Klio: Historische Novellen, Skizzen und Anekdoten [Reprint 2022 ed.]
 9783112683422

Table of contents :
Inhalt
Pachi -Kurd
Die stumme Braut
Treue Liebe
Friedrich der Große und der Dr. Trolles
Selbstmord aus Mißtrauen. (Ein Beitrag zur Erfahrungs-Seelenkunde.)
Leichtsinn und Beständigkeit
Fräulein Hambleton
Selbstmord aus Liebe
Die Flucht Stanislaus, Königs von Polen
Die Feuerprobe
Der Armenier Rupli und Ludwig XIV von Frankreich
Zur Charakteristik Olivier Cromwell's
Theuergebüßte Neugier
Unbefugte Justizverwaltung
Tordenskiold und Friedrich der Vierte
Charakterstärke im Mißgeschick

Citation preview

Klio. Historische Novellen, Skizzen und Anekdoten von

Karl

Mächte r.

Berlin, C. G. Flikknersche Buchhandlung.

1825.

Inhalt. Pacht-Kurd

.

................................. C)ttte

Die stumme Braul.................................

i



31

— Friedrich der Große und der Dr. TralleS —

Treue Liebe

...........................................

Selbstmord aus Mißtrauen ....



49 68 86

Leichtsinn und Beständigkeit ....

......

— —

95 105

Selbstmord aus Liebe...........................

Fräulein Hambleton



125

Die Flucht Stanislaus, Königs von Polen —

i3o

Die Feuerprobe......................................

184



Der Armenier Nupli und Ludwig XIV.

von Frankreich................................. Zur Charakteristik Olivier Cromwell'S

— 195 — 225

Theuergebüßte Neugier......................



231

....



241

Unbefugte Justizverwaltung

Tordenskiold und Friedrich der Vierte Charakterstärke im Mißgeschick

.

.

.

253 — 275

Pachi -Kurv

kühne Mann, mit seltnen Eigenschaf­ ten de« Herzens und des Geistes ausgestattet,

verschwindet in der Geschichte, wie ein vorüber­ gehendes Meteor, weil er die Schaubühne der Welt unter einem noch unkultivirten Volke be­

trat, oder weil seine hochherzigen Unternehmun­

gen nicht vom Glücke begünstigt wurden.

Zur

Zahl dieser ausgezeichneten Männer gehört Pachi-Kurd, dessen Andenken fast ganz erloschen

ist. Pach i-Kurd, geboren r6lo, war der Sohn eirkassischcr Aeltern.

Sein Vater, ein Anfüh­

rer der Cirkassier, stand bei seinen Landsleu­

ten in großem Ansehen.

Seine vielen ehren-

2 vollen Wunden, die er im Kriege bavongetragen, hinderten ihn in der Folge, thätig ju seyn.

Er

lebte, im Besitz eines ansehnlichen Vermögens, zu Balaclay, einer Seestadt am Einfluß des Dnie-

pers, ohne ein öffentliches Amt zu bekleiden und verwandte seine Muße lediglich auf die Erziehung

seines geliebten, vielversprechenden Sohnes.

Er

sorgte nicht allein für den Unterricht des wißbe, gierigen Knaben in allem dem, was ein gebilde­

ter Cirkaffier zu wissen nöthig hatte, sondern er selbst lehrte ihn alle Kriegsübungen seiner Lands­

leute und erzählte ihm ausführlich alle die Un­ ternehmungen, die er entweder selbst geleitet, oder

woran er Theil genommen hatte.

Der Greis

fühlte sich bei der Erinnerung an die mit Ruhm gekrönten Tage seines kräftigern Lebensalters ver­

jüngt, sein Auge strahlte von einer höhern Gluth und seinen Worten gab die Begeisterung einen

höhern Schwung.

Auf das empfängliche Gemüth

des feurigen Knaben mußten die Schilderungen

solcher Kriegsscenen einen tiefen Eindruck machen. Mit Ungeduld sah er den Abendstunden entgegen.

3 die der Baker solchen Erzählungen zu widmen pflegte;

mit der gespanntesten Aufmerksamkeit

lauschte er auf jede Silbe, die den Lippen des dann so redseligen Greises entströmte; in den Sturu

den, wo er sich selbst überlassen war, beschäftigte sich seine Phantasie nur damit, alles das leben­

diger auszumalen, was sich seinem Gedächtniß tief eingeprägt hatte; er träumte nur von Schlach­

ten und Heldenthaten, und immer heftiger wurde in seiner Brust die Sehnsucht, das engbeschränkte

väterliche Haus zu verlassen und in dem Gewühl

der Welt seine Kräfte zu versuchen.

So oft er

aber diesen Wunsch gegen seinen Vater laut wer­

den ließ, so fand er doch nie bei diesem ein güyr

stigeö Gehör. „Du bist noch viel zu jung, zu leichtsinnig

und unerfahren," sagte dann der Vater mit mil­ dem Ernst: „um Dich in die Fremde und unter

Menschen zu wagen, welche Dir nur aus Neugier

oder Eigennutz Theilnahme bezeigen werden. Noch weniger bist Du im Stande — ein halbes Kind

— die Mühseligkeiten und Entbehrungen zu erA 2

4 tragen, die von dem Stande eines Kriegers un­

zertrennlich sind, und wenn Du dann, hülf> und trostlos, dem Hohne und den Mißhandlungen bar­

barischer Feinde Preis gegeben, Dein junges Leben

aushauchen mußt, so würdest Du die Nachgiebig­ keit eines Vaters mit Recht anklagen, die Dir jetzt Härte scheint. Du kannst Dich vor Vielen glück­

lich preisen, daß Deine Aeltern sich in einer sol­

chen Lage befinden, wo sie nicht die Noth zwingt, ihr Liebstes, ihre Kinder, von sich zu entfer­ nen, damit sie ihr Glück in der Fremde suchen

mögen."

Pachi-Kurd schwieg verlegen,

denn er

konnte dieser Erklärung nichts Erhebliches entge­

gen setzen;

aber sie vermochte es nicht, seiner

Sehnsucht eine andere Richtung zu geben.

Da

alle seine Versuche, den Vater in seinen Ansich­ ten umzustimmen, fruchtlos waren, so verschloß

er seinen Lieblingöwunsch in das Innerste seines Herzens, und dadurch wurde der Trieb, ihn, es

koste was es wolle, zu befriedigen, nur um desto

lebendiger und unwiderstehlicher.

s Erst vierzehn Jahre als, beschloß er, das vä­ terliche Haus heimlich zu verlassen, um die Welt und die Menschen näher kennen zu lernen. Ein

Schiff, das einem donschen Kosaken gehörte, lag

in Balaclay vor Anker.

Der Eigenthümer

desselben trug kein Bedenken, ihm das Verspre­ chen zu machen, daß er ihn gegen eine nicht sehr

bedeutende Summe als Passagier aufzunehmen bereit sey.

Pachi-Kurd besaß aber selbst dieses Geld nicht, und er sah daraus, daß er auf sein Vor­

haben Verzicht thun müsse, wenn er nicht we­

nigstens in dem Besitz einer solchen Summe sey, die ihn einige Zeit vor Mangel sicher stelle. Um­

sonst sann er auf Mittel, dies Hinderniß zu be­ seitigen. Es war nur eines: nochmals seinen Va­

ter mit Bitten zu bestürmen; aber dazu konnte er sich nicht entschließen, überzeugt, daß er, wie

früher', auch diesmal eine abschlägige Antwort erhalten würde.

Das Schiff wollte die Anker

lichten, es war keine Zeit zu verlieren, ein« solche

günstige Gelegenheit fand sich vielleicht erst nach

6 geraumer Zeit oder wohl gar nicht wieder, der Hang zu Abentheuern war zu unwiderstehlich in dem Herzen des feurigen unruhigen Knaben, er

unterdrückte alle Mahnungen des Gewissens und entwendete dem Vater eine nicht sehr beträcht­

liche Summe. tim die Vorwürfe, die er sich selbst über diese

Untreue machte, zu besänftigen, schrieb er bei sei­ ner Flucht einen Brief an seinen Vater, den er

einem Gespielen mit dem Auftrage anvertraute

ihn erst am folgenden Tage nach seiner Abreise abzugeben. Er lautete: „Mein geliebter, innig verehrter Vater!" „Zürnen Sie nicht auf einen Sohn, der den

unwiderstehlichen Hang, die Welt kennen zu ler­

nen, nicht länger hat besiegen können. Glauben

Sie es mir, es hat mir einen schweren — sehr

schweren Kampf gekostet, ehe ich mich dazu ent­ schließen können, Sie, eine geliebte Mutter, und Alles, was mir so lieb und theuer ist, zu verlas­ sen; aber ich sehne mich mit einer unaussprech­

lichen Unruhe in eine Sphäre, wo ich thätiger

7 seyn und meine jugendlichen Kräfte freier ent­

wickeln kann.

Es ahnet mir/ daß mein Vorha­

ben das Glück begünstigen wird, und daß ich

früher oder spater Ihrem Namen Ehre machen werde," „Eine noch schwerere Schuld lastet auf mir. Zu meiner Trennung von Ihnen hätten Sie

mir — das weiß ich gewiß — nie Ihre Zustim­

mung gegeben.

Mit leeren Händen konnte ich

aber unmöglich in eine mir ganz fremde Welt

treten.

Ich habe daher einen Deutel mit drei­

ßig Dukaten heimlich mitgenommen.— Ich ent­

decke Ihnen dies,

damit Sie deshalb keinen

Verdacht auf einen Unschuldigen werfen mögen, und in der Hoffnung zu Ihrer väterlichen Liebe und Nachsicht, daß Sie mir dies Vergehen ver­

zeihen und in die heilige Versicherung Ihre» Sohnes keinen Zweifel sehen werden, daß e»

seine erste Sorge seyn soll, Ihnen diese» Geld

reichlich zu ersehen." „Um die Fortdauer Ihrer Liebe und der ei­

ner theuren Mutter mit dem dankbaren Herzen

8

eines Kindes brünstig flehend, soll mein stetes

Bestreben dahin gehen, mich Zhrer würdig zu

betragen." Pachi-Kurd kam mit diesem Schiff nach

Podolien.

Nach manchen kleinen Abentheuern

und Widerwärtigkeiten, einer unvermeidlichen

Folge seiner kindlichen Arglosigkeit und Mangels

an Weltkenntniß, hatte er das Glück, zufällig die Bekanntschaft eines wohlhabenden Kauf­ manns zu machen.

Das Aeußere des Knaben gefiel diesem bie­

dern Mann, noch mehr aber seine unbefangene

Offenherzigkeit, mit der er ihm alle Fragen be­ antwortete. Seine Aeußerungen verriethen Ver­ stand und «Ine ungewöhnliche Lebhaftigkeit des

Geistes. Es dauerte ihm, daß so viele herrliche Naturanlagen unausgebildet bleiben, oder was noch schlimmer ist, eine schädliche Richtung er­ halten sollten.

Er machte ihm den Vorschlag,

sein Lehrling zu werden, und dagegen versprach

er ihm, wenn er sich zu seiner Zufriedenheit be-

9 tragen würde, sich seiner väterlich anzunehmen und für sein Bestes zu sorgen. Der junge Pachi-Kurd hatte Vertrauen

zu diesem Kaufmann gefaßt; er besann sich da­ her nicht lange, umso lieber sein menschenfreund­

liches Anerbieten dankbar anzunehmen, da er — ob er gleich keineSwegeö ein Verschwender gewe­

sen war — doch von seiner Baarschaft nur noch

wenig besaß, und er noch immer ein unstetes Leben führte.

Sehr treuherzig machte er es sich

aber zur Bedingung, daß sein Beschützer und

Lehrherr ihm recht bald Gelegenheit verschaffen möchte, die schwer auf ihm lastende Schuld an seinen Vater abzutragen.

Dem Kaufmann, dem das frühere freimü­ thige Gestandniß dieses Vergehens, ohne es zu beschönigen, schon für den jungen Menschen ein­

genommen hatte, faßte nun noch eine vortheilhaftere Meinung von seiner Unverdorbenheit und sagte lächelnd:

„Darüber sey außer Sorgen, mein Sohn!

das wird sich schon finden.

Du hast es ganz in

10 Deiner Gewalt, diesen Wunsch früher oder später

zu befriedigen.

Es wird lediglich von Deiner

Aufführuug abhangen."

O! rief Pachi-Kurd freudig aus und er-

griff die Hand des Kaufmanns,

die er fest an

feine Brust drückte: an mir soll es gewiß nicht liegen, wenn ich mein Wort bei meinem lieben Vater nicht auslöse.

Sie nehmen mir einen

schweren Stein vom Herzen.

Der junge Cirkassier stieg täglich mehr in der Gunst des Kaufmanns.

Sein Eifer, fein

Fleiß, die Leichtigkeit, mit der er sich die ihm zu

seinem neuen Beruf fehlenden Kenntnisse erwarb, seine Gewandtheit, womit er die ihm ertheilten Aufträge ausrichtete, vorzüglich aber sein sittliches

Betragen bei seinem feurigen Temperament, und seine Treue und Anhänglichkeit an seinen Wohl­ thäter, erwarben ihm dessen unbeschränktes Ver­

trauen.

Mehrere Zahre waren so verflossen.

Pach i-Kurd war zum Jüngling herangewach­ sen; er wurde von dem Kaufmann wie sein Sohn

behandelt, und eingeweiht in alle Verhältnisse

11 seiner ausgebreiteten Handelsgeschäfte, sandte er ihn als Faktor nach Konstantinopel. Hier entfaltete sich ihm eine neue Welt; er sah das Thun und Treiben der Osmanen; die wollüstige Pracht des Großsultans, die sklavische Unterwürfigkeit seiner Veziere und Paschen, die sich sür diese Demüthigungen durch Grausamkei­ ten gegen ihre Untergebenen schadlos hielten, den frechen Uebermuth der Ianitscharen, die Indo­ lenz und den Fanatismus eines durch Despotis­ mus herabgewürdigten Volks und die schmach­ volle Verachtung, mit der jeder Bekenner de» Islams andere Glaubensgenossen behandelt, die er mit dem allgemeinen Namen Franken be­ legt. Mit seinem erweiterten Wirkungskreise er­ weiterten sich auch feine Ideen und die Bilder, womit sich seine Phantasie im älterlichen Hause fast beständig beschäftigt hatte, traten auf« neue lebendig hervor. Er hatte von dem Kaufmann eine beträcht­ liche Menge Waaren nach Konstantinopel

12 gebracht.

Durch feine Gewandtheit gelang es

ihm, sie mit großem Vortheil loszuschlagen und er kehrte nun,

nach glücklicher Beendigung sei­

nes Auftrages, nach Podolien zurück.

Sein Wohlthäter gehörte keinesweges zur Zahl derjenigen, die treue und wichtige Dienste

nur für Schuldigkeit halten.

Er schenkte dem

jungen Pachi'Kurd einen ansehnlichen Theil

von dem gemachten Gewinn, und dieser hatte nichts Eiligeres zu thun, als seinem Vater die ihm entwendete Summe vielfach zu ersetzen und

ihm dabei die erste Nachricht von seinen Schick, säten und seinen jetzigen angenehmen Verhältnis, fen zu geben.

„Die Bahn ist gebrochen!" schrieb er: „Sie

sehen daraus, mein theuerster Vater, daß mich

meine Ahnung nicht getäuscht hat.

Daß ich Sie

so lange in Ungewißheit über mich gelassen, lag In dem wohl nicht ganz zu tadelnden Stolz, Ih­ nen nicht eher von mir Kunde zu geben, als bis ich zugleich im Stande seyn könnte, mich über

mein keckes Wagestück durch den Erfolg zu recht-

13 fertigen, meine Schuld zu tilgen und Sie über mein künftiges Schicksal zu beruhigen.

Freilich

genügt mir meine jetzige beschränkte Lage nicht; mein reger Geist sehnt sich nach einem großern Wirkungskreise — das Leben des Menschen hat

ja nur so viel Werths als es für feine Neben­ menschen heilsam wirken kann — und ich nähre

die süße Hoffnung in meinem glühenden Herzen, daß es auch mir vergönnt seyn wird, etwas Er­ sprießliches für mein Vaterland zu leisten." Der Kaufmann hatte eö nicht bei einer Geldbelohnung bewenden lassen, sondern gegen seine.

Freunde und Bekannten seines Faktors, und der

klugen und gewissenhaften Ausführung seiner Geschäfte in Konstantinopel so rühmlich gedacht, daß

Mehrere den Wunsch hegten, sich seiner in ähn­ lichen Handelsspekulationen zu bedienen.

Sie äußerten dies gegen den Kaufmann,

und dieser, dem das Fortkommen seines Schütz­ lings mehr als sein eigner Vortheil amHerzen lag, machte Pacht-Kurd den Vorschlag, eine solche

Gelegenheit zu benutzen, sich eine Art Selbstänr

14 bigfett zu verschaffen,

als Faktor anderer an­

sehnlicher Handelshäuser CommissionSgeschäste zu übernehmen und für ihre Rechnung auf Reisen

zu gehen. Dem jungen Mann war ein solches Aner­

bieten sehr willkommen,

es führte ihn seinem

Ziele und der Ausführung seiner Pläne, die er

im Stillen unwandelbar verfolgte, naher; meh­ rere Kaufleute vertrauten ihm ihre Waaren und er reifete mit solchen nach Cassa und andern Seeplätzen des schwarzen Meeres.

Er bewies sich dabei eben so verständig, un­

eigennützig und gewissenhaft, wie das erstemal, und sein Name wurde dadurch weit umher rühm­ lich bekannt; die angesehensten Handlungshäuser

in Podolien und der Ukraine vertrauten ihm nun ihre Güter zum Vertrieb an.

Sein Handels­

verkehr breitete sich immer mehr aus, und oft

ging er mit zwanzig und mehreren reichbelade­ nen Schiffen unter Segel, von den Eigenthümern

der darauf befindlichen Waaren mit unumschränk, ter Vollmacht versehen,

wie er solche auf die

15 vortheilhafteste Welse, entweder durch Eintausch

oder baare Zahlung, umsehen könnte. Pachi,Kurd erwarb sich durch diesen immer größer werdenden Verkehr in einigen Zah, ren ein

so

ansehnliches

Vermögen,

daß

er

eine bedeutende Handlung für eigene Rechnung errichten konnte.

Seine Verbindungen wurden

immer ausgebreiteter/ sein Name erhielt immer

mehr Achtung, und sein Geist war viel zu leb­ haft,

als daß er sich mit seiner jetzigen vor-

theilhaften Lage hätte begnügen und seinen Wün­

schen ein Ziel stecken sollen.

Eine Menge chimä­

rischer Pläne für die Zukunft beschäftigten ihn unaufhörlich und einer besonders schmeichelte sei­

nen Lieblingsneigungen, seinem Ehrgeiz und sei­ nem ThätigkeitStrieb: er wollte durch ein kühnes

Unternehmen noch in spätern Generationen der

Wohlthäter seiner Landsleute werden und seinen Namen bei den Cirkassiern auf ewige Zeiten in

einem ruhmvollen Andenken erhalten.

Er fing

nun an, den Grund zu der Ausführung dieses von Keinem geahneten Plans zu legen,,

16

Der Zufall schien ihn auch hierin zu begüm stigen. Zm Zahr 1642 brach ein Krieg zwischen den Cirkassiern und Mingreliern aus. Pachi, Kurd hielt sich damals in Zsgaou, einer See­ stadt feines Geburtslandes, in Handelsgeschäften

auf. Mit der angestrengtesten Aufmerksamkeit verfolgte er die Ergebnisse dieses Krieges bis in die unbedeutendsten Einzelnheiten, erforschte den Charakter und die Pläne beider Partheien, ihre Hülfsmittel und die Stimmung der beiderseiti­ gen Heere, und auch er überzeugte sich, wie

wichtig es sey, in solchen Fällen über die größten Summen frei schalten und walten zu können. Dem zu Folge bot er alles auf, sich in den Besitz so vielen Geldes zu setzen, als ihm nur möglich

war. Dies gelang ihm vollkommen. Durch seine weitverbreiteten Handelsverbindungen, durch die

Rechtlichkeit und Pünktlichkeit in seinem vieljäh-

rigen merkantilischen Verkehr, war sein Credit auf das Höchste gestiegen; er bekam sehr große Summen, bloß auf die von ihm ausgestellten Wechsel.

17 Als die Mingrelier mit einer Flotte die Kü,

flen Cirkassienö beunruhigten und die Küstenbe­ wohner in Furcht und Schrecken setzten, sandte Pachi-Kurd alle zusammengebrachte Gelder, Edelsteine, kostbare Waaren urch dergl. m. von

Zsgaou an seinen Vater, welcher damals einige

Meilen landeinwärts von dort seinen Wohnsitz genommen hatte. Zwei Tage nach dieser Sicherheitsmaßregel

landeten die Mingrelier bei Zsgaou, plünder­ ten die Stadt und kehrten mit zweitausend Ge­

fangenen nach ihren Schiffen zurück. Pachi-Kurd, dies unabwendbare Unglück

vorhersehend, hatte sich, um den Mißhandlungen der Mingrelier und der Gefahr zu entrinnen, wohl gar als Gefangener mit fortgeschleppt zu werden, frühzeitig genug, zu seinem Vater ge­

flüchtet, der dem Sohne schon lange den Kum­ mer über seine leichtsinnige Flucht , als Knabe,

verziehen hatte, da solcher, zum Manne gereift, seine früheren Gelübde, diese Verirrung wieder

gut zu machen, wider Erwarten im vollen Maße B

18 erfüllte, und nun .dem Vater um desto größere

Freude gewährte.

Pachi-Kurd beschloß, diesen Raubzug zu seinem Vortheil zu benutzen; er erließ daher einen

energischen Aufruf an seine Landsleute, diesen Schimpf blutig zu rächen.

Sein Vater, der bei

den Cirkafsiern noch von früheren Zeiten her in großem Ansehen stand, unterstützte diese Auffo-

derung seines Sohnes aus allen Kräften.

Die

Folge davon war, daß sich in kurzer Zeit vier» tausend Cirkassier freiwillig vereinten, um mit

den Waffen in der Hand diesen Ucberfall zu be­

strafen. Einstimmig erwählten sie Pachi-Kurd

zu ihrem Anführer, gelobten ihm mit einem feier»

lichen Eid Gehorsam und Treue bis in den Tod, «nd er stellte sich an ihre Spitze.

Bei seinen

Schätzen fiel es ihm nicht schwer, mehrere Schiffe

auszurüsten; mit diesen, bemannt mit seinen Freiwilligen, stach er in die See und suchte die Mingrelischen Schiffe auf.

Aber er begnügte

sich nicht damit, diese, wo sie ihm aufstießen, zu nehmen, sondern er verschonte auch die Schiffe

19 andrer Völker nicht, und machte dadurch das

schwarze Meer unsicher.

Aber auch bei diesen

Seeräubereien übte er eine Schonung aus, die

ihm sowohl Dankbarkeit als Klugheit geboten. Alle Schiffe,

welche Kaufleuten gehörten, von

denen er Geld geborgt hatte, oder mit deren

Waaren beladen waren, ließ er ungehindert vor»

übersegeln. Bald wurde der Name Pacht,Kurd,

als ein glücklicher Seeheld in den benachbarten Ländern allgemein bekannt, und seine Landsleute strömten ihm zu, unter seiner siegreichen Flagge

zu dienen.

Zn kurzer Zeit stand eine ansehnliche

Flotte unter seinem Oberbefehl. Mit dieser suchte er die mingrelische Flotte auf, griff sie muthig an, schlug sie und vernichtete sie fast gänzlich.

So erfüllte er die feierliche Erklärung in sei, nem Aufruf an seine Landsleute:

daß er sein

Haupt nicht eher ruhig niederlegen wolle, als bis er die Mingrelier für den mörderischen Ueber,

fall bei Zsgaou gezüchtiget und die seinem Va» terlande zugefügte Schmach getilgt habe.

D 2

20 Den Mingreliern blieb nach der Zerstörung

ihrer Flotte nichts übrig, als um Frieden zu bitten,

Stande.

und dieser kam auch bald darauf zu

Beide jetzt befreundete Völkerschaften

vereinten sich zu einem Feldzuge wider die don,

schen Kosacken; und von beiden wurde Pacht',

Kurd einstimmig zum Anführer erklärt.

Ein

solcher ehrenvoller Ruf kam ihm sehr erwünscht; er eröffnete ihm eine neue Aussicht zu einem

weitausgedehnten Wirkungskreise, und zu neuen Lorbeern.

Der Krieg begann.

Pachi-Kurd

zeigte nicht nur einen persönlichen Muth und eine unerschütterliche Kaltblütigkeit in den Au­

genblicken der größten Gefahr, sondern auch so viele Umsicht und Klugheit bei seinen kriegen;

schen Unternehmungen, und bei Benutzung sei­

ner Streitkräfte, daß die Kosacken, bald in die

Enge getrieben, um einen Waffenstillstand ba­ ten.

Wahrend dieses Waffenstillstandes erwarb er sich durch seine Gewandtheit eine große Menge

Anhänger unter den donschen Kosacken und im

21 Jahre 1644 wurde er von diesen, so wie von den

Mingreliern und seinen Landsleuten einmüthig zu ihrem gemeinschaftlichen Oberhaupte erwählt. Wer hätte nicht glauben sollen, daß PachiKurd auf alle ehrgeizige Unternehmungen end-

lieh Verzicht leisten würde, da alle seine Wage­ stücke, von der Flucht aus dem alterlichen Hause, bis zu dem Moment, wo er sich ein so hohes

Ansehn und einen so berühmten Namen erwor­ ben hatte, augenscheinlich vom Glück auf eine fast wunderbare Weise begünstigt worden waren? — Dem Schein nach war er auch mit seiner neuen

Lage sehr zufrieden und verhielt sich ganz ruhig; aber im Stillen entwarf er zu nichts Geringes rem den Plan, als zur Stiftung einer neuen

Monarchie an den Ufern des schwarzen Meeres, deren Beherrscher er werden wollte.

Um sich die Liebe und das Vertrauen der Cirkassier, Mingrelier und der donschen Kosacken

noch mehr zu erwerben, verabsäumte er keine Gelegenheit, sich von einer liebenswürdigen Seite

zu zeigen.

Er war herablassend gegen den Ge-

22 rtngsten, freigebig und immer bereit, Wohlthaten

zu spenden.

Zwar nachsichtig gegen diejenigen,

die sich gegen ihn persönlich vergangen hatten,

aber übrigens hielt er strenge darauf, daß das Recht ohne Unterschied gegen den Vornehmsten

wie den Geringsten, gegen den Reichsten wie den

Aermsten gehandhabt wurde; vorzüglich verwen­ dete er alle seine Sorgfalt und sein Ansehen

darauf, eine strengere Kriegszucht bei den noch rohen Völkerstämmen, deren Oberhaupt er war,

einzuführen; er schaffte eine große Menge Wehr

und Waffen an, und eö lagen viele wohlgerüstete Schiffe auf dem Don, dem Dnieper und dem schwarzen Meere.

Obgleich alle diese Vorkehr

rungen große Summen erforderten, so vergaß er doch seine Gläubiger nicht, von welchen er bei'm Ausbruch des Krieges zwischen den Mingreliern und Cirkassiern große Summen aufseine Schuld­

verschreibungen erborgt hatte. Er befriedigte nicht allein jeden vollständig, sondern fügte noch, als

ein Zeichen seiner Erkenntlichkeit für das ihm bewiesene Zutrauen, jeder Schuld ein Verhältniß,

23 mäßiges ansehnliches Geschenk hinzu.

Dadurch

gewann er noch an Achtung bei der Menge, und er konnte sicher darauf rechnen, daß ihn jeder Kaufmann, wenn er rü verlangte, noch größere

Summen vorstrecken würde, als er zuvor von ihm erhalten hatte. Unerwartet erschien Pacht-Kurd wieder im Jahre 1645 auf dem Schauplatz des Krie­

ges.

Er machte Streifzüge an der polnischen

Grenze, während die Polen, uneins unter sich,

mit Rußland in einen Krieg verwickelt waren. Sie hatten, in ihren damaligen Verhältnissen,

olle Ursache, diesen neuen unerwarteten Feind z»

besänftigen, um ihre schon zersplitterten Kraft«

nicht noch mehr zu schwächen.

Sie ließen sich

daher mit ihm in Unterhandlungen ein, und machten ihm sehr vortheilhafte Vorschläge, wenn er sie unangefochten ließe, und dagegen seine Waffen gegen die Türken wenden wollte.

Dies

letztere war auch längst Pacht-Kur d's Absicht

gewesen, und sein« Streifzüge sollten nur dazu

dienen, zu erfahren, wa» er in diesem Falt von

24 den Polen zu erwarten hätte. Auch hieraus er-

giebt sich, daß er kcinesweges, wie ein tollkühner Abentheurer, bei seiner Unternehmung es dem

Zufall anheimsiellen wollte, ob er seinen Zweck erreichen würde, oder nicht, sondern daß er alles reiflich erwog und seinen feurigen Geist zu zü­

geln wußte. Er versprach den Polen, alle Feind­ seligkeiten gegen sie einzustellen, dagegen machte er es sich von ihnen zur Hauptbedingung, daß sie die völlige Unabhängigkeit der donschen Ko-

sacken feierlich anerkannten. So vor den Polen gesichert, konnte er jetzt zur Ausführung seines längst gehegten Lieblings,

Plans schreiten, und als Feind gegen die Türken auftreten. Er sandte deshalb im Jahre 1646 einen Ab­

geordneten an Murat, Bassa von Bender, mit der Erklärung: wofern die ottomanifche Pforte nicht die Unabhängigkeit der Cirkassier, Mingre-

lier und donschen Kosacken anerkenne, so bliebe ihm nichts übrig, als derselben den Krieg anzukündigen.

25 Der Bassa stattete darüber Bericht nach

Konstantinopel ab; ein solcher Antrag wur­ de von dem Sultan mit verächtlichem Hohn aus­

genommen.

„Was fallt dieser Fliege ein, sich mit einem Adler messen zu wollen!" rief der Sultan, hä­

misch grinzend aus, und der Bassa von Bender empfing einen Ferman, der den Befehl enthielt: diese räuberischen Horden zu Paaren zu treiben,

ihren Anführer Pachi/Kurd gefangen zu nehmen und in Fesseln nach Konstantinopel zu schicken. Der Bassa zog gegen Pachi-Kurd in’S

Feld, fest überzeugt, daß er ohne viele Mühe und Anstrengungen dem erhaltenen Befehl Ge­

nüge leisten würde.

Sein Gegner griff ihn kühn

an, die unter seinem Befehl stehenden Krieger

waren den Türken in Führung der Waffen, in

Schwenkungen

und

militairischen Evolutionen

weit überlegen; durch die eingeführte Kriegszucht

herrschte weit mehr Ordnung und Einheit unter ihnen, sie hatten Krieg zu führen gelernt.

Die

Türken verloren in dieser Schlacht zehntausend

26

Mann, und der Dassa selbst blieb auf dem Schlachtfelde. Nach einem solchen entscheidenden Siege hielt

esPachl-Kurd derKlugheit gemäß, diese Vor­ theile nicht weiter zu verfolgen, um seine Kräfte zu schwächen; er zog sich mit seinem Heere zu­ rück, und widmete sich cpnj der Sorge, die in­ nere Landeöverwaltung durch neue zweckmäßige Einrichtungen zu verbessern, und seine Seemacht zu verstärken. Man drang in ihn, den Titel eines Königs anzunehmen, aber er lehnte dieses

ab, zufrieden daß er die Macht und das Anfehn eines Königs befaß.

Die Niederlage und der Tod des Dassa von Dender wurde nach Konstantinopel berichtet. Ze

unerwarteter eine solche unerfreuliche Botschaft war, um desto mehr erbitterte sie den Großherrn. Kerke-Hassan wurde an Muratas Stelle

zum Dassa von Dender ernannt und er erhielt den gemessenen Befehl, mit einem Heere von

vierzigtausend Mann den tollkühnen Europäer zu vernichten.

27

Sobald Pacht,Kurd davon Kunde bekam, zog er eiligst ungefähr achtzehn tausend Kosacken

und Cirkassier zusammen, ging dem neuen Bassa kühn damit entgegen, lieferte auch diesem eine

Schlacht, in welcher Hassan über die Hälfte

seines Heeres verlor und sich selbst nur unter großen Schwierigkeiten durch die Flucht rettete. Diese zweite Niederlage belehrte die ottomanische Pforte, daß man die Sache nicht für un­

bedeutend halten, und sie sehr ernste Folgen ha­ ben könne.

Der Bassa Zomezan Mustapha wurde beordert, den Rebellen mit siebenzig tausend Mann anzugreifen. Pachi-Kurd zog ein Heer von etwa vierzig tausend Mann zusammen. Es bestand aus zuverlässigen, kriegserfahrnen und aus­

erlesenen Leuten. Er nahm damit eine so vortheilhafte Stellung, daß sein Gegner den ganzen Feldzug über, troh der Uebermacht, keinen Vor­

theil über ihn erlangen konnte, und da eü ihm endlich an Lebensmitteln gebrach, mußte er sich wieder zurückziehen.

28 Im Anfänge des folgenden Jahres (1648)

eröffnete Pachi/Kurd den Feldzug durch ein

höchst kühnes Unternehmen.

Mit dreihundert

Fahrzeugen segelte er bis in die Nahe von Ko nstantinopel;

er plünderte und verheerte die

Küsten des Boöphorus und der Sultan gerieth

darüber so in Furcht und Schrecken, daß er nach

Adrianopel flüchtete.

Nach diesem Streifzuge

kehrte er wieder zu den Landtruppen zurück, und schlug die Türken bei Oczakow.

Durch alle

diese mit dem glücklichsten Erfolge gekrönte Un­

ternehmungen stieg die Verehrung und das Der/

trauen zu ihm immer höher bei den Völkerstammen, die sich seiner Leitung freiwillig unterwor­ fen hatten. Mittlerweile war Zomezan Mustapha

zum Großvezier ernannt worden.

Die Nieder­

lagen, welche die türkischen Heere in dem Lauf von zwei Jahren stets erlitten hatten, die ver­

wegnen aber

stets

geglückten Unternehmungen

Pachi-Kurd's. überzeugten ihn, daß ein sol­

cher Gegner nicht mit Gewalt zu überwältigen

29

sey, und er sann daher auf andere Mittel, das türkische Reich von einem so gefährlichen Feinde zu befreien.

Nach seinen Begriffen war eS der

Politik erlaubt, sich nicht an die Schranken zu binden, welche das Moralgesetz vorschreibt; er nahm daher unbedenklich seine Zuflucht zur Der-

rätherei. Gold hat oft das bewirkt, was Stahl und Eisen nicht zu erzielen vermögen. Er kargte des­

halb damit nicht, und bestach durch große Sum­ men zwei Kosacken, die als Befehlshaber ihrer

Landsleute, ungehindert Zutritt zu Pa chi-Kurd hatten. Geblendet von dem Glanz des zweideutigen

Metalls verstanden sie sich dazu, ihren Gebieter

und Anführer aus dem Wege zu räumen. Sie schlichen sich im Jahre 1649 in sein Zelt und ermordeten ihn, während er sanft schlum­ merte. Nach dieser Frevelthat wollten sie sich durch die Flucht retten, aber sie wurden auf solcher,

ehe sie noch einen sichern Zufluchtsort auf türki-

30

schern Gebiet erreichen konnten, ergriffen und büß­ ten ihre Derrätherei mit dem wohlverdienten Tode der Verbrecher. So starb Pacht-Kurd, ehe er noch sein

großes Vorhaben, ein neues Reich am schwarzen Meere zu gründen, zur Ausführung bringen konn­ te; jetzt fast der Vergessenheit Preis gegeben, da

er', wenn fein begonnenes Werk vollendet wor­ den, in den Annalen der Geschichte, als ein Peter d e r G r o ß e, für die sich ihm unterworfenen Völ­ ker geglanzt haben würde. Hatten ihn die euro­

päischen christlichen Mächte unterstützt, so würde wahrscheinlich schon damals das Reich der Otto­ manen in Europa ein Ende genommen haben und nicht im neunzehnten Jahrhundert der klassische

Doden unsrer geistigen Cultur mit Strömen un­

schuldigen DlutS befleckt worden seyn. Aber die Geschichte des menschlichen Geschlechts ist ein Räthsel, das dem beschränkten Verstände des

Staubgebornen ewig unauflöslich bleiben wird. '

31

Die stumme Braut.

vZmilie Berger, liebenswürdig an Seele und Leib, liebte einen jungen Mann, Herrn von Tan­

nenburg, der in jedem Betracht wegen seiner schätzbaren Eigenschaften einer solchen Liebe werth

war.

Aber Emilien'S Aeltern billigten diese

Wahl nicht; ein Fall, der oft eintritt, denn sel­

ten theilen die Aeltern und Vormünder hierin die Gefühle und Ansichten ihrer Kinder und

Mündel.

Herr von Tannenburg

stammte zwar

von einer alten edlen Familie ab, das Glück hin­

gegen hatte ihn nur kärglich begünstigt; und da

man oft das Gold höher schätzt als einen Stamm­ baum, so bestimmten die Aeltern Emilien'»

32 Hand einem jungen Kaufmann, mit Namen Gor-

bau, der zwar sehr reich, aber desto ärmer an Mutterwitz war.

Die Aeltern erklärten ihr ernst und kathe-

gotisch: wie sie den Kaufmann Gordau als ih­ ren bestimmten Bräutigam ansehen, ihn so be­

handeln und ihm ohne Widerspruch die Hand am Altar reichen müsse.

Alle ihre Gegenvorstel­

lungen, Bitten und Thränen halfen nichts, sie mußte sich in den strengen Willen der Aeltern

fügen. Liebe ist erfinderisch.

Sie sann nun auf ein

Mittel, wie sie sich von einer so verhaßten Ver­

bindung losmachen könnte.

Die förmliche Ver­

lobung war geschehen, ihr Geliebter untröstlich, er hielt sie für sich auf ewig verloren.

Sie em­

pfing von ihm heimlich einen Brief,

der die

höchste Leidenschaft der Liebe und der Verzweif­

lung athmete; er nahm auf immer Abschied von

ihr, und erklärte: er wolle sich nach Amerika ein­

schiffen, um der Qual zu entrinnen, sie als die Gattin eines glücklichen Nebenbuhlers zu sehen,

33 aber ihr Bild würde ihm auch jenseits des Ozeans

folgen und ihn noch in der letzten, hoffentlich nicht mehr fernen Todesstunde umschweben. — Sie antwortete ihm sogleich, und beschwor ihn,

seinen voreiligen Entschluß nicht auszuführen; sie gelobte ihm unverbrüchliche Treue und schloß mit

den Worten: „Es ist noch nichts verloren, wenn nur Sie

nicht selbst mir meinen Plan vereiteln.

Blei­

ben Sie, verhalten Sie sich ruhig und über­

lassen Sie mir das Uebrige."

Der Unglückliche giebt auch der unwahr­ scheinlichen Hoffnung gern Gehör;

Tannen­

burg kannte zwar Emilien's Plan nicht, er beschloß aber doch, ihr zu gehorchen.

Der Abschiedsbrief des Geliebten, die Ver­ lobung, die gewaltsame Unterdrückung des Ge/

fühls, die ihr Inneres um desto schmerzhafter zerriß,

je

weniger

sie

ihm durch Seufzer,

Klagen und Thränen Lust machen durfte, mußte

nachtheilich auf sthre Gesundheit wirken.

Die

Blässe ihrer Wangen, eine ausfallende Reizbarkeit

T

34 der Nerven verkündeten ihre Unpäßlichkeit. Mit

Freude sah sie ihre leidende Gestalt im Spiegel

und noch mehr freute eö sie, wenn der Vater oder die Mutter, der aufgedrungene Bräutigam

und die Hausfreunde und Hausfreundinnen sie

theilnehmend fragten: was ihr fehle? „Ich kann es nicht recht beschreiben," erwie­ derte sie: „aber bei dem kleinsten Geräusch fühl'

ich mich so erschüttert, als wenn ein heftiger

Donnerschlag mein Gehör unerwartet träfe. Zch möchte immer schlafen, es fallt mir schwer, mich zu bewegen, selbst nur die Augen aufzuschlagen und zu sprechen."

Sie sagte dies in .einem mit ihrer frühern

Lebhaftigkeit sehr im Widerspruch stehenden schlep­ penden Ton,

hielt oft inne und es schien, als

wenn sie die Worte erst mühsam suche.

Der Hausarzt wurde zu Rathe gezogen; er fand den Puls regelmäßig, gestand aber, er könne

sich diese Symptome nicht recht erklären, ver­

schrieb indeß — um doch der medizinischen Fa­ kultät keine Schande zu machen — einen Trank,

35 der, wenn er auch zu nichts half, wenigstens nichts schlimmer machen konnte.

Plötzlich

deutete eines Morgens

Emilie

mit der Hand auf den Mund, und gab durch ein Zeichen zu verstehen, sie sey des Gebrauchs

ihrer Sprache beraubt.

Die Aeltern waren darüber aufs höchste be­ stürzt, auch der Verlobte.

Man sah, wie Emi­

lie sich anstrengte, zu sprechen; aber eö erfolgten dann nur einige unartikulirte, Töne, nie ein deut:

liches Wort, vielweniger eine zusammenhängende

Rede. Der Arzt wurde eiligst herbeigerufen.

Er

schüttelte bedenklich den Kopf, hielt das Uebel für eine Lähmung der Sprachorgane, und ver-

ordnete

darnach

manche

schmerzhafte

Mittel.

Emilie unterwarf sich mit seltner Resignation dieser Kur, aber sie blieb ohne Erfolg, und der

Arzt erklärte mit Bedauern: seine Patientin sey unheilbar. Zn der ganzen Stadt hatte man von der

Krankheit der Braut gesprochen;

wo der Arzt

C 2

36

hinkam, erkundigte man sich neugierig bei ihm:

geht es besser mit Emilie Berger? Sobald er sein Urtheil über ihre Unheilbar­

keit kund gemacht hatte, wurde der Bräutigam von allen Seiten mit der Frage bestürmt:

Sie werden doch keine stumme Frau nehmen? Diese Frage geschah hauptsächlich von denen,

welche einen so reichen Mann entweder selbst

zum Gatten oder zum Schwiegersohn gehabt hätten. Man setzte ihm sehr weitläuftig auseinan­

der: wie langweilig und unerfreulich eine Ehe mit einer Stummen sey, wie er sogar Gefahr liefe, eine stumme Nachkommenschaft zu erhalten, und er unter diesen Umständen vollkommen be, fugt sey, sein Wort zurückzunehmen.

Gordau's Wahl war nur durch Emir lien'S schönes Aeußere bestimmt worden; er

hatte keinen Sinn für die unsichtbaren Eigen­

schaften ihres Geistes; durch ihr Stummseyn hatte sie daher sehr viel in seinen Augen verlo-

37 ren, und manche Sarkasmen, die man schon auf Kosten seiner und seiner künftigen Gattin in

Umlauf brachte, waren nicht geeignet, ihn aufzumuntern, ein Gelübde zu halten, das ihm ein zu schweres Opfer schien. Er schrieb daher an seinen künftigen Schwier

gervater einen von seinem Rechtskonsulenten ent­ worfenen weitläufigen Brief, in welchem durch

eine Menge Citate aus alten und neuen Gesetzen

deducirt war, wie er an sein Versprechen nicht weiter gebunden sey und erbat sich eine förmliche

schriftliche Erklärung, von der Braut und deren Aeltern unterschrieben,

daß sie dawider nichts

einzuwenden hatten. So unlieb dieser Entsagungsbrief auch Emilien'ö Aeltern war, so fehlte cs ihnen doch an

Gründen, sich gegen den Antrag des künftigen Schwiegersohns zu sträuben.

Sie gingen daher zu der stummen Tochter.

Es war Beiden peinlich, der Unglücklichen eine solche nichts weniger als schmeichelhafte Aufkün­ digung kund zu machen.

Der Vater reichte

38 Emilie'n daher den Brief zaghast hin und sagte:

„Da, lies! aber erschrick nicht!" Emilie las.

Aufmerksam waren die Augen

der Aeltern aus die Tochter gerichtet. Sie fürch­

teten, daß dies Schreiben sehr nachtheilig auf

ihr Kind wirken möchte. ruhig,

Doch Emilie blieb

nur eine flüchtige Rothe überflog

die

bleichen Wangen, ein kleines Lächeln verklärte das Auge und die Lippen, von denen schon lange kein süßer Laut getönt hatte.

Sie nickte beifällig mit dem Kopfe, machte mit der Hand ein Zeichen, was man zu machen pflegt, wenn man Jemandem andeutet, er möge sich entfernen,

fland dann auf,

öffnete ihren

Schreibeschrank, und schrieb auf ein Blattcheu Papier:

„Zch habe nichts dawider. ihm nicht,

Zch verarge es

wenn er sich nicht die Last einer-

stummen Frau aufbürden will.

Zch fühle mich

aber jetzt durch mein Stummseyn minder un­

glücklich, als zuvor, denn es hüt mich überzeugt,

39

daß ich mich in dem Bräutigam, dem ich mich,

nur auf Zhren Befehl, versprechen müssen, nicht geirrt habe.

Wahre, innige Liebe würde mich

nicht so schnöde verlassen, sie würde eS nicht

bloß für eine Pflicht, sondern für ein Bedürfniß

des Herzens gehalten haben, dem geliebten Ge­ genstand. ein unverschuldetes Unglück zu erleich­

tern." Der Kaufmann Gordau empfing die ver­

langte Erklärung, und bald darauf wurde ihm eine andere Braut aufgeschwatzt.

Tannenburg hatte die Kunde von dem Unglück seiner Geliebten heftig erschüttert.

Er

hielt es jetzt um so mehr für seine Pflicht, ihr

durch feinen Gehorsam Beweise seiner unerschüt­

terlichen Anhänglichkeit zu geben.

Er ging täg­

lich vor ihrem Fenster vorüber und suchte sie mit forschenden Augen;

ein freundlicher Blick ver­

rieth ihm, daß er ihrem Herzen noch theuer sey

und unbewacht nickte sie ihm auch wohl zu, den

Finger auf den Mund legend, was er wohl zu

deuten wußte.

40 Bald nach dem förmlichen Zurücktritt seines Nebenbuhlers, fand

er ein kleines Billet von

Emilien auf seinem Tische, als er des Abends heimkehrte.

Er erbrach es hastig, schon an der

Aufschrift die geliebte Hand erkennend.

Die

finstre Wolke, die lange seine Stirne getrübt

hatte, verzog sich; er war plötzlich wie von einem kleinen Rausch, freudetrunken.

Unruhig ging er

im Zimmer auf und nieder; er nahm ein Buch

zur Hand,

versuchte zu lesen, eö waren aber

nur Worte, er konnte den Sinn nicht verfolgen,

eine Menge Gedanken durchkreuzten seine Seele. Er wollte sich endlich dem Schlaf überlassen,

aber auch nur auf wenige Minuten entschlum, werte er, wunderbare Traumbilder machten ihn wieder munter, die wenigen Stunden der Nacht

schienen ihm eine Ewigkeit. aus dem Bette.

Früh schon war er

Er kleidete sich sorgfältiger an,

und eilte dann zu Emiliens Vater.

Er wurde vorgelassen. „Mein Herr!" sagte er: „so eben erfahre

ich, daß die Helrath zwischen Ihrer Demoiselle

41

Tochter und dem Kaufmann Gordau rückgängig

geworden ist. — Bei dem Vorzug, den Sie ihm vor Allen gegeben haben, die sich um Zhre lie­ benswürdige Tochter bewarben, wagte ich es nicht, deshalb einen Schritt zu thun, der Ihnen nur die Unannehmlichkeit verursacht hätte, mir eine abschlägige Antwort zu ertheilen, mich aber

empfindlich gekränkt haben würde, obschon ich

hoffen konnte, daß Zhre Tochter günstiger für mich entschieden hätte. —

Zetzt haben sich die

Umstände geändert.

Sie hat das Unglück gehabt,

stumm zu werden.

Das hat zwar einen Einfluß

auf ihren Bräutigam gehabt, aber nicht auf mich. Meine Liebe zu Emilien ist viel zu rein, zu in­

nig, als daß sie dadurch hätte geschwächt werden können.

Za, was noch mehr, ich fühle, daß ich

sie jetzt noch glühender, noch unerschütterlicher liebe.

Können ihre Lippen auch nicht die edlen

Gesinnungen ihres Herzens kund machen, so sind

sie doch noch unverändert in ihrem Znnern ver­ borgen und keiner Vernichtung unterworfen, selbst

wenn der Geist die holde sterbliche Hülle auf

42 immer verlassen sollte. — Jetzt, wo mir kein

vom Glücke mehr Begünstigter im Wege steht, wage ich es, um die Hand Ihrer Tochter zu

bitten, nur um die Hand — ihr Herz — ich darf wohl mit edlem Stolz sagen — ihr Herz

besitze ich schon, so wie sie meines schon lange

ungetheilt besitzt." Berger ward durch diese unerwartete An­

rede überrascht.

Er sowohl wie seine Gattin

hatten schon alle Hoffnung aufgegeben, eine stum­

me Tochter verehlicht zu sehen, und der Gedan­

ke, daß sie nun stets in ihrem Hause bleiben und nach ihrem beiderseitigen Ableben ihre Sub­ sistenz nicht gesichert seyn würde, erfüllte sie mit Kummer.

Ein so edelmüthiger Antrag war nicht zu verwerfen.

Man erklärte sich zur Einwilligung

bereit, in sofern Emilie nichts dagegen zu er­ innern habe. Das Unglück der Tochter hatte die Aeltern geschmeidiger gemacht. Sie sahen es

als eine Strafe des Himmels für ihre gefühllose

Strenge gegen Emilien an.

43 Die Tochter wurde herbeigerufen. „Wir haben nichts gegen Ihren Antrag,

Herr von Tannenburg," begann jetzt der Da-

ter: „erklären Sie sich selbst gegen unsre Tochter,

wir lassen es ganz auf ihre Entscheidung

ankommen.

Aus Emilie n's ganzem Wesen sprach sich

freudige Ueberraschung aus.

Ein zärtlicher Blick

nach dem Geliebten sagte diesem: „Ich habe mich nicht getäuscht! —

Du

hältst Wort!"

Er wiederholte nun der Geliebten weit feu­ riger in Blicken und Worten, was er schon frü­ her ihren Aeltern erklärt hatte; ihre Rosenlippen

öffneten sich, als wenn sie sprechen wollten, aber

dann und wann entschlüpfte der Brust ein leises

Ach! das nicht Schmerz, sondern Freude verrieth.

Sie gab ihm durch Zeichen zu verstehen, daß sie stumm sey, und schrieb dann auf ein

Blättchen Papier:

„Nie hab ich eü schmerzhafter empfunden,

als in diesem Moment, daß ich der Sprache be»

44 raubt bin.

Zn diesem Moment, wo es mir un­

verwehrt ist, im Beiseyn meiner Aeltern Zhnen

zu bekennen, was ich schon lange in meiner Brust peinlich verschließen müssen: daß ich Sie — nur

Sie liebe.

Dieser Beweis Ihrer Liebe zu mir

ist mir die sicherste Bürgschaft für Ihre unwan*

delbare Treue; aber ich wäre einer solchen liebe­ vollen Selbstverläugnung unwerth, wenn ich selbst­

süchtig genug dächte, mein unglückliches Schick­ sal an das Ihrige zu ketten.

Mit zerrissenem

Herzen, mit dem Bewußtseyn, auf das höchste

Glück meines Lebens zu verzichten, muß ich das harte Urtheil über mich selbst niederschreiben:

Ich kann, ich darf nicht die Ihrige werden." Sie reichte ihm das Blatt mit der Rechten dar,

während sie mit der Linken die Augen verhüllte. Er überlas die Antwort und sagte dann mit

zitternder Stimme: „So ist mein Loos entschieden! —

Eine

grundlose Besorgniß macht Sie grausam wider

Ihren Willen.

Ich schwör' e6 Ihnen, ohne Sie

blüht mir kein Glück, keine Freude hienieden.

45 Selbst wenn sich diese seelenvollen Augen so dem Lichte verschließen sollten, wie Ihre Lippen der

Sprache, ich würde doch nur Sie zur treuen Gefährtin meines Lebens wählen." Er wandte sich nun an die Aeltern und bat

sie, bei der Tochter seine Dorsprecher zu seyn. Diesen kam eine solche abschlägige Antwort

sehr ungelegen; sie hatten das Gegentheil erwar­

tet und in ihrer jetzigen Lage gewünscht.

Sie

boten alle ihre Ueberredungsgabe auf, Emilien umzustimmen, und sie reichte endlich dem Gelieb­ ten mit einem freundlichen Nicken des blonden

Köpfchens die Hand dar.

Er drückte sie an seine Lippen, schloß die stumme Braut in seine Arme und sie sträubte sich nicht. -

Emilien'S Aeltern beeilten sich, die Trau­ ung zu beschleunigen.

Sie fürchteten, der neue

Bräutigam möchte, wie der frühere, sein Wort

zurücknehmen, obgleich ein rechtskundiger Haus­ freund sie tröstete, daß der Einwand des Stumm-

feyns für ihn keinen Grund abgebe, zurückzutreten, da er sich mit einer Stummen verlobt habe.

46 Er sehte die Ehepacten auf und bei der

Trauung wurde mit dem Geistlichen das Abkommen getroffen,

daß neben der stummen Braut

eine Zugendfreundin von ihr stehen, und bei dem

üblichen Trauungsformular, für sie das bindende

Za sagen sollte. Der entscheidende Tag erschien. Die Trauung fand in der Kirche Statt.

Eine große Menge

Neugieriger hatte sich eingefunden, um die stum­ me Braut bei dieser Ceremonie zu sehen.

Sie

war festlich, doch ohne eitlen Prunk geschmückt.

Ein weißes Gewand, das Symbol der Unschuld,

umfloß ihre zarten schlanken Glieder, auf dem noch weißern Busen schwebte ein goldnes Kreuz

an einer Schnur Perlen, und ruhte auf einem Strauß von halb erblühten Rosen.

Das blonde

Haar schmückte die jungfräuliche Myrthenkrone.

Alle Zuschauer richteten ihre Blicke auf die schöne Braut, und in jedem Herzen zeigte sich Wehmuth

über die der Sprache beraubten Zungfrau. Der Prediger trat vor den Altar und das

Brautpaar stellte sich ihm gegenüber.

47 In der kurzen Traurede sprach er von dem Glück einer auf geprüfte Liebe gegründeten Ehe; er berührte dabei die frühern Verhältnisse der

Braut, und erwähnte zu ihrem Troste, daß ihr

hartes Schicksal, durch eine sonderbare Fügung, sie wahrscheinlich vor einem noch Härtern bewahrt

habe, ein frendeloses Ehebündniß zu schließen.

Dann pries er den Bräutigam wegen seiner um erschütterlichen Beharrlichkeit, und schloß mit

den Worten: eine solche Treue werde nicht un-

vergolten bleiben. Als er darauf die Trauungsformel vorlas, und die Bestätigung des Brautpaars durch ein

lautes und deutliches Za verlangte, sagte nicht

nur der Bräutigam, sondern auch die Braut,

noch ehe die Stellvertreterin den Mund öffnen konnte, zum großen Erstaunen des Geistlichen, der Aeltern und Angehörigen und aller Anwes senden ein lautes Za!

Die plöhlich wiedererhaltene Sprache der Stummen galt allgemein für ein Wunder, und man bezweifelte dies um so weniger selbst in der

48 Folge, als der Arzt versicherte, wie alle mensch­

liche Kräfte nicht vermögend gewesen waren, Emilien die Sprache wiederzugeben, denn er

habe kein denkbares Mittel unversucht gelassen, um sie zu heilen.

Nur das junge Paar glaubte nicht an die

Wunder.

Emilie hatte, mit großer Anstren,

gung und beständiger bewundernöwerther Auf, merksamkeit Monate lang die Rolle einer Stum­ men gespielt, um sich dadurch von einem Bünd-

niß zu retten, das ihr schrecklicher schien, als der Tod;

als diese List einen so glücklichen Er;

folg hatte, federte sie ihren Geliebten auf, sich um ihre Hand zu bewerben, überzeugt, daß ihr

jeht ihre Aeltern keine Hindernisse in den Weg legen würden.

Was sie mit so vieler List er­

sonnen, mit so unerschütterlicher Beharrlichkeit

ausgeführt, gelang wies,

vollkommen;

Emilie be­

daß die Liebe das größte Wunder bewir­

ken und ein junges hübsches Mädchen monatlang zum Schweigen bringen kann.

49

Treue

Liebe.

wc-ß Anna Laudon, die einzige Tochter eir nes reichen Kaufmanns in London, machte die Bekanntschaft eines jungen Offiziers, mit Namen

Eduard Roß.

Ihre Schönheit und Grazie

fesselten ihn bald, aber mehr noch die Eigenschaf­ ten ihres Herzens und Geistes, denn sie verrieth bei manchen Gelegenheiten eine ungewöhnliche Charakterstärke, doch ohne dadurch — wie dies

gewöhnlich der Fall zu seyn pflegt — die Schran­

ken zu überschreiten, welche Natur und Sitte dem schönen Geschlecht gesteckt haben. Auch sie gab ihm bald den Vorzug vor andern jungen

Mannern, die sich um ihre Gunst bewarben.

Die Uebereinstimmung ihrer Gefühle und AnD

50 fichten wurden der erste Keim zu einer gegensei­ tigen Liebe, die mit jedem Tage tiefer wurzelte.

Roß konnte nicht lange dem Drange seines Her­ zens widerstehen, seiner stummen Liebe Worte zu leihen; verklärt von dem Purpur der Scham­

haftigkeit, legte sie ihm ein gleiches Geständniß

ab. Sie gelobten sich ewige Liebe und Treue.

Anna'a Jawort gewiß, wagte es nun Roß, ihre Aeltern um die Hand der Tochter zu bitten. Beide erklärten ihm aber bestimmt: wie sie ihre Einwilligung zu einer solchen Ehe

nie geben würden. Abgesehen davon, daß er ohne Vermögen und nur auf das Einkommen seiner

Gage beschränkt sey, würden sie sich nie ent­ schließen, ihre Tochter an eine Militairperson zu verheirathen, deren Leben bei jedem Kriege stünd­

lich in Gefahr schwebe, ob sie gleich sonst seinen schätzbaren Eigenschaften alle Gerechtigkeit wie«

derfahren ließen.

Die Mutter machte Anna diesen Beschluß bekannt, mit dem Zusatz, sie würd« darin die zärt­

liche Sorge derjenigen nicht verkennen, denen

51 ihr Glück über alles am Herzen läge, und als eine gehorsame Tochter sich in den alterlichen Willen fügen.

Alle Hoffnungen einer durch Liebe beglück­ ten Zukunft waren auf einmal zerstört.

Beiden

blieb nicht« übrig, als sich einem harten Geschick mit Ergebung zu unterwerfen; sie gelobten sich'

aber wechselseitig, daß nichts sie in ihrer Liebe

wankend machen sollte. Anna besaß zwar Ener­ gie der Seele genug, den Gram, der an ihrem

Herzen nagte, zu verbergen, aber dem scharfen Blick der Aeltern entging es doch nicht, daß sie ihre frühere Unbefangenheit verloren, und ihre

Munterkeit einen Anstrich von Kunst hatte. Der

Grund davon lag zu nahe, als daß sie ihn erst mühsam hätten

erforschen dürfen.

Mittel dagegen schien eine Heirath.

Da« beste

Mehrere

junge Männer bewarben sich um Anna's Hand;

aber so sehr auch die Aeltern einigen das Wort redeten, so blieb doch die Tochter ihrem Gelübde

unerschütterlich treu, und verweigerte ihr Ja­ wort. Sie hatte deshalb manchen schweren Kampf

D 2

52 zu bestehen, sie sagte sich bann aber immer selbst,

man hat mich zwar unglücklich machen können, aber keine Macht auf Erden soll mich treubrüchig

machen. Das liebende Paar sah sich zwar, nach die

sem mißlungnen Versuch einer ehelichen Verbin­

dung, seltner, denn Anna'ü Aeltern suchten den frühern Umgang mit dem Hauptmann Roß auf

«ine nicht auffallende Art zu beschränken, aber ihre Liebe minderte sich nicht. Wo sich ihre Blicke begegneten, erneuerten sie ihren Schwur.

So waren zwei volle Zahre verstossen; da bekam im Jahre 1775 das Regiment, bet welchem

Roß stand, den Befehl, sich nach Amerika «in-

zuschiffen. Dor seiner Abreise eilte er zu einer

Freundin von Miß Anna und beschwor sie: ihm noch den süßen Trost zu verschaffen, seiner Ge
ren Zweck nicht. Die kleinere Furcht besiegte die größere. Zum Glück kehrte auch in diesem Moment der Wirth zurück und versicherte, die Kosacken hätten sich zurückgezogen. Jetzt waren die drei Begleiter plötzlich wie umgewandelt, und ihr Anführer, ganz wieder der alte, sagte mit einem unterwürfigen, aber in diesen Verhältnissen desto schamloseren Ton zu dem Könige: Wie konnten Sie glauben, daß wir Sie verlassen würden? Haben wir Ihnen nicht schon hinlänglich Beweise unserer Treue gegeben? „Beweiset sie mir jetzt!" antwortete Stanis, lau« mit einem verächtlichen Blick, „und laßt das Wort: fliehen, nie wieder über Eure Lippen kommen". Bei diesen Worten bestieg der König wieder sein Pferd; er bemerkte aber bald, daß ihm seine

166

Begleiter nur in der Entfernung folgten; aller

Wahrscheinlichkeit nach in der Absicht, bei dem ersten Anschein von Gefahr, davon zu laufen.

Stanislaus ritt neben seinem Wirth. Nach 'einer halben Stunde kam man auf den

Straßendamm.

Hier stießen die Flüchtlinge auf

einen russischen Wagen mit drei Personen. Man verbarg sich hinter ein dichtes Gebüsch, und auch diese Gefahr

ging glücklich vorüber.

Hundert

Schritte von dort wurden die Pferde zurückge« lassen, und noch eine Viertelstunde Wegs zu Fuß zurückgelegt. Der Wirth machte endlich Halt und sagte

zu dem Könige: „Hier ist der Ort Ihrer Ueberfahrt. — Ich

verlasse Sie einen Augenblick.

Haben Sie die

Güte, sich so lange hinter diesem Gebüsche zu

verbergen, bis ich den Kahn herbeigeschafft habe." Er ließ nicht lange auf sich warten.

Da

die Begleiter des Königs, früher als er, das Geplätscher der Ruder vernommen hatten, so

gesellten sie sich nun eiligst zu ihm.

167 Stanislaus bestieg den Kahn, und end­

lich wurde die so sehnlichst gewünschte Ueberfahrt, nach so vielen überstandenen Gefahren,

bewerkstelligt. Als man fast das jenseitige Ufer erreicht hatte, zog der König seinen Retter, den Wirth,

bei Seite, dankte ihm für alles, was er in die­ ser Bedrängniß für ihn so edelmüthig gethan

habe, und drückte ihm so viel Dukaten in die

Hand» als er ungezählt mit solcher hatte fassen können. Auf Zureden des französischen Gesand­

ten hatte er zweihundert Stück zu sich gesteckt.

Ueberrascht und beschämt wollte er sich von

dem Könige losmachen, und verweigerte dies

Geschenk. „Nicht doch," sagte Stanislaus: „nehmt immer Liese Kleinigkeit. Zhr erweis't mir da­ durch einen neuen Dienst, und gebt mir einen

Beweis Eurer Anhänglichkeit." Der Mann beharrte standhaft auf seine Wei­

gerung; der König drang nun desto mehr in

ihn, seinen Wunsch zu erfüllen. Das Gespräch

168 wurde darüber so lebhaft, daß die Uebrigen ea für einen Zwist hielten und näher hinzukamen,

um den König zu beschwichtigen.

Der Wirth

bemerkte dies zuerst und sagte zu dem Könige

schnell: „Um Sie zufrieden zu stellen/ will ich zwei

Dukaten nehmen, zum ewigen Andenken, daß

ich so glücklich gewesen bin, meinen König in

meinem Hause zu bewirthen." Er nahm die beiden Dukaten und dankte

dafür auf eine Art, als wenn es ein unschähbare» Kleinod gewesen wäre.

Man landete am jenseitigen Ufer.

Hundert

Schritte von der Weichsel kam der König in ein großes Dorf.

Der Tag fing eben an zu

grauen, und ihm lag alles daran, feine Reise möglichst zu beschleunigen.

Er erfuhr, daß die

Russen auch auf dieser Seite noch einige Posten

ausgestellt hätten, und die Kosacken auch zuwei­ len in dieser Gegend fouragirten und plünderten. Stanislaus wünschte sogleich Pferde zu er­

halten, die ihm seine Führer schaffen sollten.

169

Diese glaubten aber, jeht sey nichts mehr zu fürchten, sie achteten also auf des Königs Ver­ langen nicht, und gingen in eine Schenke.

Er

mußte nun selbst die Runde um das Haus ma­

chen, um nicht von den Russen überfallen zu werden.

Höchst ärgerlich über dieses langweilige Ge­ schäft, mehr aber noch über den kostbaren Zeit­

verlust, ging er in die Schlafkammer seiner Füh­ rer, weckte den Einen und beredete ihn dazu:

ihm einen Wagen oder Karren, er möge auch

seyn» wie er wolle, und für jeden Preis zu ver­

schaffen. Der Geweckte ging fort, kam aber nach zwei Stunden so betrunken zurück, daß er sich kaum aufrecht erhalten konnte.

Er brachte ei­

nen Menschen mit, der dem Könige Pferde und einen mit Kaufmannsgütern beladenen Wagen vermiethen wollte, doch mit der Bedingung,

daß der König

den Werth

baarem Gelde bezahle.

der Waaren

in

Er fürchtete, die Kosa-

cken möchten die Waaren für gute Prise er,

klären.

170 „In solchen Fällen," sagte er: „muß man thun, was billig ist, und ich habe dem Eigenthü­

mer der Waaren dafür Bürgschaft geleistet." Stanislaus, der keine Minute zu ver­ lieren hatte, entschloß sich zu diesem Kauf. Die Ladung wurde auf fünf und zwanzig Dukaten geschätzt, und der König leistete sogleich die Zah­ lung, froh, so wohlfeilen Kaufs davon zu kommen. Dieser übereilte Kauf hatte aber sehr nachtheilige Folgen für ihn.

Daß ihn ein Mann

machte, der dem Aeußern nach nur ein schlichter Landmann schien, zog die Aufmerksamkeit einiger Bauern auf sich, die Zeuge davon gewesen wa­ ren. Es kamen bald mehrere hinzu, und er wurde mit dummdreisten Fragen belästigt. Aber das schlimmste war, daß der trunkne Führer, gereizt durch den Glanz der Goldstücke, welche Sta­ nislaus bei der Bezahlung gezeigt und wieder

zu sich gesteckt hatte, ihm seine bisher geleisteten Dienste auf eine höchst grobe und beleidigende Art vorhielt. Er rühmte seine Treue, sogar sei­

nen Muth, erinnerte den König an alle die Ge-

171 fahren, deren er sich seinetwegen ausgesetzt habe, und fügte hinzu: ec wolle sich nicht länger am Narrenseile Herumschleppen und mit leeren Wor­ ten abspeisen lassen, der König möchte sich deut­ lich erklären: was er ihm für seinen Theil als

Belohnung geben wolle?

Stanislaus befand sich in einer äußerst unangenehmen Lage. Zwar konnte der Nichts­

würdige bei seiner Trunkenheit nur halbunver­ ständliche Worte,

ohne allen Zusammenhang

lallen, aber die Umstehenden schienen doch, sich auf seine Seite zu neigen, und gaben nicht un­

deutlich zu verstehen, daß er wohl Recht haben müsse. Der König war ihnen schon durch den

Kauf verdächtig geworden, diese Scene mußte den Verdacht vermehren, und wenn sich gerade

jetzt Kosacken gezeigt hätten, so war es um ihn

geschehen. Stanislaus fürchtete überdies noch, der

Anführer feiner Begleitung möchte mit dem Trum kenbolt gemeinschaftliche Sache machen, und da­ durch sein Geheimniß verrathen werden.

Doch

172 diese Furcht war ungegründet; wider alle Ver­ muthung betrug er sich musterhaft.

Er trat ge­

gen den Unverschämten auf und sprach zu ihm in dem gebieterischen Tone, in dem er sich so wohl gefiel:

„Schurke! worüber hast Du Dich zu bekla­ gen? — Hast Du mehr Gefahren und Mühse­

ligkeiten gehabt, als wir? — Haben wir je solche

unverschämte Forderungen gemacht?"'

Darauf wandte er sich an die gaffende neu, gierige Menge:

„Glaubt diesem einfältigen Trunkenbolt nicht!

Wenn er sich um sein Bischen Verstand gesof­

fen hat, bildet er sich ein, unter Königen und Fürsten zu seyn. Hört Ihr noch eine Weile auf

ihn, so macht er mich wenigstens zu einem Her­ zog, und ich bin doch nichts mehr als tr, ein

armer Bauer."

Diese Rede änderte auf einmal die Stim­ mung der Umstehenden.

Sie äußerten laut ihre

Unzufriedenheit über den Betrunkenen, und es

173 entstand ein allgemeines Hohngelächter. Indessen richtete doch mancher noch neugierig feine Blicke

auf den König, und dieser hielt es für das klügste/

das Dorf sogleich zu verlassen.

Er hätte sich

gern von diesem gefährlichen Begleiter losge­

macht, aber dann schützte ihn nichts mehr vor

Verrath.

Er ließ ihn daher neben sich auf den

Wagen bringen.

falls auf,

Der Anführer setzte sich eben­

und den Dritten schickte er zurück,

um den französischen Gesandten von seiner glück­

lichen Ueberfahrt über die Weichsel in Kenntniß

zu sehen. Man fuhr aus dem Dorfe, ohne sich nach

dem Weg zu erkundigen, um, im Fall des Nach­

sehens, keine Spur zu verrathen. des Weges ganz unkundig.

Man war

Der König kannte

indeß aus Landcharten etwas die Gegend, und darnach richtete man sich.

die Nogat.

Man mußte über

Der König suchte den Punkt zu

gewinnen, wo sie sich von der Weichsel schei­

det, und ließ Marienburg, wo sich feindliche

Besahung befand, links liegen.

174 Man fuhr durch mehrere von Russen und Sachsen besetzte Dörfer, aber Keiner hielt den

Wagen an.

Man wagte es indeß doch nicht,

irgendwo anzuhalten, so Noth e« auch that; die

Hitze wurde immer größer, und die Pferde ver