Kapital und Zeit: Für eine neue Kritik der neoliberalen Vernunft 9783839450383

Die interdisziplinäre Reflexion über das Wesen des Wirtschafts- und Finanzlebens erfreut sich steigender Beliebtheit. Da

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Kapital und Zeit: Für eine neue Kritik der neoliberalen Vernunft
 9783839450383

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Martijn Konings Kapital und Zeit

Edition Politik  | Band 89

Martijn Konings, geb. 1975, ist Professor für Politische Ökonomie und Sozialtheorie an der University of Sydney. Seine Forschungsinteressen liegen an der Schnittstelle von Politischer Ökonomie und Sozialtheorie, mit einem Schwerpunkt auf Geld und Finanzen. Er hat Bücher zur historischen Entwicklung des amerikanischen Finanzwesens, zu den psychologischen Dimensionen von Geld und Kapitalismus, zum Neoliberalismus sowie zu Risiko und Spekulation in der heutigen Finanzwirtschaft veröffentlicht.

Martijn Konings

Kapital und Zeit Für eine neue Kritik der neoliberalen Vernunft Übersetzung aus dem Englischen von Andreas G. Förster

Capital and Time: For a New Critique of Neoliberal Reason, by Martijn Konings, published in English by Stanford University Press. Copyright 2018 by the Board of Trustees of the Leland Stanford Junior University. All rights reserved. This translation is published by arrangement with Stanford University Press, www.sup.org.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2021 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Bilderbaron / stock.adobe.com Korrektorat: Valentin Müller, Bamberg Übersetzung aus dem Englischen: Andreas G. Förster, Berlin Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5038-9 PDF-ISBN 978-3-8394-5038-3 https://doi.org/10.14361/9783839450383 Buchreihen-ISSN: 2702-9050 Buchreihen-eISSN: 2702-9069 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Einleitung:  Über die Spekulationskritik hinaus .......................................... 7 Kapitel 1:  Fundamentismus und Selbstbezüglichkeit ................................... 41 Kapitel 2:  Konstruktionen und Performanzen ......................................... 49 Kapitel 3:  Luhmann’sche Überlegungen ............................................... 57 Kapitel 4:  System, Wirtschaft und Steuerung ......................................... 67 Kapitel 5:  Foucault bietet mehr als Ökonomismuskritik ................................ 77 Kapitel 6:  Zeit, Investition und Entscheidung ......................................... 85 Kapitel 7:  Minsky bietet mehr als Spekulationskritik ................................... 91

Kapitel 8:  Praktiken der (Zentral-)Banken, Theorien der Neutralität .................. 101 Kapitel 9:  Entwicklungslinien der US-Finanzaufsicht................................... 111 Kapitel 10:  Hayek und die neoliberale Vernunft ........................................ 119 Kapitel 11:  Neoliberale Finanzmarktsteuerung ......................................... 129 Kapitel 12:  Kapital und Kritik in neoliberalen Zeiten.................................... 149 Danksagung ................................................................ 155 Literaturverzeichnis........................................................ 157

Einleitung:  Über die Spekulationskritik hinaus Geld ist das Ding überhaupt, aber Geld ist nichts anderes als eine Form der Verschuldung, das heißt die Verpflichtung an einem Punkt in der Zukunft eine Summe Geldes zu zahlen. Das ganze System ist daher grundlegend kreisförmig und selbstbezüglich. Dahinter steht nichts, was es sozusagen stützen würde. – Mehrling 1999: 138

Nach der Finanzkrise von 2007-2008 erklärten viele kritische Akademiker und Kommentatoren lautstark, in den Ereignissen zeige sich nur, worauf sie schon lange hingewiesen hatten – dass nämlich die zügellose Spekulation auf unregulierten Finanzmärkten einer instabilen Anhäufung finanzieller Forderungen Vorschub leiste, die gar kein Gegengewicht in Realwerten mehr hätten, und dass dies früher oder später zu einer massiven Krise führen werde (siehe unter vielen anderen Baker 2009; Wray 2009; Gamble 2009; Cohan 2010; Stiglitz 2010; Foster/Magdoff 2009). Als die Finanzstrukturen der Kreditkontraktion (deleverage) ins Auge blickten, läutete die kritische Intelligenz den neoliberalen Strategien der Deregulierung und des Laissez-faire sogleich die Totenglocke; immerhin seien diese verantwortlich, den ›animalischen Instinkten‹ des Marktes – so nannte Keynes die spekulativen Impulse des Finanzsektors – freien Lauf gelassen zu haben. Als sich die US-

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amerikanische Regierung auf dem Höhepunkt der Krise in der zweiten Jahreshälfte 2008 anschickte, einige der größten Finanzinstitute des Landes zu stützen, war die Elektrisierung angesichts der ›Rückkehr des Staates‹ mit Händen zu greifen. Die moralisch nicht unproblematischen Aspekte dieser Rettungsaktionen waren natürlich ein Thema, unterstrichen in erster Linie aber nur die Grundlektion der ganzen Geschichte: dass das Finanzsystem zur Selbstregulierung unfähig und der Eingriff von außen erforderlich sei, um eine kohärente Wirtschaftsordnung zu ermöglichen. Die Zukunft, so hieß es, gehöre der staatlichen Regulierung und der keynesianischen Steuerung. Das hat sich letztlich als schwerwiegende Fehlinterpretation der Krise erwiesen. Es gab keinen »neuen New Deal« (Krugman 2008: 21), sondern einen wiedererstarkten Neoliberalismus. Die Krise war bei weitem kein politischer Wendepunkt, sondern bot die Gelegenheit für eine tiefere Verankerung neoliberaler Grundsätze und eine Ausweitung deren operativer Mechanismen (Cahill 2014; Dardot/Laval 2014; Mirowski 2015). Der Finanzsektor erschloss nicht nur die meisten seiner Profitquellen aus der Zeit vor der Krise, sondern eröffnete auch eine Reihe neuer Chancen des spekulativen Investierens und nicht zuletzt solche, die sich unmittelbar aus den beträchtlichen Unsicherheiten und Verwerfungen der Krise selbst speisen (Soederberg 2014). Und doch zeitigte das Bewusstsein, dass die anfänglichen Einschätzungen falsch gewesen waren, nur begrenzte Bemühungen zur Erneuerung der Kritik am neoliberalen Kapitalismus. Allzu häufig gilt die unerwartete Widerstandskraft des Neoliberalismus nur als weiterer Beleg für die grundlegende Irrationalität eines Glaubens an die selbstregulierenden Eigenschaften des Marktes. Während das Kapital neue Wertquellen ans Licht bringt und für eine Aufwertung seiner Spekulationen sorgt, verlegen sich die Kritiker des neoliberalen Kapitalismus wieder darauf, den unhaltbaren Charakter der Finanzspekulation sowie das unweigerliche Heraufdrängen der nächsten – und diesmal wirklich endgültigen – Krise des neoliberalen Kapitalismus zu verkünden (Crouch 2011; Duncan 2012; Hudson 2012; Streeck 2013; Lapavitsas 2014; Kotz 2015; Keen 2017; Durand 2017).

Einleitung: Über die Spekulationskritik hinaus

Die Kritik an der Spekulation als unverantwortliche Wette auf die Zukunft, die nicht durch zugrundeliegende Werte gedeckt sei, ist immer ein wichtiger Bestandteil der heterodoxen Kapitalismuskritik gewesen, wurde in neoliberalen Zeiten aber zu deren Kernstück – denn es ist wohl wahr, dass der Neoliberalismus der spekulativen Dimension des Kapitalismus einen gewaltigen Auftrieb verliehen hat. Dort, wo die herrschende Meinung der Wirtschaftstheorie oftmals kaum mehr als selbstregulierende Abweichungen von einem Gleichgewichtszustand wahrnimmt, erkennen kritische und heterodoxe Perspektiven irrationale Kräfte, die für den periodischen Aufbau von unhaltbaren, kopflastigen Strukturen fiktiver Forderungen verantwortlich seien. Diese Dynamik, so argumentieren sie, müsse früher oder später ein Ende finden, wenn die grundlegenden Werte sich geltend machen und die übermäßig fremdkapitalisierten (overleveraged) Finanzstrukturen zerfallen. Derartige Überlegungen stehen oft in Verbindung mit einer Theorie zyklischer kapitalistischer Entwicklung, in der Spekulation als eine Art Erbkrankheit angesehen wird – ein Problem, das sein Haupt mit gewisser Regelmäßigkeit erhebe und einige der systemischen Normalfunktionen beschädige. Diese Denkungsart verkörpert und formalisiert sich in der aktuellen Hinwendung zu Polanyi (1990 [1944]), dessen Begriff der ›Doppelbewegung‹ eine zyklische Entwicklung der Geschichte postuliert: Auf die periodischen Bewegungen der ›Entbettung‹ oder Entgrenzung, in denen sich die spekulative Logik des Marktes von ihren gesellschaftlichen Grundlagen entkoppelt, folgen unweigerlich Bewegungen der ›Wiedereinbettung‹, in denen der Staat eingreift und die Märkte an ihren Platz verweist, indem er erneut Grenzen setzt und Grundlagen wiederherstellt (Blyth 2002; Abdelal 2009; Dale 2010; Streeck 2012; Block/Somers 2014; Fraser 2015). Die Spekulationskritik reicht zurück bis zu einer älteren Kritik an Geld und Finanzwirtschaft: sowohl zur antiken Kritik an der Chrematistik1 als auch zu deren Umformulierung als Kritik an der götzendienerischen Geldverehrung im vorneuzeitlichen Christentum. Diese Traditionslinie zeichnet die Spekulation als eine Investition in Versprechungen ohne Grundlage, als die irrationale Wertzuschreibung für Fiktionen bar jeder Substanz. Im Zentrum der heterodoxen Kritik am zeitgenös-

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sischen Kapitalismus steht denn auch eine Unterscheidung zwischen echtem und fiktivem Wert; Spekulation gilt als der Ursprung finanzökonomischer Formen ohne Substanz, deren Wertanspruch trügerisch oder betrügerisch ist. Die Orthodoxie von gestern ist die Heterodoxie von heute – ein beinahe überdeutlicher Hinweis auf den konservativen und anachronistischen Charakter der Spekulationskritik. Das moderne Subjekt spekuliert nicht gegen grundlegende Werte, sondern vielmehr, weil das säkulare Leben solche Grundlagen, auf die man sich stützen könnte, nicht bietet. Auf der Erfahrungsebene weiß man in der Moderne intuitiv, dass ›keine Spekulation‹ auch keine Option ist, und dass die Spekulationen pragmatisch motivierte Positionen in einer interaktiven Spekulationsdynamik sind, sprich: in einer Logik der Spekularität2 (Orléan 1989; Vogl 2 2010: 155). Wert hat keine Existenz, die von der Bewertungspragmatik unabhängig wäre, welche immer vorgreifend und mit Erwartungen eines Nutzens verflochten ist, den neue Verbindungen wahrscheinlich für uns haben werden (Muniesa 2011). Immer stehen wir vor der praktischen Unmöglichkeit einer Unterscheidung zwischen einer spekulativen und einer an Realwerten ausgerichteten Position (Esposito 2010: 110f.). In diesem Buch wird die These vertreten, dass die Spekulationskritik – so wie sie vielfach in kritischen Disziplinen wie der Politischen Ökonomie, der Wirtschaftssoziologie sowie der heterodoxen Ökonomik zum Einsatz kommt und in den intellektuell versierten Kolumnen über den Zustand der Wirtschaft großen Zuspruch findet – eine theoretische und politische Sackgasse darstellt. Nicht nur als allgemeiner Zugang ist sie irreführend; sie vermag auch nicht zu erkennen, dass der neoliberale Umbau des US-amerikanischen Kapitalismus diese spekulative Dimension ebenso aktiv eingesetzt hat wie die damit erzeugten spezifischen Ordnungsmechanismen und Gouvernementalitäten. Die Einleitung verhandelt drei Leitmotive, die im Rest des Buches systematischer ausgearbeitet werden: der spekulative Charakter des ökonomischen Werts; die Rolle des Bankwesens als normalisierende Binnendynamik der Risikologik; und die Bedeutung des Neoliberalismus für die Neuordnung von Spekulation, Risiko und Bankenökonomie in der zeitgenössischen Governance.3

Einleitung: Über die Spekulationskritik hinaus

Der plastische Wert Bedenkt man, welch enormen Einfluss die Kritik am Fundamentismus (in Form verschiedener anti-essenzialistischer, post-moderner und post-positivistischer Wenden) auf beinahe jede sozialwissenschaftliche Disziplin mit irgend kritischem Anspruch gehabt hat, ist es doch äußerst erstaunlich, dass der routinierte Bezug der Spekulationskritik auf eine ontologische Wertgrundlage de facto derart legitim erscheint. Dieser Umstand ist umso irritierender, als dass die Fundamentismuskritik Bereiche wie die Politische Ökonomie und die Wirtschaftssoziologie eigentlich nicht ausgespart hat. Vielmehr gehört die Kritik am ökonomischen Determinismus und Essenzialismus – am ›Ökonomismus‹ – zu ihren wichtigsten theoretischen Säulen und der Gedanke einer gesellschaftlichen, kulturellen oder anderweitigen ›Konstruktion‹ wirtschaftlicher Akteure und Institutionen hat die Entwicklung der betreffenden Bereiche stark geprägt. Heterodoxe Ansätze verstehen, so lässt sich sagen, das Verhältnis zwischen realem und fiktivem Wert tendenziell als ›elastisch‹: Die Wertmaterie könne durch Spekulation gedehnt oder aufgeblasen werden, an einem gewissen Punkt müsse sie aber entweder zu ihrem Urzustand zurückkehren können – oder reißen. Das Problem bestand nun immer darin, dass man die Parameter, welche die Dehnbarkeit des Werts regulieren, nicht mit auch nur minimaler Zuverlässigkeit bestimmen konnte. Und der moderne Kapitalismus verfügt über eine beachtliche Erfolgsbilanz, kritische Prognosen eines finanzökonomischen Zusammenbruchs faktisch zu widerlegen (Konings 2011). Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurden die Prognosen einer endgültigen Bruchstelle immer wieder nach oben korrigiert; und zwar in Reaktion auf die Fähigkeit des Kapitalismus, immer noch stärkere Spekulationsbewegungen zu verkraften. Was von einem bestimmten historischen Blickpunkt in der Vogelperspektive auf mehrere Jahrhunderte Finanzgeschichte eigentlich ins Auge fällt, ist wohl weniger, dass Spekulationsbewegungen die Ordnung untergraben, sondern vielmehr, dass der Aufstieg der spekulativen Finanzökonomie auch zur Entstehung mächtiger Ordnungsinstitutionen – einer stabilen Geldeinheit und der Zentralbanken et-

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wa – führte, die über eine unbestreitbare (wenn auch keineswegs unbedingte) Fähigkeit verfügen, den Wert der Währung zu regulieren. Anschaulich wird dieser Aspekt in Calders Zusammenstellung der Prognosen eines finanziellen Zusammenbruchs infolge der zunehmenden Privatverschuldung. »Presseüberschriften aus fünfzig Jahren zeigen, dass es dem Verbraucherkredit niemals an aufgeregten Kritikern mangelte:   Harper’s, 1940 (die Verschuldung der Verbraucher lag bei 5,5 Mrd. USDollar): ›Verschuldung gefährdet Demokratie‹   Business Week, 1949 (die Verschuldung der Verbraucher hatte sich auf 11,6 Mrd. US-Dollar verdoppelt): ›Erstickt das Land an seinen Schulden?‹   U.S. News & World Report, 1959 (die Verbraucherschulden hatten sich nunmehr auf 39,2 Mrd. US-Dollar verdreifacht): ›Noch nie hatten so Viele so viele Schulden‹   Nation, 1973 (die Verbraucherschulden hatten sich nunmehr auf 155,1 Mrd. US-Dollar vervierfacht): ›Schuldenberg‹   Changing Times, 1989 (die Verbraucherschulden hatten sich abermals erhöht, um das Fünffache auf 795 Mrd. US-Dollar): ›Wachsen uns die Schulden über den Kopf?‹   U.S. News & World Report, 1997 (die Verschuldung lag bei 1,2 Billionen USD): ›Verschuldet bis unter den Nasenring (Generation X)‹   Dem Historiker, der ein halbes Jahrhundert derartiger Artikel untersucht hat, sei es verziehen, wenn er den Artikel ›Kreditkartenschulden womöglich Plastiksprengstoff, der Wirtschaft 1997 zerfetzt‹ überblättert und in Ruhe die Sportseite aufschlägt.« (Calder 1999: 292f.)

Einleitung: Über die Spekulationskritik hinaus

Der Vollständigkeit halber sei ergänzt, dass die Privatverschuldung 2007 bei 2,5 Billionen US-Dollar lag und bis Ende 2017 auf 3,8 Billionen US-Dollar angewachsen war (Board of Governors of the Federal Reserve System 2017). Dies dürfte aus Perspektive der orthodoxen Ökonomik nur bestätigen, dass eine Korrektur der Marktpreise – jener Formen, in denen Werte erscheinen und kommuniziert werden – ein vergebliches Unterfangen ist. Zwar wird sich das Buch diese Hypothese nicht zu eigen machen, allerdings gebietet es die Schwierigkeit, heterodoxe Spekulationskritik in praktisch relevante Begriffe zu übersetzen, sich dem orthodoxen Wert- und Geldverständnis zuzuwenden und zu erwägen, ob dieses etwas anzeigen oder ausdrücken kann, das zu erkennen oder zu thematisieren die heterodoxe Kritik nicht in der Lage gewesen ist. Meine These hierzu lautet, dass die heterodoxe Theorie in ihrem Eifer, das orthodoxe Geldverständnis als unzutreffend zurückzuweisen, im Allgemeinen blind gewesen ist für die Verdienste dieses Konzepts, welches die regulativen Vorstellungen und die affektive Strukturierung der kapitalistischen Welt formuliert und verstärkt. Das Argument, man solle die orthodoxen Geldkonzeptionen ernster nehmen, heißt nicht, dass man deren deskriptiven Gehalt in den Himmel loben muss; man sollte sie lediglich als den Ausdruck einer spezifischen Gedankenwelt ernst nehmen, die bestimmte Auswirkungen hat. Ein Spannungsfeld zwischen fiktivem und realem Wert scheint in der orthodoxen Wirtschaftstheorie nicht auf. Eben weil Geld nichts anderes als eine Buchhaltungsfiktion, ein willkürlicher Zähler zur Erleichterung des Austausches sei, könne es Beachtung als objektiver, neutraler Maßstab beanspruchen und als Ursache für unbestrittene Autorität fungieren. Auf diese Weise spiegelt die orthodoxe Theorie (in unkritischer und entschärfter Form) den paradoxen Charakter des Geldes als selbstbezüglicher Wert. Das moderne Geld ist eine paradoxe Verknüpfung von Fiktion und Faktum: Wir wissen sehr wohl, dass es nur ein bloßes Versprechen ist (wüssten wir, dass die Welt morgen untergeht, würde Geld augenblicklich wertlos sein); und doch untergräbt unser Wissen keineswegs die Fähigkeit des Geldes, als völlig realer Wert zu fungieren, als objektiver Standard für eine ganze Bandbreite sozialer

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Interaktionen. Noch stets ist es misslungen, diese Gewissheit der praktischen ökonomischen Vernunft begrifflich in einer Wertsubstanz zu begründen, die den Operationen des Geldes zugrunde liege; immer sehen wir uns verwiesen auf weitere spekulative, aussichtsreiche Operationen. Doch im Alltag haben wir kein Problem damit, Geld sowohl als Fiktion als auch als Faktum zu begreifen (wir polarisieren beide Aspekte erst, wenn wir unserer Unzufriedenheit mit dem Geld einen begrifflichen Ausdruck verleihen wollen). Die orthodoxe Theorie abstrahiert von der zeitlichen Dimension, die in dieser selbstreferenziellen Logik zum Tragen kommt: In dieser Vorstellung lasse sich das Zeitproblem auf das Koordinationsproblem reduzieren, wie es sich in einer geldlosen Tauschwirtschaft ergibt, – und es lasse sich durch das einmalige Festlegen eines gemeinsamen Maßstabs lösen, der im Wesentlichen dazu diene, die Zeit aus der Wirtschaft zu verbannen. So gelingt es der orthodoxen Ökonomik, einen paradoxen Aspekt der praktischen ökonomischen Vernunft als formale theoretische These neu zu formulieren. Geld durch das Prisma seiner Selbstreferenzialität zu betrachten, läuft darauf hinaus, den Wert nicht als ›elastisch‹, sondern als ›plastisch‹ zu verstehen. Plastizität verweist auf den konstitutiven Charakter kontingenter Assoziationen, darauf, dass eine Verbindung die Erzeugung und Strukturierung neuer Verbindungen bedingt und also den Lauf der Geschichte beeinflusst; was die Entstehung bestimmter Einheiten in einer Welt erklärt, die von keinem äußeren Subjekt bewegt wird. Plastizität wäre nicht gegeben, wenn Identitäten für äußere Einflüsse völlig unempfänglich oder aber so zerbrechlich wären, dass sie schon beim geringsten Widerstand zerfallen. Eine plastische Identität (re-)produziert sich durch beständige Veränderungen ihrer relationalen Form. Im Extrem bedeutet Plastizität auch, dass eine Identität fester, essenzieller Eigenschaften offenkundig entbehrt – und ist gleichbedeutend mit der unumwundenen Infragestellung eines traditionellen, aristotelischen Verständnisses von Identität als Substanz mit zufälligen, akzidentiellen Eigenschaften oder Formen (Malabou 2000: 206). Das moderne Geld ist höchst plastisch, entbehrt jeder Essenz und erhält sich als objektive Einheit durch die beständige Umgestaltung der spekulativen Verbindungen, aus denen es hervorgeht. Es gibt keinen

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Einzelgegenstand, den wir als Träger der Dollaridentität identifizieren könnten, und in diesem Sinne bleibt das Geld an sich virtuell und operiert vor allem als organisierende Kraft in einem komplexen Geflecht aussichtsreicher Relationen. Zwar hat also Geld keinen wesentlichen Kern und ist nichts anderes als ein Gefüge, eine Konfiguration symbolischer Formen, es operiert aber auch als unbestrittene nicht-repräsentative Kraft: Geld ist selbst die Sache, für die es steht. Geld weist über sich hinaus, auf sich zurück, und verspricht einfach mehr Geld (Rotman 2000: 30; Vogl 2 2010: 77-80). In diesen Betrachtungen hallen Positionen der marxistischen Wertformtheorie nach, welche aus der Auseinandersetzung mit den Problemen hervorgegangen sind, die den Materialismus der traditionellen marxistischen Werttheorie und dessen Hang kennzeichneten, in der Arbeit die Wertsubstanz zu erkennen. Die Wertformtheorie suchte derartigen Substantivismus zu überwinden,4 indem sie die konstitutive Rolle der gesellschaftlichen und symbolischen Erscheinungsformen des Werts betonte (Rubin 1973; Elson 1979; Clarke 1982). Zwar haben diese Ansätze breitere Arbeitsbegriffe aufgenommen und deren prozessualen und vermittelten Charakter anerkannt, allerdings fiel es ihnen schwer, einen qualitativ anderen Blickwinkel auf die Rolle der Wertformen im Kapitalismus zu entwickeln. Sie waren also im Allgemeinen nicht in der Lage, gänzlich mit dem elastischen Wertbegriff zu brechen (Knafo 2007). Ein hartnäckiger Fundamentismus verneint tendenziell den kritischen Ertrag der konstruktivistischen Einsicht, dass Werte durch ihre symbolischen Formen konstituiert werden. Bei Clarke (1988) beispielsweise erscheint ein spekulativer Rückzug aus dem produktiven Kapital als Antrieb des neoliberalen Kapitalismus; Clarkes Bild von der neoliberalen finanzökonomischen Dynamik ähnelt in wichtigen Punkten jenen Ansätzen, die er wegen ihres ökonomischen Determinismus und ihrer Abhängigkeit von traditionellen Überbau-Unterbau-Metaphern kritisiert. Diese Verbundenheit mit einer substantivistischen Werttheorie ist großenteils von der Überzeugung motiviert, dass man sich dem Relativismus und Subjektivismus öffnete, würde man die konstitutive Rolle der Wertformen rückhaltlos akzeptieren. Den Wert als plastisch und

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nicht als elastisch zu betrachten – sprich die Formenkonstitution an sich als den Prozess zu theoretisieren, durch den Wert geprägt und Wertmaßstäbe konstituiert werden –, führe demnach dazu, dass man den Wert zu einem willkürlichen und tautologischen Begriff mache, der keine Grundlage böte für eine Unterscheidung zwischen Fiktionen und Fakten, zwischen irrational spekulativem und solidem Wertgehalt. In solchen Vorbehalten spiegelt sich die bestehende Tendenz, die Formenkonstitution als einen Prozess zu verstehen, der in erster Linie erkenntnisbezogen (epistemisch), also passiv repräsentativ und eben nicht performativ und spekulativ ist. In dieser Vorstellung gleicht die Funktion der Repräsentation dem Vorgang der Längenmessung: Der Meter bildet hier eine unabhängig bestimmte Maßeinheit, die einfach den Längenwert eines ihr äußeren Objektes angibt. Seine Repräsentation ist von einer Linearität und Genauigkeit, die nur erreicht wird, wenn das Maß vom gemessenen Gegenstand unabhängig ist. Wertformen funktionieren allerdings anders, da sie nicht unabhängig vom bewerteten Gegenstand definiert sind; sie ergeben sich aus ihrem Objekt und konstituieren es. Die Tendenz in der Wertformtheorie, die Salienz (Bedeutung) der Formen an deren Kapazität zur akkuraten Repräsentation zu bemessen, tilgt das spekulative Moment und dessen Fähigkeit, jene Wirklichkeit hervorzurufen, auf deren Dynamik es spekuliert. Anders gesagt ging die Wertformtheorie nie dazu über, fiktive Formen hinsichtlich ihres Potenzials zu theoretisieren, konstitutive Verbindungen ebenso zu erzeugen wie affektiv aufgeladene Beziehungen und praktische Investitionen – des Potentials also, die Herstellung von Faktizität anzustoßen (Negri 2000; Arvidsson 2006). Da die marxistische Theorie sich nicht vom essenzialistischen Erbe substantivistischer Modelle des Wertes, des Geldes und der Arbeit zu lösen vermochte, bestand hier immer eine gewisse Legitimität für idealistische Sichtweisen auf die Wirtschaft. Solche Perspektiven – die sich oftmals als Kritik am materialistischen Determinismus begreifen und ihren Blick stattdessen auf Normen, Diskurse und Wissen als alternative Grundlagen richten – legen einen viel stärkeren Fokus auf den Gedanken, dass ökonomische Identitäten und Strukturen nicht materiell vorgegeben, sondern wesentlich von der Art und Weise abhängig

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sind, in der Menschen ihre Welt begrifflich konstruieren. Somit befindet sich das Wertproblem immer noch in einer unbequemen Lage zwischen Materialismus und Idealismus, zwischen den Polen der fetischisierten materiellen Arbeit und des fetischisierten Wissens (Martin 2015). Umfassend beleuchtet wurde diese traditionelle Zweiteilung von post-operaistischen Ansätzen, die den Gegensatz zwischen Arbeit und Wissen zu überwinden suchten und deren Verschränkung im gegenwärtigen Kapitalismus in den Vordergrund stellen wollten. Von zentraler Bedeutung ist hier die Akzentuierung der Immanenz und der Unmöglichkeit einer ontologischen Aufspaltung des Materiellen und des Ideellen – dieses Argument untergräbt eine hauptsächlich repräsentative und epistemische Konzeption sozialer Formen, Normen und Standards: Im Zeitalter der immateriellen Arbeit werde die Annahme einer Äußerlichkeit der Realität und ihrer Repräsentation immer unhaltbarer; das Maß des Werts sei zunehmend ganz immanent. Das Maß ist also kein einfacher Meterstab mehr, mit dem man etwas anderes bemisst, sondern wird im und durch den Konstitutionsprozess des Gemessenen hergestellt (Negri 2000). Die post-operaistischen Erkenntnisse sind in ihren Schlussfolgerungen allerdings recht vage geblieben. Die Wissens- und Wertimmanenz wird oftmals als spezifisches Merkmal des postfordistischen Zeitalters beschrieben: Demnach war es der Niedergang des Fordismus und seiner standardisierten Methoden der Fabrikproduktion, der die abstrakte Arbeitszeit als Strukturprinzip der kapitalistischen Herstellung unterminiert und immateriellen Formen der Arbeit Auftrieb gegeben habe, die zu repräsentieren oder symbolisieren immer schwieriger wird. Anders gesagt, man versteht die Immanenz von Wert und Maß oftmals in Abgrenzung zu einer Äußerlichkeit, die in früheren Phasen der kapitalistischen Entwicklung vermeintlich vorherrschend gewesen wäre, als die Arbeitswerttheorie noch Geltung besessen habe (z.B. Marazzi 1998; Hardt/Negri 2002). Das Argument so zu wenden, wirft allerdings die Frage auf, worin die Neuerung der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie dann überhaupt bestanden habe. Wie Caffentzis (2005) darlegt, fußte Marx’ Kritik an der substantivistischen Arbeitswerttheorie Ricardos just auf

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dem Punkt, dass die kapitalistischen Bewertungspraktiken nicht als äußere, zeitlose Standards gelten dürften. In seiner Kritik an den utopischen Sozialisten beharre Marx darauf, dass es – auch im Kapitalismus seiner Zeit – keine objektive formale Repräsentation einer Wertsubstanz geben könne. Das Maß und Kalkül des Kapitals sind performative Instrumente und Marx’ Kapital (1983 [1867]) lässt sich als Analyse dieser Kalkulationslogik in einem bestimmten geschichtlichen und geographischen Kontext verstehen (Bryan/Rafferty 2013). Das Kapital ist demnach kein passiver Appropriateur dessen, was bereits hergestellt worden ist, sondern spielt eine aktive, konstruktive Rolle in der Erzeugung eben des Mehrwerts, auf den es aus ist. Es geht mir hier nicht darum, Einzelheiten der historischen Periodisierung zu erörtern oder eine bestimmte Lesart von Marx’ Kapital in den Vordergrund zu stellen, sondern um den Hinweis auf die Tatsache, dass die Interpretation des immanenten Maßstabs als Niedergang beziehungsweise Krise eines äußeren Maßstabs die post-operaistische Theoretisierung der Gegenwart in problematischer Weise moduliert. Die bemerkenswerteste Folge daraus ist eine gewisse postmoderne Position, die den Übergang vom Fordismus zum Postfordismus mit der Unmöglichkeit ökonomischer Standardisierung und Ordnung in Verbindung setzt – und somit den Umstand herunterspielt, dass die Bemessung und die Bewertung der Arbeit noch immer im Zentrum kapitalistischer Aktivitäten stehen (Adkins 2009). Die Operation des zeitgenössischen Werts vor dem Hintergrund eines Modells der äußerlichen Bemessung und passiv-linearen Anzeige zu bestimmen, läuft darauf hinaus, der spezifischen Dynamik und dem paradox schöpferischen Charakter eines immanent generierten Standards zu wenig Beachtung zu schenken (Clough et al. 2007; de Angelis/Harvie 2009; Böhm/Land 2009). Grundsätzlich verhindert der Standard keineswegs das Heraufdrängen neuer Formen der spekulativen Bewertung – und in diesem Sinne ist die Entwicklung des Kapitalismus eine andauernde Krise von Maß und Repräsentation (Bryan 2012). Die mangelnde objektive Genauigkeit endogen erzeugter Standards bedeutet nicht, dass Messung und Bewertung bedeutungslos würden, sondern, dass die kontinuierliche Bewertung spekulativer Positionen umso notwendiger ist. In der per-

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manenten Unzulänglichkeit des Maßstabs findet sich das Motiv für unablässige Messungen; die fehlende ontologische Autonomie des Werts ist Triebfeder einer Dynamik andauernder Bewertung (vgl. Adkins/Lury 2011). Wertforderungen transzendieren niemals den spekulativen, verheißungsvollen Charakter der Interaktionen, durch die sie entstanden sind. Sie funktionieren nicht durch die Erzeugung eines äußeren Standards, sondern durch »Provokation« (Muniesa 2011: 32), indem sie Verbindungen aktivieren und deren Umstrukturierung herbeiführen, die sich an der Einlösung des spekulativen Versprechens ausrichtet. Wert ist erst mit seiner Bezeichnung und Bedeutung gegeben: die Bedeutung des Werts ist weniger passiv-repräsentativ als vielmehr performativ, angetrieben von dem Ziel, die Erzeugung jenes Werts herbeizuführen, den das Zeichen zu repräsentieren behauptet – es geht hier um »Potenzialerkundung« (Adkins 2012: 625). Auch, und das ist wesentlich, kommt dieser Prozess mit dem Nachweis einer ›Realwirtschaft‹ oder grundlegender Werte nicht zu seinem Ende. Er wirkt vorwärtsgerichtet, moduliert die andauernde Erzeugung neuer Spekulationen und initiiert mit der Austerität eine subjektive Bereitschaft und Disziplin, die Schöpfung neuer spekulativer Positionen und Wertformen auf die Einlösung früherer Investitionen abzustellen. Wenn die Schöpfung fiktiver Formen eine Zeitdynamik anstößt, die um die Aussicht auf Aktualisierung einer virtuellen Forderung kreist, fungiert die Aussicht auf ein derart aktualisiertes Endergebnis immer als ständig zurückweichender Horizont. Das Spannungsfeld zwischen Spekulation und Austerität ist anzusehen als die affektive Struktur der plastischen Wertlogik, als der »Geist in der finanzökonomischen Maschine« (Appadurai 2011), als das Kraftfeld, welches die kontingenten Zusammensetzungen spekulativer Beziehungen (Relationen) zusammenhält. Wenn in der kapitalistischen Welt eine Art Doppelbewegung wirksam ist, dann nicht als regelmäßiges Pendeln zwischen grundlegenden Werten und spekulativen Impulsen, sondern vielmehr in der konstanten Erfordernis, auf spekulative Provokationen produktiv zu reagieren und die Wirklichkeit um eine solche neue Verbindung zu rekonstruie-

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ren, die sich nicht rückgängig machen lässt und den Gang der Dinge unwiderruflich verändert hat (vgl. Cooper/Konings 2015; Mitropoulos 2012). Unter diesem Gesichtspunkt können wir die Wende zur Austerität im Nachgang der Finanzkrise verstehen: Die Wende vollzog sich, als die Kommentatoren noch ihrem Ärger über die Langsamkeit Luft machten, mit der die Behörden ihre früheren Versprechen einlösten, restriktivere Regulierungen aufzustellen; und sie galt weithin als Beleg für die Fähigkeit der Finanzeliten, die Polanyische Gegenbewegung zu blockieren. Die Austeritätsmaßnahmen, so heißt es, erzeugen zulasten der Realwertproduktion kurzfristige Vorteile für ›Renteninteressen‹. Anstatt eine keynesianische Nachfragepolitik zu betreiben, verfolgten die finanzökonomischen und politischen Eliten einen Sparkurs, damit hätten sie die Rezession vertieft und die Bedingungen für Wirtschaftswachstum ebenso untergraben wie die Grundlagen der Profitabilität (Blyth 2014; Gamble 2014; Schui 2014). Es mag stimmen, dass die Wende zur Austerität die ökonomische Unsicherheit (Prekarität) verstärkt sowie die Entfernung von einer Welt der dauerhaften Beschäftigung und regelmäßigen Lohnzahlungen beschleunigt hat – es ist aber bei weitem nicht gesagt, dass sie die Wertsteigerung des Kapitals untergraben und eben nicht verstärkt hat. Unsicherheit, Prekarität und Instabilität zeichnen sich durch ihre Eigenlogik als ein Mittel der ökonomischen Steuerung (governance) aus (Lorey 2015). Aus Sicht der hier umrissenen Doppelbewegung dürfen Spekulation und Austerität nicht als Teil ein und derselben Entgrenzungsbewegung betrachtet werden: Der Sparkurs ist die Bewegung, mit der das Kapital seine spekulativen Investitionen verbrieft und seine Fiktionen aufwertet.

Spekulation, Hebelung und Bankenökonomie Solange wir unser Verständnis der Wertkonstitution nicht unter solch nichtfundamentistischen Gesichtspunkten vertiefen, laufen wir Gefahr, in bekanntlich problematische Debatten über produktive versus unproduktive Arbeit abzugleiten, anhand derer sich realer von fiktivem Wert trennen lassen soll – Debatten, die nur zu moralischen und willkürli-

Einleitung: Über die Spekulationskritik hinaus

chen Lösungen führen können. Hier lohnt es, sich dem zentralen Beitrag der post-operaistischen Theorie zuzuwenden, nämlich der begrifflichen Ausweitung dessen, was als Arbeit zählt – oftmals so weit, dass Arbeit zum Synonym wird für Praxis, Affekt, Leben und einfach den Gedanken zum Ausdruck bringt, dass keine formale Struktur oder symbolische Ordnung je selbstgenügsam, sondern immer abhängig ist von der Operation eines schöpferischen Prinzips. Das Problem, das sich aus diesem theoretischen Schachzug für viele ergibt, ist die Schwierigkeit, eine strenge, unwillkürliche Kritik auf derart luftiger Grundlage zu formulieren. Hier möchte ich allerdings vorschlagen, dass wir den Gedanken der Formenbedingung (form determination) zu Ende führen und die aktive Rolle der Formen kritisch fassen, indem wir deren Konstruktion durch Hebelmechanismen untersuchen. Anstatt sich allzu sehr mit ontologischen Grundlagen zu befassen und eine Kritik dessen zu formulieren, dass unsere sozialen Formen und Verhältnisse diese Grundlagen repräsentieren oder aber von ihnen abweichen, frage man wohl besser einfach danach, wie gesellschaftliche Formen arbeiten, dass sie der praktischen Betätigung einiger so viel mehr Kraft und Salienz verleihen als der anderer. Niemandes Praktiken sind in sich mehr wert als die von anderen, Einige aber sind in gesellschaftlichen Gefügen derart gestellt, dass ihre Betätigung außerordentlich ›gehebelt‹ wird (Konings 2010). Dabei versuchen die Akteure, die Muster und Regelmäßigkeiten, die sie mit anderen verbinden, so zu gestalten, dass sie den größten ›Wumms für ihr Geld‹ bekommen: die maximale Wirkung für einen bestimmten Energieaufwand. Das Konzept der Hebelung (leverage) dient hier dazu, Kontrolle und Einfluss in ihrer immanenten Operationsweise zu verstehen. Die Macht liegt niemals in äußeren Institutionen oder Symbolen, sondern wirkt immer relational und performativ durch die rekursive, rückbezügliche Aktivierung der Operationen und Verbindungen, aus denen sie besteht. Normen wirken nicht dadurch, dass sie Akteure von außen bestimmen würden, sondern dadurch, dass Akteure andere in Operationen einbeziehen, die eine neue systemische Dynamik erzeugen. Anders gesagt, das Konzept der Hebelung erlaubt eine spezifische Annäherung an das Paradox, dass relationale Formen sowohl immanent (hervorge-

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bracht von dem Interaktionsfeld, in dem sie operieren) als auch konstitutiv sind (sie ändern die Struktur dieses Feldes). Diese Formen steigern nicht einfach den Wert bestimmter Praktiken im Lichte einer bestimmten äußeren Norm, sondern sie prägen die Norm selbst. Das Hebeln und insbesondere der Einsatz eines Kredit- und Verschuldungshebels ist also das Instrument der Wahl, unseren fiktiven Entwürfen eine selbsterfüllende, performative Qualität zu verleihen und zu versuchen, die Welt zu einer positiven Reaktion auf unsere spekulativen Forderungen zu bewegen und die Arbeitskraft zu mobilisieren, die deren Einlösung sicherstellen werde. ›Leverage‹ hat natürlich in der Wirtschaftstheorie eine feste Bedeutung und verweist dort auf den Anteil des Fremdkapitals im Verhältnis zum Eigenkapital.5 Ein Finanzinstitut oder -system mit einem hohen Fremdfinanzierungsgrad ist eines, das mittels großer Kreditsummen operiert. Die orthodoxe Finanztheorie betrachtet diesen Verschuldungsgrad als mehr oder weniger losgelöst von einer zukunftsorientierten Beurteilung: Die Akteure entscheiden über ein Investitionsziel, dann erst verstärken sie quantitativ ihr Verlustrisiko, indem sie zusätzliche Mittel aufnehmen. Soweit dem Kredithebel überhaupt das Potenzial zugeschrieben wird, den Kern spekulativer Aktivitäten zu berühren, soll dies durch Preiseffekte erfolgen – durch die Fähigkeit zur ›Beeinflussung des Marktes‹. An dieser Stelle meine ich, wir sollten eben diese Möglichkeit nicht als außerordentlichen Umstand begreifen (wie es die orthodoxe Finanztheorie tut), sondern den entsprechenden Grundsatz allgemeiner fassen: Soweit Spekulation mehr als nur ein Glückspiel ist, ist sie Kapitalhebelung (vgl. Allon 2015). In einer nichtessenzialistischen Welt gibt es letztlich kein Kapital, keine Geldmittel, die ursprünglich Eigentum sind und ganz frei investiert werden können – wir leben immer schon auf Kredit. Es gibt keine ursprüngliche Spekulation, es gibt nur Kapitalhebelung. Dementsprechend verstärkt der Hebel eine spekulative Position nicht einfach quantitativ, sondern er wirkt auch dahingehend, das Realitätsgefüge selbst zu formen. Wenn Spekulation eigentlich in ihrem performativen Sinne verstanden wird, ist der Kapitalhebel einer ihrer unverbrüchlichen Aspekte.

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Wollen wir hier klarer sehen, müssen wir einen Schritt zurücktreten. Schon die Spekulation ist im Rahmen der herrschenden Wirtschafts- und Finanztheorie schwer zu verstehen, da man hier mit einem entschärften Risikoverständnis arbeitet, das die Ungewissheit auskehrt und annimmt, die Zukunft sei unter der Voraussetzung berechenbar, dass wir über die korrekten Daten und richtigen Methoden verfügen (Davidson 1991; Beckert 2018). Das Risiko wird hier als nicht-performativ verstanden: Die Akteure stehen demnach einer Welt gegenüber, die nach eigenen, unabhängigen Gesetzen funktioniert, welche sich dem Grunde nach ganz verstehen lassen. Soweit also anzunehmen wäre, dass es keine inhärenten Unterschiede zwischen der Vergangenheit und der Zukunft gibt – dass die Gegenwart nicht unbedingt den Lauf der Geschichte ändert, dass wir einen unbewegten Punkt besetzen können, der nicht an sich schon neue Ursachen des Wandels kreiert –, könnten wir die Zukunft auf Grundlage der Vergangenheit vorhersagen wollen; freilich nicht in dem Sinne, ein bestimmtes zukünftiges Ereignis korrekt vorherzusagen, allerdings in dem Sinne, dass wir zu perfektem Wahrscheinlichkeitswissen gelangen. Das Modell der Lotterie bietet dafür ein Gleichnis: Nur weil die Zufälligkeit systematisch erzeugt und der Einfluss des Subjekts systematisch ausgeschlossen wird, können wir von einem perfekten Wissen sprechen. Eine solche Neudefinition des zukunftsbezüglichen Wissensmangels, der seinerseits Wissen ist, ist wohl kaum eine überzeugende Erklärung für den praktischen Umgang mit unseren kognitiven Grenzen. Während wir die Geschichte machen, zielen wir nicht einfach darauf ab, eine bestimmte Normalverteilung zu kennen, sondern Normen zu formen. Das heißt wohlgemerkt nicht unbedingt, dass wir die Grenzen unseres Wissens zu überwinden trachten; oftmals heißt es einfach, dass wir mit diesen Grenzen strategisch umgehen. Hier kommt nun das Hebeln als organische Ergänzung der Spekulation ins Spiel – als Reaktion auf das praktische Problem, »sich von der Ungewissheit der Zukunft nicht lahmlegen zu lassen, sondern sie als Ressource zu nutzen« (Esposito 2010: 31). Die Hebelung weist eine proaktive Eigenschaft (preemptive quality) auf und entspricht der Tatsache, dass wir die Zukunft niemals ganz ken-

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nen können und also notwendig Strategien anwenden, die sich dieses ständige Element der Ungewissheit zunutze machen. Sie bewirkt eine Verschiebung der Perspektive: von einer Zukunftsprognose zu einer, die auf Investitionen abzielt, die – selbst zentral gesetzt – die Zukunftserzeugung beugen und ausrichten können. Aus der Hebelung folgt das Bemühen, sich als Angelpunkt in der interaktiven Spekulationslogik, als Attraktor im gesellschaftlichen Feld zu positionieren. Sie ist eine Möglichkeit, die Normenerzeugung zu bedingen und damit ein Faktor beziehungsweise eine Voraussetzung für die strategischen Möglichkeiten und Zwänge anderer Akteure zu werden. Die Ungewissheit anderer kann ich weghebeln, indem ich sie dazu bringe, in meine Versprechen zu investieren und sich damit gegen ihre eigene Ungewissheit abzusichern. Durch eine Hebelungsoperation suche ich, mich in die Vorstellung einzuschleusen, die sich andere von ihren Reproduktionsbedingungen machen. Somit werden sich die anderen in ihrer Reaktion auf unvorhergesehene Umstände und überraschende Probleme wahrscheinlich auf die Angebote verlassen, die meine normative Position bereitstellt – und dies wiederum stärkt die Zentralität meiner Stellung im Sozialgefüge. Eine derart akzentuierte Hebelungslogik der Spekularität verschiebt also den Fokus: weg von der Fähigkeit korrekter Risikoberechnung, hin zu dem Umstand, dass Akteure ihre eigenen Versprechen als die maßgebliche Recheneinheit zu etablieren suchen. In einem Kontext allseitiger Ungewissheit ist ökonomische Macht nicht nur abhängig von Kenntnissen, sondern gleichermaßen vom Bekanntheitsgrad; sie leitet sich aus der Fähigkeit ab, als zentraler Bezugspunkt in der spekularen Logik kontingenter Forderungen zu fungieren. Anders gesagt, beim Hebeln geht es nicht nur darum, mein Verlustrisiko gegenüber der Welt zu vergrößern, sondern auch darum, das Verlustrisiko und die Mithaftung der Welt im und für das Risiko zu vergrößern, das ich eingehe. Es ist eine spezifisch säkulare Form der Souveränität, eng verflochten nicht mit der Möglichkeit einer Transzendenz des gewöhnlichen Risikofeldes, sondern mit der Möglichkeit, »eigene Risiken in Gefahren für andere zu verwandeln« (Vogl 2014: 153, hier nach 2015: 251)

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Einer reinen Form der Hebelung nähert sich die Praxis der Bankenökonomie (Sgambati 2016). Deren hauptsächliches Ziel ist es, kontinuierlich Geld zu leihen wie zu verleihen und den somit geschaffenen Verbindlichkeiten Geläufigkeit, ja Währungscharakter zu verleihen. Die Frage, wie genau man investiert, ist dabei oft zweitrangig; wie im Vorfeld der Finanzkrise von 2007/2008 zu sehen war, ist es durchaus möglich, dass Banken Anreize haben, in Verbindlichkeiten zu investieren, von denen sie wissen, dass sie wahrscheinlich nie bedient und zurückgezahlt werden. Anders gesagt, eine Bank hat offenkundig kein substanzielles Ziel, keinen anderen Zweck als den Vollzug einer hierarchisierenden Bewegung, wodurch ihre Verpflichtungen letztlich eine Sonderstellung im Gesamtgefüge gesellschaftlicher Versprechen einnehmen. Die Versprechen einer Bank fungieren als Standard, mit dem der Wert anderer Versprechen bemessen wird – sprich: als Geld. Die Wirtschaftlichkeit des modernen Bankwesens fußt auf dem Element unumstößlicher Ungewissheit in der ökonomischen Interaktionsdynamik. Ohne Ungewissheit bedürften wir weder der Banken noch der Versprechen, die sie geben. Bankenoperationen ermöglichen einen Umgang mit der Unerkennbarkeit der Zukunft: Sie verwandeln eine Situation, in der es uns an hinreichendem Wissen für die Entscheidungsfindung fehlt, in eine Situation, in der wir mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten können. Die Versprechen, die eine Bank erzeugt, etablieren eine ökonomische Norm, einen Wertstandard. Bankengeld fungiert wie ein Gerät zur Aufbewahrung von Zeit, mit dem sich Optionen und Möglichkeiten offenhalten lassen (Opitz/Tellmann 2015: 113). Geld ist das spekalutivste Objekt, mit dem wir überhaupt zu tun haben (ganz Verheißung, ganz Aussicht und zweifelsohne nutzlos – abgesehen von dem Versprechen, das es birgt), es ist aber auch die objektivste und verlässlichste Form der Risikoorientierung, die wir haben. Die Option, über Geld zu verfügen, bietet die geringstmögliche Ungewissheit. Selbstverständlich begreifen heutige Bürger ihr Geld nicht mehr als Bankverbindlichkeiten; sie begreifen es als gesetzliches Zahlungsmittel, das vom Staat garantiert wird. Aber Geld war und ist in entscheidendem Sinne immer Bankengeld: Auch wenn der Staat eine ›Notendruckpresse‹ hat, ist diese doch völlig davon abhängig, dass sich der Regierungs-

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apparat Bankenfunktionen zu eigen macht. Eine Nationalwährung lässt sich nur durch die Vereinheitlichung des Bankensystems mittels einer Zentralbank schaffen. Keineswegs entgeht das Bankenwesen der Risikologik und keineswegs fungiert Geld als absoluter Wertstandard, der das Aufkommen alternativer oder konkurrierender Bewertungsprozesse verhindern würde. Der kontingente Charakter der Bankenoperationen tritt zutage, wenn die Menschen das Vertrauen in die Versprechen einer Bank verlieren und ihre Geldmittel abziehen – beim sogenannten ›Schaltersturm‹. Allerdings sollte uns bewusst sein, dass diese wiederkehrenden Dynamiken des Kreditauf- und Kreditabschwungs (leveraging and deleveraging) oftmals eine produktive Rolle spielten und Triebfeder für die weitere finanzökonomische Strukturierung waren. Natürlich können Misserfolg und Scheitern auch nur schlicht und einfach Misserfolg und Scheitern bedeuten, bloßen Ruin. Im modernen Kapitalismus ist das oftmals aber nicht der Fall: Sobald sich eine Bank als zentraler Bestandteil der gesamtgesellschaftlichen Infrastruktur positioniert hat, wird ihr Scheitern oder auch bloß die Gefahr ihres Scheiterns Kräfte aktivieren, die sie zu schützen suchen. Wirksam ist hier im Wesentlichen eine systemrelevante Dynamik des ›Too Big to Fail‹: Wenn große Finanzinstitute mit hohem Fremdkapitalanteil unter Druck geraten, unterliegt die Bewertung letztlich der Bail-out- und Austeritätslogik. In einem Großteil der Politischen Ökonomie wird keines dieser Phänomene im engeren Sinne begrifflich gefasst. Für gewöhnlich werden sie als Ausnahmeerscheinungen der Finanzmarktsteuerung oder als irrationale Maßnahmen dargestellt, selten aber als systematische Merkmale einer historisch gewachsenen Finanzordnung. Dabei standen die Umschuldung und die Umverteilung von Zahlungsdruck immer im Zentrum sowohl der Praxis als auch der Regulierung des Bankenwesens (Baecker 1991: 55). Mit dem Fremdkapitalhebel können die Finanzinstitute die Gesellschaft in das Risiko einbeziehen, das sie eingegangen sind – das heißt, dass sie in einer Position sind, das Risiko von sich auf andere überzuwälzen. Als neuzeitlichen Subjekten ist uns die Dynamik einer Systemkrise nur allzu vertraut, in der wir

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produktiv auf Ereignisse reagieren müssen, an deren Herbeiführung wir nach unserem Verständnis keinerlei Anteil gehabt haben. Dass und wie die kapitalistische Entwicklung von der dynamischen Expansion und Kontraktion des Kredits berührt wird, ist seit jeher ein wichtiger Bezugspunkt für die Kritik an der orthodoxen Ökonomik gewesen. Die post-keynesianische Theorie, der bekannteste zeitgenössische Vertreter dieser Kritik, theoretisiert diese Bewegungslogik als die regelmäßig wiederkehrende Ausdehnung des spekulativen Kredits und fiktiven Kapitals, welche die grundständigen kapitalistischen Produktionsstrukturen störe (Keen 2011; Palley 2013; Tymoigne/Wray 2014). Wir haben es hier allerdings mit einer unglücklichen begrifflichen Verschiebung zu tun: Die Würdigung unabänderlicher Faktoren wie Risiko, Fluktuation und Volatilität geht über zu einer zyklischen Geschichtstheorie, die gerade die produktive Rolle der Kontingenz bestreitet und im spekulativen Eingehen eines Risikos nur die Loslösung von ökonomischen Grundlagen erkennen kann. Einerseits vertritt man also eine Vorstellung der ›ewigen Wiederkehr‹ der Kontingenz in Nietzsches Sinne – dass es also keine äußere Instanz gibt, die unseren Konstrukten einen absoluten Wert oder ewiges Leben verleihen würde, oder, wie Deleuze es formuliert: »Nicht das Sein kehrt wieder, sondern die Wiederkehr selbst macht das Sein aus« (2008: 55) –, andererseits verneint man diese kritische Erkenntnis mit der Modellierung einer weitgehend vorhersagbaren Regelmäßigkeit. Während die post-keynesianische Theorie sich als alternative Wirtschaftstheorie versteht, findet das Kreislaufmodell seinen allgemeineren und politischen Ausdruck in interdisziplinären Bereichen wie der Wirtschaftssoziologie und der Politischen Ökonomie, in denen der Gedanke zyklischer Zeitlichkeit oftmals als Alternative zu strukturalistischen beziehungsweise teleologischen Ansätzen vertreten wird. Ein Sinnbild dafür bietet die Polanyische Sichtweise: Geschichte wird demnach bestimmt vom Wechsel zwischen Phasen, die vom Grundwert bestimmt werden, und Phasen, die der Spekulation freien Lauf lassen. Diesem Modell zufolge waren die Entfesselung der Märkte und die zügellose Spekulation zu Beginn des 20. Jahrhunderts verantwortlich für den kapitalistischen Zusammenbruch in der Zwischenkriegszeit; im

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Zuge des New Deal und der Nachkriegszeit habe der Staat darauf mit einer Ausweitung der Schutzbestimmungen, einer Einschränkung der Spekulationsmärkte und einer Wiederherstellung der Vormacht des Fundamentalwertes reagiert; der Neoliberalismus habe dann versucht, diesen Trend umzukehren und die Märkte aus ihren institutionellen Zwängen zu lösen; und die unvermeidliche Krise, die aus dieser unausgeglichenen Expansion des Finanzwesens hervorgehen werde, werde einmal mehr die Rückkehr zu den ökonomischen Grundlagen erzwingen. Von Polanyi inspirierte Standpunkte interpretieren die neoliberale Ausweitung der Finanzökonomie als Folge der kapitalistischen Unfähigkeit oder Unwilligkeit, sich profitabel in der Welt des Realwerts, der Arbeit und der Produktion zu verankern; stattdessen sondiere das Kapital die Welt des fiktiven Profits. Solche Standpunkte übersehen nicht nur die Tatsache, dass die finanzökonomische Expansion mit der Umstrukturierung von Arbeit und Subjektivität aufs Engste verflochten ist; formuliert werden sie zudem vor dem Hintergrund eines sehr nostalgischen (und vielfach irreführenden) Bildes der frühen Nachkriegszeit als einer Ordnung, in der die Rolle der Spekulation und Finanzökonomie ersatzlos habe gestrichen werden sollen. Besonders problematisch ist hier die Tendenz, den Wohlfahrtsstaat außerhalb der kapitalistischen Risikodynamik zu verorten und in seiner Wirkung eine Dekommodifizierung der Arbeit, also eine Einschränkung deren Warencharakters zu erkennen. Theoretisch ausgerichtete Historiker wie Ewald (1993) und Castel (2000) haben allerdings nachdrücklich darauf verwiesen, dass der Sozialstaat der Jahrhundertmitte dem Markt niemals äußerlich, sondern vielmehr für die Strukturierung von dessen Risikologik zentral gewesen ist. Der Wohlfahrtsstaat stellte weniger einen ›Ausgleich‹ zwischen kapitalistischer Wirtschaft und sozialdemokratischer Politik dar als vielmehr einen Einbezug der Bevölkerung in die kapitalistischen Mechanismen, der diese Mechanismen im Kern transformierte. Zwar konzentrierten sich beide Autoren hauptsächlich auf Europa, ihre Erkenntnisse gelten aber offensichtlich auch für die Vereinigten Staaten, deren Sozialstaat immer eine unverhohlener kapitalistische Einrichtung war. Vermittelt war der Klassenkompromiss nicht durch die Abschaffung der Finanzökonomie,

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sondern vielmehr durch ihre staatlich sanktionierte Ausweitung. Deren wichtigster Ausdruck war einerseits die Gründung sogenannter staatlich beauftragter Zweckgesellschaften (government-sponsored enterprises, GSE), wodurch die Fähigkeit des Finanzsystems zur flexiblen Vergabe verschiedener Formen des Privat- und Haushaltskredits gestärkt wurde, und andererseits die Einrichtung der Einlagensicherung, die dem Phänomen des Schaltersturms den Boden entzog und auf diese Weise eine Normalisierung der Rolle der Geschäftsbanken im Alltag erlaubte. Im Gefolge des New Deal erfolgte eine zunehmende Sozialisierung der US-amerikanischen Arbeiterschaft in den Kredit- und Schuldenmechanismen. Das fordistische Regime der Vollbeschäftigung mit auskömmlichem Lohn bildete zu keiner Zeit das Fundament eines schuldenfreien Lebens oder einer Abschaffung der Finanzökonomie, wie heute viele glauben, sondern nichts anderes als die Grundlage, auf der die Privathaushalte Verträge über Konsum- und Hypothekenkredite eingingen. Nicht unwesentlich war der New Deal ein großer Schritt in Richtung dessen, was sich im Neoliberalismus letztlich deutlicher abzeichnete als die »Kapitalisierung fast aller Lebensbereiche« (Leyshon/Thrift 2007), als die Bemessung menschlicher Fertigkeiten im Lichte ihrer Fähigkeit, einen Einnahmenfluss zu erzeugen (vgl. Nitzan/Bichler 2009: 158). Freilich war der Kreditzugang bei weitem nicht allgemein gegeben; ausgeschlossen waren hauptsächlich Frauen und ethnische Minderheiten, insbesondere Afroamerikaner. Als diese und andere Gruppen den institutionalisierten Ausschluss infrage stellten, setzte das die Mechanismen der US-Finanzökonomie beträchtlich unter Druck. Die wachsende Kreditnachfrage konnte innerhalb der institutionellen Parameter des New-Deal-Systems nicht bedient werden und war eine Ursache für die Entwicklung dessen, was seit der Finanzkrise von 2007/2008 als ›Schattenbankensystem‹ bekannt ist – dieses besteht aus Finanzinstituten, die nach dem Grundsatz der Fremdkapitalisierung der Banken (banking leverage) arbeiten, selbst wenn die ausgegebenen liquiden Versprechen weder als gesetzliches Zahlungsmittel gelten noch gesichert sind (Gorton 2012; Ricks 2016). Dies setzte den USamerikanischen Staat in ein zunehmend widersprüchliches Verhältnis zum Finanzsystem. Einerseits war die soziale und politische Ordnung

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sehr eng mit der Fähigkeit des Finanzsystems zur erweiterten Kreditvergabe an bestehende und neue Kundenkreise verbunden. Obwohl das Schattenbankensystem die Verbriefungsfazilitäten der staatlich beauftragten Zweckgesellschaften sattsam nutzte, sah sich der USamerikanische Staat faktisch immer gezwungen, dessen beständige Expansion zu unterstützen. Andererseits zogen diese Entwicklungen eine Rückkehr zu den Kreditauf- und -abschwungdynamiken nach sich, wodurch die US-Notenbank in eine schwierige Lage gelangte: Diejenigen Maßnahmen, die die schlimmsten Auswirkungen der Instabilität eindämmen könnten, würden die galoppierende Inflation befeuern, wohingegen Versuche einer Krediteinschränkung rasch zu einer erneuten Ausdehnung der Schattenbankenaktivitäten und zu neuer Instabilität führen würden. Der US-amerikanische Staat versuchte, mit einer Hand eine Dynamik im Griff zu halten, die er mit der anderen Hand gezwungenermaßen weiter befütterte. Seine Maßnahmen waren derart mit der Wirkungsweise des US-amerikanischen Bankensystems verwoben, dass dies als Problem kenntlich wurde; diese Kenntnis aber übersetzte sich nicht automatisch in eine Fähigkeit, an diesem Problem etwas zu ändern. Vor diesem Hintergrund ist die neoliberale Wende zu betrachten.

Finanzökonomische Steuerung und neoliberale Vernunft Die Kritiken am Neoliberalismus kreisen um das Argument, die Entfesselung der Märkte habe nicht eine Welt der Neutralität und Effizienz hervorgebracht, sondern eine dramatische Ausdehnung der Finanzspekulation ohne jedes Verhältnis zu den ökonomischen Basisdaten, was Instabilität und Krisen zur Folge habe. Demnach sei der Neoliberalismus ein Versuch, zum klassischen Freihandelsliberalismus zurückzukehren, der allerdings die Lehren der Zwischenkriegszeit ignoriert, in der sich das Projekt des Laissez-faire-Liberalismus als irrational, unhaltbar und zerstörerisch erwiesen habe. Derart haben sich die Neoliberalismuskritiker allzu oft darauf versteift, die buchstäblichsten und oberflächlichsten Thesen bezüglich der Neutralität und Effizienz zu wi-

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derlegen. Sie verwendeten relativ wenig Zeit auf den Versuch, die Gedankenwelt zu entschlüsseln, die in solchen Vorstellungen zum Ausdruck kommt, und hatten folglich große Schwierigkeiten damit, den Neoliberalismus als das ernst zu nehmen, was Foucault als »Rationalität der Regierungspraxis« (2004b: 29) bezeichnete. Seit einigen Jahren ist ein Aufleben der Debatten um die Natur des Neoliberalismus zu beobachten. Ein wichtiger Faktor dafür war die Übersetzung und Veröffentlichung der späten Vorlesungen Foucaults am Collège de France (insbes. 2004b, aber auch 2004a und 1999), in denen er argumentiert, der Neoliberalismus dürfe nicht als einfaches Comeback des klassischen Liberalismus angesehen werden und die kritische Analyse des Neoliberalismus solle dem orthodoxen Bild des Marktes als Smithscher Transaktionsstruktur nicht allzu viel Gewicht beimessen. Während der klassische Liberalismus lediglich die institutionellen Schranken einzureißen suchte, die der natürlichen Entfaltung einer utilitaristischen Logik des Marktaustausches im Wege standen, vertrete der Neoliberalismus eine spekulative Ausrichtung auf die Zukunft als Strukturprinzip. Von einer ›Naturalisierung‹ des Marktes weit entfernt, ist er sich völlig bewusst, dass man die Institutionen der kapitalistischen Ordnung aktiv konstruieren muss (Dardot/Laval 2014). Intuitiv erfasst er die Spekulation als produktiven, ordnenden Impuls und integriert die Einbindung der Ungewissheit in die Logik der Steuerung und Regulierung (logic of governance). Während der klassische Liberalismus hauptsächlich daran interessiert war, die Ungewissheit der Zukunft einzupreisen, wertet der Neoliberalismus die Grenzbereiche der Berechenbarkeit, das Unberechenbare und das Unvorhersehbare auf (Cooper 2011). Das bedeutet, dass die neoliberale Vernunft sich durch eine Auseinandersetzung mit der Zeitlichkeit auszeichnet, die im klassischen Wirtschaftsliberalismus und in der neoklassischen Ökonomik immer abwesend oder abgeschafft war. Sie stellt sich Geld nicht als einfache, abschließende Lösung für das Tauschproblem vor, sondern sieht in der Finanzökonomie eine Möglichkeit, eine unbekannte Zukunft zu entwerfen und aufzubauen. Ihr Interesse gilt mehr der Finanzialisierung als der Kommodifizierung (Cooper 2008: 10), die Investitionsversprechen und -aussichten ziehen

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sie stärker in den Bann als der unmittelbare Konsumnutzen, enger verbunden ist sie der schöpferischen Rolle der Spekulation als dem Stillstand eines allgemeinen Gleichgewichts (vgl. Vogl 2 2010: 82). Damit soll keineswegs in Abrede gestellt sein, dass orthodoxe Bilder vom Markt als harmloser Vermittler und vom Geld als neutrales Transaktionsinstrument für den Neoliberalismus zentral gewesen sind. Vielmehr meine ich, dass er ein reflexiveres Verhältnis zu diesen Bildern hat als seine engagierten Kritiker für gewöhnlich wahrhaben wollen. Die neoliberale Vernunft beschränkt sich nicht auf eine wörtliche Auslegung einer neoklassischen Formalisierung der orthodoxen ökonomischen Gedankenwelt – das heißt, sie ist eher dem Geist als dem Buchstaben dieser Vorstellung verbunden. Der entscheidende Unterschied lässt sich bei Hayek herausarbeiten, dessen Schriften Foucault als wichtigen Schlüssel zur Natur des Neoliberalismus betrachtete, auch wenn er Hayeks Blickpunkt nicht im Einzelnen erfasst hat (Gane 2014). Während die neoklassische Theorie die permanente Funktion der Spekulation für die Wirtschaft ausblendet, wird diese bei Hayek thematisiert: Einen erkenntnistheoretischen Positivismus ablehnend, beharrt er darauf, dass jedes Hoffen auf vollständiges und sicheres Wissen illusorisch, dass ein Ordnen mittels zentralisierten Wissens prinzipiell unmöglich sei, und dass Ungewissheit und Nicht-Wissen konstitutive und unabänderliche Aspekte des Problems des ökonomischen Werts und der ökonomischen Koordination darstellten. Diese Einsichten bewegten ihn aber nicht dazu, vom orthodoxen Postulat der Marktneutralität Abstand zu nehmen. Bei Hayek dient das Bild der Neutralität letztlich als regulatorischer Horizont, der immer zurückweiche und beständig ein intensiveres Einlassen auf die Ungewissheiten und Zwänge der Wirtschaft erfordere. Die Risikorationalität des Neoliberalismus ist – mit den Worten Critchleys (2008) – »unendlich fordernd«. Der Neutralitätsgedanke mag auf den ersten Blick nicht als besonders vielversprechender Kandidat für das organisierende Element einer Gedanken- und Vorstellungswelt erscheinen – allzu farblos wäre er, um den Geist anzuregen oder unsere Fantasie zu entflammen, zumindest im Vergleich mit unumwunden politischen Erzählungen oder religiösen Bildern. Entscheidend ist hier allerdings, die affektive und ethi-

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sche Kraft, die diese spezifisch moderne Vorstellung aufruft, ebenso zu würdigen wie die Energie, mit der sie Struktureffekte auf unser psychisches System entfaltet. Die Annahme, die moderne ökonomische Vorstellungswelt hänge am Neutralitätsgedanken, unterschätzt noch, dass das Subjekt – auch wenn es die Unvermeidlichkeit des Risikos intuitiv ohne Weiteres akzeptiert – eng mit der Fantasie verbunden bleibt, es könne eines Tages in der Lage sein, diese Logik aus einer Außenperspektive zu beobachten, dadurch saubere Präzisionseingriffe vorzunehmen und also seinem Leben eine unstrittige, unangefochtene Sicherheit zu verleihen. In dieser Fantasie geht es um Immunität – darum, dass wir eines Tages in der Lage sein könnten, die Vorteile und Freiheiten der Kontingenz zu genießen, ohne ihrer Kehrseite ausgesetzt zu sein. Das Bild der Neutralität setzt also auf das spezifisch säkulare Versprechen, dass wir das Risiko mit Hilfe des Risikos hinter uns lassen könnten, dass wir – wenn wir geschickt vorgehen und die richtigen Investitionen tätigen – unser Leben mit nicht-spekulativen Grundlagen versehen könnten. Die Moderne zerstört eine bestimmte (›transzendente‹) Art des Idealismus, aber stärkt eine andere (›metaphysische‹) Variante desselben. Zwar sind viele unserer Handlungen eben durch das Bewusstsein motiviert, dass wir auf äußere Kräfte oder Garantien nicht zählen können, allerdings knüpft der Neutralitätsgedanke an die Fantasie an, dass wir uns diese Garantien selbst geben können – dass wir unsere blinden Flecken erkennen und entfernen könnten, und dass die Spekularitätslogik den Zwang, sich in Echtzeit auszuspielen, überwinden und zur Selbstdurchsichtigkeit des Hier und Jetzt führen werde. Dieser Gedanke beeinflusst das, was wir uns als Kantischen Sprung vom Kontingenzbewusstsein zu einer regulativen Fantasie vorstellen können, in der wir letzten Endes einen neutralen Standpunkt aus dem Nichts einnähmen. Im orthodoxen Konzept des Geldes zeigt sich diese Fantasie als formale Aussage über die Natur des Geldes; es reduziert das Problem der Zeit und Ungewissheit auf ein technisches Koordinierungsproblem und betrachtet Geld als eine einfache, transparente Lösung für Letzteres, als bloßen »Transaktionsdisponenten« (Minsky 1982a: 61). Der Geldstandard ist demnach völlig willkürlich, Erzeugnis eines spekulativen Aktes, der einen linearen, objektiven Maßstab

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etabliert und uns damit über die Spekulation hinausführt. Man stellt sich das Geld wie eine ideale Sprache vor: ein perfektes Hilfsmittel zur Selbstdarstellung, das niemals den beabsichtigten Sinn verzerrt oder verändert und zwischen Wesen und Erscheinung, Substanz und Form, Wert und Preis eine vollkommene Entsprechung herstellt. Dies einfach als irrationalen Gedanken abzutun, wäre eine ziemlich moralisierende Reaktion, die die konstitutiven Auswirkungen dieser Fantasie ebenso verkennt wie ihre Fähigkeit, eine affektive Aufladung zu erzeugen und als Bindungskraft zu fungieren – als nicht-imaginierte Version der imaginierten funktionalen Kohäsion. Indem er die Aussicht auf ein sicheres Leben aufruft, um das verstärkte Eingehen von Risiken zu motivieren, erkennt und instrumentalisiert der Neoliberalismus diese Affektlogik. Entsprechend beschränkt sich das Konzept vom Geld als neutraler Technologie mitnichten auf Berufsökonomen und Zentralbanker, sondern genießt eine beachtlich breite Zustimmung und hat eine starke grundvernünftige Ausstrahlung. Insbesondere im US-amerikanischen Kontext wird das durch eine lange Geschichte populärer republikanischer Ansichten und Bewegungen bestätigt, zu deren zentralen Zielen die Verwirklichung der Marktneutralität zählte (Goebel 1997; Ritter 1999; Postel 2009). Der Republikanismus imaginiert eine Wirtschaftsordnung auf Basis dezentraler Märkte, die ein Bollwerk gegen Machtkonzentrationen und Willkürherrschaft bilden sollen. Großbanken und Konzerne passen nicht in dieses Bild vom Markt und werden stets als äußere Quellen von Korruption angesehen. Das Ziel besteht also darin, den Markt zu reinigen und seine Neutralität wiederherzustellen. Dies verleiht dem populistischen Republikanismus oftmals einen ganz utopischen beziehungsweise kontrafaktischen Beigeschmack; und just die Tatsache, dass die kapitalistische Realität dem republikanischen Bild des Marktes so offenkundig widerspricht, ist der Grund für eine noch stärkere Bindung an diese Fantasie. Die Fähigkeit des Neoliberalismus, sich solchen Diskursen anpassen zu können, war eine wesentliche Voraussetzung für seinen Erfolg (Kazin 1998). Der Grund, warum ein Großteil der kritischen Wirtschaftsanalysen nicht in der Lage war, diese Vorstellungswelt zu erkennen und kritisch zu durchdringen, liegt darin, dass dieser oftmals selbst in der

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begrifflichen Logik des Kantischen Sprungs gefangen blieb, allzeit bereit, die Beobachtung der Kontingenz aufzugreifen und einen rationalistischen Konstruktivismus zu vertreten. Der Kantsche Idealismus ist gewissermaßen das Gespenst, das die modernen Wirtschaftsanalysen heimsucht: weitgehend desavouiert, erhebt es sein Haupt doch an den überraschendsten Stellen. Unermüdlich entdeckt es die Kontingenz und die Komplexität und nimmt diese Entdeckungen zum Anlass für eine Rückkehr zu einem idealistischen Essenzialismus und zur Neubewertung einer Politik des diskursiven Konsens und der gemeinschaftlichen Werte. Offenkundig ist das in kritischen Arbeiten zur Politischen Ökonomie und Wirtschaftssoziologie beinahe überall der Fall, und zwar in Gestalt einer überaus geläufigen Argumentationsweise, die die Betonung der Kontingenz zum Anlass nimmt, einen intentionalistischen Konstruktivismus glaubhaft machen zu wollen. Das Modell einer zyklischen kapitalistischen Geschichte kann schwerlich anerkennen, dass der Neoliberalismus eine reflexive Antwort auf die genetischen Veränderungen ist, die der Kapitalismus im 20. Jahrhundert durchlief, als große Bevölkerungsteile in seine finanzökonomische Logik einbezogen und der Staat vollends zum Teil dieser Dynamik wurde. Obwohl der Neoliberalismus durchaus eine Reaktion auf die vermeintlich sozialtechnischen (social engineering) und fürsorglichen Ambitionen des Staates gewesen ist, waren seine praktischen Überlegungen immer von der Auffassung geleitet, dass der Staat nicht einfach verkleinert oder zurückgedrängt werden könne; zudem fußten die praktischen Einlassungen neoliberaler Politik keineswegs auf der Möglichkeit eines sauberen Bruchs mit der Vergangenheit. Freilich ist die Vorstellung, dem Neoliberalismus gehe es einfach nur um die Ausweitung des Marktes zulasten des Staates, inzwischen vielfach kritisiert worden. Solche Kritik weist aber oftmals in eine von zwei gleichermaßen problematischen Richtungen: eine geht davon aus, dass der Einfluss des Neoliberalismus auf die Funktionsweise des Staates äußerst begrenzt gewesen ist, die andere betont die autoritäre Rolle des Staates bei der Durchsetzung des Neoliberalismus im Stile des Schmittschen Ausnahmezustands. Beide übersehen das reflexive Element im Neoliberalismus: dessen Fähigkeit, sich als eine Philo-

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sophie der Steuerung und Regulierung zu positionieren, die gerade die Unfähigkeit des Staates anerkennt, sich von den ökonomischen und sozialen Prozessen zu lösen, die er zu regulieren hat. In diesem Sinne ist der Neoliberalismus eine Denkweise, die zumindest über eine intuitive Kenntnis (und oftmals ein ausdrückliches Bewusstsein) der Grenzen des rationalen Konstruktivismus verfügt. In Hayeks Schriften bilden sie das Leitmotiv. Das Problem, mit dem der US-amerikanische Staat Ende der 1970er-Jahre konfrontiert war, bestand darin, dass er Reformen in der Dynamik eines Bankensystems vorzunehmen hatte, in dessen Funktionsweise er selbst verwickelt war, und dass ihm die Instrumente fehlten, sich selbst aus diesem Schlamassel herauszuziehen. So gesehen ist der Neoliberalismus ein Eingriff in die Logik der Kontingenz und Spekulation, der sich eben nicht als außerhalb dieser Logik stehend begreift. Ewald hat diese Foucaultsche Einsicht aufgegriffen und ausgeführt, dass die Entwicklung des Risikomanagements als Übergang von einer defensiven Ausrichtung – die hauptsächlich damit befasst ist, ein Versicherungsnetz gegen die Auswirkungen künftiger Ereignisse zu knüpfen – zu einer stärker zielgerichteten und proaktiven Ausrichtung verstanden werden könne, die auf Basis einer »Ethik der notwendigen Entscheidung in einem Kontext der Ungewissheit« (Ewald 2002: 294; vgl. Ewald 1998: 20f.) arbeitet. Während erstere in der Logik der Normalverteilung verbleibt, drängt letztere in Risikobereiche, die eine sinnvolle Versicherungskalkulation konterkarieren. Mit Blick auf die moderne Finanzmarktsteuerung können wir festhalten, dass sie das Regierungshandeln zwar stets mit der Risikologik in Einklang brachte, jedoch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine eher passive und reaktive Ausrichtung hatte und der Spekulationsdynamik eher nachgegeben hat als sie zu nutzen. An diesem Punkt setzt der Neoliberalismus mit der Forderung an, die Regierung solle sich proaktiv auf die spekulative Dimension der Finanzökonomie einlassen.6 Wie Ewald (2002: 285; vgl. 1998: 14) betont, ist diese Verschiebung nicht als saubere Ablösung eines Regierungsgrundsatzes durch einen anderen zu verstehen, sondern vielmehr als Repositionierung in einer historisch gewachsenen Logik finanzökonomischen Risikos. Der Neo-

Einleitung: Über die Spekulationskritik hinaus

liberalismus sieht sich nicht in der Lage, aus bloßen Fiktionen eine Zukunft zu zaubern, aber er zeigt einen Umgang mit historisch gewachsenen Verpflichtungen und Erwartungen. Die spekulative Ausrichtung der neoliberalen Steuerung und Governance geht stets einher mit der fortwährenden Operation der Versicherungsgrundsätze und normalisierenden Kräfte. Anders gesagt, der Neoliberalismus erspürt die potenziellen Ordnungseffekte einer Einbindung der Grenzbereiche des Risikos und der Selbstorganisationsmechanismen, die durch den aktiven Einsatz der Ungewissheit in Bewegung gesetzt werden können. In den 1960er- und 1970er-Jahren waren neoliberale Diskurse von der Auffassung geprägt, dass der profane Niedergang der kapitalistischen Ordnung in vielerlei Hinsicht eine sehr viel ernstere Gefahr darstelle als ihr katastrophaler Zusammenbruch. Zentraler Aspekt neoliberaler Strategie ist es dementsprechend, potenzielle Gefährdungen vorbeugend anzugehen, bevor sie das System ernsthaft untergraben können (Massumi 2014). Mit einem ausgeprägten Bewusstsein für die Rolle des Scheiterns und Misserfolges in der Herstellung operativer Normen ist diese Strategie bemüht, Veränderungen proaktiv durchzusetzen und die produktive Rolle von Krisen und Instabilität zuzulassen. Neoliberale Maßnahmen zielen nicht auf die Verhinderung von Verwerfungen, sondern auf Vorbeugung – im doppelten Sinne des Wortes, als Auslösung der Gefahren und Vorkehrung gegen ihre gravierendsten Folgen. Dem berühmt-berüchtigten Volcker-Schock von 1979 – ein entscheidender Moment für die Entwicklung des neoliberalen Kapitalismus, als Paul Volcker als neuer Präsident der Federal Reserve ein neues Programm geldpolitischer Zielmarken und operativer Maßnahmen auflegte – ging keine Berechnung seiner Konsequenzen voran; die strategische Wende war rein spekulativ und provozierte Verwerfungen in der Erwartung, dadurch einige Ordnungs- und Selbstorganisationsmechanismen des Systems zu aktivieren. Die Wende zum Neoliberalismus veränderte das Verhältnis des USamerikanischen Staates zur und dessen Rolle in der Funktionsweise des Bankensystems in einer Weise, die einige größere Regulierungsprobleme handhabbarer machte. Wenn sie auch ihren deutlichsten Ausdruck in der Überwindung der Inflation gefunden hat, so bedeutete das kei-

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nesfalls eine Minderung der finanzökonomischen Dynamik – vielmehr zeichnete sich das neoliberale System nach dem Volcker-Schock durch einen weitaus höheren Grad an finanzökonomischer Instabilität aus als zuvor. Indem der Kreditausweitung plötzlich nicht länger nachgegeben wurde, führte der Volcker-Schock im Wesentlichen eine dramatische Ausdehnung des Schattenbankensystems herbei; das bedeutete eine Rückkehr zur Dynamik von Kreditauf- und -abschwung. Zwar bestand kein Zweifel daran, dass der US-amerikanische Staat bei der Eindämmung der Konsequenzen dieser Dynamik eine Rolle zu spielen hätte; doch die informelle Institutionalisierung des Prinzips von ›Too Big to Fail‹ ersetzte im Wesentlichen die inflationäre Form pauschaler Unterstützung durch einen sehr viel selektiveren Einsatz von Regierungsbürgschaften und Sicherungsfazilitäten. Befeuert wurde das Wachstum des neoliberalen Schattenbankensystems durch ein rapides Wachstum der Haushalts- und Privatverschuldung bei stagnierenden Lohnzuwächsen, durch die Unterhöhlung der Arbeitsplatzsicherheit und die wiederholten Einschnitte bei der öffentlichen Einkommenssicherung. Nicht mit einem naiven Glauben an die Effizienz des Marktes, sondern mit einer Logik der Spekulation, Refinanzierung (Bail-out) und Austerität waren die neoliberalen Praktiken der finanzökonomischen Steuerung unmittelbar verbunden. Die kritische Forschung hatte beachtliche Schwierigkeiten, diese Rationalität finanzökonomischer Steuerung zu erkennen. Weil sie den Neoliberalismus als naiven Glauben an die selbstregulierenden Eigenschaften des Marktes betrachtete, konnte sie sich nicht mit der Art und Weise auseinandersetzen, in der neoliberale Maßnahmen tatsächlich in der Lage waren, ihre eigenen, spezifischen Quellen von Kohäsion und Resilienz zu mobilisieren. So war sie verleitet, voreilig den Niedergang des Neoliberalismus zu verkünden, und betrachtete den Fortbestand des Neoliberalismus als außerordentliches Phänomen und Abweichung von einem normativen Modell gemischter Steuerung (mixed governance). Zwar hat das faktische Ausbleiben einer sozialliberalen Wiedereinbettungsbewegung im Nachgang der Finanzkrise viele Wissenschaftler dazu gebracht, sich verstärkt der Frage des Neoliberalismus zuzuwenden, allerdings stützte sich diese Forschungswelle bis-

Einleitung: Über die Spekulationskritik hinaus

her sehr stark auf instrumentalistische Erklärungsmodelle zum Einfluss von Ideen und Eliteninteressen in der Politik (Crouch 2011; Streeck 2013; Mirowski 2015). Das Verfallsdatum des Neoliberalismus ist demnach längst überschritten und wird nur noch durch politische Tricks und Machenschaften aufrechterhalten. Daher sollten wir versuchen, ein Verständnis des Neoliberalismus zu entwickeln, das über die Annahme der Vereinnahmung von staatlichen Institutionen beziehungsweise der Köpfe von politischen Entscheidungsträgern durch kapitalistische Eliten hinausgeht – also zunächst davon ausgehen, dass Staatsbedienstete nicht notwendigerweise von privaten Interessen korrumpiert, sondern in erster Linie an der Stabilisierung des Wirtschaftssystems interessiert sind und sich dabei auf eine Gedankenwelt stützen, die nicht einfach auf ein bestimmtes Interessen- oder Ideenkonglomerat reduziert werden kann. Anders gesagt, wir müssen die spezifisch neoliberale politische Rationalität begrifflich derart fassen, dass man sie zurecht als »neoliberale Vernunft« (Peck 2010) bezeichnen kann – nicht aufgrund ihrer ideologischen Konsistenz, sondern aufgrund der relativ kohärenten Verknüpfung von Praxis und Vorstellungen, die sie leiten (Brown 2015).7 Das vorliegende Buch entwickelt ein Verständnis der Rationalität des Neoliberalismus hinsichtlich der paradoxen Zeitlichkeit, die durch das affektiv aufgeladene Spannungsfeld zwischen Spekulationsnotwendigkeit und Gewissheitserwartung erzeugt wird. Das Ziel einer Sicherung der Zukunft motiviert die vorbeugende, proaktive Ausrichtung der neoliberalen Subjektivität und Governance, wobei das wiederholte Scheitern auf dem Weg zu dieser nichtspekulativen Sicherheit nur dazu dient, die Risikobereitschaft zu vertiefen – daraus ergibt sich ein Hayeksches Gebot unablässiger Spekulation im Namen ökonomischer Neutralität. Das vorliegende Buch schließt zwar an Arbeiten sowohl der Gesellschaftstheorie als auch der Politischen Ökonomie an, die Fragen der Zukünftigkeit (futurity) in den Vordergrund stellen; es weist aber entschieden darauf hin, dass diese Logik im Kern auch ein reaktionäres Moment enthält – das sich bei Hayek findet –, indem das moderne Subjekt immer wieder auf die Bedeutung von Traditionen und Bräuchen für die Orientierung in einer ungewissen

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Zukunft hingewiesen wird. In Krisenzeiten wird dieses reaktionäre Element sichtbar. Dann hat die Gesellschaft keine andere Wahl, als die Knotenpunkte des finanzökonomischen Verbindungsnetzes, die geschichtlich erzeugten Hebel- und Machtstrukturen zu verstärken. Der Punkt einer Refinanzierung durch Bailout zeichnet sich durch die Abwesenheit von sinnvollen Alternativen aus: Die erhöhte Ungewissheit darüber, was die Zukunft bereithält, deckt sich dann mit der zwingenden Gewissheit dessen, was zu tun ist. Die Zukunft zwingt sich einfach auf, wenn auch in der Gestalt der Vergangenheit. Die Vorbeugungslogik zeigt sich nun in einem weiteren, dritten Sinne als Hypothek auf die Zukunft. Allerdings stabilisieren Bail-out-Rettungen das System nicht einfach unmittelbar und sie bewirken auch keine Rückkehr zu den ökonomischen Grundlagen. Der Staat kann den Banken nur Zeit geben, keine felsenfesten Wertgarantien; Rettungsaktionen selbst sind höchst spekulative Eingriffe, die mit großen Verwerfungen einhergehen und eine Reaktion heraufbeschwören, die proaktive Rationalität wieder aufleben lassen, auch wenn sie deren Widersprüche sichtbar machen.

Kapitel 1:  Fundamentismus und Selbstbezüglichkeit

Geld ist nichts Anderes als ein Symbol, ein fiktiver Platzhalter für etwas Anderes, Künftiges. Für sich genommen ist Geld nutzlos; wohl kaum würden Menschen Papierscheine oder gar rein nominelle elektronische Buchungsbeträge besitzen wollen, wenn sie nicht der Ansicht wären, diese Zeichen würden über sich hinausweisen und für etwas Anderes stehen. Die objektive Basis des Geldes zu bestimmen, erweist sich aber als äußerst schwierig: Jeder Anlauf, den grundlegenden Wert anzugeben, für dessen symbolischen Ausdruck das Geld gehalten wird, endet im Verweis auf andere symbolische Operationen. Wir sind also nicht in der Lage, eine dem Geldwert zugrundeliegende Substanz zu erschließen; das allerdings erschüttert keineswegs unsere Ansicht, Geld sei vollkommen real. Auch wenn sich unser Begriff von Geld auf dessen Charakter als fiktives Versprechen beschränken muss, sind wir immer noch der Ansicht, dass Geld für echten Realwert steht, ja: dass Geld Wert ist. Sicherlich kann Geld über sein aktuelles Selbst hinausverweisen und tut dies auch, das Verhältnis zu seiner Umwelt bestimmt sich aber immer mit Blick auf das Monetisierungspotenzial dieser Umwelt. Monetäre Zeichen sind also selbstbezüglich, selbstreferenziell und können zu jener Tatsache werden, die sie symbolisieren (Deutschmann 2015: 382; 2020: 67). Wir können und müssen diesen Prozess verstehen; doch jedes Bestreben, Wert außerhalb dieses paradoxen selbstreferenziellen Kreislaufs zu definieren, birgt unweigerlich ein Moment der Willkür, eine Entscheidung, die in erster Linie von unserer Abneigung zeugt,

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die selbstreferenzielle Bewegung des finanzökonomischen Werts nachzuvollziehen. Während die orthodoxe Wirtschaftstheorie die paradoxe Selbstbezüglichkeit des Geldwertes einfach affirmiert, fordern heterodoxe und kritische Theorien eine klare Unterscheidung zwischen realem und fiktivem Geld; sie ignorieren damit unsere intuitive Gewissheit, dass Geld als selbstreferenzieller Wert funktioniert. Wer die Selbstbezüglichkeit des Geldwertes betont, so die heterodoxe Perspektive, begehe einen ökonomistischen Denkfehler in der Annahme, die Ökonomie sei eine autarke Einheit, ein autonomes, selbstexpansives System, das keinerlei äußeren Rahmen oder Input benötige. Ökonomistisch sei eine Analyse demnach dann, wenn sie verkennt, dass sich finanzökonomische Strukturen nicht selbst begründen beziehungsweise selbstregulieren, sondern auf äußere Grundlagen angewiesen sind. Zwar sind die interdisziplinären sozialwissenschaftlichen Ansätze zur Erforschung der Wirtschaft durchaus sehr unterschiedlich, für ihr Selbstverständnis ist die Kritik am ökonomischen Determinismus allerdings zentral. Die Ökonomismuskritik war immer eng verbunden mit der Kritik der Spekulation, welche getrieben sei von einem irrationalen Glauben an die Selbstbezüglichkeit des Geldes. Problematisch seien spekulative Praktiken, heißt es, weil sie die Bedeutung grundlegender Werte außer Acht lassen und nur unzureichend unterscheiden würden zwischen irrationalen und soliden Wertformen, zwischen Fiktion und Faktum. Es gilt, einen unverstellten Blick auf diese Argumentation zu gewinnen: Die Kritik an der Selbstbezüglichkeit fußt auf einem ontologischen Fundamentismus. Freilich wird weithin und selbstverständlich angenommen, sie gehe stattdessen mit einer Ablehnung des Fundamentismus einher – das eine impliziere das andere, so meint man und verarbeitet dann beides zu einer Kritik am Ökonomismus. Allerdings greift hier eine beachtliche begriffliche Nachlässigkeit und verschleiert letztlich den Fakt, dass die Spekulationskritik eigentlich auf einer Realwertvorstellung fußt. Wirklich erstaunlich am aktuellen Stand der heterodoxen Wirtschaftstheorie ist, dass die Kritik an der Spekulation im Sinne der Loslösung von den ökonomischen Grundlagen inzwischen eng verbunden ist mit der Kritik am ökonomischen Essenzialismus –

Kapitel 1: Fundamentismus und Selbstbezüglichkeit

von der starken Spannung zwischen beiden nimmt man dabei kaum Notiz. Meine These lautet, die heterodoxe Kritik ist eben dadurch an den Fundamentismus gebunden, weil sie die Selbstbezüglichkeit theoretisch nicht zu fassen vermag; ein von essenzialistischen Hintergedanken freies Verständnis der Selbstbezüglichkeit enthebt uns der Notwendigkeit, Phänomene in äußeren Ursachen oder Substanzen zu verorten. Daher stützt sich das vorliegende Buch auf Luhmanns Konzept der Selbstreferenz. Es erscheint Luhmann kaum sinnvoll, die Existenz selbstreferentieller, selbstregulierender Systeme in Zweifel zu ziehen, die als Einheiten auf die Reproduktion ihrer selbst in der Zukunft ausgerichtet sind. Wer sinnvoll über biologisches, menschliches oder gesellschaftliches Leben reden will, muss von der Existenz solcher Systeme ausgehen. Luhmann begreift Selbstreferenzialität weder als positive Eigenschaft von Systemen noch als innere Kraft (derartige essenzialistische Vorstellungen nimmt die Ökonomismuskritik ins Visier); Selbstreferenz führt nicht zur buchstäblichen Geschlossenheit eines Systems (zur absoluten kognitiven Konditionierung oder zur faktischen Verzichtbarkeit der Umwelt), sondern immer nur zu einer operationalen Geschlossenheit (Borch 2011: 23f.), die entsteht, wenn sich ein Gefüge organisch auf die eigene Reproduktion ausrichtet (oder mit Foucault [2004a] gesprochen, wenn es durch ein ›Sicherheitsdispositiv‹ geprägt wird [vgl. Luhmann 5 1994 {1984}: 425]). Die Akzentuierung der Selbstreferenz ist für Luhmann die einzige Möglichkeit, mit dem Konzept des Postfundamentismus etwas Nützliches anzufangen, der als Theorie einer Gesellschaft angemessen ist, die sich als Risikogesellschaft und ihre Institutionen als kontingente Konstrukte zu begreifen in der Lage ist. Während eine kantische Fragestellung immer um die äußeren Bedingungen kreist, die bestimmte Phänomene und unsere Erkenntnis derselben ermöglichen, sucht Luhmann ebendiese modernisierte Metaphysik zu umgehen und stattdessen zu verstehen, wie Systeme ihre Möglichkeitsbedingungen endogen, aus sich selbst heraus erzeugen. Das Leben im Lichte der Selbstreferenzialität zu betrachten, heißt also das paradoxe Phänomen zu fassen, dass bestimmte Dinge in einer Welt entstehen, die von keinem äußeren Subjekt bewegt wird.

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Mit Rückgriff auf Luhmann eine kritische Perspektive zu formulieren, mag Einige vielleicht überraschen. An den Universitäten der anglophonen Welt war Luhmann lange Zeit vor allem aufgrund seiner Auseinandersetzung mit Habermas ein Begriff (Habermas/Luhmann 1971), wobei er den Eindruck hinterlassen hatte, er habe als konservativer Advokat der Systemintegration kaum Interesse am Ziel der Frankfurter Schule, Ansatzpunkte für politische Reformen und Veränderungen auszumachen. Die vorliegenden Überlegungen sind im Anschluss an Moeller (2012) zu verstehen, wonach es sich lohne, einen »radikalen Luhmann« zu entdecken, der Kritik weniger scheue als uns vielmehr neue Mittel der Kritik an die Hand gebe. In der Kritischen Theorie Frankfurter Schule war, nach ihrer Erneuerung durch Habermas (1981), die Kritik stets stark nach außen orientiert: Normative Wertungen und moralische Pflichten wurzeln demnach in diskursiven Praktiken, die eine gewisse Unabhängigkeit von dem materiellen Druck der ökonomischen Sphäre und der ökonomisch beförderten instrumentellen Vernunft genießen. In Luhmanns Augen ist Normativität niemals derart autonom: Sinnvoll theoretisieren lasse sie sich nur mit Bezug auf die funktionalen Erfordernisse der Systemreproduktion. Aus einer Luhmann’schen Perspektive leistet die Habermas’sche Diskursethik kaum mehr, denn moralistischen Idealismus als kritische Erkenntnis auszugeben (Rasch 2002: 10). Insbesondere in Bezug auf das Thema des vorliegenden Buches ist dies durchaus keine ungerechte Beurteilung. In den Arbeiten der heutigen Vertreter der Frankfurter Schule geht eine zunehmende Konzentration auf kommunitaristische beziehungsweise bürgerlich-liberale Interaktionsprinzipien einher mit einer ständig abnehmenden Fähigkeit zur durchdringenden Interpretation der kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen, deren diskriminierende Wirkweise und raumgreifende Dynamik überhaupt erst die Notwendigkeit kritischer Interventionen begründen sollen. Dass sich manche Schlüsselfigur der jüngsten Kritischen Theorie an Polanyi ausrichtet und das Konzept der Doppelbewegung (mitunter auch abgewandelt) übernimmt, ist daher wohl kein Zufall, sondern bildet den logischen Schlusspunkt einer bestimmten Denkweise (bspw. Honneth 2013, Fraser 2015).1

Kapitel 1: Fundamentismus und Selbstbezüglichkeit

Bevor Luhmanns Beitrag im Einzelnen darzulegen ist, haben wir den theoretischen Kontext umreißen, in den er einzugreifen trachtete. Parsons’ (1951) Strukturfunktionalismus war natürlich die deutlich bekanntere Form sozialwissenschaftlicher Systemtheorie: Er bot den Gesellschaftswissenschaften der Nachkriegszeit einen methodischen Rahmen und rationalisierte ihre spezifische Arbeitsteilung. Demnach setzte sich die Gesellschaft aus einer Reihe von (Teil-)Systemen zusammen, die sich durch eine je eigene Handlungsorientierung auszeichneten, welche mittels spezifischen Fachwissens untersucht werden könnten – so lautete der ›Parsons-Pakt‹. Ein Angelpunkt dieses Konzepts war die zunehmende Bedeutung der Ökonomie in der modernen Gesellschaft, die ihrerseits zu einem besonderen Ordnungsproblem geführt hatte. Der zweckrationale, individualisierte Akteur habe, so hieß es, keine natürliche Veranlagung zur Herstellung sozialer und politischer Ordnung und erfordere daher die Einbettung in einen kulturell-politischen Rahmen gemeinsamer Werte und Normen. Das Thema der sozialen Integration war nach dem Zweiten Weltkrieg eng verbunden mit der Vorstellung, jegliche Abweichung von den liberaldemokratischen Werten wäre als ›soziales Problem‹ zu behandeln, das nicht etwa Ausdruck tiefsitzender gesellschaftlicher Spannungen sei, sondern eine zufällig misslungene Integrationsleistung. Die sozialwissenschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte ist natürlich viel komplexer als sie sich hier nachzeichnen lässt. Für den besonderen Schwerpunkt dieses Buches können wir ihren Kurswechsel allerdings ziemlich genau umreißen als die Ablehnung totalisierender Erklärungen (und insbesondere jedweder Form des ökonomischen Determinismus) und die Festlegung auf eine eher pluralistische Perspektive, die sich den komplexen und kontingenten Effekten bestimmter institutioneller, politischer und kultureller Faktoren zuwendet.2 Dieser ›Neue Pluralismus‹, wie wir ihn zur Unterscheidung von älteren Formen des Pluralismus nennen wollen, legt großen Wert auf den provisorischen und nicht-notwendigen Charakter jeder übergreifenden Ordnung. Zwar hatte sich das Parsons’sche Paradigma immer intensiv mit dem Gedanken befasst, dass wirtschaftliches Handeln an und für sich nicht als Grundlage einer

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kohärenten politischen Ordnung dienen könne, gleichwohl hegte es ein sehr herziges Modernisierungsbild, in dem die Produktivkräfte mit ihrer funktionalen Spezialisierung lediglich einer Stabilisierung bedürften. Während Weber in der Parsons’schen Modernisierungstheorie eine optimistische Wendung erfahren hatte, kehrte der Neue Pluralismus zu dem tragischen Weber zurück, den vor allem die Irrationalität ökonomischer Vernunft beschäftigte und dem zufolge säkularer Fortschritt mit Sittenverfall einhergehe. Für den Neuen Pluralismus besteht das Problem nicht bloß darin, dass Inputs von außen zur Stabilisierung ökonomischer Rationalität vonnöten sind, vielmehr seien die irrationalen und expansiven Züge des Marktes (und insbesondere der Finanzmärkte) auch eine ständige Bedrohung für die Möglichkeit von Ordnung. Der Neue Pluralismus stellt also die Logik des Sozialen deutlicher in Gegensatz zur Logik des Ökonomischen – und bleibt eben dadurch begrifflich im Parsons-Pakt gefangen. Daher hatte er immer, ganz entgegen der erklärten Absichten, einen recht essenzialistischen konzeptionellen Einschlag: Geld und Finanzökonomie erscheinen hier einerseits als äußere Faktoren, deren Antrieb nicht materielle Ziele und Werte seien, sondern eine systemische, selbstexpansive Logik, welche selbst nur negativ gefasst wird (nämlich als die Irrationalität der spekulativen Impulse des Finanzkapitals). Andererseits kreist das Ordnungsproblem um die Möglichkeit der Abwehr solch äußerer Fragmentierungsfaktoren und es ist eine sehr viel stärkere Akzentuierung institutioneller Autonomie zu beobachten (der Vorstellung also, Ordnung werde als intentionales Konstrukt von spezifischen Akteuren, Vorstellungen und Strategien hergestellt). Besonders deutlich zeigen sich diese Entwicklungen in der zunehmenden Bedeutung von Polanyis Theorie. In deren Zentrum steht die Kritik der Vorstellung, Märkte könnten sich selbst regulieren; wesentlicher Gegenstand sind hier die Tendenz der Märkte zur ›Entbettung‹ aus ihrer Umwelt, der unhaltbare Charakter solcher Entwicklungen und die notwendige Wiedereinbettung der Märkte durch eine Wiederherstellung von Grenzen und Grundlagen. Die Argumentationskette ist Ausdruck eines elastischen Wertmodells, das zwischen realen und fiktiven

Kapitel 1: Fundamentismus und Selbstbezüglichkeit

Wertformen unterscheidet und die Tendenz der Finanzökonomie zur Überschreitung ihrer natürlichen Grenzen als Ursache eines quantitativen Ungleichgewichts ansieht, das früher oder später zum Finanzcrash führen müsse. Die These, dass Polanyi auf einem fundamentistischen Wertverständnis fußt, würde von seinen Nachfolgern natürlich sofort zurückgewiesen. Dabei muss man sich den regelmäßigen Angelpunkt dieser Verteidigung bewusst machen, dass sich nämlich das Fundamentismusproblem auf Fragen des marxistischen Materialismus (und insbesondere der Arbeitswerttheorie) reduzieren lasse – bezeichnenderweise umreißen viele an Polanyi anschließende Arbeiten eingangs die Unterschiede zum marxistischen Materialismus, ganz so als wäre dies die einzige Spielart des Essenzialismus, von der man sich abgrenzen müsse. Praktisch steht und fällt das Polanyische Modell mit dem Gedanken, Wirtschaft könne nur auf der Grundlage äußerer Möglichkeitsbedingungen funktionieren. Wir haben es hier mit einem Kantischen Sprung zu tun, der die Kritik am materialistischen Fundamentismus und die Wiederentdeckung der Kontingenz zum Anlass nimmt, in einen idealistischen Fundamentismus zu springen (Cooper/Konings 2015). Zudem verfällt dieser idealistische allzu leicht wieder in einen materialistischen Fundamentismus – so sehr die Polanyische Theorie die Abkehr vom marxistischen Materialismus zur Voraussetzung hat, so sehr ist ihr Blick auf soziale Stabilität vom Gegensatz zwischen spekulativer Finanzökonomie und ›Realwirtschaft‹ sowie von einem Faible für die fordistische Industrie geprägt. Zugleich werden die expansiven Tendenzen und systemischen Eigenschaften des Finanzsystems ausschließlich negativ gefasst (die Investoren seien nicht in der Lage, Grundlagen und Grenzen zu erkennen und ihren Fiktionen einen Realitätsgehalt zu verleihen). Zwar soll die Entgrenzung beziehungsweise ›Entbettung‹ der Märkte langfristig nicht haltbar sein, allerdings fehlt eine überzeugende Erklärung, wie und warum es dazu überhaupt kommt. Die Polanyische Theorie kreist um ein systemisches, selbstreferenzielles Moment, das sie theoretisch nicht zu fassen vermag.

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Kapitel 2:  Konstruktionen und Performanzen

Fassen lassen sich diese Probleme mit der Feststellung, dass das konstruktivistische Denken, welches den Neuen Pluralismus so offensichtlich durchzieht (bspw. Blyth 2003; Seabrooke 2007; Hay 2016), oftmals eigentlich zu kurz greift. Dabei stützt es sich stark auf die, wie Knodt in ihrer Einleitung zur englischen Ausgabe von Luhmanns Soziale Systeme schreibt, »banalisierten Lesarten des Konstruktivismus, die in neuen Schläuchen den alten Wein des erkenntnistheoretischen Idealismus […] zu verkaufen suchen« (Knodt 1995: xv), und hat inzwischen die Gestalt eines intentionalistischen Konstruktivismus angenommen, der von einem selbstdurchsichtigen Konstruieren sowie von linear und vorhersehbar wirksamen Ideen und Normen ausgeht (vgl. Palan 2000; Bucher 2014). Komplexität und Kontingenz werden hier in einem ontologischen Pluralismus, dem Postulat der Operation einer Vielzahl von Normen und Ideen, verhandelt – und nicht als zentrale Bedingungen der Operation von Normen überhaupt. Eine Rolle spielt also die ungerechtfertigte (und, wie ich darlegen werde, nicht zu rechtfertigende) Annahme, Konstruktivismus und Pluralismus würden sich ergänzen oder seien gar als austauschbare theoretische Programme zu betrachten. Ein Großteil des gesellschaftlichen Lebens ist, auch im Lichte eines solchen idealistischen Normativitätsbegriffs, offenkundig nicht konstruiert. Folglich gestanden Sozialwissenschaftler zwar zu, dass Gesellschaft konstruiert sei – hergestellt durch die Wechselwirkung von Ideen und Subjekten –, blieben in ihrer Mehrzahl aber dem Gedanken zutiefst abgeneigt, Gesellschaft sei ›durch und durch‹ konstruiert.

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In der Literatur kreist man um das Problem der ›Abwägung‹ zwischen idealen und materiellen Faktoren, zwischen konstruktivistischem Fokus und einfach bestehenden, objektiven Tatsachen (bspw. Abdelal et al. 2010). Der Konstruktivismus schrumpft in der Politischen Ökonomie und Wirtschaftssoziologie oftmals zu einer gewissen Sensibilität für nicht-materielle Faktoren wie Ideen und Identitäten, untersucht werden die Phänomene aber mit einem Empirismus, der sie wie positive, einfache Fakten behandelt – obwohl sie erklärtermaßen sozial und diskursiv konstruiert, performativ und Beobachter-abhängig sein sollen. Daraus ergibt sich eine entschiedene Entschärfung des konstruktivistischen Gedankens: Akzentuierte dieser zunächst die konstitutive Bedeutung von Beobachtung und Wissen, geriet er zur idealistischen Akzentuierung der Bedeutung politischer, kultureller und ideeller Faktoren, bei deren methodischer Untersuchung just vom Beobachtereffekt abgesehen wird (bspw. Abdelal et al. 2009). Dem Gedanken konstruierter Identitäten und Institutionen wurde in relativ neuen Forschungsfeldern wie der Kulturökonomik oder der Finanzanthropologie mit einigem Elan nachgegangen (Mackenzie 2006; Callon et al. 2007; Aitken 2007; Langley 2008); das Leitbild der Performativität zielte hier auf einen radikaleren Bruch mit fundamentistischen Vorannahmen: Der Performativitätsbegriff dient sowohl als Instrument, um den kontingenten und konstruierten Charakter von Institutionen und Identitäten zu unterstreichen, als auch als Instrument zum Verständnis dessen, wie sie ihren jeweiligen Grad an Kohärenz erreichen. Aus der Abhängigkeit von wiederholter Realisierung (iterative enactment) folgt eine inhärente Zerbrechlichkeit der Einheiten, in die Dynamik ihrer Konstitution geht so aber auch ein rituelles Element ein. Das zentrale Bestreben der Performativitätsforschung war es folglich, eine traditionell erkenntnistheoretische Fragestellung hinter sich zu lassen und Beziehungen, Maßstäbe und Formen als immanent, aber produktiv zu theoretisieren: Diese sind in dem doppelten Sinne ›performativ‹, dass sie ausgeführt oder dargeboten werden müssen (sie entbehren einer eigenständigen Existenz), und dass sie etwas bewirken oder leisten (sie verändern den bestehenden Zustand). Der Performativitätsgedanke geht hier ein enges Bündnis mit der Sprechakttheo-

Kapitel 2: Konstruktionen und Performanzen

rie ein – derzufolge Äußerungen ihre Wahrheitsbedingungen mitunter selbst schaffen (etwa bei ›Hiermit verspreche ich‹) – und kehrt die konstruktivistischen Aspekte von Diskurs und Sprache stärker hervor. Zwar ist das Problem der Performativität ein vielversprechender Ausgangspunkt, aber in der kritischen Literatur zur Finanzökonomie hat es den paradoxen Charakter der Performanzen weniger erklärt als vielmehr gespiegelt. Es besteht eine auffällige konzeptionelle Schere zwischen einerseits der Performativität als Instrument, um den nichtnotwendigen Charakter sozialer Tatsachen und gesellschaftlicher Institutionen hervorzuheben, und andererseits den Analysen der konstitutiven Machtfülle von Performativität. Oft genug sind es gerade die Geschichte, der Kontext oder die mikrologische Wirkung des geglückten Sprechakts, die unzureichend bestimmt werden – das heißt, die normative Kraft des Sprechakts wird kaum erklärt, sondern dient der Erklärung (Butler 2010). Anders gesagt, das im Problem der Performativität formulierte Ordnungsverständnis kreist immer noch um das Problem, wie die Ordnung Kontingenz faktisch überwindet, anstatt um die Frage, wie sie Kontingenz produktiv einsetzt oder von innen heraus stabilisiert: Kontingenz führt zur Abhängigkeit von Performanz, doch sobald es auf theoretischer Ebene um die konstitutive Gewalt der Performanz geht, erscheint sie weniger als dynamisches Prinzip, sondern als etwas, das überwunden werden müsse; Kontingenz eröffnet die Möglichkeit des Misslingens einer Performanz, unklar bleibt aber, inwiefern sie selbst eine konstitutive Dimension erfolgreicher Performanz ist. Sie gilt nicht in erster Linie als aktive Kraft, sondern als etwas, das die geglückte Verwandlung von Fiktionen in Fakten überstrahlen kann. Besonders interessant ist hier, wie die Akteur-Netzwerk-Theorie aus ihren ursprünglichen Gefilden – der sozialwissenschaftlichen Wissenschaftsforschung – zur Erforschung von Geld und Finanzökonomie gelangte. Auf einer entschiedenen Ablehnung Kants fußend, hegt die Akteur-Netzwerk-Theorie großes Misstrauen gegenüber traditionellen Repräsentationskonzepten und also dem Gedanken, Symbole könnten für etwas Anderes stehen. Latour schreibt dahingehend über seine erste intuitive Vermutung: »Nichts läuft hinaus auf nichts, nichts leitet sich

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aus nichts anderem ab, alles kann sich mit allem verbünden« (1988: 163). Einheiten sind plastisch: Kein äußeres Grundsatzgerüst reguliert die Regelmäßigkeit der Verbindungen, und die Logik, wonach Verbindung Identitäten erzeuge, ist völlig endogen. Die Akteur-Netzwerk-Theorie betont folglich die materiale Logistik des Bezeichnens; Fragen der Bedeutung und Bezeichnung, von Sinn und Bezug erscheinen im Licht einer topologischen Netzwerkdynamik. So sucht sie, Bedeutung und Bezeichnung jeglichen Zaubers zu entkleiden. Entlang dieser Fluchtlinien begreift sich die Akteur-Netzwerk-Theorie als eine »Form[] materialer Semiotik« (Law 2013: 22) beziehungsweise als »eine empirische Version des Poststrukturalismus« (28) und unterstreicht den allgemeinen Grundsatz, dass es keine ontologische Kluft zwischen den Dingen und ihrer Darstellung, zwischen Sache und Sinn gibt. Das Ordnen sei zu erforschen als materialer Strukturierungsprozess, der einer Logik der Punktualisierung folge (Law 1992; Callon 1991), wodurch die Dynamik der Assoziation oder Verbindung letztlich um einen bestimmten Punkt kreise und sich also als funktionale Einheit organisiert: ein Aktant, der seinerseits Element in einem Beziehungsnetzwerk werden kann. Die Punktualisierungslogik wird topologisch gefasst als das am engsten verbundene Element im Netzwerk; sie dient denn als »obligatorischer Passagepunkt« (Callon 1986: 149). Der unproduktiven Alternative zwischen einem naiven Realismus und einem gleichermaßen naiven Idealismus können wir nur entgehen, so Latour, indem wir unseren Blick auf die konstruktive Rolle der Verbindungen und Vermittlungen schärfen. Wenn wir also der konstruktiven Rolle der Verbindungen oder Assoziationen keine Beachtung schenken, enden wir »bei dem alten Modell, das die entstandene Leere durch eine adaequatio auszufüllen sucht, eine Ähnlichkeit zwischen zwei ontologischen Entitäten, die einander nicht unähnlicher sein könnten. Es ist nicht weiter erstaunlich, daß die Philosophen sich über das Problem des Realismus und des Relativismus nicht einigen können: Sie halten die beiden provisorischen Extremitäten, die beiden äußersten Enden, die sich gegenseitig ›erhellen‹ sollen, für die ganze Kette. Gerade so, als

Kapitel 2: Konstruktionen und Performanzen

wollte man verstehen, wie eine Lampe und ein Schalter ›korrespondieren‹ können, nachdem man die Kabel zerschnitten hat und nun die Lampe nach dem Schalter ›Ausschau halten‹ läßt, der sich irgendwo dort ›draußen‹ befindet.« (2002 [6 2017]: 89f.) Die Vergessenheit der Formen, Vermittlungen und Beziehungen bereite den Boden für einen »Salto mortale« (90, Zitat William James), für den Sprung von der materiellen Wirklichkeit der Dinge zum Idealismus der Symbole und der Sprache. Laut Latour kennzeichne ebendieser Salto mortale den Kantischen Kurswechsel der modernen Philosophie als eine »extravagante Variante des Konstruktivismus« (13): »Die Außenwelt dreht sich um den Geist-im-Gefäß, der die meisten ihrer Gesetze diktiert, Gesetze, die er ohne jede fremde Hilfe sich selbst entnommen hat« (13). Als sich die Akteur-Netzwerk-Theoretiker der Finanzökonomie zuwandten, fiel es ihnen allerdings sehr schwer, ebenjenen Kantischen Sprung nicht zu vollziehen, den Latour so effektiv ins Lächerliche gezogen hatte. Besonders deutlich zeigt sich das in Callons vielbeachteten Arbeiten (1998, 2007), die sich von einer materialen Semiotik zu einem idealistischen Gerüst entwickelten, in dem ökonomische Logiken als Effekte kognitiver Grenzen, epistemischer Verfahren und ökonomischer Theorien gelten. Die Performativitätsforschung neigte hier bisweilen zu »kultischer Wissensverehrung« (Bryan et al. 2012; vgl. Esposito 2013) und legte eine übertriebene Faszination für technische Details aus dem Praxiswissen sowie eine sehr beschränkte Fähigkeit an den Tag, zentrale ökonomische Konzepte theoretisch zu durchdringen. Wie kann man diesen seltsamen Übertritt zwischen intellektuellen Parteien erklären? Die ziemlich glücklose Wiedereinführung der idealen Dimension lässt vermuten, dass sie im Grundmodell der Akteur-Netzwerk-Theorie nie richtig erklärt worden war – dass die Semiotik zu keinem Zeitpunkt überzeugend und rückstandslos in den Materialismus integriert worden ist, dass die poststrukturalistische Dimension zu keinem Zeitpunkt überzeugend empirisch nachvollzogen wurde. War das anfängliche Widerstreben der Akteur-Netzwerk-Theorie gegen eine Auseinandersetzung mit dem Imaginären und Fiktiven in

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dem vernünftigen Ansinnen begründet, die traditionelle Metaphysik und den Idealismus der Anschauung (representational idealism) zu meiden, lässt ihre Empfänglichkeit für einen Kantischen Idealismus doch vermuten, dass sie sich mit diesem Problem nicht ausreichend befasst hat. Die Abneigung gegen die traditionelle Metaphysik verwandelte sich umstandslos in eine recht abschätzige Haltung gegenüber Fragen der Beobachtung und Reflexivität. Hier dürfen wir wohl annehmen, dass Latours Disqualifizierung des Kant’schen Idealismus etwas oberflächlich war: Seine Beschreibung von Kants Salto mortale ist zwar zutreffend, doch müssen wir gleichermaßen nachvollziehen, warum Kants spezifische Reaktion auf den Untergang der vormodernen Metaphysik sich derartiger Beliebtheit erfreut. Bei der Latour-Lektüre gewinnt man beinahe den Eindruck, Kants Problemstellung – ›Was können wir überhaupt noch wissen, da uns die theologischen Sicherheiten weggebrochen sind?‹ – sei gar kein reales Problem gewesen. Doch lassen sich Fragen nach der Stellung und Rolle menschlichen Wissens so einfach nicht verdrängen. Es bleibt die Frage, wie wir mit der selbstreflexiven Fähigkeit einer Konfiguration umgehen sollen; mit dem paradoxen Moment also, in dem eine Regelmäßigkeit aus sich heraustritt und auf sich selbst Bezug nehmen kann – als wäre sie nicht einfach nur sie selbst, sondern mehr als sie selbst. Das ›irreduktionistische‹ Projekt sucht eine saubere Lösung für das Problem des epistemischen Moments, worin man durchaus eine Art Reduktionismus erkennen kann. Sorglos umgangene Paradoxe machen sich allerdings oft in unerwarteter Weise und zu unpassenden Zeiten wieder bemerkbar, und die Akteur-Netzwerk-Theorie verfing sich schließlich in einem inkonsistenten Schwanken zwischen Materialismus und Idealismus. Letztlich vollführte sie den Kantischen Sprung, über den sie sich lustig machte. Wesentlich ist hier, dass der Begriff der Verbindung oder Assoziation eine absolut zentrale Stellung in der Akteur-Netzwerk-Theorie einnimmt und doch untertheoretisiert bleibt. Für sich genommen trägt die Akzentuierung des nichtrepräsentativen Charakters von Verbindungen wenig dazu bei, die besonderen Massierungsregeln darzulegen, die sie aufweisen. Das Punktum einfach als privilegiertes

Kapitel 2: Konstruktionen und Performanzen

materiales Element in einem Netzwerk zu beschreiben, leistet keinen großen Beitrag zur Erklärung der wirksamen Kraft, die die anderen Elemente im Netzwerk des Punktums kommandiert. Die Feststellung, soziale Konstituierung erfolge durch die Schaffung von Assoziationen, wirft unter Luhmann’schem Gesichtspunkt (5 1994) die Frage nach dem Stoff auf, aus dem diese Zusammenhänge gemacht sind, und nach dem Antrieb in der Dynamik ihrer Regelmäßigkeit (vgl. Tellmann et al. 2012: 212). Verstehen können wir die Fähigkeit eines Netzwerkes zur Erlangung funktionaler Kohärenz nur, wenn wir die Ausrichtung beziehungsweise das Dispositiv in der Assoziationslogistik theoretisch begreifen können (Appadurai 2011: 536). Für Luhmann ist das Beobachtungsmoment in dieser Hinsicht zentral: Die Assoziationssemiotik ist zutiefst spekular und interaktiv, motiviert durch die ständige gegenseitige Beobachtung, Erwartung und Projektion. Aufgrund der assoziativen Logik spekulativen Investments – in der die elementaren Teile ihre Sicherheitsinteressen am besten gewahrt sehen, wenn sie bestimmte Funktionen in einer umfassenderen Struktur ausfüllen – erlangt eine Zusammensetzung einen bestimmten Grad funktionaler Kohärenz und Identität. Das Punktum bindet die Elemente in ein operatives Ganzes ein, indem es eine zeitbezogene Gedankenwelt (temporal imaginary), eine Erinnerungs- und Erwartungsrationalität organisiert, die als affektives Kraftfeld fungiert (Luhmann 1980). Kurz gesagt, in der Akteur-Netzwerk-Theorie fehlt ein belastbarer Begriff vom Geist in der Maschine (vgl. Appadurai 2011; Farías 2014).

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Kapitel 3:  Luhmann’sche Überlegungen

Laut Luhmann kann man unmöglich wirklich wissen, ob die Natur der Dinge eigentlich Geist oder Materie ist. Jedes Ansinnen, diese Frage durch eine bestimmte theoretische Formulierung zu ›lösen‹, läuft höchstwahrscheinlich einfach auf ein inkonsistentes Schwanken zwischen Materialismus und Idealismus hinaus, das beide verdinglicht und auf diese Weise den paradoxen Charakter des Problems eher reproduziert als produktiv wendet. Die Fähigkeit eines Systems, zu sich selbst in Beziehung zu treten, ist eine unweigerlich paradoxe Angelegenheit: Reflexivität durchbricht ständig die Fesseln der Immanenz, erlangt dabei aber niemals eine transzendentale Situierung. Diese Erkenntnis ist es, die Luhmanns Konstruktivismus ›radikal‹ macht: Der Prozess, in dem sich eine Identität zusammensetzt, bringt niemals ein Bewusstsein hervor, das sich transparent begreifen und objektiv kennen kann. Weil die virtuelle Dimension durch die Wechselwirkung zwischen Aktualität und Inaktualität hervorgebracht wird (Esposito 2010: 32) – weil sie also entsteht, wenn eine Einheit reflexiv und sich ihrer geschichtlichen Kontingenz bewusst wird, eine Interpretation ihrer Vergangenheit herstellen und Projektionen machen kann –, ist es ganz aussichtlos, die Rolle der Virtualität dadurch klären zu wollen, dass man sie auf Aktualität oder auf Inaktualität reduziert. Eine Luhmann’sche Fragestellung würdigt also zunächst, dass die traditionellen Probleme des Realismus und Idealismus nicht in deren Begriffen selbst aufgelöst werden können – dass wir, egal welche Seite wir in solchen Fragen wählen, immer mit einem Rest, einem ungeklärten Teil unserer Erfahrung werden umge-

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hen müssen. Eine Luhmann’sche Fragestellung begreift stattdessen den paradoxen Charakter der Selbstreferenz als Schlüssel zur Konstruktion und Operation von Systemen (Luhmann 5 1994; Esposito 1996) und erlaubt die Betrachtung der virtuellen Dimension unter einem pragmatischen Gesichtspunkt, der sie weder essenzialisiert noch banalisiert. Im Grunde ist selbstreferenzielle Beobachtung einfach die Fähigkeit eines Systems, eine Unterscheidung zwischen sich und seiner Umwelt vorzunehmen (Luhmann 5 1994: 35; 2002: 67); die bloße Fähigkeit, sich in seiner Kontingenz, als konstruierte Konfiguration funktionaler Verbindungen zu beobachten. Reflexivität ist die Fähigkeit eines Systems, sich als möglich, nicht aber notwendig, als aktuell und daher potenziell inaktuell zu verstehen – sie ist im Kern ein Prozess der Temporalisierung (Luhmann 5 1994: 421f.; 2002: 198f.). Luhmann verwirft die (Parsons’sche) Vorstellung, Systeme könnten überhaupt nach einem extern gegebenen Normen- oder Prinzipiengerüst operieren. Insbesondere mit Rückgriff auf die Systemtheorie 2. Ordnung (bspw. Maturana/Varela 2009 [1987]), beschäftigt ihn hauptsächlich die Frage, wie die Systemkohäsion endogen entsteht: aus der Dynamik der andere Beobachter beobachtenden Beobachter und aus den Zyklen spezifischer Rückkopplungen, die jenen Prozess letztlich kennzeichnen (Esposito 2010: 146). Jedes System beobachtet sich selbst und die Grenzen zu seiner Umwelt, dies aber schlägt nie in die Möglichkeit externer Beobachtung oder einen totalisierenden Gesichtspunkt um. Ordnung lässt sich daher nicht erklären nach dem Bild des Ingenieurs, der ein System von außen beobachtet und souveräne Eingriffe tätigen kann. Zwar können selbstorganisierende Prozesse große Kohäsionskräfte und Integrationskapazitäten entwickeln, sie funktionieren aber immer nur kraft der rekursiven Aktivierung der Zusammenhänge, aus denen sie bestehen; niemals transzendieren sie diese Performanzbedingung und niemals charakterisieren sie sich durch eine Objektivität nach dem Bilde der Substanz, der von selbst bestehenden Wesensidentität. Luhmanns Konzept der Selbstreferenz ist, wie der Performativitätsbegriff, von einer gewissen Dualität gekennzeichnet. Im engeren Sinne bezeichnet es ›bloß‹ Selbstreferenzialität, also die Fähigkeit eines Systems, sich selbst als komplexes Gefüge kontingenter Verbindungen zu

Kapitel 3: Luhmann’sche Überlegungen

erkennen und sich seiner Abhängigkeit von der ständigen Realisierung dieser relationalen Konfiguration bewusst zu werden. Im weiteren Sinne bezeichnet Selbstreferenzialität die Weise, in der Systeme sich durch eigene Operationen reproduzieren – also die Entstehung ›autopoietischer‹ Fähigkeiten (Luhmann 2002: 110). Während die Performativitätsforschung einer starken Abgrenzung von engerem und weiterem Sinn zuneigt (Performativität verstanden einerseits als Bedingung von Kontingenz und andererseits als Kontingenz überwindende Operation), ist dies bei Luhmanns Vorstellung der Selbstreferenz nicht der Fall. Erkenntnis und Indienstnahme (engagement) der Kontingenz durch das System bleiben immer die Triebkraft für Dynamiken der Selbstorganisation und gesellschaftlichen Konstruktion. Die Gödel’sche Grenze des Systems, das also die eigenen Voraussetzungen nicht transzendieren kann, und seine Münchhausen-artig grenzenlose Fähigkeit, sich selbst in Bewegung zu setzen, sind die zwei Seiten ein- und derselben selbstreferenziellen Medaille. Luhmanns Verständnis der operativen Geschlossenheit ist zu unterscheiden vom Gedanken der ontologischen Geschlossenheit (Borch 2011: 23f.). Systeme sind nicht in dem Sinne selbstreferenziell, dass sie autark oder autonom wären, sondern in dem Sinne, dass sie kein äußeres Fundament aufweisen. Wir dürfen operative Geschlossenheit weder so verstehen, wie wir uns das Nebeneinander unbelebter Gegenstände vorstellen, noch so, wie wir uns gottgleiche Entitäten vorstellen, deren Existenz externe Wechselwirkungen nicht erfordert. Systeme können Kontingenz nicht transzendieren und können niemals unabhängig von der Außenwelt, ohne die Notwendigkeit ständiger Interaktion mit ihrer Umwelt fortbestehen (vgl. Cilliers 2001: 140f.). Die Unterscheidung zwischen System und Umwelt ist die Voraussetzung für die Interaktionen zwischen ihnen: »Geschlossenheit der selbstreferentiellen Operationsweise ist […] eine Form der Erweiterung möglichen Umweltkontaktes« (Luhmann 5 1994: 63). Niemals ist Selbstreferenz Ausdruck ontologischer Eigenständigkeit, Abgrenzung oder metaphysischer Autonomie, sondern sie ist die Konstitutionsweise in einer Welt, in der göttliche Schöpfungsakte nicht vorkommen und in der die Suche nach Substanzen, die unabhängig von den funktionalen Erfordernissen biologischer

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oder sozialer Systeme existieren würden, aussichtlos ist. Ebenjene Operationen, durch die ein System autopoietische Kohäsion erlangt, schaffen zugleich auch Kontingenzursachen, die in dessen Operationsfeld nicht funktional eingegliedert sind. Stasis ist nicht metaphysische Autonomie, sondern bedeutet das Ende des Lebens – den Tod. Am ergiebigsten interpretiert man Luhmann als Vertreter eines Verständnisses der Assoziationslogik – in der sich Einheiten mit anderen Einheiten verbinden, um neue und funktional zusammenhängende Systeme zu bilden –, welches präziser ist als das Modell der AkteurNetzwerk-Theorie: Ein System registriert neue Herausforderungen, Bedrohungen, Störungen und Schwachstellen (bei Luhmann sogenannte ›Irritationen‹), und selbst nur die Aufrechterhaltung seiner bestehenden Identität erfordert von dem System, die Konfiguration seiner konstitutiven operationalen Verbindungen anzupassen (dazu gehört auch die Verbindung mit weiteren Elementen und die Reorganisation seiner Grenzen). Ein System steht immer unter dem Handlungsdruck, aus der Unzahl möglicher Verbindungen zu seligieren (Luhmann 1987: 8). Weil es den eigenen Gesichtspunkt nicht transzendieren und eine objektive Sicht auf das ihm Erforderliche nicht erlangen kann, muss es spekulieren und Entscheidungen treffen, ohne über das gesamte relevante Wissen zu verfügen. Ursprünglich leitet sich der spekulative Charakter des Lebens aus der Tatsache ab, dass der Beobachtungsakt sich selbst nicht beobachten kann. Die klassische Metapher dafür ist das Auge, das sich selbst nicht sehen kann, und der damit aufgezeigte konstitutive blinde Fleck ist bei Luhmann zentral (Luhmann 2002: 145, 159; Moeller 2006: 73). Der ›Sehapparat‹ eines Systems kann äußerst raffiniert sein, aber das System kann die Totalität seiner Operationen nicht in Echtzeit beobachten und daher die Effekte seiner Funktionsweise weder vollständig vorhersagen noch umfassend kontrollieren. Die Systemreproduktion erzeugt immer eine Neuheit und Komplexität, die das System durch ebendiese Fähigkeiten nicht antezipieren oder symbolisieren kann (Luhmann 2002: 147f.). Jeder Akt selbstreferenzieller Reproduktion ist daher spekulativ, von einer irreduziblen Ungewissheit gezeichnet, die prinzipiell nicht neutralisiert werden kann. Entscheidend aber ist, dass nicht

Kapitel 3: Luhmann’sche Überlegungen

nur meine Beziehung zur Welt durch Ungewissheit gekennzeichnet ist, sondern dass auch die aus anderen Systemen bestehende Welt auf diese Tatsache reagiert – das muss ich wissen und darauf muss ich auch reagieren. Die Welt besteht aus Beobachtern, die andere Beobachter beobachten, und unsere Spekulationen müssen sich ständig anpassen, sobald sie ein bewegliches Ziel taxieren und verorten: »Spekulation orientiert sich an Spekulation« (Luhmann 1991: 198). Diese Dynamik, die Luhmann als ›doppelte Kontingenz‹ bezeichnet und die der bereits genannten ökonomischen Spekularitätslogik (Orléan 1989) stark ähnelt, führt zu einer raschen Vervielfachung der Kontingenzursachen. Die Welt ist nicht nur kontingent, sondern oftmals auch sehr unbeständig und volatil. Die Dynamik der Spekularität wird nicht durch äußere Normen oder Prinzipien, sondern endogen stabilisiert, indem wechselseitige Erwartungen sich bilden und eine neue, übergeordnete Systemlogik herstellen (Luhmann 5 1994: 411f.). Die operative Dynamik besteht hier weder in materialer Assimilation noch in theoretischer Definition, sondern in der Synchronisation, der ›gemeinsamen Feuerkraft‹. Ein gegenseitiges Erwartungsmuster zu schaffen, bedeutet, eine Schwingung oder Resonanz herzustellen, in der die Elemente parallel operieren und dadurch eine mehr oder minder stabile Verbindung zwischen Einheiten schaffen können, die selbst als System fungieren kann. Antezipationen, bestimmte Ausrichtungen auf die Zukunft also, die einen Umgang mit der Ungewissheit ermöglichen, sind der ›Stoff‹, aus dem soziale Beziehungen und gesellschaftliche Verhältnisse gemacht sind. Die Semiotik der Assoziation ist ihrer Natur nach temporal – angetrieben von kontinuierlicher gegenseitiger Antizipation und Vorwegnahme. Ein derart gebildetes Verbindungsmuster ist niemals frei von Performanz: Ein System ist immer abhängig von der rekursiven Aktivierung jener Muster und Regelmäßigkeiten, durch die es entstanden ist (Clam 2000: 66; Borch 2011: 28). Eine systemische Dynamik entgeht daher niemals der Volatilität; eine Erkenntnis, die in Shackles Konzept vom »kaleidischen« Charakter der Erwartungen gut zum Ausdruck kommt: »Sie können, wie das symmetrische Farbenmuster im Kaleidoskop, gänzlich und radikal verändert werden durch eine leichte Erschütterung oder

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Wendung des Geräts beziehungsweise der Evidenz im Verstand des Erwartungsbildners« (1972: 183). In gewisser Hinsicht entspricht Luhmanns Verständnis dessen, wie sich Einheiten zu identen und kohärenten Netzwerken verbinden, der Darstellung des Prozesses seitens der Akteur-Netzwerk-Theorie. Doch in Luhmanns Akzentuierung der Beobachtung, Spekularität und Temporalisierung finden wir einen wichtigen Unterschied mit beachtlichem kritischem Potenzial. In der Akteur-Netzwerk-Theorie fungiert Kontingenz hauptsächlich als ontologische Eigenschaft, als Faktor, der jene Reinheit der Objekte verhindert, die sich der moderne Mensch für sie ausgedacht hat. In Luhmanns Theorie ist Kontingenz ein dynamischerer Faktor, der den Konstitutionsprozess jederzeit antreibt und viel breitere Fragestellungen zur Rolle des Risikos und des Nichtwissens in der Konstituierung des Sozialen eröffnet. Ungewissheit, Unwissenheit und die Erfordernis spekulativer Entscheidungen sind die Triebkräfte hinter der Konstruktion von Identitäten. Zwar sind Systeme für Luhmann durch ihre Beobachtungsfähigkeit definiert, er betrachtet diese Eigenschaft aber immer auch im Verein mit den Beschränkungen jener epistemischen Funktion und mit der aktiven Rolle, die diese Beschränkungen in der Konstruktion gesellschaftlichen Lebens spielen. Akteure wissen, dass andere Akteure ähnlichen epistemischen Beschränkungen unterliegen wie sie selbst, und können dieses Wissen strategisch nutzen. In der Logik der doppelten Kontingenz bestimmt sich das Ergebnis eigener Investitionen weitgehend durch die damit angestoßenen Investitionen, daher ist der eigene Bekanntheitsgrad oftmals viel wichtiger als der Kenntnisstand. In einer Risikogesellschaft steht und fällt Kontrolle mit der Bekanntheit in einem Kontext allseitiger Ungewissheit – mit der Fähigkeit, in der spekularen Logik kontingenter Forderungen und Ansprüche als zentraler Bezugspunkt zu dienen, als Attraktor für die spekulativen Investitionen der Anderen. In diesem Zusammenhang kann die zielgerichtete Verursachung von Ungewissheit und Unsicherheit sogar von Vorteil sein, wenn Akteure dadurch ihre normative Stellung ausbauen können. Diese Modalität endogener Hierarchisierung suchte ich mit dem Konzept der Hebelung (leverage)

Kapitel 3: Luhmann’sche Überlegungen

zu fassen – eines Modus des Ordnens, der Ungewissheit nicht ausschaltet, sondern zu Kapital macht. Ein System ist in vielerlei Hinsicht eine »Ökologie des Nichtwissens« (Luhmann 1992: 149; vgl. Esposito 2010: 26).1 Möglich ist die Schaffung einer neuen systemischen Dynamik, weil das Hebeln an jener Unsicherheit ansetzt, die bestehende Systeme erfahren, wenn sie sich in die Zukunft bewegen. Hier wirkt eine besondere Interaktion von Erinnerung und Erwartung: Jeder Akteur hat Zugriff auf eine Infrastruktur praktischer Vernunft, ein Netzwerk von Investitionen und Assoziationen, die als gegeben gelten und umstandslos in Anspruch genommen werden können (Cilliers 1998: 92). Ein solches System impliziter Erinnerung erlaubt es uns, unser Verhältnis zur Zukunft zu organisieren; es erlaubt uns, Erwartungen zu erzeugen und in Wahrscheinlichkeiten zu denken (Luhmann 5 1994: 69). Ohne Erinnerung ist ein Akteur orientierungslos, er müsste dann in der Dynamik ungehemmter Spekularität untergehen und sich verlieren »in einem unendlichen Spiel von Verweisen ohne Anhaltspunkte und ohne Grenzen« (Esposito 2010: 41). »Die Vergangenheit ist demnach in erster Linie eine Selektion« (42); anders gesagt, Erwartung gründet immer auf der Beziehung eines Systems zu seiner Vergangenheit, die eine Herausbildung von Gewohnheiten erlaubt (Human 2015: 54). Aber natürlich erleben wir oft, dass sich der funktionale Wert eines Aggregats akzeptierter Routinen und Erwartungen als viel geringer herausstellt, als wir uns das erhofft oder vorgestellt hatten. Und dieses Bewusstsein übersetzt sich nur selten automatisch in die Fähigkeit, eine neue Interpretation unserer Geschichte zu erzeugen. Dass unsere Fähigkeit zur Problemwahrnehmung die Fähigkeit zur Problemdiagnose immer übersteigt, ergibt sich aus der Tatsache, dass wir uns nicht umstandslos von dem Problem abgrenzen können: Ohne die Aktivierung ihrer konstitutiven Verbindungszusammenhänge sind unsere reflexiven Kapazitäten nicht verfügbar. Wir können nicht ›offline‹ gehen und aus uns heraustreten, um unsere Funktionsmechanismen in einer Außenperspektive zu untersuchen und die störenden Teile zu isolieren. Wäre Kontingenz einfach eine externe Bedingung, wir wären jeder Verantwortung enthoben. Da wir aber wissen, dass unsere Spekula-

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tionen als aktive Kraft die Zukunft prägen, verspüren wir einen bangen Druck, trotz unzureichenden Wissens eine Entscheidung zu treffen (Massumi 2014: 9). Unter Bedingungen zunehmender Ungewissheit tritt die Hierarchisierungslogik des Risikos stärker hervor: Die Akteure nehmen von Experimenten tendenziell Abstand und verlegen sich auf bewährte Muster. Nicht, dass sie in solchen Lagen der Ungewissheit paralysiert wären und sich einfach in bestehende Normen ›ergeben‹. Der Rückgriff auf Normen ist weniger ein Entscheidungsverzicht als vielmehr eine Möglichkeit, Optionen offen zu halten und auf bessere Tage zu warten – das Reflexionspotenzial kann durchaus vorhanden und bewusst, ja aus ebendiesem Grunde geneigt sein, größere Entscheidungen zu verschieben. Unsere Überlebenschancen lassen sich verbessern, indem wir uns mit einer größeren, stärkeren Einheit assoziieren – auch wenn wir dadurch deren Einfluss auf uns verstärken. Wenn es darum geht, sich auf konkrete Herausforderungen einzustellen und einen gewissen Grad an Sicherheit zu erlangen, ist es für ein System oftmals die realistischste Option, seine Verbindungen zu einer größeren systemischen Dynamik auszubauen. In dem Maße, wie das Risiko unberechenbar wird, erscheint das Gewicht der Vergangenheit als Zukunftsversprechen. Die Assoziation im Lichte der Hebelung zu betrachten, bietet einen entscheidenden Wendepunkt – so lässt sich die sozial- und politikwissenschaftliche Tendenz überwinden, ›Assoziation‹ unter einem übermäßig egalitären oder politisch neutralen Gesichtspunkt zu fassen. Ausgeprägt ist dieser Hang in der Akteur-Netzwerk-Theorie, er hat darüber hinaus aber auch einen festen Stand in einschlägigen Denkrichtungen wie dem Dewey’schen Pragmatismus, den Tocqueville’schen Konzepten bürgerlicher Assoziation und dem Pluralismus in Tradition der reformsozialistischen Fabian Society. Während Kontingenz für Latour zur Begründung eines letztlich ontologischen Pluralismus wird, ist ein derartiger Pluralismus aus Luhmann’scher Perspektive ebenso problematisch wie ein metaphysischer Monismus oder eine sonstige Position, die vorschnell über selbstorganisierende Dynamik urteilt. Die Bildung eines Systems tilgt die Ungewissheit und das erforderliche Spekulieren keineswegs aus – sie adressiert einige der Risiken für die unter-

Kapitel 3: Luhmann’sche Überlegungen

geordneten Einheiten, aus denen das System besteht, erzeugt zugleich aber auch neue Risiken. Die Entstehung eines neuen, übergeordneten Systems ist letztlich die Einrichtung eines neuen Selbstreferenzvermögens, das mit seiner eigenen Außenwelt konfrontiert und nicht in der Lage ist, seine Probleme auf einem objektiven, äußeren Standpunkt zu analysieren. Gerade weil Systeme auf diese Weise kontinuierlich neue Kontingenzursachen erzeugen, entsteht ein permanenter Hierarchisierungsdruck, der permanente systemische Druck, nach Bündnisoptionen zu suchen und sich in überordnete Systeme einzugliedern.

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Kapitel 4:  System, Wirtschaft und Steuerung

Autopoietische Fähigkeiten sind wirksamer in übergeordneten Systemen, die auf einer Vielzahl von Teilsystemen aufbauen. Komplexe Systeme entstehen durch vielfach vollzogene Hierarchisierung und weisen einen hohen Grad an Widerstandskraft (Resilienz) auf, eine gesteigerte Kapazität der Anpassung an und Absorption von Herausforderungen. Selbstreferenz im weitesten Sinne, sprich Autopoiesis, ist ein paradoxes Phänomen: es umfasst das Vorhandensein eines starken inneren Zusammenhalts und eine unverkennbare Identitätseinheit bei gleichzeitiger Abwesenheit jeglicher greifbaren Grundsubstanz oder objektiven ontologischen Wurzel (vgl. Luhmann 5 1994: 69f.). Keine noch so zahlreichen Analysen führen uns bis zu den Fundamenten dieses Gebäudes; ständig sind wir auf neue Versprechen, Vorhersagen, Vorwegnahmen und Erwartungen verwiesen, doch erlangen können wir das Versprochene nicht. In der Aussage, das heutige Geld sei eine gänzlich plastische Einheit, steckt die These, dass sich diese paradoxe Dynamik im Geld äußerst deutlich zeigt und manifestiert. Es ist nicht möglich, Geld positiv zu definieren; analysieren können wir es nur als kreisförmige, zirkulare Bewegung der Fristaufschübe, der spekulativen Investitionen (angetrieben eben durch die Abwesenheit fundamentaler Gewissheiten) und der Absicherungen gegen die Unmöglichkeit gesicherten Wissens darüber, wie unsere Interaktionen die Zukunft prägen. Als selbstreferenzielle Einheit ist Geld sowohl reine Fiktion als auch reines Faktum und verkörpert seine eigene Bedeutung. Geld ist ein völlig virtuelles Moment, das keine eigenständige Existenz aufweist, aber eine starke

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Strukturwirkung auf ebenjene Regelmäßigkeiten hat, durch die es hergestellt wird. In diesem Sinne freilich wird Geld oftmals als säkularer Gott bezeichnet. Wie Simmel (1989 [1900]: 305) hervorhebt, manifestiert sich im Geld die »Coincidentia oppositorum«, die häufig als theologische Gottesdefinition diente. Damit lässt sich zwar die paradoxe Natur der Ökonomie gut fassen, allerdings müssen wir hier Vorsicht walten lassen; denn gemeinhin wird dieses Paradox nicht als Ausgangspunkt für die kritische Analyse des Geldes genommen, sondern dient selbst als Klischee sozialwissenschaftlicher Erklärung. In Agambens ökonomischer Theologie (2010) offenkundig, lässt sich das auch bei anderen Ansätzen beobachten, deren Anleihen bei traditionellen theologischen Motiven zwar weniger unverhohlen sind, die aber doch die paradoxen Aspekte der Selbstreferenzialität tendenziell reproduzieren (bspw. Taylor 2008; Ayache 2010). Serres’ Konzept des Jokers bietet einen pragmatischeren Zugang zum paradoxen Charakter des Geldes als Gegenwart von Gegensätzen. Der Joker stellt performativ den nichtnotwendigen Charakter bestehender Funktionen und Werte unter Beweis und verfügt damit über eine privilegierte Eigenschaft zur Herstellung neuer Verbindungen und neuer Zukünfte. Geld – »der jokerhafteste aller Joker« (Serres 1987: 245) – ist für ein System ein Weg, seine Grenzen zu symbolisieren und den Umstand produktiv zu nutzen, dass sich Kontingenz unmöglich überwinden oder zielgerichtet manipulieren lässt. Eine ähnliche Logik kennzeichnet Rotmans Geldverständnis, das er in Analogie zur Funktion der Zahl Null entwickelt: Sie markiert Abwesenheit und verleiht dieser Absenz damit eine bestimmte symbolische Präsenz (2000: 38). Die entscheidende Innovation der Neuzeit erkennt Rotman in der Fähigkeit, die Unmöglichkeit der neutralen Außenbeobachtung sinnvoll zu bezeichnen. Geld ist ein Weg, den Umstand konstruktiv zu nutzen, dass wir unfähig sind, Kontingenz zu transzendieren oder zu tilgen; es ermöglicht uns, »den Mangel an Wissen zu operationalisieren« (Esposito 2010: 77). Es bietet eine Symbolmarke für die Unmöglichkeit der Transzendierung von Ungewissheit, und in dieser paradoxen Eigenschaft tätigt es einen produktiven Eingriff in die Semiotik der Gesellschaft. Geld tritt

Kapitel 4: System, Wirtschaft und Steuerung

in unserer Welt nur auf, wenn unser Wissen von dieser Welt an Grenzen stößt. Es ist ein Fluchtpunkt, der die Bodenlosigkeit und Unabänderlichkeit der Kontingenz markiert, und in dieser Eigenschaft ermöglicht es die Interaktion spekulativer Investitionen mit einem Bezugspunkt. Durch seine Fähigkeit, die Unmöglichkeit nichtspekulativer Bedeutung sinnvoll zu bezeichnen, kommt es von allen unseren Instrumenten einer Sicherheit am nächsten. So sehr wir uns seines symbolischen Charakters auch bewusst sein mögen, fungiert Geld doch als eine der unzweideutigsten Normen und vorhersehbarsten Kontrollressourcen, über die wir in der Neuzeit verfügen, als außerordentlich objektive Tatsache, als die gesellschaftliche Institution, die wir am wenigsten infrage stellen möchten. Der Charakter des Geldes als Gegenwart von Gegensätzen kommt daher am prägnantesten auf einer zeitlichen Ebene zum Ausdruck: Wenn wir die Zukunft vorhersagen könnten, hätte das Geld keinen Wert; unter Voraussetzungen der Ungewissheit allerdings steht das Geld für das Versprechen einer sicheren Zukunft. Geld ist unbestimmt: völlig kontingent und zugleich von potenziell unbegrenzter Dauer. Die kapitalistische Zeitlichkeit arbeitet also mit einer affektiv aufgeladenen Spannung zwischen dem akuten Bewusstsein der unabänderlichen Kontingenz einerseits und andererseits der Antizipation risikofreier Sicherheit und unendlicher Zeit (Konings 2015). Trotz seines bisweilen vergnügten Interesses am Paradoxen, hat Luhmann die Tiefe jenes Paradoxes nie wirklich ermessen, das Geld und die darin ausgedrückte einzigartige Ordnungsfähigkeit darstellen; Luhmanns Geldbegriff ist recht konservativ und fokussiert auf dessen Tauschfunktion (Deutschmann 1999: 72). Luhmann verstand Religion und Ideologie als gesonderte Teilsysteme der Gesellschaft; verstellt wird damit der Gesichtspunkt, dass diese Dimensionen in der Wirtschaft konzentrierte Ausdrucksformen annehmen. So sehr seine Analysen der Selbstreferenz ein Argument gegen jegliche Neigung zur vorschnellen Beurteilung der Systembildungsdynamik sind, so wenig überdachte er die klassisch soziologische Denkfigur einer in verschiedene (wirtschaftliche, rechtliche, politische, kulturelle usw.) Teilsysteme gegliederten Gesellschaft (Thornhill 2006; Borch 2011). Zwar war ihm bewusst, dass Systeme die Erfordernis ständiger In-

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teraktionen mit ihrer Umwelt niemals transzendieren, allerdings unterstellte seine Theorie über die Stabilisierung ihrer Umweltbeziehung oftmals eine dauerhafte ›strukturelle Kopplung‹ und legte nahe, ein System könne sich in einer Weise an eine Umwelt anbinden, die nicht zugleich die Schaffung neuer Systemhaftigkeit nach sich zöge. Demnach erzeugt der Systembildungsprozess ausreichend Stabilität, um ebendiesen Prozess zu stoppen, und die Umwelt fungiert letztlich hauptsächlich als Ursprung von Inputs und Empfänger von Outputs. Bisweilen übermäßig fokussiert auf die Interaktion eigenständig unterschiedener Systeme, griff seine Analyse der Hierarchisierungsdynamik eigentlich zu kurz. Insbesondere verkennt Luhmann, dass die Erosion der Grenzen zwischen Ökonomie und anderen Sphären, dass »die Schwächung funktionaler Differenzierung« (Vogl 2 2010: 137; vgl. Arvidsson 2011; Lazzarato 2012) eines der charakteristischen Merkmale unserer Zeitgeschichte ist. Aus Sicht eines wirklich antifundamentistischen Ordnungsverständnisses – das den Gedanken einer immanenten Kluft zwischen ökonomischem Wert und den normativen Kapazitäten kultureller wie politischer Diskurse zurückweisen würde –, ist Geld nicht einfach Medium eines bestimmten Teilsystems, sondern eine Norm von totalisierender Tragweite, deren Grad an Selbstreferenz und Ordnungsfähigkeit den der anderen Normen übersteigt (Deutschmann 2011: 91). Ironischerweise bietet Luhmanns Systemtheorie wenig Erkenntnisse über eine der bedeutendsten systemischen Entwicklungen unserer Zeit, nämlich die Ausdehnung und zunehmende Tragweite finanzökonomischer Prozesse, und über die Art und Weise ihres Vordringens in Strukturen, die sich in der Vergangenheit durch einen gewissen Grad an Unabhängigkeit ausgezeichnet hatten. Den Fakt, dass einer der zentralen systemtheoretischen Organisationsbegriffe – die Selbstreferenz – in der Selbstexpansion und Selbstaufwertung des Finanzkapitals eine äußerst prägnante Gestalt annimmt, beachtet Luhmann in keiner besonderen Weise. Statt Luhmann also darin zu folgen, was er als das ökonomische Teilsystem begriff (bspw. 1988), tun wir besser daran, die in Kapitel 3 erläuterten Elemente seiner allgemeinen Theorie sozialer Systeme als eine nützliche Reihe von

Kapitel 4: System, Wirtschaft und Steuerung

Überlegungen zum ökonomischen Problem im eigentlichen Sinne zu begreifen. Die These, das ökonomische Problem bestehe in der Frage, wie aus Ungewissheit Ordnung entstehe, steht freilich nicht im Einklang mit den vorherrschenden Begriffsbestimmungen; schließlich verhandelt die orthodoxe Wirtschaftswissenschaft das Thema des Mangels, reduziert alle damit verbundenen Probleme auf technische Fragen der Versorgungslogistik und umgeht zugleich kompliziertere Fragestellungen, indem sie die Ungewissheit auf ein berechenbares Risiko reduziert. Die hier aufgeworfene Umformulierung ist allerdings keine willkürliche: Selbst eine recht oberflächliche Genealogie des Ökonomiebegriffs dürfte Faktoren wie Wissen und Ungewissheit als konstitutive Aspekte des ökonomischen Problems einordnen können. Der vorneuzeitliche Ökonomiebegriff war unumwunden religiöser und politischer Natur: Er verwies auf die Maßgaben und Maßnahmen, die sicherstellten, dass die menschlichen Praktiken die göttlich verfügte Ordnung der Dinge reproduzieren (Cameron 2008; Düppe 2011). Die Ökonomie war Gottes Mittel, um für die Umwandlung irdischer Unbestimmtheit in Gehorsam gegenüber göttlichen Prinzipien zu sorgen und also die schädlichen Auswirkungen der säkularen Kontingenz abzuwehren. Einige Tätigkeiten, die wir heute als spezifisch ökonomisch ansehen (wie etwa Finanzspekulation und Kreditvergabe), galten als chrematistische Kräfte, die als solche eine zersetzende Wirkung auf die bestehende Wirtschaftsordnung hatten. Erst in der Epoche von Adam Smith nahm der Ökonomiebegriff eine stärker säkulare Bedeutung an. Im Zuge der Schottischen Aufklärung – als der Glauben immer stärker schwand, die Geschichte der Menschheit werde buchstäblich von einer äußeren Kraft dirigiert – wurden die Mechanismen der Verwandlung von Kontingenz in Ordnung zunehmend auf der säkularen Ebene verortet; nämlich im Zusammenhang mit dem praktischen Umgang menschlicher Akteure mit jenen Ungewissheiten, die Produkt ihrer Interaktionen sind. Denkbar also wurde die Vorstellung einer säkularen Selbstorganisation wie sie sich in Smiths Diktum der ›unsichtbaren Hand‹ ausdrückte: Koordinierende Mechanismen galten zunehmend als immanente Eigenschaft profaner menschlicher Betätigungen (Hamowy 1987; Horwitz 2001; Sheehan/Wahrman 2015).

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Vor diesem Hintergrund erlangten Tätigkeiten des Geldhandels einen Grad an Legitimität, den sie bisher entbehrt hatten. Durch das Wirken der unsichtbaren Hand konnten solche Praktiken die Ordnung befördern und ökonomische Steuerung (governance) nicht stören, sondern stützen. Smiths Arbeiten zur sozialen Arbeitsteilung und zur Rolle des Marktes bildeten eine Argumentationskette, derzufolge ein spekulatives Festlegen der Zukunft, das sich unter Bedingungen der Ungewissheit und der Entbehrung göttlicher Garantien vollziehe, unter gewissen Umständen legitim sein könne. Das ist freilich, verglichen mit dem uns sonst vertrauten, ein recht ungewöhnlicher Zugang zu Smith; das heißt indes nicht unbedingt, dass die heutige wirtschaftswissenschaftliche Mehrheit Smith zu unrecht als ihren Gründungsvater ansähe. Letztlich formulierte Smith auch als einer der ersten den Gedanken der Marktneutralität, die Vorstellung nämlich, dass Geld ein bloßes Mittel sei, das eine Reihe von Geschäften effizienter gestalte, die in der Struktur der geldlosen Tauschwirtschaft bereits angelegt seien. Just in dem Moment, da das Geld als Träger bestimmter Koordinierungsfunktionen begriffen wurde und damit eine Rolle ausfüllte, die zuvor Gottes Rolle gewesen war (die Steuerung der Kontingenz), reifte auch die Auffassung von dessen grundsätzlicher Neutralität. Smith formulierte sowohl eine Vorahnung zur Idee säkularer Selbstorganisation als auch die zentrale Fantasie, die mit diesem Prozess immer einherging. Auf diese Weise brachte Smiths Denken die konstitutive Dualität des modernen Wirtschaftsverständnisses zum Ausdruck, das gleichzeitig die Kontingenz der Zukunft und die Möglichkeit einer objektiven Verrechnung dieser Zukunft postuliert. Mit der wachsenden Legitimität der säkularen Zeit kommt der Gedanke auf, man könne Zeit neutralisieren. Der Bedeutung dieser paradoxen Doppelbewegung wenden wir uns später zu, hier ist lediglich auf ihre Existenz und darauf hinzuweisen, dass orthodoxe Ökonomik diese paradoxe Logik zu verdrängen und zu entschärfen suchte. Vollständig war diese Verdrängung freilich nie; die MainstreamÖkonomik selbst befasste sich in beachtlichem Ausmaß mit dem Problem der Information und ihrer Unzulänglichkeiten, gleichwohl ihr die-

Kapitel 4: System, Wirtschaft und Steuerung

se weiterhin als Abweichungen von einem durch Gleichgewicht gekennzeichneten Markt gelten. Die heterodoxen Ansätze betrachteten den leichtfertigen Umgang mit Information und Wissen in der Mehrheitsökonomik immer äußerst kritisch; insbesondere die post-keynesianische Theorie wandte ein, die ausschließliche Konzentration der Orthodoxen auf quantifizierbare Risiken verkenne die Bedeutung der realen, unberechenbaren Unsicherheit. Es ist allerdings seinerseits problematisch, Ungewissheit und berechenbares Risiko derart zu trennen: Ein solcher Ansatz fußt immer noch auf einem Wahrscheinlichkeitsbegriff des positiven Wissens über die Zukunft und nicht dem eines Hilfsmittels für den Umgang mit unserem Mangel an positivem Wissen (Esposito 2007), während die Unsicherheit als externe Beschränkung statistischer Wahrscheinlichkeit erscheint, anstatt als etwas, das beim Eingehen eines Risikos immer schon im Spiel ist (Kessler 2009; Appadurai 2015). Erinnern wir uns hier an Keynes’ berühmtes Diktum, Wert bestimme sich wie in einem Schönheitswettbewerb, das uns zu einem Spekularitätskonzept führt. Obwohl es einen beachtlichen Einfluss auf die Entwicklung post-keynesianischer Arbeiten hatte, wird es fast ausschließlich von Positionen angeführt, welche die Selbstreferenzialität und Bodenlosigkeit der spekulativen Finanzökonomie einer rationalen Finanzwirtschaft gegenüberstellen, die der Herstellung echter Werte diene. Zumindest ein Teil der Verantwortung für die Art und Weise, in der sowohl die Mainstream- als auch die post-keynesianische Theorie sein Werk aufnahmen, liegt laut Shackle auch bei Keynes selbst: Während seine Formulierungen in der Allgemeinen Theorie einerseits einen positivistischen Zugang zu Risiko und Wahrscheinlichkeit nahelegen (Shackle 1972: xviii),1 hatte er andererseits »über Erwartungen eigentlich nur zu sagen, dass sie sich einer Reduktion auf klare und stabile Prinzipien und Gesetze entziehen« (180). Butos und Koppl schreiben, »Keynes war kartesischer Rationalist, der sich von einer nichtkartesischen sozialen Welt umstellt sah« (1997: 349). Echte Unsicherheit gilt demnach als Hinweis auf jenen Punkt, an dem ökonomisches Handeln irrational wird – weniger motiviert von einem Realwert als vielmehr von Spekulationen.

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Letztendlich resultierte daraus die Unfähigkeit, das ökonomische Problem systematisch und in erster Linie als Frage nach der aus Kontingenz erwachsenden Ordnung zu begreifen. Die heterodoxe Kritik an den Mehrheitskonzepten ausgeglichener und effizienter Märkte kreist um den Gedanken, Spekulation sei ein Impuls, der Unordnung schaffe und eine kohärente Steuerung untergrabe; sie kehrt damit zu einer vorneuzeitlichen Chrematistikkritik zurück. Weil sie sich oftmals darauf beschränken, das Konzept potenziell selbstregulierter Märkte zurückzuweisen, können die post-keynesianischen und übrigen heterodoxen Ansätze nicht produktiv anknüpfen an das Smith’sche Charakteristikum einer säkularen Ökonomie – an die Logik finanzökonomischer Interaktion, die sich durch gewisse Selbstorganisationsmechanismen auszeichnet und deshalb als Steuerungsmodalität fungiert. Zwar sollte man gewiss nicht außer Acht lassen, dass die mainstream-ökonomische Formulierung von Smiths Postulat (als Diskurs der ausgeglichenen und effizienten Märkte) äußerst problematisch ist, deswegen aber darf man das Thema noch lange nicht ausklammern. Während die Mainstream-Ökonomik Smiths ›unsichtbare Hand‹ entschärft und in ein zeitloses Gleichgewichtskonzept wendet, verwerfen heterodoxe Theorien mehrheitlich die Fragestellung der Ökonomie als Selbstorganisationsprozess. Dabei sind solche Überlegungen besonders wichtig für das Verständnis unserer Gegenwart, die sich auszeichnet durch die Ausdehnung ökonomischer und finanzökonomischer Rationalitäten und deren Vordringen in bisher eigenständige Bereiche. Kritische Ansätze suchten, diese Entwicklung als veränderte Wechselbeziehung (Interaktionen) zwischen verschiedenen Teilsystemen zu reflektieren, und betrachteten sie als Prozess, in dem Steuerungskapazitäten eingeschränkt und geschwächt (›kolonisiert‹) werden; so schenkten sie den neuen, durch ebendiese Prozesse ermöglichten Steuerungsmodalitäten relativ wenig Aufmerksamkeit. Die Verinnerlichung ökonomischer Rationalitäten in politischen und gouvernementalen Logiken produziert eigene Ordnungsmechanismen – auch wenn diese weder den traditionellen Modellen souveräner Macht noch den Eigenarten der Konsens- und Legitimitätsherstellung

Kapitel 4: System, Wirtschaft und Steuerung

ähneln, die wir mit dem Aufstieg des demokratischen Staates im 20. Jahrhundert in Verbindung bringen (Brown 2003). Die zeitgeschichtlichen Transformationen der Governance lassen sich mit einer systemtheoretischen ›Brille‹ fruchtbar untersuchen.2 Die performative und rückbezügliche oder rekursive Natur eines Systems bedeutet keineswegs, dass es – auch wenn es Irritationen verzeichnen und die Störung zentraler Funktionen wahrnehmen kann – Zugriff auf eine losgelöste Selbstheilungsfunktion hätte. Folglich haben Reformierung und Anpassung bekanntlich ein Henne-Ei-Problem: Die Veränderungen, die ein System vornehmen muss, erscheinen als deren praktische Voraussetzung. Wie in der Einleitung bereits gesagt (und in den folgenden Kapiteln ausführlicher dargelegt), ist dies ein sinnvoller Fluchtpunkt zum Verständnis der Widersprüche, denen die finanzökonomische Steuerung in den 1970er-Jahren – aufgrund der Verflechtung politischer und regulatorischer Institutionen mit der finanzökonomischen Expansionsdynamik – ausgesetzt war. Und während kritisch inspirierte Standpunkte im Allgemeinen weiterhin angenommen haben, die Aussichten für eine kohärente Steuerung seien davon abhängig, dass sich öffentliche Institutionen aus den spekulativen finanzökonomischen Prozessen herausziehen, ist es eine der wesentlichen Stärken des neoliberalen Projekts gewesen, die Grenzen solcher rationalistischer Ansätze zu erkennen und die Lenkungs- und Ordnungsmöglichkeiten wahrzunehmen, die sich daraus ergaben, dass Politik und Governance ein zunehmend endogenes Teilsystem der ökonomischen Logik sind.

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Kapitel 5:  Foucault bietet mehr als Ökonomismuskritik

Das vorherige Kapitel konzipierte die Ökonomie als einen Prozess der Ordnung durch Ungewissheit und kritisierte Luhmann dafür, diesen von anderen sozialen Bereichen künstlich abgegrenzt und somit das Gebiet ökonomischer Prinzipien recht willkürlich beschränkt zu haben. Meine These lautet, anders gesagt: Luhmann ließ die in seinem Werk gebotene Gelegenheit ungenutzt verstreichen, einen (sagen wir) ›nicht-essenzialistischen Ökonomismus‹ zu formulieren. Der Begriff erscheint vielen sicher als contradictio in adiecto, allerdings sahen wir die tiefgreifenden Probleme, die mit den bestehenden Kritiken am Ökonomismus verbunden sind und die ihrerseits Fundamentalwerte aufrufen. Ich möchte an dieser Stelle eine Perspektive entwickeln, die die Ökonomie als den zentralen Ordnungsmechanismus der modernen Gesellschaft begreift, ohne dabei in die Falle eines Essenzialismus und Determinismus zu tappen. Zu diesem Zwecke werden wir in diesem Kapitel einen recht überraschenden Gewährsmann verpflichten: Foucault, der weithin als einer der wichtigsten Kritiker des Ökonomismus bekannt ist. Die ökonomisch-materialistische Idee stellte er aus einer dezidiert antifundamentistischen Position heraus infrage und damit konnte der Foucault’sche Poststrukturalismus immer mit einer geistreicheren Ökonomismuskritik aufwarten als der Neue Pluralismus. Die Tatsache allerdings, dass auch diese Stoßrichtung als intellektueller Fundus nie besonders erschöpfend war, ist durch das Interesse deutlich geworden, das Foucaults Spätwerk in den letzten Jahren geweckt hat, in dem er enge Verbindungen umreißt zwischen der Ausdehnung des

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Kapitalismus, der Risikologik und dem veränderten Charakter der Governance. Situieren wir diese Wendung nun zunächst in ihrem intellektuellen Zusammenhang: Lange Zeit hatte Foucaults Werk einen Doppelcharakter als Kritik des ökonomischen Determinismus und als Kritik der Macht im Sinne von Souveränität. Das heißt einerseits, Foucault galt weithin als Gegner einer marxistischen Lesart, derzufolge die neuzeitlich-kapitalistische Entwicklung von materiellen und technologischen Kräften angetrieben sei, und als Verfechter der konstitutiven Rolle von Wissen, Diskurs und Vorstellung (representation). Andererseits postulierte Foucault die Verdrängung souveräner Macht durch die disziplinierenden Effekte diskursiver Normen und epistemischer Techniken, und kritisierte solche theoretischen Standpunkte, die eine trügerische Souveränität reproduzierten. Einige der einflussreichsten Foucault-Interpreten (Dean 1999; Miller/Rose 2008) positionierten ihn in diesem Sinne vor allem als Theoretiker disziplinarischer Governance und neigten also dazu, die politik- und wirtschaftswissenschaftlichen Fragestellungen in einer soziologischen Suppe internalisierter Normen und Werte einzukochen. Wir haben es hier mit einer stark kantianischen Foucault-Auslegung zu tun (Braidotti 2007), die zeitgenössische Subjektivität im Verhältnis zu deren Empfänglichkeit für risikobasierte Normen und berechnende Logiken betrachtet. Die bekannteste und (zumindest für unsere Zwecke) bedeutendste philosophische Entgegnung auf solche Sichtweisen wurde von Agamben formuliert (2002; 2004), der sich gegen die tendenzielle Überschätzung der inneren Kohäsion disziplinarischer Governance richtet und die These verwirft, die Souveränität sei durch Disziplin absorbiert oder verdrängt worden. Souveränität wurzelt für Agamben in der Fähigkeit des Staates, sich im Notfall von der normativen Grundordnung der Gesellschaft auszunehmen. Er zeichnet die Konstituierung der Ordnung nicht als reibungslosen Prozess wissensbasierter Integration, sondern als ständige Logik des Notstands und Ausnahmezustands. Das Element des unberechenbaren Risikos gilt hier als Ursache der souveränen Entscheidung. Dieses theoretische Modell ist nicht nur an sich interessant, sondern bietet darüber hinaus eine strenge Formulierung der be-

Kapitel 5: Foucault bietet mehr als Ökonomismuskritik

grifflichen Struktur, die der allgemeinen Annahme zugrunde liegt, der Neoliberalismus gründe nicht in einer normativen Ordnung und seine Fortführung sei von außerordentlichen Maßnahmen abhängig. Für derartige Standpunkte sind Aufstieg und Reproduktion des Neoliberalismus äußerst eng verbunden mit den außerordentlichen institutionellen Machenschaften neoliberaler Eliten – mit deren Fähigkeit also, gewisse staatliche Stellen zu nutzen und somit die reguläre Konsensund Legitimitätsherstellung zu umgehen. Agamben offenbart einen essenzialistischen Einschlag, wenn er die souveräne Entscheidung als Transzendierung der gewöhnlichen Risikologik darstellt: Er zeichnet die Macht der Ausnahme als eine Fähigkeit, aus der Zeitlogik spekulativer Ansprüche auszutreten; die Souveränität wirke demnach außerhalb, das heißt: vor und jenseits des Risikos. Es mangelt nicht an überzeugenden Kritiken an Agambens Bild von der Rolle des Staates und insbesondere dessen Fähigkeit, Normalität auszusetzen und unmittelbar auf das evakuierte Gebiet des bloßen Lebens einzuwirken (bspw. Johns 2005; Buck-Morss 2007; Huysmans 2008; Neocleous 2008). Und auch wenn das Konzept der Ausnahme für die kritische Analyse neoliberaler Politik weithin Anwendung gefunden hat, ging dieser Gebrauch doch einher mit einer gewissen Distanzierung von Agambens dramatischer Schilderung eines souveränen Dezisionismus und der umfassenden Aussetzung des Gesetzes. In ›pluralisierter‹ Gestalt ist Agambens Denkfigur vielfach aufgegriffen worden und zeichnet die neoliberale Souveränität als komplexes Konstrukt konkurrierender Ansprüche auf eine Ausnahmestellung (Connolly 2005; Ong 2006; Honig 2009; Amoore 2013; Adey et al. 2015). Es fragt sich aber, ob dieser Punkt damit wirklich überzeugend geklärt ist. Einerseits verstehen solche Perspektiven die neoliberale Autorität immer noch als Umgehung einer grundlegenderen normativen Struktur, derer Konsens und Legitimität bedürfen. Andererseits geht wohl mit der Verwässerung von Agambens kompromisslosem Beharren auf der Salienz der Souveränität etwas Wichtiges verloren. Den Gedanken zu verwerfen, dass Beleihungsakte überhaupt zur Herstellung von Autoritätsstrukturen dienen können, die im spezifischen Sinne des Wortes souverän – das heißt bedingungslos und nicht verhandelbar –

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sind, dürfte die Form verkennen, die staatliche Handlungsmacht im zeitgenössischen Kapitalismus oftmals annimmt. Man kann zwar unterstreichen, dass die Ausnahme niemals die nichtdiskursive, reale oder ontologische Kraft erlangt, die sie doch beansprucht; es wäre aber allzu einfach, damit die Rückkehr zu einem pluralistischen Autoritätsbegriff zu begründen. Ein solcher Blickwinkel erlaubt uns beispielsweise kaum gehaltvolle Aussagen über die Souveränität, die der US-amerikanische Staat in Reaktion auf die Finanzkrise mit Eingriffen außergewöhnlichen Ausmaßes und äußerster operativer Notwendigkeit entfaltet hat. Dies war allerdings nur der dramatischste Ausdruck einer Dynamik, die in der gesamten neoliberalen Ära immer offensichtlich war, wenn akute Krisen Rettungsaktionen (bailouts) einfach fraglos erforderlich machten. Es hieße allerdings, den staatlichen Souveränitätsanspruch zu essenzialisieren, würde man sich Agamben anschließen und diese Vorgänge als Aussetzung der normalen Interaktionsabläufe beschreiben. Wir müssen daher in der Lage sein, die scheinbar unmittelbare Umwandlung erhöhter Unsicherheit in unzweideutige Autorität nicht als Transzendierung, sondern eben als endogenes Prinzip des Risikos zu verstehen. Die Krise verursacht nicht eine Aussetzung von Normen, sondern deren unbedingte Aktivierung. Es ist natürlich durchaus möglich, dass Agamben sein Werk in diesem Sinne verstanden wissen will – in diesem Falle bliebe nur zu sagen, dass er diese Intention mit seinem begrifflichen Instrumentarium nur unzureichend umsetzt und sich letztlich einfach der Theologie bedient, um die Paradoxien des Risikos zu erklären. Es fehlt eine solide Auseinandersetzung mit der spezifischen Logik säkularer Zeitlichkeit, sprich: mit der ökonomischen Rationalität kontinuierlicher Entscheidungserfordernis unter Bedingungen der Ungewissheit. Agambens (2010) jüngste Hinwendung zur Genealogie der Ökonomie ist in dieser Hinsicht sicherlich interessant, sie steht aber vor allem für den Versuch, ökonomische Fragestellungen in die Begriffsschablone seiner politischen Theologie zu pressen. Ökonomie wird hier im vorneuzeitlichen Sinne verstanden – als das göttliche Steuerungsvermögen auf der Grundlage transzendierter Kontingenz. Bemerkenswert abwesend ist bei Agamben jeglicher Bezug zu dem

Kapitel 5: Foucault bietet mehr als Ökonomismuskritik

notwendig spekulativen Charakter säkularer Entscheidungen und sein Buch enthält keinerlei Analyse dessen, wie die Ökonomie zu ihren spezifisch modernen Attributen gekommen ist. Gewissermaßen sucht Agamben also einfach vorschnell, das Paradox der Selbstreferenz zu politisieren (Buck-Morss 2007: 171). Mit Luhmann haben wir allerdings zu berücksichtigen, dass völlig unklar ist, wie eine Form des Lebens zu denken wäre, die sich nicht durch die paradoxe Logik von Entwicklung und Ausnahme auszeichnete; deswegen kann dieses Paradox nicht selbst als Grundlage der Kritik fungieren. Während Agamben mit dem Selbstreferenz-Paradigma der Problemlage von Risiko, Spekulation und Kontingenz zu entkommen sucht, gelten beide (auf einem Luhmann’schen Standpunkt) als untrennbar miteinander verflochten. Im Ergebnis übersehen Agamben und sein formalisiertes exzeptionalistisches Begriffsmodell eine spezifische und äußerst folgenschwere Eigenschaft der heutigen ökonomischen Governance – nämlich die neoliberale Erkenntnisfähigkeit dessen, dass der Staat der säkularen Logik von Kontingenz und Risiko nicht entkommen kann. Agamben reagiert spezifisch auf die Missachtung der Souveränität durch die von Kant und Foucault inspirierte Forschung – doch zur Vernachlässigung der Ökonomie hat er beinahe nichts zu sagen. Unter diesem Gesichtspunkt war die Veröffentlichung von Foucaults späten Vorlesungen am Collège de France besonders interessant: Sie rücken Fragen der Souveränität wieder ins Blickfeld, schaffen dabei aber einen Raum für deren Verknüpfung mit ökonomischen Fragen. Souveränität wird hier gefasst als ein Sachverhalt »von endlosen Transaktionen, die die Finanzierungsquellen, die Investitionsmodalitäten, die Entscheidungszentren, die Formen und Arten von Kontrolle […] verändern, verschieben, umstürzen oder sich heimtückisch einschleichen lassen« (Foucault 2004b: 115). In seinem Spätwerk legt Foucault den Fokus nicht mehr auf die Rolle des Wissens beim Aufbau disziplinarischer Regimes, sondern auf eine ergebnisoffenere Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Ordnung und Risiko, die ein nicht zu tilgendes Element der Unsicherheit oder des Aleatorischen mit sich bringe. Ausschlaggebend ist hier seine Unterscheidung biopolitischer Normalisierung von disziplinartechnischer »Normation« (Foucault 2004a:

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87-90): Letztere assoziiert ein transzendentales Machtverständnis, während erstere ein eher pragmatisches und relationales Normativitätsverständnis vermittelt; Normativität als endogen erzeugter Bezugspunkt, der Strukturwirkung auf die kontingenten Prozesse hat, aus denen er hervorgegangen ist. Normalisierung wird als Selbstorganisationsprozess verstanden, der unmöglich wäre ohne die Finesse, mit der ein ständiger Prozess kontingenter Verbindung moduliert und die entstehenden Anordnungen orientiert werden. Die spekulative Dimension des Risikos wird vom späten Foucault also in einer Weise wieder verhandelt, die in der kantianischen Interpretation seines Werks nicht wirklich vorgesehen war: Das Eingehen von Risiko stellt demnach keine Norm dar, sondern ein kontinuierliches Durchbrechen bestehender Normen, welches allerdings eigene Normativitätsursachen erzeugt.1 Die Ausrichtung des zeitgenössischen Subjekts auf das Risiko wird also nicht selbst zur kohärenten Norm, sondern dessen spekulative Praktiken erzeugen – auch wenn sie bestehende Normen und Maßstäbe kontinuierlich überschreiten – Dynamiken, die sich durch spezifische Muster der Selbstorganisation auszeichnen. Freilich zeigte sich (noch vor der Veröffentlichung seiner späten Vorlesungen) bereits im Verlauf der Trilogie Sexualität und Wahrheit (1983-86) ein ganz ähnlicher Wandel in Foucaults Tendenz, die Wirksamkeit der Disziplin zu relativieren. Allerdings konnte diese Entwicklung – und das wurde sie häufig auch – immer noch als Übergang von einer strukturalistischen zu einer postmodernen Diskursbetrachtung gedeutet werden. In seinen Vorlesungen am Collège de France lässt Foucault den postmodernen Schwerpunkt ›Unbestimmtheit‹ beziehungsweise ›Offenheit‹ hinter sich und konzentriert sich auf das Problem des ›Regierens durch Risiko‹ – auf die spezifischen Ordnungsformen, die in einer Gesellschaft entstehen, welche sich zunehmend mit der Unsicherheit der Zukunft beschäftigt (Lemke 2007). Im Zusammenhang mit der Annäherung von sicherheitlichen und politisch-ökonomischen Problemstellungen in Foucaults Spätwerk, ist die Bedeutung dieses neuen Akzents in der Forschung klar erkannt worden (Dillon 2008, Goede 2012, Langley 2013b). Falls eine säkularisierte Subjektivität grundlegend reguliert wird von einem

Kapitel 5: Foucault bietet mehr als Ökonomismuskritik

Sicherheitsdispositiv (sprich: der Ausrichtung auf eine Gewährleistung der Integrität kontingenter operationaler Verbindungen, aus denen jene Subjektivität besteht), muss die Selbstregulierung dieses veränderlichen Gefüges in Echtzeit erfolgen. Notwendig sind kontinuierliche Eingriffe, die allerdings der spekulativen Bedingung nicht entgehen können. Doch auch wenn das moderne Subjekt die seinerseits imaginierte Sicherheit nicht erlangen kann, erzeugt die Erwartung derselben eine bestimmte politische Rationalität, die ihrerseits als Bindungskraft fungiert. Das Bild risikofreier Sicherheit fungiert immer als rückweichender Horizont, doch in ebendieser Eigenschaft erzeugt es eine affektive Ladung und damit den Geist in der Maschine. Hier zeigt sich in Foucaults Werk eine gewisse Ähnlichkeit mit der Theorie von Robert Esposito, der das kantianisch-foucaultsche Bild disziplinarischer Gouvernementalität zu überwinden sucht, ohne die essenzialistischen Valenzen eines Agamben’schen Ausnahmezustands zu übernehmen. Ebenso wie Luhmann unterstreicht Esposito die Unentscheidbarkeit der Frage nach Immanenz und Transzendenz, Regel und Ausnahme. Die Wirkungsweise der Souveränität erscheint als »immanente Transzendenz« (Esposito 2008a: 60); die Ausnahme »markiert ›den Überrest der Transzendenz, den die Immanenz nicht wieder in sich aufnehmen kann‹« (Esposito nach Santner 2015: 54). Für Esposito bestimmt sich die Moderne hauptsächlich durch die produktive Spannung zwischen der stets gegenwärtigen Erfordernis, ein Risiko einzugehen, und der Aussicht auf Immunität. Das moderne Sicherheitsparadigma liegt im Spannungsfeld zwischen dem Wissen des Subjekts um seine Konstruktion und der Verheißung von Reinheit. Der Neoliberalismus hat die produktive Kraft dieser Spannung intuitiv immer erfasst. Dass und wie der Neoliberalismus die Spekulation ins Zentrum der gouvernementalen Rationalität rückte, lässt seine proaktive Logik, seine paradoxe Praxis erkennen, in der die Unterscheidung zwischen Prävention und Aktivierung vollständig verwischt wird (Massumi 2005, 2007; Cooper 2006; Goede 2008; Anderson 2010). Die vorbeugende Vernunft charakterisiert sich durch das Wissen um ihre spekulative Grundlage und durch den Willen zur Überwindung einer naiven Präventionsdoktrin; und sie verspricht zwar Sicherheit, will

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Gefahren und Hemmnisse ausschalten, allerdings gründen ihr Modus operandi und ihre Ordnungsfähigkeit auf der möglichen Aktivierung neuer Kontingenzursachen. Die Paradoxien proaktiver Zeitlichkeit verschärfen sich in Krisenzeiten, wenn die akute Ungewissheit schließlich selbst Gewissheit erzeugt: keine Handlungsfähigkeit auf Basis gesicherten Wissens über die Zukunft, sondern eine sichere Gewissheit, was in Ermangelung solchen Wissens zu tun ist (siehe Tellmann 2009: 18). Wenn Entwicklung in die Ausnahme führt, deckt sich schrankenlose Kontingenz überraschenderweise mit unbestrittener Notwendigkeit. In solchen Momenten ist völlig klar, was zu tun ist: Wir müssen die Knotenpunkte der realen Strukturen unseres temporalen Verbindungsnetzes absichern und die Umschlagzentren des Finanzsystems befestigen, indem wir für die Investitionen der Banken einstehen. In der Finanzkrise nahm die Souveränität einen höchst spekulativen Charakter an, trat sie doch für Vermögen ein, deren Wert grundlegend in Zweifel stand; genau zur selben Zeit aber fußte souveräne Politik auf der weitverbreiteten (wenn auch widerstrebenden) Einsicht, dass man einfach tat, was getan werden musste. Die verstärkte Auseinandersetzung mit der Zukunft trägt mithin einen sonderbar reaktionären Zug. So schreibt Massumi: »Das Vorher-Nachher vereinnahmt die Gegenwart. Das Künftig-Vergangene kolonisiert das Gegenwärtige« (2005: 6). Adams et al. schreiben, »die Zukunft tritt ein als etwas schon in der Gegenwart Geprägtes, als wäre der Notstand schon da« (2009: 249). Die proaktive Zeitrationalität als Ergebnis der Governance durch Risiko wird nun spürbar: als Zwangsvollstreckung der Zukunft (siehe Santner 2015: 54).

Kapitel 6:  Zeit, Investition und Entscheidung

Zeit in die Analyse einzubeziehen, ist in den Sozialwissenschaften freilich keine Innovation. Zumeist ist dies Ausdruck der Unzufriedenheit mit statischen und essenzialistischen Ansätzen, die eine Reproduktion des Status quo voraussetzen. Der entsprechende Fokus auf die Zeit akzentuiert den Wandel und sucht statische Analysen realistischer zu gestalten. Dies spiegelt sich in der vertrauten Unterscheidung zwischen diachronen und synchronen Perspektiven sowie in der Überzeugung, dass es beider bedarf, um sowohl die Kontinuität als auch den Wandel zu verstehen. Als Korrektiv strukturalistischer Sichtweisen ist dieser Ansatz zwar oft hilfreich, man sollte allerdings auch um seine Grenzen wissen: Zeit begreift er nur in ihrem Verhältnis zum Wandel und projiziert sie als dessen Ursprung auf eine fundamentistische Welt autonom existierender Dinge – damit vertritt er eine theoretische Unabhängigkeit zwischen Zeit und Identität. Er entkoppelt Reproduktion und Wandel voneinander, und er kann die dynamische Selbstorganisation in und mittels der Zeit nicht erklären (siehe Baert 1992: 16; Adam 1990). Es ist allerdings kein unumwundener Schritt, die Bindungskraft der Zeit zu betonen; allzu leicht springt man vom Fokus ›Kontingenz‹ zu einem idealistischen Begriff der Dauer. Dieser Standpunkt tut sich schwer, die praktische Herstellung von Zeit zu erklären – wie Systeme ihre Welterfahrung temporalisieren und dadurch besser mit Kontingenz umgehen können. Eine Sozialtheorie sollte in der Lage sein, »die eigentümliche Binnenproblematik der Zeit, nämlich die Konstitution der Gegenwart durch die Differenz zweier Zeithorizonte, Vergangenheit

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und Zukunft« (Luhmann 1980: 236f.), zu fassen. Durch Verzeitlichung können Erinnerungen und Erwartungen aufgebaut, kann also produktiv in die rekursive Natur der Systemreproduktion eingegriffen werden – sie ist ein Mittel, »um frei planen und selektiv erinnern zu können« (Esposito 2010: 41). Das Denken in Kategorien der Vergangenheit und Zukunft ist ein herausragendes Merkmal der Neuzeit. Im vormodernen Weltbild gab es keine säkulare Zeitlichkeit, keine dem irdischen Leben eigene Zeit (Luhmann 1990: 119f.); das säkulare Leben zeichnete sich just durch das Fehlen einer autonomen Zeit aus. Das vormoderne Subjekt hatte nur eine begrenzte Vorstellung von der Verschiedenheit der Vergangenheit von der Gegenwart und zugleich begriff es die Zukunft nicht als grundsätzlich offen (Hohn 1984: 6) – die Zukunft war nur insofern ungewiss, als dass der Mensch nicht wissen konnte, was Gott mit der Welt vorhatte (Thrift 1990: 108). Die Zukunft würde dem Heute entweder ziemlich ähnlichsehen, oder sie wäre etwas ganz Anderes – ein unergründlicher, nur durch göttliche Offenbarung zugänglicher Zustand. Praktisch hat »man sich die Zukunft in ihrer Gestalt wie die Vergangenheit vorgestellt« (108). Eine Zukunft, die moderne Subjekte als prinzipiell offen, der Beeinflussung durch unser Tun in der Gegenwart zugänglich, doch niemals völlig vorhersehbar erfahren, überstieg den Erkenntnishorizont. Die Gegenwart wurde nicht begriffen als Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft, die aus einer historischen Vergangenheit entsteht und eine kontingente Zukunft erzeugt. Die säkulare Zeit war demnach in sich entwicklungsunfähig und konnte nicht mehr sein als vergängliche Gegenwart. Die vormoderne Kritik an der säkularen Zeitlichkeit war eng verbunden mit der Kritik am Geld, die häufig als Zurückweisung von dessen Anspruch auf Zeitunabhängigkeit zum Ausdruck kam (Le Goff 2008; Alliez 1996). Für Aristoteles erfüllte Geld eine berechtigte Funktion nur dann, wenn es den Tauschhandel erleichterte, der in eine größere kosmische oder politische Ordnung eingebettet und in seinen Zielen von diesen übergreifenden Strukturen bestimmt war (Meikle 1994: 27). Diese eigentliche, ›oikonomische‹ Verwendung des Geldes sei abzugrenzen von der ›Chrematistik‹, die lediglich darauf abzielte, die Geldmenge

Kapitel 6: Zeit, Investition und Entscheidung

durch das Preisgefälle zwischen Kauf und Verkauf oder einfach durch Verleihzinsen zu mehren. Geld galt als Ursprung einer linearen Zeit, die leer, abstrakt und ohne Zweck, Ziel oder Grenze war (Vogl 2 2010: 123). Geld, das nur um seiner selbst willen erstrebt werde, war für Aristoteles die Ersetzung des Zwecks durch das Mittel und stellte eine irrationale, als grenzenlos imaginierte Selbstbezüglichkeit dar. Das Christentum verband die Kritik der Chrematistik mit der Ablehnung der Götzenverehrung, sprich der Ausstattung irdischer Gegenstände mit einer transzendenten, selbstreferenziellen Kraft. Denn Geld könne sich nicht vermehren oder wachsen, es sei »unfruchtbar« (Düppe 2011: 95). Das Verbrechen der Wucherer bestand demnach darin, mit etwas Handel zu treiben, mit dem sie nicht handeln durften: der Zeit, der gottgegebenen Dauer der Welt. Der Blick auf die Zeitlichkeit macht begreiflich, warum die Theologen keinen wesentlichen Unterschied sahen zwischen Betätigungen wie Geldverleih, Schatzbildung, Versicherung und Glücksspiel – allen gemein war der Versuch, auf die Zukunft zu spekulieren und also die von Gott eingerichtete ökonomische Ordnung zu unterminieren (Thrift 1990; Le Goff 2008). Der Aufstieg des neuzeitlichen Kapitalismus war begleitet vom Heraufdrängen einer säkularen Zeiterfahrung (Koselleck 1968: 22), in der die Menschheit sich als Produzent ihrer eigenen Zeitlichkeit erkannte und gegenwärtige Praktiken zunehmend verstand als Produkt einer Vergangenheit und als Passform einer kontingenten Zukunft. Die Menschheit erkannte, dass sie Geschichte machte und irreversible Unabänderlichkeiten schuf: Die Geschichte wurde nun gedacht als »das Feld der Wahrscheinlichkeit und menschlicher Klugheit« (25), als Sphäre, in der menschliches Handeln und Entscheiden für die Formung einer noch ungeschriebenen Zukunft eine Rolle spielen. Das Vergangenheitsbewusstsein vertiefte sich und war nicht länger begrenzt auf die offizielle Kirchengeschichte; und das Verständnis der Zukunft war nicht länger polarisiert zwischen der bloßen Wiederholung der Vergangenheit und der Aussicht auf apokalyptische Erlösung. Zeit wurde zunehmend erfahren nicht bloß als ein elementares Vorher/Nachher, das sich ewig wiederholt, sondern als ein Quell der Variation in dem Sinne, dass die Zukunft offen und ihre Ausprägung noch nicht bestimmt oder zu-

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mindest unbekannt ist. Koselleck schreibt, »daß sich die Neuzeit erst als eine neue Zeit begreifen läßt, seitdem sich die Erwartungen immer mehr von allen bis dahin gemachten Erfahrungen entfernt haben« (1976: 359). Die besondere politische Rationalität, die durch dieses neue Verhältnis zur Zeit geprägt wird, findet ihren vorzüglichsten Ausdruck im Aufstieg des Republikanismus: »Der geschichtliche Weg führe fort von der Despotie der Vergangenheit, hin zur Republik der Zukunft« (372), heißt es da. Der moderne Republikanismus ist hauptsächlich mit dem Problem befasst, eine sichere Zukunft nicht auf die eingebildeten göttlichen Ursprünge der Autorität zu gründen, sondern eben auf das Bewusstsein kontingenten Ursprungs (Pocock 1975; Allen 2008). Die Zeit ist nun also eine praktische Frage, etwas, mit dem wir in bestimmter Weise umgehen müssen, um das Leben zu sichern und die Kontingenz in Schach zu halten – das heißt, »[d]aß Zeit problematisiert und nicht mehr nur in theologischer Begrifflichkeit reproduziert wird« (Luhmann 1980: 291). Einerseits dehnt die Gegenwart sich aus: Sie ist nicht mehr nur stumpfe Wirklichkeit, sondern füllt sich mit der Virtualität von Erinnerungen und Erwartungen – das »was man ›specious present‹ genannt hat, die sichtbare ausgedehnte Gegenwart« (Luhmann 2002: 201). Andererseits schrumpft die Gegenwart: Sie ist ein Übergangsmoment zwischen Vergangenheit und Zukunft, ein »Wendepunkt, der den Prozeß der Zeit von Vergangenheit in Zukunft umschaltet« (Luhmann 1990: 121), ein punktartiger, flüchtiger Moment der Aktualität im virtuellen Fluss der Zeit. Die Gegenwart wird zu einem Moment der Entscheidung, in dem wir uns der Kontingenz gegenübersehen; sie wird ereignishaft, wahrnehmungsmäßig geprägt von der Möglichkeit eines Geschehnisses, das sich nicht einfach rückgängig machen lässt (Luhmann 2002: 211; vgl. Hohn 1984: 89). Der moderne Mensch erfährt die Gegenwart als einen Punkt, an dem der Übergang von der Vergangenheit zur Zukunft gebildet wird, und nicht mehr bloß als Punkt in einem fremdbestimmten Muster (vgl. Shackle 1972: 278f.). Wie Koselleck bemerkt, ist »Krise« (der antike »Begriff forderte harte Alternativen heraus«) in der Neuzeit »zum Schlagwort« geworden (1982: 617); es spiegele als solches, dass sich der Entscheidungsdruck unter Bedingungen der Ungewissheit tendenziell verallgemeinert habe und in die

Kapitel 6: Zeit, Investition und Entscheidung

Struktur des Alltagsbewusstseins eingesickert sei. Keine Entscheidungen zu treffen, ist keine Option: Es gibt keine sichere Position, in der es nicht erforderlich wäre, Investitionen zu tätigen oder Festlegungen zu treffen und sich mit der Kontingenz auseinanderzusetzen; sollen der Verfall verzögert und der Tod aufgeschoben werden, muss das Leben die Entropie überwinden. In dieser Hinsicht wahrte Luhmann immer eine gewisse Distanz zu den Thesen der Prozessphilosophie und deren Konzept der Dauer: Sie stellt zwar richtig heraus, dass Temporalität systemimmanent und systembezüglich ist. Allerdings ist sie nicht ausreichend eingestellt auf das Entscheidungselement – und auf die Dynamik, die (mit der Wirkungsweise der Autopoiesis, der kontinuierlichen selbstreferenziellen Störung der Immanenz) durch jene paradoxe Tatsache erzeugt wird, dass die Gegenwart gerade in ihrer Punktualisierung Dauerfähigkeit erlangt. Selbstorganisation wirkt durch die aktive Indienstnahme der Kontingenz und die ständige Überschreitung der bestehenden Schranken. Voraussetzung einer Entscheidung ist, dass sich das Subjekt in den Mechanismen, die Vergangenheit in Zukunft umschalten, neu positioniert; erforderlich ist also, Vergangenheit neu zu beurteilen, Erwartungen zu rekalibrieren und das Portfolio spekulativen Engagements anzupassen. Die spezifische Temporalisierungslogik, die die Dynamik des Kapitalismus bestimmt, zeigt sich am besten in den Regeln der doppelten Buchführung – einer Buchhaltungstechnik, die vor dem zunehmend säkularen Hintergrund der italienischen Renaissance entstand und immer noch eines der wichtigsten Instrumente darstellt, mit denen die kapitalistische Wirtschaft das Wissen ihrer selbst organisiert (Levy 2014: 174f.). Vielfach wurde die doppelte Buchführung mit dem Aufstieg des Kapitalismus in Verbindung gebracht (Weber 5 1980; Carruthers/Espeland 1991), allerdings unterstrich man dabei tendenziell auch die symbiotische Beziehung zwischen den Buchführungsregeln und dem Rationalisierungskurs des Marktes – ohne zu erklären, warum diese und eben keine andere Form der Buchhaltung entstanden ist. Meine These lautet, dass die Logik der Bilanzrechnung als Ausdruck und Formalisierung eines besonderen Verhältnisses zur Zeit betrachtet werden kann; die Bilanz ist ein Instrument, das die

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Unterscheidung zwischen Vergangenheit und Zukunft operationalisiert und also eine Möglichkeit schafft, die zeitliche Struktur von Forderungen und Verbindlichkeiten abzubilden und zu beeinflussen. Die Bilanz verzeichnet auf der rechten Seite die Herkunft der Mittel eines Akteurs und auf der linken Seite deren Verwendung. Die doppelte Buchführung schreibt auf diese Weise den folgenden Grundsatz fest: Ein Subjekt kann Versprechen geben (das heißt Schulden aufnehmen) und die Barmittelzuflüsse aus diesen Verpflichtungen (deren als Kredit verfügbaren Zeitwert) in die Versprechen anderer investieren. Die Existenz eines Systems doppelter Buchführung ist nur deswegen sinnvoll, weil die Welt dem neoklassischen Markt mit seiner sofortigen Anpassungsleistung eben nicht ähnelt. In einer neoklassischen Welt gäbe es für Bilanzüberlegungen keinen Grund, denn das Gleichgewicht zwischen Herkunft und Verwendung der Mittel – zwischen Passiva und Aktiva, zwischen Verbindlichkeiten aus der Vergangenheit und deren faktischer Investition – könnte gar nicht fremdabhängig sein. Allein in einer Welt der ungewissen Investitionen ist die Mittelverwendung konsequent gebunden: Die Investitionen müssen hinreichend Erträge erzeugen, damit der Investor in seinen Zahlungen zur Schuldentilgung Schritt halten kann. Es ist von entscheidender Bedeutung, die konstitutive Dimension dieses Prozesses zu würdigen: Wären Vertragsverpflichtungen von Fundamentalwerten bestimmt (wobei Zeit und Erwartungen nur praktische, objektiv abzinsbare Fragen wären), dann wäre eine solche Abbildung der zeitlichen Vermögenstransformation eine sinnlose, rein deskriptive Übung – Buchhaltung im negativen Sinne, höchstens von akademischem Interesse –, die aber sicher nicht von italienischen Kaufleuten erfunden worden wäre. Das Motiv der Bilanzbuchhaltung liegt in der Erkenntnis, dass die Bewertung von Verpflichtungen und Verbindlichkeiten flexibel ›formbar‹ ist.1

Kapitel 7:  Minsky bietet mehr als Spekulationskritik

Die Logik der Bilanzrechnung ist ein zentraler Bezugspunkt in Minskys Kapitalismusanalyse. Minsky ist natürlich vor allem bekannt als Spekulationskritiker par excellence; und als ›Minsky-Moment‹ wurde im Zuge der Finanzkrise vielfach der Zeitpunkt bezeichnet, an dem eine instabile, kopflastige Struktur spekulativer Fiktionen zusammenbricht. Zwar tätigt das vorliegende Buch keine Aussage zur ›richtigen‹ Minsky-Interpretation, es vertritt allerdings die Auffassung, dass dessen Werk Erkenntnisse bereithält, die in eine ganz andere Richtung weisen und die wir nutzen können, um die Grenzen der post-keynesianischen Theorie hinter uns zu lassen. Minsky ist sich überaus bewusst, dass alle Investitionen in gewissem Maße spekulativ sind, da sich ihr Erfolg oder Misserfolg erst in einer unbekannten Zukunft entscheidet: »Die Quintessenz des Kapitalismus besteht darin, dass sich Einheiten in einer ungewissen Welt positionieren müssen« (1980: 515). An anderer Stelle heißt es gleichsam, »dass Unwissenheit und Mutmaßung in die Entscheidung zur Schaffung und Finanzierung von Kapitalanlagen einfließen, deren Wert, sobald sie realisiert sind, abhängig ist von der Einschätzung ihrer langfristigen Ertragsaussichten durch den Markt« (1996: 359).1 Für Minsky bezieht sich das ökonomische Problem auf den Vorgang, in dem die Interaktion spekulativer Investitionen Ordnung und einen stabilen finanzökonomischen Maßstab erzeugt. Minsky versteht ökonomische Einheiten als Bilanzentitäten, als Aggregat gegebener Versprechen und wahrgenommener Versprechen. Erzeugt wird die kapitalistische Dynamik durch Subjekte, die sich ge-

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genüber der Zukunft positionieren, nämlich durch spekulative Investitionen mit ungewissem Ergebnis (Mehrling 2015). Eine ›saubere‹ Gegenwart im Lichte völlig transparenter Märkte, unbelastet von früheren Verpflichtungen und künftigen Erwartungen, ist in modernen Gesellschaften ein Ding der Unmöglichkeit. Ökonomische Akteure geben Verbindlichkeiten aus und verwenden die Barmittelzuflüsse dafür, Investitionen zu tätigen (Minsky 2008 [1986]: 47). Mit ihren Investitionen müssen sie genügend Erträge (Cashflow) generieren, um ihre Schulden gemäß dem vereinbarten Tilgungsplan bedienen zu können. Daher spielt der Begriff der Liquidität in Minskys Verständnis der Bilanzdynamik eine wichtige Rolle (Nesvetailova 2014: 136); er bezeichnet die Fähigkeit, Verbindlichkeiten bei Fälligkeit zu begleichen (Zahlungsfähigkeit). Wer Gefahr läuft, gegen den Zahlungszwang zu verstoßen, und nicht in der Lage ist, neue Finanzierungsquellen zu erschließen oder eine Umschuldung vorzunehmen, sieht sich zum Verkauf von Vermögenswerten gezwungen. Anders gesagt: Ist die Liquidität beschädigt, muss man womöglich Aktiva verkaufen, auch wenn diese langfristig sehr wahrscheinlich ertragreich sind. Der Zahlungszwang ist – den Begriff entdeckte Mehrling (1999: 139) in Minskys Doktorarbeit – eine echte »Überlebensschranke« (survival constraint). Im Unterschied dazu bezeichnet der Begriff der Solvenz die Qualität einer Bilanz unter der Prämisse, dass die Aktiva über unbegrenzte Zeit zur Realisierung verfügen. Als solcher spiegelt er, wie die Vorstellung des (zeitlosen) Fundamentalwerts in der Praxis finanzökonomischer Bilanzanalyse operationalisiert wird. Mit Minskys Verständnis der Bilanzdynamik erkennen wir, dass man den finanzökonomischen Wert von der zeitlichen Liquiditäts- und Zahlungslogik nicht sinnvoll trennen kann. In Minskys Theorie ist die Solvenz (Tragfähigkeit) keine absolute, unbewegliche Grenze mehr, sondern wird im Kern geprägt von Entscheidungen über den Transfer von Zahlungszwängen. Ist ein unendlicher Aufschub des Zahlungsdrucks gegeben, werden sich – allein durch bloße Wahrscheinlichkeit – auch die unvernünftigsten Investitionen auszahlen; so als hätten wir eine Kreditzusage über die entsprechenden Mittel, um beim Lotto ›das große Los‹ zu ziehen. Wichtig ist hier die Erkenntnis, dass in der Operation der Liquiditätsschranke

Kapitel 7: Minsky bietet mehr als Spekulationskritik

keinerlei Automatismen ablaufen: Deren Verwirklichung setzt immer einen Moment der Beurteilung und Entscheidung voraus. Ist ein Gläubiger der Ansicht, eine Ausweitung der Kreditlinie werde letzten Endes wahrscheinlich zur Tilgung führen, ist es in seinem Interesse, die entsprechenden Mittel bereitzustellen. In diesem Sinne ist der Cashflow für Minsky »grundlegendster Bestandteil und elementare Realität des Systems« (Mehrling 2000a: 82).2 Die Logik der Interaktion zwischen spekulativen Investitionen und fiktiven Forderungen zeichnet sich durch einen besonderen Punktualisierungsprozess aus: Sie richtet sich nach und wird stabilisiert von einem finanzökonomischen Standard, einem monetären Maß. In seiner Darstellung dessen, wie Bilanzinteraktionen Geld erzeugen, schreibt Minsky den Banken eine entscheidende Rolle zu. Ursprünglich waren Banken Unternehmen, die Zahlungen vornahmen sowie Schulden und Kredite verwalteten; ihr Angebot bestand in einer kostengünstigeren Verwendung von Geldmitteln. Im Unterschied zur unverbindlichen Maklerleistung auf Honorarbasis bedeutete dies oftmals, die Aktiva anderer wirtschaftlicher Akteure in die eigene Bilanz aufzunehmen. Eine Bank ist ein »Händler in Schulden bzw. Guthaben« (Hawtrey 1926: 4; vgl. Baecker 1991: 49). Auf diese Weise dienten Banken als Knotenpunkte im Zahlungsnetzwerk und die von ihnen ausgestellten Solawechsel zirkulierten häufig, ohne dass sie eingelöst würden, woraufhin die Banken sich diesen Umstand zunutze machten und mehr Kredite (Wechsel, Einlagen) vergaben als sie an Barmitteln zur Verfügung hatten (das sogenannte Teil- oder Mindestreservesystem). Eine Bank schafft somit einen Markt für die eigenen Verbindlichkeiten (Mehrling 2000b: 366) und ihre Wechsel dienen als Maßstab – als Versprechen, mit dem der Wert anderer Versprechen bemessen wird. Damit kommt es zu einer endogenen Hierarchisierung der Bewertungspraktiken. Kapitalistische Geldmittel sind also nichts anderes als Bankschulden (Wray 1990; Ingham 2004). Die Finanzordnung wird nicht hergestellt durch willkürliche Zähler, nicht durch symbolische administrative Instrumente, sondern sie entsteht organisch aus der Interaktion zwischen Kreditbeziehungen und dem so

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erzeugten Zahlungsdruck. Die Bank und ihre Versprechen erschaffen einen Stabilitätsfaktor in der Logik temporaler Transformationen. Banken spezialisieren sich als Institutionen auf die Fremdkapitalhebelung (leveraging; Sgambati 2016) und kaufen bestehende Versprechen auf, indem sie eigene kurzfristige Verbindlichkeiten begeben. Sie akzeptieren eine Vielzahl heterogener Versprechen, die im Geschäftsverkehr bereits gegeben wurden, und ersetzen diese durch ihr Versprechen einer Auszahlung auf Verlangen.3 Eine Bank organisiert Spekularität von innen heraus: Sie löscht die Ungewissheit nicht aus, sondern hebelt diese aus, indem sie ihre Verbindlichkeiten als verhältnismäßig sicheren Vermögenswert in einer kontingenten Welt, als die am wenigsten ungewisse Form säkularen Werts anbietet. Keineswegs erhebt sie sich über die Risikologik, sondern sie setzt sich als Angelpunkt und beugt die Logik. Sie verfügt über keine besondere Voraussicht, positioniert sich aber derart, dass ihre Versprechen als Standard fungieren und die Bildung eines Kalküls ermöglichen, das als ökonomische Infrastruktur dienen kann. Die Bank verfügt über eine Handlungsmacht, die auf ihrer zentralen Stellung als Bezugspunkt für andere Akteure beruht – sie verfügt über Fremdkapital und Einflusshebel, über leverage. Wirtschaftsakteure lassen sich in die Bankeninfrastruktur einbinden, weil die Beteiligung an der bankseitig organisierten Zeitlogik die besten Aussichten für ihr eigenes Überleben bietet. Über die Einheit zu verfügen, mit der der Wert anderer Vermögenswerte bezeichnet wird, bildet eine Form der Versicherung: Wenn wir über Geld verfügen, verringern wir unsere Angriffsfläche gegenüber unvorhergesehenen Risikoursachen. Geld gestattet uns, Entscheidungen aufzuschieben, bis wir eine bessere Vorstellung davon haben, was wir tun müssen. Es gestattet uns, Möglichkeiten und Optionen zu wahren (Esposito 2010: 74-77; Shackle 1972: 206f.; Davidson 2006; Luhmann 1988: 268). »Geld blickt nach vorn. Es ist begehrt, weil es später gegen etwas eingetauscht werden kann, dessen genaue Form nicht jetzt entschieden sein muss« (Shackle 1972: xv). Geld ist eine Technologie zum Umgang mit der Bedingung des säkularen Risikos. Wie viele andere Wirtschaftseinheiten stellen Banken kurzfristige Verbindlichkeiten aus, um längerfristige Investitionen zu finanzieren;

Kapitel 7: Minsky bietet mehr als Spekulationskritik

ihr Alleinstellungsmerkmal ist allerdings, dass die Zu- und Abflüsse auf bankeigene Verbindlichkeiten lauten. Eine Bank kann Kredit ohne bestimmten Gläubiger aufnehmen; ihr Kreditgeber ist die Gemeinschaft, die ihre Versprechen als Währung akzeptiert (Desan 2014). Diese Fähigkeit zur Liquiditätsschöpfung lockert den Zahlungszwang, dem die Bank unterliegt, was ihr zugleich die Kapazität verleiht, die Überlebensschranke anderer ökonomischer Einheiten zu lösen. Banken nehmen in der Produktion und Distribution der säkularen Zeitlichkeit eine privilegierte Stellung ein. Wenn eine normale Wirtschaftseinheit (Nichtbank) erfolgreich ist, können ihre Solawechsel schrittweise als weniger riskant und attraktiver als die anderer Einheiten eingestuft und mit einem Aufschlag gehandelt werden; daraus folgt aber bloß eine finanzökonomische Verschiebung, sprich: eine Lockerung des Barmittelzwangs für diese Einheit, die indes mit einer Verschärfung des Barmittelzwangs andernorts einhergeht. Das multiplikatorische Bankensystem (multiplier banking) verteilt nicht nur die Angriffsfläche eines bestehenden Barmittelzwangs um, sondern lockert diesen Zwang auch auf der Gesamtebene. Banken verfügen über die Macht, Zeit verfügbar zu machen. Vom neoklassischen Standpunkt erscheint das, als würde man das Pferd von hinten aufzäumen; für die neoklassische Schule setzt die Möglichkeit von Bilanzoperationen (das heißt der Schöpfung von Kredit und Schulden) einen Geldstandard voraus, auf den Zahlungen lauten können. Doch Minsky argumentiert gerade, dass wir die Entstehung ebendieses Standards als einen historischen Vorgang zu verstehen haben. Wenn hier von einer gewissen Zirkularität die Rede ist, ist das kein sinnfreier geistiger Widerspruch, sondern spiegelt die Tatsache wider, dass Geld selbstreferenziell ist. Einerseits wird Geld endogen erzeugt: Der Dynamik wirtschaftlicher Wechselwirkungen, die ständig reproduziert werden muss, ist keine äußerliche, externe Maßnahme vorgängig. Andererseits hat Geld einen konstitutiven Einfluss auf die finanzökonomischen Praktiken, aus denen es hervorgeht, und nimmt in diesem Sinne einen Autonomieaspekt an, der leichthin als Exogenität missverstanden werden kann. Das Geld wird autopoietisch und kann sich durch die eigenen Operationen reproduzieren.

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Dazu aber es ist nicht notwendig bestimmt. Zwar habe ich in diesem Buch die Bedeutung des Fremdkapitalhebels für die endogene Stabilisierung der Kontingenz unterstrichen und also den Begriff gegen seine konventionelle Bedeutung in kritischen Theorieansätzen – dort als Ursprung der Instabilität – gewendet, damit soll allerdings nicht bestritten werden, dass die Hebelung destabilisierende Effekte haben kann. Die gängigsten Lesarten von Minskys »Hypothese der Finanzinstabilität« (1977) rücken dessen Beschreibung finanzökonomischer Mechanismen ins Zentrum und führen die Instabilität zurück auf die Verlagerung von der nichtspekulativen ›Sicherungsfinanzierung‹ (hedge financing fuße demnach auf dem Realwert materieller Produktion) zur zunehmenden Abhängigkeit von ›spekulativen‹ bis hin zu ›schneeballartigen‹ Finanzierungsmechanismen.4 Instabilität und deren Ursachen vor dem Hintergrund des Idealbilds eines nichtspekulativen Kapitalismus zu beurteilen, ist allerdings, wie bereits ausgeführt, ein schwacher Punkt. Nicht nur beinhalten auch Sicherungsgeschäfte ein unweigerlich spekulatives Moment, vielmehr sind derartige Lesarten auch kaum in Einklang zu bringen mit Minskys Konzept, wonach das spekulative Finanzierungsmodell der kurzfristigen Kreditaufnahme und langfristigen Kreditvergabe das spezifische Geschäftsmodell des Bankensystems und Bestandteil der Geldschöpfung ist.5 Einen sinnvolleren Begriff vom Zustandekommen der Instabilität formuliert der sogenannte ›post-keynesianische Institutionalismus‹, der die Gegenüberstellung von Realwirtschaft und Finanzökonomie ablehnt. Er zeigt den Einfluss von John R. Commons’ Begriff der Zukünftigkeit (futurity) auf Keynes’ Werk auf und interpretiert Minskys Arbeiten dementsprechend (Atkinson/Whalen 2011; Nesvetailova 2015). Die so identifizierte Dynamik steht im Zusammenhang mit der Art und Weise, wie der selbstreferenzielle Charakter der spekularen Bewertung eine sich wechselseitig verstärkende Verbindung zwischen der Aktiva-Bewertung und der Fähigkeit zur Kredit- und Fremdkapitalaufnahme erzeugt: Die Bewertung von Vermögenswerten vermittels Spekulation ermöglicht dem Eigentümer einen Zugang zu neuen Krediten, die zur Finanzierung neuer spekulativer Investitionen verwendet werden können, was im Gegenzug die Preise jener Vermögenswerte in die Höhe treibt. Dieses Phäno-

Kapitel 7: Minsky bietet mehr als Spekulationskritik

men ist als »prozyklischer« Kern der Fremdkapitalhebelung (und also der Verschuldungsposition) bezeichnet worden, als selbstverstärkende Tendenz der spekularen Aufwertung (Palan 2013, 2015). Die prozyklische Dynamik der kapitalistischen Finanzwirtschaft drängt nach außen und schafft auf diese Weise selbst Kontingenzursachen: Die wachsende Komplexität steigert ihr Anpassungspotenzial, vervielfacht gleichzeitig aber auch die Zahl der potenziell fehlerhaften Verbindungen. Dass das Bankwesen die Ungewissheit nicht auslöschen und Geld kein absoluter Wertstandard oder äußerer Maßstab sein kann, wird offensichtlich, wenn das Vertrauen in die Solawechsel einer Bank zerbricht und die Bank einen plötzlichen Wegfall ihrer Kurzfristfinanzierung erlebt (den ›Schaltersturm‹), der deren Zahlungszwang rasch verschärft. Durch ihre zentrale Stellung im Zahlungsnetzwerk fungiert die Bank als Träger einer Ansteckung, die typischerweise zu einer Lähmung des Interbankenmarktes führt: Kann eine Bank ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen, beeinträchtigt diese Unfähigkeit rasch auch die Fähigkeit anderer Banken, ihren Verpflichtungen nachzukommen, und veranlasst diese, Aktiva mit deutlichen Abschlägen abzustoßen, wodurch deren Wert unter Druck gerät und ein weiterer Abschwung des Kreditvolumens (deleveraging movement) angestoßen wird. In der Reduktion von Fremdkapital im ›finanzökonomischen Rennen‹ und in der Abwicklung von Kreditpositionen wird deutlich, wie plastisch unser Verhältnis zur Gegenwart und zur Vergangenheit ist und wie rasch wir Praktiken und Projekte anders bewerten können. Die selbstexpansive Bewertungslogik, mit der Bank im Zentrum, verwandelt sich in ihr Gegenteil und der Zugang zu Kredit ist massiv erschwert – idente Einheiten, die noch vor kurzem eine sichere Zukunft zu haben schienen, sollen nun plötzlich ihres Werts entbehren und sehen sich vom Kredit abgeschnitten. Im vorkapitalistischen Europa endeten Bankenkrisen oftmals in einem vollständigen Zusammenbruch der bankzentrierten finanzökonomischen Netzwerke und veranlassten die Herrscher, das multiplikatorische Bankgeschäft ganz zu verbieten (Kohn 1999). Doch im Zuge der Entwicklung der kapitalistischen Finanzwirtschaft in England dienten die Krisen häufig als paradoxe Gelegenheit beschleunigter Hierarchisie-

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rung und beförderten eine allgemeinere Logik finanzökonomischer Organisation (Knafo 2013). Obwohl die kapitalistische Welt wie ein komplexes Gefüge einander überscheidender Standards und Maßstäbe erscheint, zeichnet sie sich durch eine bestimmte Hierarchisierungsdymanik aus, in der sich neue Formen des Bankgeschäfts neben bestehenden nicht nur entwickeln, sondern diese überlagern (Mehrling 2000b; Bell 2001). Eine wichtige Etappe in diesem Prozess war die Entstehung von Bankbanken wie der Bank of England, die sich zu normalen Banken so verhalten wie diese zur Öffentlichkeit (Hawtrey 1932: 116). Mit der Zeit übernahm die Bank of England die Funktion eines ›Kreditgebers der letzten Instanz‹; als solcher minderte sie den stärkeren Liquiditätsdruck und Zahlungszwang, dem die Banken in Krisen unterlagen, und ermöglichte ihnen auf diese Weise, ihren Verpflichtungen nachzukommen, ohne ihre Vermögenswerte verkaufen zu müssen und so zu einem Ansteckungsfaktor zu werden (Bagehot 1920; Hawtrey 1932). War eine Bank von einem Abfluss ihrer Reservemittel betroffen, konnte die Bank of England einige der Aktiva der Bank in die eigenen Bücher übernehmen und die Bank dadurch mit Liquidität und Zeit versorgen, damit diese ihren Verbindlichkeiten nachkommen konnte. Die Funktion des letztinstanzlichen Kreditgebers sucht also, die Entfaltung der prozyklischen Logik von Bilanzverkürzungen zu verhindern: »der Kreditgeber der letzten Instanz überbrückt die Notlage einer in Schwierigkeiten geratenen Einrichtung, sich durch den Verkauf ihrer Positionen an finanz- und realwirtschaftlichen Aktiva – der zum dramatischen Wertverfall der Aktiva führen kann – neue Mittel zu beschaffen« (Minsky 2008 [1986]: 49). Mit jeder Krise nahmen die Solawechsel der Bank of England eine zentralere Stellung im Gesamtsystem ein; und die Möglichkeiten zur Regulierung (governance) und Systemstabilisierung, die solche Institute erkennen ließen und bereithielten, beförderte die Umwandlung dieser zentralen Privatbanken in öffentliche Einrichtungen. Die Sanktionierung von Landeswährungen vermittels der Verleihung eines Notenprivilegs an die Zentralbanken verstärkte deren Fähigkeit noch, ihre Rolle als Kreditgeber der letzten Instanz auszufüllen, indem ihre Verbindlichkeiten noch weiter ›energetisiert‹ wurden (Hawtrey 1932: 131).

Kapitel 7: Minsky bietet mehr als Spekulationskritik

Für Minsky gibt es keine klare Scheidelinie zwischen den Geschäftspraktiken der Banken und deren Regulierung, es bestehe kein qualitativer Unterschied zwischen der alltäglichen Risikoorientierung und der Überwachung des systemischen Risikos. Die Finanzaufsicht dürfe nicht als äußere Vorgabe verstanden werden, sondern sie entstehe organisch aus den inneren Ordnungsprinzipien der ökonomischen Prozesse. Die Tätigkeit der Zentralbank stellt kein Instrument exogener Regulierung dar, sondern ist selbst eine Form des Bankgewerbes; und sie folgt in vielerlei Hinsicht derselben Operationslogik. Wenn eine Bank unter Druck gerät, folgt daraus keineswegs eine allgemeine Kreditbeschränkung oder ›Kreditklemme‹; große Kreditnehmer, die aufgrund ihrer Größe systemrelevanten Akteure, bekommen eine Verengung des Kreditmarktes als letzte zu spüren und können zudem auf größtes Entgegenkommen zählen. Auch die Zentralbanken reagieren auf die besonderen topologischen Eigenschaften der Finanznetzwerke, also auf die Existenz finanzökonomischer Knotenpunkte und die Gefahr, dass deren Ausfall andere soziale Strukturen in Mitleidenschaft zieht. Die Fähigkeit einer Zentralbank, die Integrität des Gesamtsystems zu gewährleisten, beruht ganz wesentlich auf ihrer Kapazität zur Risikoüberwälzung, zur selektiven Vergesellschaftung von Risiko (Minsky 2008 [1986]: 49). Ein Programm der ›Systemrelevanzgröße‹, das auf technische Unterstützung und die Abwendung einer Zahlungsunfähigkeit baut (backstopping and bailout), ist also ein Kernelement kapitalistischen Finanzmarktmanagements, was Minsky sehr gut verstand und weshalb er äußerst skeptisch war gegenüber den Ansprüchen einer Ermessensfeinsteuerung im Namen moderner Geldpolitik: »Abgesehen davon, dass es in der Wirtschaft ohne das Eingreifen der Federal Reserve immer wieder zu einer depressionsträchtigen finanzökonomischen Instabilität käme, ist das Federal Reserve-System weitgehend überflüssig« (Minsky 2008 [1986]: 49; vgl. Hawtrey 1932); Aglietta und Scialom schreiben dazu, die Kreditvergabe in letzter Instanz sei »der Wesenskern in der Zentralbankkunst« (2008: 4). Doch sein Wissen um die immanenten Grenzen des Eingreifens der Zentralbanken – deren Unfähigkeit, die Bankenlogik zu transzendieren und das Finanzsystem von außen zu steuern – ließ Minsky keineswegs

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an der Effektivität der Zentralbank und an ihrer Fähigkeit zweifeln, jene Funktionen auszuüben, die organischer Teil ihres Entstehungsprozesses waren. Der endogene Charakter der Finanzpolitik ist sozusagen ein zweischneidiges Schwert. Einerseits folgt daraus, dass die Finanzmarktsteuerung niemals dem Idealbild entspricht, wonach sie von außen beobachtet und durch Eingriffe für eine neutrale Finanzökonomie sorgt. Von ihrer Einbettung – von der Unmöglichkeit, sich gänzlich aus den Prozessen herauszuziehen, die sie zu regulieren sucht – kann sich die finanzökonomische Governance nicht freimachen. Andererseits folgt aus der Tatsache, dass die Finanzaufsicht keine äußere Vorgabe, sondern organisch mit finanzökonomischen Teilsystemen verbunden ist, dass sie in Phasen erhöhter Unsicherheit mit beachtlicher Effizienz operieren und sich auf bestehende Verbindungszusammenhänge stützen kann. Die Zentralbank reagiert in dem Maße auf Spannungen in den Finanzoperationen, durch die sie mit anderen Banken verbunden ist, wie diese sich im Zahlungssystem bemerkbar machen. Der Vorgang des Finanzmarktmanagements kann dementsprechend bemerkenswert banal erscheinen: Wenn Risiken Raum greifen und zu einer systemischen Bedrohung werden, hat man kaum eine andere Wahl als die zentralen Knotenpunkte des Zahlungssystems zu befestigen. Für die Zentralbank geht es um die Neuordnung und Umverteilung der Liquiditätsbelastungen, des von bestehenden Vertragspflichten erzeugten Drucks; es geht darum, einzelnen Finanzinstituten neue Vertragsoptionen verfügbar zu machen, um ihnen einen bevorzugten Zugang zu Refinanzierungsmitteln zu ermöglichen und also für sie die Überlebensschranke zu lösen. Im Kern des Finanzmarktmanagements besteht also eine konstitutive Asymmetrie: Die Schutzmaßnahmen der Zentralbank kommen nicht allen gleichermaßen, sondern jenen Instituten zugute, die als finanzökonomische Umschlagzentren fungieren und ausreichend Macht akkumuliert haben, dass ihr Überleben systemrelevant ist. In diesem Sinne ist ›Too Big to Fail‹ die operative Kernmodalität der Zentralbanken. Sie bewirkt, dass man einigen identen Einheiten mehr Zeit gibt als anderen.

Kapitel 8:  Praktiken der (Zentral-)Banken, Theorien der Neutralität

Diese von Minsky herausgestellten Aspekte lassen uns die Fehler des neoklassischen Geldkonzepts klar erkennen, welches das Zeitlichkeitsproblem auf das Koordinierungsproblem einer auf Tauschhandel fußenden Wirtschaft reduziert und dann das Geld als einmalige, abschließende Lösung postuliert – als neutrales Instrument, das als externer Maßstab fungieren und außerhalb der spekularen Logik von Bemessung und Bewertung verbleiben könne. Die Minsky’sche Kritik dieser Vorstellung geht von dem Gedanken aus, Geld werde durch die Bankenpraxis hergestellt, welche die Spekularitätslogik von innen heraus stabilisiert, womit Geld spezifisch strukturierende Wirkungen auf den Bereich finanzieller Verbindlichkeiten ausübt. »Die Nichtneutralität des Geldes ergibt sich als natürliche Konsequenz aus der Tatsache, dass Geld eine Bankverschuldung ist und hauptsächlich im Zuge der Wirtschaftsfinanzierung durch die Banken entsteht« (Minsky 1986: 352). Und doch bildete der Aufstieg des kapitalistischen Bankwesens just den historischen Moment, in dem die Vorstellung vom Geld als neutralem Mittel entstand und intellektuelle wie politische Zugkraft entwickelte. Freilich hat auch die Idee der Neutralität des Geldes vormoderne Vorläufer und mag gar bis zu Aristoteles zurückverfolgt werden, dessen Unterscheidung zwischen Ökonomie und Chrematistik einen Leitfaden für die rechte und die unrechte Verwendung von Geld bieten konnte. Aristoteles sagte aber nicht ausdrücklich – und konnte das auch wahr-

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scheinlich nicht formulieren –, dass Geld überhaupt neutral und eine Technologie sein könne, die für die Selbstorganisation der menschlichen Gesellschaft wesentlich sei, dabei aber doch keine regulierende Kraft ausübe. In seinem Denken war die Gefahr der widernatürlichen Chrematistik immer gegeben, auch in der rechten Verwendung des Geldes. Gleichermaßen hätten mittelalterliche Theologen niemals äußern können, Geld sei grundsätzlich neutral und bloß eine harmlose Konvention: Geld war eine Erfindung des Übermuts, die bestenfalls relativ wenig Schaden anrichtete. Der Übergang zwischen Zins und Wucher war so gefährlich wie fließend, und auch ersterer wurde immer misstrauisch beäugt. Erst im neuzeitlichen Kapitalismus treffen wir auf einen Begriff des Geldes als neutrales, reines Instrument, als sauberen Weg zu einem Ziel, der frei von Nebenwirkungen sei. Das ist ein echtes Paradox: Der orthodoxe Begriff des Geldes als einfacher Zähler ist in gewissem Rahmen anwendbar auf einfache ökonomische Situationen, in denen Akteure zusammenkommen, um Waren zum gegenseitigen Nutzen zu tauschen, und weder von Verpflichtungen aus der Vergangenheit belastet sind noch die Aufnahme von Schulden oder Krediten beabsichtigen – Minsky bezeichnete das als »Dorfmarkt«-Modell (1982a: 61; 1982b: 34).1 Aber insbesondere in einem kapitalistischen Zusammenhang – in dem die Logik des augenblicklichen Austauschs überragt wird von der Dynamik zeitlich situierter Investitionen, Kredite und Schulden – ist dieser orthodoxe Geldbegriff grundsätzlich nicht mehr haltbar. Und doch bildet er sich genau an diesem Punkt. Ein Großteil der modernen Finanzgeschichte kann verstanden werden im Lichte der Spannung zwischen einerseits dem endogenen Charakter des Geldes (dem Fakt, dass es durch Banken- und Verschuldungsvorgänge erzeugt wird, welche die Spekularität im Innern organisieren) und andererseits der Fantasie, wir könnten Geld exogen definieren und unzweideutig von Nichtgeld unterscheiden, also die Logik ökonomischer Selbstorganisation umgehen. Die Doktrin der Geldneutralität lässt sich bis zur Schottischen Aufklärung zurückverfolgen: Wegen eines chronischen Mangels an Münzen war die Finanzwirtschaft im Schottland des 18. Jahrhunderts wei-

Kapitel 8: Praktiken der (Zentral-)Banken, Theorien der Neutralität

ter entwickelt als in England. Um der fortwährenden Einmischung des britischen Staates in die schottischen Finanzinstitutionen etwas entgegenzusetzen, suchten Theoretiker wie David Hume und später Adam Smith, den weitverbreiteten Gebrauch von Papiergeld zu rechtfertigen. Demnach sei gegen die Ausgabe von Geldscheinen (money tokens) nichts einzuwenden, wenn sie vernünftige Ziele des Geschäftsverkehrs verfolge; schließlich, so die Argumentation, sei Geld einfach eine Konvention und seine Verfügbarkeit solle weder willkürlich noch unnötig eingeschränkt werden (Knafo 2013: 119). Geld sei ein bloßer Zähler, der Dinge kommensurabel, also vergleichbar mache und als passives Maß keine konstitutiven Wirkungen auf das Gemessene habe – Geld sei »nur das Instrument, auf das Menschen sich geeinigt haben, um den Tausch von Waren zu erleichtern« (Hume 1988 [1752]: 205). Freilich verbanden Hume und Smith Echtgeld immer noch mit einem Metallstandard, so wie viele Theoretiker nach ihnen. Ihre Beweggründe unterschieden sich aber von denen der Merkantilisten: Während letztere Gold und Silber fetischisiert hatten (im naiven Glauben, die bloße Anhäufung dieser Metalle sichere den Wohlstand eines Landes), war Münzgeld für Hume und Smith einfach eine Ware, die historisch die Rolle eines Wertstandards angenommen hatte. Dennoch hegte Hume gegenüber Banken gemischte Gefühle: Zwar gestand er zu, dass sie Schottland vom künstlich herbeigeführten Mangel an Goldgeld befreit hatten, allerdings misstraute er deren Neigung, mehr Papiergeld auszugeben als zu diesem Zwecke nötig (Arnon 2011: 22). Humes Quantitätstheorie zufolge sollte die Menge des umlaufenden Papiergeldes 1 : 1 die Menge des Münzgeldes abbilden, die als Schmiermittel für das Getriebe des Handels benötigt würde. Anders gesagt: Humes Toleranz gegenüber den Banken endete, wo das Mindestreservesystem begann. Sein ökonomisches Denken war also geprägt von einem starken Spannungsverhältnis zwischen dem Glauben an die Konventionalität des Geldes und der Ablehnung der tatsächlichen Bankenpraktiken, die jene Konventionalität ans Tageslicht gebracht und deren potenzielle Vorteile zum politischen wie intellektuellen Thema gemacht hatten. Smiths Geld- und Bankentheorie kann als Reaktion auf dieses Problem gelten (Knafo 2013: 119):

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Sein Handelswechselprinzip (real bills doctrine) umriss ein spezifisches Kriterium für die gerechtfertigte Kreditbewilligung, mit dem sich die Konformität der Vergabepraktiken seitens der Banken mit der monetären Neutralität sicherstellen ließe. Demnach könnten Banken den Kredit auf der Grundlage von Wechseln gefahrlos gewähren, die mit kaufmännischen Transaktionen gesichert sind (solche Wechsel galten als ›selbstliquidierend‹, weil die Güterlieferung automatisch die Mittel zur Einlösung des Wechsels zur Verfügung stelle). Dieses Prinzip galt als Garantie dafür, dass die Menge des umlaufenden Papiergeldes die Menge der Metallwährung nicht übersteigt, welche ohne die symbolische Geldverkörperung im Umlauf gewesen wäre. Indem er ein spezifisches Kriterium zur Unterscheidung zwischen legitimer und illegitimer Festlegung der Zukunft entwickelte, brachte Smith den Gedanken neutralen Geldes in Einklang mit dem Bankwesen und dem Handel mit zukunftsorientierten Verbindlichkeiten.2 Während in vormodernen Zeiten Geldvorstellungen untrennbar mit der Spekulationskritik verbunden waren, entkoppelte die neue Konzeption der Geldneutralität beide voneinander. Auch wenn bestimmte finanzökonomische Formen weiterhin Irrationalitätsvorwürfe auf sich ziehen, bleibt Geld als Konzept nun von dieser Kritik ausgenommen. Auch in der Neuzeit kritisiert man noch bestimmte Investitionen und finanzökonomische Instrumente wegen ihres spekulativen Charakters, die Kritik am Konzept des Geldes aber ist schwieriger geworden; der Wunsch nach einem Leben ohne die Vergleichs- und Kalkülfunktionen irgendeiner Form von Geld erscheint inzwischen recht naiv oder unreif. Geld gilt nicht mehr als korrumpierende, verderbliche Kraft, sondern als grundsätzlich harmloses Symbol, das durch böswillige spekulative Praktiken selbst beschädigt werden kann. Während in der Vergangenheit politische und religiöse Ordnungsprinzipien vor dem korrumpierenden Einfluss des Geldes zu schützen waren, bedarf nach modernem Verständnis das Geld selbst solchen Schutzes. Bedeutung erlangt die Spekulationskritik nun gerade als Instrument zum Schutze der symbolischen Unschuld des Geldes; während in vormodernen Zeiten auch der zaghafteste Handel mit Zukünftigkeit schon suspekt erschien, unterziehen wir die spekulativen Investitionen in der Neuzeit

Kapitel 8: Praktiken der (Zentral-)Banken, Theorien der Neutralität

einem viel feinmaschigeren Bewertungsraster und unterscheiden ständig zwischen legitimen und illegitimen Fiktionen (Lears 2003). Die Vorstellung der Geldneutralität ist folglich als der ideologische Ausdruck einer säkularen Wirtschaftsrationalität zu betrachten, welche die Unvermeidlichkeit spekulativer Investitionen anerkennt; mit der aufkommenden Legitimität der säkularen Zeit entwickelt sich auch der Gedanke, dass Zeit neutralisiert und Geld so sauber wie exogen definiert werden könne. Wir haben es hier mit einem Kantischen Sprung zu tun: Die Entdeckung des produktiven Charakters der Repräsentation in Geld wird unmittelbar ergänzt um die Fantasie der Selbstdurchsichtigkeit einer solchen Repräsentation. In der Neuzeit erkennt man umstandslos an, dass Geld in der Interaktionslogik kontingenter Forderungen und spekulativer Positionen als strukturierendes Moment dient, dass es in diesem Sinne eindeutig etwas leistet und produktiv ist; eben diese Produktivität aber wird verleugnet, wenn man Geld nur für ein passives Symbol hält, das bloß getreulich grundlegende Werte abbilde. Das erklärt die Leichtigkeit, mit der man in der modernen Gedankenwelt umschalten kann zwischen der Erkenntnis, dass die Wirtschaftsabläufe ›konstruiert‹ (also spekulativ und performativ) sind, und der Überzeugung, dass finanzökonomische Formen und Zeichen ein Spiegel der ökonomischen Grundlagen sein sollen. Man sollte die Neutralitätsvorstellung nicht vorschnell allein mit prokapitalistischer Ideologie oder den Glaubenssätzen professioneller Ökonomen in Verbindung bringen. Sie hat eine starke republikanische Valenz und birgt das Versprechen einer Marktstruktur, mit der die Gesellschaft vor Machtkonzentrationen und der willkürlichen Autoritätsausübung geschützt sei.3 In der gesamten Geschichte der modernen Finanzökonomie finden sich immer wieder Bestrebungen, die Geldneutralität dadurch sicherzustellen, dass man durch dessen Definition die Eigenlogik des Bankensystems umgeht. Sie zeigten sich etwa bei der Gründung des Federal-Reserve-Systems in den USA, als das Handelswechselprinzip der Bevölkerung im Wesentlichen garantieren sollte, dass die von der Zentralbank auszugebenden Zeichen neutral seien und nicht den eigennützigen Spekulationsgeschäften der New Yorker Finanzelite in die Hände spielen, sondern die produktiven Grund-

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festen der US-amerikanischen Wirtschaft widerspiegeln würden (West 1977). Sie zeigen sich auch in der so beachtlichen wie stetigen populistischen Wertschätzung für die Quantitätstheorie (Laidler 2004a) und in der Tatsache, dass monetaristische Konzepte der Geldmengenorientierung in der 1970er-Jahren von populistischen Kongressabgeordneten auf die politische Tagesordnung gehievt wurden (siehe dazu die Ausführungen im nächsten Kapitel).4 Mit dem Handelswechselprinzip stellte sich Smith nachdrücklich gegen eine Machtkonzentration in der Zentralbank (Arnon 2011: 43f.), mit der handfeste persönliche Interessen ihre eigenen Positionen sichern könnten und nur übermäßig viel Geld in Umlauf bringen würden, was die Inflation befeuern und die Solidität der Währung untergraben werde. Allerdings lässt sich die Risikorationalität nicht einfach in den Parametern eines bestimmten Prinzips einhegen und Thornton verwies auf die praktischen Grenzen einer Unterscheidung zwischen echten und fiktiven, zwischen Handels- und Reitwechseln (Mints 1945: 52). Er erachtete es als unwahrscheinlich, dass Kaufleute und Banken immer zwischen beiden unterscheiden könnten, und es sei auch nicht notwendigerweise in deren Interesse, spekulative Wechsel zu meiden, wie Smith fälschlich angenommen habe (Arnon 2011: 101f.). Auch in kaufmännischen Transaktionen, so Thornton, basiere der Kredit immer noch auf »Zutrauen« und Erwartungen (1803: 3f.); er zog folglich die Vorstellung in Zweifel, dass Papiergeld in striktem Verhältnis zu der Metallwährung begriffen werden müsse, die ohne die Papierform im Umlauf wäre (51-53). Es bestehe kein Grund zu der Annahme, dass von Banken ausgegebene Papiere einfach eine lineare 1 : 1-Repräsentation der metallenen Münze sein müssten: Papiergeld spiele eine eigene konstruktive Rolle und ermögliche produktive Geschehnisse, die andernfalls womöglich nicht zustande gekommen wären.5 Die Kehrseite dieser produktiven Nichtneutralität des Bankenkredits war die dadurch verursachte Instabilität, dessen war sich Thornton sehr wohl bewusst und er legte großen Nachdruck auf die Bedeutung der Zentralbank für die Stabilisierung des Bankwesens. Während Smith eine Zentralbank als der Marktlogik abträglich betrachtet hatte, wurzelte Thorntons eher wohlwollende Einschätzung darin, dass er die Hier-

Kapitel 8: Praktiken der (Zentral-)Banken, Theorien der Neutralität

archisierungsdynamik des Kreditsystems ebenso würdigte wie die zentrale Stellung der Bank of England, die sich daraus organisch entwickelt hatte. Für Thornton war eine plötzliche Kontraktion der Papiergeldmenge ein ebenso ernstes Problem wie eine übermäßige Ausgabe von Papiergeld. Wenn die Arbeitsweise der Bank of England nicht unproblematisch war, dann weil sie zu wenige Maßnahmen gegen die kreditkontraktiven (deleveraging) und deflationären Auswirkungen der Krisen ergriff. Während einer Krise müsse die Zentralbank ihre Kreditvergabe ausweiten; es sei der schädliche Einfluss des Handelswechselprinzips (das bei schwacher Konjunktur zur prozyklischen Kreditrestriktion rate, wodurch sich die Gesamtmenge der für die Wirtschaft verfügbaren Zahlungsmittel verringere und der Abschwung noch verstärkt werde), der die Bank of England in ihrer Fähigkeit behindere, entschlossen auf die Stabilisierung des Finanzsystems hinzuwirken. Damit bot Thornton eine theoretische Grundlage für das Konzept vom Kreditgeber der letzten Instanz, das einige Jahre zuvor von Sir Francis Baring (1967 [1797]) erstmals angeregt worden war. In gewissem Maße waren sich die Beobachter der Zentralbanken des ›Fehlanreizes‹ (moral hazard) immer bewusst, der mit solchen Maßnahmen einhergeht – der Tatsache also, dass die Tätigkeit der Zentralbank, indem sie die als systemrelevant geltenden Institute unterstützt, die Kredithebelungsdynamik (leveraging dynamics) verstärkt und jene Praktiken sanktioniert, die überhaupt erst zur Instabilität geführt haben. Die Bedenken, wie Smith sie äußerte – dass Maßnahmenbündel, wie Thornton sie vertrat, in erster Linie jenen zum Vorteil gereichen würden, die selbst handfeste finanzielle Interessen hatten –, verstummten niemals ganz. Deutlich prägten sie die großen Debatten in der englischen Geldpolitik des 19. Jahrhunderts, die um die Frage kreisten, wie sich die Währungsneutralität vor dem zunehmend unstrittigen Hintergrund sicherstellen lasse, dass die Binnenmechanismen der modernen Finanzökonomie Instabilität erzeugten.6 Diesbezüglich kann die Doktrin vom ›Kreditgeber der letzten Instanz‹, die Bagehot Ende des 19. Jahrhunderts ausformulierte, als eine Art Kompromiss betrachtet werden. Er definierte die Funktion des letztinstanzlichen Kreditgebers als Bereitschaft der Zentralbank, unbehindert Kredit zu begeben,

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dies allerdings mit einem Zinsaufschlag und nur gegen gute Sicherheiten. Diese Vorkehrungen sollten sicherstellen, dass die Banken nur in einer Krise – wenn ihnen andere Finanzierungsquellen nicht zur Verfügung stehen – von den Vergabefazilitäten der Zentralbank Gebrauch machen, um diese vor Missbrauch zu schützen. Dies aber war keine erschöpfende Lösung für das Problem der Fehlanreize und hielt die Banken kaum davon ab, in guten Zeiten größere Risiken einzugehen, denn sie konnten mit neuen Krediten (Bail-out) rechnen, falls sie in Schwierigkeiten geraten würden. Außerdem bietet das Beharren auf einer guten Besicherung als Bedingung des letztinstanzlichen Kredits kaum konkrete Hilfestellung, wenn das Problem nicht nur in einem zeitweiligen Liquiditätsengpass besteht und die Qualität der Sicherheiten selbst in Zweifel steht. Wie Hawtrey schrieb, »kann die Zahlungsunfähigkeit [insolvency] so weit verbreitet sein, daß nur unter der Voraussetzung guter Sicherheitsleistung gewährte Vorschüsse vielleicht nur wenig oder gar nichts zur Rettung der Lage beizutragen vermögen« (1926: 140). Anders gesagt, die BagehotDoktrin fußte fatalerweise auf der Annahme, man könne zwischen Liquiditäts- und Solvenzproblemen klar unterscheiden (Goodhart 1999). Ein Minsky’scher Standpunkt, wonach individuelle Solvenz und Vermögenswerte nicht unabhängig von der Liquiditäts- und Zahlungsdynamik existieren, legt nahe, dass die Finanzmarktsteuerung (financial governance) gar nicht neutral sein kann: Die selektive Bereitstellung von Refinanzierungsliquidität stützt bestimmte Werte und andere nicht. Die Kreditvergabe der letzten Instanz war folglich und aus gutem Grunde nie in der Lage, ethische und politische Zweifel ganz auszuräumen. Die Befähigung, Prozesse der Kreditausweitung und -kontraktion zu beeinflussen und damit der Notwendigkeit einer Unterstützung durch den Kreditgeber der letzten Instanz vorzubeugen, war daher immer der heilige Gral der Zentralbanken. Diesbezüglich waren sich die Praktiker in den Zentralbanken über die Grenzen quantitativer und qualitativer Formalgrundsätze wie der Hume’schen Quantitätstheorie und des Smith’schen Handelswechselprinzips immer im Klaren, betrachten sie diese doch als unzureichend abgestimmt auf

Kapitel 8: Praktiken der (Zentral-)Banken, Theorien der Neutralität

die Binnendynamik des Bankwesens – oftmals erfreuten sich solche Grundsätze bei jenen größerer Beliebtheit, die die Ermessensspielräume der Zentralbanker einschränken wollten. Größeren Einfluss hatte die Idee kontrazyklischer Maßnahmen, wie sie Wicksell (2 1984) 1898 zuerst formulierte. Für gewöhnlich gilt Wicksell als jener Ökonom, der Fragen der Zeit wieder in die Wirtschaftstheorie einführte, nachdem sie durch die marginalistische Revolution der Neoklassik verbannt worden waren. Doch auch wenn Wicksell damit beachtlichen Einfluss auf die Entwicklung der heterodoxen Wirtschaftstheorie gehabt hat (Goodspeed 2012), zielte er im Wesentlichen darauf ab, die Zeit wieder berücksichtigen, zugleich aber neutralisieren zu können, um die Welt mehr in Übereinstimmung zu bringen mit dem neoklassischen Modell. Ausgehend vom Kredit und den Schulden, die durch zeitlich situierte Investitionen hervorgerufen wurden, argumentierte Wicksell, Geld könne effektiv neutral sein, wenn der nominale Geldzins auf gleicher Höhe gehalten werde wie der natürliche Kapitalzins (das fiktive Konstrukt der Kapitalerträge in dem Fall, dass Geld nicht erforderlich sei [Wicksell 2 1984: iii]): »Wenn nun das Geld von den Geldverleihern thatsächlich zu diesem Zinssatze dargeliehen wird, so dient der Gebrauch des Geldes nur als eine Einkleidung eines Vorgangs, der, rein begrifflich gesprochen, sich ebensogut ohne Geld hätte vollziehen können« (95). Es ging hier nicht darum, Geld in einer Weise zu definieren, die mit der Logik des Bankensystems über Kreuz liegt, oder künstliche Kriterien zur Begrenzung des spekulativen Charakters einzelner Positionen festzulegen, sondern ganz geschickt von einem Kanal Gebrauch zu machen, durch den die Zentralbank organisch mit dem Finanzsystem verbunden ist: dem Zinssatz. Wicksell bot also eine überaus einfache Art, die Geldneutralität in einer Welt ohne jegliche Kreditund Spekulationsbeschränkungen sicherzustellen. Mit seiner Theorie wurde die Finanzmarktsteuerung zu einer sauberen Angelegenheit und war in der Lage, auf das plumpe Werkzeug letztinstanzlicher Rettungskredite zu verzichten; man brauchte bloß noch den richtigen Zinssatz festlegen. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Instabilität noch eine derart ausgeprägte Eigenschaft der Finanzökonomie und die Rolle der Zentralbank war noch so wesentlich definiert durch ihren

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Aspekt eines Kreditgebers der letzten Instanz, dass der Gedanke einer Geldpolitik, die hauptsächlich auf der kontrazyklischen Anpassung der Zinssätze beruhe, kaum wirklich praktische Bedeutung besaß (Wicker 1966). Die technokratische Fantasie einer Finanzmarktsteuerung, wie sie sich in Wicksells Arbeit ausdrückte (bei der sich die Zentralbank mit ihrer Ermessens- und Handlungsmacht zur Neutralisierung jener Instabilitäten fähig glaubt, welche sie erst hervorgebracht hatten), fand erst später Anerkennung – allerdings nicht, weil sie die Funktion eines Kreditgebers der letzten Instanz überlagert oder überflüssig gemacht hätte, sondern weil letztere sich in der geldpolitischen Alltagspraxis etablierte. Während einem Beobachter aus dem 19. Jahrhundert der Gedanke wohl befremdlich erschienen wäre, dass eine Zentralbank andere Funktionen haben könne als die des Kreditgebers der letzten Instanz, müsste einem Beobachter aus dem späten 20. Jahrhundert gleichermaßen die Annahme verziehen werden, die Zentralbank widme sich im Wesentlichen nur der direkten Inflationssteuerung (inflation targeting).7

Kapitel 9:  Entwicklungslinien der US-Finanzaufsicht

Zwar bot die Bagehot-Doktrin zu keiner Zeit eine überzeugende theoretische Lösung für die Probleme im Zusammenhang mit der Funktion des Kreditgebers der letzten Instanz; allerdings hatte sie beträchtliches Gewicht im Großbritannien des 19. Jahrhunderts, wo das große Volumen handelsbezogener Verschuldung dem Bankensystem eine gewisse Stabilität bot (Toniolo 2010: 63; Bignon et al. 2012). Doch ein großes Anwendungsfeld fand die Bagehot-Doktrin im US-amerikanischen Umfeld nicht, das immer eine stärker spekulative Facette aufgewiesen hatte (Konings 2011) und niemals auf handelsbezogenen Wechseln aufbaute (Hawtrey 1922: 226). Folglich war die Dynamik im Kreditauf- und -abschwung (leveraging and deleveraging) sehr viel volatiler, weshalb die Notwendigkeit einer Zentralbank den Bankern sehr viel deutlicher vor Augen stand. Doch die öffentliche Meinung – geleitet von Ansichten, die der Smith’schen Haltung gegenüber einer Zentralbank nicht unähnlich waren – verhinderte wiederholt die Entstehung oder Gründung einer solchen Einrichtung (Timberlake 1993). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahmen die Krisen an Schwere zu und die Auswirkungen der finanzökonomischen Instabilität zogen immer weitere Kreise. Unter diesen Umständen gewann das Plädoyer für eine Zentralbank an Überzeugungskraft und die Gründung des FederalReserve-Systems erfolgte 1913. Allerdings stellte der äußerst spekulative Charakter des US-amerikanischen Finanzmarkts dessen Zentralbank vor besondere Herausforderungen. Einerseits waren die mit ihr geschaffenen Fehlanreize besonders ausgeprägt: Die Aussicht auf ei-

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ne letztinstanzliche Kreditvergabe befeuerte einerseits die Bereitschaft der Banken, riskante Finanzpositionen aufzunehmen (Degen 1987). Andererseits erwies sich, dass die Funktion des Kreditgebers der letzten Instanz im Abschwung des Kreditvolumens tatsächlich gar nicht so wirksam war: Wenn die finanzökonomische Dynamik sich nicht mehr durch eine auch nur plausible Vorstellung zugrundeliegenden Werts bestimmt, setzen erhöhte Zweifel am Wert der wesentlichen Sicherheiten Notverkäufe von Bankvermögen in Gang, bei denen sich eine Talsohle nicht abzeichnet, was weiter zu selbstverstärkenden Effekten führt (Calomiris/Mason 2003). In solchen Situationen ist die Bereitstellung von Liquidität völlig unzureichend, denn die Krise erscheint bald als Solvenz- und nicht mehr bloß als Liquiditätskrise. Einfach gesagt, haben die Banken in einer Krise keine soliden Sicherheiten mehr zu bieten (Wheelock 2010: 103) und eine Kreditvergabe nach dem Grundsatz der Bagehot-Doktrin kann (auch beträchtlich verwässert) daher dem Abschwung des Kreditvolumens nicht erfolgreich Einhalt gebieten. Diese Instabilitäten kulminierten im Börsenkrach von 1929, in der Weltwirtschaftskrise, ja in einer allgemein kapitalistischen Krise. Der New Deal suchte Aufsichtsbehörden zu schaffen, die den Umgang mit der Instabilität der Finanzmärkte verbessern und aktiv auf die Prävention von Finanzkrisen hinwirken sollten; gleichzeitig aber musste er das System befähigen, auf die wachsende Nachfrage der Bevölkerung nach einem Zugang zu Krediten zu reagieren. Die Kredit- und Verbriefungsmaßnahmen des New Deal erhöhten die Verfügbarkeit staatlich gestützter Liquidität und machten den Zugang abhängig von der Investition in verschiedene Formen der Privatverschuldung (Hyman 2011). Die staatlich beauftragten Zweckgesellschaften (government-sponsored enterprises, GSE) fungierten im Wesentlichen als ständig verfügbare Liquiditätsquellen, wodurch die Banken ihr Liquiditätsrisiko an ein öffentlich gestütztes Institut weiterreichen konnten. Außerdem wurden die Auswirkungen dessen (von den 1930ern bis Anfang der 1950er-Jahre) durch die Stützung des Staatsschuldenmarktes seitens der Federal Reserve deutlich verstärkt (Gaines 1962). Zur gleichen Zeit stellten sich die Entscheidungsträger stärker auf die praktische Unmöglichkeit einer Unterscheidung zwi-

Kapitel 9: Entwicklungslinien der US-Finanzaufsicht

schen Liquidität und Solvenz ein, sie konzentrierten sich denn auf die technische Infrastruktur des Interbanken-Zahlungsverkehrssystems und suchten Liquiditätsengpässe zu beheben, wo immer sich diese auch nur abzeichneten. Insgesamt lief das auf die proaktive Bereitstellung großer Liquiditätsvolumen für das Bankensystem hinaus. Die wichtigste Neuerung des New Deal war allerdings die Einführung der Einlagensicherung, die der Logik hinter Schalterstürmen und Notverkäufen den Boden entzog sowie einer Schuldendeflation vorbeugte und also als integraler Bestandteil der Zentralbankfunktion fungierte (Minsky 1970: 110-112; 2008 [1986]: 52). Sofern der New Deal einen Klassenkompromiss darstellte, kann die Einlagensicherung als dessen Versinnbildlichung gelten: Sie bietet eine Staatsgarantie für die Gelder der einfachen Leute, zugleich löst sie maßgeblich die Überlebensschranken der Banken und ermöglicht ihnen also ein Engagement in neuen Formen der spekulativen, zukunftsorientierten Kreditvergabe (etwa Verbraucherkredite und langfristige Hypotheken für einfache Leute). Anders gesagt, die New-Deal-Reformen schufen ein sogenanntes ›Bundessicherheitsnetz‹ für das Bankensystem (Schwartz 1987; Jones/Kolatch 1999). Diese Konstellation von Finanzeinrichtungen veränderte die Kreditauf- und -abschwungdynamik in beachtlichem Maße, so dass es in den ersten Jahren nach 1945 zu keinen größeren Zusammenbrüchen kam (Minsky 2008 [1986]: 50). Die Federal Reserve begriff sich nun als Träger kontrazyklischer Maßnahmen: »immer hart am Wind, egal ob er uns als Deflation oder als Inflation entgegenweht«, wie deren Präsident William McChesney Martin es formulierte (zit. in Bremner 2004: 5). Die Inflation aber sollte sich als weit gefährlicher und die Fähigkeit der Federal Reserve, die Kreditschöpfung mittels Zinserhöhung zu begrenzen, als stets äußerst beschränkt erweisen. Der Umstand, dass die Banken nun in beachtlichem Maße vor der Gefahr eines Schaltersturms sicher waren, hob die gewisse Symmetrie zwischen den Mechanismen des Kreditauf- und des Kreditabschwungs auf. Das Ergebnis war ein dauerhafter Inflationsdruck (Minsky 2008 [1986]: 17). Minsky formuliert es so: »Anstatt dass zwischen den Finanzkrisen und tiefen Rezessionen Jahrzehnte liegen, droht eine Krisen- und Rezes-

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sionsgefahr im Rhythmus weniger Jahre; anstatt einer ausgeprägten tiefen Rezession, erleben wir nun die chronische Inflation« (2008 [1986]: 106).1 Dies erzeugte eine spezifische Konstellation regulatorischer Herausforderungen, die noch dadurch verschärft wurden, dass eine Reihe von Verträgen und insbesondere Branchentarifverträge an den Inflationserwartungen ausgerichtet worden waren. Zwar zählte die Federal Reserve in der Nachkriegszeit die Inflationskontrolle zu ihren Hauptaufgaben, allerdings stemmte sie sich im Wesentlichen gegen den Druck, den der New Deal im Gesamtsystem geschaffen hatte (Burns 1979). Als sich die Fed in den späten 1950er-Jahren aktiver um die Inflation kümmerte und die Kreditschöpfungsfähigkeiten der Banken einzuschränken suchte, erfanden die Banken neue finanzökonomische Formen und Techniken jenseits der regulatorischen Zuständigkeit der Zentralbank. In den folgenden Jahrzehnten sollte sich nun ein Muster mehrmals wiederholen, dass nämlich die Federal Reserve eine gewisse regulatorische Kontrolle über diese neuen Bereiche der Kreditschöpfung entwickelte, nur um sich dann weiteren finanzökonomischen Innovationen gegenüberzusehen (Mayer 1974). Als einer der ersten Beobachter erkannte Minsky (1957) diese Veränderungen und den damit verbundenen Handlungsbedarf für die Zentralbank. Er sah darin in erster Linie eine Widerlegung der Feinsteuerungsfantasien der Fed, schließlich bestehe die operative Grundlogik der Finanzmarktsteuerung in der Stabilisierung des Zahlungsverkehrssystems und in der letztinstanzlichen Kreditvergabe. Wie zutreffend diese Einschätzung war, erwies sich in der Entwicklung der Finanzmarktsteuerung in den 1960er- und 1970er-Jahren. Obwohl die Inflation den Regulatoren immer größere Sorgen bereitete, sahen diese keine Alternative als jenen Finanzpraktiken nachzugeben, die für das Problem verantwortlich waren (Mayer 1999): durch die Ausweitung öffentlicher Wertpapieroptionen, die verstärkte Absicherung des Zahlungsverkehrssystems und die rechtliche Sanktionierung verschiedener Innovationen – all das bestärkte bei den großen Finanzinstituten die Stützungserwartungen (Minsky 2008 [1986]: 221f.). Die Versuche zur Beschränkung der Kreditschöpfung durch die Banken befeuerten lediglich das Wachs-

Kapitel 9: Entwicklungslinien der US-Finanzaufsicht

tum eines Schattenbankensektors, der sich diese Fazilitäten vielfach zunutze machen konnte. Im Ergebnis kam es wieder zu Kreditaufund -abschwüngen und erhöhter Instabilität. Eine Ausweitung der Einlagensicherung auf die Kapitalmärkte bildete aus politischen wie ökonomischen Gründen keine gangbare Option und es schien sich eine Zukunft spontaner Refinanzierungsaktionen (ad hoc bailouts) abzuzeichnen. Als in den 1970er-Jahren deutlich wurde, dass auch eine Stagnation der Wirtschaft die Inflation nicht bremsen würde, führte die Federal Reserve das Problem zunehmend auf die operativen Grundebenen der Finanzmarktsteuerung zurück. Minsky war offenbar der Meinung, dass es aus dieser Zwangslage keinen echten Ausweg gab: Ohne größeren politischen Wandel, der das Investieren und die Kreditallokation demokratisieren würde, schien es für den US-amerikanischen Staat keine Möglichkeit zu geben, jener schwierigen Dynamik zu entkommen, in die er konstitutiv verstrickt war. Diese Ansicht wurde in gewissem Maße auch von Arthur Burns geteilt, der fast die gesamte Dekade lang Präsident der Federal Reserve gewesen war. Unter dem Titel »Die Malaise der Zentralbanken« beklagte er 1979 in einer Rede, die Federal Reserve könne der Inflation nicht Herr werden, ohne eine Reihe inakzeptabler Nebenwirkungen hervorzurufen (1979: 16). Burns betonte, die Lage der Federal Reserve erlaube keine Zuflucht zu sauberen Maßnahmen oder Lösungen, und erklärte, in den 1970er-Jahren »war die Geldpolitik von dem Grundsatz bestimmt, die inflationäre Entwicklung auszuhungern, dabei aber dem Druck der Märkte noch großenteils nachzugeben« (16). Burns zufolge war das Problem unmittelbar mit den Erwartungen verknüpft und hatte einen stark psychologischen Aspekt angenommen: »Wenn die Vereinigten Staaten und andere Industrieländer im Kampf gegen die Inflation wirklich an Boden gewinnen wollen, ist es zunächst notwendig, die Psychologie der Inflation zu überwinden« (24). Weiterhin führte er aus: »Ein derartiger Wandel in der Massenpsychologie lässt sich wahrscheinlich nicht herbeiführen durch kleinere Korrekturen der politischen Linie. Angesichts der starken und weit verbreiteten Inflationserwartungen, die gegenwärtig vorherrschen, bin ich daher

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widerstrebend zu der Überzeugung gelangt, dass es einer recht drastischen Therapie bedarf, um die Psychologie der Inflation zu entkräften« (24). Eine solche Therapie folgte bald nach dem Ende von Burns’ Amtszeit, und zwar in Gestalt der von Paul Volcker eingeleiteten Wende zum Monetarismus. Dieser kann als moderne Verkörperung der Hume’schen Quantitätstheorie gelten: Damit das Geld in seiner neutralen Eigenschaft fungieren könne, fordert der Monetarismus, dass die Zentralbank eine strenge institutionelle Kontrolle über dessen Schöpfung und Menge ausübe (Friedman 1970). Eine Vielzahl derer, die die monetaristische Linie der Federal Reserve vorantrieben (und insbesondere Volcker selbst), hegten Zweifel an der ökonomischen Stichhaltigkeit des Monetarismus (Silber 2012). Doch über Jahre hinweg hatte der US-Kongress beachtlichen Druck auf die Federal Reserve aufgebaut, den Gedanken der direkten Geldmengensteuerung (quantity targeting) ernsthafter ins Auge zu fassen (Weintraub 1978). In diesem Zusammenhang sollte man den populistisch-republikanischen Beistand für den Monetarismus bedenken; dessen Aufstieg und Durchbruch wurde etwa unterstützt durch die Kampagnen des Kongressabgeordneten Wright Patman, der mit seinen populären Ansichten der klassischen Abneigung gegen Zentralbanktätigkeiten eine politische Heimat bot und sich auf diese Weise zu einem wichtigen Gegenspieler der Fed entwickelte (Kane 1975; Young 2000). Besonders besorgt zeigte er sich angesichts einer mangelnden Rechenschaftspflicht der Federal Reserve und offenbarte damit eine erhebliche Nähe zu monetaristischen Theoretikern (Weintraub 1977: 519). In seiner Funktion als Vorsitzender des Bankenausschusses im Kongress bot Patman monetaristischen Theoretikern seit 1963 eine Bühne; die seinerseits organisierten Anhörungen und Berichte führten 1975 zur Verabschiedung einer Kongressresolution, mit der die Fed angehalten wurde, ihre Geldpolitik an messbaren Zielmarken (vor allem am Wachstum der Geldmengenaggregate) auszurichten – in den Augen von Milton Friedman ist diese Resolution für die wachsende Legitimität des Monetarismus von zentraler Bedeutung gewesen (Weintraub 1977: 526f.).

Kapitel 9: Entwicklungslinien der US-Finanzaufsicht

Volcker setzte sich nur gezwungenermaßen mit dem Gedanken der Geldmengensteuerung auseinander und erfasste intuitiv deren produktives Potenzial und praktische Anwendung (Volcker 1978, 1979). Er war sich bewusst, dass die Kredit- und Versicherungsfunktionen des Staates für den endogenen Prozess, durch den der Dollar als stabiles Maß konstituiert wurde, unverzichtbar waren und aus diesem Grunde eine kritische Infrastruktur bildeten; und deshalb kam es für Volcker nicht infrage, die Finanzmarktsteuerung – wie es Friedmanns (1982: 117) Monetarismus vorsah – durch einen Nachtwächter zur Geldmengenkontrolle zu ersetzen. Zugleich aber erkannte er in der Rolle des Staates insofern ein Problem, als dass dieser seinen Beitrag zur Inflation leistete. Anders gesagt, für Volcker bestand das Problem darin, wie der Staat sein Verhältnis zu einem Prozess verändern könne, an dem er konstitutiv beteiligt war und aus dem er sich nicht einfach herausziehen konnte. Das unterschied sich nicht völlig von Minskys Sicht der Dinge, doch Volcker fand einen Ausweg, der nicht auf die umfassende Demokratisierung des Investierens hinauslaufen würde. Er betrachtete den Monetarismus nicht als Mittel, die Finanzökonomie von außen zu begrenzen, sondern als ein Mittel des Erwartungsmanagements (vgl. Kaplan 2003; Holmes 2013). Er begriff ihn als rhetorisches Werkzeug, mit dem der Staat die endogene Banken- und Geldschöpfungsdynamik produktiv einbinden könne, statt dieser nur nachzugeben. Diese erwartungsbezogene Facette einer angebotsorientierten Quantitätstheorie adressierte Tobin (1981) als »Monetarismus von der zweiten Art« (42), womit er die Art und Weise bezeichnete, in der ›neoklassische‹ Ökonomen monetaristische Kernthemen in einem stärker qualitativen Register neu formulierten (Lucas 1972; Sargent 1982). Demnach würde jeglicher Versuch, eine inflationäre Geldpolitik in den Dienst sozialer und politischer Ziele zu stellen, in die Erwartungen einbezogen, woraus folge, dass expansive Strategien bloß zur Inflation und nicht zu den erhofften positiven Auswirkungen führen würden. Lucas (1976) formalisierte diese Argumentation eigens am Beispiel einer unwirksamen Sozialtechnik der ermessensgeleiteten Finanzpolitik und unterstrich die performativen Folgen der Regulierung: Sobald eine beobachtete empirische Regelmäßigkeit in politisches Handeln

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einfließe, unterliege diese Regelmäßigkeit einer Veränderung und untergrabe damit die beabsichtigten Positivwirkungen der Maßnahme. Während Lucas’ Thesen noch jegliche zielgerichtete Strategie (activist policies) zurückzuweisen schienen, formulierte Sargent (1982) die darin implizite Linie klar (und historisch untermauert mit Belegen, dass eine Hyperinflation immer nur durch eine Art Schocktherapie überwunden worden sei) in seiner These, der Wende zur anti-inflationären Geldpolitik müsse notwendig ein massiver disziplinierender Schreckmoment vorausgehen. Dieser Gedankengang wird zwar häufig mit der Neoklassik in Verbindung gebracht, es ergibt aber doch mehr Sinn, wie Laidler plädiert, Lucas und andere Verfechter des neutralen Geldes im Lichte des Erwartungsmanagements als »Neo-Österreicher« (neo-Austrians) (1981: 12) zu begreifen.

Kapitel 10:  Hayek und die neoliberale Vernunft

Wenn das Problem für Volcker darin bestand, wie der Staat sein Verhältnis zu einem Prozess ändern könne, in den er konstitutiv verstrickt ist, lässt sich sagen, er fasse das Problem der Finanzmarktsteuerung in Hayek’scher Perspektive auf: Wie ist ein Ordnen möglich, wenn es keine politische Handlung oder Institution (agency) gibt, die sich außerhalb der Risiko- und Spekulationslogik stellen könnte? Bei Hayek findet sich eine systemtheoretische beziehungsweise radikalkonstruktivistische Problemstellung in der Frage danach, wie eine Lenkung vor dem Hintergrund einer endogen motivierten Logik möglich sei, die willkürliche, souveräne Entscheidungen und exogene Eingriffe ausschließt (Cooper 2011; Kessler 2013). Zwar nahm Hayek erst spät und auch nur gelegentlich ausdrücklich Bezug auf die Systemtheorie (bspw. 1961, 1979), allerdings kreiste sein Werk wesentlich um das Problem der ökonomischen Selbstorganisation; und zwar bereits seit er seine Kritik an der sozialistischen Planung als Kritik am rationalen Konstruktivismus formulierte (1936). So stellte Hayeks Theorie ein Problem in den Vordergrund, das in anderen Strömungen des Neoliberalismus eine eher untergründige Existenz führte – nämlich wie das Bewusstsein von den Grenzen des rationalen Konstruktivismus in Praktiken des Ordnens und der Lenkung integriert werden kann. Das ökonomische Problem, wie Hayek es sah, wies eine starke Ähnlichkeit mit Minskys Auffassung auf: »Ungewissheit (oder Unsicherheit) ist eine tiefsitzende Eigenschaft dezentraler Systeme, in denen eine Unzahl unabhängiger Akteure Entscheidungen treffen, deren Auswirkungen

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sich in Ergebnissen aggregieren, die sich über eine lange Reihe von ›morgen‹ verteilen« – diese Formulierung stammt von Minsky (1996: 360), hätte aber umstandslos auch von Hayek notiert worden sein können. Doch beider Sichtweise auf die Bedeutung des Problems unterschied sich deutlich: Minsky meinte, nur die Vergesellschaftung und Koordinierung der Investitionsentscheidungen böte einen Ausweg aus der bedrohlichen Dynamik der 1970er-Jahre, dahingegen waren nach Hayeks Ansicht just Bestrebungen nach zentraler Kontrolle und rationaler Wirtschaftsplanung (economic engineering) die Ursache dafür, dass sich die kapitalistische Gesellschaft mit solchen Problemen überhaupt konfrontiert sah. Im Zentrum von Hayeks Arbeiten steht das Konzept, die Wirtschaftsordnung könne nur durch einen evolutionären Prozess spontaner Selbstorganisation entstehen: Sie kann nicht von einer äußeren Autorität oder Stelle rational entworfen werden, sondern muss die unbeabsichtigte Folge der wettbewerblichen Interaktion einzelner unternehmerischer Leistungen sein. Hayeks Blick auf die Wirtschaftsordnung lässt sich auffassen als eine weiter säkularisierte Version von Adam Smiths Konzept der unsichtbaren Hand. Obwohl Hayek dieser Idee sehr viel verdankte, war er der Auffassung, dass Smiths Vorstellung »metaphorisch und unvollständig« geblieben sei (Hayek 2011b: 167). Zwar spiegele die Metapher der unsichtbaren Hand eine bedeutende Ahnung von den Prinzipien der Selbstorganisation und spontanen Ordnung, allerdings stand sie dem stärker säkularisierten Verstand Hayeks noch zu sehr im Geruch eines Glaubens an göttliche List. Kategorisch verneinte Hayek die Möglichkeit äußerer Eingriffe oder Lenkung, Triebfeder der Ökonomie seien ausschließlich ›Versuch und Irrtum‹, Ungewissheit und Entdeckung. Während Smith mit seiner berühmten Metapher danach fragte, wie Ordnung in einer zunehmend säkularisierten Welt – die sich nicht mehr als von göttlichem Verstand gelenkt begreifen kann – noch möglich sein könne, standen für Hayek und sein Verständnis spontaner Ordnung nicht die Grenzen weltlicher Vernunft infrage, sondern just deren »Anmaßung« (2011b) und insbesondere der rational-konstruktivistische Glauben, den Hayek als das bestimmende Merkmal des Sozialismus und Linksliberalismus

Kapitel 10: Hayek und die neoliberale Vernunft

(progressivism) im 20. Jahrhundert ansah. Seine These lautete nicht bloß, dass ein Handeln ohne Gewissheit oder klare Vision akzeptabel, sondern dass es notwendig und zwingend sei, dass es keine anderen Ursachen der Ordnung gebe als das Eingehen von Risiken und die Interaktion spekulativer Positionen. In einem Fazit der Schlussfolgerung, zu der ihn seine 50 Jahre zurückliegende Hinwendung zum Problem des Wissens letztlich geführt hatte, betonte Hayek in Die verhängnisvolle Anmaßung, dass nur »eine Vernunft, die ihre eigenen Grenzen kennt« und »den Folgerungen der von Wirtschaftstheorie und Biologie aufgezeigten erstaunlichen Tatsache ins Auge blickt, daß eine ohne Entwurf entstandene Ordnung bei weitem die Pläne übertreffen kann, die Menschen bewußt ersinnen« – dass nur eine solche Vernunft »sinnvoll gebrauchte Vernunft« sei (2011b: 5). Während Hayek das ökonomische Problem ganz ähnlich betrachtete wie Minsky und wie dieser keine Möglichkeiten eines sauberen Eingriffs von außen in die ökonomische Logik zu erkennen vermochte, galt ihm doch ein gesteigertes Bewusstsein von ebendieser Tatsache als Lösung des Problems. Das Bewusstsein von der Unmöglichkeit wahrhaft objektiver Beobachtungen und wirklich äußerer Eingriffe war selbst der Eingriff, dessen es bedurfte. Die Wirtschaft war für Hayek ein Vorgang evolutionärer Entwicklung (evolutionary emergence) und er forderte, die ökonomischen Akteure sollten ihre säkularen Ursprünge und ihre performative Natur eisern anerkennen und sich einem Missbrauch ihrer reflexiven Kapazitäten verweigern, durch den die irrationale Fantasie einer rationalistischen institutionellen Gestaltung konserviert würde. Spekulation sei erlaubt, ja erforderlich – allerdings müsse das Subjekt jede Hoffnung aufgeben, seine unvollständige und kontingente Natur zu transzendieren, und sich völlig der unsichtbaren ökonomischen Logik verschreiben. Die Modalitäten ökonomischer Selbstorganisation würden, laut Hayek, in ihrer Funktionsweise just durch das linke Streben nach rationalem Konstruktivismus und Sozialtechnik gestört. Allerdings übersehen die heterodoxen Kritiker des zeitgenössischen Kapitalismus oftmals, dass die neoliberalen Diskurse bereits eine eigene Kritik am Exzeptionalismus im Angebot haben und den sozialpolitischen Ansatz als

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unplausiblen Versuch darstellen, den Staat von der Risikorationalität des Marktes auszunehmen. Diese Kritik sieht im interventionistischen, aktiv eingreifenden Staat – bestehend einerseits aus dem vormundschaftlichen, linksliberalen Charakter mit seinem Glauben an die rationalistische Gestaltung und andererseits aus seinen Nutznießern, die sich nicht auf die Rückzahlung ihrer Schulden festlegen können – eine ungeeignete, von außen auferlegte Behinderung des Risikos in seiner Fähigkeit, neutrale und nichtspekulative Grundlagen sowie schuldenfreies Geld zu erzeugen. Diese Argumentation führt jedes wirtschaftliche Problem darauf zurück, dass der Markt ›immer noch‹ von einer äußeren politischen Institution verzerrt werde, welche sich gegen die eiserne Logik der wettbewerblichen Evolution sperre. Und der Gedanke gewinnt mit jeder faktischen Widerlegung nur an Zugkraft, schließlich bewiesen ganz offenkundige Belege des Gegenteils nur, dass die Korruption noch tiefer reiche als bisher angenommen. Wie Vatter (2014) ausführt, hat Hayeks Philosophie eine stark republikanische Valenz: Verfasst wurde das Werk, das der Schottischen Aufklärung viel zu verdanken hat (Horwitz 2001; Petsoulas 2001), zu einer Zeit, als die Unterscheidung zwischen Republikanismus und Liberalismus noch nicht üblich und gängig war, und es transportiert eine Vorstellung des Marktes insbesondere als Schutzmacht gegen kumulative Ungleichheiten beziehungsweise strukturelle Machtgefälle. Dem Neoliberalismus gelang es stets, sich als den wahren Erben dieses republikanischen Wirtschaftsbildes darzustellen, und dadurch konnte er die regierungskritischen republikanischen Ansichten in einem gouvernementalen Regierungsprojekt unterbringen. Der hier gewählte Zugang zu Hayeks Linie unterscheidet sich also von der üblichen kritischen Stoßrichtung, derzufolge Hayeks Arbeiten (und das darin artikulierte neoliberale Projekt) selbst unmittelbar verknüpft seien mit einem souveränen Dezisionismus in der Tradition Carl Schmitts und sich von der katallaktischen Marktdynamik,1 der andere angeblich nicht entkommen könnten, ausnähmen (Cristi 1984; Scheuerman 1997; Papaioannou 2012; Bonefeld 2012). Darin spiegelt sich die allgemeinere Tendenz, die Neoliberalismuskritik auf eine von Agamben inspirierte Auseinandersetzung mit dessen exzeptio-

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nalistischer oder gar autoritärer Natur zu stellen; es heißt dann, der Neoliberalismus überlebe nur vermittels wirtschaftlicher Eliten, die den Staat in einer Weise im Griff haben, die sie zur Umgehung demokratischer Legitimationsmechanismen befähige. Wer Hayek als Verkörperung eines doppelbödigen neoliberalen Gebrauchs des souveränen Dezisionismus betrachtet, übersieht allerdings einen wichtigen Punkt in der Logik, die sowohl in seinen Arbeiten als auch in der neoliberalen Praxis wirksam ist. Letztlich postuliert Hayek mit Nachdruck, dass der Staat keine privilegierte Voraussicht beanspruchen und keine Ausnahmestellung gegenüber der historischen ökonomischen Logik besetzen kann.2 Das Hayek’sche Projekt zielt nicht auf eine Rehabilitierung der über dem Risiko stehenden Souveränität, sondern auf eine Reaktivierung der Selbstorganisationsmechanismen, welche Kontingenz in Ordnung umwandeln – und es unterstreicht dabei die notfalls proaktive Erzeugung der Ungewissheit, die ihm als Voraussetzung von Ordnung gilt (Davies/McGoey 2012). In dieser Lesart ist der Neoliberalismus kein Comeback des souveränen Dezisionismus, sondern eine Rekalibrierung der Verbindung zwischen Spekulation und eiserner Austerität als Angelpunkt des kapitalistischen Wertes. Während der Gedanke der Schmitt’schen ›Ausnahme‹ die Möglichkeit einer Aussetzung der normalisierenden Eigenschaften von Risiko und Spekulation voraussetzt, vertraut der Neoliberalismus gerade auf deren Operationalität. In dem Bewusstsein, dass es ein Außerhalb der Risikologik nicht gibt, drängt er in der Erwartung an ihre Grenzen, dass derartige spekulative Übertretungen von der Systemdynamik integriert werden. Durch die Indienstnahme der stochastischen Grenzbereiche sucht er, die normalisierenden Eigenschaften der kapitalistischen Ökonomie zu aktivieren. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Hayek von der Figur des Unternehmers offenbar nie besonders fasziniert war. Während die Unternehmer bei Schumpeter als Hauptfiguren der kapitalistischen Entwicklung auftreten, schien Hayek sie einfach als Menschen zu betrachten, die ohne Rechtfertigungen oder Ausflüchte ihre Arbeit tun und an Prozessen der Informationsfindung beteiligt sind, indem sie in eine unbekannte Zukunft hinein agieren und also die Koordinierung wirtschaftlicher Aktivitäten ermöglichen. Eine besondere Ehrung

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oder Aufmerksamkeit schien dafür nicht angezeigt. Zumeist schien er an einem anderen Charakter interessiert: der in der Schuld der Vergangenheit steht, diese Tatsache aber nur schwer akzeptieren kann und nach Ausflüchten sucht, um sich seinen Rückzahlungspflichten zu entziehen. Oftmals scheint Hayek das Subjekt an die Verpflichtungen erinnern zu wollen, die es aus der Vergangenheit geerbt hatte und deren Bedienung eine eiserne Unterwerfung unter Kräfte erforderte, die das eigene Verständnis überstiegen. Die Katallaxie hat demnach mit Kreativität nicht viel zu tun, es geht hier eigentlich nur um die Übereinstimmung zwischen Fähigkeiten und Aufgaben. Bei Hayek liest sich das großenteils wie eine aufwändige Entkräftung all jener Rechtfertigungen, mit denen das sozialdemokratische Subjekt seine Zwangslage infrage stellt, wie eine rhetorisch kunstvolle Herabsetzung des unreifen Charakters, der seine Fantasien zur Erneuerung der Wirtschaftsstrukturen nicht aufgeben könne und das entsprechende Wissen zu erwerben suche – allgemeines Wissen von der Art, die für das Funktionieren der Wirtschaft nicht unmittelbar brauchbar ist. Hayek formuliert eine Kritik des kritischen Impulses, oder: die philosophische Aufwertung einer Haltung, die immer im Zentrum des neoliberalen Ethos gestanden hatte – ›Klappe halten und ran an die Arbeit!‹ So steht Hayeks Denken für eine paradoxe Kombination aus Zukunftsorientierung und Reaktion, ein Ausdruck der Paradoxa proaktiv vorbeugender Zeitlichkeit (preemptive temporality). Auch wenn er darauf bestand, kein Konservativer zu sein, weil er nicht gegen Veränderung sei (siehe Nachwort in: Hayek 4 2005 [1971]), widmet er sich in großen Teilen seines Werks der Bedeutung von Traditionen und Bräuchen, von Regeln und Zwängen, die aus der Vergangenheit übernommen sind. Die Probleme, denen sich der moderne Kapitalismus gegenübersehe, hätten ihre Ursache darin, dass die Menschen unter dem Einfluss linker und sozialistischer Ideen zunehmend abgeneigt seien, sich Regeln und Institutionen zu unterwerfen, die sie nicht verstehen. Da sie die Grenzen der Sozialtechnik nicht berücksichtigen würden, hegten sie die kindische Vorstellung, die Institutionen sollten in ihrer Tätigkeit Pläne und Absichten verfolgen und in der Lage sein zu wissen, welche Zukunft sie damit herstellen.3

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Es lohnt sich, hier einen genaueren Blick auf die Stellung zu werfen, die Fragen des Geldes, des Bankwesens und der Finanzwirtschaft bei Hayek einnehmen. Sein Frühwerk (1929), in dem er bereits von Mises und Wicksell formulierte Gedanken entwickelt, befasste sich mit kapital- und konjunkturtheoretischen Problemen und betrachtete die Instabilität als im Wesentlichen vorübergehende Erscheinung. Gekennzeichnet war es von einem Augenmerk für die Rolle der Banken in der Geldherstellung und der damit einhergehenden Mechanismen des Kreditauf- und Kreditabschwungs (leveraging and deleveraging). Allerdings war dieses Verständnis einer nicht-neutralen Geldschöpfung und Bankendynamik immer noch auf eine orthodoxe Vorstellung dessen aufgesetzt, wie Geld funktionieren solle, und wurde in deren Lichte beurteilt. Dieser Quadratur des Kreises müde, ließ Hayek diese Fragen nach 1939 fallen und lenkte seine Aufmerksamkeit »auf ganz andere Probleme« (Hayek 1976: 112), vor allem die wachsende Legitimität des Sozialismus und der Sozialdemokratie. Mit seinem Eingreifen in die Debatte über die Wirtschaftsrechnung im Sozialismus entwickelte er eine viel stärker ausgeprägte Kritik an der neoklassischen Ökonomik und ein spezifisches Verständnis der Wirtschaft, die im Kern ein Wissensproblem darstelle (2 1976). Hayek erkannte, dass es im neoklassischen Verständnis des ökonomischen Problems (als Reihe simultaner Gleichungen) keinerlei immanenten Konflikt mit planwirtschaftlichen Modellen gäbe, wie sie etwa Lange (1977) formulierte. Während von Mises’ Beitrag (1920) noch Raum für Zweideutigkeiten gelassen hatte, unterstrich Hayek, das Problem mit der Planwirtschaft gehe über praktische Fragen (wie etwa unzureichend leistungsfähige Computer) weit hinaus; vielmehr sei es einer zentralen Autorität oder Stelle grundsätzlich nicht möglich, eine in Echtzeit hergestellte Zukunft zu kennen. Großes Interesse, dieses theoretische Gerüst für eine erneute Hinwendung zu Geld- und Instabilitätsproblemen zu nutzen, scheint Hayek nicht gehabt zu haben. Andernfalls wäre er unter Umständen zu einer Auffassung mit großer Ähnlichkeit zu Minskys Theorie gelangt und hätte die Dynamik von Instabilität, Hierarchisierung und Risikoüberwälzung ebenso betont wie die endogene Rolle, die

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der Staat im Finanzsystem spielt. Stattdessen aber ließ Hayek die Wirtschaftstheorie zugunsten der politischen Philosophie und der Rechtswissenschaft fallen und vollzog eine konstitutionalistische Wende: Die eigentliche Rolle gesellschaftlicher und politischer Institutionen beschränke sich auf die Vorgabe abstrakter Regeln; Recht und Gesetz seien – ganz republikanisch – in ihrer Fähigkeit zu konzipieren, einen Schutz gegen staatliche Übermacht zu bieten. Von den Gefahren für den Liberalismus völlig eingenommen, befasste sich Hayek sehr viel stärker mit den institutionellen Voraussetzungen des Marktes als mit den temporalen und topologischen Eigenschaften der eigentlichen Selbstorganisationsprozesse. Gleichwohl er die Nichtlinearität der selbstordnenden Katallaxie absetzte vom orthodoxen Gedanken eines statischen Gleichgewichts, verlor er jegliches Interesse am Problem der finanzökonomischen Instabilität und betrachtete sie einfach als Preis des Fortschritts.4 Erst inmitten der finanzökonomischen Turbulenzen und steigenden Inflation der 1970er-Jahre kam Hayek (2011a [1976]) endlich wieder eingehend auf die Finanzordnung zu sprechen und erklärte, der sozialliberale Staat habe seine Verfassungsgrenzen übertreten und damit den Markt sowie dessen Medium, das Geld, beschädigt. Als Ausweg aus der finanzökonomischen Instabilität empfahl er die vollständige »Entnationalisierung« des Geldes: Jeder solle in der Lage sein, eine Bank zu gründen und eigene Geldformen auszugeben, die Entscheidung über die geeignetsten Währungen falle am Markt. Hayek führt hier wohl einen Gedankengang fort, den er in seiner Einleitung zur Neuauflage von Thorntons Papier-Credit 1939 beiläufig mit der Bemerkung umrissen hatte, Wicksell biete eine reifere und vollständigere Betrachtung der von Thornton formulierten Problemstellung (Hayek 1939: 50). Das war eventuell der Hauptgrund für Hayek, während eines Großteils seiner Karriere von Geld- und Finanzmarktfragen abzusehen, aber es war natürlich keineswegs eine besonders befriedigende Lösung. Der Gedanke, wir könnten den angemessenen Kapitalpreis im Vorhinein kennen, bevor wir die informationserzeugenden Mechanismen des Marktprozesses durchlaufen, stand Hayeks Verständnis von der Rolle des Wissens in der Wirtschaft diametral entgegen. Mit seinem Vorschlag eines

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Freibankensystems schien Hayek einen Ausweg gefunden zu haben, mit dem der Markt das Wissen erzeugen könne, das ihn stabilisieren werde. Hayek räumte freimütig ein, es handele sich um einen rhetorischen Trick – ursprünglich sei der Gedanke des free banking ein »böser Witz« (1979: 1) gewesen –, allerdings habe er den Ansatz erklärtermaßen umso zufriedenstellender gefunden, je mehr er darüber nachgedacht habe. Wenn Hayek das Bankensystem nun als eine Art selbstneutralisierende Branche hinstellte und dafür eintrat, die Zukunft auf eine Rückkehr zur vorgestellten republikanischen Vergangenheit einer selbststabilisierenden Bankfreiheit zu verpflichten, zeigte er sich blind für die praktischen Schwierigkeiten, mit denen historische Freibankenexperimente und insbesondere die ›Free Banking Era‹ in den Vereinigten Staaten zu kämpfen hatten. Hier rächte sich nun die Aufgabe, die Hayek nie angegangen war, denn so musste ihm verborgen bleiben, dass die Rolle des modernen Staates in der Produktion und Definition des Geldes de facto eben Ergebnis eines eigenlogischen Evolutionsprozesses war – ein Punkt, den Minsky nur allzu gut verstand. Hayek und Minksy blickten quasi auf dasselbe Phänomen: die unregulierte Ausdehnung der Bankendynamik und die entsprechend nachlaufende Kontrollbefugnis der Federal Reserve. Während allerdings Letzterer ausschließlich Probleme und Herausforderungen sah, erblickte Ersterer auch einen äußerst vielversprechenden Risikozuwachs (proliferation of risk), eine Bewegung also, die sowohl disruptiv als auch potenziell heilsam, zugleich transgressiv und normativ war. Während sich der Friedman’sche Monetarismus vollkommen auf die Möglichkeit einer formalen Definition neutralen Geldes festlegte, war sich Hayek ungemein bewusst, dass jeder Versuch einer Begrenzung der spekulativen Logik wahrscheinlich rasch konterkariert würde durch die expansive Risikologik. Das Schattenbankensystem lasse sich nicht stabil in das seitens der Zentralbank beaufsichtigte System integrieren – es könne nur befreit werden. Um eine solche Freisetzung der Bankendynamik ging es bei der Wende zum Monetarismus.

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In Volckers Augen steuerte die US-amerikanische Finanzökonomie auf eine größere Krise zu, in der sie ausländischen Investoren, welche offenbar schon Zweifel an der Stabilität des US-Dollar hegten, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert wäre. Und in diesem Bewusstsein agierte er, als er eine potenziell produktive Krise auslöste: Die Wende zum Monetarismus war eine zielgerichtete Provokation und stützte sich auf den Verdacht, eine plötzliche strategische Wende könne einige der endogen gelagerten Ordnungsmechanismen des Finanzsystems aktivieren. Volckers Schachzug war offensive Spekulation – motiviert nicht von einer klaren Abschätzung des Ergebnisses seines Vorgehens, sondern von einer Intuition hinsichtlich ihres produktiven, ordnenden Potenzials. Die Federal Reserve tätigte damit durchaus keinen äußeren Eingriff, sondern machte aggressiven Gebrauch von den Bankenmechanismen der Gelderzeugung und schuf in der Absicht, den finanzökonomischen Standard zu stabilisieren, neue Unsicherheitsfaktoren. Volcker betrieb, um abermals Adkins’ Formulierung aufzugreifen, »Potenzialerkundung« (Adkins 2012: 625). In Volckers Händen diente die Geldpolitik nicht mehr einfach nur dazu, staatliches Handeln mit der Bankenlogik in Einklang zu bringen – weder in dem reaktiven Modus, der die finanzpolitische Strategie bis Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt hatte, noch in dem stärker präventiven Modus im Gefolge des New Deal –; stattdessen führte sie die Spekulation in das Regierungshandeln ein. ›Neoliberalismus‹ bezeichnet die Bewegung der Gouvernementalität von einer Logik der Antizipation und

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Prävention hin zu einer Logik proaktiver Spekulation: Hinter sich lässt sie den allgemeinen Umgang mit der Zukunft, sie orientiert sich auf die praktischen Vorteile von Instabilität, Unsicherheit, Krise und bejaht eine »Ethik der notwendigen Entscheidung in einem Kontext der Ungewissheit« (Ewald 2002: 294; vgl. 1998: 20f.). Das Volcker-Programm war die verzweifelte und kurzlebige Anstrengung, die bedeutendsten Geldaggregate durch kontinuierliche Eingriffe zu vermessen und zu kontrollieren, die Anpassungen erforderten, sobald sie getätigt waren (Greider 1987). Völlig klar und vorhersehbar war, dass die strategische Wende eine dramatische Ausdehnung des Schattenbankensystems zur Folge haben würde – eben deswegen hatte die Fed in der Vergangenheit von solchen Maßnahmen Abstand genommen beziehungsweise hatte sie rasch wieder revidiert. Volckers Spekulation bestand nun genau in der Wette darauf, dass die Instabilität, welche die Standhaftigkeit der Fed in ihrer neuen Linie verursachen würde, weitreichende politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Anpassungsbewegungen hervorrufen würde. Der Volcker-Schock setzte der Kreditschöpfung keine äußere Grenze, sondern aktivierte einige der systemischen Selbstorganisationsmechanismen. In welchem Maße der Erfolg von Volckers Strategie von einer allgemeinen Neugestaltung der politischen Ökonomie in den Vereinigten Staaten abhängig war, veranschaulicht sein Eingeständnis (Volcker 2000), entscheidend für die Überwindung der Inflation sei Reagans Angriff auf die Gewerkschaften gewesen (vgl. Axilrod 2011: 99). Dieser war freilich nur Bestandteil einer ganzen Reihe politischer Maßnahmen, welche die beschleunigte Zerstörung der sicheren Arbeitsverträge der fordistischen Industrieökonomie ebenso ermöglichten wie den Abbau der begrenzten öffentlichen Einkommensgarantien, die der New Deal etabliert hatte. Die daraus resultierende Beschäftigungsprekarität und Lohnstagnation für die Masse der US-Bevölkerung bot eine breite Palette an Spekulationsgelegenheiten und die Ausdehnung des Kredits im Verlauf der letzten Jahrzehnte war aufs Engste verbunden mit der zunehmenden Schwierigkeit, von Lohneinkünften allein zu leben (Martin 2002; Lazzarato 2009; Barba/Pivetti 2009; McCloud/Dwyer 2011). In der neoliberalen Ära war ein dramatischer

Kapitel 11: Neoliberale Finanzmarktsteuerung

Anstieg der Privat- und Haushaltsverschuldung zu beobachten, die großenteils in einer Weise und für Zwecke gewährt wurde, die früheren Generationen als absonderlich spekulativ gegolten hätten. Wenn bereits im US-amerikanischen Kapitalismus des 20. Jahrhunderts eine fortschreitende Ausweitung dessen zu beobachten gewesen war, welche spekulativen Investitionen als gerechtfertigt angesehen werden konnten und was sich als Wertpapier abbilden ließ, so beschleunigte die neoliberale Ära diesen Prozess in erheblichem Maße. Infolge der Wende zum Monetarismus entwickelte sich der US-Dollar zu einer stabilen Werteinheit, um die sich eine Ökonomie beschleunigter Spekulation auf stark zunehmende Kontingenzen drehte – der Dollar wurde zu einem vollständiger plastischen, autopoietischen Zeichen. Während die Finanzialisierungstendenzen der fordistischen Ära noch stete Lohnzahlungen und lebenslange Beschäftigungsaussichten voraussetzten, gedeiht die neoliberale Finanzialisierung just auf der Kontingenz der Arbeitskraft, auf ihrer zunehmenden Prekarität (Ascher 2016). Die verbreitete Auffassung vom Neoliberalismus als Prozess einer Rekommodifizierung der Arbeit (im Gegensatz zur teilweisen Einschränkung deren Warencharakters im Fordismus) ist insofern problematisch, als dass eines der zentralen Ergebnisse der neoliberalen Umstrukturierung eben die Verringerung der Chancen ist, die eigene Arbeitskraft umstandslos gegen einen Lohn zu tauschen (Adkins 2012; Cooper 2015). Das neoliberale Subjekt betrachtet seine Fähigkeiten, seine Identität und seine Beziehungen schließlich als Kapital, das Verwertung erfordere. Es wird zur vollständig spekulativen Einheit, zu einem »Unternehmer seiner selbst« (Foucault 2004b: 314), und unterliegt dem Druck, unter Bedingungen der Unsicherheit die richtigen Entscheidungen über den Einsatz seines Kredits zu treffen. Foucault (2004b: 305-323) betrachtete den Begriff des Humankapitals (bspw. Becker 1964) als eine der größten neoliberalen Innovationen; demnach barg dieser eine implizite Kritik an der Verdinglichung der Arbeit und daran, wie die klassische politische Ökonomie die Arbeit auf einen bloßen Produktionsfaktor und die Neoklassik sie anschließend auf einen allgemeinen, typischen technischen Parameter reduziert hatten. Diesbezüglich, so lässt sich Foucault verstehen, weist das

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Vorhaben einer Humankapitaltheorie überraschende Parallelen zu Marxens Kritik der klassischen politischen Ökonomie und zu dessen Bestreben auf, die Arbeit als ein schöpferisches Prinzip zu verstehen (Foucault 2004b: 307-309). Der Begriff des Humankapitals weitet den Blick auf ein breiteres, post-fordistisches Verständnis des ökonomischen Werts und Wachstums, das zunehmend mit Eingriffen in die affektive Struktur der Subjektivität verbunden ist (322). Feher (2009) schärfte die Foucault’sche Analyse beachtlich, als er unterstrich, dass sich neoliberale Humankapitalkonzepte nicht nur auf Investitionserträge beziehen, sondern vielmehr auf die Möglichkeit von Kapitalzuwächsen und die Wertschätzung der Investition ausgerichtet sind. Vor allem muss das neoliberale Subjekt sicherstellen, dass auf seine Aktiva spekuliert wird; sein Ziel ist die ›Selbstwertschätzung‹. Das heißt, die Verflechtung von Governance und Subjektivität (die biopolitische Dimension der neoliberalen Gouvernementalität) gestaltet sich sogar noch enger als Foucault angenommen hatte (vgl. Lazzarato 2009, 2012): Ziel des neoliberalen Subjekts ist es, Investitionen zu tätigen, die Investitionen anstoßen, und sich dadurch in einer neoliberalen Ratio der simultanen Gouvernementalisierung und Werterzeugung als Übertragungspunkt zu positionieren. Das Subjekt entwickelt ein Selbstverhältnis, das – in dem spezifischen Sinn, wie er in diesem Buch entwickelt wurde – spekulativ ist: Es benötigt Hebel (leverage), nicht nur Profite. Das neoliberale Subjekt unterliegt zwar dem Sachzwang, sich quasi als Bank aufzustellen, als ein Angelpunkt in der interaktiven Logik spekulativer Bewertungen, als größtmöglicher Profiteur der prozyklischen Logik der Bilanzausdehnung; allerdings genießt es wenig Schutz vor der Kehrseite dieses Prozesses: Wenige von uns sind systemrelevant und wenn wir bei der Rückzahlung unserer Schulden in Schwierigkeiten geraten, können wir auf relativ wenig Entgegenkommen zählen. Die Möglichkeit, »eigene Risiken in Gefahren für andere zu verwandeln« (Vogl 2014: 153, hier nach 2015: 251), ist das Vorrecht großer Finanzinstitute. Die neoliberale Umstrukturierung dämpfte zwar die Inflation und minderte den Druck auf den Dollar, begleitet wurde sie aber auch von einer beträchtlichen finanzökonomischen Volatilität und der massiven Wiederkehr der Kreditauf- und -abschwungdynamik. In

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den 1980er-Jahren kam es zu einer Reihe von Rettungsaktionen für systemrelevante Institute und die derart geschürten Erwartungen führten zur Entstehung eines »Too Big to Fail«-Regimes (Hetzel 1991; Sprague 2000; Stern/Feldman 2004; Conti-Brown 2016: 154): Hinreichend große und kritische Finanzinstitute konnten in der Erwartung Geschäfte machen, dass der Staat einspringen und ihre Zahlungszwänge lockern würde, falls ihre Spekulationen schiefgehen würden. Das lief auf ein informelles Besicherungsregime für das Schattenbankensystem hinaus, das sehr viel selektiver operierte als die Einlagensicherung und also die Inflation nicht befeuerte. Selbstverständlich hat Volcker wohl kaum die spezifischen institutionellen Umrisse des real entstandenen ›Too Big to Fail‹-Regimes vorhergesehen; allerdings war es durchaus der Kernpunkt der neoliberalen Wende im Finanzmarktmanagement, ein Umfeld zu schaffen, in dem eine selektivere Anwendung der Versicherungsprinzipien – und damit eine regressivere Form der Risikovergesellschaftung – politisch und ökonomisch haltbar wäre (Panitch/Gindin 2012: 179). Dieses neue Umfeld führte zu einer veränderten Haltung der Entscheidungsträger gegenüber der Bailout-Problematik: Der zusätzliche Fehlanreiz, den wiederholte Rettungseingriffe erzeugen müssten, hatte zunächst viele Bedenken geweckt, die aber schrittweise von der pragmatischen Einsicht abgelöst wurden, dass es immer wieder zu Krisen kommen, und dass die Eindämmung ihrer Konsequenzen auch ›post festum‹-Rettungsaktionen erforderlich machen würde (Athavale 2000). Wie Golub et al. konstatieren, hat sich die Federal Reserve in der neoliberalen Ära zunehmend auf einen »post-hoc-Interventionismus« (2015: 657) konzentriert und versucht, ihre Fähigkeit auszubauen, die Auswirkungen einer Krise nach deren Eintreten einzudämmen. Panitch und Gindin (2012: 266) begreifen diese Entwicklung als eine Verschiebung des Interesses von der »Schadensprävention« zur »Schadensbegrenzung« – die Bezeichnungen stammen aus einen Bericht an den US-Kongress von 1998. Intern wird dieser Kurs der Fed als Strategie des »Hinterherwischens« bezeichnet (Blinder/Reis 2005: 70). Auch wenn sicherlich klar war, dass man die Problematik des Fehlanreizes damit verschärfte (dass die Rettungsmaßnahmen just die Praktiken absichern

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und verstärken, die sie erst nötig machten), spiegelte sich darin nicht ein Moment gouvernementaler Irrationalität, sondern der Umstand, dass die proaktive Rationalität des Neoliberalismus jegliche eindeutige Unterscheidung zwischen Problem und Lösung untergräbt. Diese Neuausrichtung im Augenmerk der finanzpolitischen Entscheidungsträger hatte auch beachtliche Auswirkungen auf die Maßnahmen in normalen Zeiten. Die Federal Reserve gab ihre Vorbehalte dagegen auf, Zinssatzänderungen vorbeugend einzusetzen, um den Liquiditätsdruck auf große Finanzinstitute zu mindern (der ›GreenspanPut‹); auf diese Weise verhinderte sie eine negative Entwicklung des Marktes durch politische Maßnahmen, welche die Praktiken absicherten, die für die Instabilität ursächlich waren (Ferguson/Johnson 2010). Das Wachstum der staatlich beauftragten Zweckgesellschaften (GSE) und die raffinierte Infrastruktur ihrer Verbriefungstechniken hatten, tendenziell unbemerkt, dieselbe Wirkung und führten zu einer beträchtlichen Ausdehnung dauerhaft verfügbarer öffentlicher Kreditfazilitäten, die es den Finanzinstituten erlaubten, ihre Aktiva kontinuierlich zu liquidieren (Ashton 2011: 1803f.; Kolb 2011). Außerdem ließ sich die Federal Reserve, die sich zunehmend der Schwierigkeit einer Trennung von Liquiditätsfragen und Solvenzproblemen bewusst wurde, verstärkt auf die Dynamik des Zahlungsverkehrssystems sowie die Notwendigkeit ein, dessen reibungsloses Funktionieren proaktiv sicherzustellen. Da ihr Augenmerk nun völlig darauf eingestellt war, die Lähmung des Nervensystems des US-amerikanischen Kapitalismus zu verhindern (Melzer 1986, 1995; Fullwiler 2003), identifizierte die Federal Reserve eine ganze Reihe operationaler Liquiditätsfunktionen (wie etwa Zahlungsverkehrs-, Verrechnungs-, Zahlungsmittel-, Refinanzierungsliquidität) und konnte so eine ganze Reihe potenzieller Engpässe steuern, die Systemrisiken bargen (Cecchetti/Disyatat 2010). Unterdessen war die Finanzaufsicht aus ganz praktischen Erwägungen weniger damit beschäftigt, Fehlanreize zu verringern, als vielmehr Kapazitäten für systemrelevante Interventionen aufzubauen und Spielraum für den Umgang mit notleidenden Finanzgesellschaften zu institutionalisieren. Anders gesagt, das finanzökonomische ›Bun-

Kapitel 11: Neoliberale Finanzmarktsteuerung

dessicherheitsnetz‹ wurde in der neoliberalen Ära deutlich ausgebaut (Malysheva/Walter 2010). Das Goldene Zeitalter der direkten Inflationssteuerung, wie es schließlich hieß, ist vor diesem Hintergrund zu betrachten. Seinen emblematischen Ausdruck fand das Spannungsfeld zwischen der Spekulationsnotwendigkeit und der Sicherheitserwartung, das der neoliberalen Regulierung innewohnt und von ihr entfaltet wird, in der Figur des Präsidenten der US-Notenbank, Alan Greenspan, der die Institutionalisierung eines Regimes der ›Too Big to Fail‹-Erwartungen beaufsichtigte, allem Anschein nach aber der ehrlichen Überzeugung war, dass seine Maßnahmen die Vereinigten Staaten einer Welt des neutralen Geldes näherbringen würden. Diese Fantasie fand eine beachtliche Stütze in den bemerkenswerten performativen Eigenschaften seiner öffentlichen Äußerungen: der offenkundigen Fähigkeit, durch Ankündigungen ausgleichende Marktbewegungen anzustoßen und durch die performative Magie des ›offenen Wortes‹ einen nichtinflationären Standard und neutralen Handelsplatz sicherzustellen. Die Geldaufsicht schien bisweilen eine fast vollständig rhetorische Angelegenheit geworden zu sein, bei der die Fed die Inflation durch bloße Ankündigung der Zielzinssätze steuern konnte (Kaplan 2003; Holmes 2013). Dieses Selbstbild der neoliberalen Finanzmarktsteuerung wurde in der ›neukeynesianischen‹ Literatur formalisiert (bspw. Bernanke/Gertler 1999, 2001; Woodford 2003), die auf die neoklassische Neuausrichtung der Wirtschaftstheorie aufbaute, um das Finanzmarktmanagement als Inflationskontrolle vermittels der Erwartungssteuerung nach der Taylor-Regel darzustellen (Kirshner 1999: 611; De Long 2000; Asso et al. 2007). Die Konzeption einer Zentralbank in ihrer Funktion als Kreditgeber der letzten Instanz hatte in dieser Geisteswelt keinen Platz. Obwohl Woodfords Zins und Preise, so bemerkt Laidler, »mehr oder weniger in die Linie praktisch aller modernen Zentralbanken einfließt […], taucht das Stichwort ›Kreditgeber der letzten Instanz‹ in seinem Register nicht auf« (2004b: 4). Theorie und Praxis der neoliberalen Finanzpolitik behaupteten daher, das Wicksell’sche Modell vollständig umgesetzt und einen Weg gefunden zu haben, aus spekulativen, erwartungsgetriebenen Prozessen

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einen neutralen Geldstandard herzustellen. Damit war nicht unbedingt die naive These verbunden, dass Blasen (nicht augenblicklich korrigierte Fehlbewertungen) gar nicht mehr entstehen könnten, sondern vielmehr die Überzeugung, dass die Regulierer nicht in der Position wären, den Markt an diesem Punkt zu korrigieren. Die Existenz einer Blase könne nur im Nachhinein festgestellt werden, anhand der Korrekturen durch den Markt selbst. Vielfach hieß es, die begrenzte Volatilität, die im ›Zeitalter der Mäßigung‹ noch existiere, könne man durch ›Hinterherwischen‹ in den Griff bekommen (Blinder/Reis 2005; Posen 2006). Darüber hinaus sollten sich die Finanzbehörden auf die Inflationskontrolle beschränken und Vermögenswertpreise nur insofern berücksichtigen, als sie durch gesteigerte Ausgaben mit dem ›Vermögenseffekt des Geldes‹ Inflation verursachen könnten. Doch die Vorstellung, dass sich Finanzaufsichtsbehörden nicht in die größere Dynamik einmischen dürften – »Preisveränderungen der Vermögenswerte sollten die Geldpolitik nur in dem Maße berühren, wie sie die Inflationsprognose der Zentralbank betreffen« (Bernanke/Gertler 2001: 253) – erschien stets eher als nervöse Behauptung, denn als ruhiges Selbstbewusstsein: Der Einsatz regulatorischer Instrumente zur Stützung von Vermögenspreisen und zur Lockerung der Liquiditätszwänge auf hoch verschuldete Finanzinstitute war eben das, was die Federal Reserve unter Greenspan kontinuierlich tat. Was in der neukeynesianischen Darstellung des Finanzmarktmanagements allerdings keinen Niederschlag fand, war das Ausmaß, in dem die Geldpolitik inzwischen mit dieser regressiven Risikoüberwälzung (regressive risk shifting) verwoben war. Hinter der augenscheinlichen Magie von Greenspans offenen Worten war eine aufwändige operationale Infrastruktur zu finden, die für eine kontinuierliche Umverteilung der Zahlungszwänge zugunsten großer Finanzinstitute sorgte (vgl. Issing 2009; Kane 2013). Die neukeynesianische Hypothese zur direkten Inflationssteuerung hatte immer auch Kritiker, denen zufolge es zumindest in gewissem Maße möglich sei, Blasen zu erkennen, und die dafür plädierten, einige Vermögenswertpreise in die Inflationsindizes aufzunehmen (bspw. Goodhart 2001; Bell/Quiggin 2006; Roubini 2006). Unvernünftig war das durchaus nicht: Die Vorstellung, eine nichtinflationäre

Kapitel 11: Neoliberale Finanzmarktsteuerung

Währung lasse sich dadurch erreichen, dass man Vermögensinflation und Rettungsaktionen durch ein teilisoliertes Schattenbankensystem institutionalisierte, wäre einem Wicksell zweifelsohne absurd vorgekommen. Solche Einwände standen dem neoliberalen Zeitgeist aber diametral entgegen (siehe beispielsweise Mishkins [2006] energischen Einwand kurz vor der Subprime-Krise gegen jedwede Abweichung vom Inflationssteuerungskonzept der letzten Jahrzehnte). Tatsächlich kann die Ausklammerung eines zentralen Vermögenswerts (der Wohnimmobilienwerte) aus dem Verbraucherpreisindex als ein unscheinbarer, aber bedeutender Punktsieg der Neoliberalen angesehen werden; sie war 1961 von der Stigler-Kommission (mit amtlichem Namen: Price Statistics Review Committee) vorgeschlagen worden, umgesetzt wurde diese Änderung aber erst Anfang der 1980er-Jahre (Davies 2011: 6). Ihr Fokus auf eine Irrationalität der Spekulation hat die Heterodoxie immer gehindert, die Rationalität der Dynamik zu würdigen, die sich hinter der orthodoxen Geld- und Marktvorstellung der Neoliberalen verbirgt: die schöpferische Interaktion von Instabilität und regressiver Risikoüberwälzung. In genau dem Moment, da sich das Kapital als fähig erwies, in vielen überraschenden Bereichen produktive Reaktionen auf seine spekulativen Ansätze anzustoßen und aus dem Wert eine plastischere Einheit als je zuvor zu machen, bemühte sich die heterodoxe Kritik verstärkt darum, fiktiven von realem Wert, bloße Form von Substanz zu scheiden. Die post-keynesianische Interpretation Minskys, die in der Forschungsliteratur vorherrscht, betrachtet die Ungewissheit als äußere Schranke der risikobasierten Vorhersage; und sie stellt die Spekulation als eine irrationale, destabilisierende Praxis dar, die mittels Regulierung abzuschaffen sei. Jeden Bail-out verurteilt sie als doppelbödige äußere Intervention zur Rettung der Spekulanten vor sich selbst und verkennt damit die Tatsache, dass Minsky die Umverteilung der Liquiditätsrestriktionen als endogenes Merkmal des Finanzsystems betrachtet hatte. Die von Minsky selbst (1982) gegebene Antwort auf die Frage »Kann ›das‹ [der Crash von 1929] noch einmal passieren?« lautete ungefähr, wie Beggs uns in Erinnerung ruft: »wahrscheinlich nicht« – wegen des Stands der systemeigenen Schutzmaßnahmen. Aus diesem

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Blickwinkel gilt: »die Rettungsaktion und nicht die Krise selbst ist als der eigentliche ›Minsky-Moment‹ anzusehen« (Beggs 2012: 17). Instabilitäts- und Krisenphasen gelten oftmals als Momente plötzlicher Klarheit, in denen sich das neoliberale Kapital als bar rationaler Grundlagen erweist und dessen totale Vernachlässigung des Systemrisikos zutage tritt; dementsprechend gelten sie tendenziell als Wendepunkte oder Erkenntnismomente, in denen sich politische Institutionen und gemeinwirtschaftliche Diskurse (communal discourses) gegen die zentrifugalen Kräfte der Spekulation behaupten und eine Rückkehr zu jenen Grundlagen erzwingen. Derart rationalistische Sichtweisen sind aber tendenziell blind für die oftmals paradoxe Krisen- und Unsicherheitsdynamik. Dahingegen hat das Leitmotiv einer Governance (Regulierung) durch die Schmitt’sche Ausnahme nicht zuletzt deswegen eine gewisse Verbreitung gefunden, weil es die produktive Rolle jener Ereignisse thematisiert, die gemäß den zumeist theoretisch abgeleiteten Maßstäben politischer Legitimität die Diskreditierung des Neoliberalismus zur Folge gehabt haben müssten. Einige der problematischen Punkte dieses Ansatzes haben wir schon berührt: Krise und Instabilität werden als Momente angesehen, in denen grundlegende normative Strukturen zerfallen und gewöhnliche Ordnungsmechanismen nicht mehr greifen, die Logik der Ausnahme wirke demnach durch die Verzögerung der erforderlichen Selbstlegitimation des Staates. Hierin aber ist das Ausmaß nicht ausreichend berücksichtigt, in dem die proaktive Zeitrationalität des neoliberalen Kapitalismus ihre eigenen, spezifischen Faktoren der Legitimation und inneren Kohäsion erzeugt. Vom hier entwickelten Standpunkt betrachtet man Krisen sinnvollerweise als den Grenzfall der Logik, mit der im Neoliberalismus die Ungewissheit produktiv gewendet wird. Der drohende Zusammenbruch schafft bei weitem keinen Raum für willkürliche Entscheidungen oder Eingriffe von außen, sondern aktiviert Normalisierungsmuster (wobei auch diese den Zusammenbruch möglicherweise nicht abwenden können). In solchen Situationen – auch wenn wir bezüglich der spezifischen Ursprünge des Problems völlig im Dunkeln tappen – ist oftmals völlig klar, was zu tun ist: Man muss die Banken und ihr Zukunftsversprechen schützen. Die Eingriffe infolge der Finanzkrise 2007/2008,

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mit denen sich die Zentralbank vollkommen in den Dienst der Stützung von Großbankenbilanzen stellte, markieren den Punkt, an dem sich die Souveränität – mit ihrem Eintreten für Vermögen, deren Wert grundlegend in Zweifel stand – in höchstem Grade spekulativ und zugleich völlig abhängig von der normalisierenden Risikologik zeigte. Die Krise nahm die Form eines Ansturms auf die Kurzfristverpflichtungen des Schattenbankensystems an (insbesondere die Rückkaufsvereinbarungen oder ›Repos‹); als klar wurde, dass beträchtliche Summen uneinbringlicher Forderungen (bad debt) im System zirkulierten, fiel das Vertrauen in das Schattenbankengeld in sich zusammen und hatte einen ›Repo-Run‹ zur Folge (Gorton/Metrick 2012). In kürzester Zeit griff Panik um sich und die Lähmung des Interbankenmarktes setzte den Notverkauf von Vermögenswerten in Gang, aus dem sich eine Bilanzverkürzung ergab, die die Marktliquidität weiter einschränkte (Duffie 2010). Da Zinssenkungen die Abwärtsspirale der Vermögenswertpreise nicht zu stoppen vermochten, stand der Staat vor der Wahl, die Märkte dem freien Fall in eine Schuldendeflation zu überlassen oder aber die Vermögenswerte zu stützen, indem er seine Bereitschaft erklärte, die Aktiva zu Mindestpreisen in die eigenen Bücher aufzunehmen. Unter diesen Umständen verpflichtete sich der US-amerikanische Staat vollständig auf die Bestätigung (validation) seiner konstitutiven Spekulationen. Greenspans Nachfolger Ben Bernanke tat, was zu tun war,1 in einer paradoxen Gegenwart von Kontingenz und Notwendigkeit, Entscheidung und Sachzwang. Obwohl damit eine Reihe beispielloser Maßnahmen verbunden war, welche die Federal Reserve weit von der Bagehot-Regel oder einer ihrer Ableitungen entfernte (Hogan et al. 2015), war das gewissermaßen einfach die Ausweitung der Zentralbankgrundfunktion. So schreibt Mehrling: »die Fed musste von ihrer Inflationsfeinsteuerung Abstand nehmen und zu den Grundlagen zurückkehren« (2012: 107), zu ihrer Kernaufgabe: dem Schutz der Knotenpunkte im Finanzsystem. Das bedeutete Kreditvergabe nicht gegen gute Sicherheiten, sondern eben gegen schlechte Sicherheiten; die einzige Möglichkeit, den Kreditabschwung zu stoppen, bestand darin, dass der US-amerikanische Staat Vermögenswerte zu Mindestpreisen aufkaufte. Die Bail-outs stehen für die

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spektakulär weit getriebene neoliberale Logik regressiver Risikovergesellschaftung (Freixas 2009; Rude 2010; Mehrling 2011; Le Maux/Scialom 2013; Thompson 2013). Diese Rettungsaktionen haben natürlich eine ganz banale Anmutung. Und deswegen galten sie vielen als externe Subventionen für ein andernfalls zerbrechendes System, als letzter verzweifelter Versuch, ein Finanzsystem zusammenzuhalten, das die Kontrolle über sich verloren habe. Das vorliegende Buch wandte sich gegen solch ein exzeptionalistisches Verständnis der Zentralbanken und bemühte sich, den reaktiven Charakter der Rettungsaktionen vielmehr zu umreißen als Bestandteil einer allgemeineren Logik der Risikoüberwälzung. Ein Ausdruck der Widersprüchlichkeit und unhaltbaren Natur des Neoliberalismus lässt sich in den Bail-outs nur dann erkennen, wenn man den Einsatz öffentlicher Autorität vor dem Hintergrund einer idealisierten Souveränitätsvorstellung beurteilt, die davon ausgeht, er transzendiere die ökonomische Logik von Risiko, Spekulation und Zeitlichkeit. Alle Maßnahmen, die man sich zur Eindämmung der Spekulation erhofft hatte, haben sich in den Folgejahren nicht materialisiert und es wurde klar, dass der Neoliberalismus tatsächlich keinen Todesstoß erlitten hatte. Fortschrittlich gesonnene Beobachter reagierten darauf unter anderem, indem sie ihre politischen Hoffnungen von der repressiven Finanzmarktregulierung auf regulatorische Aspekte verlegten, die unter Vertretern des Finanzestablishments offenbar bereits eine gewissen Aufmerksamkeit gefunden hatten: Systemrisiko, Finanzstabilität, ›makroprudenzielle‹ Überwachung (bspw. Bernanke 2009, 2011; Borio 2011; Haldane/May 2011; Acharya 2015).2 Demnach verdeutlichte die Krise, dass die Interaktion der Risikopositionen die Kohärenz und Stabilität des gesamten Finanzsystems gefährden könne, und dass ein stärkerer Fokus auf Fragen der Komplexität, der Ansteckungsdynamik von Ausfällen und der Gestaltung makroprudenzieller Maßnahmen einen großen Beitrag in der Problembewältigung leisten würde (Helleiner 2010; Datz 2013; Baker 2013; Casey 2015). In sehr kurzer Zeit scheint man hier allerdings von einer optimistischen Einschätzung der Aussichten auf ein Reformprogramm im Anschluss an die Krise übergegangen zu sein zum Zweifel, ob man in dieser Hinsicht wirklich vor-

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angekommen sei (bspw. Helleiner 2014). Vor dem Hintergrund der Analyse im vorliegenden Buch, dürfte das begrenzt fortschrittliche Potenzial des Systemrisiko-Programms keine allzu große Überraschung gewesen sein: Die Auseinandersetzung mit systemischen Risiken ist bei weitem keine neue Entdeckung, sondern in vielerlei Hinsicht ein charakteristisches Thema der Zentralbanken (Conti-Brown 2016: 150); auch der Neoliberalismus stand und steht nicht für eine irrationale Vernachlässigung, sondern für ein spezifisches Verständnis dieser Problematik. Die aktuelle Blüte der Diskurse über Komplexität, Netzwerke und Resilienz (Widerstandskraft) ist anzusehen als eine Reihe von Versuchen, ein Thema präziser zu formalisieren und zu operationalisieren, das für die neoliberale Finanzmarktregulierung immer wichtig gewesen ist. Systemrisiko-Analysen dienen dazu, die Topologie der Interbankennetzwerke zu untersuchen, die systemische Bedeutung von Finanzinstituten zu beurteilen, die Ansteckungsdynamiken zu verstehen, einen Umgang mit verschiedenen Formen des Liquiditätsrisikos zu finden und finanzökonomische Netzwerke als komplexe Systeme zu modellieren.3 Ebenso verwenden die Zentralbanken gegenwärtig beträchtliche Ressourcen auf Stresstests und Planszenarien, unter anderem also auf die Bewertung der Systemresilienz in einer Reihe statistisch unwahrscheinlicher Szenarien (Langley 2013a). Es ist also wohl kaum der Fall, dass die Umsetzung eines Programms zum Systemrisikomanagement gescheitert wäre; vielmehr hätte es erst gar nicht als Signal des Übergangs zu einem post-neoliberalen Regime angesehen werden sollen. Es steht vor allem für die Weiterentwicklung einer Problemstellung, die in gewissem Maße immer in die Strukturen des Neoliberalismus eingebettet gewesen war (Cooper 2011; Aquanno 2015). Die Systemrisikoanalyse wird von Zentralbankern regelmäßig nicht in erster Linie mit Eingriffen von außen in Verbindung gebracht, die dem Finanzsektor restriktive Regulierungen auferlegen würden, sondern vielmehr mit Maßnahmen, um die Adaptionsmechanismen des Finanzsystems zu stärken. Man betrachtet die Techniken zur Beurteilung des Systemrisikos nicht nach ihrem Potenzial zur Verringerung der Unsicherheit, sondern vielmehr als Instrumentarium zur Stützung und Steuerung ei-

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ner spezifisch neoliberalen Logik der Finanzmarktregulierung, welche die endogene Funktion sowohl der Instabilität als auch der Risikoüberwälzung anerkennt (Levitin 2011). Die Auseinandersetzungen mit dem Systemrisiko und der finanzökonomischen Instabilität sind inzwischen eng verbunden mit Analysen zur prozyklischen Bilanzendynamik und dem Bewusstsein, dass die Unterstützung des Bankensystems durch den Staat fortan auch die Bilanz der Fed berühren werde (Adrian/Shin 2010). Wie Goodhart schreibt: »Eine makroprudenzielle Stelle hat selbst kein Geld. Sie muss also Zugang zur Bilanz der Zentralbank haben« (2011: 103). In der finanzpolitischen Praxis wird der ›Too Big to Fail‹Ansatz als Stabilisierungsmaßnahme aufgefasst – das erklärt, warum der US-amerikanische Staat nach der Krise kaum Anstrengungen unternahm, dem weiteren Wachstum der ›systemrelevanten‹ Firmen vorzubeugen, und sich vor allem darum bemühte, seine Kapazitäten für Bailout-Eingriffe zu erweitern (Carstensen 2013). Der strategische Rahmen, auf den sich die Federal Reserve in den letzten Jahren eingelassen hat, kombiniert neoliberales Erwartungsmanagement mit der Rücksicht auf Bankbilanzen. Das unmittelbare Problem, vor dem die Federal Reserve stand, war, dass sie den Leitzins (federal funds rate) auf Null gesenkt hatte und also dieses Instrument für Maßnahmen nicht mehr einsetzen kann (zumindest solange nicht, bis wieder Rufe nach Zinserhöhung laut werden). Unter diesen Umständen verfolgte sie eine Politik des ›Quantative Easing‹ (quantitative Lockerung), kaufte also große Mengen von Vermögenswerten in strategisch wichtigen Bereichen auf, und verband dies mit einer Politik der ›Forward Guidance‹ – mit diesen Hinweisen auf die künftige Zinspolitik versichert die Federal Reserve dem Markt, wie lange sie ihre Linie beibehalten werde (Gane 2015). Diese Situation ist nicht in jeder Hinsicht neu: Sie weist einige Ähnlichkeit zu der Methode auf, mit der die Federal Reserve im und nach dem Zweiten Weltkrieg den Staatsschuldenmarkt gestützt hatte. Vermittels ihrer heutigen Programme kauft die Federal Reserve aber nicht nur Staatsanleihen (die traditionell als vollkommen sicher und risikofrei gelten), sondern auch Vermögenswerte in Bereichen, in denen berechtigte Zweifel am Wert der Sicherheit bestehen. Die quantitative Lockerung ist allgemein immer in einem Um-

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feld erörtert worden, in dem man sich fragte, wann die Federal Reserve diese Sondermaßnahmen zurückfahren werde; da aber nun seit der Krise ein ganzes Jahrzehnt vergangen ist, kann man sich wohl fragen, ob hier nicht einfach eine Adaption und eben keine Ausnahme vorliegt. Zwar hat die Federal Reserve die quantitative Lockerung in dem Sinne beendet, dass sie keine weiteren Ankäufe mehr tätigt, es gibt allerdings kaum Anzeichen dafür, dass sie die Vermögenswerte abzustoßen beabsichtigt, die sie über Jahre hinweg in ihrer Bilanz angesammelt hat. (Und ihr Umgang mit diesen Investitionen wird wahrscheinlich stark bestimmt werden von der bisherigen absoluten Priorität der Federal Reserve in neoliberalen Zeiten, nämlich von der positiven Verbraucherpreisentwicklung.) In der quantitativen Lockerung und der zinspolitischen Festlegung zeigt sich vor allem das Ausmaß, in dem der USamerikanische Staat nun völlig integriert ist in die volatilen Bewegungen des Finanzsystems, in dem seine Steuerungskapazitäten verquickt sind mit seiner Stellung in einem System, das mit Fremdkapitalhebelung (leverage), Zukünftigkeit und Spekulation arbeitet (vgl. Adam/Vines 2009). Das gedankliche Kreisen um die Polanyische Reintegrationsbewegung (also eine repressive Regulierung der spekulativen Finanzökonomie) und deren Ausbleiben lenkte die Aufmerksamkeit ab von einer Bewegung, die tatsächlich stattfand – nämlich der Bewegung, welche der Logik des Kapitals immanent ist und die Aufwertung seiner spekulativen Forderungen sicherzustellen sucht. Während sich die Kritiker der neoliberalen Finanzökonomie noch fragten, wann die verheißene Wende zur post-neoliberalen Governance beginnen werde, wurden sie kalt erwischt von der Entstehung eines machtvollen Drangs zur Austerität. Die Sparpolitik wurde ausgiebig kritisiert, als irrationale Maßnahme, die nicht bloß unter allgemein moralischen Prämissen problematisch sei, sondern selbst im kapitalistischen Sinne ein großer Fehler wäre. Austerität gilt als Politik, die von Finanzeliten vorangetrieben werde und den Spekulanten kurzfristige Gewinne verschaffe, dabei aber die Aussichten auf die Produktion realökonomischer Werte zunichte mache (Boyer 2012; Tabb 2012; Schäfer/Streeck 2013; Blyth 2014; Stuckler/Basu 2014; Hudson 2016). Solche Sichtweisen weisen viele der Be-

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schränkungen auf, denen wir schon bei der konventionellen Kritik am Neoliberalismus begegnet sind: Sie verbinden die Sparpolitik mit einer begrenzten Reihe von Ideen beziehungsweise Interessen und bemühen sich kaum, ihren breiteren Zusammenhang einer neoliberalen Rationalität nachzuzeichnen (vgl. Stanley 2014; Kiersey 2017). Offenkundig problematisch ist ein solcher Ansatz in Bezug auf die Vereinigten Staaten, wo die Sparpolitik eine beachtliche Massenbasis erlangt hat und etwa von der populistischen Tea-Party-Bewegung mit offenen Armen begrüßt wurde (Konings 2012); ihr erschien die Austeritätspolitik als Mittel zur Wiederherstellung eines neutralen republikanischen Markts, eines Bollwerks gegen unverdiente Privilegien und Machtbefugnisse. Die Frage der politischen Legitimation stellt sich auch nicht einfach im traditionellen Sinne: Der Neoliberalismus verwischt die Unterscheidung zwischen politischer Legitimation und ökonomischem Wert. Neoliberale Governance-Techniken legitimieren nicht einfach einen bereits gegebenen Stand der Dinge, sondern sie rufen eine neue Folge von Investitionen und Festlegungen (investments) hervor. Sie bieten nicht einfach nachträgliche Erklärungsmodelle, sondern fordern produktive Reaktionen heraus und induzieren namens der Sicherheit eine erhöhte Risikobereitschaft (vgl. Massumi 2014: 13). Die neoliberale Macht arbeitet nicht mit der Umgehung populärer Impulse oder der Ausschaltung spontaner Affekte, sondern sie wirbt um aktive Teilnahme an ihrer Logik proaktiver Vorbeugung und deren zentraler Dialektik von Spekulation und Austerität. Eine Erkenntnis des schöpferischen Charakters der Austerität wurde dadurch erschwert, dass das Thema unversehens mit dem der Staatsverschuldung in Verbindung gesetzt wurde; verstellt war damit der Blick auf das Verhältnis des Austeritätsimpulses zur Frage der Verschuldung, Prekarität und allgemeiner des Humankapitals. Sprich: Die plausible Argumentation, die öffentliche Haushaltsdisziplin bremse das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, lässt die Auswirkungen der Austerität und Disziplin auf das kapitalistische Wachstum im weiteren Sinne – im Sinne Foucaults und seiner Sicht auf den Siegeszug der Humankapitaltheorie – unberücksichtigt. Dabei ist die ökonomische Vernunft der Gegenwart nicht nur von dem Bewusstsein durchdrungen, dass eine schuldenfreie Existenz (living with-

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out debt) nunmehr praktisch unmöglich ist, auch der Zugang zu Kredit wird immer noch in Verbindung gebracht mit dem Gedanken der Demokratisierung und dem Ideal eines republikanischen Gemeinwesens. Das Subjekt, das der Sparsamkeit und Disziplin (austerity) bedürfe, bestimmt sich nicht durch Verschuldung an sich, sondern durch die Unentschlossenheit, seinen Kredit produktiv zu verwenden, und das Widerstreben, seine Verpflichtungen, Bindungen und Fähigkeiten derart zu strukturieren, dass dadurch die Mittel für den Schuldendienst geschaffen werden. Anders gesagt, der Drang zur Austerität motiviert sich durch eine temperamentvoll Hayek’sche Kritik an dem Charakter, der sich weigert, seine Ressourcen als Kapital einzusetzen, und stattdessen Kritik und Fragen aufwirft. In diesem Zusammenhang lässt sich eine der bedeutsamsten Entwicklungen seit der Finanzkrise verorten: in der beschleunigten Ausdehnung des Studienkredits (Brown 2015; Lazzarato 2015). Die finanzpolitischen Kürzungen der vergangenen Jahrzehnte im Bildungswesen führten zu einem drastischen Anstieg der Kosten einer Hochschulausbildung. Zugleich haben es verschiedene Maßnahmen und Gesetze der neoliberalen Zeit äußerst schwierig gemacht, sich dieser Schulden durch Privatinsolvenz zu entledigen. Aufgrund der besonderen Handhabung des Studienkredits ist es für die Kreditgeber oder deren Bevollmächtigte sehr viel leichter als bei anderen Verschuldungsformen, die Schuldner aufzuspüren und Rückzahlungen zu erwirken. So wird aus dem Vertrag, der im Alter von 18 Jahren geschlossen wird, ein beinahe heiliger Bund, dem in seiner Bindekraft keine andere säkulare Verpflichtung gleichkommt. In Verbindung mit der zunehmenden Erwerbsprekarität heißt das, dass immer mehr Hochschulabsolventen keine sichere Anstellung finden und ein Leben führen, das ständig Gefahr läuft, an die Überlebensschranke zu stoßen. Das, hieß es (Williams 2008; Adamson 2009), sei eine Rückkehr zur Vertragsknechtschaft; doch während der traditionelle Knechtschaftsvertrag (indenture contract) eine Dienstvereinbarung zur Tilgung der Schulden umfasste, beinhaltet der moderne Studienkredit eine Beschäftigungsgarantie eben nicht. Wirksam ist hier die von Mitropoulos sogenannte »unendliche Vertragsbindung« (2012: 27), eine paradoxe

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Bewegung, in der grenzenlose Prekarität Verwendung findet als die spekulative Grundlage der Ordnung (vgl. Lorey 2015: 46). Diese Umstände begrenzen die Bildungschancen beachtlich, die den Studierenden formell offenstehen. Die schuldenfinanzierte Hochschulbildung wird zum sinnbildlichen Ausdruck: »das Humankapital ist darauf eingeschränkt, in sich selbst so zu investieren, daß dabei sein Wert gesteigert oder zumindest verhindert wird, daß er sinkt« (Brown 2015: 275). Der Lehrplan unterliegt nun folglich einem Prozess der Berufsorientierung, die das Modell der Geisteswissenschaften untergräbt, welches trotz seiner Grenzen und seiner tiefen Einbindung in die Reproduktion institutionalisierter Privilegien doch einen gewissen Raum für die Entwicklung kritischer Fähigkeiten geboten hatte (Bousquet 2009). Zudem werden die Studienschuldner mit einiger unnötiger Rücksichtslosigkeit behandelt; es gibt zahlreiche Berichte, wie Rückzahlungen in so unverschämt rigoroser Art beigetrieben werden, als wolle man eine Salzsäule zum Singen bringen. Aus dieser Perspektive erscheint das expansive Studienkreditregime als die institutionelle Verkörperung eines Hayek’schen Geistes der Kritik der Kritik, als die Rache der populistisch-republikanischen Meinung an der Bindung des linksliberalen Charakters zum kritischen Wissen, als die Verneinung einer Subjektivität, die sich beruflichen Kenntnissen verweigert und nach Wissen strebt, ohne dieses der eisernen Disziplin der Wirtschaft zu unterwerfen (vgl. Graeber 2011). Sichtbar wird hier die Kehrseite der Resilienz und Plastizität: die Kapazität eines Systems zu seiner Reproduktion kraft Kontingenz. Derartige Begrifflichkeiten haben in den letzten Jahren, oftmals von beträchtlichem Optimismus begleitet, großes Interesse erregt; besonders deutlich wird das in ihrer Mainstream-Lesart als Zauberformeln à la ›Erfolgreich unter Druck‹ oder von ›Der Kunst des Scheiterns‹. Aber auch kritischere Perspektiven reproduzieren bisweilen einige der optimistischen Valenzen. Beispielsweise erklärt Chandler (2013), der Aufstieg des Resilienzgedankens sei eine Reaktion auf das praktische Versagen des Neoliberalismus, das kontinuierliche staatliche Eingreifen habe den Glauben an die Effizienz der Märkte erschüttert, und die Resilienz biete die Aussicht auf eine Überwindung des Neoliberalismus.

Kapitel 11: Neoliberale Finanzmarktsteuerung

Malabou (2006) betrachtet die neoliberale Kontingenz und die Sachzwänge der aufoktroyierten Arbeitsmarktflexibilität als eine kümmerliche Version des Plastizitätsprinzips und erklärt im Endeffekt, Letzteres biete nicht nur ein Veränderungspotenzial, sondern sei als der positive Regulierungsgrundsatz eines post-neoliberalen Zustands zu begreifen. Solche Urteile unterstellen allerdings, der Neoliberalismus sei in seinen Erwartungen an den Markt gänzlich naiv. Im Gegensatz dazu vertritt das vorliegende Buch die Auffassung, der Neoliberalismus stehe für ein reflexiveres Einlassen auf die Dynamik von Selbstorganisationsprozessen. Richtete sich die Aufmerksamkeit auch darauf, dass die neoliberale Zeitlichkeit eine höchst reaktive Dimension aufweist, so ist dies doch keineswegs als Begründung dafür misszuverstehen, die neoliberalen Resilienzkonzepte wären wenig mehr als altmodische Ideologie, die man vernachlässigen könne (bspw. Joseph 2013). Im Kontrast zur allgegenwärtigen Neigung, die Herstellung von Ordnung theoretisch hauptsächlich epistemologisch als die diskursive Konstruktion von Zustimmung und Legitimität zu fassen, ist ein Hayek’sches oder radikalkonstruktivistisches Bewusstsein von der nichtrepräsentativen Natur unserer praktischen Investitionen und Festlegungen, von der Nichtlinearität normativer Strukturen, von der (alle Ordnungsmechanismen konstitutiv durchziehenden) Unwissenheit und Ungewissheit äußerst bedeutsam und politisch folgenschwer.

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Als klar wurde, dass die Polanyische Gegenbewegung ausblieb, wandte sich die kritische Forschung zunehmend der Fähigkeit des Neoliberalismus zu, die eigenen Widersprüche auszusetzen und den eigenen Niedergang zu verzögern (Crouch 2011; Streeck 2013). Das Scheitern des Reformprogramms erkläre sich in erster Linie mit der Vereinnahmung politischer Institutionen und Diskurse durch finanzökonomische Eliten (Baker 2010; McCarty 2013; Rixen 2013; Goldbach 2015). Zwar hat dieses Modell offenkundig deskriptive Qualitäten, dass es aber als eigenständige Erklärung bestehen kann, ist nicht gesagt: Der unverhältnismäßige Einfluss von Eliten auf staatliche Politik ist kaum ein neues Phänomen und in vielerlei Hinsicht mehr Symptom als Ursache. Erklärungsbedürftig ist nämlich, dass der größere Zusammenhang der Finanzmarktsteuerung just dann als Schutzschirm dieser Interessen fungiert hat, als die Banker und ihre behördlichen Aufseher unter intensiver kritischer Beobachtung standen (vgl. Kiersey 2011: 15). Und hierzu hat die aktuelle Forschung wenig beizutragen, da sie mehr damit befasst ist, Erklärungen für mögliche, aber nicht erfolgte Entwicklungen (Niedergang des Neoliberalismus) zu liefern, als dass sie erklären würde, was tatsächlich passiert ist (Wiedererstarken des Neoliberalismus). Im Grunde können wir aktuell die bizarre Entwicklung eines akademischen Wachstumssektors beobachten, der sich auf Erklärungen dafür verlegt hat, warum die soziale Wirklichkeit den sozialwissenschaftlichen Fantasien einer Pendelbewegung nicht gefolgt ist (bspw. Hellei-

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ner 2014; Underhill 2015) – ein seltsames Spiegelbild der finanzsystemischen Fähigkeit, aus Fehlschlägen Gewinn zu schlagen. Das Vereinnahmungsmodell (capture model) gründet auf einem instrumentellen Verständnis institutioneller und ideologischer Macht. So gehen die konstruktivistischen und institutionalistischen Neigungen der Polanyischen Theorie ein Bündnis ein mit grobschlächtigen Vorstellungen der Macht als unmittelbarer persönlicher Kontrolle und der Ideologie als Manipulation der Wahrnehmung – eben jener Art von Gedankenbildern, die gemeinhin (und aus gutem Grunde) verworfen werden, wenn sie von marxistischen Akademikern vorgebracht werden. Der moralistische Stil einer Kritik, welche den Fortbestand des Neoliberalismus als Ausnahme, als Abweichung von einem Modell keynesianischer Regulierung hinstellt, übersieht dabei, dass die Exzeptionalismuskritik bereits ein zentraler Bestandteil der neoliberalen Diskurse ist. Dieses unreflexive Moment kontrastiert mit den neoliberalen Ursprüngen der Vereinnahmungstheorie, die eng verbunden ist mit George Stigler (1971), einem der Gründungsmitglieder der Mont Pèlerin Society. Vereinnahmung als Begriff ist bei weitem kein neutrales Analyseinstrument, sondern Ausdruck einer Vorstellung von Korruption und Säuberung, die immer im Zentrum des neoliberalen Projekts und insbesondere seiner Fähigkeit gestanden hat, mithilfe staatskritischer Ansichten eine Massenzustimmung zu gewinnen. Auf diese Weise spielen die kritischen Interventionen eine recht gedankenlose Rolle für die Fantasie ökonomischer Neutralität, verleihen der Idee einer krisenfreien Marktwirtschaft Glaubwürdigkeit und verleiten uns zur Vorstellung eines bestimmten Risikomanagements, das unbefleckt wäre von den moralisch nicht unproblematischen Aspekten der ›Too Big to Fail‹-Logik. Der Ausdruck moralischer Missbilligung im Rahmen eines neoliberalen Begriffsregisters bedeutet, dass kritische Diskurse nunmehr in erster Linie als rhetorische Kontrapunkte für die neoliberalen Diskurse fungieren. In Hayek’scher Manier packen Letztere jegliche Sicherheitsversprechen nur mit spitzen Fingern an und bedienen sich ihrer insbesondere, um ein intensiveres Einlassen auf gerade jene Praktiken zu fordern, die die Krise herbeigeführt haben.

Kapitel 12: Kapital und Kritik in neoliberalen Zeiten

Es heißt, um eine Anleihe bei Streecks Titel (2013) zu nehmen, die aktuellen Maßnahmen würden dem Kapital nur ›Zeit kaufen‹ und die unvermeidliche Krise des Kapitalismus hinauszögern; eines Systems, das schon längst den Bezug zu seinen ökonomischen Grundlagen verloren habe, keine moralischen Grenzen kenne und sein objektives Haltbarkeitsdatum längst überschritten habe. Das vorliegende Buch verfolgte einen anderen Zugriff auf das Verhältnis zwischen Zeit und Kapitalismus, akzentuierte deren innere Zusammenhänge und nahm den Vorgang ernst, in dem die Werterzeugung ihre eigenen Zeitlichkeitsstrukturen hervorbringt. Die Bereitstellung von Zeit ist kein letztlich vergebliches Hinauszögern eines unweigerlichen Schicksals, sondern ein zentraler Schachzug in der plastischen Wertlogik. Wirklich ungünstig stehen die Zeichen allerdings nicht, will man aus interdisziplinärer Perspektive über Geld und Finanzökonomie nachdenken. Zwar bildet die heterodoxe Kritik an der kapitalistischen Spekulation eine florierende akademische Sparte, die Tatsache aber, dass sie nur wenige Jahre zuvor ihre endgültige Rehabilitierung beansprucht hat, bedeutet, dass sie zunehmend als moralische Haltung und weniger als ernsthafter Versuch erscheint, die Dynamik des Kapitalismus zu begreifen. Außerdem hat die Finanzkrise Interesse an ökonomischen Fragen geweckt und ein Maß an ökonomischer Alphabetisierung der breiteren Öffentlichkeit zustande gebracht, das sich mit der konservativen Berufung auf die materiellen Grundlagen (wie sie mit der Spekulationskritik assoziiert wird) wohl nicht ganz so einfach einfangen lässt. Obwohl ich mich dahingehend kritisch zeigte, wie die neuen Disziplinen einer Kulturökonomik oder Finanzanthropologie Fragen der Performanz und Konstruktion aufgearbeitet haben, besteht wohl kein Zweifel, dass sie viel dazu beigetragen haben, ein neues Denken über ökonomische Fragen anzuregen. Besonders interessant ist die Entstehung des sogenannten ›Neuen Materialismus‹ (Coole/Frost 2010), im weiteren Sinne also jener Palette von Ansätzen, die zwar den kritischen Impuls der poststrukturalistischen Wende wahren, deren Hang zur Rehabilitierung einer Trennung zwischen Materie und Diskurs aber ablehnen. Adkins fasst die theoretische Stoßrichtung dieses neuen Materialismusbegriffs folgendermaßen zusammen: »wir

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sprechen nun in der Regel weder über die Trägheit der Materie noch über äußere Kräfte in ihrer Einwirkung auf die Materie, sondern über die Performativität von Materie – über den Dynamismus der Materie, über die ihr eigene Zeitlichkeit« (2009: 334). Dass wir dank solcher Entwicklungen nun Fragen der Topologie, Selbstorganisation und Komplexität mit Fragen des Werts verknüpfen können, heißt noch nicht, dass die Formulierung eines von mir sogenannten ›nicht-essenzialistischen Ökonomismus‹ ganz weit oben auf der Tagesordnung stünde. Beispielsweise spielte das Thema der Selbstorganisation im Verhältnis zu ökonomischen Prozessen bei Connolly (2013) zuletzt eine herausragende Rolle: Die Welt, die er zeichnet, ist von einer Vielzahl von Selbstorganisationsprozessen geprägt, die zugleich aber auch fragil sind – der Zusammenbruch, das Scheitern ist immer eine Möglichkeit. Auch die Wirtschaft hat selbstorganisierende Eigenschaften, ist allerdings ebenfalls fragil. Connolly betrachtet den Neoliberalismus als ein Grundsatzprogramm, das die Grenzen der ökonomischen Selbstorganisation nicht erkennt beziehungsweise achtet; getrieben von einem bombastischen, ökonomistischen Glauben an die selbstregulierenden Fähigkeiten des Marktes befördere dieser die Selbstexpansion des Marktes auf Kosten jenes Pluralismus, den eine lebenswerte Welt erfordere. Dies ist nun nicht bloß der leise Polanyische Widerhall einer untertheoretisierten selbstexpansiven Dynamik im Verein mit einem pluralistischen Idealismus. Eine ähnliche Logik scheint zuletzt auch bei Latour (2014b) wirksam zu sein. Demnach besteht die Tragödie der Modernen darin, dass sie zwar sehr viele Dinge sehr gut erdacht und konstruiert haben, dass sie aber im kritischen Meinen verfangen und hilflose Teilhaber der eingebildeten Reinheit ihrer Konstruktionen sind. Latour fordert und skizziert eindringlich eine Politik der Zusammensetzung (Assemblage), die rein pragmatisch und zweckgerichtet sei, reguliert von einem diplomatischen Ethos, das affirmativ ist und die Kritik hinter sich lässt. Doch obwohl sich die Irrungen und Wirrungen der Moderne in jedem Lebensbereich finden lassen, scheint für Latour tatsächlich die Wirkmacht des Kapitals eine solche pluralistische Politik an der Materialisierung zu hindern und uns davon abzuhalten, eine zunehmend »unbewohnbar[e]« Ökonomie (2014b:

Kapitel 12: Kapital und Kritik in neoliberalen Zeiten

59) aufzugeben und zu einer Ökologie vielfältiger Wertordnungen überzugehen.1 Unerklärt bleibt, was die Ökonomie so gefährlich macht, so anfällig für eine übermäßige, räuberische Expansion, wie es andere Bereiche nicht seien. Insbesondere in diesem Zusammenhang erscheint einem der Ruf nach Diplomatie als Mittel der Verhandlung von Differenzen recht naiv und es fällt schwer, in Latours Denkfigur etwas anderes zu erkennen als eine verwässerte Version der Habermas’schen Diskursethik. Die Ziele des Neuen Materialismus sind freilich nicht ganz verschieden von den ursprünglichen Ambitionen der Akteur-NetzwerkTheorie (tatsächlich steht Latour hier für Kontinuität), sprich den überkommenen Gegensatz zwischen Materialismus und Idealismus hinter sich zu lassen und eine ›materiale Semiotik‹ zu formulieren. Wie wir sahen, suchte die Akteur-Netzwerk-Theorie diese Frage vorschnell beizulegen und verfing sich im Ergebnis tendenziell in einem inkonsistenten Schwanken zwischen Materialismus und Idealismus. Viele der Autoren auf dem Feld des Neuen Materialismus setzen sich unmittelbarer damit auseinander, dass die poststrukturalistischen Kritiken am Materialismus und Ökonomismus tendenziell eine eigene idealistische Spielart des Essenzialismus reproduzieren. Doch ein gesteigertes Bewusstsein dessen, wie kompliziert das Problem wirklich ist, bietet an sich noch keinerlei Garantie dafür, einem ähnlichen Schicksal zu entgehen. Gestützt auf Luhmann, erklärte das vorliegende Buch, dass wir dem Schwanken zwischen Materialismus und Idealismus nicht entgehen können, wenn wir nicht unsere Unfähigkeit zur Lösung dieser Frage thematisieren und die Paradoxa der Selbstreferenzialität in den Vordergrund stellen – und verknüpfte dies mit dem Aspekt der Selbstreferenzialität des Geldes und der selbstexpansiven Tendenzen des Finanzkapitals. Auf diese Weise versuchte das Buch, die marxistische Kritik am Kapitalismus nach nichtessenzialistischer Maßgabe zu erneuern, und stützte sich dabei auf einen der maßvollsten Impulse zeitgenössischer Sozialwissenschaft, um eine radikale Kritik neu zu rüsten. Antrieb in Latours Plädoyer für eine affirmative Politik ist die Befürchtung, das kritische Projekt habe seine Glanzzeit überschritten (Latour 2007). Dass jedoch sein eigenes Werk in einer Kreisbewegung zu

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einem Polanyischen Format zurückkehrt und selbst moralistische Qualitäten annimmt, lässt vermuten, dass das Projekt der Kritik so einfach nicht aufgegeben werden kann – und dass wir uns hüten sollten, die Ablehnung der fundamentistischen Kritik als Vorwand dafür herzunehmen, dass man das Interesse an der Erzeugung kritischer Ressourcen samt und sonders verliert. Ganz wie Latour, so lehnt auch Luhmann jene Art kritischer Theorie ab, die einen äußeren Fluchtpunkt sucht: die selbstgefällige Kritik an den fehlgehenden Überzeugungen der Anderen, die sich selbst als Betrachter ohne Standpunkt imaginiert. Ohne Zweifel aber hätte Luhmann Latours Behauptungen einer affirmativen Macht und Kraft der Kritik an der Kritik als eine Art falschen Radikalismus zurückgewiesen und vielleicht sogar geäußert, wie eigenartig ähnlich sie doch dem Hayek’schen Geist des neoliberalen Kapitalismus seien. Aus Luhmann’schem Blickwinkel erscheint das Bestreben einer Überwindung der Kritik als willkürliche, selbstauferlegte Einschränkung unserer Beobachtungen. Zwar können wir unsere Welt nicht von außerhalb beobachten, aber wir können immer neue Beobachtungen erzeugen, mit denen wir neue Dinge sehen. Fehldeutungen, Irrtümer und Unwissenheit prinzipiell zu überwinden, ist genauso unmöglich, wie Kritik prinzipiell zu überwinden. Damit soll nicht gesagt sein, es gebe keine qualitativen Unterschiede zwischen unkritischem und kritischem Wissen, sondern einfach, dass es unmöglich ist, einen objektiven Kriterienkatalog für kritisches Wissen aufzustellen. Eine gute Kritik ist eine performative Leistung – wir erkennen sie, wenn wir sie vor uns haben. Das Nachdenken über die Erfolgsfaktoren einer Kritik kann für die Entwicklung unserer kritischen Fertigkeiten sehr nützlich sein, keineswegs aber erzeugt es einen externen Standard für kritisches Wissen. Von der Kritik mehr zu verlangen als derart nachhallende Performanzen (›Was tun?‹, zum Beispiel), hieße, ihr eine Verantwortung aufzubürden, für die sie schlecht gerüstet ist, und sie hinabzulocken auf den Pfad des einen oder anderen Fundamentismus.

Danksagung

Für die förderlichen Kommentare und ergiebigen Gespräche, die mir halfen, die Gedanken in diesem Buch zu formulieren, möchte ich den Folgenden danken: Melinda Cooper, Gavin Fridell, Dick Bryan, Damien Cahill, Fiona Allon, Mike Beggs, Mike Rafferty, Adam Morton, Samuel Knafo, Amin Samman, Ronen Palan, Lisa Adkins, Elena Esposito, Nina Boy, Ute Tellmann, Marieke de Goede, Stefano Sgambati, Leigh Claire La Berge, Carey Hardin, Bob Meister, Ed LiPuma und Ben Lee. Ich arbeitete an diesem Buch als Gastwissenschaftler an der New York University und danke Arjun Appadurai und Robert Wosnitzer für ihre Unterstützung bei der Anbahnung dieses Aufenthalts. Perry Mehrling und Nick Gane prüften das Manuskript für die Standford University Press und ich bin ihnen dankbar für ihre aufmerksame Lektüre. Die Zusammenarbeit mit Emily-Jane Cohen war abermals ein echtes Vergnügen: Ich danke ihr für die großzügige Unterstützung meiner Arbeit und ihre unerreichte verlegerische Vorausschau sowie für ihr Interesse an der Gründung der Schriftenreihe »Currencies. New Thinking for Financial Times«, in der dieses Buch ursprünglich erschienen ist. Mein Dank gilt auch Anne Fuzellier für ihre Unterstützung in der Herstellung und Jeff Wyneken für seine sorgfältige Korrektur des Manuskripts. Dankbar würdigen möchte ich zudem die finanzielle Unterstützung durch den Australian Research Council mit der Fördernummer DE120100213. Bhavani ließ mich an diesem Buch arbeiten und ertrug meine Autorenlaunen in besonders hektischer Zeit. Die Zeit, die ich für

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das Schreiben dieses Buches brauchte, nutzte Anik, um von einem properen Däumling zu einem freundlichen und selbstbewussten Kerlchen heranzuwachsen. Das ist weder das Buch über Möhren noch das über Menschen und Autos, das er gerne gehabt hätte, allerdings hoffe ich, dass es angeregte Gespräche und gleichermaßen geistreiche Selbstgespräche anstoßen wird.

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Anmerkungen Einleitung:  Über die Spekulationskritik hinaus 1

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Aristoteles bezeichnet als Chrematistik den Gelderwerb im Unterschied und Gegensatz zur unmittelbar auf den Lebenserhalt gerichteten oikonomía (Vogl 2 2010: 120f.); siehe zur Chrematistik ausführlich Kap. 6 im vorliegenden Buch. (Anm. d. Übers.) Vor 20 Jahren noch erläuterten die Übersetzer Scher und Worrall specularity wie folgt: »Das französische Wort lautet spécularité. [...] es wird gelegentlich verwendet in Bezug auf die gegenseitige Spiegelung der Überzeugungen, Absichten und letztlich Handlungen von Akteuren« (in: Moessinger 2000: 83). (Anm. d. Übers.) Der »unscharfe Begriff« der Governance, mit seinen zeitgeistigen Assoziationen der Koordination, Effizienz und Optimierung, verweist (seit den 1980ern vermehrt) auf die Integration privater Akteure und deren Organisationswissens in hoheitliches Handeln und auf dessen Hinwendung zur indirekten Steuerung. Kurz, »umrissen« wird »Regierungshandeln diesseits und abseits von Regierungen und staatlichen Strukturen« – und mit Konings ließe sich wohl sagen: auch in staatlichen Strukturen (Vogl 2015: 218f.). (Anm. d. Übers.) Später bezeichnet Konings Ricardos Arbeitswerttheorie als »substantivistisch«. Ein Verfechter des neueren Substantivismus ist wiederum Polanyi, der »die Anwendbarkeit der klassischen und neoklassischen Wirtschaftstheorie und ihrer Modelle auf [...] Gesellschaften vor der Durchsetzung des selbstregulierenden

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Marktes« bestreitet; es bedürfe einer »Trennung von sachlichmateriellen, d.h. substantivistischen und formal-logischen, d.h. formalistischen Aspekten des wirtschaftlichen Lebens«, wobei sich ersterer »auf die institutionalisierten Beziehungen zwischen Menschen und ihrer natürlichen und sozialen Umgebung« bezieht (Schrader 1995: 2, 5f.). (Anm. d. Übers.) Wegen seines großen Bedeutungs- bzw. Assoziationsumfangs (Ertragserwartung, Kapitalhebel, Kreditverflechtung, Potenzierung, Verschuldungsposition, etc.) wird ›leverage‹ oftmals einfach entlehnt. Laut Bundesbank beschreibt der Leverage-Effekt als Hebelwirkung »die Veränderung der Eigenkapitalrentabilität durch den Einsatz von Fremdkapital«, die sich positiv, aber auch negativ gestalten kann: »Sinken die erwirtschafteten Erträge [...] unter die zu leistenden Zinsen, kann der Leverage-Effekt hohe Verluste und die Aufzehrung des Eigenkapitals bewirken.« Vorrangig auf die Mikroebene einzelner Unternehmen bezieht sich auch die ›leverage ratio‹, die Verschuldungsquote. ›Leverage‹ wird gleichsam mit Fremdfinanzierungs- oder Verschuldungsgrad wiedergegeben, der sowohl im Auf- wie im Abschwung »prozyklische[] Effekte« habe, und zwar in der Breite wie im Einzelnen: Ein makroökonomischer Schock kann ›gehebelte‹ Akteure und insbes. Investmentbanken dazu zwingen, »in größerem Umfang Aktiva abzustoßen, was bei einer schlechten Marktsituation nur mit erheblichen Verlusten möglich ist.« Dieser volkswirtschaftliche Aspekt wird hier in der Übersetzung von deleveraging movement, so viel sei bereits verraten, auch als ›Kreditabschwung‹ bzw. ›Kreditkontraktion‹ gefasst. (Deutsche Bundesbank 2020: LeverageEffekt, Leverage Ratio; Sachverständigenrat 2008: 119-120, insb. 127f.). (Anm. d. Übers.) Appadurai interessiert sich zwar konkret für das Ethos des Finanzhandels, ganz ähnlich aber umreißt er die aktuelle Haltung zu Sinn und Nutzen der Ungewissheit: »Nach meinem Dafürhalten findet sich das Hauptmerkmal des Ethos finanzökonomischer Player, die in den vergangenen Jahrzehnten die finanzökonomischen Spielregeln sowohl anwandten

Anmerkungen

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als auch prägten, in einer (wenn auch nicht bewusst theoretisierten oder formulierten, so doch) wirksamen Bereitschaft, die Ungewissheit als legitimes Prinzip beim Risikomanagement zu nutzen. Anders gesagt, diejenigen Player, die die Strategien im Ausbau und Einsatz der Finanzinfrastrukturen festlegen (im Gegensatz zu denjenigen, die einfach reagieren und sich diesen Strategien fügen), nutzen ihre Intuition, ihre Erfahrung und ihren Instinkt, um andere Player zu übertrumpfen, die wohl allein schon ihren eigenen Risikokontrollanwendungen hoffnungslos unterlegen sind.« (2011: 525) Brown erklärt den Begriff neoliberaler Rationalität wie folgt: »›Politische Rationalität‹ oder ›Regierungsrationalität‹ sind die Begriffe, die Foucault verwendete, um unter anderem die Art und Weise zu kennzeichnen, wie sich der Neoliberalismus daran macht, als normative Form der Vernunft zu regieren. Foucaults Idee [...] ist, daß politische Handlungen, Herrschaftsformen, Gewalt und Alltagspraktiken weder so verstanden werden sollten, daß sie einfach aus den Absichten der Herrschenden oder Beteiligten herausfließen, noch andererseits so, daß sie entweder durch materielle Bedingungen oder eine Ideologie angetrieben werden. Statt dessen benutzt er den Begriff der ›politischen Rationalität‹, um die herrschende Form der normativen Vernunft zu ermitteln, die, wie Mitchell Dean es ausdrückt, ›dem politischen Handeln sowohl vorausgeht als auch dieses Handeln bedingt‹.« (2015: 174)

Kapitel 1:  Fundamentismus und Selbstbezüglichkeit 1

Zu nennen wäre hier auch die Fortentwicklung von Wolfgang Streeck, der einen Großteil seiner Karriere der keynesianisch-institutionalistischen Nationalökonomie gewidmet hatte und sich zuletzt als einer der profiliertesten linken Kritiker des neoliberalen Kapitalismus erwies. Da das Establishment auf die Finanzkrise nicht angemessen reagiert hatte, wurde er radikaler und stützt sich ak-

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tuell (2013) auf Theorien sowohl Polanyischer Prägung als auch der Frankfurter Schule (welche er früher für zu abstrakt und formalistisch befunden hatte, als dass sie für die Analyse des real existierenden Kapitalismus von sonderlichem Interesse gewesen wäre). Maßgebliche Sammelbände der Wirtschaftssoziologie und der Internationalen Politischen Ökonomie sind Granovetter/Swedberg 2011 und Blyth 2009.

Kapitel 3:  Luhmann’sche Überlegungen 1

Vgl. auch Shackles Bemerkung, unter Norm bzw. Konvention verstehe er lediglich »dieses spontane Zusammengehen im Denken, das eben durch die Abwesenheit ›echter‹ Zugänge zur Zukunft so stark begünstigt wird« (1972: 193).

Kapitel 4:  System, Wirtschaft und Steuerung 1 2

Zu den zwei Seiten von Keynes’ Allgemeiner Theorie, siehe Shackle (1972: 217f.). Dieser Ansatz ist sinnvoller als ein Anschluss an Luhmanns Sicht auf die Governance-Probleme der Nachkriegsordnung; diese kreiste um die Vorstellung, das Gleichgewicht zwischen verschiedenen Teilsystemen sei aus dem Takt geraten, und erschwerte bisweilen eine Unterscheidung zwischen Luhmanns Position und den Habermas’schen Problemdiagnosen hinsichtlich der westlichen Wohlfahrtsstaaten (Borch 2011: 120f.).

Anmerkungen

Kapitel 5:  Foucault bietet mehr als Ökonomismuskritik 1

Von beachtlicher Bedeutung ist hier der Einfluss Canguilhems und seines Begriffs lebendiger Systeme, die demnach durch »die Polarität zweier Tendenzen, der Selbstregulierung und der Selbstüberschreitung,« (Muhle 2014: 95; vgl. 2013: 249) ihre eigenen normativen Strukturen herstellen.

Kapitel 6:  Zeit, Investition und Entscheidung 1

Herkömmlicherweise vollzog man diese Wertflexibilität nach, indem man die Bilanz mit einer Einkommenserklärung kombinierte; letztere wies die Gewinne und Verluste, folglich die Zubzw. Abnahme des Kapitalwerts aus (der dann seinerseits in der Bilanz aktualisiert werden konnte). Mit der heute geläufigen Marktpreisbilanzierung (mark-to-market accounting) sind Wertveränderungen unmittelbar und ständig aus der Bilanz selbst ersichtlich (Levy 2014: 209).

Kapitel 7:  Minsky bietet mehr als Spekulationskritik 1

In Arbeiten über die Derivatlogik wird immer wieder betont, eine klare Unterscheidung zwischen Sicherungsgeschäft (hedging) und spekulativer Finanzierung lasse sich nur schwer treffen (Bryan/Rafferty 2006; Engel 2013; Lee/Martin 2016): Risikovermeidung und Sicherheit werden ihrerseits zu spekulativen Aussagen, die eine kontinuierliche Unterscheidung finanzieller Positionen erfordern. Shackles Bemerkungen zur falschen Trennung zwischen Transaktions- und Spekulationsmotiv sind auch in diesem Zusammenhang relevant:

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»Mit Verweis auf ihrer beider Ursprung im mangelhaften Wissen lässt sich zeigen, dass das Transaktionsmotiv und das Spekulationsmotiv wesentlich gleich sind. Von dieser Herkunft abgesehen, erscheinen sie vielleicht als sehr unterschiedlich. Doch sie haben eine weitere gemeinsame Eigenschaft: In beiden verschwimmt die Grenze zwischen Verteidigung und Angriff, zwischen Schadenabwehr und Gewinnerzielung, zwischen Sicherheit und Sieg. Das liegt in der Natur der Dinge. Theorien, die, in irgendeinem Bereich der Disziplin ökonomischer Phänomene, eine scharfe Trennung vornehmen zwischen Profitabilität einerseits und Sicherheit oder Überlebenskraft andererseits, vernachlässigen offenkundig die Ungewissheit.« (1972: 215) Dieser Satz, der die wesentliche Selbstreferenzialität des Finanzsystems benennt, fasst auch den Kerngedanken von Luhmanns Wirtschaft der Gesellschaft (1988) ausgezeichnet zusammen. Obwohl Luhmanns Auseinandersetzung mit der Ökonomie begrenzt war (die Gründe dafür wurden im vorherigen Kapitel erläutert), konnte er mit seinem systemtheoretischen Zugriff auf die Wirtschaft: a) im (Interbanken-)Zahlungssystem das Nervensystem des zeitgenössischen Kapitalismus erkennen; b) den Zahlungsausfall nicht als einzelnes, sondern als Ereignis mit teils dramatischen Folgewirkungen würdigen; und c) die Sachzwänge der Zentralbanken mit Rücksicht auf diese Bedingungen einordnen (1988; 1991: 195f.). So formuliert Ricks: »Die Ausgabe quantitativ starker Geldforderungen, die kontinuierlich umgeschuldet werden, ist das charakteristische Merkmal unseres Bankenkonzepts« (2016: 52). Sicherungsfinanzierung heißt eine Bilanzstruktur, in der die laufenden Erträge einer Investition ausreichen, um die Barmittelverbindlichkeiten (Tilgungs- und Zinszahlungen) zu decken, die sich aus den Schulden ergeben, welche für die Finanzierung der Aktiva verwendet wurden. In einer spekulativen Finanzierung decken laufende Erträge die Zinszahlungen, sind für die Abzahlung des Kredits aber unzureichend; die Erhaltung der spekulativen Struktur ist also abhängig von einer Möglichkeit der Umschuldung. Bei der ›Schneeball‹-Finanzierung (Ponzi scheme) genügen die vorgese-

Anmerkungen

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henen Barzuflüsse nicht, um auch nur die Zinszahlungen zu decken, und die entsprechende Einheit muss daher auch zu diesem Zwecke Kredit aufnehmen. Je spekulativer eine Position ist, desto abhängiger ist die Zahlungsfähigkeit von der umfassenderen Marktdynamik, sprich: von der fortgesetzten Wertschätzung für die erworbenen Aktiva. (Vgl. Minsky 1977). Anders ausgedrückt, besteht in der post-keynesianischen Theorie ein Spannungsverhältnis zwischen den Thesen zur Endogenität des Geldes (die sich aus der Kredit- und Schuldendynamik ergebe, was heißt, dass die Ordnung der Spekulation nicht vorgängig ist) und der Vorstellung, dass spekulative Finanzpraktiken an und für sich destabilisierend wirken.

Kapitel 8:  Praktiken der (Zentral-)Banken, Theorien der Neutralität 1

»Die Standardwirtschaftstheorie – die neoklassische Synthese – bildet sich ausgehend von Studien zum Tauschhandel, wie er auf einem Dorfmarkt stattfinden mag, und fährt dann fort mit Ergänzungen dieses Grundmodells um Produktion, Kapitalvermögen, Geld und Finanzwerte. Im Dorfmarkt-Paradigma zeigt sich, dass ein dezentraler Marktmechanismus zu einem kohärenten Ergebnis führen kann« (Minsky 1982: 61). Shackle führt diesen Punkt dankenswerterweise etwas weiter aus: »Je mehr sich die Wirtschaftsgesellschaft auf eine ›Hand in den Mund‹-Dimension beschränkt, desto mehr können sich ihre Operationen dem Rationalen prinzipiell annähern. Denn wenn die auf den Märkten gehandelten Güter verderblich und kurzlebig sind, müssen sie unverzüglich getauscht, muss also unverzüglich ein Preis gefunden werden und es gibt hinsichtlich des Preises keine weiteren Überlegungen als die unmittelbaren Bedürfnisse und Geschmacksvorlieben sowie die augenblickliche Kaufkraft der Mitglieder einer Gesellschaft. In einer solchen Gesellschaft müssen Preise gebildet werden und sie können gebildet werden, weil sie

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auf bestimmten und einfachen Informationen beruhen. Die Einführung von ›Reichtum‹, von Vermögenswerten, die Dauerhaftigkeit oder Nachhaltigkeit versprechen und darstellen, zerstört unweigerlich die logische Grundlage.« (Shackle 1972: 157f.) Im Unterschied zu augenblicklichen, individuellen Akten der Konsumption, verbinden wir uns durch Investitionen mit Anderen – und können nie ganz sicher sein, wie unsere Investitionen sich auswirken werden. In Smiths Worten: »Diskontiert eine Bank einem Kaufmann einen echten Wechsel, der von einem echten Gläubiger auf einen echten Schuldner gezogen wurde und bei Fälligkeit von diesem Schuldner wirklich bezahlt wird, so streckt sie ihm nur einen Teil des Wertes vor, den er andernfalls zur Begleichung allfälliger Forderungen unbeschäftigt in Bargeld halten müßte. Die Einlösung des Wechsels bei Fälligkeit erstattet der Bank den Wert dessen, was sie vorgestreckt hatte, mit Zinsen zurück. Soweit sich ihre Geschäfte auf solche Kunden beschränken, ähneln die Kassen der Bank einem Wasserbecken, aus dem zwar ständig ein Strom abließt, ein anderer jedoch ständig zufließt, ganz gleich dem, der abfließt [...].« (Smith 2012: 339) Damit ist die umstrittene Frage berührt, ob die politischen Aussagen schottischer Aufklärer wie Hume und Smith in erster Linie als liberal oder als republikanisch zu verstehen seien. Wie Kalyvas und Katznelson (2008) betonen, lässt sich diese Frage auf der Grundlage textlicher Evidenz nur schwer entscheiden; vielmehr müsse man anerkennen, dass es im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert zwischen Liberalismus und Republikanismus einfach keine klare Unterscheidung gegeben habe (vgl. auch MacGilvray 2011). Allerdings reproduzieren Kalyvas/Katznelson eine solche Scheidelinie ihrerseits, wenn sie den Liberalismus hauptsächlich mit Aussagen zur utilitaristischen Effizienz des freien Austausches in Verbindung bringen, und den Republikanismus mit intersubjektivem Mitgefühl, das egalitäre Formen der Gemeinschaft begünstige (vgl. Pangle 1988: 30; Jurdjevic 2001). Weil sie republikanische Werte besonders mit nichtökonomischen Faktoren in Verbindung bringen,

Anmerkungen

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6 7

können sie nicht würdigen, dass auch das Konzept der Marktneutralität selbst (in seiner spezifisch modernen ökonomischen Bedeutung) eine gewisse utopische Qualität, eine starke intuitive Anziehungskraft aufweist. Folglich können sie nicht nachvollziehen, warum republikanische Ansichten in der kapitalistischen Gedankenwelt immer noch eine zentrale Rolle spielen, und wie der Neoliberalismus diesen Umstand zu nutzen verstand. »Diese geldpolitische Strategie ist eng mit dem Namen der Deutschen Bundesbank verbunden, die von 1975 bis 1998 eine an der Geldmenge ausgerichtete Geldpolitik verfolgte« (Deutsche Bundesbank 2020: Geldmengenorientierung). (Anm. d. Übers.) Thornton kritisierte die allfälligen Bedenken gegenüber der bloßen Zunahme des Kreditgelds: »Zwar macht das Papier, es ist wahr, einen Artikel auf der Credit-Seite der Bücher einiger Kaufleute aus, aber dieser bewirkt auch gerade einen eben so großen Artikel auf der Debet-Seite in den Büchern anderer Kaufleute.« (1803: 13). Die interessanten Fragen ergaben sich für ihn allein aus der spezifischen Dynamik, die der relationale Charakter des Geldes erzeugte. Hierzu siehe Viner (1937), Morgan (1943) und Mints (1945). Im Unterschied zur (indirekten) Geldmengenorientierung, die »mithilfe des Zwischenziels des Geldmengenwachstums« operiert, wird beim inflation targeting »das Endziel Preisstabilität unmittelbar angesteuert«: »Grundidee [...] ist zum einen, durch die Vorgabe eines Zielwertes für die Inflationsrate die Zielrichtung der Geldpolitik öffentlich festzulegen, zum anderen geht es darum, den Unsicherheiten und Wirkungsverzögerungen des geldpolitischen Transmissionsprozesses durch Beobachtung einer Vielzahl von Daten – und nicht nur eines Zwischenziels – Rechnung zu tragen« (Deutsche Bundesbank 2020: Geldmengenorientierung, direkte Inflationssteuerung). (Anm. d. Übers.)

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Kapitel 9:  Entwicklungslinien der US-Finanzaufsicht 1

Minskys Verständnis der Inflation in den 1970er-Jahren zeichnet Mehrling wie folgt nach: »die Inflation verstärkte die Kassenzuflüsse über das erwartete Maß hinaus und ermöglichte also, den Schuldverpflichtungen de jure, nicht aber de facto nachzukommen, denn die Zahlungen wurden in einer schwächer bewerteten Währung getätigt. Folge dessen war, dass nicht bei einem Teil der Schuldner eine vollständige, sondern bei allen Schuldnern eine teilweise Zahlungsstörung auftrat« (1999: 147).

Kapitel 10:  Hayek und die neoliberale Vernunft 1

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Aus der Dynamik ergebe sich »keine zielgerichtete, von Absichten und von einer Hierarchie der Zwecke geleitete Organisation«, die »im Wettbewerb entstehenden Strukturen und Ordnungsmuster« entsprächen »vielmehr einer spontanen Ordnung oder ›Katallaxie‹, die keinen Endzweck verfolgt, aber doch einer allgemeinen Zweckmäßigkeit entspricht« (Vogl 2 2010: 56f., u. a. mit Verweis auf Hayek [1968]). (Anm. d. Übers.) Tatsächlich nimmt Hayek zu Schmitts ›dezisionistischer‹ Verachtung für die Rechtsbindung der Rule of Law eine ausdrücklich kritische Haltung ein (Hayek 2003: 73f.). Bisweilen verleiht die Maßgabe, die Vergangenheit fraglos zu akzeptieren, dem Denken Hayeks einen recht banalen Beigeschmack: Der Gehalt seiner Erkenntnis der Plastizität und systemischen Selbstorganisation, wie sie etwa in Die sensorische Ordnung (2006) formuliert ist, wird nur überragt von der Banalität seiner Disqualifizierung der sozialen Gerechtigkeit, welche er – und zwar bloß auf der Grundlage dessen, dass die Gesellschaft nicht von einem einzelnen transzendentalen Geist geplant sei – als leeren und sinnlosen Begriff bezeichnet (in solchen Abschnitten klingt Hayek

Anmerkungen

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eher wie ein Mitglied des Wiener Kreises als wie ein Vertreter der Österreichischen Grenznutzenschule) (Hayek 2003: 213-236). Verschiedentlich betonte Hayek in Recht, Gesetz und Freiheit (2003) schlicht und einfach die Bedeutung einer unabhängigen Zentralbank als Hüter einer stabilen, nichtinflationären Währung, ohne überhaupt auf die besonderen Modalitäten der Gelderzeugung und die Grundmechanismen der Geldpolitik einzugehen.

Kapitel 11:  Neoliberale Finanzmarktsteuerung 1

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»Im langfristigen Interesse des Landes politisch unliebsame Entscheidungen zu treffen, darin besteht die Existenzberechtigung der Fed als politisch unabhängige Zentralbank. Zu eben diesem Zwecke wurde sie gegründet: zu tun, was getan werden muss – was andere nicht tun können oder wollen« (Bernanke 2015: xiii). Die makroprudenzielle Überwachung ist abzugrenzen von einem Ansatz der ›mikroprudenziellen‹ Aufsicht, der vor der Krise vorherrschend gewesen sein soll; während Letztere die Verfasstheit der Finanzinstitute im jeweiligen Einzelfall beurteilt, betrachtet Erstere die Verflechtungen zwischen den Finanzinstituten. (Vgl. Deutsche Bundesbank 2020: Makroprudenzielle Überwachung; Anm. d. Übers.) Für einen repräsentativen Ausschnitt aus der bereits sehr umfangreichen Forschungsliteratur, siehe Bech/Atalay (2010), Anand et al. (2012), Anand et al. (2013), Bougheas/Kirman (2014), Hüser (2015) sowie Levy-Carciente et al. (2015).

Kapitel 12:  Kapital und Kritik in neoliberalen Zeiten 1

»Hätten sie [die Modernen] nur die technischen Innovationen herausgearbeitet [TEC], die Pracht der Werke [FIK], die Objektivität

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der Wissenschaften [REF], die politische Autonomie [POL], den Respekt der juristischen Verkettungen [REC], die Anrufung des lebendigen Gottes [REL], so hätten sie in der Welt als eine der schönsten, dauerhaftesten, fruchtbarsten Zivilisationen geleuchtet. Stolz auf sich, hätte sich keine Last auf ihre Schultern gelegt und sie erdrückt wie Atlas, Sisyphus oder Prometheus, alle jene tragischen Titanen. Aber sie haben noch etwas anderes erfunden: den Kontinent der Ökonomie« (Latour 2014b: 516f.). Oder wie er andernorts formulierte, die Ökonomie sei »ein unendlicher und unbegrenzter Bereich, der irdischen Existenz und überhaupt dem Gedanken der Grenze vollkommen gleichgültig sowie völlig selbstbezogen und selbstbestimmt« (2014a: 6).

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