Klaus Mann: Eine Psychobiographie [2 ed.] 9783896448958, 9783896731678

Bis heute beschäftigt und fasziniert Klaus Mann – der »tragische« Sohn des berühmten Schriftstellers und Nobelpreisträge

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German Pages 160 [131] Year 2003

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Klaus Mann: Eine Psychobiographie [2 ed.]
 9783896448958, 9783896731678

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Harald Neumann

Klaus Mann Eine Psychobiographie

2., überarbeitete Auflage

Verlag Wissenschaft & Praxis

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Bildnachweis:

Bilderdienst Süddeutscher Verlag, München

ISBN 3-89673-167-X

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Inhalt Der "Freitod" .........................................................................................................................7 Die frühen Jahre ..................................................................................................................12 Die finanziellen Verhältnisse im Hause Mann ...............................................................18 Drogen und Antisemitismus..............................................................................................26 Homophilie und Homosexualität .....................................................................................29 Exkurs: Sigmund Freud und die Psychoanalyse.............................................................49 Exkurs: Die Schrebers – ein Vater-Sohn-Konflikt? ......................................................54 Betäubungsmittel- und Nikotinsucht...............................................................................64 Zunehmender Verfall und Tod.........................................................................................78 Gustaf Gründgens...............................................................................................................83 Familie, Verwandte, Vorfahren.........................................................................................86 Das tragische Ende..............................................................................................................95 Nachtrag............................................................................................................................. 106 Anmerkungen.................................................................................................................... 108

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Der "Freitod" Am 21. Mai 1949 war gegen achtzehn Uhr das Leben von Klaus Mann, dem am 18. 11. 1906 in München erstgeborenen Sohn von Thomas Mann, infolge einer Überdosis Schlafmittel in einer Klinik in Nizza zu Ende gegangen. Diesen sogenannten Freitod deutete man im nachhinein unterschiedlich. In seinem Buch »Nachprüfung« listet Marcel Reich-Ranicki die einzelnen Überlegungen auf: Der Vater Thomas Mann führte den Freitod seines Sohnes – er hatte Klaus bei seiner Geburt als »Fortsetzung und Wiederbeginn meiner Selbst unter neuen Bedingungen« bejubelt – auf die zeitgeschichtlichen Umstände zurück. Denn die spielerisch-übermütige Kindheit dieses begabten Sohnes sei eigentlich erst mit dem Exil beendet gewesen. Thomas Mann wies mit Recht darauf hin, daß im Verhältnis zur kurzen Spanne seines Lebens der »Umfang seines Werkes enorm« sei, wenn auch diesem viele Raschheiten und Leichtigkeiten abträglich seien. Sein Sohn habe jedoch zu den Begabtesten seiner Generation gehört, vielleicht sei er der Allerbegabteste gewesen1. Klaus Mann sagte über sich selbst, für ihn habe es keine Knabenjahre gegeben, er sei zur Literatur verurteilt, schon in der Wiege von ihr eingefangen und verzaubert worden wie von einer unbarmherzigen Fee. Diese Antwort gab er schon 1930 auf eine Umfrage einer literarischen Zeitschrift, an 50 europäische Schriftsteller gerichtet2. Und zwei Jahre zuvor hatte er – zwar mit Ironie sich selbst gegenüber, doch auch mit einem Hauch von Stolz – festgehalten, er habe schon mit 14 Jahren auf ein Oeuvre von 40 »Dramen«, 20 »Romanen« und etwa 10 Bänden »Lyrik« zurückgeschaut3. Der Vater führt weiter aus, die Erfahrung des Exils4 habe Klaus zum Mann gemacht, seinen Ernst hervorgerufen, aber ihn auch das Böse erfahren lassen. Zwar habe er immer schon ein Verlangen nach persönlicher Auslöschung gehabt, doch habe sich dieses nach dem Ende des 2. Weltkrieges mit der allgemeinen Verzweiflung der Intelligenz in dieser Zeit gemischt. Sein Freitod sei damit in hohem Maße als Opfer der Zeit zu betrachten. In ähnlicher Weise läßt sich Friedrich Sieburg aus, der vor allem auf das Bekenntnisbuch von Klaus Mann »Der Wendepunkt« hinweist, bekanntlich über weite Strecken eine schonungslose Chronik der Welt zwischen beiden Kriegen, eingeengt allerdings auf eine persönliche Betrachtung der Gegebenheiten. Sieburg meint, Klaus Mann habe qualvoll an der Kette gezerrt, die ihn an Deutschland gebunden habe. Aber in den USA, für den McCarthyismus, sei er so etwas wie ein Agent der »Roten« geworden; zuletzt habe er zwischen all diesen Regierungen gelebt. »Der Wendepunkt« sei jedoch sein bestes und wahrhaftigstes Buch geworden, und er

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habe dies auch gewußt. Seine Verzweiflung müsse wohl zum tödlichen Ausgang gestrebt haben, als er erkannte, daß der Sturz der Gewaltherrschaft ihm zwar die Verfügung über sein Leben zurückgegeben hatte, er mit diesem aber nichts mehr zu beginnen wußte5. Man kann aber auch einwerfen, daß Klaus Mann infolge der seelisch-geistigen Veränderung durch den jahrelang betriebenen Medikamenten- und Betäubungsmittelmißbrauch keinen Neubeginn mehr setzen konnte. Nach Hans Mayer war der Tod von Klaus Mann letztlich ein politischer Todesfall, denn er sei im und am kalten Krieg zugrunde gegangen. Um diese These des politischen Hintergrundes für den Freitod von Klaus Mann zu erhärten, weist man auf dessen nach seinem Tod veröffentlichte Studie »Die Heimsuchung des europäischen Geistes«6 hin. Nach Klaus Mann lasse der Kampf zwischen den beiden antigeistigen Riesenmächten, dem amerikanischen Geld und dem russischen Fanatismus, keinen Raum für eine intellektuelle Unabhängigkeit und Integrität. Man sei auf einem Punkt angelangt, wo nur die dramatischste, die äußerste Geste noch irgendeine Aussicht habe, bemerkt zu werden und den blinden, hypnotisierten Massen ins Gewissen zu reden. Wie Virginia Woolf, Ernst Toller, Stefan Zweig müßten Hunderte, ja Tausende von Intellektuellen ihnen folgen. »Eine Selbstmordwelle, der die hervorragendsten, gefeiertesten Geister zum Opfer fielen«, würde die Völker aus ihrer Lethargie aufschrecken. Eine solche Überlegung Klaus Manns kann nicht unabhängig von seinem Ausgang als Süchtiger betrachtet werden. Darauf ist später noch näher einzugehen. Die Menschen im damaligen Westdeutschland, teilweise am Verhungern, hätten eine solche Freitodwelle höchstens mit einem Achselzucken beantwortet. Denn immer noch galt und gilt: »Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral« (Brecht). Wenn der Verfasser des Doktor Faustus am 24.7.1948 in seinem Tagebuch festhielt, im Herbst 1947 habe man in Freiburg nach dem Buch Schlange gestanden, so vergaß er wohl, daß das Interesse an einem neuen Buch damals zwar groß war, ein solches Buch jedoch auch geeignet schien, um es gegen Lebensmittel einzutauschen. Denn immerhin war die Währungsreform erst am 22. Juni 1948 angelaufen – ein Hinweis in bezug auf die Tagebucheintragung, daß auch ein Thomas Mann im fernen Kalifornien über die damalige Notzeit nicht recht unterrichtet war. —

Es gab immer wieder Selbstmordwellen in der Geschichte; man erinnere sich an die Selbstmordwelle der Indianer nach der Entdeckung durch Kolumbus und seine Nachfolger, als ganze Inselvölker sich umbrachten, um nicht als Sklaven von den Spaniern verschleppt und in die Bergwerke gebracht zu werden. Als diese Menschenquelle versiegt war, griff man bekanntermaßen auf die Eingeborenen in Schwarzafrika zurück, eine Handlungsweise, die man über viele Jahrzehnte beibehielt und die zur Bezeichnung der »Goldküste« in Afrika führte. Denn erst nach

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den Befreiungskriegen (1815) schaffte man in Europa offiziell die Sklaverei ab. Portugal soll als letztes Land hierzu bereit gewesen sein. Denn das kleine Portugal hatte bei seinen Entdeckungsfahrten den damals noch unerforschten mittleren und südlichen Teil von Afrika entlang, schon frühzeitig afrikanische Sklaven zurückgebracht. Sklaven zu haben galt damals als selbstverständlich, man brauchte nur in die »Summa theologica« des Thomas von Aquin hineinzuschauen. Die von Klaus Mann in seinem Aufsatz, auf den der Vater später lobend hinwies, propagierte Selbstmordwelle hätte somit nicht den geringsten Erfolg gehabt, da seine Gedankengänge intellektuell überzogen waren. Dabei hätte sich Klaus Mann über die Wirkungslosigkeit solcher Aufrufe durchaus im klaren sein müssen, denn nach dem für ihn mit Verlust verbundenen Eingehen seiner Zeitschrift »Decision« schrieb er an seine Mutter, er sei furchtbar traurig, nicht nur wegen des Verlustes der Zeitschrift oder wegen der vergeblichen Mühe und Plage, sondern weil »der ganze Schlamassel mir so recht vor Augen rückt, wie wenig man unsereinen in dieser fragwürdigen Welt will, braucht und würdigt.«7 Hierbei muß man darauf hinweisen, daß die von Klaus Mann so hervorgehobenen Beispiele von Vorkämpfern eines die Völker aufrüttelnden Freitodes ganz anders gelagert waren: Virginia Woolf ging nach mehrfacher stationärer Behandlung ihrer immer wieder in Schüben auftretenden geistigen Störung am 26. März 1941 in die kalten Fluten des Flusses Ouse, wobei sie sich, um ganz sicher nicht mehr aufzutauchen, einen schweren Felsbrocken in die Tasche gezwängt hatte. Ein erneuter schizophrener Schub mit imperativen Stimmen zum Freitod war über sie hereingebrochen. Sie folgte diesem »Befehl« trotz der fürsorglichen Hilfe ihres Ehemannes Leonard Woolf. Er hatte sich ihrem schon in junger Ehe geäußerten Wunsch nach sexueller Enthaltsamkeit gefügt, da er um das Außerordentliche seiner Frau wußte. Man sagt von Leonard Woolf, ohne seine zarte Rücksicht, ohne die Geborgenheit, die er ihr gab, und ohne seine unauffällige Führung hätte Virginia Woolf keinen ihrer Romane zustande gebracht. »Ich kann Dir nicht weiter Dein Leben zerstören«, schrieb sie ihm im Abschiedsbrief8. Ebenfalls unter dem Druck seiner ihn quälenden »Stimmen« ging etwa 30 Jahre später der deutschsprachige Lyriker Paul Celan (geboren am 23.11.1920 in Czernowitz) in die Fluten der Seine, wahrscheinlich Ende April 1970; man fand seine Leiche erst nach Wochen. In seinem Erinnerungsbuch »Mein 20. Jahrhundert« schreibt Ludwig Marcuse, Joseph Roth habe die schlimme Nachricht vom Freitod Tollers im Hotel de la Poste, einem kleinen Bistro neben dem Luxemburg, empfangen, und er habe aufgeschrien: »Das hättest du nicht tun sollen.« Bei Marcuse heißt es weiter: »Einige Stunden später starb er (also Roth) im Armenspital, er hatte sich zunichte getrun-

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ken.« Marcuse meint, Toller und Roth seien an der gleichen Krankheit zugrunde gegangen: »Dem Mangel an Zukunft«9. Aber die Lage war doch bei beiden grundverschieden: Bei Ernst Toller war es im Laufe eines jahrelangen, schleichenden schizophrenen Prozesses zur Minderung seiner produktiven Kraft gekommen. Marcuse bemerkte, wie Toller zermürbt wurde von dem Mißverhältnis zwischen seinem Weltruhm und seiner Leistung. Beim gemeinsamen Spaziergang am Hudson kamen sie auf den Freund Roth zu sprechen: »So möchte ich schreiben können«, sagte Toller sehr niedergeschlagen. Er hatte auch keine Verträge mehr bekommen, man war, wie Golo Mann darlegt, sehr grausam und abscheulich mit dem einst gar zu Berühmten umgegangen10. Und der über 10 Jahre in Berlin als Nervenarzt tätige Alfred Döblin berichtete, er habe 1939 beim internationalen PEN-Kongreß in New York seinen alten Patienten Toller wiedergetroffen. Dieser habe ihn aus dem Saal gezogen und an ihn als Arzt appelliert: »Ich wußte schon, als er mich durch den Saal zog, er befand sich in einem psychotischen Zustand, nicht dem ersten, der ihn befallen hatte.« In den nächsten Tagen sei Toller fast Abend für Abend zu ihm ins Hotel zu Gesprächen und Konsultationen gekommen. Später hörte Döblin, Toller habe sich am Gurt seines Bademantels erhängt, doch habe er noch kurz zuvor mit seiner Sekretärin gearbeitet und auch das Rückreise-Ticket nach England besessen. Döblin fragte sich dann selbst: »Hatte ihn der Jammer der Zeit umgebracht? Lag sein Fall so wie der von Stefan Zweig?« – Darauf gleich die Erwiderung Döblins: »Sein psychotischer Zustand gibt die Antwort.« Toller habe ihm gegenüber seine ambulante Elektroschockbehandlung bei einem amerikanischen Psychiater verschwiegen. Döblin mußte später eine heftige Auseinandersetzung mit einem bekannten und erfolgreichen österreichischen Dramatiker durchstehen (wahrscheinlich war es Louis Untermeyer), der mit Energie die These vertreten hat, Toller sei genauso ein Opfer der Zeitumstände geworden wie Stefan Zweig11. Auch für Stefan Zweig gilt nicht, daß er als Opfer seiner Zeit in den Freitod gegangen ist. Geboren 1881 in einem jüdisch-großbürgerlichen Hause (der Vater war Textilfabrikant und Millionär, die Mutter entstammte einer Bankierfamilie), wuchs er in einem besonderen Windschatten auf, den ihm ein großes Vermögen in einem gründerzeitlichen k. k. Österreich bot. In seinem neben den Kurzgeschichten und Novellen wohl besten Buch »Die Welt von Gestern« hat er diese Welt noch einmal, wenn auch in vielem verklärend, zum Leben erweckt. Schon der Gymnasiast konnte in angesehenen Zeitschriften seine Gedichte gedruckt sehen. Dem Wunsche der Eltern nach einem abgeschlossenen Studium entsprach er mit seiner Promotion zum Doktor der Philosophie. Er lernte auf seinen Reisen in ganz Europa und im Ausland bis nach Indien die bedeutendsten internationalen Dichter seiner Zeit kennen. Neben seinen zahlreichen eigenen Werken entstanden seine Übersetzungen. Im 1. Weltkrieg war er wegen Untauglichkeit nicht zu dem von ihm erwünsch—

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ten Fronteinsatz gekommen, dafür arbeitete er im österreichischen Kriegsarchiv. Jedoch begann etwa seit 1916 seine Abwendung vom nationalistischen Gedanken, und er entwickelte sich mehr und mehr zu einem Pazifisten. Am Kapuzinerberg in Salzburg erwarb er ein schloßartiges Anwesen. Seine damals noch verheiratete Lebensgefährtin Friederike begleitete ihn; später heirateten beide. Sie riet ihm, sich sowohl der Politik als auch eines tätigen Kapitalismus zu enthalten. Sein in Deutschland damals bekanntestes Werk waren die »Sternstunden der Menschheit«, wo sich seine Kunst der atemberaubenden Vereinfachung am stärksten niederschlug. Wegen der zunehmenden Unruhe und Unsicherheit in Österreich nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 im Reich übersiedelte er nach England. Den Anstoß dazu mag gegeben haben, daß man bei ihm, einem überzeugten Pazifisten, das Haus nach versteckten Waffen durchsucht hatte. Seine im Laufe vieler Jahre zusammengetragenen Handschriftensammlungen, von denen er sich augenscheinlich bei der Niederschrift seiner Biographien mit inspirieren ließ, verkaufte er, zog nach London, später nach Bath, um bei Beginn des 2. Weltkrieges in die USA auszuwandern. Obwohl man ihn hier gastlich aufnahm – eine Wohltat, die viele exilierte Schriftsteller entbehren mußten – und er auch über reichliche Geldmittel verfügte, mit denen er mittellose und gefährdete Dichter, z. B. Joseph Roth, unterstützte, fühlte er sich in dem großen Land nicht wohl. Von seiner Frau, die nach ihren schlechten Erfahrungen mit attraktiven Hilfskräften eine unscheinbare Sekretärin angestellt hatte; ließ er sich scheiden, heiratete später diese Sekretärin und zog mit ihr nach Petropolis, einem Vorort von Rio de Janeiro. Dort geriet er im eine von ihm nicht bedachte Isolation: Er war abgeschnitten von seiner Muttersprache und den Bibliotheken mit ihren Dokumenten und Archiven, die er für seine historischen Romane benötigte. Geradezu folgerichtig geriet der dünnhäutige Autor zuletzt in eine, wie er glaubte, aussichtslose Lage. Man liest zwar in seinem, wie immer in der ihm eigenen gepflegten Schrift verfaßten letzten Brief aus Petropolis vom 22.2.1942, er scheide aus freiem Willen und mit klaren Sinnen aus dem Leben. Nirgends sonst hätte er lieber sein Leben von Grund auf neu aufgebaut, nachdem das Land seiner eigenen Sprache für ihn untergegangen sei und seine geistige Heimat Europa sich selbst vernichte. Aber seine Lebenskräfte seien durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft. »So halte ich es für besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschließen, dem geistige Arbeit die lauterste Freude und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen waren.« Am 23.2.1942 ging Stefan Zweig mit seiner Frau in den Tod11a. Seinem inneren Gefüge kommt man sicherlich am nächsten, daß hier eine schwere, weitgehende Depression diesen lauteren Geist in seine Auslöschung getrieben hatte. Somit kann schwerlich davon die Rede sein, auch hier habe noch ein ausreichendes Maß von freiheitlichem Tun bestanden. Doch glaubte Klaus Mann, als Vorbild für einen bewußten Freitod von Tausenden von Intellektuellen in Europa auch Stefan Zweig heranziehen zu können, um die seiner Meinung nach geistige Lethargie zu überwinden.

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Die frühen Jahre Nach diesen notwendigen Ausführungen muß man somit folgern, daß Klaus Mann in seinem beschwörenden Text zu kurz griff, weil er wahrscheinlich schon damals durch seine negative Wesensveränderung den von ihm erblickten Problemkreis in seiner Gesamtheit nicht mehr zu erfassen und somit auch nicht mehr darzustellen fähig war. Die von ihm vor die Schranken der Geschichte gerufenen Zeugen konnten, da ihr Ausgang ja ganz verschieden war, nicht in seinem Sinne aussagen. Der Vater Thomas Mann wußte dies wohl, schwieg jedoch, nicht zuletzt aus verhaltener Trauer um seinen toten Sohn. Gestützt auf die zweibändige Ausgabe der Briefe von Klaus Mann schreibt Reich-Ranicki, daß Klaus Mann zwar ein Leben lang an einer Kette gezerrt habe, doch habe diese ihn nicht an Deutschland gebunden. Es mache nachdenklich, daß der Brief des Fünfzehnjährigen an seinen Vater und der letzte Brief, einen Tag vor seinem Freitod an Schwester und Mutter gerichtet, doch zeigten, daß er der gleiche geblieben war. Obwohl mit fünfzehn und sechzehn Jahren schon sehr frühreif, müßte man dennoch bezweifeln, daß Klaus Mann erwachsen gewesen sei, als er diese Welt verlassen habe. Etwas anders setzt Golo Mann das Licht, der große Bruder Klaus habe sich zwar schon sechzehnjährig von den Eltern aus selbständig gemacht, jedoch »nie ganz«. Er habe auch im Münchner Haus sein Zimmer bis zum Schluß behalten, mit Bildern, Fotos, Büchern und ganz nach seinem Geschmack eingerichtet; das gleiche habe er in Küßnacht, Princeton und Pacific Palisades bei den Eltern gehabt. Dort habe er öfter und auch für längere Zeit gewohnt, jedoch immer nur als Gast, der also für seine Unterkunft, soweit man dies beurteilen kann, nicht zu bezahlen brauchtel2. Aufschlußreich ist, welche ganz verschiedenen Leitbilder der heranwachsende junge Autor sich auserkoren hatte: Nietzsche, Sokrates, Whitman und Novalis. Nietzsche war jedoch nur der Alles-Zertrümmerer, ohne einen gangbaren Weg zu zeigen. Dies gilt auch, weniger kraß allerdings, für den ewigen Zweifler Sokrates. Der gleichgeschlechtliche Hymniker Whitman konnte den jungen Mann sicherlich bis ins Innerste aufwühlen, man fragt sich jedoch, ob er ihm auch auf seinem Lebensweg genützt hat. Er war der Gegensatz zu dem frommen, tief religiösen, keineswegs fortschrittlich ausgerichteten, sondern ins Mittelalter zurückblickenden Novalis, dessen Hymnen aus den geistlichen Liedern die reinste Verschmelzung einer irdischen und himmlischen Liebe in der deutschen Sprache bis heute geblieben sind. Auch wenn das Leben Prozeß heißt, ein immerwährendes Sich-Wandeln bei relativ gleichbleibenden Grundstrukturen, die sich im Laufe der Zeit verfestigen, muß man sich doch fragen, inwieweit diese Vorbilder später auch eine Strecke 12

mit Klaus Mann gegangen sind. Er kannte sie alle, doch wirkten sie bei ihm und halfen sie ihm das Leben zu meistern? Nach Reich-Ranicki war Klaus Mann dreifach geschlagen: Er war der Sohn von Thomas Mann, er war homosexuell und außerdem süchtig. »Woran hat er am meisten gelitten?«13 Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Nachdem der Spuk der Inflation vorüber war, beschloß der Achtzehnjährige, wie er selbst schreibt, eine literarische Laufbahn zu beginnen. Wie stellte er dies an? Natürlich verfügte er als Sohn eines bekannten Schriftstellers über gewisse Beziehungen, doch wollte er sich dieser »aus Stolz und Eigensinn zunächst nicht bedienen«. Er schickte drei kurze Studien über Rimbaud, Huysman und Georg Trakl an Siegfried Jacobson, der damals die »Weltbühne« herausgab. Klaus Mann hatte seinen Namen nicht genannt, doch bekam ihn Jacobson bald heraus und bestand darauf, die Essays nur unter dem eigentlichen Namen veröffentlichen zu wollen. Seine Nachsicht gegenüber Jacobson sei der entscheidende Fehler seiner jungen Karriere gewesen, meinte Klaus Mann später. Denn von nun an war er nur der naseweise Sohn eines berühmten Vaters, der sich nicht entblödete, den Vorteil seiner Geburt geschäftstüchtig und reklamesüchtig auszunutzen.14 Belustigt und erstaunt zugleich fährt Klaus Mann fort, was immer er zu bieten vermocht habe, man habe es ihm abgenommen und interessant gefunden. »Die feinsten Blätter und Revuen druckten meine Kurzgeschichten, Plaudereien und Betrachtungen.« In seine Hände kam viel Geld, das es ihm ermöglichte, von Heidelberg nach Frankfurt, von dort nach Berlin und wieder zurück nach Heidelberg zu wechseln, wenn er auch zuletzt wieder an seinem »geliebten Kurfürstendamm« eintraf. Hier begann die von ihm selbst mehrfach festgestellte »Rastlosigkeit«, wobei er jedoch immer, was er gleichfalls betont, viel arbeitete. Im »12 Uhr-Mittagsblatt«, einer in hoher Auflage erscheinenden Tageszeitung, brachte er seine Theaterkritiken unter. »Der Achtzehnjährige durfte als seriöser Kritiker im Parkett sitzen«; er gehörte somit zu dieser noblen Gilde und tauschte »nachlässig joviale Kollegengrüße« mit den anderen Herren aus. Nach dem Ende einer Vorstellung sei er heimlich kichernd zum Redaktionsbüro geeilt und habe dort seine Kritiken geschrieben15. Am Ende des Winters dieser Saison ließ sich Klaus Mann vom »12 Uhr-Mittagsblatt« beurlauben, um Zeit für seine eigenen Bücher zu haben. In den Jahren 1925 bis 1932 veröffentlichte er »in beängstigendem Tempo« (Reich-Ranicki) zwei Stücke, drei Romane, drei Erzählungsbände, eine Autobiographie, einen Band mit Aufsätzen und zusammen mit der älteren Schwester Erika zwei Reisebücher.

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Hätte ein anderer, unbekannter Autor es fertiggebracht, so viele Elaborate in die Druckmaschinen zu bringen? Natürlich fiel ihm das Schreiben leicht, auch arbeitete er fleißig, doch meint Reich-Ranicki, sehe man von einigen literaturkritischen Aufsätzen ab, so sei alles, was Klaus Mann in jenen Jahren verfaßt und veröffentlicht habe, »überaus schwach, oder bestenfalls belanglos.« Was der Vater als Nachlässigkeit angesehen habe, könne man auch – so führt Reich-Ranicki weiter aus – bei dem Sohn des größten deutschen Stilisten als einen »bemerkenswerten Mangel an Stilgefühl« charakterisieren. So jage im »Mephisto« ein Klischee das andere16. Ob dieses Urteil zu hart ist, vermag ein Psychiater nicht zu beurteilen. Vergebens sucht man allerdings bei Klaus Mann nach dem traumhaft-sicheren Glanz des l6jährigen Gymnasiasten Loris, also Hugo von Hofmannsthal. Auffällig bleibt, daß der noch nicht achtzehnjährige Klaus Mann seine ersten Veröffentlichungen »Nachmittag im Schloß« in der damals sehr verbreiteten »Vossischen Zeitung« herausbringen konnte. Immerhin hatte man auch seine Werke 5bis 17mal übersetzt, so ins Englische, Schwedische, Spanische und Tschechische. Der Rowohlt Verlag brachte, trotz des Verbotes durch das Bundesverfassungsgericht auf Grund einer Privatklage des Regisseurs Peter Grundgens-Gorski er war der Adoptivsohn von Gustaf Gründgens am 2. Januar 1971 eine erste Taschenbuchausgabe des »Mephisto« von 30 000 Exemplaren heraus; nur fünf Wochen später waren bereits 250 000 durch den Druck gelaufen17. —

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Die offenkundige Unstimmigkeit zwischen der Qualität seiner literarischen Erzeugnisse und ihrer Publizität hat Klaus Mann durchaus erfaßt. Sein Vater äußerte sich niemals über den »Mephisto«. Gerade zu dieser Zeit seiner ersten Veröffentlichungen sei, wie Klaus Mann ausführt, »Der Zauberberg« als des Vaters erster deutscher Roman von großem europäischen Format begrüßt und anerkannt worden. Nur auf dem soliden Hintergrund dieses väterlichen Ruhmes sei sein »zwitterhafter Glanz«, der seinen Start umgeben habe, zu verstehen. »Es war wohl in seinem Schatten, daß ich meine Laufbahn begann, und so zappelte ich mich wohl etwas ab und benahm mich ein wenig auffällig, um nicht völlig übersehen zu werden.« Man habe dann zu sehr von ihm Notiz genommen; er habe andererseits zu wenig bedacht, daß seine unbedenkliche Exzentrizität auch für den Vater allerlei Peinlichkeiten mit sich gebracht hatte. Unglücklicherweise fiel diese Ungebundenheit von Klaus Mann in jene Zeit, in der die nachrückenden jungen Dichter Thomas Mann in die Ecke drücken wollten: »Man verhöhnte ihn als einen Schriftsteller von gestern, der ins Museum gehöre.« Dabei hat Thomas Mann, wie man aus seinen Tagebüchern ersieht, sehr genau die Reaktionen der Öffentlichkeit auf seine Romane festgehalten, unter abwertenden Besprechungen vor allem des »Doktor Faustus« in den USA – gelitten und geradezu meisterhaft seinen Ruhm verwaltet; er war auch zu jeder Zeit für alle möglichen Ehrungen empfänglich – mit Ausnahme —



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der ihm zugedachten Ehrungen mit Geldzuwendungen in der damaligen sowjetzonalen Zone. Seine Tagebücher haben Thomas Mann zwar vom hohen Podest des Olymps heruntergeholt, ihn aber menschlicher erscheinen lassen und zunehmende Bewunderung hervorgerufen. So erfährt man beispielsweise, wie dieser hypochondrische Neurotiker von extremen Graden, dem Disziplin stets in hohem Maße zu eigen war und der immer ein umsichtiger Pragmatiker und Vermittler sein wollte, sich durch regelmäßiges Reisen und eine geradezu beamtenmäßige Pflichterfüllung auch in bezug auf seine ihn bis in die letzten Jahre bedrängende und begleitende gleichgeschlechtliche Veranlagung in der Gewalt hatte. Somit läßt sich sagen, daß es Thomas Mann in lebenslangem Ringen mit seinen Gefährdungen zuletzt doch so weit gebracht hatte, daß er sich zu bezähmen wußte und ihm weder sein Leben noch sein Dichten zerrann, um einen oft zitierten Ausspruch Goethes auf den schlesischen Dichter und Kandidaten der Medizin Johann Christian Günther etwas zu variieren. Dieser, am 8.4.1695 in Striegau/Schlesien geboren, verstarb im Elend am 15. März 1723 in Jena. Man sagt von Günther, er habe den damaligen Manierismus überwunden und die lyrische Dichtung des 18. Jahrhunderts begründet. Somit stand er zwischen Barock und Sturm und Drang. Ein Jahr nach seinem Tod sammelte man seine Gedichte, die ihm geradezu aus der Feder geflossen waren; zuletzt hatte er sie nur noch diktieren können, als er wegen körperlicher Schwäche nicht mehr fähig war zu schreiben. Dieses Buch mit seinen Gedichten erlebte in 9 Jahren 4 Auflagen, man erweiterte es 10 Jahre später und konnte auch diese Auflage noch 5mal verlegen. Bis zum Auftreten der Stürmer und Dränger – Goethe vornehmlich – war Günther der meistgelesene deutschsprachige Lyriker. Seine ungestüme Lebensführung ließ ihn oftmals anecken. Trotz vielfacher Hilfe durch Freunde kam er nie aus den Schulden heraus; der als Arzt in Striegau praktizierende Vater verweigerte die Aussöhnung mit seinem Sohn, obwohl dieser sich deshalb fünfmal auf den Weg zu ihm gemacht hatte. In elendem Zustand kroch er gleichsam nach Jena zurück, um dort endlich zum Doktor der Medizin promoviert zu werden. Doch nach dem jahrelangen Hunger, einer oft überwältigenden Arbeitswut im Schreiben, aber auch in Ausschweifungen, verweigerte sich ihm zuletzt sein Körper18. Hingegen kann nicht genug betont werden, daß Thomas Mann sein Leben fast durchweg in geradezu beamtenmäßiger Erfüllung meisterte; er erlag nur einer Sucht: Seiner Nikotinsucht. Auf die sei später eingegangen. Dabei war Thomas Mann, wie alle schöpferischen Leute, keineswegs frei von inneren Spannungen und wußte durchaus um seine Neigung zu Wutzuständen. Sohn Golo berichtet von Jähzorn und Brutalität des Vaters gegen seinen Sohn Klaus. Allerdings fragt man sich sogleich: Wie alt war damals Klaus? Mußte der Vater

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schon Abstriche machen an seinem Kronprinzen wegen dessen Betäubungsmittelsucht, die er doch letztlich verachtete? Denn um den Buben Klaus machten sich die Eltern zeitlebens erhebliche Sorgen, schon um den Neunjährigen, der 1915 in der Privatklinik des Dr. Krecke nach einer Bauchhöhlenentzündung (= Peritonitis) infolge eines durchbrochenen Wurmfortsatzes mit dem Tod rang. Er war damals für die Eltern ihr »liebenswürdigstes Kind«, so der Vater am 18.12.1915 an den Schwager Peter Pringsheim: »Sein Verlust wäre überaus bitter gewesen«19. Und in seinem Tagebuch hielt Thomas Mann fest, er habe wiederholt festgestellt, daß er von den Sechsen die beiden Ältesten (also Erika und Klaus) sowie Elisabethchen mit seltsamer Entschiedenheit bevorzuge20. Hier sei angemerkt, daß heute nur noch starr-orthodoxe Psychoanalytiker die Vorstellung hochhalten, die Kindheit stelle ein für allemal die Weichen für die Zukunft des Lebens. Wenn diese Prägung unveränderlich und unbeeinflußbar sein sollte, so fragt man sich immer wieder, warum gerade Psychoanalytiker sich vor allem auf dem Gebiete der Psychotherapie so eifrig tummeln. Gegen diese Glaubenssätze der orthodoxen Psychoanalytiker veröffentlichten zwei Schweizer Psychiater schon vor Jahren eine vorzügliche Kritik, die jedoch durch das geradezu diktaturähnliche Verhalten vieler Herausgeber von »Psychoblättern« zum Verstummen gebracht wurde. Das besagt aber keineswegs, daß diese gut belegte Kritik an der Lehre von der schicksalhaften Bedeutung erster Erlebnisse nicht zu Recht besteht21. Bei Klaus Mann hingegen glaubt man sagen zu können, daß die Toleranz der Eltern ihm ermöglichte, sich frei zu entfalten. Der Vater scheint allerdings viele Jahre hindurch eine distanzierende Haltung zu seinen Kindern bewahrt zu haben, die sich vielleicht nur in den letzten Jahren gegenüber seinem Lieblingskind Erika etwas geändert hat. Allgemein heißt es, den Vater habe man morgens bei seiner Arbeit am Schreibtisch nicht stören dürfen. Die Erziehung lag somit im wesentlichen bei der Mutter; aber auch die Kinder erzogen sich selbst; Golo Mann schreibt, daß der ältere Bruder immer mit leichter Hand die kleine Schar zu Hause lenkte. Später wirkte Klaus Mann gegenüber seiner Umgebung meist freundlich und heiter zugleich, sieht man von den lebensimmanenten, bei ihm allerdings oftmals stark ausgeprägten Verstimmungen ab, die jeden Menschen von Zeit zu Zeit überfallen und von ihm verkraftet werden müssen. Bei den Auseinandersetzungen mit dem Vater weiß man nur selten, um welchen Zeitpunkt es sich gehandelt und ob sich der Sohn – vielleicht unbewußt – im Laufe des Gespräches Reizpunkte gesetzt hatte. Aber auch die anderen Kinder mußten Ausbrüche väterlichen Jähzornes gegen die Mutter Katia miterleben, deren immer präsenter, logisch-juristischer Intelligenz der Ehemann Thomas nicht gewachsen war22. Hier gilt jedoch zu beachten, daß Thomas Mann im Gegensatz zu seiner hochintelligenten Frau eben genial war. Es gibt doch sehr zu denken, daß nach Marcel Reich-Ranicki dieser Thomas Mann bis heute der einzige deutsche Romanautor

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geblieben ist, der Weltruf errang, was man zuerst nicht glauben will, läßt man die unendlich langen Borde, angefüllt mit Romanen anderer deutscher Autoren, an seinem geistigen Auge vorüberziehen.

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Die finanziellen Verhältnisse im Hause Mann In nicht wenigen Biographien über Künstler, deren Leben einigermaßen glatt verlief, kommt es kaum einmal zur Sprache, wovon diese Kulturträger gelebt haben. Thomas Mann wie auch sein Bruder Heinrich trafen es zu Beginn ihrer schriftstellerischen Laufbahn gut: Der Senator Thomas Johann Heinrich Mann (1849 - 1891), Inhaber der Lübecker Firma »Johann Siegmund Mann, Getreidehandlung, Kommissions- und Petitionsgeschäfte« (1863), Senator (1877) und seit 1869 mit Julia da Silva-Bruhns verheiratet, hatte klar erkannt, daß sein nicht mehr so gutgehendes Geschäft von keinem seiner Kinder je hätte übernommen werden können. Somit hatte er die Auflösung nach seinem Tod in einem ausführlichen Testament angeordnet – hier gab er noch ein kurzes Portrait seiner Kinder mit Ausnahme Viktors, der ein Jahr vor dem Tod seines Vaters zur Welt gekommen war. Aus dem Erlös der Firma gewann man ein Gesamtvermögen von ca. 400000 Mark, wobei zur Erläuterung darauf hingewiesen sei, daß man damals in einem einfachen Münchner Wirtshaus einen Braten mit Beilage für 40 Pfennig bekam23. Die jugendliche Witwe Julia Mann war wegen unerquicklich werdender Verhältnisse von Lübeck nach München gezogen; sie setzte in den neunziger Jahren ihren beiden Söhnen, die nicht mehr mit im Haushalt lebten, eine monatliche Rente von ca. 200 Mark aus24. Nach der Heirat (1905) mit der 1883 in München geborenen Katia Pringsheim sie hatte als Externe in München als erste Abiturientin mit 17 Jahren glanzvoll die Reifeprüfung bestanden und mit dem Studium der Mathematik und Physik begonnen reichte ihrem Sohn Thomas das Einkommen eines jungen, aber bereits durch die »Buddenbrooks« bekannten Autors nicht aus, um sein repräsentatives Leben zu bestreiten. Der begüterte, von seinem Schwiegersohn Thomas aber nicht gerade geliebte Professor Pringsheim steuerte jeweils einen monatlichen Beitrag bei. In der Inflationszeit schmolz dann alles Vermögen hinweg, es sei denn, man hatte es in Grundbesitz oder Ländereien angelegt. Thomas Mann hatte jedoch sein 1908 in Bad Tölz erbautes Landhaus im Krieg für Kriegsanleihen verkauft. Somit war er auf seine Tantiemen als Schriftsteller und Autor angewiesen, um seinen Lebensstil beibehalten zu können, der bis 1933 groß-bürgerlich gehalten war. Am 17.2.1912 bat er seinen Bruder Heinrich in einem Brief ernstlich und dringend, etwas mehr als bisher auf die Rückerstattung des Geldes, »das Du unserem viel in Anspruch genommenen Haushalt schuldest«, bedacht zu sein. Er stehe zur Zeit mit einem Einkommen von 10000 Mark jährlich bestens da, während seine – Thomas' – Lage viel schlechter sei: Er habe vier Kinder, vier Dienstboten, ein Landhaus und eine 5000Mark-Wohnung in der Stadt zu unterhalten, doch reiche Katias Rente bei weitem —



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nicht aus. Seine Reserven seien aufgezehrt, und wenn seine Schuldner sich nicht etwas zurückhielten, könne er am 1. April die Miete nicht bezahlen25. Schon früh wußte Thomas Mann, daß er – mit seinen Worten – ein fürstliches Talent zum Repräsentieren habe, wie er am 27.2.1904 an den Bruder Heinrich schrieb26. Dem Briefwechsel von Thomas Mann mit seinem Verleger, Dr. med. BermannFischer, kann man entnehmen, Autor der »Buddenbrooks« als Nachkomme einer geschäftstüchtigen Lübecker Kaufmannsfamilie hartnäckig, gelegentlich auch mißtrauisch verhandelte, auch einmal einräumte, seine polemische Ader spiele ihm manchmal einen Streich. Doch behielt er bis zuletzt die Übersicht über seine geschäftlichen Bedingungen, blieb auch, trotz anderer verlockender Angebote, beim Fischer-Verlag, vielleicht aus Anhänglichkeit an den großen Samuel Fischer, der ja die Niederschrift der »Buddenbrooks« angeregt und das Werk mit beträchtlichem Erfolg verlegt hatte. Bei seinem Nachfolger und Schwiegersohn Bermann-Fischer fühlte sich Thomas Mann wahrscheinlich geborgen, zumal er einige Zeit der höchstbezahlte Autor des Verlages gewesen war. Dank seiner Begabung, Menschen für sich einzuspannen, ließ schon der junge Autor Thomas Mann es nicht an Freundlichkeit und Aufmerksamkeit gegenüber Brigitte B. Fischer fehlen26a, da diese nach dem Tod ihres elf Jahre älteren Bruders Gerhart – er verstarb an Typhus – als Erbin des großen Verlages ausersehen war. Ihr Ehemann, der Chirurg Dr. med. Bermann-Fischer, übernahm nach dem Tod des Verlagsgründers im Oktober 1934 den Verlag, mußte ihn aber später nach Wien verlegen. Am 13. März 1938 konnte man noch rechtzeitig aus Wien flüchten, kam nach Schweden und den USA und kehrte erst 1946 nach Deutschland zurück. Während des Krieges hatte Peter Suhrkamp (1898 - 1959) als Geschäftsführer den S. Fischer Verlag geführt, nach Kriegsende konnte er sich mit Bermann-Fischer nicht einigen, so daß man sich trennte und Suhrkamp seinen Verlag mit den Autoren, die zu ihm hinüberwechselten, gründete. Diese Schwierigkeiten des Verlegerehepaares Brigitte und Gottfried BermannFischer waren Thomas Mann sicherlich bekannt. Trotzdem hat er, oftmals geradezu hartnäckig, um die Höhe der Honorare gefeilscht, weil er für seine sechs Kinder viel Geld brauchte: Der Sohn Klaus hat sich, abgesehen von seiner Dienstzeit als Soldat, niemals von Zuwendungen der Eltern freimachen können; die Publizistin Erika Mann-Auden konnte sich in Amerika nicht durchsetzen; der Historiker Golo Mann mußte nach dem Ausbleiben seiner Zuhörer in New York in vier Tagen, wo er nur von Brot und Wein lebte, zu den Eltern nach Pacific Palisades fahren, und Elisabethchen war während des Krieges in New York erwerbsunfähig. Alle Kinder wurden von den Eltern unterstützt. Frau Katia wachte darüber, daß man einigermaßen auskam, denn in den USA mußte sie sehr haushalten. Zwar hat sein dortiger Verleger, Alfred A. Knopf, Thomas Mann für die Staaten »entdeckt«, er soll sich jedoch »äußerst cool« verhalten haben, wenn der Autor ihn

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um Vorschuß anging. Für den in den USA ebenfalls nicht erfolgreichen Bert Brecht war, wie aus seinen 1972 erschienenen Werktagebüchern hervorgeht, der Romanautor ein Gegenstand des blinden Hasses. Er nannte ihn »das Reptil« und notierte auch, Thomas Mann habe seinen Bruder buchstäblich hungern lassen, habe vier bis fünf Autos besessen und ein großes Haus geführt. Der Sohn Golo Mann mußte später einiges klarstellen: Der auf ein Jahr befristete Vertrag mit den Filmgewaltigen endete damit, daß diese ein Hohngelächter anstimmten, als man sie wegen einer Verlängerung anging; auch die Verträge für Alfred Döblin und Alfred Neumann ließ man auslaufen. Seinem in den USA praktisch völlig vergessenen Bruder Heinrich Mann setzte Thomas Mann 150 Dollar im Monat aus, es könnten auch – so Golo Mann – 175 Dollar gewesen sein. Einmal scheint Thomas Mann seinem Bruder sogar mit einer größeren Summe geholfen zu haben, wobei der Beschenkte die 750 Dollar aufteilte: Ein neuer Zahnersatz in Höhe von 225 Dollar und 300 Dollar für einen Wagen, den man allerdings nach einer Reise verkaufen wollte, waren noch zu bezahlen. Wovon aber lebte der nach Brechts Worten »hartherzige Millionär« selbst während der Kriegsjahre? Sein Verleger Alfred Knopf überwies im Monat eine Pauschalsumme von 500 Dollar, doch ging davon so viel ab, daß der Unterstützer Thomas Mann selbst auf eine Unterstützung angewiesen war: Unter der höflich verschleierten Form eines Gehaltes für ein nicht existierendes Amt (»Adviser of the library of Congress for Germanic Language«) ließ Agnes Meyer ihm monatlich weitere 500 Dol lar zukommen. Da diese Frau auch für den Lebensunterhalt von Klaus Mann bedeutsam war, aber kaum im Schrifttum auftaucht, soll sie hier angeführt werden: Agnes Meyer (geboren 1887), war ursprünglich Journalistin, hatte an der Sorbonne in Paris studiert und war in den USA die Frau Eugenee Meyers (1875 - 1959) geworden, der als Großbankier im und nach dem Kriege eine bedeutende Rolle gespielt hatte. Dieser stillen Wohltäterin war Thomas Mann zeitlebens dankbar; er ließ ihr viele Briefe zukommen. In einem der letzten Briefe, geschrieben am 9. Februar 1955 in Kilchberg, redete er sie mit »Liebe Fürstin und Freundin« an und unterzeichnete mit »Ihr alter Schützling«27. Bekanntlich kehrten die Eltern Thomas und Katia Mann von einer Auslandsreise nach dem 30. Januar 1933 auf Rat ihrer Kinder Erika und Klaus nicht mehr nach München zurück. Warum hielt sich Thomas Mann aber dann noch Jahre hindurch in der Schweiz auf? Sicherlich gehörte auch er, wie sein Sohn Golo Mann freimütig einräumt, zu den vielen Exilierten, welche die höllische Durchsetzungs- und Tatkraft eines Adolf Hitler in grotesker Weise unterschätzten28, aber auch nicht recht sahen, daß eine entsetzliche Not die Millionen zu ihm getrieben hatte. Zum anderen waren die Bücher von Thomas Mann bei der allgemeinen Bücherverbrennung nicht dabei. Daher konnte noch am 25. Oktober 1935 ein gewisser Karl Schwarz im »Völkischen Beobachter« mißbilligend darauf hinweisen, man gehe in jeden beliebigen Buchladen und könne sich die letzten Neuerscheinungen

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Thomas Manns vorlegen lassen. Denn dieser sei nicht ein Gebannter wie seine engsten Anverwandten Heinrich, Erika und Klaus, sein Werk stehe als Erscheinung zum Gesamtschrifttum nach wie vor öffentlich zur Diskussion29. Auf diese Tantiemen seiner Bücher in Deutschland war Thomas Mann angewiesen und als haushälterischer Vater versuchte er, so lange wie möglich, es bei diesem Zustand zu belassen. Der in Gelddingen recht unbekümmerte Sohn konnte, um den väterlichen Halt wissend, durchaus am 23.3.1933 an Dr. Friedrich schreiben, er trete aus dem Schutzverband aus und bedauere, dieser Organisation wenngleich nur für Wochen – beigetreten zu sein, da sie mit einer so blamablen Geschwindigkeit vor der Macht kapituliert habe.30 Hingegen hielt der Vater mißmutig am 29.3.1933 im Tagebuch fest: »Ärger über Klaus, der unautorisierterweise groben Brief an Dr. Friedrich geschrieben«31. —

Erst als der Schweizer Literaturhistoriker und Kritiker Eduard Korrodi (1885 1955) in der »Neue Zürcher Zeitung« vom 26.1.1936 sich dahingehend äußerte, er wüßte unter den Emigrierten keinen Lyriker von Bedeutung zu erwähnen, es seien vor allem »die Romanindustrie und ein paar wirkliche Könner« ausgewandert, raffte sich Thomas Mann unter dem Diktat seiner Kinder, vor allem von Erika, dazu auf, sich öffentlich vom Nazideutschland zu trennen (erschienen am 3.2.1936 in »Neue Zürcher Zeitung«). Während man dem Bruder Heinrich Mann bereits 1934 in der ersten Ausbürgerungsliste im »Reichsanzeiger«, Klaus Mann im November 1934 und Erika im Juli 1935 die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannte, tat man dies bei Thomas Mann erst nach Ablauf der Olympischen Spiele, nämlich am 5.12.1936. Somit hatte sich Thomas Mann mit der ihm eigenen Langsamkeit von einem national-konservativen Deutschen zu einem Demokraten humanistischer Prägung gewandelt. Zeitlebens, und dies hat er immer wieder betont, war Thomas Mann jedoch niemals Kommunist; dasselbe gilt für seinen Sohn, der zwar vom 17. August bis 1. September 1934 am Allunionskongreß der Sowjetschriftstel1er teilnahm, jedoch hervorhob, er sei kein Kommunist und sei nie einer gewesen, er sei nicht einmal ein Marxist32. Im nachhinein gesehen, hatten die beiden ältesten Kinder Erika und Klaus recht, ihrem Vater von der Rückkehr nach München abzuraten: Chef der Bayerischen Politischen Partei war in der damaligen Zeit der SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, der an den damaligen Reichsstatthalter Bayerns, den Ritter von Epp, schrieb, der Schriftsteller Thomas Mann befinde sich im Ausland, er habe sich als Gegner der nationalen Bewegung gezeigt, seine undeutsche und juden-freundliche Einstellung habe dazu geführt, gegen Thomas Mann Schutzhaftbefehl zu erlassen. Dieser habe durch seine Abwesenheit nicht vollzogen werden können; doch habe man nach den Weisungen der Ministerien sämtliche Vermögenswerte beschlagnahmt. Golo Mann hat nach und nach von den Konten des Vaters 60000 Reichsmark abheben, die Tochter Erika aus dem Haus einige Manuskripte retten können.

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Hätte man Thomas Mann in Schutzhaft genommen, so wäre der Nobelpreisträger von 1929, der damals bei der Festrede in Stockholm geäußert hatte, die ihm zuteil gewordene Ehre lege er zu Füßen seines Volkes, in üble Verhältnisse gekommen, wenngleich wohl nicht so sehr wie ein anderer bekannter deutscher Publizist, Carl von Ossietzky (1889 - 1938). Er war von 1926 bis 1936 als zunehmend überzeugter Pazifist Chefredakteur der Zeitschrift »Die Weltbühne« geworden; in Schutzhaft mißhandelte man ihn, schlug ihm die Zähne ein und brach ihm ein Bein. Bekannt ist sein Bild mit der Nummer 562 auf der linken Brustseite, wo er gedemütigt und schwach vor einem hünenhaften SS-Aufseher steht. Da die Art seiner Mißhandlungen auch im Ausland bekannt wurde, durfte ihn im Februar 1934 Carl J. Burckhardt im KZ Papenburg besuchen. Er berichtete später: »Ein zitterndes, totenblasses Etwas, ein Wesen, das gefühllos zu sein schien, ein Auge verschwollen, die Zähne anscheinend eingeschlagen, schlecht geheiltes Bein ... Ich ging ihm entgegen, reichte ihm die Hand, die er nicht ergriff, ... und sprach ihn an: Ich bringe Ihnen Grüße Ihrer Freunde ... ich bin hier, um Ihnen, soweit uns das möglich ist, zu helfen. Nichts. Vor mir, gerade noch lebend, stand ein Mensch, der an der äußersten Grenze des Tragbaren angelangt war.« 1935 sprach man Carl von Ossietzky den Friedensnobelpreis zu. Hitler verbot daraufhin allen Deutschen, in Zukunft einen Nobelpreis anzunehmen. Deshalb konnte z. B. der Entdecker der Wirkung der Sulfonamide, Gerhard Domagk (1885 - 1964), den ihm 1939 verliehenen Nobelpreis erst nach Kriegsende in Empfang nehmen. 1936 entließ man den zum Krüppel geschlagenen, verstummten Ossietzky nach Hause; dieser »tapfere und rein gesinnte Schriftsteller« (Thomas Mann) verstarb am 2. Mai 1938 in einem Berliner Krankenhaus. William Faulkner (1890 - 1962, Nobelpreisträger für Literatur 1949) lebte – mit Unterbrechungen – insgesamt vier Jahre als Skriptschreiber in dem gehaßten Hollywood; er mußte aber Geld verdienen, denn er steckte zeitlebens in Schulden. Der von ihm verehrte Thomas Mann wohnte in der Nähe von Hollywood, doch suchte Faulkner ihn nie auf. Er soll aber über Thomas Mann gesagt haben: »Was für eine unmenschliche Brutalität: Der Einwanderer Hitler machte den bedeutendsten Künstler seiner Zeit zum Auswanderer.« Wenn man in manchen Berichten über Thomas Mann mehr oder weniger versteckt findet, er sei zu erpicht aufs Geldverdienen gewesen, so vergißt man leider, daß er wie bereits erwähnt – für die Seinen zu sorgen hatte«. Die unbekümmerten Kinder Erika und Klaus machten zwar eine Weltreise und veröffentlichten ein Buch, doch ihre Schulden waren so hoch, daß es ihrem Vater erst nach Verleihung des Nobelpreises möglich war, sämtliche Schulden seiner beiden Kinder zu begleichen. Auch seinem Bruder Viktor ließ er damals eine »reiche Dotation« zukommen. Und der Freund Hallgarten – er erschoß sich am 5. Mai 1932 – hinterließ sowohl Erika als auch Klaus je 10000 Mark, eine in der damaligen Zeit enorme Summe; —

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doch sagt man, die beiden Kinder hätten ihr gewohntes großspuriges Leben weitergeführt. An Goethe mag sich Thomas Mann an dessen haushälterischem und geldlichem Geschick gefreut haben33, an seinem Bruder Heinrich konnte er ablesen, wie ein alt und erfolglos gewordener Schriftsteller auf 1-Hilfe angewiesen ist. Wie stand es bei Klaus Mann mit der Kunst des haushälterischen Umgehens mit Geld? »Das dear money – welches die Eigenart hat, bei mir nicht bleiben zu mögen.« schrieb er mehrfach an seine Eltern. Dabei hatte er sicherlich auch in geldlicher Hinsicht die außerordentlichen Vorteile, die er als Sohn von Thomas Mann besaß, mehr oder minder in die Waagschale geworfen, obwohl er sich andererseits immer ausführlich über die Nachteile seiner Geburt ausgelassen hatte. Mit Recht meint jedoch Golo Mann, sein Bruder Klaus habe schließlich von den Vorteilen, die der Name des Vaters mit sich gebracht habe, Gebrauch machen können oder auch nicht. Dabei hat es Klaus Mann dem Vater gar nicht leicht gemacht. Wenn dieser 1925 in das Exemplar seines Romanes »Der Zauberberg« schrieb: »Dem geschätzten Kollegen – sein hoffnungsvoller Vater«34, so hat dieser Sohn die Widmung in geradezu pubertärer Unbekümmertheit sogleich seinen Freunden gezeigt, die natürlich nichts Besseres zu tun hatten, als es lauthals der Welt kundzutun. Somit war das Verhältnis des Vaters, der damals mit jüngeren, nachrückenden Dichterkollegen zu kämpfen hatte, zu seinem Sohn nie spannungsfrei. Die Mischung aus spöttischer Ironie und Liebe des Vaters zu seinen beiden Ältesten spürte auch das Kind Brigitte Fischer bei einem Besuch in München und hat sich später sogar geängstigt35. Zu großen Auftritten zwischen Vater und Sohn scheint es jedoch nie gekommen zu sein, wenn der Sohn wieder einmal als Schiffbrüchiger im elterlichen Hafen anlangte. Golo Mann hätte dies sicherlich nicht verschwiegen. Wenn Klaus Mann festhielt, die Haltung seines Vaters ihm gegenüber sei zu jener Zeit (als er sich von ihm frei machen wollte) »von ironischem Wohlwollen und abwartender Reserviertheit, halb skeptisch, halb belustigt« gewesen, so fragt man sich, wie anders hätte sich der ebenfalls sehr dünnhäutige und zum Jähzorn neigende Thomas Mann verhalten können, um in einem erträglichen Gleichgewicht zu bleiben, da die tägliche, lebensnotwendige Arbeit am Schreibtisch zu leisten war. »Ich glaube nicht, daß er sich jemals ernste Sorgen um mich gemacht hat«, fährt Klaus Mann eine Zeile weiter fort. Ist dies nicht ein abwegiges, aber auch ungerechtes Urteil? Vergaß Klaus Mann, als er diesen Satz niederschrieb, seine eigene Lebensführung mit den fast nie abreißenden Sorgen für die Eltern? In Augenblicken des Heimwehs hat er sich allerdings gern an eine Situation erinnert, die ihm, an sich ganz bedeutungslos, »doch immer ergreifend im Gedächtnis bleiben wird«: Bei einer seiner vielen Abfahrten von zu Hause hat der Chauffeur Hans mit einer höflichen Verbeugung den Wagenschlag geöffnet, und in diesem Augenblick erschien der Vater am Fenster seines

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Schlafzimmers. Es war um vier Uhr nachmittags, die Ruhestunde für den Hausherrn. Er trug einen dunklen Schlafrock, eine schöne Robe aus blauem Brokat, in der er sich jedoch fast nie vor den Kindern sehen ließ; er wollte gerade die Jalousien herunterlassen. Als er jedoch den Wagen, das Gepäck, den Chauffeur und den Sohn unten in der Allee bemerkte, winkte er Klaus mit »einem müden und ernsten Lächeln« zu: »Viel Glück, mein Sohn!« sagte der Vater, mit halb scherzhafter Feierlichkeit. »Und komm heim, wenn du elend bist!«35a – War dies nicht ein Vater, der sich zeitlebens um seinen ältesten Sohn gekümmert und gesorgt hat? Ein weiterer Hinweis sei hier noch angebracht: In seinem Roman »Der Vulkan« schildert Klaus Mann die Irrfahrten, Belastungen, aber auch die abartigen Süchte und Ausgänge von Exilautoren. Der Roman beginnt mit dem 1. April 1933 und endet mit dem 1. Januar 1939. Hier haben, wie man sagte, alle einen Platz, es entfaltet sich ein überreiches Panorama von Exilschicksalen. In anschaulichen Episoden kommt oft der bittere Alltag des Lebens unter fremdem Himmel zu Sprache: das erniedrigende Warten beim Hilfskomitee, die von einer Durchsuchung durch die Fremdenpolizei gestörte Liebesnacht, die endlosen, politischen Debatten in Cafes, die Sorgen um die Aufenthaltserlaubnis und einen gültigen Paß, aber auch die oftmalige nackte, materielle Not35b. In der Person des drogenabhängigen Martin Korella, der in einem offenen Heim eine Entziehungskur macht, hat Klaus Mann sich und seinen Freund, den süchtigen Schriftsteller Wolfgang Helmert, nachgezeichnet. In dem Roman sind, trotz des politischen Engagements des Autors, die Passagen, die den Untergang des homosexuellen Morphinisten Martin Korella betreffen, am eindrucksvollsten. Dessen Gedanken arbeiten nach einer Injektion mit einem Betäubungsmittel beinahe mit der gleichen traumhaft-beschwingten Leichtigkeit wie nach den großen Heroininjektionen35c. Klaus Mann hielt seinen Roman »Der Vulkan« für seine umfangreichste, vielleicht auch seine beste Arbeit, fügte aber hinzu, das Buch sei praktisch im Ausbruch des 2. Weltkrieges untergegangen. Von den wenigen Äußerungen sei ihm ein sehr schöner Brief seines Vaters die kostbarste35d. Thomas Mann schrieb ihm am 22.7.1939 aus dem Grandhotel und Kurhaus Noordwijk aan Zee (Holland): »Sie haben Dich ja lange nicht für voll genommen, ein Söhnchen in Dir gesehen und einen Windbeutel, ich konnte es nicht ändern. Als Emigrationsroman ... ganz konkurrenzlos – wer Sinn hat für diese Art, dem Leben Schmerzlichkeit, Phantastik und Tiefe zu geben (für meinen Teil erkläre ich, daß ich Sinn dafür habe) ... ein großes, geschmeidiges Talent, das mit Leichtigkeit schwierige Dinge bewältigt und sich überraschend stark entfaltet hat«35e. Nach Golo Mann ist der Bruder Klaus nie aus den Geldsorgen herausgekommen. Er habe drei Viertel seines erwachsenen Lebens in Hotelzimmern, Pensionen und Garnihotels zugebracht: in guten, aber auch in billigen und deprimierenden wie beispielsweise in Frankreich, Holland und Amerika: »... das brachte er hin mit dem,

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was er verdiente und mit dem Zuschuß aus dem Elternhaus und fast immer von Schulden belästigt, sich letztlich aber immer noch redlich aus der Affäre ziehend.« Nur als Soldat von 1943 bis 45 sei er ganz ohne Geldsorgen gewesen und dazu auch ganz selbständig36. Hier muß jedoch angefügt werden: Der Soldat bekommt von außen ein Gerüst, das ihn zwar einengt, aber auch hält, sein Tag ist vorgezeichnet und die Gelegenheiten, Geld auszugeben, sind dünn gesät. Jedenfalls fand man in dem Zimmer von Klaus Mann nach seinem Tode kein Geld mehr, er war, wie er der Schwester kurz zuvor geschrieben hatte, »völlig blank«. Im letzten Brief an seine Mutter, vom 20. Mai 1949 aus Cannes, fragte er nach ihrer »schönen Dollarüberweisung«, die jedoch »leider irgendwie gar nicht flutscht«37.

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Drogen und Antisemitismus Der Großteil seines Geldes floß in die Taschen seiner gleichgeschlechtlichen Freunde oder seiner Lieferanten für Betäubungsmittel. Dabei scheint der Vater von jeher sogar gegen Schlafmittel eine ängstliche Abneigung gehabt zu haben, nachzulesen noch in einem Brief des 79jährigen vom 21.3.1954 an Ida Herz. Und sein »Lieblingskind« Erika – sie lag damals im »Billings-Hospital«, in demselben Krankenhaus, in dem sich Thomas Mann seiner Lungenoperation hatte unterziehen müssen – bat der besorgte Vater am 20.5.1951 brieflich eindringlich, sie möge nicht mehr als zwei »gelbe Gickerlinge« am Abend nehmen, womit er ein leichtes Schlafmittel in gelben Kapseln meinte. Nach seiner festen Überzeugung verzögerten solche Medikamente die Heilung, auch wenn die Arzte ihr dies nicht sagten38. Noch ein Jahr vor seinem Tod schrieb Thomas Mann am 21.3.1954 an Ida Herz aus Erlenbach bei Zürich, er wende sich gegen Aldous Huxleys Buch »Pforten der Wahrnehmung« (The doors of Perception). Er habe schon ein schlechtes Gewissen, wenn er abends ein bißchen Seconal oder Phanodorm nähme, um besser zu schlafen. Aber am hellen Tage sich in einen Zustand zu versetzen, in dem alles einem gleichgültig werde und man »in gewissenlosen ästhetischen Selbstgenuß verfalle«, dies sei ihm widerwärtig. Huxley hätte seine Mystiker lehren sollen, daß Leiden das schnellste Tier sei, das uns zur Vollkommenheit trage, was man vom Doping nicht sagen könne. Und das Versunkensein in das Daseinswunder eines Stuhls oder in allerlei entzückende Farbgaukeleien habe mit Stumpfsinn mehr zu tun, als Huxley denke. Es sei zwar kein unmoralisches, jedoch ein verantwortungsloses Buch, das nur zur Verdummung der Welt und zu ihrer Unfähigkeit beitrage, den todernsten Fragen der Zeit mit Verstand zu begegnen39. Während der Sohn Klaus zwar frühreif war, eine einigermaßen lebensgerechte Reifung bei ihm jedoch ausblieb, so daß er immer das Hätschelkind der Eltern war, die ihn nach seinem mehrfachen Schiffbruch aufnahmen und pflegten, hat der Vater sich, wenn auch unmerklich, gewandelt und geformt, zugleich aber auch immer wieder sein Bild für die Nachwelt meisterhaft gestaltet, was ihm sicher keineswegs leichtgefallen ist. So hat Klaus Schröder am 27. April 1963 im Norddeutschen Rundfunk klargelegt, Thomas Mann habe schon als Schüler Stimmungsskizzen und mit 18 Jahren wehmütige Gedichte drucken lassen; Schröder fragte dann: Was tat Thomas Mann nach der Schulentlassung bis zum Beginn der Niederschrift des von dem Berliner Verleger Samuel Fischer angeregten Romans »Die Buddenbrooks«? Nach der Schulentlassung hielten sich die Gebrüder Heinrich und Thomas Mann in rauschhaftem Gefühl völliger Ungebundenheit in Palestrina/Italien auf; hier hat

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Heinrich Mann seinen ersten Roman »In einer Familie« beendet. Hingegen brachte der jüngere Bruder Thomas einige Studien in der Zeitschrift »Das 20. Jahrhundert« unter. Der deutschtümelnde Elsässer Friedrich Lienhard (geboren am 4.10.1865 in Rothbach/Elsaß, verstorben am 10.4.1929 in Eisenach) hatte diese Zeitschrift gegründet; sie gab sich zeitweilig extrem nationaldeutsch, aber auch antisemitisch. Das erste Heft erschien am 1.10.1890. Lienhard schrieb auch Dramen, die mit Recht versunken sind; lesenswert ist immerhin noch sein Roman über den elsässischen Pfarrer und Sozialreformer Johann Friedrich Oberlin (1740 - 1826), der bekanntlich einige Monate den vom Wahnsinn geschlagenen Lenz, den Jugendfreund Goethes, beherbergt und gepflegt hatte40. Die Jahrgänge von April 1895 bis März 1896 hat übrigens Heinrich Mann herausgegeben, der den früheren pompösen Untertitel zusammenzog: »Blätter für deutsche Art und Wohlfahrt«41. Einen kleinen Nachhall antisemitischer Voreingenommenheit glaubt man noch in der Auseinandersetzung von Thomas Mann mit dem Kritiker Theodor Lessing (1872 - 1933) zu spüren, der ohne Anlaß über Thomas Mann und seinen »gescheiten« (Thomas Mann) Lobredner Samuel Lublinski (1869 - 1910) hergefallen war. Der Haß saß bei Thomas Mann tief, wie einer Tagebuchnotiz nach der Ermordung Theodor Lessings in Marienbad zu entnehmen ist. Der aggressive und auch ehrverletzende Artikel Lessings in »Die Schaubühne« mußte um so mehr Befremden erregen, da der Jude Theodor Lessing – zeitweilig selbst von jüdischem Selbsthaß erfüllt – sich in vulgär-antisemitischen Spöttereien und Auswürfen gefiel, wie später Erika Mann festhielt42. Einige Jahre später hat Thomas Mann jedoch schon anders gedacht; er hatte sich entsprechend seiner Eigenart gewandelt, war aber dann bei seiner Einstellung geblieben: Er hatte nicht nur eine hochintelligente Jüdin geheiratet, die ihm sechs gesunde Kinder gebar, sondern erkannte auch, was er dann 1921 niederlegte: »Juden haben mich >entdecktTown and Country< anzufertigen«164. Dabei konnte Klaus früher ebenso flink schreiben wie sein Onkel Heinrich. Aber: »Nichts gelang ihm mehr, oder kaum noch etwas«165. Der Vater litt jedoch unter dem Suizidversuch seines Sohnes. In einem Brief vom 12. Juli 1948 an Theodor W. Adorno bedankt er sich für dessen Anteilnahme am Geschehen seines Sohnes, fährt jedoch fort: »Ich grolle ihm etwas, weil er seiner Mutter das antun mochte. Er ist verwöhnt durch ihr Alles-Verstehen und durch meines. Die Situation bleibt gefährlich. Meine beiden Schwestern haben sich getötet – und Klaus Mann hat viel von der älteren. Der Trieb ist in ihn gelegt und wird durch alle Umstände begünstigt – außer allein von einem Elternhaus, auf das er sich immer wieder verlassen kann, auf das er aber natürlich nicht angewiesen sein will«168. Der Vater wußte aber auch, daß der Sohn keinen Hehl daraus machte, daß er den Fehlschlag seines recht improvisierten Versuches gewissermaßen bedauere, jedoch wolle er wieder leben und sei im Begriff, nach Amsterdam zu fliegen; hier werde er beim Querido-Verlag eine Stelle antreten, die ihm einen selbständigen Lebensunterhalt sichere. Dieser Satz steht in dem wohl umfangreichsten Brief der ganzen Sammlung, gerichtet an den Bruder Viktor169. Klaus Mann war jedoch nur kurze Zeit als Lektor der deutschen Abteilung des Querido-Verlages in Amsterdam tätig. Somit war er nach wie vor überwiegend auf die Zuschüsse seiner Eltern angewiesen. —

Hier sei nochmals festgehalten: Während der chronische Alkoholiker im Gesicht von seiner Sucht gezeichnet wird, bleibt der Betäubungsmittelsüchtige von außen gesehen körperlich unverändert, sieht man von der bei nicht wenigen Kokainisten zernagten Nase ab. Deshalb können Betäubungsmittelsüchtige oft Jahre hindurch ihre nähere und weitere Umgebung – letztere vor allem – über ihre Abhängigkeit, 95

aber auch über ihre charakterliche Abstumpfung und gemüthafte Verödung täuschen, und es ist sehr schwer, ihnen rechtzeitig zu helfen, worauf es allein ankommt. Dabei leidet eigenartigerweise das Gedächtnis, also die reine Merkfähigkeit, am wenigsten. So konnte Klaus als einer der ganz wenigen Exilierten spielend ins Englische übergleiten. Er schrieb etwa seit 1940 nur noch englisch, im Gegensatz zu anderen Autoren, wie zum Beispiel Döblin, der sich selbst als »fremdsprachenblind« bezeichnete170. Fast unmerklich aber erlischt bei solchen Drogensüchtigen die Spitze einer menschlichen Entwicklung, nämlich das Gemüthafte, die Feinheit der Gesinnung, das aufmerksame Eingehen auf einen anderen, zuletzt aber auch der gestaltende Wille und die schöpferische Kraft, parallel damit einhergehend eine zunehmende Einengung der Gedanken auf die Beschaffung von Drogen, so daß solche Menschen im Endstadium ihrer Betäubungsmittelsucht alles, was ihnen in die Hände fällt, versilbern und verscherbeln, um sich den »Stoff« kaufen zu können. Beim Nachlassen der schöpferischen Leistungen solcher Suchtkranker pflegen dann Geisteswissenschaftler zu sagen, dieser Autor habe sich »ausgeschrieben«, ein Wort, daß all dies nur verdeckt und nicht das geringste über die körperlich bedingten Ursachen eines solchen Versagens aussagt. Man erinnere sich an Hemingway, dessen Körper und Geist vornehmlich durch den Alkoholmißbrauch zerrüttet war und der in zunehmendem Entsetzen merkte, daß ihm nichts mehr einfiel, so daß er am Schluß zu einer seiner Jagdflinten griff und sich in den Mund schoß. Bei einem solchen harten Selbstmord gibt es kein Zurück mehr. Nach Golo Mann fand man seinen Bruder im Bett vor, die erloschene Zigarette im Mund; man brachte den sicherlich noch atmenden Mann in der chirurgischen Klinik in Cannes unter, wo er dann, wie bereits erwähnt, am 21. 5. 1949 verstarb. Als Arzt vermißt man wichtige Einzelheiten: Wann fand man ihn vor? Welche Rettungsversuche unternahm man in der Klinik? An was starb er? Vielleicht an einer durch das lange Liegen in Gang gekommenen aufsteigenden Lungenentzündung? In seinem Roman »Der Vulkan« hatte Klaus Mann von seiner Heldin Tilli geschrieben, sie habe abends zwanzig Veronaltabletten genommen, Stück für Stück in einem Glas aufgelöst, die Wirtin habe sie am nächsten Abend tot aufgefunden – klinisch gesehen ist dies bei zwanzig Schlaftabletten nicht möglich, es dauert eben länger. Bei Klaus Mann muß man sicherlich seine durch das dauernde Rauchen geschädigte Lunge berücksichtigen; bei einer etwaigen Lungenentzündung war ihm kaum mehr zu helfen, da Penizillin damals nicht überall zur Verfügung stand. Es sei daran erinnert, daß vor der Erfindung von Sulfonamiden (Domagk) und des Penizillins immerhin dreißig Prozent aller Kranken an einer Lungenentzündung verstarben. Und der Vater Thomas mußte über seinen neunjährigen Sohn Klaus am 25.3.1913 an den Bruder Heinrich berichten, er neige bekanntlich zu Bronchialkatarrhen und scheine diese Disposition von seiner Mutter geerbt zu haben171. 96

Der Tod seines Sohnes hat Thomas Mann, damals von vielen Seiten angegriffen, tief getroffen; er berichtete am 27.5.1949 seiner einflußreichen Gönnern Agnes E. Meyer von seiner Depression, die »genährt sei von all den ewigen Abschieden in einem Jahr: erst unser Sohn (Klaus), dann in Deutschland der jüngere Bruder (Viktor), nun der älteste (Heinrich Mann)», dies alles lasse sich schwer beschreiben. Er fährt dann fort: »Ach ja, das Leben war sonderbar. Ein lebendes Beiwort möchte ich ihm nicht geben und es nicht gern noch einmal durchmachen«172. Schriften, Briefe und Gespräche von Klaus Mann kreisten oft um den Freitod; er sprach einmal von einer Selbstmordepidemie in einem engsten Kreise während der Jahre unmittelbar vor Ausbruch des Dritten Reiches. Man sagt auch von ihm, er habe nie alt werden wollen, worauf man jedoch nicht zwanglos folgern darf, er habe bewußt den Freitod gesucht. Man kennt genug Menschen, die mit diesen Redensarten durchs Leben gehen, dabei auch durchaus alt werden können. Hautnah erlebte Klaus Mann in Paris den Freitod seines ihm nahestehenden Freundes René Crevel. Dieser hatte den Gashahn aufgedreht, jedoch noch eine kräftige Dosis Phanodorm geschluckt, um ganz sicherzugehen. Crevel habe den Tod herbeigeholt, weil er sich vor dem Wahnsinn gefürchtet habe. Bekannt ist bei Psychiatern, daß gerade sensible Menschen, die zu Beginn ihrer seelisch-geistigen Verstörung den Boden unter sich schwanken fühlen, in den Tod gehen. Allerdings meint Klaus Mann, Crevel habe Selbstmord begangen, weil er die Welt für wahnsinnig erachtet habe. »Warum begeht man Selbstmord? Weil man die nächste halbe Stunde, die nächsten fünf Minuten nicht mehr erleben will, nicht mehr erleben kann.« Dieses Wort hat Klaus Mann schräg drucken lassen. Er fährt dann fort: »Plötzlich ist man am toten Punkt, am Todespunkt – die Grenze ist erreicht – kein Schritt weiter«173 . Steht nun ein solcher Mensch in einem solchen seelisch-geistigen Ausnahmezustand, so spricht die Psychiatrie von einer vorwiegend endogenen Depression, die also – immer ohne äußeren Anlaß – aus dem Innern eines Menschen aufsteigt. Ein solcher wie bei Crevel geschilderter innerer Verzweiflungszustand kann aber auch zu einem sogenannten Bilanzselbstmord führen, eine Bezeichnung, die trotz aller Kritik daran in manchen Fällen durchaus zutrifft. Man denke beispielsweise an einen achtundsechzigjährigen erfolgreichen Mann, der sich zur Ruhe setzen konnte und künftig vor allem seiner geliebten Jägerei nachgehen wollte. Nur wenige Monate später aber wurde ihm eröffnet, er habe einen bösartigen Krebs in der Lunge. Er ordnete alles, äußerte einmal so nebenbei zu seinem zwei Jahre älteren Bruder, er wolle seiner Familie nicht zur Last fallen, stellte sich vor einen großen Spiegel und schoß sich, indem er die Pistole aufsetzte, so in den Kopf, daß das Gehirn zertrümmert war. Ohne Zweifel stellte dies einen harten Suizid dar, wie ihn auch Erika und Klaus Mann bei dem Freitod des Jugendfreundes Richard Hallgarten erleben mußten; einen Tag vor der nach Persien geplanten Reise hatte er sich von dieser

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Welt verabschiedet. Er schrieb – wie schon gesagt – noch auf einen Zettel: »Sehr geehrter Herr Wachtmeister! Habe mich soeben erschossen. Bitte Frau Thomas Mann in München zu benachrichtigen. Ergebenst ... R.H.«174. Nachdenklich macht, daß Klaus Mann von diesen, für ihn und die Seinen doch schrecklichen Ereignissen nichts in seinem Tagebuch festhielt. Nur eine leicht literarische Überhöhung findet man in »Der Wendepunkt«: Die Schwester Erika habe im Todeszimmer des »Ricki« mit einem unterdrückten Schrei auf die Wand gewiesen, die »mit Blut bespritzt« gewesen sei. Der Tote habe die letzten Spuren seines »feuchten, vergänglichen Lebens wie ein Tapetenmuster auf die kreidige Fläche getupft ... er muß eine Schlagader getroffen haben – das Herz vielleicht«175. Diese Aussage läßt sich medizinisch nicht untermauern: Das Herz ist nur von kleinen Blutgefäßen umgeben, es gibt aber hier keine »Schlagader«. Eine solche hätte man zum Beispiel bei einem Schuß in den Hals eröffnen können. Hier mag bei Klaus Mann die Erinnerung an den Pariser Maler Jules Pastin mitgewirkt haben, der sich – so Klaus Mann – »die Pulsadern aufschnitt« und mit »seinem Blut einen letzten Gruß an die Wand gemalt« habe: »Ne m'oublie pas, ma cherie! Je t'adore«176. Doch in dem umfangreichen Buch »Abschied«, worin man Briefe und Aufzeichnungen von Sterbenden oder Todeskandidaten gesammelt hat, heißt es: Jules Pastin (3. März 1885 bis 5. Juni 1930) habe mit seinem Blut an die Wand geschrieben: »Adieu Lucy«177. Wenn Klaus Mann weiter ausführt, Pastin habe sich nicht nur die Pulsadern aufgeschnitten, sondern sich auch »noch an der Türklinke erdrosselt«, so muß man ihm entgegenhalten, ein persönliches Erdrosseln ist praktisch nicht möglich. Wahrscheinlich hat Pastin, da die Schnittwunde nicht weiter blutete, sich an der Tür erhängt, dies ist auch im Sitzen möglich. Viktor Tausk (1879 - 1919) schlang sich am 3.7.1919 eine Vorhangschnur um seinen Hals und jagte sich noch eine Kugel in die Schläfe. Durch sein Erhängen beugte der medizinisch ausgebildete Tausk möglicherweise vor, durch einen Schuß in die Schläfe den Sehnerv zu zerstören, eventuell zu überleben, sich jedoch mit Blindheit zu schlagen. Dabei war dieser Tausk sicherlich einer der überragenden Mitarbeiter Freuds, er glänzte vor allem bei dessen Mittwochabenden. Er und Federn – der später ebenfalls in den Freitod ging – wagten sich über Freud hinaus an die psychoanalytische Behandlung von Schizophrenen. Wirtschaftliche Sorgen und labiles Lebensgefühl bei starker Ausstrahlung – vor allem auf Frauen – belasteten Tausks Lebensweg, Freud half vielmals mit Geld aus. Allerdings trübte sich später das Verhältnis: Abgesehen von der zwiespältigen Einstellung Freuds gegenüber den Diskussionspartnern an den Mittwochabenden, deren mögliche Selbstherrlichkeit er befürchtete, deren verehrende Anpassung er verachtete, wobei er die Frauen hier ausnahm, war ihm wohl die Fähigkeit Tausks, sich in seine Gedankengänge zu vertiefen, unheimlich geworden, zumal er auch um seine Prioritätsrechte fürchtete. Es kam so weit, daß Freud brüsk ablehnte, Tausk in die Analyse zu nehmen, ihn viel-

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mehr an Helene Deutsch weiterreichte, die zu gleicher Zeit bei ihm in Analyse stand. Der letzte Stoß für die Tat Tausks war wohl, daß die mit ihm befreundete Lou Andreas-Salomé ihn fallen ließ. In ihrem Tagebuch hatte sie niedergelegt, Tausk besitze eine »leidende Gefühlshaftigkeit bis zur Selbstauflösung«. Wohl deshalb verzeichnete später Ernest Jones als Freund und Hagiobiograph eines Freud, diesen Tausk könne man ohne Einschränkung als einen Schizophrenen bezeichnen178. Der Arzt, Chirurg und Schriftsteller Ernst Weiß versuchte am Tage des Einmarsches der deutschen Truppen in Paris durch einen harten Freitod aus dem Leben zu scheiden: Er schluckte vierzig Tabletten Veronal und schnitt sich, so heißt es, in einer Badewanne in der Nacht vom 15. Juni 1940 die Pulsadern auf; wie er dies machte, ist nicht bekannt geworden. Weiß studierte bis 1908 in Prag und Wien Medizin, er arbeitete bei den damaligen chirurgischen Kapazitäten wie Kocher/Bern, Bier/Berlin, Julius Schnitzler – dem Bruder von Arthur Schnitzler – in Wien, mußte sich jedoch wegen einer beginnenden Lungentuberkulose als Schiffsarzt verdingen. Von 1914 bis 1918 war er als Regimentsarzt bei der österreichischen Infanterie eingesetzt und erhielt wegen seiner vorbildlichen Arbeit und seines Einsatzes bei der Bekämpfung einer Fleckfieberseuche den hohen Orden »Goldenes Verdienstkreuz der Tapferkeitsmedaille«. Seit 1923 schrieb er nur noch, geradezu getrieben von seinem Fleiß; der Suhrkamp-Verlag in Frankfurt am Main brachte 1982 in sechzehn Bänden die »Gesammelten Werke« heraus. Nach der Flucht aus Deutschland nach dem Reichstagsbrand hielt sich Weiß in Paris mühsam am Leben, wenn auch bis zuletzt getragen von der Hoffnung eines glanzvollen Wiederaufstehens nach seinem Tod – dies war jedoch ein Trugschluß: Die literarische Grenze eines Ernst Weiß hat Fritz J. Raddatz in einer glanzvollen, respekt- und zugleich kritikreichen Studie klar aufgezeigt179. Nach dem in Lörrach/Südbaden tätigen Arzt Peter Kundel war neben Ehrgeiz vor allem die Angst vor dem Tod die Triebfeder des Lebens eines Weiß, dieser habe den Tod nicht mal beim Namen genannt, sondern nur mit einem großen T bezeichnet180. Nochmals sei hier betont: Schlechterdings unmöglich ist es jedoch, daß ein Schriftsteller wie Klaus Mann, der wie kaum ein anderer deutscher Schriftsteller des 20. Jahrhunderts so ausführlich sich mit sich selbst beschäftigt hatte, der im Grunde nur Autobiographisches verfaßte, von Teilen des »Mephisto« abgesehen, keine Nachricht hinterlassen hätte und er somit sozusagen still und stumm aus dem Leben davongeschieden sei. Denn am 27.7.1949 schrieb Erika Mann – wie bereits gesagt – an Pamela Wedekind, die einstige Verlobte ihres Bruders, man habe in Cannes alles nach Abschiedsbriefen, nach einem »letzten Wort« abgesucht, jedoch habe man nichts, keinen Zettel, keinen Gruß, eben »gar nichts finden« können181.

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In den Anmerkungen zum Briefwechsel ihres Vaters in den Jahren 1948 bis 1955 stellt Erika Mann fest, Klaus habe statt des eigenen Freitodes einen weitgehend autobiographischen Selbstmörder-Roman geplant. »Das Buch kam nicht zustande«182. Gegen einen geplanten ernsthaften Suizid sprechen vor allem die Briefe, die Klaus Mann bis einen Tag vor seinem Tod schrieb. In seinem letzten Brief an Hermann Kesten vom 20. Mai 1949 beschwerte er sich vornehmlich über den Dauerregen. Und im Brief an die Mutter Katia und die Schwester Erika vom gleichen Tag steht nichts von einem Freitod, hingegen wartete er nur sehnsüchtig auf die »schöne Dollarüberweisung« der Mutter183. Und sein Bruder Golo meint, Klaus habe nichts geplant (also seinen Freitod), jedoch habe er an Arbeiten und Reisen gedacht. Allerdings schwächt einige Zeilen weiter Golo Mann diese Aussage wieder ab: »Eine Reihe heterogener Ursachen, Kummer über Politik und Gesellschaft, Geldnot, Mangel an Echo, Drogenmißbrauch addieren, aber« – und diese Wendung ist wesentlich – »sie summieren sich nicht zu dem Ganzen, welches hier der Tod war.« Der Bruder sei am Ende gewesen, günstigere Bedingungen im Moment hätten sein Leben verlängert, jedoch nur ein geringes Stück184. Und auf Klaus Mann achtete keine Ehefrau und es kümmerte sich kein ständiger Begleiter darum, wie seine finanziellen Angelegenheiten in geordneten Bahnen liefen, wie man ihn vor den belastenden Zudringlichkeiten der Welt beschirme und ihn auch zum täglichen Spaziergang aufgefordert hätte oder ihn auch ermahnte, auf seine Gesundheit zu achten: Mitten im Gespräch mit Hans Schrem, dem Chefredakteur der Lübecker Nachrichten (1911 - 1961) äußerte Frau Katia zu ihrem Mann: »Du, wir müssen nun gehen, Tommy, denn Du mußt Dich noch ausruhen«185. Alles in allem jedoch zeigen die Briefe Klaus Manns unübersehbar, daß er im Sinne seines Vaters noch etwas von dem besaß, was dieser als »tätige Hoffnung« bezeichnet hatte. Auch dies spricht gegen einen geplanten Freitod. Faßt man alles zusammen und macht sich klar: Ein unregelmäßig ernährter Körper, geschwächt durch einen jahrzehntelangen chronischen Nikotinmißbrauch, vor allem durch einen seit Jahrzehnten durchgeführten Mißbrauch mit Betäubungsmitteln der verschiedensten Sorten, vielleicht nur kurze Zeit unterbrochen beim Dienst in der US-Armee, ein solcher vorgealterter und abwehrgeschwächter Körper war sozusagen einer ganz normalen Menge von Schlafmitteln, um eben einen Schlaf zu erzwingen, nicht mehr gewachsen. Die traurigen Erfahrungen der letzten Jahre mit Süchtigen zeigten immer wieder, daß diese infolge der Schwäche der körperlichen Abwehrkräfte (des Immunsystems) einer geradezu banalen »Grippe« erlagen, oftmals auch einem sogenannten goldenen Schuß, dem ihr Körper nicht mehr gewachsen war. Für Klaus Mann läßt sich somit – fast zwingend – der Schluß ziehen, es war damals eine versehentliche Selbstvergiftung mit Schlaftabletten, die der Tod abschloß. 100

Seine Lieblingsschwester Erika bestellte den Grabstein und ließ den Lukas-Vers anbringen, den Klaus Mann, wie sein Vater am 14.8.1949 an Otto Lasler schrieb, geliebt hat: »>Wer sein Leben verliert, der wird es gewinnen