Kapital-Lebensversicherungen aus Verbrauchersicht [1 ed.]
 9783428488117, 9783428088119

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Beiträge zur Verhaltensforschung Band 31

Kapital-Lebensversicherungen aus Verbrauchersicht Von Steffen Eifert

Duncker & Humblot · Berlin

Beiträge zur Verhaltensforschung Die von Günter Schmölders 1959 begründete Buchreihe „Beiträge zur Verhaltensforschung" hatte es sich zum Ziel gesetzt, die vorherrschende, weitgehend deduktiv operierende und den lebensweltlichen Prozessen entrückte Volkswirtschaftslehre mit erfahrungswissenschaftlicher Evidenz über das reale Verhalten der Menschen im Wirtschaftsprozeß zu konfrontieren. Inzwischen, eine Generation später, hat sich die Nationalökonomie vielen in den anderen Sozial- und Verhaltenswissenschaften heimischen Konzepten und Betrachtungsweisen gegenüber geöffnet. Die lebhafte Diskussion um die Logik des kollektiven Handelns, der rationalen Erwartungen und der Wahl zwischen privaten und kollektiven Gütern, die Konzeptionen der spieltheoretischen, der institutionenökonomischen und der produktionstheoretischen Analyse mikroökonomischer Prozesse lassen den Abbau von Berührungsängsten zwischen der Ökonomie und den benachbarten Wissenschaften erkennen. Die „splendid isolation" der Ökonomie ist von außen her durch Methodenkritik, von innen durch Reflexion aufgebrochen worden. Nach wie vor aber bedürfen politikrelevante Konzepte der ökonomischen Theorie wie Angebotsorientierung, Flexibilisierung, Konsumentensouveränität dringend der empirischen Fundierung, Differenzierung und Erprobung, damit sie nicht als pseudopräzise positive Weltbilder - mit der Autorität der Wissenschaft versehen - für Interessenpositionen herhalten müssen. Die ökonomische Verhaltensforschung muß daher die der Wirtschaftswissenschaft immanenten Welt- und Wertvorstellungen, ihre Logik und Struktur ebenso wie ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft, kritisch untersuchen. Dazu wird sie weiterhin, ganz im Sinne ihres Gründers, mit erfahrungswissenschaftlichen Methoden wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Prozesse analysieren und bestrebt sein, mit diesen Analysen auch ein außerakademisches Fachpublikum zu erreichen. Wie bisher wird also das Profil der Reihe durch Arbeiten charakterisiert sein, die von dieser methodologischen Orientierung geleitet sind. Die Arbeiten werden darüber hinaus manche inhaltlichen Fragen aufnehmen, die bislang von der ökonomischen Verhaltensforschung weniger beachtet wurden. Die ersten Beiträge der neuen Folge befassen sich mit gesellschaftlichen Problemen und Politikfeldern in den sensiblen Bereichen Umweltschutz, Beschäftigung, Technologiegestaltung, Verbraucherpolitik und Produktentwicklung; sie orientieren sich an dem Triangel Produzenten - Konsumenten - Staat. Wie geht die Konsumgüterindustrie mit einer neuen Schicht unzufriedener und selbstbewußter Kunden um? Wie wirken sich gängige Leitbilder der Wissenschaft in der Praxis wirtschaftspolitischer Beratung aus? Wie werden staatliche Aufrufe und Anreize zur Beschäftigung jugendlicher Arbeitsloser in Unternehmen wahrgenommen und strategisch und organisatorisch umgesetzt? Wirken sich Deklarationen unternehmerischer Verantwortung in realen Strategien des Umwelt- und Ressourcenschutzes aus? Hat der vielbeschworene Wertewandel, die Individualisierung und Pluralisierung der Lebensverhältnisse Konsequenzen für Lebenspläne, Arbeits- und Konsumstile? Es ist das Ziel der Herausgeber, in dieser Reihe Arbeiten zusammenzufassen, die in zugleich theoriegeleiteter und theoriekritischer, politikbezogener und anwendungsorientierter Weise die Fruchtbarkeit verhaltenswissenschaftlicher Ansätze für die Ökonomie vor Augen führen.

STEFFEN EIFERT

Kapital-Lebensversicherungen aus Verbrauchersicht

Beiträge zur Verhaltensforschung Herausgegeben von

Prof. Dr. Meinolf Dierkes, Berlin Prof. Dr. Gerhard Scherhorn, Hohenheim Prof. Dr. Burkhard Strümpel t , Berlin

Heft 31

Kapital-Lebensversicherangen aus Verbrauchersicht

Von

Steffen Eifert

Duncker & Humblot * Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Eifert, Steffen: Kapital-Lebensversicherungen aus Verbrauchersicht / von Steffen Eifert. - Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Beiträge zur Verhaltensforschung ; H. 31) Zugl.: Hohenheim, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-08811-5

Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0522-7194 ISBN 3-428-08811-5

Inhaltsverzeichnis Einleitung

17

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen

22

I.

Verbrauchertheoretische Grundlagen

22

1. Konsumfreiheit als verbrauchertheoretisches Leitbild

22

2. Dimensionen der Konsumfreiheit

25

a) Autonomie der Verbraucher

26

b) Bedürfnisadäquates Angebot

27

c) Transparenz

28

d) Mindestschutzniveau

29

3. Das Informationsverhalten der Verbraucher

30

4. Instrumente der Verbraucherpolitik

35

a) Verbraucherinformation und -erziehung

35

b) Verbraucherschutz

38

II. Das Produkt Lebensversicherung

42

1. Begriffsbestimmung

42

2. Überblick über die Bestandteile des Produktes

44

a) Versicherungsbedingungen

44

b) Versicherungsbeitrag

45

c) Versicherungsleistung

48

nsverzeichnis

6

Β. Die derzeitige Situation auf dem deutschen Markt fur Lebensversicherungen I.

51

Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

51

1. Begründungen für besondere staatliche Eingriffe

51

2. Die materielle Staatsaufsicht

55

a) Grundlagen der materiellen Staatsaufsicht

55

b) Durchführung der materiellen Staatsaufsicht

57

3. Ansatzpunkte der materiellen Staatsaufsicht

58

a) Die Preispolitik

59

b) Die Produktpolitik

62

aa) Regulierung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen

62

(1) Die wichtigsten Formen der Lebensversicherung (a) Risiko-Lebensversicherung (b) Kapital-Lebensversicherung

65 65 66

bb) Regulierung der Versicherungssumme

67

cc) Regulierung der Oberschußbeteiligung

68

(1) Das Konzept der Überschußbeteiligung

69

(2) Die einzelnen Überschußquellen

70

(3) Regulierung der einzelnen Phasen der Überschußbeteiligung (a) Ermittlung des Rohüberschusses (b) Verteilung des Rohüberschusses zwischen Unternehmen und Versicherten (c) Verteilung des anteiligen Rohüberschusses zwischen den Versicherten

72 72 74 75

(4) Einflußmöglichkeiten der Unternehmen (a) Beeinflussung der Höhe des ausgewiesenen Rohüberschusses (b) Beeinflussung der Verteilung des ausgewiesenen Rohüberschusses

77

87

(5) Zwischenergebnis zur Regulierung der Überschußbeteiligung

88

77

dd) Regulierung des Rückkaufswertes

89

ee) Regulierung der Serviceleistungen

91

ff) Zwischenergebnis zur Produktpolitik

92

nsverzeichnis

c) Die Distributionspolitik aa) Regulierung der Vertriebswege (1)Zulassung der Vermittler

7

96 99 99

(2) Berufsbezeichnungen der Vermittler

101

(3) Entlohnung der Vermittler

103

(4) Laufende Tätigkeit der Vermittler

107

bb) Die wichtigsten Formen der Versicherungsvermittlung ( 1 ) Betriebseigene Vermittlungsformen (a) Direktvertrieb (b) Einfirmenvertreter (c) Qualifikation, Bezahlung und Unabhängigkeit der Einfirmenvertreter (d) Zwischenergebnis zu den Einfirmenvertretern (2) Betriebsfremde Vermittlungsformen (a) Mehrfirmenvertreter (b) Sonderorganisationen (c) Versicherungsmakler (d) Honorarberater (e) Banken (f) Qualifikation, Bezahlung und Unabhängigkeit der betriebsfremden Vermittler (g) Zwischenergebnis zu den betriebsfremden Vermittlungsformen

108 109 109 110 110 113 114 114 115 117 117 118 118 126

cc) Die Struktur des Versicherungsvertriebs in Deutschland

126

dd) Regulierung der Haftung der Vermittler

128

ee) Regulierung der Widerrufs- und Rücktrittsrechte

134

ff) Zwischenergebnis zur Distributionspolitik

137

d) Die Kommunikationspolitik aa) Medien Werbung bb) Produktbegleitende Informationen

137 139 142

(1) Der Vermittler als Informationsquelle

143

(2) Der Versicherungsantrag als Informationsquelle

143

(3) Informationen zur Rentabilität, Liquidität und Sicherheit der Kapitalanlage (a) Rentabilität (b) Liquidität (c) Sicherheit

145 146 157 158

cc) Zwischenergebnis zur Kommunikationspolitik

158

nsverzeichnis

4. Zwischenergebnis zu Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes II. Maßnahmen der Verbraucherinformation 1. Die wichtigsten anbieterunabhängigen Informationsquellen

159 160 161

a) Medien

162

b) Persönliches Umfeld

166

c) Öffentliche und private Verbraucherorganisationen

166

d) Private Berater

170

2. Leistungsvergleiche von Kapital-Lebensversicherungen a) Anforderungen an Leistungsvergleiche aa) Vollständigkeit

172 172 174

(1) Vollständige Erfassung des relevanten Angebots

174

(2) Vollständige Erfassung aller relevanten Eigenschaften

174

bb) Homogenität

175

(1) Homogenität zu einem gegebenen Zeitpunkt

175

(2) Homogenität im Zeitablauf

178

cc) Zuverlässigkeit

179

dd) Beachtung der subjektiven Präferenzstrukturen

181

Exkurs: Das Problem der Renditeberechnung bei Kapital-Lebensversicherungen

182

b) Bewertung bisheriger Leistungsvergleiche

184

c) Folgen unzutreffender Leistungsvergleiche

185

3. Zwischenergebnis zur Verbraucherinformation

187

4. Verbrauchererziehung

188

III. Die Situation der Verbraucher auf dem deutschen Lebensversicherungsmarkt 1. Die Informationslage der Verbraucher vor der Kaufentscheidung a) Informationsbedarf der Verbraucher

189 190 190

nsverzeichnis

9

aa) Informationsbedarf in bezug auf die Bedarfsreflexion

190

bb) Informationsbedarf in bezug auf die Kaufentscheidung

192

b) Kenntnisstand und Informationsverhalten der Verbraucher

192

c) Auswirkungen des Informationsverhaltens auf die notwendige Form der Informationen

198

d) Ausmaß und Inhalt der vorhandenen Aktivinformationen

199

aa) Aktivinformation durch die Anbieter von Lebensversicherungen (1) Medienwerbung

200 200

(2) Versicherungsvermittler

204

(3) Produktbegleitende Informationen

205

bb) Aktiv information durch anbieterunabhängige Institutionen

206

e) Zwischenergebnis zur Informationslage vor der Kaufentscheidung... .208 2. Die Situation der Verbraucher zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung a) Die besondere Bedeutung der Versicherungsvermittler

209 209

aa) Qualifikation der Vermittler

210

bb) Motivationslage der Vermittler

211

cc) Vorgehensweise der Vermittler

213

b) Zwischenergebnis zur Situation zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung 3. Die Situation der Verbraucher nach der Kaufentscheidung a) Möglichkeiten der Versicherten zur Sammlung von Erfahrungen aa) Erfahrungen bezüglich des Produktes

227 230 231 231

(1) Versicherungsvariante

232

(2) Laufzeit

232

(3) Versicherungssumme

233

(4) System der Überschußbeteiligung

234

bb) Erfahrungen bezüglich des Preis-Leistungs-Verhältnisses

235

(1) Service-Leistungen

235

(2) Rendite

237

(3) Sicherheit

241

nsverzeichnis

10

(4) Liquidität cc) Zwischenergebnis zu den Erfahrungsmöglichkeiten b) Reaktionsmöglichkeiten eines Versicherungsnehmers aa) Im privaten Bereich

241 243 245 245

(1) Keine weiteren Abschlüsse bei dem Unternehmen

245

(2) Privatkommunikation

246

(3) Aussetzung der Beitragszahlungen

246

(4) Widerruf bzw. Kündigung des Vericherungsvertrags

248

bb) Im öffentlichen Bereich

250

(1) Reklamation gegenüber dem Unternehmen bzw. dem Vermittler

251

(2) Beschwerde beim Bundesaufsichtsamt

254

(3) Beschwerde bei Verbraucherorganisationen

259

(4) Klageerhebung vor Gericht

260

c) Die Bedeutung der Reaktionen unzufriedener Versicherungsnehmer für die Anbieter

261

d) Zwischenergebnis zu den Reaktionsmöglichkeiten

263

IV. Die Verwirklichung der Ziele der Verbraucherpolitik

264

1. Autonomie der Verbraucher

264

2. Bedürfnisadäquates Angebot

266

3. Transparenz

269

4. Mindestschutzniveau

274

V. Ergebnis der Ist-Analyse des deutschen Lebensversicherungsmarktes

279

Exkurs: Die Beeinflussung der rechtlichen Rahmenbedingungen durch die Versicherungswirtschaft 281 C. Aktuelle Entwicklungen auf dem deutschen Lebensversicherungsmarkt I. Die Grundlagen der aktuellen Entwicklungen

287 287

nsverzeichnis

11

1. Die Änderung des rechtlichen Verbraucherschutzes durch die Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes 287 a) Sitzlandkontrolle

289

b) Deregulierung

289

c) Finanzkontrolle

292

d) Informationsauflagen

293

e) Aufsicht über Versicherungsvermittler

294

2. Die Allfinanz-Entwicklung

295

a) Begriffsbestimmung

295

b) Ursachen der Allfinanz-Entwicklung

296

II. Die voraussichtlichen Konsequenzen dieser Entwicklungen

299

1. Entwicklung des Wettbewerbs auf dem Lebensversicherungsmarkt

301

2. Entwicklung des Anbieterverhaltens

304

a) Preispolitik

304

b) Produktpolitik

308

c) Kommunikationspolitik

325

aa) Medienwerbung

325

bb) Produktbegleitende Informationen

330

(1) Informationen im Zusammenhang mit dem Versicherungsvermittler

330

(2) Informationen im Zusammenhang mit dem Versicherungsantrag

330

d) Distributionspolitik

334

aa) Zulassung der Versicherungsvermittler

334

bb) Einfluß der Rechtsprechung

338

cc) Vergütung der Versicherungsvermittler

339

dd) Kundengruppenorientiertes Marketing

341

ee) Bedeutung einzelner Vertriebswege

345

12

nsverzeichnis

(1) Versicherungsmakler

345

(2) Banken

351

(3) Einfirmenvertreter

354

(4) Direktvertrieb

356

(5) Sonderorganisationen

356

(6) Honorarberater

357

ff) Zwischenergebnis zur Distributionspolitik III. Verbraucherinformation

358 358

1. Änderungen im Bereich der Verbraucherinformation

358

2. Zwischenergebnis zur Verbraucherinformation

363

IV. Auswirkungen auf die Verwirklichung der Ziele der Verbraucherpolitik

364

1. Autonomie der Verbraucher

364

2. Bedürfnisadäquates Angebot

366

3. Transparenz

367

4. Mindestschutzniveau

368

V. Ergebnis der aktuellen Entwicklungen auf dem deutschen Lebensversicherungsmarkt

371

D. Vorschläge für eine bessere Verwirklichung der Konsumfreiheit bei Lebensversicherungen 373 I. Verbrauchertheoretische Grundlagen der Änderungsvorschläge

373

II. Ansätze zur Erhöhung der Konsumfreiheit auf dem Lebensversicherungsmarkt

374

1. Die Trennung von Risikoabsicherung und Kapitalanlage

374

a) Argumente für die Beibehaltung der Kapital-Lebensversicherung in ihrer bisherigen Form 375 b) Bewertung dieser Argumente

381

nsverzeichnis

13

c) Argumente für die Trennung von Risikoabsicherung und Kapitalanlage 385 2. Ergänzende Maßnahmen

386

a) Allgemeine ergänzende Maßnahmen

387

b) Ergänzende Maßnahmen hinsichtlich der Risikoabsicherung

390

aa) Begrenzung der Laufzeiten

390

bb) Einführung von Standard-Produktformen

391

cc) Änderung der Beitragsgestaltung

393

dd) Zwischenergebnis zur Risikoabsicherung

396

c) Ergänzende Maßnahmen hinsichtlich der Kapitalanlage

399

aa) Abschaffung der einseitigen Steuerprivilegien

400

bb) Einführung von Standard-Produktformen

402

cc) Informationsauflagen

404

dd) Bessere Ausbildung der Verbraucher

406

III. Auswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahmen auf die Ziele der Verbraucherpolitik

409

1. Autonomie der Verbraucher

410

2. Bedürfnisadäquates Angebot

410

3. Transparenz

411

4. Mindestschutzniveau

412

IV. Ergebnis der Vorschläge für eine bessere Verwirklichung der Konsumfreiheit bei Lebensversicherungen 413 E. Zusammenfassung der Ergebnisse

414

Literaturverzeichnis

420

Sachwortregister

453

Abkürzungsverzeichnis Abs.

Absatz

AG

Aktiengesellschaft

AGB

Allgemeine Geschäftsbedingungen

AGBG

Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen

AgV

Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände e.V.

AktG

Aktiengesetz

ÄndG

Änderungsgesetz

AVAD

Auskunftsstelle über den Versicherungsaußendienst e.V.

AVB

Allgemeine Versicherungsbedingungen

Az.

Aktenzeichen

BAV

Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen

BdV

Bund der Versicherten e.V.

BEUC

Bureau Européen des Unions de Consommateurs

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGH

Bundesgerichtshof

BIPAR

Bureau International des Producteurs d'Assurances & de Réassurances

BUZ

Berufsunfahigkeits-Zusatzversicherung

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVVN

Bundesverband der Versicherungsnehmer e.V.

BWV

Berufsbildungswerk der Deutschen Versicherungswirtschaft

d. Verf.

der Verfasser

DAG

Deutsche Angestellten Gewerkschaft

DBSFS

Deutscher Bundesverband für Steuer-, Finanz- und Sozialpolitik e.V.

Abkürzungsverzeichnis

15

Diss.

Dissertation

DM

Deutsche Mark

DVAG

Deutsche Vermögensberatung AG

EDV

Elektronische Datenverarbeitung

EG

Europäische Gemeinschaft

ern.

erneuert(e)

erw.

erweitert(e)

EStG

Einkommensteuergesetz

et al.

et alii

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

FSA

Financial Services Act

GB BAV

Geschäftsbericht des Bundesaufsichtsamts fur das Versicherungswesen

GDV

Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V.

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

HGB

Handelsgesetzbuch

Hrsg.

Herausgeber

i.V.m.

in Verbindung mit

Jg.

Jahrgang

Kfz

Kraftfahrzeug

LG

Landgericht

LV

Lebensversicherung

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

MdB

Mitglied des Bundestages

neubearb.

neubearbeitet(e)

Nr.

Nummer

o.J.

ohne Jahr

o.O.

ohne Ort

16

Abkürzungsverzeichnis

O.S.

ohne Seite

o.T.

ohne Titel

OLG

Oberlandesgericht

OVB

Objektive Vermögensberatung

PR

Public Relations

Rdnr.

Randnummer

RfB

Rückstellungen für die Beitragsrückerstattung

Rz.

Randzeichen

S.

Seite

Sp.

Spalte

u.

und

u.a.

und andere

u.U.

unter Umständen

Überarb.

überarbeitet(e)

UWG

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

VAG

Versicherungsaufsichtsgesetz

VDI

Verein Deutscher Ingenieure

VDL

Verband der Lebensversicherungsunternehmen e.V.

VerBaV

Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen

VGA

Bundesverband der Geschäfitsstellenleiter der Assekuranz e.V.

VVG

Versicherungsvertragsgesetz

VW

Verband Verbraucherorientierter Vermittler e.V.

VZ

Verbraucherzentrale

wesentl.

wesentlich

z.T.

zum Teil

Ziff.

Ziffer

zit.

zitiert

zugl.

zugleich

Einleitung Lebensversicherungen sind Produkte, die in Deutschland eine weite Verbreitung gefunden haben. Allein 1991 wurden in Deutschland über zehn Mio. neue Lebensversicherungsverträge über eine Gesamtversicherungssumme von etwa 336 Mrd. D M abgeschlossen.1 Insgesamt betrug der Bestand an Lebensversicherungen Ende 1991 ca. 75 Mio. Verträge mit einer Gesamtversicherungssumme von 1.938 Mrd. D M . 2 Die jährlichen Beitragsleistungen der Versicherungsnehmer für diese Verträge addierten sich in diesem Jahr auf über 60 Mrd. DM, 3 was durchschnittlichen Ausgaben von mehr als 1.730 D M pro privatem Haushalt in Deutschland entspricht. Mit einem Anteil von ca. 75 Prozent am gesamten Lebensversicherungsbestand stellt die Kapital-Lebensversicherung dabei die mit großem Abstand wichtigste Produktvariante dar. 4 Angesichts der großen und ständig weiter zunehmenden Bedeutung, die das Produkt vor allem in finanzieller Hinsicht für viele Konsumenten hat, erscheint die Frage interessant, in welcher Situation sich die Verbraucher auf dem deutschen Lebensversicherungsmarkt befinden. Analysiert man die versicherungswissenschaftliche Literatur, so entsteht der Eindruck, die Lage der Nachfrager könnte kaum günstiger sein. Die Lebensversicherung wird hier als das Vorsorgeinstrument dargestellt, das im Erlebensfall die zuverlässigste Rendite bietet und außerdem im Gegensatz zu allen anderen Kapitalanlageformen auch im Todesfall die volle Leistung garantiert. 5 Nach Ansicht des Verbands der Lebensversicherungsunternehmen leistet die Versicherungswirtschafit dank der

1

GB BAV (1991), S. 12.

2

McKinsey & Company (Hrsg.) (1993). Jahrbuch der Lebensversicherungen, S. 13.

3 McKinsey & Company (Hrsg.) (1993). Jahrbuch der Lebensversicherungen, S. 13; GB BAV (1991), S. 12. 4

Die Kapital-Lebensversicherung wird daher im Mittelpunkt der folgenden Untersuchung stehen. Auf die zweite wesentliche Produktform, die reine Risiko-Lebensversicherung, wird nur eingegangen, wenn es für den weiteren Verlauf der Arbeit notwendig erscheint. 5 Jannott, Edgar (damaliger Vorsitzender des Verbands der Lebensversicherungsunternehmen e.V.), zit. in: Henry (1992). Lohnt sich eine Kapital-Lebensversicherung? S. 93.

2 Eifert

18

Einleitung

zahlreichen Versicherungsvermittler „mehr an Bedarfsinformation und Beratung als die meisten anderen Wirtschaftszweige" 6. Diese „profunde Beratung des Kunden beim Abschluß einer Lebensversicherung" 7 sorge in Verbindung mit benutzerfreundlichen Antragsvordrucken, umfassenden Beispielrechnungen, verständlich gefaßten, verbraucherfreundlichen Bedingungswerken, einfachen und leicht verständlichen Merkblättern der Anbieter bzw. ihrer Verbände und regelmäßigen Informationen der Versicherungsnehmer über den Verlauf der Verträge für eine hohe Transparenz des Versicherungsangebots. 8 Den Angaben der Branchenvertreter zufolge wird der Informationsstand der Nachfrager außerdem durch regelmäßige Veröffentlichungen der Stiftung Warentest und anderer Verbraucherorganisationen mit Ratschlägen zu allen Fragen der Lebensversicherung und durch regelmäßig aktualisierte Leistungsvergleiche in verschiedenen Zeitschriften weiter verbessert. 9 Nach Darstellung der Versicherer nutzen die Kunden das Informationsangebot der Anbieter ausgiebig und lassen sich von verschiedenen Versicherungsvermittlern eingehend beraten, bevor sie sich fur eines der Angebote entscheiden.10 Dieser positive Eindruck wird untermauert durch Hinweise auf die Überwachung der gesamten Versicherungsbranche durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV). Sowohl in Presseberichten als auch in der versicherungswissenschaftlichen Literatur wird die Tätigkeit des Aufsichtsamtes als Garant für eine hohe Transparenz der eigentlichen Versicherungsleistung angeführt. 11 Zusätzlich zwinge die Versicherungsaufsicht die Unternehmen, ihren Kunden ein optimales Preis-Leistungs-Verhältnis zu bieten. 12 Nach Ansicht des ehemaligen Präsidenten des BAV führt außerdem der über die Instrumente Preis, Produktgestaltung und Service ausgetragene intensive Wettbewerb zu einem an den Wünschen der Kunden orientierten Angebot an Versicherungsschutz. 13

6

GDV (1992). Stellungnahme, S. 2-3 u. S. 12-13.

7

Becker ( 1986). Rückkaufswert, S. 24.

8

GDV (1992). Stellungnahme, S. 2-4; ähnlich: Bremkamp (1988). Risikoschutz ..made in Germany" bleibt vorteilhaft, S. 28. 9

GDV ( 1992). Stellungnahme, S. 4.

10

Jannott ( 1992). Die deutsche Lebensversicherung, S. 720.

11

Bremkamp (1988). Risikoschutz ..made in Germany" bleibt vorteilhaft, S. 28; Doerry/Stech (1991). Wettbewerbsrecht, S. 865. 12

Weigel (1988). Mehr Wettbewerb, S. 92.

13

GDV (1991). Jahrbuch 1991, S. 24; Angerer, zit. in: Posny (1988). Illusionen,

S. 11.

Einleitung

19

Angesichts solcher Darstellungen überrascht es, daß die deutsche Lebensversicherungsbranche - insbesondere von einigen nicht der Versicherungswissenschaft zuzuordnenden Autoren - in den letzten Jahren teilweise heftig kritisiert wurde und sich sogar den Vorwurf gefallen lassen mußte, Lebensversicherungen in ihrer derzeitigen Form seien „legaler Betrug" 1 4 . Eines der Ziele dieser Untersuchung ist es daher, eine realistische Darstellung der gegenwärtigen Situation der Nachfrager in bezug auf Lebensversicherungen herzuleiten. Dazu werden im ersten Teil zunächst die wichtigsten theoretischen Grundlagen der Verbraucherpolitik und die wesentlichen Bestandteile des Produktes Lebensversicherung skizziert. Im Anschluß an diese allgemein gehaltenen Betrachtungen folgt dann im zweiten Teil die Erörterung der konkreten Rahmenbedingungen des deutschen Lebensversicherungsmarktes, wie sie sich aus dem gegenwärtig in Deutschland praktizierten Einsatz der verbraucherpolitischen Instrumente ergeben. Innerhalb des rechtlichen Verbraucherschutzes kommt dabei vor allem den Maßnahmen des Bundesaufsichtsamtes besondere Bedeutung zu, das im Rahmen einer materiellen Staatsaufsicht in vielfältiger Weise in die Unternehmenspolitik der Anbieter eingreift. In diesem Zusammenhang ist außerdem jeweils zu überprüfen, zu welchen Verhaltensweisen der Anbieter diese Rahmenbedingungen in der Praxis gefuhrt haben. In bezug auf das Instrument der Verbraucherinformation wird untersucht, in welcher Form die Konsumenten über das Thema Lebensversicherungen informiert werden und welche Probleme hier möglicherweise auftreten. Auf der Grundlage dieser Erörterungen erfolgt schließlich eine Gesamtdarstellung der derzeitigen Situation auf dem Lebensversicherungsmarkt, wobei vor allem die Frage geklärt werden soll, inwieweit der gegenwärtige Einsatz der verbraucherpolitischen Instrumente dazu beiträgt, eine angemessene Berücksichtigung der Interessen der Nachfrager sicherzustellen. Im Rahmen der Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes wird es voraussichtlich Mitte 1994 zu erheblichen Veränderungen der Rahmenbedingungen des deutschen Lebensversicherungsmarktes kommen. Obwohl es nur noch wenige Monate bis zu diesem Zeitpunkt sind, ist in vielen Bereichen noch nicht erkennbar, in welcher Form die Bundesregierung die Vorgaben der EGKommission umsetzen wird. 1 5 Im dritten Teil der Untersuchung geht es daher zunächst darum, die bisher erkennbaren Änderungen der Rahmenbedingungen

14 15

Meyer (1990). Versicherungs(un)wesen, S. 211-217.

Das Manuskript für diese Arbeit wurde im September 1993 abgeschlossen. Spätere Informationen konnten daher nicht mehr berücksichtigt werden. 2*

20

Einleitung

darzustellen. Darauf aufbauend stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die von der EG-Kommission angeregten Deregulierungs- und Liberalisierungsschritte auf die Gestaltung des deutschen Lebensversicherungsmarktes haben werden und welche Veränderungen sich daraus für die Lage der Konsumenten ergeben könnten. Gegenstand des abschließenden vierten Teils ist dann der Versuch, ausgehend von den zuvor gewonnenen Ergebnissen eigene Verbesserungsvorschläge zu entwickeln. Ziel dieser Anregungen ist es, auf der Basis verbrauchertheoretischer Erkenntnisse aufzuzeigen, wie die zur Verfügung stehenden Instrumente eingesetzt werden müßten, um eine bessere Verwirklichung der verbraucherpolitischen Ziele zu erreichen. Im Rahmen der Untersuchung werden also letztlich drei verschiedene Stadien des gleichen Marktes dargestellt: die gegenwärtig gegebene, die zukünftig zu erwartende und schließlich die aus Verbrauchersicht wünschenswerte Situation. Angesichts dieses Aufbaus der Arbeit lassen sich Überschneidungen in den einzelnen Teilen nicht völlig vermeiden. Gewisse inhaltliche Wiederholungen werden dabei in Kauf genommen, wenn sie notwendig erscheinen, um die Verständlichkeit für den Leser zu erhöhen. Wie im Verlauf der Untersuchung noch ausführlich gezeigt wird, ist im Bereich der Versicherungswissenschaft allgemein, und auch hinsichtlich des Themas Lebensversicherungen, zu sehr vielen Fragestellungen eine ausgesprochen homogene „herrschende Meinung" zu verzeichnen. 16 Kritische Ansätze sind sehr selten und stammen zumeist von branchenfremden Autoren, die einzelne Aspekte des Lebensversicherungsmarktes untersucht haben und dabei zu Ergebnissen kamen, die von dieser „herrschenden Meinung" abweichen. Auffallend ist, daß in der versicherungswissenschaftlichen Literatur nahezu nie versucht wird, derartige Kritik argumentativ zurückzuweisen. Abweichende Meinungen lösen ganz überwiegend keine wissenschaftlichen Auseinandersetzungen aus, sondern werden im allgemeinen einfach ignoriert. Im Rahmen dieser Untersuchung wurde daher versucht, Anhaltspunkte für die Relevanz der Vorwürfe zu finden und diese gegen mögliche Argumente zugunsten der „herrschenden Meinung" abzuwägen. Da keine umfassenden empirischen Untersuchungen neutraler Quellen über die Situation auf dem deutschen Lebensversicherungsmarkt erhältlich sind, wurde folgende Vorgehensweise gewählt: Ausgehend von den faktisch vorliegenden Rahmenbedingungen wurde schritt-

16

Einige Beispiele der dabei vertretenen Ansichten wurden oben bereits angeführt.

Einleitung

weise überprüft, inwieweit die in der versicherungswissenschaftlichen Literatur enthaltenen Zustandsbeschreibungen den Erkenntnissen der Verbrauchertheorie oder auch nur den Gesetzen der Logik entsprechen. Ergaben sich Abweichungen, so wurde nach Anhaltspunkten gesucht, die für oder wider die Vermutung sprechen, daß die „herrschende Meinung" nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmt. Angesichts der Tatsache, daß die meisten der bisher vorgebrachten Kritikpunkte von der Versicherungswissenschaft weder widerlegt noch aufgegriffen wurden, war dieses in vielen Fällen nicht einfach. Insbesondere durch die Auswertung zahlreicher Beiträge in verschiedenen Fachzeitschriften, aber auch mit Hilfe von Berichten in Wirtschafts- und Nachrichtenmagazinen gelang es jedoch, zu jedem einzelnen Punkt Hinweise und teilweise auch empirisch abgesicherte Daten zu finden, mit denen eine in sich schlüssige Argumentation belegt werden konnte. Anstelle der in der Literatur bisher vorherrschenden überwiegend pauschalen Betrachtungsweise auf hohen Abstraktionsebenen wird dabei im Rahmen der vorliegenden Untersuchung schrittweise und detailliert analysiert, welche konkreten Folgen aus einzelnen Sachverhalten erwachsen können und welche Konsequenzen das Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren für die Verwirklichung der verbraucherpolitischen Ziele hat. Diese Vorgehensweise wurde gewählt, da die Ergebnisse der Arbeit in wesentlichen Punkten von der „herrschenden Meinung" abweichen und es deswegen sinnvoll erschien, die Herleitung der eigenen Schlußfolgerungen ausführlich zu dokumentieren.

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen I. Verbrauchertheoretische Grundlagen Um eine Bewertung des Produktes Kapital-Lebensversicherung aus Verbrauchersicht 1 vorzunehmen, bedarf es eines „Maßstabes", anhand dessen die in der Realität anzutreffenden Sachverhalte beurteilt werden können. Bevor die Situation auf dem Lebensversicherungsmarkt der Bundesrepublik Deutschland näher untersucht wird, sind daher im folgenden zunächst die entsprechenden theoretischen Grundlagen der Verbraucherpolitik darzustellen.

1. Konsumfreiheit als verbrauchertheoretisches Leitbild

Unter dem Begriff der Verbraucherpolitik lassen sich alle staatlichen oder staatlich geförderten Maßnahmen zusammenfassen, „die darauf abzielen, das Ungleichgewicht zwischen Produzenten und Nachfragern zu mildern und dem Konsumenteninteresse zu angemessener Durchsetzung zu verhelfen" 2. Als allgemeines Ziel der Verbraucherpolitik soll gelten, daß die Interessen der Verbraucher in allen Bereichen angemessen berücksichtigt werden und daß ihre Bedürfnisse optimal befriedigt werden. 3 Im Rahmen dieser Untersuchung wird davon ausgegangen, daß die Erfüllung dieses Zieles um so eher zu erwarten ist,

1

Die Begriffe Verbraucher, Konsument und Nachfrager sollen im folgenden synonym verwendet werden. Eine einheitliche, allgemein anerkannte Definition des Verbraucherbegriffes gibt es weder im Bereich der Europäischen Gemeinschaft noch in Deutschland. Im Rahmen der folgenden Betrachtungen soll der Definition des Europäischen Parlaments gefolgt werden, die einen Verbraucher charakterisiert als „eine natürliche Person, die im Hinblick auf die betreffende Transaktion nicht im Rahmen einer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt oder vorgibt, so zu handeln" (zit. in: Bundesminister fur Wirtschaft (1989). Verbraucherpolitik und europäischer Binnenmarkt, S. 1-2; ähnlich: Hippel (1986). Verbraucherschutz, S. 3, Scherhorn (1975). Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, S. 31). 2

Scherhorn (1975). Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, S. 121.

3

Hippel ( 1986). Verbraucherschutz, S. 21.

I. Verbrauchertheoretische Grundlagen

23

je mehr das Leitbild der Konsumfreiheit verwirklicht ist. Diese Entscheidung ist per Werturteil getroffen und daher nicht weiter zu begründen. Das Leitbild der Konsumfreiheit geht von einem Machtgleichgewicht zwischen Anbietern und Nachfragern und damit einer gegenseitige Kontrolle der beiden Marktseiten aus.4 Dabei bleibt die Entscheidung, welche Produkte hergestellt und auf dem Markt angeboten werden, prinzipiell den Anbietern überlassen. Zum Ausgleich müssen den Nachfragern Informations- und Sanktionsmechanismen zur Verfugung stehen, die dafür sorgen, daß ihre Präferenzen Einfluß auf die Gestaltung des Angebots haben.5 Um hier ein Gleichgewicht zu erreichen, darf keine der beiden Parteien mehr Macht besitzen, „als für ihre Leistung im gemeinsamen Entscheidungsprozeß erforderlich ist" 6 . Scherhorn spricht von Konsumfreiheit, wenn die Handlungs- und Entschließungsfreiheit der Verbraucher nicht „unangemessen" eingeschränkt ist, d.h. wenn die soziale Kontrolle der Produzenten über die Verbraucher nicht größer ist, als es zur Erfüllung ihrer Allokations-, Innovations- und Verteilungsaufgaben notwendig ist. 7 Indem es eine „Gleichrangigkeit" von Konsumenten und Produzenten postuliert, 8 steht das Leitbild der Konsumfreiheit zwischen den beiden Extremen Konsumentensouveränität bzw. Anbietersouveränität, bei denen jeweils eine der beiden Marktseiten als eindeutig dominant anzusehen wäre. 9 Konsumfreiheit ist dabei keine Größe, die entweder gegeben oder nicht gegeben ist, sondern sie liegt abgestuft in mehr oder weniger hohem Maße vor. 1 0 Je größer die Konsumfreiheit der Verbraucher ist, desto mehr ist es ihnen möglich, Entscheidungen zu treffen, die zu einer besseren Befriedigung ihrer tatsächlichen Be-

4 Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 34; Scherhorn (1983). Wie unübersichtlich dürfen Konsumgütermärkte werden?, S. 37 u. S. 42. 5

Scherhorn (1983). Wie unübersichtlich dürfen Konsumgütermärkte werden?, S. 37; Scherhorn (1975). Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, S. 36-37; Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 32. 6

Scherhorn (1975). Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, S. 30.

7

Scherhorn (1975). Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, S. 36.

8

Scherhorn (1975). Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, S. 5.

9

Ausführlicher dazu: Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 27-39.

10

Meyer-Dohm (1965). Konsumfreiheit, S. 78-93.

24

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen

dürfhisse fuhren. 11 Die von Hoppmann in die Diskussion eingebrachten Größen Handlungsfreiheit und Entschließungsfreiheit 12 können als Teildimensionen der Konsumfreiheit verstanden werden. Handlungsfreiheit der Nachfrager liegt dann vor, wenn es eine Handlungsalternative gibt, die ihrem Interesse entspricht. 13 Entschließungsfreiheit setzt dagegen voraus, daß die Konsumenten über die Alternativen informiert sind und diese richtig einschätzen und anwenden können. 14 Die Möglichkeiten der Verbraucher, eine optimale Bedürfnisbefriedigung zu erzielen, werden in den verschiedenen Konsumbereichen durch unterschiedlich starke innere und äußere Beschränkungen reduziert. Dabei sind innere Beschränkungen im Konsumenten selbst begründet, während äußere Beschränkungen von der sozialen und wirtschaftlichen Umwelt ausgehen.15 Prinzipiell bringt von allen Wirtschaftsordnungen das marktwirtschaftliche System die geringsten von der wirtschaftlichen Umwelt ausgehenden Beschränkungen mit sich. 16 Dennoch kann auch hier die Konsumfreiheit in zahlreichen Formen eingeschränkt werden. So versuchen z.B. die Anbieter mit Hilfe ihres MarketingInstrumentariums, die von den Verbrauchern empfundenen Bedürfnisse so zu beeinflussen, daß die Nachfrager nicht mehr autonom, d.h. im Einklang mit ihren wahren Zielen, Wünschen und Werten handeln, sondern sich den Vorstellungen der Anbieter anpassen.17 Die Möglichkeit der Verbraucher, bei ihren Kaufentscheidungen ihre eigenen Interessen zu erkennen und durchzusetzen, wird dabei vor allem durch die zunehmende Komplexität und Heterogenität des

11 Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 34. Die Definition von Bedürfnisse ist bisher nicht einheitlich; zahlreiche Quellen dazu finden sich z.B. bei: Kruse (1979). Informationspolitik für Konsumenten, S. 35. 12

Hoppmann (1968). Zum Problem einer wirtschaftspolitisch praktikablen Definition des Wettbewerbs. 13

Scherhorn (1975). Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, S. 35.

14

Scherhorn (1983). Wie unübersichtlich dürfen Konsumgütermärkte werden?,

S. 38. 15

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 32; Meyer-Dohm (1965). Konsumfreiheit, S. 62-69. 16 17

Meyer-Dohm (1965). Konsumfreiheit, S. 76-86.

Meyer-Dohm (1965). Konsumfreiheit, S. 243-268; Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (1988). Marketing, S. 43; Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 87.

I. Verbrauchertheoretische Grundlagen

25

Angebots, verbunden mit einseitigen, unvollständigen oder falschen Informationen gefährdet. 18 Innere Beschränkungen der Konsumfreiheit ergeben sich aus den begrenzten Fähigkeiten der Konsumenten selbst. 19 So ist der Mensch auch bei gegebener Handlungs- und Entschließungsfreiheit nur bedingt in der Lage, autonom zu handeln. 20 Stattdessen orientiert er sein Verhalten häufig an dem, „was ihm durch die jeweilige Anordnung der Umwelt und die jeweilige Struktur der eigenen Gewohnheiten vorgezeichnet ist" 2 1 . Ein weiteres endogenes Hemmnis der Konsumfreiheit ist die geringe Informationsverarbeitungskapazität der Verbraucher, 22 aufgrund derer sie nur begrenzt befähigt sind, Informationen zu gewinnen, zu speichern und zu Entscheidungen zu verarbeiten. 23

2. Dimensionen der Konsumfreiheit

Um überprüfen zu können, inwieweit das Postulat der Konsumfreiheit auf dem Lebensversicherungsmarkt in Deutschland verwirklicht ist, erscheint es sinnvoll, das Oberziel der bestmöglichen Bedürfnisbefriedigung in seine wichtigsten Dimensionen 24 zu zerlegen und daraus Unterziele abzuleiten, deren jeweilige Zielerreichungsgrade sich dann als Indikatoren zur Bestimmung des Ausmaßes der Verwirklichung des Oberzieles eignen.

18

Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 54 u. S. 87; Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 104. 19

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 34.

2 0

Kroeber-Riel (1992). Konsumenten verhalten, S. 685.

21

Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 16.

2 2

Miller (1956). The magic number seven, S. 81-97; Meyer-Dohm (1965). Konsumfreiheit, S. 119 m.w.N. 23 2 4

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 34.

Bei der Auswahl dieser Dimensionen handelt es sich wiederum um eine Wertung, die nicht weiter zu begründen ist. Über die möglichen Ziele der Verbraucherpolitik und deren Unterziele bzw. Teildimensionen gibt es zahlreiche verschiedene Ansichten. Einen guten Überblick bieten: Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 6-12; Hippel (1986). Verbraucherschutz, S. 21-24; Kroeber-Riel (1992). Konsumentenverhalten, S. 682.

26

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen

a) Autonomie der Verbraucher Autonomie des Verbrauchers soll hier verstanden werden als die Möglichkeit, unvoreingenommen zu überprüfen, welche Entscheidung den eigenen wahren Gefühlen, Interessen und Zielen am besten entspricht. 25 Die gedankliche Operation, die zur Entscheidung für oder gegen eine Gruppe oder Klasse von Produkten führt und die auch Überlegungen über Art und Ausmaß der Nutzung des Produktes umfaßt, kann auch als Bedarfsreflexion bezeichnet werden. Sie ist der Kaufentscheidung logisch vorgelagert. 26 Die Erkenntnis, daß Konsumenten nicht zur Erstellung einer vollständig rationalen Bedürfnisbilanz und zur rationalen Bewältigung aller ihrer Bedürfnisse in der Lage sind, 27 sollte kein Grund sein, den homo oeconomicus nicht wenigstens als „eine Art Fernziel vor Augen" 2 8 zu haben. Es erscheint trotz aller Beschränkungen der Rationalität des Menschen erstrebenswert, den Verbrauchern bessere Möglichkeiten zu eröffnen, sich im Rahmen ihrer Bedarfsreflexion über die für sie persönlich relevanten Bedürfnisse klar zu werden. 29 Erst wenn ein Verbraucher einen Überblick über die relevanten zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen hat, diese richtig einschätzt und sie auch anzuwenden weiß, kann man davon ausgehen, daß seine Kaufentscheidung auch tatsächlich seine Bedürfnisse widerspiegelt. 30 Trifft dies nicht zu, kommt es nicht nur zu einem Kaufkraftverlust für den betroffenen Konsumenten, sondern auch zu einem falschen Signal bei der Allokation der volkswirtschaftlichen Ressourcen, da der Produzent die Reaktion des Abnehmers als Zustimmung zu seinem Angebot interpretiert, obwohl der Nachfrager an sich mit einer anderen Produktform besser bedient gewesen wäre 3 1 In bezug auf den Themenbereich Lebensversicherung soll Autonomie der Nachfrager als Möglichkeit jedes einzelnen Verbrauchers verstanden werden,

Dedler et al. (1986) Informationsdefizit, S. 16; Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 104-105. 2 6

Dedler et al. (1986). Informationsdefizit, S. 185.

2 7

Kroeber-Riel (1992). Konsumentenverhalten, S. 687.

2 8

Kuhlmann ( 1990). Verbraucherpolitik, S. 34.

2 9

Raffée/Specht (1982). Marketingwissenschaft und Verbraucherpolitik, S. 564.

3 0

Scherhorn (1983). Wie unübersichtlich dürfen Konsumgütermärkte werden?,

S. 38. 31

Kruse (1979). Informationspolitik für Konsumenten, S. 1; Scherhorn (1975). Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, S. 50.

I. Verbrauchertheoretische Grundlagen

27

aufgrund geeigneter 32 Informationen selbst zu entscheiden, ob der Abschluß einer Lebensversicherung die zur Befriedigung seiner Bedürfhisse prinzipiell geeignete Problemlösung darstellt - und wenn ja, welche der angebotenen Produktvarianten seinen Interessen am besten entspricht.

b) Bedürfnisadäquates

Angebot

Daß sich die Nachfrager ihrer wahren Präferenzen bewußt werden können, ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für Konsumfreiheit. Voraussetzung ist außerdem, daß auch ein Güterangebot besteht, das diesen Präferenzen gerecht wird. 3 3 Meyer-Dohm spricht in diesem Zusammenhang von einer „Wahlfreiheit", die gegeben sein muß. 3 4 Im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung - von der ausgegangen werden soll - liegt es zunächst grundsätzlich im Ermessen der Anbieter, welche Güter sie auf den Markt bringen wollen. Dabei ist das primäre Ziel der Unternehmen nicht die Deckung eines Konsumentenbedarfs, sondern die Verfolgung eigener Interessen. 35 Empirische Untersuchungen ergaben, daß für Versicherungsunternehmen insbesondere die Ziele „Umsatz" bzw. „Wachstum der Versicherungsbestände", „Gewinn" und „Sicherheit der Unternehmensexistenz" relevant sind. 36 Dabei scheint die Betonung bei den meisten Unternehmen vor allem auf dem Ziel der Umsatzausweitung und weniger auf dem der Gewinnmaximierung zu liegen. 37 Die Position der Verbraucher wird wesentlich durch die Intensität und Form des Wettbewerbs auf dem betreffenden Markt bestimmt. Erst Leistungswettbe-

3 2

Welche Informationen als „geeignet" bezeichnet werden können, wird in Teil A. I. 3. genauer behandelt. 33

Scherhorn ( 1985). Goal, S. 147.

3 4

Meyer-Dohm ( 1965). Konsumfreiheit, S. 207.

35

Meyer-Dohm (1965). Konsumfreiheit, S. 91 u. S. 210-215; Scherhorn (1975). Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, S. 50. 3 6 Farny (1982). Perspektiven, S. 132; Kleyboldt (1982). Handlungsspielraum durch Mut zum Wandel, S. 73. 3 7

Köhler (1988). Neue Verpackung, S. 75; Benölken (1992). Versicherungsvertrieb am strategischen Scheideweg (II), S. 728.

28

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen

werb 38 und ein ausreichender Konkurrenzdruck zwischen den Anbietern fuhrt dazu, daß eine Optimierung der Unternehmensziele nur möglich ist, wenn diese ihr Verhalten an den Interessen der Verbraucher orientieren und ein bedarfsgerechtes Produktangebot bereithalten. 39 Insbesondere als Instrument zum Entwickeln und Durchsetzen neuer Wege zur Befriedigung von Konsumentenbedürfhissen ist „der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" im allgemeinen nicht zu ersetzen. 40 Das Ziel, auf dem Lebensversicherungsmarkt ein bedürfhisadäquates Angebot zu erreichen, setzt voraus, daß sich die Anbieter bei der Gestaltung der Produkte in ausreichendem Maße an den Präferenzen der Konsumenten orientieren. Außerdem ist, beispielsweise durch die Sicherstellung von ausreichend intensivem Leistungswettbewerb, dafür zu sorgen, daß die Unternehmen sowohl das Interesse als auch die Möglichkeit haben, mit neuen Produktideen die Bedürfnisbefriedigung der Verbraucher zu verbessern. 41

c) Transparenz Verbraucher, die sich für eine Handlungsalternative entscheiden müssen, versuchen im allgemeinen, auf der Basis von Prognosen über die zu erwartenden Konsequenzen abzuschätzen, welche Entscheidung zu einer bestmöglichen oder zumindest befriedigenden Verwirklichung ihrer Ziele führen würde. 42 Je geringer die Transparenz, d.h. die Kenntnis der Verbraucher über die Eigenschaften der auf einem Markt angebotenen Güter verschiedener Anbieter ist, 4 3 desto schlechter wird die Qualität dieser Prognosen und damit der Entschei-

3 8

Von Leistungswettbewerb soll gesprochen werden, wenn ein Anbieter versucht, die Bedarfsvorstellungen von Verbrauchern besser zu erfüllen als seine Konkurrenten, indem er seine Preise senkt oder die Qualität seines Angebotes verbessert (Scherhorn (1975). Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, S. 50). 3 9

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 34; Scherhorn (1975). Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, S. 42; Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 52; Scherhorn (1983). Wie unübersichtlich dürfen Konsumgütermärkte werden?, S. 38; Meyer-Dohm (1965). Konsumfreiheit, S. 209. 4 0

Hajek (1968). Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren.

41

Meyer-Dohm (1965). Konsumfreiheit, S. 93.

4 2

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 101; Meyer-Dohm (1965). Konsumfreiheit, S. 97. 4 3

Willeke ( 1980). Wettbewerbspolitik, S. 48.

I. Verbrauchertheoretische Grundlagen

29

dung ausfallen. Intransparenz kann sich dabei sowohl auf die Qualität als auch auf den Preis der einzelnen Produkte einer bestimmten Kategorie beziehen. 44 Ähnlich wie bei dem oben erörterten Problem der fehlenden Autonomie und der damit verbundenen nicht-bedarfsgerechten Entscheidungen kann auch mangelnde Transparenz auf zwei Wegen zu nachteiligen Folgen für die Verbraucher führen: zum einen wird durch Intransparenz die Möglichkeit der Konsumenten, ihre Bedürfhisse möglichst gut zu befriedigen, direkt beeinträchtigt; zum anderen gefährdet eine zu geringe Markttransparenz das Funktionieren des marktwirtschaftlichen Systems an sich und damit die mit diesem Konzept für die Verbraucher verbundenen Vorteile. 45 Bezogen auf den Lebensversicherungsmarkt ist anzustreben, daß es den Verbrauchern ermöglicht wird, sich mit vertretbarem Aufwand zutreffende Informationen über die wesentlichen Eigenschaften der einzelnen Angebote zu besorgen. Da die als optimal zu betrachtende Markttransparenz von der subjektiven Situation des einzelnen Konsumenten abhängt, 46 sollten diese Angaben im Idealfall auf unterschiedlich hohen Informationsniveaus angeboten werden. 47

d) Mindestschutzniveau Das deutsche Zivilrecht geht bei Verträgen zwischen Anbietern und Konsumenten prinzipiell von einem Machtgleichgewicht zwischen den vertragsschließenden Parteien aus und billigt diesen daher eine weitgehende Vertragsfreiheit zu. Die unterstellte Gleichheit der Parteien ist allerdings in der Praxis unter anderem aufgrund von Informations- und Kompetenzgefällen in vielen Bereichen nicht gegeben, so daß die Gefahr besteht, daß sich die Privatautonomie beim Vertragsabschluß zuungunsten der Verbraucher auswirkt. 48 Da Verbraucher weder durch Wirkungen des Anbieterwettbewerbs noch durch eigenes Verhalten mit Hilfe von Verbraucherinformationen in allen Fäl-

4 4

Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 89 u. S. 126; Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 239. 45

Z.B.: Diederich (1984). Markttransparenz, S. 5-6; Scherhorn (1985). Goal, S. 136; Schaps (1983). Grundlinien staatlicher Verbraucherpolitik, S. 22. 4 6

Meyer-Dohm (1965). Konsumfreiheit, S. 102-103.

4 7

Kruse (1979). Informationspolitik für Konsumenten, S. 54.

4 8

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 199 u. S. 217.

30

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen

len ausreichend vor möglichen negativen Konsequenzen der Machtasymmetrie geschützt werden können, 49 bedarf es ergänzender Eingriffe des Staates.50 Da die Sicherstellung eines Mindestschutzniveaus sehr eng mit der Problematik des rechtlichen Verbraucherschutzes verbunden ist, kann an dieser Stelle auf die unten folgenden Darstellungen zu diesem Thema verwiesen werden. 51 In bezug auf Lebensversicherungen ist zu prüfen, ob sichergestellt ist, daß eine als unangemessen zu betrachtende Benachteiligung der Konsumenten hinsichtlich aller relevanten Gesichtspunkte ausgeschlossen ist. Dabei ist jedoch zu beachten, daß es kaum möglich sein wird, hierüber eine allgemeingültige Aussage zu treffen, da es keine einheitliche Definition dessen gibt, was als „ausreichend" bzw. „unangemessen" zu bezeichnen ist.

3. Das Informationsverhalten der Verbraucher

Wie oben festgestellt wurde, benötigen Verbraucher als Voraussetzung für wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen sowohl zur Bedarfsreflexion als auch im Rahmen der eigentlichen Kaufentscheidung Informationen. Allerdings ist davon auszugehen, daß bei vielen Entscheidungen, die ein Konsument treffen muß, manche der an sich notwendigen Informationen mit vertretbarem Aufwand nicht zu erhalten sind. Daneben ist aber auch festzustellen, daß selbst von den zugänglichen Informationen viele ungenutzt bleiben, weil die Verbraucher sie nicht nachfragen. 52 Als Grundlage jeglicher Überlegungen zur Verbesserung der Versorgung der Verbraucher mit Informationen stellt sich daher die Frage nach den Bestimmungsfaktoren ihres Informations Verhaltens. Generell läßt sich die von den Konsumenten nachgefragte Informationsmenge als Funktion der subjektiven Informationskosten und -nutzen erklären. 53 Gemäß dem Rationalprinzip brechen Verbraucher ihre Informationssuche spätestens dann ab, wenn sie erwarten, daß die Grenzkosten zusätzlicher Informationen höher sind als ihr Grenznutzen. 54 Eine Verbesserung des Informationsstandes

4 9

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 87.

5 0

Kroeber-Riel (1992). Konsumentenverhalten, S. 696-697.

51

Siehe dazu: Teil Α. I. 4.

52

Hippel (1986). Verbraucherschutz, S. 37 m.w.N.

53

Kruse (1979). Informationspolitik für Konsumenten, S. 121 m.w.N.

5 4

Stigler (1961). The economics of information, S. 213-225; Hoepfner (1976). Verbraucherverhalten, S. 73-74.

I. Verbrauchertheoretische Grundlagen

31

und damit der Qualität der Entscheidung läßt sich daher auf zwei Wegen erreichen - durch eine Senkung der Informationskosten und/ oder eine Erhöhung des Informationsnutzens. 55 Ein möglicher Ansatz zur Erklärung des mit zusätzlichen Informationen verbundenen Nutzens ist die Theorie des empfundenen Kaufrisikos, 56 Ausgangspunkt dieser Theorie ist die Feststellung, daß ein Verbraucher vor einem beabsichtigten Kauf einen psychischen Spannungszustand empfindet, der durch die von ihm für möglich gehaltenen negativen Konsequenzen des Kaufes verursacht wird. 5 7 Erwartete Abweichungen zwischen den prognostizierten Konsequenzen aus der Wahl einer bestimmten Handlungsalternative und der Realität 5 8 können sich z.B. darauf beziehen, daß die Qualität des gekauften Produktes schlecht ist oder daß sich das erzielte Preis-Leistungs-Verhältnis als ungünstig erweist. Kernaussage der Theorie ist, daß Verbraucher versuchen, das wahrgenommene Kaufrisiko zu reduzieren, sobald es eine bestimmte, individuell unterschiedlich hohe Toleranzschwelle überschreitet. 59 Die Stärke des empfundenen Risikos hängt unter anderem davon ab, wie groß das Individuum die Gefahr einschätzt, eine bessere Alternative zu verpassen und deswegen einen Nachteil zu erleiden. 60 Je mehr ein Verbraucher in dieser Richtung ein Risiko sieht, desto größer ist wiederum der Nutzen, den er sich von der Suche nach zusätzlichen Informationen verspricht. 61 Angesichts der Komplexität vieler Märkte tritt in der Praxis zunehmend das Problem auf, daß den Konsumenten bei immer mehr Produkten nicht nur die Informationen fehlen, um bestehende Risiken reduzieren zu können, sondern daß ihnen bereits gar nicht alle mit der Entscheidung objektiv verbundenen Ri-

55

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 35; Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 82 u. S. 93; Kruse (1979). Informationspolitik für Konsumenten, S. 126-129 m.w.N. 56

Die Theorie des empfundenen Kaufrisikos wurde erstmalig aufgestellt von: Bauer (1960). Consumer behavior as risk taking, S. 369-398. 57

Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 26; Grunert (1978). Kaufrisiko, S. 1.

58

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 101.

59

Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 27.

6 0

Cox (1967). Risk taking and information handling in consumer behavior; Kuhlmann (1970). Das Informationsverhalten der Konsumenten, S. 88-94. 61

Meffert (1979). Informationsquellen, S. 41; Kruse (1979). Informationspolitik für Konsumenten, S. 122.

32

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen

siken in ihrer wahren Bedeutung bekannt sind. 62 Da aber nur wahrgenommene Risiken verhaltenswirksam sein können, 63 verhindert fehlendes Wissen über die Problemstruktur und eine damit verbundene subjektive Unterschätzung der objektiv gegebenen Risiken, daß ein tatsächlich vorliegender Informationsbedarf vom Verbraucher erkannt wird und fuhrt so zu suboptimaler Informationsbeschaffung. 64 Eine wichtige Aufgabe der Verbraucherpolitik ist es daher, den Konsumenten die Relevanz der verschiedenen Risiken hinsichtlich bestimmter Kaufentscheidungen zu verdeutlichen, um die Differenz zwischen aktuellem (d.h. subjektiv wahrgenommenem) und potentiellem (d.h. objektiv gegebenem) Informationsbedarf abzubauen.65 Ergänzt werden sollten diese Hinweise auf mögliche negative Folgen eines Kaufes durch Informationen, die den Verbrauchern alternative Bedarfsdeckungsmöglichkeiten und alternative Verwendungsmöglichkeiten von Zeit und Geld vor Augen fuhren. 66 Neben der Intensität des Risikobewußtseins beeinflussen die erwarteten oder tatsächlichen Informationskosten in Form von Aufwand an Zeit, Geld, psychischer und physischer Energie und Opportunitätskosten als zweite wesentliche Größe das Ausmaß der Informationssuche des Konsumenten. 67 Angesichts der begrenzten Informationsverarbeitungskapazität des Menschen fuhren vor allem komplexere Entscheidungssituationen schnell zu einem als zu hoch empfundenen Informationsaufwand. 68 Dieses Gefühl wird bei vielen Konsumenten noch verstärkt durch ein Defizit an geeigneten Entscheidungsregeln, mit deren Hilfe die vorhandenen Informationen sinnvoll verarbeitet werden könnten. 69

6 2

Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 98.

63

Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 26.

6 4 Cox (1967). Risk taking and information handling in consumer behavior; Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 30 m.w.N.; Kuhlmann (1970). Das Informationsverhalten der Konsumenten, S. 88-94; Kruse (1979). Informationspolitik fiir Konsumenten, S. 125. 65

Kruse (1979). Informationspolitik für Konsumenten, S. 45. Dedler und Kollegen sprechen hier von „risikobewußtmachenden Informationen" (Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 26 u. S. 33). 6 6

Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 34.

6 7

Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 92; Grunert (1978). Kaufrisiko, S. 10.

6 8

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 335 m.w.N.

6 9

Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 82-83.

I. Verbrauchertheoretische Grundlagen

33

Angesichts der Tatsache, daß der Informationsnutzen in vielen Fällen kaum abzuschätzen ist, während die Informationskosten deutlich bewußt sind, entfalten Verbraucher häufig nur eine geringe Informationsnachfrage. 70 Statt intensiv nach Informationen zu suchen, versuchen sie, mit möglichst geringem Aufwand die mit einem Kauf möglicherweise verbundenen nachteiligen Konsequenzen auf ein akzeptables Niveau zu reduzieren. 71 Eine dazu oft verwendete Vorgehensweise ist die Beschränkung auf sogenannte Schlüsselinformationen, in denen mehrere Detailgrößen in einem Ausdruck zusammengefaßt werden. Besonders wichtige Schlüsselinformationen sind zusammenfassende Warentesturteile, Marken- oder Firmennamen, Preise von Produkten und Dienstleistungen und produktbegleitende Informationen wie Güte- und Sicherheitszeichen. 72 Das Problem an dieser Vorgehensweise liegt darin, daß viele Schlüsselgrößen entgegen der Vermutung der Nachfrager keine zutreffenden Aussagen über die tatsächliche Qualität oder Preiswürdigkeit des Angebotes machen. 73 Auch das sogenannte Gewohnheitsverhalten - z.B. in Form der Marken- bzw. Firmentreue - ist eine häufig angewandte Methode, um die mit einer Kaufentscheidung verbundenen Informationskosten zu senken. Hierzu kommt es vor allem dann, wenn die einmal gewählte Alternative befriedigend war und die Wahrscheinlichkeit für bessere Lösungen als gering angesehen wird. 7 4 Versuche, den Verbrauchern bessere Entscheidungen zu ermöglichen, haben nur dann wirkliche Aussicht auf Erfolg, wenn sie das in der Praxis anzutreffende Informationsverhalten der Konsumenten beachten.75 Benötigt werden daher im allgemeinen nicht mehr, sondern vor allem bessere Informationen. 76 „Besser" sind solche Informationen, die den Verbrauchern die relative Bedeutung einzelner Risiken in bezug auf eine bestimmte Kaufentscheidung verdeutlichen, ihnen Hinweise auf alternative Bedarfsdeckungsmöglichkeiten geben und über die Eigenschaften der einzelnen Problemlösungsalternativen, die zu einer objektiven Reduzierung der empfundenen Risiken geeignet sind, aufklä-

7 0

Kuhlmann ( 1990). Verbraucherpolitik, S. 331.

71

Grunert (1978). Kaufrisiko, S. 8; Meyer-Dohm (1965). Konsumfreiheit, S. 199.

72

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 331 u. S. 346 m.w.N.

73 Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 337; Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 129; Hoepfner (1976). Verbraucherverhalten, S. 76. 74

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 330; Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 30. 75

Kroeber-Riel (1992). Konsumentenverhalten, S. 687.

76

Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 128.

3 Eifert

34

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen

r e n . 7 7 „Bessere" Informationen sind aber vor allem Informationen, die so dargeboten werden, daß sie von den Verbrauchern mit möglichst wenig A u f w a n d genutzt werden k ö n n e n , 7 8 z.B. indem sie „zugänglicher, verständlicher und vergleichbarer" gestaltet w e r d e n . 7 9 Möglichkeiten dazu sind unter anderem die Standardisierung, das gebündelte Anbieten in Beratungsstellen oder Datenbanken oder die Bereitstellung von gültigen Schlüsselinformationen. 8 0 Eine solche Senkung der Informationskosten ermöglicht es den Konsumenten, m i t einem gegebenem Einsatz an Ressourcen mehr Information aufzunehmen und zu verarbeiten. 8 1 Dadurch erhöht sich die zu erwartende Qualität von Verbraucherentscheidungen, so daß eine bessere Verwirklichung der Ziele der Verbraucherpolitik erreicht w ü r d e . 8 2

77

Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 13 u. S. 33; Grunert (1978). Kaufrisiko, S. 14-17; Kruse (1979). Informationspolitik fur Konsumenten, S. 45 u. S. 137. 78

Hippel (1986). Verbraucherschutz, S. 38 m.w.N.

7 9

Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 128; ähnlich: Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 77; Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 331. 80

Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 128; Kruse (1979). Informationspolitik für Konsumenten, S. 106; Kroeber-Riel (1992). Konsumentenverhalten, S. 694-695. 81

Geht man von einem gegebenen Engagementniveau des Verbrauchers aus, dann hängt der erreichbare Informationsstand - und damit die Qualität der Kaufentscheidung - weitgehend von dem vom Konsumenten empfundenen Aufwand fur die Beschaffung und Verarbeitung von Informationen ab. Dazu auch: Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 35 u. S. 232; Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 82 u. S. 124; Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 197; Finsinger (1983). Versicherungsmärkte, S. 56; Zinn (1983). Entwicklungstendenzen in der Verbraucherorganisierung, S. 316. 82

Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 82 u. S. 93; Kuhlmann (1990). Verbraucherpoliik, S. 35. Folglich entspricht das Konzept der „besseren" Informationen auch den Forderungen Kroeber-Riels, daß Informationsmaßnahmen ergriffen werden sollten, „wenn die subjektive Wahrnehmung des Konsumenten von den faktischen Gegebenheiten zu seinem Schaden abweicht, beispielsweise, wenn ein objektives Konsumrisiko ... subjektiv nicht gesehen wird" (Kroeber-Riel (1992). Konsumentenverhalten, S. 692). Solange ein Verbraucher auch bei Kenntnis der objektiven Kaufrisiken das für ihn relevante Risiko gering einschätzt und deshalb ein vereinfachtes, gewohnheitsmäßiges oder zufallsbedingtes Entscheidungsverhalten praktiziert, stellt das kein Problem dar. In einer solchen Situation ist Kroeber-Riel zuzustimmen, daß es nicht das Ziel sein kann, „den Konsumenten immer zu überlegten und durchrationalisierten Kaufentscheidungen'* anzuhalten, weil das dazu führen würde, daß dieser „durch den entstehenden Entscheidungsaufwand Einbußen in anderen Lebensbereichen erleider (KroeberRiel (1992). Konsumentenverhalten, S. 686). Voraussetzung dafür, daß jeder Verbraucher für sich selbst entscheiden kann, ob er die mit einer Kaufentscheidung verbundenen Risiken zu reduzieren wünscht oder ob sich für ihn dafür kein weiterer Aufwand

I. Verbrauchertheoretische Grundlagen

35

Die mit Hilfe der Theorie des empfundenen Kaufrisikos gewonnenen Erkenntnisse über die Bestimmungsgründe des Informationsverhaltens der Verbraucher können in der folgenden Untersuchung zunächst dazu dienen, bestimmte empirisch vorfindbare Sachverhalte zu erklären. Daneben sind sie aber vor allem eine wichtige Grundlage der Bemühungen, ein Konzept zu entwikkeln, das unter anderem durch die Verbesserung des Informationsangebots dazu beitragen soll, daß Konsumenten bedarfsgerechte und günstige Lebensversicherungen abschließen können.

4. Instrumente der Verbraucherpolitik

Die Instrumente der Verbraucherpolitik werden üblicherweise in die Bereiche Verbraucherinformation, Verbraucherbildung und rechtlicher Verbraucherschutz eingeteilt. 83 Zusätzlich wird manchmal die Wettbewerbspolitik als Teilbereich einer weitreichenden Verbraucherpolitik verstanden, 84 da auch von Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbs Schutz- und Informationswirkungen für die Verbraucher ausgehen können. 85 Dieser Ansicht soll hier jedoch nicht gefolgt werden.

a) Verbraucherinformation

und -erziehung

Die besondere Bedeutung von Informationen für die Verwirklichung von Konsumfreiheit wurde oben schon beschrieben. Angesichts der vielfältigen Situationen, in denen ein Verbraucher in seinem täglichen Leben Entscheidungen treffen muß, ist es fast zwangsläufig, daß seine Kenntnisse in jedem einzelnen der verschiedenen Bereiche relativ gering sind. 86 Demgegenüber sind die Anbieter Spezialisten auf ihrem Gebiet und ihr Informationsstand ist daher erheb-

lohnt, ist aber, daß günstige Informationen über die objektiv mit bestimmten Kaufentscheidungen verbundenen Risiken bereitstehen. Andernfalls ist zu befürchten, daß Verbraucher Nachteile erleiden, weil sie gar nicht auf die Idee kommen, daß mit einer bestimmten Kaufentscheidung große Risiken verbunden sein könnten und deshalb unreflektiert ihre Entscheidung treffen. 83 Beispielsweise: Biervert (1982).Verbraucherpolitik, S. 45; Kroeber-Riel (1992). Konsumentenverhalten, S. 684. 84

Schaps (1983). Grundlinien staatlicher Verbraucherpolitik, S. 22; Hippel (1986). Verbraucherschutz, S. 25. 85

Kuhlmann ( 1990). Verbraucherpolitik, S. 96.

86

Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 82-83.

3*

36

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen

lieh höher. Dieser Informationsvorsprung der Anbieter ist eine wesentliche Ursache für das Machtungleichgewicht zuungunsten der Verbraucher? 7 Eine Möglichkeit des Staates, die Überlegenheit der Anbieterseite wenigstens ansatzweise auszugleichen, sind Maßnahmen der Verbraucherinformation. 88 Mit der Bereitstellung anbieterunabhängiger Information wird dabei versucht, die Markttransparenz zu erhöhen, die allgemeine Informationssituation der Konsumenten zu verbessern und auf diese Weise sowohl eine bessere Befriedigung der Bedürfnisse der einzelnen Verbraucher zu ermöglichen 89 als auch indirekt die Markteffizienz von Anbietern und Nachfragern zu steigern. 90 Kennzeichnend ist also, daß hier die Lösung von Verbraucherproblemen angestrebt wird, im Gegensatz zu den von den Anbietern ausgehenden Informationen, die den Absatz von Produkten zum Ziel haben. 91 Die wichtigsten öffentlichen Institutionen im Dienste der Verbraucherinformation sind die Stiftung Warentest mit ihrer bundesweit erscheinenden Zeitschriften Test bzw. Finanztest und die im wesentlichen für die Verbraucherberatung auf örtlicher Ebene zuständigen insgesamt etwa 250 Beratungsstellen der Verbraucherzentralen, 92 Anbieterunabhängige Informationen können außerdem auch von Personen des persönlichen Umfelds und von neutralen privaten Institutionen bezogen werden, wobei letztere ihre Beratungstätigkeit im allgemeinen als Marktleistung, d.h. gegen Bezahlung anbieten. 93 Ausgehend von der Theorie des empfundenen Kaufrisikos lassen sich für die Verbraucherinformation verschiedene Zwischenschritte unterscheiden, die insgesamt zu einem besseren Informationsstand der Verbraucher führen sollen. Maßnahmen der Verbraucherinformation können die Situation der Nachfrager verbessern, indem die zur Risikoreduzierung notwendigen Informationen zum

87

Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 51, S. 76 u. S. 124.

88

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 84 m.w.N.

89

Kruse (1979). Informationspolitik fiir Konsumenten, S. 40.

9 0

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 376.

91

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 271-272 u. S. 312. Zur Unterscheidung in interessengebundene, d.h. von den Anbietern gestaltete und nicht-interessengebundene, d.h. von den Anbietern unabhängige Quellen: Meyer-Dohm (1965). Konsumfreiheit, S. 195-196; Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 340-341. 9 2 93

Kroeber-Riel (1992). Konsumentenverhalten, S. 683.

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 317; Kruse (1979). Informationspolitik fur Konsumenten, S. 131.

I. Verbrauchertheoretische Grundlagen

37

einen überhaupt, und zum anderen alle an einem Ort bzw. von einer Quelle bereitgestellt werden. 94 Eine weitere deutliche Verringerung der von den Konsumenten empfundenen Belastung kann sich dadurch ergeben, daß die Verbraucher den Angaben bestimmter Informationsquellen „blind" vertrauen können und daher keinen Aufwand zur Bewertung der Glaubwürdigkeit des Aussenders betreiben müssen.95 Außerdem können den Konsumenten Entscheidungen dadurch erleichtert werden, daß die Verständlichkeit der Informationen erhöht wird. 9 6 Dieses ist beispielsweise durch eine entsprechende Aufbereitung der bereitgestellten Daten möglich, z.B. indem durch die Verwendung einheitlicher und bekannter Indikatoren die Werte verschiedener Alternativen vergleichbar gemacht werden. 97 Einfluß auf die Höhe der vom Verbraucher empfundenen Informationskosten hat auch die Frage, ob der Aussender die Informationen von sich aus, also unaufgefordert, entgegenbringt - Dedler u.a. sprechen hier von Aktivinformation 98 - oder ob der Verbraucher selbst Maßnahmen ergreifen und damit Aufwand betreiben muß, um sie zu erhalten. 99 Das Bemühen, die Situation der Konsumenten durch Maßnahmen der Verbraucherinformation zu verbessern, ist mit zahlreichen, teilweise sehr grundsätzlichen Problemen verbunden, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden soll, da sie - soweit dieses für den Verlauf der Untersuchung wichtig erscheint - später am Beispiel der Verbraucherinformation über Lebensversicherungen ausführlich dargestellt werden. 1 0 0 Prinzipiell ist zu beachten, daß die Bereitstellung zusätzlicher Informationen eventuelle Mißstände nur dann beheben kann, wenn diese auf einen Mangel an Informationen zurückzuführen sind. Beim Vorliegen anderer Ursachen können sie nicht helfen. 1 0 1 Kritisiert wird teilweise auch, daß das dem Konzept der Verbraucherinformation zugrun-

9 4 Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 113 u. S. 146; Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 82, S. 90 u. S. 124; Schaffartzik (1983). Perspektiven, S. 14. 95

Kruse (1979). Informationspolitik für Konsumenten, S. 132.

9 6

Kuhlmann ( 1990). Verbraucherpolitik, S. 331.

97

Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 74-75 u. S. 80.

98

Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 147.

9 9 Kruse (1979). Informationspolitik für Konsumenten, S. 158; Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 225. 100

Siehe dazu: Teil B. II. 2.

101

Hippel (1986). Verbraucherschutz, S. 37.

38

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen

degelegte Bild eines rational entscheidenden Verbrauchers nicht der Praxis entspricht und die Maßnahmen daher häufig an den Erfordernissen der Realität vorbeigehen. 102 Die Verbrauchererziehung bzw. -bildung steht in engem Zusammenhang mit den verschiedenen Formen der Verbraucherinformation. 103 Der wesentliche Unterschied ist, daß es bei der Verbrauchererziehung weniger um die Lösung eines akuten Problems geht, als vielmehr um langfristig wirksame, generelle Einstellungsänderungen. 104 Da jedoch letztlich jede von Verbrauchern aufgenommene Information zu einer Änderung ihrer Einstellungen fuhren kann, ist davon auszugehen, daß auch die Maßnahmen der Verbraucherinformation langfristig eine Erziehung der Konsumenten bewirken. Dies dürfte vor allem fur Informationen über den Umgang mit Informationen und zur Verbesserung der Entscheidungstechnik gelten.

b) Verbraucherschutz Eine weitere Möglichkeit des Staates, Konsumenten vor nachteiligen Entscheidungen zu schützen, liegt in den Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes . 1 0 5 Derartige Maßnahmen sind in mehr oder weniger starkem Ausmaß grundsätzlich notwendig, da die Nachfrager anders nicht ausreichend vor möglichen negativen Konsequenzen des Marketings privater Anbieter geschützt werden können. 1 0 6 Aufgabe des rechtlichen Verbraucherschutzes ist es, die Rechtsstellung der Konsumenten im Wirtschaftsverkehr zu stärken, Verträge zu verhindern, durch die sie eindeutig und unangemessen benachteiligt würden, die Nachfrager vor materiellen und immateriellen Schäden beim Geund Verbrauch von Waren und Dienstleistungen zu schützen und die Beeinflussung ihrer Entscheidungen und Handlungen auf ein als tolerierbar erachte-

102

Kroeber-Riel (1992). Konsumentenverhalten, S. 685-688; Reifner (1986). Verbraucherschutz, S. 248-249. 103

Kuhlmann ( 1990). Verbraucherpolitik, S. 319.

104

Schaffartzik (1983). Perspektiven, S. 14.

105

Kroeber-Riel ( 1992). Konsumentenverhalten, S. 684

106 Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 87; Scherhorn (1975). Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, S. 156.

I. Verbrauchertheoretische Grundlagen

39

tes Maß zu reduzieren. 107 Um diese Ziele zu erreichen, kann der Gesetzgeber Rechtsvorschriften und Verordnungen erlassen, mit denen bestimmte Verhaltensweisen der Anbieter gegenüber den Verbrauchern oder untereinander geoder verboten werden. Die gängigsten Formen staatlicher Beeinflussung „sind die Regulierung von Preis, Produktqualität, Geschäftsbedingungen und Gewinnen sowie von Marktein- bzw. -austritt" 1 0 8 . Die staatliche Festlegung von Mindeststandards in bezug auf Produktqualität und Preiswürdigkeit, die für alle Anbieter verbindlich sind, kann für die Verbraucher erhebliche Vorteile bringen. Sie müssen hinsichtlich dieser Aspekte keinen Informationsaufwand mehr betreiben und können sich damit auf die entscheidungsrelevanten Bereiche konzentrieren. 109 Vom Staat garantierte Mindestqualitäten ersparen den Verbrauchern jedoch nicht nur Informationskosten, sondern schaffen außerdem einen auch für völlig uninformierte Konsumenten wirksamen Mindestschutz. 110 Dieses erscheint notwendig, da - nicht zuletzt infolge einer allgemein sehr hohen Regelungsdichte in der Bundesrepublik - viele Verbraucherentscheidungen im Vertrauen auf eine Mindestqualität kognitiv wenig kontrolliert erfolgen, d.h. ohne extensive Entscheidungsprozesse. 111 Außerdem werden durch die staatlichen Vorschriften besonders die weniger gebildeten und weniger durchsetzungsfähigen Konsumenten geschützt, die von den Maßnahmen der Verbraucherinformation häufig nicht erreicht werden. Eine weitere Möglichkeit des rechtlichen Verbraucherschutzes ist es, Nachfrager mit zusätzlichen Kontrollmöglichkeiten über die Anbieter auszustatten, indem ihnen z.B. Rücktritts- oder Widerrufsrechte eingeräumt werden. 1 1 2 Kuhlmann unterscheidet drei wesentliche Bereiche des Verbraucherschutzes: beim Rechtsschutz geht es darum, zu verhindern, daß die beim Vertragsabschluß prinzipiell herrschende Privatautonomie aufgrund des in der Praxis häufig vorliegenden Kompetenzgefälles einseitig zugunsten der Anbieter ge-

107

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 87 u. S. 96; Biervert (1982). Verbraucherpolitik, S. 47; Scherhorn (1975). Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, S. 156. 108

Gäfgen/Endres (1989). Die ökonomische Perspektive, S. 13.

109

Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 19.

110

Eggerstedt (1987). Produktwettbewerb, S. 55; Hippel (1986). Verbraucherschutz,

S. 179. 111

Kroeber-Riel (1992). Konsumentenverhalten, S. 691.

112

Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 62.

40

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen

nutzt w i r d . 1 1 3 Der Vermögens - und Gesundheitsschutz ist erforderlich, weil einem durchschnittlichen Verbraucher im allgemeinen niemals alle Risiken in bezug auf sein Vermögen oder seine Gesundheit bekannt sind, die sich aus der Entscheidung für eine bestimmte Handlungsalternative ergeben können. 1 1 4 Deshalb sind die Gefahrenpotentiale der angebotenen Güter generell auf ein als tolerierbar erachtetes Maß einzuschränken und Regelungen für den Ersatz bereits eingetretener Schäden zu finden. 115 Schließlich nennt Kuhlmann noch den Informationsschutz, unter den alle Vorschriften bezüglich der Frage fallen, welche von den Anbietern ausgehenden Informationen verboten sein sollen und welche mindestens zu verlangen sind. 1 1 6 Hierbei geht es zum einen um das Verbot irreführender Informationen und zum anderen um sogenannte Informationsauflagen, mit denen der Transparenzeffekt von Anbieterinformationen gesteigert werden soll, ohne den Werbeeffekt unangemessen zu behindern. 117 Zur Durchführung des rechtlichen Verbraucherschutzes stehen dem Staat die Instrumente Gesetzgebung, Rechtsprechung bzw. gerichtliche Kontrolle und Verwaltungskontrolle, d.h. die Überwachung der Einhaltung des Verwaltungsrechtes durch Behörden zur Verfugung. Daneben sind noch die Instrumente des sogenannten „soft law" zu nennen, d.h. gesetzlich nicht verbindliche Verhaltensregeln unter der Regie der mit der Überwachung des betreffenden Bereichs betrauten Behörde und Maßnahmen der „Selbstkontrolle" innerhalb einer Branche. 118 Ein Vorteil des auf Gesetzen basierenden rechtlichen Verbraucherschutzes ist, daß die Bestimmungen grundsätzlich für alle Anbieter relevant sind und alle von bestimmten Sachverhalten betroffenen Verbraucher geschützt wer-

113

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 87-88 m.vv.N. u. S. 217.

114

Hippel (1986). Verbraucherschutz, S. 4.

115

Biervert (1982). Verbraucherpolitik, S. 47; Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 87-88; Scherhorn (1975). Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik, S. 156. 116 Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 88; Hippel (1986). Verbraucherschutz, S. 34-37 u. S. 94-117. 117 Scherhorn (1983). Funktionsfähigkeit, S. 93-94; Kuhlmann (1990)., S. 134 u. S. 144-147 m.w.N.; Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 115-117, S. 138-140, S. 182 u. S. 240-241; Hippel (1986). Verbraucherschutz, S. 35 m.w.N. u. S. 264; Woll (1988). Wettbe-werb zwischen privaten Lebensversicherern, S. 88; Scherhorn (1983). Wie unübersichtlich dürfen Konsumgütermärkte werden?, S. 42. 118

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 88-91 m.w.N; Hippel (1986). Verbraucherschutz, S. 41-43.

I. Verbrauchertheoretische Grundlagen

41

den. 1 1 9 Ziel der Regelungen ist es, nach Möglichkeit präventiv zu wirken, d.h. die fur die Verbraucher negativen Auswirkungen von Konsumprozessen sollen von vornherein vermieden werden. 1 2 0 Zusätzlich bedarf es aber auch privatrechtlicher Normen, die eine nachträgliche Korrektur der den Konsumenten zugefügten Schäden regeln. 121 Angesichts der zahlreichen Möglichkeiten, die sich im Rahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes bieten, könnten die diesbezüglichen Maßnahmen in hohem Maße zu einer Verbesserung der Situation der Nachfrager beitragen. In der Praxis ergeben sich jedoch aus verschiedenen Gründen immer wieder erhebliche Schwierigkeiten. 122 So stellt sich zunächst das Problem, alle relevanten Fälle mit den einschlägigen Regelungen zu erfassen. 123 Dabei ist mit ständigen Ausweichstrategien der Anbieter zu rechnen, was dazu führen kann, daß es zu einer immer stärkeren Wettbewerbsbeschränkung kommt, weil die Gesetze laufend nachgebessert werden müssen. Damit wächst jedoch die Gefahr, daß die regulierenden Eingriffe im Endeffekt auch Folgen haben, die dem Verbraucherinteresse entgegenlaufen. 124 Prinzipiell ist zu beachten, daß Regulierungen des Gesetzgebers stets mit einer Einschränkung der Handlungsfreiheit der Marktakteure verbunden sind, 1 2 5 so daß der Aufgabe große Bedeutung zukommt, das richtige Ausmaß an staatlicher Einflußnahme zu finden. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu achten, daß die Regulierungsform gewählt wird, die insgesamt für alle Beteiligten das beste Kosten-/NutzenVerhältnis bietet.126 Abgesehen davon hängt die Wirkung des rechtlichen Verbraucherschutzes entscheidend davon ab, inwieweit die Einhaltung bestehender Vorschriften durchgesetzt werden kann. Eine Beeinflussung der Verhaltensweisen der Anbieter ist nur zu erwarten, wenn diese im Falle eines Regelverstoßes mit emp-

119

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 89.

120

Hippel (1986). Verbraucherschutz, S. 42; Biervert (1982). Verbraucherpolitik,

S. 47. 121

Biervert (1982). Verbraucherpolitik, S. 47.

122

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 89 m.w.N.

123

Biervert (1982). Verbraucherpolitik, S. 4.

124

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 89.

125

Weigel (1988). Auswirkungen, S. 42.

126

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 89 u. S. 98.

42

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen

findlichen Sanktionen rechnen müssen. 127 Dies scheint aber aus verschiedenen Gründen in der Praxis vielfach nicht der Fall zu sein. Es hat sich beispielsweise gezeigt, daß die meisten Verbraucher aufgrund mangelnder Kenntnis der Rechtslage, genereller Konfliktscheu und fehlender Möglichkeit bzw. Bereitschaft, das Prozeßkostenrisiko zu tragen, in vielen Konfliktfällen gar nicht erst versuchen, sich auf dem Rechtsweg durchzusetzen. 128 Auch die zur Überwachung vorgesehenen Aufsichtsbehörden haben häufig nicht die notwendige Kontrollkapazität, um jedes gesetzwidrige Verhalten zu entdecken und zu verfolgen. Kommt es tatsächlich einmal zu einem Gerichtsverfahren, so ziehen sich diese infolge der Überlastung der Gerichte teilweise über Jahre hinweg und enden in vielen Fällen mit Sanktionen, die den Nutzen, den der Anbieter durch den Regelverstoß erzielen konnte, nicht annähernd erreichen. 129 Insgesamt fuhrt dies häufig dazu, daß sich aus Sicht der Unternehmen fur verbraucherschädigendes Verhalten ein positiver Erwartungswert ergibt.

II. Das Produkt Lebensversicherung 1. Begriffsbestimmung

Eine Versicherung läßt sich ganz allgemein als „eine Gemeinschaft Gefährdeter, gebildet zur selbständigen Bedarfsdeckung, mit gegenseitigen Rechtsansprüchen" definieren. 1 Wirtschaftlich gesehen handelt es sich dabei um „die planmäßige Deckung eines im Einzelnen ungewissen, insgesamt aber schätzbaren Geldbedarfes auf der Grundlage eines zwischenwirtschaftlichen Risikoausgleiches"2. In formaler Hinsicht ist ein Versicherungsvertrag ein bürgerlichrechtlicher Vertrag zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer. Rechts-

127

Hippel (1986). Verbraucherschutz, S. 155-179.

128

Hippel (1986). Verbraucherschutz, S. 39; Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 89; Biervert (1982). Verbraucherpolitik, S. 47; Scherhorn (1987). Die Unzufriedenheit der Verbraucher, S. 34-35. 129 Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 89; Hippel (1986). Verbraucherschutz, S. 39-41 u. S. 155-179. 1 2

Sieg ( 1991 ). Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, S. 315-317.

Hax (1964). Grundlagen des Versicherungswesens, S. 22; ähnlich: Müller-Lutz (1991). Allgemeine Versicherungslehre, S. 419; Hollenders (1985). Bereichsausnahme, S. 68.

II. Das Produkt Lebensversicherung

43

grundlage ist für private Versicherungen neben den allgemeinen Rechtsquellen wie HGB und BGB vor allem das Versicherungsvertragsgesetz (VVG). 3 Kennzeichnend für eine Lebensversicherung ist, daß das versicherte Ereignis der Tod des Versicherten ist. 4 Die Zusammenfassung vieler ähnlich gelagerter Risiken ermöglicht es den Versicherungsunternehmen, das für den Einzelnen ungewisse Risiko eines frühen Todes abzusichern. 5 Das damit verbundene wirtschaftliche Risiko können die Anbieter tragen, weil der Einfluß zufallsbedingter Schwankungen nach dem Gesetz der großen Zahl mit zunehmender Größe der betrachteten Masse immer geringer wird. 6 Stirbt der Versicherte während der Laufzeit des Versicherungsvertrags, so erhalten die im Vertrag benannten Bezugsberechtigten die vereinbarte Versicherungssumme ausbezahlt.7 Die Lebensversicherung kann also naturgemäß nicht gegen den Eintritt des Versicherungsfalls an sich schützen, sondern nur gegen die mit dem Tod des Versicherten verbundenen wirtschaftlichen Folgen. Da im Leistungsfall vom Versicherer unabhängig vom tatsächlichen Bedarf der Hinterbliebenen grundsätzlich die vorher vereinbarte Summe ausbezahlt wird, zählt die Lebensversicherung zu den sogenannten Summenversicherungen. 8 Da es sich bei der Lebensversicherung nach der Art des Risikos um eine Personenversicherung handelt,9 muß zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherten unterschieden werden. Der Versicherungsnehmer ist der Vertragspartner und Beitragsschuldner des Versicherungsunternehmens, während als Versicherter diejenige Person bezeichnet wird, deren Leben Gegenstand der Versicherung ist. 1 0 Nachdem in der Praxis Versicherungsnehmer und Versi-

Hagelschuer ( 1991 ). Lebensversicherung, S. 61 -63. 4

Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 16. Wie später noch ausfuhrlich gezeigt wird, ist die häufig anzutreffende Gleichsetzung des Begriffs „Lebensversicherung" mit dem Begriff „Kapital-Lebensversicherung" nicht korrekt. Dazu auch: Teil B. I. 3. d). 5 Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 181; ähnlich: Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 16. 6

Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 181; Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 26. 7

Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 24-27.

8

Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 17.

9

Sieg (1991). Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, S. 334.

10

Hagelschuer ( 1991 ). Lebensversicherung, S. 69-71.

44

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen

cherter meistens ein- und dieselbe Person sind und sich aus einer Differenzierung für den Verlauf der Untersuchung keine Unterschiede ergeben würden, sollen die beiden Begriffe im folgenden synonym verwendet werden.

2. Überblick über die Bestandteile des Produktes

Die konkreten Formen, die das Produkt Lebensversicherung annehmen kann, sind in hohem Maße von den rechtlichen Rahmenbedingungen abhängig, die in einem bestimmten Land zu einem bestimmten Zeitpunkt gegeben sind. Dennoch lassen sich, unabhängig von der tatsächlichen Gestaltung der einzelnen Produktvarianten, einige Bestandteile des Gutes unterscheiden, deren Vorliegen für das Produkt Lebensversicherung kennzeichnend ist. Diese sollen im folgenden kurz in allgemeiner Form dargestellt werden. Die ausfuhrlichere Erörterung der Ausprägungen dieser Bestandteile, wie sie sich auf dem deutschen Lebensversicherungsmarkt herausgebildet haben, ist dann Gegenstand der darauf folgenden Kapitel.

a) Versicherungsbedingungen Prinzipiell können die Konditionen eines Versicherungsvertrags zwischen dem Versicherungsunternehmen und dem Versicherungsnehmer im Rahmen der herrschenden Rechtsordnung frei vereinbart werden. Neben den individuellen Abmachungen wird es dabei immer auch Vertragsbedingungen geben, „die einer Vielzahl von Versicherungsverträgen ohne Rücksicht auf die individuelle Verschiedenheit der einzelnen Risiken zugrundegelegt werden sollen" 11 . Diese standardisierten Vertragsbestandteile werden Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) genannt. 12 In ihnen werden sämtliche Vertragsbedingungen zusammengefaßt, die für alle Versicherungen eines bestimmten Tarifs gleichermaßen gelten. 13 Die AVB sind zusammen mit den auf dem Versicherungsschein festgehaltenen individuell vereinbarten Daten die wichtigsten Elemente der Produktgestaltung und -beschreibung des immateriellen Produktes Lebensversicherung, 14

Rieger (1981). Innovation, S. 182. Rieger (1981). Innovation, S. 182 m.w.N. Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 58. Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 223.

II. Das Produkt Lebensversicherung

45

denn durch sie werden die bestimmenden Faktoren - der Versicherungsfall, der Schaden und die Versicherungsleistungen - „konkretisiert, determiniert und limitiert" 1 5 . Sie enthalten ausserdem Regelungen hinsichtlich der Art der Durchführung des Vertrages, z.B. bezüglich des Beginns des Versicherungsschutzes, der Form der Beitragszahlung, den Kündigungsmöglichkeiten und ähnlichem. 16 Neben den Leistungen der Versicherer werden in den AVB auch die Obliegenheiten der Versicherungsnehmer und die Folgen ihrer Verletzung festgelegt. 17 Da die AVB im wesentlichen darauf abzielen, die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Vertragspartner in juristisch verbindlicher Form festzulegen, sind die dabei verwendeten Formulierungen fur Laien häufig schwer verständlich. 18 Bei einer Lebensversicherung gibt es zwei für den Verbraucher wesentliche Leistungsdimensionen: der quantitative Leistungsumfang bezieht sich auf die Höhe der Auszahlungen, die der Versicherer dem Versicherungsnehmer garantiert oder zumindest in Aussicht stellt. Der qualitative Umfang bezieht sich dagegen zum einen auf die Frage, welche Risiken durch eine Versicherung abgedeckt sind, was bei Verträgen mit privaten Versicherungsnehmern normalerweise weitgehend in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelt wird. 1 9 Zum anderen gehört zum qualitativen Leistungsumfang einer Versicherung die Sicherheit der Leistungserfüllung. Die Qualität ist dabei umso höher, je sicherer es ist, daß das Versicherungsunternehmen im Versicherungsfall die vereinbarten bzw. in Aussicht gestellten Leistungen erbringen kann.

b) Versicherungsbeitrag Das Entgelt, das der Versicherungsnehmer dafür zu entrichten hat, daß ihm der Versicherer Versicherungsschutz gewährt, wird Beitrag oder auch Prämie genannt. 20 Grundlage der Kalkulation der Beiträge ist zunächst das sogenannte

15

Vogel (1978). Versicherungsvermittler, S. 17 m.w.N.; Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 160. 16

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 160; Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 57-59. 17

Eggerstedt (1987). Produktwettbewerb, S. 85; Blaesius (1988). Bewertung,

S. 99. 18

Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 59.

19

Blaesius (1988). Bewertung, S. 99.

2 0

§1 AbS. 2 Satz 1 VVG; Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 81.

46

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen

Äquivalenzprinzip, nach dem der abdiskontierte Erwartungswert aller Beiträge des Versicherungsnehmers gleich dem abdiskontierten Erwartungswert aller Leistungen des Versicherungsunternehmens sein sollte. 21 Diese Berechnung fuhrt zu dem sogenannten Netto-Beitrag einer Versicherung, d.h. dem Teil des Beitrags, der noch keine Zuschläge für die Kosten enthält. Der Bruttobeitrag ergibt sich dann durch die Addition der unternehmensindividuellen Kostenzuschläge, in denen auch ein angemessener Gewinnanteil fur die Unternehmen enthalten ist. 2 2 Die Berücksichtigung des Äquivalenzprinzips bei jedem einzelnen Versicherungsnehmer führt dazu, daß sich statistisch gesehen jeder Vertrag selbst trägt. Das bedeutet, daß zumindest idealtypisch bei der Lebensversicherung - im Gegensatz zur Sozialversicherung - Beitrag und Leistung unabhängig von der Zahl der versicherten Personen und der Zahl der Leistungsempfänger sind. 23 Je nachdem, ob es sich um eine Risiko- oder eine Kapital-Lebensversicherung 24 handelt, sind insgesamt zwei bzw. drei wesentliche Beitragsbestandteile zu berechnen. Bei der Risiko-Lebensversicherung unterscheidet man den Risikoanteil und den Kosten- bzw. Dienstleistungsanteil, bei der Kapital-Lebensversicherung kommt außerdem noch der Sparanteil dazu. Der Risikoanteil dient zur Finanzierung der Fälle, in denen infolge des Todes der versicherten Person eine vorzeitige Auszahlung der Versicherungssumme notwendig wird. 2 5 Die Höhe des Risikos eines einzelnen Versicherungsnehmers hängt dabei im wesentlichen von seinem Eintrittsalter und seinem Geschlecht ab, denn in bezug auf ihre durchschnittliche Lebenserwartung sind Frauen Männern und Jüngere Älteren gegenüber im Vorteil. Da mit zunehmender Vertragsdauer die Wahrscheinlichkeit zunimmt, daß der Versicherungsfall eintritt, steigen die zu entrichtenden Prämien bei längeren Laufzeiten. 26 Versicherungsnehmer, die aufgrund der Ergebnisse ihrer Gesundheitsprüfung oder anderer Faktoren als überdurchschnittlich hohes Risiko eingeschätzt werden, müssen einen höheren Ri-

21

Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 18 u. S. 113-115.

2 2

Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 114.

23

GDV ( 1991 ). Jahrbuch 1991, S. 49.

2 4

Zur Unterscheidung siehe Teil Β. I. .3. b) aa) 1)

25 Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 184 u. S. 200. 2 6

Thieltges (1990). Lebensversicherungen im Vergleich, S. 21.

II. Das Produkt Lebensversicherung

47

sikoanteil bezahlen oder werden ganz abgelehnt. 27 Die Berechnung der Wahrscheinlichkeit eines vorzeitigen Todes erfolgt auf der Grundlage der allgemeinen Sterbetafeln. 28 Der Dienstleistungsanteil umfaßt zunächst sämtliche Kosten, die für die Bereitstellung des Versicherungsschutzes anfallen, wobei häufig zwischen den sogenannten Abschlußkosten und den laufenden Verwaltungskosten unterschieden wird. 2 9 Neben den Provisionen der Vermittler, 30 den Aufwendungen fur den Versicherungsbetrieb und sonstigen Ausgaben 31 enthält der Dienstleistungsanteil außerdem auch den Gewinn des Versicherungsunternehmens. 32 Dieser muß hier berücksichtigt werden, da beim Risiko- und Sparanteil ja gemäß dem Äquivalenzprinzip und daher mit gleichen gegenseitigen Leistungen kalkuliert wird. Der Sparanteil fällt nur bei Kapital-Lebensversicherungen an, bei denen er dann allerdings den weitaus größten Teil des Versicherungsbeitrags ausmacht. 33 Die entscheidende Größe bei der Berechnung der Höhe des Sparanteils ist der sogenannte Rechnungszinsfuß. Dieses ist der kalkulatorische Zinssatz, mit dem das Unternehmen die aus den einzelnen Beitragszahlungen des Versicherten während der Vertragslaufzeit gebildete sogenannte Deckungsrückstellung verzinst. Da der Sparanteil im Beitrag einer Kapital-Lebensversicherung so kalkuliert ist, daß die Deckungsrückstellung im Laufe der Vertragsdauer genau bis auf die Versicherungssumme anwächst, 34 bestimmt die Höhe des zugrundegelegten Zinssatzes die erforderliche Höhe des Sparanteils. Je hö-

1 1 Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 181. 2 8

Diese werden auch Ausscheideordnungen genannt (Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 181; Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 114). 2 9

Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 123.

3 0

Gärtner ( 1980). Privatversicherungsrecht, S. 251.

31

Thieltges (1990). Lebensversicherungen im Vergleich, S. 46-47.

3 2

Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 201. 33 Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 200-201. 3 4

Zinnert (1982). Gewinnverteilung, S. 144-145.

48

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen

her der verwendete kalkulatorische Zins ist, desto geringere Sparbeiträge sind zum Erreichen der Versicherungssumme notwendig. 35 Stirbt der Versicherte vor Vertragsende, so steht dem Versicherer der bis dahin angesammelte Deckungsstock zur Bezahlung der Versicherungssumme zur Verfügung. Die Differenz zwischen dem im Deckungsstock angesammelten Kapital und der zu bezahlenden Summe deckt das Versicherungsunternehmen über den Risikoanteil. 36

c) Versicherungsleistung Hinsichtlich der Frage, worin eigentlich die Leistung besteht, die ein Versicherungsunternehmen erbringt, werden in der Literatur verschiedene Ansichten vertreten. 37 Nach der Geldleistungstheorie, die sich auf die Formulierung des § 1 Abs. 1 VVG stützt, leistet der Versicherer bei einer reinen Risikoversicherung nicht unbedingt, sondern nur unter der aufschiebenden Bedingung des Eintritts eines Schadensfalls. 38 Nach dieser Ansicht erbringt das Unternehmen immer dann, wenn der Versicherte nicht während der Vertragslaufzeit stirbt also in den meisten Fällen - keine Leistung, da es ja in diesem Fall auch zu keiner Auszahlung an den Versicherten kommt. 3 9 Dieser Theorie scheint weitgehend die in der Bevölkerung vorherrschende Sichtweise zu entsprechen, nach der der einzige Nutzen einer Versicherung in der Geldsumme liegt, die im Schadensfall ausbezahlt wird. 4 0 Empirische Untersuchungen haben ergeben, daß mehr als ein Drittel der Erwachsenen generell von einer Versicherung erwartet, mindestens das Äquivalent zur Einzahlung als monetäre Gegenleistung zurückzubekommen. 41 Dagegen hat sich in der Wissenschaft und der Rechtsprechung mittlerweile die sogenannte Gefahrtragungstheorie durchgesetzt, nach der die Versicherer

35

Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 103.

3 6

Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 200-201. 3 7

Sieg (1991). Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, S. 320.

3 8

Sieg (1991). Allgemeines Versicherungsvertragsrecht. S. 320.

3 9

Müller ( 1981 ). Das Produkt der Versicherung, S. 156.

4 0

Vogel (1978). Versicherungsvermittler, S. 16.

41

Kasten (1991). Ethische Grundlagen und Grenzen der Versicherungsvvirtschaft, S. 198-199.

II. Das Produkt Lebensversicherung

49

neben der Zahlung im Schadensfall auch eine zeitraumbezogene Leistung in Form eines dauerhaften Schutzversprechens erbringen. 42 Diese Theorie beruht auf dem im wesentlichen von Farny entwickelten „Versicherungsschutzkonzept" 4 3 , nach dem die eigentliche Leistung der Versicherungsunternehmen in der Abgabe, Aufrechterhaltung und Erfüllung eines Schutzversprechens liegt. 4 4 Der Versicherungsschutz hat nach diesem Konzept also auch für diejenigen Versicherungsnehmer einen psychologischen und wirtschaftlichen Wert, die während der Vertragslaufzeit keinen Schaden erleiden. 45 Eine alternative Sichtweise vertritt der Versicherungskritiker Meyer, nach dessen Meinung die einzige Leistung der Versicherungsunternehmen in der Dienstleistung besteht, das Geld der Versicherten einzusammeln und an diejenigen auszubezahlen, bei denen ein Versicherungsfall eintritt. Nach dieser Konzeption wird die Leistung der Versicherung an sich also nicht von den Unternehmen, sondern von der Gemeinschaft der Versicherten erbracht. 46 Für die Versicherten von besonderem Interesse ist natürlich die Höhe der Leistung, die sie oder ihre Nachkommen im Versicherungsfall von dem Versicherungsunternehmen erhalten. Die vom Versicherer zu leistende Zahlung beträgt im Versicherungsfall - und bei der Kapital-Lebensversicherung auch am Ende der Vertragslaufzeit - zunächst einmal grundsätzlich die vereinbarte Versicherungssumme. 47 Wie noch zu zeigen sein wird, haben sich in der Praxis auch Systeme herausgebildet, bei denen zusätzlich noch eine sogenannte Überschußbeteiligung ausbezahlt wird. Ebenfalls als Teil der Gesamtleistung gilt der Service, den die Versicherungsunternehmen bzw. ihre Absatzhelfer bieten. Allgemein versteht man unter Service bzw. Kundendienst die „Gesamtheit aller Zusatzleistungen, die ein Anbieter offeriert, um den Erwerb und/oder den Gebrauch der Hauptleistung zu

4 2

Sieg (1991). Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, S. 320.

43

Farny (1965). Produktions- und Kostentheorie der Versicherung, S. 8; Farny (1979). Versicherungsbetriebe(n), Produktion in, Sp. 2139-2140. 4 4

Vogel (1978). Versicherungsvermittler, S. 16.

45

Sieg (1991). Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, S. 320.

4 6

Meyer (1990). Das Versicherungs(un)wesen, S. 82. Dieser Ansatz wurde von der Versicherungswissenschaft bis heute vollständig ignoriert. 4 7

Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 246. 4 Eifert

50

Α. Theoretische und begriffliche Grundlagen

erleichtern bzw. zu ermöglichen" 48 . Service hat nach Ansicht vieler Autoren für die Versicherungswirtschaft eine besondere Bedeutung, da gerade das immaterielle Produkt Versicherungsschutz angesichts seiner Komplexität und Abstraktheit besonders erklärungsbedürftig sei und deshalb Zusatzleistungen der Anbieter erfordere 4 9

4 8 4 9

Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (1988). Marketing, S. 1009.

Vogel (1978). Versicherungsvermittler, S. 20-21; Garbe (1975). Versicherungsvermittlergewerbe, S. 102.

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt für Lebensversicherungen I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes 1. Begründungen für besondere staatliche Eingriffe

Die oben in allgemeiner Form dargestellten Möglichkeiten des Staates, regulierend in marktwirtschaftliche Prozesse einzugreifen, sind auf dem deutschen Lebensversicherungsmarkt in besonders hohem Maße verwirklicht. Mit der Begründung, daß bei Versicherungen allgemein und insbesondere bei Lebensversicherungen Konstellationen vorliegen, die „die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs beeinträchtigen oder gar ausschließen" bzw. sonstige Sonderbehandlungen notwendig machen, wurden weite Teile der Versicherungswirtschaft staatlichen Ausnahmeregelungen unterworfen. 1 Die wichtigsten Argumente, mit denen eine von anderen Branchen abweichende Regulierung der Versicherungswirtschaft begründet wird, lassen sich in einigen BesonderheitsThesen 2 zusammenfassen, die im folgenden überblickartig dargestellt werden sollen.3 Nach dem Transparenzargument braucht ein Versicherungsnehmer bei Versicherungen besonderen Schutz, weil er ohne fremde Hilfe weder die Qualität noch die Ausstattung eines ihm angebotenen Vertrags richtig beurteilen kann. 4 Da die Eigenschaften des immateriellen Produktes Lebensversicherung „nicht anschaulich ersichtlich" sind, wird unterstellt, daß die Ware Versicherungsschutz für einen Nachfrager nicht in der gleichen Weise vergleichbar ist, wie materielle Güter es sind. 5 Außerdem wird davon ausgegangen, daß die not-

1

Hollenders (1985). Bereichsausnahme, S. 73 u. S. 75.

2

Hollenders (1985). Bereichsausnahme, S. 73.

3 Eine ausführliche Darstellung mit zahlreichen weiteren Nachweisen findet sich z.B. bei: Hollenders (1985). Bereichsausnahme. 4 5

Kanthack ( 1987). Liberalisierung, S. 6.

Gäfgen/Endres (1989). Die ökonomische Perspektive, S. 18; ähnlich: MüllerLutz (1991). Allgemeine Versicherungslehre, S. 419; Garbe (1975). Versicherungsver-

52

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt fur Lebensversicherungen

wendigerweise juristischen Formulierungen der A V B dazu fuhren, daß die meisten Verbraucher, selbst wenn sie es versuchen, die Bedingungswerke nicht voll durchschauen und sich deshalb auch kein zutreffendes Bild über den qualitativen Leistungsumfang des angebotenen Versicherungsschutzes machen können. 6 Schon aus diesem Grund komme es auf den Versicherungsmärkten zwischen den Versicherungsnehmern und dem Versicherungsunternehmen zu einem „augenfällig hervortretenden Machtgefälle", das zusätzliche Maßnahmen des Staates erforderlich mache.7 Auch hinsichtlich der Sicherheit der Leistungserbringung werden besondere produktspezifische Schwierigkeiten gesehen, die meistens unter dem Begriff des ruinösen Wettbewerbs subsumiert werden. 8 Ausgangspunkt dieser Argumentationen ist die Tatsache, daß bei Lebensversicherungen - im Gegensatz zu anderen Gütern und Dienstleistungen - die wichtigste Leistungskomponente, nämlich der Auszahlungsbetrag, unter Umständen erst sehr lange Zeit nach den Vorleistungen des Kunden anfällt. 9 Für den Versicherungsnehmer ist es daher entscheidend, daß das Unternehmen zu dem Zeitpunkt, zu dem die Leistung fällig wird, auch zahlungsfähig ist. Der Versicherte befindet sich angesichts dieser Situation in einem gewissen Dilemma: In seiner Eigenschaft als Schuldner ist er an möglichst niedrigen Beiträgen interessiert, während die Absicherung seiner Position als Gläubiger der Versicherungsleistung andererseits Beitragssätze erfordert, die hoch genug sind, um eine dauerhafte Solvenz des Versicherers zu garantieren. 10 Eine Beurteilung der Angemessenheit der Beitragshöhe bzw. der finanziellen Lage eines Versicherungsunternehmens ist für einen Versicherungsinteressenten ohne fremde Hilfe jedoch kaum oder nur mit sehr hohen Kosten möglich. 11 Diese asymmetrische Informationsverteilung zwischen Käufern und Verkäufern ermöglicht die Täuschung der Käufer über die

mittlergewerbe, S. 1494.

S. 102; Hohlfeld (1991). Die Zukunft

des Verbraucherschutzes,

6

Angerer, August (damaliger Präsident des BAV), zit. in: Posny (1988). Illusionen, S. 10. 7

Zinnert ( 1982). Gewinnverteilung, S. 182-183.

8

Soltwedel et al. (1986). Deregulierungspotentiale, S. 9-10.

9

Blaesius (1988). Bewertung, S. 40.

10

Hohlfeld (1991). Die Zukunft des Verbraucherschutzes, S. 1500.

11

Begründung zum VAG, auszugsweise abgedruckt bei: Schmidt/Frey (1983). Prölss Versicherungsaufsichtsgesetz, S. 11-13, Rdnr. 33; ähnlich: Koch (1991). Versicherungswirtschaft, S. 95; Krakowski (1988). Theoretische Grundlagen der Regulierung, S. 65; Blaesius (1988). Bewertung, S. 13.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

53

unter Umständen geringe Qualität, was letztlich dazu fuhrt, daß Preisunterschiede zwischen den einzelnen Anbietern keine Rückschlüsse auf die damit verbundenen Qualitätsunterschiede zulassen.12 Auch das langfristige Überlebensinteresse der Versicherungsunternehmen kann die Einhaltung einer für die dauerhafte Leistungsfähigkeit ausreichenden Prämienhöhe nicht sicherstellen. Zwar kann gerade bei Lebensversicherungen das Zufallsrisiko bezüglich der zukünftigen Entwicklung der Kosten aufgrund der gesicherten versicherungsmathematischen Erkenntnisse „nahezu vernachlässigt werden" 13 , aber dennoch verbleibt den Unternehmen ein Spielraum bei der Kalkulation ihrer Beiträge. Starker Wettbewerbsdruck könnte leicht dazu führen, daß einzelne Unternehmen ihrer Preisgestaltung übertrieben optimistische Prognosen zugrunde legen. 1 4 Dabei ist noch nicht einmal sicher, daß ein zu niedrig kalkulierender Versicherer langfristig tatsächlich Verluste erleidet, denn aufgrund der Zufallsverteilung zukünftiger Entwicklungen ist es durchaus möglich, daß bei ihm weniger Schäden eintreten, als statistisch zu erwarten waren. 15 Verschärft wird die Gefahr des Dumping, also des Verkaufs unter Selbstkosten, durch die bei Versicherungen nahezu beliebige Vermehrbarkeit des Angebots (.Kapazitätsargument). 16 Nachdem das Korrektiv des sofortigen bzw. sicheren Verlustes aufgrund der zeitlichen Komponente in Form der Vorleistung des Versicherungsnehmers fehlt, 17 besteht die Möglichkeit, daß übertrieben optimistisch kalkulierende Anbieter seriöse verdrängen können, bevor sich später ihre Zahlungsunfähigkeit herausstellt. 18 Da es also keinen Mechanismus gibt, der das Absinken der verlangten Beiträge unter einen langfristig kostendeckenden Wert verhindern würde, 19 droht die Gefahr, daß der Wettbewerb „periodisch-ruinöse" Eigenschaften annimmt. 20

12

Soltwedel et al. (1986). Deregulierungspotentiale, S. 12.

13

Zinnert (1982). Gewinnverteilung, S. 7.

14

Muth (1982). Mit Sicherheit gewinnen, S. 17.

15

Horn (1985). Ausnahmebereich, S. 44-45.

16

Benner (1991). Die Werbung in der Versicherungswirtschaft, S. 105; Doerry/ Stech (1991). Wettbewerbsrecht, S. 850. 17

Horn (1985). Ausnahmebereich, S. 42-45.

18

Soltwedel et al. (1986). Deregulierungspotentiale, S. 11; Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 162 m.w.N. 19

Benner (1991). Die Werbung in der Versicherungswirtschaft, S. 105; Doerry/ Stech (1991). Wettbewerbsrecht, S. 850. 2 0

Soltwedel et al. (1986). Deregulierungspotentiale, S. 11.

54

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

Als weitere bzw. ergänzende Gründe für die Notwendigkeit einer „besonderen Fürsorge des Staates"21 werden auch das aufgrund der besonderen sozialen und gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Versicherungswesens starke öffentliche Interesse an einem „gedeihlichen Verlauf' 2 2 , die Höhe der für Versicherungszwecke eingesetzten Summen und die Tatsache, daß Versicherungen auf das Vertrauen der Bevölkerung besonders angewiesen sind, genannt. 23 Es wird unterstellt, daß die Ergebnisse des reinen Wettbewerbs, insbesondere dessen Auslesefunktion, mit den aus dem Sozialstaatprinzip abgeleiteten Zielen kollidieren könnten, weshalb der Wettbewerb durch marktregulierende Mittel soweit wie nötig zu reduzieren und vor allem die Konkursmöglichkeit auszuschließen sei. 24 Unter Berufung auf diese und andere Besonderheiten der Branche kam es zu zahlreichen Sonderregelungen für die Versicherungswirtschaft, so daß viele der allgemein für die gesamte Wirtschaft verbindlichen Vorschriften für die Versicherungsbranche nicht oder in abgewandelter Form gelten. Neben der unten ausfuhrlich dargestellten materiellen Staatsaufsicht sind hier beispielsweise die jahrelange Ausnahme der Branche von den Vorschriften des 1986 eingeführten Haustürwiderruf-Gesetzes und die in den Paragraphen 55 und 56 VAG geregelte Nichtanwendbarkeit der Bilanzierungsrichtlinien des Handelgesetzbuches und der Rückstellungsregelungen des Aktiengesetzes zu nennen, die wiederum zu steuerrechtlichen „Ausnahmebereichen" führen. 25 Auch die erheblichen Steuerprivilegien, mit denen Lebensversicherungen seit etwa einem Jahrhundert gefordert werden, sind in diesem Zusammenhang anzuführen. Die wichtigsten Aspekte dieser staatlichen Vergünstigung sind die Abzugsfahigkeit der Versicherungsprämien im Rahmen der Sonderausgaben bei der Ermittlung der Einkommenssteuerschuld und die besondere Behandlung der Auszahlungsleistungen innerhalb der Einkommens- und Erbschaftssteuer. 26 Hier werden den Begünstigten hohe Freibeträge eingeräumt, innerhalb derer keinerlei Steuer zu bezahlen ist. 2 7 Diese Maßnahmen werden damit be-

21

Schmidt (1991). Versicherungsaufsichtsrecht, S. 554.

2 2

Angerer (1983). Gewerbliche Versicherungsnehmer, S. 22.

2 3 Begründung zum VAG 1901, auszugsweise abgedruckt bei: Schmidt/Frey (1983). Prölss Versicherungsaufsichtsgesetz, S. 11-13, Rdnr. 33. 2 4

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 156 m.w.N. u. S. 165-166.

2 5

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 42 m.w.N.

2 6

Blaesius (1988). Bewertung, S. 136.

2 7

Thieltges (1990). Lebensversicherungen im Vergleich, S. 21.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

55

gründet, daß die Wirtschaftssubjekte den Nutzen einer Lebensversicherung als zusätzliches Instrument der Altersvorsorge von sich aus nicht so hoch einschätzen, wie es „objektiv gesehen" sinnvoll wäre. Mit Hilfe der Steuervergünstigungen soll verhindert werden, daß die Bürger weniger private Altersvorsorge treffen, als aus gesamtwirtschaftlicher Sicht für wünschenswert gehalten wird. 2 8

2. Die materielle Staatsaufsicht

Die mit Abstand weitreichendsten Folgen für die Ausgestaltung des deutschen Lebensversicherungsmarktes gehen von der materiellen Staatsaufsicht aus, der die Branche im Rahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes unterstellt wurde. Wegen ihrer überragenden Bedeutung sollen die dabei ergriffenen Maßnahmen und deren Konsequenzen in den nächsten Abschnitten ausfuhrlich diskutiert werden.

a) Grundlagen der materiellen Staatsaufsicht Wesentliche Grundlage zahlreicher Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes auf dem Lebensversicherungsmarkt ist das 1901 verabschiedete Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG). In der offiziellen Begründung zu diesem Gesetz wird vor allem auf die oben bereits erwähnte Gefahr abgehoben, daß der unbehinderte Wettbewerbsprozeß angesichts der Besonderheiten des Versicherungswesens zu unerwünschten Ergebnissen führen würde, und daß deshalb zum Schutz der Versicherungsnehmer eine Einschränkung der Gewerbe- und Vertragsfreiheit notwendig sei. 29 Tatsächlich dürfte jedoch für die Einführung

2 8

Blaesius (1988). Bewertung, S. 136-137; Thieltges (1990). Lebensversicherungen im Vergleich, S. 72; Farny (1975). Lebensversicherung, S. 829. Was im allgemeinen weniger deutlich herausgestellt wird, ist das Interesse, das der Staat an der Rolle der Kapital-Lebensversicherung als volkswirtschaftlich bedeutsames Kapitalsammelbecken und Kreditgeber der öffentlichen Hand hatte und hat (Werner (1975). Steuerliche Begünstigung, S. 437-438). 2 9

Begründung zum VAG 1901, auszugsweise abgedruckt bei: Schmidt/Frey (1983). Prölss Versicherungsaufsichtsgesetz, S. 11-13, Rdnr. 33; Krakowski (1988). Einführung, S. 9; Soltwedel et al. (1986). Deregulierungspotentiale, S. 3. Die übrigen der oben aufgezählten, mehr „produktionstechnisch" orientierten Begründungen für die Aufsichtstätigkeit wurden erst später nachgeschoben (Finsinger (1983). Versicherungsmärkte, S. 27; ähnlich: Weigel (1988). Auswirkungen, S. 42).

56

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

eines reichseinheitlichen Aufsichtsgesetzes die bis dahin herrschende Rechtszersplitterung und die damit einhergehenden Wettbewerbserschwernisse für die Unternehmen mindestens so ausschlaggebend gewesen sein wie der Schutz der Kunden. Und selbst dieser lag naturgemäß auch im Interesse der etablierten Unternehmen, die sich um den guten Ruf der Branche sorgten. 30 Durch das VAG wurden mit wenigen - im Rahmen dieser Untersuchung vernachlässigbaren - Ausnahmen alle Lebensversicherungsunternehmen, die ihre Produkte auf dem deutschen Markt anbieten, einer Regulierung in Form einer materiellen Staatsaufsicht unterstellt. Diese Art des rechtlichen Verbraucherschutzes setzt zahlreiche marktwirtschaftliche Grundsätze außer Kraft, 3 1 denn sie ermöglicht der Aufsichtsbehörde diskretionäre Eingriffe in die Versicherungsbetriebe. Damit geht sie weiter als z.B. das sogenannte Normativsystem, bei dem die Behörde nur die Einhaltung staatlich gesetzter Normen überwacht, oder gar das Publizitätssystem, das nur die Offenlegung des Geschäftsplans, der Geschäftsverhältnisse und der Geschäftsergebnisse verlangen würde. 32 Träger der Regulierungsmaßnahmen ist seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV), eine dem Bundesfinanzminister unterstellte Behörde mit Sitz in Berlin. Das Versicherungsaufsichtsgesetz als gesetzliche Grundlage der materiellen Staatsaufsicht wird sowohl von Vertretern des Bundesaufsichtsamtes als auch von zahlreichen Autoren immer wieder als „ein früher Pionier" der heutigen Verbraucherschutzgesetze dargestellt. 33 Dementsprechend sieht sich auch die Aufsichtsbehörde selbst vor allem als Verbraucherschutzinstitution. 34 Ziel der Versicherungsaufsicht ist es nach Ansicht der Behörde, alle Personen zu schützen, die in Deutschland eine Lebensversicherung abschließen.35 Gesichts-

3 0

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 21-23; Weigel (1988). Auswirkungen, S. 42. 31

Finsinger (1983). Versicherungsmärkte, S. 14.

3 2

Finsinger (1983). Versicherungsmärkte, S. 26.

33

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 23-24 m.w.N.

3 4

Beispielsweise: Hohlfeld (1991). Die Zukunft des Verbraucherschutzes, S. 1494; Angerer (1983). Gewerbliche Versicherungsnehmer, S. 23; Weigel (1988). Mehr Wettbewerb, S. 90. 35

Müller (1991). Versicherer, Vermittler und Kunde unter den neuen Rahmenbedingungen der Versicherungsaufsicht, S. 2.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

57

punkte der allgemeinen Wohlfahrt oder nationalökonomische Wertvorstellungen werden dagegen als nicht relevant erachtet. 36 Die konkreten Aufgaben der Aufsicht ergeben sich im wesentlichen aus den Paragraphen acht und 81 VAG. Danach soll die Aufsichtsbehörde den gesamten Geschäftsbetrieb eines Versicherungsunternehmens überwachen, um dafür zu sorgen, daß die Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen als dauernd erfüllbar anzusehen und die Belange der Versicherten jederzeit ausreichend gewahrt sind. 37 Diesbezüglich auftretende Mißstände sind zu beseitigen. 38 Da das VAG keine Definition des Begriffs „Belange der Versicherten" gibt, erfolgt dessen Auslegung im Einzelfall durch das BAV selbst. 39 Aufgrund der ausdrücklichen Nennung des Gläubigerschutzzieles im VAG hat die Sicherstellung der dauernden Leistungsfähigkeit der Unternehmen für die Aufsichtsbehörde eine besondere Bedeutung. 40 Ihr oberstes Ziel ist es daher, den Konkurs eines Versicherungsunternehmens zu verhindern. Unwirtschaftlich arbeitende Gesellschaften sollen notfalls auf andere Weise aus dem Markt genommen werden, z.B. durch Bestandsübertragung oder Übernahme durch andere Unternehmen. 41 Neben der Sicherstellung der dauerhaften Leistungsfähigkeit der Unternehmen bemüht sich das Aufsichtsamt vor allem darum, daß die angebotenen Versicherungsprodukte auch den versprochenen Schutz bieten. 42

b) Durchführung der materiellen Staatsaufsicht Um dem Bundesaufsichtsamt die Erfüllung seiner Aufgaben zu ermöglichen, wurde in Deutschland eine Kombination aus Erlaubniszwang und laufender

i b

Weigel (1988). Auswirkungen, S. 44.

3 7

Müller (1991). Versicherer, Vermittler und Kunde unter den neuen Rahmenbedingungen der Versicherungsaufsicht, S. 2. 3 8

Schmidt (1991). Versicherungsaufsichtsrecht, S. 554.

3 9

Rieger (1981). Innovation, S. 183.

4 0

Hohlfeld (1991). Die Zukunft des Verbraucherschutzes, S. 1494; Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 155-156 m.w.N. 41

Angerer (1983). Gewerbliche Versicherungsnehmer, S. 23.

4 2

Hohlfeld ( 1991 ). Die Zukunft des Verbraucherschutzes, S. 1494.

58

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

Aufsicht gewählt. 43 Dabei soll die Aufsichtsbehörde in erster Linie eine präventive Kontrolle durchführen, um eine Beeinträchtigung der Interessen der Versicherungsnehmer nach Möglichkeit gar nicht erst zuzulassen.44 So wird bereits der Marktzutritt nur gewährt, wenn sich aus den vom Unternehmen zur Genehmigung eingereichten Unterlagen ergibt, daß die Belange der Versicherten ausreichend gewahrt sind und die Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen dauerhaft gesichert erscheint. 45 Laufende Eingriffe des Aufsichtsamtes sind möglich, wenn die Geschäftstätigkeit nicht mit den gesetzlichen Vorschriften und dem Geschäftsplan im Einklang steht, wenn Mißstände zu beseitigen sind, die die Belange der Versicherten gefährden oder wenn gegen die guten Sitten verstoßen wird. 4 6 Die Behörde versucht, ihrer Aufgabe nachzukommen, indem sie gegenüber den Unternehmen eine Vielzahl an Anordnungen erläßt. 47

3. Ansatzpunkte der materiellen Staatsaufsicht

Die Maßnahmen der materiellen Staatsaufsicht wenden sich mit ganz wenigen Ausnahmen ausschließlich an die Versicherungsunternehmen selbst, während die Absatzhelfer und die Nachfrager nicht der direkten Aufsicht durch das BAV unterliegen. Aus diesem Grund bietet es sich an, bei der folgenden Darstellung der wichtigsten Vorschriften der Aufsichtsbehörde 48 die vier den Unternehmen prinzipiell zur Verfügung stehenden absatzpolitischen Instrumente als Systematisierungsgrundlage zu verwenden. 49 Das heißt, es wird danach unterschieden, ob sich die Eingriffe des BAV auf die Versicherungsbeiträge, die Versicherungsleistungen, den Versicherungsvertrieb oder die von den Anbietern ausgehenden Informationen beziehen.

4 3

Müller (1991). Versicherer, Vermittler und Kunde unter den neuen Rahmenbedingungen der Versicherungsaufsicht, S. 3. 4 4

Müller (1991). Versicherer, Vermittler und Kunde unter den neuen Rahmenbedingungen der Versicherungsaufsicht, S. 8. 4 5

§ 8 Abs. 1, zweiter Halbsatz, VAG; Weigel (1988). Auswirkungen, S. 43.

4 6

Weigel (1988). Auswirkungen, S. 43.

4 7

Doerry/Stech ( 1991 ). Wettbewerbsrecht, S. 851.

4 8

Die Maßnahmen des B A V beschreibt auch: Angerer (1983). Gewerbliche Versicherungsnehmer, S. 24-25. 4 9

Zur Einteilung der absatzpolitischen Instrumente: Nieschlag/Dichtl/Hörschgen (1988). Marketing, S. 1003; ähnlich die Systematisierung bei: Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. IX-X.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

59

a) Die Preispolitik Als Beeinflussung der Preispolitik sollen in diesem Zusammenhang alle Vorschriften des Bundesaufsichtsamtes verstanden werden, die sich auf die Höhe der von den Gesellschaften verlangten Versicherungsbeiträge beziehen. Gerade bei Lebensversicherungen finden hier massive Eingriffe in die unternehmerische Freiheit der Anbieter statt. Mit dem Ziel, den Risikoschutz für die Nachfrager berechenbarer zu machen und sie vor unvorhersehbaren Nachforderungen zu schützen, bieten die Versicherungsunternehmen ihren Versicherungsschutz zu einem festen, d.h. während der gesamten Vertragslaufzeit konstanten Vorauspreis an. 5 0 Da die Versicherer auch im Falle steigender Kosten keine Möglichkeit haben, einen Nachschlag von ihren Kunden zu verlangen, müssen sie ihre Lebensversicherungsangebote auf der Basis von Prognosen über den zukünftigen Kosten- und Schadensverlauf so kalkulieren, daß der einmal festgelegte Beitrag auch bei einer ungünstigen Entwicklung der einzelnen Einflußfaktoren bis zum Vertragsende ausreicht, um allen Leistungsverpflichtungen nachzukommen. Angesichts der bei Kapital-Lebensversicherungen üblichen Laufzeiten von einigen Jahrzehnten ist es allerdings unmöglich, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die zukünftige Höhe der verschiedenen anfallenden Kosten, den zu erwartenden Risikoverlauf oder die während der Laufzeit zu erzielenden Kapitalmarktzinsen auch nur annähernd genau abzuschätzen. Aus diesem Grund ist eine langfristige Leistungsfähigkeit der Unternehmen nur sicherzustellen, wenn der Beitrag von Anfang an so hoch kalkuliert ist, daß auch extrem ungünstige Entwicklungen aller internen und externen Einflußgrößen nicht zu Zahlungsschwierigkeiten fuhren. 51 Wie oben bereits gezeigt wurde, wird gerade bei Lebensversicherungen vielfach die Gefahr eines ruinösen Wettbewerbs gesehen. Um übertrieben optimistische Kalkulationen der Versicherer zu verhindern, wurde dem BAV deshalb die Aufgabe übertragen, bei allen Anbietern eine ausreichend hohe Mindestprämie durchzusetzen. 52 Zu diesem Zweck wird den Unternehmen beispielsweise vorgeschrieben, bei der Kalkulation des Risikoanteils das Alter des Versicherungsnehmers um ein Jahr zu erhöhen, wodurch der Beitrag automatisch



Gärtner ( 1980). Privatversicherungsrecht, S. 254.

51

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 185-186 u. S. 254-255; Kühlmann/ Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 182; Lorenz (1983). Auskunftsansprüche, S. 4-5. 52

Gäfgen/Endres (1989). Die ökonomische Perspektive, S. 13 m.w.N.

60

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

steigt. Außerdem wird als statistische Grundlage die Allgemeine Sterbetafel für die Gesamtbevölkerung verwendet. Dies führt zu Sicherheitsspannen, da die Versicherer mit Hilfe ihrer Gesundheitsprüfungen eine Risikoselektion betreiben und das Todesfallrisiko bei ihrem Bestand daher um einiges geringer ist als bei der Gesamtbevölkerung. 53 Um zu verhindern, daß die Versicherungsunternehmen mit zu hohen kalkulatorischen Zinssätzen arbeiten, hat das BAV den zulässigen Rechnungszinsfüß auf derzeit 3,5 Prozent beschränkt, obwohl die Unternehmen in der Praxis auf den Kapitalmärkten teilweise erheblich höhere Werte erzielen können. 54 Im Gegensatz zu den Risiko- und Sparanteilen sind bei dem zur Deckung der Kosten vorgesehenen Beitragsanteil nur geringe Sicherheitszuschläge eingerechnet. 55 Bereits aus dieser kurzen Darstellung wird deutlich, daß das primäre Ziel der Eingriffe des BAV in die Preispolitik der Unternehmen nicht ist, für einen „angemessenen" oder „gerechten" Beitrag zu sorgen. Angestrebt wird vielmehr, zu niedrige Tarifsätze zu verhindern. 56 Da für das Aufsichtsamt der Schutz des Versicherungsnehmers in seiner Rolle als Gläubiger von überragender Bedeutung ist, sorgt es also eher für eine Erhöhung als für eine Senkung der Beiträge· 5 7 Bevor ein Lebensversicherer einen neuen Tarif auf dem Markt anbieten darf, muß er einen sogenannten technischen Geschäftsplan beim BAV einreichen und genehmigen lassen. Darin sind die vorgesehenen Tarife, die Grundsätze für die Berechnung der Beiträge und der mathematischen Rückstellungen, die zugrunde gelegten biometrischen Ausscheidewahrscheinlichkeiten, der verwendete Rechnungszinsfuß, eingerechnete Kostenzuschläge und eventuelle Sicherheitszuschläge vollständig darzustellen. Ferner ist nachzuweisen, daß die vorgesehenen Prämien die versprochenen Leistungen dauerhaft sicher erscheinen

53

Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 184. 54 Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 183-184. Vor 1987 betrug der zulässige Rechnungszinsfuß sogar nur drei Prozent (Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 184). 55

Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 23.

5 6

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 245-246, S. 266 u. S. 277 jeweils m.w.N.; Schmidt (1991). Versicherungsaufsichtsrecht, S. 554. 57

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 277 m.w.N.; Hohlfeld (1991). Die Zukunft des Verbraucherschutzes, S. 1494.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

61

lassen.58 In der Praxis ist es allerdings so, daß das BAV mit der Begründung, daß die mit der Unvorhersehbarkeit der Zukunft verbundenen Unsicherheiten für alle Unternehmen gleichermaßen gelten, den Versicherern unabhängig von unternehmensindividuellen Faktoren weitgehend einheitliche Mindestprämien vorschreibt. 59 Die hohen Sicherheitszuschläge fuhren dazu, daß die Versicherungsnehmer weitaus höhere Beiträge bezahlen müssen, als die Unternehmen bei normalem Geschäftsverlauf zur Einhaltung des Äquivalenzprinzips benötigen. Solange es also nicht zu den sicherheitshalber unterstellten extrem ungünstigen Entwicklungen kommt, entstehen bei den Versicherern fast zwangsläufig Überschüsse, die bei einem normalen oder gar günstigen Verlauf der Einflußfaktoren ein erhebliches Ausmaß annehmen können. Da insbesondere beim Zins- und beim Risikoergebnis die Höhe dieser Überschüsse viel mehr von der allgemeinen Wirtschafts- und Sterblichkeitsentwicklung abhängt als vom Geschick der Geschäftsführung, handelt es sich nach Ansicht des BAV nicht um unternehmerische Gewinne, sondern um übererhobene Beiträge, die an die Versicherungsnehmer zurückzuerstatten sind, wenn sich herausgestellt hat, daß sie nicht benötigt werden. 60 Deshalb wird den Unternehmen vorgeschrieben, mindestens 90 Prozent ihres in der Bilanz ausgewiesenen Rohüberschusses wieder an die Versicherungsnehmer auszuschütten.61 Diese Ausgleichszahlungen der Versicherer in Form der sogenannten Überschußbeteiligung werden von manchen Autoren als nachträgliche Korrektur der Beiträge und damit als der Preisregulierung zugehörig betrachtet. 62 Da jedoch insbesondere bei der Kapital-Lebensversicherung die Überschußbeteiligung regelmäßig erheblich später erfolgt als die Bezahlung der Beiträge durch den Versicherungsnehmer, und außerdem nicht immer in Form von Geldleistungen erfolgt (sondern z.B. als Erhöhung der Risikoabsicherung), erscheint es sinnvoller, sie als Teil der Leistung einer Lebensversicherung zu betrachten. Deshalb soll diese Thematik im Zusam-

Finsinger (1983). Versicherungsmärkte, S. 37; Müller (1991). Versicherer, Vermittler und Kunde unter den neuen Rahmenbedingungen der Versicherungsaufsicht, S. 6-7. 59

Müller (1991). Versicherer, Vermittler und Kunde unter den neuen Rahmenbedingungen der Versicherungsaufsicht, S. 7. 6 0

Finsinger spricht deshalb vom „Konzept der Einheitsprämie mit Überschußbeteiligung'' (Finsinger (1983). Versicherungsmärkte, S. 37-40). 61 6 2

Claus ( 1980). Aktuelle Probleme, S. 24.

Beispielsweise: Koch (1991). Versicherungswirtschaft, S. 109; Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 260; Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 24.

62

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

menhang mit der Beschreibung der Regulierung der Produktpolitik im nächsten Kapitel ausfuhrlicher diskutiert werden. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die für Lebensversicherungen erhobenen Beiträge in Deutschland durch Vorschriften des BAV nahezu vollständig administriert sind. 63 Sie sind daher von Faktoren wie Angebot und Nachfrage weitgehend unabhängig. 64 Nachdem zumindest Teile der Beiträge den Versicherungsnehmern im nachhinein wieder zurückgegeben werden, können aus einer isolierten Betrachtung der Prämienhöhen keinerlei Rückschlüsse gezogen werden, da stets auch die Gegenleistung des Versicherers miteinbezogen werden muß. Aufgrund der unterschiedlich hohen Überschußbeteiligungen der einzelnen Anbieter sagen auch die seit der Tarifreform Anfang 1987 angeblich vorliegenden Unterschiede in den Beiträgen 65 weder etwas über die relative Preisgünstigkeit eines Angebots aus, noch können sie als Qualitätsindikator dienen. 66

b) Die Produktpolitik Gegenstand der Produktpolitik eines Versicherungsunternehmens ist vor allem die Gestaltung der Gesamtleistung eines Angebotes. Diese läßt sich gedanklich in verschiedene Teilbereiche zerlegen, von denen die wichtigsten die Bestimmungen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die Versicherungssumme, die eventuell vorgesehenen Beitragsrückerstattungen, der Rückkaufswert und der Service sind. 6 7

aa) Regulierung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen Versicherungsunternehmen sind verpflichtet, dem BAV vor Aufnahme ihres Geschäftsbetriebes einen Geschäftsplan zur Genehmigung vorzulegen. In diesem sind die geplanten Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die vorgese-

63

Kuhlmann (1990).Verbraucherpolitik, S. 243-244; Finsinger (1983). Versicherungsmärkte, S. 37. 6 4

Müller-Lutz (1991). Allgemeine Versicherungslehre, S. 424.

65

So: Blaesius (1988). Bewertung, S. 100.

6 6

Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 186. 67

Stöffler ( 1984). Markttransparenz, S. 134.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

henen Tarife und ihre Satzung festzulegen. Die eingereichten Geschäftspläne werden vom BAV zunächst daraufhin untersucht, ob sie allen relevanten gesetzlichen Vorschriften entsprechen. 68 Ein wichtiges Ziel dieser Praxis der Vorabgenehmigung ist es, sogenannte Mogelpackungen, d.h. den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligende Bedingungswerke, schon im Vorfeld zu verhindern. Eine weitere zu prüfende Anforderung an die eingereichten Geschäftspläne ist, ob die Versicherungsbedingungen den Grund-sätzen von Vollständigkeit, Übersichtlichkeit und Einheitlichkeit genügen. 69 Um den Ablauf des Genehmigungsprozesses zu vereinfachen, veröffentlicht das BAV für jede Versicherungsvariante sogenannte Mustergeschäftspläne. Versicherungsunternehmen, die diese Vorgaben übernehmen, können mit einer sehr schnellen Genehmigung ihrer Anträge rechnen. Geschäftspläne, die von den Vorschlägen des Aufsichtsamtes abweichen, werden dagegen nur akzeptiert, wenn sie vom BAV als „echte Verbesserung" zugunsten der Verbraucher angesehen werden. 70 Das damit verbundene Prüfungsverfahren kann sich über Jahre erstrecken, da im allgemeinen vor einer Entscheidung der Behörde erst der Verband der Lebensversicherungsunternehmen e. V. und andere Institutionen angehört werden. 71 In der Praxis verzichten die einzelnen Unternehmen daher auf eigene Neuerungen, so daß die Erarbeitung neuer Bedingungswerke im allgemeinen in enger Kooperation zwischen dem BAV und den auf Verbandsebene tätigen Vertretern der gesamten Branche erfolgt. Ziel der auf diese Weise angestrebten Einheitlichkeit der A V B ist es, die Markttransparenz für die Nachfrager zu erhöhen und diesen damit die Möglichkeit zu eröffnen, durch PreisLeistungs-Vergleich eine „nutzenmaximale Auswahl" zu treffen. 72 Einmal genehmigte Geschäftspläne sind für die Unternehmen verbindlich und dürfen nur mit Zustimmung des Aufsichtsamtes geändert werden.

6 8

Müller (1991). Versicherer, Vermittler und Kunde unter den neuen Rahmenbedingungen der Versicherungsaufsicht, S. 5. Eine ausfuhrliche Darstellung des Ablaufs und der Hintergründe der Bedingungskontrolle findet sich bei: Eggerstedt (1987). Produktwettbewerb, S. 77-84. 6 9

Müller (1991). Versicherer, Vermittler und Kunde unter den neuen Rahmenbedingungen der Versicherungsaufsicht, S. 5. 7 0

Gäfgen/Endres (1989). Die ökonomische Perspektive, S. 20.

71

Gaulke ( 1992). Kursbuch Versicherung, S. 123-124.

72 Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 160 u. S. 169; ähnlich: Müller (1991). Versicherer, Vermittler und Kunde unter den neuen Rahmenbedingungen der Versicherungsaufsicht, S. 5; Gäfgen/Endres (1989). Die ökonomische Perspektive, S. 20.

4

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

Neben den A V B gibt es noch die sogenannten geschäftsplanmäßigen Erklärungen der Versicherungsunternehmen gegenüber dem BAV. Dabei handelt es sich um schriftliche, für das Versicherungsunternehmen verbindliche Festlegungen, deren Abgabe von der Aufsichtsbehörde teilweise zwingend vorgeschrieben wird. 7 3 Sie beziehen sich z.B. auf den Inhalt und Aufbau der in den Versicherungsantrag aufzunehmenden Texte, die im Versicherungsschein enthaltenen Angaben, Fragen der Gesundheitsprüfung und ähnliches. 74 Sie können sich aber auch auf die Konkretisierung oder gar Änderung der in den A V B festgeschriebenen Vereinbarungen beziehen. 75 Aus Verbrauchersicht problematisch ist, daß sowohl die Existenz einer geschäftsplanmäßigen Erklärung an sich als auch ihr Inhalt den Versicherungsnehmern meistens nicht bekannt ist. 7 6 Eine der wesentlichen Folgen der Regulierung der unternehmerischen Produktpolitik ist die Tatsache, daß in Deutschland nur eine begrenzte Anzahl unterschiedlicher Lebensversicherungsvarianten angeboten wird. Trotz der Einschränkungen bei der Entwicklung neuer Produktformen haben sich allerdings mittlerweile knapp 30 gängige Lebensversicherungstypen herausgebildet, 77 deren qualitativer Leistungsumfang dann jedoch jeweils branchenweit annähernd einheitlich ist. 7 8 Da das Angebot der Lebensversicherungsunternehmen also „ein ganzes Sortiment unterschiedlicher Policen" 79 umfaßt, gibt es die Lebensversicherung in der Praxis genaugenommen gar nicht. Die wichtigste Unterscheidung der einzelnen Varianten bezieht sich auf die Frage, ob es sich um eine reine Risikoabsicherung handelt oder ob diese zusätzlich mit einem Sparvorgang verbunden ist. Je nach der diesbezüglichen Gestaltung unterscheidet man zwischen Risiko- und A^/?/ta/-Lebensversicherungen. Diese beiden wesentlichen Grundformen der vom BAV zugelassenen Produktvarianten sollen im folgenden näher erläutert werden.

73 Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 126-128; Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 60. 7 4

Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 60-61.

75

Gärtner ( 1980). Privatversicherungsrecht, S. 126-128.

7 6

Sieg (1991). Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, S. 333.

77

GDV (1991). Jahrbuch 1991, S. 147.

78

Blaesius (1988). Bewertung, S. 99; Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 200. 7 9

Thieltges (1990). Lebensversicherungen im Vergleich, S. 9; Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 200.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

(1) Die wichtigsten Formen der Lebensversicherung Neben mehreren Variationen der reinen Todesfallversicherung bieten die Unternehmen vor allem Produktvarianten an, bei denen die Grundfunktion der Risikoabsicherung durch zusätzliche Leistungen ergänzt wurde, wobei hier vor allem die Kapitalanlage als wichtigste Zusatzfunktion zu nennen ist. 8 0 Da die verschiedenen Lebensversicherungsformen für völlig unterschiedliche Bedarfe konzipiert und geeignet sind, 8 1 ist es wichtig, zumindest die einzelnen Grundtypen klar voneinander abzugrenzen. Dieses wird allerdings sowohl in der Literatur 82 als auch in der Praxis 83 häufig nicht ausreichend beachtet, was zu erheblichen Auswirkungen führen kann. 84

(a) Risiko-Lebensversicherung Die Risiko-Lebensversicherung^, die auch „Versicherung auf den Todesfall" oder „Todesfallversicherung" genannt wird, entspricht der ursprünglichen Grundfunktion der Versicherung. Durch den Abschluß eines solchen Vertrags kann der Versicherungsnehmer sicherstellen, daß seinen Hinterbliebenen eine Geldleistung in Höhe der Versicherungssumme zur Verfügung gestellt wird, wenn er während der Vertragslaufzeit stirbt. Die Risiko-Lebensversicherung ist daher besonders für Personen geeignet, von denen andere wirtschaftlich abhängig sind oder die auf diese Weise die Rückzahlung größerer finanzieller Verpflichtungen absichern wollen. 8 6 Die übliche Versicherungsdauer bei Risiko-Lebensversicherungen liegt bei zehn Jahren. 87 Erlebt der Versicherte das Vertragsende, erhält er - abgesehen von einer möglichen Erstattung eines Teils

Hagelschuer ( 1991 ). Lebensversicherung, S. 28-30. 81

Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 27.

82

Beispielsweise: Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 179; Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 19. 83

Beispielsweise in den Anzeigen des Verbandes der Lebensversicherungsunternehmen in: Wirtschaftswoche (1992). Heft 6, S. 55; Wirtschaftswoche (1992). Heft 10, S. 183; Wirtschaftswoche (1993). Heft 5, S. 45. Dazu auch: Teil Β. I. 3. d) aa). 84

Dazu auch: Teil B. III. 1. a) aa).

85

Zu diesem Abschnitt auch: Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 45-48.

86

Thieltges (1990). Lebensversicherungen im Vergleich, S. 9.

87

Thieltges (1990). Lebensversicherungen im Vergleich, S. 21.

5 Eifert

66

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt für Lebensversicherungen

der nicht benötigten Sicherheitszuschläge - kein Geld zurück. 88 Dafür sind die Beiträge für Risiko-Lebensversicherungen vergleichsweise gering. 89 Die Risiko-Lebensversicherung hat in Deutschland gegenwärtig einen Marktanteil von ca. zehn Prozent. 90

(b) Kapital-Lebensversicherung Bei der Kapital-Lebensversicherung 91 handelt sich um die Verbindung zwischen einem Sparvorgang und einer Risikoabsicherung. 92 Deshalb wird sie auch „gemischte Versicherung auf den Todes- und Erlebensfall" genannt. Neben dem Risiko- und dem Dienstleistungsanteil enthält der Beitrag für eine Kapital-Lebensversicherung zusätzlich noch einen Sparanteil, der so kalkuliert ist, daß das angesparte Vermögen am Versicherungsende gerade der Höhe der Versicherungssumme entspricht. Der Versicherer erbringt bei dieser Produktform also nicht nur die im Todesfall fällige Leistung an die Hinterbliebenen, sondern bezahlt auch im Erlebensfall am Ende der Laufzeit die vereinbarte Versicherungssumme an den Versicherungsnehmer selbst aus. 93 Für diese Ergänzung der Risikoabsicherung um eine Sparkapitalbildung muß der Versicherungsnehmer allerdings einen etwa zehnmal höheren Beitrag bezahlen als für eine vergleichbare reine Risiko-Lebensversicherung. 94 Kapital-Lebensversicherungsverträge haben in Deutschland eine durchschnittliche Laufzeit von ca. 28 Jahren, 95 ihr Anteil am gesamten Lebensversicherungsmarkt lag 1991 bei ca. 72 Prozent. 96

Thieltges (1990). Lebensversicherungen im Vergleich, S. 9; Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 226. 8 9 Eine Versicherung über 10 Jahre mit einer Versicherungssumme von 100.000 D M ist für einen 25jährigen Mann gegenwärtig für einen Jahresbeitrag von ca. 170.D M erhältlich (Thieltges (1990). Lebensversicherungen im Vergleich, S. 90). 9 0

McKinsey & Company (Hrsg.) (1993). Jahrbuch der Lebensversicherungen,

S. 14. 91

Dazu auch: Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 30.

9 2

Dau (1975). Lebensversicherung und Vermögensbildung einst und jetzt, S. 43.

93 Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 200. 9 4

Thieltges (1990). Lebensversicherungen im Vergleich, S. 18.

95

Claus ( 1980). Aktuelle Probleme, S. 22.

9 6

GDV (1992). Jahrbuch 1992, S. 58.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

bb) Regulierung der Versicherungssumme In bezug auf die zwischen den Vertragsparteien vereinbarte Versicherungssumme lassen sich ein quantitativer und ein qualitativer Leistungsaspekt unterscheiden. In quantitativer Hinsicht unterliegt die Versicherungssumme keiner Regulierung, d.h. Versicherungsnehmer und Versicherer können sich frei über den gewünschten Betrag einigen. Der qualitative Aspekt bezieht sich auf die Frage, wie sicher es ist, daß das Versicherungsunternehmen die vereinbarte Summe im Versicherungsfall bzw. am Vertragsende tatsächlich bezahlen kann. Diese Auszahlung - beim vorzeitigen Tod des Versicherten an die Hinterbliebenen oder bei der Kapital-Lebensversicherung im Erlebensfall auch an den Versicherungsnehmer selbst - wird von den Versicherungsunternehmen verbindlich zugesichert. Im Falle der Kapital-Lebensversicherung heißt dies, daß die Unternehmen eine Verzinsung der Sparanteile (also nicht des gesamten Beitrags) in Höhe des vom BAV vorgeschriebenen Rechnungszinsfußes von 3,5 Prozent garantieren. 97 Wie bereits angeführt wurde, ist die Gewährleistung der langfristigen Leistungsfähigkeit des Versicherers und damit die Absicherung der Gläubigerposition des Versicherungsnehmers eines der wichtigsten Ziele des Bundesaufsichtsamtes.98 Um jedes Risiko für die Versicherten auszuschließen, schreibt das BAV nicht nur die schon erwähnten Sicherheitsspannen in den Beiträgen vor, sondern ergreift auch noch zusätzliche Maßnahmen. So ordnete das Aufsichtsamt zum Beispiel an, daß ein Versicherungsunternehmen, das Lebensversicherungen anbietet, daneben keine anderen Versicherungsarten im Sortiment führen darf. 99 Durch dieses Prinzip der Spartentrennung soll sichergestellt werden, daß das den Versicherten zustehende Kapital aus dem Lebensversicherungsgeschäft nicht zur Finanzierung von eventuell auftretenden Verlusten anderer Sparten verwendet w i r d . 1 0 0 Um zu verhindern, daß Unternehmen infolge riskanter Kapitalanlagen in Zahlungsschwierigkeiten kommen, hat das BAV außerdem die Anlageformen begrenzt, in denen das im Deckungsstock angesammelte Vermögen und sonstiges gebundenes Kapital angelegt werden darf. 1 0 1 Die finanzielle Situation eines Lebensversicherungsunternehmens wird

97

Henry (1992). Lohnt sich eine Kapital-Lebensversicherung?, S. 96.

9 8

Angerer (1983). Gewerbliche Versicherungsnehmer, S. 23.

9 9

Müller ( 1979). Spartentrennung, S. 147-168.

100

Gäfgen/Endres (1989). Die ökonomische Perspektive, S. 15.

101

Gäfgen/Endres (1989). Die ökonomische Perspektive, S. 16.

5*

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

außerdem im Rahmen einer laufenden Solvabilitätskontolle überwacht, so daß mögliche Probleme von der Aufsicht rechtzeitig erkannt und behoben werden können. 1 0 2

cc) Regulierung der Überschußbeteiligung Die im Hinblick auf extrem negative Entwicklungen kalkulierten Sicherheitszuschläge in den Beiträgen werden bei normalem Geschäftsverlauf von den Versicherungsunternehmen im allgemeinen nicht oder zumindest nicht vollständig benötigt. Sie führen, je nach der tatsächlichen Entwicklung in den Bereichen Risiko, Zinsen und Verwaltungskosten, zu teilweise ganz erheblichen Überschüssen, deren Summe den Rohüberschuß des Unternehmens (auch Brutto- oder Gesamtüberschuß genannt) bildet. 1 0 3 Wie bereits erwähnt wurde, muß dieser, da es sich nicht um einen unternehmerischen Gewinn der Versicherer handelt, zu mindestens 90 Prozent an die Versicherungsnehmer ausgeschüttet werden. Die tatsächliche Preis-Leistungs-Relation einer Kapital-Lebensversicherung ergibt sich also erst, wenn die Form und die Höhe der Überschußbeteiligung in die Betrachtung einbezogen wird, wobei es letztlich keine Rolle spielt, ob die Gewinnbeteiligung als Teil der Leistung oder als nachträgliche Bestimmung des eigentlichen Preises interpretiert wird. Da die Angebote einzelner Versicherungsunternehmen in bezug auf einen bestimmten Lebensversicherungstyp infolge der Regulierungsmaßnahmen sowohl in der Höhe der Beiträge als auch in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen weitgehend übereinstimmen, kann sich in wirtschaftlicher Hinsicht eine mögliche relative Vorteilhaftigkeit einzelner Anbieter nur infolge der Unterschiede in der Überschußbeteiligung ergeben. Für einen Versicherungsinteressenten, der eine finanziell vorteilhafte Wahl treffen möchte, sind Informationen über die Höhe der insgesamt zu erwartenden Gewinnbeteiligung daher nicht nur die Grundlage seiner Kaufentscheidung. Auch auf der Ebene der Bedarfsreflexion haben sie entscheidende Bedeutung, denn erst auf der Basis ihrer aus Versicherungssumme und Über-

102 Farny (1984). Solvabilität und Solvabilitätspolitik von Versicherungsunternehmen, S. 35-37; Gäfgen/Endres (1989). Die ökonomische Perspektive, S. 16; Müller (1991). Versicherer, Vermittler und Kunde unter den neuen Rahmenbedingungen der Versicherungsaufsicht, S. 3; Blaesius (1988). Bewertung, S. 99. 1 3

Lorenz (1983). Auskunftsansprüche, S. 6.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

69

Schußbeteiligung zusammengesetzten Gesamtleistung kann eine Kapital-Lebensversicherung sinnvoll mit anderen Sparformen verglichen werden. 1 0 4 Dabei bestehen nicht nur in der Höhe der jeweils ausgewiesenen Überschüsse, sondern auch in den Verfahren zu deren Ausschüttung an die Versicherten bedeutende Unterschiede zwischen den einzelnen Anbietern. 105 Daß die Vorgehensweise bei der Verteilung des auszuschüttenden Anteils der Überschüsse weitgehend den Unternehmen überlassen wurde, führte dazu, daß nahezu jede Lebensversicherungsgesellschaft ein anderes System praktiziert. 106 Während die grundsätzliche Gestaltung der Überschußbeteiligung in den A V B festzulegen ist, sind genaue Angaben über die Voraussetzungen für die Fälligkeit der Überschußanteile und deren Form und Verwendung in den Geschäftsplänen aufzuführen, die die Versicherer dem BAV vorlegen. 107 Wegen ihrer überragenden Wichtigkeit für die Entscheidung der Verbraucher und den gesamten Wettbewerb auf dem Lebensversicherungsmarkt soll die Überschußbeteiligung im folgenden näher betrachtet werden. Um der komplexen Thematik gerecht zu werden, ist dabei eine vergleichsweise detaillierte Darstellung notwendig.

(1) Das Konzept der Überschußbeteiligung Das Ziel der Überschußbeteiligung soll es sein, den vom Unternehmen ausgewiesenen Gewinn möglichst zeitnah, vollständig und verursachungsgerecht an die Versicherungsnehmer zurückzuerstatten. 108 Das bedeutet nach Ansicht des BAV, daß der ausgewiesene Rohertrag in einer dem Grund (erzwungene überhöhte Prämienkalkulation) und dem Zweck (Rückerstattung der zwangsweisen Überhöhung der Prämien) der Überschußbeteiligung entsprechenden Weise zu ermitteln i s t 1 0 9 und daß die nicht benötigten Sicherheitszuschläge

104

Stöffler (1984). Markttransparenz, S. 238.

105

Gäfgen/Endres (1989). Die ökonomische Perspektive, S. 20; Blaesius (1988). Bewertung, S. 99. 106

Blaesius (1988). Bewertung, S. 184; Stöffler (1984). Markttransparenz, S. 104.

107

Lorenz (1983). Auskunftsansprüche, S. 4.

108

Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 189; Schirmer (1983). Aktiver Wettbewerb, S. 20; Vogel/Lehmann (1982). Überschußbeteiligung, S. 330. 109

Lorenz (1983). Auskunftsansprüche, S. 9.

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

den Versicherungsnehmern möglichst vollständig wieder gutgebracht werden sollen. 1 1 0 Grundlage dieser Anforderungen ist es, den Versicherer als eine Art Treuhänder anzusehen, der die Mittel der Versicherten bestmöglich verwaltet und bei normalem Geschäftsverlauf die nichtverbrauchten Anteile verzinst zurückgibt. Bei einem derartigen Verhalten der Anbieter würde es für einen Versicherten letztlich keinen Unterschied machen, ob er von Anfang an zu hohe Beiträge bezahlt, die im Normalfall mit einer angemessenen Verzinsung zurückerstattet werden, oder ob er zunächst knapp kalkulierte Prämien überweist, bei ungünstigem Verlauf aber gegebenenfalls Mittel nachschießen muß. 1 1 1 Der Eindruck, daß für den Kunden beide Verfahren zu demselben Ergebnis führen, wird nicht nur in der Werbung für Lebensversicherungen, sondern auch in der wissenschaftlichen Literatur immer wieder vermittelt. 1 1 2 Die entscheidende Voraussetzung für die Gleichwertigkeit dieser Verfahren ist allerdings, daß der Versicherungsnehmer tatsächlich verursachungsgerecht an den Überschüssen seines Unternehmens beteiligt wird. Inwieweit dieses gewährleistet ist, soll im folgenden untersucht werden.

(2) Die einzelnen Überschußquellen Der Rohüberschuß eines Lebensversicherers ergibt sich als Saldo verschiedener Teilergebnisse. Dabei werden üblicherweise die drei Grundbestandteile Risikoabsicherung, Kapitalanlage und Dienstleistung unterschieden, die auch schon bei der Kalkulation des Versicherungsbeitrags zugrundegelegt wurden. Das Risikoergebnis (auch technisches Ergebnis genannt) ergibt sich aus der Differenz zwischen den sehr vorsichtig kalkulierten Risikoanteilen in den Beiträgen und den Aufwendungen, die einem Versicherungsunternehmen tatsächlich für Todesfälle entstehen. Da die Höhe des Risikoüberschusses stark von der Entwicklung der allgemeinen Sterblichkeit abhängt, kann sie von den Ver-

110

Vogel/Lehmann (1982). Überschußbeteiligung, S. 329.

111

GDV (1991). Jahrbuch 1991, S. 148; Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht,

S. 260. 112 Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 260. So beispielsweise UNGER, nach deren Ansicht die Überschüsse aus überhöhten Prämien den Versicherten in Form der Überschußbeteiligung ungeschmälert wieder zufließen (Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 174; ähnlich: Angerer (1985). Grundlinien der Versicherungsaufsicht, S. 22-23).

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

71

sicherungsunternehmen nur bedingt beeinflußt werden. Immerhin können die Unternehmen versuchen, die Sterblichkeitsraten innerhalb ihres Bestandes dadurch zu steuern, daß sie eine geeignete Auswahl der von ihnen Versicherten treffen. 113 Überschüsse aus den Kapitalanlagen ergeben sich, wenn der laufende Durchschnittsertrag der Kapitalanlagen der Lebensversicherungsunternehmen den Rechnungszinsfuß (der derzeitig 3,5 Prozent beträgt) überschreitet. Die Überschüsse hängen also zum einen von der Höhe des Rechnungszinsfußes ab, der der Kalkulation zugrundegelegt worden war, aber auch von der Entwicklung der durchschnittlichen Kapitalmarktzinsen und vom Anlagegeschick der einzelnen Versicherungsunternehmen. Angesichts der in der Praxis zumeist großen Spanne zwischen Rechnungs- und tatsächlichem Zins und des enormen Umfangs der anzulegenden M i t t e l 1 1 4 macht das Zinsergebnis regelmäßig den größten Teil des insgesamt erzielten Rohüberschusses aus. Unter dem Kostenergebnis werden die Überschüsse oder Verluste zusammengefaßt, die sich im Zusammenhang mit der Dienstleistung der Unternehmen in den Bereichen Abschlußkosten, laufende Verwaltungskosten und sonstige Kosten ergeben. Dabei ist festzustellen, daß es in vielen Fällen nicht möglich ist, bestimmte Kosten verursachungsgerecht einer dieser Gruppen zuzuordnen. Von daher erscheint es nicht sinnvoll, die Ergebnisse verschiedener Unternehmen bei einzelnen Kostenarten isoliert zu betrachten. 115 Da die meisten Unternehmen höhere Abschlußkosten aufweisen, als das BAV in der Kalkulation anzusetzen erlaubt, kommt es in diesem Bereich im allgemeinen zu einem kalkulatorischen Verlust. Der Teil der für die Akquisition neuer Kunden benötigten Ausgaben, der über den in der Vorabberechnung zugrundegelegten Prozentsatz der Beiträge hinausgeht, wird überrechnungsmäßige Abschlußkosten genannt. Nachdem sich die Abschlußkosten bei Lebensversicherungen weitgehend parallel zur Summe des Neugeschäfts entwik-

113

Stöffler (1984). Markttransparenz, S. 39.

114

Der Bilanzwert der Kapitalanlagen der deutschen Lebensversicherer betrug Ende 1991 485,8 Mrd. DM. In diesem Betrag sind Termingelder, Depotforderungen, Festgelder und Spareinlagen der Versicherer bei Kreditinstituten noch nicht berücksichtigt (Pressestelle des Verbandes der Lebensversicherungs-Unternehmen e.V. (1992). Jahrbuch 1992, S. 49). Wie in Teil Β. I. 3. b) cc) (4) (a) gezeigt wird, ist außerdem davon auszugehen, daß in Folge der erheblichen stillen Reserven der tatsächliche Marktwert der Kapitalanlagen weit über dem ausgewiesenen Bilanzwert liegt. 115

Blaesius (1988). Bewertung, S. 55 u. S. 58.

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

kein, fällt dieser Verlust umso höher aus, je stärker ein Unternehmen expandiert. 1 1 6 Die laufenden Verwaltungskosten umfassen alle Aufwendungen für den Versicherungsbetrieb, also im wesentlichen Gehälter und Betriebs- und Geschäftsausstattungen. 117 Neben der durchschnittlichen Versicherungssumme und der Bestandsstruktur beeinflußt diesen Bereich vor allem die Effizienz der Geschäftsführung. 118 Weitere Kostenfaktoren sind u.a. die Bereiche vorzeitiger Abgang (Storno) und Rückversicherung. Je nach individueller Unternehmenssituation können sie einen positiven oder negativen Saldo aufweisen. Im Gegensatz zum Risiko- und Zinsergebnis ist das Kostenergebnis bei den meisten Unternehmen im allgemeinen negativ. Das heißt, daß zusätzlich zu den bereits in der Kalkulation insgesamt für Kosten berücksichtigten Beitragsanteilen noch zusätzliche Mittel zur Deckung der Ausgaben benötigt werden. 1 1 9

(3) Regulierung der einzelnen Phasen der Überschußbeteiligung Die Beteiligung eines Versicherungsnehmers an den Überschüssen seines Versicherers kann in drei wesentliche Abschnitte untergliedert werden. Zunächst ermittelt das Unternehmen den in einer Periode erzielten Rohüberschuß. Dann muß dieser Rohüberschuß zwischen dem Versicherungsunternehmen und der Gesamtheit der Versicherungsnehmer aufgeteilt werden, und schließlich wird bestimmt, welchen Anteil an dem der Gesamtheit der Versicherungsnehmer zustehenden Teil des Rohüberschusses jeder einzelne Versicherungsnehmer erhält.

(a) Ermittlung des Rohüberschusses Der Roh- bzw. Gesamtüberschuß ergibt sich als Saldo der in den Teilbereichen Risiko, Zinsen und Kosten erzielten Ergebnisse. 120 Dabei sollten die

116

Blaesius (1988). Bewertung, S. 165.

117

Hagelschuer ( 1987). Lebensversicherung, S. 159.

118

Blaesius (1988). Bewertung, S. 164-165.

119 Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 141-142; Kühlmann/Blumenstein/ Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 185. 120

Vogel/Lehmann (1982). Überschußbeteiligung, S. 333.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

73

Prämien vom Prinzip her so kalkuliert sein, daß sich jede dieser Rechnungsgrundlagen selbst trägt, d.h. selbst bei ungünstiger Entwicklung der Einflußfaktoren sollte in keinem der drei Bereiche ein Verlust entstehen. 121 In der Praxis zeigt sich jedoch, daß im Branchendurchschnitt den Gewinnen aus dem Risikound Zinsverlauf ein im Bereich der Kosten verursachter Verlust gegenübersteht. 1 2 2 Betrachtet man nicht die durchschnittliche Situation der gesamten Branche, sondern die Werte einzelner Unternehmen, so zeigt sich, daß bei einigen Versicherern die aus Risiko- und Zinsgewinnen entstandenen Überschüsse „in unvertretbarem Maße durch Verluste aus den Bereichen Abschlußkosten, Storno und Rückversicherung" geschmälert werden. 123 Durch diese Verluste, die überwiegend auf eine „mangelhafte oder schlechte Geschäftsführung" 124 zurückzufuhren sind, mindert sich der insgesamt ausgewiesene Rohüberschuß, was letztlich zu einer Verringerung der Auszahlungen an die Versicherungsnehmer führt. 1 2 5 Bei einzelnen Gesellschaften kam es dabei zu derartigen Kürzungen, daß der für Lebensversicherungen zuständige Abteilungsdirektor des BAV die Beitragsrückerstattungen als „unbefriedigend, z.T. sogar völlig unzureichend" bezeichnete. 126 Da die Bemühungen des BAV, eine Verbesserung der unbefriedigenden Geschäftsergebnisse zu erreichen, zunächst „leider nur teilweise mit Erfolg" 1 2 7 versehen waren, wurden 1982 im Rahmen des 14. ÄndG zum VAG mit dem neuen § 81c VAG die Eingriffsgrundlagen des BAV verbessert. Danach kann das Aufsichtsamt die im Durchschnitt der letzten drei Jahre ausgewiesene Rückgewährquote eines Versicherungsunternehmen mit dem aus dem Branchendurchschnitt ermittelten Rückgewährrichtsatz vergleichen und bei deutlich unterdurchschnittlichen Leistungen darauf hinwirken, daß - beispielsweise

121 Vogel/Lehmann (1982). Überschußbeteiligung, S. 329; Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 23. 122

Claus ( 1980). Aktuelle Probleme, S. 24.

123

Lorenz (1983). Auskunftsansprüche, S. 9 m.w.N.; Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 25. 124

Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 25.

125

Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 185. 126

Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 24-25.

127

Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 25.

74

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt fur Lebensversicherungen

durch die Auflösung stiller Reserven 128 - „angemessene Zuführungen" zu den Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen erfolgen. 129 Problematisch ist, daß sich diese Maßnahme „nur auf die relativ wenigen Unternehmen" bezieht, „die im Vergleich zum Branchendurchschnitt auffallend schlecht wirtschaft e n " 1 3 0 . Dagegen bleibt die neue Bestimmung dann wirkungslos, wenn schon der Durchschnittswert der ganzen Branche so schlecht ist, daß es gar keiner Abweichung nach unten bedarf, um die Interessen der Versicherten zu beeinträchtigen. 131

(b) Verteilung des Rohüberschusses zwischen Unternehmen und Versicherten Wie schon erläutert wurde, müssen die Unternehmen mindestens 90 Prozent des ausgewiesenen Rohüberschusses an die Gesamtheit der Versicherten ausschütten. Diese Regelung bezeichnet Lorenz als unbefriedigend. Seiner Ansicht nach wäre es richtiger, die Versicherungsgesellschaften „aufsichtsrechtlich „nur" zur Rückerstattung des Teils des Rohüberschusses zu zwingen, um den die Prämieneinnahmen aufgrund aufsichtsrechtlich bewirkter Prämienkalkulation höher sind als die Einnahmen, die sich bei Prämienwettbewerb ergeben hätten" 1 3 2 . Da sich diese Größe allerdings nicht ermitteln läßt, sieht auch er in der bestehenden Regelung die einzig praktikable Lösung. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, daß die Umsetzung der Forderung von Lorenz im Grunde sogar zu höheren Rückzahlungen der Unternehmen führen müßte, als die Regelung des Bundesaufsichtsamtes. Würde nämlich tatsächlich der von Lorenz unterstellte Prämien Wettbewerb herrschen, dann müßten die Unternehmen sämtliche Beitragsbestandteile nach dem Äquivalenzprinzip kalkulieren, also mit einem Erwartungswert von Null. Nur in den Kostenteil könnten sie einen Gewinn einkalkulieren, dessen Höhe bei funktionierendem Wettbewerb idealtypisch jedoch auf einen angemessenen, je nach Wettbewerbsintensität möglicherweise auch sehr geringen Betrag beschränkt würde. Die Unternehmen müßten nach diesem Modell also alle Beitragsanteile, die über die zur Erfüllung der Äquivalenzbedingung und den von vornherein eingerechneten

128

Schreiben des B A V vom 18. Juni 1993.

129

Lorenz (1983). Auskunftsansprüche, S. 10; Schmidt (1991). Versicherungsaufsichtsrecht, S. 649; Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 189. 130

Hippel (1986). Verbraucherschutz, S. 242 (im Original teilweise hervorgehoben).

131

So z.B. bei den Abschlußkosten, die branchenweit immer weiter zunahmen (Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 27). 132

Lorenz (1983). Auskunftsansprüche, S. 13.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

Gewinn hinausgehen, an die Versicherten zurückgeben. Nach den Vorstellungen des BAV dürfen die Versicherungsunternehmen dagegen selbst bei einer rein theoretischen Betrachtung zusätzlich zu dem vorab kalkulierten „angemessenen" Gewinn noch maximal zehn Prozent der über die zur Erfüllung des Äquivalenzprinzips hinausgehenden Beitragsanteile behalten. Für die Versicherer ergibt sich also - im Gegensatz zur Ansicht von Lorenz - aus der Regulierung des BAV kein Nachteil, sondern in jedem Fall eine Besserstellung. Die Verteilung des Rohertrags ist innerhalb der Vorschriften des BAV Aufgabe des Vorstands und des Aufsichtrats eines Lebensversicherungsunternehmens, die zwischen den Interessen der Aktionäre und denjenigen der Versicherungsnehmer einen „billigen Ausgleich" herstellen sollen. 1 3 3 Die Beträge, die für die Überschußbeteiligung der Versicherten bestimmt sind, sind in die Rückstellung für Beitragsrückerstattung einzustellen. Da diese Rückstellung noch keinen individuellen Anspruch eines einzelnen Versicherungsnehmers begründet, sondern nur „eine Gesamtverbindlichkeit des Versicherungsunternehmens gegenüber allen Überschußbeteiligungsberechtigten" 134, bleibt zu klären, in welchem Maße der einzelne Versicherte an dieser Gesamtsumme beteiligt wird.

(c) Verteilung des anteiligen Rohüberschusses zwischen den Versicherten Die Höhe des ausgewiesenen Rohertrags und der davon der Gemeinschaft der Versicherungsnehmer zugewiesene Anteil sind für die Situation eines einzelnen Versicherten im Grunde genommen weitgehend unerheblich, denn für ihn ist letztlich nur die Höhe der ihm persönlich zugestandenen Beteiligung relevant. 135 Ihre Vorgehensweise bei der Verteilung der Überschüsse an die einzelnen Versicherungsnehmer müssen die Versicherungsunternehmen in ihren Geschäftsplänen festlegen. Sie unterliegt daher der Genehmigungspflicht durch das B A V . 1 3 6 Da bei diesen sogenannten Überschußbeteiligungssystemen unternehmensindividuelle Regelungen zulässig sind und diese Freiheit von den Versicherern auch zur bewußten Gestaltung ihrer Produkte genutzt w i r d , 1 3 7 kommt es bei den einzelnen Anbietern zu ganz unterschiedlich verlaufenden

133

Zinnert (1982). Gewinnverteilung, S. 104-105.

134

Lorenz (1983). Auskunftsansprüche, S. 9 m.w.N.

135

Blaesius (1988). Bewertung, S. 53-54; Stöffler (1984). Markttransparenz, S. 175.

136

Vogel/Lehmann (1982). Überschußbeteiligung, S. 330.

137

Lorenz (1983). Auskunftsansprüche, S. 15 m.w.N.; Blaesius (1988). Bewertung, S. 65 unter Berufung auf Gespräche mit Versicherungspraktikern.

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

Leistungskurven ihrer Überschußbeteiligungen. 138 Einfluß auf deren Aussehen hat beispielsweise die Frage, ob die Überschußbeteiligung sofort oder erst nach einer Wartezeit, laufend oder erst am Schluß gewährt w i r d . 1 3 9 Bei Schlußgewinnanteilen sind besondere Vorschriften des BAV zu beachten, wobei insbesondere festgelegt wurde, daß sie im Verhältnis zur gesamten Überschußbeteiligung eine angemessene Höhe nicht überschreiten dürfen. 1 4 0 Seit 1989 sind außerdem nach spätestens einem Drittel der Vertragsdauer oder zehn Jahren auch im Rückkaufsfall angemessene Schlußgewinnanteile vorzusehen. 141 Unterschiede können sich auch aus der Wahl der Grundlagen ergeben, die zur Bemessung des Überschußanteils verwendet werden. 1 4 2 In bezug auf die Verwendung der zugeteilten Überschüsse besteht die Möglichkeit, diese bar auszubezahlen, verzinslich anzusammeln, mit der Prämie zu verrechnen oder zur Erhöhung der Versicherungssumme zu verwenden. 143 Welches der von den Versicherungsunternehmen angebotenen Gewinnausschüttungsverfahren das beste ist, läßt sich nicht allgemeingültig sagen, da die Beurteilung entscheidend von der individuellen Interessenlage des Versicherten abhängt. 144 Um die insgesamt vorhandenen Rückstellungen für die Beitragsrückerstattung auf die einzelnen Versicherungsnehmer zu verteilen, wird der Gesamtbestand der Verträge von den Lebensversicherungsunternehmen anhand von Merkmalen wie Risiko, Kosten, besondere Form der Vermögensanlage, aber auch Besonderheiten in der vertragsrechtlichen Gestaltung, bei den Kosten für die Akquisition, die Verwaltung oder bei der Vermögensverwaltung 145 in sogenannte Abrechnungsverbände unterteilt. 146 Allerdings ist es in der Praxis trotz dieser zahlreichen Differenzierungsansätze nicht möglich, einzelnen Abrechnungsverbänden oder gar einzelnen Verträgen die auf sie entfallenden Erträge

138

Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 25-26.

139

Lorenz (1983). Auskunftsansprüche, S. 15.

140

Lorenz (1983). Auskunftsansprüche, S. 16; Vogel/Lehmann (1982). Überschußbeteiligung, S. 331. 141

Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 196.

142

Lorenz (1983). Auskunftsansprüche, S. 15; Vogel/Lehmann (1982). Überschußbeteiligung, S. 330. 143 Zu den einzelnen Verfahren siehe beispielsweise: Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 169-172. 144

Wer schüttet am meisten aus? (1978), S. 15.

145

Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 185.

146

Vogel/Lehmann (1982). Überschußbeteiligung, S. 331.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

und Aufwendungen immer vollständig verursachungsgerecht Den Unternehmensleitungen verbleiben daher sowohl bei der Überschüsse auf die einzelnen Abrechnungsverbände als auch gung der Höhe der Überschußanteilssätze zwangsläufig gewisse

(4) Einflußmöglichkeiten

zuzuordnen. 147 Verteilung der bei der FestleSpielräume. 148

der Unternehmen

Zumindest gewinnorientierte Lebensversicherungsunternehmen - und dazu sind die meisten der auf dem deutschen Markt vertretenen Anbieter zu zählen dürften im allgemeinen nicht das Unternehmensziel verfolgen, Geld an die Versicherten zurückzugeben. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß die Unternehmensführungen ein Interesse daran haben, möglichst viel des einmal eingenommenen Kapitals im eigenen Einflußbereich zu halten oder den Aktionären zukommen zu lassen. Daher stellt sich die Frage, ob es für die Versicherungsunternehmen Möglichkeiten gibt, trotz der Vorschriften des BAV die Höhe der Auszahlungen an die Versicherungsnehmer zu begrenzen und auf diese Weise eigene Ziele zu erreichen. Entsprechend den oben dargestellten Schritten bei der Überschußbeteiligung bieten sich den Versicherern dazu verschiedene Ansatzpunkte.

(a) Beeinflussung der Höhe des ausgewiesenen Rohüberschusses Die Gesamtleistung, die dem Bestand der Versicherungsnehmer gutgeschrieben wird, hängt entscheidend von der Höhe des Rohüberschusses ab, den das Versicherungsunternehmen ausweist. Im System der deutschen Aufsicht hat der Versicherte keine Garantie für eine bestimmte absolute Mindesthöhe der Überschußbeteiligung, sondern nur ein generelles Recht auf seinen Anteil an insgesamt mindestens 90 Prozent der von seinem Unternehmen während der Laufzeit seines Vertrags ausgewiesenen Rohüberschüsse. Wenn der Versicherer keine verteilungsfähigen Überschüsse bilanziert, erhält der Versicherungsnehmer nur die fest zugesagte Versicherungssumme. Er hat also nur einen allgemeinen, nicht aber konkretisierten Anspruch auf Überschußbeteiligung und muß nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes im ungünstigsten Falle auch

147

Vogel/Lehmann (1982). Überschußbeteiligung, S. 335. 148 Vogel/Lehmann (1982). Überschußbeteiligung, S. 335; Blaesius (1988). Bewertung, S. 47; Diederich (1984). Markttransparenz, S. 16; Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 26.

8

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

mit der Möglichkeit rechnen, eine sehr geringe oder keine Gewinnbeteiligung zu erhalten. 149 Da es infolge der Überwachung durch das BAV nicht möglich sein dürfte, weniger als 90 Prozent der ausgewiesenen Überschüsse an die Gesamtheit der Versicherten auszuschütten, erscheint es für die Unternehmen naheliegend, bereits die Höhe des ausgewiesenen Rohertrags zu beschränken. Dies ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn die dabei einer Auszahlung entzogenen Mittel direkt oder indirekt den Aktionären, dem Vorstand oder den Mitarbeitern des Unternehmens zugute kommen. Für eine solche Thesaurierungspolitik, also das Verkürzen oder Nicht-Ausschütten des Unternehensgewinns, 150 stehen den Lebensversicherern verschiedene Verfahren zur Verfüung. 1 5 1 Der folgende Überblick zeigt die wichtigsten davon. Rückstellungen Die Tatsache, daß verteilungsfähige Überschüsse nur insoweit zur Verfügung stehen, als sie nicht den Deckungsrückstellungen oder anderen Rückstellungen zugeführt werden, führte nach Ansicht von Gärtner dazu, daß es zu einer ständigen „Steigerung und Perpetuierung der Rückstellungsbildung" kam, wobei die Begründungen für einzelne Rückstellungsposten seiner Meinung nach teilweise „eher gekünstelt wirken" 1 5 2 . Betrachtet man die Aktienkurse von Lebensversicherungsgesellschaften, so zeigt sich, daß die Kapitalmärkte offensichtlich davon ausgehen, daß der aus den Beiträgen der Versicherungsnehmer finanzierte Substanzgewinn eines Versicherungsunternehmens in Form von Rückstellungen den Aktionären zuwächst. Auch in der Literatur wird teilweise diese Meinung vertreten, z.B. von Frey, nach dessen Ansicht die technischen Reserven bzw. Rückstellungen mit den darin enthaltenen stillen Reserven Eigenkapital sind und daher den Aktionären gehören. 153 Der Hinweis von Zinnert, daß die technischen Rückstellungen ausschließlich aus den Prämieneinnahmen dotiert werden und daß dementsprechend auch kein Zweifel bestehen kann, wem die aus diesen Kapitalanlagen erzielten Gewinne zustehen, scheint

149

BGH-Urteil vom 8. 6. 1983 (Az. IV a ZR 150/81), abgedruckt in: VerBAV (1983), S. 298-302. 150

Zinnert (1982). Gewinnverteilung, S. 227-228.

151

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 262; Zinnert (1982). Gewinnverteilung, S. 228-229. 152

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 257 u. S. 260. 153 p r e y 5 E m j | ? z i t i n : zinnert (1982). Gewinnverteilung, S. 141.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

hier keine Beachtung zu finden. Zinnert selbst stellt fest, daß der aus den Beiträgen der Versicherungsnehmer finanzierte Substanzgewinn eines Versicherungsunternehmens in der Praxis in Form von Rückstellungen den Aktionären zuwächst. Deshalb fordert er, daß Obergrenzen für die Rückstellungen festzulegen sind, um Gewinnverschiebungen zu Lasten der Versicherungsnehmer zu vermeiden. 154 Infolge der starken Zunahme der von den Unternehmen gebildeten Reserven sah sich das BAV 1985 tatsächlich gezwungen, die zulässigen Rückstellungen für die Beitragsrückerstattung (RfB) der Höhe nach zu begrenzen. Die Lebensversicherer wurden außerdem aufgefordert, über diese Obergrenze hinausgehende Beträge innerhalb von maximal drei Jahren durch Sonderausschüttungen abzuschmelzen. 155 Eine zusätzliche Möglichkeit, hohe Rückstellungen zu begründen, ist die Verschiebung des Zeitpunktes der Überschußbeteiligung. Nachdem eine Zeitlang die Tendenz bestand, immer größere Teile der Überschußbeteiligung an das Ende der Laufzeit zu verlagern, schritt das BAV schließlich ein und begrenzte die zulässige Höhe der Schlußgewinnanteile. Dieses erschien notwendig, um die Belange der Versicherten zu wahren, die infolge von Tod oder Kündigung vor dem vorgesehenen Vertragsende ausscheiden und die daher nicht in den Genuß der ihnen am Ende der Laufzeit zustehenden Ausschüttungen kommen. 1 5 6 Stille Reserven Auch die Bildung und Auflösung von stillen Reserven ist eine wirksame Methode, um das ausgewiesene Jahresergebnis zu beeinflussen. 157 So sind beispielsweise Wertpapiere in der Bilanz eines Versicherungsunternehmens mit dem Markt- bzw. Börsenpreis anzusetzen, wenn dieser unter den Anschaffungspreis sinkt. Es ist jedoch nicht vorgeschrieben, bei steigenden Kursen diese niedrigen Bewertungen nach oben zu korrigieren. 158 Immobilien eignen sich zur Bildung stiller Reserven, da sie im Laufe der Zeit bis auf eine Mark

154 Zinnert (1982). Gewinnverteilung, S. 141-143; ähnlich: Surminski (1980). Wem gehören die stillen Reserven?, S. 117. 155

Wolff (1986). Auslese, S. 135.

156

VerBAV (1977), S. 248-249; VerBAV (1979), S. 45-46; VerBAV (1985),

S. 110. 157

Blaesius ( 1988). Bewertung, S. 160.

158

§ 56 Abs. 1 VAG, § 155 AktG; Ziegler (1975). Bilanzrecht und Bilanzpolitik,

S. 469.

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

8

Erinnerungswert abgeschrieben werden können, obwohl ihr Marktwert häufig stetig gestiegen w a r . 1 5 9 Infolge der zahlreichen Bewertungsmöglichkeiten brauchen also die in den Versicherungsbilanzen aufgeführten Werte der einzelnen Vermögensgegenstände nicht mit deren am Bilanzstichtag tatsächlich erzielbaren Marktpreisen übereinzustimmen, ohne daß die Höhe der stillen Reserven für Außenstehende feststellbar wäre. 1 6 0 Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel schätzte 1980, daß die stillen Reserven der Lebensversicherungsbranche in etwa dem Buchwert aller Vermögensanlagen der Branche entsprachen. 1 6 1 Die Bildung stiller Reserven führt bei Lebensversicherungsunternehmen dazu, daß erzielte Überschüsse nicht verursachungsgerecht an die Versicherten zurückerstattet werden, durch deren Beiträge sie ermöglicht wurden. Es ist daher erstaunlich, daß seitens des BAV keinerlei Maßnahmen ergriffen wurden, um die Belange der Versicherten in dieser Beziehung zu wahren. Die Zulässigkeit stiller Reserven bei Lebensversicherern ist umso unverständlicher, als für alle anderen Formen der Kapitalanlage durch das Kapitalanlagegesetz die Berücksichtigung aller Wertveränderungen in der aktuellen Bilanz verlangt wird. Da außerdem auch noch durch § 6 b EStG die erfolgsneutrale Überführung von stillen Reserven, die durch den Verkauf des entsprechenden Postens aufgedeckt wurden, auf neue, gleichartige Reinvestitionsobjekte ermöglicht wird, ist selbst bei der Veräußerung der Objekte nicht sichergestellt, daß die dabei realisierten Reserven zu einer höheren Überschußbeteiligung für die Versicherungsnehmer führen. 162 Wie Kühlmann in einer empirischen Untersuchung für

1 5 9

Blaesius (1988). Bewertung, S. 160. Ein eindrucksvolles Beispiel, wie von Autoren, die der Versicherungswirtschaft nahestehen, teilweise versucht wird, bestimmte Sachverhalte durch entsprechende Formulierungen zu beschönigen, liefert WEIGEL, wenn er schreibt: „Die Bilanzgrundsätze zwingen die Versicherer im Interesse des Kunden und des Produktschutzes, die Vermögensanlagen unter der Annahme ungünstiger Bedingungen offenzulegen" (Weigel (1988). Auswirkungen, S. 55). 160 Angerer (1975). Information durch Rechnungslegung, S. 7; Blaesius (1988). Bewertung, S. 163 m.w.N. 161 Ähnlich die Aussagen im Branchenblatt MAP-REPORT (zit. in: Henry (1992). Lohnt sich eine Kapital-Lebensversicherung?, S. 94; siehe auch: Surminski (1980). Wem gehören die stillen Reserven?, S. 117). 1 6 2 Blaesius (1988). Bewertung, S. 160; Sonderabschreibung: Interessenkonflikt (1989), S. 131. Diese Regelung wird nach Presseberichten in inoffiziellen Äußerungen selbst von Brancheninsidern als „unsinnig^ betrachtet (Sonderabschreibung: Interessenkonflikt (1989), S. 131).

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

1

den Zeitraum 1967 bis 1972 nachweist, wurden die Versicherten von ihren Unternehmen an den Wertsteigerungen der Vermögensanlagen insgesamt nur „in sehr geringem Maße" beteiligt. 163 Auch das in § 280 HGB neu in das allgemeine Rechnungslegungsrecht aufgenommene Wertaufholungsgebot, nach dem Aktiengesellschaften zuschreiben müssen, wenn der Grund für den niedrigeren Wertansatz wegfällt, braucht gemäß § 55 Abs. 4 VAG von Versicherungsunternehmen nicht angewendet zu werden. Durch diese Sonderregelung bleibt den Versicherungsunternehmen eine Aufdeckung ihrer stillen Reserven erspart. 164 Überhöhte Kosten Eine Besonderheit der Lebensversicherungsbranche ist, daß selbst hohe Kosten nicht zu Verlusten beim Unternehmen selbst fuhren, auch wenn sie auf mangelhafte Geschäftsführung zurückzufuhren sind. Stattdessen werden auf diese Weise entstandene Defizite in Form einer geringeren Überschußbeteiligung ausschließlich von den Versicherten des Unternehmens getragen. 165 Es ist nicht überraschend, daß die Versicherungsunternehmen größtenteils wenig Motivation zu sparsamem Wirtschaften zeigen. 1 6 6 Finsinger kam 1983 zu dem Ergebnis, daß die Durchschnittskosten 167 bei Lebensversicherungen 27 Prozent der Prämieneinnahmen betragen, während bei ähnlichen Leistungen Banken und Investmentfonds mit zwei bis drei Prozent, die Rentenversicherung mit 1,8 Prozent und Versicherungsunternehmen in Osteuropa mit acht Prozent auskommen. 1 6 8 Dabei dürften in den von Finsinger genannten Werten, die in etwa den

163

Kühlmann (1975). Beteiligung, S. 122-127. Aktuellere Untersuchungen zu diesem Thema liegen nicht vor. 164

Blaesius (1988). Bewertung, S. 160; Weigel (1990). Integrationsaufgaben, S. 34.

165

Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 25.

166

Eggerstedt (1987). Produktwettbewerb, S. 182; Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 355. Deutlich sichtbarer Ausdruck dieser Einstellung sind die im Sprachgebrauch auch „Versicherungspaläste'* genannten Firmengebäude vieler Versicherungsunternehmen (Thieltges (1990). Lebensversicherungen im Vergleich, S. 10). 167

Bei kleinen Versicherungssummen und langlaufenden Verträgen kann die Kostenquote auch leicht auf teilweise deutlich höhere Werte steigen, wobei die Zeitschrift Capital von Werten von bis zu 80 Prozent berichtet (Henry (1992). Lohnt sich eine Kapital-Lebensversicherung?. S. 94). 168 Finsinger (1983). Versicherungsmärkte, S. 19; ähnliche Werte bei: Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 116. Auch die Zeitschrift CAPITAL vermerkte bereits 1978, daß „die insgesamt ... hohen Kostensätze für den vergleichsweise einfachen und problemlosen Betrieb einer Lebensversicherung überraschen" (Bei gleichen Beiträgen ungleiche Leistungen (1978). S. 48).

6 Eifert

8

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

1985 erhobenen Zahlen von Capital entsprechen, 169 noch gar nicht alle Kosten der Lebensversicherer erfaßt sein, denn die Aufwendungen für die Kapitalverwaltung werden z.B. nicht bei den laufenden Verwaltungskosten berücksichtigt, sondern werden direkt aus den Erträgen der Kapitalanlagen bezahlt, so daß diese von vornherein niedriger ausgewiesen werden. 1 7 0 Die wichtigsten Kostenarten - die Vertriebs- und die Stornokosten - werden im folgenden kurz erläutert: Das in der Versicherungsbranche vorherrschende Denken in Zuwachsraten und Umsätzen, und der damit verbundene Drang nach Neugeschäft führt zu einem Wettbewerb um Außendienstmitarbeiter und treibt dadurch deren Provisionen und andere Vergütungen nach oben. 1 7 1 Zwar hat das BAV versucht, die Höhe der Abschlußprovisionen zu beschränken, war dabei aber nach eigener Einschätzung „nicht immer erfolgreich" 172 . Insbesondere in Phasen starker Expansion führen die überrechnungsmäßigen Abschlußkosten zu erheblichen Verlusten, was das BAV veranlaßte, eine Beteiligung der Aktionäre an diesen Kosten zu fordern. 173 Die Bemühungen des BAV blieben jedoch auch hier ohne Erfolg. 1 7 4 Die Frage, wie die überrechnungsmäßigen Abschlußkosten gerechtermaßen verteilt werden sollten, läßt sich letztlich zurückführen auf die Frage, welche Vorteile einem gegebenen Versichertenbestand aus dem laufenden Wachstum des Unternehmens erwachsen. Die Belastung des Bestands mit Kosten sollte gemäß dem Prinzip der Verursachungsgerechtigkeit auf keinen Fall den damit verbundenen möglichen Nutzen übersteigen. Die meisten Autoren gehen offensichtlich davon aus, daß eine Zunahme der Zahl der Versicherten auch für die bereits vorhandenen Versicherungsnehmer solche Vorteile bietet, daß es legitim ist, diese zum Ausgleich dafür „angemessen" an den Kosten eines lau-

169

Bertram/Schmitz (1985). Starkes Gefalle, S. 202-208.

170

Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 138.

171

Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 27.

172

Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 27. Dazu auch: Teil Β. I. 3. c) aa) (3).

173 Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 27; Vogel/Lehmann (1982). Überschußbeteiligung, S. 330. 174 Schreiben des BAV vom 18. Juni 1993. Eine Nachschußpflicht der Aktionäre wird teilweise als rechtlich unzulässige Forderung angesehen, da es sich bei der Aktiengesellschaft um eine Rechtsform mit beschränkter Haftung handle (Nachschußpflicht für Lebensversicherungsaktionäre? (1980), S. 93).

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

fenden Bestandswachstums zu beteiligen. 175 Blaesius begründet dieses z.B. damit, daß die neuen Verträge ebenfalls zu Überschüssen und damit zum verteilungsfähigen Gewinn beitragen. 176 Dem steht allerdings die Aussage der Versicherungswirtschaft entgegen, daß sich beim Kapitalanwartschaftssystem der privaten Lebensversicherung im Gegensatz zur Sozialversicherung jeder Vertrag von der Kalkulation her selbst trägt, daß also keine Form des Generationenvertrags oder ähnliche Umlageverfahren notwendig sind. 1 7 7 Eine Beteiligung des Bestands an den Akquisitionskosten des Neugeschäfts als Ausgleich für eine später zu erwartende Beteiligung der älteren Verträge an den Gewinnen, die durch die neuen Versicherungsnehmer ermöglicht werden, widerspricht deshalb in hohem Maße der Verursachungsgerechtigkeit, die u.a. vom BAV gefordert wird. In bezug auf die immer wieder als Vorteile eines ständigen Wachstums angeführten economies of scale in Form von Kostendegression und besserem Risikoausgleich 178 kommt Finsinger zu dem Ergebnis, daß dieser denkbare Nutzeneffekt nur bei sehr kleinen Unternehmen eintritt. 1 7 9 Selbst in diesen Fällen ist jedoch zu fragen, ob die Verluste, die dem Bestand infolge der Expansion entstehen, die möglichen Gewinne nicht überwiegen. Ein Abwälzen der überrechnungsmäßigen Abschlußkosten auf den Versicherungsbestand scheint dementsprechend - entgegen der herrschenden Meinung - in der Mehrheit der Fälle sachlich nicht gerechtfertigt zu sein. Stornokosten entstehen den Unternehmen, wenn die in Verbindung mit einem Vertragsabschluß anfallenden Kosten für Provisionen, Gesundheitsprüfungen und ähnliches höher sind als die Beiträge, die der Versicherungsnehmer bis zu seiner Kündigung einbezahlt h a t . 1 8 0 Die zu erwartenden Stornoverluste sind dementsprechend umso höher, je stärker ein Unternehmen expandiert und je weniger bestandsfest das Neugeschäft ist. 1 8 1

175

Z.B.: Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 139; Stöffler (1984). Markttransparenz, S. 180. 176

Blaesius (1988). Bewertung, S. 58 u. S. 165.

177

Hagelschuer ( 1991 ). Lebensversicherung, S. 22.

178

Blaesius (1988). Bewertung, S. 165.

179

Hierzu auch: Finsinger (1983). Versicherungsmärkte, S. 148.

180

Blaesius (1988). Bewertung, S. 166.

181

Tröbliger (1985). Informationsgehalt, S. 197.

6*

84

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt fiir Lebensversicherungen

Die Übertragung von Mitteln auf nicht-überwachte Konzernteile Um zu verhindern, daß die bei einem Lebensversicherungsunternehmen systembedingt reichlich vorhandenen finanziellen Mittel auf andere Unternehmensteile übertragen werden, statt - wie von der Aufsicht vorgeschrieben - den Versicherungsnehmern zugute zu kommen, wurde in Deutschland die oben bereits erwähnte Spartentrennung eingeführt. In der Praxis hatte diese Vorschrift zur Folge, daß sich Gruppen und Konzerne gebildet haben, die insgesamt ein aus verschiedenen Versicherungsarten bestehendes Produktprogramm anbieten. Dabei sind die Verbindungen so eng, daß diese Konzerne trotz der juristischen Selbständigkeit der einzelnen Mitglieder betriebswirtschaftlich als einheitliche Unternehmen aufzufassen sind. 1 8 2 Insbesondere die Zusammenarbeit mit den Rückversicherungsunternehmen ihres Konzernverbunds ermöglicht den Lebensversicherern auf einfache Weise eine Reduzierung ihrer Überschüsse. Durch überhöhte Rückversicherungsbeiträge werden beim überwachten Lebensversicherungsunternehmen Kosten verursacht, während die beim konzernverbundenen Rückversicherer entstehenden Gewinne nicht der Aufsicht unterliegen und daher dem Unternehmen zur freien Verfügung stehen. 183 Aus diesem Grund haben alle größeren Versicherungsgruppen einen Rückversicherer, der teilweise nur für eigene Konzerntöchter arbeitet. 1 8 4 Farny berichtet, daß in konzernfreien Unternehmen weniger Rückversicherung betrieben wird, woraus er schließt, daß bei den in einen Konzern eingebundenen Lebensversicherern aus anderen als versicherungstechnischen Gründen rückversichert w i r d . 1 8 5 Da die Aufsicht in erster Linie das GläubigerInteresse der Versicherten schützen will, drängt sie häufig sogar auf hohen RückVersicherungsschutz, 186 statt die auf diese Weise betriebene Gewinnverlagerung zu unterbinden.

182

Seng (1989). Informationen und Versicherungen, S. 214 m.w.N.

183

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 251; Wie in einer Bananenrepublik (1981), S. 83. Das Rückversicherungsunternehmen der Allianz, rechtlich der AllianzHolding zugeordnet, erzielt positive versicherungstechnische Ergebnisse (also aus Risikogeschäft ohne Kapitalerträge), was für einen Rückversicherer sehr ungewöhnlich ist. Es werden also offensichtlich Gewinne auf die Holding verlagert (Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 78). 184 Farny (1983). Die deutsche Versicherungswirtschafìt, S. 167; Krakowski (1988). Regulierung der Versicherungsmärkte, S. 466. 185

Farny ( 1961 ). Die Versicherungsmärkte, S. 113.

186

Gärtner ( 1980). Privatversicherungsrecht, S. 25 L Fußnote 16.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

Eine andere Form der Überschußreduzierung mit Hilfe der Rückversicherer besteht darin, daß die Lebensversicherungsunternehmen Beteiligungen an den konzernverbundenen Rückversicherungsunternehmen halten. Kommen diese aufgrund von Verlusten aus Geschäften mit anderen Unternehmen in die roten Zahlen, fuhrt dieses bei dem Lebensversicherungsunternehmen zu Abschreibungen auf die Beteiligungswerte, wodurch der Überschuß sinkt. Zusätzlich kam es nach Berichten des BAV teilweise auch noch zu ganz erheblichen Zahlungen einzelner Lebensversicherer an ihre konzernverbundenen Rückversicherer. Obwohl dieses eindeutig zu einer Verletzung der Belange der Versicherten führte, griff das BAV nicht e i n . 1 8 7 Auch durch entsprechend gestaltete Beteiligungsverkäufe innerhalb eines Konzerns, 188 durch die entgeltliche Inanspruchnahme von Leistungen verbundener Unternehmen oder die Ausgliederung einzelner Funktionen können Gewinne, an denen die Versicherten zu beteiligen sind, als Kosten in andere Konzernteile transferiert werden. 1 8 9 Zwar darf die Ausgliederung einzelner Funktionen auf fremde Gesellschaften nach den Bestimmungen des § 53 d (1) VAG nicht zur Bezahlung höherer Entgelte fuhren als den marktüblichen. Es ist jedoch ein „offenes Geheimnis", daß z.B. die im anspruchsvollen und schadensintensiven Industriegeschäft entstehenden, teilweise sehr hohen Verluste der Versicherungskonzerne überwiegend aus den Überschüssen der privaten

187

In den Jahren 1982 bis 1984 mußten die Lebensversicherten des Deutschen Herold Verluste von insgesamt 110 Mio. D M hinnehmen, mit denen der Herold-Rückversicherer gestützt werden mußte. Die Übertragung der Mittel erfolgte mit Genehmigung des BAV (Wolff (1988). Rückfällig, S. 21-22). 188

So verkaufte z.B. die Deutsche Ring Lebensversicherungs AG ihre Beteiligung an einer Konzerngesellschaft für 31 Mio. D M an die Konzernmutter, die Basler Versicherungs AG. Realistische Schätzungen gehen davon aus, daß der Marktwert der Beteiligung bei etwa 200-250 Mio. D M lag. Obwohl das BAV über die Hintergründe dieses Geschäfts informiert war, unternahm die Behörde nichts gegen diesen offensichtlichen Verstoß gegen die Belange der Versicherten. Im Gegenteil: da die Beteiligung beim Deutschen Ring nur mit 25 Mio. D M in den Büchern gestanden hatte, entstand durch den Verkauf zu 31 Mio. D M ein Buchgewinn von 6 Mio. DM, der mit ausdrücklicher Genehmigung des Präsidenten des BAV in Form einer Sonderdividende vollständig an die Muttergesellschaft Basler Versicherungs AG ausgeschüttet wurde (Meyer (1990). Versicherungs(un)wesen, S. 111-115). 189

Meyer (1990). Versicherungs(un)wesen, S. 136-137; Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 114.

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

8

Lebens- und Unfallversicherungen bezahlt werden. 1 9 0 Capital berichtet, daß Lebensversicherungsunternehmen, die bekanntermaßen Schwierigkeiten etwa bei der Sanierung maroder Konzerntöchter haben, ihre Versicherungsnehmer mit einer höheren Quote am erzielten Bruttoüberschuß beteiligen, um so einen Ausgleich fur die Versicherten fur einen geringeren Bruttoüberschuß zu schaffen. 1 9 1 Die Aussicht, von einem verringerten Gewinn immerhin einen etwas höheren Anteil zu erhalten, dürfte allerdings nur ein schwacher Trost für die betroffenen Versicherungsnehmer sein. Eine besonders weitreichende Form der Übertragung von Mitteln auf nichtüberwachte Konzernteile ist das Verfahren der sogenannten Konzerntrennung. Vorreiter bei diesem Verfahren war die Allianz Lebensversicherungs AG, die 1985 ihre kompletten Lebensversicherungsbestände zusammen mit der zur Einhaltung der Solvabilitätsanforderungen notwendigen Mindestausstattung an Kapital auf eine eigens gegründete Secunda Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH übertrug. Der große Rest des Kapitals blieb bei der alten Allianz Lebensversicherungs AG, die am selben Tag in Allianz Holding AG umbenannt wurde und damit nicht mehr der Aufsicht unterlag. Da die Secunda daraufhin sofort in Allianz-Lebensversicherung AG umbenannt wurde, dürften die meisten Versicherten bis heute nicht gemerkt haben, daß sie zwischenzeitlich bei einem anderen Unternehmen versichert waren. Zwar ist auf den ersten Blick für die Versicherungsnehmer alles beim alten geblieben, tatsächlich jedoch mußten sie einen auf zwei bis fünf Mrd. D M geschätzten Verlust an Aktiva hinnehmen. Diese Mittel können dementsprechend auch nicht mehr als Überschußbeteiligung an die Versicherten ausgeschüttet werden. 192 Mit den auf diese Weise erlangten Milliarden finanzierte die Allianz Holding dann ihre weltweite Expansion. 193 Ähnliche Ergebnisse zeigte 1988 die Umstrukurierung des Deutschen Herold, da ein Prozent der Bilanz mit Genehmigung des BAV nicht übertragen wurde. In diesem auf den ersten Blick geringen Anteil befanden sich verschiedene Beteiligungswerte im Gesamtwert von ca. 350 Mio. DM, die nun den etwa 25 privaten Besitzern und der Schweizer Rück gehören. 194 Ein

190

Sparen, Kredit, Versicherungen in Europa (1990), S. 13; Haller, Mathias zit. in: Köhler (1993). Psychologie des Risikos, S. 20. 191 192

Schmitz (1985). Rollgriff, S. 25-27.

Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, rungs(un)wesen, S. 201-202. 193 194

S. 76; Meyer

(1990).

Versiche-

Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 76.

Wolff (1988). Rückfällig, S. 21-22; Meyer (1990). Versicherungs(un)wesen, S. 166-177.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

ähnliches Vorgehen war zu diesem Zeitpunkt anscheinend auch für die Aachener und Münchner Lebensversicherungs AG geplant, bei der unter anderem eine italienische Investorengruppe durch die Herauslösung und den Verkauf von mit hohen stillen Reserven ausgestatteten Grundstücken aus dem zu den Aktiva gehörenden Volksfürsorge-Besitz hohe Gewinne realisieren wollte. Nur durch den vom Bund der Versicherten nachträglich erzwungenen Spruch der Beschlußkammer des BAV gegen die vom eigenen Präsidenten gebilligte Vorgehensweise des Deutschen Herold wurde dieses Vorhaben verhindert. 195

(b) Beeinflussung der Verteilung des ausgewiesenen Rohüberschusses Neben der Reduzierung des ausgewiesenen Rohüberschusses stehen den Versicherungsunternehmen weitere Möglichkeiten zur Verfügung, um die Beteiligung der Versicherungsnehmer an den mit Hilfe ihrer Beiträge erzielten Gewinnen zu beeinflussen. So kann ein Versicherungsunternehmen den Anteil des ausgewiesenen Ertrags, den es an die Gesamtheit der Versicherten zurückgibt, gemäß den Bestimmungen des BAV zumindest vorübergehend auf 90 Prozent begrenzen. Angesichts der Höhe der derzeitig erzielten Überschüsse können einem Unternehmen auf diese Weise durchaus nennenswerte Beträge zukommen. Auch bei der Verteilung der Überschüsse auf die einzelnen Versicherten verbleibt der Unternehmensführung ein nicht zu unterschätzender Spielraum, da die Verteilung des Gesamtanteils auf die einzelnen Abrechnungsverbände prinzipiell nicht völlig verursachungsgerecht erfolgen kann. Diesen Spielraum nutzen viele Versicherer, um ältere Tarife, die mittlerweile nicht mehr angeboten werden, systematisch zugunsten der gerade aktuellen Tarife zu benachteiligen. 1 9 6 Besonders im Falle einer Bestandsübertragung oder bei der Zusammenlegung von Beständen drohen den Versicherten hier Gefahren, denn die neuen Gesellschaften haben bei der Überschußverteilung relativ freie Hand und werden kaum bemüht sein, die neu hinzugekommenen Bestände besonders wohl-

195

Knipp (1989). Ein Verbraucherschützer brüskiert die Versicherungsbranche, S. 17; siehe dazu auch: Teil Β. II. 1. c). 196

Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 114. Auf den Zusammenhang zwischen dieser Vorgehensweise und der Berechnung der Beispielrechnungen der Unternehmen wird in Teil Β. I. 3. d) bb) (3) (a) zurückzukommen sein.

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

8

wollend zu versorgen. 197 Generell muß der Verbraucher beim Abschluß einer Kapital-Lebensversicherung immer damit rechnen, daß das unternehmensinterne Überschußbeteiligungssystem während der Vertragslaufzeit geändert wird und die beim Vertragsabschluß zugrundegelegten Erwartungen aus diesem Grund nicht erfüllt werden. 1 9 8

(5) Zwischenergebnis zur Regulierung der Überschußbeteiligung Das Ziel des BAV, mit Hilfe einer verursachungsgerechten und möglichst vollständigen Überschußbeteiligung die Rückzahlung zumindest eines Großteils der von den Versicherten aus Sicherheitsgründen vorher zuviel bezahlten Beiträge sicherzustellen, und damit die beiderseitigen Leistungen nachträglich anzugleichen, 199 wird in der Praxis nicht erreicht. Obwohl das Bundesaufsichtsamt mit verschiedenen Maßnahmen versucht, in dieser Beziehung die Belange der Versicherten zu wahren, verbleiben den Unternehmen zahlreiche Möglichkeiten, den Versicherungsnehmern nicht unerhebliche Teile der ihnen an sich zustehenden Mittel vorzuenthalten. 200 Obwohl dieses selbst nach Ansicht der Aufsicht nicht zulässig ist, 2 0 1 können Unternehmen die im Bereich des Risikos und der Kapitalanlagen fast zwangsläufig entstehenden hohen Überschüsse zur Deckung aller anfallenden Kosten verwenden. 202 Dieses Vorgehen ist nach Meinung führender Mitarbeiter des

197

Jacobs/Schmitz (1983). Güteklasse, S. 289. Anderer Ansicht ist hier Stöffler, nach dessen Meinung bei den Bestandsübertragungen die Ansprüche der Versicherten voll gewahrt werden konnten (Stöffler (1984). Markttransparenz, S. 119). Es ist jedoch zu vermuten, daß sich Stöffler auf den Anspruch der Versicherten auf die Versicherungssumme bezieht, nicht aber auf eine angemessene Überschußbeteiligung. 198

Schmitz/Thieltges (1986). Wieviel die Versicherer zahlen, S. 100.

199

Bischoff (1969). Angemessenheit, S. 59.

2 0 0

Diederich (1984). Markttransparenz, S. 21; Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 189; Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 262; anders nur Ziegler. er sieht wenig Möglichkeiten für Bilanzmanipulationen (Ziegler (1975). Bilanzrecht und Bilanzpolitik, S. 467-470), ohne aber zu überzeugen (so auch die Einschätzung von: Blaesius (1988). Bewertung, S. 179). Ziegler unterscheidet zu wenig zwischen „ein Kaufmann sollte nicht" und „ein Kaufmann tut tatsächlich nicht**. 2 0 1 2 0 2

Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 23.

Bundestagsdrucksache 9/1493 vom 24.3.1982, S. 27. Anders dazu Hagelschuer. in „wirtschaftlichen Extremsituationen^ soll es angeblich legitim sein, daß die Versiehe-

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

Bundesaufsichtsamtes mit der Wahrung der Versicherten genausowenig in Einklang zu bringen wie die Verringerung des ausgewiesenen Überschusses durch überhöhte Rückstellungen, Bildung stiller Reserven oder versteckte Gewinntransfers auf nichtüberwachte Konzernteile. 203 Daß derartige Praktiken dennoch nicht wirkungsvoll unterbunden werden, liegt daran, daß die der Behörde zur Verfugung stehenden rechtlichen Mittel nach Aussage ihrer Mitarbeiter in vielen Fällen nicht ausreichen, „um die Belange der Versicherten auch insoweit zu wahren, daß die den Versicherungsnehmer zustehenden Überschüsse aus dem Risikoverlauf und den Kapitalanlagen diesen auch tatsächlich ungeschmälert zugute kommen" 2 0 4 . In der Praxis scheint es daher so zu sein, daß die Entstehung und Verwendung der Überschüsse „in weitem Bereich dem freien Handlungsspielraum der Unternehmen überlassen" 205 sind, und die Versicherungsunternehmen letztlich lediglich den Gewinn ausweisen, den sie ausweisen wollen. Dieser wird im allgemeinen recht niedrig sein, um keine Begehrlichkeiten von Versicherten, Finanzamt und Aktionären zu wecken. 2 0 6 Allein die Aufsichtstätigkeit des BAV kann also nicht sicherstellen, daß das in Deutschland praktizierte System der Einheitsprämie mit Überschußbeteiligung für die Versicherungsnehmer tatsächlich zu einer treuhänderischen Verwaltung der Beiträge durch die Versicherungsunternehmen führt. Inwieweit andere Mechanismen bestehen, die die Wahrung der Belange der Versicherten sicherstellen, wird im weiteren Verlauf der Arbeit untersucht werden.

dd) Regulierung des Rückkaufswertes Neben der Zahlung im Versicherungsfall oder zum Zeitpunkt des Vertragsendes gibt es noch eine weitere Größe, die bei der Untersuchung der einzelnen Leistungskomponenten einer Kapital-Lebensversicherung zu beachten ist. Es handelt sich hierbei um den sogenannten Rückkaufswert. Darunter wird derjenige Geldbetrag verstanden, der dem Versicherten gemäß § 176 Abs. 1 VVG aus-

rungsunternehmen auf diese Überschüsse zurückgreifen (Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 139). 2 0 3

Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 25.

2 0 4

Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 25.

2 0 5

Stöffler ( 1984). Markttransparenz, S. 104.

2 0 6

Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 100.

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

bezahlt wird, wenn er seinen Lebensversicherungsvertrag vorzeitig beendet. 207 Die Höhe dieser Rückvergütung entspricht der Höhe des sogenannten Dekkungskapitals, das das Lebensversicherungsunternehmen aus dem Teil der Beiträge gebildet hat, die es nicht für vorzeitige Versicherungsfälle und Kosten verbraucht hat. Diese Summe wird häufig außerdem noch um einen sogenannten Stornoabzug verringert. 208 Dieser betrug früher bis zu fünf Prozent des Deckungskapitals, so daß der absolute Abzug umso höher war, je länger der Vertrag lief. Das Verfahren wurde mittlerweile so umgestellt, daß heute ein Prozentsatz des riskierten Kapitals (Versicherungssumme minus Deckungskapital) abgezogen w i r d . 2 0 9 Großen Einfluß auf die Höhe des Rückkaufswertes hat vor allem das derzeitig weitgehend übliche Verfahren der Einmalprovision, nach dem die Vergütung des Vermittlers bei Abschluß des Versicherungsvertrags oder im ersten Versicherungsjahr in Form einer einmaligen Leistung und sofort in voller Höhe zahlbar i s t . 2 1 0 Nach einem Zillmerung 211 genannten Verfahren wird diese Provisionszahlung dem Versicherungsnehmer bis zu der vom BAV festgelegten Obergrenze zu Beginn der Vertragslaufzeit kalkulatorisch in Rechnung gestellt, so daß der Versicherte erst einmal in Höhe dieser sogenannten rechnungsmäßigen Abschlußkosten bei seinem Versicherungsunternehmen buchungstechnisch in der Schuld steht. Um zu verhindern, daß die Versicherten durch diese Regelung über Gebühr belastet werden, hat das BAV bereits 1929 diese rechnungsmäßigen Abschlußkosten auf maximal 35 Promille der Versicherungssumme begrenzt. 212 Sämtliche Beitragsanteile des neuen Kunden, die das Versicherungsunternehmen nicht zur Deckung der vorzeitigen Versicherungsfälle oder seiner Verwaltungskosten benötigt, werden nun zunächst verwendet, um diese Schuld des Versicherungsnehmers bei dem Unternehmen zu tilgen. Erst wenn das negative Guthaben aufgefüllt ist, werden die Beiträge zum Aufbau eines positiven Dek-

2 0 7

Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 155.

2 0 8

Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 245; Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 85-86. 2 0 9

Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 173.

2 1 0

Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 637.

2 1 1

So genannt nach dem Versicherungsmathematiker Zillmer, der dieses Verfahren entwickelte. 2 1 2

Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 139-140.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

1

kungskapitals verwendet. 213 Trotz der Begrenzung der rechnungsmäßigen Abschlußkosten dauert es bei vielen Unternehmen bis zu drei Jahre, bis der neue Versicherungsnehmer sein negatives Deckungskapital ausgeglichen hat und anfängt, ein Sparguthaben aufzubauen. 214 Das bedeutet aber auch, daß er erst ab diesem Zeitpunkt eine Verzinsung seiner Beiträge erhält. 215 Bis zu der 1987 durchgeführten Tarifreform hatte der Versicherungsnehmer erst nach einer Frist von drei Jahren oder mindestens einem Zehntel der gesamten Beitragszahlungsdauer überhaupt einen Anspruch auf einen Rückkaufswert. 2 1 6 Seit dieser Änderung müssen die Unternehmen sich für eines von zwei möglichen Verfahren entscheiden. Entweder der Versicherungsnehmer erhält ab dem ersten Jahr mindestens 50 Prozent der von ihm bis dahin entrichteten Beiträge, oder er bekommt zwar im ersten Jahr nichts, dafür aber ab dem zweiten Jahr mindestens 65 Prozent der bereits einbezahlten Summe. 217 Diese Maßnahme des BAV verbesserte zwar die Rückkaufswerte der ersten Jahre, an dem prinzipiellen Sachverhalt ändert sie jedoch nichts. So gibt es nach wie vor Versicherungsgesellschaften, bei denen ein Versicherungsnehmer selbst bei einer Kündigung nach sieben Jahren noch einen Verlust von bis zu 25 Prozent der bis dahin einbezahlten Beiträge erleidet. 218

ee) Regulierung der Serviceleistungen Auch die Serviceleistungen eines Lebensversicherers sind Teil der Gesamtleistung, die einem Versicherungsnehmer geboten werden. Dabei ist zunächst festzustellen, daß es keine allgemein anerkannte Vorstellung darüber gibt, „was Service beziehungsweise Kundendienst im Zusammenhang mit Versicherungen

2 1 3

Thieltges (1990). Lebensversicherungen im Vergleich, S. 85; Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 205 m.w.N. 2 1 4

Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 155.

2 1 5

Sparen, Kredit, Versicherungen in Europa (1990), S. 16.

2 1 6

Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 87; Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 172. 2 1 7

Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 245; Blaesius (1988). Bewertung, S. 133; Pressestelle des Verbandes der Lebensversicherungs-Unternehmen e.V. (1986). Jahrbuch 1986, S. 10. 2 1 8

Thieltges (1990). Lebensversicherungen im Vergleich, S. 255; Blaesius (1988). Bewertung, S. 131.

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

i s t " 2 1 9 . Auch wenn Blaesius zahlreiche Unterpunkte nennt, die von der Qualität der Beratung bis zur Schnelligkeit der Regulierung im Versicherungsfall reichen, 2 2 0 konkretisiert sich Service nach überwiegender Ansicht der Literatur und vor allem auch in der Praxis vor allem als persönliche Betreuung der Versicherungsnehmer durch einen Außendienstmitarbeiter. 221 Da derartige Serviceleistungen der Versicherungsunternehmen im allgemeinen nicht Bestandteil der vertraglichen Vereinbarungen sind, unterliegen sie auch nicht der Bedingungskontrolle im Rahmen der Regulierung der Produktpolitik. Sie fallen vielmehr in den Bereich der Distributions- und der Kommunikationspolitik, 222 so daß es sinnvoll erscheint, sie im Rahmen der beiden nächsten Abschnitte zu untersuchen.

ff) Zwischenergebnis zur Produktpolitik Wie gezeigt wurde, greift das BAV im Rahmen seiner Aufsichtstätigkeit mit verschiedenen Zielsetzungen teilweise erheblich in die Produktpolitik der Versicherungsunternehmen ein. Eines der Anliegen des Aufsichtsamtes ist es, durch die Bedingungskontrolle die Angebote der einzelnen Unternehmen soweit zu standardisieren, daß sich der Wettbewerb nur noch über den Preis abspielt. 2 2 3 Dieses Konzept weist jedoch gerade bei Kapital-Lebensversicherungen gravierende Schwächen auf. Schon weil sich mittlerweile „eine Vielzahl von Lebens Versicherungstypen herausgebildet" 224 hat, dürfte in der Praxis die Transparenz für einen durchschnittlichen Verbraucher selbst dann recht gering bleiben, wenn innerhalb einer Lebensversicherungsart einheitliche Bedingungen verwendet werden. Hinzu kommt, daß auch einheitliche AVB für die Versicherungsnehmer infolge ihrer juristischen Formulierungen größtenteils unverständlich und damit intransparent bleiben. Davon abgesehen weichen die Angebote der einzelnen Unternehmen selbst innerhalb einer bestimmten Produktvariante teilweise stark voneinander ab, da sie zwar weitgehend einheitliche AVB

2 1 9

Henry (1977).Versicherungskundendienst heute und morgen, S. 305.

2 2 0

Blaesius (1988). Bewertung, S. 198.

2 2 1

Garbe (1975). Versicherungsvermittlergewerbe, S. 102; Vogel (1978). Versicherungsvermittler, S. 23; Blaesius (1988). Bewertung, S. 196. 2 2 2

Seng (1989). Informationen und Versicherungen, S. 212.

2 2 3

Angerer (1985). Grundlinien der Versicherungsaufsicht, S. 19.

2 2 4

Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 200; ähnlich: Diederich (1984). Markttransparenz, S. 6.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

haben, sich aber hinsichtlich der Gestaltung ihres Systems der Überschußbeteiligung erheblich unterscheiden können. 2 2 5 In diesem Zusammenhang ist Diederich zuzustimmen, der vermutet, „daß die von den einzelnen Unternehmen vorgenommenen Abwandlungen mehr der Verschleierung der Markttransparenz dienen als der Befriedigung der Verbraucherbedürfnisse" 226. Insgesamt bleibt daher festzustellen, daß die Maßnahmen des BAV nicht zu der erhofften Markttransparenz geführt haben. 227 Ein weiterer Grundfehler in der Konzeption des Bundesaufsichtsamtes besteht darin, daß es gerade bei Lebensversicherungen selbst bei völlig einheitlichen Versicherungsangeboten keinen direkten Preiswettbewerb geben könnte, da ja die Prämien ebenfalls reguliert und daher bei allen Unternehmen trotz individueller Leistungsunterschiede weitgehend gleich sind. 2 2 8 Wettbewerb kann sich also nur um die von den Unternehmen als Ergänzung zur vereinbarten Versicherungssumme ausbezahlte Überschußbeteiligung entwickeln, bei der sich die verschiedenen Anbieter in Form und Höhe ihrer Leistungen unterscheiden. 2 2 9 Voraussetzung für Wettbewerb ist aber, daß die am Ende der Vertragslaufzeit gewährten Überschußbeteiligungen für Versicherungsinteressenten bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vergleichbar sind. 2 3 0 Auf jeden Fall entstehen für die Nachfrager hier Informationskosten, da sie Informationen über die zu erwartenden Überschußbeteiligungen einholen müssen. 231 Dieser Aufwand wird durch die vom BAV zugelassene Vielzahl unternehmensindivi-

2 2 5

Überblick in: Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 192-196.

2 2 6

Diederich (1984). Markttransparenz, S. 7.

2 2 7

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 225; Kirchner (1982). Trügerische Sicherheit, S. 122; Diederich (1984). Markttransparenz, S. 6; Müller-Lutz (1991). Allgemeine Versicherungslehre, S. 422. An anderer Stelle der Versicherungsenzyklopädie wird dagegen die Meinung vertreten, daß ..die vom B A V veröffentlichten Musterbedingungen ... wesentlich zur Markttransparenz bei(tragen)" (Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 64). 2 2 8

Lorenz (1983). Auskunftsansprüche, S. 5.

2 2 9

Blaesius (1988). Bewertung, S. 99; Gäfgen/Endres (1989). Die ökonomische Perspektive, S. 20. 2 3 0 231

Finsinger (1983). Versicherungsmärkte, S. 38.

Gäfgen/Endres (1989). Die ökonomische Perspektive, S. 20. Auf die Frage, ob derartige Informationen überhaupt in ausreichend zuverlässiger Form vorliegen, wird im Rahmen der Untersuchung der Kommunikationspolitik der Unternehmen zurückzukommen sein. Dazu: Teil Β. I. 3. d) bb) (3) (a).

4

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

dueller Überschußbeteiligungssysteme zusätzlich vergrößert, denn diese erschweren den Überblick fur die Versicherungsinteressenten erheblich. 2 3 2 Die Verpflichtung der Lebensversicherer, ihre Bedingungswerke vorab vom BAV genehmigen zu lassen, soll schließlich auch noch einen prophylaktischen Schutz der Versicherungsnehmer vor sogenannten „Mogelpackungen" ermöglichen, indem AVB, die offensichtlich gegen geltendes Recht verstoßen oder auf andere Art und Weise die Belange der Versicherten unangemessen zu verletzen drohen, von vornherein verhindert werden. Wie bereits dargestellt wurde, könnte sich daraus auch eine Reduzierung der Informationskosten der Verbraucher ergeben, da diese sich auf eine Mindestqualität der Versicherungsbedingungen verlassen können. Die Beurteilung des Erfolgs der Aufsichtsbemühungen um einen Mindestschutz der Versicherungsnehmer hängt letztlich vor allem von der Frage ab, wie stark die Belange der Versicherten verletzt sein dürfen, bevor man von einer „Mogelpackung" spricht. Bedenkt man z.B. die erheblichen Verluste, die Versicherungsnehmer im Falle einer Kündigung ihres Vertrags in Kauf nehmen müssen, dann fällt es bereits schwer, eine angemessene Vertretung der Verbraucherinteressen zu bejahen. Noch bedenklicher erscheint in diesem Zusammenhang die Regelung der Überschußbeteiligung. Hätte die Aufsichtsbehörde tatsächlich eine verursachungsgerechte Beteiligung der Versicherten an den Überschüssen sicherstellen wollen, so hätte sie beispielsweise keine Bedingungswerke genehmigen dürfen, die den Umfang der Überschußbeteiligung von der Höhe des insgesamt ausgewiesenen Rohertrags abhängig macht. Vielmehr hätte eine getrennte Abrechnung der drei Rechnungsgrundlagen gefordert werden müssen, so daß Verluste in einem Bereich nicht einfach mit den in anderen Teilen anfallenden Überschüssen saldiert werden könnten, sondern von den Aktionären des Unternehmens getragen werden müßten. Daß die herrschende Regelung die Belange der Versicherten nicht wahrt, ist auch dem BAV

2 3 2

Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 26. Ob es in diesem Zusammenhang tatsächlich angemessen ist, Maßnahmen zur sichereren Beteiligung der Vesicherten an den ihnen zustehenden Überschüssen zurückzustellen, um „die unternehmerische Gestaltungsfreiheit der Versicherer in notwendigem Umfang" zu erhalten und den historisch gewachsenen Überschußbeteiligungssystemen Rechnung zu tragen, wie LORENZ fordert (Lorenz (1983). Auskunftsansprüche, S. 10), darf aus Verbrauchersicht doch zumindest bezweifelt werden. A u f die Möglichkeit, daß die unterschiedlichen Ausgestaltungen vor allem dazu dienen, den Versicherungsinteressenten den Vergleich verschiedener Anbieter zu erschweren, wurde oben schon hingewiesen. Ähnlich auch: Gärtner (1984). Versicherungen, S. 514-516.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

bewußt, wie spätestens ein Artikel des zuständigen Abteilungsleiters zeigt, in dem dieser 1989 eine Neuregelung der Überschußbeteiligung fordert. 233 Weshalb das Aufsichtsamt dennoch jahrzehntelang keinerlei konkrete Änderungen vorgenommen hat, bleibt angesichts der vom BAV selbst in Anspruch genommenen Rolle als Verbraucherschutzbehörde unerklärlich. Angesichts der zahlreichen Möglichkeiten der Unternehmen, die Überschußbeteiligung der Versicherungsnehmer zu verringern, beschränkt sich das von der Aufsicht sichergestellte Mindestschutzniveau letztlich auf die Garantie, daß das Versicherungsunternehmen im Leistungsfall zahlungsfähig i s t . 2 3 4 Bei einer Kapital-Lebensversicherung kann der Kunde damit immerhin sicher sein, am Vertragsende eine Verzinsung des Sparanteils seiner Beiträge in Höhe des Rechnungszinsfußes von derzeit 3,5 Prozent zu erhalten, was einer Gesamtrendite von etwas über zwei Prozent entsprechen dürfte. Darüber hinausgehende Leistungen sind von den bisherigen Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes nicht gewährleistet. Daraus ergibt sich für die Verbraucher nur dann kein Nachteil, wenn es tatsächlich, wie immer wieder unterstellt w i r d 2 3 5 , zu einem Wettbewerb mit der Beitragsrückvergütung kommt und die Unternehmen aufgrund entsprechenden Wettbewerbsdrucks von sich aus bemüht sind, möglichst hohe Überschußbeteiligungen auszuschütten. 236 Alles in allem muß das Ergebnis der Regulierung der Versicherungsbedingungen durch das Bundesaufsichtsamt kritisch bewertet werden. Mit ihren massiven Eingriffen in die Produktpolitik der Unternehmen erreicht die Behörde nur ein insgesamt unzureichendes Mindestschutzniveau. Statt dessen verhindert ihre Forderung nach einheitlichen Bedingungen weitgehend, daß es zu Innovationen und damit zu einem Wettbewerb um bessere Problemlösungen kommt. 2 3 7 Die bisherige Aufsichtspraxis führt also dazu, daß zugunsten der Sicherstellung eines letztlich aus Verbrauchersicht wenig befriedigenden Ein-

2 3 3

Claus (1980). Aktuelle Probleme, S. 25; Claus (1989). Die Mindestbeteiligung der Versicherten, S. 225-232 u. S. 262-263. 2 3 4

Finsinger (1983). Versicherungsmärkte, S. 34.

2 3 5

Lorenz (1983). Auskunftsansprüche, S. 5.

2 3 6

Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 185. 2 3 7 Dazu ausführlich: Eggerstedt (1987). Produktwettbewerb, S. 111-117; siehe auch: Finsinger (1983). Versicherungsmärkte, S. 26; Krakowski (1988). Regulierung der Versicherungsmärkte, S. 447 u. S. 475; Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 123-124.

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

heitsniveaus die Möglichkeit, durch Produktwettbewerb bedarfsgerechtere und verbraucherfreundlichere Bedingungswerke zu erhalten, nahezu vollständig unterbunden w i r d . 2 3 8 Nachdem der Wettbewerb um günstigere Prämien und bessere Problemlösungen infolge der Regulierungsmaßnahmen weitgehend ausgeschlossen wurde, bleibt zu prüfen, ob wenigstens durch funktionierenden Wettbewerb um hohe Überschußbeteiligungen das Interesse der Verbraucher an einem möglichst guten Preis-Leistungs-Verhältnis gewahrt wird. In den folgenden Kapiteln soll daher untersucht werden, welche Vorschriften die Aufsichtsbehörde hinsichtlich des Vertriebs von Lebensversicherungen und die von den Anbietern ausgehenden Informationen macht und wie sich diese Regulierung auf den Wettbewerb zwischen den Versicherungsunternehmen auswirkt.

c) Die Distributionspolitik In Anlehnung an Kuhlmann sollen unter Versicherungsvertrieb alle Maßnahmen und Institutionen verstanden werden, die den Mitgliedern privater Haushalte Besitz und Eigentum an Versicherungen verschaffen. 239 Dabei sind vor allem die Regulierungen von besonderer Relevanz, die den Bereich der Absatzwege betreffen; aber auch die Vorschriften bezüglich des Widerrufs- und Kündigungsrechtes fallen unter diesen Oberbegriff. Kennzeichnend für den deutschen Lebensversicherungsmarkt ist eine sehr enge Beziehung zwischen der Distributions- und der Kommunikationspolitik der Versicherungsunternehmen, da - wie noch zu zeigen sein wird - beide Funktionen im wesentlichen durch Versicherungsvermittler wahrgenommen werden. Dementsprechend unterliegen beide Bereiche auch ähnlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Sowohl für den Vertrieb als auch für die Anbieterinformationen gilt, daß neben den Regulierungen im Rahmen der materiellen Staatsaufsicht vor allem die Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb relevant sind. Da sich außerdem auch noch die branchen-internen

2 3 8

Dieses wird allerdings vom BAV immer wieder bestritten (Rieger (1981). Innovation, S. 181-192; Hohlfeld (1991). Die Zukunft des Verbraucherschutzes, S. 1497; Müller (1991). Versicherer, Vermittler und Kunde unter den neuen Rahmenbedingungen der Versicherungsaufsicht, S. 6; Angerer (1985). Grundlinien der Versicherungsaufsicht, S. 19). 2 3 9

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 199.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes 24 Wettbewerbsrichtlinien der VersicherungsWirtschaft ® mit diesem Bereich befassen, unterliegt die Branche insgesamt einem „dreigeteilten" Wettbewerbsrecht, 2 4 1 dessen einzelne Komponenten im folgenden näher erläutert werden sollen.

Auf der ersten Stufe, den allgemeinen gesetzlichen Grundlagen, sind für die Versicherungsbranche vor allem die Generalklauseln der Paragraphen eins und drei UWG und verschiedene Regelungen des HGB und des BGB relevant. 242 Für die Einhaltung dieser für die Versicherungsunternehmen und die Vermittler gleichermaßen geltenden Vorschriften sind die ordentlichen Gerichte zuständig.243 Die Durchführung und Kontrolle der aufsichtsrechtlichen Anordnungen als zweite Stufe der Regulierung erfolgt dagegen auf der Grundlage des VAG durch das Bundesaufsichtsamt. Dabei werden vor allem die allgemeinen Bestimmungen des UWG durch Rechtssetzungen und Verwaltungsakte der Versicherungsaufsichtsbehörden konkretisiert und „verdichtet", wobei eine ständige Tendenz zu Sonderregelungen für die Versicherungswirtschaft festzustellen ist, die sich meistens in der Form zusätzlicher Wettbewerbseinschränkungen äußert. 2 4 4 Die Maßnahmen des BAV beziehen sich nahezu ausschließlich auf die Versicherungsunternehmen, während die Vermittler bis auf wenige Ausnahmen keiner direkten Überwachung durch die Behörde unterliegen. Die dritte Stufe ergibt sich aus den Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft. Diese 1967 als autonomes Verbandsrecht zwischen dem Gesamtverband der Versicherungswirtschaft e.V. und den Fachverbänden, dem Bundesverband der Geschäftstellenleiter der Assekuranz e.V. und dem Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute e.V. vereinbarten Regelungen konkretisieren zunächst die Vorschriften des UWG für das Versicherungswesen, kodifizieren zusätzlich die relevanten Aufsichtsvereinbarungen und schaffen schließlich noch eine Art Standesrecht der Versicherungsunternehmen. In

2 4 0

Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, abgedruckt bei Schmidt/ Frey (1983). Prölss Versicherungsaufsichtsgesetz, § 81 VAG, Anhang I, Rdnr. 8. 241

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 202.

2 4 2

Ausführlicher dazu: Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 202.

2 4 3

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 202.

2 4 4

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 337-339. Dementsprechend wird dem BAV immer wieder vorgeworfen, den Wettbewerb zu sehr zu beschränken (Schmidt (1991). Versicherungsaufsichtsrecht, S. 618). 7 Eifert

8

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

dieses wurden auch Tatbestände aufgenommen, die an sich keine unerlaubte Wettbewerbshandlung darstellen, aber in den Augen der Beteiligten „unerwünscht oder unfair" sind. 2 4 5 Träger dieser Vereinbarungen sind ausschließlich die beteiligten Unternehmensverbände, da die ebenfalls an der Formulierung beteiligten Vermittlerverbände nach § 102 GWB als Träger ausscheiden. 246 Ziel der Wettbewerbsrichtlinien soll es sein, den Wettbewerb der Branche zu ordnen und unlauteren Wettbewerb zu bekämpfen. 247 Die Vereinbarungen sind nicht allgemeinverbindlich, sondern nur für die beteiligten Verbände und deren Mitglieder relevant. 248 Da jedoch die meisten Agenturverträge die Gültigkeit der Wettbewerbsrichtlinien für den Vermittler festschreiben, sind zumindest die selbständigen Einfirmenvertreter (im Gegensatz zu den vertraglich nicht gebundenen Maklern) überwiegend an die Vorschriften gebunden. 249 Farny spricht davon, daß auf diese Weise „ein spezifisches Wettbewerbsrecht für den Versicherungsmarkt entwickelt" wurde, „das bestimmte Verhaltensweisen beim Absatz fördert, andere verhindert oder einschränkt oder erwünschte Verhaltensweisen empfiehlt" 2 5 0 . Im Gegensatz zum Bundeskartellamt hatte das BAV keine Bedenken gegen diese Richtlinien. 251 Teilweise wird bemängelt, daß viele Regelungen der Wettbewerbsrichtlinien vor allem zur Reduzierung des Wettbewerbs beitragen, indem beispielsweise die Abwerbung von Kunden unterbunden und Angebotsvergleiche erschwert werden. 2 5 2 Auch die Rechtsprechung hat in letzter Zeit kritisch zu Teilen der Vereinbarungen Stellung genommen. Mit der Begründung, daß einzelne Passagen den Leistungswettbewerb nicht fördern, sondern beschränken, entschied das Oberlandesgericht Hamm, daß die Wettbewerbsrichtlinien auch für Mitglieder der beteiligten Verbände nicht grundsätzlich als verbindlich anzusehen sind. 2 5 3

2 4 5

Doerry/Stech (1991). Wettbewerbsrecht, S. 852; Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 205 u. S. 207. 2 4 6

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 207.

2 4 7

Garbe (1975). Versicherungsvermittlergewerbe, S. 110.

2 4 8

Doerry/Stech (1991). Wettbewerbsrecht, S. 852.

2 4 9

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 212-213.

2 5 0

Farny (1971). Absatzpolitik, S. 10.

2 5 1

GB BAV 1977), S. 32-33.

2 5 2

Reifner (1987). Versicherungsvermittlung, S. 96-97.

2 5 3

OLG Hamm (4 U 77/88) vom 12.1.1989, zit. in: Bestandsschutz bei Versicherungen (1989), S. 17.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

aa) Regulierung der Vertriebswege (1) Zulassung der Vermittler Zur Ausübung eines Berufes, der sich mit dem Vertrieb von Versicherungen beschäftigt, ist in Deutschland weder der Nachweis einer Mindestqualifikation noch eine spezielle Zulassung erforderlich. 254 Es existiert also weder eine vorgeschriebene Prüfung noch eine Lizenz fur Versicherungsvermittler. 255 Damit entspricht die Situation der Forderung der Verbände der deutschen Versicherungsunternehmen, die die Einrichtung einer öffentlich-rechtlichen Berufsordnung fur Versicherungsvermittler - „trotz deren beträchtlicher Nähe zu anderen Sachwaltern wie Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern" 256 - als weder zweckmäßig noch erforderlich, und zudem mit der deutschen Wirtschaftsverfassung kaum vereinbar ablehnen. 257 Allerdings hat das BAV verschiedene Anordnungen bezüglich der Frage erlassen, welche Personen von den Versicherungsgesellschaften als Versicherungsvermittler akzeptiert werden dürfen. So ist es beispielsweise generell nicht zulässig, daß Angehörige freier Berufe nebenberuflich Versicherungen vermitteln, weil befurchtet wird, daß es dadurch zu Interessenkonflikten kommen könnte. Auch andere berufsfremde Vermittler werden beanstandet, wenn die Gefahr besteht, daß die gleichzeitige Ausübung des normalen Berufes und der Versicherungsvermittlung die Belange der Versicherten gefährden könnte. 2 5 8 Außerdem verlangt das BAV von den Versicherungsunternehmen, daß sie Bewerber, die als Außendienstmitarbeiter oder Vermittler arbeiten wollen, auf ihre Zuverlässigkeit hin überprüfen. Um die Belange der Versicherten und auch der Versicherungsinteressenten nicht zu gefährden, dürfen im Bereich der Versicherungsvermittlung und des Versicherungsaußendienstes „unzuverlässige" Personen nicht tätig werden. Deshalb müssen sich die Unternehmen von allen hauptberuflichen Vermittlern, also auch von Mitarbeitern von Vermittlungsge-

2 5 4

Müller (1991). Versicherer, Vermittler und Kunde unter den neuen Rahmenbedingungen der Versicherungsaufsicht, S. 2; Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 693; Gärtner ( 1980). Privatversicherungsrecht, S. 198 m.w.N. 2 5 5

Jung (1988). Who's who im Außendienst, S. 42. 256 Werber (1990). Anforderungen an den Versicherungsmakler, S. 26. 2 5 7

Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 694.

2 5 8

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 97-99 m.w.N.

7*

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

sellschafiten und von Versicherungsmaklern, ein Führungszeugnis vorlegen las-

In diesem Zusammenhang ist auch die von der Branche selbst eingerichtete Auskunftsstelle über den Versicherungsaußendienst e.V. (AVAD) zu erwähnen, bei der die Versicherungsunternehmen Informationen über einzustellende und ausscheidende Außendienstmitarbeiter einholen und abgeben können und soll e n . 2 6 0 Durch „strenge Anforderungen an die Bewerber" wollen die Verbände der Versicherer in eigener Regie dafür sorgen, daß die vom BAV geforderte „Reinhaltung des Versicherungsaußendienstes" sichergestellt ist. 2 6 1 Zwar werden die Unternehmen nicht verbindlich aufgefordert, Informationen beim A V A D einzuholen, und sie sind auch nicht verbindlich angehalten, einschlägig vorbestrafte Bewerber abzulehnen. 262 Bei Unterlassung laufen die Vorstände jedoch Gefahr, im Falle von neuen Straftaten nach § 93 AktG und § 34 VAG persönlich auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden. 2 6 3 Daß diese Gefahr nicht nur rein theoretischer Natur ist, zeigt die Höhe der von Versicherungsvermittlern jährlich veruntreuten Summen. Obwohl bei den Summen, die von den Versicherungsunternehmen an das BAV gemeldet werden, von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist, erreichen diese in manchen Jahren zweistellige Millionenbeträge. 264 Zu den Bemühungen der Versicherer, branchenintern dafür zu sorgen, daß „nur persönlich einwandfreie und fachlich geeignete Vermittler tätig werd e n " 2 6 5 , ist kritisch anzumerken, daß beispielsweise Versicherungsvermittlungsgesellschaften (also z.B. Sonderorganisationen) überhaupt erst seit 1993 am Auskunftsverkehr der A V A D teilnehmen können. 2 6 6 Außerdem gibt es Hinweise darauf, daß keineswegs in allen Fällen bei der Aufnahme neuer Be-

2 5 9

VerBAV ( 1990), S. 123-128.

2 6 0

Koch (1991). Versicherungswirtschaft, S. 119; Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 133; Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 73. 2 6 1

Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 694; Koch (1991). Versicherungswirtschaft, S. 119. Kritisch zu dieser Praxis: Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 338. 2 6 2

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 72-73.

2 6 3

VerBAV (1990), S. 125.

2 6 4

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 74 m.w.N.

2 6 5

Müller-Stein ( 1991 ). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 694.

2 6 6

A V A D aktuell (1992), S. 1556.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

101

Ziehungen tatsächlich eine Auskunft beim A V A D eingeholt w i r d . 2 6 7 Wie bei jeder Form der Selbstregulierung ist auch hier zu befürchten, daß die Durchführung nicht übermäßig streng gehandhabt wird, wenn es den Brancheninteressen zuwider laufen würde. 2 6 8 Auch die Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft enthalten verschiedene Vereinbarungen zum Versicherungsvertrieb. Dabei geht es vor allem um die Art und Weise, wie neue Vermittler angeworben werden dürfen und welchen Anforderungen sie genügen müssen. 269 Neben einer weiteren Konkretisierung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften wird dabei beispielsweise vorgeschrieben, daß die Versicherungsunternehmen neuen Vermittlern keine unrealistischen Verdienst- oder Aufstiegsmöglichkeiten in Aussicht stellen dürfen. 2 7 0 Daneben wird z.B. der Einsatz von Werbekolonnen für unerwünscht erklärt, wobei diese jedoch nur dann als definitiv unzulässig erklärt werden, wenn dabei fachlich oder persönlich nicht geeignete Werber eingesetzt werden. 2 7 1

(2) Berufsbezeichnungen der Vermittler Die einzige Berufsbezeichnung, die im Zusammenhang mit Versicherungen direkt gesetzlich geregelt ist, ist die des Versicherungsberaters. Nach Art 1 § 1 Abs. 1 Rechtsberatungsgesetz darf sich eine natürliche oder juristische Person nur dann als Versicherungsberater bezeichnen, wenn sie vom zuständigen Amtsgerichts- oder Landesgerichtspräsidenten nach Prüfung ihrer Zuverlässigkeit und fachlichen Qualifikation als Rechtsbeistand auf dem Gebiete des Privatversicherungsrechtes zugelassen i s t . 2 7 2 Wegen der Gefahr der Irreführung und aufgrund der Bestimmungen des Rechtsberatungsgesetzes darf sich grund-

2 6 7

Keil ( 1991 ). Die Ausschließlichkeit - Reflexe der Makler, S. 712-713.

2 6 8

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 100.

2 6 9

Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, Punkte 5 - 21, S. 832-835.

2 7 0

Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, Punkt 6, S. 832.

271

Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft , Punkt 15, S. 834. Als Werbekolonnen werden Gruppen von Versicherungsvertretern bezeichnet, die zeitgleich flächendeckend ganze Straßenzüge bearbeiten und dort bei jedem Haushalt versuchen, Verträge zu vermitteln. 2 7 2

VerBAV (1988), S. 124; Kirchner (1982). Trügerische Sicherheit, S. 131; Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, Punkt 37, S. 839.

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

sätzlich niemand als Versicherungsberater bezeichnen, der Versicherungen vermittelt. 273 Das BAV schreibt hinsichtlich der Berufsbezeichnungen vor, daß sich Versicherungsvertreter keine Titel zulegen dürfen, die eine besondere Sachkunde oder besondere Leistungen verheißen, da dieses zur Irreführung der Verbraucher führen könnte. 2 7 4 Dazu hat das BAV 1982 zusammen mit den Verbänden der Versicherungswirtschaft und der Versicherungsvermittler Grundsätze der Firmenwahrheit und -klarheit bei Versicherungsvermittlern veröffentlicht, 275 die allerdings für die Vermittler selbst keinen verbindlichen Charakter haben, da das Aufsichtsamt für die Firmierung der Vermittler rechtlich gesehen gar nicht zuständig i s t . 2 7 6 Auch die Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft befassen sich mit diesem Thema und schreiben z.B. vor, daß Vertreter „nicht als uneigennützige, objektive oder neutrale Berater auftreten" und sich dementsprechend auch nicht als Makler, Versicherungsberater oder ähnliches ausgeben dürfen. 2 7 7 Abgesehen von allen versicherungsspezifischen Bestimmungen der Wettbewerbsrichtlinien und des BAV sollte man davon ausgehen können, daß die Verwendung irreführender oder nicht erlaubter Berufsbezeichnungen bereits durch die Paragraphen eins und drei des UWG erfaßt und damit verhindert werden können. 2 7 8 Offensichtlich ist es in diesem Zusammenhang jedoch sehr schwer, den juristischen Nachweis der Irreführung zu erbringen, denn „Etikettenschwindel" ist in der Finanzdienstleistungsbranche nach wie vor weit verbreitet. 279 Zahlreiche Versicherungsvermittler führen Titel wie Finanz- oder Vermögensberater, Schutzbeauftragter oder ähnliches und täuschen damit eine unabhängige Beratung vor, obwohl sie in Wirklichkeit an einzelne Unternehmen gebunden sind. 2 8 0 Auch die Zahl der Makler, die in Wahrheit Ein- oder

2 7 3

Dazu ausführlicher Teil Β. II. 1. d).

2 7 4

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 96 m.w.N.

2 7 5

VerBAV ( 1982), S. 305-306.

2 7 6

Unger ( 1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 110.

2 7 7

Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, Punkt 11 u. 37, S. 833 u.

S. 839. 2 7 8

Kirchner ( 1982). Trügerische Sicherheit, S. 130.

2 7 9

Solidus ( 1993). Anwälte für Verbraucher, S. 34.

2 8 0

Stelzer (1990). Der weiche Hai, S. 28; Versicherungsvermittler auf Kundenjagd (1989), S. 4. Die Haltung des B A V zu diesem Thema ist uneinheitlich. So untersagt die Behörde, daß eine Firma, die in der Hauptsache oder ausschließlich Versicherungen

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

10

Mehrfirmenvertreter sind, steigt in letzter Zeit steil an, weil sich immer mehr Vertreter von einer solchen Umfirmierung bessere Erfolge beim Kunden erhoffen. 2 8 1 Da Vermittler nicht verpflichtet sind, Kunden gegenüber ihre Vertriebsbindungen offenzulegen, haben diese kaum eine Chance, den tatsächlichen rechtlichen Status eines Verkäufers zu überprüfen.

(3) Entlohnung der Vermittler Eine Beschränkung der grundsätzlich zulässigen Formen der Entlohnung der Versicherungsvermittler wird von der deutschen Aufsichtsbehörde nicht praktiziert. In der Praxis ist es so, daß sowohl die festangestellten als auch die rechtlich selbständigen Vermittler ihre Bezahlung ganz überwiegend in Form von umsatzabhängigen Provisionen erhalten, die ihnen von dem Versicherungsunternehmen bezahlt werden, für das sie einen Abschluß vermittelt haben. 2 8 2 Dagegen leisten die Versicherungsnehmer keine direkte Zahlung an den Vermittler. Üblich ist, daß die Vermittler ihre Vergütung bei Lebensversicherungen weitgehend in Form einer sogenannten Abschlußprovision erhalten. Dabei handelt es sich um eine Einmalprovision, d.h. die Absatzhelfer erhalten ihren Anteil an der abgeschlossenen Versicherungssumme bereits am Vertragsanfang vollständig ausbezahlt. 283 Diese Konzentrierung der Abschlußkosten auf den Vertragsanfang war nicht immer die Regel. Sie kam erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf, als einige Versicherer anfingen, die Provision nicht wie bisher mit den laufenden Beitragszahlungen zu verknüpfen, sondern diskontiert sofort bei Vertragsschluß auszuzahlen, um tüchtige Vertreter anzuwerben. 2 8 4

vermittelt, ihre Tätigkeit als Anlage- oder Vermögensberatung bezeichnet (VerBAV (1982), S. 305 Ziffer II). Andererseits wird offensichtlich kein Problem darin gesehen, daß sich ein Versicherungsvermittler, der zusätzlich auch andere Finanzdienstleistungen im Angebot hat, „Vermögensberater nennt (GB B A V (1973), S. 32). 2 8 1

Makler vor einer Prozeßflut? (1991), S. 1541.

2 8 2

Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 679; Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 201. 2 8 3 2 8 4

Müller-Stein ( 1991 ). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 737.

Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 152; Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 187-188 m.w.N.

4

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

Die Abschlußprovisionen unterliegen im allgemeinen einem Stornovorbehalt, d.h. der Vermittler muß die Provision anteilig an das Versicherungsunternehmen zurückzahlen, wenn der Versicherungsnehmer innerhalb der ersten Monate kündigt. 2 8 5 Seit 1986 wird der Vermittler erst dann aus dieser Provisionshaftung entlassen, wenn die vom Versicherungsnehmer bezahlten Beiträge mindestens die doppelte Höhe der Provisionssumme erreicht haben 2 8 6 Um gegebenenfalls fällige Rückzahlungen sicherzustellen, bilden die Unternehmen teilweise eine sogenannte Stornoreserve aus den Provisionsgutschriften eines Vermittlers. 287 Zusätzlich zur Abschlußprovision gibt es noch sogenannte Folge- oder Bestandspflegeprovisionen. Diese sind aber im Verhältnis so niedrig, daß die Vermittler motiviert werden, sich eher um laufendes Neugeschäft als um die Betreuung ihres Bestandes zu kümmern. 2 8 8 Neben den Provisionen bezahlen die Versicherer ihren Vermittlern teilweise auch zusätzliche Beträge als - umsatzabhängige oder fixe - Zuschüsse, z.B. in Form der Übernahme bestimmter Kosten des Agenturbetriebs wie Telefon, Porto, Kfz oder Mieten. 2 8 9 Besonders gute Verkaufserfolge werden häufig außerdem noch im Rahmen von unternehmensinternen Wettbewerben honoriert. 2 9 0 Der Wettbewerb der Versicherungsunternehmen um gute Vermittler führte in der Vergangenheit nicht nur zur Konzentration der Entlohnung auf den Vertragsanfang, sondern auch zu einer ständigen Steigerung der Höhe der Provisionen. 291 Um eine übermäßige Belastung der Versicherungsnehmer mit Abschlußkosten zu verhindern, wurde die Höhe der für die Vermittlung eines Lebensversicherungsvertrags auszuzahlenden Provisionen vom BAV 1974 auf 3,5 Prozent der Versicherungssumme begrenzt. 292 Darüber hinaus wurde festgelegt, daß die Summe aller insgesamt gewährten Provisionen 90 Prozent der

2 8 5

GDV (1992). Stellungnahme, S. 9.

2 8 6

Köhler ( 1993). Ein fast legaler Trick, S. 26.

2 8 7

Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 733.

2 8 8

Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 132.

2 8 9

Müller-Stein ( 1991 ). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 740.

2 9 0

Koch (1991). Versicherungswirtschaft, S. 120.

2 9 1

Basedow (1992). Stellungnahme, S. 3.

2 9 2

VerBAV (1974), S. 206.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

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rechnungsmäßigen Abschlußkosten und damit 3,15 Prozent der Gesamtsumme des Neugeschäfts nicht übersteigen darf. 2 9 3 Es ist jedoch ein „offenes Geheimnis" 2 9 4 , daß sich die Unternehmen in der Praxis in großem Stil über die vom BAV vorgeschriebene Höchstgrenze der Provisionszahlungen hinwegsetzen. So berichtet beispielsweise das Nachrichtenmagazin Der Spiegel Anfang 1993 von einem Schreiben des BAV an den Gesamtverband der Versicherungswirtschaft, in dem die Behörde hinsichtlich der Provisionszahlungen „Unregelmäßigkeiten beträchtlichen Ausmaßes" und eine „Umgehung" bindender Auflagen moniert. 2 9 5 Selbst deutlich über vier Prozent liegende Werte sollen bei vielen Lebensversicherern keine Seltenheit sein. 2 9 6 Eine häufig angewandte Methode, die über die erlaubten 3,5 Prozent hinausgehenden Provisionssätze zu tarnen, ist die einfache Umbenennung der Provisionen in (umsatzabhängige) Zuschüsse aller Art. Diese „Kostenbeihilfen" haben für den Vermittler zusätzlich den großen Vorteil, daß sie auch dann keinem Stornovorbehalt unterliegen, wenn es sich in Wirklichkeit um umbenannte Provisionen handelte. 297 Teilweise gestalten die Unternehmen die Provisionen als progressiv steigenden Promillesatz der vermittelten Versicherungssumme. Das bedeutet, daß die Vergütung mit zunehmender vermittelter Versicherungssumme überproportional steigt. Eine weitere Praktik besteht darin, die Zahlung der jährlich fälligen Folgeprovisionen trotz des Verbots solcher Abmachungen durch das BAV von einem ausreichend hohen Neugeschäft abhängig zu machen. 298 Obwohl diese Bestandspflegeprovisionen mit 1,5 bis zwei Prozent des Jahresbeitrags meistens relativ gering sind, kann dadurch insgesamt ein erheblicher Druck auf die Vermittler ausgeübt werden. Übereinstimmendes Ziel der verschiedenen Bezahlungsformen und Zusatzvereinbarungen ist es, die Versicherungsvermittler zu einem möglichst hohen

2 9 3

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 88; Köhler (1993). Ein fast legaler Trick, S. 26. Zu Obergrenzen für Provisionen bei Lebensversicherungen siehe: VerBAV (1974), S. 206; VerBAV (1985), S. 344; VerBAV (1986), S. 267. 2 9 4

Jagdhuber ( 1987b). Assekuranz report, S. 4.

2 9 5

Aufsichtsamt rüffelt Lebensversicherer (1993), S. 117.

2 9 6

Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 134.

2 9 7

Köhler ( 1993). Ein fast legaler Trick, S. 26.

2 9 8

Spiegel (1989). Der optimale Versicherungsschutz, S. 43.

106

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt fur Lebensversicherungen

Neugeschäft zu motivieren. 299 Damit widersprechen die in Deutschland allgemein üblichen Entlohnungssysteme jedoch in hohem Maße dem Grundgedanken, der das BAV schon sehr früh zu einem Verbot von sogenannten PensaVerträgen bewog. Wie diese Agenturverträge, in denen Strafen für ein ungenügend hohes Neugeschäft vorgesehen sind, beinhalten auch die oben geschilderten Entlohnungssysteme die Gefahr, daß sie zu einer „ungesund gesteigerten Werbetätigkeit um jeden Preis" führen, die letztlich den Interessen der Versicherten entgegenläuft. 300 Dennoch werden die meisten der in der Praxis anzutreffenden Provisionssysteme von der Aufsichtsbehörde nicht beanstandet. Dafür greift das BAV neben der Begrenzung der zulässigen Provisionshöhe noch auf andere Weise in die Bezahlung der Versicherungsvermittler ein, und zwar in Form des in § 81 II Satz 3 VAG begründeten Provisionsabgabeverbots. Dabei handelt es sich um den einzig nennenswerten Fall, in dem nicht nur die Versicherungsunternehmen, sondern auch die Vermittler selbst den Bestimmungen und der direkten Überwachung des BAV unterliegen. Das Provisionsabgabeverbot untersagt Vermittlern, ihre Kunden an der Vergütung zu beteiligen, die sie für die Vermittlung eines Abschlusses erhalten. 301 Bei Zuwiderhandlung droht dem Vermittler ein Ordnungswidrigkeitsverfahren. Mit dieser Bestimmung soll verhindert werden, daß einzelne Versicherungsnehmer durch Sondervergütungen auf Kosten der übrigen Kunden bevorzugt werden. Ausgangspunkt der Argumentation ist dabei die Befürchtung, daß die Weitergabe von Teilen der Abschlußvergütungen an einzelne Versicherungsnehmer zu Einkommensverlusten der Vermittler führen würde, zu deren Ausgleich eine allgemeine Erhöhung der Provisionssätze erforderlich wäre, so daß letztlich die Gesamtheit der Versicherten durch eine insgesamt steigende Provisionsbelastung geschädigt würde. 3 0 2 Über die Gültigkeit des Provisionabgabeverbotes gibt es eine ganze Reihe juristischer Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Vermittlern und dem Bundesaufsichtsamt. Obwohl der EuGH das Provisionsabgabeverbot 1987 als

2 9 9

So ist beispielsweise der sehr gute Absatz bei der Allianz Lebenversicherungs AG im Jubiläumsjahr 1990 nach Ansicht des Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens auch auf eine „attraktive Jubiläumsauschreibung" für die Allianz-Vertreter zurückzuführen (Schulte-Noelle, Henning, zit. in: Ein Jubiläumsgeschenk für Allianz Leben (1991), S. 15). 3 0 0

Unger ( 1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 78.

3 0 1

Sieg (1991). Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, S. 351.

3 0 2

VerBAV (1989), S. 187.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

10

eine nach Art 85 EG-Vertrag unzulässige Wettbewerbsbeschränkung bezeichnete, beharrt das BAV nach wie vor auf der Einhaltung seiner Anordnung 3 0 3 und geht weiterhin zumindest gegen solche Vermittler vor, die mit der Abtretung ihrer Provision Werbung machen.

(4) Laufende Tätigkeit der Vermittler Infolge der fehlenden gesetzlichen Grundlage unterliegen rechtlich selbständige Versicherungsvermittler nicht der direkten Überwachung durch das B A V . 3 0 4 Die Behörde hat allerdings indirekte Einwirkungsmöglichkeiten, die umso stärker sind, je enger der Vermittler mit einem Versicherungsunternehmen verbunden i s t . 3 0 5 Das BAV kann nämlich bei Mißständen, die die Belange der Versicherten gefährden, die Unternehmen anweisen, im Rahmen ihrer privatrechtlichen Beziehung zu ihren Vermittlern für Abhilfe zu sorgen. 306 Dieser Einfluß ist natürlich bei Einfirmenvertretern am stärksten, bei Angehörigen der anderen Absatzkanäle kann das BAV nur dadurch eingreifen, daß die Versicherer gegebenenfalls aufgefordert werden, die Zusammenarbeit aufzugeben. 307 Die Versicherungsunternehmen sind außerdem gehalten, von sich aus die laufende Geschäftstätigkeit ihrer Vertreter daraufhin zu überwachen, daß alle aufsichtsrechtlichen Vorschriften eingehalten und insbesondere die vertraglichen Aufklärungs- und Hinweispflichten gegenüber den Versicherungsnehmern beachtet werden. 308 Allerdings scheint es so zu sein, daß sich viele Versicherungsunternehmen ungeachtet ihrer ganz erheblichen Steuerungs- bzw. Einflußmöglichkeiten gegenüber ihren Vermittlern nicht für deren Vorgehen verantwortlich fühlen. 3 0 9 Bei besonders verwerflichen Verhaltensweisen von Vermittlern kann das BAV auch andere Behörden, die zu einem direkten Eingreifen berechtigt sind, auf Mißstände aufmerksam machen (z.B. durch eine Straf-

3 0 3 VerBAV (1989), S. 187; Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 790. 3 0 4

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 137; Müller (1991). Versicherer, Vermittler und Kunde unter den neuen Rahmenbedingungen der Versicherungsaufsicht, S. 2. 3 0 5

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 66-68.

3 0 6

Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 693.

3 0 7

BAV (1992). Stellungnahme, S. 5.

3 0 8

VerBAV (1986), S. 95.

3 0 9

Ein Beispiel dafür findet sich bei: Hohlfeld (1991). Die Zukunft des Verbraucherschutzes, S. 1500 m.w.N.

8 Β .

Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

anzeige) oder die beanstandeten Personen den zur Bekämpfung unzuverlässiger Vermittler eingerichteten Stellen der Verbände melden. 3 1 0 Auch die Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft nehmen auf die laufende Tätigkeit der Vermittler Bezug. Beispielsweise schrieben sie vor, daß „Vertreter in Versicherungsangelegenheiten nur dann beraten (dürfen, der Verfasser), wenn zwischen ihrer Beratung und der Vermittlung eines bestimmten Versicherungsvertrages ein unmittelbarer Zusammenhang besteht" 311 . Dabei sei darauf zu achten, daß das dahinterstehende geschäftliche Interesse für alle Beteiligten „stets offenkundig" i s t . 3 1 2 Besondere Bedeutung kommt außerdem dem in den Unterpunkten 48 bis 52 der Wettbewerbsrichtlinien festgelegten Verbot der Ausspannung zu. Kern dieses Verbotes ist die Bestimmung, daß es Vermittlern nicht erlaubt ist, Versicherungsnehmer dazu zu veranlassen, „ein anderwärts bestehendes oder beantragtes Versicherungsverhältnis ... vorzeitig zu lösen", um selbst einen Vertrag vermitteln zu können. 3 1 3

bb) Die wichtigsten Formen der Versicherungsvermittlung Wie gezeigt wurde, unterliegen die Versicherungsunternehmen bei der grundsätzlichen Wahl ihrer Vertriebswege vergleichsweise geringen Einschränkungen durch die Aufsichtsbehörde. Im Laufe der Zeit hat sich daher eine ganze Anzahl unterschiedlicher Absatzkanäle entwickelt, zu denen immer wieder neue Varianten hinzukommen. Da die Form des Vertriebs erheblichen Einfluß auf die im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchenden Fragestellungen hat, sollen im folgenden die wichtigsten praxisrelevanten Absatzwege dargestellt und anhand der Kriterien Qualifikation, Bezahlung und Unabhängigkeit charakterisiert werden. 3 1 4

3 1 0

Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 693.

3 1 1

Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, Punkt 37, S. 838.

3 1 2

Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, Punkt 37, S. 838.

3 1 3

Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, Punkte 48-52, S. 841-842.

3 1 4

Zu den einzelnen Vertriebsformen und ihren Abgrenzungen siehe unter anderem: Werber (1990). Anforderungen an den Versicherungsmakler, S. 26; Chemnitz (1988). Rechtsbesorgung, S. 373-377; Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 9-19. Zu Vor- und Nachteilen der einzelnen Vertriebswege aus der Sicht der Kunden und der Gesellschaften siehe: Benölken (1992). Versicherungsvertrieb am strategischen Scheideweg (I), S. 652-653.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

109

(1) Betriebseigene Vermittlungsformen Als betriebseigene bzw. -gebundene Absatzorgane sollen im folgenden Vermittlungsformen bezeichnet werden, durch die ausschließlich für ein einziges Unternehmen bzw. einen einzigen Unternehmensverbund Lebensversicherungen vermittelt werden. Neben dem Absatzweg des persönlichen Verkaufs ist aus Gründen der Systematik auch der sogenannte Direktvertrieb diesem Bereich zuzuordnen, da hier ebenfalls nur Produkte eines einzelnen Versicherungsunternehmens angeboten werden.

(a) Direktvertrieb Als Direktvertrieb wird „das direkte Angebot von Versicherungsprodukten an den Endverbraucher ohne Einschaltung von Außendienstmitarbeitern in der Beratungs- oder Abschlußphase" 315 durch das anbietende Versicherungsunternehmen selbst verstanden. Dabei ist es auf dem deutschen Markt so, daß ein Versicherungsunternehmen entweder über eine Außendienstorganisation oder über den Direktvertrieb verkauft, nicht aber über beide Kanäle parallel. Da beim direkten Absatz die Bezahlung der Außendienstmitarbeiter entfällt, werden die Direktversicherer ganz überwiegend zu den Unternehmen mit den günstigsten Preis-Leistungs-Relationen gezählt. Voraussetzung für erfolgreichen Direktvertrieb ist jedoch das Vorhandensein von Verbrauchern, deren Motivation und Kenntnisse ausreichen, um sich selbst um Versicherungsschutz zu bemühen und diesen auch richtig zu gestalten. Verbraucher, die diesen Anforderungen genügen, werden von Farny bezeichnenderweise als „atypische'4 Versicherungsnehmer tituliert. Bei diesen Nachfragern ist persönliche Betreuung nicht notwendig und meistens auch nicht erwünscht. Die Kontaktaufnahme erfolgt daher schriftlich oder fernmündlich. Einschränkungen fur diese Form des Vertriebs ergeben sich aus der begrenzten Zahl „atypischer" Verbraucher und aus der für diese Absatzform notwendigen starken Normierung des Versicherungsschutzes. 316

3 1 5

Benölken (1992). Versicherungsvertrieb

S. 654. 3 1 6

Farny (1971). Absatzpolitik, S. 90.

am strategischen Scheideweg (I),

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

(b) Einfirmenvertreter Als Einfirmen- oder Ausschließlichkeitsvertreter werden Versicherungsvermittler bezeichnet, die nur für ein einzelnes Unternehmen oder einen einzelnen Versicherungskonzern tätig sind. Zu unterscheiden sind hier die selbständigen und die festangestellten Vermittler. Selbständiger Einfirmenvertreter ist, wer als rechtlich selbständiger Handelsvertreter gemäß § 84 Abs. 1 in Verbindung mit § 92 HGB in den gleichen Versicherungssparten nur für jeweils ein Versicherungsunternehmen Versicherungen vermittelt. 317 Dem selbständigen Einfirmenvertreter sehr ähnlich ist der festangestellte Außendienstmitarbeiter. 318 Er darf ebenfalls nur Produkte seines Arbeitgebers bzw. dessen Konzerns verkaufen und unterliegt einer völligen Weisungsabhängigkeit. In der Praxis sind die Unterschiede zwischen den beiden Formen so gering, daß es für einen Verbraucher unerheblich ist, ob er auf einen festangestellten oder einen selbständigen Einfirmenvertreter trifft. 3 1 9

(c) Qualifikation, Bezahlung und Unabhängigkeit der Einfirmenvertreter Wesentlichen Einfluß auf das Verhalten eines VersicherungsVermittlers hat seine Qualifikation, die Form seiner Bezahlung und seine Unabhängigkeit gegenüber einem einzelnen Versicherer. Welche Auswirkungen sich aus den im folgenden dargestellten diesbezüglichen Eigenschaften der Einfirmenvertreter ergeben, wird sich später im weiteren Verlauf der Untersuchung zeigen. Qualifikation Infolge der Schulungsmaßnahmen der Versicherungsunternehmen ist davon auszugehen, daß der Ausbildungsstand bei den hauptberuflichen Einfirmenvertretern in den meisten Fällen wenigstens ein gewisses Mindestniveau erreicht. 3 2 0 Dabei ist jedoch eine wichtige Einschränkung zu machen: da ein wirklich erfolgreicher Vertreter von der Güte seines Angebots überzeugt sein muß, 3 2 1 aber nicht jeder Versicherer der beste sein kann, liegt nahe, daß die

3 1 7

Garbe (1975). Versicherungsvermittlergewerbe, S. 105; Farny (1971). Absatzpolitik, S. 76. 3 1 8

Farny (1971). Absatzpolitik, S. 73.

3 1 9

Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 679.

3 2 0

AgV (1992). Stellungnahme, S. 3.

3 2 1

Benner (1991). Die Werbung in der Versicherungswirtschaft, S. 109.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

11

Außendienstmitarbeiter gegebenenfalls durch gezielte Fehlschulung und Fehlinformation so beeinflußt werden, daß sie tatsächlich glauben, ein hervorragendes Produkt zu verkaufen. 322 Insgesamt kann trotz der zunehmenden Zahl fachlich ausgebildeter Versicherungsvermittler keine Rede davon sein, daß der Wandel „vom Versicherungsverkäufer zum Finanzberater" bereits stattgefunden hat, den manche Autoren zu erkennen glauben. 323 Eine empirische Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß nur zwei Prozent der hauptberuflich tätigen Außendienstmitarbeiter als sehr qualifiziert, aber 60 Prozent als unzureichend geeignet anzusehen sind. 3 2 4 Die fachliche Qualifikation von Einfirmenvertretern, die sich nur nebenberuflich mit der Vermittlung von Versicherungen beschäftigen, ist im allgemeinen als noch geringer einzuschätzen.325 Eine der wesentlichen Ursachen dieser insgesamt recht negativen Situation dürfte die Tatsache sein, daß es für den Versicherungsaußendienst „in der Regel erstens überhaupt zu wenige und zweitens zu wenige qualifizierte Bewerber gibt, (d. Verf.), so daß häufig Noteinstellungen vorgenommen werden". 3 2 6 Auch Fluktuationsquoten, die je nach Unternehmen zwischen 30 und 50 Prozent bezogen auf den Jahresbestand an Mitarbeitern im Außendienst betragen, verdeutlichen die Personalprobleme der Versicherungswirtschaft. 327

3 2 2

Jagdhuber (1986). Assekuranz report, S. 1.

3 2 3

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 198 mit Fußnote 7; ähnlich: Bach (1986). Die Bedeutung des Außendienstes, S. 57. 3 2 4

Jagdhuber (1988b). Assekuranz report, S. 1. Ähnlich die Ergebnisse von: Brenn (1988). Die Förderung von Schlüsselqualifikationen in der Ausbildung, S. 1557-1559. 3 2 5

Jung (1988). Who's who im Außendienst, S. 42; Müller-Lutz (1991). Der Aufbau des Versicherungsbetriebs, S. 16. 3 2 6

Ludwig (1986). Außendienst-Personal-Marketing - nur ein neuer Begriff?,

S. 411. 3 2 7

Meier (1991). Ärgerlich: Fluktuation von neuen Außendienstlern, S. 1157; Ludwig, Robert, zit. in: Köhler (1988). Neue Verpackung, S. 76. Pack berichtete 1980, daß von 100 neu eingestellten Außendienstmitarbeitern am Ende des ersten Jahres 70-80 bereits wieder ausgeschieden sind (Pack (1980). Die wirklichen Ursachen der Fluktuation, S. 142).

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

Bezahlung Für die Bezahlung der betriebseigenen bzw. betriebsgebundenen Absatzorgane gelten ganz überwiegend die bereits oben im Rahmen der allgemeinen Darstellungen getroffenen Aussagen. Dabei haben die abhängigen Vertreter gegenüber ihren nicht-unternehmensgebundenen Kollegen den Vorteil, daß sie insbesondere zu Beginn ihrer Tätigkeit von ihrem Versicherungsunternehmen in erheblichem Umfang unterstützt werden. 3 2 8 Neben einem anfänglich garantierten Mindestgehalt bekommen sie im allgemeinen von ihrer Gesellschaft einen Bestand übertragen, innerhalb dessen sie dann versuchen können, die Kunden schrittweise beim eigenen Unternehmensverbund rundum zu versichern. Diese Einstiegserleichterung wird allgemein als ein wesentlicher Grund erachtet, warum es sehr viel mehr gebundene als unabhängige Vermittler gibt, die in der Regel von Anfang an auf sich selbst gestellt sind. 3 2 9 Unabhängigkeit Die Unabhängigkeit der Einfirmenvertreter ist ausgesprochen gering. Selbst die Selbständigen unter ihnen hängen wirtschaftlich so in so hohem Maße von ihrem Versicherungsunternehmen ab, daß von einer Handlungsfreiheit keine Rede sein kann. 3 3 0 Bei der Gestaltung ihres Sortiments unterliegen Einfirmenvertreter grundsätzlich einem Wettbewerbsverbot nach § 86 HGB, das sich meistens auch ausdrücklich auf Fälle des Substitutionswettbewerbs erstreckt. Der Vertreter darf die von seiner Gesellschaft angebotene Kapital-Lebensversicherung also weder durch eine ebensolche Versicherung noch durch eine sonstige Form der Kapitalanlage eines anderen Anbieters ersetzen. Darüber hinaus sind Einfirmenvertreter ihrem Versicherer gegenüber eindeutig weisungsgebunden, so daß das Unternehmen ihnen vorgeben kann, welche Geschäfte und welchen Geschäftsumfang sie der Gesellschaft bringen sollen oder gar müssen (Produktionssoll). 331 Die Ziele ihrer Vermittlungstätigkeit können ihnen vorgegeben

3 2 8

Farny (1971). Absatzpolitik, S. 75.

3 2 9

Garbe (1975). Versicherungsvermittlergewerbe, S. 106.

3 3 0

Garbe (1975). Versicherungsvermittlergewerbe, S. 106; Farny (1971). Absatzpolitik, S. 75-78. Dazu und zum gesamten folgenden Absatz: Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 665-708. 3 3 1

Garbe (1975). Versicherungsvermittlergewerbe, Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 692.

S. 112; Müller-Stein (1991).

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

11

werden, um sie anzuspornen oder um ihnen bestimmte geschäftspolitische Absichten des Unternehmens aufzuzeigen, wie beispielsweise eine unterschiedliche Vermittlungsintensität in den einzelnen Sparten. Ein Einfirmenvertreter ist verpflichtet, die geschäftlichen Interessen seines Versicherungsunternehmens laufend umfassend zu wahren, wobei seine Hauptaufgabe dabei „stets und unabdingbar die Vermittlung von Versicherungsverträgen" bleibt. 3 3 2 „Zu diesem Zweck muß der Vertreter Versicherungsmöglichkeiten aufspüren, seinen Gesprächspartnern die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit einer Versicherung deutlich machen und auf diese oder andere geeignete Weise alle Gelegenheiten zur Vermittlung oder zum Abschluß auszuschöpfen suchen" 3 3 3 . Im Falle widerstreitender Interessen zwischen dem Unternehmen und dem Kunden muß sich der Vertreter fur das Unternehmen einsetzen. 334 Aus dieser Abhängigkeit zu entkommen, ist für die meisten Einfirmenvertreter mit erheblichen Verlusten verbunden, denn infolge der Bestimmungen des § 89 HGB hat ein Vertreter bei Eigenkündigung keinen Ausgleichsanspruch gegenüber seinem Unternehmen. Das bedeutet, daß er keine Abschlagszahlung für die Folgeprovisionen bekommt, die ihm aus bisher vermittelten Verträgen zustehen würden. 3 3 5 Aus dieser Regelung ergibt sich, daß ein Einfirmenvertreter umso weniger die Gesellschaft wechseln kann, je länger er für sie erfolgreich tätig w a r . 3 3 6 Viele Vermittler sind auf diese Weise an ein einzelnes Unternehmen gebunden, auch wenn dessen Konkurrenzfähigkeit nachlassen sollte oder andere Gründe für einen Wechsel des Anbieters sprechen würden. 3 3 7

(d) Zwischenergebnis zu den Einfirmenvertretern Einfirmenvertreter sind, unabhängig davon, ob sie formal gesehen als Angestellte des Versicherungsunternehmens oder als Selbständige arbeiten, reine Verkaufsorgane der Versicherungsgesellschaft, mit der sie verbunden sind. Ihr

3 3 2

Müller-Lutz (1991). Der Aufbau des Versicherungsbetriebs, S. 15; Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 695 u. S. 697. 3 3 3

Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 698 (eigene Hervorhebung). 3 3 4

§ 86 I 2. Halbsatz HGB; Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 696. 335

F r a g e n d e r Versicherungsvermittlung (1992), S. 627-628.

3 3 6

Jagdhuber (1986). Assekuranz report, S. 1.

3 3 7

Garbe (1975). Versicherungsvermittlergewerbe, S. 112.

8 Eifert

4

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

einziger Auftrag lautet, dem Unternehmen Versicherungsabschlüsse zu beschaffen. 338 Eine gegebenenfalls stattfindende Beratung eines Verbrauchers ist bei ihnen schon aufgrund ihrer rechtlichen Stellung ausschließlich Mittel zum Zweck, nämlich zum Verkauf einer Versicherung. Ziel ihrer Tätigkeit ist nicht der Absatz bedarfsgerechter Produkte, sondern die Erfüllung der Vorgaben ihres Unternehmens. 339

(2) Betriebsfremde

Vermittlungsformen

Unter betriebsfremden Absatzorganen sollen im folgenden solche Vermittler verstanden werden, die für mehr als ein einzelnes Versicherungsunternehmen Lebensversicherungen vermitteln oder zumindest aus Sicht des Kunden diesen Eindruck erwecken. Innerhalb der Gruppe der betriebsfremden Vermittlungsformen haben sich wiederum verschiedene Formen herausgebildet, die zunächst kurz vorgestellt werden sollen.

(a) Mehrfirmenvertreter Auch der Mehrfirmenvertreter ist Handelsvertreter nach § 84 Abs. 1 HGB in Verbindung mit § 92 HGB. Im Unterschied zum Ausschließlichkeitsvertreter darf er aber in den gleichen Versicherungssparten für mehrere Versicherungsunternehmen tätig werden; er hat also einen Vertrag ohne Konkurrenzverbot.340

3 3 8 Müller-Lutz (1991). Der Aufbau des Versicherungsbetriebs, S. 15. Laut einem Gerichtsurteil ist der alleinige Maßstab für die Beurteilung der Leistungen eines Außendienstangestellten eines Versicherungsunternehmen die Summe und Zahl der von ihm akquirierten Versicherungsverträge (Landesarbeitsgericht Düsseldorf (4 Sa 570/84 vom 31.8.84), zit. in: Kündigung eines Angestellten im Versicherungsaußendienst wegen ungenügender Leistung (1986), S. 198). 3 3 9 3 4 0

Jagdhuber ( 1986). Assekuranz report, S. 1.

Garbe (1975). Versicherungsvermittlergewerbe, S. 105; siehe auch: Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 667-669; Farny (1971). Absatzpolitik, S. 82.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

115

(b) Sonderorganisationen Sonderorganisationen sind spezielle Vertriebsgesellschaften, die im allgemeinen in der Form eines Strukturvertriebs organisiert sind, wie er auch in anderen Branchen (Immobilien, Kosmetika, Haushaltsgeräte u.a.) eingesetzt wird. Kennzeichnend für einen Strukturvertrieb ist, daß jeder neue Mitarbeiter auf der untersten Stufe als einfacher „Außendienstler" beginnt, wobei seine Bezahlung ausschließlich aus relativ geringen Umsatzprovisionen besteht. Schafft er es, innerhalb einer vorgegebenen Zeit Verträge mit einer bestimmten Gesamtversicherungssumme zu vermitteln und zusätzlich dem Unternehmen mindestens einen neuen Mitarbeiter zuzuführen, so erreicht er die nächste Hierarchiestufe. Hier erhält er eine höhere Provision und darf außerdem selbst neue Mitarbeiter einstellen, an deren Umsätzen er partizipiert. Wenn diese von ihm eingestellten neuen Mitarbeiter ihrerseits erfolgreich sind, aufsteigen und selbst einstellen, verdient er jeweils mit. Wer in einer der oberen der bis zu zehn Stufen angekommen ist, wird also an den Umsätzen aller Mitarbeiter beteiligt, die direkt oder indirekt aufgrund seiner Initiative bei dem Strukturvertrieb tätig sind. 3 4 1 Die für Versicherungen relevanten Sonderorganisationen treten im allgemeinen mit dem Anspruch auf, als unabhängige Allfinanzanbieter für jeden Kunden aus den Angeboten zahlreicher Banken und Versicherungen ein individuell maßgeschneidertes Gesamtpaket an Finanzdienstleistungen zusammenzustellen. 3 4 2 Dementsprechend nennen sich die Mitarbeiter auch nicht Versicherungsvertreter, sondern führen Titel, die eine umfassende Beratung erwarten lassen. 343 In der Praxis ist es allerdings so, daß Sonderorganisationen anstelle von individuell auf den Kunden zugeschnittenen Problemlösungen bevorzugt weitgehend standardisierte Produktpakete verkaufen, in denen beispielsweise eine Kapital-Lebensversicherung, eine Unfallversicherung, ein Bausparvertrag und verschiedene andere Finanzdienstleistungen zu Programmen zusammengefügt werden. 344 Diese mit „Markennamen" wie Vermögensaufbauplan oder

341

Baumann (1991). Das schnelle Geld im eigenen Reich, S. 131.

3 4 2

So z.B. in: Martin/Busch/Hilbertz (1991). Die Milliarden-Macher, S. 50-51.

3 4 3

Stelzer (1990). Der weiche Hai, S. 28; Versicherungsvermittler auf Kundenjagd (1989), S. 4. Dazu auch: Teil Β. I. 3. c) aa) (2). 3 4 4

Versicherungsvermittler auf Kundenjagd (1989), S. 4; Thieltges (1988). Kopfgeld, S. 154; Jagdhuber/Köhler (1990). Schöne Legende, S. 132; Schema F (1986), S. 188. 8*

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

Jugendschutzbrief dynamisiert

346

3 4 5

versehenen Kombinationen werden dann häufig noch

, m i t Teilauszahlungen versehen und auf Jahrzehnte hochgerech-

net, so daß viele Kunden kaum mehr verstehen, was sie eigentlich k a u f e n . 3 4 7 Zielgruppe der Sonderorganisationen sind insbesondere Jugendliche, da sie noch keine finanzielle Absicherung haben und deshalb leichter als Kunden zu gewinnen sind. Die Fluktuation ist bei den Strukturvertrieben noch höher als bei den anderen Formen des Versicherungsaußendienstes. 3 4 8 Für die meisten der neuen Mitarbeiter, die häufig infolge der in Aussicht gestellten unglaublichen Verdienstm ö g l i c h k e i t e n 3 4 9 ihren gelernte Berufe aufgaben, endet die Tätigkeit bei der Vermittlungsgesellschaft, wenn sie in ihrem Bekanntenkreis keine neuen Kunden mehr finden k ö n n e n . 3 5 0 Auch die Stornoquote 351 ist bei den meisten Sonderorganisationen extrem h o c h , 3 5 2 was unter anderem daran liegt, daß Vertreter, die nach ihrem Ausscheiden zu einem anderen Strukturvertrieb gewechselt sind, nun ihre Altkunden bearbeiten, bei der neuen Gesellschaft abzuschließen.353

3 4 5

Thieltges ( 1988). Kopfgeld, S. 151 -152.

3 4 6

Von einer dynamischen Lebensversicherung spricht man, wenn die Versicherungssumme und dementsprechend auch die Prämien während der Vertragslaufzeit steigen. A u f diese Weise soll beispielsweise die Wirkung der Inflation ausgeglichen werden. 3 4 7 Jagdhuber/Köhler (1990). Schöne Legende, S. 132. Derartige Zusammenstellungen werden in der Branche bezeichnenderweise „Provisionsturbo" genannt (Gerlach-report, zit. in: Henry (1992). Lohnt sich eine Kapital-Lebensversicherung?, S. 104). 3 4 8

Sondervertriebe: Neues Konzept (1990), S. 132.

3 4 9

Siehe z.B. den bei Martin zitierten Vortrag von Wittschier, dem Chef der Sonderorganisation OVB (Martin/Busch/Hilbertz (1991). Die Milliarden-Macher, S. 54). Die Vorgehensweise der Strukturvertriebe steht damit im klaren Widerspruch zu den Bestimmungen der Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, die es verbieten, neue Vertreter mit Hilfe von übertriebenen Verdienstmöglichkeiten zu werben. 3 5 0

Dieses Prinzip wird in den entsprechenden Kreisen „Zitronenpresse" genannt, d.h. die Neuen werden ausgequetscht und dann weggeworfen, wenn sie ihr Glück bei allen ihren Freunden und Verwandten versucht haben. (Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 150). 351

Als Stornoquote bezeichnet man das Verhältnis zwischen der Zahl der vorzeitigen Vertragsauflösungen und dem Jahresanfangsbestand (Stöffler (1984). Markttransparenz, S. 181). 3 5 2

Bach (1986). Die Bedeutung des Außendienstes, S. 60.

3 5 3

Sondervertriebe: Neues Konzept (1990), S. 132.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

11

(c) Versicherungsmakler Nach § 93 HGB ist Versicherungsmakler, wer gewerbsmäßig für andere Personen, ohne von ihnen auf Grund eines Vertragsverhältnisses ständig damit betraut zu sein, die Vermittlung von Versicherungsverträgen übernimmt. 354 Der Versicherungsmakler ist im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Vermittlungsformen nicht der Interessenvertreter der Anbieterseite, sondern eher ein „Beschaffungsorgan des Versicherungsnehmers" 355 und dementsprechend zur Wahrung der Interessen des Kunden gehalten. 356

(d) Honorarberater Eine weitere Form der unternehmensunabhängigen Vermittler sind die sogenannten Honorarberater. Dabei handelt es sich um Makler oder Mehrfirmenvertreter, die sich ihre Beratungstätigkeit vom Kunden mit einem vermittlungsunabhängigen Honorar bezahlen lassen und diesem dafür die Provisionen überlassen, die sie von den Versicherungsunternehmen erhalten, wenn sich der Interessent letztlich zum Abschluß einer Versicherung entschließt. 357 Nach der derzeitigen Rechtsauffassung des BAV ist diese Vorgehensweise der Honorarberater jedoch nicht zulässig, da sie gegen das Provisionsabgabeverbot verstößt. 3 5 8 Auch wenn angesichts der offensichtlichen Schwierigkeiten, die Einhaltung des Provisionsabgabeverbotes zu überwachen, die Weitergabe zumindest eines Teils der Provision an den Versicherungsnehmer in der Praxis gang und gäbe zu sein scheint, 359 ist die Situation für Honorarberater problematisch. Da sie die Provisionsabgabe offen praktizieren, müssen sie ständig mit Sanktionen des BAV rechnen. 360

3 5 4

Farny (1971). Absatzpolitik, S. 80-82.

3 5 5

Farny (1971). Absatzpolitik, S. 81.

3 5 6

Garbe (1975). Versicherungsvermittlergewerbe, S. 105-106; Farny (1971). Absatzpolitik, S. 80-81. 3 5 7

Weiss (1989). Honorarberater arbeiten ohne Provision, S. 34.

3 5 8

VerBAV (1992), S. 137; Aktuelle Fragen des selbständigen Versicherungsaußendienstes (1991), S. 541. 3 5 9

Weiss (1989). Honorarberater arbeiten ohne Provision, S. 34; Gärtner(1980). Privatversicherungsrecht, S. 204 u. S. 207; Farny (1971). Absatzpolitik, S. 46. 3 6 0

Siehe dazu ζ. B: VerBAV (1992), S. 137; Fragen der Versicherungsvermittlung (1992), S. 626; Erlaubnisfreie Versicherungsberatung durch einen Versicherungsmakler (1991), S. 1016; Müller-Stein (1991). Versicherungsberatung gegen Honorar durch

8

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

(e) Banken Banken nehmen als Absatzorgane für Lebensversicherungen eine Sonderstellung ein, da es sich bei ihnen sowohl um anbietergebundene als auch um unabhängige Vermittler von Versicherungen handeln kann. Die Zahl der Banken, die entweder in Kooperation mit bestehenden Versicherungsunternehmen oder durch Gründung eigener Versicherungstöchter in das Lebensversicherungsgeschäft eingestiegen sind, hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Da auf den Vertrieb von Kapital-Lebensversicherungen durch Banken bei der Erörterung der Allfinanz-Konzepte im dritten Teil dieser Untersuchung noch ausführlicher eingegangen wird, kann auf eine vertiefte Darstellung an dieser Stelle verzichtet werden.

(f) Qualifikation, Bezahlung und Unabhängigkeit der betriebsfremden Vermittler Wie schon bei den Einfirmenvertretern sollen auch bei den freien Vermittlern die wesentlichen Grundlagen ihres Verhaltens gegenüber ihren Kunden untersucht werden. Angesichts der großen Bandbreite der in dieser Gruppe zusammengefaßten Absatzformen erscheint es sinnvoll, jeweils auf die spezifischen Eigenschaften der einzelnen Varianten einzugehen. Qualifikation Bei Mehrfirmenvertretern, die vom Beginn ihrer Tätigkeit an auf sich selbst gestellt sind, ist von einer allgemein relativ geringen Qualifikation auszugehen. 3 6 1 Dagegen muß man bei Maklern deutlich zwischen den einzelnen Betriebsgrößen unterscheiden. Wenn z.B. Gärtner schreibt, daß die Fähigkeit zu qualifizierter Fachberatung bei den selbständigen Versicherungsmaklern am weitesten entwickelt sei, da es sich hier meistens um bedeutende Versicherungssummen handele, die die Bereitstellung von qualifiziertem Personal ermöglichen, 362 dann dürfte er sich damit im wesentlichen auf die großen Industriemakler beziehen. Ganz anders ist die Situation bei den im Privatgeschäft überwiegenden Kleinmaklern. Angesichts der hier üblichen vergleichsweise

Versicherungsmakler?, S. 1355-1356; Aktuelle Fragen des selbständigen Versicherungsaußendienstes (1991), S. 541. 3 6 1

AgV (1992). Stellungnahme, S. 3.

3 6 2

Gärtner ( 1980). Privatversicherungsrecht, S. 199.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

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geringen Versicherungssummen lohnt sich im allgemeinen der Aufwand fur eine hochwertige Beratungskapazität nicht. Bei den kleinen Maklerbetrieben ist die Situation daher ähnlich wie bei den meisten Mehrfirmenvertretern, so daß hier ebenfalls von einer zumeist geringen Qualifikation auszugehen ist. 3 6 3 Auch bei Bankangestellten dürfte der Ausbildungsstand im Hinblick auf versicherungsspezifische Fragen überwiegend relativ niedrig sein. 3 6 4 Unterschiedliche Aussagen gibt es über die Qualität der Ausbildung bei den Sonderorganisationen. Während die großen Strukturvertriebe angeben, daß ihre Mitarbeiter etwa 300 Stunden Ausbildung im Jahr absolvieren müssen, 365 wird in der Literatur übereinstimmend berichtet, daß sich die Ausbildung der zumeist völlig fachfremden 366 neuen Mitarbeiter auf einige wenige Nachmittagsoder Wochenendseminare beschränkt, in denen sie psychologisch und didaktisch perfekt aufgebaute Standard-Verkaufsgespräche mit vorgefertigter Einwandbearbeitung auswendig lernen müssen. 367 Die Aneignung entsprechender rhetorischer Kenntnisse hat also auch hier eine erheblich größere Bedeutung als die zu einer qualifizierten Beratung notwendige Schulung in Fachfragen. 368 Insbesondere, nachdem Sonderorganisationen mit dem Anspruch auftreten, ihren Kunden die bestmögliche Kombination aus Produkten der verschiedenen Finanzdienstleistungsformen zusammenzustellen, erscheint es angesichts der Komplexität der Materie kaum vorstellbar, einen branchenfremden Neueinsteiger innerhalb kurzer Zeit zum Spezialisten für Bank-, Versicherungs- und Bausparprodukte ausbilden zu wollen. 3 6 9 Bezahlung Die Bezahlung eines Mehrfirmenvertreters entspricht im Prinzip der des Ausschließlichkeitsvertreters, nur daß er seine Provisionen gegebenenfalls von ver-

3 6 3 3 6 4

AgV (1992). Stellungnahme, S. 3.

Benölken (1992). Versicherungsvertrieb S. 649; Köhler (1988). Neue Verpackung, S. 76.

am strategischen Scheideweg (I),

3 6 5 Beispielsweise in: Matern (1990). Die Superstars der Allfinanz, S. 27; Martin/ Busch/Hilbertz (1991). Die Milliarden-Macher, S. 52. 3 6 6

Martin/Busch/Hilbertz (1991). Die Milliarden-Macher, S. 50.

3 6 7

Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 138.

3 6 8

Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 150; Stelzer (1990). Der weiche Hai, S. 30; Köhler (1988). Neue Verpackung, S. 75; Sondervertriebe: Neues Konzept (1990), S. 132. 3 6 9

Wappenhans (1990). Die Deutsche Private Finanzakademie AG, S. 17.

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

schiedenen Versicherungsunternehmen erhält. Dasselbe gilt für Makler, wobei die Provision hier Courtage genannt wird. Da die VermittlungsVergütung bei Versicherungen bereits in die Prämie eingerechnet ist und der Versicherungsnehmer seinen Anteil auf diese Weise bezahlt, erhalten Versicherungsmakler im Gegensatz zu den Gepflogenheiten in anderen Branchen ihre Bezahlung nicht von beiden Vertragsparteien, sondern ausschließlich vom Versicherungsunternehmen. 370 Auch die Courtage ist eine reine Erfolgsvergütung, die bis zu der aufsichtsrechtlich auferlegten Beschränkung frei festgelegt werden kann. 3 7 1 In der Praxis bieten die einzelnen Gesellschaften den Maklern unterschiedlich hohe Provisions- bzw. Courtagesätze, 372 wobei bekannt ist, daß die vom BAV gesetzte Obergrenze auch bei Maklern zumindest teilweise in erheblichem Maße überschritten w i r d . 3 7 3 In der Praxis dürften die an Mehrfirmenvertreter und Makler bezahlten Provisionen für Kapital-Lebensversicherungen bei vier bis fünf Prozent der Versicherungssumme liegen, 3 7 4 so daß die ungebundenen Vermittler für die Versicherungsunternehmen ein in vielen Fällen sehr teuerer Absatzkanal sind. 3 7 5 Die Bezahlung von Bankmitarbeitern für die Vermittlung einer Kapital-Lebensversicherung erfolgt teilweise im Rahmen ihres normalen

3 7 0

Garbe (1975). Versicherungsvermittlergewerbe, S. 106.

3 7 1

Müller-Stein ( 1991 ). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 785-786.

3 7 2

Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 136.

3 7 3

Aufsichtsamt rüffelt Lebensversicherer (1993), S. 117. Bekannt wurde diese Praxis unter anderem durch den Fall des Maklers Schmidt-Tobler, der bei verschiedenen Versicherern in großem Umfang Lebensversicherungsverträge für betriebliche Unterstützungskassen abschloß. Von den an ihn ausbezahlten Provisionen bezahlte er die ersten Jahresbeiträge und löste dann zum Zeitpunkt der günstigsten Relation zwischen Rückkaufswert und Gesamtbeitragsaufwand die Verträge auf. Da es sich bei den über 3,5 Prozent der Versicherungssumme hinausgehenden Provision formell um Zuschüsse zur Deckung betrieblicher Kosten handelte, unterlagen diese Zahlungen noch nicht einmal dem Stornovorbehalt, d.h. sie mußten bei Vertragsauflösung nicht zurückbezahlt werden (Köhler (1993). Ein fast legaler Trick, S. 26). Da die Versicherungsunternehmen viel höhere Provisionen bezahlt hatten, als das BAV erlaubt, konnte Schmidt-Tobler auf diese Weise erhebliche Gewinne erzielen. Dabei war die Vorgehensweise des Maklers möglicherweise nicht einmal illegal; nur bei den Versicherungsunternehmen hat es nach Ansicht des BAV ,.an kaufmännischer Vorsicht gemangelt" (Notizen aus der U-Haft (1993), S. 78; ähnlich: Köhler (1993). Ein fast legaler Trick, S. 26). 3 7 4 3 7 5

Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 148.

Farny (1986). Vertriebsverfahren, S. 430; Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 131.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

11

Gehalts, teilweise über gesonderte Provisionen, je nach Geschäftspolitik des Hauses. 376 Bei Honorarberatern erfolgt die Entlohnung für die Tätigkeit des Beraters, wie oben schon erwähnt wurde, zunächst durch den Versicherungsinteressenten. Im Gegenzug erhält dieser im Falle eines Vertragsabschlusses die gesamte Provision, die der Vermittler von der Versicherungsgesellschaft bekommt. Ergibt die Beratung, daß der Abschluß einer Versicherung für den Kunden nicht sinnvoll ist, oder empfiehlt der Berater eine Gesellschaft, die keine Provisionen bezahlt, muß der Verbraucher die Kosten fur die Informationsleistung des Honorarberaters in voller Höhe selbst bezahlen. Dafür ist auf diese Weise die Wahrscheinlichkeit höher, daß er tatsächlich nur bedarfsgerechte Versicherungsverträge und günstige Gesellschaften empfohlen bekommt. Unabhängigkeit Ein Mehrfirmenvertreter kann zwar zum Vorteil des Kunden aus den Angeboten verschiedener Versicherer auswählen, bleibt aber rechtlich gesehen doch Beauftragter der Versicherungsunternehmen und hat daher deren Interessen wahrzunehmen. 377 Dabei ist er im Zweifel zu ausgewogenen Vermittlungsbemühungen zugunsten aller vertretenen Unternehmen und der Beachtung derer geschäftlicher Weisungen verpflichtet. 378 Schon bei einer idealtypischen Betrachtungsweise kann ein Mehrfirmenvertreter also nur bedingt eine tatsächliche Berücksichtigung der Verbraucherinteressen gewährleisten. In der Praxis kommt es zusätzlich zu verschiedenen Erscheinungen, die aus Verbrauchersicht noch sehr viel bedenklicher sind. So geben beispielsweise Strukturvertriebe ihren Kunden gegenüber im allgemeinen vor, eine objektive Beratung durchführen zu können. Da aber mit einer Ausnahme alle großen Strukturvertriebe mehrheitlich einem Versicherungsunternehmen gehören, 379 ist davon auszugehen, daß sie vor allem die Produkte

3 7 6

Süchting, zit. in: Wüpper (1992). Banken fehlt energisches Kostenmanagement, S. 11; dazu außerdem: Helmke (1990). Allfinanz, S. 1581. 3 7 7

Garbe (1975). Versicherungsvermittlergewerbe, S. 105.

3 7 8

Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 672 u. S. 700.

3 7 9 Die Deutsche Vermögensberatung (DVAG) (Umsatz 1990 ca. 13,7 Mrd. DM) gehört zum Aachener- und Münchner-Konzern; die OVB (Umsatz 1990 ca. 13 Mrd. DM) wird ebenso wie die Zeus GmbH (Umsatz 1990 ca. 800 Mio. DM) vom Deutschen Ring beherrscht; der Allgemeine Wirtschaftsdienst (AWD) (Umsatz 1991 ca. 3 Mrd.

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

dieser Versicherungsgesellschaft anbieten. Selbst Reinfried Pohl, der „Erfinder" der Allfinanz-Idee in Deutschland und Chef der zur Aachener-Münchner Versicherung gehörenden Deutschen Vermögensberatung A G , 3 8 0 meint in einem Interview, daß es besser wäre, statt „unabhängig" die Formulierung „branchenübergreifend" zu verwenden. 381 Am deutlichsten zeigt sich diese Form der Irreführung durch angeblich anbieterunabhängig beratende Strukturvertriebe an dem Namen Objektive Vermögensberatung (OVB), unter dem eine mehrheitlich dem Deutschen Ring gehörende Sonderorganisationen bis vor kurzem firmierte. 382 Daß Sonderorganisationen nicht unabhängig sind und mit der Erweckung eines entsprechenden Eindrucks Verbraucher täuschen, wurde mittlerweile mehrfach gerichtlich bestätigt 383 und wird auch vom BAV so gesehen. 384 Besonders bedenklich ist, daß Sonderorganisationen entgegen ihren Aussagen nicht nur keine Produkte von erstklassigen Unternehmen bieten, sondern daß sie im Gegenteil meistens gerade für unterdurchschnittlich leistungsfähige Versicherer unterwegs sind, denn diese sind besonders auf solche mit hohen Provisionen erkaufte Absatzwege angewiesen. 385

DM) ist angeblich unabhängig (Bauer (1990). Und immer lockt das Geld, S. 216), vermittelt aber hauptsächlich an die Transatlantische Versicherung (Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 150); die Bonnfinanz AG (Umsatz 1990 ca. 2,2 Mrd. DM) gehört zum Deutschen Herold (dieser ist mittlerweile wiederum Teil der Deutschen Bank) (Die Glorreichen Sieben (1991), S. 22-23; Stelzer (1990). Der weiche Hai, S. 28; Jagdhuber/Köhler (1990). Schöne Legende, S. 129; Martin/Busch/Hilbertz (1991). Die Milliarden-Macher, S. 51; Matern/Bamberger (1990). Geldmaschine Allfinanz, S. 19; Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 150; Baumann (1991). Das schnelle Geld im eigenen Reich, S. 138; Bauer (1990). Und immer lockt das Geld, S. 216). 3 8 0

Stelzer (1990). Der weiche Hai, S. 28.

3 8 1

Matern/Bamberger (1991). Der Machtkampf der Giganten, S. 21.

3 8 2

Die Glorreichen Sieben (1991), S. 23. Mittlerweile nennt sie sich nur noch OVB (Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 150). 3 8 3

BGH Karlsruhe vom 30.11.1989 (I ZR 81/89); LG Hamburg (74 Ο 413/87) und Hanseatisches OLG (3 U 114/88), zit. in: Jagdhuber/Köhler (1990). Schöne Legende, S. 129 u. S. 132. 3 8 4

BAV (1992). Stellungnahme, S. 5; Gerlach (1991). Das Versicherungswesen in den neuen Bundesländern aus der Sicht der Aufsichtsbehörde, S. 899. 3 8 5 Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 148. Die OVB schreibt fast 50 Prozent des Neugeschäfts des Deutschen Ring; die DVAG mehr als 50 Prozent des Neugeschäfts der Aachener und Münchner,; die Bonnfinanz knapp 40 Prozent des Neugeschäfts des Deutschen Herold (Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 150).

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

1

Wie bereits erwähnt wurde, ist ein Versicherungsmakler - anders als ein Mehrfachagent - vom Prinzip her stets Beauftragter des Versicherungsinteressenten bzw. des Versicherungsnehmers. Um eine optimale Auswahl für seine Kunden treffen zu können, muß ein Makler grundsätzlich mit jedem ihm geeignet erscheinenden Versicherer Verträge abschließen können. Aus diesem Grund ist es dieser Berufsgruppe untersagt, vertraglichen Verbindungen mit einzelnen Versicherungsunternehmen einzugehen. 386 Versicherungsvermittler, die gegen diesen Grundsatz verstoßen und im Geschäftsverkehr als Versicherungsmakler auftreten, obwohl sie agenturvertraglich an ein Versicherungsunternehmen gebunden sind, werden als Makleragenten oder Pseudo-Makler bezeichnet. 387 Obwohl das BAV zusammen mit den Versicherungsverbänden versucht, gegen ein solches Verhalten vorzugehen, scheint es doch nicht wenige dieser Makleragenten zu geben. 3 8 8 Offensichtlich finden sich genügend Versicherungsunternehmen, die trotz aller gegenteiligen Vorschriften mit solchen Vermittlern zusammenarbeiten. 389. Aber selbst bei Mehrfirmenvertretern und Maklern, die keine rechtlichen Verbindungen mit einem oder mehreren Versicherungsunternehmen eingegangen sind, ist aufgrund von materiellen Beeinflussungen eine wirkliche Unabhängigkeit häufig nicht gegeben. So ist z.B. bekannt, daß sich insbesondere die teureren Versicherungsunternehmen gegenüber unabhängigen Vermittlern mit sehr guten Provisionen und zusätzlichen Leistungen geradezu überbieten, in der Hoffnung, dadurch deren Auswahlentscheidung in die gewünschte Richtung lenken zu können. 3 9 0 Dagegen bezahlen viele der für den Kunden günstigsten Gesellschaften als Direktversicherer nur geringe oder gar keine Vermittlungsprovisionen. 391 Daß auch bei unabhängigen Vermittlern Form und Höhe der

3 8 6

Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 664 u. S. 777; Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, Punkt 11, S. 833. 3 8 7

Farny (1971). Absatzpolitik, S. 83.

3 8 8

Die Position des Einfirmenvertreters stärken (1991), S. 672. Bezeichnend für die Schwierigkeiten des B A V ist das Eingeständnis, „mangels rechtlicher Möglichkeiten" niemanden daran hindern zu können, als Versicherungsmakler aufzutreten und sich so zu bezeichnen (Gerlach (1991). Das Versicherungswesen in den neuen Bundesländern aus der Sicht der Aufsichtsbehörde, S. 898). 3 8 9

Keil (1991). Die Ausschließlichkeit - Reflexe der Makler, S. 712.

3 9 0

Lahno (1982). Nebenleistung als Wettbewerbselement im Industrie-Versicherungsgeschäft, S. 148; Farny (1971). Absatzpolitik, S. 81; VerBAV (1992), S. 137. Siehe dazu auch: Teil Β. I. 3. c) bb) (2) (f). 391

Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 131 u. S. 136.

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt f r Lebensversicherungen

Bezahlung einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Ergebnisse der Kundenberatungen haben, zeigt schon die Tatsache, daß bei Maklern die Entlohnung im allgemeinen viel gleichmäßiger zwischen Abschluß- und Folgecourtage verteilt wird, um diese nicht zu ständigen Umdeckungen der Risiken zu motivieren. 392 Auch die Bemerkung eines Interessenvertreters der Makler, daß die Weigerung eines Versicherungsunternehmens, dem Makler Folgecourtage zu bezahlen, diesen aus wirtschaftlichen Gründen zwingen kann, Bestände umzudecken, deutet in diese Richtung. 393 Weitere Abweichungen von einer optimalen Beratung können sich infolge der Tatsache ergeben, daß die meisten unabhängigen Finanzberater auf sich alleine gestellt und daher im Normalfall überfordert sind, alle relevanten Faktoren bei der Auswahl des für einen individuellen Kunden am besten geeigneten Produktes angemessen zu berücksichtigen. Schon der Aufwand, ständig alle verfügbaren Angebote der über 100 Anbieter vorliegen zu haben und auszuwerten, ist für einen echten Makler so groß, daß die im Privatgeschäft erzielbaren Courtagen eine Betätigung auf diesem Gebiet nicht lohnend erscheinen lassen. Daher sind wirklich unabhängige Makler im allgemeinen an privatem Kleingeschäft auch nicht interessiert. 394 Die dennoch im Jedermannsgeschäft tätigen Makler können vielfach nur überleben, indem sie ihre Unabhängigkeit de facto aufgeben und sich an einen großen Produktanbieter anhängen, also zu einem Pseudo-Makler werden. Eine andere Möglichkeit ist, sich mit anderen Vermittlern zu sogenannten Poolgtsellschaften zusammenzuschließen, um bestimmte logistische Aufgaben gemeinsam zu lösen und außerdem als größere Gruppe bei den Anbietern bessere Konditionen auszuhandeln. 395 Durch Kumulierung des Umsatzes sind bei solchen Pools für jeden der Beteiligten höhere Provisionen durchsetzbar, wobei es aber häufig zu Umsatzvorgaben durch die beteiligten Versicherungsunternehmen kommt, so daß auch hier letztlich die Unabhängigkeit der beteiligten Vermittler verloren geht. 3 9 6

3 9 2

Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 136.

3 9 3

Jagdhuber (1989). Assekuranz report, S. 40.

3 9 4

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 203 m.w.N.

3 9 5

Bauer (1990). Und immer lockt das Geld, S. 212-213.

3 9 6

Versicherungs-Tip (1987), O.S. Der Brancheninformationsdienst VersicherungsTip berichtet über eine Seminarveranstaltung, auf der ein Vorstand eines Makler-Pools die versammelten Makler mit dem Hinweis begeistern wollte, sein Pool boykottiere

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

Viele Versicherungsunternehmen scheinen außerdem mit allen Mitteln zu versuchen, Makler oder Mehrfirmenvertreter vertraglich an sich zu binden und auf diese Weise deren Unabhängigkeit einzuschränken. 397 So berichtet Assekuranz report z.B. über Vereinbarungen zwischen Maklern und Versicherungsunternehmen, nach denen der Makler ein vereinbartes „Bestandspflegegeld" nur solange erhält, wie er dem Versicherungsunternehmen eine Mindestmenge an Neugeschäft zufiihrt. 3 9 8 Insbesondere die zunehmende Zahl der zu unabhängigen Vermittlern umfirmierenden ehemaligen Einfirmenvertreter wird bei Startschwierigkeiten häufig von Wettbewerbern hofiert und subventioniert, denen sie willkommene Vermittler sind. 3 9 9 Dabei wird offenbar teilweise auch bewußt auf eine AVAD-Auskunft und -Meldung verzichtet. Geboten werden von Courtage-Zusagen mit umsatzabhängiger Bonifikation und reichlich bemessenen, gelegentlich auch ohne Sicherheitsleistungen diskontierten Lebensversicherungs-Provisionen bis hin zur Haftungsfreistellung und kostenlosen EDV-Einrichtung eine ganze Palette an Unterstützungsangeboten. Manche Versicherer haben auch unternehmenseigene Gesellschaften gegründet, die den Vermittlern die Vertragsverwaltung abnehmen, damit sich diese ganz auf die Akquisition konzentrieren können. Insgesamt fuhren die Maßnahmen letztlich zum „Makler mit Konkurrenzverbot", der die Versicherer aber wegen der zahlreichen Sonderkonditionen im Endeffekt häufig mehr kostet als die eigene Ausschließlichkeitsorganisation. 400 Dennoch drängen vor allem ausländische Anbieter und kleinere deutsche Gesellschaften auf diese Vermittlungsschiene, da sich fur solche Unternehmen der Aufbau eigener Vertriebsorganisationen nicht lohnt. 4 0 1 Zumindest in bezug auf die Beeinflussung durch unterschiedlich hohe Provisionen könnte die Situation bei den Honorarberatern aus Verbrauchersicht günstiger sein, denn hier wird die Beratungsleistung ja von den Kunden selbst bezahlt. Das schützt aber nicht vor den anderen der hier erwähnten Probleme, so daß auch in diesem Fall eine von den Anbietern unbeeinflußte Beratung nicht in jedem Fall gewährleistet ist.

„selbst eine kundenfreundliche Gesellschaft, wenn diese unseren Provisionsvorstellungen nicht entspricht" (Versicherungs-Tip (1987), o.S). 3 9 7

Siehe z.B. Jagdhuber (1987c). Assekuranz report, S. 1-2; Bauer (1990). Und immer lockt das Geld, S. 216. 3 9 8

Jagdhuber ( 1988c). Assekuranz report, S. 1.

3 9 9

Werber (1990). Anforderungen an den Versicherungsmakler, S. 26.

4 0 0

Keil (1991). Die Ausschließlichkeit - Reflexe der Makler, S. 712-713.

401

Bauer (1990). Und immer lockt das Geld, S. 216.

126

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt für Lebensversicherungen

(g) Zwischenergebnis zu den betriebsfremden Vermittlungsformen Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß auch die auf den ersten Blick anbieterunabhängigen Versicherungsvermittler aus verschiedenen Gründen nur in seltenen Fällen zu einer tatsächlich neutralen und objektiven Beratung in der Lage sind. Neben der Beeinflussung durch die unterschiedlichen Leistungen, die sie von den einzelnen Versicherungsunternehmen erhalten, ist vor allem die Tatsache zu nennen, daß auch die betriebsfremden Vermittler fast vollständig umsatzabhängig bezahlt werden, so daß schon aus diesem Grund eine bedarfsgerechte Versorgung der Kunden nicht zu erwarten ist. Die Eingriffsmöglichkeiten des BAV gegenüber Mehrfachvermittlern und Maklern sind trotz der Tatsache, daß die nach außen hin zur Schau gestellte Unabhängigkeit in vielen Fällen gar nicht gegeben ist, vergleichsweise gering. Obwohl beispielsweise bei den Sonderorganisationen bekanntermaßen ganz überwiegend eine Unternehmensgebundenheit vorliegt, führt die hohe Personalfluktuation und allgemein die Größe solcher Organisationen dazu, daß das BAV nach eigener Aussage auf Strukturvertriebe nur einen geringen Einfluß hat. Bei Maklern ist die Position des BAV noch schwächer, da zwischen einem Versicherungsmakler und einem Unternehmen zumindest offiziell kein vertragliches Verhältnis besteht und die Versicherer daher kaum angewiesen werden können, den Maklern gegenüber bestimmte Anordnungen des Aufsichtsamtes durchzusetzen. 402

cc) Die Struktur des Versicherungsvertriebs in Deutschland Kennzeichnend für die Bedeutung der einzelnen Absatzkanäle auf dem deutschen Versicherungsmarkt ist die eindeutige Dominanz der gebundenen Vertriebsschienen, auch wenn deren Anteil am Neugeschäft seit einigen Jahren etwas abnimmt. Berichtet wird ein Rückgang des Anteils der Einfirmenvertreter am Gesamtgeschäft der Lebensversicherungen von 90 Prozent in den siebziger Jahren auf 75 bis 80 Prozent im Jahr 1988. 4 0 3 Andere Quellen sprechen den Einfirmenvertretern dagegen nach wie vor einen Marktanteil von 81 bis 90

4 0 2 4 0 3

BAV (1992). Stellungnahme, S. 5.

Lütke-Bornefeld (1990). Allfinanzstrategien (1989). Finanzdienstleistungsmarkt, S. Β 17.

in Deutschland, S. 973; Muth

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

127

Prozent z u . 4 0 4 Bei der Bestimmung der relativen Bedeutung einzelner Absatzkanäle kommt es natürlich auch darauf an, ob man z.B. Sonderorganisationen gemäß ihrem eigenen Anspruch als unabhängig oder - gemäß der realitev zumeist gegebenen Sachlage - als gebundene Vertriebsorgane betrachtet. Während teilweise für die Gesamtheit der unabhängigen Vermittler - in diesem Fall verstanden als Makler, Mehrfirmenvertreter und Sonderorganisationen - etwa zehn bis 20 Prozent Marktanteil veranschlagt werden, ordnen andere Autoren den Strukturvertrieben allein bereits einen Anteil in dieser Höhe z u . 4 0 5 Der Beitrag der Banken zum Gesamtumsatz der Lebensversicherungsunternehmen wird auf mittlerweile fünf bis zehn Prozent 406 geschätzt, während der Direktvertrieb nur auf ca. zwei bis drei Prozent k o m m t . 4 0 7 Betrachtet man nicht die erzielten Umsätze, sondern die Zahl der im jeweiligen Absatzkanal beschäftigten Mitarbeiter, so zeigt sich folgendes Bild: in absoluten Zahlen soll es in Deutschland ca. 40.000 bis 45.000 selbständige hauptberufliche Versicherungsvertreter geben, von denen etwa 85 bis 90 Prozent an ein Unternehmen gebunden sind, 4 0 8 wobei jedoch der Anteil der unabhängigen Finanzdienstleistungsverkäufer angeblich „flutartig" anschwellen soll. 4 0 9 Die Zahl der festangestellten Versicherungsvertreter beläuft sich auf ungefähr 30.000. 4 1 0 Außerdem gibt es noch ca. 200.000- 250.000 nebenberufliche Vermittler, deren Zahl aber „in keinem vertretbaren Verhältnis zu ihrem Erfolg" zu

4 0 4 Außendienst-Personalleitertagungen (1991), S. 92; Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 129; Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 667; Sparen, Kredit, Versicherungen in Europa (1990), S. 16. 4 0 5 Matern (1990). Die Superstars der Allfinanz, S. 22 (eigene Berechnungen); Die Glorreichen Sieben (1991), S. 23; Gaulke (1992). Kursbuch Versicherung, S. 148. 4 0 6

Lütke-Bornefeld (1990). Allfmanzstrategien in Deutschland, S. 973; GDV (1993). Die deutsche Versicherungswirtschaft im EG-Binnenmarkt, S. 69. 4 0 7

Lütke-Bornefeld (1990). Allfmanzstrategien in Deutschland, S. 973; Bunk (1991). Außendienst außen vor?, S. 60; GDV (1993). Die deutsche Versicherungswirtschaft im EG-Binnenmarkt, S. 69. 4 0 8

Garbe (1975). Versicherungsvermittlergewerbe, S. 105; Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 667 u. S. 672; Koch (1991). Versicherungswirtschaft, S. 52 u. S. 70; GDV (1993). Die deutsche Versicherungswirtschaft im EG-Binnenmarkt, S. 69. 4 0 9 4 1 0

Bauer (1990). Und immer lockt das Geld, S. 208.

Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 680; GDV (1993). Die deutsche Versicherungswirtschaft im EG-Binnenmarkt, S. 69.

128

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt für Lebensversicherungen

stehen scheint. 411 Insgesamt ist festzustellen, daß kein anderer Wirtschaftszweig über ein derartig enges Netz unternehmenseigener Vermittler verfugt. 4 1 2 Die Anzahl der Versicherungsmakler wird auf mittlerweile ca. 2.500 bis 3.000 geschätzt, 413 von denen aber nur etwa 400 wirtschaftliches Gewicht haben und den Anforderungen gerecht werden, „die man an sich an einen Makler stellen können sollte" 4 1 4 . Bei vielen der kleineren Makler ist davon auszugehen, daß sie im Grunde genommen freiberufliche Einfirmenvertreter sind. 4 1 5 Die großen Makler und auch die meisten echten Mehrfirmenvertreter vermitteln nach übereinstimmender Ansicht verschiedener Autoren fast ausschließlich im gewerblichen Geschäft. 416 Im Verbraucherbereich spielen sie daher (noch) eine untergeordnete Rolle, 4 1 7 wobei aber eine zunehmende Betätigung im Breitengeschäft zu beobachten ist, da im gewerblichen Bereich der Wettbewerb immer härter wird und es deshalb zu einer vertikalen Wettbewerbsverlagerung kommt. 4 1 8

dd) Regulierung der Haftung der Versicherungsvermittler Die Frage der Haftung der Versicherungsvermittler kann sich auf zwei Aspekte beziehen - auf die Verantwortung gegenüber dem Verbraucher, aber auch auf das Verhältnis zum Versicherungsunternehmen. Der Schwerpunkt der fol-

4 1 1

Garbe (1975). Versicherungsvermittlergewerbe, S. 104; Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 674; Koch (1991). Versicherungswirtschaft, S. 52. 4 1 2

Koch (1991). Versicherungswirtschaft, S. 114.

4 1 3

GDV (1993). Die deutsche Versicherungswirtschaft im EG-Binnenmarkt, S. 69.

4 1 4 Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 682. Andere Quellen sprechen sogar von nur 20 echten Maklern mit Fähigkeiten zum vollem Marktüberblick (Schobert, Manfred; zit. in: Bunk (1991). Außendienst außen vor?, S. 55). 4 1 5

Schobert, Manfred; zit. in: Bunk (1991). Außendienst außen vor?, S. 55.

4 1 6

Finsinger (1991). Staatlicher Anlegerschutz und Lebensversicherung, S. 5-6; Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 359; Koch (1991). Versicherungswirtschaft, S. 121; GDV (1993). Die deutsche Versicherungswirtschaft im EG-Binnenmarkt, S. 69. 4 1 7

AgV

(1992). Stellungnahme, S. 3; Koch (1991).

Versicherungswirtschaft,

S. 118. 4 1 8

Keil (1991). Die Ausschließlichkeit - Reflexe der Makler, S. 711; Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 682.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

129

genden Betrachtungen liegt, dem Thema der Untersuchung entsprechend, auf dem erstgenannten Gesichtspunkt. Die wesentlichen Regelungen zu diesem Bereich wurden durch die Rechtsprechung entwickelt, 4 1 9 das BAV übernahm meistens nur die Aufgabe, die Vorgaben der Gerichte gegebenenfalls in Anordnungen an die Versicherungsgesellschaften umzusetzen. 420 Ausgangspunkt einer möglichen Haftung der Vermittler ist eine Verletzung der beruflichen Sorgfaltspflicht, d.h. „die Nichterbringung des beruflich geforderten Standards infolge von Fehlern bzw. Unterlassungen, die zu einem materiellen oder immateriellen Schaden führen" 4 2 1 . Bezüglich der Möglichkeit, wegen vermuteter Beratungsfehler gegen einen Versicherungsvermittler vorzugehen, ist daher eine differenzierte Betrachtung notwendig, denn inwieweit der jeweilige Verkäufer für das im Rahmen seiner Verkaufsgespräche zustandegekommene Ergebnis verantwortlich gemacht werden kann, hängt vor allem von der Stellung ab, die er dem Verbraucher gegenüber für sich in Anspruch genommen hat. 4 2 2 Ein Vermittler, der den Anschein erweckt, sachkundig zu sein und den Verbraucher auffordert, aufgrund dieser Sachkunde besonderes Vertrauen zu ihm zu haben, kann als Sachwalter bezeichnet werden 4 2 3 Generell geht der Trend dahin, die Haftung für Sachwalter bei einem Verstoß gegen professionelle Regeln umso schärfer zu handhaben, je mehr das Expertentum dieser Fachleute in Form von Prestige und Einkommen gesellschaftlich anerkannt ist.424 Von den Vermittlern haben deshalb vor allem die Versicherungsmakler eine besonders intensive Verpflichtung zur Wahrnehmung der Interessen ihrer Kunden, da die Verbraucher aufgrund der rechtlichen Stellung des Maklers davon ausgehen können, daß dieser seine besonderen Kenntnisse in ihrem Sinne und zu ihren Gunsten einsetzt. 425 Durch das Sachwalterurteil des BGH vom 22. Mai 1985 kam es gerade für Makler zu einer deutlichen Haftungsverschär-

4 1 9

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 198; Glauber (1991). Aufklärungspflichten und Haftungsrisiken von Finanzdienstleistern, S. 741-743. 4 2 0

VerBAV (1992), S. 298.

4 2 1

Geck (1992). Die Versicherung von Berufshaftpflichtrisiken, S. 118.

4 2 2

Glauber (1991). Aufklärungspflichten und Haftungsrisiken von Finanzdienstleistern, S. 743; Geck (1992). Die Versicherung von Berufshaftpflichtrisiken, S. 119. 4 2 3

Werber ( 1991 ). Best Advice, S. 6.

4 2 4

Werber (1991). Best Advice, S. 4 m.w.N.

4 2 5

Matuschke (1990). Pflichten und Haftung des Versicherungsmaklers, S. 9.

9 Eifert

130

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt für Lebensversicherungen

fiing 4 2 6 Sie treffen umfangreiche Beratungs- und Informationspflichten, denn ihre Tätigkeit soll den Versicherungsnehmer in die Lage versetzen, auf der Basis umfassender und richtiger Informationen den Versicherungsvertrag abzuschließen. 427 Da der Kunde dem überlegenen Wissen eines Maklers blind vertrauen können m u ß , 4 2 8 ist es entscheidend, daß dessen eigene Courtage-Interessen hinter den Interessen des Versicherungsnehmers zurückstehen. 429 Der BGH hat bezüglich des Verhaltens von Vermittlern in seinem oben schon erwähnten Urteil ganz erhebliche Anforderungen aufgestellt. In dem betreffenden Fall war der Versicherungsnehmer von einem Vertreter des Versicherers bereits darauf hingewiesen worden, daß die Deckung nur verlängert werden könnte, wenn Einbruchssicherungen eingebaut würden, was der Versicherungsnehmer aber ablehnte. Aufgabe des Maklers wäre es nach Ansicht des Gerichtes nun gewesen, den sich aus Kostengründen sträubenden Versicherungsnehmer durch „eindringliche Überzeugungsarbeit" dazu zu bringen, die Sicherungen doch noch einzubauen. Wie Werber zutreffend feststellt, ist „eine Steigerung der Beratungsanforderungen über den erreichten Punkt (nämlich den der notwendigen Überzeugung eines schon informierten, aber sich sträubenden Kunden) hinaus kaum noch denkbar". Hinzu kommt, daß damit zu rechnen ist, „daß der BGH den im Sachwalterurteil für die Vermittlungstätigkeit der Makler entwickelten strengen Maßstab in entsprechend gelagerten Fällen auf Fehler in der laufenden Betreuung und Beratung übertragen wird"430. Grundlage eines eventuellen Anspruches gegen einen Versicherungsmakler dürfte im allgemeinen die positive Verletzung des Maklervertrages bzw. § 98 HGB sein, der den Makler wie andere Angehörige des Handelsstandes zur Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes verpflichtet. 431 Da es die Aufgabe eines Maklers ist, unter Beachtung aller relevanter Kriterien ein möglichst günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis für den Kunden zu erzielen, bedeutet eine zu hohe Prämie grundsätzlich eine Pflichtverletzung, während die Wahl eines preisgünstigen Versicherers keineswegs ausreicht, um gegen alle Vorwürfe ab-

4 2 6

Werber ( 1991 ). Best Advice, S. 1.

4 2 7

Müller-Stein ( 1991 ). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 779.

4 2 8

Makler vor einer Prozeßflut? ( 1991 ), S. 1541.

4 2 9

Müller-Stein ( 1991 ). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 779.

4 3 0

Werber ( 1991 ). Best Advice, S. 9-10.

4 3 1

Werber (1991). Best Advice, S. 7.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

131

gesichert zu sein. 4 3 2 Eine Möglichkeit für den Versicherungsmakler, durch Haftungsausschlüsse oder -einschränkungen sein Risiko in Grenzen zu halten, besteht aufgrund der AGB-Gesetzgebung kaum. Allenfalls kann der Makler darauf hinweisen, daß er nur national erhältlichen Versicherungsschutz vermittelt, aber selbst dann könnte er verpflichtet sein, potentielle Kunden bei entsprechender Bedarfslage darauf hinzuweisen, daß in ihrem Fall das Hinzuziehen eines international tätigen Vermittlers sinnvoll sein könnte. 4 3 3 Die erhöhten Anforderungen gelten, allerdings in abgeschwächtem Maße, auch für Mehrfirmenvertreter, während sie für erkennbar an ein einzelnes Unternehmen gebundene Einfirmenvertreter wegen deren Auftretens weniger relevant sind. 4 3 4 Werber jedoch eine mögliche Haftung selbst für Einfirmenvertreter mindestens in allen solchen Fällen, wo der Vermittler besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und wo für ihn erkennbar war, daß die Beratung für den Kunden erhebliche Bedeutung hatte und dazu bestimmt war, „Grundlage wesentlicher, vermögensrelevanter Entscheidungen zu werden" 4 3 5 In bezug auf die gebundenen Vermittler zeigt sich die Tendenz der Gerichte zu schärferen Haftungspflichten darin, daß die Versicherer mehr und mehr für die Folgen von Beratungsmängeln ihrer Außendienstmitarbeiter verantwortlich gemacht werden 4 3 6 So gibt es z.B. den durch ständige Rechtsprechung erhärteten Gewohnheitsrechtssatz der Vertrauenshaftung für den Vertreter, nach dem ein Versicherungsnehmer auf die Richtigkeit der Aussagen des Vertreters vertrauen darf, es sei denn, diese sind offensichtlich und erkennbar falsch. 4 3 7 Der Versicherer ist aufgrund des Vertrauensverhältnisses während der Vertragsverhandlungen dem Antragsteller gegenüber zur Auskunft und Beratung verpflichtet, soweit dieser sie benötigt. Der dabei eingesetzte Vertreter ist insoweit Erfüllungsgehilfe des Versicherungsunternehmens; die Belehrung und Aufklärung über Inhalt und Bedeutung der Versicherungsbedingungen gehört zu seinen Aufgaben. 438 Das Versicherungsunternehmen muß also für Aus-

4 3 2

Werber (1991). Best Advice, S. 11.

4 3 3

Werber ( 1991 ). Best Advice, S. 14.

4 3 4

Glauber (1991). Aufklärungspflichten und Haftungsrisiken von Finanzdienstleistern, S. 743. 4 3 5

Werber (1991). Best Advice, S. 5-6.

4 3 6

Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 198 m.w.N.

4 3 7

Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 769.

4 3 8

Senatsurteil vom 29.1.86 (IVa ZR 140/84), zit. in: Sieg (1991). Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, S. 357-358. *

132

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt für Lebensversicherungen

künfite oder Erklärungen seines Agenten bezüglich Inhalt und Umfang des Vertrags oder anderer wesentlicher Umstände unabhängig von der Frage eines Verschuldens des Agenten einstehen, sofern den Versicherungsnehmer kein erhebliches eigenes Verschulden trifft. Gibt der Vertreter schuldhaft falsche Erklärungen ab, z.B. über Beginn bzw. Ende des Versicherungsschutzes, Dekkungsumfang, Rückkaufswert, Prämie, Kündigungsmöglichkeiten, Zweckmäßigkeit des Vertrages oder Inhalt und Bedeutung von Antragsformularen, 439 so hat der Versicherungsnehmer nicht nur ein Rücktrittsrecht nach § 123 Abs. 1 BGB, sondern unter Umständen auch ein Recht auf Schadensersatz nach § 278 BGB 4 4 0 Der Vermittler hat allerdings „keine allgemeine und spontane Belehrungs- und Aufklärungspflicht", sondern muß sich erst äußern, wenn er erkennt, daß sich der Versicherungsnehmer falsche Vorstellungen bezüglich wesentlicher Punkte des Vertragsinhalts macht. 4 4 1 Den Versicherten kann außerdem eine Teilschuld treffen, wenn er den Angaben eines Vertreters blind vert r a u t 4 4 2 Die Vertrauenshaftung des Versicherungsunternehmens gilt prinzipiell nicht gegenüber Maklern, da diese ja definitionsgemäß nicht für das Unternehmen arbeiten, sondern grundsätzlich die Interessen des Versicherungsnehmers vertreten 4 4 3 Auch hinsichtlich der Informationen, die der Versicherungsinteressent abgibt, wurden von der Rechtsprechung die ursprünglich geltenden Regelungen weiterentwickelt bzw. geändert. Nach der sogenannten Verschuldensbeeinflussung bei Agentenmitwirkung hängt die Haftung eines Vertreters, der beim Ausfüllen des Versicherungsantrags hilft, vom Einzelfall ab. Wenn der Versicherungsnehmer die Fragen beantwortet, nachdem der Vertreter ihm bei deren Interpretation geholfen hat, kann bei falscher Auslegung des Sinns der Fragen ein Verschulden des Vertreters vorliegen. Auch hier hat der Verbraucher aber kein Recht auf blindes Vertrauen. Füllt der Vertreter den Antrag selbst aus, kann den Versicherungsnehmer eine Mitschuld treffen, wenn er den Antrag ungeprüft oder blanko unterschreibt. 444 Ansonsten gilt, daß nach § 166 I BGB analog dem Versicherungsunternehmen gesagt worden ist, was dem Vermittlungs-

4 3 9 Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 769-771; Sieg (1991). Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, S. 356. 4 4 0 VerBAV (1992), S. 176; VerBAV (1989), S. 92; Sieg (1991). Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, S. 354 u. S. 357-358. 4 4 1

Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 771.

4 4 2

VerBAV (1989), S. 93.

4 4 3

Müller-Stein (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 772.

4 4 4

Sieg (1991). Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, S. 355.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

133

agent gesagt wurde (Auge und Ohr des Unternehmens); was wahrheitsgemäß gesagt wurde, gilt, auch wenn es nicht ins Formular übernommen wurde. 4 4 5 Was der Vermittler während der Antragsaufnahme erfährt, gilt als bekannt, und ist daher kein Grund mehr für eine Anfechtung des Vertrags oder einen Rücktritt des Versicherers wegen Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten. Bezeichnend für die tatsächliche Ausgestaltung des von Vertretern der Versicherungswissenschaft immer wieder als Verbraucherschutzgesetz bezeichneten Versicherungsvertragsgesetzes ist, daß in § 44 VVG die Kenntnisnahme des Vermittlers ausdrücklich als nicht ausreichend bezeichnet wird. Erst durch die korrigierenden Entscheidungen der Rechtsprechung wurde diese den Versicherern sehr entgegenkommende Sonderregelung des Versicherungsvertragsgesetzes abgeändert und damit den in anderen Branchen gültigen Vorschriften angeglichen. 446 Die bis dahin vom Aufsichtsamt in den Antragsformularen vorgeschriebene Klausel, wonach der Antragsteller für die Richtigkeit der Angaben allein verantwortlich ist, auch wenn er nicht selbst ausgefüllt hat, ist laut einem 1991 ergangenen BGH-Urteil unwirksam. 447 Sie wurde inzwischen aus den Mustergeschäftsplänen des BAV gestrichen. 448 Wie ersichtlich wurde, ist gerade in haftungsrechtlicher Hinsicht eine klare Unterscheidung zwischen Versicherungsmaklern und Versicherungsvertretern von großer Bedeutung. 449 Während bei einem Einfirmenvertreter das Versicherungsunternehmen für Pflichtverletzungen des Vermittlers einstehen muß, haftet ein Makler für eine schuldhafte Verletzung seiner Pflichten gegenüber beiden Parteien des Versicherungsvertrags selbst (§ 98 H G B ) . 4 5 0 Deshalb wird einem Versicherungsmakler der Abschluß einer Haftpflichtversicherung von mindestens einer Mio. D M empfohlen, auch wenn sie nicht zwingend vorgeschrieben ist. 4 5 1 Es ist in diesem Zusammenhang zu vermuten, daß viele der Vermittler, die als Versicherungsmakler auftreten, obwohl sie in Wirklichkeit Ein- oder Mehrfirmenvertreter sind, gar nicht wissen, welchem scharfen Haftungsrisiko sie sich aussetzen. Selbst wenn sie eine Berufshaftpflichtversicherung haben, bezieht sich diese meist nur auf ihre Vertretereigenschaft und greift

4 4 5

VerBAV (1992), S. 176.

4 4 6

Sieg (1991). Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, S. 353.

4 4 7

IV ZR 299/90, zit. in: VerBAV (1992), S. 175-177.

4 4 8

VerBAV (1992), S. 298.

4 4 9

Werber (1988). Rechtsstellung, S. 1161.

4 5 0

Sieg (1991). Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, (1991). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 782. 4 5 1

S. 359;

Müller-Stein

Müller-Stein ( 1991 ). Das Recht der Versicherungsvermittlung, S. 782.

134

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt für Lebensversicherungen

daher nicht, wenn sie als Versicherungsmakler in Anspruch genommen werden. 4 5 2 Die Bedeutung der teilweise sehr scharfen Haftungsregeln für die Praxis der Versicherungsvermittlung ist allerdings zu relativieren. Voraussetzung dafür, daß ein Vermittler für eine Fehlberatung zur Verantwortung gezogen wird, ist nämlich, daß der geschädigte Kunde zunächst eventuelle Beratungsfehler erkennt, und dann auch noch bereit ist, die notwendige Zeit und die Kosten aufzuwenden, um dagegen vorzugehen. Dies ist bislang offenbar so selten der Fall, daß die gesamte Haftungsproblematik zur Zeit noch ein eher theoretisch relevantes Thema darstellt. 453 Es soll jedoch gewisse Anzeichen für eine zunehmende Bereitschaft der Verbraucher geben, bei einer vermuteten Verletzung der beruflichen Sorgfaltspflicht gegen ihren Berater gerichtlich vorzugehen. 454

ee) Regulierung der Widerrufs- und Rücktrittsrechte Ebenfalls zum Themenkreis der Distributionspolitik der Versicherungsunternehmen gehören die Widerrufs- und Rücktrittsrechte, die den Versicherungsnehmern eingeräumt werden. Inwieweit die im folgenden dargestellten Rechte zum Widerruf bzw. zur Auflösung des Vertrags den Nachfragern von Lebensversicherungsverträgen tatsächlich ein zusätzliches Kontrollpotential über die Anbieter eröffnen, wird dann in einem der später folgenden Kapitel untersucht. Wie bereits erwähnt wurde, waren Versicherungen anfangs von der einwöchigen Widerrufsfrist ausgenommen, die das Haustürwiderrufgesetz Verbrauchern seit 1986 bei Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen wurden, einräumt. 455 Diese Ausnahmeregelung war jedoch in bezug auf Lebensversicherungen insofern meistens nicht relevant, als daß die Versicherungsunternehmen auf erheblichen Druck von Verbraucherorganisationen hin bereits 1984 privaten Versicherungsnehmern nach dem Abschluß einer KapitalLebensversicherung freiwillig eine zehntägige Rücktrittsfrist einräumten. 456 In

4 5 2

Werber (1988). Rechtsstellung, S. 1163.

4 5 3

Makler vor einer Prozeßflut? ( 1991 ), S. 1541.

4 5 4

Geck (1992). Die Versicherung von Berufshaftpflichtrisiken, S. 119; Makler vor einer Prozeßflut? (1991), S. 1541. 4 5 5 4 5 6

Kuhlmann ( 1990). Verbraucherpolitik, S. 217.

Hagelschuer (1991). Lebensversicherung, S. 81; Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 238.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

135

dieser Zeit konnte der Versicherungsnehmer den Abschluß ohne Angabe von Gründen durch eine schriftliche Mitteilung rückgängig machen, auch wenn der Antrag vom Versicherer bereits angenommen worden war. Kein Widerrufsrecht gab es allerdings bei Risiko-Lebensversicherungen, Gruppenversicherungsverträgen und in Fällen, in denen der Versicherungsnehmer sofortigen Versicherungsschutz beantragt hatte. 4 5 7 Seit dem Ol. Januar 1991 gilt gemäß dem neuen Absatz 4 des § 8 VVG auch für Lebensversicherungen ein gesetzliches Widerrufsrecht, das sich auf alle Lebensversicherungsvarianten bezieht, so daß die bisherigen Einschränkungen aufgehoben wurden. 4 5 8 Inhaltlich hat sich an der bisherigen Regelung nichts geändert, d.h. der Widerruf muß nach wie vor innerhalb von zehn Tagen beim Versicherungsunternehmen eingegangen sein. Den Gesellschaften wird vorgeschrieben, eine Belehrung des Antragstellers über sein Recht in das Formular für den Versicherungsantrag aufzunehmen 4 5 9 Eine Folge des neuen Widerrufsrechtes ist, daß es einen vorläufigen Versicherungsschutz grundsätzlich erst ab dem elften Tag g i b t . 4 6 0 Durch diese Vorschrift wird verhindert, daß das Recht, von dem Vertrag zurückzutreten, von den Anbietern durch die Gewährung von sofortigem vorläufigem Versicherungsschutz ausgehebelt w i r d . 4 6 1 Auch nach dem Ablauf der Zehn-Tages-Frist haben die Versicherungsnehmer bei den meisten Unternehmen die Möglichkeit, ohne allzu hohe Verluste vom Vertrag zurückzutreten, indem sie den sogenannten Einlösungsbeitrag, d.h. die erste fällige Prämienzahlung, nicht entrichten. Obwohl die Versicherungsunternehmen das Recht haben, den ersten Jahresbeitrag gerichtlich einzuklagen, verzichten sie meistens darauf und treten stattdessen ihrerseits vom Vertrag zurück, wenn der Versicherte nicht rechtzeitig bezahlt. 462 Allerdings hat das BAV nach eigenen Angaben bei der Beschwerdebearbeitung festgestellt, daß entgegen seinen Empfehlungen einzelne Versicherer die Erstjahres-

4 5 7

Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 238. 4 5 8

VerBAV (1990), S. 556.

4 5 9

VerBAV (1991), S. 271.

4 6 0

VerBAV (1991), S. 59.

4 6 1

VerBAV (1991), S. 272.

4 6 2

Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 241.

136

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt für Lebensversicherungen

prämien rigoros einklagten. 463 Da Versicherungsnehmer außerdem meistens nicht wissen, daß der erste Beitrag im allgemeinen nicht eingeklagt wird, können die Unternehmen zunächst versuchen, den Kunden unter Druck zu setzen und ihn dadurch zur Aufrechterhaltung der Vertragsbeziehung zu bewegen. 464 Auch wenn ein Lebensversicherer den Erstjahresbeitrag nicht einklagt, kann er von dem Versicherungsnehmer Zahlungen verlangen, und zwar zum einen die Kosten einer eventuellen ärztlichen Untersuchung und zum anderen eine Gebühr in Höhe von zehn Prozent des ersten Jahresbeitrags oder drei Prozent des Einmalbeitrags. 465 Gärtner sieht Überraschungseffekte beim Abschluß einer Lebensversicherung schon dadurch verhindert, daß das Versicherungsunternehmen den Antragsteller nicht zwingen kann, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, so daß dieser durch eine entsprechende Weigerung auch einen bereits unterschriebenen Antrag scheitern lassen kann 4 6 6 Da ärztliche Untersuchungen jedoch in der Regel erst bei hohen Versicherungssummen oder älteren Antragstellern verlangt werden, 4 6 7 steht diese Möglichkeit nur einem kleinen Teil der Versicherungsnehmer offen. Neben der Möglichkeit des Widerrufs steht bei Lebensversicherungen jedem Versicherungsnehmer nach den §§ 165 I und 176 VVG das unabdingbare Recht zu, die Versicherung jederzeit zum Ende der laufenden Versicherungsperiode zu kündigen. 4 6 8 In diesem Fall hat der Versicherungsnehmer das Recht auf die Auszahlung des bereits erwähnten Rückkaufswertes 4 6 9

463 Bezeichnenderweise wurde gerade bei diesen Unternehmen die Zahlungsverweigerung von den Versicherungsnehmern häufig damit begründet, daß sie „sich beim Vertragsabschluß hintergangen und unzureichend beraten" fühlten (VerBAV (1977), S. 51). 4 6 4

Sieg (1991). Allgemeines Versicherungsvertragsrecht, S. 333.

4 6 5

Kühlmann/Blumenstein/Dietrich (1992). Die Lebensversicherung zur Altersvorsorge, S. 242. 4 6 6

Gärtner ( 1980). Privatversicherungsrecht, S. 189-190.

4 6 7

Pressestelle des Verbandes der Lebensversicherungsunternehmen e.V. (o.J.). ABC der Lebensversicherung, S. 7. 4 6 8 4 6 9

Gärtner ( 1980). Privatversicherungsrecht, S. 182.

Hagelschuer (1987). Lebensversicherung, S. 87. Zum Rückkaufswert: Teil Β. I. 3. b) dd).

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

137

ff) Zwischenergebnis zur Distributionspolitik Der Vertrieb von Lebensversicherungen findet, wie gezeigt wurde, ganz überwiegend im persönlichen Verkauf statt. Daraus ergibt sich die für Versicherungen charakteristische Situation, daß die Information des Versicherungsinteressenten durch den Vermittler und der eigentliche Verkauf sehr eng miteinander verbunden sind. Aufgrund dieses engen Zusammenhangs erscheint es sinnvoll, zunächst die Regulierungsmaßnahmen in bezug auf die Kommunikationspolitik der Versicherungsunternehmen zu betrachten, bevor ein ausführlicheres Zwischenfazit gezogen wird.

d) Die Kommunikationspolitik Wie bei der Untersuchung der Regulierung der Produktpolitik gezeigt wurde, reduzieren die Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes zwar einige der Risiken, die für Verbraucher mit dem Abschluß einer Lebensversicherung verbunden sind, nehmen ihnen aber keineswegs alle eigenen Entscheidungen ab. Angesichts der Möglichkeit, zwischen zahlreichen unterschiedlichen Produktvarianten und einer großen Zahl von Anbietern auszusuchen, benötigen Versicherungsinteressenten, die im Hinblick auf den Abschluß einer Lebensversicherung eine wirtschaftlich sinnvolle Wahl treffen wollen, Informationen, und zwar sowohl zur Bedarfsreflexion als auch für die letztlich zu treffende Kaufentscheidung. Es ist daher zu prüfen, inwieweit die Regulierung der von den Anbietern ausgehenden Informationen dazu beiträgt, daß dieser Informationsbedarf der Verbraucher abgedeckt wird. Von Anbieterinformation soll gesprochen werden, wenn die Informationen von den Versicherungsunternehmen, ihren Absatzhelfern oder ihren Verbänden ausgehen. 470 Da das Produkt Versicherung selbst nicht darstellbar ist, bleiben bei Lebensversicherungen nur die Möglichkeiten, die Informationen schriftlich, vor allem in Form von Prospekten und Anzeigen, oder mündlich, hauptsächlich im Rahmen des persönlichen Verkaufs, zu übermitteln. Im Rahmen dieser Untersuchung sollen von den zahlreichen Formen der Öffentlichkeitsarbeit, die den Versicherungsunternehmen prinzipiell zur Verfügung stehen, nur diejenigen erörtert werden, denen in der Praxis die größte Bedeutung zukommt. Dieses sind die Medienwerbung und die produktbegleiten-

4 7 0

In Anlehnung an: Dedler et al. (1984). Informationsdefizit, S. 59.

138

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt für Lebensversicherungen

den Informationen. Angesichts der für den Versicherungsvertrieb typischen sehr engen Verbindung zwischen dem Produkt an sich - in Form des Antragvordrucks - und der im persönlichen Verkaufsgespräch übermittelten Informationen bietet es sich an, den Begriff der produktbegleitenden Informationen in diesem Zusammenhang so weit zu fassen, daß auch die Informationstätigkeit der Vermittler darunter fällt. Wie bereits dargelegt wurde, hängen die Informationsmaßnahmen der Lebensversicherer in vielen Fällen direkt mit der Vertriebstätigkeit der Versicherungsvermittler zusammen. Aus diesem Grund unterliegt die Kommunikationspolitik der Anbieter weitgehend denselben Regulierungen, die auch für die Distribution gelten, so daß auch hier die im vorigen Kapitel dargestellte „Dreiteilung" des Wettbewerbsrechts in allgemeingültige Gesetze, Anordnungen des BAV und schließlich die Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft gilt. Wegen der großen Bedeutung für den Absatz von Versicherungsprodukten hat sich das Bundesaufsichtsamt schon frühzeitig mit der Medienwerbung der Anbieter und der Werbetätigkeit durch die Außendienstmitarbeiter beschäft i g t . 4 7 1 Dabei hat die Behörde in zahlreichen Einzelentscheidungen die Generalklauseln des UWG, nach denen vor allem unzutreffende Angaben über die Beschaffenheit oder Preisbemessung des Produktes, aber auch andere Formen der Irreführung verboten sind, unter Bezugnahme auf die Wahrung der Belange der Versicherten für die Versicherungsbranche konkretisiert. 472 Nach dem Verständnis des BAV ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift des UWG dabei eine hinreichende, aber nicht notwendige Voraussetzung für eine Beanstandung. Da die Behörde der Ansicht folgt, daß im Bereich der Versicherungswirtschaft zahlreiche Besonderheiten vorliegen, können nach ihrer Ansicht auch Sachverhalte, die vom UWG noch toleriert werden, die Belange der Versicherten gefährden. 473 Auch die Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft befassen sich mit Fragen zur Werbung und anderen Problemen im Zusammenhang mit den

4 7 1

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 112-113.

4 7 2

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 114; Stöffler (1984). Markttransparenz, S. 113 m.w.N. 4 7 3

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 115; Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 337-338.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

139

von den Anbietern ausgehenden Informationen. 474 Da die Versicherungswirtschaft nach eigener Einschätzung in besonderer Weise auf das Vertrauen der Verbraucher angewiesen ist, soll für sie das Wahrheitsgebot in erhöhtem Maße gelten 4 7 5 Zu einem der wesentlichen Ziele der Wettbewerbsrichtlinien wurde es daher erklärt, alles zu unterbinden, was einen unzutreffenden Eindruck über Leistung und Gegenleistung oder über die Person des Anbieters erwecken könnte. 4 7 6 Einem Versicherungsnehmer, der durch unwahre oder irreführende Angaben zum Vertragschluß gebracht worden war, stehen außerdem nach § 4 und § 13a UWG die Möglichkeit zum Rücktritt und unter Umständen ein Schadensersatzanspruch z u . 4 7 7 Allerdings gelten auch hier die bereits bei der Frage der Haftung der Vermittler angeführten Einschränkungen bezüglich der Bereitschaft und Fähigkeit der Versicherungsnehmer, solche Ansprüche auch durchzusetzen.

aa) Medienwerbung Im Rahmen der Analyse des rechtlichen Verbraucherschutzes ist zunächst festzustellen, daß für Versicherungen, wie auch für nahezu alle anderen Produkte, keine Vorschriften bezüglich der Medienwerbung in der Form vorliegen, daß die Veröffentlichung bestimmter Informationen zur Auflage gemacht wird 4 7 8 Allerdings versucht das BAV darauf zu achten, daß aus den an die Verbraucher gerichteten Informationen klar hervorgeht, daß es sich bei dem beworbenen Produkt um eine Lebensversicherung, und nicht etwa um einen Sparplan oder eine andere Kapitalanlageform handelt. Vergleichende Werbung, in der in herabsetzender Weise auf einen Konkurrenten Bezug genommen wird, wird grundsätzlich als unlauter erachtet. 479 Es wurden diesbezüglich aber bisher kaum Fälle bekannt, die der Aufsicht Anlaß zum Einschreiten geboten hät-

4 7 4

Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, insbesondere Punkte 2, 3, 22-36, S. 831-838. 4 7 5

Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, Punkt 2, S. 831.

4 7 6

Doerry/Stech (1991). Wettbewerbsrecht, S. 858-859; dazu auch: Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, Punkte 2, 23 - 24, S. 831 u. S. 835-836. 4 7 7

Doerry/Stech ( 1991 ). Wettbewerbsrecht, S. 859.

4 7 8

Kuhlmann (1990). Verbraucherpolitik, S. 129.

4 7 9

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 127.

140

Β. Die derzeitige Situation auf dem Markt für Lebensversicherungen

t e n . 4 8 0 Die ursprünglich in den Wettbewerbsrichtlinien vorgesehene totale Untersagung vergleichender Werbung wurde auf Drängen des Bundeskartellamtes aufgehoben. Allerdings sind die Anforderungen an die Zulässigkeit hier nach wie vor so hoch, daß sie einem Verbot sehr nahe kommen 4 8 1 Ebenso werden Werbemethoden beanstandet, die bei dem Versicherungsinteressenten „irrige Vorstellungen oder unerfüllbare Hoffnungen hervorrufen" 482 . Als irreführend wurde beispielsweise Werbung mit der Tatsache betrachtet, daß ein Unternehmen der staatlichen Aufsicht unterliegt, da sie einem unkundigen Verbraucher eine besondere Qualität des Werbenden gegenüber anderen Anbietern vorspiegelt, die nicht gegeben ist. 4 8 3 In der Praxis findet ein Großteil der Medien-Werbung für Lebensversicherungen in der Form der Verbandswerbung statt, d.h. der Verband der Lebensversicherungen e. V, in dem die meisten der deutschen Lebensversicherungsunternehmen organisiert sind, wirbt für das Produkt Lebensversicherung an sich, ohne dabei eine bestimmte Produktvariante oder bestimmte Unternehmen hervorzuheben. 484 Um die allgemeine Nachfrage zu fördern, stellt die derzeitige Kampagne des Verbandes die Bedeutung der Lebensversicherung als die private Form der A Iters Vorsorge heraus. Mit dem Hinweis auf die schwierige Lage der Rentenversicherung als „Hauptsäule" wird dabei betont, daß neben der betrieblichen Absicherung die Lebensversicherung vom Staat als die sogenannte Dritte Säule der Altersversorgung anerkannt werde. 4 8 5 Ziel ist es offensichtlich, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, daß der Abschluß einer Lebensversicherung die einzige Methode ist, Hinterbliebene finanziell abzusichern und außerdem im Alter über ein bestimmtes Vermögen verfügen zu können. In einer früheren Kampagne unter dem Slogan „Sicherheit mit Di-

4 8 0

Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 127.

4 8 1

Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschafit, Punkt 30, S. 837; Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 129-130; Gärtner (1980). Privatversicherungsrecht, S. 363. 4 8 2 Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 119 m.w.N.; Angerer (1983). Gewerbliche Versicherungsnehmer, S. 25; Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, Punkte 22-36, S. 835-838. 4 8 3 Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, Punkt 36, S. 838; Unger (1987). Die Versicherungsvermittlung, S. 119. 4 8 4 4 8 5

Stöffler (1984). Markttransparenz, S. 79-80.

Beispielsweise die Anzeigen des Verbandes der Lebensversicherungsunternehmen in: Wirtschaftswoche (1992). Heft 6, S. 55; Wirtschaftswoche (1992). Heft 10, S. 183; Wirtschaftswoche (1993) Heft 5, S. 45.

I. Maßnahmen des rechtlichen Verbraucherschutzes

141

vidende" lag der Schwerpunkt der Verbandswerbung auf der Überschußbeteiligung und der damit verbundenen Betonung der monetären Vorteilhaftigkeit der Lebensversicherung. 486 Beiden Werbekampagnen gemeinsam ist der insgesamt geringe Informationsgehalt der dabei verbreiteten Aussagen. Außer dem Hinweis auf den mit dem Abschluß einer Lebensversicherung angeblich verbundenen Nutzen einer hohen Rendite bzw. der Darstellung der Lebensversicherung als einzig denkbare Form der privaten Altersvorsorge erhält der Betrachter nahezu keine verwertbaren Angaben. 487 Dabei ist festzustellen, daß die pauschale Bezeichnung der Lebensversicherung als rentable Kapitalanlage angesichts der von einigen Anbietern tatsächlich gebotenen Verzinsungen im Grunde genommen genauso irreführend ist, 4 8 8 wie die Suggestion, sie sei die staatlich anerkannte Form der privaten Altersvorsorge und es gäbe dazu keine Alternative. Der Informationsgehalt der Anzeigenserie leidet zusätzlich auch darunter, daß beispielsweise keine Differenzierung zwischen den Produktvarianten Kapital- und Risiko-Lebensversicherung stattfindet, sondern pauschal von „Lebensversicherung" gesprochen wird, obwohl die in der Werbung betonten Eigenschaften in Wirklichkeit nur für Kapital-Lebensversicherungen relevant sind. Bei der Analyse der von einzelnen Anbietern zusätzlich betriebenen unternehmensindividuellen Werbung muß man zwischen den Botschaften der Versicherungsunternehmen differenzieren, die ihre Produkte im Direktvertrieb, d.h. ohne Einschaltung eines Außendienstes absetzen, und denen der klassischen also mit Außendienst arbeitenden - Versicherer. Während die Anzeigen der im Direktvertrieb verkaufenden Gesellschaften schon von ihrem Inhalt und ihrer Aufmachung her so komplex gestaltet sind, daß sie von vornherein nur einen geringen Anteil der Verbraucher ansprechen, 489 beschränken sich die anderen Unternehmen meistens auf sehr einfache Botschaften. Ihre Werbung zielt überwiegend darauf ab, den Unternehmensnamen bekannt zu machen und gegebenenfalls durch die Verbindung mit „beeindruckenden Zahlen" bezüglich des

486 Verband