische Deutungsmuster in der Kommunikation (Analyse- und Lösungsstrategien) Die Kommunikationswissenschaft untersucht basieren auf den oben gemachten Basiserkenntnissen und -annahmen verschiedene Facetten der Kommunikation: • Gesprächs-Ablauf-Muster und Strukturierungsprozesse: Hier geht es um allgemeine Muster und Techniken wie sich z. B. Gespräche entwickeln. Welche sprachlichen und nicht-sprachlichen Impulse Teilnehmer setzen, um den Gesprächsfluss zu lenken. Es geht um das Erlangen des Rederechts, um Techniken Inhalte und Interpretationen durchzusetzen und vieles mehr. Dabei gibt es rein empirische Vorgehensweisen, die nur Beobachtungen sammeln und beschreibend gruppieren. Aber immer beliebter werden – gerade in ökonomischen Zusammenhängen – Ansätze, die versuchen die Erkenntnisse operativ nutzbar zu machen, in dem man bestimmte Verhaltensmuster an- oder abtrainiert bzw. auf Schlüsselmuster bei seinem Gegenüber achtet, um darauf dann bestimmte erfolgreiche eigene Verhaltensmuster anknüpfen zu lassen. In ihrer notwendigen Verallgemeinerung und Vereinfachung sind diese Ansätze, z. B. Theorien zur Körpersprache oder auch das sehr populäre NLP, aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht mit großer Vorsicht zu genießen. Zumal sich gerade in der Gruppenkommunikation, wie gezeigt, die Komplexität und Interdependenz exponentiell erhöht.11 • Gattungsentwicklung: An die allgemeine Mustererkennung schließt die Beschreibung verschiedener Kommunikationsgattungen an. Wobei die Kriterien der Gattungsbildung recht vielfältig von Ort (Kneipen-Gespräch) über Ziel (Beratungs-Gespräch) bis zum Sozial-Verhältnis (Arzt-Patienten-Gespräch) sein können. Ein allgemein akzeptiertes Gattungsschema hat sich bis heute nicht durchgesetzt. Und die vollständige Bearbeitung z. B. aller möglichen Gesprächs-Ort-Gattungen scheitert an der unterschiedlichen Zugänglichkeit solcher Orte wie z. B. dem Schlafzimmer. Nichtsdestotrotz können Gattungsbeschreibungen, wie das Lehrer-Schüler-Gespräch bei entsprechend solider Fallzahl wesentlich verlässlicher Verstehens- und Verhaltenshilfen liefern als abstrakte Hilfestellungen z. B. zu universalen Bedeutungen der Mimik.12

11 Mehr hierzu bei: Helmut Henne / Helmut Rehbock: Einführung in die Gesprächsanalyse, 3. Auflage, Berlin, New York 1995. 12 Ein Einstieg in diesen Bereich findet sich bei: Susanne Günthner, Hubert A. Knoblauch: Gattungsanalyse, in: Ronald Hitzler / Anne Honer (Hrsg.): Sozialwissenschaftliche Hermeneutik. Opladen: 1997, 281 – 307.

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• Soziale Bedeutungen und Interpretationen (sprachlich, nicht-sprachlich): Über die Gattungen hinaus, die wie die allgemeine Gesprächsanalyse noch sehr am Gespräch und an dessen Ablauf orientiert sind, arbeitet die Kommunikationswissenschaft auf breiter Front daran zu beschreiben und zu verstehen, wie soziale geteilte (stabile) Bedeutungen und Interpretationen entstehen. Dabei gilt es drei Stränge zu verknüpfen: erstens die individuelle Bedeutungsgenese, die in unserer offenen Gesellschaft zwar immer komplexeren Mustern folgt, die aber bei ähnlichem Verlauf eine sichere Quelle gleicher oder zumindest ähnlicher Interpretationen zweier Individuen darstellt. Zum zweiten einen Mediendiskurs der zur Übernahme von eher stereotypen, weniger verinnerlichten und daher flüchtigen Interpretationen führt. Und drittens die konkrete Aktualisierung von Interpretationen in der tatsächlichen Kommunikation, die im Aufeinandertreffen verschiedener Vorinterpretationen, Kommunikationsziele und Verhaltenweisen dann zur aktuellen Interpretation führt. Dabei arbeitet die Kommunikationswissenschaft in den letzten Jahren verstärkt daran, Interpretation und Bedeutung keinesfalls auf Sprache oder gar schriftlich fixierbaren Text zu reduzieren.13 • Interdependenz Kommunikation und Sozialität: Das Wechselverhältnis von Kommunikation und Gesellschaft bzw. Gemeinschaft ist ein weiterer zentraler Untersuchungsgegenstand. Auch wenn es zwei klar getrennte wissenschaftliche Gegenstände sind, bedingen und beeinflussen sie sich doch über weite Strecken. Kommunikation bedarf einer sozialen Basis, bzw. Kommunikation über soziale Grenzen hinaus bedarf besonderer Anstrengung und Aufmerksamkeit, z. B. zuallererst der Erkenntnis, dass soziale Grenzen überschritten werden. Gemeinschaften wiederum benötigen für ihre Stabilität bestimmte Kommunikationsweisen und wiederkehrende Interpretationen, oft verdichtet in den zentralen Symbolen einer Gemeinschaft. So sorgen z. B. die Interpretationen innerhalb der Gemeinschaft der Ökonomen und Manager für stabile und voraussagbare Kommunikationsergebnisse, diese bestätigen gleichzeitig die Bedeutung und Macht dieser Gruppe im gesamtgesellschaftlichen Umfeld.14 • Pragmatik – erfolgreiche Kommunikation und Zeichengebrauch: Eine wachsende Zahl von Forschern und Wissenschaftlern versucht sich im Spagat zwischen alltäglichem Sprachhandeln und wissenschaftlicher Reflektion, um kommunizierenden Organisationen und Individuen Hilfestellungen 13 Beispielhaft und gut zu lesen: Hans-Georg Soeffner: Die Ordnung der Rituale. Die Auslegung des Alltags 2, Frankfurt am Main 1992. 14 Hier würde ich gerne auf einen Klassiker verweisen, der aber gerade durch die Diskussion um virtuelle Gemeinschaften im Web 2.0 wieder neue Aktualität bekommen hat: Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied 1962.

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geben zu können. Dabei hat dies in den 70er und 80er Jahren seinen Anfang bei der klassischen Gruppensituation, wie der Unterrichtssituation oder der Gerichtsverhandlung genommen, sich aber in den letzten Jahrzehnten stärker den medial vermittelten Kommunikationsbedingungen zugewandt, insbesondere den Themen der Wirtschaftskommunikation, d.h. wie funktioniert Werbung und wie entstehen Produkt-Bedeutungen, und den Medien selber, d.h. warum werden welche Medien gelesen und wie beeinflussen Medien Verhalten und Verstehen bestimmter Gruppen. Durch die Medienrevolution, die Massenmedientechnologie in die Hände aller – oder zumindest entsprechend ausgebildeter Gruppen – gegeben hat, erleben wir hier eine Konvergenz von Mediennutzung, individueller Kommunikation und ökonomisch durchdrungener Kommunikation. Allerdings werden die Felder des Interesses gerade bezüglich der Pragmatik erfolgreicher Kommunikation immer noch durch ökonomische Interessen vorgegeben.15

6. Typische Anwendungsfelder dieser Kommunikation! Wenn man das bis hier hin Gesagte weiter konkretisiert ergeben sich ganz konsequent die typischen Anwendungsfelder der Kommunikationswissenschaft: • Die Untersuchung spezifische Kommunikationssituationen, z. B. Visite, Verhör, Verhandlung, Meeting. • Allgemeine Rhetorik – wirkungsvolles Kommunizieren, insbesondere Ratschläge und Trainingsprogramme für einzelne Personen für bestimmte Situationen z. B. Verhalten vor der Kamera oder auf Basis einzelner oder mehrerer Handlungsprogramme, z. B. Akzeptanzfaktoren in sozialen Medien. • Stabilität und Verlässlichkeit von Zeichen- / Bedeutungssystemen, hier sind zuerst Marken und Unternehmen als Auftraggeber und Untersuchungsgegenstände zu nennen, aber im Zeichen der Globalisierung wird interkulturelle Kommunikation immer interessanter und wichtiger.

7. Typische Kritik an der Wissenschaftsdisziplin! Zentraler Ansatzpunkt der Kritik an der Kommunikationswissenschaft ist ihr Gegenstand selbst. In ihrer Universalität und der gleichzeitigen Flüchtigkeit liegt 15 Hier muss ich auf meine beiden Arbeiten verweisen: Klaus Bernsau: Der Erfolg des Zeichens Coca-Cola in Deutschland: Eine semiotische Analyse, Saarbrücken 2007 und Strukturwandel als Sinnwandel. Die Schaffung des neuen Ruhrgebiets durch Kommunikation, Saarbrücken 2009; spannend und anregend für alle die sich mit ökonomischen Zeichen befassen ist auch: Helene Karmasin: Produkte als Botschaften, Landsberg am Lech 2007.

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die Ursache, dass sowohl Laien als auch Experten anderer Disziplinen die Notwendigkeit und Relevanz einer Kommunikationswissenschaft nicht erkennen. Als quasi natürliches Phänomen und angeborene Fähigkeit wird sie oft nicht problematisiert, und wenn werden Teilaspekte dann anderen Wissenschaften wie der Soziologie, Informatik, Ökonomie etc. zugeschlagen. Darunter leidet dann wiederum die Klarheit, Struktur und Akzeptanz der Begriffe, Methoden und Theorien der Kommunikationswissenschaft, wenn es zu interdisziplinären Vermischungen mit den anderen Wissenschaften kommt. Andererseits lässt sich der Wert einer theoretischen Klärung zentraler Begriffe wie Kommunikation, Wissen, Information, Zeichen etc. schwer vermitteln, wenn man mit allgemeinsprachlichen Konzepten und den gleich lautenden Konzepten anderer Wissenschaften konkurriert, die oft mehr Präsenz und Deutungsmacht besitzen. Und im Zwang einer anwendungsorientierten Vermarktung der wissenschaftlichen Arbeit läuft die Kommunikationswissenschaft Gefahr ihre Begriffe und Theorien soweit zu simplifizieren, dass sie sich zu wenig von Ad-hoc- oder Common-Sense-Theorien unterscheiden. Andererseits gelingt es ihr zu selten, anders als z. B. der Betriebswirtschaftslehre oder der Mathematik, aus ihren abstrakteren Konzepten soziale, politische, technische oder ökonomische Verhaltensmaßregeln abzuleiten. Umso wichtiger ist es, dass sich Berufszweige, die unstrittig mit Kommunikation beschäftigt sind, z. B. Journalisten, Softwareentwickler, Werbefachleute und eben auch Coaches, in ihrer Ausbildung und in ihrer Berufsethik laufend auf den aktuellen Wissensstand der Kommunikationswissenschaft Bezug nehmen und sich nicht mit Ad-hoc- oder Pseudo-Wissen begnügen. Insofern ist dieser Beitrag in seiner synoptischen Verdichtung sicher auch eine Gratwanderung.16

8. Bedeutung der Kommunikation für das Coaching! Eine Kommunikationswissenschaft, die sich auch mit Kommunikation von mehr als zwei Personen beschäftigt, kann für das Coaching, das wiederum in seiner Grundidee eine Zweier-Kommunikation ist, mehrere Hilfestellungen liefern. 16 Neben den bereits erwähnten Merten / Schmidt / Weischenberg (1994) möchte ich als letzte Verweise aus dem Text heraus noch zwei weitere Einführungen nennen, dies durchaus kritisch versuchen, die hier genannten verschiedenen Wurzeln der Kommunikationswissenschaft zu verbinden: es sind dies: Dieter Krallmann / Andreas Ziemann: Grundkurs Kommunikationswissenschaft, München 2001 und Nils Lenke / Hans-Dieter Lutz / Michael Sprenger: Grundlagen sprachlicher Kommunikation München 1995.

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Zum einen ist das Kommunikationsverhalten der Coachees gerade im Zusammenhang mit den wichtigsten sozialen Gruppen, zu denen wir gehören, dem Unternehmen und der Familie, eine Kommunikation mit mehr als einem Gegenüber. Die spezifischen Veränderungen durch die dritte Person, die in diesem Beitrag angerissen wurden, müssen dem Coach dabei wohl bewusst sein. Auch zur Beurteilung der inhaltlichen Veränderungen und der besonderen Nützlichkeit von Coachings in und von Gruppen kommt man um eine genaue Kenntnis der Prozesse der Gruppenkommunikation nicht herum. Will man gerade die Wechselwirkung der Gruppe verdeutlichen und daran arbeiten oder ist das Verdecken der Subjektivität durch die Sozialität, die die Gruppe immer mit sich bringt, eher hinderlich. Die Veränderung der Wahrnehmung und von entsprechenden Äußerungen vom „Einser“- über das Zweier- zum Dreier-Gespräch ist ein mächtiges kommunikatives Werkzeug, das im Coaching ebenso bewusst eingesetzt werden muss, wie im Personalgespräch oder im juristischen Verhör. Auf der Mikroebene verdeutlich die Kommunikationswissenschaft die Dynamik und den Zeichengebrauch zur Herstellung von Kommunikationsflüssen und bei der Entstehung von Bedeutungen. Hier gibt es naturgemäß eine große Nähe zu direkten therapeutischen oder pädagogischen Sozialtechniken, wie z. B. der Aufstellung, die diesen Ablauf entweder nur bewusst machen oder im Gegenteil die gewohnten Prozesse aufbrechen wollen. Letztlich ist die Kommunikationswissenschaft zentral, um sowohl den Coaching-Prozess als auch zentrale lebensweltliche Inhalte des Coachings wissenschaftlich fundiert zu reflektieren. Auf der Makroebene hilft die Kommunikationswissenschaft eine Verselbstständigung von Zeichen- oder Kommunikationssystemen, z. B. Leitlinien und regelmäßigen Verlautbarungen in Unternehmen, aufzudecken, denen es im Namen einer angestrebten Kommunikationseffizienz misslingt, die Unternehmensmitglieder zu erreichen und ihre subjektive Lebenswelt zu beeinflussen. Solche grundsätzlichen Defekte in der organisatorischen Gruppenkommunikation können über hochaktuelle Symptome wie Mobbing oder Burn-Out zum direkten Gegenstand von Coaching werden.

Kommunikation in und vor Gruppen

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9. Drei Basisliteraturangaben Wem die vielen Querverweise der Fußnoten zu vielschichtig sind und wer dort noch keine klare Linie erkennen kann, dem sind zum Einstieg diese drei Bücher ans Herz gelegt. Jedes lotet jeweils einen ganz eigenen wichtigen Aspekt des Themas aus. Erving Goffmann, Wir alle spielen Theater: Die Selbstdarstellung im Alltag, 9. Auflage, München (Piper Taschenbuch) 2003 Helmut Henne / Helmut Rehbock, Einführung in die Gesprächsanalyse, 3. Auflage, Berlin, New York (Walter de Gruyter) 1995 Hermann Schlüter, Grundkurs der Rhetorik, München (dtv) 1974 u. später

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Missverständnis und Irrtum Dipl. iur. Nina Meier, Kaltenkirchen

1. Einleitung Missverständnisse existieren so lange wie Menschen miteinander kommunizieren. Denn ein Missverständnis liegt vor, wenn in der menschlichen Kommunikation ein Unterschied zwischen Sender und Empfänger hinsichtlich des Gesagten entsteht. Liegt die Ursache in der fehlerhaften akustischen Wahrnehmung, so liegt ein Missverstehen als ein Missverständnis vor. Liegt hingegen die Ursache im fehlerhaftem Vertrauen so kann zwischen Missverständnis im weiteren Sinne und dem Irrtum als Missverständnis im engeren Sinne differenziert werden.

Wer sich irrt, der hat eine Fehlvorstellung von der Wirklichkeit. Solche Fehlvorstellung ist Ergebnis von diversen kognitiven Prozessen / Arbeitsvorgängen im menschlichen Gehirn während der menschlichen Kommunikation. Denn ein Missverständnis wird im Sinne der Sender-Empfänger-Theorie produziert, wenn der Empfänger etwas anderes versteht als der Sender meint.1 Jedoch neben diesem Prozess der Kommunikation ist das Vertrauen der beteiligten Personen von Bedeutung. Beim Irrtum liegt der Schwerpunkt im Vertrauen der Richtigkeit beim Empfänger. 1

U.a. Paul Watzlawick, Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien, Bern 1969.

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Hintergrundinformationen

Im Gegensatz zum Irrtum entsteht eine Lüge absichtlich aus falschen Informationen oder Schlüssen, sodass die Wahrheit absichtlich verfälscht worden ist. Hier versteht der Empfänger genau das, was der Sender kommuniziert. Folglich ist die richtig verstandene Lüge kein Missverständnis, jedoch im weiteren Sinne eine Fehlvorstellung von der Wirklichkeit aufgrund bestehenden Vertrauens in die Echtheit der Information. Insofern liegt der Schwerpunkt des Vertrauens in die Richtigkeit beim Sender. Missverständnisse sollten nicht als Scheitern sondern als Chance erkannt werden. Die Chance liegt gerade darin, sich mit seinem Gegenüber besser und konkreter auseinanderzusetzen. Bedeutungen der Wörter und des Zieles sollten miteinander vernünftig geklärt werden. Denn „höre nicht auf das, was ich meine, sondern auf das, was ich sage!“ hilft ungemein. Hier wird deutlich, dass wir viel zu schnell interpretieren und von unserer Konstruktion des Lebens / der Wahrheit ausgehen, als sich mit dem Tatsächlichen auseinanderzusetzen. „Gedacht ist nicht gesagt. Gesagt ist nicht gehört. Gehört ist nicht verstanden. Verstanden ist nicht gewollt. Gewollt ist nicht gekonnt. Gekonnt und gewollt ist nicht getan. Getan ist nicht beibehalten.“ – Konrad Lorenz –

2. Entwicklung von Irrtum und Missverständnis In der Antike sahen die Philosophen die Unvollkommenheit der sinnlichen Wahrnehmungsstufe als Quelle des Irrtums. Denn es läge ein Fehler in der Erkenntnisfähigkeit des Menschen vor.2 Beispielsweise hob der Heuristiker Gottfried Wilhelm Leibniz vier Irrtumsursachen hervor: 1. 2. 3. 4.

Beweismangel fehlerhafte Verwendung der Beweise fehlender Wille der Beweisanwendung falsche Wahrscheinlichkeitsregeln

2

Vgl. Walter Krämer / Götz Trenkler, Lexikon der populären Irrtümer, 1998; Christa Pöppelmann, 1000 Irrtümer der Allgemeinbildung, 2006.

Missverständnis und Irrtum

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Diese würden wiederum im Vertrauen und in der Leidenschaft liegen. Im folgenden argumentierten Thomas Hobbes und John Locke mit Logik, sodass der Irrtum das Ergebnis von Fehlurteilen durch Verletzung der Logikregeln ist. Andererseits setzte David Hume auf die Irrtumserfahrung und sah die Unvollkommenheit des Induktionsschlusses als Irrtumsursache. Wiederum setzte Immanuel Kant auf die sittliche Unvollkommenheit der Natur des Menschen als Irrtumsursache. Georg Wilhelm Friedrich Hegel unterschied den Irrtum von zufälligen Fehlern, da ein Irrtum ein (punktueller) Moment in der Entwicklung der Wahrheit sei. Er hob hervor, dass jede Theorie (Gedanken) durch Hypothesen auf Echtheit bzw. richtig oder falsch (Irrtum) überprüft werden können. Neben diesen Ansätzen wird in der Dialektik ein kausaler Zusammenhang von Wahrheit und Irrtum gesehen, sodass zwischen relativer (Irrtum) und absoluter (echte Wahrheit) Wahrheit unterschieden wird. Diese Ansätze finden wir in diversen wissenschaftlichen Erkenntnissen als Erklärung der tatsächlichen Realität. Wichtiges Beispiel hier die Kognitionswissenschaft. Insofern werden Irrtümer in der Kognitionswissenschaft behandelt. Denn ein Fehlschluss beruht auf einem Irrtum in der Anwendung von Schlussregeln, sodass die gedankliche Folgerung logisch nicht korrekt ist. Diese Fehlschlüsse können absichtlich und unabsichtlich hervorgerufen werden. Unabsichtlich hervorgerufene Fehlschlüsse sind Folge von kognitiven Verzerrungen oder Urteilsheuristiken. Absichtlich herbeigeführte Fehlschlüsse nennt man, Fangschluss, Scheinargument oder Sophismus. Ist ein Wort mehrdeutig, liegt ein Homonym vor. Aufgrund der Doppel- bzw. Mehrdeutigkeit treten oft Fehlschlüsse auf und werden in der traditionellen Logik behandelt. Hier bleibt die konkrete Bedeutung unklar, und lässt sowohl eine Rückzugsmöglichkeit als auch eine Interpretation offen. Allerdings liegt ein Fehlschluss durch falsche Disjunktion (sog. Fehlschluss der falschen Alternative) vor, wenn Alternativen unvollständig oder falsch bewertet werden.3 Beispiel: • mögliche Alternativen sind unvollständig: „Jedes chemische Element ist entweder fest oder gasflüssig. Sauerstoff ist nicht fest, also ist Sauerstoff flüssig! Die Folgerung ist falsch, da die erste Prämisse unvollständig ist, denn es existieren auch gasförmige Elemente.“ 3

Vgl. Jakob Friedrich Fries, System der Logik – Ein Handbuch für Lehrer und zum Selbstgebrauch, Heidelberg, S. 111; Hermann Lotze, Logik. Drei Bücher – vom Denken, vom Untersuchen und vom Erkennen, Leipzig, S. 332; Thomas Wilhelm, Manipulation erkennen und abwehren, Haufe, S. 168.

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• mehrere Alternativen können eintreten (also Optionen anstatt echte Alternative): „Tiere sind männlich oder weiblich. Dieses Tier ist nicht männlich, daraus folgt, dass diese Tier weiblich ist! Hier werden geschlechtslose Tiere und Tiere mit beiden Geschlechtern übersehen.“ Wird jedoch eine These mit sich selbst begründet, verstößt dies, gegen den Hauptsatz der klassischen Logik (sog. Zirkelschluss). Denn die klassische Logik fordert, dass jede These durch Prämissen (Voraussetzungen) begründet sein muss, damit deren Wahrheit bewiesen werden kann. Denn logisch betrachtet kann eine inhaltliche Wiederholung keine Erklärung oder eine (Schluss-)Folge sein. Wer Grund und Korrelat verwechselt, unterliegt einem Fehlschluss. Mit Korrelat wird hier das gemeinsame Auftreten zweier Sachverhalte verstanden. Der Fehlschluss erfolgt, wenn diese zwei voneinander getrennten Sachverhalten durch eine Begründung miteinander verknüpft werden. Der Fehlschluss äußert sich darin, dass die Verknüpfung als Schlussfolgerung betrachtet wird und nicht logisch richtig als Hypothese verstanden wird. Wer bewusst einen Fehlschluss herbeiführt, der nutzt Fehler im logischen Denken aus. Verschiedene Theorien der Kognitionspsychologie gehen davon aus, dass das normale Denken überfordert ist, wenn es stärker von Relevanz- und Sparsamkeitsprinzipien geleitet wird, um möglichst schnell zu Ergebnissen zu gelangen. Beispiel von Johnson-Laird: „Entweder Ann sitzt auf dem Sofa und sieht fern, oder aber Eve steht am Fenster und beobachtet die Vögel. Ann sitzt auf dem Sofa. Sieht Ann fern?“ Die meisten Menschen antworten mit Ja, obwohl dies keine logische Folgerung ist. Solches Antwortverhalten soll einem begrenztem Arbeitsspeicher folgen. Begründet wird diese These damit, dass der Zuhörer die grammatischen Satzverknüpfung von „Entweder--- oder“ nicht verarbeitet, da es dem Zuhörer nicht um Ann geht. Sophisten nutzen die Doppeldeutigkeit von Wörtern (sog. Homonismus) aus. Beispiel: • Was selten ist, ist teuer. Rothaarige sind selten. Also sind Rothaarige teuer. • Diese Katze hat Junge, sie ist also eine Mutter. Diese Katze ist deine Katze. Also ist diese Katze deine Mutter.

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3. Rechtliche Auswirkungen von „Missverständnissen“ Wir finden Missverständnisse und Irrtümer sowohl im Zivilrecht (Punkt 3.1) als auch im Strafrecht (Punkt 3.2), wenn Willenserklärungen vorliegen. Klassisches Beispiel für Kausalketten von Missverständnissen ist das Kinderspiel „stille Post“. Die Mitspieler setzen sich entweder im Kreis oder in einer Kette hin und flüstern sich eine Nachricht immer weiter. Durch den Flüsterton und ggf. veränderte Sprechgeschwindigkeit wird die ursprüngliche Nachricht verfälscht, da entweder Teile falsch oder gar nicht verstanden werden. Der letzte Mitspieler muss die weitergegebene Nachricht offen aussprechen. Das Ergebnis ist stets sehr lustig, sodass die Kinder gerne lachen. Hier wird deutlich, dass durch die eigene (subjektive) Wahrnehmung Nachrichten(inhalte) verändert werden. Diese bzw. eine solche veränderte Nachricht führt entweder zum Witz, zum (rechtserheblichen) Irrtum oder zu Gerüchten. 3.1 „Missverständnisse“ im Zivilrecht Im Zivilrecht ist der Irrtum im allgemeinen Teil des Schuldrechts geregelt, wenn es sich um Grundsätze von Vereinbarungen bzw. Verträgen handelt. 3.1.1 Dissens vs. Konsens Dissentio bedeutet, ich stimmte nicht bei, sodass der Dissens allgemein eine Meinungsverschiedenheit hinsichtlich konkreter Fragen / Themen bezeichnet. Im Vertragsrecht bezieht sich der Dissens auf einen Einigungsmangel. Hier unterscheidet man zwischen einem offenen Dissens gem. § 154 BGB sowie dem verstecktem Dissens gem. § 155 BGB. Voraussetzungen des offenen Dissens ist, dass beide Parteinen einen gegenseitigen Vertrag planen. Während dieser Verhandlungsphase will mindestens eine Partei noch einen Aspekt regeln und der anderen Partei ist dies bekannt. Irrelevant ist, ob es sich beim noch zu regelnden Punkt um einen wichtigen (essentiala negotii) oder um einen nebensächlichen (accidentalia negotii) Vertragsbestandteil handelt. Wenn bereits die essentialia negotii nicht geregelt sind, fehlt es an den notwendigen Voraussetzungen für einen Vertrag (Vereinbarung). Der Dissens betrifft nur die accidentialia negotii.4 Grundsätzlich ist der Vertrag nichtig, da objektiv und subjektiv kein Vertrag vorliegt. Rechts4

U.a. Georg Bitter, BGB Allgemeiner Teil, München 2011, § 5 Rn. 76, 77; Dieter Medicus, Schuldrecht I Allgemeiner Teil, 16. Aufl. München 2005, Rn. 108; Hans Brox / Wolf-Dietrich Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 34. Aufl. München 2010, Rn. 252.

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folge des offenen Dissens ist, dass der Vertrag als noch nicht geschlossen gilt. Wird hingegen der Vertrag schon erfüllt so gilt die Fiktion nicht, sondern der Vertrag muss ausgelegt werden. An dieser Stelle treten die allgemeinen Auslegungsregeln in Kraft.5 Voraussetzung des geschlossenen Dissens ist, dass beide Parteien von einem gegenseitigem geschlossenem Vertrag ausgehen, wobei jeder Punkt abschließend vereinbart worden sei. Objektiv liegt nach Auslegung der abgegebenen Willenserklärungen kein Vertrag vor, denn eine Einigung über die accidentialia negotii fehlt, auch wenn die Parteien subjektiv davon ausgehen. Rechtsfolge ist grundsätzlich die Nichtigkeit des Vertrages, wenn die Parteien sich zu keinem Punkt hinsichtlich der accidentialia negotii erzielt haben. In Ausnahmen besteht der Vertrag, wenn die Parteien den Vertrag auch ohne den (noch) zu klärenden Punkt geschlossen hätten.6 In allen anderen Fällen kann der Irrende seine Willenserklärung anfechten. 3.1.2 Irrtumsarten Folgende Irrtümer berechtigen zur Anfechtung:7 • Inhaltsirrtum gem. § 119 Abs. 1, Fall. 1 BGB: Der Erklärende weiß, was er sagt, irrt jedoch über die objektive Bedeutung des Inhalts. Beispiel: 1. Druckfehler beim Preis, anstelle von 21,00 EUR ist 12,00 EUR lesbar. Der Käufer will 12,00 EUR zahlen, der Verkäufer will zum richtigen Preis verkaufen. Der Verkäufer ist zur Anfechtung berechtigt. 2. Oder jemand nutzt eine fremde Sprache oder Fremdwörter und irrt sich im Sinn. Beispielfall „Das doppelte ipad“: Vater und Mutter sind stolz auf ihren Sohn und möchten dem Jungen zum Abitur ein neues ipad schenken. Der Vater findet und bestellt das ipad für 475,00 EUR. Bei der Bestellung wusste er nicht, dass die Mutter bereits ein Sonderangebot für 425,00 EUR ergattert hat. Da der Wille und die Erklärung im Zeitpunkt der Bestellung nicht auseinanderfielen, liegt kein Irrtum vor. Vielmehr lag ein Irrtum außerhalb seiner Willenserklärung vor, nämlich mit der Realität. Dieser Irrtum ist rechtlich unbeachtlich. 5 6 7

Vgl. Nina Meier, CoachAusbildung – ein strategisches Curriculum, 2. Auflage, S. 581; Georg Bitter, BGB Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 76. Georg Bitter, BGB Allgemeiner Teil, § 5 Rn. 76, 78. U.a. Georg Bitter, BGB Allgemeiner Teil, S. 75ff. 79ff.; Dieter Medicus, Schuldrecht I Allgemeiner Teil, Rn. 541; Hans Brox / Wolf-Dietrich Walker, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 411ff.

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Sonderfall ist der beidseitige Irrtum, wobei sich aus der Sicht eines neutralen Dritten beide Parteien objektiv über inhaltlich Unzutreffendes einigen, jedoch subjektiv einer Meinung (Bedeutungseinigung) sind. Keiner ist zur Anfechtung berechtigt. Dies wird als falsa demonstratio non nocet bezeichnet. Ein Sonderfall liegt vor, wenn der Fehler offensichtlich auch dem Empfänger (Vertragspartei) bekannt ist. Beispielfall: Eine Schulleiterin bestellte 25 Gros Toilettenpapier. Sie dachte, dass Gros eine Verpackungsart sei und kannte dies nicht als Mengeneinheit. Dem Lieferanten hätte dies auffallen müssen, da Gros ein Dutzend mal ein Dutzend bedeutet 144 Einheiten. Insofern würde die Bestellung 25 x 144 = 3600 Stück beziffern und der Toilettenpapierbedarf wäre für Jahre erfüllt (RG Z 99, S. 147). • Erklärungsirrtum gem. § 119 Abs. 2, Fall 2 BGB: Der Erklärende erklärt etwas, was er nicht sagen wollte. Dies sind vor allem Fälle des Verschreibens, Versprechens und Vergreifens. Beispiel: Ein Auto kostet 5.000,00 EUR, jedoch wird im Vertrag 4.000,00 EUR vermerkt. Besonderer Fall des Erklärungsirrtums ist der Übermittlungsirrtum gem. § 120 BGB. Wer jedoch seine Willenserklärung anfechtet, hat den Vertrauensschaden zu ersetzen, § 122 BGB. Beispielfall „Der Zahlendreher“: Ein Mann hat seinen kleinen Spielzeughelicopter von Carrera beschädigt und braucht Ersatzteile. Diese Ersatzteile bestellt der Mann nach Durchsicht des Händlerkatalogs von Carrera telefonisch. Anstellt der Nummer X3Z123 sagte er XZ3123 und war am nächsten Tag überrascht, dass falsche Teile geliefert wurden. Der Händler verlangte eine Bearbeitungsgebühr von 7,50 EUR da er die Ersatzteile extra für den Mann beschafft hatte. Dies ist ein klassischer Versprecher, sodass die Schäden des Händlers bei Rückgabe der Ersatzteile getilgt werden müssen. • Eigenschaftsirrtum gem. § 119 Abs. 2 BGB: Der Erklärende erklärt etwas, irrt sich jedoch über die verkehrswesentlichen Eigenschaften, die für das Rechtsgeschäft von Bedeutung sind. Verkehrswesentlich sind alle wertbildenden Merkmale einer Sache oder Person mit Ausnahme der Liquidität, wie Wert, Preis und Vermögen. Strittig ist, was verkehrswesentlich ist und muss im Einzelfall entschieden werden. Ist die Sache bereits übergeben, liegt der sog. Gefahrübergang vor und die spezielleren Vorschriften des Kaufrechts sind anzuwenden. • Übermittlungsirrtum gem. § 120 BGB: Der Erklärende erklärt etwas, jedoch übermittelt der mit der Übermittlung beauftragte Bote die Willenserklärung unrichtig. Wichtig ist, dass der Bote

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kein Stellvertreter im Sinne der §§ 164 ff. BGB ist und die Übermittlung unbewusst falsch übermittelt wird. Beispiele für Boten sind Kinder, Aushilfen, Post usw. Nach ständiger Rechtsprechung wird der Übermittlungsirrtum als Erklärungsirrtum behandelt.8 Übermittelt der Bote bewusst falsch ist § 179 BGB analog anzuwenden, denn der Bote wird als Vertreter ohne Vertretungsmacht behandelt. Folglich ist der Bote grundsätzlich zum Schadensersatz verpflichtet. Grundsätzlich berechtigen Motivirrtümer nicht zur Anfechtung. Klassisches Beispiel ist der Kalkulationsirrtum. Beispiele: Das Reisebüro errechnet einen zu niedrigen Reisepreis und fordert nachträglich mehr (LG Frankfurt Urt. v. 08.08.1988 in NJW-RR 1988, S. 1331). Der Verkäufer sieht beim Verkauf eines Bildes versehentlich in eine alte Preisliste (LG Bremen Urt. v. 24.05.1991 in NJW 1992, S. 915). Der Anbieter verwechselt die Preise der Stecker und Kupplungen (BGH Urt. v. 15.12.1987 in NJW-RR 1988, 566). Ausnahme ist wiederum, wenn die Kalkulation offen gelegt wurde. Der offene Kalkulationsirrtum lässt nach den Auslegungsregeln erkennen, dass der Irrende etwas offensichtlich anderes erklären wollte. Allerdings liegt hier ein Verschulden bei Vertragsschluss vor, sodass ein Schadensersatz gem. §§ 311 Abs. 2 i.V.m 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zu zahlen ist. 3.1.3 Arglistige Täuschung Wie eingangs erwähnt, kann ein Irrtum auch durch eine Lüge verursacht werden. Solche Lügen werden im Zivil- und Verwaltungsrecht als arglistige Täuschung bezeichnet. Wer eine falsche Erklärung über Tatsachen abgibt, der täuscht. Hingegen können Werturteile nicht Gegenstand einer Täuschung sein, da sie einem Beweise nicht zugänglich sind. Sodann wird eine doppelte Kausalität benötigt: erstens muss die Täuschung für den Irrtum (mit)ursächlich gewesen sein.9 Zweitens muss dieser Irrtum ursächlich für die konkret abgegebene Willenserklärung gewesen sein. Im Unterschied zu den Irrtümern nach § 119 BGB wird keine objektive sondern nur eine subjektive Kausalität benötigt.

8 9

vgl. BGH, NJW 2005, S. 976 (977), Palm in Erman, BGB, 13. Aufl. 2011, § 120 Rn. 3. Georg Bitter, BGB Allgemeiner Teil, § 7 Rn. 148; BGHZ 2, S. 287 (299); BGH NJW-RR 2005, S. 1083; Dieter Medicus, Schuldrecht I Allgemeiner Teil, Rn. 341

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Diese Täuschung erfolgt nach herrschender Meinung arglistig, wenn sie vorsätzlich herbeigeführt wird. Demnach liegt grundsätzlich eine arglistige Täuschung vor, wenn der Täuschende weiß und will, dass der Getäuschte durch Vorspiegelung falscher Tatsachen zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst wird. Diese Willenserklärung wäre ohne die Täuschung gerade nicht abgegeben worden.10 Bedingter Vorsatz, also die Behauptung ins „Blaue hinein“, reicht aus.11 Der Getäuschte darf seine Willenserklärung gem. §§ 142, 123 BGB anfechten.12 Die arglistige Täuschung findet man ebenfalls im Verwaltungsrecht. Der Täuschende will gerade, dass der Getäuschte einen Verwaltungsakt erlässt, der bei Durchschau der Täuschung nicht veranlasst worden wäre. Relevant wird dieser Umstand bei Rücknahme von Verwaltungsakten im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG, wenn einmalige oder laufende Geldleistungen oder teilbare Sachleistungen gewährt worden sind. In diesen Fällen entfällt nämlich die Schutzwürdigkeit des Verwaltungsaktsempfängers, wenn er arglistig getäuscht hat. 3.2 „Missverständnisse“ im Strafrecht Für einen knappen Überblick über die Problematik werden der Betrug und die Schuldfähigkeit skizziert. 3.2.1 Betrug Des Weiteren erfolgt ein Irrtum nicht nur durch eine arglistige Täuschung, sondern auch durch Betrug. Diese Straftat zielt nicht nur auf den Irrtum des Empfängers ab, sondern auf das Vermögen des Getäuschten.13 Demnach liegt die Tathandlung vor, wenn entweder falsche Tatsachen vorgespiegelt werden oder wahre Tatsachen unterdrückt werden. Die Täuschung kann ausdrücklich, also schriftlich, mündlich, durch Gesten), schlüssig oder durch Unterlassen erfolgen. Schlüssig ist diese Handlung, wenn nach der Verkehrsanschauung das Gesamtverhalten des Täters als Erklärung über eine Tat10 Georg Bitter, BGB Allgemeiner Teil, § 7 Rn. 139ff. 11 Georg Bitter, BGB Allgemeiner Teil, § 7 Rn. 149; Dieter Medicus, Schuldrecht I Allgemeiner Teil, Rn. 314. 12 Vgl. Hannes Rösler, „Arglist im Schuldvertragsrecht – Zum Schnittfeld von vorsätzlicher und fahrlässiger Fehlinformation“ Archiv für die civilistische Praxis (AcP), 207 (2007), S. 564-613. 13 Vgl. Johannes Wessels / Thomas Hillenkamp, Strafrecht Besonderer Teil / 2, Heidelberg, 34. Aufl. 2011, S. 235; Urs Kindhäuser, Strafrecht Besonderer Teil II - Straftaten gegen Vermögensrechte, Baden-Baden, 6. Aufl. 2011, S. 207.

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sache zu verstehen. Eine Täuschung wird durch Unterlassen erzeugt, wenn der Irrtum entweder nicht verhindert oder nicht beseitigt wird, trotz bestehender Aufklärungspflicht. Solche Aufklärungspflichten bestehen insbesondere bei Geschäftsbeziehungen.14 Aufgrund des Irrtums muss der Getäuschte eine Vermögensverfügung vornehmen, die wiederum einen Vermögensschaden herbeiführt. Wichtig ist erneut die Kausalkette zwischen Irrtum und Vermögensverfügung sowie Vermögensverfügung und Vermögensschaden. Insofern werden die Vermögenslagen vor und nach der Vermögensverfügung saldiert. Grundsätzlich ist der Saldo der Vermögensschaden, jedoch muss jeder Einzelfall sorgfältig geprüft werden.15 Aus subjektiver Sicht muss der Täter nicht nur die Straftat vorsätzlich herbeigeführt haben, sondern auch mit Bereicherungsabsicht verfolgt haben. Hier wird wieder das kognitive und voluntative Element deutlich.16 Betrug kommt in diversen Erscheinungsfällen vor, sodass diverse Betrugsfälle strafrechtlich normiert und verfolgt werden. 3.2.2 Unrechtsbewusstsein Das Bewusstsein über Unrecht ist Voraussetzung für die Sanktionierung eines Verhaltens. Für ein Unrechtsbewusstsein braucht man nach der Entwicklungspsychologie einen gewissen Grad der Reife. Ab dem 7. Lebensjahr ist man zivilrechtlich für sein Verhalten verantwortlich, wenn er zur Tatzeit die Erkenntnis zur erforderlichen Einsicht hatte (3 828 BGB); strafrechtlich verfolgbar erst ab dem 14. Lebensjahr (§ 19 StGB).17 Diese nötige Verantwortungsreife kann stets nur durch einen zuständigen Richter geklärt werden. Wer zur Tatzeit jünger als 14 Jahre alt ist, kann mit Maßnahmen durch das Familiengericht rechnen. Hervorzuheben ist, dass bewusstlose und psychisch kranke Menschen deliktsunfähig sind, es sei denn, dieser vorübergehende Zustand ist selbstverschuldet verursacht worden (sog. alic = actio libera in causa).18 Somit sind Drogen- und Alkoholkonsum kein Kriterium für eine Deliktsunfähigkeit. Allerdings sieht das 14 Vgl. Johannes Wessels / Thomas Hillenkamp, Strafrecht Besonderer Teil / 2, S. 238; Urs Kindhäuser, Strafrecht Besonderer Teil II - Straftaten gegen Vermögensrechte, S. 215. 15 Vgl. Johannes Wessels / Thomas Hillenkamp, Strafrecht Besonderer Teil / 2, S. 254f.; Urs Kindhäuser, Strafrecht Besonderer Teil II - Straftaten gegen Vermögensrechte, S. 223ff. 16 Vgl. Johannes Wessels / Thomas Hillenkamp, Strafrecht Besonderer Teil / 2, S. 285f.; Urs Kindhäuser, Strafrecht Besonderer Teil II - Straftaten gegen Vermögensrechte, S. 234. 17 Kristian Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, München, 4. Aufl. 2002, S. 390; Johannes Wessels / Werner Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil – Die Straftat und ihr Aufbau, Heidelberg, 41. Aufl. 2011, S. 152ff. 18 Kristian Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 391ff.; Johannes Wessels / Werner Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil – Die Straftat und ihr Aufbau, S. 154.

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Strafrecht etwas anderes vor. Da das deutsche Strafrecht auf dem Schuld- und Verantwortungsprinzip im Sinne des Menschenbild des Grundgesetzes, kann keiner bestraft werden, der ohne Schuld handelt. Dies wird in den §§ 19, 20, 21 StGB deutlich. Wer im Moment der Tat nicht das Schuldhafte seines Handelns erkennt oder nicht in der Lage sich zu steuern, handelt ohne Schuld.19 Hier werden Merkmale der Psychologie und Medizin verwendet: • krankhafte seelische Störungen: sind hirnorganisch bedingte Zustände oder Psychosen. • tiefgreifende Bewusstseinsstörungen: sind psychopathologische Zustände. Nicht davon betroffen sind Erschöpfung, Ermüdung, Schlaftrunkenheit und emotionale Verwirrung. • Schwachsinn: ist angeborene Intelligenzschwäche ohne nachweisbare Ursache • schwere andere seelische Abartigkeit: Persönlichkeitsstörungen, Paraphalien, Störungen der Impulskontrolle, Alkoholismus sowie substanzgebundene Abhängigkeiten aber auch nichtsubstanzgebundene Abhängigkeiten. Wenn die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht fehlt, jedoch erheblich vermindert ist, kann eine Strafmilderung gem. § 21 StGB stattfinden. Grundsätzlich wird bei erwachsenen Tätern die Schuldfähigkeit vermutet. Anhaltspunkte für eine (verminderte) Schuldfähigkeit lassen sich nur durch medizinische bzw. psychiatrische Gutachten bestimmen. Beispiel: • Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit: ab 2,0 Promille verminderte Schuldunfähigkeit und ab 3,0 Promille Schuldunfähigkeit im Allgemeinen, ab 2,2 Promille verminderte Schuldfähigkeit und ab 3,3 Promille Schuldunfähigkeit für Tötungsdelikte • Intelligenzquotient: leichte geistige Behinderung (IQ 70–50), mäßig geistige Behinderung (IQ 49–35), schwere geistige Behinderung (IQ 35–20) und schwerste geistige Behinderung (IQ unter 20).

4. Folge von Irrtum und Missverständnis! Wie oben aufgezeigt werden Irrtümer durch Fehlvorstellungen ausgelöst. Zwar können Fehlvorstellungen durch sich selbst, aber auch durch andere Menschen, erzeugt werden, haben jedoch Folgen. 19 Vgl. Kristian Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 390ff.; Johannes Wessels / Werner Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil – Die Straftat und ihr Aufbau, S. 152.

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Diese Folgen sind entweder schlichte Missverständnisse ohne Konsequenz, Irrtümer mit rechtlicher und wirtschaftlicher Konsequenz oder existenz- oder lebensbedrohende Konsequenz. Dafür gibt es rechtliche Regelungen der Auslegung von Willenserklärungen, Anfechtung, Rücktritt von Verträgen, Schadensersatzansprüchen aus Pflichtverletzungen sowie strafrechtliche Sanktionierungen. Hervorzuheben ist, dass die Einschaltung eines Dritten stets der Ausdruck von Konflikten ist. Dies kann, muss jedoch nicht, eine Folge von Egoismus, Neid und Missgunst sein.

5. Einführende und zitierte Literatur Georg Bitter, BGB Allgemeiner Teil, München 2011 Hans Brox / Wolf-Dietrich Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 34. Aufl. München 2010 Jakob Friedrich Fries, System der Logik – Ein Handbuch für Lehrer und zum Selbstgebrauch, Heidelberg, 2012 Urs Kindhäuser, Strafrecht Besonderer Teil II - Straftaten gegen Vermögensrechte, Baden-Baden, 6. Aufl. 2011, Kristian Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, München, 4. Auflage 2002 Hermann Lotze, Logik. Drei Bücher – vom Denken, vom Untersuchen und vom Erkennen, Leipzig, 2009 Dieter Medicus, Schuldrecht I Allgemeiner Teil, 16. Aufl. München 2005 Nina Meier, Rechtswissenschaften in Meier / Janßen, CoachAusbildung – ein strategisches Curriculum, Sternenfels 2. Auflage, 2010 Hannes Rösler, „Arglist im Schuldvertragsrecht – Zum Schnittfeld von vorsätzlicher und fahrlässiger Fehlinformation“ Archiv für die civilistische Praxis (AcP), 207 (2007), S. 564-613 Johannes Wessels / Werner Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil – Die Straftat und ihr Aufbau, Heidelberg, 41. Auflage 2011 Johannes Wessels / Thomas Hillenkamp, Strafrecht Besonderer Teil / 2, Heidelberg, 34. Aufl. 2011 Thomas Wilhelm, Manipulation erkennen und abwehren, 2008

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Kausalität im Strafrecht Prof. Dr. iur. Manfred Heinrich, Kiel

1. Einleitung A hebt die Pistole und zielt exakt auf das Herz seines Opfers. Mit angstgeweiteten Augen blickt B auf die Waffe, die mit wenigen Zentimetern Abstand auf seine Brust gerichtet ist, und beginnt zu zittern. Todesangst flackert in seinen Augen. A zögert nur kurz, dann drückt er ab. Das Letzte, was B noch spürt, ist ein heftiger Schmerz in seiner Brust, dann wird alles um ihn herum dunkel. Er bricht, tödlich getroffen, zusammen. A steckt die Pistole wieder weg und entfernt sich, so schnell er kann, vom Ort des Geschehens. Hat A den B getötet? Alles sieht danach aus. Wenn wir den Tatbestand des § 212 StGB untersuchen, wenn wir also, wie die Juristen sagen, das Geschehen unter den Tatbestand des Totschlags subsumieren, ergibt sich Folgendes: Mit dem Abdrücken der Pistole hat A eine tatbestandliche Tötungshandlung begangen, und mit dem Ableben des B ist auch der tatbestandliche Erfolg des § 212 StGB eingetreten; überdies hat A mit Tötungsvorsatz gehandelt. Mithin, so die sich ohne Weiteres aufdrängende Schlussfolgerung, eine klare Sache: A hat sich wegen eines an B begangenen Totschlags zu verantworten. Ein eindeutiges, unkompliziertes Ergebnis also. Eigentlich jedenfalls. Wenn nur nicht … Ja, da gibt es im vorliegenden Fall tatsächlich ein Problem. Lassen Sie es mich Ihnen folgendermaßen näherbringen: Wenige Minuten nach der Tat steigt A in die Münchener U-Bahn, um sich möglichst schnell in Sicherheit zu bringen, und ebenfalls wenige Minuten nach der Tat erscheint auch schon die von Passanten eiligst herbeigerufene Polizei, um sich um den am Kieler Rathausplatz tot am Boden liegenden B zu kümmern. Fällt Ihnen etwas auf? Da stimmt doch etwas nicht, das eben gezeichnete schöne Bild bekommt einen Sprung. Ich hoffe, Sie haben den Text auch insoweit inhaltlich mitvollzogen. Nein? Dann eine kleine Hilfestellung: Wie bitte kann jemand im Dunstkreis der Münchener Verkehrsbetriebe jemanden im Zentrum der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt mit einer Pistole niederstrecken? Das dürfte sich wohl doch vergleichsweise schwierig gestalten. Wo aber steckt der Fehler?

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Nun, die Lösung des Problems ist letztlich ganz einfach: An den eingangs beschriebenen Geschehnissen sind nicht nur zwei, sondern vier Personen beteiligt: A hat in München den C erschossen, D in Kiel den B. Zwei Täter, zwei Leichen. Gewiss, sowohl in München, als auch in Kiel ist jeweils ein Tötungsdelikt begangen worden, sowohl in dieser, wie in jener Stadt hat ein Täter den Tatbestand des § 212 StGB verwirklicht, sowohl hier, wie auch dort ist jeweils das Opfer eines Tötungsdelikts zu beklagen. Nur eben: Nicht A hat B erschossen, oder anders herum formuliert: Nicht B wurde von A erschossen. Der Fehler liegt also in der rechtlichen Beurteilung, in der – wie wir jetzt wissen – offenkundig unzureichenden Subsumtion des Geschehens, besser: der beiden konkreten Geschehnisse, unter den Tatbestand des § 212 StGB. Es genügt eben nicht, einerseits eine für den Tatbestand erforderliche Tathandlung und andererseits einen nicht minder für den Tatbestand unverzichtbaren tatbestandlichen Erfolg festzustellen und beides gewissermaßen nur einfach aufzusummieren. Zur Annahme eines im Einzelfall verwirklichten Tötungsdelikts müssen konkrete Tathandlung und konkreter Taterfolg vielmehr individuell aufeinander bezogen sein, zwischen den beiden tatbestandlichen Eckpunkten Handlung und Erfolg muss jeweils eine innere Beziehung bestehen, erstere muss zu letzterem geführt, letzterer sich aus ersterer ergeben haben. Kurzum: Zwischen Tathandlung und Taterfolg muss ein besonderer Zusammenhang bestehen, ein Zusammenhang, den wir als Kausalität bezeichnen.

2. Was ist Kausalität? Kausalität bedeutet „Ursächlichkeit“1 im Sinne eines gesetzmäßigen Zusammenhangs zwischen Ursache und Wirkung2. Sie ist ein bei den zahlreichen auf den Eintritt eines bestimmten Erfolges abstellenden Deliktstatbeständen des StGB (den nicht von ungefähr sog. Erfolgsdelikten) neben Handlung und Erfolg stehendes eigenständiges Tatbestandsmerkmal – ein zwar nicht ungeschriebenes, wie manchmal zu lesen steht , doch ein selten explizit genanntes3, zumeist nur „in ein erfolgsbezogenes Verb eingebundenes“4 Tatbestandsmerkmal: So ist z. B. „töten“ in § 212 Abs. 1 StGB eben im Sinne von „Todesverursachung“ zu verstehen.5 1 2 3 4 5

So heißt es denn auch im Gesetzestext des § 222 (fahrlässige Tötung): „den Tod eines Menschen verursacht“. Ausführlich hierzu Heinrich, in: Handkommentar Gesamtes Strafrecht, 2. Aufl. 2011, Vor § 13 StGB, Rn. 9 ff. So etwa bei Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2011, § 13 Rn. 3. Kindhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2011, § 10 Rn.1. Vgl. dementsprechend auch § 222 StGB, den Tatbestand der fahrlässigen Tötung, wo es in aller nur wünschenswerten Klarheit heißt: „Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht …“

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Doch was genau ist „Ursächlichkeit“, was setzt sie voraus? Die „ex post zu stellende Kausaldiagnose“6 erfordert „eine nach Naturgesetzen zu erklärende Verbindung“ zwischen Verhalten und Erfolg7. Nach der heute im Strafrecht8 ganz herrschenden sog. Bedingungstheorie9 ist Ursache eines Erfolges „jeder Umstand, der zum Eintritt des Erfolges mitbeigetragen hat“10, eine jede Bedingung also, auf die sein Eintritt zurückzuführen ist. Dabei sind alle Bedingungen eines Erfolges äquivalent, d.h. gleichwertig11 – weswegen die Bedingungstheorie auch als Äquivalenztheorie bezeichnet wird12. Das hat zur Folge, dass „auch entfernteste und unwesentliche Umstände“13 kausal für den Erfolg sind. So hat im Fall eines tödlich verunglückten Autofahrers nicht nur sein Unfallgegner eine Bedingung für seinen Tod gesetzt, sondern sind etwa auch seine Frau, die ihn mit dem Wagen zum Einkaufen geschickt, der Händler, der ihm das Auto verkauft, und der Fahrlehrer, der ihm das Fahren beigebracht hat, ja sind sogar seine (und in letzter Konsequenz selbst die aller anderen hier genannten Personen!) Eltern und Voreltern – durch Zeugung und Geburt14 – in gleicher Weise kausal geworden für den Eintritt nunmehr des tatbestandlichen Erfolgs des hier in Rede stehenden § 222 StGB (fahrlässige Tötung) – und zwar, ohne dass dabei eine Abstufung möglich wäre15. Das heißt selbstverständlich nicht, dass alle diese Personen nun auch tatsächlich für den Tod des verunglückten Autofahrers verantwortlich gemacht oder ihnen gar eine Strafbarkeit – hier ggf. wegen fahrlässiger Tötung – zugewiesen werden kann. Dazu müsste ihnen der Erfolg nämlich obendrein auch noch objektiv zurechenbar sein16, was nur der Fall wäre, wenn sie mit ihrem Verhalten eine unerlaubte, sich im konkreten Todeserfolg verwirklichende Gefahr für das Leben des Verunglückten geschaffen hätten17. Eine solche 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

Lenckner / Eisele, in: Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, Vor § 13 Rn. 72; näher zur ex post-Betrachtung Kindhäuser (Fn. 4), § 10 Rn. 5 ff. So die ganz herrschende Auffassung; vgl. nur etwa Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2008, § 4 Rn. 6 m.w.N. … anders als im Zivilrecht, das – aufgrund einer von vornherein anderen Interessenlage – die sog. Adäquanztheorie zugrunde legt; zu dieser Heinrich, (Fn. 2), Vor § 13 StGB, Rn. 15 f. Vgl. nur Wessels / Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil, 41. Aufl. 2011, Rn 156; Kühl (Fn. 7), § 4 Rn. 7; zu ihrer historischen Entwicklung Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 4. Aufl. 2006, § 11 Rn. 8 ff. – Zu abweichenden Ansätzen vgl. Heinrich (Fn. 2), Vor § 13 StGB, Rn. 14 ff. Kühl (Fn. 7), § 4 Rn. 7. Vgl. etwa Gropp, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2005, § 5 Rn. 13. Vgl. nur etwa Rengier (Fn. 3), § 13 Rn. 3 ff.; Roxin (Fn. 9), § 11 Rn. 6 ff. Kühl (Fn. 7), § 4 Rn. 7. Vgl. Gropp (Fn. 11), § 5 Rn.16; Rengier (Fn. 3), § 13 Rn. 6. Kühl (Fn. 7), § 4 Rn. 7: „Verzicht auf eine Gewichtung der möglichen Ursachen“; Ebert, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2003, C II 1 a: „ist jede Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Ursachen ausgeschlossen“. Näher hierzu Heinrich (Fn. 2), Vor § 13 StGB, Rn. 2, 5 ff., 71 ff. Ausführlich hierzu Heinrich (Fn. 2), Vor § 13 StGB, Rn. 90 ff.

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unerlaubte Gefahrschaffung ist aber bestenfalls dem am Unfall beteiligten Unfallgegner vorzuhalten, gewiss aber nicht den übrigen der eben genannten Personen, der Ehefrau, dem Autohändler, dem Fahrlehrer oder gar den Eltern des Verunglückten. So wenig mithin die Feststellung von Kausalität allein (bzw. neben dem Vorhandensein von Tatbestandshandlung und -erfolg) bereits zur Bejahung des objektiven Tatbestands eines Erfolgsdelikts genügt, so unverzichtbar ist sie aber dafür. Die Kausalität ist insofern nicht mehr, aber auch nicht weniger, als eine „Mindestvoraussetzung für die Strafbarkeit bei allen Erfolgsdelikten“18, eine zwar notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung19 für die Bejahung des Tatbestandes eines Erfolgsdelikts.

3. Feststellung der Kausalität im Einzelfall Doch wie nun ist im konkreten Einzelfall das Faktum der Ursächlichkeit, das Vorliegen von Kausalität zwischen Handlung und Erfolg festzustellen? Diese Angabe trägt das jeweils zu beurteilende Geschehen ja nicht gewissermaßen unmittelbar ablesbar auf der Stirn geschrieben, sondern muss nach gewissen Kriterien erst eruiert werden. Die bis heute von der Rechtsprechung20 zugrunde gelegte, aber auch im Schrifttum noch immer geschätzte Methode21 zur Feststellung eines äquivalent-kausalen Ursachenzusammenhangs liegt in der Anwendung der sog. conditio-sine-qua-non-Formel (oft – und auch im Folgenden – einfach als „conditio-Formel“ bezeichnet). Nach ihr – wörtlich übersetzt: „Bedingung, ohne die nicht“ – ist als Ursache eines Erfolges anzusehen eine jede Bedingung, die nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele22. Mittels dieser Methode der Hypothesenbildung („was wäre, wenn …?“) lassen sich – trotz diverser Probleme im Einzelnen23 – zumeist auch durchaus 18 Kühl (Fn. 7), § 4 Rn. 5. 19 So explizit Roxin (Fn. 9), § 11 Rn. 1, 11. 20 Vgl. nur RGSt 54, 349; 69, 44, 47 m.w.N.; BGHSt 1, 332, 333; 2, 20, 24; 39, 195, 197 f.; 45, 270, 294 f.; 49, 1, 3. 21 Näher Jescheck, in: Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 11. Aufl. 1992, Vor § 13 Rn. 54 m.w.N.; Kühl (Fn. 7), § 4 Rn. 9 m.w.N. 22 BGHSt 45, 270, 294 f.; noch pointierter vom „Erfolg in seiner konkreten Gestalt“ sprechen etwa Wessels / Beulke (Fn. 9), Rn 156; Gropp (Fn. 11), § 5 Rn. 15; Kudlich, in: Satzger / Schmitt / Widmaier, Strafgesetzbuch, 2009, Vor § 13, Rn. 34; Rengier (Fn. 3), § 13 Rn. 3. Näher hierzu Heinrich (Fn. 2), Vor § 13 StGB, Rn. 19, 21. – Zu Entstehung und Inhalt der Formel eingehend Koriath, Grundlagen strafrechtlicher Zurechnung, 1994, S. 463 ff. 23 Ausführlich zu ihnen Heinrich (Fn. 2), Vor § 13 StGB, Rn. 20 ff.

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brauchbare, „intuitiv einleuchtende“24 Ergebnisse erzielen. Wenn beispielsweise – wie in unserem Ausgangsfall – A auf C schießt und dieser von der Kugel getroffen tot zu Boden sinkt, ist offensichtlich: Denkt man das Schießen des A hinweg, wäre C nicht von der Kugel getroffen und sein Leben nicht beendet worden – jedenfalls nicht an diesem Ort, nicht auf diese Weise und nicht zu diesem Zeitpunkt. Aufgrund bestimmter – hier an dieser Stelle, schon aus Platzgründen, nicht sinnvoll zu erörternder – Schwierigkeiten bei Anwendung der conditio-Formel25 geht man heutzutage jedoch mehr und mehr dazu über26, die Kausalität auf andere Weise, nämlich unter Zuhilfenahme der „Formel von der gesetzmäßigen Bedingung“27 festzustellen, die sich bei der Bejahung oder Verneinung eines Kausalzusammenhanges ohne jegliche Hypothesenbildung allein am tatsächlichen Geschehen, nämlich daran orientiert, „ob sich an eine Handlung zeitlich nachfolgende Veränderungen in der Außenwelt angeschlossen haben, die mit der Handlung nach den uns bekannten Naturgesetzen notwendig verbunden waren und sich als tatbestandsmäßiger Erfolg darstellen“28. Kürzer – und nicht explizit auf „Natur-”gesetze abstellend: „Ein Verhalten ist dann kausal für einen Erfolg im Sinne der Bedingungstheorie, wenn dieser Erfolg mit dem Verhalten durch eine Reihe von zeitlich nachfolgenden Veränderungen in der Außenwelt gesetzmäßig verbunden ist“29. Anders gesagt: Man geht zur Feststellung von Kausalität von der in Rede stehenden Handlung aus und folgt dem Geschehen Schritt für Schritt, bis man am tatbestandlichen Erfolg anlangt (oder eben nicht). Auch diese Formel steht auf der Grundlage der Äquivalenztheorie, will sie nicht verdrängen, sondern ihr vielmehr – wie die conditio-Formel – ein griffiges Anwendungskriterium sein, ein „methodisches Hilfsmittel zur Feststellung des Kausalzusammenhangs“30. Nun ist freilich zuzugestehen, dass weder die conditio-Formel, noch die Formel von der gesetzmäßigen Bedingung im Stande sind, zum eigentlichen Nachweis eines Kausalzusammenhangs in der Sache etwas beizutragen, gar eine Ursächlichkeit aus sich selbst heraus herzuleiten31. Bei Heranziehung 24 25 26 27 28

Kühl (Fn. 7), § 4 Rn.10. Ausführlich zu ihnen aber Heinrich (Fn. 2), Vor § 13 StGB, Rn. 20 ff. Roxin (Fn. 9), § 11 Rn.15: „in der Wissenschaft weitgehend durchgesetzt“. Ausführlich zu ihr und ihren Vorzügen Heinrich (Fn. 2), Vor § 13 StGB, Rn. 44 ff. Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, 5. Aufl. 1996, § 28 II Rn. 4; Roxin (Fn. 9), § 11 Rn.15; Wessels / Beulke (Fn. 9), Rn. 168 a. 29 Otto, Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl. 2004, § 6 Rn. 31; ähnlich Lenckner / Eisele (Fn. 6), Vor § 13 Rn 75. 30 Kühl (Fn. 7), § 4 Rn. 8; nicht treffend ist es daher, wenn Wessels / Beulke (Fn. 9), Rn. 168 a, und Rengier (Fn. 3), § 13 Rn. 12 sie als eigene Kausallehre neben die Äquivalenztheorie stellen. 31 Näher hierzu Heinrich (Fn. 2), Vor § 13 StGB, Rn. 43, 45 f.

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der conditio-Formel kann „das Resultat, das sich beim Wegdenken der Bedingung ergibt, … nur ermittelt werden, wenn man schon vorab weiß, ob die Bedingung kausal ist“32, setzt sie doch „zirkelhaft das Ergebnis, das sie zu liefern vorgibt, voraus“33. Findet man etwa eine Leiche mit zwei Kugeln im Herzen, von denen man zwar die eine der Waffe des A und die andere der Waffe des B zuordnen kann, ohne aber Kenntnis darüber zu haben, welche von ihnen zuerst abgefeuert worden ist, nicht also weiß, welche der beiden Kugeln das noch lebende und welche nurmehr das durch die erste Kugel bereits getötete Opfer getroffen hat, so nutzt es rein gar nichts, zur Beantwortung dieser Frage der kausalen Todesherbeiführung die conditio-Formel anwenden zu wollen. Was man nicht weiß, lässt sich auch durch noch so intensives Hinwegdenken nicht ermitteln – und was demgemäß bleibt, ist die Erkenntnis: „Über Beweisschwierigkeiten bei Feststellung der Kausalität vermag die conditio-Formel nicht hinwegzuhelfen“34. Aber auch die Formel von der gesetzmäßigen Bedingung versagt bei Unkenntnis über den tatsächlichen Ablauf des Geschehens, da auch sie letzten Endes nur ein in seinem Ablauf bereits bekanntes Geschehen nachzuvollziehen im Stande ist, jedoch inhaltlich „über das Vorliegen des gesetzmäßigen Zusammenhanges nichts aussagt“35. Denn was nutzt es im Hinblick auf die Frage nach der kausalen Todesherbeiführung, die Bahnen beider Kugeln vom Zeitpunkt ihres Abschießens bis hin zum Eindringen in den Körper des Opfers verfolgen zu wollen, wenn man schlicht nicht weiß, welche von ihnen (als erste) ins Herz des noch lebenden oder (als zweite) ins Herz des bereits vorab durch die andere Kugel getöteten Opfers eingedrungen ist? So unbefriedigend ein solches non liquet auch sein mag, so wenig kommt man in derartigen Fällen umhin, unter Heranziehung des rechtsstaatlich fundamentalen Grundsatzes in dubio pro reo zugunsten eines jeden der Schützen – mit der Konsequenz bloßer Versuchsstrafbarkeit beider – zu unterstellen, dass seine Kugel erst eingedrungen ist, nachdem die Kugel des anderen Schützen ihre tödliche Wirksamkeit bereits entfaltet hat36. Darin liegt jedoch, und dies sei eigens betont, kein Versagen der conditio-Formel, der Formel von der gesetzmäßigen Bedingung oder gar der Äquivalenztheorie, sondern offenbart letztlich nur, dass am Ende eben keine „Formel“ dazu imstande ist oder auch nur sein kann, mangels entsprechenden Wissens tatsächlich unbekannte Kausalzusammenhänge zu „ermitteln“. 32 33 34 35 36

Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1993 § 7 Rn. 9. Haft, Strafrecht Allgemeiner Teil, 9. Aufl. 2004, C VI 2 b aa. Wessels / Beulke (Fn. 9), Rn. 168. Roxin (Fn. 9), § 11 Rn. 15; so auch Kudlich (Fn. 22), Vor § 13 Rn. 35. In diesem Sinne auch Wessels / Beulke (Fn. 9), Rn. 168; Kindhäuser, in: Strafgesetzbuch, Lehr- und Praxiskommentar, 4. Aufl. 2009, Vor § 13 Rn. 91; Kudlich (Fn. 22), Vor § 13 Rn. 37; Rengier (Fn. 3), § 13 Rn. 31; Weber, in: Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2003, § 14 Rn. 42.

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4. Schwierigkeiten bei der Kausalitätsfeststellung Erweisen sich mithin beide Formeln – mit der eben geschilderten, gewissermaßen naturgegebenen, Einschränkung – als prinzipiell tauglich, eine im Hinblick auf die Subsumtion eines Geschehens unter den Tatbestand eines Erfolgsdelikts zu treffende Aussage über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Kausalität zu machen, so stoßen sie jedoch in bestimmten Bereichen tatbestandsrelevanten Geschehens auf Schwierigkeiten. a. So etwa, wenn es um Fälle psychisch vermittelter Kausalität geht37, um Geschehensabläufe also, in denen der tatbestandliche Erfolg über das willensgesteuerte Verhalten eines Menschen vermittelt wird. Im Hinblick auf derartige Fälle wird mitunter behauptet, dass die menschliche Willensfreiheit der kausalgesetzlichen Notwendigkeit widerstreite38. Zu Recht jedoch geht die h.M.39 – aufgrund der Annahme, dass der gesetzmäßige Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg nicht unbedingt ein „natur“-gesetzmäßiger sein muss40 – davon aus, dass ein Bedingungszusammenhang nicht dadurch ausgeschlossen ist, dass „unter den bedingenden Faktoren der als frei vorgestellte Wille des Handelnden mitbeteiligt war“41, und dass seine Feststellung bei der psychischen Kausalität „prinzipiell in derselben Weise wie sonst“ erfolgt. So ist etwa im Überreden eines anderen zur Begehung einer Straftat eine Ursache für die mit ihr verwirklichte Rechtsgutsbeeinträchtigung zu erblicken. Wäre es anders, wären nicht nur die Bejahung von Kausalität in allen Fällen, bei denen die Entscheidung eines Menschen für den Fortgang des tatbestandlichen Geschehens eine Rolle spielt (man denke an die täuschungs- und irrtumsbedingte Vermögensverfügung beim Betrug), sowie die Beteiligungskategorien der Anstiftung und der psychischen Beihilfe als solche in Frage gestellt, sondern damit auch „die Verwendbarkeit des Kausalbegriffs in der Jurisprudenz im Ganzen“42. b. Mitunter schwierig ist die Beurteilung der Kausalität, wenn in Frage steht, welcher Einzelumstand im Rahmen eines definitiv schadensstiftenden Gesamtereignisses nun letztlich den tatbestandlichen Erfolg in concreto 37 Näher hierzu Heinrich (Fn. 2), Vor § 13 StGB, Rn. 55. 38 Kahrs, Vermeidbarkeitsprinzip und die conditio-sine-qua-non-Formel, 1968, S. 22 ff. m.w.N.; Koriath, Kausalität, Bedingungstheorie und psychische Kausalität, 1988, S. 141 ff., 223, 248; Puppe, in: NomosKommentar Strafgesetzbuch, 3. Aufl. 2010, Vor § 13 Rn. 125 ff. m.w.N.; Jäger, Examensrepetitorium Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2011, Rn. 30. 39 Vgl. nur Jakobs (Fn. 32), § 7 Rn. 27; Roxin (Fn. 9), § 11 Rn. 31 f. 40 Vgl. Hilgendorf, Jura 1995, 514, 519: „lassen sich auch im Verhalten von Menschen bestimmte Gesetzmäßigkeiten feststellen“. 41 Hier und nachfolgend Roxin (Fn. 9), § 11 Rn. 31 f. 42 Roxin (Fn. 9), § 11 Rn. 31.

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verursacht hat43. Eine praktisch bedeutsame Rolle spielt dieses Problem insbesondere in Fällen der Produkthaftung, in Fällen also, in denen in Frage steht, ob die Einnahme bzw. Verwendung eines bestimmten Produktes – etwa eines Schlafmittels (Contergan), eines Ledersprays oder eines Holzschutzmittels – zu Gesundheitsschäden beim Verbraucher führt. Denn in diesen Fällen versagt häufig unser Erfahrungswissen – wie sich beispielhaft im allseits bekannten sog. Contergan-Fall44 zeigt, in dem sich – unbeschadet entsprechender statistischer Erkenntnisse – schon nicht objektiv zweifelsfrei (d.h. ohne Streit unter den Fachwissenschaftlern) sagen ließ, ob der Wirkstoff Thalidomid „generell geeignet ist, körperliche Missbildungen zu verursachen“ (also ein entsprechendes allgemeines Kausalgesetz besteht, sog. generelle Kausalität45), geschweige denn sich feststellen ließ, ob die Schädigung des betreffenden Embryos auch im konkreten Einzelfall auf die Einnahme des Schlafmittels Contergan zurückzuführen war oder nicht (sog. konkrete Kausalität46). Für derartige Fälle hat der BGH47 die (eben erwähnte) generelle Kausalität zu Recht auch dann als bejahbar angesehen, wenn zwar nicht exakt herauszufinden ist, welche einzelne in dem Produkt enthaltene Substanz den Schaden ausgelöst hat, aber doch das Bestehen eines Kausalgesetzes dahingehend zweifelsfrei festgestellt ist, dass „die – wenn auch nicht näher aufzuklärende – inhaltliche Beschaffenheit des Produkts schadensursächlich war“48. Dies entspricht dem auch außerhalb der Produkthaftung anerkannten Grundsatz, dass es „nicht erforderlich“ ist, „die genaue Ursache aufzuklären, wenn man nur ausschließen kann, dass andere schadensverursachende Faktoren im Spiel sind“49 – man denke etwa an den Fall des Messerstechers, bei dem man nicht weiß, welche der zahlreichen Stichwunden tatsächlich zum Tod des Opfers geführt hat. Natürlich ist in entsprechend gelagerten Fällen „bei der Annahme von Kausalität größte Vorsicht geboten …, wenn man über die schadensverursachenden Faktoren nichts weiß“50, sodass sie nur gerechtfertigt ist, wenn denn auch „nach Erörterung aller in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten … alle anderen in Betracht kommenden Schadensursachen … ausgeschlossen werden 43 44 45 46 47

Näher hierzu Heinrich (Fn. 2), Vor § 13 StGB, Rn. 56 ff. LG Aachen JZ 71, 507 ff. mit kritischer Besprechung Armin Kaufmann, JZ 1971, 569 ff. Vgl. hierzu Rudolphi, in: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 6. Aufl. 2007, Vor § 1 Rn. 42. Vgl. Rudolphi (Fn. 45), Vor § 1 Rn. 42. In seiner sog. Lederspray-Entscheidung BGHSt 37, 106, 111 ff.; zu weitgehend aber BGHSt 41, 206 ff. im sog. Holzschutzmittelfall, näher hierzu Heinrich (Fn. 2), Vor § 13 Rn. 58. 48 BGHSt 37, 106, 112; so auch Krey / Esser, Deutsches Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2012, Rn. 322; Kudlich (Fn. 22), Vor § 13 Rn. 45; Kühl (Fn. 7), § 4 Rn. 6a; Roxin (Fn. 9), § 11 Rn. 17. 49 Haft (Fn. 33), C VI 2 c; ebenso Jäger (Fn. 38), Rn 27; Roxin (Fn. 9), § 11 Rn. 17. 50 Roxin (Fn. 9), § 11 Rn. 17.

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können“51 – wobei freilich stets „ein Rest an (objektiver) Ungewissheit bleibt, weil in das Eliminationsverfahren nur die bekannten – nicht aber die unbekannten! – als möglicherweise ursächlich in Betracht kommenden Umstände einbezogen werden können“. c. Insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht geht es nicht selten um Schädigungen, die auf die Beschlussfassung eines aus mehreren Personen zusammengesetzten Entscheidungsgremiums zurückzuführen sind. Während bei mehrheitsbasierten Gremienentscheidungen (etwa, ein gesundheitsschädigendes Produkt weiter zu vertreiben), die mit nur einer Stimme Mehrheit getroffen werden (und erst recht bei Erfüllung eines Einstimmigkeitserfordernisses), die Kausalität jeder einzelnen Ja-Stimme ohne weiteres – sei es nun mit der conditio-Formel oder mit der Formel von der gesetzmäßigen Bedingung – begründbar ist, ergeben sich Probleme bei (egal, ob einfachen oder qualifizierten) Mehrheitsbeschlüssen, die mit größerer als der mindest erforderlichen Mehrheit, etwa mit 7:2 Stimmen, oder gar einstimmig getroffen werden. Denn in diesen Fällen erscheint die jeweilige Einzelstimme ja als gerade nicht „entscheidend“ für den Ausgang der Abstimmung, wäre vielmehr dieselbe Sachentscheidung auch ohne sie zustande gekommen. Während hier die conditio-Formel ersichtlich an ihre Grenzen stößt52, da beim Hinwegdenken der betreffenden einzelnen Ja-Stimme immer noch eine ausreichende Mehrheit für die entsprechende Gremienentscheidung bestünde, vermag hier jedenfalls die Formel von der gesetzmäßigen Bedingung weiter zu helfen und in sachgerechter Weise zu einer Bejahung der Kausalität einer jeden einzelnen Ja-Stimme zu gelangen53, indem man darauf abstellt, dass die in Rede stehende einzelne Stimme sich eben realiter mit den anderen Ja-Stimmen zu der insgesamt bejahenden Entscheidung zusammenfügt. d. Bei Unterlassungsdelikten54 schließlich stellt sich das Problem, dass, da ja „der Unterlassende … nicht in das außenweltliche Kausalgeschehen eingreift, sondern den Dingen ihren Lauf lässt“55, zwischen bloßem Nicht-Handeln und Erfolg keine Ursächlichkeit im Sinne naturgesetzlichen Bewirkens besteht, doch ist dies „belanglos, da es für die normative Betrachtungsweise im Straf51 BGHSt 37, 106, 112. 52 Zur „Rettung“ der conditio-Formel in diesen Fällen unter Zuhilfenahme der Rechtsfiguren der sog. alternativen Kausalität sowie der sog. kumulativen Kausalität und mittels Anwendung für diese Fallgruppen entsprechend modifizierter Formeln ausführlich: Heinrich (Fn. 2), Vor § 13 Rn. 34 f., 36, 62. 53 Vgl. Freund, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Aufl. 2011, Vor § 13 Rn 346; Kühl (Fn. 7), § 4 Rn. 27a; Rengier (Fn. 3), § 13 Rn. 37. 54 Ausführlich zur Kausalität bei Unterlassungsdelikten Heinrich (Fn. 2), Vor § 13 StGB, Rn. 64 ff. 55 Kühl (Fn. 7), § 18 Rn. 35.

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recht auf den naturwissenschaftlichen Kausalbegriff nicht ankommt“56. Für den Rechtsbegriff der Kausalität genügt – gerade auch bei Unterlassungen – ein außerhalb strenger Naturgesetzlichkeit stehender „gesetzmäßiger Bedingungszusammenhang zwischen dem Untätigbleiben und dem Erfolgseintritt“57. Wenn also eine Mutter ihr Kind verhungern lässt, spricht nichts gegen die Bejahung einer Kausalbeziehung zwischen ihrem Versäumnis, das Kind zu ernähren, und dessen Tod58. Man mag hier, gängiger Terminologie folgend, von Quasi-Kausalität59 oder gar nur von „hypothetischer Kausalität“60 sprechen, was jedoch nichts daran ändert, dass auch die Befürworter lediglich einer Quasi-Kausalität davon ausgehen, dass sich bei den Unterlassungsdelikten „die Bedingungstheorie im Rahmen der Prüfung der hypothetischen Kausalität entsprechend anwenden“ lässt61. So kann der einzufordernde gesetzmäßige Bedingungszusammenhang zwar nicht gemäß der auf Begehungsdelikte abgestimmten Formel von der gesetzmäßigen Bedingung im bildhaft-strengen Sinne einer durchlaufenden Kette auf- und auseinander folgender Ereignisse begriffen werden, stehen aber Unterlassen und Erfolg dann in einem gesetzmäßigen Zusammenhang, „wenn die ausgebliebene Handlung … den Erfolg abgewendet hätte“62. Und die auf Begehungsdelikte zugeschnittene Fassung der conditio-Formel muss gewissermaßen „umgekehrt“ werden: (Quasi-)kausal ist das Unterlassen immer dann, wenn die unterbliebene Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele63, bzw. – sachlich gleichbedeutend – die erwartete Handlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Erfolg verhindert hätte64.

5. Fazit Ungeachtet all dieser – und diverser weiterer65 – Schwierigkeiten bleibt jedoch als Ergebnis der vorstehend angestellten Betrachtungen die dreifache Er56 Wessels / Beulke (Fn. 9), Rn. 711. 57 Wessels / Beulke (Fn. 9), Rn. 711; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003, § 31 Rn.42; Rudolphi (Fn. 45), Vor § 1 Rn. 43. 58 Roxin (Fn. 57), § 31 Rn. 42 meint gar: „Wenn eine Mutter ihr Kind nicht ernährt, wird es mit naturgesetzlicher Sicherheit verhungern“. 59 So etwa Gropp (Fn. 11), § 11 Rn. 71 ff.; Rengier (Fn. 3), § 49 Rn.13. 60 Vgl. nur BGHSt 48, 77, 92 ff.; Jakobs (Fn. 32), § 29 Rn. 15; Krey / Esser (Fn. 48), Rn. 1123; Rengier (Fn. 3), § 49 Rn.13. 61 Jescheck / Weigend (Fn. 28), § 28 II Rn. 2. 62 Rudolphi (Fn. 45), Vor § 1 Rn. 43; Jescheck (Fn. 21), § 13 Rn. 15 f. 63 Gropp (Fn. 11), § 11 Rn. 71; Krey / Esser (Fn. 48), Rn. 1123; für die Rechtsprechung vgl. nur BGH NStZ 85, 26, 27 m.w.N. 64 BGHSt 43, 381, 397; Haft (Fn. 33), G IV 2 b; Kühl (Fn. 7), § 18 Rn. 36. 65 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Heinrich (Fn. 2), Vor § 13 StGB, Rn. 51 ff.

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kenntnis, dass nämlich erstens die Tatbestände der in unserem Strafrecht verankerten Erfolgsdelikte das Tatbestandsmerkmal der „Kausalität“ enthalten, dass es mithin zweitens Aufgabe des (Straf-)Juristen ist, im Einzelfall das Vorliegen von Kausalität zu prüfen und ggf. zu bejahen, und dass es drittens trotz in verschiedenen Zusammenhängen auftretender Anwendungsschwierigkeiten des Einsatzes entweder der conditio-Formel bzw. – besser noch – der Formel von der gesetzmäßigen Bedingung bedarf, um gemäß den Anforderungen der nach heutigem Dafürhalten im Strafrecht maßgeblichen Äquivalenztheorie dieser Aufgabe in sachgerechter Weise nachzukommen.

6. Einführende und zitierte Literatur Udo Ebert, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2003 Georg Freund, in: Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Aufl. 2011 Walter Gropp, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2005 Fritjof Haft, Strafrecht Allgemeiner Teil, 9. Aufl. 2004 Manfred Heinrich, in: Handkommentar Gesamtes Strafrecht, 2. Aufl. 2011 Eric Hilgendorf, Jura 1995, 514 Christian Jäger, Examensrepetitorium Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2011 Günther Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1993 Hans-Heinrich Jescheck, in: Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, 11. Aufl. 1992 Hans-Heinrich Jescheck / Thomas Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, 5. Aufl. 1996 Hans-Jürgen Kahrs, Vermeidbarkeitsprinzip und die conditio-sine-qua-non-Formel, 1968 Heinz Koriath, Kausalität, Bedingungstheorie und psychische Kausalität, 1988 Urs Kindhäuser, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2011 ders. in: Strafgesetzbuch, Lehr- und Praxiskommentar, 4. Aufl. 2009 Volker Krey / Robert Esser, Deutsches Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2012

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Hintergrundinformationen

Hans Kudlich, in: Satzger / Schmitt / Widmaier, Strafgesetzbuch, 2009 Kristian Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2008, Theodor Lenckner / Jörg Eisele, in: Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010 Harro Otto, Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl. 2004 Ingeborg Puppe, in: Nomos- Kommentar Strafgesetzbuch, 3. Aufl. 2010 Rudolf Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2011 Claus Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil I, 4. Aufl. 2006 ders., Strafrecht Allgemeiner Teil II, 2003 Hans-Joachim Rudolphi, in: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 6. Aufl. 2007 Ulrich Weber, in: Baumann / Weber / Mitsch, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2003 Johannes Wessels / Werner Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil, 41. Aufl. 2011

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Gleichberechtigung von Mann und Frau – eine öffentlich-rechtliche Perspektive Prof. em. Dr. iur. utr. Christian Starck, Göttingen

1. Vorgeschichte Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen hat sich erst seit Beginn des 20. Jahrhundert und nur allmählich durchgesetzt. Frauen standen früher unter der Vormundschaft des Vaters, nach ihrer Eheschließung ihres Ehemannes. Konsequenterweise hatten sie kein Wahlrecht. Das allgemeine Wahlrecht, das in der Verfassung der Frankfurter Paulskirche (1849) vorgesehen war und unter der Geltung der deutschen Reichsverfassung von 1871 eingeführt wurde, war Männerwahlrecht. Zur damaligen Zeit hatten in keinem Staat der Welt Frauen das Wahlrecht. Immanuel Kant hatte in der Metaphysik der Sitten 1797 (Rechtslehre, Staatsrecht § 46) geschrieben, dass „alles Frauenzimmer“ als passive Staatsbürger vom Wahlrecht ausgeschlossen seien. Sieht man sich Tabellen über die Einführung des Frauenwahlrechts in den verschiedenen Staaten an, so zeigt sich, dass Neuseeland das erste Land war, das 1893 dauerhaft das Frauenwahlrecht einführte. Es folgten Finnland 1906, Australien 1908, Norwegen 1913, Island 1915, Dänemark und Österreich 1918. Die Weimarer Reichsverfassung (1919) brachte für Deutschland das Frauenwahlrecht1 durch die Klausel des Art.109 Abs. 2 WRV2: „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“ Im maßgebenden Kommentar zur Weimarer Reichsverfassung von Gerhard Anschütz heißt es dazu: „Abs. 2 verkündet die Gleichberechtigung der Frauen mit den Männern. Diese Gleichberechtigung erstreckt sich jedoch nur auf den Kreis der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten (d.h., derjenigen Rechte und Pflichten, die ein organschaftliches Handeln oder persönliche Dienstleistungen für den Staat zum Gegenstand haben), und auch hier gilt sie nicht unbeschränkt, sondern nur ‚grundsätzlich’, d.h. unter Vorbehalt aller Reichs- und Landesgesetze, welche Ausnahmen von dem Grundsatz vorschreiben oder zulassen.“ Gerhard Anschütz weist dann darauf hin, dass sich Abs. 2 nicht auf privatrechtliche Verhältnisse beziehe; ein Antrag in der verfassunggebenden 1 2

Danach kommen erst Großbritannien 1928, Frankreich und Italien 1946, Schweiz 1971, Portugal 1974. Art. = Artikel; Abs. = Absatz; WRV = Weimarer Reichsverfassung.

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Nationalversammlung, welcher ihn auf dieses Gebiet ausdehnen wollte, sei abgelehnt worden. So seien auch die Vorrechte des Ehemannes gegenüber der Ehefrau im Familienrecht von dem Prinzip des Art. 109 Abs. 2 WRV unberührt geblieben.

2. Neuanfang 1949 Mit dem Grundgesetz3 ist 1949 ein Neuanfang gemacht worden. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG lautet: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Damit erweitert das Grundgesetz den Art. 109 Abs. 2 WRV, wo nur von den staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten die Rede war. Da die vielen Ungleichbehandlungen besonders im Familienrecht, im Staatsangehörigkeitsrecht und im Internationalen Privatrecht neue gesetzliche Regelungen erforderten, war in Art. 117 Abs. 1 GG geregelt worden, dass dem Art. 3 Abs. 2 GG entgegenstehendes Recht bis zu seiner Anpassung an diese Bestimmung in Kraft bleibt, jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953. Diese Regelung war notwendig, da die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar galten, das Zivilrecht aber erst gesetzgeberisch umgeformt werden musste. Neu geschaffenes Recht musste allerdings dem Art. 3 Abs. 2 GG von Anfang an entsprechen. Nach dem 31. März 1953 war nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.12.1953 (BVerfGE 3, S. 225)4 das dem Art. 3 Abs. 2 GG widersprechende Recht durch richterliche Auslegung anzupassen. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG gebietet Gleichberechtigung von Männern und Frauen; Art. 3 Abs. 3 GG verbietet Benachteiligung oder Bevorzugung u.a. wegen des Geschlechts. Gebotsnorm und Verbotsnorm haben denselben Inhalt. Die Doppelung der Norm erklärt sich aus ihrer Entstehungsgeschichte. Die besondere Regelung der Gleichberechtigung in Art. 3 Abs. 2 GG macht den Unterschied zu Art. 109 Abs. 2 WRV deutlich. Art. 3 Abs. 3 GG bringt das Differenzierungsverbot besser zum Ausdruck und hat somit klarstellende Funktion.

3. Uminterpretation und Verfassungsergänzung In den 1980er Jahren ist in der juristischen Literatur versucht worden, Art. 3 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (Artt. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG) als Auftrag zur faktischen Gleichstellung von Männern und Frauen zu interpretieren, ja sogar die Forderung nach faktischer Geschlechter3 4

Grundgesetz = GG. BVerfGE = Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts, zitiert nach Band, Seite.

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parität daraus abzuleiten. Das Bundesverfassungsgericht hat 1987 solche Gedanken über faktische Gleichstellung erörtert, aber offen gelassen, ob der Gesetzgeber „aus Art. 3 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet sein könnte, die Voraussetzungen für eine faktische Gleichberechtigung (sic!) zwischen Männern und Frauen zu schaffen“ (BVerfGE 74, S. 163, S. 179 f.). Fünf Jahre später hat das Bundesverfassungsgericht, Verfassungs- und Rechtspolitik antreibend, in einem obiter dictum (d.h., nebenbei gesagt, nicht entscheidungsrelevant) zum Verhältnis der Abs. 2 und 3 des Art. 3 GG folgendes ausgeführt (BVerGE 85, S. 191, 206 f. und wiederholend, ebenfalls nicht entscheidungsrelevant BVerfGE 89, S. 276, S. 285; 92, S. 91, S. 109): „Der über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausgehende Regelungsgehalt von Art. 3 Abs. 2 GG besteht darin, dass er ein Gleichberechtigungsgebot aufstellt und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt.“ Diese Vorschrift ziele auf die Angleichung der Lebensverhältnisse. Faktische Nachteile, die typischerweise Frauen träfen, dürften wegen des Gleichberechtigungsgebots des Art. 3 Abs. 2 GG durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden. Diese politisch motivierte, vom Zeitgeist getriebene erweiternde Auslegung des Art. 3 Abs. 2 GG in seiner ursprünglichen Fassung ist inzwischen überholt, nachdem diese Vorschrift durch Verfassungsänderung vom 27.10.1994 durch folgenden Satz ergänzt worden ist: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

4. Rechtsgleichheit Gleichberechtigung bedeutet, dass Männer und Frauen grundsätzlich (Ausnahmen siehe unter 7.) gleiche Rechte und Pflichten haben. Die gleiche Rechtsstellung von Männern und Frauen gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG bewirkt aber nicht stets auch faktische Gleichheit von Männern und Frauen auf den rechtlich geordneten Gebieten, wie z.B. bei Beamteneinstellungen, Beamtenbeförderungen usf., wo Frauen häufig in der Minderzahl sind. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet den Staat zwar zur rechtlichen Gleichstellung der Frauen und Männer. Rechtliche Gleichstellung bei faktischen Ungleichheiten führt aber regelmäßig nicht zur faktischen Gleichheit, wenngleich rechtliche Gleichheit ein hohes Maß an Chancengleichheit garantiert und damit – auf Dauer gesehen und schon deutlich absehbar – ein wesentlicher Hebel für die faktische Angleichung ist. Das Ziel, einen faktischen Zustand in der Gesellschaft zu ändern, ist nur unter interessierter und tätiger Teilnahme der Betroffenen, niemals aber allein mit den Mitteln des Rechts zu erreichen. Zweck des Art. 3 Abs. 2 Satz 1

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GG ist es nicht, die gesellschaftlichen Verhältnisse umzuwälzen, die Zahl der Hausmänner der der Hausfrauen und die Zahl der vollberufstätigen Frauen derjenigen der vollbeschäftigten Männer anzugleichen. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG soll solch eine Situation nur rechtlich ermöglichen. Wollte man entgegen der hier vertretenen Ansicht aus Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG einen Anspruch auf faktische Gruppengleichstellung von Männern und Frauen herleiten, ginge der individualrechtliche Charakter des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG verloren. Er würde auf eine sonst nicht bekannte kollektive Ebene verlagert werden, indem das subjektive Individualrecht auf Gleichberechtigung in ein Gruppengrundrecht verwandelt würde, an dem die Individuen nach näheren gesetzlichen Vorgaben teilhätten.

5. Faktische Gleichheit als Staatsziel im Verhältnis zur Rechtsgleichheit als Grundrecht Die Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG normiert ein Staatsziel, durch das die zuständigen staatlichen Organe angehalten werden, Maßnahmen zur Angleichung der Lebensverhältnisse von Männern und Frauen zu ergreifen, indem (1) die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen gefördert und (2) auf die Beseitigung bestehender Nachteile hingewirkt wird. Während Abs. 2 Satz 1 mit „Männern und Frauen“ die einzelnen Individuen schützt und mit subjektiven Rechten ausstattet, meint Abs. 2 Satz 2 mit „Frauen und Männern“ die Individuen in Relation zu den Geschlechtergruppen, wie sie sich in der gesellschaftlichen Wirklichkeit darstellen. Nach der Begründung der gemeinsamen Verfassungskommission, die den Entwurf erstellt hat, handelt es sich darum, „eine faktische Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen zu erreichen“. Die Formulierung als Staatsziel mache deutlich, „dass kein Individualanspruch auf ein bestimmtes staatliches Handeln eingeräumt werden soll“. Auf dieser Grundlage kann der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit entscheiden, wie er dem Gebot des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG nachkommt. Die Gemeinsame Verfassungskommission war sich darin einig, dass Frauenförderung durch starre Quoten nicht gestattet sei. Staatsziele werden unter Beachtung der Grenzen verwirklicht, die die Verfassung vor allem durch Kompetenzvorschriften und Grundrechte zieht. So hat das Bundesverfassungsgericht zutreffend formuliert, dass das im Sozialstaatsprinzip enthaltene soziale Staatsziel nur in den Grenzen der Rechtsstaatlichkeit verwirklicht werden kann (BVerfGE 88, S. 203, S. 319). Entsprechendes gilt für das neue, verfassungsrechtlich verankerte Staatsziel der tatsächlichen Durch-

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setzung der Gleichberechtigung. Dabei muss das strikte Differenzierungsverbot des 1. Satzes des Abs. 2 und des Abs. 3 bezüglich des Geschlechts, d.h. das individuelle Recht auf Gleichbehandlung beachtet werden. So ist z.B. beim Zugang zu öffentlichen Ämtern eine leistungsbezogene Quotenregelung dergestalt, dass bei Bewerbern mit gleicher Leistung Frauen so lange bevorzugt werden müssen, bis die gesetzlich vorgeschriebene Quote erfüllt ist, verfassungswidrig, weil das Geschlecht nach Art. 33 Abs. 2 GG kein erlaubtes Differenzierungskriterium ist und nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG als Auswahlkriterium ausdrücklich verboten ist, und zwar auch in sog. Pattsituationen bei gleich geeigneten Bewerbern. Dieses Auslegungsergebnis stimmt mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs überein, der leistungsbezogene Quoten für unvereinbar hält mit der Richtlinie des Rates vom 09.02.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen. Aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH v. 17.10.1995 – Kalanke, Juristenzeitung 1996, S. 196; v. 11.11.1997 – Marschall, Juristenzeitung 1998, S. 139; v. 28. 3. 2000 – Badeck, Juristenzeitung 2000, S. 667)5 ergibt sich eindeutig, dass das Kriterium „weibliches Geschlecht“ bei einer Einstellung oder Beförderung nie ausschlaggebend sein darf. Insoweit ist jede Frauenquote zur Sicherung der Ergebnisgleichheit ebenso wenig mit dem EU-Recht wie mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar.

6. Angleichungen unter Wahrung der Rechtsgleichheit Die Ausgangslage der Frauen kann dadurch verbessert werden und kompensatorisch der Situation der Männer angeglichen werden, dass zum Beispiel im öffentlichen Dienst Geburten und Erziehungsjahre angerechnet werden. Geburten beruhen auf biologischem Unterschied (dazu unten 7). Erziehungszeiten werden nicht geschlechtsspezifisch, sondern sozial-gesellschaftlich in der Regel von Frauen wahrgenommen und können rechtlich geschlechtsneutral formuliert werden, was faktisch zugunsten der Frau wirkt. Andere Mittel zur Förderung der faktischen Gleichheit sind flexible, familiengerechte Gestaltung der Arbeitszeit, wozu auch Halbtagsarbeit gehört, sowie die Förderung der beruflichen Wiedereingliederung von Frauen nach Geburt und Kindererziehung. Frauen können bei der Förderung selbständiger Betriebsgründungen im Handwerk Subventionen zu günstigeren Bedingungen eingeräumt wer5

EuGH = Europäischer Gerichtshof; v. = vom.

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den als Männern. Frauen wird eine Frist von fünf Jahren nach Bestehen der Meisterprüfung eingeräumt, Männern dagegen nur eine Frist von zwei Jahren. Damit werden vor allem berufliche Nachteile von Frauen in der Zeit der Familiengründung ausgeglichen. Die Entschädigung für Zeugen ohne Verdienstausfall belief sich auf 2 DM pro Stunde, Hausfrauen dagegen erhielten 6 DM pro Stunde. Damit wollte der Gesetzgeber der Unterbewertung der Hausfrauentätigkeit gegensteuern. Dagegen wurde argumentiert, die Regel verfestige die Rollenverteilung in der Familie. Inzwischen ist die Regel geschlechtsneutral umformuliert und die Entschädigung auf 10 EUR erhöht worden.

7. Differenzierungserlaubnisse Die speziellen Differenzierungsverbote des Art. 3 Abs. 2, 3 GG erlauben ausnahmsweise Differenzierungen, wovon einige schon genannt worden sind. Die Rechtsgleichheitsgarantie (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG) darf nicht zum Nachteil der Frau angewandt werden, soweit es um deren Schutz geht, der an die biologisch-geschlechtlichen Besonderheiten der Frau anknüpft. Das Differenzierungsverbot gilt nicht im Hinblick auf Sachverhalte, die nur bei der Frau verwirklicht werden können, wie Schwangerschaft, Gebären, Stillen, Klimakterium. Hingegen können nicht aus einer angeblich schwächeren körperlichen Konstitution der Frau allgemeine rechtliche Folgerungen gezogen werden. Die Andersartigkeit der Frau muss einen konkreten Bezug zum geregelten Sachverhalt haben. So sei ein Nachtarbeitsverbot für Frauen unvereinbar mit der Rechtsgleichheit, da arbeitsmedizinische Untersuchungen ergeben hätten, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts durch Nachtarbeit nicht stärker beeinträchtigt würden als Männer. Das Argument, dass Frauen durch Nachtarbeit stärker beeinträchtigt werden wegen ihrer zusätzlichen Belastung durch Hausarbeit und Kindererziehung ließ das Bundesverfassungsgericht nicht gelten, da es nicht geschlechtsspezifisch, sondern rollenspezifisch begründet sei (BVerfGE 85, S. 191, S. 210). Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit stehen unter dem besonderen Schutz der Verfassung in Art. 6 Abs. 4 GG (jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft) und erlauben Differenzierungen. Ein Minimum an Schutz ist sogar geboten (Differenzierungsgebot des Art. 6 Abs. 4 GG). Schutzvorschriften müssen so gestaltet werden, dass sie sich nicht faktisch diskriminierend auswirken, z.B. für die Einstellungsvoraussetzungen von Frauen im gebärfähigen Alter.

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Ein Hausarbeitstag ist verfassungsrechtlich nicht gefordert. Wenn er gewährt wird, muss er alleinstehenden männlichen Arbeitnehmern in gleicher Weise gewährt werden wie alleinstehenden weiblichen Arbeitnehmern. Bei verheirateten Arbeitnehmern muss ihnen frei stehen, selbst zu entscheiden, wer den Hausarbeitstag in Anspruch nimmt. Ein besonderer freier Tag im Monat ausschließlich für Arbeitnehmerinnen ließe sich aber rechtfertigen, wenn diese kleine Kinder zu betreuen haben. Der die Differenzierung legitimierende Gedanke wäre dann der Mutterschutz (Art. 6 Abs. 4 GG), der nicht auf Mütter mit Säuglingen und Kleinkindern beschränkt ist. Im Laufe der letzten 30 Jahre sind in der Rechtsprechung vor allem des Bundesverfassungsgerichts die Probleme der Gleichberechtigung von Männern und Frauen in den einzelnen Rechtsgebieten entschieden worden. Der Gesetzgeber hat nachgearbeitet, manchmal auch vorgearbeitet: Staatsangehörigkeitsrecht, Sexualstrafrecht, Berufsrecht, Beamtenrecht, Sozialversicherungsrecht. Im Zivilrecht waren besonders das Arbeitsrecht, das Ehe- und Familienrecht und das Internationale Privatrecht betroffen.

8. Neuere Literatur Die Grundgesetzkommentare jeweils mit umfassenden Literaturangaben sowie Michael Sachs, Besondere Gleichheitsgarantien, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. VIII, 3. Aufl. 2010, S. 839–933 Doris König/Anne Peters, Das Diskriminierungsverbot, in: Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Konkordanzkommentar 2006, Kapitel 21, S. 1114–1221 Ute Sacksofsky, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung, 1991

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Kulturwissenschaft – Interesse für vielfältige Lebensweisen unter Menschen Dr. Cordula Weißköppel, M.A. Ethnologie, Bremen

1. Vorläufer des Faches Von Kultur sprechen wir durch den Kontakt mit Menschen anderer Herkunft: ihre fremde Mentalität, eine andere Körpergestaltung oder eine exotische Kochkultur, ungewohnte Feiertage und ekstatische Zeremonien fallen uns auf. Während wir heute solche Fremdheitserlebnisse im eigenen Stadtteil haben können oder wir auf Urlaubsreisen das Exotische suchen, war diese Erfahrung in früheren Zeiten nur bestimmten Eliten oder Berufsgruppen vorbehalten. Daher sind die Vorläufer einer empirischen Kulturwissenschaft vor allem durch Weltund Handelsreisende sowie durch Missionare im Kontext von Kolonialismus und Welterkundung, ausgehend von Europa, entstanden, nämlich in Form des Reise- oder Expeditionsberichts über die „Anderen“. Diese Berichte wurden im ausgehenden 19. Jahrhundert zur Grundlage theoretischer Spekulationen von Geistes- wie von Naturwissenschaftlern über „fremde Kulturen“, entweder abgewertet als „primitive“ oder aufgewertet als „wilde und von der Zivilisation unberührte“ Kulturen (Streck 1997). So erkennen wir aus heutiger Perspektive, dass das Fremde an Anderen manchmal mehr als Gegenhorizont für eigene, europäische Identitäts- und Ideenentwürfe genutzt wurde (Said 2003).

2. Gegenstand Etwas nüchterner formulieren wir inzwischen, dass Menschen über die Wahrnehmung des anderen Verhaltens das eigene nicht mehr als Selbstverständlichkeit, sondern ebenfalls als eine kulturell erlernte und tradierte Verhaltensweise reflektieren (Bohannan / van der Elst 2003). Diesem inspirierenden Wechselspiel zwischen Fremdheit und Vertrautheit nachzugehen, ist zentraler Gegenstand der empirischen Kulturwissenschaft des 20. und 21. Jahrhunderts geworden. Diese untersucht verschiedene Lebensweisen und Bedeutungssysteme unter Menschen systematisch und vergleichend. So wird erschlossen, wie differente Kulturen historisch entstanden sind und gegenwärtig weiter entstehen, und wie Kultur dazu beiträgt, dass wir als individuelle Menschen und soziale

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Wesen übergreifende, kollektive Identitäten ausbilden (Hall 1994; Jenkins 1996), die Zugehörigkeit, Orientierung und Wertmaßstäbe vermitteln. Kulturwissenschaft geht dabei über die Soziologie der eigenen Gesellschaft hinaus, als es nicht nur darum geht zu analysieren, wie sich voneinander unterscheidende Gruppen überhaupt entstehen, wie Menschen sich organisieren und welche Formen der hierarchischen oder funktionalen Arbeitsteilung existieren. Sondern es geht immer um eine gesellschaftsvergleichende Perspektive, weil die etablierten Regeln und Ordnungen der einen Gruppe in einer anderen Gruppe grundlegend andere sein können und zunächst fremdartig, unverständlich auf Externe wirken. Deshalb stehen in der empirischen Kulturwissenschaft, insbesondere in der Ethnologie Verstehensprozesse im Sinne einer Erfahrungswissenschaft vom kulturell Fremden im Mittelpunkt: ForscherInnen setzen sich meistens durch einen mehrmonatigen Aufenthalt in fremden Gesellschaften, Gruppen oder Milieus dieser Erfahrung des Fremdseins und sukzessiven Lernens aus, reflektieren darüber und analysieren die Erlebnisse prozesshaft – man spricht von der Methode der teilnehmenden Beobachtung, die zwischen aktiver Teilnahme und distanzierter Beobachtung oszilliert (Malinowski 2001 (orig. 1928); Spittler 2001). Neben diesem unmittelbaren Mitmachen in einer unbekannten Gruppe führt man Gespräche oder Interviews mit den verschiedensten Mitgliedern, man skizziert Tages- und Arbeitsabläufe oder fragt nach den verwandtschaftlichen und nichtverwandtschaftlichen Beziehungen und rekonstruiert soziale Netzwerke. Oder man arbeitet sich in die Bedeutung spezifischer Symbolsysteme und ritueller Praxen ein (Geertz 1987). Anfängliche Fragestellungen verschieben sich oftmals hin zu zentral relevanten Themen, die von Akteuren in der untersuchten Gesellschaft artikuliert werden.

3. Übergreifende Fragestellungen und Theoreme Zentrale Fragestellung solch einer vergleichenden und verstehenden Kulturwissenschaft ist zum Beispiel, wie spezifische Kultur tradiert wird, also wie sie durch Sozialisation und Erziehung zwischen den Generationen weitergegeben wird: In welchem Verhältnis stehen biografische, individuelle Entwicklungen zu kulturellen Prägungen und Einflüssen und welche historisch übergreifenden Prozesse der Institutionalisierung oder Disziplinierung sind zu beobachten, mit denen Kultur als kollektives Gut erhalten, verändert oder transformiert wird? Es geht daher immer um eine synchrone und eine diachrone Perspektive: Kulturgeschichtler rekonstruieren die historische Entwicklung spezifischer Phänomene, z.B. der Sportart Fußball, von seiner Erfindung über seine geografi-

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sche Verbreitung und lokalspezifische Einpassung bis hin zur gegenwärtigen Bedeutung eines global-internationalen Wettbewerbs mit kommerzialisierter Fan- und Medienkultur. Zum einen geht es um den historischen Wandel, zum anderen um regional- und kulturspezifische Aneignungsformen dieser Sportart. Regionalexperten spezialisieren sich auf die räumlich-geografische Verbreitung eines Phänomens, z.B. Hexereivorstellungen in Afrika, studieren dieses im Detail und in seinen lokalen Ausprägungen, um den spezifischen soziokulturellen Kontext zu erschließen, in dem Hexerei Sinn macht: wenn durch Konzepte der „Verhexung“ etwa Neidgefühle oder Schicksalsschläge bearbeitet werden, um potenziell soziale Ungleichheiten von Personen in einer Gesellschaft zu balancieren (Bowie 2000). Kulturtheoretiker konzentrieren sich auf abstrakte, übergreifende Fragen, z.B. ob ähnliche Phänomene, wie religiöse Glaubenssysteme, durch universale Bedürfnisse des Menschen nach Erklärung von Unerklärlichem gedeutet werden können. Warum sprechen wir überhaupt von „Kultur“, und welche Abgrenzungen werden gegenüber konkurrierenden Begriffen wie „ethnische Gruppe“, „Gesellschaft“ oder „System“ vorgenommen (u.a. Haller 2005)? Eine andere elementare Frage ist, ob Kultur durch materielle und ökologisch-klimatische Faktoren vorstrukturiert wird, oder sich an der menschlichen Kulturtätigkeit, gerade Kreativität und Imaginationsfähigkeit, jenseits materieller Bedingungen zeigt. Oftmals dominiert eine sehr übergreifende Vorstellung von Kultur, die die Verhältnissetzung des Einzelnen zu Mitmenschen, Natur und Kosmos mit Ziel der übergreifenden Sinnstiftung umspannt und somit das durchaus fragmentierte menschliche Leben zusammenhalten soll. Aber welche Differenzierungen existieren dann innerhalb solch eines umfassenden Bedeutungssystems, insbesondere wenn wir Kultur in modernen, d.h. kulturell komplexen Gesellschaften untersuchen? Es ist deutlich geworden, dass das Konzept „Kultur“ einer klaren Definition entbehrt. Es wird als Meta-Konzept genutzt, um von annähernd geteilten Bedeutungssystemen unter Menschen zu sprechen, was spezifische Handlungspraxen und Symbolisierungen einschließt, auch wenn diese einem permanenten Prozess des Wandels unterliegen. Die Bezugsrahmen für Kultur können aber sehr unterschiedliche sein: Wir sprechen von einer National-Kultur, die Bevölkerungen auf einem spezifischen Territorium imaginieren, um eine abstrakte Form der Gemeinschaft zu schaffen (Anderson 1985); oder wir sprechen von einer Unternehmens-Kultur, um einen spezifischen Führungsstil, Corporate Identity aller Mitarbeiter und die Identifikation mit dem hergestellten Pro-

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dukt zu erfassen; genauso gut sprechen wir aber auch von einer Kinder- oder Jugend-Kultur (Dracklé 1995), um bewusst zu machen , dass in verschiedenen Altersgruppen soziale Hierarchien ausgehandelt werden, eigene Codes oder Geheimsprachen existieren oder bestimmte Spiel-Regeln, um Tauschbeziehungen einzugehen (Weißköppel 2001).

4. Klassische Theoriebildung Ethnologische Theoriebildung bewegte sich im 20. Jahrhundert in der Spannung zwischen universaler Anthropologie und kulturrelativistischer Haltung (Kimmich / Schahadat / Hauschild 2010): Die strukturalistische Perspektive fokussierte vor allem Handlungsmuster oder Strategien menschlicher Existenzbewältigung, die weltweit verbreitet sind und somit als universale Muster erschlossen und theoretisiert wurden. Die funktionalistische Perspektive beschrieb hingegen systematisch, wie different zum Beispiel Wirtschaft von Menschen betrieben wird, um einerseits basale Bedürfnisse zu decken, andererseits welche Querverbindungen zur Politik oder zu sozialen Statusfragen in der jeweiligen Gesellschaft hergestellt werden. Ziel dabei war, Gesellschaften zunächst als eigendynamische Organismen zu verstehen und dabei zu erkennen, wie relativ sie sich zu anderen Gesellschaften verhalten, eben nebeneinander koexistieren können. Die semiotische Perspektive fokussierte umso mehr, welche distinkten Sinnsysteme Menschen entwickeln und mit welcher Kreativität unzählige Sprachen entstanden sind und diese sich als übergreifende Zeichen- und Kommunikationssysteme etabliert haben (u.a. Nünning 2008). Das kann wiederum zu sozialen und kulturellen Grenzziehungen zwischen Gruppen oder einzelnen Menschen beitragen, wenn dieses Zeichensystem nur von einigen beherrscht wird, vor allem von denen, die es in der Primärsozialisation von ihren Eltern erlernt haben. Diese Zeichensysteme können aber in der Sekundärsozialisation auch selbständig angeeignet werden. Dann kommen Menschen durch ihre Mehrsprachigkeit in die Lage, kulturelle Grenzen zu überschreiten, andere kulturelle Kompetenzen aneignen zu können und somit Verbindungen und Austausch zwischen den Kulturen zu schaffen. Diese Perspektive von Kulturkontakt und Vermischung bestimmt die gegenwärtige Kulturwissenschaft, weil durch die verstärkten Prozesse der Globalisierung seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts erhöhter Kontakt, Vernetzung und Austausch zu beobachten ist (Appadurai 1996; Werbner / Modood 1997; Weißköppel 2005). Man revidiert dadurch auch frühere Vorstellungen von Kulturen, die man als isolierte Einheiten fast wie separate „Inseln“ betrachtete. Durch die Ansätze einer historischen Anthropologie wird heute deutlich, dass dieser isolierte Charak-

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ter von Kultur letztlich niemals zutraf, sondern mehr ein theoretisches Modell spiegelte (s.o. funktionalistische Perspektive). Es existierten immer schon spezifische Formen des Kulturkontakts und der Grenzüberschreitung, wenn auch in anderer geografischer Reichweite als heute.

5. Aktuelle Forschungsfelder Aktuelle Forschungsfelder sind daher die Migrations- und Mobilitätsforschung. Aus welchen Gründen verlassen Menschen ihre bisherigen Lebensorte (Treibel 1999)? Sind es vor allem ökonomische Faktoren, oder politische Verhältnisse, die zu Emigration antreiben? Wie stehen Auswanderungs- und Einwanderungsgesellschaft im Verhältnis (Schiffauer 1991)? Durch das mehr oder weniger regelmäßige Pendeln von MigrantInnen zwischen verschiedenen Standorten entstehen neue soziale, ökonomische und politische Räume, die als transnational charakterisiert werden (Vertovec 2009; Pries 2008). Wie verändert sich individuelle und kulturelle Identität von Menschen und Gruppen im Zuge von Immigration in eine neue Gesellschaft? Wie müssen sich Einwanderungsländer auf ihre neue Bevölkerungsstruktur einstellen (Weißköppel 2001)? Welche Ethnopolitiken werden verfolgt bzw. gibt es eine offensive Multikulturalismus-Politik (Baumann 1999)? Diese gesellschaftlichen Dynamiken, ausgelöst durch weltweit ansteigende Migrationen, haben eine neue Subdisziplin der Inter- und Transkulturalitäts-Forschung hervorgebracht: Die Situation erhöhten Kontakts zwischen Menschen verschiedener Kulturzugehörigkeit trifft nicht nur für Einwanderungsländer zu, sondern auch in internationalen Unternehmen oder Organisationen, die die Vielfalt ihrer MitarbeiterInnen möglichst konstruktiv im Hinblick auf ihre Zielsetzungen nutzen wollen. Zum einen werden hier diverse Formen des Interkulturellen Trainings entwickelt, um z.B. Mitarbeiter auf Auslandsaufenthalte oder wichtige internationale Meetings vorzubereiten (Moosmüller 2007; Straub u.a. 2007). Es geht etwa um das Einüben kulturspezifischer Verhaltensweisen bei offiziellen Anlässen oder für diplomatische Verhandlungsstrategien. Diese sehr zweckorientierten Trainings arbeiten stark mit kulturellen Stereotypen, um in relativ kurzen Begegnungen das richtige Verhalten an den Tag zu legen. Interkulturelle Schulungen, die längerfristig angelegt sind, fokussieren weniger landestypische Verhaltensweisen, sondern sensibilisieren für Fähigkeiten der Empathie und Umgang mit Fremdheit und Differenz. Welche Methoden helfen, Missverständnisse zu klären oder Konflikte konstruktiv zu wenden?

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Ein anderer, immer populärer werdender Ansatz ist das sog. „diversity“-Management, womit grundlegend anerkannt wird, dass Menschen in modernen, d.h. kulturell komplexen Gesellschaften, unterschiedlich positioniert sind nach Schicht- und Geschlechtszugehörigkeit, nach Bildungs- und Berufsstand, nach Alter und anderen Kriterien wie über die Erfahrung einer Migration, also eines Gesellschaftswechsels zu verfügen (Krell 2007). Innerhalb von Unternehmen oder öffentlichen Organisationen wird mit diesem Ansatz versucht, möglichst alle differenten Eignungen nutzbringend zu integrieren, und dafür zu sorgen, dass keine Gruppe durch andere diskriminiert bzw. benachteiligt wird. In staatlichen Institutionen wie Schulen, Krankenhäusern, Ämtern wird realisiert, dass ein heterogenes Klientel mit den entsprechenden Dienstleistungen zu versorgen ist, und deshalb andere, z.B. mehrsprachige Kompetenzen beim Personal notwendig werden. Bisherige Personalbestände müssen daher nachgeschult werden, oder die Einstellungs- und Personalpolitik muss reformiert werden. Aus wissenschaftlicher Perspektive geht es darum, solche Änderungsprozesse organisationsanalytisch zu begleiten, entweder durch Evaluationsforschung oder durch Fortbildungsmodule (Kaufmann 2010). Die ethnologische und kulturwissenschaftliche Geschlechterforschung war für diese Ansätze um „diversity“ vorbahnend. Durch den Kulturvergleich konnte gezeigt werden, dass die geschlechtliche Zuordnung in vielen Gesellschaften genutzt wird, differente Identitäten, Rollen und Aufgaben, eben zwischen „Männern“ und „Frauen“ zu verteilen (Moore 1990). Gleichzeitig wurde analysiert, dass diese verschiedenen Zuordnungen und Identifikationen in einem Höchstmaß kulturspezifisch erlernt und tradiert werden (u.a. Richards 1957). Kulturelle Symbole und andere Prestigeträger sind hochgradig geschlechtlich konnotiert und dabei in hierarchische Bewertungsskalen eingebettet (Lenz / Luig 1997). Dennoch konnte auch hier durch die mikroskopische, also ethnografische Gesellschaftsanalyse gezeigt werden, wie diese Geschlechterkonstruktionen permanent ausgehandelt werden und mit anderen Statussystemen wie Alterszugehörigkeit oder sozioökonomischen Status verflochten sind. Heute spricht man daher von intersektioneller Geschlechterforschung. Während dieser Ansatz noch stark um einzelne Subjekte oder Akteure einer Gesellschaft und den entsprechend verschiedenen Lebenssituationen kreiste, zeichnen sich in jüngerer Zeit Forschungsfelder ab, die wieder stärker die Objekte menschlicher Kulturtätigkeit in den Blick nehmen: In der kulturwissenschaftlichen Technikforschung steht zum Beispiel der Wandel von Artefakten und Technologien im Zentrum: Welche Erfindungen ent-

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wickeln sich wie weiter und setzen neue Anwendungskontexte frei? Welche Arbeits- und Produktionsprozesse sind damit verbunden? Wie interagieren Mensch und Maschine? Hier schließt sich die kulturwissenschaftliche Medienforschung an (Dracklé 2005), indem einerseits Medienprodukte auf ihre Inhalte und Wirkung analysiert werden, aber auch, wie Medienrezipienten sich bestimmte Inhalte aneignen und daraus neue Bedeutungszusammenhänge kreieren. Wie tragen insbesondere das Internet und das Fernsehen zu Prozessen der kulturellen Globalisierung bei, z.B. dadurch dass bestimmte Produkte oder Serien überall auf der Welt bekannt sind (These der Homogenisierung von Kultur)? Oder sollte besser von einer lokalspezifischen Ausformung und Aneignung gesprochen werden, wenn z.B. Filmindustrien in Indien und Nigeria nach dem Modell von Hollywood expandieren? Die Medienanthropologie umfasst somit auch die Visuelle Ethnologie und Ethnografie, wo die filmische und fotografische Darstellung fremder Gesellschaften und Lebensformen im Zentrum steht. Visuelle Medien bieten in Kombination mit Wort und Ton ganz andere Repräsentationsformen als klassische Ethnografien in Buchform.

6. Kritische Debatten So wurde die so genannte „Writing Culture“-Debatte in den 1980er Jahren (Clifford / Marcus 1987) zu einem Markstein für eine zeitgenössische Ethnologie und Kulturwissenschaft, weil kritisch reflektiert wurde, wie man die Menschen und ihre Themen, zu denen man geforscht hat, möglichst angemessen an wissenschaftliches Publikum oder an die interessierte Öffentlichkeit vermitteln kann. Zum Beispiel wird seitdem mit dialogischen Verfahren experimentiert, um die Beforschten stärker zu Wort kommen zu lassen. Oder man spricht bescheidener von „partial truths“ („halbe Wahrheiten“) um zu signalisieren, dass man nur mit bestimmten Gruppen oder Akteuren einer Gesellschaft reden konnte. Um klischeehafte „Gräben“ der Differenz nicht weiter zu vertiefen, sondern das Humane und Verbindende unter Menschen bewusst zu machen, fokussiert man Gemeinsamkeiten oder Ähnlichkeiten des Lebens in verschiedenen Kulturen und Milieus (Abu-Lughod 1991). In dieser Hinsicht sind kulturkritische Ansätze wie der Postkolonialismus immer wichtiger geworden, weil KulturtheoretikerInnen hier darüber nachdenken (Castro Varela / Dhawan 2005), wie die historische Kontinuität von Kolonialismus bzw. Imperialismus, also von Macht und Unterdrückung zwischen Kulturen durchbrochen werden kann. Manche Ethnologen verbinden ihre Forschung daher explizit mit der Unterstützung sozialer oder indigener Bewegungen, um sie in ihrem Kampf um angemessene Rechte in den dominierenden Nationalstaaten

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zu stärken (sog. Action Anthropology). Andere wiederum vollziehen Auftragsforschung für Unternehmen, für den Staat oder für die Kommune (sog. Applied Anthropology). Je nach politischer Zielsetzung wird darüber kontrovers diskutiert, inwieweit die Kulturwissenschaft dabei ihren unabhängigen Status aufgibt bzw. welche ethischen Richtlinien unbedingt eingehalten werden sollten (Hornbacher 2006), weil es sich bei der ethnologischen Feldforschung meistens um unmittelbare Begegnungen mit Menschen handelt: Ist die Wissenschaft wirklich autorisiert, ihr Wissen und ihre Erfahrungen einfach einer breiten Öffentlichkeit bzw. spezifischen Interessengruppen preiszugeben? Eine Lösungsstrategie sind hier Feedbackprozesse durch die Beforschten auf Publikationen oder Filme, um ihnen ein Veto-Recht einzuräumen oder unterrepräsentierte Themen noch stärker zu berücksichtigen.

7. Berufsfelder Neben den klassischen Berufsfeldern in der Wissenschaft und in unabhängigen Forschungsinstituten (wie der Max-Planck-Gesellschaft) mit Ziel einer fortlaufenden Grundlagenforschung über Phänomene des Kulturellen in den diversen Regionen dieser Welt arbeiten zahlreiche EthnologInnen oder KulturwissenschaftlerInnen in Museen oder Archiven, um Sammlungsbestände zu erhalten bzw. in die museumspädagogische Vermittlungsarbeit zu integrieren. Typische Berufsfelder der angewandten Kulturwissenschaft sind alle Berufe, in denen kulturspezifisches bzw. Regional-Wissen notwendig wird, also potenziell im „Ausland“ bzw. in Kulturkontaktsituationen: Ob es sich um entwicklungspolitische Beratung, um Tourismusmanagement oder um internationale Konzerne und Messeorganisation handelt, immer geht es um die Fähigkeit in fremden Gesellschaften mit differenten Verhaltensweisen oder Kommunikationsformen von Menschen zu Recht zu kommen. Entsprechend gefragt sind inter- und transkulturelle Kompetenzen, die heute zudem in gesonderten Studiengängen oder professionellen Trainings erworben werden können (Moosmüller 2003). KulturwissenschaftlerInnen und EthnologInnen sind daher verstärkt im Bildungssektor der eigenen Gesellschaft tätig, wo sie Fachkräfte inter- und transkulturell schulen. Sie sind in der Integrationsarbeit von sozialen und kulturellen Randgruppen anzutreffen, in der Stadtteilkulturarbeit oder aber in öffentlichen Institutionen wie in Krankenhäusern, Schulen und Stadtverwaltungen, um Maßnahmen der interkulturellen Öffnung und des Diversity Managements (s.o.) zu initiieren und zu evaluieren. Sie finden Stellen im Eventmanagement sowie im allgemeinen Kulturbetrieb, insbesondere wenn die Kombination mit Betriebswirtschaft, Jura oder Management gewählt wird. Die Internationalisierung der

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Politik und die wachsende globale Zivilgesellschaft mit inter- und transnationalen Organisationen erfordert Experten, die sowohl über kulturspezifische Regionalkenntnisse, Mehrsprachigkeit als auch über Fähigkeiten im Konfliktmanagement verfügen sollten. Kulturwissenschaftliche Kompetenz ist überall da gefragt, wo es um ein hohes Maß an Empathie geht: Wie kann ich Fremdes verstehen, was lerne ich dabei über Eigenes und wie kann ich diese Einsichten konstruktiv vermitteln, sodass Vorurteile, Fremdenhass und Ausgrenzung von Anderen überwunden wird? Dabei muss mit Augenmaß darüber nachgedacht werden, welche Formen gelebter Vielfalt praktikabel sind und wo es eher darum geht, eine tolerante Koexistenz für diverse Lebensformen zu schaffen. Um ein multikulturelles Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft annähernd fair zu regeln, sind politisch weitblickende Ideen, aber oftmals auch rechtliche Maßnahmen notwendig.

8. Einführende und zitierte Literatur Lila Abu-Lughod, Writing against Culture. In: Fox, Richard G. (ed.). Recapturing Anthropology. Working in the Present. Santa Fe, New Mexico: School of American Research Press, 1991, 137–162. Arjun Appadurai, Modernity at large. Cultural dimensions of globalization. Minneapolis: University of Minnesota Press 1996. Benedict Anderson, Imagined communities: reflections on the origin and spread of nationalism. London: Verso, 1987. Gerd Baumann, The Multicultural Riddle. Rethinking National, Ethnic, and Religious Identities. New York, London: Routledge, 1999. Paul Bohannan / Dirk van der Elst, Fast nichts Menschliches ist mir fremd. Wie wir von anderen Kulturen lernen können. Edition Trickster. Peter Hammer Verlag: Wuppertal 2003. Fiona Bowie, The Anthropology of Religion. An Introduction. Oxford: Blackwell 2000. Varela Castro, Maria do Mar/ Nikita Dhawan, Postkoloniale Theorie. Bielefeld: transcript 2005. J. Clifford / G. E. Marcus (eds.), Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography. Berkeley: University of California Press 1986. Dorle Dracklé, Jung und wild. Die kulturelle Konstruktion von Kindheit und Jugend. Berlin: Reimer 1995.

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Dorle Dracklé, Vergleichende Medienethnografie. In: A. Hepp (Hg. 2005): Globalisierung der Medienkommunikation. Wiesbaden: VS-Verlag 2005, S. 187–208. C .Geertz, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1987, orig. engl. Thick Description, 1966. Stuart Hall, Die Frage der kulturellen Identität. In: S. Hall, Rassismus und kulturelle Identität. Hamburg: Argument-Verlag 1994, 180–222. Dieter Haller (Hg.), Dtv-Atlas Ethnologie. München: dtb 2005. Richard Jenkins, Social Identity. London: Routledge 1996. Annette Hornbacher (Hg.), Ethik, Ethos, Ethnos: Fragen und Probleme interkultureller Ethik. Bielefeld. transcript 2006. Margrit Kaufmann (Hg.), Bremer Forum Diversity. Dokumentation des Kooperationsprojektes. Universität Bremen 2010. Dorothee Kimmich / Schamma Schahadat / Thomas Hausschild (Hg.), Kulturtheorie. Bielefeld: transcript 2010. Gertraude Krell u.a. (Hg.), Diversity Studies. Grundlagen und dsiziplinäre Ansätze. Frankfurt a. M.: Campus 2007. Ilse Lenz / Ute Luig (Hg.), Frauenmacht ohne Herrschaft: Geschlechterverhältnisse in nichtpatriarchalischen Gesellschaften. Frankfurt a. M.: Fischer 1995. Bronislaw Malinowski, Argonauten des westlichen Pazifik: Ein Bericht über Unternehmungen und Abenteuer der Eingeborenen in den Inselwelten von Melanesisch-Neuguinea, Eschborn: Klotz-Verlag 2001, orig. engl. Argonauts of the Western Pacific, 1922. Henrietta Moore, Mensch und Frau sein. Perspektiven einer feministischen Anthropologie. Orig. Feminism and Anthropology. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1990. Ansgar Nünning (Hg.), Metzler-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Stuttgart, Weimar: Verlag J.B. Metzler 2008. Alois Moosmüller, Interkulturelle Kommunikation – Konturen einer wissenschaftlichen Disziplin. Waxmann: Münster 2007. Ludger Pries, Die Transnationalisierung der sozialen Welt: Sozialräume jenseits von Nationalgesellschaften. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2008.

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Spielen oder gespielt werden – das ist die Frage Werner Gerber, Berlin

1. Einleitung In dieser Fragestellung steckt auch die Grundfrage: was ist ein glückliches Leben? Erlebe ich mich als Gestalter meines Lebens, oder als Opfer der Umstände. Bin ich der Regisseur, gebe ich vor, was gespielt wird und wie – eine Stilfrage –, oder bin ich der Spielball von äußeren oder aber auch von inneren Mächten. Ich werde also etwas über die Spielkultur sagen, welche die Voraussetzung für gutes Spielen darstellt, werde über meine Erfahrungen als Regisseur und Schauspieler am Theater berichten und versuchen aufzuzeigen, wie viel davon auf andere Arbeitsfelder übertragbar ist.

2. Vom Ursprung der Kultur im Spiel Der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga (1872 – 1945) stellt in seinem Werk „Homo ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel“ die Bedeutung des Spiels für die Menschwerdung dar. Er betont, dass das Spiel immer auf Freiwilligkeit beruht. Niemand kann zum Spielen gezwungen werden, aber die Spielregeln müssen anerkannt werden. Das Spiel hat Ähnlichkeiten mit dem Kult und dem Religiösen, denn es bedarf eines Ethos der höheren Ernsthaftigkeit (Fairness), wir sprechen ja auch vom „heiligen Ernst“ im Spiel, obwohl das Phänomen Spiel eigentlich im Gegensatz zum Ernst steht. Der Ernst (ernest, ernust, eornost = Streit, Kampf) ist definiert als Abwesenheit von Spiel, wohingegen das Spiel den Ernst durchaus mit einschließen kann.1 Die Wissenschaft und die Kunst sieht Huizinga als spezielle Formen des Spiels, ebenso natürlich die Politik und die Wirtschaft. Demnach übernehmen Führungskräfte bestimmte Rollen in diesem Spiel. Ich behaupte, dass immer dann, wenn der Spielcharakter vollkommen verloren geht und nur noch die so genannte Realpolitik und Sachzwänge unser Handeln bestimmen, die Alarmglocken läuten sollten. Dann läuft etwas schief und wir sollten versuchen, wieder auf Distanz zum Problem zu gehen, um neue Spielräume zu entdecken. 1

Johan Huizinga, Homo Ludens, 19. Auflage 2004.

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Weiter definiert Huizinga das Spiel in Opposition zum „gewöhnlichen, eigentlichen Leben“. Es ist in letzter Konsequenz überflüssig, man muss es nicht machen, und genau da liegt seine Freiheit. Sehr wichtig auch die Abgeschlossenheit, Begrenztheit und v.a. dessen Wiederholbarkeit. Diese drei Merkmale machen das Spiel zu einer beobachtbaren und damit besonders wertvollen Tätigkeit. Daraus ergibt sich die Möglichkeit des Probehandelns.

3. Das Unbehagen in der Kultur In der unter diesem Titel 1930 erschienenen Schrift nimmt Sigmund Freud eine kulturkritische Position ein. Seine These: In der Kultur werden die Triebregungen sublimiert,2 sodass Triebwünsche in geistige Leistung oder kulturell anerkannte Verhaltensweisen umgewandelt werden. Somit dient die Sublimierung zur Abwehr des Ichs. Die Kultur ist bestrebt, immer größere soziale Einheiten zu bilden. Hierzu schränkt sie die Befriedigung sexueller und aggressiver Triebe ein; einen Teil der Aggression verwandelt sie in Schuldgefühl. Auf diese Weise ist die Kultur in Freuds Theorie eine Quelle des Leidens; ihre Entwicklung führt zu einem wachsenden Unbehagen. Die Tatsache, dass wir Kulturwesen sind, schränkt unsere individuelle Freiheit ein und gleichzeitig machen wir die Erfahrung, dass die durch Triebverzicht errungenen Leistungen des Fortschritts in Wissenschaften und Technik uns nicht glücklicher gemacht haben. Trotzdem würde ich die von Freud beschriebene Sublimation, was ja in der Chemie Veredelung bedeutet, nicht negativ bewerten. Im Gegenteil die Veredelung unserer Triebe führt zur kreativen Anpassung und damit zur sozialen Kompetenz, die auch immer mit erworbener Frustrationstoleranz verbunden ist. Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Dieser Satz trägt, laut Friedrich Schiller, das ganze Gebäude der ästhetischen Kunst und der noch schwierigeren Lebenskunst. Die menschliche Ambivalenz zwischen Sinnlichkeit und Vernunft, Anschauung und Denken, der moralischen Nötigung (Formtrieb) und der triebhaften Begierde (Stofftrieb) wird durch die Tätigkeit eines dritten Triebes aufgehoben: dem Spieltrieb, der dem Menschen die Fesseln aller Verhältnisse abnimmt und ihn von allem, was Zwang heißt entbindet. (F. Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen / 15.Brief) 2

Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur und andere Schriften, Frankfurt am Main 2010.

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Die Persönlichkeit bildet sich laut Schiller zu Ganzheit und Reife seiner Anlagen, in dem sie das Gefühls- und Vernunftvermögen ausbildet und beide Eigenschaften in einem Zustand spielerischer Gelöstheit vereinigt. Das Spiel als Moment der Freiheit höherer Ordnung. Was durch Triebverzicht geopfert wurde bekommen wir im Spiel veredelt zurück.

4. Die Kunst als spezielle Spielart Mimesis: die Fähigkeit zur Nachahmung, ist für Aristoteles die Voraussetzung des Menschen lernen zu können. Das Theater, als Kunst der Nachahmung soll unsere Gefühle aufwühlen und dafür sorgen, dass wir wie gereinigt (Katharsis) aus dem Erleben einer Tragödie hervorgehen. Dazu muss der Zuschauer mitgerissen werden und Furcht, Schrecken und Mitleid empfinden. Kunst kommt von Können oder Kennen her (nosse aut posse), vielleicht von beiden, wenigstens muss sie beides in gehörigem Grad verbinden. Wer kennt, ohne zu können, ist ein Theorist, dem man in Sachen des Könnens kaum trauet; wer kann ohne zu kennen, ist ein bloßer Praktiker oder Handwerker; der echte Künstler verbindet beide. – J.G. Herder Kalligone, Natur und Kunst – Dieses Zitat beschreibt wie zur Produktion von Kunst eine Technik beherrscht werden muss. In der zeitgenössischen Kunst, spätestens seit den ready mades von Duchamp, der ein umgekehrt aufgehängtes Urinoir 1917 zur Kunst erklärte, wird dieser Aspekt dem Laien immer rätselhafter. Hier ist nur noch die Idee, das Konzept das Entscheidende und ersetzt die Technik. Damit wird das Können nicht mehr so einfach messbar. Nur mehr der Markt entscheidet, ob ein Kunstwerk wertvoll ist oder nicht. Zumindest glauben das die entsprechenden Marktteilnehmer. Dieser Glaube an den Markt dürfte ganz allgemein der Inhalt unserer neuen Religion sein. Hier war die Kunst tatsächlich visionär und hat das vorweggenommen, was wir nun allmählich auf den internationalen Finanzmärkten realisieren, nämlich die Fiktionalisierung des wirtschaftlichen Handelns. Hier wird buchstäblich mit Nichts gehandelt, aber Einzelne ziehen daraus einen riesigen Profit. Sehen wir hier die moderne Form der Alchemie, der ältesten Kunst zur Herstellung von Gold? Auf der andern Seite ist ein Kennen, also Wissen oder Verstehen der komplexen Zusammenhänge auch nicht mehr möglich. Jetzt wäre unbedingt die Fähigkeit zu Spielen gefragt. Aber damit ein Spiel gelingen kann braucht es

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bekanntlich Regeln, denn sie schaffen die Freiheit des Spiels. Um aber die Regeln durchsetzen zu können braucht es Macht. Nur wer hat sie? Wenn die Realität selber zur Farce wird, zum Maskenspiel, wenn ein Massenmörder in Norwegen sich im Marschallkostüm abbilden lässt, Neonazis eine DVD produzieren auf dem ein rosarotes Paulchen Panther türkische Dönerbudenbesitzer ermordet, ein Bungabunga-Playboy den Ministerpräsidenten spielt, Minister als Plagiatoren enttarnt werden, Bischöfe als Kinderschänder, Banker als Betrüger, dann verwischen sich Leben und Rolle, Maske und Gesicht. Was soll nun die Kunst nachahmen (Mimesis) wenn das „Original“ bereits ein Imitat ist? In Jean Genets satirischem Stück „Der Balkon“ treffen sich im Bordell der Madame Irma Bischof, Richter, General, Präsident und Gesandter, während draußen eine blutige Revolution im Gange ist, die sich aber immer mehr zu einer Show, einem unwirklichen Gesang entwickelt, selber Posse wird, wie die „Regierung“ im Bordell. Auf die Frage der „Königin“ Irma: – Wer ist das? Sind das die Unsrigen? Oder die Aufständischen? – antwortet der Gesandte: – Jemand der träumt, Madame – Sind die von der Situation inspirierten Gefühle der Protagonisten geheuchelt oder sind sie wirklich? Der Zorn des Polizeipräsidenten auf die Würdenträger, ist er geheuchelt, ist er echt? Existieren die Revolutionäre im Bordell oder draußen? Man muss die Zweideutigkeit bis zum Schluss aufrechterhalten. – Jean Genet, Vorwort zum Balkon – Heute ist zu beobachten, wie sich die Kunst immer mehr politisiert und wieder vermehrt das Gesellschaftliche zum Gegenstand hat. Wie im Fall des chinesischen Künstlers Weiwei kann das für den Künstler sehr brisant werden. Mit der Politisierung der Kunst kommen wir im Theater vielleicht wieder mehr zurück zu Schiller’s Bühne als moralischer Anstalt: Kunst kommt von Künden, Kunde geben, etwas verkünden, erklären, deutlich machen, d. h. deuten [...] – Joseph Beuys –

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Exkurs 1: Regie führen: Die Kunst der Regie im Theater zeichnet sich durch eine besondere Anforderung an einen gesunden Pragmatismus aus, der den Spagat wagt, zwischen eigenen Visionen, Ideen, Träumen einerseits und den Produktionswirklichkeiten anderseits: Budget, Fähigkeiten der Schauspieler, Kompetenzen der Mitarbeiter im Team, Druck des Produzenten, Geldgebers, der wiederum den Markt vertritt. Diese verschiedenen Wirkkräfte in einer Inszenierung zu vereinigen, würde ich als die besondere Kunst des Regisseurs definieren. Projektmanagement im besten Sinne. Die Arbeit des Regisseurs im Spannungsfeld Theater entspricht also ziemlich genau den Aufgaben eines Managers, der das kreative Potenzial einer Truppe zum großen Ganzen zusammenfügt. Wie viel Traum lässt sich realisieren? Wie groß ist meine Frustrationstoleranz ohne zu resignieren? Wie viel Scheitern, wie viel Mangel kann ich sogar zum Treibstoff für neue Produktionen recyceln, also zurück in den Kreislauf bringen, damit daraus neuer Triebstoff wird? Wenn mir das nicht gelingt, brenne ich aus, verbrenne ich, was dann zum bekannten Burnout führt. Aus der Theaterliteratur wiederum ist viel über Hierarchie und Beziehungen, Konkurrenz und Macht zu lernen, denn die Dramatiker, allen voran Schiller und Shakespeare, haben den Stoff exemplarisch analysiert. Wettbewerb und Kündigungen, Fusion und Übernahme: die Arbeitswelt steckt voller Schlachten und Tragödien. Welche Rolle fällt mir zu? Bin ich König oder Narr? Oder muss ich gar wie König Lear entdecken, dass ich am Ende weniger habe, als der Narr? Nach meiner Vorstellung von Theaterkunst, spiegelt sie die Zeit wieder, die Menschen mit ihren Wünschen, Sorgen, Lüsten und Ängsten, die Machtstrukturen, Institutionen, die Politik, die Familien, kurz das Leben im Gesellschaftlichen und Privaten. „Es gehört also zu den wichtigsten Aufgaben der Kultur, den Menschen auch schon in seinem bloß physischen Leben der Form zu unterwerfen und ihn, soweit das Reich der Schönheit nur immer reichen kann, ästhetisch zu machen, weil nur aus dem ästhetischen, nicht aber aus dem physischen Zustand der moralische sich entwickeln kann“. – F. Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen / 23.Brief –

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5. Spielen oder gespielt werden Spielen oder gespielt werden paraphrasiert Hamlets berühmte Frage: Sein oder nicht sein. Lassen wir hier Hamlets Option Selbstmord, die er in dem Monolog durchspielt, beiseite, sondern sehen wir sie eher als Frage nach dem richtigen Leben, dem erfüllten Sein, das einem trostlosen, getriebenen, bewusstlos dahinvegetierenden Nicht-Sein entgegengestellt wird. Diese Form des NichtSeins kann man auch als Lemuren-Existenz empfinden, das Leben eines Scheintoten, der sich nicht einmal mehr umbringen muss, um „tot“ zu sein. Erkenne dich selbst und werde der du bist. – Inschrift auf dem Tor vor dem Orakel zu Delphi – Diese Inschrift gibt die Richtung vor, das Ziel werden wir nie wirklich erreichen können, aber auch nicht müssen, denn allein der Weg kann schon ein von Sinn erfüllter Prozess sein. Es geht also um ein „live long learning“ und Abarbeiten an dem Rätsel, das uns das Orakel aufgibt, nämlich der Suche nach dem Selbst, das wiederum bereits von Anfang an da ist und nur zu werden, zu wachsen braucht, damit wir nicht wie der Dichter Arthur Rimbaud sagen müssen: Ich ist ein Anderer. Das Orakel zu Delphi stellt also ein Paradox dar, wenn es uns auf eine unmögliche Reise schickt. So entdecken wir womöglich am Ende unseres Lebens wie der alte Peer Gynt (Figur von Ibsen), dass die lange Reise um die Welt, auf der Suche nach sich selbst, nach der Erfüllung, gar nicht nötig gewesen wäre, wenn man mit der Suche bei sich selbst angefangen hätte. Und trotzdem, ich halte es mit Alfred Camus: Man muss sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen, denn Arbeit lohnt sich allemal. Die Reise nach Utopia, bekanntlich dem Nicht-Ort ist gerade dem Schauspieler bekannt. Er bricht auf in ein Land, das es nicht gibt, denn die Bretter bedeuten die Welt nur, sind sie aber nicht. In dieser kleinen Lücke liegt die Freiheit des Spielens. Der berühmte Schauspiellehrer und Regisseur K. S. Stanislawski nennt es die Magie des Als-Ob. Diese unmögliche Reise kann uns etwas sehr Kostbares bringen, nämlich ein Selbst-Bewusstsein. Ein Wissen, dass wir nie Ganz sind, dass immer etwas fehlt. Mit diesem Selbst-Bewusstsein gerüstet, ertragen wir das Drängen unserer Triebe und Wünsche besser. Sie werden zu der Kraft die uns bewegt.

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Dieses Wissen schützt uns aber auch davor, unnötig stark enttäuscht zu sein, oder beleidigt und frustriert, wenn uns etwas nicht gelingt, Fortuna uns mal wieder vergessen zu haben scheint oder Chef, Lebenspartner etc. uns zu wenig Beachtung schenkt. Diese grundlegende Erkenntnis macht uns zu Spielern und nicht zu Opfern unserer realen und vermeintlichen Enttäuschungen. Wir wissen, dass es immer den richtigen Moment braucht, den richtigen Punkt auf der Zeitachse, bis das rien ne vas plus kommt, bis der Zufall eine Runde weiter dreht. 5.1 Die Metapher „Spiel“ durchzieht unser ganzes Leben. Im Alltag sind diverse Auftritte in Meetings und Besprechungsszenen zu bewältigen. Anstatt eine Szene zu machen, distanziere ich mich innerlich von dem Geschehen und werde zum Regisseur. Ich verschaffe mir einen guten, also wirkungsvollen Auftritt, werde gesehen und gehört. Die Performance kann alles entscheiden. Meine Argumentation erscheint im richtigen Licht. Ein guter Spieler kann mit den aggressiven Kräften, die in einem konfliktreichen Feld zwangsläufig aufkommen, gut umgehen. Er hat vielleicht sogar Spaß daran, geht „locker“, also nicht blind-aggressiv in diese Kämpfe. Er verliert nicht die Nerven. Ein guter Spieler behält die Übersicht. Selbst im Kampfsport ist die Strategie entscheidend. Ich behaupte, dass die Fähigkeit zu spielen die Basis für soziale Kompetenz darstellt. In meiner Theaterarbeit mit jugendlichen Strafgefangenen war das Erlernen einer Spielkultur der eigentliche Lernerfolg. Wenn in einem ernsten Konfliktfall die Fronten verhärtet sind, kann man neue Aspekte ins Spiel bringen, die den Prozess wieder in Gang bringen. Neue Spielräume tun sich auf. Exkurs 2: acting: Handeln ist heilender als reden. – J. L. Moreno, Begründer des Psychodramas als Psychotherapeutische Methode – Ich habe die englische Bezeichnung gewählt, weil darin das Handeln deutlicher wird. Im deutschen „Schauspieler“, ist zwar der Spieler bezeichnet, was er ja auch immer ist, aber die „Schau“ lässt mich sofort eine gewisse Oberflächlichkeit assoziieren, weil es mich an Show denken lässt. Außerdem spricht der gute Schauspieler alle Sinne an, nicht nur das Auge sondern das, wahrscheinlich

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psychologisch tiefer empfindende Ohr. So hört ja bereits der Embryo Töne im Bauch der Mutter, das Sehen kommt ontogenetisch sehr viel später. Ich spreche speziell vom Theaterschauspieler der auf der Bühne handelt, im unmittelbaren Live-Kontakt mit den Zuschauern. Auch die Gegenseite, die Zuschauer, sehen im Deutschen, im Englischen hört the audience eher. Auf der Bühne muss man handeln. Handlung, Aktivität – darauf ist die dramatische Kunst, die Kunst des Schauspielers, begründet. Schon das Wort „Drama“ bedeutet in der altgriechischen Sprache „sich vollziehende Handlung“. In der lateinischen Sprache entspricht ihm das Wort „actio“, jenes Wort, dessen Wurzel – act – in unsern Wortschatz übergegangen ist. Aktivität, Aktion, Akt. Und so vollzieht sich das Drama auf der Bühne vor unsern Augen als Handlung. – K. S. Stanislawski – Bei diesem Akt – die Nähe zum sexuellen Akt scheint mir nicht zufällig – bringt sich der Schauspieler als Ganzes in die Szene. Sein Handwerk besteht darin, alle seine Mittel zu trainieren, um sie bewusst einsetzen zu können. Die Basis alles Lebendigen ist der Atem. Er steuert im unbewussten Bereich unser Tun.3 Wir können aber auch bewusst mit Atemtechniken arbeiten. Wir können uns damit beruhigen, zentrieren, unsere Gefühle leiten. Wir können uns aber auch stimulieren, anregen, aufpeitschen bis zur Extase. Die indische Methode des Yoga arbeitet mit diesen vielfältigen Möglichkeiten. Mit dem Atem steuern wir auch unsere Stimme. Damit diese aber zum Klingen, zum Schwingen kommt, müssen wir unseren Körper zum Resonanzraum machen. Persona bedeutet ursprünglich die Maske des Schauspielers. Diese Maske im griechischen Theater diente auch als Klangverstärker,4 per sonare deutet auf ein Durchdringen hin. Ist damit vielleicht auch eine starke Persönlichkeit gemeint? Der Schauspieler verkörpert eine Figur auf der Bühne.5 Sein Körper ist das sichtbare Objekt. Dieses Instrument gilt es zu trainieren, weich und flexibel zu machen, damit nicht nur die Privatperson des Schauspielers sichtbar wird, sondern die Transformation – Sublimation – zur Kunst stattfinden kann. Etwas 3 4 5

Vera Birkenbihl, Rhetorik, S. 30; Sibylle Peters, Der Vortrag als Performance, S. 32; Hartwig Eckert in Marita Pabst-Weinschenk, Grundlagen der Sprechwissenschaft und Sprecherziehung, S. 21f., 29f. vgl. Sibylle Peters, Performance, S. 32, 66; vgl. Hartwig Eckert in Marita Pabst-Weinschenk, Grundlagen der Sprechwissenschaft und Sprecherziehung, S. 21f., 29f. vgl. Sibylle Peters, Performance, S. 31f., 66f.

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vom Selbst, dem Unbewussten des Schauspielers soll sichtbar oder hörbar werden, niemals das Private. Der große polnische Regisseur Jerzy Grotowski gründete in den 1960ern das teatr laboratorium, eine Werkstatt, in der die Arbeit des Schauspielers erforscht wurde: Ich spreche als Ungläubiger von „Heiligkeit“ ich meine „säkularisierte Heiligkeit“. Wenn der Schauspieler öffentlich andere herausfordert, indem er sich selber einer Herausforderung stellt, wenn er sich offenbart durch Exzess, Profanierung und unerhörte Entweihung, wenn er seine Alltagsmaske herunterreißt, dann gibt er dem Zuschauer die Möglichkeit, einen ähnlichen Prozess der Selbstdurchdringung zu beginnen. Hier wird die ursprüngliche Nähe zum Schamanen, dem Arzt der Naturvölker, der zur Heilung gerufen wird, deutlich. Der Schamane heilt indem er Verrücktsein spielt. Er verrückt die Realitäten. Obwohl der Schauspieler im Akt alleine ist, darf er nie vergessen, dass er auch Verbündete auf der Bühne hat. Das wichtigste technische Hilfsmittel um nicht tatsächlich verrückt zu werden, ist die doppelte Aufmerksamkeit. Das Kind, das einen Holzklotz als Figur bespielen kann, mit dem es spricht und engagiert emotional handeln kann, weiß immer, dass das bloß ein Holzklotz ist, ebenso weiß der Schauspieler aus welcher Realität er spielt und was zur Rolle gehört. Dabei helfen ihm die vier Aufmerksamkeitskreise auf die wiederum Stanislawski hingewiesen hat:6 • Der erste innere Aufmerksamkeitskreis bezieht sich auf die Innenwelt, die Innenschau. Ich bin mir meiner eigenen Gefühle bewusst, ich kann mich auf meine innere Kraft konzentrieren. • Der zweite Aufmerksamkeitskreis bezieht den Partner mit ein und entspricht etwa dem persönlichen Intimkreis. • Im dritten Kreis wird mir mein Sein im Raum bewusst. Wie verorte ich mich im Raum? Hier kommen mir vielleicht die Zuschauer ins Bewusstsein, an die sich mein Spiel richtet. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer produziert eine ungeheure Energie, die der Schauspieler nutzen kann. • Darüber hinaus bezieht sich mein Handeln auch auf das Reich der Ideen, der Ethik, vielleicht sogar der Botschaft, das „künden“, von dem Beuys spricht. Der vierte Aufmerksamkeitskreis. 6

K.S. Stanislawski, Das Geheimnis des schauspielerischen Erfolgs.

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Das Bewusstsein dieser vier Aufmerksamkeitskreise kann übrigens jedermann auch bei Präsentationen helfen. Sie können ein sehr gutes Mittel gegen Lampenfieber sein. Der kluge Schauspieler versteht sich als Medium des Textes, des Autors, dadurch kann er sich über sein persönliches Leben erheben. Mit seiner Leidenschaft kann er die vielen Schicksale seiner Figuren „leben“ ohne dabei selbst wirklich daran zu leiden. Beispielsweise kann er als Richard III. seine düstersten, gemeinsten Machttriebe ausleben, ohne dabei sich oder jemand anderem zu schaden. Im Gegenteil, er kann durch seine Darstellung damit vielleicht sogar andere Menschen beglücken. Jeremy Irons kann als verbrecherischer Bankchef in dem Film „Crash – margin calls“ seine sadistischen Lüste durchleben, ohne wie ein wirklicher Banker andere Menschen in den Abgrund zu stürzen. Vielleicht ist es eben diese Freiheit, die wiederum Angst macht. Sie entspricht dem Gefühl das uns überkommen mag, wenn wir auf einem hohen Turm stehend in den Abgrund schauen, wo uns das NICHTS anblickt. Auch da hätten wir jederzeit die Freiheit zu springen. Das Schwindelgefühl, das uns Alfred Hitchcock in dem Film „Vertigo“ empfinden lässt, ist das physische Resultat der Angst. Kann diese Angst auch Lust machen, weil sie an das ozeanische Gefühl, das wir im Orgasmus erleben, erinnert? Ins Theater gehen wir, um in die Vorhalle, in das Vorzimmer jenes zweifelhaften Todes einzudringen, den der Schlaf bedeutet. Denn es ist ein Fest, das beim Sinken des Tages gefeiert wird, das Ernsteste, das Letzte, das unserm Begräbnis sehr nahe kommt. – J. Genet, Der Seiltänzer – Um mich nicht zu verlieren habe ich aber noch den Partner, im Monolog immerhin den Text, also den Autor. Der Partner definiert mich, er ist der Andere. Den König spielen immer die Andern. Im Theater kann ich keinen König spielen, wenn mich die Andern nicht als solchen behandeln. Ist es mit der Führung nicht genauso? Die Untergebenen schenken dem Chef Vertrauen, eine Form von Übertragung, die der Chef nicht missbrauchen darf, wenn er die Arbeitsbeziehung nicht grundlegend stören will. Vertrauen ist irrational, unbegreiflich wie die Liebe, aber ohne Vertrauen können wir nicht leben. Die Führungsrolle bedarf der größten Ernsthaftigkeit und Verantwortlichkeit.

Spielen oder gespielt werden

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5.2 Wir alle spielen Theater Spiel umfasst mehr als Ernst. Ernst kann im Spiel enthalten sein, das Spiel entfaltet aber seinen Mehrwert in dem was über den Ernst hinausgeht. – Erving Goffman, Wir alle spielen Theater, Die Selbstdarstellung im Alltag – Wenn der Ernst überhand nimmt, dann verliert das Spiel seinen Sinn, seine Würde. Der Spaß geht verloren, wenn Spielverderber auftreten, wenn z.B. im Sport gedopt, unfair gespielt wird. Ich denke, dass nur Spielernaturen zu einflussreichen Managern aufsteigen können. Aber können sie auch verlieren? Oder gehen sie bei einer Niederlage, mit schöner finanzieller Abfindung zum nächsten Sandkasten, um dort neu zu buddeln? Nur schade, dass sie wohl eine Menge Menschen zurücklassen, für die das Ganze nicht so spielerisch endet. Das Spiel wird zur Spielerei, zum Verrat. In der Bankenkrise haben wir miterlebt, wie das Spiel auf der Strecke bleibt. Die Teilnehmer haben so gehandelt, weil sie glaubten, keine Wahl zu haben. Wenn sie nicht auch betrügen, wie die andern (cosi fan tute – so machen‘s alle), würden sie untergehen. Ihre einzige wirkliche Chance wäre auszusteigen, aber dann müssten sie begreifen, dass ihr Geld, ihre Immobilien, Autos etc. nur Illusionen sind, Luftnummern, die nichts bedeuten, jedenfalls nicht im Sinne des Seins. Dieses Haben, dem wir alle hörig sind, ist eine Illusion des Realen, eigentlich bedeutungslos, wenn nach dem Sinn des Lebens gefragt wird. Die Empörung der kleinen Leute, der Sparer, ist verständlich und berührend. Sie müssen realisieren, dass sie zwar glaubten mitzuspielen, aber ohne eine reelle Chance zu haben, weil wie beim Pokern immer nur derjenige gewinnt, der mehr Rückhalt bei der Bank hat. Wenn die aber auch pleite geht, ist eben alles weg, außer dem Gewinn, den der Schlaue noch rechtzeitig aus dem Spiel genommen hat. Gerechtigkeit ist ein Verwirrung stiftendes Wort. Der Versuch Gerechtigkeit zu verwirklichen hat zu den totalitären Gefängnissen des Realsozialismus geführt. Mir scheint der Begriff Freiheit wichtiger zu sein, weil jeder Mensch die Chance hat, mit Hilfe seines Bewusstseins einen Nicht-Ort der Utopie zu denken, also eine eigene Freiheit zu behaupten. Beeindruckend ist die ungeheure Lebensleistung von Schwerbehinderten, die sich einen eigenen Raum erobern können, voller Optimismus.

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Hintergrundinformationen

5.3 Wenn alles nur Spiel ist, wo bleibt dann die Authentizität? In der postmodernen Theorie des sozialen Konstruktivismus wird der Mensch als eine Art von Umwelteinflüssen bestimmte soziale Konstruktion gesehen. Die „Wirklichkeit“ entsteht erst im Dialog. Damit sind wir wieder bei der weiter vorne erwähnten Schillerschen ästhetischen Erziehung des Menschen. So stammt der Begriff Authentizität aus der Ästhetik (aisthesis – Wahrnehmung) und beschreibt eine Wirkung. Eine als authentisch bezeichnete Person wirkt also besonders echt, das heißt, sie vermittelt ein Bild von sich, das beim Betrachter als real, urwüchsig, unverbogen, ungekünstelt wahrgenommen wird. Oft bezeichnet man es bereits als Authentizität, wenn eine Person den Effekt von Echtheit erweckt, wenn die Inszenierung glaubhaft wirkt. Ist die Inszenierung übertrieben, wirkt sie unglaubwürdig. Um authentisch zu wirken, muss der Redner ein Ethos erzeugen, das Unverfälschtheit und Echtheit suggeriert. Das Paradox der „echten“, wiewohl hergestellten Inszenierung, besteht darin, dass es ihr gelingt ihre Inszeniertheit zu verbergen und so einen Echtheits- bzw. einen Wirklichkeitseffekt zu erzeugen. Authentizität ist also nicht als Eigenschaft, die einem Kunstwerk oder einer Person einfach innewohnt zu verstehen, sondern als Ergebnis eines Zuschreibungsprozesses. Wie weiter oben gesagt: Persona bedeutet eigentlich Maske. Das weist auf das Rollenverständnis des Spielers hin. Bewusst eine Rolle ausüben bedeutet, auf die Bühne des realen Lebens übertragen: sich einer Situation, einer Szene angemessen zu verhalten. In dem Buch „Tyrannei der Intimität – Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“ beschreibt der amerikanische Soziologe Richard Sennett sehr eindrücklich, wie der inflationäre und v.a. falsche Gebrauch des Wortes authentisch, eine Ideologie der Nähe produziert und wie die Psychologisierung des Politischen zu dessen Aufhebung führen kann. Er plädiert für mehr spielerisches Rollenbewusstsein im öffentlichen Raum, für die Trennung zwischen privat und persönlich. Die „ironische“ Selbst-Distanz schafft den inneren Raum, sich authentisch öffentlich ausdrücken zu können.

Spielen oder gespielt werden

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„Man sagt, ein Redner taugt mehr, wenn er sich erhitzt, wenn er in Zorn gerät. Das bestreite ich. Es ist besser, wenn er den Zorn nachahmt. Die Schauspieler machen Eindruck auf das Publikum nicht wenn sie wutentbrannt sind, sondern wenn sie einen Wutausbruch gut spielen. Übertriebene Empfindsamkeit macht mittelmäßige Schauspieler.“ - Diderot: Das Paradox über den Schauspieler Der Zuschauer erlebt den Schauspieler als glaubhaft (authentisch), wenn er seine Rolle bewusst spielt. Wenn er jedoch seine privaten Gefühle auf der Bühne ausbreitet, wird das Publikum peinlich berührt sein und ihm nicht glauben. Die Anekdote, dass das Publikum bei einem realen Herzinfarkt eines Darstellers auf der Bühne gelacht haben soll, weil es an eine komische Darstellung glaubte, unterstreicht dieses Phänomen.

6. Fazit: Das Feste soll wieder flüssig werden. Ich kann das Reale nicht ändern, aber ich kann damit spielen. Ich bin dabei immer nur so gut wie meine Partner oder Gegner. Niederlagen gehören zum Spiel, es kommt darauf an, wie ich sie verwerte: Scheitern als Chance. Ich kann jedes Spiel verlassen, wenn es mir nichts mehr bringt. Es sollen Wahlmöglichkeiten auftauchen, alternative Optionen durchgespielt werden – Probehandeln, ohne ernsthafte Konsequenzen befürchten zu müssen: Ein ideales Lernfeld und mit Sepp Herberger, Fußball-Legende und Nationaltrainer: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“

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Hintergrundinformationen

7. Literatur Aristoteles, Poetik Akademie-Verlag, Berlin Denis Diderot, Das Paradox über den Schauspieler 1770-1773 ders., Programmheft zu SCHILLER der staatlichen Schauspielbühnen Berlin 1985/86 Sigmund Freud, Unbehagen in der Kultur, S.Fischer Studienausgabe Jean Genet, Der Seiltänzer, rororo Kenneth J. Gergen, The Saturated Self. Basic Books, New York Erving Goffmann, Wir alle spielen Theater, Piper Jerzy Grotowski, Für ein armes Theater, Alexander Verlag Berlin Johann Georg Herder, Kalligone, Natur und Kuns, Sämtl. Werke: Nabu Press Johan Huizinga, Homo ludens, Rowohlt Keith Johnston, Improvisation und Theater, Alexander Verlag ders., Theaterspiele, Alexander Verlag Heinrich von Kleist, Über das Marionettentheater, Sämtl.Werke: Winkler Werner Kließ, Genet, Friedrich Dramatiker Jacob L. Moreno, Psychodrama, Thieme, Stuttgart Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschenin einer Reihe von Briefen, Hanser Verlag F. Schulz von Thun, Miteinander Reden, rororo Richard Sennett, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens -Die Tyrannei der Intimität S. Fischer Verlag; ders., Der flexible Mensch – Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin Verlag K.S. Stanislawski, Das Geheimnis des schauspielerischen Erfolgs, Scientia Verlag Zürich; ders., Die Arbeit des Schauspielers an der Rolle, Henschel Verlag

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Stichwortregister A assoziiert 35, 39, 42, 213, 214, 217 autonom 39, 42, 44, 71, 100, 136, 199, 220 Axiom 37, 39, 45, 48, 76, 78, 79, 85, 88, 95, 135, 136, 182, 184, 224, 234, 249, 253, 258, 261, 262 der Hamburger Schule 85, 88 des Lernens 95

B Bedürfnis 21, 32, 34, 38, 39, 48, 49, 50, 51, 52, 54, 66, 67, 77, 95, 112, 124, 131, 147, 149, 155, 156, 157, 160, 165, 179, 182, 190, 198, 203, 229, 232, 233, 239, 254, 258, 260, 261, 273, 275 Bedürfnisbefriedigung 34, 48, 66, 140, 153 Bedürfnisstufe 157 Defizitbedürfnis 157 Grundbedürfnis 155, 157, 260 Sicherheitsbedürfnis 88, 233 Wachstumsbedürfnis 157, 260 Bedürfnispyramide 39, 49, 88, 112, 124, 131, 156, 158, 232, 233, 238, 239, 240, 247, 254, 258, 259 Begabung 39, 51, 57, 93, 179, 391, 392, 394 Inselbegabung 178 Belbin, Meredith 37–487, 384, 385 Bloom, Benjamin 93, 262, 277

C Change-Kurve 49, 154 Coachingprozess 27, 40, 41, 48, 50, 61, 73, 75, 88, 219, 220, 222 Coachingziel 41, 54 Cohn, Ruth Charlotte 37, 135, 184, 224

D dissoziiert 39, 40, 41, 42, 44, 58, 72, 88, 95, 219, 225, 227, 242, 245, 261

E Emotion 42, 46, 61, 66, 77, 95, 124, 131, 132, 145, 147, 148, 149, 150, 153, 159, 178, 184, 198, 200, 203, 213, 215, 231, 233, 238, 239, 240, 247, 250, 254, 258, 261, 262, 273 Basisemotion 148, 149 Entwicklung 17, 19, 42, 56, 57, 61, 62, 71, 95, 152, 178, 184, 186, 196, 198, 200, 219, 230, 235, 260, 274. Siehe auch Kompetenzentwicklung

Eigenentwicklung 20 emotionale 147 Entwicklungsebenen 37 Entwicklungsfragen 15 Entwicklungsmodi 138 Entwicklungsprozesse 16 Entwicklungspsychologie 213 individuelle 83 Lernentwicklung 30, 90, 224 Personalentwicklung 25, 235, 266, 278 persönliche 72, 135 Persönlichkeitsentwicklung 63, 161, 232 -potenzial 240 Prozess der 89 Selbstentwicklung 26, 43, 72, 131, 267, 268 Talententwicklung 235, 278 Teamentwicklung 21, 26, 27, 33, 222, 229, 232, 237, 255 Unternehmensentwicklung 268 von Handlungskompetenzen 236 Werteentwicklung 37 Erfolg 21, 24, 26, 58, 60, 74, 82, 101, 104, 105, 109, 110, 117, 126, 153, 155, 168, 193, 197, 200, 229, 233, 260, 269 beruflicher 161 Erfolgsfaktoren 49, 110, 111 Erfolgsquote 115 Erfolgsstrategien 112 Gruppenerhaltungserfolg 197 Gruppenleistungserfolg 197 persönlicher 63 tatbestandlicher 176 unternehmerischer 122, 138 Erkenntnis 17, 24, 26, 42, 46, 56, 57, 61, 71, 72, 77, 85, 88, 90, 99, 132, 149, 155, 159, 173, 180, 184, 200, 212, 213, 215, 221, 230, 253, 255, 257, 258, 260, 261, 262, 263, 270, 271, 273, 274 emotional 95 Erkenntnisobjekt 59, 60 Erkenntnistheorie 34, 35, 36 Forschungserkenntnis 178 kognitiv 95 Lernerkenntnis 185 Selbsterkenntnis 221 extrinsisch 42, 50, 155, 162

F Feedback 25, 42, 48, 126, 215, 229, 263 Feldkompetenz 29, 30, 31, 41, 43, 212, 232, 240, 273 Fragearten 143 Fragekompass 49, 146

484 Freiheit 27, 40, 43, 60, 67, 69, 70, 71, 77, 78, 84, 145, 172, 199, 208, 219, 220, 229, 230, 236, 237 Berufsfreiheit 68 Bewegungsfreiheit 69 Entscheidungsfreiheit 69 Freiheitsgrad 77 Gestaltungsfreiheit 169 Handlungsfreiheit 70 Informationsfreiheit 68 Meinungsfreiheit 68, 69, 70 unternehmerische 68 Freiwilligkeit 27, 40, 43, 67, 69, 70, 71, 77, 78, 84, 96, 220, 221, 229, 230, 236, 237 Führen 43, 49, 98, 99, 109, 114, 116, 117, 268 Führen mit Zielen 43, 49, 114, 268 Führung 25, 26, 43, 64, 88, 96, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 105, 108, 132, 140, 155, 172, 190, 197, 202, 214, 220, 233, 238, 239 Beweisführung 87 direktive 107 Eigenführung 26, 100 Fremdführung 26, 100 Führungsalltag 98, 132 Führungsansatz 98 Führungsaufgabe 50, 88, 98, 101, 102, 108, 109, 132, 214, 233, 238, 240, 247 Führungsbetrachtung 43 Führungseinsicht 43, 214 Führungsentwicklung 37 Führungsinitiative 108 Führungskompetenz 107, 113 Führungskonzept 113 Führungskraft 47, 48, 98, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 109, 111, 117, 125, 126, 127, 128, 130, 131, 132, 172, 196, 197, 202, 211, 213, 214 Führungsleitbild 132 Führungspentagon 49, 132, 133 Führungsprozess 98, 109 Führungsqualität 174 Führungsrolle 103 Führungsstil 44, 172 Führungstätigkeit 101 Führungsthema 237 Führungsverantwortung 125 Führungsverhalten 44, 99, 104 Führungswissen 98 informelle 195 Personalführung 98 personenbezogene 104 Regelkreis der 50, 109, 233, 238, 266, 267 Selbstführung 26, 70, 78, 88, 100, 101 strategische 205 systemische 107 Unternehmensführung 64, 98, 114, 137, 174

Stichwortregister G Gefühl 44, 51, 52, 57, 60, 66, 95, 124, 147, 148, 149, 150, 152, 153, 169, 178, 179, 182, 183, 193, 194, 198, 202, 229, 258, 261, 262 Basisgefühle 148 Ehrgefühl 207 Ersatzgefühl 198 Gefühlserleben 42 Gefühlszustände 150 Grundgefühl 147, 149 Lebensgefühl 149 Mitgefühl 165 negativ 185 Selbstwertgefühl 52 Verantwortungsgefühl 130 Wir-Gefühl 47 Zusammengehörigkeitsgefühl 20 Goulding, Mary/Robert 36, 37, 45, 198 Gruppe 20, 27, 28, 40, 42, 43, 44, 48, 49, 53, 67, 69, 70, 77, 78, 96, 104, 109, 135, 136, 184, 185, 190, 191, 195, 197, 212, 255 Anspruchsgruppe 138 Arbeitsgruppe 44 Begriff der 22 Freundschaftsgruppe 23 Gruppenaktion 185 Gruppenclown 197 Gruppendiskussion 261 Gruppendruck 168 Gruppendynamik 197, 215 Gruppenerhaltungserfolg 197 Gruppenleistungserfolg 197 Gruppenmitglied 23 Gruppenprozess 185 Gruppenzusammengehörigkeit 168 Interessengruppe 23 Menschengruppe 19 Reflexionsgruppe 37 soziale 16, 52 Wertegruppe 168 Zielgruppe 134, 135, 247, 270

H HALO-Wert 44, 173, 175 Handlungskompetenz 29, 30, 31, 41, 51, 68, 215, 254, 263, 270, 273 Handlungsoption 108, 186, 219, 221, 228, 230, 236, 268, 275 Handlungsoptionsplan 278 Heckhausen, Heinz 35, 50, 73, 124 Herzberg, Frederick 34, 50, 112, 155 heteronom 39, 44, 46 Hypothese 44, 72, 87, 88, 144, 146, 159, 184, 223, 228, 229, 232, 233, 237, 238, 239, 240, 244, 246, 247, 253, 255, 263, 280 Hypothesenbildung 41, 42, 49, 70, 85, 87, 219

Stichwortregister hypothetische Frage 53, 54, 144

I Ich-Zustände 49, 198, 199, 200, 201, 270, 271 innerer Antreiber 45, 124, 164, 165, 166, 200, 229 Intelligenz 45, 90, 124, 174, 177, 180, 198 emotionale 180 Intelligenzmodell 36 Intelligenzstrukturmodell 36 intrapersonale 180 multiple 49, 93, 178, 263 Interaktion des kognitiv-biologischen Empfindens 224, 240 Intervention 32, 45, 129, 141, 143, 145, 221, 225, 234, 266, 268, 269 intrinsisch 16, 42, 46, 50, 96, 100, 112, 128, 132, 153, 155, 159, 162, 186, 231 Irritation 46, 51, 54, 144, 196

J JoHari-Fenster 49, 88, 215, 216

K Kepner, Charles Higgins 33, 74, 110 Kepner-Tregoe-Methode 33, 40, 48, 73, 74, 110, 132 Kommunikation 20, 57, 64, 128, 133, 138, 140, 144, 161, 164, 182, 184, 198, 199, 200, 205, 211, 229, 260, 267, 289 gewaltfreie 169, 184 Kommunikationskontext 41 Kommunikationsmodell 36, 37 Kommunikationspsychologie 33 Kommunikationsquadrat 35 Kommunikationsregeln 22, 270, 275, 278 Kommunikationstheorie 37 Kommunikationsverhalten 271 Kommunikationswissenschaftler 34, 35, 37 nonverbale 66, 186, 187, 229 paraverbale 88 verbale 183, 186, 223, 229 Kompetenz 15, 16, 17, 20, 21, 26, 29, 30, 40, 41, 45, 46, 52, 58, 63, 66, 68, 72, 100, 102, 104, 221, 223, 227, 229, 230, 233, 268, 274. Siehe auch Handlungskompetenz Aufgabenkompetenz 125 Coachkompetenz 29, 41, 219 fachliche 267 fachlich-methodische 31, 32, 42, 232, 263 fachlich-methodische Kompetenz 29, 31, 32, 41, 42, 263 Feldkompetenz. Siehe Feldkompetenz Führungskompetenz. Siehe Führungskompetenz Handlungskompetenz 29, 44 Kompetenzbegriff 30 Kompetenzbereich 31, 215

485 Kompetenzbeschreibung 268, 273 Kompetenzentwicklung 27, 63, 200, 213 Kompetenzentwicklungsmodell 49, 214 Kompetenzmodell 17, 29, 30, 31, 32, 38, 42, 46, 49, 88, 232, 238, 240, 244, 247, 253, 254 Kompetenzprofil 278, 279 persönliche 31, 51, 75, 124, 147, 167, 190, 254, 263, 266, 267 Selbstkompetenz 30 Sozialkompetenz 182 sozio-kommunikative 31, 128, 182, 244, 270 Konflikt 46, 48, 50, 64, 65, 88, 128, 135, 169, 185, 196, 201, 203, 204, 205, 206, 207, 229, 240, 244, 275 Beziehungskonflikt 202 Identifikationskonflikt 202 Informationskonflikt 202 intrapersonaler 202 Konfliktbearbeitung 135, 205 Konfliktfall 205 Konfliktfelder 204 Konfliktforschung 204 Konfliktgegenstand 207 Konfliktlösung 65, 202, 205 Konfliktlösungsmuster 49, 206, 276 Konfliktmanagement 211, 222 Konfliktmoderation 65 Konfliktpartei 48, 205, 207 Konfliktphase 195 Konfliktpotenzial 240 Konfliktsituation 207 Konfliktstufen 48, 203, 204, 229, 276 Konfliktverhalten 240 Machtkonflikt 202 Rollenkonflikt 202 Verteilungskonflikt 202 Wertkonflikt 65, 202 Zielkonflikt 65, 202 Konfrontation 46, 54, 145 Konstruktivismus 15, 34, 35, 47, 61, 88, 144, 198, 202, 245 Kontext 16, 21, 29, 39, 40, 41, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 50, 51, 58, 68, 70, 71, 73, 77, 78, 80, 87, 91, 95, 96, 99, 114, 135, 136, 147, 161, 164, 172, 177, 211, 214, 221, 229, 247, 249, 257, 273 Anwendungskontext 96 Lernkontext 96 spezifischer 260 systemischer 174 Teamkontext 22 Teilkontext 119, 226 thematischer 44, 49, 52, 229 unternehmerischer 24 Veränderungskontext 230 Verhaltenskontext 96 Wertekontext 52

486 Konzeption 72 Kreativität 21, 34, 36, 42, 47, 49, 134, 141 Kreativitätssteigerung 63

L Leitbild 21, 47, 56, 132, 268 Leitbildentwicklung 47 Leitwert 44, 48, 78, 172, 173, 175, 222, 279 Lernen 17, 25, 26, 48, 52, 72, 79, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 95, 96, 133, 213, 221 Axiome des 95 ganzheitliches 92 implizites 89 intentionales 48, 89 inzidenzielles 48 soziales 135 Theorie vom 92

M Marketing 33, 34, 47, 48, 49, 64, 269, 278 MARKETING 269 Maslow, Abraham 32, 39, 50, 88, 112, 124, 131, 155, 156, 159, 232, 258 Maslowsche Bedürfnispyramide 233, 238 Maßnahme 16, 27, 41, 44, 48, 65, 107, 114, 118, 125, 171 Einzelmaßnahme 54 Ersatzmaßnahme 74 Personalentwicklungsmaßnahmen 100 Menschenbild 55, 56, 57, 58, 67, 71, 199 humanistisches 57, 62, 72, 88, 133 Methode 26, 27, 28, 40, 41, 47, 48, 74, 87, 88, 122, 134, 175, 183, 186, 234 Arbeitsmethode 29, 101 Entwicklungsmethode 130 Walt-Disney-Methode 49 MotivStrukturAnalyse (MSA) 49, 88, 124, 131, 159, 163, 207, 223, 232, 233, 234, 239, 240, 247, 255, 256 Motiv-Wert-Interaktion (MVWK) 49, 156, 175, 186, 229, 274

O Objektivität 21, 51, 52

P Perspektivwechsel 24, 54, 55, 95, 143 Potenzial 23, 24, 47, 51, 63, 112, 115, 128, 131, 162, 178, 179, 190, 221

R Reflexion 24, 28, 51, 52, 56, 66, 70, 129, 136, 138, 143, 145, 177, 203, 223, 224, 229, 234, 235, 247, 255, 262, 269

Stichwortregister Reflexionsangebot 58, 72, 81, 85, 87, 88, 95, 96, 143, 144, 217, 222, 225, 228, 229, 232, 233, 238, 239, 240, 244, 247, 253, 258, 261, 263, 280 Selbstreflexion 50, 53, 83, 133, 141, 147, 150, 162, 186, 199, 238, 266 Ressource 16, 25, 39, 40, 41, 44, 45, 46, 50, 51, 52, 62, 70, 72, 73, 77, 78, 79, 81, 84, 88, 96, 98, 108, 120, 122, 138, 143, 144, 145, 153, 164, 176, 192, 197, 199, 202, 203, 205, 213, 214, 215, 219, 221, 222, 229, 230, 253, 258, 260, 261, 263, 266, 268, 270, 271, 273, 274, 275 Ressourcenidentifikation 229, 253 Ressourcenverfügung 27, 40, 70, 77, 78, 84, 219, 221, 230, 236, 242 Rubikon 73, 85, 132, 177 Rubikon-Methode 40 Rubikonmodell 35, 49, 50, 73, 118 Rubikonprozess 49, 73

S Satir, Virginia 36, 38 Schwarz, Gerhard 202, 203, 275 Selbstlernkonzeption 17, 52, 78, 230, 231 nachhaltige 26, 27, 28, 40, 51, 52, 67, 72, 77, 78, 83, 215, 220, 221, 231, 234, 249, 270 Selbststeuerung 27, 40, 70, 77, 78, 84, 96, 220, 221, 230, 236 skalierende Frage 53, 54, 144, 145, 225 Sozialverhalten im Konflikt 50, 88, 204, 205, 240 St. Galler Management Modell (SGMM) 21, 35, 36, 135, 137, 140, 141, 224, 240, 245 Strategie 16, 27, 37, 47, 52, 65, 96, 101, 107, 122, 125, 138, 171, 203, 205, 206, 207 Denkstrategie 105, 106 Erfolgsstrategie 112 Fluchtstrategie 112 Handlungsstrategie 105, 106 Hypothesenbildungsstrategie 146 Lernstrategie 92, 93, 95 Lösungsstrategie 96 Neutralisierungsstrategie 122 Umwandlungsstrategie 122 Vermeidungsstrategie 112 Subjektivität 21, 51, 52, 148 Supervision 25, 37, 40, 135, 232 SWOT-Analyse 49, 120, 122 systematisch 39, 53, 73, 193, 253, 261 systemisch 15, 16, 17, 20, 21, 26, 28, 30, 34, 37, 43, 53, 54, 56, 58, 59, 60, 61, 62, 66, 77, 80, 81, 85, 88, 92, 95, 107, 108, 109, 111, 119, 120, 127, 132, 133, 134, 135, 138, 140, 143, 253, 257, 261, 263, 266, 268, 273 systemische Frage 143, 144 systemischer Ansatz 127, 289 systemische Visualisierung 133

487

Stichwortregister T Talent 19, 233, 235, 247, 263, 270, 279 Talententwicklung 278 Talentförderung 235 Talentpool 249, 250, 278, 279 Talentscout 240, 260, 278 Talentsuche 233, 235, 237 Talentvermarktung 233, 278 Team 19, 20, 21, 22, 23, 26, 27, 28, 35, 44, 53, 65, 67, 69, 70, 77, 78, 190, 194, 195, 196, 197, 221, 229, 232, 255, 272 Begriff des 19, 26 Teamarbeit 198 Teambildung 197, 198 Teamentwicklung 21, 222, 229, 237 Teamentwicklungsphasen 196 Teamidentität 20, 23 Teamkultur 22 Teammanagementsystem 191 Teammitglied 21, 26, 195, 198 Teamorientierung 27 Teamplayer 208 Teamrolle 37, 50, 191, 195, 229, 238, 240, 272, 273, 275 Teamziel 20, 23, 26 Teamzusammenhalt 23 Teamcoaching 15, 16, 17, 19, 27, 69, 219, 220, 223, 225, 232, 234, 235, 236, 245, 255, 280 Themenzentrierte Interaktion (TZI) 37, 50, 135, 240 Transaktionsanalyse (TA) 34, 36, 37, 45, 49, 164, 198, 199, 271 Tuckmann, Bruce Wayne 195, 197

V Veränderung 37, 41, 42, 53, 56, 63, 74, 79, 85, 89, 108, 110, 118, 137, 153, 214, 224 Veränderungsanforderung 52, 70, 77 Veränderungsrealisierung 70, 77, 221 Veränderungsthema 15, 52, 71, 84, 86, 134, 138, 143, 225, 237, 245, 258, 260 Veränderungsthematik 77, 221 Veränderungswunsch 119, 121, 220, 223, 225, 237, 249 Veränderungszeitpunkt 221 Veränderungsziel 50 Verantwortung 19, 20, 25, 32, 57, 80, 83, 85, 87, 96, 97, 101, 104, 135, 199, 222, 236 Verantwortungsbereiche 80, 84, 95, 220, 222 Verantwortungsdelegation 125 Verantwortungsgemeinschaft 27 Vertrauen 40, 53, 68, 71, 83, 84, 103, 104, 120, 122, 171, 196, 197, 219, 221, 222, 223, 229, 230, 231, 233, 253, 261, 270 Vertraulichkeit 40, 71, 84, 221, 236 Vision 27, 47, 52, 54, 65, 107 Vision-Reservoir 49

Visions-Box 49

W Watzlawick, Paul 37, 46, 182 Wille 24, 43, 54, 66, 82, 86, 98, 108, 125, 141, 148, 159, 162, 168, 176, 199 Willensäußerung 62 Willensbildung 54 Willensentscheidung 213 Willenserklärung 70, 86 Willensform 70 Willenskraft 54 Wissen – Wollen – Können – Dürfen 50, 180, 181

Z Ziel 17, 19, 20, 22, 23, 25, 27, 40, 41, 43, 45, 46, 48, 52, 53, 54, 55, 63, 65, 66, 67, 72, 73, 74, 82, 89, 93, 96, 101, 107, 109, 110, 114, 115, 118, 119, 125, 127, 128, 129, 132, 141, 144, 145, 152, 155, 157, 162, 176, 193, 195, 197, 200, 202, 219, 225, 227, 247, 268, 278 Zieladressat 118 Zielanweisung 49, 116, 221 Zielerklärung 226 Zielerreichung 44, 52, 55, 72, 73, 74, 96, 114, 145, 195, 227, 230, 232, 249, 250, 256, 257, 260, 275 Zielerreichungsmerkmal 49, 54, 119, 225, 228, 250, 275 Zielformulierung 118, 119, 121, 223, 225, 246, 247, 248, 258, 270 Zielintention 73 Zielklärung 40, 84, 219, 223, 236 Zielkonflikt 65, 202 Zielmarkt 48 Zielplanung 118 Zielsetzung 111, 115, 219 Ziel-Strategie-System 47 Zielsystem 50, 227, 250 Zielvereinbarung 49, 117 Zielvorgabe 49, 116, 221 Zielvorstellung 47 zirkuläre Frage 53, 54, 144, 145, 227, 250, 258, 261, 266 Zwei-Faktoren-Theorie 34, 49, 50, 112, 113, 155