Kommunikation und Medien: Ein Arbeitsbuch für Hochschule und Praxis [2 ed.] 9783896447630, 9783896737632

An sich ist Kommunikation einfach – wir setzen sie jeden Tag ganz selbstverständlich ein, und damit öffnen wir Missverst

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Kommunikation und Medien: Ein Arbeitsbuch für Hochschule und Praxis [2 ed.]
 9783896447630, 9783896737632

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Steffen Hillebrecht

Kommunikation und Medien Ein Arbeitsbuch für Hochschule und Praxis Zweite, überarbeitete Auflage

Edition Wissenschaft & Praxis

STEFFEN HILLEBRECHT

Kommunikation und Medien

Steffen Hillebrecht

Kommunikation und Medien Ein Arbeitsbuch für Hochschule und Praxis

Zweite, überarbeitete Auflage

Edition Wissenschaft & Praxis

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagbild: © j-mel – stock.adobe.com Alle Rechte vorbehalten © 2021 Edition Wissenschaft & Praxis bei Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: TextFormArt, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 2702-2234 ISBN 978-3-89673-763-2 (Print) ISBN 978-3-89644-763-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort zur zweiten Auflage Kommunikation ist nach wie vor etwas sehr Spannendes. Jeden Tag ergeben sich neue Erfahrungen, zweigen sich neue Facetten auf, wie sich Menschen etwas mitteilen, sich miteinander abstimmen oder auch missverstehen können. Plötz­liche Ereignisse wie die aktuelle Covid-19-Erkrankung, auch als Corona-Pandemie bekannt, lassen Menschen schnell auf digitale Kommunikationsformen umsteigen, ebenso wie technische Veränderungen oder auch Veränderungen in der allgemeinen Ästhetik für Dynamik sorgen – war für den Geschäftsmann vor zehn Jahren die Krawatte ein Muss im korrekten Auftritt zu Geschäftsterminen, lassen sich Industriebosse sogar zu Bilanzpressekonferenzen ohne dieses schmückende Textil blicken, und ohne dass man gleich an ihrer Seriosität zweifelt. Vieles hat sich seit der ersten Auflage verändert – in gut zehn Jahren Zeitablauf. Eines ist gleich geblieben – Kommunikation kennt viele Spielarten und Gestaltungsmöglichkeiten, auch und gerade wegen der Selbstverständlichkeit, mit der digitale Medien inzwischen genutzt werden. Lassen Sie sich überraschen, wie vielfältig Kommunikation ist, und wie man mit einfachen Mitteln Kommunikation positiv gestalten kann, seine Anliegen wirkungsvoll in die private wie geschäftliche Konversation einbringen kann. Ich stelle Ihnen in Kapitel 1 und 2 einige grundsätzliche Aspekte der direkten Kommunikation vor. Die Ursachen von Missverständnissen werden ebenso thematisiert wie die Möglichkeiten, besser geeignete Kommunikationswege zu gehen. Dabei gehe ich auch auf Aspekte der Kommunikation im beruflichen Kontext ein. Studierende, nicht nur der Kommunikationswissenschaften, erhalten hierdurch Anregungen für die ersten Schritte im geschäftlichen Kontext, als Praktikanten oder Werkstudenten oder als Berufseinsteiger. Kapitel 3 befasst sich mit dem Charakter der medial gestalteten Kommunikation in den Massenmedien, um hierdurch zu verstehen, welchen besonderen Anforderungen diese Kommunikationsform genügen muss. Kapitel 4 mit der Organisation von Kommunikation und Kapitel 5 mit der Beschreibung von organisierter Kommunikation stellen den Bezug zur gesellschaftlichen Gestaltung und Wirkung her. Wenn vor allem in den Kapiteln 4 und 5 vom „deutschen Sprachraum“ die Rede ist, so umfasst dies das Gebiet, in dem Deutsch die Verkehrs- und Amtssprache ist. Neben Deutschland mit ca. 83 Millionen Einwohnern umfasst dies Österreich mit ca. 9 Mio. deutschsprachigen Bewohnern, den deutschsprachigen Teil der Schweiz, mit weiteren 5,9 Mio. Bewohnern, das Fürstentum Liechtenstein (ca. 40.000 Einwohner), Südtirol mit ca. 520.000 deutschsprachigen Bewohnern, die deutschsprachigen Minderheiten in Dänemark (ca. 15.000–20.000 „Nordschleswiger“) und Polen (ca. 150.000 Personen) sowie die deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien

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Vorwort zur zweiten Auflage

(ca. 80.000) Einwohner. Und nicht zuletzt ist an das Großherzogtum Luxemburg mit seinen ca. 610.000 Einwohnern (von denen allerdings nur ca. 350.000 Einwohner Luxemburger Staatsbürger sind!) zu denken, in dem Deutsch als Amtssprache anerkannt ist, neben dem Letzeburgischen und dem Französischen. Damit besteht ein relativ großes Gebiet mit zusammen ca. 99 Mio. Personen mit Deutsch als Muttersprache bzw. mit der Verpflichtung, Deutsch als Amtssprache in der Schule zu lernen, in dem aber schon der Gebrauch der Sprache sich durch Dialekt und Traditionen regional und zwischennational unterscheidet, trotz aller Übereinkünfte. Die Warteschlange in Süddeutschland baut auf deutlich weniger zwischenmenschliche Distanz als in Norddeutschland, und wissensdurstige Zeitgenossen kennen ungefähr 120 verschiedene Ausdrücke, wie im deutschen Sprachraum das abgeschnittene Endstück eines Brotes heißt – das kann ein Kanten (wohl eher im Norden üblich) sein, ein „Köppla“ (in Oberfranken), ein „Riebele“ in Schwaben, ein „Knorz“ oder „Kniesja“ an der Mosel, ein „Scherzl“ in Oberbayern oder Oberösterreich, ein „Buggl“ in Wien, das „Bödeli“ in der Schweiz usw. Diese Aspekte, die einem in irgendeiner Form sicher präsent sind, sollen dazu anregen, sich außerhalb der eigenen Landesgrenzen zu bewegen, den Blick dafür zu öffnen, wie die Nachbarn manche Dinge regeln. Der Vergleich, innerhalb des eigenen Sprachraums sicher etwas leichter möglich als bei einer zusätzlichen Sprachbarriere, bietet immer wieder die Gelegenheit, sich selbst zu hinterfragen und andere Ansatzpunkte als die bisher geübten zu suchen. Gerade kleinere Länder finden immer sehr pragmatische Ansätze und haben ihre eigenen kommunikativen Traditionen. Auch hierauf wird immer wieder näher einzugehen sein. Sicher kann eine Einführung in das Thema Kommunikation nur eine Basis legen und neugierig darauf machen, bestimmte Aspekte zu vertiefen. Es ist eine Einladung, kein umfassendes Kompendium. Eine abschließende Behandlung wird kaum möglich sein und war auch nicht meine Absicht. Jeder Abschnitt verweist deshalb auch auf einige Werke, die ich als sehr hilfreich empfinde und Interessierten für eine ausführlichere Beschäftigung dienen. Wenn ich darüber hinaus Fragen beantworten darf, aber auch für Anregungen zu einer allfälligen Vertiefung, stehe ich gerne unter [email protected] zur Verfügung. Abschließend sind mir einige Worte der Wertschätzung wichtig. Meinen Studierenden danke ich für die permanente Herausforderung, Basiswissen leicht verständlich zu vermitteln und dabei auch die Veränderungen über die letzten 17 Jahre akademischer Lehre aufzunehmen. Das ist jedesmal eine Bereicherung! Besonderen Dank richte ich an Herrn Dr. Andreas Beck, der die zweite Auflage im neuen Verlag engagiert betreut, sowie an Frau Dipl.-Vw. Regine Meier (ehemals Deutscher Betriebswirte-Verlag Gernsbach), die meiner ersten Auflage ihr Interesse entgegen gebracht hat. Und nicht zuletzt darf ich meiner Partnerin und Ehefrau Ellen Braun erneut für den sehr produktiven und konstruktiven Austausch über viele Kommunikationsaspekte meine Referenz erweisen – Du hast auch in diesem Werk viele Spuren hinterlassen, und daher „ad multos annos!“ Würzburg, im April 2020

Steffen Hillebrecht

Inhaltsverzeichnis 1. Die Grundlagen der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.1 Der Begriff der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.2 Der Kommunikationskreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.3 Kommunikation als Selbst-Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.4 Die Formen der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.4.1 Die direkte Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.4.2 Die indirekte Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1.5 Die symbolische Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1.6 Die Träger der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1.6.1 Symbolsysteme als Basis der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1.6.2 Die Sprache als spezifisches Kommunikationsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1.6.3 Die Medien als Träger der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1.6.4 Die Speicherfähigkeit von Kommunikationsinhalten . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1.7 Die Eigenarten der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1.8 Die Funktionen der Kommunikation in der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1.8.1 Die Funktion des Informationsaustauschs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1.8.2 Die Funktion der persönlichen Integrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1.8.3 Die Funktion der Integration und sozialer Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . 60 1.8.4 Die Funktion der Unterhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1.9 Die interkulturelle Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1.10 Eine Zusammenschau zu den Grundlagen der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . 64 Literatur zum Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Die Gestaltung von Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.1 Die Gestaltung der direkten Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.2 Die kontextuale Interpretation von direkter Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . 80 2.2.1 Die verschiedenen Ebenen der direkten Kommunikation . . . . . . . . . . . . . 80 2.2.2 Explizite und implizite Botschaften in der direkten Kommunikation . . . . 85 2.3 Nonverbale Nachrichtenanteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

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Inhaltsverzeichnis 2.4 Kongruente und inkongruente Nachrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2.5 Weitere Elemente der Kommunikationsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2.6 Die Meta-Kommunikation – Was steht über der Kommunikationssituation? . . . 94 2.7 Die Bedingungen erfolgreicher personaler Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Literatur zum Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

3. Die Gestaltung der Kommunikation in Gesellschaft und Unternehmen . . . . . . . 102 3.1 Die Grundlagen der Kommunikation in Gesellschaft und Unternehmen . . . . . . 102 3.2 Die Kommunikation in beruflichen Situationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.2.1 Die Kommunikation über Umgangsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.2.2 Die Kommunikation über das Erscheinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3.2.3 Die Kommunikation in der Teamarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3.2.4 Präsentationen als Kommunikationsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3.2.5 Die Moderation als gesteuerte Kommunikation in Gruppen . . . . . . . . . . 114 3.2.6 Die Kommunikation in Verkaufsgesprächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3.3 Die Führungskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3.3.1 Die Grundlage der Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3.3.2 Die Instrumente der Führungskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3.3.3 Die Kommunikation auf Basis von Zielbildung und Zielverfolgung . . . . 123 3.3.4 Die Insignien der Macht als Kommunikationsmittel der Führungskräfte

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3.3.5 Die Wertschätzung in der Führungskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 3.4 Die Kommunikation in Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3.4.1 Die Grundstruktur von Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3.4.2 Möglichkeiten zur Lösung von Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3.4.3 Die Rolle von Einwänden und Vorwänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3.5 Positive Sprache – negative Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Literatur zum Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4. Medien und Massenkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4.1 Die Elemente der Massenkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4.2 Die Organisation der Massenkommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 4.2.1 Die Grundstruktur der Organisation von Massenkommunikation . . . . . . 149 4.2.2 Die handelnden Unternehmen und Organisationen der Mediengesellschaft 155 4.2.2.1 Die Organisation der Inhalteerstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4.2.2.2 Die Organisation der Inhalteaufbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Inhaltsverzeichnis

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4.2.2.3 Die Organisation der Mediendistribution . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 4.2.2.4 Die Organisation der Wirtschaftskommunikation . . . . . . . . . . . . 165 4.2.2.5 Weitere Beteiligte an der Medienlandschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 166 4.2.2.6 Veränderungen in der Medienstruktur als Herausforderung . . . . 167 4.3 Die Gestaltung der Mediengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 4.3.1 Ein Überblick über die Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 4.3.2 Der Journalismus als Gestaltungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 4.3.2.1 Die journalistische Kernleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 4.3.2.2 Die redaktionelle Kernleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 4.3.2.3 Die Kernleistung der Anzeigenwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 4.3.2.4 Die Tendenz eines Medienunternehmens als Kommunikationsfaktum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 4.3.3 Die PR-Arbeit als Gestaltungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 4.3.3.1 Die Grundsätze der PR-Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 4.3.3.2 Die Erfolgskontrolle in der PR-Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 4.3.4 Die Wirtschaftskommunikation als Gestaltungsmöglichkeit . . . . . . . . . . 181 4.3.4.1 Die Ausprägungen der Wirtschaftskommunikation . . . . . . . . . . . 181 4.3.4.2 Die Gestaltung von Wirtschaftskommunikation . . . . . . . . . . . . . 183 4.4 Innovationen im Medienbereich als Einflussfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4.5 Staatliches Handeln in der gesellschaftlichen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . 188 4.5.1 Der Rechtsrahmen der gesellschaftlichen Kommunikation . . . . . . . . . . . 188 4.5.2 Staatliche Beteiligung an der gesellschaftlichen Kommunikation . . . . . . 190 4.6 Sozial- und Marktforschung als Kommunikationsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . 191 Literatur zum Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation . . . . . 200 5.1 Die individuelle Wahrnehmung von Inhalten und Medien durch den Medien­ nutzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 5.1.1 Medienpsychologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 5.1.2 Die Mediengestaltung auf Basis medienpsychologischer Erkenntnisse . . 206 5.1.3 Die aktive Nutzung der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 5.2 Die gesellschaftliche Rolle der Medien – eine mediensoziologische Sicht . . . . 210 5.2.1 Medien als gesellschaftliches Subsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 5.2.2 Medien als gesellschaftliches Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 5.2.3 Die Mediennutzung in der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 5.3 Die Vermittlung des Umgangs mit Medien durch die Medienpädagogik . . . . . . 219

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Inhaltsverzeichnis 5.3.1 Grundsätzliche Überlegungen zur medienpädagogischen Arbeit . . . . . . . 219 5.3.2 Die Planung und Durchführung medienpädagogischer Maßnahmen . . . . 220 5.4 Das Medienrecht als Rahmen des medialen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 5.4.1 Das Verfassungsrecht als Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 5.4.2 Das originäre Medienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 5.4.3 Der Rahmen des Wirtschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 5.4.4 Der strafrechtliche Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 5.5 Die Definition wünschenswerter und fragwürdiger Verhaltensweisen durch die Medienethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 5.5.1 Die Grundfragen der Medienethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 5.5.2 Die Dimensionen fragwürdiger Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 5.5.3 Die Dimensionen der problematischen journalistischen Arbeitsweisen . . 232 5.6 Die Analyse der wirtschaftlichen Leistung durch die Medienökonomie . . . . . . . 234 5.6.1 Die Grundfragen der Medienökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 5.6.2 Eine Systematik der Medienökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 5.7 Weitere wissenschaftliche Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Literatur zum Kapitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240

Abbildungsverzeichnis Abb. 1-1: Der Kommunikationskreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Abb. 1-2: Die drei Dimensionen des „Ich“ nach G. H. Mead . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Abb. 1-3:

Das kommunikative Dreieck im Spiegel ausgewählter soziologischer Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

Abb. 1-4: Ein Sender-Ein Empfänger-Modus mit Einweg-Kommunikation . . . . . . . . 22 Abb. 1-5: Ein Sender-Ein Empfänger-Modus mit Zweiweg-Kommunikation . . . . . . . 22 Abb. 1-6: Abfolgen der direkten Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Abb. 1-7: Multiple direkte Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Abb. 1-8: Schriften-Typologie als Formen symbolischer Kommunikation . . . . . . . . . 48 Abb. 1-9: Die Speicherfähigkeit von Kommunikationsinhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Abb. 2-1: Karl Bühlers Sprachmodell – Sprache als Werkzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Abb. 2-2: Kommunikations-Analyse mit Hilfe der erweiterten Laswell-Formel . . . . . 72 Abb. 2-3: Die Informationsasymmetrie in der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Abb. 2-4: Die Schnittmenge der erfolgreichen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Abb. 2-5: Das Johari-Fenster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Abb. 2-6: Die vier Ebenen der Kommunikation nach Schulz von Thun . . . . . . . . . . . . 81 Abb. 2-7: Aufschlüsselung einer Sequenz nach dem 4-Ebenen-Modell Schulz von Thuns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Abb. 2-8: Analyse von Nachrichten auf der Ebene explizit-implizit . . . . . . . . . . . . . . 86 Abb. 2-9: Kommunikations-Analyse mit den vier Elementen der Meta-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Abb. 2-10: Das rollenbedingte „Zwei-Kreise-System“ der Kommunikation . . . . . . . . . 98 Abb. 2-11: Der Kontext der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Abb. 4-1: Die gesellschaftliche Organisation der Massenkommunikation . . . . . . . . . . 151 Abb. 4-2: Zwei-Stufen-Modell der Kommunikation nach Lazarsfeld u. a. . . . . . . . . . . 152 Abb. 4-3: Die Stellung von Kommunikationsagenturen im Mediensystem . . . . . . . . . 166 Abb. 4-4: Doppelseitiges PRP-Modell der Resonanz von Öffentlichkeitsarbeit . . . . . 180 Abb. 4-5: Die Werbewirkungstreppe nach Lavidge und Steiner mit Ergänzungen . . . 182

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 4-6: Innovationen mit Medienbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Abb. 5-1: Mediennutzung und Medienbeurteilung als SOR-Modell . . . . . . . . . . . . . . 205 Abb. 5-2: Durchschnittliche tägliche Mediennutzungszeit in Minuten . . . . . . . . . . . . 216 Abb. 5-3: Definition von medienpädagogischen Lernzielen (in Auswahl) . . . . . . . . . . 220 Abb. 5-4: Dimensionen fragwürdiger Darstellungsweisen in den Medien . . . . . . . . . . 231 Abb. 5-5: Kosten-Nutzen-Evaluation des Mediennutzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Abb. 5-6: Ausgewählte Daten zum deutschsprachigen Buchmarkt . . . . . . . . . . . . . . . 238

1. Die Grundlagen der Kommunikation In diesem Kapitel geht es um die grundsätzlichen Elemente der Kommunikation. Sie werden verstehen, welche Voraussetzungen für erfolgreiche Kommunikation erfüllt sein müssen und wie Sie den Kommunikationsprozess mit Ihrer Umwelt gestalten können. Besondere Beachtung findet dabei die Frage, welche Faktoren die Kommunikation stören und wie Sie damit umgehen können. Konkret lernen Sie kennen: • Was ist Kommunikation? • die Unterschiede der direkten und der indirekten Kommunikation und ihre jeweiligen Chancen und Grenzen, • die Bedeutung der Kommunikation für das Individuum in der Gemeinschaft, • die Merkmale symbolischer Kommunikation, • Sprache und Schrift als Träger der Kommunikation, • Funktionen der Kommunikation.

1.1 Der Begriff der Kommunikation Kommunikation basiert auf einem Austausch von Informationen aller Art mit einer Umgebung. Auf gemeinschaftlichem Austausch von Informationen aller Art basiert Kommunikation. Entsprechend ist die Abstammung des Wortes Kommunikation: vom lateinischen „communio“, der Gemeinschaft. Ein eng verwandtes Wort ist „communis“. Es bedeutet „(all)gemein“ oder „gemeinsam“. Kommunikation bedeutet demzufolge „in Gemeinschaft sein“, etwas mitteilen, jemanden beteiligen und sich gemeinsam mit anderen, erreichbaren Personen über einen bestimmten Sachverhalt zu einigen, diesen Sachverhalt gemeinsam mit den gleichen Bedeutungen wahrzunehmen. Man ist folglich überein gekommen. Ich unterstelle an dieser Stelle, dass damit der Begriff der Kommunikation vorerst zwischen uns beiden – Ihnen als Leser(in) und mir als Autor – einvernehmlich geklärt ist und wir keine weiteren Diskussionsbedarf haben, ob nicht noch weitere Gesichtspunkte oder Eigenschaften mit dem Begriff der Kommunikation verbunden sind. Wenn dem so ist, haben wir bereits erfolgreich Kommunikation betrieben: Ich habe Ihnen etwas übermittelt, wir sind uns einig über die Bedeutung der Mitteilung und Sie haben mir Ihr Einverständnis damit signalisiert. Damit haben wir bereits erfolgreiche Kommunikation betrieben. Und selbst, wenn wir uns über

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

die Bedeutung des Wortes Kommunikation nicht einig wären, weil Sie z. B. andere Aspekte als ich betonen, so haben wir dennoch erfolgreiche Kommunikation betrieben, nämlich dergestalt, dass wir uns einig sind, über Bedeutung und Inhalt von Kommunikation zu sprechen. Aus eigener Erfahrung wissen Sie, dass es die verschiedensten Kommunikationssituationen und -inhalte gibt. Ein Beispiel: Sie unterhalten sich am Samstag gegen 9.00 Uhr mit einem Freund oder einer Nachbarin über das Thema „Wochenende“. Dies kann die konkrete Situation am Samstag um 9.00 Uhr sein. Es kann genauso gut in der Rückschau als Vergangenheitsbetrachtung um das letzte Wochenende gehen oder in der Vorschau auf das kommende Wochenende als Planung der Zukunft. Oder Sie lesen eine Zeitung bzw. einen Social-Media-Beitrag, in der Ihnen bestimmte Personen (nämlich die Redakteure der Zeitung und ggf. deren mit Wort und Bild abgebildeten Gesprächspartner bzw. der Social-Media-Autor) etwas mitteilen, wobei Sie nur eine(r) von mehreren tausend, zehn- oder hunderttausend Personen sind, nämlich dem Empfängerkreis der Zeitung bzw. des SocialMedia-Angebots. Davon kennen Sie nur eine geringe Anzahl persönlich. Oder Sie stehen als Referent(in) vor einer Gruppe von ca. 30 oder 100 Personen und stellen Ihrem Publikum vor, wie man mittels einer zusammengefalteten Zeitung störende Fliegen und andere Insekten aus dem Verkehr ziehen kann. Am Rande bemerkt: Zugegebenermaßen fällt dies mit einem LinkedIn- oder xing-Account deutlich schwerer … Jedes Mal handelt es sich um Kommunikationssituationen, die aber durch individuelle Spezifika (Einwegkommunikation oder Dialogkommunikation, Vorschau oder Rückschau, Dokumentation oder Wissensweitergabe, Individualkommunikation mit einem Kommunikationspartner oder Massenkommunikation mit einer großen Menge an Kommunikationspartnern) gekennzeichnet sind. Dies führt dazu, dass die Theorie der Kommunikation entsprechend verschiedene Sichtweisen einnehmen muss: a) eine allgemeine (universale Perspektive), in der Kommunikationsprozesse allgemein beleuchtet werden, ohne Beachtung der Anzahl der Beteiligten und der Themen und Ziele, zu denen Kommunikation betrieben wird, was im ersten Teil des Kapitels 1 im Mittelpunkt steht b) eine konkrete (spezielle) Perspektive, die die Kommunikationsprozesse z­ wischen Menschen (d. h. die „soziale Kommunikation“), deren Merkmale und die Möglichkeiten zu ihrer Ausgestaltung betrachtet und dabei untergliedert wird in eine zwischenmenschliche (Individual-)Kommunikation und eine gesellschaftliche (Massen-)Kommunikation. Die zwischenmenschliche Kommunikation bedient sich dabei vorrangig der Erkenntnisse aus den Wissenschaften der Psychologie, der Psycholinguistik sowie der Soziologie. Sie ist Gegenstand des ersten Kapitels dieses Buches. Die Massenkommunikation greift daneben auch auf Erkenntnisse der Kommunikations- und Medienwissenschaften und der Publizistik zurück. Sie wird in den weiteren Kapiteln 2 bis 5 vertieft.

1.2 Der Kommunikationskreislauf

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1.2 Der Kommunikationskreislauf Greifen wir die soeben beschriebene Situation nochmals auf. Sie unterhalten sich mit Ihrem Nachbarn über das Thema Wochenende. Nehmen wir an, Sie sagen: „Schön, endlich Wochenende!“, weil Sie in irgendeiner Form etwas Unverbind­ liches, Freundliches sagen wollen, zur Pflege der Nachbarschaft. Ihr Nachbar greift es auf: „Ja, da kann man endlich mal etwas ausspannen.“ Vermutlich freut er sich auf die Erholung. Sie kennen aber auch den Berg an Arbeit und Verpflichtungen, der auf Sie wartet, und erwidern: „Schön wär’s, ich muss Einkäufe erledigen, in der Wohnung einige Türen ölen, weil die Scharniere quietschen, dann wartet noch Bügelwäsche auf mich. Und für heute Nachmittag sind wir bei den Schwiegereltern eingeladen. Leider nichts mit Erholung.“ Ihr Nachbar möchte vielleicht die freundliche Aussage, mit der Sie selbst angefangen haben, fortführen, und deshalb wird er möglicherweise entgegnen: „Nun ja, die Bügelwäsche läuft einem ja nicht davon. Und dann haben Sie ja noch den Sonntag, an dem Sie ausspannen können.“ Wie nehmen Sie diese Aussage wahr? Denken Sie immer noch an den Berg an Arbeit und Verpflichtungen, oder erkennen Sie die Möglichkeit zur Erholung? Wie werden Sie nun antworten, mit welchen Gedanken? Und was wird Ihr Nachbar darauf hin entgegnen? Wie greifen Sie die Entgegnung auf? Wann werden Sie oder Ihr Nachbar die Unterhaltung beenden, und warum? Im Prinzip könnte diese Unterhaltung noch eine Weile fortdauern, und zwar so lange, bis ein Impuls von außen (Ihr Lebenspartner, ein anderer Nachbar, ein hupendes Auto, der Postbote) oder ein in Ihnen auftauchender Impuls (der Wunsch, die anstehenden Arbeiten aufzunehmen, das Gefühl, nun genug Konversation betrieben zu haben usw.) Sie dazu bringen, die Kommunikation zu beenden. Sender verweisen an dieser Stelle oft darauf (und das wird im gewählten Beispiel auch deutlich), dass sie nur auf bestimmte Reize des Gegenübers reagieren. In der Tat basiert Kommunikation darauf, dass sich ein Sender durch Handlungen oder Unterlassungen des Gegenübers aufgefordert fühlt, die Kommunikation durch das Senden eines Inhaltes aufzunehmen, und sei es die bloße Anwesenheit als Anlass. Der Sender signalisiert damit „ich habe Dich wahrgenommen“, unabhängig davon, ob der Empfänger dies wünscht oder nicht. Halten wir zunächst fest: Mit Kommunikation wird ein Austausch zwischen zwei oder mehr Personen gestaltet. In diesem Kreislauf verständigen sich die Beteiligten über einen bestimmten Sachverhalt und geben sich wechselseitig eine Rückmeldung, wie sie den soeben wahrgenommenen Sachverhalt ihrerseits wahrnehmen. So kann der Begriff des Wochenendes für den einen mit Ausspannen verbunden sein, für den anderen mit Arbeit oder mehr oder weniger geliebten sozialen Verpflichtungen. Möglicherweise möchte Ihr Gesprächspartner gar nicht alle seine Interpretationen offenlegen, aus welchen Gründen auch immer. Womöglich möchte er sogar von seinen Gedanken ablenken und gibt eine mit Bedacht gewählte Falschmeldung zurück, eine so genannte „Lüge“. Und genau diese inneren Bilder formen die Kommunikation mit, über die Interpretation eines Kommunikations­

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

beteiligten und seine Erwiderung auf den gehörten Inhalt und dessen Interpretation. Dies führt Krallmann und Tiemann (2001, S. 13) dazu, einen Kommunikationskreislauf wie in Abbildung 1-1 dargestellt zu definieren:

Mit etwas/über etwas

Ego (Das „Ich“)

kommunizieren

Alter Ego (das andere „ich“, d.h. das Gegenüber)

Mit etwas/über etwas

Quelle: eigene Erstellung, in Anlehnung an Krallmann und Ziemann, 2001, S. 13

Abb. 1-1: Der Kommunikationskreislauf

Dieser Kreislauf besteht in der gesamten Kommunikationsphase und zeigt auf, dass die beide an der Kommunikation Beteiligten in steter Rückkopplung zueinander stehen. Und: Der Kreislauf kann mit Hilfe verschiedener „Medien“ gestaltet werden, der Sprache, in der direkten Interaktion auch durch begleitende Mimik und Gestik, in indirekter Interaktion über die verschiedensten technischen Hilfsmittel wie E-Mail, Telefon, Fax, Briefe usw. und deren grafischer Gestaltung. Definition der Kommunikation: Kommunikation ist die menschliche und im weitesten Sinne technisch fundierte Tätigkeit des wechselseitigen Zeichengebrauchs und der wechselseitig adäquaten Zeichendeutung zum Zwecke der erfolgreichen Verständigung, Handlungskoordinierung und Wirklichkeitsgestaltung. Kommunikation ist also: • ein sozialer Prozess, • durch den sich zwei oder mehr entscheidungsoffene, raumzeitlich gebundene Aktivitätszentren mittels Anzeichen, Sprache und Symbolen, • deren Wirkung sie an sich selbst und an anderen beobachten, • auf etwas hin koordinieren und steuern wie auch gleichzeitig über etwas informieren (vgl. Krallmann und Ziemann, 2001, S. 13 f.; Plate, 2014, S. 20 ff.). In vielen Kommunikationstheorien kommt aber ein wesentlicher Aspekt zu kurz, nämlich der des Vertrauens in das Gegenüber. In Begegnungen schwingt immer ein Anteil an Vertrauen in die jeweils andere Seite mit. Vertrauen darin, dass der andere fair und offen mit uns selbst umgeht (ansonsten werden wir selbst auch eine Zwei-Ebenen-Kommunikation anbieten: das offen Gesagte, und die verborgenen Vorbehalte) und uns demzufolge eine mehr oder weniger verlässliche Rückmeldung zu unseren Kommunikationsinhalten gewährt. Gerade Personen, die

1.2 Der Kommunikationskreislauf

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einem kommunikativen Partner aufgrund hierarchischer Einordnung, körperlicher Kraft, wirtschaftlicher Abhängigkeit oder anderweitiger Unterlegenheit eigentlich nicht auf gleicher Ebene begegnen können, ist dieses Vertrauen essenziell wichtig. Ohne dieses Vertrauen, dass vielleicht auch nur partiell aufgebracht wird, weil wir merken (oder unterstellen), dass auf der anderen Seite nicht ganz offen und fair kommuniziert wird, müssten wir sofort aus der Kommunikation aussteigen, uns auf eine Machtposition zurück ziehen, die uns Sicherheit und Kontrollierbarkeit gibt. Oder wir nehmen uns selbst als ausgeliefert wahr und werden entsprechend kommunizieren, mit der Suche nach Ausweichmöglichkeiten aller Art (Lügen, Versprechen, an die man sich nicht gebunden fühlt, nur begrenztes Commitment in die getroffenen Vereinbarungen, Suche nach einer Gelegenheit zum Ausstieg aus dem Verhältnis, etc.). Und vice versa gilt auch: Wenn eine Person in die Kommunikation aus einer bewusst gesuchten und ausgeübten Position der Überlegenheit her angeht, wird diese Person nur dann die Kommunikation eingehen, dass sie auf ihre Überlegenheit vertrauen kann. Nicht wäre in so einer Situation schwieriger, als wenn die eigene Überlegenheit, die eigene Kontrolle in Frage gestellt wird. Gerade darum fürchten Potentaten nichts so sehr wie Humor – Lachen hebt die eigene Kontrolle auf und setzt einen im wahrsten Sinne des Wortes der Lächerlichkeit aus, womit die eigene Macht völlig asymetrisch in Frage gestellt wird (siehe beispielhaft Peitz, 2016). Das Vertrauen ist demnach im Sinne von Niklas Luhmann (2000) ein unerlässliches Konstrukt, um überhaupt in eine Kommunikationssituation einzutreten. Für Kommunikation benötigen wir demnach: • mehrere Beteiligte, • die sich austauschen (Inhalt, Medium, Form) – und damit auch sich gegenseitig signalisieren, dass sie gerade in einer Beziehung zueinander stehen, • um damit etwas zu bewirken (Intention) • und die auch in einem mehr oder weniger großen Umfang ineinander vertrauen, dass das Gegenüber mit einem regelkonform umgeht. Die Beteiligten nennen wir Kommunikatoren, wobei je nach aktiver oder passiver Beteiligung von verschiedenen Rollen auszugehen ist, dem aktiven Kommunikator (auch Sender, Absender) und dem passiven Kommunikator (auch Empfänger oder Rezipient). Interessant ist die Tatsache, dass im Prinzip jeder Kommunikationsbeteiligte zunächst einmal nach eigener Wahrnehmung auf jemand anderen reagiert. Ein Kommunikationswunsch aus sich heraus, bei dem niemand anderes als Kommunikationspartner zur Verfügung steht, ist von vorn herein schlichtweg zum Scheitern verurteilt, da Kommunikation immer eines Gegenübers bedarf, und dieser Gegenüber muss zunächst einmal in die Kommunikationssituation eintreten und Ihnen einen Impuls zur Kommunikationsaufnahme liefern. Im einführenden Bei-

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

spiel haben Sie auf die Tatsache reagiert, dass Sie Ihren Nachbarn gesehen haben. Wäre kein Nachbar erkennbar gewesen, hätte sich für Sie keinen Anlass ergeben, sich mit dem Nachbarn zu unterhalten. Und genauso gilt für den Nachbarn: Hätten Sie den Nachbarn nicht angesprochen, hätte Ihr Nachbar womöglich gar keine Kommunikation gesucht, oder er hätte sich mit Ihnen über völlig andere Dinge unterhalten, z. B. die vielen Fußgänger, die gerade am Grundstück vorbei gehen und den Pflegezustand der Gärten diskutieren. Folglich müssen wir festhalten: Kommunikation ist immer reaktiv, eine Reaktion auf die Tatsache, dass Sie durch einen Kommunikationspartner zur Kommunikation bewegt werden.

1.3 Kommunikation als Selbst-Wahrnehmung Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Rückmelde- oder Feedbackschleife. Erst über Kommunikation erhalten wir eine Rückmeldung darüber, dass wir von anderen wahrgenommen werden und in welcher Form (z. B. als Nachbarn, als Lebens­ partner, als Prozessgegner usw.). Kommunikation erlaubt, uns selbst wahrzunehmen, nämlich in der Form, wie wir von anderen gesehen werden. George Herbert Mead führte diese Erkenntnis verkürzt gesagt zur Überlegung: Die eigene Wahrnehmung und die Wahrnehmung durch die anderen (in Form der von mir erkannten Rückmeldung) führt erst zu einem Gesamteindruck dessen, was „Ich“ bin. Er nannte dies „I“ (als Selbstbild bzw. als Selbstinterpretation, in der deutschen Übersetzung auch mit „ich“ dargestellt), „Me“ (Als Wahrnehmung dessen, wie einen andere wahrnehmen, in der deutschen Übersetzung auch als „ICH“ dargestellt) und „Myself“. (vgl. Mead, 2005, insb. S. 177 ff.): ICH (= Identität/„Myself“) In der Gesamtwahrnehmung des Individuums ICH („I“/„Ich“) In der Eigenwahrnehmung des Individuums

ICH („Me“/ICH) In der Fremdwahrnehmung des Individuums

Quelle: eigene Erstellung auf Basis von Mead, 2005, S. 177 ff.

Abb. 1-2: Die drei Dimensionen des „Ich“ nach G. H. Mead

Wenn jemand eine besonders interessante Entdeckung gemacht hat, möchte er diese vermutlich früher oder später mit seiner Umgebung teilen und dafür auch in irgendeiner Form Anerkennung als Entdecker erhalten. So geht dies in vielen Bereichen: Vorgesetzte wollen über Kommunikation von ihren Mitarbeitern die Rückmeldung bekommen, dass sie als Vorgesetzte Entscheidungen treffen und diese umgesetzt werden. Und sie müssen darin vertrauen, dass die Mitarbeiter diese Signale der Unterordnung ernst meinen. Lebenspartner wollen die Rückmeldung

1.3 Kommunikation als Selbst-Wahrnehmung

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erhalten, dass sie nach wie vor der geliebte Lebenspartner sind und diese Rolle nicht gefährdet ist. Und sie müssen darin vertrauen, dass der andere Lebenspartner dies ernst meint. Bis hin zu gewünschten Kritikgesprächen: Man möchte eine Rückmeldung erhalten, warum die gedachten Maßnahmen nicht so gut ankamen, wie sie ursprünglich intendiert waren. Feedback durch Kommunikation versichert als einem selbst, dass man wahrgenommen und geachtet wird, dass man Möglichkeiten hat, sich auch weiterhin als Bestandteil der Gemeinschaft zu sehen und in der gewünschten Rolle als Vorgesetzter bzw. Mitarbeiter, Vater bzw. Mutter usw. weiterhin agieren kann, im Idealfall vielleicht auch zu einem höherwertigen Status hin entwickeln kann. Das Feedback, also die Kommunikation darüber, wie andere mich wahrnehmen, ist unerlässlich für jede Form der Persönlichkeitsentwicklung und der Gestaltung der Wahrnehmung von Wirklichkeit (siehe hierzu Berger und Luckmann, 1982). Greifen wir an dieser Stelle bekannte soziologische Theorien auf, entsteht aus diesem Wechselspiel der Kommunikation das in Abbildung 1-3 skizzierte Dreieck der kommunikativen Interaktion: ICH (= Identität/„Myself“) In der Gesamtwahrnehmung des Individuums verhandelt über die Interaktion zwischen mir und meiner Umgebung im Sinne von Berger und Luckmann KOMMUNIKATIVES DREIECK

ICH („I“/„Ich“) In der Eigenwahrnehmung des Individuums, in der Regel auf der Basis einer Mischung aus Adaption an gesellschaftliche Vorstellung und Sinne von Bourdieu

ICH („Me“/„ICH“) In der Fremdwahrnehmung des Individuums, auf der Basis vertrauensvoller Interaktion im Sinne von Luhmann (die Botschaften des Gegenübers sind vertrauenswürdig und relevant

Quelle: eigene Erstellung auf Basis von Berger und Luckmann, 1982; Bourdieu, 1987; Luhmann, 2000; Mead, 2005, S. 177 ff.

Abb. 1-3: Das kommunikative Dreieck im Spiegel ausgewählter soziologischer Theorien

Und genau an dieser Stelle kommt das „Übersehen“ ins Spiel, das Ignorieren. Nichts ist bei einem Kommunikationswunsch schlimmer als die Tatsache ignoriert zu werden, unabhängig von Inhalt und Intention der Kommunikation. Wie wollen wir eine Liebeserklärung abgeben oder einen Streit anfangen, wenn das angepeilte

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

Gegenüber den Kommunikationswunsch schlichtweg nicht beachtet, ignoriert? Selbst wenn wir auf unsere Liebeserklärung eine Abfuhr erhalten, können wir damit etwas anfangen, z. B. ein hartnäckiges Fortsetzen der Balz mit allen Folgen oder ein Akzeptieren der Abfuhr und – nach einer mehr oder weniger langen Zeit zur Verarbeitung der Ablehnung – ein Weitergehen zu anderen Herausforderungen des Lebens. Ignoriert zu werden bedeutet aber erhebliche Unsicherheit: warum nimmt mein Gegenüber den Kommunikationswunsch nicht auf? Wurde ich nicht verstanden? Bin ich für den anderen nicht bedeutend genug, als dass er auf mich eingehen möchte? Und hält das an, wenn ich meinen Kommunikationswunsch wiederhole, evtl. in der Intensität noch steigere? Bin ich überhaupt in seiner Wahrnehmung? Überspitzt: Existiere ich überhaupt, wenn man mich nicht wahrnimmt? Verkürzt gesagt: Ignoriert zu werden geht an die Existenz! Sie kennen sicher Kinder in Ihrer Umgebung, die auf ein Ignorieren des Kommunikationswunsches den Wunsch immer deutlicher äußern, durch schreien, betteln, weinen usw., bis sie in irgendeiner Form eine Reaktion erhalten. Sie haben das Gefühl, noch nicht wahrgenommen zu werden und wollen dies durch eine Intensivierung ihres Kommunikationswunsches ausgleichen. Kinder werden erst nach und nach in die Lage versetzt, einen Kontext für das Ignorieren zu suchen, z. B. die Überlegung, dass das Gegenüber gerade etwas anderes beachtet und demzufolge vielleicht später meinem Kommunikationswunsch offener gegenüber stehen wird, oder aber die Überlegung, dass der Andere meine Sprache nicht versteht. Folglich werde ich nun einen Übersetzer suchen, der bei der Kommunikation hilft. Aus eigener Erfahrung wissen Sie, wie schwierig es ist, dieses zu lernen. Letztendlich bedeutet es, ein Ignorieren ebenfalls als Kommunikation zu sehen, nämlich als „Ich will mit Dir nicht kommunizieren, zumindest nicht jetzt, und nicht über das von Dir gewünschte Thema.“ Und das bedeutet übertragen: Mir sind jetzt andere Dinge wichtiger als Dein Kommunikationswunsch – damit muss man erst einmal umzugehen lernen! Ein einfacher Ausweg besteht darin, die Umgebung auf Hinweise abzusuchen, warum man gerade jetzt nicht als Kommunikationspartner in Frage kommt, und wann dies wieder möglich ist. Ein anderer Ausweg könnte der sein, die eigene Intervention in einem Maße zu steigern, dass der Gegenüber mit einem selbst kommunizieren muss. Beides kann Folgen haben, die Sie vermutlich schon aus dem einen oder anderen Zusammenhang her kennen und die wir an dieser Stelle zunächst nicht vertiefen müssen. Halten wir fest: • Die eigene Wahrnehmung der Persönlichkeit ist von der Eigenwahrnehmung und der Fremdwahrnehmung abhängig. • Über die Fremdwahrnehmung erhalten wir die Möglichkeit, uns selbst weiter zu entwickeln. • Wer ignoriert wird, wird von der Kommunikation und damit von der Gemeinschaft abgeschnitten  – aus eigener Sicht existiert man für die Gemeinschaft nicht (mehr).

1.4 Die Formen der Kommunikation

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1.4 Die Formen der Kommunikation In der Kommunikationslehre wird zwischen einer direkten und einer indirekten Kommunikation unterschieden. Direkte Kommunikation findet zwischen zwei oder mehr Personen statt, die direkt miteinander in Kontakt stehen, ohne Intermediäre, also einer Person oder einem anderen Kommunikationsmittel dazwischen. In der direkten Kommunikation können alle an der Kommunikation Beteiligten beständig kontrollieren, ob ihre Botschaft verstanden wurde, können beim Empfangen einer Botschaft auch gegebenenfalls eine Rückfrage stellen oder eine andere Form von Feedback geben und so den Kommunikationsprozess gestalten. In der indirekten Kommunikation basiert die Kommunikation auf einem vermittelnden Dazwischen, einem „Medium“. Damit ist diese Form der Kommunikation vor andere Probleme gestellt, aber auch mit anderen Chancen verbunden, so dass eine getrennte Behandlung naheliegt.

1.4.1 Die direkte Kommunikation Die direkte Kommunikation basiert darauf, dass die an der Kommunikation Beteiligten alle gleichzeitig in der Kommunikationssituation vorhanden sind und sich direkt ohne Umweg an die anderen Beteiligten wenden können. Dies sorgt dafür, dass die Anzahl der Beteiligten im wahrsten Sinne des Wortes „überschaubar“ bleibt. Denn wenn man einen Beteiligten nicht mehr erkennen kann, kann man auch nicht erkennen, ob er an der Kommunikation teilnimmt. Wie groß die überschaubare Menge ist, hängt natürlich von den eigenen Kommunikations­fähigkeiten ab, wird aber regelmäßig bei ca. 5–10 Personen liegen, in den seltensten Fällen 30 oder 40 Personen übersteigen – Lehrerinnen und Lehrer wissen dies aus ihren Schulklassen sicher zu bestätigen. Bei den Größenordnung einer akademischen Veranstaltung oder einem Festvortrag mit mehreren hundert Beteiligten wird es schwierig sein, von einer direkten Kommunikation auszugehen, wenn der Vortragende seine Zuhörer nicht mehr alle im Blick hat und sich persönlich an sie wenden kann. Er wird aber bemerken, wenn jemand aus dem Publikum mit ihm in direkten Kontakt treten möchte (z. B. durch Aufzeigen, durch Aufstehen und Ansprechen), und er kann sich dann an diesen Kommunikationspartner wenden, auf seine Frage oder seinen Diskussionsbeitrag eingehen. Direkte Kommunikation ist also jede Form des Austauschs zwischen zwei oder mehr Personen, die sich gegenseitig wahrnehmen und die aufeinander eingehen können (aber nicht zwingend müssen!) Im idealtypischen Fall sind jeweils ein Sender und ein Empfänger an der Kommunikation beteiligt. Der Sender informiert den Empfänger über einen bestimmten Inhalt durch mündliche Sprache, mit Händen übermittelter Sprache (Gestik als eher unstrukturierte Handbewegungen, Gebärdensprache als strukturierte Handbewegungen) und weiterer durch den Körper ausgestrahlter Signale in Form von Mimik (Ausdruck des Gesichts) oder der Körperhaltung wie z. B. Zu- oder Abwendung, Stellung der Beine usw. In allen Fällen werden bestimmte Zeichen gesandt:

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

• Buchstaben / Wörter und Zahlen als Sprache, • Gebärdenbuchstaben als visualisierte Sprache, • Hand- und Körperbewegungen als Zeichen von Emotionen und Einstellungen. Lassen wir Schreiben und ähnliche mediengestützte Formen der Kommunikation (Licht-Morsen) aus analytischen Gründen zunächst einmal außen vor und gehen auf das Grundprinzip direkter Kommunikation über, nämlich dem Verhältnis, das die an der Kommunikation Beteiligten zueinander haben. Im Grundprinzip liegt der in Abbildung 1-4 folgender Austausch vor: Sender → Empfänger Quelle: eigene Erstellung

Abb. 1-4: Ein Sender-Ein Empfänger-Modus mit Einweg-Kommunikation

Würde der Empfänger die Kommunikationssituation verlassen, würde die Kommunikation sofort in sich zusammen brechen. Gehen wir nun davon aus, dass der Empfänger auf die Botschaft des Senders reagiert und Feedback gibt, also selbst zum Sender wird und der erste Sender zum Empfänger. Erst durch die Tatsache, dass der Empfänger dem Sender in irgendeiner Form zu erkennen gibt, dass er sich an der Kommunikation beteiligt, wird aus dem Kommunikationsversuch auch tatsächlich gemeinschaftlicher Austausch, also Kommunikation. Die Abbildung 1-4 ist also zu Abbildung 1-5 zu erweitern: erkennbar: Sender/Empfänger → Sender /̓ Empfänger ̓ faktisch: Teilnehmer 1 → Teilnehmer 2 → Teilnehmer 1 → Teilnehmer 2 → … Sender 1 ↔ Empfänger 1 = Sender 2 ↔ Empfänger 2 usw. Quelle: eigene Erstellung

Abb. 1-5: Ein Sender-Ein Empfänger-Modus mit Zweiweg-Kommunikation

Damit ist nun der Kommunikationskreislauf geschlossen und es findet eine Kommunikation statt. Auch hier gilt: Diese Kommunikationssituation besteht nur so lange, wie beide anwesend und sich darüber einig sind, dass sie miteinander kommunizieren wollen. Ein weiteres Modell der direkten Kommunikation kann darin bestehen, dass drei oder mehr Personen miteinander reden. Im Idealfall kommunizieren sie nicht durcheinander, sondern beachten eine gewisse Reihenfolge, so dass ein weiteres Modell (in Abbildung 1-6) der direkten Kommunikation entsteht:

1.4 Die Formen der Kommunikation

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Sender 1 ↔ Empfänger 1 = Sender 2 ↔ Empfänger 2 usw. Quelle: eigene Erstellung

Abb. 1-6: Abfolgen der direkten Kommunikation

Würde einer der Beteiligten diese Kommunikationssituation verlassen, oder es käme ein zusätzlicher Beteiligter hinzu, würde sich die gegebene Kommunikation verändern. Denn die Aufmerksamkeit und damit das Kommunikationsverhalten müssten sich nun an einer veränderten Anzahl an Beteiligten ausrichten – allein die neue Anzahl der Feedback-Reaktionen legt dies nahe. Die Form der abfolgenden direkten Kommunikation ist vor allem in Besprechungen und Diskussionen anzufinden, in denen klare Regeln vorherrschen, z. B. mit einer Gesprächsleitung und einer Rednerliste. Als Gegenmodell kann eine muntere Feierabendveranstaltung dienen, bei denen einige wenige Personen munter durcheinander miteinander kommunizieren, die sich als multiple direkte Kommunikation bezeichnen lässt, denn es werden die in Abbildung 1-7 dargestellten multiplen Kommunikationsbahnen aufgebaut:

S1/E1

S3/E3

S2/E2

S4/E4

Quelle: eigene Erstellung (Hinweis: S = Sender, E= Empfänger)

Abb. 1-7: Multiple direkte Kommunikation

Nun wissen wir aus eigener Erfahrung, dass in einer derartigen Situation sich Beteiligte auch zurückziehen bzw. in andere Gruppen ausgliedern können. So wäre denkbar, dass aufgrund der von S1/E1 angebotenen Inhalte S2/E2 und S4/ E4 beschließen, ein eigenes Thema zu behandeln und aus der Situation auszusteigen. Vielleicht kehrt irgendwann S4/E4 in den Kreis um S1/E1 und S3/E3 wieder zurück und S2/E2 wendet sich jemand anderem zu. Nicht zuletzt gilt auch hier: jede Veränderung in der Anzahl der Beteiligten ändert die Kommunikationssituation. Treten Personen hinzu, müssen die Beteiligten nunmehr auf eine erhöhte Anzahl und deren Rückmeldungen achten. Scheiden Personen aus, grenzt sich der Kreis der Beteiligten ein und kann von den übrigen besser auf Rückmeldungen beobachtet werden.

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

Die Kunst in der vorliegenden Kommunikationssituation besteht nun darin, miteinander zu klären, nach welchen Regeln die Wahl des Kommunikationspartners erfolgt und wer alles zum Kreis der Kommunikatoren gehört, d. h. auch festzulegen, wer nicht dazu gehören kann oder darf. Vor allem bei Partys und ähnlichen geselligen Anlässen ist das ein wichtiger Punkt. Es gelten ebenso gewisse Regeln, auch wenn die Art und Weise der Kommunikationsbildung auf den ersten Blick eher unsystematisch und chaotisch wirkt und nicht mit einer formalen Rednerliste gleichzusetzen ist. Die Beteiligten haben sich genauso auf gewisse Signale geeinigt, mit denen sie sich gegenseitig ihre Beteiligung an einer Kommunikationssituation versichern und Kommunikationsbeiträge der einzelnen Personen zulassen. Nur wird das viel stärker in der jeweiligen Situation ausgehandelt, z. B. durch bestätigende oder abwehrende Signale aller Art. Neben der Klärung der an der Kommunikation Beteiligten und den Verfahren, wie man sich gegenseitig die Rolle von Sender und Empfänger zuweist, ist noch ein weiterer Gesichtspunkt wichtig, nämlich die Übermittlung und Verarbeitung von Kommunikationsinhalten. Dazu bedarf es eines gemeinsamen Zeichenvorrates, wie z. B. einer gemeinsamen Sprache zur verbalen Kommunikation oder eines gewissen Vorrates an nonverbalen Zeichen in Form von Gestik, Mimik und anderen Kommunikationsformen. Bei gesellschaftlichen Anlässen ist es z. B. wichtig, durch geeignete Bekleidung (stilvolle Abendgarderobe etc.) und gewisse Formen des Benehmens (wie wird z. B. Hummer richtig gegessen? Darf man Bier aus der Flasche trinken, und wenn, zu welcher Gelegenheit? Ist überhaupt der Genuss von Bier zulässig oder sollte nicht eher nur Sekt konsumiert werden?) zu zeigen, dass man zur jeweiligen Gruppe dazu gehört. Pierre Bourdieu hat dies eindrücklich in seinem 1982 erschienenen Werk „Der feine Unterschied“ dargelegt: Wer hier die jeweiligen Verhaltensregeln nicht beherrscht, wird sehr schnell sich aus der Kommunikation ausschließen, ob er etwas verbal mitgeteilt hat oder nicht. Und damit nicht genug: Auch wenn alle über die gleiche Sprache verfügen sollten, heißt das noch lange nicht, dass man sich aus der Kommunikation ausschließen kann, nämlich durch den „falschen“ Einsatz von Sprache, nämlich der Verwendung eines Wortschatzes, der der jeweiligen Situation nicht angemessen ist. So haben derbe Kraftausdrücke bei einer Vernissage bzw. Finissage (also die Eröffnung bzw. Schließung einer Kunstausstellung) ebenso wenig ihren Platz wie akademisch geprägte Fremdwörter bei der Auftragserteilung in einer PKW-Werkstatt („In der Retrospektive meiner automobilen Erfahrung erkennt man eine Korrelation zwischen gefahrener Geschwindigkeit und Abnutzungsgrad der Verzögerungselemente, von daher erbitte ich deren Austausch“ – man hätte auch sagen können „ich fahre gerne schnell, und deswegen tauschen Sie jetzt bitte die Bremsschreiben außerplanmäßig“). Für viele Irritationen bei Besuchen südlich (bzw. nördlich) der Donau fallen den geneigten Zeitgenossen auch sprachliche Unterschiede zwischen Nord- und Süddeutschland, zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz auf. Zwar gibt es einen deutschen Sprachraum, der wie im Vorwort erwähnt, neben Deutsch-

1.4 Die Formen der Kommunikation

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land, Österreich und dem nordöstlichen Teil der Schweiz auch verschiedene kleinere Länder bzw. Landesteile in Luxemburg, Belgien, Südtirol, Liechtenstein sowie – in Gestalt von deutschsprachigen Minderheiten – in Dänemark und Polen umfasst. Und in diesem gemeinsamen Sprachraum gibt es auch eine kulturelle Zusammenarbeit, die sich nicht allein im gemeinsamen Fernsehprogramm des Senders 3Sat sowie der Eurovision zeigt, sondern auch in Abkommen zur Vereinheitlichung des deutschen Sprachgebrauchs bzw. der deutschen Rechtschreibung (siehe hierzu Krause, 2016, S. 213 f.). Das letzte diesbezügliche Abkommen datiert vom 1. Juli 1996 und erlaubt den beteiligten Ländern Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie den deutschsprachigen Gemeinschaften in Belgien und Südtirol gewisse regional bedingte Abweichungen. So kennen die Schweizer außer in Eigennamen kein „ß“. Ein weiteres Beispiel: Was den Deutschen und den meisten Schweizern als „innerhalb“ bekannt ist, wird bei den Österreichern und bestimmten Schweizern als „innert“ verwendet, der Monat Januar taucht in Österreich als „Jänner“ auch im amtlichen Texten auf, und der Sinn des Wortes „weiters“ würde nördlich der Donau eher mit „des Weiteren“ gemeint. Und auch der Sprachgebrauch zwischen Norddeutschland, Südbayern und Württemberg ist sehr divergent, was man am Wort „schauen“ ablesen kann, ein eher im Süden verwendeter Begriff. Und umgekehrt fällt einem nordöstlich der Elbe der Wochentag „Sonnabend“ auf – im Rest des deutschen Sprachraums verwendet man hier lieber Samstag. Ein Blumenkohl wird in Österreich zum Karfiol, das Hack­ fleisch zum Faschierten usw. Auch ein Schweizer würde beim Bäcker oder Metzger niemals offensiv seine Wünsche mit „ich bekomme ein Brot“ bzw. „ein Kilo Rindsbraten“ äußern, sondern eher defensiv mit der Formulierung „darf ich bitte xy haben“ arbeiten. Entsprechend irritiert waren demzufolge die Eidgenossen, als ein SPD-Kanzlerkandidat namens Peer Steinbrück die Kavallerie schicken wollte, um die Daten deutscher Steuerhinterzieher in Züricher Banken zu sichern (vgl. von Rohr, 2009). Nun ist es in der Regel so, dass man sich beim Überqueren von Staatsgrenzen eine gewisse Narrenfreiheit erwirbt und sich die gastgebende Seite Mühe geben wird, den Gast zu verstehen, als Geste der Höflichkeit ebenso wie als Gelegenheit, ein Geschäft abzuschließen. Vermutlich würde es sogar als sehr unhöflich gelten, wenn ein Deutscher sich um den kehligen Dialekt der Schweizer bemühen würde – und umgekehrt ein Schweizer das heimatliche Idiom nördlich des Hochrheins verwenden würde. Hier kann man darauf vertrauen, dass beide Seiten sich auf eine Schnittmenge an gemeinsam geteilten Worten einigen wird, die sich höchstens noch in der Art und Weise der Aussprache unterscheiden und dadurch für eine gewisse Erheiterung sorgen kann. Fassen wir an dieser Stelle die wichtigsten Punkte der direkten Kommunikation zusammen. Direkte Kommunikation ist: • auf eine überschaubare („direkt ansprechbare“) Teilnehmermenge ausgerichtet, • auf die zeitgleiche Anwesenheit aller Teilnehmer angewiesen,

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

• damit flüchtig – wenn einer oder mehrere der an der Kommunikation Beteiligten den Kommunikationstreffpunkt verlassen, bricht die ursprüngliche Kommunikation zusammen und eine neue Kommunikationssituation tritt auf; • auf einen gemeinsamen Zeichenvorrat aller an der Kommunikation Beteiligten angewiesen, der von den Beteiligten der Kommunikationssituation angemessen verwendet wird, so dass sich die Beteiligten verständigen können, also die ausgetauschten Zeichen in ihrer Gesamtheit in gleichförmig verstandener Form interpretieren; • auf diese Weise konstruieren die Beteiligten eine „Wirklichkeit“, also eine konkrete Situation mit einem bestimmten Bedeutungsinhalt. Klar erkennbar sind die Chancen der direkten Kommunikation. Sender und Empfänger können sich gegenseitig darüber verständigen, ob sie die Botschaft aufgenommen haben und ob es Rückfragen oder den Wunsch nach fortgesetzter Kommunikation gibt. Sogar eine Erweiterung der Kommunikation ist damit denkbar: Wenn die Beteiligten merken, dass sie gleichgerichtete Interessen haben, können sie dazu gleich Vereinbarungen treffen, in welcher Form sie diese gleichgerichteten Interessen weiter verfolgen wollen. Auch die Grenzen sind erkennbar. Direkte Kommunikation kann sich niemals an Abwesende richten. Sie setzt stets Anwesenheit voraus. Sie kann damit auch nicht zeitversetzt erfolgen, muss also in der Gegenwart passieren. Dass man Inhalte, die von der jeweiligen Situation abgehoben sind, austauschen kann, steht auf einem anderen Blatt und wird im Kapitel 2 zur Sprache noch vertieft. Und es darf nur eine „überschaubare“ Anzahl an Personen beteiligt sein, denn nur mit jenen Personen ist direkte Kommunikation möglich, die gesendete Inhalte aufzunehmen und darauf zu reagieren vermögen.

1.4.2 Die indirekte Kommunikation Indirekte Kommunikation beruht darauf, dass ein Kommunikator einem Kommunikanten eine Botschaft auf einem Trägermedium zukommen lässt, ohne dass er als Absender noch physisch anwesend sein muss. Als Beispiel nehmen wir an, Sie befahren mit einem Fahrzeug eine Bergstraße in Oberbayern (oder auch im Salzkammergut, in Graubünden oder im Vinschgau). An einem bestimmten Punkt erkennen Sie eine aufrecht stehende Metallstange, an deren oberen Ende ein aufgerichtetes Dreieck befestigt ist, ebenfalls aus Metall. Die Ränder des Dreiecks sind rot gefärbt, in der Mitte ein weißes Feld, wobei ein Teil des weißen Feldes von schwarzen Flecken überlagert ist, die wie eine Wand und mehrere an der Wand herunter fallende Brocken aussehen. Als kundiger Mensch  – Sie haben einmal eine Fahrschule besucht – interpretieren Sie dieses Schild vermutlich sofort als Warnung vor Steinschlag. Da sich seitlich der Straße hohe Felswände türmen, ist Ihnen der Zusammenhang zwischen der örtlichen Gegebenheit und der Warnung

1.4 Die Formen der Kommunikation

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sofort plausibel, und Sie reagieren darauf in einer bestimmten Form, z. B. durch etwas vorsichtigeres Fahren, durch das Ausschauen nach Felsbrocken auf der Straße usw. Vielleicht bitten Sie auch einen Beifahrer, die Wände im Blick zu behalten und bei Beobachtung von Steinschlag sofort darauf hinzuweisen, wobei das eher selten sein dürfte. Zugegebenermaßen ein triviales Beispiel, aber in seiner Einfachheit für die Grundlagen indirekter Kommunikation hilfreich. Sie werden aus eigener Erfahrung wissen, dass derartige Verkehrsschilder nicht einfach um ihrer selbst willen aufgestellt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass andere Menschen vorher an dieser Stelle waren und einen Steinschlag erlebt haben, oder aber sie werden zumindest die betreffenden Umstände am gegebenen Ort mit Erfahrungen an einem anderen Ort in Verbindung bringen, an dem sie einen Steinschlag erlebt haben. Vielleicht ist dies sogar mehreren Menschen passiert, und die betreffenden Menschen kamen durch Steinschlag zu einem körperlichen oder materiellen Schaden. Daraufhin wurde vermutlich beschlossen, anderen Menschen einen ähnlichen Schaden zu ersparen. Da aber kaum jemand unter den Geschädigten oder den Sachverständigen bereit sein wird, für die nächsten Jahre am Ort zu verharren und die Passanten vor der Gefahrenquelle zu warnen, musste ein „Ersatz“ für den Absender gefunden werden, ein Mittel, die Botschaft des Absenders in verständlicher Form für die zukünftigen Empfänger bereit zu halten. Und dazu dienen Medien, die einen bestimmten Sachzusammenhang in einer bestimmten Art und Weise an andere übermitteln, wie z. B. Verkehrszeichen. Medien sind in der indirekten Kommunikation die Stellvertreter des Senders. Zugegebenermaßen eine sehr langatmige Herleitung eines uns allen vertrauten Phänomens, aber wichtig, um eine für uns als Selbstverständlichkeit erlebte Institution in ihrer Bedeutung richtig zu würdigen. Ähnliches gilt für z. B. für Reiseberichte. Es ist natürlich jedem unbenommen, in ferne Länder zu reisen und sich dort mit Land und Leuten auseinanderzusetzen. Wer aber sich bereits im Heimatland einen entsprechenden Reiseführer besorgt, kann durch die darin enthaltenen Informationen sich deutlich besser und schneller auf die abweichenden Sitten und Gebräuche anderenorts einstellen, sich über Sehenswürdigkeiten informieren und diese schneller, ohne Umweg ansteuern. Ein Reiseführer basiert dabei auf den Erfahrungen der Personen, die bereits einschlägige Reisen unternahmen und herausragendes gespeichert haben, zur Weitergabe an interessierte Dritte. Und wenn wir den Reiseführer z. B. über Venedig studieren, kann der jeweilige Autor bereits weiter gereist sein und uns trotzdem die relevanten Informationen mitteilen, sie mit uns teilen. Indirekte Kommunikation, in Form von Verkehrsschildern ebenso üblich wie in Form von anderen Medien (Büchern, Zeitungen und Zeitschriften, elektronischen Medien, aber auch Schiefertafeln, Leuchtreklamen usw.) sorgt also dafür, dass Erfahrungen anderer Menschen aus früheren Zeiten an die nächstfolgenden Menschen weitergegeben wird, ohne dass der Absender vor Ort verbleiben muss. Nun wird aber nicht immer klar sein, wer als potenzieller Empfänger in Frage kommt. Führen wir uns nochmals die Gefahrenstelle mit Steinschlag vor Augen. Da

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

in Oberbayern nicht nur deutschsprachige Personen unterwegs sein werden, sondern auch Personen aus Italien, Frankreich, Großbritannien, der Slowakei und anderen Ländern, sollte man ein Botschaftssystem finden, das für möglichst verschiedensprachige Personen zu entschlüsseln ist. Und da eine Gefahrensituation relativ schnell auftreten kann, sollte auch die Art der Informationsweitergabe rasch möglich sein. Wer bereits in den USA mit einem Fahrzeug unterwegs war, wird dies durchaus zu schätzen wissen – dort wird vor Wildwechsel mit Schildern in Form eines orangeoder gelbfarbenen Vierecks mit der Aufschrift „Moose C ­ rossing“ oder ähnlich konkreter Hinweise auf die jeweils zu erwartenden Tierarten gewarnt. Für US-amerikanische Fahrzeugführer kein Problem, sie haben in den allermeisten Fällen soweit reichende Lesekompetenz erworben, dass sie in Zusammenhang mit Form und Farbe des Warnschilds zur schnellen Informationsverarbeitung übergehen. Und sprachenunkundige Touristen kommen in den USA auch relativ selten vor, zumindest waren sie kein Aspekt bei der Entwicklung der Verkehrsbeschilderung in Nordamerika. Wer nun nicht sofort durch Sprachenunterricht oder Gebrauch eines Wörterbuchs darauf kommt, dass mit „moose“ Elche gemeint sind und mit „crossing“ ­ efahr der Hinweis auf eine drohende Begegnung mit ebenjener Spezies, kann die G möglicherweise nicht richtig einschätzen und erlebt bei einer entsprechenden Begegnung mit einem Elch eine unangenehme Überraschung, vielleicht sogar einen Unfall mit erheblichen Schäden. Bildhafte Kommunikationssysteme wie das europaweit standardisierte System an Verkehrsschildern bieten demgegenüber erhebliche Vorteile, sind sie doch ohne Sprachführer relativ leicht zu entschlüsseln. Das mag auch damit zusammenhängen, dass die meisten Europäer schon einmal in irgendeiner Form mitbekommen haben, dass jenseits der Landesgrenzen Menschen mit anderen Sprachkenntnissen wohnen und man sich im Zweifelsfall in einer eindeutigen, schnell erfassbaren Art und Weise verständigen können sollte. Analog die Piktogramme in Bahnhöfen, Flughäfen usw., die relativ unmissverständlich klar machen, wo Geld gewechselt werden kann, wo sich der Abflugbereich und der Mietwagenpool befinden, wo es etwas zu essen gibt oder auch, wo Männer bzw. Frauen im Falle eines Falles einem dringenden Bedürfnis nachgehen können. Die Herausforderung im Zeichen der Trans- und intersexuellen Orientierungen dürfte darin bestehen, denjenigen Personen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht angehörig fühlen, einen eindeutigen Hinweis zu geben, wo sie sich in diesem Falle hinwenden können. Oder aber man verfällt auf die Lösung, statt geschlechterorientierter Massenabfertigungseinrichtungen so genannte „Unisex“-Kabinen für die Einzelnutzung anzubieten (vgl. Huth 2017), was seinerseits weniger eine kommunikationswissenschaftliche Leistung darstellt, sondern vielmehr eine architektonische Anpassung erfordert und wir an dieser Stelle nicht weiter verfolgen sollten. Aber – und das ist die Krux der bildhaften Darstellung – das Leben ist von einer solchen Vielfalt, dass es kaum in allgemein verständlichen Symbolen umfassend darzustellen wäre. Das zeigt sich auch im Vergleich der weltweit sehr unterschied-

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lich verbreiteten Art und Weise, Informationen mit anderen Menschen zu teilen, die gerade nicht am Ort der Informationsdarstellung sind. Augenfällig wird dies im Vergleich der lateinischen Buchstaben, zumeist in Nord-, West-, Süd- und Mitteleuropa üblich, und den kyrillischen Buchstaben, die in Russland, der Ukraine, Serbien üblich sind, oder den griechischen Buchstaben in Griechenland und dem Südwestteil Zyperns. So kann man als Tourist mit etwas Latein im Hintergrund zumindest in Spanien oder Frankreich sich manches zusammenreimen, ohne die Landessprache zu beherrschen. Wobei auch hier schon eine Einschränkung zu machen ist – im französischen können Accents und Cedils eine andere andere Aussprache bewirken. Auch in anderen Sprachen wird man schnell verzweifeln: die Betonungszeichen in skandinavischen Sprachen machen z. B. aus einem A schnell ein lautmalerisches „O“ (sofern ein kleiner Kreis auf dem A sitzt), im niederländischen erfreuen Diphtonge den Kommunikanten (das „uit“ wird hier ähnlich wie „eut“ ausgesprochen) usw. – ein an sich eindeutiges Zeichensystem im Umfang von ca. 23–25 Buchstaben wird auf einmal sehr variationsreich. Und dies kann im Falle von bildhaften Sprachzeichen noch komplexer werden: Die chinesische Schrift als relativ ausgeprägte Form von symbolhafter Darstellung – ähnlich derjenigen der bereits bemühten Verkehrszeichen – verfügt über mindestens 7.000 Zeichen, vermutlich aber gut 30.000 unterschiedliche Zeichen, die auch chinesische Schriftgelehrte nicht immer in all ihrer Umfänglichkeit beherrschen. Zumal Neuerungen im Lebenslauf auch neue Zeichen erfordern – ein Mobiltelefon, ein Tablet oder ein Automatikgetriebe kamen vor hundert Jahren noch nicht vor. Es ist daher durchaus hilfreich für eine Kommunikationsgemeinschaft, ein System zu finden, das eine lebensnahe Variabilität bietet und gleichzeitig in ihrer Verständlichkeit sehr reduziert ist. Und genau das ist die Leistung der lateinischen Schrift (für die kyrillische oder die arabische Schrift gilt ähnliches) – mit ca. ­26–27 Schriftzeichen und je nach Kultur einer mehr oder weniger großen Anzahl an Umlauten und Betonungs- oder Aussprachezeichen vermag sie es, die Fülle des Lebens in Form von Wörtern und Sätzen relativ umfassend darzustellen! Wer einmal das Schreiben der lateinischen Schrift und mit einer Grammatik die Regeln für die korrekte Abfolge von Worten einer Sprache erlernt hat, kann sich relativ leicht auch komplexe Inhalte aneignen, trotz der benannten Umstände mit Ausspracheregeln und Betonungszeichen. Der Vorzug wird in der Verwendung moderner Kommunikationstechnik sehr augenfällig, wenn man einmal die Tastatur eines Personal Computers im deutschen oder englischen Sprachraum mit dem für japanisch- und chinesischsprachige Kunden vergleicht. Tiefer Interessierte seien auf die Wikipedia-Seite „Eingabesysteme für chinesische Schriftzeichen“ verwiesen. Um das Thema Schrift und Sprache hier abzuschließen – im nächsten Abschnitt wird dieser Aspekt der Kommunikationsarbeit vertieft. Allerdings ist an dieser Stelle noch auf die Notwendigkeit einer standardisierten Verwendung der Schriftzeichen einzugehen. Wenn jeder diese Zeichen nach eigenem Gusto einsetzt, dürfte die Verständlichkeit erheblich leiden – eine erfolgreiche, weil vielseitig einsetzbare Kommunikation über Schriftzeichen bedarf eines

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

Regelwerks, wie diese Schriftzeichen zu verwenden und zu entziffern sind. Die Stichworte lauten hier Orthografie und Grammatik. Die Rechtschreibung  – als deutsches Pendant zur Orthografie (von griechisch orthós  – aufrecht) als Vorgabe, wie Wörter richtig zu schreiben sind, erlaubt es, allgemein verständlich die Worte darzustellen. Dabei kann man sich nach dem Gehör („schreiben, wie man spricht“) leiten lassen, wobei dies durchaus tückisch ist – jeder hat seine etwas eigene Sprachweise (man denke an das schwäbische „fascht“ im Vergleich zum schriftdeutschen „fast“, wobei der Schwabe mit „fascht“ eigentlich meint, dass es so war, wie er es darstellt – „i hôn’s mir fascht denkt“ würde Thomas Mann mit „das waren auch meine Gedanken“ übersetzen). Ein Beispiel findet sich in der deutschen Reformschrift zur Wende des 19. auf das 20. Jahrhundert, in einem Brief zur Namensgebung des Aussteigerprojekts „Monte Veritá“ im Tessin: „die bedeutung des fon uns gewälten namens der anstalt dahin zu erklären, das wir keineswegs behaupten die ‚warheit‘ gefunden zu haben, monoplisiren zu wollen, sondern das wir entgegen dem oft lügnerischen gebaren der geschäftswelt, u. dem her konvenzioneller forurteile der geselschaft, danach streben, in wort u. tat ‚war‘ zu sein der lüge zur fernichtung, der warheit zum sige zu ferhelfen“ (Bollmann, 2017, S. 73).

Welche Leserin, welcher Leser hätte im letzten Satz die Bedeutung „und dem Heer konventioneller Vorurteile der Gesellschaft … zur Vernichtung, der Wahrheit zum Siege zu verhelfen“ vermutet? Soviel zur Ergänzung: Wie können moderne Datenbanksysteme bestimmte Inhalte sicher zuordnen, wenn die von den Nutzern eingegebenen Wörter unterschiedlich geschrieben werden? Allein das Bemühen um eine Fahrkarte von Dresden nach Pirna könnte schon für einige Menschen zum Problem werden, die „Dräsdn“ oder „Dresdn“ eingeben, oder wie die Familie des Verfassers auch schon mal von „Berne“ sprach statt von Pirna. Wer sich bei einem großen deutschen Automobilhersteller in München um ein Praktikum bewirbt, sollte in der Eingabemaske durchaus wissen, dass EDV-Kenntnisse in der dynamischen Website-Programmierung z. B. mit Typo3 verbunden sind, und wer hier nach Gehör ein „Tüpo3“ eintippt, mag phonetisch richtig liegen, wird aber ansonsten vom Algorithmus nicht mehr weiter berücksichtigt. Zweitens ist auf die Grammatik einzugehen, der Lehre vom korrekten Aufbau eines Satzes. In ihr zeigt sich, ob jemand den Sinn eines Inhalts in geeigneter Form widergeben kann. Wer „dem Onkel sei Auto“ sagt, wird im schwäbischen oder moselfränkischen Dialekt durchaus richtig liegen, hat aber verpasst, dass die korrekte Verwendung „das Auto des Onkels“ oder „des Onkels Auto“ ist. Und allein schon über die Fähigkeit, Grammatik ordnungsgemäß anzuwenden, entscheidet über die Frage, wie viel Informationen in einen Satz gepackt werden können, so dass ihn der Empfänger noch ordnungsgemäß entziffern kann. Wenn in der indirekten Kommunikation nun der Empfänger nicht in direkter personaler Beziehung zum Sender steht, weil der Sender schon längst entschwunden ist und nur seine Botschaft hinterlassen hat, so besteht dennoch eine Kommunikationssituation, ein potenzieller Kommunikationskreislauf. Zum einen reagie-

1.4 Die Formen der Kommunikation

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ren wir auf die hinterlassende Botschaft (z. B. besonders vorsichtiges Fahren bei einem warnenden Verkehrsschild), im Extremfall durch ein „nicht zur Kenntnis nehmen“. Im Beispiel des Verkehrsschildes „Achtung Steinschlag!“ kann dies durchaus Folgen haben, muss aber nicht. Zum anderen haben wir die Möglichkeit, die vom Sender hinterlassene Botschaft zu bearbeiten, z. B. durch Ergänzungen für weitere Empfänger („Heute gegen 13.00 Uhr war ich am Schild, und es erfolgte kein Steinschlag“ oder „Es erfolgte tatsächlich ein Steinschlag, der meine Motorhaube erheblich beschädigte“), durch Entfernen des Verkehrsschildes usw. oder aber auch dadurch, dass wir den Verantwortlichen für die vorgefundene Botschaft identifizieren und Kontakt mit ihm aufnehmen wollen. Ein Nebenaspekt: Gerade im Bereich der Massenmedien Buch, Presse, Hörfunk und Linear-Fernsehen ist diese Interaktion mit den Absendern durchaus hilfreich für die Absender: Durch Marktforschung oder das Angebot zum Leserdialog (Leserbriefe etc.) werden Kommunikationskreisläufe angeregt, was in den entsprechenden Abschnitten noch vertieft wird. Diese Kontaktaufnahme erfordert aber von uns, uns zum Absender zu begeben und darauf zu vertrauen, dass der Absender seinerseits daran interessiert ist, von uns ein Feedback zu empfangen. Wir müssen also Anhaltspunkte dafür besitzen, ob eine Rückmeldung erwünscht oder zumindest zulässig ist oder eher unerwünscht ist. In der konkreten Situation der vorgenannten Entschlüsselung der Botschaft „Achtung Steinschlag“ ist die Rückmeldung nicht erwünscht, aber zumindest durch einen Anruf bei der Straßen­ baubehörde möglich, der Kommunikationskreislauf damit zwar latent möglich, aber im Moment nicht vorhanden. Er ist nur ein Halbkreis. Social-Media-Anwendungen sind hier bereits weiter, da sie Möglichkeiten der massenmedialen Aussendung mit individuellen Response-Möglichkeiten verbindet, wie z. B. einer speziellen Adressierung an einzelne Kommunikationsteilnehmer (z. B. das „Tagging“ in Anwendungen wie Instagram). Halten wir an dieser Stelle fest, dass sich indirekte Kommunikation von direkter Kommunikation unterscheidet durch: • die Nutzung von Vermittlungstechnik (Medien), um so die persönliche Gegenwart des Senders unnötig zu machen, vielmehr wird er durch seine hinterlassene Botschaft präsent, nämlich indirekt abgebildet, • die meistens gegebene Möglichkeit, sich einer größeren, manchmal sogar nahezu unbegrenzten Anzahl Menschen mitzuteilen, • die Möglichkeit, den Kommunikationsinhalt vom Sendezeitpunkt unabhängig zu dokumentieren und damit auch für einen längeren Zeitraum präsent zu halten • und die Tatsache, dass sie regelmäßig eine Einweg-Kommunikation darstellt. Die Chancen der indirekten Kommunikation sind daraus eindeutig abzuleiten: Sie kann fast immer und überall stattfinden, ist also nicht von der gleichzeitigen Anwesenheit der Beteiligten abhängig. Und sie kann prinzipiell eine beliebig große Anzahl an Menschen erreichen, nämlich all jene Personen, die den via Medium

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

transportierten Inhalt zur Kenntnis nehmen wollen. Aber auch die Grenzen sind deutlich, denn nur dauerhafte Medien, die in einem verständlichen Code die jeweiligen Inhalte transportieren, können für indirekte Kommunikation eingesetzt werden. Und eine direkte Rückmeldung ist ebenfalls nicht möglich.

1.5 Die symbolische Kommunikation Symbolische Kommunikation ist generell jede Form, die sich der schematischen, kondensierten Darstellung bestimmter Inhalte bedient. Dies kann eine Bild- und Zeichensprache ebenso sein wie eine Schrift oder jedwede andere Form von Symbolen, wie z. B. der Frack als Kleidungsstück für Männer zu besonders formellen Anlässen oder – im westlichen Kulturkreis – Schuhe mit hohen Absätzen als Schuhwerk für Frauen. Dass letzteres in früheren Zeiten dem Monarchen – der Sonnenkönig Ludwig XIV. gilt hier als Begründer von „je höher die Stellung, desto höher der Absatz“ (Muscionico, 2020) – bzw. dem männlichen Bevölkerungsanteil vorbehalten war, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. In der westlichen Kultur zeigen nur Frauen offen hohe Absätze, und Männer – soweit sie nicht als special effect in Fernsehserien wie „Germany’s next Top Model by Heidi Klum“ u. ä. auftreten – verstecken deren Anwendung lieber in teurem Spezialschuhwerk, um sich nicht fragenden Blicken der Umgebung auszusetzen. Symbolische Kommunikation beruht dabei auf einer klaren Verständigung über die verwendeten Symbole. Nehmen wir das Zeichen „A“. Es ist • der erste Buchstabe im Alphabet, in Großschreibung, • an einem kleineren Auto rückseitig angebracht das Symbol für einen Anfänger, bei einem Transporter oder Lastkraftwagen hingegen der Hinweis auf „Abfalltransporte“, • in den USA die beste Note ( „straight A“), • in der Papier- und Büromaterialbranche die Spezifikation einer Papiergröße (z. B. DIN A 4 = 210 * 297 mm, im Gegensatz zu den etwas größeren Größen C 4 und B 4 für Umschläge), • im öffentlichen Dienst Deutschlands der Hinweis auf eine bestimmte Besoldungsgruppe (A1–16, in Abgrenzung zu den B-, C-, R- und W-Besoldungsgruppen bestimmter Berufszweige; in Österreich wird mit A1 bis A4 eher die Laufbahngruppe bezeichnet), • in Bayern möglicherweise der Beginn einer groben Beleidigung, die sich auf bestimmte Körperregionen bezieht. Die Interpretation dieser Symbole wird situationsspezifisch erfolgen, denn ein bestimmtes Setting legt bestimmte Interpretationen nahe und schließt andere aus, um Missverständnisse zu vermeiden. Das dies interessante Folgen haben kann,

1.5 Die symbolische Kommunikation

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wenn in einer Sondersituation tatsächlich nicht das Naheliegende, sondern etwas ganz Abseitiges gemeint war, sei nur der Vollständigkeit zuliebe aufgeführt, aber nicht weiter verfolgt. Ein weiterer Faktor für die Interpretation von Symbolen sind die eigenen Erwartungen. Nehmen wir als Beispiel den Satz „Die Wanne ist aus …“. Mögliche Fortsetzungen lauten: • „… Italien importiert.“ • „… Kunststoff hergestellt.“ • „… -reichend gefüllt.“ • „… -gelaufen.“ • „… -gerechnet heute nicht geputzt worden.“ • „… dem Zentrallager verschwunden.“ • „… -gebaut worden, wegen Renovierung.“ Jede spezifische Situation (Baustelle oder Hotel, Sanitärgroßhandel oder heimische Wohnung) wird die Interpretation erleichtern. Des Weiteren können natürlich auch „ergänzende Hinweise“ helfen, z. B. weitere Symbole oder die Gegenwart hilfreicher Personen. Was hingegen nicht erforderlich ist, ist die Anwesenheit des abgebildeten Gegenstands oder Sachverhalts – Symbole sind Platzhalter, die an Stelle des Sujets erscheinen. In der Kunst hat dies der Belgier René Margritte mit seiner Darstellung „Ce ci n’est pas une pipe“ meisterhaft auf den Punkt gebracht (aus urheberrechtlichen Gründen hier nicht dargestellt, im Internet aber jederzeit problemlos einzusehen). Die symbolische Darstellung der Pfeife ist der Platzhalter für die Pfeife, die nicht in realiter präsent ist, und der philosophische Gehalt dieser Aussage erfordert eine gewisse Interpretationskraft („stimmt, man sieht zwar das Symbol einer Pfeife und nimmt das Symbol für die Pfeife, es ist aber keine wirkliche Pfeife greifbar, denn man kann das Symbol nicht für den Zweck der symbolisierten Sache einsetzen, nämlich das Rauchen von Tabak“) und besitzt damit einen künstlerischen Gehalt in sich, über die rein formale Darstellung der Pfeife als solcher. Symbole müssen also vom Betrachter zunächst abstrakt erfasst und dann im Kontext sicher interpretiert werden können. Am Beispiel von Rene Margritte’s Pfeife sollte also die Interpretation in Richtung „wir sehen das Symbol einer Pfeife, ästhetisch hochwertig und detailgenau dargestellt, wobei es hier nicht um das Angebot zum Rauchen geht, sondern um Kunst, und die Kunst kommt darin zum Ausdruck, dass eine wichtige Aussage zur symbolhaften Aussage sehr pointiert und mit einer gewissen Originalität umgesetzt wurde“ gehen. Ob das jeder Betrachter so sieht, mag nicht allein vom philosophischen Bildungsstand abhängen, sondern auch von der individuellen Ästhetik – über Kunst lässt sich als Geschmacksfrage bekanntlich trefflich streiten, ohne zu einer allgemeinverbindlichen Aussage zu kommen.

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

Nicht zuletzt können neben Gegenständen auch Handlungen und Ideen symbolisch dargestellt werden. Wer sich mit dem Einsatz der Visitenkarte im ausgehenden 19. Jahrhundert näher beschäftigt, kann anhand von abgeknickten Ecken der Karte eine Vielzahl an Botschaften übermitteln (vgl. Nickel, 2014/2019). So galt das Umknicken • der linken unteren Ecke als Gratulationsbesuch, oft mit dem Vermerk p. f. (pour féliciter) auf der Karte verbunden, z. B. nach einer Geburt, einem Geburtstag oder einer Verlobung bzw. Verheiratung, • der linken oberen Ecke als Ersatz für den Antritts- bzw. einen gewöhnlichen Besuch, p. f. v. (pour faire visite = um Besuch zu machen / abzustatten), wenn man z. B. neu in die Stadt gezogen war und sich im weiteren Familien- oder Honoratiorenkreis vorzustellen hatte, • der rechten oberen Ecke als Abschiedsbesuch, p. p. c. (pour prendre congé = um Abschied zu nehmen), wenn man als Militärangehöriger eine Versetzung oder längere Abordnung erfahren hatte oder sich beruflich in eine andere Stadt weiter entwickelte, • der rechten unteren Ecke als Kondolenzbesuch: p. c. (pour condoler), wenn es einen Trauerfall im besuchten Hause gab und man keine Gelegenheit hatte, bei einer Totenfeier dabei zu sein. Aufmerksame Leser haben an dieser Stelle den Zusammenhang mit der Bezeichnung „Visitenkarte“ erkannt – die richtig geknickte Karte stand für den in realiter absolvierten Besuch und sollte im Vor-Telefon- und Social-Media-Zeitalter vermeiden, dass der Besucher möglicherweise vor einem leeren Haus stand und unverrichteter Dinge zu einer nicht absehbaren Anzahl an Wiederholungen sich veranlasst sah. Nicht zuletzt wissen Personen mit Geschäftsbeziehungen in den asiatischen, insbesondere den chinesischen Raum, dass der Austausch des kleinen Pappkärtchens ungeahnte Möglichkeiten zur Blamage (oder auch zum Hinterlassen eines positiven Eindrucks!) bietet. Wer die Karte achtlos wegsteckt, spricht Missachtung sonder Maß aus – stilvoller Umgang erfordert es, die Karte mit beiden Händen entgegenzunehmen wie ein wertvolles Geschenk und für die Dauer der ersten Unterredung auch dort zu belassen. Ihr chinesischer Gegenpart wird derweil Ihre Karte studieren und überlegen, ob er anhand Ihres indizierten Status vielleicht besser seinen Boss holt oder die ganze Angelegenheit nach ein paar Worten der Höflichkeit an subalterne Personen überträgt, ob eine Fortsetzung des Kontakts für seine Seite Vorteile verspricht oder lediglich eine kleine Beute im Wettbewerb um die größte Strecke an Pappkärtchen darstellt – der Verfasser kennt aus seinen regelmäßigen Besuchen der Hallen 5 und 6 bei den jährlichen Buchmessen in Frankfurt diese Neigung der asiatischen Freunde durchaus und konnte manchen Abend chinesische Verlagsmitarbeiter beim demonstrativen Vorzählen der Jagdtrophäen erleben.

1.5 Die symbolische Kommunikation

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Lassen wir uns an dieser Stelle, als Zwischenfazit, die vier Erfolgsfaktoren der symbolischen Kommunikation durch den Kopf gehen: 1. Es werden Inhalte in eine leicht erfassbare, möglichst bildhafte und schnell einprägsame Form gebracht. 2. Die Symbole stehen dabei für den dargestellten Gegenstand bzw. Handlungsstrang und lassen damit die Präsenz des Gegenstands bzw. den Vollzug der Handlung zunächst einmal dahin gestellt. 3. Die Darstellung ist möglichst einzigartig, individuell, gut erkennbar und gewinnt aus der konkreten Situation ihre individuelle Botschaft. 4. Die Darstellung ist dennoch universell einsetzbar. Ein Beispiel zur vertiefenden Illustration: Als zur Olympiade 1972 in München viele Gäste aus den verschiedensten Ländern erwartet wurden, sollten sich diese in München ohne Sprachprobleme leicht und schnell zurecht finden können. Die daraufhin entwickelten Piktogramme zeigten Ein- und Ausgänge an (durch Pfeile, die in oder aus einem Kästchen weisen), Toiletten für Männer und Frauen (durch schematisierte Männer- und Frauendarstellungen in Form schwarzer Figuren), Kontrollpunkte, Verpflegungsgelegenheiten etc. (vgl. Heilig, 2008). Demgegenüber hätte eine verbale Beschreibung in deutscher Sprache gewisse Schwierigkeiten mit sich gebracht, z. B. der schweren Identifizierbarkeit für nichtdeutschsprachige Gäste oder aber der entsprechenden Zwangslage, geeignete Übersetzungen in verschiedenen gängigen Sprachen hinzuzufügen, mit dem entsprechenden Platzbedarf des Schildes. Das Gegenbeispiel: Wer häufiger in der Eisenbahn unterwegs ist, wird die verschiedenen Gebots- und Informationstafeln in deutscher, englischer und französischer (und in älteren Wagen auch teilweise noch italienischer) Sprache kennen, die auf den korrekten Gebrauch von Türverriegelungen, Feuerlöschern oder WCSpülungen hinweisen und im Bedarfsfall bedeutend aufwändiger zu entschlüsseln sind. Und wer darüber hinaus als russischer oder chinesischer Mitmensch nur kyrillische Buchstaben oder chinesische Schriftzeichen zu lesen vermag, hat sicher noch einige Probleme mehr. Dass Sprache in verbaler oder geschriebener Form auch eine Form von symbolischer Kommunikation ist (nämlich auf der Zusammensetzung bestimmter Laute basierend, die in ihrer Zusammensetzung einen bestimmten Inhalt gewinnen), sei weiter unten vertieft. Halten wir an dieser Stelle fest: symbolische Kommunikation dient zunächst einmal der schnellen Vermittlung eindeutiger Inhalte und damit der entsprechend raschen Orientierung. Verkehrsschilder – als Aufgriff des Beispiels von Kapitel 1.3 – leben davon, dass sie eindeutig sind und sozusagen im Vorübergehen oder -fahren entziffert werden können. Die europaweit normierten Verkehrszeichen wie z. B. Überholverbot, Geschwindigkeitsvorgaben, Warnungen vor Steinschlag und rutschiger Fahrbahn oder das Parkverbot sind hier als Beispiele anzuführen.

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

Von dieser Basis aus gewinnen auch andere Formen symbolischer Kommunikation ihre Bedeutung, wie z. B. Frack und langes Abendkleid. Für weite Bevölkerungskreise gelten sie als ein Symbol für die Teilnahme an festlichen Abendveranstaltungen und insbesondere als Zeichen der Bereitschaft, sich situationsadäquat zu verhalten, nämlich durch geeignete Manieren eine besondere Eleganz zu leben. Bei Tisch wird man folglich die vorhandenen Besteckteile in der erwünschten Reihenfolge von außen nach innen verwenden, in angemessenem Tempo essen, die bereit stehenden Gläser in gemessenem Tempo schrittweise leeren und schließlich beim Ertönen bestimmter Musik nicht den Tennisschläger, sondern das Tanzbein zu schwingen, und zwar in der Form, dass gewisse Takte auch gewisse Schrittfolgen wie z. B. Tango, Walzer oder Rumba nach sich ziehen. Wenn nunmehr in Stockholm jährlich diverse Nobelpreise in Anwesenheit des schwedischen Königs verliehen werden, so ist hierfür Vorschrift, dass die Geehrten Frack bzw. Abendkleid anlegen. Damit signalisieren sie ihre Bereitschaft, sich genau an diesen Formvorgaben auszurichten. Ein Nebenaspekt: solchermaßen Bekleidete können mit Sicherheit nicht ähnlich schnelle Bewegungen ausführen wie ein Sportler in seiner Sportbekleidung. Sie werden sich generell gemessener und gravitätischer bewegen und damit auch „festlicher“. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Provokation, die ein Grünen-Politiker namens Josef Fischer 1985 bei seiner Ernennung als hessischer Umweltminister ausübte, als er ohne Krawatte mit einem legeren Cord-Jakett und Turnschuhen den Amtseid ablegte (vgl. Haimerl, 2010) – üblich waren damals Anzug und Krawatte bei Herren und Kostüm oder zumindest ein ordentlicher Hosenanzug bei Damen, und mit lässiger Bekleidung konnte man die Amtssessel auch ebenso lässig erklimmen und damit den Eindruck einer möglicherweise nachlässigen Amtsführung erwecken. Gerade symbolisch aufgeladene Bekleidung soll auch dem Träger der Bekleidung selbst eine andere Bedeutung zuweisen. Sei es der Frackträger, der Pfarrer in seinem Talar, die Richterin oder die Anwältin in ihrer Robe. Sie alle werden an ihre Rolle erinnert, zu genau diesem Anlass bestimmte Verhaltensweisen an den Tag zu legen und andere zu vermeiden. Ähnlich auch der Helm für Bauarbeiter oder die Industriemechanikerin – er ist nicht allein materieller Schutz gegen herabfallende Gegenstände, sondern auch gleichzeitig eine stete Erinnerung des Trägers an die generellen Gefahren, die im Umfeld einer Baustelle oder einer Fabrikhalle auf unachtsame Zeitgenossen lauern. Andere Formen symbolischer Kommunikation betreffen Organisationen, die mittels bestimmter Symbole erkennbar werden bzw. ihre Organisationsmitglieder durch Symbole als Mitglieder ausweisen und damit zu bestimmten Handlungen ermächtigen. Polizeibeamte tragen als Symbol ihrer hoheitlichen Handlungs­ befugnis bestimmte Uniformen, mit den Insignien des dahinter stehenden Staates als Ausweis. Baden-Württemberg setzt ein gelbes Schild mit drei Hirschstangen ein, Bayern ein in 16 Rauten blau-weiß gefärbtes Feld, für Brandenburg steht der

1.5 Die symbolische Kommunikation

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rote Adler auf weißem Grund und für Niedersachsen ein weißes Ross auf rotem Grund. Auch einen Angehörigen der Schweizer Grenzpolizei oder der österreichischen Gendarmerie wird man schnell erkennen. Subtiler, aber ebenso deutlicher Ausweis hoheitlichen Handelns sind die Behördenstempel mit dem Wappen der betreffenden Körperschaft. Erst durch das Wappen in Verbindung mit dem Namen der Körperschaft wird aus einem bloßen Stempel das Dienstsiegel, das den ordnungsgemäßen Abschluss des hoheitlichen Handelns dokumentiert. Zudem verkörpern solche Symbole auch ein bestimmtes Selbstverständnis. Staatliche Wappen vereinen oftmals bestimmte farblich gestaltete Wappenschilde mit figürlichen und / oder abstrakten Darstellungen. So stehen Löwe und Adler für majestätischen Anspruch. Andere Figuren verweisen auf bestimmte Herkunftsquellen. Im Berliner Wappen prangt ein Berliner Bär, der der Fama nach am bewussten Ort gefangen und damit dem Ort seinen Namen gab, was übrigens auch für die Schweizer Hauptstadt Bern gelten soll. Im Staatswappen von BadenWürttemberg sieht man in der kleinen Ausführung drei schwarze Löwen mit roten Zungen, ein Rekurs auf die Staufer, die im Mittelalter die Herzöge Schwabens waren. In der so genannten Großen Ausführung halten Greif (für Baden) und Hirsch (für Württemberg) das kleine Wappenschild, das bekränzt ist mit sechs kleinen Wappendarstellungen früherer Landesteile, namentlich den fränkischen, hohenzollerischen, badischen, schwäbischen, kurpfälzischen und vorderösterreichischen Besitztümern. Die Landeswappen von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern oder Bayern weisen vergleichbare Zusammensetzungen auf, die auf die ursprünglichen Besitztümer rekurrieren. Schweizer, die das Wappen ihres Kantons kennen, werden ähnliches zu berichten wissen. So hat der Kanton Schwyz einen roten Wappenschild mit einem kleinen weißen Schweizerkreuz rechts oben, als Verweis auf die Tatsache, dass man zu den drei Gründungskantonen 1291 gehört. Auch der Kanton Neuenburg (bzw. französisch Neufchatel), erst 1848 in die Schweiz inkorporiert, führt – aus Betrachterseite – in seinem rechten roten Streifen ein kleines Schweizerkreuz, aber links einen grünen Streifen als Sinnbild für die Freiheit, die man mit dem Staatenwechsel von Preussen zur helvetischen Republik erhielt (vgl. Mühlemann, 1991). Und dass sich um die Wappen bzw. Fahnen der Republik Österreich und ihrer Bundesländer ähnliche Traditionen ranken, dürfte auf der Hand liegen. Die Dänen wiederum erzählen einem Nichtdänen mit Stolz, dass ihr „Danebrog“ die älteste Flagge der Welt ist und in der Begrifflichkeit auf eine Zusammensetzung aus Dane für Dänen und dem altdänischen Wort „Brog“ für Tuch oder Stoff beruht. In ihrer Symbolkraft hingegen geht sie auf das beginnende 13. Jahrhundert zurück, als die Dänen im Baltikum gegen heidnische Christen kämpften und dazu ein christliches Symbol installierten. Andere skandinavische Staaten, namentlich Norwegen, Schweden, Finnland und Island (und auch die schwedisch-sprachigen Aland-Inseln, in der Hoheit Finnlands, sowie die Faröer-Inseln, in dänischer Hoheit) übernahmen dann das Symbol des Kreuzes mit weiteren Landesfarben ebenfalls. Besonders interessant: Die isländische Fahne stellt eine Umkehrung

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

der norwegischen Fahne dar und damit einen Bezugspunkt zur Besiedlung v. a. durch Norweger her, auch wenn sich Island zwischen 1915 und 1944 die Unabhängigkeit von Dänemark erkämpfte. Fahnen, Wappen und ähnliche Darstellungen waren also schon seit jeher geeignet, bestimmte Informationen auszudrücken, Gemeinsamkeiten anzubieten und Abgrenzung bzw. eigene Identität zu kreieren. Sie ermöglichten den Beteiligten, sich bildhaft gesprochen um diese gemeinsame Fahne zu scharen und Träger einer anderen Fahne, eines anderen Wappens als „die anderen“ zu klassifizieren. Nun geht es nicht darum, hier einen Grundkurs in Heraldik und Flaggenkunde anzubieten. Interessant ist aber ein zentraler Punkt. Schon im Mittelalter, als die wenigsten Menschen des Lesens kundig waren, war es wichtig, einem Gegenüber über schnell erkennbare, deutliche Zeichen und Darstellungen eine Einordnung in das Schema „Freund / Feind“ oder auch in andere Sinnzusammenhänge zu ermöglichen. Die Kirchenmalerei des Mittelalters bis hinein in das Barock lebte davon, dass Menschen durch das Betrachten schnell die Zusammenhänge erfassten und im besten Sinne des Wortes „im Bilde waren“. Und dies gilt auch heute noch: Je eindeutiger, je leichter fassbar ein Bild bzw. ein Symbol oder eine sonstige grafische Darstellung ist, desto besser ist es für symbolische Kommunikation geeignet. Besonders gut abzulesen an der Kennzeichnung der U-Bahnstationen in Mexiko-Stadt, einem Ort mit einem hohen Anteil an Analphabeten. Dort haben die Bahnhöfe nicht nur individuelle Stationsnamen, sondern auch entsprechende individuelle Symbole. Die nach dem Revolutionär Emilio Zapata benannte Haltestelle weist demzufolge auch eine Bildmixtur aus Schnurrbart und Sombrero vor einem grünen Hintergrund auf, womit die Anspielungen auf die Kampfmontur eines bekannten Guerrillero und die mit einer Revolution verbundenen Hoffnung auf eine bessere Zukunft – in Grün – verbunden sind. Symbolische Kommunikation kann in bestimmten Verhaltensweisen zusammengefasst werden, wie man z. B. an den gesellschaftlichen Umgangsformen ablesen kann: • Bekleidung zu bestimmten Anlässen, • Begrüßung und Verabschiedung, • Gesten, mit denen man Höflichkeit gegenüber anderen vermittelt (z. B. wer lässt wen an engen Stellen vorgehen?) oder aber auch Rangfolgen ausdrückt (z. B. bestimmte Anreden), • der Gebrauch von bestimmten Besteckteilen zum Essen, von bestimmten Gläsern für den Konsum bestimmter Getränke (z. B. der Unterschied zwischen Bierund Weingläsern, der Unterschied zwischen Rot-, Weiß- und Portweingläsern, der Unterschied zwischen Pils- und Weißbiergläsern). Als Beispiel nehmen wir die Form der Begrüßung. Sie reicht von einem kurzen „Hallo“ über einen festen Händedruck sowie den Handkuss für Damen in Österreich oder Polen (sofern man „unter Dach“ ist, bei einer Begrüßung unter freiem

1.5 Die symbolische Kommunikation

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Himmel wird der wohlerzogene Austriake ein „Küss’ die Hand“ an Stelle der tatsächlichen Handlung entbieten), die Verbeugung bzw. der Hofknicks bei einer Begegnung mit Monarchen, eine Umarmung unter Freunden und geht hin bis zur Begrüßung mittels eines Kriegstanzes wie bei den Maori, den Ureinwohnern Neuseelands. Der früher, in den Jugendzeiten des Autors bei wohlerzogenen Knaben und Mädchen übliche Diener bzw. Knicks sollte an höfische Etikette erinnern und zum Ausdruck bringen, dass die Kinder gesellschaftlich rangniedriger stehen als Erwachsene, sie folglich in der Gegenwart der Eltern zu schweigen und möglichst brav und unauffällig zu bleiben hatten. Der Kriegstanz der Maori auf Neuseeland sollte testen, ob der Besucher friedlich kommt und die aggressive Geste stoisch über sich ergehen lässt oder aber feindlich gesinnt ist und den Kriegstanz ebenso aggressiv beantwortet. Selbstredend funktionieren diese Kodices nur, wenn sie bekannt sind. Sie weisen die Personen, die aktuell gepflegte Manieren beherrschen, als Insider aus, die die relevanten Codes des Zusammenlebens kennen. Sie signalisieren sich gegenseitig, dass man eingeweiht und damit dazugehörig ist. Dies geht bis hin zur Distinktion sozialer Schichten – wer die Verhaltensweisen der Oberschicht hinsichtlich Wortwahl, Begrüßung oder Bekleidung versteht, wird mühelos als gleichrangig akzeptiert. Wer dies nicht beherrscht, wird im besten Fall höflich-distanziert traktiert und bei nächster Gelegenheit ignoriert, im schlechtesten Fall mit Miss- oder gar Verachtung bestraft. Er oder sie gehört aber mit Sicherheit nicht dazu, was schon Pierre Bourdieu (1987) mit seinen „feinen Unterschieden“ beschrieb. Über bestimmte Verhaltensweisen, Geschmacksmuster, Understatement etc. konnten bestimmte soziale Gruppen zeigen, wer dazu gehört und wer eher ein Emporkömmling, ein „Neureicher“ oder ein wie auch immer gearteter „Nichtdazugehöriger“ ist – ihm fehlt einfach das entscheidende Etwas, das den Unterschied signalisierte und das man nur beherrschte, wenn man von Geburt an daran gewöhnt war, genau diese Verhaltensweisen zu zeigen. Für die Wirtschaft gewinnt symbolische Kommunikation daneben auch in der „Marke“ ihre Ausdruckskraft. Durch die einheitliche Gestaltung des Produkts kann der interessierte Käufer eine markierte Ware überall im Geschäftsverkehr von anderen, funktionell ähnlich verwendbaren Waren unterscheiden und ohne großen Prüfungsaufwand gezielt auswählen. Bestimmte Sprachweisen zeichnen bestimme Berufe und deren typische Verhaltensweisen aus, wie man am international standardisierten Habitus der Investment-Banker erkennt, die untereinander allem Anschein nach innerhalb von 15 Minuten kooperationsfähig sind (siehe auch Kieselbach und Neckel, 2020). Auch dieses ist noch zu vertiefen. Symbolische Kommunikation kann auch künstlerisch gesehen werden. Wenn Georg Baselitz seine deutschen Adler kopfüber hinab stürzen lässt, ist hiermit sicher auch eine symbolische Auseinandersetzung mit einer wie auch immer vom Künstler verstandenen Symbolik des Adlers als deutschem Wappentier verbunden. Dies lässt sich beliebig auf die vielfältigsten Kunstformen übertragen, die Ikonografie der orthodoxen Kirchen (nicht nur eine verehrende Darstellung der Heiligen, sondern auch die Fähigkeit des Künstlers, sich so in den Dienst der Sache zu stel-

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

len, dass die herausragende Stellung der Heiligen in seinen Werken zum Ausdruck kommt) ebenso wie die Filmproduktionen diverser Denkschulen. Nach den Flugzeug-Attentaten vom 11. September 2001 produzierte Hollywood vermehrt Filme, in denen der Umgang mit Katastrophen und deren Bewältigung dank bestimmter Werte wie familiärem Zusammenhalt und positiver Weltsicht zum Tragen kam – hier wurden ebenso Symbole geliefert wie in den Filmen der dänischen DogmaGruppe oder in den französischen Filmen der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts, als urfranzösischer Ausdruck von Lebensphilosophien und damit als Kontrapunkt zu nordamerikanischen Produktionen. Die so genannte „Neue Welle“ (frz. „nouvelle vague“) setzte auf eine umfassende Gestaltung durch den Autor bzw. Regisseur, der so seine individuelle Handschrift durch die gesamte Filmgestaltung ziehen konnte, und sich damit von der sehr arbeits- und verantwortungsteiligen Hollywood-Produktion distanzierte (siehe hierzu z. B. Frisch, 2005) Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen und findet auch in hierarchischen Organisationen ihren Niederschlag. Uniformen sind symbolisch, denn sie bedeuten die Unterordnung des individuellen Uniformträgers unter den Willen der Gemeinschaft, die in der Uniform zum Tragen kommt und für bestimmte Werte steht. Die Dienstkleidung im Einzelhandel und im Dienstleistungsgewerbe kommuniziert das leistungsbereite Unternehmen, im Dienst am Kunden. Polizei und Rettungsdienste verdeutlichen die Einsatzbereitschaft für den Staat und seine Ordnung bzw. für den Dienst am hilfebedürftigen Menschen. Die Zahl der Fenster im Büro, die Ausstattung des Bürodrehstuhls (mit oder ohne Armlehnen, mit oder ohne Kopfstütze), die Größe und die Motorisierung des Dienstwagens sind in vielen Unternehmen gemäß einer bestimmten Hierarchieebene festgelegt. Bei den Indianern konnte die Zahl der Federn im Kopfschmuck oder am Speer vor dem Tipi auf den Rang des jeweiligen Gegenübers schließen lassen. Sogar Comic-Strips bedienen sich einer bestimmten Symbolik. In Walt-DisneyProduktionen wie „Susi und Strolch“ wird z. B. eine Familie aus Hunden dargestellt, und es bedarf nur ein klein wenig Phantasie, den Vater von der Mutter zu unterscheiden und die männlichen Welpen von den weiblichen. Erstere sind eher grau, draufgängerisch und vom Typ Schnauzer (sprich: robust, etwas zottelig, wenn auch gepflegt), letztere vom Typ Dalmatiner, also elegant, schlank, weiß, fast schon engelhaft und gerne mit einer Schleife im Haar. Wie ein Hund sich mit seinen Pfoten diesen Kopfschmuck in sein Haar flechten kann, wird wohl immer das Geheimnis der US-amerikanischen Zeichner bleiben, kann aber an dieser Stelle außen vor bleiben. Die Symbolik ist das Wesentliche, sie muss verkürzen und auf das Wesentliche verweisen. Hierbei ist es nicht die Frage, wie eine Schleife gebunden wird, sondern die Tatsache, wie Männlein und Weiblein voneinander unterschieden werden können, ohne explizit auf biologisch auffällige Merkmale (sprich „primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale“) hinweisen zu müssen, die wiederum in Nordamerika eine andere Aufladung, einen anderen Sinngehalt besitzen und deshalb vorzugsweise nicht gezeigt werden, vor allem dann nicht, wenn der Konsument derartiger Symbolik minderjährig sein könnte.

1.6 Die Träger der Kommunikation

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Wichtig ist dabei, dass die Symbole für jeden Betrachter leicht zu entschlüsseln sind, am besten intuitiv. Wer den Bedeutungsinhalt eines Symbols nicht entziffern kann, wird möglicherweise schnell Probleme bekommen, denn Symbole sind für den Absender der symbolischen Kommunikation von besonderer Wichtigkeit – schließlich hat er in die Symbolik einen besonderen Wert gelegt (oder über besondere Bemühungen um diesen Gegenstand dem Gegenstand einen höheren, symbolischen Wert eingegeben). Wer den Baum des Nachbarn ohne Rücksprache einfach stutzt, wird schnell feststellen, dass sich der Nachbar mit dem Baum womöglich persönlich angegriffen, weil gestutzt fühlt. Und das gilt analog für die persönlichen Kaffeetassen im Büro – wer aus Versehen oder auch mit Bedacht sich die Lieblingstasse des Controllers aus dem Schrank nimmt, hat ab sofort einen Verbündeten weniger in der Firma. Was den Verdacht nahe legt, dass Symbole umso schneller zu Konflikten führen können, je enger der Kreis ist, der die Symbole kennt und je größer der Kreis der Nichtwissenden ist, und damit der potenziellen „Symbol-Missachter“. In der Weltliteratur hat dies z. B. mit dem Gessler-Hut in Schillers Wilhelm Tell einen sehr starken Widerhall gefunden, den noch heute viele aus ihren Deutschstunden kennen und der nach wie vor in der deutschsprachigen Schweiz eine sehr starke Redewendung fundamentiert. Zusammenfassend halten wir fest: • Symbolische Kommunikation stützt sich auf einprägsame Signale. • Diese Signale sind auf wesentliche Elemente verkürzt, um sie leichter inter­ pretierbar zu halten. • Die sichere Interpretation erfordert aber eine Vertrautheit mit den Symbolen, zumindest aber eine hohe Selbsterklärungskraft. Soweit zu den Grundlagen der Kommunikation als solcher. Im nächsten Schritt widmen wir uns der Frage, was als Träger der Kommunikation dient.

1.6 Die Träger der Kommunikation 1.6.1 Symbolsysteme als Basis der Kommunikation Kommunikation beruht auf Zeichen- und Symbolsystemen für Kommunikation. Nur durch die Übermittlung von Inhalten, durch Symbole (Bilder, Worte / ​ Schrift, …) und deren gleichgerichteter Entschlüsselung können Kommunikationsinhalte überhaupt ausgetauscht werden. In dieser Sichtweise ist Kommunikation stets symbolische Kommunikation, und die von uns so definierte „symbolische Kommunikation“ über prägnante Zeichen nur eine besonders ausdifferenzierte Form der Kommunikation.

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

Die Übermittlung der Zeichen kann dabei erfolgen in Form von • akustischen Signalen (verbal: mündliche Sprache; Tonzeichen, auf Träger­ medien aufgezeichnete akustische Elemente wie Musik, gesprochene Sprache etc.), • Signalen der Körpersprache: Gestik und Mimik, derer sich auch die Zeichensprache der Hör- und Sprachgestörten bedient, • schriftlichen Signalen, also optisch gestalteten Aufzeichnungen auf Träger­ medien (Papier, Metall- und Kunststofftafeln, digitale Trägermedien). Je nach verfügbaren Medien und den erkennbaren Möglichkeiten der Beteiligten, die übermittelten Zeichen zu deuten, wird eine Zusammenstellung aus diesen Formen gewählt. Diese muss aber bestimmten Regeln folgen, die die Grammatik als Lehre über den korrekten Gebrauch von Symbolen ebenso umfassen wie die Berücksichtigung der Umgebung, sprich der Mitmenschen. In der Art, wie man sich an Höher- oder Niedriggestellte oder auch an ausländische Mitmenschen – als Synonym für alle Menschen, die in einer anderen Gesellschaft als der unsrigen aufgewachsen sind und demzufolge unsere Kommunikationsregeln nicht oder nur ungenügend kennen – wendet, bilden sich Regeln für den korrekten Umgang miteinander um. Ein Fahrgast in der Eisenbahn, der seine Schuhe auf die gegenüber befindliche Sitzbank ablegt, zeigt auf, dass er sich der Symbolik Sitzbank nicht angemessen nähert. Es ist in unserer Gesellschaft Konvention, dass eine Sitzbank für viele Körperteile als Ablage dienen mag, aber nicht für beschuhte Füße oder gar ausgezogene Schuhe oder gebrauchte Socken. Entsprechend signalisiert dieser Mensch seiner Umgebung, dass er sich nicht an die gesellschaftlichen Regeln halten möchte. Der Hintergrund: der beschmutzte Fuß bzw. seine Hülle in Gestalt des Schuhwerks gilt als unrein und strahlt eine entsprechende Symbolik aus, was folglich von der gesellschaftlichen Umgebung kommunikativ gedeutet wird – er wendet sich bewusst gegen unsere Regeln und missachtet die Erfordernis des konfliktarmen Miteinanders, der Rücksichtnahme. Über die Beachtung oder Nichtbeachtung solcher Regeln zeigen die Mitglieder der Gesellschaft, dass sie sich in die Gesellschaft einfügen bzw. nicht einfügen wollen und treten damit in Kommunikation ein. Anders formuliert: In diesen Regeln gestalten wir „Kommunikative Formen des Mit-, Für- oder Gegeneinanders“. Die Beachtung wie auch die Missachtung der Kodices führt auf jedem Fall zu einem kommunikativen Feedback, auch als Sanktion bezeichnet. Ein Beachten der Regeln führt üblicherweise dazu, dass der neu hinzukommende Mensch eine positive Sanktion in Form von Anerkennung und Aufnahme in die Gemeinschaft erfährt. Bei einem Abweichen von den Regeln kann die Gesellschaft den Delinquenten negativ sanktionieren durch Zurechtweisung oder gar Ausschluss. Sie kann den Abweichler aber auch als „unkundig“ definieren, was insbesondere bei Menschen aus anderen Kulturkreisen der Fall sein wird. Hier kann man auch an positive Sanktionen denken („der weiß das nicht, dem helfe ich jetzt / dem sehe ich

1.6 Die Träger der Kommunikation

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das nach“), ebenso wie man negative Sanktionen einzusetzen vermag, die auch von Zurechtweisung bis hin zum Ausschluss reichen. Letztlich lebt jede Gesellschaft und jede gesellschaftliche Gruppe davon, dass sie die in ihr geltenden Regeln beherrscht und in der Kommunikation als Ausweis der Zugehörigkeit anwendet. Diese Regeln sind kulturell und geschichtlich vorgegeben. Als Beispiel gilt das „gute Benehmen“ in Mitteleuropa, das sich aus den höfischen Umgangsformen des Mittelalters entwickelt hat und in der Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts verfeinert wurde. Der Spiegelsaal im Schloss von Versailles war nicht nur ein dekadentes Symbol von hochherrschaftlichem Vermögen. Er war auch dazu gedacht, dass die anwesenden Personen bei gesellschaftlichen Ereignissen jederzeit im Spiegel ihr eigenes Auftreten kontrollieren konnten, die angemessene Form der Bewegung wie auch der korrekte Sitz der Bekleidung. Als entsprechende Ableitung übernahmen Adelige und Bürgerliche gleichermaßen, einen mehr oder weniger großen Spiegel zu installieren. Und so gilt auch heute noch, dass kultivierte Haushalte im Ankleidebereich (z. B. auf der Innen- oder Außenseite eines Kleiderschranks), zumindest aber im Badezimmer und im Ausgangsbereich der Wohnung einen Spiegel anbringen, um die eigene Äußerlichkeit auf korrekte Erscheinung zu überprüfen. Und so manche Dame hat auch in den Tiefen ihrer Handtasche einen kleinen Spiegel versteckt, um das Äußere regelmäßig zu evaluieren. Ebenso kam erst am Hof von Versailles der gleichzeitige Gebrauch von Messer und Gabel mit zwei Händen auf und löste das beherzte Ergreifen von Hähnchenkeulen, Gemüse und Lendchen mit den blanken Fingern ab. Ganz nebenbei wurden die dabei vereinnahmten Portionen zierlicher und eleganter dem Verzehr zugeführt, so dass sich eine regelrechte Esskultur ausprägte. Und so gilt in vielen bildungsbürgerlichen Häusern noch heute, dass ein angemessener Gebrauch des Essbestecks ein Kernelement guter Manieren darstellt. Wenngleich es durchaus interkulturelle Unterschiede sogar in Europa gibt. Wer bei Briten zu Tisch sitzt, ist gut beraten, die Gabel immer mit den Zinken nach unten zu halten. Eine aufwärts gerichtete Haltung wäre „too offensive“, mithin eine Bedrohung der Tischnachbarn. Was übrigens wiederum zu wahren Akrobatischen Übungen beim Verzehr der in Großbritannien sehr beliebten Erbsen führt – man steche mit der Gabel in drei bis vier Exemplare und erhält somit eine Art improvisierten Löffel, der dann weitere Erbsen aufnehmen kann, in schöner geometrischer Reihung „erst drei, dann zwei, dann eine“. So kann man stundenlang Erbsen zählen und verspeisen … Andere Gesellschaften haben hier andere Entwicklungsmuster – wenn US-Amerikaner beim Essen nur die rechte Hand einsetzen, wird dies gern mit den Erfordernissen des Wilden Westens begründet. Dort war es wohl überlebenswichtig, dass die zweite Hand am Colt ruhte, um notfalls unverzüglich Feinde abwehren zu können. Interessanterweise können US-Amerikaner den in Europa üblichen gleichzeitigen Gebrauch von Messer und Gabel auch nicht immer als Zeichen guter Manieren werten, sondern eher als Ausdruck von ungezügelter Gier und damit schlechtem Benehmen. Allem Anschein nach war in Nordamerika das Überleben eher vom schnellen Griff zur Waffe als vom korrekten Gebrauch zweier Besteck-

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

teile abhängig und mag auch erklären, warum der US-amerikanische Wähler Personen in hohe Ämter hebt, die in Europa vielleicht als Propagandisten an zweitklassigen Badestränden eine Chance hätten. Die Regeln des kommunikativen Miteinanders werden im Sozialisationsprozess vermittelt und gelernt. Kinder übernehmen sie von ihren Eltern und weiteren Erziehern (auch „signifikante Andere“ in der Diktion nach George Herbert Mead genannt), die diese Regeln immer wieder bestätigen müssen, da sie andernfalls in Vergessenheit geraten oder abgeändert werden. Die Tatsache der langhaa­r igen Männer in der so genannten 68er-Generation ist ein Beleg hierfür. Für ihre Elterngeneration galt, dass Männer als Ausweis der Haarpflege und der Unterordnung unter gemeinschaftliche Vorstellungen ihre Haare kurz zu tragen hatten. Die – bildhaft gesprochen – üppigen Haarmatten vieler Achtundsechziger waren damit eine Provokation, mit der gegen „überkommene“ Vorstellungen protestiert werden sollte. Die abschätzige Bemerkung vom „Gammler“ oder gar „langhaarigen Bombenlegern“ war die natürliche Folge bei konservativ geprägten Mitmenschen. Ähnliches galt für die Bekleidung, statt strenger dunkelfarbiger Anzüge bzw. schwarz-weiß gehaltener Kostüme wurden poppige Muster und Farbkombinationen gewählt. Offene Hemden und Jacken lösten Krawatte oder Fliege ab und waren gleichzeitig Abgrenzung zu der Elterngeneration und Protest gegen überkommene gesellschaftliche Moralvorstellungen. Langhaarige Hippies mit offenem Hemd und Schlaghosen in einem grell verzierten VW Bulli gelten noch heute als Sinnbild dieser Generation. Die Provokation führte dazu, dass Männer zu Beginn des 21. Jahrhunderts inzwischen ihre Haare unbeanstandet länger wachsen lassen dürfen, so wie es übrigens auch schon in der höfischen Gesellschaft der Renaissance und des Barock üblich war. Dass nur eine Minderheit allem Augenschein nach dieses Recht auch tatsächlich nutzt, steht auf einem anderen Blatt – Provokationen sind vermutlich nur so lange interessant, wie sie provozieren. Als Normalfall hingegen verlieren sie schnell ihre Funktion und damit ihren Reiz. Wenn Eltern zwischen 45 und 55 Lebensjahren die gleiche jugendliche Mode wie ihre pubertierenden Kinder tragen, um als jung zu gelten, werden folglich andere Mittel und Methoden der Abgrenzung gewählt, z. B. ein bestimmter Musikgeschmack oder Sprachgebrauch. Ein Beispiel hierfür: Was in der X- und Y-Generation noch als „nett“ bezeichnet wurde, bekommt von der aktuellen Jugendgeneration ein „nice“ als Etikett, ein „sehr lustig“ geht bei der aktuellen Jugend in der schriftlichen Kommunikation mit „lol“ durch, dem Akronym für „laugh out loud“. An den Beispielen der Haare, der Bekleidungsmode oder auch der Sprache wird erkennbar, dass Regeln dynamisch sind und damit auch immer einer gewissen Mode unterworfen. Dies geschieht oft im Hinblick auf neue gesellschaftliche Verhaltensweisen oder auch aufgrund technischer Entwicklungen. Die „Netiquette“ gilt als gutes Beispiel für die Weiterentwicklung von Kommunikationsregeln für die Anwendungen im E-Mail-Verkehr und besagt z. B. wie die Anrede in einer

1.6 Die Träger der Kommunikation

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­E-Mail erfolgen soll oder wer alles als Empfänger auf „Cc“ gesetzt werden sollte, und wer nicht. Ein „Sehr geehrter Herr Professor“ sucht man in den E-Mails seit Jahren vergeblich, eher sieht man sich mit „Hallo Herr XY“ konfrontiert oder gar ganz ohne Anrede adressiert. Und man darf sich auch nicht mehr wundern, wenn Studierende die entsprechenden Mails am zweiten Weihnachtsfeiertag absenden, in der Erwartung einer Antwort binnen 24 Stunden oder die Mail nur mit ihrem Vornamen unterzeichnen. Wer sich dann hier an die althergebrachten Regeln der förmlichen Kommunikation halten will, kann sich den Nachnamen in der Mail­ adresse suchen, wird dort aber zwischen [email protected] und haenselund­ [email protected] auch nicht mehr immer fündig. Die Instagram-Influencer sind allem Anschein nach wirkmächtigere signifikante andere, als alle Respektspersonen von Amt und Ansehen zusammen. In summa gesehen bestimmen die Regeln der Kommunikation die Pläne der einzelnen Gesellschaftsmitglieder, in dem sie einem Individuum Verhaltensweisen für die Kontaktaufnahme und die Antworten aufzeigen und Hilfen zur verständlichen Selbstdarstellung oder auch Ansatzpunkte für bewusste Abgrenzung geben. Sie bestimmen damit auch Fremderwartungen vor (wie wird der Gegenüber mit mir Kontakt aufnehmen? Etc.) und Verständigungsmöglichkeiten. Damit wird die Kontaktaufnahme erleichtert, wenn nicht sogar überhaupt erst ermöglicht, oder auch im ungünstigsten Fall verhindert. Kommunikation ohne dazu gehörige Regeln ist damit schlechterdings kaum denkbar.

1.6.2 Die Sprache als spezifisches Kommunikationsmittel Sprache wird gemeinhin als ein Vorrat an Zeichen angesehen, den eine Gemeinschaft miteinander teilt. Weiter oben wurde bereits auf die Bedeutung der Sprache für die Gemeinschaftsbildung verwiesen. Mitglieder der Gemeinschaft müssen in der Lage sein, die jeweils gebrauchte Sprache situationsgerecht einzusetzen, um Inhalte auszutauschen und sich in ihrem Verhalten abzustimmen. Für die Bildung der deutschen Kulturgemeinschaft war die Entwicklung der hochdeutschen Sprache und deren Verbreitung im gemeinen Volk von eminenter Bedeutung. Sie erlaubte es, Bildung auf die gesamte Bevölkerung zu verteilen und darüber auch einen einheitlichen Wertekanon zu vermitteln. Diese Entwicklung wurde durch die Übersetzung der Bibel vom Lateinischen bzw. Griechischen in die deutsche Hochsprache durch Martin Luther zu Beginn des 16. Jahrhunderts angestoßen. Die Blüte des deutschsprachigen Schriftstellertums im 18. und 19. Jahrhundert und deren breite Rezeption trieb diese Entwicklung nochmals entscheidend voran. Sie ermöglichte es, über die Vielfalt von mehr als 30 deutschen Staaten hinweg ein Gemeinschaftsbewusstsein auf der Basis gemeinsamer kultureller Normen zu entwickeln. Das Stichwort von Deutschland als Kulturnation gewinnt hier seine Berechtigung. Auch heute pflegen Staaten wie Frankreich über ein Sprachwächtergremium (z. B. die „Academie Française“) die Einheitlichkeit und Aktualität

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

der Sprache, weil sie die essentielle Bedeutung für den kulturellen Zusammenhalt einer Gemeinschaft hat und damit für die Kommunikationsfähigkeit der Mitglieder untereinander. Nicht zuletzt Staaten mit einer multikulturellen Zusammensetzung haben vor diesem Hintergrund im Rahmen ihrer Staaten- bzw. Nationenbildung versucht, möglichst alle Bürger auf eine einheitliche Sprache zu verpflichten. Beispielsweise sei auf die Versuche verwiesen, die das Königreich Ungarn zwischen dem ausgehenden 18. und der Mitte des 19. Jahrhunderts unternahm, um die dort wohnenden Untertanen ukrainischer, italienischer, slowenischer und kroatischer Zunge auf eine einheitliche Sprache, nämlich ungarisch umzugewöhnen und damit gleichzeitig auch die ungeliebte Staats- und Verwaltungssprache des Kaiserreichs Österreich-Ungarns abzuschütteln (vgl. Haarmann, 2020). Die Erfolge hielten sich anscheinend in engen Grenzen und waren spätestens mit den neu gezogenen Grenzen anno 1919 hinfällig. Von daher darf man gespannt bleiben, in welcher Form neuzeitliche Ansätze hier mehr Erfolg haben – so sanktioniert die Slowakei einen zu intensiven Gebrauch des Ungarischen (vgl. o. V., 2009). Wenn auf der anderen Seite in letzten Viertel des 20. Jahrhunderts in Deutschland eine verstärkte Hinwendung zur Pflege von Dialekten zu beobachten ist (vgl. Faulstich, 2004, S. 125), so bedeutete dies nicht zuletzt auch eine stärkere Fokussierung auf regionale Kulturgemeinschaften. Der Autor selbst sah dies auch im Schweizer Fernsehen – in den 70er Jahren bemühten sich Ansager und Moderatoren noch um gute Verständlichkeit in hochdeutscher Sprache, spätestens Ende der 80er Jahre hingegen wurde eine schweizerdeutsche Artikulation wieder entdeckt und ggf. bei länderübergreifenden Sendungen im Fernsehkanal 3sat mit schriftdeutschen Untertiteln unterlegt. Dies mag verschiedene Ursachen haben und auch einem berechtigten Interesse dienen. Allerdings bedarf es auch nicht allzu großer Phantasie, um die Problematik zu erkennen, die sich dahinter verbirgt. Wer nicht in der Lage ist, vom Dialekt auf die Ebene der weiter verbreiteten Hochsprache zu wechseln, wird letztendlich auch in seiner Mobilität auf die Region verwiesen, in der sein Idiom gesprochen wird. Zur Spezifik der Sprache zählt des Weiteren die Fähigkeit, mit ihr über Handlungen und Ereignisse nachzudenken, ohne gleich instinktive Handlungen bei einem anderen auszulösen. Sprache erlaubt, sowohl hypothetisch Zukunft zu durchdenken und Fragen à la „Was wäre, wenn …?“ zu stellen, als auch Vergangenheit nochmals darzustellen und zu analysieren, ohne deswegen gleich den gesamten Handlungsvollzug wiederholen zu müssen. Sprachgestützte Verstän­digung unterscheidet damit den Menschen von der Tier- und Pflanzenwelt, die nach derzeitigem Erkenntnisstand sich nur über gegenwärtige Situationen austauschen. Sprache erlaubt damit nicht nur Planung von zukünftigen Handlungen. Sie erlaubt auch eine vertiefende Informationsvermittlung und eine Weiterentwicklung von Gedanken. Außerdem erlaubt Sprache durch Niederlegung in Form von Schriftzeichen auch Dokumentation. Schrift als geschriebene Sprache übermittelt Inhalte abgetrennt

1.6 Die Träger der Kommunikation

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vom Erzeuger des Inhalts, sie symbolisiert gleichsam die Gegenwart des Inhaltelieferanten. Schrift bedarf aber auch der Vertrautheit mit der Sprache, die über die jeweilige Schrift dargestellt wird. Verliert die Weltengemeinschaft eine Sprache, kann sich nicht mehr auf die in dieser Sprache schriftlich fixierten Inhalte zurückgreifen. Damit gehen die vielfältigsten Informationen und Erfahrungen verloren. Damit gilt nolens volens auch der Umkehrschluss: Schrift setzt Sprache voraus! Denn wie soll etwas dokumentiert werden, wenn der dafür erforderliche Träger der Dokumentation fehlt? Nun gibt es aber eine Vielzahl an verschiedenen Schriften. Grob lassen sie sich in vier Gruppen einteilen (siehe auch Haarmann, 1998), nämlich: • die Ideen-Schriften (z. B. die Höhlenmalereien der Vorzeit), • die Bild-Schriften, die wie z. B. die chinesischen Schriftzeichen komplexe Bilddarstellungen vornehmen und darüber Inhalte ausdrücken, • die Segmental- und Silben-Schriften, • die Buchstaben-Schriften. Entsprechend ihrem jeweiligen Charakter unterscheiden sie sich hinsichtlich des Umfangs und der damit einhergehenden Variabilität sowie der damit verbundenen Deutung. Eine Schrift, die sich aus relativ wenig Zeichen, die aber untereinander zu vielfältigen Kombinationen zusammensetzbar ist, besitzt eine hohe Variabilität. Sie erleichtert prima vista das Lernen, da nur wenige Symbole bzw. Bedeutungsträger (vulgo: „Buchstaben“) beherrscht werden müssen. Allerdings erfordern sie eine hohe intellektuelle Auseinandersetzung, um die Vielfalt der möglichen Buchstabenkombinationen zu entschlüsseln. Eine bildhafte Sprache, wie sie typischerweise in den Ideenschriften und Bildschriften zu finden ist, ist in der Gestaltung der verwendeten Symbole sehr vielfältig, wobei die Symbole möglichst selbst erklärend sein sollen. Das Symbol für einen Mann stellt als Beispiel in der chinesischen und japanischen Schrift einen skizzierten Menschen dar, der ein Schwert zieht. Und so besitzt jeder Lebensumstand seine eigene Symbolik. Allerdings erfordert diese Vielfalt auch eine lange Beschäftigung mit dem gesamten Umfang. Man geht davon aus, dass chinesische Schüler erst mit Abschluss der Schulzeit in der Lage sind, den Grundstamm von ca. 3–4.000 Zeichen zu beherrschen, der in normalen akademischen Abhandlungen vorkommt, bei ca. 50.000 Zeichen oder vielleicht auch mehr (vgl. o. V., o. J.). Hier sind Buchstabenschriften im Vergleich einfacher zu erwerben, was sich auch die koreanische Schrift („Hangeul“ in Südkorea genannt, in Nordkorea „Chosŏn’gŭl“) zu eigen gemacht hat, in Abwendung von den chinesischen und japanischen Kanji der umgebenden Völker. Sie basiert übrigens auf 14 Konsonanten und 10 Vokalen. Die nachfolgende Abbildung 1-8 schematisiert diese Überlegungen:

Höhlen-Malereien der Vorzeit Weiterentwicklungen u. a. in der Kirchen­malerei der Barock­kirchen, Historien­ malerei / bildhafte Darstellung wichtiger Persönlich­ keiten, Ikonografie der orthodoxen Kirchen Hieroglyphen in ihrer Er­ weiterung

Nicht definierbar

Aus der Darstellung der Umgebung, erfordert damit Vertrautheit mit den dargestellten Sachverhalten („im Bilde sein“), z. B. Jäger als Mann mit Speer, Paulus-Darstellung als Mann mit Schwert, Petrus-Darstellung als Mann mit Schlüssel

Gering in der Darstellung per se, nur in der Kombination entsprechend variabel

Erscheinungs­ formen / Beispiele

Umfang

Aufbau und Ausdeutung

Variabilität

Per se gering, da prima vista eindeutig, aber in der Kombination sehr variabel

Darstellung von Lebens­ umständen, mit Reduktion auf wesentliche Elemente, entsprechende Einheiten müssen gelernt werden

Chin. Schrift ist sehr umfangreich: vermutlich über 30.000 Zeichen

Chinesische Schriftarten, japanische Kanji-Schrift (Beispiel: chin. 文字, wénzì „Schrift“ = ein Mann, der Linien zieht) oder als Piktografie (z. B. international übliche Bildzeichen in Flughäfen, Sport­ stätten und Bahn­höfen) Hieroglyphen in ihrer Grundform

Bild-Schrift

Differiert in Abhängigkeit vom Aufbau, in der Regel sehr hoch

Sinneinheiten, die zusammengestellt werden und in ihrer Kombination Aussagekraft entwickeln, Interpretation entsprechend dem Aufbau, wobei auch Negationen möglich sind („kein A“)

Kann im Umfang variieren, ca. 20–80 Schriftzeichen

Z. B. bei indischen oder indianischen Schriften, auch die japanische Haragana- und KitakanaSchriften Keilschriften Stenografie kann als Derivat angesehen werden

Segmental und Silben-Schriften

Abb. 1-8: Schriften-Typologie als Formen symbolischer Kommunikation

Quelle: eigene Erstellung, in Anlehnung an Haarmann, 1998

Ideen-Schrift

Schriften-Art

Sehr hoch

Signifikante Symbole, die in ihrer Zusammensetzung ihren Sinngehalt entwickeln, erfordert entsprechende Entschlüsselung, oft unter Zuhilfenahme der Sinnumgebung, erfordert entsprechende intellektuelle Beweglichkeit

Abhängig vom Alphabet, im deut­schen Sprachraum 27– 28 Zeichen (ohne / mit „ß“)

Lateinische, kyril­lische, arabische, hebräische Buch­ staben

Buchstaben-Schrift

48 1. Die Grundlagen der Kommunikation

1.6 Die Träger der Kommunikation

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Jede dieser Schriftarten besitzt ihre eigenen Vor- und Nachteile. Ihre Darstellungsweisen beeinflussen auch die Entwicklung der dahinter stehenden Sprache, da die Ausdrucksfähigkeit in geschriebener Sprache auch Auswirkungen darauf hat, was in der gesprochenen Sprache verwendet wird (siehe auch Coulmas, 2015, S. 9 ff.). Zudem ist ein Schnittstellenproblem zu sehen. Die Übersetzung von einem Schriftenbereich in einen anderen führt unweigerlich zur Inhaltsveränderung, da nicht alle Aussagen ein Gegenstück in anderen Schriften besitzen. Als Beispiel dient die Markenbezeichnung „Mercedes-Benz“, die in allen Bereichen mit Buchstabenschriften gleich belassen wird und höchstens etwas anders ausgesprochen wird. In den USA kann der Autor daher stolz auf seinen „Mörcidis“ verweisen, und alle Zuhörer wissen um die Provenienz des Gefährts. Hingegen musste die Daimler-Benz AG bei ihrem Markteintritt in China über eine sinnvolle Übertragung nachdenken. Sie verfiel auf „Ben-Shi“, was zum einen an den Namensbestandteil „Benz“ erinnert, andererseits aber auch eine Anspielung auf die Kernkompetenzen der Marke bedeutet. Ben-Shi wird direkt mit „schnell und sicher“ übersetzt und formt damit ein Bild, das dem Selbstverständnis des Herstellers ein passendes Bild verleiht. Besser kann kulturraumübergreifendes Marketing kaum funktionieren. Abschließend sei darauf verwiesen, dass Sprache immer einer gewissen Dynamik unterworfen war und wohl auch in Zukunft sein wird. Wenn durch die Übersetzung der Bibel durch Martin Luther das im 16. Jahrhundert übliche Deutsch in Mitteldeutschland die Basis für die standardisierte Schrift- und Hochsprache war, so kam spätestens im 17. Jahrhundert der Gebrauch des Französischen in der höheren Gesellschaft in Mode. Man ahmte die Sitten am Hof von Versailles nach, und konnte nebenbei damit auch eine gemeinsame Basis für diplomatischen Austausch legen, die Geburtsstunde des Französischen als Sprache der Diplomaten. Im 20. Jahrhundert hingegen bildeten die Vereinigten Staaten von Amerika in vielerlei Hinsicht den kulturellen Bezugspunkt, sowohl im Wirtschaftsleben als auch in der Kulturlandschaft. So setzten sich viele Anglizismen im deutschen Sprachraum durch. Und nicht nur dort – die Bezeichnung „Salary man“ für Büroangestellte findet auch im Japanischen mit „sarari man“, und im Russischen findet der Geschäftsmann als „бизнесме́ н“, also als „Businessmen“ seine Entsprechung. Der Einfluss türkischer Migration kommt inzwischen in der so genannten „Kiezsprache“ (Wiese, 2011) zum Tragen. Als Beispiel: mit der Formulierung „Bring mich Bahnhof“ wird eine Transportleistung erbeten, entsprechend der im Türkischen üblichen Grammatik. Und wenn Donald Trumps bevorzugte Kommunikationsform der Kurznachrichtendienst Twitter ist, so wird auch hier inzwischen ein Einfluss auf die Gestaltung der zwischenstaatlichen Kommunikation gesehen (vgl. Manor, 2020, S. 14 ff.). Allerdings kann man bei der interkulturellen Dynamik der Sprachentwicklung durchaus auch von der ursprünglichen Denotation eines Wortes abweichen, was

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man unter anderem in der etwas unreflektierten Übernahme von zumeist eng­ lischen Fremdwörtern in die deutsche Sprache abliest: • Ein Bonusprogramm für den Einzelhandel namens „Payback“ wird bei Briten ebenso Stirnerunzeln verursachen wie der Hinweis, man freue sich auf ein „public viewing“, ersteres ist der Ausdruck für Rache („I gave him  a payback“), zweiteres die öffentliche Aufbahrung von mehr oder weniger prominenten Persönlichkeiten. • Auch ein „Handy“ wird für gewisses Staunen sorgen, denn ein „handy man“ ist der Ausdruck für einen attraktiven jungen Herrn und nicht für eine Servicekraft, die sich um Mobiltelefone bemüht, das wären „mobiles“ oder „cels“ bzw. „celulars“. • Und nicht zuletzt wundern sich viele Briten immer noch über den Werbespruch „come in and find out“ – das würde man eher bei einem Labyrinth als Werbespruch vermuten als bei einer Parfümeriekette, es sei denn, dass man will, dass sich die geneigte Kundin auf längere Zeiten in den Warenregalen verirrt. Von daher, freuen wir uns über die Lothar Matthäus zugeschriebene Erkenntnis – „again what learned“, Sprache ist etwas, das durchaus recht häufig zu Missverständnissen führen kann, wenn sie nicht sachgerecht und kundig verwendet wird. Zugegebenermaßen ist es allerdings irgendwann auch schwierig, wenn sich eine derartige Verwendung erst einmal eingespielt hat, diese zu korrigieren. Der Begriff ist mit seinem Inhalt gesetzt.

1.6.3 Die Medien als Träger der Kommunikation Die Niederlegung von Sprache in Trägermedien führt dazu, dass man sich mit der Spezifik von Medien näher beschäftigt. Jede Medienart besitzt ihre eigene Charakteristik, die verschiedene Vor- und Nachteile und damit mehr oder weniger geeignete Einsatzbedingungen mit sich führt. So kennt man die Unterscheidung in Individualmedien und Massenmedien. Individualmedien sind Unikate und erreichen eine begrenzte Anzahl an Menschen, die dem Absender in der Regel bekannt sind. Als klassisches Beispiel gilt der von Hand geschriebene Brief, der an einen einzelnen oder eine überschaubare Menschengruppe gerichtet wird. Massenmedien hingegen sind Medien, die unspezifisch adressiert und von einer größeren Menschenmenge genutzt werden können. Hierzu zählen insbesondere Presseerzeugnisse oder Rundfunkmedien. Eine weitergehende Klassifikation stammt von Harry Pross (1970, zit. nach Focus-Medienlexikon, 2007): Er sieht drei verschiedene Medienarten. Als primäre Medien gelten bei ihm alle personalen Formen der Kommunikation, insbesondere Rede, Gestik, Mimik und Tanz. Wesentlich hierbei ist ein menschlicher Elementarkontakt.

1.6 Die Träger der Kommunikation

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Sekundäre Medien sind angewiesen auf physikalisch greifbare Medien auf Seiten des Kommunikators, in Form von Schrift, Druck oder auch Musikinstrumenten. Tertiäre Medien erfordern zur Produktion und zum Empfang technische Geräte. Diese umfassen Telefon, Radio, Fernseher oder inzwischen auch einen PC für Online-Kommunikation. Eine andere Klassifikation richtet sich nach dem materiellen Träger. Personale Medien wie der Lehrer, der Verkäufer, der Pressesprecher oder der Diplomat sind an eine real existieren Person gebunden. Printmedien basieren auf einem zu bedruckenden Medium, in der Regel Papier oder auch andere Druckstoffe. Rundfunkmedien beruhen auf elektromagnetische Wellen. Elektronische Medien schließlich nutzen digitale Zustände (0/1, on / off), um Inhalte zu speichern und darzustellen. Geht man nach der Funktion der Medien, findet man zum einen Kommunikationsmedien im engeren Sinne, in Form von Briefen, Telefonaten, Mail, Zeitungen und Zeitschriften, Büchern etc. Sie dienen primär dazu, informative und unterhaltende Inhalte unter verschiedenen Menschen auszutauschen. Daneben gibt es Tauschmedien, die als Geld einen Wert repräsentieren und die Übertragung ihres Wertes ermöglichen. Sie kommunizieren also einen Wertgehalt und ermöglichen damit den Austausch von materiellen Rechten. Schließlich sind Ritualmedien bzw. Sakralmedien zu nennen, die im religiösen Kontext ein transzendentes, also außerweltliches, nicht greifbares Wesen darstellen. Prominente Beispiele sind das Totem der Indianer oder auch Symbole wie das Kreuz und die Hostie im Christentum oder auch Götterdarstellungen in polytheistischen Religionen. Die Funktion der Medien besteht in summa darin, dass sie den Kommunikationsraum des Menschen erweitern, die Mitglieder der Gesellschaft koordinieren und – bei den religiösen Medien – auch die Gegenwart eines nicht greifbaren Wesens fingieren. Damit wiederum kann der Mensch Kontakte in den außerweltlichen Raum aufnehmen und auch damit letztendlich seinen Kommunikationsraum erweitern.

1.6.4 Die Speicherfähigkeit von Kommunikationsinhalten Ein wesentliches Element der Zeitraum übergreifenden Kommunikation ist die Fähigkeit zur Speicherung des Kommunikationsinhaltes. Durch die Speicherung des Inhaltes wird ein Medium befähigt, Inhalte auch in Zukunft darzustellen, können wir in der Gegenwart auf Inhalte zurückgreifen, die in der Vergangenheit erstellt wurden. Der besondere Vorzug der Speicherung besteht in der Möglichkeit, einmal erarbeitetes Wissen zur zukünftigen Nutzung bereit zu halten, um so den nachfolgenden Generationen eine breitere Wissensbasis zu geben. Was bekannt ist, muss nicht wieder erarbeitet werden, sondern steht bereit. Damit sparen sich nachfolgende Generationen Forschungs- und Erprobungsaufwand, können aber den einzel- und volkswirtschaftlichen Nutzen durch den Rückgriff deutlich erhöhen. Speicherung und Dokumentation von Wissen bildet damit eine Quelle für zukünftigen Wohlstand.

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

Allerdings ist die Speicherfähigkeit der Medieninhalte von den zur Speicherung verwendeten Medien abhängig. Mündliche Medien, vulgo die mündliche Sprache, existieren in der konkreten Gesprächssituation und besitzen nur eine sehr geringe Speicherfähigkeit. Mündliche Sprache lebt in der persönlichen Begegnung und ist mit Beendigung der persönlichen Begegnung flüchtig, soweit sie nicht in andere Trägermedien (Gedächtnis, geschriebene oder elektronische Medieninhalte) überführt wird. Ihre Verständlichkeit beruht auf der Verwendung einer von den Beteiligten verwendete Kodierung, also einer Sprache. Geschriebene Medien basieren darauf, dass ein Kommunikationsinhalt in schriftlich darstellbare Zeichen überführt und auf zirkulierbare Medien wie Bücher, Briefpapier, Zeitungen und dergleichen mehr aufgebracht wird. Auch die Gesetzesstele des Hammurabi im frühzeitlichen Mesopotamien, eines der ersten nachweislichen Schriftdokumente, ist in dieser Sichtweise ein zirkulationsfähiges Medium, da sie an ihrem Aufstellungsort von allen Interessierten aufgesucht und notfalls auch an einen anderen Ort verbracht werden konnte. Dass eine derartige Aktion aufwändiger sein dürfte als der Versand eines Buches oder eines Briefes, steht auf einem anderen Blatt. Die verwendete Sprache und der Umfang des Speicherplatzes setzen Grenzen in der Speicherung. Dokumente, die in untergegangenen Sprachen gehalten sind, sind faktisch unlesbar. Man erinnere sich in diesem Zusammenhang an die mühsame Dechiffrierung der altägyptischen Stelen bzw. Sarkopharge und Grabinschriften, die erst möglich war, als man über die Entdeckung von Pharaonennamen in Kartuschen den Aufbau des Zeichensystems erkannte (siehe vertiefend Lurker, 2008). Wer dies selbst in Augenschein nehmen möchte, sei z. B. auf den Nachbau des Grabmals des Sennedjem im Nürnberger Museum für Kommunikation verwiesen. Elektronische Medien basieren darauf, dass eine mündliche oder schriftliche Kodierung (Sprache) in elektronisch darstellbare Signale (0/1, an / aus) umgesetzt wird. Diese können als Spannungszustand, elektromagnetische Schwingung, Magnetisierung oder auch als Lichtsignal übermittelt und im Falle einer Magnetisierung auch archiviert werden. Die Speicherung ist theoretisch nahezu unbegrenzt möglich, wird jedoch faktisch durch den Speicherraum der verwendeten Speicher- bzw. Übertragungsmedien und auch durch die Lesefähigkeit der verwendeten Medien begrenzt. Gerade der letzte Punkt gewinnt zunehmende Bedeutung. Durch die Entwicklung immer neuer Generationen an Informationstechnik (Hardware) und Nutzungsprogrammen (Software) sind Inhalte, die in den 80er Jahren des 20 Jahrhunderts erstellt wurden, oftmals gar nicht mehr nutzbar. Ihre Nutzung erfordert den Rückgriff auf die entsprechende Technik, die mit Ausnahme von Museumsund Sammlerstücken kaum noch verfügbar ist. Die Archivierung der entsprechenden Medieninhalte muss folglich auch die technischen Entwicklungen im Auge behalten. Daneben muss aber auch der dargestellte Inhalt als solcher interpretierbar (vulgo „lesbar“) sein. Greifen wir dazu die christliche Ikonografie auf, die im Mittelalter bis weit in das Barock hinein die Gläubigen „ins Bild setzen“ sollte, obwohl oder gerade weil die meisten Menschen zur damaligen Zeit nicht oder nur

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1.6 Die Träger der Kommunikation

rudimentär lesen konnten. Kundige erkennen in der Regel den Unterschied zwischen einer katholischen und einer evangelischen Kirche (z. B. weil ein Tabernakel vorhanden ist oder nicht vorhanden). Und sie können die vier Evangelisten sicher zuordnen, weil Markus einen Löwen als Symbolfigur besitzt, Lukas hingegen einen Stier, Johannes einen Adler und Matthäus allein als Mensch dargestellt wird. Die Apostel Petrus und Paulus lassen sich anhand von Schlüssel und Schwert erkennen, die Muttergottes Maria durch ein Jesuskind auf dem Arm und ggf. durch einen Mond, auf dem sie steht. Besonders augenfällig wird die Ikonografie beim Besuch der oberfränkischen Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen (Landkreis Lichtenfels) – alle vierzehn Personen haben ihre eigenen Merkmale. Allerdings scheint bei vielen Menschen das Wissen um die Symbolik verloren gegangen zu sein (vgl. Reithmeier, 2019, S. 36), weswegen sich der Sinn derartiger Darstellungen immer weniger Personen erschließt und damit oftmals auch das Interesse am entsprechenden Hintergrund. An ihre Stelle treten andere vereinfachte Darstellungen, z. B. die bereits erwähnten Emojis, die ebenfalls schnell und einfach zu interpretieren sind. Die nachfolgende Abbildung 1-8 führt diese Eigenarten schematisch zusammen. Mündlichkeit

Schriftlichkeit

Elektronik

Kodierung

Symbolische Kodes (Wörter und deren Bedeutung)

Alphabet, verbale Kodes

Nonverbale Kodes, künstliche Sprachen

Speicherung

begrenzt durch menschliches Gedächtnis

Gefiltert durch Sprache in Texten, begrenzt durch den von den Zeichen benötigten Platz und die an die Lagerfähigkeit der Medien gestellten Anforderungen (trockene Räume)

Ungefiltert, prinzipiell unbegrenzte Dokumentations­ möglichkeiten (faktisch durch Speicher- und Lesetechnik)

Zirkulation

Persönliche Begegnungen

Bücher, Presse, Archivkarten etc.

Audiovisuelle Medien incl. PC, Internet etc.

Quelle: nach Assmann und Assmann, 1994, S. 139, mit eigenen Erweiterungen

Abb. 1-9: Die Speicherfähigkeit von Kommunikationsinhalten

Vor diesem Hintergrund erkennt man, dass trotz einer zunehmenden Umstellung auf elektronische Medien gedruckte Medien eine weiterhin hohe Bedeutung behalten. Sie sind mit verhältnismäßig geringem Aufwand nutzbar. Allerdings ist der hohe Speicherplatzbedarf für gedruckte Medien ein wesentlicher Kritikpunkt.

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

Als zentrale Ergebnisse dieses Abschnittes gelten: • Kommunikation setzt Regeln für die Gestaltung des Miteinanders voraus. • Kommunikation setzt die Verwendung eines Sprachsystems voraus, dass die Beteiligten beherrschen. • Medien dienen der Darstellung und Speicherung von Sprachinhalten. • Die Speicherfähigkeit und die nachfolgende Weiternutzung der dargestellten Medieninhalte ist abhängig von der gewählten Medienform.

1.7 Die Eigenarten der Kommunikation Als Zusammenschau für das einführende Kapitel zu den Grundlagen und Eigenschaften der Kommunikation kann man auf die Eigenarten der Kommunikation verweisen. Krallmann und Ziemann (2001, S. 15 ff.) benennen insgesamt fünf Eigenarten: • Profanität der Kommunikation, • Universalität der Kommunikation, • Unvermeidbarkeit, • Relationalität, • Flüchtigkeit der Kommunikation. Profanität der Kommunikation bedeutet, dass Kommunikation jederzeit von jedermann an jedem Ort initiiert werden kann, mit geringem Aufwand. Es genügt dazu der Austausch von Kommunikationszeichen, die der Gegenüber als Kommunikationszeichen aufzufassen vermag, unabhängig von der übereinstimmenden Interpretation. So können Blicke oder Handzeichen ausreichen, mit denen sich Menschen verständigen oder zumindest signalisieren, dass sie sich gegenseitig wahrgenommen haben. Die Universalität von Kommunikation bezieht sich darauf, dass sie in alle Bereiche menschlichen Daseins hinein reicht. Sie geht einher mit menschlichem Handeln und kommt in dem Moment zu Stande, im dem sich zwei oder mehr Menschen treffen und sich ihrer gegenseitigen Beachtung versichern. Damit geht die Unvermeidbarkeit einher, da mit jeder Begegnung von zwei oder mehr Menschen ein Austausch von Kommunikationszeichen verbunden ist. Begegnung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass zwei oder mehr Menschen die Form der Begegnung gestalten und dafür einige Verabredungen treffen müssen, wie z. B. eine aggressive, neutral-zurückhaltende oder freundliche Form des Miteinanders. Sogar das demonstrative Negieren des anderen ist eine Form von Kommunikation, denn sie ist mit dem Austausch von Zeichen des „ich ignoriere dich“ verbunden.

1.8 Die Funktionen der Kommunikation in der Gesellschaft

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Auf diesem Faktum baut die vierte Eigenart auf. Durch die Erfordernis der Gegenwart von zwei oder mehr Personen kann sich Kommunikation nur in der Gestaltung der Beziehung zwischen den beiden Personen ergeben. Kommunikation drückt damit ein Verhältnis der Kommunikationspartner zueinander aus. Wer miteinander kommuniziert, steht in einer Verbindung zueinander. Die Flüchtigkeit der Kommunikation rekurriert auf die Anbindung der Kommunikation an die konkrete Situation. Mit dem Vorübergehen der Situation, z. B. dem Auseinander gehen der beiden Kommunikatoren, geht auch die Kommunikation vorüber. Eine Mitnahme und Überlieferung der ausgetauschten Inhalte bedarf der Speicherung in geeigneten Medien.

1.8 Die Funktionen der Kommunikation in der Gesellschaft Kommunikation dient, wie im Vorhergehenden bereits erläutert, dem Austausch von Informationen. Mit diesem Informationsaustausch sind verschiedene Funktionen der Kommunikation verbunden, die abschließend zu erörtern sind. Vor allem die Integration des Kommunikationsteilnehmers in eine Gemeinschaft, die eigene Stellung in der Gemeinschaft und entsprechend auch Rückmeldungen über seine Wahrnehmung durch die Gemeinschaft sind wichtige Elemente. Außerdem besitzt Kommunikation auch den unschlagbaren Vorteil des Zeitvertreibs. In Anlehnung an Denis McQuail (1983) können wir also der Kommunikation insgesamt vier Funktionen zuweisen (vgl. Noelle-Neumann u. a., 2000, S. 164 ff.), nämlich der Information, der Persönlichkeitsbildung oder persönlichen Integrität.

1.8.1 Die Funktion des Informationsaustauschs Mit der Kommunikation tauschen Sender und Empfänger verschiedene Informationen aus, wobei Information hier als Fakten aller Art zu definieren sind, die eine bestimmte Orientierungs- oder Entscheidungshilfe darstellen, also einen zweckorientierten Mehrwert bieten (siehe auch Windgasse und Mahlfeld, 2019, S. 556 ff.) Damit orientieren sich Sender und Empfänger über relevante Ereignisse in der unmittelbaren Umgebung, in der Gesellschaft und in der Welt. Sie helfen sich gegenseitig bei der Einordnung von erkennbaren Ereignissen. Sie können sich gegenseitig Rat erteilen zu praktischen Alltagsproblemen, Meinungen und Ansichten zu den Entscheidungsalternativen austauschen und somit getreu dem Hegel’ianischen Schema von These-Antithese-Synthese auch eigene Ansichten weiter entwickeln und auf eine höhere Erkenntnisebene führen (siehe auch Ruhleder, 2016, S. 141 ff.). Durch die Aufnahme der ausgetauschten Informationen wird man also möglicherweise neue Dinge lernen und sich weiterbilden. Nicht zuletzt dienen die ausgetauschten Informationen einem zutiefst menschlichen Bedürfnis, der Befriedigung von Neugier. Dieser Punkt reflektiert auf die Tatsache, dass

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

Menschen durch Wissen über ihre Umgebung nach Sicherheit streben – je besser man informiert ist, desto besser kann man die Umgebung hinsichtlich ihrer Bedrohungspotenziale einschätzen. Genauso gilt aber auch, dass Erfinder neugierige Menschen waren und sind – nur durch das Überschreiten von Grenzen konnten technische und geistige Innovationen geschaffen werden, die ihrerseits ein Mehr an Wohlstand, Sicherheit und damit an Lebensqualität versprechen. Hier drängt sich aber die Frage auf, ob jede Mitteilung (Nachricht, Botschaft) auch immer eine Information ist? Letztendlich ja, denn auch wenn auf den ersten Blick eine Information nicht unbedingt einen neuen Sachinhalt bietet, kann sie unterschwellig etwas ausdrücken. Gerade beim berühmten Small Talk, den man z. B. über das allseits bekannte Wetter oder über kürzlich erlebte Kulturereignisse pflegt, wird weniger die offensichtliche Information („Es regnet“ oder „Gestern wurde Don Carlos im Staatschauspiel gegeben“) bewertet als eher die Tatsache, dass überhaupt Kommunikation unter Unbekannten geübt wird. Sie signalisiert „Wir vertragen uns, wir wollen heute keine strittigen Punkte austauschen, wir sind letztendlich eine Gemeinschaft von lauter netten Leuten, auch wenn wir uns bisher nicht oder nur flüchtig kennen“ – Kommunikation etabliert und manifestiert Gemeinschaft, und die Information des Small Talks ist: „Wir kennen die Spiel­regeln, und wir halten uns daran.“ Deshalb ist es gerade in Small-Talk-Situationen so gefährlich, sich über kontroverse Themen wie Politik oder Religion bzw. Weltanschauung unterhalten zu wollen. Sie sind schlichtweg aufgrund ihrer Inhalte dazu angetan, Konflikte zu erzeugen und damit den Kerngedanken des Small Talks – die Etablierung einer Gemeinschaft unter relativ unbekannten Personen  – von vornherein zu durchkreuzen. Dass dabei kulturspezifisch sehr große Unterschiede existieren, vereinfacht diese Aufgabe nicht gerade. So gilt es in Großbritannien als wenig fein, nach so persönlichen Dingen wie den Hobbies zu fragen. Hingegen kann man in Deutschland mit einem ungewöhnlichen Hobby durchaus punkten, sofern es nicht angeberisch vorgetragen wird. Und genau das ist einer der zentralen Punkte des Small Talks: Niemand der Beteiligten darf sich herab gesetzt fühlen, das Gesicht verlieren. Von daher sollten alle Inhalte immer so gestaltet sein, dass man als amüsant, originell und positiv wahrgenommen wird, aber nicht unbedingt als offensiv. Man kann viel sagen, sofern andere dies goutieren und bei Bedarf auch zu Wort kommen, man muss aber nicht. Man sollte aber immer in der Lage sein, seinen Gesprächspartnern freundliche Anerkennung für das Gesagte zu zollen, denn damit haben beide die Kernaufgabe bestanden, die des sich miteinander Vertragens. Und um die Unverfänglichkeit zu wahren, kann man z. B. anhand von Prominenten (z. B. Adlige und Schauspieler im Rampenlicht) zeigen, in welche Richtung man denkt, ohne sich gleich mit einer bestimmten Weltanschauung zu positionieren und damit die Gegenüber zu einer Stellungnahme zu konfrontieren. Ebenso kann Essen ein interessanter Aufhänger sein, wenn man nicht gleich Rezepte aufdrängt oder sich als bekennender Veganer mit einem Fleischliebhaber (und vice versa) duellieren will.

1.8 Die Funktionen der Kommunikation in der Gesellschaft

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1.8.2 Die Funktion der persönlichen Integrität Persönliche Integrität ist ein Begriff aus der Ethik, der die Zusammenfassung der eigenen Werte und Denkhaltungen bezeichnet, auf Basis von religiösen und anderen normativen Vorgaben. Diese persönliche Integrität kann durch Symbole mit Sinngehalt (z. B. religiöse Insignien auf Schmuckstücken, Tätowierungen oder Bekleidungsstücken, Einrichtungsgegenstände etc.) ebenso kommuniziert werden wie durch symbolhafte Handlungen, wie z. B. durch den Gebrauch von bestimmten religiösen Formulierungen oder anderen Bezugnahmen („im Sinne der griechischen Philosophie“, „aufgrund der Vorgaben einer liberalen Gesellschaftsordnung“ etc.). Diese Äußerungen sind aber stets in der Interaktion mit der Gesellschaft zu sehen. Durch Kommunikation kann der einzelne Mensch eine Bestärkung der persönlichen Werthaltungen erzielen. Möglich ist dies, indem ihm andere Menschen Verständnis für die eigene Position signalisieren oder gar positiv unterstützen und damit bestärken. Eine entsprechende positive Sanktionierung durch das Umfeld wird einen selbst in der Richtigkeit der eigenen Ansichten und Verhaltensweisen bestätigen. Dies haben wir bereits in Abschnitt 1.3 mit den Ausführungen zu George Herbert Mead (2005) gezeigt – die Wechselwirkung zwischen der Eigenwahrnehmung und der Fremdwahrnehmung führt erst zu dem, was man selbst als das eigentliche Ich erlebt. Diese Idee beinhaltet einen Aspekt, der an dieser Stelle nochmals aufgegriffen werden sollte, nämlich die Referenzwirkung des Umfelds auf das Selbstverständnis. Erst durch die Wahrnehmung durch andere können viele Menschen sich selbst wirklich und umfassend wahrnehmen. Sie entdecken Aspekte an sich, die sich nicht kannten und erhalten Informationen, wie sie sich in Gesellschaft anderer bewegen können, so dass sie als wichtige Bestandteile der Gesellschaft wahrgenommen werden, in ihrer Art und Verhaltensweise „richtig“ sind. Das Johari-Fenster, von Joe Luft und Harry Ingham (1955) aufgestellt, spricht dies in folgender Form an: • Es gibt Eigenschaften von mir, die nur mir selbst bekannt sind (der „private ­Bereich“). • Es gibt Eigenschaften von mir, die sowohl mir als auch meinem Umfeld bekannt sind (der „öffentliche Bereich“). • Es gibt Eigenschaften von mir, die anderen bekannt sind, aber nicht mir selbst (der „blinde“ Fleck“). • Es gibt Eigenschaften, die weder mir noch anderen bekannt sind (das „Un­ bekannte“). Ingham und Luft verweisen darauf, dass Kommunikation dann verbessert wird – und damit auch die Selbstwahrnehmung, wenn der öffentliche Bereich vergrößert wird, und zwar durch Verkleinerung des blinden Flecks und des privaten Bereichs und die Verschiebung ihrer Inhalte in den öffentlichen Bereich, was auch in Abschnitt 2.2 nochmals vertieft wird. Und damit wird klar, dass die Selbst- wie auch

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

die Fremdwahrnehmung als integre Person voraussetzt, dass sich sowohl ich selber als auch die anderen über meine eigenen Wahrnehmungen bzw. Verhaltensweisen austauschen, und austauschen müssen. Nun stellen Ingham und Luft nicht per se die Notwendigkeit des privaten Bereichs in Abrede, ein paar Geheimnisse braucht man schon, um sich selbst achten zu können. Und gerade über religiöse bzw. moralisch sehr anspruchsvolle Menschen gibt es eine Anzahl an mokanten Bemerkungen, die auf die Divergenz zwischen Anspruch und Realität hinweisen: „Wasser predigen und Wein saufen“ ist ein Beispiel hierfür. Mit anderen Worten: Auch wenn man sich selbst für einen integren Menschen hält, können zu augenfällige Abweichungen zwischen dem Selbstbild und der Fremdwahrnehmung diese persönliche Integrität in der Umgebung in Frage stellen. Verschiedene Studien, z. B. von John et al. (2019) zeigen auf, dass Personen, die eine integre und vor allem authentische Selbstdarstellung zeigen, bei ihrem Umfeld eine höhere Glaubwürdigkeit und Akzeptanz genießen, als Personen, die ein zu stark abweichendes Bild vom tatsächlichen Zustand zeichnen. Irgendwie muss die Umgebung durchaus einen Sensus dafür haben, was stimmig ist, und was nicht. Nimmt man diese Abweichungen auf und geht man angemessen darauf ein, wird Integrität wieder hergestellt, da das kommunizierte Bild mit dem erlebten Bild übereinstimmt. Folglich ermöglicht erst der Abgleich zwischen der Fremd- und der Eigenwahrnehmung die Wahrnehmung als integres Individuum, wirkliche Integrität ist nur dann möglich, wenn die Umgebung diese auch grosso modo bestätigt. Nun kann nicht jede Verhaltensweise immer auf positive Wahrnehmung hoffen, und man muss sicher auch nicht mit jeder Handlung auf positives Echo hoffen. Verständlich ist aber auch, dass ein Mensch, der in eine soziale Gemeinschaft eingebettet sein möchte, darauf achtet, negative Sanktionen zu vermeiden. Vielleicht sind in bestimmten Fällen negative Sanktionen sogar hilfreich, wenn man mit den eigenen Annahmen völlig falsch liegt. Wenn die geliebte Ehefrau zwanzig Jahre lang jeden Morgen Mohnbrötchen vom Bäcker holt und eines Tages ohne die Mohnbrötchen zum Frühstück zurückkehrt, kann es durchaus sein, dass der vermeintlich umsorgte Ehemann erleichtert aufatmet, weil er Mohnbrötchen noch nie mochte. Allerdings kann sich jeder, der längere Jahre in einer Beziehung lebt oder lebte, jetzt durchaus vorstellen, welche Folgen eine derartige Offenbarung bei der Ehegattin nach sich zieht, was wir hier aber auch nicht vertiefen müssen. Auch können deviante Verhaltensweisen wie z. B. der Diebstahl von Geld beim Nachbarn nicht nur auf Verständnis hoffen. Vielmehr kann es sinnvoll sein, hier durch Konfrontation mit dem regelwidrigen Verhalten und gegebenenfalls eine angemessene Bestrafung den Übeltäter mit der unschönen Handlungsweise zu konfrontieren. Folglich sind negative Sanktionen nicht per se schlecht. Oft genug Auf der anderen Seite können auch negative Sanktionen durch das Umfeld zu einer Veränderung der Verhaltensweisen führen, müssen es aber nicht. Behält man die bisherigen Verhaltensweisen bei, trotz negativer Sanktionierung, so wird man „kontrafaktisches Verhalten“ (Zisler, 2009, S. 35 ff.) zeigen – eine Verhaltensweise,

1.8 Die Funktionen der Kommunikation in der Gesellschaft

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in der man Selbstbestätigung dadurch erfährt, dass man sich gegen den von der Umgebung geäußerten Sachverhalt aufführt. Hierbei ist für die betroffene Person wichtig, dass man „sich selbst treu bleibt“. Ein sehr schönes Beispiel findet sich im inzwischen verstorbenen Altkanzler Helmut Schmidt, der in seiner aktiven Zeit eine Freilassung von RAF-Terroristen ablehnte, wiewohl die öffentliche Meinung und vor allem die betroffenen Angehörigen der Familie Schleyer hierfür durchaus Verständnis gezeigt hätten. Er sah es als seine Pflicht an, persönliche Schuld auf sich zu nehmen, um eine für die Gemeinschaft bestmögliche Lösung zu erzielen, also das Naheliegende, eine mitmenschliche Regung, zu unterdrücken. Und diese Haltung behielt er sich auch im Ruhestand, als er trotz Rauchverbot in öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten in den letzten Jahren seiner öffentlichen Existenz demonstrativ seine Mentholzigaretten konsumierte und den Rauch der Umgebung gemeinsam mit seinen Einsichten und Ansichten präsentierte. Er konnte sich das gegen alle gesetzlichen Fakten und Strafandrohungen erlauben, da er in den Augen der breiten Öffentlichkeit und vieler Medienschaffender eine staatsmännisch-aufrechte und integre Haltung verkörperte wie kein anderer seiner Amtsnachfolger oder -vorgänger, womit man ihm auch leichtere Gesetzesverstöße nachsah. Was ihm diese Verhaltensweise sicher erleichterte, er hatte keinen Spendenskandal an den Hacken, und auch seine delikaten Amouren und gesundheitlichen Probleme wurden erst post mortem öffentlich breit getreten, wirken also nur noch minimal denkmalschädlich. Sein Nachfolger Doktor Helmut Kohl war hier einer ganz anderen Infragestellung ausgesetzt, da er sich stets als treusorgender Familienvater und ehrbaren Ehemann inszenierte, entgegen allen anscheinend zutreffenden Gerüchten, und dann auch noch bei einem eklatanten Gesetzesbruch erwischt wurde. Das war regelrechtes Gift für die persönliche Integrität, unabhängig von allen staatsmännischen Verdiensten und Gelübden um Verschwiegenheitspflichten. Eine etwas mildere Form ist das „kontrafaktische Denken“, eine Denkweise, die gegebene Verhaltensweisen nicht einfach hinnimmt, sondern als Aufforderung begreift, etwas in Frage zu stellen. Ein Klassiker findet sich in Christoph Kolumbus, der das kirchenamtlich verkündete Faktum von der Erde als Scheibe nicht hinnehmen und auf dem Westweg nach Indien segeln wollte. Im Prinzip nicht schlecht gedacht, nur war halt die amerikanische Landmasse im Weg. Allerdings sorgte dieses kontrafaktische Denken und Handeln dafür, dass die spanische Krone über Jahrhunderte immense Edelmetallschätze in der neuen Welt heben konnte, mit denen sich ein Weltreich und diverse Kriege finanzieren ließen. Weitere Beispiele finden sich im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Der Schneider von Ulm, ein gewisser Herr Berblinger, wollte es ebenso wenig hinnehmen wie ein Mecklenburger Sturschädel namens Otto Lilienthal, dass der Mensch nicht fliegen könnte. Beide wandten sich der Konstruktion von Gleitflugapparaten zu, die in dem einen Fall zum direkten Sturz in die Donau und öffentlichem Gespött, im anderen in den ersten dokumentierten tödlichen Trudelunfall der Luftfahrtgeschichte führte. Auch wenn die persönlichen Konsequenzen für keinen der beiden angenehm waren, erarbeiteten sie dennoch wichtige Grundlagen für die Entwicklung der bemannten

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

Fliegerei. Was als Innovation im Großen funktioniert kann genauso im alltäg­lichen Kleinklein seine Wirkung entfalten, z. B. bei der Suche nach Verhaltensalterna­ tiven, die einem Individuum zu neuen Erkenntnissen und Verhaltensweisen verhilft. So kann eine konfrontative Provokation (z. B. „wuillst raufa!?“ – als typische bayerisch-charmante Aufforderung zu einer handfesten Auseinandersetzung) setzt auf entsprechende Reaktion in Gestalt von rabiaten Worten und Handlungen. Maßlos die Enttäuschung beim Provokateur, wenn der Kontrahent ein fröhliches „na, a Maß mitanand saufa! I zoihs dir a…“ entbietet, begleitet von einem Hände-indie-Hosentasche-Stecken. Ein anständiger Bayer wird an der Stelle widerwillig kapitulieren, da dies kontrafaktisch gedacht ist und seinen Erwartungshorizont deutlich übersteigt, und ein unanständiger oder auch übermäßig alkoholisierter Zeitgenosse hat es hingegen erst gar nicht verdient, dass man ihm ein Getränk nach Wahl spendiert. Man sollte aber sicherstellen, dass man über ausreichend Kenntnisse des bayerischen Idioms verfügt, da Sprachenunkundige als „Saupreißn“ gleich außerhalb jeglicher Schutz- und Menschenrechte stehen – da denkt kein Bayer kontrafaktisch nicht! Ein redaktioneller Hinweis: Die doppelte Verneinung ist bekanntlich eine bayerisch-österreichische Sprachspezialität. Alle diese Elemente sorgen dafür, dass der einzelne Mensch eine Selbstfindung erlebt, also Informationen zu sich selbst erhält und im Rahmen eines Selbstkonzepts verarbeiten kann. In der Auseinandersetzung mit eigenen Ansprüchen und den Impulsen der gesellschaftlichen Umgebung entsteht erst das, was man als persönliche Integrität ansehen kann, mithin zu einer gereiften Persönlichkeit führt.

1.8.3 Die Funktion der Integration und sozialer Interaktion Der Mensch als per se soziales Wesen sucht nach Einordnung in eine Gemeinschaft. Für den einen mag dieses ein einzelner Lebenspartner sein, für den anderen eine große, vielleicht sogar nicht überschaubare Gruppe wie z. B. eine Nation oder einen Fanclub. Dazu ist es zunächst einmal erforderlich, sich über den kommunikativen Austausch in die Lebensumstände anderer zu versetzen, um sodann eine gemeinsame Schnittmenge an Interessen und Werten und damit an gemeinsamen Handlungen zu definieren. Diese Integration in eine Gemeinschaft ermöglicht erst den Kommunikationsteilnehmern, sich mit anderen zu identifizieren und damit ein Gefühl der Zugehörigkeit zu erhalten. Dies gilt insbesondere für so genannte „Fach-Communities“ in der Wissenschaft, in der Technik usw. oder auch unter den Nutzern bestimmter Fernsehkanäle oder Rundfunksender. So haben die Zuschauer von „Viva“ ein bestimmtes Gemeinschaftsgefühl, weil sie sich in ihren Musikvorlieben ähneln und über die dargebotenen Inhalte gemeinsamen Austausch pflegen können. Damit erwerben sie eine Grundlage für Gespräche und soziale Interaktion. Gerade der Austausch über ein am Vorabend dargebotenes Fußballspiel oder einen

1.8 Die Funktionen der Kommunikation in der Gesellschaft

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Fernsehfilm bietet eine gute Grundlage für das Gespräch mit Kollegen am nächsten Tag. Der Austausch dient oftmals als Ersatz für (fehlende) Geselligkeit und bietet in bestimmten Bereichen auch Anknüpfungspunkte für die Anbahnung von Freundschaften und Partnerschaften Als Beispiel sind Klatsch- und Tratsch-Angebote oder auch Internet-Chats zu nennen. Die Diskussion von solchermaßen dargebotenen Inhalten kann auch eine gute Hilfe bei der Annahme sozialer Rollen bieten. Gerade Fernsehserien wie „Lindenstraße“ und „Gute Zeiten schlechte Zeiten“ oder auch bestimmte Kinofilme dienen oft als Plott zur Diskussion bestimmter Verhaltensweisen, oder auch „Performance“-Formate wie „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Germanys Next Top Modell“. Die Teilnehmer der Diskussion können sich über wünschenswerte oder abzulehnende Verhaltensweisen Dritter austauschen, ohne das eigene Leben auszubreiten. Dass dies im Rahmen der Dynamik einer Diskussion dennoch oft genug passiert, steht auf einem anderen Blatt, zumal das Erwähnen der Tatsache, dass man derartige Medienprodukte konsumiert, bereits bei einigen Personen Ablehnung hervorrufen kann. Ähnliches gilt für die gesamte Ratgeberpublizistik, von Elternzeitschriften angefangen bis hin zu den Verbrauchermagazinen in Hörfunk und Fernsehen. Auch dort ist zu sehen, wie man sich in bestimmten Situationen verhalten kann und erhält somit eine Vorlage für eigene Entscheidungen. In dieser Funktion ersetzen sie die früher allgegenwärtigen Familienangehörigen, die einige Jahre vorher ähnliche Erfahrungen machten. Schließlich kann als Extrem eine bestimmte therapeutische Funktion erkannt werden, die sich in den 00er-Jahren in Fernsehsendungen wie „Verzeih mir“ oder „Die Super-Nanny“ zeigten. Sie dienten der Wiederaufnahme des Kontakts zur Familie und zu Freunden und oder der Reintegration einer bestimmten Person oder Kleingruppe in „durchschnittliche Verhaltensweisen. Dass über solche Sachen ein großer Anteil der Gesellschaft in der Richtigkeit der eigenen Anschauungen bestätigt wird und zudem auch ein bestimmten voyeuristisches Bedürfnis bedient wird, ist sicher ein zentrales Moment der ganzen Medienangebote (vgl. Bidlo u. a., 2012, S. 169).

1.8.4 Die Funktion der Unterhaltung Unterhaltung dient im Gegensatz zur Sachinformation nicht der Vorbereitung und Prägung einer bestimmten Verhaltensweise, sondern vielmehr der Abkehr von Sachinformationen. Mit Unterhaltung ist Wirklichkeitsflucht und Ablenkung von Problemen verbunden. Unterhaltung sorgt damit für Entspannung und hilft damit, nach einer Phase der Erholung wieder neue Informationen aufnehmen zu können. Sie verhilft somit zu emotionaler und kognitiver Entlastung (siehe auch ARD-Forschungsdienst, 2019, S. 303 ff.). Unterhaltung kann ebenso der kulturellen und ästhetischen Erbauung dienen, z. B. durch bestimmte Musik- oder Literaturangebote, durch das Feuilleton in Qualitätszeitungen oder auch durch Kultursendun-

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

gen in Hörfunk und Fernsehen. Mit ihrer Hilfe wird ein bestimmter Geschmack ausgeprägt, mithin die Ästhetik (= die Lehre vom Guten und Schönen) geschult und vertieft. Damit können nicht zuletzt die Sinne stimuliert und für die erneute Aufnahme von Umweltinformationen stimuliert werden. Auf der Metaebene formt Unterhaltung eine Gemeinschaft. Durch das vordergründig belanglose Plaudern versichern sich die Beteiligten, dass sie sich in der jetzigen Situation gegenseitig wahrnehmen und miteinander freundschaftlich auskommen wollen. Gegenstand können dabei Inhalte sein, die die Beteiligten selbst direkt betreffen (z. B. wo man gerade herkommt, was man gerade eingekauft hat und warum), aber auch Abwesende in den Mittelpunkt rücken (z. B. der neueste Tratsch und Klatsch aus Hollywood oder diversen Königshäusern). Gute Unterhaltung ist dabei so gestaltet, dass sie keine direkte Aggression ausdrückt, sondern in Form und Inhalt eher freundschaftlichen Austausch ermöglicht. Derartige Unterhaltungen findet man bei gezielten Zusammentreffen (z. B. einer Verabredung zum Kaffee) wie auch bei ungeplanten Treffen, z. B. am Bahnsteig, während man auf den nächsten Zug wartet, oder im Wartezimmer einer Arztpraxis. Letztlich hilft Unterhaltung dabei, Zeiträume zu überbrücken und zu füllen, eine Form von möglichst problemarmer Gemeinschaft auf Zeit zu etablieren und darüber eine Form der Entlastung anzubieten. Die Alternative wäre nämlich im Extremfall die, bemüht aneinander vorbei zu schauen und den anderen möglichst in der Form zu übersehen, dass der andere sich nicht aggressiv missachtet vorkommt, was wiederum Aggressionen auslösen könnte.

1.9 Die interkulturelle Kommunikation Interkulturelle Kommunikation ist von besonderen Problemen gekennzeichnet, wie bereits in den vorhergehenden Abschnitten mehrfach angesprochen. Kernpunkt ist hierbei, dass jede Kultur ihre individuellen Symbole und Verhaltensweisen für respektvolles Miteinander, für angemessene und weniger angemessene Verhaltensweisen und für gesellschaftliche Tabus erstellt. Dies kann bereits in regionalen Unterschieden anhand von Dialekten und typischen Verhaltensweisen aufscheinen, die z. B. auf religiösen Unterschieden beruhen. Man denke an die unterschiedlichen Arten, Fasching bzw. Karneval bzw. Fasnet zu feiern – was im Rheinland ein unterhaltsames Event ist, wird im schwäbisch-alemannischen Kulturraum mit sehr viel mehr Ernst und Düsternis betrieben und findet in protestantisch geprägten Räumen Deutschland so gut wie nicht statt. Entsprechend muss man auch von kulturellen Unterschieden zwischen verschiedenen Ländern und sprachlichen Kulturräumen ausgehen. Von daher steht interkulturelle Kommunikation vor dem Anspruch, einen Verständigungsraum zu finden, der den Beteiligten eine gemeinsame Bewältigung der jeweiligen Situation bietet. Sicher wollen hier wie in anderen Kommunikationssituationen auch die Beteiligten Probleme des Menschlichen Seins und Handelns gemeinsam lösen.

1.9 Die interkulturelle Kommunikation

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Sie nehmen ihren Gegenüber anhand von bestimmten Signalen (z. B. ein anderer Kleidungs- und / oder Verhaltensstil, andere Sprache usw.) aber als jemanden wahr, der außerhalb der eigenen Kulturwelt steht (siehe auch Hofstede u. a., 2010, S. 3 ff.). Man kann damit in der Form umgehen, dass man den anderen ignoriert, um Probleme zu vermeiden, oder vielleicht auch den anderen aus der Situation vertreibt, um keine dauerhaften Probleme zu erhalten. Man kann aber auch versuchen, trotz kultureller Differenzen eine Schnittmenge an Gemeinsamkeiten und damit auch an Verständigungsmöglichkeiten zu suchen. Allerdings ist dies wie bereits erwähnt durch unterschiedliche kulturelle Ausprägungen schwierig. Sogar einfache Symbole wie der Ausdruck von Anerkennung bzw. Einverständnis durch einen hochgestreckten Daumen über einer ansonsten geballten Faust kann in anderen Kulturen als sehr obszöne Geste aufgefasst werden (vgl. o. V., 2006), und die Verwicklungen sind damit vorprogrammiert. In der Forschung zu interkulturellen Zusammenarbeit stechen insbesondere Ansätze wie die von Geert Hofstede (2010) und Erin Meyer (2018) heraus, die Unterschiede in der Form der Zusammenarbeit, der zeitlichen Orientierung, der Bedeutung von Hierarchie, der Dominanz etc. herausarbeiten. So kann es z. B. für deutsche Führungskräfte in China sinnvoll sein, mit den Mitarbeitern einen sehr persönlichen Dialog zu pflegen, der auch familiäre und damit nach mitteleuropäischer Lesart private Themen mit einschließt (siehe Metz, 2015), also in Deutschland eher als zu offensiv wahrgenommen würde. Wer in interkultureller Kommunikation eintritt, sollte sich also vorher nicht allein über die sprachliche Verständigung als solche Gedanken machen, sondern auch Unterschiede im Wertesystem und in Verhaltensweisen. Darauf aufbauend kann man sich dann überlegen, in welcher Form man hier entgegen kommt, gemäß der englischen Devise „When in Rome, do as the Romans do.“ Im Chinesischen lautet die Entsprechung nahezu gleich: „入乡随俗 – Rù xiāng suí sú“ (Wenn du in ein Dorf kommst, folge den Regeln dort). Das setzt aber auch voraus, dass es Quellen gibt, aus denen man sich diese Unterschiede erschließen kann. Als Gegenentwurf dient Stefanie Rathje, die bei interkulturellen Begegnungen die Suche nach Gemeinsamkeiten und Verbindendem vorschlägt (vgl. Rathje, 2006, S. 15 ff.). Wer beim Gegenüber ein Interesse für Fußball erkennt, kann sich über die Diskussion von Fußballspielen, der Performance einzelner Spieler oder Trainer schneller näher kommen und eine gemeinsame Basis herstellen. Man sollte aber soweit über die Sportgeschichte orientiert sein, dass der Verein des Gegenüber nicht vor ungefähr 20 Jahren daheim ein sehr blamables Spiel gegen den eigenen Lieblingsverein verloren hat, weil da nicht jeder emotional trennen kann zwischen Verein und Person. Und über diese gemeinsame Basis entsteht nicht nur ein Verständigungsraum, sondern auch Vertrauen in den anderen. Man kann ihn besser einschätzen und gewinnt damit Sicherheit im Umgang mit dem anderen, wird also auch kleinere kommunikative Fehlgriffe eher mal nachsehen. Nun ist das sicher gut gedacht, setzt aber voraus, dass man einen gemeinsamen Vorrat an Verständigungsmöglichkeiten hat, z. B. eine gemeinsame Sprache und vor allem

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

gemeinsame Interessen. So kann es für den durchschnittlichen Mitteleuropäer, der Fuß- und Handball als bekannteste passive Breitensportarten kennt und schätzt, schwierig werden, sich mit einem Nordamerikaner über Baseball auszutauschen. Hier sollten also andere Themen gesucht und gefunden werden, wobei auch hier Fettnäpfchen lauern – während man in Deutschland oder Frankreich das Thema Gehalt bzw. Einkommen eher diskret und über Statussymbole verhandelt, sprechen US-Amerikaner dieses Thema schnell an. Fragen wie „How much do you earn?“ oder gar „What is your value you do create for your company?“ sind schon nach 10 Minuten des Kennenlernens zu erwarten. Und wenn man dann als deutscher Angestellter seinen Betrag nennt und der nette Ami sich als Quasi-Kollege mit doppelt so hohem Einkommen entpuppt, wird man dann wenigstens mit einem „poor boy!“ bedauert, was genauso verwirrt wie die offensive Art des Kennenlernens. Der Lösungsweg ist folglich ein Kompromiss aus beiden Sichtweisen: Die Unterschiede zu kennen und mit ihnen respektvoll Umzugehen, ist ein guter Ausgangspunkt, um dann auf mögliche Gemeinsamkeiten zu kommen und eine wie auch immer geartete Lösung der Situation zu bewirken, die für alle Beteiligten ein möglichst positives Ergebnis verspricht. Und bei Missverständnissen sollte man auch zunächst nicht nach Schuld oder Verantwortung suchen, sondern einfach die Umstände mit etwas Nachsicht als solche gelten lassen. In der Tat kann man dies in den USA sehr gut beobachten, wenn man beim „Speeding“ erwischt wird, also der Geschwindigkeitsübertretung. Mehr als einmal hat sich ein State Trooper oder Sheriff beim Blick in den internationalen Führerschein erweichen lassen, von der allfälligen dreistelligen Dollarstrafe abzusehen  – als Ausländer mit AutobahnSoziali­sierung hat man da so etwas wie Welpenschutz. Andererseits muss das nicht bedeuten, dass man alles mögliche ungestraft anstellen darf, sogar wenn man sich völlig unbedarft und absichtslos in eine Situation begibt. Es gibt Bereiche, in denen man als Nicht-US-Bürger relativ schnell in große Probleme kommen kann, wenn man z. B. die Bedeutung von ausreichend Textilien beim Baden („No briefs!“) unterschätzt, weil man sich da schnell des Verdachts einschlägiger Orientierung („Are you queer?“) oder gar intendierter krimineller Handlungen („Get out of here – we do not accept any harassment!“) aussetzt – zu eng und knapp geschnittene Badebekleidung an einem männlichen Schwimmbadgast stellt eine eindeutige Aufforderung dar, über die im Gegensatz zu Tempolimits oder Waffenbesitz nicht diskutiert wird, auch nicht im interkulturellen Kontext.

1.10 Eine Zusammenschau zu den Grundlagen der Kommunikation Kommunikation ist ein weit gefasstes Feld, das alle Arten des Austauschs von Informationen zwischen zwei oder mehr Personen thematisiert. Die Beteiligten müssen darüber im Klaren sein, dass sie beteiligt sind und was Gegenstand des Austauschs ist. Zur Kommunikation bedienen sich die Beteiligten verschiedener

Literatur zum Kapitel

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Signale, die etwas über den Absender aussagen und vom Empfänger entsprechend interpretiert werden müssen. Verfügen die Beteiligten nicht über einen gemeinsamen Zeichenvorrat, wird Kommunikation schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Es ist dabei unerheblich, ob alle Beteiligten stets gleichzeitig anwesend sind. Es kann bereits ausreichen, wenn der Absender geeignete Kommunikationsmittel hinterlässt, die von einem später Hinzukommenden entsprechend wahrgenommen werden. Zudem ist Kommunikation geeignet, zunächst einmal Informationen in einer Form auszutauschen, die das Durchdenken von bestimmten Annahmen und Konsequenzen daraus erlaubt, ohne gleich in eine bestimmte Richtung Handlungen vorzunehmen. Halten wir abschließend fest: • Kommunikation ist Austausch von Information. • Kommunikation besitzt eine Meta-Ebene: Durch Kommunikation wird Gemein­ schaft etabliert und gefestigt. • Kommunikation ermöglicht es, gemeinsame Werte zu diskutieren und zu vereinbaren, auch abgehoben von einem Gegenstand, der sich direkt zwischen den beiden Kommunikatoren befindet. • Kommunikation in Form von Unterhaltung besitzt außerdem die Funktion des Zeitvertreibs. Damit können die Grundlagen der Kommunikation abgeschlossen werden. Das nächste Kapitel widmet sich darauf aufbauend der Frage, wie Kommunikation zielgerichtet gestaltet werden kann. Literatur zum Kapitel ARD-Forschungsdienst (2019): Unterhaltung als wertvolle Erfahrung der Mediennutzung, in: Media-Perspektiven, Nr. 5/2019, S. 303–308, aufgerufen unter https://www.ard-werbung.​ de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/pdf/2019/0619_ARD-Forschungsdienst_​ 2019-07-12.pdf, aufgerufen am 02. 04. 2020. Assmann, Aleida / Assmann, Jan (1994): Das Gestern im Heute, in: Merten, Klaus u. a. (Hrsg.): Die Wirklichkeit der Medien, Opladen: Westdeutscher Verlag 1994, S. 114–140. Berger, Peter L. / Luckmann, Thomas (1982): Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit, Frankfurt / Main: suhrkamp 1982. Bidlo, Oliver u. a. (2012): Tat-Ort Medien, Wiesbaden: VS 2012. Bourdieu, Pierre (1987): Der feine Unterschied, Frankfurt / Main: Suhrkamp TB 1987. Coulmas, Florian (2015): Über Schrift, 2. Aufl., Frankfurt / Main: Suhrkamp 2015. Faulstich, Werner (2004): Die Kultur der 70er Jahre, München: W. Fink 2004. Focus-Medienlexikon, Stichwort Kommunikation, unter www.medialine.focus.de, Aufruf vom 12. 07. 2007.

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1. Die Grundlagen der Kommunikation

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2. Die Gestaltung von Kommunikation Im ersten Kapitel wurde das Phänomen der Kommunikation als solche thematisiert. In diesem, zweiten Kapitel gehen wir auf die Frage ein, wie Kommunikation als solche bewusst gestaltet werden kann. Das Wissen um die Gestaltungsmöglichkeiten von Kommunikation ermöglicht es den Teilnehmern an der Kommunikation, die Kommunikationssituation zu beeinflussen und einen gewünschten Erfolg herbeizuführen. Dazu werden vorgestellt: • Das Grundmodell der Kommunikation – Das Sprachmodell von Karl Bühler, • Die Funktionen von Kommunikation, • Die Analyse von Kommunikationsinhalten mit Hilfe der Laswell-Formel, • Die vier Aspekte der Kommunikation nach Schulz von Thun, • Individualkommunikation und Massenkommunikation, • Einseitige vs. Dialogkommunikation.

2.1 Die Gestaltung der direkten Kommunikation Nachdem wir die Tatsache der Kommunikation als solche beleuchtet haben, können wir uns den Inhalten der Kommunikation zuwenden. Kommunikation beruht darauf, dass Inhalte ausgetauscht werden und die Beteiligten sich über die Wertung des Inhaltes verständigen. Wobei die Bewertung durchaus unterschiedlich erfolgen kann. Der Satz „Schau mal, so ein schönes Schnitzel, und so ein schöner Salatteller dazu“ kann von den einem als Signal aufgefasst werden mit dem Bedeutungsinhalt „Ich habe Hunger, lass uns essen gehen“, von einem anderen als Hinweis darauf, dass hier eine besonders schön angerichtete Speise zu sehen ist, die man als Serviervorschlag für einen späteren Zeitpunkt ansieht. Sind sich beide einig in der Interpretation, so gehen sie gemeinsam essen oder merken sich die Art des Anrichtens. Sind sie sich nicht einig, dann kann es zu einer „misslungenen Kommunikation“ kommen – man hat sich nicht miteinander verständigt, ist also nicht zusammengekommen. Und dies soll zur Frage führen, was alles Inhalt von Kommunikation sein kann. Zunächst zum Hauptinhalt: Bei Kommunikation geht es um eine Form der Verständigung. Die im benannten Schnitzel-Beispiel beteiligten Personen wollen sich darüber verständigen, dass sie beide das gleiche sehen, nämlich ein zum Verzehr bereit gestelltes Lebensmittel, und wie dieser Stimulus zu verstehen ist. Die bei-

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2.1 Die Gestaltung der direkten Kommunikation 

den Kommunikatoren wollen beim anderen auch etwas bewirken, nämlich eine bestimmte Handlung, wie z. B. das gemeinsame Essengehen, das Verständnis für die eigene Situation („Ich habe Hunger, dagegen muss etwas getan werden, findest Du nicht auch?“) oder die Abstimmung über die Bewertung der Situation („Das Schnitzel ist einer sehr attraktiven Form angerichtet, findest Du nicht auch?“). Folglich umfasst die Kommunikationssituation: • die Aufklärung über einen bestimmten Sachverhalt, als Inhalt der Kommunikationsbotschaft („Dort ist ein Schnitzel mit Salatplatte.“), • die Gestaltung einer Beziehung zwischen Sender und Empfänger („Ich mag Dich, deswegen möchte ich mit Dir essen gehen / Ich habe kein Problem damit, wenn Du mit mir essen gehst.“), • die Aufforderung zu einer bestimmten Handlung („Lass uns sofort essen gehen, möglichst so ein vergleichbares Schnitzel.“). Karl Bühler inspirierte dies zu einer Analyse der Kommunikation, bei der er der Sprache – als zentralem Gestaltungselement von Kommunikation und unabhängig von weiteren Kommunikationsmöglichkeiten wie Mimik und Gestik – die Rolle eines „Organons“, eines Werkzeugs zuwies. Mit Hilfe des Organons Sprache können sich nun Sender und Empfänger über einen bestimmten Sachverhalt austauschen, der für beide Seiten relevant ist. Das Werkzeug Sprache, dessen konkrete Verwendung in der relevanten Situation klärt also, wie sich der Absender das Verhältnis von Sender und Empfänger zu einem bestimmten Sachverhalt denkt. Schematisch dargestellt:

O – Ein Sachverhalt/Objekt Symbolische Darstellung

Das Werkzeug der Sprache („Organon“) S Sender

Ausdruck ( =Symptom)

Appell (=Signal)

E Empfänger

Quelle: eigene Erstellung auf Basis von BÜHLER, 1934/1965, S. 28

Abb. 2-1: Karl Bühlers Sprachmodell – Sprache als Werkzeug

Mit Hilfe der Sprache kann also Kommunikation gestaltet werden, können Inhalte von einem Sender an einen Empfänger gerichtet werden. Der Sender bedient sich dabei einer Sprache, die er selbst beherrscht und von der er ausgeht, dass auch

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

der Empfänger sie versteht. Mit Rückgriff auf das vorhergehende Kapitel muss dabei klar sein, dass alle Formen von verwendeten Symbolen (d. h. formale und materielle Aussagen) beiden Seiten bekannt sind. Ist dies nicht der Fall, kann die Sprache nicht zweckdienlich eingesetzt werden, kommt es also nicht zur Verständigung und damit zur Kommunikation, wie bereits in Kapitel 1 näher erläutert. Dennoch lohnt ein näherer Blick auf ein Phänomen, das allgemein als „double bind“ (nach Bühler, 1965) bezeichnet wird. Ein Beispiel: Ein Elternteil sieht sein Kind, wie es gerade mit bunten Stiften die Tapete im Wohnzimmer verziert. Wenn das Elternteil nun mit feiner Ironie „Das hast Du aber fein gemacht“ sagt, wird der formale Inhalt „fein gemacht“ beim Kind vermutlich ankommen, aber nicht der Sinn der Ironie. Die Botschaft war ja im Kern „eigentlich ist das gar nichts Feines, sondern etwas ziemlich Unfeines, das Mama / Papa gar nicht mag“. Das Ergebnis: Das Kind wird sich vermutlich in seiner Malarbeit bestätigt und nicht getadelt fühlen und sie fortzusetzen suchen. Kommt es kurz darauf zu einer handfesten Sanktion, ist die Überraschung des Kindes umso größer, wurde es doch  – vermeintlich  – vorhin noch gelobt. Ein derartiges „double bind“ (die wissenschaftliche Etikettierung für eine paradoxe Kommunikation: einerseits eine formal positive Aussage, andererseits eine negative Sanktion) führt zu Verwirrung und kann erst dann sicher aufgelöst werden, wenn der Adressat aufgrund von Situation und Kommunikationsinhalten verbaler und nonverbaler Art Ironie und Zynismus relativ sicher identifizieren kann. Nach bestimmten psychologischen Theorien soll übrigens ein Übermaß an solcher paradoxer Konfrontation bei Kindern diese im Erwachsenenleben für schizophrene Erkrankungen anfällig machen und kann auch zu psychischen Erkrankungen bei Arbeitnehmern führen, wenn sie von ihren Vorgesetzten mit übermäßiger doublebind-Kommunikation traktiert werden (vgl. Kutz, 2016, S. 3 ff.). Bei einem erwachsenen Gegenüber, z. B. dem anderen Elternteil als (Ehe-) Partner, wird man davon ausgehen dürfen, dass über das Stilmittel der Ironie und der zusätzlichen Interpretationshilfe der Umgebung der tatsächliche Kommunikationsinhalt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sicher entschlüsselt wird, in bestimmten Fällen aber auch im Stress einer partnerschaftlichen Diskussion nicht richtig bewertet oder gar bewusst ignoriert oder sogar missverstanden wird, sprich: Sie bietet die Basis für eine Konfliktsteigerung. Welche Faktoren im Einzelnen hier im Hintergrund stehen, dazu sei der geneigte Leser auf die einschlägige Literatur zur Partnerschaftstherapie verwiesen. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunikation sind dabei in Abhängigkeit von der Variabilität und der Fähigkeit zum Verstehen der unterschiedlichen Anwendungen zu sehen. In den meisten Kulturen gilt es nachgerade als Ausdruck von Bildung, bestimmte Sachinhalte durch besonders gelungene Bilder und Formulierungen auszudrücken. Je eleganter der Ausdruck, je feiner zisiliert der Satzbau, umso kultivierter gilt der Absender. Gerade durch den Gebrauch eines bestimmten Satzbaus, bestimmter grammatikalischer Figuren und weiterer sprachlicher Ele-

2.1 Die Gestaltung der direkten Kommunikation 

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mente zeigen Angehörige einer bestimmten Schicht, zu welcher Schicht sie gehören, und formen dadurch das, was Pierre Bourdieu „die feinen Unterschiede“ (drs, 1987, S. 171 ff.) nannte, und was bereits im ersten Kapitel näher dargestellt wurde. Direkte Kommunikation ist folglich eine Form von Interaktion • mit einem Haupteffekt, der Verständigung über einen gemeinsam wahrzunehmenden Gegenstand, dem Inhalt als solchem • und mit mehreren Nebeneffekten, nämlich der Beeinflussung des anderen, um Ziele durchzusetzen, der Intention des Senders. Dies ist im privaten Umfeld genauso wie im gesellschaftlichen Umfeld: Wenn ein Politiker die eigene Position darstellt, wirbt er um Verständnis und Gefolgschaft in der Gesellschaft, in Form von Zustimmung, Wählerstimmen und vielleicht auch um parteiliches Engagement in jeglicher Form (d. h. Spenden, Übernahme von Funktionen, Einsatz als Multiplikator usw.). Wenn ein Unternehmen ein Produkt bewirbt, wirbt es um positive Bewertung des Angebotes und möglichst auch um einen Kauf. Wenn eine Nonprofit-Organisation einen bestimmten Sachverhalt darstellt, so wirbt sie darum, ihr Anliegen zu befördern und durch Mitarbeit oder Spenden auch zu unterstützen. Die Frage, die sich nun stellt, ist die: Passiert immer das, was der Sender mit seinem Kommunikationsinhalt vorschlägt? Und die Antwort lautet erfahrungsgemäß: Nicht immer, was sich auch an der Bandbreite der einschlägigen Ratgeberliteratur zeigt (z. B. Engl und Thurmaier, 2012; Gottman und Silver, 2011). Mit etwas Zynismus könnte man sogar vermuten, es gibt normalerweise vor allem Missverständnisse, und das „richtige Verstehen“ ist eher Zufall, zumindest aber nicht der Normalfall. Vielleicht war der Empfänger gar nicht bereit, auf den Kommunikationswunsch einzugehen. Vielleicht hat er den Hinweis auf das Schnitzel nicht als Äußerung von Hunger und dem Wunsch nach gemeinsamen Essen gehen verstanden, sondern als Hinweis auf eine besonders hübsch angerichtete Speise. Vielleicht war er auch gerade gedanklich nicht beim Essen, weil ihm etwas ganz anderes durch den Kopf geht (eine Auseinandersetzung im Berufsleben, eine Überlegung zur Anschaffung eines neuen Autos oder zur Planung der nächsten Reise, …?). Vielleicht will er gar nicht darauf eingehen, weil er Vegetarier ist und den Konsum von Fleisch ablehnt, oder weil er mit dem Sender gerade in einem Konflikt steckt und über die Missachtung bzw. das Falschverstehen eine Möglichkeit sieht, den Konflikt in seinem Sinne zu gestalten. Kommunikation ist also auch mit einigen Unsicherheiten verbunden, und die Wirkung von gesendeter und empfangener Botschaft wird in verschiedenen Formen analysiert. Die einfachste Form ist die der so genannten LASSWELL-Formel: WER sagt WAS in WELCHEM Kanal mit W ­ ELCHEM Effekt? („Who says what to whom in which channel with what effect?“). Harold D. Laswell (1948) wollte damit Ansatzpunkte schaffen, um zu klären, was im Kommunikationsprozess abläuft und nicht zuletzt Hilfen zu geben, wie Kommunikation erfolgreich gestaltet und Kommunikationsprobleme behoben

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

werden können. Nebenbei bemerkt: Es ging bei der Entwicklung von Harold Laswell um eine Handlungsempfehlung dafür, wie die US-Regierung erfolgreich politische Propaganda betreiben könnte, was hier aber nicht weiter verfolgt werden soll. Allerdings, und hier gehen wir über das Laswell-Modell hinaus, muss man bei jeder Form von Kommunikation die Umfeldbedingungen beachten. Jeder von uns nimmt bei Kommunikation nicht nur einen direkten Kommunikationsinhalt auf, sondern bewertet auch immer die Umgebung im Hinblick darauf, wie der Kommunikationsinhalt bewertet werden muss, um eben die Intention des Senders besser entdecken zu können. Und dies kann im nachfolgenden Schema in Abbildung 2-2 gut strukturiert werden: Wer?

Sagt was?

Zu wem?

Auf welchem Kanal?

Mit welchem Effekt?

In welcher Situation?

Sender Hier: Lebens­ partner A, im Moment hungrig

Sachinhalt: „Schau mal, so ein schönes Schnitzel, und so ein schöner Salatteller dazu“

Empfänger Hier: Lebens­ partner B, steht gerade gegenüber, eventuell auch hungrig

Mündlich /­ ​ verbal, mittels einer gemein­samen Sprache

a) beide gehen essen b) E sagt: „Schöner Servier­ vorschlag“ c) „Fleisch ist ungesund, Du weißt doch, ich bin Vege­tarier“ d) …

i) gemütliche Gaststätte ii) Schnell­ imbiss iii) Almhütte iv) …

Umweltfaktoren, die auf den Sender einwirken: Geräusche, Räume, vorher­ gehende Begegnungen…

Umweltfaktoren, die auf die Botschaft einwirken: Gestalt der Träger­ medien, Geräuschkulisse etc.

Umweltfaktoren, die auf den Empfänger einwirken, z. B. vorher­ gehende Begegnungen

Klarheit und Interpretierbarkeit des genutzten Kanals

Wahrgenommene erste Reaktionen auf jeweilige Kommunikations­ symbolik

Gesamtwirkung der Situation: angenehm, bedrohlich, neutral, …

Quelle: eigene Erstellung, in Anlehnung an Laswell (1948)

Abb. 2-2: Kommunikations-Analyse mit Hilfe der erweiterten Laswell-Formel

Die Analyse der Kommunikationssituation anhand dieser Kriterien hilft dem Empfänger eines Kommunikationsinhaltes, bestimmte Rahmenbedingungen der Kommunikation zu erfassen und die mögliche Intention des Senders besser zu be-

2.1 Die Gestaltung der direkten Kommunikation 

73

werten. Empfänger kennen einige Impulse und versuchen anhand dieser situationsgebundenen Impulse, die Intention des Senders zu bestimmen, um so eine klarere und eindeutigere Erwiderung auf den Kommunikationsinhalt zu geben. Was dem Empfänger nicht bekannt ist, sind die inneren Impulse des Senders (und auch vice versa – welcher Sender ist sich schon über die innere Struktur des Empfängers vollkommen im klaren?!), und dies kann auch eine scheinbar noch so klare Kommunikationssituation sehr erschweren. Ein Anwendungsbeispiel: Ein Ehepaar ist Anfang Januar in Oberbayern unterwegs, um gemeinsam Ski zu fahren. Es schneit, auf den Nebenstraßen hat sich inzwischen eine durchgehende Schneedecke von vielleicht 5 oder 10 cm Höhe gebildet. Um einem bereits gemeldeten Stau auf der aktuell benutzten Autobahn A 95 auszuweichen, empfiehlt der Beifahrer der Fahrerin, von der Autobahn abzufahren und eine Bundesstraße zu befahren, die über einen Pass führt. Er macht dies regelmäßig, zumal das aktuell gemeinsam genutzte Auto über Frontantrieb und neue Winterreifen verfügt. Sein Wunsch ist, ohne unnötige Verzögerung das Skigebiet zu erreichen. Sein Erfahrungshintergrund sagt ihm, dass bei den gegebenen technischen Voraussetzungen (Frontantrieb des gemeinsam genutzten Fahrzeugs, neue Winterreifen) und dem geringen Verkehrsaufkommen auf der Nebenstraße dies problemlos möglich sein wird und zudem eine deutliche Zeitersparnis gegenüber der staubelasteten Autobahnstrecke verspricht. Er ist schon oft bei Schnee Auto gefahren, und es gab nie Probleme. Am Pass angekommen, bemerkt der Beifahrer, dass die Fahrerin sehr angespannt ist. Auf seine Frage nach dem Grund teilt sie zunächst mit, dass sie nass geschwitzt sei und dies auf vertiefende Nachfrage mit ihrer Erfahrung erläutert, sie wäre als 19jährige bei derartigen Schneeverhältnissen mit ihrem ersten Auto schwer verunglückt, einem Fahrzeug, dass ihr Vater ihr zum Erwerb der Fahrerlaubnis geschenkt hatte. Das Fahrzeug erlitt dabei einen Totalschaden und sie selbst trug erhebliche Verletzungen davon. Sie wollte eigentlich nie wieder auf einer derart verschneiten Straße fahren, und nur ihm zuliebe sei sie diesen Weg gefahren. Und nun sei sie nervlich so fertig, dass sie keine Lust mehr auf Skifahren hätte. Selbstredend kann man sich die darauf folgende Auseinandersetzung lebhaft vorstellen („Warum hast Du das nicht gleich gesagt!?“ „Da hast ja nicht gefragt, sondern mich gezwungen …“, …). Jede neutrale Beobachter, der beide Perspektiven kennt, versteht, warum hier Kommunikation teilweise erfolgreich war (sie ist seiner Empfehlung gefolgt, die Ausweichstraße zu fahren), teilweise aber auch gründlich fehlschlug. Denn das Hauptziel, der gemeinsame Skiausflug ohne Zeitverzug anzutreten, ist vorerst aufgegeben. Grundsätzlich gilt zunächst: beide haben mit ihren Erfahrungen bzw. Einschätzungen recht, denn sie haben ja die entsprechenden Erfahrungen gemacht und daraus ihre eindeutigen Schlüsse gezogen. Bei jeder Form von Kommunikation haben sowohl der Sender als auch der Empfänger ihre gesamten bisherigen Le-

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

benserfahrungen und Erwartungen mehr oder weniger präsent, und damit auch ihre eigenen Anliegen (etwas erreichen oder vermeiden, also irgendetwas zu bewirken) in der jeweiligen Kommunikation. Zudem kennt man bei seinen eigenen Aktivitäten auch Ziele und Erwartungen für die Zukunft. Man kennt die eigene Vergangenheit und man kennt die eigenen Wünsche an die Zukunft, eigene Pläne und Handlungswünsche. Keiner der Beteiligten ist aber in der Lage, die komplexen Erfahrungen und Überlegungen des Gegenübers vollständig zu erkennen oder gar zu berücksichtigen. Vielmehr ist es so, dass jeder Beteiligte nur den Ausschnitt beim anderen wahrnimmt, den er in der konkreten Situation erkennen kann, vielleicht ergänzt um gemeinsame Erfahrungen und Informationen. Und damit kommt Kommunikation immer aus einer Situation mit asymmetrischer Information zustande – über sich selbst weiß man regelmäßig mehr als über den anderen. Man unterstellt aber häufig Symmetrie – man ist doch in der gleichen Situation, der andere müsste doch erkennen, was alles in dieser Situation relevant ist!

Kommunikator 1

o Eigene Erfahrungen o Eigene Werte und Bewertungen o Eigene Ziele

Konkrete Situation

Kommunikator 2

o Eigene Erfahrungen o Eigene Werte und Bewertungen o Eigene Ziele

Quelle: eigene Erstellung

Abb. 2-3: Die Informationsasymmetrie in der Kommunikation

Letztendlich reden beide Seiten aus der Perspektive eines Eisbergs – sie kennen ihren eigenen Eisberg und sehen auch das, was für den anderen unter der Oberfläche des Sees der gemeinsamen Situation verborgen ist. Aufgrund der eigenen Erfahrungen unterstellt z. B. der Sender, dass mit dem Befahren der Ausweichstraße ein Problem gelöst wird, denn er konnte auf dieser Strecke vielleicht schon mehrfach einen Stau umfahren. Auch dürfte er Schnee kaum als Problem wahrnehmen, zumal er beim verwendeten Auto eine sachgemäße Ausstattung mit Vorderradantrieb und Winterreifen erkennt. Hingegen erkennt die Empfängerin aufgrund eigener Erfahrungen neue, sogar größere Probleme, die sie eigentlich vermeiden wollte, nämlich das Befahren einer durch Schneeglätte eingeschränkten Strecke. Wären die beiderseitigen Erfahrungen bereits vorher mitgeteilt worden, hätte der Beifahrer entweder den Vorschlag der Umfahrung des Staus zurückgehalten oder aber angeboten, selbst die gefährliche Strecke zu

2.1 Die Gestaltung der direkten Kommunikation 

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fahren und damit seiner Partnerin das Ungemach zu ersparen. Sinnvoll wäre dies z. B. anhand der Diskussion von Kriterien gewesen, welche Zeitersparnis der Weg über die Nebenstrecke gegenüber dem Verweilen im Stau bedeutet und der Anspannung, der die Fahrerin auch als Beifahrerin beim Weg über den verschneiten Pass ausgesetzt ist. Erfolgreiche Kommunikation basiert also auf einer Schnittmenge an gemeinsamen Informationen, Wertevorstellungen und Zielen, wie es auch die Abbildung 2-4 darstellt: Sender

Empfänger

Eigene Erfahrungen Eigene Werte und Bewertungen Eigene Ziele

Gemeinsame Erfahrungen Gemeinsame Werte und Bewertungen Gemeinsame Ziele = Kommunikationsraum

Eigene Erfahrungen Eigene Werte und Bewertungen Eigene Ziele

Quelle: eigene Erstellung

Abb. 2-4: Die Schnittmenge der erfolgreichen Kommunikation

Um im Eisberg-Bild zu bleiben – gelungene Kommunikation ist damit die Kunst, den eigenen Eisberg soweit über die Wasseroberfläche zu heben, dass der jeweils andere versteht, worauf die eigenen Einschätzungen, Vorschläge und Handlungen beruhen – nicht nur im Hinblick auf physikalische Gesetzmäßigkeiten ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Der Raum für die erfolgreiche Kommunikation ist also die Schnittmenge gemeinsamer Erfahrungen, Werte, Bewertungen und Ziele. Sender und Empfänger können den Erfolg der Kommunikation ganz einfach dadurch erhöhen, dass sie zunächst eigene Wertevorstellungen und Ziele offenlegen sowie eigene Erfahrungen mitteilen und damit den anderen daran teilhaben lassen, um so gemeinsames Wissen zu schaffen. Gesprächstrainings für Lebenspartnerschaften wie „EPL / Ein partnerschaftliches Lernprogramm“ setzen genau darauf, dass Partner in Konfliktsituationen zunächst die eigenen Überlegungen mitteilen bzw. sich die Überlegungen ihres Partners anhören und dann gemeinsam auf die Suche nach einer zweckmäßigen Lösung gehen (vgl. Engl und Thurmaier, 2012). Genau dies passiert aber in zu wenig Fällen. Weil einem als Sender bzw. Empfänger die eigenen Erfahrungen und Erwartungen stets bewusst oder unbewusst präsent sind, teilt man diese nicht oder nicht vollständig mit oder setzt sie sogar bei seinem Gegenüber voraus. Der andere Kommunikationspartner kann also kaum wissen, was der Empfänger bzw. Sender mit bestimmten Inhalten alles verbindet. Vielleicht kann er durch eigene Lebenserfahrungen sich in den anderen hinein versetzen und dessen vermutete Überlegungen in seine eigenen Ansichten und Handlungen integrieren, was als „Empathie“ bezeichnet wird. Allerdings kann er dies nur in Ausschnitten, da einem kaum die gesamte Lebensgeschichte des Gegenübers mit allen Erfahrungen und Wertevorstellungen bekannt sein dürfte. Dies gilt aber nur für die Ereignisse und Erfahrungen, die ähnlich bewertet werden. Wer als Jugendlicher in der Schule

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

gemobbt wurde, aber aufgrund einer stabilen familiären Struktur abgefedert wurde oder einer anderen Bewältigungsstrategie durchstehen konnte, wird diese Erfahrung gelassener bewerten und auch in Zukunft verbale Aggressionen etwas leichter nehmen als jemand, der daheim kein Verständnis und kaum Unterstützung fand. Wer also in diesem Fall eine vergleichbare Erfahrung dem anderen mitteilt, muss noch lange kein Verständnis ernten. Und vielleicht nimmt man auch bestimmte Äußerungen des Gegenübers wahr, die vom Gegenüber so nicht gemeint waren oder diesem am Ende gar nicht bewusst sind. Vielleicht sieht sich der Sender als entschlossen und direkt an, wenn er direkte Formulierungen und direktes Feedback verwendet. Er wird aber vom Empfänger als arrogant eingestuft, weil dieser damit rücksichtsloses Verhalten gleichsetzt. Oder aber der Sender übt sich aus Höflichkeit in Zurückhaltung, was der Empfänger als Verzagtheit und Unentschlossenheit deutet. Für einige Menschen gilt dies als „blinder Fleck“ – der Absender weiß nicht um eine bestimmte Wirkung bestimmter Kommunikationssignale. Schließlich können auch noch Aspekte einfließen, die im Unterbewussten verarbeitet werden, aber kaum explizit in der Kommunikation thematisiert werden. So kann die Einstufung einer bestimmten Farbe als angenehm oder unangenehm ebenso über den erfolgreichen Verlauf eines Gesprächs entscheiden wie die Einschätzung bestimmter Körpermerkmale bei einem Gegenüber. Ein Mann von 160 Zentimeter Körpergröße reagiert auf einen gleichgroßen Menschen oft genug anders als auf einen Hünen von 195 Zentimetern Körpergröße, allein schon durch die Tatsache bedingt, dass er in dem einen Fall auf Augenhöhe spricht und im anderen Fall fast schon wie ein Kind zu seinem Vater aufblicken muss. Die beiden Forscher Joe Luft und Harry Ingham (1955) haben daraus das so genannte „JOHARI-Fenster“ abgeleitet, das bereits in Abschnitt 1.8.2 angesprochen wurde. Es besitzt vier Felder der Wahrnehmung (= „Fenster“), in Abbildung 2-5 dargestellt. Die Bereiche A und B sind dem Gegenüber bewusst, die Bereiche A und C sind uns selbst als Absender bekannt. Einig sind sich beide Seiten aber nur über den Bereich A, und dieser ist durch Kommunikation direkt gestaltbar. Die Bereiche B und C sind aber in der Kommunikation präsent, und zwar auf einer Seite. Sie unterscheiden sich aber dadurch, dass der Bereich C in den eigenen Kommunikationsbemühungen regelrecht vermieden werden soll – man möchte dazu nichts verraten bzw. das, was man verraten könnte, in geeigneter Form verschleiern. Bereich B hingegen könnte uns durchaus interessieren, wird aber von der Gegenseite (noch) nicht übermittelt. Teilweise geschieht dies aus Höflichkeit, teilweise aus Unsicherheit oder aus „nicht zuständig fühlen“. Wenn z. B. ein Hochschullehrer in die Vorlesung kommt, und Studierende entdecken, dass das „Hosentürl“ offensteht, kann dies Quell zur Belustigung sein oder auch schamvoll verschwiegen werden oder auch Gegenstand zu diskreten Bemühungen werden, der betroffenen Person das Malheur so mitzuteilen, dass er es mitbekommt, aber ohne dass es für

2.1 Die Gestaltung der direkten Kommunikation 

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Uns selbst bekannt

Uns selbst nicht bekannt

Dem Gegenüber bekannt

A Bereich des freien Handelns Tatsachen, die beiden Beteiligten zugänglich und für beide ersichtlich sind und über die beide Seiten sich austauschen können auch „öffentliche Person“ genannt

B Bereich des „blinden Flecks“ Kann durch Kommunikation der anderen mit uns aufgelöst ­werden

Dem Gegenüber unbekannt

C Bereich des Verbergens Das was wir – aus welchem Grund auch immer – lieber für uns behalten möchten – Kommunikation wird möglichst unterbunden auch „private Person“ genannt

D Bereich des Unbewussten Dessen Auswirkung kann auf das alltägliche Geschehen zwar erfolgsbestimmend sein, aber entzieht sich den psychologischen Amateuren

Quelle: eigene Erweiterung, auf Basis von Luft und Ingham (1955)

Abb. 2-5: Das Johari-Fenster

ihn selbst peinlich wird oder allzu viele Kommilitonen dies mitbekommen sollen. Die Erfahrung lehrt, dass derartige diskrete Kommunikationsversuche genial scheitern, weil sie ob ihrer subtilen Gestaltung erst gar nicht verstanden oder aber in einer Form missverstanden werden, dass sich daraus eine für alle Anwesenden wahrnehmbare Aufklärungssituation ergibt. Nun muss in einer Kommunikationssituation nicht immer alles jedem mitgeteilt werden. Für viele Menschen ist es nachgerade auch wichtig, sich nicht vollständig offenzulegen. Wozu soll der Gegenüber auch wissen, dass man daheim nicht immer nur der freundliche, offene Mitmensch ist, sondern aus Erholungszwecken auch mal sehr kurz angebunden sein kann? Wozu müssen die Zuschauer wissen, dass der hoch gelobte Fernsehkoch daheim am liebsten ein Butterbrot isst oder sich noch lieber von der Lebenspartnerin mit Hausmannskost verwöhnen lässt? Der Bereich C hat also entlastende Funktionen. Genauso ist es nicht unbedingt erforderlich, dass wir wissen, was unser Gegenüber alles über uns weiß bzw. wahrnimmt. Vielleicht ist es sogar ganz gut, dass wir nicht wissen, was der Gegenüber über uns alles weiß bzw. in unser Verhalten hinein interpretiert. Wichtig ist allein, dass der Bereich A groß genug ist, um eine erfolgreiche Kommunikation entstehen zu lassen, und der Bereich B auch nicht zu groß wird, um den Bereich A zu überlagern. Es wäre im Übrigen auch zu umständlich, alle Aspekte permanent mitzuteilen. Aber zumindest setzt erfolgreiche Verständigung voraus, dass man ungefähr über die Erfahrungen, Werte und Erwartungen das jeweilige Gegenüber orientiert ist, um sie zur Beurteilung einer Botschaft heranzuziehen. Man muss die gemeinsame

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

Schnittmenge der Kommunikation in angemessener Größe gestalten. Schwierig wird dies aber immer dann sein, wenn, wenn man eigene Interessen und Ziele greifbar nahe sieht, z. B. das schnelle Erreichen eines bestimmten Zielortes oder aber das gefahrlose Erreichen des Zielortes ohne Zeitlimit. Darunter leidet dann auch die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Kommunikation setzt also voraus: • die Fähigkeit und den Willen bei allen Beteiligten, die Kommunikation zu einem Erfolg werden zu lassen, z. B. durch die Vereinbarung gemeinsamer Kommunikationsregeln, • einen Vorrat an gemeinsamen Kommunikationszeichen (Sprache etc.), • die Fähigkeit des Senders zu beurteilen, mit welchem Hintergrund der Empfänger eine bestimmte Botschaft aufnehmen wird, • die Fähigkeit des Empfängers zu erkennen, mit welchem Hintergrund der Sender eine bestimmte Botschaft sendet • und das daraus abgeleitete gemeinsame Ziel der Kommunikation. Man erkennt sehr schnell, Kommunikation ist schwieriger als gedacht, weil komplexer. Dass sie im Alltag dennoch häufig funktioniert, hat verschiedene Gründe. Zunächst einmal sind sich Empfänger und Sender aufgrund einer bestimmten Umweltsituation („setting“) ungefähr einig, um welches Thema es gehen soll. Zum zweiten verfügen Menschen ab einem gewissen Lebensalter über bestimmte Lebenserfahrungen, die ihnen bei der Interpretation helfen können. Eine der wichtigsten Erfahrungen ist die, dass jeder Mensch seinen eigenen Hintergrund hat, und man entsprechend großzügig mit der Interpretation der Botschaften des jeweiligen Gegenübers umgehen kann. Drittens haben Menschen oftmals die Möglichkeit, bestimmte für sie unbefriedigende Kommunikationssituationen zu verlassen. Viele Kommunikationssituationen sind im Prinzip freiwillige Situationen! Und viertens verbindet die an Kommunikation beteiligten Menschen gemeinsame Interessen, und dieses Verbinden (lat. inter esse – es ist etwas dazwischen, es verbindet etwas) sorgt dafür, dass sich Menschen auch im Großen und Ganzen abstimmen. Gestatten wir uns an dieser Stelle einen Exkurs zu den Interessen des Empfängers als Basis für gelungene Kommunikation. Als Sender wird man sich in jeder Situation fragen, nach welchen Gesichtspunkten ein Empfänger den ausgesandten Inhalt aufnehmen und interpretieren wird. Generell weiß jeder aus eigener Anschauung, dass nicht alles, was wir hören, lesen oder sehen, uns auch interessiert. Und nur das, was uns interessiert, bekommt unsere Aufmerksamkeit und hat die Chance, von uns aufgenommen zu werden. Diese Auswahl erfolgt nicht zufällig, sondern nach sinnvollen Kriterien. Sie wurden auf der Basis einer bestimmten Grundprägung und unserer Instinkte ausgerichtet und durch sukzessives Lernen ausgeweitet und verändert. Es findet somit eine „Selbstorganisation des Bewusstseins“ statt. Sobald hier ein bestimmter

2.1 Die Gestaltung der direkten Kommunikation 

79

Wertekanon angelegt und verfestigt ist, werden die meisten Informationen vor dem Hintergrund dieses Bewusstseins interpretiert. Für die Generation der Kriegskinder und der ersten Nachkriegszeit, mithin die Geburtsjahrgänge vor 1950, war tägliche Existenznot ein selbstverständlicher Bestandteil des Lebens. Sie haben damit zeitlebens eine Tendenz gezeigt, insbesondere bei Krisensituationen Notvorräte anzulegen, mit deren Hilfe man einige Zeit auch ohne Einkäufe überleben kann. Eine Verhaltensweise, die man bei der Generation der nach 1970 Geborenen eher nicht finden wird. Die im Zuge des ersten Golfkriegs 1991 nachgewiesenen Hamsterkäufe bei bestimmten Lebensmitteln und Waschmitteln (siehe Eisch-Angus, 2018, S. 556 f.) war im Wesentlichen auf diese Kriegs- und Nachkriegsgeneration zurückzuführen. Sie haben reflexhaft auf die Nachricht eines Kriegsausbruchs reagiert. Allerdings können die aktuellen Ereignisse rund um die Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 hier vermutlich ein Umdenken bewirken, insbesondere was die Menge des bevorrateten Toilettenpapiers betrifft. Analoges findet sich bei bestimmten Berufsbildern. Polizisten werden ihre Mitmenschen in einem anderen Kontext wahrnehmen als Juristen, Pädagogen, Psychologen oder Mitarbeiter im Fachhandel oder Versicherungswesen. Daniel Warnotte, ein belgischer Soziologe, spricht in diesem Zusammenhang von der „déformation professionelle“ (drs., 1937, S. 246), der berufsspezifischen Prägung des Alltagslebens. Der Hintergrund ist sehr einfach: Jedes Berufsbild setzt ein bestimmtes Menschenbild und auch bestimmte, standardisierte Handlungsweisen voraus. Pädagogen wollen in dieser Perspektive vor allem Wissen und Handlungsweisen vermitteln – sie wirken oft „belehrend“. Juristen hingegen müssen die Rechtsfolgen bedenken, die sich insbesondere bei nicht regelkonformen Verhalten ergeben. Im Gegenzug sind sie in ihrer Berufsausübung darauf spezialisiert, bei der Gegenseite jeden noch so kleinen Fehler auszunutzen und argumentativ zu verarbeiten. Eine Absicherung gegen diese Regelverstöße ist daher regelmäßig Bestandteil ihrer Äußerungen, ebenso wie eine von Nicht-Juristen möglicherweise als aggressiv empfundene Spitzfindigkeit. Entsprechend unterstellen die Angehörigen eines jeden Berufsstandes bestimmte Verhaltensweisen und Orientierungen bei ihren jeweiligen Kommunikationspartnern, was natürlich bei einem Aufeinandertreffen von Vertretern unterschiedlicher Berufsgruppen durchaus auch zu Missverständnissen und Konflikten führen kann. Der Kalauer vom Autounfall zwischen einem Arzt und einem Anwalt („Wenn Sie verletzt sind, haben Sie Glück, ich bin Arzt.“  – „Wenn ich verletzt bin, haben Sie Pech, ich bin Anwalt.“) bringt dies pointiert zum Ausdruck. Besser wäre es, wenn man Schnittmengen sucht, die auf gleichgerichteten Interessen beruht. Zugegebenermaßen sind diese im Falle eines Unfalls relativ schwer zu finden, wenn nicht gerade beide Seiten unter Alkoholeinfluss stehen. Erfolgreiche Kommunikation rekurriert also auf die Wahrnehmung des Empfängers durch den Sender und sein Vermögen, das Interesse des Empfängers zu wecken und zu halten.

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

Entsprechend der divergierenden Absichten und Erfahrungshintergründe kommt nicht alles so an, wie es abgeschickt wird, wie es der Sender vom Empfänger verstanden wissen will. Die daraus entstehenden Probleme und Konflikte erfordern daher eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Interpretationsmustern von Sender und Empfänger zusammen, denen sich der nächste Abschnitt annimmt.

2.2 Die kontextuale Interpretation von direkter Kommunikation Eine sichere Interpretation gesendeter Inhalte wie auch eine unmissverständliche Aussendung von Inhalten basieren entsprechend des Laswell-Modells darauf, dass der Kontext für alle Beteiligten hinreichend geklärt ist. Nur wer den Kontext situativ passend interpretiert, kann klare Botschaften senden.

2.2.1 Die verschiedenen Ebenen der direkten Kommunikation Auf den Münchner Psychologie-Professor Friedemann Schulz von Thun geht ein Analyseschema zurück, das anhand von vier Ebenen die Ursachen von Kommunikationsstörungen aufzuklären hilft. Konkret geht es ihm um (vgl. Schulz von Thun, 2011, S. 26 ff.): • eine Sach-Botschaft (Was hat der Sender erkannt, welchen Sachverhalt will er dem Empfänger mitteilen?), • eine Beziehungs-Botschaft (In welcher Beziehung sieht sich der Sender zum Empfänger und vice versa?), • eine Selbstoffenbarungs-Botschaft (Wie nimmt der Sender den relevanten Sachverhalt war?), • eine Appell-Botschaft (Wie soll der Empfänger auf das Anliegen des Senders reagieren?). Aufgrund der Illustration mit vier Ohren, mit denen ein Empfänger die Nachrichten aufnimmt, hat es sehr schnell die Bezeichnung „Das Vier-Ohren-Modell“ erhalten. Jeder interpretiert Äußerungen des Gegenübers auf diesen vier Ebenen, hört also bildhaft gesprochen mit vier Ohren zu. Und genauso sendet man als Kommunikator auch auf vier Ebenen, spricht also – um im Bild zu bleiben – mit vier verschiedenen Schnäbeln die vier Ohren seines Gegenübers an. Die Grundsätze seines Kommunikationsmodells erläutert Schulz von Thun anhand einer Standardsituation (2011, S. 27 ff.): Ein Mann und eine Frau befinden sich gemeinsam im Auto, die Frau fährt. Der Mann als aufmerksamer Beifahrer

2.2 Die kontextuale Interpretation von direkter Kommunikation 

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Sachinhalt

Selbsto enbarung

Appell

Nachricht

Be zie hung Quelle: eigene Bearbeitung von Schulz von Thun, 2011, S. 26

Abb. 2-6: Die vier Ebenen der Kommunikation nach Schulz von Thun

bemerkt: „Du, da vorne ist rot!“, und die Frau entgegnet: „Fahre ich, oder fährst Du!?“ Anhand dieser kurzen Sequenz zeigt Schulz von Thun auf, welche Ebenen in Kommunikationssituationen enthalten sind und wie sich diese auswirken. Übertragen auf das benannte Beispiel könnte folgende Aufschlüsselung erfolgen: Sach-Botschaft

BeziehungsBotschaft

Selbstoffen­ barungs-Botschaft

Appell-Botschaft

Mann

Vorne ist eine rote Ampel

Ich bin Dein Beifahrer und muss Dir helfen

Ich habe Angst, dass Du die Situation nicht richtig erkannt hast

Bitte fahre langsa­mer  /­  halte an!

Frau

Bitte mische Dich nicht in mein Autofahren ein

Du hältst mich für hilflos

Du unterstellst mir Unfähigkeit

Bitte sei still (und unterlasse Deine Hinweise in Zukunft)!

Quelle: eigene Erstellung, in Anlehnung an Schulz von Thun, 2011, S. 27 ff.

Abb. 2-7: Aufschlüsselung einer Sequenz nach dem 4-Ebenen-Modell Schulz von Thuns

Derartige Kommunikationssituationen, in denen vermeintlich Hilfreiches als unerwünscht zurückgewiesen wird, gibt es zuhauf. Es gibt auch noch eine Vielzahl weiterer missglückter Kommunikationssequenzen, in denen es zu Problemen zwischen Sendern und Empfängern kam. Der Grund ist einfach und wurde auch schon in Abschnitt 1.4.1 angesprochen: Nicht jeder versteht das, was der andere sagt, mit der gleichen Gewichtung. Manche verstehen Aussagen überhaupt nicht oder nur abgeschwächt, oder sie werden verstärkt aufgenommen. Im ersten Fall wird aus

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

einer Anweisung ein freundlicher, unverbindlicher Hinweis. Im zweiten Fall deutet der Empfänger einen freundlichen Hinweis als eine Drohung, oder eine scherzhafte Bemerkung wird als eine handfeste Beleidigung wahrgenommen. Schulz von Thun gibt hierzu verschiedene Hinweise (vgl. drs. 2011, S. 28 ff.). Seiner Ansicht nach sind bei bestimmten Absendern typische Muster vorhanden, die nur einen Teil der vier Ebenen bevorzugen. Die Sach-Ebene ist laut Schulz von Thun v. a. bei Akademikern und Männern gegeben. Es wird eine Sachauseinandersetzung gesucht. Andere Ebenen kommen nicht vor, was vor allem in Lebenspartnerschaften problematisch sein kann. Als Beispiel verweist Schulz von Thun auf folgenden Dialog: S: „Liebst Du mich?“, worauf E mit: „Was ist Liebe?“ antwortet. Nutzern der Yellow-press-Medien fällt sofort die Sequenz mit dem Prinz of Wales und seiner frisch verlobten Partnerin Lady Diana Spencer aus dem Jahr 1981 ein, der recht ähnlich auf eine entsprechende Reporterfrage („Are you in love?“) antwortete mit „Whatever in love means“. Hilfreich wäre hier die Suche nach anderen Ebenen, die in der Antwort angesprochen werden, z. B. „Sicher, mein Schatz, was macht Dich an meiner Zuneigung zweifeln?“ Ob man allerdings als E an dieser Stelle eine abschließende oder gar völlig zufrieden stellende Antwort bekommt, wird jedem, der sich schon länger mit dem Thema Beziehungen auseinandersetzt, ebenso zweifeln lassen. Noch besser wäre, im Sinne von S, die Antwort „Natürlich, mein lieber Schatz, es geht mir sehr gut mit Dir, und ich möchte Dir an dieser Stelle sagen, dass es die beste Entscheidung meines Lebens war, mich mit Dir zusammenzutun.“ Das wiederum setzt allerdings aller Erfahrung nach entweder ein ausgeprägtes schauspielerisches Talent voraus oder aber tatsächlich den Zustand einer völlig zufriedenstellenden Gefühlslage auf Seiten von E, verbunden mit der absoluten Präsenz in der Fragesituation. Als Störfaktor im Sinne von Lasswells Formel kämen z. B. berufliche Sorgen, eine vor E liegende Tageszeitung (oder wahlweise ein Tablet oder eine Playstation) und ähnliche Gegenstände in Frage, die die Aufmerksamkeit von E in Beschlag nehmen. Die Überbetonung der Beziehungs-Ebene führt dazu, dass sehr viel persönlich genommen wird und zu emotionalen Verstimmungen führt, sozusagen zu „Überempfindlichkeiten“. Wenn S: „Schönes Wetter heute“ sagt, hört E: ‚Du langweilst mich, ich kann mich nur über Banales unterhalten‘. Schulz von Thun empfiehlt eine Prüfung, ob nicht nur eine Selbstoffenbarung vorliegt (S: „ich freue mich über die Sonne“). Seiner Ansicht nach neigen insbesondere Kinder dazu, die Beziehungsebene überzubewerten, da sie aufgrund ihrer Abhängigkeit von den Eltern ein hohes Interesse an einer intakten Beziehung haben und daher jede Gefahr für diese Beziehung frühzeitig erkennen wollen (vgl. drs., 2011, S. 30 ff.). Eine Betonung der Selbstoffenbarungs-Ebene – als Beispiel äußert S: „So ein Saustall hier!“, wird hier von E aufgefasst als: „Ich kann nicht Ordnung halten“ / „Er hat heute einen schlechten Tag gehabt“. Eine Überbetonung der Selbstoffenbarung findet sich oft in den Fällen, in denen der Empfänger den Sender als Selbstdarsteller wahrnimmt. Entsprechend greift der Empfänger auf das Interpretationsschema „Der erzählt was über sich, aber für mich hat das keine Bedeutung“ zurück.

2.2 Die kontextuale Interpretation von direkter Kommunikation 

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Eine besondere Betonung der Appell-Ebene bewirkt ein „dauernd auf dem Sprung zu sein“. Wenn S: „So ein heißer Tag!“ äußert, liest E daraus ab, dass S durstig ist und wird vermutlich „Willst Du etwas trinken?“ entgegnen. Im Prinzip wird immer eine Absicht unterstellt, beim anderen eine Handlung zu bewirken. Eine Überinterpretation auf dieser Ebene wird wahrscheinlich sein in den Fällen, in denen sich ein Empfänger dem Sender als unterlegen empfindet und Probleme vermeiden will. Als Hintergrund geht Schulz von Thun darauf ein, dass jeder Empfänger eigene Vorerfahrungen besitzt, mit deren Hilfe er Botschaften entschlüsselt (vgl. drs., 2011, S. 30 ff.). Da diese kaum mit denjenigen des Senders übereinstimmen, sind Fehlinterpretationen wahrscheinlich und üblich. Es ist daher zu prüfen, welche Ursachen die Empfangsfehler haben. Banale Gründe dafür können verschiedene Sprachmilieus von Sender und Empfänger sein, wenn sie aus verschiedenen Schichten stammen und entsprechend schichtenspezifische Gewohnheiten pflegen. Ähnliches gilt, wenn beide verschiedene familiäre Hintergründe besitzen. Auch das Selbstkonzept des Empfängers kann von Bedeutung sein, insbesondere bei geringem Selbstbewusstsein wird auch überinterpretiert. Des Weiteren sind das Bild des Empfängers vom Sender einschließlich seiner Signale wie Körperhaltung, Kleidung, etc. und die „korrelierten Botschaften“ – das „Mithören von weiteren Botschaften“ zu betrachten. Zusätzliche Erschwernis bietet die Machtfrage. In vielen Kommunikationssituationen wird über Macht verhandelt. Wenn ein Beteiligter die Deutungshoheit über die Interpretation einer bestimmten Sachaussage gewinnen will, so ist dies ebenso als Machtfrage zu verstehen wie der Ansatz eines anderen Beteiligten, als gleichberechtigt wahrgenommen zu werden. Im Beispiel der roten Ampel hat der Beifahrer den Wunsch, dass seine Wahrnehmung (z. B. der Bremsweg ist jetzt schon mehr als knapp) als die gültige erkannt wird und die Fahrerin unverzüglich geeignete Maßnahmen (bremsen, runterschalten) einleitet. Hingegen wird die Fahrerin darauf pochen, dass sie als Fahrerin die alleinige Verantwortung trägt und aufgrund ihrer Erfahrung mit dem Auto im besonderen und dem Straßenverkehr allgemein die Situation völlig im Griff hat und deswegen zu einem von ihr als geeignet erscheinenden Zeitpunkt sinnvolle Maßnahmen (schalten, bremsen, etc.) ergreifen wird. So kann man auch erklären, dass ein an sich übereinstimmender Sachgehalt (rote Ampel) unterschiedlich interpretiert wird, weil sich die Machtfrage oft gemeinsam in der Beziehungs- und Appellebene stellt. Beziehungen als Über- bzw. Unterordnung oder auch als Gleichberechtigung sind hier untrennbar verquickt mit der Appellebene, denn wer die Deutungsmacht hat, hat auch die Möglichkeit, seinem Appell die höhere Priorität zu geben. Die empfangene Nachricht ist damit letztendlich ein Machwerk des Empfängers, der die empfangenen Signale auf den vier Ebenen zusammen stellt und entsprechend interpretiert. Ein Sender wird nie vollständig sicher vorher sagen können,

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

welche internen Prozesse beim Empfänger ablaufen. Allerdings kann er einige positive Voraussetzungen schaffen, indem er so genannte „Ich-Botschaften“ sendet und „Du-Botschaften“ vermeidet. „Ich-Botschaften“ sind Selbstoffenbarungen, in denen der Sender etwas über sich mitteilt. Sie geben dem Empfänger die Möglichkeit, das Anliegen des Absenders besser zu interpretieren und insbesondere den Appellcharakter eher als Vorschlag denn als Anweisung aufzunehmen. Damit vermeidet der Sender also auch eine übermäßige Betonung einer Macht, also der über- oder untergeordneten Beziehung (vgl. Schulz von Thun, 2011, S. 80 ff.; ergänzend Rosenberg und Seils, 2004; Gordon, 1989). „Du-Botschaften“ betonen hingegen die Appellebene und sprechen auch die Beziehungsebene an. Weil der Empfänger damit in eine bestimmte Rolle oder Position gezwungen wird („Du als Jurist musst doch wissen, dass …“; „Du als Mann bist immer so dominant“ etc.), übt der Sender gleichzeitig auch Deutungsmacht aus und der Empfänger wird viel deutlicher zu einer Reaktion gezwungen wird, unabhängig von der Frage, was der Sender tatsächlich sagen wollte und in welcher Form sich der Empfänger mit der konkreten Situation bereits auseinandergesetzt hat. Der Empfänger hat folglich kaum noch einen Freiraum für eine eigenständige Problemanalyse und -bearbeitung und wird entsprechend reagieren. Er kann die Rollenzuweisung der Du-Botschaft zurückweisen und damit die Kommunikation auf eine andere Ebene lenken (Auseinandersetzung über die Berechtigung der Rollenzuweisung), was häufig genug einen Konflikt eröffnet, oder aber er kann die zugewiesene Rolle aufnehmen und rollenkonform antworten. Vorteilhaft ist, dass zunächst ein Konflikt vermieden und vorderhand die Kommunikation für beide Seiten übereinstimmend durchgeführt wurde. Allerdings ergibt sich längerfristig das Problem, dass der Empfänger sich dauerhaft der zugewiesenen Rolle entzieht und sich nicht mehr auf die vereinbarten Inhalte verpflichtet fühlt. Halten wir als Zwischenstand fest: • Nach Schulz von Thun wird jede Kommunikationsbotschaft auf vier Ebenen interpretiert: der Sachebene, der Beziehungsebene, der Selbstoffenbarungsebene und der Appellebene. • Die Interpretation erfolgt vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen und An­ liegen. • „Ich-Botschaften“ erlauben gegenüber von „Du-Botschaften“ eine machtfreie Interpretation der gesendeten Inhalte und kann damit aggressive Inhalte zurück nehmen. Die Frage ist nun: Wie kann unter diesen Bedingungen Kommunikation erfolgreichen entstehen? Von zentraler Bedeutung ist auf alle Fälle die Fähigkeit, den gesamten Kommunikationsinhalt zu erfassen, also neben der reinen Darstellung eines Sachverhaltes auch die versteckt enthaltenen Botschaften richtig und voll umfänglich zu interpretieren.

2.2 Die kontextuale Interpretation von direkter Kommunikation 

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2.2.2 Explizite und implizite Botschaften in der direkten Kommunikation Wir wissen selbst, dass wir in bestimmten Situationen aus Gründen der Höflichkeit oder auch aus anderen Gründen bestimmte Botschaften in ein etwas gefälligeres Mäntelchen hüllen. Die Kunst der Diplomatie beruht geradezu darauf, unangenehme Dinge so angenehm zu gestalten, dass niemand das Gesicht verliert und der Empfänger dennoch weiß, was gemeint ist. Eine versalzene Suppe wird auf diese Weise zu einem sehr eigenwilligen oder kreativen Aroma, das man halt noch optimieren muss. Ein schmerzhafter Tritt auf Nachbars Fuß ist ein Versehen und eine dringende Anweisung entfaltet oft mehr Wirkung, wenn sie in Form einer freundlich, aber auch nachdrücklich vorgetragenen Bitte erscheint. Dies führt zur Unterscheidung zwischen expliziten und impliziten Nachrichten. Explizite Nachrichten werden ausdrücklich so formuliert, wie sie gemeint sind und umfassen einen Sachinhalt. Implizite Nachrichten sind in der Nachricht enthalten, ohne dass sie direkt gesagt werden, aber dennoch deutliche Signale senden. Die Vorgesetzte, die zu einer Mitarbeiterin sagt „Wäre es vielleicht möglich, diesen Vorgang bis heute Abend zu bearbeiten? Könnte dazu nicht der aktuell von Ihnen bearbeitete Vorgang etwas verschoben werden?“ kann in dieser Bitte implizit kommunizieren: „Bis heute Abend ist der Vorgang abgeschlossen, ansonsten gibt es Ärger!“, ohne dass man aber gleich den Prügel schwingen muss. Wird eine Frage nach dem Wohlbefinden mit „Danke der Nachfrage, alles bestens!“ beantwortet, kann diese Antwort durchaus enthalten „Lass mich in Ruhe!“, ohne dass man den freundlichen Frager gleich vor den Kopf stößt. In der Tat haben sich in vielen zivilisierten Gesellschaften Formen der Kommunikation herausgebildet, die eigentlich etwas anderes transportieren als den offenen Inhalt. Das freundliche Erkundigen nach dem Wohlbefinden signalisiert nicht unbedingt Interesse am Gesundheitszustand des Gesprächspartners, sondern soll dokumentieren „Ich bin ein zivilisierter Mensch, Sie sind auch ein zivilisierter Mensch  – lassen Sie uns in zivilisierter Weise miteinander umgehen!“ Was „zivilisiert“ in der konkreten Situation bedeuten mag, hängt allerdings von einigen Faktoren ab, die keiner der beiden Gesprächsteilnehmer vollständig abschätzen kann. Nehmen wir an, dass S und E zwei Arbeitskollegen sind, und S möchte E zur Mitarbeit in einem Projekt gewinnen. Mit der Eröffnungsfrage nach dem Wohlbefinden möchte S zunächst einmal eine freundliche Arbeitsatmosphäre gestalten, um sodann die Projektidee vorzutragen und E für die Mitarbeit gewinnen. Würde in dieser Situation der Empfänger die Frage nach dem Wohlbefinden wortwörtlich nehmen und zunächst seine Krankheitsgeschichte der letzten sechs Jahre erzählen, um so die Frage nach dem Wohlbefinden erschöpfend zu beantworten, wäre E zwar der expliziten Botschaft gerecht geworden, nicht aber der impliziten, nämlich der zu signalisieren, ob es die Möglichkeit für ein gemeinsames Gespräch zur Gestaltung eines Projektes gibt.

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

Analog baut Schulz von Thun (2011, S. 30 ff.) eine Situation zwischen Mutter und Tochter auf, die schematisiert folgendermaßen gestaltet ist. Mutter

14jährige Tochter

Explizite Nachricht

„Zieh Dir eine Jacke an, draußen ist es kalt!“

„Warum denn, ist doch gar nicht kalt!“

Implizite Nachricht

Ich mache mir Sorgen um Dich. Du sollst nicht leichtsinnig sein.

Ich kann auf mich selber aufpassen. Lass mich unabhängig werden.

Quelle: eigene Erstellung nach Schulz von Thun, 2011, S. 30 ff.

Abb. 2-8: Analyse von Nachrichten auf der Ebene explizit-implizit

In dieser Kommunikationssituation wird also nicht vorrangig über Bekleidung verhandelt, sondern über Beziehung! Und folglich sind auch die Bedeutungen der vier Ebenen einer Kommunikation entsprechend des explizit ausgedrückten und des implizit gemeinten Kommunikationsinhaltes zu betrachten. Diese etwas umständliche Variante hat einen großen Vorteil für den Sender: Die impliziten Nachrichten können so durch explizite Nachrichten kommuniziert werden, dass man sie im Notfall dementieren kann (das habe ich nicht gesagt). Viele Menschen, die sich selbst nicht festlegen wollen, sind geradezu darauf aus, durch explizite Nachrichten implizite Inhalte zu vermitteln. Sie können an der Reaktion des Kommunikationspartners erkennen, inwiefern sie ihr eigenes Anliegen durchzusetzen vermögen, um so situationsgerecht das Maximale zu erreichen. Interessanterweise neigen sie ihrerseits gerne dazu, bei ihren Kommunikationspartnern besonders intensiv auf implizite Nachrichten zu achten (der Mensch geht bekanntlich von sich selber aus), um sich über diese dann echauffieren zu können. Gerade bei unsicheren Menschen findet sich diese Verhaltensweise häufig, um anhand eindeutig interpretierter Situationen Sicherheit für sich gewinnen wollen. Für die andere Seite würde es folglich bedeuten, möglichst schnell Klarheit zu schaffen, durch eindeutige Äußerungen, Handlungsangebote etc. Andererseits können unsichere Menschen als Empfänger gleichermaßen den Wunsch nach Sicherheit hegen wie unsichere Absender, so dass sie ihrerseits sich nicht festlegen wollen, aber vom Gegenüber Sicherheit haben wollen. Der Ausgang der Kommunikation lässt sich leicht ausmalen und reicht von Schmollen auf beiden Seiten bis hin zu handfesten Konflikten. Um nun implizite Inhalte besser erkennen zu können, sind Menschen darauf eingerichtet, die Kommunikationssituation in ihrer Gesamtheit zu erfassen und daraus Anhaltspunkte zu gewinnen, also das Sicherheitsniveau zu erhöhen. Dazu zählen zunächst einmal die Botschaften, die in der Stimme mitschwingen. Je nach Tonlage und Ausdrucksweise klingt eine Botschaft mit. Ein müde daher gesagtes „gut“ wird von uns anders aufgenommen als ein kraftvolles, helles „GUT!“ Eine Bitte, die mit einem höflichen „Darf ich fragen, ob ich mir Ihren Kugelschreiber

2.3 Nonverbale Nachrichtenanteile

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ausleihen kann?“ eingekleidet wird, wirkt anders, nämlich freundlicher und rücksichtsvoller als ein „Sie erlauben doch sicher, dass ich jetzt Ihren Kugelschreiber verwende!“ Wenn dann der Sender auch noch durch körperliche Signale (eingezogener Kopf bzw. aufgeblähter Brustkorb und herausfordernder Blick) eine gewisse Unterordnung oder auch Dominanz signalisiert, können höfliche Sätze in der Empfängerperspektive schnell zu vernachlässigbaren Anfragen oder auch Drohungen mutieren. Vollends zur sprachlichen Arabeske werden Sätze wie „Ich möchte mich bei Ihnen für die freundliche Ausleihe bedanken“. Eine Interpretation der rein formalen Aussage würde beim Empfänger dazu führen, dass er etwas entgegnet wie: „Dann tun Sie es doch!“ Als höfliche und gut erzogene Menschen wissen wir aber, dass dieses Wort „möchte“ nicht nur eine Absicht, sondern eine vollendete Handlung in einer besonders höflich gemeinten Form darstellt. Zur gelungenen Kommunikation gehört also, dass Sender und Empfänger die jeweils mitschwingenden Botschaften im Gesagten richtig interpretieren können und sich nicht allein am direkt gesagten, formalen Kommunikationsinhalt ausrichten. Zusammengefasst gilt: • Sender und Empfänger arbeiten mit ihrer Kommunikation auf vier verschiede­ nen Ebenen: der Sachebene, der Beziehungsebene, der Appellebene und der Selbstoffenbarungsebene. • In jeder Kommunikation schwingen daher explizite und implizite Botschaften mit. Des Weiteren beachten wir die im nächsten Abschnitt zu behandelnden nonverbalen Nachrichtenanteile.

2.3 Nonverbale Nachrichtenanteile Trotz oder aufgrund der langjährigen Evolutionsgeschichte der Menschheit – hier streiten sich die Forscher – sind Menschen in der Lage, bei Gesprächspartnern nonverbale Nachrichtenanteile wahrzunehmen. Ein Beispiel: S möchte sich abends mit E über das am Arbeitsplatz erlebte austauschen. Dazu könnte als Eröffnung die Frage „Wie geht es Dir?“ dienen. Nun könnte E seinerseits antworten „Gut!“ und müde abwinken. S weiß damit: „E ist müde, und E hat vermutlich keine Kraft mehr zum Gespräch“. Oder E würde antworten: „Gut!“ und dabei freudestrahlend zurück lächeln. Jetzt wüsste S, dass E aufgeschlossen ist für eine Unterhaltung, und könnte die Unterhaltung beginnen. Die nonverbalen Signale gehen vom Körper aus und werden daher als Körpersprache bezeichnet. Sie umfasst: • die Mimik (die Ausdrucksweisen des Gesichts, durch die Gesichtsmuskeln, die Lippen und das Ausdrucksvermögen der Augen bestimmt), • mit der Mimik in engem Zusammenhang stehende Ausdrucksformen wie Lachen und Weinen,

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

• die Gestik (das Ausdrucksvermögen der Hände und Arme), • die Haltung der übrigen Körperteile (Zuwendung oder Abwendung des Oberkörpers, in sich zusammengesunkene oder gestreckte Körperhaltung, Stellung der Füße bzw. Beine). Diese Unterteilung kann vielleicht etwas willkürlich wirken, entspricht aber unserer Art der Wahrnehmung. Die meisten Menschen achten oft nur auf das Gesichtsfeld ihres Gesprächspartners. Gerade wenn ein Mensch, der mit uns spricht, uns nicht ansieht, sondern an uns vorbei- oder gar wegsieht, stört uns das sehr. Einige geübte Menschen achten auch auf die Gestik, aber die wenigsten haben den Ausdruck des gesamten Körpers im Blick. Von daher fällt es übrigens Lügnern auch relativ leicht, ihre Gegenüber von ihrer Botschaft zu überzeugen, wenn sie eine Übereinstimmung von verbaler Botschaft und Mimik herstellen. Die Ausdrucksweisen des Körpers und deren Wirkung auf die Gesprächspartner wurden unter anderem von Samy Molcho (2002) beschrieben, einem 1936 in Tel Aviv geborenen Schauspieler österreichischer Nationalität. Dass gerade ein Schauspieler sich dieses Themas annimmt, überrascht nicht. Schauspieler sind darauf aus, ihre Darstellung mit Mitteln des nonverbalen Ausdruckes zu akzentuieren, zu verdeutlichen. Sie wissen besonders um die Art und Weise, wie nonverbale Signale bei ihrem Publikum ankommen und sollen durch ihr Schauspiel eine leicht erkennbare und für den Betrachter auch glaubwürdige Darstellung von menschlichen Verhaltensweisen bieten. In der Kunstform der Pantomime wird dies zur Perfektion getrieben. In ihr soll allein die nonverbale Ausdrucksweise den gewünschten Inhalt kommunizieren. Die Schule der Neuro-linguistischen Programmierung (NLP) versucht aus der Bedeutung der nonverbalen Kommunikation Hilfen für eine Analyse der Kommunikationssignale und damit für eine gelingende Kommunikation herzustellen. NLP unternimmt einen ganzheitlichen Analyseansatz, der alle Kommunikationssignale zu berücksichtigen sucht, um so Kommunikation erfolgreicher zu gestalten (vgl. beispielhaft Sawizki, 2011, S. 14 f., 21 f.). Verkürzt gesagt, schlägt die NLP-Theorie vor, sich nicht allein verbal, sondern auch in seiner Körpersprache auf seinen Gegenüber einzustellen, um sich mit ihm leichter und umfangreicher zu verständigen. Schlägt S die Beine übereinander, um Vertrautheit und Öffnung zu signalisieren, sollte auch E die Beine übereinander schlagen. Spricht S mit gedämpfter Stimme und nachdenklichem Ausdruck, sollte auch E einen nachdenklichen Ausdruck an den Tag legen, um S zu signalisieren: „Ich höre Dir ganz aufmerksam zu und teile Deine Gefühle, bin also ganz bei Dir!“ So kann Gemeinschaft entstehen, zumindest aber bestärkt werden. Gerade im Verkauf scheint diese Methode eine besondere Resonanz zu finden. Die Kehrseite der Medaille: Wer sich zu sehr auf den anderen einstellt, wird den Eindruck des „Nachäffens“ erwecken, vielleicht ein ungutes Gefühl der Manipulation aufbauen und damit den Gegenüber zu einem bewussten Durchbrechen der übereinstimmenden Körpersprache bewegen. Im Endergebnis wird also genau das Gegenteil bewirkt. Von daher wird

2.3 Nonverbale Nachrichtenanteile

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die NLP-Technik an verschiedenen Stellen auch immer wieder sehr kritisch behandelt (z. B. bei Groll, 2013). Allerdings kann man in einer Synthese und Weiterentwicklung des NLP-Gedankens sehr viel für das eigene Kommunikationsverhalten gewinnen. Wenn einer der Kommunikationsbeteiligten entdeckt, dass Körperhaltung und Körpersprache überein stimmen, so ist dies ein deutliches Signal von Gemeinsamkeiten. Und ein aufmerksamer Kommunikator wie auch ein aufmerksamer Rezipient kann über die Beobachtung der Körpersprache des Gegenübers sehr viel für die Interpretation des Kommunikationsinhaltes ableiten. Ein letzter Aspekt zu diesen Ausführungen: Jede Form der nonverbalen Kommunikation ist auch ein Mittel, bestimmte Aussagen zu transportieren, ohne sich verbal äußern zu müssen. Ein Fingerzeig kann bedeuten „Komm her!“ bzw. „Geh dorthin!“ Ein demonstrativ zugewandter Rücken signalisiert „Lass mich in Ruhe!“ Klug eingesetzt ist nonverbale Kommunikation vielschichtig, wenn wir die vier Ebenen der Kommunikation nach Schulz von Thun betrachten. Weinen ist z. B. eine Selbstoffenbarung (Schmerz, Trauer) mit Appellfunktion („Hab mich lieb, sei rücksichtsvoll, …!“) und Beziehungsfunktion (z. B. in Form einer Bestrafung: „Sieh her, was Du böser Mensch angerichtet hast!“). Hier kommt der entscheidende Vorteil der nonverbalen Kommunikation zum Tragen. Der Sender kann sich je nach Bedarf auf einen Standpunkt zurückziehen, mit dem er gegenüber dem Empfänger gut dasteht. Wurde das Signal nicht aufgenommen bzw. nicht in der gewünschten Richtung, kann der Sender darauf verweisen, dass er sich ja deutlich geäußert hat. Wurde das Signal hingegen in der Form aufgenommen, dass der Empfänger sich darüber geärgert hat, kann der Sender sich immer noch auf den Punkt zurückziehen, hier falsch oder übermäßig interpretiert worden zu sein. Es gibt Menschen, die diese Kunst zur Perfektion entwickelt haben und ihre Umwelt damit immer wieder in die Zwickmühle treiben. Inwiefern man sich dadurch allerdings als Gesprächspartner besonderer Beliebtheit erfreut, steht auf einem anderen Punkt. Auf alle Fälle lohnt es sich aber, sowohl im Hinblick auf die allgemeine Bedeutung der nonverbalen Kommunikation wie auch in Anbetracht des zuletzt Dargestellten, sich mit der Übereinstimmung der verschiedenen ausgesandten Kommunikationssignale zu beschäftigen. Abschließend kann an dieser Stelle festgehalten werden: • Die Interpretation der Kommunikation basiert auf der Interpretation von verbal und nonverbal vermittelten Inhalten. • Eine verlässliche Interpretation basiert auf einem Abgleich von verbalen und nonverbalen Inhalten. • Eine Übereinstimmung zwischen den Beteiligten wird oft über die Körper­ sprache festgestellt, worauf auch das Unterbewusstsein reagiert.

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

2.4 Kongruente und inkongruente Nachrichten Die Evolution hat uns Menschen mit der Fähigkeit ausgestattet, eine Vielzahl an Kommunikationssignalen des Gegenübers aufzunehmen. Nicht zuletzt um gesendete Botschaften auf ihre Aussage hinterfragen zu können, nehmen wir verschiedene Signale in Form von verbaler Sprache und möglichst vielen Formen der Körpersprache (Mimik, Gestik, Ausdruck weiterer Körperteile = nonverbale Kommunikation) auf. Wir prüfen dabei, in welcher Form die einzelnen Kommunikationssignale übereinstimmen oder nicht. Eine kongruente Kommunikation bedeutet: Alle Signale weisen in eine Richtung, sie besitzen einen identischen Inhalt. Eine inkongruente Kommunikation hingegen lässt erkennen, dass irgendetwas nicht stimmt, d. h. sprachliche und nichtsprachliche Signale passen nicht zusammen. Dies kann vielfältige Gründe haben, z. B. will man nicht bei etwas Verbotenem oder zumindest moralisch Verwerflichem ertappt werden. Oder aber man möchte den Gegenüber nicht mit seiner Aussage verletzen – auf die Frage nach dem Wohlbefinden lässt man nicht seinen gesammelten Weltschmerz von der Leine, sondern entgegnet ein leises „Danke, sehr gut!“ Wer gerade vom Lebenspartner verlassen wurde, starke körperliche Schmerzen verspürt oder eine empfindliche berufliche Niederlage hinnehmen musste, wird dennoch irgendwie sein Unwohlsein vermitteln, durch zusammengekniffene Lippen, hängende Schultern, Tränen in den Augen oder welche Signale auch immer. Als höfliche Menschen haben wir aber auch gelernt, dass wir diese Inkongruenz nicht ausdrücklich hinterfragen, sondern stillschweigend zur Kenntnis nehmen und taktvoll zu einem anderen Thema übergehen. Eine Ausnahme hiervon dürfte dann gegeben sein, wenn der Gegenüber ein enger Freund oder Verwandter oder qua Amt als Arzt, Seelsorger oder Psychotherapeut berechtigt und verpflichtet ist, die Inkongruenz zu hinterfragen. Aber all diese Ausnahmen bedeuten bereits, dass wir in der Lage sind, die Situation richtig zu interpretieren. Das heißt, wir müssen erkennen, in welcher Form wir berechtigt sind, auf diese Inkongruenz einzugehen. Dazu gehört zugegebenermaßen eine gehörige Portion Lebenserfahrung oder eine entsprechende professionelle Ausbildung oder am besten eine Mischung aus beidem. Ein weiterer Grund für inkongruente Kommunikation kann darauf basieren, dass der Sender sich selbst noch nicht festgelegt hat und durch die Vieldeutigkeit seiner Äußerung für sich einen Handlungsvorteil schaffen möchte. Je nachdem, wie der Empfänger reagiert, kann man die Inkongruenz zugeben und die Kommunikation entsprechend anpassen, oder aber auch die Inkongruenz aufrechterhalten, um sich selbst die Handlungsfreiheit zu erhalten. Im Idealfall wird der Sender den Empfänger so lange rätseln lassen, bis das gewünschte Ergebnis eintritt, oder aber den Empfänger ins Unrecht versetzen, dass er den Kommunikationsinhalt falsch auffasst. Inkongruenz in der Kommunikation kann also durchaus Früchte tragen und dem Sender Vorteile verschaffen. Diese Verhaltensweisen sind Pokerspielern ebenso zu eigen wie zutiefst unsicheren Menschen, die sich aus welchen Gründen auch nicht festlegen wollen.

2.4 Kongruente und inkongruente Nachrichten

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Als Empfänger kann man auf die Inkongruenz eingehen und eine geeignete Interpretationsrichtung vorschlagen. Man kann aber auch aus der inkongruenten Kommunikation aussteigen, weil man selbst nicht weiß, wie man darauf angemes­ sen und sinnvoll reagieren soll. Vielleicht versucht man als Empfänger auch, inkongruent zu antworten, um sich ebenfalls Handlungsfreiheit zu sichern. Allerdings könnte dies zu einem abrupten Ende der Kommunikation führen. Hier wird der Empfänger vermutlich eine Abwägung treffen, ob es sich um planvolles oder absichtslosen Verhalten handelt, welchen Charakter die unterstellten Absichten besitzen und wie viel einem am Gegenüber und einer erfolgreich beendeten Kommunikationssituation liegt. Authentische Kommunikation basiert folglich auf einer kompletten Übereinstimmung aller ausgesandten Kommunikationssignale. Je weniger die Signale übereinstimmen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Empfänger die Kommunikation als kongruent wahrnimmt. Zentral dafür sind die durch den Empfänger hinein interpretierten Inhalte, weniger die vom Sender intendierten Aussagen. Ist jemand aufgrund eigener Wertestrukturen oder Erfahrungen darauf aus, die Inkonsistenzen herauszufiltern, wird jeder Widerspruch sofort in den Vordergrund gerückt. Eine an und für sich kongruente Aussendung kann daher durch ein nicht stimmiges Detail plötzlich zu einem Problem für den Empfänger werden. Ein besonders misstrauischer Mensch wird eine Nachlässigkeit des Senders sofort als nicht kongruent wahrnehmen. Genauso kann eine an sich inkongruente Aussendung als in sich stimmig aufgefasst werden, wenn der Empfänger bestimmte nicht kongruente Bestandteile ausblendet. So kann ein Betrugsopfer auf einen Betrüger eingehen, obwohl einige wesentliche Aussagen der Darstellung eigentlich widersprechen. Vielleicht möchte das Betrugsopfer gar nicht so genau wissen, dass etwas nicht stimmt? Vielleicht würde ein Aufdecken der Inkongruenz ein Ende der Beziehung bedeuten, was für das Betrugsopfer ein ungleich größeres Problem darstellt als der mehr oder weniger offensichtliche Betrug? Generationen von professionellen und Hobbypsychologen haben hier ein dankbares Forschungsfeld gefunden, das mit Sicherheit noch nicht abschließend bearbeitet wurde. Problematisch wird es außerdem in den Fällen, in denen sich die ausgesandten Signale diametral widersprechen. Gehen wir aus Gründen der anschaulichen Darstellung von jenem sehr unangenehmen Fall aus, dass sich eine Mutter mit ihrem fünfjährigen Kind und ihrer Mutter (also der Großmutter des Kindes) in einem Raum befindet. Die Großmutter wirft voller Wut ein Küchenmesser nach dem Kind, gleichzeitig erklärt die Mutter: „Sieh mal, Oma hat Dich so lieb!“ Das Kind befindet sich jetzt in der Zwickmühle, da die Handlung kaum mit einer liebevollen Zuwendung in Verbindung zu bringen ist. Es entsteht das Problem des „double bind“, was bereits in Kapitel 2.1 aufgegriffen wurde. Handlungsmöglichkeiten bestehen nun in der Form, dass man aufgrund der Aussage „Hat Dich so lieb!“ Messerattacken als völlig normale Form der Liebes-

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

bezeugung auffasst oder aber auch die Aussage als solche nicht übernimmt und die Gefährlichkeit der Situation in eine entsprechende Schutzhandlung umsetzt, also sich versteckt oder mit geeigneten Gegenständen das Messer oder vielleicht auch gleich noch die Messerwerferin obendrein abwehrt. Hingegen muss man schon ein solides Maß an Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen besitzen, um nicht nur sich selbst den Widerspruch von verbaler und nonverbaler Kommunikation zu verdeutlichen, sondern ihn auch zu thematisieren und zu hinterfragen. Unsichere, weniger selbstbewusste Menschen hingegen werden noch unsicherer, und gerade Kinder in ihrer frühen Entwicklungsphase können dies mit Sicherheit nicht zur Vertrauensbildung in ihr Umfeld einsetzen. Von daher wird als Handlungsalternative immer die Möglichkeit zu prüfen sein, ob eine Ansprache und Auflösung der Inkongruenz möglich und sinnvoll ist, ob alle Beteiligten bereit sind, die Verhaltensweisen kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls auch zu verändern, und ob es im Zweifel auch die Möglichkeit oder gar die Notwendigkeit gibt, eine entsprechende Situation zu verlassen. Als Kernpunkte gelten: • Authentische Kommunikation basiert auf einer Übereinstimmung aller Kommu­ nikationssignale. • Inkongruente Signale können Handlungsfreiheiten einräumen, aber auch Kommunikation gefährden und damit letztendlich den Erfolg der Kommunikation gefährden. • Beteiligte sollten entsprechend ihrer Handlungsmöglichkeiten danach trachten, Inkongruenzen anzusprechen und aufzulösen.

2.5 Weitere Elemente der Kommunikationsgestaltung Durch die Vielschichtigkeit der Ausdrucksmöglichkeiten analysieren Empfänger naheliegende Signale, die sowohl innerhalb als auch außerhalb des eigentlichen Senders liegen. Generell können vier Bereiche gesehen werden: • Qualifikation durch die Art der Formulierung: Bei einer leichten Magenverstimmung äußert der Sender „Ich bin todkrank!“, bei einem Bericht über Haftbedingungen in modernen Vollzugsanstalten „Ich wäre dafür, aus Gefängnissen Sanatorien zu machen!“ – der berühmte „Männerschnupfen“ dient zumindest im ersten Fall oft genug als kabarettistisch genutzte Blaupause, • Qualifikation durch Körperbewegungen, also mit Hilfe von Mimik (dem Ausdruck des Gesichts) und Gestik (den Ausdrucksweisen der Arme und anderer Extremitäten), • Qualifikation durch den Tonfall, beispielsweise eine todernste Stimme bei einem lustigen Thema, ein bitterer Tonfall oder auch ein zynisches Zischen,

2.5 Weitere Elemente der Kommunikationsgestaltung 

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• Qualifikation durch den Kontext, wenn zum Beispiel angebranntes Essen mit dem Kommentar „Deine Roulade ist ja heute wieder so was Leckeres …“ be­ dacht wird, in diesem Fall also eine Form von Situationskomik; die auch die Beziehungsebene umfasst, denn die Beziehung der Kommunikationsbeteiligten (soziale Stellung, Verbindungen zueinander). Alle diese Möglichkeiten bereichern die Möglichkeit des Senders, Kommunikationsinhalte zu variieren und damit Interpretationsräume zu eröffnen oder auch zu lenken, um zum Beispiel Botschaften eine gewisse Schärfe oder Aggression zu nehmen und konfliktarm eine gemeinsame Zielebene zu schaffen. Insbesondere mit dem Mittel der Situationskomik soll eine offensive Botschaft freundlicher eingekleidet werden, durch die Möglichkeit eines gemeinsamen Lachens die Aggression aufgelöst werden, um so den Stein des Anstoßes leichter bewegen zu können. Der Empfänger steckt allerdings in einer Zwickmühle, denn er kann nicht immer die gleiche Qualifikation vornehmen, die der Sender intendiert. Vielleicht fehlen im wichtige Informationen, oder er interpretiert eine bestimmte Qualifikation aufgrund eigener Wertestrukturen und Vorerfahrungen anders. Ein Bankangestellter wird eine Aussage à la „Naja, dann habe ich halt Schulden gemacht“, von einem Kichern begleitet, vermutlich anders auffassen als ein Bankrotteur. Vielleicht hat der Empfänger auch eine andere Aufmerksamkeit und kann gar nicht alle Qualifikationen aufnehmen. Ihm entgeht womöglich das Kichern oder das Blitzen in den Augen des Senders. Der Empfänger muss folglich überlegen, was alles die soeben erfasste Mitteilung umfasst. Wer hier sicher interpretieren kann, wird die Kommunikationssituation erfolgreich gestalten können. Wer hingegen sein Augenmerk auf die „falschen“ Signale richtet oder die ausgesandten Signale nicht umfassend auffasst, wird die Kommunikation eher unzureichend gestalten. Aufgabe des Senders ist es demzufolge, dem Empfänger die Aufnahme der Nachricht zu erleichtern und Störquellen zu vermeiden. Dies erreicht der Sender insbesondere durch das Weglassen unnötiger Nebeninformationen und Qualifikationen. Je weniger „Begleitinformationen“ der Sender ausstrahlt, desto geringer sind die Quellen für Missverständnisse. Allerdings kann auch ein Zuwenig an Begleitinformationen dafür sorgen, dass irgendwann Unsicherheit in der Interpretation des gesendeten Inhaltes entsteht. Ein letztes Element ist die so genannte „innere Kommunikation“ von Sender und Empfänger. Darunter versteht man die internen Verarbeitungsprozesse und die sich daraus ergebenden Kommunikationswünsche von Sender und Empfänger. Sie qualifizieren die ausgesandten bzw. empfangenen Nachrichten ebenso, sind aber für den Gegenüber nicht wahrnehmbar, können also in der Analyse des Kommunikationsprozesses von den anderen Kommunikationspartnern gar nicht wahrgenommen werden. Schulz von Thun nannte dies das „innere Team“ (drs., 2020, S. 15 ff.), das aus der Pluralität der verschiedenen inneren „Einflüsse“ entsteht – aus Erziehungserfahrungen und den damit vermittelten Werten, aus eigenen Lebenserfahrungen und den dabei gesammelten Eindrücken, aus den Ansprüchen

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

an die verschiedenen Rollen, die ein Mensch in sich vereint, z. B. als Sohn der Eltern, als Bruder verschiedener Geschwister, als Vater von Kindern, als Ehepartner, als Berufstätiger (und dort gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und zugeordneten Mitarbeitern), als Freund, als Vereinsmitglied etc. Wenn der Empfänger auf die Nachricht „Dann habe ich noch ein paar Schulden gemacht“ gerade für sich die Überlegung durchgeht, ob Schulden für einen Ehrenmann zulässig oder nicht doch eher verwerflich sind, wird die gesamte Nachricht vor diesem Hintergrund aufgenommen. Hier können Werte der Eltern („Schulden macht man nicht!“), des älteren Bruders („Die besten Schulden sind die, die man gerade zurückgezahlt hat“), der Ehefrau („Das finanziert sich über die Einsparungen der nächsten drei Jahre“), der Kinder („Alle anderen haben zum Geburtstag eine Fernreise geschenkt bekommen / ein Auto zum Führerschein dazu bekommen“), der Schwiegereltern („Wieso kannst Du mit Deinem Einkommen nicht Deiner Familie etwas Luxus gönnen“) usw. zum Tragen kommen. Kommt eine entsprechende Reaktion (diese kann von „stimmt, ich auch“ über „wenn es sich wirtschaftlich darstellen lässt, warum nicht“ bis hin zu „bist Du wirklich ein so schlechter Haushälter!“ reichen), wird der vormalige Sender also möglicherweise überrascht sein, weil er genau diese Überlegung des Empfängers nicht kennt. In Summe führen also die ausgesandten und wahrgenommenen Qualifikationen sowie die Elemente der inneren Kommunikation zu einer bestimmten Wahrnehmung und Auswahl der Kommunikationsinhalte, insbesondere zu einer Betonung einzelner Ebenen, wie in Kapitel 2.2 dargestellt.

2.6 Die Meta-Kommunikation – Was steht über der Kommunikationssituation? Als Meta-Kommunikation wird die Verständigung über die Bedeutung des Kommunizierten verstanden, sozusagen „die Kommunikation über die Kommunikationsform“. Sie ist eine Auseinandersetzung über die Art, wie • die gesendeten Nachrichten gemeint sind, • die empfangenen Nachrichten entschlüsselt wurden, • die Empfänger darauf reagiert haben. Hilfreich ist es hierzu, sich über vier Elemente der Meta-Kommunikation im Klaren zu sein, nämlich: • der Denotation eines Kommunikationsinhaltes: Farben sind „rot“, „schwarz“, „blau“ etc., Schnee ist ein Sammelbegriff für verschiedene Formen gefrorenen Niederschlags; • der Konnotation: Was verbinden Sender und Empfänger mit bestimmten Begriffen, ist Schnee z. B. ein bestimmter Niederschlag oder eher eine nicht legale

2.6 Die Meta-Kommunikation 

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Droge? Sind Schwarz und Rot tatsächlich reine Farben oder nicht auch eine Umschreibung für eine bestimmte politische Einstellungen oder auch für bestimmte Konfessionen (Schwarz gilt in manchen Regionen Deutschlands als Umschreibung für katholisch, Blau für evangelisch), die politische Landschaft kennt in jedem Land eine individuelle Farbenlehre, so ist die christdemokratische Partei in Deutschland mit „Schwarz“ etikettiert, in Österreich löst allem Anschein nach die Farbe Türkis das schwarze Etikett bei der christlich-konservativen ÖVP ab, in Italien aber ist die Christdemokratie mit Weiß verbunden, Schwarz gilt dort als Farbe des Faschismus, einig ist man sich hingegen bei den traditionellen Parteien des Arbeitermilieus, die in allen drei Ländern rot gefärbt sind; • der Intention: Mit welchen Zielen hat der Sender seine Botschaft gesendet?; • der Interpretation: Wie wurden die gesendeten Signale in ihrer Gesamtheit vom Empfänger aufgenommen und „decodiert“? Während die beiden ersten Elemente sich vorrangig auf den Inhalt der auszutauschenden Signale konzentrieren, haben die beiden anderen Elemente eine sehr umfassende Gestalt. In ihnen gehen Wünsche und Erfahrungen von Sender und Empfänger ebenso ein wie konkrete Sachverhalte der Situation, vor allem die soziale Beziehungen der beiden (sind sie gleich berechtigt oder über- bzw. untergeordnet?) und die Gestalt der Situation (Bedrohung, Entspannung etc.). Diese Umfeldbedingungen schaffen einen Intentions- und Interpretationsrahmen, der bei der Analyse einer Kommunikationssituation von hoher Bedeutung ist. Ein angenehm gestalteter Interpretationsrahmen wird sich deutlich anders auf die Interpretation durch den Empfänger auswirken als ein Interpretationsrahmen, der als bedrückend oder beängstigend empfunden wird. Greifen wir auf das in Abschnitt 2.2.1 von Schulz von Thun übernommene Beispiel zurück. Eine schematische Analyse zeigt auf, wie anhand der vier Elemente der Meta-Kommunikation die Kommunikationssituation gesehen werden könnte: Der Sender signalisiert dem Empfänger, dass in dieser Situation keine gleich berechtigte Situation gegeben ist, sondern er aufgrund einer nicht näher definierten Expertise der Meinung ist, hilfreiche Ratschläge und Anweisungen geben zu dürfen. Der Empfänger, die Frau, wiederum ist der Meinung, dass diese Situation keine Intervention erfordert. Anhand dieser schematischen Darstellung ist offensichtlich, dass es einen gemeinsamen Lösungsraum nicht gibt. Die Konnotation des Senders wird zur Denotation des Empfängers, die Intention des Senders zur Konnotation beim Empfänger. Dafür verantwortlich ist die Übermittlung einer Vorstellung von sozialen Beziehungen durch den Sender, die von der Empfängerin nicht akzeptiert wird, für die mangelnde Übereinstimmung in den Feldern der Meta-Kommunikation sorgt und letztendlich für die divergente Interpretation der gesendeten Inhalte verantwortlich ist. Der eigentlich gewünschte Kommunikationserfolg kann nicht eintreten.

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

Sender: Mann

Empfänger: Frau

Denotation

Rotes Ampellicht

Anweisung zu stoppen

Konnotation

Rotes Ampellicht heißt „Stop!“

Anweisung ist Bevormundung, kein Ratschlag oder Wunsch

Intention

„Du solltest jetzt anhalten, sonst schaffst Du es meiner Meinung nach nicht mehr!“ (d. h., dass ich Dir übergeordnet bin mit meinen Wünschen) UND: „Wenn ich fahren würde, müsste ich mir nicht diese Sorgen machen!“

Interpretation

„Der traut mir aber auch gar nichts mehr zu, obwohl ich schon x Jahre unfallfrei fahre“ (der will mich bevormunden) UND: „Jetzt fahre ich, und nicht Du!“

Quelle: eigene Erstellung

Abb. 2-9: Kommunikations-Analyse mit den vier Elementen der Meta-Kommunikation

Aus Sicht des Senders wäre es hilfreicher gewesen, sich zunächst zu vergewissern, ob der Empfänger die Situation gleich wahrnimmt oder ob es Unterschiede in der Wahrnehmung der Situation gibt. Dazu hätte man zunächst die Konnotation des wahrgenommenen Signals vor dem Hintergrund der eigenen Intention abklären müssen. Darin liegt allerdings auch die Gefahr, dass man als Sender Informationen über sich preisgibt, die einen in der Sicht des Empfängers schlecht dastehen lässt. Von daher sind Kommunikationssignale, die mit einer ehrlichen und offenen Selbstoffenbarung verbunden sind, für den Sender stets mit einem Risiko verbunden. Allerdings hat man im Falle einer Enttäuschung als Sender immer noch die Möglichkeit, diese Enttäuschung ebenfalls auszudrücken und notfalls die Situation zu verlassen oder die soziale Beziehung komplett zu verlassen. Und man kann darauf bauen, dass ein Empfänger, der am Fortbestand einer Beziehung interessiert ist, diese Selbstoffenbarung nicht übermäßig ausnutzen wird. Oder anders ausgedrückt: Ein Empfänger, der eine Selbstoffenbarung nicht mit der gebotenen Wertschätzung aufnimmt, signalisiert dem Sender, welchen Stellenwert der Sender für ihn besitzt. Also sind auch die sozialen Beziehungen zwischen Sender und Empfänger relevant, mit denen jeder Teilnehmer eine Kommunikationssituation bewertet, und diese kommen in so genannten „Rollen“ zum Tragen. Jeder Mensch füllt permanent verschiedene Rollen aus, wie es bereits im vorhergehenden Abschnitt zur inneren Kommunikation angesprochen wurde. Eine Hoch-

2.6 Die Meta-Kommunikation 

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schullehrerin für Mathematik wird nie allein nur Hochschullehrerin sein und damit eine fachliche Vermittlungsperson für ihre Studenten. Sie ist gleichzeitig auch: • Kollegin für ihre Kolleginnen und Kollegen, • Mitarbeiterin für die Hochschulleitung, • Vorgesetzte, wenn sie Assistenten mit Weisungsbefugnis anleitet, • im privaten Umfeld Kind ihrer Eltern, so diese noch leben, • gleichzeitig Lebenspartnerin für ihren Ehemann bzw. Lebensgefährten, • Mutter für eventuell vorhandene Kinder, • Schwester für eventuell vorhandene Geschwister, • Kundin eines Bekleidungs- oder Lebensmittelgeschäfts oder eines K ­ reditinstitutes, • als Auto- bzw. Radfahrerin Teilnehmerin am Verkehr, • usw. Jede einzelne Rolle ist mit einer Erwartung verbunden. Als Tochter soll sie sich um regelmäßigen Kontakt zu ihren Eltern bemühen und gegebenenfalls Pflegeaufgaben übernehmen. Als Ehepartnerin soll sie sich mit ihrem Partner austauschen, auf Probleme eingehen, Zuneigung zeigen, Aufgaben in der gemeinsamen Haushaltsführung übernehmen etc. – dies lässt sich jetzt für jede Rolle entsprechend durchdeklinieren, wobei sicher auch die individuellen Wertesysteme eine spezifische Aufgabenzuweisung und -durchführung beeinflussen. Rollen sind damit ein Bündel an Verhaltensweisen, die mit einer bestimmten Funktion (z. B. der als Kollegin, Vorgesetzte oder Mutter) verbunden sind und die von anderen Kommunikationsbeteiligten bewusst oder unbewusst unterstellt werden, also Erwartungen der anderen an den Rolleninhaber darstellen. Als Verkehrsteilnehmerin möchte sie selbst zügig vorankommen, rücksichtsvoll behandelt und von den anderen Verkehrsteilnehmern nicht gefährdet werden. Dies gilt auch vice versa – die anderen Verkehrsteilnehmer wollen ebenfalls zügig ankommen, rücksichtsvoll behandelt und nicht gefährdet werden. Als Kundin eines Geschäfts möchte sie bestimmte Dinge erwerben. Mit jedem Gegenüber hat sie in ihrer jeweiligen Kommunikationssituation einen Satz gemeinsamer Wertevorstellungen (z. B. ohne Unfall durch den Verkehr kommen, bestimmte Waren in versprochener Qualität zu erhalten und dafür im Gegenzug die ausgezeichneten Preise zu entrichten), die aber nie losgelöst von anderen Rollen zu sehen sind. Vielleicht möchte sie heute besonders schnell bei ihren Eltern sein oder sie muss die Kinder in den nächsten 10 Minuten zur Schule bringen. Von daher wird sie vielleicht etwas offensiver als sonst am Verkehr teilnehmen und durch den Einsatz bestimmter Kommunikationsmittel (Lichthupe, aufheulender Motor, bestimmte Gesten) den anderen Verkehrsteilnehmern zeigen, wie dringlich es ihr ist. Nun kommt es auf die anderen Verkehrsteilnehmer an, dass sie die entsprechenden Kommunikationszeichen richtig interpretieren und ihr den Weg frei machen.

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

Ähnliches gilt für die Kommunikation am Arbeitsplatz. Bei der Vereinbarung von Arbeitszeiten oder Urlaubszeiten wird die benannte Hochschuldozentin vielleicht bestimmte Zeiten bevorzugen (Öffnungszeiten der Kindertagesstätte bzw. Schule, Ferienzeit), die sie als Kollegin vielleicht nicht durchsetzen kann. Diese verschiedenen Rollen legen sich gleichsam einem Kreis um eine bestimmte Person. Andere Kollegen werden ähnliche Zielsetzungen haben, und nun kommt es darauf an, die vielen verschiedenen Rollen, die in dieser Situation relevant sind, zu erkennen und entsprechend einer von allen getragenen Priorität zu behandeln. Erfolgreiche Kommunikation setzt also eine Klärung der relevanten Bezugs­systeme voraus, einschließlich einer angemessenen Priorisierung der jeweiligen Beziehung, wie die nachfolgende Abbildung 2-10 mit ihren zwei Kreisen verdeutlicht:

Familie (Kinder,…)

Familie (Kinder,…)

Lebenspartner

Lebenspartner

Person 1

Person 2 Freunde

Freunde Kollegen

Vorgesetzte

Vorgesetzte

Kollegen

Quelle: eigene Erstellung

Abb. 2-10: Das rollenbedingte „Zwei-Kreise-System“ der Kommunikation

In der Kommunikationssituation wird man die anderen Personen oft nur in einer einzigen Rolle („der Kollege“, „mein Partner“) wahrnehmen, während man selbst seine eigenen Rollen in ihrer Gesamtheit versucht zu würdigen – sicher auch unter Beachtung bestimmter Prioritäten einzelner Rollen. Und dennoch oder gerade deswegen ist es so wichtig, den Gegenüber als Person in seiner Multifunktionalität, in seinen verschiedenen Rollen zu sehen und dem damit verbundenen Rollendruck. Gerade diese Würdigung der gesamten Umstände trägt dazu bei, dass der Gegenüber als Person Wertschätzung empfindet. Eine weitere Grundlage ist die Anerkennung für Leistungen, die eine einzelne Person erbringt, und die von den meisten Personen auch im Hinblick auf ihre eigene Rollenstruktur interpretiert wird. Der klassische Familienpatriarch wird von seiner Ehefrau und seinen Kinder womöglich als dominanter Mensch erlebt. Er selbst sieht sich aber nicht unbedingt als jemand, der viele Vorgaben macht, sondern als jemand, der unermüdlich im Dienst für die Familie, das Unternehmen und die Gesellschaft steht und ihnen allen durch seinen Einsatz und seine spezifische Form von Verantwortung hilft. Möchte man patriarchalische Verhaltensweisen im Sinne eines stärker partnerschaftlichen Verhaltens verändern, wird man dieses Selbstbild berücksichtigen

2.7 Die Bedingungen erfolgreicher personaler Kommunikation 

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müssen. Eine Infragestellung dieser Leistung würde die gesamte Person in Frage stellen, da ihr Lebensbild nicht gewürdigt wird. Insofern ist es klüger, an dieser Stelle zunächst einmal das Selbstbild über die dominanten Rollen des Gegenübers aufzugreifen und ihn in seiner Gesamtheit zu würdigen („Sie sind unermüdlich im Dienst an vielen Stellen für viele.“), um dann in einem zweiten Schritt aufzuzeigen, wie er seiner selbst gesetzten Verantwortung besser gerecht wird. Dies wird aber nur dann gelingen, wenn der Beispiel gebende Patriarch diese Meinung teilt, also der gemeinsame Kommunikationsraum geöffnet wird. Die Metaebene umfasst alles „Übergeordnete“, also die Struktur der Kommunikationssituation mit den Beziehungsebenen und den Kommunikationsprozessen. Die Auseinandersetzung über die Meta-Ebene hilft zu verstehen, was in einer Kommunikationssituation zum Erfolg geführt hat oder aber auch den Erfolg verhindert hat. Hierzu kann man auch die Beteiligten befragen, wobei diese bildhaft aus der konkreten Kommunikationssituation aussteigen müssen. Kommunikationstrainer empfehlen daher, die Situation zu verlassen und mit verschiedenen Methoden zu analysieren, wie z. B. einer Videoaufzeichnung, die abgespielt wird, oder einer schematischen Darstellung auf Papier. Die Kommunikationssituation wird nochmals so gut als möglich wiederholt und in ihre einzelnen Schritte zerlegt. Anschließend kann man Verbesserungsmöglichkeiten durchspielen und einüben. • Meta-Kommunikation ist eine Auseinandersetzung mit den Rahmenbedingungen (Situation, Abläufe, Kontext). • Meta-Kommunikation dient dem Kommunikations-Controlling. • Meta-Kommunikation spiegelt das Rollenverständnis und in die Rollenerwartungen wider.

2.7 Die Bedingungen erfolgreicher personaler Kommunikation In der Zusammenschau der vorher dargestellten Elemente und Rahmenbedingungen erfolgreicher Kommunikation lassen sich verschiedene Regeln erfolgreicher Kommunikation ableiten. Jeder, der als Kommunikator tätig werden möchte, als Lehrer bzw. Dozenten, als Referenten oder Ausbilder, als Berater oder Verkäufer, als Privatperson ebenso wie als dienstlich aktive Person, kann dann erfolgreich kommunizieren, wenn er • sich als Vermittler von Informationen und damit auch als Klärer von Sachverhalten begreift, • Bewusstsein dafür entwickelt, dass er nicht den kompletten Wissenshintergrund seines Gegenübers kennt, aber gleichzeitig in der Lage ist, die Verhaltensweisen des Gegenüber sinnvoll einzuordnen und zu verstehen,

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2. Die Gestaltung von Kommunikation

• mit sozialer Kompetenz interagiert, um den gemeinsamen Kommunikationsraum mit seinem Gegenüber zu gestalten, • mit fachlicher und persönlicher Kompetenz seine eigenen Inhalte zu vermit­teln vermag • und damit insgesamt kommunikative Kompetenz zeigt. Zusammenfassend zeigt Abbildung 2-11 die gesamte Komplexität der Kommunikationssituation auf. In der konkreten Situation sind die jeweiligen Rollen und deren Erwartungen maßgeblich, die Vorerfahrungen der beiden Kommunikationsbeteiligten und das Selbst- sowie Fremdbild. Auch die bewusst oder unbewusst gewählten Elemente der Kommunikation in Form von Kleidungsstücken, Accessoires, Haartracht usw. werden vom Gegenüber wahrgenommen. Diese spielen in der Interpretation der Kommunikationssituation – „Gegenwart“ – eine entscheidende Rolle und eröffnen oder begrenzen den Kommunikationsraum. Prüfkatalog: o Wo bin ich? (Umgebung) o Was will ich? o Welche Rollen habe ich? o Was sagt der andere verbal und nonverbal (Gestik, Mimik, Blick, Körperhaltung, Kleidung und Accessoires etc.)?

Ich (gesamt) / \ Ich (selbst) – Ich (andere)

Ich (gesamt) / \ Ich (andere) – Ich (selbst)

GEGENWART

Eigene Vergangenheit (Werte, Erfahrungen, Folgerungen)

EigeneVergangenheit (Werte, Erfahrungen, Folgerungen)

Prüfkatalog: o Wo bin ich? (Umgebung) o Was will ich? o Welche Rollen habe ich? o Was sagt der andere verbal und nonver bal (Gestik, Mimik, Blick, Körperhaltung, Kleidung und Accessoires etc.)?

Quelle: eigene Erstellung

Abb. 2-11: Der Kontext der Kommunikation

In dieser Vielschichtigkeit spielt sich direkte Kommunikation ab und ist mit entsprechenden Problematiken verbunden. Erfolgreiche Kommunikatoren prüfen diese Vielschichtigkeit durch ständige Rückversicherung ab, in Form von nonverbalen Signalen der Gegenüber, systematischen Rückfragen und nach Möglichkeit auch Erkundigungen bei Dritten über Hintergründe zum Verhalten des Kommunikationspartners.

Literatur zum Kapitel

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Literatur zum Kapitel Bourdieu, Pierre (1987): Die feinen Unterschiede, Frankfurt / Main: suhrkamp tb 1987. Bühler, Karl (1965): Sprachtheorie  – Die Darstellungsfunktion der Sprache, Jena: Fischer 1934 (2. Auflage 1965). Eisch-Angus, Katharina (2018): Absurde Angst  – Narrationen der Sicherheitsgesellschaft, Wiesbaden: SpringerVS 2018. Engl, Joachim / T hurmaier, Franz (2012): Wie redest Du mit mir? Fehler und Möglichkeiten in der Paarkommunikation, Freiburg / Brsg.: Herder 2012. Gordon, Thomas (1989): Familienkonferenz, 46. Aufl., Hamburg: Hoffman und Campe 1989 Gottman, John M. / Silver, Nan (2011): Die Sieben Geheimnisse einer glücklichen Ehe, 10. Aufl., Berlin: Ullstein 2011. Groll, Tina (2013): Rumhantieren mit dem Unterbewusstsein, Beitrag vom 10. 10. 2013 unter www.zeit.de/karriere/beruf/2013-09/selbsterfahrungsbericht-nlp-workshop, aufgerufen am 27. 03. 2020. Kutz, Angelika (2016): Toxische Kommunikation in Unternehmen, Wiesbaden: Springer 2016. Laswell, Harold D. (1948): The Structure and Function of Communication, in Schramm, Wilbur (Hrsg.): Mass Communication, Urbana: University of Illinois, 1948, S. 117–130. Luft, Joseph; Ingham, Harry (1955): The Johari Window, a graphic model for interpersonal relations. Western Training Laboratory in Group Development Los Angeles: University of California at Los Angeles, Extension Office 1955. Molcho, Samy (2002): Alles über Körpersprache, München: mosaic bei Goldmann 2002. Rosenberg, Marschall B. / Seils, Gabriele (2004): Konflikte lösen durch gewaltfreie Kommunikation. Freiburg / Brsg.: Herder. Sawizki, Egon R. (2011): NLP im Alltag, 5. Aufl., Offenbach: Gabal 2011. Schulz von Thun, Friedemann (2011): Miteinander reden – Band 1: Störungen und Klärungen, 49. Aufl., Hamburg: Rowohlt 2011. Schulz von Thun, Friedemann (2020): Der Mensch als pluralistische Gesellschaft, in: Schulz von Thun, Friedemann; Stegmann, Wibke (Hrsg.): Miteinander reden – Band 3: Das innere Team in Aktion, Hamburg. Rowohlt 2020, S. 15–30. Warnotte, Daniel (1937): Bureaucratie et fonctionnarisme. Revue de l’Institut de Sociologie, 17. Jg. (3/1937), S. 245–260.

3. Die Gestaltung der Kommunikation in Gesellschaft und Unternehmen Nach den grundlegenden Erörterungen zur Kommunikation wird in diesem Kapitel die Frage behandelt, in welcher Form die Gesellschaft und ihre Teile miteinander kommunizieren, was Rahmenbedingungen und Erfolgsfaktoren ihrer Arbeit sind. Konkret geht es um: • Die Gesellschaft und ihre Teile koordinieren sich über Kommunikation. • Zur Teilnahme müssen sich die Teilnehmer den vorherrschenden Kommunikationsregeln unterwerfen. • Manieren sind Regeln standardisierter gesellschaftlicher Kommunikation und erleichtern das Miteinander. • Erfolgreiche Teamarbeit basiert auf durchdachter Kommunikationsarbeit. • Kommunikationsbeiträge, z. B. Präsentationen oder Führungs- und Verkaufsgespräche, sind kommunikativer Hochleistungssport und erfordern professionelles Herangehen. • Organisationen aller Art (Unternehmen, Verwaltungen etc.) definieren über ihre Corporate Identity verschiedene Kommunikationsmuster, mit denen sie ihre Werte, Anliegen und Arbeitsweisen sowohl ihren Angehörigen als auch der Umwelt mitteilen. • Besondere Bedeutung bekommt bewusst gestaltete Kommunikation in Führungssituationen  – die Kernaufgabe von Führungsaufgaben liegt in der Kommunikationsarbeit.

3.1 Die Grundlagen der Kommunikation in Gesellschaft und Unternehmen Als Gesellschaft kann man im Luhmannschen Sinne eine Zusammenfassung von unterschiedlichen sozialen Gebilden zu einer Gesamtheit, einem „System“ ansehen (Luhmann, 1984/1996). Im System agiert eine Vielzahl an Subsystemen, wie Unternehmen, Behörden, Verbände, Familien, Hochschulen usw. Die Abstimmung dieser Subsysteme erfolgt über Kommunikation. Jede Gesellschaft wiederum ist ein Subsystem zum System Welt. Zwei wichtige Erkenntnisse der Systemtheorie für das Thema Kommunikation sind:

3.1 Die Grundlagen der Kommunikation in Gesellschaft und Unternehmen 

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• Subsysteme stehen untereinander in Kontakt, um ihre Beiträge zum übergeordneten System auszutauschen und aufeinander abzustimmen, ggf. auch Konflikte auszutragen und eine Lösung des Konflikts herbeizuführen. • Aufgrund des Austauschs und der Entwicklungen in den einzelnen Subsystemen entsteht eine Dynamik – wenn sich Subsysteme verändern, müssen die Formen des Miteinanders, der Koordination untereinander angepasst werden. Diese Dynamik wiederum erfordert eine erneute Kommunikation, um sich über die Veränderungen und deren Folgen erneut abzustimmen. Systeme sind daher zu ihrem Funktionieren unabdingbar aufeinander angewiesen, und der dazugehörige Austausch, die Abstimmung der Verhaltensweisen der Subsysteme untereinander erfolgt über Kommunikation. Als gängige Grenze eines Systems Gesellschaft haben sich die politischen Grenzen etabliert, so dass Sprachräume eher als Kulturräume denn als Gesellschaften gelten. Man denke an den deutschen Sprachraum, der nicht allein die Bundesrepublik Deutschland umfasst, sondern auch die Republik Österreich, die deutschsprachige Schweiz, das Fürstentum Liechtenstein, die deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien sowie deutschsprachige Minderheiten in Dänemark, Polen und Italien. Diese verfügen mit der deutschen Schriftsprache über eine gemeinsame Kulturplattform. Politisch und damit auch rechtlich sind sie jedoch in verschiedenen Staaten organisiert bzw. haben sich im Falle der deutschsprachigen Minderheiten mehr oder weniger stark in das jeweilige staatliche System eingefügt. Die Begründung für die Gleichsetzung eines Systems mit einer staatlichen Struktur ist relativ einfach. Jedes System bedarf zu seiner Abstimmung nicht nur kommunikativer Mittel, sondern auch anerkannter und durchsetzungsfähiger Sanktionen positiver wie negativer Art. Sanktionen sind sozusagen die Eckpunkte, innerhalb derer sich die Subsysteme einer Gesellschaft bewegen kann, ohne dass es für das System Gesellschaft zu einer gefährlichen Bewegung kommen kann. Mit Sanktionen bestätigen sich die Mitglieder eines Systems der fortdauernden Gültigkeit von Normen und Regeln. Ist jemand „brav“ oder „höflich“, ergibt sich oftmals eine positive Sanktion, in Form von Aufmerksamkeit, Lob, und Anerkennung. Verhält sich jemand gegen bestimmte Normen und Regeln, so greift die Umgebung zu negativen Sanktionen, in Form von Missbilligung, Missachtung und weiterführenden Strafen. Die Ausübung von Sanktionen ist übrigens auch von der Machtstellung abhängig. Wenn sich zwei oder drei muskelgestärkte Männer gegen die Regel „in der Eisenbahn werden keine Schuhe auf den gegenüberliegenden Sitz gestellt“ wenden, werden andere Menschen darauf mit missbilligenden Blicken reagieren. Es wird aber keiner den Übeltätern irgendwelche körperliche Strafen androhen, da diese schlechterdings kaum durchsetzbar erscheinen. Unterbleiben die Sanktionen, ergibt sich eine Verschiebung von Normen. Wird die Regel „auf dem Fußweg fährt niemand Rad“ ungestraft laufend missachtet, ergibt sich nolens volens eine Verschiebung dahin gehend, dass Radfahren auf dem Fußweg zulässig wird. Analog im Arbeitsleben: Wenn als Beginn der täglichen Arbeits-

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zeit 8.00 Uhr festgelegt ist, aber viele Mitarbeiter ungestraft erst um 8.30 Uhr die Arbeit aufnehmen, wird über kurz oder lang die neue Zeitgrenze üblich werden. Das ist übrigens auch gängige Arbeitsrechtspraxis – die Juristen sprechen hier von „konkludenter Vertragsänderung“. Aufgrund der Dynamik in jedem System verändern sich natürlich die einzelnen Eckpunkte. Viele Normen und Werte, die in früheren Zeiten verbindlich waren und womöglich auch ihre Berechtigung hatten, werden aufgrund veränderter sozialer Rahmenbedingungen abgeändert oder gar überflüssig. War es vor hundert Jahren noch anstößig, ohne Trauschein zusammenzuleben oder gar Kinder zu bekommen (mit den entsprechenden Sanktionen und der entsprechenden Kommunikation darüber), so ist es heutzutage ein weit verbreitetes Merkmal vieler Beziehungen, ohne Heirat einen gemeinsamen Haushalt zu führen oder gar gemeinsam Kinder aufzuziehen. Analog ein Beispiel aus dem Berufsleben: Hatte man noch vor hundert Jahren seinem Vorgesetzten durch bestimmte Umgangsformen (Hut ziehen, bestimmte Anredeformen, keine Diskussion über Führungsentscheidungen) sowie zurückhaltende Äußerungen seine Reverenz zu erweisen, so kommt man heute oftmals ohne diesen Formalien aus. Vorgesetzte beziehen ihre Mitarbeiter zudem ganz anders in die Entscheidungsfindung ein, obwohl sich am Prinzip des Vorgesetzten und der Unterordnung seiner Mitarbeiter nichts geändert hat. Dafür treten nunmehr andere Kommunikationselemente in den Vordergrund, mit denen Über- und Unterordnung demonstriert werden  – siehe Abschnitt 3.3.4. Die wichtigsten Sanktionen, die auch das Miteinander in einer Gesellschaft prägen, sind gesetzlich geschaffene Normen, die den Mitgliedern einer Gesellschaft bestimmte positive Sanktionen (Anerkennung durch die Gesellschaft, Vorrechte und Privilegien, finanzielle und andere materielle Zuwendungen) wie auch bestimmte negative Sanktionen (strafrechtliche Bestimmungen, Geldbußen bei Ordnungswidrigkeiten, verbale und schriftliche Ermahnungen und Verweise) einbringen können. Diese sind schlechterdings nur innerhalb einer fest umrissenen Gemeinschaft, einem Gebiet mit hoheitlicher Gestaltungsmöglichkeit und Vollzugsgewalt durchsetzbar. Eine weitere Ebene stellen die allgemeinen Umgangsformen und die damit verbundenen Möglichkeiten der Integration in bestimmte gesellschaftliche Gruppen und Schichten dar. Fragen des guten Benehmens sind nicht unbedingt mit gesetzlichen Sanktionsmöglichkeiten belegt, können aber zumindest über Teilhabe an Gruppierungen und Organisationen entscheiden. Gerade wenn die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht oder Gruppe als besonders wünschenswert erscheint, ist das Einfügen in typische Verhaltensweisen unabdingbar, deren Kenntnis und Beherrschung ein elementarer Faktor. Wer in den Kreisen des Hochadels verkehren will, sollte die dort gängigen Verhaltensweisen wie z. B. die korrekten Formen der Anrede und der situationsgerechten Bekleidungsweise beherrschen (siehe z. B. Mangold, 2010; Urbauer, 2011; von Taube, 2007). Analog das Wirtschaftsleben.

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Hier ist es von Nachteil, nicht mit den so genannten „Usancen“ oder Handelsgebräuchen vertraut zu sein, die im Übrigen branchentypisch variieren können (vgl. o. V., 2013; Wrede-Grischkat, 2006). Ähnlich wie die Benimmregeln des Adels baut das Wirtschaftsleben dabei auf einer über Jahrhunderte alten Tradition auf (siehe Laband, 1873, S. 466 f.). Allerdings steht für den Fall eines Ausschlusses aus einer dieser Gemeinschaften nicht zwangsläufig die Existenz innerhalb des übergeordneten Systems Gesellschaft zur Disposition, da man durchaus in andere gesellschaftliche Gruppen und Schichten wechseln kann. Allerdings wird man auch dort wieder in einer gewissen Anpassungsnotwendigkeit stehen, um den Mitglieder des jeweiligen Subsystems zu signalisieren, dass man dazu gehören und dazu die geltenden Regeln und Normen respektieren möchte. Die zahlenmäßige Größe von Gesellschaft im Allgemeinen, von Unternehmen und anderen Organisationen im speziellen bringt ein Nebeneinander von persönlicher Kommunikation und Massenkommunikation mit sich. Die Vielschichtigkeit gesellschaftlicher Organisation und gesellschaftlichen Zusammenlebens erfordert eine entsprechend vielschichtig gestaltete Form der Kommunikation, des Austauschs und der gegenseitigen Abstimmung. Persönliche Kommunikation erfolgt in kleineren Menschengruppen, bei denen sich die Menschen gegenseitig wahrnehmen und direkt auch gegenseitig ansprechen sowie aufeinander reagieren können. Dies kann in kleineren Unternehmen und Organisationen gegeben sein, bei größeren Unternehmen in Abteilungen und Arbeitsgruppen oder Projektteams. Ähnliches gilt für Vereine, Parteien, Behörden usw. Ob man die Grenze bei sieben Personen zieht, bei 15 oder 30 oder vielleicht erst bei 50, wird an dieser Stelle nicht zu klären sein – es hängt schlichtweg von der Fähigkeit aller in der jeweiligen Kommunikationssituation ab, sich gegenseitig jederzeit wahrzunehmen und aufeinander eingehen zu können. Manche sehen sogar im Vorlesungsbetrieb mit mehreren hundert Zuhörern oder gar einem öffentlichen Konzert bekannter Künstler mit vier- und fünfstelligen Teilnehmerzahlen eine gewisse Form persönlicher Interaktion. Massenkommunikation als Gegenstand der Kommunikation in Gesellschaft und Unternehmen hingegen richtet sich an eine nicht genau bestimmbare, weil nicht direkt erfassbare Menschenmenge. Zwar kann man eine ungefähre Vorstellung haben, wer alles eine bekannte Boulevard-Zeitung mit knapp zwei Millionen täglicher Auflage liest, jedoch ist ein direkter Dialog zwischen den Redakteuren der Zeitung als Sender und den Leserinnen und Lesern als Empfänger schlechterdings kaum möglich, und wenn, dann nur sporadisch in Form von Leserbriefen, Anrufen der Leser in der Redaktion oder ähnlichen Formen der Kontaktaufnahme. Dieser direkte Kommunikationsweg ist schon allein aufgrund der begrenzten Zeit in der Redaktion und der begrenzten Aufnahmefähigkeit der Redaktionsmitglieder auf eine überschaubare Menge begrenzt und kann nicht für die Gesamtheit der Leserschaft gleichzeitig in Frage kommen.

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Für die nachfolgenden Ausführungen soll der Schwerpunkt auf der persönlichen Kommunikation in der Gesellschaft und all ihren Untergliederungen liegen. Die Kommunikation via Massenmedien ist dem Kapitel 4 vorbehalten. Halten wir fest: • Die Gesellschaft besteht in systemtheoretischer Sichtweise aus den verschiedensten Subsystemen. • Zur Abstimmung der Verhaltensweisen der einzelnen Subsysteme bedienen sich die Subsysteme der Kommunikation. • Das sichere Auftreten im Subsystem Wirtschaft und seinen Subsysteme Unternehmen bedarf der Vertrautheit mit bestimmten Kommunikationsmustern und -methoden. • Auch die Abstimmung der Veränderungen erfolgt durch Formen der Kommunikation.

3.2 Die Kommunikation in beruflichen Situationen 3.2.1 Die Kommunikation über Umgangsformen Persönliche Begegnungen aller Art bergen eine Vielzahl an Unsicherheiten in sich. Je weniger man Menschen kennt, desto weniger kann man sie einschätzen. Weiß man, ob der Unbekannte einem freundlich oder unfreundlich gesinnt ist, ob er demzufolge eine Bedrohung oder eine Bereicherung darstellt? Frühzeitig haben sich daher bestimmte Formen des gesellschaftlichen Miteinanders heraus kristallisiert, deren standardisierte Ausübung dem jeweiligen Gegenüber signalisiert, in welcher Form man einander begegnen möchte. Ein freundliches Lächeln kann für sich selten sicher interpretiert werden – ist es tatsächlich Ausdruck einer friedlichen Gesinnung oder eher Signal einer hinterlistigen Vorfreude auf einen Überraschungscoup? Von daher bieten kombinierte Verhaltensweisen in ihrer Gesamtheit ein deutliches Signal. Tritt der Gegenüber mit freundlichem Lächeln und ausgestreckter Hand zum Handschlag gegenüber, so kann er mit seiner rechten Hand schon keine Waffe führen. Er muss wohl friedlich gesinnt sein. Breitet er hingegen die Arme aus, um einen zu umarmen, kann dieses wiederum zu einem Erdrücken oder gar einem hinterrücks erfolgenden Erdolchen führen. Eine Umarmung wird man also nicht unbedingt bei wildfremden Menschen, sehr wohl aber bei Bekannten zulassen, deren freundliche Gesinnung bereits aus vielfältigen Begegnungen bekannt ist. Umgangsformen sind daher nicht allein der Situation, sondern auch der gegebenen Vertrautheit miteinander anzupassen. Aber auch bei vertrauten Menschen können bestimmte Umgangsformen wichtige Signale für das Verhältnis zueinander sein. Grüßt man sich auch nach zehn Jahren Bekanntschaft oder ehelicher Verbindung immer noch morgens freundlich

3.2 Die Kommunikation in beruflichen Situationen

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und bedenkt sich gegenseitig mit kleinen Geschenken, so ist die freundliche Gesinnung offenkundig. Hat man sich hingegen auf ein mehr oder weniger gleichgültiges Knurren eingelassen, fasst der Gegenüber dieses Signal auch entsprechend als gleichgültig auf. Der alte Spruch „Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft“ bringt es auf den Punkt. Durch bestimmte Formen des Miteinanders in Gestalt von freundlichen Gesten und Aufmerksamkeiten wird das Fortbestehen der freundlichen Zuwendung bestätigt. Und ein Ausbleiben dieser Signale wird entsprechend als Abkühlung oder gar Abbruch der freundschaftlichen Beziehung interpretiert. Vor allem in Machtbeziehungen, in denen ein Beteiligter vom anderen abhängig ist (z. B. Kinder in Abhängigkeit von ihren Eltern, ein schwächerer Lebenspartner in Abhängigkeit von einem stärkeren) erfahren derartige Signale große Aufmerksamkeit und werden – entsprechend den Ausführungen in Kapitel 2 – stets auf der Beziehungsebene interpretiert, um schnell eine Bedrohung für sich selbst zu erkennen. Im Zuge der Evolution hat die Menschheit einen umfangreichen Katalog an Signalen des mitmenschlichen Umgangs entwickelt (siehe vertiefend z. B. WredeGrischkat, 2006). Diese umfassen: • Sprachformen (z. B. in Deutschland die Unterscheidung zwischen dem distanzierten „Sie“ und dem vertraulichen „Du“, mit der norddeutschen Besonderheit des „hanseatischen Siezens“ – man redet sich mit einem Sie und dem Vornamen an, möglicherweise eine Hommage an die mentale Verwandtschaft mit dem britischen Raum), • Verhaltensweisen wie z. B. der Frage, wer wem die Tür aufhält oder den Vortritt lässt, oder das früher übliche Verbeugen bzw. Knicksen bei der Begegnung mit höher gestellten Personen, • Bekleidung, in der Form, dass zu geschäftlichen Anlässen bei Herren ein dunkler Anzug zumeist mit Krawatte (allerdings hat sich letzteres Detail in den letzten Jahren wohl erübrigt, wenn man an die Auftritte von bestimmten Wirtschaftsführern denkt, die damit Kreativität und Lockerheit signalisieren wollen) und bei Damen ein entsprechender Hosenanzug bzw. ein Kostüm erforderlich ist, ergänzt um entsprechendes, nobleres Schuhwerk; analog ist es bei Hochzeiten im westlichen Kulturkreis durchaus üblich, dass der männliche Part einen dunklen Anzug trägt, der weibliche Part hingegen im weißen oder zumindest hellfarbenen Kleid erscheint, zumindest dann, wenn es sich um ihre erste Hochzeit handelt. Derartige Verhaltensweisen senken in Begegnungen die Unsicherheit erheblich ab, da sie allen Anwesenden signalisieren: „Ich kenne mich aus und weiß mich so zu verhalten, dass ich in diese Gruppe passe.“ Sie sind eine wichtige Interpretationshilfe bei der Entschlüsselung der Kommunikationssignale (siehe Kapitel 2.2 und 2.3). Ein Verstoß hingegen erhöht Unsicherheit und führt meistens zur Ausgrenzung, wenn der betreffende Delinquent nicht zu erläutern vermag, warum er in dieser Si-

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tuation gegen die gegebene Norm verstoßen hat. Taucht ein Bankberater zu einem Kundengespräch statt im gediegenen Anzug  – das berühmte „Bankers Blue“  – mit Hawaii-Hemd und Bermuda-Shorts auf, wird der Kunde dieses sofort als Missachtung und mangelnde Seriosität empfingen. Kann der Bankberater hingegen erläutern, dass dies einem ganz grausamen Umstand geschuldet ist („Ich wurde auf dem Herweg zu Ihnen überfallen und nur mit dieser Bekleidung zurückgelassen. Ich wollte bei Ihnen pünktlich sein und werde sofort nach unserem Termin das nächste Bekleidungsgeschäft aufsuchen, um diesem Erscheinungsbild abzuhelfen“), mag man in diesem Fall vielleicht darüber hinwegsehen. Aber ein Bankmitarbeiter, der überfallen wird, ist auch nicht unbedingt ein Ausweis an Vertrauenswürdigkeit. Gerade im Geschäftsleben ist das Beherrschen bestimmter Umgangsformen ein wichtiges Kommunikationsmittel. Man kann über Bekleidungsstil und das Beherrschen weiterer Elemente wie dem korrekten Überreichen von Visitenkarten und Informationsmaterial dem Gesprächspartner Wertschätzung ausdrücken und sich gegenseitig der Wichtigkeit der Situation versichern, also in toto die Gesprächssituation deutlich beeinflussen. Man kann aber auch durch „inadäquate Verhaltensweisen“ schon zu Anfang viel falsch machen. Von daher soll der kommunikativen Wirkung des Erscheinungsbildes im Nachfolgenden ein eigener Abschnitt gewidmet werden. • Umgangsformen stellen ein Bündel aus Verhaltensweisen dar. • Umgangsformen sind Grundmuster der Kommunikation. • Umgangsformen erleichtern die zwischenmenschliche Begegnung allgemein und besonders im Wirtschaftsleben.

3.2.2 Die Kommunikation über das Erscheinungsbild In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird seit vielen Jahren über „Corporate Identity“, als der Identität des Unternehmens geschrieben (siehe auch Schönborn, 2014, S. 41 ff.). Dabei geht es um eine Zusammenfassung all dessen, als was sich ein Unternehmen versteht und wie es deshalb die Beziehungen nach innen und außen gestaltet und darstellt. Elemente der Corporate Identity sind (siehe auch Herbst und Scheier, 2004): • Regeln für das Verhalten („corporate attitude“ bzw. „corporate behavior“), • die Art und Weise der Kommunikation („corporate communication“, z. B. über den Gebrauch bestimmter Wörter oder Sprachbilder als „corporate wording“), • Regeln zur Gestaltung von Unternehmensgegenständen und -kommunikationsmitteln („corporate design“, z. B. das Logo, der Briefkopf oder auch eine bestimmte Schrifttype).

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Uniformen als zentrales Beispiel dienen der Kommunikation nach außen. Ein Uniformträger ordnet sich selbst der Aufgabe unter, die eine Uniform ausdrückt. Ein Polizist wird durch die Uniform zum Repräsentanten seines Staates und des dahinter stehenden Rechtssystems. Der Träger einer Rotkreuz-Uniform wird zum Symbol für die neutrale Hilfe gegenüber jedermann, unabhängig von Nation, Glaube etc. Und ähnliches gilt auch für Unternehmensvertreter  – wenn Flug­ begleiter und Piloten einer Luftverkehrsgesellschaft in ihrer Uniform an Bord gehen oder auch Passagiere im Bodenservice abfertigen, ist ihre Uniform Ausdruck eines für jeden Kunden zugänglichen Service, der mit professionellen Standards zur Zufriedenheit und Sicherheit der Kunden ausgeführt werden soll. Genau diese Wirkung soll eine Uniform auch erzielen. Sie ist Ausdruck einer bestimmten Aufgabe, die unabhängig von der Person des Uniformträgers ausgeübt wird und daher auf die breite Masse einen entsprechenden Eindruck ausübt, so dass man sich als Bürger, Kunde oder anderweitig Betroffener voll Vertrauen in die Interaktion begeben soll. Und ein Missbrauch einer Uniform wird insbesondere im Strafrecht (in Deutschland nach § 132 f. StGB, in Österreich nach § 83a SPG, in der Schweiz auf das unbefugte Tragen militärischer Uniformen nach Art. 332 beschränkt) sanktioniert, weil jeglicher Missbrauch eine Unterminierung dieses Vertrauens bewirkt. Von der Uniform gibt es zahlreiche Abwandlungen. Die Amtsroben der Richter oder die Talare der Geistlichen sollen die Person vom Amt trennen und die Sache, der sie dienen, in den Vordergrund heben. In dem einen Fall geht es um Rechtsprechung unabhängig von der Person (siehe auch Zuck, 1997, S. 2092), im anderen Fall um Verkündigung und Seelsorge unabhängig von der Person. Viele Talare bzw. Amtsroben werden von ihren Trägern oftmals als Hilfe empfunden, da sie die tragende Person an zu hektischen Bewegungen hindern und auch als Schutzschild wahrgenommen werden, hinter dem man als Amtsinhaber das Amt leichter ausüben kann. Dunkle Anzüge bzw. Kostüme der Managergilde sind in dieser Lesart ebenfalls eine Art Uniform, da sie Seriosität und Unterordnung unter die Aufgaben des Unternehmens ausstrahlen. Allerdings hat sich inzwischen auch hier eine gewisse Individualisierung eingebürgert, durch die Wahl einer Krawatte, eines Halstuchs und ähnlicher Accessoires. Verschiedene Wirtschaftsführer wie der frühere Daimler AG-Vorstandsvorsitze Dr. Dieter Zetsche betonten in den letzten Jahren durch Jeans, Sneakers und offenen Hemdkragen eine gewisse lässige Attitüde, dem neuen Ansatz des „agilen Managements“ angepasst (vgl. Fromm, 2017). Insgesamt erleichtern Uniformen und alle Formen von Amtstrachten sowohl den Uniformträgern selbst als auch den externen Kommunikationspartnern die Einordnung der Situation: Der Träger einer Uniform oder Amtstracht ist in exakt einer Rolle oder Funktion anwesend. Alle anderen Rollenbestandteile (siehe hierzu Kapitel 2.6) können damit ausgeblendet, die Kommunikation damit von vielen Störfaktoren befreit werden.

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• Das Erscheinungsbild ist ein Grundmuster der Kommunikation in gesellschaftlichen Organisationen. • Es erleichtert den Kommunikationspartnern, die Vertreter der jeweiligen Organisation in ihrer Rolle als Organisationsmitglied wahrzunehmen.

3.2.3 Die Kommunikation in der Teamarbeit Teamarbeit ist das Zusammengehen von verschiedenen Personen zu einem bestimmten Zweck. Im Gegensatz zu einer Gruppe ist ein Team eine planvolle Zusammenstellung von Personen mit einem klaren Auftrag und einer klaren Rollenzuweisung (vgl. Bank, 2018, S. 3 ff.; van Dick und West, 2013, S. 3 ff.). Das bedeutet, dass Teams in der Regel planvoll zusammengestellt werden, wenngleich es auch zu spontaner, kurzfristiger Teambildung kommen kann, wenn z. B. zwei Personen einer dritten Person den Kinderwagen in die Straßenbahn stellen oder beim Aussteigen helfen. Damit das Team den übertragenen Auftrag ausführen kann, ist teaminterne Kommunikation ebenso wichtig wie Kommunikation mit externen Bezugsgrößen, z. B. dem Auftraggeber, den externen Ressourcen- und Informationslieferanten etc. Dazu zählen angemessene Strukturen (z. B. eine Teamgröße, die direkte Interaktion zulässt und damit auch in ihrem Umfang begrenzt ist sowie verantwortliche Personen, die die Kommunikation steuern) ebenso wie Regeln der Kommunikation (z. B. zu Art und Weise des Informationsaustauschs, zu Besprechungsterminen, zu Regeln in Besprechungen). Fehlt die Kommunikation oder wird die Kommunikation gestört, wird der Teamauftrag über kurz oder lang in Frage gestellt und auch der Teamzusammenhalt fragil werden. In der Grundstruktur ist die Kommunikation im Team ausgesprochen einfach: Man verständigt sich über das Ziel der Teamarbeit sowie die von allen Beteiligten einzubringenden Beiträge (Arbeitszeit, Geld, Ideen, …). Dies wird in einen Arbeitsplan (wer macht was bis wann, mit wem zusammen?) niedergelegt und dieser wird allen zugestellt. Eine verantwortliche Person (der Teamleiter) überwacht die einzelnen Beiträge und ihre pünktliche Erfüllung. In der Realität liegen die Verhältnisse deutlich anders (vgl. Rettig u. a., 2017, S. 18 ff.). Teammitglieder arbeiten an verschiedenen Aufgaben, legen unterschiedliche Arbeitstempi vor, haben neben ihren Teamaufgaben noch andere Aufgaben mit hoher Priorität oder verstehen Aufgaben nicht gleichartig. Sie bringen dadurch ihre Beiträge nicht zum erforderlichen Zeitpunkt ein, leisten ihre Beiträge in unterschiedlicher Qualität oder verweigern sich gar der Teamarbeit. Nebenbei wird damit eine Machtfrage gestellt, weil anscheinend nicht ausreichend die Regeln der Zusammenarbeit anerkannt werden. Die skizzierten Probleme entstehen oftmals auf Grund unterschiedlicher Kommunikationsstile und den damit verbundenen Erwartungen und Erfahrungen. Kommunikationsstile wiederum beruhen auf bestimmten „Typen“,

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d. h. Handlungsstilen, in denen bestimmte Werte besonders ausgeprägt oder auch weniger ausgeprägt sind. Verschiedene Ansätze der Diagnostik definieren Typen anhand von bevorzugten Handlungsstilen. So gibt es u. a. den „Hermann-Dominanz-Indikator“ (HDI), der die vier Ausprägungen mittels eines Fragenkatalogs definiert (vgl. Hermann, 1991): A – Das rationale Ich („Planer“) B – Das sicherheitsbedürftige Ich („Absicherer“) C – Das fühlende Ich („Empfinder“) D – Das experimentelle Ich („Ausprobierer“) Je nach Schwerpunkt des eigenen Handlungsstils hat ein Mensch eine bestimmte Ausprägung, die mit anderen Menschen mehr oder weniger gut harmoniert. Entsprechend sind den vier Typen bestimmte Handlungsstile zugeordnet, die seine individuellen Präferenzen reflektieren. Ein Absicherer möchte keine unüberlegten, leichtsinnigen Entscheidungen treffen, sondern aus welchen Gründen auch immer (Angst, Verantwortungsgefühl, …) heraus nur hundertprozentig sichere Entscheidungen treffen. Ihm gegenüber muss also möglichst umfangreich begründet und mit Erfahrungen belegt werden. Ein Ausprobierer, der lieber einmal ein Risiko eingeht, kann hier nicht unbedingt auf Verständnis zählen. Entsprechend schwierig ist die Kommunikation zwischen beiden Personen – jeder möge doch bitte den anderen verstehen in seiner Wertestruktur und Handlungsdispositionen. Der Handlungsrahmen beschränkt sich also auf die gemeinsame Schnittmenge. Es ist offensichtlich, dass die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben dem einen Typus mehr liegt und dem anderen weniger. So wird man die Statik für eine Hausoder Brückenkonstruktion oder auch Buchführungsaufgaben möglicherweise lieber dem Absicherer übertragen. Dafür dürften Aufgaben der Kreativität (Musik, Dichtkunst, Werbung) eher einem Ausprobierer liegen. Vorgesetzte sind daher gut beraten, Aufgaben jenen Personen zu übertragen, die dafür am besten geeignet sind und zudem auch Personen in ein Team zu integrieren, die konträre Typen gut integrieren, sprich: gut zwischen den unterschiedlichen Typen übersetzen und vermitteln können. Damit erhöht sich auch die Schnittmenge, so lange der moderierende Dritte sich nicht auf die Seite eines der beiden anderen „Typen“ schlägt. Und es ist ebenso offensichtlich, dass die Zusammensetzung von Arbeitsteams durch die Auswahl geeigneter Typen positiv beeinflusst werden kann. Befinden sich zwei gegensätzliche Typen in einer Arbeitsgruppe, kann darunter die Kommunikation erheblich leiden. Es sei denn, dass die Unternehmensleitung für die Existenz eines „Übersetzers“ in der Gruppe sorgt. Dies ist jemand, der Handlungsausprägungen sowohl im Feld des einen als auch des anderen besitzt und demzufolge auf „gleicher Wellenlänge“ mit den beiden konträren Mitgliedern kommunizieren kann. Viele Vorgesetzte können dies aus dem Bauch heraus beurteilen, andere benötigen hierzu ausführlichere diagnostische Unterstützung.

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Eine Nebenbemerkung: Die Zusammensetzung optimaler Arbeitsteams kann u. a. mit Testverfahren wie dem Belbin-Test erfolgreich gesteuert werden. Wenn jeder Mensch bestimmte Kommunikationsmuster hat, die originär mit seinem eigenen Rollenverständnis in Arbeitsteams zusammenhängen, liegt es ausgesprochen nahe, die Menschen entsprechend ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten einzusetzen (Belbin, 2010). Dabei kommt es wesentlich darauf an, dass sowohl der Teamleiter als auch ein oder zwei andere Personen im Team in der Lage sind, die Gesprächsfähigkeit im Team herzustellen und zu erhalten. Hier sieht Belbin insbesondere die Rollen der Koordinatoren, Weichensteller und Teamarbeiter in der Pflicht. Halten wir an dieser Stelle fest: • Teams sind Zusammenstellungen von Personen mit einem gemeinsamen Arbeitszweck. • Kommunikation im Team dient der Abstimmung der Teamarbeit und nicht zuletzt auch dem Stärken des Zusammenhalts im Team. • Die bewusste Zusammenstellung von Teams sollte auch die Befähigung zur Kommunikation berücksichtigten, notfalls mit der Bestellung von Teammitgliedern, die vorrangig auf die Kommunikation im Team achten.

3.2.4 Präsentationen als Kommunikationsform Bei Präsentationen geht es darum, dass ein ausgewählter Kommunikator oder eine kleine Gruppe an Kommunikatoren einem mehr oder weniger umfangreichen Personenkreis spezifische Informationen übermitteln möchte. Für den Erfolg einer Präsentation gelten bestimmte Regeln. Insbesondere sollten Präsentationen (vgl. Hillebrecht, 2016, S. 5 ff.): • einen konkreten Gegenstand beleuchten, • die Teilnehmer der Präsentation auf einen einheitlichen Informationsstand ­bringen, • die notwendigen Informationen zur weiteren Bearbeitung des Gegenstands l­ iefern, • zur weiteren Bearbeitung des Gegenstands einladen. Präsentationen, die diesen Regeln genügen, folgen oft einem mehr oder weniger einheitlichen Ablaufschema: • die Aufgabe / das Ziel der Präsentation, • wichtige Informationen, die für die Aufgabe / das Ziel relevant sind, • eine Diskussion von Handlungsmöglichkeiten, • eine eigene Stellungnahme des Präsentierenden,

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• ein Vorschlag zum weiteren Verfahren (z. B. Entscheidungen treffen, gemeinsame Diskussion, Hinweise auf Fristen etc.), der möglichst aktivierend ist, vielleicht sogar nach kurzer Aussprache bereits abstimmungsfähig erscheint. Üblicherweise erfolgen Präsentationen verbal. Das heißt, dass eine oder mehrere Personen persönlich den Gegenstand einer Personengruppe vorstellen. Diese Form der Präsentation erfordert von den Teilnehmern relativ wenig Zeit und gestattet Rückfragen sowie die dynamische Weiterarbeit am präsentierten Gegenstand. Der Raum für die Präsentation ist folglich so zu wählen und auszustatten, dass alle Teilnehmer einen Platz finden und ungestört von äußeren Einflüssen der Präsentation zu folgen. Allerdings kann es erforderlich sein, neben oder anstelle einer verbalen Präsentation auch andere Formen der Präsentation zu wählen, insbesondere schriftliche und elektronische Präsentationen. Schriftliche Präsentationen sind alle Formen von Ausarbeitungen, die in schriftlicher Form einer mehr oder weniger großen Gruppe von Menschen zur Kenntnis gegeben werden. Sie umfassen Denkschriften, Arbeitsnotizen, Aufsätze, OnlineDownloads u. v. m. Elektronische Präsentationen sind alle Formen von Ausarbeitungen, die durch elektronische Medien dargeboten werden. Dies können Hörfunk- und Fernsehbeiträge ebenso sein wie Online-Angebote, Filme oder Offline-Angebote in Gestalt von CD-ROMs, DVDs etc. Sie basieren auf der Speicherung von Inhalten in elektronisch lesbarer Form, benötigen mithin für ihre Wiedergabe ein elektronisch betriebenes Abspielgerät. Ihre Wirksamkeit entfaltet sich durch die Ansprache mehrerer Sinne, nämlich der Optik (hier abgesehen von Radio- und reinen Tonträgern) und der Akustik. Erfolgreiche verbale Präsentationen sprechen mehr als nur einen Sinn an. Sie bieten Informationen für Augen und Ohren und vielleicht auch noch für Hände, Mund und manchmal sogar für die Nase, z. B. durch Vorlage eines Musters oder Austeilen einer Handreichung oder durch Präsentation von duftenden Gegenständen. EDV-Programme wie die Anwendung PowerPoint® des US-amerikanischen Software-Giganten Microsoft bauen auf dieser Erkenntnis auf, in dem u. a. bestimmte Effekte („Sound“, Blitze etc.), Animationen und kurze Filme integriert werden können. Auch das Anwendungspaket Prezi® basiert auf der Fähigkeit, bestimmte Elemente auf einer Präsentation hervorzuheben und regelrecht einzublenden, zu zoomen oder auch wieder auszublenden. Allerdings kann eine Überladung mit Effekten oft den eigentlichen Präsentationsgegenstand in den Hintergrund treten lassen. Generell sollten alle Formen der Unterstützung immer nur den zu vermittelnden Inhalt unterstützen, nicht überlagern. Präsentationsunterlagen, so genannte „Tischvorlagen“ oder „Handouts“, können die Übermittlung der Informationen ebenso unterstützen wie gezielte Übungen zur Einübung bestimmter Inhalte, wenn sie sparsam und gezielt eingesetzt werden.

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Als Rahmen für die einzelnen Hilfen gilt: • Tischvorlagen umfassen nicht mehr als eine, maximal zwei Seiten (dann möglichst mit zweiseitigem Druck, um nur ein Blatt auszuteilen), in Schriftgröße 11oder 12-Punkt, damit sie leicht gelesen werden können – umfangreichere Handreichungen lenken von der eigentlichen Präsentation ab, weil das Publikum sich der intensiveren Lektüre widmet. • Anschauungsgegenstände (z. B. Skizzen, Modelle) sollten in ausreichend großer Zahl mitgenommen werden, damit jeder Teilnehmer die Chance hat, zeitgleich diese Anschauungsgegenstände in die Hand zu nehmen. • Übungen sollten eng an den Präsentationsgegenstand angelehnt werden und nicht mehr als ca. 10–15 Minuten Arbeitszeit den Teilnehmern abverlangen. Eine Feedbackrunde an die Präsentierenden ist obligatorisch, als Ausweis der Tätigkeit und als Information an die anderen Teilnehmer. • Die Raumordnung sollte die Struktur der Präsentation berücksichtigen – eine rein frontal konzipierte Präsentation kann auf Tische verzichten und die Bestuhlung in so genannter „Parlaments-Anordnung“ zulassen. Eine Präsentation mit anschließender Diskussion hingegen erfordert eine Bestuhlung in U- oder OForm, damit sich die Teilnehmer bei der Diskussion gegenseitig sehen und zuhören können. Übungen erfordern in der Regel Arbeitstische oder gar Rückzugsmöglichkeiten für die Arbeit in den Gruppen. Zusammenfassend gilt: • Präsentationen gelten als Informationsvermittlung, um bestimmte weitere Handlungen auszulösen. • Mit Präsentationen werden Gruppen auf einen gemeinsamen Informationsstand gebracht.

3.2.5 Die Moderation als gesteuerte Kommunikation in Gruppen Mit dem Begriff der Moderation wird allgemein eine Funktion beschrieben, die zwischen verschiedenen Kommunikatoren vermitteln, sie „mäßigen“ (von lateinisch moderare – mäßigen), aber auch durch gezielte Impulse zum konstruktiven Gespräch animieren soll (siehe auch Freimuth und Barth, 2014, S. 17 ff.). Wir finden dazu nach Siefert (2011) drei verschiedene Formen von Moderation: • die Unterhaltungsmoderation: Der Moderator bringt verschiedene Gäste, meist Prominente, bei gesellschaftlichen Anlässen auf einem Podium dazu, über sich etwas zu erzählen und darüber in einen Austausch einzutreten, z. B. bekannte Künstler, Schauspieler, Politiker oder Religionsführer; diese Form der Moderation lebt oft von einem bekannten Namen des Moderators und wird gerne bekannten Personen aus der Medienwelt übertragen;

3.2 Die Kommunikation in beruflichen Situationen

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• die journalistische Moderation: Der Moderator, regelmäßig ein Journalist des jeweiligen Mediums, spricht mit verschiedenen Gästen, zumeist Prominente oder persönlich Betroffene, über bestimmte aktuelle Themen der Gesellschaft oder auch über historische Anlässe und deren Hintergrund; hierbei soll den Lesern bzw. Zuschauern oder Zuhörern durch die Dynamik des Gesprächs eine vertiefte Einsicht verschafft werden; • die Besprechungsmoderation: Der Moderator bringt einen definierten Personenkreis (zumeist Mitarbeiter eines Unternehmens oder einer Organisation) dazu, ein bestimmtes Problem des Unternehmens oder der Organisation zu hinterfragen und in gemeinsamer Arbeit auf einen von allen mitgetragenen Lösungsweg zu bringen. Bei der Unterhaltungs- und der journalistischen Moderation ist meist nur ein relativ kleiner Teilnehmerkreis auf der Bühne bzw. im Rundfunkstudio aktiv eingebunden. Die Nutznießer der Moderation, ein größerer Personenkreis, ist direkt oder über Medienabbildung (Hörfunk-/Fernsehübertragung, Berichterstattung in Zeitungen und Zeitschriften) präsent, verhält sich aber zumeist passiv. Bei der Besprechungsmoderation hingegen ist die Grundidee, möglichst viele, wenn nicht sogar alle Anwesenden in die gemeinsame Arbeit einzubinden. Von daher ist es naheliegend, den Teilnehmerkreis in einer überschaubaren Größe zu halten und gegebenenfalls bei Großgruppen-Moderationen (z. B. die so genannte „open spaceMethode“, siehe z. B. Hermann und Pfläging, 2019, S. 40 ff.; Mezick u. a., 2019, S. 35 ff.) die Teilnehmergruppe zumindest für einen bestimmten Zeitabschnitt in arbeitsfähige Kleingruppen aufzuteilen. Die große Stärke der Moderation liegt in der Möglichkeit, alle Betroffenen zu Beteiligten zu machen. Durch gezielte Aktivierung kann jeder seine Sichtweisen, Ideen und Vorschläge einbringen und Arbeitsschritte übernehmen. Die große Schwäche liegt in der Anfälligkeit der Methode. Moderatoren müssen aus Teilnehmersicht neutral bleiben und sollen alle Sichtweisen integrieren. Sie dürfen ihre eigene hervorgehobene Rolle nicht zum Durchsetzen eigener Ideen missbrauchen. Von daher ist der Aspekt „Inhaltshoheit“ und „Prozesshoheit“ im Rahmen der Moderation besonders zu beachten. Als Prozesshoheit wird die Steuerung des Arbeitsprozesses als solchem verstanden. Sie ist die klassische Aufgabe des Moderators. Er ist bildhaft gesprochen der Diener der Arbeitsgruppe und muss einen konstruktiven Arbeitsprozess gewährleisten. Auch Konflikte können konstruktiv sein, wenn es der Moderator versteht, den Konflikt offenzulegen und einer fairen Lösung zuzuführen. Als Inhaltshoheit gilt die konkrete Ausgestaltung einzelner Arbeitsschritte. Sie ist originär mit den Teilnehmern der Arbeitsgruppe verbunden. Als Inhalte zählen alle Sichtweisen, Ideen und Vorschläge, die zu einem Problem benannt werden. Moderatoren sind also dem Prozess verpflichtet und dienen dem Teilnehmerkreis dazu, ein von ihnen selbst gewähltes Thema – die so genannte „Inhaltshoheit“ zu behandeln und dazu ein von möglichst allen Teilnehmern erzieltes Ergebnis zu erreichen.

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3. Die Gestaltung der Kommunikation in Gesellschaft und Unternehmen 

Verschiedene Methoden wie die Metaplan®-Moderation (Metaplan, 2017) oder die moderatio®-Methode (Seifert, 2015) setzen dabei auf eine Verbindung von bestimmten Arbeitsschritten und deren Unterstützung durch Medien wie z. B. FlipChart, Pin-Wand und dazu passenden Materialien (Karten, Klebestreifen etc.). Nebenbei gesagt: digitale Versammlungsinstrumente können ebenfalls mit Moderationstechniken unterstützt werden. Dabei ist die Bedeutung der eingesetzten Medienelemente zu berücksichtigen: • Flip-Chart und Pinwand eignen sich gut zur dynamischen Arbeit – Ergebnisse aus Gruppen- oder Einzelarbeit können für alle sichtbar dokumentiert werden und der Umgang mit diesen Medien entsprechend vorher zu trainieren. • Formen und Farben der eingesetzten Moderationskarten können eine bestimmte Wertigkeit oder Hierarchie ausdrücken – ist dem Moderator dies bewusst, und wie setzt er diese ein? • Ähnliches gilt für verwendete Schriftfarben und -dicken der eingesetzten Stifte – rot beispielsweise drückt eine herausgehobene Stellung aus, ebenso wie ein dicker Marker. Die Moderationsmethode lebt von einer überschaubaren Gruppengröße, um so allen die Möglichkeit der Mitwirkung zu geben. Ideal sind Teilnehmerzahlen zwischen 4 und 25 Personen. Eine Größenordnung von – nach eigener Erfahrung – ungefähr 40–50 Personen kann die Überschaubarkeit schon unterlaufen, weil sie zur Bildung von Untergruppen einlädt. Von daher ist zu überlegen, ob bei größeren Gruppen entweder eine Auswahl an Repräsentanten gewählt wird, die die größere Gruppe abbilden, oder aber Methoden der Großgruppenarbeit wie z. B. open space gewählt werden. Hierbei geht es grob gesprochen darum, ausgewählten Personen aus der Großgruppe die Möglichkeit zu geben, sich stellvertretend für alle zu melden, um sodann in den weiteren Arbeitsschritten arbeitsfähige Kleingruppen zu bilden (siehe Hermann und Pfläging, 2019, S. 40 ff.; Mezick u. a., 2019, S. 35 ff.). Halten wir fest: • Moderation ist die Steuerung von Arbeitsgruppen, damit diese ein gemeinsames, von allen Mitgliedern akzeptiertes Ergebnis erzielen. • Die Rolle des Moderators beschränkt sich auf die Prozesskompetenz, die Steuerung des Arbeitsprozesses. • Die Teilnehmer einer Moderationsgruppe besitzen die Inhaltskompetenz. • Zur Unterstützung eines Moderationsprozesses können verschiedene Instrumente der Tagungstechnik eingesetzt werden.

3.2 Die Kommunikation in beruflichen Situationen

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3.2.6 Die Kommunikation in Verkaufsgesprächen Beim Verkauf geht es darum, einem Kunden die Vorteilhaftigkeit eines Warenangebotes zu verdeutlichen und den Kunden mithilfe einer geeigneten Argumentation zum Kauf der angebotenen Ware zu führen. Idealerweise verstehen sich Verkäufer als Menschen, die anderen Menschen in konkreten Problemsituationen helfen wollen, eine optimale Problemlösung zu erzielen. Leitbild ist dabei weniger der fahrende Kaufmann, der nach erfolgreicher Aktion weiter zieht, sondern vielmehr der stationär sesshafte Händler, der darauf setzt, dass zufriedene Kunden wiederkommen und ihn möglichst auch weiter empfehlen. Aufgabe der Kommu­ nikation in einer Verkaufssituation ist es also, dem potenziellen Kunden zu helfen, den Nutzen der angebotenen Waren und Dienstleistungen für die eigene Situation zu erkennen. Kommunikation in einer Verkaufssituation basiert darauf, dass der Verkäufer die Bedürfnislage des Kunden erkennt und analysiert und darauf aufbauend sein Angebot präsentiert (siehe auch Brandt-Biesler, 2017, S. 30 ff.; Pelzl, 2013, S. 15 ff.). Es ist also wenig zielführend, bereits zu Beginn eines Verkaufsgesprächs viele verschiedene Produktvorteile herauszustellen, die am Ende für den Kunden nicht entscheidungsrelevant sind. Hier entsteht eher Verwirrung als Neugier und die Bereitschaft, sich auf den Verkaufsprozess einzulassen. Genauswenig ist es sinnvoll, den Kunden durch die Präsentation von zu vielen Alternativen gleich zu Anfang an zu überfordern. Der ideale Aufbau eines Verkaufsgesprächs besteht dazu aus fünf Phasen: • Begrüßungsphase: Verkäufer und Kunde nehmen Kontakt auf und öffnen sich grundsätzlich für das Verkaufsgespräch, die Erzeugung einer positiven Atmosphäre ist von elementarer Bedeutung und damit zentrale Aufgabe des Verkäufers; • Bedarfsanalysephase: Im gemeinsamen Gespräch analysiert der Verkäufer den Wunsch des Kunden und das dahinterstehende Problem. Der Verkäufer sollte im Gespräch die wesentlichen Entscheidungskriterien des Kunden kennenlernen. Hierfür eignen sich offene Fragen besonders gut, sogenannte „W-Fragen“ wie z. B. „An was haben Sie gedacht?“, „Welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht?“, „Wie benutzen Sie die Ware?“, „Wie wichtig ist Ihnen xy?“ etc.; • Präsentationsphase: Nunmehr offeriert der Verkäufer sein Angebot und zeigt dabei die Eignung auf, die dieses Angebot zur Problemlösung hat, und zwar möglichst eng angelehnt an die Entscheidungskriterien des Kunden. Der Kaufpreis sollte erst dann genannt werden, wenn die grundsätzliche Eignung des Angebots bereits feststeht, da Preise starke Bilder sind und die weitere Beurteilung der angebotenen Leistung sehr stark unter der Preishürde steht; • Kaufabschlussphase: Kunde und Verkäufer kommen überein, welche Ware gekauft wird, und in welchem Umfang;

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3. Die Gestaltung der Kommunikation in Gesellschaft und Unternehmen 

• Verabschiedungsphase: Verkäufer und Kunde verabschieden sich voneinander, bei komplexeren Produkten, die eine nachfolgende Betreuung erfordern (z. B. Auslieferungstermine, Serviceleistungen, Ersatzteillieferungen) werden weitere Termine und Schritte bestätigt. In bestimmten Fällen können Bedarfsanalyse und Präsentation miteinander verwoben sein. Ein Beispiel hierzu: Ein Kunde sucht ein Geschenk für seine Lebenspartnerin und betritt hierzu eine Buchhandlung. Nachdem das Problem („suche Geschenk für meine Partnerin“) und der gedachte finanzielle Rahmen („ca. 25 Euro“) geklärt sind, offeriert der Verkäufer zwei, maximal drei relevante Bücher und weist mit wenigen Worten auf den Hintergrund der Entstehung, die Bedeutung des Autors für den jeweiligen kulturellen Raum oder – im Sinne der Kundenorientierung – auf den besonderen Nutzen für die Problemlösung des Kunden hin. Mehr als drei Bücher auf einmal sollten es nicht sein, denn eine zu große Vielfalt verwirrt eher den Kunden. Zudem kann so leichter definiert werden, was der Kunde eventuell vermisst. Wenn nunmehr der Kunde sich zusätzliche Kriterien überlegt („ein Krimi sollte es nicht sein, vielleicht etwas Praktisches wie ein Kochbuch“), können diese zusätzlichen Kriterien in einer zweiten Präsentation berücksichtigt werden. Ähnliches findet sich im hochwertigen Bekleidungshandel, im Vertrieb von Automobilen usw. Besonderheiten in der Verkaufsgesprächsführung ergeben sich aus dem Verkaufsort und den damit verbundenen atmosphärischen Bedingungen. So können Lichteffekte, Farbkombinationen und Geräuschquellen im Hintergrund ebenso die Atmosphäre beeinflussen wie die Anzahl der weiteren Personen im Raum und deren Interaktion. So kann es beim Verkauf eines Automobils sinnvoll sein, den Interessenten möglichst schnell in das Auto zu setzen, da er dann das Lenkrad in Händen hält und der Besitzwunsch möglicherweise geweckt wird, auf alle Fälle der Käufer schon eine Vorstellung davon hat, wie der Erwerb für ihn sein könnte. Zum Verkaufsgespräch im Ladengeschäft gehören als zentrale Elemente: • Der Verkäufer ist auf vertrautem Gelände, wohin gegen der Kunde in der Regel sich nicht so gut auskennt und damit deutlich unsicherer sein dürfte – der Verkäufer sollte sich wie ein Gastgeber verhalten. • Damit der Kunde sich als Gast wohlfühlt, sollte das Ladengeschäft ein angenehmes, der jeweiligen Produktpalette angemessenes Ambiente darstellen. • Der Kunde erwartet, dass der Verkäufer verschiedene Angebote zur Auswahl bereithält und diese auch sachkundig vorführen kann. • Der Kunde kann die Situation dadurch beenden, in dem er den Verkaufsort verlässt. • Sofern ein Kunde mit dem Angebot nicht zufrieden ist, wird er entweder als höflicher Gast des Verkäufers das Gespräch unter einem Vorwand beenden oder aber durch mehr oder weniger gezielte Aggression gegenüber dem Verkäufer.

3.2 Die Kommunikation in beruflichen Situationen

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Zu den Besonderheiten des Verkaufsgesprächs am Arbeits- oder Wohnort des Kunden zählen: • Der Verkäufer dringt bildhaft gesprochen in das Revier des Kunden ein, womit es sinnvoll ist, die Schärfe aus der Situation herauszunehmen, z. B. durch das Überreichen eines Werbegeschenks oder zumindest durch verbale Anerkennung („vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit nehmen …“). • Auch die persönliche Präsentation des Verkäufers (Bekleidung, Termintreue) sollte diese Grundhaltung widerspiegeln. • Der Verkäufer kann sich ein Bild von der konkreten Lebens- oder Berufssituation des Kunden machen und das angebotene Produkt bereits in einer konkreten Anwendungssituation vorführen, bis hin zur Möglichkeit, anhand des Einrichtungsstils sowie des Zustands des Büros (aufgeräumt oder nicht, Verwendung von Bildern und anderem Raum- oder Wandschmuck) auf einen bestimmten Kommunikations- und Entscheidungstypen zu schließen – siehe Kapitel 3.2.3. • Allerdings wird der Verkäufer in der Regel nicht die gesamte Angebotspalette mitführen, sondern nur ausgewählte Muster und ansonsten eine Anzahl an beschreibenden Materialien. Im telefonischen oder Online-Gespräch gelten als Besonderheit: • Kunde und Verkäufer sind jeweils auf „heimatlichem Boden“. • Sofern keine Bildübertragung installiert ist, können sich beide nur hören, aber nicht sehen. • Eine Beschreibung oder gar Vorführung der Ware ist nur unter Schwierigkeiten möglich, womit insbesondere unsichere Kunden eher ungern bereit sind, einem Kaufabschluss zuzustimmen. Geschultes Verkaufspersonal stellt sich auf diese Umweltbedingungen ein und gibt dem Kunden ein jeweils auf die Situation abgestimmtes „gutes Gefühl“. Zudem werden Handlungsdispositionen berücksichtigt, die den jeweiligen Handlungs­stilen (Kapitel 3.2.3) zugrunde liegen. So wird ein auf Sicherheit und Verlässlichkeit orientierter Kunde mit Erfahrungen anderer und mit Garantien konfrontiert. Ein eher kreativer, am Ausprobieren orientierter Kunde erfährt hingegen vorrangig von besonderen Merkmalen, die das Angebot aus der Menge der anderen Angebote heraushebt und dem Erwerber ein besonders innovatives Image verleiht. Um entsprechend auf die bevorzugten Handlungsstile eingehen zu können, versuchen Verkäufer, auf äußerliche Merkmale wie Kleidungsstil oder Einrichtungsgegenstände ebenso zu reagieren wie auch auf bestimmte verbale Äußerungen, in denen eindeutige Aussagen auftauchen. Hierzu ist es für das Verkaufspersonal hilfreich, vor allem offene Fragen – so genannte W-Fragen – zu stellen: „Wie setzen Sie den Gegenstand ein?“, „Welche Erwartungen haben Sie?“ usw. (siehe auch BrandtBiesler, 2017, S. 15 ff.).

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3. Die Gestaltung der Kommunikation in Gesellschaft und Unternehmen 

Halten wir an dieser Stelle fest: • Erfolgreiche Verkaufsgespräche führen eine Problemlösung für den Käufer herbei. • Die Fähigkeit zur Problemlösung erfordert es, sich zunächst mit der Problemdisposition und den Entscheidungskriterien des Käufers auseinanderzusetzen. • Erfolgreiche Verkaufsgespräche berücksichtigen den Verkaufsort und die damit verbundenen Einflussfaktoren.

3.3 Die Führungskommunikation 3.3.1 Die Grundlage der Führung Führung ist nach Maßgabe eines unbekannten Managementlehrers im Prinzip die Kunst, mit Menschen so umzugehen, dass sie das tun, was man selbst will. Auf den ersten Blick kommt hier eine gewisse Manipulation durch, wobei das in der Realität sicher auch so ist. In der Regel führen ausgewählte Personen qua Persönlichkeit („Charisma“) oder Amt (Vorgesetzte) Mitarbeiter oder Untergebene, um mit deren Hilfe etwas zu erreichen (vgl. Groth, 2017, S. 13 ff.; Jung, 2017, S. 410 ff.). Die Mitarbeiter oder Untergebenen erhalten für ihre Mitarbeit einen Ausgleich (z. B. Gehalt, Anerkennung, Entlastung von eigenen Entscheidungen), was letztendlich die Motivation für die Unterordnung unter eine Führungskraft darstellt. Zerlegen wir den zu Eingang dieses Abschnitts benannten Satz, so erhalten wir folgende Elemente: • Kunst kommt von Können – Führungskräfte sollten also führen können und dafür erforderlichen Verhaltensweisen und Instrumente kennen und anwenden. • Umgang mit Menschen: Wer mit Menschen umgeht, sollte sich auf diese Menschen einlassen und mit ihnen gemeinsame Ziele vereinbaren können, um sie zur gemeinsamen Arbeit zu motivieren. Daraus ergibt sich eine grundsätzliche Frage: Welches Menschenbild verfolge ich in meiner Führungspraxis? Und wie gehe ich daher mit den mir zugeordneten Menschen um? • Ziele setzen und sie durchsetzen: Wer führen will, benötigt dafür eine Richtung, also ein Ziel, das man mit seinem Team verfolgen kann. Führungskräfte sind also darauf angewiesen Ziele zu bilden und diese entsprechend an ihr Team, aber auch an andere Personen in ihrem Umfeld (z. B. Vorgesetzte) vermitteln zu können. Dies gilt unabhängig von der positiven oder negativen Wertigkeit der Ziele! • Klarheit über die eigenen Ziele und ihre Durchsetzbarkeit: Führungskräfte arbeiten auf Basis definierter Ziele, • Abgrenzung Führung (als Haltung) und Leitung (als Umsetzung / das „Handwerkliche“).

3.3 Die Führungskommunikation

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Wer führen will, muss sich der Bedeutung von Führungspositionen und Führungsrollen in jeder gesellschaftlichen Organisationsform – egal ob in Familie, Ehrenamt oder Beruf – im Klaren sein (vgl. Zoller und Nussbaumer, 2019, S. 51 ff.). Führung ist eine Idee und bezieht sich auf jede Form der hierarchischen Über- und Unterordnung. Die Hierarchie (griechisch für „heilige Ordnung“) gilt dabei als eine in sich unstrittige Ordnung, die Führungspositionen und ihre Aufgaben definiert. Jede Gesellschaft und jedes Teilsystem einer Gesellschaft hat bestimmte Positionen, die mit der Wahrnehmung von Führung beauftragt sind. Führungskräfte geben Anweisungen, koordinieren Handlungen und stellen damit sowohl für das eigene System als auch für korrespondierende Systeme eine gewisse Handlungssicherheit dar. Führungskräfte sind demzufolge Koordinatoren (siehe auch Dobler und Croset, 2020, S. 3 ff.). Jedes Systemmitglied weiß, dass die Führungskraft die Verantwortung für die Ausrichtung des Systems und für Reaktionen auf alle Formen von äußeren und inneren Infragestellungen übernimmt. Je höher eine Führungskraft in diesem System angesiedelt ist, desto weiter reicht ihr Verantwortungsbereich. Systeme können auf diese Weise flexibel reagieren, da die Verantwortung eindeutig ist. Viele Führungsdenker gehen daher auch davon aus, dass Führungsverantwortung unteilbar ist – im Zweifel müssen rasche und eindeutige Anweisungen erfolgen, die von einem Einzelnen leichter zu treffen sind als von einem Gremium. Von daher ist Führung kein Selbstzweck, sondern vereinfachen das Tun und Handeln für ein gesellschaftliches System: Jeder weiß, wer in bestimmten Fragen ansprechbar ist und Entscheidungen treffen kann. Und sollte jemand dieser Verantwortung nicht gerecht werden, aus Desinteresse, aus Unfähigkeit oder aus anderen Gründen, wird er entweder selbst abgelöst oder aber er führt sein System in den Abgrund. Funktionierende Systeme haben daher mehr oder weniger ausdifferenzierte Verfahrensweisen zur Ablösung ungeeigneter Führungskräfte, in Form von Abwahl oder Entlassung bis hin zum Putsch. Weniger gut funktionierende Systeme hingegen gehen mit ihren Führungskräften unter. Einstmals hochgeachtete und starke Unternehmen wie Pan American Airways („PanAm“), Texaco oder auch die Schreibmaschinenfirma TriumphAdler, die Drogeriemarktkette Schlecker oder der Versandhändler Quelle fanden ihr Ende, als ihr Management keine ausreichenden Antworten mehr auf neue technologische oder wirtschaftliche Herausforderungen fanden. Aus den vorgenannten Überlegungen können auch die Aufgaben von Führungskräften abgeleitet werden, wie sie zum Beispiel Henry Fayol definiert, ein Begründer der Führungslehre. In seinem grundlegenden Werk über industrielle Führung und Organisation definierte Fayol 1916 Führung fünf Aufgaben (vgl. Ulrich und Fluri, 1991, S. 51): • Planung (prévoir) • Organisation (organiser) • Anweisung (commander)

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3. Die Gestaltung der Kommunikation in Gesellschaft und Unternehmen 

• Koordination (coordonner) • Kontrolle (contrôler) Die benannten Aufgaben sind überwiegend als kommunikative Handlungen zu verstehen: Planung ist den betroffenen Mitarbeitern wie auch anderen Partnern mitzuteilen, da Kapitalgeber ebenso wie Lieferanten und Abnehmer oder die Mitarbeiter wissen wollen, worauf sie sich einstellen können. Planungsgrundlagen und strategischen Zielsetzungen sind im besten Sinne des Wortes zu vermitteln, damit sich die Betroffenen einbringen können. Organisation erfordert nicht nur die Definition, welche Aufgabe von wem zu erfüllen ist, sondern auch den Austausch mit den Betroffenen. Anweisungen sind kommunikative Elemente, ebenso die Koordination mit den Betroffenen. Schließlich basiert auch Kontrolle auf dem Austausch und der Bewertung von Informationen, also zu einem erheblichen Teil auf Kommunikation. Führungskräfte, die nicht kommunizieren, können ihre strategischen Zielsetzungen nicht wirkungsvoll mitteilen und auch mit den Rückmeldungen ihrer Mitarbeiter und Marktpartner nicht umgehen. Regelmäßige, zielorientierte Kommunikation ist zentraler Bestandteil vieler Führungsgrundsätze. Von daher lohnt ein näherer Blick auf die Instrumente der Führungskommunikation.

3.3.2 Die Instrumente der Führungskommunikation Um diesen Aufgaben gerecht zu werden, entwickeln Führungskräfte folglich ein sinnvolles Kommunikationssystem. Sie benötigen die für Entscheidungen und anderweitige Führungsaufgaben wichtigen Informationen und müssen die unwichtigen Informationen absondern, am besten erst gar nicht zu sich vordringen lassen. Hierzu sind verschiedene Instrumente bekannt, wie z. B. • Führungsgespräche zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, direkt face-tofae, per E-Mail, Telefonat usw., • interne Informationsdienste (Hausmitteilungen, Betriebsstatistiken aller Art, interne Datenbanken, Berichte des Außendienstes etc.), • externe Informationsdienste (Pressedienste, Branchenmedien, externe Datenbanken), • Datenerhebungen aller Art (Mitarbeiterbefragungen, Marktforschungen, Auswertungen von Kundendaten), • kollegialer Austausch verschiedenster Form im Unternehmen (regelmäßige Besprechungen auf Führungsebene oder auf Abteilungsebene, Arbeitskreise) und außerhalb (u. a. auf Fortbildungen, Kongressen, Erfahrungsaustausch-Gruppen und Coaching, siehe hierzu Braun, 2008). Führungskräfte haben also ein enormes Spektrum an Kommunikationswegen und -möglichkeiten. Die gezielte Auswahl erleichtert ihnen die Arbeit. Die Befähi­

3.3 Die Führungskommunikation

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gung zur gezielten Auswahl an Informationen und deren Verwendung qualifiziert also eine Führungskraft. Von daher sind in der Regel kommunikativ begabte Persönlichkeiten mit breitem Beurteilungswissen die besseren Führungskräfte gegenüber Fachkräften, die sehr viele Detailinformationen besitzen, aber nicht über das relevante Beurteilungswissen verfügen und die für Entscheidungen wichtigen Informationen entsprechend auswählen und einsetzen können.

3.3.3 Die Kommunikation auf Basis von Zielbildung und Zielverfolgung Ziele sind bestimmte Zustände, die man mit konkreten Daten und Fakten beschreiben kann. „Ich will ein berühmter Mann / eine berühmte Frau werden“ ist in dieser Hinsicht kein Datum oder Fakt, denn was bedeutet „berühmt“? Zielzustände lassen sich operationalisieren, zum Beispiel in folgender Form: • Ich will in fünf Jahren 300.000 Euro Jahreseinkommen realisieren. • Ich bin in drei Jahren freiberuflicher Berater. • Ich bin in fünf Jahren als Niederlassungsleiter in Nordamerika tätig. Wir erkennen: Es geht um die Beschreibung eines bestimmten Zielzustandes, der mit einem Zeithorizont verbunden ist. Ziele basieren auf der Verbindung eines Soll-Zustandes mit einer Zeitleiste, also einem festgelegten Termin, zu dem der Zielzustand definitiv erreicht sein soll. Führungssysteme wie „Führen mit Zielvereinbarung“ basieren darauf, dass ein Vorgesetzter mit seinen Mitarbeitern genaue Zielzustände beschreiben und als gemeinsames Ziel definieren kann. Ein Vorgesetzter muss demzufolge bestimmte Unternehmens- oder Abteilungsziele festlegen oder zumindest kennen, um diese als Maßstab für die Vereinbarung von Handlungsschritten seiner Mitarbeiter und den dabei zu erzielenden Ergebnissen zu verwenden. Und er muss in der Lage sein, diese Ziele seinen Mitarbeitern in der Form mitzuteilen, dass die Mitarbeiter für sich Teilaufgaben übernehmen wollen, weil sie diese als lohnend erkennen. Zielvereinbarung mit Mitarbeitern basiert also darauf, dass ein Oberziel bekannt ist und der Vorgesetzte mit seinen Mitarbeitern besprechen kann, welche Anteile an der Erreichung des Oberziels von den Mitarbeitern übernommen werden können. Jede Form von Zielbildung und Zielverfolgung erfordert aber auch den Einsatz von Ressourcen. Kaufleute sprechen hier von „Kosten“, also dem nach Geldeinheiten bewerteten Werteverzehr. Kosten können sein: • der Verbrauch von Geldmitteln, • der Verbrauch von Sachmitteln, die sich in Geldeinheiten bewerten lassen,

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• der Verbrauch von Rechten und Lizenzen, die gegen Geld- oder Sachmittel erworben wurden, • der Verbrauch von Zeit, da sich Zeit durch ihren Einsatz abnutzt und nicht mehr in anderer Form, z. B. bezahlten Arbeitseinsatz, einsetzen lässt, folglich auch einen Wert darstellt, • eventuell „psychologische Kosten“, als der Aufwand, den Beteiligte betreiben, um ihre eigenen Interessen offenzulegen oder auch zu verdecken, Grenzen zu überwinden etc. In dieser Aufzählung fehlen die „Ideen“. Ideen sind für Innovationen und kreative Zugänge eine wichtige Ressource, die sich allerdings relativ schwer in den kaufmännischen Kriterien des Werteverzehrs abbilden lassen. Gemeinsam vereinbarte Ziele und die dafür einsetzbaren Ressourcen sind im Prozess der Zielvereinbarung gemeinsam zu dokumentieren. Dies hat den Vorteil, dass man zum einen sich objektiv über das Ergebnis verständigt und bei Unklarheiten nachschauen kann. Zum anderen kann man nach einem bestimmten Zeitablauf, z. B. sechs oder zwölf Monate, die geplanten mit den tatsächlich erreichten Zielen und den dafür benötigten Ressourcen vergleichen. Dieser Vergleich kann wiederum die Basis für die Vereinbarung weiterer Ziele wie auch für eine Anerkennung der erzielten Leistung durch Lob, variable Gehaltsbestandteile, Beförderungen etc. verwendet werden.

3.3.4 Die Insignien der Macht als Kommunikationsmittel der Führungskräfte Ein Nebenaspekt der Führungskommunikation findet sich in den Insignien der Führungskraft. Führungsaufgaben sind in der Regel mit bestimmten Privilegien verbunden. Die Bandbreite reicht von bestimmten Ehrenzeichen wie den Häuptlingsfedern, den Rangabzeichen bei Armeen und ähnlichen Organisationen oder einer ehrerbietigen Begrüßung durch niederrangige Personen bis hin zum Zugang zu besonderen Ressourcen, wie z. B. einer hochwertigen Verpflegung, Zutrittsbarrieren zu bestimmten Räumen, Dienstwagen, einer bestimmten Anzahl und vor allem Qualität der zugeordneten Mitarbeiter (Sekretariat, Assistenz und so weiter). Diese Privilegien sind im Kern nichts anderes als symbolische Kommunikation – „ich bin eine Führungskraft mit besonderer Verantwortung, und dafür habe ich diese und jene Privilegien“. Wer lange genug in der jeweiligen Organisation tätig ist, wird anhand der entsprechenden Regularien schnell Führungskräfte allein an den Machtinsignien erkennen und entsprechend einordnen. Jeder, der mit diesem Zeichensystem vertraut ist, wird daher sofort eine Führungskraft und meistens auch den Rang einer Führungskraft ableiten können. So gibt es Richtlinien, wie ein Bürostuhl für bestimmte Ebenen beschaffen sein darf

3.3 Die Führungskommunikation

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(mit oder ohne Armlehnen, mit oder ohne Kopfstützen), wie viele Fenster ein Büro für eine bestimmte Führungsebene aufweist, welchen Hubraum bzw. welche Kraft in Pferdestärken oder Kilowatt der Motor eines Dienstwagens haben darf usw. Die militärischen Schulterklappen mit einer bestimmten Anzahl an Federn auf dem Kopf bzw. Sternen auf den Schulterklappen ist also einer etwas subtileren Rangzuordnung gewichen, besagt aber letztendlich nichts anderes: Je mehr an Prestigegütern zugewiesen wird, desto wichtiger muss eine Person im Unternehmen sein. Diese symbolische Kommunikation ist aber auch ähnlich der Amtstracht von bestimmten Amtsinhabern zu sehen. Durch das Tragen dieser Insignien soll der Inhaber einer Führungsposition täglich an seine besondere Rolle und die damit verbundene Verantwortung erinnert werden. Sie sind gleichzeitig Motivation, Ausweis der Macht und Menetekel, sich der besonderen Rolle bewusst zu sein. Ein kurzer Rückgriff in die Geschichte wird vielen Leserinnen und Leser bekannt vorkommen: Erfolgreiche Feldherren im antiken Rom hatten das Recht, einen Triumphzug durch die Stadt zu bekommen. Auf ihrem Wagen fuhr aber stets ein Sklave mit, der als Anerkennung einen Lorbeerkranz über das erfolgreiche Haupt hielt und gleichzeitig beständig die Formel „bedenke, dass auch Du ein Sterblicher bist“ in das Ohr des Feldherrn murmelte – Insignien der Macht und des Erfolgs werden nur so lange verliehen, wie der Insignienträger die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt. Machtinsignien wirken erst dann vollumfänglich, wenn der Träger der Machtinsignien mit seinem gesamten Auftritt eine authentische Einheit verbinden kann. Ein unsicherer Offizier wird in seiner Einheit ebenso wenig Autorität allein auf Basis seiner Sterne erfahren, wie ein überforderter Spitzenpolitiker Glaubwürdigkeit über Dienstwagen und Entourage vermittelt, oder ein Manager allein über Maßanzug, hochwertige Uhren und Schreibtisch zum erfolgreichen Unternehmenslenker wird. Nehmen die Mitarbeiter hier zu große Divergenzen wahr, kann der Effekt sogar in das Gegenteil umschlagen – wirkungsvolle Darstellung von Machtinsignien lebt also von der Einheit zwischen Träger und Insignien. Insignien allein können also kaum auch Machtdurchsetzung mit sich bringen. Und auch die Kehrseite ist bekannt. In einzelnen Unternehmen distanzieren sich besonders hervorgehobene Führungskräfte durch die Insignien ihrer Führungsrolle, wie z. B. eine eigene Kantine oder ein eigener Aufzug direkt in die Chefetage, fast vollständig von ihren Mitarbeitern. Sie sind damit von ihrem eigenen, sie stütztenden System abgeschnitten. Informationen gelangen nur über wenige Kanäle (Sekretariat, Assistenz, vervielfältigte Rundschreiben) zu ihren Mitarbeitern. Umgekehrt werden die Informationen aus ihrem System auch sehr stark gefiltert an die Führungskräfte gegeben. Die zunächst wünschenswerte Reduktion der Information kann hier zur Gefahr werden, wenn die Art der Filterung eine Realität vorspiegelt, die nicht der Realität in weiten Bereichen der Organisation entspricht. Einen Ausweg bietet hier das regelmäßige Eintauchen in die Organisation, sozusagen das „Bad in der Menge“, sofern dieses mit einem dialogischen Austausch verbunden ist. Das Mitfahren auf der Lok, wie es Vorstandsmitglie-

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der von Eisenbahnunternehmen der einschlägigen Berichterstattung nach zu tun pflegen, ist also nur dann zielführend, wenn der Respekt vor der Führungskraft nicht dazu führt, dass Potemkin’sche Dörfer aufgebaut werden. Vielmehr sollten sie als konkrete Aufforderung zum Dialog aufgefasst und von beiden Seiten entsprechend genutzt werden. Ein abschließender Gedanke, der der Vollständigkeit zuliebe hier erwähnt sein sollte: Führungskräfte setzen neben den expliziten Insignien auch weitere, eher subtile Kommunikationselemente ein. Hier ist insbesondere die Art und Weise zu nennen, wie sie mit untergebenen Kräften reden. Hinter an sich freundlichen Formulierungen – „Sind Sie bitte so lieb und erstellen Sie mir …“, verbunden mit einer schnörkellosen und direkten Aussprache, verbirgt sich ein deutlicher Führungsanspruch. Welcher Mitarbeiter traut sich schon, seinem Vorgesetzten eine Bitte in dieser Form abzuschlagen? Ein Untergeordneter würde eher erst einmal die Lage sondieren („Darf ich Sie etwas fragen / um etwas bitten?“), bevor er die direkte Bitte äußert. Auch der Satz „Sie wollen jetzt bitte dieses und jenes tun“ ist nicht unbedingt die Erlaubnis, erst einmal stundenlang über Prioritäten nachzudenken, sondern eher die Aufforderung, alles andere stehen und liegen zu lassen, um dieser Anweisung Folge zu leisten. Anhand dieser Formulierungen wird bereits erkennbar, dass sich die Beteiligten über ihre organisatorische Einordnung im Klaren sind und diese nicht in Frage stellen wollen. Diese Form des Sprachgebrauchs wird durch entsprechende nonverbale Kommunikationssignale wie z. B. eine angemessene Körperhaltung ergänzt. Erfolgreiche Führungskräfte sind in der Wahrnehmung und Aussendung derartiger Signale sehr sensibel und reagieren auf Verstöße gegen die von ihnen erwarteten Signale sehr schnell mit Steigerungen in der Anwendung von Führungssignalen, z. B. durch eine veränderte, stärker auf Dominanz ausgerichtete Körperhaltung, durch eine schärfere Stimme, andere Wortwahl etc.

3.3.5 Die Wertschätzung in der Führungskommunikation Führungskräfte sind dann erfolgreiche Führungskräfte, wenn sie in der Lage sind, die geführten Kräfte zu dauerhaften, herausragenden Leistungen zu bringen. Diese herausragenden Leistungen erbringen motivierte Menschen leichter als demotivierte Mitarbeiter. Die Vermittlung von Wertschätzung ist eine wesentliche Voraussetzung, um die Motivation bei den Mitarbeitern zu erhalten. Wertschätzung kann sich in vielen Elementen mitteilen, u. a. durch eine Kultur des Dialogs und eine Kultur der Delegation. Dialog bedeutet, dass die Ansichten der Mitarbeiter vor einer Entscheidung angehört werden, auch wenn sie am Ende sich nicht durchsetzen. In diesem Fall kommunizieren die Führungskräfte auch die Gründe für die Entscheidung und zeigen damit auf, in welcher Form der Dialog hilfreich war.

3.3 Die Führungskommunikation

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Delegation umfasst die Übertragung von Fachtätigkeiten auf die entsprechend qualifizierten Mitarbeiter, um so die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mitarbeiter zu nutzen und ihnen damit das Gefühl zu geben, entsprechend ihres Könnens gefordert und gefördert zu werden. Neben der Entlastung des Vorgesetzten von Fachtätigkeiten ist dies eine sehr deutliche Form der Wertschätzung: Wer Aufgaben überträgt, zeigt, was er seinen Mitarbeitern im besten Sinne des Wortes zutraut. Dass diese Form der Wertschätzung durch eine systematische Form des Dialogs getragen sein sollte, ist sicher selbstverständlich. Wertschätzung äußert sich auch in der Form des Feedbacks. Untergebene wollen naturgemäß eine Rückmeldung von ihren Vorgesetzten erhalten, ob die Art und Weise der Aufgabenerfüllung den Erwartungen entsprochen hat, ob es Defizite gab und in welcher Form man auf diese Weise weiterhin miteinander verfahren kann. Feedbackgespräche nach bestimmten herausragenden Aufgaben oder Zwischenfällen sollten daher ebenso selbstverständlich sein wie zu regelmäßig vereinbarten Terminen, in denen man die Zusammenarbeit in genereller Form Revue passieren lässt. Feedback bedeutet dabei, die Rollenerfüllung zu kritisieren, d. h. die Leistung am Arbeitsplatz. Ein Beispiel für verstärkendes Feedback: „Zu Ihren Aufgaben gehört xyz. Sie haben dabei den Umsatz in den letzten vier Monaten um 10 Prozent gesteigert. Das finde ich gut.“ Ein weiteres Beispiel: „Sie haben mir letzte Woche ein Konzept zur Verbesserung der Werbung vorgelegt. Das sieht nach sehr viel Arbeit aus, außerhalb der Routine. Darüber freue ich mich!“ Der Mitarbeiter erfährt Wertschätzung und wird sicher noch Hintergründe nach dieser Eröffnung darstellen wollen. Wer als Führungskraft auf problematische Verhaltensweisen reagieren muss, sollte ebenfalls für Hintergründe offen sein. Ein Beispiel für Feedback auf eine problematische Verhaltensweise: „Zu Ihren Aufgaben gehört der kundengerechte Umgang mit Beschwerden. Frau abc hat gestern eine Beschwerde vorgetragen, die aus ihrer Sicht abgelehnt wurde.“ Auf diese Weise hat der Mitarbeiter die Möglichkeit, seine Sichtweise der Dinge darzustellen, und die Kritik verbleibt an der Sache. Wer die Person hinterfragt, stellt die gesamte Persönlichkeit in Frage, was wenig hilfreich ist. „Sie unfähiger Versager können nicht einmal die Beschwerde von Frau abc aus der Welt schaffen!“ Im besten Fall wird der Mitarbeiter dieses Feedback schlucken und auf eine schlechte Laune des Vorgesetzten schieben, im schlechteren Fall wird eine motivierte Kraft in die innere Emigration oder einen Arbeitsplatzwechsel getrieben. In Schulungen zur Führungsarbeit wird häufig gelehrt, dass man Kritik nie direkt äußert, sondern zunächst einmal positive Dinge hervorhebt, anhand derer man dem Gegenüber seine Wertschätzung zeigen kann. Sodann kann man die Kritik sozusagen „unterjubeln“, und offiziell zeigt man Wertschätzung und ermutigt, weil man auch die positiven Seiten sieht. Die Kehrseite der Medaille: Viele Mitarbeiter erwarten nach einem Lob sofort eine Kritik – sie kennen es nicht anders. Das Lob geht unter, auch wenn es ernst gemeint ist. Sinnvoller ist es daher, bei

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konkreten Anlässen im Sinne einer authentischen Kommunikation lieber gleich mit dem Kritikpunkt zu kommen, der in sachlicher Form vorgetragen wird. Statt „Können Sie sich denn nicht merken, dass …“ kommt ein „Sie haben mich unangenehm überrascht mit …“ Auch hierin ist ein Stück Anerkennung enthalten, was über die Wortwahl „überrascht“ zum Ausdruck kommt. Und nicht zuletzt gilt: Wer wertschätzend kritisiert, wird auch an anderer Stelle seine Wertschätzung durch Lob darstellen. Kritik wird nicht allein deshalb angenommen, weil sie sachlich vorgetragen wird und weil der Kritisierende als Vorgesetzter oder Kollege für den Mitarbeiter wichtig ist, sondern auch deshalb, weil der Kritisierende bereits zu anderen Gelegenheiten Anerkennung verteilt hat. Und auch hier gilt der Grundsatz, dass man deutlich häufiger loben als negativ kritisieren sollten. Die GottmanFormal („fünfmal mehr loben als kritisieren“; Gottman und Silver, 2011, S. 81 f.) ist hier eine gute Richtschnur. Und wenn man als Vorgesetzter dieses Verhältnis nicht einhalten kann und vielleicht sogar umgekehrt anwendet, wird es vermutlich Zeit, sich über eine Freistellung des betreffenden Mitarbeiters für andere Herausforderungen Gedanken zu machen. Wer als Führungskraft selbst Feedback zur Art und Weise der Führungsarbeit erwartet, wird seine Mitarbeiter zu einer ebenso gestalteten, sachlichen Rückmeldung einladen. Dazu ist es hilfreich, mit Formulierungen wie „Wo und wie kann ich Sie noch besser unterstützen?“ zu arbeiten. Damit wird der Mitarbeiter eingeladen, anhand von konkreten Situationen seine Vorstellungen zu äußern. Aus der Art und Weise, wie der Mitarbeiter auf eine derartige Einladung eingehen, können sensible Vorgesetzte auch schließen, in wiefern der Mitarbeiter ehrlich mit sich selbst und anderen umgeht und seine eigene Arbeit einschätzt. Hierzu bieten die einschlägigen Führungsratgeber und Schulungen eine Fülle an Hinweisen. Allerdings wird man bei aller hehren Theorie nie den menschlichen Charakter ausschalten können. Auch Vorgesetzte dürften Fehler machen, es liegt einfach in ihrer Natur. Den perfekten Vorgesetzten gibt es ebenso wenig wie den perfekten Mitarbeiter. Bei einer insgesamt stimmigen Atmosphäre werden Mitarbeiter diese Fehler nachsehen, zumal Vorgesetzte auf Dauer immer die Mitarbeiter haben, die zu ihnen passen und mit den Umgangsformen und Marotten ihrer Chefs umgehen können. Kurzgefasst bedeutet Wertschätzung auszudrücken: • Mitarbeiter einzubeziehen, • die Leistungsfähigkeit und die Leistungen der Mitarbeiter anzukennen durch die Übertragung kohärenter Aufgabenstellungen, • eine authentische Reaktion auf positive wie negative Verhaltensweisen, • die Möglichkeit zur Stellungnahme seinen Mitarbeitern einzuräumen, insbesondere bei negativen Verhaltensweisen.

3.4 Die Kommunikation in Konflikten

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3.4 Die Kommunikation in Konflikten 3.4.1 Die Grundstruktur von Konflikten Unter Konflikten wird der Zusammenprall zwischen zwei konkurrierenden, sich gegenseitig ausschließenden Sichtweisen verstanden. Im Idealfall kommt es in Anlehnung an die Aristotelesche oder Hegelanische Dialektik („These“ und „Antithese“ als die konkurrierenden Standpunkte) zu einer Suche nach einem gemeinsamen Standpunkt, der für beide Seiten einen höheren Erkenntnis- und Bewusstseinszustand („Synthese“) ergibt. In vielen Fällen wird aber eher eine Verhärtung der Standpunkte erfolgen, womöglich auch ein bedingungsloser Kampf bis zum bitteren Ende. Oftmals merkt man erst zum Abschluss eines Konfliktes, dass es viele Gelegenheiten gab, die aber von den Konfliktparteien aus welchen Gründen auch immer nicht genutzt wurden. Wer sich mit der Konfliktlösung beschäftigen will, wird nicht um eine tiefer gehende Analyse der Konfliktart umhinkommen. Hinter dem Aufeinanderprallen von Sachthemen verbergen sich oftmals menschliche Aspekte, die die Intensität eines Konfliktes prägen. Grundsätzlich kennt die Theorie der Konflikte verschiedene Konfliktstufen (vgl. Glasl, 1992, S. 215 ff.): 1. Verhärtung: Standpunkte prallen aufeinander. 2. Debatte: Polarisation im Denken, Fühlen, Wollen. 3. Aktionen: Beteiligte stellen das Reden ein und stellen sich gegenseitig vor vollendete Tatsachen. 4. Images und Koalitionen: Gerüchte werden in Umlauf gesetzt, Stereotypen und Klischees aufgebaut, man manövriert sich gegenseitig in negative Rollen und bekämpft sich. 5. Gesichtsverlust: Es finden öffentliche und direkte Angriffe statt, teilweise mit verbotenen Mitteln, die auf einen Gesichtsverlust des Gegners abzielen. 6. Drohstrategien: Drohungen werden aufgebaut und oft mit Ultimaten verbunden. 7. Begrenzte Vernichtungsschläge: Der Gegner wird nicht mehr als Mensch wahrgenommen, man will mit begrenzten Schlägen dem Gegner eine „passende Antwort“ geben, auch eigene Verluste werden in Kauf genommen. 8. Zersplitterung: Die Zerstörung und Auflösung des feindlichen Systems wird intensiv verfolgt. 9. Gemeinsam in den Abgrund: totale Konfrontation, bei der man auch die eigene Vernichtung in Kauf nimmt, um den Gegner zu vernichten. Je nach Konfliktstufe kann die Lösung des Konflikts zwischen den beiden Konfliktpartnern durch geeignete Kommunikationsmaßnahmen befördert werden.

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3.4.2 Möglichkeiten zur Lösung von Konflikten Bei einfachen Konflikten ist es hilfreich, die eigenen Kriterien darzulegen und zu erkunden, welche Kriterien der andere Konfliktbeteiligte angelegt hat. Die Konfliktparteien sind in der Regel allein in der Lage, den Konflikt zu lösen, auch wenn ein neutraler Dritter vielleicht unterstützen kann. Friedrich Glasl (1992) weist dies den Konfliktstufen 1–3 zu, auf denen beide Seiten noch eine „Win-win-Strategie“ verfolgen können. Beide Seiten können also den Konflikt produktiv nutzen zum gegenseitigen Vorteil. Allerdings kann dies schnell zum Wettbewerb führen, welche Kriterien vorrangig sind und welche nicht. Von daher ist es besser, sich zunächst über die übergeordneten Ziele zu verständigen und darauf aufbauend zu prüfen, wo Lösungswege liegen. Eine derartige Form der Konfliktbehandlung führt nach dem aristotelischen Schema von These-Antithese-Synthese beide Parteien zu einem gemeinsamen, höheren Erkenntnisstand, und beide Seiten sehen ihren Standpunkt in angemessener Weise berücksichtigt. Der dabei ausgehandelte Kompromiss wird im Ergebnis von beiden Seiten mitgetragen. Wichtig hierbei ist allerdings auch die Fähigkeit, durch Empathie sich in den anderen hinein zu versetzen und seine Interessen zu erkennen. Dies kann durch ein einfaches Schema erfolgen: • meine Interessen, • seine Interessen, • Schnittmenge (als gemeinsame Wertebasis und als Ausgangspunkt für einen Kompromiss), • Worauf kann ich verzichten? • Worauf kann er verzichten? • Was ist für beide unverzichtbar? • Wie kann der Kompromiss aussehen? Letztendlich sind solche Kompromisse immer ein Handel, bei dem beide Seiten auf etwas verzichten, das ihnen vielleicht weh tut, sie aber nicht existenziell gefährdet. Und hierin steckt das Geheimnis des tragfähigen Kompromisses: Keine Seite muss auf etwas verzichten, was von existenzieller Bedeutung ist. Man lässt weniger wichtige Elemente fallen zugunsten des übergeordneten gemeinsamen Ziels. Eine Rückschau in Ihre eigene Vergangenheit wird Ihnen schnell aufzeigen, dass Sie immer dann zu einer gemeinsamen Lösung finden konnten, wenn Sie Ihr übergeordnetes Ziel nicht aufgeben mussten oder im Tausch etwas erhielten, was Ihnen noch nützlicher oder sinnvoller erschien. Andererseits haben Sie vermutlich jene Kompromisse nur halbherzig mitgetragen, in denen Sie auf etwas Wichtiges, Existenzielles verzichten mussten. Allerdings war Ihnen das vielleicht gar nicht bewusst, dass bei dem Verzicht etwas Derartiges berührt wird. Und genau das er-

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fordert eine dauerhafte Konfliktlösung stets: Das Bewusstsein dafür, was einem selbst wichtig, unverzichtbar ist. Und die Fähigkeit zur Einsicht, dass eine partnerschaftliche Konfliktlösung eventuell gar nicht möglich ist, wenn etwas Existenzielles bei einem Kompromiss in Gefahr gerät. Hierin liegen mögliche Ursachen für härtere Konflikte, wie sie nachfolgend beschrieben werden. Bei einer Verstärkung des Konflikts, auf den Stufen 4–6, wird zumindest eine Seite verlieren. Hier kommt es darauf an, der unterlegenen Seite die Möglichkeit zu geben, sich selbst als moralischen Sieger zu verstehen, der „als Klügerer nach­gibt“, im Interesse des großen Ganzen. Ein neutraler Vermittler, der den Lösungsspielraum für beide Seiten auslotet, kann hierbei hilfreich sein, der je nach Beteiligungsgrad eher als Moderator oder Mediator ausgestaltet. Bei einer Moderation werden beide Konfliktparteien gemeinsam an einem Tisch geholt und die Moderation versucht ein gemeinsames, lösungsorientiertes Gespräch in Gang zu bringen. Bei einer Mediation ist der Konflikt in einer Form, dass ein gemeinsames Gespräch nicht mehr möglich erscheint. Hier hat die externe Beteiligung die Aufgaben, zunächst getrennt voneinander die Konfliktstandpunkte anzuhören und einen Lösungsraum auszuloten, der dann wiederum der Gegenseite vorgetragen werden kann. Und erst wenn eine Lösung erreichbar erscheint, wird ein gemeinsamer Gesprächstermin zu dritt anberaumt. Oftmals werden Vorgesetzte bei einem Streit zwischen Mitarbeitern in eine dieser beiden Rollen gedrängt. Dieser Aufgabe kann man sich kaum versagen, es sei denn, man möchte sich vor unangenehmen Dingen wegducken. Dabei ist es wichtig, sich nicht als Person von vornherein auf eine Seite zu schlagen, sondern streng anhand von Entscheidungskriterien auf die Berechtigung einzelner Standpunkte zu achten. Die Mitarbeiter werden ihren Vorgesetzten tendenziell eher als Richter anrufen denn als Vermittler. Wer sich als Richter betätigt, wird schnell ein Problem mit dem unterlegenen Mitarbeiter haben. Die Aufgabe des Vorgesetzten besteht aber zunächst darin, als Vermittler übergeordnete Ziele ebenso zu erkennen wie die Wurzeln des Konflikts. Darauf aufbauend können Lösungswege aufgezeigt werden. Die Lösung sollte dann als Vertrag von beiden Konfliktparteien erarbeitet und akzeptiert werden. Letztendlich haben bei dieser Lösung alle Beteiligten gewonnen. Vorgesetzte sind in dieser Situation relativ souverän, wenn sie die Wurzeln erkennen und ein Sachproblem als Ursache erkennen können. Schwieriger wird es, wenn Sachprobleme als Vorwand für persönliche Probleme wie z. B. mangelnde Wertschätzung dienen. Hier ist es klüger, zunächst in Einzelgesprächen abzuklären, worin die persönliche Verletzung besteht und ob der zweite Konfliktpartner diese Verletzung erkennt und akzeptiert. Als nachrangige Lösung kann der Vorgesetzte seine Autorität kraft Amt ins Spiel bringen und eine ihm angenehme Lösung verordnen. Bestenfalls werden seine Mitarbeiter die Autorität anerkennen und den Konflikt damit aufgeben, zumindest für dieses Mal. Möglicherweise wird aber auch mindestens ein Mit­

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3. Die Gestaltung der Kommunikation in Gesellschaft und Unternehmen 

arbeiter das Gefühl haben, ungehörig behandelt worden zu sein. Damit kann sich ein schwelender Konflikt anbahnen, um die Scharte des ersten Konflikts auszuwetzen. Sollte man als Vorgesetzter in der Konfliktlösung scheitern, ist es klüger, jemanden von außerhalb mit der Konfliktbeurteilung und -schlichtung zu beauftragen, als den nächst höheren Vorgesetzten einzuschalten. Möglicherweise liegt ein Systemproblem vor, das sich kaum mit einer Involvierung höherer Hierarchieebenen lösen lässt. Zudem wird man dann vermutlich Teil des Konflikts, mit allen Konsequenzen, weil der höhere Vorgesetzte wiederum das Gefühl hat, dass der involvierte Vorgesetzte mit seiner Aufgabe überfordert ist – wie könnte auch sonst der Konflikt derart aus dem Ruder laufen. Eine weitere Lösungsmöglichkeit für einen Konflikt kann in der Versetzung oder gar Freisetzung von einem oder mehreren Konfliktbeteiligten bestehen. Die Gehaltszahlung umfasst eben neben der reinen Vergütung der Arbeitsleistung auch die Bereitschaft zum verträglichen Verhalten am Arbeitsplatz. Wenn Mitarbeiter dagegen nachhaltig und dauerhaft verstoßen, verstoßen sie gegen wesentliche arbeitsvertragliche Pflichten. Zur Minimierung arbeitsrechtlicher Probleme ist es auch hier wiederum erforderlich, als Vorgesetzter die Konfliktlinien und -ursachen genau zu erkennen und zu dokumentieren. Eine sorgfältige Beschäftigung mit dem Konflikt wird also so oder so erforderlich sein. Eine Eskalation auf den Stufen 7 bis 9 wird kaum noch aufzulösen sein, da beide Seiten eigenen Schaden in Kauf nehmen, um das übergeordnete Ziel – die Vernichtung des Gegenübers – zu erreichen. Mindestens ein Konfliktbeteiligter ist so verzweifelt, dass er den eigenen Schaden oder gar Untergang als bereits sicher annimmt und diesen Schaden nur dadurch relativieren und damit akzeptieren kann, wenn er dem anderen ebenfalls einen möglichst hohen, wenn nicht sogar existenzgefährdenden Schaden zuzufügen vermag. Und da meistens beide Seiten den Konflikt für sich als existenzgefährdend betrachten, ist ein regelrechter „Kampf bis aufs Messer“ eine sehr wahrscheinliche Option. Als Konfliktbeteiligter sollte man daher prüfen, inwiefern ein vollständiger Ausstieg aus der Konfliktsituation sinnvoller sein kann und auch noch möglich ist, selbst wenn dies einen gewissen Schaden nach sich zieht. Hierbei gilt es eine Interessensabwägung zwischen dem aktuell drohenden Schaden und dem potenziell drohenden Schaden durch eine Fortführung des Konflikts vorzunehmen. Auch wenn aktuell ein Schaden entsteht, so kann man die frei werdenden Energien für andere Aufgaben und Ziele einsetzen. Die Alternative besteht ansonsten oft nur noch darin, den Konflikt bis zum bitteren Ende durchzustehen, mit dem Ergebnis, dass man selbst einen hohen Schaden erleidet und am Ende tatsächlich die eigene Existenz gefährdet. Der 1989 gedrehte Film „War of the Roses – Der Rosenkrieg“ mit Michael Douglas und Kathleen Turner in den Hauptrollen (Regie und Nebenrolle: Danny DeVito) hat dieses hollywoodtypisch in Szene gesetzt. Die Auseinandersetzung um

3.4 Die Kommunikation in Konflikten

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ein für beide Seiten wichtiges Haus führt am Ende zu einem Scheidungskrieg, in dem beide Seiten sterben und eine – im Angesicht des Todes beider – zum Ende hin angebotene Versöhnung des einen von der anderen brüsk zurückgewiesen wird. Die gegenseitige Zerstörung ist absoluter Natur, und die Niederlage des anderen gilt als angemessene Kompensation für die eigene Niederlage. Hätte der jeweils andere Konfliktpartner einen Sieg oder auch nur eine weniger schmerzhaften Verlust erlitten, wäre die eigene Niederlage als noch schwerwiegender empfunden worden. Was die Konfliktlösung in vielen Fällen erschwert, ist die sichere Interpretation der Signale der anderen Konfliktpartei. Ist das Angebot der Gegenseite eine ausgelegte Leimrute, oder wird ein Kompromiss angeboten? Gerade in Konflikten ist es noch schwieriger als sonst, die Signale angemessen zu interpretieren, denn man möchte nicht noch mehr Schaden erleiden, zumal Vertrauen in Konflikten bereits unter Vorbehalt oder lieber gleich gar nicht mehr gewährt wird. Und nicht alle Kompromissangebote werden von der jeweiligen Gegenseite als Kompromiss aufgefasst, sondern vielleicht sogar als zusätzliche Zumutung. Zudem kommt bei juristisch geprägten Auseinandersetzungen, die Unsicherheit des juristischen Laien ins Spiel, der Angst hat, mit bestimmten Verhaltensweisen einer gerichtlichen Niederlage den Weg zu bereiten. Dazu zählen Ehescheidungen ebenso wie arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen oder Vertragsstreitigkeiten zwischen zwei Unternehmen bei unzureichender Leistungserfüllung. Soweit ein Konflikt noch auflösbar erscheint, also bis zur Stufe 6 in dieser Einteilung, können Mediations- und Schlichtungstechniken wie z. B. die GRIT-Technik (Gradual Reduction on International Tension) nach Charles E. Osgood (1962) beiden Konfliktparteien einen Weg aus dem Konflikt bereiten. Osgood schlägt vor, guten Willen zu zeigen und dazu vertrauensbildende Maßnahmen einseitig anzukünden und dann auch zu ergreifen. Sofern die Gegenseite darauf eingeht, kann man aufeinander zugehen. Sofern die Gegenseite dies als Gutmütigkeit begreift, sollten diese Angriffe öffentlich benannt sowie begrenzte Vergeltungsmaßnahmen verkündet und durchgeführt werden, die aber die vertrauensbildenden Maßnahmen nicht zurücknehmen. Im Idealfall wird auch eine Verständigungsbasis hergestellt, die eine weitere Zusammenarbeit der Konfliktparteien ermöglicht. Die GRIT-Technik gilt sowohl im internationalen politischen Kontext als auch in anderen Formen von Konflikten als hinreichend erprobt und erfolgreich. Zudem hat sie gegenüber der Strategie der harten Vergeltung („tit for tat“) den Vorteil, dass sie in vielen Fällen auch bei anhaltenden Konflikten eine unnötige Verhärtung vermeiden. Im Ergebnis gilt: • Konflikte können bei entsprechender Behandlung gelöst werden. • Zu erfolgreichen Konfliktlösung bedarf es eines Kompromisses, der die wichtigsten Ziele der Konfliktparteien berücksichtigt.

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3. Die Gestaltung der Kommunikation in Gesellschaft und Unternehmen 

• Eskalierende Konflikte führen dazu, dass mindestens ein Konfliktpartner verliert. Wichtig hierbei ist die dauerhafte Schadensbegrenzung für beide Seiten. • Notfalls kann der Konflikt durch einseitigen Ausstieg beendet werden.

3.4.3 Die Rolle von Einwänden und Vorwänden Viele Konflikte entstehen dadurch, dass ein Kommunikationsbeteiligter den Unterschied zwischen einem Einwand und einem Vorwand nicht erkennt. Einwände sind Gründe, die gegen unseren Standpunkt (z. B. ein Angebot oder eine spezielle Sichtweise) sprechen. Sie basieren auf wichtigen Gründen des Gegenübers, die von einem selbst bisher nicht oder nicht ausreichend dargelegt und daher von uns nicht ausreichend berücksichtigt haben wurden. Bei einem Verkaufsgespräch kann dies zum Beispiel wichtige Qualitätsmerkmale eines technischen Gegenstands („Und das Auto verbraucht tatsächlich nur 7 Liter Super? Bei dieser Motorleistung ist das für mich nicht glaubwürdig!“) oder einer Dienstleistung („Können Sie das in der Zeit überhaupt schaffen, wenn Sie nur zu zweit arbeiten?“) betreffen. Durch einen Einwand weist der Gegenüber auf Widersprüche in unserem Angebot bzw. in unserer Präsentation hin, die aus seiner Sicht bestehen. Einwände sind also logisch-analytisch begründet und einer entsprechenden Argumentation zugänglich! Wer diesen Einwand aufgreifen und einer glaubhaften Lösung zuführen kann, wird den Einwand zu einem Pluspunkt machen können, z. B. in der Form von „Daran haben wir auch gedacht / dies haben wir auch berücksichtigt!“ Gegebenenfalls sind Garantien und Erprobungsmöglichkeiten oder auch Referenzen anderer Kunden vorzulegen. Vorwände hingegen sind Mauern, hinter denen sich der Gegenüber verstecken kann, um nicht seine wahren Beweggründe zu offenbaren. Diese erkennt man Formulierungen wie „Ich weiß nicht …“, „Aber das kann doch nichts werden, …“, „bei uns ist alles ganz anders“, „es wird doch eh wieder nichts“, und ähnlichem. Vorwände sind einer logisch-analytischen Bearbeitung nicht zugänglich. Es gibt aber eine innere Logik beim Vorwand-Verwender, womit man einen Hebel hat, dennoch mit Vorwänden umzugehen. Ein Aufgriff des Vorwandes, um ihn zu entkräften, wird daher zur Suche nach weiteren Vorwänden führen, so dass man sich irgendwann im Kreis drehen oder an einem Punkt befinden wird, den man gar nicht mehr einschätzen kann. Im schlimmsten Fall wird der Vorwand-Verwender sein Gesicht verlieren und die weitere Beziehung ist schwer belastet. Es ist daher hilfreich, beim Erkennen eines Vorwandes diesen zunächst einmal zu akzeptieren. Wenn man den Vorwand positiv aufgreifen kann, ermöglicht dies zudem, die Kommunikationssituation fortzuführen. Durch eine Argumentation in Eventualitäten kann man zudem dem Gegenüber die Möglichkeit geben, eine Hintergrundinformation zu geben. Beispielhaft: „Wenn das Problem nicht bestünde …“ Wichtig ist hierbei, den Satz nicht zu vollenden, da ansonsten der Gegenüber bereits wieder in der Rechtfertigungsfalle steckt. Eine offene Frage hingegen erlaubt es, einige

3.5 Positive Sprache – negative Sprache

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Informationen zu geben, an die man vorher nicht gedacht hat. Meistens wird sich zwar der Grund des Vorwandes nicht auflösen. Man hat aber die Möglichkeit, dem Gegenüber das Gesicht zu belassen sowie Vereinbarungen für andere Fälle zu treffen und letztendlich im Gespräch zu bleiben. Halten wir fest: • Einwände sind sachlogisch begründet und können mit geeigneter Argumentation bearbeitet werden. • Vorwände dienen als Ausflucht und können daher nicht einer sachlogischen Argumentation unterzogen werden. • Besser ist es, den Vorwand zunächst stehen zu lassen und Hintergründe zum Vorwand zu erfahren.

3.5 Positive Sprache – negative Sprache Die Kommunikation in beruflichen und darüber hinaus auch in privaten Situationen kann erfolgreicher gestaltet werden, wenn man sich über einige Eigen­a rten des inneren Sprechens („denken“) und des äußeren Sprechens („sprechen“ im engeren Sinne) im Klaren wird, die mit der unbewussten Grenzsetzung durch bestimmte Formulierungen zusammenhängen. Diese werden gesetzt durch: • das Wort „Nicht“, • selbst gesetzte „innere Grenzen“, • fremd gesetzte „äußere Grenzen“. Zunächst zum ersten Punkt, dem kleinen Wörtchen „Nicht“ mit seinen großen Folgen. Unter USA-Reisenden wie auch Hirnforschern ist die Anekdote des einsamen Baumes auf der Route 66 ein Klassiker. Es handelt sich dabei um einen legendären Highway im mittleren Westen der USA, von Chicago nach San Diego am Pazifik. Die Wegstrecke führt der Fama zufolge in Arizona mehrere hundert Meilen durch vegetationsarme Prärie, mit einem einzigen Baum unterwegs. Und genau an diesem einsamen Baum sollen 80 Prozent aller Unfälle auf der Route 66 passieren. Diese Anekdote ist zu schön um wahr zu sein. Ihr Hintergrund verweist aber auf ein Problem unseres Gehirns, nämlich die Schwierigkeit, das Wort „nicht“ positiv zu interpretieren (vgl. Merkle, o. D.). Die entsprechenden Autofahrer werden sich demzufolge aufgrund der Aussage „Du darfst nicht auf diesen Baum fahren“ gerade auf diesen Baum konzentrieren und ihn anfahren. Es ist die Sachinformation „Baum“, die unser Denken und damit auch das Handeln dominiert. Ein Umfahren schließt unser Hirn durch die Konzentration auf den Baum aus. Andere Sachinformationen wie die Breite der Straße neben dem Baum werden ausgeblendet, was verhindert, dass wir um den Baum herum fahren. Es wäre also sinnvoller, sich selbst zu suggerieren „Du fährst links / rechts am Baum vorbei“.

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Die Folge: Andere Sachinformationen treten hervor, im vorliegenden Fall „links vorbei“ bzw. „rechts vorbei“. Ein Unfall wird damit relativ unwahrscheinlich, zumindest einer unter Beteiligung des Baumes. Die Wenigsten verhalten sich aber in einer derart positiven Denkweise. Wurden wir nicht alle in der Erziehung mit dem Wort „nicht“ konfrontiert, weil wohlmeinende Erziehungsberechtigte Schaden von uns abwenden wollten? Die Nebenfolge: Wir können den Störenfried, vor dem man uns beschützen wollte, nicht beiseite lassen, sondern rücken ihn in das Zentrum unserer Überlegungen (vgl. Wolf und Merkle, 2012). Genau deshalb wird er für uns so bedeutsam. Ein Abschieben in eine Nebensächlichkeit hingegen erlaubt uns, uns auf anderes, auf wünschenswerte Gegenstände und Verhaltensweisen zu konzentrieren. Eine kleine Hilfestellung erleichtert die Umstellung auf eine positiv geprägte Kommunikation. Negative Kommunikation ist mit Problemen verbunden – „Du darfst nicht auf die heiße Herdplatte fassen!“ weist auf das Problem der möglichen Verbrennungen hin. Lösungsvorschläge hingegen bieten Auswege aus Problemsituationen an und sind ihrem Charakter nach positiv geprägt. „Prüfe die Herdplatte, bevor Du sie berührst“ ist ein positiv geprägter Lösungsvorschlag, der allerdings auch eine gewisse Selbstständigkeit voraus setzt, nämlich die Fähigkeit der Reflektion eigener Handlungen. Denn die Prüfung einer Herdplatte sollte systematisch erfolgen, um mögliche Fehlerquellen (Brennt das Kontrolllicht der Platte? Strahlt die Platte Wärme aus?) auszuschließen. Und bei Kindern könnte der Hinweis „Vorsicht, heiß!“ ausreichen. Die Handlungsformel „PedaL – Probleme ersetzen durch angemessene Lösungen“ gießt diesen Grundsatz in einen pragmatischen Ansatz. Aus der Beschäftigung mit einem Problem wird ein Lösungsvorschlag und damit ein positiv geprägter Ansatz generiert. Zugegebenermaßen können Lösungsansätze auch neue Probleme schaffen, und der erste Lösungsvorschlag wird nicht in allen Fällen auch der beste Vorschlag sein. Jedoch eröffnet die Beschäftigung mit Lösungen bereits Handlungsfreiheiten, und ein systematisch geschulter Mensch wird automatisch prüfen, ob es mehr als eine Handlungsmöglichkeit gibt und welche Vorteile die einzelnen Möglichkeiten bieten. Das Prinzip des „Mind-Mapping“ (siehe auch Buzan, 2014) basiert nicht zuletzt auf diesen Überlegungen. Ausgehend von einem Anwendungsfall werden verschiedene Lösungsansätze mit ihren Implikationen skizziert, die sich dann nach und nach abarbeiten lassen. Der zweite Punkt umfasst „innere Grenzen“, die auf den ersten Blick als Widerspruch zum ersten Punkt wirken. „Das kannst Du nicht!“ – laut den vorhergehenden Ausführungen würde das Gehirn das Wort „nicht“ nicht interpretieren und demzufolge müssten wir es können. Das Gegenteil ist viel zu oft der Fall. Mit der Zuschreibung „Das kannst Du nicht“ setzen wir uns Grenzen, die eine bestimmte Aktivität von vornherein verhindern. Es geht also nicht (!) darum, aus einer Akti­vität heraus eine schädliche Handlungsweise zu verhindern, sondern von vornherein wird Aktivität unterdrückt. Hier wirkt das Wort „Nicht“ oder

3.5 Positive Sprache – negative Sprache

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auch sein enger Verwandter „nie“ hemmend. Wir setzen uns innere Grenzen, ähnlich wie: • „Der Kunde wird das nie kaufen“, mit dem Ergebnis, dass wir uns erst gar nicht bemühen – sinnvoller wäre „Was muss passieren, dass der Kunde dieses Produkt kauft?“ • „Ich benehme mich doch als Berater und nicht als Verkäufer“, mit der Folge, dass wir viel über das Produkt erzählen und unsere Sachkompetenz verdeut­ lichen, aber wenig verkaufen – hilfreich wäre hier z. B. „Als Berater muss ich meinem Kunden bei einer Problemlösung helfen – was sind die Probleme, bei denen ich helfen kann und Umsatz entsteht?“ • „Ich bestrafe mein Kind nicht“, mit dem Ergebnis, dass das Kind kaum Grenzen akzeptiert, da seine Grenzüberschreitungen selten sanktioniert wurden. Wenn dann doch eine Sanktion erfolgt, wird sie für das Kind eher mit „Zufall“ oder „Jähzorn“ gleich gesetzt als mit Konsequenzen aus einer bestimmten sank­ tionsfähigen Handlung – Erziehungsratgeber verweisen hier tendenziell auf die Überlegung „Wenn Du das und das tust, hat das die und die Konsequenz“. Innere Grenzen sind oft Folge einer Erziehung durch Eltern, Freunde, Lehrer und ähnlichen Erziehern. Sie haben in uns ein Bild entstehen lassen von einem Handlungsraum, in dem wir uns bewegen können. Ein Überschreiten des Handlungsraums war aus welchen Gründen auch immer nicht erwünscht. Innere Grenzen sind demnach Vertreter der Erzieher. Durch Befolgen der inneren Grenzen leben die Erzieher in uns fort. Besser geeignet ist das Konzept der „Inneren Freiheit“ (siehe z. B. Hartzema, 2007). Ich habe alle Möglichkeiten – also kann ich alles, was ich mir als wünschenswert vorstelle. Wenn ich auf etwas verzichte, dann aus dem einen Grund, dass mir der Verzicht mehr bringt als das Umsetzen der Handlung, auf die ich verzichte. Dieses Konzept wiederum erfordert aber eine ungemein stärkere Aktivi­tät, eine viel höhere Bereitschaft, Rückschläge zunächst hinzunehmen und sich nicht entmutigen zu lassen. Oder, kurz gesagt, wir müssen deutlich mehr Verantwortung für uns übernehmen, uns wieder an Möglichkeiten erinnern und innere Grenzen zielgerichtet immer wieder überschreiten. Statt innerer Grenzen, die uns in früherer Zeit von außen gesetzt wurden, setzen wir bewusste Entscheidungen, die für uns vorteilhaft sind. Das sollte weder ein Aufruf zum Leichtsinn sein noch auf billige Motivationstricks rekurrieren. Es geht einfach darum, dass wir uns selbst die Freiheit nehmen, innere Grenzen nicht widerspruchslos zu akzeptieren, sondern sie regelmäßig zu hinterfragen und damit unseren Handlungsraum, unsere Erfolgsmöglichkeiten und damit auch unsere Zufriedenheit zu erhöhen. Gleichzeitig können wir aber auch Einsicht in gewisse Notwendigkeiten zeigen, wenn wir uns sagen „Ich könnte dieses und jenes tun, aber dann hätte das die und die Folgen für mich bzw. für andere – ist es mir das wert?“ Wir übernehmen die Verantwortung für uns selbst von

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unseren Erziehern und loten selbstverantwortlich Handlungsmöglichkeiten aus. Damit übernehmen wir auch Verantwortung und brechen aus einer selbst gewählten Komfortzone aus – innere Grenzen entlasten, da wir uns auf die Vorerfahrung unserer Erzieher zurückziehen und keine eigenen Erfahrungen sammeln wollen. Wenn wir im Konzept der inneren Freiheiten bewusst auf Handlungsoptionen verzichten, so wissen wir um den Nutzen  – ich verzichte auf das Durchsetzen eines Standpunktes, damit auch andere ihre Meinung einfließen lassen können und weiterhin mit mir zusammen arbeiten wollen. Ich verzichte auf das Durchsetzen meines Vorfahrtsrechts, weil auch ich mal in Situationen kommen kann, in denen ich das Vorfahrtsrecht anderer übersehe oder weil ich im Falle eines Unfalls trotz Unfallversicherung des Gegners unnötigen Aufwand treiben muss. Und so weiter und so fort. Diese Einstellung hat auch Folgen für die Art und Weise, in der wir miteinander kommunizieren. Lassen Sie einmal folgende Sätze auf sich wirken: • „Sie sind ein guter Kollege, mit Ihnen erreiche ich etwas!“ • „Sie sind ein guter Mitarbeiter, Sie engagieren sich.“ • „Ich bin ein verantwortungsbewusster Chef, ich bemühe mich um meine Mitarbeiter, um sie optimal zu fördern.“ • „Ich habe immer wieder Ideen, die mir den Spaß an meiner Arbeit erhalten!“ Hinter diesen Formulierungen stecken allerdings auch ein paar Tücken. Wenn der Kollege fragt, warum er gut ist, oder der Mitarbeiter wissen will, wie sich das Engagement zeigt, werden gute Antworten im Sinne von positiv zu wertenden Beispielen erwartet. Positive Kommunikation führt also im Idealfall zu einer begründeten positiven Aussage, die für den Empfänger der Botschaft einen greifbaren und plausiblen Anhaltswert liefern. Und das wiederum führt uns als Absender zu der Aufgabe, sich mit positiver Sprache auch entsprechende Anhaltspunkte zu bilden, die wir als Begründung für die Sichtweise heran ziehen können. Die letzte Ausführung mag daher etwas platt wirken, fordert von uns als Absender aber auch eine höhere Verantwortung ein und ist damit einfach zu greifen: Positiv geprägte Kommunikation führt zu einer neu ausgerichteten Aufmerksamkeit: Was ist daran konkret positiv, sprich: welche positiven Folgen hat das für mich bzw. für meinen Gegenüber? Ich mache mir also ganz andere Gedanken um meine Gegenüber. Ich fange an, sie bewusster auszuwählen. Negativ geprägte Kommunikation bietet demgegenüber einen einfachen Ausweg. Durch das Verneinen setze ich Schranken, die ich im Notfall mit meinem höheren Wissen oder einer wie auch immer geprägten Autorität („als Dein Vater …“, „als Ihr Chef …“) begründe. Wenn diese Autorität in Frage gestellt wird, verliere ich natürlich Deutungsmacht und damit an Einfluss. Folglich muss ich in diesem Fall alles daran setzen, dass meine Umgebung meine Autorität erst gar nicht in Frage stellen kann. Hier kann ein sehr ängstliches Verhalten seinen An-

3.5 Positive Sprache – negative Sprache

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fang nehmen, mit dem Wunsch alles und jeden in meiner Umgebung kontrollieren zu müssen. Selbstbewusste Menschen werden eine derartige Situation eher vermeiden, die Umgebung wird stark von Menschen geprägt, die die höhere Autorität mehr oder weniger kritiklos akzeptieren und damit entweder jede Form von Initiative vermeiden oder aber ihre Initiative auf Bereiche verlagern werden, die nicht kontrolliert werden. Damit soll zum dritten Punkt übergeleitet werden, den extern gesetzten, äußeren Grenzen. In der Erziehung als Kind haben wichtige Menschen (so genannte „signifikante Andere, im Original „significant others“, Sullivan, 1953, S. 9) kennengelernt. Diese Menschen haben für uns Verantwortung übernommen und uns mit verschiedenen Formen und Regeln des gesellschaftlichen Miteinanders vertraut gemacht. Dies reicht von der Art und Weise, wie man Speisen zu sich nimmt, über die verwendeten Kommunikationsmittel und -inhalte (sprich die „Muttersprache“ und ggf. weitere Sprachen und technische Hilfsmittel) bis hin zur Einordnung in gesellschaftliche Strukturen, zuvorderst Familie, Freundeskreis und Schule. Hinter diesen Verhaltensweisen stecken bestimmte Wertevorstellungen, Normen und Kommunikationsweisen, die für die significant others von Bedeutung waren und deshalb von ihnen auch auf uns übertragen, an uns vermittelt wurden. So gilt für die Generation der Menschen, die zwischen 1925 und 1940 geboren wurden, die Jahre der Kriegs- und Nachkriegszeit mit all ihren Erfahrungen als wichtiger Rahmen für das eigene Handeln, was sich auch noch in ihrer Kindergeneration und teilweise in ihrer Enkelgeneration spiegelt (vgl. z. B. Alberti, 2010; Baer und Frick-Baer, 2018). Durch das Befolgen dieser extern gesetzten Grenzen sind wir übrigens erst in der Lage, uns auch in ein staatliches Rahmengefüge, das durch Gesetze und Rechtsprechung gesetzt wird, oder auch in ein berufliches Umfeld einzuordnen. Als positiver Gewinn der Unterordnung steht eine gewisse Erwartungssicherheit. In einer Familie oder einem Freundeskreis wird man sich gegenseitig helfen, eine gegenseitige Schädigung dürfte eine seltene Ausnahme bleiben. Im gesellschaftlichen Verkehr wird man strittige Themen mittels Argumenten erörtern, die Anwendung körperlicher Gewalt dürfte selten sein. Bei einem Fußballspiel sind sich die anwesenden Spieler einig, den Ball möglichst nur per Fuß oder Kopf innerhalb eines genau definierten Platzes zu bewegen, zum Zwecke eines „Tors“. Andere Betätigungsformen wie das Eingraben oder das Aufessen des runden Leders sind ausgeschlossen und ermöglichen daher die sportliche Betätigung in zwei Elferteams. Zum Wesen eines Arbeitsvertrags gehört das pünktliche Erscheinen zu einem gewissen Zeitpunkt am Morgen. Die Kollegen und auch die Kunden wissen daher mit einer hohen Erwartungssicherheit, wann mit dem betreffenden Mitarbeiter zu rechnen ist und wann man mit ihm zusammen etwas bearbeiten kann. Sollte man einmal morgens nicht zum vereinbarten Zeitpunkt erscheinen, wird man einen Unfall oder eine Krankheit oder auch Urlaub anführen, die alle nach bestimmten Regeln, den entsprechenden externen Grenzen bearbeitet werden. Die Verinnerlichung von externen Grenzen erlaubt uns, in einer Gemeinschaft zu leben und zu

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arbeiten. Und diese Einsicht erlaubt es uns, externe Grenzen positiv anzunehmen. Aus einem „Du darfst nicht stehlen“ wird ein „Wir achten das Eigentum eines jeden anderen, womit auch andere mein Eigentum achten.“ Ein schnödes „Ich darf nicht zu spät kommen“ verändert sich zu einem „Ich bin ein verlässlicher Kollege und damit jeden Tag um 8.30 Uhr am Arbeitsplatz.“ Gerade für das erfolgreiche Behaupten im beruflichen Umfeld ist die Einsicht in die grundsätzliche Notwendigkeit externer Grenzen wichtig. Die Abstimmung der Verhaltensweisen von Menschen am Arbeitsplatz basiert darauf, dass einige externe Grenzen den Beteiligten bekannt sind und damit die Basis für die Zusammenarbeit bilden. Dies fängt bei den Arbeitszeiten an, geht über bestimmte Umgangsformen (z. B. das verbindliche Duzen unter allen Angestellten bei einem schwedischen Möbelhaus) bis hin zu den Vereinbarungen, welche Produkte oder Dienstleistungen nach welchen Qualitätsstandards erstellt werden. Alle Beteiligten verlassen sich auf die Gültigkeit der externen Grenzen und werden dadurch zur gemeinsamen Arbeitsleistung überhaupt erst befähigt. Andernfalls müsste nämlich in jedem Aufeinandertreffen neu verhandelt werden, welche Grenzen gelten. Diese Einsicht fällt uns umso leichter, wenn man von einer souveränen Position ausgehen kann. Wer über eine gefragte Berufsausbildung und / oder entsprechende Erfahrungen verfügt, besitzt für den Arbeitsmarkt einen gewissen Wert. Die Unterordnung unter externe Grenzen am Arbeitsplatz wird mit einer attraktiven Vergütung belohnt. Zudem kann der Betreffende die Situation am Arbeitsplatz als zeitlich und örtlich befristet einordnen. Sobald er den Arbeitsplatz verlässt, ist der Mitarbeiter ein anderer Mensch, z. B. Familienvater oder Hobbyfußballer, der nach anderen Regeln lebt – jede Rolle (siehe Abschnitt 2.2.1 und 2.6) besitzt eigene äußere Grenzen. Und Rollen sind in der Regel selbst gewählt – wenn eine Rolle als unangenehm empfunden wird, kann man sie verlassen. Allerdings könnte das Verlassen einer Rolle auch Folgen nach sich ziehen, deren Belastung deutlich höher ist als die Belastung der als unangenehm empfundenen Rolle. Wer sich der Verantwortung als Familienvater oder -mutter entzieht, muss möglicherweise ohne die Unterstützung durch die Familie auskommen. Wer sich den Verpflichtungen am Arbeitsplatz entzieht, muss möglicherweise ganz auf einen Arbeitsplatz und das damit verbundene Einkommen und den sozialen Status verzichten. Zum Wesen der äußeren Grenzen gehört allerdings auch, dass jedes Individuum äußere Grenzen individuell vermittelt bekam und individuell interpretiert, in Abhängigkeit von der eigenen Rolle und den eigenen Erfahrungen mit den externen Grenzen. Von daher können externe Grenzen nur dann existieren, wenn sie von den Personen auch anerkannt werden, die am jeweiligen sozialen Gefüge Familie, Freundeskreis, Betriebsgemeinschaft usw. beteiligt sind. Hierüber muss eine gemeinsame Abstimmung erfolgen, die neben dem Inhalt der externen Grenzen auch Sanktionsmöglichkeiten (insbesondere Loben und Strafen aller Art, Beförderungen oder auch Herabstufungen und Ausschluss) beinhaltet. Die Relevanz und Aktualität der externen Grenzen werden insbesondere bei Verstößen deutlich.

Literatur zum Kapitel

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Erfolgt keine Sanktionierung, gelten die Regelverstöße nach einer gewissen Zeit nicht mehr als Regelverstoß, sondern als zulässige Handlungsweisen. Die Sanktionierung von Regelverstößen ist daher auch eine Form von Kommunikation. Sie macht allen Beteiligten deutlich, dass die externe Grenze weiterhin gilt. Und vice versa gilt: Wird eine externe Grenze ungestraft überschritten, wird für alle Angehörigen einer Gemeinschaft deutlich, dass sich hier eine Verschiebung ergeben hat, mit neuen Handlungsräumen und neuen Handlungsmöglichkeiten. Von daher gehört zu einer externen Grenze unbedingt auch immer der stete Regelverstoß, die regelmäßige Grenzüberschreitung. Halten wir zum Abschluss fest: • Durch die Verwendung von positiven und / oder negativen Formulierungen lassen sich Wahrnehmungen bei unseren Gesprächspartnern beeinflussen. • Auch das eigene Denken und Kommunizieren wird durch die Wahl einer positiven oder negativen Sprache beeinflusst. • Positives Kommunizieren erfordert eine andere Begründung und nimmt einen selbst stärker in die Verantwortung. • Grenzen des eigenen Denkens und Kommunizierens können von uns selbst und von außen gesetzt werden. • Innere Grenzen sind uns von wichtigen anderen („significant others“) gesetzt und von uns übernommen worden. • Äußere Grenzen werden von wichtigen Personen je nach Situation gesetzt, um ein System am laufen zu halten. • Grenzen können leichter akzeptiert werden, wenn wir sie aufgrund einer inneren Freiheit akzeptieren. Literatur zum Kapitel Alberti, Bettina (2010): Seelische Trümmer. Geboren in den 50er- und 60er-Jahren: Die Nachkriegsgeneration im Schatten des Kriegstraumas, München: Kösel 2010. Baer, Udo / Frick-Baer, Gabriele (2018): Kriegserbe in der Seele, Weinheim: Beltz 2018. Bank, Sabine (2018): Das ideale Projektteam, Wiesbaden: SpringerGabler 2018. Belbin, R. Meredith (2010): Team Roles at Work, 2. Aufl., London: Routledge 2010. Brandt-Biesler, Franziska (2017): Verkaufen und Überzeugen mit Fragen, Offenbach: G ­ abal 2017. Buzan, Tony (2014): Das kleine Mind-Map-Buch, München: Goldmann 2014. Dobler, Markus / Croset, Philip (2020): Low Performer und schwierige Mitarbeiter erfolgreich führen, Wiesbaden: SpringerGabler 2020.

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4. Medien und Massenkommunikation Massenkommunikation ist die Kommunikationsarbeit in großen Menschengruppen. Dazu bedarf es geeigneter Medien, die gleichförmig die großen Menschengruppen erreichen können. Die Betrachtung der Medien als Kommunikationsplattform umfasst die Rahmenbedingungen, in denen Medien sich bewegen und die Medien in einer medial geprägten Gesellschaft bilden. Massenmedien sind das Rückgrat und die Vorbedingung jeglicher Massenkommunikation. Dies beinhaltet als Einzelaspekte: • die Merkmale der Massenkommunikation, • die Massenkommunikation als Wesen und als Vorbedingung der Mediengesellschaft, • die Mediengesellschaft mit ihren Elementen, Chancen und Grenzen, • die Medienbereiche und ihre Kommunikationsaufgaben, • die Medienunternehmen als organisierte Kommunikation, • die Kommunikationsformen Journalismus und Pressearbeit, • die Besonderheiten der Wirtschaftskommunikation, • das staatliche Handeln in der gesellschaftlichen Kommunikation.

4.1 Die Elemente der Massenkommunikation Massenkommunikation wendet sich an breite Menschengruppen und -mengen, ist also nicht spezifisch an einzelne, direkt ansprechbare Menschen gerichtet. Sie ist damit stets öffentlich. Die Empfänger der Inhalte von Massenkommunikation können in aller Regel nicht mit den Absendern direkt diskutieren und damit den Verlauf beeinflussen. Die Empfänger üben aber insoweit Einfluss aus, als sie sich bewusst in eine Situation der Massenkommunikation hineinbegeben oder sich auch wieder herausziehen. Massenkommunikation bedient sich technischer Möglichkeiten, durch Ausstrahlung von elektromagnetischen Wellen (Rundfunk), durch Verbreitung von Trägermedien (Flugblätter, Bücher, Presse, AV-Medien wie CDs, DVD etc.) oder durch Bereitstellung von Inhalten über Datenleitungen (online). Es können damit große Mengen an Inhalten übermittelt werden, die nur durch die technischen Kapazitäten von Sende- und Empfangsgeräten beschränkt werden. Diese technische

4.1 Die Elemente der Massenkommunikation

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Gestaltung führt zu einem einseitigen Ablauf: Der Sender übermittelt etwas, was der Empfänger zwar aufnehmen kann. Ein direkter Dialog aller Teilnehmer mit dem Sender ist aber nicht denkbar. Die große Menge an möglichen Teilnehmer für zu einer sehr heterogenen, sogar disparat zu nennenden Empfängerstruktur. Das Publikum ist letztendlich nur in der Tatsache des gemeinsamen Empfangs ähnlich. Alle anderen Merkmale (Alter, Geschlecht, Wohnort, Familienstand, Einkommens- und Berufssituation etc.) können sehr stark variieren. Diese Merkmale lassen Heinz Pürer der Massenkommunikation fünf Eigenschaften zuweisen, die sie von Individualkommunikation unterscheidet (Pürer, 2003, S. 79 ff.) • Sender sind zumeist in komplex aufgebauten Organisationen tätig (Verlage, Rundfunkanstalten u. ä.), • Empfänger weisen dagegen einen geringen Organisationsgrad auf, • Sender gestalten den Prozess aktiv, die Empfänger sind in der Regel passiv – und ein Rollentausch ist in der Regel nicht möglich, • zwischen Sender und Empfänger liegt eine räumliche Distanz, • Sender und Empfänger kennen sich in der Regel nicht persönlich. Wichtig für die vorliegende Thematik ist insbesondere das Faktum der indirekten Kommunikation. Für Massenkommunikation sind technisch erstellte und damit mengenmäßig beliebig reproduzierbare Trägermedien wesentlich. Sie beziehen sich auf: • Drucktechnik bei Büchern, Zeitungen und Zeitschriften sowie anderen Druckerzeugnissen wie z. B. Flugblättern, Werbemailings und Prospekten, ergänzt um ein Verteilnetz (z. B. Buch- und Pressehandel, Postdienste, Austrägerdienste), • Sendetechnik bei Rundfunkdiensten, • Produktionstechnik bei audiovisuellen Medien wie z. B. Filmen, Musikträgern etc., • Verteiltechnik bei Medienangeboten aus Datennetzen (World Wide Web etc.). Erst die Nutzung technischer Vervielfältigung erlaubt es dem Sender, sich an einen derart großen Empfängerkreis zu wenden. Sie können außerdem an verschiedenen Orten sich befinden, wenn die Kommunikationstechnik wie z. B. bei Funktechnik über Radio und Fernsehen bis hin zu allen anderen Arten kabelgestützter Übertragung eine zeitnahe Übermittlung an andere Orte erlaubt. Die Synchronisation einer beliebig großen Menschenmenge, wie sie die meisten Staaten der Welt darstellen, ist ohne Massenmedien nicht vorstellbar. Massenmedien können aufgrund ihrer entsprechend großen Reproduzierbarkeit und auch aufgrund ihrer verhältnismäßig schnellen Übermittlung genau diese Funktion übernehmen und deshalb moderne Gesellschaften überhaupt zu einem vergleichsweise

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4. Medien und Massenkommunikation

kohärenten Handeln bringen. Regierungshandeln, von der Vermittlung einzelner Regierungsbeschlüsse über die Transparenz bei Gesetzgebungsverfahren und den Handlungsprogrammen bei Wahlen bis hin zum schnellen, abgestimmten Handeln in Notfällen (Naturkatastrophen, innere und äußere Bedrohungen usw.), ist ohne Massenmedien ebenso wenig denkbar wie der Austausch über bestimmte Bekleidungsvorlieben oder Musikgeschmack – Mode und Musikstile benötigen zu ihrer Breitenwirksamkeit eine angemessene Vermittlung. Und auch anders herum ist ein wichtiges Merkmal gegeben: Allein durch die Tatsache, dass über Massenmedien identische, regelrecht standardisierte Inhalte vermittelbar werden, können Gesellschaften gleichzeitig an diesen Inhalten teilhaben und sich in den Massenmedien als eine mehr oder weniger geschlossene Gesellschaft präsentieren. Wer an die familienübergreifende Bedeutung von Nachrichtensendungen, aber auch Unterhaltungssendungen wie „Wetten, dass ..?“ im Zweiten Deutschen Fernsehen (vgl. Kühn, 2017) oder die Übertragung von Fußballspielen im Fernsehen denkt, kann die hohe Bedeutung von massenkommunikativ ausgesandten Inhalten erkennen. Aufgrund des eingeschränkten Raumes in Massenmedien – man denke an den vernünftigerweise nutzbaren Raum in Presseerzeugnissen oder in Fernseh- bzw. Radiokanälen – sind Medien gezwungen, eine Auswahl unter den angebotenen Inhalten zu treffen, die unter anderem nach dem Kriterium der vermeintlichen oder tatsächlichen Relevanz für die Mediennutzer erstellt werden. Zudem kommt den massenkommunikativ ausgestrahlte Inhalte aufgrund ihrer Reichweite für viele Gesellschaftsmitglieder eine höhere Bedeutung zu, denn nur durch die Tatsache der Wahrnehmung in den Massenmedien muss der Medieninhalt wichtig im Sinne von gesellschaftlich relevant sein. Dieser Sachverhalt wiederum führt dazu, dass erst durch die Übertragung von Inhalten in Massenmedien einem bestimmten Inhalt von der Gesellschaft eine signifikante Bedeutung zuerkannt wird. Dies kann zum Wunsch führen, seinem eigenen Leben, seiner eigenen Existenz dadurch eine höhere Bedeutung zu verleihen, dass man in den Massenmedien präsent ist. Waren dies vor zwanzig oder dreißig Jahren noch der Abdruck eines Fotos anlässlich der Wahl in den Vorstand eines lokalen Sportvereins oder im besten Fall Auftritte in Sendungen wie „Der große Preis“ bzw. „Wetten, dass ..?“, erhofft man sich heute diese höhere Bedeutung durch Auftritte in Sendeformaten wie „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Germany’s Next Top Model“ oder auch durch eine bestimmte Follower-Anzahl auf Social-Media-Netzwerken wie Instagram. Wie sonst kann man die hohen Bewerberzahlen bei den ersten Auswahlstufen, den so genannten „Castings“ erklären, oder auch Zuschauerreichweiten im Millionenbereich? Wenngleich gerade die benannten TV-Formate sich nicht mehr durch steigende, sondern eher sinkende Quoten auszeichnen. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung von Online-Medien kann natürlich auch die Web-Präsenz in Gemeinschaften – „Communities“ – und ähnlichen Angeboten genannt werden, die aber trotz aller Nutzungs- und Verbreitungszahlen

4.1 Die Elemente der Massenkommunikation

147

nicht an die öffentliche Wahrnehmung des Mediums Fernsehens heranreichen. Die besonders makabre Ausprägung findet sich in vielen Kriminalfällen, in denen sich die Straftäter durch Auftritte in den Massenmedien zu einem vermeintlichen „Medienhelden“ zu stilisieren suchten – wie sonst kamen die Geiselgangster von Gladbeck als ein Beispiel von vielen zu dem Verlangen, die Medienöffentlichkeit in der bekannt intensiven Form zu suchen (vgl. Heising und Stenner, 2018; Völkening, 2018)? Wie und warum die Medienverantwortlichen darauf derart bereitwillig eingingen, soll in diesem Abschnitt nicht weiter verfolgt werden, wirft aber auch Fragen zur Medienethik auf. Schließlich ist die gleichzeitige zeitliche Gegenwart von Sender und Empfänger nicht mehr erforderlich. Der Medienträger speichert die Botschaft des Senders, so dass der Empfänger die Kommunikationsinhalte zu einem späteren Zeitpunkt aufrufen und nutzen kann. Der Absender des Medieninhalts bringt dazu seinen Inhalt auf ein Trägermedium auf, in Gestalt eines Buches, einer Zeitung oder Zeitschrift, eines AV-Medienträgers (DVD, CD-ROM, …) oder einer elektronisch auszustrahlenden Sendung, und lässt den Medieninhalt gemeinsam mit dem Trägermedium übermitteln. Die direkte Verbindung zwischen Sender und Empfänger ist unmöglich. Sie würde bedingen, dass sich Sender und Empfänger zeitgleich auf den Trägermedien austauschen. Damit wäre wiederum die technische Vervielfältigung ausgeschlossen, denn die stete Veränderung erlaubt gerade dieses nicht. Dass gerade Social-Media-Anwendungen dieses durchbrechen und sie damit eine Zwitterstellung zwischen Individual- und Massenmedien einnehmen, wird weiter unten aufgegriffen. Wenn ein Dialog von Massenmedien gewünscht wird, können zwar bestimmte Elemente vorgesehen werden, z. B. • das Schreiben von Leserbriefen, der Telefonanruf in der Redaktion, die Möglichkeit, von Chats und Foren im Internet etc., • die Einrichtung von „Abstimmungen“ bzw. „Barometern“, bei denen die Mediennutzer über mehrere angebotene Alternativen abstimmen, • die persönliche Begegnung von Medienschaffenden mit einzelnen Nutzern. Allerdings ist diese Dialogstruktur per se ungeeignet, allen Nutzern gleichzeitig eine Dialogmöglichkeit zu geben. Die Struktur wäre mit der aufkommenden Datenmenge überfrachtet, der Medienschaffende als Adressat schlichtweg nicht in der Lage, auf alle Rückmeldungen einzugehen. Zudem wird ein Zeitungsbeitrag oder eine Hörfunksendung nicht gleich für alle Teilnehmer dadurch verändert oder ergänzt, wenn ein einzelner Nutzer diesen Beitrag kommentiert, verändert und ergänzt. Vielmehr hängt es meistens vom Sender ab, ob Rückmeldungen der Empfänger in den gesendeten Inhalt übernommen werden. Und damit wird auch deutlich, dass das presserechtlich verankerte Recht auf Gegendarstellung (in Deutschland von den einzelnen Bundesländern individuell geregelt, z. B. in Bayern nach Art. 10 BayPresseG, in Österreich nach § 9 PresseG, in der Schweiz nach Art. 28g-28l ZGB;

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4. Medien und Massenkommunikation

ergänzend Seitz und Schmidt, 2010) nicht unbedingt der Wiedergutmachung bei Falschmeldungen hilft (siehe auch Petersen, 2006, S. 153 ff.). Denkt man diese Folgen zu Ende, kann der Vorwurf erhoben werden, dass Massenmedien zutiefst undemokratisch sind, da demokratische Teilhabe auf einem öffentlichen, breiten Diskurs beruht. Eine einseitige Kommunikationsform läuft dem demokratischen Gedanken prima vista zuwider. Allerdings bedingt gerade das breite Angebot an Massenmedien die Möglichkeit, dass die Meinungsvielfalt in ihrer Gesamtheit in einem ebenso breiten Spektrum an Medien gespiegelt werden kann und der demokratische Diskurs durch einen publizistischen Wettbewerb ermöglicht, zumindest aber unterstützt wird. Dies kann durchaus richtig sein, bedingt aber auch die Gefahr, dass die im Wettbewerb mächtigeren, sprich wirtschaftlich stärkeren Massenmedien die schwächeren an den Rand drängen und damit wenige Massenmedien die öffentliche Meinung diktieren können. Ein Vorwurf, der gerne im Zusammenhang mit der Meinungsmacht von hochauflagigen Boulevardzeitungen oder marktbeherrschenden Rundfunksendern (z. B. bei Krüger, 2013) und zunehmend auch im Zusammenhang mit weltweit dominierenden Digital-MediaAnbietern wie Facebook, Google und Amazon gemacht wird (siehe z. B. Huber, 2018). Folglich wird es eine wichtige Aufgabe von demokratisch verfassten Gesellschaften sein, hier entsprechende Schutzschranken aufzurichten, die die Existenz und Verbreitung von entsprechend schwächeren Medien sichert. Schutzschranken können einerseits Verbote sein oder zumindest Gebote bei bestimmten Verhaltensweisen, wie es z. B. das deutsche Kartellrecht bei der Preissetzung von Printmedien (§ 30 GWB) oder der Fusionskontrolle von Zeitungsverlagen (§ 38 III GWB) ausübt. Sie können aber auch in Subventionen für Medien bestehen, wie sie z. B. die ermäßigte Mehrwertsteuer auf Buch- und Presseerzeugnisse in den deutschsprachigen Ländern darstellt. In Österreich geht man sogar noch einen Schritt weiter. Hier wird über das Presseförderungsgesetz von 2004 den Printmedien und Dienstleistern der Presse verschiedene Zuschüsse durch die Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria, o. D.) gewährt, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen. Auch in der Schweiz können kleinere Verlage Zuwendungen beantragen (vgl. Bundesamt für Kultur, 2018). Allerdings muss man auch akzeptieren, wenn sich die Mehrheit aus bestimmten Gründen (Zeitbudget, individuelle Meinungspräferenzen, Zugangsmöglichkeiten) auf die dominanten Medien konzentriert. Ein durchaus prominentes, wenn auch nicht immer vorteilhaftes Recht der demokratischen Gesellschaft kann im Verzicht auf die Wahrnehmung eines bestimmten Angebotes und der Konzentration auf ein anderes Angebot bestehen. Ein derartiges Verhalten lädt den marktbeherrschenden Massenmedien eine besondere Verantwortung auf, was an dieser Stelle nur der Vollständigkeit zuliebe erwähnt, aber nicht weiter verfolgt wird. Was viel wichtiger ist: Der Staat verfügt über seine öffentlichen Leihbüchereien und -bibliotheken über ein seit langen Jahren existentes Instrument, gerade jenen Menschen den Zugang zu Medieninhalten zu verschaffen, die sich einen käuflichen oder anderweitigen Erwerb von Medien nicht leisten können (siehe auch Martino,

4.2 Die Organisation der Massenkommunikation

149

1990). Genauso können Büchereien und Bibliotheken auch jenen Medien einen öffentlichen Nutzungsraum bieten, die nur in geringeren Stückzahlen verbreitet werden (vgl. Heber, 2009; Plassmann, u. a., 2011; zur besonderen Bedeutung der Büchereien für kleinere Sprachräume, am Beispiel Slowenien: Hillebrecht, 2014). Dass viele Büchereien aber auch hier wieder aus Gründen der Etatrestriktion und der Publikumsnachfrage wiederum auf die besonders populären Medien zugreifen, steht auf einem anderen Blatt. Zusammenfassend gilt: • Die Massenkommunikation beruht auf indirekter Kommunikation, also auf ­einer durch Medienträger vermittelten Kommunikation. • Die technische Möglichkeiten der indirekten Kommunikation erlauben eine Kommunikation, unabhängig vom Zeitpunkt und der Anwesenheit am gleichen Ort. • Massenmedien synchronisieren die Kommunikation in einer Gesellschaft und sind damit die Voraussetzung für eine Mediengesellschaft. • Die hohe Bedeutung der Massenmedien führt wiederum dazu, dass nur medial verbreitete Inhalte breitere Bedeutung gewinnen und Gesellschaftsmitglieder ihrerseits ihre Bedeutung dadurch zu erhöhen wünschen, dass sie in Massenmedien präsent sind. • Die Möglichkeiten der direkten Rückmeldung sind auf wenige Personen beschränkt. • Massenmedien können ihrem Charakter nach eine pluralistische, demokra­tische Meinungsbildung in Frage stellen und sollten daher eine geeignete Regulierung erfahren.

4.2 Die Organisation der Massenkommunikation 4.2.1 Die Grundstruktur der Organisation von Massenkommunikation Die technische Reproduktion der Massenkommunikation erfordert es, dafür spezielle Medieninstitutionen zu schaffen. Medieninstitutionen sind also jene gesellschaftlichen Einrichtungen, die sich schwerpunktmäßig mit der Erstellung und Verteilung von Medieninhalten beschäftigen und dazu einen standardisierten, mengenmäßig regulierbaren Ausstoß an Medienträgern produzieren bzw. deren Verteilung übernehmen. Diese Organisationen können in der Systematik nach Schumann u. a. (2014, S. 19 ff.) drei verschiedenen Stufen zugerechnet werden: • der Erstellung oder Generierung von Medieninhalten, durch Künstler aller Art, insbesondere so genannter Autoren, im Rahmen der Wirtschaftskommunikation aber auch durch Werbe- und PR-Agenturen geleistet,

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4. Medien und Massenkommunikation

• der Aufbereitung von Medieninhalten, durch Redakteure und Content Broker, die typischerweise in Verlagen, Musikverlagen und dergleichen mehr angesiedelt sind, • der Verbreitung von Medieninhalten, durch Drucker, Speichermedienhersteller, Logistiker, Netzbetreiber und Service-Provider. Die einzelnen Stufen der Produktion und Verteilung von Medieninhalten erfolgt aus der Gesellschaft heraus, in Form von Nachrichten aller Art und Unterhaltung, und stellt damit Gesellschaft im subjektiven Erleben der Produzenten von Medieninhalten dar. Sie erfolgt für die Gesellschaft, da sie über die Medieninhalte über Vorgänge in der Gesellschaft, über Wertstrukturen und vieles mehr informiert werden. Und je besser ein Medium den Geschmack des Publikums trifft, desto höher ist die Resonanz des jeweiligen Mediums und damit auch sein wirtschaftlicher Erfolg. Konsequent zu Ende gedacht bedeutet dies: Was in den Medien dargestellt wird, ist relevant für die Medien, irrelevantes wird nicht dargestellt. Die Medien formen damit die Gesellschaft, die Gesellschaft wird zur Mediengesellschaft. Entsprechend der Schematik nach Schumann u. a. sowie der Beteiligung innerhalb der Medienkette kann man dabei von Massenmedien im engeren Sinne und Medien im weiteren Sinne sprechen. Zu den Massenmedien im engeren Sinne gehören die redaktionell arbeitenden Medieninstitutionen, also insbesondere Verlage und Rundfunksender sowie die inhalteerstellenden Onlinemedien, wie z. B. Blogger und Online-Journalistenbüros. Zu den Medien im weiteren Sinne zählen alle Bereiche, in denen Medieninhalte auf Trägermedien aufgebracht und in den Verkehr gebracht werden, also alle technischen Dienstleister sowie die Handelsunternehmen, einschließlich der Agenturen, die als Nachrichtenagenturen, Autorenvermittler etc. arbeiten. Diese Unterteilung ist insofern sinnvoll, weil die redaktionellen Aufgaben, also die „Aufbereitung“ in der vorhergehenden Darstellung, die Schlüsselstellung innehaben bezüglich der Inhalte und ihrer Darstellungsform und Ausprägung. Zwar kommt auch der Distributionskette eine hohe Bedeutung zu, da sie erstellte Medien bevorzugt oder benachteiligt verteilen können. Ihre prägende Kraft ist jedoch gegenüber der redaktionellen Bearbeitung nachrangig, da sie die Inhalte als solche nicht mehr verändern können. Auch die Inhaltsgenerierung durch Autoren ist von enormer Bedeutung, wenngleich sie gegenüber der redaktionellen Bearbeitung zurückstehen muss. Aufgrund der Angebotsfülle an Inhalten und der begrenzten Aufnahmemöglichkeiten in den Medien und nachgelagert auch auf Seiten der Medienkonsumenten regulieren letztendlich die Menge und die Qualität der dargebotenen Medieninhalte, in Form ihrer Auswahl und in Form ihrer Aufbereitung. Die gesellschaftliche Organisation der Massenkommunikation stellt sich schematisch dar wie folgt:

4.2 Die Organisation der Massenkommunikation

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System Gesellschaft mit ihren Subsystemen (Politik, Wirtschaft, Kulturleben, …)

Inhalte-Produzenten (Autoren, Künstler, …) o Massenproduzenten i.e.S.

Auswahl und Aufbereitung (Verlage, Musikverlage, Sender, …) o Massenmedien i.e.S.

Agenturen (erstellen von und handeln mit Nachrichten, Kunstwerken, Rechte an Werken zur Übersetzung etc., …)

Technische Produktion : Druckereien , Speichermedienhersteller etc.

Direkte Kommunikation

Medienverteilung (Buchhandel, Pressehandel, Bibliotheken und Büchereien, Netze, …)

System Gesellschaft mit ihren Subsystemen (Politik, Wirtschaft, Kulturleben, Familien, …)

Quelle: eigene Erstellung in Erweiterung von Schumann u. a., 2014, S. 19 ff.

Abb. 4-1: Die gesellschaftliche Organisation der Massenkommunikation

Diese Darstellung muss im Hinblick auf das Phänomen der Multiplikatoren oder „Meinungsführer“ ergänzt werden. Dieser Begriff beschreibt ein Faktum, das auf eine Arbeitsgruppe um den österreichischen Kommunikationswissenschaftler Paul F. Lazarsfeld (1944/1968, S. 148 ff.) zurückgeht. Lazarsfeld und seine Kollegen erkannten, dass es unter den Gesellschaftsmitgliedern stets interessierte und weniger interessierte Personen oder auch stärker und weniger stark involvierte Personen gibt. Genauso sind zu jedem Sachverhalt, der in der Öffentlichkeit behandelt wird, Sachkundige und weniger Sachkundige vorhanden, mehr und weniger stark involvierte Personen. Nun wird nicht jeder Sachkundige gleichermaßen interessiert an einem Sachverhalt sein und sich entsprechend einbringen. Und gleich gar nicht wird jeder, der sich für einen Sachverhalt interessiert und sich einbringen will, auch sachkundig sein. Man erkennt aber in allen Fällen öffentlicher Kommunika­

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4. Medien und Massenkommunikation

tion, dass bestimmte Menschen in besonderer Weise auf die Meinungsbildung und damit die Kommunikation Einfluss nehmen. Sie engagieren sich besonders in der Übermittlung und werden von ihrer Umwelt als besonders sachkundig und glaubwürdig eingeschätzt – neudeutsch als „Peers“ angesehen. Im Bereich sozialer Medien kennt man diese Personen auch als „Influencer“ (siehe vertiefend die Beiträge bei ARD-Forschungsdienst, 2019, S. 253 ff., Kalina u. a., 2018; sowie Mast, 2018, S. 44 ff.; Kostl und Seeger, 2020). Lazarsfeld u. a. stellen diesen Sachverhalt anhand eines „Zwei-Stufen-Modells“ vor:

Inhalte aus den Massenmedien

Meinungsführer

Weniger Interessierte

Quelle: Lazarsfeld u.a, 1944, S. 151

Abb. 4-2: Zwei-Stufen-Modell der Kommunikation nach Lazarsfeld u. a.

In diesem Modell wird die Torhüterfunktion („Gatekeeper“) der Meinungsführer deutlich. Sie entscheiden über die Weitergabe der Informationen und sind in den Augen der weniger Interessierten diejenigen, die sich auskennen und denen man bei der Urteilsfindung trauen kann. Wer seine Anliegen und Inhalte besonders wirkungsvoll vermitteln will, ist daher gut beraten, die Meinungsführer zu identifizieren und ihnen eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Damit erreicht man mit relativ wenig Aufwand eine relativ breite Menschenmenge, zumindest leichter, als wenn man versucht, gleich die breite Masse zu erreichen. Ein Nebeneffekt: Wenn man die Meinungsführer überzeugt hat, wirken diese aufgrund ihrer im persönlichen Umfeld wahrgenommenen Sachkompetenz in Verbindung mit der persönlichen Stellung deutlich überzeugender. Als Meinungsführer können dabei in einer Mediengesellschaft all jene gelten, die in den Medien stellvertretend für die Mediennutzer bestimmte Ereignisse in der Gesellschaft beobachten, diese aufgreifen und als Medieninhalt darstellen (siehe z. B. Hoffjann, 2019, S. 1 ff.; Mast, 2018, S. 13 ff.). Die Art und Weise der Informationsauswahl und die Art und Weise der Informationsaufbereitung erfüllt damit genau die Funktion der Meinungsführerschaft, auch wenn Journalisten ihrem eigenen Verständnis nach keine Meinungsführer sind, sondern nur Intermediäre zwischen

4.2 Die Organisation der Massenkommunikation

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Ereignissen und Rezipienten, mit der besonderen Aufgabe, kritisch über die relevanten Sachverhalte zu berichten (siehe z. B. Hanitzsch u. a., 2019, S. 135ff; Kepplinger, 2011, S. 49 ff.). Des Weiteren können als Meinungsführer diejenigen gesehen werden, die Medien im Gegensatz zu den weniger interessierten Personen überhaupt oder zumindest wesentlich intensiver nutzen und damit im Gespräch in ihren jeweiligen Bezugsgruppen (z. B. Familien, Freundeskreise, Kollegenkreise) ihre Meinung besonders nachdrücklich vertreten können und damit eine Art Leuchtturm für ihre Umgebung werden. So sind z. B. Lehrerinnen und Lehrer von besonderer Bedeutung, da sie einen besonderen Einfluss auf die Meinungsbildung ihrer Schülerinnen und Schüler ausüben (siehe am Beispiel der MINT-Bildung: Stiftung Haus der kleinen Forscher, 2019). In Religionsgemeinschaften sind die Seelsorger (Pfarrer, Rabbiner, Imame, Gurus etc.) diejenigen, die bestimmte religiöse Werte und Normen durchsetzen, zumindest aber befördern können. Und sie können über die Betonung der daraus abgeleiteten Handlungsnormen auch das Verhalten ihrer Anhänger insgesamt in eine bestimmte Richtung beeinflussen, z. B. in Form von besonders erwünschten oder auch verabscheuungswürdigen Essgewohnheiten, zu den Formen der Geldanlage bzw. der Kreditgewährung, zur Wahl von Lebenspartnern und der Umgang mit ihnen oder auch der Wahl und Ausübung bestimmter Berufe. Was in diesem Modell vor allem für die Massenmedien postuliert wird, gilt im Prinzip für jeden, der in der Massenkommunikation aktiv wird. Sender können die Wirksamkeit ihrer Bemühungen nach diesem Modell erhöhen, wenn sie Multiplikatoren einschalten. Und je mehr Multiplikatoren erreicht werden, desto besser. Bei der Durchsetzung von politischen Standpunkten ist es besonders wichtig, die Personen zu erreichen, die das Weltbild der breiten Masse und damit auch das Wahlverhalten der Wahlbürger zu beeinflussen vermögen. Ebenso können Multiplikatoren bei Veränderungsprozessen in Organisationen, die so genannten „change agents“, von entscheidender Bedeutung für die Akzeptanz der Veränderungen bei der Mitarbeiterschaft sein (vgl. Specht u. a., 2017). Wer allerdings als Multiplikator gilt, wird vermutlich sehr stark von der Thematik und damit der Glaubwürdigkeit einzelner Personen als Experten abhängen (siehe beispielhaft Alcantara und Wassermann, 2015, S. 79 ff.). Ebenso dürfte es sehr unwahrscheinlich sein, dass die Einstellung einer Person von nur einem Multiplikator abhängt. Zentral ist aber ein wesentlicher Unterschied zwischen den formal organisierten Medienunternehmen und den in aller Regel informell bestimmten und tätigen Multiplikatoren. Die Medienunternehmen können als solche identifiziert und hinsichtlich ihrer Aufgabenerfüllung direkt beurteilt werden. Sie lassen sich auch leichter unter die presserechtlichen Rahmenbedingungen einordnen. Die Multiplikatoren, soweit sie außerhalb der Medienbranche oder anderer professioneller Multiplikatorentätigkeiten angesiedelt sind, werden in aller Regel informell tätig bzw. nehmen diese Arbeit mehr als Empfehlung oder Meinungsäußerung wahr, in dem sie Produktempfehlungen mit einer Art Berichterstattung über ihr Leben und Erleben verbinden. Beispiele hierfür sind Mode- und Reise-Influencer (siehe auch ARD-Forschungsdienst, 2019, S. 253 ff.). Damit sind sie für eine Beurtei-

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lung hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und auch hinsichtlich ihrer Interessen und ihrer Vorbereitung auf diese Multiplikatorentätigkeit wesentlich schwieriger zu identifizieren. Allein schon die zahlenmäßige Bestimmung ist damit so gut wie unmöglich. Zudem ist selten klar, inwiefern es den Multiplikatoren allein um die Durchsetzung bestimmter inhaltlicher Ziele oder anderer Ziele wie Macht bzw. Einfluss und Bekanntheit per se geht und wie die breite Masse die Tätigkeit der Multiplikatoren aufgreift. Dies zeigt sich z. B. in der Wirtschaftskommunikation: Das Prinzip der Testimonial-Werbung greift auf die Erkenntnis von Lazarsfeld und Kollegen zurück. Prominente, die als besonders glaubwürdig gelten, legen für die Nutzung eines Produktes und deren besondere Eigenschaften ein Bekenntnis (vom englischen „testimonial“, wiederum abgeleitet aus dem lateinischen testimonium = Zeugnis, Zeugenaussage) ab. Dies kann für die besonderen Vorteile eines bestimmten Mobilfunkanbieters oder die besonderen Eigenschaften eines bestimmten Automobils ebenso gelten wie für sozial wünschenswerte Verhaltensweisen, z. B. Leseförderung, Spenden für wohltätige Organisationen oder Teilnahme an bestimmten Vorsorgeuntersuchungen im Rahmen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge. In allen Fällen treten Prominente für das hervorzuhebende Produkt oder Anliegen öffentlich auf und bieten sich als Garant für die Richtigkeit dieser Handlung an. Allerdings weisen verschiedene Studien darauf hin, dass die Bedeutung von Prominenten generell überschätzt wird. Vielmehr scheint es so zu sein, dass Testimonial-Werbung hilft, die Bekanntheit der Prominenten zu unterstützen (siehe u. a. Fanderl, u. a. 2006; Kilian, 2010). Ganz besonders mag es in jenem Fall gelten, in dem ein bekannter Fußballspieler nacheinander für zwei verschiedene Mobilfunkanbieter auftrat. Letztendlich blieb in der Breitenwirkung vor allem hängen, dass Franz Beckenbauer Werbung für Mobilfunk machte. Welches Unternehmen dahinter stand, ist schnell untergegangen – es war zunächst E-Plus, später O2 (siehe auch Gutjahr, 2015, S. 125 ff.). Gleiches gilt beispielsweise für die politische Bildung in Deutschland, die unter anderem in den Händen der Bundeszentrale für politische Bildung und ihrer Pendants auf Länderebene liegt. Ihre Materialien wenden sich in erster Linie an Lehrer und vergleichbare Multiplikatoren, die anhand der Bücher und weiterer Materialien die politische Sachkenntnis und damit die Befähigung zur demokratischen Mitsprache fördern sollen. Hier erhofft man sich, dass die Breitenwirkung durch das Weitertragen der Lehrkräfte gesichert wird. Inwiefern die Materialien tatsächlich im Unterricht Anwendung finden, steht auf einem anderen Blatt. Oder man denke an die Fachinformationen, die z. B. Ärzte in Form von Zeitschriften, Datenbanken und Fortbildungsreisen erhalten. Dabei steht oftmals die Pharmaindustrie unterstützend im Hintergrund oder auch ganz deutlich im Vordergrund. Möglicherweise steht die Überlegung dahinter, wenn man die Ärzte von der Wirksamkeit bestimmter Präparate überzeugt hat, lassen sich auch die Patienten deutlich besser erreichen. Allerdings kann auch genau das Gegenteil eintreten, wenn Patienten genau diesen Zusammenhang vermuten und die empfohlene Therapie verweigern oder gar andere Ärzte aufsuchen.

4.2 Die Organisation der Massenkommunikation

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• Die gesellschaftliche Kommunikation ist in den Stufen Inhalteerstellung, -aufbereitung und -verteilung organisiert. • Auf jeder Stufe nehmen spezialisierte Unternehmen bzw. Organisationen die entsprechenden Aufgaben wahr. • Besondere Bedeutung besitzen die Unternehmen der Stufe „Inhalteaufbereitung“, da sie letztendlich die Inhalte auswählen sowie hinsichtlich Umfang und Darstellungsweise bestimmen. • In der gesellschaftlichen Kommunikation kommt den Meinungsführer bzw. Multiplikatoren, eine besondere Bedeutung zu, da sie für die breite Rezipientenmasse eine besondere Sachkunde darstellen. • Medienunternehmen lassen sich in ihrer Existenz und Tätigkeit aufgrund der formalen Fassbarkeit deutlich leichter untersuchen als die oftmals informell tätigen Multiplikatoren.

4.2.2 Die handelnden Unternehmen und Organisationen der Mediengesellschaft Bereits im vorhergehenden Abschnitt wurde auf ein Schema der Massenkommunikation und die daran beteiligten verwiesen. Die Organisation der Mediengesellschaft wird durch die Aktivitäten von Medienunternehmen, einzelnen Medienschaffenden und weiteren Organisationen bewirkt. Man kann auch von einer Medienproduktions- und -distributionskette sprechen, mit jeweiligen speziellen Funktionen und Wertschöpfungselementen auf jeder Stufe dieser Kette. Hierzu sind entsprechend der Systematik von Schumann u. a. (2014, S. 19 ff.) verschiedene Beteiligte zu benennen, die mit ihrer Arbeit unterschiedliche Interessen verfolgen, und zwar auf die Ebenen • Erstellung von Medieninhalten, • Aufbereitung von Medieninhalten, • Distribution von Medieninhalten. 4.2.2.1 Die Organisation der Inhalteerstellung Auf der Ebene „Erstellung von Medieninhalten“ ist zu verweisen auf: • Autoren, die Texte beitragen, • Übersetzer, deren inhaltliche Leistung in der Übertragung von Texten aus anderen Sprachen in die Sprache des Publikationslandes bestehen und dabei neben der rein sprachlichen Übersetzung möglichst auch kulturraumspezifische Ände-

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rungen vornehmen, die der künstlerischen Intention des ursprünglichen Autoren möglichst nahekommen, • Bildkünstler und Grafiker, die Fotos, Filme sowie jedwede Form von grafischen Inhalten bereiten, • Klangkünstler, die Musik und weitere Formen akustischer Inhalte bereiten, • Entwickler, die insbesondere im Bereich der elektronischen Medien die EDVtechnischen Elemente („Programme“ und „Anwendungen“ aller Art) erzeugen. Entsprechend ihrer Ausrichtung zielen sie mehr oder weniger stark auf künstlerische Betätigung per se, auf die Gewinnung von Einnahmen oder gar auf die Durchsetzung inhaltlicher Anliegen ab. Ihre besondere Bedeutung für die pluralistische Grundordnung findet u. a. in verschiedenen juristischen Regelungen ihren Widerhall, so z. B. in der verfassungsrechtlich garantierten Freiheit der Meinungsäußerung, der Kunst und der Wissenschaft (Art. 5 Grundgesetz) und in den Bestimmungen über das Urheberrecht (Urheberrechtsgesetz), das den Autoren besondere Schutzrechte zubilligt. In der Republik Österreich wird die Presse­freiheit aus den Quellen des Artikels 13 des Staatsgrundgesetzes von 1867 und das Pressegesetz von 1922 abgeleitet. In der Schweiz garantiert der Artikel 17 der Bundesverfassung die „Medienfreiheit“ (sic!), in Verbindung mit den Artikeln 27 und 322 des Strafgesetzbuches. Für die Inhalteerstellung erhalten die Autoren in der Regel ein Honorar, das pauschal oder auch in Abhängigkeit nach der Verbreitung im Zielpublikum bemessen ist. In einigen Fällen kann aber auch eine Honorarzahlung unterbleiben oder aufgrund der wirtschaftlich unbefriedigenden Nachfragemenge vom Autor ein Autorenzuschuss verlangt werden. Dies ist zum einen im Wissenschaftsbereich üblich, z. B. bei der Verbreitung von Dissertationen oder anderweitigen Fachbüchern, die in der Regel nur von einer kleinen Anzahl an Käufern aufgegriffen werden und folglich eine wirtschaftlich tragfähige Auflagenzahl eher ausschließen. Zum anderen kann dies auch in anderen Publikationsbereichen erforderlich sein, wenn der Inhalteaufbereiter aufgrund der Spezifik des Themas oder der Betrachtungsweise von einer wirtschaftlich nicht ausreichenden Verbreitung und / oder mangelhaften Preisdurchsetzung ausgehen muss und folglich auch hier eine kostentragende Verkaufszahl nicht sicher ist. Auf diese Autoren hat sich eine Vielzahl an Verlagen spezialisiert, die in einschlägigen Anzeigen unter dem Motiv „Autoren gesucht“ Publikationsmöglichkeiten anbietet. Nebenbei bemerkt: Insider können anhand des Verkaufsrangs bei einem großen Online-Händler die ungefähre Verkaufsmenge im Buchmarkt abschätzen. Und wenn dies in einem auffälligen Kontrast zur Anzahl der positiven Rezensionen steht, denkt man sich dann seinen Teil. Zur Gratifikation für die Autoren zählt aber neben der finanziellen Seite auch die ideelle und soziale Seite. Als ideelle Seite kann man all jene Nutzenversprechen für den Inhalteerzeuger ansehen, die dieser mit der Publikation seiner Inhalte verbindet, von der Möglichkeit der Verbreitung seiner Ideen bis hin zu den künstlerischen Aspekten seiner Arbeit. Als soziale Seite ist der Widerhall in der

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Gesellschaft zu sehen, vom Aufgriff im gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Diskurs bis hin zur direkten Anerkennung durch die Nutzer in der Gesellschaft. So zählen für wissenschaftliche Publikationen in der Regel die wirtschaftlichen Ergebnisse nicht oder nur in den Fällen grundlegender Lehrbücher. Vorrangig geht es um die Veröffentlichung in möglichst hochwertigen Zeitschriften oder Buchverlagen sowie um eine möglichst breite Verwendung, in dem möglichst viele Dritte die eigenen Darstellungen zitieren. Beides zählt als Ausweis der wissenschaftlichen Bedeutsamkeit und kann erheblichen Einfluss auf die wissenschaftliche Karriere ausüben. Entsprechend dienen Ranking-Verfahren wie der „Scientific Citation Index“ (SCI), der „Journal Citation Report“ (JCR) oder das VHB-JOURQUAL-Ranking des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft als Messgröße, um einen „Impact“ (also die Bedeutung einer Publikation in der wissenschaftlichen Community) zu erfassen. Den zahlenmäßigen Umfang von Autoren kann man nicht sicher beziffern, da man sowohl von hauptberuflich Tätigen als auch nebenberuflich Tätigen ausgehen muss. Sie können sich in einem direkten Anstellungsverhältnis zu einem Medienhaus befinden als auch freiberuflich tätig sein. Als wichtige Standesorganisationen gelten: • Der Verband deutscher Schriftsteller (VS) in der Vereinigten Dienstleistungs­ gewerkschaft ver.di, mit einer nicht bekannten Anzahl an Mitgliedern, • Der Verband deutscher Übersetzer (VdÜ) im Verband Deutscher Schriftsteller, der nach eigenen Angaben ca. 1.700 Personen vereint (vgl. VdÜ, 2019, S. 7), • Der Deutsche Journalistenverband (DJV), mit ca. 33.000 Mitgliedern ein anerkannter Tarifpartner (vgl. DJV, o. D.), in der Schweiz organisieren der Unabhängige Verband Schweizer Journalistinnen und Journalisten CH-Media ca. 500 Journalisten (vgl. CH-Media, 2020); über das Pendant Österreichischer Journalisten-Club sind keine entsprechenden Daten erhältlich. Daneben existiert eine Vielzahl an Journalisten-, Künstler- und Autorenverbänden, die jedoch hinsichtlich ihrer Mitgliederzahlen, teilweise auch im Hinblick auf ihre Seriosität und nicht zuletzt hinsichtlich ihrer Zielsetzungen nicht immer sicher eingeordnet werden können. Wichtige Einrichtungen zur Wahrnehmung von Vergütungsansprüchen sind insbesondere die Verwertungsgemeinschaft Wort (VG Wort) mit Sitz in München sowie die Verwertungsgemeinschaft Bild-Kunst (VG Bild-Kunst) mit Sitz in Bonn. Ihre Aufgabe besteht darin, von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen einen Ausgleich für die von Dritten angefertigten Kopien einzufordern. Bei digitalen Speichermedien wird das Speichervolumen als Messgröße heran gezogen. Entsprechend ihrer Mitgliedsstatuten werden die so aufgebrachten Mittel an die angeschlossenen Autoren bzw. Künstler weiter gegeben. Neben den originär journalistisch tätigen Personen sind auch jene Personen bzw. Unternehmen und Organisationen zu sehen, die Inhalte zuliefern, die einem

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wirtschaftlichen oder anderweitig zweckgeleiteten Interesse folgen. Damit sind alle Formen der Werbung und Öffentlichkeitsarbeit gemeint. Sie sind für die Medienwirtschaft deswegen wichtig, weil sie einen wesentlichen Teil des Inhaltes zuliefern. In der Pressebranche geht man von einem Werbeanteil von bis zu 40 % des Heftumfangs aus. In den Fernsehmärkten muss mit einem Werbeanteil von bis zu 30 % rechnen, da in der Regel ein Werbeanteil von mehr als 12 Minuten pro Sendestunde von den Landesmedienanstalten auf Basis von § 45 Rundfunkstaatsvertrag (für Deutschland, in Österreich über §§ 43 ff. des Gesetzes über Audio-­ visuelle Medien und in der Schweiz über Art. 9 ff. des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen vergleichbar geregelt) nicht oder nur unter Auflagen (Kennzeichnung als „Dauerwerbesendung“) toleriert wird. Für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten gelten in Deutschland sogar noch engere Grenzen: maximal 20 Minuten täglich, Ausstrahlung nur vor 20 Uhr und nicht in den dritten Programmen (§ 13 ff. Rundfunkstaatsvertrag). Hingegen soll der Österreichische ÖffentlichRechtliche Rundfunk 50 % seiner Einnahmen durch Werbung erwirtschaften und kann dazu 172 Minuten täglich Werbung senden (§§ 8a; 14 ORF-Gesetz) und in der Schweiz ist es der Schweizer Rundfunkgesellschaft sogar freigestellt, wann sie Werbung sendet. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gewinnt ihre Relevanz aus der Fähigkeit, den journalistisch Tätigen Themen anzubieten und zuzuliefern, die für sie von Inte­ resse sein kann. Dies fängt bei Themen aus Pressekonferenzen (z. B. zur Vorlage der Bilanz oder zur Vorstellung neuer Produkte) an, geht über Stellungnahmen zu aktuellen Branchenthemen bis hin zu der Fähigkeit bestimmter PR-Agenturen, einzelne Themen so zu lancieren, dass Journalisten sich des Themas annehmen und in den öffentlichen Diskurs einbringen. Man denke pars pro toto an bestimmte Aspekte des Gesundheitswesens. Dieser Aspekt wird in Kapitel 4.2.3 und in Kapitel 5 nochmals vertieft. Das Berufsbild des Journalismus verdient an dieser Stelle eine tiefere Beachtung. Journalisten sind inhalteerstellende Personen, die nach bestimmten Berufsgrundsätzen, wie z. B. der Informationsrecherche aus mehreren, möglichst unabhängig voneinander agierenden Quellen den Wahrheitsgehalt von bestimmten Inhalten prüfen, auf seine Relevanz für die Zielgruppe bzw. für den öffentlichen Diskurs überprüfen und zu einem bestimmten Informationsbündel zusammen stellen (vgl. z. B. Hillebrecht, 2018, S. 19 ff.; Noske, 2015, S. 5 ff.; Weichert u. a., 2010, S. 8 f.; zu Verstößen gegen diese Grundsätze und ihren Folgen: Moreno, 2019). Dies kann in Form von politischen, kulturellen, wirtschaftlichen oder sonstwie zu charakterisierenden Themen geschehen. Vom Selbstverständnis des Journalismus her soll dabei eine neutrale, positionsübergreifende Information und Meinungsbildung durch den Inhaltenutzer möglich sein. Gerade beim Auftauchen von Fake-Nachrichten, die z. B. rund um die Corona-Krise im Frühjahr 2020 virulent wurden, kann professionell betriebener Journalismus die Verbreitung von Fake-News wirksam bekämpfen (vgl. Lubbadeh, 2020). Andererseits haben viele Medien wie bereits erwähnt eine bestimmte Tendenz (in Österreich „Blattlinie“) und verfolgen bestimmte inhalt­

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liche Nuancierungen ihrer Auftraggeber (siehe auch Hillebrecht, 2018, S. 23 f.; zur historischen Genese Lohmar, 1978). Davon abzugrenzend ist der Beruf der PRArbeiter, der Werbungsgestalter und im neuen Verständnis auch der Influencer. Sie verfolgen ein konkretes inhaltliches Anliegen mit einer klaren, parteilichen Zielsetzung, nämlich der Durchsetzung der Anliegen ihres Auftraggebers, auch wenn sie mit journalistischen Instrumenten arbeiten. 4.2.2.2 Die Organisation der Inhalteaufbereitung Die Anforderung an die Stufe der Inhalteaufbereitung ist die, bereit gestellten Inhalt (neudeutsch „Content“) in eine Form zu bringen, die für Nachfrager prinzipiell nutzbar sind. Dazu gehört die Identifikation von interessanten Themen, die Prüfung des Inhalts auf formale und inhaltliche Richtigkeit und die Umwandlung in nutzbaren Umfang, die „Konfektionierung“ bzw. redaktionelle Bearbeitung. Auf der Ebene der Inhalteaufbereitung sind als wichtige Institutionen zu benennen: • die Verlage (Buch, Zeitungen, Zeitschriften, Hörbücher etc.), • die Musikverlage („Labels“), • die Rundfunksender für Radio- und Fernsehprogramme, auch als „Rundfunkveranstalter“ bezeichnet, • die Produzenten von Filmen und anderen audiovisuellen Medien, die Filme und weitere AV-Medieninhalte in distributionsfähige Form überführen (als Verleihfilme, Leihvideos, Kaufvideos etc.), • zunehmend auch bestimmte Onlineanbieter, die unter ihrer Website bestimmte Inhalte offerieren und dazu einem Verlag bzw. einer Redaktion vergleichbar auftreten. Neben der Inhalteaufbereitung übernehmen die benannten Institutionen oftmals eine wesentliche Vorfinanzierung (Autorenvorschüsse, Autorengehälter), mit denen sie den Erstellern der Inhalte das wirtschaftliche Überleben sichern. Das Wort „Verlag“ kommt übrigens von diesem „vorlegen von Honoraren“. Die Art und Weise der Aufbereitung erfolgt unter den Gesichtspunkten der Marktgängigkeit, des künstlerischen Gehalts und den eigenen inhaltlichen Anliegen. Letztere unterliegen in Deutschland als „Tendenz“ im Sinne des § 118 Betriebsverfassungsgesetzes ebenfalls einem besonderen Schutz. Das eigene inhaltliche Anliegen ist oftmals ein zentraler Aspekt der Medienarbeit, denn die Verbreitung eigener Argumente und die Durchsetzung der eigenen Weltsicht war seit jeher ein wesentlicher Motivationsfaktor für publizistische Arbeit. Sie prägt auch heute noch sehr deutlich wissenschaftliche Beiträge sowie Sachbücher ebenso wie weltanschauliche Beiträge der konfessionellen oder parteipolitisch geprägten Publizistik – man denke an die inzwischen eingestellten Parteiorgane „Vorwärts“ der SPD bzw. „Bayernkurier“ der CSU. Die Beteiligungsgesellschaften der „Deutschen Druck- und Ver-

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lagsgesellschaft“ (DDVG) sind gehalten, sich in ihren Grundwerten nicht gegen die Tendenz der SPD zu stellen, da die DDVG die Beteiligungsgesellschaft dieser Partei ist (vgl. DDVG, o. D.). Zu den Beteiligungen gehören u. a. Medienhäuser in Coburg, Hannover, Suhl, Leipzig, Cuxhaven, Bielefeld und Dresden. Abschließend sei der Hinweis erlaubt, dass die SPD die einzige Partei in Deutschland ist, die über nennenswerte Medienbeteiligungen verfügt (siehe auch DDVG, 2009). Insofern unterbleiben hier weitere Beispiele. Allerdings ist davon auszugehen, dass bestimmte Verleger immer wieder eine gewisse Nähe zu bestimmten Parteien zeigten, so wie es Georg Graf von Waldburg zu Zeil und Trauchburg mit seiner „Schwäbischen Zeitung“ und der „Allgäuer Zeitung“ in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts übte – sein Bruder Alois war in diesen Zeiten Bundestagsabgeordneter der CDU. In Österreich verfügen sowohl die SPÖ als auch die ÖVP über namhafte Beteiligungen an insgesamt 68 Medienhäusern (vgl. Huber, 2015), und auch die FPÖ interessierte sich 2019 für ein auflagenstarkes Blatt (vgl. Fidler, 2019). in der Schweiz konnte z. B. der Vorsitzende der SVP, Christoph Blocher, verschiedene Medien erwerben und damit ein seiner Partei geneigtes Meinungsimperium schaffen (vgl. o. V., o. D.). Aber auch vordergründig neutral auftretende Medienhäuser haben aufgrund der inhaltlichen Präferenzen ihrer Gründer und Herausgeber eine bestimmte Ausprägung. Die Satzung der Axel Springer AG legt in Artikel 3 u. a. die Bejahung eines positiven Verhältnisses zur Europäischen Einigung und der Europäischen Union, zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, zu einem positiven Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika, zur Wertegemeinschaft des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses und zum Existenzrecht des Staates Israel fest (vgl. ASV, o. D.). Wer dies kennt, versteht auch, dass Springer-Medien bestimmte Themen mit einem anderen Akzent berichten, als dies die Wettbewerber in München, Berlin oder Frankfurt unternehmen. Verfassungsrechtlich ist dies übrigens auch aus Sicht des Autors nicht bedenklich, da eine hinreichende Anzahl an erhältlichen Medien interessierten Personen eine relativ breite Auswahl und damit auch Informationsmöglichkeit bieten. Und man muss dem Axel-Springer-Verlag zugutehalten, dass er seine Tendenz transparent darlegt, womit von vornherein Mitarbeiter wie Nutzer wissen, was sie erwartet. In der Regel erfolgt die Inhalteaufbereitung derart, dass der Inhalt zur Nutzung nicht per se bereit steht. Vielmehr ist die Aufbringung auf Trägermedien erforderlich, die aus Papier, optoelektronischen, elektromagnetischen oder digitalen Ton- bzw. Filmträgern oder ähnlichem bestehen. Erst die Inhalterepräsentanz auf Trägermedien ermöglicht den Abruf des Inhalts. Insofern sind auch technische Produktionseinrichtungen wie Druckereien, Tonträgerfabriken etc. zu diesem Bereich zu zählen. Nebenbei erfordert diese technische Rahmenbedingung, dass insbesondere im Bereich der elektronisch produzierten Medien eine Abspieltechnik in Form von Radios, Fernsehern, Filmprojektoren, DVD-Spielern etc. erforderlich ist. Deren Produktionsbetriebe werden aber in der Regel nicht mehr dem Mediensektor zugerechnet, sondern dem Bereich der Elektrotechnischen Industrie.

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Die Honorierung der Leistung erfolgt in der Regel durch den Erwerb von Trägermedien oder aber die Bezahlung einer Nutzungsgebühr, z. B. der Rundfunkgebühr für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Teilweise übernehmen auch Dritte die Honorierung, vor allem in Form von Nutzungsentgelten für den Werberaum. Die Mediennutzer zahlen also kein direktes Nutzungsentgelt, sondern er­werben die Berechtigung zur Inhaltenutzung über die Erduldung von Werbebeiträgen. Die Inhalteaufbereitung wird im deutschen Sprachraum vor allem getragen von • ca. 450 Tages- und Wochenzeitungen (vgl. BDZV, 2020), zum größten Teil organisiert im Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) bzw. im Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ, 2020) und dem Verband Schweizer Presse (Schweizer Medien, 2020); Kennzeichen einer Zeitung sind: Aktua­lität im Sinne eines hohen Neuigkeitenwertes der dargebotenen Informationen, Universalität im Sinne einer großen Bandbreite an Themen, Periodizität (regelmäßige Erscheinungsweise umfasst bei einer Tageszeitung vier Ausgaben pro Woche) (Faulstich, 2004, S. 484) sowie eine „Ubiquität“, also eine Überall-Erhältlichkeit im Verbreitungsgebiet; • einer vierstelligen Zahl an Zeitschriftenverlagen (vgl. VDZ, 2020), von denen ca. 100 Publikumsverlage, ca. 420 Fachzeitschriftenverlage und 41 konfessionelle Verlage im Verband deutscher Zeitschriftenverleger organisiert sind (für Österreich und die Schweiz lassen sich hier keine genauen Zahlen ausweisen); als Zeitschriften gelten regelmäßig erscheinende Publikationen (mindestens viermal jährlich), die eine buchbinderische Verarbeitung besitzen, d. h. Klebeoder Drahtheftung und in der Regel auch einen verstärkten Einband; • ca. 200 Verlagen für kostenfreie Verteilmedien, die zu einem wesentlichen Teil im Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter (BVDA) zusammengeschlossen sind; für Österreich werden ca. 200 Verteilmedien genannt, von denen drei Viertel im Verband der Regionalmedien organisiert sind, für die Schweiz können keine genauen Angaben gemacht werden; • ca. 2.500 Buchverlagen, von denen knapp 1.750 Verlage Mitglied sind im Börsenverein des deutschen Buchhandels (Börsenverein, 2020); für Österreich werden vom Hauptverband des österreichischen Buchhandels keine genauen Zahlen benannt (HVB, 2020), für die Schweiz sind ca. 500 Verlage anzuführen, die überwiegend im Schweizer Buchhändler- und Verlegerverband (vgl. SBVV, 2020) organisiert sind; • 12 öffentlich-rechtlichen und einer dreistelligen Anzahl privater Rundfunkveranstalter, in Deutschland, in der Schweiz ist als öffentlich-rechtliche Anstalt die Schweizerische Rundfunkgesellschaft (SRG), in Österreich der Öster­ reichische Rundfunk (ORF), zu nennen, die öffentlich-rechtlichen Anstalten in Deutschland haben sich mit Ausnahme des ZDF in der Arbeitsgemeinschaft Öf-

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fentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten (ARD) vereinigt, die meisten privaten Radio- und Fernsehanbieter im Verband privater Rundfunk- und Telekommunikationsdienste (VPRT). • Daneben ist der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM) zu erwähnen, der eine nicht bezifferte Anzahl an Mitgliedern aus dem Bereich der elektronischen Medien umfasst (vgl. BITKOM, 2020). Diese Zahlen können mit Sicherheit nicht alle Anbieter wiedergeben. Sie zeigen aber zumindest die wichtigen Unternehmen und Organisationen auf. Die jeweiligen Branchenverbände nehmen insbesondere im Bereich der Gesetzgebung einen wesentlichen Einfluss, wie z. B. im Rahmen der Diskussion um die Buchpreisgrenze oder die europäischen Werbeverbote. Sie treten aber auch als Regulatoren in Branchenkonflikten auf, wie es sich an der Spannendiskussion im Pressehandel immer wieder zeigt. Für die publikationsfähige Aufbereitung von Inhalten sind dabei in erster Linie Redaktionsangehörige (in Verlagen: Lektoren) verantwortlich. Ihre Aufgabe ist zweistufig zu sehen: • die Prüfung des eingehenden Content auf seine Richtigkeit, ggf. werden darauf aufbauend Fakten ergänzt oder abgeändert; • die publikationsfähige Aufbereitung, durch sprachliche bzw. anderweitige Bearbeitung (Bildauswahl und -bearbeitung u. ä.). Im Anschluss kommt noch eine herstellende Aufgabe hinzu. Dies bedeutet die Einrichtung einer druck- bzw. sende- bzw. uploadfähigen oder anderweitig publikationsfähigen Form. Etwas leichter verständlich: Buchtexte und weitere Buchinhalte werden durch die Hersteller so eingerichtet, dass sie technisch produziert werden können. Dazu zählen allerdings auch begleitende Arbeiten, z. B. das Einholen von Druckangeboten, die Prüfung von Prüfstücken etc. Im Pressebereich wurden diese Funktionen früher von Setzern, Metteuren und Druckern wahrgenommen. Heutzutage erledigt dies in der Regel die Redaktion selber und übermittelt die Druckvorlagen an die Druckerei. Ähnliches gilt für Online-Medien, bei denen die Redaktion die Daten in das Contentmanagement-System selbst einpflegt und zum Upload bereitstellt. Im Bereich von AV-Medien und Rundfunkangeboten werden durch die Post-Production entsprechende Ton- und Ton-/Bildaufzeichnungen geschnitten, mit technischen Mitteln weiterverarbeitet (z. B. Lichtaufhellung oder -abdunklung, Farbgradierungen, Unterlegen mit Musik etc.).

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4.2.2.3 Die Organisation der Mediendistribution Die Distribution von Medieninhalten erfolgt über: • Medienhandel (Buchhandel, Pressehandel, AV-Medienhandel, jeweils auf den Stufen Groß- und Einzelhandel sowie Außenhandel), • Netzbetreiber (Kabelnetzbetreiber, Funknetzbetreiber, Plattformanbieter), • Medienverleih (Leihbüchereien, Videoverleih, Filmverleih). Ihre Aufgabe ist es, den Medieninhalt, oft in Verbindung mit dem technischen Medienträger am Ort der Nachfrage verfügbar zu machen. Für ihre Dienste erhalten sie vom Mediennutzer oder auch vom Medienaufbereiter eine Vergütung. Mit dieser Vergütung ist es ihnen möglich, die eigenen Kosten für die Distribution der Medien und eventuell auch für eine Beratung des Mediennutzers zu den besonderen Vorteilen und Einsatzmöglichkeiten bestimmter Medienangebote abzudecken. Teilweise wird den entsprechenden Distributionsunternehmen staatlicherseits ein bestimmter Anteil am Verkaufspreis vorgegeben (z. B. beim Buchhandel über die Regeln des maximalen Handelsrabatts von 50 % laut §§ 3, 5 Buchpreisbindungsgesetz, bei Zeitschriften über die Spannenvereinbarungen zwischen Verlagen und Pressegrossisten geregelt; in Österreich über ähnliche Bestimmungen nach dem Gesetz über Buchpreisbindung, in der Schweiz gibt es seit 2007 keine vergleichbare Regelung, vgl. Baumann, 2016) oder eine Monopolstellung in ihren Vertriebsgebieten zugestanden. Diese ist zwar per se gegen den freien Wettbewerb, aber im Fall des Pressegroßhandels mit der Notwendigkeit begründet, für Presseprodukte im gesamten Bundesgebiet einen freien Marktzugang wie auch eine Überallerhältlichkeit für den Kunden zu garantieren, bei stets gleich hohen Endverkaufspreisen. Dies wird mit der Bedeutsamkeit der Informations- und Meinungsfreiheit begründet, die als essentiell für das Funktionieren der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gilt (vgl. Haller, 2005). Agenturen aller Art, die mit Informationen und künstlerischen Inhalten sowie den dazu gehörigen Rechten (Übersetzungs-, Vertonungs- und Verfilmungsrechte, Rechte zum Einspeichern in elektronische Datenträger) handeln, kommt eine besondere Stellung zu (siehe auch Abbildung 4-2). Sie sind an sich Handelsunternehmen und damit der Distributionsstufe zuzurechnen. Andererseits bereiten sie zum Teil auch Inhalte auf und können damit der entsprechenden Ebene zugeordnet werden. Allein im Bereich des Printmedienhandels ist insgesamt eine sechsstellige Zahl an Unternehmen tätig: • ca. 97.500 Presseverkaufsstellen sowie mehrere hundert Bahnhofs- und Flughafenbuchhandlungen (vgl. o. V., 2020a); für Österreich lassen sich ca. 10.000 Presseverkaufsstellen schätzen, in der Schweiz ca. 9.000; • ca. 43 Presse-Großhändler in Deutschland, die im Wesentlichen im Bundesverband Presse-Grosso organisiert sind (vgl. Presse-Grosso, 2019); für Österreich

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und die Schweiz kann von jeweils ca. 10–12 Pressegroßhändlern ausgegangen werden; • ca. 160 Unternehmen des so genannten „Lesezirkels“ deutschlandweit, die ihren Kunden diverse Pressepublikationen leihweise zur Verfügung stellen (vgl. Lesezirkel 2020), für Österreich werden 7 Lesezirkel genannt, die im Lesezirkel Österreich zusammengeschlossen sind; die Schweiz kennt den Lesezirkel in dieser Form nicht; • ca. 4.800 stationäre Buchhandelsunternehmen in Deutschland (vgl. Börsenverein, 2020), für Österreich und die Schweiz ist von jeweils ca. 800–1.000 stationär tätigen Unternehmen auszugehen, wobei hier die Zahl der klassischen und online-basierten Händler nicht enthalten ist; • 8.700 öffentliche und öffentlich geförderte Leihbüchereien und -bibliotheken an ca. 10.000 Standorten laut Deutscher Bibliotheksstatistik (vgl. DBS, 2018), wobei mit speziellen Einrichtungen in Krankenhäusern, Gefängnissen etc. die Zahl auf ca. 17.000 hochgerechnet werden kann, für Österreich werden vom Büchereiverband Österreich ca. 1.500 öffentliche und 750 Schulbibliotheken mit 10 Millionen Nutzern jährlich benannt (vgl. ÖBS, 2019), für die Schweiz nennt das Schweizerische Statistische Bundesamt ca. 6.500 Bibliotheken aller Art (vgl. BfS, 2019); • vier bundesweit tätige Kabelnetzbetreiber in Deutschland (KDG, Unitymedia, Kabel BW und Tele Columbus, mit einer unbekannten Anzahl an lokal und regional tätigen Netzbetreibern wie z. B. den Stadtwerken Coburg; für Österreich werden ca. 7 Netzbetreiber (u. a. UPC Telekabel, B.net, kabelsignal) genannt, für die Schweiz drei (cablecom, Besonet, Thurvision) und für das Fürstentum Liechtenstein zwei Betreiber; ergänzend sind auch Satellitenbetreiber aller Art zu benennen; • eine unbekannte Anzahl an AV-Medien-Händlern und -Verleihern, z. B. im Bereich Videoverkauf und Videoverleih, da diese verschiedenen Handelsverbänden angeschlossen oder auch gar nicht organisiert sind. Allein die schiere Anzahl ist beeindruckend. Allerdings sagen die absoluten Zahlen relativ wenig über die konkrete Verteilung der Nutzer aus. Hierauf ist weiter unten gesondert einzugehen. Seit einigen Jahren sind im Bereich der Online-Medien-Distribution spezielle Plattform-Betreiber aufgekommen. Ihre Funktion besteht darin, dass sie Marktplätze für Inhalteanbieter (Medienhäuser, einzelne Personen) ebenso wie für Mediennutzer anbieten. Sie finanzieren sich aus • Anteilen am Verkaufserlös, den Anbieter von Content und Waren erzielen, • Werbeerlösen, für die Platzierung von Werbeinhalten, • dem Weiterverkauf von Nutzerdaten an Dritte

4.2 Die Organisation der Massenkommunikation

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• und ergänzend auch aus Gebühren für den Zugang, die sie von Nutzern erheben, insbesondere bei kostenpflichtigen Premienangeboten (z. B. besondere Services für Mitglieder von beruflichen Netzwerken wie z. B. xing, linkedIn, experteer usw., oder Kollaborationstools, wie Skype, Zoom.us, Slack, asana, trello usw.). Insbesondere bei so genannten „kostenfreien Angeboten“, bei denen der Nutzer nichts bezahlt, muss man davon ausgehen, dass die Daten des Nutzers (Vorlieben, Einkaufsverhalten, Vernetzungen, etc.) an interessierte Dritte weiter verkauft werden, zur Platzierung individueller Werbung ebenso wie zur gezielten Beeinflussung oder auch zur Gewinnung von „consumer insights“ generell, z. B. zur Entwicklung neuer Produktideen. Von daher gewinnt das verschiedenen Urhebern zugeschriebene Diktum „there ist no such thing as a free lunch“ (abgekürzt „TANSTAAFL“ – unter diesem Akronym in verschiedenen Online-Enzyklopädien zu finden) wieder einmal seine immerwährende Aktualität neu. Die Marktstellung der Online-Plattformen-Anbieter begründet sich auf ihrer technischen Funktionalität. Mit der Bereitstellung der technischen Infrastruktur einerseits und der nutzerfreundlichen Bedienbarkeit andererseits können sie eine neue herausragende Bedeutung gewinnen und Machtverhältnisse deutlich verschieben, was in Abschnitt 4.2.2.6 nochmals aufgegriffen wird. 4.2.2.4 Die Organisation der Wirtschaftskommunikation Die Wirtschaftskommunikation steht an dieser Stelle als Sammelbegriff für alle Formen der bezahlten Vermittlung von Inhalten mit einem klaren wirtschaftlichen Interesse. Anders ausgedrückt gibt es Absender von Inhalten, die mit diesen Inhalten Adressaten von der besonderen Vorteilhaftigkeit eines bestimmten Angebotes überzeugen wollen und dazu die Inhalte in bestimmten Massenmedien gegen Entgelt platzieren. Analog zum Organisationsschema der Medienunternehmen können auch die Unternehmen und Organisationen der Wirtschaftskommunikation eingeordnet werden. Insbesondere Werbeunternehmen können auf mehreren Stufen der Medienwirtschaft tätig werden. Werbe- und PR-Agenturen erstellen im Auftrag ihrer Kunden Inhalte, bereiten diese in verbreitungsfähiger Form auf und liefern diese an Medienunternehmen zum Abdruck bzw. zum Versenden. Teilweise übernehmen sie sogar die direkte Verteilung, z. B. in Form von Warenproben oder dem Versand von Prospekten. Dieser Sachverhalt wird in der nachfolgenden Abbildung 4-3 skizziert. Allerdings liegt der Schwerpunkt in der Regel auf der Erstellung von Werbeinhalten, so dass sie im vorhergehenden Abschnitt 4.2.2.2 der Inhalteproduktion zugeordnet wurden.

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4. Medien und Massenkommunikation

Content-Produktion durch Autoren/Künstler

Erstellung der Werbe-/PR-Inhalte durch „kreative Mitarbeiter“

Content-Aufbereitung durch redaktionelle Arbeit

Umsetzung der Kommunikationsbotschaft durch redaktionell arbeitende Mitarbeiter in Form von redaktionellen und Werbebeiträgen

Content-Verbreitung

Quelle: eigene Erstellung

Abb. 4-3: Die Stellung von Kommunikationsagenturen im Mediensystem

Entsprechend können auch die Beiträge von PR-Agenturen gewertet werden. Diese können zwar in einzelnen Fällen nahtlos von einzelnen Medien übernommen werden. In der Regel werden aber PR-Beiträge zumindest inhaltlich nochmals verändert und um zusätzliche Informationen ergänzt, so dass auch hier PR-Agenturen überwiegend als Content-Produzenten tätig werden. In der Erstellung und Verbreitung von Werbe-Inhalten sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz mehrere tausend Unternehmen tätig. Sie verantworten einen Jahresumsatz von ca. 20 Mrd. Euro, gerechnet über alle drei Länder (auf Basis von BDZV, 2020; VDZ, 2020; VÖZ, 2020; BAKOM, 2018, S. 3), und beschäftigen eine zusammen eine sechsstellige Mitarbeiterzahl. Genauere Zahlen sind in den Angaben der entsprechenden Verbände (z. B. GWA Gesamtverband der Kommunikationsagenturen) nicht erhältlich. Analog können im Bereich der genuinen Public-Relations-Agenturen keine genauen Zahlen erkannt werden In beiden Fällen ist zu beachten, dass diese Unternehmen von Ein-Personen-Betrieben bis hin zu Unternehmen mit mehreren tausend Beschäftigten und Tochter- oder auch Mutterunternehmen im Ausland reicht. 4.2.2.5 Weitere Beteiligte an der Medienlandschaft Neben den originär am Medienprozess beteiligten Unternehmen kommen noch weitere Organisationen ins Spiel. Zunächst sind Gesetzgeber und Rechtsprechung zu nennen, da sie den Rechtsrahmen für alle Medienaktivitäten setzen. Daneben treten Medienaufsichtsgremien, die in Gestalt der staatlichen Rundfunkaufsicht (Landesmedienanstalten) sowie freiwilliger Organe (z. B. Presserat, Werberat) Qualitätsstandards setzen und überwachen. Teilweise entscheiden sie über die Vergabe von Sendeplätzen und damit auch über den Marktzugang, wie es im Fall der Rundfunkveranstalter gilt. Sie sind auf eine Zulassung durch eine

4.2 Die Organisation der Massenkommunikation

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Landes­medienanstalt angewiesen, die diese Zulassung zum einen vom Erfüllen bestimmter Inhalte (z. B. Sendung eines „Vollprogramms“ mit Information und Unterhaltung), aber auch von freien Frequenzen im Distributionsnetz abhängig machen kann. Des Weiteren kommen Aus- und Fortbildungsinstitutionen zur Geltung, wie z. B. Hochschulen, Berufsschulen und Fortbildungsakademien mit medienspezifischen Angeboten. Mit ihren Bildungsangeboten formen sie die Medienschaffenden und nehmen damit Einfluss auf die Qualität und auch indirekt die Quantität der Medienarbeit. Branchenverbände wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV), die Gemeinschaft der Werbeagenturen (GWA), der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) oder der Verband Deutscher Zeitschriftenverlage (VDZ) organisieren Lobbyarbeit und können über bestimmte Regularien zum Verkauf von der jeweiligen Medien (Verkehrsordnung des Deutschen Buchhandels, Wettbewerbsregeln für den Abonnementvertrieb von Zeitschriften) Standards setzen oder auch als Arbeitgeberverband Tarifpartei werden und damit die Arbeitsbedingungen in der Medienlandschaft gestalten. Schließlich sind Standesorganisationen wie z. B. Journalisten- und Mediengewerkschaften zu nennen, die Einfluss auf das Selbstverständnis und – ebenfalls als Tarifpartei – auch auf die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Medienwirtschaft ausüben. Ein näherer Blick auf die einzelnen Medienbereiche zeigt dabei signifikante Unterschiede hinsichtlich der Arbeitsabläufe, der konkret aufgegriffenen Inhalte und damit auch hinsichtlich des Selbstverständnisses auf. Diese unterbleibt mit Verweis auf die einschlägige Studienliteratur. 4.2.2.6 Veränderungen in der Medienstruktur als Herausforderung Die vorhergehend dargestellte, mehrstufige Struktur der Medienproduktion und -distribution erfährt in den letzten Jahren einen erheblichen Wandel. Durch Online-Medienanbieter verschiedener Stufen werden klassische Verläufe verändert, sowohl hinsichtlich der Anzahl der Stufen als auch hinsichtlich der Marktmacht. Im Bereich Mediendistribution konnten insbesondere zwei Anbieter eine herausragende Stellung gewinnen: • Der Online-Händler Amazon (und mit ihm auch sein chinesisches Pendant AliBaba)  griff durch sein Geschäftsmodell zunächst das aus heutiger Sicht noch relativ ausgewogene Machtgefälle zwischen Verlagen und Medienhandel an und hat inzwischen durch technische Standards (Webservices, Logistikketten) und inhaltliche Kompetenzen (Daten über die Kundenpräferenzen) eine zentrale Machtstellung erworben, die alle anderen Mitspieler in der Medienkette zu nachrangigen Mitwirkenden degradiert – wer auf Amazon bzw. Alibaba nicht

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4. Medien und Massenkommunikation

präsent ist, kann bereits wesentliche Erlöspotenziale (als Anbieter) bzw. Güter­ zugänge (als Nachfrager) abschreiben; zusätzlich macht Amazon seinen Lieferanten durch Self Publishing und ähnliche Angebote erhebliche Konkurrenz (siehe auch Gassmann, 2018; Kolf, 2019; Mahler, 2018; o. V., 2019a; Schwab, 2019). • Das AV-Mediennetz Netflix, ursprünglich als Streaming-Plattform etabliert, verfügt mit der Nutzerzahl in Kombination mit Eigenproduktionen (als bekanntestes Beispiel „House of Cards“; siehe auch o. V., 2019b) über die Macht, etablierte Fernsehsender zu marginalisieren. Ähnliches lässt sich auch für den Internet-Dienstleister Google sagen, der inzwischen im Alphabet-Konzern aufgegangen ist und eine Vielzahl an Services umfasst, vom Social-Media-Portal Youtube über Werbedienstleistungen sowie der Entwicklung von Android-Betriebssystemen bis hin zu Gesundheitsdiensten (Google Health) und Glasfasernetzen unter dem Namen „Fibre“ (vgl. Predin-Hallabrin, 2019). Wenn eine Vielzahl systemrelevanter Mediendienstleistungen bzw. ein relativ hoher Umfang an wesentlichen Medienmärkten in den Händen weniger, noch dazu nicht dem europäischen Recht unterliegenden Unternehmen (zumindest auf den Hauptsitz bezogen) vereinigt wird, kann man sich schnell ausmalen, was dies für die Angebotsbreite und Meinungsvielfalt sowie für den Marktzugang kleinerer Unternehmen bedeuten wird. Hier wird man gerade im Hinblick auf die pluralistische Meinungsbildung für die Zukunft einige Fragezeichen machen dürfen.

4.3 Die Gestaltung der Mediengesellschaft 4.3.1 Ein Überblick über die Gestaltungsmöglichkeiten Die Mediengesellschaft lebt in den Kommunikationsformen, die sie ihren Beteiligten anbietet. Dieses sind: • der Journalismus, als Form der nach eigenem Selbstverständnis unabhängigen Berichterstattung und Meinungsbildung, • die Öffentlichkeits- oder PR-Arbeit, als interessengelenkte Form des Dialogs und der Meinungsbildung, • die Wirtschaftskommunikation oder – einfacher gesagt – der Werbung, als Form der gezielten Beeinflussung von Einstellungen und Nachfrageverhalten. Selbstredend kann es in allen drei Bereichen zu Überschneidungen kommen.

4.3 Die Gestaltung der Mediengesellschaft

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4.3.2 Der Journalismus als Gestaltungsmöglichkeit 4.3.2.1 Die journalistische Kernleistung Der Journalismus ist ein Sammelbegriff für jede Form publizistischer Tätigkeit in Massenmedien. Dabei kann unterschieden werden in journalistische Arbeit im engeren Sinne, in Form der Recherche nach berichtenswerten Themen und deren darstellerische Aufbereitung in schriftlicher, akustischer oder audio-visueller Form einerseits sowie der redaktionellen Arbeit andererseits (siehe z. B. Hanitzsch, 2019, S. 109 ff.; Kepplinger, 2011, S. 53 ff.). Als redaktionelle Bearbeitung kann jede Veränderung und Ergänzung von Informationen sowie deren verbreitungsfähige Aggregation zu einer Berichterstattung angesehen werden. Journalismus und redaktionelle Tätigkeiten sind als Berufsbezeichnung nicht gesetzlich geschützt, so wie es als Gegenbeispiel für Steuerberater, Architekten oder Ärzte gilt oder auch für Berufe, die auf einer Berufsbildung gemäß Bundesberufsbildungsgesetz beruhen. Allerdings kann als Unterscheidung festgehalten werden, dass die Bezeichnung Journalist im Prinzip jedem offen steht, der mehr oder weniger regelmäßig Inhalte aller Art veröffentlicht. Ähnliches gilt für die Bezeichnung Fachjournalist, die letztendlich nur darauf hindeutet, dass sich hier jemand mehr oder weniger regelmäßig mit berufs- oder wissenschaftsbezogenen Inhalten auseinandersetzt. Hingegen ist der Begriff „Redakteur“ (in der Schweiz: Redaktor) aufgrund der praktischen Übung an die nachweisbare Zugehörigkeit zu einer Redaktion eines Massenmediums geknüpft. Der Begriff des „Chefredakteurs“ bzw. „Chefredaktors“ ist sogar gesetzlich genau fixiert als eine Person, die laut dem Pressegesetz des jeweiligen Bundeslandes bzw. in Österreich und der Schweiz aufgrund der dortigen nationalen Regularien die inhaltliche Letztverantwortung für alle im relevanten Organ veröffentlichten Inhalte trägt, unabhängig von der Frage, ob der Chefredakteur den Beitrag vorher zur Kenntnis genommen hat oder nicht und ob der Beitrag ausweislich einer expliziten Urhebernennung von jemand anderem erstellt wurde. Das Presserecht kennt darüber hinaus die inhaltliche Verantwortung des Anzeigenleiters für die Anzeigeninhalte des jeweiligen Medienorgans – sie dürfen keine erkennbar justiziablen Inhalte (z. B. Verstoß gegen Jugendschutzrechte oder gegen Verfassungsgrundsätze) enthalten und müssen dahin gehend auch geprüft werden. Als Kriterien einer qualitativ hochwertigen journalistischen Arbeit nennen verschiedene Quellen zwischen drei und sieben Aspekte. Die am weitesten differenzierte Aufgliederung stammt vom Journalismus-Professor Stephan Ruß-Mohl (1994, S. 20 ff.). Er nennt als Prüfsteine: • Aktualität, • Relevanz, • Verständlichkeit,

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4. Medien und Massenkommunikation

• Transparenz, • Objektivität, • Originalität, • Interaktion mit dem Nutzer (eigentlich: mit dem Leser). Entsprechend des Erscheinungstempos und des -intervalls können diese Krite­ rien unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Hierbei ist insbesondere das Kriterium der Aktualität anzuführen. Bei relativ schnell publizierbaren Medien (Internet, Radio, Fernsehen Tageszeitungen) kann man von einer Zeitpunktaktualität ausgehen. Vorkommnisse, die am laufenden Tag passieren, können schnell bearbeitet und verbreitet werden. Bei Medien mit einem gewissen Produktionsvorlauf (Wochen- und Monatszeitschriften, AV-Medienerzeugnisse) ist hingegen eher von einer Zeitraumaktualität auszugehen. Diese Medien müssen vorher sehen können, welche Themen zu einem bestimmten Zeitpunkt aktuell sein können, wie z. B. bestimmte Jahreszeiten oder Jahresmarken (Weihnachten, Ostern), Jubiläen und dergleichen mehr. Die Berichterstattung konzentriert sich dann stärker auf den Anlass als solchen denn auf einzelne Elemente und aktuelle Veränderungen. Die Originalität hingegen wird sehr stark von den Vorkenntnissen der Nutzer abhängen. So wird man bei special-interest-Medien z. B. einen anderen Witz ansetzen können als bei allgemeinen Medien. Dieser Punkt rekurriert aber auch auf das Kriterium der Relevanz und behandelt die Überlegung, dem Mediennutzer etwas so aufzubereiten und inhaltlich anzubieten, was für seine Lebenswelt und seine Interessen relevant ist. Ähnliches gilt auch für die Verständlichkeit: verwendete Wörter und der Satzbau sollten dem Verständnisniveau der Adressaten angepasst werden. Hilfreiche Darstellungen wie die berühmten „Info-Grafiken“ oder geeignete Bilder sind entsprechend zu verwenden. Objektivität erklärt sich aus dem Selbstverständnis des Journalisten als verlässlicher, neutraler Beobachter. Hierzu darf eine eigene Meinung nicht enthalten bzw. nur in einem als solchen erkennbaren und abgetrennten Meinungs- oder Kommentarteil. Eine Vermischung der neutralen Berichterstattung mit eigener Stellungnahme sollte tunlichst unterbleiben. Zudem sollte ein bestimmter Sachverhalt immer aus mehreren Perspektiven behandelt werden, was zumindest die Befragung zweier voneinander unabhängiger Quellen und auch die Befragung von Betroffenen einschließt. Transparenz bezieht sich auf die Notwendigkeit, verwendete Quellen und deren Stellungnahmen nach Möglichkeit offenzulegen. Nun kann es aber auch vorkommen, dass bestimmte Quellen auf Informantenschutz bestehen. Hierzu ist es dann hilfreich, zumindest den Charakter der Quelle („Wie aus Regierungskreisen verlautet …“) darzulegen. Dieser Grundsatz kann aber auch an seine Grenzen stoßen, wenn z. B. über vermutliche Straftäter berichtet wird, die nach dem Gesetz bis zur rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gelten und demzufolge auch

4.3 Die Gestaltung der Mediengesellschaft

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geeignet anonymisiert werden sollten, z. B. durch abgekürzte Nachnahmen, unkenntliche Gesichter etc. Dass hier die journalistische Realität oft anderes zeigt, steht auf einem anderen Blatt. Der letzte Punkt, die Interaktion mit dem Leser oder weiter gefasst mit dem Mediennutzer, bezieht sich auf den Wunsch, die Nutzer an der Erstellung des Medieninhalts nach Möglichkeit zu beteiligen und ihn auch an das Medium zu binden. Durch die Interaktion in Form von Leserbriefen, Zuschauertelefonen und -abstimmungen, Online-Chats, Social-Media-Kommentaren etc. wird dem passiven Rezipienten die Möglichkeit gegeben, sich aus der anonymen Empfängerwelt in eine Form von Gleichberechtigung mit den Medienschaffenden zu begeben. Es lässt sich allerdings trefflich debattieren, ob dies eine angemessene Form ist, Gleichberechtigung und Dialog herzustellen.

4.3.2.2 Die redaktionelle Kernleistung Als redaktionelle Tätigkeiten wurden bereits jene Leistungen definiert, die mit der Entgegennahme und Prüfung von Inhalten aller Art (Texte, Bilder, Filme, Tonbeiträge usw.) über deren inhaltliche Aufbereitung und Zusammenstellung bis hin zur Produktion von vervielfältigungsfähigen Vorlagen reichen (siehe Kapitel 4.2.2.1.). Als solche sind Redakteure Schlüsselfiguren der Massenmedien, denn ihr konzeptionelles und handwerkliches Geschick beeinflusst im starken Maße die Akzeptanz beim Zielpublikum. Es geht dabei nicht allein, die Qualität und Eignung eines jeden einzelnen Beitrags im Auge zu behalten. Vielmehr umfasst redaktionelle Arbeit die Erstellung einer Inhaltekombination, die in ihrer Gesamtheit den jeweiligen Nutzer optimal anspricht und – bei regelmäßig veröffentlichten Medien wie Presse, Hörfunk und Fernsehen auch auf Dauer anzusprechen vermag. Im Bereich der redaktionellen Arbeit konnten in den letzten 15 Jahren erhebliche Veränderungen im Aufgabenumfang beobachtet werden. Die klassische Redaktionstätigkeit, die von der Prüfung der angebotenen Inhalte über deren geeignete Aufbereitung und Darstellung bis hin zur druck- bzw. sendereifen Fertigstellung recht, wurde um sukzessive um Tätigkeiten des Redaktionsmanagements ergänzt. Diese betreffen insbesondere die Felder (vgl. Hillebrecht, 2018, S. 135 ff.): • Redaktionsmarketing, mit Aufgaben wie z. B. der Betreuung von Nutzertelefonen und Nutzerreisen oder öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen aller Art, teilweise auch im Bereich der Nutzergewinnung, • Redaktions-Controlling, von der Aufstellung eines Redaktionsbudgets über die Kontrolle der Mittelverwendung bis hin zur Bestimmung von angemessenen Leistungskennzahlen, • Mitarbeiterführung, von der Personalplanung über die konkrete Mitarbeiterführung bis hin zu Fragen der Aus- und Fortbildung.

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4. Medien und Massenkommunikation

Waren diese Aufgaben vorher in den relevanten Fachabteilungen (Marketing bzw. Vertrieb, Controlling oder Personalwesen angesiedelt, so sind nunmehr entsprechend eingesetzte Redaktionsmitarbeiter für diese originär betriebswirtschaftlichen Fragen zuständig. Verantwortungsträger in Redaktionen sind daher gut beraten, sich mit entsprechenden Kenntnissen und Fertigkeiten auseinanderzusetzen. Die skizzierte Entwicklung zeigt sich besonders deutlich im Bereich der Fachinformation, in der ein kleiner Mitarbeiterstab, oftmals sogar nur eine Person, die ganze Kette von der Autorenakquisition und -betreuung über die redaktionelle Bearbeitung bis hin zur Vermarktung der Inhalte verantwortet. Teilweise kommen noch andere Aufgaben hinzu, die im weitesten Sinne der Kundenbindung dienen, wie z. B. die Organisation von Fachseminaren und Fachkongressen, gerne auch in Zusammenarbeit mit den relevanten Fachverbänden. Im Bereich der Fachinformation hat es sich daher schon vor einigen Jahren eingebürgert, von „Produktmanagement“ zu sprechen (siehe auch Hillebrecht, 2015, S. 19 ff.; Schumann u. a., 2014, S. 19 ff.). Diese Entwicklung ist einerseits eine Belastung für die Redaktionen, da zusätzlich zu den oft gravierenden Rationalisierungsbemühungen noch eine weitere Zuweisung von Aufgaben entsteht. Andererseits bietet die Entwicklung auch die Chance, dass sich Redaktionen umfassender mit ihrem Leistungsangebot auseinanderzusetzen können und umfassender die Qualität ihrer Arbeit und die Verwendung der zugewiesenen Ressourcen beeinflussen können. Unternehmensberater für Medienunternehmen drängen daher regelmäßig darauf, entsprechende Verknüpfungen zwischen der redaktionellen Tätigkeit und den betriebswirtschaftlichen Funktionen herzustellen.

4.3.2.3 Die Kernleistung der Anzeigenwirtschaft Anzeigen aller Art, als Sammelbegriff für entgeltliche Inhalte mit werblichem Charakter, stellen in vielen Massenmedien sowohl einen wichtigen Erlösfaktor als auch einen wichtigen inhaltlichen Faktor dar. Diese sind zwar keine originär journalistischen Inhalte, bereichern aber Medien in inhaltlicher Form. Durch die Bewerbung bestimmter Produkte und Dienstleistung erfahren Mediennutzer etwas über das Marktangebot und die gedachten Stärken bestimmter Angebote. Zudem können Anzeigen einen eigenen Nutzwert besitzen, wenn man an die Familienanzeigen (Geburt, Hochzeit, Tod) oder auch an Bekanntschaftsanzeigen denkt, die ein intensiv genutzter Bestandteil vieler Zeitungen und Online-Angebote sind. Zur Erlösseite ist zu sagen, dass verschiedene Mediengattungen unterschiedlich stark von Anzeigenerlösen abhängig sind. Es gibt wenig Medienangebote, die sich allein oder überwiegend aus den so genannten Vertriebserlösen finanzieren, also den Geldbeiträgen, die der Endnutzer zahlt. Dazu zählen:

4.3 Die Gestaltung der Mediengesellschaft

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• die meisten Buchangebote (als legendäre Ausnahmen gelten die rororo-Taschen­ bücher der 60er- und 70er Jahre, die im hinteren Bereich Werbung für so genannte „Kommunalobligationen“ enthielten, sowie diverse Fachbücher, die umfangreiche Eigenwerbung enthalten), • bestimmte Zeitschriftenangebote, die aufgrund ihrer redaktionellen Konzeption Unabhängigkeit signalisieren wollen und entsprechend auf Werbung verzichten (Beispiel Zeitschrift „test“ der Stiftung Warentest), • Bezahlfernsehen, das sich allein aus den Nutzergebühren finanziert, • verschiedene AV-Medien, wie z. B. Kaufvideos oder Hörspiele oder auch Hörbücher. Überwiegend aus Anzeigen finanzieren sich insbesondere: • die kostenlosen Verteilzeitungen und -zeitschriften (die kostenfrei verteilten Kunden- und Mitarbeiterzeitschriften der verschiedenen Unternehmen können eventuell noch über andere Finanzierungsquellen verfügen, wie z. B. direkte Unternehmenszuschüsse), • das private Fernsehen, soweit es als Free-TV ausgestrahlt wird, • analog der private Hörfunk, der offen ausgestrahlt wird, • die meisten Social-Media-Angebote – hier werden Entgelte aus der Weitergabe von Nutzerdaten für die Anzeigenwirtschaft und „dritte Märkte“ eingesetzt. Massenmedien mit einer Mischfinanzierung, wie z. B. die meisten Presseangebote oder auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen, speisen sich aus beiden Quellen. Im Bereich der Presse konnte man lange davon ausgehen, dass die Anzeigenerlöse die wichtigste Quelle darstellen und Verkaufserlöse sowie Erlöse aus Neben­märkten nachrangig sind. Inzwischen muss man davon ausgehen, dass Erlöse aus dem Vertrieb und den Nebenmärkten die Werbeerlöse deutlich übersteigen (vgl. Hillebrecht, 2015, S. 148 ff.). Über die finanzielle Bedeutung hinaus ist an dieser Stelle vor allem auf die inhaltliche Dimension zu verweisen. Teilweise können werbliche Inhalte, insbesondere Stellenanzeigen, Immobilienanzeigen sowie die verschiedenen Formen der Familienanzeigen (Hochzeit, Trauer, Bekanntschaft, An- und Verkäufe) eine sehr intensive Nutzung verzeichnen, da die in ihnen verhandelten Themen für die Mediennutzer von hoher Relevanz sind. Lange Jahre, bis hin zur Wirtschaftskrise 2002/2003, hielten sich die Vermutungen, dass bis zur Hälfte der geschalteten Stellenanzeigen keinen konkreten Suchvorgang darstellten. Vielmehr dienten sie als Form der Image- und Verbraucherwerbung, bei der man von einer hohen Beachtung ausgehen konnte. Aufgrund preiswerterer Alternativen im Online- und vor allem im Social-Media-Bereich hat sich dieses Thema aber mittlerweile erledigt. Hier haben insbesondere Influencer über Instagram- und Pinterestposts die Führung übernommen, die mit interessanten Essensvorschlägen, Mode oder auch touristisch

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4. Medien und Massenkommunikation

attraktiven Darstellungen Interesse erzeigen, diese Stelllung übernommen. Die Folgen: Bestimmte Orte wie die Route Cremieux in Paris (vgl. o. V., 2019c; Pousset, 2019), Seen in Schottland (vgl. o. V., 2020b) oder Gesire in Island (vgl. Christoffer, 2016) haben sich zu weltweit bekannten und entsprechend aufgesuchten Destinationen entwickelt, auch wenn sich an anderen Orten sicher auch sehr pittoreske Szenerien finden. Nicht zuletzt hat die Bild- bzw. Grafiklastigkeit vieler Inhalte sowie die Prägnanz der Darstellung für eine veränderte Medienrezeption gesorgt. Flüchtige Betrachter schließen aus dem ersten Eindruck auf die inhaltliche Gestaltung des Mediums insgesamt. Sei es beim raschen Überblättern einer Zeitschrift vor einem Spontankauf oder dem gedankenverlorenen „Durchzappen“ des Fernsehangebotes oder dem „Durchwischen“ der Social-Media-Angebote, die Werbemotive sind unbewusst ein Indikator für die Zielgruppe und die behandelten Themen und nehmen dadurch in einem nicht unerheblichen Maße Einfluss auf die Nutzungsentscheidung. Von daher sind Massenmedien gut beraten, nicht allein dem finanziellen Aspekt der Werbung Beachtung zu schenken, sondern auch der inhaltlichen Dimension. Wenn in bestimmten Casting-Sendungen im Privatfernsehen die Werbeblöcke von Convenience-Nahrungsmitteln, Cerealien für Kinder sowie Nachhilfe-Portalen und ähnlichen Themen dominiert werden, werden Zuschauer, die keine kleineren Kinder daheim haben, relativ schnell ein anderes Sendeangebot suchen. Streaming-TV-Dienste wie Netflix gehen in der Form darauf ein, dass sie sich entweder vollständig aus Abonnementgebühren finanzieren und daher erst gar keine Werbung aufnehmen müssen, oder aber achten auf andere Werbespots. Im Bereich der Special-interest-Medien (z. B. Modezeitschriften, Automobilzeitschriften, Medien für Hobbies wie Fischen / Angeln oder Segeln) sowie der Fachmedien dienen die abgebildeten Werbemotive darüber hinaus auch als Einkaufsberatung und nehmen daher ihre ursprüngliche Funktion nach wie vor wahr. Die Nutzer dieser Medien verfügten regelmäßig über eine besondere Fachkompetenz und können daher auch dargelegte Fakten eher überprüfen. Werbemotive in Fachmedien enthalten daher tendenziell ein stärker ausgeprägtes Informationsangebot. 4.3.2.4 Die Tendenz eines Medienunternehmens als Kommunikationsfaktum Die Stellung als „vierte Gewalt“ im Staat sichert den Medien über den Art. 5 Grundgesetz (in der Schweiz über Art. 17 der Bundesverfassung, in Österreich über Art. 13 des Staatsgrundgesetzes i. V. m. Art. 149 Bundesverfassungsgesetz und dem Pressegesetz von 1922) eine herausragende Stellung. Zu dieser herausragenden Stellung gehört in Deutschland auch die Möglichkeit, über den § 118 des Betriebsverfassungsgesetzes eine bestimmte Tendenz festzulegen, die nicht der Mitbestimmung durch Mitarbeitervertretungen unterliegt und im Übrigen auch zum Gegenstand von Anstellungsbedingungen oder auch der Belegung mit Wer-

4.3 Die Gestaltung der Mediengesellschaft

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beinhalten gemacht werden können. Ähnliche Bestimmungen kennt die Republik Österreich im § 132 II des Arbeitsverfassungsgesetzes. Mit dieser Tendenz kann ein Medium die Meinungsbildung bereichern. Verfassungsrechtlich ist aufgrund der Meinungsfreiheit damit kein Problem gegeben, zumal der interessierte Mediennutzer im Bedarfsfall auf ein Bündel an verschiedenen Medien zurückgreifen kann, die in der einen oder anderen Form eine ihm genehme Tendenz widerspiegeln. Die Verbindlichkeit im Rahmen eines Arbeitsvertrags setzt voraus, dass die Tendenz dem Arbeitnehmer bekannt ist und er mit seiner dienstlichen und außerdienstlichen Lebensführung (z. B. ein bestimmtes parteipolitisches Engagement im Ehrenamt) tatsächlich der Tendenz zuwider handeln kann. Die bereits in Abschnitt 4.2.2.2 erwähnte Grundhaltung der Axel Springer SE ist eine Tendenz in diesem Sinne (vgl. Posener, 2015) und wird auch von den redaktionellen Mitarbeitern beachtet (siehe am Beispiel Wallstreet-Online.de: Semikolon, 2007). Hinsichtlich der Werbewirtschaft kann eine Tendenz über eine so genannte „Positivliste“ oder „Negativliste“ Einfluss gewinnen. Zwar sind aufgrund Rechtsprechung und Branchenübung alle Medienunternehmen gezwungen, angedienten und voll bezahlten Werbeinhalt zu verbreiten, im Zweifelsfall in „der nächsten zugänglichen Ausgabe“. Allerdings gelten Einschränkungen. Zum einen dürfen Inhalte, die offensichtlich gegen das Strafrecht oder den Jugendschutz verstoßen, nicht publiziert werden, da sich ansonsten das jeweilige Medium der Beihilfe strafbar macht. Hierfür ist wie bereits benannt, der Anzeigenleiter in seiner Funktion persönlich haftbar, analog zum Chefredakteur, der den redaktionellen Teil verantwortet. Andererseits – und das ist der hier entscheidende Punkt – ist es einem Medium nicht zuzumuten, Inhalte auch werblicher Art abzudrucken, die der eigenen Tendenz widersprechen oder auch zur Nachfrage der direkten eigenen Konkurrenz aufrufen. Dies könnte bei den Mediennutzern, die ein bestimmtes Medium aufgrund der postulierten Tendenz nachfragen, zu Unzufriedenheit und damit zur Abbestellung bzw. Nutzungsverweigerung führen und damit letztendlich die wirtschaftliche Existenz gefährden. Von daher können Medienunternehmen über eine „Negativliste“ alle jene Unternehmen und / oder Branchen ausschließen, die der eigenen Tendenz zuwiderlaufen. Voraussetzung hierfür ist eine allgemein bekannte Tendenz oder aber, dass die Tendenz zumindest über eine geeignete Form den Werbekunden zugänglich gemacht werden kann, z. B. in den Media-Unterlagen des jeweiligen Medienhauses. Als besonders bekanntes Beispiel kann man auf die Publizistik der katholischen Kirche verweisen. Die katholischen Presseverlage lehnen – nach eigener Anschauung zumindest für die Jahre 1996 ff. – Werbeinhalte jedweder Art ab, die mit der katholischen Ethik nicht vereinbar sind. Die Palette der indizierten Sujets reicht von Verhütungsmitteln bis hin zu den Angeboten von so genannten „Ehe- und Hygieneartikelversendern“. Diese griffen – so die Ansicht der Verantwortlichen – die Würde der Frau bzw. das Leitbild der Ehe in katholischer Sicht in unzumutbarer

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4. Medien und Massenkommunikation

Form an und würden nicht dem Werte- und Weltbild der katholischen Kirche entsprechen. Ebenso wenig wird man Werbung von anderen Religionsgemeinschaften akzeptieren. Mag man dies als Außenstehender belächeln oder gar kritisieren, manifestiert sich hier doch ein originäres Recht von Medienanbietern (bzw. in Österreich: von Medieninhabern), die Tendenz der publizierten Inhalte zu bestimmen und damit gegenüber dem Mediennutzer ein kohärentes Bild zu liefern. Im Übrigen gilt für den Werbekunden das Gleiche wie für den Mediennutzer – es besteht ein breites Angebot an Medien, mit denen man eine bestimmte Zielgruppe mehr oder weniger gut zu erreichen vermag. Eine „Positivliste“ geht sogar noch einen Schritt weiter und zählt als enumerativer Katalog alle Unternehmen und / oder Branchen auf, die zur Werbeschaltung berechtigt sind. Selbstredend unterstützen solche Listen nicht alleine die inhaltliche Profilbildung, sondern schränken auch die Anzahl der möglichen Werbekunden deutlich ein. Abschließend ist festzuhalten: • Die journalistische Arbeit formt die Kernleistung des Medienangebots. • Die Qualität der journalistischen Arbeit kann in verschiedenen Dimensionen gemessen werden. • Die Anzeigeninhalte prägen die inhaltliche Wahrnehmung eines Mediums entscheidend mit. • Die Tendenz eines Medienunternehmens kann über § 118 BetrVerfG (Deutschland) bzw. § 132 ArbVerfG (Österreich) weitreichenden Einfluss in arbeitsvertragliche, inhaltliche und anzeigenwirtschaftliche Sachverhalte nehmen.

4.3.3 Die PR-Arbeit als Gestaltungsmöglichkeit 4.3.3.1 Die Grundsätze der PR-Arbeit Der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit oder auch Public Relations / PR, im Folgenden synonym verwendet, haftet in der öffentlichen Diskussion stets der Ruch der mehr oder weniger fragwürdigen Beeinflussung und Manipulation an. Nicht zuletzt die Merten-Kontroverse ist ein Beleg dafür. Der Münsteraner Hochschullehrer und PR-Unternehmer Prof. Dr. Klaus Merten soll demzufolge in einem hochschulöffentlichen Vortrag der PR-Arbeit die Lizenz zur Täuschung bescheinigt haben, was prompt die maßgeblichen Verbände und Standesorganisationen auf den Plan rief. In einer Stellungnahme vom 06. 10. 2008 verurteilte der Deutsche Rat für Public Relations diese Äußerung (DPRG, 2008). Diese scharfe Zurückweisung einer akademischen Lehrmeinung orientiert sich am Selbstverständnis, das Carl Hundhausen, einer der Gründerväter der deutschen Öf-

4.3 Die Gestaltung der Mediengesellschaft

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fentlichkeitsarbeit bereits 1937 formulierte. Es geht bei Öffentlichkeitsarbeit um eine Unterrichtung der Öffentlichkeit (oder ihrer Teile) „über sich selbst, mit dem Ziel, um Vertrauen zu werben“ (Hundhausen, 1937, S. 1042 f.). Dazu gelten fünf Grundsätze: • Wahrheit, • sachliche Unterrichtung, • ritterlicher Wettbewerb, • Achtung des sittlichen Empfindens, • Harmonie. Inwiefern Carl Hundhausen diesen selbst aufgestellten Kriterien gerecht wurde und inwiefern er durch publizistisches Engagement im Zweiten Weltkrieg politisch belastet ist, mag an anderer Stelle beurteilt werden. Jedenfalls ist für ihn der Kernpunkt die Unterrichtung der Öffentlichkeit durch das Unternehmen und vice versa die Unterrichtung des Unternehmens durch die Öffentlichkeit (vgl. Bauer, 1998, S. 11; Bentele u. a., 2007, S. 3 ff.; Puttenat, 2012, S. 5 ff.) Mit anderen Worten: Öffentlichkeitsarbeit besitzt stets eine dialogische Struktur! Ähnliches gilt auch für die Gedanken eines anderen Vordenkers für Öffentlichkeitsarbeit im deutschen Sprachraum, Alfred Oeckl. Für ihn ist Öffentlichkeitsarbeit stets Information + Anpassung + Integration (zit. nach Bauer, 1998, S. 11 f.): • Information: Informationen geben als Basis der PR-Arbeit, • Anpassung: Beobachtung der öffentlichen Meinung → Anpassung von Öffentlichkeit und Auftraggeber, • Integration: Rückkoppelung der öffentlichen Meinung, um beide Seiten einander näher zu bringen. Inzwischen gilt es auch als legitim, dass mit PR-Arbeit Verständnis, Vertrauen und Sympathie geschaffen und erhalten werden soll. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist ein Sammelbegriff für alle Formen von Kommunikation mit der gesamten Gesellschaft oder ausgewählten Zielgruppen innerhalb der Gesellschaft, mit deren Hilfe ein Unternehmen oder eine andere Organisation in den Dialog mit der Gesellschaft bzw. der Zielgruppe eintreten möchte. Zielrichtung ist zum einen die Durchsetzung eines bestimmten inhaltlichen Anliegens (z. B. Förderung von Kernkraft, Förderung von Umwelttechnologien, Förderung bestimmter Arbeitszeitmodelle oder Gehaltsvorstellungen in laufenden Tarifverhandlungen, Verständnis für die Beanspruchung bestimmter Ressourcen), zum anderen die Gewinnung von Feedback, wie die Gesellschaft bzw. die Zielgruppe über ein bestimmtes Thema denkt. Daraus kann der Absender wiederum ableiten, welche Chancen die Durchsetzung seines Anliegens hat und in welcher Form sein Anliegen am besten zu vermitteln ist (siehe statt vieler Rademacher, 2005). Es dürfen eigene Interessen nach innen und außen vertreten werden, mit anderen Interessen zusammengearbeitet, Beziehungen begründet und nicht zuletzt Kommunikation herbeigeführt, gepflegt und verbessert werden.

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4. Medien und Massenkommunikation

Demgegenüber wird Propaganda als Werbung zur Durchsetzung von Interessen gesehen und mit einem negativen Vorzeichen versehen. Ein direkter Einfluss der Tatsache, dass ein gewisser Dr. Joseph Goebbels als Reichspropagandaminister fungierte und damit den Begriff der Propaganda eindeutig färbte (vgl. Bentele u. a., 2007; Rademacher, 2005). Zumal die Herkunft des Wortes Propaganda auch bei vielen gewisse Bedenken auslöst – er stammt aus der Zeit der Gegenreformation, als die katholische Kirche eine Kongregation „per propaganda fide“ in das Leben rief, also auf deutsch für die Verbreitung des Glaubens. Und diese fand bekanntlich nicht nur mit friedlichen Mitteln statt, wobei der Fairness zuliebe auch darauf hinzuweisen ist, dass auch andere Glaubensgemeinschaften nicht immer mit rein pazifistischer Grundhaltung agierten. 4.3.3.2 Die Erfolgskontrolle in der PR-Arbeit In der PR-Arbeit findet ein Verzehr betriebswirtschaftlicher Ressourcen statt, insbesondere in Form von Geld- und Sachmitteln sowie Arbeitszeit. Auch die Nutzung eines Netzwerks, so genannter „Verbindungen“, kann als Ressource gelten. Für diesen Ressourceneinsatz werden von den Auftraggebern bestimmte Erfolge erwartet, insbesondere in Form der Vermittlung bestimmter Positionen, vielleicht auch der Beeinflussung von Einstellungen (kognitiv: Wahrnehmung, Lernen, Denken; affektiv: Gefühle und Emotionen; konativ: Handlungsdispositionen, Handlungen). Es stellt sich somit die Frage, wie der Einsatz von Kommunikationsarbeit optimal gesteuert werden kann. Zu klären sind dabei insbesondere: • Umfang und Einsatz eigener Ressourcen für PR-Arbeit, • Zielgruppen und deren Themeninteressen und bevorzugte Kommunikationswege /  -mittel, • Wirkungsweisen der eingesetzten PR-Mittel: Welche Resonanz will und kann man erzeugen?, • Kooperationsbereitschaft der Medien. Erfolgreiche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit basiert auf einem Kommunikationsplan, der verschiedene Elemente berücksichtigt: • Kommunikationsziele des Unternehmens / der Organisation, • Aufgaben der einzelnen Kommunikationsbereiche, wie interne Kommunikation, externe Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Werbung / Marketing-Kommunikation, • Verschränkungen der einzelnen Kommunikationsbereiche, • Einsatzplan für die einzelnen Instrumente (dauerhafte Aufgaben, Sonder- / Einzelfallaufgaben),

4.3 Die Gestaltung der Mediengesellschaft

179

• Möglichkeiten zur Zielüberprüfung. Als Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit gelten insbesondere: • alle Instrumente der Pressearbeit (Pressemitteilungen, Pressegespräche, Pressekonferenzen), • öffentlichkeitswirksame Events, z. B. Tage der offenen Tür, • Informationsmaterialien aller Art, wie z. B. Imagebroschüren, Websites mit Unternehmens-/Organisationsinformationen, • gezieltes Einbringen von Themen in die gesellschaftliche Diskussion („issue management“), • Ansprechpartner für alle Anfragen der Öffentlichkeit (die so genannte „Pressestelle“). Die Überprüfung der Wirksamkeit kann anhand verschiedener Indikatoren erfolgen. Diese umfassen insbesondere: • den Aufgriff der angebotenen Themen in den Massenmedien und bei den Zielgruppen (Werden wir beachtet? Wie werden wir beachtet  – die so genannte „Tonality“? Was bleibt nach einer gewissen Zeit bei Multiplikatoren und Zielgruppen präsent?), • die Wirksamkeit der angebotenen Themen (Kommen Feedback und Koopera­ tionsangebote?), • die Durchsetzungsmacht insgesamt (Was können wir auf diesem Wege bewegen?). Diese Überlegungen lassen sich in ein mehrstufiges Ablaufmodell überführen, das von einer Wirkungskette ausgeht: • Das Unternehmen unterbreitet Kommunikationsangebote in Form bestimmter Themen, zur Vermittlung werden weitere Ressourcen wie Kommunikationsetats und Mitarbeitereinsatz mobilisiert. • Die angebotenen Themen werden durch Multiplikatoren und weitere Zielgruppen aufgegriffen. • Aufgrund des öffentlichen Dialogs entstehen Ergebnisse, wie z. B. ein engagierter Dialog mit dem Unternehmen, eine bestimmte Veränderung von Einstellungen etc. • Als dauerhaftes Ergebnis bleiben ein bestimmtes Image, ein bestimmtes Wissen und damit auch gewisse Handlungsdispositionen übrig. Entsprechend der vorher genannten Zielgruppen kann dies sowohl in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit als auch in der unternehmens- bzw. organisationseigenen Öffentlichkeit überprüft werden, wie das nachfolgende Modell in Abbildung 4-4 schematisch darstellt:

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4. Medien und Massenkommunikation

Ressourcen: - Themen - Geld - Arbeitszeit Externe

entlichkeit

Interne

entlichkeit

Ressourcen: - Themen - Geld - Arbeitszeit

Publikum: - Multiplikatoren - Zielgruppen

Resonanz: - Meinung - Engagement (Kauf, Unterschriften, …)

Anliegen des Unternehmens/ der Organisation

Publikum: - Multiplikatoren im Unternehmen - Mitarbeiter

Resonanz: - Meinung - Engagement (Stellungnahme, - Loyalität, Einsatz aller Art)

Quelle: eigene Erstellung

Abb. 4-4: Doppelseitiges PRP-Modell der Resonanz von Öffentlichkeitsarbeit

Die Darstellung berücksichtigt die Tatsache, dass jede externe Kommunikationsmaßnahme auch immer interne Auswirkungen hat. Werbebotschaften eines Unternehmens können die Einstellung der Mitarbeiter zum Unternehmen und ihrer Arbeit ebenso beeinflussen wie bestimmte PR-Maßnahmen, in denen sich das Unternehmen als besonders innovativ oder arbeitnehmerfreundlich darstellt. Insbesondere ein Vergleich der Mitarbeiter, der zu einer unangenehmen Diskrepanz führt, wird zu Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern führen und damit aufgrund der Multiplikatorentätigkeit der Mitarbeiter das gewünschte Ergebnis konterkarieren. Und auch anders herum besteht ein hoher Einfluss: Wer es vermag, seine Mitarbeiter für sich einzunehmen, erfährt eine starke Außenwirkung, denn die Mitarbeiter treten in diesem Fall als Multiplikatoren auf und tragen bestimmte Botschaften in die ihnen erreichbare Öffentlichkeit. Es kommt in der PR-Arbeit also nicht allein darauf an, externe Adressaten zum Dialog einzuladen, sondern auch die interne Öffentlichkeit zu beachten. Es kommt nun darauf an, geeignete Ziele zu bestimmen, die in diesen Kommunikationskreislauf eingespeist werden können. Zudem muss man bedenken, dass man sich im Wettbewerb mit vielen anderen Unternehmen und Organisationen um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit befindet. Das richtige Timing ist damit entscheidend für den Erfolg der Öffentlichkeitsarbeit. Fassen wir an dieser Stelle zusammen: • Öffentlichkeits- oder PR-Arbeit hat als Aufgabe, bestimmte Themen und Sichtweisen in den öffentlichen Diskurs einzubringen und möglichst zu einem Dialog mit dem Absender einzuladen.

4.3 Die Gestaltung der Mediengesellschaft

181

• Für die Gestaltung des Dialogs stehen dem Unternehmen verschiedene Ressourcen (Themen, Geld, Mitarbeiterzeit) zur Verfügung. • Die interne Öffentlichkeit (Mitarbeiter) und die externe Öffentlichkeit sind als miteinander verbunden zu betrachten und beeinflussen sich gegenseitig im Erfolg.

4.3.4 Die Wirtschaftskommunikation als Gestaltungsmöglichkeit 4.3.4.1 Die Ausprägungen der Wirtschaftskommunikation Wirtschaftskommunikation ist die Form der Kommunikationsarbeit, die sich mit geplant gestalteter und durchgeführter Kommunikation in wirtschaftlich ausgerichteten Zusammenhängen beschäftigt. Wirtschaftliche Zusammenhänge können dabei sehr weit gefasst werden. Inzwischen wird auch die Kommunikationsarbeit für Regierungsstellen und die Organisationen des „Dritten Sektors“ (gemeinnützige Einrichtungen wie Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Sportverbände etc.) hierunter subsumiert, da sie sich sehr ähnlicher Instrumente bedient. Hierfür werden je nach Zählmethode jährlich zwischen 21 Mrd. Euro (vgl. o. V., 2020e), 32 Mrd. Euro (vgl. Möbus und Heffler, 2019, S. 114) und 43 Mrd. Euro (vgl. o. V., 2020d) allein in Deutschland ausgegeben, in Österreich und in der Schweiz zwischen 2,5 und 3 Mrd. Euro (vgl. Schweizer Medien, 2020; VÖZ, 2020). Wirtschaftskommunikation besitzt zwei Zielrichtungen: • die geplante Beeinflussung eines Gegenübers, um ihn zu einer Nachfrageentscheidung zu bewegen – das Feld der Werbung i. w. S., • den geplanten Dialog mit einem Gegenüber, um sich über mehr oder weniger strittige Themen zu unterhalten und Verständnis für die eigene Position beim Gegenüber zu bewirken. Entsprechend der jeweiligen Zielsetzung kann man in der Wirtschaftskommunikation einen Kommunikationsplan aufstellen. Dieser umfasst: • die einzelnen Kommunikationsziele, z. B. Bekanntheit, Image, Erreichen bestimmter Absatzmengen, • die Kommunikationsstrategie, wie z. B. die Erreichung bestimmter Zielgruppen, • den Einsatz der Kommunikationsinstrumente (Plan mit genauer Aufstellung einzelner Instrumente, ihrer Wirkung bzw. Zielgruppe, ihres Zeit-, Geld- und Sachmittelbudgets), • abschließend eine Evaluation, das heißt eine Aufstellung der geplanten und der tatsächlich erreichten Kommunikationsziele im Rahmen eines Soll-Ist-Vergleichs, zur Kontrolle der Zielerreichung und zur Verbesserung zukünftiger Kommunikationsarbeit.

182

4. Medien und Massenkommunikation

Der Erfolg der Wirtschaftskommunikation hängt von der Glaubwürdigkeit der Inhalte, dem Interesse bei den erreichten Zielgruppen und nicht zuletzt von der Umsetzbarkeit der angebotenen Verhaltensweisen oder Einstellungen ab. Dabei verwiesen die beiden US-amerikanischen Forscher Lavidge und Steiner bereits 1961 auf das Faktum, dass nicht jede Botschaft sofort zu einem Kauf führen kann und im Übrigen auch nicht gleich muss. Man denke an eine Plakatwerbung für hochwertige Fahrzeuge im Umfeld einer Hochschule. Die meisten Akademiker wissen aus eigener Anschauung, dass studentische Budgets selten den Erwerb eines neuen Fahrzeugs aus Stuttgart, München oder Ingolstadt erlauben. Dennoch kann die Bewerbung hochwertiger Automobile oder sonstiger Konsumgüter im Umfeld von Hochschulen langfristig attraktiv ist. Wichtig für den Absender der Wirtschaftskommunikation ist die Verankerung einer bestimmten Werbebotschaft. Diese wird – so die Annahme – zu dem Zeitpunkt seine Wirkung entfaltet, an dem ein Kauf tatsächlich getätigt werden soll. Lavidge und Steiner (1961, S. 60 f.) leiteten daraus eine Treppe des Werbeerfolgs ab, die insgesamt sieben Stufen umfasst und von einem „Unwissen“ über bestimmte positiv geprägte Einstellungsmomente bis hin zu einer tatsächlichen Einkaufsentscheidung führt (siehe Abbildung 4-5).

Purchase (tatsächlicher Kauf) Conviction (Überzeugung) Preference (Bevorzugung) Liking (positive Grundeinstellung) Knowledge ( Wissen)

Awareness (Bewusstsein) Unawareness (Unwissen) Abneigung Ablehnung Abwehr Quelle: eigene Erstellung / Erweiterung auf Basis von Lavidge und Steiner, 1961, S. 60 f.

Abb. 4-5: Die Werbewirkungstreppe nach Lavidge und Steiner mit Ergänzungen

Ein Werbeerfolg kann in dieser Hinsicht auch dann gegeben sein, wenn ein beworbener Rezipient zwar den vorgeschlagenen Kauf unterlässt, aber immerhin schon eine oder mehrere der benannten Treppen hinaufgeht. Man denke z. B. an Studenten der Betriebswirtschaft, die vor ihrer Hochschule Werbung für hochklassige Automobile vorfinden. Sie werden aufgrund des Werbeimpulses vermutlich nicht gleich zum Kauf eines Mercedes, Audi oder BMW schreiten. Die Werbung kann aber ein positives Image bewirken, das zu einem späteren Zeitpunkt wirksam wird, z. B. bei der Entscheidung über einen Dienstwagen oder auch bei der privaten Beschaffung. Oder aber der Rezipient wird zum Multiplikator und

4.3 Die Gestaltung der Mediengesellschaft

183

gibt im Freundes- und Familienkreis seine Meinung als Experte weiter und beeinflusst auf diese Weise relevante Kaufentscheidungen. Beides setzt wiederum voraus, dass in der Zwischenzeit der positive Impuls immer wieder gepflegt und möglichst auch bestärkt wird. Allerdings muss man dabei auch im Blick behalten, dass Werbeinhalte bei vielen Rezipienten Abneigung oder auch stärkere negative Gefühle hervorrufen kann. Insofern ist es klug, die an sich sinnvolle Werbewirkungstreppe nach Lavidge und Steiner um einige Stufen in die negative Richtung zu ergänzen, wie es ebenfalls in Abbildung 4-5 dargestellt wird. Zur weiteren Kritik an diesem Modell ist auf die Frage hinzuweisen, wie Werbung vom Rezipienten tatsächlich verarbeitet wird. Hierzu wurden verschiedene Konsumenten- oder Nachfragermodelle entwickelt, die in Form so genannter „SOR-Modelle“ oder auch Totalmodelle die Verarbeitung schematisch aufbereiten (siehe hierzu die Übersicht bei Kroeber-Riel und Weinberg, 2008). 4.3.4.2 Die Gestaltung von Wirtschaftskommunikation Die Anzahl der Lehrbücher und Ratgeber zu erfolgreicher Werbegestaltung ist beinahe unübersichtlich (siehe pars pro toto Heun, 2017; Schweiger und Schrattenecker, 2013), so dass die Darstellung hier sich auf zwei wesentliche Gesichtspunkte der Wirtschaftskommunikation konzentrieren kann. Erstens ist daran zu denken, in der Wirtschaftskommunikation einen besonderen Produktvorteil zu vermitteln. Dieser Produktvorteil kann in einem objektiven Tatbestand gegeben sein, der für einen Entscheider in seiner subjektiven Sicht besonders wichtig ist z. B. ein geringer Benzinverbrauch bei Automobilen oder auch ein bestimmtes Beschleunigungsvermögen). Der besondere Produktvorteil kann aber auch in einer subjektiven Einstellung liegen, wie z. B. dem besonderen Prestige eines Fahrzeuges oder einer bestimmten Bekleidungsmarke. Der besondere Produktvorteil wird je nach Lesart als „USP / Unique Selling Proposition“ oder auch als „Komparativer Wettbewerbsvorteil“ bezeichnet. Dabei ist zu beachten, dass alle Produktvorteile, auch die vermeintlich objektiven, immer nur eine subjektive Bedeutung besitzen. So kann ein sparsamer Benzinverbrauch bei Automobilen oder ein hoher Anteil an Naturfasern bei Bekleidungsgegenständen für den einen Entscheider von hoher Bedeutung sein, für einen anderen Entscheider eher von nachrangiger Bedeutung. Die Kunst der Wirtschaftskommunikation besteht also darin, in der Wahl ihrer Kommunikationswege und -mittel genau jene zu treffen, die sich für einen bestimmten Produktvorteil auch tatsächlich interessieren. Im Werbedeutsch bedeutet dies, die Zielgruppen passgenau zu treffen und dabei zu wissen, welche Vorlieben und Einstellungen sie besitzen (siehe Häusel und Henzler, 2018, S. 5 ff.; Kalka und Allgayer, 2009).

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4. Medien und Massenkommunikation

Der zweite Aspekt, der an dieser Stelle relevant wird, besteht in der geringen Zeit, die Werbebotschaften in der Mediennutzung einnehmen dürfen und können. Eine Werbeanzeige in einem Printmedium hat einen Aufmerksamkeitsanteil von wenigen Sekunden. Ein Werbespot im Radio oder Fernsehen wird in Einheiten von vielleicht 20, 30 oder 45 Sekunden bemessen. Ein Pop-up-Werbeelement oder ein Werbebanner bei Online-Werbung wird ebenfalls mit wenigen Sekunden bedacht, bevor die Entscheidung für ein Wegclicken oder ein vertieftes Nutzen fällt. Die Kunst des Werbers besteht also darin, in dieser geringen Nutzungszeit ein stimmiges Bündel aus Attraktion, Nutzungsvorschlägen und besonderem Produktvorteil zu schnüren. Bei der oft geschmähten Zigarettenwerbung konnten einige Unternehmen dieses besonders gut vorführen. Das bereits erwähnte HB-Männchen konnte in den 60er und 70er Jahren dank Zigarettengenuss seine innere Ruhe in stressigen Situationen wiederfinden. Der Camel-Mann ging in den 80er Jahren meilenweit für seinen Glimmstengel. Und der Marlboro-Cowboy lebte bis in das 21. Jahrhundert hinein seine ganze urwüchsige Männlichkeit und Abenteuerlust durch Reiten, Lagerfeuer und Tabakgenuss aus (siehe auch Kalka, 2008) – und wurde so zu einer bei Frauen sehr beliebten Marke. Die ethische Grunddimension des Rauchens mag an dieser Stelle teilweise ausgeblendet werden. Es fällt jedoch auf, dass gerade Produkte, die einem gewissen gesellschaftlichen Zweifel unterliegen (neben Tabak auch Alkoholika oder leistungsstarke und exklusive Sportwagen), immer wieder in der Lage sind, eine besonders eindrückliche Form von Image und Nutzwert-Versprechen darzustellen. Halten wir am Ende dieses Abschnitts fest: • Wirtschaftskommunikation intendiert eine bewusste Beeinflussung des Rezipienten, um ihn zu einer erwünschten Handlung zu bringen, insbesondere zum Kauf eines angebotenen Produkts oder dem Überlassen von wirtschaftlichen Vorteilen. • Der Erfolg von Wirtschaftskommunikation kann sich in mehreren Schritten vollziehen, aber auch in eine unerwünschte Richtung gehen. • Wirtschaftskommunikation muss einen besonderen Produktvorteil vermitteln können. • Wirtschaftskommunikation ist aufgrund des geringen Umfangs eines Werbebeitrags darauf angewiesen, möglichst prägnante Inhalte in kurzer Zeit zu vermitteln.

4.4 Innovationen im Medienbereich als Einflussfaktor

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4.4 Innovationen im Medienbereich als Einflussfaktor Innovationen sind Technologien aller Art, mit denen ein bestimmtes Alltagsproblem grundlegend leichter gelöst werden kann. Leichter bedeutet, dass mit einem bestimmten Einsatz an Arbeitskraft, Zeit und Material ein mengenmäßig höheres Ergebnis erzielt werden kann oder aber ein bestimmtes Ergebnis mit geringerem Einsatz an Ressourcen zu erreichen ist. Innovationen sind damit nicht mit Kreativität zu verwechseln. Kreativität lässt sich als der Ansatz beschreiben, neue Ideen für die Lösung von Problemen zu finden. Innovationen stellen erfolgreiche Problemlösungen dar, die auf kreativen Prozessen beruhen. Auch in den Medien ergibt sich die Notwendigkeit, über Innovationen den veränderten Medientechnologien und den damit sich auch verändernden Nutzungsgewohnheiten gerecht zu werden (siehe z. B. Kaiser, 2015, S. 5fff.; Kaiser und Sutor, 2017, S. 5 ff.). Für den Medienbereich ist zu konstatieren, dass das Zusammentreffen von zwei Basistechnologien zu neuen Kommunikationstechniken und damit auch zu neuen Medienangeboten führt. Dabei ist immer die Fähigkeit wichtig, einen zusätzlichen Nutzen zu erzeugen, der für die Nutzer deutliche Vorteile erbrachte. Die nachfolgende Übersicht in Abbildung 4-6 zeigt auf, welche Basistechnologien im historischen Ablauf anzuführen sind und welchen Nutzen sie jeweils ergaben. Jedes neue Medienangebot ist dabei in der Lage, entweder die Mediennutzungs­ zeit zu verändern und / oder die Nutzung anderer Medien zurückzudrängen. Ins­ besondere die jüngere Generation, die aufgrund schulischer oder außerschulischer Sozialisation sich den Umgang mit neuen Medientechniken vertraut macht, eignet sich diese sehr schnell an und setzt diese in ihrer Lebensgestaltung selbstverständlich ein, wie u. a. die Allensbacher Werbeträger-Analyse für 2019 sehr deutlich zeigt (vgl. Sommer, 2019, S. 24–31). Dass neue Medienangebote die Verhaltensweisen in der Kommunikation deutlich verändern können, sieht man nicht zuletzt alltäglich am Einsatz der mobilen Geräte (Smartphones, Tablets, andere Wearables), die im vorliegenden Kontext nicht weiter behandelt werden. Deutlich wird auch: • Der Einsatz digitaler Medien sinkt mit dem Alter der Nutzer etwas, ist aber inzwischen auch in der Seniorengeneration in vielen Fällen selbstverständlich. • Die Nutzung digitaler Medien wie auch digitaler Einkaufsangebote steigt mit zunehmendem Bildungsstand und Haushaltseinkommen. • Insbesondere in weniger gebildeten Schichten sind relativ viele Personen von der Nutzung digitaler Medien abgeschnitten, was z. B. in öffentlichen Shutdowns im Zeichen der Corona-Krise im Frühjahr 2020 auch von vielen sozialen Zugängen trennt, bis hin zu digitalen Ersatzlernangeboten der Schulen. Allerdings geht man bisher in der Medienlehre von einem „Riepl’sches Gesetz“ aus, das auf den Medientheoretiker und Chefredakteur einer Nürnberger Zeitung, Wolfgang Riepl (1913) zurückgeht. Es besagt, dass ein neues Medienangebot nicht

Bewegliche Lettern

Biegbarer Metallguss (Bleimatern)

Funk (Umsetzung von Bild- und Tonsignalen in elektromagnetische Signale und deren Rückübertragung)

Braun’sche Röhre

Telefonie

Telefonie

Mechanische Presse

Mechanische Presse

Elektrizität

Funk

Personal Computer

Mobiltelefonie

Funkübertragung

Internet

Fernsehen

Rundfunk

Rotationsdruck

Buchdruck

Schrifttäfelchen

Erzielte Medieninnovation

Abb. 4-6: Innovationen mit Medienbezug

Schrift

Gebrannter Ton

Quelle: eigene Erstellung

Zweite Basistechnologie

Erste Basistechnologie

• Überall-Erreichbarkeit der Teilnehmer/ universeller Zugang zu Telekommunikation ohne Festnetz-Anschluss

• Schnelle Kommunikation in NahezuEchtzeit weltweit • Individuelle Kommunikation in allgemein zugänglichen Netzen

• Zeitgleiche Aus­strahlung von Ton und Bild

• Ausstrahlung von Hör-Inhalten in Nahezu-Echtzeit • Gleichzeitiges Erreichen großer Menschen­mengen

• Massenproduktion von Medien durch Industrielle Fertigung von Büchern und Zeitungen, damit kostengünstiger Medienzugang

• Vervielfältigung von Inhalten

• Speicherung von Medieninhalten • Personenabgehobene Kommunikation

Nutzen der Innovation

186 4. Medien und Massenkommunikation

4.4 Innovationen im Medienbereich als Einflussfaktor

187

in der Lage ist, bisher etablierte Medien komplett zu verdrängen, sondern nur in der Nutzung einzuschränken. Wolfgang Riepl machte dies in seiner Arbeit am Beispiel des Römischen Reichs fest, in dem Wachs-Schrifttäfelchen in der Nachrichtenübermittlung die vorher gebräuchlichen Tontäfelchen nicht komplett verdrängten, sondern nur zum Teil. Allerdings sei es durchaus möglich, dass die vorher üb­ lichen Medien dann andere Aufgaben übernehmen müssten (drs., 1913, S. 5). Nun kann dies im Blick auf die aktuelle Medienlandschaft zumindest vorläufig gelten, denn Zeitungen und Zeitschriften oder Bücher sind durch Fernsehen und Internet nicht vollständig verdrängt worden. Sie werden sicher auch nicht in den nächsten zehn Jahren komplett verschwinden. Allerdings muss man auch sehen, dass die im Römischen Reich üblichen Ton- und Wachstäfelchen heute nur noch im musealen Kontext anzutreffen sind. Vermutlich ist es sinnvoll, das Riepl’sche Gesetz zu revidieren. Neue Medien verdrängen bisher genutzte Medien nicht sofort. A là longue kann dies ganz anders aussehen. Und man muss zudem sehen, dass nicht jede Medieninnovation sich durchzusetzen vermag. In der Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde viel über das neue Medienangebot „Bildschirmtext“ (in der Schweiz als „Videotext“ bekannt) gesprochen (siehe z. B. Hecheltjen und Bosch, 1985). Die Deutsche Bundespost, damals war Telekommunikation noch eine behördlich administrierte Ressource, gedachte innerhalb von zehn Jahren jeden Haushalt und jedes Unternehmen mit dieser Kombination aus Fernschreiber und Computer auszustatten. Heute muss man feststellen, dass bis auf bestimmte Residuen bei verschiedenen Fernsehanstalten (vgl. Tusch, 2018) das Btx-Angebot relativ unbekannt und ungenutzt ist, was insbesondere mit der hohen technischen Komplexität des Bildschirmtextes zu begründen ist, aber sicher auch mit dem Zeitpunkt des Angebots zusammenhängt. Zehn Jahre war mit dem Internet ein Medienangebot am Markt, dass ungleich einfacher zu bedienen war und zudem deutlich schneller reagierte. Neue Medienangebote setzen sich also folglich nur dann durch, wenn sie für ihre Nutzer einen entscheidenden Mehrwert bieten, der leicht erkennbar ist. Gleiches gilt auch für andere erfolgreiche Medienangebote, wie z. B.: • Buchdruck bedeutete Verbreitung von Informationen für größere Bevölkerungskreise. • Zeitungsdruck bedeutete eine gegenüber dem Buch schnellere und preiswertere Verbreitung von Informationen. • Rundfunk bedeutete eine einfache und schnelle Verbreitung von Unterhaltung und Information, die auch ohne umfassende Lesekenntnisse bzw. Vorbildung nutzbar war. • Fernsehen bedeutete eine plastische Informationsvermittlung, da der ausgestrahlte Ton durch ein Bild unterlegt und damit viel eindringlicher wurde. Entscheidend ist also wie bei allen anderen Formen der Innovation, in welcher Form die Innovation einen zusätzlichen Nutzen bietet, der die einhergehenden

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4. Medien und Massenkommunikation

Kosten (z. B. Beschaffungskosten für neue Medien) und weitere Aufwendungen (Einarbeiten in die neue Technik, Überwinden psychologischer Hemmschwellen) deutlich überragt. Von besonderem Interesse wird die Entwicklung der Online-Medien sein. Wenn nahezu die 80 % der Bevölkerung laut Allensbacher Werbeträger-Analyse 2019 (vgl. Sommer, 2019, S. 24 ff.) mittlerweile online erreichbar sind und aktiv online kommunizieren, wird sich das Mediennutzungsverhalten deutlich verändern. Bis hierher kann man festhalten: • Innovationen im Medienbereich beruhen auf der Kombination von zwei Basistechnologien. • Ihre Durchsetzung am Markt hängt von der Fähigkeit ab, einen zusätzlichen Mehrwert zu bieten.

4.5 Staatliches Handeln in der gesellschaftlichen Kommunikation Der Staat regelt über seine Gesetzgebung die rechtlich zulässigen Möglichkeiten und die Grenzen der Medienarbeit. Damit gibt staatliches Handeln den Rahmen für die Organisation der Mediengesellschaft und ihrer Teilnehmer vor. Soweit der Staat Ressourcen, insbesondere Geld, verteilt oder gar als Unternehmer tätig wird, wird er auch wirtschaftlich tätig und damit ein Marktpartner in der gesellschaftlichen Kommunikation. Dies kann man besonders gut an den öffentlich-recht­lichen Rundfunkanstalten und der Form der Finanzierung durch Gebühren absehen.

4.5.1 Der Rechtsrahmen der gesellschaftlichen Kommunikation Ein Staat, als verfasster Rahmen einer Gesellschaft handelt durch seine Organe. Das Handeln muss auf der Basis von Recht und Gesetz erfolgen. Das Handeln kann sowohl die Mitglieder der Gesellschaft im Allgemeinen als auch die Organe des staatlichen Handels im Besonderen betreffen. Das staatlich gesetzte Recht umfasst insbesondere: • die Garantie der Informations-, Presse- und Redefreiheit in Artikel 5 Grundgesetz, als Rahmen der Betätigung (bzw. Art 16 und 17 der schweizerischen Bundesverfassung), • korrespondierend dazu den sehr allgemeinen Rahmen der schutzbedürftigen Menschenwürde (Art. 1 GG für Deutschland, für die Schweiz Art 7, 10 und 13 der Bundesverfassung), aus dem sich verschiedene Einschränkungen in der medialen Darstellung von Menschen ergeben;

4.5 Staatliches Handeln in der gesellschaftlichen Kommunikation 

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• das Presserecht, das Rechte und Pflichten von Medienschaffenden und Medieneigentümern in inhaltlicher Sicht festlegt (in Deutschland in Gestalt der Landespressegesetze, in Österreich das Mediengesetz in der Novelle von 2005, sowie die korrespondieren Bestimmungen für elektronische Medien (in Deutschland insbesondere den Rundfunkstaatsvertrag, den Staatsvertrag über Mediendienste / ​ MDStV sowie das Telemediengesetz / TMG, als Ersatz für das frühere Teledienstegesetz; in Österreich z. B. das E-Commerce-Gesetz / ECG); • das Strafrecht, das bestimmte Formen der Kommunikation (Verbreitung unwahrer, beleidigender oder sonst wie schädigender Inhalte) unter Strafe stellt, aber auch über das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten herausragende Privilegien für hauptamtlich Medienschaffende einräumt; • ergänzend das Jugendschutzrecht, das Kinder und Heranwachsende vor Medieninhalten schützen soll, die sich schädlich auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen auswirken könnten; • das Urheberrecht, zum Schutz des geistigen Eigentums, um somit den Urhebern von Kommunikationsinhalten die wirtschaftlich gesicherte Nutzung ihrer Inhalte zu erlauben (Deutschland, Österreich und die Schweiz besitzen eigene Urheberrechtsgesetze, darüber hinaus gelten internationale Vereinbarungen wie z. B. die Pariser Verbandsübereinkunft / PVÜ, das TRIPS-Abkommen und die Vereinbarungen rund um die WIPO / World Intellectual Property Organization, die seit einigen Jahren der Welthandelsorganisation angeschlossen ist (siehe auch Niemann, 2008); • das Wettbewerbs- und Kartellrecht, das über den Markenschutz für Kommunikationsprodukte (§ 5 MarkenG), die Preisbindung für Bücher (das jeweilige Buchpreisbindungsgesetz in Deutschland und Österreich) und Presseerzeugnisse (in Deutschland über § 30 des Gesetztes gegen Wettbewerbsbeschränkungen / GWB geregelt) ergänzend zum Urheberrecht Schutzrechte einräumt, aber auch über die besondere Fusionskontrolle für Presseverlage (§ 20 GWB) enge Grenzen setzt; • die Rundfunkgesetzgebung, die u. a. zur Einrichtung von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und zur Gebührenerhebung für den Rundfunkempfang führt; • die Subventionierung von Medienunternehmen, wie sie z. B. in Österreich auf der Basis des Presseförderungsgesetzes und die Buchverlagsförderung durch die Kommunikationsagentur Austria (KommAustria, o. D., ergänzend o. V., 2020f) stattfindet, analog die Förderung kleinerer Verlage in der Schweiz (vgl. Bundesamt für Kultur, 2018); • die Präzisierung der diversen Rechtsnormen durch die Rechtsprechung. Es überrascht, dass eine freiheitlich verfasste Ordnung eine Vielzahl von Normen erlässt, um ein an sich verbrieftes Freiheitsrecht zu regulieren. Allerdings zieht ein großer Freiheitsraum stets eine nahezu unbegrenzte Anzahl an Handlungs­ optionen nach sich, zumal mit der grundgesetzlich garantierten Menschenwürde

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4. Medien und Massenkommunikation

auch ein teilweiser konträrer Anspruch garantiert wird. Folglich sind für entsprechende Grenzfälle auch Anhaltspunkte und Richtwerte vorzugeben, die für alle Beteiligten ein gewisses Maß an Handlungssicherheit gewähren. Zugegebenermaßen ist hier die Grenze zwischen berechtigter Regulierung und unberechtigter Zensur gerade in einer freiheitlich-pluralistischen Verfassung nur schwer zu definieren.

4.5.2 Staatliche Beteiligung an der gesellschaftlichen Kommunikation Neben der gesetzlichen Rahmensetzung agiert der Staat auch aktiv über verschiedene Institutionen im Medienmarkt. Zu nennen sind insbesondere: • das Bildungswesen (Berufsschulen, Hochschulen, Fort- und Weiterbildung für Kommunikatoren, z. B. Angebote der Bundeszentrale für politische Bildung und weiterer staatlicher Einrichtungen), • staatliche Medienunternehmen: staatliche Verlage bzw. staatlich initiierte und (teil-)finanzierte Medien, wie z. B. den Bundesanzeiger und die entsprechenden Landespublikationen, die Zeitung „Das Parlament“ des Deutschen Bundestages, die diversen Publikationen der Bundeszentrale für politische Bildung und der entsprechenden Landeseinrichtungen etc., • quasi staatliche Institutionen in Gestalt der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ARD-Anstalten, ZDF, DLF / DLR, ORF, SRG und ihre zwischennationalen Kooperationsprojekte, wie z. B. 3sat und arte); der Vollständigkeit zuliebe: Der italienische öffentlich-rechtlicher Anbieter RAI unterhält seit 1960 ein deutschsprachiges Angebot für Südtirol, die deutsche Gemeinschaft in Ostbelgien kann mit dem Belgischen Rundfunk ebenfalls eigene Fernseh- und Hörfunk- sowie Online-Angebote nutzen, • öffentliche Einrichtungen für die Ausleihe von Medien (Büchereien und Bibliotheken aller Art), • Zuschüsse zu Medientätigkeiten (z. B. in Österreich für Printerzeugnisse), in allen deutschsprachigen Ländern durch die vielfältige Filmförderung. Diese Form staatlicher Aktivitäten ist aus wettbewerbspolitischer Sicht zunächst bedenklich, da freies Unternehmertum und damit die Marktwirtschaft einen Konkurrenten bekommen. Allerdings kann der Staat aus wohl verstandenem Eigeninteresse tätig werden. Zum einen geht es um eine Grundversorgung der Bürger mit unabhängigen Nachrichten und Unterhalten, die insbesondere in Gegenden mit einem geringen Angebot an Medien von hoher Bedeutung ist, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung fest gehalten hat. Auch bei öffentlich getragenen Leihbüchereien ist der freie Zugang zu Informationen ein wichtiges Kriterium. Zum anderen kann der Staat durch seine Aktivitäten auch eine stützende Funktion für seine landestypische Kultur wahrnehmen. In der Filmförderung

4.6 Sozial- und Marktforschung als Kommunikationsinstrumente 

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schlägt sich z. B. das Interesse an einer eigenständigen Filmlandschaft nieder, das typisch deutsche bzw. österreichische oder schweizerische Spezifika thematisiert und damit die kulturelle Identität der Bevölkerung fördert. Indirekt kann der Staat auch über Steuerermäßigungen für Kommunikationsleistungen tätig werden. Druckerzeugnisse unterliegen in Deutschland dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz von derzeit 7 % und besitzen damit gegenüber anderen Konsumgütern ein Preisvorteil von 12 Prozentpunkten. Der Staat seinerseits verzichtet auf ein erhebliches Steueraufkommen. Allein im Buch- und im Pressemarkt mit aktuell jeweils ca. 9,3 Mrd. Euro Umsatz in 2019 entspricht dies einem Steuerverzicht von ca. 1,1 Mrd. Euro, unter der Annahme, dass auch bei einem höheren Bruttoverkaufspreis die gleiche Menge an Büchern zu gleichbleibenden Nettopreisen verkauft wird. Zusammenfassend gilt, dass • der Staat auf zwei Ebenen in der Mediengesellschaft aktiv wird, durch den rechtlichen Rahmen und die staatlich organisierten Medienunternehmen; • die Betätigung des Staates über die Wahrung und Entfaltung einer bestimmten Kultur begründet wird.

4.6 Sozial- und Marktforschung als Kommunikationsinstrumente Die Massenkommunikation ist ihrem Charakter nach monodirektional  – sie verläuft vom Absender zum Empfänger, mit keinen oder nur sehr geringen Möglichkeiten des Dialogs. Sofern Absender an der Meinung des Empfängerkreises interessiert sind, können sie neben der Nutzerinteraktion (Leserbriefe, Zuschauertelefone etc.) auf diverse Formen der Sozialforschung zurück greifen, mit denen Stimmungsbilder, Wünsche und andere Beiträge erhoben werden. Sozialforschung ist der übergeordnete Begriff für jede Form der empirischen Auseinandersetzung mit der Realität. Sie kann in Form von qualitativen und quantitativen Verfahren durchgeführt werden. Dahinter steht die Überlegung, entweder eine größere Anzahl an Menschen zu befragen, in Form von quantitativen Ansätzen, um so ein Meinungsbild zu erhalten. Oder aber man richtet mit qualitativen Verfahren sein Augenmerk auf eine geringere Anzahl an Menschen, um sie genauer hinsichtlich ihrer Eindrücke, Überlegungen, Auswahlentscheidungen und Einstellungen zu befragen. Die Marktforschung befasst sich – der Name sagt es überaus deutlich – mit den Bedingungen, die in definierten Absatz- oder Beschaffungsmärkten herrschen, und ist damit eine Unterform der Sozialforschung. Sie greift in der Regel auf die gleichen Verfahren wie die Sozialforschung zurück. Die Marktforschung ist im

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4. Medien und Massenkommunikation

Medienbereich in der Regel als „Medienforschung“ oder „Medienmarktforschung“ bekannt. Wesentliche Ansätze der Medienmarktforschung sind u. a.: • die regelmäßigen Erhebungen wie z. B. die Allensbacher Werbeträger-Analyse (AWA, vgl. IfD, o. D.) bzw. Allensbacher Computer- und TelekommunikationsAnalyse (ACTA, allem Anschein nach 2016 ausgelaufen), die Media-Analyse der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse (AG.MA, vgl. AG.MA, o. D.) sowie die Online-Nutzungsstudien der Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung (AGOF, vgl. AGOF, o. D.) oder auch die Polit-Barometer (vgl. Forschungsgruppe Wahlen, o. D.) oder Milieu-Studien (vgl. z. B. Barth u. a., 2018) verschiedener Demoskopie-Institute, • die regelmäßigen Nutzerstudien der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten (ARDForschungsdienst, mit frei zugänglichen Veröffentlichungen in der Zeitschrift „Media-Perspektiven“, z. B. bei ARD-Forschungsdienst, 2019), • Typologien diverser Medienhäuser (z. B. „Verbraucheranalyse“ / VA der Häuser Heinrich Bauer, Axel Soringer sowie G+J und die „Typologie der Wünsche International“ / TdWI bis 2012 aus der Verlagsgruppe Burda angeboten und seit 2013 durch das Instrument „Best for Planning“ von verschiedenen Medienhäusern ersetzt, vgl. Lohmüller, 2011; Marktforschung.de, o. D.), • Studien aller Art der diversen Hochschulen, • einzelfallbezogende Studien der diversen Medienunternehmen und Beratungsunternehmen, • u. v. m. Diese Aufzählung muss notgedrungen unvollständig bleiben. Sie zeigt aber überaus deutlich auf, dass es zahlreiche Ansätze gibt, den Wünschen und dem Nutzungsverhalten der Bevölkerung nachzugehen und auf diese Weise eine gewisse Form der Rückmeldung zur Rezeption zu erhalten. Der Nutzen der Sozial- und Marktforschung ergibt sich aus den Informationen, die eine umgebende Gesellschaft im Fall der Sozialforschung, eine bestimmte Zielgruppe im Fall der Marktforschung, zu einem bestimmten Angebot bereit hält. Unternehmen, aber auch staatliche Einrichtungen und Organisationen der NonProfit-Wirtschaft, können auf dieser Basis erkennen, ob es für ihr Angebot einen ausreichenden Absatzmarkt, für ihr Politikangebot eine ausreichende Resonanz in der Bevölkerung bzw. für ihren Nachfragewunsch einen entsprechenden Beschaffungsmarkt gibt (siehe auch Esser u. a., 2018, S. 17 ff.; Kromrey u. a., 2016, S. 15 ff.). Damit ist Sozialforschung insgesamt die Umdrehung des Prinzips der Massenkommunikation. Hier wird also eine Vielzahl an einzelnen Stimmen gebündelt und für einen möglichen Sender in einer Form aufbereitet, dass der Sender sein Kommunikationsangebot entsprechend gestalten kann, so dass es die Interessen und Bedürfnisse seiner gewünschten Empfänger, vulgo seiner Zielgruppe erreicht. Damit versucht man der Tatsache gerecht zu werden, dass bei der Kommunikation

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mit Massen die Stimmen der Einzelnen nicht oder nur sehr begrenzt gehört werden können. Durch Sozialforschung ist es aber möglich, dieser relativ anonymen Masse eine Stimme zu geben. Sozialforschung im weiteren Sinne, Marktforschung im engeren Sinne kann damit gerade in einer massenmedial geprägten Gesellschaft zu einem wichtigen Instrument werden, die einseitige Kommunikationsrichtung zu durchbrechen und Meinungen und Eindrücke aus der ansonsten anonymen Empfängerschar zu sammeln. Zusammenfassend gilt: • Die Methoden der Sozialforschung dienen Medienunternehmen, eine Rückmeldung aus dem Empfängermarkt zu erhalten. • Sozialforschung als Medienforschung ist damit eine Möglichkeit, die monodirektionale Kommunikationsrichtung der Massenkommunikation zumindest teilweise aufzuheben. Literatur zum Kapitel AG.MA (o. D.): Die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse, Beitrag o. D., unter www.agmammc.de/, aufgerufen am 03. 04. 2020. AGOF (o. D.): Die Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung, Beitrag o. D. unter www.agof.de/, aufgerufen am 03. 04. 2020. Alcantara, Sophia / Wassermann, (2015): Stadtteilaktivitäten – Aktivierung von Multiplikatoren, in: Wagner, Hermann-Josef; Sager, Christina (Hrsg.): Wettbewerb energieeffiziente Stadt, Münster / Westf.: LIT 2015, S. 79–89. ARD-Forschungsdienst (2019): Influencer-Kommunikation in Sozialen Netzwerken, in: ­Media-​ Perspektiven Nr. 5/2019, S. 253–257, aufgerufen unter www.ard-werbung.de/fileadmin/ user_upload/media-perspektiven/pdf/2019/0519-ARD-Forschungsdienst_2019-06-12.pdf, aufgerufen am 02. 04. 2020. ASV Axel Springer SE (o. D.): Wir über uns, Beitrag o. D. unter www.axelspringer.com/de/ unternehmen/grundsaetze-und-werte, aufgerufen am 01. 04. 2020. AWA (o. D.): Die Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse, Beitrag o. D. unter www.ifdallensbach.de/awa/startseite.html, aufgerufen am 03. 04. 2020. BAKOM Bundesamt für Kommunikation (2018): Auswirkungen von Werbebeschränkungen bei der SRG, Bericht vom 22. 01. 2018 unter www.parlament.ch/centers/documents/de/mmkvf-n-2018-03-20-beilage-d.PDF, aufgerufen am 01. 04. 2020. Barth, Bertram u. a. (2018): Praxis der Sinus®-Milieus, Wiesbaden: SpringerVS 2018. Bauer, Markus (1998): PR-Erfolgskontrolle in der Öffentlichkeit, München: R. Fischer 1998. Baumann, Jan (2016): Der Buchhandel hat die Abschaffung der Buchpreisbindung überlebt, Beitrag vom 19. 10. 2016 unter www.srf.ch/news/schweiz/der-buchhandel-hat-dieabschaffung-der-buchpreisbindung-ueberlebt, aufgerufen am 01. 04. 2020.

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5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation Die Analyse von Kommunikation allgemein und der Mediengesellschaft im Besonderen erfordert wissenschaftliche Standards und Instrumente. Die verschiedenen Disziplinen der Medienwissenschaften beschreiben dazu die von Medien geprägte Welt aus unterschiedlichen Perspektiven. Konkret geht es um: • die individuelle Wahrnehmung der Medien und die individuellen Auswirkungen von Medien in der Medienpsychologie, • die gesellschaftliche Rolle der Medien in der Medienpsychologie, • die bewusste Arbeit mit Medien und die Vermittlung von Inhalten über mediale Angebote in der Medienpädagogik, • die Verantwortung in der Kommunikationsarbeit, beschrieben durch die Medien­ ethik, • den rechtlichen Rahmen, der durch das Medienrecht gesetzt wird, • die ökonomische Beschreibung der Medienmärkte mittels der Medienökonomie. Zu beachten ist dabei, dass die Wissenschaftsdisziplinen der Medienpsychologie, der Mediensoziologie, der Medienpädagogik und der Medienökonomie sowohl einen deskriptiven als auch einen normativen Ansatz besitzen können. Der Vollständigkeit zuliebe: Medienrecht und Medienethik sind regelmäßig rein normativ ausgerichtet. Bei deskriptiver, also rein beschreibender Arbeitsweise wird ein Sachverhalt so beleuchtet, wie er empirisch erfassbar ist. Dem Nutzer der solchermaßen gewonnenen Daten bleibt es überlassen, seine Schlüsse daraus zu ziehen. Dabei gilt der Grundsatz möglichst hoher Objektivität, denn nur bei objektiver Beschreibung kann ein Dritter unbeeinflusst daraus Konsequenzen ableiten. Bei normativen Ansätzen hingegen wird ein bestimmter, vom handelnden Wissenschaftler als wünschenswert und förderungswürdig anzusehender Zustand vorausgesetzt. Die Beschreibung der empirischen Erfahrung wird unter dem Primat der eigenen Wertevorstellungen vorgenommen und enthält stets ein „gut“ oder ein „schlecht“, ein „verwerfenswert“ oder „förderungswürdig“. Damit ein Dritter mit diesen Standpunkten angemessen umgehen kann, ist es sinnvoll, die eigene Position zu verdeutlichen. Gegebenenfalls liegt es nahe, zunächst die vorgefundenen Daten zu beschreiben und in der anschließenden Dar-

5.1 Die individuelle Wahrnehmung von Inhalten und Medien 

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stellung die vorgefundenen Daten mit den subjektiven Vorzeichen zu interpretieren. Allerdings setzt dies auch voraus, dass die Instrumente, die zur Datengewinnung eingesetzt werden, von sich heraus neutral gehalten sind und nicht bereits eine bestimmte Sichtweise transportieren. Dieses auszuschließen ist nicht immer leicht.

5.1 Die individuelle Wahrnehmung von Inhalten und Medien durch den Mediennutzer 5.1.1 Medienpsychologische Grundlagen Medien durchdringen nahezu alle Bereiche des Alltags vom Arbeitsplatz bis in den Freizeitbereich hinein. Die Medienpsychologie widmet sich den Fragen, die sich daraus für die einzelne Personen ergeben. Dies umfasst insbesondere (siehe auch Mangold u. a., 2004): • die Medienwirkung: Wie wirken Medien und Medieninhalte auf den einzelnen Menschen? Wie verändern oder bestärken sie eine bestimmte Wahrnehmung der Umwelt? • die Aspekte der Gestaltung: Wie müssen Medien und Medieninhalte gestaltet sein, dass der Mediennutzer diese leicht bedienen bzw. aufnehmen kann? • die aktive Nutzung der Medien: Wie müssen Medien und Medieninhalte gestaltet sein, dass ein Mensch diese aktiv zur Gestaltung seiner Umwelt einsetzen kann? Die Medienpsychologie versucht folglich, menschliches Verhalten, Handeln, Denken und Fühlen im Zusammenhang mit der Nutzung von Medien zu beschreiben und zu erklären. Man spricht dabei auch von einer Rezeptionsforschung, aufgeteilt auf die drei Dimensionen der Wirkungsforschung (was machen Medien mit Menschen?), der Nutzungsforschung (wie werden Medien eingesetzt?) und der Verstehensforschung (was löst einen Nutzungswunsch aus, was machen Inhalte konkret mit den Nutzern?). Im Rahmen normativer Vorhaben sollen zusätzlich Erkenntnisse gewonnen werden, wie Medien und ihre Inhalte in einer bestimmten Richtung gestaltet oder verändert werden können, damit sie bestimmte Wirkungen auf. Dazu greift die Medienpsychologie verschiedene Ansätze der Allgemeinen Psychologie, der Differentiellen Psychologie, der Sozial- und Kommunikationspsychologie und der Entwicklungspsychologie auf. Ausgangspunkt ist zum einen die Überlegung, dass Medien den Lebensraum des Menschen umgeben. Allerdings werden nicht alle Medien und schon gar nicht alle Medieninhalte gleichermaßen aufgenommen und ausgewertet. Teilweise erfolgt eine bewusste Nutzung, z. B. durch bewusste Lektüre der Zeitung am Frühstückstisch oder in öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem Weg zur Arbeit. Teilweise

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5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

werden Medien eher unbewusst wahrgenommen, z. B. in Form der Werbetafeln im öffentlichen Raum, durch die Begleitmusik aus dem Radio während der Hausarbeit oder auch in Form des Ladenfunks beim Einkauf. Zum anderen ist für die Medienpsychologie unabdingbar, dass Medien die soziale Wirklichkeit spiegeln, und zwar durch • eine subjektiv geprägte Auswahl an Wirklichkeit, • so wie sie der Medienschaffende wahrnimmt und aufbereitet • und wie sie der Medienrezipient mit seiner Auswahlentscheidung nachfragt, inhaltlich interpretiert und entsprechend in Handlungen umsetzt. Entsprechend bestimmter konkreter Wirkungsweisen können medienpsychologische Erkenntnisse bestimmten Theoriegruppen zugeordnet werden (siehe den Überblick bei Krämer u. a., 2016): • traditionellen Ansätzen, die eine bestimmte Erwartung des Nutzers und die aus der Nutzung gezogene Befriedigung fokussieren, insbesondere der uses-andgratifications-Ansatz (geht auf Erwartungen und wahrgenommen Nutzen ein), der selective-exposure-Ansatz (Überlegungen zur gezielten Auswahl bestimmter Inhalte, die das eigene Weltbild stützen können), der mood-management-Ansatz (die Auswahl von Medien mit positiven Inhalten, um seine Gefühle in eine positive Richtung zu bringen) und das Sad-Film-Paradoxon (die Auswahl von Filmen, die traurige Inhalte thematisieren, um „wahre Gefühle“ zu erzeugen), • Modellen der sozial beeinflussten Auswahl (man nutzt Medien, die einem die Bezugsgruppe als besonders wünschenswert empfiehlt, um bildhaft gesprochen dazuzugehören und mitreden zu können), • kognitionsorientierten Ansätze, die die Aufmerksamkeitssteuerung thematisieren, mit der Zielrichtung, Inhalte besser zu vermitteln und Mediennutzer stärker an das jeweilige Medium zu binden), • verarbeitungsorientierten Ansätzen, die die Lernwirkung von Medieninhalten adressieren, z. B. die cognitive-load-Theorie, die cognitive-theory-of-multimedia-learning (verweist auf die Tatsache, dass der Einsatz verschiedener Medien die Lernwirkung verstärken kann), perzeptuelle Disfluency, • kompetenzbezogenen Ansätzen, z. B. dem Ansatz der Medienkompetenzen (in welcher Form können Mediennutzer die Wirkung von Medien beurteilen und die Auswahl von Medien sinnvoll steuern), repräsentationale Einsicht, narratives Verstehen, Falschverstehen, Hostile-Media-Effekt, moral disengagement, • medialer Präsentation: Framing und Präsenzerleben, • Ansätzen zur individuellen Verarbeitung, wie reduced social cues (wie wird mediale Kommunikation mit weniger oder ohne nonverbale Signale verarbeitet), impression management (wie verarbeiten Menschen die gewonnenen Eindrucke) usw.

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Eine Aufzählung aller Theorien kann mit Hinweis auf die entsprechenden Theorien hier unterbleiben. Sie bieten aber bei gezieltem Einsatz gute Ansatzpunkte und finden reichhaltige Verwendung, wie man z. B. in der Nr. 2/2019 der Fachzeitschrift „Media-Perspektiven“ ablesen kann (siehe zum Thema Mood Management: Engel, 2019, S. 73 ff.; zum Thema Echokammern: ARD-Forschungsdienst, 2019, S. 82 ff.). Letztendlich wird Wirklichkeit erst dadurch zur Wirklichkeit, dass die Themen der subjektiven Wirklichkeit in den Medien dargestellt werden, und erst durch die Wiederholung in den Medien bzw. durch die Bestätigung der eigenen Weltsicht in den relevanten Medien als tatsächlich und real entstehen. Diese Wirkungskette ist bestätigt damit nicht zuletzt die Überlegungen von Berger und Luckmann (1982), die von einer sozialen Konstruktion von Wirklichkeit ausgehen und damit auch erklären, warum einzelne Gruppen von Menschen ihre eigene Weltsicht entwickeln, bis hin zu Verschwörungstheorien (siehe ausführlicher z. B. Anton u. a., 2014). Die Medienpsychologie greift in den meisten Ansätzen zunächst den Grad der Vertrautheit auf, den Menschen bei einzelnen Medien besitzen. Dazu zählt die Sicherheit im technischen Umgang ebenso wie die Entschlüsselung der dargebotenen Inhalte und die Fähigkeit zur Reflektion des eigenen medienbezogenen Handelns, der so genannten Medienrezeption (siehe vertiefend z. B. Bilandzic u. a., 2016; Frey, 2017). Im Ergebnis entsteht ein bestimmtes Verarbeitungsresultat, das wiederum die weitere Mediennutzung und rezeption beeinflusst. Die Erarbeitung von Grundlagen für die Medienpädagogik ist damit eines von mehreren wichtigen Ergebnissen der Medienpsychologie, ebenso auch die Werbepsychologie. Zudem thematisiert die Medienpsychologie die Frage, in welcher Form es Vorlieben oder Abneigungen gibt. So wird erkennbar, dass Mediennutzer zum Beispiel in Fernsehsendungen oft vertraute Darstellungsformen bevorzugen. So zeigte Mously (2007; ergänzend Roschy, 2018), dass in Fernsehkrimis heimatnahe Handlungs- und Darstellungsorte deutlich präferiert werden, weil sich die Zuschauer damit besser identifizieren und auseinandersetzen können. Man kann es aber auch anders sehen: Der Zuschauer ist neugierig, welche Orte und Personen auftreten und ob eventuell bekannte Handlungsstränge aus seinem Umfeld medial widergespiegelt werden. Hier stellt also die reine Neugier ein wesentliches Faktum dar, was nicht zuletzt im Erfolg der so genannten „Heimatkrimi-Bücher“ (z. B. Eifel-Krimi, Allgäu-Krimi, Schwaben-Krimi) seinen Niederschlag findet. Analog können viele so genannte „Doku-Soaps“, also Fernsehsendungen, die auf unterhaltsame Art Alltagsprobleme bestimmter Personen- oder Berufsgruppen darstellen. Für ihre Nutzer können sie tendenziell als Vorbild und als Gesprächsgrundlage dienen, mit deren Hilfe Werte und Verhaltensweisen im Familienkreis diskutiert werden, wobei teilweise Elemente fiktional hinein geschrieben werden („scripted reality“) und mitunter auch Voyerismus bedient wird – der Ausdruck „Sozialporno“ (Netwerk Recherche, 2010) mag abwertend sein, erscheint aber durchaus zutreffend (siehe Gäbler, 2020), auch wenn die ausstrahlenden Sender hierin den Auftrag zur Aufklärung und Anteilnahme sehen (vgl. Beyer 2020).

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Anhand der Fernsehserie „Erwachsen auf Probe“ (im Juni 2009 im Sender RTL ausgestrahlt), wurden derartige Mechanismen näher analysiert. Der Fernsehsender selbst intendiert eine kritische Auseinandersetzung mit der Thematik „Schwangerschaften von Jugendlichen“ und will zum Nachdenken und verantwortungsbewussten Handeln anregen. Dazu gehen ausgewählte Jugendliche leihweise mit Babys um und sollen dabei lernen, was es bedeutet, als Vater oder Mutter schon in jungen Jahren Verantwortung zu übernehmen (Jungen, 2009). Diese Rolle, die Menschen mit sensiblen Themen ernsthaft und attraktiv zu beschäftigen, können Medien nach eigener Anschauung auch deshalb gut einnehmen, weil sie in der Öffentlichkeit eine hohe Glaubwürdigkeit besitzen. Die Kritiker ihrerseits sehen hier verantwortungsloses Handeln am Werk (Jungen, 2009). Die Medienpsychologie überprüft aber auch, in welcher Form Medieninhalte und der Umgang mit Medien zu besonders wünschenswerten oder auch zu besonders gefährlichen und / oder schädlichen Einstellungen und Handlungsweisen zu führen vermag. Gängige Fragen sind z. B. der Nutzen von Leseförderung – hier ist ein hoher Nutzen für den Umgang mit Medien aller Art in späteren Lebensjahren erkennbar (vgl. beispielhaft Stiftung Lesen, 2015) – oder auch der schädliche Einfluss von gewaltträchtigen Videospielen oder Fernsehsendungen (siehe hierzu BMFSFJ, 2010, S. 3 ff.; ergänzend o. V., 2008). Bei letzterem werden seit längerem negative Auswirkungen auf den Nutzer vermutet, da die Hemmschwelle beim Einsatz von Gewalt und Waffen deutlich abgesenkt werden soll. Der Konsum von Killerspielen als Beispiel dient in dieser Lesart als mentales Training für einen späteren Einsatz von Gewalt und Waffen. Insbesondere im Zusammenhang mit einem geringeren Bildungsstand und anderer ungünstiger Faktoren sieht eine Forschungsgruppe um den Kriminologen Christian Pfeiffer (2008) ungünstige Einflüsse durch den Konsum gewalttätiger Medieninhalte. Verkürzt gesagt: Durch die mediale Darstellung von Gewalt wird Gewalt einerseits als taugliches Mittel zur Konfliktbearbeitung eingeführt, andererseits die Hemmschwelle deutlich herab gesetzt. Im Ergebnis tendieren derartige Jugendliche dazu, relativ schnell eine gewalttätige Auseinandersetzung zu suchen. Andererseits gibt es Erkenntnisse, die auch das Gegenteil unterstützen, also die Überlegung, dass die Nutzung solcher Spiele hilft, mit Aggressionen in kontrollierten Bahnen umzugehen (siehe z. B. von Au, 2015). Daraus leiten sich einige Fragen ab: • Wie hoch ist der Einfluss der einzelnen Faktoren? • Wie stark wirkt sich Konkurrenz durch andere Medien aus, und was sind „konkurrierende Medien“ (nur in der eigenen Gattung, oder auch andere Mediengattungen?)? • Wie stark ist der Einfluss des sozialen Umfeldes wirklich, hinsichtlich der Auswahl von Medien und Medieninhalten sowie der Verarbeitung der dargebotenen Inhalte?

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• Wie wirken die dargestellten Inhalte auf Handlungsdispositionen der konsumierenden Person? Führen z. B. Gewaltdarstellungen zur Akzeptanz von Gewalt in Auseinandersetzungen oder gar zu einem aktiven Einsatz von Gewalt in vergleichbaren Situationen? In einer vereinfachten Darstellung können diese Überlegungen zu einem Nutzungsmodell zusammengeführt werden: Stimulus Medienangebot A - Medienform - Medieninhalt - Zustellung - Erwartete Beiträge

Stimulus’ Medienangebot K - Medienform - Medieninhalt - Zustellung - Erwartete Beiträge

Organismus Mediennutzer: - Bildungsniveau - Werte und Ansichten - Allgemeine Interessen - Erwartungen an das Medium - Bisherige Erfahrungen mit dem Medium - Evaluierung Kosten -Nutzen - Evaluation anderer Medien

Response Mediennutzung: - Selektive Nutzung - Wiederholte Nutzung - Bewertung - (selektive) Übernahme der Darstellung - Dialog mit den Medienmachern - Weiterempfehlung - Suche nach anderen Medien - …

Soziale Bezugsgruppen des Mediennutzers: - Familie - Freunde - Kollegen - Berufliche Anforderungen - … Quelle: eigene Erstellung

Abb. 5-1: Mediennutzung und Medienbeurteilung als S-O-R-Modell

Ein derartiges S-O-R-Modell (Stimulus-Organismus-Response) war insbesondere in der Werbelehre lange Zeit weit verbreitet und diente dazu, den Verarbeitungsprozess von Werbeimpulsen wie auch von Medienimpulsen im allgemeinen nachvollziehen zu können. Im Gegensatz zu dem Stimulus-Response-Modell nach Skinner (1978) konnte es aufzeigen, was in einem Menschen bei der Wahrnehmung von Impulsen vermutlich passiert (vgl. Bonfadelli, 2004, S. 30 ff.). Durch sozialwissenschaftliche Studien können dabei die konkreten Einflussgrößen in gewisser Form bestimmt werden. Andererseits muss man aber auch sehen, dass sich diese Einflussgrößen nur bis zu einem bestimmten Grad aufhellen lassen und die konkrete Wechselwirkung immer auch ein Stück weit ungeklärt bleiben wird. Zugegebenermaßen sind diese Modelle inzwischen zugunsten von Totalmodellen und

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anderen Ansätzen (siehe hierzu Kroeber-Riel und Gröppel-Klein, 2017, passim) zurückgedrängt worden. Jedoch bietet die Struktur der S-O-R-Modelle nach wie vor einen sehr guten Einblick in die Art und Weise, wie Medieninhalte sich in die Verarbeitungsprozesse eines Menschen einbringen und bestimmte Handlungen auszulösen vermögen. Und nicht zuletzt waren S-O-R-Modelle auch die ersten Ansätze, die eine Einwirkung von sozialen Bezugsprozessen auflisteten, eine nach wie vor in der Mediennutzung nicht unerheblicher Einflussfaktor.

5.1.2 Die Mediengestaltung auf Basis medienpsychologischer Erkenntnisse Das Wissen um menschliche Verhaltensweisen in der Mediennutzung und im Medieneinsatz ermöglicht die bewusste Gestaltung von Medien und Medieninhalten. So können aufgrund einigerer Studien zur Mediennutzung Zeitungsseiten „lesefordernd“ gestaltet werden, durch die Verwendung von Informationsgrafiken oder auch die bewusste Anordnung von Beiträgen auf den Zeitungsseiten in einer bestimmten Reihenfolge. Das Instrument „ReaderScan“ wird eingesetzt, um die Nutzung von Artikeln nachzuvollziehen (Niggermeier, 2006; weiterführend Feuß, 2013, S. 68 f.) und dabei folgende Fragen zu beantworten: – Welche Teile eines Artikels werden genutzt? – Wann bricht die Lektüre ab? Die alleinige Verwendung des Instruments wird zwar interessante Aufschlüsse bieten, die im Zusammenhang mit bestimmten Themen oder Formulierungen hinterfragt werden können. Allerdings wird sich die optimale Wirksamkeit des Instruments erst dann entfalten, wenn die Probanden auch hinsichtlich ihrer Erwägungen zur Nutzung oder zum Nutzungsabbruch befragt werden. Die Zeitungsredaktionen erhalten so Hinweise zur Gestaltung des optimalen Umfangs von Beiträgen. Außerdem kann anhand des Abbrechverhaltens überlegt werden, ob dafür bestimmte, nicht gewünschte Informationen oder nicht verständliche Ausdrücke verantwortlich sind. Analog stellt sich die Anwendung im Beispiel Internet dar. Durch die Berücksichtigung medienpsychologischer Erkenntnisse kann die Screen-Gestaltung besonders einladend gestaltet werden, z. B. durch eine als übersichtlich wahrgenommene Screen-Gestaltung. Speziell zur medienpsychologischen Beurteilung des Internets hält Bonfadelli (2004, S. 203–206) verschiedene prägende Faktoren fest, die auch aus heutiger Sicht aktuell sind und eine vertiefte Beschäftigung mit medienpsychologischen Gegebenheiten erfordern. Dies sei anhand von sieben Überlegungen näher diskutiert. Erstens entsteht durch die Interaktivität kein linearer Informationsfluss mehr wie bei den klassischen Massenmedien Presse oder Rundfunk, sondern wechsel-

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seitiger Informationsaustausch. Der Nutzer kann entscheiden, ob er nur konsumiert oder auch mitgestaltet. Anbieter entsprechender Inhalte müssen folglich überlegen, in welcher Form sie Interaktivität zulassen können oder wollen. Interessanterweise sorgt dies dafür, dass insbesondere extremere Positionen häufiger geäußert werden (siehe z. B. Ziegele, 2016, S. 17, 430 ff.) und es schnell auch zu „Hate Speech“ kommen kann, dem Sammelbegriff für beleidigende, aufhetzende und abwertende Äußerungen (siehe z. B. BMBF, 2019; LMZ BW, o. D.). Zweitens wird der Nutzer durch die Eigenaktivität, in Form von Informationssuche und Navigation, stärker gefordert als z. B. bei Fernsehnutzung. Der Nutzer wählt nicht einfach mehr zwischen verschiedenen Programmen oder Artikeln aus, sondern konfiguriert sich sein eigenes Informations- und Unterhaltungsangebot. Dieses höhere Maß an Eigenverantwortung will konsequent genutzt werden. Eine besonders einladende Gestaltung und eine kluge Vernetzung, über Linksetzung bis hin zu Formen des „Viral Marketings“ oder „Empfehlungsmarketings“, sind hierzu ein unbedingtes Muss. Andererseits muss man auch davon ausgehen, dass Nutzer – im Sinne der medienpsychologischen Theorie des „selective exposure“ – sich nur Medien zuwendet, die die eigene Weltsicht bestärken. Obendrein kommt ein gewisses Beharrungsvermögen in der Mediennutzung – was man erst einmal als sinnvolles Medienangebot kennengelernt hat, wird man ohne Not nicht mehr wechseln, da der Wechsel mit zu hohem mentalen Aufwand für Suche und Umgewöhnung verbunden ist. Von daher dürfte gerade die Vielfalt des Online-Angebots eher zu einer „user confusion“ führen und zu einem standardisierten Mediennutzungsverhalten führen. Die horizontale Kommunikation erlaubt drittens jedem Nutzer, selbst Sender von Informationen zu werden. Dies kann durch den Eintrag in Kontaktfor­ mulare, die Gestaltung eigener Homepages oder auch das Einstellen von Inhalten in Wikis, Weblogs oder Videoportalen erfolgen. Eine Ergänzung aus Sicht des Autors: Dies gilt selbstredend auch für alle Formen von Social Networks, die ein Nutzer mit Informationen zu seiner Person, Kommentaren etc. bedient. Man stellt bei Durchsicht der einschlägigen Websites und Social Communities schnell fest, dass Nutzer sehr freizügig mit Informationen über sich sind oder auch Fotos und Videofilme einstellen, aber relativ ungern ausführlichere Meinungsbeiträge erstellen. Viertens: Die Grenzaufhebung zwischen Privatem und Öffentlichem, in Form von eigenen Beiträgen in Chats und durch eigene Homepages oder Webcams, bringt das Private in den öffentlichen Raum, in einem bisher noch nicht gekannten Maße. Informationen zu einzelnen Personen können mit wenigen Clicks weltweit zur Verfügung gestellt werden und zeitlich nahezu unbegrenzt zur Verfügung gestellt werden. Die Kehrseite, die z. B. bei Personaleinstellungen immer öfter zum Tragen kommt: So genannte „Jugendstreiche“ und ähnliche Verhaltensweisen blei­ben im virtuellen Gedächtnis haften und können auch noch nach vielen Jahren Einfluss gewinnen – das Internet „vergisst niemals“.

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Fünftens: Die Kommunikation im Internet selbst ist global möglich, soweit das entsprechende technische Gerät verfügbar ist, und somit in räumlicher Sicht nahe­zu unbegrenzt. Die Nutzer müssen sich nur in einer dem jeweiligen Gegenüber verständlichen Sprache bewegen. Die Multimedialität, als Verbindung von Text, Bild und Ton, ermöglicht sechstens eine ganzheitliche Ansprache mehrerer Sinne. Inhalte können damit deutlich leichter aufgenommen werden. Siebentens und abschließend ermöglicht das Internet eine Form von Unmittelbarkeit. Die Übertragbarkeit von Inhalten in Beinahe-Echtzeit ermöglicht einen sofortigen und unverzögerten Zugriff auf Informationen und Unterhaltungsinhalten. Neuigkeiten können sich rasend schnell verbreiten, womit oft auch die Zeit zur Überprüfung verkürzt wird, wenn nicht sogar entfällt. Es erscheint wünschenswert, dass bei der Einführung in den Umgang mit dem Medium Internet auch Aspekte zum Tragen kommen wie z. B. eine sorgfältige Überlegung, was man wem und warum weiter leitet, um so einerseits die Menge der durchgeleiteten Inhalte auf ein sinnvolles Maß zu beschränken, andererseits auch eine Art Qualitäts­prüfung hinsichtlich der Stichhaltigkeit zu erreichen. Diese Eigenarten erklären die schnelle Verbreitung des Mediums Internet, denn sie bieten den Nutzern auf den ersten Blick eine große Menge an Vorteilen. Die Eigenarten erfordern aber auch eine umfassende Beschäftigung mit den technischen Möglichkeiten des Internets. Dies erstreckt sich nicht alleine auf die Vertrautheit mit der entsprechenden Hard- und Software. Auch der bewusste Umgang in Form eines verantwortungsbewussten Einstellens von Informationen will gelernt und reflektiert werden.

5.1.3 Die aktive Nutzung der Medien Ein weiterer wichtiger Aspekt medienpsychologischer Forschungsarbeit – und im Hinblick auf die bereits beschriebenen Eigenarten des Mediums Internet auch besonders naheliegend – stellt sich in der Frage, wie und unter welchen Bedingungen Menschen bereit sind, Medien aktiv zu nutzen im Sinne einer inhaltlichen Mitgestaltung. Wann stellen sie Beiträge ein? Nach welchen Gesichtspunkten gestalten sie ihre Beiträge? Wie kommen sie zur Wahl des Themas und der Darstellungsperspektive? Dazu können Gesichtspunkte wie der Wunsch nach Kommunikation oder die Freude an öffentlicher Darstellung ebenso zählen wie das Vorhaben, mittels der dargelegten Informationen die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen. Aber auch verborgene Wünsche können mit hinein spielen, wie z. B. der Wunsch nach dem Ausleben einer zweiten Persönlichkeit, wie sie insbesondere im Angebot „Second Life“ (mit dem Höhepunkt in den Jahren 2007/2008) einen Ausdruck fanden. Die zahllos eingestellten Beiträge in Videoportalen wie Youtube.com oder Bildportalen wie Flickr zählen genauso dazu wie die ebenso zahlreichen Inter-

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net-Tagebücher (Weblogs oder Blogs) oder auch die bereits vor zwanzig Jahren angebotenen Bürgerkanäle im Rundfunk und Kabelfernsehen. Basis hierzu sind die nachfolgenden vier Überlegungen. Erstens sind Medien stets auch als Demonstration der Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu sehen, was im Abschnitt zur Mediensoziologie nochmals aufgegriffen wird. Nicht allein der demonstrative Konsum bestimmter Medien als intellektueller und / oder politisch in einer bestimmten Form ausgerichteter Stellungnahme ist hier anzuführen. Man denke pars pro toto an die FAZ-Werbung „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“. Auch die Tatsache, dass bestimmte soziale Netzwerke im Internet oder auch der aktive Gebrauch bestimmter Internet-Angebote ein Ausweis besonderer Innovationsfreude ist, muss hier erwähnt werden. Man denke insbesondere an Social Communities wie XING, LinkedIn oder experteer im Bereich professioneller Netzwerke, an Kollaborations-Tools wie Slack und Asana für Projektarbeiten, WhatsApp für die allgemeine Kommunikation mit kurzen Nachrichten Zoom.us für die Kommunikation via Bild-Telefonie und dergleichen mehr. Das Tool Instagram hat inzwischen Facebook als bevorzugtes Mittel privater Information abgelöst (vgl. o. V., 2019), wenngleich es aus dem gleichen Konzern kommt. Zweitens werden die Medien als Gestaltungsmittel des Alltags angesehen. Dies kann von der Suche nach Gleichgesinnten reichen über eigene Internet-Blogs bis hin zur politischen Mitwirkung und Mitgestaltung (z. B. beim Bürgerfunk /  Bürgerfernsehen: „Offener Kanal“) reichen. Gegenüber den Nutzern dieser Angebote zeigt der Gestalter, dass er seinen Alltag, seine Erfahrungen als so evident ansieht, dass andere daran teilhaben sollen. Ein Nebeneffekt: Große Teile der Privatheit werden damit öffentlich, wobei in einigen Fällen durchaus ein begreifbares Interesse dahinter steckt. Ausgangspunkt hierfür war die Erfahrung, die Ashton Kutcher, der Ex-Ehemann der Schauspielerin Demi Moore, beider Privatleben in den 00er-Jahren öffentlich im Internet darstellte und damit für die so genannten „Paparazzi“ uninteressant wurden (vgl. o. V., 2016), zumindest bis zu ihrer Trennung. Drittens kann es sich darum handeln, sich und anderen zu zeigen, dass man die technischen Gegebenheiten des jeweiligen Mediums beherrscht, z. B. die journalistische Darstellungsform, die jeweilige Medientechnik (Aufnahme- und Sendetechnik bei Rundfunk- und AV-Medien, Programmierfähigkeiten bei Online-­Medien) oder auch gestalterische Aspekte. Gerade im Hinblick auf Online-Medien ergeben sich daraus Besonderheiten, denn sie erlauben mit einem relativ geringen Aufwand (Personal Computer, Internet-Anschluss) eine relativ hohe potenzielle Breitenwirkung. Zudem bietet die große Bandbreite an Diensten (z. B. E-Mail, Chatten, Social Communities) auch die Möglichkeit, entsprechend der eigenen inhaltlichen Anliegen und Ressourcen tätig zu werden. Letztendlich entwickelten sich hier in den letzten 15 Jahren neue Formen der Kommunikation, die Vorteile der Massenmedien (große Reichweite mit geringem Aufwand) mit der Möglichkeit der individuellen Gestaltung vereinen.

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Derartige Gesichtspunkte strahlen auch auf andere Wissenschaftsbereiche aus. So fließen medienpsychologische Erkenntnisse in die Medienpädagogik ein, u.a mit Hinweisen zu den am besten geeigneten Medien und Medienanordnungen für bestimmte Lernaufgaben. Im soziologischen Bereich können Auswirkungen auf die Entwicklung einer Gesellschaft oder zumindest bestimmter gesellschaftlicher Gruppen besser hinterfragt werden. Schließlich können Medien auch als psychologisches Hilfsmittel begriffen werden, z. B. zur Bewältigung von psychologischen Störungen. Wer einen nahen Verwandten oder Freund verloren hat, wird vielleicht mit Hilfe von Online-Medien seine Anliegen und Gefühle einer breiteren Masse mitteilen und gleichermaßen Betroffene finden können. Dieser Ansatz ist übrigens nicht neu. Fast jeder Gymnasiast wurde in Klasse 9, 10 oder vielleicht auch erst 11 mit den „Leiden des jungen Werthers“ konfrontiert. Dass Johann Wolfgang Goethe damit seinen Liebeskummer abarbeiten konnte und zugleich den Grundstein für seine schriftstellerische Karriere legte, war sicher eine glückliche Fügung. Dass sich wohl einige Leser dieser Novelle ebenfalls zum Suizid verleiten ließen, stellt sich als eine weniger schöne Folge dar – modern ausgedrückt mag man darin einen medienpsychologischen Kollateralschaden erkennen, der Grenzen im Nutzwert einer derart publikumswirksamen Abarbeitung aufzeigt. Halten wir fest: • Medien besitzen Auswirkungen auf den Nutzer. • Die Auswirkungen werden mithilfe psychologischer Ansätze erfasst und ausgewertet. • Die Erkenntnisse der Medienpsychologie lassen sich vielfältig einsetzen, von Anregungen zur besseren Gestaltung des Inhalts oder der technischen Anwendbarkeit bis hin zu pädagogisch sinnvolleren Gestaltung. • Eine konkrete Bestimmung bestimmter schädlicher Zusammenhänge von Inhalten und Verhaltensweisen wird in der Literatur und Forschung diskutiert, kann aber noch nicht vollständig abgesichert bestätigt werden.

5.2 Die gesellschaftliche Rolle der Medien – eine mediensoziologische Sicht Die Mediensoziologie beschäftigt sich mit der Bedeutung, die Medien für die Gesellschaft besitzen und welchen Einfluss Medien und Gesellschaft wechselseitig aufeinander ausüben (siehe auch Hoffmann und Winter, 2018, S. 9–12; Jäckel und Grund, 2005, S. 15 ff.; Ziemann, 2006, S. 8 ff.).

5.2 Die gesellschaftliche Rolle der Medien 

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5.2.1 Medien als gesellschaftliches Subsystem In der Luhmann’schen Systemtheorie (drs., 1984) ist die Welt ein System, das aus lauter Subsystemen besteht. Jedes Subsystem kann wiederum als System betrachtet werden. Systeme sind durch ein Zusammenwirken der Systemmitglieder gekennzeichnet, um eine bestimmten Zweck zu erfüllen, z. B. das Zusammenleben von Bürgern zu organisieren (Staat mit den Subsystemen der Behörden), die Produktion von Waren (Unternehmen mit den Subsystemen bestimmter Werke oder Abteilungen) oder auch der Erstellung von Medienbeiträgen (z. B. ein Rundfunksender mit den Subsystemen der verschiedenen Redaktionen und Landesstudios). Das Zusammenwirken verändert sich entsprechend den Anforderungen im System wie auch aus anderen Systemen heraus. Wenn z. B. die Politik Einfluss nimmt auf öffentlich-rechtliche Sendeanstalten, wird es in den Sendeanstalten zu Anpassungen an diese Erwartungen oder auch zu Widerstand kommen, u. a. abhängig von der eigenen Stellung im Gesamtsystem und den Einflüssen anderer Systemteile (z. B. der Judi­kative als Kontrollinstanz oder der Öffentlichkeit durch Parteinahme für eine Seite). Die Dynamik in den Abläufen bewirkt also automatisch eine Veränderung in Strukturen und Verhaltensweisen in einem System. Unter Beachtung dieser Grundlagen der Systemtheorie kann man das Mediensystem als ein Subsystem der jeweils umgebenden Gesellschaft wie auch als System in sich betrachten. Das Subsystem der Medien bietet der Gesellschaft fünf verschiedene Funktionen an: • Dokumentation und Wissensspeicherung: Einmal medial aufgenommene Inhalte können von den Menschen und auch von den nachfolgenden Generationen wieder abgespielt und damit genutzt werden, vorausgesetzt, sie verfügen über die Möglichkeit, die gespeicherten Inhalte abzurufen in Form von Entzifferung der verwendeten Schrift, technischer Abspielbarkeit der Speichermedien etc., • Bildung im weitesten Sinne: durch die Nutzung der Inhalte können die Nutzer ihren eigenen Wissenshorizont erweitern und das Wissen in den beruflichen oder privaten Alltag einbringen, in Form von zusätzlichen Kenntnissen oder auch nur in Form von ergänzenden Informationen bei Entscheidungen (bspw. die Expertensysteme bei ärztlichen Behandlungen oder dem Nachprüfen von statischen Berechnungen im Bauwesen), • Entspannung und Unterhaltung, durch das Angebot einer Ablenkung vom ­Alltag, • Vergewisserung über die Realität und die eigenen Handlungsmöglichkeiten, da durch die medial dargebotenen Inhalte verschiedene Handlungsmöglichkeiten dargestellt werden und oftmals auch durch die Medienschaffenden bereits eine besonders wünschenswerte Handlungsweise offeriert bzw. eine besonders verwerfliche Handlungsweise einer negativen Sanktion unterworfen wird,

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5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

• Koordination der Gesellschaft, da über die Medieninhalte Verhaltensweisen hinsichtlich ihrer Eignung und ihrer moralischen Billigung geprüft und bestätigt oder auch verworfen oder zumindest verändert werden. Für ein Subsystem ist es von lebenswichtiger Bedeutung, die von der Gesellschaft gewünschten Funktionen zu erfüllen. Wenn ein anderes Subsystem in der Lage ist, die gewünschten Funktionen besser oder kostengünstiger zu erfüllen, werden die Mitglieder des übergeordneten Systems über kurz oder lang zum anderen Subsystem wechseln. Klassische Fernsehsender erfahren dies derzeit über die Konkurrenz von privat organisierten Streaming-Diensten wie Netflix, Amazon Prime oder Spotify. Letztere bieten eine Nutzung entsprechend der täglichen Bedürfnisse, unabhängig von festen Sendeschemata, oder auch Themen, die ein jüngeres Zielpublikum ansprechen im Vergleich zu klassischen Rundfunksendern. Von daher ist es für ein Subsystem allgemein, für das Subsystem Medien im speziellen eminent wichtig, die Leistungsanforderungen des gesellschaftlichen Systems mit den eigenen Leistungsangeboten zu vergleichen und gegebenenfalls umzusteuern. Neben dem bereits benannten Vergleich zwischen etablierten Rundfunkanstalten und neu aufkommenden Streaming-Diensten hat man dies bereits vor einigen Jahren im Bereich der Zeitungen und Zeitschriften gesehen. Statt umfangreicherer Pakete, die zudem einen relativ großen Transportaufwand mit sich bringen, können digitale Zeitungen und Zeitschriften schneller und vor allem individuell konfiguriert (man denke an die Tools Flipboard oder Blinklist) bereit gestellt werden und entheben den Nutzer auch von der Notwendigkeit, umfangreichere Medien zu lagern oder im Altpapier zu entsorgen. Möglichkeiten zur Kontrolle des eigenen Leistungsgrades bieten sich in den vielfältigen Formen der Sozial- und Marktforschung (siehe Abschnitt 4.5.) und in einem personellen Austausch zwischen dem Subsystem der Medien, der umgebenden Gesellschaft und anderen Subsystemen wie z. B. der Politik oder der Wirtschaft. Durch die Aufnahme von Mitarbeitern aus anderen Subsystemen oder auch das Abgeben von Mitarbeitern an andere Subsysteme wie auch durch regelmäßige Kontaktgespräche über neue Möglichkeiten der Berichterstattung. Schließlich sind auch die Ressourcen zu bedenken, die den Medien aus anderen Subsystemen zur Verfügung gestellt werden, insbesondere in Form von Geldmitteln und Sachmitteln. Ein verstärktes Investieren kann förderlich wirken, ein Abziehen von Ressourcen hingegen stellt das deutliche Signal dar, dass die Gesellschaft mit der Leistung des jeweiligen Subsystems nicht mehr zufrieden ist. Schließlich sein ein letzter Aspekt betrachtet. Wenn die Gesellschaft mit den Medien ein Subsystem zugelassen hat, das bestimmte Funktionen zu erfüllen hat, dann muss das Subsystem Medien bei seiner Etablierung der Gesellschaft auch be­stimmte Vorzüge geboten haben, die anderweitig nicht gegeben waren. Die vorher­gehend genannten Funktionen sprechen dafür, dass die Medien diesen Erwartungen bisher gerecht zu werden vermochten.

5.2 Die gesellschaftliche Rolle der Medien 

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5.2.2 Medien als gesellschaftliches Phänomen Die Bezeichnung Mediengesellschaft rekurriert auf die Tatsache, dass ein Großteil der aufgenommenen Informationen für die Gesellschaftsmitglieder nicht mehr aus eigenem Erleben stammen, sondern aus Inhalten, die Massenmedien präsentieren. An Stelle eigener Reisen treten Reisereportagen, Verbraucherentscheidungen werden auf der Basis von Ratgeberbeiträgen in Rundfunk und Presse getätigt usw. Auch die Bewältigung persönlicher Lebenssituationen aller Art wird an den Modellen ausgerichtet, die entsprechende Medien bereithalten. Insbesondere Daily Soaps können als Projektsfläche eine hohe Bedeutung gewinnen (siehe u. a. Göttlich u. a., 2001; Götz, 2002; Koch, 2010, S. 68 ff.). Dabei können einige Medien besondere Bedeutung gewinnen, was man zum einen an der gesellschaftlichen Mediennutzung in toto ablesen kann (siehe die Abbildung 5-2 im nachfolgenden Abschnitt 5.2.3.). Geht man vom Postulat der Mediengesellschaft aus, stellen Medien den zentralen Ankerpunkt der Gesellschaft dar. Gesellschaftliches Leben findet in den Medien statt, gesellschaftlicher Diskurs wird zentral über den Diskurs in den Medien gestaltet. Medien sind in dieser Sichtweise das Abbild der Gesellschaft. Was in den Medien stattfindet, hat in der Gesellschaft stattgefunden. Je prominenter die Darstellung, je häufiger die Thematisierung, desto bedeutsamer muss die Thematik für die Gesellschaft sein. Und vice versa: Was in den Medien nicht behandelt wird, kann folglich kaum stattgefunden haben, zumindest kann es nur im engsten Umfeld der Betroffenen tatsächlich stattgefunden haben. Dies ist im Übrigen nicht allein dem Themeninteresse der Medienschaffenden geschuldet. Auch die Nachfragerwünsche spielen hier mit, denn nur jene Medienangebote treffen auf Resonanz, die den Themenwünschen des Publikums entsprechen (siehe auch Ziemann, 2006, S. 60 ff.). Werden die Themenwünsche inhaltlich oder in der Darbietungsform verfehlt, ziehen die Mediennutzer ihre Ressourcen Zeit und Kaufpreis relativ schnell ab und das Medienangebot katapultiert sich aus dem Medienmarkt. Aktuelle Untersuchungen gehen inzwischen davon aus, dass die starke Mediennutzung zu einer Verlagerung der individuellen Erfahrungen führt. Konnten die Menschen früher den Großteil ihrer Lebenserfahrung direkt aus ihrem eigenen Lebenskontext entnehmen, wird nunmehr sehr viel Lebenserfahrung aus den Medien entnommen, stellt sozusagen „Lebenserfahrung aus zweiter Hand“ dar. Wertebilder, Einstellungen und Planungen zur zukünftigen Lebensführung rekurrieren damit immer stärker auf die Medieninhalte und die dort vorgeschlagenen Handlungsmuster und Wertestrukturen. Dies muss per se nicht negativ sein, wenn die dargebotenen Inhalte mit großem Verantwortungsbewusstsein gestaltet wurden und der Medienkonsument in der Lage ist, die dargebotenen Inhalte für sich kritisch zu reflektieren, insbesondere einen Vergleich zwischen konkurrierenden Medieninhalten und am besten auch Inhalten aus seinem eigenen, direkten Erleben zu ziehen. Problematisch kann es aber dann werden, wenn Medieninhalte bewusst beeinflussen sollen und die Beeinflussung zum Schaden des Rezipienten

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5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

gereicht. Was dem Rezipienten schadet, darüber dürften wiederum äußerst divergente Auffassungen bestehen. Ist es zum Beispiel sinnvoll, über Fernsehsendungen einen bestimmten Umgang mit Alkohol zu propagieren, oder hinterlässt dies beim Zuschauer nicht am Ende das Gefühl, bevormundet zu werden? Darf man Medienkonsumenten in ihren Nutzungsgewohnheiten dahin gehend beeinflussen, dass man ihnen Medieninhalte vorenthält, die als besonders gewaltfördernd oder anderweitig verwerflich angesehen werden? Ist es hilfreich, bestimmte politische Einstellungen medial zu verbreiten wie z. B. die Befürwortung einer Staatsform oder die Ablehnung einer als radikal empfundenen Meinung? Eine Nebenbemerkung aus persönlicher Sicht: Der Autor selbst hält es durchaus für wünschenswert und berechtigt, Werte wie den demokratischen Pluralismus, die individuellen Menschenrechte und dergleichen mehr in den Medien positiv besetzt zu thematisieren. Dies ist nicht nur reiner Selbstzweck der Medien (denn eine pluralistische Gesellschaft benötigt auch eine vielfältigere Medienlandschaft als Ausdruck und Transportvehikel des Pluralismus), sondern auch die vornehmste Aufgabe der Medien. Ein besonders eindrückliches Beispiel stellt das Thema AIDS dar. Die Immunschwäche wurde in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts aufgedeckt. Die Gesellschaft reagierte darauf mit großer Zurückhaltung, Betroffene fühlten sich schnell stigmatisiert. Als der Drehbuchautor Hans W. Blickensdörfer in der Serie „Lindenstraße“ einen AIDS-Kranken auftreten ließ, änderte sich das öffentliche Meinungsbild deutlich. Die Bevölkerung war nunmehr stärker bereit, die menschliche Dimension einer AIDS-Erkrankung zu erkennen und Betroffenen gegenüber aufgeschlossener aufzutreten (siehe auch Janovsky, 2014). Ebenso konnte durch Fernsehspots und weitere Kommunikationsmaßnahmen, von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verantwortet, ein höheres Bewusstsein für Vorbeugungsmaßnahmen geschaffen werden. Es ist allerdings auch bedenklich, derartige Inhalte rein schematisch und monologisch zu verbreiten. Vielmehr legen gerade die Gedanken der freiheitlich-demokratischen Grundordnung es nahe, die Meinungen und Lebenserfahrungen der Betroffenen in die Meinungsbildung zu integrieren. Eine pluralistisch verfasste Gesellschaft, die sich freiheitlich versteht und entsprechend miteinander um den am besten geeigneten Weg in die Zukunft ringt, muss die Möglichkeit des Diskurses und der breitgefächerten Meinungsbildung eingeräumt bekommen. Die „neuen Medien“, also die online-gestützten Medien bringen hierbei eine neue Form des individuellen Meinungsbildungsprozesses und seine Rückwirkungen auf die gesellschaftlich diskutierte Meinung ein. Gerade am Beispiel der zu Jahresanfang 2009 geplanten Regelung zur Kinderpornografie im Internet ist dies sehr gut ablesbar. Die deutsche Bundesregierung setzte unter Federführung der Bundesministerin für Familien, Senioren, Frauen und Jugend zu einer gesetzlich reglementierten Sperre von kinderpornografischen Angeboten an. Im Internet entstand eine Bewegung für Informationsfreiheit, die sich einerseits sehr strikt gegen Kinderpornografie aussprach, andererseits die gesetzgeberischen Vorschläge als Zensur empfand und zu einer Veränderung des Gesetzesvorhabens drängte (siehe hierzu stellvertretend

5.2 Die gesellschaftliche Rolle der Medien 

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die Diskussion in der Wochenzeitung „Die Zeit“: Soboczynski, 2009; von Randow, 2009; Wefing, 2009). In diese Diskussion schalteten sich sogar verschiedene namhafte Wissenschaftler mit einem „Heidelberger Appell“ ein, weil sie die Kunst- und Publikationsfreiheit in toto bedroht sahen (vgl. Drösser, 2009).

5.2.3 Die Mediennutzung in der Gesellschaft Aus verschiedenen Studien sind Rahmendaten der Mediennutzung bekannt. Dabei können neben originär mediensoziologischen Ansätzen auch jene zur Mediennutzung allgemein herangezogen werden, die in anderen Zusammenhängen ebenso verwendet werden. Zu nennen sind insbesondere: • die Allensbacher Werbeträger-Analyse (AWA) und die bis 2016 angebotene Allensbacher Computer und Telekommunikationsanalyse (ACTA), • das Pendant Media-Analyse (MA) der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse, einem Zusammenschluss verschiedener führender Marktforschungsinstitute, • die Arbeit der Medienforschung der ARD-Anstalten, in der Zeitschrift „MediaPerspektiven“ regelmäßig einem breiteren Publikumskreis bereit gestellt, • für den Digitalbereich die zweijährlich veröffentlichten BTIKOM-Studien, • diverse Studien von Medienunternehmen. Aktuelle Untersuchungen verweisen auf eine hohe Mediennutzungsdauer in der Gesellschaft. So nutzt die deutsche Wohnbevölkerung im Schnitt bis zu knapp acht Stunden täglich diverse Medienangebote, wobei sich in den letzten Jahren deutliche Verschiebungen abzeichnen, wie sie in Abbildung 5-2 aufgelistet sind. Der guten Ordnung halber: für Österreich (siehe Mindshare 2018) und für die Schweiz (siehe Bundesamt für Statistik, 2019; Angaben dort allerdings ohne Online!) werden ähnliche, teilweise sogar noch höhere Werte berichtet. Die für Südtirol erhältlichen Daten lassen hierzu keine Aussagen zu (vgl. Landesbeirat für das Kommunikationswesen, 2019). Bei diesen Durchschnittswerten handelt es sich um eine Berechnung über die gesamte Mediennutzungszeit der gesamten deutschen Wohnbevölkerung. Man erkennt hierbei eine deutliche Verschiebung, die nach Zielgruppen aufgeteilt noch deutlicher ausfallen würde. Zum einen fällt die nachlassende Bedeutung von Printmedien allgemein auf. Zum anderen fällt neben der starken Online-Nutzung auch eine Verschiebung beim AV-Medienkonsum auf, der insbesondere bei den jüngeren Zielgruppen sich von klassischen Fernseh- und Videoangeboten ab- und online-gestützten Streaming-Angeboten zuwendet. Darüber hinaus erkennt man eine nach soziodemografischen Kriterien (i. e. Alter, Geschlecht, Bildungsstand und Haushaltseinkommen) geschichtete Mediennutzung, die die ARD-ZDF-Medienforschung (2015, S. 3 ff.) zu einer Mediennutzertypologie kondensierte:

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5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

Mediengattung

Nutzung 2000

Nutzung 2007

Nutzung 2019

Fernsehen (ab 2019: Video gesamt)

187 Minuten

189 Minuten

211 Minuten

Radio (ab 2019: Audio gesamt)

209 Minuten

178 Minuten

189 Minuten

Zeitungen / Zeit­ schriften zusammen*)

44 Minuten

36 Minuten

Print gesamt:

Buch*)

20 Minuten

18 Minuten

54 Minuten

Internet

13 Minuten

58 Minuten

204 Minuten, davon 117 Min. für Kommunikation

Video**)

4 Minuten

4 Minuten

32 Minuten

Tonträger gesamt***)

22 Minuten

34 Minuten

Gesamt

356 Minuten

470 Minuten

420 Minuten

Agenda: *) = ab 2019 Print gesamt, inkl. Buch und Presse; **) ab 2019 inlusive StreamingDienste, ***) ab 2019 bei Radio / Audio gesamt Quelle: eigene Zusammenstellung auf Basis Media-Analysen 2000 bis 2007 (nach ARD 2009; Frees u. a., 2019, S. 314 ff.; van Eimeren und Ridder, 2005, S. 496; ZMG, 2006; Zubayr u. a., 2020, S. 119 ff.)

Abb. 5-2: Durchschnittliche tägliche Mediennutzungszeit in Minuten

• Hochkultivierte (mit einem Bevölkerungsanteil von 8 %): deutlich älter und auch wohlhabender als der Durchschnitt, deutlich unterdurchschnittliche Mediennutzung (dann aber v. a. öfentlich-rechtlicher Rundfunk und höherwertige Presse), • Engagierte (mit einem Bevölkerungsanteil von 9 %): eher etwas älter, mittleres Einkommen, hoher Radiokonsum, ergänzend TV- und Online-Nutzung, • Traditionelle (11 % Bevölkerungsanteil): deutlich älter und durchschnittliches Einkommen, v. a. Regionalzeitungen und TV-/Radionutzung, • Häusliche (8 % Anteil): deutlich älter als Bevölkerungsdurchschnitt, etwas weniger Einkommen und tendenziell niedrigerer Bildungsstand, sehr viel Radiound relativ viel TV-Konsum, kaum Online-Nutzung, • Zurückgezogene (6 % Anteil): deutlich älter als der Durchschnitt und geringeres Einkommen, unterdurchschnittliche Mediennutzung (dann v. a. TV und Boulevard-Medien), • Eskapisten (13 % Anteil), eher etwas älter und oft allein wohnend, unterdurchschnittliches Einkommen, v. a. TV-Konsum, ergänzend Radio und Online, • Familienorientierte (15 % Anteil): mittleres Alter und etwas unterdurchschnittliches Einkommen, hoher Radiokonsum, ergänzend Online- und Fernsehkonsum,

5.2 Die gesellschaftliche Rolle der Medien 

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• Spaßorientierte (10 % Anteil): tendenziell jünger und eher unterdurchschnitt­ liches Einkommen, sehr technikaffin und „always on“, • Zielorientierte (10 % Anteil): eher jünger, durchschnittliches Einkommen, sehr online-affin, TV und Radio als ergänzendes Medium, • Moderne Etablierte (10 %): mittleres Alter, höheres Einkommen, hoher OnlineKonsum, tw. durch TV- und Radio-Konsum ergänzt. Eine genauere Untersuchung nach Altersgruppen, Geschlecht und Bildungsstand verstärkt dabei den Eindruck, dass sich bestimmte Mediennutzungsmuster mit bestimmten soziodemografischen Variablen verbinden. Grob skizziert bedeutet dies, dass: • Frauen stärker von Printmedien Gebrauch machen als Männer, insbesondere im Bereich der Bücher, • ältere Menschen tendenziell stärker an Printmedien festhalten, jüngere hingegen zu elektronischen Medienangeboten tendieren, • die Nutzung von Online-Medien mit einem gewissen finanziellen und Bildungsrahmen verbunden ist  – das Stichwort des „Digital Divide“ (van Dijk, 2020) kennzeichnet diese Entwicklung. Die unterschiedlichen Formen der Mediennutzung sind entscheidend für die Beteiligung am öffentlichen Diskurs und für die eigene Meinungsbildung. Durch die Nutzung von Medien können Themen intensiver diskutiert werden. Anderer­ seits bedeutet eine Nutzungsverweigerung möglicherweise auch eine Abkehr vom Wunsch, die Gesellschaft durch diskursive Beteiligung mitzugestalten. Von daher steht zu erwarten, dass sich die Mediengesellschaft in nächsten Jahren erheblich ändern wird. Die Verschiebung hin zu Online-Medien berechtigt daher auch zur Ausprägung entsprechender Teildisziplinen, wie der Internet-Soziologie (vgl. Humer, 2020) Die vorher benannte ARD-ZDF-Mediennutzertypologie weist starke Ähnlichkeiten mit dem Ansatz und den Inhalten der SINUS-Milieutypen auf, bei denen analog 10 Milieutypen definiert werden (vgl. SINUS 2018, S. 13 ff.). Je nach Milieutypus werden also sowohl bestimmte Medienarten besonders bevorzugt als auch bestimmte Nutzungszwecke in den Vordergrund gestellt. Eine pauschale Aussage greift folglich zu kurz. Dennoch gibt sie bereits erste Hinweise, da Massenmedien eine besonders große Wirksamkeit entfalten, wenn sie von erheblichen Bevölkerungsanteilen genutzt werden. Sie werden damit in der Diktion von Lazarsfeld zu Multiplikatoren. Sodann ist zu prüfen, wer in Bezug auf die Mediennutzung die Funktion von Multiplikatoren einnimmt und welche Medien und speziell welche Inhalte darin von den Multiplikatoren genutzt werden. Diese Überlegungen gelten sowohl für die Anbieter von Medieninhalten und Trägermedien (vulgo die Verlags- oder Medienhäuser) als auch für die Absender von bestimmten Anliegen. Wenn der Staat im Sinne der Gesundheitsvorsorge (z. B. Kampagnen gegen das

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5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

Rauchen oder für die Verhütung von sexuell übertragbaren Krankheiten) besonders die aktiven Jugendlichen erreichen möchte, wird man die einzelnen Milieus hinsichtlich ihrer Repräsentanz der jeweiligen Zielgruppe besonders prüfen und entsprechende mediale Darbietungsformen suchen. Analog gilt, wenn man über Änderungen in der Alterssicherung informieren möchte, wird man bevorzugt die A-Milieus ansprechen wollen und muss entsprechend die Medien aussuchen, die hierfür besonders geeignet sind. Analog können für bestimmte Mediensegmente den einzelnen Milieutypen bevorzugte Genres und Einkaufsorte zugeordnet werden. Die Studie „Buchkäufer und Leser 2015“ des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels (2015) weist aufbauend auf die SINUS-Milieus darauf hin, dass Postmaterielle und Konservative am liebsten im klassischen stationären Buchhandel einkaufen. Postmaterielle erwerben bevorzugt Fach- und Sachbücher sowie Reiseliteratur und Biografien. Konservative nutzen ein breites Spektrum, das von Romanen und klassischen Erzählungen bis zu Sachbüchern und Ratgebern reicht. Die Milieutypen der Modernen Performer, Experimentalisten und Hedonisten gehen für den Bucherwerb lieber über das Internet. Experimentalisten wählen ähnliche Bücher wie die Modernen Performer, nämlich sach- und Fachbücher und Krimis. Hedonisten kaufen, wenn sie überhaupt Bücher nutzen, vor allem Lernhilfen. Wer sich nunmehr vertieft mit den Lebenswelten, den ästhetischen Ansprüchen und den Medienbudgets der einzelnen Milieutypen beschäftigt, hat die Möglichkeit, zielgruppengerechte Angebote zu erstellen und diese auch über die besonders häufig genutzten Medien zu kommunizieren. Als zentrale Ergebnisse können gelten: • Printmedien wie Buch und Presse werden stärker unter Personen mit einem höheren Bildungsabschluss genutzt, ebenso eher von älteren Menschen als von jüngeren. • Fernsehen erscheint das zentrale Medium zu sein, das verstärkt auch als Nebenbei-Medium gilt. • Hörfunk nimmt in der Beliebtheit insbesondere unter jüngeren Menschen und hier v. a. unter weiblichen Jugendlichen ab. • Internet- und Online-Medien gewinnen an zunehmender Bedeutung, über alle Bevölkerungskreise.

5.3 Die Vermittlung des Umgangs mit Medien durch die Medienpädagogik 

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5.3 Die Vermittlung des Umgangs mit Medien durch die Medienpädagogik 5.3.1 Grundsätzliche Überlegungen zur medienpädagogischen Arbeit Der Umgang mit Medien allgemein, mit Massenmedien muss gelernt werden. Allein das Präsentieren eines Medieninhaltes wird kaum reichen, dass sich potenzielle Mediennutzer damit auseinandersetzen können, geschweige denn es von sich aus zu wollen. Der Nutzwert eines Medienangebots muss hierzu verdeutlicht werden, ebenso die Zugangsmöglichkeiten zum Medieninhalt (vgl. Moser, 2019, S. 3 ff.; ergänzend Hoffmann, 2003; Suess u. a., 2018). Die Erschließung der dargestellten Inhalte basiert auf der Fähigkeit zum Dechiffrieren der dargebotenen Inhalte. Bei Printmedien und den meisten Online-Angeboten ist das Beherrschen der Kulturtechnik Lesen erforderlich. Beim Betrachten von statischen und bewegten Bildern (Fernsehen, Bilderbücher) ist es erforderlich, die dargestellten Szenen interpretieren zu können. Eine Übertragung eines Fußballspiels wird für Menschen zu einer undefinierbaren Farbfolge, wenn nicht zumindest ein Mindestmaß an Wissen über Sport und Fußball vorhanden ist. Diese Fähigkeit zum Decodieren wird durch gezielte Unterweisung (z. B. durch gezielten Schulunterricht zum Lesen im Falle der Print- und Online-Medien erreicht. Die Decodierung von Fernseh- oder Radiosendungen, oft auch die Decodierung von AV-Medieninhalten oder auch Online-Inhalten wird oftmals durch den familiären oder Freundeskreis vorgenommen. Wenn Kinder ihren Eltern, älteren Geschwistern oder Freunden beim Fernsehkonsum zuschauen, lernen sie quasi en passent den Umgang mit dem jeweiligen Medium. Inwiefern sie diese Nutzung im Sinne einer mehr oder weniger reflektierten Nutzung animiert, soll an dieser Stelle nicht thematisiert werden. Wichtig ist aber die Frage, in welcher Form Medien eingesetzt werden können. Generell kennen wir damit verschiedene Formen von Medienkompetenzen: • Fähigkeit zur technischen Bedienung von Medien (Handhabung von Abspiel­ geräten, Aufschlagen und Lesen von Büchern oder Presseerzeugnissen), • Fähigkeit zur inhaltlichen Decodierung von Medieninhalten (Entschlüsseln und Interpretation der dargebotenen Inhalte), • Fähigkeit zur Reflektion der dargebotenen Inhalte, • Fähigkeit zur aktiven Gestaltung von Medien (Erstellen von Beiträgen, Einspeisen in Distributionsnetze), • Bereitschaft zur Einschätzung der Bedeutung bestimmter Medieninhalte für die eigene Lebensgestaltung, • Bereitschaft zur Nutzung ergänzender Medien und Medieninhalte, um dargebotene Inhalte zu hinterfragen, • Bereitschaft zur Weitergabe von erworbenem Wissen.

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5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

Überträgt man diese Aufzählung in die drei zentralen Lernzielbereiche der affektiven, kognitiven und psychomotorischen Lernziele und verknüpft sie mit einem unterschiedlich hohen Grad an Beherrschung, so ergibt sich folgendes Bild: Kognitive Lernziele (Wissensebene)

Psychomotorische Lernziele (Beherrschen von Handlungen)

Affektive Lernziele (Gewinnen von Einsichten und Bewertungen)

Einfaches Anforderungsniveau

Wissen um die Existenz einzelner Medien

Befähigung zum Einund Ausschalten

Bewertung der Nützlichkeit einzelner ­Medienangebote

Mittleres Anforderungsniveau

Wissen um die spezifischen Vor- und Nachteile einzelner Medien­angebote und um die Informationstiefe

Befähigung zum Umgang mit Ablaufstörungen in der Nutzung einzelner Medien

Bewertung einzelner Inhalte hinsichtlich der Kriterien Neutralität und Objektivität

Hohes Anforderungsniveau

Wissen um das Zustandekommen einzelner Medieninhalte

Befähigung zur eigenen Gestaltung bestimmter Medieninhalte

Reflektion der Standpunkte, soweit sie dargestellt werden, und ihrer Berechtigung

Quelle: eigene Erstellung

Abb. 5-3: Definition von medienpädagogischen Lernzielen (in Auswahl)

Diese Aufstellung kann bei der Planung und Gestaltung von Medieninhalten bewusst eingesetzt werden, um den Informationsgehalt zu stärken.

5.3.2 Die Planung und Durchführung medienpädagogischer Maßnahmen Greift man in einem weiteren Schritt auf die in Abschnitt 5.2 vorgestellten Milieutypen zurück, kann man anhand der Medienverbreitung und Mediennutzung in den einzelnen Milieus auch zielgruppengerechte Pädagogikelemente entwerfen. In den SINUS-Milieutypen B1, C12, B12, C2 und teilweise sicher auch in B2 können auf Basis von Büchern viele Angebote erstellt werden, z. B. in Form von Leseförderprojekten, Vorlesewettbewerben oder auch einmal einer Event-Lesenacht in einer Buchhandlung. In einem Milieutyp wie B3 und BC3 dürfte es klüger sein, über die Nutzung von bestimmten Fernsehsendungen grundlegende Werte zur Mediennutzung zu vermitteln. Der Umgang mit technischen Innovationen wie dem eBuch (einem digital gespeicherten und mittels eines mobilen Datenabspielgerätes nutzbaren Buchinhaltes) kann analog auf verschiedenen Wegen geschehen. Bei den technisch innovativen und experimentierfreudigen C-Milieus wird man auf den

5.3 Die Vermittlung des Umgangs mit Medien durch die Medienpädagogik 

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Einsatznutzen der neuen Technik abheben. Bei den eher konservativ geprägten A- und B-Typen kann man hingegen darauf hinweisen, dass hier bewährte Inhalte in komfortabler nutzbarer Technik präsentiert wird. Zur pädagogischen Arbeit ist des Weiteren festzuhalten, dass der Lernerfolg umso größer ist, je besser die lehrende Person: • die Lebenswelt der Adressaten berücksichtigt (Wertevorstellungen, Erfahrungen, Motivation und Lebensziele), • die bisherigen Kompetenzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu berücksichtigen versteht, • die Motivation zur Selbstlerntätigkeit stärkt. Von daher ist es immer sinnvoll, sich bei der Planung einer medienpädagogischen Maßnahme zunächst einmal mit den Vorerfahrungen und auch dem Interesse der Teilnehmer auseinanderzusetzen: • Warum interessieren sich die Teilnehmer für das Angebot (eigenes Interesse versus Fremdbestimmung, erwarteter Nutzwert)? • Was wissen und können die einzelnen Teilnehmer bereits? • Welche Kenntnisse besitzen die Teilnehmer? • Was sollen die Teilnehmer hinterher wissen / beherrschen, und warum? • Wie ist insgesamt die Zusammensetzung des Teilnehmerkreises (ähnliche Vorbedingungen, d. h. homogene Lerngruppe, oder divergierende Vorbedingungen, Größe des Teilnehmerkreises, Alter der Teilnehmer, Bildungsstand)? • Welchen Zeitrahmen hat der Durchführende für das Angebot zur Verfügung? • Was ist am Angebot zentral, also unbedingt zu vermitteln? Entsprechend einer Prüfung dieser Vorgaben kann der Durchführende einer medienpädagogischen Maßnahme für sich bestimmen: • Was ist neu an dem zu vermittelnden Inhalt? Und was könnte daran interessant sein? • Welche zusätzlichen Gewinne erwirbt der Teilnehmerkreis (Beherrschen neuer Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten; weitere Gratifikationen wie Sozialprestige)? • Welches ist der am besten geeignete Vermittlungsweg (Theorie oder Praxis, Überblick oder Fallbeispiel, Frontalpräsentation oder Eigentätigkeit, Großgruppen-, Kleingruppen- oder Einzelarbeit)? • Gibt es bestimmte typische Fälle, anhand derer der Lernstoff dargestellt werden kann (so genanntes „exemplarisches Lernen“)?

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5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

• Wie können die einzelnen Lernschritte strukturiert werden? • Wie wird der Lernerfolg abgesichert (Tests bzw. Prüfungen, Wiederholungen, Vertiefungen und Transferleistungen)? Anhand von zwei Fallbeispielen können diese Überlegungen illustriert werden. Bei der Leseförderung wendet man sich an Schulkinder der ersten Schulklassen. Grundsätzlich geht man davon aus, dass die Kinder durch Elternhaus, Kindergarten und Schule bereits mit Büchern konfrontiert wurden und Bilder sowie Buchstaben entziffern können. Lernziel ist, die Kinder zum regelmäßigen Gebrauch von Büchern zu animieren und insbesondere zur Fähigkeit, sich selbständig mit Büchern zu beschäftigten. Von daher geht es darum, das Lesen von Büchern zu vertiefen, den Nutzwert von Büchern zu verdeutlichen („mehr wissen“ und dadurch bessere Noten in der Schule, mehr Sozialprestige durch Urkunden über eine Teilnahme an einem Lesewettbewerb und vielleicht auch durch Anerkennung seitens der Klassenkameraden, ggf. auch ein Appellieren an materielle Instinkte, in dem z. B. Bücher, Schreibsets oder auch Reisen unter den erfolgreichen Teilnehmern verteilt werden), gegenüber Büchern eine positivere Einstellung herauszubilden („Bücher sind etwas schönes“) und insgesamt den Stellenwert des Bücherlesens zu erhöhen. Die Erfolgskontrolle kann z. B. über Deutschaufsätze oder auch über die Ausleihzahlen in der Schul- bzw. der kommunalen Bücherei erfolgen, wobei dieser Parameter nicht unbedingt zuverlässig ist. Auch in Bezug auf die Lebenswelt vieler Kinder und Jugendliche dürfte es in diesem Zusammenhang darauf ankommen, die Interaktion zwischen Online-Medien und gedruckten Büchern (z. B. die parallele Nutzung einer Online-Lernplattform und eines Fremdsprachenlexikons) zu vermitteln. Das zweite Beispiel wendet sich der Frage zu, wie ältere Mitmenschen mit Internet-Anwendungen vertraut gemacht werden können, zum einen aus Gründen der allgemeinen Kompetenzvermittlung, zum anderen, weil inzwischen viele Informations-, Handels- und Bankangebote im Internet preisgünstiger oder gar nur ausschließlich zur Verfügung stehen. Wenn inzwischen die meisten Banken aufgrund der Filialschließungen einerseits und den generellen Erfordernissen der Digitalisierung andererseits mit den entsprechenden Gebührenmodellen und Zugangsmöglichkeiten die Kundschaft regelrecht auf digitales Banking drängen, werden auch ältere Menschen, die bisher an Papier-Überweisungen und Bargeldauszahlung am Schalter bestanden, über kurz oder lang sich anpassen müssen. Hierbei geht es darum, einer relativ breit gestreuten Masse an Senioren eine grundsätzliche Einführung zu geben, die sie dazu motiviert, selbsttätig die Kenntnisse zu vertiefen. Die Themenwahl sollte einzelne Aspekte heraus greifen, die für die Teilnehmer besonders leicht zu erfassen sind und gleichzeitig einen hohen Nutzwert bieten. Nebenbei sollen Ängste und Unsicherheiten bezüglich der Datensicherheit im Internet abgebaut und allgemein das Selbstvertrauen aufgebaut werden. Der Ansatz könnte darin bestehen, zunächst anhand des Einsatzes einer Buchungssoftware mit Online-Banking allgemein vertraut gemacht werden. Die teilnehmenden Senioren

5.4 Das Medienrecht als Rahmen des medialen Handelns

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können dann in Kleingruppen bis zu einem weiteren Termin diese Anwendung vertiefen, z. B. wie man Kontoauszüge abruft und Einzelüberweisungen tätigt. In einem zweiten Schritt können dann spezifische Bankdienstleistungen im Internet (z. B. Einrichten und Löschen von Daueraufträgen) vorgestellt werden. Die Erfolgskontrolle wäre über Rückfragen zu den bisherigen Erfolgen und Erfahrungen oder aber auch über die Teilnahme an Preisausschreiben möglich. In den letzten Sätzen ist bereits durchgeklungen, dass pädagogische Arbeit nicht allein bei der Vermittlung bestimmter Inhalte oder Verhaltensweisen stehen bleiben sollte, sondern einen dauerhaften Lernerfolg intendieren sollte. Das Stichwort der „Nachhaltigkeit“ weist hier den Weg. Ein nachhaltiger Lernerfolg ist immer dann gegeben, wenn die vermittelten Inhalte und Verhaltensweisen vom Adressaten der pädagogischen Arbeit aufgenommen und anwendungsbereit gehalten werden. Die Anwendungsbereitschaft umfasst dabei sowohl das formale Vollziehen bestimmter Inhalte als auch die innere Bereitschaft, bestimmte Lerninhalte bei einer passenden Gelegenheit auch tatsächlich einzusetzen. Von daher ist es sinnvoll, neben den Anwendungsfeldern selbst auch Transfermöglichkeiten aufzuzeigen und die innere Motivation der Adressaten anzusprechen. Durch eigenständige Vertiefung können die Adressaten diese Vertiefung und Transferleistung zeigen und zugleich auch die innere Bereitschaft stärken, die gelernten Inhalte bei entsprechender Gelegenheit tatsächlich abzurufen. Halten wir abschließend zur Medienpädagogik fest: • Der Umgang mit Medien und die Nutzung von Medieninhalten muss gelernt werden. • Man unterscheidet zwischen bewusster Vermittlung von Medienkompetenz und einer „Vermittlung en passent“, durch Zuschauen und Mitmachen. • Je nach Intention des Ausbildenden können die Lerneffekte den kognitiven, den affektiven oder den psychomotorischen Bereich betreffen. • Die Planung erfolgreicher medienpädagogischer Maßnahmen verbindet die Einstiegsvoraussetzungen der Teilnehmer mit durchdachten, akzeptablen Lernschritten. Exemplarisches Lernen erleichtert den Lernerfolg und motiviert zur eigenständigen Vertiefung. • Maßnahmen der eigenständigen Vertiefung und eine Lernkontrolle sichern den nachhaltigen Erfolg der medienpädagogischen Arbeit ab.

5.4 Das Medienrecht als Rahmen des medialen Handelns Wie bereits in einigen vorhergehenden Ausführungen verdeutlicht, gibt der Staat über bestimmte Gesetze und deren Interpretation mittels der Rechtsprechung einen Handlungsrahmen für alle Formen der medialen Betätigung vor. Dabei sind

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5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

grundsätzlich vier verschiedene Rechtskreise zu erkennen (siehe auch Branahl, 2013; Bühler u. a., 2017): • ein allgemein vorgegebener Rahmen durch das Verfassungsrecht, • ein spezieller Rahmen durch das Medienrecht (Presserecht, Rundfunkrecht, Recht der Onlinemedien etc.), • ein wirtschaftsrechtlicher Rahmen (Bürgerliches Recht, Handelsrecht, gewerblicher Rechtsschutz und Kartellrecht), der in einzelnen Bestimmungen oder mit speziellen Gesetzen den Besonderheiten des Medienmarktes und seiner Bedeutung für die Gesellschaft gerecht zu werden versucht, • ein strafrechtlicher Rahmen, der unerwünschte und unerlaubte Handlungen sanktioniert, um besonders schutzwürdige Teile der Gesellschaft von vornherein zu schützen. Mit Rücksicht auf das Rechtsberatungsgesetz sei hier darauf hingewiesen, dass alle Ausführungen zu juristischen Sachverhalten als allgemeine Information zu sehen sind, keinesfalls aber als Rechtsberatung. Für genauere Auskünfte empfiehlt sich die Rücksprache mit Rechtsanwälten, den Justitiaren der Verbände und Unternehmen und ggf. auch mit den entsprechenden Behörden.

5.4.1 Das Verfassungsrecht als Basis Das im deutschen Grundgesetz (GG), der österreichischen Verfassung (BVerfG) und der schweizerischen Bundesverfassung (SBV) kodifizierte Recht bildet den Rahmen aller Kommunikations- und Medienarbeit im deutschsprachigen Raum, wenn man einmal die Bestimmungen im deutschsprachigen Teil Belgiens bzw. Südtirols und im Fürstentum Liechtenstein außer Acht lässt. Das Verfassungsrecht kennt drei Pole: • bürgerliche Freiheitsrechte in Gestalt der Informations- und Meinungsfreiheit (Art. 5 GG; Art. 13 Staatsgrundgesetz über Art. 149 BVerfG, Art. 16 SBV), • die Freiheit der medialen Betätigung (Pressefreiheit und Rundfunkfreiheit in Deutschland, Art. 5 GG, Medienfreiheit nach Art. 149 BVerfG i.V. M. Pressegesetz von 1922 und Mediengesetz von 2000, Medienfreiheit in Art. 17 SBV) • und allgemeine Schutzrechte (Schutz der Persönlichkeit und der Menschenwürde als Grenzen der freien Berichterstattung, durch Art, 1 und 2 GG). Das Verfassungsrecht aller drei Staaten definiert damit, dass sich die Bürger generell frei austauschen und frei als Medienschaffende betätigen können. Diese Freiheit rekurriert auf den Anspruch, dass eine freiheitliche Gesellschaft nur dann freiheitlich und demokratisch sein kann, wenn sie der freien Meinungsäußerung und Meinungsbildung alle sinnvollen Möglichkeiten einräumt. Demokratische

5.4 Das Medienrecht als Rahmen des medialen Handelns

225

Teilhabe kann nur dann gelingen, wenn Bürger sich aus verschiedenen Quellen ungehindert informieren und entsprechendes staatsbürgerliches Engagement daraus ableiten können. Von daher wird der freien Presse (und hier werden andere Medienarten auch subsumiert) eine besondere Rolle und Verantwortung für das Funktionieren der freiheitlichen Gesellschaftsordnung zugewiesen, die im Prädikat „Vierte Gewalt“ (neben Legislative, Exekutive und Judikative) seinen Ausdruck findet. Grenzen findet diese Freiheit vor allem dann, wenn schutzwürdige Belange Dritter oder der Gemeinschaft insgesamt ernsthaft bedroht sind.

5.4.2 Das originäre Medienrecht Das Medienrecht ist der Rechtsrahmen, der die verfassungsrechtlich definierte Pressefreiheit näher ausgestaltet. Die Pressefreiheit findet damit einen verlässlichen Rahmen, der in seiner Idee der Freiheit eine minimale Ordnung gibt. In Deutschland sind für das Medienrecht aufgrund der Kultushoheit die Bundesländer zuständig, in Österreich und in der Schweiz gilt Presserecht als Bundesrecht. Es umfasst: • das originäre Presserecht, das die Vorrechte der Medienunternehmen (z. B. besondere Informations- und Auskunftsrechte gegenüber Behörden, z. B. nach Art. 4 BayPresseG) definiert, aber auch die Verantwortlichkeiten definiert (Chefredaktion als inhaltlich verantwortliche Personen, Verlags- und, ggf. auch besondere Anforderungen wie z. B. ein Mindestalter von 21 Jahren oder ein Impressum mit Pflichtangaben); in Deutschland durch die Länder-Pressegesetze sowie den Staatsvertrag zu Mediendiensten und Online-Diensten, in Österreich durch das Mediengesetz und das E-Commerce-Gesetz, in der Schweiz durch die §§ 22, 322 des Strafgesetzbuches (Impressumspflicht). • Ergänzt wird das Presserecht in Deutschland durch bestimmte Sonderschutzrechte, wie z. B. ein Zeugnisverweigerungsrecht in Strafprozessen (§ 53 I 5, StPO) und ein Beschlagnahmeverbot für von Journalisten selbst recherchiertem Material (§ 97 V StPO), in Österreich durch eine staatliche Unterstützung (Presseförderungsgesetz 2004 und Publizistikförderungsgesetz 2003); • das Recht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, in Deutschland über Staatsverträge zwischen den beteiligten Bundesländern geregelt, in Österreich durch das ORF-Gesetz, in der Schweiz das 2. Kapitel des Radio- und Fernsehgesetzes, • Staatsverträge zum privaten Rundfunk, in Österreich durch das Privatfernsehgesetz und das Privatradiogesetz, in der Schweiz das Radio- und Fernsehgesetz, • in Deutschland durch den Staatsvertrag zu Mediendiensten und Online-Diensten, in Österreich durch das E-Commerce-Gesetz und das Telekommunikationsgesetz.

226

5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

5.4.3 Der Rahmen des Wirtschaftsrechts Das Wirtschaftsrecht als originäres Handlungsfeld des Bundes setzt die Rahmenbedingungen fest, denen Medienunternehmen in ihrer Eigenschaften als wirtschaftlich handelnde Personen unterliegen. Hier tragen sie die gleichen Rechte und Pflichten wie andere Unternehmen auch. Allerdings kann sich aufgrund der Spezifik des Medieninhalts („geistiges Eigentum“) auch ein besonderes Regelungsbedürfnis ergeben, um das wirtschaftliche Handeln abzusichern. Für Deutschland sind vorrangig zu nennen: • das allgemeine Zivilrecht, • das allgemeine Recht des Handels und der gewerblichen Betätigung, mit dem HGB und gegebenenfalls weiterer Bestimmungen, • der Gewerbliche Rechtschutz in seinen diversen Spielarten, wie z. B. dem Markengesetz, das Medienmarken über § 5 I–III MarkenG ein besonderes Schutzrecht einräumt, dem Urheberrecht (deutsches und österreichisches Urhebergesetz, ergänzend Kunsturhebergesetz), der dem Schutz von kreativen Leistungen und Inhalten dient, ergänzt um die Internationale Abkommen zum Urheberrecht, dem die beteiligten Staaten durch Beitritt zustimmen und damit einen internationalen Medieninhalte-Austausch in gesicherten Rahmenbedingungen ermöglichen; zu nennen sind insbesondere die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst vom 09. 09. 1886, das Welturheberrechtsabkommen vom 06. 09. 1952, das Rom-Abkommen vom 26. 10. 1961, das TRIPSÜbereinkommen vom 15. 04. 1994, der WIPO-Urheberrechtsvertrag und der WIPOVertrag über Darbietungen und Tonträger, beide vom 20. 12. 1996, und weitere korrespondierende Rahmenvereinbarungen, wie z. B. das Übereinkommen über die Verbreitung der durch Satelliten übertragenen, programmtragenden Signale vom 21. Mai 1974 und dem ergänzenden Bundesgesetz vom 14. 02. 1979, • das Kartellrecht, das ein marktwirtschaftliches Funktionieren der einzelnen Marktbereiche garantieren soll und in Deutschland für Presseunternehmen eine besondere Fusionskontrolle nach § 38 GWB vorsieht, daneben die Preisbindung nach § 30 GWB für Presseerzeugnisse bzw. dem Preisbindungsgesetz für Bucherzeugnisse, • diverse europäischen Richtlinien, z. B. für den rechtlichen Schutz von Datenbanken (RL 96/9/EG), zur Harmonisierung des Urheberschutzrechtes (RL 93/98/ EWG, 2001/29/EG und 2006/116/EG), der Europäischen Konvention zum Satellitenrundfunk (RL 93/83/EWG). Zur Überwachung und Beratung der handelnden Organe ist in Deutschland die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) eingerichtet worden. Sie wurde 1997 auf Basis des 3. Rundfunkänderungsstaatsvertrages ins Leben gerufen. Bei Rundfunkanstalten kann fallweise auch die Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten einbezogen werden.

5.5 Die Definition von Verhaltensweisen durch die Medienethik

227

5.4.4 Der strafrechtliche Rahmen Journalistisches Handeln unterliegt, trotz der hervorgehobenen Stellung im demokratischen Meinungsbildungsprozess, den gleichen strafrechtlichen Bestimmungen wie anderes Handeln auch. Journalistisches Handeln ist aber als öffent­ liches Handeln immer in einem besonderen öffentlichen Wahrnehmungsraum und kann – für Deutschland betrachtet – insbesondere mit folgenden Rechtsnormen kollidieren: • allgemeine strafrechtliche Normen, insbesondere die Beleidigung (§ 185 f. StGB), üble Nachrede (§ 187 StGB), der unerlaubte Mitschnitt des vertraulichen Wortes (§ 201 StGB), Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 2 201a StGB), Ausspähung von Daten (§ 202a StGB), Abfangen von Daten (§ 202b StGB), Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB) Verwertung fremder Geheimnisse (§ 204 StGB). • In vielen Gesetzen sind Einzelkataloge für Straftatbestände enthalten, z. B. im Bayerischen Pressegesetz nach Art 11 bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflicht. • Besondere Normen, die sich aus dem Jugendschutzgesetz ergeben und die Verbreitung jugendgefährdender Schriften betreffen, ergänzt durch den JugendMedienschutz-Staatsvertrag vom 10. 09. 2002, in Österreich das „Schmutz- und Schundgesetz“ von 1955, ergänzt um Gesetze der neun Bundesländer; in der Schweiz sind hier die Einzelgesetze sowie kantonale Verordnungen zu prüfen. Eine abschließende Aufzählung oder gar Bewertung ist an dieser Stelle nicht möglich. Generell bleibt festzuhalten, dass gesetzliches Handeln im Medienbereich • verfassungsrechtliche Freiheiten bestimmt, insbesondere die Informations- und die Presse- bzw. Medienfreiheit, • als regulierendes Handels des Staates zu verstehen ist, um das Handeln alle in einen für alle Beteiligten verlässlichen, vertretbaren und erträglichen Rahmen einzubringen.

5.5 Die Definition wünschenswerter und fragwürdiger Verhaltensweisen durch die Medienethik 5.5.1 Die Grundfragen der Medienethik Bei Medienethik werden Fragen gestellt und beantwortet, was als gute, anerkannte Medienarbeit gilt und was als verwerfliche Medienarbeit gelten soll (vgl. Schicha, 2019, S. 13 ff.). Dies kann, muss aber nicht Normen des Presserechts oder anderer Rechtsquellen verletzen. Einige Anwendungsbeispiele zeigen die Bandbreite medienethischer Fragen auf:

228

5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

• Eine Zeitung veranlasst einen Polizeibeamten, Fotos vom tödlichen Unfall eines bekannten Landespolitikers an die Redaktion zu veräußern, wobei hier sicher auch strafbare Komponenten enthalten sind, zumindest auf Seite des Beamten. • Fotoreporter verfolgen Prominente in allen Lebenssituationen, um interessante und damit gut bezahlte Motive zu erlangen. • Eine Zeitung „interpretiert“ ein Foto, das einen Bundesminister als Teilnehmer an einer Demonstration zeigt. Nach der Bildbearbeitung hat diese Person dem Anschein nach waffenähnliche Werkzeuge in der Hand. • Bei Fernsehnachrichten wird eine kleine Gruppe an Demonstranten so gezeigt, dass für einen unbeteiligten Zuschauer der Eindruck einer Großdemonstration entsteht. • In einem Zeitungsbericht über einen Straftäter werden entlastende Fakten weggelassen. • In einer Radioreportage zu einem örtlichen Bauvorhaben wird nur eine Seite gehört (z. B. nur Naturschützer, aber nicht Anwohner, die eine Umgehungsstraße fordern). • Ein Fernsehsender lässt Prominente sich in Situationen bewegen, die Selbstüberwindung kosten und von Zuschauern als „ekelhaft“ wahrgenommen werden. • Ein Radiosender veröffentlicht den Namen eines bekannten Wissenschaftlers, der sich in einer politisch brisanten Frage (Chemiewaffen in einem Drittstaat) vertraulich an den Sender gewandt hat. Der Wissenschaftler begeht darauf hin Selbstmord. • Verschiedene Medien berufen sich auf die Meldung einer Staatsanwaltschaft, dass eine bekannte Sängerin, die HIV-positiv sein soll, bewusst Männer durch ungeschützten Beischlaf infiziert habe und nunmehr in Untersuchungshaft genommen wurde. Die Sängerin wird namentlich und mit Bild erwähnt. • Ein Verleger einer bekannten Wochenzeitung unterstützt außerparlamentarische Oppositionsgruppen, die das Wirken eines anderen Zeitungskonzerns kritisch beleuchten. • Eine als Fotomodell bekannte Person lässt in einer Art Fernseh-Casting-Show junge Damen um Chancen im Model-Business kämpfen, wozu die Kandidatinnen u. a. in verschiedenen Übungen wenig bis keine Bekleidung zu tragen haben, andererseits die Kandidaten in einem vorhergehenden „Medientraining“ mit früheren Nacktfotos konfrontiert werden, die sich als karriereschädlich auswirken könnten. In einigen der geschilderten Situationen gilt es eine Abwägung zu treffen zwischen: • einerseits dem Wunsch der Öffentlichkeit, über wichtige Themen informiert zu werden, und dem damit verbundenen Anspruch der Medien, diesem Wunsch mit möglichst exklusiven Informationsangeboten gerecht zu werden,

5.5 Die Definition von Verhaltensweisen durch die Medienethik

229

• andererseits dem Wunsch der Betroffenen auf Privatheit und ungestörte Entfaltung der Persönlichkeit. In einigen Situationen geht es aber auch um die Frage des Handwerks: wie dürfen Informationen gewonnen und aufbereitet werden, damit der Mediennutzer umfassend, ehrlich und objektiv informiert wird. Wie dürfen Medienschaffende und Medieneigentümer ihre besondere öffentliche Wirksamkeit einsetzen, um eigene Anliegen zu unterstützen, seien sie inhaltlicher und / oder wirtschaftlicher Natur? Welche Darstellungsformen sind noch zulässig, um Aufmerksamkeit zu wecken, aber die dargestellten Personen nicht in dauerhaft schädlichen Erscheinungsformen zu präsentieren? Der Markt als alleinige Entscheidungsinstanz, ggf. gekoppelt mit dem Hinweis auf die Tatsache, dass Erwachsene abgebildet werden, die aufgrund vorherigen Fernsehkonsums wissen müssten, was sie erwartet, dürfte bei näherer Betrachtung nicht ausreichen. Wer einmal bei Fernsehproduktionen – als Beispiel – mitgewirkt hat, weiß um den starken Einfluss situativer Dynamik, bei der einzelne Personen sich schlecht dem Gruppendruck bzw. dem Druck der Produzenten zu entziehen verstehen. Die Medienethik bietet dazu einige Normen als Richtschnur an. Diese umfassen insbesondere: • den verfassungsmäßig garantierten Anspruch auf Wahrung der Würde des Menschen (Art. 1 und 2 des Grundgesetzes), • die ebenso mit Verfassungsrang geschützte Freiheit der Meinungsäußerung und Berichterstattung (Art. 5 GG), • die im Presserecht geforderte besondere Sorgfalt bei Recherche und Publikation, • den im Strafrecht abgesicherten Rechtsrahmen, der u. a. vor falscher Darstellung und mit unangemessenen Mitteln gewonnenen Informationen schützen soll, • die so genannten „guten Sitten“ sowie der von verschiedenen Berufsverbänden geschaffene Ehrenkodex des Journalismus im besonderen bzw. der Medienarbeit im Allgemeinen. Diese Elemente sind in zwei Gruppen aufteilbar: • in die Gruppe der erwünschten Verhaltensweisen, die als Leitschnur gelten („guter Journalismus“ / „wünschenswerte Medienarbeit“), • in die Gruppe der nicht erwünschten, verabscheuungswürdigen Verhaltensweisen, die als zu vermeidendes Handeln gelten sollen („schlechter Journalismus“/ „verabscheuungswürdige Medienarbeit“). Gegenüber klassischen handwerklichen Normen ist hier aber eine zusätzliche Komponente enthalten, nämlich die des guten, anständigen Umgangs miteinander. Hier werden also zu allgemeinen Qualitätsnormen zusätzliche Normen eingeführt, die mit dem spezifischen Gegenstand der Medienarbeit verbunden werden, dem Dienst an der Gesellschaft, und diese können je nach Erfahrungshintergrund und

230

5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

persönlicher Wertebasis durchaus divergieren. Dies wirft aber weitere Fragen zur Medienethik auf, nämlich • Auf welcher inhaltlichen Basis (z. B. gesellschaftliche Werte und Ideale) werden diese Normen errichtet? (Legitimation, Legitimationsdruck), und was bedeutet in diesem Zusammenhang ein Schlagwort wie „ethische Vernunft“? • Wer hat das Recht, solche Normen zu errichten? (Ausgang) • Wer muss sich an diese Normen halten? (Wirkungskreis) • Wer kontrolliert die Einhaltung der Normen? Mit welchen Sanktionsmitteln? (Macht und Sanktionen) • Nach welchen Grundsätzen können / dürfen sich solche Normen verändern? (Evolution) Die Mediengestaltung erfordert also einen verantwortungsbewussten Medienschaffenden, der interessante, neue und exklusive Medieninhalte anbietet, die unter Beachtung der ethischen Regeln seiner Gesellschaft entstehen. Die Mediennutzung seinerseits erfordert den „gebildeten“, also in Mediennutzung unterwiesenen und selbständig reflektierenden Mediennutzer, der zur eigenständigen Reflektion auch einen bestimmten Satz an Werten und Normen und einer sich daraus ergebenden Medienethik besitzt. In beiden Fällen sind also ein Set an gemeinsamen Wertvorstellungen über wünschenswerte und verabscheuungswürdige Praktiken und Darstellungsweisen erforderlich. Da aber in einer multipolaren Gesellschaft hierüber sehr unterschiedliche Vorstellungen existieren und zudem auch nicht jede Form von Kreativität von vornherein erstickt werden soll, ziehen freiheitliche Gesellschaften diesen Rahmen relativ weit. Aus Gründen der Verlässlichkeit und des Schutzes eines Mindeststandards werden aber stets auch ergänzende rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen.

5.5.2 Die Dimensionen fragwürdiger Darstellungen Eine Beurteilung fragwürdiger Darstellungen setzt voraus, dass es Handlungen gibt, die nach dem rechtlichen Rahmen beurteilt vielleicht zulässig sein mögen, im Hinblick auf das sittliche Empfinden der Medienschaffenden und / oder der Rezipienten jedoch problematisch sind. Darunter fallen: • die Bearbeitung von Bild- und Tondokumenten oder anderweitigen Quellen in der Form, dass sie einen deutlich anderen, womöglich konträren Eindruck von dem vermitteln, was das Quelldokument in seiner Gesamtheit vermitteln würde (z. B. Manipulation durch geeigneten Bildbeschnitt oder Weglassen entscheidender Textpassagen), • ein Sprachgebrauch, der das ästhetische Empfinden der Empfänger verletzt oder insbesondere bei Personen mit einer wenig ausgereiften Persönlichkeit eine er-

231

5.5 Die Definition von Verhaltensweisen durch die Medienethik

hebliche Veränderung der Einstellungen bewirkt (sittlich gefährdender Sprachgebrauch), • die Darstellung von Verhaltensweisen, die bei weniger gefestigten Persönlichkeiten eine erhöhte Bereitschaft zu körperlicher Gewalt oder fragwürdigen sexu­ ellen Handlungen hervorruft, • die Propagierung von politisch extremen Ansichten, • die Verbreitung von Ansichten und Tatsachebehauptungen, die in die Persönlichkeitsrechte Dritter eingreifen und geeignet sind, auf Dritte ein fragwürdiges Licht zu werfen. Zwar sind durch gesetzliche Regelungen hier mehr oder weniger klare Grenzen geschaffen. Jedoch liegt es in der Natur der Medien, im Ringen um Aufmerksamkeit, aber auch im Sinne einer künstlerischen Freiheit und vor allem vor dem Hintergrund der Veränderungen in der gesellschaftlichen Auffassung über zulässige und fragwürdige Inhalte die Grenzen auszuloten. Zudem muss man einem mündigen Rezipienten durchaus zutrauen können, an ihn gerichtete Inhalte auszuschalten oder gleich von vornherein zu vermeiden, wenn sie sein ästhetisches Empfinden verletzen. Von daher bewegt sich die Diskussion über die ethische Zulässigkeit von Inhalten in dem in Abbildung 5-4 dargestellten Rahmen, bei dem der zulässige, von der Meinungs- bzw. künstlerischen Freiheit erlaubte Bereich (grau unterlegt) immer Schnittmengen zu den rechtlich nicht gestatteten Bereichen aufweist. So können veränderte Auffassungen über pornografische Inhalte in Zukunft Dinge erlauben, die aktuell (noch) nicht gestattet sind. PRESSERECHT

J U G E N D S C H U T Z R E C H T

„Manipulation“ aller Art

Sprache/Ausdrucks- und Darstellungsweisen

Wahrheitswidrige Darstellung, Verleumdung, Diskriminierung etc. Persönliche Ästhetik

→ Postulat der „künstlerischen Freiheit“ und der „journalistischen Freiheit“

Verfassungsfeindliche Propaganda

Gewalt in allen Facetten (Krieg, Zerstörungen, Kriminalität …)

Erotik Sexualität Pornografie

Quelle: eigene Darstellung

Abb. 5-4: Dimensionen fragwürdiger Darstellungsweisen in den Medien

O R I G I N Ä R E S S T R A F R E C H T

232

5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

Über die dynamische Entwicklung von zulässiger oder eben nicht mehr zulässiger Darstellungsweise kann anhand des Beispiels eines Films aus den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts trefflich räsoniert werden. Als Hildegard Knef in der Produktion „Die Sünderin“ für die Zeit von wenigen Sekunden im unbekleideten Zustand zu sehen war, stand die bürgerliche Welt Kopf (vgl. Goege, 2011) – etwas, was heute kaum noch zur Kenntnis genommen werden würde. Von daher kann eine letztverbindliche Antwort auf die Frage, was ethisch zulässig und was ethisch verwerflich ist, an dieser Stelle nicht gegeben werden. Sie ist entsprechend der eigenen Einstellung stets dem individuellen Rezipienten überlassen.

5.5.3 Die Dimensionen der problematischen journalistischen Arbeitsweisen Journalistisches Handeln steht im steten Wettbewerb, denn jene Medienangebote werden bevorzugt, die ihren Nutzern besonders herausragende Inhalte anbieten können. Dieser Wettbewerb kann mitunter zu Praktiken führen, die zwar strafrechtliche Normen nicht ernsthaft verletzten, aber bei Betroffenen einen schalen Beigeschmack oder auch Empörung hinterlassen. Dies umfasst fragwürdige Methoden bei der Informationsgewinnung, der Informationsaufbereitung und der Informationsverwertung. Probleme bei der Informationsgewinnung umfassen insbesondere: • fragwürdige Praktiken der Recherche (Erpressung in allen Schattierungen, Vorspiegelung falscher Fakten gegenüber Informanten, der „Kauf“ von Informatio­ nen, etc.), • die Verhinderung oder auch Begünstigung von Straftaten, wobei hier ein journalistisch gewünschter Informantenschutz mit einer möglichen Straftat der Strafvereitelung in Konflikt steht, • eine bewusste einseitige Recherche, die wesentliche Informationen der Gegenseite außer Acht lässt und damit ein unvollständiges Bild vermitteln kann, • schließlich die schlichte Erfindung von Fakten. Probleme bei der Informationsaufbereitung betreffen insbesondere: • die bewusste Manipulation (z. B. Bildmanipulation durch Herausschneiden wesentlicher Inhalte), • das Weglassen von relevanten Informationen, • ungeeignete Darstellungsweisen durch missverständliche Sprache / Darstellungen.

5.5 Die Definition von Verhaltensweisen durch die Medienethik

233

Die Probleme bei der Informationsverwertung entstehen vor allem durch: • Schleichwerbung, also die bewusste Einbettung von bekannten Markenartikeln in eine Medienhandlung, • Begünstigung nahestehender Personen durch die Medienschaffende, z. B. wenn die Ehefrau eines leitenden Sportredakteurs eine Eventagentur für Sportveranstaltungen betreibt und deren Veranstaltungen prominent überträgt oder leitende Redakteure einem Lebenspartner Aufträge für die Drehbuchgestaltung zu­schieben. Daneben können aber auch fragwürdige Praktiken in der Form gesehen werden, die sich durch den Missbrauch einer hierarchischen Position ergeben, in dem z. B. Führungskräfte die Gewährung von Vorteilen oder Aufträge von persönlichen Gefälligkeiten aller Art abhängig machen. Auch wenn sich inzwischen hierzu Standards aufgebaut haben, die weitgehend beachtet werden, fallen bestimmte Verhaltensweisen immer wieder auf, z. B. in Gestalt des Spiegel-Reporters Claas Relotius (siehe Moreno, 2019), der sich allerdings auch unzureichende Kontrollmaßnahmen zunutze machen konnte. Insgesamt sind die Medienverantwortlichen gefordert, sich folgende Fragen zu beantworten: • Was ist in den Medien an Inhalt erforderlich, um der gesellschaftlichen Medienfunktion (Information als Befähigung zur Meinungsbildung und gesellschaft­ lichen Mitwirkung, Unterhaltung) gerecht zu werden? • Welche Medieninhalte werden gewünscht? (z. B. Betonung der gesellschaft­ lichen und politischen Information im Sinne der Informationsfreiheit / Art. 5 GG und der Mitwirkung des Bürgers in der demokratischen Grundordnung) • Wie dürfen Medieninhalte bearbeitet werden? (durch z. B. Bildbearbeitung und Bildmontage) • Was ist in den Medien an Inhalt zulässig, und was nicht? (z. B. Grenzen bei Gewalt­verherrlichung, Pornografie, Geschichtsfälschung, „Schmuddel“) • Insgesamt: Welchen Normen und Werten sollen die Medienschaffenden in der Berufsausübung folgen, wie z. B. Unabhängigkeit, Transparenz, Objektivität und Überparteilichkeit (journalistisches Berufsverständnis), was auch Fragen berührt wie: Unterstützung durch Unternehmen, Drohung des Entzugs von Anzeigen, Veröffentlichung redaktionell gestalteter PR-Beiträge, Sponsoring und Schleichwerbung. • Auf der Metaebene auch Fragen nach der Ordnung der Medienwirtschaft / des Mediensystems (z. B. Konzerne / Kartelle): Darf es Meinungsmonopole geben? Dürfen sich Parteien oder weltanschauliche Vereinigungen an Medienunternehmen beteiligen?

234

5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

Letztendlich ist festzuhalten, dass • Medienethik keine festen, immerwährenden Antworten auf die allfälligen Fragen geben kann; vielmehr muss durch gesellschaftliche Diskussion ein allgemein akzeptierter Werterahmen geschaffen werden, • die Verantwortung für die Medienethik sowohl den Medienschaffenden und ihren Verbänden und Ausbildungsstätten als auch den Medienrezipienten obliegt.

5.6 Die Analyse der wirtschaftlichen Leistung durch die Medienökonomie 5.6.1 Die Grundfragen der Medienökonomie Als Grundfragen der Medienökonomie gelten (siehe auch Gläser, 2014, S. 67 ff.; Schumann u. a., 2017; S. 1 ff.; Wirtz, 2019, S. 45 ff.): • die Fragen nach der Charakteristik der Medien im Sinne einer Bestimmung als handelbares Gut, • die Bestimmung des Nutzens durch die Medien, • die Bestimmung der Kosten der Mediennutzung. Handelbare Güter sind alle veräußerbaren Waren und Rechte, für die ein potenzieller Nachfragerkreis besteht. Gedruckte Bücher oder Presseerzeugnisse, AVMedienträger oder auch Übertragungsrechte für Sportereignisse sind in diesem Sinne handelbare Güter, da für sie ein Markt besteht und Anbieter und Nachfrager über den Marktpreis den Wert der Waren bestimmen. Zur Gütercharakteristik gehört aber auch die Feststellung, in welcher Form es sich konkret um handelbare Ware handelt. In den meisten Fällen werden Medieninhalte auf ein Trägermedium aufgebracht und erst in dieser Form handelbar. Bei herkömmlichen Büchern und Presseerzeugnissen werden diese auf Papier gedruckt. Ähnliches gilt für Filme (Aufbringung auf Zelluloid oder eine DVD) Hörbücher (Aufbringung auf eine CD-ROM oder einen MP3-Player) usw. Die immaterielle Ware Inhalt wird durch die Aufbringung zur materiellen Ware Buch bzw. Zeitung oder Zeitschrift etc., und in genau dieser Kombination von Sach- und Inhaltsleistung erfolgt der Eigentumsübergang bzw. die Ausleihe und damit die Nutzungsberechtigung und Nutzungsbefähigung. Damit aber ein aufbringfähiger Medieninhalt überhaupt bereitsteht, muss dieser erst einmal erstellt werden, durch geeignete Inhaltssuche, -auswahl und -aufbereitung. Medieninhalte sind demzufolge stets auch eine Dienstleistung (siehe auch Beck, 2005, S. 3 ff.). Bei den neuen Medien, soweit sie aktuell als „neue Medien“ bezeichnet werden, zeigt sich eine gewisse Verschiebung auf. Elektronisch vorgehaltene Inhalte

5.6 Die Analyse der wirtschaftlichen Leistung durch die Medienökonomie 

235

können über Online-Verbindungen abgerufen und auf einem Abspielgerät (PC, entsprechende Personal Digital Assistants oder Mobiltelefone) vorübergehend genutzt und dann wieder gelöscht werden. Das Nutzungsrecht ist nicht mehr an den Erwerb eines fest gekoppelten Datenträgers gebunden. Vielmehr stellt ein variabler Datenträger den Inhalt für die Nutzung dar, und nach Beendigung der Nutzung ist der Inhalt bis zur nächsten Nutzung nicht mehr direkt vorhanden. Wichtig ist aber, dass der Bereitsteller des Inhalts ein Nutzungsrecht (gegen Gebühr oder eine sonstige Gegenleistung wie z. B. die Betrachtung eines Werbeinhalts oder auch ohne Gebühr) erwirbt. Medien als Güter sind also Kombinationen aus Dienstleistungen, Rechten und Sachleistungen. Als Nutzen der Mediennutzung gelten die zur Verfügung gestellten Inhalte. Sie besitzen verschiedene Dimensionen: • einen Informationsnutzen: Der Nutzer erhält zusätzliche Informationen, die ihm einen geldwerten oder anderweitigen Nutzen bieten, z. B. bestimmte politische Hintergrundinformationen (um entsprechend bei Wahlen abzustimmen), Informationen zu Unternehmen und deren Aktienkursen (um entsprechende Kaufoder Verkaufsorders zu geben); • einen Unterhaltungsnutzen: Der Nutzer findet Zeitvertrieb durch Romane, Spielfilme, Rätsel etc., die er für sich allein oder in Gemeinschaft mit anderen konsumieren kann, damit einhergeht Entspannung und Erholung oder auch eine bestimmte geistige Anregung; • einen helfenden Nutzen, insbesondere in Gestalt von EDV-Programmen oder Bildungsinformationen, die dem Nutzer die Möglichkeit geben, die entsprechenden EDV-Geräte einzusetzen, einen bestimmten Beruf auszuüben etc., hier hat der Nutzer einen konkreten Anwendungsnutzen. Einer Nutzendiskussion stellt man in ökonomischer Betrachtung eine Analyse der vorhergehenden Bedürfnisse und den mit der Nutzung verbundenen Kosten gegenüber. Denis McQuail (1983, S. 82 f.) geht von insgesamt vier Bedürfnis­ dimensionen aus: • einem Entspannungs- und Unterhaltungsbedürfnis (rekurriert auf die Nutzen­ dimension Zeitvertreib), • einem Informationsbedürfnis (bewirkt eine Erleichterung von Entscheidungen), • einem Bedürfnis der sozialen Integration / Interaktion (ist nicht direkt mit dem Medium verbunden, kann aber über die gemeinschaftliche Nutzung von Medien­ inhalten, über die gemeinsame Befolgung der dargestellten Verhaltensweisen oder auch über die gemeinsame Reflektion der dargebotenen Inhalte erfolgen), • einem Bedürfnis der Identitätsbildung (ergibt sich aus den genutzten Inhalten und den damit vermittelten Werten und Normen und kann nicht zuletzt durch die helfenden Inhalte vermittelt werden).

236

5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

In dieser Aufzählung kommt die Dimension der helfenden Medieninhalte eher beiläufig vor. Von daher ist es sinnvoll, die Dimension des Informationsbedürfnisses zu einer Dimension der Handlungsbefähigung zu erweitern. Außerdem sollte man die Dringlichkeit eines Bedürfnisses beachten, da eine hohe Dringlichkeit eine andere Zahlungsbereitschaft des Nutzers auslöst als eine nachrangige Dringlichkeit. Dem Nutzen der Mediennutzung stehen des Weiteren Kosten gegenüber. Diese können direkte Nutzungsentgelte (Kaufpreis, Leihgebühren, Rundfunkgebühren etc.) und derivative Entgelte für die Beschaffung der Medientechnik (z. B. Abspielgeräte, Radios, Fernsehgeräte) umfassen. Die Kosten bilden den Werteverzehr ab, der mit der Mediennutzung entsteht. Die für die Mediennutzung eingesetzten Gelder stehen dem Nutzer anschließend nicht mehr zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund sollten daher zwei weitere Kostenaspekte betrachtet werden Zum einen ist der Zeitaufwand für die Mediennutzung zu beachten, da die Nutzungszeit nicht mehr für andere Zwecke zur Verfügung steht. Eine Abschwächung dieser Aussage ist im Hinblick auf die so genannten „Nebenbei-Medien“ vorzunehmen. Wenn ein Radio oder ein Fernseher neben der Hausarbeit, dem Autofahren oder ähnlichem eingesetzt wird, sind durchaus andere Tätigkeiten denkbar. Allerdings steht hierbei die Mediennutzung auch nicht mehr im Vordergrund. Schließlich sind „psychologische Kosten“ zu sehen, die mit einer seelischen Belastung durch die Mediennutzung einhergehen. Hier kann z. B. die mentale Beanspruchung bei besonders lauten, gewalttätigen oder anderweitig aufwühlenden Inhalten angesetzt werden. Es ist aber auch an die mentale Beanspruchung zu denken, die durch die Nutzung von Medieninhalten entsteht, die im sozialen Umfeld abwertend gesehen wird. Wer zum Beispiel Erotik-Angebote konsumiert, kann möglicherweise vom Freundeskreis oder dem Lebenspartner missbilligt werden. Die damit einhergehende Belastung ist unbedingt als Kostenpunkt anzusehen. Interessant für die Kostendiskussion ist neben der Betrachtung der entstehenden Kosten auch eine Betrachtung der vermiedenen Kosten. Medienunternehmen ersparen mit ihrem Angebot dem Mediennutzer: • Suchkosten für die Suche der Information, • Entscheidungskosten: Für welche Information soll man sich entscheiden? (Relevanz, Richtigkeit, Glaubwürdigkeit, Reduktion auf die notwendigen Information), • Kontrollkosten: Richtigkeit der Information. Insgesamt senken Medienunternehmen mit ihrer Arbeit die Kosten für die Transaktion der dargebotenen Inhalte. Eine Auswahlentscheidung für oder gegen bestimmte Medienangebote lässt sich also als Funktion wie in Abbildung 5-5 darstellen:

5.6 Die Analyse der wirtschaftlichen Leistung durch die Medienökonomie 

f Nutzen Medien =

237

(Dringlichkeit Bedürfnis × Umfang Nutzen - Kosten Nutzung + ersparte Kosten)

Quelle: eigene Erstellung

Abb. 5-5: Kosten-Nutzen-Evaluation des Mediennutzers

Auf den ersten Blick erklärt sich damit die bevorzugte Nutzung von digitalen Medien sofort. Jeder Nutzer hat, insbesondere bei einem Einsatz von „mobilen Geräten“ (Mobiles, Wearables) die Möglichkeit, jederzeit die gewünschten Inhalte aufzurufen. Diese reichen von Sprach- und / oder Bildnachrichten über allgemeine Nachrichten aller Art (z. B. aus Politik, Wirtschaft, Kultur) bis hin zum Abruf von Kontoständen, Bestellungen von Waren und Dienstleistungen und noch vielem mehr. War der Abruf von Kontoauszügen früher mit dem Gang zur nächsten Bankfiliale und dem dort aufgestellten Drucker verbunden, kann man dies heute gleichsam von unterwegs oder daheim auf dem Sofa vornehmen. Auch die Suche nach Geschenken ist nicht von einem realen Schaufensterbummel abhängig. Andererseits ist man, wie bereits weiter oben geschildert, aufgrund der begrenzten Zeit- und Aufmerksamkeitsspanne, auf die Angebote angewiesen, die die bevorzugten digitalen Anlaufstellen bereit halten – eine breitere Auswahl mit einem entsprechenden Auswahlprozess findet nicht mehr statt, und die Nutzenmaximierung wird v. a. am Zugangsaufwand ausgerichtet, weniger an dem insgesamt am Markt möglichen Produktnutzen. Von daher dürfte die Zugangszeit und die damit verbundenen Einsparungen in der oben genannten Gleichung eine wesentlich höhere Bedeutung gewinnen, also z. B. die Geldkosten für die Nutzung des Zugangs (­Kosten für mobile Kommunikationsgeräte und Netztarife, möglicherweise entgangene Geldersparnisse durch einen umfassenderen Vergleichsprozess).

5.6.2 Eine Systematik der Medienökonomie Die Medienökonomie kann auf verschiedenen Ebenen ansetzen: • der volkswirtschaftlichen Bedeutung (volkswirtschaftlicher Beitrag, Anzahl der Arbeitnehmer, Steueraufkommen etc.), • der Funktion im Wirtschaftsprozess (nhalteproduktion, Inhalteaufbereitung, Inhaltedistribution, Inhaltekonsum sowie die diversen Hilfsfunktionen) und deren Beitrag für den Wirtschaftsprozess, • den Nachfragerstrukturen (Publikumsmarkt mit den Themenfeldern general interest und special interest; Fachmarkt mit den Themenfeldern Professional und Wissenschaft) mit ihren Aufwendungen,

238

5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

• den Anbieterstrukturen (einzelne Unternehmen, Angebotsstrukturen der einzelnen Unternehmen, Marktanteil einzelner Unternehmen und deren Marktbeherrschungsgrad) mit ihren Erlösen. Die Betrachtungsweise kann rein statisch erfolgen, indem eine Bestandsaufnahme zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgt. So erkennt man in Abbildung 5-6 für den deutschsprachigen Buchmarkt eine Entwicklung über die letzten zehn Jahre, die eine deutliche Veränderung signalisieren: 2008

2019

Buchmarkt Deutschland

9,6 Mrd. Euro

9,16 Mrd. Euro

Buchmarkt Österreich

In 2005(!): 790 Mio. Euro

Ca. 700 Mio. Euro Umsatz

Buchmarkt Schweiz

Ca. 750 Mio. Euro (= 1 Mrd. CHF) Ca. 3.500 Mitarbeiter

Ca. 330 Mio. Euro (= 296 Mio. CHF in der Deutschschweiz), ca. 580 Mio. Euro in der Gesamtschweiz, zusätzlich vmtl. ca. 150 Mio. Euro Online-Umsatz aus dem Ausland

Die fünf größten deutschsprachigen Verlage

Springer Science (569,3 Mio. Umsatz) Klett-Gruppe (434 Mio. Umsatz) Cornelsen-Verlagsgruppe (354,3 Mio. Umsatz) Random House / Bertelsmann (259,1 Mio. Umsatz), Westermann Verlagsgruppe (246,8 Mio. Umsatz)

Springer Nature (630 Mio. Umsatz) Random House (325 Mio. Umsatz) Westermann-Verlagsgruppe (310 Mio. Umsatz) Klett-Gruppe (303 Mio. Umsatz) Cornelsen-Verlagsgruppe (ca. 290 Mio. Euro Umsatz)

Die fünf größten Buchhandelsunternehmen im deutschen Sprachraum

Thalia-Holding (514,7 Mio. Umsatz) DBH-Gruppe (750 Mio. Umsatz) Mayer’sche (160 Mio. Umsatz) Schweitzer-Fachinformation (158 Mio. Umsatz), Libro (84 Mio. Umsatz)

Amazon (ca. 2,5 Mrd. Euro geschätzt) Thalia / Mayersche (ca. 970 Mio. Euro) Weltbild (440 Mio. Umsatz) Hugendubel (ca. 335 Mio. Euro Umsatz) Orell Füssli (163 Mio. Euro Umsatz)

Quellen: eigene Aufstellung auf Basis von Buchreport, 2009 und 2020; Fuchshuber, 2007, o. V., 2020; SBBV, 2008; ergänzt um eigene Berechnungen

Abb. 5-6: Ausgewählte Daten zum deutschsprachigen Buchmarkt

5.7 Weitere wissenschaftliche Zugänge

239

Die Betrachtungsweise kann aber auch dynamisch erfolgen, indem man z. B. die Entwicklung der Marktgröße und der Mitarbeiterzahlen oder auch den Grad der Konzentration über mehrere Jahre verfolgt. Hierbei ist es sinnvoll, diese Entwicklung auch im Kontext der jeweiligen Mediennutzung zu sehen. Dabei zeigt sich z. B. für den Buchmarkt eine nachlassende Nutzungsdauer und -intensität, ein tendenziell sinkender Umsatz und eine – bei näherer Betrachtung – relative Konzentration des Umsatzes auf die jeweils zehn größten Unternehmen im Verlags- und Handelsbereich. Analog können die Zahlen für andere Medienbereiche wie Presse, Rundfunk oder Online ausgewertet werden. In der Interpretation dieser Zahlen sind daneben auch die Umsatzentwicklungen in anderen Mediengattungen zu sehen, die auch im Pressebereich und zunehmend im Markt des klassischen Rundfunkbereichs abnehmende Tendenzen zeigen, hingegen im Bereich vieler Online-Dienste, inklusive des Social Mediaund des Streaming-Angebots deutlich zunehmende Umsatz- und Nutzungszahlen aufweisen. Wenn ein Gesamtmarkt von 59 Mrd. Euro allein in Deutschland nur noch geringer werdenden Anteilen von klassischen Medienunternehmen aus den Bereichen Buch, Presse und öffentlich-rechtlichem Rundfunk bestritten werden (vgl. PWC, 2019), dann wird man die steigende Bedeutung neuer Medienangebote und Medienanbieter leicht abschätzen können. Hierbei kommt es zu einer Dominanz weniger großer Unternehmen, die eine insgesamt marktbeherrschende Stellung einzunehmen vermögen, mit allen Konsequenzen für die Auswahlmöglichkeiten der Konsumenten wie auch der Marktpartner, die ihre Leistungen über die dominanten Unternehmen absetzen. Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Medienökonomie sich mit den grundsätzlichen wirtschaftlichen Frage der Medienbranche auseinandersetzt und dazu • die Gütercharakteristik der Medien beschreibt, als eine Zusammenstellung aus Sachgut, Dienstleistung und Nutzungsrechten, • die Bedürfnis-, Nutzen- und Kostenerwägungen der Nutzer beleuchtet, • die Marktstrukturen und -entwicklungen mit wirtschaftlichen Kennziffern wie Marktgröße, Anzahl der Marktteilnehmer und ihrem Marktanteil oder auch Anzahl der Arbeitsplätze beschreibt.

5.7 Weitere wissenschaftliche Zugänge Die vorgenommene Darstellung medienwissenschaftlicher Disziplinen hat sich vorrangig mit gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen beschäftigt. Außer Acht blieben z. B. medientechnische Zugänge oder auch kulturwissenschaftliche oder philosophische Ansätze. Hierzu sei auf die einschlägige Literatur verwiesen. Letztendlich besitzt jede Wissenschaftsdisziplin, die von Medien berührt wird, einen eigenen Zugang und Interpretationsrahmen des Mediensystems. Auch ent-

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5. Die Medienwissenschaft als Beschreibung organisierter Kommunikation 

sprechend der weltanschaulichen Orientierung können eigene Zugänge (z. B. eine feministische Medientheorie, eine kritische Medientheorie) gewählt werden, die sich in ihren Analyseinstrumenten aber häufig auf vorhandene Wissenschaftsdisziplinen stützen und diese im Sinne ihrer Weltanschauung ausdeuten, mithin also normativ arbeiten. Es bleibt dem Wissenschaftler folglich überlassen, einen eigenen, aus seiner Sicht am besten geeigneten Weg zu wählen und diesen entsprechend der wissenschaftlichen Konventionen offenzulegen. Literatur zum Kapitel Anton, Andreas u. a. (2014): Konspiration, Wiesbaden: SpringerVS 2014. ARD-Forschungsdienst (2009): Zeitbudget für audiovisuelle Medien, Daten vom Januar 2009 unter www.ard.de/intern/basisdaten/mediennutzung, Aufruf vom 05. 06. 2009. ARD-Forschungsdienst (2019): Auswirkungen von Echo-Kammern auf den Prozess der Meinungsbildung, in: Media-Perspektiven, Nr. 2/2019, S. 82–86, unter www.ard-werbung.de/fileadmin/ user_upload/media-perspektiven/pdf/2019/0219_ARD-Forschungsdienst_2019-02-13.pdf, aufgerufen am 08. 04. 2020. ARD-ZDF-Medienforschung (2015): Mediennutzer-Typologie, Präsentation von 2015 unter https://ard-zdf-mnt.de/wp-content/uploads/2017/07/MNT-Basispraesentation.pdf, aufgeru­ fen am 13. 04. 2020. Au, Caspar von (2015): Wie heute über Killer-Spiele diskutiert wird, Beitrag vom 27. 11. 2015 unter www.sueddeutsche.de/digital/computerspiele-und-gewalt-wie-heute-ueber-killerspielediskutiert-wird-1.2752427, aufgerufen am 08. 04. 2020. Beck, Hanno (2005): Medienökonomie, 2. Aufl., Berlin u. a.: Springer 2005. Berger, Peter L. / Luckmann, Thomas (1982): Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit, Frankfurt / Main: Suhrkamp 1982. Beyer, Konstanze (2020): Sozialdokus bei RTLzwei – Deshalb wollen wir, dass Ihr das seht, Beitrag vom 13. 04. 2020 unter www.dwdl.de/magazin/77198/sozialdokus_bei_rtlzwei_ deshalb_wollen_wir_dass_ihr_das_seht/, aufgerufen am 14. 04. 2020. Bilandzic, Helena u. a. (2016): Medienwirkungsforschung, Konstanz und München: UVK 2016. BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung (2019): Hasskommentare bedrohen die Demokratie, Beitrag vom 03. 07. 2019 unter www.bmbf.de/de/hasskommentare-bedrohendie-demokratie-9067.html, aufgerufen am 09. 04. 2020. BMFSFJ Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (2010): Medien und Gewalt – Befunde der Forschung 2004–2009, Bericht vom März 2010 unter www.bmfsfj. de/blob/94292/b81e673a7880e6d82f62400cf89c94c8/medien-und-gewalt-befunde-derforschung-kurzfassung-data.pdf, aufgerufen am 08. 04. 2020. Börsenverein des Deutschen Buchhandels (2015): Buchkäufer- und Buchleser-Studie 2015) vom Juli 2015, unter www.boersenverein.de/markt-daten/marktforschung/studien-umfragen/ buchkaeufer-und-buchleser-studie-2015/, aufgerufen am 14. 04. 2020.

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