... (k)ein Ende in Sicht: 20 Jahre Kunstrückgabegesetz in Österreich [1 ed.] 9783205201274, 9783205208082

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... (k)ein Ende in Sicht: 20 Jahre Kunstrückgabegesetz in Österreich [1 ed.]
 9783205201274, 9783205208082

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SCHRIFTENREIHE KOMMISSION FÜR PROVENIENZFORSCHUNG Hinweise zur Open Access-Ausgabe Band 8: Folgende Abbildungen dürfen aus rechtlichen Gründen in der Open Access-Version nicht zur Verfügung gestellt werden: S. 56 (Abb. 3) S. 291 (Abb. 1) Open Access-Publikation im Sinne der CC-BY-NC-ND 4.0

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Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 8 Herausgegeben von Eva Blimlinger und Heinz Schödl

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Eva Blimlinger / Heinz Schödl (Hg.)

... (k)ein Ende in Sicht 20 Jahre Kunstrückgabegesetz in Österreich

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien, Kölblgasse 8–10, A-1030 Wien Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Korrektorat: Nikola Langreiter, Wortstellerei Einbandgestaltung: Leonhard Weidinger, Wien Satz: Bettina Waringer, Wien

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-20127-4

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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Editorial 20 Jahre Kommission für Provenienzforschung und Kunstrückgabegesetz 1998 … (k)ein Ende in Sicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Teil 1 Provenienzforschung in Europa und das Projekt TransCultAA: Zwischen Entangled Histories und nationalen Befindlichkeiten Christian Fuhrmeister.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Zäsur Gurlitt? Provenienzforschung in Deutschland Andrea Baresel-Brand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Provenienzrecherche und digitale Forschungsinfrastrukturen in Deutschland: Tendenzen, Desiderate, Bedürfnisse Meike Hopp.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 20 Jahre Washingtoner Prinzipien und die Schweiz: Politik, Forschung und Transparenz im Umgang mit der Geschichte von Kunstwerken Esther Tisa Francini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

Teil 2 Projektbericht »Hitlers Sonderauftrag Ostmark« Ein Einblick in die Aktenlage im Archiv des Bundesdenkmalamts (BDA) in Wien Anita Stelzl-Gallian. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

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Inhalt

Eine Bestandsaufnahme zur Provenienzforschung an der Albertina 20 Jahre Kommission für Provenienzforschung Julia Eßl. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 20 Jahre Provenienzforschung in der Österreichischen Galerie Belvedere Katinka Gratzer-Baumgärtner, Monika Mayer . . . . . . . . . . 93 Rückgabebeschluss – und dann? Weltmuseum Wien Gabriele Anderl. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Provenienzforschung in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien Konstantin Ferihumer, René Schober. . . . . . . . . . . . . . . 107 museum moderner kunst stiftung ludwig wien Eva Blimlinger, Heinz Schödl. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Work in progress: 17 Jahre Provenienzforschung an der Österreichischen Nationalbibliothek Margot Werner.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 »Eine naturwissenschaftliche Sammlung verhält sich eben ganz anders, als ein Kunstmuseum …« – Provenienzforschung im Naturhistorischen Museum Wien Alexandra Caruso, Katja Geiger, Dario Luger, Marcus Rößner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst: Der Figdor-Lehnstuhl Leonhard Weidinger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Abseits der Kunst: Vom NS-Raub von Alltagsgegenständen und anderen »beweglichen Kulturgütern« 20 Jahre Provenienzforschung am Technischen Museum Wien Christian Klösch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

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Zwanzig Jahre Provenienzforschung im Heeresgeschicht­lichen Museum/ Militärhistorischen Institut (HGM/MHI) und der Fall Albert Klein Walter Kalina.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 »Ein erlesenes Werk von lokalgeschichtlichem Standpunkt« Dürnstein an der Donau aus der Hand Rudolf von Alt Andreas Liška-Birk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Leda mit dem Schwan oder: Provenienzforschung und Restitutionspolitik seit 1945 Ein Beispiel aus Oberösterreich Birgit Kirchmayr, Gregor Derntl . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 »Die Aufnahme einer Korrespondenz mit dem Geschädigten hat […] zu unterbleiben.« Zwanzig Jahre Provenienzforschung am Universalmuseum Joanneum Graz Karin Leitner-Ruhe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Provenienzforschung in den Tiroler Landesmuseen Recherchen zu einer Erwerbung im Jahr 1941: Das Helblinghaus, Aquarell von Rudolf von Alt. Vorbesitzer bleibt unbekannt! Sonia Buchroithner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Provenienzforschung in der Universitätsbibliothek, dem Universitätsarchiv und den musealen Sammlungen der Universität Wien Olivia Kaiser, Markus Stumpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Wissen schafft Lücken Provenienzforschung und Restitution im Volkskundemuseum Wien Cl audia Spring. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Die Malkunst. Dossier, Buch und Klage. Ein Fall aus dem Kunsthistorischen Museum und ein kurzer Rückblick auf 20 Jahre Provenienzforschung Susanne Hehenberger, Monika Löscher.. . . . . . . . . . . . . 213

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Inhalt

Teil 3 »So duften auch die Rosen unter dem segengebeugten Apfelbaume …« Zur Provenienz von Gustav Klimts Rosen unter Bäumen aus der Sammlung Zuckerkandl. Monika Mayer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Der Beethoven-Fries – »allein nicht diskutabel« Ein Kunstwerk im Geltungsbereich des Ausfuhrverbotsgesetzes Christina Gschiel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Madonna mit Kind und zwei Engeln Ein Renaissancegemälde aus der Sammlung Carl Reininghaus Susanne Hehenberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Ludwig Mayer und die historische Dislozierung der sieben Teile eines Deckengemäldes nach Wien, Israel und in die Verschollenheit Katinka Gratzer-Baumgärtner.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Blick auf Wien vom Krapfenwaldl aus der Sammlung Hugo Marmorek Katinka Gratzer-Baumgärtner.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Ein Artefakt der Provenienzforschung Das Fragment eines Gemäldes von Anton Kolig Alexandra Caruso. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 »Alter Kram« Die Albert Figdor Sammlung und die Novelle zum Ausfuhrverbotsgesetz 1923 Lisa Frank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 »Kaisers-Dank« Restituierte Erinnerung. Der Fall Klinkhoff im Wien Museum Gerhard Milchram, Michael Wl adika. . . . . . . . . . . . . . . 313

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Inhalt

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»... unter Glas und Rahmen eine vergilbte Urkunde ...« Einige Erinnerungsstücke an Adolf von Sonnenthal im Theatermuseum Monika Löscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Der gestohlene Austro Daimler ADR – Auf der Spur eines ungeklärten Provenienzfalles Christian klösCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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»Mir ist alles einerlei« Zum Schicksal der Sängerin Maria Gardi/Frida Gerngross Monika Löscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Anna Mautner: Mehr als nur Witwe Konrad Mautners Cl audia Spring. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 »… als Zeichen des guten Willens ohne Anerkennung eines Rechtsanspruches 1975 an Jugoslawien abgegeben« Auf den Spuren der k. u. k. Marinebibliothek an der Universitätsbibliothek Wien Susanne Wicha, Markus Stumpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Bildnachweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 Verzeichnis der Autor_innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417

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Vorwort …(k)ein Ende in Sicht. 20 Jahre Kunstrückgabe in Österreich erzählt von der Entwicklung eines Teilgebietes der Kunstgeschichte, nämlich der in einigen Fällen medial vielbeachteten Provenienzforschung. Der Band zeigt jedoch, dass dieser neue Kernbereich der zeithistorischen Forschung mehrheitlich nicht von den bekannten Fällen bestimmt wird, sondern vielmehr von Objekten des täglichen Lebens, von Büchern über Fahrzeuge bis hin zu Memorabilien. Daraus ergeben sich auch methodisch differierende Forschungsansätze, die unterschiedliche Herangehensweisen in naturhistorisch, technisch oder kunsthistorisch orientierten Sammlungen verlangen. Seit 1998 hat der Kunstrückgabebeirat etwa 350 Empfehlungen ausgesprochen und es wurden zehntausende Objekte restituiert. Eine Leistung, die ohne die zuvor erfolgte Arbeit der Kommission, über die der vorliegende Band berichtet, nicht möglich gewesen wäre. Insofern hat der Titel des ersten Bandes der Schriftenreihe …wesentlich mehr Fälle als angenommen, der im Jahr 2009 erschienen ist und die ersten zehn Jahre resümierte, Recht behalten. Was zunächst als eine Aufgabe von wenigen Monaten erschien, wurde sowohl durch die Zahl der zu untersuchenden Objekte als auch durch das sich nach und nach erschließende Wissen um deren Herkunft wissenschaftliche Herausforderung vieler Jahre. Die Genauigkeit der Untersuchung und der Wille, nicht auf halbem Wege halt zu machen, führten dazu, dass die österreichische Praxis der Kunstrückgabe auch international als best practice Beispiel gilt. Ich freue mich, dass für einige der Bundesmuseen mittlerweile vorläufige Gesamtberichte vorliegen, die freilich für neue Erkenntnisse zur Provenienz von Objekten offen bleiben. Abschließend darf ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kommission für Provenienzforschung, als auch bei jenen in den Institutionen bedanken, die die wissenschaftliche Grundlage in einer für die österreichische Position wichtigen Frage erarbeitet haben und für die noch verbleibende Arbeit viel Erfolg wünschen. Gernot Blümel Bundesminister für EU, Kunst, Kultur und Medien

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14   Eva Blimlinger, Heinz Schödl Sie besteht neben ihrer wissenschaftlichen und ihrer administrativen Leitung aus den in den Bundesmuseen tätigen Provenienzforscherinnen und Provenienzforschern sowie dem Büro der Kommission. Der vorliegende Band soll nun, ähnlich wie es bereits Band 1 der Schriftenreihe für die Jahre zwischen 1998 und 2008 unternommen hatte, einen breiten, fundierten Einblick in die Tätigkeiten der Kommission geben. Band 8 versucht deshalb in einer Art Dreiteilung zunächst die Entwicklungen im deutschsprachigen Raum zu reflektieren, danach den Blick auf Österreich zu richten. Der Schwerpunkt dieses Teils liegt auf den Bundesmuseen und –sammlungen, sowie den Landesmuseen. Im dritten, essayistisch angelegten Teil des Bandes werden unterschiedlichste Aspekte der Forschung, wieder erinnerte Biografien, ungelöste sowie auch prominente Fälle der letzten Jahre erzählt. Der Band wirft also ein Licht auf die zwanzigjährige Arbeit der Kommission und die Kontexte, wiewohl – aus historiografischer Sicht – die internationale Entwicklung der Provenienzforschung selbst einer der interessantesten Aspekte des Themenkomplexes ist: Die Transformation einer Zweigdisziplin der Kunstgeschichte in ein wissenschaftlich-politisches Feld, dem durchwegs hohes öffentliches Interesse gilt, das damit nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in die Zukunft wirkt und – so kann man zumindest hoffen – grundlegende Maßstäbe in der internationalen Forschung gesetzt hat. Wenn heute gelegentlich die österreichische Provenienzforschung vor allem international als erfolgreiches Modell genannt wird, ist dies gewiss eine Folge der gesetzlichen Regelung und des staatlichen Anspruchs, hinsichtlich der Tatbestände des Kunstrückgabegesetzes problematische Objekte nicht länger in seinen Sammlungen aufbewahren zu wollen. Nicht übersehen werden soll allerdings, dass auch andere Modelle der Organisation von Provenienzforschung Erfolge zeitigen. So ist etwa eine Förderschiene wie jene des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste sicher eine Option für kleinere Institutionen, denen die dauerhafte Etablierung von Provenienzforschung aus organisatorischen wie finanziellen Gründen kaum zugemutet werden kann. Dieses Modell stößt freilich an seine Grenzen, wenn es um eine Verstetigung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung gehen soll – wie sie etwa die Grundlagenforschung repräsentiert. Neben der sehr konzentrierten Arbeit an den einzelnen Dossiers bemühte sich die Kommission für Provenienzforschung in den letzten Jahren daher immer auch, dem Wissen über die Kontexte der Entziehungen, der Darstellung und Verfügbarmachung von Quellen und biografischen Ansätzen Rechnung zu tragen und über die Fallbearbeitung hinaus zu gehen. Insbesondere ist dabei das Thema der Digitalisierung historischer Quellen in den Fokus gerückt. Bereits in den Jahren 2011/12 entstand das Digitale Archiv der Kommis-

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Editorial    15

sion für Provenienzforschung, dessen digitalisierte Quellen den Mitgliedern der Kommission sowie der Forschungsgemeinschaft zur Verfügung stehen. Die Digitalisierung von Quellen stand auch im Zentrum eines mehrjährigen Projektes der Kommission zu den Zentraldepotkarteien. Die – im Dezember 2017 unter https://www.zdk-online. org/ online gegangene – Edition der Karteien erlaubt erstmals die parallele Recherche in zwei zusammengehörenden Quellenbeständen des Archivs des Kunsthistorischen Museums sowie des Archivs des Bundesdenkmalamts, das seit geraumer Zeit von der Kommission für Provenienzforschung mitbetreut wird. Die beiden Karteien dokumentieren Objekte aus Wiener Kunstsammlungen, die den verfolgten Eigentümer_innen seit März 1938 durch das NS-Regime entzogen worden waren und in der Folge an verschiedene Museen, unter anderem an das in Linz geplante »Führermuseum«, verteilt wurden. Ein weiteres diesbezügliches Projekt der Kommission, das (online-)Lexikon der österreichischen Provenienzforschung, wird ebenfalls im Jahr 2018 realisiert. In einem ersten Schritt gehen hier 200 Artikel zu Personen und Institutionen, die durch die Kommission beforscht wurden und werden, online – ein stetiger, weiterer Ausbau des Lexikons ist geplant. Im September des »Jubiläumsjahres 2018« findet in diesem Zusammenhang ein von der Kommission organisierter, internationaler Workshop (Digitale Provenienzforschung) in Wien statt. Das »Jubiläumsjahr« steht daher für die Kommission unter dem Eindruck intensiver Auseinandersetzung mit neuen technischen Möglichkeiten und ihrem Einfluss auf wissenschaftliche Methode und Praxis. Dieser Blick auf Künftiges soll jedoch von einem Blick zurück ergänzt werden. Resümierend und die Wirkungen des eigenen Handelns untersuchend fand daher im Oktober 2018 im Technischen Museum ein Symposium zur 2008 erfolgten Rückgabe von durch die Deutsche Wehrmacht in der ukrainischen Stadt Kamenez-Podolsk beschlagnahmten Briefen an die Ukraine statt. Wissenschafter_innen der ukrainischen Akademie der Wissenschaften werden dort von ihrem Projekt berichten, das die in vielen Fällen erfolgreiche Suche nach den Nachkommen der einstigen Adressaten unternahm. Der Vorgängerband der vorliegenden Reihe (Birgit Schwarz, Hitlers Sonderauftrag Ostmark, Wien 2018, Band 7 der Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung) präsentiert die Ergebnisse langjähriger Forschung und erläutert den institutionell-politischen Rahmen in dem die von der Kommission untersuchten Fälle stattfinden konnten.

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16   Eva Blimlinger, Heinz Schödl III

Im zwanzigsten Jahr seiner Existenz hat der Kunstrückgabebeirat 342 Empfehlungen ausgesprochen, die die Basis der Rückgabe von Zehntausenden Objekten darstellen – wobei die Praxis zeigte, dass es sich – weit überwiegend – um Objekte von geringem wirtschaftlichen Wert handelte. Selbstverständlich waren jedoch auch Fälle zu beraten, in denen es um wichtige Bestände der österreichischen Bundesmuseen ging. Die Anerkennung, die dem Beirat auch international für seine Arbeit zuteilwird, bestätigt jedoch, die Sorgfalt bei den Beratungen ohne Rücksicht auf den wirtschaftlichen Wert der Objekte. Nach den mitunter turbulenten Anfängen hat sich also eine weithin akzeptierte Kunstrückgabepraxis entwickelt. Wenngleich es in den letzten Jahren immer wieder auch zu medial vielbeachteten »Anregungen« zur Rückgabe gekommen ist, haben sich die 1998 noch präsenten Befürchtungen über etwaiges mangelndes Verständnis der Bevölkerung nicht bewahrheitet. Vielmehr scheint ein umfassender Konsens darüber zu bestehen, dass nicht in eine staatliche Sammlung gehört, was nicht auf rechtmäßigem Wege dorthin gelangt ist. An diesem, mittlerweile 20 Jahre andauernden, Projekt haben viele Kolleginnen und Kollegen aus Österreich, Europa und der ganzen Welt mitgearbeitet und auf unterschiedliche Weise ihren Beitrag zum Gelingen vielfältiger Initiativen, Forschungsvorhaben, Dossiers, Konferenzen, Recherchen nach Erb_innen bis hin zu rechtlichen Fragestellungen geliefert. Deren namentliche Aufzählung würde den Rahmen dieses Editorials bei Weitem sprengen – jedem und jeder Einzelnen sei hier jedoch für die hervorragende Arbeit, die Präzision, das gezeigte Engagement und den damit verbundenen Idealismus sehr herzlich gedankt. Heinz Schödl Administrativer Leiter Kommission für Provenienzforschung

Eva Blimlinger Wissenschaftliche Koordinatorin Kommission für Provenienzforschung



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Teil 1

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Provenienzforschung in Europa und das Projekt TransCultAA: Zwischen Entangled Histories und nationalen Befindlichkeiten Christian Fuhrmeister

Seit ungefähr fünf Jahren – also nicht zufällig seit der Begutachtung von Cornelius Gurlitts Schwabinger Wohnung im Februar 2012 und dem Artikel im Nachrichtenmagazins Focus Anfang November 2013 – verzeichnet die Provenienzforschung einen Boom, einen deutlichen Anstieg, auf mehreren Ebenen. Dies gilt vor allem für Deutschland; für Österreich gilt es nur in abgeschwächter Form, weil die Provenienzforschung dort bereits weiter entwickelt, infrastrukturell stärker etabliert und verankert, zudem mit anderen Geschäftsabläufen und Weisungsbefugnissen ausgestattet war (und ist) und daher nicht in gleicher Weise vom »Schwabinger Kunstfund« tangiert wurde. Blicken wir auf Deutschland, so ist zu konstatieren, dass die Hochkonjunktur sich in vielen Bereichen und auf vielerlei Weise äußert: Mediales Interesse, zahlreiche Tagungen, erhöhte Fördermittel für Forschungsprojekte, die von einem in Magdeburg neu gegründeten Deutschen Zentrum Kulturgutverluste vergeben werden, Zunahme von Publikationen wie Wachstum von Mitgliederzahlen im Arbeitskreis Provenienzforschung e. V., Einrichtung von Juniorprofessuren und Weiterbildungsangeboten, gestiegenes gesellschaftliches Interesse, Ausweitung der Fokussierung von Objektbiografien auf andere Dislokations- und Appropriationsprozesse (etwa in der SBZ/DDR und überhaupt in post-sozialistischen oder allgemein post-totalitären Gesellschaftsstrukturen, auch ausgesprochenen virulent im Bereich kolonialzeitlicher Translokationen), Zunahme von Stellenangeboten und zugleich lange und intensive Suchen nach geeigneten und kompetenten Kandidat*innen für Projekte an Museen und – nicht zu vergessen – im Kunsthandel, Zunahme einschlägiger Ausstellungen, nicht nachlassende Presseberichterstattung zu einzelnen Fällen, Konfliktsituationen, Debatten und Entwicklungsprozessen. Kein öffentliches Kunstmuseum einer deutschen Großstadt kann es gegenwärtig riskieren, seine Sammlungsbestände mit vor 1945 entstandenen Werken unbearbeitet zu lassen. Wie diese Forschungen im Detail aussehen – wie intensiv, systematisch und intelligent verknüpft, wie ganz oder teilweise kommuniziert und für interessierte Bürger, für Anspruchsberechtigte oder für andere Provenienzforscher*innen abrufbar,

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20   Christian Fuhrmeister und auch: wie nachhaltig sie sind –, ist eine andere Frage. Und generell zu wenig berücksichtigt wird die prinzipielle Vorläufigkeit sämtlicher Ergebnisse. Denn in unserer global vernetzten und zugleich extrem dynamischen Welt führen sowohl die erstmals zugänglich gemachten als auch die erstmals erschlossenen Quellenbestände – einschließlich des Volkseigenen Handelsbetriebs Bildende Kunst und Antiquitäten, genannt Staatlicher Kunsthandel der DDR (SKH), mit dem KoKo-Betrieb Kunst und Antiquitäten GmbH (KuA),1 einschließlich Panama und Paradise Papers – wie auch die beständige Weiterentwicklung der Digital Humanities nolens volens dazu, dass sämtliche Ergebnisse in kürzeren Intervallen neu evaluiert werden müssen. Denn nicht nur die Rechnerkapazitäten wachsen exponentiell, auch Suchalgorithmen werden fortlaufend verfeinert, ganz zu schweigen vom Semantic Web und Graphdatenbanken bis zu online konsultierbaren oder gar im Volltext durchsuchbaren Quellenkonvoluten wie German Sales (zunächst nur 1930 – 1945 umfassend, später um den Zeitraum von 1901 – 1929 erweitert). Diese Binsenweisheit geisteswissenschaftlicher Forschung – also die ganz selbstverständliche kritische Infragestellung der Validität von erarbeiteten oder überlieferten Erkenntnissen – wird im Bereich der Provenienzforschung indes bislang kaum reflektiert, was mit dem insgesamt noch völlig unzureichenden Wissensstand zusammenhängt: Solange man froh ist, überhaupt und punktuell Akteure und einzelne Transfers identifizieren und dabei und damit Werkidentitäten plausibel rekonstruieren zu können, ist man verständlicherweise nicht geneigt, Fehlstellen, Lücken und Mängel zu betonen oder bisherige Ergebnisse zu revidieren. Ungeachtet dieser Déformation professionnelle gilt es festzuhalten, dass – ob aus Einsicht oder gezwungenermaßen – die Notwendigkeit von mehr Provenienzforschung kaum noch abgestritten wird. Wesentlich problematischer erscheinen erstens die nach wie vor fehlenden – nicht geschaffenen und/oder nicht bewilligten – Forschungsinfrastrukturen, zweitens die Charakterisierung von Provenienzforschung als temporäre Zusatzaufgabe, die nicht zum Kerngeschäft zähle, und drittens die nach wie vor völlig unzureichende Ausstattung mit Personal- und Sachmitteln. Denn die von Politikern und Verwaltungsbeamten in Ministerien auf Bundes- und Landesebene zur Verfügung gestellten Forschungsmittel gestatten nicht einmal, die möglichen Recherchen zur Auffindung von 1

https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Meldungen/20180601-staatlicher-kunsthandel.html; https:// www.bundesarchiv.de/DE/Content/Downloads/Meldungen/20180601-skh-findbucheinleitung.pdf?__ blob=publicationFile; vgl. Bernd ISPHORDING, Archive und Provenienzforschung. Überlegungen zur archivischen Erschließung zum Zweck der Provenienzforschung am Beispiel des Teilbestandes »Kunst und Antiquitäten GmbH« im Bestand DL 210 (Betriebe des Bereichs Kommerzielle Koordinierung) des Bundesarchivs, Masterarbeit, Potsdam, 18.4.2018 (korrigierte Fassung), https://opus4.kobv.de/opus4fhpotsdam/files/2117/Isphording_Archive-Provenienzforschung.pdf (25.6.2018).

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NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut in vollem Umfang durchzuführen. Es gibt daher auch keine konzertierte Aktion, keine Forschungsplanung und demzufolge auch kein proaktives und selbstbewusstes Agieren. Anders gesagt: Es geschieht in dieser Beziehung zwar viel in Deutschland, aber es geschieht bei weitem nicht genug; es geschieht schlicht nicht das, was möglich wäre und eigentlich erforderlich ist. Dies gilt umso mehr, wendet man in historischer Perspektive den Blick auf die Täter: In nur drei Jahren, von 1939 bis 1942, überrollte die deutsche Wehrmacht im Verbund mit mehreren Allianzpartnern fast ganz Europa. In kürzester Zeit etablierte das nationalsozialistische Deutsche Reich unterschiedliche Besatzungsregime (Werner Best formulierte 1941 vier Formen von Okkupationsverwaltung: Bündnis-, Aufsichts-, Regierungs- und Kolonialverwaltung)2 in einem Gebiet, das ungefähr zehn Mal so groß war wie das deutsche Staatsgebiet von 1937. Nimmt man Großbritannien und die neutralen oder nicht aktiv am Weltkrieg beteiligten Länder Schweden, Schweiz, Spanien, Portugal und die Türkei aus, dann müssen wir de facto das Europa des Jahres 1942 als einen von deutschem Nationalsozialismus, italienischem Faschismus und deren Vasallen dominierten Kontinent ansprechen (Abb. 1), auf dem die deutschen Prinzipien des Vermögensentzugs bis zur »Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflußgebiet in Europa«3 exekutiert wurden. Diese scheinlegalen Prinzipien waren seit der ausgesprochen erfolgreichen Erprobung des »Modells Wien« 1938 sukzessive radikalisiert worden. Sowohl die von den verschiedenen, miteinander konkurrierenden deutschen (und ehemals österreichischen) Instanzen, Institutionen, Organisationen und Behörden – darunter die notorisch schlecht erforschte »Dienststelle ›Chef der Deutschen Heeresmuseen‹« – erbeuteten Kulturgüter (NSBeutekunst) als auch die abgepressten, entzogenen, beschlagnahmten und angeblich »herrenlos« aufgefundenen und daher »sichergestellten« Kulturgüter (NS-Raubkunst) besitzen in einer solchen Perspektive zweifellos eine genuin europäische Dimension. Geht man von also von den Fakten der historischen Prozesse aus, dann werden sowohl die Notwendigkeit grenzüberschreitender Grundlagenforschung sofort einsichtig als auch die Unmöglichkeit, allein via Bestandsautopsie und Rückseitendokumentationen Herkunft und Besitzwechsel eines Objekts in der Zeit des Zweiten Weltkriegs 2

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Nach Werner RÖHR, System oder organisiertes Chaos? Fragen einer Typologie der deutschen Okkupationsregime im Zweiten Weltkrieg, in: Robert BOHN (Hg.), Die deutsche Herrschaft in den »germanischen« Ländern 1940–1945, Stuttgart 1997, S. 11–45, hier: S. 14. Ermächtigung Hermann Görings an Heydrich, 31.7.1941 (LVVA Riga, P1026, opis 1, B 3, Bl. 164), zitiert nach https://www.ghwk.de/wannsee-konferenz/dokumente-zur-wannsee-konferenz.html (25.6.2018).

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al perspective (Cambridge, 18. – 20.9.2014)4 und 70 Years and Counting: The Final Opportunity? (London, 12.9.2017). Der für die Claims Conference von Wesley Fisher und Ruth Weinberger verfasste Bericht Holocaust-Era Looted Art: An Overview of Worldwide Progress ist insofern ein Einzelfall.5 Ein international vergleichender Überblick zum Status der Provenienzforschung in Europa, zu Prämissen, Fragerichtungen, Arbeitsweisen und Zielen, zur nur selten permanenten Verankerung in den Institutionen, zu den infrastrukturellen Rahmenbedingungen und zu den politischen, gesellschaftlichen, merkantilen, medialen und wissenschaftsgeschichtlichen Gründen für Präsenz und Absenz von Forschungsbemühungen gehört daher ebenso zu den Desideraten wie die Berücksichtigung der je spezifischen Erinnerungs- und Vergangenheitsdiskurse,6 die – auch und gerade weil es um Kulturerbe geht – eng mit der Konstitution und Konstruktion nationaler Identitäten verbunden sind. Die Herausforderung ist deshalb so groß, weil das Ausloten historischer Besitzwechsel von Objekten wie von Immobilien und Aktien ohne eine Auseinandersetzung mit den jeweils virulenten gesellschaftlichen, religiösen und ethnischen Aspekten, Motiven und Triebkräften nicht geleistet werden kann. So ist die partielle oder vollständige Überführung aristokratischen Besitzes in »Volks-« bzw. Staatseigentum ein ausgesprochen vielgestaltiges Phänomen, das mindestens die Auflösung königlicher und fürstlicher Sammlungen in den frühen 1920er Jahren in Deutschland und die sozialistische Zwangskollektivierung in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre in Mittel- und Osteuropa umfasst. Dabei stellte der Adelstitel allein kein Kriterium dar, weil verschiedentlich auch bürgerliche Privatsammlungen in staatlichen Zugriff gerieten. Dieses weite Panorama von Translokationen und Appropriationen erfordert daher methodisch nuancierte Zugangsweisen, um den Spezifika der jeweiligen Machtverhältnisse adäquat Rechnung tragen zu können. Zugleich müssen wir feststellen, dass es 4

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Die Tagung mündete in ein Themenheft: Journal of Contemporary History 52/3 (2017), The Restitution of Looted Art in the Twentieth Century: Transnational and Global Perspectives, S. 491–667, The Restitution of Looted Art in the Twentieth Century: Transnational and Global Perspectives, hg. von Bianca GAUDENZI, Astrid SWENSON, Mary-Ann MIDDELKOOP, https://doi. org/10.1177/0022009417692409 (25.6.2018). http://art.claimscon.org/home-new/looted-art-cultural-property-initiative/advocacy/looted-art-report/ (25.6.2018). Auch Mecislav Borák (Hrsg.): „The West“ Versus „The East“ or the United Europe? The different conceptions of provenance research, documentation and identification of looted cultural assets and the possibilities of international cooperation in Europe and worldwide. Proceedings of an international academic conference held in Podebrady on 8-9 October, 2013, Prague: Documentation Centre for Property Transfers of Cultural Assets of WWII Victims, 2014, hat bislang keine Nachfolger gefunden. Dazu beispielsweise Arnd BAUERKÄMPER, Das umstrittene Gedächtnis. Die Erinnerung an Nationalsozialismus, Faschismus und Krieg in Europa seit 1945, Paderborn 2012.

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24   Christian Fuhrmeister derzeit für die Provenienzforschung auf europäischer Ebene keine Standards und noch nicht einmal ein abgesprochenes Prüfschema gibt. Es existiert weder ein Dachverband noch eine institutionalisierte Zusammenarbeit, etwa in Gestalt der in Lyon ansässigen International Criminal Police Organization (Interpol), oder eine länderübergreifende Forschungsinfrastruktur, wie sie seit 2015 im zeithistorischen und quellenorientierten Projekt European Holocaust Research Infrastructure (EHRI) aufgebaut wird7 – ganz zu schweigen von einer einheitlichen Rechtsprechung. Die offene Frage lautet daher, wer Interesse an europäischer Zusammenarbeit in der Provenienzforschung hat und wer ein Agieren im nationalen Rahmen vorzieht. Angesichts der sehr dynamischen Prozesse – und der beständigen, ja, prinzipiellen Spannung zwischen gesamteuropäischen Ansätzen auf der einen und vielfältigen Partikularismen sowie nationalen Abschottungstendenzen auf der anderen Seite – wird diese Frage in kurzen Abständen immer wieder neu gestellt werden müssen. Grundsätzlich ist die Provenienzforschung im weiten Feld der Geisteswissenschaften dadurch ausgezeichnet, dass sie in besonderer Weise in einem strukturellen Spannungsund Reibungsverhältnis zu gegenwartsbezogenen Ansichten, Meinungen, Auffassungen und erinnerungs- und vergangenheitspolitischen Narrativen steht. Dies kann nicht verwundern, denn erstens basiert die Entwicklung der letzten beiden Dekaden auf einer genuin politischen Willenserklärung, und zweitens haben die Arbeitsergebnisse – anders als zum Beispiel in der Literaturwissenschaft – sehr konkrete Implikationen: Restitutionen können als Eingriff in das kulturelle Erbgut eines Museums, einer Stadt, einer Region oder eines Staates verstanden werden. Sowohl die generell normative Dimension wie die vielleicht unvermeidbar emotionale Bindung an einzelne Artefakte und ihre Inanspruchnahme für lokale, kommunale, regionale, föderale oder nationalstaatliche – oder auch für ethnische, stammesmäßige, familiäre – Identitätsstiftungen und -narrative müssen dialektisch als permanente Hinderungsgründe wie auch als starke Motoren benannt werden. Dies unterscheidet die Provenienzforschung zudem deutlich von den teils eher theoretisch oder geschichtsphilosophisch akzentuierten Ansätzen der Histoire croisée, der Entangled Histories oder der Transnationalismusforschung.8 7

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Die Website https://www.interpol.int/ bietet die Wahl zwischen vier Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch und Arabisch; https://portal.ehri-project.eu/ ist ebenfalls viersprachig: Englisch, Französisch, Deutsch und Polnisch. Vgl. die Selbstbeschreibung des Yearbook of Transnational History unter http://www.fdupress.org/transnational-history-annual-journal/ (25.6.2018): »Undertaking transnational history means breaking free from national paradigms. The concept of transnational history is built upon the premise that historical processes, their causes, and their consequences are not contained within nations. The transnational approach attempts to recover history as a global experience and as a universal project. It is based on the realization

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26   Christian Fuhrmeister Kroatien und Slowenien agieren als »Principal investigators«; sie werden von zahlreichen, dem Projekt assoziierten Partnern unterstützt, darunter maßgeblich und tatkräftig von der Österreichischen Kommission für Provenienzforschung und der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Es geht bei TransCultAA um Recherchen zu Translokationen von Kulturgütern jeder Art in einem nicht ganz präzise abgrenzbaren geografischen Raum in der Zeitspanne von ungefähr 1914 bis 1989/1991. In ganzheitlicher Perspektive und auch in Form gemeinsamer Quellenarbeit wird sowohl die physische Verlagerung von Objekten als auch die Semantik ihrer Begründungen untersucht. Diese grenzüberschreitende Verbundforschung zum mobilen Kulturerbe mehrerer Staaten ist schon deshalb ungewöhnlich, weil die akademische Disziplin der Kunstgeschichte, deren Genese eng mit der Konstitution nationalen kulturellen Erbes verknüpft ist, mit anderen Bezugsgrößen und Rahmungen bzw. Begründungslogiken sich zu befassen gezwungen ist. Nationale Sinnstiftung steht hier nicht – mehr – im Vordergrund, kann vielmehr hier nicht länger betrieben werden, weil die Prozesse der Bedeutungszuweisung selbst zum Untersuchungsgegenstand geworden sind. Angesichts eines auf diplomatischer Ebene teils zum Stillstand gekommenen Gesprächs über historische Verlagerungsprozesse liegt ein Schwerpunkt des Verbundprojekts auf der Recherche, Sammlung, Dokumentation und Analyse schriftlicher und visueller Quellen der Translokation von Objekten. Diese quellenbasierte Rekonstruktion historischer Kulturguttransfers steht im Zentrum und bildet die Grundlage für eine ergebnisoffene transnationale Autopsie der Sachverhalte. Dies setzt Vertrauen und Vertrautheit voraus, weswegen den Arbeitstreffen große Bedeutung zukommt: Seien es interne Besprechungen, die wegen der eingebundenen Studierenden und Doktoranden auch transgenerationelle Gespräche sind, seien es gemeinsame Archivarbeit oder Ausstellungs- und Museumsbesuche oder Exkursionen – stets geht es um Austausch und den Abgleich von Perspektiven. Die erarbeiteten Inhalte werden teilweise auf der Website www.transcultaa.eu präsentiert (die auch Karten und eine Zeitleiste sowie eine virtuelle Ausstellung inkludiert), zumeist aber im Rahmen von öffentlichen Workshops, Kolloquien, Studientagen oder Konferenzen zur Debatte gestellt. Neben den Tagungsbänden in unterschiedlichen Formaten (print, online, hybrid) ist auch eine OnlineQuellenedition vorgesehen. Zum Projektende im Sommer 2019 wird eine Ausstellung in der Strossmayer Galerie in Zagreb zentrale Ergebnisse veranschaulichen. Zur Halbzeit der Projekts lässt sich eine vorläufige Bilanz ziehen: Die Forschungen ergeben oftmals contested memories und conflicting evidence. Und wir begreifen erst langsam, dass die Provenienzforschung nicht nur die Verdrängungsmechanismen der

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Täter offenbart, sondern auch an den aus vielen Gründen tabuisierten traumatischen Erfahrungen der Opfer rührt: »Wer hat Ihnen erlaubt, unsere Familiengeschichte zu erforschen, den Weg unseres Besitzes?«, fragte vor drei Monaten in Ljubljana eine Frau aus einer jüdische Familie, nachdem eine italienische Studentin ein Bild aus ihrem Familienbesitz im Depot des Museo Civico in Udine entdeckt hatte. Dafür habe sich doch »noch nie jemand interessiert«, ihre Familie habe sich daher im Nicht-Wissen eingerichtet und so eine Haltung zur Vergangenheit gefunden. Forschung zerstört insofern eine prekäre Balance, weil das Aufdecken historischer Translokations- und Enteignungsprozesse oberflächlich verheilte Wunden öffnet. Es braucht daher nicht nur bessere Forschungsinfrastrukturen, es braucht auch Empathie, es braucht digitale Werkzeuge und Kenntnis und Verständnis für brachiale Ausgrenzungserfahrungen, es braucht »Hirn und Herz«, um Michael Wolffsohn zu zitieren.10 Das Spektrum der im Rahmen von TransCultAA untersuchten Objektverlagerungen und -zerstörungen gegen den Willen der Besitzer ist weit. Es reicht von der Propaganda des militärischen Kunstschutzes im Ersten Weltkrieg über den Zusammenbruch der Habsburger Monarchie und die im Hafen von Triest lagernde und von der deutschen Besatzungsmacht »verwertete« sogenannte »Masse Adria« (also Hausrat und Kunstgegenstände der über Triest aus Ostmitteleuropa geflohenen Juden) bis hin zur bi- und multilateralen Kommissionsarbeit in Restitutionsfragen in der Nachkriegszeit. Wenn Erinnerung per se plural, komplex und herausfordernd ist,11 und wenn das auf Interaktion und Kommunikation basierende kollektive Gedächtnis unsere Wahrnehmung und unser Problembewusstsein mitbestimmen kann,12 dann müssen wir daraus auch den Schluss ziehen, dass die – ungenügenden – materiellen Wiedergutmachungen der 1950er Jahre (die in einigen ehemals besetzten Ländern nicht oder kaum stattgefunden haben) keine geeigneten Problemlösungsstrategien darstellten. Denn es gibt einen Rest, eine Art gärendes Unbehagen, die Empfindung auch von Ungerechtigkeit, die Prozesse als eben nicht abgeschlossen, sondern als erneut zu bearbeitende Phänomene erscheinen lassen. Die historischen Transfers sind nicht erledigt, sondern – immer noch – virulent.

10 Im Rahmen seines Vortrags Räuber, Beraubte und ihre Nachfahren. Über Schuld, Umkehr, Sühne und Versöhnung bei der Tagung NS-Raubkunst. Spätschuld, Folgen und Konsequenzen, Katholische Akademie in Bayern, München, 22.2.2014. 11 So das Fazit der interdisziplinären Tagung Die Kunst der Erinnerung im Jüdischen Kulturmuseum Augsburg am 10.6.2018. 12 So eine Annahme des »internationalen Konvergenzfeldes« der Memory Studies in Frankfurt am Main, http://www.memorystudies-frankfurt.com/de/ (25.6.2018).

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28   Christian Fuhrmeister Das gesellschaftliche wie das internationale Interesse an der Klärung dieser ungelösten Probleme und an der Beantwortung der teils noch nicht einmal präzise formulierbaren Fragen ist zu Recht riesig – als »realm of the unknown«, also als Reich des Unbekannten, des Unwissens und des Ungewussten, bezeichnete es Kuratorin Michal Friedlander bei der Tagung Geraubte Judaica. Die Erforschung ihrer Provenienz in Israel und Deutschland im Jüdischen Museum Berlin.13 Auch deshalb zählt die Kunstgeschichte auf absehbare Zeit zu den spannendsten geisteswissenschaftlichen Fächern: Wir stehen gigantischen Herausforderungen gegenüber, wollen wir nicht nur die Provenienz unikaler Ölgemälde, sondern auch die Bedingungen und Modi der Besitzwechsel von Büchern, Gabeln, Schabbat-Lampen und anderem Kulturgut erforschen. Die Arbeitsvoraussetzungen haben sich in den letzten Jahren deutlich verbessert, auch das Problembewusstsein ist gestiegen. Zu einer aufrichtigen Lagebestimmung gehört indes auch, dass viele Weichen falsch gestellt wurden und werden. Ergebnisoffene Grundlagenforschung ist nicht die Regel, sondern immer noch die Ausnahme. Wir beherrschen Excel und füllen und benutzen Datenbanken, wir studieren die ungeheuren Translokationsprozesse, aber wir sind nicht dafür ausgebildet, die mit ihnen verbundenen individuellen und kollektiven Affekte und Emotionen zu analysieren. Genau dies charakterisiert Deutschland, diesen »Weltmeister der Vergangenheitsbewältigung«, 2018: Es gibt richtige Initiativen, doch es gibt keinen Masterplan, keine Vision, keine Zielvorstellung. Deutschland verharrt im Modus der Reaktion: Nicht auf deutsche Initiative werden die Raubaktionen des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg erforscht, sondern durch JDCRP, das Jewish Digital Cultural Recovery Project. Nur punktuell oder lokal, etwa in Oldenburg, also bottom up, kümmert man sich um die sogenannte »M-Aktion«, durch die schier unvorstellbare 27.000 Eisenbahnwaggons mit Möbeln und Hausrat aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden in das Deutsche Reich geschickt wurden. Für die systematische Bearbeitung – top down – der rund 70.000 angeblich »unbewachten« jüdischen Wohnungen sind keine Fördermittel ausgeschrieben. Aleida Assmann hat den europäischen Nationalstaaten schon 2012 starre »monologische Gedächtnis-Konstruktionen« diagnostiziert und stattdessen ein »dialogisches Erinnern« vorgeschlagen.14 Ein solches setzt nicht nur Offenheit für Begegnungen, sondern auch Zeit und Freiräume und insbesondere einen offenen Prozess voraus. Wer sich auf transnationale Dialoge über Werte und Normen – über symbolisches Kapital 13 Das Programm der Tagung vom 18. – 19.6.2018 ist hier zugänglich: https://www.jmberlin.de/symposium-geraubte-judaica (25.6.2018). 14 Aleida ASSMANN, Auf dem Weg zu einer europäischen Gedächtniskultur?, Wien 2012.

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Provenienzforschung in Europa und das Projekt TransCultAA    29

und kulturelle Identität – einlassen willen, braucht Toleranz und Ruhe, nicht Bevormundung oder mediale Skandalisierung. Die Frage ist, inwiefern die eingeschlagenen und bislang für die Provenienzforschung geltenden Verfahrensweisen und Schritte sowie ihre Prämissen wirklich Einszu-eins fortgeschrieben werden können, ja dürfen. Folgt man dem in den späten 1990er Jahren entwickelten sozialwissenschaftlichen Konzept der Pfadabhängigkeit, so gibt es zwar immer wieder Wegkreuzungen oder Möglichkeiten für Richtungsentscheidungen – das Prozessmodell beschreibt, wie Rückkopplungen oder positive FeedbackEffekte den eingeschlagenen Kurs stabilisieren. Doch zugleich werden Kursänderungen immer weniger wahrscheinlich, da sie womöglich negative Folgen zeitigen. Pfadabhängige Prozesse sind insofern prädestiniert, Fehler zu verfestigen. Welche Entwicklungsschritte sind also linear weiterzudenken, und wo ist eine prinzipielle Neuorientierung erforderlich? Vor diesem Hintergrund – zwischen Pathosformeln, Fake History und dem Ruf nach einer »erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad« – bleibt es Aufgabe der Grundlagen- und Kontextforschung, die Implikationen des Massenraubmords – um Götz Alys Wendung zu benutzen – und des staatlichen Handelns vor und nach 1945 ebenso kritisch und umfassend zu bearbeiten wie andere Dislokations- und Appropriationsprozesse. Verschieben wir bewusst die Grenzen von Wissen und Nichtwissen – erinnern wir uns, arbeiten wir. Für TransCultAA bedeutet dies vor allem, exemplarisch zu arbeiten und als Pilotprojekt einer transnationalen gemeinschaftlichen Erkundung historischer Prozesse diejenigen paradigmatischen Einzelfälle zu identifizieren, die es plausibel, erstrebenswert und sogar zwingend erforderlich erscheinen lassen, den Arbeitsmodus der Provenienzforschung radikal zu erweitern. Denn die Bestands- oder Sammlungsforschung bedarf der Verzahnung mit Forschungen zu Translokationsprozessen. TransCultAA ist daher bewusst nicht für eine systematische oder gar enzyklopädische Erfassung historischer Phänomene konzipiert, sondern für die gezielte Herausarbeitung von »sprechenden« Prozessen, die deren Komplexität ebenso wie die Bedeutungszuweisungen an (konfliktbeladenes) Kulturgut beispielhaft erfahrbar machen.

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Zäsur Gurlitt? Provenienzforschung in Deutschland

Andrea Baresel-Brand

Mit der skandalisierenden Berichterstattung über den sogenannten »Schwabinger Kunstfund« ab November 2013, unter anderem deklariert als »Milliardenschatz«, »Nazi-Schatz«, welcher von Cornelius Gurlitt als »Hüter des Schatzes« bewahrt worden wäre, wurde die Herkunft der aufgefundenen Kunstwerke zur zentralen und in breitester Öffentlichkeit diskutierten Frage. In Fachkreisen war es keine Neuigkeit, dass die Familie des Kunsthistorikers und späteren Kunsthändlers Dr. Hildebrand Gurlitt stets über nennenswerten Kunstbesitz verfügt hatte, war man doch nach 1945 als Leihgeber für Ausstellungen aufgetreten, hatte Kunstwerke an- und vor allem verkauft. Die tatsächliche Dimension und das breite stilistische Spektrum des Kunstfundes überraschten jedoch. Auch hatte man jahrzehntelang nicht offen Fragen nach der Herkunft der Kunstwerke gestellt. Die Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft, die Art und Weise des Bekanntwerdens, geschürt durch reißerische Medienberichte, die komplexen historischen Verflechtungen Hildebrand Gurlitts, die Prominenz der Familie, große Künstlernamen innerhalb des Fundes und das klandestine Verhalten des Sohnes Cornelius, gekoppelt mit der Aura von Raub- und Beutekunst und dem Komplex »Entartete Kunst«, machten die Sensation perfekt. Angesichts der Familiengeschichte sowie der vielfach unbekannten Provenienzen der Kunstwerke ist nachvollziehbar, dass die Öffentlichkeit und vor allem die Nachfahren der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung vermuteten, es handele sich hier überwiegend um NS-Raubkunst. Damit rückte zugleich ein außerhalb von Expert_innenkreisen ungewohnter Begriff in das öffentliche Bewusstsein: »Provenienzforschung«. – »Irgendetwas mit Raubkunst«, »wie spannend!«, so gängige spontanen Reaktionen. Sofort jedoch war den Kritiker_innen völlig klar, dass damit (nicht nur beim Kunstfund) bisher alles schief gelaufen war, die (deutschen) öffentlichen Einrichtungen und vor allem die zur Aufklärung des Kunstfundes eingesetzte Taskforce1 völlig versagt hatten. Die tatsächliche 1

Ausführlich z. B. unter www.taskforce-kunstfund.de, dort auch der Abschlussbericht (Stand 31.12.2015), oder auch in der Begleitpublikation: Bestandsaufnahme Gurlitt, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn/Kunstmuseum Bern 2017/18, München 2017; Kunst- und Ausstellungs-

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32   Andrea Baresel-Brand Rechtslage interessierte (nicht nur) den Boulevard wenig, es ging vor allem um Sensation, Auflage und Klicks. Dass es sich im Falle des »Schwabinger Kunstfunds« um Privatbesitz handelte und dass der Besitz von NS-Raubgut an sich kein Straftatbestand ist, spielte hier keine Rolle. Hinzu kam die realitätsferne Erwartungshaltung, dass mit den digitalen Möglichkeiten kurzfristig, das heißt innerhalb nur weniger Wochen, die lückenlose Aufklärung des Kunstfundes möglich sein würde.2 Der Verlauf war in der Tat anfangs zäh, den Provenienzforscher_innen wurde Heimlichtuerei3 unterstellt und – tragisch in sich – als Erfolg einzig Restitution gewertet. Eine solche Haltung ignoriert allerdings den zentralen Aspekt, dass eine Restitution nur durch diejenige Person bzw. Institution oder deren Bevollmächtigte erfolgen kann, die das fragliche Kunstwerk tatsächlich besitzen, nicht jedoch kann diese ein nicht rechtsfähiges Gremium, wie es die Taskforce Schwabinger Kunstfund war, vornehmen. Auch bedarf eine lückenlose Provenienzklärung verlässlicher Quellen, diese waren bezüglich des Kunstfundes Gurlitt allerdings heterogen oder schlicht (noch) nicht verfügbar. Die Geschäftsbücher4 des Kunstkabinetts erwiesen sich in vielen Teilen als manipuliert und eröffneten der Forschung so manchen Irrweg. Zudem erforderte die laufende strafrechtliche Ermittlung gegen Cornelius Gurlitt (bis 2014) aus rechtlichen Gründen sogenannte Verschwiegenheitsobliegenheiten. Die später folgende Erbauseinandersetzung brachte weitere Hürden mit sich, beispielsweise umfangreiche Abstimmungsprozeduren, da bei bestimmten Anliegen – wie etwa Inaugenscheinnahmen von Originalen – über den Nachlasspfleger/die Nachlasspflegerin sämtliche potenzielle Erb_innen einzubeziehen waren. Mag man auch die Umstände der Beschlagnahme in der Schwabinger Wohnung von Cornelius Gurlitt und die weitere Entwicklung der Angelegenheit bis zu dessen Tod im Mai 2014 kritisch5 bewerten, so ist doch zugleich zu würdigen, dass Herr Gurlitt sich schlussendlich als Privatperson den Washington Prinzipien von 1998 vorbild-

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halle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 3.11.2017–11.3.2018; Bestandsaufnahme Gurlitt. Entartete Kunst – Beschlagnahmt und verkauft, Kunstmuseum Bern, 2.11.2017–4.3.2018. Das Projekt Provenienzrecherche Gurlitt ermittelte 2016 nach erneuter Sichtung und Überarbeitung die Anzahl der Werke des Kunstfunds inklusive der späteren Funde mit 1.566 Positionen; www.kulturgutverluste.de, dort Provenienzrecherche Gurlitt. Vgl. z. B. Jörg HÄNTZSCHEL, Ausstellung über Gurlitt-Nachlass Was übrig ist vom angeblichen »NaziSchatz« der Gurlitts, in: Süddeutsche Zeitung, 2.11.2017. Publiziert unter http://www.lostart.de/Webs/DE/Datenbank/Gurlitt/KunstfundMuenchen.html; seit 2017 befindet sich der schriftliche Nachlass von Cornelius Gurlitt im Bundesarchiv und kann seit Juli 2017 genutzt werden. Vgl. z. B. Maurice Philip REMY, Der Fall Gurlitt. Die wahre Geschichte über Deutschlands größten Kunstskandal, München 2017.

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Zäsur Gurlitt?   33

haft unterworfen hat, indem er sich vertraglich zur Restitution von als NS-Raubkunst identifizierten Werken aus seinem Besitz bereit erklärte.6 Damit einhergehend stimmte er der Erforschung seines Kunstbesitzes durch die Taskforce für einen befristeten Zeitraum zu. Zugleich hat der deutsche Staat, in Gestalt des Freistaats Bayern und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, mit der Initiierung einer – bislang nie dagewesen – internationalen Taskforce bzw. ab Januar 2016 des Nachfolgeprojekts Provenienzrecherche Gurlitt7 und mit hierfür großzügig bereitgestellten Mitteln Verantwortung für die Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts und gegenüber den wahren Eigentümer_innen möglicher NS-Raubkunst im (privaten) Gurlitt-Nachlass übernommen.8 Der Bund ist auch der Ansprechpartner für die Restitution von den Werken aus dem Kunstfund, die als »NS-Raubkunst« eingestuft werden, wobei die letztliche Restitutionsentscheidung die jeweiligen Eigentümer treffen.9 Die Qualifizierung von »NS-Raubkunst« wiederum richtet sich nach der deutschen Auslegung der Washingtoner Prinzipien anhand der Gemeinsamen Erklärung10 von 1999. War der »Fall Gurlitt« nun eine Zäsur? Sicher nicht, wenn man die zu dem Zeitpunkt bereits hochprofessionalisierte Entwicklung der Provenienzforschung als Teil des kunst- und kulturwissenschaftlichen Methodenkanons betrachtet. Zu bejahen ist eine Zäsur unbedingt für die öffentliche Wahrnehmung von Provenienzforschung – das Thema ist definitiv in der breitesten Öffentlichkeit angekommen; die Besucher_innenzahlen der Partnerausstellungen Bestandsaufnahme Gurlitt an der Bundeskunsthalle und am Kunstmuseum Bern haben jede Erwartung gesprengt. Zu bejahen ist dies auch für die Politik, die seitdem bestehende Strukturen neu geordnet und erhebliche zusätzliche Fördermittel bereitgestellt hat. Hierzu zählt vor allem die Gründung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste zum 1. Januar 2015 als Stiftung bürgerlichen Rechts, womit insbesondere die Aufgaben der ehemaligen Koordinierungsstelle Magdeburg und der Arbeitsstelle für Provenienzforschung zusammengeführt und zugleich erweitert wurden.11 6

Pressemitteilung vom 7.4.2014, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/ BPA/2014/04/2014-04-07-bkm-gurlitt.html (1.7.2018). 7 Das Projekt Provenienzrecherche Gurlitt (1.1.2016–31.12.2017) wurde vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste getragen und ausschließlich aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien finanziert. 8 Vgl. Pressemitteilung, 24.11.2014, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/ BPA/2014/11/2014-11-24-bkm-gurlitt.html (1.7.2018). 9 https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/ProjektGurlitt/Restitution/Index.html (1.7.2018). 10 https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Stiftung/Grundlagen/Gemeinsame-Erklaerung/Index.html (1.7.2018). 11 Ausführlich unter www.kulturgutverluste.de (1.7.2018).

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34   Andrea Baresel-Brand Aus dem breit gefächerten Aufgabenspektrum seien hier lediglich der Betrieb und die Pflege der Lost-Art-Datenbank für die Dokumentation von nationalen und internationalen Such- und Fundmeldungen zur sogenannten NS-Raubkunst und zur Beutekunst, das heißt den kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern, hervorgehoben sowie, seit 2017, die Entwicklung einer neuen Forschungsdatenbank. Diese soll die Effektivität der Provenienzforschung steigern und dabei helfen, Doppelrecherchen zu vermeiden. Als erster wichtiger Schritt zur transparenten Darstellung von Ergebnissen aus Förderprojekten des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste zur Provenienzforschung wurde 2016 online das Modul Forschungsergebnisse eingerichtet, dessen Inhalte wiederum später eine wesentliche Grundlage für die Forschungsdatenbank bilden werden. Wesentliche Aspekte der Stiftungsarbeit sind zudem der Aufbau von Kooperationen mit der universitären und außeruniversitären Forschungslandschaft, die Etablierung der Ausbildung von Provenienzforscher_innen als integralem Bestandteil der universitären Ausbildung sowie die Weiterbildung von Mitarbeiter_innen aus Museen, Bibliotheken und Archiven. Wenngleich die Provenienzforschung auf das engste mit dem hochsensiblen Thema NS-Raubgut verknüpft ist, geht sie tatsächlich weit darüber hinaus, meint sie doch die Aufklärung der Herkunft und (Besitz-)Geschichte jeglichen Kulturguts in öffentlichen und privaten Sammlungen – von Gemälden über Bücher bis hin zu Alltagsgegenständen. Evident ist dabei, dass die erforderlichen Fertigkeiten von Provenienzforscher_ innen deutlich über das klassische kunsthistorische Repertoire hinausgehen müssen, denn es geht mitunter um das Entwirren hochkomplexer Besitz-und Eigentumsverhältnisse, respektive der damit verbundenen Transaktionen. Die Entwicklung einer professionalisierten und vor allem als unabdingbar akzeptierten Provenienzforschung war über Jahrzehnte durchaus zäh verlaufen, dies nicht allein in Deutschland. Diese Situation beruhte gewiss auch auf einem mangelnden Problembewusstsein, vor allem in der jungen Bundesrepublik. Die Kritik an den öffentlichen Einrichtungen die infolge des »Schwabinger Kunstfundes« erneut publik wurde, traf jene allerdings zu einem Zeitpunkt, als der kritische Umgang mit »NS-Raubgut« und die Professionalisierung der Provenienzforschung12 bereits erheblich fortgeschritten waren. Selbstverständlich bedeuteten die moralisch-ethisch verpflichtenden Washingtoner Prinzipien und die sich daran anschließende Gemeinsame Erklärung die ersten wichtigen Schritte hinsichtlich eines kritischen Umgangs mit »NS-Raubkunst«, doch dürften öffentlich diskutierte »Fälle«, wie 2006 die umstrittene Rückgabe der Berliner Straßenszene von Ernst 12 Vgl. hierzu auch den Beitrag von Anja HEUSS, Die Provenienzforschung in Deutschland und der Schweiz, in: Bestandaufnahme Gurlitt, München 2017, S. 86–93.

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Zäsur Gurlitt?   35

Ludwig Kirchner, wesentliche Impulse gegeben haben. Der »Schwabinger Kunstfund« schließlich trug das Thema in die breiteste Öffentlichkeit und lenkte zudem den Blick auf die Privatsammlungen. Mit dem inzwischen aufgrund seiner komplexen Entstehungsgeschichte zutreffender als »Kunstfund Gurlitt« bezeichneten Sensationsfall wurde das große öffentliche Bedürfnis nach transparenter Information offenbar. Nachdem infolge langer Auseinandersetzung im Dezember 2016 durch das Oberlandesgericht München der Streit um den Kunstbesitz des im Mai 2014 verstorbenen Cornelius Gurlitt zugunsten des Kunstmuseums Bern entschieden worden war, konnten schließlich ab Herbst 2017 die Partnerausstellungen Bestandaufnahme Gurlitt in der Bundeskunsthalle in Bonn und im Kunstmuseum Bern stattfinden. Diese wirkten nachgerade wie ein Katalysator, konnte sich das Publikum nun endlich inmitten der Originale ein Bild von den Herausforderungen der Provenienzforschung machen und die ungewöhnliche Genese des Kunstfundes objektiv nachvollziehen. Gleichzeitige publizierte das Projektteam Provenienzrecherche Gurlitt regelmäßig online Zwischenergebnisse seiner Arbeit. Der Visualisierung und damit Vermittlung von Provenienzforschung kommt große Bedeutung zu. Bereits vor Gurlitt gab es viele entsprechende Initiativen seitens Bibliotheken und Museen ebenso wie virtuelle Gemeinschaftsprojekte, die, obwohl vorbildhaft, nicht dieselbe Strahlkraft entfalteten.13 Die Geschichten hinter den Objekten müssen nachvollziehbar sein, die Schicksale ihrer Besitzer_innen dem Publikum vermittelt werden. Nur so kann die Öffentlichkeit die Leistungen der Provenienzforschung erkennen und diese als Teil auch von Bildungsarbeit und Aufklärung verstehen. Der »Kunstfund Gurlitt« hat mit seltener Deutlichkeit gezeigt, wie international das Thema ist. Eben nicht nur, weil heute die Nachfahr_innen der Opfer der Shoah weit über den Globus verstreut leben, weil die Kunstwerke schon seit der NS-Zeit »wandern«, sondern vor allem auch, weil sich bereits die historischen Akteur_innen – seien sie Flüchtige, Soldaten, Kunsthändler_innen, Kunstschützer_innen, Wehrmachtsangehörige – über Grenzen hinweg bewegten. Hildebrand Gurlitt agierte intensiv auf dem französischen Kunstmarkt. Die Sackgassen, auf die Forschung bei der Provenienz vieler seiner Kunstwerke stößt, lassen vermuten, dass viele Geschäfte an den Augen der Besatzer vorbei, unter der Hand getätigt wurden. Die Frage bleibt, ob hier trotz

13 Vgl. als Beispiel für ein gelungenes virtuelles bzw. intermediales Projekt siehe Alfred Flechtheim.com. Kunsthändler der Avantgarde der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, www.alfredflechtheim.com (1.7.2018).

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36   Andrea Baresel-Brand aller Bemühungen und guten Rahmenbedingungen14 je eine lückenlose Aufklärung wird erfolgen können. Auch das hat der Kunstfund vermitteln können: dass auch nach intensiver Forschungsbemühung manche Lücken in der Geschichte der Kunstwerke nicht geschlossen werden können. Perspektive

Die Erfahrungen im Umgang mit NS-Raubgut bieten eine Chance, bei aller thematischen Abgrenzung, sie ethisch und methodisch auf das jüngst so virulent gewordene Thema des Kulturguts aus kolonialem Kontext anzuwenden.15 Entscheidend ist, die richtigen Schlüsse zu ziehen, also systematisch und strukturiert vorzugehen, proaktiv auf die Nachfahr_innen der Opfer oder Geschädigten zuzugehen und gemeinsam gute Lösungen zu finden. Herkunft adelt Kunstwerke, das richtige Pedigree steigert ihren Wert, denn ihre Geschichte macht sie einzigartig. Welche Lehren wurden also aus dem »Fall Gurlitt« gezogen? Niemand, und dies betrifft auch Privatsammler_innen und den Kunsthandel, kann sich heute noch der Verantwortung für die Aufklärung der zum Teil tragischen Wege eines Kulturguts entziehen und sich damit der Herkunftsklärung von Kunstwerken verschließen. Provenienzforschung muss dabei kooperativ sein, nachhaltig und international vernetzt. Die Digitalisierung bietet hierfür eine großartige Chance und gutes wissenschaftliches Arbeiten bedarf einer transparenten Ergebnisdokumentation. Den Opfern der Shoah ist geschuldet, dass ihre Geschichten erzählt werden und damit ihre Würde gewahrt wird.

14 Gemeint sind hier insbesondere strukturelle und finanzielle Bedingungen sowie z. B. die durch Digitalisierung verbesserten Recherchemöglichkeiten. 15 Nicht zu unterschätzen ist dabei die »Schnittmengen-Problematik«, die ebenfalls bei Kulturgut aus dem Kontext SBZ/DDR zum Thema werden könnte: In den 1920er Jahren war es etwa en vogue, Kulturgut aus kolonialem Kontext zu sammeln. Dies betraf auch Sammlungen, die nach 1933 von den Nationalsozialisten arisiert und/oder durch Verkäufe zerstreut wurden oder als »Beutekunst« in die ehemalige Sowjetunion gelangten. Entsprechende Objekte fanden sich auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wieder.

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Provenienzrecherche und digitale Forschungsinfrastrukturen in Deutschland: Tendenzen, Desiderate, Bedürfnisse Meike Hopp

Genese und Problemaufriss

Die Frage nach einer spezifisch deutschen Verantwortung für historisches Unrecht und die Kritik an der Realisierbarkeit und Verhältnismäßigkeit von »Wiedergutmachung« an Opfern der Verfolgung, Entrechtung und Enteignung durch den nationalsozialistischen Unrechtsstaat in der Nachkriegszeit – bei gleichzeitiger (Eliten-)Kontinuität und Verdrängungstendenz –, beschäftigte insbesondere die Forscher_innen aus den Bereichen der Zeitgeschichte, der Philosophie und der Rechtswissenschaften seit den späten 1980er Jahren.1 In der kunsthistorischen Forschung haben erst die Washington Principles on Nazi-Confiscated Art von 1998 ein Umdenken herbeigeführt.2 Befördert durch die 1998 in Magdeburg gegründete Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste3 und ergänzt durch die 2008 eingerichtete Arbeitsstelle für Provenienzrecherche/-forschung beim Institut für Museumsforschung, Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin (AfP), wurde die Forschung zu kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern (»Beutekunst«) und NS-verfolgungsbedingt entzogenen Objekten (»NS-Raubkunst«) an öffentlichen Einrichtungen in Deutschland etabliert und in den Folgejahren intensiviert. Durch den »Schwabinger Kunstfund« – der umstrittenen Beschlagnahme der Sammlung von Cornelius Gurlitt (1932–2014) durch die Staatsanwaltschaft Augsburg 2012 – wurden diese Bemühungen noch einmal nachhaltig katalysiert. Heute stellt die Provenienzforschung in Deutschland ein virulentes geisteswissenschaftliches Forschungsfeld dar, 1

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Vgl. u. a. Christian PROSS, Wiedergutmachung: der Kleinkrieg gegen die Opfer, Frankfurt am Main 1988; Ludolf HERBST, Constantin GOSCHLER (Hg.), Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, München 1989. Vgl. https://www.state.gov/p/eur/rt/hlcst/270431.htm (30.6.2018). Gegründet 1994 in Bremen als Koordinierungsstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern und getragen von den deutschen Bundesländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, MecklenburgVorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen, übersiedelte die Koordinierungsstelle 1998 mit erweiterter Zuständigkeit nach Magdeburg. 2001–2014 wurde sie paritätisch vom Bund und allen Ländern getragen.

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38   Meike Hopp das von großem öffentlichen und medialen Interesse begleitet wird und inzwischen an einigen kunsthistorischen Instituten zum Ausbildungs- bzw. Lehrangebot gehört. Seit 2017 werden an vier deutschen Universitäten in Bonn, Hamburg, München und Berlin Professuren dieser Denomination eingerichtet. Die Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste (DZK) in Magdeburg, die seit Anfang 2015 die Aufgaben der ehemaligen Koordinierungsstelle Kulturgutverluste in Magdeburg und der ehemaligen Arbeitsstelle für Provenienzforschung beim Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz fortführt, listet aktuell 270 kurz- und langfristige Projekte, die seit 2008 bundesweit gefördert wurden.4 Die vom DZK betriebene Datenbank Lost Art verzeichnet inzwischen in Millionenhöhe Such- und Fundmeldungen von Privatpersonen und Institutionen zu Kulturgütern, »die infolge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs verbracht, verlagert oder – insbesondere jüdischen Eigentümern – verfolgungsbedingt entzogen wurden« bzw. für die aufgrund von Provenienzlücken ein verfolgungsbedingter Entzug nicht ausgeschlossen werden kann.5 Die Vielzahl an Informationen, Aktivitäten und Projekten verlangt enge Vernetzung der Forschungsgruppen sowie regelmäßigen Austausch. Diese Aufgabe kann der bereits 2000 gegründete Arbeitskreis Provenienzforschung, seit 2014 ein eingetragener Verein, der mehr als 250 Mitglieder zählt, nicht allein erfüllen.6 Wenngleich durch ihn zwar die Vernetzung auf der persönlichen Ebene – auch international7 – ebenso gefördert wird wie durch überregionale Fachtagungen, Lehr- oder Weiterbildungsangebote,8 bleibt die Verzahnung von Forschungsinfrastrukturen und wissenschaftlichen Ressourcen in der Provenienzforschung noch weit hinter ihren Potenzialen zurück. Die vielfältigen Daten, die in den letzten zwei Jahrzehnten angesammelt wurden, sind immer noch erst in Ansätzen aufbereitet und projekt- oder gar länderübergreifend 4 5 6 7 8

Vgl. https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Forschungsfoerderung/Projektstatistiken/Index.html (30.6.2018). Vgl. http://www.lostart.de/Webs/DE/Datenbank/Index.html (30.6.2018). Vgl. http://arbeitskreis-provenienzforschung.org/ (30.6.2018). Der Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. zählt derzeit 57 Mitglieder aus Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Österreich, Schweiz und den USA. U. a. das jährlich stattfindende Weiterbildungsprogramm Provenienzforschung – über die Herkunft der Kunstwerke der FU Berlin in Berlin/Dresden (dort in Kooperation mit der Berlinischen Galerie, der Stiftung Stadtmuseum Berlin, dem Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin und den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden) und München/Würzburg (dort in Kooperation mit der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern) oder das German-American Provenance Research Exchange Program (PREP) for Museum Professionals, das von 2017–2019 in drei aufeinanderfolgenden Austauschprogrammen in New York/Berlin, in Los Angeles/München und in Washington D. C./Dresden stattfindet.

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nutzbar.9 Die Gründe hierfür liegen erstens in der föderal geprägten Arbeitsstruktur, in der die kulturgutbewahrenden Institutionen vielfach mit je eigenen, individuell angepassten Softwarelösungen arbeiten, zweitens in mangelnden personellen Kontinuitäten (bedingt durch die Kurzfristigkeit der fast ausschließlich drittmittelgeförderten Projekte), welche eine digitale Langzeitarchivierung und -dokumentation von Resultaten einzelner befristeter Recherchen über die Projektlaufzeit hinaus nicht vorsehen, drittens in der lange inkonsequent gehandhabten Organisation bzw. Koordination des Datenrückflusses aus den dezentralen Forschungsprojekten und viertens in den immer noch bestehenden Berührungsängsten geisteswissenschaftlicher Disziplinen mit digitalen Informations-Infrastrukturen auch in Hinblick auf archiv- und datenschutzrechtliche Bestimmungen.10 Insgesamt führt dies nicht nur zu vereinzelten datierbaren Insellösungen, sondern auch zur Heterogenität von Datenmodellierungen auf der räumlichen wie auf der zeitlichen Achse. Zudem erlauben ineffiziente Forschungsinfrastrukturen weder das fraglos erforderliche permanente Zirkulieren von Wissen noch das Implementieren von Daten und Ergebnissen in aktuelle Diskurse. Einige Forschungsverbünde arbeiten zwar mit digitalen Repositorien oder Portalen zum Datenaustauch, doch stehen diese in der Regel nur einem regional (oder thematisch) stark eingeschränkten Kreis an Nutzer_innen zur Verfügung.11 Die geleistete Arbeit wird so keiner nachhaltigen Nutzung zugeführt und kann daher auch keinen Mehrwert entfalten. 9

Das Online-Portal Modul Forschungsergebnisse des DZK stellt seit 2017 zunächst die Ergebnisse der seit 2008 aus öffentlichen Mitteln geförderten Projekte deutscher Einrichtungen – Museen, Bibliotheken und Archive – in Form von Projekt-Abschlussberichten und einer nach fachlichen Kriterien geordneten Excel-Tabellen auf einem anmeldepflichtigen Portal bereit, vgl. https://www.kulturgutverluste.de/Webs/ DE/Datenbanken/Index.html (30.6.2018). 10 Vgl. u. a. Thomas MÜTHLEIN (Hg.), Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO)/General Data Protection Regulation (GDPR), Frechen 2016, S. 240–241. Die EU Datenschutz-Grundverordnung 2016/679 (DS-GVO), die ab dem 25.5.2018 wirksam ist, führt unter Erwägungsgrund 158 folgende Ausnahmen von der Datenschutz-Grundverordnung an: »Diese Verordnung sollte auch für die Verarbeitung personenbezogener Daten zu Archivzwecken gelten, wobei darauf hinzuweisen ist, dass die Verordnung nicht für verstorbene Personen gelten sollte. Behörden oder öffentliche oder private Stellen, die Aufzeichnungen von öffentlichem Interesse führen, sollten gemäß dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten rechtlich verpflichtet sein, Aufzeichnungen von bleibendem Wert für das allgemeine öffentliche Interesse zu erwerben, zu erhalten, zu bewerten, aufzubereiten, zu beschreiben, mitzuteilen, zu fördern, zu verbreiten sowie Zugang dazu bereitzustellen. Es sollte den Mitgliedstaaten ferner erlaubt sein vorzusehen, dass personenbezogene Daten zu Archivzwecken weiterverarbeitet werden, beispielsweise im Hinblick auf die Bereitstellung spezifischer Informationen im Zusammenhang mit dem politischen Verhalten unter ehemaligen totalitären Regimen, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, insbesondere dem Holocaust, und Kriegsverbrechen.« 11 Zu diesen Forschungsverbünden zählen derzeit Bayern, Hessen und Niedersachsen. Auch die österreichische Kommission für Provenienzforschung unterhält bereits seit 2011 ein digitales Archiv.

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40   Meike Hopp Der Bedarf für umfassende digitale Lösungskonzepte kann also nicht überschätzt werden – schon deshalb nicht, weil die meisten öffentlich finanzierten Projekte – jenseits von hausinternen bzw. Museums-Datenbanken – ohne leistungsfähige Wissensplattformen arbeiten, die die Verknüpfung von (auch Zwischen- oder Teil-)Ergebnissen mit Ressourcen, Quellen und Metadaten gewährleisten könnten.12 Das Fehlen von flexiblen Datenbankstrukturen wirkt sich insbesondere bei der Dokumentation der Fülle an komplexen, teils in sich widersprüchlichen Daten negativ aus, wobei Redundanzen und Mehrarbeit noch die geringsten Folgen sind. Die von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien geförderte, beim DZK angesiedelte und im Aufbau befindliche Forschungsdatenbank für die Provenienzforschung, die die Projektergebnisse der letzten Jahre besser nachnutzbar machen soll, ist fraglos ein erster Schritt in die richtige Richtung. Doch die Komplexität des Vorhabens ist schon daraus ersichtlich, dass bereits bestehende, überaus heterogene Daten- bzw. Berichtsstrukturen sowie unterschiedlichste Forschungsstände berücksichtigt werden müssen.13 Idealiter sollten künftig digitale Arbeitsstrukturen so angelegt sein, dass die Projektmitarbeiter_innen und Forscher_innen ohne Mehraufwand Materialien und Ergebnisse transparent und adäquat, nach einheitlichen Schemata und standardisierten Verfahrensweisen bündeln, dokumentieren und auswerten können, wobei das hinterlegte objekt- oder personenbezogene Datenmaterial für die Forschenden jederzeit auf dem aktuellsten Stand zugänglich und projektübergreifend vergleichoder austauschbar sein sollte.14 Nur so können die einzelnen Projekte im Bereich der sich rapide ausdifferenzierenden, stetig wachsenden Provenienzforschung sowohl praxis- und zeitnah als auch modular und dezentral vernetzt werden, um sukzessive Standards zu etablieren, Überschneidungen und Desiderate aufzuzeigen und kontinuierlich Verfahrensweisen für die spezifischen Bedürfnisse, nicht zuletzt auch zur Erforschung von Kulturgutentziehungen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und 12 Ausnahmen bilden hier u. a. die Museumsdatenbank Daphne der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (https://www.skd.museum/forschung/provenienzforschung/), in deren Entwicklung die Dokumentation der Provenienzen bereits mitberücksichtigt wurde, und die für die Provenienzforschung an der Zentralund Landesbibliothek Berlin entwickelte Datenbank (https://www.zlb.de/fachinformation/spezialbereiche/ ns-raubgutforschung.html), in der auch Provenienzmerkmale dokumentiert werden. 13 So existierte z. B. von 2008–2013 keine konkrete Vorgabe der Arbeitsstelle für Provenienzrecherche/-forschung, wie die Projektberichte – für die spätere Erfassung in einer Datenbank – zu strukturieren seien. 14 Der vom Arbeitskreis Provenienzforschung e. V. 2018 herausgegebene Leitfaden zur Standardisierung von Provenienzangaben kann hierfür sinnvolle Anhaltspunkte liefern, jedoch enthält er noch keine Empfehlungen für eine standardisierte Aufbereitung digitaler Daten und Quellen für Datenbanken, Forschungsinfrastrukturen etc. Vgl. https://www.arbeitskreis-provenienzforschung.org/data/uploads/Leitfaden_APFeV_online.pdf (30.6.2018).

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der DDR15 oder aber zur Recherche zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten,16 weiter zu entwickeln. Zugleich ist es jedoch unabdingbar, die Provenienzforschung auch im Bereich der Grundlagenforschung zu stärken und, etwa durch die Aufbereitung und Kontextualisierung von archivalischen Ressourcen zu den Mechanismen von Beschlagnahme, Verlagerung und Vertrieb von Kulturgut, adäquate Werkzeuge zur Verfügung zu stellen.17 Denn diese werden von den Provenienzforscher_innen an Museen und anderen Institutionen, die innerhalb kürzester Zeiträume ausschließlich bestands- und objektbasierte Forschung betreiben und in der Regel kaum Kapazitäten für tiefergehende Recherchen über den Einzelfall hinaus haben, dringend benötigt. Allein im Bereich der Forschung zur sogenannten NS-Raubkunst kristallisieren sich seit Längerem verschiedene inhaltliche Desiderate heraus. Diese betreffen insbesondere den Bereich des Kunsthandels vor, während und nach dem Nationalsozialismus (seine Netzwerke, Vertriebswege, Absatzmärkte, Kontinuitäten oder aber Tendenzen der Preisentwicklung und -regulierung) generell, aber auch den eng mit dem Kunstmarkt verwobenen Bereich der Translokation von Kulturgütern generell sowie insbesondere die grenzüberschreitenden Verlagerungen und Transfers aus den durch das Deutsche Reich besetzten Gebieten im Norden, Osten, Süden und Westen Europas. Ebenso frappierend ist das Fehlen einer systematischen Dokumentation der Quellen zu den Auslagerungen von Kunstobjekten, zu den Bergungen oder Sicherstellungen nach Kriegsende durch die Alliierten,18 zur »treuhänderischen« Verwahrung und den anschließenden Rückstellungen, (Länder-)Abgaben, Restitutionen und Verkäufen seit der unmittelbaren Nachkriegszeit bis heute19 ebenso wie zu Kriegsverlusten, Plünderungen oder Zerstörun15 Vgl. hierzu u. a. auch die Fördergrundlagen zur Erforschung von Kulturgutentziehungen in SBZ und DDR des DZK Magdeburg: https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Forschungsfoerderung/Projektfoerderung-Bereich-SBZ-DDR/Index.html (30.6.2018). 16 Vgl. u.a. den im Mai 2018 vom Deutschen Museumsbund herausgegebenen Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten: https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2018/05/ dmb-leitfaden-kolonialismus.pdf (30.6.2018). 17 Vgl. Christian FUHRMEISTER, Provenienzforschung neu denken, in: Franziska BOMSKI, Hellmut Th. SEEMAN, Thorsten VALK (Hg.), Spuren suchen. Provenienzforschung in Weimar, Göttingen 2018, S. 17–32. 18 Eine Tagung der Kommission für Provenienzforschung in Wien im November 2014 thematisierte erstmals die europaweite Dimension von Auslagerungen und Bergungen – nicht nur der Museen – im Nationalsozialismus und zeigte gravierende Desiderate auf. Vgl. Pia SCHÖNBERGER, Sabine LOITFELLNER (Hg.), Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus. Mythen – Hintergründe – Auswirkungen (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 6), Wien-Köln-Weimar 2016. 19 Vgl. jüngst Olivia KAISER, Christina KÖSTNER-PEMSEL, Markus STUMPF (Hg.), Treuhänderische Übernahme und Verwahrung. International und interdisziplinär betrachtet, Wien 2018.

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42   Meike Hopp gen. Zwar gab es in den späten 1950er- und frühen 1960er Jahren diverse Ansätze, die seit dem Zweiten Weltkrieg verschollenen Kunstwerke systematisch zu erfassen,20 allerdings ist seither offensichtlich nicht weiter an einer vollständigen, bundesweiten Verlustdokumentation gearbeitet worden.21 Erst in der jüngsten Zeit widmeten sich einzelne Projekte und Sammlungen (etwa in Ausstellungen) wieder verstärkt diesem Thema.22 Bis heute lassen sich also zu den genannten Komplexen – Ein- und Ausfuhr, Auslagerung, Bergung, Rückstellung und Verlust – keine verlässlichen statistischen Zahlen benennen. Für die Bearbeitung dieser Desiderate liegen aber de facto bedeutende Mengen an öffentlich zugänglichem, teilweise bereits digitalisiertem oder sogar erschlossenem Quellen- und Datenmaterial vor, das durch die adäquate Aufbereitung zielführender genutzt werden könnte.23 Nicht nur deshalb ist die Provenienzforschung geradezu prädestiniert für die Etablierung innovativer Methoden und Strategien der Digital Humanities, wie quantitative Analysen zu Verlagerungen, Visualisierungen von Netzwerken sowie (Geo-)Referenzierungen von Entitäten und einer damit möglichen »Sichtbarmachung« von räumlichen und zeitlichen Abläufen des Kulturguttransfers.24 Nicht nur das: durch die zahlreichen Anknüpfungspunkte an die jüngeren akademischen Forschungen zur (Geschmacks-)Geschichte des musealen und privaten Sammelns, zur Kunstmarktforschung, zur Exilforschung, zur Objektgeschichte oder zur wachsenden 20 Etwa mittels eines Bundeskatalogs über abhanden gekommene Werke der Kriminalämter (vgl. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Bestand LKA 484) oder über publizierte Kataloge, wie Klaus P. ROGNER, Marianne BERNHARD (Hg.), Verlorene Werke der Malerei in Deutschland in der Zeit von 1939 bis 1945. Zerstörte und verschollene Gemälde aus Museen und Galerien, München 1965. 21 Obwohl ja die Koordinierungsstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern 1994 auch zu diesem Zweck gegründet worden war. 22 Vgl. u. a. Julien CHAPUIS, Stephan KEMPERDICK (Hg.), Das verschwundene Museum. Die Verluste der Berliner Gemälde- und Skulpturensammlungen 70 Jahre nach Kriegsende, Petersberg 2015. 23 Für die Komplexe der Auslagerung, Bergung und Rückführung sind dies neben den Informationen in der Datenbank des Deutschen Historischen Museums zum Central Collecting Point München (www.dhm. de/datenbank/ccp/) auch die über die Plattform Fold3 (https://www.fold3.com/) der National Archives Washington (NARA) verfügbaren Digitalisate mit hochstrukturierten Informationen zu Verlagerungen von Kulturgut durch die Alliierten (z. B. die Listen zu den In- and Out-Shipments der diversen CCPs) oder vergleichbare Quellen und Listen im (vorwiegend) von der ehem. Treuhandverwaltung von Kulturgut München übernommenen B323-Bestand im Bundesarchiv Koblenz, welcher derzeit digitalisiert wird (http://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Artikel/Benutzen/temporaer-gesperrte-bestaende.html) und weiteres Quellenmaterial inländischer Archive, etwa dem Bundesamt für Äußere Restitution in Koblenz oder dem politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin, für die Komplexe der Ein- und Ausfuhr von Kulturgut aus den besetzten Gebieten oder der Kulturgutverlagerung durch den Handel. 24 Zu den Methoden der Digital Humanities vgl. u. a. Fotis JANNIDIS, Hubertus KOHLE, Malte REHBEIN (Hg.), Digital Humanities. Eine Einführung, Stuttgart 2017.

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Zahl digitaler Werkverzeichnisse – und somit auch zu Fragen von Werkidentität und -authentizität – kommt der digitalen Provenienzforschung ein enormes Potenzial zur Durchdringung des gesamten »Betriebssystems Kunst« zu.25 Digitale Ressourcen zum Kunsthandel in Deutschland: Status Quo

Bestehende Online-Lösungen für die Provenienzforschung wie die Datenbank Lost Art des DZK oder die Datenbanken zum »Sonderauftrag Linz«, zur Sammlung Hermann Göring oder zum Central Art Collecting Point (CCP) München des Deutschen Historischen Museums (DHM) Berlin26 sind auf der Ebene der objektbasierten Recherche überaus nützlich und für Institutionen (Museen, Bibliotheken, Archive), Händler_innen und Privatsammler_innen, gleichermaßen unverzichtbare Werkzeuge für den sogenannten Erstcheck auf Verdachtsmomente bei Objekten jedweder Art. Wiederholt wurden diese Datenbanken in Bezug auf die Vollständigkeit und inhaltliche Richtigkeit einzelner Angaben kritisiert, welche aber allein durch deren Genese und die Zusammensetzung der zugrundeliegenden Informationen (etwa Such- und Fundmeldungen von Privaten) nie vollständig gewährleistet sein kann.27 Eine Behebung von Defiziten wird zudem durch die Strukturen der Datenbanken erschwert, die laufende Adaptionen nur unter erheblichem technischem und personellem Aufwand ermöglichen. Durch den starren Aufbau erweisen sich diese Plattformen also gerade bei der Verknüpfung von Metadaten als unflexibel, belegen vielfach nicht, aus welcher Quelle welche Information stammt, und erlauben kaum differenzierte Abfragen über Einzelobjekte hinaus, etwa für vergleichende oder statistische Auswertungen. Bei den Getty Provenance Index® Databases und der in Kooperation zwischen dem Getty Research Institute, der Universitätsbibliothek Heidelberg und der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin begründeten Plattform German Sales, die bis 2017 über 5.300 Auktionskataloge der Jahre 1900 bis 1945 online bereitgestellt hat,28 han25 Den Begriff prägte Thomas WULFFEN, Betriebssystem Kunst. Eine Retrospektive, in: Kunstforum International 125 (1994), S. 49–58. 26 Vgl. http://www.dhm.de/sammlung-forschung/forschung/provenienzforschung/datenbanken.html (zuletzt: Juni 2018). 27 Vgl. u. a. Olga KRONSTEINER, Digitaler Pranger, in: Handelsblatt, 27.11.2015; Christiane HABERMALZ, Viel Kritik an Umgang mit NS-Raubkunst, 29.11.2015 (https://www.deutschlandfunkkultur. de/tagung-zu-kulturgutverlusten-viel-kritik-an-umgang-mit-ns.1013.de.html?dram:article_id=338317; 30.6.2018). 28 Vgl. http://www.getty.edu/research/tools/provenance/search.html und http://artsales.uni-hd.de mit einem Lexikon der Auktionshäuser im deutschsprachigen Raum: https://www.arthistoricum.net/themen/portale/german-sales/auktionshaeuser-a-z/ (30.6.2018); Christian HUEMER, The ›German Sales 1930–45‹

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44   Meike Hopp delt es sich zweifellos nicht nur um notwendige, sondern regelrecht wegweisende Projekte zur Aufbereitung der für die Provenienzforschung so essenziellen Daten aus dem Kunstmarkt. Doch während die Getty Provenance Index® Databases ausschließlich Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen erfassen und somit die zahlenmäßig mit Abstand umfangreichste Gattung der im Handel kursierenden kunsthandwerklichen Objekte ebenso vernachlässigen wie etwa Asiatika, Archäologika und Ethnologika, beschränkt sich German Sales auf die Bereitstellung von Informationen durch OCR-behandelte Digitalisate der Kataloge, deren Durchsuchbarkeit allein aufgrund der historischen Schriften (z. B. Fraktur) oder Drucktechniken (z. B. Sperrdruck) der Originalquellen limitiert ist. Zudem wird immer wieder zu Recht kritisiert, dass die der Provenienzforschung aktuell zur Verfügung stehenden (Massen-)Daten zum Kunstmarkt primär aus dem Auktionshandel generiert werden, die vielfältigen Transaktionen und Tauschprozesse zwischen Kunsthändler_innen, Galerien, Museen und Sammler_innen daher kaum abbilden. Schwerwiegender ist, dass diese Daten ausschließlich objektbezogen sind und keinerlei Verknüpfungen mit Metadaten, etwa personenbezogenen Informationen oder zeitlich-geografischen Angaben über die Nachweise im Katalog hinaus vorsehen, wodurch wesentliche – für die Herkunft eines Objekts relevante – Zusammenhänge unerkannt bleiben.29 Auch die Datenbank Kunst- und Kulturgutauktionen auf Lost Art, die in erster Linie die Informationen zu den Einlieferungen von Kunstgegenständen auf den Berliner Auktionen zwischen 1933 und 194530 sowie auf den Auktionen von Adolf Weinmüller zwischen 1936 und 1944 in München und Wien bereitstellt,31 kann diesen Anforderungen derzeit schon allein aus technischen Gründen nicht gerecht werden.

Database Project, in: Collections: A Journal for Museum and Archives Professionals 10/3–4 (2014), S. 33–38. 29 Sebastian BADEN, Ein Plädoyer für die Kunstmarktforschung, in: Nkf – Neue kunstwissenschaftliche Forschungen 2 (2016), S. 81–83, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:16-nkf-30639 (30.6.2018); Lynn ROTHER, Digitalität und Kunstgeschichte/Provenienzforschung, in: Digitalität. Theorien und Praktiken des Digitalen in den Geisteswissenschaften (2016), https://digigeist.hypotheses.org/97 (30.6.2018). 30 Vgl. http://www.lostart.de/Webs/DE/Provenienz/AuktionNavRaubkunst.html. Die Datenbank beruht vorwiegend auf Anmeldungen zu Versteigerungen oder Auktionsberichten aus dem Bestand A Rep. 24304 (Reichskammer der bildenden Künste, Landesleitung Berlin) im Landesarchiv Berlin. Die Reichskammer übte eine wesentliche Kontroll- und Aufsichtsfunktion über Auktionen aus. Vgl. auch: http://www.content.landesarchiv-berlin.de/php-bestand/arep243-04-pdf/arep243-04.pdf (30.6.2018). 31 Basierend auf einem Erschließungs-Projekt am Zentralinstituts für Kunstgeschichte (ZI) in München: https://www.zikg.eu/aktuelles/nachrichten/freischaltung-weinmueller (30.6.2018).

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Digitale Ressourcen zum Kunsthandel in Deutschland: Quo Vadis, digitale Provenienzforschung?

Diese Problematik erkennend und die sozusagen genetische Verzahnung der Daten zu Kunsthandel und zur Provenienzforschung berücksichtigend, hat das Getty Research Institute nicht zuletzt im Gefolge der digitalen Aufbereitung der überaus umfangreichen Unterlagen, Geschäfts- und Lagerbücher der New Yorker Galerie M. Knoedler & Co. (ca. 1848–1971)32 im Sommer 2016 das dreijährige Getty Provenance Index Remodel Project lanciert. Die Getty Provenance Index® Databases sollen im Rahmen dieses Projekts in ein Linked Open Data System (LOD) überführt werden, »[to] facilitate research not only on the lineage of individual works of art, but also on the aggregate behavior of agents in the art market, on shifting tastes and values, and on the flow of cultural objects through time and space«.33 Es ist bezeichnend, dass nicht zuletzt auch die Bearbeitung eines Galerie-Archivs zu einem Umdenken führte. Die überaus komplexen Teilhaberschaften, Meta-Geschäfte und »price shares« zwischen der Galerie M. Knoedler & Co. und anderen Händlern oder Firmen, etwa Goupil & Cie und den Duveen Brothers in New York oder P & D Colnaghi & Co. in London, lassen sich anhand von rein objektbasierten linearen Datenbankstrukturen nicht mehr darstellen. Derlei Transaktionen verständlich abzubilden, entspricht exakt den Herausforderungen der Provenienzforschung, die sich mit komplexen, oft unzureichend belegten Besitzwechseln, Eigentumsübertragungen oder anderweitigen Transferprozessen auseinandersetzen muss. Doch nicht nur in den USA, auch in Deutschland steht – entgegen der vielfach wiederholten Klagen um die Unzugänglichkeit von Händlerarchiven – in etlichen öffentlichen Einrichtungen und Archiven bereits hochstrukturiertes analoges bzw. zum Teil sogar digitalisiertes oder transkribiertes Daten- und Quellenmaterial zum Kunsthandel zur Verfügung, an dem die Praxistauglichkeit neuer digitaler Lösungen erprobt und das somit optimal für die Belange der Provenienzforschung aufbereitet werden könnte. Zu nennen sind hier unter anderem die Datenbank zu Münchner Galerie Heinemann Online (Zeitraum: 1872–1939)34 am Deutschen Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, die Archive der Versteigerungshäuser Klemm 32 Die Galerie M. Knoedler & Co. geht auf eine New Yorker Filiale der französischen Händler Goupil & Cie zurück, die seit 1852 von Michel Knoedler (1823–1878) geleitet und 1857 gänzlich von diesem übernommen wurde. Vgl. https://www.getty.edu/research/special_collections/notable/knoedler.html (30.6.2018). 33 Vgl. http://www.getty.edu/research/tools/provenance/provenance_remodel/index.html (30.6.2018). 34 Vgl. http://heinemann.gnm.de/de/willkommen.html (30.6.2018).

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46   Meike Hopp und Thiemig im Sächsischen Staatsarchiv in Leipzig,35 die derzeit in einer kennwortgeschützten Online-Datenbank erfassten Informationen zu mehr als 33.000 gehandelten Objekten aus den annotierten Auktionskatalogen des Münchner und Wiener Kunstversteigerungshauses Adolf Weinmüller (Zeitraum: 1936–1944) am Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) in München36 ebenso wie die bereits digitalisierten Bestände der in München, Luzern, Berlin, Paris und New York ansässigen Galerie Thannhauser im Zentralarchiv für deutsche und internationale Kunstmarktforschung e. V. (ZADIK) in Köln (Zeitraum: 1919–1971),37 der Nachlass Ferdinand Möller an der Berlinischen Galerie (Zeitraum: 1917–1956)38 und der in Teilen digitalisierte Nachlass Cornelius Gurlitt am Bundesarchiv in Koblenz (Zeitraum: 1854–2013).39 Zu den für die NS-Provenienzforschung ebenso zentralen Beständen, die noch nicht systematisch digital aufgearbeitet wurden, gehören unter anderem der Nachlass der Dresdner und Münchner Galerie Ernst Arnold/Ludwig Gutbier am Deutschen Kunstarchiv (DKA) in Nürnberg,40 die Bestände der Kölner Gemäldegalerie Abels (derzeit Gegenstand eines DZK-geförderten Projekts zur Erschließung der Bestände der RuhrKunstMuseen und 35 Vgl. Thomas AHBE, Das Versteigerungshaus Hans Klemm und die Ausplünderung der Leipziger Juden im »Dritten Reich«. Opfer – Täter – Nutznießer, in: Susanne SCHÖTZ (Hg.), Leipzigs Wirtschaft in Vergangenheit und Gegenwart. Akteure, Handlungsspielräume, Wirkungen, Leipzig 2012, S. 305–335; vgl. auch https://www.kulturgutverluste.de/Content/03_Forschungsfoerderung/Projekt/SaechsischesStaatsarchiv-Staatsarchiv-Leipzig/Projekt1_en.html?nn=102834 (30.6.2018). 36 Teile der Informationen sind ebenfalls über die Datenbank Kunst- und Kulturgutauktionen der Plattform Lost Art des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste abrufbar. Vgl. https://www.zikg.eu/aktuelles/nachrichten/freischaltung-weinmueller sowie http://www.lostart.de/Webs/DE/Provenienz/AuktionNavRaubkunst. html (30.6.2018). 37 Vgl. http://www.artcontent.de/zadik/bestand.aspx?b_id=30 (30.6.2018). 38 Vgl. https://www.berlinischegalerie.de/sammlung/kuenstlerinnen-archive/highlights/ferdinand-moeller/ (30.6.2018). 39 Der Nachlass, der 2017 vom Kunstmuseum Bern an das Bundesarchiv (BArch) in Koblenz übergeben wurde und dort unter N 1826 verzeichnet ist, wurde ab 2014 in mehreren Konvoluten aus der Münchner Wohnung und dem Salzburger Haus von Cornelius Gurlitt von Mitarbeiter_innen des ZI München und des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ) im Auftrag der Taskforce Schwabinger Kunstfund bis Juli 2016 sukzessive erschlossen. Der Nachlass besteht aus mehreren zehntausend Dokumenten unterschiedlichster Art, u. a. Korrespondenzen, Geschäftsjournalen, Vortragsmanuskripten, Adress- und Notizbüchern und knapp 1.000 gedruckten Quellen, u. a. Auktionskatalogen. Wenngleich Dokumente, die Aufschluss über Hildebrand Gurlitts Geschäftstätigkeit zwischen 1933 und 1945 geben, eher spärlich überliefert sind, konnten u. a. die Geschäftsbücher des Kunstkabinetts Hildebrand Gurlitt in Hamburg und Dresden vollständig digitalisiert und transkribiert werden. Vgl. http://www.lostart.de/Webs/DE/ Datenbank/Gurlitt/KunstfundMuenchen.html. Auch die ca. 2.600 historischen Schwarzweiß-Aufnahmen von Kunstwerken sind komplett digitalisiert und verzeichnet, ebenso wie die für die Provenienzforschung relevanten Korrespondenzen, die an den vier Standorten des Bundesarchivs einsehbar sind. 40 Vgl. Ruth NEGENDANCK, Die Galerie Ernst Arnold (1893–1951). Kunsthandel und Zeitgeschichte, Weimar 1998.

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weiterer Museen in Nordrhein-Westfalen)41 und die annotierten Versteigerungsprotokolle des Hamburger Auktionshauses Hauswedell & Nolte, beide am ZADIK in Köln, das Archiv des Antiquariats Jacques Rosenthal im Stadtarchiv München, welches derzeit mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft erschlossen wird,42 die annotierten Kataloge des in München, Berlin und Frankfurt tätigen Auktionshauses Galerie Hugo Helbing (Zeitraum: 1890–1937) in der Bibliothek des Kunsthauses Zürich und im ZI München43 oder das umfangreiche Firmenarchiv der Kunsthandlung Julius Böhler München, Luzern, Berlin und New York (Zeitraum: ca. 1900–1994), von welchem Teilbestände im ZI München, im Bayerischen Wirtschaftsarchiv der IHK München und im DKA in Nürnberg verfügbar sind.44 Speziell für die Provenienzforschung zu Kulturgutverlagerungen in der DDR hat zudem das Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde jüngst den Bestand der seit 1973 tätigen Kunst und Antiquitäten GmbH (KuA), dem zentralen Exportunternehmen für Gebrauchtwaren und Antiquitäten ins westliche Ausland, aus dem Bestandsbereich der Kommerziellen Koordinierung (KoKo) über erweiterte Findmittel erschlossen.45 Zusätzliche Nachlässe und Firmenarchive aus Privatbesitz könnten der Forschung zeitnah zur Verfügung gestellt werden.46 In Kombination mit den Publikations- oder Forschungsprojekten zu weiteren Händler_innen,47 die ebenfalls zentrale Quellenbestände auswerten oder bereitstellen – zu nennen sei hier vor allem auch das digitale Verbundprojekt AlfredFlechtheim. com48 –, ließe sich bereits jetzt ein breites Panorama an Netzwerken des Handels mit Alter Kunst sowie mit zeitgenössischer Kunst zwischen 1933 und 1945 (und darüber hinaus) erschließen,49 wobei zentrale Bestände emigrierter deutscher Händler_innen 41 Vgl. http://www.artcontent.de/zadik/default.aspx?s=363 sowie https://www.kulturgutverluste.de/ Content/03_Forschungsfoerderung/Projekt/Kunstmuseum-Gelsenkirchen/Projekt1.html?nn=100464 (30.6.2018). 42 Vgl. http://gepris.dfg.de/gepris/projekt/315058452 (30.6.2018). 43 Meike HOPP, Melida STEINKE, Galerie Helbing – Auktionen für die Welt, in: Provenienz & Forschung 1 (2016), S. 54–61. 44 Vgl. https://www.zikg.eu/projekte/projekte-zi/kunsthandlung-julius-boehler (30.6.2018). 45 Vgl. https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Meldungen/20170621-kunst-und-antiquitaeten.html (30.6.2018). 46 Entsprechende Zusagen liegen z. B. dem ZI München vor. 47 Etwa die Schriften von Meike Hoffmann, Anja Tiedemann oder Felix Billeter der Forschungsstelle Entartete Kunst zu Händlern wie Bernhard Böhmer, Karl Buchholtz oder Günther Franke; hingewiesen sei an dieser Stelle ferner auf die diversen akademischen Qualifikationsarbeiten, die über http://www.arttheses. net/ recherchiert werden können, siehe exemplarisch Sebastian PETERS, Die Galerie Caspari in München, 1913–1939. Netzwerke und Handlungsspielräume einer jüdischen Kunsthändlerin im Nationalsozialismus, Univ. Masterarb., München 2016, https://epub.ub.uni-muenchen.de/41213/ (30.6.2018). 48 Vgl. http://www.alfredflechtheim.com/home/ (30.6.2018). 49 Zur Bedeutung der Kunstmarktforschung für die Provenienzforschung vgl. auch Johannes GRAMLICH,

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48   Meike Hopp und Galerist_innen in internationalen Archiven noch nicht einmal mitberücksichtigt sind.50 Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Debatten um Digitalisierung erscheint es also fast zynisch, dass gerade für die Verwirklichung von innovativen digitalen Konzepten zur besseren Verfügbarmachung dieser für die Provenienzforschung so essenziellen Grundlagen bis heute keine zentralen Mittel bzw. Fördertöpfe bereitstehen, obwohl die bestandhaltenden öffentlichen Einrichtungen vielfach die zeitintensive Beauskunftung der Anfragen von (Provenienz-)Forscher_innen an Museen oder anderen öffentlichen wie privaten Institutionen weltweit auf sich nehmen, ohne hierfür entsprechende personelle Kapazitäten zu haben.51 Wenngleich die Relevanz der genannten Archive für die Provenienzforschung hinreichend belegt ist (Abb. 1), wurden Anträge bei öffentlichen Förderstellen etwa zur aufwendigen Digitalisierung des kleinteiligen und fragilen Fotoarchivs der Kunsthandlung Julius Böhler (mit ca. 8.500 Aufnahmen52) und der Transkription der Daten von den Karteikarten der Münchner und Luzerner Filiale der Kunsthandlung zu ca. 45.000 gehandelten Objekten,53 bisher nicht bewilligt. Nur aufgrund der großzügigen Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung und der österreichischen Kommission für Provenienzforschung in Wien konnte 2017 überhaupt mit einem Forschungsprojekt zur Kunsthandlung Julius Böhler begonnen und ein erster Teilbestand digitalisiert werden.54 Für eine systematische

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Reflections on Provenance Research: Values – Politic – Art Markets, in: Journal or Art Market Studies 2 (2017), https://fokum-jams.org/index.php/jams/article/view/15/36 (30.6.2018). Stellvertretend genannt seien hier die Schaeffer Galleries Records in den Archives of American Art der Smithsonian Institution in Washington D. C., die J. B. Neumann Papers in den Museum of Modern Art Archives in New York, die Bestände zu Siegfried und Walter Lämmle am Getty Research Institute in Los Angeles, die Archive der Galerien Kurt Walter Bachstitz oder Van Diemen im RKD in Den Haag. Siehe u. a. Christiane HOFFMANNS, Kein Geld für das Gedächtnis der modernen Kunst?, in: Welt, Nordrhein-Westfalen, 2.3.2017; FUHRMEISTER 2018, hier insb.: S. 24–27. Beim Fotoarchiv der Kunsthandlung Julius Böhler handelt es sich um Fotomappen mit Schwarz-WeißAufnahmen. Die exakte Laufzeit ist unbekannt, da die Fotos keineswegs vollständig alle gehandelten Werke dokumentieren und nach Künstler_innen bzw. Gattungen sortiert sind; systematisch wurde die Fotokartei aber ca. 1918–1960 geführt. Die Kartons sind in der Regel ausführlich beschriftet und verzeichnen Maße, Techniken, Preise, Provenienzangaben und Literaturhinweise, zudem enthalten sie teilweise weitere Materialien, etwa Dubletten der Fotografien, Zettelchen mit Notizen oder aber kleinen Anhängertäschchen mit gefalteten Expertisen bzw. Gutachten. Die sogenannten Objektkarteikarten bestehen aus drei unterschiedlichen Systemen: die Karteikarten des Münchner Stammhauses (Laufzeit: 1903–1993), die Karteikarten Kunsthandel AG Luzern mit einer Laufzeit 1919–1975, und die Karteikarten zur »Kommissionsware« (Laufzeit: 1920–1993). Ergänzt werden diese Materialien durch eine Kundenkartei. Hierbei handelt es sich um Umschläge mit Informationen zu ca. 350 institutionellen Kunden (Museen, Stiftungen etc.) und knapp 3.500 Privatkunden weltweit. Zu Händler, Sammler und Museen: Die Kunsthandlung Julius Böhler in München, Luzern, Berlin und New York. Erschließung und Dokumentation der gehandelten Kunstwerke 1903–1994 siehe https://

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50   Meike Hopp durch Kombination aller Teilbestände möglich ist. Andererseits führten, ähnlich wie im Knoedler-Archiv in Los Angeles, die parallelen Organisationsstrukturen der Kunsthandlung Böhler mit Zweigniederlassungen, Filialen, Partner- und Teilhaberschaften, temporären Konsortien sowie Meta-, Kommissions- und Kreditgeschäften – unter anderem mit dem aus einer Kölner Händlerdynastie stammenden Fritz Steinmeyer (1879–1959), mit welchem Julius Wilhelm Böhler (1883–1966) im Jahr 1919 die Kunsthandel AG Luzern begründet hatte, oder aber anderen Händlern in Europa und den USA – zu einem hochkomplexen Nummern- und Verweissystem, das nur dann korrekt zu interpretieren ist, wenn die Einzelinformationen vollständig zusammengeführt werden. Allein dies zeigt, welche Fortschritte durch digitale Informationssysteme erzielt werden könnten, denn nur so werden Konkordanzen überprüfbar, und nur so sind komplizierte Strukturen analoger Archive, die oft zu unbefriedigenden Rechercheergebnissen führen, überwindbar (Abb. 2). Zudem enthält das Böhler-Archiv in München wesentliche Informationen, die projektübergreifend von enormer Relevanz sind. Über die Kundenkartei der Kunsthandlung Böhler lassen sich beispielsweise Personen ermitteln, die auf den Auktionen des 1936 begründeten Münchner (und Wiener) Kunstversteigerungshauses von Adolf Weinmüller (1886–1958) als Einliefernde und/oder Käufer_innen auftraten, in dessen annotierten Protokollen allerdings ausschließlich mit Nachnamen verzeichnet sind, weshalb sie bis heute oft nicht eindeutig zu identifizieren waren. Weinmüllers Kundenkreis überschnitt sich wiederum in nicht unerheblichem Maße mit dem des jüdischen Auktionators Hugo Helbing (1863–1938), der 1935 aufgrund der antisemitischen Gesetzgebung seinen Auktionsbetrieb nahezu gänzlich einstellen musste und am 30. November 1938 infolge der schweren Verletzungen verstarb, die ihm bei einem brutalen Überfall durch die Gestapo in der Reichspogromnacht zugefügt worden waren.55 Die Bestände an annotierten Auktionskatalogen der Galerie Helbing können somit zur Identifizierung derjenigen Sammler_innen und Händler_innen beitragen, die ab 1933 unter dem Zwang der Verfolgung Kunstwerke (nicht nur) über Weinmüller oder Böhler abstoßen mussten.56 Diese Möglichkeiten der Augmentierung und Vernetzung von unikalen Kunsthandelsinformationen durch digitale Werkzeuge nicht zu nutzen, bedeutet Ressour55 Vgl. Meike HOPP, Kunsthandel im Nationalsozialismus. Adolf Weinmüller in München und Wien, Köln 2012, hier insb.: S. 74–103; HOPP, STEINKE 2016, S. 54–61. 56 Ein Kooperationsprojekt gemeinsam mit der UB Heidelberg zur Digitalisierung und datenbankmäßigen Erfassung der in den annotierten Helbing-Katalogen in München/Zürich enthaltenen Informationen befindet sich derzeit in Planung.

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52   Meike Hopp cenverschwendung, weil vermeidbare Doppel- und Mehrarbeit in Kauf genommen wird. Hinzu kommt, dass Deutschland sich gerade im hochsensiblen Bereich der NSverfolgungsbedingt entzogenen Kulturgüter noch immer dem berechtigten Vorwurf ausgesetzt sieht, nicht alles Mögliche getan zu haben und zu tun. Problemfeld Translokation: Warum quantitative Analysen? Warum Statistiken?

Hieran zeigt sich, dass die Provenienzforschung nicht länger in Einzellösungen, in simplen linearen Strukturen organisiert werden kann, sondern dringend flexible digitale Strategien benötigt. Nur mit der Erkenntnis, dass »alles mit allem zusammenhängt«, kann es möglich sein, die Wege der den Opfern des NS-Regimes entzogenen Objekte zu verfolgen. Das bedeutet eben auch, dem paper trail zu folgen, den Spuren von Transfers nachzugehen, Quellen zu dekodieren und dekonstruieren und deren Einzelinformationen in neue Bezüge zu setzen, um Zusammenhänge zu erkennen. Und diese spiegeln sich nicht nur in den Netzwerken der auf dem Markt agierenden Sammler_innen, Händler_innen, Expert_innen oder Institutionen wider, sondern auch in den Transaktionen selbst, die wir – auch statistisch – begreifen lernen müssen, um sie in ihrer Gesamtheit zu verstehen, um anhand von Wiederholungen und Häufungen Muster und Mechanismen zu erkennen. Wenn von »Raubkunst« und den Einzelschicksalen der durch das NS-Regime Verfolgten die Rede ist, scheinen Statistiken fehl am Platz. Doch belegt gerade der Fall Gurlitt eindrücklich, wie das Jonglieren mit nur teilweise belegbaren Zahlen und Fakten insbesondere in den Medien zu vielen Missverständnissen führte, wobei der Journalist Maurice Philip Remy seinerseits wiederholt Anklage gegen die »Taskforce« bzw. das Projekt Provenienzrecherche Gurlitt und schließlich die Doppelausstellung Bestandsaufnahme Gurlitt in Bonn und Bern erhob, da der Restbestand eines Händlers zu einer »Raubkunstsammlung« diffamiert werde, obwohl bis November 2017 nur sechs konkrete Verdachtsfälle belegt werden konnten.57 Zunächst einmal bleibt zu fragen: Sind sechs Verfolgungsschicksale nicht Rechtfertigung genug, mühsame Recherchen in Kauf zu nehmen? Denn gänzlich abgesehen von der Frage nach der Recht- bzw. Unrechtmäßigkeit der Beschlagnahme des »Bestands« Gurlitt durch die Augsburger Staatsanwaltschaft 2012, handelt es sich um Objekte, die 57 Maurice Philip REMY, Der Fall Gurlitt: die wahre Geschichte über Deutschlands größten Kunstskandal, Berlin-München-Wien-Zürich 2017. Vgl. u. a. Maria OSSOWSKI, Autor Maurice Philip Remy erhebt schwere Vorwürfe gegen Behörden, in: SWR2, 1.11.2017, https://www.swr.de/swr2/kultur-info/sammlungl-gurlitt-remy-attackiert-gruetters/-/id=9597116/did=20556606/nid=9597116/1f5m64x/index.html (30.6.2018).

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einer der einflussreichsten Kunsthändler im »Dritten Reich« zusammengetragen hat. Die Existenz von allein sechs Fällen von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut in diesem »Bestand« belegt, dass es zunächst richtig war, bei etlichen, insbesondere den ab 1941 im besetzten Frankreich erworbenen Objekten von einem Anfangsverdacht auszugehen. Aber daran zeigt sich auch, wie wichtig es ist, sich auch die quantitative Dimension der keineswegs nur staatlich organisierten Verlagerung und Verschleppung von Kulturgut, von sogenannter »Raub- und Beutekunst« aus den im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten vor Augen zu führen. Nur diese kann mittel- bis langfristig Aufschluss darüber geben, was der Leibniz-Forschungscluster translocations an der TU Berlin als eine der »großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts«58 beschreibt: nämlich eine valide Einschätzung und Bewertung der sukzessiven Translokationen sowie der Vertriebs- bzw. Absatzwege von beschlagnahmtem, enteignetem oder unter Zwang veräußertem Kulturgut. Hieran muss die klassische Provenienzforschung unweigerlich scheitern, wenn sie ausschließlich vom Einzelobjekt ausgehend versucht, einen qualifizierten Überblick zu erlangen, etwa über die komplexe Situation auf teils hochaktiven und teils durch die Devisenproblematik deformierten und gefährdeten Kunstmärkten in den besetzten Gebieten. Nicht nur die tatsächliche Menge bzw. Anzahl an verlagerten Kunst- und Kulturgütern aus »Arisierungen«, Beschlagnahmen oder Zwangsverkäufen spielt dabei eine Rolle, sondern auch die hiermit verbundenen Netzwerke aus Akteur_innen, Institutionen und Behörden sowie die Dokumentation und Auswertung der überlieferten Vorgänge rund um Ausfuhr, Zölle, Transport, Mobilität, Umlagerungen, Verschleppungen oder Zahlungsverkehr. Denn erst in der Zusammenschau von Informationen bzw. Daten lassen sich Schemata von behördlichem Verwaltungshandeln oder privaten Handlungsspielräumen erkennen. Erst dann werden Spezifika sichtbar, erst dann entstehen neue Fragen, lassen sich neue Quellen eruieren. So zeigt das Beispiel Hildebrand Gurlitts (1895–1956), der heute gemeinhin als »einer der bedeutendsten und umtriebigsten Kunsthändler sowie -vermittler« während der NS-Zeit bezeichnet wird (wenngleich eingeräumt werden muss, dass das »Ausmaß seiner Vermittlungs- und Erwerbstätigkeit […] bislang kaum bekannt«59 ist), wie wichtig neue Herangehensweisen sind, wollen wir die Rolle einzelner Akteur_innen 58 Vgl. http://www.translocations.net/en/project/ (30.6.2018). Vgl. auch Translocations and the Art Market, Journal for Art Market Studies 2/2 (2018), https://fokum-jams.org/index.php/jams/issue/view/6 (30.6.2018). 59 Katja TERLAU, Hildebrand Gurlitt (1895–1956) und sein Wirkungskreis in der NS-Zeit, in: Johannes HEIL (Hg.), Ersessene Kunst. Der Fall Gurlitt, Berlin 2015, S. 19–36, hier: S. 19.

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54   Meike Hopp auf den Märkten im »Dritten Reich« im Kontext internationaler und interdisziplinärer Forschung verorten. Vertraut man seinen Geschäftsbüchern, tätigte Gurlitt 96 Prozent seiner Ankäufe des Jahres 1943 im besetzten Frankreich und in den Niederlanden, davon allein 76 Prozent in Paris, allerdings angeblich nur über einen einzigen Geschäftskontakt, seinen Agenten Theo Hermsen jun. (1905–1944).60 Selbstverständlich war Hermsen nur als Zwischenhändler für Objekte tätig, die er selbst wiederum aus anderen Quellen erworben hatte. Er stellt demnach nur ein Bindeglied in der Provenienzkette dar. Namen wie Graupe, Göttler, Lagrand oder Leegenhoek in Gurlitts Pariser Adressbuch,61 das ebenfalls nur eine vage Orientierung über seine dortigen Netzwerke bieten kann, belegen, dass während und nach dem Krieg etliche deutsche, niederländische oder belgische Händler_innen auf dem Pariser Markt aktiv waren, dass ergo nicht zwangsläufig nur von französischen Vorprovenienzen der dort erworbenen Objekte auszugehen ist. Über den Großteil der vermerkten Händler_innen, Vermittler_innen, marchands-amateurs, Expert_innen oder Speditionen wissen wir heute allerdings kaum etwas.62 Ausfuhrlisten in den Archives Diplomatiques in Paris belegen mindestens 230 Objekte, die durch Theo Hermsen und Hildebrand Gurlitt aus Paris ins Deutsche Reich ausgeführt wurden,63 im Gegenwert von mindestens 117.000.000 Francs (etwa 5,8 Millionen Reichsmark). Laut einem Bericht des für die Ausfuhrgenehmigungen zuständigen Louvre-Kurators Michel Martin von 1946 soll Gurlitt sogar Kunstwerke für 400 bis 500 Millionen Francs (also 20 bis 25 Millionen Reichsmark) ausgeführt haben.64 Da der Zahlungsverkehr durch die seit Juli 1943 verschärften Devisenbestimmungen einem aufwendigen und strikt regulierten Verfahren unterlag, ließe sich der tatsächliche Mittelfluss womöglich sogar über die Clearing-Stellen nachverfolgen, 65 60 Vgl. Johannes GRAMLICH, Meike HOPP, »Gelegentlich wird Geist zu Geld gemacht« – Hildebrand Gurlitt als Kunsthändler im Nationalsozialismus, in: Bestandsaufnahme Gurlitt. Der NS-Kunstraub und die Folgen, hrsg. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH Bonn/Kunstmuseum Bern, München 2017, S. 32–47, hier: S. 36 (Grafik). 61 BArch Koblenz, N 1826/186 Fol. 1–134, Adressbuch von Hildebrand Gurlitt, o. D. 62 Diesen Missstand soll ein Kooperationsprojekt der TU Berlin und des Institut national d’histoire de l’art (INHA) beheben, das vom DZK geförderte Repertorium zum französischen Kunstmarkt während der deutschen Besatzung. Ziel des Projekts ist eine Datenbank, in der Händler_innen, Sammmler_innen, Kunsthistoriker_innen oder Mitglieder der militärischen und administrativen Institutionen erfasst sind, die in dieser Zeit auf den französischen Kunstmärkten aktiv waren. 63 Vgl. u. a. Archives Diplomatiques des Ministère de l’Europe et des Affaires étrangères, Paris, 209/SUP, Carton n° 385, Reclamations d’oeuvres d’art passées. Für die freundlichen Hinweise danke ich Anne Liskenne. 64 Vgl. u. a. Meike HOFFMANN, Nicola KUHN, Hitlers Kunsthändler. Hildebrand Gurlitt 1895–1956: die Biographie, München 2016, S. 219. 65 Vgl. GRAMLICH, HOPP 2017, S. 41–42.

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allerdings gehören diese heute ebenso zu den dringlichen Forschungsdesideraten, wie die mit den Transporten betrauten Speditionen – etwa die Unternehmen Schenker/ Deutsche Reichsbahn oder Gustav Knauer. Hieran allein lässt sich ablesen, dass es angesichts der massenhaften Transfers – auch durch Private (!) – ohne systematische, aber zugleich kreative Herangehensweisen kaum möglich sein wird, zu weiterführenden Erkenntnissen zur Verlagerungen von Kulturgütern aus den besetzten Gebieten bzw. generell aus den angrenzenden Ländern in das »Deutsche Reich« zu gelangen. Welche Fortschritte also durch eine sukzessive digitale Erfassung und Erschließung von Ausfuhr- oder Transportlisten erzielt werden könnten, liegt auf der Hand. Digitale Sammlungsnachbildung: das Projekt zur Rekonstruktion des »Führerbau-Diebstahls« Ende April 1945

Auch innerhalb Deutschlands blieben Objekte keineswegs statisch, sondern unterlagen erneut Transferprozessen etwa durch die Vermittlung an Händler_innen, Sammler_ innen und Institutionen, durch Weiterverkäufe (auch ins Ausland), Tauschprozesse, Um- und Auslagerungen (z. B. in Depots) und schließlich auch Plünderungen oder Rückführungen und Restitutionen nach dem Krieg. Hildebrand Gurlitt allein hatte bis Oktober 1944 mindestens 300 Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Tapisserien im Gegenwert von annähernd 9,8 Millionen Reichsmark an den »Sonderauftrag Linz« vermittelt. Mit wenigen Ausnahmen fanden diese Verkäufe aus dem besetzten Frankreich in dem knapp bemessenen Zeitraum zwischen 25. August 1943 und 3. Oktober 1944 statt.66 Als sich die Kriegslage zuspitzte, sah man davon ab, die für den »Sonderauftrag« angekauften Objekte wie vordem zunächst nach Dresden zu verbringen, sondern schickte sie direkt nach München, wo sie bis zu ihrem Abtransport in die Salzbergwerke von »Oberdonau« in den vermeintlich sicheren Luftschutzkeller im sogenannten »Führerbau« eingelagert wurden.67 Als die 66 Dies lässt sich anhand der Unterlagen der Treuhandverwaltung von Kulturgut im BArch Koblenz (Bestand B 323), den Ausfuhrmaterialien und Exportlizenzen in den Archives Diplomatiques in Paris (Bestand 209/SUP), den Archives Nationales de France in Paris (u. a. AJ 40/573 und 574) sowie der Datenbank zum CCP München des DHM (http://www.dhm.de/datenbank/ccp/ [30.6.2018]) rekonstruieren. 67 Zu den Vorgängen vgl. Meike HOPP, Stephan KLINGEN, Vom »Führerbau« zum Central Collecting Point. Verlagerung von Kunst- und Kulturgut am Beispiel München 1942–1949, in: Pia SCHÖLNBERGER, Sabine LOITFELLNER (Hg.), Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus. Mythen – Hintergründe – Auswirkungen (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 6), Wien-KölnWeimar 2016, S. 69–84.

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Abb. 3: Mithilfe von Geocode-Tools lassen sich beispielweise die Standorte in und um München lokalisieren, an denen die 1945 geplünderten Objekte von der Monuments, Fine Arts & Archives Section oder der Kriminalpolizei in den Monaten nach den Diebstählen wieder aufgespürt wurden.

SS-Wachmannschaft erkannte, dass die US-Streitkräfte in der Nacht zum 29. April 1945 München erreichen würden, floh sie und ließ den »Führerbau« mit weit über 1.400 Kunstwerken ohne Schutz zurück. Berichte besagen, dass nach dem Abzug der SS Bewohner_innen aus der unmittelbaren Nachbarschaft in den »Führerbau« eingedrungen seien und die Kunstwerke geplündert hätten,68 darunter mindestens 16 der von Gurlitt für den »Sonderauftrag« erworbenen Bilder, etwa die 2009 wiederentdeckte Bergpredigt von Frans Francken.69 Tatsächlich verschwanden mehr als 800 Kunstwerke in dieser Nacht, 297 davon wurden bereits in den Folgemonaten entweder durch die Ermittlungen der Offiziere der Monuments Fine Arts & Archives Section und der Polizei vorwiegend in Privathaushalten in München bzw. dem Münchner Umland aufgespürt oder aber – nach diversen Medienkampagnen – freiwillig zurückgebracht (Abb. 3). In den folgenden Jahren 68 Vgl. Edgar BREITENBACH, Historical Survey of the Activities of the Intelligence Departement, MFA & A Section, OMGB, 1946–1949, in: College Art Journal 9/2 (1949/50), S. 192–198, hier: S. 194; Heute. Die Amerikanisch-deutsche Illustrierte, hg. von der amerikanischen Militärregierung, 1.11.1948. 69 Vgl. u. a. Kia VAHLAND, NS-Raubkunstskandal. Die Bergpredigt aus Zelle 6, in: Süddeutsche Zeitung, 12./13.7.2014, S. 11.

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58   Meike Hopp konnte der Verbleib weiterer Objekte eruiert werden, jedoch gelten heute noch über 400 der geplünderten Kunstwerke als verschollen. Und auch in derlei komplexen Plünderungs-, Translokations- und Verwertungsprozessen der unmittelbaren Nachkriegszeit spielte der Kunstmarkt offensichtlich eine entscheidende Rolle. Viele der aus dem »Führerbau« gestohlenen Objekte tauchten seit den frühen 1950ern – bis heute – in (inter)nationalen Auktionen auf, meist um anschließend sofort wieder in Privatbesitz zu verschwinden. Das DZK-geförderte Projekt zur Rekonstruktion des »Führerbau-Diebstahls« Ende April 1945 sah sich deshalb mit unterschiedlichsten Herausforderungen konfrontiert, insbesondere aber mit der Verifizierung vermisster, also physisch nicht verfügbarer Objekte, deren Existenz vor 1945 nur anhand von Text- und (idealiter) Bilddokumenten belegt ist. Es war unerlässlich, ein Datenbanksystem zu finden, das einen quellenkritischen Zugang ermöglicht, da zeitgenössische Zuschreibungen ebenso wie Maß- oder Technikangaben oft unzuverlässig sind – ein Problem, dem sich auch andere Projekte zur digitalen Sammlungsrekonstruktion jetzt und künftig stellen müssen, so etwa das Projekt Die Kunstsammlung Rudolf Mosse (1843–1920). Aufbau – Bedeutung – Verlust/Mosse Art Research Initiative (MARI).70 Für die Erfassung von Archivalien, die Auswertung und Dokumentation von zum Teil widersprüchlichen Informationen, von »conflicting evidence«, und deren Referenzierung mit »virtuellen« Objekten, werden nicht nur entsprechend flexible und modular gestaltbare Systeme benötigt (das »Führerbau-Diebstahl«-Projekt am ZI arbeitet mit einem Linked Open Data System, der CIDOC/CRM basierten virtuellen Forschungsumgebung WissKI71), sondern auch einheitliche Verfahrensweisen und Standards bei der Normierung von Daten (Abb. 4).

70 Vgl. https://www.mari-portal.de/ (30.6.2018). 71 Die Drupal-basierte Wissenschaftliche KommunikationsInfrastruktur (WissKI) wurde von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, dem GNM in Nürnberg und dem Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn entwickelt. Vgl. http://wiss-ki.eu/ (30.6.2018). Anfang Juli 2018 startete ein weiteres DZK-gefördertes Projekt zur Dokumentation und Kontextualisierung von Translokationen. Aufund Ausbau der im Zuge des Projekts zum »Führerbau-Diebstahl 1945« entwickelten WissKI-Datenbank zu einer zentralen Plattform für die Erfassung und Auswertung der Quellen zum CCP München und seinem historischen Umfeld am ZI München.

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Am Anfang war die Dokumentation: Forschungsinfrastrukturen für die Provenienzforschung zwischen technischem »Hilfsmittel« und digitaler Innovation

Nicht selten sieht sich die Provenienzforschung mit dem Vorurteil konfrontiert, in ihren Ansätzen und ihrer Methodik nicht über den Bereich einer positivistischen Hilfswissenschaft hinauszugelangen.72 Ein Vorwurf, der auch die Digital Humanities ähnlich trifft, welche die »evidenzorientierte Kolonialisierung der Geisteswissenschaften durch positivistische Erkenntnismethoden bedrohe oder zerstöre, worin der originäre methodische Kern und die genuine Produktivität der Geisteswissenschaften bestehe […], ihre Interpretationskompetenz«.73 Es ist in der Tat kaum von der Hand zu weisen, dass die im Beitrag angeführten Beispiele und Projekte zur Etablierung digitaler Forschungsinfrastrukturen – hier insbesondere im Bereich der NS-Provenienzforschung – vorrangig aus dem genuinen Bedürfnis eines heranwachsenden Forschungszweigs nach optimaler (= digitaler und dezentraler) Verfügbarmachung von Grundlagen, das heißt essenziellen Quellen- und Datenbeständen, entstanden sind und somit auch in erster Linie der verbesserten Auffindbarkeit und Dokumentation von Informationen und Erkenntnissen dienen sollen. Doch ist dies kein Vorsatz oder gar »Programm« der Provenienzforschung, sondern vielmehr eine unweigerliche Reaktion auf über siebzig Jahre Versäumnisse bei der adäquaten Dokumentation der im »Dritten Reich« translozierten Kulturgüter (und der Quellen zu diesen), ihrer (vielfach belasteten) Herkunft, ihrer Verlagerung, ihrer Restitution und der Verluste – und dies nicht nur der Bundesrepublik Deutschland.74 Sybille Krämer weist in ihrem jüngst erschienenen Aufsatz zum »Stachel des Digitalen« zu Recht darauf hin, dass sich die Geisteswissenschaften auf ihre eigentliche Aufgabe zurückbesinnen sollten, nämlich »zur Sicherung, Bewahrung, Bereitstellung und zum 72 Vgl. u. a. Harald SCHOEN, Valentine von FELLENBERG, Externe Impulse und interne Imperative: zur Bedeutung von Provenienzforschung und Kulturgutschutz in Deutschland für die Kunstgeschichte, in: Kunstchronik 69/7 (2016), S. 322–327. 73 Sybille KRÄMER, Der »Stachel des Digitalen« – ein Anreiz zur Selbstreflexion in den Geisteswissenschaften? Ein philosophischer Kommentar zu den Digital Humanities in neun Thesen, in: Digital Classics Online 4/1 (2018), S. 5–11, https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/dco/article/view/48490 (30.6.2018). 74 So ist z. B. symptomatisch, dass die seit Beginn der Projektförderung durch die Arbeitsstelle für Provenienzrecherche/-forschung (AfP) in Berlin im Jahr 2008 vielfach artikulierte Forderung nach der digitalen Bereitstellung des für die Provenienzforscher_innen bundesweit überaus essenziellen und zentralen Bestands der Treuhandverwaltung von Kulturgut München (B 323) im BArch Koblenz, erst 2017 erhört wurde. Zu den Akten der Wiedergutmachungsbehörden – ebenso wesentliche Quellenbestände für die Provenienzforschung – gibt es deutschlandweit bisher nur eine einzige Online-Datenbank zu den Berliner Beständen, vgl. http://wga-datenbank.de/starten.php?s=1 (30.6.2018).

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60   Meike Hopp Verstehen des kulturellen Erbes« beizutragen.75 Eben das tut die Provenienzforschung und eben hierfür benötigt sie künftig auch die Methoden der Digital Humanities. Dies führt weit über die reine Digitalisierung, Transkription oder Verdatung von Informationen hinaus, denn es geht auch um Priorisierung, Hierarchisierung und Annotation der aufzubereitenden Informationen und deren zielführende Vernetzung. Es geht zudem um das Herstellen automatisierter Bezüge zur Erkennung von Strukturen und Mustern, die die einzelnen Forscher_innen aufgrund der Masse an Daten selbst gar nicht mehr überblicken können und nicht zuletzt um die Visualisierung der Daten, um Phänomene greifbar zu machen, die »mit nichtdigitalen Methoden entweder ganz schwierig oder überhaupt nicht zu erreichen sind«.76 Künftige Aufgaben für die Provenienzforschung müssen deshalb auch darin bestehen, nicht lediglich technische »Hilfsmittel« anzubieten, sondern vielmehr einen Schritt weiterzugehen und an effizienten, digitalen Strategien und innovativen Lösungen zu arbeiten, um Informationen und Daten vergleichbar zu machen, isolierte, dezentrale Schlüsselprojekte zu kombinieren und neue Standards bei der Datenmodellierung zu etablieren. Nur so können Bezüge im holistischen System hergestellt, aber auch singuläre Lösungen und Tools für spezifische Bedürfnisse entwickelt werden. Das Ziel muss sein, über empirische Daten und ihre Analyse Muster in den Translokationen von Objekten zu erkennen, (Personen-)Netzwerke und ihre Veränderungen in ihren jeweiligen räumlich-zeitlichen Kontexten aufzuzeigen und über die damit einhergehende verstärkte Sensibilisierung für die zentralen Kernfragen des Kulturguttransfers zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Was folgt daraus?

Die am Kunst- und Kulturgutraub beteiligten Akteur_innen verfügten über überaus effektive Netzwerke und Infrastrukturen. Um diese zu durchdringen, ist es längst an der Zeit, dass auch für die Provenienzforschung endlich effizientere Netzwerke und Forschungsinfrastrukturen begründet werden. Die Washington Principles fordern nicht nur (unter Punkt 2) die Zugänglichmachung von »einschlägige[n] Unterlagen und Archive[n]« gemäß der Richtlinien des International Council on Archives, sondern auch (unter Punkt 6) »Anstrengungen zur Einrichtung eines zentralen Registers aller diesbezüglichen Informationen« zu unternehmen.

75 KRÄMER 2018, S. 7. 76 KRÄMER 2018, S. 6.

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Provenienzrecherche und digitale Forschungsinfrastrukturen in Deutschland: Tendenzen, Desiderate, Bedürfnisse    61

Nicht nur die besondere, eingangs erwähnte spezifisch deutsche Verantwortung für das historische Unrecht, sondern auch die von Deutschland unterzeichneten Washingtoner Prinzipien zielen daher ausdrücklich auf Aufbereitung und Erschließung der essenziellen Ressourcen für die Provenienzforschung ab. Was aber 1998 noch analog gedacht und gefordert werden musste, sollte nun, 20 Jahre später und auf der Grundlage leistungsfähiger Netzwerke und digitaler Infrastrukturen, endlich realisiert werden. Diesen Schritt energisch anzugehen und in eine nachhaltige, dezentrale (d. h. auch projekt- und personenunabhängige) Verfügbarkeit zu investieren, muss die Bundesregierung als Teil der Verantwortung akzeptieren, die sich aus den Washington Principles ergeben. Dies ist nicht ausschließlich als Aufforderung an Bund, Länder und Kommunen zu verstehen, die dringend benötigten Strukturen bereitzustellen, sondern vielmehr als ein grundsätzlicher Appell auch an die kulturgutverwahrenden Institutionen und die Provenienzforscher_innen, bereits bei der Planung ihrer Arbeit – in und außerhalb von Projekten – eine langfristige und transparente Dokumentation mitzudenken, um dadurch die Nachnutzbarkeit der erarbeiteten Ergebnisse zu gewährleisten. Freilich müssen sie hierzu auch in die Lage versetzt werden. Aktuelle Initiativen wie die European Holocaust Research Infrastructure (EHRI) 77 oder das noch in den Anfängen begriffene, ebenfalls europaweit geplante Jewish Digital Cultural Recovery Project (JDCRP)78 – angetrieben von dem Wunsch, für und mit »Überlebende[n] auf der ganzen Welt« und durch digitale Mittel einen fundierten Überblick über die »weltweite Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen« zu erlangen79 – demonstrieren schon jetzt, dass nachhaltiges Arbeiten auch in großen internationalen Kooperationen möglich, sinnvoll und erforderlich ist. Es ist kein Zufall, dass auch hierbei digitale Infrastrukturen im Zentrum stehen.

77 Vgl. https://www.ehri-project.eu/ (30.6.2018). 78 Vgl. http://jdcrp.org/ (30.6.2018). 79 Vgl. hierzu auch den Online Guide Nationalsozialismus und Holocaust, https://guides.clio-online.de/guides/epochen/nationalsozialismus-und-holocaust/2018 (30.6.2018).

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20 Jahre Washingtoner Prinzipien und die Schweiz: Politik, Forschung und Transparenz im Umgang mit der Geschichte von Kunstwerken Esther Tisa Francini

Restitution und Erinnerungskultur

Als es vor 20 Jahren darum ging, einen international akzeptierten Konsens für »faire und gerechte Lösungen« im Umgang mit NS-Raubkunst zu finden, war die Schweiz bei der Ausarbeitung dieser heute immer noch nach wie vor aktuellen und viel diskutierten Richtlinien eine der führenden Nationen.1 In verschiedenen Staaten wurden in Anwendung dieser Washingtoner Richtlinien weiterführende nationale Empfehlungen oder Gesetze eingeführt wie zum Beispiel in Österreich mit dem Bundesrückgabegesetz oder in Deutschland mit der Gemeinsamen Erklärung und der Handreichung, die zwischenzeitlich mehrfach revidiert wurde. In den USA flankierten die Guidelines der amerikanischen Museumsvereinigung die Aufgabe der NS-Raubkunst-Auffindung mit einer umfangreichen methodischen Anleitung. Die grössten Schweizer Kunstmuseen bestätigten 1999 die Auferlegung der Washingtoner Prinzipien.2 Eine Empfehlung zur Umsetzung dieser Richtlinien in der Schweiz, zumal mit dem »soft law« ein großer Handlungsspielraum eröffnet wurde, folgte nicht. Die nach wie vor diskutierten Rückgabeansprüche in der Schweiz brauchen klare Standards, einheitlich definierte Untersuchungskriterien sowie vielfältige Lösungswege.3 Die »fairen und gerechten« Lösungen sollten aber auch der Geschichte des Objektes gerecht werden. Gerade in strittigen und unklaren Fällen – wie es häufig Werke in der Schweiz sind, wenn sie nicht dem klassischen Raubgut zuzuordnen sind – könnte die »faire und gerechte Lösung« unter anderem auch darin bestehen, die Kunstwerke in der Öffentlichkeit zu belassen, jedoch mit aufschlussreichen permanen1

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Andrea F. G. RASCHÈR, Washingtoner Raubkunst-Richtlinien – Entstehung, Inhalt und Anwendung, in: KUR – Kunst und Recht. Journal für Kunstrecht, Urheberrecht und Kulturpolitik 3/4 (2009), S. 75–79. https://www.bak.admin.ch/bak/de/home/kulturerbe/raubkunst/provenienzforschung-in-der-schweiz. html (3.8.2018). Vgl. Evelien CAMPFENS, Nazi-Looted Art: A Note in Favor of Clear Standards and Neutral Procedures, in: Art Antiquity Law XXII/4 (2017), S. 315–345.

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64   Esther Tisa Francini ten Informationen zur Provenienz des Kunstwerkes.4 Damit werden die Erinnerungskultur und die Dynamik des Kunstbesitzes historisch vergegenwärtigt.5 Späte Einsichten

Im Frühling/Sommer 1997 brachte der damalige Kunstredakteur der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) Matthias Frehner eine Serie von Artikeln zum Thema Raubkunst heraus.6 Der weite Blick auf die Thematik – von der Antike bis zur NS-Zeit, von den Raubgrabungen archäologischen Kulturguts bis zum illegalen Kulturgüterhandel – bettete das NS-Herrschaftsregime in einen weiteren zeitlichen und räumlichen Rahmen und ebensolche Unrechtskontexte ein. Mit diesem breiten Ansatz und aus der heutigen Retrospektive nach 20 Jahren Erfahrung wird klar: Die Problematik der Raubkunst ist umfangreicher als ursprünglich gedacht und hat ein neues Verständnis von Museumsarbeit gefordert. Durch die Washingtoner Prinzipien kam nicht nur der Umgang mit Kunstwerken im Nationalsozialismus vehement zur Diskussion, sondern zeitlich verzögert auch jener in den Besatzungszonen, in der ehemaligen DDR sowie jüngst auch der koloniale Kontext von Kunsterwerbungen. Die Geschichte der Objekte, die Provenienzketten, die Brüche und Zäsuren der Geschichte sowie historisches Unrecht wurden bis dahin und werden bis heute in den Museen kaum erzählt.7 Bezahlt wird dieses Versäumnis mit teuren Restitutionen und politischer Polemik. Es ginge jedoch auch anders: Nämlich indem die Museen sich ihrer eigenen Geschichte stellen und eine permanente Autoreflexion vorwärtstreiben.8 Und indem bei tatsächlichem 4

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Vgl. das Beispiel des Courtauld Instituts im Fall Glaser: Charlotte WOODHEAD, Putting into Place Solutions for Nazi Era Dispossessions of Cultural Objects: the UK Experience, in: International Journal for Cultural Property 23/4 (2016), S. 385–406. Eine gute Übersicht zur Provenienzforschung in Deutschland und in der Schweiz gibt auch: Anja HEUSS, Die Provenienzforschung in Deutschland und in der Schweiz, in: KUNSTMUSEUM BERN, KUNST- UND AUSSTELLUNGSHALLE DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND GMBH (Hg.), Bestandsaufnahme Gurlitt, München 2017, S. 86–93 (Katalog zu »Entartete Kunst« – Beschlagnahmt und verkauft, Kunstmuseum Bern 2.11.2017–4.3.2018, sowie Der NS-Kunstraub und die Folgen, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Bonn, 3.11.–11.3.2018). Matthias FREHNER, Das Geschäft mit der Raubkunst. Hintergründe, Fakten, Thesen, Zürich 1998. Vgl. Bénédicte SAVOY, Was unsere Museen nicht erzählen, in: Le Monde diplomatique, 10.8.2017, S. 3. Dabei kann hierbei noch differenziert werden: Zwar gibt es mittlerweile seit einigen Jahren Ausstellungen zur NS-Raubkunst-Thematik, aber die Geschichte der Objekte ganz allgemein und der Umgang mit Provenienzen ist noch wenig Gegenstand von Dauerausstellungen. Vgl. Martin ROTH, Restitution – die Angst vor der eigenen Geschichte?, in: Julius H. SCHOEPS, Anna-Dorothea LUDEWIG (Hg.), Eine Debatte ohne Ende? Raubkunst und Restitution im deutschsprachigen Raum, Berlin 2014 (2. Aufl., Orig. 2007), S. 123–138; Ulf HÄDER, Katja TERLAU, Ute HAUG (Hg.), Museen im Zwielicht: Ankaufspolitik 1933–1945: Kolloquium vom 11. und 12. Dezem-

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Raubgut – und dies wird wohl eher die Ausnahme sein – restituiert und die geteilte Geschichte in Sonder- und Dauerausstellungen als ergänzende Perspektive auf die Objekte vermittelt wird.9 Bereits 1998 wurden erste Studien zur Thematik in der Schweiz publiziert: eine erste Prüfung der »Kulturgüter im Eigentum der Eidgenossenschaft« zu den Bundeskunstsammlungen sowie das immer noch sehr brauchbare Nachschlagewerk, Die Kunst zu sammeln, erschienen anlässlich des Jubiläums 150 Jahre Schweizerischer Bundesstaat, jedoch losgelöst von der Raubgut-Thematik.10 Gleichzeitig wurde das Thema der Schatten des Zweiten Weltkrieges in der Tageszeitung NZZ zum Schlagwort der nicht aufgearbeiteten Weltkriegs- und Raubkunstthematik.11 Die Schweiz stand damals medial im Fokus mit der Flüchtlingsfrage, mit der Thematik der nachrichtenlosen Vermögen und der NS-Raubkunst. Das war nicht alles neu, aber die Heftigkeit des politischen und wirtschaftlichen Drucks war erstaunlich.12 In diesem Zeitraum beauftragte das Bundesamt für Kultur (BAK), den Historiker und Journalisten Thomas Buomberger mit einer Untersuchung zur Raubkunstthematik. Dieses Unterfangen ergab ein umfangreiches, gut lesbares Werk, das den Kunstmarkt und den Handel mit Raubkunst auf der Grundlage von behördlichen Quellen und der Akten der zentralen Galerie Fischer untersucht. Die große Anzahl an beschriebenen Fällen – auch der Raubgutprozesse – dominierte zuungunsten einer eingehenderen historischen Analyse der Raubkunstfrage in einem grösseren Kontext des Angebotes auf dem Kunstmarkt. Wenig später und mit einem größeren Aufwand an Zeit und Ressourcen wurde von der Ende 1996 eingesetzten Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg (UEK) der Frage der Raubkunst ebenfalls eine umfassende Studie gewidmet. Diese erschien 2001 und schuf eine Begrifflichkeit, die noch heute diskutiert wird: Das »Fluchtgut« kam zum Raubgut hinzu.13 Dahinter steckt die Frage:

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ber in Köln/Die die eigene Geschichte: Provenienzforschung an deutschen Kunstmuseen im internationalen Vergleich: Tagung vom 20. bis 22. Februar 2002 in Hamburg (= Veröffentlichung der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste 2), Magdeburg 2007. Gail FEIGENBAUM, Inge REIST, Provenance. An Alternative History of Art, Los Angeles 2012. Siehe https://www.bak.admin.ch/bak/de/home/kulturerbe/raubkunst/provenienzforschung-in-derschweiz/resultate-provenienzforschung-der-institutionen-des-bundes.html (3.8.2018); SCHWEIZERISCHES INSTITUT FÜR KUNSTWISSENSCHAFT (Hg.), Die Kunst zu sammeln. Schweizer Sammlungen seit 1848, Zürich 1998. Die Artikelserie ist später verarbeitet worden zu: Thomas MAISSEN, Verweigerte Erinnerung. Nachrichtenlose Vermögen und Schweizer Weltkriegsdebatte 1989–2004, Zürich 2005. Georg KREIS, Die Schweiz – Markt oder Drehscheibe?, in: KUNSTMUSEUM BERN, KUNST- UND AUSSTELLUNGSHALLE DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND GMBH (Hg.), Bestandsaufnahme Gurlitt, München 2017, S. 56–65. Esther TISA FRANCINI, Anja HEUSS, Georg KREIS, Fluchtgut – Raubgut. Der Transfer von Kul-

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66   Esther Tisa Francini Was ist eigentlich NS-Raubgut? Und diese Frage scheint auch 20 Jahre nach Washington noch Kopfzerbrechen zu bereiten. Vielleicht muss in diesem Kontext auch noch einmal betont werden, dass es nicht die Aufgabe der UEK war, Kulturgüter zurückzugeben bzw. Restitutionen in Gang zu bringen. Es ging vielmehr darum, Grundlagenforschung zu betreiben, die Rolle der Schweiz im internationalen Gefüge des Nationalsozialismus und der »gleichgeschalteten« Kulturpolitik des nördlichen Nachbarn aufzuzeigen, den Kunstmarkt, die Museen, Händler und Sammler dazu in Bezug zu setzen. Die UEK hat dank des Archivprivilegs, das heißt eines (theoretisch) uneingeschränkten Zugangs zu privaten Dokumenten, viele neue Erkenntnisse gewonnen. Sie hat jedoch nicht Provenienzforschung betrieben, im Sinne einer Sammlungsüberprüfung oder ausführlichen Abklärung von einzelnen Werkbiografien. Die Geschichte der Eigentumswechsel ist komplex und deren Erforschung zeitintensiv. Diese muss von den Institutionen selbst oder in Zusammenarbeit mit Universitäten und wissenschaftlichen Institutionen geleistet werden. Vielmehr ging es in diesem von der Bundesregierung eingerichteten internationalen Forschungsprojekt um das Freilegen von Strukturen und Benennen von Akteuren auf dem Kunstmarkt. Das BAK setzte im Nachgang zu Washington 1999 eine Anlaufstelle Raubkunst ein, die nicht forschend, sondern vermittelnd tätig wurde. 2011 und 2016 erschienen zwei ausführliche Berichte zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien in der Schweiz. Die Erhebung erfolgte mittels Fragebögen an die Museen;14 die Ergebnisse spiegeln die strategische Ausrichtung der Sensibilisierungspolitik des BAK wider. 2013 wurde im Rahmen einer internationalen Tagung, ebenfalls vom BAK in Bern organisiert, eine neue Webseite mit weiterführenden Instrumenten zur Provenienzforschung präsentiert und diskutiert. Auf national-politischer Ebene kam es sodann erst im Nachgang zum Fall Gurlitt zu parlamentarischen Vorstößen, Motionen und Fragestunden (2014–2017): Ein kleines Erdbeben erschütterte die politische Landschaft, die bis dahin vom Thema NS-Raubkunst, seit Abschluss der Arbeiten der UEK und ungeachtet der Sensibilisierungspolitik des BAK, wenig Kenntnis nahm. Schließlich mündeten diese Diskussionen in die neue Kulturbotschaft, die die Förderung der Provenienzforschung für die Jahre turgütern in und über die Schweiz 1933–1945 und die Frage der Restitution (= Veröffentlichungen der UEK 1), Zürich 2001. 14 Beide umfangreichen Berichte dienten insbesondere der Sensibilisierung und sind online auf der Webseite des BAK, Anlaufstelle Raubkunst, einsehbar und geben über den Stand der Arbeit in Schweizer Museen Auskunft.

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68   Esther Tisa Francini 2016–2020 beschloss. Auf regionaler Ebene waren auch in Zürich die Integration der Sammlung Bührle in die Sammlung des Kunsthauses Zürich und die entsprechende Abklärung der Provenienzen Anlass für öffentliche Debatten und parlamentarische Fragerunden. So fand bis 2016 eine eigens initiierte und finanzierte Provenienzforschung bei den Museen größtenteils mit den bestehenden Ressourcen statt. Einzig das Museum Rietberg und die Stiftung Sammlung Bührle, die beide auch Ausstellungen zu Sammlungsgeschichte und Provenienzfragen organisierten (Abb. 1 und 2), prüfen seit 2008 systematisch die Provenienzen ihrer Sammlung.15 Und diese Provenienzforschung ist nicht (mehr) projektbasiert, sondern nachhaltig und langfristig angelegt. Eine transparente Politik betreiben beide Institutionen, indem sie die Herkunftsangaben online stellen. Während bei den Archäologica und Ethnologica weniger Provenienzketten erforscht werden können, da die Objektidentität ein schwieriges Thema ist und die Forschung diesbezüglich auch noch in den Anfängen steckt, sind die Besitzerserien bei den Werken aus der Sammlung Bührle äußerst umfangreich. Eine umfassende weitere Entwicklung der Provenienzforschung in der Schweiz erfolgte durch die Bereitstellung von zwei Millionen Franken durch den Bund für den Zeitraum 2016–2020. In den ersten zwei Jahren konnten an zehn Museen zwölf Projekte angestoßen werden.16 Die Ergebnisse sollen der Öffentlichkeit unmittelbar zugänglich gemacht werden. Man darf auf diesen Meilenstein in Richtung Transparenz, allfällige Restitutionen und vor allem mehr Wissen um die eigene Sammlung gespannt sein. Wichtig ist aber festzuhalten: Systematisch konnte Provenienzforschung in Schweizer Beständen nur durch Finanzierung des Bundes gefördert werden. Davor blieb es bei einzelnen Initiativen bei anfragebezogenen Fällen. Nicht vergessen darf man ob all dieser seit zwei Jahrzehnten diskutierten Restitutionsfragen, dass unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die Alliierten in großem Ausmaß an inner- und zwischenstaatlichen Restitutionen beteiligt waren. Auch in der Schweiz wurde NS-Raubkunst zurückgegeben, dies besonders auf Druck der Alliierten, nachdem der britische Kunstschutzoffiziers Douglas Cooper in der Schweiz 15 Die Webseite der Stiftung Sammlung Bührle publiziert die ganze Dokumentation zu jedem Werk: Provenienzen, Ausstellunggeschichte und Literatur. Mittlerweile sind 633 Werke, d. h. auch die privaten online einsehbar. Das Museum Rietberg ist auch eines der wenigen Museen, die die Provenienzen in der Sammlung online als work in progress zugänglich macht. Das Historische und Völkermuseum St. Gallen prüft seit 2010 die Provenienzen. 16 Aargauer Kunsthaus, Aarau; Fondation Beyeler, Riehen; Historisches und Völkerkundemuseum St. Gallen; Kirchnermuseum, Davos; Kunsthaus Zürich; Kunstmuseum Basel; Kunstmuseum Bern; Kunstmuseum Luzern; Kunstmuseum St. Gallen sowie Musée cantonal des Beaux-Arts, Lausanne.

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Nachforschungen angestellt hatte.17 Selbst Sammler, im Dienste des britischen Kunstschutzes tätig, kannte er die Akteure, Händler und Sammler in der Schweiz. Ohne dieses zentrale Moment des Insider-Wissens hätte es diese Rückgaben und den diesen zugrundliegenden Raubgutbeschluss vom 10. Dezember 1945 nicht gegeben. Vor dem Bundesgericht in Lausanne wurden rund 70 identifizierte Kunstwerke an die jüdischen Erben übermittelt. Sieben weitere Werke wurden nicht restituiert, da die Untersuchung zeigte, dass ein NS-Raubkunst-Tatbestand fehlte. Dieser war wiederum darauf zurückzuführen, dass das identifizierte Objekte nicht mehr in der Schweiz war, die Identifikation unmöglich war oder weil es sich nicht um eine »klassische Beschlagnahme« handelte. So galt eine »Arisierung«, ein unter deutscher Besatzung in Frankreich erfolgter Verkauf, nicht als restitutionswürdig. Zudem gab es unter den nicht restituierten Objekten auch Werke, auf die kein Anspruch erhoben wurde.18 Faktisch wurden nach Beendigung der Prozesse 1952 alle Käufer in der Schweiz vor dem Lausanner Bundesgericht als gutgläubig betrachtet, so dass die Eidgenossenschaft aufgrund von Regressrecht (einer Art Rückgriffsrecht, das die gesamte Kette der Besitzer belangte) knapp 300.000 Schweizer Franken Entschädigung bezahlten musste. 1958 ließ sich die Eidgenossenschaft diese Summe von der Bundesrepublik Deutschland vollumfänglich zurückbezahlen. Damit hatten weder der Schweizer Staat noch die Kunsthändler_innen und Sammler_innen irgendwelche Unkosten mit dem Verkauf von NS-Raubkunst auf dem hiesigen Kunstmarkt zu tragen. Lösungsvarianten und entsprechende Grundlagen

Als Matthias Frehner die erste Kunstrückgabe nach den Washingtoner Prinzipien in der Schweiz mit Der Damm ist gebrochen bezeichnete, war dies möglicherweise ein Trugschluss oder ein zu optimistisch ausgesprochener Wunschgedanke.19 Denn die Liebermann-Rückgabe von 1999 aus dem Bündner Kunstmuseum Chur an die Erben von Max Silberberg wurde nicht zu einem Präzedenzfall. Nach wie vor gilt bei der Identifizierung von NS-Raubkunst die Einzelfallprüfung, wenngleich die Werke aus der gleichen Sammlung kommen oder aus der gleichen 17 John Richardson, The Sorcerer’s Apprentice. Picasso, Provence and Douglas Cooper, Chicago 1999. 18 Esther TISA FRANCINI, Von der Raubgut- zur Fluchtgut-Restitution? Ausgewählte Restitutionsfälle mit Schweizer Bezug von 1945 bis heute im Vergleich, in: Julius H. SCHOEPS, Anna-Dorothea LUDEWIG (Hg.), Eine Debatte ohne Ende? Raubkunst und Restitution im deutschsprachigen Raum, Berlin 2014 (2. Aufl.), S. 37–55. 19 Matthias Frehner, Ein Präzendenzfall. Das Kunstmuseum Chur restituiert ein Raubkunst-Bild, NZZ, 7.10.1999.

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70   Esther Tisa Francini Auktion stammen. Andere Silberberg-Fälle untermauern dies: Die Sammlung Bührle verwehrt für die Sultane von Edouard Manet eine Rückgabe, weil der tatsächliche Erwerb des Bildes durch Silberberg ungesichert ist und das Bild außerdem Deutschland vor 1933 verlassen hat. Die Stockhornkette von Hodler in St. Gallen wartet seit 2001 auf eine Entscheidung. Dieses Bild wurde 1935 auf der Auktion bei Graupe im März verkauft. Die Lücke zwischen 1935 und der Nachkriegszeit ist groß und der genaue Besitzerwechsel bisher nicht eruierbar. Dabei stellt sich die Frage, wie Besitzer entschädigt werden, die nicht direkt mit dem Holocaust zu tun haben, die bei einer Rückgabe mit großen Vermögensverlusten zu rechnen haben und unwissentlich seit Jahren ein solches Gemälde besitzen. Der Fall von Josse Bernheim-Jeune wurde dank den Washingtoner Prinzipien gelöst, war jedoch zuvor schon ein Fall für die Gerichte.20 Die Odalysque von Camille Corot wurde 2001 seitens Michel Dauberville als Erbe von Josse Bernheim-Jeune und Peter Nathan gemeinsam und zu beiden Teilen dem Kunstmuseum Basel und dem Kunstmuseum St. Gallen geschenkt. Als die Deutschen Frankreich 1940 besetzten, plünderten sie systematisch jüdische Kunstsammlungen, darunter auch jene von Josse BernheimJeune. Während es seinen Söhnen und seinem Enkel Michel Dauberville gelang, 1942 in die Schweiz zu flüchten, tauchte das Gemälde L’Odalisque, das von den Nazis konfisziert worden war, im Schweizer Kunsthandel auf. 1959 befand es sich beim Zürcher Kunsthändler Peter Nathan. Die gemeinsame Schenkung an die beiden oben erwähnten Institutionen unterstreicht die einvernehmliche Lösung zweier Rechtsansprüche – der Besitzanspruch Michel Daubervilles zum einen und zum andern die gutgläubige und rechtskräftige Erwerbung durch Peter Nathan. Die Übergabe des betreffenden Werks an die kunstinteressierte Öffentlichkeit bildet eine ebenso großzügige wie beispielhafte Lösung für weitere vergleichbare Fälle.21 Anders gelagert war der Fall der Familie Mauthner mit Van Goghs Saintes Maries de la Mer, der 1933 an Oskar Reinhart verkauft wurde und sich heute in der Sammlung Oskar Reinhart am Römerholz in Winterthur befindet. Vermittler beim Verkauf war Erich Hancke, ein Mitarbeiter von Bruno Cassirer. Mehrere Jahre nach der Publikation dieses Falles 2001 in Fluchtgut Raubgut wurde der Bund, dem die Sammlung am 20 So auch die Fälle Wildenstein sowie Goldschmidt, vgl. TISA FRANCINI 2014. Kennzeichen dieser Ära zwischen Raubgutprozessen (Restitutionsgesetz) und Washington (soft law) war der aufwendige und schwierige Gang vor die Gerichte, der Fakt des geschützten guten Glaubens und der Verjährung. Vgl. Martina HURST-WECHSLER, Herkunft und Bedeutung des Eigentumserwerbs Kraft guten Glaubens nach Art. 933. ZGB, Zürich 2000. 21 Pressemitteilung, Die Schenkung Dauberville/Nathan, 18.6.2001.

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Römerholz gehört, 2010 mit einem Anspruch konfrontiert. Die Abklärungen der Anlaufstelle Raubkunst und der Sammlung Oskar Reinhart am Römerholz hatten ergeben, dass Reinhart die Tuschezeichnung 1933 im Rahmen einer bereits länger bestehenden Geschäftsbeziehung von der jüdischen Sammlerin Margarethe Mauthner zu marktüblichen Konditionen erworben und daran gültig Eigentum erlangt hatte. Es wurde festgestellt, dass es sich bei der Zeichnung nicht um Raubkunst im Sinne der »Washingtoner Richtlinien in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nazis konfisziert wurden« von 1998 handelt. Sodann ergab die Prüfung, dass die US-amerikanischen Gerichte zur Beurteilung des Falles nicht zuständig waren. 22 Der Fall Max Emden beschäftigte die Sammlung Bührle und insbesondere auch die Medien. Emden, jüdischer Warenhausbesitzer und Sammler aus Hamburg, erwarb 1927 die Brissago Inseln im Tessin, wo er von 1930 bis zu seinem Tod 1940 lebte. Nach seinem Tod wurde einige Bilder verkauft, darunter Claude Monets Mohnblumenfeld. Die Abwicklung des Verkaufs über Walter Feilchenfeldt und Fritz Nathan 1941 an Bührle wurde unterschiedlich interpretiert. Die Erben sehen den Verkauf als verfolgungsbedingt. Die Stiftung Sammlung Bührle sieht sich als rechtmäßige Eigentümerin, da der Verkauf nachweislich nicht unter Druck zustande kam. Vorbildlich ist die Bereitstellung der Provenienzen, Literaturangaben und Ausstellungsgeschichte der einzelnen Werke aus der Sammlung Bührle auf deren Website. Selten ist eine solche Dokumentation in dieser Ausführlichkeit online zugänglich. In der neuesten Ausstellung mit Werken aus der Sammlung ist im Anhang des Kataloges auch eine komplette Liste aller 633 Werke verzeichnet, sowohl aus der Stiftung wie auch aus der privaten Sammlung der Familie Bührle.23 Das Museum in St. Gallen begann schon früh, sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen und startete 2010 mit der Provenienzforschung. Dank der Finanzierung des Bundes konnte die Recherche intensiviert und die Rückgabe von zwei Silberobjekten der Sammlung Budge aus dem Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen durchgeführt werden.24 Die beiden Silberschiffe waren Teil der Sammlung von Giovanni Züst, einem Transportunternehmer, der einen Teil seiner Sammlung 1967 dem Museum vermacht hatte.

22 https://www.bak.admin.ch/bak/de/home/aktuelles/nsb-news.msg-id-43525.html (3.8.2018). 23 Lukas GLOOR, Sylvie WUHRMANN (Hg.), Manet Cézanne Monet Van Gogh … Chefs-d’oeuvre de la collection Bührle, Lausanne 2017; vgl. auch die Webseite der Sammlung Bührle, www.buehrle.ch (3.8.2018). 24 Christoph ZWEILI: Herkunftsforschung: Wir schreiben die Geschichte neu, Tagblatt, 6.11.2017.

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72   Esther Tisa Francini Das Museum Rietberg, ein Museum für außereuropäische Kunst, entschädigte 2010 die Eigentümer von Rosa und Jakob Oppenheimer für vier 1935 in Berlin bei einer Auktion von Paul Graupe erworbene chinesische Kunstwerke.25 Nicht nur diesen Fall hat sie aus Eigeninitiative gelöst, sondern auch den Fall eines großen Teils der Ozeanien-Sammlung.26 Diese wurde von den Erben nach Alfred Flechtheim beansprucht, der Tages-Anzeiger titelte Zeigt das Museum Rietberg Raubkunst? Der Verfasser, der Journalist Thomas Buomberger, hatte um Auskunft im Museum gebeten. Für den Bericht in der Tagespresse ließ er jedoch die wichtigsten vom Museum recherchierten und ihm ausführlich mitgeteilten Fakten weg.27 Die Fluchtgut-Debatte

Die eigentliche Debatte und das eigentliche Ringen, ob Fluchtgut nun denn dem Raubgut gleichzusetzen sei, begann erst in den 2010er Jahren. Bereits 2007, auf einer Tagung in Potsdam, hatte die Autorin, nach dem ersten Entscheid der LimbachKommission zur Sammlung Freund, die Entwicklung zur Fluchtgut-Restitution kritisch hinterfragt.28 Der Freund-Fall war eine Veräußerung auf einer Auktion bei der Galerie Fischer im Jahre 1942: Die Eigentümer waren im sicheren Ausland, der Auktionserlös wurde überwiesen. Ausschlaggebend war hier jedoch vielmehr die Tatsache, wo die Transaktion stattfand (Deutschland) und wer der Käufer war: Die Tatsache, dass es

25 Esther TISA FRANCINI, Zur Provenienz von vier chinesischen Kunstwerken aus dem Eigentum von Rosa und Jakob Oppenheimer im Museum Rietberg Zürich, in: Kerstin ODENDAHL, Peter Johannes WEBER (Hg.), Kulturgüterschutz – Kunstrecht – Kulturrecht. Festschrift für Kurt Siehr zum 75. Geburtstag aus dem Kreise des Doktoranden- und Habilitandenseminars »Kunst und Recht«, BadenBaden 2010, S. 313–329. Mittlerweile wurden weitere Archivfunde getätigt und einzelne Institutionen sehen in der Versteigerung die Ablösung von Schulden, die auf die Weltwirtschaftskrise zurückzuführen seien. 26 Eine Übersicht zur Geschichte der Gründungssammlung des Museums Rietberg, siehe Esther TISA FRANCINI, »Ein Füllhorn künstlerischer Schätze« – Die Sammlung aussereuropäischer Kunst von Eduard von der Heydt, in: Eberhard Illner (Hg.), Eduard von der Heydt. Kunstsammler, Bankier, Mäzen, München-London-New York 2013, S. 136–199. 27 Esther TISA FRANCINI, Die Rezeption der Kunst aus der Südsee in der Zwischenkriegszeit: Eduard von der Heydt und Alfred Flechtheim, in: Eva BLIMLINGER, Monika MAYER (Hg.), Kunst sammeln, Kunst handeln. Beiträge des Internationalen Symposiums in Wien (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 3), Wien-Köln-Weimar 2012, S. 183–196; Esther TISA FRANCINI, Aussereuropäische Kunst bei Alfred Flechtheim: Publikations- Ausstellungs- und Verkaufsstrategien, in: Ottfried DASCHER (Hg.): Sprung in den Raum. Skulpturen bei Alfred Flechtheim, Wädenswil 2017, S. 464– 492. Tages-Anzeiger, 26.8.2011, Pressekonferenz im Museum Rietberg, 31.8.2011 sowie Tages-Anzeiger, Das Museum Rietberg nimmt Stellung zu den Vorwürfen, 1.9.2011. 28 TISA FRANCINI 2014.

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sich um eine Restitution aus der ehemaligen Sammlung Hitlers, dem sogenannten »Führermuseum«, war, belastete den Ankauf und führte zur Rückgabe-Empfehlung. 2014 veranstaltete Marc Fehlmann am Museum Oskar Reinhart am Stadtgarten in Winterthur eine explizit dem Thema Fluchtgut gewidmete internationale Tagung, die auf reges Interesse stieß.29 Die initiierte Diskussion wurde ein Jahr später weitergeführt. Die Positionen und Definitionen, Standpunkte und Meinungen wurden dargelegt, ohne tatsächlich eine weiterführende Empfehlung abzugeben.30 Wenig später erschienen zwei kurze Beiträge in der NZZ, ob Fluchtgut nun ein »zufälliger« oder ein »sinnvoller« Begriff sei.31 Etwas Bewegung in die Auslegung des Begriffes brachte das DZK, das Fluchtgut folgendermassen definierte: »Als NS-verfolgungsbedingt entzogen gelten auch Kunstgegenstände, die ohne physischen Zwang aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus veräußert wurden, unabhängig davon, ob die Veräußerung innerhalb des Deutschen Reichs oder im Ausland stattgefunden hat (sog. ›Fluchtgut‹).«32 Anja Heuss und Sebastian Schlegel befassten sich 2018 ebenfalls mit der Fluchtgut-Frage, befürworteten die Einzelfallprüfung und warnten vor voreiligen Schlüssen, weder in Richtung Restitution noch dagegen. Provenienzforschung heiße nicht immer Restitution. Evelien Campfens hob kürzlich ebenfalls hervor, dass in der unmittelbaren Nachkriegszeit Fälle, die unter Fluchtgut subsumiert hätten werden können, nicht als restitutionswürdig eingestuft wurden, weil sie »no direct causal link between the loss and the persecution« aufweisen würden.33 Auch wenn die beratende Kommission im Fall Freund nicht von einem Fluchtgut-Fall sprach, wurde dies von verschiedener Seite so aufgenommen, weil der Verkauf vordergründig in der Schweiz stattgefunden hatte. Bei einem weiteren Fluchtgut-Verkauf durch Alfred Flechtheim in London 1934 wurde keine Restitution empfohlen, ähnlich bei einigen Fällen in den

29 Die Tagung fand im Rahmen der Ausstellung Liebermann und die Schweiz statt. Vgl. Marc FEHLMANN (Hg.), Max Liebermann und die Schweiz. Meisterwerke aus Schweizer Sammlungen, München 2014 (zur gleichnamigen Ausstellung im Museum Oskar Reinhart, Winterthur 4.7.–19.10.2014). 30 Die Publikation der Tagung erschien 2015. Vgl. Peter MOSIMANN, Beat SCHOENENBERGER, Fluchtgut – Geschichte, Recht und Moral, Bern 2015. Die zweite ist für 2019 angekündigt: Marc FEHLMANN, Johannes NATHAN, David SCHMIDHAUSER (Hg.), Fluchtgut. Zwischen Fairness und Gerechtigkeit für Nachkommen und heutige Besitzer, Berlin 2019. 31 Thomas BUOMBERGER, Ein zufälliger Begriff mit Folgen, in: NZZ, 3.11.2016; Esther TISA FRANCINI, Anja HEUSS, Georg KREIS, Fluchtgut – Ein sinnvoller Begriff, in: NZZ, 23.11.2016. 32 https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Stiftung/Grundlagen/Zentrale-Begriffsbestimmungen/Index. html (19.5.2018). 33 CAMPFENS 2017, S. 329.

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74   Esther Tisa Francini USA.34 Nur eine detaillierte Einzelfallprüfung kann hier Resultate und Einschätzungen bringen. Interpretationen und Spekulationen

Ronald S. Lauder kritisierte in seiner Rede Lost Art – Lost Justice am 2. Februar 2016 im Kunsthaus Zürich die Schweizer Rückgabepraxis seit 1998, ohne dabei auf konkrete Fälle einzugehen. Er bezog sich vor allem auf das sogenannte Fluchtgut, das es in seinen Augen zu restituieren gilt.35 Dieses sei gleichzustellen mit der Raubkunst und einzig die Schweiz mache diesen Unterschied, um eine breitere Restitutionspraxis zu verhindern. Damit verkannte er, dass diese Begrifflichkeit zwar in der Schweiz entstanden ist, diese jedoch eine historische – und keine juristische Kategorie bildet. Zudem gilt dieser Begriff auch für alle anderen Situationen, respektive Länder, in denen außerhalb der politischen Grenzen des NS-Machtbereichs, auf dem freien Markt, unter Eigeninitiative und mit Erhalt eines angemessenen Erlöses Verkäufe getätigt wurden. Zu nennen sind da die Niederlande und Frankreich vor der Besetzung, aber auch England als wichtiges Exilland sowie beispielsweise Nord- und Südamerika oder andere Destinationen außerhalb des NS-Machtbereichs. Auch Thomas Buomberger vertritt immer wieder die Position, dass die Museen in der Schweiz endlich mal restituieren sollten, ohne konkrete Hinweise, ebenfalls ausgehend vom Verständnis des Fluchtguts als Raubgut.36 Aber für jede Klärung von Restitutionsansprüchen ist es wichtig, alle Fakten auf den Tisch zu legen: seitens der Erben sowie seitens des Museums bzw. der Sammlung. Ohne freien Zugang zu den Archiven für alle ist die Rekonstruktion der Provenienzketten und der detaillierten Geschichte der Objekte kaum möglich. Solange dies nicht in die Realität umgesetzt wird, ist eine Diskussion auf Augenhöhe und mit einer gleichberechtigten Ausgangslage nicht umsetzbar. Festzuhalten bleibt: Provenienzforschung ist nicht gleich Restitution.37 Für eine Restitution ist zwar die erfolgte Klärung der Provenienz unerlässlich, jedoch die Folge einer genauen Besitzerkette eines Werkes nicht immer eine Restitution. 34 CAMPFENS 2017, S. 329–331. 35 Vgl. Eröffnungsrede von Herbert WINTER, Präsident des SIG, sowie Vortrag von Ronald S. LAUDER, 2.2.2016; siehe auch das Interview mit Lauder von Luzi BERNET, Philipp MEIER, Guter Glaube macht Bilder nicht sauber, in: NZZ, 3.2.2016; sowie dazu die Kritik von Philipp MEIER, Ronald Lauder provoziert Kritik, in: NZZ, 5.2.2016. 36 Thomas BUOMBERGER, Ruhe vor oder nach dem Sturm, in: KUR – Kunst und Recht 2 (2008), S. 31–35. 37 SAVOY 2018; Anja HEUSS, Stefan SCHLEGEL, »Fluchtgut«. Eine Forschungskontroverse, in: Franzis-

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Perspektiven

Der riesige Kunstbestand, in privaten, städtischen, kantonalen oder staatlichen Händen in der Schweiz verpflichtet zu einer kritischen Untersuchung der Provenienz der Werke. Diese wurde seit 1998 auf unterschiedlichen Wegen in Gang gesetzt und insbesondere durch die Bundesfinanzierung ab 2016 verstärkt gefördert. Dazu müsste auch die Grundlageforschung durch weitere wissenschaftliche Forschungen zum Kunsthandel, zu Museums-, zur Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte gefördert werden. Die Schweiz hält eine Spitzenposition im internationalen Kunsthandel und weist eine unvergleichlich hohe Dichte an Sammlungen auf. Nur mit politischem Bekenntnis, zustätzlichen finanziellen Mitteln und einem Willen für diese Rolle einzustehen, muss die Provenienzforschung in der Schweiz im Sinne der Washingtoner Prinzipien weiter umgesetzt und kontextualisiert werden. Sowohl die Zusammenarbeit zwischen Museen und Universität wie auch vom Kunsthandel und Sammlerkreisen muss intensiviert werden. Im Vergleich wird in Deutschland in die Herausbildung des Nachwuchses durch neu gegründete Lehrstühle für Provenienzforschung oder zumindest Module in der Lehre der Kunstgeschichte (Berlin, Hamburg, Bonn, Köln und München) investiert. In der Schweiz wird aktuell die Einrichtung einer Professur für Provenienzforschung immerhin diskutiert.38 Nach der zaghaften Etablierung der Provenienzforschung an verschiedenen Schweizer Museen gilt es, diese nicht nur projektorientiert weiter zu stärken, sondern institutionell und dauerhaft zu verankern. Nur so kann der Wissenstransfer, die Kontinuität von beforschten Themen gewährleistet, die Grundlage für weiterführende Forschung geschaffen werden und können auch andere historisch bedeutende Zeitepochen mit ihren Brüchen und Zäsuren erzählt werden. Das Beispiel des Kunstmuseums Bern, das nun dank Gurlitt intensive Provenienzforschung unternimmt, zeigt mit den zwei Ausstellungen zu Gurlitt, wie wichtig und erfolgreich die Vermittlung sein kann. Provenienzforschung muss in die alltägliche Museumsarbeit, in die Vermittlung, in die Ausstellungen integriert werden (Abb. 3). Die Zukunft wird zeigen, wie viele weitere Raubgut- und Fluchtgutfälle zum Vorschein kommen. Wenn jemand nach wie vor vom Abschließen dieses Kapitels spricht, so verkennt er das Potenzial an Kunstbeständen in der Schweiz und dass Provenienzforschung ein fortwährender, nachhaltiger und integraler Bestand der Museumsarbeit ka BOMSKI, Hellmut Th. SEEMANN, Thorsten VALK, in Zusammenarb. mit Rüdiger HAUFE (Hg.), Spuren suchen. Provenienzforschung in Weimar, Göttingen 2018, S. 203–226. 38 Sophie REINHARDT, Die Uni sucht neuen Lehrstuhl-Sponsor, in: Der Bund, 23.4.2018.

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Teil 2

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Projektbericht »Hitlers Sonderauftrag Ostmark« Ein Einblick in die Aktenlage im Archiv des Bundesdenkmalamts (BDA) in Wien

Anita Stelzl-Gallian

Der Bestand der Restitutionsmaterialien im Archiv des BDA Wien stellt eine ergiebige Quelle zur Beforschung des Kunstraubs während der NS-Zeit dar.1 Dementsprechend nehmen Recherchen zu diesem Thema vielfach hier ihren Ausgang. Die Materialien sind seit 1998 zugänglich,2 jenem Jahr, in dem der Grundstein für die Provenienzforschung in Österreich gelegt wurde.3 Bereits 1999 präsentierte Theodor Brückler4 in seiner Publikation Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute5 einen selektiven Querschnitt der relevanten Quellen und kommentierte diese kritisch.6 Als Vollzugsorgan der Denkmalschutz- und Ausfuhrgesetzgebung war die Denkmalbehörde während der Zeit des Nationalsozialismus unmittelbar in die Entziehung von Kunst- und Kulturgütern involviert. Der Zentralstelle für Denkmalschutz im

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Die Restitutionsmaterialien wurden 1998 temporär aus dem Archiv des BDA ausgegliedert und der Kommission für Provenienzforschung zur Verfügung gestellt. Seitens des Bundesministeriums für Unterricht wurde die – wenn auch eingeschränkte – Zugänglichmachung der Archive gemäß § 31 des Forschungsorganisationsgesetzes (FOG) verfügt. Vgl. Anneliese SCHALLMEINER, 1998 – die Kommission für Provenienzforschung und der Weg zum Kunstrückgabegesetz, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN, Leonhard WEIDINGER (Hg.), …wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), Wien-Köln-Weimar 2009, S. 34–47, hier: S. 35. Im März desselben Jahres rief die damalige Bundesministerin Elisabeth Gehrer an den Museen und Sammlungen des Bundes die Kommission für Provenienzforschung ins Leben. Das Kunstrückgabegesetz wurde im Dezember 1998 verabschiedet. Theodor Brückler war bis 2012 Archivar des BDA. Theodor BRÜCKLER (Hg.), Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich 1938 bis heute (= Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege 19), Wien-Köln-Weimar 1999, II. Quellendokumentation, S. 91–401, hier: S. 93. Nicht zuletzt durch Brücklers thematischen Überblick kam den Materialien der Zentralstelle für Denkmalschutz in der Folge vermehrte Aufmerksamkeit zu. 2011 wurde die heutige Archivarin, Anneliese Schallmeiner, eingeladen, in den Smithsonian Museums in Washington DC im Rahmen einer Konferenz die Restitutionsbestände vorzustellen. Ihr Vortrag trug den Titel: Small but Highly Informative. The BDAArchive in Vienna.

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80   Anita Stelzl-Gallian Bundesministerium für Unterricht,7 dem späteren Institut für Denkmalpflege,8 kam ab Juli 1940 eine Funktion zu, die letztendlich ihre Auflösung verhinderte: Sie wurde zur Verwalterin der beschlagnahmten Objekte, also jener unter den sogenannten »Führervorbehalt«9 fallenden Kunstwerke, die im Zentraldepot in der Neuen Burg verwahrt wurden.10 Die Restitutionsmaterialien sind ein Teil des Nachlasses dieser Behörde und bieten tiefen Einblick in den Umgang mit entzogenen Kulturgütern.11 Mit dem Projekt zum Führer-Museum und den damit verbundenen Raubvorgängen hat sich Birgit Schwarz bereits in ihrem Buch Hitlers Museum12 auseinandergesetzt. Dort rekonstruierte die Kunsthistorikerin, anhand von 31 während der NS-Zeit angelegten Alben, den für Adolf Hitlers Museum in Linz vorgesehenen Bestand. Hitlers Museumspolitik wurde für diese Publikation jedoch noch nicht systematisch untersucht. Aus diesem Desiderat ergab sich ein Forschungsprojekt in Form einer Kooperation von Schwarz, als Vertreterin des Kunsthistorischen Instituts der Universität Wien, mit der Kommission für Provenienzforschung beim Bundeskanzleramt. Der Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, der Zukunftsfonds der Republik Österreich und die Kommission für Provenienzforschung finanzierten diese Forschung.13 Die Projektrecherchen liefen unter dem Arbeitstitel Sonderauftrag Ostmark: Eine Untersuchung ihrer historischen Abläufe, organisatorischen Strukturen, Bestände sowie kunstpolitischen und ideologischen Ziele. Vor allem das im »Führervorbehalt« formulierte

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BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 27, M. 6a. Die Zentralstelle für Denkmalschutz im Bundesministerium für Unterricht existierte von 1934 bis Juli/August 1940. Ab 1.8.1938 bis 1939 wurden sie ins Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheit, Abt IV verlegt. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 27, M. 6a. Das Institut für Denkmalpflege existierte von Juli/ August 1940 bis April 1945. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 8, M. 1, fol. 8. Mit dem sogenannten »Führervorbehalt« sicherte sich Hitler den Zugriff auf die nach dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich beschlagnahmten Kunstsammlungen. Schreiben von Dr. Lammers an den Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern, vom 18.6.1938. Dieses vielzitierte Schriftstück ist das bisher einzige bekannte Exemplar und stellt ein Highlight der Restitutionsmaterialien dar. Das Dokument wird immer wieder als Leihgabe für Ausstellungen entlehnt, zuletzt für die Ausstellung Bestandsaufnahme Gurlitt. Der NS-Kunstraub und die Folgen in der Bundeshalle in Bonn, 3.11.2017–11.3.2018. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 51, PM Rothschild, M. 7, fol. 76: Seiberl ad Übertragung der Verwaltung »der unter den Führervorbehalt fallenden Kunstwerte mit 18. Juli 1940«. Die Materialien sind thematisch in zwei Gruppen – allgemeine und personenbezogene – gegliedert. Siehe Übersicht: http://www.provenienzforschung.gv.at/de/archiv/ (18.7.2018). Birgit SCHWARZ, Hitlers Museum, Die Fotoalben Gemäldegalerie Linz: Dokumente zum, »Führermuseum«, Wien-Köln-Weimar 2004. Nr. P 13-1399, Projektlaufzeit 1.7.2013–30.6.2016.

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Projektbericht »Hitlers Sonderauftrag Ostmark«   81

Ziel, beschlagnahmte Kunstwerke in erster Linie kleineren Städten in Österreich zur Verfügung zu stellen,14 sollte kritisch überprüft werden. Die Ergebnisse dieser Forschungen sind nun unter dem Titel Hitlers Sonderauftrag Ostmark, Kunstraub und Museumspolitik im Nationalsozialismus als Band 7 der Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung im Böhlau Verlag erschienen. Methode und Vorgangsweise dieser Untersuchung ergaben sich im Wesentlichen aus der thematischen Ordnung des BDA-Archivs. Die inhaltlich stark ineinander verflochtenen Materialien stellten hohe Anforderungen hinsichtlich der Erfassung und Analyse des Bestands.15 In den Akten der Denkmalbehörde finden sich Schriftstücke aller hierarchischen Ebenen des nationalsozialistischen Verwaltungsapparats. Die Akten legen kulturpolitische und ideologische Zielsetzungen der in den NS-Kunstraub involvierten Institutionen beziehungsweise der handelnden Personen offen. Des Weiteren geht es darin um denkmalpflegerische Angelegenheiten, wie Restaurierung und Konservierung sowie Bergung der enteigneten Kunstobjekte.16 Die inhaltliche Auswertung oblag Ulrike Nimeth, die das Projekt seitens der Kommission für Provenienzforschung von 2013 an leitete. Ab 2015 führte die Autorin dieses Beitrags die Arbeit Nimeths fort. Neben der Erforschung der inhaltlichen Zusammenhänge wurde die Gelegenheit genützt, die digitale Aufbereitung des Bestands voranzutreiben. Die Verteilung der in den Gauen der damaligen »Ostmark« entzogenen Kulturgüter, stand im Mittelpunkt der Untersuchung.17 Mit der Bestellung Hans Posses18 zum »Sonderbeauftragten« für den Aufbau der Linzer Sammlung im Juli 1939 nahm die 14 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 8, M. 1, fol. 8: »Eer Führer beabsichtigt, nach Einziehung der beschlagnahmten Vermögensgegenstände die Entscheidung über ihre Verwendung persönlich zu treffen. Er erwägt dabei, Kunstwerke in erster Linie den kleineren Städten in Österreich für ihre Sammlungen zur Verfügung zu stellen.«. 15 Bei den Materialien der Zentralstelle für Denkmalschutz [resp. des Instituts für Denkmalpflege] handelt es sich um circa 35 Faszikel, die inhaltlich zwar zusammengehören, jedoch in unterschiedlichen thematischen Teilbeständen aufbewahrt werden: Kt. 4/3, Mappen: 12, 15 und 15a Wiener Museen; Kt. 8 und 8/1, Sicherstellung, Beschlagnahmung, Verteilung; Kt. 10 und 10/1, Posse-Korrespondenz; Kt. 13 Kunstmuseum Linz I. 16 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 27; Bundesdenkmalamt I/Institut für Denkmalpflege I, 6 Mappen mit Korrespondenzen von Herbert Seiberl zu Fragen des Schutzes und der Bergung. 17 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 10 und 10/1, Korrespondenzen Hans Posse/Gottfried Reimer mit Herbert Seiberl – ab 1940 Leiter des Instituts für Denkmalpflege, mit Staatsbeamten, Museumsdirektoren und Sammlungsleitern, bezüglich der Zuteilungswünsche, Ankäufe und Tauschgeschäfte, die an Posse herangetragen wurden. Erwähnt sei, dass der Bestand durch Akten des Bundesarchivs in Koblenz (B 323) ergänzt wird. 18 Hans Posse war Kunsthistoriker und von 1910–1942 Direktor der Dresdner Gemäldegalerie.

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82   Anita Stelzl-Gallian Idee Hitlers, ein Museum zu errichten, konkrete Formen an. Birgit Schwarz unterscheidet in ihrer Publikation drei Phasen der Verteilung der Kulturgüter: a) Die erste große Führerzuteilung von 1940 b) Die kleineren Führerzuteilungen von 1941/42 c) Die zweite große Führerzuteilung von 1943 In Anlehnung an diese Zuteilungsphasen und um den tatsächlichen Umfang des beschlagnahmten jüdischen Kunstbesitzes, der sich in der Verwaltung und Verwahrung der Denkmalbehörde befand, zu veranschaulichen, wurden jene Kunstobjekte, die für die kostenlose Verteilung an die Museen vorgesehen waren, in drei Tabellen aufgenommen, die jeweils dem Zeitpunkt der Zuteilung entsprechen.19 Tabelle A: Die erste große Führerzuteilung von 1940

Die erste große Führerzuteilung vom 2. Juli 1940 ist die umfangsreichste und am besten dokumentierte. Mit einem Schreiben vom 31. Juli 1940 informierte Posse den Leiter des Instituts für Denkmalpflege, Herbert Seiberl, dass »der Führer« die Verteilung der Objekte von vier dem Schreiben angefügten und mit dem in Klammer gesetzten Buchstaben (A) gekennzeichneten Listen genehmigt habe. Die Gegenstände seien an die betreffenden Stellen auszufolgen.20 Im Rahmen dieser Aktion wurden neben Gemälden und Musikinstrumenten auch kunstgewerbliche Objekte und anderes aus den beschlagnahmten Wiener Sammlungen von Emmy Aldor, Bernhard Altmann, Alois Bauer, Leo Fürst, David Goldmann, Rudolf Gutmann, Felix Haas, Felix Kornfeld, Moritz Kuffner, Wally Kulka, Otto Pick, Pilzer, Valentin Viktor Rosenfeld, Alphonse Rothschild, Louis Rothschild und Alfons Thorsch sowie Objekte aus unbekannter Herkunft verteilt.21 Mit den von Sicherstellungsmaßnahmen betroffenen Objekten aus der großen kunstgewerblichen Sammlung Oskar Bondys wurde ebenso verfahren.22 Bedacht wurden alle Museen; die Wiener 19 Für die Erstellung der Tabellen wurden die Akten der ehemaligen Zentralstelle für Denkmalschutz/des Instituts für Denkmalpflege im BDA-Archiv in Wien sowie Materialien aus deutschen Archiven (Berlin und Koblenz) herangezogen. Sie vermitteln plastisch die Komplexität des Themas, ergeben jedoch kein vollständiges Bild. Wegen den Tauschaktionen zwischen den Museen scheinen manche Objekte mehrfach auf. Die Tabellen sind unter www.provenienzforschung.gv.at einsehbar. 20 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 10, M. 4, Zl. 1969/40. 21 Die Online-Edition zu den Kateikarten des ehemaligen Zentraldepots ist seit 2017 unter: http://www. zdk-online.org einsehbar. 22 Die Sammlung von Oskar Bondy wurde zunächst mit dem Sicherstellungsbescheid der MA 2, 1.7.1939

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Projektbericht »Hitlers Sonderauftrag Ostmark«   83

Museen und auch die Gaumuseen der Ostmark. Wie nicht anders zu erwarten, sprach man dem geplanten Kunstmuseum in Linz der größte Anteil zu. Ohne Zweifel zählte auch die Zentralstelle für Denkmalschutz zu den Profiteuren. Sowohl ihre topografische Sammlung als auch ihre Werkstätte erhielten Kunstwerke.23 In den Gauen der Ostmark waren die Sammlungen von Karl Hiss, Max Reinhart, Eugen Herz, Friedrich Reitlinger und Sandor Wolf, um nur die wichtigsten zu nennen, beschlagnahmt worden. Diese Objekte wurden von den jeweiligen Gaumuseen verwahrt und in weiteren Schritten in deren Inventare aufgenommen. Im Zuge des Forschungsprojekts wurde auch eine wichtige Entdeckung gemacht: Bisher waren zwei der insgesamt vier zu Heften gebundenen und mit (A) gekennzeichneten Listen (Abbildung 1) nicht als eine Einheit erkannt worden.24 In drei der Hefte findet sich folgender handschriftlicher Vermerk von Josef Zykan, einem Mitarbeiter der Denkmalbehörde: »Diese Liste wurde von Dir Posse als der vom Führer vorgeschriebene Verteiler überreicht.« Erst im Zuge der Auswertung wurde deutlich, dass die vier Hefte tatsächlich eine Einheit bildeten, und es sich nur um die Zuteilungslisten handeln konnte.25 Zudem signierte Hans Posse das IV. Heft und datierte es mit dem 13. Juni 1940. Durch das Erkennen der Zusammengehörigkeit der vier Hefte konnte ein wesentlich deutlicheres Bild dieser »ersten großen Führerzuteilung« aus dem Jahr 1940 gewonnen werden.

sichergestellt. Dennoch wurden die Objekte anschließend verteilt. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 15, M. 6, Zl. 3749/39, fol. 20. Ein Einziehungsbeschluss des Landesgerichts Wien stammt vom 1.12.1939. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 15, M. 6, fol. 14. Letztendlich verfiel die Sammlung aufgrund der Verordnung über den Verlust der Protektoratsangehörigkeit vom 2.11.1942 dem Deutschen Reich. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 15, M. 6, fol. 9. 23 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 13, Liste A I, S. 5. 24 Die Archivarin Anneliese Schallmeiner und Ulrike Nimeth, Kommission für Provenienzforschung, entdeckten die beiden Hefte, die 57/I/8 beziehungsweise 57/I/9 signiert sind. Sie wurden in die neue Ordnung eingegliedert und sind unter den Restitutionsmaterialien des BDA-Archivs, Kt. 13, zu finden. 25 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 10, M. 4, Zl. 1969/40.

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Tabelle B: Die kleineren Führerzuteilungen von 1941/42

Die Zuteilungen der Jahre 1941 und 1942 bezeichnet Birgit Schwarz zusammenfassend als »kleinere Führerzuteilungen«. Der Verteilungsvorschlag an Posse vom 11. Juni 1941,27 basierte auf Listen von 19 Museen, die auf Aufforderung der Denkmalbehörde, ihre Zuteilungswünsche bekannt gegeben hatten. Den Hauptteil des zu verteilenden Kunstgutes bildeten Objekte aus den Sammlungen von Albert Pollak und Oskar Bondy, die zwischen März und Oktober 1941 den verschiedenen Museen zugesprochen wurden.28 In diese Zeit fallen auch die Zuteilung von hochwertigen Pergamenthandschriften aus dem Besitz von Alphonse Rothschild an die Nationalbibliothek29 oder die Übergabe der Rothschild-Möbel an die Reichspost.30 Die Akten illustrieren die beschämende Vorgehensweise der Museen, die um die Verteilung der »Beute« rivalisierten. Im Rahmen des Projekts wurde auf Basis der Akten der Denkmalbehörde und der Bundesarchive in Koblenz und Berlin versucht, die Aufteilung der Bestände zu rekonstruieren. Eine aus der NS-Zeit stammende Gesamtdarstellung dieser Zuteilungen ist nicht überliefert. Tabelle C: Die zweite große Führerzuteilung von 1943

Am 21. Mai 1943 – also bereits unter dem »Sonderbeauftragten« Hermann Voss, dem Nachfolger von Hans Posse – informierte Gottfried Reimer, Referent für den Sonderauftrag Linz, Seiberl darüber, dass Hitler die Verwertung der sogenannten »Restbestände« genehmigt habe.31 Die Verteilung dieser etwa 1.500 hauptsächlich kunstgewerblichen Objekte gilt nach Schwarz als »zweite große Führerzuteilung«. Waffen aus

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Kunstwerke aus dem beschlagnahmten Wiener Besitz für das Landesmuseum Linz a. d. Donau, Gemälde Vorrat; Liste A III Gaumuseen der Ostmark, Niederdonau, Salzburg, Innsbruck, Klagenfurt, Graz, Bregenz, Liste A IV Zuteilung von beschlagnahmtem jüdischem Kunstbesitz in der Ostmark. BArch B 323/106, Nr. 482, Franz Balke an Hans Posse, 11.6.1941 Nr. 483–495. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 10, M. 7, fol. 20, Hans Posse an Herbert Seiberl, Genehmigung zur Verteilung der Sammlung Bondy, 24.5.1941; BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 15, M. 4, Verteilung der Sammlung Bondy, BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 43, M. 1, Verteilung der Sammlung Pollak. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 51, PM Rothschild, M. 9, fol. 30, Hans Posse an Dr. Heigl, Zustimmung zur Übergabe der Handschriften an die Nationalbibliothek, 8.10.1941. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 8/1, M. 5, fol. 47–50. Ab Mai 1942 war die Reichspost im Palais Rothschild, Prinz-Eugen-Straße 22, einquartiert. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 10, M. 14, fol. 46, Reimer an Seiberl, 21.5.1943. Hitler genehmigte die Verwertung der Restbestände am 17.5.1943.

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86   Anita Stelzl-Gallian Rothschild-Besitz wurden auf Wunsch Hitlers ausgesondert und für das Museum in Linz reserviert.32 Das Aktenmaterial aus dieser Phase ist zwar enorm umfangreich, doch fehlt eine detaillierte Dokumentation der endgültigen Zuteilungen. Durch das häufige Überarbeiten und Abändern der Listen in Form von Durchstreichungen und Löschungen, aufgrund immer neuen Zuteilungswünsche und Tauschgeschäfte der Museen sind die Vorgänge nur schwer nachvollziehbar. Als ergiebigste Quelle erwies sich dabei das Material aus dem Bundesarchiv Koblenz.33 Insgesamt waren zwischen 1940 und 1943 mehr als 5.000 Kunstobjekte zur Verteilung gelangt. Das Museumsprojekt Hitlers war der Auslöser dafür, dass erlesene Kunstwerke auf eine Wanderschaft geschickt wurden, die teilweise noch heute, 80 Jahre danach, nicht beendet ist. Zu den in den Verteilungslisten genannten Objekten können Anfragen an das Büro der Kommission für Provenienzforschung gerichtet werden.

32 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 10, M. 14, fol. 46, Reimer an Seiberl, 21.5.1943. 33 BA Koblenz 323/1206. Das Material galt als Hauptquelle bei der Erfassung der zweiten großen Führer­ zuteilung.

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88   Julia Eßl in Österreich erschienen war.4 Grönings Bericht zur Provenienzforschung in der Albertina zufolge wurden bis September 2006 insgesamt 45 einzelne Dossiers erstellt, die im Wesentlichen Erwerbungen im Zeitraum 1938 bis 1960 betrafen.5 In den meisten Fällen erfolgte der Übergang in das Eigentum des Bundes entweder im Zuge eines Rechtsgeschäftes gemäß § 1 Nichtigkeitsgesetz 1946 (BGBl 106/1946) oder unentgeltlich im Zusammenhang mit der Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung. Zudem wurden jene Kunstwerke, die 1963 als Überweisungen des Bundesdenkmalamtes aus dem ehemaligen Bestand des sogenannten Linzer Kunstmuseums an die Albertina überstellt und schließlich inventarisiert worden waren, ebenso erfasst, wie jene aus dem ehemaligen Besitz von Joachim von Ribbentrop. Darüber hinaus konnten nach einer kursorischen Durchsicht der Inventarbücher der Bibliotheksbestände zwei Berichte zu Erwerbungen mit unbekannter Herkunft angefertigt werden, namentlich die Zuweisung von Objekten an die Albertina durch die GESTAPO im Jahr 1940 sowie die Zuweisung von Bücherbeständen durch das Bundesministerium für Unterricht 1950 und 1951. Mit Herbst 2009 wurden Mag. Katja Zirnsack (ehemals Fischer) und Dr. Marta Riess als Mitarbeiterinnen der Kommission für Provenienzforschung mit der systematischen Bearbeitung aller Bestände der Albertina beauftragt – neben den Handzeichnungen betraf dies auch die Druckgrafiksammlung und die Architektur- und Fotosammlung sowie die hauseigene Bibliothek. Aufgrund der 2009 erfolgten Novelle des Kunstrückgabegesetzes wurden von den beiden Forscherinnen zunächst alle Eingänge in die Sammlung zwischen 1933 und 1937 überprüft. Die Ergebnisse zu jedem Werk wurden in die Objektdatenbank The Museum System (TMS) in einer eigens für die Provenienzforschung eingerichteten Eingabemaske elektronisch erfasst, wo auch eine erste Einstufung hinsichtlich der Provenienz – »unbedenklich«, »bedenklich« oder »offen« – erfolgte.6 Ferner wurde begonnen, das Egon-Schiele-Archiv der Albertina auf provenienzrelevante Informationen hin zu überprüfen. Mit Herbst bzw. Dezember des

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Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN, Leonhard WEIDINGER (Hg.), … wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), Wien 2009. Maren GRÖNING, Provenienzforschung in der Albertina auf der Grundlage des österreichischen Kunstrückgabegesetzes von 1998, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN, Leonhard WEIDINGER (Hg.), … wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), Wien 2009, S. 85–92, hier: S. 89. Die im TMS noch nicht erfassten Objekte – dies betrifft vor allem Bestände der Druckgrafiksammlung – wurden vorerst in Excel-Listen angelegt.

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Eine Bestandsaufnahme zur Provenienzforschung an der Albertina   89

Jahres 2010 beendeten die beiden Forscherinnen ihre Tätigkeit für die Kommission für Provenienzforschung. Die Wiederaufnahme der Provenienzforschung an der Albertina erfolgte im darauffolgenden Jahr durch Dr. Pia Schölnberger und Mag. Julia Eßl (ehemals Lenz). Die systematische Untersuchung einer der größten Bestände der Sammlung, der Zeichnungen, wurde mit dem Erwerbsjahr 1938 fortgesetzt, wobei innerhalb dieses Bestandes der Forschungsschwerpunkt auf die zahlreichen Zugänge aus dem Leipziger Kunstantiquariat C. G. Boerner sowie auf die durch die Reichsstatthalterei subventionierten Ankäufe gesetzt wurde.7 Zudem wurden jene Kunstwerke, die der Albertina 1963 vom Bundesdenkmalamt zugewiesen wurden und aus dem Bestand des Linzer Kunstmuseums stammten, einer neuerlichen, intensiven Untersuchung unterzogen.8 Hinzu kamen anlassbezogene Provenienzforschung aufgrund externer Anfragen und die Überprüfung jener Werke, die für internationale Ausstellungen das Haus verließen. In den darauffolgenden Jahren rückte neben der objektbezogenen Provenienzforschung die Grundlagenforschung zur Geschichte der Albertina und ihrer Akteurinnen und Akteure in den Jahren 1938 bis 1945 sowie in den Nachkriegsjahren verstärkt in den Fokus der Provenienzforschung. Zudem wurde die Erfassung und Erforschung der involvierten Institutionen wie Auktionshäuser, Kunsthandlungen und Speditionen sowie der beteiligten Personen vorangetrieben, um bis dato nicht bekannte Vorgänge und Zusammenhänge zu erkennen. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden in das von Dr. Pia Schölnberger und Mag. Leonhard Weidinger (MAK) ins Leben gerufene Lexikon der österreichischen Provenienzforschung (LöPF) eingepflegt. Auch die Dokumentation der bei den Objektautopsien vorgefundenen Provenienzmerkmale in der von Mag. Christina Gschiel und Mag. René Schober entwickelten Datenbank der Provenienzmerkmale, die seit Sommer 2016 von Mag. Julia Eßl betreut wird, soll den Wissens- und Informationsaustausch erleichtern. Um die Forschungsergebnisse auch der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, werden diese seit 2009 regelmäßig in der bereits erwähnten Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung publiziert. Ferner werden die Ergebnisse der Beiratssitzungen sowie der Stand der Recherchen in den einzelnen Bundesmuseen und Sammlungen seit 2008 als Teil des jährlichen Kulturberichts 7 8

Abgeschlossene Berichte aus diesen Bereichen sind beispielsweise die Dossiers zu Marianne Schmidl, Carl Heumann, Eva Kantor, Hermann Kolisch, Adella Feuer, Rudolf Hirschenhauser und Hans Leinkauf. Durch die neuerlichen Untersuchungen konnten Dossiers zu Objekten aus den Sammlungen Oskar Reichel, Josef und Auguste Blauhorn, Julius Mannaberg und Julius Freund erstellt und dem Kunstrückgabebeirat vorgelegt werden, der in allen Fällen – außer Freund – eine Rückgabeempfehlung aussprach. Die entsprechenden Beschlüsse sind auf der Seite der Kommission für Provenienzforschung einsehbar (www. provenienzforschung.gv.at).

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Eine Bestandsaufnahme zur Provenienzforschung an der Albertina   91

Sammeltätigkeit stetig gewachsen und zählte schließlich zu den bedeutendsten ihrer Zeit. Beim Aufbau der Zeichensammlung waren renommierte Fachleute wie Otto Benesch, der damalige Kurator und spätere Direktor der Albertina, maßgeblich beteiligt. Er stand Arthur Feldmann in beratender Funktion sowie bei der wissenschaftlichen Bewertung seiner Blätter zur Seite. Benesch verfasste auch das Katalogvorwort, als aus wirtschaftlichen Gründen ein Teil der Sammlung im Juni 1934 über das Buch- und Kunstantiquariat Gilhofer & Ranschburg in Luzern versteigert werden musste. Der dafür zusammengestellte Auktionskatalog kann heute als Grundlage zur Erforschung der ehemaligen Sammlung Feldmann angesehen werden.11 Die Angaben über die Blätter sind vielfältig und ermöglichen Rückschlüsse auf die Vorprovenienzen der Blätter, aber auch auf den Gehalt der Sammlung. Durch Literaturangaben und Verweise auf die Herkunft der Arbeiten, lässt sich heute zumindest teilweise feststellen, in welchen Kunsthandlungen der Sammler damals seine Käufe getätigt hatte und durch welche andere Sammlungen – ob privat oder öffentlich – die Werke seit ihrer Entstehung gewandert sind. Einige Jahre nach der Versteigerung, mit der Besetzung der Tschechoslowakei und der Errichtung des sogenannten Protektorates Böhmen und Mähren durch die Nationalsozialisten im März 1939, war das Schicksal Arthur Feldmanns, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft zu den Verfolgten des NS-Regimes gehörte, aber auch das seiner umfangreichen Kunstsammlung, die er in seiner von der GESTAPO beschlagnahmten Villa zurücklassen musste, besiegelt. Teile der Sammlung waren in Brünn verblieben, einige Blätter gelangten nach Prag und in London tauchte schließlich nach Kriegsende ein Konvolut auf, das über den Kunsthandel verkauft wurde und zur weiteren Zerstreuung der Sammlung beitrug. Feldmanns Enkel, Uri Arthur Peled-Feldmann, der seit nahezu 20 Jahren intensiv um die Auffindung der Blätter bemüht ist, gelang es, unter anderem mit Hilfe des zuvor erwähnten Auktionskataloges, mittlerweile über 200 Zeichnungen ausfindig zu machen und ihre Restitution zu erwirken. Auch die von der Albertina im Jahr 1989 über das Wiener Dorotheum erworbene Zeichnung Landschaft mit einem Felsblock, hatte er bei seinen akribischen Recherchen zur Sammlung seines Urgroßvaters in ei-

11 Dass dieser Versteigerungskatalog mit den Ausführungen Beneschs heute als Primärquelle für die Erforschung der ehemaligen Sammlung Feldmann dient, ist allerdings einem annotierten Handexemplar zu verdanken – denn weder im Titel noch im Vorwort ist die Sammlung Feldmann namentlich angeführt. Im erwähnten Exemplar ist zu jeder Katalognummer die jeweilige Provenienz mit einem Kürzel handschriftlich vermerkt worden – so konnten von den 333 angebotenen Kunstwerken, 261 der Sammlung Feldmann zugeordnet werden. Zudem wurden auf zusätzlich eingeklebten Seiten die Preise, die Namen der Käufer sowie die nichtverkauften Positionen eingetragen.

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92   Julia Eßl nem Bestandskatalog der italienischen Zeichnungen der Albertina entdeckt.12 Als sich schließlich 2005 der Kunstrückgabebeirat mit der Causa befasste, lehnte dieser die Rückgabe der Zeichnung mit der Begründung, dass der Sachverhalt »nicht ausreichend ermittelt« sei, ab.13 Denn aufgrund der Auktion eines Teiles der Sammlung im Buchund Kunstantiquariat Gilhofer & Ranschburg in Luzern 1934 bestand die Möglichkeit, dass das Blatt bereits vor 1939 aus der Sammlung ausgeschieden war. Der fehlende Nachweis, dass sich die Zeichnung auch noch zum Zeitpunkt der Beschlagnahme im Eigentum von Arthur Feldmann befunden hatte, wurde schließlich erbracht und infolge empfahl der Kunstrückgabebeirat 2008 die Rückgabe der Zeichnung.14 Einige Jahre später erfolgten dann mehrere generöse Schenkungen von Zeichnungen an die Albertina durch die Erbinnen und Erben nach Arthur Feldmann, die man – um an die Sammlerpersönlichkeit Arthur Feldmann und das ihm widerfahrene Unrecht zu erinnern – im Rahmen der Ausstellung und der Publikation präsentierte und würdigte. Obwohl ein großer Teil der Sammlung Feldmann und ihrer Geschichte rekonstruiert werden konnte, ging durch die NS-Herrschaft vieles unwiederbringlich verloren. Die entstanden Lücken lassen sich insbesondere bei Arbeiten auf Papier oft schwer wieder schließen. Nach wie vor ist die Überprüfung mancher Bestände der Albertina noch nicht bzw. nur teilweise erfolgt. Ein grundsätzliches Problem dabei ist die Wertigkeit von Zeichnungen: Meist als Studien oder Vorzeichnungen für spätere Gemälde erstellt, wurden sie jahrzehntelang nicht als eigenständige Werke erachtet, was sich in ihrer Dokumentation und somit in ihrer Nachverfolgbarkeit niederschlägt. So sind in der Regel die Angaben, die eine Identifizierung oder Zuordnung eines Blattes ermöglichen würden, für Arbeiten auf Papier in Ausstellungs- und Auktionskatalogen sowie in diversen Archivalien oder Werklisten und Korrespondenzen meist spärlich. Nur in seltenen Fällen sind aussagekräftige Titel-, Maß- und Materialangaben verzeichnet. Auch Abbildungen, die eine eindeutige Zuordnung ermöglichen würden, stellen eher Ausnahmen dar. Dadurch wird die Herkunft mancher Blätter nie ermittelt werden können und ihre Provenienz letztlich »offen« bleiben.

12 Vgl. Veronika BIRKE, Janine KERTÉSZ, Die italienischen Zeichnungen der Albertina: Generalverzeichnis, Bd. IV, Wien 1997, S. 2591, Eintrag und Abbildung zur Inventarnummer 40.000. 13 Beschluss des Kunstrückgabebeirates vom 14.12.2005, veröffentlicht unter www.provenienzforschung. gv.at (1.3.2018). 14 Vgl. Beschluss des Kunstrückgabebeirates vom 3.10.2008, veröffentlicht unter www.provenienzforschung.gv.at (1.3.2018). Darüber hinaus liegt eine umfassende Stellungnahme von Herrn Uri Arthur Peled-Feldmann vor. Die Zeichnung befindet sich heute im Israel-Museum in Jerusalem.

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20 Jahre Provenienzforschung in der Österreichischen Galerie Belvedere Katinka Gratzer-Baumgärtner, Monika Mayer

Als Ergebnis des im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung durchgeführten umfassenden Forschungsprojektes1 wurde im November 2017 ein Vorläufiger Endbericht2 sämtlicher Erwerbungen der Österreichischen Galerie Belvedere3 von 1933 bis 20094 vorgelegt. Auf der Grundlage des Kunstrückgabegesetzes von 1998 und im Kontext einer kritischen Hinterfragung der musealen Sammlungspolitik wurden die entsprechenden Bestände des Museums systematisch auf ihre Herkunft überprüft. Zu klären war, ob Werke im Zuge oder als Folge der NS-Herrschaft ihren rechtmäßigen, oft »jüdischen« Eigentümerinnen und Eigentümern entzogen worden waren. Die Provenienzforscher_ innen5 des Belvedere führten Recherchen zu rund 5.200 Kunstwerken durch, die vor 1945 entstanden sind und ab 1933 für das Museum erworben worden waren. Entsprechend internationaler Standards der Provenienzforschung wurden die Rechercheergebnisse in eine adaptierte Maske der museumsinternen Bestandsdatenbank des Belvedere, The Museum System (TMS), eingepflegt. Diese ermöglicht objektbezogen das Nachvollziehen der jeweiligen Archiv- bzw. Literaturrecherchen und beinhaltet eine qualifizierende Klassifizierung auf Basis der Tatbestände des Kunstrückgabegesetzes. Von den im TMS erfassten 5.196 relevanten Kunstwerken6 gelten 3.424 als unbedenklich, 642 als offen – kein Hinweis auf Bedenklichkeit und 1.002 als offen. 32 Werke erhielten eine negative Beiratsentscheidung. Bei den 96 als bedenklich klassifizierten Kunstwerken handelt es sich zum einen um bereits zurückgegebene sowie zu restituierende Objekte, bei denen die Rechtsnachfolge noch nicht geklärt ist, zum anderen 1

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Siehe dazu Monika MAYER, Jenseits von Klimt. Zur Provenienzforschung in der Österreichischen Galerie Belvedere, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN, Leonhard WEIDINGER (Hg.), … wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), Wien-Köln-Weimar 2008, S. 94–106. Erstellt von Katinka Gratzer-Baumgärtner und Monika Mayer. Im Folgenden Belvedere genannt. Eine systematische Untersuchung der Inventarzugänge von 2010 bis heute ist noch ausständig. Monika Mayer (seit 1998), Dagmar Sachsenhofer (2002–2005), Thomas Geldmacher (2005–2007) und Katinka Gratzer-Baumgärtner (seit 2007). Inklusive der 783 aus dem Inventar ausgetragenen Werke.

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94   Katinka Gratzer-Baumgärtner, Monika Mayer um Werke, zu denen Dossiers existieren, die dem Kunstrückgabebeirat aber noch nicht vorgelegt oder von diesem noch nicht behandelt wurden. 22 Objekte mit offenem oder bedenklichem Status, deren Provenienzen bei derzeitigem Forschungsstand nicht geklärt werden konnten, wurden in die Datenbank des Nationalfonds aufgenommen. Dies betrifft Erwerbungen aus dem Kunsthandel 1938–1945 und von der Vugesta, der Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Gestapo, wie auch Überweisungen der Reichsstatthalterei aus dem Jahr 1939. Seit dem Frühjahr 1998 wurden 76 Dossiers zu insgesamt 239 Kunstwerken erstellt und diverse Nachtragsdossiers erarbeitet. Zum Bestand der hauseigenen Bibliothek wurde eine umfassende Provenienzdokumentation vorgelegt.7 Der Kunstrückgabebeirat sprach in 44 Fällen, die 66 Kunstwerke und sechs Druckschriften betreffen, die Empfehlung zur Restitution aus. 55 dieser Objekte wurden mittlerweile den Rechtsnachfolger_innen der ehemaligen Eigentümer_innen übergeben, die übrigen verbleiben bis zur Feststellung der Erb_innen im Museum. Der Bogen der Kunstwerke spannt sich von einer gotischen Tafel des Meisters der Veitslegende aus der Sammlung Friedrich Spiegler (2013 nach der Rückgabe erneut erworben) über barocke Bronzereliefs aus der Wiener Rothschild-Sammlung (2001 aus dem Kunsthandel zurückgekauft) bis zu Hauptwerken der österreichischen und deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts, unter anderen von Anselm Feuerbach, Anton Romako oder Ferdinand Georg Waldmüller. Im Fokus der medialen und öffentlichen Aufmerksamkeit standen allerdings prominente Fälle von Werken Gustav Klimts, Egon Schieles oder Edvard Munchs aus den Sammlungen der Familien Bloch-Bauer, Lederer, Rieger, Zuckerkandl oder Alma Mahler-Werfel. Nach einem mehrjährigen Rechtsstreit wurden 2006 aufgrund einer Schiedsgerichtsentscheidung fünf Klimt-Gemälde, darunter die beiden Porträts der Adele Bloch-Bauer, an die Erb_innen nach Bloch-Bauer zurückgegeben. Zuletzt überschattete die politische Debatte um die Entscheidung im Jahr 2015, Klimts Beethovenfries aus der Sammlung Lederer nicht zur Rückgabe zu empfehlen, die Leistungen der Provenienzforschung nicht nur im Belvedere. Begleitet wurde die Provenienzforschung des Belvedere durch eine reiche Publikations- und Vortragstätigkeit auch auf internationaler Ebene im Rahmen des Arbeitskreises Provenienzforschung.8 Hervorzuheben ist die Mitherausgabe von zwei Bänden der

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8

Siehe dazu Katinka GRATZER-BAUMGÄRTNER, Das Belvedere in Wien: zum Status der Provenienzforschung in der Bibliothek des Hauses, in: Bruno BAUER (Hg.), NS-Provenienzforschung an österreichischen Bibliotheken. Anspruch und Wirklichkeit, Graz 2011, S. 391–412. Siehe dazu auch Anm. 1 und 7. Zuletzt referierte Monika Mayer im November 2017 bei dem Herbst­

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20 Jahre Provenienzforschung in der Österreichischen Galerie Belvedere    95

Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung.9 Darüber hinaus war Monika Mayer 2011 an der wissenschaftlichen Konzeption und Koordinierung des internationalen Symposiums Kunst sammeln, Kunst handeln in Wien beteiligt. Für das in Entstehung begriffene Lexikon der österreichischen Provenienzforschung erarbeitete Katinka Gratzer-Baumgärtner eine Reihe von Einträgen. Als wissenschaftlich und vor allem menschlich befruchtend erwies sich der enge Kontakt mit den Nachkommen jener Familien, die nach dem »Anschluss« Österreichs im März 1938 aus rassistischen und politischen Gründen beraubt, vertrieben und ermordet worden waren. Unter den vielen, die die Recherchen gerade auch in moralischer Hinsicht wesentlich unterstützt haben, sei Georges Jorisch (1928–2012) hervorgehoben. Als Kind aus Wien verjagt überlebte er den Krieg mit seinem Vater im belgischen Untergrund. »In ausdrücklicher Anerkennung der von […] Monika Mayer […] engagiert geführten Forschungen zu den jüdischen Sammlerfamilien des vorigen Jahrhunderts, insbesondere zur Familie Zuckerkandl« schenkte er 2011 mehrere Bilder von Oswald Oberhuber dem Museum. Mit dem geglückten Rückkauf mehrerer restituierter Werke – wie etwa Hans Makarts Einzug Karls V. in Antwerpen aus der ehemaligen Sammlung von Valerie Karplus-Lieben – befinden sich diese als rare Zeugnisse der von den Nationalsozialisten in Wien vernichteten jüdischen Sammlerkultur vor 1938 im Belvedere.

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treffen des internationalen Arbeitskreises Provenienzforschung in der Albertina Wien gemeinsam mit Anne­liese Schallmeiner Zur Entwicklung der Provenienzforschung in Österreich seit 1998. Zu Band 1 siehe Anm. 1; Eva BLIMLINGER, Monika MAYER (Hg.), Kunst sammeln, Kunst handeln. Beiträge des internationalen Symposiums in Wien (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 3), Wien-Köln-Weimar 2012.

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Rückgabebeschluss – und dann? Weltmuseum Wien

Gabriele Anderl

Im einleitenden Katalogtext zur Ausstellung Recollecting. Raub und Restitution im MAK Wien 2009 verwies die Kuratorin Alexandra Reininghaus auf die Bedeutung von restituierten Kunst- und Alltagsgegenständen im biografischen Kontext und für das Familiengedächtnis: »Individuelle, an das zurückgegebene Objekt geknüpfte Geschichten erfahrbar zu machen, die für die Nachkommen der heutigen EigentümerInnen von Relevanz sind, war eines der zentralen Anliegen dieser Ausstellung.«1 Was aber, wenn zu restituierende Gegenstände diesem Anspruch nicht gerecht werden? Wenn nicht nur ihr materieller Wert vernachlässigbar ist, sondern seitens der rechtmäßigen Eigentümer_innen oder deren Nachfahren auch kein emotionaler Anknüpfungspunkt an die Vergangenheit gefunden wird? Ein Beispiel dafür sind jene zehn ethnografischen Objekte, die – gemäß einer Empfehlung des Kunstrückgabebeirates im Jahr 2007 – an die Rechtsnachfolger_innen von Gertrude Marle2 zurückgegeben werden sollen: ein Bogen und neun Pfeile aus Brasilien, die an das damalige Museum für Völkerkunde, das heutige Weltmuseum Wien, gelangt waren – den hausinternen Aufzeichnungen zufolge am 3. November 1938. Es handelte sich, so besagen zumindest die Akten, um ein »Geschenk« von Gertrude Marle an das Museum, was bedeutet, dass keine Gegenleistung dafür erbracht worden ist. Die Objekte wurden im Inventarband unter Post II/1938 verzeichnet und erhielten die durchlaufenden Inventarnummern von 127.052 bis 127.062. Einer der ursprünglich zehn Pfeile war 2007 nicht mehr im Museum auffindbar.3 Ob es sich bei dem angegebenen Datum tatsächlich um den Tag der Übergabe gehandelt hat, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit belegen. Unklar bleibt auch, durch wen die Objekte dem Museum ausgehändigt worden sind und ob die »Schenkung« mit dem Einverständnis der Eigentümerin erfolgt ist. Aus dem Akt der Finanzlandesdirektion Wien zu Gertrude 1 2

3

Alexandra REININGHAUS, Zur Ausstellung, in: Alexandra REININGHAUS (Hg.), Raub und Restitution, Katalog zu einer Ausstellung des MAK, Wien 2009, S. 12–13. In den Akten, auch jenen aus der NS-Zeit, scheinen als Vornamen die Varianten Gertrud und Gertrude auf. Laut Taufschein lautete der Name Gertrud, im Exil nannte sie sich Gertrude. Im vorliegenden Text wird einheitlich von Gertrude Marle die Rede sein. Weltmuseum Wien, Archiv, Sammlermappe Gertrude Marlé; Inventarband 1938.

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98   Gabriele Anderl Marle geht hervor, dass diese bereits im Oktober 1938 nach England geflüchtet war und ihre Schwester Erika Mitte November ebenfalls den Weg ins britische Exil angetreten hatte.4 Weitere Recherchen ergaben, dass Gertrude Marle zur Zeit des Rückgabebeschlusses in den USA lebte. Im Kulturbericht des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur für das Jahr 2008 wurde vermerkt, dass eine Tochter Marles das Museum Ende Oktober des Jahres besucht habe, um die Objekte aus dem Besitz ihrer Mutter zu begutachten. Ein Transport in die USA wurde von ihr für 2009 avisiert.5 2018, also fast zehn Jahre später, befinden sich der Bogen und die Pfeile noch immer im Museum. Das liegt zweifellos auch an den Schwierigkeiten, die mit einem Transport in die USA verbunden wären. Die Dimensionen des Palmholzbogens und der Pfeile sind beträchtlich, möglicherweise würden sie als Waffen eingestuft und somit nicht als persönliches Reisegepäck zugelassen werden. Hinzu kommt, dass der österreichische Staat die Kosten für den Transport oder den Postversand der zu restituierenden Objekte in der Regel nicht übernimmt. Gertrude Marle ist inzwischen – im November 2012 im Alter von 94 Jahren in Boston – gestorben. Eine ihrer beiden Töchter, Eve Blau, hält sich berufsbedingt immer wieder in Wien auf. Sie lehrt an der Harvard University Graduate School of Design und ist auf Architektur und Stadtgeschichte spezialisiert. Für ihr 2014 in deutscher Übersetzung erschienenes Buch Rotes Wien: Architektur 1919–1934 (das englische Original war 1999 publiziert worden) wurde Blau 2015 von der Republik Österreich mit dem Victor-Adler-Staatspreis für Geschichte sozialer Bewegungen ausgezeichnet. Trotz dieser starken Bezüge zu Wien ergab sich für Eve Blau bisher keine Möglichkeit, die Gegenstände mit in die USA zu nehmen oder ihren Transfer zu veranlassen. Das hat wohl auch mit dem Umstand zu tun, dass sie keinen nennenswerten materiellen Wert besitzen und zudem weder für Gertrude Marle noch für deren Nachkommen mit irgendwelchen persönlichen Erinnerungen verknüpft waren beziehungsweise sind. Stattdessen rief der Rückgabebeschluss bei ihnen die schmerzliche Tatsache ins Gedächtnis zurück, dass ein großer Teil der nach 1938 entzogenen Vermögenswerte der Familie bis heute unauffindbar ist. Auch die Familie von Gertrude Marles Ehemann, George Erwin Blau, hatte beträchtliche materielle Verluste erlitten und war dafür nur unvollständig entschädigt worden. Die Aussicht, die in mehrfacher Hinsicht nahezu

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OeStA/AdR, FLD für Wien, Niederösterreich und das Burgenland, Zl. 24.055, Gertrude Marle. Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, Kulturbericht 2008, Wien 2008, S. 27 (Museum für Völkerkunde).

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Rückgabebeschluss – und dann?   99

wertlosen Gegenstände aus dem Weltmuseum Wien wiederzubekommen, wurde geradezu als Verhöhnung empfunden. My mother and her sister were deeply scarred by their experience of trauma, persecution, and violent dislocation. Neither of them found lasting comfort or the sense of security they had lost as children/young adults in Vienna. My mother and her sister’s heirs received a small amount of compensation from Austria for stolen property – nothing close to the value of the property that was stolen. The same is true of the (considerably greater amount) of property stolen from my father’s family,

schrieb Eve Blau in einem E-Mail an die Verfasserin dieses Beitrags.6 Dennoch kann auch dieser Fall ein wichtiges Grundprinzip der Kunstrückgabe im Bereich der österreichischen Bundessammlungen nicht in Frage stellen: dass nämlich die Entscheidung, ob ein Objekt zu restituieren ist, unabhängig von seinem materiellen Wert zu fällen ist sowie unabhängig davon, ob die Erb_innen dies wollen oder nicht. Ein – zumindest für die Forschung und die Erinnerungskultur – positiver Effekt des Rückgabebeschlusses war immerhin, dass wir heute mehr über die Biografie Gertrude Marles wissen als zu der Zeit, in der das Dossier verfasst wurde. Die Akten enthielten nur sehr fragmentarische und – wie sich inzwischen gezeigt hat – teilweise auch unrichtige Hinweise auf das Leben dieser Frau. In der am 15. Juli 1938 ausgefüllten Vermögensanmeldung fanden sich folgende Angaben zu »Frl. Gertrude Marle«: geboren am 18. Oktober 1918 in Wien, von Beruf »Privatbeamtin«. Gertrude Marle war zur Zeit des »Anschlusses« also erst 19 Jahre alt. Das Formular ist von einer Bertha Schiller »als Vormund« unterzeichnet. Gertrude Marles jüngere Schwester, Erika Lilly Marle, geboren am 15. Jänner 1921 in Prag, war 1938 noch Schülerin. Die beiden jungen Frauen wohnten den Akten zufolge in der Rathausstraße 3/14 im ersten, während der letzten Monate vor der Flucht dann in der Piaristengasse 34 im achten Wiener Gemeindebezirk.7 Als Vermögenswerte von Gertrude Marle wurden in der Vermögensanmeldung ein Anteil an einem Zinshaus in der Piaristengasse 36 sowie Schmuck, Silber und Teppiche mit einem Gesamtwert von 2.958,66 RM angeführt. Ethnografische Objekte wurden nicht erwähnt.8 Die Anteile der Schwestern Marle an der Liegenschaft EZ 645, KG Josefstadt, verfielen aufgrund der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 dem Deutschen

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E-Mail von Eve Blau an Gabriele Anderl, 30.3.2018. OeStA/AdR, 06, VVSt, VA 39553, Gertrude Marle; VA 22.897, Erika Marle; OeStA/AdR, FLD für Wien, Niederösterreich und das Burgenland, Zl. 24.055, Gertrude und Erika Marle. Ebenda; vgl. auch WStLA, Mag. Abt. 119, A 41, VEAV, VIII/J – 1434, Gertrude Marle.

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100   Gabriele Anderl Reich. Vorher hatte das Finanzamt Innere Stadt West für ausständige Steuerforderungen (es ging um diskriminierende Abgaben, nämlich offene JUVA-Forderungen9) im Grundbuch ein Pfandrecht zugunsten des Deutschen Reiches einverleiben lassen. Wie aus dem Akt der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgendland (FLD) hervorgeht, hatten die Schwestern Marle bis in die späten 1950er Jahre keinen Antrag auf Rückstellung ihrer Liegenschaftsanteile eingebracht, weshalb die Sammelstellen A und B ein Rückstellungsverfahren nach dem Zweiten Rückstellungsgesetz einleiteten. Gemäß einem Feststellungsbescheid der FLD, Dienststelle für Vermögenssicherungs- und Rückstellungsangelegenheiten, vom 24. März 1959 und einem Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 2. Februar 1960 flossen die beiden Liegenschaftsanteile den Sammelstellen A und B zu.10 Am 28. Dezember 1938 brachte die Wiener Speditionsfirma Josef Popper bei der damaligen Zentralstelle für Denkmalschutz ein Ausfuhransuchen für Getrude Marle ein. Es ging um diverse Kunst- und Kulturgüter – Aquarelle und Ölbilder sowie kunstgewerbliche Objekte wie Vasen und einen Teppich. Ethnografika scheinen wiederum nicht auf. Die Ausfuhrbewilligung wurde zwar erteilt, doch fehlt auf dem Formular eine Bestätigung über den erfolgten Austritt der Fracht über die Grenze. In den Geschäftsbüchern der Vugesta findet sich allerdings kein Hinweis auf eine Beschlagnahme und Veräußerung der Gegenstände durch diese NS-Einrichtung.11 Erst durch die Korrespondenzen mit Marles Tochter Eve Blau anlässlich dieses Artikels konnten wichtige Eckdaten von Marles Biografie rekonstruiert und verschiedene unrichtige Informationen aus den Akten korrigiert werden.12 Nicht nur der »Anschluss« hatte eine tiefe Zäsur in ihrem Leben markiert, schon frühere – familiäre – Ereignisse müssen Gertrude Marle und deren Schwester Erika schwer belastet haben: Die 1890 als Marianne Schiller geborene Mutter und der 1890 geborene Vater, Richard Marle, waren zur Zeit des »Anschlusses« nicht mehr am Leben. Marianne Marle hatte 1935 Selbstmord begangen, ihr Ehemann war 1937 an einer Herzerkrankung gestorben. Josef Marle war laut Lehmann’s Adressbuch Handelsvertreter gewesen und hatte bis zu seinem Tod in der Piaristengasse 34 gewohnt. Wie Eve Blau betont, wurde der Nachname Marle nicht, wie teilweise in den Akten, Marlé, sondern ohne Accent geschrieben und dementsprechend ausgesprochen. Ihren 9

Die JUVA war die nach dem Novemberpogrom eingeführte »Judenvermögensabgabe«, auch »Sühneabgabe« genannt. 10 OeStA/AdR, FLD für Wien, Niederösterreich und das Burgenland, Zl. 24.055, Gertrude Marle. 11 BDA Archiv, Ausfuhr, Ausfuhransuchen der Spedition Josef Popper für Gertrude Marle, Zl. 156/1938. 12 E-Mail von Eve Blau an Gabriele Anderl, 30.3.2018.

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Rückgabebeschluss – und dann?   101

Vornamen änderte Marle erst im Zuge der Einbürgerung in den USA auf Gertrude ab. Im Taufschein scheint der Name Gertrud Wilhelmine Marle auf. Nach ihrer Eheschließung in den USA nannte sie sich Gertrude Marle Blau. Der Hinweis auf den Taufschein macht auch deutlich, dass Gertrude Marle nicht der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte, sondern nur gemäß den Nürnberger Gesetzen als »Jüdin« galt. Auch das in der Vermögensanmeldung angegebene Geburtsdatum ist nicht korrekt. Tatsächlich wurde Gertrude Marle am 28. (und nicht am 18.) Oktober 1918 geboren. Bertha Tugendthat Schiller scheint in der Vermögensanmeldung als »Vormund« auf. Es handelte sich um die Ehefrau eines Onkels mütterlicherseits, Dr. Walther Schiller. Die Wohnung in der Rathausstraße 3 hatte Gertrude Marles Großmutter gehört, der 1867 geborenen Leopoldine Schiller. Diese flüchtete mit ihrem Sohn Walter und dessen Familie nach dem »Anschluss« ebenfalls nach England, wo sie 1939 starb. Sowohl Marianne Schiller als auch ihre beiden Töchter hatten in Wien die berühmte Schwarzwaldschule besucht, die sich nach dem Tod von Marianne und Richard Marle mit besonderer Aufmerksamkeit der beiden Waisen angenommen hatte. Eugenie Schwarzwald, die Gründerin und Leiterin der Schule, war es auch, die den Schwestern nach der Flucht eine erste Beschäftigung in England vermittelte – an der Upper Chine School auf der Isle of Wight.13 Danach wurde Gertrude Marle an einem englischen College zur Lehrerin ausgebildet. Während der Bombardements von London im Zweiten Weltkrieg unterrichtete sie Kinder, die aus der Hauptstadt in die Grafschaft Devon im Südwesten der Insel evakuiert worden waren. 1947 heiratete Gertrude Marle in England den ebenfalls aus Wien stammenden George Erwin Blau (1911–1999), einen Sohn von Edith Khuner Blau (1890–1970) und dem Rechtsanwalt Dr. Gustav Blau (1882–1932). Ein Onkel von George Erwin Blau, der Lebensmittelfabrikant Paul Khuner, hatte im Semmeringgebiet, am Kreuzberg in Payerbach, 1930 von Adolf Loos das Landhaus Khuner errichten lassen, ein Spätwerk des Architekten, das heute unter dem Namen Looshaus als Hotel-Restaurant geführt wird. Der Name der Familie ist auch mit der Geschichte der Kunerolwerke AG in Wien-Atzgersdorf verbunden, die 13 Die Reformpädagogin Eugenie Schwarzwald, geborene Nußbaum (geboren 1872 bei Tarnopol, Galizien, gestorben 1940 in Zürich) hatte von 1895 bis 1900 an der Universität Zürich studiert – als Frauen an österreichischen Universitäten noch nicht zum Studium zugelassen waren. Ab 1900 lebte sie in Wien, wo sie als Schulleiterin ihre reformpädagogischen Konzepte – Gewaltfreiheit und Kreativitätsförderung sowie insbesondere die Förderung von Mädchen und jungen Frauen – realisierte. Der Salon von Eugenie und Hermann Schwarzwald war Treffpunkt zahlreicher Persönlichkeiten des Wiener Kulturlebens. Nach 1938 wurden Eugenie Schwarzwald und ihr Mann sowie die meisten ihrer Schülerinnen und Erzieherinnen von den Nationalsozialisten vertrieben. Zu Eugenie Schwarzwald siehe u. a.: Robert STREIBEL (Hg.), Eugenie Schwarzwald und ihr Kreis, Wien 1996.

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102   Gabriele Anderl vor allem Pflanzenfett aus Kokosnüssen erzeugten und 1929 Teil der Unilever GmbH wurden. George Erwin Blau war zunächst nach Frankreich geflüchtet. 1941 emigrierte er weiter in die USA, wo er die Staatbürgerschaft des Landes erwarb. Während des Zweiten Weltkriegs diente er in der US Army. Als er nach Kriegsende Gertrude Marle kennenlernte, trug er noch immer seine Uniform. Er wurde Militärhistoriker und Diplomat und veröffentlichte zahlreiche Bücher über Militärgeschichte, unter anderem über die letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs und die Nachkriegszeit in Deutschland. 1955 trat er eine Stelle als Militärhistoriker für das US-amerikanische Department of the Army in Deutschland an. Eve Blaus ältere Schwester kam 1948 in London zur Welt. Bald darauf übersiedelte die Familie in die USA und ließ sich in Virginia nahe Washington DC nieder. Eve Blau selbst wurde bereits dort geboren. Gertrude Marle studierte in den USA Germanistik und unterrichtete deutsche Literatur. Als sie in den 1960er Jahren mit ihrem Mann in Heidelberg lebte, gründete sie dort einen deutsch- und englischsprachigen bilingualen Kindergarten. Wie ihre Tochter berichtet, war Gertrude Marle sehr sprachbegabt. 1947 habe man ihr die Stelle einer Simultanübersetzerin bei den Nürnberger Prozessen angeboten, doch sie habe abgelehnt. George Erwin Blau lebte nach seiner Pensionierung im Jahr 1982 bis zu seinem Tod 1999 mit seiner Ehefrau in San Diego, Kalifornien. Danach übersiedelte Gertrude Marle nach Boston, in die Nähe ihrer Tochter Eve und deren Familie. Erika Marle, Gertrudes jüngere Schwester, heiratete den Engländer Brian Pimm, einen Londoner Pädagogen und Schulleiter. Der Ehe entstammen zwei Kinder, Peter Pimm, er ist Rechtsanwalt, und Nina Pimm, eine Lehrerin. Beide sind ebenfalls verheiratet und haben wiederum Kinder. »Erika Marle Pimm was an exceptional musician – a pianist and singer – with the London Philharmonic in the 1950s. She committed suicide in 1965«, schreibt Eve Blau über ihre Tante. Wie schon ausgeführt, eignen sich der Bogen und die neun Pfeile aus dem Weltmuseum Wien nicht dazu, den emotionalen Wert entzogener beziehungsweise restituierter Objekte für die Geschädigten und deren Nachkommen zu illustrieren. Dennoch bleibt weiterhin gültig, was etwa auch Christian Klösch im Hinblick auf das Technische Museum Wien festgestellt hat: »Alltagsgegenstände und technische Objekte sind durch ihre Nutzung direkt an die Person und deren ›Leben‹ gebunden. […] Der Öffentlichkeit mag es seltsam erscheinen, dass sich die Provenienzforschung auch diesen Objekten widmet, da der

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­ orschungsaufwand […] den materiellen Wert der rückzugebenden Objekte meist F weit übersteigt.«

Wenn aber Gegenstände den Nationalsozialisten wichtig genug waren, um sie zu entziehen, müssten dieselben Gegenstände auch der Republik Österreich bedeutsam genug sein, um sie ausfindig zu machen und zu restituieren.14 Dieser Feststellung Christian Klöschs ist ohne Einschränkungen zuzustimmen. Gleichermaßen ist die Überlegung, was mit einem zurückgegebenen Objekt in weiterer Folge geschieht, für die Frage der Restitution nicht von Relevanz. Dasselbe muss auch für die Sammlung prachtvoller Stickereien gelten, die am 17. September 2009 im Rahmen eines Festaktes im Museum für Völkerkunde an die Republik Ukraine zurückgegeben worden sind. Da dieser ansonsten völlig anders gelagerte Fall nicht unter das Kunstrückgabegesetz fiel, wurde eine Lösung auf zwischenstaatlicher Ebene angestrebt und gefunden. Die Textilien stammen ursprünglich von zwei ethnischen beziehungsweise religiösen Minderheiten auf der Krim: den Krimtataren sowie den Karäern (Karaiten), einer jüdischen Sekte. Sie waren 1944, während des Krieges gegen die Sowjetunion, von Dr. Fritz Manns, damals Kustos am Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums, in Simferopol auf der Krim »sichergestellt« und dem Museum für Völkerkunde »zur treuhändischen Verwahrung« übergeben worden.15 Die Krimtataren waren 1944 unter Stalin in die Uralregion, nach Sibirien und Usbekistan deportiert worden. Bis zu 45 Prozent der krimtatarischen Bevölkerung sollen infolge der Umsiedlungsmaßnahmen zu Tode gekommen sein; den Überlebenden und ihren Nachkommen wurde erst 1988 erlaubt, in ihre Heimat zurückzukehren. Infolge der Konflikte zwischen der Ukraine und Russland und der russischen Annexion der Halbinsel Krim im März 2014 hat sich die Situation der krimtatarischen Minderheit abermals drastisch verschlechtert.16

14 Christian KLÖSCH, Von »Russenbriefen« und Durchlauferhitzern. Provenienzforschung im Technischen Museum Wien mit Österreichischer Mediathek, in: Neues Museum 25/3–4 (2013), S. 26–32. 15 Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, Kulturbericht 2009, Wien 2009, S. 231; Gabriele ANDERL, »Sichergestellt« in Simferopol: Die Geschenke des Fritz Manns an das Museum für Völkerkunde in Wien, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN (Hg.), … wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), Wien-Köln-Weimar 2009, S. 460–477; Gabriele ANDERL, »Russenbriefe« und Textilien von der Krim: Die Rückgabe entzogenen Kulturgutes aus österreichischen Bundesmuseen an die Republik Ukraine, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 113/1 (2010), S. 89–94. 16 Zur Geschichte und Situation der Krimtataren siehe u. a. Ulrich HOFMEISTER, Kerstin JOBST (Hg.), Krimtataren, Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 28/1 (2017).

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104   Gabriele Anderl Im Fall der ebenfalls 2009 an die Ukraine übergebenen »Russenbriefe« aus dem Technischen Museum lässt sich die Spur der Objekte weiterverfolgen – es setzten intensive Forschungen in der Ukraine ein und in der Folge wurde dort eine Ausstellung zu dem Thema gestaltet. Bis heute konnte hingegen nicht festgestellt werden, was mit den an die Ukraine zurückgegebenen Objekten aus dem Museum für Völkerkunde in Wien geschehen ist, ob sie Vertretern der Krimtataren beziehungsweise einer ihrer Kulturinstitutionen übergeben und ob die von den Karäern stammenden Stickereien von den übrigen Textilien getrennt worden sind. Gänzlich unklar ist auch, in welcher Weise sich die politischen Entwicklungen der letzten Jahre auf diese Objekte ausgewirkt haben. Über die Besonderheiten, mit denen die Provenienzforschung in einem ethnologischen Museum konfrontiert ist, wurde bereits an anderer Stelle ausführlich berichtet.17 Der Auftrag der Provenienzforschung im Sinne des Kunstrückgabegesetzes ist dennoch derselbe, egal, ob es sich um das Weltmuseum Wien oder eines der Kunstmuseen handelt: Es geht um Objekte, die während oder infolge der NS-Herrschaft entzogen worden sind, nicht aber um in kolonialen Zusammenhängen geraubte oder in außereuropäischen Gebieten unter fragwürdigen Umständen erworbene Gegenstände. Sehr häufig werden diese Bereiche von der Öffentlichkeit und den Medien aber verwechselt oder vermischt. Dass in der jüngeren Vergangenheit auch seitens der Museumsleitung keine Klarstellung in dieser Richtung erfolgt ist, zeigt eine Stellungnahme des früheren Direktors, Steven Engelsman, in einem Interview mit der Tageszeitung Der Standard. Auf die Frage, wie das Museum mit Provenienz und Restitution umgehe, gab Engelsman folgende Antwort: »Die Sammlung wurde von der KHM-Provenienzstelle sehr gut erforscht. Es gab auch schon Restitutionsfälle. Ein neues Projekt läuft derzeit mit Nigeria, wo wir Objekte austauschen und in die Rotation schicken wollen. Das ist sicher zukunftsweisend.«18 Dass es sich nicht nur um eine missverständliche Verkürzung in der abgedruckten Form des Interviews gehandelt haben dürfte, legt eine inhaltlich sehr ähnliche Aussage der Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums, 17 Gabriele ANDERL, Ildiko CAZAN, Das Museum für Völkerkunde in Wien, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN (Hg.), … wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), Wien-Köln-Weimar 2009, S. 160–175; Gabriele ANDERL, Provenienzforschung am Museum für Völkerkunde in Wien, in: Archiv für Völkerkunde 59–60 (2009, erschienen 2012), S. 1–58; Gabriele ANDERL, Provenienzforschung und Kunstrestitution im Weltmuseum Wien, in: Neues Museum 25/3–4 (2013), S. 34–41. 18 Interview von Stefan Weiss mit Steven Engelsman, 23.10.1917, in: Der Standard, https://derstandard. at/2000066467889/Weltmuseum-Direktor-Man-muss-auch-Geschichten-liegen-lassen (8.8.2018).

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Sabine Haag, ebenfalls anlässlich der Neueröffnung des Weltmuseums Wien nahe. Auch Haag war in der Sendung Kulturmontag im ORF-Fernsehen auf das heute sehr brisante Thema angesprochen worden.19 Bettina Zorn, die Kustodin der Ostasienabteilung, betont demgegenüber, dass die Forschungen zu den Erwerbsumständen der außereuropäischen Objekte im Museum noch ganz am Anfang stehen: »Mit der Eröffnung des Weltmuseums Wien ist unsere diesbezügliche Pflicht nicht erledigt. Im Gegenteil: Wir müssen eigentlich erst beginnen, vermehrt an diesen Fragestellungen zu arbeiten.«20 Dass es sich um eine ebenso wichtige wie aufgrund der Quellenlage sehr schwierige und zeitintensive Aufgabe handelt, stellen auch andere Forscher_innen aus diesem Bereich fest.21 Das Fehlen ausreichender Informationen hat sich etwa auch auf die Provenienzforschung zur Sammlung von Anton und Walter Exner im Weltmuseum Wien sowie im MAK Wien nachteilig ausgewirkt. Eine wesentliche Frage in diesem Kontext war, welche Objekte die beiden Händler und Sammler vor Ort, also in Ostasien, erworben hatten und welche – unter möglicherweise problematischen Umständen – während der NS-Zeit im ehemaligen Österreich oder in anderen Gebieten unter deutscher Herrschaft. Diese Frage musste im Hinblick auf nahezu alle der vielen Artefakte dieser Sammlung unbeantwortet bleiben.22

19 »Wir wollen natürlich auch erzählen, wie diese Objekte nach Wien gekommen sind. […] Provenienzforschung ist ein ganz, ganz wichtiges Thema in den Museen. Wir haben, was das Weltmuseum anbelangt, letztes Jahr unsere Forschungen abgeschlossen. Und wir sind sehr interessiert natürlich, diesen Kontakt mit den Herkunftsländern zu haben.« Interview von Martin Traxler mit Sabine Haag, ORF 2, Kulturmontag, 23.10.2017. Die Frage des Moderators bezog sich konkret auf die »Trophäenjagd« und das Ausstellen von Trophäen im Zusammenhang mit ethnografischen Objekten. 20 Interview Gabriele Anderl mit Bettina Zorn, Wien, 7.3.2018. 21 Gabriele ANDERL, Wie viel kostet ein Buddha? Asiatische Altertümer auf dem europäischen Kunstmarkt, Dimensionen. Die Welt der Wissenschaft, ORF-Radio Ö1, 26.3.2018. 22 Unveröffentlichter Endbericht von Gabriele Anderl über die Provenienzforschung zur Sammlung Exner im MAK und im Weltmuseum, Kommission für Provenienzforschung, Wien 2016. Zur Sammlung Exner siehe Gabriele ANDERL, »Nicht einmal abschätzbarer Wert …«. Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten – und ihre Sammlung asiatischer Kunst in Wien, in: Eva Blimlinger, Heinz Schödl (Hg.), Die Praxis des Sammelns. Personen und Institutionen im Fokus der Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 5), Wien-Köln-Weimar 2014, S. 339–405.

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Provenienzforschung in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien Konstantin Ferihumer, René Schober

Anfang Oktober des Jahres 1907 fand an der Akademie der bildenden Künste Wien ein Ereignis statt, das zwar zur alljährlichen Routine zählte, aber für den Verlauf der Weltgeschichte drastische Folgen zeitigte. Der damals noch unbekannte Adolf Hitler bewarb sich um die Aufnahme zum Kunststudium. Im Akademie-Archiv haben sich dazu lediglich zwei Einträge in den sogenannten Classifications-Listen der Allgemeinen Malerschule erhalten. Darin sind sämtliche Bewerber1 aufgelistet – auch jene, die nicht zum Studium an der Akademie zugelassen worden waren – darunter: Adolf Hitler. 1907 beurteilte das Professorenkollegium seine Aufnahmewerke als ungenügend und führte als einzige Begründung »wenig Köpfe« an. Im Jahr darauf wurde er nicht mehr zum Probezeichnen zugelassen.2 Diese Entscheidung scheint 30 Jahre später, nach dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich, und nicht zuletzt auch für die seit 2013 in der Gemäldegalerie der Wiener Akademie im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung durchgeführten Recherchen, relevante Folgen gehabt zu haben. Es ist auffällig, dass dort zwischen 1938 und 1945 keine Werke erworben wurden. Dehnt man diesen Zeitraum auf 1933 bis 1945 aus, so ist lediglich das Legat des Ehepaars Johanna und August Albrecht-Hönigschmied in den Jahren 1935 bzw. 1937 als Neuzugang zu vermerken. Möglicherweise liegen die Gründe dafür an der geringen Größe und Außenwirksamkeit dieser Sammlung oder aber auch an Hitlers einstiger Ablehnung als Kunststudent. Denn sowohl die politisch-konforme Ausrichtung des damaligen Direktors der Gemäldegalerie, Robert Eigenberger,3 als auch das Bemühen um Zuweisung von entzogenem jüdischen Kul1 2 3

Frauen waren erst ab dem Wintersemester 1920/21 an der Akademie zum Studium zugelassen. Vgl. Walter WAGNER, Die Geschichte der Akademie der bildenden Künste in Wien, Wien 1967, S. 296. Vgl. UAAbKW, Allgemeine Malerschule, Classifications-Listen 1905-1911, Bd. 20, Schuljahre 1907/08, 1908/09. Herzlichen Dank an Ulrike Hirhager für das Bereitstellen der Archivalien. Robert Eigenberger war nach eigenen Angaben seit 1934 für die illegale NSDAP in Österreich tätig. Am 1.5.1938 wurde er in die Partei aufgenommen, wenige Monate später zum NS-Dozentenbundführer und im Sommer 1939 zum NS-Dozentenführer an der Wiener Akademie bestellt. Vgl. OeStA/AdR, BMU, Personalakt Robert Eigenberger, Lebenslauf, eigenhändig von Robert Eigenberger unterschrieben, o. D.; Standesausweis für Robert Eigenberger, o. D.; OeStA/AdR, Gauakt 306.009, Robert Eigenberger, Mitteilung der NSDAP-Reichsleitung an den Gauschatzmeister des Gaues Wien der NSDAP, Erich Schulze, 28.2.1941.

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108   Konstantin Ferihumer, René Schober turgut sind quellenmäßig belegbar. So beantragte Eigenberger im März 1939 bei dem damaligen Staatssekretär im Ministerium für Inneres und Kultur und späteren Sonderbeauftragten des Reichsmarschalls für die Sicherung der Kunst- und Kulturgüter in ehemals polnischen Gebieten, Kajetan Mühlmann, die Zuweisung von namhaften Gemälden aus den entzogenen jüdischen Sammlungen Rothschild, Goldmann und Haas.4 Die meisten dieser Gemälde, darunter solche von Peter Paul Rubens, Alessandro Magnasco und Lucas Cranach d. J., fielen aber unter den sogenannten »Führervorbehalt« und wurden dem geplanten Kunstmuseum in Linz zugeschlagen. Die einzig belegbare Zuweisung von Gemälden an die Wiener Akademie erfolgte zwei Jahre später. Das Rektorat beantragte am 6. August 1941 bei der Wiener Gestapo aus Mangel an Malleinwänden die Übergabe »von Bildermaterial das […] der Vernichtung anheimfallen soll[te]«.5 Zwei Tage später erhielt die Akademie »486 Bilder ohne Rahmen, teils Leinwand auf Blindrahmen, teils Holz und teils Karton«6 aus dem Lager der VUGESTA. Diese entstammten der Masse »der im Ausbürgerungsverfahren beschlagnahmten und eingezogenen Sachwerte«7 und sollten lediglich als Unterrichtsmaterial an der Wiener Akademie Verwendung finden. Das weitere Schicksal dieser Bilder lässt sich mangels vorhandener Unterlagen nicht mehr nachvollziehen. Aufgrund – abgesehen vom Legat Albrecht-Hönigschmied – fehlender Erwerbungen zwischen 1933 und 1945 konzentrierte sich die Provenienzforschung auf die Überprüfung jener Werke, die nach 1945 in den Sammlungsbestand gelangten. Laut Inventarbuch der Gemäldegalerie betrifft dies 198 Gemälde abzüglich von 53 Bildern, die entweder aufgrund der Datierung oder der Lebensdaten der Künstler_innen nach 1945 entstanden sind. Die Recherchen zur Provenienz umfassten eine Begutachtung der Gemälderückseiten, Nachforschungen im Inventarbuch, in hausinternem Quellenmaterial (Korrespondenzen, Rechnungen und Informationsmaterial zu den Erwerbungen u. dgl.) und im Akademie-Archiv. Zudem wurden auch externe Quellen aus verschiedensten Archive sowie Publikationen und Datenbanken für objekt- und personenbezogene Forschungen herangezogen. Die Recherchen ergaben, dass von den 145 im Hauptbestand geführten und für die Provenienzforschung relevanten Gemälden im Sinn des Kunstrückgabegesetzes 69 als unbedenklich und 76 mangels konkreter Quel4

5 6 7

Vgl. UAAbKW, Akt 292/1939, Abschrift eines Briefes des Rektors der AbKW Alexander Popp an Kajetan Mühlmann, 15.3.1939; Abschrift der Auflistung der aus dem Zentraldepot für jüdischen Kunstbesitz von Robert Eigenberger gewünschten Bilder, o. D. UAAbKW, Akt 711/1941, Abschrift eines Briefs des Rektors der AbKW Alexander Popp an die GESTAPO, 6.8.1941. UAAbKW, Akt 711/1941, Abschrift eines Briefs der GESTAPO an die AbKW, 8.8.1941. UAAbKW, Akt 711/1941, Brief der GESTAPO an die AbKW, 6.8.1941.

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Provenienzforschung in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien   109

len als offen zu beurteilen sind. Bei keinem Objekt konnte ein nationalsozialistischverfolgungsbedingter Entziehungshintergrund nachgewiesen werden. Im Rahmen der Provenienzforschung wurden auch die Bergungen und kriegsbedingten Verluste der Gemäldegalerie während des Zweiten Weltkriegs aufgearbeitet. Von rund 1.900 im Jahr 1938 inventarisierten Werken galten zu Kriegsende 640 infolge von Kriegseinwirkungen als zerstört oder verschwunden. Damit zählt die Gemäldegalerie zu jenen öffentlichen Wiener Kunstsammlungen mit den meisten Verlusten im Lauf und als Folge des Zweiten Weltkriegs. Zwar wurden zwischen 1939 und 1944 in mehreren Phasen Bestände in externe Bergungsorte ausgelagert, doch verblieb der Großteil der Sammlung mangels entsprechender Wertschätzung durch den Galeriedirektor und die zuständigen Behörden im Gebäude der Akademie. Im Zuge eines Bombentreffers am 12. März 1945 wurden dort 520 Kunstwerke zerstört. Weitere 120 Werke gingen in externen Bergungsorten in Niederösterreich verloren.8 Als geschlossene Bestandsgruppe waren für die Sammlung Johanna und August Albrecht-Hönigschmied die schwersten Verluste zu verzeichnen. Johanna AlbrechtHönigschmied war am 9. April 1935 in Wien verstorben9 und bestimmte die Gemäldegalerie testamentarisch zur Erbin ihrer umfangreichen Kunstsammlung.10 Das 595 Positionen umfassende Verzeichnis des Legats enthielt auch einige wenige Objekte aus dem Eigentum ihres Mannes August, welche nach dessen Tod am 30. September 193711 der Gemäldegalerie eingeantwortet wurden. Testamentarisch verfügt, erfolgte eine geschlossene Aufstellung des Sonderbestands Albrecht-Hönigschmied in den Räumlichkeiten der Gemäldegalerie am Schillerplatz, die vom Bombentreffer 1945 schwer beschädigt wurden. Mehr als 300 Objekte der Sammlung galten folglich als zerstört oder verschwunden.12 Zudem waren 172 Objekte vor 1945 in Bergungsstellen 8

Für eine detaillierte Darstellung der Bergungen, kriegsbedingten Verluste und deren Folgen siehe:­ René SCHOBER, »... da ihre Beschädigung keinen Verlust von unersetzlichen Kulturwerten darstellen würde«. Bergungen und Kriegsverluste der akademischen Gemäldegalerie im Zweiten Weltkrieg, in: Pia SCHÖLNBERGER, Sabine LOITFELLNER (Hg.), Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus, Mythen – Hintergründe – Auswirkungen (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 6), Wien 2016, S. 149–174. 9 Vgl. WStLA, BG Liesing, A4-A, Verlassenschaftsabhandlung Johanna Albrecht-Hönigschmied, Totenschein vom 15.4.1935. 10 Vgl. WStLA, BG Liesing, A4-A, Verlassenschaftsabhandlung Johanna Albrecht-Hönigschmied, Kodizill vom 11.5.1934. 11 Vgl. WStLA, BG Liesing, Verlassenschaftsabhandlung August Ritter von Albrecht-Hönigschmied, Totenschein vom 4.10.1937, Todfallsaufnahme vom 18.10.1937. 12 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 4/1, M. 1, Zl. 1363/47, Abschrift des Schreibens der AbKW an das Staatsamt für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und Kultusangelegenheiten, September 1945.

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110   Konstantin Ferihumer, René Schober gebracht worden, von denen nach Kriegsende 73 als Verlust vermerkt wurden.13 Damit blieb nur rund ein Drittel des ursprünglichen Legats an der Gemäldegalerie erhalten.14 Aufgrund der chaotischen Umstände der frühen Nachkriegsjahre schwankten jedoch die exakten Bezifferungen der tatsächlich vorhandenen Objekte des Sonderbestands. Nachdem in einer Kulanzlösung zwischen der österreichischen Finanzprokuratur und den Erb_innen nach August und Johanna Albrecht-Hönigschmied 53 besonders familienbezogene Objekte im Jahr 1995 an diese rückgestellt wurden,15 reduzierte sich die Anzahl der gegenwärtig noch in der Sammlung der Gemäldegalerie verbliebenen Kunstgegenstände auf rund ein Viertel der ursprünglich 595 Positionen. Der Bestand Albrecht-Hönigschmied ist Gegenstand aktueller Provenienzrecherchen. Während die Provenienzforschung in der Gemäldegalerie kurz vor ihrem Abschluss steht, befindet sich die Beforschung der Bestände des Kupferstichkabinetts noch in ihren Anfängen. Die grafische Sammlung umfasst etwa 40.000 Zeichnungen, 100.000 Druckgrafiken und 22.000 Fotografien, von denen seit 1933 insgesamt rund 25.000 Werke – überwiegend aus dem Kunsthandel und von Privatpersonen – erworben wurden. Anders als die Gemäldegalerie finden sich im Kupferstichkabinett nur in bedeutend geringerem Ausmaß hochpreisige Einzelstücke, deren Objektgeschichten im Idealfall bis zu deren Entstehung zurückzuverfolgen sind. Speziell im Fall der Druckgrafiken und Fotografien handelt es sich vielmehr um Blätter, die in größeren Auflagen produziert und zum Teil, aufgrund ihres niedrig angesetzten Verkaufswerts bzw. ihrer kleinformatigen Ausführung, in Konvoluten erworben und als solche auch in den historischen Inventaren verzeichnet wurden. Eine eindeutige Identifikation einzelner Objekte wird so aus heutiger Sicht erschwert. Daraus ergeben sich neue Herausforderungen und Perspektiven insbesondere für die methodische Vorgehensweise einer systematischen Provenienzforschung in grafischen Sammlungen wie jener des Kupferstichkabinetts.

13 Vgl. AbKW, Gemäldegalerie, Archiv, Sammelordner: »Bestandslisten A–H«, Mappe »Albrecht-Hönigschmied«, Sammlung J. u. A. Albrecht-Hönigschmied, Abschrift der Liste der geborgengewesenen Objekte, o. J., S. 1–4. 14 Vgl. AbKW, Gemäldegalerie, Archiv, Sammelordner: »Bestandslisten A–H«, Plastik-Schnellhefter, Sammlung Albrecht-Hönigschmied, Abschrift der Liste »erhaltener Bestand«, o. D. 15 Vgl. AbKW, Gemäldegalerie, Archiv, Aktenordner: Albrecht-Hönigschmied, Abwicklung 1996 + Unterlagen, Vereinbarung bezüglich der freiwilligen Übergabe ausgewählter Gegenstände aus dem Besitz der Gemäldegalerie der AbKW, 19.12.1995.

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museum moderner kunst stiftung ludwig wien1 Eva Blimlinger, Heinz Schödl

Bereits kurz nach dem Erlass des Kunstrückgabegesetzes 1998 wurde auch im mumok – museum moderner kunst stiftung ludwig wien mit Provenienzforschung begonnen, diese jedoch in den Anfängen nicht systematisch vertieft durchgeführt. Im Oktober 2011 wurde die Provenienzforschung wieder aufgenommen und bis Dezember 2016 weitgehend abgeschlossen. Auch die Bibliothek wurde beforscht und jeweils ein vorläufiger Gesamtbericht für die Sammlung sowie für die Bibliothek erstellt. Bei der ersten Übersicht, auf Basis der Vorarbeiten von Barbara Heiden-Kopf, konnten neben Einzelwerken vier größere Konvolute erfasst werden, die einer eingehendere Prüfung auch in ihrem internen Zusammenhang (d. h. nicht als Einzelobjekte) erforderten. Drei dieser Konvolute kamen bereits gemeinsam ans Museum (Schenkung Oberhuber 1978, Ankauf der Sammlung Kövesdy 1993 und Legat Sofie Fohn 1994). Das vierte besteht in der Schenkung des Ehepaars Dieter und Gertraud Bogner, die in den Jahren 2000–2010 sukzessive dem mumok übermittelt wurde. Status: Herkunft ungeklärt

Die 21 Werke aus der Sammlung Paul Kövesdy wurden am 25. Juni 1993 in New York erworben. Der Kontakt des mumok zu Kövesdy war über den ehemaligen Direktor Lóránd Hegyi zustande gekommen. Der ehemalige Sammlungsleiter des Museums, Wolfgang Drechsler, hatte von Hegyi die Auskunft erhalten, dass der Sammler die Kunstwerke bei den ungarischen Malern – es waren ausschließlich Männer – selbst erstanden hatte. Eine Überprüfung bei ungarischen Behörden war leider nicht möglich. Durch einen freundliche Mithilfe einer ungarischsprachigen Kollegin konnte im Zuge der Provenienzforschung ein Kontakt zum Ungarischen Nationalmuseum in Budapest hergestellt werden. Dort wurde die Auskunft gegeben, dass Kövesdy als Sammler bei den ungarischen Künstler_innen bekannt war und seine direkten Kontakte zu den Vertretern des ungarischen Expressionismus nicht anzuzweifeln seien. Tatsächlich fehlen jedoch weitere Unterlagen, um hier die Provenienzkette tatsächlich zu belegen. Ein Hinweis auf bedenkliche Provenienzen ist jedoch auch nicht vorhanden. 1

Der Artikel wurde auf Grundlage des vorläufigen Endberichts von Wiebke Krohn verfasst, die zwischen 2011 und 2016 im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung im mumok tätig war.

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112   Eva Blimlinger, Heinz Schödl Der Künstler Oswald Oberhuber, 1931 in Meran, Südtirol geboren, wurde 1973 zum Professor an die Hochschule für angewandte Kunst (heute Universität) in Wien berufen, der er bis zu seiner Emeritierung 1998 angehörte. Von 1979 bis 1987 und von 1991 bis 1995, leitete er als Rektor die Hochschule und baute in dieser Zeit eine umfassende Sammlung und ein Archiv auf. Nahezu alle Werke (41 Inventarnummern), die über Oswald Oberhuber aus einer Schenkung aus dem Jahr 1978 ans Museum gelangten, mussten genauer beforscht werden. Oswald Oberhuber übersandte 2007 eine präzisierte Liste, die weitere Namen von Schenkenden enthält – mit der Intention, so genauere Objektbeschreibungen in Ausstellungen und Katalogen zu ermöglichen. Für die Provenienzforschung ist der Erkenntniswert dieser Liste jedoch unerheblich: Oberhuber hatte die Werke selbst ausgewählt und dann Partner_innen gesucht, die sie für das Museum erwarben. Über diesen Brief hinausgehende Auskünfte waren leider nicht zu erwirken. Auch nach erneuter Bitte um Unterstützung durch Wolfgang Drechslers stand Oberhuber leider nicht für weitere Anfragen der Provenienzforschung zur Verfügung. Zwar sind nahezu alle Provenienzen ungeklärt, aber es ist davon auszugehen, dass auch hier keine bedenklichen Provenienzen vorliegen. Beispielhaft für eine geklärte Provenienz sei hier eine Arbeit von Uriel Birnbaum (geb. 1894 in Wien, gest. 1956 in Amersfoort) genannt, nämlich Szene (1928). In einem Brief an das mumok2 erläutert Mirjam Birnbaum, die Tochter des Künstlers, dass die sogenannte Szene (die richtigen Titeln lauten Auf einem anderen Stern, bzw. Wesen von anderen Sternen) aus dem Nachlass des Künstlers nach Wien kam: »Die bewusste Malerei im Museum ›Moderner Kunst‹ wurde höchstwahrscheinlich im Rahmen einer Verkaufsausstellung 1972 im Kunstkabinett, Wien verkauft. Leider ist mir der Käufer nicht bekannt. Dasselbe gilt für den ›Weg‹ der Lithographie. Die Bilder, die im Kunstkabinett ausgestellt waren, kamen sämtlich aus meinem Besitz, also ein direkter Weg.« Der besagte Käufer wird vermutlich Oswald Oberhuber gewesen sein. Nachdem sich die Werke 1972 noch im Eigentum und Besitz der Tochter Birnbaums befanden, ist die Herkunft geklärt und unbedenklich. Ein drittes zusammenhängendes Konvolut auf der Liste von 1998 stellen fünf Übereignungen aus dem Legat Sofie Fohns von 1994 dar. Das Sammler- und Künstlerpaar Sofie und Emanuel Fohn machte sich vor allem verdient, indem es Werke der von den Nationalsozialisten als »entartete Kunst« bezeichnete Werke erwarben und tauschten. Die Sammlung Sophie und Emanuel Fohn wurde 1964 der Bayerischen Staatsgemäldesammlung geschenkt. Sophie Fohn richtete nach dem Tod ihres Mannes 2

Archiv mumok, Mirjam Birnbaum am 23.10.1998 an v. d. Heiden-Kopf.

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museum moderner kunst stiftung ludwig wien   113

die Emanuel und Sophie Fohn-Stipendienstiftung zur Förderung von höchstbegabten Studierenden aus Österreich und Südtirol ein. Diese Stiftung wird seit 2018 von der Akademie der bildenden Künste Wien verwaltet. Der größte Teil der Kunstsammlung Sofie und Emanuel Fohn war durch Tausch von Werken aus dem 18. und 19 Jahrhundert gegen sogenannte »entartete Kunst«, die die NS-Behörden aus deutschen Museen beschlagnahmt hatten, zustande gekommen. Aus diesem Grund wurden 2012 im mumok Vergleiche mit den Tauschlisten unternommen, die in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen vorliegen. Auf Basis der Untersuchung dieser Listen ist festzustellen, dass keines der im mumok befindlichen Werke aus dem Legat von Sofie Fohn aus einem dieser Tauschhändel stammt. Ferner ließen sich – anhand inzwischen gesammelt publizierter Kataloge der Galerien Alfred Flechtheims – sieben Werke auf der Liste von Oberhuber identifizieren, die dort ausgestellt, angeboten oder im Eigentum Flechtheims befindlich gewesen sein könnten. Zu diesen Werken wurde im Oktober 2012 der Kommission für Provenienzforschung Auskunft erteilt. Eindeutige Hinweise, dass diese Objekte in einem Zusammenhang mit Flechtheim oder dessen Galerien gestanden haben, ließen sich nicht auffinden. Die umfassendste Recherche im mumok fand jedoch für das Bild George Grosz Bündnis/Andenken (1931)3 aus der Sammlung Flechtheim statt. Das Gemälde wurde im Jahr 1986 vom museum moderner kunst stiftung ludwig wien aus dem Wiener Kunsthandel erworben. Zuvor, 1984, war das Gemälde in München versteigert worden. Hinsichtlich der Vorprovenienz konnte eruiert werden, dass das Gemälde von George Grosz (1893–1953) am 27. April 1931 dem Kunsthändler Alfred Flechtheim (1878–1937) unter der Nummer B 13094 in Kommission gegeben und bei einer Ausstellung in Brüssel im Mai 1932 gezeigt worden war. 1936 hatte Alfred Flechtheim das Gemälde (mit insgesamt 24 Gemälden und 47 Aquarellen) zu Ausstellungs- und Verkaufszwecken in die Amsterdamer Kunsthandlung von Carel van Lier gebracht. In einem Schreiben vom 15. April 1936 berichtete Alfred Flechtheim an George Grosz, der sich bereits seit 1932 in den USA befand, dass die Werke sowohl in den Niederlanden als auch in England schlecht verkäuflich seien. Er merkte in diesem Schreiben auch an,

3

Vgl. dazu Wiebke KROHN, »Eine Gemengelage, die auch die moderne Provenienzforschung nicht auflösen kann« Besitzverhältnisse in der Sammlung und den Galerien Alfred Flechtheims, in: Eva Blimlinger, Heinz Schödl (Hg.), Die Praxis des Sammelns. Personen und Institutionen im Fokus der Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 5), Wien-Köln-Weimar 2014, S. 221–240.

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114   Eva Blimlinger, Heinz Schödl dass die Aquarelle und Ölbilder ihm von George Grosz »als Sicherheit«, offenbar für bereits geleistete Vorschüsse, übereignet worden seien. Flechtheim, der von den Nationalsozialisten verfolgt wurde, war im Mai 1933 über die Schweiz nach Frankreich und schließlich nach England geflüchtet, wo er 1937 verstarb. Die in der Kunsthandlung Carel van Lier verbliebenen Werke wurden als »Nachlass Alfred Flechtheim« bei der Amsterdamer Kunsthandlung S. J. Mak van Waay zur Auktion eingebracht, wo das gegenständliche Gemälde von Carel van Lier zum Preis von 20,- Gulden bei einer Versteigerung am 1./2. Februar 1938 erworben wurde. Zum weiteren Verbleib des Gemäldes lassen sich nach den derzeit vorliegenden Unterlagen keine Feststellungen treffen.4 Der Kunstrückgabebeirat entschied sich gegen eine Rückgabe, da die Versteigerung bzw. der Erwerb des Gemäldes durch Carel von Lier jedenfalls außerhalb des Herrschaftsgebietes des Deutschen Reiches stattfand, weil zu diesem Zeitpunkt die Niederlande noch nicht unter deutscher Besetzung standen.

4

Vergleiche dazu Beschluss des Kunstrückgabebeirats vom 8. März 2013 http://www.provenienzforschung. gv.at/de/grosz_george-_-flechtheim_alfred_2013-03-08/ (17.6.108).

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Work in progress: 17 Jahre Provenienzforschung an der Österreichischen Nationalbibliothek Margot Werner

»Damit wird wertvolles deutsches Kulturgut vornehmlich der Ostmark aus jüdischem Besitze in staatlichen übergeleitet und der Allgemeinheit erhalten bleiben.«1

Dieser Satz des NS-Generaldirektors und SS-Standartenführers Paul Heigl steht symptomatisch für das Verhalten der Nationalbibliothek in der NS-Zeit und fasst die »Erwerbungspolitik« der Jahre 1938 bis 1945 treffend zusammen. Heigls gute Beziehungen zu Gestapo, SS und SD waren zweifellos seiner offensiven Erwerbungspolitik in den folgenden Jahren dienlich. Wie viele beschlagnahmte Bücher und Sammlungsobjekte in der NS-Zeit insgesamt in die Nationalbibliothek eingebracht wurden, ist heute nicht mehr mit Sicherheit zu beantworten: Allein jene Fälle namentlich bekannter vormaliger Eigentümer, zu welchen auch Akten nachweisbar sind, umfassen aber mindestens 150.000 Druckschriften und rund 45.000 Sammlungsobjekte. Rechnet man nun die anonym von der Gestapo eingebrachten Objekte hinzu, so erhöht sich diese Zahl – vorsichtig geschätzt – auf das Doppelte. Das heißt also, es ist zwischen 1938 und 1945 von einem Zuwachs von 400.000 bis 500.000 beschlagnahmten Objekten auszugehen. Bald nach Kriegsende wurde mit der Restitution der oft noch unbearbeiteten und als Einheit in den Magazinen lagernden Sammlungen begonnen. Die Rückgaben waren aber generell auf Geschädigte, die aktiv ihren Rückstellungsanspruch geltend machten beschränkt − vor allem hinsichtlich der zahlreichen einsignierten Werke unbekannter Voreigentümer_innen, konnte in der Nachkriegszeit keine Lösung gefunden werden.

1

ÖNB Archiv, Zl. 446/1940, Paul Heigl an den RM f. Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung im Zuge der Beschlagnahme der Sammlung und Bibliothek des Theaterwissenschafters Fritz Brukner, 6.8.1940.

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116   Margot Werner Provenienzforschung und Rückstellungsbemühungen der Gegenwart

Im Jahr 1950 waren die Restitutionen aus der Österreichischen Nationalbibliothek eingestellt worden − ungeachtet der Tatsache, dass noch zahlreiche unrechtmäßig erworbene Bücher und auch Sammlungsobjekte in den Magazinen lagerten. Erst mit Erlass des Österreichischen Kunstrückgabegesetzes (BGBl 181/1998) wurde das Thema der unerledigten Restitutionen wieder aufgegriffen. Um einen Eindruck von der Größenordnung des in den Jahren 2002–2003 an der Österreichischen Nationalbibliothek durchgeführten Projekts zu vermitteln, scheint es geboten, zu allererst die Rechercheergebnisse zu nennen: 52.403 Einzelobjekte – Bücher, Fotos, Negative, Autografen, Handschriften, Karten und Musikalien – mussten nach Abschluss der Erhebungsarbeiten als bedenkliche Erwerbungen der NS-Zeit, oder deutlicher gesagt: als gestohlen, eingestuft werden. Im Zuge des Projekts wurde nachgeholt, was in der Nachkriegszeit verabsäumt wurde: Eine Generalautopsie aller fraglichen Bestände in den Magazinen der Druckschriftenabteilung und der heute acht Sondersammlungen: Rund 200.000 Objekte − 150.000 Bände Druckschriften und 50.000 Sammlungsobjekte − wurden einer Überprüfung unterzogen. Jedes einzelne dieser Bücher, Autografen und Handschriften musste in die Hand genommen und auf eventuelle Hinweise von Voreigentümer_innen überprüft werden. Praktisch gestaltete sich die Arbeit so, dass zwei Mitarbeiterinnen, ausgerüstet mit Digitalkamera und Laptop, fast ein Jahr in den Magazinen zubrachten, um vor Ort die Ergebnisse der Autopsie festzuhalten und unbekannte Besitzzeichen online zur Identifizierung an Expert_innen, Opferschutzorganisationen und ebenfalls mit Provenienzforschung befasste Partnerinstitutionen zu versenden. Im Gegensatz zu Werken der bildenden Kunst müssen Provenienzforscher_innen in Bibliotheken auf Hilfsmittel wie Werkverzeichnisse, Auktionskataloge und Objektbeschreibungen in der Literatur verzichten. Etwas besser stellt sich die Situation bei wertvolleren Objekten, wie etwa Handschriften und Inkunabeln, dar. Bibliotheken sind bei der Recherche nach der Herkunft eines Objekts also auf hausinterne Inventare, Eingangsbücher und Archivalien angewiesen. Als unschätzbare Quelle erwies sich dabei das weitgehend vollständig erhaltene Archiv der Generaldirektion. Zuweisungen größerer und wertvoller Bibliotheken und Sammlungen sind gut dokumentiert. Schlecht bis überhaupt nicht dokumentiert ist hingegen die Zulieferung jener Unzahl an Druckschriften und Sammlungsobjekten, die aus kleinen Sammlungen vertriebener oder deportierter Verfolgter stammt.

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120   Margot Werner ben wurden. Die Österreichische Nationalbibliothek ist damit ihrem Ziel, der vollständigen Rückgabe aller noch im Haus befindlichen geraubten Objekte, bereits sehr nahe. Die Themen Provenienzforschung und Restitution nehmen auch abseits der konkreten Recherchen nach wie vor einen hohen Stellenwert in der Österreichischen Nationalbibliothek ein. Um der interessierten Öffentlichkeit das Schicksal Verfolgter, das sich hinter anonym eingelieferten Büchermassen verbirgt, vor Augen zu führen und mit dem Anspruch eines offenen Umgangs mit der NS-Vergangenheit des Haues, initiierte Generaldirektorin Johanna Rachinger die bis dahin erste Ausstellung zum Thema Bücherraub: Unter dem Titel Geraubte Bücher. Die Österreichische Nationalbibliothek stellt sich ihrer NS-Vergangenheit präsentierte das Haus 2004 eine publikumswirksame Zusammenstellung der Ergebnisse der Provenienzforschung. 2006 legten Murray G. Hall und Christina Köstner ein umfassendes Werk über die Geschichte der Nationalbibliothek in der NS-Zeit mit dem Titel »... allerlei für die Nationalbibliothek zu ergattern...«. Eine österreichische Institution in der NS-Zeit vor und 2008 widmete die Österreichische Nationalbibliothek anlässlich der Restitution einer über 20.000 Fotos umfassenden Sammlung dem Thema NS-Raub erneut eine Ausstellung: Mit Zur Erinnerung an schönere Zeiten. Bilder aus der versunkenen Welt des jüdischen Sammlers Raoul Korty wurde anhand von persönlichen Dokumenten und der großen Fotosammlung dem Schicksal des 1944 ermordeten Sammlers gedacht. Nicht zuletzt ist zu erwähnen, dass Generaldirektorin Rachinger unmittelbar nach Vorlage des Provenienzberichts im Jänner 2004 den Auftrag zur Aufarbeitung des Archivs der Österreichischen Nationalbibliothek erteilte. Alle historischen Akten, insbesondere aber der Aktenbestand zur NS-Zeit, sollten im Sinne der größtmöglichen Transparenz Forscher_innen zugänglich gemacht werden. Das Projekt ist mittlerweile weit fortgeschritten, sämtliche Verwaltungsakten der NS-Zeit, inklusive des Bestandes zu Vermögensentzug und Restitution, stehen detailliert erschlossen über den OnlineKatalog der Österreichischen Nationalbibliothek zur Verfügung. Exemplarisch soll an dieser Stelle ein Restitutionsfall geschildert werden, der für so viele andere vergleichbare Fälle steht, zu denen die NS-Bürokratie den heutigen Forscher_innen umfangreiches Aktenmaterial hinterlassen hat, das Zeugnis über die bürokratische Gleichgültigkeit der NS-Enteignungsmaschinerie gibt: Die Enteignung der Autografensammlung Dr. Otto Frankfurter

Otto Frankfurter (21. März 1875 − 8. Februar 1946) hatte in fünfzigjähriger Sammeltätigkeit eine beeindruckende Kollektion an Autografen österreichischer Prominenz

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des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts angelegt.3 Als Jude im Sinne der »Nürnberger Gesetze« erkannte er die sich zuspitzende Gefahr und plante bereits im Sommer 1938, zu emigrieren. In Vorbereitung seiner erzwungenen Auswanderung richtete er im Juli 1938 ein Ausfuhransuchen an die Zentralstelle für Denkmalschutz,4 die ihrerseits das Archivamt (vor und nach der NS-Zeit das Haus-, Hof- und Staatsarchiv) mit der Causa befasste. Dort erkannte man rasch den Wert der Sammlung: Der NS-Direktor des Archivamts, Ludwig Bittner, fasste in einem Schreiben an die Zentralstelle für Denkmalschutz seine Bewertung zusammen und zögerte auch nicht, zugleich einen Vorschlag für die Zweckbestimmung der Sammlung zu unterbreiten: »[D]ie Sammlung [ist] in der Tat reichhaltig, interessant und für das letzte Jahrhundert historisch und kulturgeschichtlich wertvoll und im besonderen die in ihr enthaltenen zahlreichen Autographen und sonstigen Materialien jüdischer Personen […] der Forschungsabteilung ›Judenfrage‹ des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands in München […] sehr zustatten käme.«5 Frankfurter hatte sich nach seiner Verhaftung durch die Gestapo dem Druck gebeugt und »dem Wunsche der verehrlichten Direktion folgend«, 6 elf besonders wertvolle Stücke dem Archivamt geschenkt sowie die Überlassung der gesamten Autografensammlung für die Gewährung einer Ausfuhrgenehmigung für nur 350 Einzelstücke, in Aussicht gestellt.7 Der Übergabevertrag, von dem die Ausfuhrbewilligung der restlichen Stücke abhängig gemacht worden war, konnte allerdings nicht mehr abgeschlossen werden: Frankfurter floh unmittelbar nach seiner Freilassung durch die Gestapo nach England.8 Seine Sammlung, verpackt in 82 Paketen, verblieb damit also weiterhin im Archivamt, »ein Ankauf von öffentlicher Seite« wurde von der Zentralstelle für Denkmalschutz »wärmstens befürwortet«.9 Im Frühjahr 1939 wurde die Autografensammlung schließlich an die beiden in Frage kommenden Interessenten, die Nationalbibliothek 3 4 5 6 7 8 9

BDA, Restitutionsmaterialien, Kt. 35, Mappe 5, Zl. 236/1938, Archivamt an Zentralstelle f. Denkmalsschutz, 25.7.1938. BDA, Ausfuhrangelegenheiten, Zl. 2683/1938. BDA, Restitutionsmaterialien, Kt. 35, Mappe 5, Zl. 236/1938, Archivamt an Zentralstelle f. Denkmalsschutz, 25.7.1938. HHStA, Zentralstelle für Denkmalschutz, Zl. 2581/1938, Frankfurter an Archivamt, 14.7.1938. BDA, Restitutionsmaterialien, Kt. 35, Mappe 5, Zl. 236/1938, Archivamt an Zentralstelle f. Denkmalsschutz, 25.7.1938. BDA, Restitutionsmaterialien, Kt. 35, Mappe 5, Zl. 236/1938, Archivamt an Zentralstelle f. Denkmalsschutz, 25.7.1938. BDA, Restitutionsmaterialien, Kt. 35, Mappe 5, Zl. 4223/1938, Zentralstelle für Denkmalschutz an HHStA, 16.12.1938.

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122   Margot Werner und die Städtischen Sammlungen, zur Begutachtung entlehnt. Über den letztendlichen Verbleib der Autografensammlung informiert eine Aktennotiz vom 11. April 1939: »Die Slg. Frankfurter befindet sich in der Nat. Bibl. zum Verkauf.«10 Im Juli 1939 erwarb die Handschriftensammlung der Nationalbibliothek 9.715 Autografen aus dem Besitz Frankfurters um den Kaufpreis von 900,- RM11 der, wie einer Aktennotiz zu entnehmen ist, höchstwahrscheinlich zur Deckung der Judenvermögensabgabe an das Finanzamt abzuführen war. Die übernommenen Autografen wurden von der Handschriftensammlung noch im Jahr 1939 durch Inventarisierung in ihren Bestand aufgenommen. Nach Kriegsende wandte sich Otto Frankfurters Witwe Henriette − er selbst war bereits im Februar 1946 in London verstorben − an die Österreichische Nationalbibliothek12 und bot der Handschriftensammlung an, ihre Rückstellungsansprüche gegen Aufzahlung auf den tatsächlichen Wert der 1939 zwangsweise verkauften Sammlung fallen zu lassen. Nach längeren Verhandlungen erklärte sich die in London lebende Frau Frankfurter dann allerdings bereit, der Handschriftensammlung 6.612 als Austriaca bezeichnete Autografen als Leihgabe zu überlassen, weitere 3.055 Stück wurden hingegen an sie restituiert. Die bereits 1939 inventarisierten Objekte wurden nach dem Abschluss des Leihgabevertrags – von dem bis heute jede Spur fehlt – aber nicht in den Inventaren als Leihgabe gekennzeichnet. Dieses Versäumnis führte dazu, dass die als Leihgabe übernommenen Objekte nach wie vor als Eigentum der Österreichischen Nationalbibliothek betrachtet wurden. Henriette Frankfurter kehrte nicht mehr nach Österreich zurück, sie starb im Jahr 1954 in London. Die höchst fragliche Leihgabe wurde in den folgenden 55 Jahren ebenso wenig zurückgefordert wie 51 Porträtfotografien, die offenbar von der Autografensammlung getrennt dem Bildarchiv der Nationalbibliothek übergeben worden waren. Nach umfangreichen Recherchen durch die Anlaufstelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien konnten schließlich die rechtmäßigen Erben Otto Frankfurters – die erwartungsgemäß erstaunt über die Leihgabe waren – in der Schweiz ermittelt und die gesamte Sammlung im Jahr 2005 an sie restituiert werden.

10 BDA, Restitutionsmaterialien, Kt. 35, Mappe 5, Zl. 4759/1938, Aktendeckel. 11 ÖNB HAN, Zuwachsbuch der Handschriftensammlung III, fol. 101 r. 12 ÖNB Archiv HAN, Monatsbericht Dezember 1950, 2.1.1951.

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»Eine naturwissenschaftliche Sammlung verhält sich eben ganz anders, als ein Kunstmuseum …« – Provenienzforschung im Naturhistorischen Museum Wien Alexandra Caruso, Katja Geiger, Dario Luger, Marcus Rößner

Nach Verabschiedung des Kunstrückgabegesetzes im Jahre 1998 begann auch das Naturhistorische Museum (NHM), sich intensiver mit der Geschichte des Hauses während der NS-Zeit auseinanderzusetzen. Zunächst war es eine Mitarbeiterin des Hauses, die – im Auftrag des Archivs für Wissenschaftsgeschichte im NHM unter der Leitung von Christa Riedl-Dorn und finanziert durch die Kommission für Provenienzforschung – die Archivlage sowie die Erwerbungen zwischen 1938 und 1945 unter die Lupe nahm und bereits 2001 einen vorläufigen Endbericht vorlegte.1 Ab 2005 entsandte die Kommission mit Dieter Hecht einen eigenen Provenienzforscher an das Haus. Riedl-Dorn und Hecht haben im ersten Jubiläumsband der Kommission ihre Forschungsergebnisse publiziert.2 An dieser Stelle soll einleitend kurz auf die Arbeit von Claudia Spring hingewiesen werden, die Hecht 2008 in der Provenienzforschung im NHM nachfolgte. Spring griff mehrere von Hecht begonnene Recherchen auf – etwa die Fälle Zarfl und Hersch –, zu denen sie Dossiers erstellte, die dem Kunstrückgabebeirat zur Beschlussfassung vorgelegt wurden.3 Die Fälle Zarfl und Hersch illustrieren auch die Herausforderungen, die sich für die Provenienzforschung an einem Naturkundemuseum aufgrund der Dokumentation er1 2

3

Katharina ZWIAUER, Abschlussbericht Provenienzforschung im Naturhistorischen Museum Wien, unveröffentlichtes Typoskript, Wien 2001. Christa RIEDL-DORN, Von Leermeldungen zu achtzehn Dossiers – Zehn Jahre Provenienzforschung am Naturhistorischen Museum, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN (Hg.), … wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1) Wien 2009, S. 176–194; Dieter J. HECHT, Archäologe und Numismatiker. Die Arisierung der prähistorischen Sammlung von Robert Wadler durch das Naturhistorische Museum Wien, in: ebd., S. 431–441. Die Anthropologie wurde von der allgemeinen Provenienzforschung ausgeklammert, da eine eigenständige Erforschung der Bestände im Zuge des Senatsprojektes Untersuchungen zur Anatomischen Wissenschaft 1938–1945 durchgeführt wurde. Siehe dazu die Homepage der Kommission für Provenienzforschung http://www.provenienzforschung. gv.at/de/ (3.4.2018). Für Auskünfte und Unterstützung sei Dieter Hecht und Claudia Spring herzlich gedankt.

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124   Alexandra Caruso, Katja Geiger, Dario Luger, Marcus Rößner geben können: Zwar ist in beiden Fällen der Eingang der geologisch-paläontologischen Gegenstände ins Museum im Einlaufbuch vermerkt, anschließend wurden die Objekte jedoch nicht inventarisiert, sondern »zu den bereits vorhandenen Tranchen gelegt«.4 Am umfangreichsten gestalteten sich die weiterführenden Untersuchungen Springs zu Objekten aus dem Besitz des Botanikers Ernst Moriz Kronfeld, die auf drei Abteilungen des Museums sowie auf die Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebsgesellschaft und die Bundesgärten Schönbrunn ausgedehnt wurden. Von jeder dieser Einrichtung waren in den 1980er Jahren Gegenstände aus dem ehemaligen Besitz Kronfeld erworben worden. Insgesamt konnten dem Beirat im Fall Kronfeld fünf Dossiers vorgelegt werden.5 Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt Springs bestand in der Durchsicht einzelner Abteilungs- und Sammlungsbibliotheken im NHM nach in der NS-Zeit entzogenen Büchern. Claudia Spring verließ die Provenienzforschung im NHM im Jahr 2014. Ein Jahr lang durchsuchte Lisa Frank noch die zoologische Hauptbibliothek des Museums nach entzogenen Büchern. Von der Provenienzforschung im NHM wurden bis 2014 insgesamt 25 Dossiers und Berichte zur Vorlage an den Kunstrückgabebeirat verfasst, acht davon von Spring.6 Schwierigkeiten für die Provenienzforschung im NHM stellen neben der Größe des Hauses (neun autonom geleitete Abteilungen), dem enormen Umfang der Bestände (ca. 30 Millionen Sammlungsobjekte), dem Fehlen einer zeithistorisch-wissenschaftsgeschichtlich orientierten Hausgeschichte,7 auch noch die abteilungs- bzw. sammlungsspezifischen Gepflogenheiten der Inventarisierung dar. Außerdem konstatierten alle seit der Erlassung des Kunstrückgabegesetzes im NHM tätigen Provenienzforscher8 augenfällige Lücken in den Akten für den Zeitraum 1938–1945. Die aus diesen

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Beschluss Zarfl Gertrude, http://www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Zarfl_Gertrude_2009-09-11.pdf (3.4.2018). Beschlüsse zu Moritz Kronfeld aufgrund der von Claudia Spring verfassten Dossiers, vgl. http://www. provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Kronfeld_ErnstMoriz_2009-01-23.pdf; http://www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Kronfeld_ErnstMoriz_2011-09-29.pdf (beide 3.4.2018); http://www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/KronfeldErnstMoritz_2011-06-10.pdf; Claudia SPRING, Die Aktualität der Vergangenheit: Rückgabe von NHM-Sammlungen, in: Universum/Das Naturhistorische 9 (2011), S. 70–71. Aus den Dossiers resultierte eine Reihe von Rückgaben. Siehe dazu http://www.provenienzforschung. gv.at/de/empfehlungen-des-beirats/ (3.4.2018). Siehe dazu auch RIEDL-DORN 2009, S. 177: »Die Darstellung des Naturhistorischen Museums in der Zeit von 1938 bis 1945 gestaltet sich schwierig, da eine umfangreiche Bearbeitung bisher fehlt«. Kurzfristig war außerdem der Historiker Philipp Mettauer gemeinsam mit Spring für die Kommission für Provenienzforschung im NHM tätig.

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»Eine naturwissenschaftliche Sammlung verhält sich eben ganz anders, als ein Kunstmuseum …«   125

Jahren erhaltenen Akten im Archiv für Wissenschaftsgeschichte »haben zusammengenommen einen geringeren Umfang als bis dahin jene eines Jahres«, beschrieb RiedlDorn die Quellenlage im NHM.9 Zu bedenken bleibt auch, dass angesichts der Diversität der Sammlungen des Museums, die Provenienzforschung aufgefordert ist, sich jeweils mit sehr unterschiedlichen Objektbiografien und Objektwertigkeiten zu beschäftigen. So zählen die Sammlungen der Prähistorischen Abteilung und des Archivs für Wissenschaftsgeschichte nicht zu den naturwissenschaftlichen Sammlungen, sondern gehören wie die entsprechenden Fakultäten an den Universitäten zu den Geisteswissenschaften.10 Auch die anthropologischen Sammlungen und Sammlungen von »Human Remains« sind anders gelagert. Die Erforschung des Unrechtskontexts, aus dem die anthropologischen Sammlungen und Sammlungen menschlicher Überreste potenziell entstammen, erlangt seit einigen Jahren zunehmend die Bedeutung, die ihr aus moralisch-ethischen Gründen auch zusteht.11 Seit Oktober 2017 untersucht ein neues Team die Bestände der Mineralogisch-Petrographischen Abteilung. Besonderheiten und Herausforderungen naturkundlicher Sammlungen

In naturkundlichen Sammlungen muss sich die Provenienzforschung mit einem im Vergleich zu Kunstmuseen grundlegend anderen Verständnis von Objekten sowie von deren Dokumentation auseinandersetzen. Während an nicht-naturkundlichen Museen die Provenienz eines Objekts Teil des Forschungsinteresses von Kustod_innen ist, ist die Herkunft der Objekte im Sinne der Provenienzforschung – sprich Eruieren der Vorbesitzer_innen, Rekonstruktion der Erwerbs- und womöglich Entzugsvorgänge – in Naturkundemuseen für die dort stattfindende wissenschaftliche Forschung weniger wichtig. Objekte werden vorranging wegen ihres wissenschaftlichen Aussagewertes und entlang der Forschungsinteressen der Museumsabteilungen erworben oder selbst gesammelt. Wesentlich ist eine genaue Dokumentation der geografischen Herkunft 9 RIEDL-DORN 2009, S. 181. 10 http://www.nhm-wien.ac.at/forschung/praehistorie (10.4.2018). 11 Vgl. Holger STOECKER, Thomas SCHNALKE, Andreas WINKELMANN (Hg.), Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen, Berlin 2013; Margit BERNER, Anette HOFFMANN, Britta LANGE, Sensible Sammlungen. Aus dem anthropologischen Depot, Hamburg 2011, http://www.museumsbund.de/wp-content/ uploads/2017/04/2013-empfehlungen-zum-umgang-mit-menschl-ueberresten.pdf/ (10.4.2018).

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126   Alexandra Caruso, Katja Geiger, Dario Luger, Marcus Rößner und der natürlichen Zusammenhänge, aus denen ein Objekt entnommen worden ist. Kenntnisse über etwaige Voreigentümer_innen sind hingegen im Sinne der naturwissenschaftlichen Interessen der Sammlungsleiter_innen von untergeordneter Bedeutung. Besonders anschaulich wird dieser Umstand in einem Zitat eines Geologen und Paläontologen am NHM, der im Kontext der 1942 durchgeführten Bergungsarbeiten im Museum zur Frage danach, welche Objekte vorrangig in Sicherheit zu bringen seien, konstatierte: »Eine naturwissenschaftliche Sammlung verhält sich eben ganz anders, als ein Kunstmuseum. Ihr Wert liegt viel weniger im Besitz besonders kostbarer Einzelstücke, als in dem Reichtum an Aufsammlungen aus aller Welt, die es erlauben, ausgedehnte Vergleiche zu ziehen und umfassende wissenschaftliche Fragen zu untersuchen.«12 Der Reichtum der Sammlungen des NHM liegt demnach nicht in erster Linie im finanziellen Wert der Objekte, sondern in deren wissenschaftlicher Bedeutung. Die Wahrnehmung von Ausstellungs- und Sammlungsstücken als Objekte von mitunter geringem oder gar keinem Wert in Naturkundemuseen bestimmt den weiteren Umgang der Wissenschaftler_innen mit diesen Objekten im Hinblick auf deren Dokumentation und Inventarisierung und ist dementsprechend auch für die Provenienzforschung ein zu berücksichtigender Aspekt. Der Wert wissenschaftlicher Objekte ist jedoch auch nicht nur abstrakt-ideeller Art.13 Laut der Wissenschaftshistorikerin Kerstin Pannhorst ist dieser im naturwissenschaftlichen Kontext von vergleichbaren Faktoren wie bei anderen Handelswaren abhängig: So seien unter anderem Kriterien wie Exklusivität, Neuheit, Ästhetik oder auch Beschaffungskosten entscheidend für den Wert naturkundlicher Dinge. Eine klare Grenzziehung zwischen wirtschaftlichem und wissenschaftlichem Wert naturkundlicher Objekte falle demnach, so Pannhorst, schwer.14 Wie bei Handelswaren verändert sich auch der Wert wissenschaftlicher Objekte. War der An- und Verkauf von Sammlungsstücken noch im frühen 20. Jahrhundert eine allgemein übliche und weit verbreitete Praxis in Naturkundemuseen, sind in der heutigen Zeit die Sammlungen – wie generell in allen Museen – dem ökonomischen Kreislauf entzogen. Der wissenschaftliche Wert naturkundlicher Dinge ist allerdings 12 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 4/2, Wiener Museen: N – V Aktenzahl 7455 (Julius Pia). 13 Vgl. Kerstin PANNHORST, Zirkulieren. Hans Sauter und der Wert von Insekten, in: Nils GÜTTLER, Ina HEUMANN (Hg.), Sammlungsökonomien, Berlin 2016, S. 71–93, hier: S. 74. Pannhorsts Erläuterungen zum Wert naturkundlicher Objekte beziehen sich zwar primär auf entomologische Sammlungsstücke, sind aber nichtsdestotrotz auch für die allgemeine Fragestellung nach dem Wert naturkundlicher Dinge von Gültigkeit. 14 Vgl. PANNHORST 2016, S. 87.

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»Eine naturwissenschaftliche Sammlung verhält sich eben ganz anders, als ein Kunstmuseum …«   127

auch heute noch einem steten, den Forschungsinteressen entsprechenden Wandel unterworfen. Gilt es als unwahrscheinlich, einen Fachtext über ein bestimmtes Objekt veröffentlichen zu können, so verliert es aus der Sicht von Naturwissenschafter_innen an wissenschaftlichem Wert. Umgekehrt erscheint ein Objekt, auf dem eine Publikation basiert, wiederum als wertvoll.15 Naturkundliche Objekte sind in diesem Kontext gewissermaßen eine wichtige Ressource zur Steigerung der Reputation eines Forschers in der scientific community. Provenienzforscher_innen in naturkundlichen Sammlungen müssen dabei berücksichtigen, dass dieses spezifische Objekt- und Wertverständnis die Inventarisierungsarbeiten im Museum entsprechend beeinflusst. So wird auch im Zuge der Inventarisierung von Sammlungsgegenständen im NHM zwischen »wertvollen« und »wertlosen« Stücken differenziert. Die Zuordnung in eine der beiden Kategorien entscheidet, ob Objekte durch Inventarisierung Bestandteil einer Sammlung werden oder in Form von Doubletten als Tauschmaterial bzw. als Material für im Museum zu leistende Forschung aufbewahrt werden. Für die Provenienzforschung ist das insofern relevant, weil nicht inventarisierte Objekte nur über Umwege, wie etwa über einen weiter unten beschriebenen »Zugang von außen«, greifbar werden. Dabei ist das Sammeln von Doubletten keinesfalls eine Nebensächlichkeit. Das Anlegen von Serien verschiedener Varietäten eines bestimmten Typus steht bei vielen Disziplinen, wie etwa den Bio- oder Geowissenschaften, im Vordergrund. Eine naturwissenschaftliche Sammlung ist umso bedeutender, je mehr Exemplare einer Objektklasse zur wissenschaftlichen Vergleichbarkeit zur Verfügung stehen. Wird ein Objekt zu Forschungszwecken untersucht, passiert das nicht immer zerstörungsfrei. Objekte wie Gesteine und Minerale können zerlegt und parzelliert verkauft oder getauscht werden oder sie zerfallen durch irreversible inhärente Prozesse. Dieser Umstand wirkt sich auf die Provenienzforschung besonders erschwerend aus. Im Gegensatz zu vielen Objekten aus Kunst- oder ethnografischen Sammlungen werden Objekte aus naturwissenschaftlichen Forschungssammlungen oft nicht als Unikate, sondern als Exemplare wahrgenommen. Sammlungen werden mitunter zerlegt und den museumseigenen Ordnungsprinzipien nach Objektklassen, Typen etc. zugeführt. Vereinzelt finden sich in den Inventarbüchern neben naturbelassenen Mineralien auch bearbeitete Gesteine unklarer, weiter zu untersuchender Herkunft.16 Eine 15 Vgl. PANNHORST 2016, S. 85–86. 16 So ein steinernes Opfermesser »aus der Aztekenzeit« aus Mexiko, das als Bestandteil einer 1942 angekauften Mineraliensammlung eines verstorbenen Privatsammlers ans Museum gelangte. NHM, Archiv Mineralogie, Inventarbuch 1936–1955. Ein weiterer Hinweis auf die Übernahme außereuropäischen

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128   Alexandra Caruso, Katja Geiger, Dario Luger, Marcus Rößner Dokumentation, die helfen könnte, die Bezugsquelle eines bestimmten Objekts, aus einer Gruppe gleichartiger Objekte nachzuvollziehen, ist nicht Usus. Für die Provenienzforschung bedeutet das, dass im Fall einer Restitution oft nicht das konkrete Objekt rückgestellt werden kann, sondern ein »gleichwertiges«. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass naturkundliche Sammlungen durch die große Zahl an Objekten, die unterschiedliche Funktionen im musealen Betrieb erfüllen, gekennzeichnet sind. Dieser Umstand sowie die Bedeutungslosigkeit der Voreigentümer_innen für das Museum stellen die Provenienzforschung vor erhebliche Herausforderungen. Bekannte Probleme – neue Strategien

Um die Herkunft von Objekten zu rekonstruieren, bieten sich in erster Linie Quellen an, die Verwaltungsvorgänge im Museum dokumentieren. Inventar- und Akquisitionsbücher, Korrespondenzen und amtliche Schreiben sind jedoch, wie die in vergangenen Jahren unternommenen Recherchen von Provenienzforscher_innen im NHM gezeigt haben, oft lückenhaft oder lassen aufgrund ihres naturwissenschaftlichen Kontexts Aufschlüsse über Voreigentümer_innen nur selten zu. Ungeachtet der Unvollständigkeit lassen sich anhand des erhaltenen Archivmaterials Einblicke in Sammel- und Inventarisierungspraktiken und nicht zuletzt auch Erklärungen für das historische Zustandekommen der auffallenden Lücken in den hauseigenen Quellenbeständen verstehen.17 Daneben wird über einen »Zugang von außen« versucht, die spezifischen naturwissenschaftlichen Netzwerke zu rekonstruieren, innerhalb derer Objekte gekauft, verkauft, getauscht oder gesammelt wurden, um neue Erkenntnisse über Akquisitionen während der NS-Zeit erzielen zu können. Für die Mineralogisch-Petrographische Naturerbes in die Sammlungen des NHM findet sich in einem Schreiben des provisorischen Direktors 1938, Otto Pesta, an den Reichsstatthalter. Darin wird um die Aufstockung des Budgets des Hauses gebeten, unter anderem, um einem »Afrikajäger« einen Anerkennungssold von 2.000 RM für die Überlassung von Objekten im Wert von 18.000 RM zu bezahlen. OeStA, Reichsstatthalterei III. Kt. 21, 78.077/39, Otto Pesta an den Reichstatthalter in Österreich 21.12.1938. 17 Ein Beispiel findet sich in einem Schreiben von 1965, in dem der damalige Direktor der Mineralogischen Abteilung eine Anfrage um Einsicht in ältere Abteilungsakten negativ beantwortete, und dies mit dem Verlust des Materials zum Ende des Krieges begründete. Denn während Inventare gemeinsam mit den wertvollen Beständen des Museums noch im Verlauf des Krieges ausgelagert worden waren, seien die Akten in der Abteilung verblieben, »wo sie bei den Plünderungen im Jahre 1945 völlig durcheinander geworfen, verschmutzt und zertreten wurden und dann bei den Säuberungsarbeiten zusammen mit Glasscherben, Mauerschutt usw verworfen wurden«. NHM, Archiv Mineralogie_K80, Hubert Scholler, Bekundung Aufricht, 8.9.1965.

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Abteilung hat sich gezeigt, dass das Tauschen oder Schenken mineralogischer Objekte zwischen dem NHM und diversen Forschungseinrichtungen oder Privaten gängige Praxis war. Eine Feststellung von Voreigentümer_innen lässt sich über eine Analyse der Inventarbücher nicht ohne weiteres bewerkstelligen, da diese weder durchgängig noch einheitlich dokumentiert sind. Zwar werden Händler_innen genannt,18 woher diese ihre Ware bezogen und ob es sich dabei um entzogenes Gut handelt, bleibt jedoch unklar. Namen von Sammler_innen werden in den Inventarbüchern selten erwähnt. Lediglich bei Objekten aus größeren Sammlungen von Mineralogen, die in Fachkreisen bekannt waren, finden sich Nennungen. Auch »Hobbysammler_innen« wie Förster, Lehrer, Bergwerksangestellte und andere, mit denen das Museum zwecks Übernahme wissenschaftlich interessanter Mineralien in Verbindung stand, scheinen manchmal auf. Einige dieser Namen konnten bereits über den Abgleich mit den teilweise vorhandenen Korrespondenzen als »unbedenklich« eingestuft werden. Die Archivquellen legen auch nahe, dass der Tausch von Objekten in den Abteilungen des NHM im Rahmen der wissenschaftlichen Alltagspraxis stattfand und keinen fixen Regeln unterlag. Abtausche mit anderen Wissenschaftler_innen und Schenkungen sind zum Teil festgehalten, insgesamt variiert die Genauigkeit der Inventarisierung allerdings im Verlauf der Jahre sowie mit dem Wechsel der eintragenden Personen sehr stark, sodass durchgehende bzw. einheitliche Auskünfte über Voreigentümer_innen und die Art des Erwerbs aus den Inventarbüchern nicht zu erheben sind.19 Daher lohnt es sich, allgemeine Strukturen der Objektbeschaffung und -verwaltung des NHM sichtbar zu machen, um Möglichkeiten des Verbleibs von Objekten zu diskutieren und eventuelle weitere Nachforschungen anstellen zu können.

Erweiterte Perspektiven

Wenngleich im NHM das Verständnis für die Notwendigkeit von Provenienzforschung allmählich wächst, müssen Provenienzforscher_innen nichtsdestotrotz oftmals Überzeugungsarbeit im Haus leisten. So setzen etwa große Teile des Museumspersonals Provenienzforschung mit Restitution gleich, was mitunter zu einer gewissen »Reser18 Für die Jahre 1928–1955 ist das im Fall der mineralogischen Abteilung des NHM vor allem die Firma Anton Berger aus Mödling. 19 So bedankte sich beispielsweise der Berliner Mineraloge Ramdohr in einem Schreiben von 1940 beim Abteilungsleiter Hermann Michel für die Zusendung der »prächtigen Stücke Wulfenit«, die er in seine Sammlung einordnete. NHM, Archiv Mineralogie_K80, Paul Ramdohr an Hermann Michel, 27.2.1940.

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130   Alexandra Caruso, Katja Geiger, Dario Luger, Marcus Rößner viertheit« gegenüber den Anliegen und Anfragen der Provenienzforscher_innen führen kann. Dabei ist Provenienzforschung – wie der Biologe und Ethnologe Peter-René Becker hervorhebt – keineswegs ausschließlich rückgabe-, sondern auch herkunfts- und wissenschaftsorientiert. Gerade der wissenschaftsorientierte Zugang der Provenienzforschung ist für Recherchen in naturkundlichen Sammlungen von besonderer Bedeutung.20 Dementsprechend erweist er sich auch für Nachforschungen im NHM als zielführend, da über diesen Zugang der Mehrwert der Provenienzforschung (etwa eine umfassendere Kontextualisierung der Herkunftsgeschichte bestimmter Objekte sowie der Geschichte der jeweiligen Sammlung) gegenüber dem Museumspersonal besonders gut illustriert werden kann. In der öffentlichen Debatte werden in jüngster Zeit Fragen nach der Herkunft und nach der Art des Erwerbs von Ausstellungs- und Sammlungsstücken insbesondere im Hinblick auf die Kolonialzeit thematisiert sowie der Umgang mit diesen musealen Objekten diskutiert. Ungeachtet ihres auf die NS-Zeit beschränkten Arbeitsauftrags ist die österreichische Provenienzforschung in diesem Zusammenhang gefordert, diese Debatte aufmerksam mitzuverfolgen. In den Sammlungen des NHM befinden sich bekanntlich auch zahlreiche Objekte kolonialgeschichtlicher Provenienz. Das NHM war vom Zeitpunkt seiner Gründung an ein Ort der Forschung, an dem sich Wissenschaftler_innen mit Objekten aus der ganzen Welt auseinandersetzten, die sie kauften, tauschten und in großem Umfang anlässlich von Expeditionen selbst sammelten. Im Zuge früherer Forschungsreisen wurden nicht nur naturkundliche, sondern auch anthropologische und ethnografische Objekte gesammelt.21 Der Kolonialgedanke erstarkte besonders in der Zeit des Nationalsozialismus, was auch das NHM nicht unberührt ließ und etwa einen Ausdruck in der im Haus gezeigten Kolonialschau des Jahres 1939 fand.22 Inwieweit die Wissenschaftler_innen im NHM vor dem Hintergrund der neuen politischen Voraussetzungen ihre wissenschaftlichen Interessen auf Gebiete ehemaliger deutscher Kolonien erweiterten oder 20 Vgl. Peter-René BECKER, Provenienzforschung in naturkundlichen Sammlungen – ein Gewinn für alle, in: Museumskunde 80/2 (2015), S. 52–55, hier: S. 52. 21 Vgl. Regina WONISCH, Schnittstelle Ethnografie. Ein Rundgang durch das Naturhistorische Museum Wien, in: Belinda KAZEEM, Charlotte MARTINZ-TUREK, Nora STERNFELD (Hg.), Das Unbehagen im Museum. Postkoloniale Museologien (= Ausstellungstheorie & Praxis 3), Wien 2009, S. 217–232, hier: S. 226. 22 Siehe Victor PIETSCHMANN, Führer durch die Sonderschau »Ostmarkdeutsche als Forscher und Sammler in unseren Kolonien«: Ein Anteil der Ostmark an der Erforschung und Erschließung der deutschen Kolonialgebiete, Wien 1940.

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intensivierten und ob damit entsprechende Objekte vermehrt für die Sammlungen erworben wurden, kann an dieser Stelle noch nicht beantwortet werden. Nach ersten Recherchen zur mineralogischen Abteilung gibt es aber zumindest Hinweise, die eine Untersuchung möglicher kolonialer Provenienzen lohnend erscheinen lassen.23 In den Materialien des NHM finden sich auch Verdachtsmomente für den Einsatz von Zwangsarbeiter_innen während des NS-Regimes. Nachforschungen zu Sammlerstücken der mineralogischen Abteilung brachten Ankäufe aus Bergwerken in Niedersachsen, Westfalen und dem Erzgebirge zu Tage, in welchen unter anderem auch Zwangsarbeiter_innen eingesetzt wurden.24 Die Relevanz dieser Gegebenheiten für die Provenienzforschung steht noch nicht fest. Provenienzforschung – ein Gewinn für das NHM

Entsprechend dem Kunstrückgabegesetz hat es sich die aktuelle Provenienzforschung im NHM zur Aufgabe gemacht, die Wege nachzuzeichnen, auf denen Objekte ins Museum gekommen sind. Neben der Auffindung von Objekten, die im Rahmen der nationalsozialistischen Herrschaft unrechtmäßig in die Sammlungen gelangten, kann Provenienzforschung aber auch, indem sie neue historische Erkenntnisse bereitstellt, konkreten praktischen Nutzen für das Museum selbst erzielen. Denn während dem Museum die Rekonstruktion der Geschichte der eigenen Sammlungen zugutekommt, werden – im Idealfall – die Besucher_innen des NHM mehr über die historischen Hintergründe und Zusammenhänge einzelner Objekte erfahren.

23 So findet sich in einem Inventarbuch der Abteilung der Erwerb eines größeren Postens an Mineralien aus der Stiepelmann-Mine in Deutsch-Südwestafrika im Jahr 1939 über die Firma Berger. 24 NHM, Archiv Mineralogie, Inventarbuch 1936–1955.

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MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst: Der Figdor-Lehnstuhl Leonhard Weidinger

Am 22. Februar 1927 starb der Wiener Bankier Albert Figdor im 83. Lebensjahr. Er hinterließ eine der größten privaten Kunstsammlungen Europas, deren Schwerpunkt auf mittelalterlichem und frühneuzeitlichem Kunstgewerbe lag.1 Figdors in Heidelberg lebende Nichte verkaufte die Sammlung 1928 an eine Stiftung, die der Wiener Kunsthändler Gustav Nebehay initiiert hatte.2 Ein Teil der Objekte wurde der Republik Österreich gewidmet und vorerst vom Kunsthistorischen Museum,3 später vom Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, dem heutigen MAK, übernommen, wobei einige Stücke auch an andere Wiener Museen weitergegeben wurden.4 Der größere Teil der Sammlung Figdor sollte durch die Auktionshäuser Paul Cassirer, Berlin, sowie Artaria und Glückselig, beide Wien, versteigert werden. Den ersten der sechs Kataloge zu den Versteigerungen vom 11. bis zum 13. Juni 1930 in Wien sowie am 29. und 30. September 1930 in Berlin leitete ein Vorwort Otto von Falkes ein, bebildert unter anderem mit einem Porträt Albert Figdors, das den Sammler in einem italienischen Lehnstuhl sitzend zeigte.5 Dieser Lehnstuhl wurde im zweiten Band der Auktionskataloge als Los Nr. 673 beschrieben und abgebildet6 und kam am Freitag, dem 13. Juni 1930, vormittags zur Auktion.7 Laut Internationaler Sammler-Zeitung wurde er um 7.000,- Schilling von »Hertzog, Budapest« erworben.8 Ob es sich bei Hertzog um eine/n Sammler_in oder 1 2

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Vgl. Felix CZEIKE, Historisches Lexikon Wien, Bd. 2, Wien 1993, S. 301. Vgl. Lynn ROTHER, Zu groß für Einen. Zum An- und Verkauf großer Sammlungen durch Konsortien am Beispiel Figdor, in: Eva BLIMLINGER, Monika MAYER (Hg.), Kunst sammeln, Kunst handeln. Beiträge des Internationalen Symposiums in Wien (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 3), Wien-Köln-Weimar 2012, S. 303–315, hier: S. 305–306. Vgl. Kunsthistorisches Museum (Hg.), Vorläufiges kurzes Verzeichnis der Dr. Albert Figdor-Stiftung, Wien 1931. Vgl. MAK, Figdor-Inventar. Vgl. Otto von FALKE, Vorwort, in: Otto von FALKE, Die Sammlung Dr. Albert Figdor, Wien, Erster Teil, Bd. 1, Wien-Berlin 1930, o. S. Vgl. August SCHESTAG, Die Sammlung Dr. Albert Figdor, Wien, Erster Teil, Bd. 2, Wien-Berlin 1930, o. S. Vgl. Wiener Zeitung, Nr. 136, 14.6.1930, S. 6, Die Figdor-Auktion. Vgl. N. N., Die erste Figdor-Auktion, in: Internationale Sammler-Zeitung 22, 15.6.1930, S. 133–141, hier: S. 140.

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134   Leonhard Weidinger eine/n Kunsthändler_in handelte, konnte nicht eruiert werden. Sicher ist nur, dass der Lehnstuhl schließlich in Wiener Privatbesitz gelangen sollte. Friederike Fuchs, genannt Fritzi, geboren am 22. April 1900 in Wien, heiratete den am 10. November 1885 ebenfalls in Wien geborenen Juwelier Siegfried Herzel, dessen Unternehmen sich in der Wiener Inneren Stadt in der Spiegelgasse 23 befand. Die Familie Herzel – am 11. Dezember 1920 kam Tochter Kitty Renate zur Welt – wohnte im 6. Bezirk in der Linken Wienzeile 52.9 Im Februar 1929 kaufte Friederike Herzel eine Villa im 18. Wiener Gemeindebezirk, in der Sternwartestraße 59,10 in der die Familie ab nun lebte. Am 23. August 1931 kam das zweite Kind, Herbert Ralph, zur Welt.11 Für die Einrichtung der Villa erwarben Friederike und Siegfried Herzel zahlreiche Kunstgegenstände, darunter auch den italienischen Lehnstuhl Albert Figdors.12 Die Familie Herzel bekannte sich zum jüdischen Glauben und war sich offenbar der Gefahr bewusst, die ihr deshalb durch den Nationalsozialismus drohte. Schon Wochen vor dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich bereitete sie die Flucht aus Wien vor. So beantragte Siegfried Herzel am 23. Februar 1938 bei der Zentralstelle für Denkmalschutz die Ausfuhr von 60 Schmuckobjekten nach London, die sofort genehmigt wurde.13 Friederike Herzel floh unmittelbar nach dem »Anschluss« am 15. März 1938, wahrscheinlich in Begleitung ihrer Kinder, aus Wien.14 Wann Siegfried Herzel seiner Familie folgte, ist nicht bekannt,15 doch spätestens seit Herbst 1938 lebte die Familie, die sich ab Januar 1939 Hartley nannte, in New York.16

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Vgl. WStLA, MA 8 – B-MEA-86163-2018, Auskunft aus den historischen Meldeunterlagen zu Siegfried Herzel, 31.1.2018. Vgl. BG Döbling, Grundbuch K. G. Währing, fol. 13072, E. Z. 1725, Abschnitt B. Zu dieser Liegenschaft gehörten zwei Gartengrundstücke (K. G. Währing, E. Z. 277 und E. Z. 2404). Vgl. WStLA, MA 8 – B-MEA-86163-2018, Auskunft aus den historischen Meldeunterlagen zu Siegfried Herzel, 31.1.2018. Ein Foto im Eigentum der Erb_innen nach Friederike und Siegfried Herzel zeigt das Wohnzimmer des Hauses in der Sternwartestraße 59 in den 1930er Jahren und darin den Figdor-Lehnstuhl. Vielen Dank für diese Information an Sabine Loitfellner und Monika Wulz von der damaligen Anlaufstelle der IKG Wien, die 2007 die Erb_innen nach Friederike und Siegfried Herzel gefunden haben. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Ausfuhransuchen 451-1938, Siegfried Herzl [sic!], 23.2.1938. Vgl. WStLA, Urkundenbuch BG Döbling, TZ 1663-1950, fol. 4–5, Erkenntnis der Rückstellungskommission beim LG für ZRS Wien, 17.8.1949 (Abschrift), hier: fol. 4. Laut WStLA, MA 8 – B-MEA-86163-2018, Auskunft aus den historischen Meldeunterlagen zu Siegfried Herzel, 31.1.2018, verließ Siegfried Herzel Wien erst im Oktober 1939. Hier dürfte es sich um einen nachträglichen Abmeldevermerk durch die Behörde handeln. Vgl. WStLA, Urkundenbuch BG Döbling, TZ 5219-1955, fol. 1–1v, Übersetzung des Erkenntnisses des Stadtgerichtes New York vom 16.1.1939 (Abschrift).

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Das Vermögen der Familie Herzel wurde nach deren Flucht kommissarisch verwaltet,17 bis es die Gestapo am 20. Juli 1938 ebenso wie die Liegenschaft in der Sternwartestraße 59 zugunsten des Landes Österreich einzog.18 Die Villa beanspruchte SS-Sturmbannführer Franz Hammerschmid, der persönliche Referent des Reichsstatthalters in Österreich Arthur Seiß-Inquart, der nicht nur eine Wohnung für seine Familie suchte, sondern einen Teil des Hauses als Quartier für Gäste der Reichsstatthalterei einrichten wollte.19 Die Familie Hammerschmid bezog das Haus bereits im Juni 1938.20 Nachdem die Liegenschaft am 8. August 1938 in die Zuständigkeit der Staatsgebäudeverwaltung übergegangen war,21 wurde mit Hammerschmid über einen seinen Plänen entsprechenden Mietvertrag verhandelt. Das Vorhaben wurde allerdings nicht umgesetzt. Im Zuge der Errichtung der Slowakei als Satellitenstaat des Deutschen Reichs Mitte März 1939 hatte sich Arthur Seiß-Inquart in die Verhandlungen mit den separatistischen slowakischen Politikern eingeschaltet und dazu Hammerschmid und Fritz Flor, einen weiteren seiner Mitarbeiter, immer wieder zu Gesprächen nach Pressburg/Bratislava geschickt. Bei der Rückfahrt von einem dieser Treffen kam es am 13. April 1939 in Petronell zu einem Autounfall, bei dem Flor und Hammerschmid ums Leben kamen.22 Die Staatsgebäudeverwaltung reagierte umgehend auf die neue Situation: Noch im April änderte sie das Nutzungskonzept. Die Familie Hammerschmid sollte weiterhin im Haus wohnen, allerdings dessen Gesamtfläche auf mehrere Wohnungen aufgeteilt werden.23 Im Zuge der Umbauarbeiten sollten Möbel und andere Einrichtungsgegenstände aus dem Haus geschätzt und verkauft werden. Auch Mitarbeiter des Staatlichen 17 Vgl. OeStA/AdR E-uReang, FLD 3494[a], fol. 52–57, Korrespondenz zwischen Reichsstatthalter, Min. f. Finanzen, Gestapo, etc., 18.9.–27.11.1939. 18 Vgl. OeStA/AdR E-uReang, FLD 3494[a], fol. 9, Erkenntnis der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Wien, 20.7.1938 (Abschrift); WStLA, Urkundenbuch BG Döbling, TZ 3284-1938, fol. 1, Erkenntnis der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Wien, 20.7.1938 (Abschrift). 19 Vgl. OeStA/AdR HBbBuT BMfHuV, BGV, Zl. 11186-1938 aus 9602-1938, BGV Zl. 6266-1939 aus 6266-1939, BGV Zl. 7728-1939 aus 6266-1939, Korrespondenz zum Mietvertrag mit Hammerschmid 27.9.1938–5.4.1939. 20 Vgl. OeStA/AdR E-uReang, FLD 3494[a], fol. 95–97, Korrespondenz zur Empfehlung des Ankaufs der Liegenschaft Sternwartestr. 59 durch Ilse Hammerschmid, 3.2.–6.2.1941. 21 Vgl. OeStA/AdR HBbBuT BMfHuV, BGV, Zl. 9602-1938, Schreiben der Staatsgebäudeverwaltung an Diverse, 26.8.1938. 22 Vgl. David SCHRIFFL, Die Rolle Wiens im Prozess der Staatswerdung der Slowakei 1938/39 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe III Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 1001), Frankfurt am MainBerlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien 2004, S. 142–143. Schriffl verweist auf Gerüchte, der Unfall sei ein Mordanschlag gewesen. 23 Vgl. OeStA/AdR HBbBuT BMfHuV, BGV, Zl. 8275-1939 aus 6266-1939, Korrespondenz zur Verlassenschaft von Hammerschmid, 26.4.–16.5.1939.

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136   Leonhard Weidinger Kunstgewerbemuseums in Wien, des heutigen MAK, sichteten die Möbel. Offenbar fanden sie erhaltenswerte Stücke, denn am 20. Juni 1939 beantragte Richard Ernst, der Direktor des Museums, beim Amt des Reichsstatthalters die Zuweisung von vier Möbeln an sein Haus.24 Am 19. August 1939 übernahm das Staatliche Kunstgewerbemuseum in Wien von der Staatsgebäudeverwaltung schließlich fünf Möbelstücke, drei Sessel und zwei Rahmen, aus dem Haus Sternwartestraße 59.25 Am 22. August 1939 wurden die Objekte inventarisiert. Sowohl im Hauptinventar als auch im Holzinventar wurde dabei beim Lehnstuhl die Losnummer der Auktion vom Juni 1930 vermerkt. Im Museum war also bekannt, dass dieses Stück aus der Sammlung Albert Figdor stammte. Der erzielte Erlös aus dem Verkauf der übrigen Möbel und Einrichtungsgegenstände aus dem Haus betrug 3.024,50 RM und wurde am 21. August 1939 an den Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich überwiesen.26 Nach Abschluss der Umbauarbeiten verfügte das Haus in der Sternwartstraße 59 über drei zusätzliche Wohnungen, die vermietet wurden, sowie eine Hausmeisterwohnung.27 Am 1. August 1941 kaufte Ilse Hammerschmid das Haus vom Deutschen Reich.28 Nach ihrer Heirat mit Wolfgang Berger am 7. August 194129 überschrieb sie ihrem zweiten Ehemann am 16. Februar 1942 die Hälfte des Anteils an der Liegenschaft.30 Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des NS-Regimes bemühte sich die Familie Herzel/Hartley umgehend darum, das ihr entzogene Eigentum zurückzubekommen. Siegfried Herzel, nun Frank S. Hartley, wandte sich immer wieder schriftlich an die Property Control Branch der U. S. Army in Wien, so auch am 18. Juli 1946: »I would be really interested what is left in my house and who has stolen all the stolen Properties. What is left from the furniture?«31 Am 15. November 1946 meldete Gus24 Vgl. MAK-Archiv, Zl. 906-1939 aus 906-1939, Schreiben des Staatlichen Kunstgewerbemuseums an das Amt des Reichsstatthalters, Abt. III, 20.6.1939. 25 Vgl. MAK-Archiv, Zl. 1187-1939 aus 906-1939, Schreiben des Staatlichen Kunstgewerbemuseums an die Staatsgebäudeverwaltung, 21.8.1939. 26 Vgl. OeStA/AdR E-uReang, FLD 3494[b], fol. 75, Schreiben des Reichskommissars an das Min. f. Finanzen, 29.2.1940. 27 Vgl. OeStA/AdR HBbBuT BMfHuV, BGV, Hauptakt Zl. 10840-1939, Korrespondenz zu den Mietverträgen, 10.7.1939–6.3.1940. 28 Vgl. OeStA/AdR E-uReang, FLD 3494[a], fol. 95–97, Korrespondenz zur Empfehlung des Ankaufs der Liegenschaft Sternwartestr. 59 durch Ilse Hammerschmid, 3.2.1941–6.2.1941; WStLA, Urkundenbuch BG Döbling, TZ 3088-1941, fol. 1–2v, Kaufvertrag, 1.8.1941. 29 Vgl. WStLA, Urkundenbuch BG Döbling, TZ 3088-1941, fol. 3, Heiratsurkunde, 7.8.1941 (Abschrift). 30 Vgl. WStLA, Urkundenbuch BG Döbling, TZ 876-1942, fol. 1–1v, 3, Schenkungsvertrag, 16.2.1942 (Abschrift). 31 NARA, RG 260, DN1929, Roll 137, V1 1087/XVIII, Frank and Friederike Hartley (Siegfried and Friederike Herzel), S. 18–19.

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tav Werner, ein Cousin Siegfried Herzels, gemäß der Vermögensentziehungs-Anmeldeverordnung beim Magistratischen Bezirksamt für den 18. Wiener Gemeindebezirk die Entziehung der Liegenschaft Sternwartestraße 59 inklusive »Villa und Grundstück, Teppiche, Kleider, Pelze, Gobelins, Schmuck, Möbel, Bilder, Hausrat etc.« an.32 Am 17. August 1949 entschied die Rückstellungskommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien, dass die Liegenschaft an Friederike Herzel zurückzustellen sei.33 Bezüglich der Einrichtungsgegenstände war die Familie Herzel nicht erfolgreich. Von Seiten des Staatlichen Kunstgewerbemuseums in Wien, 1947 umbenannt in Österreichisches Museum für angewandte Kunst, wurden die fünf – bzw. nach dem Verlust eines der Sessel in den letzten Kriegstagen vier – Objekte in keiner der Listen angeführt, in denen den zuständigen Stellen enteignetes Gut gemeldet wurde. Als Zuweisung einer nicht als NS-Institution geltenden Behörde wurde die Herkunft der Objekte vom Museum nicht hinterfragt. Erst durch die Recherchen im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung auf Basis des Kunstrückgabegesetzes von 1998 wurde der Fall der Familie Herzel aufgearbeitet. Am 1. Juni 2007 empfahl der Kunstrückgabebeirat die Rückgabe an die Erb_innen nach Friederike und Siegfried Herzel.34 Am 11. August 2008 restituierte das MAK den Lehnstuhl, den Sessel und die zwei Bilderrahmen.35 Am 16. Oktober 2008 wurde der Lehnstuhl im Wiener Dorotheum in der Auktion Antiquitäten und Möbel ausgeboten und um 5.000,- Euro verkauft.36 Es gab keine Bemühungen seitens des MAK, dieses wichtige Stück aus der Sammlung von Albert Figdor entweder von den Erb_innen der Familie Herzel zu erwerben oder im Dorotheum zu ersteigern. Im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung war von 1998 bis 2005 Julia König und ist von 2005 bis heute Leonhard Weidinger im MAK tätig. Provenienz- und Restitutionsbeauftragte des MAK war von 1998 bis 2000 Hanna Egger und ist seit 2000 Rainald Franz. Nachdem in den ersten Jahren nach Einsetzung der Kommission für Provenienzforschung 1998 im MAK prominente Sammlungen wie die der Familie Rothschild im Zentrum der Recherchen gestanden waren, gelangten im Zuge der systematischen Überprüfung der Bestände zusehends kunstgewerbliche Objekte in den Fokus, die – wie der Figdor-Lehnstuhl – aus Einrichtungen bürgerlicher Wohnun32 Vgl. WStLA, VEAV 386, 18. Bez., 15.11.1946. 33 Vgl. WStLA, Urkundenbuch BG Döbling, TZ 1663-1950, fol. 4–5, Erkenntnis der Rückstellungskommission beim LG für ZRS Wien, 17.8.1950 (Abschrift). 34 Vgl. http://www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Herzel_Friederike_Siegfried_2007-06-01. pdf (27.2.2018). 35 Vgl. MAK-Archiv, Zl. 493-2008, Übernahmebestätigung, 11.8.2008. 36 Vielen Dank für diese Information an Katja Zirnsack vom Dorotheum.

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138   Leonhard Weidinger gen stammten.37 64 Silberobjekte, die das MAK um 1942 vom Dorotheum erworben hatte, waren im Zuge der »§14-Ablieferungen« von NS-Verfolgten unter Zwang verkauft worden. Zu 15 dieser Stücke konnten die früheren Eigentümer_innen – Gittel und Samuel Bauer, Erny und Richard Gombrich, Emil Iwnicki, Anna Kutscher, Elise und Erich Müller, Hermine Schütz, Isak Wunderlich und Jacques Ziegler – ermittelt werden.38 Aufgrund entsprechender Beiratsbeschlüsse wurden die Objekte zwischen 2003 und 2014 restituiert. Bearbeitet wurden zudem jene Fälle, die nach der Novelle des Kunstrückgabegesetzes 2009 nochmals dem Beirat vorzulegen waren. Hinsichtlich der Fälle Ferdinand Bloch-Bauer, Paul Cahn-Speyer, Willibald Duschnitz, Nathan Eidinger, David Goldmann und Heinrich Rothberger empfahl nun der Beirat die Rückgabe, im Fall Albert Pollak sprach er sich dagegen aus.39 Die über 3.000 aus der Ostasiatika-Sammlung des Sammler, Händlers und NSDAP-Mitglieds Anton Exner40 in den 1940er Jahren an das MAK gelangten Objekte wurden von Gabriele Anderl 2013–2015 im Auftrag der Kommission untersucht. Die Recherchen erbrachten keine neuen Erkenntnisse, dass sich in diesem Bestand – über die schon bisher bekannten fünf Stücke hinaus – weitere aus Entziehungen oder Zwangsverkauf stammende Objekte befinden. Die betreffenden fünf Gegenstände stammten aus den Sammlungen Caroline Czeczowiczka, Ernst Dub, Klara Steiner und Richard Weiss und waren bereits in der Nachkriegszeit restituiert worden. Die vorläufigen Abschlussberichte zu den Inventarisierungen der Bibliothek 1933– 1938 und 1938–1945, der Kunstblättersammlung 1933–1938 und 1938–1945 sowie im Hauptinventar und im Figdor-Inventar 1933–1938 wurden im Jänner 2013 an die 37 Zu den ersten zehn Jahren der Provenienzforschung im MAK siehe Rainald FRANZ, Leonhard WEIDINGER, »… dass sich in der Sammlung auch kunstgewerbliche Objekte befunden haben.« Provenienzforschung im MAK, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN, Leonhard WEIDINGER (Hg.), … wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), Wien-Köln-Weimar 2009, S. 150–159. 38 Vgl. Leonhard WEIDINGER, Eine gute Quellenlage? Zu den Möglichkeiten und Grenzen der Recherchen zu entzogenem Silber aus ehemals jüdischem Besitz in Wien, in: Sabine SCHULZE, Silke REUTHER (Hg.), Tagungsband Raubkunst? Silber aus ehemals jüdischem Besitz – wie gehen Museen damit um? Symposium anlässlich der Ausstellung »Raubkunst? Provenienzforschung zu den Sammlungen des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg«, Hamburg 2016, S. 36–41. 39 Die Beschlüsse sind einsehbar unter http://www.provenienzforschung.gv.at/de/empfehlungen-des-beirats/ beschluesse/beschluesse-alphabetisch/. 40 Vgl. Gabriele ANDERL, »Nicht einmal abschätzbarer Wert ...«. Anton und Walter Exner – Kunsthändler, Stifter, Nationalsozialisten – und ihre Sammlung asiatischer Kunst in Wien, in: Eva BLIMLINGER, Heinz SCHÖDL (Hg.), Die Praxis des Sammelns. Personen und Institutionen im Fokus der Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 5), Wien-Köln-Weimar 2014, S. 339–405.

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Abseits der Kunst: Vom NS-Raub von Alltagsgegenständen und anderen »beweglichen Kulturgütern« 20 Jahre Provenienzforschung am Technischen Museum Wien

Christian Klösch

Das Technische Museum Wien wurde am 6. Mai 1918 eröffnet. Der Objektbestand des Museums basiert auf Sammlungen, die von Kaiser Franz I. und Kronprinz Ferdinand Anfang des 19. Jahrhunderts initiiert wurden. Beide Kollektionen wurden 1844 zum Technologischen Kabinett am Polytechnischen Institut in Wien zusammengeführt. Bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden Teile des Objektbestandes ausgeschieden bzw. anderen Instituten überlassen. 1912 kam der Großteil der Sammlung an das damalige Technische Museum für Industrie und Gewerbe.1 Das Technische Museum Wien mit Österreichischer Mediathek (TMW) gliedert sich aus der Sicht der Provenienzforschung in folgende Teilsammlungen, die jeweils gesondert untersucht werden müssen: Sowohl das Österreichische Post- und Telegraphenmuseum als auch das Historisches Museum der österreichischen Eisenbahnen waren bis zu ihrer Eingliederung 1980 unabhängige Institutionen, selbiges gilt auch für die 1960 gegründete und im Jahr 2001 eingegliederte Österreichische Mediathek. Heute umfasst das TMW eine Bibliothek mit etwa 100.000 Bänden, ein Archiv im Umfang von 2.500 Regalmetern und 253.000 bisher katalogisierten Archivalien sowie einer Inventarverwaltung mit derzeit zirka 178.000 inventarisierten Objekten. Seit der Verabschiedung des Kunstrückgabegesetzes im Jahr 1998 durchforstet das TMW seine Bestände auf NS-Raubgut. Damit ist es weltweit eines der wenigen Technikmuseen, die systematisch und kontinuierlich Provenienzforschung betreiben. Und wohl als eines der ersten Museen überhaupt thematisiert es in der Ausstellung Inventarnummer 1938 seit 2015 die geraubten Objekte und das Schicksal der Menschen, die diese einmal besessen hatten. Über 97.000 Objekte, Bücher und Archivalien – das sind jene Gegenstände, die nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 in die Sammlungen aufgenommen worden und die vor dem Mai 1945 entstanden sind – wurden bereits auf die Unbedenklichkeit ihrer Herkunft überprüft. Die systematische Überprüfung der 1

Zur Geschichte des Museum siehe: Helmut LACKNER, Katharina JESSWEIN, Gabriele ZUNA-KRATKY (Hg.), 100 Jahre Technisches Museum Wien, Wien 2008.

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142   Christian Klösch Österreichischen Mediathek, des Archivs, der Bibliothek und der Inventarverwaltung des TMW, der Bestände des ehemaligen Historischen Museum der österreichischen Eisenbahnen und des Post- und Telegraphenmuseums konnte bereits abgeschlossen werden. Ausständig ist noch die Untersuchung der Bestände der Bibliothek des ehemaligen Post- und Telegraphenmuseums. Von 1998 bis 2006 waren zunächst die Historikerin Dr. Barbara Pilz und die damalige Leiterin des Archivs, Mag. Manuela Fellner-Feldhaus, mit der Provenienzforschung betraut. Seit 2005 haben diese Aufgabe die Historiker Dr. Oliver Kühschelm (bis 2008) und Dr. Christian Klösch (seit 2005) übernommen. In dieser Zeit konnten einige hundert Objekte als NS-Raubgut identifiziert und restituiert werden. Trotz der schwierigen Erbensuche wurden mittlerweile zehn der bisher identifizierten 16 Restitutionsfälle mit der Rückgabe oder dem Ankauf der Objekte abgeschlossen. Abgeschlossene Provenienzfälle Hugo Theodor Horwitz

Das Dossier wurde im August 2005 der Kommission für Provenienzforschung übermittelt. In der Sitzung des Kunstrückgabe-Beirats von 14. Dezember 2005 wurde die Rückgabe des wissenschaftlichen Nachlasses und der Privatbibliothek des Technikhistorikers Dr. Hugo Theodor Horwitz empfohlen. Anlässlich eines Besuchs von Anselm Barnet am 5. Oktober 2006 wurden ihm die Dokumente und Bücher seines Vaters übergeben. Barnet überließ dem TMW die Dokumente seines Vaters als Geschenk. Die Bibliothek wurde angekauft. Hans Fischl

Hans Fischl übergab im Frühjahr 1938 eine Abbildung mit dem Titel Das Pferde-Auto dem Archiv des TMW. Der Kunstrückgabe-Beirat hat in seiner Sitzung vom 28. Juni 2006 die Rückgabe empfohlen. Im Februar 2008 wurde das Objekt an die Erbin restituiert und anschließend durch das TMW angekauft. Regine Ehrenfest-Egger

1941 übergab Regine Ehrenfest-Egger über Vermittlung ihres Bruders Ernst einen Radioapparat aus dem Jahr 1924 sowie ein Crosby Dampf-Indikator dem TMW. Der Kunstrückgabe-Beirat beschloss im Dezember 2007 die Rückgabe der Objekte, die

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im Juli 2008 an einen in Australien lebenden Verwandten restituiert und anschließend durch das TMW angekauft werden konnten. Rosa Glückselig

1951 übergaben die Bundesgärten Schönbrunn dem TMW einen Turiner Fiat 522C, Baujahr 1931. Im Zuge der Provenienzüberprüfung stellte sich heraus, dass dieses Fahrzeug am 16. März 1938 von der SA bei der jüdischen Kauffrau Rosa Glückselig in Wien-Ottakring beschlagnahmt und im September 1939 an die Bundesgärten Schönbrunn weiterverkauft wurde. Der Kunstrückgabe-Beirat beschloss im Juni 2007 die Rückgabe des Fahrzeugs an den in Buenos Aires lebenden Sohn von Rosa Glückselig. Im Juli 2008 wurde der Oldtimer an den Erben restituiert und anschließend durch das TMW angekauft. Ernst Sonnenschein

Das Dossier wurde im Jänner 2008 der Kommission übermittelt. Der Beirat hat in seiner Sitzung vom 20. März 2009 die Rückgabe eines Heißwasserhitzers, der von den städtischen Gaswerken aus dessen Wohnung nach seiner Flucht aus Wien abmontiert und dem Museum im Jahr 1938 übergeben wurde, empfohlen. Nach intensiven Recherchen konnte ein Nachkomme Sonnenscheins in Niederösterreich ermittelt werden. Im Juli 2011 erklärte sich der Erbe mit dem Ankauf des Objekts durch das TMW einverstanden. Seitdem ist er in der Dauerausstellung im Bereich »Alltag«, versehen mit einer Zusatztafel zur Objektgeschichte, ausgestellt. Hans Kollner

Im Jahr 2011 konnten aus einem umfangreichen Bestand von herrenlosen postalischen Objekten, die Ende der 1960er Jahren von der Finanzlandesdirektion Wien, Niederösterreich und Burgenland, Abteilung Restitutionsangelegenheiten, dem damaligen Postmuseum übergeben worden waren, 13 Briefe an die Erbin nach Hans Kollner zurückgegeben werden. »Russenbriefe«

Die im Jahr 2009 und 2016 an die Republik Ukraine restituierten rund 1.200 privaten Briefe, die im Zuge der deutschen Besatzung 1942 an das damalige Reichspostmuseum Wien gelangten, werden nun im Museum des Großen Vaterländischen Krieges in Kiew

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144   Christian Klösch verwahrt. Im Zuge eines ukrainischen Forschungsprojekts konnten über 400 Nachkommen der Adressat_innen bzw. Empfänger_innen der Briefe ausgeforscht und ein Teil der Korrespondenzen übergeben werden. Im Jahr 2012 erschien in Kiew ein umfangreicher Katalog mit den genauen Angaben zu den Briefen. Eine Ausstellung mit dem Titel Die ungelesenen Briefe von 1941 wurde 2011 in Kiew und 2016 im Deutschrussischen Museum in Berlin-Karlshorst gezeigt.2 Paul Herzfeld

Das Dossier wurde im August 2007 der Kommission übermittelt. Mit Beschluss des Kunstrückgabebeirats vom 7. März 2008 wurde die Rückgabe der zwölf Sprechplatten aus dem Ersten Weltkrieg aus dem Bestand der Österreichischen Mediathek an die rechtmäßigen Erb_innen beschlossen und im Oktober 2012 übergeben Theodor Sternberg

Das Dossier über die Erwerbung von 21 Musikinstrumenten vom kommissarischen Verwalter der 1938 arisierten Musikhandlung Sternberg wurde im August 2006 der Kommission übermittelt. Der Beirat hat in seiner Sitzung vom 1. Juni 2007 die Rückgabe empfohlen. Ein weiteres Nachtragsdossier wurde im August 2007 übermittelt, das am 7. März 2008 vom Kunstrückgabebeirat behandelt wurde. Insgesamt konnte im Depot des TMW 18 Musikinstrumente aus dieser Erwerbung aufgefunden werden, die restlichen Objekte dürften im Zuge von Plünderungen im Jahre 1945 gestohlen worden sein. Die Musikinstrumente konnten im April 2018 an die in den USA lebenden Erb_innen zurückgegeben werden. Emil Stiassny

Das Dossier Stiassny wurde der Kommission von der Bundesmobilienverwaltung im Jahr 1999 übermittelt. Neben Gegenständen aus dem Bundesmobiliendepot umfasste es auch eine Segelschiffsmodel, dass im TMW verwahrt wurde. Der Kunstrückgabebeirat beschloss am 18. Juni 2003 die Rückgabe des Objekts. Das Segelschiffsmodel wurde der Bundesmobilienverwaltung als Verwahrerin der zu restituierenden Objekte aus dem Besitz Emil Stiassny übergeben, das auch die Rückgabe der Objekte durchführte. 2

Klaus WIEGREFE, »Flugzeuge werfen Bomben und töten dich«, in: Spiegel Online, 26.6.2016, www. spiegel.de/einestages/deutsche-luftangriffe-auf-ukraine-1941-schutzlos-ausgeliefert-a-1099710.html (3.5.2018).

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Dossiers, die der Kunstrückgabebeirat für die eine Rückgabe empfohlen hat Dr. Max Baczewski

Im Sommer 1938 übergab der Patentanwalt Dr. Max Baczewski, nachdem er sein Büro aufgeben hatte müssen, Druckschriften technischen Inhalts dem TMW. Der Beirat hat in seiner Sitzung vom 29. März 2006 die Rückgabe von 13 Bücher und drei Zeitschriftenbände aus diesem Besitz empfohlen. Nach Informationen der Anlaufstelle der IKG hat die Erb_innensuche bisher noch zu keinem Ergebnis geführt. Ing. Ernst Egger

Ernst Egger, ein bedeutender Industrieller und Wirtschaftstreibender der Ersten Republik, der mit dem Museum in dieser Zeit eng verbunden war, übergab 1940 dem Museum eine Büro-Briefwaage. Der Beirat hat in seiner Sitzung vom 28. Juni 2006 die Rückgabe empfohlen. Nach Informationen der Anlaufstelle der IKG hat die Erb_innensuche bisher noch zu keinem Ergebnis geführt. Dipl. Ing. Siegfried Gerstl

Der Experte für landwirtschaftliche Geräte Siegfried Gerstl überlies im Sommer 1938 einen umfangreichen Bestand von Dias, Fotopositiven und Notizen zu Gerätschaften dem Technischen Museum, da er seine Wohnung räumen und sich auf die Emigration vorbereiten musste. Der Beirat hat in seiner Sitzung vom 28. Juni 2006 die Rückgabe empfohlen. Ein weiteres Nachtragsdossier wurde im Februar 2008 übermittelt. Der Beirat hat in seiner Sitzung vom 21. November 2008 die Rückgabe der insgesamt 1098 Glasnegative, Notizbücher und Fotos empfohlen. Die Erb_innensuche war bis jetzt erfolglos. Otto und Marianne Zels

Marianne Zels übergab kurz vor ihrer Flucht aus Österreich – auch im Auftrag ihres bereits in Frankreich lebenden Bruders Otto – im Mai 1938 Bücher, Archivalien aus dem Nachlass Vaters Louis Zels dem Technischen Museum. Der Beirat hat in seiner Sitzung vom 8. November 2006 die Rückgabe empfohlen (30 Bücher und Broschüren, 27 Zeitschriftenbände). Die Erb_innensuche war bis jetzt erfolglos.

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146   Christian Klösch Hofrat Dr. Theodor Wolf

Dr. Theodor Wolf übergab 1938 eine Münzwaage, zwei Alkoholmeter und einen Stempel dem Museum. Er verstarb noch im Jahr 1940, vor den großen Deportationen, in Wien. Der Beirat hat in seiner Sitzung vom 1. Juni 2007 die Rückgabe der Objekte empfohlen. Die Erb_innensuche war bis jetzt erfolglos. Philatelistische Objekte (Bestand Finanzlandesdirektion Wien 1967)

Das Dossier das mehrere hundert postalische Objekte umfasst wurde im April 2007 der Kommission für Provenienzforschung übermittelt. Mit Beschluss des Kunstrückgabebeirats vom 7. März 2008 wurde die Rückgabe der Objekte an die rechtmäßigen Erb_innen beschlossen. Die Erb_innensuche läuft derzeit. Im Jahr 2011 konnten 13 postalische Objekte an die Erbin nach Hans Kollner zurückgegeben werden. Dossiers, die der Kunstrückgabebeirat nicht für eine Rückgabe empfohlen hat Dr. Karl Banhans, Minister a. D.

Das Dossier, das die Recherchen zur Erwerbung einer Büste aus dem Nachlass von Karl Banhans zusammenfasst, wurde im Mai 2011 der Kommission für Provenienzforschung übermittelt. Mit Beschluss des Kunstrückgabebeirats vom 10. Juni 2011 wurde die Rückgabe der Objekte an die Erb_innen abgelehnt, da die gegenständliche Büste dem damaligen Historischen Museum der österreichischen Eisenbahnen testamentarisch schon in den 1930er Jahren vermacht wurde. Dossiers, die der Kunstrückgabebeirat noch nicht behandelt hat Dossier zu einem Radio unbekannter Herkunft

Im Jänner 2007 wurde der Kommission für Provenienzforschung ein Dossier zu einem Radio übermittelt, das in den 1970er Jahren durch eine Privatperson dem TMW gewidmet wurde. Das Radio wurde mit dem Vermerk »für deutsche Wehrmacht beschlagnahmt, Wehrbetreuung« inventarisiert. Die rechtmäßigen Eigentümer_innen des Radios konnten nicht eruiert werden.

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Dossier Austro Daimler ADR 11/70

Im August 2012 wurde der Kommission für Provenienzforschung ein Dossier zu einem 2003 vom TMW erworbenen Austro Daimler ADR Cabriolet mit Baujahr 1929 übermittelt. Das Fahrzeug wurde im Auftrag der Gestapo am 10. August 1938 durch das Dorotheum Wien versteigert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Fahrzeug von der Gestapo dem/der ursprünglichen EigentümerIn entzogen wurde, jedoch konnte diese Person nicht identifiziert werden. Das Dossier wurde in der Beiratssitzung vom 8. März 2013 behandelt. Es wurde festgestellt, dass ein Entzug stattfand, weitere Forschungen zur Ermittlung der Vorbesitzerin/ des Vorbesitzer wurden angeregt. Kunstdatenbank des Nationalfonds

Im Jahr 2010 übermittelte das TMW Informationen zu 28 in der NS-Zeit im Dorotheum Wien bzw. im Kunstauktionshaus Kärntnerstraße erworbenen Objekten an den Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus zur Veröffentlichung in dessen Kunstdatenbank.3 Es handelt sich dabei um technische Gegenstände wie Messgeräte, einen Kompass, ein medizintechnisches Gerät und Elektroteile, die 1940/41 über das Dorotheum ersteigert wurden, bzw. um Kunsteisengussobjekte aus der dem frühen 19. Jahrhundert, die im Frühjahr 1944 beim Kunst- und Auktionshaus Kärntnerstraße erworben worden sind. Das Museum erhofft sich durch die Veröffentlichung weitere Hinweise auf die ursprünglichen Eigentümer_innen dieser Objekte, die bis dato jedoch nicht erfolgt sind Die Online-Datenbank zum KFZ-Raub in Österreich

Das internationale Forschungsprojekt Entzug und Restitution von Kraftfahrzeugen und die sozio-ökonomischen Folgen. Aspekte zur Verkehrsgeschichte Österreichs 1930–1955, in Kooperation mit Israelitischen Kultusgemeinde Wien und dem Deutschen Museum München, ist im Zeitraum 2009 bis 2012 durchgeführt worden. Ergebnis des Projekts ist eine Online-Datenbank zum NS-KFZ-Raub, die über die Website des TMW abgerufen werden kann.4 In aufwendigen Quellenrecherchen in Österreich und Deutschland konnten Informationen zu rund 3.000 beschlagnahmten und konfiszierten Kraftfahr3 4

www.kunstdatenbank.at/startseite.html (3.5.2018). http://historische-kfz-verzeichnisse.technischesmuseum.at/?page_id=9 (30.4.2018); siehe auch: Christian KLÖSCH, Partizipation und Teilhabe an musealer Forschung am Beispiel der Kraftfahrzeugdatenbanken des Technischen Museum Wien, in: Christina WARASCHITZ, Gabrielle FRÖSCHL, Thomas BALLHAUSEN (Hg.), Authentisch im Netz, Wien 2016, S. 91–98.

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148   Christian Klösch zeugen gesammelt werden.5 Diese Datenbank stellt für die Provenienzforschung ein wichtiges Hilfsmittel zur Identifizierung von NS-Raubgut in öffentlichen und privaten Oldtimer-Sammlungen dar und soll auch dem Handel im In- und Ausland zur Orientierung dienen. Mit Hilfe dieser Datenbank konnte die Provenienzforschung zum Kraftfahrzeugsbestand des TMW sowie bei unserem Projektpartner, dem Deutschen Museum München, abgeschlossen werden.6 Inventarnummer 1938 – Die Dauerausstellung zur Provenienzforschung am TMW

Seit November 2015 zeigt das TMW in seiner Schausammlung die alltägliche Praxis des NS-Raubzugs, rekonstruiert die Lebensgeschichten der Beraubten und dokumentiert die Suche nach den heute in aller Welt verstreut lebenden Erb_innen. Erstmals werden damit – zumindest im deutschsprachigen Raum – in einem Museum dauerhaft die Bemühungen zur Provenienzforschung dokumentiert und präsentiert.7 Ziel der Ausstellung, ist es, dass sie sich selbst erübrigt: Mit der Zeit wird soll die Präsentation der Objekte zu einer Dokumentation der Rückgabe werden. Zu Ausstellung erschien in der Edition TMW das gleichnamige Begleitbuch.8

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Vgl. Christian KLÖSCH, The great auto theft: confiscation and restitution of motorised vehicles in Austria during and after the Nazi period, in: Journal of Transport History 34/2 (2013), S. 117–140. Oliver KÜHSCHELM, Kraftfahrzeuge als Gegenstand von »Arisierungen«. Provenienzforschung zur Kraftfahrzeugsammlung des Deutschen Museums und Forschungen zur Enteignung von Kraftfahrzeugen in Bayern (= Preprint 4), München 2012. Christian KLÖSCH, Inventarnummer 1938. Die Dauerschau zur Provenienzforschung am Technischen Museum Wien, in: Provenienz & Forschung 1 (2018), S. 59–63. Christian KLÖSCH, Inventarnummer 1938. Provenienzforschung am Technischen Museum Wien, Wien 2015.

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Zwanzig Jahre Provenienzforschung im Heeresgeschicht­ lichen Museum/Militärhistorischen Institut (HGM/MHI) und der Fall Albert Klein Walter Kalina

Das seinerzeitige Heeresmuseum Wien – den Namen Heeresgeschichtliches Museum trägt es erst seit 1946 – hat ab dem relevanten Forschungszeitraum 1933/38 zum Teil wissentlich, teilweise jedoch auch in offenbarer Unkenntnis der tatsächlichen Provenienzen, von Erwerbungen aus entzogenem jüdischen Besitz »profitiert«, wenngleich nicht in dem Ausmaß wie andere vergleichbare große Wiener Museen. Neben Zuweisungen aus beschlagnahmten Vermögen von Amts wegen fanden damals wie heute auch Erwerbungen bei Auktionshäusern, Galerien und Kunsthandlungen statt, die mitunter selbst in die Abwicklung der Veräußerung vormals beschlagnahmten Vermögens involviert waren. Die Verwaltung bzw. Lagerung der betreffenden Objekte erfolgte während des Krieges im Arsenal; einige Objekte mussten auch an das Zeughaus in Berlin abgegeben werden.1 Als ab 1943 die Gefahr einer Zerstörung durch alliierte Bomberangriffe stetig zunahm, wurden die Objekte in weiterer Folge auch in insgesamt 28 Auslagerungsorten innerhalb und außerhalb des heutigen österreichischen Bundesgebiets deponiert, wobei in den letzten Kriegsmonaten und in der unmittelbaren Nachkriegszeit zahlreiche Verluste zu verzeichnen waren, sei es durch Diebstahl sowohl seitens der Bevölkerung als auch durch Soldaten der Besatzungsmächte. Die Rekonstruktion dieser Ereignisse und die tatsächliche Darstellung sämtlicher Verluste gestaltet sich schwierig, nachdem die Akten im Bereich des Heeresmuseums aufgrund von Bombenschäden – insbesondere durch Zerstörungen des Archivbereichs inklusive mehrerer Inventarbücher – stark dezimiert wurden. Folglich mussten Recherchen in den Archiven des Bundesdenkmalamtes, des Österreichischen Staatsarchivs sowie in Privatarchiven (etwa der Auktionshäuser und Galerien) unternommen werden. Derzeit findet im HGM/MHI eine systematische Aufarbeitung und elektronische Erfassung des gesamten Sammlungsbestandes statt. Vermittels des bereits zuvor erfolgten Herkunftsnachweises wird explizit die aktuelle Provenienzforschung einbezogen. 1

Unter anderem mussten zwei Objekte (Pokalglas und Deckelpokal) aus der beschlagnahmten Sammlung Franz Ruhmann und ein Pokalglas aus der Sammlung von Oskar Bondy 1940 bzw. 1941 an das Berliner Zeughaus abgegeben werden. Die Objekte aus der Sammlung Ruhmann konnten 1951 restituiert werden, das Pokalglas aus der Sammlung Bondy musste als Kriegsverlust abgeschrieben werden.

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Zwanzig Jahre Provenienzforschung im Heeresgeschicht­lichen Museum   151

Der derzeitige Stand (Anfang 2018) liegt bei 287.700 digitalisierten Objekten, davon sind rund 200.000 Datensätze (= Objekte) auch mit einem digitalen Foto versehen. Auf der Website des HGM/MHI konnten bereits rund 8.800 Sammlungsobjekte in einem Online-Katalog veröffentlicht werden. Pro Jahr werden etwa 21.400 Objekte, gegliedert nach den jeweiligen Sammlungen, digital erfasst, wobei diese im Zuge dessen auf das physische Vorhandensein, ihren Zustand und insbesondere hinsichtlich ihrer jeweiligen Provenienz überprüft und dokumentiert werden. In diesen Zahlen nicht enthalten ist der Bücherbestand der museumseigenen Bibliothek und Forschungsabteilung, der derzeit zu 83 Prozent erfasst ist (36.000 digitalisierte Objekte von einem Gesamtbestand von rund 44.000). Die Gesamtaufarbeitung der Bestände des HGM/MHI geschieht unter dem Schwerpunkt Provenienzforschung sammlungsübergreifend: Stellt sich bei der Aufarbeitung heraus, dass der Erwerb eines Objektes in Hinblick auf die Provenienzforschung relevant ist, erfolgt seitens der inventarisierenden Stelle eine diesbezügliche Meldung an den Projektverantwortlichen. In weiterer Folge werden von diesem umfassende Recherchen durchgeführt und deren Ergebnisse in einem Dossier dargestellt, welches der Kommission für Provenienzforschung übermittelt wird. Auf konkrete Anfragen und Anlassfälle hin werden zusätzlich Recherchen zum jeweiligen Sammlungsgegenstand oder Buch eingeleitet. Eine systematische Provenienzforschung für sämtliche Objekte (Sammlungsgut und Bestände der Bibliothek), die den gesamten relevanten Zeitraum des Einganges zwischen 1933 bis zur Gegenwart abdeckt, wird aufgrund der derzeitigen Ressourcen bzw. der Ausgangslage auch in absehbarer Zeit nicht als abgeschlossen betrachtet werden können. Allerdings wurden bereits unmittelbar nach dem Krieg 1947/48 »offiziell« beschlagnahmte Objekte an die rechtmäßigen Besitzer restituiert,2 so etwa an die Rechtsnachfolger von Oskar Bondy, Alphonse Rothschild, Albert Pollak oder Ernst und Gisela Pollak. 1950/51 wurden weitere Objekte an Viktor Ephrussi und Franz Ruhmann zurückgestellt. Bereits im Vorfeld des ersten Beschlusses zum Kunstrückgabegesetz 1998 begann im HGM/MHI die digitale Aufarbeitung des Sammlungsbestandes, wobei sich im Zuge dessen mehrere restitutionsrelevante Sachverhalte herausstellten. So konnten 2009 – dank der intensiven Bemühungen der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) – gemäß einer Empfehlung des Kunstrückgabebeirats aus dem Jahre 2003 – acht Bücher aus der vormaligen Bibliothek von Emilio von Hofmannsthal an die 2 Rechtsgrundlage: Bundesgesetz vom 26. Juli 1946 über die Rückstellung entzogener Vermögen, die sich in Verwaltung des Bundes oder der Bundesländer befinden (Erstes Rückstellungsgesetz).

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152   Walter Kalina rechtmäßigen Erben, der Organisation der American Friends of the Hebrew University in New York durch Vertreter des österreichischen Bundesministeriums für Landesverteidigung (BMLV) übergeben werden. Weitere Dossiers wurden seitens HGM/MHI bei der Kommission für Provenienzforschung eingereicht – unter anderen betreffend Eduard Epstein (Aquarellminiatur 1847, Beiratsbeschluss 2013) und Geza Rado (ÖlgemäldeTriptychon um 1890, Beiratsbeschluss 2017). Einen etwas spezielleren Restitutionsfall bildete jener des Albert Klein, der im September 1939 drei Ölgemälde und im März 1940 zehn Abzeichen an das damalige Heeresmuseum Wien veräußert hatte bzw. aufgrund der Situation veräußern musste. Bei der digitalen Inventarisierung dieser Objekte, die Anfang 2010 vorgenommen wurde, stellte sich durch den Eintrag im Inventarbuch heraus, dass hier ein relevanter Sachverhalt im Sinne des Kunstrückgabegesetzes vorlag: »Kauf von Albert Israel Klein lt. Az. 452/39«. Ab 1939 mussten Jüdinnen und Juden im Sinne der NS-Diktion den Namenszusatz »Sarah« bzw. »Israel« tragen. Folglich wurde dem Provenienzforscher im HGM/MHI Bericht erstattet. Daraufhin wurden umfassende Recherchen aufgenommen, bei denen sich der Verdacht hinsichtlich Restitutionsrelevanz als Sachverhalt manifestierte. Der in Varsany (Nordungarn, heute Teil der Gemeinde Hollókő) am 31. Mai 1873 geborene Albert Klein übersiedelte 1929 nach Wien, wo er als kleiner Kaufmann vorwiegend mit Holz handelte. Nach dem »Anschluss« 1938 wurde er vom NS-Regime verfolgt und erstellte am 16. Juli 1938 die für Juden verpflichtende Vermögensanmeldung. Darin gab er an, in Wien XXI, Floridsdorf, in der Floridsdorfer Hauptstraße 12 (EZ 118) ein Grundstück mit fünf Kleinhäusern in der Größe von 16.600 m² zu besitzen. Unter »Schulden« führte Klein Verbindlichkeiten in der Höhe von 191.700,RM an und zwar in Form von Hypotheken-, Kredit- und Privatschulden. Weiters gab Klein zu Protokoll, dass er durch den Ersten Weltkrieg, die Entwertung der Krone, die Weltwirtschaftskrise und den Börsenkrach sämtliches Barvermögen verloren hatte, so dass er »nur noch 1 Brett und 1 Schilling Bargeld« besaß. Es sah sich deshalb auch nicht imstande, eine Steuerleistung3 zu erbringen.4 Am 14. Dezember 1938 bekundete Klein in einem Brief an die zuständige Vermögensverkehrsstelle bezüglich einer ihm auferlegten Mahngebühr (in der Höhe von 20 Prozent), dass sein einziger Besitz, die Realität in Floridsdorf, sämtliche Mietzinsen und seine »wertlose Wohnungseinrichtung« vom Steueramt bereits gepfändet worden waren. Ungeachtet dieser, von Klein 3 4

Gemeint war hier die sogenannte Reichsfluchtsteuer. OeStA/AdR 06, Vermögensanmeldung Albert Klein vom 16.7.1938.

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Zwanzig Jahre Provenienzforschung im Heeresgeschicht­lichen Museum   153

bereits genannten, widrigen Umstände berechnete das Finanzamt Innere Stadt-Ost – zugleich Reichsfluchtsteuerstelle für das Land Österreich – sein Vermögen auf utopische 200.000,- RM. Demgemäß erging am 12. Jänner 1940 an Albert Klein ein Sicherheitsbescheid von selbiger Behörde, welcher ein Viertel dieses Vermögens, nämlich 50.000,RM an zu leistender »Reichsfluchtsteuer« festlegte. Die oben erwähnte Liegenschaft Albert Kleins in Floridsdorf fiel schließlich per 25. März 1942 gemäß der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz an das Deutsche Reich.5 Nachdem es Juden aufgrund des § 14 der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens (dRGBl. Teil 1 Nr. 206/1938, S. 1709-1712) vom 3. Dezember 1938 verboten war, Juwelen, Schmuck- und Kunstgegenstände an andere als öffentliche Verkaufsstellen zu verkaufen, wurde Klein bereits im September 1939 beim Heeresmuseum Wien vorstellig und bot die Ölgemälde Portrait eines unbekannten k. u. k. Oberst (signiert »KW Prochazka«, undatiert), ein Porträt des Erzherzog Friedrich von Österreich (signiert »Carl Atzker«, undatiert) sowie Portrait Kaiser Franz Joseph I. von Österreich (signiert und datiert »Adolf von Schallberg 1860«) zum Kauf an. Am 30. Oktober 1939 wurde in einer Notiz hierzu vermerkt, dass Albert Klein dem Heeresmuseum darüber hinaus auch 13 patriotische Abzeichen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges anbieten wollte.6 Das Heeresmuseum zahlte schließlich am 20. September 1939 für die drei Gemälde 15,- RM und für zehn Abzeichen 5,- RM. Albert Klein hatte mit seiner Frau Szidonie, die ebenfalls aus Ungarn stammte, drei Kinder: Alexander (geb. 1905), Giesela (geb. 1909 in Wien) und Franz (geb. 1911 in Reichenau). Bis zum 18. September 1939 war die Familie in einer Wohnung in Wien IV., in der Starhemberggasse 40 gemeldet, anschließend am Franz-Josephs-Kai (bis 13. November 1939), danach bis 25. März 1942 in Wien II, Im Werd 7. Der letzte Vermerk lautet nur noch »abgemeldet: Polen«.7 Aus der genannten Niederschrift des Heeresmuseums vom 30. Oktober 1939 geht aus einem zusätzlichen Vermerk, datiert mit 6. März 1940, hervor, dass »laut eingeholter Erkundigung beim dortigen Hausbesorger« Herr Albert Klein sich bereits »seit Herbst 1939 in Amerika« befunden hätte.8 Diese Information war jedoch offensichtlich falsch, denn Klein wurde gemäß Datenbank des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DÖW) zu einem

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WStLA, MA 119, VEAV, 21., C 61, Bescheid der Finanzlandesdirektion, 30.5.1953. HGM, Zl. 452/I/1939, Niederschrift. WStLA, MA 8, Zl. MA8-B-MEW-2559/2010, Meldeauskunft der Stadt Wien, 21.4.2010. HGM, Zl. 452/I/1939, Niederschrift.

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154   Walter Kalina nicht bekannten Datum von Budapest aus in ein nicht näher bekanntes Lager deportiert und ermordet.9 Am 13. Juli 1951 wurden Albert Klein und seine Frau Sidonie vom Bezirksgericht Innere Stadt »mit 8. Mai 1945 für tot erklärt«. Die beiden Söhne des Ehepaares Klein konnten als Gordon Frazer (ehemals Franz Klein) und George Alexander Keynes (ehemals Alexander Klein) nach London flüchten, das Schicksal der Tochter, Gisela, ist leider ungewiss. Das Grundstück in Floridsdorf wurde mit Bescheid der Finanzlandesdirektion am 30. Mai 1953 an den Erben Gordon Frazer rückgestellt.10 Hinsichtlich der Objekte, die in Zusammenhang mit der NS-Verfolgung von Albert Klein in die Bestände des HGM/MHI kamen, erfolgte nach 1945 kein Antrag auf Rückstellung durch die Rechtsnachfolger. Nach Einreichung des Dossiers zu Albert Klein bei der Kommission für Provenienzforschung wurde am 26. November 2010 seitens des Kunstrückgabebeirates erkannt, dass der Ankauf der Gemälde sowie der Abzeichen 1939 als nichtiges Rechtsgeschäft zu werten sei. Ohne Verfolgung durch das NS-Regime hätte Albert Klein die genannten Objekte wohl nicht verkauft. Aufgrund der Empfehlung des Beirates wurden die drei Ölgemälde zur Restitution bereitgestellt, die patriotischen Abzeichen konnten trotz intensiver Sichtung der Bestände im Bereich der Sammlung nicht mehr aufgefunden werden. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gingen diese Objekte durch die Kriegszerstörungen bzw. Plünderungen in den Jahren 1944/45 verloren. Die drei Ölgemälde konnten – dank der Unterstützung und Vermittlung durch die IKG – einer Vertreterin der rechtmäßigen Erben am 27. Februar 2013 übergeben werden. Derzeit wird im Heeresgeschichtlichen Museum/Militärhistorischen Institut weiterhin engagiert am elektronischen Gesamtinventar gearbeitet, ebenso am OnlineKatalog auf der Website des Museums. Im Zuge dessen wird, wie eingangs erwähnt, permanent systematische Provenienzforschung betrieben. Aufgrund der derzeitigen Ressourcen und der diffizilen Aktenlage wird jedoch die Provenienzforschung für sämtliche Objekte, die in den gesamten relevanten Zeitraum des Einganges zwischen 1933 bis in die Gegenwart fallen, auch in absehbarer Zeit nicht als abgeschlossen betrachtet werden können.

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DÖW, Opferdatenbanken, Shoa-Opfer, unter Bezugnahme auf das Amtsblatt der Stadt Wien, welches auf der Todeserklärung Zl. 48T 2133/50 vom 23.12.1950 basiert. 10 WStLA, XXI/e-6, Zl. VB-V 5562-5/53, Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, betreffend Verlassenschaft Klein Albert, an Gordon Frazer, 2, Highbury Place, London N. 5 zu Händen Herrn Dr. Günther Nemanitsch, Rechtsanwalt, Wien I, Graben 27.

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»Ein erlesenes Werk von lokalgeschichtlichem Standpunkt« Dürnstein an der Donau aus der Hand Rudolf von Alt

Andreas Liška-Birk

Am 12. Juni 2002 beschlossen alle österreichischen Landeshauptleute im Rahmen einer Bundesländerkonferenz in Zusammenarbeit mit der IKG Wien eine sogenannte Gemeinsame Erklärung. Darin wurde unter anderem festgelegt, dass sich die Landeshauptleute für die Schaffung von rechtlichen Grundlagen für die Rückgabe von Kunstgegenständen aus mittel- oder unmittelbarem Besitz der Länder, welche in der Zeit von März 1938 bis Mai 1945 ihren Besitzer_innen aus Verfolgungsgründen entzogen wurden, einsetzen werden, sofern solche Rechtsgrundlagen noch nicht bestehen sollten. Die Niederösterreichische Landesregierung hat daraufhin in Anlehnung an das Washingtoner Abkommen vom 17. Jänner 2001 (BGBl 121/2001) und aufgrund der erwähnten Gemeinsamen Erklärung am 28. August 2002 einen Restitutionsbeschluss erlassen.1 Anhand des Aquarells Rudolfs von Alt, Holzschiffe auf der Donau bei Dürnstein2 aus dem Besitz der Landessammlungen Niederösterreich, lassen sich Aktualität und Notwendigkeit dieses politischen Schrittes sehr gut ablesen. Aufgrund seiner Provenienz stellt dieses Kunstwerk einen laufenden Restitutionsfall dar. Seine Vorgeschichte lässt sich in diesem Kontext – abgesehen vom Entstehungsdatum um 1845 – vom Jahr 1918 an schreiben. Der Wiener Kommunalpolitiker, Rechtsanwalt und Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien Dr. Alfred Stern, der es zu einem unbekannten Zeitpunkt vor 1918 erworben hatte, vererbte das Aquarell Dürnstein an der Donau der Tochter seiner Schwester,3 die es ihrer eigenen Kunstsammlung einreihte. Serafine Klinger, geborene Strauss, war mit dem Rechtsanwalt Dr. Norbert Klinger, geboren am 30. Juni 1865 als Sohn des Textilgroßhändlers und späteren Präsidenten der IKG Wien Heinrich Klinger und der Charlotte Klinger, geborene Mauthner, verheiratet. Die beiden lebten seit 1911 in einer großzügigen Wohnung in Wien I, Schottenring 9, Tür 12. Dr. Norbert Klinger richtete in der Nachbarwohnung seine Anwaltskanzlei ein.4

1 2 3 4

NÖ Landesregierung, Finanzabteilung, Landesregierungsbeschluss vom 28.8.2002; Gemeinsame Erklärung der Landeshauptleute und der IKG-Wien vom 12.6.2002, Gmunden 2002. Kulturdepot St. Pölten, Zettelkartei der Kunstsammlung Niederösterreich, KS-1838. Neue Freie Presse, 2.12.1918, www.anno.oenb.ac.at (23.1.2017). WStLA, Meldeabfrage zu Norbert und Serafine Klinger, B-MEA-9903-2017.

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Andreas Liška-Birk

Das Ehepaar hatte drei Kinder, Margarethe (Grete), geboren am 22. Februar 1896 und kinderlos 1921 verstorben, Lily, geboren am 26. April 1900, und Julius Erich, geboren am 21. Dezember 1904 wie seine Schwestern in Wien. Lily Klinger heiratete am 1. Mai 1927 den Kaufmann Richard Deutsch. Die beiden hatten keine Kinder. Julius Erich Klinger studierte zunächst Jus und trat später in die Kanzlei seines Vaters ein. Am 14. Oktober 1936 heiratete er im Wiener Stadttempel Charlotte Morgenstern, geborene Haftel, recte Kornblüh.5 Seine Schwiegermutter Laura Haftel sollte zu einem späteren Zeitpunkt eine wichtige Rolle beim Erwerb des Bildes durch das Land Niederösterreich einnehmen. Das Ehepaar Norbert und Serafine Klinger war sehr wohlhabend und konnte die ererbte Kunst- und Antiquitätensammlung zu beträchtlichem Umfang ausbauen. Mit dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich am 12. März 1938 galten sie als jüdisch im Sinne der »Nürnberger Gesetze« vom 15. September 1935 (dRGBl. 1935 I, S. 1146, GBlÖ 150/1938) und waren dadurch Verfolgungen seitens der nationalsozialistischen Machthaber ausgesetzt. Am 30. Juni 1938 erstatteten Serafine und Norbert Klinger bei der Vermögensverkehrsstelle Wien gemäß der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938, Gesetzblatt für das Land Österreich (GBlÖ 102/1938) jeweils ein Vermögensverzeichnis. Serafine Klinger gab darin einen Hausanteil in Wien II, Untere Donaustraße 27 mit einem anteiligen Wert von 39.432,- RM, ein Wertpapiervermögen in Form einer Österreichischen Trefferanleihe in Höhe von 333,- RM sowie eine Kunst-, Antiquitäten und Schmucksammlung in Höhe von 28.739,- RM an. Das gegenständliche Aquarell von Rudolf von Alt wurde darin vom beeideten Schätzmeister Dr. Franz Kieslinger als »kleine Aquarellansicht von Dürnstein samt der Ruine, sign. Rudolf Alt« bezeichnet und mit 700,- RM bewertet.6 Norbert Klinger führte in seiner Vermögensanmeldung seine Rechtsanwaltskanzlei, Wertpapiere, eine Darlehensforderungen, Spareinlagen, Versicherungsansprüche sowie Schmuck- und Einrichtungsgegenstände an.7 Im August 1938 sah sich Serafine Klinger gezwungen, vier Aquarelle von Rudolf von Alt sowie vier Aquarelle von Jakob Alt an Reichsamtsleiter Ernst Schulte-Strathaus zum Gesamtpreis von 3.850,- RM (als Versicherungswert wurden 4.550,- RM ausgewiesen) abzugeben. Dieser handelte im Auftrag Martin Bormanns und sollte im Rahmen der »Alt-Aktion« einen größeren Bestand an Jakob und Rudolf Alt-Bilder an5 6 7

IKG-Wien, Matrikenamt, Geburtsmatriken zu Margarethe Klinger, Julius Erich Klinger, Lily Klinger/ Deutsch/Delt; Trauungsmatriken Julius Erich Klinger und Charlotte Morgenstern/Haftel. OeStA/VVSt, VA 5667 Serafine Klinger. OeStA/VVSt, VA 25209 Norbert Klinger.

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»Ein erlesenes Werk von lokalgeschichtlichem Standpunkt«   157

kaufen. Der Erlös wurde mittels Scheck der Österreichischen Creditanstalt an Serafine Klinger ausbezahlt und stand der Verkäuferin zur freien Verfügung.8

-

Es handelte sich dabei um folgende Bilder: Rudolf von Alt, Flusslandschaft (Attersee?), Aquarellskizze, Rudolf von Alt, Dürnstein samt der Ruine, Rudolf von Alt, Traunstein und das Schloß Orth, Rudolf von Alt, St. Martin an der Donau, Jakob Alt, Steirische Landschaft, Jakob Alt, Rheinlandschaft mit Ansicht von Bingen, Jakob Alt, Rheinlandschaft mit Burg Rheinstein, Jakob Alt, Ansicht von Verona.

Alle Bilder wurden zunächst der Sammlung Bormann einverleibt, fünf der oben genannten Aquarelle aber zu einem unbekannten Zeitpunkt vor Februar 1944 in das Bergungslager und Kunstdepot Salzbergwerk Altaussee gebracht. Am 3. Jänner 1939 verließen Charlotte und Julius Erich Klinger Wien und konnten in die USA flüchten. Sie kamen am 15. Oktober 1939 in New York an.9 Mit Verordnung vom 5. November 1940 wurden Charlotte und Julius Erich Klinger die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt und ihr Vermögen zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen.10 Lily und Richard Deutsch emigrierten 1939 via Liverpool in die USA. Am 27. Oktober 1939 änderte das Ehepaar Deutsch ihren Familiennamen in Delt.11 Serafine und Norbert Klinger mussten im Juli 1939 ihre Wohnung in der Schottengasse endgültig verlassen und wurden in eine Sammelwohnung in Wien XIX, Hofzeile 12 eingewiesen. Ihre Kunstsammlung, soweit noch vorhanden, vertrauten sie der Obhut ihrer entfernten Nichte Katharina (Kitty) Makart und deren Ehegatten August an. Dr. Norbert Klinger verstarb am 5. Dezember 1941 im Spital der IKG in Wien XVIII. In seinem Testament vom 9. April 1939 hinterließ er sein gesamtes Vermögen seiner Witwe Serafine Klinger. Das Verlassenschaftsverfahren wurde vom damaligen Amts-

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BDA, BA-Koblenz, B323-718; OeStA, VVSt, VA 5667 Serafine Klinger. New York Passenger Lists, Einträge zu Charlotte und Julius Erich Klinger, www.ancestry.com (12.12.2016). 10 OeStA, FLD 14313 Charlotte Klinger. 11 Naturalization Records sowie New York Passenger Lists, Einträge zu Lily Delt, www.ancestry.com (22.12.2016); WStLA, Meldeabfrage zu Richard und Lily Deutsch.

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gericht Döbling im Februar 1942 eröffnet, allerdings aufgrund der geplanten Vermögenseinziehung der Serafine Klinger durch das Deutsche Reich nicht abgeschlossen.12 Serafine Klinger musste nun als Witwe ab Dezember 1941 in andere Sammelwohnungen übersiedeln, bis sie am 24. September 1942 von ihrer letzten Wohnung in Wien IX13 in das KZ Theresienstadt deportiert wurde. Dort verstarb sie am 15. Februar 1943 an einer Lungenentzündung.14 Mit Einziehungserkenntnis der Gestapo, Staatspolizeileitstelle Wien vom 21. Jänner 1943 wurde ihr gesamtes bewegliches und unbewegliches Vermögen zugunsten des Deutschen Reiches (Reichsfinanzverwaltung) eingezogen.15 Kitty Makart gab nach 1945 an, dass sämtliche ihr anvertrauten Gemälde verloren gegangen wären. In einem Brief aus 1946 an Julius Erich Klinger stellte sie fest, »dass ein Teil derselben von ihr [Kitty Makart, Ergänzung des Verfassers] zu einem Hr. Kurz in Stetten (Korneuburg) vor dem Kampfbeginn in Österreich gebracht, jedoch während des Kampfes gestohlen wurden; dass ein anderer Teil dem Dorotheum zur Aufbewahrung übergeben, jedoch gerade vor Wiener Schlachtbeginn in ihre eigene Wohnung gebracht wurde, welche daraufhin vollkommen geplündert wurde«.16 Am 8. Mai 1945 besetzte die US-Armee Altaussee und begann in der Folge die Sicherstellung der im Bergwerk befindlichen Kunstschätze wobei sie zum Zweck der Ausforschung der ursprünglichen Eigentümer_innen die meisten Werke in ein von ihnen eingerichtetes Sammelzentrum in München, dem Central Collecting Point (CCP) brachten. Unter anderem wurden dort folgende fünf der acht Alt-Bilder aus der Sammlung Serafine Klinger sichergestellt.17 Rudolf von Alt, Traunstein und Schloß Orth, Rudolf von Alt, Dürnstein an der Donau, Jakob Alt, Burg Rheinstein, Jakob Alt, Burg Bingen am Rhein, Jakob Alt, Ansicht von Verona. 12 WStLA, Verlassenschaftsverfahren Dr. Norbert Klinger, 2A 126/42. 13 WStLA, Meldeabfrage zu Serafine Klinger. 14 Todesanzeige Serafine Klinger, www.geni.com (23.1.2017); Eintrag zu Serafine/Stefanie Klinger, www. doew.at (12.12.2016). 15 OeStA, FLD 16414 Serafine Klinger. 16 BDA, Personalakten, K 39/1, Norbert und Serafine Klinger. 17 Records concerning the CCPs, Munich CCP, 1945–1951, Serafine und Norbert Klinger, www.fold3.com (13.12.2016); BDA-Archiv, BA-Koblenz, B 323-718, »Seraph. Klinger, Wien«; Datenbank CCP, Eintrag »Mü-Nr. 26297/3«, Restitutionskartei, www.dhm.de (7.12.2016).

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»Ein erlesenes Werk von lokalgeschichtlichem Standpunkt«   159

Am 26. August 1948 leitete Rechtsanwalt Dr. Viktor Cerha im Auftrag der Geschwister Klinger beim Bezirksgericht Döbling das Verlassenschaftsverfahren für Serafine Klinger ein. Mit Beschluss vom 15. November 1948 wurden Dr. Julius Erich Klinger und Lily Delt, zu diesem Zeitpunkt bereits amerikanische Staatsbürger_innen, zu gleichen Teilen als Erb_innen nach Serafine Klinger eingeantwortet.18 Das noch laufende Erbschaftsverfahren nach Dr. Norbert Klinger wurde mit Beschluss des BG Döbling vom 16. Mai 1950 abgeschlossen und seine verstorbene Witwe Serafine Klinger zur Gänze eingeantwortet.19 Im November 1946 begannen die Geschwister Klinger mit Hilfe der amerikanischen Militärregierung die Suche nach der Kunstsammlung ihrer Mutter Serafine Klinger und wurden im CCP München zum Teil fündig. Ihr Vertreter in Wien, Dr. Cerha, beantragte nach der im Juli 1949 erfolgten Überstellung der Alt-Bilder nach Salzburg (Depot Salzburg-Residenz) bei der FLD Salzburg die Rückstellung nach den Bestimmungen des 1. Rückstellungsgesetzes (BGBl 156/1946). Die FLD Salzburg wies dieses Rückstellungsbegehren mit Bescheid vom 22. März 1950 unter Berufung auf die erfolgte Gegenleistung seitens des Käufers Ernst Schulte-Strathaus in Höhe von 3.850,RM zurück. Daraufhin brachte Dr. Cerha namens seiner Mandant_innen einen neuerlichen Antrag auf Rückstellung nach dem 2. Rückstellungsgesetz (BGBl 53/1947) bei der FLD Salzburg ein. In der Folge wurde mit Bescheid des Bundesministeriums für Finanzen vom 4. April 1952 den Antragsteller_innen Dr. Julius Eric Klinger und Lily Delt die fünf Aquarelle rückgestellt.20 Am 3. Juni 1953 übernahm Dr. Cerha aus dem Depot Salzburg-Residenz die Bilder und lagerte sie zwischenzeitlich in seinen Kanzleiräumlichkeiten in Wien ein. Im Jänner 1954 begutachtete Dr. Eckhart Knab aus der Albertina die gegenständlichen Bilder und befand bei keinem eine Ausfuhrsperre für nötig. In der Folge wurde allerdings Dr. Rupert Feuchtmüller vom Niederösterreichischen Landesmuseum auf die fünf Aquarelle aufmerksam und zeigte sich an der Erwerbung des Dürnsteiner Blattes sehr interessiert.21 Das Bild zeigt den Blick auf Dürnstein vom Südufer der Donau aus. Im Vordergrund links auf der Donau schwimmend erkennt man einen mit Holz beladenen 18 WStLA, Verlassenschaftsverfahren Serafine Klinger, 2A 487/48. 19 WStLA, Verlassenschaftsverfahren Dr. Norbert Klinger, 2A 126/42. 20 OeStA, FLD 8150 Julius Klinger und 16414 Serafine Klinger; BDA, CACP München 1955, K12-1, M9, fol. 2; BDA, K54-Gesamtverzeichnis. 21 BDA, Personalakten, K 39/1, Norbert und Serafine Klinger, Aktenvermerk Dr. Cerha vom 7.1.1954, GZ 145-54.

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Abb. 1: Vorderseite: Rudolf von Alt, Holzschiff auf der Donau vor Dürnstein, um 1845, Bleistift aquarelliert, 14,8x20,4 cm

Trauner (ein Transportschiff) und rechts eine kleine Zille. Signiert ist das Aquarell im unteren rechten Rand mit »R. Alt«. Auf der Rückseite im linken Eck findet sich die Inschrift »ALT Rudolf, Dürnstein«. Auf der rechten Seite hat ein Vorbesitzer mit Bleistift »Dürenstein 19« vermerkt. Auf der gedrehten Rückseite befindet sich noch eine Bleistiftskizze einer offenen Veranda mit Geländer, links davor angedeutete Bäume sowie im Hintergrund eine Hügellandschaft. Diese Skizze wird ebenfalls Rudolf von Alt zugeschrieben.22 In Folge wurde – mit Ausnahme dieses Bildes – die per Schreiben vom 7. Jänner 1954 von Dr. Cerha namens seiner Mandant_innen beantragte Ausfuhrgenehmigung in die USA mit Bescheid vom 3. März 1954 seitens des BDA erteilt. Für das Zurückhalten des Dürnstein-Bild wurde argumentiert, dass nach § 1 des Ausfuhrverbotsgesetzes (BGBl 80/1923) grundsätzlich die Ausfuhr von Gegenständen künstlerischer, ge22 Landessammlungen Niederösterreich, Kulturdepot St. Pölten, Zettelkartei der Kunstsammlung Niederösterreich, Eintrag zu KS-1838 »Holzschiff auf der Donau bei Dürnstein«, Rudolf von Alt; Inventarbuch Bilder, Plastiken, Kunstwerke Band II (950-2919), Eintrag zu Nr. 1838 Rudolf von Alt, Dürnstein; Eintrag im elektronischen Findbehelf TMS (The Museum System) des Landes Niederösterreich zu KS-1838 Rudolf von Alt, »Dürnstein«.

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des Landes Niederösterreich ist dieser Faktenbestand jedoch untergeordnet, da ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Ausfuhrverbot 1954 und dem Verkauf des Bildes an die Niederösterreichischen Landessammlungen 1955 unbestreitbar ist, und eine Rückstellung bzw. Geldentschädigung außer Zweifel steht. Julius Erich Klinger verstarb 1984, seine Schwester Lily Delt 1975, beide kinderlos. Julius Klinger adoptierte jedoch zu einem unbekannten Zeitpunkt vor 1952 den vorehelichen Sohn seiner Gattin Charlotte Morgenstern, geborene Haftel, Wilhelm Emil Morgenstern, nunmehr William Klinger.25 Ende 2016 erreichte die Niederösterreichischen Landessammlungen ein Schreiben eines deutschen Rechtsanwaltes, der im Namen dreier Mandantinnen eine Rückforderung des Alt-Bildes anregte. Diese drei Antragstellerinnen waren die Nachkommen des Bruders von Charlotte KlingerMorgenstern, Zvi Haftel, die allerdings nach eingehenden Nachforschungen nicht den alleinigen und vor allem erstrangigen Anspruch auf das gegenständliche Aquarell behaupten konnten. Die Recherche nach den testamentarischen Erb_innen des 2007 in den USA verstorbenen Adoptivsohns nach Julius Klinger, William Klinger, sowie den möglichen Erb_innen nach Richard und Lily Delt waren zur Drucklegung noch nicht abgeschlossen.

25 U. S. Social Security Death Index 1935–2014; U. S. Departing Passenger and Crew Lists 1914–1965 – S. S. Nieuw Amsterdam, New York-Le Havre, June 6th 1952, William Klinger, www.ancestry.com (25.1.2017).

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Leda mit dem Schwan oder: Provenienzforschung und Restitutionspolitik seit 1945 Ein Beispiel aus Oberösterreich

Birgit Kirchmayr, Gregor Derntl

Provenienzforschung in Oberösterreich 1998–2018

Wenn Österreich 2018 das zwanzigjährige Jubiläum zur Implementierung des Kunstrestitutionsgesetzes von 1998 begeht, so hat das Land Oberösterreich dieses Jubiläum noch vor sich: Im Jahr 2002 verabschiedete das Bundesland nach Vorbild des Bundesgesetzes ein Restitutionsgesetz, das seither die legistische Grundlage zur Restitution von NS-entzogenen Kunstgütern, die sich im Besitz des Landes befinden, bildet.1 Institutionell betrifft dies in erster Linie das Oberösterreichische Landesmuseum bzw. dessen Häuser. Die in Linz befindlichen städtischen Museen (LENTOS Kunstmuseum und NORDICO Stadtmuseum) unterliegen dem Landesgesetz nicht, die Stadt Linz orientiert sich aber nach eigener Aussage in ihrer Rückgabepraxis daran.2 Schon vor Verabschiedung des Landesgesetzes fanden – angeregt durch die öffentliche Debatte über NS-Raubkunst und die Verabschiedung des Kunstrestitutionsgesetzes – Provenienzuntersuchungen in oberösterreichischen Museen statt. Die Stadt Linz legte einen ersten Bericht zur Sammlung Wolfgang Gurlitt in der Neuen Galerie (heute LENTOS Kunstmuseum) vor3 und das Oberösterreichische Landesmuseum erarbeitete auf Weisung des Landeshauptmannes einen ersten Restitutionsbericht.4 2001 vergab die Landeskulturdirektion ein wissenschaftliches Forschungsprojekt an die Johannes Kepler Universität Linz, das die Erforschung von Vermögensentzug von Kunst in Oberösterreich während der NS-Zeit und damit zusammenhängende Komplexe zum Gegenstand hatte, inkludiert war auch die Provenienzforschung zum sogenannten 1 2 3 4

Oberösterreichisches Landesgesetz über Restitutionsmaßnahmen für Opfer des Nationalsozialismus vom 1.4.2002, LGBl. Nr. 29/2002. Vgl. LENTOS Kunstmuseum Linz, Provenienzforschung, http://www.lentos.at/images/Ausstellungen/ Verstaendnis-_und_Recherchemethoden.pdf (17.7.2018). Walter SCHUSTER, Die »Sammlung Gurlitt« der Neuen Galerie Linz, Linz 1999. Oberösterreichisches Landesmuseum (Hg.), Rückgabe von Kunstgegenständen, die während der NS-Ära in das Oberösterreichische Landesmuseum gelangten. Endbericht vom 30.4.1999, ergänzt und erweitert im Jänner 2000, Linz 2000.

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164   Birgit Kirchmayr, Gregor Derntl Collecting Point-Bestand des Landesmuseums, auf den im Folgenden noch näher eingegangen werden wird. Mit der Publikation des Bandes Geraubte Kunst in Oberdonau5 als Abschluss des genannten Projektes und der Restitution mehrerer Objekte war die Provenienzforschung in Oberösterreich aber keineswegs abgeschlossen. Vielfach hatte die Forschung weitere Arbeitsfelder erst zutage gebracht. Für das Oberösterreichische Landesmuseum zeigte sich insbesondere die umfangreiche Schenkung der Sammlung Kastner als Kristallisationspunkt weiterer Provenienzforschung,6 ebenso wurde die Sammlung Pierer einer Untersuchung unterzogen.7 Organisatorisch ist die Provenienzforschung des Landesmuseums seit Abschluss des universitären Forschungsprojekts über freie Dienstnehmerverträge an externe Forschende vergeben, die mit der Direktion und den jeweiligen Abteilungsleiter_innen zusammenarbeiten.8 Abgeschlossene und laufende Forschungsprojekte, Kunstwerke unklarer Provenienz sowie erfolgte Restitutionen werden auf der Website des Landesmuseums veröffentlicht. Der Fall eines Gemäldes, das sich seit 1948 in Verwahrung des Landesmuseums in Linz befindet und dessen Hintergrund erst vor kurzem restlos aufgeklärt werden konnte, wird im Folgenden beispielhaft dargestellt. Seine Geschichte steht paradigmatisch für die unterschiedlichen Entwicklungslinien und Phasen der Provenienzforschung und Restitutionspolitik seit 1945. Leda mit dem Schwan: der lange Weg zur lückenlosen Provenienz

Österreich, Kriegsende Mai 1945: In einem Gasthof in St. Agatha bei Goisern im Salzkammergut befinden sich mehrere provisorisch eingelagerte Gemälde, darunter ein großformatiges Ölgemälde von Auguste Galimard (1813–1880) mit dem Sujet Leda

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Birgit KIRCHMAYR, Friedrich BUCHMAYR, Michael JOHN, Geraubte Kunst in Oberdonau (= Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus 6), Linz 2007. Vgl. dazu ausführlicher Birgit KIRCHMAYR, Provenienzforschung zur Sammlung Kastner in den Oberösterreichischen Landesmuseen, in: Kunstgeschichte aktuell. Mitteilungen des Verbandes österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker 4 (2010), S. 6–7. Vgl. weiters die bereits erschienenen Zwischenberichte zur Sammlung Kastner, der Endbericht wird 2018 veröffentlicht, unter: Oberösterreichisches Landesmuseum, Provenienzforschung, http://www.landesmuseum.at/de/sammlungen/provenienzforschung.html (2.5.2018). Teile der Kunstsammlung des Wiener Industriellen Ferdinand Pierer (1884–1963) wurden 1970 vom Oberösterreichischen Landesmuseum erworben, die Sammlung umfasst rund 200 Kunstwerke des 19. Jahrhunderts. Bis 2013 war Birgit Kirchmayr, seit 2012 ist Gregor Derntl in dieser Funktion tätig; intern liegt die Zuständigkeit beim Sammlungsleiter Kunstgewerbe und Kunst bis 1918, Lothar Schultes, und der Direktion.

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166   Birgit Kirchmayr, Gregor Derntl dem Schwan bezogen sich die auf der Property Card angegebenen Informationen auf das Künstlerlexikon Thieme-Becker,11 demzufolge, dass das Gemälde von Napoleon III. gekauft und von diesem dem befreundeten König von Württemberg für dessen Sammlung geschenkt worden war.12 Ebenfalls belegt war, dass NS-Stellen im Kontext des »Sonderauftrags Linz« das Gemälde 1938 erworben hatten. In einem Schreiben der Collecting-Point-Verwaltung an das Bundesdenkmalamt Wien hieß es zur Identifizierung des Gemäldes: »1938 erworben. Im Besitz des Königs von Württemberg seit 1855.«13Auf der Rückseite des Bildes befindet sich eine Inventarnummer aus dem Württembergischen Wilhelma-Inventar.14 Als »deutscher Vorkriegsbesitz« sollte das Gemälde – wie auch die meisten anderen des Bestands – nach Deutschland überführt werden. Dazu kam es aber nicht. Nachdem der Central Collecting Point München 1951 seine Arbeit beendet hatte und die Amerikaner nach Abschluss des Staatsvertrags aus Österreich abgezogen waren, befanden sich die 17 von St. Agatha über Ennsegg nach Linz überstellten Gemälde noch immer in Linz.15 Weitere Provenienzforschung oder Rückstellungsbemühungen fanden nun nicht mehr statt. Bei einer routinemäßigen Inventur, vermutlich Mitte der 1960er Jahre, wurden die Gemälde inventarisiert, sprich, in den Bestand des Oberösterreichischen Landesmuseums aufgenommen.16 Galimards Leda mit dem Schwan erhielt eine Inventarkarte, auf der hinsichtlich der Provenienz knapp und etwas irreführend vermerkt wurde: »1945 vom Collecting Point überstellt«. So der Stand bis 1998, als die Forschung im Zuge des eingangs beschriebenen Projekt wieder aufgenommen wurde. Was diese an Ergebnissen zutage brachte, war zunächst eigentlich nur das in den Nachkriegsjahren bereits vorhandene, in der Zwischenzeit aber verlorengegangene Wissen: In den Restitutionsmaterialien des Archivs des Bundesdenkmalamts in Wien fanden sich die verblichenen Mikrofiche-Kopien der Property Cards der fraglichen Gemälde. Ihr Weg nach Linz konnte nun ebenso nachvollzogen werden wie die Zugehörigkeit zum Bestand des Sonderauftrags Linz. Im Fall 11 Ulrich THIEME (Hg.), Allgemeines Lexikon der bildenden Künste von der Antike bis zur Gegenwart XIII, Leipzig 1920, S. 97–98. 12 BDA, Restitutionsmaterialien, Kt. 12, M. 1: Property Card Galimard, Leda mit dem Schwan. 13 BDA, Restitutionsmaterialien, Kt. 16, M. 9: S. Lane Faison, Collecting Point München an BDA, 15.2.1951. 14 Vgl. dazu auch die Rückseitendokumentation des Bildes in KIRCHMAYR, BUCHMAYR, JOHN 2007, S. 285. 15 Vgl. KIRCHMAYR, BUCHMAYR, JOHN 2007, S. 247–254. 16 Vgl. die mündliche Auskunft der damaligen Museumsmitarbeiterin Dr. Brigitte Wied, die die Inventarisierung vorgenommen hat, an Birgit Kirchmayr am 9.5.2003.

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Leda mit dem Schwan oder: Provenienzforschung und Restitutionspolitik seit 1945    167

Leda mit dem Schwan konnte an den Wissensstand der 1950er Jahre angeknüpft werden, indem der Hinweis auf die Provenienz aus der Württembergischen Sammlung nun (wieder) vorlag. Alle weiteren Bemühungen, mehr über die gesamte Provenienzkette zu erfahren, blieben aber an diesem Punkt stecken. Insbesondere die Frage, in wessen Besitz das Bild nach einem möglichen Ausscheiden aus der Württembergischen Gemäldesammlung gewesen ist und ob es unrechtmäßig enteignet worden war, blieb ungeklärt. Auch nach Veröffentlichung der vorliegenden Informationen, sowohl in Buchform wie auch online,17 blieben weitere Erkenntnisse zunächst aus. So der Stand bis 2017. Die Raubkunst- und Provenienzforschung hatte sich seit 1998 stetig weiterentwickelt, vor allem hinsichtlich der internationalen Vernetzung der Forscher_innen sowie der Digitalisierung und elektronischen Verfügbarkeit von Quellen. Die österreichische Kommission für Provenienzforschung und ihre Mitarbeiter_innen spiel(t)en dabei mit zahlreichen innovativen Projekten eine maßgebliche Rolle.18 Schließlich kam es – und dies sollte für den konkreten Fall besonders bedeutsam werden – zu dem aufsehenerregenden »Schwabinger Kunstfund«, der in Deutschland zu einer Intensivierung von Provenienzforschung und 2015 zur Gründung der Stiftung Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste führte. Mit Mitteln aus dieser Stiftung initiierte Anfang 2017 das Landesarchiv Baden-Württemberg im Staatsarchiv Ludwigsburg ein Projekt zur Erschließung der dort lagernden Rückerstattungsakten.19 Auf Basis der dabei aufgefundenen und bereitgestellten Akten konnte die bis dahin lückenhafte Provenienz des Bildes Leda mit dem Schwan geklärt und der Verdacht einer unrechtmäßigen Herkunft im Sinne einer nationalsozialistischen Entziehungsmaßnahme bestätigt werden. Das lange gesuchte missing link war gefunden. Wie die neu gefundenen Akten zeigten, befand sich Galimards Leda mit dem Schwan seit 1920 im Besitz von Adolf und Selma Wolf aus Stuttgart. Adolf Wolf war Inhaber einer international tätigen Putzwoll- und Baumwollfabrik, er erwarb das Bild bei einer Versteigerung von Objekten aus der Württembergischen Sammlung im Jahr

17 KIRCHMAYR, BUCHMAYR, JOHN 2007, S. 263–264; Website des Oberösterreichischen Landesmuseums sowie Lost-Art-Datenbank und Kunstdatenbank des Nationalfonds der Republik Österreich. 18 Genannt sei beispielsweise das Digitale Archiv, die Online-Edition der Zentraldepotkartei oder das im Aufbau befindliche Online-Lexikon zur österreichischen Provenienzforschung. Vgl. dazu auch das auf dem österreichischen Zeitgeschichtetag 2018 in Wien präsentierte Panel Translokationen von Kunst- und Kulturgut unter dem NS-Regime und in der Nachkriegszeit. Projekte zur digitalen Rekonstruktion, https:// zgt18.univie.ac.at/programm/panels-i-7-april-2018/panel-33/ (2.5.2018). 19 Vgl. Deutsches Zentrum für Kulturverluste, https://www.kulturgutverluste.de/Content/03_Forschungsfoerderung/Projekt/Landesarchiv-Baden-Wuerttemberg/Projekt2.html (4.5.2018).

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168   Birgit Kirchmayr, Gregor Derntl 1920 um 30.000 Mark.20 Über die Enteignung liegen keine Primärquellen vor, der Vorgang lässt sich aber über den in der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er Jahren geführten Entschädigungsprozess rekonstruieren. Im Jahr 1958 reichten die beiden Töchter von Adolf und Selma Wolf (Adolf Wolf war 1928 und Selma Wolf 1946 in der Schweiz gestorben) einen Antrag zur Rückstellung des enteigneten Familienbesitzes ein, darunter befanden sich die beiden Gemälde Leda mit dem Schwan und Die Grafen von Taube von Faber du Faur. Sollte eine Naturalrestitution nicht mehr möglich sein, wurde für die beiden Gemälde eine Entschädigung in Höhe von 20.000 DM gefordert.21 Aus dem gesamten Akt geht nicht hervor, dass es Bemühungen zur Eruierung des Aufenthaltsortes der Gemälde gegeben habe. In Bezug auf den Schätzwert der Bilder wurde mit Einverständnis der Antragsstellerinnen ein Kunstsachverständiger herangezogen, der gemeinsam mit dem ehemaligen »Ariseur« der Gemälde in Stuttgart eine Kunsthandlung führte und mit diesem auch verschwägert war. Ob die beiden Töchter von Adolf und Selma Wolf davon Kenntnis hatten, ist nicht bekannt.22 Die Einschätzung des Sachverständigen zum Marktwert des Bildes mutet zumindest seltsam an: »Gallimard ist ein französischer Maler, geboren 1844. Der Maler ist heute in Vergessenheit geraten. Das Bild entsprach dem damaligen Zeitgeschmack, es wäre heute praktisch unverkäuflich. […] Als Käufer käme heute bestenfalls ein ausgefallener Junggeselle in Betracht. […] Der Verkehrswert am 1.4.1956 ist mit 2.500 DM anzunehmen.« 23 Für den Verlust der Leda mit dem Schwan sowie des zweiten Gemäldes der Sammlung erhielten die Erbinnen nach einem Vergleich schließlich 5.000 DM und damit nur ein Viertel der geforderten Entschädigungssumme.24 Das war 1962. Die Erbinnen wurden in Deutschland finanziell entschädigt, während sich gleichzeitig eines der Bilder im Oberösterreichischen Landesmuseum in Linz befand. Hätte zum Zeitpunkt der Antragstellung jemand die Akten des Central Collecting Point konsultiert, die 1951 der deutschen Treuhandverwaltung von Kulturgut übergeben worden waren, hätte man Bild und rechtmäßige Eigentümerinnen mit 20 Sozialistische Monatshefte 26/55 (1920), S. 1125. 21 Vgl. Landesarchiv Baden Württemberg, Staatsarchiv Ludwigsburg, FL 300/33 Amtsgericht Stuttgart: Akten des Schlichters für Wiedergutmachung Stuttgart 1947–1975 , Bü 2898, Bild 8. 22 Vgl. Landesarchiv Baden Württemberg, Staatsarchiv Ludwigsburg FL 300/33 Amtsgericht Stuttgart: Akten des Schlichters für Wiedergutmachung Stuttgart 1947–1975, Bü 2896-Bü 2902; Joachim BRAND, Moritz WULLEN (Hg.), German Sales 1930–1945. Bibliographie der Auktionskataloge aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, Berlin 2013, S. 525–526. 23 Vgl. Landesarchiv Baden Württemberg, Staatsarchiv Ludwigsburg, FL 300/33 Amtsgericht Stuttgart: Akten des Schlichters für Wiedergutmachung Stuttgart 1947–1975, Bü 2898, Bild 35–37. 24 Vgl. Landesarchiv Baden Württemberg, Staatsarchiv Ludwigsburg, FL 300/33 Amtsgericht Stuttgart: Akten des Schlichters für Wiedergutmachung Stuttgart 1947–1975, Bü 2898, Bild 48.

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relativ wenig Aufwand zusammenführen können.25 So aber dauerte es bis heute, die Provenienz der im Linzer Schlossmuseum befindlichen Leda mit dem Schwan restlos aufzuklären. Für die damaligen Antragstellerinnen kommt dies definitiv zu spät. Fazit: Die Geschichte des Bildes Leda mit dem Schwan erweist sich als geradezu idealtypisch, um die verschiedenen Phasen der Provenienz- und Restitutionspolitik in Österreich und Deutschland seit 1945 darzustellen: Mit der Initiative der amerikanischen Kunstschutzbehörden wurde in den unmittelbaren Nachkriegsjahren einiger Aufwand betrieben, Gemälde unbekannter Herkunft, die im gesamten Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches in zahlreichen Depots aufgefunden wurden, hinsichtlich ihrer Provenienz zu untersuchen. Die Property Cards der Collecting-Point-Verwaltung weisen zwar teilweise Fehler und natürlich auch Leerstellen auf, zeugen aber dennoch von einem – angesichts der politisch-ökonomischen Schwierigkeiten der Nachkriegsjahre beeindruckenden – organisatorischen Aufwand, in den auch die lokalen Denkmalbehörden eingebunden waren. Diese Phase endete mit der Auflösung der CollectingPoint-Verwaltung im Jahr 1951 und für Österreich darüber hinaus mit dem Abschluss des Staatsvertrags 1955. Provenienzforschung hinsichtlich NS-entzogenem Kunstgut und Kunstrestitution waren für die nächsten Jahrzehnte kein Thema. Das auf Initiative und Druck von Simon Wiesenthal 1969 etablierte erste Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz26 war zwar eine legistische Initiative, für die aber keine weitergehende Provenienzforschung festzustellen ist. Dies gilt auch für das 2. Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz von 1986,27 und selbst die Mauerbach-Auktion von 1996 basierte noch auf der Annahme, dass die zur Versteigerung gebrachten Kunstwerke »herrenlos« und in ihrer Herkunft nicht weiter recherchierbar wären. Erst das Kunstrückgabegesetz von 1998 brachte eine paradigmatische Veränderung, indem gleichzeitig mit dem Gesetz auch die Kommission für Provenienzforschung eingerichtet wurde, deren Mitglieder in den Bundesmuseen systematische Bestandsüberprüfungen vornehmen. Eine Herangehensweise, die zumindest von einigen Bundesländern und Gemeinden übernommen wurde. Wie das Beispiel von Galimards Leda mit dem Schwan anschaulich zeigt, konnte dank der legistischen Initiative von 1998 und der daraus resultierenden stetigen Profes25 Damit erweist sich die Geschichte als kein Einzelfall: Auch hinsichtlich eines anderen Bildes des Linzer Collecting-Point-Bestandes, das 2003 restituiert werden konnte, zeigte sich, dass zum Zeitpunkt der Anfrage der ehemaligen Eigentümerin beim Bundesdenkmalamt Wien im Jahr 1947 kein Zusammenhang hergestellt wurde mit dem gleichzeitig unter Verwahrung des Bundesdenkmalamts in Schloss Ennsegg untergebrachten Gemälde. Vgl. KIRCHMAYR, BUCHMAYR, JOHN 2007, S. 290–291. 26 BGBl Nr. 294/1969. 27 BGBl Nr. 2/1986.

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170   Birgit Kirchmayr, Gregor Derntl sionalisierung im Feld der Provenienzforschung noch nach Jahren ein lange gesuchtes missing link hergestellt werden. Es ist dies ein eindrückliches Beispiel dafür, dass manche Rück-Reisen von Objekten zu ihren rechtmäßigen Eigentümer_innen zwar länger dauern, als man sich das wünschen würde, dass neue Erkenntnisse aber auch nach langer Zeit nicht ausgeschlossen werden können. Dies mag durchaus als Plädoyer gegen jegliche Form Schlussstrich-Ziehens verstanden werden.

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»Die Aufnahme einer Korrespondenz mit dem Geschädigten hat […] zu unterbleiben.«1 Zwanzig Jahre Provenienzforschung am Universalmuseum Joanneum Graz

Karin Leitner-Ruhe

Ein spanisches Männerporträt als Schlüssel zu den Vugesta-Rechnungsbüchern

Das lange Zeit Hans von Aachen zugeschriebene Bildnis eines jungen Mannes mit Halskrause in der Alten Galerie am Universalmuseum Joanneum in Graz teilt das Schicksal der Anonymität vieler Werke: Anonym ist der darauf Dargestellte, anonym ist heute der Künstler, nicht bekannt war seine Herkunft vor den ersten Recherchen zur Provenienz 1999. Mit der Herkunftsangabe »Ankauf 1943« fiel das Objekt bei der ersten Durchsicht im Inventar sofort unter die offenen, möglicherweise bedenklichen Provenienzen. Bei der Aufnahme der im Haus liegenden Akten musste der Erwerb bald als eindeutig bedenklich eingestuft werden, da der Ankauf über das Institut für Denkmalpflege mit Überweisung an die Vugesta erfolgte. 1999 wurde der Fall in den Forschungsbericht aufgenommen, schien aber in dieser Zeit als nicht lösbar. Im Zuge der Recherchen österreichischer Provenienzforscher wurde bekannt, dass sich im Archiv der Republik in Wien neun Bände Rechnungsbücher der Vugesta befinden. Diese sind durchgehend nummeriert, jeder Nummer ist ein Name mit Wohnadresse des Emigrierten zugeordnet und mit diesem wiederum korrespondieren in mehreren Spalten Verwertungssummen, Namen der beteiligten Speditionen sowie der Begünstigten. Da im Forschungsbericht des Joanneums die Aktenzahlen jeglichen Schriftstückes konsequent aufgenommen worden waren, konnte im Sommer 2000 nach einem Hinweis von Ruth Pleyer, damals Anlaufstelle für jüdische NS-Verfolgte der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, im Vergleich mit den Rechnungsbüchern ein Schlüssel zu den Eigentümern gefunden werden:2 Die beim Schriftverkehr mit der Vugesta verwendete Aktenzahl setzt sich unter anderem aus der fortlaufend geführten 1

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In einer Einsichtsbemerkung der Abteilung 9 des Bundesministeriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung im März 1949 zum Fall Karl Wollner. OeStA/AdR 06, BMF-VS, GZ. 20.686-2/49 – laut Schreiben der Anlaufstelle der IKG Wien vom 3.5.2006. – Siehe Anm. 4. Vgl. u. a. Annemarie HAPPE, »NS-Raubkunst«: VUGESTA-Rechnungsbücher lösen Provenienzrätsel, APA-Meldung, 2.8.2000; Thomas TRENKLER, Brisante Vugesta-Akten endlich gefunden, in: Der

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172   Karin Leitner-Ruhe Nummer in den Rechnungsbüchern zusammen. So fand man im Fall des anonymen Männerporträts unter der Nummer 950 (= Vugestaeinbringungs-Kons. Nr.) den Namen Karl Wollner.3 Diese Nummer wurde bei den wenigen Briefen zwischen Wien und Graz im Jahr 1943 mehrmals angeführt.4 Die Freude über die Lösung des Falles wird allerdings durch das Nichtabschließen desselben getrübt, da die Erben nicht miteinander sprechen und sich so auf keinen Übernehmer einigen können. Provenienzforschung am Universalmuseum Joanneum seit 19985

Nach den Bundesmuseen geriet das Joanneum als eines der ersten Landesmuseen 1998 in die Schusslinie der Medien. In der großen Serie der Tageszeitung Der Standard6 über Nazi-Raubkunst und in der ORF-Fernsehsendung Treffpunkt Kultur am Anfang

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S­ tandard, 4.8.2000; N. N., Raubkunst auf der Spur. Rechnungsbücher ermöglichen Identifizierung der ehemaligen Besitzer, in: Salzburger Nachrichten, 4.8.2000. Vgl. Karin LEITNER-RUHE, Einbringung Vugesta, in: Karin LEITNER-RUHE, Gudrun DANZER, Monika BINDER-KRIEGLSTEIN (Hg.), Restitutionsbericht 1999–2010, Universalmuseum Joanneum, Graz 2010, S. 43–44. Das Pikante an diesem Fall ist, dass den österreichischen Behörden unmittelbar nach dem Krieg die Verknüpfung mit den Rechnungsbüchern der Vugesta 1949 durchaus bekannt war: Das Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung schrieb am 23.3.1949 an das Bundesdenkmalamt in Wien in Bezug auf die Meldung der Steiermärkischen Landesregierung vom 22.1.1949 über das spanische Bild aus dem 17. Jahrhundert: »In den Vugestabüchern sind unter laufender Nummer 950 ein Carl Wollner, Wien 9, Fuchsthallerg. 12 whft. gew. und die Speditionsfirma Harry Hambacher, Wien I., Fleischmarkt 17, verzeichnet. Wollner, welcher dzt. in Clarendon Ave. 4520 Chicago 40 whft. sein soll, hatte am 20.11.1938 seine gesamte Wohnungseinrichtung und 4 Pakete mit 8 Bildern bei der Fa. Hambacher als jüdisches Umzugsgut eingelagert. Am 25.10.1940 wurde dieses Umzugsgut von der Gestapo unter Nr. 950/24 bei der Speditionsfirma beschlagnahmt, der ›Vugesta‹ zur Verfügung gestellt und später abtransportiert.« BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, K. 25, Restitution Steiermark, M. 3, Joanneum Graz, Zl. 2319/49. In einer Einsichtsbemerkung der Abteilung 9 des Bundesministeriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung im März 1949 wurde festgehalten: »Die Aufnahme einer Korrespondenz mit dem Geschädigten hat zufolge Weisung der Sektionsleitung I aus grundsätzlichen Erwägungen zu unterbleiben, umsomehr als eine gesetzliche Grundlage für eine derartige Verständigung nicht gegeben erscheint.« OeStA/AdR 06, BMF-VS, GZ. 20.686-2/49 – laut Schreiben der Anlaufstelle der IKG Wien vom 3.5.2006. Ein detaillierter Rückblick auf die ersten zehn Jahre siehe: Karin LEITNER-RUHE, »… versäumt die Steiermark nie wiederkehrende Gelegenheiten …« Provenienzforschung und Restitution im Steiermärkischen Landesmuseum Joanneum seit 1998, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN (Hg.), … wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), Wien-Köln-Weimar 2009, S. 329–341. Vgl. Hubertus CZERNIN, Kunstraub. Das veruntreute Erbe, in: Der Standard, achtteilige Serie, 21.2.– 2.3.1998.

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174   Karin Leitner-Ruhe von der Thematik betroffen sind: Kulturhistorische Sammlung, Neue Galerie und Alte Galerie. Neben bekannten Namen wie den Familien Rothschild, Gutmann und Bondy werden in diesem Bericht auch anonyme Erwerbungen über den Kunsthandel, die Auktionshäuser und staatliche Organisationen (Gestapo, Vugesta) aufgezählt. Der Vollständigkeit halber sind ebenso die bereits in der Nachkriegszeit abgeschlossenen Restitutionen angeführt. Auf Grundlage des Forschungsberichtes beschloss der Steiermärkische Landtag am 14. März 2000 das Landesverfassungsgesetz7 zur Rückgabe fraglicher Erwerbungen aus während der NS-Zeit entzogenem Eigentum und forderte neben den Recherchen in den Archiven und dem Museum auch die Erbensuche. Im März 2003 wurde in der Landesmuseum Joanneum GmbH unter der Abteilung Museumsservice eine eigene Stelle für Restitution und Provenienzforschung installiert. Publikation des Restitutionsberichtes 1999–2010

Als äußerst wichtig und ein Meilenstein stellte sich die Publikation des Forschungsberichtes von 1999 in einer aktualisierten Form im Jahre 2010 heraus.8 Der Gang an die Öffentlichkeit brachte dem Universalmuseum Joanneum in Fachkreisen wie von Seiten des interessierten Publikums ein äußerst positives Feedback. Die Veröffentlichung hatte auch direkte Auswirkungen auf einige Restitutionsfälle, plädierte doch die Geschäftsführung und das Team des Joanneums in derselben für die Wiedereinrichtung der Landeskommission, die nur 1999 und 2000 bestanden hatte. Diese war am 17. Mai 1999 von der Steiermärkischen Landesregierung eingesetzt worden, um die rechtlichen Modalitäten für die Rückführung der auf problematischem Wege erworbenen Kulturgüter und Kunstgegenstände festzulegen. Sie war – ähnlich dem Beirat in Wien – als beratendes Organ für die Landesregierung vorgesehen, um diese bei der Rückgabe bzw. der Abwicklung der einzelnen Fälle zu unterstützen. Ging es im Jahr 2000 noch um die allgemeine Vorgehensweise bei einem Restitutionsfall, die Erstellung des Landesverfassungsgesetzes sowie um die Aufforderung, die nicht geklärten Fälle mit allen 7

Landesgesetzblatt, Jg. 2000, 17. Stück, 46. Landesverfassungsgesetz vom 14. März 2000: »Die Landesregierung wird beauftragt und ermächtigt, die im Eigentum des Landes Steiermark befindlichen Kunstgegenstände und Kulturgüter, die während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ihren Eigentümern entzogen worden sind, Anspruchsberechtigten unentgeltlich zu übereignen oder für den Fall, dass Anspruchsberechtigte nicht gefunden werden können, einer Verwertung zuzuführen, deren Erlös Opfern des Nationalsozialismus bzw. entsprechenden Organisationen zukommen soll.« 8 Karin LEITNER-RUHE, Gudrun DANZER, Monika BINDER-KRIEGLSTEIN (Hg.), Restitutionsbericht 1999–2010, Universalmuseum Joanneum, Graz 2010.

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»Die Aufnahme einer Korrespondenz mit dem Geschädigten hat […] zu unterbleiben.«    175

»Maßnahmen der Veröffentlichung, insbesondere der Bekanntgabe über das Internet«9 zu publizieren, so waren 2010 das Team des Joanneums sowie der Vertreter des Verfassungsdienstes auf mittlerweile wesentlich kompliziertere Sachverhalte gestoßen, so dass ein Gremium zur Unterstützung hinzugezogen werden musste. Wegen seit dem Jahr 2000 verschiedener geänderter Rahmenbedingungen (Neufassung der Geschäftseinteilung des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung bzw. Namensänderung einzelner Abteilungen etc.) musste die Kommission neu zusammengesetzt werden. Sie wurde mit 15. September 2011 per Regierungsbeschluss10 einstimmig angenommen. Die Kommission besteht nunmehr aus dem Landesamtsdirektor bzw. einem von ihm entsandten Vertreter oder einer Vertreterin sowie je einem Vertreter oder einer Vertreterin des Verfassungsdienstes, der Abteilung Kultur, der Fachabteilung Finanzen und Landeshaushalt, der Universalmuseum Joanneum GmbH sowie der Israelitischen Kultusgemeinde. Die konstituierende Sitzung der Kommission fand am 31. Oktober 2011 statt. Am 14. Dezember desselben Jahres wurde die erste Sitzung abgehalten, in der die Fälle Oskar Reichel und Valerie Eisler besprochen wurden. Es folgten insgesamt zehn weitere Sitzungen. Fünf Fälle wurden von der Kommission seit 2011 zur Restitution empfohlen: Oskar Reichel, Valerie Eisler, Nathan Eidinger, Adolf Bauer sowie archäologische Funde, welche 1941 im Zuge von Grabungen im heutigen Slowenien nach Graz gebracht worden waren. Die Rückgabe an die Erben nach Oskar Reichel, Valerie Eisler, Adolf Bauer und an die Republik Slowenien wurde durch Beschlüsse der Landesregierung bestätigt und vom Universalmuseum Joanneum durchgeführt. Die Erbfolge nach Nathan Eidinger muss erst bestimmt werden, damit ein Regierungsbeschluss gefasst werden kann. Der Fall Franz Ruhmann11 wurde aufgrund des freundschaftlichen Kontaktes von Karl Ruhmann, der das Erbe seines 1946 verstorbenen Bruders Franz vertrat, mit der kunstgewerblichen Abteilung nach dem Krieg für nicht restitutionswürdig nach dem Landesverfassungsgesetz gewertet. Die Schenkung eines Bechers von Hieronymus Hackl im Jahre 1954 ist nicht mit Bedingungen verknüpft und ist folglich als freiwillig anzusehen.

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Alte Galerie, Akte »Erwerbungen und Rückstellungen aus jüdischem Besitz 1938–1955«, Resümeeprotokoll über die Sitzung am 21.1.2000. 10 Sitzung der Steiermärkischen Landesregierung Nr. 32 am 15.9.2011. 11 Vgl. Monika BINDER-KRIEGLSTEIN, Kulturhistorische Sammlung, in: Karin LEITNER-RUHE, Gudrun DANZER, Monika BINDER-KRIEGLSTEIN (Hg.), Restitutionsbericht 1999–2010, Universalmuseum Joanneum, Graz 2010, S. 187–188.

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176   Karin Leitner-Ruhe Im Fall Josef Blauhorn wurde versucht, mit den Erben Kontakt aufzunehmen, um Näheres über den Vergleich, der 1960 geschlossen wurde, zu erfahren. Eine Antwort ist jedoch ausgeblieben. Robert Spira – Abwicklung eines erbenlosen Falles

Ein weiterer, über mehrere Sitzungen diskutierter Fall ist jener des Rechtsanwalts Robert Spira.12 Es handelt sich dabei um die Abwicklung des ersten erbenlosen Falles. Die Kommission empfahl, diesen dem Landesverfassungsgesetz gemäß so auszuführen, dass die Objekte einer Verwertung zuzuführen waren und deren Erlös Opfern des Nationalsozialismus bzw. einer entsprechenden Organisation zukommen sollten. Laut Erbfolgegutachten vom 9. Oktober 2013 war die kinderlos gebliebene Erbin nach Robert Spira zum Zeitpunkt ihres Todes Staatsbürgerin des Bundesstaates New York. Nachdem das New Yorker Erbrecht ausschließlich die Verwertung von in New York belegenen, herrenlosen Vermögen regelt, ist hier österreichisches Recht anzuwenden gewesen. Somit trat das 46. Landesverfassungsgesetz des Landes Steiermark vom 14. März 2000 in Kraft.13 Nach Empfehlung der Steiermärkischen Kommission hat die Steiermärkische Landesregierung in ihrer Sitzung am 16. Oktober 2014 den Beschluss gefasst, die Universalmuseum Joanneum GmbH mit der Durchführung der Verwertung der aus dem Eigentum Dr. Robert Spira stammenden Objekte zugunsten des Österreichischen Nationalfonds zu beauftragen. Es handelte sich dabei um insgesamt zwölf Objekte, die am 12. Mai 2015 an das Dorotheum Wien zwecks Versteigerung bzw. zum Verkauf übergeben wurden. Versteigert oder verkauft wurden neun Objekte. Drei Werke wurden als unverkäuflich retourniert. Der Erlös aus der Versteigerung zuzüglich der Zahlung des Schätzpreises der im Joanneum verbliebenen Objekte ging mit Anfang 2018 an den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus. Adolf Bauer – von einem interessierten Leser zum Restitutionsfall

Die Aufmerksamkeit eines Lesers des Restitutionsberichts von 2010 erbrachte einen Restitutionsfall, der erstmals aus der Bevölkerung an das Joanneum herangetragen wurde. Viele Angaben zu diesem Fall stammen aus Aufzeichnungen von Edeltraud Bauer-Pelikan, Adoptivtochter Adolf Bauers. Diese wurden von Wolfgang J. Pietsch, 12 Vgl. LEITNER-RUHE, DANZER, BINDER-KRIEGLSTEIN 2010, jeweils: Robert Spira, Graz, S. 47–48, 168–173, 189–190. 13 Siehe Anmerkung 7.

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»Die Aufnahme einer Korrespondenz mit dem Geschädigten hat […] zu unterbleiben.«    177

einem ehemaligen Lateinprofessor am Akademischen Gymnasium in Graz, transkribiert und teilweise in der jüdischen Kulturzeitschrift David publiziert.14 Dabei stieß er auf die Nennung einer Skulptur des Moses, die aufgrund der zahlreichen Umzüge der Familie 1939 im Joanneum abgegeben werden musste. Adolf Bauer (1861–1942)15 war mosaischen Glaubens, zweimal verheiratet und laut den Aufzeichnungen von Edeltraud Bauer-Pelikan »Gründer der Krankenkasse für Advukaturs- und Notariatsangestellte sowie langjähriger Bezirksrat des XVII. Wiener Gemeindebezirkes«.16 Adolf Bauer hat hauptsächlich in Wien17 gewohnt, scheint sich aber auch einige Zeit in Graz aufgehalten zu haben, woher seine zweite Frau Angela Bauer, geb. Schiffer, (1885–1965)18 stammte. Grazer Meldeunterlagen liegen jedoch nicht vor.19 Edeltraud Bauer-Pelikan schreibt, dass ihre Eltern »damals (1939) nach dem Verlust20 der Wiener Wohnung von Wien nach Graz gezogen waren und in Wetzelsdorf den südlichen Trakt eines kleinen Schlösschens bewohnten«.21 Der einzige Nachweis, der bisher in Graz gefunden werden konnte, ist die am 22. Juli 1938 ausgefüllte Vermögensanmeldung Adolf Bauers, in der die Skulptur des Moses jedoch nicht erwähnt wird.22 Laut dem Bericht von Edeltraud Bauer-Pelikan musste ihr Vater, nachdem die Eltern die Wohnung in Graz Anfang 1939 verlassen mussten, wieder nach Wien ziehen, da die Familie in Graz keine Wohnung fand. Man hoffte, dass er durch Freunde und Bekannte in Wien leichter irgendwo unterkommen würde. Jedoch war auch das nicht einfach. Er musste dort »sehr oft wechseln, weil ja auch die jüdischen Hauptmieter immer wieder gekündigt wurden […]. Zum Schluss wohnte Papa mit zwei ihm Fremden in einem kleinen Kabinett. […] In der Nacht vom 30. 14 Vgl. Wolfgang J. PIETSCH, Wohin mit dem Moses? Ein neuer Restitutionsfall im Grazer Museum Joanneum, in: David. Jüdische Kulturzeitschrift 28/109 (2016), S. 26–29. 15 Vgl. StLA, VA 41174 (Heft 2), Vermögensanmeldung Adolf Bauer; bzw. WStLA, Meldeunterlagen. – Information laut Brief vom 23.8.2016 von Dr. Michaela LAICHMANN, Zl. MA8-BMEA-663722/2016; sowie IKG Online-Friedhofsdatenbank. – Information per E-Mail vom 11.7.2016 von Irma Wulz, Matriken/Jewish Records Office Vienna, IKG Wien. 16 Pietsch 2016, S. 27. 17 Vom 16.6.1890 bis 3.5.1939 war er im 17. Bezirk in der Palffygasse 8 gemeldet. Danach folgten kürzere Meldezeiten: 3.5.1939 bis 4.7.1939: 19., Döblinger Hauptstraße 331/13; 1.7.1939 bis 1.11.1939: 9., Thurngasse 8/16; 2.11.1939 bis 2.2.1940: 9., Grünentorgasse 12/3c und 7.2.1940 bis 12.6.1942: 2., Große Pfarrgasse 4/11. – Informationen laut Brief vom 23.8.2016 von Dr. Michaela LAICHMANN, WStLA, Zl. MA8-B-MEA-663722/2016. 18 Vgl. PIETSCH 2016, S. 26. 19 Diesbezügliche Anfragen im Stadtarchiv Graz sowie im BürgerInnenamt, Referat Meldewesen, wurden negativ beantwortet. – E-Mail vom 26.7.2016 von Frau Heide Kaier, Stadt Graz. 20 Diese Angaben stimmen mit den Wiener Meldedaten überein. 21 PIETSCH 2016, S. 26. 22 StLA, VA 41174 (Heft 2).

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178   Karin Leitner-Ruhe auf den 31. Mai [1942] wurde sein Wohnhaus besetzt und um 3 Uhr früh wurde er in die Castellezschule gebracht.«23 Von dort wurde er offensichtlich in das Sammellager in der Malzgasse überstellt, wo er 81-jährig am 12. Juni 1942 entweder von den Strapazen gepeinigt verstarb oder vergiftet wurde, wie seine Tochter vermutete. In der Zwi-Perez-Chajes-Schule in der Castellezgasse 35 in Wien hatten die Nationalsozialisten 1941 ein Sammellager für jüdische Bürger eingerichtet, ebenso im Theodor-HerzI-Hof in der Malzgasse 7. Von hier aus wurden Juden in Gettos und NS-Vernichtungslager deportiert. Am 8. März 2018 konnte dem rechtmäßigen Erben die Moses-Skulptur übergeben werden. Aktueller Stand

Ein Rückblick auf die vergangenen 20 Jahre hinterlässt ein durchaus positives Bild: Seit 1998 wurden insgesamt 33 Werke aus den Sammlungen des Joanneums (Gemälde, kunstgewerbliche Objekte und Münzen) an 15 Erben und Vertreter oder Vertreterinnen von Erben ausgehändigt sowie neun Objekte laut Landesverfassungsgesetz verwertet. Die genaue, nach jeder Rückerstattung aktualisierte Liste ist auf der Website des Hauses24 unter der Rubrik Restitution nachzulesen. In zwei Fällen konnte das Joanneum die Erben selbst ausfindig machen; sonst wird die Erbensuche von der Abteilung für Restitutionsangelegenheiten der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien und dem Österreichischen Nationalfonds durchgeführt. Mit Veränderung der Position meiner Person 2013 – ich wurde Chefkuratorin der Alten Galerie am Universalmuseum Joanneum – wurde die Stelle der Provenienzforschung eingespart. Damit ist zurzeit am Joanneum, dem steirischen Landesmuseum, keine systematische und aktive Provenienzforschung möglich.

23 PIETSCH 2016, S. 26–27. 24 www.museum-joanneum.at

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Provenienzforschung in den Tiroler Landesmuseen Recherchen zu einer Erwerbung im Jahr 1941: Das Helblinghaus, Aquarell von Rudolf von Alt. Vorbesitzer bleibt unbekannt!

Sonia Buchroithner

Die Provenienzforschung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum wurde in erster Linie für die Bestände des Vereins Ferdinandeum, der zu diesem Zeitpunkt noch der Träger des Landesmuseums war, ab 1999 in Angriff genommen. Die Herkunft der Objekte aus dem Eigentum des Landes Tirol, die als Leihgaben vom Ferdinandeum betreut wurden, konnte ebenfalls in die Recherchen einbezogen werden, während die Bestände des Tiroler Volkskunstmuseums hausintern überprüft wurden.1 Der Fokus der Provenienzforschung bezog sich damals ausschließlich auf den Zeitraum 1938 bis 1945 und konnte 2002 mit einer ersten Publikation, die auch die Geschichte des Vereinsmuseums Ferdinandeum in diesem Zeitraum beleuchtet, abgeschlossen werden.2 Mit der Gründung der Tiroler Landesmuseen-Betriebsgesellschaft m. b. H. im Jahr 2006 wurde die Provenienzforschung auf die Bestände des Tiroler Volkskunstmuseums und ab 2009 auch auf den Zeitraum von 1933 bis 1955 erweitert. Seit 2011 wird die Provenienzforschung, die bis dahin nur als zusätzliche Aufgabe im Rahmen der Historischen Sammlungen bearbeitet werden konnte, von einer Forscherin in Teilzeit systematisch – vor allem auch unter Berücksichtigung der Kunstankäufe – vorangetrieben. 1

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Die Quellenlage für die Geschichte der Erwerbungen des Tiroler Landesmuseums in der Zeit 1933–1945 kann als recht gut bezeichnet werden. Zwar sind die Ausschussprotokolle, die Einträge in den Erwerbungsbüchern und die erwerbungsrelevanten Seiten in den Jahresberichten oft recht kurz gehalten und kaum aussagekräftig, um die historisch interessanten Diskussionen und Entscheidungsfindungen nachvollziehen zu können, diese Quellen werden jedoch mitunter durch umfangreiche Korrespondenzen ergänzt. Allerdings sind nicht alle Museumsakten erhalten geblieben. So fehlen zum Beispiel Akten aus den Kriegsjahren, die an das Tiroler Denkmalamt weitergereicht wurden und nicht auffindbar sind. Die Museumserwerbungen der relevanten Zeit können aufgrund der guten Quellenlage im hauseigenen Archiv des Ferdinandeums ziemlich genau erforscht werden. Die Recherchen zu den Objekten im Eigentum des Landes Tirol stellen sich hingegen als schwierig dar, da im Tiroler Landesarchiv relevante Bestände des Gaues Tirol-Vorarlberg nur mehr sehr lückenhaft vorhanden sind und der Aktenbestand der in der unmittelbaren Nachkriegszeit entstandenen Kulturabteilung des Landes Tirol verschollen ist. Vgl. Claudia SPORER-HEIS, Eleonore GÜRTLER, Restitutionsfälle am Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum im Überblick, in: Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum 82 (2002), S. 37–168; Claudia SPORER-HEIS, »… sind dem Ferdinandeum Auslagen erwachsen, auf deren Ersatz es Anspruch erheben zu können glaubt …« – Zur Frage der Restitution jüdischen Eigentums am Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, in: ebd., S. 7–36.

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Provenienzforschung in den Tiroler Landesmuseen   181

Seither besteht auch die Möglichkeit, sich mit Fachkolleg_innen in Österreich und Deutschland (auch) über internationale Kommunikationsportale auszutauschen und Anfragen zeitnah zu bearbeiten. Von den bisher eindeutigen – insgesamt 18 – Restitutionsfällen konnten bis heute 15 abgeschlossen und 26 Objekte restituiert werden. Im Fall der – wohl in ganz Österreich bekannten – »Kisten« des aus dem Besitz des Gauleiters Franz Hofer, in denen sich unter anderem zahlreiche Gemälde von Albin Egger-Lienz befanden, konnten trotz, intensiver Recherchen bisher keine früheren Eigentümer ausfindig gemacht werden. Die Gemälde sind weiterhin auf den einschlägigen Websites als Objekte mit unbekannter Provenienz publiziert. Trotz der teils umfangreichen Restitutionen der Nachkriegsjahre und einiger Restitutionen in vergangenen Jahren sind möglicherweise immer noch Objekte in den Sammlungen der Tiroler Landesmuseen vorhanden, deren Herkunft es zu klären gilt, um die Unbelastetheit des Besitzes/des Eigentums der Tiroler Landesmuseen zu prüfen.3 Denn man war in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft im Ferdinandeum bemüht, die Tradition der Erwerbungen weiterzuführen, wie sie seit der Gründung des Museums 1823 bestand. In den Jahren vor der nationalsozialistischen Herrschaft gab es – aufgrund der schlechten finanziellen Situation des Museums – kaum Möglichkeiten, die Museumssammlungen bedeutend zu erweitern. Es wurden vor 1938 nur wenige Ankäufe bei Kunsthändlern und von Privaten vorgenommen. Von zentraler Bedeutung für das Ferdinandeum wurde ab 1938 aber der Zugriff auf jüdische Sammlungen aus Innsbruck selbst, aus der Ostmark oder auch aus dem übrigen Deutschen Reich. Ein Beispiel: Das Helblinghaus von Rudolf von Alt

Im Zuge der Durchsicht sämtlicher Erwerbungen des Ferdinandeums im Zeitraum 1933 bis 1955 konnte mit Hilfe der Graphischen Sammlungen des Tiroler Landesmuseums ein Werk des Wiener Malers Rudolf von Alt ausfindig gemacht werden, das den Innsbrucker Stadtturm und das Helblinghaus4 darstellt. Das in den letzten Jahr3

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Siehe dazu die Internetseite der Tiroler Landesmuseen-Betriebsgesellschaft www.tiroler-landesmuseen.at. Unter der Rubrik Provenienz (http://www.tiroler-landesmuseen.at/page.cfm?vpath=tiroler-landesmuseen/ forschung&genericpageid=1589) findet man alle in den letzten Jahren getätigten Rückgaben bzw. Ergebnisse der laufenden Recherchen zu den Erwerbungen aus dem Kunsthandel. Das Helblinghaus in der Innsbrucker Altstadt, eines der bedeutendsten Baudenkmäler der Stadt, ist für seine barocke Stuckfassade bekannt. Der spätgotische Kern des Gebäudes stammt aus dem 15. Jahrhun-

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182   Sonia Buchroithner zehnten als verschollen gegoltene Aquarell konnte in einem Konvolut »unbekannter Zeichnungen des 19. Jahrhunderts« identifiziert werden. Nach Durchsicht diverser Publikationen zu Rudolf von Alt konnte festgestellt werden, dass das Motiv Helblinghaus im Gegensatz zum vorliegenden Objekt meist aus einer anderen Perspektive – nämlich vom Stadtturm aus gesehen – gemalt wurde. Das Motiv, das sich in den Sammlungen des Tiroler Landesmuseums befindet, zeigt jedoch das Helblinghaus mit dem Stadtturm aus der Sicht des Goldenen Dachls.5 Im 2002 erschienenen Forschungsbericht zum Stand der Provenienzforschung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum6 findet sich unter anderem ein Eintrag zu einem Rudolf von Alt-Aquarell Das Helblinghaus in Innsbruck und die Information, dieses sei seit 1953 nicht mehr in den Sammlungen. Das Bild galt also, wie erwähnt, als verschwunden. Im Haus vermutete man – nach Durchsicht der Unterlagen der 1950er Jahre – Hans Redlich als Vorbesitzer dieses Objektes. Diese Vermutung basierte auf diversen Korrespondenzen zwischen dem Ferdinandeum und dem Bundesdenkmalamt in den Jahren 1947 bis 1953. Hans Redlich wurde am 12. Oktober 1882 in Brünn geborenen. Er wohnte laut der Meldeauskunft des Wiener Stadt- und Landesarchivs vom 14. Jänner 1924 bis zum 18. März 1942 im 4. Wiener Gemeindebezirk in der Wohllebengasse 7/9 und konnte 1938 über London nach Kanada fliehen, lebte danach in Toronto und wurde kanadischer Staatsbürger.7

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6 7

dert. Das Haus ist nach Sebastian Hölbling (Helbling) benannt, der es 1800–1827 besaß. Zwischen 1868 und 1897 war das Gebäude Eigentum eines Bürgerkonsortiums, das es für ein sogenanntes Katholisches Kasino verwendete. Diese Kasinos waren konservativ-katholische Vereinshäuser mit politischer Funktion, die, vom badischen Raum ausgehend, bald weite Verbreitung fanden. In Innsbruck erlangte das Kasino offenbar eine große Bekanntheit, denn noch lange nach seiner Auflösung blieb diese Bezeichnung mit dem Laubenhaus verbunden. Das Helblinghaus hat Rudolf von Alt sowohl in Aquarell – und als einziges bekanntes Innsbrucker Motiv – auch in Öl mehrfach ausgeführt. Vgl. Marianne HUSSL-HÖRMANN, Rudolf von Alt. Die Ölgemälde, Wien 2011, S. 142–143. Sie schreibt von einem Aquarell aus der Sammlung Hans Redlich, das als verschollen gilt. Dieses Aquarell ist aber nicht das in den Sammlungen der Tiroler Landesmuseen befindliche, da es das Helblinghaus aus einem anderen Blickwinkel darstellt, nämlich – mit jeweils leicht veränderter Staffage im Vordergrund – vom Innsbrucker Stadtturm aus, wie die anderen bekannten Darstellungen in Öl und Aquarell Alts. Das Aquarell das sich im Tiroler Landesmuseum befindet, wurde zu Beginn einer Italienreise des Künstlers am 4.9.1865 in Innsbruck gemalt. Vgl. Walter KOSCHATZKY, Rudolf von Alt, Wien-Köln-Weimar 2001, S. 382. In der Literatur findet sich nur eine Übereinstimmung mit dem Motiv des Aquarells aus den Sammlungen des Ferdinandeums unter »Alt, Rudolf, Innsbruck: Katholisches Kasino und Stadtturm, Aquarell 1896«, mit der Provenienz »Herr Generaldirektor Zuckerkandl, Gleiwitz«. Vgl. Arthur ROESSLER, Rudolf von Alt, Wien 1909, S. 167. SPORER-HEIS, GÜRTLER 2002, S. 37–168. Hans Redlich wurde am 12.10.1882 in Brünn (Brno, Mähren, CR) geborenen. Er lebte laut der Mel-

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Provenienzforschung in den Tiroler Landesmuseen   183

Es stellt sich daher die Frage, wie man auf ihn als vermeintlichen Vorbesitzer dieses Objektes kam. Dem Hausarchiv des Ferdinandeums ist zu entnehmen, dass 1940 ein Bild von Rudolf von Alt, das das Helblinghaus in Innsbruck mit Staffage darstellt, aus der Sammlung Hans Redlich auf der Wunschliste des Museums für Erwerbungen aus »jüdischem Privatbesitz«8 stand. Dieser Wunsch scheint jedoch – entgegen der früheren Vermutungen – nicht erfüllt worden zu sein. In den Restitutionsmaterialien zum Kunstmuseum Linz9 findet sich ein Schreiben an die Vugesta10 vom 4. Dezember 1941, dass der »Führervorbehalt« für das Bild »1) Aquarell v. R. von Alt, ›Das katholische Kasino in Innsbruck‹ gilt. Das Aquarell von R. v. Alt wird vom Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum […] zu erwerben gewünscht.«11 Dieses Bild ist der aktuellen Forschung zufolge nicht im Zusammenhang dieser Wunschliste vom Ferdinandeum erworben worden. Man konnte dieses gewünschte Bild nicht erwerben, es ergab sich jedoch eine andere Möglichkeit, ein Rudolf von Alt-Aquarell zu erwerben. 1941 entdeckte die Museumsleitung im Katalog zur 158. Großen Auktion des Wiener Dorotheums am 9. und 10. Oktober 194112 unter der Nr. 55 »Rudolf Alt (Wien 1812–1905), Das Katholische Kasino in Innsbruck, aquarellierte Zeichnung, datiert Innsbruck, 4. September 1865, gestückelt, Ausrufpreis in RM 1.000«. Ein Versuch wurde gestartet, um endlich ein Aquarell Rudolf von Alts in die Museumssammlungen zu bekommen. Laut Rückfrage im Dorotheum findet sich in einem annotierten Katalog zu dieser Auktion der Hinweis »entf«. Dieses Bild wurde also wohl aus der Auktion genommen und an das Tideauskunft vom 14.1.1924 – 18.3.1942 im 4. Wiener Gemeindebezirk in der Wohllebengasse 7/9. Vgl. WStLA, Meldeauskunft, MA8 – B-MEA-224378/2015. Hans Redlich konnte 1938 über London nach Kanada fliehen. Im Schreiben des Reichsinnenministeriums an das Reichserziehungsministerium vom 29.9.1941 wird im Zuge der Aberkennung als damals bekannte Adresse »London« angegeben. Das ­Schreiben findet sich im Archiv der Universität Wien, Rektorat, GZ 118/132 ex 1941/42. E-Mail-Auskunft von Herbert Posch, Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, 23.3.2015. 8 Archiv TLMF, Zl. 22/1940/III, Verzeichnis der vom Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck in Vormerkung genommenen Kunstgegenstände aus jüdischem Privatbesitz. 9 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 13/2, Kunstmuseum Linz III, Mappe 3 b, Zl. 1325/K/41, fol. 41. 10 Die Vugesta (Verkauf jüdischen Umzugsgutes Gestapo) war eine Einrichtung in Wien, die in den Jahren 1940–1945 agierte und dabei eine zentrale Rolle für die Umverteilung geraubten Privateigentums jüdischer Österreicher während der Zeit des Nationalsozialismus spielte. Man kann die Vugesta als Verkaufsunternehmen der Gestapo bezeichnen. 11 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 13/2, Kunstmuseum Linz III, Mappe 3 b, Zl. 1325/K/41, fol. 41. 12 Dorotheum Wien, 158. Große Auktion im Franz-Josef- Saal. Mobiliare, Klaviere, Teppiche, Textilien, Gemälde, Kunstgewerbe, Antiquitäten, Orientalika, Besichtigung: 6. bis 8. Oktober 1941, Versteigerung 9. und 10. Oktober 1941.

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184   Sonia Buchroithner roler Landesmuseum Ferdinandeum verkauft.13 Die Zahlung der gewünschten Summe von RM 2.001,56 erfolgte im Dezember 1941,14 im März 1942 wurde das Aquarell im Ferdinandeum abgeliefert und im September 1942 auf Schloss Ambras – einem Bergungsort des Tiroler Landesmuseums – verwahrt.15 Das Tiroler Landesmuseum ist offenbar davon ausgegangen, dass das auf diese Weise nun erworbene Bild aus einer enteigneten Sammlung stammen könnte, da in einem Schreiben vom 17. November 1941 an das Institut für Denkmalpflege gebeten wird, die Ankaufssumme aus »unserem für Ankauf aus jüdischem Besitz bereitgestellten Fonds an das Dorotheum« zu überweisen.16 In einer Aufstellung über die Ankäufe aus jüdischem Kunstbesitz vom Jahr 1943 ist auch das Alt-Aquarell vermerkt,17 im Unterschied zu den Erwerbungen aus den Sammlungen Karl Ruhmann und Nathan Eidinger, wo die Eigentümer genannt sind, jedoch ohne einen Hinweis auf einen Vorbesitzer. Vorbesitzer gesucht!

Aber wer war nun der Vorbesitzer des im Besitz des Ferdinandeums befindlichen Aquarells? Gibt es Hinweise? 1947 vermutete man, wie oben beschrieben, dass das Aquarell möglicherweise aus der Sammlung des Hans Redlich stammt. Im Hausarchiv des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum findet sich eine Rückstellungsanmeldung vom 14. November 1947, in der erstmals Hans Redlich in Bezug auf ein Rudolf von AltAquarell als geschädigter Eigentümer angeführt wird. Der Erwerb erfolgte durch »das Deutsche Reich oder Vugesta, Wien I. Bauernmarkt 24«.18 In Redlichs Ansuchen um Erteilung einer Ausfuhrbewilligung vom 8. Juli 1938 werden Bilder und Teppiche, Porzellan und Glas als Ausfuhrobjekte vermerkt. Auf der Rückseite des Papiers findet sich eine Anmerkung der Zentralstelle für Denkmalschutz in Wien: »die Ausfuhr gesperrt – ein Aquarell v. R. Alt […] Helblinghaus […]«.19 Zum Erwerb dieses Bildes kam es allerdings nicht. Der Museumsleitung war das aber offenbar nicht bewusst. Aus einem Briefwechsel des Tiroler Landesmuseums mit dem Bundesdenkmalamt Wien geht hervor, dass zwei Aquarelle Rudolf 13 E-Mail von Mag. Katja Fischer, Dorotheum, 11.9.2012. 14 Erst nach einem Mahnschreiben des Dorotheums vom 20.2.1942 an das Institut für Denkmalpflege in Wien wurde die Summe bezahlt. 15 Archiv TLMF, Zl. 328/1942. 16 Archiv TLMF, Zl. 408/1941/I. 17 Archiv TLMF, Zl. 328/1943. 18 Archiv TLMF, Zl. 2/1947, Anmeldung entzogener Vermögen. 19 Dank an Anita Stelzl-Gallian, Kommission für Provenienzforschung, E-Mail, 24.2.2015, Ausfuhransuchen (BDA-Archiv, Zl. 2331, Hans Redlich).

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von Alts mit ähnlichen Motiven existierten – eines im Bestand des Tiroler Landesmuseums und ein weiteres Aquarell. In einem Schreiben des Direktors des Ferdinandeums Dr. Vinzenz Oberhammer an das Staatsdenkmalamt in Wien vom 9. April 1947 beschreibt er das 1942 vom Dorotheum erworbene Bild wie folgt: »Das Aquarell gibt einen Überblick auf Stadtturm und Altes Rathaus in der Herzog Friedrichstrasse, rechts seitlich flankiert von der Kulisse des Helblinghauses. Das Bild ist bezeichnet mit ›Innsbruck, 4. Sept.856‹ und misst 43,5x31,5 cm. Das Bild ist aus 3 Teilen zusammengesetzt (Streifen unten und Streifen rechts)«.20 Er beschreibt hier, nach heutigem Wissensstand, eindeutig das Bild, das 1941 aus dem Dorotheum erworben wurde und nicht jenes, das aus dem Besitz des Hans Redlich stammte. Im Mai 1947 stellte das Bundesdenkmalamt Wien bei der Bearbeitung der Anfragen fest, dass es sich um zwei verschiedene Aquarelle von Rudolf von Alt aus dem Besitz Redlichs handelt, beide stellen aber die Herzog Friedrichstraße in Innsbruck dar.21 Anhand einer Fotografie wurde deutlich, dass das damals gesuchte Aquarell von Hans Redlich nicht identisch war mit jenem im Besitz des Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, sondern dass es sich bei dem gesuchten Bild aus der Sammlung Redlich um jenes handelt, das im Salzberg in Altaussee deponierte war.22 Ende 1948 wurde für das Aquarell Das Helblinghaus in Innsbruck mit Staffage rechts vorne, das sich im Salzbergdepot befand, auch tatsächlich an Hans Redlich restituiert und dessen Ausfuhr vom Bundesdenkmalamt genehmigt. Am 26. November 1953 gab Museumsvorstand Ernst Durig, der zu diesem Zeitpunkt offenbar immer noch davon ausging, dass das im Ferdinandeum befindliche Bild aus dem Besitz des Hans Redlich stammte, dem Stadtmagistrat Innsbruck bekannt: Die seinerzeit aus jüdischem Besitz erworbenen Gegenstände, die am 14. November 1946 gemäß den Bestimmungen der Vermögensentziehungsanmeldungsverordnung dem Stadtmagistrat angemeldet wurden, sind nunmehr alle den geschädigte Eigentümern zurückgestellt worden; übrig ist lediglich noch das Aquarell von Rudolf von Alt mit einer Ansicht des Helblinghauses aus dem Besitz des Herrn Hans Redlich. Um die20 Archiv TLMF, Zl. 38/1947. 21 Archiv TLMF, Zl. 38/1947, Schreiben des BDA an das TLMF vom 14.5.1947 (siehe Unterlagen Hans Redlich über die Kommission für Provenienzforschung, fol. 1–65). Ein zweites Aquarell von Rudolf von Alt, das im Salzberglager von Altaussee gefunden worden war, zeigt ebenfalls die Innsbrucker Altstadt, aber vom Stadtturm aus gemalt, mit Blick auf die Front der Herzog-Friedrich-Straße und das HelblingHaus in der Mitte. Archiv TLMF, Zl. 38/194, Schreiben von Dr. Oberhammer vom 9.4.1947 und des BDA Wien vom 14.5.1947. 22 Archiv TLMF, Zl. 38 /1947, Schreiben BDA Wien vom 10.12.1947.

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ses Stück hat sich bisher niemand gemeldet, es bleibt daher weiter in der Gewahrsame des Ferdinandeums [...].23

Das Aquarell galt in der Folgezeit als verschollen und wurde, wie erwähnt, erst 2014 bei Inventarisierungsarbeiten unter Zeichnungen unbekannter Künstler identifiziert. In den Unterlagen der Kommission für Provenienzforschung über Hans Redlich findet sich kein Hinweis auf mehrere Bilder Rudolf von Alts im Sammlungsbestand Hans Redlich. Es ist immer nur die Rede von einem »Aquarell darstellend das Katholische Vereinshaus« oder »Helblinghaus in Innsbruck mit Staffage rechts vorne«.24 Zusammenfassung

1941 kaufte das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum ein Aquarell von Rudolf von Alt. Der Kaufpreis vom RM 2.001,- wurde aus dem für das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum beim Institut für Denkmalpflege Wien von der Gauleitung für Tirol und Vorarlberg zur Verfügung gestellten Ankaufsfonds bezahlt. Daher wurde 1946 vom Ferdinandeum das Rückstellungsverfahren in Bezug auf dieses Bild eingeleitet. Das Bild wurde 1953 nochmals erwähnt, danach scheint es in den Sammlungen verlustig geraten zu sein. Die jüngste Forschung hat ergeben, dass das Bild nicht aus der Sammlung Hans Redlich stammt. Einen Hinweis auf einen anderen Sammler als Vorbesitzer gibt es allerdings bis heute nicht. Das Aquarell ist daher auf der Website der Tiroler Landesmuseen unter den Objekten unbekannter Provenienz aus dem Kunsthandel 1938 bis 1945 gelistet und publiziert.

23 TLA, ATLR, Abt. IXd, Vermögenssicherung, Sonderakten 874. 24 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 13/2, Kunstmuseum Linz III, Mappe 3 b, Zl. 1325/K/41, fol. 1–65 darin Verzeichnis der Gegenstände Dr. Hans Redlich; Verzeichnis der im Auftrag der geheimen Staatspolizei deponierten Kunstgegenstände.

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Provenienzforschung in der Universitätsbibliothek, dem Universitätsarchiv und den musealen Sammlungen der Universität Wien Olivia Kaiser, Markus Stumpf

Die Universitätsbibliothek der Universität Wien (UB Wien) richtete 2004 als erste universitäre Bibliothek in Österreich ein Provenienzforschungsprojekt ein. Ziel war es zunächst, die Hauptbibliothek und ab 2005 die Fachbereichs- und Institutsbibliotheken auf bedenkliche Erwerbungen der Jahre 1938–1945 zu überprüfen. Dieser Auftrag musste sowohl hinsichtlich des Erwerbungszeitraums als auch in Bezug auf die beforschten Objekte erweitert werden, so dass aus dem Projekt im Jahr 2010 ein eigener verstetigter Arbeitsbereich (AB) wurde.1 Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus begann an der Universität Wien spät. Heute bekennt sich die Universität zu ihrer Rolle und Mitschuld im nationalsozialistischen Regime und kommt der Verantwortung nach, sich kritisch mit der eigenen Geschichte der Jahre 1933–1945 auseinanderzusetzen. Diese Verpflichtung erfüllt sie in Lehre und Forschung seit den 1980er Jahren zunehmend, wobei heute die NS-Provenienzforschung ein Teil der vielfältigen Forschungs- und Gedenkprojekte der Universität Wien ist und einen aktiven Beitrag zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus leistet.2 Mit Ausnahme der Österreichischen Nationalbibliothek ging die NS-Provenienzforschung in den Bundesmuseen von Kunstobjekten aus und rückte erst langsam geraubte Bücher aus den jeweiligen Museumsbibliotheken in den Fokus. An der UB Wien hingegen, setzte die Forschung bei den Bibliotheksbeständen an und führte schließlich über das Universitätsarchiv zu den universitären Sammlungen. Der Bei1

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Als eigener Arbeitsbereich ist die NS-Provenienzforschung an der UB Wien fix im Organigramm verankert und ermöglicht so eine kontinuierliche und strukturierte Provenienzforschung in den Beständen der Bibliothek, des Archivs und der Sammlung der Universität Wien. Vgl. Webpage des Arbeitsbereichs NSProvenienzforschung http://bibliothek.univie.ac.at/provenienzforschung.html (11.4.2018); Folder, Stand Oktober 2017: http://phaidra.univie.ac.at/0:805972 (11.4.2018); Poster, Stand Oktober 2017: https:// phaidra.univie.ac.at/o:647719 (11.4.2018). Vgl. Heinz W. ENGL, Geleitwort des Rektors der Universität Wien, in: Markus STUMPF, Herbert POSCH, Oliver RATHKOLB (Hg.), Guido Adlers Erbe. Restitution und Erinnerung an der Universität Wien (= Bibliothek im Kontext 1), Göttingen 2017, S. 7–9, https://www.vr_elibrary.de/doi/ pdf/10.14220/9783737007214.7 (11.4.2018).

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188   Olivia Kaiser, Markus Stumpf trag versteht sich daher als ein ergänzender Zwischenbericht der bisherigen Arbeit der Provenienzforschung an der Universität Wien3 und greift exemplarisch Fälle heraus, die die Bandbreite an Objekten und Verflechtungen von Personen und Institutionen herausstreichen. Von der Bibliothek zum Archiv

Der These des Bibliothekswissenschaftlers Jürgen Babendreiers folgend, sind den geraubten Büchern die Verfolgungs- und Vernichtungsgeschichten ihrer Vorbesitzer_innen als factum brutum eingeschrieben.4 Als unmittelbare Zeugnisse des NS-Terrors stellen Besitzvermerke oder Annotationen manchmal die letzten Hinweise auf die Geschichte von Personen oder Institutionen vor der NS-Verfolgung dar und sind für die Provenienzforschung Ausgangs- und Endpunkt zugleich. Daraus ergeben sich differenzierte Aufgaben für die NS-Provenienzforschung, die über die regulären bibliothekarischen, archivalischen oder kuratorischen Tätigkeiten hinausgehen: Neben historischem Bewusstsein, sind Kenntnisse über handelnde Akteur_innen und Institutionen unabdingbar. So treten im Zuge der Forschungen die enge Verwobenheit von Personen, Instituten, Bibliotheken, Sammlungen und Archiven der Universität Wien zu Tage, deren Spuren sich nicht nur auf den universitären Kreis beschränken. Damit trägt die NSProvenienzforschung zur Erforschung des Nationalsozialismus über das Thema des Kulturgüterraubes hinaus bei. Die Provenienzforschung der UB Wien konnte für die systematische Suche und wissenschaftliche Aufarbeitung der eigenen Erwerbungspolitik zwar bereits auf einige Forschungsergebnisse der Wissenschaftsgeschichte zurückgreifen, jedoch fehlen für die Hauptbibliothek, aber vor allem für die zahlreichen Fach3

4

Zu vorangegangenen Zwischenberichten vgl. beispielhaft Monika LÖSCHER, Markus STUMPF, »… im wesentlichen unbeschädigt erhalten geblieben …«. Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek Wien am Beispiel der Fachbereichsbibliothek Anglistik und Amerikanistik, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN, Leonhard WEIDINGER (Hg.), ... wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), Wien 2009, S. 281–297; Markus STUMPF, Ergebnisse der Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek Wien, in: Bruno BAUER, Christina KÖSTNER-PEMSEL, Markus STUMPF (Hg.), NS-Provenienzforschung an österreichischen Bibliotheken. Anspruch und Wirklichkeit (= Schriften der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare 10), Graz-Feldkirch 2011, S. 113–132, http://eprints.rclis. org/17777/ (11.4.2018). Vgl. Jürgen BABENDREIER, Ausgraben und Erinnern. Raubgutrecherche im Bibliotheksregal, in: Stefan ALKER, Christina KÖSTNER, Markus STUMPF (Hg.), Bibliotheken in der NS-Zeit. Provenienzforschung und Bibliotheksgeschichte, Göttingen 2008, S. 15–41, hier: S. 23.

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Provenienzforschung in der Universität Wien   189

bereichsbibliotheken (FBs) und deren wissenschaftliche Fächer, teils bis heute kritische institutionengeschichtliche Arbeiten. Zwischen 2004 und 2009 wurden über 400.000 Bücher autopsiert, die im Untersuchungszeitraum in die UB Wien (Haupthaus und FBs) eingegangen waren. Mehr als 60.000 Datensätze wurden für die weiteren Recherchen dokumentiert. Dabei handelte es sich jedoch nicht nur um Eingänge bis 1945. Die Untersuchung des Erwerbungszeitraums musste weit über das Ende des Zweiten Weltkrieges ausgedehnt werden, um etwa den über die Büchersortierungsstelle an der Österreichischen Nationalbibliothek an die UB Wien gelangten Bestand, der intern als sogenannte Sammlung Tanzenberg bezeichnet wurde, sowie antiquarischen Erwerbungen nachgehen zu können.5 In den Nachkriegsjahren erfolgten zwar einige wenige Rückgaben in Fällen, in denen sich Überlebende aktiv an die UB Wien wandten. Jedoch muss festgehalten werden, dass die Rückgaben nicht aus Unrechtsbewusstsein von Seiten der Bibliotheksleitung durchgeführt wurden – galt es doch »Kriegsverluste« auszugleichen. Im Zuge der Forschungen in verschiedenen Archiven rückte auch das Archiv der Universität Wien als eigenständige Sammlung in den Fokus der NS-Provenienzforschung an der UB Wien. Auf Wunsch der Universitätsleitung wurde daher im Herbst 2007 die NS-Provenienzforschung auf das Universitätsarchiv Wien (UAW) ausgeweitet.6

5

6

Vgl. Evelyn ADUNKA, Der Raub der Bücher. Plünderung in der NS-Zeit und Restitution nach 1945 (= Bibliothek des Raubes 9), Wien 2002, S. 15–70, hier bes.: S. 64; Peter MALINA, Die »Sammlung Tanzenberg«: »Ein riesiger Berg verschmutzter mit Schnüren verpackter Bücher«, in: Bruno BAUER, Christina KÖSTNER-PEMSEL, Markus STUMPF (Hg.), NS-Provenienzforschung an österreichischen Bibliotheken. Anspruch und Wirklichkeit (= Schriften der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare 10), Graz-Feldkirch 2011, S. 133–154, http://eprints.rclis.org/17777/ (11.4.2018); Markus STUMPF, »Stille« Restitution. NS-Provenienzforschung im Spannungsfeld von universitärer Erinnerungsarbeit und Öffentlichkeitswirksamkeit, in: Markus Helmut LENHART, Birgit SCHOLZ (Hg.), Was bleibt? Bibliothekarische NS-Provenienzforschung und der Umgang mit ihren Ergebnissen (= Veröffentlichungen der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz 5), Graz 2018, S. 79–90; Markus STUMPF, Christina KÖSTNER-PEMSEL, Olivia KAISER, »Treuhänderisch« – Themenaufriss im Kontext der NS-Provenienzforschung, in: Olivia KAISER, Christina KÖSTNER-PEMSEL, Markus STUMPF (Hg.), Treuhänderische Verwahrung und Übernahme – international und interdisziplinär betrachtet (= Bibliothek im Kontext 3), Göttingen 2018, S. 37–53. Dies war bereits von der Direktorin der UB Wien Maria Seissl gegenüber der Tagezeitung Der Standard angekündigt worden. Thomas TRENKLER, Uni-Bibliothek: Tausende Bücher, in der NS-Zeit geraubt, in: Der Standard, 11.6.2007, http://derstandard.at/?url=/?id=2913191 (11.4.2018).

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190   Olivia Kaiser, Markus Stumpf Provenienzforschung am Universitätsarchiv Wien7

Die Geschichte des Universitätsarchivs reicht bis in die Anfänge der Gründung der Universität Wien im Jahr 1365 zurück. Bereits 1388 wurden mit der Anschaffung einer Archivtruhe Archa Universitatis rechtlich bedeutende Dokumente und Siegel gesammelt und von Amtsnachfolger zu Amtsnachfolger weitergereicht. Mit der Nennung eines Archivum Universitatis im 16. Jahrhundert wird erstmals eine Verwaltungsstelle für historisch relevante Akten fassbar. Im Jahr 1875 begann Karl Schrauf (1835–1904) ein zentrales Archiv unter Zusammenführung aller Archive des Rektorats und der restlichen universitären Einrichtungen zu schaffen. Nach Schrauf amtierten die Staatsarchivare Artur Goldmann8 (1863–1942) und Friedrich (Fritz) Reinöhl (1889–1969). Reinöhl hatte von 1930 bis 1945 die Leitung des Universitätsarchivs nebenamtlich als Bediensteter des Haus-, Hof- und Staatsarchivs über und war an zwei Vormittagen die Woche im Universitätsarchiv anwesend.9 Der im Gauakt als »politisch und charakterlich einwandfrei«10 beurteilte Reinöhl, der auch die NSDAP-Ortsgruppe Baden-Stadt leitete,11 wurde nach dem Krieg entlassen und durch den Archivar Walter Goldinger (1910–1990) ersetzt. Dieser sorgte für die Rückführung und Wiederaufstellung der während des Zweiten Weltkrieges verlagerten Archivalien.12 Durch die Schaffung einer Archiv-Planstelle fungierte ab 1953 Franz Gall (1926– 1982) als erster hauptamtlicher Universitätsarchivar; die personelle Verflechtung mit dem Staatsarchiv endete.13 Ab dem Jahre 1975 unterstand das Universitätsarchiv als 7

8

9 10 11 12

13

Für die Provenienzforschung unter der Leitung von Markus Stumpf untersuchten folgende Projektmitarbeiter_innen die Bestände des Universitätsarchivs: Johannes Thaler (Oktober 2007–März 2008) und Eva Dobrovic (April 2008–Dezember 2009). Für die Unterstützung seitens des Universitätsarchivs ist Kurt Mühlberger, Thomas Maisel und Johannes Seidl herzlich zu danken. Vgl. Thomas MAISEL, Arthur Goldmann – ein jüdischer Archivar im Dienst der Universität Wien (1905–1929), in: Oliver RATHKOLB (Hg.), Der lange Schatten des Antisemitismus. Kritische Auseinandersetzungen mit der Geschichte der Universität Wien im 19. und 20. Jahrhundert (= Zeitgeschichte im Kontext 8), Göttingen 2013, S. 123–145. UAW, Zl. 1056 aus 1939 Schreiben Reinöhls an das Rektorat, 16.2.1939. OeStA/AdR, Gauakt Friedrich Reinöhl, Politische Beurteilung, 25.2.1942. MAISEL 2013, S. 142. Zur Geschichte des Wiener Universitätsarchivs vgl. Kurt MÜHLBERGER, Das Archiv der Universität Wien, in: Kurt MÜHLBERGER (Hg.), Archivpraxis und Historische Forschung – Mitteleuropäische Universitäts- und Hochschularchive, Wien 1992, S. 181–193; Thomas MAISEL, Alt-Registratur, Service- oder Forschungseinrichtung? Der Ausbau des Archivs der Universität Wien zum »Zentralarchiv« der Alma Mater Rudolphina, in: Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 30 (2013), S. 13–33. Das Universitätsarchiv unterstand organisatorisch nicht dem Staatsarchiv, auch wenn die Archivare von Schrauf bis Goldinger hauptamtlich Staatsarchivare waren. MÜHLBERGER 1992, S. 183–184.

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Provenienzforschung in der Universität Wien   191

separate Abteilung der Universitätsdirektion. Zwischen 2000 und 2003 wirkte es als selbstständige Dienstleistungseinrichtung und Anfang 2004 wurde das Universitätsarchiv zu einer Subeinheit der Dienstleistungseinrichtung Bibliotheks- und Archivwesen.14 Das Universitätsarchiv stellt mit seinen zahlreichen Sammlungen und Nachlässen für die Provenienzforschung eine besondere Herausforderung dar, weil eine Einzelautopsie der Archivalien aus Ressourcengründen nicht durchführbar ist.15 So basierte die Untersuchung in Absprache mit dem Universitätsarchiv auf den Einträgen aus den Archiv-Einlaufprotokollen (Exhibitenprotokollen) und den Indizes zu den Rektoratsakten.16 Beide wurden im Zeitraum der Studienjahre 1937/38 bis inklusive 1947/48 auf verdächtige Einträge geprüft; bei den Rektoratsindizes wurde allerdings nur der Abschnitt »Archiv« untersucht. Die vorhandenen Nachlässe wurden gesondert gesichtet, da zu diesem Bestand weder die Exhibitenprotokolle noch die Rektoratsindizes bei der Recherche hilfreich waren. Wenn auch für den Großteil des Bestandes keine Hinweise auf bedenkliche Objekte gefunden wurden, so sind zu mehreren Fällen noch weiterführende Forschungen anzustellen. Beispielhaft seien hier zwei Fälle angeführt. Fallbeispiel ungeklärt: Lichtbilder der Gesellschaft der Ärzte in Wien

Der »Anschluss« an NS-Deutschland im März 1938 führte für die Gesellschaft der Ärzte in Wien (GdÄ) zu massiven Veränderungen, deren unmittelbare Folgen Rücktritte jüdischer und jüdisch-stämmiger Mitglieder waren.17 Aufgrund des Gesetzes über die Überleitung und Eingliederung von Vereinen, Organisationen und Verbänden18 wurde die Ärztegesellschaft am 14. Oktober 1938 durch den Stillhaltekommissar gelöscht und

14 Vgl. http://bibliothek.univie.ac.at/archiv/geschichte.html (11.4.2018). 15 Die Institutsarchive wurden in dieser Untersuchung nicht einbezogen. Die Bibliothek des Universitätsarchivs wurde im Rahmen der NS-Provenienzforschung an den Bibliotheken der UB Wien untersucht. 16 Die Exhibitenprotokolle dokumentieren die Geschäftsfälle des Archivs. Die alphabetisch angeordneten Rektoratsindizes sind hingegen Registraturhilfen der Rektoratskanzlei, die die Kommunikation mit den universitären Einrichtungen erschließen. 17 Näheres zur GdÄ im Nationalsozialismus vgl. Karl SABLIK, Untergang und Wiedergeburt (1938–1945), in: Karl H. SPITZY (Hg.), Gesellschaft der Ärzte in Wien 1837–1987 (= Wiener Beiträge zur Geschichte der Medizin), Wien 1987, S. 39–55; Karl H. TRAGL, Geschichte der Gesellschaft der Ärzte in Wien seit 1838 als Geschichte der Medizin in Wien, Wien 2011. 18 Vgl. Gesetzblatt für das Land Österreich vom 17.5.1938, 136. Gesetz über die Überleitung und Eingliederung von Vereinen, Organisationen und Verbänden, http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?apm=0&ai d=glo&datum=19380004&seite=00000403&zoom=2 (11.4.2018).

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194   Olivia Kaiser, Markus Stumpf der Archivkommission inne hatte,28 erklären: Aus diesem geht hervor, dass damals »die Porträtsammlung ungeordnet, unzweckmäßig untergebracht und schlecht verpackt« war.29 Von der Bibliothek über das Archiv zu den musealen Sammlungen

Während im Fall der Lichtbilder der Ärztegesellschaft auf zukünftige Funde und Ergebnisse gehofft werden muss, konnte die Provenienzforschung in den Bibliotheksbeständen der UB Wien zum Musikwissenschafter Guido Adler (1855–1941) mit den Erkenntnissen aus der Provenienzforschung im Archiv der Universität Wien verknüpft werden. Im Jahr 2012/13 wurden nicht nur Teile seiner Bibliothek sondern auch ein im Universitätsarchiv einliegendes Nachlassfragment Adlers von der Universität Wien an die Erben nach Melanie Adler (1888–1942), der in Maly Trostinec ermordeten Tochter Guido Adlers, restituiert.30 Die Befassung mit den Beständen Adlers bildete einen weiteren Ausgangspunkt für die Provenienzforschung, sich mit den Sammlungen der Universität Wien im Rahmen einer Vorstudie auseinanderzusetzen. Während bereits zuvor die Ägyptologische Sammlung untersucht wurde und schließlich 2017 fünf Gipsabdrücke als unrechtmäßige Erwerbung im Jahr 2017 an den Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus übertragen wurden31, befasste sich nun die Provenienzforschung auch mit der Instrumentensammlung des Instituts für Musikwissenschaft der

28 29 30

31

in: Mitchell G. ASH, Josef EHMER (Hg.), Universität – Politik – Gesellschaft (= 650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert 2), Göttingen 2015, S. 311–318; Roman PFEFFERLE, Hans PFEFFERLE, Glimpflich entnazifiziert. Die Professorenschaft der Universität Wien von 1944 in den Nachkriegsjahren (= Schriften des Archivs der Universität Wien 18), Göttingen 2014. MAISEL 2013, S. 142. UAW, Zl. 44 aus 1953 Übernahmeprotokoll vom 5.2.1953. Zur Geschichte des Raubes und zur Restitution der Bibliothek und des schriftlichen Nachlasses Guido Adlers vgl. Markus STUMPF, Raub und Rückgabe der Bibliothek und des Nachlasses Guido Adlers – Anmerkungen und Aktualisierungen, in: Markus STUMPF, Herbert POSCH, Oliver RATHKOLB (Hg.), Guido Adlers Erbe. Restitution und Erinnerung an der Universität Wien (= Bibliothek im Kontext 1), Göttingen 2017, S. 83–202, http://www.vr_elibrary.de/doi/pdf/10.4220/9783737007214.83 (11.4.2018). Spezifisch zum Nachlassfragment vgl. Ulrike DENK, Thomas MAISEL, Kommentierte Liste der 2012/13 restituierten Archivalien Guido Adlers aus dem Bestand des Archivs der Universität Wien, in: ebd., S. 229–256, http://www.vr_elibrary.de/doi/pdf/10.4220/9783737007214.229 (11.4.2018). Im Jahr 2018 wurde auch zwei Bücher aus der Sammlung Alter Musikinstrumente des Kunsthistorischen Museums vom Kunstrückgabebeirat zur Rückgabe empfohlen. Vgl. Ergebnisse der 88. Beiratssitzung vom 16.3.2018, http://www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Adler_Guido_2018-03-16.pdf (11.4.2018). Ende Juli 1938 waren zwölf Objekte von der Gestapo an das damalige Institut für Ägyptologie und Afrikanistik der Universität Wien übergeben worden. Die fünf verbliebenen Objekte wurden 2017 als

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Provenienzforschung in der Universität Wien   195

Universität Wien. Drei historische Tasteninstrumente (Flügel, Cembalo, Clavichord) wurden im Zuge der Recherchen mit dem Institutsgründer Guido Adler in Verbindung gebracht. Als Ergebnis konnte der rechtmäßige Erwerb durch die Universität Wien nachgewiesen werden.32 Ergebnisse der UB Wien 2009–2017

Nach fast 15 Jahren NS-Provenienzforschung an der UB Wien hat sich nicht nur der Untersuchungszeitraum sondern auch die Bandbreite an Untersuchungsgegenständen erweitert. Die Ergebnisse dieses Prozesses, der über die Bibliotheksbestände zum Archiv und schließlich zu den musealen Sammlungen führte, werden im Folgenden dargestellt. Zu Beginn der Provenienzforschung wurde der Schwerpunkt auf die Autopsie der Buchbestände gelegt und die Verdachtsfälle dokumentiert. Die schrittweise Auswertung der Ergebnisse führte schließlich im Jahr 2009 zu den ersten vier Restitutionen von Druckwerken, die auf Erkenntnissen der Provenienzforschung andere Museen und Bibliotheken aufbauen konnten. Moriz Kuffner (1854–1939) musste aufgrund seiner jüdischen Herkunft – die Ottakringer Brauerei in Wien war im Besitz seiner Familie und wurde arisiert – in die Schweiz flüchten, während seine wissenschaftliche Bibliothek 1938 enteignet und zur Verwertung an die Nationalbibliothek gebracht wurde. An der Fachbereichsbibliothek Astronomie und an der Fachbereichsbibliothek Geschichtswissenschaft wurden drei Bände mit Provenienzhinweisen auf Kuffner gefunden und an die rechtmäßigen Erben restituiert.33 Der Fabrikbesitzer Oscar Leopold Ladner (1873–1963) musste 1938 gezwungenermaßen nach Kanada emigrieren. Bereits 1946 wurde ein Teil seiner Bücher, die 1939 von der ÖNB als Dubletten an die UB Wien übergeben wurden, zurückgegeben. Im

erbloses Gut klassifiziert und an den Nationalfonds übertragen sowie von diesem von der Universität Wien wieder erworben. Vgl. STUMPF, KÖSTNER-PEMSEL, KAISER 2018. 32 Vgl. Monika SCHREIBER, Die mit Guido Adler assoziierten Tasteninstrumente in der Instrumentensammlung des Instituts für Musikwissenschaft der Universität Wien, in: Markus STUMPF, Herbert POSCH, Oliver RATHKOLB (Hg.), Guido Adlers Erbe. Restitution und Erinnerung an der Universität Wien (= Bibliothek im Kontext 1), Göttingen 2017, S. 301–310, http://www.vr_elibrary.de/doi/ pdf/10.4220/9783737007214.301 (11.4.2018). 33 Vgl. Markus STUMPF, »Die Bibliothek ist nicht mehr vollständig.« Ein Werkstattbericht zur Provenienzforschung und Restitution an der Universitätsbibliothek Wien, in: Bibliothek. Forschung und Praxis, 34/1 (2010), S. 94–99.

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196   Olivia Kaiser, Markus Stumpf Zuge der strukturierten Recherchen wurden weitere 13 Bände in der Hauptbibliothek aufgefunden und an die Erben nach Ladner restituiert.34 Die Wiener Jurist und Universitätsprofessor Georg Petschek (1872–1947) emigrierte 1938 in die USA, nachdem er am 8. April 1938 seines Amtes enthoben worden war. In den USA lehrte er an der Harvard Law School. Bereits 2006 restituierte die Wienbibliothek im Rathaus ein Druckwerk35 und 2009 gab die UBW sechs Druckschriften an die Erben nach Georg Petschek zurück, die dankenswerter Weise fünf Bände der UBW als Geschenk überließen.36 Im Fall der Rückgabe an die an die Bibliothek der Arbeiterkammer Wien handelt es sich um die erste Restitution an eine Institution. Als Sozialwissenschaftliche Studienbibliothek bei der Arbeiterkammer Wien wurde diese 1938 beschlagnahmt und ein großer Teil nach Berlin verbracht. Nach Ende des NS-Regimes konnte nur etwa ein Viertel des ursprünglichen Bestands wieder aufgefunden werden. Insgesamt wurden 2009, 2011 und 2015 acht Druckschriften an die Bibliothek der Arbeiterkammer restituiert.37 In der folgenden Tabelle sind alle zwischen 2009 bis 2017 durchgeführten Restitutionen der UB Wien aufgezählt.38

 

Fallname

Rückgabejahr

 Bände/Objekte

1

Adler, Guido (1855–1941)

2013

2

All Peoples’ Association (APA)

2017

178 Werke in 67 Bänden, 1 Nachlassfragment 1.830 Bände

34 Vgl. Murray G. HALL, Christina KÖSTNER, Oscar Leopold Ladner, in: Alexandra REININGHAUS (Hg.), Recollecting. Raub und Restitution, Wien 2009, S. 194–197. 35 Vgl. Restitutionsbericht der Stadt Wien 2006, S. 38–39, https://www.wienbibliothek.at/sites/default/ files/files/wien-restitutionsbericht-2006.pdf (11.4.2018). 36 Vgl. Markus STUMPF, »Der Jude ist bereits in Amerika«. Provenienzforschung und Restitution im Fall Georg Petschek, in: Mitteilungen der VÖB 62/4 (2009), S. 20–27. 37 Zum Raub der AK-Bibliothek vgl. Karl STUBENVOLL, Das Ende einer »sozialistischen« Bibliothek. Die Plünderung und Zerstörung der Sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek der Wiener Arbeiterkammer durch die Nationalsozialisten, in: medien & zeit 19/4 (2004), S. 4–17. Zur Restitution durch die UB Wien im Jahr 2009 vgl. Markus STUMPF, »Aus einer liquidierten jüdischen Buchhandlung«. Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek Wien – Kontinuitäten und Brüche, in: Gerhard RENNER, Wendelin SCHMIDT-DENGLER, Christian GASTGEBER (Hg.), Buch- und Provenienzforschung. Festschrift für Murray G. Hall zum 60. Geburtstag, Wien 2009, S. 171–186, hier: S. 182–185. 38 Auf der Webseite des Arbeitsbereichs finden sich der aktuelle Stand sowie die Abstracts und Hinweise auf die entsprechenden Veröffentlichungen: http://bibliothek.univie.ac.at/provenienzforschung-restitutionen. html (11.4.2018).

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Provenienzforschung in der Universität Wien   197

3

2014

114 Bände

2013

5 Bände

5

Anthropos Bibliothek/Missionshaus St. Gabriel Bermann-Fischer, Gottfried (1897– 1995) Bien, Erich (1884–1940)

2013

5 Bände

6

Buchhandlung Belf

2011

3 Bände

7 8

Bücherei Richard Gustav Busch (1857– 2010 1918) Feilchenfeld, Henriette (1857–1944) 2013

2 Bände

9

Feuchtwanger, Ludwig (1885–1947)

2012

5 Bände

10

Gestapo-Sammlung Ägyptologie

2017

5 Gipsrepliken

11

IKG Aschaffenburg

2016

5 Bände

12

Krauss, Samuel (1866–1948)

2014

7 Bände, 14 Einzelhefte

13

Kuffner, Moriz (1854–1939)

2009

3 Bände

14

Ladner, Oscar (1873–1963)

2009

13 Bände

15

Marine-Bibliothek Pola

2017

1 Band

16

Mautner, Conrad (1880–1924)

2017

9 Bände

17

Petschek, Georg (1872–1947)

2009

6 Bände

18

Saxl, Fritz (1890–1948)

2014

1 Band

19– 21 22

Sozialwissenschaftliche Studienbibliothek bei der Arbeiterkammer Wien Thalberg, Oscar (1871–1942)

2009/ 2011/2015 2016

2/5/1 Band/Bände

23

Tietze, Hans (1880–1954)

2013

8 Bände

24

Wollheim, Oscar (1868–1944)

2013

3 Bände

4

13 Bände

1 Band

Tabelle 1: Rückgaben der UB Wien 2009–2017

Hinzu kommen jene Fälle, bei denen es bereits eine Entscheidung auf Rückgabe gibt, aber noch Erb_innen bzw. Rechtsnachfolger_innen gesucht werden oder die Restitution sich in Vorbereitung befindet. In der folgenden Tabelle werden diese Fälle mit Stand Ende 2017 angeführt.  

Fallname

Entscheidungsjahr

Bände/Objekte

1

Adler, Franz (1908–1983)

2011

1 Band

2

American Women’s Club

2010

4 Bände

3

Aus einer liquidierten jüdischen Buchhandlung

2009

1 Band

Open Access-Publikation im Sinne der CC-BY-NC-ND 4.0

198   Olivia Kaiser, Markus Stumpf 4

Bühler, Charlotte (1893–1974) und Karl (1879–1963) Gestapo Judaistik

2010

184 Bände

2010

1 Band

6

Katholischer Hochschulverein

2017

12 Bände

7

Krautstück, Wolf (1868–1939)

2010

1 Band

8

Landauer, Georg (1863–1943)

2011

1 Band

9

Persky, Jakob (1884–unbekannt)

2009

2 Bände

10

Reck, Karl (1892–1946)

2011

1 Band

11

Richter, Elise (1865–1943) und Helene (1861–1942) Wissenschaftlicher Club

2011

15 Bände

2012

3 Bände

5

12

Tabelle 2: Weitere Rückgabeentscheidungen der UB Wien 2009–2017

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass zwischen 2009 bis 2017 insgesamt 61 Fälle seitens der Universitätsleitung auf Basis der Empfehlungen des Arbeitsbereiches NS-Provenienzforschung entschieden wurden. In 36 Fällen wurde eine Rückgabe beschlossen. In fünf Fällen konnte lediglich festgehalten werden, dass zur Klärung der Erwerbungsgeschichte noch weitere Informationen benötigt werden und die Objekte daher in die Kunstdatenbank des Nationalfonds eingetragen werden.39 Hinzukommen 20 Fälle für die sich trotz eines NS-Verfolgungshintergrund des ehemaligen Eigentümers/der Eigentümerin – sei es aus rassistischen, politischen oder lebensanschaulichen Gründen – ein legaler Erwerb durch die UB Wien nachweisen ließ. In der Praxis handelt es sich hierbei etwa um Schenkungen einer/s Professorin/s an das Institut oder die Veräußerung von Büchern vor oder nach der NS-Zeit. Bei Personen, für die kein NS-Verfolgungshintergrund festgestellt werden konnte bzw. eine institutionelle Verbundenheit mit der Universität Wien in der NS-Zeit nachweisbar ist, geht der AB Provenienzforschung von unbedenklichen Erwerbungen aus. Als Beispiel sei hier der Fall Rudolf Wolkan (1860–1927) angeführt. Der Restitutionsbericht der Stadt Wien für das Jahr 200540 listet den Wiener Literaturprofessor, der ab 1902 Mitarbeiter der UB Wien und ab 1920 als Vizedirektor tätig war, und rück39 Es handelt sich um folgende Provenienzen: Leitner, Rudolf (geb. 1867 oder 1894), »Rosenberg-Spende«; Franz Reuleaux (1829–1905)/Morton Jellinek (o. J.); Katscher, Alfred (1870–1938 oder 1887–1942); Heyer von Rosenfeld (1828–1896)/M. Kroißmayer (o. J.). 40 Vgl. Sechster Bericht des amtsführenden Stadtrates für Kultur und Wissenschaft über die gemäß dem Gemeinderatsbeschluss vom 29.4.1999 erfolgte Übereignung von Kunst- und Kulturgegenständen aus den Sammlungen der Museen der Stadt Wien sowie der Wiener Stadt- und Landesbibliothek (Restitu-

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Provenienzforschung in der Universität Wien   199

te damit Wolkan ins Interesse der NS-Provenienzforschung an der UB Wien. Zwar konnte die genaue Erwerbungsgeschichte der betreffenden elf Bände nicht rekonstruiert werden, jedoch kann derzeit aufgrund der Indizien, wie der personellen Nähe zur UB Wien und des Sterbedatums im Jahr 1927 mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer legalen Erwerbung von Seiten der Bibliothek ausgegangen werden. In der folgenden Tabelle werden die 20 sogenannten Negativ-Dossiers41 festgehalten.

 

Fallname

Entscheidungsjahr

Bände/Objekte

1

Adler, Guido (1855–1941)

2017

2

Ankwicz-Kleehoven, Hans (1883–1962) Blümmel, Emil (1881–1925)

2012

3 historische Tasteninstrumente (Flügel, Cembalo, Clavichord) 6 Bände

2015

2 Bände

3 4

Chaimowicz, Doris (gest. 1955) 2017 und Thomas (1924–2002) Czember, Eleonore (1882–1942) 2011 und Stefan (1892–1942) Demus, Otto (1902–1990) 2011

1 Band

2011

1 Band

8

Fröhlich, Otto (1873–1947) und Lili (1886–nach 1975) Geymayer, Franz (1860–1945)

2016

4 Bände

9

Helleiner, Karl (1902–1984)

2016

1 Band

10

2010

2 Bände

11

Kurth, Betty Dorothea (1878– 1948) Lederer, Maria (unbekannt)

2010

7 Bände

12

Meyer, Stefan (1872–1949)

2011

110 Bände

13

Obrist, Adolf (1901–1957)

2016

1 Band

14

Pächt, Otto (1903–1988)

2011

1 Band

15

2011

1 Band

16

Petermichl, Hedwig (1907– 2000) Plöchl, Willibald (1907–1984)

2017

1 Band

17

Robitschek, Victor (1879–1942) 2010

5 6 7

6 Bände 2 Bände

2 Bände

tionsbericht der Stadt Wien), Wien 2005, S. 19, https://www.wienbibliothek.at/sites/default/files/files/ wien-restitutionsbericht-2005.pdf (11.4.2018). 41 Jene Fälle, in denen einige Bücher entzogen andere aber legal erworben wurden (sogenannte Mischdossiers), wurden hier nicht gezählt.

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200   Olivia Kaiser, Markus Stumpf 18 19 20

Rothschild, Louis von (1882– 1955) Seidner-Weiser, Max (1897– 1943) Wolkan, Rudolf (1860–1927)

2011

2 Bände

2011

1 Band

2015

11 Bände

Tabelle 3: Negativ-Entscheidungen bezüglich Rückgabe durch die UB Wien 2009–2017

Fallbeispiel erfolgreiche Restitution: Konrad Mautner

Der Restitutionsfall Konrad David Mautner (1880–1924)42 ist ein Beispiel für die personelle und institutionelle Verwobenheit, wie sie in der Provenienzforschung zu Tage treten kann. Konrad Mautner, Sohn von Isidor (1852–1930) und Jenny Mautner, geborene Neumann (1856–1938), arbeitete gemeinsam mit seinem Bruder Stephan im großindustriellen Familienbetrieb Mautner. Vor allem machte er sich jedoch einen Namen als Volkskundler und Ethnologe, der für seine umfangreiche Volksliedsammlung bekannt war. Eines seiner berühmtesten Werke stellt das Steyrische Raspelwerk von 1910 dar, das eine Vielzahl an Lieder und Jodler des Ausseerlandes versammelt.43 Aus der im Jahr 1909 geschlossenen Ehe mit seiner Cousine Anna Neumann (1879–1961) gingen fünf Kinder hervor.44 Mautner selbst verstarb bereits 43-jährig am 15. Mai 1924 in Wien an Magenkrebs. Nach den Nürnberger Rassegesetzen galt

42 Es existiert auch die Schreibweise des Namens mit C. Ab 1910 unterschrieb Mautner mit dem Vornamen »Konrad«. Vgl. Johanna PALMA, Da liabe Bruada Hrod und seine goessler Komroden, in: Nora SCHÖNFELLINGER (Hg.), »Konrad Mautner, großes Talent.« Ein Wiener Volkskundler aus dem Ausseer Land (= Grundlseer Schriften 3), Grundlsee 1999, S. 49–66. Mautner benutzte auch den Namen »Adam Konturner« als Pseudonym. Vgl. http://agso.uni-graz.at/marienthal/biografien/mautner_konrad. htm (11.4.2018). 43 Vgl. Hannes PRESSL, Zwischen Fotzhobel und Wiener Salon. Konrad Mautner als Volksmusikforscher, in: Nora SCHÖNFELLINGER (Hg.), »Konrad Mautner, großes Talent.« Ein Wiener Volkskundler aus dem Ausseer Land (= Grundlseer Schriften 3), Grundlsee 1999, S. 91–111, hier: S. 98; Michael HABERLANDT, Nekrolog Konrad Mautner, in: Wiener Zeitschrift für Volkskunde 29/1 (1924), S. 71–72. 44 Heinrich Matthias (1910–1991), Lorenz (1914–1990), Konrad Michael Peregrin Mautner (1918–1997), Anna Maria Helene (1920–2010, verheiratete Wolsey). Der 1911 geborene Franz Amadeus verstarb bereits 1912; vgl. Todesanzeige Konrad Mautner, Neue Freie Presse, 17.5.1924, S. 17, http://anno.onb. ac.at/cgi-content/anno?aid=nfp&datum=19240517&seite=17&zoom=33 (11.4.2018); Restitutionsbericht 2008, S. 125, https://www.wienbibliothek.at/sites/default/files/files/wien-restitutionsbericht-2007. pdf (11.4.2018); Lutz MAURER, An der schoenen blauen Donau, in: Nora SCHÖNFELLINGER (Hg.), »Konrad Mautner, großes Talent.« Ein Wiener Volkskundler aus dem Ausseer Land (= Grundlseer Schriften 3), Grundlsee 1999, S. 27–47, hier: S. 43.

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Provenienzforschung in der Universität Wien   201

die gesamte Familie Mautner als jüdisch und wurde deshalb verfolgt und enteignet.45 Konrad Mautners Bruder Stephan und dessen Ehefrau Elsa, geborene Eissler, flüchteten im November 1938 mit ihren Kindern nach Ungarn, von wo Letzteren die weitere Flucht gelang.46 Das Ehepaar selbst wurde von einem Sammellager in Budapest im Juli 1944 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.47 Anna Mautner und ihren Kindern gelang zwischen August 1938 und März 1939 die Flucht vor dem NS-Regime.48 Im Sommer 1938 wurden bereits Teile der volkskundlichen Sammlung Mautners »sichergestellt« und an das Museum für Volkskunde in Wien gebracht.49 Mautner unterhielt zu Lebzeiten eine enge Verbindung zu diesem Museum.50 Die Provenienzforschung am heutigen Volkskundemuseum Wien beforschte die Besitztransfers der Sammlung Anna und Konrad Mautner. Der Beirat der Kommission für Provenienzforschung empfahl schließlich die Restitution der Objekte der Sammlung Anna und Konrad Mautner im Oktober 2016.51 Im Zuge der Provenienzforschung an der FB Europä-

45 Vgl. Wolfgang HAFER, Die anderen Mautners. Das Schicksal einer jüdischen Unternehmerfamilie, Berlin 2014. 46 Vgl. http://agso.uni-graz.at/marienthal/biografien/mautner_stephan.htm (11.4.2018). 47 HAFER 2014, S. 168. Das genaue Todesdatum und der Todesort waren zunächst nicht bekannt, weshalb beide 1947 mit Datum 8.5.1945 für tot erklärt wurden. Im Zuge der Recherchen zur Familie Mautner stieß Wolfgang Hafer auf eine Fotografie von als jüdisch verfolgten Männern aus dem KZ AuschwitzBirkenau, auf dem Stephan Mautner zu erkennen ist, womit die Deportation bewiesen ist. Bis 2014 wurde in der Forschung eine Deportation beider Ehegatten zwar als wahrscheinlich angesehen, konnte aber nicht belegt werden. Vgl. http://agso.uni-graz.at/marienthal/biografien/mautner_stephan.htm (11.4.2018). 48 Zu den Fluchtrouten bzw. Haftzeiten vgl. Anna WOLSEY-MAUTNER, Erinnerungen an meine Eltern, in: Nora SCHÖNFELLINGER (Hg.), »Konrad Mautner, großes Talent.« Ein Wiener Volkskundler aus dem Ausseer Land (= Grundlseer Schriften 3), Grundlsee 1999, S. 11–25, hier: S. 22–23; Restitutionsbericht der Stadt Wien 2008, S. 112; Abmeldungen von Heinrich: 24.8.1938, Lorenz Mautner: 10.12.1938; Anna Mautner (Tochter): 11.12.1938; Konrad Michael Mautner: 2.2.1939; Anna Maunter (Witwe): 27.3.1939; vgl. MAURER 1999, S. 46. 49 Vgl. Birgit JOHLER, Das ÖMV in Zeiten politischer Umbrüche. Erste Einblicke in eine neue Wiener Museumsgeschichte, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 111/3–4 (2008), S. 229–263, hier: S. 247. Eine Bestandsliste vom 14.10.1938 beschreibt einen »Erwerb« von 205 Inventarnummern (Kästen, Truhen, Stühle, Tabakpfeifen, Liederabschriften etc.) aus der Sammlung. Die Liste weist keine Hinweise auf eine Bibliothek auf. Vgl. Archiv des Österreichischen Museum für Volkskunde, Ktn. 25, Museum/ Ankauf von Sammlungen, Bestandsliste der von Anna Mautner aus deren freiwilligen Anbot angekauften Gegenstände bezw. Trachtenbilder, 14.10.1938. Mit herzlichen Dank für die Bereitstellung eines Scans der Bestandsliste an Birgit Johler, ÖMV, 25.4.2014. 50 Zur Sammlung Anna und Konrad Mautner im Volkskundemuseum Wien siehe den Beitrag von Claudia Spring in diesem Band. 51 Beschluss des Beirats der Kommission für Provenienzforschung bzgl. »Sammlungen Anna und Konrad Mautner« vom 5.10.2016, http://provenienzforschung.bmbf.gv.at/beiratsbeschluesse/Mautner_ Anna_2016-10-05.pdf (11.4.2018).

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204   Olivia Kaiser, Markus Stumpf In Anbetracht der Verfolgungsgeschichte und der Emigrationsbemühungen – Anna Mautner wurde am 29. März 1939 in Wien in NS-Diktion »nach Ungarn abgemeldet«57 und flüchtete über Portugal mit ihrem Sohn Heinrich Matthias in die USA58 – kann nicht von einem freiwilligen Verkauf ausgegangen werden. Der AB NS-Provenienzforschung empfahl daher der Universitätsleitung die Rückgabe der Druckschriften an die Erben. Im Oktober 2017 wurden die Druckwerke schließlich mithilfe der Provenienzforschung des Volkskundemuseums Wien59 an die Erben nach Konrad Mautner übergeben. Resümee

Seit bald 15 Jahren setzt sich die UB Wien im Rahmen der NS-Provenienzforschung systematisch und kritisch mit der Geschichte der Universität Wien und den Beständen der Universitätsbibliothek, des Universitätsarchivs und der universitären Sammlungen auseinander. Die Provenienzforschung, die Rückgabe und die Veröffentlichung der Ergebnisse sind daher als Mosaiksteine der heutigen Erinnerungskultur an der Universität Wien zu sehen. Die eingeschriebenen Geschichten in den beforschten Büchern und Objekten – Exlibris, autografische Vermerke, Stempel oder Etiketten – verweisen auf Personen oder Institutionen, deren Existenzberechtigung das nationalsozialistische Regime negierte und die in Folge enteignet bzw. zwangsweise geschlossen, verfolgt und vernichtet wurden. Die Rückgabe von geraubten Kulturgütern an die rechtmäßigen Erb_innen oder im Falle von »erblosem« Gut an den Nationalfonds kann daher nicht als Wiedergutmachung verstanden werden. Im Sinne der Washingtoner Prinzipien bemüht sich die Provenienzforschung an der Universität Wien um »faire und gerechte« Lösungen, stellt sich der historischen Verantwortung und leistet ein Beitrag zur Erinnerung an jene Menschen, die zu Opfern des Nationalsozialismus gemacht wurden.

57 WStLA, Historische Meldeunterlagen, Abfrage zu Anna Mautner, geb. 19.3.1879 in Wien, am 7.5.2014. 58 HAFER 2014, S. 158. 59 Mit herzlichen Dank für die Unterstützung an Claudia Spring.

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Wissen schafft Lücken Provenienzforschung und Restitution im Volkskundemuseum Wien

Cl audia Spring

Bleibende Lücken in der ständigen Schausammlung des Volkskundemuseums Wien

Im Herbst 2016 entschieden die Mitarbeiter_innen des Museums für Volkskunde Wien (ÖMV), fünf Objekte aus dem ehemaligen Eigentum von Anna und Konrad Mautner aus der ständigen Schausammlung zu entnehmen und vier große Tafeln mit biografischen Informationen zur Familie Mautner, zum Entzug und zum Erwerb ihrer umfangreichen Sammlung in den Jahren 1938 und 1939 und zur nunmehrigen Restitution anzubringen.1 Seit der Entnahme der Objekte ist auf den ursprünglichen Objekttexten nun der Hinweis »restituiert« angebracht. Die Entnahme dieser fünf Objekte erfolgte aufgrund der Empfehlung des Kunstrückgabebeirates, die insgesamt 364 Objekte der Sammlung Mautner an die Erbinnen und Erben von Anna Mautner (1879–1961), der Witwe des Volksmusik- und Volkskundeforschers Konrad Mautner (1880–1924), zurückzugeben.2 Konrad und Anna Mautner waren, wie auch andere Mitglieder der Industriellenfamilie Mautner, mit dem Volkskundemuseum seit dessen Gründung im Jahr 1894 durch zahlreiche Objekt- und großzügige Geldspenden verbunden.3 Konrad Mautner stand darüber hinaus auch in engem fachlichem Austausch – als korrespondierendes Mitglied des Vereins für Österreichische Volkskunde, dem Trägerverein des Volkskundemuseums, und als Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher Beiträge für dessen Zeitschrift. Schwerpunkt seiner Sammlungen und Forschungen, die seine Frau Anna maßgeblich unterstützte, waren neben Grafiken und verschiedensten volkskundlichen

1

2 3

An diesem Entscheidungsprozess beteiligt waren Matthias Beitl, Dagmar Butterweck, Elisabeth Egger, Hermann Hummer, Birgit Johler, Herbert Justnik, Kathrin Pallestrang, Claudia Peschel-Wacha, Raffaela Sulzner und Nora Witzmann. Elf weitere zu restituierende Objekte aus der Sammlung Mautner in der Schausammlung wurden durch vergleichbare Objekte unbedenklicher Provenienz ersetzt. Sitzung des Kunstrückgabebeirats vom 5.10.2016, vgl. www.provenienzforschung.gv.at/de/empfehlungen-des-beirats/beschluesse (6.2.2018). Vgl. ÖMV-Archiv, Karton ÖMV-Jahresberichte, Jahresberichte 1912–1924.

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208   Claudia Spring – auf Betreiben des damaligen Museumsdirektors und NSDAP-Mitglieds Arthur Haberlandt6 – entzogenen Sammlung von Anna bzw. Konrad Mautner zu sehen.7 Verringern von Wissenslücken – Ausweiten von Entscheidungen

Die Umsetzung der Empfehlung des Kunstrückgabebeirats zur Rückgabe der Sammlung Mautner und die damit verbundene Sichtbarmachung der durch die Entnahme der fünf Objekte entstandenen Lücken in der Schausammlung war ein wichtiger Schritt, den die Mitarbeiter_innen des Volkskundemuseums gesetzt hatten – weil ihnen deutlich geworden war, dass das Volkskundemuseum, wie auch viele andere Museen, die systematische Verfolgung und Vertreibung von Menschen durch die Nationalsozialisten genutzt hatte, um Sammlungen und Bibliotheksbestände zu erweitern. Dieser mehrjährige Prozess der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Volkskundemuseums in der NS-Zeit wird im Folgenden chronologisch dargestellt:8 2004, im Zuge der Vorbereitung einer Ausstellung und eines Symposiums zur Sammlung der bedeutenden Ethnologin Eugenie Goldstern, wurde deutlich, dass Goldstern, die über viele Jahre mit dem Volkskundemuseum eng verbunden war, aufgrund des zunehmend offener gezeigten Antisemitismus auch seitens des Volkskundemuseums, allen voran von Arthur Haberlandt (ÖMV-Direktor von 1924–1945), ausgegrenzt wurde. Zwar ist die Sammlung Goldstern hinsichtlich ihres Erwerbungszeitraums (zwischen 1911 und 1930) unbedenklich, doch das Wissen um den gewaltsamen Tod Eugenie Goldsterns, die 1942 im NS-Vernichtungslager Sobibor getötet wurde, veränderte den museologischen Umgang mit der Sammlung Goldstern.9 Darüber hinaus wurden, initiiert und begleitet von Elisabeth Egger, damals Objektmanagerin des Museums, Recherchen durchgeführt, wie viele und welche Sammlungen das Volkskundemuseum von jüdischen Voreigentümer_innen erworben hatte. 6

7 8

9

Vgl. Birgit JOHLER, Das Österreichische Museum für Volkskunde in Zeiten politischer Umbrüche. Erste Einblicke in eine neue Wiener Museumsgeschichte, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 62 (2008), S. 229–263, hier: S. 256. Vgl. dazu auch den Beitrag Anna Mautner: Mehr als nur Witwe in diesem Band. S. xxx Zur Geschichte des Volkskundemuseums bzw. des Vereins für Volkskunde von 1894–1945 vgl. grundlegend Herbert NIKITSCH, Auf der Bühne freier Wissenschaft. Aus der Geschichte des Vereins für Volkskunde (1894–1945), Wien 2006. Vgl. dazu u. a. Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 59 (2005), mit den Beiträgen des Abschlusssymposions zur Ausstellung »Ur-Ethnographie«. Auf der Suche nach dem Elementaren in der Kultur. Die Sammlung Eugenie Goldstern, ÖMV, 3.–5.2.2005; Albert OTTENBACHER, Eugenie Goldstern. Eine Biographie, Wien 1999, v. a. S. 32–33, S. 94–97; JOHLER 2008, S. 248–249; Margot SCHINDLER, »Alter Jude, Ton, glasiert«. Spuren des Jüdischen im Österreichischen Museum für Volkskunde, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 62 (2008), S. 435–456.

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Wissen schafft Lücken   209

Die Provenienz der Bibliotheksbestände war Teil der Reflexion der Mitarbeiter_innen und Besucher_innen im Zuge des 2007/08 durchgeführten Ausstellungsprojekts Museum_inside_out. Arbeit am Gedächtnis.10 Bibliothekar Hermann Hummer begann mit der retrospektiven elektronischen Erfassung der Bibliotheksbestände und vermerkte die dabei aufgefundenen Provenienzmerkmale der Erwerbungen (vorerst von 1938– 1945) für künftige Recherchen. Nach weiteren Retrokatalogisierungsarbeiten verfasste er gemeinsam mit den Kulturwissenschafter_innen Birgit Johler und Herbert Nikitsch einen 2011 erschienenen Aufsatz zur umfangreichen Bibliothek der Forschungsstelle Mythenkunde, einer Zweigstelle der Hohen Schule, die dem Amt Rosenberg unterstand. Zur Mythenbibliothek, die das Volkskundemuseum im Jahr 1946 treuhändisch übernommen hat, wird von der Verfasserin dieses Beitrags demnächst ein Dossier abgeschlossen und dem Kunstrückgabebeirat vorgelegt.11 Aufbauend auf ihren 2008 erschienenen kritischen Beitrag zur Geschichte des Volkskundemuseums in der NS-Zeit konnte Birgit Johler gemeinsam mit der Kulturwissenschafterin Magdalena Puchberger in einem mehrjährigen Forschungsprojekt (Laufzeit 2010–2015), finanziert vom Wissenschaftsfond (FWF),12 das Wissen um die Rahmenbedingungen zahlreicher Erwerbungen wesentlich vertiefen.13 Hier ein chronologischer Vorgriff: Durch eine weitere Förderung des Wissenschaftsfonds konnten die beiden ihre Forschungsergebnisse im Volkskundemuseum in der von Oktober 2017 bis März 2018 gezeigten Ausstellung heimat.machen. Das Volkskundemuseum in Wien zwischen Alltag und Politik präsentieren, in der auch die Themen Provenienzforschung und Restitution großen Raum einnahmen.14 Provenienzforschung war – neben musealer Bedeutung und kulturellen Kontexten von Objekten – auch Thema der 2011 im Volkskundemuseum gezeigten Ausstellung 10 Vgl. Matthias BEITL, museum_inside_out. Ein museologischer Laborversuch, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 62 (2008), S. 145–156; weiters https://www.volkskundemuseum.at/museum_ inside_out (29.1.2018). 11 Vgl. Hermann HUMMER, Birgit JOHLER, Herbert NIKITSCH, Die Bibliothek des Österreichischen Museums für Volkskunde, in: Bruno BAUER, Christina KÖSTNER-PEMSEL, Markus STUMPF (Hg. In), NS-Provenienz an österreichischen Bibliotheken. Anspruch und Wirklichkeit (= Schriften der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare 10), Graz-Feldkirch 2011, S. 459–476, hier: S. 459–460. Die auf S. 460 angeführte Inventarnummer 8.999 muss richtigerweise 6.834 heißen, Information von Hermann Hummer, 20.2.2018. 12 FWF-Projekt Museale Strategien in Zeiten politischer Umbrüche. Das Österreichische Museum für Volkskunde in den Jahren 1930–1950 (FWF-P 21442, Projektleiter Univ. Prof. Dr. Konrad Köstlin em.). Die Projektlaufzeit war mit Unterbrechungen von 4/2010 bis 7/2015, vgl. https://www.volkskundemuseum.at/ museale_strategien_in_zeiten_politischer_umbrueche (29.1.2018). 13 Vgl. JOHLER 2008, S. 229–263; zur Sammlung Mautner vgl. S. 247–248. 14 Vgl. https://www.volkskundemuseum.at/heimatmachen (29.1.2018).

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210   Claudia Spring Von Dreideln, Mazzes und Beschneidungsmessern. Jüdische Dinge im Museum, an der Studierende des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien mitarbeiteten und die von Birgit Johler und der Historikerin Barbara Staudinger kuratiert wurde.15 Mit dem Anbringen einer Gedenktafel neben dem Haupteingang des Volkskundemuseums im Jahr 2013 erfolgte ein weiteres sichtbares Zeichen der Auseinandersetzung – auf der Gedenktafel werden unter anderen Eugenie Goldstern und Konrad Mautner als großzügige Förderer_innen des Volkskundemuseums gewürdigt. Um das stetig wachsende Wissen zur Geschichte des Volkskundemuseums und zu seinen Akteuren in der NS-Zeit weiter nutzen und – als eine Konsequenz daraus – vertiefte Provenienzforschung durchführen zu können, entschied sich der Vereinsvorstand des Volkskundemuseums im Jahr 2014, die für 2015 zugesagten Mittel der Museumsförderung des Bundeskanzleramtes für eine systematische Provenienzforschung zu verwenden. Im Mai 2015 traf der Vereinsvorstands eine weitere wichtige Entscheidung, nämlich die Bestimmungen des Kunstrückgabegesetzes (BGBl I Nr. 181/1998) – das sich ausschließlich auf Sammlungen des Bundes bezieht – auch auf das Volkskundemuseum anzuwenden, Dossiers zu bedenklichen Erwerbungen für den Kunstrückgabebeirat zu erstellen und dessen Empfehlungen auf Rückgabe oder Verbleib der Objekte umzusetzen. Im Februar 2016 verpflichtete sich das Volkskundemuseum auch zur Zusammenarbeit mit dem Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus und zur Weiterleitung von Informationen zu jenen Sammlungsobjekten, deren Provenienz nicht geklärt werden kann, für dessen Kunstdatenbank. Seit Februar 201516 erfolgt nun von der Verfasserin dieses Beitrags eine systematische Provenienzforschung, vorerst mit dem Schwerpunkt auf den Erwerbungen von 1938-1965 in den Sammlungen des Volkskundemuseums – diese umfassen insgesamt 15 Vgl. Birgit JOHLER, Barbara STAUDINGER (Hg.in), Von Dreideln, Mazzes und Beschneidungsmessern. Jüdische Dinge im Museum (= Objekte im Fokus 1), Wien 2011. Zu einem der 20 ausgestellten Objekte, einem 1939 inventarisierten Foto aus der Sammlung Mautner, verfasste einer der Studierenden seine Diplomarbeit. Vgl. Felix TASCHNER, »Etwas in Ordnung(en) bringen«: Eine Fotografie aus dem Fundus des österreichischen Museums für Volkskunde. Spurensuche auf einem epistemischen Ding, Univ. Diplomarb., Wien 2012. 16 Von 2/2015 bis 12/2016 wurde die Halbtagsstelle der Provenienzforschung aus den Mitteln des Bundeskanzleramts, des Arbeitsmarktservice und des Vereins für Volkskunde finanziert, von 1/2017 bis 12/2018 aus den Mitteln des Bundeskanzleramts, der Kommission für Provenienzforschung und des Vereins für Volkskunde.

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Wissen schafft Lücken   211

etwa 200.000 dreidimensionale Objekte und mehr als 150.000 Fotografien und Grafiken zur Volkskunst sowie zu historischen und gegenwärtigen Alltagskulturen Europas. Auch die Überprüfung der Erwerbungen der Bibliothek des Volkskundemuseums – diese enthält etwa 100.000 Bände zur Volkskunde/Europäischen Ethnologie und zu verwandten Fächern – konnte aufgenommen werden. Sowohl in den Sammlungen als auch in der Bibliothek war die Ausgangssituation für die Provenienzforschung aufgrund der umfangreichen Vorarbeiten der Kolleg_innen im Volkskundemuseum, die die Provenienzforschung ausdrücklich unterstützen, sehr gut. Darüber hinaus sind die Direktionsakten des Volkskundemuseums nahezu vollständig und wie alle anderen für die Provenienzforschung relevanten Materialien im museumseigenen Archiv für die Forschung zugänglich. Nicht zuletzt erleichtert die Möglichkeit, Forschungsergebnisse der Provenienzforscher_innen aus den Bundesmuseen zu nutzen, die Arbeit im Volkskundemuseum wesentlich. Mittlerweile liegen vier Beschlüsse des Kunstrückgabebeirats zur Rückgabe von Objekten im Volkskundemuseum vor: zu den Sammlungen von Dr. Siegfried Fuchs, Ing. Robert Jonas, Anna Mautner und Ing. Georg Popper. Zwei weitere Dossiers, Dr. Richard Coudenhove-Kalergi/Ida Roland sowie Familie Wittgenstein, wurden dem Beirat übergeben.17 In der Kunstdatenbank des Nationalfonds finden sich inzwischen Fotos und detaillierte Beschreibungen zu 205 Objekten aus dem Volkskundemuseum. Weiters wurden sämtliche Objekte in der Schausammlung des Volkskundemuseums, deren Provenienz untersucht wird, mit entsprechenden Informationen versehen.18 Ergänzend sei hier noch angeführt, dass zwischen 1947 und 1951 die Rückgabe von drei Sammlungen aufgrund der Bestimmungen der Rückstellungsgesetze erfolgte – von Oscar Bondy (1947), Albert Pollak (1951) und Franz Ruhmann (1951). Viel Wissen und viele Lücken

Die durch die Entnahme zurückzugebender Objekte zurückbleibenden Lücken in der Schausammlung des Volkskundemuseums stehen für vieles: Sie symbolisieren die verkleinerten Wissenslücken der Mitarbeiter_innen des Museums ihre Sammlungen betreffend, sie zeigen zumindest exemplarisch auf, dass die musealen Sammlungen – 17 Vgl. Sitzung des Kunstrückgabebeirats 15.10.2015, Dr. Siegfried Fuchs; 15.1.2016, Ing. Georg Popper; 5.10.2016, Anna Mautner und 6.7.2017, Ing. Robert Jonas. Vgl. http://www.provenienzforschung.gv.at/ de (30.1.2018). Die Ergebnisse der Provenienzforschung sind auf der Website des Volkskundemuseums sowie in den Nachrichten aus dem Volkskundemuseum Wien veröffentlicht, vgl. www.volkskundemuseum. at (30.1.2018). 18 Vgl. https://www.kunstdatenbank.at/objekt-suche/volltext/volkskunde/museum/35.html (26.2.2018).

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214   Susanne Hehenberger, Monika Löscher nen Arbeitsplan erstellen zu können, entwickelten wir zunächst einen Fragebogen, der unter anderem allgemeine Daten über die jeweilige Sammlung und über deren Mitarbeiter_innen während der NS-Zeit enthielt, auch Angaben über die Entstehungsgeschichte und den Umfang der Sammlung, die Archivsituation und den Stand der inventarischen Aufnahme in der Museumsdatenbank TMS. Nach den so erfassten ­Informationen und einer ersten Vorstellung bei den Sammlungsdirektor_innen und -kurator_innen entschieden wir uns, mit der systematischen und proaktiven Provenienzforschung in der Antikensammlung zu beginnen, vor allem weil diese Sammlung 2009 bereits vollständig in TMS erfasst war. Anfang September 2009 wurde diese Tätigkeit auf Anweisung der Leitung der Kommission für Provenienzforschung bis auf Weiteres unterbrochen, um ein Dossier zu Vermeers Gemälde Der Maler in seinem Atelier zu erstellen. Erst im Sommer 2013 konnten wir die systematische Arbeit in der Antikensammlung wieder aufnehmen – nachdem wir uns aufgrund der 2013 anstehenden Wiedereröffnung der Kunstkammer entschlossen hatten, auch dort die Provenienzforschung vorzuziehen. Auslöser der intensiven Recherchen zur Malkunst war ein mit 31. August 2009 datiertes Schreiben an die Republik Österreich gewesen, das die Rückgabe des außerordentlich wertvollen Gemäldes »angeregt« hatte. Nur wenige Tage später erschien ein Interview in der Tageszeitung Der Standard, worin der Vertreter der Familie, Rechtsanwalt Andreas Theiss, die Beweggründe für diesen Schritt erklärte. Er vertrat die These, dass der Verkauf an Adolf Hitler nicht freiwillig erfolgt war, sondern dass Jaromir Czernin – als Kurt Schuschniggs Schwager und weil seine zweite Frau Alix May nach den Nürnberger Gesetzen als »Mischling zweiten Grades« galt – unter Druck gesetzt worden war.3 Bereits Hubertus Czernin, der sich als Journalist und Verleger intensiv mit dem nationalsozialistischen Kunstraub auseinandersetzte, hatte sich im Februar 1998 ausführlich mit Vermeers Malkunst beschäftigt. Die früheren Eigentümer – Jaromir und dessen Onkel Eugen Czernin – waren entfernte Verwandte von ihm. Der Journalist war nach Durchsicht der Akten im Bundesdenkmalamt zum Schluss gekommen, dass die Restitution in den Nachkriegsjahren »zu Recht nicht erfolgt« sei.4 Er hatte eine Publikation mit dem Titel Vermeer oder die Kunst des Müssigganges als Band VII in seiner Publikationsreihe Bibliothek des Raubes geplant. Die Veröffentlichung kam aufgrund des frühen Todes von Hubertus Czernin nicht mehr zustande. 3 4

Thomas Trenkler, »Der Vermeer war der Preis, um zu überleben«, in: Der Standard, 5./6.9.2009, derstandard.at/1252036636311/Der-Vermeer-war-der-Preis-um-zu-ueberleben (20.2.2018). Trenkler 2009.

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216   Susanne Hehenberger, Monika Löscher erfassen. Jana Starek unterstützte uns bei Recherchen in tschechischen Archiven. So bekamen wir unter anderem die Informationen aus den Meldeunterlagen von Marschendorf und von Unterlagen aus dem Prager Innenministerium. Schon länger geplant war die Ausstellung Vermeer. Die Malkunst. Spurensicherung an einem Meisterwerk, die von der Kuratorin der Gemäldegalerie Sabine Pénot und der Leiterin der Gemälderestaurierung im Haus, Elke Oberthaler, gestaltet und im Jänner 2010 eröffnet wurde. Ursprünglich wollten wir im Katalog einen kurzen Beitrag zur Provenienz schreiben, der Artikel wurde jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen von der Kommissionsleitung zurückgezogen. Eine Veröffentlichung vor der Befassung des Kunstrückgabebeirats mit dem Fall hätte als Präjudiz interpretiert werden können – allerdings wurde ein kurzer Pressetext zum damaligen Stand der Provenienzforschung auf die Website des Museums gestellt und in die Pressemappe zur Ausstellung integriert. In den Medien wurde der Raubkunstverdacht aufgenommen.5 Zwei weitere Archivreisen führten uns im tiefsten Winter nach Tschechien, zunächst in das Staatliche Gebietsarchiv Zámrsk, wo wir dank der ausgezeichneten Deutschkenntnisse eines Archivmitarbeiters schnell die Unterlagen des Czernin-Morzin’schen Familienarchivs in Hohenelbe vorgelegt bekamen. Hier fanden wir vor allem Korrespondenzen zwischen Jaromir Czernin und seinen Anwälten sowie richterliche Beschlüsse in Bezug auf den Familienfideikommiss. Nur wenige Tage später waren wir in Jindřichův Hradec/Neuhaus, einer Abteilung des staatlichen Gebietsarchives Trěboň, um Einblick ins Familienarchiv Czernin zu nehmen. Roswitha Juffinger und Imma Walderdorff hatten uns als ausgezeichnete Kennerinnen der Gemäldegalerie Czernin den wertvollen Hinweis auf dieses Archiv und dessen Bestände gegeben. Hier fanden wir die Tagebücher von Eugen Czernin, dem Onkel von Jaromir Czernin und Miteigentümer des Gemäldes. Zu unserer Überraschung endeten die Tagebücher nicht 1939 – wie immer kolportiert wurde –, sondern wurden bis Oktober 1941 geführt, also über den Zeitpunkt des Verkaufes von Die Malkunst hinaus. Die Existenz dieser Bücher brachte uns detaillierte Einblicke in die Sichtweise Eugen Czernins und stellten somit gewissermaßen ein Korrektiv zur Darstellung des Verkaufs des Kunstwerks an Adolf Hitler durch Jaromir Czernin dar. Kurz zu thematisieren sind an dieser Stelle die komplexen Eigentumsverhältnisse an dem Bild, die im Zusammenhang mit dem Familienfideikommiss und der Auflösung desselben standen. Langjährige juristische 5

Vgl. »Die Malkunst«. KHM-Schau zu umkämpftem Vermeer, in: Die Presse, 25.1.2010, https://diepresse.com/home/kultur/kunst/535209/Die-Malkunst_KHMSchau-zu-umkaempftem-Vermeer; Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Einem Mysterium auf der Spur, in: Wiener Zeitung, 25.1.2010, http://www. wienerzeitung.at/nachrichten/archiv/62949_Einem-Mysterium-auf-der-Spur.html (6.3.2018).

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Die Malkunst. Dossier, Buch und Klage.    217

Auseinandersetzungen führten 1933 zu einer privatrechtlichen Vereinbarung: Eugen Czernin erhielt die Gemäldegalerie, Jaromir Czernin Die Malkunst zu freien Verfügung. Im Falle des Verkaufes sollte er ein Fünftel des Gewinnes an Eugen Czernin auszahlen.6 Eugen Czernin ging in seinen Aufzeichnungen ausführlich auf den Verkauf ein und bezeichnete das Vorgehen Jaromirs ihm gegenüber als »Erpressung«, da Jaromir Czernin nicht nur den gesamten Erlös aus dem Verkauf behalten wollte, sondern auch noch die Bezahlung von 250.000 RM Erbsteuer von Eugen Czernin verlangte und diesem androhte, widrigenfalls die Czernin-Galerie zu beanspruchen.7 Ab Sommer 2010 war auch der US-amerikanische Restitutionsanwalt Randol ­Schoenberg in den Fall involviert, indem er die Tochter einer späteren Ehefrau Jaromir Czernins vertrat. Er gewährte uns Zugang zu mehreren digitalisierten Aktenbeständen aus dem Besitz der Stieftochter von Jaromir Czernin-Morzin. Insgesamt handelte es sich dabei um 3.024 Seiten, die wir in 1.349 unterschiedliche Dokumente aufschlüsseln und zum überwiegenden Teil mit uns bereits bekannten Unterlagen gleichsetzen konnten. Zwei Tage nach der Empfehlung des Kunstrückgabebeirats vom 18. März 2011, das Gemälde nicht an die Erb_innen nach Jaromir Czernin-Morzin zurückzugeben, veröffentlichte Randol Schoenberg seine Sichtweise auf seiner Website und in mehreren Leserbriefen.8 Die Beiratsempfehlung zur Nichtrückgabe wurde naturgemäß von den Anwälten negativ aufgenommen und es folgten teils polemische Attacken.9 Schoenberg kritisierte in einem Leserbrief in der Tageszeitung Der Standard, dass der Beirat die politische Verfolgung von Alix May nicht anerkannt hätte. Dieser leugnete jedoch keineswegs, dass »Alix Czernin antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt war«, konnte aber keine »Kausalität mit dem Verkauf des Bildes durch ihren Ehemann Jaromir Czernin erkennen«.10 Weiters meinte Schoenberg im Standard: » [...] but I specifically requested that the Beirat delay its decision because we have recently discovered 210 boxes of files in the Czech Republic that must be reviewed for further evidence.

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BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Czernin (Res/Akten): I. 1935–1942, ad Zl. 3320/Dsch/38, Sperl, 23.2.1933 (Abschrift). 7 Vgl. Neuhaus, FAC, Tagebücher (Juni 1934 bis Oktober 1941), IV. Tagebuch 1.11.1939–31.10.1941, Eintrag 15.10.1940. 8 Randol E. Schoenberg, Legal Analysis of the Vermeer Die Malkunst. Under the KunstrückgabeG of 1998, 20.3.2011, http://www.bslaw.com/Vermeer/Analysis.pdf (12.2.2018). 9 APA, Vermeers »Malkunst« muss nicht restituiert werden, in: Die Presse, 18.3.2011; in: Der Standard, 18.3.2011, https://derstandard.at/1297820801607/Vermeers-Malkunst-soll-nicht-restituiert-werden (20.2.2018). 10 Vgl. Beschluss des Beirates vom 18.3.2011, S. 33, http://www.provenienzforschung.gv.at/de/empfehlungen-des-beirats/beschluesse/beschluesse-2008-2013/?decisions-year=2011 (20.2.2018).

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218   Susanne Hehenberger, Monika Löscher I wish people really knew the facts of this case.«11 Für ihn sei unverständlich, wie der Kunstrückgabebeirat nicht habe sehen können, unter welchem Druck Czernin und vor allem seine als »Vierteljüdin« eingestufte Frau Alix May als Verfolgte standen: »Jeder, der zur Schlussfolgerung kommt, dass sie nicht verfolgt war, ist ein Idiot.«12 Schoenberg legte jedoch bis heute keine neuen Dokumente vor. Da Dossiers der Kommission für Provenienzforschung grundsätzlich nicht veröffentlicht werden, entschieden wir uns bald nach der Beiratsempfehlung, unsere Forschungsergebnisse – erweitert um historische sowie rechtliche Kontexte und vertiefende kunsthistorische Betrachtungen – im Rahmen der Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung zu publizieren. Ende 2012 erschien das Buch, im März 2013 wurde es im KHM präsentiert. Wir dachten, mit der umfangreichen Publikation unsere Recherchen transparent gemacht und damit einen Schlusspunkt in der nun schon mehr als zwei Jahre währenden Arbeit gesetzt zu haben. Doch wir irrten uns. Das Nachspiel

Etwas mehr als ein Jahr nach der Buchpräsentation erteilte das Handelsgericht Wien Susanne Hehenberger den Auftrag, die gegen sie als Autorin des Buchkapitels über den Verkauf der Malkunst von Rechtsanwalt Andreas Theiss im Auftrag eines Kindes von Jaromir Czernin-Morzin eingebrachte Klage binnen vier Wochen zu beantworten. Die klagende Partei sah unter Berufung auf § 1330 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches die Ehre ihres verstorbenen Vaters durch die im Fazit des Kapitels zusammengefassten Argumente – der Verkauf an Adolf Hitler fand nicht unter Zwang statt, ein vorhergehender Verkaufsversuch an Philipp Reemtsma sei unter anderem auch infolge der Einmischung von Wiener Behörden gescheitert und der an Jaromir Czernin ausbezahlte Kaufpreis sei letztlich mit dem Offert Reemtsmas vergleichbar gewesen – verletzt und forderte die Unterlassung der Veröffentlichung. Zwar hatten wir die Buchbeiträge im Auftrag der Kommission geschrieben und in deren Schriftenreihe publiziert, was jedoch keinen Anspruch auf einen Rechtsbeistand zur Klagebeantwortung begründete, weshalb Susanne Hehenberger ein Rechtsschutzansuchen an die Gewerkschaft öffentlicher Dienst (GÖD) stellte. Das Procedere der An11 APA 2011, https://derstandard.at/1297820801607/Vermeers-Malkunst-soll-nicht-restituiert-werden (20.2.2018). 12 APA, Keine Rückgabe des Vermeer-Bildes, in: Service, Ö1, 18.3.2011, http://oe1.orf.at/artikel/272434 (20.2.2018).

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220   Susanne Hehenberger, Monika Löscher 20 Jahre Provenienzforschung im Kunsthistorischen Museum

Werfen wir abschließend einen Blick auf 20 Jahre Provenienzforschung im KHM: Seit 1998 wurden 33 Dossiers aus dem Haus dem Kunstrückgabebeirat vorgelegt. Rückgabebeschlüsse wurden für 954 Objekte aus dem KHM gefasst, davon waren 170 der Antikensammlung, 22 der Gemäldegalerie, 36 der Hofjagd- und Rüstkammer, 44 der Kunstkammer, 669 dem Münzkabinett und 13 der Sammlung alter Musikinstrumente inventarisch zugeordnet. Neben den beiden bereits erwähnten vorläufigen Gesamtberichten zur Kunstkammer und zur Antikensammlung wurden weitere Dossiers zur Kenntnisnahme erstellt und an die Kommissionsleitung abgegeben, aber noch nicht vom Kunstrückgabebeirat behandelt. Derzeit konzentriert sich die Provenienzforschung im KHM, seit März 2016 von Monika Löscher alleinverantwortlich geführt, auf die Sammlung alter Musikinstrumente und die Gemäldegalerie. In den kommenden Jahren stehen noch die systematischen Recherchen in der Hofjagd- und Rüstkammer, in der Ägyptisch-Orientalischen Sammlung, in der Wagenburg und dem Monturdepot, im Münzkabinett und in der Bibliothek des Kunsthistorischen Museums bevor.

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Teil 3

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»So duften auch die Rosen unter dem segengebeugten Apfelbaume …«1 Zur Provenienz von Gustav Klimts Rosen unter Bäumen aus der Sammlung Zuckerkandl

Monika Mayer

Am 27. November 2001 wurde das Gemälde Apfelbaum II2 (Abb. 4) von Gustav Klimt an die Erb_innen nach Nora Stiasny ausgefolgt.3 Die im Klimt-Werkverzeichnis von Johannes Dobai angegebene Provenienz – »Sammlung August Lederer, Wien« – war aufgrund eines von Hubertus Czernin 1999 erstmals publizierten Aktes der NS-Vermögensverkehrsstelle4 revidiert und das Bild Nora Stiasny, der Nichte Victor Zuckerkandls, zugesprochen worden. Die bereits 2000/01 problematisierte Frage der Zuordnung zu den Sammlungen Lederer versus Zuckerkandl/Stiasny5 wurde im Jahr 2015 erneut virulent als ein Rechtsnachfolger der Familie Lederer das restituierte Gemälde Apfelbaum II für die ehemalige Kunstsammlung von August und Serena Lederer reklamierte. Auf der Grundlage der von Tobias G. Natter und der Verfasserin im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung erstellten Gutachten kam der Kunstrückgabebeirat 2017 zu folgendem Schluss:

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Berta ZUCKERKANDL, in: Wiener Allgemeine Zeitung, 6.6.1908, S. 5. Zitiert nach Tobias G. NATTER (Hg.), Gustav Klimt. Sämtliche Gemälde, Köln 2012, S. 597, WV 165. Fritz NOVOTNY, Johannes DOBAI, Gustav Klimt, Salzburg 1967, S. 362, WV 195. Das Landschaftsbild war 1961 als Vermächtnis Gustav Ucickys »zum Gedenken an seinen Vater Gustav Klimt« an die Österreichische Galerie in Wien und damit in das Eigentum des Bundes gelangt. In der Sitzung des Kunstrückgabebeirates vom 10.10.2000 war der zuständigen Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Elisabeth Gehrer, die Rückgabe des Bildes aus dem Bestand der Österreichischen Galerie Belvedere empfohlen worden. Vgl. http://www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Stiasny_Nora_2000-10-10.pdf (8.5.2018). Hubertus CZERNIN, Die Fälschung. Der Fall Bloch-Bauer, Wien 1999, Bd. 2, S. 383–387; OeStA/ AdR, BMF, Akten der Vermögensverkehrsstelle, Nora Stiasny, Zl. 19.112, Schreiben Philipp Häusler an die Vermögensverkehrsstelle, 16.10.1939. Zur Frage der Identifizierung jener Apfelbaum-Version Klimts, die sich 1938 im Besitz von Nora Stiasny in Purkersdorf befand, siehe den Bericht des Kunstrückgabebeirates, 12.7.2017, S. 1–2, http://www. provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Stiasny_Bericht_Apfelbaum.pdf (8.5.2018); Olga KRONSTEINER, Klimts Apfelbaum: Chronik eines folgenreichen Irrtums, in: Der Standard, 3.7.2016, https:// derstandard.at/2000040231848/Klimts-Apfelbaum-Chronik-eines-folgenreichen-Irrtums. (1.5.2018).

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»So duften auch die Rosen unter dem segengebeugten Apfelbaume …«    225

Rosen unter Bäumen7 versucht, das 1911 von Victor Zuckerkandl8 erworben worden war.9 (Abb. 1) Dem Symbolismus der Zeit entsprechend beschrieb Victors Schwägerin, die Publizistin Berta Zuckerkandl, das im Katalog als Rosen bezeichnete Bild anlässlich der Präsentation in der Wiener Kunstschau 1908 wie folgt: »So duften auch die Rosen unter dem segengebeugten Apfelbaume, schwer betäubend und süß. Keine Knospe tragen diese Büsche; voll erblüht, träumen sie alle Ekstasen des Sommerrausches.«10 Dank der fragmentarisch überlieferten Geschäftskarteikarten der Galerie Miethke ist Victor Zuckerkandl als Erstkäufer von zwei Landschaften Klimts identifizierbar. 1908 erwarb er Blühender Mohn (Mohnwiese), 1911 das Bild Rosen abzüglich einer Preisreduktion um 7.000 Kronen.11 In dem 1914 publizierten Klimt-Mappenwerk scheint Rosen unter Bäumen mit der Nennung Bes. Hr. Gen.-Dir. V. Zuckerkandl, Purkersdorf auf.12 Der Stahlmagnat und Besitzer des Sanatoriums Westend in Purkersdorf war der bedeutendste Klimt-Sammler der Familie Zuckerkandl.13 Abgesehen von der bereits 1916 versteigerten Pallas Athene und dem 1912 in Auftrag gegebenen Porträt seiner 7

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Als Titel sind nachweisbar: Rosen (u. a. Katalog der Kunstschau in Wien 1908, Miethke 1911); Rosen unter dem segengebeugten Apfelbaume (Berta Zuckerkandl 1908); Rosen unter Bäumen (Miethke 1914, Pirchan 1956); Apfelbäume mit den Rosen (Max Roden 1928); Apfelbaum (Annotation Secessionskatalog 1928, Philipp Häusler 1939); Apfelbäume (Galerie Nathan, ohne Datum). Seit der Erwerbung 1980 im Bestand des Musée d’Orsay in Paris: Rosiers sous les arbres. Vgl. http://www.musee-orsay.fr/en/collections/ index-of-works/notice.html?no_cache=1&nnumid=9089 (25.5.2018). Angegebene Provenienz: »collection Zuckerhandl [sic!], Vienne/jusqu’en 1980, dans la galerie Peter Nathan, Zurich«. Generaldirektor Victor Zuckerkandl (1851–1927). Vgl. Emil PIRCHAN, Gustav Klimt, Wien 1956, S. 54, Rosen unter Bäumen, Nachlass Zuckerkandl; NOVOTNY, DOBAI 1967, S. 338, WV 147. Angegebene Provenienz: Sammlung Zuckerkandl, Wien – derzeitiger Besitz unbekannt. NATTER 2012, S. 597, WV 165. Angegebene Provenienz: Wien, Galerie Miethke (Übernahme 1911); Wien, Viktor Zuckerkandl (Erwerb 1911); Zürich, Galerie Peter Nathan; Paris, Musée d’Orsay (Erwerb 1980); Alfred WEIDINGER (Hg.), Gustav Klimt, München-Berlin-London-New York 2007, S. 282, WV 175. Angegebene Provenienz: Galerie O. H. Miethke, Wien; Viktor Zuckerkandl, Wien (1911 erw.); Galerie Peter Nathan, Zürich. In der englischen Ausgabe (2007) ist die Provenienz um die Angabe »Philipp Häusler, Vienna« (ohne Jahr) erweitert. ZUCKERKANDL 1908. Tobias G. NATTER, Die Galerie Miethke. Eine Kunsthandlung im Zentrum der Moderne. Ausstellungskatalog Jüdisches Museum der Stadt Wien, Wien 2003, S. 254–255. VERLAG H. O. MIETHKE, Das Werk Gustav Klimts, 3. Lieferung, Wien 1914. Zur Kunstsammlung von Victor Zuckerkandl vgl. Tobias G. NATTER, Die Welt von Klimt, Schiele und Kokoschka. Sammler und Mäzene, Köln 2003, S. 102–108; Sophie LILLIE, The Golden Age of Klimt. The Artist’s Great Patrons: Lederer, Zuckerkandl, and Bloch-Bauer, in: Renée PRICE (Hg.), Gustav Klimt. The Ronald S. Lauder and Serge Sabarsky Collections, Neue Galerie New York, München-BerlinLondon-New York 2007, S. 54–89, hier: S. 69–75; Monika MAYER, Nicht nur Klimt. Die Zuckerkandls als Förderer und Sammler der Wiener Moderne, in: Bernhard FETZ (Hg.), Berg, Wittgenstein, Zuckerkandl: Zentralfiguren der Wiener Moderne, Wien 2018, S. 251–266, hier: S. 259–260.

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226   Monika Mayer Ehefrau Paula, besaß er nachweisbar zumindest sieben Landschaftsbilder.14 Als Victor und Paula Zuckerkandl aus beruflichen Gründen 1916 nach Berlin übersiedelten, wurde der Haushalt in Purkersdorf aufgelöst und große Teile der Sammlung im Wiener Auktionshaus Wawra versteigert: »Was er jahrelang an Kunstschätzen mit Liebe und Verständnis zusammengetragen, kommt jetzt hier unter den Hammer, ausgenommen seine wertvolle Ostasiatische Sammlung, welche als Geschenk an das Museum in Breslau geht.«15 Ausgenommen von der Versteigerung blieben auch die Klimt Landschaften und das Porträt Paula Zuckerkandl, die ihren Platz in der Villa in Berlin-Grunewald fanden.16 Nach dem Tod Victor Zuckerkandls 1927 in Berlin gelangten sechs Landschaftsbilder Gustav Klimts – Rosen unter Bäumen, Mohnwiese, Allee im Park von Schloss Kammer, Cassone, Malcesine und Unterach am Attersee (heute Litzlberg) – im Erbweg an seine Witwe Paula Zuckerkandl, die kurz danach ebenfalls starb. Als Begünstigte hatte Paula Zuckerkandl, née Freund, in ihrem Testament vom 21. Februar 1927 neben den »deutschen Erben« der Familie Freund auch »österreichische Erben« aus der Familie Zuckerkandl eingesetzt: darunter die drei Kinder ihres Schwagers Otto, Viktor Zuckerkandl, Nora Stiasny und Hermine Müller-Hofmann.17 Im Gegensatz zu dem Großteil der verbliebenen Kunstsammlung wurden die Klimt-Landschaften18 nicht in der Nachlassauktion bei Wawra im Mai 1928 in Wien19 versteigert. Die Familie Zuckerkandl hatte die Bilder Otto Nirenstein für dessen Klimt-

14 Klimts Forsthaus in Weissenbach II wurde von Victor Zuckerkandl an den Maler Hans Böhler verkauft. 15 Katalog der 236. Kunstauktion C. J. Wawra, Versteigerung der Kollektion Generaldirektor Viktor Zuckerkandl, Wien, 26.10.1916. 16 In einer 1922 publizierten Interieur-Aufnahme aus der Zuckerkandl-Villa in Berlin-Grunewald sind an der Wand der Halle links oben drei Landschaften Klimts, zum Teil als Ausschnitt, zu erkennen: Diese sind als Allee im Park vor Schloss Kammer, Cassone und Malcesine zu identifizieren. Vgl. Hermann MUTHESIUS, Landhäuser, 2. ergänzte Auflage, München 1922, S. 110, Abb. 206. Herzlichen Dank an Franz Eder, Salzburg, für den Hinweis auf die Publikation. 17 WStLA, Verlassenschaftsabhandlung nach Paula Zuckerkandl, Bezirksgericht Hietzing, Zl. A II 923/27, Testamentserfüllungsausweis nach Frau Paula Zuckerkandl. 18 In einer achtseitigen Aufstellung der Kunstwerke aus dem Nachlass Zuckerkandl scheinen wie folgt auch die sechs Landschaften Klimts auf: »2 Tempera von G. Klimt: Blühende Vase [gemeint vermutlich Wiese, Ergänzung der Verfasserin] und Obstgarten à S 10.000.-«, »4 Oelgemälde von G. Klimt: Landschaften à S 14.000.-«. Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere Wien (künftig Archiv-Belvedere), Nachlass Therese Zuckerkandl, VN-60, Schenkung Linda Snook-Langer. 19 Kunsthandlung C. J. Wawra, Nachlass-Versteigerung Generaldirektor Dr. Victor und Paula Zuckerkandl, Wien, Mai 1928. Das Vorwort des Kataloges verfasste Bruno Grimschitz, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Österreichischen Galerie seit 1919: ein Beleg, dass der spätere Direktor des Museums in der NS-Zeit mit der Sammlung Zuckerkandl vertraut war.

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228   Monika Mayer nicht öffentlich zu sehen waren […], so sechs landschaftliche Panneaux aus Privatbesitz […].«21 Otto Nirenstein bestätigte Paul Stiasny22 als Vertreter der Verlassenschaft nach Paula Zuckerkandl, »die Übernahme von 6 Landschaften Gustav Klimt’s […]. Nach Schluss der Ausstellung werden die Bilder an die Kunsthandlung Wawra zurückgestellt«.23 (Abb. 2) Unter dem Titel Unbekanntes von Klimt. Eine Gedächtnisausstellung in der »Neuen Galerie« berichtet Max Roden euphorisch über die Schau, eine günstige Gelegenheit, Bilder in Wien zu haben, die, mit ganz geringen Ausnahmen, hier öffentlich noch nie zu sehen waren […]. Was zu sehen ist, gehört mit zum Schönsten aus Klimts Werk. Das eine von den zwei Gardaseebildern ist berückend in der Farbe […]. Es gibt noch viel Schönes und Interessantes: […] das ›Schloß im Park‹, die ›Mohnblumen‹, die ›Apfelbäume mit den Rosen‹, […].24 (Abb. 3)

Im Anschluss wurden die Landschaften aus dem Zuckerkandl-Nachlass mit dem Vermerk verkäuflich in der Klimt-Gedächtnisausstellung der Wiener Secession gezeigt.25 Berta Zuckerkandl war neben Bruno Grimschitz, dem späteren Direktor der Österreichischen Galerie in der NS-Zeit, Mitglied des Ausstellungskomitees. Abgesehen von der 1929 von der Österreichischen Galerie aus der Verlassenschaft angekauften Allee im Park von Schloss Kammer26 und der Gardasee-Landschaft Malcesine, die in den 1930er Jahren von August und Serena Lederer erworben wurde, befanden sich 1938 vier der Landschaftsbilder Klimts in Purkersdorf,27 und sollten im Zuge 21 Adalbert Franz SELIGMANN, Klimt-Ausstellung. Neue Galerie, in: Neue Freie Presse, 2.4.1928, S. 7. 22 Paul Stiasny der Ehemann Nora Stiasnys, war ab 1930 kaufmännischer Leiter des Sanatoriums Westend in Purkersdorf. 23 Archiv-Belvedere, Archiv der Neuen Galerie, Zl. 401/22, Schreiben Otto Nirenstein an Paul Stiassny, 30.3.1928. 24 Archiv-Belvedere, Archiv der Neuen Galerie, Zl. 401/4; Max Roden, Unbekanntes von Klimt. Eine Gedächtnisausstellung in der »Neuen Galerie«, in: Volkszeitung, 1.4.1928. 25 XCIX. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Wiener Secession, 27. Juni – 31. Juli 1928. Im Ausstellungskatalog scheinen u. a. folgende Werke mit dem Vermerk *, d. h. verkäuflich, auf: Nr. 1, Mohn; Nr. 30, Schlossallee; Nr. 44, Landschaft; Nr. 57, Attersee; Nrn. 56/59, je Gardaseelandschaft. In dem annotierten Exemplar des Kataloges von Franz Eder, Salzburg, findet sich neben der Katalognummer 44 der handschriftliche Vermerk Apfelbaum. Vgl. Sophie LILLIE, Commodities versus Connoisseurship. A Short Price History of Gustav Klimt Sales during Nazi Era, in: Uwe FLECKNER, Thomas W. GAEHTGENS, Christian HUEMER (Hg.), Markt und Macht. Der Kunsthandel im »Dritten Reich«, BerlinBoston 2017, S. 293–321, hier: S. 300–301. 26 Archiv-Belvedere, Zl. 733/1929. 27 Die in der sogenannten Eugenvilla wohnende Amalie Redlich, die verwitwete Schwester Victor Zuckerkandls, hatte Cassone und Unterach am Attersee (heute Litzlberg) aus dem Nachlass erworben; Berta

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»So duften auch die Rosen unter dem segengebeugten Apfelbaume …«    229

der »Arisierung« des Sanatoriums Westend nach dem »Anschluss« Österreichs28 ihren jüdischen Eigentümer_innen entzogen werden. Nora Stiasny29 lebte mit ihrer Familie in der sogenannten Paulavilla. Wie die anderen Erb_innen nach Victor und Paula Zuckerkandl hatte sie aus deren Verlassenschaft Porzellan, Schmuck und die Einrichtung des Herrenzimmers erworben,30 aber auch ein »aus dem Nachlass des Gen. Direktor Zuckerkandl stammendes Landschaftsstück von Gustav Klimt, […] eine vollwertige und sehr dekorative Arbeit des Meisters«.31 Aufgrund ihrer am 14. Juli 1938 in Purkersdorf unterzeichneten Vermögenserklärung ist nachweisbar, dass Nora Stiasny »ein Bild von Gustav Klimt im WERTE von RM 5.000.-« besaß,32 das »›der Apfelbaum‹ heisse«.33 Als Jüdin den Repressionen des NSRegimes ausgesetzt, musste sie das Gemälde, das nach aktuellem Forschungsstand als Rosen unter Bäumen zu identifizieren ist, um einen Bruchteil des Schätzpreises veräu-

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Zuckerkandl und ihr Sohn Fritz hatten Anfang der 1930er Jahre nach dem Verkauf von Malcesine die Mohnwiese übernommen. Fritz Zuckerkandl lebte wie die Familie Stiasny mit seiner Frau Gertrude Stekel und dem 1922 geborenen Sohn Emil (später Emile) in der ehemaligen Privatvilla von Victor und Paula Zuckerkandl, der sogenannten Paulavilla. Zum Verbleib der sechs Klimt-Landschaften nach 1928 vgl. Ruth PLEYER, Berta Zuckerkandl und die Kunst ihrer Zeit: Leben und Nachleben, in: Theresia KLUGSBERGER, Ruth PLEYER (Hg.), Berta Zuckerkandl. Flucht! Von Bourges nach Algier im Sommer 1940, Wien 2013, S. 75–124, hier: S. 93–100. Zur »Arisierung« des Sanatoriums Purkersdorf vgl. Irene ETZERSDORFER, Die bedauerliche Geschichte eines österreichischen Gesamtkunstwerkes. Das Sanatorium Purkersdorf, in: Irene ETZERSDORFER, Arisiert, Wien 1995, S. 99–121. Nora Stiasny, née Eleonore Zuckerkandl (1899–1942), Tochter von Amalie und Otto Zuckerkandl. Zur Person von Nora Stiasny vgl. Sophie LILLIE, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, S. 1256–1258. Vgl. das Protokoll der »Besprechung zum Zwecke der Verteilung des Hausrates aus dem Nachlass der Frau Generaldirektor Paula Zuckerkandl am 28. September 1927 im Hause Berlin-Grunewald, Delbrückstr. 4a«. Archiv-Belvedere, Nachlass Therese Zuckerkandl, VN-60, Schenkung Linda Snook-Langer. OÖLA, Volksgerichtsakt Philipp Häusler, Zl. Vg 11 V 532/47, Strafanzeige von Wilhelm Müller-Hofmann gegen Philipp Häusler, z. Z. Gmunden, Traunleiten 78, undatiert [1947]. OeStA/AdR, BMF, Akten der Vermögensverkehrsstelle, Nora Stiasny, Zl. 19.112. Unter Punkt IV/g [Gegenstände aus edlem Metall, Schmuck- und Luxusgegenstände, Kunstgegenstände und Sammlungen] findet sich der folgende Eintrag: »Ich besitze Silberbesteck und andere Silbergegenstände im Werte von RM 200.-. Diese sind von der Steuerbehörde Purkersdorf beschlagnahmt. Ferner besitze ich ein Bild von Gustav Klimt im WERTE von RM 5.000.- Endlich verschiedene Möbelstücke im Werte von za. RM 400.-«. Vgl. das Schreiben Philipp Häusler an die Vermögensverkehrsstelle vom 16.10.1939; OeStA/AdR, BMF, Akten der Vermögensverkehrsstelle, Nora Stiasny, Zl. 19.112. Frau Stiasny »bemerkte nur, dass das Bild einmal publiziert worden sei und ›Der Apfelbaum‹ heisse, […] das Bild sei ihr von ihrem Bruder geschenkt worden und dieser hätte es von Klimt selbst geschenkt bekommen […].« Ob Nora Stiasny das Gemälde direkt aus der Verlassenschaft von Victor und Paula Zuckerkandl erworben oder als Geschenk ihres Bruders Viktor Zuckerkandl erhalten hat, lässt sich quellenmäßig nicht belegen.

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230   Monika Mayer ßern.34 Bruno Grimschitz hatte als Kenner der Kunstsammlung Zuckerkandl den »einwandfreien Klimt« im November 1939 mit »RM 2.500–3.000« bewertet.35 In einer handgeschriebenen Auflistung möglicher Leihgaben für die Gustav Klimt-Retrospektive, die Grimschitz im Auftrag der Reichsstatthalterei 1943 im Gebäude der Secession36 kuratierte, findet sich unter »Zuckerkandl« der Eintrag »Rosen unter Bäumen«.37 Laut vorliegenden Quellen war das gegenständliche Bild allerdings bereits 1938 von dem Architekten Philipp Häusler, mit dem Eleonore Zuckerkandl als Studentin der Kunstgewerbeschule liiert gewesen war, übernommen worden.38 Hermine MüllerHofmann forderte »als Erbin meiner Schwester Nora Stiasny«39 Philipp Häusler im Oktober 1946 auf, das Ihnen von ihr übergeben [sic!] Klimtbild zurückzuerstatten. Sie werden sich erinnern dass Sie ihr im Frühjahr 1938 das Bild um den Betrag von 200 RM sozusagen abgekauft haben, mit der mündlichen Zusicherun [sic!], wenn sie einen besseren Preis erzielen könnte, es ihr jederzeit zurückzugeben, wofür ich auch genügend Zeugen habe. Kurz darauf ergab sich auch die Möglichkeit das Bild um 2000 Mark zu verkaufen, Sie aber verweigerten die Herausgabe, wohl wissend dass zu der Zeit die Juden völlig rechtlos waren. Nebenbei hätte ihr die Summe dmals [sic!] die Ausreise ermöglicht und ihr wahrscheinlich das Leben gerettet.40 34 Die Angaben im NS-Vermögensakt schwanken zwischen 90, 100 und einer »Aufzahlung« auf 395 RM. OeStA/AdR, BMF, Akten der Vermögensverkehrsstelle, Nora Stiasny, Zl. 19.112. 35 OeStA/AdR, BMF, Akten der Vermögensverkehrsstelle, Nora Stiasny, Zl. 19.112, Bericht vom 10.11.1939, handschriftlich gezeichnet mit P. Schmied. Grimschitz hatte wie erwähnt das Vorwort für den Katalog der Nachlass-Versteigerung 1928 bei Wawra verfasst und kannte als Mitglied des Ausstellungskomitees der Klimt-Gedächtnisausstellung 1928 in der Secession die Klimt-Landschaftsgemälde aus der Sammlung Zuckerkandl. Vgl. Kunsthandlung C. J. Wawra, Nachlass-Versteigerung Generaldirektor Dr. Victor und Paula Zuckerkandl, Wien, Mai 1928, S. 25. 36 Gustav Klimt-Ausstellung, Ausstellungshaus Friedrichstraße (ehemals Secession), 7. Februar – 7. März 1943. Vgl. Sophie LILLIE, Die Gustav Klimt-Ausstellung von 1943, in: Peter BOGNER, Richard KURDIOVSKY, Johannes STOLL (Hg.), Das Wiener Künstlerhaus. Kunst und Institution, Wien 2015, S. 334–341. 37 Archiv-Belvedere, Zl. 398/1942, Bruno Grimschitz, Handschriftliche Notiz, undatiert. Als weitere Zuckerkandl-Leihgaben sind die Gardasee-Landschaften Cassone und Malcesine angeführt. Zu Malcesine vgl. Anm. 27. Keines der Bilder wurde laut Katalog in der Ausstellung gezeigt. 38 Philipp Häusler (1887–1966) war Assistent Josef Hoffmanns an der Wiener Kunstgewerbeschule gewesen, in dessen Fachklasse für Architektur Eleonore Zuckerkandl 1917/18 Schülerin war. 39 Nora Stiasny wurde am 9.4.1942 mit ihrer Mutter Amalie Zuckerkandl nach Izbica im Generalgouvernement deportiert und spätestens im Oktober 1942 vermutlich im Vernichtungslager Belzec ermordet. Noras Ehemann Paul und der gemeinsame Sohn Otto wurden nach der Flucht in die Tschechoslowakei in Theresienstadt interniert und nach der Deportation in Auschwitz umgebracht. 40 OÖLA, Volksgerichtsakt Philipp Häusler, Zl. Vg 11 V 532/47, Abschrift des Schreibens von Hermine Müller-Hofmann an Philipp Häusler, 28.10.1946, Beilage 2 der Strafanzeige von Wilhelm Müller-Hofmann gegen Philipp Häusler, z. Z. Gmunden, Traunleiten 78, undatiert [1947].

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»So duften auch die Rosen unter dem segengebeugten Apfelbaume …«    231

Philipp Häusler entgegnete Wilhelm Müller-Hofmann41 im November 1946, dass ich Gegenstände aus dem Besitze von Frau Nora Stiasny, Ihrer Schwägerin, niemals von ihr gekauft oder sonstwie von ihr erworben habe. Demzufolge war ich rein physisch nicht in der Lage irgendetwas ihr ›sozusagen abgekauft‹ zu haben, ihr eine ›Herausgabe verweigert‹ zu haben usf. Alle diese Behauptungen erkläre ich hiermit als gemeine Verleumdungen.42

Als Reaktion auf den »frechen und saugroben Brief« Häuslers, blieb, wie Hermine Müller-Hofmann an ihren Bruder Viktor Zuckerkandl schrieb, »nichts übrig als die Strafanzeige43 gegen ihn zu machen«: Erinnerst Du Dich noch an Herrn Häusler, den Freund Noras, der Kommissarischer Leiter der Kunstgew. Schule44 gewesen war und sich so hundsgemein gegen Willi benommen hat. Nora hat ihm im April 38 ihr Klimtbild gegen den Betrag von 100 Mark zur Verwahrung übergeben, dann hätten wir es ihr für 2500 verkaufen können, er hat behauptet es regulär gekauft zu haben und hat es nicht herausgegeben, so dass der Verkauf ins Wasser fiel. […] Heute kam ein frecher und saugrober Brief an mich, wo er mich unter anderm der Erpressung bezichtigt, so bleibt nichts übrig als die Strafanzeige gegen ihn zu machen. Das alles ist mir fürchterlich, aber da ich die Sache einmal auf41 Der Maler Wilhelm Müller-Hofmann (1885–1948), Professor an der Wiener Kunstgewerbeschule, war mit Nora Stiasnys Schwester Hermine verheiratet. Er wurde im September 1938 aus politischen Gründen und aufgrund seiner »jüdischen« Ehefrau beurlaubt. Nach der abgelehnten Aufnahme in die Reichskulturkammer 1939 und dem damit verbundenen Berufsverbot, fand die Familie Müller-Hofmann Zuflucht bei Freunden in Oberbayern. Vgl. Ruth PLEYER, Was blieb, war kaum »das nackte Leben« – Gustav Klimts »Bildnis der Amalie Zuckerkandl«, in: Verena PAWLOWSKY, Harald WENDELIN (Hg.), Enteignete Kunst. Raub und Rückgabe. Österreich von 1938 bis heute, Wien 2006, S. 122–141, hier: S. 126–127. 42 OÖLA, Volksgerichtsakt Philipp Häusler, Zl. Vg 11 V 532/47. Schreiben Philipp Häusler an Wilhelm Müller-Hofmann, 22.11.1946, Beilage 3 der Strafanzeige von Wilhelm Müller-Hofmann gegen Philipp Häusler, z. Z. Gmunden, Traunleiten 78, undatiert [1947]. 43 OÖLA, Volksgerichtsakt Philipp Häusler, Zl. Vg 11 V 532/47, Strafanzeige von Wilhelm Müller-Hofmann gegen Philipp Häusler, z. Z. Gmunden, Traunleiten 78, undatiert [1947]. »Es gelang ihm dann, ihr Vertrauen so weit zu gewinnen […] dass sie ihm den Verkauf ihres Mobiliars übertrug, das mit 2000 RM. natürlich weit unter dem Wert an sie vergütet wurde. Gesondert von diesem Mobiliar nahm er ihr ein aus dem Nachlass des Gen. Direktor Zuckerkandl stammendes Landschaftsstück von Gustav Klimt, eine vollwertige und sehr dekorative Arbeit des Meisters, für 200 RM (zweihundert) ab, unter dem Versprechen der jederzeitigen Rückgabe, falls sie es preiswert verkaufen könne. Meine Schwägerin verbarg diese Umstände vor uns bis zu dem Zeitpunkt, wo ich, um ihre Ausreise mich bemühend, ihr einen Käufer für das Klimtbild gefunden hatte. Es war dies der Filmregisseur Ucizky, der ausschliesslich Klimt kaufte […].« 44 Philipp Häusler, NS-Parteimitglied seit 1.5.1938, wurde im März 1938 durch die SS für rund zwei Wochen als kommissarischer Leiter der Kunstgewerbeschule eingesetzt. Vgl. Bericht der Polizeidirektion Wien, Kriminalabteilung, 8.7.1947.

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232   Monika Mayer gerollt habe, muss sie zu Ende geführt werden. Auch der von ihm vermittelte Verkauf von Noras Möbeln um 2000 Mark wäre ja anzufechten, aber ich mag es nicht tun, es ist alles so ekelhaft.45

In der Vernehmung am Bezirksgericht Gmunden am 14. Juli 1947 bekannte sich Philipp Häusler »eines Verbrechens nach §§ 7, 6 KVG46 und § 10 VG nicht schuldig«47 und stellte zur Übernahme des Landschaftsbildes von Klimt fest: »Das ist ebenso nicht wahr, dass ich ein Klimt-Bild von der Frau Stiasny gekauft hatte. Der Name des Käufers ist mir bekannt, ich kann ihn auf Wunsch bekanntgeben.«48 Im eingesehenen Volksgerichtsakt zu Philipp Häusler ist kein weiteres Dokument betreffend eines möglichen Käufers der Klimt-Landschaft aus dem Besitz der Nora Stiasny vorhanden. Einen Käufernamen – Adolf Frey49 – und zwei potenzielle Kaufinteressenten – Gustav Ucicky50 bzw. eine namentlich nicht genannte Person – hatte Philipp Häusler allerdings bereits im Oktober 1939 in einem Schreiben an die NSVermögensverkehrsstelle betreffend den »Verkauf eines Oelgemäldes von Gustav Klimt durch Frau Nora Stiasny – Purkersdorf an Herrn Adolf Frey – Wien XIII« genannt.51 Die schriftlichen Ausführungen Häuslers dienten als Entkräftigung von Vorwürfen, das Klimt-Gemälde sei unter Wert von seinem Schwager Adolf Frey angekauft worden:52 »Nach Aeusserungen der Frau Stiasny […] soll ihr Schwager [Wilhelm 45 Schreiben Hermine Müller-Hofmann an Viktor Zuckerkandl, Stockholm, 26.11. [1946]; eine Kopie wurde dankenswerterweise von Ruth Pleyer aus Privatbesitz zur Verfügung gestellt. 46 Vgl. http://www.nachkriegsjustiz.at/service/gesetze/kvg3.php (25.5.2018): § 6 Kriegsverbrechergesetz (KVG) betrifft Missbräuchliche Bereicherung; § 7 KVG betrifft Denunziation. 47 OÖLA, Volksgerichtsakt Philipp Häusler, Zl. Vg 11 V 532/47, Schreiben der Staatsanwaltschaft Linz an das Landes- und Bezirksgericht Linz, 10.7.1950, Zl. 3 St 30/47. »Dem Herrn Untersuchungsrichter mit der Erklärung, daß zur Verfolgung des Philipp Häusler wegen §§ 6, 7 KVG, 10 (II) VG kein Grund gefunden wird (§ 90 StPO.)«. 48 OÖLA, Volksgerichtsakt Philipp Häusler, Zl. Vg 11 V 532/47, Vernehmung des Beschuldigten Philipp Häusler, Bezirksgericht Gmunden, 14.7.1947. 49 Adolf Frey (1897–1972) war der Bruder von Maria Amalia Häusler, née Frey, der Ehefrau Philipp Häuslers. Siehe dazu auch den handschriftlichen Vermerk im Akt der Vermögensverkehrsstelle zu Nora Stiasny: »A. Frey hat n. Stiassny ein Klimtbild Wert 5.000- um 100. RM gekauft./Schätzungsprot. zeigen n. Bild Kauf./ An wen wurde Bild verkauft./ Adreße Name um wieviel/ dort gleich hinfahren u fragen ob Angaben des Frey stimmen.« OeStA/AdR, BMF, Akten der Vermögensverkehrsstelle, Nora Stiasny, Zl. 19.112. 50 Vgl. CZERNIN 1999, Bd. 2, S. 412. »Ucicky war auch zur Stelle, als der Verkauf von Nora Stiasnys Apfelbaum ruchbar wurde – zehn Jahre später vermachte er ein Landschaftsgemälde Klimts desselben Namens [Apfelbaum II, Ergänzung der Verfasserin] der Österreichischen Galerie, in deren Eigentum es nach Ucickys Tod 1961 kam.« Siehe dazu Anm. 2. 51 OeStA/AdR, BMF, Akten der Vermögensverkehrsstelle, Nora Stiasny, Zl. 19.112, Schreiben Philipp Häusler an die Vermögensverkehrsstelle, 16.10.1939. 52 OeStA/AdR, BMF, Akten der Vermögensverkehrsstelle, Nora Stiasny, Zl. 19.112, Schreiben Philipp Häusler an die Vermögensverkehrsstelle, 16.10.1939: Nora Stiasny musste »aus dem fallweisen Verkau-

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Müller-Hofmann, Ergänzung der Verfasserin] in Wiener Kunstkreisen die Meinung verbreiten, dass Herr Frey mit Hilfe anderer einen grossen Wert für wenig Geld erworben hat.«53 Für die Vermögensverkehrsstelle erschien nach den Ausführungen Philipp Häuslers die Angelegenheit mit dem Kauf des Klimt-Bildes von der Jüdin Nora Sara Stiasny […] dadurch in ganz anderem Lichte und können Sie dem rechtmäßigen Erwerber des Bildes Herrn Frey […] die Zusicherung geben, daß die hiesige Dienststelle davon restlos überzeugt ist, wie korrektestens der Kauf des Bildes durchgeführt wurde. Es besteht für mich nicht mehr der geringste Zweifel, in welcher Form die Jüdin sukzessive immer größere Forderungen stellte und immer mehr wollte, je größer die Nachfrage nach Bilder [sic!] von Maler Klimt wurde. Wie schon erwähnt ist der Kauf nach Schätzung eines Experten des Dorotheums endgültig abgeschlossen worden und hat die Jüdin keine wie immer gearteten Ansprüche an Herrn Frey zu stellen, notabene sie ohnehin über RM 300.-- mehr erhielt als vereinbart wurde.54

Aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen ist nicht auszuschließen, dass P ­ hilipp Häusler das Klimt-Gemälde aus der Sammlung Zuckerkandl/Stiasny über seinen Schwager Adolf Frey übernommen hat. Naheliegender scheint es, dass der angebliche Verkauf des Bildes an Adolf Frey nur »fingiert« und der eigentliche Erwerber Philipp Häusler selbst war, entsprechend den Darstellungen Hermine und Wilhelm MüllerHofmanns nach dem Krieg.55 Das von Max Roden 1928 als Apfelbäume mit den Rosen genannte Landschaftsbild Klimts (Abb. 3) aus dem Nachlass Zuckerkandl56 ist offiziell wieder nachweisbar, als es 1980 durch das Pariser Musée d’Orsay über die Galerie Peter Nathan in Zürich

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fe ihrer Sachen […] ihren Lebensunterhalt bestreiten. Diese Verkäufe stünden unter der Aufsicht des Steueramtes in Purkersdorf, das immer nur Teile zum Verkaufe freigeben würde, damit Frau Stiasny mit dem Gelde länger reichen könnte. Anders würde sie noch vor ihrer zu erwartenden Auswanderung der Oeffentlichkeit zur Last fallen.« OeStA/AdR, BMF, Akten der Vermögensverkehrsstelle, Nora Stiasny, Zl. 19.112, Schreiben Philipp Häusler an die Vermögensverkehrsstelle, 16.10.1939. OeStA/AdR, BMF, Akten der Vermögensverkehrsstelle, Nora Stiasny, Zl. 19.112, Schreiben des Leiters der Vermögensverkehrsstelle an Philipp Häusler, 23.10.1939. Vgl. OÖLA, Volksgerichtsakt Philipp Häusler, Zl. Vg 11 V 532/47, Strafanzeige von Wilhelm MüllerHofmann gegen Philipp Häusler, z. Z. Gmunden, Traunleiten 78, undatiert [1947]; Abschrift des Schreibens von Hermine Müller-Hofmann an Philipp Häusler, 28.10.1946, Beilage 2 der Strafanzeige von Wilhelm Müller-Hofmann gegen Philipp Häusler, z. Z. Gmunden, Traunleiten 78, undatiert [1947]; Schreiben Hermine Müller-Hofmann an Viktor Zuckerkandl, Stockholm, 26.11. [1946], Privatbesitz. Vgl. Archiv-Belvedere, Archiv der Neuen Galerie, Zl. 401/4; Max Roden, Unbekanntes von Klimt. Eine Gedächtnisausstellung in der »Neuen Galerie«, in: Volkszeitung, 1.4.1928, vgl. Anm. 24.

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When we bought the painting from the Galerie Nathan, the provenance information was that the painting comes from Berta Zuckerkandl’s collection, then belonged to Philipp Haüsler’s [sic!] collection as early as 1930, according to the Nathan Gallery (Zurich). The Orsay bought the painting from Nathan in 1980.58

Die in der Dokumentation des Musée d’Orsay überlieferte Erwerbung des Gemäldes Rosen unter Bäumen aus der Sammlung Berta Zuckerkandl59 durch Philipp Häusler bzw. eine direkte Übernahme aus der Verlassenschaft von Victor und Paula Zuckerkandl60 um 1930 lässt sich quellenmäßig nicht belegen.61 Dem entspricht auch Häuslers eigene Rechtfertigung gegenüber Wilhelm Müller-Hofmann aus dem Jahr 1946, als er bezugnehmend auf deren »Freundschaft aus der Schulzeit« zur Übernahme des Klimt-Bildes von Nora Stiasny festhält: »Sie wissen auch, dass damals, 1938, durch genau zwanzig Jahre keinerlei Verbindung zwischen Ihrer Schwägerin und mir bestanden hat […].«62 Wie ein im Archiv der Galerie Nathan überliefertes Schriftstück »Reministenzen [sic!] zum Gustav-Klimt-Bild ›Apfelbäume‹ aus dem Besitz des Professors Häusler« nahelegt, sollten die Erwerbungsumstände des Bildes Rosen unter Bäumen durch Philipp Häusler »nach 1930« gezielt verschleiert werden: Während der österreichischen Rezession nach 1930, als es vielen Bürgern Wiens nicht rosig erging, konnte ein Mann vom Schlag eines Häusler Gustav-Klimt-Bilder quasi mit lässiger Geste erstehen, zumal Klimt damals ja nicht gerade hoch im Kurs stand und erst nach dem zweiten Weltkrieg nach und nach – nicht zu Unrecht – preislich hochgejubelt wurde und Eingang in die Museen der Welt gefunden hatte. […] Als Professor Häusler 1966 in Frankfurt plötzlich verstarb, übernahm die Dame, welche das Gustav-Klimt-Bild an die Galerie des Herrn Dr. Peter Nathan in Zürich verkaufte, seinen Besitz als testamentarisch eingesetzte Universalerbin.63 […] Darüber hinaus hat 58 Per E-Mail an Monika Mayer, 1.12.2015. 59 Siehe dazu auch Johannes DOBAI, Sergio CORADESCHI, L’opera completa di Klimt, Mailand 1978, S. 103, Nr. 134, Rose tra gli alberi. »Già nella collezione Bertha Zuckerkandl di Vienna, se ne ignora l’ubicazione attuale.« 60 Vgl. LILLIE 2007, S. 74: »Häusler claimed to have acquired this painting from the Zuckerkandl estate.« 61 Auch in dem in der Wienbibliothek im Rathaus/Handschriftensammlung überlieferten Nachlass von Philipp Häusler, ZPH 833, finden sich keine Hinweise zur Übernahme eines Apfelbaum-Bildes aus der Sammlung Zuckerkandl durch Häusler. 62 OÖLA, Volksgerichtsakt Philipp Häusler, Zl. Vg 11 V 532/47. Vgl. Schreiben Philipp Häusler an Wilhelm Müller-Hofmann, 22.11.1946, Beilage 3 der Strafanzeige von Wilhelm Müller-Hofmann gegen Philipp Häusler, z. Z. Gmunden, Traunleiten 78, undatiert [1947]. Wie erwähnt war Noras Ehemann Paul Stiasny als Testamentsvollstrecker nach Viktor und Frau Paula Zuckerkandl tätig. 63 Der verwitwete Philipp Häusler starb am 18.2.1966 in Frankfurt am Main. Vgl. Sterbeeintrag von Philipp Häusler, Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main, STA 12/1.187/Nr. 1250. Laut Testament

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236   Monika Mayer es […] kein verschlissenes Gesicht, weil es niemals als Handelsobjekt unter Geschäftsleuten der Branche sowie innerhalb von Versteigerungshäusern herumgereicht worden ist.64

Franz Eder, Salzburg, berichtete, dass er das gegenständliche Klimt-Gemälde vermutlich 1979 in der Wohnung einer Frau Blümel, »gewesene Bekannte« des Philipp Häusler, in Frankfurt gesehen hat. Diese habe Herrn Eder nach Verkaufsmöglichkeiten für das Bild gefragt.65 Abschließend soll auf den eingangs zitierten Bericht des Kunstrückgabebeirates vom 12. Juli 2017 zurückgekommen werden: In diesem wird das Gutachten von Tobias G. Natter in Bezug auf die Identifizierung jener Apfelbaum-Version Klimts zitiert, die sich 1938 im Eigentum von Nora Stiasny in Purkersdorf befand: Zweifelsfrei der Sammlung Viktor Zuckerkandls zuzuordnen ist hingegen das Gemälde Gustav Klimt, Rosen unter dem segensgebeugten Apfelbaume, 1904, das sich heute im Pariser Musée d’Orsay befindet. Nach dem Ableben Zuckerkandls und seiner Gattin (1927) war auch Nora Stiasny als Nichte unter den Erben. Ob Nora Stiasny mit dem Gemälde bedacht wurde sowie über dessen weiteres Schicksal ist bis zum Erwerb des Musée d’Orsay im Jahr 1980 nichts bekannt. Aufgrund der widersprüchlichen, seinerzeitigen Quellen (Bericht Philipp Häusler, 16. Oktober 1939, Einschätzung Bruno Grimschitz, 24. Oktober 1939) ist keine eindeutige Identifizierung der ApfelbaumVersion möglich, die sich im Eigentum Nora Stiasnys befunden hatte.66

Philipp Häuslers vom 8.2.1966 wurde Herta Blümel (geb. 1924), kaufmännische Angestellte in Frankfurt am Main, als Alleinerbin eingesetzt. In den Todfallsaufnahmen des Bezirksgerichts Mödling vom 10.11.1966 und des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 12.1.1967 ist kein Gemälde Gustav Klimts angeführt. 64 Herzlichen Dank an Dr. Johannes Nathan, Nathan Fine Art, Potsdam, der Dokumente aus dem GalerieArchiv zur Verfügung stellte. In einem E-Mail an Monika Mayer, 7.11.2016, stellte Johannes Nathan fest, »Wer die beiliegend gescannten ›Reminiszenzen‹ verfasst hat, vermag ich nicht zu sagen.« Im Archiv der Galerie findet sich die folgende Provenienzdokumentation: »– Smlg. Zuckerkandl, Wien – Prof. Häusler, Wien (Chef der Wiener Werkstätten) – Privatbesitz« [Herta Blümel, Frankfurt am Main, Ergänzung der Verfasserin]. E-Mail Johannes Nathan, Nathan Fine Art, Potsdam, an Monika Mayer, 15.10.2015. Wie erwähnt, fehlt die im Archiv der Galerie Nathan vermerkte Provenienz »Philipp Häusler« in den KlimtWerkverzeichnissen von Novotny/Dobai, Weidinger und Natter, mit Ausnahme der englischen Ausgabe von Weidinger. Vgl. dazu Anm. 9. 65 Laut freundlicher Mitteilung von Anneliese Schallmeiner, BDA-Archiv, lässt sich die Ausfuhr des Bildes Rosen unter Bäumen in die BRD in den Ausfuhrmaterialien des BDA nicht belegen. Auch im Bestand der Ausfuhrakten des Landeskonservatoriats Linz ist kein Ausfuhransuchen nachweisbar. Philipp Häusler war in der Nachkriegszeit [vor dem 29.12.1948 bzw. nach dem 14.6.1949] in Gmunden, Traunleiten 78, gemeldet. 66 Bericht des Kunstrückgabebeirates, 12.7.2017, S. 4; Gutachten Tobias Natter, Gustav Klimt, Apfelbaum II, 1916, 4.3.2016.

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238   Monika Mayer mögliche Identifizierung mit dem 1928 in der Neuen Galerie präsentierten Gemälde Apfelbäume mit den Rosen. Auch der damalige Direktor der Österreichischen Galerie Bruno Grimschitz hatte wie angeführt im Zuge der Vorbereitungen für die Klimt-Ausstellung 1943 Klimts Rosen unter Bäumen der Sammlung Zuckerkandl zugeordnet.69

Zusammenfassend stellte der Kunstrückgabebeirat 2017 in seinem Fazit fest: Aus heutiger Sicht kann Apfelbaum II jedoch nicht mehr als ehemaliges Eigentum von Nora Stiasny angesehen werden.70 Aufgrund neuer Erkenntnisse spricht nämlich eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass vielmehr das heute im Pariser Musée d’Orsay befindliche Gemälde von Gustav Klimt, Rosen unter Bäumen […] als ehemaliges Eigentum von Nora Stiasny anzusehen ist. Dies ergibt sich v. a. aus den nun vorliegenden Provenienzhinweisen der Galerie Nathan, Zürich, die das Gemälde 1980 an das Musée d’Orsay verkaufte. Es ist aber nicht anzunehmen, dass Nora Stiasny eine weitere ›Apfelbaum‹-Version besaß.71

Laut aktuellem Forschungsstand scheint es damit evident, dass Klimts Apfelbaum II im Jahr 2001 nicht hätte an die Erb_innen nach Nora Stiasny ausgefolgt werden sollen.72

mann gegen Philipp Häusler, z. Z. Gmunden, Traunleiten 78, undatiert [1947]. 69 Vgl. Anm. 37. 70 In der aktuellen Publikation Klimt. Lost wird Apfelbaum II dem »Besitz von Nora und Paul Stiasny« zugeordnet. Vgl. Marion KRAMMER, Niko WAHL, Klimt. Lost, Wien 2018, S. 42. Ergänzend wird ohne nähere Zuordnung auf S. 117 ausgeführt: »Eines der Apfelbaum-Bilder wurde nach einer umstrittenen Restitution durch einen privaten Sammler am Versteigerungsweg erworben, ein anderes hängt heute im Pariser Musée d’Orsay. Das eine war Nora Stiasny geraubt worden, das andere stammte wohl aus der Sammlung von Serena Lederer.« 71 Bericht des Kunstrückgabebeirates, 12.7.2017, S. 9, Fazit Nr. 3. 72 Vgl. Anm. 3.

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Der Beethoven-Fries – »allein nicht diskutabel« Ein Kunstwerk im Geltungsbereich des Ausfuhrverbotsgesetzes

Christina Gschiel

In den Jahren 1901 bis 1902 schuf Gustav Klimt den Beethoven-Fries für die XIV. Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs (April–Juni 1902) vor Ort im linken Seitenraum der Wiener Secession.1 Ungeachtet seiner heutigen großen Bedeutung für die Wiener Kunst um 1900, fiel der Beethoven-Fries »per lege« erst zwanzig Jahre nach dem Tod des Künstlers,2 also ab 7. Februar 1938, unter das Gesetz betreffend das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen geschichtlicher, künstlerischer und kultureller Bedeutung. Dies erschließt sich insbesondere aus dem Wortlaut des § 1: »Die Ausfuhr von Gegenständen geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung […] ist verboten.« In Verbindung mit § 3 des Ausfuhrverbotsgesetzes: »Die Werke lebender Künstler und solcher Künstler, seit deren Tod noch nicht 20 Jahre vergangen sind, sind von diesen Verboten ausgenommen.«3 Im Februar 1938 war der Beethoven-Fries Teil der umfangreichen Sammlung Serena Lederers.4 Obgleich der Tradition folgend, ihr Ehegatte5 August Lederer, bis zu dessen Tod im Jahr 1936, in Ausstellungskatalogen als Leihgeber genannt wurde, oblag spätestens ab Februar 1930 ausschließlich Serena das alleinige Eigentum und die Verwaltung der umfangreichen Sammlung von Kunstwerken und Antiquitäten. Dies ist einerseits durch August Lederers Testament6 und andererseits durch einen persönlichen Brief desselben an seine Ehefrau, seine Tochter Elisabeth und seinen Sohn Erich belegt.7 In diesem leider nicht mehr erhaltenen, jedoch in einem Schreiben zwischen dem ­Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien an das Staatsdenkmalamt rezitierten Brief, 1 2 3 4 5

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Vgl. Katalog zur XIV. Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession Wien, Klinger, Beethoven, Ver Sacrum, 5. Jahr, April–Juni 1902. Gustav Klimt verstarb am 6.2.1918 in Wien. Ausfuhrverbotsgesetz, StGBl. 90/1918. Die Schreibweise des Vornamens von Serena Lederer variiert in den Quellenmaterialien und lautet mitunter auch Szerena. Die Eheschließung zwischen August und Serena (geb. Pulitzer) Lederer erfolgte am 5.6.1892. Vgl. BDAArchiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2b, Zl. 1969/1946, fol. 132–134, Landesgericht f. ZRS Wien an Staatsdenkmalamt, 10.5.1946. Vgl. WStLA, Verlassenschaftsakt August Lederer, Zl. 22 A 108/40, Abschrift des Testamtes von August Lederer, 9.2.1930. Vgl. Ebenda.

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Der Beethoven-Fries – »allein nicht diskutabel«   241

die zuständige Verwaltungsbehörde Sicherungsmaßnahmen anordnen, insbesondere solche Gegenstände verzeichnen, unter staatliche Aufsicht stellen oder sonstige geeignete Maßnahmen treffen.«10 In Vollziehung des Gesetzes erfolgte auf Antrag der Zentralstelle für Denkmalschutz am 26. November 1938 die Sicherstellung der in der Wiener Wohnung von Serena Lederer in der Bartensteingasse 8 im 1. Bezirk befindlichen Kunstgegenstände. Es wurde verfügt, dass die Objekte an Ort und Stelle zu verbleiben haben, da gemäß der Einschätzung des Wiener Magistrates die Gefahr der Verbringung dieser Gegenstände ins Ausland, im Fall von Serena Lederer nach Ungarn, bestand.11 Auf einer undatierten Liste12 der sichergestellten Kunstgegenstände der Sammlung wurde der Beethoven-Fries als Nummer 112 jenem Teil der umfangreichen Kunstsammlung Lederer in der Bartensteingasse 8 zugerechnet und wie folgt beschrieben: »Gustav Klimt, Beethovenfries, verfertigt anlässlich der Klingerausstellung, Verzeichn. L. Bartensteing. Bl. 2 Nr. 3. Eingelagert bei der Speditionsfirma Bäuml.«13 Der Fries verblieb somit – wie im Sicherstellungsbescheid verfügt – an Ort und Stelle, jedoch nicht in der Wohnung, sondern in dem Lagerraum der Spedition E. Bäuml in der Dresdnerstraße im 20. Wiener Gemeindebezirk. EXKURS: Die Unterschutzstellung

Bedingt durch die enorme Größe des Beethoven-Frieses von 30, 215 m in der Länge und 2,15 m in der Höhe,14 wurde das heute achtteilige Kunstwerk nach der Abnahme von den Wänden der Wiener Secession15 nie in privaten Räumen, sondern stets in großen, von Zeit zu Zeit wechselnden, Depots untergebracht. Die ersten Jahre lagerte der Fries in einem Möbeldepot in Michelbeuern im 9. Wiener Bezirk.16 Dieser Ver10 Ausfuhrverbotsgesetz, BGBl 80/1923. 11 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 1a, Zl. 130/Dsch/1939, M. Abt. 2/9148/38, fol. 179, Sicherstellungsbescheid Serena Lederer Wohnung Bartensteingasse 8, 26.11.1938. 12 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2a, ad Zl. 2876/K/1940, fol. 236–244, Sicherstellungsliste Lederer Serena, o. Datum. 13 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2a, ad Zl. 2876/K/1940, fol. 236–244, Sicherstellungsliste Lederer Serena, o. D. 14 Vgl. Eintrag in die Museumsdatenbank TMS zur Inventarnummer 5987 der Österreichischen Galerie Belvedere. 15 Die Abnahme des Beethoven-Frieses erfolgte erst nach dem Ende der Kollektiv-Ausstellung Gustav Klimt die von November bis Dezember 1903 stattgefunden hatte. Vgl. WStLA, Künstlerhausarchiv, Mappe Klimtausstellung 1903, Fotografie des Beethoven-Frieses und der Nuda Veritas. 16 Vgl. Privatarchiv Marian Bisanz-Prakken, Erich LEDERER, Die acht Reisen des Beethovenfrieses, unveröffentlichtes Typoskript, o. D., S. 1–18 (ursprünglich gedacht für eine Publikation im Residenz Verlag).

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242   Christina Gschiel wahrung drohte jedoch ein jähes Ende als im Mai 1930 August Lederer vom Rechtsanwalt der Wiener Möbelaufbewahrungsanstalt Wilhelm & Eisler dazu aufgefordert wurde, den Beethoven-Fries aus ihrem Lager im Gebäude Michelbeuerngasse 9a zu räumen. Zwischenzeitlich war die Immobilie nämlich an die Handelsaktiengesellschaft Österreichischer Apotheker verkauft worden, welche ihrerseits die Lagerräume für den eigenen Betrieb dringend benötigte. In Reaktion auf wiederholte Räumungsaufforderungen wandte sich August Lederer am 17. Mai 1930 an das Bundesdenkmalamt und bat um Unterschutzstellung des Beethoven-Frieses mittels Bescheid gemäß § 3 des Denkmalschutzgesetzes.17 Am selben Tag erging noch die zustimmende Erledigung des Bundesdenkmalamtes mit folgenden Worten: »in der Angelegenheit der Unterdenkmalschutzstellung des Beethoven-Frieses von Gustav Klimt stellt das BDA […] ausdrücklich fest, dass der in Ihrem Eigentum befindliche Beethoven-Fries […] wegen seines hervorragenden künstlerischen Wertes ein Denkmal darstellt, dessen Erhaltung im öffentlichen Interesse gelegen ist«.18 In weiterer Folge wurde der Beethoven-Fries im Mai 1932 als unbewegliches Denkmal in das Denkmalkataster aufgenommen und befand sich seither auf der Liste der unter § 3 des Denkmalschutzgesetzes gestellten Objekte Wiens.19 Wider Erwarten konnte mit dieser Unterschutzstellung die ungestörte Verwahrung des Frieses nicht auf mehrere Jahre gewährleistet werden. Schon im Februar 1933 sind erste Bemühungen seitens Serena Lederer um einen neuen Aufstellungsort für den Beethoven-Fries nachweisbar, da der angemietete Lagerplatz aufgrund eines Umbaus des Gebäudes nun doch geräumt werden musste.20 Nach gescheiterten Verhandlungen mit dem Bundesministerium für Unterricht um einen öffentlichen Aufstellungsort des Frieses, verblieb das Kunstwerk auch in den Folgejahren in privater Aufbewahrung. Ab 1935 ist die Verwahrung des monumentalen Kunstwerkes durch die Sammlerin im Lagerhaus der Firma E. Bäuml Ges. m. b. H. Wien, einer internationalen Spedition für Kunst- und Möbeltransporte, in der Dresdnerstraße 28 im 20. Bezirk nachweisbar.21 Dieser Aufstellungsort ist auch durch eine undatierte Karteikarte zum Beethoven-Fries in der Denkmalkartei dokumentiert, die sich heute in der Abteilung für Inventarisation

17 18 19 20 21

Vielen herzlichen Dank an Marian Bisanz-Prakken für die freundliche Zurverfügungstellung dieses Typoskripts. Vgl. BDA-Archiv, Topographische Materialien, Wien IX, Kt. 21, Zl. 3500/1930, August Lederer an BDA, 17.5.1930. BDA-Archiv, Topographische Materialien, Wien IX, Kt. 21, Zl. 3500/1930, BDA an August Lederer, 17.5.1930. Vgl. BDA-Archiv, Denkmalpflege, Kt. 4, Denkmälerverzeichnis 1931–1932, Zl. 2110/1932, 4.5.1932. Vgl. KHM-Archiv, Zl. 11AS-33, Beethovenfries, Theseustempel, Szerena Lederer an BMU, 22.2.1933. BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, Zl. 1863/53, Bäuml an BDA, 25.3.1953.

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und Denkmalforschung im Bundesdenkmalamt befindet. Zudem ergibt sich aus dieser Karte, dass die Unterschutzstellung des Beethoven-Frieses von 1930 auf jeden Fall auch nach der Sicherstellung im Jahre 1938 bekannt gewesen war.22 Im Dezember 1939, also ungefähr dreizehn Monate nach der Sicherstellung ihrer Kunstsammlung, richtete Serena Lederer das erste Ansuchen um eine Ausfuhrbewilligung an die Zentralstelle für Denkmalschutz. Es umfasste ihr bei der Firma Kirchner & Co. eingelagertes Übersiedlungsgut. Im Ausfuhrformular werden die Gegenstände nur summarisch und Gattungsweise beschrieben, wie zum Beispiel »52 Ölbilder, 15 Zeichnungen« oder auch »14 Pastelle«. Allgemein ist zu bemerken, dass der BeethovenFries weder auf diesem Ausfuhrantrag, noch auf der Liste der zur Ausfuhr gesperrten Zeichnungen und Aquarelle im Übersiedlungsgut genannt wird. Nach der Sperrung von 27 Objekten wurden vorerst die übrigen Kunstwerke als Übersiedlungsgut zur Ausfuhr freigegeben.23 Im Zuge von weiteren Verhandlungen mit dem Wiener Denkmalamt bot Serena Lederer Ende Oktober 1940 mittels notariell beglaubigter Erklärung zehn Werke Moritz von Schwinds, ein Kunstwerk Adolph von Menzels, die Jurisprudenz von Gustav Klimt, Marco d’Ogiones Venus sowie das Gemälde Madonna mit Kind und Engel vom Maestro del Stratonicho dem Deutschen Reich an, um im Gegenzug die Ausfuhrbewilligung für alle übrigen Stücke ihrer Sammlung nach Ungarn zu erlangen.24 Eine klare Zustimmung durch das Institut für Denkmalpflege blieb jedoch aus.25 Erst zwei Jahre später lassen sich weitere Korrespondenzen zur Ausfuhrthematik nachweisen. Am 24. März 1943, nur wenige Tage vor Serena Lederers Tod,26 richtete

22 Vgl. BDA, Abteilung für Inventarisation und Denkmalforschung, Denkmalkartei, Karteikarte zum Beethoven-Fries, o. D. Die Karteikarte wurde vermutlich Ende der 1930er Jahre (jedoch spätestens bis 1943) angelegt, da sich darauf folgender Vermerk befindet: »Beethovenfries von Gustav Klimt, derzeit bei Bäumel, Wien I., Kantgasse 2, sichergestellt durch Magistratischen Bescheid.« Dies beschränkt den zeitlichen Horizont klar auf die Zeit zwischen der Sicherstellung im Jahr 1938 und der Bergung im Schloss Thürnthal Ende 1943. Zusätzlich ist dem handschriftlichen Vermerk »dzt Schloß Thürntal 11.10.49 Bl.« von Waltraud Blauensteiner zu entnehmen, dass die Karteikarte zumindest noch ein paar Jahre nach Kriegsende in Verwendung des Bundesdenkmalamtes gewesen ist. 23 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2a, Zl. 6236/1939, fol. 253–255, Ausfuhransuchen Serena Lederer, 22.12.1939. 24 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2a, zu Zl. 3046/K/1940, fol. 207, Serena Lederer an Wiener Denkmalamt, 28.10.1940. 25 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2a, Zl. 40/K/1941, fol. 201a, Zykan an Serena Lederer, 8.1.1941. 26 Serena Lederer verstarb am 27.3.1943 in Budapest.

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244   Christina Gschiel Walter Thomas27 eine Anfrage an Bruno Grimschitz,28 sich mit Elisabeth BachofenEcht, der Tochter von Serena Lederer, in Verbindung zu setzen. Das Ziel der Kontaktaufnahme war, sich von Lederers Tochter ein konkretes Angebot legen zu lassen, welche Kunstwerke sie anbieten würde, wenn im Gegenzug das Zentralbüro des Reichsleiters »die Freigabe ihrer übrigen Bilder erwirken würde«. Denn der »bisherige Vorschlag, dass lediglich der Beethoven-Fries die Gegenleistung sein soll, kann nicht befriedigen und rechtfertigt keine Intervention, um den Führervorbehalt 29 aufzugeben«.30 Wenngleich die Antwort Elisabeth Bachofen-Echts in den Archivmaterialien nicht erhalten ist, lässt sich zumindest aus diesem Brief ableiten, dass der Beethoven-Fries offenbar als Widmungsgut für die Erlangung einer Ausfuhrgenehmigung für den Rest der Sammlung im Gespräch war, jedoch im Jahr 1943 vom kunsthistorischen oder pekuniären Wert nicht ansatzweise an das heran reichte, was vom Deutschen Reich als Gegenleistung erwartet wurde. Aufgrund steigender Luftgefahr durch Bombenangriffe in Wien wurde am 22. Dezember 1943 auch der Beethoven-Fries31 in die laufenden Bergungsmaßnahmen von Kulturgütern durch das Institut für Denkmalpflege einbezogen. Das mehrteilige Kunstwerk wurde aus dem Magazin der Firma A. Bartz Ges. m. b. H.,32 vormals Firma E. Bäuml, nach Niederösterreich ins Bergungsdepot Schloss Thürnthal bei Fels am Wagram gebracht.33 Die übrigen Klimt-Gemälde der Sammlung Lederer waren bereits 27 Generalkulturreferent beim Reichsstatthalter Baldur von Schirach. 28 Direktor der Österreichischen Galerie. 29 »Laut Erlass des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Oesterreichs mit dem Deutschen Reich vom 22.8. d. J. [1939, Ergänzung der Verfasserin] hat der Führer angeordnet, dass nicht nur die beschlagnahmten, sondern auch die lediglich sichergestellten Bilder und sonstigen Kunstwerte seiner Verfügung unterliegen. Der Führer will über diese sichergestellten Gegenstände ebenso wie über die beschlagnahmten Gegenstände ausschliesslich selbst entscheiden.« Mit dieser im August 1939 festgesetzten Erweiterung des Führervorbehaltes, fiel die ab 1938 sichergestellte Kunstsammlung Lederer ebenfalls unter den Vorbehalt Hitlers. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 8, M. 02, Akten Zentralstelle (1939), Zl. 5128/Dsch./1939, Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten an Zentralstelle für Denkmalschutz, 25.8.1939. 30 Belvedere-Archiv, Zl. 118/1943, Walter Thomas an Bruno Grimschitz, 24.3.1943. 31 Eine ausführliche Darstellung der Bergungsgeschichte des Beethoven-Frieses findet sich in folgendem Beitrag: Christina GSCHIEL, Die Bergung des Beethoven-Frieses aus der Sammlung Lederer in Schloss Thürnthal, in: Pia SCHÖLNBERGER, Sabine LOITFELLNER (Hg.), Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 6), Wien 2016, S. 359–382. 32 Nach dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich wurde die Spedition E. Bäuml »arisiert« und von Alfons Bartz, einem Kaufmann aus Aachen, unter eigenem Namen weitergeführt. Vgl. WStLA, Handelsregisterakt Fa. E. Bäuml, Registerakten Zl. A 9/29, fol. 54, Max Müller an das Handelsgericht, 6.6.1938; WStLA, VEAV, 1. Bezirk Zl. 30, Anmeldung entzogener Vermögen von A. Bartz Ges. m. b. H. gegenüber E. Bäuml, 24.10.1946. 33 BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, zu Zl. 1308/53, Vermerk Unterkirchner, 23.12.1943,

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am 3. April, folglich schon einige Monate zuvor, in den Bergungsort nach Immendorf überstellt worden.34 Im Gegensatz zu den Werken in Schloss Immendorf, konnte der Fries allerdings durch die Bergungsmaßnahmen bis heute bewahrt werden.35 Der dokumentierte Bombentreffer auf das Lagerhaus der Firma A. Bartz am 10. Juli 1944 hätte sonst wohl die vollständige Zerstörung des Kunstwerkes zur Folge gehabt.36 Weit über ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkrieges und dem damit einhergehenden Ende des nationalsozialistischen Regimes sprach das Magistrat der Stadt Wien am 23. August 1946 die Aufhebung der drei Sicherstellungsbescheide37 aus den Jahren 1938 bzw. 1939, die Kunstsammlung Serena Lederer betreffend, aus.38 Die Erb_innen nach Serena Lederer konnten allerdings nicht sofort über die Kunstwerke verfügen, da seit dem Tod August Lederers drei Konkursverfahren anhängig waren. Das erste umfasste die Verlassenschaft nach August Lederer, das zweite das Vermögen von Erich Lederer und das dritte die Verlassenschaft nach Serena Lederer.39 Ungeachtet der noch laufenden Konkursverfahren erkundigte sich Hans Popper, der Rechtsanwalt Erich Lederers, Anfang Jänner 1950 beim Bundesdenkmalamt, »für welche Kunstwerke der Sammlung Lederer bei einem allfälligen Ausfuhransuchen mit einer Ausfuhrsperre zu rechnen ist«. Otto Demus, der Leiter des Bundesdenkmalamtes, schickte daraufhin eine Liste der zu sperrenden Kunstwerke, darunter beispielsweise der Kardinal Bessarion von Gentile Bellini, zwei Porträts Lucas Cranachs oder auch die Madonna mit Kind vom Meister der Ursulalegende. Obwohl gemäß dieser Liste vorerst auch alle Zeichnungen Gustav Klimts unter eine Sperre fallen würden, wurde der Beethoven-Fries an dieser Stelle nicht erwähnt.40 Ein interner Aktenvermerk legt (liegt bei). 34 Unter den zehn zugleich verlagerten Gemälden befanden sich u. a. Die Freundinnen, die zwei Fakultätsbilder Die Jurisprudenz und Die Philosophie, Schubert am Klavier sowie Leda mit dem Schwan. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2, o. Zl., fol. 65, Bergung Klimtbilder in Immendorf, 3.4.1943. 35 Die im Schloss Immendorf eingelagerten Kunstwerke wurden im Mai 1945 durch einen von SS-Truppen per Zeitzünder verursachten Brand zerstört. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 2265/50, fol. 87 u. 91, Otto Demus an BMU, 13.3.1950. 36 Vgl. BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, Zl. 1863/53, E. Bäuml an BDA, 25.3.1953. 37 Die Aufhebung umfasste folgende Sicherstellungsbescheide: MA 2/9148/38 vom 26.11.1938, MA 50/26/39 vom 4.1.1939 und MA 50/1451/39 vom 15.5.1939. 38 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2b, Zl. 3143/1946, fol. 111, Magistrat der Stadt Wien an BDA, 23.8.1946. 39 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2b, Zl. 3143/1946, fol. 110 u. 117, BDA an Landesgericht für Zivilrechtssachen, 12.9.1946; OeStA/AdR, BMF-VS, Abt.17B, 1967, Gz. 123925-7/48, Abschrift eines Berichtes von RA Otto Tiefenbrunner, o. D. 40 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 212/1950, fol. 94, Demus an RA Popper, 11.1.1950.

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246   Christina Gschiel zusätzlich dar, dass diese Liste nicht bescheidmäßig zu ergehen habe, »da ja bisher auch kein formeller Antrag vorliegt, sondern nur eine Erkundigung«.41 Darüber hinaus gibt ein mehrseitiger Vermerk Josef Zykans vom Bundesdenkmalamt näheren Aufschluss über die konkrete Einschätzung des Falles aus Sicht der Denkmalbehörde: Herr Dr. Demus bedauert und betont, wie unendlich peinlich ihm die Handhabung des Denkmalschutzgesetzes ist, besonders in Fällen, zu denen auch der Fall Lederer gehört (bedeutende Verdienste um das österreichische Kunst- und Kulturleben, besonders empfindliche Vermögensverluste durch Machtergreifung und Kriegsereignisse etc.). An dem Grundsatze des generellen Verbotes der Ausfuhr von Kunstgut muss er jedoch pflichtgemäss festhalten […].42

Rechtsanwalt Popper wurde noch am selben Tag beim Bundesdenkmalamt vorstellig und bekrittelte, dass die »vorläufige Stellungnahme des Bundesdenkmalamtes […] für seinen Klienten den völligen Ruin« bedeuten würde. In diesem Zusammenhang bat er auch »um Verständnis für die finanzielle Zwangslage der Verlassenschaft Lederer« und stellte einen Gegenvorschlag Erich Lederers in Aussicht.43 Der Beethoven-Fries wurde erst wieder am 2. Mai 1950 in einem pro-domo-Vermerk von Otto Demus mit der Ausfuhrthematik in Verbindung gebracht. Aus Sicht des Leiters des Bundesdenkmalamtes sei nämlich auch der Fries von Gustav Klimt für die Ausfuhr zu sperren.44 Überraschenderweise war im Zuge des Aktenstudiums festzustellen, dass die 1930 erfolgte Unterschutzstellung des Beethoven-Frieses bei den agierenden Personen im Bundesdenkmalamt wohl ab dem Jahr 1950 in Vergessenheit geraten sein muss, da sie in den Folgejahren schlichtweg nie Eingang in die Vermerke, Briefe oder Verhandlungen gefunden hatte. Diese Einschätzung deckt sich zudem mit der Denkmalkarteikarte zum Beethoven-Fries, deren letzter handschriftlicher Vermerk aus dem Jahr 1949 stammt.45

41 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 212/1950, fol. 92, Aktenvermerk Demus, 9.1.1950. 42 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 4543/1950, fol. 72–77, Aktenvermerk von Zykan, 30.1.1950. 43 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 2265/1950, fol. 90, Demus an Bundesministerium für Unterricht, 13.3.1950. 44 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 3001/1950, fol. 84, Pro-domoVermerk von Otto Demus, 2.5.1950. 45 Vgl. BDA, Abteilung für Inventarisation und Denkmalforschung, Denkmalkartei, Karteikarte zum Beethoven-Fries, o. D.

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248   Christina Gschiel malamt, Benesch von der Albertina, Garzarolli von der Österreichischen Galerie und Buschbeck von der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums erörtert. Insbesondere Buschbeck und Demus überzeugten Sektionschef Hans Perntner aus dem Unterrichtsministerium von der »Unannehmbarkeit des Angebotes«. Das Bundesdenkmalamt bestand somit weiterhin auf der Widmung des Gentile Bellini, der Schwindlünetten, einiger Handzeichnungen sowie auf dem Vorkaufsrecht auf den Jacobello del Fiore. Unter Punkt 3 wurden die Vorgaben zudem durch eine »Ausfuhrsperre für einige Viennensia u. den Klimtfries« ergänzt.47 In einem Aktenvermerk des Bundesministeriums für Unterricht wurde nochmals auf die vorausgegangenen Besprechungen Bezug genommen und die aktuelle Einschätzung der Lage seitens des Ministeriums wie folgt reflektiert: Die von Erich Lederer als Ersatz für die gesperrten Stücke angebotenen Kunstgegenstände: Klimt-Fries, Klimt- und Schiele-Handzeichnungen sind für die Österreichischen Museen nicht von besonderem Interesse, da die Albertina ohnehin eine Grosse [sic] Zahl von Klimt- und Schiele-Zeichnungen besitzt. Der Klimt-Fries wäre wohl für die Österr. Galerie interessant, stellt aber absolut keinen Gegenwert für die gesperrten Stücke dar und besitzt überhaupt keinen internationalen Marktwert.48

Einerseits kann diesem Aktenvermerk entnommen werden, dass der Beethoven-Fries, zumindest aus Sicht des Bundesministeriums für Unterricht, doch nicht zu den damals als gesperrt angesehenen Stücken gezählt wurde und andererseits aufgrund seines zu jener Zeit noch vergleichsweise geringen Marktwertes für das Unterrichtsministerium auch keine adäquate Gegenleistung für die gewünschten Stücke darstellte. Unter Punkt 3 desselben Aktenvermerkes wurde zudem notiert, man wolle von Erich Lederer »für die Ausfuhrerlaubnis wenigstens Objekte im annähernden Wert von 10 % als Äquivalent für die Ausfuhrabgabe […] verlangen«.49 Die Höhe der zu entrichtenden Ausfuhrabgabe wurde, nach mehreren Änderungen, im Jahr 1934 mit zehn Prozent des Schätzwertes des Ausfuhrgutes festgelegt. Diese mitunter hohe finanzielle Belastung für Ausfuhrwerber wurde anfangs vielfach durch freiwillige Schenkungen, Widmungen oder Dauerleihgaben von Kunstwerken an Museen in der Höhe der Ausfuhrabgabe kompensiert.50 Ungeachtet der offiziellen Ab47 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 4543/1950, fol. 65, Pro-domoVermerk von Demus, 12.5.1950. 48 OeStA/AdR, BMU/Kunstangelegenheiten, SM 99 Lederer, Zl. 24857-II-6/1950, Aktenvermerk des Bundesministeriums für Unterricht, 25.5.1950. 49 Ebenda. 50 Vgl. Theodor BRÜCKLER, Kunstraub, Kunstbergung und Restitution in Österreich, Wien-Köln-Wei-

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schaffung der Ausfuhrabgabe im Jahr 1939, agierten das Bundesdenkmalamt und Museen nach Ende des Zweiten Weltkrieges jedoch nach wie vor so, als wäre das Gesetz noch in Kraft. »Hinzu kam […] der Umstand, daß Kunstwerke aus beschlagnahmten Sammlungen während der NS-Zeit an Museen verteilt und von diesen teilweise bereits inventarisiert worden waren. Außerdem sahen maßgebliche Museumskustoden und -direktoren dadurch die einmalige Gelegenheit gekommen, die Kriegsverluste ihrer eigenen Sammlungen auszugleichen.«51 Die Erlangung von Ausfuhrbewilligungen wurde somit in zahlreichen Fällen, wie auch am Beispiel der Familie Lederer ersichtlich, an die Widmung bzw. Schenkung bestimmter Kunstwerke gebunden. Diesen Vorgaben folgend, verfasste Erich Lederer am 15. Juni eine Widmungserklärung an den Österreichischen Bundesstaat »aus Anlass der Ausfuhr des Hauptbestandes des erhalten gebliebenen Teiles der Kunstsammlung meiner Eltern August und Serena Lederer, bzw. meiner eigenen Sammlung«. Diese umfasste nun doch die geschenkweise Überlassung des Tafelgemäldes von Gentile Bellini, mehrere Aquarelle von Moritz von Schwind, eine Auswahl an Handzeichnungen von Egon Schiele, ein Aquarell von Franz Alt sowie das Vorkaufsrecht auf das Tafelgemälde von Jacobello del Fiore.52 Zwei Tage später berichtete Otto Demus dem Unterrichtsministerium vom unlängst erreichten Ergebnis in der Ausfuhrangelegenheit der Kunstsammlung Lederer und glaubte besonders im Hinblick auf die angebotene Widmung des Bellinis »dieses der Bewilligung zur Ausfuhr der übrigen Sammlungsbestände (mit Ausnahme des Beethoven-Frieses von Klimt) gegenüberstehende Schenkungsangebot annehmen zu wollen«.53 Warum der Beethoven-Fries seitens des Bundesdenkmalamtes weiterhin als gesperrt angesehen wurde, führte der Präsident allerdings nicht näher aus. Am 28. Juni 1950 wurde Erich Lederer schließlich unter Nummer 88454 eine Bewilligung zur Ausfuhr jener, auf der Schätzliste von Hans Herbst55 erfassten – und

mar 1999, S. 327. 51 Ebenda. 52 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 5532/1950, fol. 62–63, Widmungserklärung von Erich Lederer an das BMU, 15.6.1950. 53 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 5532/1950, fol. 53 und 64, Demus an BMU, 17.6.1950. 54 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 5896/1950, fol. 39, Ausfuhrbewilligung Nr. 884 des BDA, 28.6.1950. 55 Hans Herbst war Chefexperte der Kunstabteilung des Dorotheums. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 5896/1950, fol. 41–51, Zl. S 8/46-136, Schätzliste Hans Herbst, o. D.

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250   Christina Gschiel nicht gestrichenen56 –, Kunstwerke sowie unter Nummer 88557 eine separat abgegebene Ausfuhrbewilligung für das Werk Madonna mit Kind vom Meister der Ursulalegende erteilt. Diese Schätzliste war im Zuge der Konkursverfahren nach der Familie Lederer erstellt worden und bezifferte den Gesamtwert der aufgelisteten Kunstwerke mit 2.669.480,- Schilling.58 Der Beethoven-Fries von Gustav Klimt wurde von der Liste nicht erfasst und war somit auch nicht Teil dieses Ausfuhrverfahrens. Wenige Tage später informierte der damalige Bundesminister für Unterricht Felix Hurdes das Bundesdenkmalamt, dass das Ministerium die Schenkung von Kunstwerken durch Erich Lederer annehmen werde, stellte jedoch abermals fest, »dass eine Freigabe zur Ausfuhr des Beethoven-Frieses von Gustav Klimt nicht erfolgen wird«.59 Auch an dieser Stelle fehlte jegliche Begründung für die getätigte Aussage. Ergänzend muss hier noch bemerkt werden, dass ausschließlich das Bundesdenkmalamt Ausfuhrsperren verhängen kann. Im November 1950 erkundigte sich Otto Demus bei Erich Lederers Rechtsanwalt, ob sein Mandant nun schon über den Beethoven-Fries verfügungsberechtigt ist, »da ein entsprechendes Ausfuhransuchen des Herrn Dr. Lederer gestellt worden war«.60 Die Durchsicht der gesamten Ordner zur Ausfuhr des Jahres 1950 und der alphabetisch geführten Indices zu Ausfuhranträgen und Empfängern im Bundesdenkmalamt ergab jedoch keine weiteren Ausfuhranträge, Ausfuhrformulare bzw. Bewilligungen zu Erich Lederer als die bereits genannten Nummern 884 und 885 im Jahr 1950. Die Verfügungsberechtigung über den Fries erlangte Erich Lederer nur wenig später, als mit dem Nachweis der Erfüllung des ersten Punktes des Zwangsausgleiches mit Ende Dezember 1950 nicht nur das Konkursverfahren um sein Vermögen einen Abschluss fand, sondern auch die Konkurse der Verlassenschaften nach August und Serena Lederer aufgehoben wurden.61 Somit wurde die immer wieder in den Fokus verschiedener Parteien geratene Kunstsammlung schlussendlich weder aufgeteilt, noch

56 Fünf Positionen der Schätzliste wurden amtlich gestrichen und somit nicht zur Ausfuhr freigegeben. 57 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 5896/1950, fol. 40, Ausfuhrbewilligung Nr. 885 des BDA, 28.6.1950. 58 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 5896/1950, fol. 41–51, Zl. S 8/46-136, Schätzliste Hans Herbst, o. D. 59 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 6324/1950, fol. 34, BMU Zl. 29.095-II/6-50, Hurdes an BDA, 6.7.1950. 60 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 9, PM Lederer, M. 2c, Zl. 10209/1950, fol. 28, Demus an Popper, 6.11.1950. 61 OeStA/AdR, BMF-VS, Abt. 17B, 1967, Zl. 159.083/3-35a/51, Beschluss des Landesgerichtes für ZRS Wien zur Aufhebung des Konkurses nach der Verlassenschaft von Serena Lederer, 7.12.1951.

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252   Christina Gschiel im Februar 1959 das Angebot vor, »auf alle Ansprüche gegen die Republik Österreich zu verzichten, wenn für den Fries die Ausfuhrgenehmigung erteilt würde«.64 Zu Beginn erschien dem Bundesdenkmalamt der innere Zusammenhang zwischen einer Ausfuhrgenehmigung und der Rechnung der Firma E. Bäuml unklar. Doch nach kurzer Analyse stand fest, dass offenbar der von Erich Lederer konsultierte Rechtsanwalt Orator, mit dem der Spedition ident war. Eine Ausfuhrgenehmigung kam allerdings auch auf diesem Wege für das Bundesdenkmalamt nicht in Betracht.65 Im Zuge dieser über mehrere Jahre anhängigen Verwahrungsverfahren zum Beethoven-Fries wurde zudem erstmals schriftlich festgehalten, warum sich die österreichischen Behörden, einmal abgesehen vom »ex lege« bestehenden Ausfuhrverbot, bisher gegen eine Ausfuhr ausgesprochen hatten. Denn aus Sicht des zuständigen Bezirksgerichtes handelte es sich bei dem »gegenständlichen Beethovenfries um ein Austriacum von höchsten künstlerischen Wert«.66 Dennoch verstrichen beinahe zwölf Jahre ergebnislosen Verhandelns zwischen Erich Lederer und den Behörden der Republik bis im Februar 1967 im Bundesministerium für Unterricht eine Besprechung mit Vertreter_innen des Ministeriums, des Bundesdenkmalamtes, der Österreichischen Galerie, des Kunsthistorischen Museums und des Finanzministeriums stattfand. Das Thema der Zusammenkunft war die mögliche Erwerbung des Beethoven-Frieses von Erich Lederer. Der Sammler forderte 1967 einen Kaufpreis in der Höhe von acht Millionen Schilling, war allerdings bereit, seine Preisvorstellungen zu reduzieren, wenn er im Zuge dieser Erwerbung den Kardinal Bessarion von Gentile Bellini zurück erhalten würde. Die Besprechungsteilnehmer_innen empfanden den Preis jedoch als zu hoch und einigten sich auf ein oberes Limit von maximal drei Millionen Schilling. Falls dieses Angebot für Erich Lederer zu niedrig sein würde, wolle man ihm stattdessen die Ausfuhr des Frieses anbieten. Eine Koppelung der Erwerbung des Frieses mit der Rückgabe des Bellini-Werkes wurde von den Vertreter_innen der Republik kategorisch ausgeschlossen.67 Nach mehreren Berichten über die fortlaufende Verschlechterung des Erhaltungszustandes des Beethoven-Frieses und einer damit einhergehenden dringenden Restaurierungsbedürftigkeit, äußerte das Unterrichtsministerium im Jahr 1967 den Wunsch, »eine Restaurierung von sich aus durch das Bundesdenkmalamt durchführen zu las64 BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, Zl. 1129/59, Vermerk von Demus, 18.2.1959. 65 Ebenda. 66 BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, Zl. 3502/55, (BG Kirchberg Zl. 1 NC 72/52-34), Beschluss BG Kirchberg am Wagram, 7.3.1955. 67 Vgl. KHM-Archiv, Zl. 20/Gal/1967, Gedächtnisprotokoll von Klauner, 28.2.1967.

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Der Beethoven-Fries – »allein nicht diskutabel«   253

sen«. Die dabei anfallenden Kosten sollten später gegenüber Erich Lederer geltend gemacht oder auf den Kaufpreis aufgerechnet werden.68 Erich Lederer reagierte auf diesen Wunsch des Ministeriums mit folgender Anfrage an den Präsidenten des Denkmalamtes Walter Frodl: »dürfte ich Sie um die grosse Freundlichkeit bitten, zu verfügen, dass mir das Denkmalamt, für den von ›Gustav Klimt‹ gemalten ›Beethoven-Fries‹ der mein Eigentum ist und im ›Unteren Belvedere‹69 untergebracht ist, die AusfuhrGenehmigung erteilt«.70 Dem Sammler wurde auf sein Ansuchen zunächst nur eine dilatorische Antwort gegeben.71 Walter Frodl erwiderte schließlich in unverbindlicher Weise: »Das BDA bestätigt den Eingang Ihres Antrages um Erteilung der Ausfuhrbewilligung für den Beethoven-Fries von Gustav Klimt. Eine umgehende Erledigung Ihres Ansuchens ist leider nicht möglich, da ein Ermittlungsverfahren durchgeführt werden muß, von dessen Ergebnis Sie verständigt werden.«72 Im Zuge der aktuellen Recherchen konnte selbst nach der Durchsicht der gesamten Ordner zur Ausfuhr des Jahres 1967 und der alphabetisch geführten Indices zu Ausfuhranträgen und Empfänger_innen im Bundesdenkmalamt kein Bescheid zum Beethoven-Fries gefunden werden. Erich Lederer suchte somit im Juni 1967 in einem Schreiben an den Präsidenten des Bundesdenkmalamtes um die Ausfuhr des Beethoven-Frieses an, es kam jedoch in weiterer Folge zu keinem Ausfuhrverfahren. An dieser Stelle muss noch ein letztes Mal Erwähnung finden, dass auch Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre die verschiedenen staatlichen Stellen nicht mehr über die Unterschutzstellung des Kunstwerkes gemäß § 3 Denkmalschutzgesetz aus dem Jahr 1930 Bescheid wussten. Andernfalls ließen sich die mehrfach dokumentierten Überlegungen, sogar seitens des Bundesdenkmalamtes, die sich für bzw. wider eine Unterschutzstellung des Frieses aussprachen nicht erklären.73 Noch weitere fünf Jahre ergebnisloser Korrespondenz zwischen Erich Lederer und Vertreter_innen der Republik über eine mögliche Erwerbung des Beethoven-Frieses ver68 Vgl. BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. II, Zl. 3948/67, Piffl an Finanzprokuratur, 26.5.1967. 69 Der Beethoven-Fries wurde am 13.9.1961 von Stift Altenburg zurück nach Wien, in den Prunkstall des Unteren Belvedere, gebracht. Vgl. BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. I, Zl. 7451/61, Hausner & Co an E. Bäuml, 26.9.1961. 70 BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. II, Zl. 4424/67, Erich Lederer an Frodl, 17.6.1967. 71 Vgl. BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. II, Zl. 4424/67, Aktenvermerk von Podlessnig zur Besprechung vom 28.6.1967, 10.7.1967. 72 BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. II, Zl. 4424/67, Frodl an Erich Lederer, 3.7.1967. 73 Vgl. Kreisky-Archiv, M. Erich Lederer, Beethoven-Fries, Äußerung der Finanzprokuratur, 11.7.1967; BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. II, Zl. 1026/68, Aktenvermerk Tripp, 25.2.1968; BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. II, Zl. 693/71, Thalhammer an BMfWUF, 4.2.1971.

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254   Christina Gschiel strichen bis Hertha Firnberg, Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung, und Bundeskanzler Bruno Kreisky am 23. Mai 1972 im Ministerrat die Erwerbung des Kunstwerkes durch den Staat Österreich thematisierten. Hertha Firnberg berichtete von diesem Vorhaben mit folgenden Worten: Ich habe […] damals die Ermächtigung erhalten, bei meinem Angebot bis zu einem Ankaufspreis von 15 Millionen Schilling verhandeln zu können. […] LEDERER hat sich anläßlich dieses Gespräches mit mir Bedenkzeit erbeten und nun schriftlich mitgeteilt, daß er bereit ist, dieses Werk um den genannten Preis der Republik Österreich zu überlassen; […] LEDERER hat sich entschlossen, dieses Kunstwerk uns zu überlassen, weil der Herr Bundeskanzler daran in einem so besonderen Maß interessiert ist. […] Ich bitte den Ministerrat um Zustimmung, dem Eigentümer des Monumentalwerkes KLIMT’s ›Beethovenfries‹ mitteilen zu können, daß die österreichische Bundesregierung dieses Kunstwerk für Österreich erhalten und von ihm erwerben will.74

Der Bundeskanzler Bruno Kreisky fügte dem noch hinzu: Die Frage, vor der wir gestanden sind, war, ob man die Ausfuhr erlauben soll, was zu einem großen Geschrei deshalb geführt hätte, daß man dieses Werk eines der größten österreichischen Künstler der Heimat entzieht oder aber, ob man es erwirbt. Übernimmt man es in das Eigentum der Republik, dann muß es zu einem Preis geschehen, der angemessen ist. […] Ich halte das, was die Frau Bundesminister für Wissenschaft und Forschung vorschlägt, für einen Preis, zu dem man dieses Monumentalwerk erwerben sollte.75

Der Beethoven-Fries wurde ein halbes Jahr später durch die Republik Österreich um den Kaufpreis von 15 Millionen Schilling erworben und in der Österreichischen Galerie unter der Inventarnummer 5987 verzeichnet.76 Die Kommission für Provenienzforschung befasste sich nach Vorlage verschiedener »Anregungen« im September und Oktober 2013 an die Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur Claudia Schmied durch Erbenvertreter_innen nach Erich Lederer eingehend mit dem Beethoven-Fries von Gustav Klimt. Nach gewissenhaften Recherchearbeiten zur Familie Lederer sowie zum Kunstwerk und der Erstellung eines umfangreichen Dossiers, behandelte der Kunstrückgabebeirat in seiner Sitzung vom 6. März 2015 den monumentalen Wandfries. Schon auf den ersten Seiten des Beschlusses 74 OeStA/AdR, BKA, Ministerratsprotokolle, 2. Republik, Kreisky II, Protokoll Nr. 27, 23.5.1972. 75 OeStA/AdR, BKA, Ministerratsprotokolle, 2. Republik, Kreisky II, Protokoll Nr. 27, 23.5.1972. 76 Vgl. OeSTA/AdR, BMF, Zl. 117.743/1972 aus 107.409-2/1972, Kopie des Kaufvertrages zum Beethoven-Fries, November 1972; BDA, Sammelakt zum Beethovenfries 957, M. II, Zl. 1862/73, (ÖG, Zl. 374/1973, BMfWUF Zl. 350.741-III/2/73), 20.2.1973.

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Der Beethoven-Fries – »allein nicht diskutabel«   255

wird festgehalten, dass das Kunstwerk ab 7. Februar 1938 »per lege« unter das Ausfuhrverbotsgesetz fiel.77 Zudem sind gemäß der Regierungsvorlage zum § 1 Abs. 1 Z 1 Kunstrückgabegesetz in der geltenden Fassung für eine mögliche Kunstrückgabe drei Voraussetzungen von besonderer Bedeutung, »nämlich eine Rückstellung, ein Ausfuhrverfahren und ein Eigentumserwerb des Bundes« sowie »dass diese drei Elemente auch in einem in sachlicher und zeitlicher Hinsicht engen Zusammenhang stehen«.78 Nach Ansicht des Beirates wurde der Beethoven-Fries durch die Aufhebung der Sicherstellung mit dem Bescheid vom 23. August 1946 im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 1 Kunstrückgabegesetz zurückgestellt.79 Ein Ausfuhrantrag zum Beethoven-Fries ist allerdings erst mit dem Antrag Erich Lederers aus dem Jahr 1967 belegbar. Doch »schon wegen der dazwischen liegenden Zeitspanne« kann dieser Ausfuhrantrag »nicht in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang […] mit der Rückstellung von 1946 gesehen werden«.80 Außerdem verdichteten sich die jahrelangen Verkaufsverhandlungen erst nach einem Brief Bruno Kreiskys an Erich Lederer vom 30. Mai 1970, in welchem der Bundeskanzler sein besonderes Interesse an dem Beethoven-Fries ausdrückte und einen konkreten Kaufpreis als weitere Verhandlungsgrundlage in die Diskussion einbrachte.81 Als weiteren Punkt in der Entscheidungsgrundlage thematisierte der Kunstrückgabebeirat die »Erwerbsabsicht des Bundes«, der »jedoch als Alternative die Erteilung einer Ausfuhrbewilligung gegenüber« stand. Hierzu kann im Detail auf den oben zitierten Bericht Bruno Kreiskys im Ministerrat vom 23. Mai 1972 verwiesen werden. Somit ergibt sich aus Sicht des Gremiums auch »kein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen einem Verfahren nach dem Ausfuhrverbotsgesetz und dem Erwerb des Frieses durch den Bund«. Nach umfassenden Erwägungen kam der Beirat zum Schluss, dass kein »enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Rückstellung im Jahr 1946, den Verfahren nach dem Ausfuhrverbotsgesetz und dem im Jahr 1972 erfolgten Eigentumserwerb des Bundes besteht«.82 Unter dem Vorsitz von Clemens Jabloner gab der Kunstrückgabebeirat somit gegenüber dem zuständigen Bundesminister Josef 77 Vgl. Beschluss des Kunstrückgabebeirates zum Beethoven-Fries aus der Sammlung Erich Lederer, 6.3.2015, S. 3f.; http://www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Lederer_Erich_2015-03-06. pdf (2.8.2018). 78 Beschluss Kunstrückgabebeirat zum Beethovenfries, S. 22. 79 Vgl. ebd., S. 25. 80 Ebd., S. 28. 81 Vgl. Kreisky-Archiv, M. Erich Lederer, Beethoven-Fries, Bruno Kreisky an Erich Lederer, 30.5.1970. 82 Beschluss Kunstrückgabebeirat zum Beethovenfries, S. 28.

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256   Christina Gschiel Ostermayer die Empfehlung ab, den Beethoven-Fries nicht an die Rechtsnachfolger_ innen nach Erich Lederer zu übereignen.83 Die Subsumption des Beethoven-Frieses unter das Ausfuhrverbotsgesetz spannt einen weiten Bogen ausgehend von dem Jahr 1938 bis in die Gegenwart und war im Laufe der Jahre immer wieder Ausgangspunkt vielfältiger Überlegungen, Verhandlungen sowie Korrespondenzen. Der weitreichende Einfluss dieses Gesetzes auf die Provenienzgeschichte des Kunstwerkes spiegelt sich daher auch im Beschluss des Kunstrückgabebeirates aus dem Jahr 2015 wider. Auch wenn sie wiederholt und von verschiedenen Parteien thematisiert wurde, zu einer Ausfuhr des Frieses ist es nie gekommen. Ganz im Gegenteil, kehrte der Beethoven-Fries nach der Erwerbung durch die Republik und einer aufwendigen Restaurierung, an seinen Entstehungsort in die Wiener Secession zurück. Seit 1985 ist er dort als Dauerleihgabe des Bundes in einem eigens angelegten Klimaraum im Souterrain zu besichtigen.

83 Ebenda.

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Madonna mit Kind und zwei Engeln Ein Renaissancegemälde aus der Sammlung Carl Reininghaus1

Susanne Hehenberger

Im Handbuch der Kunstpflege in Österreich von 1902 wird die Grazer PrivatKunstsammlung2 von Carl Reininghaus als »Sammlung von Gemälden, Sculpturen und kunstgewerblichen Gegenständen« beschrieben, in der sich neben Bildern von ­Makart, Thoma, Reid, Dettmann, Kennedy, Henner, Baertson, van Soest, Kaulbach, Burne Jones, Bartels und einigen älteren Italienern »eine dem Botticelli zugeschriebene ­›Madonna mit dem Kinde‹« befand.3 Um dieses Bild, das Lieblingsbild von Carl Reininghaus, wenn wir der Einschätzung des Malers Carl Moll4 vertrauen, geht es in diesem Beitrag. Dabei interessiert jedoch weniger für die Frage, ob das Gemälde S­ andro Botticelli (1445–1510), Domenico Ghirlandaio (1448–1494), Sebastiano Mainardi (ca. 1460–1513) oder einem anderen Florentiner Maler zuzuschreiben ist, als vielmehr dessen Weg in die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien.5 Carl Reininghaus’ Familie

Carl Reininghaus kam als ältester Sohn von Julius Reininghaus und Emilie, geborene Mautner Markhof, am 10. Februar 1857 in Graz zur Welt. Sein Vater Julius Reininghaus hatte 1853 gemeinsam mit seinem Bruder Johann Peter Reininghaus eine Brauerei in Graz übernommen, nachdem beide einige Jahre in der Firma Mautner Markhof in Wien gearbeitet hatten. Johann Peter Reininghaus ehelichte 1850 Therese, eine Tochter von Adolf Ignaz Mautner Ritter von Markhof, und Julius heiratete im Jahr 1856 deren Schwester Emilie.6 1862 starb Julius Reininghaus, der als Chemiker und 1 2

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KHM, Inventarnummer GG 9501. Laut Weckbecker eine der Öffentlichkeit nicht oder nur bedingt zugängliche Sammlung. Vgl. Wilhelm Freiherrn von WECKBECKER (Hg.), Handbuch der Kunstpflege in Österreich, 3. Auflage, Wien 1902, S. 421. WECKBECKER 1902, S. 421. Karl [Carl] MOLL, Karl Reininghaus. Ein Gedenkwort, in: Neue Freie Presse, 17.11.1929, S. 37–38, hier: S. 38. Der Beitrag beruht auf einem Dossier, das der Kunstrückgabebeirat in seiner 80. Sitzung behandelte. Vgl. http://www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Reininghaus_Carl_2016-04-01.pdf (23.1.2018). Vgl. Paolo REININGHAUS, Geschichte der Familie Reininghaus und der Brauerei, http://www.reininghaus.at/website/index.html (26.1.2018).

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Madonna mit Kind und zwei Engeln   259

Aus seiner ersten, am 18. September 1882 geschlossenen, Ehe mit (Julie Catharina Augusta) Zoë von Karajan9 stammten fünf Kinder: Marie (auch Maria Theresia),10 verehelichte Peter (1883–1934), Julius (1885–1965), Georg (1886–1968), Johanna, verehelichte Philippovich (1890–1970) und Helene (1893–1985). Um die Jahrhundertwende übersiedelte Carl Reininghaus von Graz nach Wien, nachdem seine Frau Zoë die Scheidung von Tisch und Bett wegen Ehebruchs eingereicht hatte.11 Auch mit seiner in Klosterneuburg lebenden Geliebten Marie Schneider hatte Carl Reininghaus zwei Kinder: Emilie, verehelichte Bauer, später Frey (1904– 1982), und Karl (auch Carl, 1906–1979).12 Seit Mitte 1904 war er in der Augustiner Straße 8 in der Wiener Innenstadt gemeldet, 1908 bis 1916 wohnte er am Stubenring.13 Am 20. Juni 1920 heiratete Carl Reininghaus ein zweites Mal, nachdem er zur evangelischen Konfession AB konvertiert war.14 Er wurde in der lutherischen Stadtkirche mit der rund 40 Jahre jüngeren Friederike (Fritzi) Knepper getraut,15 die von 1917 bis zur Heirat als »prov. Lehrerin« in Wien gearbeitet hatte.16 1920 bis 1928 wohnten Carl und Fritzi Reininghaus in der Schmalzhofgasse in Wien 6 und danach, in Carls letztem Lebensjahr, in der Hügelgasse 10 in Wien 13.17 Carl Reininghaus starb am 29. Oktober 1929, am Beginn der Weltwirtschaftskrise. Der Wert seiner über die Jahre zusammengetragenen Kunstsammlung sollte in den folgenden Jahren dramatisch verfallen. 9

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Im Trauungsbuch VII 1872–1885 des Grazer Domes ist vermerkt, dass die Ehe mit Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen in Graz vom 23.2.1903, Zl. LG II 326/2, von Tisch und Bett geschieden wurde. Nach dem Ehegesetz von 1938 trat die Scheidung durch die 1920 eingegangene Ehe mit Friederike Knepper in Kraft, wie ein Erlass der Landeshauptmannschaft Steiermark vom 4.11.1939, Zl. 105 II R 255/1-39, nachträglich feststellte. Vgl. http://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/graz-seckau/ graz-dom/1076/?pg=181 (26.1.2018). Vgl. Von den und für die Nachkommen von Emilie & Julius von Reininghaus, http://www.dynastiemautnermarkhof.com/res/uploads/2017/10/05-Emilie3.pdf, S. 6 (23.1.2018). Von dort auch die Lebensdaten der weiteren Kinder. 1898 laut Tropper. Der angeführte Scheidungsakt (wurde nicht eingesehen) liegt im StLA, BG Graz II, Nc VII 165 allein/1900. Vgl. TROPPER 1996, S. 260, Anm. 7. Vgl. Vgl. http://www.dynastiemautnermarkhof.com/res/uploads/2017/10/05-Emilie3.pdf, S. 10; Theodor Heinrich Mautner Markhof, Lebenslauf, 2018, http://www.theodormautnermarkhof.com/pdf/history_4-5.pdf, S. 15 (24.1.2018). Vgl. MA 8, B-MER-723232/2013, Meldeanfrage Carl Reininghaus. Eine katholische Trauung zu Lebzeiten der ersten Frau wäre nicht möglich gewesen. Vgl. http://data. matricula-online.eu/de/oesterreich/wien-evang-dioezese-AB/wien-innere-stadt-lutherische-stadtkirche/ TRB45/?pg=105 (23.1.2018). MA 8, B-MER-65145/2016, Meldeanfrage Friederike Knepper. WStLA, Bezirksgericht Hietzing, Abt. 2 A, Verlassenschaft Carl Reininghaus [künftig: WStLA Verl. C. Reininghaus] 1563/29/706, S. 55–56. Vgl. MA 8, B-MER-723232/2013, Meldeanfrage Carl Reininghaus.

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260   Susanne Hehenberger Die Bestimmungen des Testaments

Seinen fünf Kindern aus erster Ehe dachte Carl Reininghaus in seinem Testament vom 28. Juni 1927 jeweils nur den Pflichtteil zu, weshalb sie in der Verlassenschaftsabhandlung als »Noterben« bezeichnet wurden.18 Seiner geschiedenen Frau Zoë zahlte Carl Reininghaus nach einem 1924 geschlossenen Vergleich monatliche Alimente von 325 Schilling, die auch nach seinem Tod bis zu ihrer etwaigen neuen Heirat weiterbezahlt werden sollten.19 Für seine Kinder Emilie und Karl sah das Testament jeweils ein Drittel der Verlassenschaft als Erbe vor,20 für ihre Mutter Marie Schneider eine monatliche Rente in der Höhe von 200 Schilling, Emilie und Karl waren angehalten, diese aus den ihnen zufließenden Mitteln der Verlassenschaft nach Möglichkeit auf 300 Schilling zu erhöhen.21 Fritzi Reininghaus sollte ein Drittel der Verlassenschaft22 zufallen und als Vorausvermächtnis Möbel, Schmuck (inklusive des Eherings des Verstorbenen), Bargeld und das Recht der ausschließlichen Nutzung der letzten gemeinsamen Wohnung (Hügelgasse 10).23 Darüber hinaus sah das Testament Legate an den langjährigen Fabrikdirektor Peter Lawinger (einmal 15.000 Schilling) und für die Hausbesorgerin (monatlich 50 Schilling) vor.24 Schätzungen des Gemäldes und Verkaufsbemühungen bis 1940

Nach seinem Umzug von Graz nach Wien hatte Carl Reininghaus seinen Sammlungsschwerpunkt auf Kunstwerke der Moderne gelegt und war in regem Kontakt mit Künstlern der Secession. 1910 ließ er sich von Egon Schiele porträtieren. Der Maler Carl Moll schrieb 1929 in einem Gedenkwort über seinen Förderer Carl Reininghaus: Und immer mehr wandte sich Reininghaus den ganz großen Erscheinungen der modernen Kunst zu. Manet, Van Gogh, Cezanne, Renoir, Munch, wie selten konnte man diese in Wiener Sammlungen finden, im Hause Reininghaus’ waren sie vereint. Und in 18 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/zu 213, Testamentserfüllungsausweis, August 1932, XV. Er gab ihm zudem die Möglichkeit, die Fabrik in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umzuwandeln, wenn seine Geschwister auch an der Fabrik teilhaben wollten. 19 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/zu 213, Testamentserfüllungsausweis, August 1932, II und VI. 20 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/zu 213, Testamentserfüllungsausweis, August 1932, I. 21 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/zu 213, Testamentserfüllungsausweis, August 1932, VII. 22 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/zu 213, Testamentserfüllungsausweis, August 1932, I. 23 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/zu 213, Testamentserfüllungsausweis, August 1932, III. 24 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/zu 213, Testamentserfüllungsausweis, August 1932, IX und X.

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Madonna mit Kind und zwei Engeln   261

der Mitte der Modernen, hier so gern ›die Radikalen‹ genannt, thronte eine florentinische Madonna, sein Lieblingsbild, von ihm zuerst Boticelli zugeschrieben, gewiß aber einer der schönsten Mainardi, die es geben mag.25

Ende Dezember 1932 ersuchte der zum Testamentsvollstrecker bestimmte Rechtsanwalt Gustav Scheu26 im Einvernehmen mit Georg Reininghaus den Direktor der Gemäldegalerie, das zu diesem Zeitpunkt im Kunsthistorischen Museum ausgestellte Gemälde nicht mehr als Werk von Sebastiano Mainardi zu bezeichnen, sondern als »Florentinisch, 15. Jahrhundert« auszuweisen.27 Arpad Weixlgärtner kam dieser Bitte nach.28 Möglicherweise in Zusammenhang mit dieser Zuschreibungsfrage stand ein nicht publizierter Aufsatz über die »Reininghausmadonna« des Kunsthistorikers und akademischen Malers Emmerich Schaffran, der im Pantheon hätte erscheinen sollen, dessen Veröffentlichung vom Verlassenschaftsverwalter aber nur unter der Voraussetzung erlaubt worden wäre, hätte Schaffran das Gemälde als Werk Botticellis oder Ghirlandaios bezeichnet.29 Nach Aussage seines Sohnes Georg hatte Carl Reininghaus die Madonna mit Kind und zwei Engeln in den 1890er Jahren auf Drängen seiner Frau Zoë um einige tausend Lire in Italien erworben.30 Das Gemälde befand sich demnach seit Ende des 19. Jahrhunderts in der Sammlung, zuletzt in der Hietzinger Villa in der Hügelgasse 10, und wurde mit dem Tod von Carl Reininghaus am 29. Oktober 1929 Teil der Verlassenschaft.31 Abgesehen von zwei Familienporträts, die er seinem Bruder Fritz vermachte, sprach Carl Reininghaus in seinem Testament den Wunsch aus, »dass die von mir angelegte Gemäldesammlung, auf die ich Jahre meines Lebens gewendet habe, die 25 MOLL 1929, S. 38. 26 Gustav Scheu, in: Wien Geschichte Wiki, https://www.wien.gv.at/wiki/index.php/Gustav_Scheu (10.2.2016). 27 KHM-Archiv, GG-Korrespondenz, Scheu an Weixlgärtner, 29.12.1932. 28 KHM-Archiv, GG-Korrespondenz, Weixlgärtner an Scheu, 4.1.1933. 29 KHM-Archiv, GG-Korrespondenz, Schaffran an Weixlgärtner, 30.1.1932. Die Zuschreibung an Botticelli erfolgte laut Georg Reininghaus vom Generaldirektor der staatlichen Kunstsammlungen in Berlin Wilhelm von Bode. Robert Eigenberger, Direktor der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste in Wien, war hingegen der Ansicht, dass das Gemälde von derselben Hand gemalt sei, die die Altarbilder des Ghirlandaio in Budapest geschaffen hat. Vgl. BArch Koblenz, B 323/332, Kunsthändler-Aussagen K-Z, Georg Reininghaus an Erika Zeise, CCP München, 9.6.1951, pdf-S. 130. 30 BArch Koblenz, B 323/332, Kunsthändler-Aussagen K-Z, Georg Reininghaus an Erika Zeise, CCP München, 9.6.1951, pdf-S. 130. 31 Ulrike Tropper geht anhand eines Nachlassverzeichnisses (aus dem Familienkreis) davon aus, dass der angebliche Mainardi 1929 um 240.000 Schilling vom Kunsthistorischen Museum angekauft wurde. Diese Interpretation ist falsch: Bei der Summe handelt es um einen Schätz-, nicht um den Kaufpreis. Vgl. TROPPER 1996, S. 260, Anm. 5.

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zu schaffen.«33 Die Kunstsammlung von Carl Reininghaus war demnach nicht zur Verteilung an seine erbenden Angehörigen bestimmt, sondern es war lediglich die Veräußerung einzelner Stücke zur Abdeckung von anfallenden Kosten vorgesehen. Eine erste Schätzung der Gemälde, Plastiken und sonstigen Kunstgegenstände im Nachlassvermögen erfolgte am 13. November 1929 durch die Sachverständigen Carl Moll und Otto Nirenstein, Gründer der Neuen Galerie. Als Post 24 wurde angeführt: »angeb. Mainardi, Madonna mit Jesuskind und Johannes, 300.000,-- S«.34 Eine zweite Schätzung, vom Abhandlungsgericht veranlasst, fand am 29. September 1930 durch die Sachverständigen Otto Reich, Direktor der Akademie der bildenden Künste, und Alfred Wawra, Kunsthändler, statt.35 Das Gemälde wurde nun mit 240.000 Schilling bewertet.36 Auf den jeweils 106 Nummern umfassenden Listen von 1929 und 1930 fanden sich einige hochrangige Kunstwerke, aber die Madonna war das mit Abstand am höchsten bewertete. Eine weitere, im Juli 1932 zusammengestellte Auflistung des Nachlassvermögens umfasste mehr als 270 Positionen und bewertete das MadonnenGemälde immer noch mit 240.000 Schilling. In einer Anmerkung, unterzeichnet von den drei Haupterb_innen Emilie Bauer (später Frey), Karl Reininghaus und Fritzi Reininghaus, wurde jedoch der allgemeine Preisverfall beklagt und konstatiert: »Das Hauptwerk der Sammlung […] hat überhaupt noch keinen Käufer gefunden.«37 Separationskurator38 Walther Seidler setzte sich im Jänner 1931 mit den Direktionen des Kunsthistorischen Museums und der Österreichischen Galerie im Belvedere in Verbindung, um eine Verwahrung der in die Verlassenschaft gehörigen Bilder zu vereinbaren. Beide Direktionen sagten grundsätzlich zu, sofern die Ausstellung einzelner Bilder als Leihgabe gestattet werde. Zwar wurde auch erwogen, die Bilder eventuell bei Kunsthändler_innen unterzubringen, doch die Verwahrung in den Museen schien dem Separationskurator am zweckmäßigsten. »Schliesslich ist die Ausstellung einzelner Bilder als Leihgabe für einen Verkauf von grösstem Vorteil, weil es naturgemäss auf 33 34 35 36

WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/zu 213, Testamentserfüllungsausweis, August 1932, XIV. WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/zu 16, Protokoll, 13.11.1929, S. 47–51, hier: S. 48. WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/82, Protokoll, 29.9.1930. Die zweithöchste Bewertung für Vincent van Gogh Physiologie des Trinkers lag 1929 bei 170.000 Schilling, 1930 bei 150.000 Schilling, gefolgt von einem gotischen Flügelaltar und einem angeblichen Montagna-Schlachtengemälde, die 1930 auf jeweils 40.000 Schilling geschätzt wurden, in der Schätzung von 1929 wurden Ferdinand Hodlers Wahrheit (Wiederholung) und Alpenlandschaft mit 50.000 und 45.000 Schilling noch höher bewertet. 37 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/zu 213, Nachweisung, Juli 1932, S. 484–511, hier: S. 511. 38 Auch Absonderungskurator genannt, laut Definition: »Kurator, der im Rahmen der Nachlassseparation die Vermengung des Nachlasses mit dem Vermögen des Erben zu verhindern hat.« Michael KUCHARSKI, Austriazismen im Erb- und Familienrecht, Univ. Diplomarbeit, Wien 2009, S. 81–82.

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264   Susanne Hehenberger jeden Käufer einen subjektiv günstigen Eindruck machen muss, wenn ein Bild für welches er Interesse hat, im Kunsthistorischen Museum oder in der Staatsgallerie ausgestellt ist.«39 Am 31. Oktober 1931 wurde das Madonnen-Bild als Leihgabe zur Verwahrung in den Galerieräumen ins Kunsthistorischen Museum Wien verbracht.40 Das Gemälde verblieb – lediglich durch eine kurze Leihgabe des Gemäldes an die Akademie der bildenden Künste in Wien vom 24. Mai bis 12. Juli 1932 unterbrochen41 – bis zum Verkauf 1940 ebendort. Der Kunsthändler Karl Haberstock erinnerte sich 1948: »Das dem Mainardi zugeschriebene Madonnenbildnis aus dem Besitz der Bierbrauersfamilie Reininghaus war lange Jahre in dem kunsthistorischen Museum in Wien als Leihgabe über einer Tür gehangen.«42 Haberstock hatte kein Interesse an dem Gemälde, wie er rückblickend aussagte: »Wiederholt haben mir Wiener Händler schon Jahre vorher davon gesprochen, dass dieses Bild verkäuflich ist. Da ich es aber für ein Schulbild hielt, so fand ich den Preis nicht angemessen und habe es nicht erworben.«43 Ein Teil der Kunstgegenstände aus dem Nachlass von Carl Reininghaus wurde am 29. und 30. Mai 1933 beim Auktionshaus Glückselig ausgeboten,44 das Madonnen-Gemälde befand sich allerdings nicht darunter. Andere Kunstgegenstände des Nachlasses sollten in weiterer Folge über verschiedene Kunsthandlungen, vor allem in Wien, veräußert werden. Dies gelang aber nur zum Teil, wie Auflistungen von 1936 und 1937 verdeutlichen.45 Am 6. Februar 1935 fragte die Finanzprokuratur bei der Direktion des Kunsthistorischen Museums an, wie hoch denn der Wert des verwahrten Gemäldes zu beziffern sei, da die Vertreter der Verlassenschaft den Vorschlag unterbreitet hätten, das Gemälde zur 39 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/115, Separationskurator Seidler an BZ Hietzing, eingelangt am 8.1.1931, S. 276–278, hier: S. 277. 40 KHM, GG, 44/GG/31, Evidenzbuch B Nr. 280; Empfangsbestätigung vom 31.10.1931. 41 KHM, GG, 44/GG/31, Empfangsbestätigung, 24.4.1932 und 12.7.1932. 42 BArch Koblenz, B 323/332, Kunsthändler-Aussagen K–Z, Karl Haberstock, 27.10.1948, pdf-S. 131. 43 BArch Koblenz, B 323/332, Kunsthändler-Aussagen K–Z, Karl Haberstock, 27.10.1948, pdf-S. 131. 44 Gemälde und Antiquitäten aus dem Nachlasse Carl (v.) Reininghaus. Wertvolle Musikinstrumente und Künstlerdokumente aus dem Nachlasse Ernst Löwenfeld. Mobiliar und Kunstgegenstände aus Wiener Privatbesitz. Versteigerung am 29. und 30. Mai 1933 im Auktionssaal des Auktionshauses für Altertümer Glückselig Gesellschaft m. b. H. in Wien IV, Mühlgasse 28–30, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ glueckselig1933_05_29/0005 (26.1.2018). 45 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/zu 685, Zusammenstellung, 1.10.1936, S. 144–155. In dieser Aufstellung wird unter IV. vermerkt, wo sich die verschiedenen Kunstwerke zu diesem Zeitpunkt befanden (Artaria, Würthle & Sohn, Neumann & Salzer, Glückselig & Sohn, Georg Reininghaus, Hanna Philippovich, Nirenstein, Emilie Frey). 1937 werden als (potenzielle) Verkäufer angeführt: Glückselig, Nirenstein, Tanhauser [Thannhauser?], Artaria, Würthle, Neumann & Salzer, Patka, Neupert (Schweiz). Vgl. WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/763, Richtiggestellte Nachlassnachweisung 1937, S. 89–112.

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Exekution einer Abrechnungsforderung zu pfänden.46 Der Erste Direktor und Direktor der Gemäldegalerie Alfred Stix bezifferte den Wert mit etwa 40.000 Schilling, »bei einem günstigen Verkauf wäre eventuell auch mehr zu erzielen«. Stix fügte hinzu, dass die Gemäldegalerie »kein übermäßiges Interesse am Verbleiben dieser Leihgabe hat, sodaß einer eventuellen Disponierung von hier aus nichts im Wege steht«.47 Tatsächlich pfändete das österreichische Finanzministerium das Gemälde am 21. Februar 1935.48 Im September 1936 wurde die Pfändung wieder aufgehoben.49 Eine Zusammenstellung des Vermögens in der Verlassenschaftssache nach Herrn Carl Reininghaus, datierend vom 1. Oktober 1936, vermerkt unter Punkt III: »Der Mainardi, bei der zweiten Schätzung mit S 240.000 bewertet, kann nach dem Bericht des Herrn Dr. Reich heute mit S 75.000.-- höchstens netto mit 80.000.-- S eingesetzt werden.«50 In der 1937 richtig gestellten Nachlassnachweisung wurde der Wert des im Kunsthistorischen Museum verwahrten Madonnenbildes entsprechend auf 75.000 Schilling herabgesetzt.51 Mit Beschluss vom 19. April 1937 lag die abhandlungsbehördliche Verkaufsbewilligung des Bezirksgerichts Hietzing vor. Carl Moll wurde ermächtigt, das Gemälde zum Nettopreis von 100.000 Schilling in London zu verkaufen und den Kaufpreis dem Nachlassverwalter zu erlegen.52 Die Verkaufsgenehmigung wurde damit begründet, dass die Testaments- und Noterb_innen in einem Notariatsakt vereinbart hatten, dieses auf gemeinsame Rechnung zu verkaufen. Argumentiert wurde mit der bevorstehenden Königskrönung am 12. Mai 1937 in London, zu der »eine grosse Anzahl von reichen Leuten aus der ganzen Welt zusammenkommen, unter welchen mit Recht Interessenten für ein derart wertvolles Bild gesucht werden müssen, weil im Uebrigen der Kunstmarkt insbesondere hinsichtlich wertvoller Kunstgegenstände ausserordentlich gedrückt ist und eine Erholung desselben in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist«. Der Verkauf sei notwendig, weil bereits »sämtliche Zahlungen an die Noterben und Legatare, sowie die Testamentserben seit November 1934 eingestellt werden« mussten. Die hypothekarischen Belastungen der Villa und der Fabrik lagen zum 1. Oktober

46 47 48 49

KHM-Archiv, 78/AK/35, Finanzprokuratur an Direktion, 6.2.1935. KHM-Archiv, 78/AK/35, Stix an Finanzprokuratur, 11.2.1935. KHM, GG, 44/GG/31, AV Stix, 21.2.1935. KHM, GG, 44/GG/31, Exekutionsgericht Wien, Abt. 5, Einstellung der Exekution (5 E 880/35/11), 10.9.1936. 50 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/zu 685, Zusammenstellung, 1.10.1936, S. 144–155, hier: S. 144. 51 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/763, Richtiggestellte Nachlassnachweisung 1937, S. 89–112, hier: S. 91. 52 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/zu 763, Georg Reininghaus an Suchomel, 3.4.1937.

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266   Susanne Hehenberger 1936 bereits bei 91.000 Schilling.53 Ein paar Tage vor diesem Beschluss hatte Carl Moll gegenüber dem Abhandlungsgericht geäußert, dass angesichts des Überangebotes am Kunstmarkt der Preis von 100.000 Schilling »außerordentlich günstig« sei.54 Das Bild wurde nicht verkauft, eine Ausfuhrbewilligung nicht beantragt.55 Am 15. September 1937 wurde abermals der Verkauf aus dem Nachlass zum Preis von 100.000 Schilling ohne jeden Abzug bewilligt, beantragt durch Nachlassverwalter Suchomel, der das Werk über die Kunsthandlung Würthle & Sohn veräußern wollte.56 Ein am 14. September 1937 von Otto Reich eingeholtes Gutachten bekräftigte, dass der Rufpreis von 100.000 Schilling mit Rücksicht auf den Zeitunterschied zu seiner ursprünglichen Schätzung von 1930 »als nicht ungünstig bezeichnet werden kann«. Dies besonders, da, so Reich, in Betracht zu ziehen sei, »dass das Bild ja tatsächlich von allen diesbezüglichen hierortigen – mittelbaren oder unmittelbaren – Interessenten jahrelang als sozusagen ständig ausgeboten angesehen wurde u. wird«.57 Einen Tag nach dem »Anschluss«, am 14. März 1938, beantragte Friederike Reininghaus beim Bezirksgericht Hietzing, eine »sofortige neuerliche Schätzung des Mainardi zugeschriebenen Madonnenbildes nach dem ›Gemeinen Werte‹ zu verfügen«, weil der Schätzpreis, den sie in diesem Schreiben mit 300.000 Schilling bezifferte, deutlich zu hoch sei und eher einem »Liebhaberwert« entspräche.58 Außer Acht ließ sie dabei, dass die Schätzung 1937 bereits reduziert und in den Verkaufsbewilligungen ein Nettopreis von 100.000 angestrebt worden war. Im Mai 1938 wiederholte Friederike Reininghaus den Antrag und meinte in erschreckend geistigem Einklang mit dem NS-Regime: »Als Arierin bin ich nunmehr berechtigt, bei diesen erdrückenden Material­klar und deutlich auszusprechen, dass ich nur Entscheidungen der gewesenen österr. Gerichte anerkenne, bei welchen kein Jude oder Judenstämmling mitgewirkt hat!«59 Laut einem Schreiben des im März 1938 zum Kommissarischen Leiter des Kunsthistorischen Museums avancierten Fritz Dworschak wandte sich Friederike Reininghaus am 27. Juni 1938 direkt an Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart und ersuchte ihn, 53 54 55 56 57 58

WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/800, Beschluss, 19.4.1937. WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/793, Tagsatzungsprotokoll, 14.4.1937, S. 184. Auskunft via E-Mail von Anneliese Schallmeiner, Archivarin des BDA, 4.2.2016. WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/875, Beschluss, 15.9.1937, S. 74. WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/zu 874, Reich an Suchomel, 14.9.1937. WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/974, Friederike Reininghaus an BG Hietzing, 14.3.1938, S. 219–224. 59 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/989, Friederike Reininghaus an BG Hietzing, 19.5.1938, S. 305–312, hier: S. 310.

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das im Kunsthistorischen Museum verwahrte Bild zur Begleichung der rückständigen Nachlassabgaben in der Höhe von 110.000 Schilling von Staats wegen anzukaufen. Friederike Reininghaus gab den Schätzwert des Gemäldes für 1929 mit 250.000 Schilling an, im selben Schreiben nannte sie auch einen Wert von 150.000 Schilling.60 Ernst Buschbeck, zu diesem Zeitpunkt noch Kustos der Gemäldegalerie, antwortete am 2. August 1938, dass seitens der Gemäldegalerie kein Kaufinteresse bestehe. Der Erhaltungszustand des Gemäldes sei nicht so gut und es sei »kein Zufall, daß sich der internat. Kunsthandel seit Jahren diesem Bild gegenüber ablehnend verhält«.61 Am 28. Mai 1939 wandte sich Friederike Reininghaus erneut an die Museumsdirektion und erhob Einspruch gegen eine etwaige Ausfolgung des Gemäldes ohne gerichtliches Urteil. Insbesondere gegen ihren Stiefsohn Georg Reininghaus als Vertreter der Noterb_innen hatte sie Vorbehalte. Sollte dieser Georg Reininghaus, der in der Verlassenschaft seines Vaters durch ­ aller[l]ei Praktiken seines seinerzeitigen jüdischen Anwaltes schon sehr viel Unheil angerichtet hat, es wagen, mit Ansprüchen an das geehrte Kunsthistorische Museum heranzutreten, so bitte ich ihn abzuweisen und ihm zu bedeuten, er möge zuerst den Versuch machen, seine Ansprüche bei Gericht durchzusetzen und wenn er ein rechtskräftiges Urteil erreichen sollte, sich dann mit diesem Urteil wieder zu melden.62

Verkauf

Nachdem sich der Direktor der Dresdner Gemäldegalerie und »Sonderbeauftragte für Linz« Hans Posse beim Leiter des Denkmalamtes in Wien Herbert Seiberl nach dem Gemälde erkundigt hatte, antwortete dieser am 9. Oktober 1940: »Das Bild von Mainardi aus dem Besitz Reininghaus ist nicht sicher gestellt. Ich bin im Begriffe mit Vertretern des Eigentümers in Verhandlung zu treten.«63 Posse hatte das Gemälde bereits einmal in Wien besichtigt,64 tauschte sich mit dem Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Ernst Buchner in München darüber aus und notierte am 16. Oktober 1940 in seinem Tagebuch: »München [...] Bei Buchner (sog. Ghirlandajo – Reininghaus). [...] Ghirlandajo (?), Madonna mit Kind u. Engeln, (Reininghaus)

60 61 62 63 64

KHM-Archiv, 194/KL/38, Dworschak an Gemäldegalerie, 1.8.1938. KHM-Archiv, 194/KL/38, Buschbeck an Dworschak, 2.8.1938. KHM-Archiv, 187/KL/39, Friederike Reininghaus an Direktion, 28.5.1939. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Allgemeines, K. 10, Mappe 5, S. 7, Seiberl an Posse, 9.10.1940. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Allgemeines, K. 10, Mappe 5, S. 25, Posse an Seiberl, 12.11.1940.

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268   Susanne Hehenberger 100 000 RM.«65 Ernst Buchner wandte sich am Tag darauf brieflich an Friederike Reininghaus: Gestern bot sich die Gelegenheit, die Fotographie ihres florentiner Madonnenbildes meinem Kollegen Prof. Dr. Hans Posse, dem Direktor der Dresdner Gemäldegalerie, der im Auftrag des Führers das grosse Kunstmuseum für Linz a. d. D. zusammenstellt, zu zeigen. Da das Bild für die Linzer Galerie noch wichtiger erscheint als für die alte Pinakothek und da außerdem die Finanzierung des Ankaufes für unsere Sammlung augenblicklich nicht einfach ist, möchte ich die Absicht von Herrn Prof. Posse, das Bild für die Linzer Sammlung zu erwerben, unterstützen. Herr Prof. Dr. Posse hatte gestern Gelegenheit, die Fotografie des Bildes und unseren Briefwechsel dem Führer vorzulegen, der sich für eine Erwerbung des Bildes für Linz lebhaft interessiert zeigte. Mit dem von Ihnen geforderten Preis von RM 100.000.- ist Herr Prof. Posse einverstanden.66

Der Verkauf wurde formal vorbereitet: Mit Beschluss des Amtsgerichtes Hietzing vom 29. Oktober 1940 wurde dem Verkauf des Gemäldes erneut zugestimmt. Notar Suchomel wurde mit Vollmacht der Erb_innen, der Noterb_innen und mit Zustimmung des Finanzamts sowie der Pfandgläubiger ermächtigt, das Madonnenbild um 100.000 RM netto zu verkaufen. Vom Kaufpreis sollten 3.000 RM Provision abgezogen werden und der restliche Betrag den Pfandgläubigern und der Verlassenschaft verbleiben. Es war vorgesehen, den Betrag von 97.000 RM auf ein gesperrtes Einlagebuch bei der Kreditanstalt Wiener Bankverein, Filiale Hietzing, zu erlegen, welches vom Nachlassverwalter verwahrt werden sollte.67 Am selben Tag verfügte das Finanzamt für Verkehrssteuern aufgrund der noch ausständigen Verlassenschaftsgebühren eine Pfändung des Kauferlöses.68 Hans Posse informierte Seiberl am 12. November 1940: »Hinsichtlich des sog. Mainardi aus der Hinterlassenschaft Reininghaus habe ich heute um Übersendung des 65 GNM Nürnberg, DKA, NL Posse, Hans, I, B-1, Tagebuch Hans Posse 1936–1942, Eintrag vom Mittwoch, den 16.10.1940. 66 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/1169, S. 513–515, Beilage 1: Buchner an Reininghaus, 17.10.1940. 67 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/1171, S. 517, Beschluss, 29.10.1940. Dieses gesperrte Einlagebuch der Filiale Hietzing mit der Bezeichnung »Verlassenschaft Karl Reininghaus, Erlös des Madonnenbildes« konnte im Archiv der Bank Austria nicht gefunden werden. Auskunft via E-Mail von Ulrike Zimmerl, 12.1.2016. 68 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/1172, S. 521, Pfändungsverfügung über 87.900,- RM, 29.10.1940. Aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Hietzing vom 6.2.1941 wurde Suchomel angewiesen 60.000,- RM an das Finanzamt für Verkehrssteuern zu überweisen, d. h. das Finanzamt sah im Vergleich zur Pfändungsverfügung 27.900,- RM nach. Vgl. WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/1196, Beschluss, 6.2.1941, S. 555.

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Bildes gebeten, damit ich es vor dem endgültigen Abschluß des Kaufes ordnungsgemäß noch einmal prüfen kann.«69 Am 25. November 1940 wurde das Gemälde als Expressgut durch die Spedition E. Bäuml nach Dresden in den Zwinger verbracht.70 Der Verkauf erfolgte, wie im Beschluss festgelegt, um 100.000 RM an das »Museum Linz«.71 Nach dem Ankauf erhielt es die Linz-Nummer 1518.72 Das Gemälde war bis 1944 im Münchner Führerbau gelagert, mit dem III. Bergungstransport am 15. August 1944 wurde es nach Altaussee verbracht.73 Nach dem Verkauf

Der Kaufpreis langte im Jänner 1941 – wie vorgesehen – auf dem gesperrten Einlagebuch ein, die Provision von 3.000 RM wurde von Nachverwalter Suchomel an Friederike Reininghaus überwiesen.74 Nach der erfolgten Einantwortung des Nachlasses am 28. Mai 1941,75 die am 18. Juni 1941 rechtskräftig wurde,76 langte am 30. August 1941 der Schlussbericht von Hermann Suchomel in der Verlassenschaftssache Carl Reininghaus beim Bezirksgericht Hietzing ein. Darin hielt er fest, »dass es nur Frau Friederike Reininghaus zuzuschreiben ist, wenn im letzten Augenblick das wertvollste Stück, nämlich das Madonnenbild des Malers Mainardi, freihändig zu einem sehr günstigen Preise verkauft werden konnte, wodurch die Bezahlung der Erbgebühr und der Stockerauer Sparkassa [als Gläubigerin, Ergänzung der Verfasserin] ermöglicht wurde«.77 Der Verkauf lag insofern in ihrem Interesse, wie Suchomel schrieb, als sie damit eine Exekution auf die Villa in der Hügelgasse abwenden konnte, während Emilie Frey und Karl Reininghaus lieber die Exekution als den Verkauf des wertvollsten Gemäldes gesehen hätten.78 Das lebenslängliche Mietrecht für die Villa in der Hügel69 70 71 72 73 74 75 76 77 78

BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Allgemeines, K. 10, Mappe 5, S. 25, Posse an Seiberl, 12.11.1940. KHM, GG, 44/GG/31, AV und Übergabeschein, 25.11.1940. WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29, annotierte Liste, vermutlich Ende 1940, Pz. 24. Es findet sich unter der Linz-Nr. 1518 und Mü-Nr. 4579 in der Linz-Datenbank des Deutschen Historischen Museums: http://www.dhm.de/datenbank/linzdb/ (29.1.2018). BArch Berlin, NS 6, S. 194/223, III. Gemälde-Sammeltransport von München-Führerbau nach AltAussee (Salzberg), 13.8.1944. WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/1182, Bericht, S. 537–538. WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/1314, Beschluss des OLG Wien, 29.11.1943, S. 4. WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/1231, Amtsgericht Hietzing an Amtsgericht Graz, 2.7.1941. WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/1243, Schlussbericht, S. 629–638, hier: S. 630. WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/1243, Schlussbericht, S. 629–638, hier: S. 631. Die Ausbezahlung der Provision wollten die Miterb_innen verhindern. Das OLG Wien stellte jedoch im Beschluss 2 c R 56/43 vom 29.11.1943 fest, dass die Schlussrechnung des Notars Suchomel auch in diesem Punkt genehmigt werde.

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270   Susanne Hehenberger gasse 10 war Friederike Reininghaus bereits mit Gerichtsbeschluss vom 27. Juni 1940 einverleibt worden.79 Ein endgültiger Vergleich zur Regelung des Nachlasses und aller damit in Zusammenhang stehenden Rechtsverhältnisse und Streitigkeiten wurde 1943 vom Amtsgericht Graz ausgefertigt.80 Rückforderung nach dem Zweiten Rückstellungsgesetz

Nach dem Krieg wurde das Bild von Altaussee nach München transportiert und im dortigen Central Collecting Point am 17. Juli 1945 unter der Nummer Mü 4579 inventarisiert. 1958 wurde es von der Treuhandverwaltung für Kulturgut der BRD an die Republik Österreich ausgehändigt,81 in der Folge vom Bundesdenkmalamt verwaltet.82 Am 30. Jänner 1959 beantragte Friederike Reininghaus bei der Finanzlandesdirektion Wien die Rückstellung des Gemäldes Maria mit dem Kind und zwei Engeln sowie eines Deckengemäldes von Hans Makart nach dem Zweiten Rückstellungsgesetz. Sie argumentierte, dass sie bei der Antragstellung durch die Miterbenden, Karl Reininghaus und Emilie Frey, aufgehalten worden sei, auch einen Bombenschaden an ihrem Haus angemeldet habe.83 Abschließend schrieb sie: »Ich glaube, daß man mir mit Rücksicht darauf eine Rückstellung garnicht versagen kann.«84 Der Rückstellungsantrag wurde mit Bescheid vom 5. Februar 1959 als verspätet eingebracht (Frist bis 31. Juli 1956) zurückgewiesen.85 Der am 26. Februar 1959 eingelegten Berufung86 wurde mit Bescheid vom 29. Mai 1959 keine Folge gegeben.87 Friederike Reininghaus wandte sich daraufhin mehrfach an das Bundesdenkmalamt und legte schließlich am 15. August 1962 Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof gegen das Bundesministerium für Finanzen ein. Diese wurde 79 WStLA, Verl. C. Reininghaus, 1563/29/1158, Beschluss, 27.6.1940, S. 492. 80 Amtsgerichts Graz, Vergleichsausfertigung, (7 C 636/43/1) 22., 23., 30.10. und 4.11.1943, in: WStLA Verl. C. Reininghaus, Karton 5, unfol. 81 BArch Koblenz, B 323/576, Sonderauftrag Linz. Verzeichnis der der Treuhandverwaltung von Kulturgut München bekanntgewordenen Restitutionen von 1945 bis 1962. Österreich A–Z, Reininghaus, pdf-S. 242: »Zwischen 1890 und 1900 von Victor Reininghaus, Wien in Italien erworben (Schreiben Georg Reininghaus (Sohn) 9.6.51, 457-B-99 Haberstock). 25.12.1940 aus der Slg. Reininghaus für RM 100.000,- an SL.« 82 BDA-Archiv, PM Reininghaus Friederike, S. 46–47. 83 OeStA/AdR, FLD 22896, Friederike Reininghaus, S. 1–2. 84 OeStA/AdR, FLD 22896, Friederike Reininghaus, S. 1–2. 85 Vgl. OeStA/AdR, FLD 22896, Friederike Reininghaus, S. 6. 86 Vgl. OeStA/AdR, FLD 22896, Friederike Reininghaus, S. 7–8. 87 OeStA/AdR, FLD 22896, Friederike Reininghaus, S. 10–11; vgl. auch: BDA-Archiv, PM Reininghaus Friederike, S. 42–43.

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Madonna mit Kind und zwei Engeln   271

am 17. September 1963 zurückgewiesen, weil ermittelt werden konnte, »daß der seinerzeitige Kaufpreis wesentlich über dem heutigen Verkehrswert liege, sodaß die Gewährung eines Wertausgleichsbetrages nicht in Erwägung gezogen werden könne«.88 Noch während die Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof anhängig war, gab das Bundesdenkmalamt eine kleine Restaurierung des in seinen Werkstätten verwahrten Gemäldes bei der akademischen Restauratorin Ingrid Karl in Auftrag.89 Friederike Reininghaus versuchte in der Folge auf verschiedenen Wegen, entweder eine Restitution oder Geld für das ihrer Angabe nach unter Wert verkaufte Gemälde zu erlangen. An den Präsidenten des Bundesdenkmalamtes Otto Demus wandte sie sich im Mai 1964 mit dem Vorschlag, dem Staat ein Konvolut von Schiele-Briefen zu überlassen, welches sie bereits Christian Nebehay als potenziellem Kaufinteressenten gezeigt hatte, wenn sie dafür »100.000 S als Abfindung in Sache Madonna« erhielte. Demus antwortete am 27. Mai 1964 abschlägig: »Der Fall ist für das Ministerium leider ganz abgeschlossen und nicht einmal der Minister könnte die Angelegenheit nochmals aufgreifen. Ich glaube also, dass es hoffnungslos wäre, ein Junktim mit den Schiele Briefen herstellen zu wollen.«90 Der Weg ins Kunsthistorische Museum

Am 5. April 1965 wurde das Gemälde aus dem Bundesdenkmalamt in die treuhändige Verwaltung des Kunsthistorischen Museums übergeben.91 Im September 1965 wandte sich Friederike Reininghaus an Erwin Thalhammer, Referent im Unterrichtsministerium, und bat ihn um Hilfe. Im Mai 1963 habe sie ein Schätzgutachten beim gerichtlich beeideten Sachverständigen Franz Balke in Auftrag gegeben – »liegt im Finanzministerium begraben« –, das den Wert des Bildes auf mehr als 1 Million Schilling bezifferte. Sie ersuchte Thalhammer, sich dieses Gutachten anzusehen, und fügte hinzu: »Mein Kriegsschaden – das eingestürzte Haus – war mehr als 300.000 S! Und nichts bekam ich ersetzt.«92

88 OeStA/AdR, FLD 22896, Friederike Reininghaus, S. 14–15. 89 Laut Honorarnote vom 31.5.1963 hatte sie einige Blasen und Absplitterungen gefestigt, Fehlstellen gekittet und die Oberfläche an den Originalfirnis angeglichen, wofür sie 300 Schilling in Rechnung stellte. Vgl. BDA-Archiv, PM Reininghaus Friederike, S. 29–30. 90 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, PM Reininghaus Friederike, S. 18–19. 91 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, PM Reininghaus Friederike, S. 10. 92 OeStA/AdR, BMfU/Kunstangelegenheiten, SM 331, Reininghaus an Thalhammer, 9.9.1965.

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272   Susanne Hehenberger Balkes Gutachten schrieb das Gemälde Sebastiano Mainardi zu und schätze den Wert auf 1,2 Millionen Schilling. Dies begründete Balke mit kürzlich erzielten hohen Auktionspreisen: Ich habe keinen Zweifel, dass wenn heute ein so bedeutendes, sehr gut erhaltenes, thematisch ansprechendes und farbig decoratives Bild der italienischen Frührenaissance, dessen Meister eindeutig feststeht, an richtiger Stelle zur Versteigerung angeboten wuerde, bedeutende Galerien und Privatsammlungen aller Laender, einschließlich der amerikanischen, sich für der Erwerbung interessieren wuerden und auch bereit waeren, einen hohen Preis zu zahlen, der unter Umstaenden den Betrag meiner Schaetzung noch erheblich uebersteigen koennte.93

Erwin Thalhammer antwortete Friederike Reininghaus, dass Balkes Gutachten an ihn weitergegeben wurde, mit diesem jedoch auch eine Note des Finanzministeriums, in der auf einen Aktenvermerk des Amtsgerichtes Hietzing vom 5. April 1941 hingewiesen wurde, demzufolge sie nach der Übernahme der Liegenschaft Hügelgasse in ihr Alleineigentum auf alle anderen Aktiva und Passiva aus der Verlassenschaft verzichtet habe, damit auch auf alle Ansprüche aus dem Verkauf des Bildes.94 Am 3. März 1969 äußerte sich die Finanzprokuratur abschließend zur Forderung von Friederike Reininghaus: Wegen drückender Verbindlichkeiten des Nachlasses waren die erbserklärten Erben, darunter auch die nunmehrige Einschreiterin Friederike Reininghaus, bemüht, das gegenständliche Bild zu verkaufen. […] Schon aus der Tatsache heraus, daß der Abverkauf des gegenständlichen Gemäldes ausschließlich zur Deckung drückender Nachlaßverbindlichkeiten erfolgte, kann von einer im Zusammenhang mit der NSMachtübernahme erfolgten Entziehung, die eine Billigkeitszahlung möglicherweise als vertretbar erscheinen ließe, nicht gesprochen werden. Aus dem Inhalt des Verlassenschaftsaktes muß nämlich der Schluß gezogen werden, daß nicht nur keine ungesetzlichen Druckmittel zum Abverkauf des gegenständlichen Gemäldes geführt haben, vielmehr die nunmehrige Einschreiterin bei dem Verkauf des Bildes eine besondere Aktivität entfaltet hat. [...] Die Prokuratur ist daher der Auffassung, daß ein Rechtsanspruch der Einschreiterin auf Leistung eines Wertausgleiches mangels jeder gesetzlichen Grundlage in keiner Weise begründet ist.95

93 OeStA/AdR, BMfU/Kunstangelegenheiten, SM 331, Gutachten, 8.5.1963. 94 OeStA/AdR, BMfU/Kunstangelegenheiten, SM 331, Thalhammer an Reininghaus, 11.10.1965. 95 OeStA/AdR, BMfU/Kunstangelegenheiten, SM 331, Äußerung der Finanzprokuratur, 3.3.1969.

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Ludwig Mayer und die historische Dislozierung der sieben Teile eines Deckengemäldes nach Wien, Israel und in die Verschollenheit Katinka Gratzer-Baumgärtner

Seit 1987 befinden sich im Bestand der Österreichischen Galerie Belvedere (ÖG)1 vier Teile des 1867 entstandenen siebenteiligen Deckenensembles mit dem Thema Allegorien der Künste des deutschen Künstlers Eduard Grützner (1846–1925).2 Neben den Inventarnummern von Kunsthistorischem Museum (KHM) und ÖG sind rückseitig Etiketten der Firma C. Gruner Nachf. in Konstanz mit dem handschriftlichen Vermerk über die Einlagerung für »Meyer« am »19.V.1936«, der Firma J. G. Devant, Möbeltransport Baden-Baden mit den Vermerken »Lg-Nr. 338, Name: Finanzamt=Mannheim« sowie Etiketten mit der Aufschrift »Expreßgut von BadenOos« mit Stempel vom 7. Mai 1943 angebracht. Des Weiteren gibt es eine sogenannte Linzer Nummer, Kremsmünster-Nummern, Nummern mit dem Präfix »W«3 sowie den Hinweis auf einen möglichen Voreigentümer »Kohn Hirtenstraße 15/III«.4 Die Authentifizierung des Eigentümers gestaltete sich wegen der in den Quellen differierenden Schreibweise des Nachnamens schwierig, so wie sich die aufgefundenen Hinweise auf die geografischen Bezugspunkte Konstanz und Mannheim zunächst als Sackgasse entpuppten, obwohl sie auf den rückseitig der Gemäldeteile inkohärent angebrachten Etikettierungen aufscheinen.

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IN 7986–7989. Eduard Grützner entwarf das Gemälde für seinen Bekannten, den Architekten Reinhold Hirschberg (1821–1876) in München: »Er hatte sich ein Haus gekauft und wollte von mir in einem halbrunden größeren Saale Deckengemälde. Der erste Auftrag und zugleich die Aussicht, etwas von meinen Schulden abtragen zu können. […] Ich entwarf für ihn die sieben Künste, Kindergruppen, welche, auf Leinwand gemalt, in die verschieden gestalteten Felder der Decke eingelassen werden sollten.« Hugo SCHMIDT (Hg.), Eduard von Grützner. Eine Selbstbiographie, München 1922, S. 123, S. 128. Das Präfix W (= Werkstätten) kommt erwiesenermaßen im Zusammenhang mit dem BDA und dessen Abteilung für Restaurierung und Konservierung vor. Dank an Lisa Frank und Anneliese Schallmeiner, Büro der Kommission für Provenienzforschung. Die Einsicht in den Aufzeichnungen des BDA bestätigte, dass Eigentümer und Adresse auch zum Zeitpunkt der Aufnahme dort im März 1957 als unbekannt galten. Dass das W für den CCP Wiesbaden steht, konnte nicht bestätigt werden. Abgesehen von der Rahmenbeschriftung auf der Rückseite der IN 7986 gibt es keinen Beleg zu diesem.

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Ludwig Mayer und die historische Dislozierung der sieben Teile eines Deckengemäldes   277

Pfalz stellte sich erst nach mehr als zwei Jahren Recherche und rund 40 Anfragen an Archive und relevante Institutionen durch die Zusendung aufschlussreicher Archivalien aus dem Hauptstaatsarchiv Hessen in Wiesbaden ein.6 Darunter war ein Schreiben von S. Lane Faison von der Property Division München an Saul Kagan von der Jewish Restitution Successor Organization (JRSO) in Nürnberg vom 18. Mai 1951, in dem es heißt: »We wrote the Einwohnermeldeamt in Mannheim and received the information (20.4.51) that a Ludwig (Israel) Mayer, born 20.9.58 in Niederhochstadt, married Rosa Mayer (nee Vollmer) 18.2.72 in Hagenbach, was registered on 4.7.39 for Mannheim, Tullastrasse 12, and on 20.11.39 for 13.6.20 [Adresse im Mannheimer Stadtzentrum, Ergänzung der Verfasserin] Israel. Altersheim. On 22.10.40 he was evacuated to France.«7 Der weitere Weg zur Rekonstruktion der komplexen Geschichte war somit bereitet.8 Mit Beschluss vom 20. November 2009 wurden die Teile des Deckengemäldes zur Rückgabe an die Erben nach Ludwig Mayer empfohlen,9 bislang allerdings physisch noch nicht ausgefolgt. Die jüdische Familie Mayer gehörte 1936 zu den letzten in Niederhochstadt lebenden 24 jüdischen Personen, die aus rassistischen Gründen den Repressionen des NSRegimes ausgesetzt waren. Die intensivierten Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung mündeten in die Zwangsumsiedlung der verfolgten Familie von Niederhochstadt nach Mannheim und die Einquartierung von Ludwig und Rosa Mayer in der jüdischen Sammelwohnung in der Tullastraße 12 am 4. Juli 1939.10 Ihr Anwesen in der Hauptstraße 41 in Niederhochstadt wurde arisiert und daraufhin von der Bayerischen Bauernsiedlung GmbH11 in München an Jakob Dörr veräußert.12 Etwa drei Monate 6

Vgl. HSTHe. Es wurden Scans von Rückerstattungsverfahren (Abt. 519/A–Wsb 26381 J) und Wiedergutmachungskammer beim Landgericht Frankfurt (Abt. Z 460–WIK 359 J) zur Verfügung gestellt. 7 HSTHe, Abt. Z 460–WIK 359 J, Rückerstattungsverfahren. 8 Drei Mitarbeiter_innen der Kommission für Provenienzforschung waren an der Entstehung des Dossiers beteiligt: Thomas Geldmacher machte mit einer aus dem Jahr 2006 überlieferten Anfrage an das Stadtarchiv Konstanz den Anfang. Die Verfasserin selbst übernahm die Geduldsübung Mitte 2007 und wurde durch die Expertise ihrer Kollegin Monika Mayer erheblich unterstützt. 9 Vgl. http://www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Mayer_Ludwig_2009-11-20.pdf (29.12.2017). 10 Vgl. Auskünfte Stadtarchiv Mannheim und Verbandsgemeindeverwaltung Offenbach. 11 Die Organisation hieß ab 1935 Bayerische Bauernsiedlung GmbH, ihre Aktivitäten konzentrierten sich auf die Schaffung neuer Bauernhöfe und die Errichtung von Wohn- und Wirtschaftsheimstätten. Die GmbH war als Mittlerin für die Arisierung jüdischen Grundeigentums in Bayern und im Saarland im Auftrag des Deutschen Reichs zuständig. Siehe dazu u. a.: Tobias WINSTEL, Verhandelte Gerechtigkeit. Rückerstattung und Entschädigung für jüdische NS-Opfer in Bayern und Westdeutschland, München 2006, S. 205. 12 Vgl. LABW/GLA Karlsruhe, GLA 480 EK Nr. 7686, Gendarmerie-Station Maikammer an Landesamt

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278   Katinka Gratzer-Baumgärtner später ereilte den Sohn der beiden, Albert Willibald Mayer (1898–1942), und seine Frau Margarete (née Baer 1908–1942) sowie ihren 1935 geborenen Sohn Bernhard Mayer ein ähnliches Schicksal.13 Nachdem sie 1938 in Landau/Pfalz zur Aufgabe ihres Getreidegeschäfts und ihrer Wohnung und somit zur Verschleuderung eines Großteils der Einrichtung gezwungen worden waren, wurde anlässlich der Deportation der Familie aus Mannheim das restliche Eigentum beschlagnahmt und versteigert.14 Am 22. Oktober1940 wurden Ludwig Mayer, seine Frau Rosa und deren Sohn Albert Willibald in das Internierungslager Gurs in Frankreich deportiert,15 Ludwig und Rosa vier Monate danach von dort aus in das Internierungslager Noé (Haute Garonne) verlegt, wo Ludwig Mayer am 10. April 1941 ums Leben kam.16 Albert Willibalds und Margaretes Deportation erfolgte am 26. August 1942 aus dem französischen Lager Rivesaltes nach Osten, wo beide bald darauf in Auschwitz ermordet wurden.17 Rosa Mayer überlebte und kümmerte sich um ihren Enkel Bernhard. Offenbar war ihnen die Flucht nach Tarbes in Frankreich gelungen, wo Rosa am 20. Juli 1946 verstarb.18 Zu diesem Zeitpunkt war der Vollwaise Bernhard elf Jahre alt und musste sich nun gänzlich auf sich selbst gestellt im Oktober 1946 als »Staatenloser« über Paris und Cherbourg in die USA zu seinem Onkel Karl Baer durchschlagen.19 Die lange Reise der Gemälde lässt sich – wenn auch nicht lückenlos – an Hand der überlieferten Dokumente ab 1936 nachzeichnen: Mitte Mai dieses Jahres war das sie-

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für die Wiedergutmachung Karlsruhe, 8.8.1963. Dörr musste aufgrund eines nach dem Krieg durchgeführten Restitutionsverfahrens das Anwesen erneut erwerben. Bernhard [auch Bernd, Bernard] Mayer wurde am 12.12.1935 in Landau in der Pfalz geboren. Vgl. LABW/GLA Karlsruhe, 276-1 Nr. 1237, ZAA 325699, Dr. Janson an Oberfinanzdirektion Karlsruhe, Schlichter für die Wiedergutmachung, 26.8.1964. Es sind keine Vermögensanmeldungen von Ludwig und Rosa bzw. deren Sohn Albert Willibald Mayer überliefert. Vgl. Auskunft Stadtarchiv Mannheim; Onlineversion Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, http://www.bundesarchiv. de/gedenkbuch/ (2.1.2018). Beschriftung des Mannheimer Mahnmals in den Planken vor P 2, siehe dazu: https://www.mannheim.de/de/tourismus-entdecken/stadtgeschichte/mahnmal/namensverzeichnis (2.1.2018). Am 22.10.1940 wurden 6.538 deutsche Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland im Zuge der sogenannten Bürckel-Wagner-Aktion nach Gurs deportiert. Dazu gehörten auch die letzten elf jüdischen Einwohner aus Niederhochstadt. Siehe dazu: Alemannia-Judaica, Niederhochstadt mit Oberhochstadt, http://www.alemannia-judaica.de/niederhochstadt_synagoge.htm (22.2.2018). Beide wurden zum 8.5.1945 für tot erklärt. Vgl. LABW/GLA Karlsruhe, 276, BRM 1237, ZAA 325699. Vgl. Auskunft Stadtarchiv Mannheim. Zu den in Absprache mit der Vichy-Regierung in den Osten verschleppten Juden siehe auch: Roland PAUL, Dem Vergessen entgegenwirken. Die Deportation der pfälzischen Juden nach Gurs, http://www.christen-und-juden.de/html/gurs.htm (2.1.2018). Information auch aus LABW/GLA Karlsruhe, GLA 480 EK Nr. 7686. Vgl. Auskunft Stadtarchiv Mannheim. Die Schiffsreise dauerte vom 22. bis zum 29.10. Vgl. Passagierliste in die Vereinigten Staaten, Nr. 8. Dank an Sabine Loitfellner, IKG Wien, die Scans zur Verfügung stellte.

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Ludwig Mayer und die historische Dislozierung der sieben Teile eines Deckengemäldes  279

benteilige Deckengemälde Eduard Grützners aus dem Eigentum Ludwig Mayers aus Niederhochstadt bei der Transportfirma C. Gruner Nachf. Konstanz a. B. eingelagert worden. Noch Ende 1942 wandte sich das Finanzamt Mannheim betreffs »Jüdisches und reichsfeindliches Vermögen« mit der Mitteilung an Hans Posse vom Sonderauftrag Linz, dass »[…] zur Versorgung der fliegergeschädigten Mannheimer Bevölkerung Umzugsgut jüdischer Emigranten freigegeben«20 werde. Das Kunst- und Versteigerungshaus Kaiserhof in Baden-Baden21 bot dem ebenfalls für den Sonderauftrag Linz tätigen Hermann Voss Anfang Mai 1943 Grützners Deckengemälde zur Erwerbung an: »Auf Anregung des Herrn Direktor Dr. Martin, Karlsruhe biete ich Ihnen das in jedem Lexikon22 genannte Deckengemälde ›Venus und die Musen‹ von Eduard Grützner an. Das Werk besteht aus 7 Bildern, ›Venus‹, oval in der Mitte, umgeben von den Musen in 6 Bildern, alle 7 Bilder sind gesondert gerahmt. […] Das Bild gehört dem Finanzamt, das mich mit dem Verkauf beauftragt hat.«23 Nach Voss’ Auftragserteilung bestätigte der als Registrar der Kunstgüter für den Sonderauftrag Linz im Führerbau in München eingesetzte Architekt Hans Reger Ende Juni des Jahres 1943 den Erhalt des »aus Judenbesitz« stammenden Grützner-Deckengemäldes vom Finanzamt Mannheim.24 Einen Monat vor Jahresende fand Ludwig Mayer25 Erwähnung als ehemaliger Eigentümer in einem Schreiben des Reichsministers für Finanzen an den Leiter der Partei-Kanzlei München, aus dem sich auch der monetäre Wert des Ensembles er20 BAK, B323, Zl. 119, fol. 109, Nr. 468, Finanzamt Mannheim an Sonderauftrag Linz, 2.12.1942. 21 Vgl. Etikett »Expressgut Baden« auf der Bildrückseite (IN 7989) mit der Angabe 7.5.1943. Wie die Gemälde dahin kamen, ist nicht geklärt. 22 Friedrich von BOETTICHER, Malerwerke des 19. Jhdts., Dresden 1891, S. 423; Fritz von OSTINI, Grützner (= Knackfuß-Künstlermonographien 58), Bielefeld-Leipzig 1902, S. 17; siehe auch Anm. 2. Spätere Publikationen: Laszlo BALOGH, Eduard von Grützner 1846–1925. Monographie und kritisches Verzeichnis seiner Ölgemälde, Ölstudien und Ölskizzen, Mainburg 1991, W. 704–710, Allegorische Darstellungen, angegebene Provenienz: Galerie Heinemann, München (die Online-Recherche in der Datenbank der Galerie verlief negativ: http://heinemann.gnm.de [14.3.2018]); Birgit SCHWARZ, Hitlers Museum. Die Fotoalben Gemäldegalerie Linz: Dokumente zum »Führermuseum«, Wien-KölnWeimar 2004, S. 66. 23 BAK, B323, Zl. 137, fol. 3, Nr. 14, Schreiben gezeichnet Köhler an Dr. Hermann Voss, 5.5.1943. 24 Vgl. BAK, B323, Zl. 159, zitiert nach SCHWARZ 2004, S. 66, Anm. 363. Die Erwerbung fand realiter erst 1944 statt. Vgl. HSTHe, Abt. Z 460–WIK 359 J, Rückerstattungsverfahren, S. Lane Faison, Property Division München, an Saul Kagan, JRSO Nürnberg, 18.5.1951, Referenzberufung auf Linz Film XXVIIa/99/535; BAK, B323, Zl. 542, List of objects transferred from Munich CCP to Wiesbaden CCP, Jewish identified property, 31.8.1949. Nach der Auflistung der München- und Aussee-Nummern und der Bildbeschreibung heißt es: »History Finanzamt Mannheim-Stadt bought it 16.3.44«. 25 Vgl. Eigentümerhinweis Property-Cards CCP-München: »Presumed Owner: Ludwig Israel Meyer Mannheim«, Deutsches Historisches Museum, Datenbank zum Central Collecting Point München, vgl. http:// www.dhm.de/datenbank/ccp/dhm_ccp, Suche nach Datensätzen zur Linz-Nummer 2938 (2.1.2018).

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280   Katinka Gratzer-Baumgärtner schließt: »Deckengemälde von Eduard Grützner aus dem Vermögen des Ludwig Israel Meyer, früher Mannheim. […] Der Wert des Gemäldes ist von dem Leiter der freien Akademie Mannheim auf 50 000 RM geschätzt worden. Ich bitte, diesen Betrag zuzüglich der entstandenen Kosten von 1 954,10 RM an die Finanzkasse des Finanzamts Mannheim-Stadt zu überweisen«.26 Auf einer nicht näher bezeichneten und undatierten Liste im Archiv des Bundesdenkmalamtes scheinen alle sieben Elemente des Deckenensembles auf, versehen mit den Kremsmünster-Nummern 1802 bis 1802f und der dazugehörigen Linz-Nummer 2938.27 Die für den Sonderauftrag Linz bestimmten Elemente der Allegorien der Künste waren zu Bergungszwecken zusammen nach Kremsmünster verbracht worden, bevor die vier Teile des Deckengemäldes28 im heutigen Bestand der ÖG am 13. März 1944 von dort in ein Bergungsdepot des Instituts für Denkmalpflege in Thürntal29 transportiert und deponiert wurden.30 Die drei anderen Teile mit den Nummern K 1802 C, K 1802 D und K 1802 E gelangten am 20. Oktober 1945 im CCP München zur Übernahme, Property Cards wurden dafür angelegt. Auf diesen scheinen neben den Kremsmünster-Nummern auch Aussee-Nummern auf: 6288, 6289 und 6330. Die ebenda vermerkten München-Nummern lauten 11074, 11075 und 11116, die Linz-Nummer 2938a.31 Die Bildteile wurden am 31. August 1949 aus München in den CCP Wiesbaden verbracht.32 Im Schreiben von S. Lane Faison an Saul Kagan vom 18. Mai 1951 bestätigten sich die Aufenthaltsorte der sieben Teile des Grützner’schen Gemäldes zu jener Zeit, drei Teile waren im CCP Wiesbaden, vier Teile in Verwahrung des BDA in Wien.33 Des Weiteren wurde festgestellt, dass 26 30.11.1943, vgl. BAK, B323, Zl. 119, fol. 109, Nr. 464 und 465. 27 Es handelt sich wohl um eine detaillierte Liste jener Werke, die zur Bergung nach Kremsmünster verbracht worden waren. Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 13/4, Depot Kremsmünster (Bes. Kunstmuseum Linz), M. 14. Die Linz-Nummer 2938 wurde für das gesamte Deckengemälde vergeben. Auf den Property-Cards ist die Nummer mit dem Suffix a versehen. Zum Bergungsort Kremsmünster siehe: Birgit KIRCHMAYR, Reichskunstdepot Kremsmünster, in: Lexikon der österreichischen Provenienzforschung (LÖPf ), Wien 2018. 28 Nur drei der Kremsmünster-Nummern 1802, 1802a und 1802b befinden sich auf der Liste. 29 Zum Bergungsdepot Thürntal bei Fels am Wagram siehe: Anneliese SCHALLMEINER, Schloss Thürnthal, in: LÖPf, Wien 2018. 30 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 13/1, M. 10, Zl. 5157/62 und Schloss Thürntal 1944/45, Kt. 3, M. 2b, Auszug aus der List of the large-sized paintings transferred from Kremsmünster to the repository Thürntal und Übernahmsliste der großformatigen Bilder aus Kremsmünster (KM Linz) in das Bergungsdepot Thürntal. Das handschriftliche Kürzel NB bedeutet Neue Burg. 31 Vgl. http://www.dhm.de/datenbank/ccp/dhm_ccp, Suche nach Datensätzen zur Linz-Nummer 2938 (3.1.2018). 32 Vgl. BAK, B323, Zl. 542, List of objects transferred from Munich CCP to Wiesbaden CCP, Jewish identified property, 31.8.1949. 33 Überstellungsdatum: 4.7.1951. Vgl. HSTHe, Abt. Z 460–WIK 359 J, Rückerstattungsverfahren, S. Lane

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Ludwig Mayer und die historische Dislozierung der sieben Teile eines Deckengemäldes   281

die Property Division Ludwig Mayer als ursprünglichen Eigentümer ermitteln konnte, ohne ihn selbst bzw. seine Erben ausfindig gemacht zu haben. Die Zusammenführung der sieben Einzelteile des Ensembles und dessen Übertragung an die 1948 von den amerikanischen Behörden eingerichtete JRSO wurden vorgeschlagen. Diese Institution würde sich um das ehemals jüdische, aber nunmehr erblose Vermögen kümmern: »[…] that the seven paintings should be brought together and turned over to your organization as property identified as Jewish, but the owner not to be found«.34 Dabei hatte Karl Baer, der Bruder Margarete Mayers und gesetzliche Vormund des damals minderjährigen Bernhard Mayer, mit dem er seit 1946 in den USA (St. Louis, Missouri) im Exil lebte, am 20. März 1950 Ansprüche nach dem Entschädigungsgesetz bei der Landesbezirksstelle für Wiedergutmachung in Karlsruhe angemeldet.35 Diese waren jedoch offenbar nicht explizit mit dem Deckengemälde in Verbindung zu bringen gewesen. Die Überstellung der drei Teile K 1802 C, D und E erfolgte knapp zwei Monate nach der Eigentümerfeststellung vom CCP Wiesbaden an die JRSO in Nürnberg.36 Zwischen der JRSO und der Treuhandverwaltung von Kulturgut in München wurde im Jänner 1954 in Sachen Rückerstattungsanspruch »für Ludwig Meyer, früher Mannheim« korrespondiert. Die Agenda beschäftigte sich mit den drei Bildteilen jenes Deckengemäldes, die 1949 an den CCP Wiesbaden geschickt worden waren. Am 17. Februar 1954 erging ein rechtskräftiger Gerichtsbeschluss der 3. Wiedergutmachungskammer des Landgerichts Frankfurt/Main in der Rückerstattungssache der drei Teilstücke des Grützner’schen Gesamtensembles, in dem deren Verkehrswert auf 1.000,- DM taxiert, und die Herausgabe derselben an die JRSO gefordert wurde.37 Daraufhin teilte diese der Treuhandverwaltung mit, dass sie »nun einen Beschluss des Landgerichts Frankfurt-Hoechst, Wiedergutmachungskammer in Haenden [habe], wonach uns die 3 Gruetzner-Bilder – frueher dem Kaufmann Ludwig Mayer gehoerig, – zustehen«.38 Für die beim BDA verwahrten Teile kam es zu keinem Rückstellungs-

Faison, Property Division München, an Saul Kagan, JRSO Nürnberg, 18.5.1951. 34 S. Lane Faison verweist am 18.5.1951 (wie Anm. 33) auf ein diesbezügliches Schreiben an Dr. Otto Demus im BDA vom 21.3.1951, dem eine Auflistung der sich nach dem Kriegsende in Thürntal befindlichen Werke beilag. Der Eingang dieses Schreibens ist im Archiv des BDA nicht nachweisbar. 35 Vgl. LABW/GLA Karlsruhe, GLA 480 EK Nr. 7686. 36 Am 4.7.1951, vgl. BAK, B323, Zl. 384, fol. 216, Property-Cards. 37 Vgl. HSTHe, Abt. 519/A–Wsb 26381 J, Wiedergutmachungskammer beim Landgericht Frankfurt/ Main, Gerichtsbeschluss des Landesgerichts Frankfurt/Main, 3. Wiedergutmachungskammer. 38 BAK, B323, Zl. 384, Korrespondenz zw. JRSO und Treuhandverwaltung von Kulturgut München, 19.2.1954.

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282   Katinka Gratzer-Baumgärtner verfahren, da die Behörden sich nicht um die Auffindung des eigentlichen Eigentümers bemühten.39 Bernhard Mayer akklamierte ab 1958 die Rückerstattung von mehreren Vermögenswerten beim Verwaltungsamt für innere Restitution in München über das Legal Aid Department der JRSO, Frankfurt/Main, als seine Vertreterin, sowie an die Schlichter für Wiedergutmachung in Mannheim mit unterschiedlichem Erfolg.40 Neben Finanzanlagen und Schmuck ging es um die »Wohnungseinrichtung Mannheim B 6. 20.« seiner Großeltern und um die seiner Eltern in Landau. In der Ende 1961 verfassten eidesstattlichen Erklärung von Bernhard Mayers Tante, Emmy Baer, findet das Deckengemälde trotz Verweis auf die Hochwertigkeit der gesamten Ausstattung keine Erwähnung.41 Schadenersatzsummen unterschiedlicher Höhe wurden dem Antragsteller bis 1964 zugesprochen. Das BDA erwähnte das Deckengemälde Grützners im Zusammenhang mit weiteren Kunstgegenständen mit Bestimmung für den Sonderauftrag Linz in einem Schreiben an das Bundesministerium für Finanzen im Sommer 1962: Die Gemälde von […] Grützner […] tragen keine Linzer Inventarnummern [sic], sondern sogen. ›K-Nummern‹, aus denen geschlossen werden kann, dass diese Bilder für das Linzer Kunstmuseum bestimmt gewesen sind. Die Bezeichnung ›K‹ bedeutet ›Kremsmünster‹, wie aus alten Verzeichnissen entnommen werden kann. […] In einer ha. erliegenden Liste des szt. Transportes Kremsmünster – Thürnthal vom 16 III.1944 werden die Gemälde als Bestände des Linzer Kunstmuseums bezeichnet. Auch sind diese Bilder in einer dem BDA durch das B. M. f. A. A. zugegangenen Aufstellung über Einkäufe des Sonderauftrages Linz enthalten.42

Auf der Liste der für das Linzer Kunstmuseum bestimmt gewesenen Kunstgegenstände deutscher Herkunft scheinen nur jene vier Teile des Gesamtkunstwerkes auf, die sich in Verwahrung des BDA befanden; der ehemalige Eigentümer ist als »Ludwig Mayer, Konstanz« [sic] ausgewiesen. Die veranschlagte Wertbemessung beläuft sich auf 15.000,- S.43 Nach einem Bericht der Gendarmeriestation Maikammer hätten die 39 Die Information über die Eigentümer wurde vom CCP nicht an das BDA weitergeleitet. 40 Vgl. BADV, ZAA 329441, und LABW/GLA Karlsruhe, 276-1 Nr. 1392, 480 EK Nr. 7686, EK 29150, Akten des Verwaltungsamtes für Innere Restitution München. 41 Vgl. LABW/GLA Karlsruhe, GLA 480 EK Nr. 7686, Affidavit von Emmy Baer, 26.12.1961, das mit 1.7.1965 ablief; LABW/GLA Karlsruhe, 276-1 Nr. 1392, ZAA 329 441. Bestätigung Albert Mayers 25.4.1962. Es finden sich Hinweise auf eine »Verschleuderung« der exquisiten Hauseinrichtung. 42 BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 13/1, M. 10, Zl. 5157/62, BDA an BMF am 3.7.1962. Es wurde eine Linz-Nummer vergeben: 2938 bzw. 2938a. 43 Vgl. BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Kt. 13, M. 3, Zl. 6376/62, Auszug aus der Liste der für das Linzer Kunstmuseum bestimmten Kunstgegenstände deutscher Herkunft.

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Ludwig Mayer und die historische Dislozierung der sieben Teile eines Deckengemäldes   283

Erblasser_innen Ludwig und Rosa Mayer vor ihrem Wegzug nach Mannheim ihre gesamte Wohnungseinrichtung freihändig verkauft.44 Dem widerspricht die Berichterstattung der Kriminalpolizei Mannheim, in dem die Zwangsunterbringung der Familie Mayer in der genannten jüdischen Sammelwohnung in Mannheim wie folgt ausgeführt wurde: »Das Haus B 6, 20 war jüdisches Eigentum und in ihm wurden alle zur Deportation heranstehenden jüdischen Familien gesammelt. […] Wie in anderen ähnlich gelagerten Fällen festgestellt wurde, haben die jüdischen Familien, die in derartigen Auffanghäusern untergebracht wurden, lediglich das notdürftigste Gepäck, aber keinerlei Möbel und Hausrat mitbringen können.«45 Das KHM übernahm 1965 die vier Teilobjekte des Grützner’schen Deckengemäldes aus dem ehemaligen Bestand des »Linzer Kunstmuseums« in sein Inventar.46 In der Beantwortung einer Anfrage des KHM zur Provenienz der für den Sonderauftrag Linz erworbenen Kunstwerke wurde betreffend das Deckengemälde von Grützner im Jahr 1983 neuerlich festgestellt: »Die 4 Deckengemälde stammen aus einer Sammlung Ludwig Mayer, Konstanz [sic]. Die Bilder trugen szt. einen Vermerk auf der Rückseite ›Staatspolizeileitstelle Karlsruhe‹; daraus kann man schließen, daß es sich in diesem Fall um szt. entzogenes Vermögen handelt, dessen Rückstellung bis heute niemand begehrt hat.«47 1987 erfolgte die Übergabe der vier Teile des Grützner’schen Deckenensembles durch das KHM an die ÖG.48 Das Ensemble war demzufolge in zwei Kontingente geteilt worden: Vier Teile gelangten über die Bergungen in Kremsmünster und Thürntal in die Verwahrung des BDA und weiter über das KHM 1987 in die ÖG; die drei weiteren Teile wurden 1945 in den CCP München, 1949 in den CCP Wiesbaden verbracht und 1951 an die JRSO in Nürnberg übergeben. Bereits zum damaligen Zeitpunkt verliefen eine Zusammenführung der Gemäldeteile und die Erbensuche erfolglos.49 44 Vgl. LABW/GLA Karlsruhe, GLA 480 EK Nr. 7686, ZAA 329 441. 45 Vgl. LABW/GLA Karlsruhe, GLA 480 EK Nr. 7686, ZAA 329 441, Bericht der Kriminalpolizei Mannheim, 19.3.1963. 46 Vgl. KHM Archiv, Zl. 9/VI/Gal/1963, Übernahme von Bildern, die für das von Hitler geplante »Führermuseum Linz« bestimmt waren; KHM IN 9582–9585; Belvedere-Archiv, Zl. 466/65, Freigabebescheid BMU, 25.3.1965. 47 Vgl. BDA-Archiv, Zl. 7189/83, BDA an KHM am 15.7.1983. Am 1.10.1936 wurde das Geheime Staatspolizeiamt Karlsruhe mit Sitz in Baden in Staatspolizeileitstelle Karlsruhe umbenannt. Vgl. http:// de.wikipedia.org/wiki/Geheimes_Staatspolizeiamt_Karlsruhe (2.2.2018). 48 Vgl. Belvedere-Archiv, Erwerbungsakt, Zl. 600/87. 49 Vgl. Shlomit STEINBERG, Orphaned Art: Looted Art from the Holocaust in the Israel Museum, Israel Museum, Jerusalem 2008, S. 11–13. Dank für den Hinweis und die Zurverfügungstellung von Scans an Sabine Loitfellner, IKG.

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284   Katinka Gratzer-Baumgärtner Die Allegorie der Skulptur und die Allegorie der Malerei kamen im Juli 1953 ins Bezalel National Museum, dessen Bestände 1965 dem Israel Museum Jerusalem (IMJ), inkorporiert wurden. Nach ihrer Reinigung wurden sie 2008 ebenda in der Schau Orphaned Art: Looted Art from the Holocaust in the Israel Museum gezeigt.50 Der Verbleib des dritten und kleinsten Bildteils ist heute, trotz der wie oben ausgeführt guten archivischen Überlieferung sämtlicher bürokratischen Vorgänge bis in die 1950er Jahre, unbekannt. Die Allegorie der Architektur war von den beiden anderen getrennt transportiert worden, erreichte das alte Museum jedoch ebenfalls. Es ist nicht (mehr) im Inventar des IMJ, nachdem 1972 der Verkauf an eine Person mit Namen Bergman erfolgte, bei der es sich vermutlich um einen Kunsthändler handelt.51 Offiziell gehören auch diese drei Teile wieder Bernhard Mayer.52 Dass sich die vier Teile des Deckengemäldes heute noch im Besitz der ÖG befinden, ist nicht zuletzt dem Mangel einer gesetzlichen Verpflichtung bei Kunstrückgabefällen durch den Bund geschuldet, die nicht zwingend finanzielle Unterstützung für den kostenintensiven Transport in die USA zu Bernhard Mayer vorsieht.

50 STEINBERG 2008, S. 22. Die München-Nummern 11116 und 11075 gehören dazu. Siehe auch: IMagine. The Search Engine of The Israel Museum. Jerusalem, World War II Provenance Research Online, http://museum.imj.org.il/imagine/irso/en/showsearch?search=grutzner (5.1.2018). Sie wurden dem Museum als Dauerleihgabe überlassen. 51 Laut Liste A mit Transportware für die Verschiffung befand sich das kleinste Werk mit der MünchenNummer 11074 in der Box XII, die beiden anderen in Box XIII. Vgl. JRSO, Out-Shipment 320, 4.7.1951, www.fold3.com/image/#232024364 (20.6.2012). Dank an Sabine Loitfellner, IKG. Auskunft Shlomit Steinberg, IMJ. Es erreichte den dortigen Aufzeichnungen zufolge das Bezalel Nationalmuseum 1952 und wurde mit der Nr. B52.11.1858 registriert. Dank an Bareket Mann, Registrar IMJ. 52 Sabine Loitfellner machte die Organisation Hashava. The Company for Location and Restitution of Holocaust Victims’ Assets, darauf aufmerksam und stellte den Antrag für Bernhard Mayer.

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Blick auf Wien vom Krapfenwaldl1 aus der Sammlung Hugo Marmorek2 Katinka Gratzer-Baumgärtner

Das Œuvre von Rudolf Matthias Toma (1792–1869) beinhaltet nachweislich mehrere Versionen zum Thema »Blick auf Wien«. Die früheste in der Literatur aufgefundene stammt aus dem Jahr 1824, eine zweite Fassung ist mit 1832 datiert. Die Variante aus dem Bestand des Belvedere datiert auf 1834. Der Kaufmann, Ingenieur und Verwaltungsrat Hugo Marmorek, dessen Familie von den Nationalsozialisten verfolgt wurde, flüchtete mit seiner Tochter Marietta nach dem Tod seiner zweiten Frau Felice im Mai 1938 im Oktober desselben Jahres zunächst nach London und 1941 weiter in die USA, wo er amerikanischer Staatsbürger wurde. Dort änderte er seinen Namen in Hugo Madison bzw. Hovard (Howard) Madison.3 Vor seiner Flucht beantragte Hugo Marmorek am 24. Juni 1938 eine Ausfuhrbewilligung für seine umfangreiche Kunstsammlung, die Werke bedeutender österreichischer und europäischer Künstler beinhaltete, nach New York. Mit Ausnahme von vier Kunstwerken wurde ihm diese erteilt.4 Darunter befand sich neben Gemälden von Ferdinand Georg Waldmüller, Rudolf von Alt und Josef Kriehuber auch ein Werk von Rudolf Matthias Toma unter dem Titel Blick über Wien. Der in Wien 19 ansässige Kunsthändler, beeidete Sachverständige und Schätzmeister Julius Caurairy führte am 27. Juni 1938 die Schätzung der Ölgemälde und Aquarelle aus der Sammlung Hugo Marmorek durch.5 In der Nachtragsbewilligung vom 16. August 1938 hielt die Zentralstelle für Denkmalschutz abermals an einer Sperre der vier Kunstwerke fest, die zu diesem Zeitpunkt bei der Wiener Speditionsfirma Caro & Jellinek eingelagert waren.6 Der weitere Verbleib der während der NS-Zeit eingela1

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Als weitere Titel sind in den Quellen nachweisbar: Blick auf Wien, Blick auf Wien vom Krapfenwaldl, Wien vom Krapfenwaldl, Blick vom Hang des Kahlenberges auf Grinzing und Wien, Blick vom Cobenzl über Wien, Blick von Grinzing auf Wien, Blick auf Wien von Grinzing aus, Blick vom Kobenzl auf Wien, Blick über Wien, Kobenzl, Am Kobenzl. Vgl. Georg GAUGUSCH, Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938, L–R, Wien 2016, S. 2136. Vgl. WStLA, Wiener Melderegister MA 8, List or Manifest of Alien Passengers for The United States of America, Zeile 23. Vgl. BDA, Ausfuhrakten, Zl. 2005/38. Vgl. OeStA/AdR, BMF, VA 32443, Hugo Marmorek. Vgl. BDA, Ausfuhrakten, Zl. 4402/38.

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286   Katinka Gratzer-Baumgärtner gerten Werke konnte bis dato nicht festgestellt werden. Teile des Mobiliars aus der Wohnung der Familie Marmorek in der Schellinggasse 12/IV, Wien 1, wurden vom im selben Haus ansässigen Evangelischen Oberkirchenrat A. u. H. B. Ende 1938 übernommen.7 Laut Verfügung der Staatspolizeileitstelle Wien verfiel das Marmorek’sche Vermögen 1941 zugunsten des Deutschen Reiches.8 Es hatte zudem aus Liegenschaftsanteilen in Österreich, Schmuck und weiteren Aktiva bestanden. Ab 1947 machte Madison Rückstellungsansprüche geltend, die in einem Vergleich hinsichtlich der Liegenschaftsanteile endeten. Außerdem wurde 1948 ein aquarelliertes Portrait des Grafen Khevenhüller des Malers Josef Kriehuber zur Ausfuhr freigegeben. Bis zu seinem Tod Anfang 1953 in Michigan/USA9 bemühte sich Madison um die Ausfuhr des Toma-Werks dorthin, die ihm vom Bundesdenkmalamt mit dem Hinweis auf dessen kunsthistorische und topografische Unverzichtbarkeit für Österreich und insbesondere Wien nicht gestattet wurde. 1948 war das Bild auf Geheiß des Bundesdenkmalamtes zur Ansicht in die Österreichische Galerie (ÖG) gekommen, wo diesem unschätzbare kunsthistorische Relevanz attestiert worden war.10 Verantwortlich dafür zeichnete deren Direktor, Karl Garzarolli-Thurnlackh, der Anfang 1949 auch Kaufinteresse anmeldete, was von Howard Madison vehement abgelehnt wurde.11 Letzterer sprach sich zudem gegen die fotografische Aufnahme des gegenständlichen Werkes aus.12 Zwischenfristig gelangte das Werk 1952 zu dem Industriellen Alfred B. Lohner, Direktor der 1872 gegründeten Actiengesellschaft der Kammgarn- und Baumwollspinnerei zu Theresienthal bei Gmunden, deren Aktionär Marmorek gewesen war.13

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Vgl. Evangelische Kirche in Österreich, Kirchenamt A. B., Registratur, Zl. Präs 3 – 2879/48. Vgl. OeStA/AdR, BMF, VA 32443, Hugo Marmorek. Die Akten der FLD 3434 (Hugo Marmorek) und 7471 (Felice Marmorek) beinhalten zudem Eigentumsübergänge von Liegenschaftsanteilen von Felice Marmorek auf Hugo Marmorek nach deren Tod. Der folgende Staatsbürgerschaftsentzug Marmoreks ist über den Index of Jews whose German Nationality was Annulled by Nazi Regime, 1935–1944 (in German) Record for Hugo Israel Marmorek belegbar. Vgl. The London Gazette, 8.6.1954, S. 3443, https://www.thegazette.co.uk/London/issue/40199/supplement/1 (12.1.2018). Die damals mit dem Transport beauftragte Spedition Kühner & Sohn, die das Werk auch in Verwahrung hatte, notierte neben dem Titel Blick von Grinzing aus über Wien auch Technik, Öl/Holz und Maße, 34 x 43 cm auf dem Ausfolgeschein. Diese Indizien deuten faktisch darauf hin, dass es sich bei dem 1948 vorgelegten Gemälde um die Version aus dem Bestand des Belvedere handelt. Vgl. BDA, Ausfuhrakten, Zl. 214/49. Vgl. BDA, Ausfuhrakten, Zl. 816/49. Vgl. BDA, Ausfuhrakten, Zl. 536/54; OeStA/AdR, BMF, VA 32443, Hugo Marmorek. Lohner meldete 1966 einen Kunst- und Antiquitätenhandel unter seiner Wohnadresse in Wien 1, Freyung 7A, an, der bis 1970 aufrecht blieb. Vgl. Archiv der WKO, Wien, Kammermitgliedsnummer 190462. Dort fand der Blick auf Wien möglicherweise seine neue Eigentümerin.

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288   Katinka Gratzer-Baumgärtner (1871–1948) etwa besaß eine Wienerwaldlandschaft desselben Künstlers.16 Zumindest zwei Gemälde lassen sich mittels fotografischer Darstellungen, drei aufgrund von Unterschieden in der Datierung verifizieren. Es muss nicht zuletzt betont werden, dass die Maßangaben und die Technik des gegenständlichen Bildes im Jahr 1948 mit denen des Werkes von Hugo Marmorek in der historischen Überlieferung übereinstimmen. 2016 wurde das Werk Tomas im Bestand der ÖG nicht zur Rückgabe an die Rechtsnachfolger_innen Hugo Madisons empfohlen,17 da er darüber jedenfalls nach 1945 verfügte und die Identität des Gemäldes auf der Vielzahl von Varianten desselben Sujets nicht eindeutig zuordenbar scheint. Zudem erfolgte die Erwerbung Jahre nach der Rückstellung von einer dritten Person. Eine reelle Entziehung des gegenständlichen Werkes ist nicht nachweisbar, und über dessen Verbleib zwischen Marmoreks Flucht 1938 und den Versuchen, das Bild ab 1948 zurückzubekommen, kann nur spekuliert werden.

16 Vgl. Archiv des Belvedere, Neue Galerie Archiv, 389/2 und 389/3; Nachlass Rudolf Schmidt, Rudolf Matthias Toma. 17 Vgl. Beiratsbeschluss, Marmorek Hugo, 1.4.2016, http://www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Marmorek_Hugo_2016-04-01.pdf (9.2.2018).

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Ein Artefakt der Provenienzforschung Das Fragment eines Gemäldes von Anton Kolig

Alexandra Caruso

Praxis der Kommission für Provenienzforschung ist es, Objekte, unabhängig von ihrem finanziellen Wert, auf ihr Provenienz zu überprüfen. Zu den Rückgabefällen bisher zählten zum Beispiel ein Durchlauferhitzer aus dem Technischen Museum Wien, Vogelbälge aus dem Naturhistorischen Museum oder Kunstgewerbliches, wie etwa Kleiderspitzen. Der gesetzliche Auftrag der Kommission für Provenienzforschung ist auf österreichische Bundesmuseen, Sammlungen und unmittelbares Bundeseigentum beschränkt. Landesmuseen und private Museumseinrichtungen haben sich zum Teil mit ihrer Provenienzforschung freiwillig der Bundesgesetzgebung angeglichen, andere reagieren mittels eigener Landesgesetze oder Länder- und Gemeinderatsbeschlüsse auf potentielle Rückstellungsforderungen. Die Geschichte des Ölbildes von Anton Kolig (1886–1950), die hier kurz angerissen werden soll, ist in mehrerer Hinsicht ungewöhnlich, ja rätselhaft. Zum ersten, weil es sich de facto nur um ein Fragment eines Ölbildes, um den Überrest eines Gemäldes, handelt. Der Leinwandrest wurde jedoch sorgfältig auf Holz kaschiert, wobei weder bekannt ist, wie das Bild in diesen Zustand der Zerstörung versetzt wurde, noch wer sich der Sicherung des Fragments angenommen hatte. Zwar steht der 1887 in Mähren geborene und als Vertreter des sogenannten Nötscher Kreises bekannte Maler Anton Kolig als Autor des Bildes fest, nicht gesichert ist jedoch, um welches seiner Werke es sich tatsächlich handelt. Seit den 1980er Jahren bis zur Übergabe im April 2017 an den in Washington ansässigen, aus Wien stammenden Dr. Gideon Kantor befand sich das Kolig-Fragment magaziniert in einem Depot des Essl-Museums in Klosterneuburg. Zum Befremden ihres Ehemanns Karlheinz Essl – so war es Alice Kantor seinerzeit berichtet worden –, habe Agnes Essl dieses augenscheinlich verstümmelte Kunstwerk 1984 in einer Auktion des Dorotheums um den Preis von 80.000,- ÖS erworben. Immerhin handelte es sich ja um in Werk Anton Koligs.1 Das Essl-Museum in Klosterneuburg besteht heute

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Die Verfasserin war bei der Besichtigung des Fragments durch Alice Kantor im Jahr 2003 anwesend.

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290   Alexandra Caruso nicht mehr. Die von Karlheinz und Agnes Essl in über 50 Jahren zusammengebrachte Sammlung ist als Dauerleihgabe in die Graphische Sammlung Albertina übergegangen.2 Auf das Fragment war Gideon Kantors Schwester, Alice Kantor, durch Anton Koligs Enkel, Cornelius Kolig, aufmerksam gemacht worden. Cornelius Kolig, bildender Künstler wie sein Großvater, zeigte sich ausgesprochen hilfsbereit und interessiert am Schicksal der Sammlung Kantor. Er hielt mit Otmar Rychlik, dem Verfasser des Catalogue Raisonné von Koligs Werken,3 in dieser Angelegenheit Rücksprache. Rychlik äußerte daraufhin die Vermutung, es könne sich bei dem Fragment um das Bild Akte am Feuer aus dem Jahr 1912 handeln, dessen heutiger Standort als ungewiss gilt.4 Es wäre möglich, dass dieses, mit dem erst von Siegfried Kantor und später von Alice Kantor gesuchten Bild Nachtwache, ebenfalls aus 1912, identisch sei.5 Auf einer im Auftrag der nationalsozialistischen Vermögensverkehrsstelle im Juni 1938 erstellten Schätzliste der Sammlung Kantor wird ein Kolig-Bild mit dem Titel Nachtwache (1912, monogrammiert, Öl/Lwd., 126 x 154 cm) angeführt, das in Konsequenz auf den nach dem Krieg aus den USA verbreiteten Suchlisten als Nightwatch bezeichnet wurde. Bis heute besteht keine Gewissheit, dass es sich bei Akte am Feuer und Nightwatch um ein und dasselbe Bild handelt. Ein Bild mit dem Titel Nachtwache wird weder im Werksverzeichnis noch in sonstigen, bisher bekannten Quellen zu Kolig angeführt.6 Semantisch gibt es bei den Bildtiteln Nachtwache und (Männer-)Akte am Feuer gewiss Überschneidungen. Nichts ist davon überliefert, wann und wo Siegfried Kantor, Vater von Alice und Gideon Kantor, sein Kolig-Gemälde erworben hatte. Während der 1920er Jahren sollen die Akte am Feuer im Eigentum des Bauunternehmers Eduard Ast gewesen sein.7 Ast hatte 1923 bei Kolig auch ein Porträt seiner damals schwangeren Tochter Margarete Bernatzik in Auftrag gegeben.8 Margarete Bernatzik starb kurz darauf, bei der Geburt ihrer Tochter.9 Denkbar wäre, dass Ast, der im selben Jahr auch noch seinen 2 3 4 5 6

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https://www.albertina.at/presse/allgemeine-informationen/uebergabe-der-sammlung-essl/ (4.9.2018) Otmar RYCHLIK, Anton Kolig 1886–1950, Das malerische Werk, Wien 2001. RYCHLIK 2001, WVK 38. Schreiben Cornelius Kolig an Alice Kantor, 27.11.2002 (Kopie im Archiv der Verfasserin). Einiges, was das Frühwerk Koligs betrifft, bleibt ungeklärt. Kolig musste seinen Studienaufenthalt in Frankreich zu Beginn des Ersten Weltkriegs abbrechen. An der Mitnahme seiner in Frankreich gemalten Bilder wurde er gehindert. Vgl. dazu RYCHLIK 2001, S. 387. Das Bild befindet sich heute im Belvedere. In der Verlassenschaft von Marie Ast befanden sich einige »Landschaftsbilder« unter anderen von Hohenberger, Jettel, Zülow und Auchentaller. Die 1924 geborene Gerda Maria Ast war ihre Universalerbin. Auszüge Verlassenschaftsakt Marie Ast, verst. 17.6.1944 (Kopie der Auszüge im Archiv der Verfasserin).

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Abb. 1: Übergabe des Kolig-Fragments an Dr. Kantor und dessen Angehörige im April 2011

einzigen Sohn verlor und dessen Unternehmen zusehends in finanzielle Schwierigkeiten geriet, sich von dem Bild Akte am Feuer trennte.10 Dass Ast und Kantor einander begegnet waren, ist durch die Teilnehmerliste der Gründungsversammlung von Hans Tietzes Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst in Wien schriftlich belegt.11 Andererseits führt die vom Kunsthändler Friedrich Welz zusammengestellte und von Kolig au-

Bei Eduard Ast, der 1945 verstarb, fand mangels Nachlassvermögens keine Verlassenschaftsabhandlung statt (Az: 1440/45 Bg: Döbling, Geschäftszahl 22 A 2009/45). 10 Sohn Eduard war bereits im April 1923, 22-jährig, verstorben. 1930 verkaufte Ast seine von Josef Hofmann errichtete Villa in Wien 19, Steinfeldgasse. Sie ging in der Folge an Alma Mahler-Werfel. »Durch finanzielle Schwierigkeiten, die noch aus dem ersten Weltkrieg resultieren, Verlusten bei ungarischen Baustellen und durch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in den späten 20 Jahren wird die Firma Ast & Co. stark in Mitleidenschaft gezogen und es kommt im Jahre 1936 zum Konkurs der Firma in Wien und der Zweigstelle in Innsbruck. Nur die selbständige Hauptniederlassung in Graz besteht weiter.« Kerstin BARNICK-BRAUN, Das Hundert-Jahre-Buch 1898–1998, Graz 1998, S. 34. 11 WStLA, Vereinsarchiv, A 32/203/59629/1161/1923, Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst in Wien, Mitgliederverzeichnis.

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292   Alexandra Caruso torisierte Werksübersicht noch im Jahr 1948 das Bild Akte am Feuer – möglicherweise ungeprüft? – als Eigentum Ast an.12 Auf dem Bildfragment mit einer Größe von 50,5 x 54,1 cm kann man – mit etwas Mühe – einen auf dem Boden sitzenden nach links gewandten männlichen Torso ausmachen. Der schwarz konturierte Körper reicht vom Ansatz des Oberschenkels bis zur Mitte der Oberarme. Man sieht die linke Brust, Schulter und Kopf fehlen. Die Beine imaginiert man nach links sich fortsetzend, ausgestreckt in den nicht mehr erhaltenen Teil des Bilds. Der obere rechte Bildrand wird von den Waden und Füßen eines, von der sitzenden Figur abgewandten, stehenden Mannes eingenommen. Auch dorthin muss sich das Bild wohl fortgesetzt haben.13 Tatsächlich ist die Leinwand oben und an beiden Seiten beschnitten, am linken und am rechten Rand sind Nagelspuren zu erkennen. Das Monogramm »AK« befindet sich am linken unteren Bildrand. In dem gedanklich nach links hin vervollständigten Gemälde wäre dieses dann ungewöhnlich in der Mitte der Bildkante platziert. Allerdings findet man bei Koligs Werken Signatur und Inschriften oft recht willkürlich ins Bild gesetzt. Das Bild ist stark überfirnisst, der Farbauftrag pastos. Es überwiegen Braun- und Grüntöne. An dem rötlichen Farbauftrag auf den abgestützten Armen und dem Abdomen der zentralen Figur meint man tatsächlich den Widerschein eines Feuers zu erkennen, den man bei dem für das Fragment kolportierten Bildtitel Akte am Feuer auch erwarten dürfte. Ein Umstand, auf den auch Rychlik in dem erwähnten Schreiben an Cornelius Kolig hinweist.14 Ab den frühen 1960er Jahren betrieb Alice Kantor auch im Namen ihres Bruders von New York aus die Suche nach der ihren Eltern von den Nationalsozialisten geraubten Kunstsammlung. Die Liste der entwendeten Bilder umfasst rund 55 Ölgemälde sowie zahlreiche, überwiegend moderne Grafiken. Alice und Gideon Kantors Vater, der Rechtsanwalt Siegfried Kantor, war in den frühen 1930er Jahren Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer gewesen. 1934 war er, aufgrund der zunehmend autoritären Verhältnisse und der antisemitischen Grundstimmung in der Kammer aus seinem Amt ausgeschieden.15 Zu den Leidenschaften Kantors gehörte der Ankauf von Bildern, mit denen er die Grinzinger Villa sowie seine Kanzlei ausstattete. Besonders liebte er die 12 RYCHLIK 2001, S. 387. 13 Beinstudien waren um 1912 ein Thema im Werk Koligs. Vgl. dazu RYCHLIK 2001, S. 58–60. 14 »Dr. Rychlik hat mich auf darauf hingewiesen, […] daß es sich bei den deutbaren Bildresten um ›einen Akt wie von einem Feuer beleuchtet‹ handelt […].« Schreiben Cornelius Kolig an Alice Kantor, 27.11.2002 (Kopie im Archiv der Verfasserin). 15 Wiener Rechtsanwaltskammer, Die Geschichte der Kammer, https://www.rakwien.at/?seite=kammer&be reich=geschichte (12.10.2017).

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holländische Malerei des 17. Jahrhunderts und allgemein, die europäische Genre­ malerei des 19. Jahrhunderts, außerdem besaß er eine große Sammlung grafischer Mappenwerke des 19. und 20. Jahrhunderts. Das Wohnzimmer war nach Wunsch seiner Ehefrau Irma hell und modern möbliert und sollte entsprechend auch mit modernen Kunstwerken, vor allem zeitgenössischer österreichischer Maler, dekoriert werden.16 Dort eben hing Koligs Bild, Nachtwache, sowie ein »weiblicher Halbakt« von Robert Philippi (Öl/Lwd., Mon., 180 x 100 cm), Anton Faistauers Mädchenbildnis, Kniestück in Rot, sitzend nach vorn, Kopf nach halblinks, (Öl/Lwd., sign. 1918, 98 x 71 cm) und ein Dorf im Winter von Franz von Zülow (Öl/Lwd., 1932, 53 x 78 cm). Diese detaillierten Angaben entstammen jener Liste, die im Juni 1938 bei einer sogenannten »Hausbeschau« durch einen Kunstexperten im Dienst der nationalsozialistischen Vermögensverkehrsstelle angefertigt worden war.17 Mit der Vertreibung der Kantors aus Österreich, wurde die Sammlung zerschlagen. Nach dem Krieg war es Siegfried Kantor von New York aus gelungen, zwei seiner Gemälde im Wiener Kunsthandel aufzuspüren. Er war genötigt, diese zurückzukaufen. Nach dem Tod des Vaters hatte Zeit vergehen müssen, bis Alice Kantor sich bereit fühlte, sich der Sache mit den Bildern zuzuwenden. Die Rückwärtsgewandtheit ihrer traumatisierten Eltern war über die Jahre eine große Belastung für sie gewesen. Wien hatte sie hinter sich gelassen; das neue Leben in den USA wollte sie genießen. Als Alice Kantor schließlich die Bildersuche ihres Vaters fortsetzte, konzentrierte sie sich, wie jener nach dem Krieg, primär auf Museen, Kunsthandlungen und Auktionshäuser in Österreich – in der Annahme, dass ehemals auf dem heimischen Markt erworbene Werke und vor allem jene österreichischer Künstler auch am ehesten auf dem regionalen Kunstmarkt wieder auftauchen würden. Systematische Erkundungen lagen ihr. Lange hatte Alice Kantor als Rechercheurin für die Medienunternehmen Time Life und CBS gearbeitet. Nun studierte sie die Kataloge des Auktionshauses Dorotheum und sandte Anfragen an die einschlägigen österreichischen Museen.18 16 Siegfried Kantor hatte seinen gesamten Kunsteigentum seiner Ehefrau Irma überschrieben, siehe dazu: OeStA/AdR, BMF, VVSt, VA 18998, Kantor Irma. 17 Die Schätzliste war im Juni 1938 durch den Bibliothekar der Akademie der bildenden Künste, Dr. Otto Reich, erstellt worden. 18 Zu Alice Kantors persönlicher Geschichte und ihren Bemühungen, einzelne Bilder aus der Sammlung ihrer Eltern wieder aufzufinden, siehe auch Alexandra CARUSO, Wien – New York und zurück. Von Arisierung und erschwerter Rückstellung. Ein Gespräch mit Alice Kantor, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN, Leonhard WEIDINGER (Hg.), ... wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission

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294   Alexandra Caruso 1962 spürte sie Gustav Klimts Bleistiftzeichnung, Dame mit Pelzboa, in einem Katalog der Albertina auf.19 Die Zeichnung hatte vor 1938 in der Kanzlei ihres Vaters gehangen. Und obwohl Alice Kantor damals alle Hebel in Bewegung setzte, um das Bild zurückzuerhalten, mussten beinahe 40 Jahre vergehen, bis ihr und ihrem Bruder mit Einsetzen der Provenienzforschung im Rahmen des Kunstrückgabegesetzes ihr Eigentum rückerstattet wurde.20 Diese Rückgabe empfand sie als großen persönlichen Triumph; die Unwilligkeit von Museumsbeamten jenes Gut, das im Zusammenhang mit Vertreibung entzogen wurde, auszuforschen und zurückzugeben und der Zynismus österreichischer Politiker im Umgang mit Vertriebenen hatten sie zeitlebens in Rage versetzt. Um das wiedererlangte Eigentum mit ihrem Bruder teilen zu können, musste sie die Zeichnung verkaufen. In ihrer Wohnung in Manhattan hing von da an eine Kopie der Dame mit Pelzboa, an der sie sich stets erfreute. Als Alice Kantor im Jahr 2003 vom Auktionshaus Dorotheum Hinweise auf die Einbringer des Kolig-Bildes erbat, erhielt sie die Antwort, das Bild sei von einer »jüdischen Familie« zum Verkauf eingebracht worden.21 Dass diese Antwort der Provenienzforschung des Dorotheums aus dem Rechtsbüro kam, erboste sie besonders.22 »Ohne das brieflich zu diskutieren, möchte ich hervorheben, dass ich hoffte, von Ihnen etwas über die Provenienz dieses Fragmentes zu erfahren. Dass das Fragment von einer ›jüdischen Familie‹ verkauft wurde ist an sich nicht sehr aufschlussreich, wenn es nicht zu weiteren Daten führt, die das seltsame Schicksal dieses Bildes weiter erklären«,23 schrieb sie daraufhin dem Auktionshaus. Jeder der einmal den Versuch unternimmt, sich an Details eines Bildes zu erinnern, das sich in der Wohnung befindet, die man am Morgen verlassen hat, wird der Schwierigkeit Gewahr werden, denen Vertriebene ausgesetzt waren, als sie im Zuge der Rückstellungsverfahren möglichst detailliert, jene Bilder beschreiben sollten, die sie ein oder zwei Jahrzehnte zuvor abrupt und unter Androhung von Gewalt hatten zurücklassen müssen. In Bezug auf das von ihr gesuchte Werk hatte Alice Kantor allerdings persönfür Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), Wien 2009, S. 478–496. 19 Zeichnung von Gustav Klimt »Studie einer Dame mit Pelzboa und Hut, sitzend, in ganzer Figur nach links«, Bleistift, blauer Farbstift, weiß gehöht, Albertina Inv. Nr. 29544. 20 http://www.provenienzforschung.gv.at/beiratsbeschluesse/Kantor_Irma_Siegfried_1999-11-22.pdf (9.8.2017). 21 Fax des Rechtsbüros des Dorotheums an Frau Kantor, gezeichnet Felicitas Kunth, 12.12.2003 (Kopie im Archiv der Verfasserin). 22 Außerdem »erkannten« die Mitarbeiterinnen des Auktionshauses auf dem Fragment an Stelle des Torsos mit den abgestützten Armen nur einen Fuß. 23 Schreiben Alice Kantor an Dr. Felicitas Kunth, Dorotheum, 13.1.2004 (Kopie im Archiv der Verfasserin).

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liche Anhaltspunkte. Sie sei ein Teenager gewesen, als die Männerakte, die Koligs Bild dominierten, große Anziehungskraft auf sie ausübten. »Mein Bruder hat sich vor allem unseren Frauenakt von Philippi angesehen«, erinnerte sie sich belustigt. Als sie im Jahr 2003 ohne Weiteres einen Besichtigungstermin in der Sammlung Essl erhielt und schließlich vor dem Fragment stand, schien sie sich sehr sicher zu sein, jenes Bild wiederzuerkennen, das ihren Eltern mehr als 60 Jahre zuvor geraubt worden war. »Ja, das ist unser Bild! Aber was soll ich mit diesem kaputten Rest anfangen?! Das interessiert mich nicht!« Damit schien dieses Kapitel beendet zu sein. Ein Ersuchen um Ausfolgung bei Essl stellte Alice Kantor nicht. Sie verstarb im Jänner 2012 im 91. Lebensjahr in New York. Welches Bild es nun auch immer gewesen sein mag, die Akte am Feuer aus dem ehemaligen Eigentum Ast, die möglicherweise von Kantor gekauft und von ihm, warum auch immer dann als Nachtwache bezeichnet wurden, oder ein anderes Gemälde von Kolig aus der schlechter dokumentierten Frühzeit, eben jene Nachtwache bzw. Nightwatch, die der Forschung bisher unbekannt gewesen ist – offen bleibt, was mit Kantors Gemälde nach der Vertreibung der Familie geschehen bzw. wie das Bild bei Essl in den Zustand der Zerstückelung gelangt war. Im Jahr 1938 hatte Anton Kolig sich bei seinem Galeristen Friedrich Welz besorgt bezüglich einiger seiner Werke geäußert, die sich damals noch in dem zur Überleitung in »arische« Hände nun freiwerdenden »jüdischen« Besitz befanden: »Es gibt noch Bilder in jüdischem Besitz, die ich gerne gerettet wüßte«,24 schrieb er an Welz. Konnte Welz das Bild aus der Sammlung Kantor in »Sicherheit bringen«, so wie es etwa mit einem anderen Kolig-Gemälde, nämlich Sehnsucht aus der Sammlung Dr. Heinrich Rieger, geschehen war? An diesem Werk Sehnsucht war der Galerist Welz – so wie an der Sammlung Rieger überhaupt – allerdings persönlich interessiert gewesen. Nach dem Krieg ging Riegers Sehnsucht von Welz an die ehemaligen Eigentümer zurück.25 Belege dafür, dass Welz die Akte am Feuer sicherte und sie dann an Kolig weiterleitete, gibt

24 SLA, Handschriftensammlung, Signatur HS 926/19, Korrespondenzkarte Anton Kolig an Friedrich Welz, o. D. 25 Dr. Heinrich Rieger verstarb 1942 in Theresienstadt. Seine große, moderne Sammlung wurde während des Nationalsozialismus zerschlagen, der Galerist Welz spielte dabei eine entscheidende Rolle. Nur einzelne Werke, darunter auch das Bild Sehnsucht waren Gegenstand eines Rückstellungsverfahrens. Siehe dazu Michael WLADIKA, Egon Schiele, Kardinal und Nonne (»Liebkosung«), 1912, Dossier »LM Inv. Nr. 455«, S. 32, http://www.kunstkultur.bka.gv.at/Docs/kuku/medienpool/20871/dossier_schiele_kardinal. pdf (12.10.2017), S. 32. Sehnsucht befindet sich heute in der Österreichischen Galerie Belvedere (Inv. Nr. 4456).

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296   Alexandra Caruso es keine, und die Recherchemöglichkeiten scheinen ausgeschöpft.26 All diese Fragen müssen wohl unbeantwortet bleiben. Eine Fortsetzung fand die Geschichte dennoch. Wieder waren Jahre vergangen, als sich im November 2015 das Holocaust Claims Processing Office (HCPO) des New York State Banking Departments an die Kommission für Provenienzforschung mit dem Ersuchen um Hilfestellung bei der Klärung des Sachverhaltes um das Kolig-Fragment in der Sammlung Essl wandte.27 Dr. Gideon Kantor wusste zwar um die Anstrengungen seiner Schwester, das Kolig-Gemälde aufzufinden, sei sich aber der Existenz des Fragments bei Essl nicht bewusst gewesen. Nun, da ihm der Sachverhalt klar geworden war, ersuchte er das HCPO, in dieser Angelegenheit bei den österreichischen Institutionen zu intervenieren. Er wolle das Fragment gerne zurückerlangen. Der Physiker, der für die Food and Drug Administration, die US-amerikanische Lebens- und Arzneimittelbehörde, tätig gewesen war, hat zu Wien, seiner Geburtsstadt, keine eigentliche Beziehung mehr. Frankreich, als erste Station der Flucht seiner Familie, nahm einen größeren Stellenwert in seinem Leben ein. Den Schulaufenthalt in Grenoble habe er genossen, meint er,28 während es eine der stärksten Erinnerungen an die Wiener Zeit war, dass ihm sein Klassenlehrer, als er 1938 von einem Moment zum anderen der Schule verwiesen wurde, nicht mehr gestattete, sich seinen Mantel aus der Garderobe zu holen.29 Später heiratete Gideon Kantor in den USA eine französische Studienkollegin. Zeit seines Lebens stand er mit seiner um vier Jahre älteren Schwester Alice in sehr enger Verbindung. So trat – in Anerkennung und Erinnerung an die letzten Anstrengungen der Schwester, Teile der väterlichen Bildersammlung wieder aufzufinden – das Kolig-Fragment wieder auf den Plan.

26 Ob das Bild vielleicht 1944 bei dem alliierten Bombenangriff auf das Kärntnerische Nötsch zu Schaden gekommen ist, bei dem Koligs Wohnhaus zerstört und dieser selbst verschüttet wurde? Laut Auskunft des Nötscher Museums hätten sich die Werke des Malers zum Zeitpunkt des Bombenwurfs in seinem Atelier in der örtlichen Volksschule befunden, die damals nicht beschädigt wurde. In einem Brief an eine ehemalige Schülerin schrieb Kolig kurz nach dem zerstörerischen Bombenangriff: »Auch an Kunstgut ist viel kaputt – doch vorerst ist das Studienmaterial in der Schule noch verschont geblieben.« Ob sich also das Bild doch unter dem damals zerstörten »Kunstgut« befand oder welcher andere zerstörerische Akt es so zu Schaden kommen hat lassen, bleibt ungeklärt. Gewissheit über die Vorgänge wird kaum mehr zu erlangen sein. 27 Die beiden Institutionen, deren Gründungen im Gefolge der Erlassung der Washington Principles auf die späten 1990er Jahre zurückgehen, arbeiten seit ihrem Bestehen gut zusammen. 28 Im Gespräch mit der Verfasserin anlässlich der Bildübergabe in Washington im April 2017. 29 Hatte der Lehrer ihm den Mantel gebracht, um ihn zu schonen oder ihn für unwürdig erachtet, seine Habseligkeiten persönlich zusammenzuraffen? Das fragt sich Gideon Kantor bis heute.

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Ein Artefakt der Provenienzforschung    297

Die in der Kommission für Provenienzforschung gesammelten Materialen gingen an das HCPO, das in der Folge an die Sammlung Essl ein Ersuchen um Rückstellung richtete.30 Alles Weitere verlief ohne bürokratische und formale Hürden. Das Essl-Museum, das sich im Zustand der Auflösung befand, trennte sich ohne Zögern von dem eher kuriosen denn kunsthistorisch wertvollen Kolig-Fragment. Für eine tatsächliche, auch dem Kunstrückgabegesetzestext entsprechende Restitution seien die vorgebrachten Beweise zu dünn, aber – so argumentierte die Geschäftsführerin der Sammlung Essl GmbH: »In Anerkennung der durch die Nationalsozialisten der Familie des Herrn Dr. Gideon Kantor zugefügten Leiden«, werde das Fragment »ohne finanzielle oder anders geartete Gegenforderungen« an Dr. Kantor ausgefolgt.31 Gideon Kantor hätte die Kosten für Versicherung und Transport des Objekts nach Washington selbst tragen müssen. Der Versicherungswert des Fragments belief sich immerhin auf 10.000,- €. Noch einmal sprang die Kommission für Provenienzforschung ein und war bei der Abwicklung der Ausfuhrformalitäten behilflich. Im April 2017 wurde das Bildfragment durch eine Mitarbeiterin der Kommission, als Fracht im Handgepäck, nach Washington ausgeführt und Dr. Kantor und seinen Kindern persönlich übergeben.

30 »I finally sent out my long anticipated letter to the Essl Museum claiming the Kolig fragment«, E-Mail, 29.11.2016, Rebecca Friedman, Esp. Claims Specialist des HCPO, an die Verfasserin. 31 Elisabeth Dutz, SE-Sammlung Essl GMBH, an BDA, 1.3.2017.

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»Alter Kram«1 Die Albert Figdor Sammlung und die Novelle zum Ausfuhrverbotsgesetz 1923

Lisa Frank

Albert Figdor, geboren am 16. Mai 1843 in Wien als Sohn von Ferdinand Joachim Figdor und dessen Ehefrau Nanette, née Heymann, wird in der Literatur und von Zeitgenossen als einer der bedeutendsten Kunstsammler seiner Zeit in Europa beschrieben (Abbildung 1).2 Von seiner Familie erbte er nicht nur ein beträchtliches Vermögen, sondern auch die Bilder- und Kupferstichsammlung seines Vaters.3 Darauf aufbauend brachte er eine tausende Objekte umfassende Sammlung zustande, deren Bogen sich von Möbeln über Keramik und Goldschmiedekunst bis zu Gemälden spannte, um nur wenige Sparten der kunst- und kulturhistorisch relevanten Kollektion herauszugreifen. Seine Sammelleidenschaft hatte in jungen Jahren begonnen.4 »Schon mit 26 Jahren streifte Figdor bei kleinen Trödlern umher, ›um sich mit dem gekauften Kram eine Zimmerecke altertümlich einzurichten‹. So die Briefklage der Mutter A.[lbert] Figdors.«5 Zwar hatte er Rechtswissenschaften an der Universität Wien studiert und übte den Beruf des Bankiers aus, doch gab ihm sein Bruder Carl, ebenfalls Bankier, die Freiheit, sich seiner Leidenschaft zu widmen, während er selbst sich um die Geschäfte des Bankhauses Figdor & Söhne kümmerte.6 Auffällig sind die durchgehend wohlwollenden Beschreibungen seiner Zeitgenossen, nicht nur bezüglich Figdors Charakter, sondern auch seines ausgeprägten Kunstsinns: »Was ihn trieb, war die unmittelbare und in gewissem Sinne entzückend naive Freude an dem schönen Stück, an der Köstlichkeit des Objektes, das bestimmt gewesen war 1

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»Vor allem aber hatte er [Figdor, Ergänzung der Verfasserin] ein höchst persönliches Verhältnis zu seinem ›alten Kram‹, wie er seine unzähligen, weltberühmten Kostbarkeiten verschiedenster Art mit liebkosender Selbstironie gerne nannte«. Arpad WEIXLGÄRTNER, Führer durch die Dr. Albert Figdor-Stiftung, Wien 1932, S. 9. Vgl. Georg GAUGUSCH, Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938, Bd. A–K, Wien 2011, S. 621. Vgl. WEIXLGÄRTNER 1932, S. 9. Vgl. Ernst H. BUSCHBECK, Albert Figdor, in: Belvedere. Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde 11 (1927), S. 3–6, hier: S. 3. Kurt ROSSACHER, Die Kunst, mit der Kunst zu leben, in: Alte und moderne Kunst 18 [1973], S. 30–35, hier: S. 30. Vgl. Interview mit Anne-Marie Figdor am 15.5.2018.

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302   Lisa Frank Herrn erzählte, der oft mit ihm über dasselbe Thema zu sprechen hat und dabei jedesmal ›nach ihrem werten Ableben‹ sagt, da hatte er doch seinen unbändigen Spaß, wie er es erzählte«, schrieb Erica Tietze-Conrat am 8. September 1925 in ihr Tagebuch, nachdem ihr Mann Hans Tietze den Kunstsammler Dr. Albert Figdor besucht hatte, mit dem das Ehepaar eine jahrelange Bekanntschaft verband und den sie als Sammlerpersönlichkeit bewunderten.10 Diese Anekdote weist Albert Figdor als einen Mann aus, der offenbar gelernt hatte, mit jahrelangen, nicht enden wollenden Diskussionen rund um seinen Tod humorvoll umzugehen, lange bevor dieser tatsächlich bevorstand. Der Grund für die Beschäftigung mit Figdors »wertem Ableben«, die von der Denkmalbehörde bis zur Präsidentschaftskanzlei reichte, war eben seine seit Jahrzehnten liebevoll zusammengestellte Kunstsammlung. Die Chance auf eine Schenkung der Sammlung an das k. k. Kunsthistorische Hofmuseum (heute Kunsthistorisches Museum Wien), die von Figdor vermutlich schon vor dessen Eröffnung 1891 angestrebt worden war11, hatte man aus »Hochmut, Torheit und Indolenz oberster Hofchargen [und] bürokratischem Ungeschick«12 ungenutzt vorüberziehen lassen, um daraufhin den drohenden Verlust der Kunstschätze zu beklagen und nach Möglichkeiten zu suchen, diesen zu verhindern. Arpad Weixlgärtner, von 1920 bis 1938 Schatzmeister der Weltlichen und Geistlichen Schatzkammern des Kunsthistorischen Museums, hielt die Ablehnung der Sammlung für einen schweren Fehler und meinte, der Oberstkämmerer habe es als Zumutung empfunden, die »neugebackene Sammlung eines jüdischen Bankiers in den Prunkbau aufzunehmen«.13 Auch Hubertus Czernin nahm diesen Gedanken wieder auf und schrieb 2005, die Hofbürokratie habe Figdors Bedingung für eine Schenkung – nämlich seine Sammlung geschlossen aufzustellen und mit seinem Namen zu versehen als unzumutbar angesehen, da der Name eines Juden keinen Ehrenplatz im kaiserlichen Museum beanspruchen könne. Übrigens im Gegensatz zum Kaiser, der mit der Schenkung einverstanden gewesen sein soll.14 Die Sammlung für einen Adelstitel abzugeben, lehnte Figdor später ab.15 10 Alexandra CARUSO (Hg.), Erica Tietze-Conrat. Tagebücher (1923–1926), Bd. I: Der Wiener Vasari, Wien-Köln-Weimar 2015, S. 345–346. 11 Vgl. WEIXLGÄRTNER 1932, S. 3. Eine Bestätigung dieser Datierung konnte in den Akten des Oberstkämmereramts bis dato nicht gefunden werden. 12 BUSCHBECK 1927, S. 5. 13 WEIXLGÄRTNER 1932, S. 4. 14 Vgl. Hubertus CZERNIN, Vorwort, in: Gabriele ANDERL, Alexandra CARUSO (Hg.), NS-Kunstraub in Österreich und die Folgen, Innsbruck-Wien-Bozen 2005, S. 7. 15 Vgl. WEIXLGÄRTNER 1932, S. 4.

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»Alter Kram«   303

Schon zuvor, berichtet Christian Nebehay, soll Albert Figdor die Absicht verfolgt haben, seine Sammlung dem Österreichischen Museum für Kunst und Industrie (heute MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst) zu hinterlassen, entschied sich aber infolge von Unstimmigkeiten mit dem Direktor »Herrn von Skala« dagegen.16 Es ist anzunehmen, dass Nebehay damit Arthur von Scala meinte, der allerdings erst 1897 zum Direktor ernannt wurde.17 Tatsächlich machte Albert Figdor dem Museum während der Amtszeit Scalas bis 1909 doch eine Reihe von Geschenken.18 Als es also für den Sammler daran ging, seine Schätze für den Fall seines Ablebens bestmöglich unterzubringen – Figdor blieb Zeit seines Lebens unverheiratet und kinderlos – waren die naheliegendsten Institutionen in Wien als mögliche Bewahrer der Sammlung weggefallen. Daher kam es zu einer Schenkung der Sammlung innerhalb der Familie. Die Nichte des Sammlers, die Gattin des Heidelberger Oberbürgermeisters Margarete BeckerWalz, eine Tochter seiner Schwester Helene Becker, née Figdor, wurde – gemeinsam mit Hans Becker, Theo Becker, Alfred Walz und Ilse Giulini – bedacht.19 In Figdors Testament vom 9. Jänner 1925 ist als Erbin des Nachlasses nur noch seine »Adoptivtochter Margarete Walz-Figdor« eingesetzt.20 Die auf den Tod Albert Figdors am 22. Februar 1927 folgenden Geschehnisse und die schlussendlich daraus resultierende Zerstreuung der Sammlung sollen hier aber nicht näher besprochen werden – dazu hat Lynn Rother bereits 2012 einen Beitrag verfasst.21 Auf die stattgefundene Schenkung folgte – mit Zeitverzögerung – das Bewusstsein über den drohenden Verlust der einzigartigen Sammlung an das benachbarte Ausland. Bereits am 5. Dezember 1918 war ein Gesetz erlassen worden, das die Ausfuhr und Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller 16 Christian M. NEBEHAY, Das Schicksal der Sammlung Figdor, in: Erich HEINTEL (Hg.), 50 Jahre Rotary Club Wien. Jubiläumsfestschrift, Wien 1975, S. 149–155, hier: S. 151. 17 Vgl. MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst, Die Geschichte des österreichischen Museums für angewandte Kunst/Gegenwartskunst, http://mak.at/das_mak/geschichte (26.4.2018). 18 Vgl. MAK-Archiv, Zl. 1898-456; Zl. 1899-549; Zl. 1900-378; Zl. 1901-96; Zl. 1902-1369; Zl. 1904153; Zl. 1904-238; Zl. 1906-45; Zl. 1907-335; Zl. 1908-366; Zl. 1909-735. 19 Vgl. OeStA/AVA, Bundesministerium für Unterricht, Kt. 3470, Zl. 19195-III/23, o. fol. 20 WStLA, BG Innere Stadt (I), A9 – Testamente: Nr. 34-36/1927 Albert Figdor. 21 Vgl. Lynn ROTHER, Zu groß für Einen. Zum An- und Verkauf großer Sammlungen durch Konsortien am Beispiel Figdor, in: Eva BLIMLINGER, Monika MAYER (Hg.), Kunst sammeln, Kunst handeln. Beiträge des Internationalen Symposiums in Wien (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 3), Wien 2012, S. 303–316.

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304   Lisa Frank Bedeutung regeln bzw. auch verbieten sollte.22 Wie sich alsbald herausstellte, war das neue Gesetz jedoch nicht ausreichend wirkungsvoll, um die Abwanderung österreichischer Kunstwerte zu verhindern.23 Beispielsweise wurden Übersiedelungen vorgetäuscht, um eine Ausfuhrgenehmigung zu rechtfertigen oder Objekte wurden in den Antragsformularen dermaßen unvollständig oder oberflächlich beschrieben, dass es gelang, deren wahren Wert zu verschleiern. Darüber hinaus wurde das Ausfuhrverbot auf Basis politischer Überlegungen und Interventionen mehrfach umgangen oder aus diplomatischen Gründen ignoriert. Folglich wurde bereits ab 1919 an eine Novellierung gedacht, die auch präventive Sicherungsmaßnahmen zum Schutz des heimischen Kunstbesitzes ermöglichen sollte, wie zum Beispiel die Inventarisierung von öffentlichen und privaten Sammlungen, auch die Bekanntgabe von Änderungen im Bestand, des Aufbewahrungsorts oder hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse.24 Auch sollte die Denkmalbehörde feststellen, »ob die Erhaltung einer Gruppe von Gegenständen, die sich im Privatbesitze befinden und die vermöge ihres geschichtlichen, künstlerischen oder kulturellen Zusammenhanges ein einheitliches Ganzes bilden, in hervorragendem Masse im öffentlichen Interesse gelegen ist«.25 »Ich fasste nun die Idee«, so Michael Hainisch, erster Bundespräsident der Republik Österreich (1920–1928), als Reaktion auf die Übertretungen des Gesetzes, »den Kunstschutz dadurch wirksamer zu gestalten, daß man große Sammlungen von einheitlichem Charakter als ein unteilbares Ganzes erklärt, was natürlich eine sorgfältige Inventarisierung zur Voraussetzung hat«.26 Bei einer Sitzung in der Präsidentschaftskanzlei, an der die Direktoren aller Wiener Kunstsammlungen sowie Fachgelehrte

22 Gesetz vom 5. Dezember 1918, betreffend das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung, http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex ?aid=sgb&datum=19180004&seite=00000128 (13.5.2018). Das erste, nahezu in Vergessenheit geratene Ausfuhrgesetz stammte bereits aus dem Jahr 1818. 23 Die ursprünglichen Gründe für das Ausfuhrverbotsgesetz, dessen Entstehung und die darauf folgenden Probleme können im Rahmen dieses Beitrags nur auszugsweise dargestellt werden. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Gesetz, die der Komplexität des Themas Rechnung trägt, findet sich bei: Theodor BRÜCKLER, Entstehung und Wirkung des österreichischen Ausfuhrverbotsgesetzes 1918–1923, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege XLVIII/1 (1984), S. 1–18. 24 Vgl. BDA-Archiv, Historische Materialien, Gesetzgebung, K. 3, Zl. 3461/1919, o. fol. 25 BDA-Archiv, Historische Materialien, Gesetzgebung, K. 3, Zl. 3461/1919, o. fol. 26 Michael HAINISCH, Friedrich WEISSENSTEINER (Bearb.), 75 Jahre aus bewegter Zeit. Lebenserinnerungen eines österreichischen Staatsmannes (= Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte Österreichs 64), Wien-Köln-Graz 1978, S. 280.

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teilnahmen, konnte Hainisch nur Julius Schlosser und Eduard Leisching für seinen Vorschlag begeistern.27 Fortunat Schubert-Soldern, Vorstand und späterer Präsident der Denk­mal­ behörde,28 gab zu bedenken, dass eine Bindung als Gesamtheit und das Verbot von Einzelverkäufen nur auf abgeschlossene Sammlungen anwendbar sein solle.29 Bei in Entwicklung begriffenen Sammlungen würde sich diese Bestimmung jedoch als »geradezu lähmend« erweisen, da ihre Besitzer sich aufgrund dauernder Bindung von Objekten an den bereits vorhandenen Bestand nicht mehr zu Neuerwerbungen entschließen könnten.30 Gerade aber das Abstoßen minder wertvoller und der Erwerb neuer Objekte, also ein »Klärungsprozess« innerhalb von Spezialgebieten, wäre der Schlüssel zu wachsendem Kennertum und der qualitativen Verbesserung österreichischer Sammlungen.31 Andererseits hätte eine Bindung nur der wertvollsten Kunstgegenstände zur Folge, dass inländische Sammler vor dem Kauf wirklich hochwertiger Objekte zurückschrecken würden.32 Daher empfehle das Staatsdenkmalamt eine genaue Evidenthaltung der Sammlungen und ihrer Bestandteile sowie eine Anzeigepflicht aller relevanten Veränderungen derselben. Nur wenige Tage später plädierte Wilhelm Ambros, im Staatsdenkmalamt für juristische und administrative Agenden zuständig,33 in einem Memorandum nochmals dafür, nur die besten Objekte der Privatsammlungen zu inventarisieren, zu klassieren und eine Anzeigepflicht über Änderungen einzuführen, nicht aber das von »sehr massgebender Seite« angeregte Verbot »derartige Sammlungen anders als in ihrer Gesamtheit zu veräussern« umzusetzen.34

27 Vgl. HAINISCH, WEISSENSTEINER (Bearb.) 1978, S. 280. 28 Vgl. Theodor BRÜCKLER, Ulrike NIMETH, Personenlexikon zur Österreichischen Denkmalpflege (1850–1990), Wien 2001, S. 247–248. 29 Vgl. BDA-Archiv, Historische Materialien, Gesetzgebung, K. 3, Zl. 837/1921, o. fol., Fortunat SchubertSoldern, 15.4.1921. 30 BDA-Archiv, Historische Materialien, Gesetzgebung, K. 3, Zl. 837/1921, o. fol., Fortunat SchubertSoldern, 15.4.1921. 31 BDA-Archiv, Historische Materialien, Gesetzgebung, K. 3, Zl. 837/1921, o. fol., Fortunat SchubertSoldern, 15.4.1921. 32 Schubert-Soldern ging auch davon aus, die gesetzliche Bindung der wertvollsten Objekte einer Sammlung werde dazu führen, dass hochwertige Antiquitäten »eine leichte Beute des ausländischen Händlers und Sammlers werden [würden], dessen Bewegungsfreiheit nicht im gleichen Masse gehemmt ist«. Vgl. BDAArchiv, Historische Materialien, Gesetzgebung, K. 3, Zl. 837/1921, o. fol., Fortunat Schubert-Soldern, 15.4.1921. 33 Vgl. BRÜCKLER, NIMETH 2001, S. 9. 34 BDA-Archiv, Historische Materialien, Gesetzgebung, K. 3, Zl. 867/1921, o. fol., Memorandum von Ambros, 18.4.1921 an das Bundesministerium für Inneres und Unterricht, 26.4.1921.

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306   Lisa Frank Hainisch vertrat hingegen die Meinung, dass »in einem Staate, der langsam aber stetig verarmt, die Gefahr der Verhinderung des Kunstsammelns viel geringer ist, als die des Verlustes der vorhandenen Kunstwerke«.35 Am 14. Juni 1921 wurde Ambros zu einer dringenden mündlichen Rücksprache in Sachen Novelle zum Ausfuhrverbot mit Wilhelm Klastersky, Ministerialrat in der Präsidentschaftskanzlei, gerufen.36 Dort erfuhr er, dass der Bundespräsident, trotz Bedenken des Staatsdenkmalamts und des Unterrichtsamts, ein Verbot von Verkäufen einzelner Stücke großer Privatsammlungen für wünschenswert halte. »Klastersky sprach unumwunden aus, dass jene legislative Idee ausschliesslich aus der Berücksichtigung der speziellen Verhältnisse in der Sammlung Figdor hervorgegangen sei und der Herr Bundespräsident in diesem Punkte in bedeutendem Masse von der Ansicht des Hofrates Julius Schlosser beeinflusst sei.«37 Der Plan, dass nur »en bloc« verkauft werden dürfe, solle nur auf solche Sammlungen zutreffen, die an einem zu bestimmenden Stichtag schon bestanden und nur auf jene Bestände Anwendung finden, »die am Stichtage schon im Besitze des betreffenden Sammlers waren«.38 Jedoch würde sich diese Schutzmaßnahme nicht auf alle zur Zeit des Stichtags vorhandenen Privatsammlungen erstrecken, sondern die Regierung ermächtigen, das »geplante Gesetz für einzelne besonders wichtige Sammlungen geltend zu machen«.39 Ambros äußerte zwar pro domo Bedenken hinsichtlich dieses Plans, wollte aber den Bemühungen des Bundespräsidenten zugunsten der Denkmalpflege nicht mit Widerstand begegnen. Es wurde die weitere Vorgehensweise besprochen, bei der Klastersky auf die besondere Dringlichkeit der Angelegenheit verwies, da »Figdor ein hochbetagter alter Mann und kränklich sei und andererseits bereits einen Teil seiner Sammlung seiner in Heidelberg domizilierenden Tochter [sic] geschenkt habe«.40 Im Juli 1922 wurde in einem Schreiben der Präsidentschaftskanzlei an das Bundeskanzleramt und das Bundesministerium für Inneres und Unterricht an eine Note von November 1921 erinnert, die auf das besondere Interesse des Bundespräsidenten an der Novellierung des Ausfuhrverbotsgesetzes hinwies.41 Es wurde betont, dass der 35 HAINISCH, WEISSENSTEINER (Bearb.) 1978, S. 280. 36 Vgl. BDA-Archiv, Ausfuhr 1921, Zl. 29Res./1921, o. fol.; Felix CZEIKE, Historisches Lexikon Wien, Wien 2004, S. 523, https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/content/pageview/1114641 (17.4.2018). 37 BDA-Archiv, Ausfuhr 1921, Zl. 29Res./1921, o. fol. 38 BDA-Archiv, Ausfuhr 1921, Zl. 29Res./1921, o. fol. 39 BDA-Archiv, Ausfuhr 1921, Zl. 29Res./1921, o. fol. 40 BDA-Archiv, Ausfuhr 1921, Zl. 29Res./1921, o. fol. 41 Vgl. OeStA/AdR, Präsidentschaftskanzlei, Gz. 6378/22, Zl. 4303, o. fol.

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»Alter Kram«   307

Präsident »bei seinen Vorschlägen vorwiegend die privaten Sammlungen im Auge hatte«.42 Wenig subtil »erlaubte« sich die Präsidentschaftskanzlei – ohne dabei Namen zu nennen – auf eine im »gegenwärtigen Augenblick« bestehende Gefahr aufmerksam zu machen, die die drohende Auflösung einer bedeutenden Wiener Sammlung betraf. Der jetzige Besitzer der Sammlung ist hochbetagt und schwer krank, so dass mit seinem Ableben jederzeit zu rechnen ist. Er hat über seine Kunstschätze im übrigen bereits verfügt, indem er sie einer nahen Verwandten schon bei Lebzeiten geschenkweise überlassen hat. Da diese Ausländerin ist, kann wohl mit Bestimmtheit damit gerechnet werden, dass sie die mit dem Tode des Besitzers endgiltig unter ihre Verfügung fallenden Objekte zur Versteigerung bringen wird.43

In den nächsten Monaten folgten weitere Verhandlungen. Der Wunsch des Bundespräsidenten Michael Hainisch, dem sich Bundeskanzler Johann Schober angeschlossen hatte, dass relevante Privatsammlungen nur en bloc verkauft werden dürften, wurde aufgrund des Widerstandes der Museumsbeamten in dieser Form nicht entsprochen.44 Am 25. Jänner 1923 wurde das Gesetz, betreffend das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung, das sogenannte Ausfuhrverbotsgesetz, novelliert, das in einer ersten Fassung seit dem 5. Dezember 1918 bestanden hatte. Der Paragraf 4 erhielt die Unterpunkte a–d (Auszug):45 §4a. (1) Besteht Gefahr, daß hochwertige Gegenstände der bezeichneten Art ausgeführt oder aus öffentlichem Besitz (§2, Absatz 1) veräußert werden, so kann die zuständige Verwaltungsbehörde Sicherungsmaßnahmen anordnen, insbesondere solche Gegenstände verzeichnen, unter staatliche Aufsicht stellen oder sonstige geeignete Maßnahmen treffen. (2) Unter der gleichen Voraussetzung kann Besitzern von Sammlungen, auch wenn diese kein einheitliches Ganzes im Sinne des § 4 b, Absatz 1, bilden, aber Gegenstände der im § 1 bezeichneten Art umfassen und Besitzern von besonders hochwertigen Einzelgegenständen dieser Art die Pflicht auferlegt werden, jede Änderung im Bestand,

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OeStA/AdR, Präsidentschaftskanzlei, Gz. 6378/22, Zl. 4303, o. fol. OeStA/AdR, Präsidentschaftskanzlei, Gz. 6378/22, Zl. 4303, o. fol. Vgl. BRÜCKLER 1984, S. 16. Bundesgesetz vom 25. Jänner 1923 BGBl Nr. 80, womit das Gesetz vom 5. Dezember 1918, StGBl Nr. 90, betreffend das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung abgeändert wird. http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=bg b&datum=19230004&seite=00000203 (13.5.2018).

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308   Lisa Frank im Aufbewahrungsort oder in den Besitzverhältnissen dieser Gegenstände dem Bundesdenkmalamte rechtzeitig anzuzeigen. […] §4b. (1) Hat das Bundesdenkmalamt festgestellt, daß die Erhaltung einer Gruppe von Gegenständen, die sich im Privatbesitze befinden und die vermöge ihres geschichtlichen, künstlerischen oder kulturellen Zusammenhangs ein einheitliches Ganzes bilden, in hervorragendem Maße im öffentlichen Interesse gelegen ist, so kann die freiwillige Veräußerung oder Belastung einzelner Gegenstände aus einer solchen Gruppe an die vorherige Zustimmung des Bundesdenkmalamtes gebunden werden. Bei der Entscheidung, ob zugestimmt wird, hat das Bundesdenkmalamt auch die wirtschaftliche Lage der Eigentümer zu berücksichtigen. (2) Ist die Veräußerung oder Belastung an sie Zustimmung des Bundesdenkmalamtes gebunden worden, so ist die Veräußerung der Erwerb und die Belastung einzelner Gegenstände aus einer solchen Gruppe verboten und ungültig, wenn das Bundesdenkmalamt der Veräußerung oder Belastung nicht zugestimmt hat. Besteht Gefahr, daß solche Einzelgegenstände ohne Zustimmung des Bundesdenkmalamtes veräußert werden, kann die Bundesverwaltung Sicherungsmaßnahmen anordnen (§4a, Absatz 1). […]

Obwohl im Vorfeld der Novellierung mehrfach auf die gebotene Dringlichkeit hingewiesen worden war, wartete das Bundesdenkmalamt offenbar bis 4. Juni 1923, also mehr als vier Monate, um beim Magistrat Wien die Unterschutzstellung von Figdors Sammlung, formal nunmehr die seiner Verwandten, anzuregen.46 Der Erlass, die in der Löwelstraße 8 verwahrten Kunstgegenstände als einheitliches Ganzes zu erklären und damit die freiwillige Veräußerung oder Belastung der Gegenstände an die Zustimmung des Denkmalamts zu binden, wurde von der zuständigen Landesbehörde am 15. Juni 1923 ausgesprochen. Reaktionen

Erica Tietze-Conrat vermerkte am 3. Juli 1923 in ihrem Tagebuch: »Abends der Kronprinz; langes Gespräch über die Novelle (zum Ausfuhrgesetz), die gegen Figdor geht von Schlosser erfunden u. von Vater Hainisch durchgedrückt wurde. Der Sohn ganz auf Seite des Hans, gegen die Novelle. Nur keine Enteignungen dieser Art, die bringen uns um unseren Kredit u. schädigen das Sammelwesen!«47 46 Vgl. OeStA/AdR, Bundesministerium für Unterricht, Gz. 19195-III/23. 47 CARUSO 2015, S. 40. »Mit ›Kronprinz‹ war Erwin Hainisch, Sohn des damals amtierenden Bundes­

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»Alter Kram«   309

Christian Nebehay ging in seiner Kritik, diese Bestimmung sei auf »Druck von oben« erlassen worden, noch einen Schritt weiter und äußerte den Verdacht, dass hier private Motive den Ausschlag gegeben hätten.48 Nach dem Scheitern seiner [Albert Figdors, Ergänzung der Verfasserin] Pläne, eine öffentliche Stelle zur Aufnahme seiner Sammlung zu finden, vermachte er sie testamentarisch seiner Lieblingsnichte. Nun kam das Jahr 1918, mit ihm das Ende der Monarchie, und 1920 wurde der Mann dieser Nichte zum ersten österreichischen Bundespräsidenten [Michael Hainisch, Ergänzung der Verfasserin] bestellt. Das konnte der alte Herr nicht verstehen und nahm es übel. Die Folge war eine Änderung des Testaments.49

Emilie Auguste Hainisch, née Figdor, war eine Nichte zweiten Grades des Sammlers.50 Aus den Akten des Bundesdenkmalamtes und jenen des Bundesministeriums für Unterricht lässt sich Nebenhays Vermutung nicht verifizieren. Zwar ist das Testament Figdors auf den 9. Jänner 1925 datiert, die Schenkung an Margarete Becker-Walz wird in den Quellen jedoch mit dem Jahr 1914 angegeben, Weixlgärtner nennt das Jahr 1911.51 Jedenfalls aber liegen beide Daten vor dem Ende der Monarchie und somit vor Michael Hainischs Präsidentschaft. Eine Änderung des Testaments im Jahr 1920 oder später hätte, nach bereits erfolgter Schenkung, keine Auswirkungen auf die Eigentumsverhältnisse der Kunstsammlung gehabt.52 Michael Hainisch selbst erklärte in seinen Memoiren: »Es war keineswegs meine Absicht, mit diesem Gesetz nur die Ausfuhr der Sammlung Figdor zu verhindern, doch fand es vorläufig nur auf diese Anwendung.«53 Auf die oppositionelle Meinung, das Gesetz würde zu weit in das Privateigentum eingreifen, erwiderte er, dieses zu verletzen, wäre nicht seine Absicht gewesen, doch wären unter Umständen gewisse Beschränkungen notwendig.54 »Was der Künstler schafft, gehört nicht dem reichen

48 49 50 51 52

53 54

präsidenten Michael Hainisch, gemeint.« Ab 1927 war der Kunsthistoriker im Bundesdenkmalamt angestellt. Vgl. CARUSO 2015, S. 152. Christian M. NEBEHAY, Die goldenen Sessel meines Vaters. Gustav Nebehay (1881–1935) Antiquar und Kunsthändler in Leipzig, Wien und Berlin, Wien 1983, S. 242. NEBEHAY 1975, S. 149–155, hier: S. 152. Vgl. GAUGUSCH 2011, S. 618. Vgl. WEIXLGÄRTNER 1932, S. 4; BDA-Archiv, Ausfuhr, K. 23, Zl. 1205/23, o. fol.; OeStA/AVA, Bundesministerium für Unterricht, Kt. 3470, Zl. 19195-III/23, o. fol. Anne-Marie Figdor erzählt, die Lieblingsnichte Figdors sei immer schon die ihm näher Verwandte Margarete Becker-Walz gewesen und bezweifelt, dass Emilie Hainisch jemals als Erbin vorgesehen gewesen wäre. Vgl. Interview am 15.5.2018. HAINISCH, WEISSENSTEINER (Bearb.) 1978, S. 281. Vgl. HAINISCH, WEISSENSTEINER (Bearb.) 1978, S. 281.

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310   Lisa Frank Mann allein, der ihn bezahlt, wie etwa einen Schneider oder Schuhmacher, sondern der Menschheit.«55 Julius Schlosser formulierte seine Ansicht zu dem Thema der Einheitlichkeit der Sammlung Figdor folgendermaßen: […] ihre Einheit ist höherer Art; sie liegt, wie das bei keiner anderen Wiener Sammlung der Fall ist, in der Persönlichkeit des Sammlers, der ein vorher nie gesehenes Ganzes zusammengebracht hat, ein Ganzes, das wohl kaum je mehr in annähender Art zustande kommen wird, und darüber hinau[s] in ihrer das Einzelwesen übersteigenden kulturgeschichtlichen Bedeutung. Denn diese echte Bürgersammlung ist ein Denkmal der alten Kultur Wiens bis in ihre feinsten Verästelungen hinein […]. Das ›Museum Figdor‹ sollte als Denkmal Wiens erhalten bleiben!56

Schlossers Begründung für das »einheitliche Ganze«, nämlich die Persönlichkeit des Sammlers, war zugleich die Grundlage für Hans Tietzes Gegenargument: »Ihre scheinbare Einheitlichkeit lag zunächst in der eindrucksvollen Zusammenstimmung in einer mit bric à brac erfüllten Privatwohnung und in der reizvollen Persönlichkeit des Sammlers, der die Beziehung zwischen all diesem Zerstreuten herstellte, beides Eigenschaften, die naturgemäß nicht erhalten werden können.«57 Epilog

Margarete Becker-Walz konnte die Sammlung auf Basis des novellierten Ausfuhrverbotsgesetzes nicht ausführen und verkaufte sie an ein Konsortium rund um den Kunsthändler Gustav Nebehay, der zur Erlangung der Ausfuhrgenehmigung zahlreiche Objekte der Republik Österreich stiftete.58 Die übrige Sammlung wurde in zwei Auktionen in Wien59 und Berlin60 angeboten. Bei der Berliner Auktion kaufte die Familie Figdors Stücke der Sammlung zurück.61 Was alle Beteiligten, unabhängig von ihrer Meinung zur Novelle, zu verhindern versucht hatten, geschah: Die Sammlung wurde zerstreut. Nach den Versteigerungen 55 HAINISCH, WEISSENSTEINER (Bearb.) 1978, S. 281. 56 OeStA/AVA Bundesministerium für Unterricht, Gz. 6118-6Kst, 1927. 57 Hans TIETZE, Dr. Albert Figdor-Stiftung, in: Belvedere. Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde 8 (1929), S. 264–268, hier: S. 265. 58 BDA-Archiv, Ausfuhr, K. 23, Zl. 1054/1930, o. fol. 59 Vgl. 3,750,000 Schilling bei Figdor. Das erstaunliche Ergebnis des ersten Tages der Versteigerung. – 700,000 Schilling für den berühmten Tournais-Gobelin, in: Kleine Volks-Zeitung, 12.6.1930. 60 Vgl. ROTHER 2012, S. 311, Abb. 2. 61 Vgl. Interview mit Anne-Marie Figdor am 15.5.2018.

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»Alter Kram«   311

fanden sie Eingang in andere Kunstsammlungen, wie beispielsweise die von Stefan Auspitz, Oskar Bondy, Arthur Drach, Ernst und Fanny Egger, Ernst und Gisela Pollack, Klara Steiner, sowie Friederike und Siegfried Herzel.62 Die Geschichte des FigdorLehnstuhls der Familie Herzel ist im vorliegenden Band nachzulesen.63

62 Vgl. BDA-Archiv, Sicherstellungskartei, Oskar Bondy, Nr. 189; BDA-Archiv, Sicherstellungskartei, Arthur Drach, Nr. 6; Sicherstellungskartei, Ernst Pollak, Nr. 168; Sophie LILLIE, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, S. 112, S. 301, S. 1254. 63 Leonhard WEIDINGER, MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst: Der Figdor-Lehnstuhl.

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»Kaisers-Dank« Restituierte Erinnerung. Der Fall Klinkhoff im Wien Museum

Gerhard Milchram, Michael Wl adika

Am 17. April 1915 berichtete das Fremden-Blatt in überschwänglichen Worten von einem vor kurzer Zeit entstandenen Gemälde des Malers Ludwig Koch, welches »die unbegrenzte Liebe zu Kaiser und Vaterland, die abgöttische Verehrung für unseren erhabenen Monarchen, den Sieg unserer Waffen, die Opferwilligkeit aller Volksklassen der Monarchie, die im Feuer gestählte Verbrüderung der führenden Nationen zum Ausdruck«1 bringe. Auf dem Bild war Kaiser Franz-Josef zu sehen, der, umgeben von dem Thronfolger Erzherzog Karl, den beiden Armee-Oberkommandanten Erzherzog Friedrich und Eugen, dem Erzherzog Josef, dem Kriegsminister Alexander Ritter von Krobatin und dem Generalstabschef Freiherr Conrad von Hötzendorf, einem zu ihm aufsteigenden verwundeten Soldaten die Hand reicht. Dieses Gemälde wurde vielfach reproduziert und als Postkarte gedruckt unter das Volk gebracht, um die zu diesem Zeitpunkt schon etwas ins Wanken geratene Kriegsbegeisterung propagandistisch aufrecht zu erhalten. Postkarten und andere Reproduktionen erschienen im Verlag von Hans Klinkhoff in Wien, der es in modernem Goldrahmen mit Verglasung zu 40 Kronen, im feinen Gold-Mahagoni- oder »Rußrahmen« zu 60 Kronen oder in handgeschnitztem, künstlerisch ausgeführtem Barockrahmen zu 100 Kronen anbot. In dem Preis inkludiert war auch die transportsichere Verpackung und »freie Fracht« nach allen Orten der Monarchie. Ein Teil des Verkaufserlöses floss der Gesellschaft vom österreichischen Silbernen Kreuz zur Fürsorge heimkehrender Krieger zu.2 Ein patriotisches »Rundum-sorglos-Paket« für kriegsbegeisterte Österreicher. 26 Jahre später, am 25. August 1941, erwarben die Städtischen Sammlungen das Gemälde Kaisers-Dank von Ludwig Koch »aus von der Gestapo beschlagnahmten Sachwerten« um 500 Reichsmark.3 Das Museum konnte damit die umfangreichen Bestände, aus der im Ersten Weltkrieg angelegten sogenannten Kriegssammlung, mit einem bedeutenden Werk ergänzen.

1 2 3

Fremden-Blatt, 17.4.1915, S. 13. Neues Wiener Journal, 18.4.1915, S. 14. Inventarbuch der Städtischen Sammlungen (heute Wien Museum), Inv. Nr. 70.233.

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314   Gerhard Milchram, Michael Wladika Wiederum 67 Jahre später, im Frühjahr 2008, nahmen Gertrude und Alice Klinkhoff aus Montreal Kontakt mit dem Wien Museum auf, da sie beim Studium der Kunstdatenbank des Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus auf ein Bild von Ludwig Koch gestoßen waren, welches sich im Besitz ihres Schwiegervaters bzw. Großvaters befunden hatte und seit dessen erzwungener Migration als verschollen galt. Anlässlich eines Besuches im Wien Museum im Juni 2008 legte Alice Klinkhoff-Thompson Dokumente und eine Videoaufzeichnung ihres 1997 verstorbenen Vaters und Sohnes von Hans Klinkhoff, Walter, vor. Walter Klinkhoff hatte in den 1950er Jahren in Montreal eine erfolgreiche Kunstgalerie gegründet und berichtete in diesem Video, das Anfang der 90er Jahre entstanden war, über seine Jugendjahre in Österreich, seine Flucht und die erste Zeit in Kanada. Dabei beschrieb er auch im Detail das Gemälde Kaisers-Dank von Ludwig Koch. Das Gemälde spielte auch tatsächlich eine bedeutende Rolle im Leben seines Vaters Johann (Hans). Es war von vielen Geschichten umrankt und nahm einen bedeutenden Platz im Gedächtnis der Familie ein. Johann (Hans) Klinkhoff wurde laut Taufbuch der Pfarre Alservorstadtkrankenhaus am 1. Oktober 1882 an der Adresse Wien 8, Alser Straße 21, als uneheliches Kind geboren. In der Rubrik »Name des Getauften« wurde er als Johann Sieger (Nachname durchgestrichen) eingetragen. Der Neugeborene wurde tags darauf getauft, wobei der Kirchendiener Mathias Stocker als Taufpate fungierte. Aus mit anderer Hand und später eingefügten Einträgen kann man entnehmen, dass der Name der Mutter richtig »Emma Kikinis, geboren am 3. 8. 1858 in Wien Landstraße Nr. 378 [...]« lautete. Als Vater, auch nachträglich eingefügt, wurde »Max Singer, Hof-Pferdelieferant [...]« angeführt. Des Weiteren erfahren wir, dass die k. k. Statthalterei der »Emma Kikinis, Private in Wien, sowie ihren Kindern [...] Editha, Margaretha, und Johann, am 23. 3. 1903 die Änderung des Familiennamens von Kikinis auf Klinkhoff« bewilligte.4 Die angegebene Geburtsadresse Alser Straße 21 gehörte zu den von der Gebärund Findelanstalt belegten Gebäuden,5 welche unmittelbar der Niederösterreichischen Landesregierung unterstellt war. Das Findelhaus wurde 1784 gegründet und sollte die Kindsmorde eindämmen. Die Statuten des Findelhauses sahen vor, dass keine Nachforschungen über die Väter angestellt wurden. Die Namen der Mütter sind nur verzeichnet worden, um die Kinder, wenn später erwünscht, an die richtige Person 4 5

Taufbuch Pfarre Alservorstadtkrankenhaus, 1. Jänner 1882 – 31. Dezember 1882, fol. 285, http://data. matricula-online.eu/de/oesterreich/wien/08-alservorstadtkrankenhaus/01-124/?pg=312 (17.7.2018). Findelhaus, in: Wien Geschichte Wiki, 27.9.2017, https://www.wien.gv.at/wiki/index.php/Findelhaus (28.2.2018).

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316   Gerhard Milchram, Michael Wladika Emma Kikinis scheint also in einer verzweifelten Lage gewesen zu sein, hat sich aber dann dennoch entschieden, Johann nicht dem Findelhaus zu überlassen. Emma wurde am 3. August 1858 in Wien geboren. Sie war die Tochter des aus Lemberg stammenden jüdischen Kaufmannes Hersch Leib Kikinis und der ebenfalls aus Lemberg stammenden Chaja Deborah Pins,9 die am 6. August 1854 im Leopoldstädter Tempel geheiratet hatten.10 Hersch Leib nannte sich später Hermann und Chaja Debora, seine Frau, nannte sich Anna. Der Ehe entstammten drei Töchter, Maria (18. Oktober 1853), Sophie (7. Mai 1857)11 und das jüngste Kind Emma. Hermann Kikinis, der in Wien 9, Berggasse 14, ein Geschäft betrieb, verstarb am 21. Jänner 1870 an Lungentuberkulose.12 Das dürfte seine Ehefrau derart aus der Bahn geworfen haben, dass sie sich ein Jahr später das Leben nahm. Über die etwas rätselhaften Umstände ihres Todes berichteten mehrere Zeitungen, darunter auch Die Presse: Über den gewaltsamen Tod der Frau Kikinis wird uns folgende authentische Nachricht, unseren ersten Bericht bestätigend mitgetheilt: Heute Früh 6 Uhr wurde die Schottensteig Nr. 5 wohnhafte Kaufmanns-Witwe Anna Kikinis, 43 Jahre alt, mosaisch, im Stiegenhause todt liegend am Boden gefunden. Die Erhebungen haben sichergestellt, daß Frau Kikinis geisteskrank war und in diesem Zustande sich öfter selbst schlug und geißelte und wiederholt erklärte, sie müsse sich tödten. Sie dürfte sich daher in einem solchen Irrsinnsanfalle selbst herabgestürzt haben. Da an der Leiche vielfache Spuren von Verletzungen am Halse und an den Händen sich zeigen, die nicht durch den Sturz aus dem dritten oder vierten Stockwerke herrühren können, hat man die Leiche zur gerichtlichen Obduction in die Todtenkammer des allgemeinen Krankenhauses gebracht und der Staatsanwaltschaft die Anzeige erstattet.13

Damit waren die drei Töchter im Alter von 13, 14 und 18 Jahren zu Vollwaisen geworden. Über die Lebensumstände der drei Schwestern in den folgenden Jahren konnte nichts in Erfahrung gebracht werden. Emma muss sich aber 1881 in Prag aufgehalten haben, da dort am 9. Februar 1881 ihre beiden Töchter, die Zwillinge Editha und Margaretha, geboren wurden. Zwanzig Monate später kam dann, wie oben erwähnt, Johann in Wien zur Welt.

9 10 11 12 13

sie ihren Müttern »abgenommen« wurden, in: Wiener Geschichtsblätter 58 (2003), S. 94–103. Geburtsbuch für die israelitische Cultusgemeinde in Wien 1861 (1858), Nr. 1817. Trauungsbuch, IKG-Wien, Rabbiner Horowitz, 1854, Nr. 224. Geburtsbuch für die israelitische Cultusgemeinde in Wien 1861 (1858), Nr. 1815 u. 1816. Neues Fremden-Blatt, 21.1.1870, S. 10. Die Presse, 25.4.1871, S. 13.

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Am 5. November 1889 wurden Emma Kikinis und Max Singer vom Rabbinat der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien getraut.14 Infolge der Eheschließung wurden auch ihre drei vorehelichen Kinder legitimiert. Die Ehe hatte nur kurzen Bestand und wurde bereits im April 1890 laut Beschluss des k. k. Bezirksgerichtes Wien für aufgelöst erklärt. Aufgrund gegenseitiger Vereinbarung der Eltern wurde die Erziehung von Editha, Margaretha und Johann der Mutter überlassen, während Max Singer die väterliche Gewalt über die Kinder behielt.15 Damit war spätestens zu diesem Zeitpunkt das finanzielle Einkommen der Familie gesichert, denn Max Singer verkehrte in höchsten Kreisen des Hofes und kann durchaus als wohlhabend bezeichnet werden. Max stammte aus Neutra in Ungarn (heute Slowakei) und importierte seit den 1870er Jahren Pferde nach Wien. Er war dabei derart erfolgreich, dass er 1880 zum k. k. Hofpferdelieferanten ernannt wurde.16 In einem Inserat pries er seine Pferde folgendermaßen an: »Hochelegante leichte Carrossiers, sehr agile und schnelle Jucker,17 mehrere Vierzüge complett eingefahren, sowie eine bedeutende Anzahl sehr nobler vertrauter Reitpferde, sämmtliche aus den vorzüglichsten Gestüten Ungarns abstammend, stehen jeder Zeit zum Verkauf aufgestellt.«18 Die Stallungen von Max Singer waren seit November 1876 in Wien 3, Beatrixgasse 25, in der Wagenremise des Modenapalais untergebracht,19 welches sich im Besitz des Erzherzogs Franz Ferdinand befand. Singer beteiligte sich wiederholt mit seinen Pferden an internationalen Ausstellungen und Pferderennen. So berichtete die Illustrierte Sport Zeitung des Öfteren über seine Erfolge und bezeichnete ihn als eine Persönlichkeit, die »beim Emporblühen des österreichischen Traber-Sportes berufen sein dürfte, eine hervorragende Rolle auf diesem Felde zu spielen«.20 Als zweites Standbein betrieb Singer auch noch ein Gast- und Kaffeehaus am Schottenring 19.21 Am 14. August 1902 trat Emma Kikinis (Singer) zum katholischen Glauben über und änderte offenbar auch aus diesem Grund, wie oben bereits erwähnt, 1903 ihren und ihrer Kinder Familiennamen mit Einverständnis von Max Singer in Klinkhoff.22

14 15 16 17 18 19 20 21

Israelitische Kultusgemeinde Wien, Trauungsbuch 1889, Nr. 158. NÖLA, NÖ-Statth., V-49g, Zl. XVII-452 ex 1904. Morgen-Post, 7.3.1880, S. 3. Jucker sind schnelle und ausdauernde ungarische Kutschpferde. Illustrierte-Sport-Zeitung, 1.1.1878, S. 10. Sportblatt. Centralblatt für die Interessen der Pferdezucht und des Sports, 9.12.1876, S. 6. Illustrierte-Sport-Zeitung, 3.8.1879, S. 1. Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger nebst Handels- und Gewerbe- Adreßbuch für die k. k. Reichs- Haupt- und Residenzstadt Wien und Umgebung 1882, Wien 1882, S. 894. 22 NÖLA, NÖ-Statth., V-49g, Zl. XVII-452 ex 1904.

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318   Gerhard Milchram, Michael Wladika Die finanzielle Ausstattung der Familie dürfte ein gedeihliches Leben gesichert haben, da sich Emma fortan immer als »Private« bezeichnete. Hans Klinkhoff absolvierte eine technische Ausbildung und gründete 1911 eine Handelsagentur und ein technisches Büro, welche sich in Wien 1, Brandstätte 1, befanden. Laut den Lebenserinnerungen seines Sohnes Walter wurde Hans Klinkhoff im Ersten Weltkrieg als Techniker bei der österreichisch-ungarischen Marine eingesetzt und in Pula stationiert.23 Dort kam es dann auch zu dem folgenreichen Zusammentreffen mit dem Pferde- und Genremaler Ludwig Koch. Dieser war im k. u. k. Kriegspressequartier als Kriegsmaler eingesetzt und beauftragt worden, ein patriotisches Gemälde anzufertigen, welches den Dank des Kaiserhauses an die Soldaten und an das Volk an der sogenannten Heimatfront zum Ausdruck bringen sollte. Da der Abgabetermin näher rückte und Koch mit seiner Arbeit und der Komposition des Bildes nicht zufrieden war, bat er Hans Klinkhoff, mit dem er sich befreundet hatte, ihm für eine der Figuren Modell zu stehen. Klinkhoff tat dies auch gerne und so kam er auf dem Gemälde als dritter von rechts neben dem Kaiser zu stehen.24 Der geschäftstüchtige Hans erwarb dann offensichtlich die Rechte an dem Bild und vertrieb es, wie eingangs beschrieben, in der gesamten Monarchie. Als patriotisch gesinnter Österreicher zeichnete Hans Klinkhoff auch immer wieder Kriegsanleihen, so im Juni 1915 24.000 Kronen bei der Bank und Wechselstuben-Actiengesellschaft Mercur,25 1915 bei derselben Bank nochmals 75.000 Kronen26 und dann nochmals 100.000 Kronen im Juli 1918.27 Aus offensichtlichen Gründen kaufte er schließlich Ludwig Koch das Original des Gemäldes Kaisers-Dank ab, das sich dann bis 1938 in seinem Eigentum befand. Hans Klinkhoff heiratete wahrscheinlich während des Ersten Weltkrieges die aus Ödenburg/Sopron stammende Hermine Nass. Dieser Ehe entstammten die Söhne Fritz, geboren am 25. Juni 1918, und Walter, geboren am 2. Juli 1919. In der Zwischenkriegszeit expandierte das Unternehmen von Hans Klinkhoff, welches sich auf den Apparatebau, Regeltechnik und wärmetechnische Messgeräte spezialisiert hatte. Beim Bau des Amalienbades, einem der größten Bäderbauten des Roten Wien, erhielt die Firma den Auftrag zur Entwicklung und zum Bau der Kontrolleinrichtungen des Bades. Diese bestanden aus einem System von Temperaturmessern, Wasserstandsanzei23 Walter KLINKHOFF, The Austrian Connection. My Early Life, unpubliziertes Manuskript, o. O. o. J., S. 2. 24 KLINKHOFF, Austrian Connection, S. 2. 25 Fremden-Blatt, 19.6.1915, S. 15. 26 Fremden-Blatt, 7.12.1916, S. 16. 27 Neue Freie Presse, 4.7.1918, S. 10.

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gern, Dampf- und Wassermessern, die über das gesamte Gebäude verteilt waren und zentral überwacht werden konnten. Die Anlage zählte zu den modernsten und größten ihrer Art in Europa.28 Für die Firma war dies ein prestigeträchtiges Referenzprojekt. In der Folge wurden die meisten Wiener Bäder, darunter auch das Dianabad, und 1929 das Städtische Hallenschwimmbad in Innsbruck mit derartigen Anlagen ausgestattet.29 Der größte Teil der Produktion wurde aber nach Deutschland und Italien exportiert.30 In den 1920er und 1930er Jahren unterhielt die Firma Filialen in Berlin, Mährisch Ostrau und Mailand. In der Blütezeit seines Unternehmens beschäftigte Klinkhoff bis zu 400 Arbeitnehmer.31 Für seine wirtschaftlichen Leistungen verlieh ihm die Handelskammer schließlich den Titel Kommerzialrat. In diesen wirtschaftlich guten Zeiten gelang es Hans Klinkhoff, ein respektables Vermögen sowie Grund- und Hausbesitz zu erwerben: So standen eine Villa in Wien 13, Meytensgasse 13, ebenso wie eine Villa in Edlach an der Rax als Sommerresidenz in seinem Eigentum.32 Außerdem konnte er laut den Lebenserinnerungen seines Sohnes Walter auch eine veritable Kunstsammlung zusammenstellen.33 In Folge des schwierigen wirtschaftlichen Umfeldes kam die Firma Klinkhoff-Apparatebau Ges. m. b. H. bereits Anfang der 1930er Jahre in finanzielle Schwierigkeiten. So musste etwa 1930 das Stammkapital von 595.000 Schilling auf 100.000 Schilling herabgesetzt werden.34 Ab 1936 geriet die Firma aufgrund der restriktiven Clearing- und Devisenbestimmungen in Zahlungsschwierigkeiten. Hans Klinkhoff versuchte, sein Unternehmen durch ein Darlehen über 400.000,- Schilling, welches ihm Bankdirektor Rudolf Zeiszig sen. gewährte, zu sanieren. Im Zuge dessen wurde dessen Sohn Rudolf Zeiszig jun. als Prokurist in den Betrieb aufgenommen. 1938 kam das Ende der Firma. Nach einer Hausdurchsuchung, bei der viele Gegenstände aus der Wohnung entwendet worden waren, wurde Hans Klinkhoff verhaftet, verhört und einige Tage inhaftiert. Nach seiner Entlassung im April 1938 nutzte er eine Dienstreise zu seiner Mailänder Filiale, um gemeinsam mit seiner Frau Hermine und dem älteren Sohn Fritz aus Österreich zu flüchten.35 Der jüngere Sohn Walter hielt sich 1938 in London auf, wurde aber Anfang März zu Reserveübungen in das ös28 29 30 31 32 33 34 35

Neue Freie Presse, 24.7.1926, S. 7. Das interessante Blatt, 4.7.1929, S. 23. Neue Freie Presse, 28.1.1928, S. 18. KLINKHOFF, Austrian Connection, S. 2–3. KLINKHOFF, Austrian Connection, S. 4. KLINKHOFF, Austrian Connection, S. 3. Wiener Zeitung, 22.2.1930, S. 10. KLINKHOFF, Austrian Connection, S. 8.

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320   Gerhard Milchram, Michael Wladika terreichische Bundesheer eingezogen, die er in Hall in Tirol absolvierte. Kurz nach dem »Anschluss« gelang ihm aber die erneute Ausreise nach England.36 Für die notwendigen Vermögensanmeldungen gaben Hans und Hermine Klinkhoff dem Wiener Rechtsanwalt Dr. Felix Friedlaender Vollmachten, um in ihrem Namen die geforderten Angaben zu machen und zu unterzeichnen.37 Um die Filiale in Mailand weiterbetreiben zu können, verkaufte Hans Klinkhoff mit Zustimmung der Vermögensverkehrsstelle seine Berliner Firmenanteile und kurz darauf auch die Anteile an seiner Wiener Firma an seinen Prokuristen Rudolf Zeiszig jun. Dieser wollte die Firma »arisieren« und ließ sich dazu am 10. August 1938 von der NSKK-Standarte Süd/Sturm II/3 eine Bestätigung über seine illegale Mitgliedschaft bei der NSDAP ausstellen. Da Zeiszig wegen der bestehenden finanziellen Forderungen an die Firma Klinkhoff der einzige Interessent an der Firma war, suchte er nach Teilhabern an dem Betrieb. Dabei betonte er, dass die Firma aufgrund ihrer maschinellen Einrichtung, »zur Herstellung von Flugzeugbordgeräten und diversen Messinstrumenten für das Rüstungswesen«38 sehr geeignet sei. Nachdem sich keine Partner fanden, meldete der kommissarische Verwalter wegen der zunehmenden Überschuldung am 29. September 1938 den Ausgleich an. Am 22. November 1938 wurden die Villen in der Meytensgasse und in Edlach bei Reichenau verkauft. Der Erlös von insgesamt 44.000,- Reichsmark wurde dem Firmenkapital zugeschlagen. Aus den Aufzeichnungen von Walter Klinkhoff geht hervor, dass sein Vater Hans die in Wien verbliebenen Verwandten ermunterte, sich jene Einrichtungsgegenstände zu nehmen, die sie benötigen würden.39 Ab Mitte des Jahres 1938 hatten es also Hans, seine Ehefrau Hermine und die beiden Söhne Fritz und Walter geschafft, Österreich zu verlassen und dem Terror der Nationalsozialisten zu entfliehen. Nur die 80-jährige Mutter Emma blieb in Wien zurück. Sie wurde in einer Sammelwohnung in Wien 2, Große Stadtgutgasse 7, untergebracht, wo sie am 24. März 1942 vor ihrer bevorstehenden Deportation im Alter von 84 Jahren Selbstmord verübte.40 Sie wurde am Zentralfriedhof, 4. Tor (Gruppe 20D, Reihe 2, Nr. 15), bestattet. Der Verbleib des Gemäldes Kaisers-Dank erschloss sich aus den Akten des Oberfinanzpräsidenten Wien-Niederdonau, in denen sich eine Abrechnung der Vugesta an 36 KLINKHOFF, Austrian Connection, S. 7. 37 OeStA, Vermögensanmeldung 44278 (Hans Klinkhoff ), Vollmacht von Hans und Hermine Klinkhoff für Dr. Felix Friedlaender vom 11.7.1938. 38 OeStA, Vermögensanmeldung 44278 (Hans Klinkhoff ). 39 KLINKHOFF, Austrian Connection, S. 8. 40 IKG Wien, Friedhofskartei.

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»Kaisers-Dank«    321

die Geheime Staatspolizei Wien vom 27. Februar 1943 über 18 Möbelwagenmeter und drei Kolli Umzugsgut des »Johann Klinkhoff« fand.41 »Auftragsgemäß« seien die Gegenstände »zufolge des Beschlagnahmebescheides vom 15. November 1940 der Verwertung zugeführt« worden. Am 25. August 1941 erwarben die Städtischen Sammlungen dieses Bild »von der Gestapo aus beschlagnahmten Sachwerten«.42 Am 24. März 2009 gelangte die Wiener Restitutionskommission einhellig zur Ansicht, dass es sich bei dem Gemälde Kaisers-Dank um ein restitutionsfähiges Objekt handelt. Nach Feststellung der rechtmäßigen Rechtsnachfolger wurde das Gemälde schließlich gemäß der Empfehlung der Kommission restituiert. Im September 2009 schenkten die Erben von Hans Klinkhoff das Gemälde Kaisers-Dank nach erfolgter Restitution großzügigerweise dem Wien Museum. Im März 2016, 101 Jahre nach Fertigstellung des Gemäldes und 73 Jahre nach dessen Raub und Ankauf durch die Städtischen Sammlungen, besuchte Craig Klinkhoff, Urenkel von Hans und Hermine Klinkhoff, das Wien Museum und besichtigte KaisersDank in den Depoträumen in Himberg. Danach betonte er: Seeing Kaisers-Dank in person in addition to learning more about my family was extremely significant to me. [...] [G]reater understanding of where my family is from can only serve to strengthen my understanding of who I am. This is especially relevant because my grandfather began our family’s tradition of selling art in 1949. I wonder if this painting (and others) that hung in his home spawned his appreciation and ultimately two additional generations of art dealers in Canada.43

41 OeStA, Vermögensanmeldung 44278 (Hans Klinkhoff ). 42 Inventarbuch der Städtischen Sammlungen (heute Wien Museum), Inv. Nr. 70.233. 43 E-Mail von Craig Klinkhoff an Michael Wladika und Gerhard Milchram vom 29.3.2016.

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»... unter Glas und Rahmen eine vergilbte Urkunde ...«1 Einige Erinnerungsstücke an Adolf von Sonnenthal im Theatermuseum

Monika Löscher

»Angeschwärmt stand Adolf Ritter von Sonnenthal, geboren als jüdischer Schneider, unter Komtessen und Grafen, die er von der Bühne des kaiserlich-königlichen Hofburgtheaters lehrte, wie man sich in feiner Gesellschaft vorbildlich benahm.«2 Der in Budapest geborene Adolf Sonnenthal (1834–1909) – er wurde 1881 geadelt – war der Sohn einer verarmten jüdischen Schneiderfamilie. Er erhielt zunächst eine Handwerksausbildung und wurde später zum gefeierten Bühnenstar des k. k. Hofburgtheaters. Er kam 1850 nach Wien, wo er seine Karriere am Burgtheater zunächst als Statist begann. Seine ersten Rollen führten ihn in die Provinz, 1856 kehrte er nach Wien zurück. Während seines 53-jährigen Wirkens am Burgtheater war er in über 400 Rollen zu sehen. In seine Zeit als provisorischer Bugtheaterdirektor fiel 1888 die Eröffnung des neuen Hauses am Ring. Adolf von Sonnenthal galt als Ikone der Wiener Gesellschaft und war Vorbild als eleganter Herr. Er war der erste jüdische Schauspieler, der nobilitiert wurde. Der österreichische Schriftsteller Oskar Jellinek bezeichnete ihn einst als »der liebe Gott des Burgtheaters«.3 1860 heiratete er Pauline Pappenheim (1843–1872),4 mit der er fünf Kinder hatte, von denen eines im Kindesalter starb.5 Stefan Zweig beschrieb in seinen Erinnerungen Die Welt von gestern den Nimbus des Schauspielers: An dem Hofschauspieler sah der Zuschauer vorbildlich, wie man sich kleidete, wie man in ein Zimmer trat, wie man konversierte, welche Worte man als Mann von gutem Geschmack gebrauchen durfte, und welche man zu vermeiden hatte; die Bühne war statt einer bloßen Stätte der Unterhaltung ein gesprochener und plastischer Leitfaden des guten Benehmens, der richtigen Aussprache, und ein Nimbus des Respekts 1 2 3

Neue Freie Presse, 22.12.1932, Die Eröffnung des Bundestheatermuseums, S. 6. Ernst LOTHAR, Der Engel mit der Posaune, 2. Aufl., Wien 2017, S. 219. Oskar JELLINEK, Das Burgtheater eines Zwanzigjährigen, Wien 1907, S. 20, zit. n. Elisabeth STRASSER, Essayistische Schriften zum Wiener Hof-Burgtheater, Univ. Diplomarb., Wien 2009, S. 47. 4 Zu seiner Biografie vgl. http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_S/Sonnenthal_Adolf_1832_1909.xml (21.2.2018). 5 http://www.geni.com/people/Adolf-von-Sonnenthal/6000000007014463450?through=6000 000010567246621 (27.1.2016).

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326   Monika Löscher Die Gründung des Bundestheatermuseums und die Sammlung Sonnenthal

Der Theaterwissenschaftler Joseph Gregor (1888–1960) gründete 1922 die Theatersammlung als eigenständige Abteilung der Österreichischen Nationalbibliothek.12 Nur wenige Jahre später plante er die Errichtung eines Bundestheatermuseums. Dieses Vorhaben wurde vom Verein der Museumsfreunde und dem Generalintendanten der Bundestheater, Franz Schneiderhan (1863–1938), unterstützt. Es begann die aktive Suche nach musealen Erinnerungsstücken aus dem ehemaligen Eigentum berühmter Schauspieler_innen der Bundestheater. So schrieb Schneiderhahn im Februar 1931 an Siegmund von Sonnenthal (1867–1933), den ältesten lebenden Sohn Adolf von Sonnenthals, und bat ihn um Objekte seines Vaters, um »die unauslöschliche Erinnerung an Ihren großen Herrn Vater würdig zu pflegen«.13 Siegmund kam dieser Bitte nach und in der Folge gelangten 17 Positionen, darunter Erinnerungsstücke wie eine Lorbeerkrone oder eine goldene Uhrkette, die Adolf von Sonnenthal an seinem Todestag getragen hatte, in die Ausstellung.14 Die feierliche Eröffnung des neuen Museums fand am 21. Dezember 1932 statt.15 Die Schau befand sich in der ehemaligen Privatwohnung des früheren Burgtheaterdirektors Anton Wildgans (1881–1932), im linken Flügel des Burgtheaters,16 wurde aber, da die Räumlichkeiten wieder für Wohnzwecke in Anspruch genommen werden sollten,17 im März 1938 aufgelöst.18 Die Bestände des Bundestheatermuseums gingen schlussendlich im heutigen Theatermuseum auf. Unabhängig von den Leihgaben spendete die Schwiegertochter Adolf von Sonnenthals, Margarethe (1878–1942), Witwe des 1933 verstorbenen Sohn Siegmund, der

12 Vgl. Joseph GREGOR, Das Bundestheatermuseum, in: Almanach der österreichischen Bundestheater für das Spieljahr 1932/33, Wien 1933, S. 12–16. 13 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Bundestheatermuseum, Mappe 1931, Schneiderhan an Siegmund Sonnenthal, 13.2.1931, zit. n. Christina GSCHIEL, Joseph Gregor und die Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien – rastlose Tätigkeit im Interesse der Sammlung, in: Eva BLIMLINGER, Heinz SCHÖDL (Hg.), Die Praxis des Sammelns. Personen und Institutionen im Fokus der Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 5), Wien-Köln-Weimar 2014, S. 281. 14 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Div Akten 2 Korrespondenzen 20er, 30er, 40er Jahre, Mappe Staatstheatermuseum Korrespondenzen, Einlage B. Th. M. betr. Leihgaben A. v. Sonnenthal bzgl. Rückstellung März 1938, Verzeichnis 5.3.1931. 15 Vgl. Das Bundestheatermuseum. Eine neue Wiener Sehenswürdigkeit, in: Reichspost vom 22.12.1932, S. 7. 16 Vgl. OeStA/AdR, PK, Ktn. 430, Zl. 11.318/1932. 17 Vgl. ÖNB-Archiv, Zl. 324, Stummvoll an Haertl, 28.3.1958, zit. n. GSCHIEL, Gregor, S. 281. 18 Vgl. ÖTM-Archiv, o.Zl., Bundestheatermuseum, Pro Memoria, 15.1.1946, zit. n. GSCHIEL 2014, S. 281.

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328   Monika Löscher Vaters stammenden Schriftstücke – sein ›Tagebuch‹, Stammbuch, Briefe, eigenhändige Abschriften von Gedichten – ferner seine Rollenbücher, Theaterzettel etc. gewissenhaft aufzubewahren und testamentarisch etwa so darüber zu verfügen, dass der wichtigste Teil dieses Nachlasses vielleicht der k. k. Hofbibliothek zu Wien übergeben und dortselbst bleibend aufbewahrt werde«.21 Das Andenken an Adolf von Sonnenthal nach seinem Tode

Adolf von Sonnenthal starb 1909 in Wien, ohne das Bemühen seines Sohnes und seiner Schwiegertochter wäre wohl die Erinnerung an ihn bald verblasst. So spielte er aber noch Jahre nach seinem Tod eine Rolle im kulturellen Gedächtnis Wiens. 1935 organisierte Joseph Gregor eine Ausstellung – nicht zuletzt als Ausdruck des Dankes für die großzügigen Zuwendungen der Familie – im Bundestheatermuseum, in der auch etliche Leihgaben aus dem Jahr 1931 zu sehen waren.22 Dazu kamen weitere Gedenkveranstaltungen und Vorträge anlässlich seines 25-jähriges Todestages im Jahr 1934.23 Dass Adolf von Sonnenthals Objekte in der Familie einen hohen Stellenwert besaßen, macht folgende Episode deutlich: Im Herbst 1930 befand sich seine Schwiegertochter Margarethe auf Kur in Karlsbad und Weimar. Ihr Mann sandte ihr die Erstausgabe von Nathan, der Weise und ein Papiermesser – »von Papilein ungezählte Jahre immer benutzt (auf dem Schreibtisch)« – mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die Objekte aus dem Besitz Adolf von Sonnenthals waren und mit dem Wunsch, dass sie beides als »Festgeschenk« jemanden widmen könne.24 Wie erwähnt, war der älteste Sohn Adolf von Sonnenhals, Siegmund von Sonnenthal mit Margarethe, geborene Herz, verheiratet. Im April 1892 trat er als Chemiker in die Siemens & Halske Aktiengesellschaft ein und blieb bis 1904 als Prokurist in der mittlerweile mit der Österreichischen Schuckert-Werke fusionierten Firma.25 Später war er Direktor des im Herbst 1904 gegründeten Kartells der Kabelwerke der österreichisch-ungarischen Monarchie.26 Siegmund von Sonnenthal war kulturell sehr interessiert: So stand er unter anderen mit dem Kunsthistoriker und langjährigen Direktor 21 WStLA, Verlassenschaftsakt von Sonnenthal Hermine, Zl. 1A 508/42, Kodizill, 10.11.1916, zit. n. GSCHIEL 2014, S. 283. 22 Vgl. Salzburger Volksblatt, 5.3.1935, S. 6. 23 Vgl. Illustrierte Kronen Zeitung, 6.4.1934, S. 3. 24 Vgl. Privatarchiv Miguel Herz-Kestranek (MHK), Siegmund an Margarethe von Sonnenthal, 25.10.1930. 25 Vgl. Privatarchiv MHK, Zeugnis der Siemens-Schuckert-Werke, 31.7.1904. 26 Vgl. Privatarchiv MHK, Protokoll über die Kontrahentenversammlung am 27.10.1933 im BleikabelEvidenzbureau.

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»... unter Glas und Rahmen eine vergilbte Urkunde ...«   329

der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Gustav Glück (1871–1952) und mit dem Schriftsteller, Mäzen und Kunstsammler Karl Lanckoroński (1848–1933) in Kontakt.27 1925 verfasste er die Broschüre Der Kampf um unsere Kulturgüter. Die Frage der Albertina, die er seiner Frau widmete. Darin kritisierte er die Kulturpolitik der Zwischenkriegszeit. Sonnenthals ehemalige Arbeitskollegen beschrieben ihn nach dessen Tode: Er war »empfänglich und fördernd für alles Gute und Schöne auf der Welt, begeistert für Wissenschaft und vor allem für die Kunst, als Musik, Theater, Malerei, Graphik und Plastik«.28 Mit ihren beiden Töchtern Eva Henriette (1899–1973) und Gertrud Eleonore (1903–1927) wohnte Siegmund und Margarethe von Sonnenthal in der Anton-FrankGasse 2029 im Cottageviertel in Wien Währing. Am 24. Mai 1927, nur wenige Wochen vor dem Tod der jüngeren Tochter Gertrud, trat die Familie aus der Israelitischen Kultusgemeinde Wien.30 Gemeinsam konvertierten sie zum Katholizismus: Gertrud Sonnenthal31 ist ebenso wie ihr Vater Siegmund Sonnenthal32 im Sterbebuch der Pfarre Währing eingetragen. Margarethe bezahlte Kirchensteuer.33 Aus ihrem Tagebuch geht hervor, dass sie bis zu ihrem Tod eine enge Bindung an die katholische Kirche hatte.34 Am 17. Oktober 1933 starb Siegmund von Sonnenthal und vermachte seiner älteren Tochter Eva Henriette eine Hälfte des Hauses.35 Als Todesursache wurde im Totenschein »Verkalkung der Kranzadern des Herzens« angegeben.36

27 Vgl. Korrespondenz Siegmund Sonnenthal mit Gustav Glück und Karl Lanckoroński, verfügbar in ÖNB Sammlung von Handschriften und alten Drucken. 28 Privatarchiv MHK, Protokoll über die Kontrahentenversammlung am 27.10.1933 im Bleikabel-Evidenzbureau. 29 Viktor Fiala machte die Zubauten für das ursprünglich für Otto Habsburg-Lothringen (1865–1906) gebaute Haus. Das Gartentor wurde anlässlich der Pariser Weltausstellung 1890 prämiert und steht unter Denkmalschutz. Heute ist dort die israelische Botschaft untergebracht. Vgl. http://www.architektenlexikon.at/de/133.htm (7.3.2016). 30 Vgl. E-Mail zu den Matriken der Familie Sonnenthal von Wolf-Erich Eckstein an Christina Gschiel am 9.5.2013. 31 http://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/wien/18-waehring/03-34/?pg=103 (21.2.2018). 32 http://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/wien/18-waehring/03-37/?pg=108 (21.2.2018). 33 Vgl. Privatarchiv MHK, Margarethe von Sonnenthal zahlte im April 1941 Kirchensteuer in der Höhe von 30,- RM. 34 Vgl. Privatarchiv MHK, Tagebuch von Margarethe von Sonnenthal, Einträge vom 30.8.1941, 20.9.1941 und 2.10.1941. 35 Vgl. WStLA, Grundbuchsurkunde (Einantwortungsurkunde) zu EZ 233, Katastralgemeinde Währing. 36 Privatarchiv MHK, Totenschein, vom katholischen Pfarramt Währing ausgestellt, 6.11.1933.

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330   Monika Löscher Kurz nach dem »Anschluss«, am 14. März 1938, schrieb die Witwe Margarethe von Sonnenthal an Joseph Gregor, den Leiter der Theatersammlung und des Bundestheatermuseums: Ich wende mich heute mit einer Angelegenheit an Sie die mir sehr am Herzen liegt. Wie Ihnen erinnerlich sein dürfte, hat mein Mann seinerzeit die Gegenstände aus dem Nachlasse seines verewigten Vaters dem Theatermuseum als Leihgaben überlassen, unter der Bedingung diese gegebenen Falles zurück ziehen zu können. Nun scheint mir der Augenblick hierfür jetzt gekommen u. ich wäre Ihnen sehr geehrter Herr Hofrat, sehr dankbar, wenn Sie die notwendigen Schritte einleiten wollten und mir gütigst mitteilen würden, wann u. wie ich die Gegenstände möglichst bald, holen lassen kann. Ich nehme an dass Sie ein Verzeichnis der Gegenstände besitzen, wozu noch ein Ebenholzkästchen mit Elfenbeineinlagen u. der Inschrift ›Speel Du man gut min Jung‹ u. eine Zigarrentasche mit einem Holzstückchen (von der Badehütte Gabillons in Grundlsee) dazu gekommen sind. Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Hofrat, die Bemühung [?] gütigst zu verzeihen u. verbleibe mit den verbindlichsten Empfehlungen Ihre ergebene Margarethe Sonnenthal.37

Dem Schreiben beigelegt war eine Kopie des Verzeichnisses der Leihgaben von 1931. Handschriftlich wurde die Liste nach Rückgabe der Objekte an Margarethe von Sonnenthal im März 1938 ergänzt: »mit Ausnahme von No. 11 und 14 und Ebenholzkasten erhalten, Margarethe Sonnenthal«.38 Aus der weiteren Korrespondenz ist unklar, ob sie auch jene Leihgaben zurückerhielt. Jedenfalls urgierte sie diese nicht in einem Brief vom 28. März 1938 an Gregor.39 Mit der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 mussten auch Margarethe und ihre Tochter Eva Henriette Sonnenthal eine Vermögensanmeldung abgeben. Darin werden zwar die einstigen Leihgaben nicht einzeln gelistet, sind aber vermutlich unter Punkt i) »Anderes nicht unter a bis h fallendes

37 ÖTM-Archiv, Kiste Div Akten 2 Korrespondenzen 20er, 30er, 40er Jahre, Mappe Staatstheatermuseum Korrespondenzen, Einlage B. Th. M. betr. Leihgaben A. v. Sonnenthal bzgl. Rückstellung März 1938. 38 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Div Akten 2 Korrespondenzen 20er, 30er, 40er Jahre, Mappe Staatstheatermuseum Korrespondenzen, Einlage B. Th. M. betr. Leihgaben A. v. Sonnenthal bzgl. Rückstellung März 1938, Verzeichnis 5.3.1931. 39 Vgl. ÖTM, Nachlass Joseph Gregor, Briefe an Gregor, Kiste Ro – Strauss, M. Sonnenthal an Gregor, 28.3.1938.

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»... unter Glas und Rahmen eine vergilbte Urkunde ...«   331

›sonstiges Vermögen‹« subsumiert.40 Am 14. November 1938 schrieb Margarethe von Sonnenthal an die Vermögensverkehrsstelle, dass bei einer Hausdurchsuchung am 10. November 1938 Bargeld im Werte von 1.300,- RM und Schmuck im Werte von 6.585,- RM beschlagnahmt wurde.41 In einem weiteren Schreiben vom 6. Dezember 1938 präzisierte sie, dass die Objekte von einer Kommission der Ortsgruppenleitung Weimarerstrasse beschlagnahmt wurden.42 Margarethe von Sonnenthal war bis 7. April 1941 in der Anton-Frank-Gasse 20 in Wien-Währing gemeldet und zog dann laut Meldezettel nach »Oberbayern, Altreich«.43 Sie erhielt auch weiterhin eine Pension nach ihrem Mann vom Bleikabel­ evidenzbüro in der Höhe von jährlich brutto 6.369,37 RM sowie eine Pension von der Angestelltenversicherung.44 Margarethe lebte in Alzing, einem kleinen Ort der Gemeinde Siegsdorf in Oberbayern. Sie wählte den Ort vermutlich deswegen, weil ihr Cousin Eugen (1875–1944), der nach den »Nürnberger Gesetzen« als Jude galt, gemeinsam mit seiner Frau Ida Herz (1876–1963) in unmittelbarer Nähe, nämlich in Rimsting, wohnte. Dort starb er 1944 eines natürlichen Todes.45 In einem Brief an einen ihrer Anwälte beschrieb Margarethe ihren Aufenthalt: Ich lebe hier in einem idyllischen winzigen Ort, ganz einsam, aber abgesehen von der erfolgten amtlichen Meldung, so weit incognito, dass ich bitten muss ihre Antwort nicht an mich, sondern an: Frau Johanna Götz, Haus Santa Maria, Alzing, Post Bergen, Oberbayern zu adressieren und auch von meinem Aufenthaltsort keinen weiteren Gebrauch machen. Ich freue mich der Ruhe und hoffe, sie auch weiterhin geniessen zu können.46

In ihren Tagebucheintragungen schildert sie ihren Alltag: Spaziergänge, Besorgungen in Traunstein und Besuche bei ihren Verwandten in Rimsting.47

40 OeStA/AdR E-uReang VVSt VA 3323, Margarethe Sonnenthal. 41 Vgl. OeStA/AdR E-uReang VVSt VA 3323, Margarethe Sonnenthal an die VVSt, 14.12.1938 (wohl November gemeint). 42 Vgl. OeStA/AdR E-uReang VVSt VA 3323, Margarethe und Eva Sonnenthal an die VVSt, 6.12.1938. 43 Vgl. WStLA, Meldeanfrage Margarethe Sonnenthal. 44 Vgl. Privatarchiv MHK, Beilage zur Einkommenssteuererklärung für das Kalenderjahr 1938. 45 Vgl. Miguel HERZ-KESTRANEK, Marie-Theres ARNBOM, Also hab ich nur mich selbst! Stefan HerzKestranek – Stationen eines großbürgerlichen Emigranten 1938 bis 1945, Wien 1997, S. 14. 46 Privatarchiv MHK, Margarethe von Sonnenthal an Bodart, 8.8.1941. 47 Vgl. Privatarchiv MHK. Das Tagebuch beginnt mit 28.8.1941 und endet mit 3.12.1941, ein weiteres Tagebuch beginnt mit 4.12.1941. Der letzte Eintrag stammt vom 18.1.1942.

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332   Monika Löscher Margarethe von Sonnenthal beging vermutlich am 23. März 1942 Suizid. Ihre Leiche wurde erst Wochen später »im gemeindefreien Gebiet des Forstamts MaquartseinOst am Schnappenweg« aufgefunden.48 Im Sterbebuch von Marquartstein heißt es: »Todesursache: nicht feststellbar. Wahrscheinlich Vergiftung.«49 Erst am 27. Juli konnte ihre Leiche identifiziert werden.50 Ida Herz schrieb nach Kriegsende ihrem Sohn Stefan, der sich im Exil in Uruguay befand: »Gretl Sonnenthal, die wir durch ein Jahr hier in der Nähe in Sicherheit brachten, endete tragisch durch Selbstmord, da sie eine ehemalige Bekannte ihres Hauses als Jüdin denunzierte. Um einem qualvollen Ende in einem Konzentrationslager zu entgehen, machte sie selber Schluß. Evchen schrieb man, daß sie nach einer kurzen Krankheit bei uns verschieden sei.«51 Eva Henriette Sonnenthal war im August 1939 nach London emigriert.52 Vor ihrer Flucht hatte sie als Sekretärin bei der Ortsgruppe Wien der All Peoples’ Association gearbeitet, ehe der Verein im Juni 1939 aufgelöst53 und sein Vermögen zu gleichen Teilen zwischen dem Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und Verbände und der NSDAP, Gau Wien, aufgeteilt wurde.54 Im Nachlass ihrer Mutter Margarethe befanden sich noch einige Schauspielerporträts Sonnenthals sowie ein Burgtheater-Programm vom 12. August 1898 und eine Widmungsurkunde des Rheinischen Goethe-Vereines an Sonnenthal. Im Dezember

48 Sterbefall Sonnenthal, Rathaus Maquartstein, Amtsgericht Traunstein, Mitteilung eines Todesfalles, 24.7.1942. Ich danke Frau Hammerl vom Rathaus Maquartstein für die Übermittlung einer Kopie. 49 WStLA, Verlassenschaftsakt Margarethe Sonnenthal, Zl. 1A 508/42, Beglaubigte Abschrift aus dem Sterbebuch von Marquartstein, 14.7.1942. 50 Sterbefall Sonnenthal, Rathaus Maquartstein, Eintrag im Sterberegister des Standesamtes Maquartstein, Nr. 8/1942. 51 Privatarchiv MHK, Ida an Stefan Herz, 9.5.1945. 52 Vgl. WStLA, Meldeanfrage Eva Henriette Sonnenthal. 53 Vgl. OeStA/AdR E-uReang Hilfsfonds Abgeltungsfonds 11194 (Eva Henriette Sonnenthal). 54 Vgl. WStLA, M. Abt. 119 – A32 – 1066/35. Schreiben vom Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Stab Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und Verbände, Schlußbericht vom 26.6.1939. Buchbestände der All Peoples’ Association befinden sich heute in der Fachbereichsbibliothek Anglistik und Amerikanistik der Universität Wien und sollen – sofern keine Rechtsnachfolger_innen gefunden werden – dem Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus überantwortet werden. Vgl. Monika LÖSCHER, Markus STUMPF, »… im wesentlichen unbeschädigt erhalten geblieben …«. Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek Wien am Beispiel der Fachbereichsbibliothek Anglistik und Amerikanistik, in: Gabriele ANDERL, Christoph BAZIL, Eva BLIMLINGER, Oliver KÜHSCHELM, Monika MAYER, Anita STELZL-GALLIAN, Leonhard WEIDINGER (Hg.), … wesentlich mehr Fälle als angenommen. 10 Jahre Kommission für Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 1), Wien 2008, S. 281– 297, hier: S. 297.

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1942 wurde die Verlassenschaftskuratorin ermächtigt, die Nachlassgegenstände »bestmöglich, nicht aber unter dem Schätzwerte zu verkaufen«.55 Diese berichtete: Der grösste Teil der Bilder hat geringen Wert. Infolge ihres Charakters sind sie lt. Urteil des Herrn Schätzmeisters z. B. für eine Kunstsammlung nicht geeignet. […] und erlaube mir noch zu bemerken, dass ich für die Bilder unter 10 u. 11 [Sonnenthal als Nero und als Hamlet, Ergänzung der Verfasserin], welche im Inventar bloss mit dem Materialwerte eingestellt werden konnten, ein sehr günstiges Anbot habe und die Absicht habe die grösseren Werke im Kunsthandel zum Verkaufe zu bringen.56

In einem späteren Schreiben an das Amtsgericht Döbling gab die Verlassenschaftskuratorin Gabriele Wlk an: Alle übrigen Bilder ausgenommen Punkt 10, 11 und 13 möchte ich über Anraten Dr. Reich versteigern lassen. Für die Bilder Nr. 10, Sonnenthal als Nero, Bild Nr. 11, Sonnenthal als Hamlet und Nr. 13, das alte Burgtheater von Hofbauer würde mir Dr. Reich einen Käufer empfehlen, der einen namhaften Preis bietet.57 Bei der Versteigerung sind die Bilder 10 und 11 schwer anzubringen, weil sie einen jüdischen Schauspieler darstellen.58

Wer die Bilder angekauft hat, konnte bislang nicht eruiert werden. Nach Kriegsende blieb Eva Henriette Sonnenthal in England, wo sie 1973 in einem Altersheim in London starb.59 Auch nach 1945 war sie mit der Theatersammlung in Kontakt. So plante sie, ein Porträt ihres Großvaters zu widmen, der zu diesem Zeitpunkt wohl keine Rolle mehr im kollektiven Gedächtnis der Stadt Wien spielte.60 Sie bemühte sich, vertreten durch ihren Rechtsanwalt Dr. Alfons Bodart, der bereits ihre Mutter in der NS-Zeit in Finanzangelegenheiten beraten hatte,61 um Rückerstattung ihres Eigentums.62 Eva Sonnenthal stellte im November 1946 nach dem ersten Rück55 WStLA, Verlassenschaftsakt Margarethe Sonnenthal, Zl. 1A 508/42, Amtsgericht Döbling Beschluss, 5.11.1942 [eigentlich: 5.12.1942]. 56 WStLA, Verlassenschaftsakt Margarethe Sonnenthal, Zl. 1A 508/42, Bericht von Gabriele Wlk an Amtsgericht Döbling, 14.12.1942. 57 Mit dem Käufer kann zwar Joseph Gregor gemeint gewesen sein, die Bilder befinden sich aber heute nicht im Bestand des Theatermuseums. 58 WStLA, Verlassenschaftsakt Margarethe Sonnenthal, Zl. 1A 508/42, Niederschrift Amtsgericht Döbling 16.1.1943. 59 Vgl. OeStA/AdR E-uReang Hilfsfonds Abgeltungsfonds 5508 (Eva und Margarete Sonnenthal). Hertha Feest an K. L. Fischl, 31.1.1973. 60 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste: Schriftverkehr 1958, Mappe: November Zl. 314/58 – 353/58, Franz Hadamowsky an Eva Sonnenthal, 17.11.1958. 61 Vgl. Privatarchiv MHK, Bodart an Margarethe von Sonnenthal, 3.3.1941. 62 Vgl. WStLA, VEAV, 18. Bez., 502, Anton Frankgasse 20; OeStA/AdR E-uReang Hilfsfonds Abgeltungs-

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334   Monika Löscher stellungsgesetz einen Antrag auf Rückerstattung ihrer Haushälfte in der Anton-FrankGasse, die aufgrund der 11. Verordnung des Reichsbürgergesetzes zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen worden war. Laut Bescheid der Finanzlandesdirektion wurde ihr dies mit 2. Februar 1947 rückgestellt.63 Die Liegenschaftshälfte ihrer Mutter wurde ihr im Mai 1949 laut Erkenntnis der Rückstellungskommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen rückgestellt. Im Gegenzug musste sie ihren Antragsgegnern den Betrag von 37.000,- S zurückzahlen.64 Die Sammlung Sonnenthal vor dem Kunstrückgabebeirat

Im Theatermuseum befanden sich bis vor Kurzem Objekte aus der Sammlung des Schauspielers Adolf von Sonnenthal, die sein Sohn Siegmund von Sonnenthal im Jahr 1931 dem damaligen Bundestheatermuseum als Leihgaben gegeben hatte. Von diesen waren einige – nach der Rückgabe an dessen Witwe Margarethe von Sonnenthal kurz nach dem »Anschluss« 1938 – auf unterschiedlichen Wegen zunächst wieder in das Haus und später in das Theatermuseum gelangten. Bei einigen wenigen Objekten wurde im Verzeichnis der Leihgaben die Rückgabe 1941 vermerkt, etwa bei einer goldenen Uhrkette mit fünf Anhängern.65 Andere Objekte scheinen später in den Bergungslisten auf, wie ein Pulverhorn, das angeblich aus Wallensteins Besitz stammte, oder ein Lorbeerkranz.66 Zu einer Miniaturordenskette findet sich der Hinweis »1940 wieder erhalten als ›P 38‹«.67 Ein Album, dass Adolf von Sonnenthal für Fotografien, Briefe und sonstige Erinnerungsstücke angelegt hatte, wurde 1946 im Dorotheum ersteigert.68 Einzig hinsichtlich einer Plakette, die Schauspielerin Charlotte Wolter (1834–1897) darstellend, fehlen jegliche Hinweise, wann und unter welchen Umständen das Objekt wieder in die Theatersammlung gelangte. Zwar sprach der Kunstrückgabebeirat bereits im Oktober 2008 eine Rückgabeempfehlung aus, doch das damalige Dossier ging von einer irrigen Anzahl an Leihgaben aus. Die Bestände des Theatermuseums wurden daher erneut überprüft und das urfonds 11194 (Eva Henriette Sonnenthal) und 5508 (Eva und Margarethe Sonnenthal). 63 Vgl. WStLA, Bescheid der Finanzlandesdirektion vom 5.2.1947, 441/1947. Grundbuchsurkunden zu EZ 233, Katastralgemeinde Währing. 64 Vgl. WStLA, Erkenntnis der Rückstellungskommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen, 12.5.1949; Grundbuchsurkunden zu EZ 233, Katastralgemeinde Währing. 65 Museum der Staatstheater, Verzeichnis der Bestände, Bd. I, Nr. 5. 66 ÖTM-Archiv, Kiste Bundestheatermuseum, Mappe Staatstheatermuseum betr. Bergung, Staatstheatermuseum Inhalt des Bergungskoffers I, 28.9.1942. Notiz am Ende der Liste. 67 Vgl. Museum der Staatstheater, Verzeichnis der Bestände, Bd. I, Nr. 15. 68 Vgl. ÖTM-Archiv, Kiste Jahresbericht 1932–1965, Jahresbericht 1.4.1945–31.12.1946.

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»... unter Glas und Rahmen eine vergilbte Urkunde ...«   335

sprüngliche Dossier berichtigt. Schlussendlich gab der Beirat im Dezember 2016 die Empfehlung ab, diese ehemaligen Leihgaben an die Erb_innen nach Sonnenthal zurückzugeben.69 Sämtliche dieser Objekte wurden mittlerweile von den Erb_innen zurückgekauft und befinden sich weiterhin im Theatermuseum.

69 http://www.provenienzforschung.gv.at/de/empfehlungen-des-beirats/beschluesse/beschluesse-2008-2013/ (demnächst online).

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Der gestohlene Austro Daimler ADR – Auf der Spur eines ungeklärten Provenienzfalles Christian Klösch

Im November 2002 fragte ein Wiener Sammler von Oldtimern beim Technischen Museum Wien mit Österreichischer Mediathek (TMW) an, ob das Museum am Erwerb seines fahrbereiten Austro Daimler ADR Cabriolet interessiert sei.1 Nach dem Vorliegen von zwei externen Gutachten und der Genehmigung des damaligen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie der Einverständniserklärungen des Bundesministeriums für Finanzen und des Bundesdenkmalamts stimmte das TMW einem Angebot zu, demzufolge ein im Depot des TMW befindliches Fahrzeug gegen den Austro Daimler ADR eingetauscht werden sollten. Mit 16. Mai 2003 wurde der Austro Daimler ADR mit der Motornummer 24001 unter der Inventarnummer 58873 inventarisiert.2 Der Austro Daimler ADR war das Luxusfahrzeug der österreichischen Automobilproduktion der Zwischenkriegszeit. In Wiener Neustadt erzeugte das Unternehmen im Zeitraum von 1927–1931 zwischen 2.400 und 2.600 Fahrzeuge dieser Type, die in acht verschiedenen Ausführungen verfügbar waren.3 Die Erforschung der Provenienz der Fahrzeugsammlung des TMW

2008 begann die Untersuchung der Provenienz der Fahrzeugsammlung des Hauses. Schon bald stellte sich heraus, dass umfangreiche Analysen externen Quellenmaterials notwendig sind, um die Besitzgeschichten von Motorrädern, Personen- und Lastkraftwagen nachzuvollziehen. In einem vom Wissenschaftsministerium finanzierten Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und in Kooperation mit dem Deutschen Museum in München widmete sich das TMW drei Jahre lang dem Raub und der Beschlagnahme von Kraftfahrzeugen durch das NS1 2 3

Baujahr 1929, Chasisnummer: 11919, Motornummer 24001, Fabrikationsnummer: 27018/4. TMW-Archiv, Anlagen zur Inv. Nr. 58873, Bundesministerium für Bildung Wissenschaft und Kultur, Zl. 22790/5-IV/1/2003, 16.5.2003. Martin PFUNDNER, Austro Daimler und Steyr. Rivalen bis zur Fusion. Die frühen Jahre des Ferdinand Porsche, Wien 2007, S. 224; vgl. Peter ZUMPF, Gerhard GEISSL, Gerhard WEINZETTL, Austro Daimler. Wiener Neustadt, Wiener Neustadt 2003; Franz PINCZOLITS, Austro Daimler. Paul Daimler und Ferdinand Porsche – Pioniere des Automobils, Wiener Neustadt 1986.

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340   Christian Klösch haben. Berman (1920–2006),7 wohnhaft in Allentown, Pennsylvania, besaß etwa 30 historische Fahrzeuge, darunter auch drei Austro Daimler. Das Austro Daimler Cabriolet besaß er seit 1981. 1986 wurde das Auto seitens des American Automobile Club (AAC) zum besten ausländischen Fahrzeug in der Kategorie Oldtimer gekürt. 1988 errang das Fahrzeug einen Klassensieg beim bedeutendsten Oldtimer-Wettbewerb der USA, dem Concours d’Elegance in Pebble Beach in Kalifornien.8 Berman ließ das Fahrzeug in den 1980er Jahren nach dem damaligen Zeitgeschmack für Oldtimer der Luxusklasse überarbeiten: Es erhielt eine rote Lackierung nach dem Vorbild von US-amerikanischen Luxusautomobilen der 1930er Jahren, die allerdings nicht der originalen zeitgenössischen Austro-Daimler-Lackierung entsprach. Er ließ auch Veränderungen am Armaturenbrett vornehmen. Der heutige Zustand des Fahrzeugs entspricht weitgehend den damals vorgenommen Adaptierungen. Nach Aussagen des Oldtimerexperten Adolf Hauler, erwarb Berman das Cabriolet 1981 vom Wiener Pionier der Oldtimerszene, dem Journalisten Henry Goldhann († 1995). Goldhann widmete sich seit den 1950er Jahren dem Ankauf und der Restaurierung von alten Fahrzeugen und war einer der Gründer des Automobil Veteranen Club Austria (AVCA) 1972.9 Das Cabriolet hatte Goldhann Ende der 1950er Jahre bei Amstetten10 (Niederösterreich), nach anderen Angaben 1963 als Wrack bei Blindenmarkt (Niederösterreich) von einem Bauern11 erworben. Danach ließ er das Fahrzeug schrittweise instand setzen.12 Im Jahr 1976 war die Renovierung des Fahrzeugs abgeschlossen. Im Fahrzeugverzeichnis des AVCA vom 1. August 1977 ist das Fahrzeug erstmals gelistet.13 In der ORF-Fernsehsendung Jolly Joker, die am 12. April 1980 ausgestrahlt wurde, war unter dem Titel Henry Goldhann – Autonarr ein Bericht über seine Sammeltätigkeit zu sehen, in dem auch der Austro Daimler ADR gezeigt wurde. 7 8 9 10 11

12 13

The Morning Call, 2.11.2006, https://www.legacy.com/obituaries/mcall/obituary.aspx?n=bernardberman&pid=19802465 (16.7.2018). TMW-Archiv, Anlagen zur Inv. Nr. 58873, Franz R. STEINBACHER, Zustands- und Wertgutachten Nr. 102/03-I Austro Daimler Typ ADR 11/70 HP – Innenlenker Cabriolet, Wien, 6.1.2003. Biografische Details zu Henry Goldhann siehe http://www.avca.at/der_club/henry_goldhann (28.9.2011). TMW-Archiv, Anlagen zur Inv. Nr. 58873, Österreichischer Motor Veteranen Verband, FIVA Identity Card 18981, Erhebungsformular, 23.6.2002. Telefonische Mitteilung von Gunter Heger, Neusiedl, 22.3.2010. Heger begleitete nach eigenen Angaben Henry Goldhann bei diesem Kauf. Teile des Autos befanden sich unter freien Himmel in einem Obstgarten, andere Teile waren in einer Scheune untergestellt. Im Bestand des WStlA, 1.3.2.220.A16 – KFZ Einzelgenehmigungen Jg. 1975, ist eine Anmeldung des Austro Daimler ADR nicht überliefert. Der Eintrag lautet: »NR 34, Mitgliedsnummer u. Fahrzeugnummer: 172003, Austro Daimler. ADR/ Cabrio, BJ 1930, Fahrgestellnummer: 27018/4/11919, fahrbereit«.

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342   Christian Klösch 1949 rund 2.750 »herrenlose« Fahrzeuge in einer eigenen Kartei. Falls der ursprüngliche Eigentümer nicht mehr festgestellt werden konnten, wurden die Fahrzeuge Anfang der 1950er Jahre verkauft. Weder in der Fahrzeugkartei15 noch in den Beständen im Niederösterreichischen Landesarchiv zu herrenlosen Kraftfahrzeugen16 fand sich ein Hinweis auf einen Austro Daimler mit der Motornummer 24001. Die Vermutung, dass der Austro Daimler als Fluchtfahrzeug im April 1945 verwendet wurde, ergab keine verwertbare Spur: Im Wiener Stadt- und Landesarchiv werden Akten zu den Kriegssachschäden des damaligen Groß-Wien verwahrt. In diesen Beständen befinden sich auch Angaben zu Kraftfahrzeugen, die im Zuge der Kampfhandlungen in Wien im April 1945 von Wehrmachts- oder SS-Einheiten oder von der Roten Armee konfisziert und verschleppt wurden – ein Hinweis auf den Austro Daimler ADR fehlt jedoch.17 Von der Vergangenheit ins Heute: Versuch der Rekonstruktion der Geschichte des ADR

Es ist bekannt, dass das Cabriolet im Jahr 1929 im Austro-Daimler-Werk in Wiener Neustadt erzeugt wurde. Bei vielen europäischen Autoproduzenten kann man heute noch in den Firmenarchiven auf der Suchen nach den ersten Eigentümer_innen fabrikneuer Fahrzeuge findig werden. Jedoch ist das Firmenarchiv von Austro Daimler nicht mehr vorhanden.18 Die Firma wurde 1933 vom den Steyr Daimler Puch Werken, übernommen, damals offenbar auch das Firmenarchiv nach Steyr transferiert. Seit der Zerschlagung und dem Verkauf der Steyr Daimler Puch AG in den 1990er Jahren, ist das Firmenarchiv nicht mehr zugänglich.19 In den 1930ern gehörte Austro Daimler zum Industriekomplex der damaligen Credit-Anstalt. Im Industriebeteiligungsarchiv der CA, das sich heute in der Konzernzentrale der Bank Austria befindet, hat sich zwar ein umfangreicher Bestand zur Firma Austro Daimler erhalten, in dem sich aber wiede15 16 17 18

OeStA/AdR, BM f. Finanzen, Vermögenssicherung, Abteilung 3, Kraftfahrzeugkartei. NÖLA, BH Amstetten, Gruppe X/137 (1945–1950); NÖLA, BH Melk, Gruppe X/137 (1945–1950). Vgl. WStLA, 1.4. (Bezirk), A32 Kriegssachschäden. Der Steyr Daimler Puch Konzernarchiv wurde nach dem Verkauf der Firma an BMW, MAN und Magna in den 1990er Jahren aufgeteilt. Die Archivunterlagen bis 1945 kamen zu Magna Steyr und befinden sich im Magna-Werk in St. Valentin. Die Archivalien nach 1945 wurden an die jeweiligen Nachfolgefirmen ausgefolgt. Geschäftsunterlagen sind nicht überliefert. Mündliche Mitteilung von Helmut Antensteiner, 17.7.2012. 19 Schriftliche Mitteilung von Franz Knogler, ehem. Mitarbeiter von Steyr Daimler Puch und Autor historiografischer Publikationen. Vgl. Karl Heinz RAUSCHER, Franz KNOGLER, Das Steyr-Baby und seine Verwandten. PKW aus Steyr, Gnas 2002.

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344   Christian Klösch Das Vorliegen einer Abbildung der Schauspielerin mit einem Fahrzeug der gleichen Type kann zwar als Hinweis, nicht aber als stichhaltiger Beweis gelten. Weder Leopoldine Konstantin noch ihr Ehemann Geza Herczeg (1888–1954) scheinen in den vorliegenden Wiener Kraftfahrzeugverzeichnissen der 1930er Jahre als Eigentümer eines Austro Daimler ADR auf.23 Herczeg, Chefredakteur der Wiener Allgemeinen Zeitung, wanderte im Oktober 1935 in die USA aus. Leopoldine Konstantin verließ Wien im Juni 1937, ebenfalls in Richtung USA und machte später in Hollywood Kariere.24 Ihre Auswanderung in die USA steht wohl auch im Zusammenhang mit dem de facto bestehenden Auftrittsverbot von Schauspieler_innen jüdischer Herkunft in österreichischen Filmproduktionen kurz vor dem »Anschluss«. Eine Liegenschaft Hietzing blieb im Eigentum des Ehepaars und wurde in der NS-Zeit als jüdisches Eigentum vom Oberfinanzpräsidenten Wien-Niederdonau eingezogen.25 Jüdische und nichtjüdische Eigentümer_innen von Austro Daimler ADR Fahrzeugen in den 1930er Jahren

Der Austro Daimler ADR kam 1929 auf den Markt. Der Großteil der über 2.000 produzierten Fahrzeuge wurden in Österreich verkauft. Bis Ende 1932 wurden mindestens 272 ADR in Wien zugelassen.26 Im Verzeichnis der Autonummer der Polizeidirektion Wien aus dem Jahr 1937 sind 198 Personen bzw. Firmen verzeichnet, die einen ADR zum Stichtag 30. März 1937 besessen haben. Von diesen Zulassungen konnten 50 Fahrzeuge (etwa 25 %) jüdischen Eigentümer_innen zugeordnet werden. Weiters konnten Austro Daimler aus Niederösterreich (4), Oberösterreich (2) und der Steiermark (1) eruiert werden, die vor 1938 in jüdischem Eigentum waren.27 Im Zuge der Provenienzrecherche wurden 16 Fahrzeuge – aus unterschiedlichsten Gründen, die im Detail noch ausgeführt werden – ausgeschieden. Bei 41 Fahrzeugen kann zum derzeitigen Forschungsstand keine Aussage darüber getroffen werden, ob darunter nicht jenes Fahrzeug ist, das sich heute noch im TMW befindet. Im Sinne der Provenienzforschung werden diese Fälle als »offen« klassifiziert. 23 Wiener Auto-Nummernverzeichnis nach den amtlichen von der Wiener Polizeidirektion zu Verfügung gestellten Unterlagen, Wien 1936 und Wien 1937; Auto- und Motorrad-Wirtschaft, Jahrgänge 1–4, Wien 1929–1932. 24 WStLA, Meldeanfrage, Leopoldine Konstantin, 2.5.2012. 25 OeStA/AdR, FLD f. Wien, Nö u. Bgld., Restitutionsakt 2286, Herczeg-Konstantin, Leopoldine. 26 Die Auswertung beruht auf die Neuzulassungen von Fahrzeugen, die in der Zeitschrift Auto- und Motorrad-Wirtschaft 1929–1932 veröffentlich wurden. 27 Für die Unterstützung bei der Identifizierung der jüdischen Eigentümer_innen sowie für die Möglichkeit, das Archiv des Österreichischen Nationalfonds zu benützen, bedanke ich mich bei den Mitarbeiter_innen des Nationalfonds insbesondere bei Iris Petrinja, Albena Zlatanova und Wolfgang Gasser.

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Der gestohlene Austro Daimler ADR – Auf der Spur eines ungeklärten Provenienzfalles    345

Tabelle: Austro Daimler ADR Fahrzeuge im jüdischen Besitz in Österreich 1937/3828

1

Kennzeichen Type B 11122 Daimler ADR

2

H 29042

3

C 6021

4

A 395

5

A 29310

6

A 30562

7

A 29023

8

A 30523

9

A 254

10

A 6578

11

A 3763

12

C 7090

13

A 4235

14

A 7570

15

A 402

16

A 226

17

A 488

18

A 28910

Person Adler, Rudolf

Beruf /Branche Adresse Kaufmann Bezirk Melk, Kirnberg, Niederösterreich A. Daimler Benedek, Kaufmann Fohnsdorf, HauptADR Franz platz 2, Steiermark Austro Boschan, Dr., Gutsbesitzer Linz, Landstr. 76, Daimler Gustav Oberösterreich ADR Brüder Schiff- Warenhaus 2. Taborstr. 48 mann Daimler Cormuss, Private 13. TrautmannsADR Anna dorffg. 21 A. Daimler Davis & Co Buchdruckerei 9. Pramergasse 28 ADR u. Zeitungsverlag Daimler Davis & Co Buchdruckerei 9. Pramergasse 28 u. Zeitungsverlag A. Daimler Davis & Co Buchdruckerei 9. Pramergasse 28 ADR u. Zeitungsverlag Daimler Demant, Josef Komm. Rat 1. Schottenbastei 10 ADR Austro Feigenbaum, Taxiunterneh- 18. Martinstr. 16 Daimler Ludwig mer Daimler Frieder, Geza Holzindustrie 3. Salmgasse 2 a ADR 635 Austro Glaser, Robert Kaufmann Bezirk Perg, Daimler Schwertberg 24, Oberösterreich ADR Glesinger, Holzindustrie 1. Rathausstr. 7 Sigmund Daimler Goldschmidt, Lohnwagen3. Salesianergasse 8 ADR Bernhard unternehmer ADR Gottlieb, Direktor 8, Josefstädterstr. 60 Leopold ADR 8 Hauser, Alex- Direktor 18. Colloredogasse ander 29 Daimler Hermes-F. Schuhverkauf 1. Biberstr. 6 ADR Hulles Ges ADR Herzka, Jenny Private 3. Arenbergring 15

Bewertung offen

abgeschlossen abgeschlossen offen offen offen

abgeschlossen

abgeschlossen

offen abgeschlossen abgeschlossen offen

offen abgeschlossen offen abgeschlossen offen offen

28 Für die Tabelle wurden die in den Quellen vorgefundenen Originalbezeichnungen übernommen.

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346   Christian Klösch 19

A 28909

Daimler

20

A 11073

ADR

21

A 16517

ADR

22

B 6001

Austro Daimler

23

A 15555

ADR

24

A 5160

ADR

25

A 29970

ADR

26

A 4685

ADR

27

A 648

ADR

28

A 29453

ADR

29 30

A 10001 A 3947

31 32

A 4644 A 11230

33

A 495

ADR Daimler ADR ADR Austro Daimler ADR ADR

34

A 11599

ADR

35

A 12325

ADR

36

A 10112

Daimler ADR

37

A 13157

ADR

38

A 10280

39

A 13000

40

A 907

Daimler ADR Daimler ADR ADR

Hohenberg, Rudolf Hungerleider, Jakob Hungerleider, Karoline Klaber, Felix

Klinger, Samuel Kolischer, Hans Koritschoner, Dr. Mauritius Kotanyi, Johann Kraus, Gottlieb Kux Bloch & Co. Lederer, Erich Lichtenstein, Bernhard Liebel, Isidor Lindner, Anton Löwy, Josef

Fabrikant

11. Wien, Dreherg. 5 Geflügelhänd- 3. Dietrichg. 24 ler Private 2 Josefineng. 10

offen

Weinhändler

abgeschlossen

Fleischhauer Schauspieler Arzt

offen offen

Mauer b. Wien, Hauptstr. 7, Niederösterreich 15. Mariahilferstraße 150 4. Schleifmühlgasse 11 1., Canovag. 7

offen

19. Billrothstr. 4

offen

offen offen

I. Oesterr. Paprikamühle Konsul

4. Wohllebengasse 5 offen

Bankhaus

1. Johannesgasse 7

Beamter Kaufmann

1. Bartensteingasse 8 offen 2. Taborstr. 8 b offen

Direktor

19. Hofzeile 21 3. Rudolf v. Altplatz 3

Fabrikdirektor 4. Blechturmgasse 12/7 Verwaltungsrat 2. Castellezgasse 9

Löwy, Siegmund Luzzatto & Fuss Marcus, Hugo Präsident d. Wiener Bankvereines MattoniUngar Nußbaum, Kaufmann Otto Odelga J. Aerztl. techn. Industrie A. G. Ringer, Dr. Chemiker Ferdinand

offen

offen abgeschlossen

offen offen

10. Quellenstr. 149

abgeschlossen

1. Oppolzergasse 6

abgeschlossen

1. Jasomirgottstraße 4 9. Nußdorferstr. 68

offen offen

9. Garnisonsgasse 11 offen 19. Peter Jordanstr. 25

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offen

Der gestohlene Austro Daimler ADR – Auf der Spur eines ungeklärten Provenienzfalles    347

41

A 1160

ADR

42

A 29973

43

A 2443

44

A 248

Daimler ADR Austro Daimler ADR ADR

45

A 912

ADR

46

B 55034

Daimler

47

unbekannt

48

A 10369

49

A 1915

50

A 12617

51

A14051

Austro Daimler Daimler ADR Austro Daimler ADR Austro Daimler ADR Daimler

52

A 2427

ADR

53

A 11600

ADR

54

A 11032

55

A 1163

Daimler ADR ADR

56

A 228

57

A 1048

Daimler ADR ADR

Rothschild, Louis Rutter, Ing. Karl, Salzer, Max

Schnabel & Comp. Schöffer, Ludwig Schratter, Maria

Fabrikant Sektionschef a. D

4. Prinz Eugenstraße 22 9. Strudelhofgasse 17 4. Brahmspl. 4

Altmannsdor- 12. Hetzendorferfer Lederfabrik straße 17 Industrieller 1. Rathausplatz 3 Wäschereibesitzerin

offen abgeschlossen offen

abgeschlossen offen

Bezirk St. Pölten, Viehofen, Augustinerstr. 103 8. Alserstr. 45

offen

offen

20. Leystraße 43

offen

Schwarz, Dr. Moriz Siegel & Co.

Arzt

Spielmann, Hermann

Kommerzialrat 7. Schottenfeldg. 2

offen

Spitzer, Ing. A.

A. G. für Bau- 4. Lothringerstrawesen ße 2

offen

Stiassny, Leopold Turnauer, Jakob Weiner, Paul

Industrieller

3. Arenbergring 16

offen

18. Sternwartestr. 69 Grossgrundbe- 1. Wallnerstraße 9 sitzer Felle, Rauh1. Schottenring 25 waren Gewerkschaft 1. Renng. 3

offen

offen

Färberei

13. Auhofstr. 160

abgeschlossen

Kaufmann

13. Hauptstraße 120 a

offen

Weisser, A. Witkowitzer Bergbau & Eisenhütten Winkler & Schindler Zipper, Ing. Emil

Direktor

offen abgeschlossen

Unter den Fahrzeugen, die ausgeschlossen werden konnten, befindet sich der Personenwagen mit dem steirischen Kennzeichen H29042. Es gehörte dem Fohnsdorfer Kaufmann Franz Benedek, der im September 1938 nach Großbritannien emigrierte. Sein von der Gestapo beschlagnahmter Austro Daimler trug die Motornummer

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350   Christian Klösch Das Fahrzeug mit dem Kennzeichen A 226 ist gut zu erkennen. Allerdings handelt es sich hier um einen ADR 8 Zylinder, wie aus der Bildunterschrift zu entnehmen ist. Auch ist klar erkennbar, dass es sich um ein linksgelenktes Fahrzeug handelt, während sich das Lenkrad beim ADR im Technischen Museum auf der rechten Seite befindet. Was mit dem Fahrzeug nach Hausers Flucht nach Großbritannien passierte, ist unklar. Mit großer Wahrscheinlichkeit befand sich der ADR 8 später im Besitz von Veronika Berner, Wien 18, Währingergürtel 135, die ein »Stadtlohnwagen-Unternehmen« betrieb.34 Nach dem Krieg gab sie an, dass ihr in der Woche zwischen 8. und 15. April 1945 aus ihrer Garage im Zuge der Kampfhandlungen um Wien ihr Austro Daimler mit dem Kennzeichen W 226, Motornummer 24851, Chassis Nummer 12332 gestohlen wurde.35 Von den insgesamt 57 Austro Daimler ADR Fahrzeugen, die in Österreich nachweislich in jüdischem Eigentum standen, fand sich in den Akten nur zum Auto von Jakob Turnauer ein Hinweis darauf, dass sein Fahrzeug – ein Austro Daimler ADR mit Kennzeichen A 2427 – von der Gestapo beschlagnahmt und im August 1938 versteigert wurde.36 Jakob Turnauer (1877–1957) war Inhaber des Bankgeschäfts J. Turnauer, Wien 1, Maria Theresienstraße 8 und wohnte in der Sternwartestraße 69 in Wien 18.37 Im August 1938 sind zumindest 14 Austro Daimler ADR vom Dorotheum im Auftrag der Gestapo versteigert worden. Ob es sich bei dem Fahrzeug Jakob Turnauers um jenen Austro Daimler ADR handelt, der sich im TMW befindet, ist aufgrund der in diesem Zusammenhang nicht überlieferten Motornummer nicht zu verifizieren.

34 WStLA, Meldeanfrage Franz Berner, 27.4.2012; Friedhofsdatenbank der Stadt Wien, www.friedhoefewien.at (27.4.2012). 35 Auffällig ist die Ähnlichkeit der Kennzeichen: Hauser besaß 1937 einen ADR mit Kennzeichen A 226 und Veronika Berger 1945 einen ADR mit dem Kennzeichen W 226. Die Umstellung der Kennzeichen erfolgte ab April 1939. Wien erhielt anstelle des Buchstaben »A« den Buchstaben »W«. Vom Ministerium für Wirtschaft und Arbeit wurde in einem Durchführungserlass festgehalten: »Es wird zu trachten sein, eine Änderung der Nummer nach Tunlichkeit zu vermeiden und die Änderung der Kennzeichen auf die Kennbuchstaben zu beschränken«. WStLA, 1.3.2.19 A 41-VEAV, 18. Bez. Zl. 77; NÖLA, BH Korneuburg, 1939, X/137, Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, Neuregelung der Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge des Landes Österreich, 3.4.1939. 36 OeStA/AdR, Vermögensanmeldung, VA 38778, Turnauer, Jacob. 37 Vgl. Peter MELICHAR, Neuordnung im Bankwesen. Die NS-Maßnahmen und die Problematik der Restitution (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission: Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 11), Wien 2004, S. 424–425.

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352   Christian Klösch und seine Besitzer in Österreich, das im Jahr 1937 herausgeben wurde, ist Friedl KeilKolischer mit Kolischers Austro Daimler ADR abgebildet.42 Auf Basis dieser Abbildung ist es nicht möglich, zu entscheiden, ob das abgebildete Fahrzeug mit jenem im TMW befindlichen ident ist. Weder bei den Fahrzeugen des Gewürzproduzenten Johann Kotanyi (Austro Daimler ADR, A 4685),43 von Erich Lederer (Austro Daimler ADR, A 1001), des Teilhabers der A. G. Jungbunzlauer Spiritus,44 von Isidor Liebel (Austro Daimler ADR, A 4644), Direktor der Elektrischen Glühlampenfabriken Joh. Kremensky AG,45 noch des Industriellen Leopold Stiassny (Austro Daimler ADR, A 14051)46 fand sich in den Akten eine Motornummer. Auch der Wiener Bankier Louis Rothschild Wien 4, Prinz-Eugen-Straße 22 war Eigentümer eines Austro Daimler ADR (Kennzeichen A 1160). Im umfangreichen Aktenbestand zu Louis Rothschild im Bundesdenkmalamt findet sich kein Hinweis auf sein Fahrzeug.47 Im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek ist eine Fotografie Louis Rothschilds mit seinem Fahrzeug überliefert. Auf dem Foto, das um das Jahr 1930 datiert wird, ist weder die Type noch das Kennzeichen des Fahrzeugs erkennbar. Louis Rothschild hat jedoch nachweislich im Jahr 1930 bereits einen Austro Daimler ADR besessen.48 42 REICHSBUND DER ÖSTERREICHER o. J., S. 131. 43 OeStA/AdR, Vermögensanmeldung, VA 50460; OeStA/AdR, Vermögensverkehrsstelle, Arisierungsakt, Lg 7706; OeStA/AdR, Vermögensverkehrsstelle, Arisierungsakt, Gew 4642, Erste Österr. Paprikamühle Johann Kotanyi; OeStA/AdR, FLD f. Wien, Nö u. Bgld., Restitutionsakt 4991, Kotanyi, Lotte; OeStA/ AdR, Abgeltungsfonds, Akt 6114 und 5915. 44 OeStA/AdR, Vermögensverkehrsstelle, Kt. 357, Ind. Gr Zl. 1415, 1. Teil, Arisierungsakt Jungbunzlauer; OeStA/AdR, Vermögensanmeldung, VA 50856, Leder, Erich; OeStA/AdR, FLD f. Wien, Nö u. Bgld., Restitutionsakt 14964; OeStA/AdR, Vermögensanmeldung, VA 63953, Lederer, Szerena. 45 In seiner Vermögensanmeldung finden sich folgende Angaben: »Ein Austro Daimler Wagen, Serie 7, 8 Jahre alt, geschätzt mit RM 500,-.« Das Baujahr entspricht jenem Fahrzeug, dass im TMW vorhanden ist. Allerdings gehört der Austro Daimler ADR, wie aus der Fabrikationsnummer 27018-04 zu ersehen ist, der 18. Serie an und nicht der 7. Serie. Vgl. OeStA/AdR, Vermögensanmeldung, VA 32678, Liebel, Isidor; OeStA/AdR, FLD f. Wien, Nö u. Bgld., Restitutionsakt 2297. 46 WStLA, 1.3.2.119.A41, VEAV 1. Bez., Zl 16N, 17 N, 18 N, Rückstellungsvergleich 60 RK 1236/47; OeStA/AdR, Abgeltungsfonds, 10524, Stiassny, Leopold; WStLA, 1.3.2.119.A41, VEAV, 1. Bez. Zl 1100; ebd., 1. Bez. Zl. C 357; ebd., 1. Bez. Zl 783; ebd., 1. Bez., Zl 16N, 17 N, 18 N; ebd., 15. Bez. Zl C 22; ebd., 15. Bez., Zl. 70; ebd., 15. Bez. Zl 71; ebd., 3.Bez. Zl C69; ebd., 3. Bez. Zl. 120; ebd., 3. Bezirk Zl. 423; ebd., 3. Bezirk Zl 489; ebd. 3. Bez. Zl. 491; ebd. 3. Bezirk Zl 70; 490; ebd., 2. Bez. Zl. 699; ebd., 15. Bezirk, Zl 381–383; ebd., 15. Bezirk, Zl. 480; ebd., 20. Bez. C11; ebd., 6. Bez. Zl 26; ebd., 6. Bez. Zl 796; ebd., 7. Bez. Zl 732 u. 733; ebd., 4/5. Bez. Zl. 40. Der Akt WStLA, 1.3.2.119.A41, VEAV 7. Bez. Zl C 149 ist in Verstoß geraten. 47 BDA, Restitutionsmaterialien, Bestand Louis Rothschild, Kt. 51–Kt. 53/3. 48 Austro Daimler im Spiegel der Kundschaft, Auszug aus der Kundenliste bis 1929, S. 8.

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»Mir ist alles einerlei«1 Zum Schicksal der Sängerin Maria Gardi/Frida Gerngross

Monika Löscher

Eine Erwerbung der Sammlung alter Musikinstrumente

Im März 1940 erwarb die Sammlung alter Musikinstrumente des Kunsthistorischen Museums einen Hammerflügel der Marke Promberger. Im Inventarbuch der Sammlung wurde unter SAM 440 verzeichnet, dass das Objekt vom Instrumentenerzeuger Anton Jirowsky in Wien III, Lothringerstraße 16 zum Preis von RM 550,– angekauft wurde. Handschriftlich hinzugefügt ist, dass der Hammerflügel nicht über ein Notenpult verfügte. Auf den ersten Blick erscheint nichts ungewöhnlich an dieser Erwerbung, bei Jirowsky schien es sich nach ersten Recherchen in den gängigen Datenbanken weder um einen Ariseur noch um ein Opfer des NS-Regimes zu handeln. Schon anhand des Deckblattes des Erwerbungsaktes wurde aber ersichtlich, dass Jirowsky nur ein Zwischenhändler war, als Verkäuferin trat eine Frau Gardi in Erscheinung. Der Kurator der Sammlung, Viktor Luithlen (1901–1987) berichtete am 1. Februar 1940 der Museumsleitung: Bei Frau Maria Gardi (Gerngross), Wien I., Reichsratstrasse 17 (Telephon B 40-0-40), ist ein Hammerflügel mit dem Schild: ›1804/Johan Promberger in Wien‹ zum Verkauf. [....] Die Besitzerin hat einen Verkaufspreis von etwa RM 2000.- im Auge. Mir würde ein Höchstpreis von RM 500.- angemessen erscheinen, doch bitte ich um Weisung, ob dieser Höchstpreis in keinem Falle überschritten werden darf.2

Heinrich Klapsia (1907–1945), zum damaligen Zeitpunkt Leiter der Sammlung alter Musikinstrumente, die sich eben aus der Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe verselbstständigt hatte und im Palais Pallacivini neu aufgestellt wurde, ergänzte am 2. Februar 1940 handschriftlich: Der ursprünglich von Frau Gardi geäusserte Preis gründet auf einem Gespräch mit mir, bei dem mir das Lichtbild des Flügels und die Versicherung der Besitzerin vorlag, daß das Klavier völlig spielfähig und intakt sei. Der Besuch Luithlens und nachher 1 2

Zitat aus einem von Maria Gardi gesungenen Lied. KHM, Sammlung alter Musikinstrumente, 35/SAM/39/40, Luithlen an Dworschak, 1.2.1940.

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356   Monika Löscher auch Sobolaks [Restaurator der SAM, Ergänzung der Verfasserin] ergab, daß im Inneren des recht anziehenden Möbels eine völlige Ruine sich befindet.3

Nur wenige Wochen später, am 28. März 1940 berichtete Luithlen an den kommissarischen Leiter des Kunsthistorischen Museums Fritz Dworschak (1890–1974), dass Frida Gerngross sich bereit erklärte, das seinerzeitige Angebot von RM 500,- nun anzunehmen – noch am 10. Februar 1940 hatte sie das Angebot als zu niedrig telefonisch abgelehnt.4 Luithlen bat um Weisung, ob der Kauf zu tätigen sei, und ob, »wie seinerzeit in Aussicht genommen, Herr Jirowsky mit der Durchführung des Ankaufes zu betrauen wäre«. Zwei Tage später, so ein handschriftlicher Vermerk, wurde der »Flügel Promberger […] durch Jirowsky angekauft um RM 550.-«.5 »Es gibt nur an Steffl, es gibt nur a Wien, es gibt nur an Gerngross und dort gehn wir hin.«6 – Zur Geschichte des Kaufhauses Gerngross

Bei Erwähnung des Namens Gerngross stellte sich sofort die Frage nach dem Zusammenhang mit dem berühmten Kaufhaus Gerngross in der Wiener Mariahilferstraße, das 1879 von Alfred Gerngross (1844–1908) mit seinem jüngeren Bruder Hugo (1857– 1929) gegründet wurde.7 Die Familie Gerngross stammte ursprünglich aus Forth bei Nürnberg, Alfred fing als Lehrling bei Herzmansky, einem ebenfalls bekannten Warenhaus an. Das Geschäft der Brüder entwickelte sich zum größten Warenhaus Wiens8 und in Folge zum größten Kaufhaus der Monarchie.9 Von 1902 bis 1904 erbaute das Architektur-Büro Fellner & Helmer, das vor allem für seine Theater- und Konzertbauten bekannt war, ein neues fünfstöckiges Gebäude. Als absolute Sensation galten damals die »rollenden Teppiche«10: Die neue Erfindung der Rolltreppe sorgte bei den 3

KHM, Sammlung alter Musikinstrumente, 35/SAM/39/40, handschriftliche Ergänzung Klapsia, 2.2.1940. 4 KHM, Sammlung alter Musikinstrumente, 35/SAM/39/40.Handschriftlicher Vermerk im Bericht vom 1.2.1940. 5 KHM, Sammlung alter Musikinstrumente, 35/SAM/39/40, Luithlen an Dworschak, 28.3.1940. 6 Vgl. Plakat des Kaufhauses Gerngross, Wien 1936. Wienbibliothek im Rathaus, Plakatsammlung, Sign. P-24921, abgedruckt in Astrid PETERLE (Hg.), Kauft bei Juden! Geschichte einer Wiener Geschäftskultur, Wien 2017, S. 158. 7 Vgl. PETERLE 2017; Christine Maria WIESNER, Auf dem Weg in die Moderne. Die Wiener Warenhäuser 1863–1918, Univ. Diplomarb., Wien 2013: http://othes.univie.ac. at/25217/1/2013-01-23_0547159.pdf (30.1.2018). 8 Vgl. Michael JOHN, Albert LICHTBLAU, Schmelztiegel Wien – einst und jetzt. Zur Geschichte und Gegenwart von Zuwanderung und Minderheiten, Wien-Graz 1990, S. 48. 9 Vgl. https://www.gerngross.at/de/geschichte (30.1.2018). 10 Vgl. Wiener Hausfrauenzeitung 1904, S. 445.

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360   Monika Löscher Tanzorchester (Wiener Graben Café) oder mit dem Dajos Bela Tanzorchester. Die Lieder tragen so vielsagende Titel wie Du sagst: »Ich bitte«, Warum lächelst du, Mona Lisa? oder Du dummer kleiner Korporal.19 Wir wissen nicht, warum die künstlerische Karriere Maria Gardis so kurz währte und warum sie sich Gardi nannte. Fühlte sie sich von Francesco Gardi, dem italienischen Opernkomponisten, inspiriert? Trat sie vielleicht im Kaufhaus Gerngross auf, wo immer wieder verschiedene Tanzorchester und Bands spielten?20 In der Presse ist kein Auftritt von ihr im Modepalast ihres Gatten und Schwagers vermerkt. Das Kaufhaus Gerngross vermittelte jedenfalls stets eine gewisse Affinität zur Künstlerszene, nicht nur, dass das Haus von Theaterarchitekten geplant worden war – es fand beispielsweise 1926 eine Theaterausstellung der Schauspieler im Wintergarten statt, veranstaltet vom Bühnenverein unter der Organisation von Heinrich Glücksmann. Letzterer war als Schriftsteller, Redakteur und Dramaturg tätig.21 Insofern schien es auch nichts Ungewöhnliches gewesen zu sein, dass die Ehefrau von Robert Gerngross als Sängerin in Erscheinung trat. Geboren wurde Maria Gardi am 19. Juli 1885 in Wien als Frida Maria von Beck.22 Sie wurde im Geburtsprotokoll der Israelitischen Kultusgemeinde Wien eingetragen.23 Ihr Vater, Hermann Beck (1845–1913), stammte aus Sobotište in der Slowakei und brachte es in seinem Leben zu einem bedeutenden Wohlstand: In seiner Todesanzeige wird er als Seniorchef von Wilhelm Beck & Söhne geführt. Die Firma, eine große Uniformfabrik in der Monarchie, war von seinem Vater gegründet worden, der zum k. k. Hoflieferanten ernannt wurde.24 Das Geschäft befand sich im Palais Equitable auf dem Stock-im-Eisen-Platz, eine exquisite Adresse. Hermann Beck erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen. Am jüdischen Leben nahm er aktiv teil, so wird er als Ehrenbürger der Israelitischen Gemeinde in Humpolec und Ehrenpräsident des Tem19 Vgl. http://grammophon-platten.de/e107_files/public/1394961931_109_FT25623_diskographie_d._ st._populrmusik_1900_-_1958.pdf (31.1.2018). 20 Vgl. Karin PLOOG, ... Als die Noten laufen lernten ...: Geschichte und Geschichten der U-Musik bis 1945, Erster Teil, Norderstedt 2015, S. 409, S. 450. 21 Vgl. Christina GSCHIEL, Joseph Gregor und die Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien – rastlose Tätigkeit im Interesse der Sammlung, in: Eva BLIMLINGER, Heinz SCHÖDL (Hg.), Die Praxis des Sammelns. Personen und Institutionen im Fokus der Provenienzforschung (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 5), Wien-Köln-Weimar 2014, S. 263–297, hier: S. 276. 22 WStLA, B-MEA-406168-2015-2. 23 WStLA, Todeserklärung von Frida Gerngross, 48 T 4103/47. 24 Vgl. Wilhelm Beck & Söhne, in: Jubiläums-Festnummer der kaiserlichen Wiener Zeitung 1703–1903. Beilage Kommerzieller Teil. Alfred von Lindheim. Druck und Verlag K. K. Hof- und Staatsdruckerei, Wien, 8.8.1903, S. 34.

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362   Monika Löscher waren sie in der Reichsratsstraße 17/2/5 im ersten Wiener Gemeindebezirk.30 Geboren am 6. Jänner 1876 in Frankfurt am Main war Robert – wie sein jüngerer Bruder Paul – eng mit dem Familienunternehmen, dem Wiener Warenhaus Gerngross verbunden. Die gemeinsame Tochter Maria wurde am 31. Oktober 1918 geboren und am 23. Oktober 1925 evangelisch H. B. getauft.31 Als »herziges Töchterchen Mariechen Gerngroß« fand sie schon in frühen Jahren Erwähnung im Wiener Salonblatt.32 1924 ist in den IKG Matriken der Austritt von Frida Gerngross aus der Kultusgemeinde vermerkt.33 Das Leben der Familie Gerngross entsprach den großbürgerlichen Vorstellungen: Die Sommerfrische verbrachte man in Bad Ischl,34 am Semmering35 oder in Karlsbad,36 wo man stets in den ersten Häusern abstieg, man gab Empfänge in der Wiener Wohnung in der Reichsratsstraße,37 1932 wurde Robert Gerngross das Große Ehrenzeichen der Republik Österreich verliehen, sein Bruder Paul wurde mit dem Offizierszeichen vom Roten Kreuz ausgezeichnet.38 Das Neue Wiener Journal meldete im November 1926 den Tod von Frida Gerngoss’ Mutter Amelie Beck.39 Von ihren sechs Kindern überlebten drei die Shoa nicht, zwei Töchter starben bereits 1930 bzw. 1935.40 Im selben Jahr, in dem seine Schwiegermutter starb, antwortete Robert Gerngross in der Zeitschrift Bühne auf die Frage »Gefällt es Ihnen noch in Wien« mit: »Wien aber ist, und das weiß jedes Kind, noch immer die schönste Stadt und daran können die tristen Verhältnisse nichts ändern. […] Ich bin zuversichtlich: es werden gesunde Verhältnisse kommen und mit ihr wieder die Sorglosigkeit und Gemütlichkeit«.41

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WStLA, B-MEA-406168-2015-2. Meldeauskunft zu Frida und Robert Gerngross. GAUGUSCH, S. 872; WStLA, B-MEA-406168-2015-2. Vgl. Wiener Salonblatt, 29.4.1922, S. 3. Vgl. den Eintrag zu Frida Gerngross auf www.genteam.at: Austritte in Wien aus der IKG 1915–1945, Nr. 6920, Austrittsdatum 22.10.1924. Vgl. Curlisten Bad Ischl, 27.8.1923, S. 1; Wiener Salonblatt, 23.8.1936, S. 7. Vgl. Wiener Salonblatt, 23.4.1933, S. 12. Sommer 1925 Hotel Imperial, vgl. Wiener Salonblatt, 12.7.1925, S. 5; 1927 Hotel Pupp, vgl. Wiener Salonblatt, 26.6.1927, S. 6. Wiener Salonblatt, 14.2.1932, S. 5. Vgl. Wiener Salonblatt, 3.1.1932, S. 4. Vgl. Neues Wiener Journal, 18.11.1926, S. 9. Otto Beck (1873–1960), Helene Forster (1876–1935), Gisela Grimm (1877–1930), Edmund Beck (1878–1942 Lublin), Olga Geist de Szergény-Weinberger (1879–1942 Auschwitz), Frida Gerngross (1885–1942 in Izbica). Vgl. https://www.geni.com/people/Hermann-Beck/6000000012125257795 (18.6.2015); DÖW-Datenbankabfrage. Die Bühne 80 (1926), S. 5.

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»Mir ist alles einerlei«   363

Das Leben nach dem »Anschluss«

Robert Gerngross’ Zuversicht war zwölf Jahre später jäh zunichte. Alle Familienmitglieder galten in der NS-Diktion als jüdisch und mussten im Sommer 1938 Vermögensanmeldungen abgeben. Robert Gerngross gab u.a. Wertpapiere, Schmuckgegenstände und eine kleine Münzensammlung an.42 Frida Gerngross führte am 27. April 1938 das Wohn- und Geschäftshaus in der Reichsratsstraße 17, zwei Autos (Gräf & Stift und Lancia, die beide später requiriert wurden), sowie eine umfangreiche Liste von Möbeln und Kunstgegenständen an, die vom gerichtlich beeideten Sachverständigen Franz Kieslinger auf RM 31.617,- geschätzt wurden.43 Kieslinger war in dem Geschäft kein Unbekannter: Als Experte im Wiener Dorotheum wurde er im Auftrag der Vermögensverkehrsstelle zur Erstellung von Schätzgutachten in den Wohnungen jüdischer Sammler_innen – wie eben hier in die Wohnung von Frida Gerngross – herangezogen.44 Die Wohnungseinrichtung beinhaltete antike Möbelstücke wie Ostasiatika und einige kostbare Gobelins, aber auch einige Bilder, wie die Findung Mosis von Marcantonio Franceschini.45 Position 36 der Vermögensanmeldung von Frida Gerngross verweist auf ein vorhandenes Klavier, denn unter dieser Nummer ist gelistet: »Auf dem Klavier: 4 neuere Glasgefässe und ein Porzellanfigürchen, China, zusammen 50«.46 Erwähnt wird der Promberger Flügel in der Vermögensanmeldung der damals noch minderjährigen Tochter Maria. In der Rubrik »IV. g) aus edlem Metall, Schmuck- und Luxusgegenstände, Kunstgegenstände und Sammlungen« wird an fünfter Position ein Flügel mit dem Schätzwert 400,- RM angeführt.47 Robert Gerngross wurde unmittelbar nach dem »Anschluss« in »Schutzhaft« genommen.48 Die Familie verlor ihre Wohnung in dem Frida Gerngross gehörenden Mietshaus in der Reichsratsstraße 17, kam aber im selben Haus Mezzanin unter. Im Erwerbsakt der Sammlung alter Musikinstrumente ist im Februar 1940 von einem 42 OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA25320. 43 OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA38868. 44 Ab Herbst 1938 fungierte Kieslinger, seit Mai NSDAP-Mitglied, als Geschäftsführer des »arisierten« Kunsthandels S. Kende in der Wiener Innenstadt, der vom Münchener Kunsthändler Adolf Weinmüller übernommen worden war. Vgl. Eintrag zu Franz Kieslinger im Lexikon österreichischer Provenienzforschung (LÖPF), erstellt von Pia Schölnberger. http://www.lexikon-provenienzforschung.org/kieslingerfranz-august (29.6.2018); Meike HOPP, Kunsthandel im Nationalsozialismus: Adolf Weinmüller in München und Wien, Köln-Weimar-Wien 2012. 45 Sophie LILLIE, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, S. 397. 46 OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA38868. 47 OeStA/AdR, E-uReang, VVSt, VA38832. 48 Hinweis von Peter Melichar, zit. n. LILLIE 2003, S. 397.

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364   Monika Löscher »Telephon B 40-0-40« die Rede. Zu diesem Zeitpunkt war es Jüdinnen und Juden noch gestattet, einen Telefonanschluss zu haben, erst mit Juli 1940 war es ihnen verboten.49 Das Ehepaar Gerngross konnte dann noch fast zwei Jahre lang in der Wohnung bleiben, erst Anfang April 1942 mussten sie einen Häuserblock weiter in eine Sammelwohnung in der Lichtenfelsgasse 5 ziehen, von wo sie nach nur wenigen Tagen nach Izbica deportiert wurden.50 Zugleich mit der Deportation wurde Robert und Frida Gerngross gemäß der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz die Staatsbürgerschaft aberkannt und ihr Eigentum zugunsten des Deutschen Reiches für verfallen erklärt.51 Dazu zählte die Liegenschaft in der Reichsratsstraße wie auch jene Einrichtungsgegenstände, die dem Ehepaar nach der Vertreibung aus ihrer Wohnung verblieben und die bei einer Spedition eingelagert waren. Diese Gegenstände wurden später von der VUGESTA veräußert.52 Mit Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen vom 23. September 1947 wurde Robert Gerngross mit 30. Juni 1943 für tot erklärt, seine Frau mit Beschluss vom 10. Jänner 1948.53 Wie lebten Frida und Robert Gerngross mit ihrer Tochter in der NS-Zeit? Warum gelang ihnen nicht wie den anderen Familienmitgliedern die Flucht nach Montevideo?54 Wähnte man sich trotz alledem in einer gewissen Sicherheit und konnte man nicht die Heimatstadt aufgeben? Auf dem Meldezettel von Frida Gerngross wurde sie zunächst als »Mischling 2. Grades« geführt, erst später kam das »J« dazu. Auf der Meldekarte ist weiters vermerkt: »lt. Mitteilung der Kripo III B als Elfriede G. am 4.7.41 als Betrügerin dem LG Wien I eingeliefert 6.7.41 und am 23.9.41 auf freiem Fuß«. Was genau ihr Vergehen war, konnte leider nicht ermittelt werden. Die Nachfrage im Wiener Stadt- und Landesarchiv ergab, dass kein Strafakt mehr vorhanden ist, im Register des Landesgerichts für Strafsachen für 1941 (WStLA, LGS, B14: 183) fand sich folgender Eintrag: »Zahl: 1763, Tag des Einlangens: 28.7., Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft: 7 St 12329/41, Gerichtsabteilung: 121a 101, Elfriede Gerngross, § 149 ff. Stg., Faktum zu 121 Vr 212/42 ausgeschieden«.55 Laut 49 Vgl. http://www.topographie-der-shoah.at/chronologie-der-verfolgung.html (30.1.2018). 50 Vgl. MA 8, B-MEA-406168/2015. 51 Von Roberts Geschwistern starb Wilhelmine Maria Hemma Reichel 1942 in Maly Trostinec, Rosa Marie Licht-Bein starb bereits 1936 und Margarethe Gretl Gerngross starb 1939 (Suizid). Lilly Juritzky Karwinsky von Karwin, Otto, Paul und Albert Johann überlebten die Shoa. 52 LILLIE 2003, S. 397. 53 Vgl. WStLA, B-MEA-406168-2015-2. 54 Vgl. https://www.gerngross.at/de/geschichte (8.3.2018). 55 E-Mail-Auskunft von Andreas Weigl, 22.6.2015.

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»Mir ist alles einerlei«   365

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich behandelte dieser Paragraf die Vorbereitung der Fälschung von Geld und Wertzeichen.56 Bekannt ist, dass Frida Gerngross bemüht war, weitere Einrichtungsgegenstände zu Geld zu machen. So wollte sie auch ein sogenanntes Giraffenklavier – ein Fabrikat von J. Seiter in München – der Sammlung alter Musikinstrumente verkaufen, die aber daran kein Interesse hatte.57 In einem späteren Vermerk wurde festgestellt, dass die »Giraffe« im Mai 1943 im Dorotheum wieder aufgetaucht sei.58 Laut Auskunft des Dorotheums gab es am 6., 13. und 20. Mai 1943 Versteigerungen im Franz-Joseph-Saal. Da diese Versteigerungen ohne Katalog stattfanden und auch die Mitteilungen aufgrund der mangelhaften Papierzuweisung nur mehr rudimentär waren, ist die Versteigerung des Spinetts nicht nachweisbar, sein Verbleib demzufolge ungeklärt.59 Das Instrument war jedenfalls schon zuvor am Kunstmarkt aufgetaucht: Robert Gerngross hatte die »Giraffe« bereits im Juni 1931 in einer »freiwilligen Versteigerung« im Dorotheum angeboten, damals wurde das Instrument aber nicht verkauft und blieb weiterhin in der Familie.60 Auch im Katalog des KunstAuktions-Salons S. Kende & Leo Schidlof vom 6. März 1918 findet sich das Instrument unter Los 29461 – ob es damals von Robert Gerngross eingebracht oder erworben wurde, kann derzeit nicht gesagt werden. Frida Gerngross’ Tochter aus erster Ehe, Edith, war in erster Ehe mit Erwin Lessner (1898–1959) verheiratet, nach dem »Anschluss« mussten das Paar im Mai 1938 seine Wohnung in der Schwarzenbergstraße verlassen und lebte dann bis zur Emigration im Juni 1938 in der Pension Astra in der Alsterstraße.62 Dort wohnte auch eine Tante, Margarethe Gerngoss (1891–1939), die am 2. September 1939 Suizid beging.63 Im Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft wird Lessner 56 Vgl. https://lexetius.com/StGB/149,4 (7.3.2018). 57 KHM, Sammlung alter Musikinstrumente, 35/SAM/39/40, Luithlen an Dworschak, 1.2.1940. 58 KHM, Sammlung alter Musikinstrumente, 35/SAM/39/40, handgeschriebener Vermerk von Luithlen, 25.5.1943. 59 E-Mail-Auskunft von Felicitas Thurn-Valsassina. 6.7.2015. 60 Vgl. Dorotheum Wien, Freiwillige Versteigerung aus dem Familienbesitz eines Großindustriellen [Gerngross, Ergänzung der Verfasserin], Wien 1, Reichsratsstraße 17, Mezzanin, 24. Juni 1931, Los 55: »Giraffe, 7 Oktav, Nußholz politiert, reiche Bronzebeschläge, Empire um 1800, signiert A. Seiler [Seiter], München (siehe Tafel III)«, Schätzung 1000, Rufpreis: ATS 500,-,  nicht verkauft. E-Mail-Auskunft von Felicitas Thurn-Valsassina, 6.7.2015. 61 Vgl. Kunst-Auktions-Salon S. Kende & Leo Schidlof, 6. März 1918, Los 294: »Empirespinett. Mit vertikalem Resonanzboden, von hoher geschweifter Form. Aus Mahagoniholz, mit feuervergoldeten, ziselierten Bronzen und Wedgewoodplaketten verziert. Über der Klaviatur die Inschrift: J. Seiter, München. Empirezeit.« E-Mail-Auskunft von Felicitas Thurn-Valsassina, 6.7.2015. 62 WStLA, Meldeauskunft zu Maria Gerngross. 63 https://www.geni.com/people/Margarethe-Gretl-Gerngross/6000000016368219542 (18.6.2015).

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366   Monika Löscher genannt.64 Edith konnte über Prag im April 1939 weiter nach Oslo flüchten, wo sie Adolf Neumann (1878–1953) kennenlernte und heiratete. Neumann, ein aus Wien stammender Jude, war in Frankfurt am Main Gesellschafter des Verlagshauses Rütten & Loenig gewesen, das 1936 arisiert wurde. Gemeinsam lebte das Ehepaar in Stockholm, wo Adolf Neumann 1953 verstarb. In dritter Ehe war Edith Neumann mit Paul Robert Brukner verheiratet.65 Nach 1945 bemühte sie sich um Restitutionen nach ihrem ersten Mann und nach ihrer Mutter. Konkret ging es um einen Gobelin, Der Durchzug durch das rote Meer, eine Madonna mit Kind von Francesco Solunena, ein Gemälde von Marc Anton Franceschini sowie eine Ruinenlandschaft von Panini. Die beiden erstgenannten Bilder wurden aus der Galerie des Fürsten Johann Liechtenstein erworben.66 Auch Fridas jüngere Tochter Maria emigrierte Anfang 1939 in das damals noch freie Prag, um dann doch von den Nazi-Schergen eingeholt zu werden. Am 29. Mai 1942 wurde sie nach Ravensbrück deportiert, am 25. Jänner 1943 in Auschwitz ermordet.67 Was bleibt von Maria Gardi?

Wie bereits erwähnt, sind glücklicherweise noch einige Tonaufnahmen von Maria Gardi erhalten, wie etwa Mir ist alles einerlei, der Titelschlager aus dem Film Geld auf der ­Straße. Das Original wurde von Harry Payer gesungen, der auch eine kleine Rolle in diesem Film spielte. Von Maria Gardi gibt es davon eine Aufnahme mit dem Dajos Bela Tanzorchester die auf youtube verfügbar ist.68 Die Komödie war eine Produktion von Sascha Film und gilt als der erste österreichische Langspielfilm der Tonfilmära.69 Die Regie führte Georg Jacoby, der im selben Jahr auch die Pension Schöller verfilmte. Die sehr eingängige Musik schrieb Stephan Weiß, ein populärer Nonsens-Schlager-­

64 N. N., 6163 Lessner, Erwin, in: Susanne BLUMESBERGER, Michael DOPPELHOFER, Gabriele MAUTHE, Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert, Bd. 1: A–I, München 2002, S. 817. 65 Von Edith Brukner verfasste Eidesstattliche Versicherung vom 29.1.1957, http://www.ruettenundloening. prozessbeobachter.net/schriftstueck-198-Aktenvorlage-durch-die-Klaegervertreter.php (18.6.2015). 66 OeStA, FLD 1247. 67 Vgl. Datenbank des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands: http://www.doew.at/result (15.6.2015). 68 https://www.youtube.com/watch?v=3BSKC7-aW_o (7.3.2018). 69 Vgl. Armin LOACKER, Anschluss im 3/4-Takt – Filmproduktion und Filmpolitik in Österreich 1930– 1938, Trier 1999, S. 2; Walter FRITZ, Kino in Österreich 1929–1945. Der Tonfilm, Wien 1991.

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»Mir ist alles einerlei«   367

Komponist der 1920er Jahre,70 die Texte stammen von Peter Herz.71 Mit dem Wissen des späteren Schicksals von Frida Gerngross wirkt die Textzeile »Wer wird denn das Leben so tragisch nehmen« mehr als beklemmend. Der Hammerflügel von Promberger war Gegenstand einer Sitzung des Kunstrückgabebeirates vom 15. Oktober 2014. Es wurde eine Rückgabeempfehlung ausgesprochen.72

70 Kay WENIGER, ›Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben …‹. Lexikon der aus Deutschland und Österreich emigrierten Filmschaffenden 1933 bis 1945. Eine Gesamtübersicht, Hamburg 2011, S. 614. 71 Die Schauspieler_innen waren unter anderen Rosa Albach-Retty, Lydia Pollmann, Hans Moser, Hugo und Hans Thimig. Vgl. http://www.wolfgang-siska.at/de/Berliner-Filmkurier-1919-1944/BFK1400-1499/1498-Gelb-auf-der-Strasse-Georg-Jacoby-Georg-Alexander-Franz-Schafheitlein-LeopoldKramer-Frau-Albach-Retty-Lydia-Pollmann-Hans-Moser-Hugo-Thimig-Hans-Thimig-KammersaengerKarl-Ziegler-Alfred-Neugebauer-Harry (7.3.2018); Österreichische Film-Zeitung, 8.11.1930, S. 1. Der Film enthält den allerersten Filmauftritt der damals erst 16-jährigen Hedwig Kiesler, die später als Hedy Lamarr in Hollywood Weltkarriere machte. Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=_TECupfY4Uk (7.3.2018). 72 http://www.provenienzforschung.gv.at/de/empfehlungen-des-beirats/beschluesse/beschluesse2008-2013/?decisions-year=2015 (7.3.2018).

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Anna Mautner: Mehr als nur Witwe Konrad Mautners Cl audia Spring

Einleitung

Gibt man den Namen Anna Mautner in eine Internet-Suchmaschine ein, erscheint als erste Meldung ein Artikel der Tageszeitung Der Standard vom Oktober 2016.1 Dieser verweist auf die Empfehlung des Kunstrückgabebeirats, eine große Sammlung bestehend aus 363 volkskundlichen Objekten von Anna Mautner (1879–1961), die das Volkskundemuseum Wien (ÖMV) 1938 und 1939 erworben hat, an ihre Erb_innen zurückzugeben, da diese Sammlung Anna Mautner entzogen worden war. Weiters finden sich kurze biografische Informationen – jedoch nur als Randnotiz zu ihrem Ehemann Konrad Mautner (1880–1924).2 Zu ihm, dem bedeutenden Volkskundeforscher, gibt es unzählige und ausführliche biografische Verweise und vor allem auch Bezüge zu aktuellen Veranstaltungen im Ausseerland, die sich in ihrer Tradition auf Konrad Mautner, diese »Ausseer Ikone«,3 beziehen. Der vorliegende Beitrag gilt Anna Mautner, die mehr als nur die Witwe Konrad Mautners war. Sie stammte aus der wohlhabenden Familie Neumann, heiratete einen Mann aus einer ebenfalls wohlhabenden Familie, wurde Mutter von fünf Kindern, von denen eines noch als Säugling verstarb. Als 45-Jährige wurde sie Witwe, als 50-Jährige gelang es ihr, nach dem Konkurs des Mautner’schen Familienunternehmens, eine eigene Produktionsfirma von Trachtenstoffen aufzubauen und so den Lebensunterhalt für sich und ihre vier halbwüchsigen Kinder zu sichern. Nach dem »Anschluss« Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich war sie – mittlerweile 59 Jahre alt – gezwungen, zu fliehen: Ihr und ihren Kindern gelang bis März 1939 die Ausreise ins sichere Ausland. Sie war 67, als sie sich entschied, zurückzukommen und sie musste 1

Vgl. Der Standard, 5.10.2016, https://derstandard.at/2000045424628/Kunstrueckgabebeirat-Albertinasoll-fuenf-Blaetter-restituieren (5.3.2018). 2 1910 änderte Konrad Mautner die Schreibweise seines Namens von Conrad auf Konrad. Vgl. Wolfgang HAFER, Die anderen Mautners. Das Schicksal einer jüdischen Unternehmerfamilie, Berlin 2014, S. 91. 3 Gerhard MILCHRAM, Konrad Mautner und Eugenie Goldstern, Identitätsstiftung in den Alpen oder universale Ethnologie?, in: Hanno LOEWY, Gerhard MILCHRAM, »Hast Du meine Alpen gesehen?« Eine jüdische Beziehungsgeschichte. Eine Ausstellung des Jüdischen Museums Hohenems und des Jüdischen Museums Wien in Kooperation mit dem Österreichischen Alpenverein, Wien 2009, S. 157–175, hier: S. 172.

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370   Claudia Spring jahrelang um die Rückgabe ihres entzogenen Eigentums, ihres Hauses, ihrer Firma und ihrer Sammlungen kämpfen. Als knapp 70-Jährige begann sie mit dem Wiederaufbau ihrer Firma. Sie starb mit 82 Jahren. Soweit die Eckdaten ihrer Biografie. Im Zuge der umfangreichen Recherchen zu dem Dossier zur Sammlung Anna Mautners im ÖMV, auf dem die Empfehlung des Kunstrückgabebeirats beruht, zeigte sich, dass es verschiedene Informationsquellen zu Anna und Konrad Mautner gibt, die auch die Grundlage dieses Beitrags bilden: Erstens die Akten aus der Provenienzforschung zu Anna Mautner und ihren vier Kindern, die ihre Verfolgung und Vertreibung sowie den Entzug und die späte Restitution ihres Eigentums dokumentieren. Zweitens eine mündliche Erzähltradition zur Familie Mautner im Ausseerland, insbesondere zu Konrad Mautner, die durch die Veröffentlichung der Beiträge eines 1998 durchgeführten Symposiums verschriftlicht wurde – und sich seither redundant bzw. auch unkritisch auf verschiedensten Websites des Ausseerlandes und selbst in wissenschaftlichen Arbeiten findet.4 Drittens eine 2014 erschienene umfangreiche Monografie zur Geschichte der Industriellenfamilie Mautner von Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts.5 Viertens kurze autobiografische Erinnerungen von den Schwägerinnen Anna Mautners, Käthy Breuer (1883–1979) und Marie Kalbeck-Mautner (1886–1972), sowie der Tochter Anna und Konrad Mautners, Anna Wolsey-Mautner (1920–2010).6 Fünftens ein biografisches Porträt Konrad Mautners, verfasst von dem steirischen Volkskundler Viktor Geramb (1884–1958), einem Freund und Kollegen von Anna und Konrad Mautner.7 Sechstens einige wenige wissenschaftliche Arbeiten zur Verfolgung und Vertreibung jüdischer Einwohner_innen und Besucher_innen des Ausseerlandes, dieser »ikonenhaltigen Kernlandschaft des Österreichischen«8 und der 4

Vgl. die einzelnen Beitrage in: Nora SCHÖNFELLINGER (Hg.), »Conrad Mautner, grosses Talent«. Ein Wiener Volkskundler aus dem Ausseer Land (= Grundlseer Schriften 3), Grundlsee 1999. Zur unkritischen Übernahme vgl. die jeweiligen Verweise in den folgenden Abschnitten. 5 Zur Geschichte der Familie vgl. u. a. HAFER 2014. 6 Vgl. Käthy BREUER, Jugenderinnerungen der Schwester Konrad Mautners, in: Volkskunde. Erforscht – gelehrt – angewandt. Festschrift für Franz C.[arl] Lipp zum 85. Geburtstag (= Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich 7), Linz 1998, S. 26–36; Anna WOLSEY-MAUTNER, Erinnerungen an meine Eltern, in: Nora SCHÖNFELLINGER (Hg.), »Conrad Mautner, grosses Talent«. Ein Wiener Volkskundler aus dem Ausseer Land (= Grundlseer Schriften 3), Grundlsee 1999, S. 11–26; Marie KALBECK-MAUTNER, Erinnerungen an die Mautner-Villa, in: Unser Währing. Zeitschrift des Vereines zur Erhaltung und Förderung des Währinger Heimatmuseums 3/1 (1968), S. 14–18. 7 Vgl. Viktor GERAMB, Verewigte Gefährten. Ein Buch der Erinnerung. Konrad Mautner, Graz 1952, S. 57–68. 8 Konrad KÖSTLIN, Versuchte Erdung oder: Der »jüdische Beitrag« zur Wiener Kultur, in: Freddy RAPHAEL (Hg.), »… das Flüstern eines leisen Wehens …«. Beiträge zur Kultur und Lebenswelt europäischer Juden. Festschrift für Utz Jeggle zum 60. Geburtstag, Konstanz 2001, S. 451–466, hier: S. 465.

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meist spät und nur unvollständig erfolgten Restitution entzogenen Eigentums.9 Siebtens die kritische Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Tracht, Volksliedern und Brauchtum und der damit verbundenen Rezeption von Konrad Mautner10 und achtens die zahlreichen von Konrad Mautner verfassten Publikationen – Anna Mautners Beitrag dazu ist weitgehend unrezipiert, obwohl doch auch sie wesentlich dazu beigetragen hat, dass man sich noch an ihn erinnert. Ausgehend von diesen unterschiedlichen Quellen soll nun versucht werden, ein eigenständiges biografisches Porträt Anna Mautners zu entwerfen. Die Familien Neumann und Mautner

Anna Constanze Neumann wurde am 19. März 1879 in Wien geboren. Ihr Vater David Neumann, ein wohlhabender Seidenhändler, war der Bruder von Jenny Mautner (1856–1938), Konrad Mautners Mutter. Aufgrund der familiären Verbindung verbrachte sie viel Zeit mit ihren Cousinen und Cousins. Sie war, so die Erinnerung Käthe Breuers, eine sehr begabte Zeichnerin und Malerin und erhielt gemeinsam mit ihren Cousinen Unterricht bei dem Maler Ferdinand Schmutzer.11 Am 20. Mai 1909 heiratete sie ihren Cousin Konrad Mautner, nach jüdischem Ritus, sie konvertierten aber beide im April 1919 zum evangelischen Glauben A. B.12 Anna und Konrad Mautner wurden Eltern von fünf Kindern: Heinrich Matthias (1910–1991), Lorenz (1914–1989), Konrad Michael (1919–1997) und Anna Marie Helene (1920–2010). Ein Kind, Franz Amadeus, verstarb 1912 im Alter von nur wenigen Monaten. 9

Vgl. dazu grundlegend Daniela ELLMAUER, Michael JOHN, Regine THUMSER, Ein Vergleich – »Arisierung« und Rückstellung in Oberösterreich, Salzburg und Burgenland, Wien-München 2004, S. 202–492. 10 Vgl. dazu u. a. die zahlreichen Beiträge in: Hanno LOEWY, Gerhard MILCHRAM (Hg.), »Hast Du meine Alpen gesehen?« Eine jüdische Beziehungsgeschichte. Eine Ausstellung des Jüdischen Museums Hohenems und des Jüdischen Museums Wien in Kooperation mit dem Österreichischen Alpenverein, Wien 2009; Marie-Theres ARNBOM, »Juden ist das öffentliche Tragen von alpenländischen Trachten verboten«. Sommerfrische im Salzkammergut, in: Roman SANDGRUBER (Hg.), Katalog zur Oberösterreichischen Landesausstellung Salzkammergut, Linz 2008, S. 109–112; Ulrike KAMMERHOFERAGGERMANN, Dirndl, Lederhose und Sommerfrischenidylle, in: Robert KRIECHBAUMER (Hg.), Der Geschmack der Vergänglichkeit, Wien-Köln-Weimar 2002, S. 317–334, hier: S. 328–329. 11 Vgl. BREUER 1998, S. 34. 12 Vgl. Auszug der IKG-Matriken zu Konrad Mautner und Anna Neumann. Zur Familie Neumann vgl. BREUER 1998, S. 26–27; HAFER 2014, S. 92; Johanna PALME, Da liabe Bruada Hrod und seine Goessler Komroden, in: Nora SCHÖNFELLINGER (Hg.), »Conrad Mautner, grosses Talent«. Ein Wiener Volkskundler aus dem Ausseer Land (= Grundlseer Schriften 3), Grundlsee 1999, S. 49–66, hier: S. 66.

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von Langzeitarbeitslosigkeit auf die Betroffenen durchführten,14 war eine Firma der Familie Mautner. Im Winter lebte die Familie Mautner in einer geräumigen Stadtwohnung in Wien 1, Löwelstraße 8. Sie erwarb 1888 ein Sommerhaus in Wien 18, Khevenhüllerstraße 2 – die sogenannte Mautner-Villa, heute eine Expositur des Museums für Angewandte Kunst.15 Ab 1894 verbrachte sie, wie viele andere Wiener_innen, die Sommermonate im Ausseerland – in Gössl, einem entlegenen Ortsteil der Gemeinde Grundlsee. Die Familie Mautner bestimmte das damalige gesellschaftliche Leben Wiens mit – »geprägt vom Ästhetizismus und Liberalismus der Jahrhundertwende, wie dies für das großbürgerliche, assimilierte Judentum dieser Zeit allgemein typisch war«.16 Beim sonntäglichen Jour Fixe im Salon Jenny Mautners trafen sich zahlreiche Musiker_innen, Schriftsteller_innen, Intellektuelle und Schauspieler_innen, unter ihnen Gustav Mahler, Max Reinhardt, Pauline de Anha und ihr Mann Richard Strauss, Hugo von Hofmannsthal, Elisabeth Schumann, Erich Wolfgang Korngold, Elsa und Bruno Walter, Adrienne Gessner, Ida Roland und Richard Coudenhove-Kalergi, Paula Wessely und Attila Hörbiger sowie Pablo Casals, um nur einige zu nennen. Neben Konrad hatten Isidor und Jenny Mautner drei weitere Kinder, Stephan (geb. 1877, gest. 1944 vermutlich im KZ Auschwitz), Käthe (nach ihrer erzwungenen Emigration Käthy, 1883–1979) und Marie (1886–1972). Sie legten großen Wert auf eine umfassende und auch künstlerische Ausbildung ihrer Kinder.17 Konrads älterer Bruder Stephan Mautner übernahm ab 1900 in seiner Funktion als Stellvertreter seines Vaters Isidor Mautner zunehmend die Verantwortung im väterlichen Unternehmen. Er war verheiratet mit Else Eissler (geb. 1877, gest. 1944 vermutlich im KZ Auschwitz), der Tochter einer Wiener Industriellenfamilie, die mit Holz handelte. Das Paar hatte vier Kinder. Stephan Mautner war, wie schon in seiner Jugend, künstlerisch tätig – 20 Werke dieses »Vertreters der alten Wiener Aqua14 Vgl. Marie JAHODA, Paul Felix LAZARSFELD, Hans ZEISEL, Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit, Leipzig 1933, insbes. S. 141–152. Ergänzend sei hier angemerkt, dass Marie Jahoda auch unter dem Pseudonym M. Mautner publizierte, vgl. http://agso.uni-graz.at/lexikon/klassiker/jahoda/24bio.htm (22.3.2018). 15 Vgl. http://agso.uni-graz.at/marienthal/biografien/mautner_jenny.htm (22.3.2018). Die Familie lebte ab 1908 in Wien 1, Löwelstraße 8, vorherige Wohnungen waren am Rudolfsplatz 11 und in der Löwelstraße 12. 16 Gerlinde HAID, Kommentar zu den Jugenderinnerungen der Schwester Konrad Mautners, Käthy Breuer, in: Gunter DIMT (Hg.), Volkskunde. Erforscht – gelehrt – angewandt. Festschrift für Franz C[arl] Lipp zum 85. Geburtstag (= Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich 7), Linz 1998, S. 25–26, hier: S. 25. 17 Vgl. BREUER 1998, S. 26–36.

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374   Claudia Spring rellschule im Stile von Kriehuber und Alt«18 schenkten seine Nachkommen im Jahr 1977 der Graphischen Sammlung Albertina. Darüber hinaus verfasste er in jahrelanger Arbeit eine ausführliche Dokumentation zum niederösterreichischen Ort Trattenbach am Wechsel, wo er ein großes Anwesen erworben hatte und mit seiner Familie viel Zeit verbrachte.19 Käthy Mautner war verheiratet mit dem Wiener Rechtsanwalt Dr. Hans Breuer (1876–1926), Sohn des renommierten Arztes Dr. Josef Breuer, der einen wesentlichen Beitrag zur Psychoanalyse geleistet hatte.20 Marie Mautner war verheiratet mit dem Schauspieler und Regisseur Paul Kalbeck (1884–1949), von 1923 bis zu seiner Vertreibung im Jahr 1938 Regisseur am Wiener Theater in der Josefstadt.21 Konrad Mautner war wie sein Bruder Stephan Stellvertreter seines Vaters im Familienunternehmen, zog sich aber schon 1921 aus allen Funktionen zurück und widmete sich, gemeinsam mit seiner Frau Anna Mautner, ganz seinen volkskundlichen Forschungen, die im folgenden Abschnitt näher beschrieben werden. Anna Mautner und die Volkskunde

Wenngleich Internet-Suchmaschinen nur bedingt ein Maßstab für Bedeutung einer Person sein können, zeigen sie bezüglich Anna und Konrad Mautner doch, dass er in der Volkskundeforschung sehr bekannt ist, und sie, wenn überhaupt, nur als seine Witwe wahrgenommen wird. Liest man jedoch zwischen den Zeilen bzw. interpretiert man Danksagungen, zeigt sich, dass Anna und Konrad nicht nur ihre Herkunftsfamilien verbanden, sondern auch ihre Interessen: Beide zeichneten gerne und gut und Anna hatte, so die Erinnerung von Konrads Schwester Käthy, über viele Jahre gemeinsam mit Konrad Bäuerinnen und Bauern im ganzen Ausseerland besucht, um deren Lieder und Sprüche mit dem Grammophon aufzunehmen.22

18 Wiener Zeitung, Nr. 33, 10.2.1977, S. 4; Kopie auf: ÖMV-Archiv, Personenkarteikarte Mautner Stephan. Ich danke Pia Schölnberger für die Bestätigung der als »Legat Mautner« 1977 in der Albertina inventarisierten Bilder. E-Mail vom 27.4.2014; ÖMV-Archiv, Ordner Recherchen Dossier Mautner Anna. 19 Vgl. Stephan MAUTNER, Trattenbach, Wien 1918; HAFER 2014, S. 107. Im ÖMV befindet sich ein Exemplar mit einer persönlichen Widmung Stephan Mautners an Michael Haberlandt. Vgl. ÖMV Bibl. Signatur 7789 N 20. 20 Vgl. http://www.deutsche-biographie.de/sfz5841.html (5.3.2018). 21 Vgl. http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_K/Kalbeck_Paul-Johannes_1884_1949.xml?frames=yes (5.3.2018). 22 Vgl. BREUER 1998, S. 34–35; Johanna PALME, Eine Welt für sich. Gössl und seine Dorfgemeinschaft, Bad Aussee 1994, S. 192.

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376   Claudia Spring Das von Konrad Mautner mit seinem Kollegen und Freund,27 dem Volkskundler Viktor Geramb, über viele Jahre vorbereitete und von Letzterem – mit »tatkräftiger und ideeller Unterstützung von Anna Mautner«28 – nach dem Tod Konrads als »Vermächtnis«29 fertiggestellte zweibändige Steirische Trachtenbuch gilt als »eine unübertroffene Quelle für angewandte und theoretische Kostüm- und Trachtenkunde«,30 als das »bedeutendste Beispiel, in dem eine möglichst hochgradige Verbindung zwischen flächenhafter Erfassung der Gegenwart und Halbvergangenheit mit sämtlichen Perioden der Geschichte angestrebt wurde«.31 Konrad Mautner steht für unterschiedliche Rezeptionen in der Trachtenforschung: So werden einerseits seine diesbezüglichen Verdienste gewürdigt, andererseits an seinem Beispiel – der städtisch-jüdisch-großbürgerliche Mann aus einer wohlhabenden Industriellenfamilie, der Tracht trägt und den Großteil seines Lebens in der Abgeschiedenheit eines kleinen Dorfes im Ausseerland verbringt – die damit verbundenen unterschiedlichen Identifikationen und Zuschreibungen analysiert, aber zugleich auch zementiert.32 Konrad Mautner ist auch Namensgeber eines Preises für Botschafter der Tracht, der von der österreichischen Trachtenmodeunternehmerin Gexi Tostmann und ihrer Tochter Anna seit 2006 alle zwei Jahre verliehen wird.33 Ergänzend sei hier einer der Preisträger, der österreichische Schauspieler und Autor Miguel Herz-Kestranek ge27 Vgl. GERAMB 1952, S. 57–68. 28 Vgl. Viktor GERAMB, Konrad MAUTNER, Steirisches Trachtenbuch, Bd. I: Von der Urzeit bis zur französischen Revolution, Graz 1932 und Bd. II: Von 1780 bis zur Gegenwart, Graz 1935. Zu Viktor Geramb als Akteur der »austrofaschistischen Volkskulturbestrebungen« vgl. Birgit JOHLER, Magdalena PUCHBERGER, »… erlebnismässigen Zusammenhang mit dem Volke.« Volkskunde in der Laudongasse zwischen Elite und Volksbewegung, in: Brigitta SCHMIDT-LAUBER, Klara LÖFFLER, Ana ROGOJANU, Jens WIETSCHORKE (Hg.), Wiener Urbanitäten. Kulturwissenschaftliche Ansichten einer Stadt, Wien 2013, S. 68–93, hier: S. 76. 29 Michael GREGER, Johann VERHOVSEK, Viktor Geramb 1884–1958. Leben und Werk (= Buchreihe der Österreichischen Zeitschrift für Volkskunde Neue Serie 22), Wien 2007, S. 35. 30 Gexi TOSTMANN, Mautner und Geramb: Das Steirische Trachtenbuch, in: Die Mölkerstiege 73 (1999), S. 7–11, hier: S. 9; Gexi TOSTMANN, Die Liebe zum Ausseer Gwand, in: Nora SCHÖNFELLINGER (Hg.), »Conrad Mautner, grosses Talent«. Ein Wiener Volkskundler aus dem Ausseer Land (=Grundlseer Schriften 3), Grundlsee 1999, S. 112–133, hier: S. 132. Zu Viktor Geramb vgl. u. a. Olaf BOCKHORN, »Die Angelegenheit Dr. Wolfram, Wien« – Zur Besetzung der Professur für germanischdeutsche Volkskunde an der Universität Wien, in: Mitchell ASH, Wolfram NIESS, Ramon PILS (Hg.), Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Universität Wien, Göttingen 2010, S. 199–224, hier: S. 209–210. 31 Leopold SCHMIDT, Geschichte der österreichischen Volkskunde, Wien 1951, S. 147. 32 Vgl. u. a. MILCHRAM 2009, S. 157–175; Konrad KÖSTLIN, Tracht und die Inszenierung von Authentizität. Bewegliche Ästhetik im Alltag der Moderne, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 98 (2002), S. 207–220, hier: S. 215. 33 Vgl. https://www.tostmann.at/botschafter-der-tracht/preistraeger/ (5.4.2018). Preisträger_innen waren

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nannt, der seine Dankesrede vom 11. März 2008 mit Trachtenrock gegen Rassenwahn betitelte, explizit auf die umfassenden nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen gegen die Familie Mautner verwies und sich nicht zuletzt gegen die Vereinnahmung von Volkskultur und Volkstracht für nationale und völkische Zwecke verwehrte.34 In der aktuellen Trachtenproduktion und -vermarktung ist neben Konrad auch Anna Mautner präsent, beispielsweise in Katalogen zur österreichischen Trachtenmode.35 Die Firma Mautner-Drucke, situiert in der »Trachteninsel«36 Ausseerland, die auf das von Anna Mautner 1930 gegründete Unternehmen Mautner-Handdrucke zurückgeht, verwendet bis heute ein Porträt von Konrad Mautner als Logo.37 Nicht zuletzt sei erwähnt, dass Konrad Mautner im Jahr 2014, während der Trachtenbiennale Ausseerland, eine eigene Matinee gewidmet war.38 Mehr dazu weiter unten. Anna Mautner – eine erfolgreiche und innovative Produzentin von Trachtenstoffen

Wie eingangs erwähnt, gründete Anna Mautner nach dem frühen Tod Konrads (1924) und nach dem Konkurs der Mautner’schen Textilfabriken im Jahr 1930 im steirischen Grundlsee die Firma Mautner Handdrucke und konnte mit der Produktion von Trachtenstoffen den Lebensunterhalt für sich und ihre vier Kinder sichern.39 Nachdem sie vorerst sogenannte Blaudrucke produziert und daneben auch, so die Erinnerung ihrer Tochter Anna Wolsey-Mautner, mit verschiedensten Materialien experimentiert hatte,40 entwickelte Anna Mautner den bis dahin in dieser Form nicht existenten Ausseer Handdruck […]. Das künstlerische Talent Anna Mautners, ihr untrügliches Gespür für außergewöhnliche, und u. a. der Niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll und die Landtagsabgeordnete Martina Pühringer, Obfrau der Oberösterreichischen Goldhauben-, Kopftuch- und Hutgruppen. 34 Vgl. Miguel HERZ-KESTRANEK, Trachtenrock gegen Rassenwahn. Zum Stellenwert der Volkskultur in der Debatte um das ›richtige‹ Gedenken, in: Hanno LOEWY, Gerhard MILCHRAM, »Hast Du meine Alpen gesehen?« Eine jüdische Beziehungsgeschichte. Eine Ausstellung des Jüdischen Museums Hohenems und des Jüdischen Museums Wien in Kooperation mit dem Österreichischen Alpenverein, Wien 2009, S. 176–179. 35 Vgl. TOSTMANN 1999, S. 132. 36 HAID 2011, S. 114. 37 Vgl. http://www.ischlerstrasse.at/betriebe/mautner-drucke (13.3.2018). 38 Vgl. http://ausseerland.salzkammergut.at/fileadmin/user_upload/ausseerland/Diverse_PDFs/Trachtenbiennale_Programm_2014.pdf (22.3.2018). 39 Vgl. dazu Eva KUNZE, ›Liebes Bertchen!‹ Konrad Mautners Ansichtskarten an Bertha Köberl vulgo Veith zwischen 1895 und 1919, Univ. Masterarb., Graz 2017, S. 51–54. 40 Vgl. WOLSEY-MAUTNER 1999, S. 21.

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378   Claudia Spring dennoch mit der Tracht harmonisch im Einklang stehende Muster- und Farbkombinationen finden bei den Einheimischen bald Anklang und werden im exklusiven Mautner’schen Wiener Freundeskreis und von zahlreichen namhaften Künstlern, welche sich rund um Max Reinhardt bei den Salzburger Festspielen tummeln, gefragt und begehrt.41

1935 veröffentlichte das renommierte Grazer Kaufhaus Kastner & Öhler einen Katalog mit von Anna Mautner entworfenen Mustern von Trachtenstoffen und Trachtenzusammenstellungen – »eine der wichtigsten ästhetischen Grundlagen der modernen österreichisch-steirischen Dirndltracht«.42 1936 organisierte Anna Mautner eine Tagung zur Pflege der Steirischen Tracht in Grundlsee43 und 1937 erhielt sie im Rahmen der Pariser Weltausstellung eine Silbermedaille.44 Die von ihr entworfenen Trachtenstoffe und Trachtentücher stellen »bis zum heutigen Tage sehr bedeutende soziale und kulturelle Identifikationssymbole der Bevölkerung des Ausseerlandes zum eigenen Land und zum österreichischen Trachtenwesen dar«.45 Anna Mautner und ihre Familie in der NS-Zeit46

Die familiäre, finanzielle und berufliche Situation von Anna Mautner nach dem »Anschluss« war verfolgungsbedingt sehr schwierig: Ihr Haus in Grundlsee, eine der »besonders schön gelegenen Villen«,47 wurde, entsprechend der Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens,48 von der Gestapo Linz beschlagnahmt,49 und Gauleiter August Eigruber war persönlich in die Vergabe an 41 Hans KÖHL, Die Ausseer Handdrucker. Tobi Reiser Preisträger 2011, in: Salzburger Volkskultur, http://www.salzburgervolksliedwerk.at/uploads/hype/store/product/files/Koehl_ZVSVK_2011-1.pdf (27.4.2016). Ergänzend sei hier angemerkt, dass sich das Land Salzburg im Mai 2016 aufgrund der NSDAP-Mitgliedschaft von Tobi Reiser entschied, diesen nach ihm benannten Preis nicht mehr zu vergeben. Vgl. http://salzburg.orf.at/news/stories/2774733 (17.5.2016). 42 Martin POLLNER, Historische Strukturen der Stadtgemeinde Bad Aussee und des Ausseerlandes, Wien 2005, S. 81. 43 POLLNER 2005, S. 81. 44 POLLNER 2005, S. 87–88. 45 POLLNER 2005, S. 89. 46 Zu diesem Abschnitt vgl. HAFER 2014, v. a. S. 151–169. 47 ELLMAUER, THUMSER 2004, S. 247. 48 Vgl. http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=BgblAlt&Dokumentnummer=g lo1938_0589_02991 (7.3.2018), Kundmachung des Reichsstatthalters in Österreich, wodurch die Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens im Lande Österreich vom 18. November 1938 bekannt gemacht wird. 49 Vgl. OeStA/AdR, E-uReang VVSt VA 33.083, Anna Mautner, Veränderung zur Vermögensanmeldung, Verfügung der Gestapoleitstelle Linz, 23.11.1838 [sic], Zl. 3539/38 II E 1/Sch. Vgl. weiters StLA,

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den neuen Eigentümer, den deutschen Juristen und Diplomaten Eduard Brücklmeier, involviert.50 Der Großteil der Sammlungen Anna Mautners wurde beschlagnahmt bzw. sichergestellt, sie war gezwungen, ihre Firma weit unter deren Wert zu verkaufen, diskriminierende Steuern zu bezahlen, die das NS-Regime rassistisch Verfolgten aufzwang, sie hatte uneinbringliche finanzielle Forderungen, ihr verbliebenes Geld lag auf Sperrkonten. Trotzdem konnte sie die erzwungene Ausreise ihrer Kinder finanzieren und selber eine Möglichkeit finden, das Land zu verlassen. Ihr 28-jähriger Sohn Heinrich konnte, gemeinsam mit seiner aus Grundlsee stammenden Frau Flora und ihrem gemeinsamen Sohn Hans, Ende August 1938 nach Bukarest fliehen.51 Ihr 24-jähriger Sohn Lorenz wurde von der Gestapo verhaftet und wieder freigelassen, woraufhin er über die Schweiz nach England flüchtete. Nach einer Internierung auf der Isle of Man gelangte er nach Kanada, er war später in Toronto als Arzt tätig. Auch ihr 19-jähriger Sohn Michael wurde im Zuge des Novemberpogroms von der Gestapo verhaftet und in das KZ Dachau deportiert. Nach intensiven Bemühungen Vera Zwacks, einer in Budapest lebenden Nichte Anna Mautners, wurde er entlassen und konnte kurz darauf nach England ausreisen. Er ging zur britischen Armee und war zu Kriegsende als Soldat in der Dachsteinregion eingesetzt; er änderte seinen Namen auf Michael Christopher Mortimer. Anna Mautners 18-jährige Tochter Anna Maria Mautner konnte mit Hilfe der Quäker im Dezember 1938 über Holland nach London ausreisen.52 Anna Mautner gelang im März 1939 die Ausreise nach Ungarn, vermutlich zu ihrer zuvor genannten Nichte Vera Zwack. Wann sie nach Bukarest gelangte und von dort dann mit ihrem Sohn Heinrich und dessen Familie über Portugal in die USA weiterreiste, ist unbekannt. Anna Mautners Schwägerinnen, Käthy Breuer und Marie Kalbeck-Mautner, konnten nach England flüchten, die drei Kinder ihres Schwagers Stephan in die USA. Stephan und Else Mautner gelang Anfang November 1938, noch vor dem Novemberpogrom, die Flucht nach Ungarn, wo sie Verwandte hatten, die sie unterstützen konnten, doch sie überlebten die NS-Zeit nicht. Sehr wahrscheinlich waren sie im Frühjahr 1944, gemeinsam mit ZehntausenBestand ›Arisierungsakten‹, Nr. 8060, Anna Mautner, zit. nach Leopold WALKNER, »Ein Gedächtnis geben« – »Arisierungen« im steirischen Salzkammergut, Univ. Diplomarb., Graz 2005, S. 37. Auch die Häuser ihrer beiden Söhne Heinrich Mathias und Lorenz Sebastian Mautner wurden arisiert. Vgl. ebd. 50 Zu Eduard Brücklmeier (1903–1944) vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_Br%C3%BCcklmeier (5.3.2018). Zur Rückgabe des Hauses an Anna Mautner nach Kriegsende siehe weiter unten. 51 Ich danke Elizabeth Baum-Breuer, Großnichte Konrad und Anna Mautners, für die Information zum Sohn von Heinrich und Flora Mautner. Telefonat vom 29.6.2016. 52 Vgl. OeStA/AdR, Fonds zur Abgeltung von Vermögensverlusten politisch Verfolgter AZ 604/3 nach Anna Constanze Mautner (Mutter), Michael Christopher Mortimer, fol. 9 Rückseite.

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380   Claudia Spring den anderen Jüdinnen und Juden, in das NS-Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort getötet worden.53 Die volkskundlichen Sammlungen von Anna und Konrad Mautner in Wien und Grundlsee Entzug und Erwerb der Sammlung Mautner in Wien

Die Recherchen für das Dossier zur Sammlung Anna Mautners für den Kunstrückgabebeirat ergaben, dass das ÖMV aus der in Wien aufbewahrten Sammlung Mautner im Oktober/November 1938 und im Jänner/Februar 1939 insgesamt 363 Sammlungsobjekte erwarb.54 Am 7. Juli 1938 hatte sich der Direktor des ÖMV, Arthur Haberlandt, mit folgendem Schreiben an Anna Mautner gewandt: Anlässlich einer von der Zentralstelle für Denkmalschutz angeordneten Kommissionierung volkstümlicher Gegenstände in der Villa XVIII, Khevenhüllerstrasse 6 wurde auch der Nachlass Ihres verehrten Herrn Gemahls Konrad auf dem Dachboden in Augenschein genommen. Es sind diese sein [sic] handschriftlichen Aufzeichnungen, Bildskizzen, ferner Hausrat, Trachtenbilder, Stiche usw. in schon etwas mitgenommenem Zustand, sodass mir ihre Sicherstellung empfohlen wird. Ich glaube in alter Hochschätzung der Leistung Ihres Herrn Gemahls das Ersuchen an Sie, geehrte Frau richten zu sollen nach Aufnahme eines Bestandsverzeichnisses die Gegenstände dem Museum für Volkskunde zu treuen Händen überantworten zu wollen. Ich werde nicht ermangeln mich bei den zuständigen Dienststellen um eine Anerkennung und entsprechende Gegenleistung für jederlei Art der Ueberlassung, deren Durchführung zunächst Ihrem Ermessen an heimgegeben [sic] sein möge mich zu bemühen und begrüsse Sie mit freundlichen Empfehlungen.55

53 Zu den Versuchen der Rekonstruktion des Schicksals von Stephan und Else Mautner vgl. HAFER 2014, S. 166–169, v. a. das Foto von Stephan Mautner bei der Ankunft in dem NS-Vernichtungslager Auschwitz auf S. 169. 54 Der Großteil der 1938 und 1939 erworbenen Objekte, 205 und 121, wurde in zeitlicher Nähe zur Erwerbung inventarisiert. Weitere 28 Objekte wurden im Verlauf des Jahres 1939 und sieben Objekte 1942 nachinventarisiert. Zwei Objekte konnten im Jahr 2016 der 1938 erworbenen Sammlung Mautner zugeordnet und dementsprechend inventarisiert werden. 55 ÖMV-Archiv, Ordner Recherchen Dossier Mautner Anna, Arthur Haberlandt an Anna Mautner, ohne Zl., 7.7.1938. Beistrichsetzung und Orthografie entsprechen dem Original. Ob Anna Mautner Arthur Haberlandt geantwortet hat, geht aus den Direktionsakten des ÖMV nicht hervor.

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Anna Mautner: Mehr als nur Witwe Konrad Mautners   381

Die von Direktor Haberlandt genannte »alte Hochschätzung« Konrad Mautners reichte viele Jahre zurück: Die Bedeutung der Mitglieder der Industriellenfamilie Mautner für das ÖMV seit seiner Gründung im Jahr 1895 ist allein schon aus der Tafel mit den Namen aller Stifter_innen im Eingangsbereich zur Bibliothek des ÖMV ablesbar – darauf finden sich Konrad Mautners Eltern Jenny und Isidor Mautner. Auch die Jahresberichte und die Publikationen des ÖMV belegen dies.56 Wiederholt war Isidor Mautner darin als einer der »besonders freizügige[n] Gönner« genannt.57 Jenny Mautner nutzte ihre in den vielen Jahren ihres Salons aufgebauten Kontakte auch, um »Fundraising« für das ÖMV zu betreiben, und der Blick ins Kassabuch des ÖMV zeigt, dass Konrad Mautner nicht nur Objekte und Geld für zahlreiche Ankäufe, sondern im Jahr 1920 beispielsweise auch ein Weihnachtsgeld für die Museumsangestellten gespendet hatte.58 Darüber hinaus war Konrad Mautner vor allem wissenschaftlich mit dem ÖMV verbunden: Er publizierte regelmäßig in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde über seine Forschungen zu Volksmusik, Volkstrachten und regionalen Bräuchen.59 Aufgrund dieser zahlreichen Verbindungen waren die Familien Haberlandt und Mautner gut miteinander bekannt, wenn nicht sogar freundschaftlich verbunden, wie aus Widmungen und Korrespondenzen hervorgeht.60 Ein weiteres Zeichen der Verbundenheit setzte Anna Mautner nach Konrad Mautners Tod im Mai 1924: Sie bat die zahlreichen Trauergäste, bei der Verabschiedung ihres Mannes statt eines Kranzes den dafür gedachten Betrag dem ÖMV zu spenden – wodurch das Museum insgesamt 2.250.000 Kronen erhielt. (Zum Vergleich: Die Förderung der Stadt Wien betrug in diesem Jahr 56 Vgl. Michael HABERLANDT, Führer durch die Sammlungen des Museums für Österreichische Volkskunde in Wien, Wien 1914; Margot SCHINDLER, »Alter Jude, Ton, glasiert«. Spuren des Jüdischen im Österreichischen Museum für Volkskunde, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde (ÖZV) 64 (2010), S. 435–456, hier: S. 435–439. Zur Geschichte des ÖMV bzw. des Vereins für Volkskunde von 1894–1945 vgl. grundlegend Herbert NIKITSCH, Auf der Bühne freier Wissenschaft. Aus der Geschichte des Vereins für Volkskunde (1894–1945), Wien 2006. 57 MUSEUM FÜR VOLKSKUNDE (Hg.), Führer durch das Museum für Volkskunde, 1919, S. 16. 58 Vgl. ÖMV-Archiv, Kassabuch Einnahmen 1916–1927, Eintrag im Dezember 1920: »Spende Konrad Mautner f[ür] Personal z[u] Weihn[achten. 4000 [Kronen]«. Ich danke Elisabeth Egger für diesen Hinweis. 59 Vgl. Register der ÖZV 2 (1963); Felix TASCHNER, »Etwas in Ordnung(en) bringen«: Eine Fotografie aus dem Fundus des österreichischen Museums für Volkskunde. Spurensuche auf einem epistemischen Ding, Univ. Diplomarb., Wien 2012, S. 17–19. 60 Vgl. u. a. ÖMV, Nachlass Hess-Haberlandt, Weihnachtskarte Mautners an Haberlandts, 12/1909; weiters ÖMV-Bibl. Signatur 2601 N 10, Widmung Konrad Mautners an Mizzi Haberlandt, die Frau Michael Haberlandts, vom Dezember 1919 in Konrad Mautners Buch Alte Lieder und Weisen aus dem Steyermärkischen Salzkammergute [sic], Wien 1919.

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382   Claudia Spring 20.000.000 Kronen.)61 Anna Mautner blieb auch nach Konrads Mautners Tod mit dem ÖMV in Verbindung – zwischen 1934 und 1937 entlieh oder tauschte sie wiederholt Druckmodel für ihre Produktion von Trachtenstoffen.62 Mit dem »Anschluss« Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich im März 1938 endeten Wertschätzung und Gedenken an jene Stifter_innen, Gönner_innen und sonstige mit dem ÖMV verbundene Personen, die nun im Sinne der nationalsozialistischen »Nürnberger Gesetze« als jüdisch galten: Die Tafel, auf der auch die Namen von Jenny und Isidor Mautner eingetragen waren, wurde umgehend entfernt,63 und zu Jenny Mautners Tod im April 1938 findet sich weder in den Jahresberichten des ÖMV noch in der Zeitschrift für Volkskunde eine Notiz, geschweige denn ein Nachruf.64 Arthur Haberlandts »alte Hochschätzung« der Leistungen Konrad Mautners kann also durchaus ernst gewesen sein. Doch wie die Forschungsergebnisse von Birgit Johler und Magdalena Puchberger zur Geschichte des ÖMV in der NS-Zeit sowie die im Zuge der Provenienzforschung aufgefundenen Quellen dokumentieren, zeigte Arthur Haberlandt, NSDAP-Mitglied seit 1940 und Mitarbeiter im Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR),65 keine Skrupel, wenn es um die Erweiterung der Sammlungen des ÖMV ging – wollte er doch seine Vision zu einem Haus des deutschen Volkstums im Donauosten66 realisieren. Ein weiterer wichtiger Akteur beim Erwerb von Sammlungen für das ÖMV war Robert Mucjnak (1901–1980), »Restaurator, Photograph und sonst in jeder Arbeit bewährte Kraft«67 des Museums. Mucjnak, ein »gefragter Mann innerhalb

61 Vgl. ÖMV-Jahresbericht 1924, S. 2, S. 4. Auf Initiative des ehemaligen ORF-Journalisten Lutz Maurer wurden im Jahr 2010 die Gebeine von Konrad Mautner und dem schon im Säuglingsalter verstorbenen Sohn von Anna und Konrad Mautner, Franz Amadeus, von Wien auf den Friedhof in Grundlsee umgebettet. 62 Vgl. ÖMV-Inventarbuch ÖMV/42.450-ÖMV/42.453; ÖMV-Archiv, Kt. Mautner, Mappe Anna Mautner, Bestätigungen vom 23.5.1935, 4.5.1936 und 26.4.1937. 63 Vgl. ÖMV-Archiv, Ordner Recherchen Dossier Mautner Anna. 64 Vgl. ÖMV-Jahresbericht 1938. Jenny und Isidor Mautner sind am Friedhof Döbling bestattet. Vgl. www. friedhoefewien.at (18.3.2015). 65 Vgl. OeStA/AdR, BMU 02/5 Hauptreihe 15, Museum für Volkskunde 1940–1958, Kt. 158, ÖMV an BMU, 4.12.1946; OeStA/AdR, 04 Gauakt 82.932, Arthur Haberlandt, beides zit. nach JOHLER 2008, S. 254 und 256. 66 ÖMV-Archiv, Kt. 24, Mappe Verwaltung/Personal, Arthur Haberlandt, Denkschrift über die Unterbringung und Verstaatlichung des ÖMV zu einem ›Haus des deutschen Volkstums im Donauosten‹, 29.7.1938. Vgl. dazu JOHLER 2008, S. 245. 67 ÖMV-Jahresbericht 1924, zit. nach: NIKITSCH 2006, S. 185. Zu Robert Mucjnaks Aktivitäten vgl. ebd., S. 185–194 und S. 212–246. Zum vielschichtigen Verhältnis zwischen ihm und Arthur Haberlandt vgl. ebd., S. 236–246. Vgl. weiters www.wien.gv.at/wiki/index.php/Robert Mucjnak (1.3.2018).

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Anna Mautner: Mehr als nur Witwe Konrad Mautners   383

der NSDAP«,68 hatte auch im Juli 1938 im Auftrag der Zentralstelle für Denkmalschutz die Objekte aus der Sammlung Mautner auf dem Dachboden des Hauses in Wien 18, Khevenhüllerstraße 6, begutachtet.69 Darüber hinaus war Mucjnak auch bei der Sicherstellung zahlreicher Objekte von Anna Mautners Schwager Stephan Mautner aus dessen Landhaus im niederösterreichischen Trattenbach involviert. Arthur Haberlandt hatte auch an dieser Sammlung Interesse gezeigt, jedoch keine Objekte daraus erworben.70 Aufgrund Haberlandts Initiative erließ die Wiener Magistratsabteilung 2 am 5. August 1938 gemäß § 4a des sogenannten Ausfuhrverbotsgesetzes einen Bescheid zur Sicherstellung von Kunstgegenständen aus der Sammlung Mautner. Anna Mautners fristgerechter Einspruch dagegen war vergeblich. Zahlreiche sichergestellte Objekte – die genaue Zahl ist nicht rekonstruierbar – wurden ins ÖMV gebracht und 205 Objekte aus dieser Sicherstellung Anna Mautner laut ÖMV Inventarbuch um 441 RM abgekauft.71 Im Februar 1939 erwarb das ÖMV weitere Objekte aus dem Eigentum Anna Mautners. Laut einer Inventarliste war dies ihr freiwilliges Angebot – jedoch zu interpretieren vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Notlage, in der sich Anna Mautner befand. Das ÖMV beauftragte den Wiener Kunsthändler, gerichtlich beeideten Sachverständigen und Schätzmeister Amatus Caurairy, ein Schätzgutachten zu erstellen. Caurairy nannte als Wert der Objekte insgesamt 1.272,50 RM, sein Honorar für die Schätzung, das von Anna Mautner zu begleichen war, betrug 26 RM. Das ÖMV erwarb daraufhin insgesamt 121 Objekte um 1.060 RM von Anna Mautner.72 Mangels Belegen ist nicht zweifelsfrei nachweisbar, dass Anna Mautner diesen Betrag (teilweise oder in voller Höhe) auch erhalten hat.

68 ÖMV-Archiv, Kt. 24, Mappe Verwaltung/Personal, Arthur Haberlandt an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, 19.7.1938. Vgl. dazu auch JOHLER 2008, S. 243. 69 Vgl. BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Anna und Konrad Mautner, fol. 127–128, hier: fol. 128. 70 Die Sammlung von Stephan Mautner gelangte nicht ins ÖMV, der letzte Hinweis ist, dass sie, auch unter Mitwirkung Mucjnaks, spätestens ab September 1940 im Depot der Wiener Speditionsfirma Bäuml gelagert wurde. Vgl. ÖMV-Archiv, Ordner Recherchen Dossier Mautner Anna, ÖMV an Stephan Mautner, 23.10.1939; ÖMV-Archiv, Ordner Recherchen Dossier Mautner Anna, Liste volkskundlich wichtiger Gegenstände aus Trattenbach Zl. 493/1939, 4.11.1939, erstellt von Robert Mucjnak. Zur seit Juni 1938 arisierten Firma Bäuml vgl. u. a. Birgit JOHLER, Freud’s Dining Room. Möbel bewegen Erinnerung. Furniture Moves Memory, Wien 2015, S. 11. 71 Vgl. ÖMV-Inventarbuch, Eintrag bei Inventarnummer ÖMV/43.823. 72 Vgl. ÖMV-Inventarbuch, Eintrag bei Inventarnummer ÖMV/44.086.

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384   Claudia Spring Entzug der Sammlung Mautner in Grundlsee

Nun noch zu Anna Mautners Sammlung, die sie in ihrem Haus Archkogl 14 in der steirischen Gemeinde Grundlsee aufbewahrt hatte. Sie wurde bereits im Juli 1938 »von der Polizei sichergestellt«73 und im November 1938 unter Denkmalschutz gestellt.74 Die sehr umfangreiche und vor allem auch sehr wertvolle Sammlung sollte »bei ihrer Verwertung der Entscheidung des Führers unterliegen«.75 Auf einer – undatierten – Liste Konrad (Anna) Mautner Archkogl Gemeinde Grundl See waren insgesamt 522 Nummern angeführt, viele davon für mehrere Objekte, und jedes Objekt war mit einer Schätzung versehen. Der darauf verzeichnete Gesamtwert betrug 21.000 RM.76 Die Zentralstelle für Denkmalschutz hielt dazu im Dezember 1938 fest: »Die Sammlung besitzt derartigen volkskulturellen Wert, dass ein weiteres jüdisches Besitzrecht an ihr untragbar erscheint«;77 und sie hoffte auf die Zustimmung von August Eigruber, dem Gauleiter des Gaus Oberdonau, sie aus öffentlichen Geldern anzukaufen.78 Viktor Geramb, wie erwähnt ein langjähriger Freund und Kollege Anna und Konrad Mautners, mit dem Anna nach dem Tod Konrads posthum trotz großer Schwierigkeiten das Steirische Trachtenbuch herausgegeben hatte, sollte, so die Vorstellung der Zentralstelle für Denkmalschutz, die Inventarisierung der umfangreichen Sammlung vornehmen, wodurch sie, neben der fachkundigen Aufnahme, als Ganzes erhalten bleiben könnte und nicht jene Teile, die aus dem Ausseerland stammten, für das dortige Museum herausgenommen werden würden.79 Soweit bisher bekannt, gelangte nichts in das Joanneum (heute: Universalmuseum Joanneum).80 Die Besitzabfolge der Objekte aus der steirischen Sammlung Mautner bedürfte jedoch weiterer Recherchen. Wie die Akten des Bundesdenkmalamtes zeigen, wurden zahlreiche Objekte, darunter vor allem Einrichtungsgegenstände, Anna Maut73 74 75 76

77 78 79 80

BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Mautner Anna und Konrad, fol. 156–157, hier: fol. 157. BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Mautner Anna und Konrad, fol. 95–96 und fol. 136–139. BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Mautner Anna und Konrad, fol. 95–96, hier: fol. 95. Vgl. BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Mautner Anna und Konrad, fol. 87. Auch in der Vermögensanmeldung Anna Mautners findet sich ein mit 29.4.1940 datiertes Schreiben von der Zentralstelle für Denkmalschutz in Linz an die Vermögensverkehrsstelle Wien zu dieser Sammlung, wenngleich auch mit 524 Nummern, vgl. OeStA/AdR, E-uReang VVSt VA 33.083, Anna Mautner. BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Mautner Anna und Konrad, fol. 147–149, hier: fol. 147. Zu Gauleiter Eigruber, der vielfach eigenständig agierte und ministerielle Anweisungen ignorierte, vgl. ELLMAUER, THUMSER 2004, S. 244. BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Mautner Anna und Konrad, fol. 140–142. Vgl. Karin LEITNER-RUHE, Gudrun DANZER, Monika BINDER-KRIEGLSTEIN (Hg.), Universalmuseum Joanneum, Restitutionsbericht 1999–2010, Graz 2010; E-Mail von Karin Leitner-Ruhe vom 18.5.2016, Ausdruck in ÖMV-Archiv, Ordner Recherchen Dossier Mautner Anna.

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Anna Mautner: Mehr als nur Witwe Konrad Mautners   385

ners im August 1939 in das Heimathaus Bad Aussee transferiert,81 weitere befanden sich in zwei Zimmern »im Hause Hüttmayer«,82 1944 wurden vier Kisten mit Objekten aus der steirischen Sammlung Mautner ins Salzbergwerk verlagert.83 Zur teilweisen Rückgabe der Objekte siehe weiter unten. Biografische Informationen zur Familie Mautner seit 1945

Anna Mautners Exilort war Springdale/Connecticut, jener ihres Sohnes Matthias Mautner und seiner Familie Barrington/Rhode Island.84 Anna Mautner kehrte 1946 aus den USA nach Grundlsee zurück, auch ihr Sohn übersiedelte mit seiner Familie wieder nach Bad Aussee. Ihr Sohn Lorenz Mautner blieb in den USA bzw. später in Kanada, ihr Sohn Michael Mautner und ihre Tochter Anna Marie Wolsey-Mautner blieben mit ihren Familien in Großbritannien. Anna Mautners früh verwitwete Schwägerin Käthy Breuer kam nur auf Besuch nach Österreich, vor allem ins Ausseerland; ihre Schwägerin Marie Kalbeck-Mautner lebte nach Kriegsende mit ihrem Mann vorerst wieder in Wien. Nach dessen Tod (1949) zog sie nach Gössl/Gemeinde Grundlsee, wo sie 1972 starb. Die Kinder von Stephan und Else Mautner kehrten nicht nach Österreich zurück. Anna Mautner stellte Rückstellungsanträge zu ihrem Haus in Grundlsee, Archkogl 14, zu dessen Einrichtung, zu ihrer Firma Mautner Handdrucke und zu ihrer steiri81 Vgl. BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Mautner Anna und Konrad, fol. 53–56, hier: fol. 54. 82 Vgl. BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Mautner Anna und Konrad, fol. 53–56, hier: fol. 55. 83 Vgl. BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Mautner Anna und Konrad, fol. 23–25. Vgl. dazu u. a. Harry SLAPNICKA, Die Salzbergwerke Altaussee und Bad Ischl. Schatzkammern europäischer Kunstwerke in den Jahren 1943–1945, in: Hans Michael ROITHNER (Hg.), Ausseer Beiträge zur Zeit- und Kulturgeschichte (= Schriftenreihe des Heimatmuseums Ausseerland 7), Bad Aussee 1985, S. 52–58. Zu Bergungen vgl. grundsätzlich die soeben erschienene Publikation Pia SCHÖLNBERGER, Sabine LOITFELLNER (Hg.), Bergung von Kulturgut im Nationalsozialismus. Mythen, Hintergründe, Auswirkungen (= Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung 6), Wien 2016; zum Salzbergwerk vgl. den Beitrag von Anneliese SCHALLMEINER, ebd. Auf zahlreichen Karteikarten der Sicherstellungskartei des Bundesdenkmalamtes, in der die Objekte aus der steirischen Sammlung Mautner inventarisiert worden waren, findet sich der Eintrag »Heimathaus Bad Aussee 1946« als Angabe zum Standort. Vgl. u. a. BDA, Sicherstellungskartei, Eigentümer Konrad Mautner, Nr. 1, 3, 12, 14 usw. Vgl. weiters die Übereinstimmung der Nummern der Sicherstellungskartei mit den Nummern auf der Liste Konrad (Anna) Mautner Archkogl Gemeinde Grundl See [sic], BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Mautner Anna und Konrad, fol. 64–85. Ein Objekt (Nr. 7) war 1946 in »Salzburg Alt-Aussee«. Beim überwiegenden Teil fehlen Informationen zum Standort. Das ÖMV ist auf keiner der Karteikarten der Sicherstellungskartei als Aufbewahrungsort von Objekten Anna bzw. Konrad Mautners genannt. Vgl. weiters BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Mautner Anna und Konrad, fol. 13–19, hier: fol. 14. 84 Vgl. OeStA/AdR, Fonds zur Abgeltung von Vermögensverlusten politisch Verfolgter AZ 7672/3 nach Anna Constanze Mautner (Mutter), Heinrich Matthias Mautner.

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386   Claudia Spring schen Sammlung – vor allem zu ihrer umfangreichen, wertvollen und für den geplanten Wiederaufbau ihrer Firma unverzichtbaren Trachtensammlung.85 Wie viele andere Rückstellungsverfahren waren auch ihre äußerst langwierig. Die Witwe des damaligen Profiteurs Eduard Brücklmeier, Klothilde, wehrte sich sehr gegen die Rückgabe des Hauses an Anna Mautner, da ihr Mann wegen des Verdachtes der Mitwirkung am Attentat vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurde – sie sah sich »in noch weit höherem Maße als die Antragstellerin ein Opfer politischer Verfolgung und habe weit mehr verloren«86 als Anna Mautner. Nach dem Rückstellungsbescheid vom Jänner 1948 blieb sie nach einer großzügig bemessenen, 14-monatigen Frist weiterhin im Haus. Anna Mautners Protest war vergeblich: Zum Zeitpunkt der »Arisierung« sei sie, so ein Schreiben Anna Mautners »zweifellos die rechtlose und geächtete Jüdin Anna Sara Mautner und sie die angesehene Gattin eines Legationsrates in Berlin, die in politischer Hinsicht gerade das Gegenteil von ›politisch verfolgt‹ war«,87 gewesen. Letztendlich musste Anna Mautner mit Klothilde Brücklmeier einen Vergleich abschließen, bevor sie im April 1948 ihr Haus zurückerhielt.88 Im Nebenhaus, das ihre Tochter Anna Wolsey-Mautner im September 1948 zurückbekommen hatte, begründete sie wieder ihre Firma Mautner-Handdrucke. Deren Einrichtung hatte sie erst infolge eines gerichtlichen Vergleichs mit dem ehemaligen »Ariseur« Hanns Wöll und unter Verzicht auf weitere diesbezügliche Schadenersatzforderungen im Jänner 1948 zurückerhalten. Aus den Akten des Bundesdenkmalamtes geht hervor, dass bereits am 22. Juli 1946 zwischen der Gemeinde Bad Aussee und Anna Mautner ein Rückstellungsvergleich zu Teilen aus der steirischen Sammlung Mautner abgeschlossen wurde.89 Trotzdem erfolgte deren Rückgabe erst drei Jahre später, am 20. August 1949.90 Das Heimathaus 85 Zu diesem Kapitel vgl. u. a. HAFER 2014, S. 170–172; POLLNER 2005, S. 94. Die von Hafer auf S. 170 getroffene Aussage, Anna Mautners Haus in Wien wurde restituiert und dann verkauft, betrifft lediglich den genannten Anteil der Erb_innengemeinschaft nach Jenny Mautner, d. h. der vier Kinder Anna Mautners, vgl. POLLNER, S. 93. Zur entzogenen Sammlung im ÖMV stellte Anna Mautner keinen Rückstellungsantrag. 86 OÖLA, Sondergerichte, RK 240/47, 25.11.1947, Brücklmeier an RK/LG Linz, zit. nach ELLMAUER, THUMSER 2004, S. 432–433. Zu Eduard Brücklmeier vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_Br%C3%BCcklmeier (5.3.2018). 87 OÖLA, Sondergerichte, RK 240/47, 25.11.1947, Brücklmeier an RK/LG Linz, zit. nach ELLMAUER, THUMSER 2004, S. 434. 88 Vgl. WALKNER 2005, S. 37. Zur Rückgabe weiterer Häuser an Mitglieder der Familie Mautner vgl. ebd. Zur Situation nach Kriegsende im Ausseerland vgl. u. a. Anton STROBL, Ein Wort zum Aufbau – Der politisch-soziale und ökonomische Wiederaufbau im Ausseer Land 1945–1952/53, Altaussee 2011. Anna Mautner ist im Abschnitt zu den Rückstellungen nicht genannt, vgl. ebd., S. 77–80. 89 Vgl. BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Mautner Anna und Konrad, fol. 14 und fol. 18. 90 BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Mautner Anna und Konrad, fol. 13–19, hier: fol. 14. Vgl. dazu

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in Bad Aussee hatte neben jenen von Anna Mautner auch entzogene Objekte anderer Personen, die gemeinsam zurückgegeben werden sollten, worüber mit dem Leiter des Heimathauses noch verhandelt wurde.91 Im Juni 1949 wandte sich Anna Mautners Anwalt an die Zweigstelle des Bundesdenkmalamtes in Oberösterreich mit der »Bitte um Beschleunigung».92 Infolge eines Rückstellungsvergleichs musste Anna Mautner zugunsten der Rückgabe ihres Hausinventars auf ihre wertvolle Trachtensammlung verzichten, diese verblieb bei der Gemeinde Bad Aussee. Ein kleiner Teil dieser Sammlung umfasste Trachten aus dem ehemaligen Eigentum von Stephan und Else Mautner, die deren Erb_innen nach einem langen Rückstellungsverfahren der Gemeinde als unentgeltliche Leihgabe zur Verfügung stellten. Andere entzogene Besitztümer ihrer Eltern konnten sie in die USA ausführen.93 Ausgerechnet das ÖMV wurde dazu vom Bundesdenkmalamt um eine Stellungnahme gebeten, welche Objekte nicht ausgeführt werden sollten, und ÖMV-Direktor Heinrich Jungwirth sprach sich »prinzipiell […] gegen die Ausfuhrgenehmigung für die gesamte Sammlung Stefan Mautner« aus, ergänzt um eine Liste, «deren Ausfuhr vom Standpunkt der wissenschaftlichen Volkskunde aus völlig abzulehnen ist«.94 Welche Objekte ausgeführt werden konnten, bedürfte weiterer Recherchen. Die Trachtenkammer im Heimathaus Bad Aussee war bis 1960 die zweitgrößte Österreichs (nach jener im Tiroler Landesmuseum Innsbruck), jedoch wurden die dort aufbewahrten Trachten weder inventarisiert noch wissenschaftlich bearbeitet. Für die zahlreichen Festivitäten konnten sich die Mitwirkenden Trachten ausborgen, manche gaben diese nicht zurück, nahmen eigenmächtig Änderungen vor bzw. behandelten sie unsachgemäß: All dies trug dazu bei, dass es jetzt nur noch wenige Trachten im heutigen Kammerhofmuseum (das die Sammlungen aus dem ehemaligen Heimathaus Bad Aussee übernahm) gibt, wenngleich sie »noch immer einen vielbewunderten Höhepunkt österreichischer Trachtengeschichte«95 darstellen. 1991, nach mehrjährigen Vorbereitungen, wurde dort eine Trachtenabteilung eingerichtet und ein Katalog dazu

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auch BDA-Archiv, Restitutionsmaterialien, Allgemeine Materialien, Kt. 8/1, Mappe 15, Ursprungsverzeichnis II, Nachträge, fol. 3–36. Ich danke Anneliese Schallmeiner für diesen Hinweis. Vgl. BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Mautner Anna und Konrad, fol. 20–22, hier: fol. 21. BDA-Archiv, Kt. 41/1, Personenmappe Mautner Anna und Konrad, fol. 20–22, hier: fol. 21. POLLNER 2005, S. 94. Hans Gielge, Lehrer in Aussee, in dessen Nachlass sich Objekte mit Bezug auf Konrad Mautner finden, deren Provenienz untersuchenswert wäre, forderte damals, sich »die Handlungsweise der Erben gegen das Vermächtnis nicht bieten zu lassen«, ebd., S. 94, und beantragte eine Ausfuhrsperre für die Trachtensammlung. ÖMV-Archiv, Kt. 1950, Mappe Korrespondenzen, Z. 321/1950, Jungwirth an BDA. POLLNER 2005, S. 95.

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selbst so viel Sinn für alles Schöne gehabt hat«,99 so die Erinnerung ihrer Tochter Anna Wolsey-Mautner, keinerlei Nachrufe in den lokalen oder überregionalen Zeitungen. Auch im ÖMV Jahresbericht bzw. in der Österreichischen Zeitschrift für Volkskunde findet sich keine Notiz zu ihrem Tod, geschweige denn ein Nachruf.100 Ausblick

Am Ende dieses Beitrags nun noch eine kurze Bestandsaufnahme bzw. Überlegungen zur möglichen weiteren Auseinandersetzung mit Anna und Konrad Mautner und ihren umfangreichen Sammlungen: Das ÖMV brachte im Jahr 2013 neben dem Haupteingang eine Gedenktafel an, auf der unter anderen Konrad Mautner als großzügiger Förderer des Museums gewürdigt wird. Aufgrund der Entscheidung des Trägervereins des ÖMV, Provenienzforschung und Restitution entsprechend der Bestimmungen des Kunstrückgabegesetzes (BGBl I 181/1998) durchzuführen, wird die 1938 und 1939 erworbene Sammlung Mautner demnächst an die Erb_innen Anna Mautners restituiert. In der Schausammlung des ÖMV sind durch diese Restitution Lücken entstanden, die, so die Entscheidung des Museumsteams, zur Verdeutlichung der damaligen Geschichte und der heutigen Auseinandersetzung damit, nicht durch andere Objekte aus den musealen Beständen gefüllt werden sollen.101 Weitere Forschungen zur Geschichte des ÖMV und zu seinen Erwerbungen sowie zu der Bedeutung der Familie Mautner für das ÖMV, insbesondere von Anna und Konrad Mautner, wären wünschenswert. Auch im Ausseerland findet sich ein Gedenkstein zu Konrad Mautner, dem »unvergesslichen Freund und Forscher heimischen Brauchtums«,102 den die Gemeinde Grundlsee in einem feierlichen Akt nach seinem Tod im Jahr 1924 gesetzt hatte. Weiters wurde der Wanderweg zwischen Gössl und dem Toplitzsee nach ihm benannt. Gedenkstein und Wanderweg stehen exemplarisch für wechselnde Erinnerungskulturen – nicht nur des Ausseerlandes – mit »Ikonen« wie Konrad Mautner: In der NS-Zeit wurden, um die lokale Geschichte »judenrein« zu machen, der Gedenkstein gesprengt

99 WOLSEY-MAUTNER 1999, S. 25. 100 Vgl. ÖMV-Jahresbericht 1961; ÖZV 15 (1961) und 16 (1962). 101 Vgl. dazu auch meinen Beitrag Wissen schafft Lücken. Provenienzforschung und Restitution im Volkskundemuseum Wien im vorliegenden Band, S. XXX 102 http://www.politische-landschaft.at/workshop/anschluss-verfolgung-und-arisierung-im-ausseerland (28.9.2015). Zur ausführlichen Schilderung der Gedenkfeier am Grundlsee und der Setzung des Gedenksteines im September 1925 vgl. GERAMB 1952, S. 65–68.

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390   Claudia Spring und die Wegbezeichnungen entfernt.103 Erst seit 1980, anlässlich Konrad Mautners 100. Geburtstag, ist dort wieder eine Gedenktafel angebracht und auch der Wanderweg wieder nach ihm benannt.104 Nicht nur Gedenksteine und Wanderwege können entfernt werden, auch die Geschichte (dazu) kann Leerstellen aufweisen. Denn wenn man die aktuellen Websites der Fremdenverkehrswerbung des Ausseerlandes sichtet, finden sich zahlreiche Einträge zu Konrad Mautner, jedoch ohne jegliche Nennung der antisemitischen Diffamierungen, mit denen er zu Lebzeiten konfrontiert war, auch zu Verfolgung, Beraubung und Vertreibung Anna Mautners, ihrer gemeinsamen Kinder und Familienmitglieder in der NS-Zeit ist nichts zu lesen.105 1998, bei dem groß angelegten Symposium zu Konrad Mautner, wurde nur sehr vereinzelt auf die NS-Zeit eingegangen: Anna Mautners »abenteuerliche« Flucht106 und das »Unglaubliche«107 ihrer Rückkehr wurden genannt, nicht jedoch die Mühen der langwierigen Restitution. Exemplarisch sei hier die Schilderung von Martina Reischauer genannt. Sie betreibt seit 1996 die Firma Mautner-Handdruck in Bad Aussee – unter Verwendung eines Porträts von Konrad Mautner im Firmenlogo und mit explizitem Bezug auf Anna Mautner, die ursprüngliche Gründerin.108 (Anna Mautner hatte den Firmennamen Mautner nicht markenrechtlich geschützt, daher konnten ihn später andere nutzen.) Als Anna [sic] nach 1938 vertrieben wurde, mußte sie den größten Schatz – ihre Modeln – bis auf einige Einzelstücke zurücklassen. Mit diesen arbeitete im Krieg bis zu seinem Tod der damalige Bürgermeister von Bad Aussee Hans Wöll [der ehemaligen Ariseur, Ergänzung der Verfasserin] in seiner Druckerei. Im Keller ihres neuen Zuhauses in den USA arbeitete Anna Mautner mit mitgebrachtem Werkzeug und einigen Modeln weiterhin als Stoffdruckerin. Sie schnitzte sogar nach alten Vorlagen selber Druckmodeln. Weiters entdeckte sie in dieser Zeit neue Farben für Seidenstoffe. 1946 kam Anna nach Grundlsee zurück. 1947 eröffnete sie wieder ihre Handdruckerei,

103 Vgl. POLLNER 2005, S. 80, S. 85 und S. 91. 104 Vgl. POLLNER 2005, S. 95. 105 Vgl. MILCHRAM 2009, S. 157–159; http://www.grundlsee.at/landleute/beruehmte.htm (23.3.2016). 106 Vgl. Lutz MAURER, An der schönen blauen Donau, in: Nora SCHÖNFELLINGER (Hg.), »Conrad Mautner, grosses Talent«. Ein Wiener Volkskundler aus dem Ausseer Land (= Grundlseer Schriften 3), Grundlsee 1999, S. 27–48, hier: S. 46–47. 107 Vgl. TOSTMANN 1999, S. 132. 108 Vgl. POLLNER 2005, S. 94–95. Zur heutigen Firma vgl. www.ischlerstrasse.at/betriebe/mautner-drucke sowie http://austria-forum.org/af/Heimatlexikon/Ausseer_Handdruck (28.9.2015). Dieser Beitrag nennt fälschlicherweise Anna Wolsey-Mautner, also Anna Mautners Tochter, als Begründerin des Handdrucks, auch die Angaben zu Anna Mautners und Flucht und Rückkehr sind falsch. Vgl. dazu weiters https:// www.youtube.com/watch?v=8lf3n1b7i0I (5.3.2018).

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  Anna Mautner: Mehr als nur Witwe Konrad Mautners   391

nachdem sie einen Großteil ihrer Druckmodeln von den Hinterbliebenen Wölls zurückerworben hatte.109

Anna Mautner, die sich um die touristisch und ökonomisch bis heute relevante Trachtenproduktion im Ausseerland sehr verdient gemacht hat, wird zwar genannt und ihr Familienname und das von ihr entworfene Logo wirtschaftlich genutzt, doch Verfolgung, Vertreibung und späte Restitution ihrer Firma und ihres Hauses sind entweder nicht erwähnt oder neutral bis beschönigend beschrieben. Abschließend noch ein Vorschlag: Bei touristischen Veranstaltungen wie jenen des Kultursommers im Ausseerland-Salzkammergut gibt es zahlreiche dezidierte Bezüge auf Konrad Mautner, unter anderem – gut besuchte – musikalische Abende.110 Würde man nur einen Euro pro Eintrittskarte jeder kulturellen Veranstaltung, die den Namen Konrad Mautner im Titel trägt oder sich programmatisch auf ihn bezieht, zweckgewidmet verwenden, wäre es aufgrund deren Vielzahl möglich, den Konrad Mautner Weg in Anna und Konrad Mautner Weg umzubenennen, auch für Anna Mautner eine Gedenktafel anzubringen, weitere Forschungen zur NS-Zeit im Ausseerland und nicht zuletzt auch eine umfassende Provenienzforschung im Kammerhofmuseum in Bad Aussee zum ehemaligen Eigentum der Mitglieder der Familie Mautner zu finanzieren.

109 Martina REISCHAUER, Lebendiges Erbe: der Mautner Handdruck, in: Nora SCHÖNFELLINGER (Hg.), »Conrad Mautner, grosses Talent«. Ein Wiener Volkskundler aus dem Ausseer Land (= Grundlseer Schriften 3), Grundlsee 1999, S. 134–147, hier: S. 139–140. Diese Auslassungen bzw. Lücken in den Schilderungen zur Geschichte zeigen sich auch auf der Website der Firma Mautner-Handdrucke. Drei Jahreszahlen sind hier als Information zur Geschichte angeführt: 1930, das Jahr der Firmengründung durch »Anna Mautner, die Gattin des Volkskundlers Konrad Mautner«, 1960 übernehmen Maria und Josef Prisching die Firma, und »sorgen dafür, dass der ›Mautner Handdruck‹ zum Geheimtipp für Einzelstücke wird«, heißt es dazu; und 1995, als Martina Reischauer (Tochter des Ehepaars Prisching) die Firma übernimmt, ist es ihr »wichtig, die Tradition im Sinne Mautners und ihrer Eltern weiterzuführen«. Zu sämtlichen Zitaten siehe www.ischlerstrasse.at/betriebe/mautner-drucke (6.3.2018). 110 Vgl. http://www.volksmusikland.at/index.php?article_id=68&clang=0&laender=12 (6.3.2018).

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»… als Zeichen des guten Willens ohne Anerkennung eines Rechtsanspruches 1975 an Jugoslawien abgegeben« Auf den Spuren der k. u. k. Marinebibliothek an der Universitätsbibliothek Wien

Susanne Wicha, Markus Stumpf

Im Rahmen der NS-Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek Wien (UB) wurde bei der autoptischen Sichtung an der Fachbereichsbibliothek Europäische Ethnologie 2005 in der Druckschrift Slavische Volkforschung1 der Besitzstempel der »K. U. K. MARINE-BIBLIOTHEK POLA«2 sowie die Signatur 16075 erfasst.3 Die Provenienzforschung zu diesem Buch führt dabei zu einer Reise entlang der historischen Verwerfungen des 19. und 20. Jahrhunderts sowie in die österreichische und europäische Monarchie- und Republikgeschichte, erzählt Institutionen- und Bibliotheksgeschichte und bedeutet zugleich eine Einführung in die Wissenschaftsgeschichte der Volkskunde und stellt nicht zuletzt die Frage nach dem rechtmäßigen Eigentümer. »Wandern von Hütte zu Hütte«

Der Autor Friedrich Salomo Krauss (1859–1938)4 war ein österreichischer Ethnologe, Sexualforscher sowie Slawist, der sich anfänglich vor allem mit der Volkskunde des südslawischen Raumes befasste. Er veröffentliche das Werk Slavische Volkforschung nachdem er im Auftrag von Erzherzog Rudolf von Österreich (1858–1889) und der 1

2 3 4

Friedrich S. KRAUSS, Slavische Volkforschungen. Abhandlungen über Glauben, Gewohnheitrechte, Sitten, Bräuche und Guslarenlieder der Südslaven vorwiegend auf Grund eigener Erhebungen, Leipzig 1908. Schreibweisen: Pola (ital.), Pula (kroat.), Pola (deutsch), Pulj (slowenisch). Markus STUMPF, Provenienzforschung an der Universitätsbibliothek Wien. Ausgewählte Teilergebnisse aus den Fachbereichs- und Institutsbibliotheken, Master-Thesis, Wien 2010, S. 103, S. 127. WStLA, MBA 6/7/A9.7 – K229/II/1913. Im Auszug der Geburtsmatrik ist der Eintrag Salomon Friedrich Kraus verzeichnet, bei der Immatrikulation an der Universität Wien ändert er seinen Namen auf Friedrich Krauss. AUW, Nationale, philosophische Fakultät Wintersemester 1877/78. Krauss studierte Klassische Philologie und Geschichte, promovierte 1882. Zu seiner Biografie vgl. Michael MARTISCHNIG, Zum 50. Todestag von Friedrich Salomo Krauss (Salomon Friedrich Krauss). Eine Nachlese, in: Raymond L. BURT, Friedrich Salomo Krauss (1859–1938). Selbstzeugnisse und Materialien zur Biobibliographie des Volkskundlers, Literaten und Sexualforschers mit einem Nachlaßverzeichnis (= Philosophisch-Historische Klasse, Sitzungsberichte 549/Mitteilungen des Instituts für Gegenwartsvolkskunde Sonderbd. 3), Wien 1990, S. 155–243.

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»… als Zeichen des guten Willens ohne Anerkennung eines Rechtsanspruches 1975 an Jugoslawien abgegeben«   395

k. u. k. Marine-Bibliothek, die wegen ihrer Sammlungstradition einen komplexen, in ihrer umfassenden thematischen Gesamtheit wertvollen und einzigartigen Bestand an wissenschaftlicher Literatur aus der ganzen Welt zum Marine- und Seewesen aufweist.8 Provenienzforschung und Institutsgeschichte

Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt kam die Druckschrift an das 1965 wiederbegründete Institut für Volkskunde der Universität Wien. Den Grundstock der Institutsbibliothek9 bildete der von 1945–1965 in Kisten zwischenverwahrte und ab den 1966er Jahren nach und nach in die Institutsbibliothek eingearbeitete Bestand des Instituts für germanisch-deutsche Volkskunde (IGDV). Das IGDV sowie das wiederbegründete Institut standen unter der Leitung von Richard Wolfram (1901–1995),10 einem ehemaligen Mitglied des SS-Ahnenerbes, der ab 1938 innerhalb der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e. V. die Leitung der Abteilung für germanischdeutsche Volkskunde in Salzburg innehatte und zudem 1939 zum außerordentlichen Professor für Volkskunde an der Universität Wien ernannt wurde. Seine Involvierung bzw. Rolle sowie das Ausmaß der Beteiligung an den Erwerbungen enteigneter bzw.

fasser_innen] Fischer, der in früheren Jahren mit Alois Ranzenhofer eine Buchhandlung betrieben hatte, veräußerte nachweislich zumindest einen Teil der Spezialsammlung über das Antiquariat Heinrich Hinterberger im Jahre 1942 an die Österreichische Nationalbibliothek; aufgrund damaliger Vorschriften über jüdische Autoren wurden die Bücher mit einem Sperrvermerk versehen.« Und in Anmerkung 201 führte Martischnig dazu weiters aus: »So ist etwa Inv. Nr. 713.836 Krauss auf der Titelei handschriftlich gewidmet, andere Bücher weisen seinen Besitzvermerk auf (Inv. Nr. 713.779-C etc.)«. Michael MARTISCHNIG, Erotik und Sexualität der unteren Volksschichten. Zum 50. Todestag von Friedrich Salomo Krauss (Salomon Friedrich Kraus) (1859–1938), in: Sabine DREXEL, Haimo L. HANDL (Hg.), InterAKTion. Das Nackte – der Hintergrund (= InterAKTion 2), Wien 1988, S. 22–83, hier: S. 61. Eine Abfrage des ÖNB-Kataloges betätigte im Jänner 2018, dass sich die Bücher noch im Bestand der ÖNB befinden. Eine entsprechende Anfrage wurde an die Provenienzforschung der ÖNB gestellt. 8 Vgl. Walter WAGNER, Zur Geschichte der k. und k. Marinebibliothek, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 15 (1962), S. 336–389. Walter Wagner (1923–1989) war ein österreichischer Historiker (Österreichische Militär- und Marinegeschichte), 1956–1983 Archivar am Kriegsarchiv Wien, 1983–1988 Direktor ebd. 9 Vgl. Susanne WICHA, »Buchstellagen nach Raumgröße […] eventuell eine Bücherleiter …«. Von der volkskundlichen Seminarbücherei zur Fachbereichsbibliothek für Europäische Ethnologie, in: Herbert NIKITSCH, Brigitta SCHMIDT-LAUBER (Hg.), Hanuschgasse 3. 50 Jahre Institut für Europäische Ethnologie (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Ethnologie der Universität Wien 38), Wien 2014, S. 79–133. 10 Mit der Person Richard Wolfram sowie seiner Bedeutung für die Fachgeschichte befassten sich bereits eingehend in mehreren Publikationen Olaf Bockhorn, James R. Dow, Ulrike Kammerhofer-Aggermann, Herbert Nikitsch sowie Albert Ottenbacher.

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396   Susanne Wicha, Markus Stumpf geraubter Publikationen lässt sich nach heutigem Stand der Forschung nur anhand der systematischen Provenienzforschung erahnen. Bereits 1994 erfolgte an der FB Europäische Ethnologie der erste Nachweis enteigneter Werke im Bestand11 und mit dem Einsetzen der NS-Provenienzforschung an der UB Wien im Jahr 2004 in der Hauptbibliothek und ab 2005 an den Fachbereichsbibliotheken (Fb) – nicht zufällig beginnend mit der Fb Europäische Ethnologie – wurde der ab 1938 erworbene Bestand systematisch durchleuchtet.12 Da jedoch die Erwerbungsakten des IGDV von 1939 bis 1945 nicht mehr vorhanden sind, gestalten sich die Recherchen zu den Besitzbeständen aus diesem Altbestand (etwa 2.500 Einzelwerke sowie etwa 650 Bände von 41 Zeitschriftentiteln)13 kompliziert und langwierig. Für einige Periodika ließ sich bereits die Provenienzkette zur beschlagnahmten Bibliothek lückenlos nachweisen, sodass im Oktober 2014 eine erste Restitution von 114 Zeitschriftenbänden aus der 1939 aufgelösten Bibliothek des Anthropos-Instituts14 durchgeführt werden konnte. Zur Geschichte der k. u. k. Marine-Bibliothek in der Monarchie

Die Gründung der Biblioteca della Marina15 erfolgte im Jahr 1802 in Venedig auf Initiative des designierten Kriegs- und Marineministers Erzherzog Karl von Österreich (1771–1847), »der 14 Werke mit 20 Bänden als Grundstock für eine Marine-Bibliothek an das Marinekommando«16 übereignete. Sie war von Anfang an als eine wissenschaftliche Fachbibliothek und Sammelstelle für jegliche Druckwerke aus dem Bereich des Seewesens gedacht und wies anfänglich einen zwar langsamen, aber dennoch steten Zuwachs auf, der in Form von Bestandslisten jährlich an das Marineministerium rückgemeldet werden musste. Das Jahr 1805 – der Bestand umfasste ca. 700 Bände – markierte infolge des Friedens von Pressburg den Verlust von Dalmatien, Istrien und 11 Vgl. Susanne WICHA, Die Fachbibliothek für Volkskunde. Ein Beitrag zur Geschichte und Entwicklung eines Außenbereichs der Universitätsbibliothek Wien sowie zur Disziplin Volkskunde, ÖNB, Bibliothekar. Hausarb., Wien 1994, S. 14–18. 12 Zu den Zwischenergebnissen der NS-Provenienzforschung an der UB Wien siehe den Beitrag von ­KAISER, STUMPF in diesem Band; zum aktuellen Stand vgl. jeweils die Website der NS-Provenienzforschung der UB Wien, http://bibliothek.univie.ac.at/provenienzforschung.html (27.12.2017). 13 STUMPF 2010, S. 101–102. 14 Vgl. Markus STUMPF, Die Anthropos-Bibliothek St. Gabriels und die Bibliothek des Instituts für (germanisch-deutsche) Volkskunde. Ein Beitrag zur NS-Provenienzforschung, in: NIKITSCH, SCHMIDTLAUBER 2014, S. 135–183. 15 Vgl. Walter WAGNER, Bruno DOBRIĆ, Mornarička knjižnica, knjižnica austorugarske Mornarcie (K. u. k. Marine-Bibliothek), Pula 1997. 16 Vgl. WAGNER 1962, S. 336.

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Venedig für das Kaisertum Österreich und damit einhergehend auch das Ende der ersten Marine-Bibliothek.17 Durch die Neuaufteilung Europas nach dem Wiener Kongress hielt die österreichische Marine 1814 abermals Einzug in Venedig. In der Folge kam es zur Wiedereröffnung des Arsenals und in Zusammenhang damit auch zur neuerlichen Einrichtung der Marine-Bibliothek als Teil des Collegio di Marina in Venedig. Dies geschah mit dem geringen, noch im Arsenal vorgefundenen Restbestand der Vorgängerbibliothek, der in einem Übernahmeprotokoll verzeichnet wurde. Eine regelmäßige Dotation für die Bibliothek gab es nicht, Erwerbungen erfolgten lediglich auf Antrag aus dem Budget des Marinefonds. Eine geplante Erweiterung der Bibliotheksräumlichkeiten wurde durch den Ausbruch der Märzrevolution 1848 – Venedig lehnte sich, wie auch andere italienische Städte, gegen die österreichische Herrschaft auf – zunichte gemacht.18 Dementsprechend sah sich die österreichische Armee gezwungen, sich aus Venedig zurückzuziehen und übersiedelte das Collegio di Marina nach Triest. Wann hingegen die Marine-Bibliothek transferiert wurde, ist nicht mehr genau eruierbar, gesichert ist nur, »dass man die Bibliothek nahezu vollständig […] vorgefunden habe«19 und diese schlussendlich, zugeteilt dem Collegio – ab 1851 Marineakademie20 – nach Triest kam. Im Weiteren übernahm die 1854 ebenfalls in Triest gegründete Marine-Sternwarte – anfänglich der Marineakademie zugehörig – die Marine-Bibliothek. Mit der Verlegung dieser Sternwarte nach Fiume (Rijeka) kam es jedoch zur Teilung des Bestandes, ein kleiner Teil gelangte nach Fiume, der größere verblieb als Marine-Bibliothek an der Akademie. Unter dem 1857 zum Direktor der Marineakademie ernannten Franz Schaub (1817–1871)21 entwickelte sich diese zum zentralen Sammelpunkt der nautischen und wissenschaftlichen Sammlungen der Kriegsmarine. Sie dienten den Bedürfnissen sämtlicher Marineämter, so musste etwa die Bibliothek »eine Vormerkung für die an das Marineoberkommando oder andere Marineämter entlehnten Bücher führen 17 Vgl. Walter WAGNER, Zur Geschichte der k. und k. Marinebibliothek, in: Walter WAGNER, Bruno DOBRIĆ, Mornarička knjižnica, knjižnica austorugarske Mornarcie (K. u. k. Marine-Bibliothek), Pula 1997, S. 21–135, hier: S. 29. 18 Vgl. WAGNER 1997, S. 35. 19 Bericht vom 3. September 1849 von Hans Birch Dahlerup, zitiert nach WAGNER 1997, S. 37. Hans Birch Dahlerup (1790–1872), ein dänischer Seeoffizier, trat 1849 in den Dienst der k. u. k. Marine ein, war 1849–1851 österreichischer Vizeadmiral und Kommandant der österreichischen Marine. 20 Vgl. Peter SALCHER, Geschichte der k. u. k. Marine-Akademie, nach authentischen Quellen verfasst, Pola 1902. 21 Franz Schaub (1817–1871), österreichischer Astronom und Ozeanograf, studierte in Wien und München, promovierte 1850 in München, war ab 1850 Professor für Astronomie am Kollegium, ab 1857 Direktor der Marine-Sternwarte in Triest.

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398   Susanne Wicha, Markus Stumpf und für deren ordnungsgemäße Rückstellung Sorge tragen. Sämtliche Bücher, Karten und Instrumente hatten mit Stempel und Inventarnummer versehen zu werden«.22 Während des Zweiten Italienischen Unabhängigkeitskrieges (1859–1861) wurde unter Erzherzog Ferdinand Maximilian (1832–1867), Oberbefehlshaber der Streitkräfte zur See, die Marine reorganisiert. Im Zuge dessen erhielt im April 1860 das von Franz Schaub ausgearbeitete Statut einer Marineanstalt mit einem hydrografischen Institut als Bildungseinrichtung sowie den angegliederten Bereichen Marine-Bibliothek, Marine-Sternwarte und Sammlungen die Genehmigung als Hydrographischen Anstalt der k. k. Marine in Triest. Schlussendlich fand in dieser Anstalt die wieder zusammengeführte Marine-Bibliothek eine Neuaufstellung.23 Die Bedeutung dieser Bibliothek24 als wertvollem Sammelpunkt von Marineliteratur zeigt sich einerseits in der starken Nutzung der Entlehnmöglichkeit – vor allem durch den Lehrkörper25 der Akademie, obwohl diese auch eine eigene Handbibliothek unterhielt – und andererseits in den im Vergleich zu anderen Marineeinrichtungen hohen jährlichen Dotationen.26 Durch die Gründung eines Filialdepots dieser Triestiner Hydrographischen Anstalt 1862 in Pola27 sowie durch den Ausbau des Kriegshafens vor Ort verhandelte das Marinekommando auch über eine Verlegung der gesamten Marine-Bibliothek. Untermauert wurde das Ansinnen damit, dass in Pola doch bereits ein Seekartendepot vorhanden wäre und die Bibliothek »in Triest nur wenig frequentiert [werde], da dort nur wenige stationiert seien und die Stadt zu viel andere Zerstreuung biete. In Pola dagegen halte sich stets die größte Zahl aller Offiziere auf und man sei dort auch viel mehr auf Studien angewiesen«.28

22 WAGNER 1997, S. 47. 23 Vgl. WAGNER 1997, S. 61–62. 24 Der damalige Wert der Bibliothek lässt sich aus einem Versicherungsvertrag mit der Riunione Adriatica di Sicurtà (RAS) ersehen, wobei auf die Bibliothek und das Seekartendepot ein Wert von 20.000 fl entfiel. Vgl. WAGNER 1997, S. 55. Zur Geschichte des Adriatischen Versicherungsvereins vgl. Gerhard SCHREIBER, Die Interunfall und die Riunione Adriatica di Sicurtà in Wien (1890–2004), Univ. Diss., Wien 2007, S. 21–23, S. 41, S. 70–72. 25 Vgl. SALCHER 1902, S. 68. 26 Die Dotation für die Bibliothek betrug 1862 und 1863 800 fl, 1865 bereits 1.000 fl, während das physikalische Kabinett 140 fl und die Sternwarte 100 fl erhielten. Vgl. WAGNER 1997, S. 55. 27 Vgl. Dieter WINKLER, Das Hydrographische Amt in Pola. Die k. u. k. Kriegsmarine im Dienste der Wissenschaft, in: Bruno DOBRIĆ (Red.), Mornarička knjižnica (K. u. K. Marinebibliothek). I austrijska/ austrougarska mornarica u Puli. Zbornik radova sa međunarodnog znanstvenog skupa u povodu 200. Obljetnice osnutka Mornaričke knjižnice, Pula 2005, S. 95–110, hier: S. 97. 28 Schreiben des Marinekommandos vom 10.12.1864 an die Hydrographische Anstalt, zitiert nach WAGNER 1997, S. 61.

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400   Susanne Wicha, Markus Stumpf Zentralteiles die Marine-Bibliothek, der Lesesaal sowie die Direktion untergebracht waren.33 Im Jahr 1871 kam es zu einer ersten Ausgabe eines Katalogs der k. u. k. Marine-Bibliothek,34 1905 zu einer zweiten, erweiterten Ausgabe und 1910 zum zweiten Nachtrag zur zweiten Auflage, dieser verzeichnete auch gegenständliches Exemplar von Friedrich S. Krauss Slavische Volkforschung.35 Zur Geschichte der k. u. k. Marine-Bibliothek im und nach dem Ersten Weltkrieg

Als gegen Ende des Ersten Weltkrieges auch das Ende der Doppelmonarchie nahte, übergab am 31. Oktober 1918 Admiral Nikolaus von Horthy (1868–1957) auf Befehl Kaiser Karls I. (1887–1922) dem neugebildeten Nationalrat der Slowenen, Kroaten und Serben »die k. u. k. Flotte samt deren Material […] unter ausdrücklichem Vorbehalt der Geltendmachung des Eigentumsrechtes der nicht südslawischen Staaten«.36 Italien, bemüht eine starke jugoslawische Seemacht zu verhindern, umging das Kriegsende, versenkte fünf Tage später das Schlachtschiff SMS Viribus Unitis und besetzte die Stadt Pola.37 In weiterer Folge wurden Teile der Marine-Bibliothek nach Triest verbracht bzw. der Biblioteca del Comando Militare Marittimo in Pola als »Sammlung B«38 zugeteilt, die Marine-Bibliothek wurde damit erneut auseinandergerissen. Durch die Friedensvertragsverhandlungen von St. Germain kam zwar Pola sowie ganz Istrien an Italien, Österreich jedoch erzielte in bilateralen Übereinkommen39 mit 33 Vgl. WINKLER 2005, S. 98. 34 Im Eintrag des Adressbuchs von Julius PETZHOLDT, Adressbuch der Bibliotheken Deutschlands mit Einschluss von Oesterreich-Ungarn und der Schweiz, 1812–1891, Dresden-Schönfeld 1875, heißt es »Pola (Oesterr. Illyr.) Kriegsmarine k. k. hat einen reichen Bestand an Büchern sowohl als an Karten. Katalog der Bibliothek der S. M. Kriegsmarine. Abgeschlossen August 1871. Pola 1871«. 35 Albert SEELIG, Katalog der k. u. k. Marine-Bibliothek, 2. Nachtrag, Pola 1910, S. 70. Sämtliche Kataloge befinden sich in der Bibliothek des OeStA in Wien, wobei in einer zusätzlichen erweiterten Kopie des Kataloges von 1905 festgehalten wurde, welche Bücher in Wien verblieben, diese wurden bei Neuaufstellung umsigniert und bilden in einem eigenen Magazin die sogenannte Marine-Handbibliothek. Von den historischen Inventarbüchern fehlt leider der Band, in welchem der Eingang des obigen Werkes von F. S. Krauss verzeichnet ist. 36 OeStA, KA, MS KA191 Abgaben aus dem Kriegsarchiv an die Nachfolgestaaten von 1919 bis 1959. B Jugoslawien. Pola, Zl. 1609/1952, Stellungnahme des Kriegsarchivs. 37 Heinrich BAYER von BAYERSBURG, Österreichs Admirale und bedeutende Persönlichkeiten der k. u. k. Kriegsmarine 1867–1918 (= Österreich Reihe 154/156), S. 175. 38 Vgl. Bruno DOBRIĆ, Beilage zur Geschichte der Marine-Bibliothek vom Ende des Ersten Weltkrieges bis heute und die Größe ihres erhaltenen Bestandes, in: Walter WAGNER, Bruno DOBRIĆ, Mornarička knjižnica, knjižnica austorugarske Mornarcie (K. u. k. Marine-Bibliothek), Pula 1997, S. 144–159, hier: S. 145. 39 Vgl. Ludwig BITTNER, Die zwischenstaatlichen Verhandlungen über das Schicksal der österreichischen Archive nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarn, in: Archiv für Politik und Geschichte 3 (1925),

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Italien »in Ausführung der Artikel 192, 193 und 196a des Friedensvertrages«,40 dass nach dem Provenienzprinzip nur »der dem Ursprung nach zu Italien gehörende historische und kulturelle Besitz«41 zurückgegeben werden müsse. Die daraus erwachsende wechselseitige Übergabe von Archivalien regelte das am 6. April 1922 in Rom abgeschlossene Archivabkommen,42 dessen Durchführung im sogenannten Österreichischitalienischen Protokoll43 vom 31. Oktober 1924 Niederschrift fand. Darin ist in Artikel IX festgehalten, dass von Italien alle »Schriftbestände, die aus dem Geschäftsgang der ehemaligen österreichischen-ungarischen Armee erwachsen sind«,44 an Österreich zurückzustellen sind, dies sollte auch die Rückgabe der Marine-Bibliothek an Österreich beinhalten, welche jedoch bis 1938 nicht erfolgt ist.45

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S. 58–96. Ludwig Bittner (1877–1945) war ab 1919 Stellvertreter des Archivbevollmächtigten Oswald Redlich und neben diesem die wichtigste Person auf österreichischer Seite bei den Archivverhandlungen zwischen Österreich und den Nachfolgestaaten der Monarchie, ab 1926 Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs. »Der gesamte Komplex der Archivverhandlungen nach 1918 wartet auf eine fundierte, emotionslose Aufarbeitung.« Zitiert nach Peter JUNG, Archivalien auf Tauchstation. Tatsächliche und vermeintliche Aktenverluste der k. u. k. Kriegsmarine nach 1918, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 49 (2001), S. 161–182, hier: S. 182. Yves HUGUENIN-BERGENAT, Kulturgüter bei Staatensukzession. Die internationalen Verträge Österreichs nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie im Spiegel des aktuellen Völkerrechts, Berlin-Boston 2010, S. 123. HUGUENIN-BERGENAT 2010, S. 123. Übereinkommen zwischen Österreich, Ungarn, Italien, Polen, Rumänien, dem Königreiche der Serben, Kroaten und Slowenen und der Tschecho-Slowakei, betreffend archivalische Fragen (BGBl 159/1924, https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung/Bundesnormen/10009186/%c3%9cbereinkommen%20 betreffend%20archivalische%20Fragen%2c%20Fassung%20vom%2026.02.2018.pdf [26.02.2018]). OeStA/AdR, AT-OeStA/AdR AAng StUrk 1. Republik 31.10.1924. Die Auffindung des Protokolls gestaltete sich odysseeartig. In einigen Publikationen zitiert, festgemacht in einem Bericht in der Wiener Zeitung (Nr. 253, 3.11.1924, S. 1) fand es sich nach langwieriger Suche doch noch in den Kurrentakten des Kriegsarchivs. Eine Kopie des Protokolls liegt nun auch im Bestand des AdR – Staatsurkunden, wo es bislang gefehlt hatte. Vielen Dank an Dieter Lautner vom AdR für seine Hilfestellung. OeStA/AdR, AT-OeStA/AdR AAng StUrk 1. Republik 31.10.1924. Protokoll zwischen den Delegierten der österreichischen Bundesregierung und der königl. italienischen Regierung über die Durchführung des zu Rom am 6.4.1922 unterzeichneten Archivabkommens. In der Beilage 1 des Protokolls ist genau verzeichnet, welche Schriftbestände an Italien abzugeben, nicht aber jene, die an Österreich auszuhändigen sind. OeStA, KA, MS KA 191 Abgaben aus dem Kriegsarchiv an die Nachfolgestaaten von 1919 bis 1959. B Jugoslawien. Pola – Bibliothek. Zl. 1470/1949, 13.6.1949, Direktor des Kriegsarchivs an Generaldirektion des Staatsarchivs.

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402   Susanne Wicha, Markus Stumpf Als im Zweiten Weltkrieg im Herbst 1943 die Deutsche Wehrmacht Pola besetzte, beauftrage Rudolf Kieszling,46 Leiter des Heeresarchivs in Wien,47 die Suche nach »Österreichischen Akten und Traditionsgütern«48 in Laibach, Triest und Pola. Aufgrund dessen organisierte Korvettenkapitän Heinrich Bayer (1889–1980)49 den Abtransport der Marine-Bibliothek sowie der Bibliothek des Marine-Kasinos (insgesamt ca. 53.000 Bände) per Bahn nach Wien, von wo aus die gesamte Ladung in die Schlösser Feldsberg und Eisgrub50 im Gebiet der heutigen Tschechischen Republik weitertransportiert wurde, um so die Bestände vor Luftangriffen der Alliierten zu schützen.51 Nach Kriegsende stellte sich die komplizierte Rechtslage bezüglich der Marine-Bibliothek so dar, dass der 1. Staat (Deutschland) im Vertragswege vom 2. Staat (Italien) Archivalien (Bücher) erhielt, die jetzt ein 3. Staat (Jugoslawien) beansprucht, die jedoch einem 4. Staat (Österreich) gehören, derzeit aber noch in einem 5. Staat (Tschechoslowakei) verlagert sind, sich daher im Gewahrsam dieses 5. Staates befinden. Zur Klärung der erhobenen Ansprüche müßte entschieden werden: a) Welcher Archiv-Vertrag ist hinsichtlich der in Rede stehenden Bibliothek anzuwenden? b) Wie ist das deutsch-italienische Abkommen betreffend die Ausfolgung der Bibliothek am Deutschland zu beurteilen?52

In den 1950er Jahren fand aufgrund der Aushandlungen des Archivvertrages von 1924 die Überführung der Marine-Bibliothek sowie der Bibliothek des Marine-Kasinos unter diplomatischem Schutz53 ins Kriegsarchiv nach Wien statt, obwohl Jugoslawien in Übergehung des Protokolls von 1924 »die Rückgabe der Marinebibliothek, welche sie 46 Rudolf Kiszling (1882–1976) absolvierte die Wiener Neustädter Militärakademie, militärische Laufbahn, ab 1920 Bediensteter des Kriegsarchivs, 1936–1939 dessen provisorischer Leiter, 1939–1945 Direktor des Heeresarchivs. 47 Von 1940–1945 war das Kriegsarchiv als Heeresarchiv Wien in die deutsche Heeresarchivorganisation eingegliedert. 48 OeStA, KA, MS KA 181, Zl. 9175/1943. 49 Heinrich Franz Josef BAYER von BAYERSBURG (1889–1980) absolvierte die Marineakademie, dann eine militärische Laufbahn vom Seekadett bis zum Leutnant; 1919 Versetzung in den Ruhestand; 1920 in das österreichische Bundesheer übernommen. 50 Die Schlösser Valtice (Feldsberg) und Lednice (Eisgrub) kamen im 14. Jahrhundert in den Besitz der Familie Liechtenstein. 1945 enteignet, fordert die Familie seit dem Ende der kommunistischen Diktatur 1990 die Rückgabe des Eigentums. Vgl. Fritz LANGE, Südmähren. Bilder erzählen Geschichte (= Reihe Archivbilder), Erfurt 2010, S. 47–76. 51 JUNG 2001, S. 161–182. 52 OeStA, KA, MS KA 191 Abgaben aus dem Kriegsarchiv an die Nachfolgestaaten von 1919 bis 1959.B Jugoslawien. Pola – Bibliothek. Zl.1470/1949, 13.6.1949, Direktor des Kriegsarchivs an Generaldirektion des Staatsarchivs. 53 Erich HILLBRAND, Das Kriegsarchiv von 1945 bis zu Jahrtausendwende, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 49 (2001), S. 41–58, hier: S. 43–44.

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»… als Zeichen des guten Willens ohne Anerkennung eines Rechtsanspruches 1975 an Jugoslawien abgegeben«   403

als Kriegsraub der Deutschen Wehrmacht ansah«,54 verhindern wollte. Daraus resultierten die Versuche der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien,55 die Marine-Bibliothek wieder zu bekommen. Maßgeblich beteiligt an der Rückführung im Ausland befindlicher Kulturgüter, besonders von Bibliotheksbeständen, die sich vor dem Ersten Weltkrieg auf dem heutigen kroatischen Hoheitsgebiet befanden, war die kroatische Bibliothekarin Eva Verona (1905–1996),56 die bezüglich der k. u. k Marine-Bibliothek 1967 im Kriegsarchiv in Wien forschte.57 Es sollten jedoch noch acht Jahre vergehen ehe die Republik Österreich »als Zeichen des guten Willens ohne Anerkennung eines Rechtsanspruches 1975«58 den größeren Teil des erhaltenen Bestandes der Marine-Bibliothek als Geschenk an Jugoslawien bzw. an die heutige Universitätsbibliothek in Pola rückführte. »Bei dieser Übergabe wurden – ohne irgendein Verzeichnis! – ungefähr 27.000 Bände übergeben«,59 von denen ca. 7.000 Bände aus anderen Bibliotheken, so zum Beispiel aus der Marine-Kasino-Bibliothek bzw. der Handbibliothek der Marine-Sektion stammten – Letztere erkennbar an der Signaturkennung »M S«.60 Das Archivmaterial über und zur Geschichte der k. u. k. Marine-Bibliothek sowie die originalen Kataloge sind jedenfalls nicht nach Pola abgegeben61 worden, sondern nur ein Mikrofilm des mehrbändigen Bandkataloges. Heute ist die k. u. k. Marine-Bibliothek Pola ein öffentlich zugängiges Kulturdenkmal der Republik Kroatien, untergebracht als Sondersammlung62 der Universitätsbibliothek Pola im ehemaligen k. k. Marine-Casino. Der Bestand umfasst 20.371 Bände wobei von der ehemaligen Schenkung Erzherzog Karls noch zehn Werke erhalten 54 HILLEBRAND 2001, S. 43. 55 1945–1963 Föderative Volksrepublik Jugoslawien, 1963–1992 Sozialistische Föderative Volksrepublik Jugoslawien, ab 1991 Republik Kroatien. 56 In Triest geboren, verbrachte Verona die frühe Kindheit in Wien, kam anschließend nach Zagreb und studierte ebd. 1928–1967 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin National- und Universitätsbibliothek in Zagreb. Sie war eine der international einflussreichsten Bibliothekarinnen Kroatiens. Vgl. http://bib.irb. hr/datoteka/271132.verona-eng.pdf (6.12.2017). 57 Vgl. DOBRIĆ 1997, S. 150, Anm. 17. 58 Walter WAGNER, Das Archiv der k. u. k. Kriegsmarine im Kriegsarchiv Wien, in: Johann Christoph ALLMAYER-BECK (Hg.), Österreich zu See (= Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien 8), Wien 1980, S. 105. 59 DOBRIĆ 1997, S. 150, Anm. 17. 60 Auch bei dem in Wien befindlichen Bestand finden sich viele Werke aus der Marine-Kasino-Bibliothek. 61 OeStA, KA, MS KA 191 Abgaben aus dem Kriegsarchiv an die Nachfolgestaaten von 1919 bis 1959. B Jugoslawien. Pola – Bibliothek. 62 Bruno DOBRIĆ, Sveucilišna knjiznica – Universitätsbibliothek. Stand: November 1998, in: Bernhard FABIAN (Hg.), Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner, Hildesheim 2003, http://fabian.sub.uni-goettingen.de/fabian?Pula(Pozega) (6.12.2016).

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404   Susanne Wicha, Markus Stumpf sind.63 Der andere Teil der Bibliothek – ca. 11.000 Bände64 – verblieb als MarineHandbibliothek in der Bibliothek des Staatsarchivs65 in Wien. Nachdem es im Staatsarchiv keine Aufzeichnungen über die Art der Aufteilung der Marine-Bibliothek gibt, können darüber nur Mutmaßungen getroffen werden. Bei der Durchsicht der Bestände in Pola und Wien stellte Bruno Dobrić, derzeitiger Leiter der k. u. k. Marine-Bibliothek in Pola, fest, dass die meisten übergebenen Werke in deutscher Sprache verfasst sind, während in Wien die Anzahl dieser im Vergleich zu denjenigen in anderen Sprachen viel geringer ist. Für Dobrić war klar, dass »während der Aussonderung des Bestandes«66 geschaut wurde, ob das Kriegsarchiv in Wien bereits Exemplare der Werke besitzt und deswegen vermehrt deutschsprachige Publikationen bzw. Doubletten nach Pola abgegeben wurden. Adolf Gaisbauer, ehemaliger Leiter der Bibliothek des Österreichischen Staatarchivs, meinte hingegen dazu, »dass man sicherlich nicht in Wien bestrebt gewesen sei, den ältesten und wertvollsten Teil des Bestandes zu behalten«.67 Zurück zum Exemplar Slavische Volkforschungen

Was mit diesem Exemplar, dessen Geschichte in der Marine-Bibliothek zwischen 1908 und 1910 mit der Aufnahme in das Inventarbuch begann, in der wechselvollen Historie der Bibliothek tatsächlich passiert ist, ob es in Verlust geriet, weitergeben, entlehnt und nicht retourniert wurde,68 ist nicht mehr zu eruieren. Das Exemplar weist keine Kennzeichnung als ausgeschieden auf, zudem findet sich im Bandkatalog der MarineBibliothek kein diesbezüglicher Hinweis.

63 Vgl. Bruno DOBRIĆ, Beschreibung eines Teils des Bestands der Marine-Bibliothek, der sich heute in Pula befindet, in: Walter WAGNER, Bruno DOBRIĆ, Mornarička knjižnica, knjižnica austorugarske Mornarcie (K. u. k. Marine-Bibliothek), Pula 1997, S. 169–210, hier: S. 175. 64 Einen Bestand von annähernd 15.000 Bände verzeichnet: Franz UNTERKIRCHNER, Die älteren Bibliotheken Österreichs, in: Franz UNTERKIRCHNER, Rudolf FIEDLER, Michael STICKLER (Hg.), Die Bibliotheken Österreichs in Vergangenheit und Gegenwart (= Elemente des Buch- und Bibliothekswesens 7), Wiesbaden 1980, S. 68. 65 Im Jahr 1984 wurden alle im Bereich des Staatsarchivs befindlichen Bibliotheken formal zur Bibliothek des Österreichischen Staatsarchiv zusammengelegt und nach der Übersiedlung in das neu erbaute Archivgebäude auch räumlich zusammengefasst. Vgl. Adolf GAISBAUER, Die Bibliothek des Österreichischen Staatsarchivs, in: Isabella ACKERL (Hg.), Das Österreichische Staatsarchiv (= Österreich-Dokumentation. Schatzhäuser Österreichs), Wien 1996, S. 66–71. 66 DOBRIĆ 1997, S. 151, Anm. 22. 67 Zitiert nach DOBRIĆ 1997, S. 151, Anm. 22. 68 Vgl. DOBRIĆ 1997, S. 149–150, Anm. 13: Es finden sich heute z. B. in der Bibliothek der Sternwarte in Triest (Osservatorio Astronomico di Trieste, OAT) Werke aus der Marine-Bibliothek.

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406   Susanne Wicha, Markus Stumpf 1945 »abweichende Meinungen, neuere Forschungsansätze sowie Ansätze zeitgemäßer Brauchforschung entweder bekämpft oder gar nicht zur Kenntnis genommen«71 hat. Während sich heute die historische k. u. k. Marine-Bibliothek auf die drei Städte Pola, Triest und Wien verteilt, sollte nun auch tatsächlich das »Wandern von Hütte zu Hütte, von Dorf zu Dorf« des einen Exemplars Slavische Volksforschung sein Ende gefunden haben. Denn, aufgrund des Eigentumsvermerks aus Pola und der nicht nachweisbaren rechtmäßigen Erwerbung durch die Universität Wien wurde das Werk im Jahr 2017 an die k. u. k. Marine-Bibliothek in Pola übergeben.

71 Olaf BOCKHORN, Richard Wolframs Salzburger Brauchtumsaufnahme, in: Lucia LUIDOLD, Ulrike KAMMERHOFER-AGGERMANN (Hg.), Bräuche im Salzburger Land, CD-ROM 1: Im Winter und zur Weihnachtszeit (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde 13), Salzburg 2002.

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Abkürzungsverzeichnis AAMD Association of Art Museum Directors AB Arbeitsbereich AbKW Akademie der bildenden Künste Wien Abteilung Abt. AdR Archiv der Republik AfP Arbeitsstelle für Provenienzrecherche/-forschung AK Bibliothek Bibliothek der Arbeiterkammer Wien Anmerkung Anm. ATLR Amt der Tiroler Landesregierung AUW Archiv der Universität Wien Allgemeines Verwaltungsarchiv AVA AVCA Automobil Veteranen Club Austria BAK Bundesamt für Kultur, Schweiz BArch Bundearchiv (Berlin, Koblenz) Bd. Band BDA Bundesdenkmalamt BG Bezirksgericht BGBl Bundesgesetzblatt BKA Bundeskanzleramt Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten BMAA BMF Bundesministerium für Finanzen BMLV Bundesministerium für Landesverteidigung Bundesministerium für Unterricht BMU BMWF Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung BRD Bundesrepublik Deutschland CA Creditanstalt Archiv der Bank Austria, Creditanstalt-Industriebeteiligungsarchiv CA-IB CBS Columbia Broadcasting System CCP Central (Art) Collecting Point CIDOC/CRM International Committee for Documentation/Conceptual Reference Model DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutsches Historisches Museum DHM DDR Deutsche Demokratische Republik DKA Deutsches Kunstarchiv DM Deutsche Mark DÖW Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes DS-GVO Datenschutz-Grundverordnung DZK Deutsches Zentrum Kulturgutverluste EER Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg

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408   Abkürzungsverzeichnis EHRI European Holocaust Research Infrastructure EZ Einlagezahl FBs Fachbereichsbibliothek Finanzlandesdirektion FLD FOG Forschungsorganisationsgesetz fol. Folio FWF Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, (=Wissenschaftsfonds) GBIÖ Gesetzblatt für das Land Österreich Gesellschaft der Ärzte, Wien GdÄ Große Deutsche Kunstausstellung GDK GDPR General Data Protection Regulation GESTAPO/Gestapo Geheime Staatspolizei GG Gemäldegalerie GNM Germanisches Nationalmuseum HBbBUT BMHuW Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau Holocaust Claims Processing Office HCPO HERA Humanities in the European Research Area HGM/MHI Heeresgeschichtliches Museum/Militärhistorisches Institut Haus-, Hof- und Staatsarchiv des Österreichischen Staatsarchivs HHStA HSTHe Haupstaatsarchiv Hessen IfZ Institut für Zeitgeschichte München-Berlin Institut für germanische-deutsche Volkskunde IGDV IKG Israelitische Kultusgemeinde Israel Museum, Jerusalem IMJ L’Institut national d’histoire de l’art INHA Interpol International Criminal Police Organisation Jewish Digital Cultural Recovery Project JDCRP JRSO Jewish Restitution Successor Organisation Judenvermögensabgabe JUVA KA Kriegsarchiv KFZ Kraftfahrzeug Kunsthistorisches Museum KHM Kommerzielle Koordinierung KoKo Kt. Karton KuA Kunst und Antiquitäten K. u. K. kaiserlich und königlich Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz KKBG KVG Kriegsverbrechergesetz KZ Konzentrationslager LABW/GLA Landesarchiv Baden-Württemberg/Generallandesarchiv Karlsruhe LGBl. Landesgesetzblatt

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Abkürzungsverzeichnis    409

LG für ZRS LOD LÖPF M. MA MAK MARI MFA&A MHK Mü.-Nr. NÖLA NHM NS NSKK NSDAP NZZ ÖEG OeStA ÖG OGH OMGB ÖMV ÖNB OÖLA ORF ÖTM ÖZV PKW PM RKD

Landesgericht für Zivilrechtssachen Linked Open Data Lexikon der österreichischen Provenienzforschung Mappe Magistratsabteilung MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst Mosse Art Research Initiative Monuments, Fine Arts, and Archives Section Privatarchiv, Miguel Herz-Kestranek Münchener Nummer Niederösterreichisches Landesarchiv Naturhistorisches Museum Nationalsozialismus Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei Neue Zürcher Zeitung Österreichische Exlibris-Gesellschaft Österreichisches Staatsarchiv Österreichische Galerie Belvedere Oberster Gerichtshof Office of Military Government for Bavaria Volkskundemuseum Wien Österreichische Nationalbibliothek Oberösterreichisches Landesarchiv Österreichischer Rundfunk Österreichisches Theatermuseum Österreichische Zeitschrift für Volkskunde Personenkraftwagen Personenmappe Rijksbureau voor kunsthistorische Documentatie/ Netherlands Institute for Art History) RM Reichsmark S. Seite SA Sturmabteilung SAM Sammlung alter Musikinstrumente SBZ/DDR Sowjetische Besatzungszone/Deutsche Demokratische Republik SD Sicherheitsdienst SIK Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft SKD Staatliche Kunstsammlungen Dresden SKH Staatlicher Kunsthandel der DDR SLA Salzburger Landesarchiv

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410   Abkürzungsverzeichnis Slg. Sammlung SS Schutzstaffel Statth. Statthalter Steiermärkisches Landesarchiv StLA TLA Tiroler Landesarchiv TLMF Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum TMS The Museum System TMW Technisches Museum Wien Technische Universität TU Universitätsarchiv der Akademie der bildenden Künste Wien UAAbKW UAW Universitätsarchiv Wien UB Universitätsbibliothek Unabhängige Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg UEK UMJ Universal Museum Joanneum United States of America USA USACA U. S. Allied Commission of Austria VA Verzeichnis über das Vermögen von Juden VEAV Vermögensentziehungs-Anmeldungsverordnung Verfasser_in Verf. Vg Volksgericht Vgl. Vergleiche Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare VÖB VUGESTA/Vugesta Verwaltungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Gestapo Vermögensverkehrsstelle VVST Wissenschaftliche Kommunikations-Infrastruktur WissKI WKO Wirtschaftskammer Österreich Wiener Stadt- und Landesarchiv WStLA ZADIK Zentralinstitut für deutsche und internationale Kunstmarktforschung Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München ZI Zl. Zahl

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Bildnachweis Provenienzforschung in Europa und das Projekt TransCultAA: Zwischen Entangled Histories und nationalen Befindlichkeiten Christian Fuhrmeister Abb. 1 CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=286442 . . . . . . S. 22 Abb. 2 TransCultAA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 25 Provenienzrecherche und digitale Forschungsinfrastrukturen in Deutschland: Tendenzen, Desiderate, Bedürfnisse Meike Hopp Abb. 1 Fotoarchiv Julius Böhler, © ZI München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 49 Abb. 2 Fotoarchiv Julius Böhler, © ZI München/© Leonhard Weidinger . . . . . . . . . . . . S. 51 Abb. 3 Grafik erstellt mit Google Map Developers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 56 Abb. 4 © ZI München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 57 20 Jahre Washingtoner Prinzipien und die Schweiz: Politik, Forschung und Transparenz im Umgang mit der Geschichte von Kunstwerken Esther Tisa Francini Abb. 1 Kunsthaus Zürich, © Kunsthaus Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 67 Abb. 2 Museum Rietberg Zürich, © Museum Rietberg Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 67 Abb. 3 Kunstmuseum Bern © Kunstmuseum Bern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 76 Projektbericht »Hitlers Sonderauftrag Ostmark« Ein Einblick in die Aktenlage im Archiv des Bundesdenkmalamts (BDA) in Wien Anita Stelzl-Gallian Abb. 1 © BDA-Archiv, Wien/Restitutionsmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 84 Eine Bestandsaufnahme zur Provenienzforschung an der Albertina 20 Jahre Kommission für Provenienzforschung Julia Eßl Abb. 1 © Christian Wachter, Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 90 Work in progress: 17 Jahre Provenienzforschung an der Österreichischen Nationalbibliothek Margot Werner Abb. 1 bis Abb. 3 © ÖNB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 117, 118, 119 MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst: Der Figdor-Lehnstuhl Leonhard Weidinger Abb. 1 und 2 © MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst . . S. 139

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412   Bildnachweis Zwanzig Jahre Provenienzforschung im Heeresgeschichtlichen Museum/Militärhistorischen Institut (HGM/MHI) und der Fall Albert Klein Walter Kalina Abb. 1 Ehemalige HGM Inv. Nr. 1939/15/BI20750 © Walter Kalina 2012, HGM/MHI . . . S. 150 »Ein erlesenes Werk von lokalgeschichtlichem Standpunkt« Dürnstein an der Donau aus der Hand Rudolf von Alt Andreas Liska-Birk Abb. 1 und 2 © Christoph Fuchs, NÖ. Landessammlungen . . . . . . . . . . . . . . . S. 160, 161 Leda mit dem Schwan oder: Provenienzforschung und Restitutionspolitik seit 1945 Ein Beispiel aus Oberösterreich Birgit Kirchmayr, Georg Derntl Abb. 1 © Oberösterreichisches Landesmuseum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 165 »Die Aufnahme einer Korrespondenz mit dem Geschädigten hat […] zu unterbleiben.« Zwanzig Jahre Provenienzforschung am Universalmuseum Joanneum Graz Karin Leitner-Ruhe Abb. 1 Alte Galerie am Universalmuseum Joanneum, Graz Inv.-Nr. 788 © Nicolas Lackner, Universalmuseum Joanneum, Graz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 173 Provenienzforschung in den Tiroler Landesmuseen Recherchen zu einer Erwerbung im Jahr 1941: Das Helblinghaus, Aquarell von Rudolf von Alt. Vorbesitzer bleibt unbekannt! Sonia Buchroithner Abb. 1 TLMF, Inv. Nr. 19Jh/A/382, © TLMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 180 Provenienzforschung in der Universitätsbibliothek, dem Universitätsarchiv und den musealen Sammlungen der Universität Wien Olivia Kaiser, Markus Stumpf Abb. 1 bis Abb. 5 © Universität Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .S. 192, 193, 202, 203 Wissen schafft Lücken Provenienzforschung und Restitution im Volkskundemuseum Wien Claudia Spring Abb. 1 und Abb. 2 © Monika Maislinger/ÖMV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 206, 207 Die Malkunst. Dossier, Buch und Klage. Ein Fall aus dem Kunsthistorischen Museum und ein kurzer Rückblick auf 20 Jahre Provenienzforschung Susanne Hehenberger, Monika Löscher Abb. 1und Abb. 2 © KHM-Museumsverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 215, 219

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Bildnachweis   413

»So duften auch die Rosen unter dem segengebeugten Apfelbaume …« Zur Provenienz von Gustav Klimts Rosen unter Bäumen aus der Sammlung Zuckerkandl Monika Mayer Abb. 1 © Musée d‘Orsay, Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 2 © Archiv des Belvedere Wien, Archiv der Neuen Galerie . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 3 © Archiv des Belvedere Wien, Archiv der Neuen Galerie . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 4 © Belvedere, Wien, aufgrund des Kunstrückgabegesetzes im Jahr 2001 restitutiert . . .

S. 224 S. 227 S. 234 S. 237

Der Beethoven-Fries – »allein nicht diskutabel« Ein Kunstwerk im Geltungsbereich des Ausfuhrverbotsgesetzes Christina Gschiel Abb. 1 Quelle: WStLA, Künstlerhaus Archiv, Mappe XIV. Secessions Ausstellung, 1902 . . . . S. 240 Abb. 2 © BDA-Archiv, Wien/Restitutionsmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 247 Abb. 3 © BDA-Fotoarchiv, Wien, Inv. Nr. N 6238 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 251 Madonna mit Kind und zwei Engeln Ein Renaissancegemälde aus der Sammlung Carl Reininghaus Susanne Hehenberger Abb. 1 © KHM-Museumsverband GG 9501 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 258 Abb. 2 htpps://commons.wikimedia.org/wiki/File:Schiele-Bildnis Carl Reininghaus 1910.jpg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 262 (gemeinfrei) Abb. 3 © KHM-Museumsverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 273 Ludwig Mayer und die historische Dislozierung der sieben Teile eines Deckengemäldes nach Wien, Israel und in die Verschollenheit Katinka Gratzer-Baumgärtner Abb. 1 Drei Teile des Deckengemäldes von Eduard Grützner Allegorie der Architektur, Allegorie der Skulptur, Allegorie der Malerei (oben, sowie oben links und rechts): Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Bundesverwaltungsamt/Kunstverwaltung des Bundes, Berlin. . . . . . . . S. 276 Blick auf Wien vom Krapfenwaldl aus der Sammlung Hugo Marmorek Katinka Gratzer-Baumgärtner Abb. © Belvedere, Wien IN 5821 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 287 Ein Artefakt der Provenienzforschung Das Fragment eines Gemäldes von Anton Kolig Alexandra Caruso Abb. 1 © Elena Kantor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 291

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414   Bildnachweis »Alter Kram« Die Albert Figdor Sammlung und die Novelle zum Ausfuhrverbotsgesetz 1923 Lisa Frank Abb. 1 © Tate, London 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 300 Abb. 2 MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst © Atelier Frankenstein/© MAK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 301 »Kaisers-Dank« Restituierte Erinnerung. Der Fall Klinkhoff im Wien Museum Gerhard Milchram, Michael Wladika Abb. 1 © Wienmuseum, faksimile digital, Birgit und Peter Kainz . . . . . . . . . . . . . . . S. 315 »... unter Glas und Rahmen eine vergilbte Urkunde ...« Einige Erinnerungsstücke an Adolf von Sonnenthal im Theatermuseum Monika Löscher Abb. 1 © KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien FS_PA75155alt . . . . . . . . . . S. 324 Abb. 2 © KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien FS_PK154690alt . . . . . . . . . S. 325 Abb. 3 © KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien FS_PK278591alt . . . . . . . . . S. 327 Der gestohlene Austro Daimler ADR – Auf der Spur eines ungeklärten Provenienzfalles Christian Klösch Abb. 1 © TMW-Archiv, BPA-009969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 2 © TMW-Archiv, Anlagen zur Inv. Nr. 58873 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 3 © Privatsammlung, Dipl. Ing. Adolf Hauler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 4 © TMW-Archiv, Ausstellungskatalog Chromjuwelen 2008 . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 5 © TMW- Archiv, Das Auto und seine Besitzer in Österreich 1937, Geza Frieder . . . . Abb. 6 © TMW-Archiv, Allgemeine Automobilzeitung 1935 . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 7 © TMW- Archiv, Das Auto und seine Besitzer in Österreich 1937, Hans Kolischer . . Abb. 8 © ÖNB/Wien Bildarchiv 12995696 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

S. 338 S. 339 S. 341 S. 343 S. 348 S. 349 S. 351 S. 353

»Mir ist alles einerlei« Zum Schicksal der Sängerin Maria Gardi/Frida Gerngross Monika Löscher Abb. 1 © ÖNB/Wien Bildarchiv 10279279 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 2 https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Gerngross_Wien_Reklame_1912.jpg (gemeinfrei) Abb. 3 © ANNO/Österreichische Nationalbibliothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 4 © ANNO/Österreichische Nationalbibliothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

S. 357 S. 358 S. 359 S. 361

Anna Mautner: Mehr als nur Witwe Konrad Mautners Claudia Spring Abb. 1 Fotograf_in unbekannt, das Foto ist aus dem Privatbesitz von Elisabeth Baum-Breuer, der Großnichte von Anna und Konrad Mautner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 372

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Bildnachweis   415

Abb. 2 Irene Egger/ © Volksliedwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 375 Abb. 3 Fotograf_in unbekannt, das Foto ist aus dem Privatbesitz von Elisabeth Baum-Breuer, der Großnichte von Anna und Konrad Mautner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 388 »… als Zeichen des guten Willens ohne Anerkennung eines Rechtsanspruches 1975 an Jugoslawien abgegeben« Auf den Spuren der k. u. k. Marinebibliothek an der Universitätsbibliothek Wien Susanne Wicha, Markus Stumpf Abb. 1 und Abb. 2 © UB Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 394 Abb. 3 © ÖNB/Wien Bildarchiv 18846719 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 399 Abb. 4 Karte mit den Stationen der k. u. k. Marine-Bibliothek zusammengestellt von Susanne Wicha auf www.openstreetmap.org . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 405

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Verzeichnis der Autor_innen Gabriele Anderl, Dr. phil. Freiberufliche Wissenschaftlerin, Autorin und Journalistin in Wien. War Mitarbeiterin der österreichischen Historikerkommission und ist Mitglied der Kommission für Provenienzforschung sowie Vorstandmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung (öge) und freie Mitarbeiterin von Radio Ö1. Zahlreiche Publikationen zu zeithistorischen Themen (unter anderem zur NS-Vertreibungs- und Beraubungspolitik, zur jüdischen Geschichte, zum NS-Kunst- und Kulturgutraub, zum Kunsthandel sowie zur Flüchtlings- und Asylpolitik in Vergangenheit und Gegenwart – etwa Schleppen – schleusen – helfen. Flucht zwischen Rettung und Ausbeutung, hg. mit Simon Usaty, Wien 2016). Käthe-Leichter-Preis (1994); Leon-Zelman-Preis für Dialog und Verständigung (2016). [email protected] Andrea Baresel-Brand, Studium der Englischen Philologie, des Öffentlichen Rechts sowie der Kunstgeschichte in Kiel; 2003 Promotion in Kunstgeschichte. Ab 2005 Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste - Eine Einrichtung des Bundes und der Länder beim Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt; seit 2010 Leitung Dokumentation und Öffentlichkeitsarbeit und Stellvertretende Leiterin der Koordinierungsstelle Magdeburg; seit 01.07.2014 Mitglied der Taskforce „Schwabinger Kunstfund“ als Wissenschaftliche Koordinatorin und ständige Vertreterin der Leiterin; zum Januar 2015 ; Überleitung in das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste ; 2016/17 Leiterin des Projekts „Provenienzrecherche Gurlitt am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste; seit 2018 Leiterin des Fachbereichs Lost Art Dokumentation ebendort. Vorträge und Publikationen zu kunsthistorischen und zeithistorischen Themen sowie Fragen der Dokumentation von Kulturgütern, Lehrbeauftragte an der Universität Paderborn. [email protected] Eva Blimlinger, Studium der Geschichte und Germanistik, 1998–2004 Forschungskoordinatorin der Historikerkommission der Republik Österreich, seit 2006 Mitglied und seit 2008 stellvertretende Vorsitzende des Kunstrückgabebeirats, seit 2008 Wissenschaftliche Koordinatorin der Kommission für Provenienzforschung, seit 2011 Rektorin der Akademie der bildenden Künste Wien, zahlreiche Publikationen zu Nationalsozialismus, Alltags- und Frauengeschichte. [email protected] Sonia Buchroithner, Studium der Geschichte sowie einer Fächerkombination (u. a. Kulturmanagement) an der Universität Innsbruck; 2003 Promotion. Mitarbeiterin im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, 2003–2008 in der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, seit 2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Historischen Sammlungen, mit einem Schwerpunkt auf Provenienzforschung. [email protected] Alexandra Caruso, Kunsthistorikerin, Kulturmanagerin, Übersetzerin. Seit 2000 in der Provenienzforschung tätig; 2006–2018 Mitarbeiterin der Kommission für Provenienzforschung. Diverse Veröffentlichungen zur Provenienzforschung und Sammlungsgeschichte; zuletzt Herausgabe der Tagebücher von Erica Tietze-Conrat, Böhlau 2015. [email protected]

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418   Verzeichnis der Autor_innen Gregor Derntl, seit 2012 freier wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Provenienzforschung des Oberösterreichischen Landesmuseums in Linz. [email protected] Julia Eßl, Kunsthistorikerin. 2005–2011 Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Kunstrestitution des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus; seit 2011 Provenienzforscherin im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung an der Albertina; seit 2016 zusätzlich Betreuung der Datenbank der Provenienzmerkmale. Zahlreiche Vorträge und Beiträge für die Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung. [email protected] Konstantin Ferihumer, Studium der Politikwissenschaft an der Universität Wien mit Schwerpunkten in den Bereichen Vergangenheitspolitik, Zeitgeschichte und österreichischer Erinnerungskultur. 2013– 2016 Mitarbeiter am Institut Kunstsammlung und Archiv der Universität für angewandte Kunst Wien; seit 2016 Provenienzforscher im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung an der Akademie der bildenden Künste Wien. [email protected] Lisa Frank, Kunsthistorikerin und Grafikerin. Seit 2008 Provenienzforscherin im Büro der Kommission für Provenienzforschung; 2014 Provenienzforschung in der Zoologischen Hauptbibliothek des Naturhistorischen Museums Wien. Vorträge und Publikationen rund um das Thema Provenienzforschung, zuletzt Mitarbeit an der Digitalisierung und Online-Publikation der Zentraldepotkartei(en). [email protected] Christian Fuhrmeister initiiert, organisiert, koordiniert und betreut Forschungs- und Erschließungsprojekte am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München (http://www.zikg.eu/main/mitarbeiter/ fuhrmeister.htm). Lehrt als Privatdozent an der LMU München (Habilitation 2013) zu Kunst, Architektur und Geschichte der Kunstgeschichte im 19.–21. Jahrhundert sowie zu Provenienzforschung, Raub- und Beutekunst und transnationalem Kulturguttransfer. [email protected] Katja Geiger, Studium der Geschichte in Wien; wissenschaftsgeschichtliche Dissertation im Rahmen des Initiativkollegs Naturwissenschaften im historischen Kontext. Mitarbeit in mehreren medizinhistorischen Projekten zur Geschichte der Psychiatrie in Österreich nach 1945. Seit August 2017 Provenienzforscherin am Naturhistorischen Museum Wien. [email protected] Katinka Gratzer-Baumgärtner, Studium der Restaurierung und Kunstgeschichte in Florenz und Wien. Seit 2007 in unterschiedlichen Funktionen im Archiv und im Research Center des Belvedere tätig; Mitglied der Kommission für Provenienzforschung mit Schwerpunkt auf der systematischen Erforschung des Kunstinventars; als Archivarin Erschließung von Nachlässen sowie wissenschaftlichen Recherche und Beiträge zu einer Reihe von Ausstellungs- und Forschungsprojekten. [email protected] Christina Gschiel, Studium der Kunstgeschichte mit vertiefendem Schwerpunkt an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität in Graz. 2009–2013 Provenienzforscherin im Österreichischen Theatermuseum; 2014 Provenienzforscherin in der Österreichischen Galerie Belvedere

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Verzeichnis der Autor_innen   419

– jeweils im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung; 2014 Rückkehr ins Theatermuseum in derselben Funktion; Co-Redakteurin der Datenbank der Provenienzmerkmale. Mitherausgeberin des Bandes schneidern und sammeln – Die Wiener Familie Rothberger (2010) in dieser Schriftenreihe. [email protected] Susanne Hehenberger, Historikerin (Promotion 2003) und Archivarin im KHM sowie Redakteurin des Lexikons der österreichischen Provenienzforschung. 2015–2017 Koordinatorin der Digitalisierung und Online-Publikation der Zentraldepotkartei(en); 2009–2016 mit Monika Löscher Provenienzforscherin im KHM. Gründungsmitglied des Arbeitskreises Provenienzforschung e. V. Zahlreiche Publikationen zur NS-Provenienzforschung sowie zur Kriminalitäts- und Sexualitätsgeschichte der (Frühen) Neuzeit. [email protected] . Meike Hopp, Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie und Theaterwissenschaften in München (Promotion 2012). Seit 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZI München; zahlreiche Forschungs- und Erschließungsprojekte im Bereich der Provenienz- und Kunstmarktforschung. Seit 2013 Lehrveranstaltungen zur Provenienzforschung u. a. an der LMU München, der Universität Paderborn, der Universität Zürich oder der HKB in Bern. Seit 2017 Leiterin des Projekts Händler, Sammler und Museen: Die Kunsthandlung Julius Böhler in München, Luzern, Berlin und New York. Erschließung und Dokumentation der gehandelten Kunstwerke 1903–1994, finanziert von der Ernst von Siemens Kunststiftung. [email protected] Olivia Kaiser, Studium der Geschichte und Cultural Studies in Wien und Madrid. 2009–2011 Mitarbeit im Projekt „Namentliche Erfassung der Ravensbrück-Häftlinge aus Österreich“ am Institut für Konfliktforschung Wien; seit 2009 Mitarbeiterin der Universitätsbibliothek Wien in diversen forschungsunterstützenden Services; 2010/11 Projektmitarbeiterin bei www.ns-quellen.at, 2011/12 Mitarbeiterin im Projekt Provenienzforschung in der Parlamentsbibliothek; seit 2013 Provenienzforscherin an der Universitätsbibliothek Wien. Leiterin der Arbeitsgruppe NS-Provenienzforschung der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare (VÖB). [email protected] Walter Kalina, Kunsthistoriker und Historiker sowie Sammlungsleiter Kunst im Heeresgeschichtlichen Museum, dort für Verwaltung von musealen Objekten mit kunsthistorischem Bezug wie Gemälde, Druckgrafiken, Aquarelle und Handzeichnungen, Skulpturen und Plastiken sowie Miniaturen zuständig. Forschung zu Kunst- und Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, besonders des Dreißigjährigen Krieges, sowie zur Kunst des Ersten Weltkrieges mit Schwerpunkt auf Kriegsmaler im k. u. k. Kriegspressequartier und der Provenienzforschung. [email protected] Birgit Kirchmayr, Historikerin, Assoziierte Professorin am Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte der Johannes Kepler Universität Linz. Bis 2013 freie Mitarbeiterin im Bereich Provenienzforschung für das Oberösterreichische Landesmuseum; Ausstellungskuratorin (u.a. „Kulturhauptstadt des Führers“, Schlossmuseum Linz 2008/09); Mitautorin am Lexikon für Österreichische Provenienzforschung; 2017 Habilitation mit einer Monografie über Auto-/Biografik von Künstler_innen im Kontext österreichischer Politik und Gesellschaft im frühen 20. Jahrhundert. [email protected]

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420   Verzeichnis der Autor_innen Christian Klösch, Studium der Astronomie, Geschichte und Philosophie in Graz und Wien. Mitinitiator der Austrian Heritage Collection at the Leo Baeck Institute in New York im Rahmen des Gedenkdienst (1996/97); Mitarbeiter der Österreichischen Exilbibliothek im Literaturhaus Wien (1997– 2002); wissenschaftlicher Mitarbeiter der Österreichischen Historikerkommission Wien (1999–2004). Seit 2005 Provenienzforschung am Technischen Museum Wien mit Österreichischer Mediathek (Abteilungsleitung); seit 2012 in der Abteilung Verkehr/Mobilität zuständig für die Bereiche Weltraum und Exklusion und Inklusion von Mobilität. Zahlreiche Publikationen, zuletzt: Inventarnummer 1938. Provenienzforschung am Technischen Museum Wien, Wien 2015. [email protected] Karin Leitner-Ruhe, Chefkuratorin der Alten Galerie am Universalmuseum Joanneum (UMJ) in Graz. Kuratorin zahlreicher Ausstellungen; seit 1995 Lehrbeauftragte am Kunsthistorischen Institut der KarlFranzens-Universität in Graz, 2002–2004 Lehrbeauftragte am Kunsthistorischen Institut der Technischen Universität ebendort; seit 1998 für die Provenienzforschung am UMJ tätig. Mitherausgeberin des Restitutionsberichtes 2010 am UMJ; zahlreiche Publikationen zur Provenienzforschung am UMJ, zur mittelalterlichen Kunst in Österreich und Slowenien sowie zur steirischen Druckgrafik bzw. zur Sammlung der Alten Galerie. [email protected] Andreas Liška-Birk, Studium der Geschichte/Fächerkombination mit Schwerpunkt auf Zeitgeschichte und Spanisch (Promotion 1999). Seit 1992 als Kulturvermittler in diversen Ausstellungen tätig (NÖ Landesausstellungen, Künstlerhaus, Museum Niederösterreich); 2000 Mitarbeiter der Historikerkommission der Republik Österreich; 2001–2014 Historiker beim Allgemeinen Entschädigungsfonds; seit 2015 Provenienzforscher für die NÖ Landessammlungen, angestellt bei der Donau-Universität Krems. [email protected] Monika Löscher, Studium der Geschichte und Romanistik an der Universität Wien. 1998–2000 freie Mitarbeiterin der Kommission für Provenienzforschung am Museum für Völkerkunde in Wien; 2000– 2003 Referentin beim Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus. Nach mehreren Forschungsprojekten seit 2009 Provenienzforschung im Auftrag der Kommission im Kunsthistorischen Museum in Wien. Gründungsmitglied des Arbeitskreis Provenienzforschung e. V. monika. [email protected] Dario Alejandro Luger, Studium der Geschichte sowie der Globalgeschichte und Global Studies an der Universität Wien. Seit 2017 Provenienzforscher am Naturhistorischen Museum Wien im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung. [email protected] Monika Mayer, Historikerin, Leiterin des Archivs der Österreichischen Galerie Belvedere in Wien, Mitglied der Kommission für Provenienzforschung. Zahlreiche Publikationen und Vorträge zur Museumsgeschichte, Provenienzforschung und zur Kunstpolitik im Austrofaschismus und Nationalsozialismus – etwa 2012 mit Eva Blimlinger Herausgeberin von Kunst sammeln – Kunst handeln. Beiträge des internationalen Symposiums in Wien (Band 3 der Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung). [email protected]

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Verzeichnis der Autor_innen   421

Gerhard Milchram, Studium der Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien, Studien- und Forschungsaufenthalte in Israel, Absolvent der internationalen Sommerakademie für Museologie der Universitäten Klagenfurt, Wien, Graz und Innsbruck. Ab 1993 Kulturvermittler und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Jüdischen Museum Wien; 1997–2010 Kurator ebendort; seit 2011 im Wien Museum im Department für Geschichte und Stadtleben nach 1918. Gemeinsam mit Michael Wladika Provenienzforschung im Wien Museum. Forschungen, Publikationen und Ausstellungen zur österreichisch-jüdischen Geschichte und zur Wiener Stadtgeschichte – zuletzt 2017/18 mit Vida Bakondy Geteilte Geschichte. Viyana – Beč – Wien, zur Arbeitsmigration aus Jugoslawien und der Türkei. [email protected] Marcus Rößner, Studium der Geschichte mit Fächerkombinationen VWL und Physik an der Universität Wien. Provenienzforscher am Naturhistorischen Museum Wien; technische Betreuung des online Lexikons der österreichischen Provenienzforschung; Information Specialist der INIS-Datenbank (International Nuclear Information System) an der Österreichischen Zentralbibliothek für Physik. [email protected] René Schober, Jurist und Kunsthistoriker mit Schwerpunkten in Kulturrecht, Provenienzforschung, bildender und angewandter Kunst des 20. Jahrhunderts und den grafischen Künsten. 2009–2015 Provenienzforschung, wissenschaftliche Mitarbeit und Projektarbeit in der Kunstsammlung der Universität für angewandte Kunst Wien; 2013–2015 Provenienzforschung in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste Wien im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung; seit 2015 Kustode des Kupferstichkabinetts der Akademie der bildenden Künste Wien. [email protected] Heinz Schödl, stv. Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt. Studium der Rechtswissenschaften, der Geschichte, Philosophie und Kunstgeschichte in Wien, Basel und Cambridge. Seit 2015 administrativer Leiter der Kommission für Provenienzforschung. [email protected] Claudia Andrea Spring, Historikerin und Coach in Wien. Wissenschaftliche Mitarbeit in der Historikerkommission der Republik Österreich, dem FWF-Forschungsprojekt Anthropologie im Nationalsozialismus. Die Anthropologische Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien 1938–1945 sowie in der Kommission für Provenienzforschung, derzeit im Volkskundemuseum Wien. Zahlreiche Publikationen zu den Forschungsschwerpunkten Österreichische Zeitgeschichte, Medizin- und Rechtsgeschichte – u. a. Zwischen Krieg und Euthanasie. Zwangssterilisationen in Wien 1940–1945, WienKöln-Weimar 2009. www.claudia-spring.at Anita Stelzl-Gallian, Kunsthistorikerin. Seit 1997 im Archiv des BDA tätig; seit 1998 Provenienzforscherin im Büro der Kommission für Provenienzforschung. Beiträge zur Sammlungsgeschichte, zuletzt Mitarbeit am Projekt Ostmark, Band 7 der Schriftenreihe der Kommission für Provenienzforschung. [email protected]

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422   Verzeichnis der Autor_innen Markus Stumpf, wissenschaftlicher Bibliothekar, Historiker und NS-Provenienzforscher. Leiter der Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte und der NS-Provenienzforschung der Universitätsbibliothek der Universität Wien. Mitherausgeber der Schriftenreihe Bibliothek im Kontext; zahlreiche Publikationen – zuletzt Mitherausgeber des Tagungsbandes Treuhänderische Übernahme und Verwahrung. International und interdisziplinär betrachtet, Göttingen 2018. [email protected] Esther Tisa Francini, Historikerin. Seit 1998 im Bereich der Provenienzforschung tätig, zuerst Grundlagenforschung zur Schweiz und zu Liechtenstein sowie der NS-Raubkunst (1998–2005), später Forschungsprojekte zur internationalen Kunsthandels- und Museumsgeschichte. Seit 2008 Provenienzforschung zur Sammlung außereuropäischer Kunst am Museum Rietberg Zürich. [email protected] Leonhard Weidinger, Historiker. Seit 2005 Provenienzforscher im MAK, Wien, im Auftrag der Kommission für Provenienzforschung; 2011–2013 und 2016/17 Mitarbeit am Projekt German Sales des Getty Research Institutes, Los Angeles. Seit 2017 Leitung von Projekten des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, München, sowie Vorsitzender des Arbeitskreises Provenienzforschung e. V. Forschungsschwerpunkte: österreichische Kulturgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, digitale Medien in der Geschichtswissenschaft. [email protected] Margot Werner, Historikerin und Bibliothekarin. Langjährige Tätigkeit im Bereich Provenienzforschung und Restitution von NS-Raubgut, u. a. für die Österreichische Historikerkommission. Autorin zahlreicher Publikationen und zweier Ausstellungen zum Thema NS-Bücherraub. Seit 2004 an der Österreichischen Nationalbibliothek, derzeit Leiterin der Hauptabteilung Benützung und Information. [email protected] Susanne Wicha, Studium der Europäischen Ethnologie in Wien und Graz. Seit 1994 Leiterin der Fachbereichsbibliothek Europäische Ethnologie und seit 2014 Mitarbeiterin der NS-Provenienzforschung an der Universität Wien. [email protected] Michael Wladika, Jurist und Historiker. Seit 1999 Provenienzforscher für die Museen der Stadt Wien; u. a. 1999–2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historikerkommission der Republik Österreich, mehrere Projekte zu historischer Fotografie, Nationalsozialismus, NS-Kunstraub, Sammelstellen und Rückstellungsrecht. Seit 2008 von der Republik Österreich und der Leopold Museum Privatstiftung bestellter Provenienzforscher für die Leopold Museum Privatstiftung. 2008 Förderungspreis des Karl von Vogelsang-Staatspreises für Geschichte der Gesellschaftswissenschaften für Hitlers Vätergeneration. Die Ursprünge des Nationalsozialismus in der k. u. k. Monarchie, Wien-Köln-Weimar 2005. michael. [email protected]; [email protected]

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