Kannibale-Werden: Eine postkoloniale Geschichte deutscher Männlichkeit um 1900 [1. Aufl.] 9783839414699

Eine postkoloniale Geschichte deutscher Männlichkeit: Eva Bischoff rekonstruiert die Verflechtungen zwischen dem kolonia

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Kannibale-Werden: Eine postkoloniale Geschichte deutscher Männlichkeit um 1900 [1. Aufl.]
 9783839414699

Table of contents :
Inhalt
1. KEINE ANGST VORM SCHWARZEN MANN: PROBLEMAUFRISS
1.1 Effekte und Affekte: Was produziert der Diskurs vom Menschenfresser?
1.2 Mannigfaltige Verflechtungen: Die Fragestellung im Kontext der Forschung
Geteilte Geschichte(n): Postkoloniale Perspektiven und die neuere Kolonialgeschichte
Helden, Patriarchen und Komplizinnen: Koloniale Geschlechtergeschichte
Bürgerlich, weiß, männlich: Intersektionalität des Hegemons
1.3 Anders über das Andere nachdenken: Alterität und nomadisches Subjekt
Zerschmetterte Spiegel: Die Verweigerung des imperialistischen Blicks
Das Anomale und der Schwarm der Differenz: Subjekt-Werden
Das nomadische Subjekt
1.4 Jenseits der Schwelle: Bio-Macht, Rassismus und Gouvernementalität
Der Wille zum Töten: Rassismus und Bio-Macht
Rechnen im rassistischen Differenzial: Normalisierung und Sicherheitsdispositiv
1.5 Quellenkorpus
2. EINVERLEIBUNG: KOLONIALES WISSEN VOM WILDEN KANNIBALEN
2.1 Von den grimmigen Menschenfresser-Leuth: Wissen, Kolonialismus und Agency
Verschränkung von Wissensproduktion und Kolonialismus
Weltaneignung ohne Kolonialismus? Spezifika der deutschen Ethnologie
Produktion des Wissens vom wilden Kannibalen
2.2 Aberglaube, Rache, Gier: Das Wissen vom wilden Kannibalen
Kannibalenherrscher und Azandekrieger: Der Bericht Georg Schweinfurths
Nachfolge und Spurensuche: Wilhelm Junker und Eduard Schnitzer
Ethnologie im Lehnstuhl: Richard Andree
2.3 Das Recht sterben zu lassen und Leben zu machen: Kannibalismusdiskurs und koloniale Gouvernementalität
Wissen, Wahrheit und Verfahren: Effektivität des Wissens vom wilden Kannibalen
Kolonisierung mit Erhaltungsmitteln: Neue Kolonialherren braucht das Land?
Intentionen und Strategien: Kannibalismus als Problem der Seelenführung
3. KLIMA, KÖRPER, KANNIBALEN: GEFAHREN WEISSER MÄNNLICHKEIT
3.1 Koloniale Abenteuer als Teil der kolonialen Populärkultur
3.2 Unter Kannibalen: Von der Angst, verschlungen zu werden
Weiße Männer auf Expedition: Ordnung schaffen im kolonialen Raum
Ein sonderbarer Zweifel: Der weiße Mann und der kannibalische Impuls
Identifikationen mit dem wilden Kannibalen: Menschenjagd
3.3 Der Tropenkoller: Fressen und Gefressen werden
Männliche Nervosität, Klima und koloniale Räume
Wollüstige Grausamkeit: Kontrollverlust und koloniale Ordnung
4.WIE DIE WILDEN: ABERGLAUBE, DEGENERATION UND KANNIBALISMUS
4.1 Wie die Wilden: Aberglaube, Gier und Menschenfresserei
Wahn oder Aberglaube: Der Fall Franz Bratuscha
Unentbehrlicher Fleischgenuss: Karl Denke
4.2 Menschenfresserei als Atavismus: Lombroso und die Korporealität von Alterität
4.3 Vom psychopathischen Aberglauben: Modernisierung und Sicherheit
Gegen die Macht der Finsternis: Aufklärung und Modernisierung
Sicherung der Gesellschaft: Der Psychopath als Korporealität des Wilden
5. FLEISCHLICHES BEGEHREN: SEXUALITÄT UND KANNIBALISMUS
5.1 Übermächtig, primitiv, sadistisch: männliche Sexualität und Lustmord
Anachronistische Körper: Gewalt und männliche Sexualität
Fließende Übergänge: Notwendigkeit der Triebkontrolle
5.2 Und sei der Trieb noch so mächtig: Selbstkontrolle und Zurechnungsfähigkeit
Peter Kürten: Der Vampir von Düsseldorf
Beherrschung der Perversion: Zurechnungsfähigkeit und Normalisierung
5.3 Fehlende Manneszucht und zügellose Bestialität: Kannibalen im Rheinland?
Schwarze Schmach und weiße Männlichkeit: Aspekte der Debatte um die afro-französischen Kolonialtruppen
Pierre, benimm dich! Regulation männlicher Sexualitäten
6. DER BODY POLITIC ISST SICH SELBST: HUNGER, DEGENERATION UND MENSCHENFLEISCH
6.1 Verkehrte Welt: Degeneration, Hunger und der Verfall der Sittlichkeit
Karl Großmann: Der Frauenmörder vom Schlesischen Bahnhof
Mörder- und Schieberdämmerung: Kannibalismusdiskurs und die Angst vor dem Verfall der Sittlichkeit
6.2 Menschenfresser im Staatsdienst? Polizeiversagen und Haarmann-System
Fritz Haarmann: Der Werwolf von Hannover
Von Spitzeln, Tanten und Sadisten: Politische Übercodierungen
6.3 Männliche Jugendliche in Gefahr? Fortpflanzung und Ansteckung
Infektionsparanoia: Von der Fortpflanzung des Werwolfs
Haarmann als Jugendfürsorger? Der gute Hirte und die Normalisierung männlich-jugendlicher Körper
7. „ICH BIN DOCH KEIN KANNIBALE“: SCHLUSSBETRACHTUNGEN
Kannibale-Werden
Geteilte Geschichte(n) moderner Gouvernementalität
Postkoloniale Geschlechtergeschichte als multidimensionales Geflecht
Transnationale Dimension
8. QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
8.1 Archivalische Quellen
8.2 Veröffentlichte Quellen
8.3 Sekundärliteratur
8.4 Filme
8.5 Internetmaterialien
9. ANHANG: ABBILDUNGEN
Dank

Citation preview

Eva Bischoff Kannibale-Werden

POSTCOLONIAL STUDIES | Band 8

Eva Bischoff (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am JohnF.-Kennedy Institut der FU Berlin und Postdoktorandin am SFB 700 (Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit). Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte des europäischen und US-amerikanischen Kolonialismus, die Postcolonial Studies, die Geschlechtergeschichte sowie die Geschichte der Kriminologie.

Eva Bischoff

Kannibale-Werden Eine postkoloniale Geschichte deutscher Männlichkeit um 1900

Überarb. Fassung der zugl. Diss., Ludwig-Maximilians-Universität München 2009. Diese Dissertation wurde finanziell ermöglicht durch ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Graduiertenkollegs Postcolonial Studies an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Deutschen Akademikerinnenbund e.V.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildungen: Niam Niam Warriors, Collection Negrophilia, Amsterdam; Foto des Massenmörders Peter Kürten, Landesarchiv Berlin, A Pr. Br. Rep.030-03 Nr. 1757 Lektorat: Harald von Aschoff Satz: Eva Bischoff Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1469-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1. KEINE ANGST VORM SCHWARZEN MANN: PROBLEMAUFRISS

9

1.1 Effekte und Affekte: Was produziert der Diskurs vom Menschenfresser?

11

1.2 Mannigfaltige Verflechtungen: Die Fragestellung im Kontext der Forschung

18

Geteilte Geschichte(n): Postkoloniale Perspektiven und die neuere Kolonialgeschichte

19

Helden, Patriarchen und Komplizinnen: Koloniale Geschlechtergeschichte

22

Bürgerlich, weiß, männlich: Intersektionalität des Hegemons

29

1.3 Anders über das Andere nachdenken: Alterität und nomadisches Subjekt

34

Zerschmetterte Spiegel: Die Verweigerung des imperialistischen Blicks

35

Das Anomale und der Schwarm der Differenz: Subjekt-Werden

38

Das nomadische Subjekt

41

1.4 Jenseits der Schwelle: Bio-Macht, Rassismus und Gouvernementalität

44

Der Wille zum Töten: Rassismus und Bio-Macht

47

Rechnen im rassistischen Differenzial: Normalisierung und Sicherheitsdispositiv

50

1.5 Quellenkorpus

54

2. EINVERLEIBUNG: KOLONIALES WISSEN VOM WILDEN KANNIBALEN

59

2.1 Von den grimmigen Menschenfresser-Leuth: Wissen, Kolonialismus und Agency

61

Verschränkung von Wissensproduktion und Kolonialismus

61

Weltaneignung ohne Kolonialismus? Spezifika der deutschen Ethnologie

64

Weder Phantasma noch Imagination: Agency und Interaktion in der Produktion des Wissens vom wilden Kannibalen

69

 2.2 Aberglaube, Rache, Gier: Das Wissen vom wilden Kannibalen

71

Kannibalenherrscher und Azandekrieger: Der Bericht Georg Schweinfurths

71

Nachfolge und Spurensuche: Wilhelm Junker und Eduard Schnitzer

84

Ethnologie im Lehnstuhl: Richard Andree

90

2.3 Das Recht sterben zu lassen und Leben zu machen: Kannibalismusdiskurs und koloniale Gouvernementalität

95

Wissen, Wahrheit und Verfahren: Effektivität des Wissens vom wilden Kannibalen

97

Kolonisierung mit Erhaltungsmitteln: Neue Kolonialherren braucht das Land?

103

Intentionen und Strategien: Kannibalismus als Problem der Seelenführung

109

3. KLIMA, KÖRPER, KANNIBALEN: GEFAHREN

WEISSER

MÄNNLICHKEIT

3.1 Koloniale Abenteuer als Teil der kolonialen Populärkultur

119 124

3.2 Unter Kannibalen: Von der Angst, verschlungen zu werden

127

Weiße Männer auf Expedition: Ordnung schaffen im kolonialen Raum

127

Ein sonderbarer Zweifel: Der weiße Mann und der kannibalische Impuls

137

Identifikationen mit dem wilden Kannibalen: Menschenjagd

142

3.3 Der Tropenkoller: Fressen und Gefressen werden

146

Männliche Nervosität, Klima und koloniale Räume

148

Wollüstige Grausamkeit: Kontrollverlust und koloniale Ordnung

153

4. WIE DIE WILDEN: ABERGLAUBE, DEGENERATION UND KANNIBALISMUS

165

4.1 Wie die Wilden: Aberglaube, Gier und Menschenfresserei

169

Wahn oder Aberglaube: Der Fall Franz Bratuscha

169

Unentbehrlicher Fleischgenuss: Karl Denke

171

4.2 Menschenfresserei als Atavismus: Lombroso und die Korporealität von Alterität

176

4.3 Vom psychopathischen Aberglauben: Modernisierung und Sicherheit

183

Gegen die Macht der Finsternis: Aufklärung und Modernisierung

183

Sicherung der Gesellschaft: Der Psychopath als Korporealität des Wilden

186

5. FLEISCHLICHES BEGEHREN: SEXUALITÄT UND KANNIBALISMUS

195

5.1 Übermächtig, primitiv, sadistisch: männliche Sexualität und Lustmord

200

Anachronistische Körper: Gewalt und männliche Sexualität

200

Fließende Übergänge: Notwendigkeit der Triebkontrolle

207

5.2 Und sei der Trieb noch so mächtig: Selbstkontrolle und Zurechnungsfähigkeit

210

Peter Kürten: Der Vampir von Düsseldorf

210

Beherrschung der Perversion: Zurechnungsfähigkeit und Normalisierung

214

5.3 Fehlende Manneszucht und zügellose Bestialität: Kannibalen im Rheinland?

219

Schwarze Schmach und weiße Männlichkeit: Aspekte der Debatte um die afro-französischen Kolonialtruppen

221

Pierre, benimm dich! Regulation männlicher Sexualitäten

231

6. DER BODY POLITIC ISST SICH SELBST: HUNGER, DEGENERATION UND MENSCHENFLEISCH

237

6.1 Verkehrte Welt: Degeneration, Hunger und der Verfall der Sittlichkeit

242

Karl Großmann: Der Frauenmörder vom Schlesischen Bahnhof

243

Mörder- und Schieberdämmerung: Kannibalismusdiskurs und die Angst vor dem Verfall der Sittlichkeit

249

6.2 Menschenfresser im Staatsdienst? Polizeiversagen und Haarmann-System 256 Fritz Haarmann: Der Werwolf von Hannover

257

Von Spitzeln, Tanten und Sadisten: Politische Übercodierungen

259

6.3 Männliche Jugendliche in Gefahr? Fortpflanzung und Ansteckung

266

Infektionsparanoia: Von der Fortpflanzung des Werwolfs

266

Haarmann als Jugendfürsorger? Der gute Hirte und die Normalisierung männlich-jugendlicher Körper

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7. „ICH BIN DOCH KEIN KANNIBALE“: SCHLUSSBETRACHTUNGEN

285

Kannibale-Werden

286

Geteilte Geschichte(n) moderner Gouvernementalität

289

Postkoloniale Geschlechtergeschichte als multidimensionales Geflecht

291

Transnationale Dimension

294

8. QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

299

8.1 Archivalische Quellen

299

8.2 Veröffentlichte Quellen

301

8.3 Sekundärliteratur

312

8.4 Filme

369

8.5 Internetmaterialien

369

9. ANHANG: ABBILDUNGEN

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Dank

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1. Keine Angst vorm Schw arzen Mann: Problemaufriss

„‚Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben‘ [...] ‚Ich beiße nicht. Ich weiß ja nicht, was man Ihnen über uns Afrikaner erzählt hat, aber ich kann Sie beruhigen, ich bin kein Kannibale.‘“1 Mit diesen Worten stellte sich Mitte der 1920er Jahre Al-Haj Massaquoi, Student der Rechtswissenschaften am Trinity College der Universität Dublin, der Krankenschwester Bertha Baetz, weiße Deutsche und Tochter eines Steinbruchmeisters, vor. Der Ort der Begegnung war das Hamburger Haus des liberianischen Konsuls Momolu Massaquoi, Al-Haj Massaquois Vater. Der Wortlaut der ersten Annäherung dieser beiden, in sozialer wie ökonomischer Hinsicht aus verschiedenen Welten stammenden Menschen, ist uns überliefert durch die Autobiographie des 1926 geborenen Sohnes von Bertha Baetz, Hans Jürgen. Nun war die Selbstdarstellung Al-Hajs auch damals sicherlich nicht die Standarderöffnung aus dem Handbuch des Flirts, sondern spielte im Gegenteil auf ironische Art und Weise mit Erwartungshaltungen, Ängsten und Befürchtungen, die auf rassistischen Vorurteilen gegenüber Menschen afrikanischer Herkunft basierten. Aus historiographischer Perspektive wirft eine solche Selbstdarstellung eine ganze Reihe von Fragen auf: Was waren die Aussagen und Bedingungen des rassistischen Diskurses, auf den sich Massaquoi hier bezog? Wie war die Situation schwarzer Deutscher zur Zeit der Weimarer Republik? Wie wurden Identitäten und Alteritäten im Geflecht von ‚Rasse‘, Klasse und Geschlecht artikuliert? Welche Rolle spielte die deutsche Kolonialerfahrung in diesem Zusammenhang? Oder anders formuliert: Was mag Bertha Baetz mit dem Begriff des Kannibalen verbunden haben?

1

Massaquoi 1999, S. 27. Zur Situation von Afro-Deutschen in Deutschland zwischen 1884 und 1933 siehe: El-Tayeb 2001, S. 142-148; Campt 2004, S. 37-50; Westermann 1999 (mit besonderem Fokus auf Hamburg).

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Darüber können wir aus heutiger Sicht einerseits nur spekulieren. Wie ich auf den kommenden Seiten demonstrieren werde, können wir jedoch andererseits genau rekonstruieren, auf welche Weise Kannibalismus in den 1920er Jahren in sehr vielen verschiedenen Kontexten thematisiert wurde: Angebliche Kannibalen, assoziiert mit dem „anachronistic space“ der Kolonien,2 wurden ausgestellt in Jahrmarktsbuden oder Völkerschauen. Stereotype Abbildungen des Menschenfressers bildeten einen festen Bestandteil des ikonographischen Inventars der imperialist imagination. Ethnologische Fachpublikationen oder Expeditionsberichte beschrieben sie, und in kolonialen Abenteuerromanen firmierten sie als Bösewichte. Gleichzeitig wurden afrikanische Soldaten, die als Teil der französischen Besatzungstruppen nach Ende des Ersten Weltkrieges im Rheinland dienten, als Menschenfresser diffamiert. Auch war Al-Haj Massaquoi nicht der einzige Mann, der sich explizit darauf berief, kein Kannibale zu sein. Seine Worte finden ihr verzerrtes Echo in den nachdrücklichen Dementis mutmaßlich kannibalischer Sexualstraftäter, wie Karl Großmann, Fritz Haarmann oder Peter Kürten. Ihnen allen wurde unterstellt, sie hätten das Fleisch oder das Blut ihrer Opfer selbst verzehrt oder anderen zum Verzehr angeboten. Sie alle jedoch beharrten darauf, nicht von dem Fleisch ihrer Opfer gekostet zu haben. Gleichzeitig, und auch das werden meine Ausführungen zeigen, wurde in all diesen Auseinandersetzungen die hegemoniale weiße, deutsche und heterosexuelle Männlichkeit problematisiert: Kolonisatoren, Entdecker und Forscher bewegten sich im kolonialen Raum in der ständigen Gefahr, von Kannibalen verzehrt zu werden; eine Bedrohung, die gleichsam ein männliches Privileg darstellte. Sowohl kannibalischen Wilden wie menschenfressenden Mördern wurde die Kontrolle über die gewalttätige und triebhafte Natur des männlichen Körpers abgesprochen. Diese Triebkontrolle wiederum avancierte damit zum primären Distinktionsmerkmal weißer, bürgerlicher, heterosexueller Männlichkeit. Damit einher ging die Konstruktion eines männlichen Körpers, der, egal welcher Hautfarbe, von primitiven Impulsen und sexuellen Begierden geprägt sein sollte. Dieses Körperkonzept wurde maßgeblich von kriminologisch-anthropologischen und medizinisch-psychiatrischen Experten unter Bezug auf koloniale Diskurse gestaltet und fand in den gesellschaftlichen Debatten um die Gewalttaten einzelner deutscher Kolonisten, die angeblichen Vergewaltigungen der afro-französischen Soldaten im Rheinland sowie den Morden der Sexualstraftäter der 1920er Jahre massenmediale Verbreitung. Der Menschenfresser, so meine zentrale These, nahm in diesem Zeitraum eine neue Gestalt an, ein Vorgang, der mit einer zunehmenden Rassifizierung hegemonialer Männlichkeit Hand in Hand ging. Zugespitzt ausgedrückt: Der Kannibale hauste im Innern eines jeden Mannes.

2

McClintock 1995, S. 41.

PROBLEMAUFRISS | 11

1 . 1 E f f e k t e u n d Af f e k t e : W a s p r o d u z i e r t der Diskurs vom Menschenfresser? Im Rahmen der bisher vorgelegten Studien zur Geschichte des Kannibalismusvorwurfes ist ein solcher Wandel des Diskurses vom Menschenfresser bislang nur am Rande thematisiert worden. So weist Jan N. Pieterse darauf hin, dass sich ab 1900 die Darstellung von Afrikanern und Afrikanerinnen als Anthropophagen veränderte: Die zuvor als ernst dargestellte kannibalische Bedrohung wurde nun zunehmend ironisiert.3 Daniel Fulda postuliert gar einen „Deutsche[n] Sonderweg, kannibalistisch“.4 Seiner Ansicht nach liegt dieser Sonderweg in der im Vergleich zu anderen europäischen Nationalstaaten kurzen kolonialen Phase begründet. Dies führte seiner Ansicht nach dazu, dass „das Motiv häufig anders besetzt wurde als in der Literatur [anderer] Kolonialmächte.“5 Als Kennzeichen dieser Besetzung nennt er erstens die „‚Exotik der Gefühle‘“, welche die deutsche Literatur über Kannibalen seit dem 18. Jahrhundert „kultivierte“ und in der daher „anthropologische, subjekt- und sprachtheoretische Fragen im Vordergrund“ standen. Nach Fulda wurde zweitens das „Anthropophagiemotiv“ dazu genutzt, Kritik am modernen vernunftbestimmten Subjekt der Aufklärung zu üben. Zwischen Natur und Kultur (des Menschen) wurde eine Dichotomie konstruiert, in der die Kultur ungerechtfertigt und unangemessen die Natur beherrscht.6 Diese Kritik kulminierte drittens seiner Ansicht nach unter den „[s]pezifisch deutsche[n] Diskursbedingungen“ der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg – „die nietzscheanische Rehabilitation des Dionysischen sowie, auf politischer Seite, die gesellschaftliche Krise infolge des verlorenen Weltkriegs“ – in der Thematisierung des „Leiden[s] an der ‚uneigentlichen‘ Gesellschaft“7. Aus diesen Gründen habe – viertens – das Motiv des Kannibalen „hierzulande nie vorrangig dazu [ge]dient[e], die Beziehung der eigenen Kultur oder des eigenen Menschenbildes zu einer fernen Fremde zu definieren“. Vielmehr wurden „Kannnibalismusfiktionen und -metaphern relativ früh als ‚a story about ourselves‘ präsentiert“.8

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Pieterse 1992, S. 119. Fulda 2001a, S. 20. Vgl. für seine Auseinandersetzung mit der Behandlung des Themas in der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts auch seine Analyse der Texte von Thomas Mann (Fulda 2001b) sowie seine Untersuchung zum „Menschenfresser im modernen Epos“ (Fulda 1999). Fulda 2001a, S. 20. Ebd., S. 21 (HiO). Ebd., S. 21-22 (HiO). Ebd., S. 22 (HiO). Dass der Kannibalismusdiskurs im Kern eher Erzählungen über das Eigene denn über das kannibalische Andere transportiert, ist allerdings ein Befund, der auch für andere Literaturen Gültigkeit hat. Vgl. etwa Obeyesekeres Analyse der Abenteuerberichte des Chevalier Peter Dillon (Obeyesekere 2001).

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Diese detaillierte Kritik an der bisherigen Vorgehensweise literaturund kulturwissenschaftlicher Forschung weist auf viele Defizite hin und offenbart gleichzeitig weiteren Differenzierungsbedarf. So ist das Faktum, dass das Deutsche Reich lediglich kurz eine Kolonialmacht war, bei einer Analyse der Diskurse und Praktiken um Kannibalismus sicherlich zu berücksichtigen. Inwiefern allerdings hierbei von einem deutschen Sonderweg ausgegangen werden kann, bleibt zu prüfen. Wie eine Vielzahl von Studien deutlich gemacht hat,9 muss die These von einer europäischen ‚Normalentwicklung‘ grundlegend hinterfragt, die des deutschen Sonderweges entsprechend aufgegeben und stattdessen die Vielgestaltigkeit der Auseinandersetzung mit Andersheit in den Blick genommen werden. Dies bedeutet zu fragen, auf welchen Diskursfeldern die Auseinandersetzung mit dem ‚Anderen‘ stattgefunden hat und inwiefern diese untereinander verschränkt waren. Des Weiteren ist Fuldas Kritik ein Beispiel dafür, dass in der wissenschaftlichen Bearbeitung des Themas häufig davon ausgegangen wird, dass im langen 19. Jahrhundert alle Bestrebungen hin zu einem natürlicheren Zustand kontrolliert und unterdrückt wurden. So führt Pieterse den Wandel vom Image des gefährlichen zum komischen ‚wilden Kannibalen‘ auf einen „‚return of the repressed‘“ und eine Verflüssigung der zuvor rigiden Grenzen zwischen Zivilisation und Natur zurück.10 Diese Repressionshypothese muss mit Blick auf die Ergebnisse von Michel Foucaults Arbeiten zur Geschichte der Sexualität in Frage gestellt werden. Statt von einer „massive[n] Zensur“ der natürlichen Triebe und Lüste auszugehen, die einem freien, natürlichen Zustand zustreben, ist vielmehr anzunehmen, dass es sich vielmehr „um einen geregelten und polymorphen Anreiz zum Diskurs“ gehandelt hat.11 Im Gegensatz zu Fulda betont die überwiegende Mehrheit der Untersuchungen die lange Tradition des Kannibalismusvorwurfs und seine Bedeutung für die Herstellung der Differenz zwischen Eigenem und Anderem. Kannibalismus sei ein Vorwurf, der in europäischen Gesellschaften seit der Antike eingesetzt werde, um Menschen als Barbaren, Wilde, gefährliche Andersartige oder Fremde zu kennzeichnen, so die These der vorwiegend anthropologischen und literaturwissenschaftlichen Studien, die sich ausgehend von der 1979 erstmals veröffentlichten Studie des amerikanischen Anthropologen William Arens The Man-Eating Myth entwi-

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Wie ich im weiteren Verlauf zu sehen sein wird, steht die Sonderwegsthese auch aus der Perspektive der sich neu entwickelnden transnationalen Geschichtsschreibung in der Kritik. Zur Einführung in die Grundfragen der Debatte sei an dieser Stelle auf James Sheehans Essay Paradigm Lost? (Sheehan 2006) verwiesen. Ausführlicher zur Sonderwegsthese siehe Kapitel 4 und 6. Pieterse 1992, S. 118-119, Zitat S. 118. Foucault 1983, S. 48.

PROBLEMAUFRISS | 13

ckelt hat.12 Die Beschuldigung sei gegen Angehörige der eigenen Gesellschaft ebenso erhoben worden wie gegen Angehörige nicht-europäischer Gesellschaften. Dabei sei ihr Auftauchen völlig unabhängig von den Praktiken der Beschuldigten. Menschenfresser und -fresserinnen seien vor allem ab dem Beginn der Neuzeit das Andere der europäischen Gesellschaft, und das moderne europäische Subjekt definiere sich in Abgrenzung vom menschenfressenden Wilden: „The modern Cartesian subject depends for its self-definition as an independent entity, clearly differentiated from others, on the image of an ‚other‘ who destroys such boundaries. [...] While serving thus as a mirror to the European subject, the cannibal threatened to swallow it, both literally, and also through representing the danger of ‚going native‘, which could cause the civilised man return to an original state of barbarism.“13

Mit diesem statisch-binären Modell ist jedoch eine historische Variabilität der Konstruktion von Alterität in ihrer Bedeutung für die Konstitution des modernen europäischen Subjekts nicht erfassbar. Dass mit der Beschuldigung, Menschenfleisch zu verzehren, Einzelne oder Personengruppen als ‚anders‘ gekennzeichnet wurden, ist damit also zugleich deskriptiv richtig und analytisch zu kurz gegriffen. Des Weiteren hat die umfangreiche Forschung zum Thema aufgezeigt, dass wir einerseits davon ausgehen können, dass bestimmte Formen von Anthropophagie in allen menschlichen Gesellschaften zu allen Zeiten praktiziert worden sind oder bis heute praktiziert werden. Hierzu zählt vor allem der sogenannte Hunger- oder Notkannibalismus, der bei Schiffbrüchen oder Flugzeugabstürzen ausgeübt wurde (und wird), sowie der religiös oder auch medizinisch motivierte Konsum zumeist geringer Mengen menschlichen Fleisches oder Blutes.14 Andererseits haben die Untersuchungen deutlich herausgearbeitet, dass die überwiegende Mehrzahl der in 12

13 14

Aus der Fülle der Publikationen zu diesem Thema können an dieser Stelle lediglich einschlägige Studien genannt werden: Arens 1987, S. 182; Wendt 1989, S. 1-9 Kilgour 1990, S. 5; Hulme 1992, S. 14-15, 85; Peter-Röcher 1994, S. 154-176; Menninger 1995, S. 11-18; Hulme 1998, S. 3-6; Schülting 1997, S. 92; Peter-Röcher 1998, S. 27; Wehrheim-Peuker 1999; Wehrheim-Peuker 2001; Obeyesekere 2005, S. 1-2; Arend 2006 sowie die Beiträge in Hedwig Röckeleins Sammelband Kannibalismus und europäische Kultur (Röckelein (Hg.) 1996). Zur Klärung der Unterscheidung von Anthropologie und Ethnologie siehe Kapitel 2. Kilgour 1998, S. 242-243. Siehe dazu beispielsweise: Obeyesekere 2005, S. 36-43; Petrinovich 2000, der sich in drei Kapiteln seiner Darstellung auf die Rekonstruktion von Kannibalismus als „adaptive survival strategy“ (vii) konzentriert (S. 21-90) sowie Simpson 1994, der den ersten Prozess wegen Hungerkannibalismus im Jahr 1884 gegen den Kapitän der Mignonette Tom Dudley und seinen Maat Edwin Stephens rekonstruiert. Zuvor waren Seeleute in solchen Fällen nicht wegen Mordes angeklagt worden.

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der Reiseliteratur, den Missionsberichten sowie der ethnologischen Forschungsliteratur geschilderten Fälle skeptisch betrachtet werden muss, da sie mehrheitlich auf Hörensagen, Mutmaßungen und Missverständnissen basieren.15 Bis heute wird in den Fachdisziplinen, zum Teil sehr heftig, um Faktizität oder Konstruktion des Kannibalismus unter Angehörigen kolonialisierter oder prähistorischer Gesellschaften gestritten.16 Mit Blick auf diese Forschungsergebnisse plädiert Richard King für eine Verschiebung der Fragestellung.17 Der Kannibalismusvorwurf, so bringt es King auf den Punkt, habe mehr Effekte mit sich geführt als allein die Einführung kategorialer, binärer Distinktionen: „It has rather unfolded as an extremely fecund and flexible network of signifying practices, fostering an array of critical projects in both ‚alien‘ worlds and ‚civilized‘ contexts. It has enabled individuals and institutions to both reinforce and challenge hegemonic norms.“18

Statt also zu fragen, ob Kannibalismus wirklich vorgekommen sei oder nicht, sei vielmehr zu untersuchen, wie gesellschaftlich mit der Möglichkeit, dass Menschen von ihresgleichen verzehrt werden könnten, umgegangen wurde. Welche Praktiken haben sich um dieses Wissen vom Kannibalismus herum etabliert? Wie ist dieses Wissen effektiv geworden? Welche Identitätskonstruktionen waren daran gekoppelt? Diesem Plädoyer möchte ich mich an dieser Stelle nicht nur anschließen, sondern werde es zum Ausgangspunkt meiner eigenen, folgenden Analysen machen. Ziel meiner Untersuchung ist damit eine genaue historische Verortung und Kartographierung des von King genannten Netzwerkes sinnstiftender Praktiken. Leitfragen meiner Untersuchung werden sein: Welche Rolle spielte das Wissen um die kolonialen Kannibalen innerhalb des deutschen Kolonialprojektes und welche in der postkolonialen Situation im Mutterland? Was bedeutete dies konkret für die Artikulation der hegemonialen Männlichkeitskonstruktion in der deutschen, (post)koloni15 16

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Siehe dazu: Arens 1987, S. 182; Frank 1987; Kuper 1991; Obeyesekere 2005, S. 25-36 und 193-254; Peter-Röcher 1998, S. 119-132. Siehe beispielsweise: Lestringant 1997, hier v.a. S. 178-179. Eines von vielen Beispielen ist die Debatte um den vermuteten Kannibalismus der Irokesen. Peggy Reeves Sanday geht davon aus, dass diese, wie viele andere Gesellschaften in der Vergangenheit, rituellen Kannibalismus ausgeübt hätten. Hauptfunktion des Ritus sei dort wie auch anderswo die „control of violent emotions“ gewesen (Sanday 1995, S. 125-150, Zitat S. xii; dagegen: Abler 1988). Andere, wie Michael Krieger, behaupten, heute noch lebende Kannibalen und Kannibalinnen getroffen zu haben. In seinem Fall lebten diese auf der pazifischen Insel Vanatu und behaupteten ihm gegenüber, bis nach Ende des Zweiten Weltkrieges einzelne ihrer Gegner aus zwischen-dörflichen Auseinandersetzungen verspeist zu haben (Krieger 1994, S. 65-77). King 2000, S. 109-115. Ebd., S. 109.

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alen Gesellschaft? In welchem Verhältnis standen dabei weiße männliche Identität und kannibalische Alterität? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wird in einem ersten Schritt (Kapitel zwei) die Produktion des Wissens vom kannibalischen Wilden im kolonialen Kontext rekonstruiert. Anhand von ausgewählten Reiseberichten und Werken der ethnologischen Fachliteratur sowie am Beispiel der Prozesse um die mutmaßlichen Kannibalen auf der Station Iringa, Deutsch-Ostafrika (1908/09), wird Fragen nachgegangen wie: Inwiefern und auf welche Art und Weise war die deutsche ethnologische Forschung mit dem kolonialen Projekt verflochten? Wie, von wem und wofür wurde das Wissen vom wilden Kannibalen genutzt? Wenn der Kannibalismusvorwurf europäischen Kolonialmächten zur Legitimierung des eigenen Herrschaftsanspruches im Sinne einer civilising mission diente, gab es in dieser Hinsicht Spezifika des deutschen Kolonialismus? Bei der Beantwortung dieser Fragen gilt mein besonderes Augenmerk der Rolle des indigenen Wissens bei der Produktion des ethnologischen Fachwissens vom Kannibalismus sowie der Einbettung dieses Fachwissens in die Prozesse der Herstellung und Aufrechterhaltung deutscher Kolonialherrschaft und der damit einhergehenden Regulierung von Lebensäußerungen im Sinne einer kolonialen Gouvernementalität. In einem nächsten Schritt (Kapitel drei) werde ich mich auf die Artikulationen weißer männlicher Identität und kannibalischer Alterität im kolonialen Diskurs konzentrieren. Ausgehend von den Ergebnissen kulturwissenschaftlich orientierter Forschungen, welche die Bedeutung der Kolonialphantasien für das deutsche Kolonialprojekt herausgearbeitet haben, soll in diesem Kapitel anhand von medizinischer Fach- und Ratgeberliteratur, Kolonialromanen, Abenteuer- und Jugendliteratur den Vorstellungen über Menschenfresser und ihrem Verhältnis zum deutschen Kolonialherrn nachgespürt werden. Dabei wird deutlich werden, dass die hier entworfenen Bedrohungsszenarien nicht nur geschlechterspezifisch, sondern auch überaus vieldeutig waren. Denn auch in anderen Bereichen tauchten diese Ängste auf: Sie bezogen sich nicht nur darauf, von den sogenannten Eingeborenen verschlungen oder von der kolonialen Umwelt in Form von Bakterien, Viren oder dem Klima vereinnahmt zu werden, sondern auch darauf, in einem Anfall des gefürchteten Tropenkollers die männlichweiße Kontrolle über sich selbst zu verlieren. Im anschließenden vierten Kapitel wird der Frage nachgegangen, welche Wirkung das Wissen vom wilden Kannibalen im kriminologischen und medizinisch-psychiatrischen Fachdiskurs und in der Interpretation von Kriminalfällen wie dem von Karl Denke entfaltete. Oder anders formuliert: Welches waren die Resonanzen und Verbindungen, welches die Brüche zum kolonialen Diskurs? Hier wird zu sehen sein, dass das koloniale Wissen vom Kannibalen für die Konstruktion des Kriminellen im kriminologischen Diskurs um 1900 von großer Bedeutung war. Bisherige Unter-

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suchungen haben diese Resonanz des kolonialen Diskurses weitestgehend vernachlässigt. Meine Ausführungen in diesem Abschnitt werden die Doppelbewegung aus Differenzproduktion und Anordnung innerhalb eines Feldes von (Ab)Normalität, durch welche Delinquenten als Andere (re)produziert wurden, nachzeichnen. Die Analogie Wie die Wilden, so wird an dieser Stelle deutlich werden, verwies auf die Normalisierungsstrategien eines biopolitischen Dispositivs, welcher nicht nur für die Kolonie, sondern auch für das (post)koloniale Mutterland bestimmend war. Im darauf folgenden Kapitel fünf wird die Untersuchung des Verhältnisses zwischen kannibalischer Alterität und hegemonialer weißer Männlichkeit wieder stärker in den Mittelpunkt der Analyse rücken. Wie gestaltete sich diese Relation im Kontext des kolonialen Mutterlandes? Was geschah, wenn, wie Dirk van Laak es formuliert, „koloniale[n] Probleme in die Metropole zurück“ gelangten?19 Dazu werde ich in zwei Teilschritten vorgehen. Erstens werden, anschließend an die Ergebnisse des vorangegangenen Kapitels, Publikationen des psychiatrisch-medizinischen Fachdiskurses sowie die staatsanwaltschaftlichen Unterlagen des Falles Peter Kürten in den Blick genommen. In einem zweiten Schritt werden die Auseinandersetzungen um die afro-französischen Soldaten zur Zeit der Rheinlandbesetzung (1919-1930) hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Konstruktion weißer und nicht-weißer Männlichkeiten untersucht. Dabei werde ich demonstrieren, dass keinesfalls, wie in der Forschungsliteratur bislang postuliert,20 eine klar abgrenzbare sexualisierte kannibalische Alterität und eine weiße, bürgerliche, heterosexuelle Männlichkeit, sondern vielmehr ein Kontinuum der männlichen (Ab)Normalität entworfen wurde, in dem jeweils beide verortet wurden. In diesem Sinne hieß Mann-Werden, seine Triebe zu kontrollieren, sich zu beobachten und zu zügeln, gleichzeitig aber auch Kannibale-Werden, begehren, reißen und fressen zu wollen. Der letzte inhaltlich-analytische Abschnitt der Arbeit widmet sich der Untersuchung der verschiedenen Kopplungen des Kannibalismusdiskurses mit aktuellen politischen Debatten und Diskursen der Zeit der Weimarer Republik. Hier wird deutlich werden, wie der Kannibalismusdiskurs, gebrochen entlang der verschiedenen politischen Positionen in verschiedenen Debatten, welche die deutsche Gesellschaft der Weimarer Zeit bewegten, genutzt wurde: erstens im Zusammenhang der Kritik eines „reactionary modernism“,21 zweitens in der politischen Auseinandersetzung zwischen der KPD und der regierenden SPD, sowie drittens in Bezug auf die Konstruktion einer Gefährdung von männlichen Jugendlichen durch die Ansteckung mit Blut (Kannibalismus) und Sperma (Homosexualität). Wie schon in den vorangegangenen Kapiteln wird uns auch hier der Diskurs von der 19 20 21

van Laak 2004b, S. 278. Siehe: Maß 2001, S. 25-27; Maß 2006, S. 76-105; Koller 2001a, S. 201261; Lebzelter 1985, S. 44-55. Herf 1984, S. 2-3, Zitat: Titel.

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Menschenfresserei im Zusammenhang mit der biopolitischen Regulation von Lebensäußerungen und der Artikulation von Männlichkeiten begegnen. Wie diese kurze Übersicht deutlich gemacht hat, und wie im Schlussteil der Arbeit nochmals genauer herausgearbeitet werden wird, geht es in der hier vorgelegten Studie weniger um eine möglichst vollständige Rekonstruktion des diskursiven Archivs, welches Bertha Baetz, Al-Haj Massaquoi oder ihren Zeitgenossinnen und Zeitgenossen in Deutschland in Bezug auf den kannibalischen Anderen zur Verfügung stand.22 Vielmehr ziele ich mit meiner Untersuchung der verschiedenen Konstruktionen männlich-kannibalischer Identität|Alterität auf die exemplarische Rekonstruktion der Fluchtlinien und Verwerfungen des Kolonialdiskurses innerhalb der deutschen Gesellschaft zwischen 1890 und 1933.23 Mit dieser Zielsetzung gehen zwei methodische Entscheidungen einher. Erstens die Wahl des Untersuchungszeitraumes, der diesen Fokus auf mögliche Konnexionen und Vernetzungen widerspiegelt. Er umfasst gezielt die Hochphase der aktiven deutschen Kolonialpolitik sowie die Zeit der Weimarer Republik. Es handelt sich dabei allerdings um eine Schwerpunktsetzung, nicht um eine exklusive Abgrenzung. Denn obwohl er mit dem Jahr 1933 eine eindeutig fassbare Grenze erreicht, da sich mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten und -sozialistinnen die Diskursbedingungen für die

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Eine umfangreiche Materialsammlung zu diesem Thema hat Josef Nussbaumer vorgelegt (Nussbaumer 2004). Allerdings bezieht Nussbaumer seine Informationen zu Teilen aus quellenkritisch fragwürdiger Literatur und gibt deren verfälschende Angaben wieder. So beispielsweise hinsichtlich der angeblich kannibalischen Straftäter Großmann und Haarmann, wo er damalige Mutmaßungen und Gerüchte als Fakten oder Gerichtsurteile auflistet (ebd., S. 46, 47). Wie ich in Kapitel 6 zeigen werde, war Großmann kein Metzger, und Haarmanns vermuteter Handel mit Menschenfleisch konnte vor Gericht nicht bewiesen werden. In diesem Sinne gibt Nussbaumers Sammlung einen guten Überblick über das diskursive Archiv des Kannibalismus-Vorwurfes, nicht jedoch über die Geschichte kannibalischer Akte. Obwohl ich damit keine systematische historische Diskursanalyse betreiben werde, entlehne ich den meiner Analyse zu Grunde liegenden Diskursbegriff dem Foucault’schen Theoriekomplex und verstehe unter einem Diskurs eine Rede, in der die in ihr gemachten Aussagen sich auf einen gemeinsamen Gegenstand beziehen, eine Regelmäßigkeit in ihrer Anordnung aufweisen, also einer „diskursiven Formation“ angehören, und deren Beziehungen zu anderen Reden ebenfalls eine Regelhaftigkeit, „Formationsregeln“, erkennen lassen. Nach Foucault ist ein Diskurs damit gleichzeitig stets Teil einer „diskursiven Praxis“, welche über die unmittelbare, regelhafte und geregelte Rede hinausreicht. Diese Praxis umfasst nach Foucault die „Gesamtheit von [...] Regeln“, welche die „Wirkungsbedingungen“ der Aussagen eines Diskurses definieren. Diese können sich auf seine „soziale, ökonomische, geographische oder sprachliche Umgebung“ beziehen (Foucault 1997, S. 58, 109, 170-171).

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Debatten um Kannibalen und Sexualstraftäter drastisch veränderten,24 so kann dies umgekehrt nicht für das Jahr 1890 behauptet werden. Wie im Folgenden zu sehen sein wird, können wir im Gegenteil viele Diskurstraditionen beobachten, die bis in die 1860er Jahre oder, in Bezug auf den Kannibalismusdiskurs, bis in die Frühe Neuzeit oder länger zurück reichen. Zweitens werden an ausgewählten diskursiven Knotenpunkten Proben in das historische Material vorgenommen und anhand der genauen Analyse von retrospektiv betrachtet besonders wirkungsmächtigen Texten – wie die Schriften Richard von Krafft-Ebings, Cesare Lombrosos oder Sigmund Freuds, einschlägigen Kriminalfällen wie die von Karl Großmann, Karl Denke, Fritz Haarmann und Peter Kürten sowie massenmedialer Darstellungen und Presseerzeugnisse – die Fluchtlinien eines diskursiven Geflechts kartographiert, welches Kolonie und Metropole gleichermaßen durchzog. In diesem Sinne wird im Folgenden nicht die Geschichte eines Transfers kolonialer Diskurse und Vorstellungen von der kolonialen Peripherie in die deutsche Metropole geschrieben, sondern die geteilte Geschichte eines Netzwerks aus Diskursen und Praktiken rekonstruiert, in dem männliche Identität und kannibalische Alterität artikuliert wurden. Darüber hinaus werden die Arten und Weisen aufzeigt, auf welche der Kannibalismusdiskurs eng mit der Etablierung moderner, biopolitischer Gouvernementalität verbunden war. Bevor ich jedoch mit der Analyse und Interpretation des historischen Materials beginne, möchte ich meine Untersuchung kurz in den größeren Kontext der sich entfaltenden neueren Forschung zur deutschen postkolonialen Geschichte, der Geschlechtergeschichte und der Whiteness Studies einordnen, die zentralen Begrifflichkeiten meiner Analyse erläutern sowie die Quellengrundlage der Arbeit vorstellen.

1.2 Mannigfaltige Verflechtungen: Die Fragestellung im Kontext der Forschung Mit dem oben dargestellten Programm unternimmt meine Studie den Versuch, drei sehr unterschiedliche Forschungsfelder, namentlich die Geschichte der Kriminologie, die Geschlechtergeschichte sowie die Kolonialgeschichte miteinander zu verbinden.25 Mein Ziel ist es, Fluchtlinien und Konnexionen zwischen diesen drei Feldern aufzuzeigen, also den Raum 24

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Dies wird besonders deutlich am Fall Bruno Lüdkes, der 1943 gefasst wurde. Alle Pressemeldungen über den Fall wurden gezielt unterdrückt und Lüdke aus Sicherheitsgründen und zu Untersuchungszwecken nach Wien gebracht. Dort starb er laut Aussage der Behörden gegenüber seinen Verwandten an Flecktyphus (siehe: Akte – Lüdke in Wien – mit Sterbeurkunde u. Bild, 1944, LAB A Pr. Rep. 030 C Tit. 198B/2368.) Es gibt hingegen Versuche, die Kriminologie aus einer imperialismuskritischen Perspektive neu zu formulieren. Siehe dazu: Agozino 2003.

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zwischen diesen bislang getrennt verfolgten Forschungskontexten zu erkunden. Der Fokus meiner Aufmerksamkeit wird dabei auf der Rekonstruktion der Verflechtungen zwischen den Kolonien und dem Mutterland liegen. Auf diese Weise werde ich exemplarisch die Bedeutung des kolonialen Projekts für die deutsche Gesellschaft des Kaiserreichs und der Zeit der Weimarer Republik eruieren: Es geht es also um die Geschichte hegemonialer Männlichkeit aus postkolonialer Perspektive.

Geteilte Geschichte(n): Postkoloniale Perspektiven und die neuere Kolonialgeschichte Mit dieser Zielsetzung greife ich Anregungen der internationalen, vorwiegend englischsprachigen Forschung auf, welche auf die enge Verflechtung von Kolonie und Metropole hingewiesen hat.26 Ausgangspunkt und Grundlage der meisten dieser Studien waren die Analysen und theoretischen Überlegungen aus dem Bereich der Postcolonial Studies.27 Im deutschsprachigen Kontext ist diese postkoloniale Perspektive von Shalini Randeria unter dem Begriff einer im doppelten Sinne „‚geteilten Geschichte‘“ oder „entangled histories“ zusammengefasst worden. Randeria plädiert dafür, „Geschichte als entanglement“ aufzufassen, in dem „die miteinander in Beziehung stehenden Entitäten [...] selbst zum Teil ein Produkt ihrer Verflechtung“ sind.28 Randeria bezieht sich dabei in erster Linie auf die Neukonzeptionalisierung der Geschichte der Moderne. Anstelle des Diffusionsmodells, der Ausbreitung der westlichen Moderne über den gesamten Globus qua Kolonialismus, oder des Differenzmodells, der Annahme je 26

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Siehe beispielsweise: Cooper/Stoler 1997, S. 1; Cooper 2005, S. 22-24; Conrad/Randeria 2002, S. 12-22; Stoler 1996, S. 7-9. Dies ist allerdings keine exklusive Entdeckung postkolonialer Forschung. Bereits in den 1970er Jahren forderten Historikerinnen und Historiker für die Untersuchung der Geschichte des Kolonialismus, die Wechselwirkungen zwischen Kolonien und Mutterland zukünftig stärker in den Blick zu nehmen (siehe dazu: Bade 1983a, S. 140, 142). Auf sprachlicher Ebene stellt sich damit eine ähnliche Schwierigkeit, wie Anne McClintock sie für den Begriff des Postcolonialism dargelegt hat: Durch die Verwendung der Begrifflichkeiten, hier Kolonie und Metropole, wird der koloniale Diskurs in der kritischen Analyse und entgegen den Intentionen der Forschung fortgeschrieben (siehe: McClintock 1995, S. 9-15.) Die Postcolonial Studies stellen ein im englischsprachigen Raum weithin etabliertes Forschungsfeld dar, dessen vollständige Darstellung den hier gegebenen Rahmen sprengen würde. Zur Einführung seien daher an dieser Stelle empfohlen: Castro Varela/Dhawan 2005; Loomba 2005 sowie Young 2006. Aufgrund ihrer zentralen Bedeutung bei der Formulierung einer postkolonialen Kritik des Eurozentrismus und dem Versuch der Resituierung Europas im globalen Kontext seien außerdem noch Chakrabarty 2007 sowie Appadurai 1996 genannt. Conrad/Randeria 2002, S. 10, Zitat S. 17 (HiO). Vgl. dazu auch ihre Ausführungen in Randeria 2000 sowie Randeria 2002.

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nach kulturellem Kontext unterschiedlicher Formen der Moderne, schlägt sie vor, „ein Modell miteinander verwobener Formen der Moderne zu entwickeln, die sich im Verlauf einer gemeinsamen Geschichte herausgebildet haben.“29 Wie oben bereits dargestellt, soll dieses Plädoyer für die Untersuchung einer geteilten Geschichte fruchtbar gemacht werden, d.h. für die Untersuchungen der Konstruktionen kannibalischer Alterität und weißer Männlichkeit aufgegriffen und als exemplarischer Blick auf einen von vielen möglichen Aspekten der Verflechtung von Kolonie und Metropole nutzbar gemacht werden. Randeria ist nicht die einzige Stimme, die für eine intensivere Untersuchung von Verflechtungszusammenhängen und Interaktionsprozessen plädiert. Mehr und mehr Forscherinnen und Forscher wenden sich Fragestellungen dieser Art zu. Dabei werden sowohl Anregungen der Postcolonial Studies als auch anderer, ebenfalls aus dem anglo-amerikanischen Forschungskontext stammender Ansätze, wie die der New Imperial History oder der Global History verfolgt.30 Darüber hinaus werden auch von diesen Ansätzen unabhängige Perspektiven entwickelt: So haben beispielsweise Bénédicte Zimmermann und Michael Werner am Beispiel der deutsch-französischen Beziehungen für eine „Histoire croisée“ argumentiert.31 Insgesamt zeichnet sich die zunehmende Betonung der internationalen Verflechtungen bei der Entstehung der modernen Nationalstaaten allgemein und des Kaiserreiches im Besonderen ab.32 Im Zusammenhang dieser Umorientierung hat auch das Forschungsinteresse für die deutsche Kolonialgeschichte in den letzten zehn Jahren drastisch zugenommen.33 Zuvor fristete die Erforschung des deutschen Kolonialprojekts lange Zeit ein Schattendasein innerhalb der deutschen Historiographie:34 Die deutsche Kolonialzeit galt gemeinhin als eine für das 29 30

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Randeria 2000, S. 90. Siehe dazu: Stuchtey 2002; Geyer, M./Bright 1995; Osterhammel/Petersson 2003, Schissler 2005 und Patel 2004 sowie die Beiträge der programmatischen Sammelbände Conrad/Eckert et al. (Hg.) 2007, Budde/Conrad et al. (Hg.) 2006, Osterhammel/Conrad (Hg.) 2004; Conrad/Randeria (Hg.) 2002. Lediglich Sebastian Conrad hat bisher eine Monographie zum Verhältnis von Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich vorgelegt (vgl. Conrad 2006). Siehe: Werner/Zimmermann 2002. Siehe dazu: Conrad 2006; Geyer, M. 2004; Jarausch/Geyer, M. 2003, hier bes. S. 37-59. Auch hier ist die Verzahnung mit internationalen Forschungstendenzen sehr eng. Vgl. Maier 2000; Osterhammel 2001c. Für einen Überblick über die Entwicklung siehe die folgenden, in Abständen vorgelegten Forschungsüberblicke: Bade 1983b; Dülffer 1981; Grupp 1986; Friedrichsmeyer/Lennox/Zantop 1998; Wildenthal 1999; Kundrus 2003a, S. 10-18; van der Heyden 2003; Wildenthal 2006; Lindner 2008. Dennoch sind bedeutende, vor allem sozialgeschichtlich orientierte Studien zum Thema erschienen. Siehe: Helmut Bleys Studie zur Geschichte DSWAs (Bley 1968), Karin Hausens Darstellung der deutschen Kolonialherrschaft in Kamerun (Hausen 1970), Detlef Balds Untersuchung zu DOA

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Kaiserreich „folgenlose imperiale Episode“.35 Sebastian Conrad spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer „doppelten Marginalisierung“ des deutschen Kolonialismus: „Zum einen hat die Vorstellung einer ‚gemeinsamen Geschichte‘ bislang nicht Eingang in die Theorien gefunden, die das Verständnis der (europäischen) Moderne bestimmen. Zum anderen aber gilt die deutsche Geschichte auch in dieser Hinsicht als Sonderfall, der von der kolonialen Erfahrung noch weniger betroffen sei als andere Nationen.“36

Zu der gegenwärtigen Belebung der Auseinandersetzung mit der deutschen kolonialen Vergangenheit hat eine Vielzahl von Elementen beigetragen. Dazu gehören, neben den bereits genannten wissenschaftsinternen Faktoren, auch gesellschaftlich-politische Ereignisse wie der Jahrestag des Herero-Nama Krieges 1904-0737 sowie die eigene Lebenserfahrung einer globalisierten Welt und der politischen Debatten, die damit verbunden sind, und die unter den Schlagworten Migration, Leitkultur oder Islamophobie bis hin zu Biosprit oder Reispreis geführt werden.38 Dabei ist in den letzten Jahren nicht nur eine deutliche Zunahme der Zahl der Arbeiten, sondern auch eine Ausdifferenzierung des Forschungsfeldes und dessen Internationalisierung zu beobachten, zu welcher wiederum wesentliche Anregungen aus dem englischsprachigen Raum kamen.39 Schwerpunkte sind dabei vor allem die kulturellen Aspekte des deutschen

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(Bald 1970) sowie die Überblicksdarstellung zur Geschichte des deutschen Kolonialismus von Horst Gründer, erstmalig 1985 und jüngst in der 5., überarbeiteten Auflage erschienen (Gründer 2004e). Bade 1983b, S. 108. Siehe auch: Wehler 1985, S. 39-111. Erst kürzlich noch äußerte Wehler seine Verwunderung darüber, dass ein „realgeschichtlich derart sekundäres Phänomen wie die kurzlebige deutsche Kolonialgeschichte“, welches seiner Ansicht nach weder verfassungsgeschichtlich noch sozial- und wirtschaftshistorische bleibende Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft gehabt habe, solche Aufmerksamkeit auf sich ziehe (Wehler 2006, S. 165-172, Zitat S. 165). Conrad 2002, S. 148. In diesem Sinne auch: Eckert/Wirz 2002, S. 374-375. Zu diesem Thema wurden seinerzeit eine Reihe von Ausstellungen und Veranstaltungen durchgeführt. So beispielsweise „Deutschland Namibia. Eine geteilte Geschichte“ (Rautenstrauch-Joest Museum Köln, 2004) und „1904-2004. Eine Spurensuche zum Kolonialismus am Beispiel Namibia“ (Übersee Museum Bremen, 2004-2005) sowie die „Anticolonial Africa Conference“ (Berlin, 2004) und die Veranstaltungen um „hamburg postkolonial“ (Hamburg, 2005). Siehe dazu: Zeller 2005. Vgl. dazu in politikwissenschaftlicher Perspektive: Steyerl/Rodríguez (Hg.) 2003 sowie Hà 2005. Hier ist vor allem Susanne Zantops Studie Colonial Fantasies (Zantop 1997) zu nennen, welche einerseits erstmalig die Bedeutung des kulturellen Aspekts des deutschen Kolonialprojekts deutlich herausgearbeitet hat und andererseits seine Verwurzelung innerhalb der deutschen Gesellschaft jenseits, in diesem Falle vor, der offiziellen Kolonialpolitik demonstriert hat.

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Kolonialismus.40 Hier sind in erster Linie die Analysen von Kolonialliteratur,41 die Historiographie der Entdeckungsreisen,42 Arbeiten zur Geschichte der Völkerschauen und Kolonialausstellungen43 sowie Untersuchungen der kolonialen Erinnerungskulturen zu nennen.44 Auch neue Studien zu einzelnen Kolonien sind entstanden.45 Gleichzeitig wurden Themen der Geschichte des Rassismus in Deutschland neu aufgerollt;46 namentlich die Erfahrungen schwarzer Deutscher.47

Helden, Patriarchen und Komplizinnen: Koloniale Geschlechtergeschichte Ein Forschungsfeld, dem in diesem Zusammenhang in den vergangenen Jahren besondere Aufmerksamkeit zu Teil wurde, ist die Forschung zur kolonialen Frauen- und Geschlechtergeschichte. So hat beispielsweise Laura Ann Stoler mit Blick auf das britische sowie niederländische Kolonialprojekt herausgearbeitet, dass Geschlechteridentitäten und Sexualitäten nicht rekonstruiert werden können, ohne die Auseinandersetzungen in und mit den Kolonien zu berücksichtigen: „[R]acial obsessions and refractions of imperial discourses on sexuality have not been restricted to bourgeois culture in the colonies alone“. Stattdessen sei anzunehmen, dass bürgerliche Geschlechteridentitäten sowohl in den Kolonien als auch in der Metropole stets auch entlang der Kategorie ‚Rasse‘ kodiert gewesen seien.48 Das Interesse an einer Frauen- und Geschlechtergeschichte, die sich mit der deutschen Kolonialvergangenheit kritisch auseinandersetzt, speist 40

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Siehe dazu die Beiträge in den Sammelbänden von Honold/Simons (Hg.) 2002; Friedrichsmeyer/Lennox et al. (Hg.) 1998; Honold/Scherpe (Hg.) 2004 und Kundrus (Hg.) 2003 sowie Kundrus 2003a. Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kapitel 3. Vorgelegt von Berman 1998; Kiening 2006; Benninghoff-Lühl 1983; Warmbold 1982 und Short 2003. Hier sind in erster Linie Essner 1985 sowie Fiedler 2005 zu nennen. Ein rasch wachsendes Forschungsfeld, aus dem hier nur die zentralen Publikationen genannt werden können. Dazu gehört Dreesbach 2005, Dreesbach/Zedelmaier (Hg.) 2003, sowie Thode-Arora 1989, Köstering 2003 sowie Kusser 2007, Ciarlo 2003a und Wiener, Mi. 1990. Siehe dazu auch: Bruckner 2003; Benninghoff-Lühl 1984; Benninghoff-Lühl 1986; Goldmann 1985; Haberland 1988; Hey 1997; Ciarlo 2003b. Siehe: Möhle (Hg.) 1999; van der Heyden/Zeller (Hg.) 2002; Krüger 1999. Namentlich Pesek 2005 (DOA), Zimmerer 2001 (DSWA) sowie Zurstrassen 2008 (Togo). Siehe dazu: Grosse 2000 und Zimmerman 2001. Zu nennen ist hier das Pionierwerk Oguntoye 1997 sowie Oguntoye (Hg.) 2007 (erstmals erschienen 1997). Siehe dazu auch: El-Tayeb 2001, Schubert 2003 und Campt 2004. Darüber hinaus sind in vergangenen Jahren eine Reihe von Sammelbänden zum Thema erschienen, siehe: BechhausGerst (Hg.) 2003; Bechhaus-Gerst/Klein-Arendt (Hg.) 2004; Mazón/ Steingröver (Hg.) 2005; Bechhaus-Gerst/Gieseke (Hg.) 2006. Stoler 1996, S. 7.

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sich allerdings nicht nur aus den oben genannten forschungsinternen und gesellschaftlich-politischen Quellen, sondern auch aus einer bereits in den späten 1980ern und frühen 1990er Jahren begonnenen Auseinandersetzung der feministischen Bewegung mit den ihr inhärenten Rassismen.49 In diesem Zusammenhang ist die Pionierarbeit von Martha Mamozai, Schwarze Frau, weiße Herrin, zu nennen, die in sozial- und frauengeschichtlicher Perspektive die Lebensbedingungen von afrikanischen wie deutschen Frauen in DSWA untersucht.50 Die Analyse der Rolle deutscher Frauen für das nationale Kolonialprojekt, sei es in den Kolonien selbst oder als Mitglied einer kolonialpolitischen pressure group im Mutterland, sowie die Rekonstruktion der damit verbunden Weiblichkeitskonstruktionen, bildete in der Folge das Hauptthema dieser Forschungsrichtung, zu deren zentralen Beiträgen die Studien von Karen Smidt, Lora Wildenthal, Katharina Walgenbach und Anette Dietrich zu zählen sind.51 Als gemeinsamen Nenner der Ergebnisse ihrer Untersuchungen können wir festhalten, dass erstens Frauen mit den Kolonien ein utopischer Raum zur Verfügung stand, der einen Weiblichkeitsentwurf ermöglichte, in dem weißen Frauen ein größerer individueller Handlungsspielraum zur Verfügung stand, sei es als politische Aktivistin oder als Farmersfrau. Zweitens, dass dabei aber zur Begründung dieser Ausweitung stets im Rahmen des konventionellen bürgerlichen Geschlechtermodells argumentiert wurde.52 Besonders genau ist die zentrale Bedeutung demonstriert worden, welche deutschen Frauen als „Trägerinnen deutscher Bildung, deutscher Zucht und Sitte“ in der Durchsetzung einer rassistischen Bevölkerungspolitik in der Siedlungskolonie DSWA zugeschrieben wurde.53 Ein Aspekt, der vor allem anhand der Analyse der historischen Debatten um die „Mischehen“, welche wiederum einen besonderen Schwerpunkt der Forschung ausmachen, herausgearbeitet worden ist.54 Ebenso wie in anderen Forschungsfeldern setzte auch im Kontext der deutschen Kolonialgeschichte das Interesse an einer Geschichte der Männlichkeiten etwas später ein, so dass zur Zeit nur wenige Arbeiten eine deut-

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Siehe dazu: die Beiträge von Birgit Rommelspacher (Rommelspacher 1993 und Rommelspacher 1995). Siehe: Mamozai 1989. In diesem Sinne auch: Gouda 1993. Smidt 1995; Wildenthal 2001; Walgenbach 2005; Dietrich 2007. Siehe: Walgenbach 2005, S. 142-157; Wildenthal 2001, S. 131-139. Adda v. Liliencron, „Ein Wort über den Deutschkolonialen Frauenbund und seine Aufgaben“, in: Kolonie und Heimat 1,20 (1908-09), S. 9. Das Thema wird in nahezu allen Monographien zur kolonialen Geschlechtergeschichte sowie denen zur Geschichte der Afro-Deutschen behandelt. Siehe: El-Tayeb 2001, S. 92-131; Wildenthal 2001, S. 79-129; Kundrus 2003a, S. 219-279; Campt 2004, S. 37-49; Walgenbach 2005, S. 77-83. Siehe darüber hinaus auch: Kundrus 2003c, Kundrus 2006b, Essner 1992, Warmbold 1992 sowie die Beiträge in Becker, F. (Hg.) 2004.

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sche koloniale Männlichkeit thematisieren.55 Hierzu gehören Lora Wildenthals German Women for Empire, Birthe Kundrus’ Moderne Imperialisten, Rosa Schneiders Studie „Um Scholle und Leben“. Zur Konstruktion von ‚Rasse¶ und Geschlecht in der kolonialen Afrikaliteratur um 1900 sowie Sandra Maß’ Studie Weiße Helden – schwarze Krieger.56 Die Mehrheit der genannten Studien konzentriert sich dabei auf die Analyse der Konstruktion weißer Männlichkeit in Relation zu weißen und afrikanischen Frauen. So macht Wildenthal anhand der Untersuchung der sogenannten Mischehendebatte zwei einflussreiche Modelle weißer Männlichkeit aus: dasjenige der „imperial patriarchy“ einerseits sowie des „liberal nationalism“ andererseits.57 Die Vertreter des ersteren Modells verstanden sich als Patriarchen im traditionellen Sinne des pater familias, deren Autorität in den Kolonien jedoch nicht nur über ihren sozialen Status und ihr Geschlecht begründet wurde, sondern auch über ihre Zugehörigkeit zur weißen ‚Rasse‘. Repräsentanten des zweiten Modells sahen sich selbst als Mitglieder einer nationalen Gemeinschaft, die im Binnenverhältnis der männlichen Staatsbürger untereinander egalitär strukturiert war und im Außenverhältnis zu den Kolonialisierten, mit Verweis auf die angeblich rassische Überlegenheit der Weißen, hierarchisch wirkte. Wildenthals Differenzierung weißer kolonialer Männlichkeit beruht auf der Rekonstruktion des Interessenskonfliktes zwischen einer ersten Generation von Kolonisatoren, die sich im Zuge der kolonialen Eroberung materiellen Wohlstand, soziales Prestige und individuelle Autonomie sichern konnten, und einer zweiten Gruppe von Kolonisatoren, die zu spät in die Schutzgebiete kamen, um sich solche Positionen noch erobern zu können. Erstere „had created a way of life that would have been impossible to duplicate in Germany.“58 Letztere war eng verflochten mit der Kolonialreform Bernhard Dernburgs (1865-1937), welche, wie im Folgenden noch zu sehen sein wird, auf eine produktivere und effektivere Ausbeutung der Sozialund Arbeitsbeziehungen sowie die Regulation auch privater Lebensbereiche entlang den Kriterien einer modernen Gouvernementalität in den Kolonien zielte. Hinsichtlich der Beziehung zwischen weißen Männern und Frauen propagierten die Liberal-Nationalen ein partnerschaftliches Ehemodell, welches sowohl von Frauenkolonialvereinen als auch von der bürgerlichen Frauenbewegung vertreten wurde.59 Beiden Modellen gemein55

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Anders hingegen im englischsprachigen Forschungsbereich. Hier gehört die Untersuchung von Männlichkeitskonstruktionen bereits seit mehreren Jahren zum Forschungsfeld. Siehe: Hale, G. 1998; Sinha 1995 und Kasson 2002. Wildenthal 2001; Kundrus 2003a; Maß 2006; Schneider, R. 2003. Wildenthal 2001, S. 80. Ebd. Als die ideale Verkörperung einer weißen Partnerin galt dabei die sogenannte Farmersfrau, die gleichzeitig zur Sicherung der ökonomischen wie

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sam war jedoch die unhinterfragte Verfügungsgewalt weißer Männer über die Körper indigener Frauen.60 In ganz ähnlicher Weise unterscheidet Kundrus in ihrer Analyse der Diskurse um die Besiedlung des sogenannten Schutzgebietes DSWA zwischen dem Pionier und dem Familienoberhaupt. Während ersterer sich über männerbündische Gesellschaften identifizierte und auf die traditionellen Normen und Werte der „soldatisch-virile[n] Formen der Männlichkeit“ bezog,61 ging letzterer eine symbiotisch-partnerschaftliche Verbindung mit der deutschen weißen Frau ein, welche ihn gegen die ‚degenerierenden‘ kulturellen und klimatischen Einflüsse der Kolonien schützte. Ohne die weiße Frau, dem „natürliche[n] Kulturwesen“, drohte ihm die sogenannte ‚Verkafferung‘.62 Auf ihm ruhten die Hoffnungen der deutschen Kolonialbegeisterten, die sich eine dauerhafte und ökonomisch erfolgreiche Besiedlung der Kolonien wünschten. Er verkörperte den „idealen Siedler“: einen Mann, der die Eigenschaften eines „selbständigen, gebildeten, moralisch hochstehenden, materiell gefestigten und ‚rassebewußten‘ Wirtschaftsbürgers“ auf sich vereinte.63 Auch klassenspezifische, gezielt antiproletarische Elemente spielten bei der Formulierung dieses Idealbildes eine Rolle. Da Angehörige des Proletariats oder der Unterschichten als besonders anfällig für die Verführungen und zersetzenden Einflüsse der Tropen galten, sollten möglichst bürgerliche weiße Männer für das Siedlungsprojekt gewonnen werden.64 Ausreichendes Startkapital sollte die Bildung eines weißen, kolonialen Proletariats, dessen Existenz die ‚Überlegenheit‘ der weißen Kolonisatoren in Frage gestellt hätte, verhindern.65 Anders als Wildenthal fokussiert Kundrus in ihrer Studie damit nicht auf die Auseinandersetzungen zwischen Vertretern dieser beiden Männlichkeitsentwürfe, sondern konzentriert sich auf die Rekonstruktion des relationalen Charakters des idealen Siedlers, welcher nur in seiner komplementären, reproduktivheterosexuellen Beziehung zur weißen deutschen Frau denkbar gewesen sei. So hält die Autorin am Ende fest: „Konzeptionelles Leitbild für die Besiedlung wurde schließlich das gebildete, eher vermögende, disziplinier-

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kulturellen Basis ihrer Familie beitragen konnte. Siehe auch: Wildenthal 2001, S. 82-84, 151-156; Walgenbach 2005, S. 156-157 sowie Dietrich 2007, S. 261-267. Wildenthal 2001, S. 80-84. Kundrus 2003a, S. 79. Die Autorin weist an dieser Stelle auch darauf hin, dass wie in anderen geschlechterhomogenen Gruppen auch hier Männer Tätigkeiten und Funktionen übernahmen, die gesellschaftlich als weiblich konnotiert galten. Siehe dazu auch die Ausführungen in Kapitel 6. Siehe: Kundrus 2003a, S. 87-88, 283, Zitat S. 87. Zum Begriff der ‚Verkafferung‘ vgl. Kapitel 3. Siehe: Kundrus 2003a, S. 67-77, Zitate S. 44, 70. Siehe: Ebd., S. 88. Ebd., S. 70.

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te und seine Affekte im Zaum haltende, weiße, deutsche Farmer-, Arbeitsund Ehepaar.“66 Einen ganz ähnlichen Zugang hat auch Schneider für ihre Untersuchung Um Scholle und Leben gewählt. Auch sie nimmt den relationalen Charakter von Männlichkeitskonstruktionen in den Blick und fokussiert dabei auf das Beispiel DSWAs. Anders jedoch als Wildenthal und Kundrus, die sich in ihren Analysen auf die kolonialpolitischen Diskurse um die „Mischehendebatten“ sowie die Siedlungspolitik konzentrieren, befasst sich Schneider in ihrer Darstellung stärker mit den Ängsten und Befürchtungen, die um die Beziehungen zwischen weißen deutschen Männern und afrikanischen Frauen in kolonialliterarischen Darstellungen aufgebaut wurden. Dabei thematisiert sie nicht nur die Gefahr der ‚Verkafferung‘ weißer Männer durch (sexuelle) Kontakte mit afrikanischen Frauen, die bereits von ihren Fachkolleginnen ausführlich diskutiert worden ist, sondern auch die Bedrohung, die von „‚Orlogweiber[n]‘“ ausgehen sollte. Mit diesem Begriff wurden afrikanische Frauen bezeichnet, die aktiv im Herero-Nama Krieg 1904-07 auf Seiten der Indigenen gekämpft hatten. Ihnen wurde nachgesagt, die Leichen der gefallenen deutschen Soldaten verstümmelt zu haben. Diese, so rekonstruiert Schneider anhand der Kolonialromane deutscher weißer Frauen, repräsentierten damit die Gefahr einer kannibalischen Einverleibung, in der das traditionelle „Bild vom jungfräulichen Land, in das der europäische Eroberer eindringt“, umgekehrt wurde.67 „An die Stelle der männlich-weißen Kolonialgeste des Eindringens tritt das Schreckensbild einer phallischen schwarzen Weiblichkeit. Hyänisch wie die Orlogweiber kastriert die Kannibalin den weißen Mann und verleibt sich buchstäblich sein penetratives Potential ein.“68

Die Gefahr, von indigenen Frauen verspeist zu werden, stellte jedoch nicht die einzige Gefährdung für Leib und Leben der weißen Kolonisatoren dar. Neben den menschlichen Einwohnerinnen drohten andere, ‚natürliche‘ Feinde (Parasiten, Insekten, Viren, Bakterien) in den männlichen Körper einzudringen und umgekehrt ihn zu kolonisieren.69 Dem so drohenden „Untergang des weißen Körpers“ wurde mit strikten Sanktionen begegnet, um die verlorene Stabilität und die verletzten Körpergrenzen wieder herzustellen.70 Auf diese Weise, so argumentiert Schneider unter Bezug auf Michail Bachtins Überlegungen zum modernen Körper, sei der weiße Körper als geschlossener Körper zu verstehen, während der afrikanische,

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Ebd., S. 283. Schneider, R. 2003, S. 161-162, Zitat S. 162. Ebd., S. 161-162. Siehe: Ebd., S. 167-172. Ebd., S. 167 (Zitat) sowie S. 158-161.

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„kolonisierte[ ] Körper“ in der von ihr untersuchten Kolonialliteratur als vormoderner, offener, „groteske[r] Körper“ zu verstehen sei.71 Diese Interpretation wirft eine ganze Reihe von Fragen auf, denen im dritten Kapitel eingehender nachgegangen werden wird. Auf eine grundsätzliche Problematik sei allerdings an dieser Stelle bereits hingewiesen: Schneider rekurriert zur Interpretation ihres Materials auf Forschungsarbeiten und Körpermodelle, die sich ihrerseits dezidiert auf einen frühneuzeitlichen Kontext beziehen.72 Wie andere Forschungsarbeiten demonstriert haben, unterscheiden sich Geschlechter- und Körperkonstruktionen der Frühen Neuzeit oder auch des 18. Jahrhunderts erheblich von denen des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.73 Eine Differenz, die sich, wie Monika Wehrheim-Peuker gezeigt hat, vor allem hinsichtlich der Bedeutung des Geschlechts des Kannibalen beziehungsweise der Kannibalin bemerkbar macht. In Bezug auf das in der Frühen Neuzeit vorherrschende Weiblichkeitskonzept, welches Frauen eine aggressive Sexualität unterstellte, sowie im Zusammenhang mit misogynen Stereotypen wie dem der Hexe, wurde Menschenfresserei in den Reiseberichten vor allem indigenen Frauen zugeschrieben.74 Vor dem Hintergrund dieser Forschungsarbeiten erscheinen Schneiders Vorgehensweise, Konzepte und Interpretationsansätze, die für den frühneuzeitlichen Kontext entwickelt wurden, ohne kritische Reflexion auf einen anderen Zeitrahmen anzuwenden, fraglich. Im Gegensatz dazu werde ich auf den folgenden Seiten eine möglichst genaue historische Verortung des Kannibalismus-Vorwurfs sowie der damit verbundenen Geschlechterkonstruktionen vornehmen. Während sich Schneider, Kundrus und Wildenthal auf die Analyse der Geschlechterkonstruktionen in der kolonialen Situation beschränken, geht Sandra Maß in ihrer Studie Weiße Helden – schwarze Krieger als einzige unter den bislang vorliegenden Forschungsarbeiten zum Thema Kolonialismus und weiße Männlichkeit über den unmittelbaren kolonialen Kontext hinaus. Angeregt durch die Auseinandersetzung mit Studien über den Zusammenhang zwischen Männlichkeiten und dem Britischen Empire,75 untersucht Maß den Einfluss der deutschen Kolonialerfahrung auf die Entwicklung der für die deutsche Geschlechtergeschichte so bedeutsamen soldatischen Männlichkeit. In ihrer Untersuchung berücksichtigt Maß den multirelationalen Charakter hegemonialer Männlichkeit, indem sie nicht 71 72 73 74 75

Ebd., S. 161. Vgl.: Bachtin 1987 und Schülting 1997. Siehe dazu: Laqueur 1990, hier v.a. S. 25-62 zum „one-sex model“ sowie Duden 1987, hier v.a. S. 14-46. Siehe: Wehrheim-Peuker 1999, S. 28-31; Wehrheim-Peuker 2001, S. 171173. Da diese Studien auch für meine Analysen einen wichtigen Referenzrahmen bilden, seien die einschlägigen Werke hier kurz genannt: Mangan 1986; Bristow 1991; Dawson 1994 sowie Levine (Hg.) 2004. Vgl. auch die Ausführungen in Kapitel 3.

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nur auf die Bedeutung der homosozialen, männerbündischen Strukturen der Schutztruppe verweist, sondern auch die besondere Rolle von Frauen in der Propagandaarbeit gegen die ‚Schwarze Schmach‘ und die darin vertretenen Weiblichkeitskonstruktionen herausarbeitet.76 Ihre besondere Aufmerksamkeit richtet sich jedoch auf die Rekonstruktion des Verhältnisses zwischen der weißen Männlichkeit, dem weißen Helden, und seinem afrikanischen Anderen, dem schwarzen Krieger. Das Bild des letzteren, so eines der zentralen Ergebnisse ihrer Studie, war ein zwiespältiges: einerseits das „des treuen Gefolgsmannes“, des deutschen Askari, während er andererseits als „der Barbar, der Kannibale“ galt, repräsentiert durch den afro-französischen Kolonialsoldaten. Beide Figuren waren jeweils eingebettet in einen spezifischen Diskurs: in den von der heldenhaften Verteidigung der deutschen Kolonien gegen einen übermächtigen Feind auf der einen Seite und in den von der Besetzung des Rheinlandes durch „marodierende und vergewaltigende Horden afrikanischer Soldaten“ auf der anderen Seite. In beiden Diskursen, so Maß, „fungierte der afrikanische Soldat [...] als Spiegel weißer, kolonialer und soldatischer Männlichkeit.“77 Konzeptionell bezieht sich Maß dabei auf Homi K. Bhabhas Begriff des kolonialen Stereotyps. Wie dieser in seiner Studie Location of Culture argumentiert, repräsentiert das Stereotyp eine grundlegende Ambivalenz, welche den gesamten kolonialen Diskurs durchzieht: die der Gleichzeitigkeit von Begehren und Ablehnung.78 Wie im Folgenden noch ausführlicher dargestellt werden wird, greift Bhabha bei der Entwicklung seines Modells vom kolonialen Stereotyp auf die Terminologie und Begrifflichkeit der Lacan’schen Psychoanalyse, namentlich das Konzept der Spiegelphase, zurück. Damit basiert Maß’ Argumentation auf einem binären Negationsmodell, dessen Erklärungspotential, wie im Zuge dieser Arbeit sichtbar werden wird, enge Grenzen hat. So kann Maß zwar konstatieren, dass die Vorstellung von Zivilisierung als einem historisch-evolutionären Prozess der Triebhemmung notwendig impliziert, dass die „Grenze zwischen Schwarzen und Weißen so strikt nicht war“, kann aber die Bedeutung dieser Beobachtung nicht genauer ausleuchten.79 Anders als Maß werde ich gezielt die vielfältigen Konnexionen, welche weiße Männlichkeit und kannibalische Alterität konstituierten, in den Mittelpunkt meiner Analyse stellen, um eine Verkomplizierung und Auflösung der Position des männlichen Hegemons zu ermöglichen. In diesem Sinne trägt die hier vorgelegte Arbeit zu dem intellektuellen Projekt des „making queer all sexualities“ bei, dessen Ziel es ist, herauszufinden „what is fundamentally weird and

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Maß 2006, S. 15, 56-70, 89-100. Zum Begriff der ‚Schwarzen Schmach‘ vgl. meine Ausführungen in Kapitel 5. Maß 2006, S. 3. Siehe auch: Maß 2005, S. 138. Siehe: Bhabha 2001, S. 77-78. Maß 2001, S. 27.

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strange about all bodies, all carnalities [...] whether they conform to the norms and ideals of culturally valorized models or not“.80 Wie so oft im Zusammenhang mit Qualifikationsarbeiten liegt zwischen dem Abschluss der Arbeit und ihrer Drucklegung ein gewisser Zeitraum. Weitere, für die hier behandelten Fragen interessante Studien sind in der Zwischenzeit veröffentlicht worden, ohne dass sie im Manuskript ausreichend berücksichtigt werden konnten. Dazu zählt in erster Linie Stefanie Michels Studie Schwarze deutsche Kolonialsoldaten, in der den vielfältigen Beziehungen zwischen afrikanischen Söldnern und weißen Offizieren nachgegangen wird. Allerdings operiert auch Michels auf Grundlage der oben ausführlich kritisierten Dichotomie, wenn auch mit der Absicht – ganz im Sinne postkolonialer Theoriebildung – die Wechselseitigkeit und Hybridität des historischen Verhältnisses zwischen Eigenem und Anderen aufzuzeigen.81 Hier zeigt sich erneut der Bedarf, anders über das Andere nachzudenken, und damit die Aktualität des hier vorgelegten Beitrags.

Bürgerlich, weiß, männlich: Intersektionalität des Hegemons Mit meiner Frage nach der Verschränkung von Kolonie und Metropole in der Artikulation hegemonialer Männlichkeit ordnet sich meine Arbeit in ein Forschungsfeld im Bereich der historischen Geschlechterstudien ein, das durch ein doppeltes Forschungsdesiderat gekennzeichnet ist. Zum einen mangelt es bislang allgemein an Forschungsarbeiten, welche systematisch die von Randeria genannten entangled histories analysieren.82 Zum anderen existieren, mit Ausnahme von Maß’ Studie, keine Arbeiten zur Bedeutung kolonialer Diskurse für die Konstruktion hegemonialer, bürgerlich-weißer Männlichkeit im Besonderen. Während Maß’ Arbeit auf ein binäres Abgrenzungsmodell rekurriert, welches eine differenzierte Betrachtung mehrdeutiger und vielfältiger Beziehungen notwendig ausschließt, stelle ich, wie oben bereits erwähnt, das multirelationale Beziehungsgeflecht zwischen Identität und Alterität in den Mittelpunkt meiner Analyse. Die hier vorgelegte Untersuchung der Kontinuitäten und Diskontinuitäten kolonial-rassistischer Diskurse in der Artikulation weißer Männlichkeit und kannibalischer Alterität am Beispiel der Lustmörder der Zeit der Weimarer Republik soll damit einen Beitrag zu einer postkolonialen Geschlechtergeschichte und damit zu einer Auflösung dieses doppelten Forschungsdesiderates darstellen. Gleichzeitig knüpft meine Studie damit an aktuelle theoretisch-methodische Überlegungen an, die zur Zeit in ver80 81 82

Grosz/Probyn 1995, S. xi. Siehe: Michels 2009, S. 7. Neben Maß’ geschlechterhistorischer Untersuchung bislang allein stehend Sebastian Conrads Aufsatz zur „‚Eingeborenenpolitik‘ in Kolonie und Metropole“ (Conrad 2004).

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schiedenen Forschungsrichtungen in Bezug auf die Konzeptionalisierung der Verschränkung geschlechtlicher, rassistischer und klassenspezifischer Kategorien in der Artikulation von Männlichkeit angestellt werden. Bereits 1986 hat Joan Scott in ihrem grundlegenden Artikel Gender: A Useful Category of Historical Analysis dargestellt, dass es sich bei der sozialen Konstruktion des Geschlechts um eine relationale Kategorie handelt, die einen „primary way of signifying relationships of power“ darstellt und welche nur in ihren Bezügen zu anderen gesellschaftlichen Identitätskategorien sinnhaft zu untersuchen sei.83 Es gilt inzwischen als der common sense der Forschung, dass, wie Judith Butler es formuliert, „Geschlechtsidentität in den verschiedenen geschichtlichen Kontexten nicht immer übereinstimmend und einheitlich gebildet worden ist und sich mit den rassischen, ethnischen, sexuellen, regionalen und klassenspezifischen Modalitäten diskursiv konstituierter Identitäten überschneidet.“84

Nicht nur die Frauen- und Geschlechterforschung, auch die Forschungen zur Geschichte der Männlichkeiten haben diesen relationalen Charakter von Geschlechtsidentitäten deutlich herausgearbeitet.85 Zur Beschreibung dieses Phänomens hat sich der Begriff der hegemonialen Männlichkeit durchgesetzt. Geprägt von R. Connell, bezeichnet er diejenige Männlichkeit, welche innerhalb eines historisch spezifischen, vermachteten Geschlechterverhältnisses gegenüber anderen vergeschlechtlichten Identitätskonstruktionen die hegemoniale Position einnimmt.86 Diese wird, soweit

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Scott, J. 1986, S. 1067. Eine Vielzahl von Studien zur Frauen- und Geschlechtergeschichte ist dieser Spur nachgegangen. Für den deutschen Kontext hier zu nennen: von Braun 1992; Rommelspacher 1993; Rommelspacher 1995. Maßgeblicher Einfluss ging dabei auch hier wieder von den Publikationen aus dem anglo-amerikanischen Raums aus. Siehe dazu: Hooks 1981, Davis, A. 1994, Frankenberg 1993 sowie Ware 1993. Butler 1991, S. 18. Geschlechtergeschichtliche Forschungen zur Männlichkeit, die lange Zeit im Vergleich zur Frauen- und Geschlechtergeschichte ein Schattendasein fristeten, haben in den letzten Jahren beträchtliche Fortschritte gemacht. Siehe dazu: Martschukat/Stieglitz 2005 und Kühne (Hg.) 1996. Als zentrale Beiträge zur Debatte im deutschsprachigen Raum sind des Weiteren zu nennen: Schmale (Hg.) 1998, Schmale 2003 sowie Frevert 1991. Darüber hinaus sei hier ausdrücklich auf die wegweisenden Studien von R. Connell verwiesen, in denen das Konzept der hegemonialen Männlichkeit entwickelt wurde (Connell 1995 und Connell 2000). Zur feministischen Perspektive auf die sich entwickelnden Masculinity Studies vgl. exemplarisch die Beiträge in Gardiner (Hg.) 2002 und Newton 1998. Siehe: Connell 1995, S. 76: „‚Hegemonic masculinity‘ is not a fixed character type, always and everywhere the same. It is, rather, the masculinity that occupies the hegemonic position in a given pattern of gender relations, a position always contestable.“ Cornell entleiht den Begriff der Hegemonie bei Antonio Gramsci, der damit die Vormachtstellung von sozialen Grup-

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die Untersuchungsergebnisse der Männlichkeitsgeschichte, von der bürgerlich-weißen, heterosexuellen Männlichkeit besetzt, die in Relation sowohl zu anderen, minorisierten Männlichkeiten (schwarze Männlichkeiten, Männlichkeiten homosexueller Orientierung) als auch zu (weißen oder schwarzen) Weiblichkeiten hergestellt wird.87 In den letzten Jahren mehren sich die Forderungen, „den Konstruktcharakter hegemonialer Geschlechtsidentität“ eingehender zu untersuchen, um „die soziokulturelle Position des Hegemons ihrer vermeintlichen Selbstverständlichkeit“ zu entheben: „Auch weiße heterosexuelle Mittelklassemänner haben eine Geschlechtsidentität, die nicht natürlich, sondern kulturell geprägt ist.“88 Gleichzeitig wird die Neuorientierung der bisherigen Forschung und ihrer Ergebnisse in einem transnationalen, postkolonialen Kontext eingefordert.89 Denn „[e]rst durch die Konstruktion ‚anderer‘, kulturell bzw. ethnisch divergenter Männlichkeiten versichert sich der ‚weiße Mann‘ seiner (post)kolonialen Machtposition. Parallel dazu werden kulturell divergente Männlichkeitsentwürfe universalisierend in westliche Männlichkeitskonstrukte integriert.“90

Einer ähnlichen Kritik wird zurzeit auch die Analyse des „Weiß-Seins“ im Rahmen der Whiteness Studies unterzogen. Whiteness wird im Kontext dieses Forschungszusammenhanges in einem doppelten Sinne verstanden: einerseits als System sozialer Praktiken, welche die Hegemonie der als „weiß“ markierten Menschen herstellt und aufrechterhält und andererseits als Identitätskategorie, die ebenso wie andere Identitäten|Alteritäten in Relation zu anderen Konnexionen immanent wird und historisch eng verknüpft ist mit einem Normalisierungsdiskurs. „To be normal, even to be normally deviant (queer, crippled), is to be white.“91 Forscherinnen und

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pen und deren Wertvorstellungen innerhalb einer zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung bezeichnete (siehe: Gramsci 2000, S. 190-199). Siehe: Connell 1995, S. 75-76. Martschukat/Stieglitz 2005, S. 71. In die gleiche Richtung zielt, wenn auch mit Hilfe einer unterschiedlichen Herangehensweise, Judith Halberstam: „precisely because white male masculinity has obscured all other masculinities, we have to turn away from its construction to bring other more mobile forms of masculinity to light.“ (Halberstam 1998, S. 16.) Siehe: Connell 2000, S. 33. Daum/Geier et al. 2005, S. 13. Dyer 1997, S. 12. Auch hier handelt es sich ähnlich wie bei der Forschung zu Männlichkeiten um ein expandierendes und zurzeit sehr produktives interdisziplinäres Forschungsfeld, dessen Schwerpunkt bislang in der Untersuchung des US-amerikanischen Kontextes lag. Wegweisende Publikationen sind neben Dyers bereits zitierten Monographie Roediger 1991, Ignatiev 1995, Lipsitz 1998 sowie, aus Perspektive der Postcolonial Studies, Young 1990. Zum Einstieg sei an dieser Stelle außerdem noch genannt: Kolchin 2002 und Hill (Hg.) 1997. Auch für den deutschen Forschungskontext gewinnt dieser Forschungsansatz zunehmend an Bedeutung. Vgl.

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Forscher betonen die Notwendigkeit, „Weiß-Sein“ losgelöst von Körpern weißer Hautfarbe zu untersuchen und stärker als bisher seine Konstruktion innerhalb der „interlocking axes of power, spatial location, and history“ in den Blick zu nehmen. „Whiteness is not just about bodies and skin color, but rather more about the discursive practices that, because of colonialism and neocolonialism, privilege and sustain the global dominance of white imperial subjects and Eurocentric worldviews“.92

Die solcherart in verschiedenen Kontexten angestellten Überlegungen zum Verhältnis unterschiedlicher „Kategorien sozialer Ungleichheit“ werden zunehmend unter dem Schlagwort der „intersectionality“ oder Intersektionalität zusammengefasst.93 Ursprünglich eingeführt durch die USamerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw, diente der Begriff sowohl der Konzeptionalisierung der multiplen Diskriminierungserfahrungen von Women of Color entlang der Kategorien race, class und gender als auch der Kritik an einer antirassistischen und feministischen Politik, welche häufig eine der beiden Diskriminierungsdimensionen ausblendete und auf diese Weise paradoxerweise erneut einschrieb.94 Im deutschsprachigen Forschungsbereich hat sich der Begriff vor allem in den sozialwissenschaftlich orientierten Gender Studies durchgesetzt. Hier wird Intersektionalität benutzt, um die „Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Achsen der Ungleichheit“ einer globalisierten Welt in den Blick zu nehmen.95 Diese Herangehensweise wird innerhalb der Zunft kontrovers diskutiert. So erhebt beispielsweise Katharina Walgenbach den Vorwurf, intersektionale Analysen seien durch einen impliziten Essentialismus gekennzeichnet, denn die Metapher der Verschränkung gehe mit der „Vorstellung eines ‚genuinen Kerns‘ sozialer Kategorien“ einher.96 Andere, wie etwa Ina Kerner, mahnen an, sowohl „Rassismen als auch Sexismen“ stärker als „komplexe Machtphänomene“ zu begreifen, die ihrerseits „im Zusammenhang kategorialer Differenzzuschreibungen“ operieren. Dabei gelte es aber auch, diese von anderen Machtformen zu unterscheiden, etwa denjenigen,

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dazu Hacker/Bosch (Hg.) 2005, Wollrad 2005; Gerbing/Torenz 2007; Walgenbach 2005; Dietrich 2007 sowie die Beiträge in Eggers (Hg.) 2005; Tißberger (Hg.) 2006, Wachendorfer 2001 und Wollrad 2004. Shome 1999, S. 108 (HiO) und S. 109. Frerichs 2000, Titel sowie Knapp 2005, S. 68. Siehe auch: Klinger 2003. Siehe: Crenshaw 1995, S. 357-358. Siehe dazu die Beiträge in: Knapp/Wetterer (Hg.) 2003; Klinger/ Knapp/Sauer (Hg.) 2007; Walgenbach/Dietze et al. (Hg.) 2007; Klinger/Knapp (Hg.) 2008. Zitat: Klinger/Knapp 2007, S. 21 (HiO). Walgenbach 2007, S. 23.

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die „im Zusammenhang mit Klassen bzw. Produktionsverhältnissen operieren“.97 Wie Gudrun Axeli-Knapp dargelegt hat, gibt es neben dieser fachimmanenten Kritik aber auch grundsätzliche Fragen der Übertragbarkeit der Perspektiven der intersectionality auf den deutschen Forschungskontext. Besonders die Kategorien class und race erweisen sich als sperrige Begriffe. Zum einen bezeichnet ‚Klasse‘ im US-amerikanischen Sprachgebrauch ein anderes Phänomen als im deutschen sozial- und geisteswissenschaftlichen Forschungskontext. Während diesseits des Atlantiks damit eine Gesellschaftsanalyse marxistischer Prägung verbunden ist, wird der Begriff in den Vereinigten Staaten häufig als sozialer Distinktionsmarker eingesetzt. Race hingegen, in den USA ein Begriff, welcher nicht nur juristischen Charakter trägt, sondern auch mit positiver Selbstidentifikation verbunden wird, ist im deutschsprachigen Raum aufgrund der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik von einem affirmativen Gebrauch vollkommen ausgeschlossen.98 Darüber hinaus stellt sich aus der Perspektive der historischen Forschung eine zweite, grundlegende Schwierigkeit in der Übertragung des Konzepts der Intersektionalität. Es handelt sich hierbei in erster Linie um ein epistemologisches Problem: die genannten Studien argumentieren auf der Grundlage von analytischen Kategorien, die ihrerseits Ergebnisse eines historischen Prozesses sind. Während die Sozialwissenschaften, aus denen das Konzept stammt, mit der empirischen Beschreibung von gesellschaftlicher Differenz (heutiger Gesellschaften) befasst sind, interessieren sich Historikerinnen und Historiker für den Prozess, in dem sich Identitäten und Alteritäten (oder allgemein Differenzkategorien) überhaupt erst konstituiert haben und in denen häufig weder die Abgrenzungen zwischen den Kategorien noch die verwendeten Begrifflichkeiten einem heutigen Verständnis entsprochen haben.99 Oder, um mit Anne McClintock zu sprechen, 97 98

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Kerner 2009b, S. 37. Siehe auch Kerner 2009a. Siehe: Knapp 2005, S. 71-73. Auch diese Arbeit hat mit diesen begrifflichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Durch die Auseinandersetzung mit einem Themenkomplex, in dem Rassismus, Kolonialismus und die Artikulation vergeschlechtlichter Identitäten eng mit einander verwoben sind, werden im Folgenden immer wieder historische Begriffe auftauchen, die für heutige Leserinnen und Leser rassistisch und diskriminierend sind. Dort, wo es mir der Klarheit der historischen Analyse wegen notwendig erschien, habe ich diese trotzdem beibehalten, sie aber an Ort und Stelle kritisch markiert. Anders bin ich bei der Verwendung von Identitätskategorien verfahren, die aus der von mir eingenommenen analytischen Perspektive jeweils als sozial hergestellte zu verstehen sind. Zu Gunsten der Leserlichkeit des Textes habe ich hier auf die Kennzeichnung der kritischanalytischen Distanz mit Hilfe von Anführungszeichen verzichtet. Besonders deutlich ist diese inhärente Tendenz zu einem ahistorischen Denken in Gabriele Winkers und Nina Degeles Darstellung Intersektionalität, die ganz explizit eine generelle Anleitung für eine empirische, intersektionale Analyse bereitstellen soll (siehe: Winker/Degele 2009, S. 8).

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aus historischer Perspektive ist nicht davon auszugehen, dass Kategorien wie ‚Rasse‘, Klasse oder Geschlecht „can […] simply [be] yoked together retrospectively like armatures of Lego. Rather, they come into existence in and through relation to each other – if in contradictory and conflictual ways. In this sense, gender, race and class can be called articulated categories.“100

Um also der Gefahr eines Zirkelschlusses zu entgehen, bedarf es der genauen Rekonstruktion der historischen Prozesse, in denen Identitäten und Alteritäten, wie wir mit Blick auf das Thema der hier vorliegenden Studie ergänzen wollen, artikuliert wurden. Drittens, und dies schließt an den eben genannten Punkt an, können intersektionale Ansätze die Frage nach den Verbindungen und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Differenzkategorien nur unzureichend beantworten. Um diese analytisch zu fassen, schlagen einige Autorinnen wie Winker und Degele einen „Mehrebenenansatz“ vor, welcher „Struktur- Repräsentations- und Identitätsebene“ zugleich in den Blick nimmt.101 Andere, wie Ina Kerner, fordern eine mehrdimensionale Analyse, welche die institutionellen, personalen und institutionellen Dimensionen von Sexismus und Rassismus in den Blick nimmt.102 Damit betonen alle Ansätze zur Intersektionalität zwar die Multirelationalität der einzelnen Kategorien, hinterfragen jedoch nicht die traditionell in Binarismen gedachte Struktur von Differenzkategorien (weiß-schwarz; Mann-Frau). Es handelt sich damit also gewissermaßen um eine konzeptionelle Vervielfältigung von Negationsverhältnissen, nicht um deren Auflösung. Die Neuerung des Ansatzes besteht damit lediglich darin, mehrere dieser Abgrenzungsverhältnisse in den Blick zu nehmen statt nur eines. Ein ähnliches Desiderat besteht, wie oben gesehen, hinsichtlich der Notwendigkeit, anders über das kannibalische Andere nachzudenken.

1 . 3 An d e r s ü b e r d a s An d e r e n a c h d e n k e n : Al t e r i t ä t u n d n o m a d i s c h e s S u b j e k t Anders über das Andere nachzudenken bedeutet gleichzeitig auch, die bisherigen Theorien der Subjektivität in Frage zu stellen. Wurde doch in der europäischen Wissenschaftstradition, von Hegel bis Freud, die Identität des Subjektes über seine Abgrenzung von einem Außen, einem Nicht-Ich, einem Anderen erklärt. Dies ist eine Denktradition, die sich, wie oben be100 McClintock 1995, S. 5. Zur Bestimmung des Begriffs der „articulated category“ siehe die folgenden Ausführungen im Anschluss an die Rezeption Deleuzianischer Theoriebildung in den British Cultural Studies und durch Feministinnen wir Rosi Braidotti oder Elizabeth Grosz. 101 Winker/Degele 2009, S. 141-142, Zitat S. 140, 141. 102 Kerner 2009b, S. 36.

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reits deutlich geworden ist, bis in die zeitgenössische Forschung über Kannibalismus fortgesetzt hat. Ein einschlägiges Beispiel hierfür ist die bereits zitierte Studie von Maggie Kilgour, in der sie das kannibalische Andere als den Spiegel des modernen Subjekts bezeichnet.103 Ein anderes Exempel wäre Peter Hulmes Darstellung Colonial Encounters. Hier argumentiert Hulme, dass der Kannibale seit dem 13. Jahrhundert das identitätstiftende Andere Europas auf der Ebene kollektiver Identitäten darstelle: „[B]oundaries of communities are often created by accusing those outside the boundary of the very practice on which the integrity of that community is founded. This is at one and the same time a psychic process – involving repression and projection – and an ideological process – whereby the success of the projection confirms the need for the community to defend itself against the projected threat, thereby closing the circle and perpetuating it.“104

Und in seiner Bedeutung des Fremden für die europäische Geistesgeschichte postuliert Hinrich Fink-Eitel, dass die Abgrenzung von dem Fremden, in seiner Form des Mythos vom Guten und vom Bösen Wilden, als Denkmuster gar eine „kontinuierliche[n] Unterströmung der gesamten europäischen Geistesgeschichte seit dem 16. Jahrhundert“ bilde. „Der Böse Wilde“, so Fink-Eitel, sei „das minderwertige Andere der eigenen, überlegenen Kultur“. Unabhängig davon, ob es sich „um äußere oder innere Feinde, um fremdartige Völker oder Rassen, um ‚unzivilisierte‘ oder ‚staatsfeindliche‘ Aufrührer (‚Anarchisten‘)“ handele.105 Es ließen sich viele weitere solcher Beispiele, besonders in populäreren Darstellungen zur Geschichte des Kannibalismus, finden. Für die uns hier interessierende Reflexion auf das Verhältnis von Identität und kannibalischer Alterität ist jedoch wichtig festzuhalten, dass keine theoretischen Konsequenzen aus dieser Beobachtung gezogen werden, und dies, obwohl unterschiedliche Kannibalen und Kannibalinnen angesprochen werden. Stattdessen wird der kannibalische Wilde, häufig unter Rekurs auf psychoanalytische Modelle, durchgängig als das notwendig Andere des zivilisierten, europäischen Subjekts konzeptionalisiert.

Zerschmetterte Spiegel: Die Verweigerung des imperialistischen Blicks Dieses Denken macht eine Reihe von Voraussetzungen, die der Zielsetzung der hier vorgelegten Arbeit zuwiderlaufen. Erstens basiert dieses Modell auf der Annahme, dass eine klare Trennung zwischen dem Subjekt und seinem Außen möglich sei. Dabei ist der Begründungszusammenhang 103 Kilgour 1998, S. 242-243. 104 Hulme 1992, S. 85. 105 Fink-Eitel 1994, S. 10, 9.

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reflexiv: Indem das Subjekt sich als das andere des Anderen begreift, führt es die Trennung herbei, die als Voraussetzung für seine Identität gedacht wird. Durch die Verleugnung der Herstellung dieser Unterscheidung werden zweitens diejenigen Prozesse, die in diesen Differenzproduktionen stecken, enthistorisiert und aus dem Blick der geschichtswissenschaftlichen Betrachtung gerückt. Drittens ist dieses Modell vom Zentrum aus gedacht: Das Andere wird zur Kulisse, es wird nicht im Sinne eines eigenen Rechtes thematisiert, sondern als ein Passives, auf welches das Subjekt sich selbst einschreibt.106 In diesem Sinne kann von einem „‚metaphysical cannibalism‘ of the subject“107 gesprochen werden. Diese Perspektive reproduziert das Selbstbild des kolonialisierenden, herrschaftsausübenden Subjektes auf der Ebene der Metaphysik. Um den Fußfallen dieses metaphysischen Kannibalismus zu entgehen, ist es notwendig, wie Homi K. Bhabha es formuliert hat, „to think beyond narratives of originary and initial subjectivities“. Bhabha geht mit dieser Forderung allerdings nur die Hälfte des Weges, den die hier vorliegende Studie verfolgen möchte. Zwar schlägt er einerseits vor, ganz im Sinne meines Forschungsinteresses, sich auf die Analyse von „‚in-between‘ spaces“ zu konzentrieren, welche er als diejenigen „moments or processes that are produced in the articulation of cultural differences“ versteht.108 Gleichzeitig operiert er andererseits mit den Kategorien der Lacan’schen Psychoanalyse. Jacques Lacan wiederum unterscheidet mit Blick auf die psychologische Entwicklung des Individuums zwei Aspekte. Erstens sei das Andere dasjenige, durch dessen Wahrnehmung sich das Kind seiner Selbst und seines Körpers bewusst werde. Das Individuum sehe ein Bild von sich selbst, eine Gestalt, und gewinne über die Wahrnehmung eines Mangels, einer Abwesenheit, das Bewusstsein von sich selbst als einer von seinem Gegenüber unabhängigen Entität. Dies geschehe in der „Spiegelphase“, der Entwicklung eines Kindes zwischen dem sechsten und achtzehnten Monat.109 Zweitens sei das Andere als das „grand-autre“, das Große Ande-

106 Vgl. hierzu die Kritik von Emmanuel Lévinas an der traditionellen Vorstellung vom Verhältnis von Identität und Alterität. Laut Lévinas führen alle solcherart gestalteten Versuche des Subjekts, das Andere zu erkennen, zu einer „reduction of the other to the same“, da das erkennende Subjekt den Anderen immer nur als anderes Subjekt wahrnehmen kann, oder wie Lévinas formuliert: Ich kann „receive nothing of the Other but what is in me“. (Lévinas 1969, S. 43.) 107 Braidotti 2002, S. 72 (HiO). 108 Bhabha 2001, S. 1. 109 „Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint (Bericht für den 16. Internationalen Kongreß für Psychoanalyse in Zürich am 17. Juli 1949)“, in: Lacan 1986, Bd. 1, S. 61–70, hier besonders S. 64-69.

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re, dasjenige, durch welches das Subjekt seine Identität erhalte.110 Ähnlich wie Louis Althusser in seinem Modell der Anrufung geht Lacan davon aus, dass das Individuum erst durch den Blick der Verkörperungen der symbolisch-gesellschaftlichen Ordnung seine Identität erlange. Dieses symbolische Andere kann durch verschiedene Personen repräsentiert werden, in der Entwicklung des Kindes beispielsweise durch Mutter oder Vater. Es ist für die Identität des Subjekts konstitutiv: Das Subjekt existiert nur in seinem Blick.111 Das Andere ist damit auch für Lacan das Gegenüber des Subjekts, welches seinerseits die eigene Identität nur über die Abgrenzung zum Anderen definieren kann. Dieses dialektische Verhältnis zwischen diesen beiden ist gekennzeichnet durch einen fundamentalen Mangel und oszilliert zwischen Ablehnung und positiver Identifikation.112 Entsprechend beruht Lacans Verständnis vom Anderen auf dem oben bereits kritisierten, in der Philosophie traditionell vertretenen Negationsverhältnis. Indem sich Bhabha auf Lacans Begrifflichkeiten bezieht, übernimmt er implizit die hier skizzierten Grundannahmen, welche wiederum seine Analyse der ‚in-between¶ spaces im Sinne eines Negationsverhältnisses zwischen Identität und Alterität präfigurieren. Um also, unter Berücksichtigung der oben ausgeführten Kritik des metaphysischen Kannibalismus, diejenigen Prozesse, welche Identität und Alterität herstellen und aufrechterhalten, historisierend in den Blick nehmen zu können, müssen wir diese und jede andere Form des „imperial gaze“113 des Subjektes auf das Andere aufgeben und grundsätzlich neue Wege einschlagen, um über das Andere oder seine Differenz nachzudenken. Der Versuch, „Differenzen anders zu denken“114, nimmt eine prominente Stelle im Denken des Philosophen Gilles Deleuze und seines Autor-Kollegen, dem Psychoanalytiker Félix Guattari, sowie in den kritischen Aneignungen ihrer Werke durch feministische Theoretikerinnen wie Elisabeth Grosz oder Rosi Braidotti ein. Ihre Vorschläge bilden das konzeptionelle Rüstzeug der hier vorgelegten Arbeit und sollen daher im Folgenden näher erläutert werden.

110 Lacan unterscheidet das grand-Autre und das Andere, welches im Zug der Spiegelphase entsteht, sprachlich durch eine Groß- bzw. Kleinschreibung, die sich im Deutschen aufgrund des in beiden Fällen vorangestellten Personalpronomens nicht durchhalten lässt. 111 Siehe: Lacan 1968, S. 189, 269. 112 Siehe: Lacan 1978, S. 214-226. Unter Bezug auf dieses Modell von Projektion und Abjektion argumentiert beispielsweise Peter Hulme, dass der Kannibale seit dem 13. Jahrhundert das identitätstiftende Andere Europas darstelle (siehe: Hulme 1992, S. 85). 113 Kaplan 1997, S. 1-5, Zitat S. 1. Vgl. dazu auch Anne McClintocks Ausführungen zur Bedeutung des Blicks bei der Anordnung des kolonialen Anderen im „commodity spectacle“ der Werbung oder der Kolonialschauen (McClintock 1995, S. 56-59). 114 Siehe: Allolio-Näcke/Kalscheuer 2005, S. 9-10, Zitat S. 10.

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Das Anomale und der Schwarm der Differenz: Subjekt-Werden Anders als die traditionelle westliche Philosophie verstehen Deleuze und Guattari das Subjekt nicht als stabile, in sich geschlossene Entität, sondern als eine „Mannigfaltigkeit“, die sich aus einer Vielheit verschiedener Verbindungen zusammensetzt. Mannigfaltigkeiten tragen damit den Charakter eines Wurzelwerkes, eines Rhizoms.115 Diese sind, erstens, nichthierarchisch, denn jeder Punkt innerhalb des Rhizoms ist mit jedem der anderen verbunden. Zweitens sind sie dynamisch: das Gefüge (agencement)116 ist bestimmt durch die Verbindungen, welche sie gleichzeitig konstituieren. Deleuze und Guattari bezeichnen diese Verbindungen auch als die Dimensionen einer Mannigfaltigkeit. Veränderungen der Konnexionen bedeuten eine qualitative Veränderung des gesamten Gefüges. „Eine Mannigfaltigkeit wird weder durch ihre Elemente, noch durch ein Zentrum der Vereinheitlichung oder des Begriffsvermögens definiert. Sie wird durch die Zahl ihrer Dimensionen definiert; sie läßt sich nicht aufteilen, sie verliert oder gewinnt keine Dimension, ohne ihr Wesen zu ändern.“117

Drittens sind Mannigfaltigkeiten im Sinne Deleuzes and Guattaris monströs. Sie werden durch „widernatürliche Anteilnahme“, durch Bündnisse und Ansteckung gebildet und sind „aus heterogenen Termen in Symbiose zusammengesetzt“.118 Diese heterogenen Terme bilden die Fluchtpunkte der Beziehungen, in denen eine Mannigfaltigkeit existiert und damit gleichsam den Rand, die äußerste Dimension, welche eine Mannigfaltigkeit etablieren kann.119 Diese Randfunktion wird von Deleuze und Guattari „das Anomale“120 genannt; es ist diejenige „Position oder ein Komplex von Positionen gegenüber einer Mannigfaltigkeit“, welche diese begrenzt und „deren vorübergehende oder lokale Stabilität [...] determiniert (und zwar in 115 Deleuze/Guattari 2002, S. 325-326. 116 In der deutschsprachigen Ausgabe von Milles Plateaus wird agencement mit „Gefüge“ übertragen, welches die Nebenbedeutung der Einrichtung, Anordnung oder auch Aufstellung bzw. Arrangement des Originals verschluckt. Vgl. dazu auch die Anmerkung des Übersetzungsteams Ricke/ Voullié (Ebd., S. 12). 117 Ebd., S. 340 (HiO); siehe auch S. 16, 18. 118 Ebd., S. 327, 340 (HiO). 119 „Jede Mannigfaltigkeit wird durch einen Rand definiert, der die Funktion des Anomalen hat; aber es gibt eine Reihe von Rändern, eine kontinuierliche Linie von Rändern (Faser), an denen sich die Mannigfaltigkeit verändert.“ (Ebd., S. 340.) 120 Das „Anomale“ ist eine Wortbildung in Anlehnung an das griechische „Anomalie“, die von Deleuze und Guattari vorgenommen wird, um „das Ungleiche [...], das Unebene, die Unebenheit, die Grenze der Deterritorialisierung“ zu bezeichnen. Nicht damit gemeint ist die Regelabweichung oder -widrigkeit, welche die Autoren mit dem Begriff „anormal“ bezeichnen (ebd., S. 332).

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der größtmöglichen Dimension)“. Gleichzeitig ist es das Anomale, welches als heterogener Pol „die Transformationen des Werdens“ treibt.121 Der Terminus des „Werdens“ bezeichnet für Deleuze und Guattari in diesem Kontext den Prozess der beständigen (Re)Produktion des Subjektes innerhalb des Netzwerkes von Verbindungen.122 Deleuze und Guattari beschreiben dieses Verhältnis als Raum, der zwischen dem Anomalen und dem Subjekt vermittels der entstehenden Verbindungslinien (auch Fluchtlinien genannt) aufgespannt und dadurch gleichzeitig strukturiert wird. Indem sich die beiden Terme aufeinander beziehen, deterritorialisiert sich jeder der beiden zu dem jeweils anderen Term hin. Gleichzeitig jedoch führt diese Annäherungsbewegung dazu, dass beide im jeweiligen Gegenüber wieder erscheinen: „jedes Werden sichert die Deterritorialisierung des einen und die Reterritorialisierung des anderen Terms, das eine und das andere Werden verbinden sich miteinander und wechseln sich in einem Kreislauf von Intensitäten ab, der die Deterritorialisierung immer weiter voran treibt.“123

Entsprechend hat für Deleuze und Guattari „ein Werden kein Subjekt [...], das von ihm unterschieden wäre“ und es hat „keinen Endzustand [...], weil sein Endzustand seinerseits nur in ein anderes Werden eingeschlossen ist, dessen Subjekt es ist und das mit dem ersten koexistiert und einen Block bildet.“124 Damit existiert das Subjekt nicht unabhängig vom Werden, sondern in, durch und mit ihm (Prinzip der Immanenz):

121 Ebd., S. 332, 340-341. Unter Berücksichtigung der hier verfolgten Perspektive ist die Aufzählung der Charakteristika der Mannigfaltigkeit soweit verkürzt wiedergegeben. Deleuze und Guattari erwähnen noch ihre performativen Eigenschaften als Karte in Abgrenzung zur Kopie (ebd., S. 2324). 122 „Werden besteht gewiß nicht darin, etwas nachzuahmen oder sich mit etwas zu identifizieren; es ist auch kein Regredieren-Prodegieren mehr; es bedeutet nicht mehr, zu korrespondieren oder korrespondierende Beziehungen herzustellen; und es bedeutet auch nicht mehr, zu produzieren, eine Abstammung zu produzieren oder durch Abstammung zu produzieren. Werden ist ein Verb, das eine eigene Konsistenz hat; es läßt sich auf nichts zurückführen und führt uns weder dahin, ‚zu scheinen‘, noch ‚zu sein‘, ‚äquivalent zu sein‘ oder ‚zu produzieren‘.“ (Ebd., S. 326.) 123 Ebd., S. 20. Das eindrücklichste Beispiel, das Deleuze und Guattari wählen, um ihren Begriff vom Werden zu verdeutlichen, ist das der Orchidee und der Wespe: „Die Orchidee deterritorialisiert sich, indem sie ein Bild formt, das Abbild einer Wespe; aber die Wespe reterritorialisiert sich auf diesem Bild. Die Wespe dagegen deterritorialisiert sich, indem sie selber zu einem Teil des Fortpflanzungsapparates der Orchidee wird; aber sie reterritorialisiert die Orchidee, weil sie deren Pollen transportiert.“ (Ebd.) 124 Ebd., S. 325.

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„Es ist eine falsche Alternative, wenn wir sagen: entweder man ahmt etwas nach oder man ist. Was real ist, ist das Werden selber, der Block des Werdens, und nicht etwa angeblich feststehende Endzustände“.125

In diesem Sinne ist die Identität des Subjektes für Deleuze und Guattari weder Ausdruck einer inneren Essenz noch eine Ansammlung unterschiedlicher Facetten, sondern vielmehr ein fortlaufender, andauernder Prozess.126 Oder, wie Elizabeth Grosz es formuliert: „A multiplicity is not a pluralized notion of identity (identity multiplied by n locations), but is rather an ever-changing, nontotalizable collectivity, an assemblage defined, not by its abiding identity or principle of sameness over time, but through its capacity to undergo permutations and transformations, that is, its dimensionality.“127

Das Anomale treibt die Transformationen des Werdens an: Damit kommt dem Anomalen in der Philosophie Deleuzes und Guattaris eine zentrale Rolle in dem Prozess der De-/Territorialisierung des Subjekts zu: Es ist gleichzeitig seine Bedingung, sein Rand und der Fluchtpunkt seiner Dimensionen. Ähnlich wie das Andere der traditionellen Philosophie oder Psychoanalyse ist das Anomale also der zur Herstellung und Aufrechterhaltung der Identität notwendige Bezugspunkt. Es gibt jedoch eine Reihe von signifikanten Unterschieden zwischen den beiden Modellen. Während etwa für Lacan die Beziehung zum Anderen durch einen Mangel ausgelöst wird, stellt das Begehren (désire) für Deleuze und Guattari eine eigenständige, produktive Kraft dar, welche die Herstellung und Aufrechterhaltung von Konnexionen und damit das Subjekt-Werden antreibt.128 Auf diese Weise sind die wechselseitigen Verbindungen, in denen und durch die Identität existiert, immer auch affektiv besetzt. Dazu können Lust, Faszination und Neugier, aber auch Angst zählen.129 Um mit Braidottis Worten zu sprechen: „[W]hat sustains the entire process of becoming-subject, is the will to know, the desire to say, the desire to speak, to think, and to represent. In the beginning

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Ebd., S. 324-325. Siehe dazu auch: Massumi 1992, S. 94-99. Grosz 1994b, S. 192. Siehe dazu Deleuzes und Guattaris Konzept der Wunschmaschine: Deleuze/Guattari 1977, S. 11-16, 76, 141. Begehren ist „immanent, as positive and productive, a fundamental, full, and creative relation. Desire is what produces, what makes things, forges connections, creates relations, produces machinic alignments.“ (Grosz 1994b, S. 195.) 129 Siehe: Deleuze/Guattari 2002, S. 313.

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there is only the desire to, which is also the manifestation of a latent knowledge about desire.“130

Des Weiteren gehen Deleuze und Guattari nicht von (mehr oder weniger) feststehenden Zuständen eines Eigenen oder Anderen aus, sondern postulieren: „Werden und Mannigfaltigkeit sind ein und dasselbe.“ Ihrer Ansicht nach neigt sich das Subjekt in und durch seine Verbindungen soweit zu einem Anderen hin, „daß das Ich nur noch eine Schwelle ist, eine Tür, ein Werden zwischen zwei Mannigfaltigkeiten.“131 Auf diese Weise stehen mit dem Konzept des Subjekt-Werdens die Verbindungen und damit die Prozesse im Mittelpunkt einer Analyse: „What matters is what occurs in the in-between spaces, the intervals, the transitions between their respective differences.“132 Hier wird ein weiterer, grundlegender Unterschied zur traditionellen Weise, das Verhältnis zwischen Eigenem und Anderem zu denken, deutlich: Deleuze und Guattari betrachten das Andere als vom Subjekt unabhängig.133 Bereits in Differenz und Wiederholung dreht Deleuze das klassische, hegelianische Verhältnis um, indem er argumentiert, dass nicht Differenz der Negation vorausgeht, sondern umgekehrt die Denkfigur der Negation die Differenz voraussetzt.134 Stattdessen existiere, so Deleuze, unabhängig von einem dialektischen Negationsverhältnis zwischen Eigenem und Anderen „ein Gewimmel von Differenzen [...], ein[e] Pluralismus von freien, wilden oder ungezähmten Differenzen [...], die über die Vereinfachung der Grenze oder des Gegensatzes hinweg fortbestehen.“135 In Konsequenz führt dies dazu, dass aus einer deleuzianischen Perspektive „the ‚other‘ is not the emblematic and invariably vampirized mark of alterity – as in classical philosophy. Nor is it a fetishized and necessarily othered ‚other‘, as in deconstruction. It is a moving horizon of exchanges and becomings, towards which the non-unitary subjects of postmodernity move, and by which they are moved in return.“136

Das nomadische Subjekt Vor dem Hintergrund deleuzianischer Theoriebildung schlägt Rosi Braidotti vor, „subjectivity as an intensive, multiple and discontinuous process of interrelations“137 grundsätzlich neu zu denken. Sie entwickelt hierzu, 130 131 132 133 134 135

Braidotti 1994, S. 120. Deleuze/Guattari 2002, S. 340. Braidotti 2002, S. 72. Siehe: Ebd. Siehe: Deleuze 1997, S. 77. Ebd., S. 76. Für eine Kritik seines Konzepts von der „‚Differenz an sich selbst‘“, siehe: Todd 1997, S. 170-185. 136 Braidotti 2002, S. 69. 137 Ebd.

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angeregt durch die oben dargestellten Überlegungen Deleuzes und Guattaris, den Begriff des nomadischen Subjekts, mit dem sie den rhizomatischen, veränderlichen und prekären Charakter der Identitätskonstruktionen kennzeichnet: „In so far as axes of differentiation such as class, race, ethnicity, gender, age, and others intersect with each other in the constitution of subjectivity, the notion of nomad refers to the simultaneous occurrence of many of these at once.“138

Wie auch andere feministische Theoretikerinnen, beispielsweise Judith Butler, begreift Braidotti hierbei das Subjekt nicht als vom Körper unabhängige Größe, sondern im Gegenteil als ein „embodied subject“, als ein stets verkörperlichtes und vergeschlechtlichtes.139 Darüber hinaus verstehen sie und andere Vertreterinnen und Vertreter dieses radical materialism den menschlichen Körper als eine „biokulturelle Einheit“ aus Umwelt und Körper,140 wie Elizabeth Grosz es programmatisch formuliert: „[W]e need to understand the body, not as an organism or entity in itself, but as a system, or series of open-ended systems, functioning within other huge systems it cannot control, through which it can access and acquire its abilities and capacities.“141

In Bezug auf dieses Verständnis von Subjektivität wird im Kontext der hier vorgelegten Arbeit das Subjekt als agencement verstanden, als eine Korporealität, welche den Knotenpunkt mehrerer Fluchtlinien zwischen heterogenen Polen bildet und welche in und durch die vielfältigen Konnexionen und Austauschprozesse existiert, die es mit seiner Umwelt herstellt. Diese Prozesse werden hierbei als ergebnisoffene und kontingente Beziehungen begriffen, denen gegenüber die Identität des Subjekts, eingebettet

138 Braidotti 1994, S. 4. Es gilt dabei, Braidottis Begriff des nomadischen Subjekts von dem in den Postcolonial Studies verwendeten Begriff zu unterscheiden. Während in letzteren der Nomade als die Verkörperung der Mobilität einer postkolonialen Situation zum bevorzugten Untersuchungsgegenstand gehört, betont Braidotti, dass das „nomadic subject [...] the opposite of the tourists, the antithesis of the migrant“ darstelle. Es ist vielmehr „a form of intransitive becoming“. Ihrer Ansicht nach gilt: „You can never be a nomad, you can only go on trying to become nomadic.“ (Braidotti 2002, S. 86 (HiO).) Zur Auseinandersetzung um den Begriff des Nomaden und der Nomadologie aus postkolonialer Perspektive vgl. das Themenheft der Interventions 6,2 (2004), hier v.a. Noyes 2004, bes. S. 160. 139 Siehe: Braidotti 1994, S. 4, 112 (Zitat). Vgl. dazu: Butler 1991, S. 205; Butler 1993, S. 1-2. Als Beispiel für eine Kritik an Butler aus einer deleuzianischen Perspektive vgl. Schmiedel 2003, S. 93-134. 140 Braidotti 2005, S. 110. 141 Grosz 2004, S. 3. Siehe dazu auch: Grosz 1994a, S. 19-20.

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in die binäre Ordnung der Geschlechter, als (letztlich instabile) Stilllegung, Fixierung und Verfestigungen entlang bestehender Linien zu sehen ist.142 In diesem Sinne verweist etwa die Mannigfaltigkeit ‚Mann‘ in ihrem rhizomatischen Charakter auf eine Vielzahl von Beziehungen zwischen heterogenen Termen (Mann-Frau, -Pflanze, -Kind). Einige unter ihnen jedoch werden aufgrund und zur Herstellung der Identität ‚Mann‘ stärker herausgehoben als andere und überkodiert. Auf diese Weise wird eine binäre Struktur (Mann-Frau) hergestellt. Gleichzeitig handelt es sich dabei nicht nur um das Hervorheben einer Verbindungslinie, sondern auch um das Aufrufen weiterer Konnexionen (Mann-Natur, Mann-schwarzer Mann, Mann-Werwolf), die entweder bereits binär strukturiert sind oder sich für eine ähnliche Überkodierung eignen. Damit handelt es sich bei dem Subjekt um einen „relay-point for many sets of intensive intersections and encounters with multiple others“.143 Ausgehend von diesen Überlegungen werden im Folgenden weiße männliche Identität und kannibalische Alterität nicht als fixe, klar voneinander abgrenzbare Entitäten verstanden, sondern als ein komplexes Beziehungsgeflecht, aus dem heraus sich beide Positionen in einem gemeinsamen Prozess auseinander falteten.144 Zur Kennzeichnung dieses Verständnisses vom Werden des Subjekts im Prozess der (De)Territorialisierung zu einem Anomalen werde ich von dem agencement Identität|Alterität sprechen. Die (Re)Produktion von Subjektivität, und auch von Identität|Alterität, ist gleichzeitig, so betont Braidotti, untrennbar verbunden mit Fragen gesellschaftlicher Macht, da diejenigen Konnexionen und Beziehungen, welche beide Pole konstituieren, zugleich auch Macht-Beziehungen sind. Das vergeschlechtlichte Subjekt ist daher als „an entity fully immersed in relations of power, knowledge and desire“ aufzufassen: Macht ist nicht etwa außerhalb des Subjektes, sondern Teil seiner Identität.145 Aus diesem Grunde sind Identitäten|Alteritäten stets auch politische Kategorien und werden innerhalb einer politischen Auseinandersetzung ausgebildet.146 Zur 142 In diesem Sinne spricht Grosz auch von tausend kleinen Geschlechtern (Grosz 1994b, Titel) und Braidoitti betont, dass Deleuzes Arbeit „does not rest upon a dichotomous opposition of masculine and feminine subject positions but rather on a multiplicity of sexed subjectivities. The differences in degree between them mark different lines of becoming, in a web of rhizomatic connections.“ (Braidotti 1994, S. 112.) 143 Braidotti 2002, S. 75. 144 Vgl. auch Mark Terkessidis Formulierung: „Das Eigene und das Andere entstehen nicht unabhängig voneinander, sondern falten sich in einem gemeinsamen Prozeß auseinander.“ (Terkessidis 1999, S. 11.) 145 Siehe: Braidotti 2002, S. 6-7, Zitat S. 7. 146 Siehe dazu: Paul Gilroys Formulierung der „class“ sowie „race formation“ (siehe: Gilroy 2005, S. 35-38) sowie Grossberg 1992, S. 54. Hier schwingt auch die Rezeption der klassischen Studie von Edward P. Thompson, The Making of the English Working Class mit, in der Thompson Klasse als streng historisches Phänomen definiert, welches in sozialen Beziehungen hergestellt wird und auch nur in diesen existiert und insofern ein Bündel

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Kennzeichnung dieser Gleichzeitigkeit werde ich den Prozess der Herstellung und Aufrechterhaltung des agencements Identität|Alterität in Anlehnung an den Begriffsapparat der britischen Cultural Studies auch als Artikulation bezeichnen. Dieser Begriff, durch die Doppelbedeutung des Englischen „articulation“ von „aussprechen“ einerseits und von „gegliedert“ oder „segmentiert sein“ andererseits, verweist gleichzeitig auf die diskursiven und non-diskursiven Praktiken, in denen individuelle wie kollektive Identitäten gelebt, verkörpert, realisiert werden, und auf die Strukturierung dieser Praktiken entlang der Verwerfungslinien der Macht.147 Sowohl die Autoren und Autorinnen der Cultural Studies als auch Rosi Braidotti beziehen sich mit ihrem Verständnis von Macht auf das Werk Michel Foucaults, der eine umfassende Analyse der Geschichte der Macht vorgelegt hat und dessen Konzepte im Folgenden etwas eingehender dargestellt werden sollen, da seine Theorien zur Macht und zur Entwicklung der modernen Gouvernementalität für die Analyse ebenfalls von zentraler Bedeutung sein werden.

1 . 4 J e n s e i t s d e r S c hw e l l e : B i o - M a c h t , R a s s i s m u s u n d G o u ve r n e m e n t a l i t ä t Foucault geht davon aus, dass sich in den westlichen Gesellschaften im Verlaufe des 17. und 18. Jahrhunderts ein Wandel der Machttechnologien vollzog: Die alte Souveränitätsmacht, oder „das Recht, sterben zu machen oder leben zu lassen“148, wurde durch einen neuen Typus der Macht ersetzt: die „‚Kunst des Regierens‘“149. Diese neue „Macht zum Leben“ organisierte sich, so Foucault, um zwei Pole herum: dem „Körper als Maschine“ einerseits und dem „Gattungskörper“ andererseits. Während ersterer den „Machtprozeduren der Disziplinen“ und der „politische[n] Anatomie des menschlichen Körpers“ zugehörig sei, unterliege letzterer „regulierende[n] Kontrollen“ einer „Bio-Politik der Bevölkerung“.150 Diese beiden Zugriffe entstanden historisch nacheinander. Im 17. Jahrhundert, dem „klassische[n] Zeitalter“ wie Foucault es nennt, wurde „eine allgemeine Technik der Machtausübung“ entworfen, welche mit Hilfe der „Disziplinarorganisation“ auf die „Normalisierung“ individueller Körper abzielte. Diese Machttechnik ist „auf zahlreiche und unterschiedliche Institutionen“ wie beispielsweise Schulen, Fabriken, das

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aus Erfahrungen und Handlungszusammenhängen darstellt (siehe: Thompson 1968, S. 9). Zum Einfluss von Thompsons Studien auf die britischen Cultural Studies siehe: During 2000, S. 4. Siehe: Grossberg 1992, S. 45, 56-58 (hier explizit in Bezug auf das Konzept der agencements bei Deleuze und Guattari) sowie S. 397. Foucault 1999, S. 278. Foucault 2003, S. 70 (HiO). Foucault 1983, S. 166 (HiO).

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Militär oder Gefängnisse übertragbar, die als Disziplinarapparate sogenannte „Normalisierungseffekte“ erzielen.151 Diese „‚Normalisierungsdisziplin‘“ ist keine „repressive, sondern [eine] produktive Macht“,152 welche gelehrige Körper und das moderne Subjekt hervorbringen.153 Der zweite Pol, um den herum sich diese neue Macht dann ab dem 18. Jahrhundert anordnete, sind „die Regulierungen der Bevölkerung“.154 Diese Form wird von Foucault auch „Bio-Macht“ genannt.155 Sie zielte darauf, „leben zu machen und sterben zu lassen“ und führte neue Techniken ein, welche sich nicht auf das Individuum, sondern auf das „Konzept der ‚Bevölkerung‘“ bezogen, auf die seither mittels neuer „Regulationsmechanismen“, beispielsweise „Vorhersagen, statistische Bewertungen und globale Messungen“ zugegriffen wird.156 Anders als bei den Disziplinen ging und geht es bis heute hierbei „nicht um individuelle Dressur, die sich mittels Arbeit am Körper selbst vollzöge“, sondern „darum, das Leben und die biologischen Prozesse der Menschengattung zu erfassen und nicht deren Disziplinierung, sondern deren Regulierung sicherzustellen.“157 Disziplin und Regu151 152 153 154 155

Foucault 2003, S. 47-75; Zitate S. 70-71. Ebd., S. 74. Foucault 1994, S. 278-279. Foucault 1983, S. 166. Foucault 1999, S. 294. Wie Martin Stingelin überzeugend argumentiert, differenziert Foucault nur sehr ungenau zwischen „Bio-Macht“ und „BioPolitik“, stattdessen verwendet er die Begriffe mehr oder weniger synonym. Diese begriffliche Unschärfe durchzieht leider auch die Rezeption des Foucaultschen Werkes (beispielsweise bei Geulen 2004, S. 19-25: der Autor referiert hier das Konzept der Bio-Macht unter der Überschrift der Biopolitik). Demgegenüber plädiert Stingelin für eine klare Abgrenzung der Begriffe, auch wenn Foucault selbst diese nicht stringent durchhält. So plädiert er dafür, die „‚Zugriffe der Macht‘ auf den Körper des einzelnen und der Bevölkerung, die sich vornehmlich des Sexes bedienen,“ BioMacht zu nennen und den Begriff der Biopolitik für die „‚Vielfältigkeit und Widerstandsfähigkeit‘“, die „im Anschluß an Foucault als ‚Stützpunkte des Gegenangriffs‘ auf die Bio-Macht“ bezeichnet werden können, zu reservieren. (Siehe: Stingelin 2003, S. 15-16, Zitate S. 16.) Im Rahmen der hier vorliegenden Arbeit wird dem Vorschlag Stingelins gefolgt, allerdings aus anderen Gründen und mit einem leicht anderen Verständnis der beiden Begriffe. Unter Biopolitik werden die „regulierenden Kontrollen“ und die Techniken der „Regulierungen der Bevölkerungen“ in Abgrenzung zu den disziplinarischen Machttechniken verstanden, die jedoch beide zur „Macht zum Leben“, der Bio-Macht, gehören, welche im Gegensatz zur alten Souveränitätsmacht nicht ‚sterben macht‘, um die Macht des Souveräns öffentlich zu demonstrierten, sondern definiert, wer leben darf und wer ‚sterben gelassen‘ wird, um das Überleben und die Sicherheit der imaginierten Gemeinschaft zu gewährleisten. 156 Foucault 1999, S. 278, 283, 284. 157 Ebd., S. 285. Die Periodisierung, die Foucault vorschlägt, ist leider nicht eindeutig. In Der Wille zum Wissen (Foucault 1983, S. 166) und in seiner Vorlesung Die Anormalen aus dem Jahr 1975 (Foucault 2003, S. 70) spricht er davon, dass sich der Wechsel von der alten Souveränitätsmacht hin zur neuen Regierungsmacht zwischen dem 17.-18. Jahrhundert vollzo-

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lierung, obwohl nacheinander entstanden, lösten einander nicht ab, so Foucault, sondern koexistieren bis heute, greifen ineinander und ergänzen sich wechselseitig.158 Die „Disziplinen des Körpers“ und die „Regulierungen der Bevölkerung“ werden von ihm als miteinander verkoppelt gesehen: „Die Installierung dieser großen doppelgesichtigen – anatomischen und biologischen, individualisierenden und spezifizierenden, auf Körperleistungen und Lebensprozesse bezogenen – Technologie charakterisiert eine Macht, deren höchste Funktion nicht mehr das Töten sondern die vollständige Durchsetzung des Lebens ist.“159

Anders als bei der alten Souveränitätsmacht, also dem „Recht, sterben zu machen oder leben zu lassen“,160 steht hinter dieser neuen „‚Kunst des Regierens‘“161 als einer Macht, „die das Leben zu sichern hat“, nicht länger das Schwert, also der Tod hinter dem Gesetz, sondern eine Vielzahl „fortlaufender, regulierender und korrigierender Mechanismen“.162 Diese Form der Bio-Macht rekurrierte damit auf die Techniken und die Rationalität der weitaus älteren christlichen Pastoralmacht, welche auf die „Seelenführung“, nämlich die Regierung der gesamten Lebensäußerungen einer Bevölkerung zielte, und den Souverän als Hirten konzeptionalisierte, dessen Hauptaufgabe der Schutz der Herde, seiner Gemeinde ist.163 Beide Aspekte, so Foucault, wurden im Zuge der Etablierung der Bio-Macht auf den modernen Staat übertragen: „Der Weg von einer ‚Regierung der Seelen‘ zur politischen Regierung führt über die Integration der Pastoraltechnologie in eine neue politische Form, den modernen Staat“.164 Es ist vorgeschlagen worden, dieses gleichzeitige Auftreten von Disziplin des Einzelnen und Regulation der Bevölkerung im Sinne einer „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ als das besondere Charakteristikum der kolonialen Situation zu begreifen.165 Wie meine kurze Rekonstruktion der Foucault’schen Theoriebildung deutlich gemacht hat, stellt

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gen haben soll. In seiner Vorlesung In Verteidigung der Gesellschaft 1975/76 datiert er diesen Wandel ins 19. Jahrhundert (Foucault 1999, S. 278). Hier allerdings spricht er im Anschluss die Kopplung der Bio-Macht mit Rassismus an, so dass er mutmaßlich diese historisch spezifische Ausprägung meint. Siehe: Foucault 1983, S. 166 sowie Foucault 1999, S. 289-290. Foucault 1983, S. 166. Foucault 1999, S. 278. Foucault 2003, S. 70 (HiO). Foucault 1983, S. 171. Foucault 2004, S. 185-193, 201-229, Zitat S. 185. Siehe auch: Lemke 1997, S. 153-156. Lemke 1997, S. 156. Siehe dazu: die Rekonstruktion der historischen Entstehungsbedingungen der modernen Gouvernementalität durch Mitchel Dean (Dean 2007). Wirz 2003, S. 9-10, Zitat S. 10.

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die Verflechtung von verschiedenen Machttechnologien jedoch im Gegenteil das allgemeine Charakteristikum moderner Bio-Macht dar. Nichts desto trotz gibt es Anlass, über die spezifische Bedeutung der kolonialen Situation in Bezug auf die Etablierung moderner Bio-Macht nachzudenken; namentlich über die Rolle des Kolonialismus für den der Bio-Macht inhärenten Rassismus. Allerdings, so mein Vorschlag, wäre dabei nur bedingt von einer besonderen „colonial governmentality“ oder von Kolonien als „Laboratorien der Moderne“ auszugehen.166 Vielmehr gilt es die moderne Gouvernementalität in den historischen Kontext des Kolonialismus zu setzen. Eine Vorgehensweise, die von Foucault selbst vernachlässigt worden ist, wie ich anhand des von ihm verwendeten Rassismusbegriffs sowie seinen Ausführungen zur Normalisierungsgesellschaft kurz demonstrieren möchte.

Der Wille zum Töten: Rassismus und Bio-Macht Wie „kann diese Macht, die wesentlich die Hervorbringung von Leben zum Ziel hat, sterben lassen?“167 Für Foucault ist es diese Frage, welche die moderne Bio-Macht unmittelbar mit Rassismus verbindet, denn er sieht im Rassismus ein Mittel, zwischen jenen, die leben, und jenen, die sterben gemacht werden, zu unterscheiden: „Was ist der Rassismus letztendlich? Zunächst ein Mittel, um in diesen Bereich des Lebens, den die Macht in Beschlag genommen hat, eine Zäsur einzuführen: die Zäsur zwischen dem, was leben und dem, was sterben muß.“168

Während sich der Rassismus, das heißt die Unterscheidung zwischen jenen, die leben dürfen und jenen, die sterben gelassen werden sollen, zunächst mit der Kolonisierung entwickelt, so erscheint gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Möglichkeit, „nicht nur die eigene Rasse durch Beseitigung der gegnerischen Rasse zu stärken (entsprechend der Themen der Selektion und des Kampfes ums Dasein), sondern die eigene Rasse auch zu regenerieren.“ In einer „biologische[n] Extrapolation des Themas der politischen Theorie des Feindes“, verknüpft sich der Machtdiskurs mit der biologischen Evolutionstheorie. Foucault stellt fest: „Rassismus ist die Bedingung für die Akzeptanz des Tötens in einer Normalisierungsgesellschaft.“169 166 Für eine erste Auseinandersetzung mit diesen beiden Begriffen vgl. Scott, D. 2005, S. 24-25, 35; van Laak 2004b, S. 257-259. Des Weiteren siehe meine Ausführungen in Kapitel 4. 167 Foucault 1999, S. 294. 168 Ebd., S. 295. 169 Ebd., S. 298, 296. „Tötung“ ist ein von Foucault an dieser Stelle weit gefasster Begriff. Er versteht hierunter nicht nur den „direkten Mord, sondern auch alle Formen des indirekten Mordes: jemanden der Gefahr des Todes

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„Der Tod des Anderen bedeutet nicht einfach mein Überleben in der Weise, daß er meine persönliche Sicherheit erhöht; der Tod des Anderen, der Tod der bösen Rasse, der niederen (oder degenerierten oder anormalen) Rasse wird das Leben im allgemeinen gesünder machen; gesünder und reiner.“170 Er spricht in diesem Zusammenhang von einer „‚biologische[n] Modernitätsschwelle‘“, die in dem historischen Moment überschritten wurde, als die Gesellschaft ihre „politischen Strategien um die Existenz der Gattung“ geführt hat.171 Foucault verortet diese Schwelle im späten 19. Jahrhundert bei der Durchsetzung des darwinistischen Evolutionsmodells. Ausgehend vom kolonialen Völkermord wurden nach Ansicht Foucaults sukzessive alle hierarchischen Beziehungen in diesen Termini gedacht. So beispielsweise die zur Kriminalität: „Auch die Kriminalität wurde ab diesem Zeitpunkt in Begriffen des Rassismus gedacht, da sie im Mechanismus der Bio-Macht die Tötung des Kriminellen und seine Beseitigung möglich werden lassen mußte. Dasselbe gilt für den Wahnsinn und die verschiedenen Anomalien.“172

Diese Entwicklung führte dazu, dass das Evolutionsmodell à la Darwin zu der „Art und Weise, die Beziehungen der Kolonisierung, die Notwendigkeit des Krieges, die Kriminalität, die Phänomene von Wahnsinn und Geisteskrankheit und die Geschichte der Gesellschaften mit ihren verschiedenen Klassen usw. zu denken“ wurde. Das heißt, dass „jedesmal wenn es Konflikt, Tötung, Kampf, Todesrisiko“ gab, glaubten die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, die Phänomene „buchstäblich in Formen der Evolutionstheorie denken zu müssen“. Damit handelte es sich bei der Beziehung zum „Anderen“ nicht länger um eine „militärische, kriegerische oder politische Beziehung, sondern um eine biologische Beziehung“.173 Das Foucault’sche Konzept der Bio-Macht und des damit verbundenen Rassismus weist allerdings an einer Reihe von Stellen Präzisierungsbedarf auf, besonders aus der in dieser Arbeit vorgeschlagenen Analyseperspektive. Erstens beschränkt sich Foucault in seinen Betrachtungen auf die Rekonstruktion eines Staatsrassismus:

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ausliefern, für bestimmte Leute das Todesrisiko oder ganz einfach den politischen Tod, die Vertreibung, Abschiebung usw. erhöhen.“ (Ebd., S. 297.) Ebd., S. 296. Foucault 1983, S. 170-171. Foucault 1999, S. 299. Ebd., S. 297-298, 296.

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„Der Rassismus ist an das Funktionieren eines Staates gebunden, der sich zum Zweck der Ausübung seiner souveränen Macht der Rasse, der Eliminierung der Rassen und der Reinigung der Rasse zu bedienen gezwungen sieht.“174

Diese Einschätzung läuft jedoch seiner Konzeption von Macht im Allgemeinen und der Bio-Macht im Besonderen zuwider, die nicht nur über Disziplinierungstechnologien und Regulationsmechanismen funktioniert, sondern besonders auch über „Selbsttechnologien“.175 Es ist im Gegenteil mit Blick auf sein Konzept der vermachteten Subjekte und der Allgegenwart von Macht sinnvoller anzunehmen, dass Rassismus in die alltäglichen Praktiken der Subjekte eingelassen ist und damit einen integralen Bestandteil der Artikulation von Identität|Alterität bildet.176 Zweitens weist Foucault zwar ausdrücklich darauf hin, dass „Rassismus […] sich zunächst mit der Kolonisierung, d.h. dem kolonisatorischen Völkermord“ entwickelte.177 Wie Ann Laura Stoler und andere Forscherinnen und Forscher gezeigt haben,178 vernachlässigt er allerdings in seinen Untersuchungen den zunächst von ihm als konstitutiv für den Rassismus und damit die Bio-Macht bezeichneten kolonialen Kontext und behandelt Europa als ein vom kolonialen Projekt getrenntes Untersuchungsfeld. Hier sitzt Foucault einem Orientalismus auf, die an anderer Stellte bereits zur Zeit der Abfassung der einschlägigen Texte, etwa Der Wille zum Wissen, kritisiert wurde.179 Es ist diese Verbindung von Rassimus, Kolonialismus und Bio-Macht, der im Rahmen der hier vorgelegten Arbeit weiter nachgespürt werden soll und weshalb ich, wie von Stoler vorgeschlagen, ein weiteres Objekt des Wissens in die Debatte einführen möchte: neben dem masturbierenden Kind, der Hysterikerin und dem reproduktiven, heterosexuellen Paar auch „the savage, the primitive, the colonized“ als der „racially erotic counterpoint“ bürgerlich-weißer, heterosexueller Männlichkeit.180 174 Ebd., S. 299. Foucault sieht den Nazistaat als das extremste Beispiel der Vereinigung der alten Souveränität und der neuen Bio-Macht, da hier jedes Mitglied in Form der Denunziation „das Recht auf Leben und Tod über seinen Nachbarn“ gehabt habe (ebd., S. 300). 175 Siehe dazu: Foucault 2004, S. 135, 267-269 (zur entscheidenden Rolle der Adaption des christlichen Pastorats und seiner Individualisierungstechniken durch die moderne Bio-Macht); Foucault 1983, S. 173 (Sex als „Scharnier“ zwischen Disziplin und Regierung). Zur Problematisierung der „Selbsttechnologien“ siehe: Foucault 2000, S. 18 (Zitat) und S. 36-44. 176 Vgl. Magiros 1995, S. 145-148. 177 Foucault 1999, S. 298 (HiO). 178 Siehe: Stoler 1996, S. 59-60, JanMohamed 1992, S. 94-95. 179 So entwickelt er ein romantisierendes Bild von der ars erotica des Orients (seine Beispiele sind China, Japan und Indien), das im Grunde ein unreflektiertes Versatzstück aus einem orientalistischen Diskurs darstellt, in dem ‚der Orient‘ als Projektionsfläche sexueller Phantasien gedient hat und bis heute noch dient. Siehe dazu: Foucault 1983, S. 74 sowie Saïd 2003, S. 6. 180 Stoler 1996, S. 6-7.

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Rechnen im rassistischen Differenzial: Normalisierung und Sicherheitsdispositiv Mit der Durchsetzung der modernen Bio-Macht ging nach Foucault die Etablierung der „Normalisierungsgesellschaft“ einher, in welcher „eine Gesellschaft, in der sich entsprechend einer orthogonalen Verknüpfung die Norm der Disziplin und die Norm der Regulierung miteinander verbinden.“181 Das verbindende Element zwischen Regulation und Disziplin, und das macht ihre Bedeutung in den modernen westlichen Gesellschaften aus, ist dabei seiner Ansicht nach die Norm: „[D]as Element, das vom Disziplinären zum Regulatorischen verläuft und sich auf dieselbe Weise auf den Körper und die Bevölkerung bezieht und zugleich die Kontrolle der disziplinären Ordnung des Körpers und der Zufallsereignisse einer biologischen Vielfalt erlaubt, [...] dieses Element, das vom einen zum anderen zirkuliert, [ist] die ‚Norm‘.“182

Foucault rekurriert streng genommen auf drei unterschiedliche Konzepte von Norm, die seiner Ansicht nach mit der Souveränitätsmacht, der Disziplinarmacht, beziehungsweise der Gouvernementalität korrespondieren. Zunächst bezeichnet der Begriff für Foucault eine juristische Norm, die „jedem Gesetzesimperativ intrinsisch ist“, eine „Normativität“.183 Zweitens begreift er darunter eine präskripte Norm, ein Ideal, an welches die Subjekte qua Zurichtung und Disziplinierung angepasst werden. Diesen Prozess bezeichnet er als „disziplinarische Normalisierung“ oder auch „Normation“.184 Drittens umfasst der Begriff der Norm bei Foucault auch eine empirisch-deskriptive Norm, ein mit Hilfe mathematischer Verfahren ermittelter Durchschnittswert. Diese Norm wird durch Regulierungsverfahren und Anleitung zur Selbstregierung umgesetzt: der Prozess der „Normalisierung“.185 Mit der Durchsetzung der Bio-Macht gewinnen besonders die letzten beiden der drei genannten Aspekte an Bedeutung und entsprechend funktioniert die Norm nicht, wie Foucault mit Blick auf Canguilhelm formuliert, als Kriterium einer binären Ordnung, sondern sie fungiert als „ein Prinzip der Bewertung und ein Prinzip der Korrektur“:186

181 Foucault 1999, S. 293. Sie ist keinesfalls „eine Art verallgemeinerter Disziplinargesellschaft, deren Disziplinarinstitutionen sich ausgebreitet und die schließlich den gesamten Raum abgedeckt hätten“ (ebd., S. 292-293). In diesem Sinne auch: Foucault 1983, S. 172. 182 Foucault 1999, S. 292. 183 Foucault 2004, S. 88. 184 Foucault 2004, S. 90. Siehe auch: Foucault 1999, S. 49, 288. 185 Foucault 2004, S. 98. Siehe auch: Foucault 1999, S. 289; Krasmann 2003, S. 86-90. 186 Foucault 2003, S. 72.

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„Statt die Grenzlinie zu ziehen, die die gehorsamen Untertanen von den Feinden des Souveräns scheidet, richtet sie [die Bio-Macht] die Subjekte an der Norm aus, indem sie sie um diese herum anordnet.“187

Im Anschluss an die Überlegungen Foucaults wurde von Jürgen Link eine Analyse der Normalisierungsgesellschaft vorgelegt, in der er zwei gegenläufige Strategien unterscheidet: die protonormalistische und die flexibelnormalistische. Während erstere darauf abzielt, fixe Grenzlinien zu etablieren und durchzusetzen, regulieren flexibel-normalistische Strategien Grenzbereiche und expandieren die Räume des „‚Normalfeldes‘“188 über ein komplexes Spiel von Inklusionen und Exklusionen. Link identifiziert mit ersteren die disziplinarische Dressur, mit letzteren hingegen die Selbsttechnologien.189 Wie auch Foucault davon ausgeht, dass Disziplin und Regulation einander an der Wende zum 18. Jahrhundert nicht ablösten, sondern seitdem ergänzen, so nimmt auch Link an, dass beide Strategien aufeinander verweisen und sich gegenseitig stützen.190 Normalisierung stellt für Link einen Prozess der Errichtung von Normaleinheiten sowie deren Einordnung, Ausrichtung und Regulation entlang der Norm dar, mit dem Ziel, innerhalb dieses Feldes eine Homöostase herzustellen.191 Zwei Aspekte dieses Prozesses sind in Hinsicht auf den Untersuchungsgegenstand der hier vorgelegten Arbeit von besonderem Interesse: Erstens erfolgt die Anordnung der Einheiten im „Normalfeld“ typischerweise entlang einer Skala. Diese ist „quantitativ und linear-gerichtet und erlaubt die vergleichende Anordnung der Normaleinheiten in einer ‚Leistungskonkurrenz‘ (temporal als Fortschritt) sowie die Zusammenfassung in einer statistischen Streuungs- bzw. Verteilungskurve

187 Foucault 1983, S. 172. 188 Link 1998, S. 75. 189 Siehe: Link 1998, S. 78-81. Zwei Bemerkungen hinsichtlich Links Terminologie sind an dieser Stelle am Platze. Link versteht unter „Strategie[n]“ keine „teleologisch, subjektiv-intentional und gänzlich bewußt“ vorgenommenen Handlungen, sondern eine „‚gerichtete[ ]‘ Kombination einzelner ‚Taktiken‘, [die] sich im Verlaufe der ‚taktischen‘ Prozesse wie eine durch die Struktur von Milieus und ökologischen Nischen ‚tendenziell provozierte Evolution‘ transsubjektiv unter Schwankungen ‚einstellt‘.“ (Ebd., S. 77.) Zum anderen unterscheidet Link in seiner Untersuchung zwischen diskursiven Normalitäts-Komplexen und operativen NormalitätsDispositiven (siehe: ebd., S. 75), also zwischen diskursiven Praktiken und einem Dispositiv. Im Gegensatz zu Link wird in der hier vorgelegten Arbeit der Begriff des Dispositiv im Anschluss an Foucault weiter gefasst, so dass dieser sowohl diskursive als auch non-diskursive Praktiken beinhaltet. Entsprechend spreche ich von Normalisierungsstrategien im Sinne produktiver kultureller Praktiken sowie von einem Normalisierungsdispositiv. 190 Siehe: Link 1998, S. 79. 191 Ebd., S. 77.

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mit Durchschnittswert, Normalspektrum, Grenzwerten und Anormalitätszonen.“192

In seiner Kritik des traditionellen Begriffes der Differenz in der westlichen Philosophie argumentiert Gilles Deleuze ganz ähnlich. Auch er verweist darauf, dass über die Einteilung von Einheiten und die Errichtung einer Skala Differenz als messbare Einheit hergestellt wird. Differenz ist in diesem Sinne lediglich der Grad der Abweichung zwischen den einzelnen, auf diese Weise hergestellten Einheiten, welche auf einer Skala abgetragen werden kann. Analogie, Ähnlichkeit und Vergleich sind die Bewegungen, durch die diese Differenz produziert wird.193 Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass der Diskurs über Differenz ein inhärenter Bestandteil der Strategien der Normalisierung ist. Ein ähnliches Bild ergibt sich aus einer postkolonialen Perspektive. Wie Robert Young festgestellt hat, operierte der koloniale Rassismus „both according to the same-Other model and through the ‚computation of normalities‘ and ‚degrees of deviance‘ from the white norm, by means of which racial difference became identified with other forms of sexual and social perversity as degeneracy, deformation or arrested embryological development.“194

In diesem Sinne ist Rassismus als Teil des modernen Normalisierungsdispositivs zu verstehen. Hieran wiederum wird die oben bereits angesprochene Verschränkung von Bio-Macht, Kolonialismus und Rassismus deutlich und zeigt die Notwendigkeit, Metropole und Kolonie als gemeinsames analytisches Feld zu betrachten, eindringlich auf. Zweitens liegt nach Link „allen Taktiken der Etablierung von Normalitätsgrenzen die Vorstellung eines graduierten Kontinuums mit gleitender Übergangszone des Durchdrehens zugrunde.“195 Es ist diese Angst vor der Denormalisierung durch Exzess oder Degeneration, welche seiner Ansicht nach den Motor und die Erfolgsgarantie für die normalistischen Strategien darstellt. Diese Angst taucht allerdings nicht nur im Zusammenhang mit einzelnen Individuen auf, sondern auch in Bezug auf die Gesamtbevölke-

192 Ebd., S. 75-76 (HiO). 193 Zu Deleuzes Kritik des traditionellen Differenzbegriffs der westlichen Philosophie siehe: Deleuze 1997, hier besonders S. 49-98. Siehe dazu auch: Colebrook 2002, S. 27-31; Williams 2004, S. 55-59; Massumi 1992, S. 97. Streng genommen handelt es sich bei der Einführung der Skala um einen historischen Prozess, der von Link ausführlich rekonstruiert worden ist (siehe: Link 1998, S. 185-215). Die Analogie wiederum war, wie in Kapitel 4 zu sehen sein wird, die zentrale rhetorische Figur, über welche in der Anthropologie, Ethnologie, der Medizin und der Kriminologie das Wissen über den kannibalischen Anderen hergestellt wurde. 194 Young 2003, S. 180. 195 Link 1998, S. 76 (HiO).

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rung.196 Ziel der flexibel-normalistischen Strategien ist die Herstellung der Homöostase aller Lebensäußerungen einer Population durch deren Regulation und durch Anreiz zur Selbstregulierung der Individuen. Dieses Gleichgewicht ist jedoch stets prekär. Diese Vorstellung von der permanenten Bedrohung der Gesellschaft und ihrer Individuen bildet auch für Foucault, wie bereits in Bezug auf den Rassismus angedeutet, den produktiven Kern der Bio-Macht, deren Ziel die Optimierung des Lebens der Bevölkerung darstellt. Oder, wie Susanne Krasmann formuliert: „Von dem Augenblick an, in dem das Soziale zu einer eigenen Bezugsfolie des Regierens wird, muss nicht nur das Individuum gegen die Risiken geschützt werden, sondern auch die Gesellschaft gegen diejenigen verteidigt werden, die sie bedrohen.“197 Sicherheit für die einen heißt hier Tod für die anderen: Leben machen und sterben lassen. In Hinsicht auf den Kolonialismus sind die Konsequenzen dieses modernen biopolitischen Denkens avant la lettre von Hannah Arendt in ihrer Studie Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft dargestellt worden. Nach Arendt sahen sich die Kolonistinnen und Kolonisten einer fortwährenden (vermuteten, wahrgenommenen oder auch tatsächlichen) Bedrohung durch „Wesen, die weder Mensch noch Tier zu sein schienen“ gegenüber. Deren schiere Zahl machte die bislang angewandten Kolonialisierungstechniken, namentlich die Ausrottung der Indigenen und Besiedlung des Landes durch Europäer und Europäerinnen, unmöglich. Dieses „Entsetzen“ befeuerte die Ausbildung eines „Rassenwahn[s]“, dessen Ziel die „systematische[r] Ausrottung ganzer Rassen“ wurde.198 Es führte darüber hinaus zur Suspendierung gültiger Rechtsnormen, die als „state of exception“ in Sinne Gorgio Agambens gedeutet werden können.199 In diesem Sinne ist der Ausnahmezustand, ein Zustand der permanenten Bedrohung, der dauerhaften oder zumindest drohenden Suspendierung der juristischen Norm auf Grundlage rassistischer Kategorien als ein Referenzpunkt und damit als Teil der modernen Gouvernementalität zu verstehen. Dieser Teil, der hier im Anschluss an Foucault Sicherheitsdispositiv genannt werden soll, umfasst gleichzeitig auch die regulatorischen Maßnahmen, Techniken und Diskurse, die alltäglich im Sinne einer Bio-Politik ergriffen werden, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten und das dazu nötige homöostatische Gleichgewicht der verschiedenen Lebensäußerungen her196 Ebd., S. 211. 197 Krasmann 2003, S. 121. In diesem Sinne siehe auch: „Wenn die Gesellschaft nicht mehr die Folge, sondern die Quelle für das Leben der Einzelnen ist, dann wird sie selbst zu einem Subjekt, das sich verteidigen muss.“ (Lemke 1997, S. 224.) 198 Arendt 2008, S. 407. 199 Zu den von Arendt genannten Beispielen für diese Politik des Entsetzens, wie wir sie auch nennen könnten, gehört der Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama in DSWA 1904-07 sowie das Regime von Carl Peters in DOA (Arendt 2008, S. 407). Zum Ausnahmezustand siehe: Agamben 1998, S. 15-29.

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zustellen und aufrechtzuerhalten.200 In seiner Vorlesung zur Gouvernementalität spricht Foucault von einem „Dreieck“ aus „Souveränität, Disziplin und gouvernementale[r] Verwaltung, deren Hauptzielscheibe die Bevölkerung ist und deren wesentliche Mechanismen die Sicherheitsdispositive sind.“201 An anderer Stelle fasst er unter dem Begriff der Gouvernementalität zusammen: „[D]ie aus den Institutionen, den Vorgängen, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken gebildete Gesamtheit, welche es erlauben, diese recht spezifische, wenn auch sehr komplexe Form der [Bio-]Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als wichtigstes Wissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat.“202

1.5 Quellenkorpus Meinen Analysen liegt ein breit gefächertes Fundament aus Quellen unterschiedlicher Provenienz zu Grunde. Zu diesem Quellenkorpus gehört erstens das Aktenmaterial, welches im Kontext der Strafverfahren gegen mutmaßliche weiße Kannibalen entstanden ist. Hierbei handelt es sich im Einzelnen um Aussagen von beteiligten Beamten, Protokolle der Vernehmungen von Zeugen und Zeuginnen oder der Geständnisse der Angeklagten, sofern diese abgegeben wurden. Des Weiteren gehören dazu Teile der Hauptakten im engeren Sinne (Anklageschrift, Sitzungsprotokoll, Urteil) sowie psychiatrische Gutachten über die Angeklagten und die Protokolle der psychiatrischen Gespräche, die von den jeweiligen Gutachtern mit einzelnen Personen geführt wurden. Dabei ist die Dichte und die Vollständigkeit der Überlieferungen von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Die Akten des Falls Karl Großmanns liegen, relativ vollständig erhalten, im Landesarchiv Berlin (LAB) im Bestand der Generalstaatsanwaltschaft Berlin.203 Die Originalüberlieferung der Staatsanwaltschaft Hanno200 Vgl. Krasmann 2003, S. 120-127. 201 Foucault 2004, S. 161. 202 Ebd., S. 162. Diese Bestimmung ist ein Aspekt einer dreiteiligen Definition des Begriffs, die Foucault an dieser Stelle vornimmt. Die beiden anderen Aspekte beziehen sich auf die historische Genese der Gouvernementalität. Daher bezeichnet der Begriff für Foucault weiterhin „die Tendenz oder die Kraftlinie, die im gesamten Abendland unablässig und seit sehr langer Zeit zur Vorrangstellung dieses Machttypus geführt hat, den man über alle anderen hinaus die ‚Regierung‘ nennen kann“ (ebd., S. 162) und darüber hinaus auch „das Ergebnis des Vorgangs [...], durch den der mittelalterliche Staat der Gerichtsbarkeit, der im 15. und 16. Jahrhundert zum Verwaltungsstaat wurde, sich nach und nach ‚gouvernementalisiert‘ hat.“ (Ebd., S. 163.). 203 Siehe: LAB, A Rep. 358-01: Generalsstaatsanwaltschaft Berlin, 1522: Strafverfahren gegen Karl Großmann, Bd. 1-12, Aug. 1921 bis Juli 1922.

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ver im Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv in Hannover (NHStA) für den Fall Friedrich Haarmann ist hingegen nicht erhalten. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg durch einen Bombenangriff zerstört. Der Bestand, so wie er heute existiert, besteht zu großen Teilen aus einer Gegenüberlieferung, den Unterlagen des Gutachters Ernst Schultze, seit 1912 Leiter der ProvinzialHeilanstalt Göttingen. Das meiste davon wurde zusammengefasst in der sogenannten „Haarmann Kiste“.204 Da Karl Denke sich bereits in der Nacht unmittelbar nach seiner Inhaftierung erhängte, wurde in diesem Fall kein Verfahren eröffnet. An offiziellen Dokumenten sind im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStAPK) lediglich zwei Berichte des örtlichen Staatsanwaltes an das preußische Justizministerium überliefert.205 Die Akten der Staatsanwaltschaft Düsseldorf zum Fall Peter Kürten sind dagegen wiederum fast vollständig erhalten und konnten im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (HStA) eingesehen werden.206 Darüber hinaus fanden sich weitere Materialien zu allen genannten Kriminalfällen im Bestand der Mordkommission Berlin im LAB, die zur Weimarer Zeit als vorbildliche Eliteeinheit galt und von den lokalen Behörden bei schwierigen oder Aufsehen erregenden Fällen oft hinzugezogen wurde.207 Einzelne Teile der genannten Archivmaterialien für die Fälle Friedrich Haarmann und Peter Kürten sind in verschiedenen Quellensammlungen bereits veröffentlicht worden. So haben Christine Pozsár und Michael Farin in den von ihnen herausgegebenen Haarmann-Protokollen die Transkripte der psychiatrischen Gespräche Ernst Schultzes mit Friedrich Haarmann sowie dessen abschließendes Gutachten abgedruckt; Elisabeth Lenk und Katharina Kaever haben in ihrer Sammlung Peter Kürten, genannt der Vampir von Düsseldorf die Stenogramme der entsprechenden 204 Siehe: NHStA, Hann. 173, Acc. 30/87, Nr. 80: Generalakten betreffend Schwurgerichtsberichte (betreffend Haarmann-Prozeß); ebd., Hann. 155 Göttingen Nr. 864a: Haarmann-Akten; ebd., Hann. 87 Acc. 116/84, Nr. 11: [Gesammelte Pressenotizen, Berichte und unveröffentlichte Materialien]. 205 Siehe: Bericht des Staatsanwaltes über die Ermittlungen im Fall Denke, 28.12.1924, GStAPK I. HA Rep. 84a/D/57488, Bll. 2-6 sowie Bll. 14-15. Eduard Trautmann, der zu Unrecht für einen von Denke begangenen Morde verurteilt worden war, strengte ein Rehabilitationsverfahren an, dessen Akten mutmaßlich im Bestand Polizeipräsidiums Wrocãaw im dortigen Staatsarchiv überliefert sind. Diese Unterlagen befinden sich allerdings nach Auskunft des Archivs aufgrund eines Wasserschadens in derart schlechtem Zustand, dass diese nicht zu Recherchen vorgelegt werden können (Auskunft des Staatsarchivs Wrocãaw vom 9. Sept. 2004). 206 Siehe: Staatsanwaltschaft Düsseldorf, HStA Düsseldorf 17/531-721. 207 Siehe: Mordkommission Berlin, A Pr. Rep. 030 C Tit. 198B. Hervorgegangen aus der privaten Sammlung des Leiters der Mordkommission in den 1920er Jahren, Ernst Gennat, handelt es sich hierbei um die Ansätze einer Lehrsammlung, die der zukünftigen kriminalpolizeilichen Ausbildung Anschauungsmaterial aus der Praxis liefern sollte. Die Sammlung wurde nach Ende des Zweiten Weltkrieges ergänzt und kam aus den Beständen des Zentralen Staatsarchivs der DDR in Potsdam in den Besitz des LAB.

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Gespräche Franz Siolis mit Peter Kürten sowie Auszüge denjenigen seines Kollegen Max Raether veröffentlicht.208 Da beide Sammlungen lediglich Ausschnitte unterschiedlicher Ausführlichkeit aus den jeweiligen Beständen darstellen, konnten diese zwar als Ausgangspunkt für weitere Recherchen genutzt werden, eine erneute Sichtung der Bestände war allerdings für die systematische Erarbeitung der Quellenbasis meiner Studie unbedingt erforderlich.209 Über die hier diskutierten Straftaten und die Biographien der Täter werden an vielen Stellen in der Fachliteratur oder auch an anderen Orten, wenn nicht ganz und gar falsche, so doch häufig verfälschende Informationen gegeben. Trotz einiger neuerer Arbeiten, die hier sehr gute und detailgenaue Arbeit geleistet haben, halten sich einige dieser Fehlinformationen sehr hartnäckig.210 Um hier für den Argumentationszusammenhang der Arbeit Eindeutigkeit herzustellen, werden die einzelnen Fälle sowie die Vorgeschichte der Täter an den dazu angezeigten Stellen etwas genauer rekonstruiert, als dies vielleicht angesichts der Prominenz der in den Blick genommenen Kriminalfälle zunächst zu erwarten wäre. Wie zu sehen sein wird, waren die Strafverfahren gegen Sexualstraftäter nicht die einzigen Verfahren, die im Untersuchungszeitraum gegen mutmaßliche Kannibalen und Kannibalinnen angestrengt wurden. So wurden beispielsweise 1908/1909 auf der Militärstation Iringa in der deutschen Kolonie Deutsch-Ostafrika (DOA) zunächst zehn, dann weitere sechs Personen wegen Kannibalismus zum Tode verurteilt. Informationen über Ablauf und Hintergründe des Verfahrens konnten aus den Synodalakten der Synode Hehe sowie den Personalakten der Berliner Missionsgesellschaft gewonnen werden, welche im Archiv des Berliner Missionswerkes (untergebracht im Evangelischen Landeskirchlichen Archiv Berlin, ELAB) zu finden sind.211 Des Weiteren wurden Unterlagen aus den Akten des Reichskolonialamtes im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArch) 208 Vgl. Pozsár/Farin (Hg.) 1996, S. 125-203 sowie Lenk/Kaever (Hg.) 1997, S. 102-230. 209 Aus den gleichen Gründen wird die Zitation entlang der archivalischen Signaturen geführt. 210 Ein besonders eklatantes Beispiel sei hier die Studie von Hannah Scott, The Female Serial Murderer, genannt. Hier mutiert Peter Kürten zu „Peter Kurtan“, der seine Mordtaten seiner Frau ein Jahr früher gesteht als dies nach Aktenlage der Fall war (Scott, H. 2005, S. 31). Solide Quellenarbeit hingegen ist beispielsweise zu finden bei: Hommen 1999a; Kompisch 2001/02; Siebenpfeiffer 2005 sowie Brückweh 2006. Sorgfältig aus den Akten rekonstruiert haben auch Elisabeth Lenk und Katharina Kaever den Zeitlauf für den Fall Peter Kürten (Lenk/Kaever (Hg.) 1997, S. 333-335). 211 Siehe: Synodalakten der Synode Hehe 1908-1909 und 1909-1910, Archiv des Berliner Missionswerkes im ELAB, bmw-1/6500 und bmw-1/6501 sowie Personalakte Nauhaus, Carl jun. (Missionar), Archiv des Berliner Missionswerkes im ELAB, bmw-1/3779. Die 1824 gegründete Berliner Missionsgesellschaft trug vor 1908 einen anderen Namen: Gesellschaft zur Beförderung der Evangelischen Mission unter den Heiden.

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sowie aus dem Nachlass des damaligen leitenden Offiziers der Militärstation Iringa, Ernst Nigmann (GStAPK), hinzugezogen.212 Zweitens gehören zum Quellenkorpus fachwissenschaftliche Publikationen, in denen das Wissen vom Kannibalismus hergestellt wurde. Dabei findet eine schwerpunktartige Konzentration auf diejenigen Texte statt, die retrospektiv als Knotenpunkte innerhalb des diskursiven Feldes vom Kannibalismus ausgemacht werden können. Damit bezieht sich die hier vorgelegte Analyse vornehmlich auf diejenigen Publikationen, die besondere Wirkungsmächtigkeit dadurch entfaltet haben, dass viele andere Menschen sich immer wieder auf diese bezogen haben oder dadurch, dass sie von einer besonderen Sprechposition innerhalb des zeitgenössischen Machtbeziehungsgeflechts geäußert wurden. Ziel ist es also nicht, einen repräsentativen Querschnitt durch das diskursive Feld zu erstellen, sondern die Rekonstruktion des effektiven, hegemonialen Diskurses. Aus diesem Grunde werden dem Leser und der Leserin viele für ihr/sein Fachgebiet kanonische Texte begegnen: Georg Schweinfurths Im Herzen von Afrika, Wilhelm Junkers und Eduard Schnitzers Reiseberichte, Cesare Lombrosos Der Verbrecher, Richard von Krafft-Ebings Psychopathia Sexualis oder Erich Wulffens Der Sexualverbrecher,213 aber auch einschlägige fachwissenschaftliche Zeitschriften wie die Zeitschrift für Ethnologie, der Globus, das Archiv für Kriminologie oder die Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform. Gerade Fachzeitschriften, die als Forum einer fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung dienten, erwiesen sich als besonders fruchtbares Quellenmaterial. Der dritte Bereich, aus dem Quellen herangezogen werden, ist derjenige der massenmedialen Darstellungen, vor allem die Printmedien. Es handelt sich hierbei erstens um Berichte in regionalen und überregionalen Tages- und Wochenzeitungen, die über die Mordserien, die Verhaftung und die Prozesse gegen die Straftäter sowie über als ähnlich wahrgenommene Straftaten berichteten und sich an eine breite Öffentlichkeit richteten.214 Zu dieser Gruppe gehören neben den satirischen Zeitschriften Simplizissimus und Kladderadatsch unter anderem die Rote Fahne, die Vossische Zeitung, die Deutsche Allgemeine Zeitung oder auch der Vorwärts. Da die Diskussion um die Straftäter politisch extrem aufgeladen war, wurde die Auswahl dabei bewusst so zugeschnitten, dass darin möglichst das gesamte politische Spektrum repräsentiert ist. An ein kleineres, aber immer noch großes 212 Siehe: „Kannibalismus in Deutsch-Ostafrika“, BArch R 1001/827; Nachlass Ernst Nigmann (1867 - 1923), GStAPK, IV. HA, Nl Nigmann. 213 Schweinfurth 1918; Junker 1889-91; Schnitzer 1888; Lombroso 1887; Krafft-Ebing 1993 (hier vorliegend der Wiederabdruck der 14. Auflage, Wien 1912); Wulffen 1928. 214 Diese waren zum einen in Form von Presseausschnitten über das gesichtete Archivmaterial greifbar, zum anderen systematisch mit Hilfe der Bestände der Abteilung für Publizistik an der Universität zu Köln sowie der Zeitungsabteilung der Staatsbibliothek Berlin.

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Publikum richteten sich zweitens selbständige Publikationen, in denen über die mutmaßlichen weißen Kannibalen und in ethischer und kultursoziologischer Hinsicht über die Gründe und die Konsequenzen ihres Handelns reflektiert wurde. Zu dieser Gruppe gehört beispielsweise Theodor Lessings Darstellung Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs oder Richard Herbertz’ Publikation Verbrecher-Dämmerung.215

215 Lessing 1973 (erstmalig erschienen: Berlin: Die Schmiede, 1925) sowie Herbertz 1925. An dieser Stelle noch eine editorische Bemerkung: Hervorhebungen, die in den verschiedenen Originalen teils durch Unterstreichungen, Sperr- oder Fett- oder Kursivdrucke angezeigt wurden, wurden in den zitierten Textstellen zur besseren Leserlichkeit einheitlich kursiv gesetzt. Dagegen wurde auf eine Vereinheitlichung der Rechtschreibung verzichtet, um nicht zu stark in die zitierten Quellen eingreifen zu müssen.

2. Ein verleibung: Koloniales Wissen vom wilden Ka nnibalen

Am 17. August 1909 schrieb Karl Axenfeld, Missionsinspektor der Berliner Missionsgesellschaft, an das Reichskolonialamt: „Sehr geehrter Herr Geheimrat! Vor einigen Monaten brachte das Deutsche Kolonialblatt eine ausführliche Schilderung über Menschenfresserei in Ubena (Bezirk Iringa) und die Mitteilung, dass die geständigen Kannibalen zum Tode verurteilt und hingerichtet seien. Mir war sofort die Sache bedenklich, weil m[eines].W[issens]. Menschenfresserei bei den Bena nicht vorkommt. [...] Leider ist in dem vorliegenden Fall infolge eines unglücklichen Rechtsirrtums ein Todesurteil [...] von europäischer Regierung ausgesprochen.“1

Was war geschehen? Etwa acht Monate zuvor, am 28. Dezember 1908, wurde auf der Militärstation Iringa in Deutsch-Ostafrika (DOA) in Form eines „öffentliche[n] Schauri“2 über die Bestrafung von zehn Indigenen wegen Mordes, Beihilfe zum Mord und Kannibalismus beraten. Hauptmann Ernst Nigmann fungierte als Stationschef in diesem Prozess qua Amt als Richter. In seinem Bericht an das Reichskolonialamt fasste Nigmann den vorliegenden Tatbestand wie folgt zusammen:

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Brief Karl Axenfeld an [Max] Berner, 17.8.1909, BArch R 1001/827, Bll. 18-19, hier Bl. 18-19. „Schauri“ war eine aus dem Kiswahili stammende und vor allem in DOA übliche Bezeichnung für eine öffentliche Beratung, bei der sowohl indigene als auch weiße Würden- und Amtsträger zusammentrafen, um Streitund Rechtsfragen zu klären (siehe: „Schauri“, in: Schnee (Hg.) 1920, Bd. 3, S. 261). Wie Michael Pesek (Pesek 2005, S. 277-283) gezeigt hat, handelte es sich dabei um eine Kombination europäischer und indigener Verfahrensweisen, welche von den weißen Kolonialherren oft zur Inszenierung ihrer Kolonialherrschaft benutzt wurde.

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„Der Mbena Malukansi ist das Haupt der Zauberbande und der Anstifter vieler Morde, er hat in erster Linie für die Verbreitung des Kannibalismus gesorgt. In nächtlichen Versammlungen hat er die angeklagten Weiber in der Anwendung des Giftes unterwiesen, dieses ihnen ausgehändigt und ihnen aufgetragen, die Gemordeten zu ihm zu bringen, um sie alsdann gemeinsam zu fressen.“3

Die Frauen, die Mitglied in der sogenannte „Zauberbande“ werden wollten, waren laut Nigmanns Bericht verpflichtet, ein Kind zu töten und die Leiche zu einer der nächtlichen Versammlungen zu bringen, wo das Fleisch von allen Anwesenden roh verzehrt wurde. Oft sollte es sich bei den Opfern der Frauen um deren eigene Kinder handeln. Der Kopf sei der Mörderin meist zurückgegeben worden, um daraus eine Schale zur Zubereitung weiterer Giftmischungen herzustellen.4 Am 28. Februar und am 29. März 1909 fanden erneut Prozesse gegen weitere sechs mutmaßliche Kannibalen und Kannibalinnen in Iringa statt. Alle insgesamt sechzehn Angeklagten wurden zum Tode verurteilt. Zwei Personen starben in der Haft, bei allen anderen wurde das Urteil nach Bestätigung durch den Gouverneur DOAs, Freiherr Albrecht von Rechenberg, vollstreckt.5 Woher nahm Hauptmann Nigmann die Gewissheit, dass es sich bei den Beschuldigten um Anthropophagen handelte? Auf welches Wissen griff er bei seiner Entscheidung zurück? Warum glaubte er, dass die Todesstrafe ein angemessenes Urteil für einen Kannibalismus darstellte, der aufgrund von Aberglauben begangen worden war? Diese Fragen führen uns unmittelbar in die Analyse der Verschränkung der Produktion von Wissen und Macht in der kolonialen Situation und damit in den Gegenstandsbereich dieses Kapitels, das sich mit der Rekonstruktion des Wissens vom wilden Kannibalen sowie der historisch spezifischen Situationen, in denen es produziert und effektiv wurde, beschäftigen wird. Hierzu werde ich im Anschluss an einige grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von Wissen und Kolonialismus sowie zur Rolle der Kolonialisierten im Prozess der Wissensproduktion wie folgt vorgehen: Zuerst werde ich ausgehend von den Forschungsreisen Georg Schweinfurths, Eduard Schnitzers sowie Wilhelm Junkers die Herstellung dieses ethnologisch-anthropologisch geprägten Wissens rekonstruieren. Mein besonderes Augenmerk richtet sich dabei auf die Produktionsbedingungen und die Interaktion von indigenem und europäisch-akademischem Wissen sowie die Bedeutung der Kategorie Geschlecht in diesem Zusammenhang. Neben dem Entstehungszusammenhang dieses Wissens werde 3

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Öffentliches Schauri: In der Strafsache gegen das Mbena=Weib Mgalla u. Sendepera wegen Mordes, Beihülfe zum Morde und Kannibalismus [Protokoll der Vernehmungen und Urteilsbegründung], 28.12.1908, BArch R 1001/827, Bll. 5-15, hier Bl. 13. Ebd., Bll. 13-14. Bericht [Max] Berner, 16.3.1910, BArch R 1001/827, Bll. 40-46, hier Bll. 40-41.

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ich auch seine Tradierung in den für die Ethnologie des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts typischen kompilatorischen Werken der sogenannten „‚Lehnstuhlethnologen‘“ verfolgen.6 Anhand einer exemplarischen Analyse des damaligen Standardwerks Die Anthropophagie von Richard Andree werde ich demonstrieren, dass in diesen Studien in der für den kolonialen Rassismus typischen Doppelbewegung aus Herstellung einer ‚rassischen‘ Differenz einerseits und Einordnung in normalistisches Kontinuum von Ab-/Normalität andererseits argumentiert wurde. Des Weiteren werde ich einen Blick auf die Auseinandersetzungen werfen, die sich um die zu Beginn des Kapitels angesprochenen Urteile gegen die mutmaßlichen Kannibalen und Kannibalinnen im Bezirk Iringa entzündeten. Dabei werde ich demonstrieren, auf welche Art und Weise das Wissen vom wilden Kannibalen handlungsleitend werden konnte. Darüber hinaus werde ich, indem ich sowohl die Konfliktlinien zwischen den verschiedenen deutschen Kolonialakteuren, namentlich der Mission und der Kolonialadminstration, als auch mögliche Spielräume der agency der Indigenen ausleuchte, der Frage nach der Funktion des Kannibalismusdiskurses im deutschen Kolonialprojekt nachgehen. Wie und zu welchem Ende argumentierte wer mit dem Vorwurf oder dem Verdacht der Menschenfresserei? Dabei wird deutlich werden, dass die diskursiven und non-diskursiven Praktiken, die sich um den wilden Kannibalen herum entfalteten, Teil eines biopolitischen Programms des deutschen Kolonialprojekts waren. Oder anders formuliert: Anhand dieser Analyse wird das deutsche Kolonialprojekt als biopolitisches Projekt erkennbar werden. Das Todesurteil gegen den ‚Menschenfresserbund‘ in Iringa, so meine These, verweist auf den Versuch, eine koloniale Gouvernementalität zu etablieren, welche darauf abzielte, die Lebensäußerungen der Bevölkerung nach rassistischen Kriterien zu kontrollieren, zu regulieren und zu organisieren.

2.1 Von den grimmigen Menschenfresser-Leuth: W i s s e n , K o l o n i a l i s m u s u n d Ag e n c y Verschränkung von Wissensproduktion und Kolonialismus Allgemein betrachtet ist diese Frage nach der Verschränkung von Wissen und kolonialer Macht ein Thema, welches seit Edward Saïds wegweisender Studie Orientalism immer wieder im Forschungsumfeld der Postcolonial Studies diskutiert wurde und bis heute wird.7 Ungeachtet all der zum 6 7

Stagl 2003, S. 46. Siehe einführend dazu: Sprinker (Hg.) 1993. Für den Einfluss von Saïds Werk auf die Historiographie: Washbrook 1999, S. 603-607 sowie als Beispiel für die zuweilen im Ton polemische Kritik: Warraq 2007, besonders S. 18-54; Osterhammel 2001b, S. 249-265.

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Teil berechtigten Kritik an seiner Studie überzeugen einige seiner Kernthesen bis heute. Zwei davon sind für den hier vorliegenden Untersuchungsgegenstand besonders interessant. Erstens: „Orientalism [...] is, rather than expresses, a certain will or intention to understand, in some cases to control, manipulate, even to incorporate, what is a manifestly different [...] world“.8 Und zweitens, dass das akademische Wissen vom Kolonialisierten eng mit den administrativen und militärischen kolonialen Machtstrukturen verflochten war und zwar so eng, dass diese beiden Elemente des Orientalismus sich gegenseitig beförderten und unterstützten.9 Während Saïd sich noch ausschließlich auf die Philologien konzentriert hatte, haben inzwischen eine Reihe neuerer Forschungen das Phänomen der Verzahnung von Wissenschaft und kolonialem Projekt, des „scientific colonialism“, auch für andere Kontexte untersucht.10 So hat beispielsweise Johannes Fabian demonstriert, dass Ende des 19. Jahrhunderts die Ethnologie oder auch Anthropologie eine ähnliche Leitfunktion in Bezug auf das Wissen vom Kolonialisierten übernahm wie zuvor die Orientalistik.11 Statt der Orientalen standen nun jedoch die Wilden im Zentrum der akademisch-administrativen Neugierde. Nicht nur prägte die neue Wissenschaft den europäischen Kolonialismus, sie kann umgekehrt auch als sein Produkt angesehen werden.12

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Saïd 2003, S. 12. Ebd., S. 15. Hier vor allem zu nennen: Mitchell 2003; Cohn 1996; Edney 1997. Für den deutschen Kolonialismus ist dieses Feld noch weitgehend unbearbeitet. Siehe dazu auch das Forschungsprojekt „Wissen und Herrschaft: Scientific colonialism in den deutschen und japanischen Kolonien, 1884-1937“ (DFG SFB 700, Projekt B4, FU Berlin), http://www.sfb-governance.de/teilprojekte/projekte_phase_1/projektbereich_b/b4/sfb700_b4.pdf (28.12.2010). Die von mir referierte Verwendung des Begriffs vom scientific colonialism als Bezeichnung für einen Zusammenhang von Wissen und kolonialer Herrschaft gilt es von anderen zu unterscheiden. So kennzeichnet Woodruff D. Smith damit die Kolonialpolitik der Ära Dernburg, auf die ich im Folgenden noch genauer eingehen werde (Smith, W.D. 1978, S. 195, 218). Zu seinen Ausführungen über die Verbindung von orientalistischem und anthropologischem Diskurs vom Anderen siehe: Fabian 1983, S. xiii, 1011, 123-131. Er spricht dabei von „anthropology“, welches im Englischen der übergreifende Begriff für zwei Forschungsbereiche darstellt, die im Deutschen sprachlich unterschieden werden: Ethnologie respektive Anthropologie. Im englischen Sprachgebrauch wird die entsprechende Differenzierung mit „social anthropology“ und „biological anthropology“ gekennzeichnet. Mehr zu der Differenzierung und ihrem historischen Entstehungszusammenhang im weiteren Verlaufe dieses Kapitels. Zur zentralen Rolle der Ethnologie als Wissenschaftspraxis bei der Produktion von Alterität siehe: Reuter 2002, S. 20, 139-186. Siehe: Fabian 1983, S. 143-144. Dieser Wandel beinhaltete gleichzeitig auch strukturelle Kontinuitäten. So starteten beispielsweise die ethnologischen und anthropologischen Forschungsreisen in das Innere des afrikanischen Kontinents zumeist in Ägypten, da hier die notwendige Infrastruktur

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Dabei gilt es zu beachten, dass, obgleich Fabian oder Saïd sich auf die Analyse akademischer Wissenschaften konzentrieren, Wissen im Verständnis desjenigen Wissenschaftlers, auf den sich beide berufen, den französischen Philosophen Michel Foucault, weitaus mehr beinhaltet als nur universitäres Lehrbuchwissen. Für Foucault bezeichnet der Begriff allgemein formuliert „das, wovon man in einer diskursiven Praxis sprechen kann“.13 Damit überschreitet Wissen sogar die Summe dessen, was in einer bestimmten historischen Konstellation als wahr angesehen wird. Vielmehr bildet es „die Gesamtheit der Verhaltensweisen, Eigentümlichkeiten und Abweichungen“, über die Aussagen gebildet werden können. Gleichzeitig markiert es den „Raum, in dem das Subjekt die Stellung einnehmen kann, um von Gegenständen zu sprechen, mit denen es in seinem Diskurs zu tun hat.“14 Wissen ist damit nicht notwendig ein wissenschaftliches, jedoch ist dies eine mögliche diskursive Praxis, in der Wissen hergestellt werden kann.15 Entsprechend begreife ich Wissen im Kontext des Kolonialismus einerseits als eine Formation aus „diskursiven und nichtdiskursiven“ Elementen, die nicht in einem dualen Verhältnis zueinander standen, sondern „sich aufteil[t]en oder sich segmentweise verschränk[t]en (ohne ineinander aufzugehen oder sich zu ähneln... usw.).“16 Gleichzeitig verstehe ich Wissen als einen wesentlichen Bestandteil kolonialer Gouvernementalität, die auf die Neuorientierung und Restrukturierung aller Lebensäußerungen der kolonialisierten Bevölkerungen abzielte. Diese Form der Gouvernementalität zielte, wie David Scott formuliert, „at the destruction and reconstruction of colonial space so as to produce not so much extractive-effects on colonial bodies as governing-effects on colonial conduct.“17 Lange Zeit übersehen, aber nun zunehmend im Blickfeld der Forschung, ist dabei die agency der Kolonialisierten.18 Agency, eines der zentralen Konzepte aus dem theoretischen Werkzeugkasten der Postcolonial Studies, bezeichnet dabei die Handlungsmächtigkeit der Kolonialisierten innerhalb der kolonialen Situation. Ganz ähnlich wie beim Konzept des „Eigensinns“ der Alltagsgeschichte besteht eine der zentralen Schwierigkeiten darin zu bestimmen, ob sich hinter den Handlungen gesellschaftlich

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für die europäischen Reisenden zur Verfügung stand. Dazu: Essner 1985, S. 16-17. Foucault 1997, S. 259. Ebd., S. 259. Ebd., S. 260. Zur Bedeutung des Kaiserreiches als „Schanierphase“ für eine solche „‚Durchverwissenschaftlichung‘ aller Lebensbereiche“ siehe: Szöllösi-Janze 2004, S. 286-300, Zitat S. 286. Deleuze 1996, S. 14 (Auslassungszeichen im Original). Scott, D. 2005, S. 35. Siehe dazu: Eckert 1999, S. 448 (Formulierung des Forschungsdefizits) sowie mit Fokus auf die indigenen Eliten: Wirz 2003, S. 10-19; Eckert 2007, S. 19-22.

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Marginalisierter mehr verbirgt als „der pure Schattenwurf bestehender Abhängigkeit“.19 Aus Perspektive der Postcolonial Studies, die eng mit der Theoriebildung Michel Foucaults verbunden sind, stellt sich die Frage, wie kann das Subjekt, selbst Diskurs- und damit Machteffekt, den Diskurs bestimmen? Homi K. Bhabha, der einen der zentralen Vorschläge zur Lösung dieses Problems gemacht hat, arbeitet die Ambivalenz des kolonialen Diskurses beziehungsweise kolonialer Machtstrukturen heraus und betont: „agency requires a grounding, but it does not require a totalization of those grounds; it requires movement and manoeuvre, but it does not require a temporality of continuity or accumulation.“20

In diesem Sinne steht hinter dem Konzept der agency nicht die sozialromantische Annahme eines priviligierten Zugangs zu einer tieferen Wahrheit durch die Verdammten dieser Erde,21 sondern zwei grundsätzliche Überlegungen. Erstens, wenn Macht im Sinne Foucaults in allen sozialen Beziehungen präsent ist und diese strukturiert, dann kann sie am eindrücklichsten anhand der Analyse von Mikrophysiken untersucht werden. Zweitens, dass in diesen, stets vermachteten Beziehungen alle Akte, auch die der gesellschaftlich Marginalisierten Wirkungsmächtigkeit haben.22 Eine Umkehrung des Blickwinkels ist daher angezeigt, um die Wechselseitigkeit von Machtbeziehungen beschreiben zu können. Agency ist damit ein Faktor, der auch im Prozess der Herstellung von Wissen berücksichtigt werden muss. Die vielfältige Mitwirkung der Kolonialisierten war, sei es durch Vermittlung und Übersetzung, durch Bereitstellung von Infrastruktur oder lokalem Wissen – so werde ich im Folgenden demonstrieren – auch für das Wissen vom Kannibalismus entscheidend.

Weltaneignung ohne Kolonialismus? Spezifika der deutschen Ethnologie Wissen vom Kannibalismus hatte zu Nigmanns Lebzeiten eine lange Tradition. Bereits in der Antike, für uns heute greifbar in Werken wie Herodots Historien, etablierte sich die Gewissheit: Hinter den Grenzen der bekannten Welt leben Menschenfresser.23 Reisende, Abenteurer und Missionare der Frühen Neuzeit nahmen diese durch die Renaissance wieder aufgefrischte Gewissheit als kulturelles Gepäck mit auf ihre Reisen, über die 19 20 21

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Lüdtke 1994, S. 141. Siehe: Bhabha 2001, S. 182-185, Zitat S. 185. So der deutschsprachige Titel von Franz Fanons wegweisendem Werk Les Damnés de la Terre (Fanon 2001), das häufig fälschlicherweise mit einer solchen Herangehensweise identifiziert wird. Siehe: Foucault 1983, S. 113-115; Foucault 1999, S. 38-39. Siehe: Herodotus 2004, I, 216 (Massageten), IV, 26 (Issedonen), IV 64-65 (Skyten), IV, 106 (Androphagen).

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sie später in Reiseberichten erzählten. Der Kannibale oder die Kannibalin spielte in diesen Erzählungen häufig eine zentrale Rolle, wenn es um die Schilderung der indigenen Bevölkerungen ging.24 Die Entdeckungsreisen der Europäer und Europäerinnen setzen sich fort, und es entwickelte sich eine literarische Gattung, deren Werke heute als Vorläufer ethnologischer Feldforschung angesehen werden.25 Deutschsprachige Texte waren an der Produktion dieses Kannibalismusdiskurses von Anfang an beteiligt, so beispielsweise durch Hans Stadens Warhaftige Historia und beschreibung eyner Landtschafft der Wilden Nacketen, Grimmigen Menschfresser-Leuthen in der Newenwelt America gelegen, deren erste Fassung 1557 veröffentlicht wurde,26 Georg Forsters Reise um die Welt von 1778-80 oder Ida Pfeiffers Meine zweite Weltreise von 1856, um nur einige besonders prominente Beispiele zu nennen.27 Viele dieser Berichte erschienen zuerst in anderen europäischen Sprachen, vorzugsweise in Englisch.28 Auf diese Weise wurden die Ergebnisse der deutschen Forschung in einen internationalen Zusammenhang eingespeist, während umgekehrt vom deutschen Fach- und Laienpublikum Übersetzungen britischer oder französischer Reisender rezipiert wurden.29 In diesem Sinne kann der Kannibalismusdiskurs als ein europäischer Diskurs bezeichnet werden, der dennoch jeweils eng mit den einzelnen nationalen Kolonialprojekten verknüpft war. Als Wissenschaft vom außereuropäischen Fremden und in der Tradition dieser Reiseberichte stehend, habe die Ethnologie nicht nur eine zentrale Rolle in der Herstellung des Wissens vom Kannibalismus gespielt, sondern auch für den europäischen Kolonia-

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Siehe: Arens 1987, S. 22-31, 43-80; Hulme 1992, S. 14-17; Obeyesekere 2005, S. 2-9; Schülting 1997, S. 87-109; Kiening 2006, S. 144-157. Zur Bedeutung und Interpretation von Reiseberichten in ihrem jeweiligen historischen Kontext vorbildhaft: Pratt 2000; Greenblatt 1998 sowie für den deutschen Kontext einschlägig: Berman 1998, S. 21-64; Gingrich 2005a, S. 66-68. Als neueste kritische Quellenausgabe siehe: Staden 2007. Eine Imagedatei im pdf-Format des Exemplars der Erstausgabe von Stadens Bericht im Bestand der Universitätsbibliothek Göttingen ist online einsehbar über: http://gdz.sub.uni-goettingen.de/en/index.html (28.10.2010). Siehe: Forster 2007 sowie Pfeiffer 1856. Pfeiffers Bericht wurde 1993 unter dem Titel Abenteuer Inselwelt. Die Reise 1851 durch Borneo, Sumatra und Java (Pfeiffer 1993) wieder veröffentlicht, allerdings leicht gekürzt, so dass hier auf die Originalausgabe zurückgegriffen wurde. Die Beispiele reichen von Forsters A Voyage Round The World (1777); Pfeiffers Lady·s Second Journey Round the World (1856); Schweinfurths The Heart of Africa (1873) bis zu Gehrts’ A Camera Actress in the Wilds of Togoland (1913). Ein besonders prominentes Beispiel dafür, auf das ich im Folgenden noch genauer zurückkommen werde, ist der Reisebericht Henry Morton Stanleys von seiner Suche nach Eduard Schnitzer (Emin Pascha) Im dunkelsten Afrika (Stanley 1890).

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lismus insgesamt, so der Tenor der Forschung.30 Wie Dirk von Laak argumentiert, war die damit verbundene „Expansion der Wissenschaft“ inhärenter Bestandteil imperialistischer „Weltaneignung“.31 Hinsichtlich der deutschen Ethnologie ist an dieser Interpretation allerdings Differenzierungsbedarf angemeldet worden. Die Tatsache, dass deutsche Reisende sowie Naturforscherinnen und -forscher lange vor 1884 weltweit und in internationalen Forschungskontexten agierten, sei ein Argument dafür, dass die deutschsprachige Ethnologie unabhängig von nationalstaatlichen Kolonialisierungsbestrebungen und frei von rassistischen Prämissen agiert und geforscht habe.32 „German anthropology was neither characterized by colonial concerns, nor interested in organizing the world’s peoples according to evolutionary sequences. Instead, it was a self-consciously liberal endeavor, guided by a broadly humanistic agenda and centered on efforts to document the plurality and historical specificity of cultures.“33

Das zweite Argument, welches in diesem Zusammenhang ins Feld geführt wird, ist der starke Bezug der deutschsprachigen Ethnologie auf das von Johann Gottfried Herder (1744-1803) entworfene Modell des kulturellen Puralismus, welches explizit im Gegensatz zu den aufklärerischen Entwicklungs- und Zivilisationstheorien gestanden habe. Aus diesem habe sich das Ziel der Erforschung eines je spezifischen ‚Volksgeistes‘ entwickelt, das für die deutsche Ethnologie prägend gewesen sei. Als Hauptvertreter und Nestoren der deutschen Ethnologie werden in diesem Zusammenhang Rudolf (Ludwig Karl) Virchow (1821-1902) und (Philipp Wilhelm) Adolf Bastian (1826-1905) genannt.34 Erst ab dem Ende des Ersten Weltkrieges habe sich das Fach von seinem liberalen „metropolitan heritage“ ab- und biologistischen, sozialdarwinistischen und ‚rassehygienischen‘ Ansätzen zugewandt. Dieser Umbruch sei ein Spezifikum der deutschen Ethnologie, die sich, anders als die französische oder britische Anthropologie, erst spät einen biologistisch-hierarchischen Begriff von Rasse zu Eigen gemacht habe.35

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Siehe: Stocking 1978; Fabian 1983, S. 143-144; Thomas 1994, S. 6-7, 7990 sowie die Beiträge des Sammelbandes Anthropology and Colonialism (van Bremen/Shimizu (Hg.) 2000). van Laak 2005, S. 12 sowie 22-26. Siehe: Bunzl/Penny 2003, S. 14-15; Gingrich 2005b, S. 84-85. Bunzl/Penny 2003, S. 1. Siehe: Bunzl/Penny 2003, S. 11-13; Kramer 1995, S. 86-97; Gingrich 2005a, S. 68-75 sowie Gingrich 2005b, S. 84-92. Bunzl/Penny 2003, S. 2; Penny 2002, S. 110-124; Grosse 2003, S. 182. In diesem Sinne auch: Weindling 1989, S. 48-57; Massin 1996, S. 94-106. Proctor (Proctor 1988, S. 138-243) verortet den eigentlichen Umschwung hin zum Paradigma ‚Rasse‘ sogar in den 1920er Jahren. Allgemein zum

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Neuere Forschungen stellen diese Interpretation wiederum in Frage und verweisen auf die zunehmenden Verstrickungen der Disziplin in das deutsche Kolonialprojekt.36 Demnach sei der Paradigmenwechsel im Fach mit dem Beginn des nationalen Kolonialprojekts zusammengefallen und habe sich besonders in solchen Kontexten bemerkbar gemacht, in denen über biopolitische Aspekte des Kolonialismus diskutiert wurde: die Akklimatisierungs- sowie die sogenannte Mischehendebatte, Letzteres vor allem in Bezug auf die Siedlungskolonie Deutsch-Südwestafrika (DSWA).37 Häufig waren die in diesen Kontexten aktiv Forschenden ausgebildete Mediziner und Medizinerinnen, die gleichzeitig über biopolitische Projekte im Mutterland selbst diskutierten, so beispielsweise der oben bereits genannte Rudolf Virchow.38 Besonders Andrew Zimmerman hat jüngst dafür argumentiert, dass dieser Wandel und die Entstehung einer deutschen Anthropologie eng mit dem deutschen Kolonialprojekt verzahnt gewesen seien. Ausgehend von einer Analyse der Verfügungsgewalt über indigene Körper, welche einerseits die Anthropologie dringend benötigte, um ihre Forschungen durchführen zu können, und andererseits der Kolonialadministration Wissen zu Kategorisierung, Kontrolle und Ordnung eben dieser Körper zur Verfügung stellte, hält Zimmerman fest: „The discipline [...] depended on, and gave meaning to, the institutions of colonial violence, including prisons, battlefields, and concentration camps.“39 Entsprechend sei, so Zimmerman weiter, zwischen einer traditionellen deutschen Ethnologie und dem sich Ende des 19. Jahrhunderts neu herausbildenden internationalen Forschungsfeld der Anthropologie zu unterscheiden, die ein jeweils anderes Verständnis von den sogenannten ‚Naturvölkern‘ entwickelt hätten. Für die Vertreter und Vertreterinnen des anthropologischen Zugangs hätten diese als Verkörperungen einer frühe-

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Einfluss Herders siehe: Stagl 2003, S. 43 sowie Petermann 2004, S. 309324. Mit Blick auf die Involvierung der Ethnologie bzw. Anthropologie in die Vernichtungspolitiken des NS-Regimes ist dies eine geschichtspolitisch sehr bedeutsame Wendung. Diese zielt auf die Erforschung einer möglichen Kontinuität zwischen genozidalen Praktiken im Kolonialismus und des Nationalsozialismus und schließt damit an grundlegendere Forschungsdebatten um die Bedeutung der Kolonialerfahrung für die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten an, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Siehe dazu: Kundrus/Strotbek 2006 sowie Kundrus 2006a. Zimmerman 2001, S. 38-61; Grosse 2003, S. 180, 193; Grosse 2000, S. 3552. Diese Beobachtung korrespondiert mit Ergebnissen der Forschung zu anderen Siedlungskolonien, beispielsweise Australien. Siehe: Wolfe 1999, S. 3-7, 43-68. Die deutsche Akklimatisierungsdebatte wird im folgenden Kapitel ausführlicher dargestellt. Siehe: Weindling 1989, S. 55-57. Zimmerman 2003, S. 156-157 (Zitat), 172; Zimmerman 2001, S. 7, 157171 sowie Hund 2009.

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ren Entwicklungsstufe der Menschheit gegolten, während sie aus der Sicht der traditionellen Ethnologie außerhalb jeder Geschichtlichkeit gestanden hätten, welche als das exklusive Charakteristikum zivilisierter ‚Kulturvölker‘ angesehen worden sei.40 Statt Evolution sei die Opposition NaturKultur das erkenntnisleitende Paradigma gewesen. Die Anthropologie hingegen habe sich im Gegensatz zur Ethnologie nicht mit der Rekonstruktion verschiedener Kulturen, sondern mit der Erforschung der vermuteten physiologischen Grundlagen ‚rassischer‘ Differenz befasst. Zu ihren zentralen Methoden gehörte die Anthropometrie, die Aufnahme biometrischer Daten und hier vor allem die Kraniologie.41 Es kann nicht die Aufgabe der hier vorliegenden Studie sein, die Frage, welcher der Erklärungsansätze für den Wandel des Faches der schlüssigere ist, abschließend zu klären. Gleichwohl ist es notwendig, die historische Umbruchsituation, in der sich das Fach am Ende des neunzehnten und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts befand, als Spezifikum der deutschsprachigen Ethnologie bei der Rekonstruktion des Wissens vom wilden Kannibalen, speziell bei seiner historischen Verortung, zu berücksichtigen. Dabei ist zu bedenken, dass die beiden Ansätze in der Forschungspraxis nicht so trennscharf verfolgt wurden, wie es nach dieser kurzen wissenschaftsgeschichtlichen Rekonstruktion den Anschein haben könnte. Häufig wurden keine klaren begrifflichen Abgrenzungen vorgenommen, und selbst einer der Nestoren der Ethnologie, Adolf Bastian, ging davon aus, dass die Methoden beider Ansätze legitim seien, auch wenn er selbst keine Körpervermessung durchführte.42 Rudolf Virchow war seinerzeit ein enthusiastischer Sammler von Menschenschädeln zum Zwecke der kraniologischen Vermessung und initiierte ein Forschungsprojekt zur systematischen Vermessung von Schulkindern, um die ‚rassische‘ Zusammensetzung der deutschen Bevölkerung zu ermitteln.43 Wir können also eher von zwei verschiedenen Perspektiven innerhalb eines Forschungszusammenhangs sprechen, die sich gegenseitig ergänzten und intellektuell beförderten, denn von zwei getrennten Fachdisziplinen. Dies ist eine Einschätzung, die meine folgenden, exemplarischen Analysen einschlägiger Reise- und Expeditionsberichte bestätigen werden.

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Siehe: Zimmerman 2001, S. 7; Zimmerman 2003, S. 161. Siehe dazu: Massin 1996, S. 106-114; Proctor 1988, S. 140-142; Theye 1985, S. 12-14. Die Kraniologie ist zu unterscheiden von der Phrenologie, in der aus der Vermessung und Beobachtung des Schädels Schlüsse auf Gemüt und psychische Eigenschaften eines Menschen gezogen wurden. Dieses Feld wurde im deutschsprachigen Raum v.a. mit dem Namen Franz Josef Gall (1758–1828) verbunden. Siehe Zimmerman 2001, S. 86-107. Siehe: Ackerknecht 1981, S. 212-216; Zimmerman 2001, S. 135-146; Goschler 2002, S. 336-345; Zimmerman 2003, S. 167-168.

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Weder Phantasma noch Imagination: Agency und Interaktion in der Produktion des Wissens vom wilden Kannibalen Das Wissen vom Kannibalismus, oder genauer formuliert die Äußerung des Vorwurfs, Angehörige der eigenen oder einer fremden sozialen Gruppe betreibe Menschenfresserei, war und ist keineswegs auf Europäerinnen und Europäer beschränkt. Stärker als dies bislang in der Forschung zur Geschichte des Kannibalismusvorwurfs gegenüber kolonialisierten Bevölkerungen geschehen ist, werde ich im Folgenden das indigene Wissen vom Kannibalismus und besonders die Interaktion zwischen Kolonisierenden und Kolonialisierten bei der Produktion des Wissens vom wilden Kannibalen berücksichtigen. Ich greife dabei eine Beobachtung der Afrikanistin Heike Behrend auf, die davon ausgeht, dass „die Bilder von Kannibalen in Afrika [...] weder als rein westliches Phantasma noch als nur afrikanische, lokale Imaginationen gesehen werden [können]. Sie entstanden in einem Raum interkultureller Begegnungen, im Kontext von wechselseitigen, oft gegnerischen, sich jedoch verschränkenden Intentionen und Strategien.“44

Mein Ziel ist es, die einleitend kritisierte Vorstellung einer unidirektionalen Konstruktion des kannibalischen Anderen durch Europäer und Europäerinnen aufzugeben und stattdessen meine Aufmerksamkeit auf die Beziehungen und Aushandlungsprozesse zu richten, in denen die Konstruktion vom wilden Kannibalen hergestellt wurde. Aus der Berücksichtigung der agency der Kolonialisierten in der Produktion des Wissens vom Kannibalismus ergibt sich allerdings ein starker Differenzierungsbedarf nicht nur nach nationalem, sondern vor allem auch nach regional-kolonialem Kontext, da wir davon ausgehen müssen, dass sich aus verschiedenen kolonialen Situationen unterschiedliche Varianten der Konstruktion vom Kannibalen bildeten. Die Interaktion von Indigenen mit Forschungsreisenden, die im Tross von nubischen Elfenbein- und Sklavenhändlern reisten, war eine andere als die mit Missionaren und Missionarinnen, die sich dauerhaft niederließen und versuchten, die Kultur der einheimischen Bevölkerung zu verändern, um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen. Dies gilt es in einer Analyse entsprechend zu berücksichtigen. Viele indigene Bewohner und Bewohnerinnen der deutschen Kolonien standen von Seiten der Kolonialmacht unter dem dringenden Verdacht, Menschenfleisch zu verzehren. Fast schon umgekehrt proportional zu Größe und Bedeutung für das deutsche Kolonialprojekt wurden besonders häufig die Einwohner und Einwohnerinnen Papua-Neuguineas mit Menschenfresserei in Verbindung gebracht. Sowohl Forschungsreisende als 44

Behrend 2004, S. 165.

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auch Missionsangehörige berichteten immer wieder über Anthropophagen.45 Darüber hinaus hatte, wie Bernd Leicht in seiner Dissertation Kannibalen in Deutsch-Neuguinea dargelegt hat, der Kannibalismusvorwurf eine zentrale Funktion bei der Legitimation von Strafexpeditionen der Kolonialadministration, die der Beschaffung von Zangsarbeiterinnen und -arbeitern dienten, welche als Arbeitskräfte zur Durchführung von infrastrukturellen Großbauprojekten dringend benötigt wurden.46 Menschenfresserei wurde hier vor allem als rituelle oder in die Sitten und Gebräuche der Bewohner und Bewohnerinnen eingebundene Anthropophagie wahrgenommen, gegen die von Seiten der weißen Kolonialherren mit drakonischen Strafmaßnahmen durchgegriffen werden musste, um sie im Sinne einer kolonialen Zivilisierungsmission zu beseitigen.47 Wie im weiteren Verlauf meiner Untersuchungen zu sehen sein wird, stand jedoch bei den späteren Auseinandersetzungen um die Kannibalen im kolonialen Mutterland, sei es bei der Diskussion um die französischen Besatzungstruppen im Rheinland, sei es in Bezug auf die Sexualstraftäter in der Zeit der Weimarer Republik, eine bestimmte Konstruktion als Referenzpunkt im Zentrum der Debatten: der wilde Kannibale. Hierbei handelte es sich um eine Männlichkeitskonstruktion, die durch ihre animalische Instinkthaftigkeit, ihre Impulsivität und unkontrollierbare Gier sowie ihren Hang zum Aberglauben gekennzeichnet war und als eine Verkörperung der evolutionären Vergangenheit der Menschheit galt. Diese Konstruktion, so werde ich im Folgenden demonstrieren, entstand aus der Interaktion zwischen männlichen, europäischen Forschungsreisenden und Angehörigen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen Zentralafrikas sowie deren Nachbarinnen und Nachbarn. Ihre Grundzüge wurden bereits etabliert, 45

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Ein Themenfeld, zu dem in den letzten Jahren einige Forschungsliteratur erschienen ist. Zu nennen sind hier in erster Linie die Studien von Leicht 2000; Ottow/Ottow 2004; Minden 1984, hier besonders S. 74-75; Gründer 2004c sowie die Arbeiten von Simon Haberberger (Haberberger 2001, ders. 2003 und ders. 2007). Dabei ist zu beachten, dass Haberberger das ihm vorliegende Quellenmaterial oft ohne historische Quellenkritik bearbeitet. Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Untersuchungszeitraum wie die von Richard Andree fasst der Autor als Sekundärliteratur auf, anstatt die darin vertretenen Positionen in den historischen Kannibalismusdiskurs einzuordnen. Auf diese Weise reproduziert Haberberger den Diskurs vom wilden Kannibalen, den er in den Quellen vorfindet. Darüber hinaus fehlt jenseits von Arens The Man Eating Myth die Rezeption einschlägiger englischsprachiger Fachliteratur zum Thema Kannibalismus in der Südsee (z.B. die Arbeiten von Hulme oder Obeysekere). Stattdessen arbeitet Haberberger sich an Arens’ Thesen ab, die – wie oben dargestellt – in der Forschung schon lange differenzierter betrachtet werden (siehe Haberberger 2007, S. 6-14). Methodisch und inhaltlich fällt seine Arbeit damit hinter den in der internationalen Forschung etablierten Diskussionsstand zurück. Siehe: Leicht 2000, S. 159. Siehe: Ebd., S. 91, 96, 157.

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bevor die deutsche Kolonialherrschaft in Afrika errichtet worden war, während der ersten Forschungsreisen deutscher Wissenschaftler in das Innere des afrikanischen Kontinents. Es handelt sich dabei um ein Gebiet, welches später jenseits der deutschen Schutzgebiete liegen sollte. In diesem Sinne verstehe ich unter dem kolonialen Wissen vom wilden Kannibalen diejenige Formation aus ineinander verschränkten diskursiven und non-diskursiven Elementen, die aus der Interaktion zwischen deutschen Kolonisatoren und verschiedenen Gruppen von Indigenen in Zentral- und Ostafrika am Ende des neunzehnten Jahrhunderts entstand.

2 . 2 Ab e r g l a u b e , R a c h e , G i e r : D a s W i s s e n vo m wilden Kannibalen Kannibalenherrscher und Azandekrieger: Der Bericht Georg Schweinfurths „Die Anthropophagen rühmen sich selbst vor aller Welt ihrer wilden Gier, tragen voll Ostentation die Zähne der von ihnen Verspeisten, auf Schnüre gereiht, wie Glasperlen am Halse und schmücken die ursprünglich nur zum Aufhängen von Jagdtrophäen bestimmten Pfähle bei den Wohnungen mit Schädeln ihrer Opfer.“48

Mit diesen Worten beschrieb der Botaniker und Afrikareisende Georg Schweinfurth (1836-1925) die Azande Zentralafrikas, die im Anschluss an seinen Bericht zum Paradebeispiel für afrikanische menschenfressende ‚Wilde‘ werden sollten.49 Schweinfurth, im deutschen Koloniallexikon von 1920 als einer der „bedeutendsten Afrikaforscher“ gerühmt, wuchs in Riga als Sohn einer Kaufmannsfamilie auf.50 Nach Abschluss seiner naturwissenschaftlichen Studien in Heidelberg, München und Berlin unternahm er mehrere Afrikareisen.51 Eine davon führte ihn 1869-1871 im Auftrag der

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Schweinfurth 1918, S. 296. Auch wenn aus Perspektive der heutigen Ethnologie große Bedenken gegenüber dem Wahrheitsgehalt seiner Beschreibung angemeldet werden, siehe: Marx 1989, S. 69-70; Essner 1985, S. 81-85. „Schweinfurth, Georg August“, in: Schnee 1920, Bd. 3, S. 327. Siehe auch: Guenther 1954; Haberland 1980. Zur Problematisierung der zum Teil inflationären Zuschreibung von Berühmtheit bei Afrikareisenden siehe: Essner 1985, S. 47-50; Fiedler 2005, S. 136-142. Schweinfurth gründete außerdem 1872 die Ägyptische Geographische Gesellschaft in Kairo und wurde später Generaldirektor der Kairoer Museen und Sammlungen. 1867 wurde er zum Mitglied (ab 1925 Ehrenmitglied) der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina sowie des Kolonialrats ernannt. Zu seinen bekanntesten Veröffentlichungen zählen neben Im Herzen Afrikas (Schweinfurth 1918) auch sein Beitrag zur Flora Äthio-

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Humboldt-Stiftung zur Erkundung des oberen Nils in das Innere des Kontinents. Er veröffentlichte einen Bericht über diese Reise, der auf Deutsch zum ersten Mal 1874 unter dem Titel Im Herzen von Afrika publiziert, schnell zu einem Beststeller wurde und bis in die 1920er Jahre in mehreren Auflagen erschien.52 Auf der Suche nach unbekannten Pflanzen und den Anthropophagen Zentralafrikas durchquerte Schweinfurth unter anderem die Einzugsgebiete der Flüsse Uëlle und Bahr al-Ghazal, ein Gebiet das heute auf dem Gebiet der Demokratischen Republik Kongo, des Sudans und der Zentralafrikanischen Republik liegt. Schweinfurth bezeichnete seine Unternehmung als eine „Reise ‚an’s Ende der Welt‘“.53 Dies war eine klassische Trope des europäischen Kannibalismusdiskurses, wie Peter Hulme bemerkt: „cannibalism marked the world beyond European knowledge“.54 Es handelte sich bei Schweinfurths Unternehmung allerdings nicht um eine extra zu Forschungszwecken ausgerüstete und entsandte Expedition, vielmehr begleitete er Mohammed Abd-es-Ssammat, einen arabisch sprechenden, muslimischen Sklaven- und Elfenbeinhändler aus Khartum, auf dessen Reise in das Landesinnere. Schweinfurth wurde Teil dieser Karawane und war eine von den Afrikanerinnen und Afrikanern immer wieder bestaunte Kuriosität, die unter dem Schutz Abd-es-Ssammats stand. Erst dieser Status garantierte neben seiner Sicherheit auch die Kooperation der Indigenen, die Schweinfurth zur Durchführung seiner botanischen und anthropologischen Forschungen dringend benötigte.55 Er nutzte auf diese

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piens (Schweinfurth 1867) sowie die zweisprachig (Englisch/Deutsch) erschienene Studie Artes Africanae (Schweinfurth 1875). Im Herzen von Afrika. Reisen und Entdeckungen im centralen AequatorialAfrika während der Jahre 1868 bis 1871 erschien erstmals Leipzig: Brockhaus 1874. Hier vorliegend die 3., verbesserte Auflage (Schweinfurth 1918), die anlässlich seines achtzigsten Geburtstages veröffentlich wurde. 1927 erschien posthum eine gekürzte Ausgabe dieser Fassung, ebenfalls im Brockhaus-Verlag. Darüber hinaus wurde sein Bericht ins Französische, Italienische sowie Türkische übersetzt und es erschienen eine griechische und eine arabische Bearbeitung seines Textes (siehe: Schweinfurth 1918, Vorwort zur 2. Aufl., S. ix). Schweinfurth war sich der Bestsellerqualitäten seiner Darstellungen durchaus bewusst und war auch gewillt, entsprechende Erwartungen nach Exotik und Abenteuer auf Seiten seiner Leserinnen und Leser zu erfüllen. Besonders die zweite Auflage, in der die ethnographisch-beschreibenden Elemente gegenüber den erzählerischen Anteilen zurücktraten, zeugt hiervon (siehe: Essner 1985, S. 111-112). Zur Auflösung der Grenzen zwischen wissenschaftlichem Bericht und Abenteuerliteratur generell: Fiedler 2005, S. 124-151. Schweinfurth 1918, S. 217. Schweinfurth gehörte zu der dritten Generation von Afrikareisenden, die Cornelia Essners kollektivbiographische Studie zu Afrikaforschern des 19. Jahrhunderts identifiziert (siehe: Essner 1985, S. 56). Hulme 1998, S. 3. Indigene widersetzten sich vielfach den schmerzhaften Prozeduren der anthropometrischen Vermessung oder auch entsprechenden fotographi-

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Weise die etablierten Handelswege, das infrastrukturelle Netzwerk sowie die geographischen Kenntnisse des von arabisch sprechenden Händlern dominierten Elfenbeinhandels, der zu diesem Zeitpunkt mit einem florierenden Sklavenhandel einherging. Diese Vorgehensweise war, wie Michael Pesek und Cornelia Essner demonstriert haben, charakteristisch für die Phase des deutschen Kolonialismus in Ost- und Zentralafrika vor und zu Beginn der offiziellen Kolonialpolitik des Kaiserreiches.56 Nur durch die Anpassung an und die Nutzbarmachung indigener Kulturtechniken und Kenntnisse, ganz besonders des Karawanenhandels, war es den Deutschen möglich, ins Landesinnere vorzudringen.57 Schweinfurth begegnete in dem genannten Gebiet den von ihm gesuchten „Niamniam“ oder „A-Sandeh“ (heute: Azande) sowie den „Mangbattu“ (heute: Mangbetu). Die Azande beschrieb Schweinfurth als äußerst wild und kriegerisch sowie als abergläubisch.58 Sie trugen für ihn durch und durch den „Charakter eines kriegerischen Jägervolkes“.59 Nach seinen Beobachtungen hatten die Azande, von denen wir heute wissen, dass sie von 1860 bis etwa 1912 eines der letzten eigenständigen präkolonialen Reiche Zentralafrikas bildeten, keine dauerhafte zentrale Autorität.60 Die verschiedenen „Fürsten“ der Azande führten seiner Ansicht nach ein Willkür- und Schreckensregime: In „Wutanfällen“, die manche unter ihnen „sogar absichtlich fingier[t]en“, schlachteten sie in einer Art „afrikanischem ‚Cäsarenwahn‘“ ihre eigenen Untertanen ab.61 Sie hätten keine entwickelte Religion, sondern hingen einer Form von Orakelaberglauben an.62 Sie kleideten sich in Ermangelung von gewebten Stoffen oder verarbeiteten Rinden in Affenfelle (Genetten und Colobus Affen), an denen der Schwanz belassen wurde.63 Die Azande galten ihm als typische Gesell-

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schen Aufnahmen, so dass diese nur unter Zwang vor- bzw. aufgenommen werden konnten. Siehe dazu: Zimmerman 2003, S. 161-166, Wiener, Mi. 1990, S. 187-197. Schweinfurth selbst vermaß unter anderem die Träger, die zu der Karawane gehörten (Schweinfurth 1918, S. 288). Diese Kooperation mit nubischen Elfenbein- und Sklavenhändlern kann als Schweinfurths Erfindung gelten. Siehe: Essner 1985, S. 83-84 sowie Pesek 2005, S. 109-124. Zur Geschichte des Sklaven- und Elfenbeinhandels siehe: Hahner-Herzog 1990, S. 7-35, 297-328; Gißibl 2007, S. 226-233 sowie besonders zur Rolle von Muslimen in diesem Handelsnetz: Robinson 2004, S. 60-73. Siehe: Pesek 2005, S. 40-101. Elfenbeinjagd und -handel gewannen große symbolische Bedeutung für die deutschen Kolonialherren, auch wenn beides ökonomisch eher unbedeutsam bleiben sollte. Siehe dazu: Gißibl 2007, S. 234-235; Gißibl 2008, S. 503-504. Schweinfurth 1918, S. 238, 254. Ebd., S. 291. Ebd., S. 242. Ebd., S. 298. Ebd., S. 304-305. Ebd., S. 248, 289, 292 (Abb.). Ausgelöst durch einen Bericht des französischen Reisenden Louis du Couret (1812-1867), genannt Abd ul-Hamid

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schaft der „menschlichen Urgeschichte“, was seiner Ansicht nach an der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung, nach der die Männer jagten sowie Krieg führten und die Frauen Ackerbau betrieben, zu erkennen sei.64 Darüber hinaus seien sie ganz allgemein „ausgestattet mit den unvermeidlichen Attributen des Urmenschen“.65 In diesem Sinne war seine Reise durch den afrikanischen Raum gleichzeitig auch eine Expedition zurück in die evolutionäre Vergangenheit der Menschheit. Eine Vorstellung, welche für die anthropologische Forschung ebenso wie für den europäischen Kolonialdiskurs insgesamt charakteristisch war, wie Johannes Fabian und Anne McClintock demonstriert haben.66 Die Ethnologie war dementsprechend die Wissenschaft „of other men in another Time“.67 Stellten die Azande als Gesamtheit für Schweinfurth das typische ‚Urvolk‘ dar, so repräsentierte der Azande-Krieger den Inbegriff „afrikanischer Wildnis“ (siehe: Anhang Abb. 9.1): „Vergegenwärtigen wir uns indes noch einmal die äussere Erscheinung des Niamniam, wie er im seltsamen Waffenschmuck, die Lanze in der einen, den mit dem Kreuze gezierten Schild und die Zickzackwaffe in der andern, den Dolch im Gürtel, um die Hüften mit langschwänzigen Fellen geschürzt und geschmückt mit den Trophäen, die er der Jagd- und Kriegsbeute entnommen, mit den aufgereihten Zähnen der Erschlagenen geziert auf Brust und Stirn, in herausfordernder Stellung dem Fremden entgegentritt, wie die langen Haarflechten ihm wild um Hals und Schultern fallen, wie er bei weit aufgerissenen Augen die dicken Brauen furcht, im Munde die blendende Reihe spitzer Krokodilzähne hervorleuchten lässt – so haben wir hier in seinem ganzen Wesen alle Attribute einer ungefesselten Wildheit, so recht entsprechend den Vorstellungen, die unsere Phantasie an die Person eines echten Sohnes afrikanischer Wildnis zu knüpfen vermag.“68

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Bei, unter dem Titel Voyage au pays des Niam-Niam ou hommes à queue (1854) entspann sich in der Forschung des 19. Jahrhunderts eine lang andauernde Diskussion um die Frage, ob es sich bei den solcherart ‚Geschwänzten‘ um das damals gesuchte evolutionäre Bindeglied zwischen Mensch und Tier handeln könne, worauf Schweinfurth in seinem Bericht kurz anspielte (siehe: ebd., S. 287). Dazu siehe auch: Gebauer 2000, S. 912. Siehe: Schweinfurth 1918, S. 293. Ebd., S. 287. Siehe: McClintock 1995, S. 40-42; Fabian 1983, S. 143. Fabian 1983, S. 143. Obendrein war dies eine der vielen Strategien, durch welche die Kolonialisierten ihrer Sprechposition im Diskurs enthoben wurden: „It is a discourse whose referent has been removed from the present of the speaking/writing subject. This ‚petrified relation‘ is a scandal. Anthropology’s Other is, ultimately, other people who are our contemporaries.“ (ebd.) Schweinfurth 1918, S. 292. Auch an anderer Stelle betonte er mehrfach den Eindruck von „tierischer Wildheit“ und „kriegerischer Entschlossenheit“, den das Äußere der männlichen Azande vermittle (ebd., S. 289). Ein Eindruck, zu dem seiner Ansicht nach die von den Azande getragenen

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Im Körper des Azande-Krieger vereinigten sich aus der Perspektive Schweinfurths damit animalische Wildheit, kriegerische Männlichkeit und die evolutionär-sittlich unterste Stufe menschlicher Entwicklung. Die Mangbetu hingegen galten Schweinfurth als „Volksstamm“, „der eine für Zentralafrika überraschend hohe Kulturstufe“ inne hatte und der seiner Ansicht nach sogar mit einem gewissen Stolz auf die von ihnen unterworfenen, in der Hautfarbe im Vergleich deutlich dunkleren und „auf niederer Kulturstufe stehenden“ Nachbarn und Nachbarinnen hinab blicke.69 Im Gegensatz zu den Azande seien die Mangbetu in einer seiner Ansicht nach bedeutenden Kulturtechnik bewandert: der Eisenbearbeitung, mit deren Hilfe sie überaus kunstvolle Waffen herstellten.70 Darüber hinaus hingen die Mangbetu laut Schweinfurth nicht einem simplen Aber- oder Orakelglauben an, sondern hätten eine Art Monotheismus entwickelt, den Glauben an den Gott „Nor“.71 Er bezeichnete die Mangbetu auch als das „ultima Thule unserer geographischen Kenntnis von Afrika“, das wie eine „Insel im Meere unstet hin- und herflutender Völkerbewegungen“ unbeeindruckt und unverfälscht von den Einflüssen des Islam oder des Christentums geblieben sei.72 Doch Schweinfurth führte nicht nur kulturelle Errungenschaften als Beweise für die ‚hohe Kulturstufe‘ der Mangbetu an, sondern argumentierte auch ‚rassenbiologisch‘: Während die Schädel der Azande eine runde Form hätten, seien die der Mangbetu eher länglich, was an den physiognomischen „Charakter der semitischen Völker“ erinnere und zusammen mit der etwas helleren Hautfarbe als ‚rassische Überlegenheit‘ zu interpretieren sei.73 Derart überlegen in jeder Hinsicht, übertraf auch der „Kannibalismus der Mangbattu“ laut Schweinfurth „den aller bekannten Völker in Afrika.“74 Wie auch den Azande gelte ihnen Menschenfleisch und beson-

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Schmucknarben und die spitzgefeilten Zähne maßgeblich beitrugen (ebd., S. 289). Ebd., S. 332, 337. Schweinfurth mutmaßt, dass zwischen den Fulbe (heute auch: Halpular) und den Mangbetu eine Beziehung bestehen könnte oder dass sie zu den „Pyrrhi Aethiopes des Ptolemäus“ zählten (ebd., S. 342). Siehe: Schweinfurth 1918, S. 346-348. Eine Aussage, die im Widerspruch zu seinen eigenen Beschreibungen der Metallwaffen der Azande (ebd., S. 291) stand, worauf er allerdings nicht reflektierte. Ebd., S. 354. Ebd., S. 332, 341. Thule, die mytische Insel jenseits der Grenzen des bekannten Europa wurde zuerst in der Antike von dem Griechen Pytheas (ca. 380 v.Chr. – ca. 310 n.Chr.) beschrieben. Die Wendung „ultima Thule“ bezeichnete den äußersten Rand der bekannten Welt. Ebd., S. 341-342 (Zitat S. 342). In einer 1917 hinzugefügten Fußnote bemerkt Schweinfurth, dass ihm aufgrund der „Haartracht“ die später von Junker beschriebene Künstlichkeit dieser von ihm als evolutionär fortschrittlich interpretierten Schädelform, die durch eine „bereits am Säugling vorgenommene Umschnürung des Schädels“ erzielt würde, nicht aufgefallen sei (ebd., S. 345). Ebd., S. 337.

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ders Menschenfett als der „Inbegriff aller ihrer kulinarischen Genüsse“.75 Verzehrt würden von ihnen die auf dem Schlachtfeld gefallenen Krieger des besiegten Gegners oder die „lebendig Eingefangenen“, welche „die Sieger erbarmungslos vor sich her“ nach Hause trieben, „gleich einer erbeuteten Hammelherde, um sie später einen nach dem andern als Opfer ihrer wilden Gier fallen zu lassen.“76 Regiert wurden die Mangbetu, so der deutsche Forscher, durch eine Zentralgewalt in Gestalt König Munsas, dessen Person er ausführlich beschrieb und sogar skizzierte. Dieser „Kannibalenherrscher[n]“, an dem sich Schweinfurths Augen gar „nicht satt sehen konnten“, nahm in seinen Beschreibungen einen derart zentralen Platz ein, dass er aus heutiger Perspektive als pars pro toto für sein Volk wahrgenommen werden kann (siehe: Anhang Abb. 9.2).77 Das zentrale Charakteristikum, das Schweinfurth dem Oberhaupt der Mangbetu zuschrieb, war sein Cäsarentum. Eine Eigenschaft, die Schweinfurth, wie oben bereits dargestellt, auch mit den Azande-Fürsten verband, die allerdings in der Charakterisierung Munsas zum bestimmenden Merkmal der gesamten Persönlichkeit wurde. König Munsa schreite einher wie ein „rotbraune[r] Cäsar“, er habe ein aufbrausendes Temperament und vollführe anläßlich von Festen eine Art Derwischtanz, der ihn nicht nur in Ekstase, sondern in einen beinahe epileptischen Zustand versetze.78 „Etwas Neronisches“ sei an ihm, „etwas wie von Überdruss und Übersättigung“, während in seinen Augen „ein wildes Feuer tierischer Sinnlichkeit“ züngle und in den Zügen um seinen Mund „die Freude am Grausamen“ sowie „Habsucht und Gewalttätigkeit höhnend auf der Lauer“ lägen.79 Seine Lieblingsspeise seien kleine Kinder, von denen er täglich eines verzehre.80 Schweinfurth verknüpfte auf diese Weise auch im Fall der Mangbetu Kannibalismus mit Männlichkeit und zwar nicht nur mit einer animalischkriegerischen Maskulinität, sondern einer, die darüber hinaus auch noch unbeherrscht, unberechenbar und zuweilen unzurechnungsfähig war. Mit Blick auf die von Schweinfurth beigefügten Zeichnungen können wir sogar sagen, dass im Falle der Mangbetu diese Identifikation mit einem erwachsenen Mann in der Blüte seiner Jahre und im Falle der Azande mit einem jungen, fast jugendlichen Mann vollzogen wurde.81

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Ebd., S. 337. Ebd., S. 337. Siehe auch: Schweinfurth 1873, S. 9-10. Ebd., S. 311. Die Beschreibung der Person Mansus zieht sich im Text über fast zwei Seiten (ebd., S. 311-313). Ebd., S. 311, 324, 328-329. Ebd., S. 312-313. Ebd., S. 337. Mansu wurde von Schweinfurth wörtlich als „Mann von nahe an die Vierzig“ beschrieben, „seine ziemlich hohe Gestalt war schlank, aber kräftig, der Wuchs stramm und gerade, wie bei jedem Mangbattu.“ (ebd., S. 312.)

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Wilde Kannibalinnen bewegten sich in Schweinfurths Beschreibungen hingegen stets im Hintergrund. Zwar schilderte er sowohl in Bezug auf die Azande als auch die Mangbetu vereinzelt, dass er Frauen bei der Zubereitung von Menschenfleisch beobachtet habe,82 allerdings ging er auf diesen Aspekt der Menschenfresserei nicht weiter ein. Dagegen standen diejenigen Strategien im Vordergrund seines Berichts, welche zur Sicherung der Durchzugsrechte und der Nahrungsmittelversorgung der Karawane gegenüber den Azande angewendet wurden und die zu einer ambivalenten Haltung Mohammed Abd-es-Ssammats gegenüber dem Kannibalismus seiner potentiellen Verbündenten bzw. Gegner führten.83 Azande und Mangbetu gleichermaßen schrieb Schweinfurth eine Vorliebe für Menschenfett zu, welches, in großen Dosen genossen, angeblich „berauschende Wirkung“ habe.84 Über die Gründe, welche die Azande und die Mangbetu zum Kannibalismus bewegen sollten, sah sich Schweinfurth gezwungen zu spekulieren. Sowohl Anthropophagie aus rituellen Gründen als auch aufgrund von Fleischmangel war seiner Einschätzung nach bei beiden Gruppen ausgeschlossen.85 Obendrein ergaben seine Beobachtungen Widersprüchliches: Während einerseits alle Nachbarn und Nachbarinnen der Azande ebenso wie die europäischen Berichterstatter fest von deren Kannibalismus überzeugt waren, stieß Schweinfurth auf Mitglieder der Azande, die Menschenfresserei zu Teilen oder auch rundweg und aus seiner Sicht durchaus glaubhaft ablehnten.86 Dennoch ging der Afrikaforscher davon aus, dass „[i]m grossen und ganzen aber [darf] man getrost die Niamniam als ein Volk von Anthropophagen bezeichnen“ könne.87 Sie seien Menschenfresser „ohne Scheu, um jeden Preis und unter jeder Bedingung“.88 Zur Motivation ihres Kannibalismus verwies er erstens auf ihr Hauptcharakteristikum, ihre männlich-kriegerische ‚afrikanische Wildnis‘, die als ein Syn82

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Ebd., S. 337-338, 410-411. Die Kriterien, nach denen er die indigenen Frauen beurteilte, waren grundsätzlich andere als die zur Beurteilung von Männern, namentlich Keuschheit und ihr Verhältnis zu ihrem Ehegatten. Für die Mangbetu-Frauen, die nach seinen Schilderungen recht selbstbestimmt über ihren Körper und ihre Sexualität verfügten, hatte er nur Verachtung übrig (ebd., S. 336). Ebd., S. 385, 408-409. Ebd., S. 296 (Azande), S. 337 (Mangbetu). Der Glaube an die magische Wirkung von Menschenfett war, wie in Kapitel 4 zu sehen sein wird, laut Anthropologen, Medizinern und Juristen auch in Deutschland verbreitet. Ebd., S. 296 (Azande), S. 335 (Mangbetu). Sowohl Azande als auch Mangbetu betrieben umfangreich Jagd, allerdings keine Viehzucht von größeren Tieren (Azande: S. 294; Mangbetu: S. 335) als Hühnern oder Hunden (Azande: S. 295; Mangbetu: S. 335). Ebd., S. 296 sowie 262-263 (Bericht über einen „Niamniam-Fürsten“, der selbst sehr beleibt war, und darum anderen die mit „fetter Leibesbeschaffenheit gesegnet“ seien, Schutz gewährte). Ebd., S. 296. Ebd., S. 296.

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onym für ihren angeblich evolutionär niedrigen Entwicklungsstand gelesen werden kann, wie wir oben gesehen haben. Zweitens ging er davon aus, dass die Azande eine generelle Gier nach Menschenfleisch verspürten, von der sie einfach nicht lassen könnten: „Fleischkost gilt ihnen indes als der höchste aller irdischen Genüsse, und Fleisch, Fleisch ist das Losungswort, das bei ihren Kriegszügen erschallt.“89 Hinzu komme eine Neigung zum Sadismus oder doch zumindest eine Form der Gefühlskälte, deren Darstellung die Leserinnen und Leser schockieren musste: Schweinfurth beschrieb, wie Azande einen Säugling in der Sonne dem Tode preisgaben, um das Kind anschließend zu verzehren.90 Der Kannibalismus der seiner Einschätzung nach kulturell und evolutionär ‚höherstehenden‘ Mangbetu brachte Schweinfurth demgegenüber in einen gewissen Erklärungsnotstand. Aber auch hier griff er zur Motivation der von ihm als sicher angenommenen anthropophagischen Praktiken auf das rassistisch-anthropologische Modell evolutionär fortschreitender Zivilisation zurück, nur zielte sein Argument diesmal nicht auf Rückständigkeit, sondern auf eine Form eines sozialdarwinistischen survival of the fittest.91 Ganz im Gegensatz zu dem von ihm am Beispiel der Azande postulierten Zusammenhang zwischen animalischer Wildheit, evolutionärer Rückständigkeit und Menschenfresserei, behauptete Schweinfurth, dass die Mangbetu genau aufgrund ihrer relativen kulturellen und zivilisatorischen Überlegenheit Kannibalismus praktizierten. Ähnlich wie die „Fidschi-Insulaner“ und die „Karaïben“ seien sie ein Exempel dafür, „dass oft gerade Völker Anthropophagen sind, die sich durch eine auffällig hohe Kulturstufe“ von ihren Nachbarn und Nachbarinnen unterschieden.92 Es galt also eine Art Recht des Stärkeren: fressen oder gefressen werden. Hinsichtlich der Produktion von Schweinfurths Wissen vom wilden Kannibalen können wir erstens festhalten, dass es nicht nur maßgeblich (infra)strukturell vom afrikanischen Karawanenhandel, sondern darüber hinaus auch inhaltlich vom indigenen Wissen abhängig war. Auch unter der muslimischen Bevölkerung des Sudan sowie ihren Nachbarinnen und Nachbarn hatte sich das Gerücht von der Anthropophagie der Azande und der Mangbetu weit verbreitet. So versuchten Teile der von Mohammed Abd-es-Ssammat verpflichteten Träger aus Angst vor Beginn der Reise zu fliehen. Mitreisende Soldaten berichteten Schweinfurth von Leichenraub und dem Verdacht, dass die Azande die gestohlenen Körper auffräßen.93 Auch die Herkunft der von ihm verwendeten Bezeichnung wies auf diese 89

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Ebd., S. 295. Zur Gier als Topos in den Berichten über Kannibalen in der deutschsprachigen Reiseliteratur der Wende zum 20. Jahrhundert siehe auch: Struck 2001, S. 169-180. Schweinfurth 1918, S. 410-411. Essner charakterisiert Schweinfurth als „überzeugte[n] Darwinist“ (Essner 1985, S. 82). Schweinfurth 1918, S. 338. Ebd., S. 219, 226, 296.

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Verbreitung hin: „Niamniam“, war eine Fremdbezeichnung aus der Sprache der Dinka für die Azande, was soviel wie „die ‚Fresser‘“ oder auch die „‚Vielfresser‘“ bedeutete.94 Gleichzeitig stand Schweinfurth mit seiner Berichterstattung in einer europäischen Tradition, wie er selbst mehrfach betonte. Er stellte sich sogar namentlich und explizit in die Nachfolge des italienischen Afrikareisenden Carlo Piaggia (1830-1882), dem seiner Ansicht nach „das Verdienst“ zukomme, den „Schleiher, den ein märchenhafter Zauber über dieses Volk [die Azande] ausgebreitet, gelüftet zu haben“.95 Darüber hinaus benannte er ausdrücklich den Fachartikel von Jules Pocet in der Zeitschrift der Pariser Geographischen Gesellschaft sowie den Abdruck eines Briefes eines italienischen Mediziners aus Khartum im Bollettino della Società Geografica Italiana als Inspirationen für seine Suche nach den Mangbetu.96 Schweinfurth maß seinen beiden Informationsquellen eine sehr unterschiedliche Wertigkeit bei. Während er explizit auf die einschlägigen europäischen Fachartikel und Publikationen Bezug nahm und seiner Wertschätzung für diese Ausdruck verlieh, deutete er die Herkunft des indigenen Wissens, welches gleichfalls Teil seiner Arbeitsgrundlage war, und die Historizität des indigen Kannibalismusvorwurfs, der in Afrika bereits seit dem Mittelalter existierte, nur vage an.97 Gleichzeitig kennzeichnete er in seinem Text das indigene Wissen vom Kannibalismus der Azande oder der Mangbetu als unzuverlässig oder fragwürdig, indem er stets darauf hinwies, dass er den Berichten seiner Informantinnen und Informanten zunächst keinen Glauben geschenkt habe, und er erst durch seine eigene Augenzeugenschaft von ihrem Wahrheitsgehalt überzeugt worden sei.98 Zweitens können wir festhalten, dass Schweinfurths methodische Überlegungen ebenso wie seine Forschungspraxis zeigen, dass seine Arbeit weniger aus der Perspektive der traditionellen kulturpluralistischen Ethnologie als vielmehr auf der Grundlage und mit den Methoden der rassistisch-biologistischen Anthropologie betrieben wurde. Zwar verweist 94

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Ebd., S. 287. Eine ganz ähnliche Kombination von indigenen Gerüchten und europäischem Wissen habe ihn auf die Spur der Mangbetu gebracht (siehe: ebd., S. 331). Auch der von Schweinfurth verwendete Name „Monbuttu“ war die in Afrika gängige Fremdbezeichnung, welche auf die von den Mangbetu praktizierte „Sitte des Durchlöcherns der Ohrmuschel“ verwies. Schweinfurth nannte an dieser Stelle auch den arabischen Namen für die Mangbetu, „Guruguru“, den er allerdings im Text nicht benutzte (ebd., S. 332). Ebd., S. 287. Piaggia, der ein Jahr unter den Azande gelebt hatte, besaß keine Universitätsbildung; sein Reisebericht wurde von seinem zeitweiligen Mitreisenden, dem Marachese Antinori, nach seinen mündlichen Angaben nachträglich zusammengestellt (ebd.). Ebd., S. 331. Ebd., S. 287-288. Ebd., S. 226.

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sein Vergleich der Mangbetu mit dem mythischen Thule zusammen mit seiner Freude, in ihnen ein kulturell ‚unverfälschtes‘ Volk entdeckt zu haben, noch auf einen Restbestand des älteren, romantischen Begriffs vom ‚Naturvolk‘ hin.99 In der Formulierung seines Forschungsprogramms für die „Völkerkunde“ in Analogie zur Biologie kommt jedoch ein grundlegend anderes Verständnis dieser Wissenschaft zum Ausdruck: „Auf den untersten Stufen des Tier- und Pflanzenlebens erfreut den Erforscher des kleinsten Lebens die elementare Einfachheit aller Verhältnisse, die uns allmählich zum Verständnis tausendfältig komplizierter Gebilde geführt hat. Ähnlich verhält es sich mit dem Studium der Völkerkunde, und eben deshalb gewährt die Betrachtung des Völkerlebens auf der untersten Stufe menschlicher Gesittung dem Reisenden einen so hohen Genuss.“100

Ganz gemäß diesem Programm stellte Schweinfurth nicht nur Beobachtungen an und führte Interviews durch, sondern vermaß auch die Körper der ihn umgebenden Träger sowie derjenigen Indigenen, auf die er während seiner Reise traf.101 Darüber hinaus sammelte er Menschenschädel, die er der Sammlung des „Anatomischen Museum[s]“ in Berlin zur Verfügung stellte.102 Diese menschlichen Überreste gaben aus seiner Perspektive vermittelt Auskunft über den Kannibalismus der Bewohnerinnen und Bewohner dieses Teiles von Afrika. Denn erstens offenbarte der „Zustand, in dem [er] viele Stücke empfing“ seiner Ansicht nach, dass sie erst vor kurzem „in Wasser gekocht und mit Messern abgeschabt worden waren“. Einige „schienen“ ihm „direkt von den Mahlzeiten der Eingeborenen zu kommen, denn sie waren noch feucht und trugen den Geruch von frisch Gekochtem an sich“. Andere „hatten das Aussehen, als wären sie unter altem Kehricht und Küchenabfällen aufgelesen worden“.103 Zweitens erlaubten die Schädel aus Sicht der Anthropologie, oder genauer der Kraniologie, die Bestimmung des evolutionären Entwicklungsstandes des jeweiligen Verstorbenen. Und da für Schweinfurth die Gleichung galt, je geringer der Stand der evolutionären Entwicklung eines ‚Naturvolks‘, desto wahrscheinlicher sei 99 100 101 102

Ebd., S. 332, 341. Ebd., S. 295. Ebd., S. 288. Ebd., S. 338. Essner (1985, S. 166) zitiert einen Brief Schweinfurths, datiert auf den 2. Februar 1869, in dem er schrieb: „Ich brauche Menschenschädel und darf ohne dieselben nicht nach Berlin zurückkehren [...].“ Gemeint war hier die pathologisch-anatomische Sammlung der Charité Berlin, die seit 1856 unter der Leitung von Rudolf Virchow (1821-1902), Ordinarius für Pathologie, stand. 1899 richtete Virchow auf der Grundlage dieser pathologischen Sammlung das Berliner Pathologische Museum (heute Berliner Medizinhistorisches Museum an der Charité) ein. Siehe dazu: Matyssek 2002, S. 14-16. 103 Schweinfurth 1918, S. 317.

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die Menschenfresserei, war in diesem Sinne Kannibalismus über die Messung von Körperdaten quantifizierbar. Er präsentierte damit in seiner Darstellung Körperdaten zusammen mit akademischen Fachpublikationen oder seinen eigenen Berichten als eindeutige Beweise für die Anthropophagie der Azande und der Mangbetu. Die Wege, auf denen Schweinfurth zu seinen Stücken gelangte, waren häufig ethisch problematisch. Oft stahl er sie, mit tatkräftiger Unterstützung des Karawanenführers, einfach von den Holzpfählen in der Mitte der den Arabern tributpflichtigen Azandedörfer, auf denen sie aufgestellt waren.104 Darüber hinaus betrieb er Handel mit den Indigenen, um an die begehrten Stücke zu gelangen. Unter der Aufforderung „vor allem aber bringt Menschenschädel, soviel als ihr deren von euern Mahlzeiten erübrigt, euch taugen sie doch zu nichts“ erhielt Schweinfurth Schädel im Tausch gegen Kupferstücke.105 „Den Überbringern liess ich sagen, die Schädel würden bei uns gebraucht, um auch aus der Ferne die Menschen kennenzulernen, die hier wohnten. Wir besässen die Kunst, aus der Schädelform Art und Sinn der Menschen zu erkennen, sowie ihre Vorzüge und Fehler, dazu sammele man sie aus allen Ländern des Erdballs.“106

Des Weiteren sammelte er die Köpfe derjenigen auf, die in gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Karawane des Sklaven- und Elfenbeinhändlers, mit der er zog, getötet worden waren.107 In diesem Sinne führten Schweinfurths Forschungen zu einer materiellen, physischen Einverleibung der Indigenen in den Komplex des akademischen Wissens. Hier scheint die von Zimmerman problematisierte Komplizenschaft der Ethnologie mit den Gewaltverhältnissen kolonialer Eroberung auf.108 Allerdings verdeutlicht Schweinfurths Vorgehensweise, dass diese Komplizenschaft bereits bestand, und auch jenseits deutscher Kolonialherrschaft etabliert worden war. Nur durch das Bündnis mit den militärisch überlegenen Elfenbein- und Sklavenhändlern konnte sein Forschungsprojekt gelingen. Wie Schweinfurth selbst ängstlich feststellte, war diese koloniale Einverleibung leicht mit Kannibalismus zu verwechseln. Seine Sammelwut und die Präparationen, die er an den Schädeln vornahm, d.h. Kochen und Abschaben, entsprachen genau den von ihm bei den Mangbetu und Azande vermuteten kannibalischen Praktiken: „Unter dem stupidern Teile der 104 Ebd., S. 266. Er bezeichnete diese Holzpfähle an dieser Stelle auch als „Weihnachtsbäum[e] [...] für vergleichende Anatomen“. 105 Ebd., S. 317. 106 Ebd., S. 317. 107 Ebd., S. 383, 386. 108 Siehe: Zimmerman 2001, S. 152-172 (hier besonders in Bezug auf das 1886 eingerichtete Museum für Völkerkunde in Berlin) sowie Hund 2009, S. 57-70.

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Eingeborenen hingegen mochte sich die Ansicht geltend machen, die Knochen würden alle als Speise verwandt.“109 Aus diesem Grunde präparierte er die Köpfe heimlich in seinem Zelt.110 Diese Vorgehensweise leistete angesichts seiner Obsession in Bezug auf seine Nahrungsaufnahme den Gerüchten unter seinen afrikanischen Mitmenschen vermutlich eher Vorschub. Denn Schweinfurth nahm grundsätzlich keine der Speisen zu sich, die ihm die Indigenen anboten, selbst dann nicht, wenn es sich seinem Wissen nach nicht um Anthropophagen handelte. Stattdessen verzehrte er Mahlzeiten aus mitgebrachten Vorräten und zwar stets für sich allein; eine Angewohnheit, die ihm den Namen „Blattfresser“ eintrug. Denn da die mitreisenden afrikanischen Männer und Frauen ihn nie essen sahen, glaubten sie, er äße die Blätter, die er zur botanischen Identifikation und Klassifizierung sammelte.111 Das Aufkeimen des Verdachts, dass Schweinfurth eben keine Blätter sondern Menschen verzehre, war umso wahrscheinlicher, da besonders innerhalb derjenigen Bevölkerungsgruppen, die aktiv oder passiv am Netzwerk des Sklavenhandels partizipierten, der Topos vom weißen Kannibalen weit verbreitet war. Wie eine Anzahl neuerer Forschungsarbeiten demonstriert hat, reichten die kursierenden Gerüchte von einer Erklärung für den transatlantischen Sklavenhandel, der angeblich betrieben worden sei, um Menschenfleisch für die Europäerinnen und Europäer zu beschaffen, über die Verdächtigung von kolonialen Administratoren, Missionaren und Priestern, hier besonders in Verbindung zur katholische Messe, bis hin zur Beschuldigung von Ärztinnen und Ärzten, deren Blutabnahmen oder Operationen verdächtig schienen.112 Darüber hinaus demonstrierten Expeditionsteilnehmer und Forschungsreisende, wie Michael Pesek dargestellt hat, einen für afrikanische Essgewohnheiten ungewöhnlich hohen Fleischkonsum. Fleisch wurde von ihnen, ganz entsprechend der europäischgeschlechterspezifischen Ernährungsweise, als männliches Nahrungsmittel aufgefasst, dessen Konsum die „Fähigkeit, sich andere mit Gewalt zu unterwerfen“, dokumentierte.113 Außerdem ist festzuhalten, dass Hunger- und Notkannibalismus nachweislich von Europäern praktiziert worden ist. Allerdings bestanden die Beteiligten stets darauf, dass es dabei auf zivilisierte, das heißt geordnete, Art und Weise zugegangen sei. Verspeist wurden entweder bereits Verstorbene oder das Opfer wurde durch Losverfahren bestimmt.114 109 110 111 112

Schweinfurth 1918, S. 317. Ebd., S. 386. Siehe: Ebd., S. 244, 249 (Zitat), 264. Behrend 2004, S. 168-170; Behrend 2002; King 2000, S. 110-112; Rumsey 1999, S. 107-113. 113 Pesek 2005, S. 210-211. Zum geschlechterspezifischen Fleischkonsum im Kaiserreich und der Weimarer Republik siehe Kapitel 6. 114 Weaver-Hightower 2007, S. 118-121; Simpson 1994, S. 95-145 sowie Petrinovich 2000. Wie Obeysekere am Beispiel der Pazifik-Reisen heraus-

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Die Gerüchte unter den Indigenen waren den deutschen Kolonisatorinnen und Kolonisatoren durchaus bekannt. Beispielsweise berichteten Reisende aus der Zeit um 1900, dass sie von Afrikanerinnen und Afrikanern auf den ersten Blick für Anthropophagen gehalten worden seien.115 Gleichzeitig existierten eine Vielzahl von Witzen, in denen die Angst der Kolonialisierten vor den weißen Kannibalen thematisiert und als Zeugnis für ihre Naivität oder Dummheit dargestellt wurde. Ein Klassiker, der in diesem Zusammenhang immer wieder aufgegriffen wurde, war das Dosenmissverständnis. Nach dem Motto: ‚drin ist, was darauf abgebildet ist‘, glaubten Afrikanerinnen und Afrikaner angeblich, sie würden als Dosenfleisch von den Weißen verspeist.116 Ein anderes Beispiel ist der Abdruck eines angeblich authentischen Briefes „eines Negermädchens in den deutschen Kolonien“ in der Zeitschrift Kolonie und Heimat, in dem stand: „Die deutschen Frauen müssen ungeheuer stark sein, denn jede trägt im Winter eine dicke Boa um den Hals, auch verspeisen sie gern die Köpfe schwarzer Männer frei und öffentlich. Ein Mohrenkopf z.B. kostet je nach der Grösse nur 10 oder 15 Pf. und einen ganzen Schwarzen bekommt man für 25 Pf. Konditorei nennen die Deutschen diese Orte des Kannibalismus.“117

Mit solchen Witzen identifizierten sich die Kolonisatorinnen und Kolonisatoren selbst als Anthropophagen und praktizierten damit eine Form der mimicry, welche mehrere Effekte mit sich führte. Erstens unterlief sie einerseits die an anderen Stellen im kolonialen Diskurs als eindeutig und stabil präsentierte Trennung zwischen Zivilisierten und wilden Kannibalen, während sie andererseits die Alterität der mutmaßlichen Menschenfresser wieder in den Diskurs einschrieb. Diese Mehrdeutigkeit entspricht ganz der ambivalenten Wirkung der „colonial mimicry“, wie sie von Homi arbeitet, handelte es sich bei dem durch Losverfahren bestimmten Opfer in der Praxis verdächtig oft um den farbigen Küchen- oder Schiffsjungen und nicht etwa um ein weißes, erwachsenes Mannschaftsmitglied oder gar einen Offizier (siehe: Obeyesekere 2005, S. 40-42; Simpson 1994, S. 128). 115 Siehe: Gehrts 1999, S. 60. Gehrts, die mit dem Filmemacher und späteren Gatten Hans Schomburgk durch das damalige Schutzgebiet Togo reiste, beschrieb, wie sie von den Jugendlichen der Tschaudjo für eine Menschenfresserin gehalten wurde. 116 Heinz Kunz, „Eingemachtes Menschenfleisch“, in: Kolonie und Heimat 7,17 (1913-14), S. 11. Ähnlich auch in einem Bericht im Missions-Freund, in dem nicht nur über den Prozess gegen einen mutmaßlichen Kannibalen im Kongo berichtet wurde, sondern auch über das Misstrauen der Indigenen gegenüber dem aus Europa eingeführten Dosenfleisch, welches Europäer und Europäerinnen anstelle des heimischen Wildbrets oder Hühnern bevorzugten (siehe: „Menschenfresser in Mittel-Afrika“, in: Der MissionsFreund. Ein illustriertes Missionsblatt für das Volk 65,2 (1910), S. 14-16, S. 15). 117 „Aus dem Briefe eines Negermädchens in den deutschen Kolonien“, in: Kolonie und Heimat 1,4 (1907-08), Beilage, S. 4.

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K. Bhabha herausgearbeitet worden ist.118 Zweitens, und an dieser Stelle überschreitet die hier beschriebene Form der mimicry Bhabhas Konzept, ging die Bewegung nicht vom kolonialen Subjekt, sondern vom den Kolonialisierenden aus. Sie verweist damit auf eine affektive Bindung, auf ein Begehren der deutschen Kolonisatoren und Kolonisatorinnen, sich mit dem kannibalischen ‚Wilden‘ zu identifizieren, welches gleichzeitig ironisiert wurde. War diese Identifikation, wie Russel Berman argumentiert hat, ein Spezifikum des deutschen Kolonialdiskurses?119

Nachfolge und Spurensuche: Wilhelm Junker und Eduard Schnitzer Wie oben bereits dargestellt, verstand sich Schweinfurth als letztes Glied einer Kette, als neuester Beitrag zu einer ganzen Serie von Forschungen über die Kannibalen und Kannibalinnen Afrikas. Diese Traditionslinie fand mit Schweinfurth keinesfalls ihr Ende, im Gegenteil: Schweinfurths Text wurde von vielen anderen Beiträgen zum ethnologischanthropologischen Kannibalismusdiskurs aufgegriffen. Hierunter sind erstens die Berichte derjenigen Afrikaforscher zu nennen, die, ähnlich wie Schweinfurth den Spuren früherer Reisender gefolgt war, sich bemühten, nun wiederum Teile seiner Reiseroute nachzuvollziehen. Zweitens gehörten hierzu kompilatorische Werke, welche das solcherart hergestellte Wissen aufbereitet und gemäß zeitgenössischen Kriterien systematisiert einem interessierten Laien- oder Fachpublikum vermittelten. Zur ersteren Gruppe gehörten die Reiseberichte von berühmten Afrikawissenschaftlern und Forschungsreisenden wie Wilhelm Junker (1840-1892)120 oder auch Eduard (Karl Oskar Theodor) Schnitzer (1840-1892).121 Ein Vergleich ihrer 118 Bhabha 2001, S. 86. 119 Siehe: Berman 1998, S. 10. 120 Ebenso wie Schweinfurth stammte Junker aus einer im Osten Europas lebenden deutschen Familie: Er wurde in Moskau geboren und verbrachte weite Teile seiner Jugend in St. Petersburg. 1860 begann er sein Medizinstudium an den Universitäten in Dorpat, Göttingen und Prag, das er, unterbrochen durch eine Forschungsreise 1869 u.a. nach Skandinavien und Island, in Göttingen abschloss. Nach Ende seines Studiums bereitete er sich umfänglich auf die von ihm geplanten Forschungsreisen zur Erkundung des Nils vor. Nachdem er 1875 in Paris Schweinfurth traf, der ihn in seinem Vorhaben unterstützte, brach er im gleichen Jahr zu insgesamt zwei längeren Forschungsreisen nach Afrika auf. Die erste führte ihn von Suakin und Khartum in das Gebiet des mittleren Nils und des Uëlle (1875-78), die zweite (1879-1886) folgte den Spuren Schweinfurths zu den Mangbetu und Azande. Junker publizierte umfänglich zu seinen Forschungsreisen. Siehe: Reisen in Afrika, 1875-1886 erschienen in drei Bänden (Junker 1889a, 1890 und 1891) sowie Wissenschaftliche Ergebnisse von Dr. W. Junkers Reisen in Zentral-Afrika 1880-85 (Junker 1889b). 121 Schnitzer absolvierte das Studium der Medizin in Breslau, Berlin und Königsberg (1850-63), bevor er 1865 als Arzt in den Dienst des Osmanischen

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Schriften mit Schweinfurths Beschreibungen und Vorgehensweise zeigt Kontinuitäten und Gemeinsamkeiten sowie die Einführung weiterer Elemente in den in Reise- und Forschungsberichten verhandelten Kannibalismusdiskurs auf. Wenden wir uns zunächst der Betrachtung der Kontinuitäten und Gemeinsamkeiten zu. Erstens können wir mit Blick auf den eingangs rekonstruierten Wandel in der ethnologischen Forschung Ende des 19. Jahrhunderts festhalten, dass unter den genannten Forschungsreisenden kein ausgebildeter Ethnologe war. Stattdessen können wir auf der biographischen Ebene eine Verschränkung des Kannibalismusdiskurses mit derjenigen Wissenschaft beobachten, die für die biopolitischen Komponenten des Kolonialprojektes von entscheidender Bedeutung war: der Medizin. Junker und Schnitzer waren beide ausgebildete Ärzte.122 Das zweite gemeinsame Charakteristikum der in der Nachfolge von Schweinfurth geschriebenen Forschungsberichte ist die Verknüpfung ihrer Biographien mit dem Mahdi-Aufstand (1881-1899), welcher mit der Einnahme Khartums die erste Niederlage der britischen Kolonialmacht in einer militärischen Auseinandersetzung mit Indigenen herbeiführte und ihren Reiseberichten die besondere Aufmerksamkeit des Lesepublikums sicherte.123 Besonders Eduard Schnitzer, der zunächst als Regierungsarzt und Forscher für Charles George Gordon (1833-1885) gearbeitet hatte und von diesem 1878 zum Gouverneur der Äquatorialprovinz mit Sitz in Lado

Reiches in Albanien trat. Ab 1871 begleitete er als Leibarzt den Gouverneur Ismail Hekki Pascha u.a. nach Konstantinopel, Armenien und Syrien. Er eignete sich während dieser Zeit umfassende Sprachkenntnisse des Arabischen sowie der muslimischen Kultur und Religion an und legt sich einen türkischen Namen zu. Dies waren Zeichen einer Assimilation, die in Deutschland Befürchtungen auslösten, er sei zum Islam konvertiert (siehe: Lordick 2005). 1875, nach einem kurzen Besuch in Deutschland, begab er sich nach Khartum, wo er zunächst frei praktizierte und 1876 als Regierungsarzt angestellt wurde. Schnitzer stand durch eine Vielzahl von Publikationen in regem wissenschaftlichem Austausch mit Europa. Für unseren Kontext sind von besonderem Interesse seine Sammlung von Reisebriefen und Berichten (Schnitzer 1888) sowie die von Franz Stuhlmann posthum herausgegebenen Tagebücher von Emin Pascha (Stuhlmann (Hg.) 191627). 122 Zur Bedeutung der Medizin für das koloniale Projekt und ihre Verzahnung mit kolonialpolitischen pressure groups siehe: Eckart 1997, hier v.a. S. 7390; Schupp 1999. Ausführlicher zur Akklimatisierungsdebatte und der Rolle der Medizin für diesen Aspekt des kolonialen Projekts in Kapitel 3. 123 Siehe: Al-Sayyid-Marsot 2001; Robinson 2004, S. 169-181; Wesseling 1999, S. 59-62 sowie Georg Brunold Einleitung zu Winston S. Churchills Bericht über den Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi (Churchill 2008, S. 7-32) der im Original erstmals 1899 unter dem Titel The River War. A Historical Account of the Reconquest of the Soudan erschien.

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ernannt wurde,124 diente als Anknüpfungspunkt kolonialer Phantasien und Heldenstilisierung. Sein Leben als forschender Arzt, der so tief in die Sitten und Gebräuche der Kolonisierten eintauchte, dass er sich einen arabischen Namen zulegte (Emin Pascha), der sich in den Dienst der europäischen Zivilisierungsmission stellte und seinen Posten selbst dann nicht aufgeben wollte, als sein Distrikt von Aufständischen umzingelt war, stellte mehr als genug Stoff zur Legendenbildung bereit.125 Die Figur Emin Paschas repräsentierte damit den Typus des heldenhaften weißen Forschers, der es selbstlos und allein im Dschungel Afrikas mit Krankheiten, Aufständischen und sogar wilden Kannibalen aufnahm. Diese Heldenstilisierung griff auf das Motiv des Afrikaforschers als Märtyrer der Wissenschaft zurück, welches im deutschsprachigen Raum bereits seit dem Verschwinden Eduard Vogels auf einer Afrikaexpedition im Jahre 1853 etabliert war.126 So formulierten beispielsweise Georg Schweinfurth und Friedrich Ratzel in ihrer Einleitung zu der von ihnen herausgegebenen Edition von Schnitzers Briefen: „Die Geschichte von Centralafrika wird nach der Darstellung des ersten rohen Entdeckungswerks mit den Thaten [sic] jener Männer zu beginnen haben, welche, [...] in selbstlosem Kampfe gegen die feindlichen Gewalten menschlicher Bosheit vor keinem Opfer zurückschreckten.“127

Ähnliches galt für Wilhelm Junker, der Ende 1879 zu einer Forschungsreise in das Gebiet des Uëlle und des Nepoko aufgebrochen war, und dessen Rückweg nach Ägypten durch den Mahdi-Aufstand abgeschnitten wurde. Junker suchte sich darauf hin selbstständig einen Weg zurück, der ihn über Lado, wo er mit Schnitzer zusammen traf, nach Sansibar führte. Das dritte gemeinsame Charakteristikum aller genannten Forschungsreisenden ist ihre Arbeitsweise, die Anwendung kraniologischer und ande-

124 Gordon war zunächst selbst Gouverneur von Äquatoria (1873-1877), bevor er dieses Amt für den gesamten türkisch-ägyptischen Sudan (1877-1879) bekleidete und Schnitzer zu seinem Nachfolger in Lado ernannte. 125 Zu dieser Entwicklung trug nicht zuletzt die äußerst öffentlichkeitswirksam inszenierte Expedition Henry Morton Stanleys zur Rettung Schnitzers bei. Stanleys Bericht (Stanley 1890) wurde zu einem Beststeller. 126 Siehe: Essner 1985, S. 21-22 sowie, in Bezug auf eine weitere Spielart des Kolonialhelden, den soldatischen Helden: Maß 2006, S. 40-47 (hier am Beispiel Paul von Lettow-Vorbecks). Untersuchungen zum Thema koloniale Heldenverehrung im Kontext des Britischen Empire haben deren große Bedeutung für die (Re)Produktion v.a. im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur herausgearbeitet. Vgl. Bristow 1991, S. 4-38; Dawson 1994, S. 233-258; ein Aspekt, auf den ich im folgenden Kapitel ausführlicher eingehen werde. 127 Georg Schweinfurth und Friedrich Ratzel in der Einleitung zu der von ihnen herausgegebenen Sammlung der Briefe Eduard Schnitzers (Schnitzer 1888, S. v).

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rer anthropologischer Vermessungstechniken. Ebenso wie Schweinfurth verleibten sie auf diese Weise indigene Körper dem Komplex aus kolonialer Herrschaft und Wissen ein.128 Allerdings, so klagte zumindest Schnitzer, gestaltete sich der Zugriff auf diese Körper zu Forschungszwecken zunehmend schwieriger. Aufgrund der inzwischen verbreiteten Heimlichkeit gegenüber den Elfenbeinhändlern und Europäern habe er weitaus größere Schwierigkeiten mit der Beschaffung menschlicher Skelette als sein Vorgänger Schweinfurth. Leicht resigniert stellte er fest: „[D]ie guten alten Zeiten, wo man Schädel mit Kupferringen in beliebiger Menge erkaufen konnte, sind längst vorüber.“129 Er selbst habe nur noch ein menschliches Skelett und wenige Schädel käuflich erwerben können.130 Viertens waren auch Schweinfurths Nachfolger Komplizen in den bestehenden Gewalt- und Ausbeutungsstrukturen des Elfenbeinhandels und somit Nutznießer der damit einhergehenden militärischen Auseinandersetzungen. So scheute sich beispielsweise Junkers nicht, die Leichen von Gefallenen für seine wissenschaftlichen Zwecke zu gebrauchen. Statt etwa auf die aus christlicher Perspektive gebotene ungestörte Totenruhe zu bestehen, nahm er Geschenke in Form einer „Anzahl abgeschnittener Menschenköpfe“ an, die ihm von der „Mannschaft Sémios“, einer Handelsstation, präsentiert wurden. Mit einer Mischung aus Stolz, Abscheu und Faszination, mit der er zugleich seine eigene Rolle in dieser Situation bagatellisierte, notierte er: „Ich hatte nur den Auftrag erteilt, mir gelegentlich auch gebleichte Menschenschädel zu verschaffen“, als nach einer Strafexpedition die Köpfe der „Erschlagenen [...] abgeschnitten und nicht, wie sonst üblich, verspeist, sondern mir überbracht“ wurden.131 Auch hier trat damit, wie schon bei Schweinfurth, die Konsumtion indigener Körper durch die europäische Wissenschaft an die Stelle des vermuteten Verzehrs durch die wilden Kannibalen. Junker hielt dieses Geschenk sogar zeichnerisch fest (siehe: Anhang Abb. 9.3). Neben all diesen strukturellen Gemeinsamkeiten zeichnet sich inhaltlich in den Beschreibungen der wilden Kannibalen jedoch ein Wandel ab: Einerseits wurden Azande und Mangbetu weiterhin als typische Beispiele herangezogen, andererseits nahmen Schweinfurths Nachfolger andere Charakterisierungen vor oder gaben andere Motivationen für die angeblich ausgeübte Anthropophagie an. Hatte Schweinfurth Wildheit und Gier als Erklärung für Kannibalismus in den Mittelpunkt gerückt, stellten Schnitzer und Junker nun Ritual, Sitte sowie Aberglauben ins Zentrum. So berichtete Junker von einem Lynchmord, der an einer angeblichen Hexe verübt worden war. Nicht nur hätten die abergläubischen „Unmenschen“ die Frau bei lebendigem Leibe zerstückelt, ihre Leiche sei oben128 129 130 131

Siehe: Junker 1891, S. 178-179. Schnitzer 1888, S. 191. Ebd., S. 191. Junker 1891, S. 178.

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drein auch noch gekocht und verspeist worden.132 Junker plädierte an dieser Stelle dafür, dass die allgemeine Verbreitung kannibalischer Sitten zu einer milderen Beurteilung von entsprechenden Täterinnen und Tätern führen solle. Sein Argument: Wer kein besseres Vorbild kenne, könne sich nicht anders verhalten. Daher müssten andere Normen zur Beurteilung der Menschenfresserei der wilden Kannibalen herangezogen werden als bei Morden in Europa. „[D]iese Menschen handeln im dunkelsten Aberglauben nach Gesetzen, die sich von ihren Vorvätern auf sie vererbt haben, und sie kennen ringsum keine anders fühlenden und denkenden Mitmenschen, keine bessern [sic] Vorbilder. Da frage ich mich denn, ob ihnen nicht mehr vergeben werden muß, als jenen Mördern in den Kulturländern, die trotz aller Erziehung und umgeben von gesitteten Menschen, mit kalter, schlauer Berechnung den gemeinsten Mord und die ruchlosesten Verbrechen begehen.“133

Diese Überlegung schließt, wie wir im weiteren Verlauf sehen werden, an zeitgenössische juristische und kriminologische Debatten um die Zurechnungsfähigkeit von Straftätern an, in denen die Frage, inwiefern Kriminelle mit sogenannten Wilden psychologische oder sogar physiologische Gemeinsamkeiten hätten, eine zentrale Rolle spielte.134 Schnitzer seinerseits machte, ganz anders als Schweinfurth, der diese Erklärung explizit verworfen hatte, einen verbreiteten Fleischmangel für den Kannibalismus der Mangbetu wie auch der Azande verantwortlich. Fleisch sei in diesem Teil Afrikas ein „Luxusartikel“, egal ob es „das eines fetten Guineaschweins, eines dürren Affen oder eines verstorbenen Anverwandten“ sei.135 Gleichzeitig fügte er auf diese Weise ein neues Element zu der Beschreibung der kannibalischen Praktiken der wilden Kannibalen hinzu: den Endokannibalismus. Darüber hinaus weitete Schnitzer den Kreis der des Kannibalismus verdächtigten oder als überführt geglaubten Personen maßgeblich aus. Erstens glaubte er, Hinweise auf kannibalische Vorlieben von Gruppen gefunden zu haben, die zuvor nicht als Menschenfresser und Menschenfresserinnen betrachtet worden waren. So verdächtigte er die von Schweinfurth ‚entdeckten‘ „Akká“, eine Gruppe sogenannter Pygmäen Zentralafrikas kannibalischer Praktiken.136 Zweitens nahm er an, die Indigenen wür-

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Ebd., S. 111. Ebd., S. 111-112. Ebd., S. 112. Dazu ausführlich Kapitel 5 dieser Studie. Schnitzer 1888, S. 191. Zu Menschenfleisch als festem Bestandteil der möglichen Auswahl an fleischlicher Nahrung, siehe auch: ebd., S. 205. 136 Ebd., S. 192, 205. Die Bezeichnung Pygmäe wurde abgeleitet von pygmaios (Fäustling) und der Beschreibung eines „Zwerggeschlecht[s]“ bei Homer (Meyers Konversationslexikon. 4. Aufl., Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1885-1892, Bd. 13, S. 479). Schweinfurth bezog sich

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den die Menschenfresserei, anders als noch zu Schweinfurths Zeiten, gezielt vor den christlichen wie muslimischen Invasoren geheim halten und nur noch in entlegenen Teilen des Landes und keinesfalls in der Nähe der Handelsstationen ausüben.137 Ein typisches Element des kolonialen Kannibalismusdiskurses, wie in der Literatur herausgearbeitet worden ist: „[C]annibalism was supposedly the trait that characterised those parts of the world into which the torch of civilisation had not yet shone. [...] Yet to shine the torch of civilisation into these dark spots immediately caused the practise to wither.“138

Auf diese Weise entstand eine Art Generalverdacht, der umso stärker wurde, je nachdrücklicher die jeweilig Verdächtigten die Praxis bestritten. Angesichts dieser Heimlichkeit wurden Indizien, die früher auf Seiten der Indigenen gegenüber Schweinfurth als Verdachtsmoment gegolten hätten, zum Beweis für die Menschenfresserei. So waren Schnitzer, „[s]eitdem [er] aber gesehen [hatte], mit welchem Eifer die Bombé von Makraka, zum Iddiostamme der A-Sandéh gehörig, sich zum Reinigen von Schädeln erboten“, diese suspekt. Er ging aufgrund dieser Beobachtung davon aus, „daß sowol [sic] Bombé als Mundu heimlich ihre alten Sitten bewahrt“ hätten und weiterhin pflegten.139 Drittens schrieb Schnitzer dem Kannibalismus einen ansteckenden Charakter zu. Er ging davon aus, dass die „Dienerschaft“ der Mangbetu, also Personen aus Bevölkerungsgruppen, die ursprünglich selbst nicht Kannibalismus praktiziert haben sollten, durch das Vorbild ihrer Herrinnen und Herren sowie ihr Leben unter den Mangbetu Gefallen an der Menschenfresserei gefunden hätten.140 Die Vorstellung, dass Kannibalismus sich qua Infektion verbreite und dass Menschen durch den Verzehr von Menschenfleisch sozusagen auf den Geschmack kommen könnten, spielte, wie ich später noch demonstriere werde, vor allem in der Zeit der Weimarer Republik in der Auseinandersetzung um die mutmaßlich kannibalischen Sexualstraftäter eine wichtige Rolle.

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bei seinen Schilderungen auf Herodot und Aristoteles (Schweinfurth 1918, S. 355-368). Pygmäe wurde zunächst als Sammelbegriff zur Beschreibung von Gruppen von Indigenen verwendet, deren Männer im Durchschnitt kleiner als 1,5 m groß waren. Während damit zu Schnitzers Zeiten beispielsweise auch die Khoisan beschrieben wurden, wird der Begriff heute fast ausschließlich in Bezug auf kleinwüchsige Bewohner und Bewohnerinnen Zentralafrikas verwendet. Schnitzer 1888, S. 191, 205. Hulme 1998, S. 7-8. Schnitzer 1888, S. 191. Ebd., S. 190.

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Ethnologie im Lehnstuhl: Richard Andree Die Mehrzahl der in den einzelnen Reiseberichten genannten Elemente des Diskurses um den wilden Kannibalen finden wir in Richard Andrees (1835-1912) Monographie Die Anthropophagie. Eine ethnographische Studie vereint.141 Seine Studie aus dem Jahre 1887 galt bis in die Zeit der Weimarer Republik als Standardwerk auf dem Gebiet der Kannibalismusforschung: Sie wurde in einschlägigen Lexikoneinträgen, in der Kolonialliteratur oder auch in der Tagespresse stets als Referenzliteratur genannt.142 Auch Andree bezog sich auf die Forschungen Schweinfurths, und besonders ausführlich rekurrierte er auf dessen Beschreibungen der kannibalischen Praktiken der Azande. Bei ihnen, so zumindest nach Andrees Darstellung, würden Sklaven und Sklavinnen sowie Kriegsgefangene genauso verspeist wie die eigenen Verwandten. Kinder galten angeblich als besondere Delikatesse, und Menschenfleisch würde offen auf dem Markt gehandelt. Die beiden letztgenannten Verhaltensweisen, „das Auffressen der eigenen Kinder“ und die Einspeisung von Menschenfleisch in den Handel, also die Herstellung seiner Konsumierbarkeit als Ware, wurden von ihm als besonders verabscheuungswürdig gebrandmarkt.143 Wie ein kurzer Blick auf die oben diskutierten Schilderungen Schweinfurths zeigt, spitzte Andree an dieser Stelle entweder stark zu oder entlieh die Information nicht Schweinfurths Werk, sondern den Texten seiner Nachfolger. Ersteres im Falle des angeblichen Verzehrs von Kindern, Letzteres hinsichtlich des vermuteten Endokannibalismus und dem Verkauf von Menschenfleisch. Ausserdem hatte Schweinfurth nicht alle der genannten Praktiken den Azande, sondern einen Teil auch den Mangbetu zugeschrieben. Diese Fehlerhaftigkeit deutet darauf hin, dass die Berichte von Schweinfurth und derjenigen, die in seinen Fußstapfen reisten, in der Wahrnehmung der 141 Siehe: Andree 1887. Andree studierte Geologie in Leipzig, war Mitbegründer und Leiter der dort ansässigen kartographischen Anstalt von Velhagen und Klasing und verlegte zusammen mit Oskar Peschel einen physikalisch-statistischen Atlas des Deutschen Reiches (1877) sowie den Allgemeinen Handatlas (1881). Er forschte und veröffentlichte als Privatgelehrter auf dem Gebiet der Ethnographie. Vgl. auch sein 1912 posthum in der Zeitschrift für Ethnologie veröffentlichtes Schriftenverzeichnis (Virchow, H. 1912). Die Anthropophagie war die überarbeitete und erweiterte Fassung einer kürzeren Abhandlung über Kannibalismus, die Andree bereits 1873 in den Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu Leipzig veröffentlicht hatte. 142 Siehe beispielsweise: „Kannibalen“, in: Vorwärts, 31.12.1924 in dem Andree als Experte ausdrücklich genannt wurde; die Einträge „Anthropophagie“, in: Meyers Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. 6., gänzl. Neubearb. u. vermehrte Aufl., Leipzig/Wien 1902 ff, hier Bd. 1 (1902), S. 571-572 sowie „Androphagen“ in Heinrich Schnees Koloniallexikon (Thilenius 1920a), die beide Andrees Werk als weiterführende Literatur aufführten. 143 Andree 1887, S. 103.

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Zeitgenossinnen und Zeitgenossen zu einer Art Azandekomplex verschmolzen, in dem die Verortung der Herkunft der einzelnen Informationen nicht mehr möglich oder notwendig schien. Andree unterschied die „gewohnheitsmäße Anthropophagie“, auf die allein er sich in seiner Darstellung konzentrierte, nach der Motivation, welche ihr seiner Ansicht nach zugrunde lag, in rituellen Kannibalismus einerseits und den Verzehr von Menschenfleisch aus Gier und Genuss andererseits.144 Ritueller Kannibalismus fand laut Andree aufgrund von „abergläubigen Wahnvorstellungen“ und aus Rache statt.145 Als Beispiele hierfür nannte er das Verspeisen von menschlichem Fleisch, um „besondere Kräfte und Eigenschaften dadurch [zu] erhalte[n]“, um durch die totale Vernichtung des Feindes besondere Rache zu üben oder zum Zwecke der Weissagung.146 Diesen „verfeinerten“ kannibalischen Sitten stellte er den „rohen, sättigenden Genuß des Menschenfleisches, also der rein materiellen Seite“ gegenüber, welchen er für den ethisch verwerflicheren von beiden hielt:147 „Am scheußlichsten erscheint uns die Anthropophagie aber entschieden da, wo alles Gefühl so abgestumpft ist, daß sie zur reinen Leckerei wird, oder wenn man das Fleisch des Menschen genau so verzehrt, wie jedes beliebige andere Fleisch.“148

Diese Form des Kannibalismus fand seiner Meinung nach vor allem in Zentralafrika, der „innerafrikanischen Zone der Kannibalen“ statt.149 Hier handele es sich um „reine Gefräßigkeit“, die auf das Fehlen von zivilisierten, sittlich-moralischen Skrupeln zurück zu führen sei, die einer Gewöhnung an den Geschmack von Menschenfleisch Einhalt hätten gebieten könnten.150 Es war das Fehlen dieser moralischen Skrupel, welche seiner Ansicht nach den Hauptgrund für die weite Verbreitung der Menschenfresserei bildete. Ohnehin galten die Angehörigen sogenannter „Naturvölker“ nach Ansicht ethnologischer Experten und Expertinnen als triebhafter und affektgesteuerter als sogenannte Weiße: „Von den die Sittlichkeit bestimmenden individuellen Beweggründen erscheinen bei den Naturvölkern die Herrschaft augenblicklicher Antriebe, das Übergewicht

144 Ebd., S. iii. 145 Ebd., S. 7 sowie 101. 146 In der genannten Reihenfolge: Ebd., S. 8, 101 und S. 8, 19 und S. 102-103, 23. 147 Ebd., S. 7. 148 Ebd., S. 103. 149 Ebd., S. 40. Eine Einschätzung, die von anderen Experten durchaus geteilt wurde. Siehe: Bergemann 1893, S. 37-47. 150 Ebd., Zitat S. 22 sowie S. 102 und 104.

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der Affekte und der Mangel an Überlegung, das Fehlen der Selbstüberwindung und der Grundsätze.“151

Umgekehrt, so die Theorie, sei aber auch „dem Weißen“ die „unkritische Triebhandlung nicht fremd“, wenngleich diese bei „dem Farbigen, der von dem äußeren Reiz abhängiger und ihm ohne Überlegung zu folgen geneigter“ sei, angeblich überwog.152 Grundsätzlich ging Andree davon aus, dass Kannibalismus einst auf dem gesamten Globus verbreitet gewesen sei. Er bezeichnete die Anthropophagie auch als eine der „Kinderkrankheiten des Menschengeschlechts“.153 Hunger, vor allem der Mangel an fleischlicher Nahrung, hätte prähistorische Gesellschaften zur Anthropophagie getrieben und bei manchen sich zu „Gewohnheit und Sitte“ verfestigt.154 Mit fortschreitender Zivilisation sei diese jedoch aufgegeben worden, so dass sie zu seiner Zeit das Hauptkennzeichen des angeblich zurückgebliebenen Entwicklungsstandes von „niedrigstehenden Naturvölkern“ bildete.155 Er bezog sich damit auf die oben bereits angesprochene Vorstellung von einer linear verlaufenden Entwicklungsgeschichte der Menschheit, die davon ausging, dass sogenannte ‚Naturvölker‘ frühere Stadien der evolutionären Menschheitsgeschichte repräsentierten. Andree berichtete auch über einen Fall von Leichenschändung, bei dem 1879 in Berlin-Friedrichshain Angehörige der „niederen Volksschichten“ aus „Aberglauben“ und „düstern Anschauungen“ heraus Leichenteile zu medizinischen Zwecken entnommen hätten.156 Entsprechend können wir davon ausgehen, dass ihm die Angehörigen der unteren Sozialschichten, Proletarier und Proletarierinnen, ebenfalls als Angehörige einer unteren evolutionären Entwicklungsstufe galten. All diese Elemente werden wir in den späteren Betrachtungen der Debatten um mutmaßlich kannibalische Straftäter im Mutterland wieder finden. Andrees Darstellung erhob im Gegensatz zu den Publikationen von Schweinfurth, Junker oder Schnitzer keinen Anspruch auf Authentizität durch Augenzeugenschaft, sondern bestach durch den Versuch, Vollständigkeit herzustellen. Die Anthropophagie war eine Kompilation, in der er, geordnet nach geographischen Kapiteln, alles Material präsentierte, das ihm in Reise- und Missionsberichten, Märchen, Sagen und antiken Texten zum Thema Kannibalismus begegnet war. Er praktizierte damit eine Art ‚Lehnstuhlethnologie‘, die bis zu den Arbeiten Bronisãaw Malinowskis (1884-1942), mit denen Feldforschung zur zentralen Methode des Faches wurde, durchaus üblich war und berief sich dabei ausdrücklich auf Adolf

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Thilenius 1920b, S. 112. Ebd., S. 111. Andree 1887, S. 98. Ebd., S. 100. Ebd., S. 1. Ebd., S. 11.

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Bastian als Vorbild.157 Nach einer Art Gesetz der Serie ging Andree davon aus, dass „[j]e mehr die Beispiele sich häufen, desto reiner und übereinstimmender wird das Bild der Völkerpsyche sich vor unsern Augen darstellen.“158 Andrees Argumentation beruhte damit letztlich auf der rhetorischen Figur der Analogie. Laut Andree existierte eine grundlegende Ähnlichkeit zwischen den kulturellen Vorstellungen und Praktiken der sogenannten Naturvölker und denen prähistorischer Gesellschaften.159 Diese Ähnlichkeit habe, so erläuterte er in der wissenschaftstheoretischen Einleitung zu seiner bereits zehn Jahre zuvor veröffentlichten Sammlung zum Thema Ethnologische Parallelen und Vergleiche, ihren Grund in der gleichartigen physiologischen Beschaffenheit aller Menschen, weshalb „ihre geistigen Funktionen überall in ihren wesentlichen Zügen dieselben“ seien.160 Auch der zivilisatorische Fortschritt erfolge dementsprechend stets nach den gleichen Prinzipien. Daher besäßen „Menschen wie Völker“, sofern „sie auf derselben gleichwerthigen [sic] Entwicklungsstufe angelangt sind, unabhängig von einander dieselben Ideen und technischen Fertigkeiten.“161 Dieser Grundsatz, so Andree, gelte nicht nur in synchroner, vergleichend ethnographischer, sondern auch in diachroner Perspektive. Abergläubische Vorstellungen, die auch in modernen Gesellschaften existierten, galten demnach als Artefakte einer evolutionären historischen Vergangenheit, die gleichzeitig die Gegenwart der ‚Naturvölker‘ sein sollte. Andree griff hier implizit auf das Modell der zivilisatorischen Entwicklung in Kulturstufen zurück, welches von Auguste Comte (1798-1857) entwickelt worden war: „Der Volksaberglauben, die Geister und Zaubermittel, die Orakel und Omina, welche bei uns als Ueberreste der frühesten Kulturentwicklung unsres [sic] Geschlechtes fortbestehen, sind keine müssige Erfindung, sondern allgemeines Eigenthum [sic] der Menschheit, sie kennzeichnen die Stellung des Menschen gegenüber der Aussenwelt in jenem Zeitraume, in welchem ihm noch die wissenschaftliche Erfahrung über die Dinge und Ereignisse der Aussenwelt abgehen, wo der Naturmensch mit noch unentwickelten Geisteskräften der Welt gegenübersteht.“162

Das Evolutionsmodell, das Andree an dieser Stelle entwarf, war allerdings keinesfalls ergebnisoffen. Deutlich wies er darauf hin, dass seiner Mei-

157 Siehe: Andree 1878, S. viii. Zur Entwicklung der Methodik der Ethnologie siehe: Kohl 1993, S. 105-109; Stagl 2003, S. 46-49; Petermann 2004, S. 884-887. 158 Andree 1878, S. viii. 159 Andree 1887, S. 2. 160 Andree 1878, S. iii. 161 Ebd., S. iii-iv, Zitat S. iv. 162 Ebd., S. iv-v. Ausführlicher zu Comte und der Einordnung seines Modells siehe Kapitel 4.

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nung nach die Faktoren ‚Rasse‘ und Umwelt das Entwicklungspotential beziehungsweise die „Culturfähigkeit“ determinierten.163 Gleichzeitig sorge ein sozialdarwinistischer Ausleseprozess, von ihm als „Untergehen, Verschwinden und Aufsaugen“ beschrieben, dafür, dass nicht alle „Racen und Stämme“ sich „bis zum Standpunkt unsrer am höchsten cultivirten Racen [sic]“ fortentwicklen.164 Mit Hilfe der rhetorischen Figur der Analogie suggerierte Andree eine Verhältnisgleichheit zwischen Unbekanntem (indigene Kannibalen Afrikas oder der evolutionären Vorzeit) und Bekanntem (Mythen, Märchen, Sagen). Allerdings benutzte er die Analogie in beide Richtungen, indem er sowohl die Motive der zeitgenössischen wilden Kannibalen als auch die der historischen Anthropophagen und Anthropophaginnen mit Hilfe der jeweils anderen zu erklären suchte. Die Analogie sowie die mit ihr verwandte rhetorische Figur der Metapher war für die Wissenschaften des ausgehenden 19. Jahrhunderts von zentraler Bedeutung, wie Nancy Leys Stepan demonstriert hat. Dabei war die Funktion der Analogie eine ambivalente: Einerseits regte sie als Denkfigur produktiv zu stets neuen Vergleichen und der Suche nach weiteren Ähnlichkeiten an, andererseits führte sie dazu, dass diejenigen Informationen, welche die Analogie nicht stützten, systematisch ausgeblendet wurden.165 Ganz zentral war dieser Mechanismus, so Stepan, in der Anthropologie, speziell der Kraniologie, deren AnhängerInnen glaubten, über die Messung des Schädels und seines (Gehirn-)Volumens den evolutionären Status und damit auch die Intelligenz von Menschen feststellen zu können. Diese Vorgehensweise gewann im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts innerhalb der biologistischen Anthropologie, die sich im Anschluß an Cesare Lombrosos (1835-1909) Theorien vom L·uomo delinquente entwickelte, sowie in den daran anknüpfenden Wissenschaften wie der Medizin, der Kriminologie oder der Psychiatrie immer größere Bedeutung, während gleichzeitig immer mehr Köperdaten in die Beobachtung eingeschlossen wurden.166 Auf diese Weise entstand ein komplexes System gradueller Differenzen, welche die Abweichungen von einer gesetzten Norm, etwa der des erwachsenen, gesunden, weißen Mannes des Bürgertums, wiedergaben. Alterität wurde so zu einer materiell meßbaren Größe, zu einer potentiell infinitesimalen Abweichung auf einer Skala von (Ab-)Normalität. Gleichzeitig bot die Analogie eine Folie, auf deren Hintergrund „people experienced and ‚saw‘ the differences between classes, races, and sexes, between civilized man and the savage, between rich and poor, between the

163 Ebd., S. iii, Zitat S. vi. 164 Ebd., S. vi. 165 Stepan 1986, S. 271-274. Siehe dazu auch: Landwehr 2001, S. 122-123 sowie Sarasin 2003b, S. 45-46. 166 Der Wirkungsgeschichte von Lombrosos Werk wird in Kapitel 4 nachgezeichnet.

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child and the adult.“167 Differenzen aus unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen wurden als miteinander verbunden wahrgenommen und interpretiert.

2.3 Das Recht sterben zu lassen und Leben zu machen: Kannibalismusdiskurs und k o l o n i a l e G o u ve r n e m e n t a l i t ä t Der eingangs dieses Kapitels geschilderte Prozess in Iringa gegen eine ganze „Zauberbande“ von mutmaßlichen Kannibalinnen und Kannibalen fand, im Sinne einer an Verkaufszahlen orientierten Verlagspolitik, in der kolonialpolitisch interessierten Presse ein erstaunlich geringes Echo.168 So nahm beispielsweise Kolonie und Heimat, das Blatt eines der mitgliederstärksten Kolonialverbände, des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft, keine Notiz von diesem Prozess. Sehr wohl hingegen widmete das vom Reichskolonialamt herausgegebene Deutsche Kolonialblatt in seiner Ausgabe vom 15. März 1909 dem Prozess gegen den „Menschenfresserbund“ einen ganzseitigen Beitrag.169 Im Gegensatz zu Nigmanns nüchtern gehaltenem Bericht über den Verlauf der Verhandlung finden sich im Bericht des Deutschen Kolonialblatts drastische Beschreibungen des angeblich von den Angeklagten praktizierten Kannibalismus. Besonders ausdrücklich wurde dabei die Tatsache betont, dass es sich bei den Verurteilten mehrheitlich um Frauen gehandelt habe, die „[b]evorzugt […] das Fleisch kleiner Kinder“ verspeist und dabei auch vor den eigenen Nachkommen nicht Halt gemacht hätten.170 Ganz im Gegensatz zu den Berichten Schweinfurths, Junkers oder Schnitzers standen hier Kannibalinnen im Vordergrund einer Beschreibung, die viele Elemente aus älteren oder europäischen Kannibalismusdiskursen beinhaltete. So wurden die Mahlzeiten des „Menschenfresserbund[es]“ ähnlich denen der antiken Mänaden beschrieben: „Der Körper [des Opfers] wurde von den Genossen des Mahles zerrissen und das Fleisch roh auf der Stelle verschlungen.“171

167 Stepan 1986, S. 265. 168 Öffentliches Schauri: In der Strafsache gegen das Mbena=Weib Mgalla u. Sendepera wegen Mordes, Beihülfe zum Morde und Kannibalismus [Protokoll der Vernehmungen und Urteilsbegründung], 28.12.1908, BArch R 1001/827, Bll. 5-15, hier Bl. 13. 169 „Ein Mordprozeß gegen Menschenfresser“, in: Deutsches Kolonialblatt. Amtsblatt für die Schutzgebiete in Afrika und in der Südsee 20,6 (15. März 1909), S. 261 (HiO). 170 Ebd., S. 261. 171 Ebd., S. 261.

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Dies war eine Analogie, die in den Reiseberichten der Frühen Neuzeit zum Standardrepertoire der Schilderung kannibalischer Frauen gehörte.172 Gleichzeitig rief die mehrfache Betonung des Verzehrs kleiner Kinder durch abergläubische, der Zauberei verdächtigte Frauen Elemente des europäischen Hexenglaubens auf: Hexensabbat in Afrika.173 Andererseits entsprachen die hier geäußerten Vorstellungen über menschenfressende Afrikanerinnen Ängsten, wie sie auch in anderen Kolonien nach Niederschlagung eines bewaffneten Widerstandes in Bezug auf indigene Frauen geäußert wurden. Wie Rosa Schneider in ihrer Studie Um Scholle und Leben gezeigt hat, waren sie fester Bestandteil der Kolonialliteratur über DSWA.174 In dem vorliegenden Beispiel allerdings galten indigene Kinder, und nicht weiße Kolonisatoren, als die bevorzugten Opfer. Dies mag, um im Interpretationskontext DOAs zu bleiben, die Sorge der deutschen Kolonialherren um ein ausreichendes Reservoir an afrikanischen Arbeitskräften widerspiegeln, die sich in der Situation nach dem Maji-Maji-Aufstand (1905-1907) noch verstärkte. Gleichzeitig entsprach der Verzehr kleiner Kinder aber auch stärker dem europäischen Bild der Hexe.175 Der ‚Fall Iringa‘ und die sich daran anschließenden Untersuchungen wurden außer im Deutschen Kolonialblatt auch noch in den Presseerzeugnissen der Berliner Missionsgesellschaft, dem Missions-Freund und dem jährlich erscheinenden Missions-Bericht verfolgt.176 Damit finden sich Artikel über den ‚Fall Iringa‘ vor allem im Kontext der Öffentlichkeitsarbeit der zwei über die Deutung des Falles streitenden Akteure deutscher Kolonialpolitik. Dieser Befund gibt Anlass zu der Vermutung, dass es sich hier 172 Siehe dazu: Wehrheim-Peuker 1999, S. 28-31; Wehrheim-Peuker 2001, S. 171-173 sowie Schülting 1997, S. 111. 173 Dabei ist das Stereotyp vom Hexensabbat das historisch komplexe „hybride Resultat eines Konfliktes zwischen Volkskultur und Gelehrtenkultur“ (Ginzburg 1993, S. 26). Gleichzeitig war die Figur der Mutter, die ihre eigenen Kinder verzehrt, seit der Antike fester Bestandteil europäischer Erinnerung an überstandene Hungersnöte, wie Nussbaumers Zusammenstellungen belegen (Nussbaumer 2003, S. 16-125, hier v.a. S. 31-38 zum Dreißigjährigen Krieg). 174 Schneider, R. 2003, S. 161-162. 175 Gründer 2004e, S. 157-159. Ob Aufstand oder Krieg als Bezeichnung für diese Form des bewaffneten und organisierten Widerstandes gegen die deutschen Kolonialherren gewählt wird, ist eine Frage der Perspektive. Während die Kolonialadministration, die Schutztruppenangehörigen und weite Teile der deutschen Forschung von Aufstand sprechen, rekurriert die tansanische Forschung auf dieses Ereignis als Krieg (vgl. Itanddala 2006). Beide Vorgehensweisen bergen Schwierigkeiten in sich: die Tradierung kolonialer Nomenklatur und Sichtweise einerseits, die (Über)Interpretation als nationaler Widerstand andererseits. Im Folgenden verwende ich beide Bezeichnungen, um diese Ambivalenz sprachlich offen zu lassen. 176 „Deutschostafrika“, in: Der Missions-Freund. Ein illustriertes Missionsblatt für das Volk 64, 5 (1909), S. 40; Missions-Berichte der Berliner Missionsgesellschaft für das Jahr 1909, S. 51 sowie Missions-Berichte der Berliner Missionsgesellschaft für das Jahr 1910, S. 196.

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um ein Beispiel dafür handelt, dass der koloniale Kannibalismusdiskurs, ganz wie Richard King argumentiert hat, nicht nur zur Herstellung einer Distinktion zwischen Kolonialisierten und Kolonisatoren geführt wurde, sondern auch Teil eines komplexeren Aushandlungsprozesses zwischen verschiedenen kolonialen Akteuren, europäischer ebenso wie afrikanischer Herkunft, sein konnte.177 Um diesen Zusammenhang genauer zu beleuchten, werde ich im Folgenden die Verhandlungen gegen die mutmaßlichen Menschenfresser und -fresserinnen auf der Station Iringa analysieren. Ich werde dabei Fragen nachgehen wie: Wer hat in dieser spezifischen kolonialen Situation auf den Kannibalismusdiskurs Bezug genommen? Auf welche Weise war das Wissen vom wilden Kannibalen in dieser Situation effektiv? Welche Verzahnung von Kolonialadministration und Wissenschaft können wir beobachten? Ich werde dabei demonstrieren, dass der Diskurs vom wilden Kannibalen ein Teil derjenigen Diskurse und Praktiken war, welche das rassistisch-koloniale Ordnungsgefüge etablierten. Auch hierbei werde ich, soweit die Quellenlage dies zulässt, der agency der Kolonialisierten besondere Aufmerksamkeit widmen.

Wissen, Wahrheit und Verfahren: Effektivität des Wissens vom wilden Kannibalen Wie aus dem zu Beginn dieses Kapitels zitierten Bericht Hauptmann Ernst Nigmanns hervorgeht, fand die Verurteilung der als Anthropophagen angeklagten Afrikaner und Afrikanerinnen im Rahmen eines sogenannten schauri statt. Michael Pesek hat in seiner Studie über die Koloniale Herrschaft in DOA demonstriert, dass die Institution des schauri eine zentrale „koloniale Herrschafts- und Rechtspraxis“ der deutschen Kolonialmacht in DOA darstellte.178 Jedes schauri war ein „Spektakel“, eine Performanz kolonialer Herrschaft, dessen Ablauf einer strikten symbolischen Anordnung der Beteiligten im Raum folgte und die militärische Stärke der Kolonialherren demonstrierte.179 Inhaltlich changierte es zwischen Verhandlung oder Besprechung mit den lokalen indigenen chiefs und einer öffentlichen Gerichtsverhandlung. Gleichzeitig handelte es sich dabei nicht um eine Erfindung der Kolonialadministration, sondern vielmehr um eine „Montage bürokratischer Herrschaftspraxis mit lokalen Mustern der Diplomatie und Rechtspraxis“. Sie entsprang unmittelbar aus Interaktionserfahrungen wie der Expeditionskarawane oder der Errichtung kolonialer Herrschaft nach militärischen Auseinandersetzungen und band die Repräsentanten der deutschen Kolonialmacht in indigene diplomatische Gefüge ein.180 Ähnlich 177 178 179 180

Siehe auch: King 2000, S. 109. Pesek 2005, S. 277. Ebd., S. 279-280, Zitat S. 279. Ebd., S. 277-279, Zitat S. 277-278.

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wie bei der Etablierung des Wissens vom wilden Kannibalen griffen die deutschen Kolonisatoren mit der Etablierung des schauri eine indigene Praktik auf und banden diese in den kolonialen Komplex aus Wissen und Herrschaft ein. Ich möchte mich bei meiner exemplarischen Analyse der Urteile in Iringa auf zwei Aspekte des schauri konzentrieren: erstens seine Funktion als Strafgerichtsprozess und zweitens die Interaktion zwischen den verschiedenen Akteuren deutscher Kolonialpolitik sowie den Kolonialisierten. Wenden wir uns zunächst dem schauri als Strafgerichtsprozess zu. Zwar fehlten ihm wesentliche Elemente, die es als Teil eines im europäischen Sinne geordneten, bürokratischen Verfahrens hätten auszeichnen müssen, allen voran die Schriftlichkeit.181 Gleichzeitig erfüllte es jedoch eine zentrale Funktion eines solchen Gerichtsverfahrens: es diente der Feststellung eines möglichen Straftatbestandes und der Bestimmung eines Strafmaßes. Wie genau kam nun das Wissen vom wilden Kannibalen im Gerichtsverfahren ins Spiel? Ludger Hoffmann, der sich mit der sprachlichen Konstruktion von juristischen Fällen auseinandergesetzt hat, geht davon aus, dass vor Gericht eine „Interpretationsleistung“ erbracht wird, die darin „besteht [...], konkrete Ereignisse der Wirklichkeit in eine Form zu bringen, die sie als Instanz eines abstrakten, normativen Ereignistyps erscheinen läßt.“182 Da aber vor Gericht lediglich sprachlich vermittelt und damit stets unvollständig auf die Ereignisse zugegriffen werden kann, folgt diese Interpretationsleistung einer Plausibiliätsargumentation, welche die zur Tatzeit stattgefundenen Geschehnisse rekonstruiert und möglichst überzeugend darstellen möchte, dass tatsächlich eine strafbare Handlung vorliegt: „[D]ie Wirklichkeit verschwindet hinter konfligierenden Darstellungen. Der Modus verschiebt sich von der ‚Wahrheit‘ zur Plausibilität: Wie könnte es denn gewesen sein? Wem kann man glauben?“183 Damit ist eine der Grundbedingungen gerichtlicher Verfahren der zweifelhafte Status der Wahrheit. Sie muss im Prozess erst hergestellt werden und ist stets prekär, nur als die plausibelste aller Varianten vertreten. Es ist unklar, wer die Wahrheit spricht und wer nicht. Oder, um mit Michel Foucault zu sprechen: im Prozess entfaltet sich ein „Wahrheitsspiel“, das bestimmten Regeln gehorcht und durch Machtrelationen strukturiert wird.184 181 Ebd., S. 280. Die vom Iringa-Prozess überlieferten Akten stellen insofern eine Ausnahme dar. Sie sind mehrheitlich nicht unmittelbar im Verfahren selbst entstanden, wie etwa die Akten der Prozesse gegen die mutmaßlich kannibalischen Sexualstraftäter der Weimarer Zeit, sondern vor allem nachträgliche Aufzeichnungen Nigmanns sowie die Unterlagen aus dem aufgrund der Missionsbeschwerden initiierten Untersuchungsverfahren. 182 Hoffmann 1991, S. 88. 183 Ebd., S. 89. 184 „Wenn ich Spiel sage, rede ich von der Regelmenge zur Herstellung der Wahrheit. Das heißt nicht Spiel im Sinne von Nachahmung oder Schauspiel; das ist die Menge von Verfahren, die zu einem bestimmten Ergebnis

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Hoffmann arbeitet drei Kriterien heraus, nach denen im Gerichtsverfahren Plausibilität beziehungsweise Wahrheit hergestellt wird: Entspricht das Geschilderte den Erfahrungen und der Erwartungshaltung des Gerichts? Stimmt die Darstellung in sich? Kann das Geschilderte personell zugeordnet werden? Alles, was diesen Rahmen überschreitet, ist innerhalb eines Prozesses nicht überzeugend darstellbar. Damit gewinnt das „Alltagswissen“, welches den Akteuren jeweils zur Verfügung steht, eine zentrale Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der Argumentation.185 Dieses Alltagswissen wird von Hoffmann relativ umstandslos vorausgesetzt und synonym mit Alltagsplausibilität verwendet. Genauer betrachtet umfasst der Begriff jedoch mehrere Aspekte. Zum einen bezeichnet er dasjenige Wissen, auf welches die Beteiligten zur Interpretation ihrer Umwelt zurückgreifen können und das für sie handlungsleitend ist. In diesem soziologischen Sinne bildet Alltagswissen eine Bedeutungs- und Sinnstruktur.186 Es wird teils von den Akteuren in actu ausgebildet („‚practical consciousness‘“187), teils auch medial vermittelt von ihnen erworben („Bestandteil des kulturellen Wissens“188). Zum anderen bezeichnet der Begriff des Alltagswissens, so wie Hoffmann ihn verwendet, dasjenige Wissen, auf welches die Beteiligten in ihrer Argumentation Bezug nehmen können, das, worüber sie innerhalb des „Wahrheitsspiels“ sprechen können. Damit verweist Alltagswissen auf ein Wissen im Sinne Michel Foucaults, auf „das, wovon man in einer diskursiven Praxis sprechen kann“.189 Unsere Frage nach der Art und Weise, wie das Wissen vom wilden Kannibalen im Rahmen des schauri in Iringa effektiv wurde, zielt auf ein weiteres Charakteristikum von Gerichtsverfahren: ihre Regelhaftigkeit. Der Bezug auf und die Einführung von Wissen war und ist bis heute in einem Gerichtsverfahren nur seinen Regeln und materiellen Bedingungen entsprechend möglich und wird seinerseits von diesen strukturiert. Diese Regelhaftigkeit wiederum ist quellentechnisch fassbar über das Reichsstrafgesetzbuch (RStGB, 1871), das die Handlungen bestimmte, welche Gegenstand eines Prozesses werden konnten, sowie in der Reichsstrafprozessordnung (RStPO, 1877), welche die einzelnen Schritte eines Verfahrens vorschrieb. Als solches fungierten beide als materielle Bedingungen

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führen, das nach der Maßgabe seiner Verfahrensregeln und -prinzipien als gültig oder nicht, als Sieger oder Verlierer betrachtet werden kann“. (Michel Foucault, „Freiheit und Selbstsorge“, in: Freiheit und Selbstsorge. Hg. Helmut Becker et al., Frankfurt a.M. 1984, S. 7-28, hier S. 24, zit.n.: Lemke 1997, S. 334). Siehe: Hoffmann 1991, S. 89, 111 (hier auch Zitat). Siehe: Berger/Luckmann 2007, S. 21-22. Giddens 1987, S. 165-174, Zitat S. 165. Titzmann 1991, S. 230. Foucault 1997, S. 259.

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eines Strafprozesses.190 Auch sie sind Teil derjenigen „Mechanismen und Instanzen, die eine Unterscheidung von wahren und falschen Aussagen ermöglichen“ und führen „bevorzugte Techniken und Verfahren zur Wahrheitsfindung“ mit sich,191 die den Kriterien der Objektivität und der Authentizität unterliegen. Aus diesem Grunde wird im Verfahren die Augenzeugenschaft und der Bericht als vermeintlich objektivste der erzählerischen Darstellungsformen bevorzugt und der Ablauf des Verfahrens formalisiert und ritualisiert.192 Darüber hinaus beeinflussen RStPO und RStGB nicht nur den „Status für jene, die darüber zu befinden haben, was wahr ist und was nicht“, sondern den Status aller, die vor Gericht sprechen, und setzen damit die Rahmenbedingungen für die diskursiven und performativen Praktiken, die im Feld des Prozesses wirksam sind.193 Hinsichtlich der hier zu untersuchenden Gerichtsverfahren gegen mutmaßliche Kannibalen und Kannibalinnen sind eine Reihe von Aspekten festzuhalten: Erstens wurde zwar grundsätzlich die Gültigkeit des RStGB und der RStPO (1879) auf das Gebiet der deutschen „Schutzgebiete“ ausgedehnt,194 jedoch galten sie nicht für diejenigen Teile der Bevölkerung der deutschen „Schutzgebiete“, die aufgrund rassistischer Kriterien als „Eingeborene“ galten.195 Diese standen vielmehr unter einer besonderen Rechtsordnung, dem sogenannten „Eingeborenenrecht“, welches „diejenigen Rechtssätze“ umfasste, „welche die Ordnung des Gerichtswesens, das gerichtliche Verfahren sowie das bürgerliche und Strafrecht der Eingeborenen“ betrafen.196 Es setzte sich aus den indigenen und den von den deutschen Kolonialherren erlassenen Rechtsnormen zusammen.197 Ein „kodifiziertes Eingebore190 Allerdings überschritt diese Regelhaftigkeit die rein normativen Vorschriften des RStGB und der RStPO einerseits um die Dimension der Praxis (Handhabung durch die Beteiligten, Diskussionszusammenhang, in dem diese Normen stehen, etc.), andererseits waren die materiellen Bedingungen des Verfahrens nicht auf diese beschränkt. 191 Foucault 1978b, hier S. 51. 192 Siehe: Hoffmann 1991, S. 103-107. 193 Foucault 1978b, S. 51. 194 Die deutschen Kolonien galten als Reichsgebiet, in dem der Kaiser als Schutzherr stellvertretend die Souveränität des Reiches ausübte. Siehe: Fischer, H.-J. 2001, S. 66-69. 195 Zum „Eingeborenen“ oder „Farbigen“ wurde grundsätzlich erklärt, wer eine „Beimischung vom Blute einer farbigen Rasse“ aufwies. Davon ausgenommen waren einzelne Personen, welche die reichsdeutsche Staatsbürgerschaft oder die eines anderen „zivilisierten christlichen Staate[s]“ oder Japans besaßen sowie in DOA „Goanesen“, „Parsen“ und „christliche Syrer“. Vgl. Hoffmann 1911, S. 21 sowie Fischer, H.-J. 2001, S. 73-76; ElTayeb 2001, S. 131-139 und Gosewinkel 2001, S. 303-309. 196 Gerstmeyer 1920a, S. 508. 197 Letztere wurden für den Bereich des Strafrechts nach § 6 des Schutzgebietsgesetzes (SGG, 1. Fassung 17. April 1886) grundsätzlich als kaiserliche Verordnung erlassen. Mit den Kaiserlichen Verordnungen vom 25. Februar 1896 und vom 3. Juni 1908 übertrug er die Zuständigkeit für den Erlass von Bestimmungen zum „Eingeborenenstrafrecht“ auf den Reichs-

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nenstrafrecht[x]“ lag allerdings nicht vor. Da nach Ansicht der Kolonialmacht „das Reichsstrafrecht schließlich nichts anderes feststellt[e], als was vom Kulturstandpunkte des Deutschen aus als strafbares Unrecht zu betrachten“ war, wurden „in Wirklichkeit auch aus diesem die Normen“ zu Strafbarkeitskriterien und Verfahrensweise „entnommen“.198 Allerdings sollten deutsche Gesetzestexte nur eine allgemeine Richtschnur der Rechtsprechung über AfrikanerInnen darstellen. Die Zuständigen sollten zusätzlich die „Stammessitten und -gebräuche über die Strafbarkeit der Handlungsweise Eingeborener“ in ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen.199 Diese Berücksichtigung wurde allerdings durch zwei Faktoren begrenzt: häufig waren diese Rechtsnormen mündlich tradiert, entsprechend den vielen beteiligten sozialen Gruppen sehr vielfältig und den Kolonialherren nur schwer zugänglich.200 Auch verstanden die Kolonialherren es als Aufgabe der Rechtsprechung, einen zivilisatorischen Einfluss auf die Indigenen auszuüben.201 Aus diesen Maßgaben, den Ausführungsbestimmungen, den Erlassen des Reichskanzlers sowie denen des Gouverneurs DOAs, ergaben sich in der Praxis spezifische „Eingeborenendelikte“ und Vorgehensweisen in Strafverfahren gegen Indigene: Es wurde öffentlich, in der Regel mit Hilfe

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kanzler, der wiederum die Gouverneure der einzelnen Kolonien zum Erlass von Verordnungen ermächtigen konnte. Die rechtstaatliche Trennung von Exekutive und Legislative wurde für die Kolonien explizit aufgegeben. Dahinter stand die Überlegung, dass die Behörden vor Ort am besten in der Lage wären, Rechtsnormen zu entwickeln, die der fortschreitenden Erschließung der Schutzgebiete entsprächen: eine Art Ermächtigung der menon-the-spot. Siehe dazu: Gerstmeyer 1920a, S. 509 und Fischer, H.-J. 2001, S. 70-72, 95. Diese Vorgehensweise wurde vom Reichskanzler ausdrücklich gefördert. In einer Dienstanweisung vom Mai 1902 an die Verwaltung des „Schutzgebietes“ Kamerun verfügte er die sinngemäße Anwendung des RStGB bei Strafverfahren gegen Indigene (Straehler 1920, S. 418). Siehe auch: Fischer, H.-J. 2001, S. 171. Straehler 1920, S. 418. Siehe auch: Fischer, H.-J. 2001, S. 167-168. Auf Beschluss des Reichstages vom 3. Mai 1907 sollten die traditionellen Rechtsordnungen der indigenen Bevölkerungen der deutschen Kolonien systematisch aufgenommen und kodifiziert werden. Die Ergebnisse dieses Unternehmens wurden allerdings erst nach 1919 veröffentlicht. Siehe: Schultz-Ewerth/Adam 1929. „Naturgemäß kann dies, entsprechend den ethischen und politischen Aufgaben der Eingeborenenrechtspflege, welche auch erziehend wirken soll, nur so weit geschehen, als diese Rechtsgewohnheiten nicht, vom Standpunkte einer Kulturnation aus beurteilt, gegen die gesunde Vernunft und die guten Sitten verstoßen.“ (Gerstmeyer 1920a, S. 511-512.) Siehe dazu auch: Schaper 2009, S. 20-22. Darüber hinaus kam es noch zu einer weiteren Ungleichbehandlung von Europäern und Europäerinnen und „Eingeborenen“: De facto wurden Letztere für die gleichen Delikte härter bestraft als die Ersteren, außerdem galten für sie de jure Körper- bzw. Prügelstrafen (siehe: Fischer, H.-J. 2001, S. 174-182).

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eines Dolmetschers, in Form eines schauri verhandelt. Zu der Verhandlung wurden in schweren Fällen zwei ‚weiße‘ Beisitzer und die örtlichen afrikanischen Würdenträger (Jumben) hinzugezogen. Als Richter fungierte der Amtsvorsteher des jeweiligen Bezirksamtes.202 Sofern das Gebiet noch nicht soweit kolonisiert war, dass Verwaltungseinheiten hatten eingerichtet werden können, übernahm, wie im Fall Iringa geschehen, der Stationsvorsteher der örtlichen Militärstation diese Funktion.203 Indigene wurden nicht unter Eid vernommen, da ihnen aufgrund rassistischer Zuschreibungen die dazu nötige ‚geistige Reife‘ abgesprochen wurde.204 Hierdurch und durch den zivilisatorischen Auftrag, in dem sich die Kolonialherren richten sahen, entstanden weitere spezifische „Eingeborenendelikte“: etwa die Falschaussage ohne Eid oder „gewisse auf Aberglauben beruhende Gebräuche der Eingeborenen, wie z.B. Giftproben, Manipulation der Zauberer u. dgl. mehr“.205 Für den Fall, dass der oder die Angeklagte unter Aussetzung seiner oder ihren freien Willensbestimmung handelten, sah das RStGB in § 51 die Möglichkeit einer verminderten Zurechnungsfähigkeit und damit einhergehend die Zuerkennung eines verringertes Strafmaßes vor.206 Der Einfluss abergläubischer Vorstellung wurde in diesem Zusammenhang, wie in Kapitel vier noch zu sehen sein wird, von kriminologischen und juristischen Experten ernsthaft diskutiert. Auch anthropologische Forscher, wie wir am Beispiel Wilhelm Junkers gesehen haben, plädierten in diesem Sinne. Zur Feststellung einer eingeschränkten Zurechnungsfähigkeit konnte der Vorsitzende eines oder mehrere Gutachten von sachverständigen Experten einholen. Hauptmann Nigmann hätte also in seiner Funktion als vorsitzender Richter die Möglichkeit gehabt, in Anlehnung an das RStGB, eine Art Sachverständigengutachten, etwa eines länger in der Gegend ansässigen Missionars, einzuholen. Auf diese Möglichkeit verzichtete er, wie wir heute wissen. Vielleicht, weil gerade kein ‚Experte‘ zur Hand war. Möglicherweise, und dies ist die wahrscheinlichere Erklärung, aber auch, weil er nicht den Eindruck hatte, einen solchen zu benötigen.

202 Siehe: Gerstmeyer 1920a, S. 510, Gerstmeyer 1920b, S. 111 sowie Fischer, H.-J. 2001, S. 95-98, 167-171. 203 Bis 1910 waren dies in der Kolonie DOA noch die Stationen Iringa, Mahenge und Kilimatinde (siehe: Fischer, H.-J. 2001, S. 123). Auf Expeditionen übernahm der Expeditionsleiter dieses Amt (ebd., S. 98). 204 Fischer, H.-J. 2001, S. 96, 169. 205 Gerstmeyer 1920a, S. 511. Siehe auch: Fischer, H.-J. 2001, S. 168. 206 Siehe dazu: Rubo 1992, S. 467-473, 654-661 sowie Groß, H. 1914, S. 214215. Ausführlicher zur verminderten Zurechnungsfähigkeit und den Debatten um § 51 RStGB siehe Kapitel 5.

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Kolonisierung mit Erhaltungsmitteln: Neue Kolonialherren braucht das Land? Ernst (Julius Theodor) Nigmann, geboren 23. Oktober 1867 in Berlin, Sohn eines Postdirektors, trat unmittelbar nach Ablegen des Abiturs 1886 in die Armee ein. Seine militärische Karriere war geprägt von einer fortlaufenden Weiterbildung: 1889-91 besuchte er die Artillerie- und Ingenieursschule, die er mit der Ingenieursprüfung abschloss. Er legte darüber hinaus mehrere Dolmetscherprüfungen ab: 1896 Französisch, 1899 Italienisch. Er war an der Niederschlagung des Aufstandes der Hehe zwischen 1891 und 1898 beteiligt und wurde 1902 zum Hauptmann und Kompaniechef in der Kaiserlichen Schutztruppe in DOA ernannt. Ein Jahr später war er Chef des Militärbezirks Kilinatinde und von 1903-1910 Bezirkschef von Iringa im Siedlungsgebiet der Hehe. Darüber hinaus war Nigmann ebenfalls in die Niederschlagung des Maji-Maji-Krieges (1905-1907) involviert.207 Die Auswirkungen dieses Aufstandes waren vielfältig. Erstens führten Kolonialkriege allgemein, so argumentiert Helmut Bley, zu einer drastischen Radikalisierung der Kolonialpolitik in Richtung einer physischen Vernichtung des Gegners, d.h. der kolonialen Bevölkerung.208 An die Stelle der militärischen Konfrontation trat dabei besonders in DOA eine gezielte und umfassende Anwendung der Taktik der verbrannten Erde, so dass in den Folgejahren mehr Afrikanerinnen und Afrikaner durch Hunger und Seuchen starben als die geschätzten 75.000 Personen, welche bereits während der Kämpfe umgekommen waren. Die Ernährungsgrundlage der indigenen Bevölkerung wurde von der Schutztruppe derart systematisch zerstört, dass etwa 25% der Frauen auf dem Gebiet DOAs permanent unfruchtbar wurden. Der bereits vor Ausbruch des Krieges aus Sicht der Kolonialherren bestehende Arbeitskräftemangel wurde dadurch weiter verschärft.209 Gleichzeitig, so verdeutlichen Berichte über die Vorgehensweise besonders der Askari im Bezirk Iringa, wurde dieser Krieg mit barbarischen Mitteln geführt: Gefangene wurden verstümmelt, gefallenen gegnerischen Anführern wurde der Kopf abgeschlagen und ausgekocht als Siegestrophäe ins Mutterland verschickt.210 Die Studie von 207 Nigmann 1911, S. 31-59, 102-107. 208 Für Helmut Bley war dies ein generelles Merkmal der deutschen antikolonialen Kriege, das allerdings für den Kontext DSWA bislang weitaus umfassender aufgearbeitet wurde als für DOA (Bley 2006, S. 14-15). Zu DSWA vgl. die wegweisende Studie von Jürgen Zimmerer Deutsche Herrschaft über Afrikaner (Zimmerer 2001, S. 32-41). Ähnlich argumentiert auch Dierk Walter, der auf die für Kolonialkriege typische „Grauzone“ zwischen militärischer und polizeilicher Gewalt sowie deren Unabhängigkeit von kriegsrechtlichen Kodifizierungen verweist (Walter 2006, S. 1920, Zitat S. 19). 209 Siehe: Gründer 2004e, S. 157-164, bes. 163; Iliffe 1979, S. 199-200; Beez 2003, S. 102-107; Bald 1970, S. 67-69; Kuss 2006, S. 219-220, 227-228. 210 Siehe: Nyagava 2006, S. 117-118.

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Michael Pesek demonstriert darüber hinaus, dass die Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstandes im Kontext eines Terrors gesehen werden muss, der in Form von immer wieder gegen widerständige Indigene entsandten Strafexpeditionen bereits seit Jahren von den Kolonialherren ausgeübt worden war. Seit der Gründung der Kolonie 1885 bis 1903 verging kein Jahr ohne die Bekämpfung eines lokalen Aufstandes. Dieser de facto „totale Kolonialkrieg“, einerseits „Vorbedingung kolonialer Politik“ und andererseits größtes Hemmnis einer ökonomischen Entwicklung, war durch einen geradezu irrational erscheinenden Exzess von Gewalt gekennzeichnet. Die Kolonialherren zielten damit jeweils auf einen symbolischen Akt, der die „Präsenz der Kolonisierenden verdoppeln“ sollte: nach dem Abzug sollten sich die Indigenen an das Spektakel der Gewalt erinnern.211 Zweitens beschleunigte der Maji-Maji-Aufstand einen Kurswandel in der deutschen Kolonialpolitik, der sich bereits in den Jahren zuvor abgezeichnet hatte: Nicht nur das Verhalten des Gründers der Kolonie Carl Peters (1856-1918) geriet in die Kritik, sondern auch die Politik der gewaltsamen kolonialen Eroberung insgesamt. So forderte 1903 sogar ein leitender Beamter innerhalb der deutschostafrikanischen Kolonialadministration eine Abkehr von diesem Regime. Ein Forderung, der von Seiten des Reichskolonialamts Taten folgen sollten:212 1906 wurde Freiherr Albrecht von Rechenberg (1861-1935) zum neuen Gouverneur DOAs ernannt, der eine Reformpolitik verfolgte, die mit derjenigen des 1907 in das nach den sogenannten „Hottentottenwahlen“ neu geschaffene Reichskolonialamt als Staatssekretär eingesetzten Bernhard Dernburg (1865-1937) korrespondierte.213 Dernburg plädierte für eine intensive Verschränkung von Wissenschaft und Kolonialadministration, die sich idealerweise auch auf personeller Ebene niederschlagen sollte. Bereits in seinen programmatischen Vorträgen über die Zielpunkte deutscher Kolonialpolitik im Jahre 1907 hatte Dernburg die „langsame, verständige, überlegte Tätigkeit besonders befähigter und vorgebildeter Leute“ in der Kolonialadministration gefordert.214 Anders als in früheren Phasen der europäischen Kolonialisierung und im Gegensatz zu anderen Kolonialmächten solle Deutschland nicht mit „Zerstörungsmitteln“, sondern vielmehr mit „Erhaltungsmitteln“ kolonisieren.215 Unter explizitem Verweis auf die genozidale Politik gegenüber den 211 Pesek 2005, S. 191-204, Zitate S. 199, 197. Siehe dazu auch: Morlang 2006. Teil dieses Kolonialkrieges war die Niederschlagung des Aufstandes der Hehe, an dem Nigmann persönlich beteiligt war. Siehe dazu: Nigmann 1911, S. 31-59 sowie Becher 1994. 212 Siehe: Pesek 2005, S. 202-203. Zu den Debatten um und den Prozess gegen Carl Peters siehe: Geulen 2003 sowie Kapitel 3. 213 Bald 1970, S. 75-105; von Strandmann 2009, S. 428-439. Dernburg bekleidete sein Amt bis 1910, von Rechenberg bis 1914. 214 Dernburg 1907, S. 8. 215 Ebd., S. 9 (HiO).

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Native Americans in den Vereinigten Staaten als Negativbeispiel forderte Dernburg die Umorientierung der Kolonialpolitik: „Hat man früher mit Zerstörungsmitteln kolonisiert, so kann man heute mit Erhaltungsmitteln kolonisieren, und dazu gehören ebenso der Missionar, wie der Arzt, die Eisenbahn, wie die Maschine, also die fortgeschrittene theoretische und angewandte Wissenschaft auf allen Gebieten.“216

Deutsche Kolonialpolitik sollte demnach nicht länger mit dem Schwert herrschen, um mit Foucault zu sprechen, sondern durch Regulation und Optimierung der Lebensäußerungen von Individuen und Gruppen, kurz: mit Mitteln der modernen Bio-Macht regieren. Gleichzeitig sollte die Ausübung dieses neuen, biopolitischen Kolonialismus nicht durch „zu viel Vorschriften“ oder „Bureaukratie“ zentral vorgeschrieben werden. Vielmehr sollten die solcherart qualifizierten Akteure vor Ort flexibel entscheiden können.217 Nicht „deutsch verwalte[n] mit der Pünktlichkeit des hohen Rechnungshofs in Potsdam“, sei dabei die Maßgabe, sondern so zu regieren, wie es den Kolonialisierten angemessen sei. Es gelte nicht etwa „mit gewalttätiger Hand [...] in uralte Lebensgewohnheiten, Familienrechte“ eingreifen, „Rechtsbegriffe aufpfropf[en], wo das entsprechende Rechtsempfinden“ fehle oder einen grundsätzlichen Feldzug gegen „den Aberglauben“ zu führen, sondern sorgsam abzuwägen und unter Berücksichtigung der Sitten der sogenannten „Eingeborenen“ zu entscheiden, gegebenenfalls sogar über „über manche üblen und grausamen Gewohnheiten“ hinwegzusehen. Mit Blick auf Foucaults Konzept der modernen Gouvernementalität formuliert, ging es darum zu regieren statt zu herrschen. Denn sonst, so Dernburg, gerate die deutsche Kolonialherrschaft in den „Zustand des beständigen Konflikts, und wo man auf selbstbewußte, gut bewaffnete und ihrer numerischen Überzahl nach sichere Eingeborene trifft, kommt man selbstverständlich in den Aufstand, den man mit großen Opfern zu beruhigen hat.“218 Dernburg plädierte damit für eine Form des kolonialen social engineering, welches weniger auf Exklusion der Kolonialisierten als vielmehr auf die Regulation und Organisation ihres Lebens und ihrer Arbeitskraft zielte. Wir können ihn damit als Advokaten einer Gouvernementalität bezeichnen, deren besonderes Charakteristikum allerdings nicht, wie etwa von Albert Wirz angenommen, die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, das heißt die Disziplinierung und der Regulation der Bevölkerung, sondern die enge Verzahnung von Wissen und Kolonialadministra-

216 Ebd., S. 9 (HiO). 217 Ebd., S. 8. 218 Ebd., S. 8.

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tion bildete.219 Inwiefern es sich dabei um eine im engeren Sinne „colonial governmentality“ handelte, wird im Folgenden noch näher zu überprüfen sein.220 Nigmann selbst hatte noch aktiv an der von Dernburg so scharf kritisierten Politik der kolonialen Eroberung mitgewirkt, während er zugleich den neuen Typus des deutschen Kolonisatoren auf geradezu ideale Weise verkörperte. In seinen Heimaturlauben der Jahre 1904, 1907, 1910, 1913 und 1914 studierte er an der Universität Berlin, unter anderem bei dem Volkswirt Karl Helfferich (Kolonien und Kolonialpolitik), dem Ethnologen Felix Luschan (Völkerkunde DOAs) sowie dem Rechtswissenschaftler Conrad Bornhak (Kolonialrecht).221 Auch veröffentlichte Nigmann mehrere Publikationen, darunter Die Wahehe (1908) und die Geschichte der kaiserlichen Schutztruppe (1911).222 Über seine Zeit als Stationsleiter in Iringa 219 Wirz 2003, S. 9-10, Zitat S. 10. Wie ich im einleitenden Kapitel bereits demonstriert habe, ist die Verflechtung von disziplinarischen und regulatorischen Technologien und Rationalitäten nach Foucault vielmehr das besondere Kennzeichen der modernen Gouvernementalität generell. Zu Dernburgs Politik des kolonialen engineering und der Verflechtung von Wissenschaft und Kolonialadministration siehe: Smith, W.D. 1991, S. 162173; Grosse 2000, S. 113-124; van Laak 2004a, S. 130-149; Schubert 2003, S. 268-299. 220 Zum Begriff der „colonial governmentality“ vgl. Scott, D. 2005, S. 24-25, 35. 221 Seine Hochschullehrer waren allesamt Protagonisten oder aktive Unterstützer der deutschen Kolonialpolitik. Karl Helfferich (1872-1924), studierter Jurist, war als Privatdozent sowie seit 1904 in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes tätig und ab 1906 Direktor der Bagdadbahn in Konstantinopel. Felix Luschan (1854-1924) war 1885 Assistent am Königlichen Museum für Völkerkunde in Berlin geworden und leitete 1904 bis 1911 dessen Afrika- und Ozeanien-Abteilung. Nigmann machte diesem Geschenke von „ausgezeichnet schönen ethnographischen Stücken meist aus Uhehe“, für welche sich Luschan persönlich bei ihm bedankte (Schreiben Felix Luschan, Direktor des Königlichen Museum für Völkerkunde, Berlin an Nigmann, 20.12.1904, GStAPK, VI. HA Nl Nigmann/81). Conrad Bornhak (1861-1944), ebenfalls Jurist, publizierte neben seiner Lehrtätigkeit an der Universität Berlin breit zu Themen des Kolonialrechts und der Kolonialpolitik, dem Staatsrecht, der Verfassungsgeschichte sowie dem Strafrecht. Nigmann schloss seine Studien nach Ende des Ersten Weltkriegs im November 1919 mit dem Dr. jur. ab. „Ein Oberst, der seinen Doktor macht“ – das war ein Ereignis, über das sogar in der Tagespresse berichtet wurde. (Siehe: „Ein Oberst, der seinen Doktor macht“, in: BZ am Mittag, 13.11.1919; „Eine wissenschaftliche Höchstleistung“, in: Deutsche Tageszeitung, 13.11.1919; „Der Oberst mit der Doktorwürde“, Bayrische Landeszeitung, 19.11.1919, in: GStAPK, VI. HA Nl Nigmann/128-130). 222 Nigmann 1908; Nigmann 1911. Darüber hinaus schrieb er auch populäre Beiträge über das koloniale Afrika, die in einem amüsiert-paternalistischen Ton gehalten waren. So beispielsweise in der Gartenlaube, einer Zeitschrift, welche 1904 dem Zeitungsverlag des rechtsnational gesinnten August Scherl gehörte und später (1916) Teil des Alfred Hugenberg Medienkonzerns wurde. Siehe: Dr. Ernst Nigmann, „Von kleinen Mohren“, in: Die

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schrieb Nigmann: „Es gelang mir, mit der Bevölkerung gut, und im Frieden fertig zu werden, trotzdem diese einer steten festen Hand nicht entraten konnte“. Dabei habe er eine „genaue Kenntnis des Landes, seiner Einwohner, der Sitten und Gebräuche erwerben“ können und erlernte neben Kiswahili auch die Muttersprache der Hehe, das Kihehe.223 Seine Ausführungen zu den Wahehe machen deutlich, dass er sich selbst in der von Dernburg skizzierten paternalistisch-erzieherischen Funktion sah. Seiner Ansicht nach bedurfte „der Mhehe“ einer strengen, aber stets gerechten Regierung, die mit der Erziehung eines „gesunden Jungen“ zu vergleichen sei, der die Gesellschaft eines Onkels, „der mit ihm schwimmt und rudert, ihn allerdings nötigenfalls auch gehörig an die Ohren faßt“ derjenigen einer „bonbonspendenden, mit milden Worten verweisenden Tante“ vorziehe.224 Besonders auffällig ist hier die von Nigmann verwendete Kombination aus hygienisch-medizinischem Diskurs und Familienmetaphorik.225 Während er so einerseits die Rolle des Kolonisatoren als eine familiär-patriarchale legitimierte, plädierte er gleichzeitig für eine Kolonialpolitik, deren Ziel ein biopolitisches war: die gesunde Entwicklung der indigenen Bevölkerung zu gewährleisten. Wie auch schon bei der Etablierung des ethnologischen Wissen vom wilden Kannibalen können wir auch hier eine Kopplung mit Männlichkeitskonstruktionen beobachten. ‚Richtige‘ Kolonialpolitik erforderte nach dieser Vorstellung ‚echte‘ Männer und Jungs, nicht verweichlichte Tanten und deren Anhänger. Dass der Begriff „Tante“ in der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik als abwertende Bezeichnung für femininisierte männliche Homosexuelle benutzt wurde, unterstreicht, wie stark die Auseinandersetzungen um Kolonialpolitik geschlechterpolitisch aufgeladen war.226 Nigmanns Selbstverständnis und sein Konzept von der kolonialen Ordnung war damit ein grundsätzlich anderes als das der Mehrheit der Offiziere der deutschen Schutztruppe, die aus dem ostelbischen Landadel stammten und deren Verhältnis zu den Indigenen von einer eigentümlichen Mixtur aus „rassistischen und orientalistischen Diskursen“, einem traditionel-

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Gartenlaube 49, S. 961-962 sowie „Mohrendiners“, in: Die Gartenlaube 42, S. 840-841, in: GStAPK, VI. HA Nl Nigmann/104, 113, 120 sowie das Schriftenverzeichnis im Anhang seines Lebenslaufes (Lebenslauf des Oberstleutnants Nigmann, 5.5.1918, GStAPK, VI. HA Nl Nigmann/48, Anhang). Lebenslauf des Oberstleutnants Nigmann, 5.5.1918, GStAPK, VI. HA Nl Nigmann/48, Bl. 2. Nigmann 1908, S. 5. Im Gegensatz zum britischen ist die Bedeutung der Familienmetaphorik für den deutschen Kolonialdiskurs bislang, mit Ausnahme der Studie von Zantop (Zantop 1997, S. 99-101), noch nicht systematisch aufgearbeitet worden. Zum Kontext des britischen Empire siehe: Nünning 1996 sowie McClintock 1995, S. 44-45. Siehe dazu: Micheler 2005, S. 181-194.

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len Bild der Beziehung zwischen Herrn und Knecht und preußischem Militarismus bestimmt wurde.227 Ganz wie seine kolonialpolitischen Erwägungen entsprangen auch seine Entscheidungen in den Prozessen gegen die mutmaßlichen Kannibalen in Iringa biopolitischen Überlegungen, wie ein Blick in seine Urteilsbegründung zeigt. Seiner Ansicht nach seien die angeklagten Afrikaner und Afrikanerinnen des Mordes schuldig im Sinne des § 211 RStGB. Die Vergiftung der Opfer sei „ohne Ausnahme vorsätzlich, mit Ueberlegung ausgeführt“ worden, da „in allen Fällen die Absicht zu Grunde lag, das Fleisch der Gemordeten zu fressen bzw. zu Zaubereien zu verwenden.“228 Weiterhin diagnostizierte Nigmann in anthropologischer Manier bei den Angeklagten in Iringa einen „schier unglaublichen Tiefstand der sittlichen Auffassung“: „Man kann sagen, sie stehen weit unter dem Tier“.229 Er ging weiterhin davon aus, dass es sich bei den Taten um ein Beispiel für jene sogenannten Eingeborenendelikte gehandelt habe, die aus „abergläubigen Wahnvorstellungen“ resultierten.230 Entsprechend verstand Nigmann Kannibalismus als eines derjenigen Eingeborenendelikte, die vom RStGB nicht abgedeckt wurden: „Das R.St.G.B. giebt [sic] keinerlei Anhalt für die Bestrafung von Kannibalismus: sie muss deshalb seitens des Gerichts nach freiem Ermessen gefunden werden.“231 Die Abwägung zwischen europäischen (Rechts)Normen und denen, die als indigene Traditionen angenommen wurden, welche ihm als Stellvertreter der Kolonialmacht in einer solchen Situation oblag, fiel ihm leicht, da er davon ausging, dass das vorliegende „Verbrechen [...] nicht nur nach europäischen, sondern auch nach den Begriffen der Eingeborenen ein so schweres [sei], dass darauf nur der Tod als Sühne stehen kann.“232 Mit seinem Todesurteil wollte Nigmann, ganz im Sinne der Zivilisierungsmission, in der sich die deutschen Kolonialherren Recht sprechen sahen, die weitere Ausbreitung kannibalischer Gewohnheiten verhindern: „Man ersieht aus der Verhandlung, wie die Leute allmählich an dem Menschenfleisch Geschmack gefunden haben. Wird diese Gesellschaft nicht ausgerottet, so steht zu befürchten, dass der Kannibalismus weiter um sich greift.“233

227 Pesek 2005, S. 194. 228 Öffentliches Schauri: In der Strafsache gegen das Mbena=Weib Mgalla u. Sendepera wegen Mordes, Beihülfe zum Morde und Kannibalismus [Protokoll der Vernehmungen und Urteilsbegründung], 28.12.1908, BArch R 1001/827, Bll. 5-15, hier Bl. 14. 229 Ebd., Bl. 14. 230 Siehe: Ebd., Bl. 14. Zitat: Andree 1887, S. 98. 231 Ebd., Bl. 14. 232 Ebd. 233 Ebd.

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Diese Haltung entsprach auch der des Kolonialamtes: Neben der Aufzählung der Todesurteile im Bericht Nigmanns vom 28.12.1908 findet sich ein handschriftliches „bravo!“ datiert auf den 22. Januar.234

Intentionen und Strategien: Kannibalismus als Problem der Seelenführung Mit dem pastoralen Anspruch der ‚Seelenführung‘ drang die deutsche Kolonialadministration auf eines der, nach dem Selbstverständnis der Missionsgesellschaften, zentralen Arbeitsgebiete der christlichen Mission vor und belastete so ein aus vielen Gründen bereits angespanntes Verhältnis noch weiter.235 Zwar gab es eine grundsätzliche Konvergenz zwischen Mission und Imperialismus, denn „Missionare haben“, wie Horst Gründer festhält, „trotz mitunter heftiger Kritik an einzelnen Methoden des Vorgehens – den Kolonialismus durch das christliche Untertanengebot (Röm 13) und die christliche Arbeitsethik (ora et labora) ideologisch und rituell abgesichert“,236 dennoch war das Verhältnis zwischen den Missionsgesellschaften und der deutschen Kolonialadministration kein ungetrübtes. Erstens standen viele Gesellschaften, die bereits in den in Frage kommenden Gebieten aktiv waren, dem deutschen Kolonialprojekt grundsätzlich skeptisch gegenüber. Sie fürchteten die Nationalisierung und Verweltlichung einer originär transnationalen und geistlichen Bewegung.237 Diese grundsätzlichen Bedenken wurden zwar nach 1884 schrittweise überwunden, jedoch stellte auch fortan die vorbehaltlose Unterstützung der deutschen Kolonisation und „Verklammerung mit der organisierten Kolonialbewegung“, wie etwa durch die Evangelische Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika unter der Führung von Carl Peters, eine Ausnahmeerscheinung dar.238 Zweitens wurde Missionsneugründungen, anders als beispielsweise in den englischen Kolonien, zunächst keine uneingeschränkte Handlungsfreiheit gewährt und die Übergabe von Missionsrechten von Seiten des Auswärtigen Amtes mit der Auflage verknüpft, die staatliche Kirchenhoheit anzuerkennen.239 Unter diesen Bedingungen begann 1890 auch die im Fall 234 Ebd., Bl. 12. 235 Siehe: Booker Sadij 1985, S. 307-310; Weidert 2005, S. 39-40; Oermann 2004, S. 602-610 (hier am Beispiel DSWA) sowie Gensichen 1993 und Becher 2003. 236 Gründer 2004d, S. 229 (HiO). Siehe dazu auch: Gründer 2004b, S. 9-10; Besier 1992, S. 249-253. Wolfgang Reinhard spricht diesbezüglich von einem „Fundamentalkonsens bei gleichzeitigem Detailkonflikt“ (Reinhard 1989, S. 358). 237 Siehe: Gründer 1982, S. 26 sowie besonders Gründer 2004d. 238 Gründer 1982, S. 36-38, Zitat S. 37. 239 Ebd., S. 39. Verlangt wurde damit die Anerkennung einer Kirchenhoheit, welche die Reichsregierung im Mutterland selbst nicht besaß. Für katholische Missionen stellten sich hier noch weitere Probleme, weil sie einerseits

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Iringa involvierte Berliner Missionsgesellschaft, die sich bis dahin ihrer Arbeit vor allem im südlichen Afrika mit Schwerpunkt auf die englische Kapkolonie gewidmet hatte, ihre Missionsaktivitäten in den deutschen Schutzgebieten, zunächst in Kiautschou, dem deutschen Pachtgebiet in China, dann in DOA.240 Erst im Zuge der Unterzeichnung internationaler Verträge, wie dem Vertrag zwischen Deutschland und England über die Kolonien und Helgoland (1. Juli 1890) oder der Generalakte der AntiSklaverei-Konferenz (2. Juli 1890), verbesserte sich die Rechtsstellung der Missionen in den deutschen Kolonien: Hierin waren die Duldung und Freiheit aller christlicher Bekenntnisformen sowie Schutz aller Missionsgesellschaften, die sich dem Kampf gegen die Sklaverei verschrieben hatten, verbindlich festgehalten. Mit einer Novelle des ursprünglich am 17. April 1886 erlassenen Schutzgebietsgesetzes vom 10. September 1900 wurde dieser Rechtsstatus fixiert, allerdings gleichzeitig auch die Befugnis des Reichskanzlers, polizeiliche und administrative Vorschriften zu erlassen, die in diese Rechte eingreifen konnten. Dieses Privileg konnte er auf die Kolonialbeamten vor Ort übertragen.241 Drittens ernannte das Reichskolonialamt 1890 eigenmächtig sogenannte Mittelsmänner, deren offizielle Rolle die von „Katalysatoren im Beschwerdegang“ zwischen den Missionsgesellschaften und der Regierung war. Für die protestantischen Missionen übernahm ab dem 12. November 1903 der Oberverwaltungsgerichtsrat Max Berner dieses Amt. Die Mittelsmänner waren, besonders bei der Weiterleitung von kritischen Berichten der Missionsangehörigen vor Ort an den Zuständen oder dem Vorgehen der deutschen Kolonialadministration, von entscheidender Bedeutung. Während diese Kritik häufig genug bereits durch die Leitung einer Missionsgesellschaft selbst abgemildert wurde, blockierten oder entschärften die Mittelsmänner diese Berichte noch weiter. Wie Horst Gründer festhält, zeichnete sich hierbei gerade Berner durch eine besonders „‚devote‘ Haltung gegenüber der Reichsregierung“ aus, und die Gesellschaften übergingen in einzelnen Fällen diese Vermittler bewußt.242

mit anderen Kolonialmächten, vor allem Frankreich, identifiziert wurden oder weil, wie im Falle der Jesuiten, die Organisation im Mutterland selbst verboten war (siehe: Gründer 1982, S. 61-79). 240 Die Organisation hieß zunächst Gesellschaft zur Beförderung der Evangelischen Mission unter den Heiden und erst ab 1908 bis 1945 Berliner Missionsgesellschaft. Siehe: Lehmann 1974, S. 9, 90-99; Gründer 1982, S. 40 sowie Lehmann 1989. Zu den Anfängen der Evangelischen Mission in DOA siehe auch: Luig 1994, S. 98-99, 105. 241 Gründer 1982, S. 86-87. 242 So weigerte sich Berner beispielsweise, einen Bericht der Rheinischen Missionsgesellschaft über die Ursachen des Herero-Nama Krieges in DSWA 1904/05 an das Reichskolonialamt weiter zu leiten. Siehe: Gründer 1982, S. 87-88, Zitate S. 88.

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Dies geschah auch bei der von den Missionsbrüdern geführten Beschwerde über das Urteil gegen die angeblichen Kannibalen und Kannibalinnen in Iringa, die durch den Brief des auf der Missionsstation Kirugala, Bezirk Iringa, tätigen Bruders (Gottfried Ludwig) Carl Nauhaus (18641932) angestoßen wurde.243 Dieser wandte sich mit einem Schreiben vom 2. Juli 1908 direkt an Axenfeld, der sich wiederum an Berner wandte, den Mittelsmann der protestantischen Missionen beim Reichskolonialamt und zu diesem Zeitpunkt zugleich Präsident der Berliner Missionsgesellschaft.244 Daraufhin wurde eine Überprüfung des Falles von Seiten des Kolonialamtes angeordnet, die wiederum Nigmanns Urteil bestätigte.245 Viertens gab es darüber hinaus zentrale inhaltliche Streitpunkte zwischen den Missionen und der deutschen Kolonialregierung. Dazu gehörten, besonders mit Blick auf DOA, zum einen die „‚Sprachenfrage‘“ und zum anderen die Toleranz der Kolonialadministration gegenüber dem Islam. Während die Missionen den Schulunterricht in einer afrikanischen Muttersprache aus pädagogischen wie missionarischen Erwägungen heraus befürworteten, aber den Islam als monotheistische Konkurrenzreligion ablehnten, und diese Ablehnung auch von der Kolonialadminstration erwarteten, präferierte die Kolonialregierung zunächst Deutsch als Unterrichtssprache und tolerierte den muslimischen Glauben. Letzteres geschah aus pragmatischen Erwägungen zur Sicherung des Machterhalts in der Kolonie: Die erfolgreiche Kooperation mit muslimischen Eliten hatte Vorrang vor der Durchsetzung des zivilisatorisch ‚höherwertigen‘ Christentums.246 Aus den Protokollen der Tagung der Synode Hehe der Berliner Missionsgesellschaft aus dem Jahr 1909, derjenigen Synode, in deren Einzugsgebiet die Militärstation Iringa lag, geht deutlich hervor, dass sich diese Konfliktlinien auch auf lokaler Ebene fortsetzten. Im Ephoralbericht des Jahres 1909, erhalten in der Anlage zum Protokoll der genannten Synodal-

243 Nauhaus, Sohn von Missionsangehörigen und geboren in Südafrika, war seit 1886 Mitglied der Berliner Mission und seit dem 11. August 1908 auf der Mission Kirugala tätig (Personalakte Nauhaus, Carl jun. (Missionar), Archiv des Berliner Missionswerkes im ELAB, bmw-1/3779, Bl. 1). 244 Siehe: Brief von Missionar Nauhaus-Kidugula an Missionsinspektor Lic. Axenfeld [Auszüge], 2.7.1909, BArch, R 1001/827, Bll. 20-26. Aus einem handschriftlichen Vermerk Berners geht hervor, dass Nauhaus’ Schreiben gleichzeitig auch an Dezernenten und Regierungsrat Zacke im Reichskolonialamt ging. Dazu auch: Brief Karl Axenfeld an [Max] Berner, 17.8.1909, BArch R 1001/827, Bll. 18-19. 245 Schreiben Gouverneur DOA, Georg Albrecht Freiherr von Rechenberg an das Reichskolonialamt, 5.1.1910, BArch, R 1001/827, Bl. 33. Berner wiederum kommt in seiner abschließenden Stellungnahme gegenüber dem Reichskolonialamt zu dem Schluß, dass die „Verurteilungen wegen Menschenfresserei [...] besser unterblieben“ wäre. (Bericht [Max] Berner, 16.3.1910, BArch R 1001/827, Bll. 40-46, hier Bl. 44). 246 Gründer 1982, S. 96-97 sowie Hassing 1970, S. 382.

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tagung, hieß es, dass aus Sicht der Mission „das vergangene Jahr unter dem Zeichen des Kampfes“ gestanden habe, bestimmt vor allem durch die Auseinandersetzungen „zwischen der Mission und der Regierung“.247 Dieser Konflikt, der seine Ursache zum einen in der generellen Ablehnung der evangelischen Missionsarbeit in DOA von Seiten der Kolonialadministration, sowie zum anderen in unterschiedlichen Standpunkten „in wichtigen Fragen der Kolonialpolitik“, vor allem in der Haltung zum Islam und in Fragen der „Eingeborenenbehandlung, besonders im Rechtswesen“, habe, sei durch das Verhalten individueller Beamter noch verschärft worden.248 Ohne Namen zu nennen, machte der Bericht sehr deutlich, dass aus Sicht der Mission die aktuelle Konfliktsituation dadurch entstanden sei, dass ein Beamter der Regierung „seinen persönlichen Glaubensstandpunkt auf seine Handlungen“ übertragen und damit die ihm gebotene Neutralität „in allen geistlichen Dingen“ aufgegeben habe.249 Die Missionsbrüder sahen sich als Opfer: sie hätten ihrerseits „den Gegensatz nicht gesucht“, vielmehr sei er ihnen „aufgedrängt worden.“250 „Der Gegensatz, das muß mal offen ausgesprochen werden, ist von den Beamten inszeniert worden. Die Eingeborenen haben es gesehen, daß Missionsstationen ostentativ gemieden werden, sie haben es ges[e]hen, wie Briefe von Missionaren abgewiesen oder zerrissen wurden, sie hören die Drohungen der Askari gegen alles, was Mission heißt, denn wie der Herr, so der Knecht; sie sind unterrichtet worden, nicht zur Mission mit irgendeiner Sache zu gehen, und zuguterletzt fand die öffentliche Aufklärung über die Mission statt, sowie das Verbot für die Missionsleute, keinen Acker außerhalb des Stationslandes zu bestellen.“251

Als weitere konkrete Beispiele der Übergriffe in die missionarische Arbeit von Seiten der Kolonialbeamten wurden die Ablehnung der Arbeitsfreiheit am Sonntag und des Schulbesuchs für die Kinder der sogenannten Eingeborenen genannt, welche dann ihrerseits nach Ansicht der Missionsbrüder folgerten, „daß sie auch die Predigt und alles, was die Mission bringt, zu meiden haben“. Schlussendlich werde damit eine generelle „Verachtung jedes Europäers verknüpft, der nicht über Soldaten als Begleiter verfügt.“252 Diese Auseinandersetzungen zwischen der Mission und dem Stationsleiter scheinen eine längere Vorgeschichte aufzuweisen. Bereits auf 247 Niederschrift der auf Kidugala vom 17.-25. Oktober [1909] tagenden Synode, Archiv des Berliner Missionswerkes im ELAB, bmw-1/6501, Bll. 32-60, hier Bl. 47. Siehe auch: Missions-Berichte der Berliner Missionsgesellschaft für das Jahr 1909, S. 51. 248 Niederschrift der auf Kidugala vom 17.-25. Oktober [1909] tagenden Synode, Archiv des Berliner Missionswerkes im ELAB, bmw-1/6501, Bll. 32-60, hier Bll. 48-50, Zitate Bll. 48, 49. 249 Ebd., Bl. 48. 250 Ebd., Bl. 49. 251 Ebd., Bll. 49-50. 252 Ebd., Bl. 50.

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der Synode 1908 wurden Unstimmigkeiten über die Notwendigkeit, die Erlaubnis zur Gründung einer weiteren Missionsstation in Usangu einzuholen und über die Beschäftigung sogenannter „‚farbig[er] Lehrer‘“, die angeblich Kinder zum Schulunterricht zwängen und sich damit strafbar machten, thematisiert.253 Im weiteren Schriftverkehr und Protokollen der Hehe-Synoden wurde die zunächst geübte Zurückhaltung bei der Nennung von Namen bald aufgegeben und es wird offenbar, dass die Kritik der Missionsbrüder auf niemand anderen zielte als auf Ernst Nigmann.254 Damit reihte sich die Auseinandersetzung über die von Nigmann ausgesprochenen Todesurteile gegen die mutmaßlichen Kannibalen und Kannibalinnen Ende Dezember 1908 sowie Februar und März 1909 in eine ganze Kette von Konflikten über die Stellung der Mission gegenüber der deutschen Kolonialadministration im Allgemeinen und Nigmann als Stationsleiter im Besonderen ein. Innerhalb der Missionsgesellschaft wurden sehr unterschiedliche Positionen hinsichtlich dieser Auseinandersetzung vertreten. Die Brüder vor Ort, die sich auf unangemessene Weise in ihrem Handlungsspielraum angegriffen sahen, führten eine wesentlich schärfere Kritik, als dies der Leitung der Berliner Missionsgesellschaft Recht war. So versuchte das leitende Gremium, das Komite [sic] der Missionsgesellschaft, unter Bezug auf Paulus’ dreizehnten Brief an die erste christliche Gemeinde Roms (Röm 13), mäßigend auf die Missionare einzuwirken. Das Komite wies die Mitglieder der Hehe-Synode darauf hin, dass diese sich „nicht ernst genug bemühen“ könnten, „in mündlichem und schriftlichem amtlichen Austausch mit der Regierung sich sachlich, vorsichtig, ruhig, in manchen Fällen gewiß auch abwartend zu verhalten“.255 Darüber hinaus sollten sie sich möglichst „allgemeiner Aeußerungen über die Regierungspolitik oder unerbetener Ratschläge [...] enthalten, sowie auch in ihrem amtlichen Wirken möglichst Maßnah-

253 Niederschrift der Tagung der Synode (6.-13.9.1908) auf Lupembe mit Anlagen, Archiv des Berliner Missionswerkes im ELAB, bmw-1/6500, Bll. 94-128, hier Bll. 118-119, 123, 124. 254 Siehe dazu: Niederschrift der auf Ilembula vom 4.9.10 bis 12.9.10 tagenden Hehesynode, Archiv des Berliner Missionswerkes im ELAB, bmw1/6501, Bll. 161-189, hier bes. Bl. 163 sowie das Schreiben des Komite der Berliner Missionsgesellschaft, an die Herren Superintendenten und Missionare der Hehe-Synode (Entwurf), 29.12.1910, Archiv des Berliner Missionswerkes im ELAB, bmw-1/6501, Bll. 213-219. 255 Schreiben des Komite der Berliner Missionsgesellschaft, an die Herren Superintendenten und Missionare der Hehe-Synode, 18.01.1910, Archiv des Berliner Missionswerkes im ELAB, bmw-1/6501, Bll. 72-88, hier Bl. 73. Zum hierarchischen Binnenverhältnis unter den Mitgliedern der Missionsgesellschaften siehe: Altena 2005, bes. S. 52-53.

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men [...] meiden, die aus der missionarischen Sphäre herausfallen und von der Regierung als Uebergriffe in ihre Angelegenheit empfunden werden.“256

Ganz generell gälte, dass die Missionsbrüder, selbst „wenn der Beamte auf unserm religiösen Standpunkt nicht steht“, sich bemühen müssten, mit ihm ein „gutes Verhältnis zu erreichen“.257 Darüber hinaus teilte das Komite in Berlin auch nicht die Einschätzung der Missionare in DOA, dass die Regierung den Islam gegenüber dem Christentum begünstige.258 In dieser Auseinandersetzung zwischen dem missionarischen und dem militärisch-administrativen Arm der deutschen Kolonialherrschaft waren die Bena im Bezirk Iringa keineswegs passive Zuschauer und Zuschauerinnen, so zumindest die Argumentation des Beschwerdeführenden Missionars Carl Nauhaus. Seiner Ansicht nach beruhte die Verurteilung der angeblichen Menschenfresserbande auf einem grundsätzlichen sprachlichen Missverständnis: Mit der Anschuldigung sei nicht eine Form der materiellen Nahrungsaufnahme gemeint gewesen, sondern ‚essen‘ im metaphorischen oder spirituellen Sinne. Dieses ‚essen‘ würde in der Sprache der Bena entweder im Zusammenhang von Eigentumsverhältnissen, wie der Konfiszierung von Besitz von Seiten des chiefs, der Einbehaltung von Lohn durch den Arbeitgeber, oder im Zusammenhang mit Hexereivorwürfen gebraucht.259 Diesen Vorwürfen zu Folge seien Hexen, von den Bena „vahavi“ genannt, in der Lage, ihre Seele auf Wanderschaft zu schicken und auf diese Weise ihren Mitmenschen schwer zu schaden. Sie könnten ihre Opfer auf diesem Wege „innerlich“ sogar „erstechen oder erdrosseln“, was im realen Leben zu einem plötzlichen oder auch langsamen krankheitsbedingten Tod führen könne.260 Auch die Art des spirituell vollzogenen Verzehrs sei dabei bedeutsam: „Wenn das Fleisch des Gegessenen gekocht wird, so stirbt er schneller, wird es am Feuer geröstet, so stirbt er langsamer.“261 Der Verdacht auf Hexerei tauche laut Nauhaus stets dann auf, wenn eine Anzahl ungeklärter Krankheiten oder Todesfälle auftrete. Die Bestrafung von solchen Hexen sei ursprünglich die Aufgabe des chief gewesen, und da diese ihre Taten häufig unbewußt und im Schlaf vollzögen, bedürfe es nach Ansicht der Bena der Unterstützung eines Zauberers, der mittels

256 Schreiben des Komite der Berliner Missionsgesellschaft, an die Herren Superintendenten und Missionare der Hehe-Synode, 18.01.1910, Archiv des Berliner Missionswerkes im ELAB, bmw-1/6501, Bll. 72-88, hier Bl. 73. 257 Ebd., Bl. 72. 258 Ebd., Bl. 74. 259 Brief von Missionar Nauhaus-Kidugula an Missionsinspektor Lic. Axenfeld [Auszüge], 2.7.1909, BArch, R 1001/827, Bll. 20-26, hier Bl. 21. 260 Ebd., Bll. 20, 21. Die Schreibung in der Quelle ist uneinheitlich. Zu finden ist auch „vuhavi“ (Bll. 22, 25). 261 Ebd., Bl. 21.

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einer Nadelprobe die angeblichen Schuldigen identifiziere.262 Diese, selbst ohne jede Erinnerung, aber im festen Vertrauen auf das Orakel, seien von ihrer Schuld anschließend selbst felsenfest überzeugt. Nauhaus’ eigenen Nachforschungen zu Folge hatte genau dies mit den vor Nigmann Beschuldigten stattgefunden.263 Allen Bena sei das Phänomen der „vuhavi“ geläufig, und so unterließen sie einschlägigen Kontexten häufig die Nennung dieses Begriffs, da ‚echte‘ Anthropophagie für sie implizit ausgeschlossen sei.264 Wahren Kennern ihrer Sprache und Kultur war diese Unterscheidung bekannt, wie Nauhaus’ Bericht deutlich machte. Dass Nigmann trotzdem von echtem Kannibalismus ausgegangen war, zeugte damit einerseits von seiner Unkenntnis der Sitten und Bräuche der ‚Eingeborenen‘, die in seinem Bezirk lebten. Andererseits war sein Urteil damit das Resultat einer gezielten Manipulation durch die Indigenen. Denn im Falle der Kannibalismusanschuldigungen in Iringa habe der chief, der mit dem Übergang der Strafgerichtsbarkeit auf die Vertreter der deutschen Kolonialmacht seine traditionelle Straf- und Schutzfunktion nicht länger habe erfüllen können, in Zusammenarbeit mit dem Hexenjäger die Anklage inszeniert. Während Ersterer im schauri die Hexer und Hexen des Kannibalismus bezichtigte, habe der Zauberer die angeblichen Menschenfresser und -fresserinnen mit Schädeln und Knochen ausgestattet, da er als „Kenner der deutschen Gerichtsbarkeit“ gewusst habe, „dass nach diesen Beweisstücken gefragt werden würde.“265 Diese Vorgehensweise, die dem chief die Wahrung der eigenen Autorität und die Erfüllung seiner Schutzfunktion ermöglichte, umging geschickt den Bezug auf den von Mission und Administration gleichermaßen verbotenen Hexenglauben. Gleichzeitig fütterte sie die Institutionen der Kolonialherren nicht nur gezielt mit falschen Informationen, sondern instrumentalisierte sie für die eigenen Interessen. Nauhaus’ Bericht enthielt damit zwei Spitzen, die beide gegen die Person des Stationsleiters in Iringa gerichtet waren. Erstens habe Nigmann in seiner Unkenntnis der lokalen Gebräuche und Sitten die vorgebrachten Anschuldigungen falsch eingeschätzt. Zweitens habe er, indem er sich von den Indigenen hatte täuschen und instrumentalisieren lassen, dem Aberglauben der ‚Eingeborenen‘ Vorschub geleistet und so den zivilisatorischen Auftrag der deutschen Kolonialherrschaft untergraben. Dies war 262 Ebd., Bl. 23, 26. Diesen Zauberer verglich Nauhaus in seiner Darstellung mit Konrad von Marburg (ca. 1180(90)-1233), einem der ersten vom Papst ernannten Inquisitoren zur Bekämpfung der Ketzerbewegung (ebd., Bl. 23). Dies war eine Spitze gegen die katholische Kirche, die in DOA Konkurrenzmissionen unterhielt. 263 Ebd., Bll. 22-25. 264 Ebd., Bl. 22. 265 Ebd., Bl. 26. Die Beschaffung der Knochen sei für ihn angesichts des erst kürzlich blutig niedergeschlagenen Maji-Maji Aufstands (1905-07) sehr einfach gewesen.

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eine Kritik, die auch von anderen Stellen der Berliner Missionsgesellschaft geteilt wurde. Zu den kritischen Stimmen gehörte beispielsweise von Axenfeld, der die Urteile der Verfahren in Iringa deutlich ablehnte, das eigentliche Problem allerdings nicht in der Verurteilung von vermutlich Unschuldigen sah, sondern vielmehr darin, dass die deutsche Kolonialmacht ihrem zivilisatorischen Auftrag nicht nachgekommen war: „Das Beklagenswerteste an dem vorliegenden Fall ist nicht einmal, dass hier durch zweimaliges Urteil 16 Unschuldige zum Tode gebracht sind, sondern, dass die deutsche Rechtspflege ein Urteil gefällt hat, durch welches der unselige Hexenglaube des Volkes und die Meinung, dass die angeblichen Hexen von rechtswegen getötet werden müssten, bestätigt [wurde].“266

Auch wenn wir angesichts des angespannten Verhältnisses zwischen den Brüdern der Berliner Missionsgesellschaft und dem Stationsleiter in Iringa davon ausgehen können, dass Nauhaus’ Rekonstruktion der Hintergründe des Falles von seiner eigenen Agenda bestimmt wurde, weisen die Ergebnisse von anderen Forschungsarbeiten ebenfalls darauf hin, dass Afrikaner und Afrikanerinnen in der Tat die Strafgerichtsbarkeit europäischer Kolonialmächte entsprechend manipuliert und instrumentalisiert haben. So berichtet beispielsweise die Ethnologin Carol MacCormack, dass nach ihren Informationen der Kannibalismusvorwurf strategisch als „political weapon“ zwischen rivalisierenden indigenen Gruppen benutzt worden sei: „The descendents of certain chiefly groups have told me how their ‚fathers and mothers‘, their ancestors, went, in the early days of the Protectorate, to the District Commissioner with accusations that rival groups were ‚cannibals‘ and ‚not fit to rule‘. All this was duly minuted by diligent colonial officers. It is now in archives, and not to be taken as accurate ‚evidence‘ of actual flesh eating at all“.267

Darüber hinaus benutzten, wie Ulrike Schaper demonstriert, chiefs in anderen deutschen Kolonien – etwa Kamerun – ihren Handlungsspielraum innerhalb der kolonialen Verwaltungs- und Rechtssprechungsstrukuren, um gezielt ihre eigenen Interessen durchzusetzen.268

266 Brief Karl Axenfeld an [Max] Berner, 17.8.1909, BArch R 1001/827, Bll. 18-19, hier Bl. 19. 267 MacCormack 1983, S. 51-52. Sie gibt an dieser Stelle einen Verweis auf das entsprechende Archivmaterial: „S.L.G.A. [Sierra Leone Government Archives], Native Affairs Department Letterbook, December 27, 1983“. Siehe auch: Baum 2004 (französische Kolonien); Leicht (2000, S. 74-75, 82), der von strategischen gegenseitigen Beschuldigungen der Indigenen Papua-Neuguineas berichtet, die damit die Strafexpeditionen der Deutschen gegen ihre jeweiligen Gegner lenkten. 268 Schaper 2009, S. 26-30.

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Auch wenn wir aus heutiger Perspektive nicht eindeutig rekonstruieren können, mit welchen Motiven der chief der Bena den Prozess in Iringa anstrengte und ob es sich in der Tat um eine Instrumentalisierung der Institutionen der deutschen Kolonialherrschaft handelte, so können wir angesichts dieser Befunde doch eine recht hohe Plausibilität von Nauhaus’ Rekonstruktion konstatieren. Seine Überlegungen verweisen auf einen signifikanten Handlungsspielraum der Indigenen, der es ihnen in diesem Fall ermöglicht hätte, ihre kulturellen und spirituellen Praktiken aufrecht zu erhalten. Während sie sich auf diese Weise geschickt in der Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Akteuren deutscher Kolonialpolitik, der Mission und der Kolonialadministration, positionierten, leisteten sie gleichzeitig einen Beitrag zur Einschreibung und Verfestigung des Wissens vom wilden Kannibalen. Zusammenfassend können wir festhalten, dass sowohl in den Reise- und Forschungsberichten Schweinfurths, Schnitzers und Junkers über die mutmaßlichen Menschenfresser Afrikas als auch in den zeitgenössischen Standardwerken der ethnologischen Fachliteratur zum Thema Anthropophagie die Analogie das zentrale Paradigma darstellte. Darüber hinaus lag beiden Zugängen die Vorstellung einer evolutionären Entwicklung der Menschheit zu Grunde; einer Evolution, die mit sittlichem und kulturellem Fortschritt hin zu bürgerlich-weißen Normen und Werten identifiziert wurde. Die Angehörigen indigener Bevölkerungen wurden als eine Art lebendige Fossilien dieser menschheitsgeschichtlichen Vergangenheit betrachtet. Beide Forschungsperspektiven operierten damit auf der Grundlage der von Robert Young beschriebenen differenzialistisch-rassistischen Rationalität. Der wilde Kannibale wurde in einem Normalfeld verortet, das zwischen den Polen ‚Rasse‘ und ‚Geschlecht‘ aufgespannt war. Seine Charakteristika waren in hohem Maße vergeschlechtlicht: Seine animalische Gier und Wildheit, seine Impulsivität, seine ungezügelten Rachegelüste und seine abergläubischen Vorstellungen, allesamt Kennzeichen seines angeblich niedrigeren zivilisatorischen Status, wurden gleichzeitig mit Männlichkeit assoziiert. Gleichzeitig sollte von ihm eine Art Ansteckungsgefahr ausgehen: Er konnte durch sein Vorbild andere zur Menschenfresserei verführen. Zudem konnten wir an einzelnen Stellen im Diskurs immer Versatzstücke eines frühneuzeitlichen Kannibalismusdiskurses, der Kannibalinnen behandelte und an europäische Vorstellungen von Hexerei anschloss, finden. Darüber hinaus konnten wir deutlich erkennen, dass das lokale, indigene Wissen vom Kannibalismus für die Produktion dieses akademischen Wissens, sei es in Form von Berichten von Informantinnen und Informanten, sei es in Form der Bereitstellung der Infrastruktur für die Durchführung von Forschungsexpeditionen, unerlässlich war. Allerdings spielte die weiße Forschung diesen Beitrag systematisch herunter oder verschwieg

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ihn vollständig, wie etwa Andree, der in seiner Kompilation kein Wort mehr darüber verlor. Auf diese Weise wurden nicht nur, wie von Zimmerman beobachtet, die Körper der Kolonisierten dem Komplex aus ethnologischem Wissen und kolonialer Herrschaft einverleibt, sondern auch ihre Kenntnisse und Fertigkeiten. Gleichzeitig können wir davon ausgehen, dass die Konstruktion des wilden Kannibalen das Produkt einer historisch spezifischen Interaktionssituation darstellt, welche im ausgehenden 19. Jahrhundert zwischen Forschungsreisenden und verschiedenen Bevölkerungsgruppen Zentralafrikas existierte. Des Weiteren konnten wir am Beispiel der Prozesse in Iringa beobachten, wie das Wissen vom wilden Kannibalen in der kolonialen Praxis effektiv wurde: Es diente der Legitimierung der selbstgewählten zivilisatorischen Mission der deutschen Kolonialmacht. Jürgen Osterhammels Frage, „Lässt sich ein Kannibale zivilisieren?“,269 hätte Ernst Nigmann im Gegensatz zu Osterhammel selbst sicherlich mit einem deutlichen „ja!“ beantwortet. Nigmann hätte dies sogar als eine seiner zentralen Aufgabe als Kolonisator verstanden. Wie ich oben demonstriert habe, lag seinem Handeln allerdings nicht der von Osterhammel vermutete binär codierte, protonormalistische Rassismus zu Grunde, die „schärfste Grenze, an die Ideen der Zivilisierungsmission stoßen können“,270 sondern ein normalistischer Rassismus, der im Gegenteil sehr wohl den wilden Kannibalen in die rassistische „‚computation of normalities‘“ mit einbezog.271 Menschenfresserei wurde so zu einem Problem der Regierung und die Anthropophagen zum Objekt biopolitischer Intervention.

269 Osterhammel 2005, S. 417. 270 Ebd., S. 420. 271 Young 2003, S. 180.

3 . Klima, Körpe r, Ka nniba len: Gefahren w eißer Männlichkeit

„Wenn jemand mit Landsleuten ausziehen will, um sich anzusiedeln, niederzulassen, warum muß er da nach Ostafrika reisen mitten unter die Schwarzen, wo er im besten Falle vielleicht ein ehrliches Grab findet, wenn er nicht aufgegessen wird“? – mit dieser Frage versuchte der Anthropologe Rudolf Virchow in einer Reichstagsdebatte am 16. März 1885 auf die seiner Ansicht nach bestehende Grundproblematik des deutschen Kolonialprojekts hinzuweisen.1 Als kolonialem Nachzügler stünden dem deutschen Kaiserreich nur noch diejenigen Gebiete des Globus als potentielle Überseegebiete zu Verfügung, die aufgrund klimatischer Bedingungen für eine Besiedlung ungeeignet seien. Dies sei der Hauptgrund, weshalb die deutschen Bestrebungen, sogenannte Schutzgebiete zu errichten, letztlich zum Scheitern verurteilt seien. Denn, so Virchow, Kolonialisierung sei in erster Linie eine „medizinische Frage“.2 Nur wenn die dauerhafte Ansiedlung weißer Auswanderer und Auswanderinnen gelänge, könne das Projekt von Erfolg gekrönt sein. 1

2

„Protokoll der 68. Sitzung der 6. Legislaturperiode, 1. Session, 16. März 1885“, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des deutschen Reichstages, Bd. 81 (1884/85), S. 1839-1883 (Debatte), S. 18551862 (Rede Virchows), Zitat S. 1859. Anlass war die Beratung eines Gesetzentwurfes zur Regelung der „Postdampfschiffsverbindungen mit überseeischen Ländern“, welche – angesichts der 1884 herausgegebenen Schutzbriefe für die Besitzungen von Adolf Lüderitz (später DSWA), Adolph Woermann (später Togo und Kamerun) sowie dem im Februar 1885 gerade erst ausgestellten Schutzbrief für die von Carl Peters und der von ihm gegründeten „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ erworbenen Gebiete (später DOA) – zu einer Art Grundsatzdebatte über das Für und Wider deutscher Kolonialbestrebungen geriet. Ebd., S. 1856. Als positive Beispiele für deutsche Siedlungen in klimatisch günstigen Bedingungen verwies Virchow auf die deutschen Gemeinden in Südamerika, namentlich Brasilien (ebd., S. 1859).

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In seinem Redebeitrag parallelisierte Virchow die Bedrohung durch wilde Kannibalen mit den negativen Einflüssen des tropischen Klimas. Dabei handelte es sich keineswegs um eine singulär auftretende rhetorische Figur, wie ich im Folgenden demonstrieren werde. Vielmehr war seine Frage Teil einer Auseinandersetzung, in der die Körpergrenzen des weißen, männlichen Körpers problematisiert wurden. Weißen Männern, so die Vorstellung der Zeitgenossen und Zeitgenossinnen, drohte in den Kolonien die Gefahr einer doppelten Inkorporation: zum einen durch die menschen-fressenden ‚Wilden‘, zum anderen durch die Inkorporation der kolonialen Welt, von Viren und Bakterien bis hin zu Werten und Normen, in den männlichen Körper. Auf die eine oder die andere Weise: Europäer drohten Teil der kolonialen Umwelt zu werden. Diese Vorstellung von der Gefahr einer doppelten Inkorporation verband zwei Diskurse von je sehr unterschiedlicher zeitlicher Tiefendimension. Erstens war die Angst vor den wilden Kannibalen, wie wir bereits im vorangegangenen Kapitel sehen konnten, seit Beginn des Entdeckungszeitalters die ständige Begleiterin von Entdeckungs- und Forschungsreisenden. Entsprechende Schilderungen bildeten einen festen Bestandteil der von ihnen veröffentlichten Reiseberichte. Dabei scheint diese Furcht eher genrespezifisch denn geschlechterspezifisch gewesen zu sein, denn auch weibliche Forschungsreisende berichteten davon.3 Das zweite Diskursfeld, welches durch das Szenario der doppelten Inkorporation des weißen Mannes mit dem ersteren verbunden wurde, war die medizinischpsychiatrische Fachdebatte um die Auswirkungen des tropischen Klimas auf den europäischen Körper, genauer auf dessen Nervensystem. Diese Diskussion entspann sich vor allem seit den 1880er Jahren in Deutschland und wurde, wie wir an Virchows eingangs zitierter Rede bereits gesehen haben, im Zusammenhang mit einer allgemeinen Diskussion um die Chancen und Risiken des deutschen Kolonialprojekts geführt. Beiden Diskurssträngen möchte ich in diesem Kapitel nachgehen und mich dabei von folgenden Fragen leiten lassen: Welches Beziehungsgeflecht wurde im Kolonialdiskurs zwischen der bürgerlich-weißen, heterosexuellen Männlichkeit und dem wilden Kannibalen aufgespannt? Gab es andere Fluchtlinien zu anderen Polen, beispielsweise eine weiße koloniale Weiblichkeit? Welche Vorstellungen vom weißen, männlichen Körper gingen damit einher? In welchem Verhältnis stand der männliche europäische Körper zu seiner kolonialen Umwelt? Wie standen diese Äußerungen über weiße Männlichkeit und die Drohung der zweifachen Einverleibung zu dem, was wir im vorangegangenen Kapitel über koloniale Gouvernementalität erfahren haben? Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen werde ich mich auf die Analyse massenmedialer Darstellungen, besonders aber auf die Unter3

Beispielsweise: Pfeiffer 1856, S. 74-79. Zur Biographie Pfeiffers siehe: Habinger 2004.

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suchung populärer Abenteuer- und Kolonialromane konzentrieren. Bei der Auswahl der Beispiele habe ich mich einerseits von dem klarsten Indikator für Popularität leiten lassen: dem ökonomischen Erfolg eines Romans, d.h. seiner Auflagenzahl. Zum anderen habe ich Texte ausgewählt, die es mir erlauben, die Breite und Variabilität des in diesem Medium zirkulierenden Kannibalismusdiskurses sowie seine unterschiedlichen Verbindungen zu Elementen anderer Diskurse, namentlich dem Kolonial- und dem Geschlechterdiskurs, über die Schwelle des Endes der politischen Kolonialzeit hinweg zu beleuchten. Die Wahl fiel dabei auf Friedrich Wilhelm Maders Ophir, Edgar Rice Burroughs Romanserie Tarzan und Artur Heyes Hatako, der Kannibale.4 Es handelt sich hier um Texte, die sich vornehmlich, aber nicht ausschließlich, an ein männliches jugendliches Publikum richteten. Dies ist eine Quellengattung, die der Historiographie des britischen Imperialismus bereits mehrfach aus geschlechterhistorischer Perspektive untersucht worden ist, deren Potential für den deutschen Kontext allerdings noch nicht entsprechend berücksichtigt wurde.5 Dabei geht es mir im Folgenden nicht um eine Einordnung in die Geschichte der Kinder- und Jugendlektüre, sondern um die Ausleuchtung einer weiteren Facette der Diskurse, in denen weiße, hegemoniale Männlichkeit in Deutschland zwischen 1890 und 1933 artikuliert wurde.6 Imaginationen und Fiktionen haben dabei, so argumentiere ich im Anschluss an die Ergebnisse der anglo-amerikanischen Forschung für die Geschichte des Empire, eine zentrale Rolle gespielt. Graham Dawson hat diesen Zusammenhang in seiner Studie Soldier Heroes wie folgt auf den Punkt gebracht: „Masculinities are lived out in the flesh, but fashioned in the imagination.“7 Dabei begreife ich diesen Zusammenhang in deleuzianischer Perspektive als Teil der je historisch spezifischen Prozesse des Mann-Werdens, die auf der Grundlage affektiver Relationen, einem Begehren, operieren. Wie bereits einleitend dargestellt, umfasst der deleuzianische Begriff des Begehrens (désire) weder den Versuch einen Mangel zu stillen noch ein ‚ha4 5

6 7

Mader 1927; Burroughs 1924a-d; Heye 1927. Vgl. Mangan 1986; Bristow 1991; Dawson 1994 sowie die Beiträge in Philippa Levines Sammelband Gender and Empire (Levine (Hg.) 2004). Die bisherige Forschung zur Kolonialliteratur bezieht sich mehrheitlich auf Erwachsenenliteratur, die vor allem als Reisebericht oder in Anlehnung an diese Gattung entstanden ist. Vgl. dazu: Bleicher 1983, S. 251-257; Fiedler 2005, S. 177-220 (zu den Werken von Wilhelm Raabe, Frieda von Bülow, Carl Falkenhorst); Schneider, R. 2003 (Untersuchung der von Frauen geschriebenen Literatur: u.a. Lene Haase, Margarethe von Eckenbrecher, Ada Cramer). Die Ausnahme von dieser Regel ist die Untersuchung von Sibylle Benninghoff-Lühl, die gezielt die Jugendliteratur mit in den Blick nimmt. Siehe: Benninghoff-Lühl 1983, S. 35-47, 181-196. Siehe: Häfner 1988, die Beiträge in Mergner/Häfner (Hg.) 1989 sowie die Ausstellungskataloge Galle 2002 und Merveldt 2007. Dawson 1994, S. 1.

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ben wollen‘ in einem mehr oder weniger sexuellen Sinne. Stattdessen bezeichnet er einen Wunsch nach Konnexion, nach Erweiterung und Intensität.8 In dem hier zu untersuchenden Falle handelte es sich dabei ein Begehren, welches zwischen einem Abenteuerroman und seinem Leser zirkulierte und auf diese Weise das agencement weißer, heterosexueller, bürgerlicher Mann (mit)konstituierte. In diesem Sinne verstehe ich den Kolonialroman als eine Art der Buch-Maschine, die ihre eigene Mannigfaltigkeit an die anderer anschließt und diese verwandelt.9 Entsprechend werde ich im Folgenden die verschiedenen Angebote möglicher Anschlussstellen für die Leser kolonialer Abenteuerromane erurieren. Gleichzeitig kartographiere ich damit im Sinne eines diskursanalytischen Vorgehens das Feld der Aussagen über weiße Männlichkeiten in diesen Quellen.10 Des Weiteren liegen meiner Auswahl zwei grundsätzliche Beobachtungen über deutsche Kolonialliteratur der Zeit um 1900 zu Grunde. Zum einen wurde das Angstszenario von der doppelten Inkorporation besonders häufig in diesen populären Darstellungen thematisiert. Dieser Umstand war zum einen der bereits erwähnten langen Diskurstradition in Reise- und Expeditionsberichten geschuldet. Generell wurde in diesen fiktionalen Texten Authentizität dadurch inszeniert, dass auf wissenschaftliche Berichte verwiesen wurde. Diese Vorgehensweise brachte zwei Effekte mit sich: Die ohnehin unscharfe Grenze zum wissenschaftlichen Expeditionsbericht, der häufig genug in der Absicht verfasst wurde, durch hohe Verkaufszahlen Gewinne zu erzielen und der dementsprechend den wissenschaftlichen Bericht gegenüber den erzählerischen Elementen in den Hintergrund rückte, verschwamm auf diese Weise noch stärker.11 Gleichzeitig migrierten auf diese Weise das Wissen vom Wilden Kannibalen wie auch tropenmedizinische Überlegungen in literarische Darstellungen. Romane der Abenteuer- und Kolonialliteratur fungierten damit als ein interdiskursives Verbindungsglied.12 Zweitens war die „phantasmagorische Redeweise“, wie die Arbeiten von Susanne Zantop, Birthe Kundrus oder auch die Beiträge in wegwei8 9 10

11 12

Siehe: Colebrook 2002, S. xxii. Siehe: Deleuze/Guattari 2002, S. 13. Die Frage, ob oder auf welche Art und Weise die dort geschilderten Männlichkeiten von den Lesern individuell verkörpert wurden (oder auch nicht), lege ich damit gezielt still. Stattdessen konzentriere ich mich auf die Angebote, welche die Romane machten. Der kommerzielle Erfolg der Romane allein ist mir an dieser Stelle Indiz genug, um von einer erfolgreichen Kopplung auszugehen. Siehe: Berman 1998, S. 1; Essner 1985, S. 111-112. Fiedler 2005, S. 124-151. Gute Beispiele dafür sind: Edgar Wallaces 15 Jahre bei den Kannibalen (Wallace 1925), der genauso bebildert war wie ethnologische Darstellungen, Reise- oder Missionsberichte, Wissmanns Reisen durch Afrika (Elm 1893), sowie Bei meinen Freunden den Menschenfressern (Junker 1926), die posthume Veröffentlichung von Junkers Reisebericht in einer Bearbeitung als Jugendbuch.

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senden Aufsatzsammlungen wie etwa Kolonialismus als Kultur oder The Imperialist Imagination demonstriert haben, eines der zentralen Charakteristika des deutschen Kolonialdiskurses.13 Die deutschen Kolonien dienten als „Projektionsfläche für persönliche wie kollektive Wünsche, Entwürfe und Konzeptionen“, sie waren in diesem Sinne „Phantasiereiche“.14 Entsprechend sei, so die Position der genannten Forscherinnen und Forscher, die Untersuchung kultureller Phänomene besonders geeignet, um die Wirkungsmächtigkeit der kolonialen Erfahrung innerhalb der deutschen Gesellschaft zu erfassen: „To understand how ‚real‘ and long-lived German colonialism was – not just for the colonized, but for German society itself – it is necessary to go beyond historical facts and programmatic statements to investigate the mentalities and imaginary configurations that persisted throughout the colonial period and lingered long after.”15

Demgegenüber gilt es allerdings festzuhalten, dass auch in den Gesellschaften anderer europäischer Kolonialmächte Kultur und Kolonialismus eng miteinander verbunden waren.16 Es handelte sich dabei also weniger um ein rein deutsches als vielmehr um ein gesamteuropäisches Phänomen, das im Kontext der kurzen aktiven Kolonialpolitik des Kaiserreiches und der im Vergleich dazu deutlich längeren prä- und postkolonialen Phase eine spezifische Ausprägung erfuhr. Dazu gehört eine besonders in der Literatur zu findende „obsession with Germanness as masculinity, strength, and superior civilisation“, die sich nach der Phase der aktiven Kolonialpolitik und damit in einer Zeit, in welcher die nachträgliche Glorifizierung des deutschen Kolonialprojekts unter Ausblendung von Befreiungskämpfen und kolonialem Alltag an der Tagesordnung war, sogar in gesteigerter Form fortsetzte.17 Wichtig zu beachten ist dabei die klassenspezifische Dimension dieses Phänomens: Bereits vor Beginn der politisch aktiven Phase des deutschen Kolonialismus gehörte die Lesegemeinschaft in erster Linie dem Bürgertum an, welches wiederum eine besonders herausragende Rolle bei der Imagination der Nation und des kolonialen Projektes spielte. Die Leser (und Leserinnen) der populären Kolonial- und Abenteuerromane gehörten allerdings nicht zwingend zu dieser sozialen Gruppe.18 Die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen der Weimarer Republik 13 14 15 16 17 18

Kundrus 2003b, S. 7. Siehe auch: Zantop 1997, Kundrus (Hg.) 2003 sowie Friedrichsmeyer/Lennox et al. (Hg.) 1998 und Honold/Simons (Hg.) 2002. Kundrus 2003b, S. 7. Zitat siehe Kundrus (Hg.) 2003. Friedrichsmeyer/Lennox et al. 1998, S. 18. In diesem Sinne argumentieren auch: Honold/Simons 2002, S. 8-10. Dazu einschlägig: Saïd 1994 sowie die Beiträge in Hall (Hg.) 2000. Friedrichsmeyer/Lennox et al. 1998, S. 24. Siehe dazu: Warmbold 1982, S. 125-136 (zur Bedeutung der kolonialen pressure groups bei der Distribution); Friedrichsmeyer/Lennox et al. 1998, S. 19. Dieses Leseverhalten korrespondierte mit dem überproportional häu-

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befürchteten sogar, dass vornehmlich junge Männer der Arbeiterklasse dem Einfluss dieser Jugendlektüren ausgesetzt seien, die sie für sinnlich aufreizend und sittlich verderblich hielten, wie ich an anderer Stelle noch zeigen werde.

3.1

K o l o n i a l e Ab e n t e u e r a l s T e i l der kolonialen Populärkultur

Bevor wir uns zur Klärung der oben genannten Fragen der exemplarischen Analyse ausgewählter, besonders publikumswirksamer kolonialer Abenteuerromane zuwenden, bedarf es einer kurzen Einordnung dieser Quellengattung in den Kontext der deutschen kolonialen Populärkultur zwischen 1890 und 1933. Denn Romane, Expeditions- oder Reiseberichte waren bei weitem nicht die einzigen Medien, in denen das Wissen vom wilden Kannibalen transportiert wurde, ganz im Gegenteil. Sie waren nur eine Facette einer lebendigen und vielfältigen kolonialen Pop-Kultur, zu denen Postkarten, Klebebildchen, Kolonialzeitschriften, aber auch Völkerschauen und Jahrmärkte gehörten.19 Dabei sind leichte Unterschiede im Umgang mit dem Thema Kannibalismus zwischen den verschiedenen Medien feststellbar. Während beispielsweise in Völkerschauen Anthropophagie nicht explizit thematisiert wurde, bildete der wilde Kannibale einen festen Topos des ErlebnisRepertoires der Jahrmärkte, wie eine Postkarte vom „Bremer Freimarkt“, versandt im Jahre 1905, verdeutlicht (siehe: Anhang Abb. 9.4).20 Bei der

19

20

figen Engagement des Bürgertums in kolonialpolitischen pressure groups wie der DKG oder dem FB (siehe: Gründer 2004e, S. 39-43; Chickering 1988, S. 177). John Phillip Short demonstriert demgegenüber, dass auch Arbeiterinnen und Arbeiter gerne und häufig Kolonialliteratur rezipierten (siehe: Short 2003, S. 472-474.) Vgl. auch Schneider, J. 2004, S. 206-212, 222 zum kleinbürgerlichen Publikum der Abenteuer-, Reise- und Science Fiction-Romane. Besonders die Völkerschauen waren in den letzten Jahren Gegenstand historiographischer Forschung. Siehe dazu Thode-Arora 1989; Dreesbach 2005; Dreesbach/Zedelmaier (Hg.) 2003; Debusmann/Riesz (Hg.) 1995 sowie eine Vielzahl an Aufsätzen zu diesem Thema, etwa BenninghoffLühl 1984; Goldmann 1985; Benninghoff-Lühl 1986; Haberland 1988; Hey 1997, S. 202-211; Bruckner 2003. Darüber hinaus werden Völkerschauen häufig in Untersuchungen zum Thema Rassismus und der Darstellung afrikanischer Menschen im kolonialen Mutterland untersucht. Siehe: Wiener, Mi. 1990, S. 59-64; Zimmerman 2001, S. 15-37; Thode-Arora 2004; Zanella 2004, S. 17-41 (Schwerpunkt Frankreich); Lewerenz 2006, S. 65-86, hier besonders die ambivalente Funktion der „Deutschen AfrikaSchau“ zur Zeit des Nationalsozialismus (S. 87-141). „Gruss vom Bremer Freimarkt“, Postkarte im Besitz des Schaustellermuseums Essen Original: 14,1 x 9,4 cm (Farblithographie, „Gesch. M No 3“), Poststempel: Bremen 23.10.05. Der „Gruss“ ist nachträglich aufgestempelt worden, wodurch die Karte der Bremer Veranstaltung zugeordnet wurde.

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gezeigten Karte handelte es sich um eine Massenanfertigung, die durch einen nachträglich aufgebrachten Stempelaufdruck der Jahrmarktsveranstaltung in Bremen zugeordnet wurde.21 Die abgebildeten Buden gaben daher ein Standardrepertoire wieder, welches ein Betrachter oder eine Betrachterin zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Jahrmärkten assoziierte. Neben „Alma dem Riesenkind“ und der „Seejungfrau“ gehörten dazu demnach auch „Die Menschenfresser“. Auch andere Indizien weisen darauf hin, dass Darstellungen wilder Kannibalen ein fester Bestandteil europäischer Jahrmarktspektakel waren. So existierte im Sprachgebrauch französischer Schausteller und Schaustellerinnen eine eigene Bezeichnung für Personen, häufig männliche Kinder, welche die Rolle eines Wilden oder Kannibalen auf den Brettern der Schaubuden mimten: „divio“.22 Diese Form des racial oder cultural cross-dressing war auch in anderen Kontexten, etwa dem Varieté, weit verbreitet.23 Einige Stimmen in der Forschung argumentieren sogar, dass „der stärkste und bleibendste Eindruck des deutschen Kolonialprojektes auf dem Gebiet der visuellen Massenkultur“ zu finden sei.24 Diese sei gekennzeichnet einerseits durch die Inszenierung von Authentizität, gepaart mit einem starken Begehren und/oder einer Sehnsucht nach Exotik.25 Andererseits sei, besonders für die Zeit nach 1905, eine zunehmende visuelle „Rassifizierung“ von Afrikanerinnen und Afrikanern zu diagnostizieren.26 Laut Jan Nederveen Pieterse entwickelte sich in diesem Zeitraum eine neue Version vom wilden Kannibalen: Während afrikanische Menschenfresser zuvor als ernstzunehmende Bedrohung galten – als Beispiel führt er die von Schweinfurth ‚entdeckten‘ Azande an – seien sie nun zunehmend ironisch dargestellt worden.27 Gut zu beobachten ist diese zunehmende Stereotypisierung und Ironisierung in der vor dem Ersten Weltkrieg am weitesten verbreiteten Kolonialzeitschrift Kolonie und Heimat.28 Hier wurden Anthropophagen nicht nur in ethnographisch aufgemachten Länderberichten, die oft nicht von 21 22

23 24 25 26 27 28

Siehe dazu auch die Beispiele für Jahrmarktspostkarten bei Morgner 1985, S. 12-14, 24. Zavatta 2001, S. 123-124. Für den deutschsprachigen Kontext fehlt es bislang an vergleichbaren sprachhistorischen Studien. Insgesamt ist die Geschichte der Jahrmärkte im Vergleich zu derjenigen der Völkerschauen bislang weniger stark aufgearbeitet worden. Ausnahmen von dieser Regel sind: Kosok/Jamin (Hg.) 1992, hierin besonders der Beitrag von Stephan Oettermann (Oettermann 1992); Kirschnick 2002 und einige kurze Ausführungen bei Dreesbach 2005, S. 88-96. Siehe: Kusser 2008. Ciarlo 2003b, S. 136. Siehe: Benninghoff-Lühl 1986, S. 43-45; Zimmerman 2001, S. 15-20; Lange 2004. Siehe: Ciarlo 2003b, S. 146-148; Ciarlo 2003a, S. 243-251. Siehe auch: Barthel 1984. Pieterse 1992, S. 115, 119. Siehe: Warmbold 1982, S. 129-136.

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Fachleuten, sondern von Schriftstellern verfasst wurden, thematisiert, sondern zunehmend in der Sparte Kuriosita und Unterhaltung, namentlich „Vom kolonialen Stammtisch“ und „Allerlei“, behandelt.29 Zur Bebilderung von Beiträgen wurde teilweise sogar das gleiche Material verwendet, so beispielsweise die Fotografie einer Palisade, die in einer Ausgabe des Jahrgangs mit der Bildunterschrift „Ostafrika: Palisaden einer Militärstation im Innern“ zur Auflockerung eines Fortsetzungsromans verwendet wurde. Das Bild stand in keinem inhaltlichen Zusammenhang zum Text, und firmierte auf der Titelseite eines Heftes knapp ein Jahr später als „Feste eines Eingeborenen-Sultans“ in Ostafrika.30 Hier allerdings war die gleiche Palisade mit Menschenschädeln versehen, welche ein Jahr zuvor im Bild nicht zu sehen waren. Spätestens seit Schweinfurths Reisebericht war die diskursive Kopplung von ausgestellten Gebeinen, v.a. Schädeln, Ostafrika und Kannibalismus fest etabliert, so dass auf diese Weise ein Kannibalismus-Verdacht sozusagen hinretuschiert worden war. Auch wenn diese Vorgehensweise möglicherweise editorischen Sparmaßnahmen geschuldet war, so dokumentiert sie doch, dass Entscheidungsträgerinnen und –träger Bilder von Menschenfressern für beliebig austauschbar hielten. Gleichzeitig verstärkte diese Vorgehensweise umgekehrt den Trend zu einer uniformen Ikonographie des wilden Kannibalen. Umgekehrt waren in den stereotypen, komischen Darstellungen des Menschenfressers die potentiellen „Opfer nie Kolonialbeamte, Polizisten oder gar Soldaten, sondern immer nur [die] den ‚Eingeborenen‘ wohlgesonnene[n] Menschen, die aus ideellen oder religiösen Motiven heraus in die Kolonien getrieben wurden“.31 Damit galten genau diejenigen Männer als am dringlichsten gefährdet, die sich besonders lange und (zumeist) allein unter den Indigenen 29

30

31

Vgl. „Erschwerender Umstand“, in: Kolonie und Heimat 1,26 (1907-08), Beilage, S. 4; „Aus dem Briefe eines Negermädchens in den deutschen Kolonien“, in: ebd., 1,4 (1907-08), Beilage S. 4; „Die Menschenfresser“, in: ebd., 2,7 (1908-09), S. 13 (hier thematisiert die ‚falschen‘ Kannibalen auf Jahrmärkten); „Der Werwolf in Afrika“, in: ebd., 5,20 (1911-12), S. 13; Osman, „Aus dem Kochbuche der Menschenfresser“, in: ebd., 6, 24 (191213), S. 11-13; „Ein ‚Menschenfresser‘ in Deutsch-Ostafrika“, in: ebd., 7,41 (1913-14), S. 11. Siehe: Kolonie und Heimat 5,44 (1911-12), S. 9 sowie ebd., 6,20 (191213), Titelblatt. Dies ist eine mehrfach zu beobachtende Vorgehensweise. Siehe: Stefan von Kotze, „Das Gift des Vergessens. Roman aus der Südsee“, in: Kolonie und Heimat: 2,2 (1908-09), S. 9-10. Hier werden sogar die gleichen Bilder zur Illustration von Kannibalen verwendet wie für den Beitrag von Paul Mähler, „Der Kannibalismus in seinen Ursachen und Zuständen. Mit besonderer Berücksichtigung der Gegenwart“, in: ebd., 4,52 (1910-11), S. 9-10. Auch bei der Diffamierung afro-französicher Soldaten wurden Kannibalen-Bilder verwendet. Vgl. Kolonie und Heimat 11,9 (1917/18), Titelseite sowie „Die Naturvölker im Weltkriege“, in: ebd., 12,7 (1918-19), S. 4-5, hier S. 5. Zu den Auseinandersetzungen um die afrikanischen Kolonialtruppen Frankreichs im Rheinland nach 1918 mehr in Kapitel 5. Barthel 1984, S. 132.

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aufhielten, und die darüber hinaus aufgrund ihrer christlich-pazifistischen Grundhaltung dem Ideal der wehrhaften, bürgerlich-weißen Männlichkeit nicht entsprachen: die Missionare. Überspitzt formuliert fraßen hypermaskuline Indigene die feminisierten Missionare. Wie verhielt es sich nun mit der Darstellung der wilden Kannibalen in der populären Abenteuer- und Kolonialliteratur?

3.2 Unter Kannibalen: V o n d e r An g s t , v e r s c h l u n g e n z u w e r d e n  Weiße Männer auf Expedition: Ordnung schaffen im kolonialen Raum Richten wir nun unseren Blick auf das erste der drei ausgewählten Beispiele, den Abenteuerroman Ophir von (Ernst) Friedrich Wilhelm Mader (1866-1945).32 Der Roman, dessen erste Ausgabe bereits 1911 erschien, war der dritte und letzte Band einer kurzen Serie. Vorausgegangen waren Im Lande der Zwerge sowie Nach den Mondbergen.33 Ophir war nicht nur in den 1920ern, sondern sogar bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein großer Publikumserfolg und erschien immer wieder in mehreren unterschiedlich bearbeiteten Auflagen. Die Popularität von Maders Kolonialromanen war in erster Linie ein postkoloniales Phänomen und zwar im doppelten Sinne. Zum einen veröffentlichte er in der Zeit des Kolonialrevisionismus der 1920er und 1930er Jahre eine Reihe von Darstellungen, mit denen er zur Verherrlichung der deutschen Marine sowie der Schutztruppe in DOA beitrug.34 Zum anderen wurden seine Werke zum zweiten Mal verstärkt zu Beginn der Bundesrepublik rezipiert, als seine Bücher von der Düsseldorfer Deutschen Buchvertriebs- und Verlagsgesellschaft

32

33 34

Siehe: Mader 1927. Mader, geboren in Nizza als Sohn eine evangelischen Pfarrers, studierte selbst Theologie in Tübingen, wo er als Mitarbeiter bei den Fliegenden Blättern und den Meggendorfer Blättern erste Erfahrungen als Autor sammelte. Nach Abschluss seines Studiums 1892 übernahm er mehrere Vikarsstellen und unterrichtete, bis er 1897 Pfarrer der Gemeinde zu Eschelbach wurde. Hier schrieb er den größten Teil der genannten Abenteuer- und Jugendromane, bei denen er sich stark von den Romanen Jules Vernes und Karl Mays inspirieren ließ. 1917 bat er um Versetzung in den Ruhestand, um sich vollständig dem Schreiben widmen zu können. In Stuttgart fand er, nachdem er seine Bücher jahrelang zusammen mit seiner Familie im Selbstverlag v.a. über Anschreiben an andere Pfarrämter vertrieben hatte, einen Verlag für seine Veröffentlichungen: den Union Verlag Stuttgart (siehe: Schlagenhauf 1993, S. 109-149). Siehe: Mader 1925 (Erstauflage 1910); Mader 1920 (Erstauflage 1911). Siehe: Deutsche Helden zur See (Mader 1937a) und Am Kilimandjaro. Abenteuer und Kämpfe in Deutsch-Ostafrika (Mader 1937b). Vgl. dazu auch: Opitz 2007.

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zwischen 1952 und 1955 in bearbeiteter Fassung wieder aufgelegt wurden.35 Hauptzielgruppe waren, wie ein Blick auf die hinten im Band beworbenen Romane deutlich macht, männliche Kinder und Jugendliche. Der Text schilderte die Abenteuer einer gemischtgeschlechtlich besetzten Expedition, die von einem deutschen Professor der Botanik geleitet wurde, und an der außerdem ein deutscher Arzt und seine Schwester, ein junger Bure, dessen zwei Schwestern, sowie ein englischer Naturforscher teilnahmen. Gemeinsam begaben sie sich auf die Suche nach dem geheimnisvollen Land Ophir, in dem gleichzeitig der ältere Bruder der drei burischen Geschwister von einem tyrannischen und grausamen Sklavenhändler namens Halim Pascha gefangen gehalten wurde. Das „fabelhafte Goldland Ophir“, wie es im Untertitel hieß, wurde im Text mit dem alttestamentarischen Königreich Saba identifiziert und sollte geheime Goldvorkommen bergen.36 Mader entwarf in seinem Roman ein komplexes Beziehungsgeflecht zwischen bürgerlich-weißer Männlichkeit, weißen Weiblichkeiten, sowie unterschiedlichen weißen wie nicht-weißen, Männlichkeiten, das ich im Folgenden eingehender analysieren werde. Innerhalb dieses multirelationalen Geflechts fällt zuerst das Geschlechterverhältnis in der Gruppe der weißen Expeditionsteilnehmenden auf, das stark dem partnerschaftlichen Geschlechtermodell entsprach, welches von der Mehrheit der bürgerlichen Frauenbewegung und besonders dem Frauenbund der DKG propagiert wurde.37 Die ideale Kolonialfrau sollte nicht nur als Trägerin deutscher Kultur, Zucht und Sitte fungieren, sondern dem Kolonialpionier als Gefährtin in allen Lebenslagen kameradschaftlich beistehen. Besonders die „kolonialräsonierenden Frauen“ verbanden mit dem Kolonialprojekt „den Traum eines neu gewonnen Individualismus“.38 Oder, wie Leonore Nießen-Deiters (1879-1939), formulierte: „[D]as Ideal einer richtigen ‚Kolonialfrau‘ ist weder das Weibchen noch die Dame noch die Gelehrte, sondern die gebildete und zweckmässig geschulte Frau, die zwei gesunde Fäuste, ein warmes Herz und einen klaren Kopf hat.“39

Die weißen Frauen in Maders Roman jagten als „die kühnen Jägerinnen“ Nilpferde, befreiten ihre gefangenen Brüder und ersannen den Plan für 35 36 37

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Siehe beispielsweise: Der Schatz des Halim Pascha: Abenteuer-Erzählung (Mader 1952). Vgl. Mader 1927, S. 155-158, 229. Siehe: Greven-Aschoff 1981, S. 37-44, sowie zur Einordnung des FB in den bürgerlich-konservativen Flügel der Frauenbewegung siehe Chickering 1988. Kundrus 2003a, S. 77-96, Zitat S. 93; Vgl. dazu auch: Smidt 1995, S. 9495, 239-247 (hier auch Debatte um Emanzipationsprozesse in DSWA); Wildenthal 2001, S. 54-69, 156-171 (exemplarisch anhand der Biographien Frieda von Bülows und Hedwig Heyls) sowie Dietrich 2007, S. 272-280. Nießen-Deiters 1913, S. 59.

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einen in der Ausführung erfolgreichen Überfall auf eine Sklavenhändlerkarawane. Mit Hilfe einer Vision, die eine der drei jungen Frauen während eines Schubes einer tropischen Fieberkrankheit hatte, fanden sie sogar den Aufenthaltsort des Anführers der Sklavenhändler, Halim Pascha.40 Ähnlich wie die oben bereits angesprochenen allein reisenden Forscherinnen bewiesen sie damit eine Reihe von männlich konnotierten Eigenschaften: Mut, Initiative, wissenschaftliche Neugier oder Todesverachtung, denn, wie es im Text wörtlich hieß, sie „waren ja keine Salondämchen und Modepüppchen“.41 Trotzdem oder gerade deswegen begegneten die Männer der Expedition ihnen mit Respekt, und ihr Verhalten wurde an keiner Stelle als unweiblich abqualifiziert. Am Ende des Romans stellte Mader diesen Weiblichkeitsentwurf sogar explizit dem traditionellen bürgerlichen Weiblichkeitskonzept gegenüber. Auch aus dieser Konfrontation gingen die Heldinnen des Romans als Siegerinnen hervor: Sobald ihre herausragenden Leistungen unter den Gästen eines Hotels, den angesehenen Mitgliedern der weißen Elite der kolonialen Gesellschaft, bekannt wurden, eilten die dort versammelten Damen in die Zimmer der Heldinnen, die sich mangels angemessener Abendgarderobe nicht hinabgewagt hatten und baten diese, als Ehrengäste am festlichen dinner teilzunehmen.42 Zum Schluß erhielt dieser Entwurf weißer Weiblichkeit sogar die ehelichen Weihen: Die Helden heirateten unsere Heldinnen.43 Afrikanische Frauen wurden im Roman in enger Beziehung zu den weißen Frauen dargestellt; zum Teil sprach Mader sie sogar als eine Gruppe von „Mädchen“ an.44 Weiße und afrikanische Frauen teilten miteinander das Zelt und in einem Fall sogar ihr Blut: Eine der weißen Heldinnen unterzog sich einer Blutspende, um das Leben ihrer Dienerin, der „Zwergenprinzessin“ Tipekitanga, zu retten. Diese wiederum rühmte sich anschließend stolz, dass sie damit qua Blutszugehörigkeit Teil der weißen ‚Rasse‘ sei, „daß nun weißes Blut in ihren Adern kreise, daß sie jetzt zu den Weißen gehöre, wenn auch ihre Haut noch schwarz sei“:45 Eine physiologisch begründete Selbstidentifikation, die bei den anderen afrikanischen Frauen laut der Darstellung im Roman „Ehrfurcht“, Neid und Bewunderung auslöste und sie Tipekitanga als „ein Wesen höherer Art“ verehren ließ.46 Auf diese Weise griff Mader auf die Fusion des biologisch 40

41 42 43 44

45 46

Siehe: Mader 1927, S. 60-76 (Befreiung des Bruders), S. 140-142 (Nilpferdjagd), S. 208 und 242-249 (Auffinden Versteck Halim Paschas), Zitat S. 243. Ebd., S. 251. Vgl. Mader 1927, S. 329. Siehe: Ebd., S. 333-334. Besonders deutlich zu sehen in seinen Schilderungen der Erkundungswanderungen, welche die europäischen und afrikanischen Frauen gemeinsam unternehmen, um den Eingang zu Halim Paschas Versteck zu finden. Siehe: Ebd., S. 242-251. Ebd., S. 296, 304-305, Zitat S. 305. Ebd., S. 305.

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orientierten Rassebegriffs, der sich Mitte des 19. Jahrhundert entwickelt hatte, mit älteren Vorstellungen von ‚Rasse‘ als blutsverwandte Zugehörigkeit zum Adelsstand zurück, welche Arthur de Gobineau (1816-1882) in seinen Essai sur l·inégalité des races humaines (1853-1855) für seine Theorie vom Ariertum vorgenommen hatte.47 Die männlichen Angehörigen der Expedition wurden dem gegenüber allesamt mit traditionell männlichen, positiv besetzten Eigenschaften charakterisiert. Besonderen Vorbildcharakter hatte in diesem Zusammenhang die Figur des Lord Flitmore, „mehr Deutscher denn Engländer“, der sich durch extreme Selbstbeherrschung und kühle Überlegung in Krisensituationen auszeichnete und im Text sogar als „Vater der Selbstbeherrschung“ bezeichnet wurde. Der von Mader für ihn erfundene sprechende Name unter den Indigenen lautete „Bwana Kelele“ oder „‚Herr Ruhe‘“.48 Flitmore unterwarf seine gesamten emotionalen und instinktiven Reaktionen einer strikten, rationalen Kontrolle, so beispielsweise als er tot geglaubte Mitglieder der Expedition entdeckte: „Eine Freudenwelle strömte zu Flitmores Herzen: sie waren gerettet! [...] Am liebsten wäre der Engländer jubelnd auf die so unerwartet Wiedergefundenen zugestürmt. Aber er zügelte, wie immer, seine Triebe und sagte sich, daß da andere seien, die mehr Recht auf eine erste Begrüßung hätten.“49

Statt also seinem ersten Impuls zu folgen, ging er gemessenen Schrittes zur ahnungslosen Restgruppe zurück und verkündete, sogar „die Bewegung seiner Stimme meisterhaft bewältigend“, seine Entdeckung.50 Neben Deutschen waren unter den Mitgliedern der Expedition auch Repräsentanten von denjenigen Kolonialmächten, zu denen sich deutsche Kolonisatoren in einem ambivalenten Verhältnis von Identifikation und Konkurrenz stehen sahen, namentlich Engländer und Buren.51 Diese gegenseitigen positiven wie negativen Bezugnahmen spielten besonders im Bereich des südlichen Afrika eine zentrale Rolle bei der Herausbildung eines je eigenen Verständnisses von der eigenen Rolle als Kolonisator. Einerseits galt das britische Empire für das deutsche Kolonialprojekt als vorbildhaft, andererseits wurde der britische Umgang mit den Indigenen 47

48 49 50 51

Siehe: Geiss 1988, S. 17, 30-31, 168-169; Weingart/Kroll/Bayertz 1992, S. 94-97; Foucault 1999, S. 94-97; Young 2003, S. 99-117; Geulen 2004, S. 59-71. Siehe: Mader 1927, S. 60-61, Zitate S. 2, 130. Ebd., S. 130. Ebd., S. 131. Während die weißen Frauen als mehr oder weniger homogene Gruppe geschildert wurden, hob Mader in Bezug auf die männlichen Protagonisten das Distinktionsmerkmal Nationalität besonders oft hervor. Eine Vorgehensweise, welche die im Kaiserreich und Weimar übliche Identifikation von Männlichkeit und Nation wiederspiegelt. Siehe dazu auch die Ausführungen in Kapitel 6.

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als fast schon egalitär kritisiert. Buren hingegen galten in Teilen der Kolonialliteratur aufgrund ihrer sehr einfachen und bodenständigen Lebensweise oft als kulturell ‚rückständige‘ Weiße. Gleichzeitig identifizierten sich deutsche Kolonialinteressierte mit dem burischen Unabhängigkeitsbestrebungen in der britischen Kapkolonie.52 Anders verhielt es sich jedoch mit den im Roman ebenfalls erwähnten Portugiesen. Eine portugiesische Stadt, welche die Heldinnen und Helden auf ihrer Reise aufsuchten, „machte den Eindruck eines Negerdorfes“, die „Häuser der Europäer sahen verwahrlost aus und den Lehm, mit dem die Mauern verkleidet waren, hatte der Regen weggewaschen.“ Grundlegende hygienische Regeln würden missachtet: Europäer und Europäerinnen lebten eng mit den Indigenen zusammen und „[o]bgleich das Klima gesund ist, herrschte doch infolge jeglichen Mangels an gesundheitlichen Einrichtungen eine abscheuliche Luft, die dem Wohlbefinden nicht zuträglich sein konnte.“53 Insgesamt seien die Portugiesen als Kolonialherren gescheitert. Obwohl dieser Teil Afrikas bereits „seit Jahrhunderten portugiesische Kolonie“ gewesen sei, konnte diese ihre Herrschaft nicht dauerhaft und vollständig durchsetzen.54 Gleichzeitig seien sie gegenüber den Afrikanerinnen und Afrikanern ungerecht hart, beschimpften diese als faul, seien aber selbst nicht bereit, eigene körperliche Arbeit in die Kolonie zu stecken. Geradezu exemplarisch führte Mader den jammernden Plantagenbesitzer Avelino Fernandez de Mello ein, der all diese Vorurteile verkörperte.55 Angesichts seines Verhaltens äußerten sich die Mitglieder der Expedition, allen voran die mitreisenden Frauen, umgekehrt positiv über die Indigenen, die sich „trotz der ungerechten, barbarischen Behandlung“ für ihren weißen Herrn aufopferten.56 Der in dieser Parteinahme zugunsten der Indigenen zum Ausdruck kommende Paternalismus entsprach der Grundeinstellung, mit welcher Maders Protagonisten und Protagonistinnen Menschen afrikanischer Abstammung gegenübertraten. Für sie waren diese Kinder, die es zu erziehen galt. Über diese Einschätzung bestand unter den Weißen im Roman Einigkeit, lediglich über die Vorgehensweise kam es zu Diskussionen. Auch in dieser Debatte finden wir zentrale Aussagen des deutschen Kolonialdiskurses geradezu als Textzeilen der Heldinnen und Helden des Romans wieder. In einer doppelten Abgrenzungsbewegung, die einerseits das Vorgehen der Portugiesen als zu hart und den Umgang der Briten als zu nachlässig und weichherzig bezeichnete, positionierten sich die Ange52

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Siehe dazu: Kundrus 2003a, S. 96-104; Aitken 2005; Walgenbach 2005, S. 161-164; Aitken 2007a, S. 187-228; Aitken 2007b, 352-358; Lindner 2011 sowie Lindner 2009. Mader 1927, S. 138. Ebd., S. 166. Siehe: Ebd., S. 94-96. Ebd., S. 95.

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hörigen der deutschen Kolonialmacht in der ‚goldenen Mitte‘: grundsätzlich sei den Indigenen mit Güte zu begegnen, bei Verstößen gelte es allerdings, energisch durchzugreifen und schnell sowie angemessen zu ahnden. Als das Mittel der Wahl galt die Prügelstrafe. Allerdings müsse der individuelle Fall berücksichtigt werden, denn „manche Kinder brauchen Schläge, anderen schaden sie nur“.57 Das Verhalten des deutschen Expeditionsleiters, der qua Amt die Verantwortung für die gesamte Gruppe trug, konnte in diesem Sinne als vorbildlich gelten. Er trat den indigenen Mitgliedern der Expedition gegenüber stets als Familienoberhaupt auf: zugleich sorgend, strafend und ordnend. Er sprach sie sogar als „meine Kinder“ an.58 Diese fürsorglich-paternalistische Position entsprach einerseits der im vorangegangenen Kapitel rekonstruierten kolonialen Gouvernementalität, in welcher der deutsche Kolonisator gegenüber der indigenen Bevölkerung als ‚guter Hirte‘ auftrat. Zum anderen beschrieb Mader damit eine koloniale, weiße Männlichkeitskonstruktion, die Elemente der beiden von Wildenthal rekonstruierten Männlichkeiten, derjenigen der „imperial patriarchy“ und des „liberal nationalism“ miteinander verband.59 Schultze als Expeditionsleiter hatte zwar uneingeschränkte patriarchale Verfügungsgewalt über die Mitglieder der Expedition, traf seine Entscheidungen aber nie ohne Rückbindung an das Votum oder gar gegen den Willen der anderen Weißen in der Gruppe. Zudem setzte er seine Macht stets im Sinne der civilising mission und der Durchsetzung einer allgemeinen Rechtsordnung ein.60 Die solcherart infantilisierten Indigenen wurden von Mader des Weiteren entweder negativ als gierig, feige, unbeherrscht, rachsüchtig, wortbrüchig, lügenhaft, grausam und heimtückisch beschrieben oder als den Weißen ergebene Diener und Dienerinnen, die bereitwillig ihr eigenes Leben zugunsten ihrer Herrinnen und Herren aufs Spiel setzten.61 Gleichzeitig betonte Mader immer wieder die angeblich ‚natürliche‘ Überlegenheit des „Europäer[s]“ über den „Neger“, die sich nicht nur auf intellektueller Ebene, sondern vor allem auch in ihrer Entschlossenheit, Geistesgegenwart und Willensstärke äußern sollte. Auf diese Weise sollten Weiße auch zahlenmäßig und körperlich stärkeren Gegnern erfolgreich die Stirn bieten können. Mader fasste diesen intellektuell-strategischen Vorteil wie folgt zusammen: 57 58 59 60

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Ebd., S. 150-151, Zitat S. 150. Ebd., S. 234. Wildenthal 2001, S. 80. Siehe: Mader 1927, S. 80 (Befreiung von Slaven), S. 86-87 (Verbot von Plünderungen zur Versorgung der Expedition), S. 138, 304 (keine Lynchjustiz, sondern Übergabe der überlebenden Sklavenhändler an die Behörden). Siehe: Ebd., S. 54-55 (der Koch der Expedition setzt trotz schwerster Verwundungen sein Leben aufs Spiel), S. 286-287 (Dienerin Amina stirbt, um die Weißen vor einem Hinterhalt warnen zu können).

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„Der stärkste Neger wird durch plötzliche Überraschung gelähmt und ist nicht mehr imstande, rasch zu laufen oder auch nur ein mäßiges Hindernis zu überspringen; deshalb kann ein Europäer, wenn er nur kühn und verblüffend vorgeht, einen schwarzen Herkules spielend niederringen und den leichtfüßigsten Läufer mit ein paar Sätzen einholen.“62

Ein „jäh aus tiefem Schlafe geweckter Schwarzer“ benötigte laut Maders Darstellung sogar „viel längere Zeit als der Europäer, um sich völlig zu ermuntern und zu klarem Bewusstsein zu gelangen.“ Im Schlaf überfallen, torkelten sie zunächst mehr oder weniger hilflos herum: „Die Leute handelten völlig kopflos, und es fehlte ihnen an jeder Geistesgegenwart.“63 Darüber hinaus seien die angeblich überaus abergläubischen Indigenen auch leicht zu täuschen. So gaukelte der technisch versierte und findige Lord Flitmore einem einheimischen „Häuptling“ zur Geisterstunde mit Hilfe von Schweinwerfern und Hohlspiegeln erfolgreich die Erscheinung seines eigenen Gottes vor, um ihn den Reisenden gegenüber günstig zu stimmen.64 Entsprechend waren alle Autochthonen leicht durch gezielte Einschüchterungs- oder Überrumpelungstaktiken zu überwältigen und gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen der von Weißen angeführten Expedition und feindlichen Autochthonen gerieten dementsprechend stets zu einer Demonstration der ‚überlegenen‘ intellektuellen Fähigkeiten der Europäerinnen und Europäer. Die einzigen nicht-weißen Männer, die eine ernsthafte Bedrohung für die Expedition darstellten, waren die arabischen Sklavenhändler, die als grausam und heimtückisch geschildert und als „Bestien in Menschengestalt“ oder als „entmenschtesten Wüteriche“ bezeichnet wurden.65 Unter diesen galten, ganz im Sinne der damaligen rassebiologischen Vererbungslehre, die „Mischling[e]“ unter den Sklavenhändlern als besonders grausam. Da in ihren „Adern Negerblut und Araberblut sich misch[e]“, hätten sie „von beiden Rassen nur die schlimmsten Eigenschaften geerbt“ und seien daher „von ausgesuchter Bosheit und Grausamkeit“. 66 Auch hier bezog sich Mader auf die von Gobineau inspirierten Theorien der rassistischen Vererbungslehre, die in der von ihm beschriebenen 62 63

64

65 66

Ebd., S. 24. Ebd., S. 24. Wie ich in Kapitel 4 und 5 zeigen werde, galt im anthropologisch-kriminologischen Diskurs die Neigung zur Bewusstlosigkeit und fehlende Selbstbeherrschung als Zeichen einer ‚degenerativen‘ Veranlagung. Siehe: Ebd., S. 174-176. Dies war eine durch und durch unglaubhafte Darstellung, denn weder führte Mader zuvor ein, dass Lord Flitmore die Sprache der Indigenen akzentfrei beherrschte, noch erklärte er, woher der zum Betrieb der Schweinwerfer benötigte elektrische Strom stammte. An dieser Stelle konnte nur ein offenbar beim Publikum vorhandener blinder Glaube an die Überlegenheit des weißen Mannes und seiner Technik die erzählerische Lücke schließen. Ebd., S. 11. Ebd., S. 10.

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Weise davon ausgingen, dass Kinder aus ‚gemischtrassigen‘ Verbindungen die jeweils negativen ‚rassischen‘ Eigenschaften ihrer Eltern erben würden. Diese Position war im Kontext der deutschen Kolonien die Haltung der Befürworter des Verbots sogenannter Mischehen.67 Gleichzeitig bestimmte sie maßgeblich die Überzeugungen einer Eugenikbewegung, deren Ziel die biopolitische Neustrukturierung und Verbesserung der Gesellschaft im kolonialen Mutterland war.68 Wie schon bei der Charakterisierung der Portugiesen griff Mader auch hier zum Stilmittel der Personifizierung: Der Gegenspieler der Heldinnen und Helden, der Anführer einer Bande von arabischen Sklavenhändlern, vereinte nahezu alle genannten negativen Eigenschaften auf sich und wurde von Mader sogar mit sadistischen Zügen ausgestattet. Er „weidete sich an den Qualen der Sterbenden“, wobei „die ohnmächtigen Drohungen und Verwünschungen der Gemarterten [...] noch sein barbarisches Vergnügen“ erhöhen sollten. Der Anblick gequälter Menschen sei neben dem Besitz von Gold die einzige „Lust seines Herzens“.69 Während sich also die Afrikaner und Afrikanerinnen nach mehr oder weniger drastischen Drohungen oder Einschüchterungsmanövern in aller Regel fügten oder aufgrund ihrer intellektuellen Unterlegenheit leicht zu überwältigen waren, galten Araber in Ophir als die einzigen außer den Europäerinnen und Europäern, die in der Lage sein sollten, Taktiken anzuwenden oder Strategien zu entwickeln.70 Damit stellten sie die einzige ernstzunehmende Bedrohung für das Überleben der Protagonisten und Protagonistinnen des Romans dar. Des Weiteren war die rücksichtslose Ausbeutung der Arbeitskraft der von Halim Pascha und seinen Helfershelfern in die Sklaverei entführten Afrikanerinnen und Afrikanern das genaue Gegenteil des von den Weißen propagierten wohlwollenden Paternalismus.71 Damit repräsentierten die arabischen Sklavenhändler eine massive Störung der weißen Kolonialordnung: Die Ausbeutung von Bodenschätzen und die Reorganisation der Bevölkerung zu diesem Zwecke galt als das exklusive Privileg der Kolonialmacht. Erst in diesem Kontext wurde in Maders Roman der Verdacht der Menschenfresserei thematisiert. Unter all den indigenen Bevölkerungsgruppen, denen die Heldinnen und Helden begegneten, galt allein diejenige als kannibalisch, deren „Häuptling“ einige „arabische Sitten“ ange67 68

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Siehe: Weingart/Kroll/Bayertz 1992, S. 91-103; Grosse 2000, S. 159-164, 176-192; Dietrich 2007, S. 205-213. Siehe: Weindling 1989, S. 61-80; Weingart/Kroll/Bayertz 1992, S. 103125. Trotz ihrer großen politischen Bedeutung waren diese Positionen innerhalb der Medizin und Anthropologie allerdings nie unumstritten (vgl. Geiss 1988, S. 208-210). Siehe dazu auch das folgende Kapitel Wie die Wilden. Mader 1927, S. 237. Siehe: Ebd., S. 284. Siehe: Ebd., S. 237.

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nommen hatte, nämlich die Gewohnheit, sich in weiße Gewänder zu kleiden sowie die Sitte der Haltung und des Verkaufs von Sklaven und Sklavinnen.72 In der Schilderung der Auseinandersetzung der Heldinnen und Helden mit diesen „Menschenfressern“ finden wir eine Reihe von bereits vertrauten Elementen wieder: erstens die uns seit Schweinfurths Darstellungen vertraute Charakterisierung ihres Oberhauptes als grausam, sadistisch und, unfähig zur Affektkontrolle, zu spontanen Wutausbrüchen neigend.73 Zweitens wurde der ‚Beweis‘ in einer für den kolonialen Kannibalismusdiskurs typischen Form geführt, nämlich in einer Variante der cannibal scene. Der von ihnen gefangen gehaltene Bure Hendrik erfuhr erst nachträglich aus dem Mund seines afrikanischen Begleiters, dass „die Unmenschen die noch lebenden Körper [ihrer Opfer] zerstückelt und zu einem Festmahl für die ganze Einwohnerschaft gebraten hatten.“74 Der weiße Mann selbst war zu diesem Zeitpunkt bereits in der ihm zugewiesenen Hütte verschwunden. Auf diese Art und Weise verband auch Mader Kannibalismus mit der Störung der kolonialen Ordnung, allerdings vermittelt über die Kopplung mit dem Vorwurf der Kollaboration mit den arabischen Sklavenhändlern. Die Herstellung und Aufrechterhaltung der von den Weißen gewünschten kolonialen Ordnung wurde auch in anderer Hinsicht im Roman problematisiert. Auch hier spielte die Auseinandersetzung mit dem Sklavenhandel eine zentrale Rolle und war eng verknüpft mit dem Bezug auf wissenschaftliches Fachwissen. Wie oben bereits erwähnt, wurde dieser Bezug in vielen Texten der deutschen Kolonialliteratur benutzt, um Authentizität und Glaubwürdigkeit zu inszenieren. Mader verfolgte diese Strategie in Ophir auf besonders nachdrückliche Art und Weise. Zum einen verwies er im Text mehrfach auf berühmte Forschungsreisende, namentlich Carl Peters, David Livingstone, Henry Morton Stanley und Eduard Schnitzer, deren Erfahrungen häufig als Vergleichsfolie herangezogen wurden.75 Einige der Charaktere könnten sogar nach dem Vorbild dieser Männer entworfen worden sein. Dies galt besonders für die Figur des Expeditionsleiters, Professor Heinrich Schultze, der wie Eduard Schnitzer fließend Arabisch sprach, sich sogar als Araber ausgab und dessen Spitz72

73

74 75

Siehe: Ebd., S. 12-15, Zitat S. 12. Mader verknüpfte außerdem damit explizit den muslimischen Glauben mit Sklaverei und Grausamkeit, ein Aspekt auf den aus Gründen der Darstellbarkeit hier nicht weiter eingegangen werden kann. Die komplexe Geschichte der Auseinandersetzungen mit dem Islam in der deutschen Kolonialzeit, des deutschen Orientalismus sowie mögliche Kontinuitäten oder Diskontinuitäten in postkolonialer Zeit ist bislang in der Forschung nur selten thematisiert worden und ist angesichts gegenwärtiger Debatten ein dringliches Desiderat der Forschung. Siehe: Ebd., S. 14-15, Zitat S. 12. Gleichzeitig finden wir die uns bereits aus dem letzten Kapitel bekannten diffamierenden Kannibalismusvorwürfe der Indigenen untereinander (vgl. ebd., S. 49). Ebd., S. 15. Siehe etwa: Ebd., S. 42 (Stanley), S. 160 (Peters, Livingstone).

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name unter den Afrikanerinnen und Afrikanern „Blattfresser“, „‚Bwana Maua‘“ oder „‚Herr Blume‘“ lautete, eine Anlehnung an Schweinfurths Beinamen „Blattfresser“.76 Zum anderen fügte Mader dem Roman neben einer kleinen Karte der von den Protagonisten angeblich durchquerten Region auch ein Literaturverzeichnis sowie ein kapitelweise geordnetes Schlagwortregister bei, welches genau bezeichnete, aus welchen Reiseberichten und Werken der Expeditions- und Forschungsliteratur welche Informationen zu welchen Themen entnommen wurden. Die Schlagwörter reichten von „Kannibalismus“ bis „Termitenbauten“.77 Gleichzeitig konnte dieser Anhang interessierten Leserinnen und Lesern als Leseliste dienen und so über den Umweg einer spannenden Abenteuergeschichte wissenschaftliches und kolonialpolitisches Interesse in einer Zeit wach halten, in der keine offizielle Kolonialpolitik mehr betrieben wurde, auch wenn diese Wirkung zunächst, als (die Erstauflage von) Ophir 1911 erschien, nicht intendiert war.78 Zu den im Anhang aufgeführten Werken zählten viele der bereits im vorhergehenden Kapitel ausführlich diskutierten Texte, beispielsweise Junkers Reisen in Afrika oder Schweinfurths Im Herzen von Afrika. Aber auch Barths Reisen und Entdeckungen oder Wißmanns Unter deutscher Flagge wurden hier genannt.79 Einen besonderen Schwerpunkt bildeten die Berichte Stanleys, deren deutsche Übersetzungen nahezu vollständig auf der Liste vertreten waren.80 Es gab es allerdings einen zentralen Unterschied zwischen den Helden und Heldinnen von Maders Roman und den Expeditionen ihrer historischen Vorbilder. Wie wir im vorangegangenen Kapitel sehen konnten, waren die genannten Forschungsreisenden auf die Infrastruktur des Karawanenhandels und die Unterstützung der Händler notwendig angewiesen. Während sich also die Forschungsreisenden, auf deren Vorbild sich die Charaktere des Buches immer wieder beriefen, die Infrastruktur und den Schutz der Karawanen zu Nutze machten, zogen die Helden und Heldinnen Maders gegen die Sklavenhändler zu Felde. Dieser Widerspruch blieb Mader selbst nicht verborgen. Im Anhang unter dem Stichwort „Sklaverei“, dem weitaus längsten Eintrag des Schlagwortregisters, nennt er unter 76 77 78

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Ebd., S. 2, 311. Vgl. Schweinfurth 1918, S. 244, 249, 264. Siehe: Ebd., S. 337-354. Es gab bereits vor 1914 einen verbreiteten Bildungsanspruch auf Seiten der Verlage und der Autoren und Autorinnen von Kolonialromanen. Siehe: Benninghoff-Lühl 1983, S. 58. Siehe: Junker 1889a; Schweinfurth 1918 (hier in der ersten Auflage von 1874 angegeben); Barth 1857; Wißmann 1889. Neben Reise- und Forschungsberichten wurden auch Artikel aus einschlägigen kolonialpolitischen Publikationen angegeben, beispielsweise ein Beitrag über „Ostafrikanische Charakterbäume“, in: Kolonie und Heimat 4,9 (1910-11), S. 4. So beispielsweise: Durch den dunklen Weltteil oder die Quellen des Nils (Stanley 1878); Im dunkelsten Afrika (Stanley 1890); Wie ich Livingstone fand (Stanley 1885).

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anderem Stanley, der auf seiner Suche nach Eduard Schnitzer „mit den Sklavenhändlern gemeinsame Sache“ gemacht habe. Stanley, so Mader, sei aufgrund dieser strategischen Koalition zur Rettung Schnitzers sogar bereit gewesen, über die Grausamkeiten der Sklavenhändler hinwegzusehen und ihnen im Kampf gegen andere Afrikaner und Afrikanerinnen zu helfen.81 Indem er die Zusammenarbeit zwischen Stanley und den Sklavenhändlern als Ausnahmesituation und ihre Unterstützung durch den weißen Forscher als individuelle Verirrung angesichts höherer Ziele darstellte, blendete Mader den systematischen Charakter der Zusammenarbeit von Forschungsreisenden und afrikanisch-arabischen Elfenbein- und Sklavenhändlern im ausgehenden 19. Jahrhundert aus. So verlor er beispielsweise kein Wort darüber, dass auch Schweinfurth im Gefolge der Karawane eines solchen Händlers gereist war. Stattdessen ließ Mader seine Protagonistinnen und Protagonisten als mildtätige Befreier und Befreierinnen einerseits und als strafende Rächer und Rächerinnen andererseits auftreten. Ganz im Sinne der selbstauferlegten Zivilisierungsmission setzten sie europäische Werte und Normen durch, übten dabei allerdings keine Selbstjustiz, sondern übergaben den nach langen Kämpfen gefassten Sklavenhändler an die zuständigen weißen Behörden.82

Ein sonderbarer Zweifel: Der weiße Mann und der kannibalische Impuls Anders als in Ophir spielten wilde Kannibalen in meinem zweiten Beispiel, den Tarzan-Romanen von Edgar Rice Burroughs (1875-1950), eine unmittelbare und zentrale Rolle.83 Der erste Band Tarzan bei den Affen, im amerikanischen Original erstmalig 1912 als Fortsetzungsroman im AllStory Magazine, einem der zu Beginn des 20. Jahrhunderts populären Pulp-Magazine veröffentlicht, war derartig erfolgreich, dass immer weitere Folge-Romane erschienen, deren Texte auch in Buchform wieder veröffentlicht wurden. Die erste deutsche Übersetzung von Tarzan of the Apes erschien im Jahr 1924 und erreichte allein in diesem Jahr über einhundert 81 82 83

Siehe: Mader 1927, S. 341-342, Zitat S. 341. So beispielsweise: Ebd., S. 138. Burroughs hatte zunächst erfolglos unterschiedliche berufliche Tätigkeiten ausgeübt und war auch mit dem Versuch einer kaufmännischen Selbstständigkeit gescheitert. Nach diesen Misserfolgen begann er 1911 ScienceFiction-Kurzgeschichten zu schreiben, deren erste 1912 im All-Story Magazine veröffentlicht wurde. Sein Durchbruch als Schriftsteller kam allerdings erst mit Tarzan of the Apes. Neben Tarzan schuf Burroughs noch zwei weitere erfolgreiche Roman-Serien, die dem ersten Genre seiner Wahl zugerechnet werden können: die Barsoom-Serie (1912-1943), die auf einem fiktiven Mars spielte, und die Pellucidar-Romane (1914-1963), deren Schauplatz das als Hohlraum gedachte Innere der Erde war. Zu Biographie und Werk Borroughs’ siehe Porges 1976 sowie Kasson 2002, S. 157-169.

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Auflagen. Auch die Folgeromane wurden im Anschluss rasch übersetzt: In den 1920er und 1930er Jahren erschienen insgesamt acht Bände. Tarzan ist damit ein weiteres Exempel für die enge Verflechtung des deutschen Kolonialdiskurses mit dem anderer Kolonialmächte wie etwa Großbritannien oder den Vereinigten Staaten.84 Wie in mehreren Forschungsarbeiten demonstriert, können wir Tarzan als Personifikation der hegemonialen, weißen Männlichkeitskonstruktion der europäisch geprägten Gesellschaften Nordamerikas und Europas der Zeit um 1900 betrachten.85 Dabei entstand die Tarzan-Figur in einer spezifischen historischen Situation, in der es, wie Harry Stecopoulos formuliert, angesichts einer als krisenhaft wahrgenommenen weißen Männlichkeit darum ging, „to recover a sense of [...] whiteness in an incorporated, postfrontier America“.86 Weiße, bürgerliche Männlichkeit schien in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts gleich in mehrerer Hinsicht bedroht: erstens durch die zunehmenden Beschäftigungen in fremdbestimmten und oft weiblich konnotierten Bürotätigkeiten, den sogenannten white collar jobs, zweitens durch die lauter werdenden politischen Forderungen der Arbeiter und Arbeiterinnen, der African-Americans sowie der Frauenbewegung, drittens durch den Verlust der frontier als kolonialem Expansionsraum, in dem weiße Männlichkeit als die überlegenere hätte bewiesen werden können und die durch überseeische Kolonialisierungsversuche nur unzureichend ersetzt werden konnte, viertens durch intergenerationelle Auseinandersetzungen, ein Aufbegehren der Söhne gegen traditionell eingestellte Familienpatriarchen sowie fünftens durch ihre Körperlichkeit selbst, die aufgrund klimatischer und zivilisatorischer Einflüsse zunehmend nervösen Störungen unterliegen sollte.87 Durch eine Verschiebung in fantastisch-koloniale Räume ermöglichte Burroughs es dem weißen Mittelklasse-Mann seine „‚rightful‘ identity“ zurückzugewinnen und eine „traditional proprietary conception of white male identity in defiance of modernity“ zu zelebrieren.88 Eine Vielzahl von Themen können wir, wie ich im Kapitel Der Body Politic isst sich selbst zeigen werde, in der Diskussion um die ebenfalls als krisenhaft wahrgenommene hegemoniale weiße Männlichkeit in der Zeit der Weimarer Republik wieder finden: die sich verändernden Geschlechterverhältnisse, die Auseinandersetzungen um die politische Vertretung der Arbeiterin84

85 86 87 88

Die Tarzan-Romane wurden nicht nur positiv aufgenommen. Angesichts der negativen Beschreibungen deutscher Protagonisten wurden Empfindlichkeiten laut. Siehe beispielsweise „Wider Herrn Tarzan“, in: Kladderadatsch 78,15 (12. April 1925), S. 240. Vgl. dazu auch Cohen, M. 2006, S. 153. Siehe: Bernhard 1986, S. 23-31; Cheyfitz 1991, S. 12-13; Bederman 1995, S. 228-229; Hulme 1998, S. 2-3; Kasson 2002, S. 195-196, 207-208. Stecopoulos 1997, S. 171. Dazu siehe als Einstieg: Dubofsky 1968, S. 7-19; Rogin 1992; Bederman 1995, S. 1-44, 77-120; Southern 2005, hier v.a. S. 111-180. Stecopoulos, 1997, S. 171.

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nen und Arbeiter, intragenerationelle Konflikte, der Verlust kolonialer Räume. Diese Gemeinsamkeiten zeigen auf, warum die Tarzan-Romane für deutsche Leser in den 1920er Jahren affektiv so anschlussfähig waren: Hier gab es die Möglichkeit, sich lustvoll mit einem weißen Helden zu identifizieren, der eine verloren oder zumindest gefährdet geglaubte, weiße, männliche Überlegenheit verkörperte. Ich greife die Tarzan-Romane hier nochmals auf, da in diesen in besonderer Weise deutlich wird, dass mit der Angst verschlungen zu werden noch eine weitere Vorstellung einher ging, die allerdings bislang in der Literatur selten thematisiert wird: die Furcht, selbst zum Menschenfresser zu werden.89 In einer der Schlüsselszenen im ersten Band, Tarzan bei den Affen, beugte sich Tarzan über den gerade erschlagenen, menschlichen Mörder seiner Affen-Mutter Kala und wollte gerade der „Dschungel-Moral“ folgen und seinen Feind verschlingen. „Plötzlich aber lähmte ein sonderbarer Zweifel seine Hand. Hatten die Bücher ihn nicht gelehrt, daß er ein Mensch sei? Und war der [von ihm Getötete] nicht auch ein Mensch?“90 Die eigenen Artgenossen zu verspeisen war den Menschenaffen, unter denen er aufgewachsen war, nicht vollständig fremd. Sie verzehrten einzelne gefangene Krieger feindlicher Stämme. Tarzan hatte bereits an ihrer ritualisierten Form des Kannibalismus teilgenommen und auch von dem Fleisch des geschlachteten Feindes gekostet.91 Endokannibalismus hingegen wurde nicht praktiziert. Außerdem hatte er durch intensives Selbststudium der Bücher, die er in der Hütte seiner verstorbenen menschlichen Eltern gefunden hatte, gelernt, sich als Mensch zu betrachten.92 Und so stand Tarzan vor der schwierigen Frage: „Aß der Mensch vom Menschen?“ Letzlich konnte er sich nicht überwinden, von dem Fleisch seines Feindes zu kosten, denn „ein widerstrebendes Gefühl übermannte ihn“.93 Tarzans Widerwillen, so schrieb Burroughs weiter, war Erbteil seiner vornehmen englisch-weißen Herkunft und er handelte instinktiv moralisch korrekt: „Er konnte das nicht verstehen, aber er sah ein, daß er das Fleisch des schwarzen Mannes nicht essen durfte. Der aus uralter Zeit ererbte Instinkt bewahrte ihn davor, ein Weltgesetz zu übertreten, von dem er keine Kenntnis hatte.“94

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Mit Ausnahme von Jeff Berglund, der im Gegensatz zu meiner Interpretation Tarzans Ablehnung des Kannibalismus als Ergebnis seiner Literatizität begreift, die es ihm ermöglicht, seine Dschungel-Sozialisierung hinter sich zu lassen und seinen „hereditary instinct“ wachruft (Berglund 1999, S. 65.) Burroughs 1924a, S. 84, 85. Ebd., S. 61-65. Ebd., S. 60. Ebd., S. 85. Ebd., S. 85.

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Die Leser und Leserinnen des Roman wussten zu diesem Zeitpunkt bereits, dass sein Gegner ein wilder Kannibale war, ausgestattet mit allen uns inzwischen gut bekannten äußerlichen Merkmalen wie einem wilden und hässlichen Äußeren, spitz gefeilten Zähnen sowie, anstelle der Schmucknarben, Tätowierungen. Im Text wurde darüber hinaus erläutert, dass er und sein „Stamm[s]“ auf der Flucht „vor den „Soldaten des weißen Mannes“ waren, „die sie so sehr wegen Gummi und Elfenbein gequält hatten“, einen weißen Offizier und die Soldaten unter seinem Kommando getötet und sich mehrere Tage von dem Fleisch ihrer Opfer ernährt hatten.95 Auch Tarzan merkte bald, dass es sich bei seinem Opfer um einen Menschenfresser gehandelt hatte. Begierig, mehr über seine menschlichen Artgenossen und Artgenossinnen zu erfahren, beobachtete er, nach seiner Rache an Kalas Mörder, die Einwohner und Einwohnerinnen des Dorfes, aus dem dieser stammte. Dabei wurde er Zeuge der rituellen und grausamen Hinrichtung eines gefangenen Feindes.96 Während er zuvor lediglich enttäuscht gewesen war, dass es im Dorf an all den Fortschrittsikonen des kolonialen Diskurses fehlte, die er in seinen Bilderbüchern zusammen mit Menschen abgebildet gesehen hatte, namentlich Eisenbahnen und Dampfschiffe, so war Tarzan nun angewidert. Die „Schwarzen“ waren „böser als seine eigenen Affen und so wild und grausam wie Sabor [die Löwin]“ und „Tarzan fing an, seine eigene Rasse nur sehr gering zu achten.“97 In der Folgezeit oszillierte seine Beziehung zu diesen Menschen zwischen Abneigung und Nachahmung. Um ihnen ähnlicher zu werden, rasierte er sich und stahl und trug ihre Kleidung und ihren Körperschmuck. Gleichzeitig diente ihm diese Form der mimicry dazu, sich von den Affen, bei denen er aufgewachsen war, abzugrenzen.98 Erst mit der Ankunft einer weißen Expedition fand er adäquate, eindeutig positiv besetzte Vorbilder, die ihn, angeführt durch Jane Porter, zurück in die Zivilisation führten. Die Beziehung zu dieser weißen Frau bestimmte fortan sein Handeln und sein Selbstverständnis, er schuf sich nach ihren Wünschen. Oder, wie Bourroughs Tarzan formulieren ließ: „Ich bin aus dunkler, ferner Vergangenheit gekommen, aus dem Gebiet des Urwaldmenschen, um Sie zur Frau zu begehren. Ihnen zu liebe habe ich die Weltmeere und die Festländer durchkreuzt, Ihnen zu liebe will ich alles werden, was Sie wünschen.“99

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Ebd., S. 76. Siehe: Ebd., S. 93-96. Ebd., S. 94. Siehe: Ebd., S. 113. Hierin enthalten war auch eine starke homoerotische Komponente, vgl. Stecopoulos 1997, S. 184-185. Burroughs 1924a, S. 270.

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Wie in der Literatur mehrfach betont, ist die Geschichte Tarzans eine Demonstration sozialdarwinistischer Theorien: Sein Erbgut, das im doppelten Sinne auf Rasse verwies, als Adeliger und Europäer, habe sein Verhalten und sein Selbstverständnis determiniert. Selbst ohne zivilisierte Sozialisation habe er instinktiv europäischen Normen und Werten gehorcht und sein Verstand habe ihm seine Überlegenheit über Mensch und Tier verliehen.100 Gleichzeitig zeigt die Erzählung aber auch, als wie dünn die Trennung zwischen dem wilden Kannibalen und dem zivilisierten, weißen Mann vorgestellt wurde. Alles, was Tarzan vom kannibalischen Akt abhielt, war ein unbestimmter Widerwille. Der Impuls jedoch war vorhanden und konnte nur durch Selbstbeherrschung in seine Schranken verwiesen werden. Eine Problematik, auf die auch Tarzans Name verwies: „tar“, wörtlich Teer, wurde im Amerikanischen umgangssprachlich abwertend für „schwarz“ benutzt und „zan“ stand für „Haut“ in der von Burrough erfundenen Affensprache.101 Sollte also nach dieser Logik in jedem Mann ein Kannibale stecken? Die Beantwortung dieser Frage wird uns in den folgenden Kapiteln noch eingehender beschäftigen. In den Tarzan-Romanen jedenfalls wurde die Möglichkeit, dass Weiße zu Menschenfressern werden könnten als ernsthafte Gefahr dargestellt. In Tarzans Tiere, einem der oben angesprochenen Folgebände, entführte Nikolaus Rokoff, Erzfeind und Gegenspieler Tarzans seit seinem ersten Auftreten, dessen Sohn und setzte ihn als Findelkind bei wilden Kannibalen aus.102 Die Vorstellung, sein Kind könnte bei diesen Anthropophagen aufwachsen und selbst zu einem solchen werden, jagte dem Vater Gruselschauer über den Rücken: „Tarzan schauderte bei dem Gedanken an die Leiden, die dem Kleinen unter grausamen Wilden beschieden sein mußten [...] Ein Kannibale, ein wilder Menschenfresser sein kleiner Jack! Furchtbarer Gedanke! Mit zugefeilten Zähnen, die Nase durchbohrt und das zarte Gesicht gräßlich tätowiert!“103

Tarzan, der offenbar Zweifel an der Stärke der biologischen Disposition seines Sohnes zu Kultur und Zivilisation hatte, setzte darauf hin alles daran, seinen Nachkommen aus den Händen der Menschenfresser zu befreien. Das Thema Ansteckung griff Burroughs nochmals in Tarzans Sohn auf. Der inzwischen pubertierende Jack Greystoke hatte eine Vorliebe für Abenteuerliteratur, Reise- und Expeditionsberichte und auch eine Neigung zu Wutausbrüchen und unkontrolliertem, emotionalisiertem Verhalten 100 Siehe: Stecopoulos 1997, S. 180-182; Kasson 2002, S. 203-213; Berglund 1999, S. 58. 101 Siehe dazu: Stecopoulos 1997, S. 184. 102 Siehe: Burroughs 1924c, S. 23. Tarzan und Rokoff hatten ihre erste Konfrontation in Tarzans Rückkehr in den Urwald (Burroughs 1924b). 103 Burroughs 1924c, S. 39.

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entwickelt. Ausgehend von seiner Lektüre imaginierte er sich in die Rolle eines afrikanischen „Häuptling“ und äußerte eine „Sehnsucht nach der Urgewalt des Dschungellebens“, die er nach Ansicht seiner Mutter Jane von seinem Vater geerbt hatte.104

Identifikationen mit dem wilden Kannibalen: Menschenjagd Beschreibungen, die auf die prekäre Ambivalenz von angstvoller Selbstkontrolle einerseits und lustvoller Identifikation mit dem wilden Kannibalen andererseits verwiesen, finden sich nicht nur in den Tarzan-Romanen, sondern auch in anderen populären Texten. So beispielsweise in dem Roman Hatako, der Kannibale von Artur Heye (1885-1947) aus dem Jahr 1921.105 Es ist geschrieben aus der Perspektive eines Afrikaners, dessen Dorf, Familie und gesamter Lebenszusammenhang durch eine Strafexpedition wegen Kannibalismus, ausgeführt von Askari in Diensten der belgischen Kolonialmacht und unter Aufsicht der katholischen Missionare, zerstört wurde. Hatako selbst wurde von Heye als klassischer wilder Kannibale beschrieben (siehe: Anhang Abb. 9.5). Er war kriegerisch, trug die Zähne spitz gefeilt und seine fiktive ethnische Gruppe, die „Manjema“ war lautmalerisch angelehnt an den Begriff Niam Niam. Seine Heimat wurde geographisch im Kongo verortet und Heye betonte seine animalische Triebhaftigkeit durch wiederholte sprachliche Parallelisierung mit Raubtieren, vorzugsweise Panther, und seine fehlende Selbstkontrolle über seine extreme Rachsucht sowie seine heftigen Wutanfälle.106 Gleichzeitig schrieb der Autor seinem Protagonisten aber auch positiv besetzte männliche Qualitäten zu, namentlich ein ausgeprägtes Ehrgefühl und Stolz, große körperliche Ausdauer und Fitness sowie Mut, Intelligenz und ein hohes Maß an Loyalität gegenüber väterlich auftretenden Autoritätspersonen, die sowohl Europäer als auch Araber und ältere, erfahrenere Afrikaner waren.107 104 Burroughs 1924d, S. 16-22, Zitate S. 21, 18. Zur Debatte um den verderblichen Einfluss von Kolonialromanen auf jugendliche Leser siehe: Benninghoff-Lühl 1983, S. 182-196, hier besonders S. 182-187 zur Position von Pädagogen und Pädagoginnen. 105 Hier vorliegend in einer Auflage von 1927. Heye war Fotograph und Schriftsteller, dessen Reiseberichte zu den meistgelesenen Büchern der Weimarer Republik zählten. Seine Werke wurden 1933 von den Nationalsozialisten verboten und er emigrierte in die Schweiz. Siehe auch: Eden 1989. 106 Siehe: Heye 1927, beispielsweise S. 7, 16, 32, 87, 144-145, 184, 239. Der Vergleich mit Raubtieren gehörte, wie Benninghoff-Lühl gezeigt hat, zum Standardrepertoire der Darstellung von wilden Kannibalen im Kolonialroman. Siehe: Benninghoff-Lühl 1983, S. 68-69. 107 Siehe: Heye 1927, S. 41-42, 55, 97, 120. Gehorsam war, wie im Folgenden noch sehen werden, wesentlicher Bestandteil der weißen, hegemonialen Männlichkeitskonstruktion des Kaiserreichs sowie der Weimarer Republik.

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Besonders die deutschen Offiziere haben es ihm dabei angetan, und in der Mitte des Romans, dem traditionellen erzählerischen Wendepunkt, vor die Aussicht gestellt, wegen illegaler Elefantenjagd bestraft zu werden oder der deutschen Schutztruppe beizutreten, entschied er sich für letzteres: „‚Gut, so will ich nun Menschen jagen.‘“108 Hatakos Wanderjahre, die unterwegs gesammelten Erfahrungen und sein Dienst in der Schutztruppe brachten ihn letztlich dazu, seine kannibalischen Gewohnheiten und Impulse zu hinterfragen. „Woher kam diese unbesiegbare Gier in seinem Blute, die es [sic!] immer wieder zwang, den Feind nicht nur mit den Waffen, sondern auch mit den Zähnen zu zerreißen? – Warum war sie nur in ihm und nicht in den Schwarzen anderer Stämme und nicht in den Weißen? – Und warum war sie ihm nicht mehr so selbstverständlich wie einst und den anderen ein Abscheu und den Weißen ein Grund zu strafen?“109

Nach längerem Dienst in der Truppe will er kein „Menschenfresser“ mehr sein, der von seinen „Kameraden verachtet und verspottet“ und seinen weißen Vorgesetzten gegenüber sein Versprechen „zu dienen“ aufgrund seiner wilden Triebhaftigkeit nicht halten konnte. Letztlich gelang ihm die Unterdrückung seiner wilden und rachsüchtigen Impulse allerdings nicht.110 Gegen Ende des Romans, als Hatako bereits Askari der deutschen Schutztruppe geworden war, der aufgrund seines heldenhaften Einsatzes für seine Kameraden und weißen Offiziere allgemein sehr geschätzt wurde, führte er eine riskante Undercover-Aktion gegen die „Wadschagga“ aus: Er schlich sich, verkleidet als Massai und Angestellter eines arabischen Waffenhändlers, in das Lager der Feinde. Hauptmotivation seines Handelns war dabei nicht die Erfüllung eines Befehls, sondern vielmehr die Rache für die Ermordung einer weißen deutschen Frau, deren „Sonnenlächeln“, Güte und Freundlichkeit ihn berührt hatten.111 Er schaffte es, den „Dschaggakönig“ unter einem Vorwand fortzulocken, um ihn dann überraschend anzugreifen. Nachdem er den kurzen Zweikampf gewonnen hatte, riss er seinem Feind das Herz aus dem Leib und verzehrte es roh:

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Dem Kannibalen wurde damit von Heye eines der zentralen Charakteristika weißer Männlichkeit zugesprochen. Heye 1927, S. 120. Heyes Darstellung entspricht darin dem Mythos vom ‚treuen Askari‘, der besonders während der kolonialrevisionistischen Debatten der Weimarer Zeit an Bedeutung gewann und seine Fundierung in der, im Vergleich zur restlichen afrikanischen Bevölkerung der Kolonien, privilegierten Behandlung dieser kolonialen Prätorianergarden fand. Siehe dazu: Michels, E. 2006, bes. S. 553; Bechhaus-Gerst 2007, sowie, als Beitrag zur Entschleierung des Mythos, Morlang 2008, S. 72-96. Siehe: Heye 1927, S. 272-275, Zitat S. 272. Ebd., S. 275. Siehe: Ebd., S. 182-184, Zitat S. 182.

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„‚Unajua Bibi Kola?!‘ (Kennst du Frau Köhler) keuchte die tiefe Stimme des Wilden. [...] Mit pfeifendem Hiebe fuhr die Klinge herunter, mit seinem Schädel zersprang klirrend das Kupferband um seine Stirn, und noch ehe der zusammenbrechende Körper den Boden berührte, sauste die Klinge aufs neue herab, spaltete ihm die Brust – in den aufspringenden Blutstrahl tauchte die braune Hand des Wilden und riß ihm das zuckende Herz heraus. Mit schrill trillerndem Schrei schwang er es in brennender Rache hoch in die Luft, und in entflammter Wut bissen und rissen seine Pantherzähne in den blutigen Fetzen hinein.“112

Seine Unfähigkeit zur Selbstkontrolle macht seine Eingliederung in koloniale Gesellschaft trotz seiner positiven Eigenschaften und Lernerfolge unmöglich. Der Roman schloß damit, dass Hatako den Gipfel des Kilimandscharo erstieg und dort während eines dramatisch tosenden Schneesturms mit den Sternen, dem Schnee und dem Eis verschmolz. Diese Situation schilderte Heye als Erweckungserlebnis, eine Art der Epiphanie, welches aus dem Wilden einen Menschen machte. „Der Mensch auf der Gletscherzinne hob den Kopf, streckte die Arme zu den verlöschenden Sternen empor, und ein Lachen voll bitterer, aber befreiender Erkenntnis übertönte den brausenden Gesang des Sturmes“.113 Dieser Satz, der einzige im gesamten Text, in dem Hatako als menschliches Wesen bezeichnet wurde, bildete gleichzeitig den Schluß des Romans und damit der Entwicklungsgeschichte, die das Publikum mitverfolgt hatte. Heyes Roman bot für den Leser – weniger für die Leserin, denn es gibt kaum weibliche Figuren bis auf die ermordete Köhler – verschiedene positive Identifikationsfiguren an. Dazu gehören in erster Linie die deutschen Schutztruppenoffiziere, die allesamt als vorbildliche Soldaten dargestellt wurden. Aber gehörte auch der Held des Romans dazu? Welche Konnexionen konnte ein weißer Leser mit einem wilden Kannibalen wie Hatako eingehen? In seiner Studie Enlightenment or Empire argumentiert Russell Berman, dass der deutsche Kolonialdiskurs im Gegensatz etwa zum britischen oder französischen Diskurs durch „quite different approaches to alterity“ charakterisiert gewesen sei.114 Dieses Spezifikum sei einerseits Folge eines nationalen Selbstverständnisses, das sich aufgrund seines Sonderweges selbst als das Andere innerhalb Europas verstand und andererseits Effekt der Verspätung des Kolonialisierungsprojekts und seinem Status als „the other empire“.115 Auf diese Weise sei die deutsche Identität im Vergleich zu derjenigen anderer Kolonisatoren flexibler und durchlässiger gegenüber anderen Kulturen und deren Hybridisierungspotentialen gewesen als die Identitäten anderer europäischer Kolonisatoren. Im Ergebnis sei daher im deutschen kolonialen Diskurs „considerable room for direct identification 112 113 114 115

Ebd., S. 239-240. Ebd., S. 292. Berman 1998, S. 15. Ebd., S. 10.

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with the colonized“ gewesen.116 Können wir Heyes Darstellung als ein Beispiel für diese Identifikation mit dem wilden Anderen, von Berman als Charakteristikum des deutschen Kolonialdiskurses angesehen, interpretieren? Dagegen sprechen mehrere Gründe. Erstens liegt Bermans Interpretation ein grundsätzliches Missverständnis in der Lektüre von Homi K. Bhabhas Konzept der Hybridität zu Grunde, indem er sozusagen Ursache und Wirkung verwechselt. Identitäten sind aus Bhabhas Perspektive stets hybrid. Kulturelle Praktiken und Diskurse stellen die Fiktion einer Eindeutigkeit her, die so nie ein zuerst Gegebenes ist und entsprechend nicht in einem zweiten Schritt vermischt werden könnte. Aus diesem Grunde betont Bhabha die Notwendigkeit „to think beyond narratives of originary and initial subjectivities“ und stattdessen auf „those moments or processes that are produced in the articulation of cultural differences“ zu fokussieren.117 Identitäten befinden sich stets im Fluss, in einem Zustand des in-between, oder, wie wir aus der Perspektive deleuzianischer Theorie formulieren könnten: Sie oszillieren ständig zwischen Verfestigung und Verflüssigung, zwischen Territorialisierung und Deterritorialisierung. Insofern wäre die von Berman beschriebene Ambivalenz kein Spezifikum des deutschen, sondern ein generelles Merkmal des europäischen Kolonialdiskurses. Zweitens belegen andere Forschungsarbeiten deutlich, dass innerhalb des deutschen Kolonialismus und der damit verbundenen Diskurse erhebliche Energien in die Herstellung und Aufrechterhaltung rassistischer Differenz gesteckt wurden. Das herausragende Beispiel dabei sind die Debatten um die ‚Mischehen‘, besonders in DSWA. Wie oben bereits dargestellt, galt es aus Perspektive der Kolonialbegeisterten und der Kolonialadministrationen Fluidität um jeden Preis zu vermeiden. Die körperlichen wie kulturellen Grenzen deutscher Identität wurden streng patrouilliert.118 Bermans These stehen also die Ergebnisse anderer Studien entgegen. Drittens war diese Angst|Lust, selbst zum Menschenfresser zu werden, wie wir bereits an der exemplarischen Analyse der TarzanRomane gesehen haben, weniger gebunden an ein nationales Kolonialprojekt als vielmehr an die Konstruktion einer spezifischen Form der hegemonialen, bürgerlichen, heterosexuellen männlichen whiteness. Denn auch in den Vereinigten Staaten fand Tarzan, der den Kampf zwischen Wildnis und Zivilisation geradezu paradigmatisch verkörperte, reißenden Absatz.

116 Siehe: Berman 1998, S. 15, Zitat S. 10. 117 Bhabha 2001, S. 1. 118 Siehe beispielsweise bei: Dietrich 2007, S. 205-236; Kundrus 2003a, S. 219-279; Schneider, R. 2003, S. 125-193.

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3.3 Der Tropenkoller: F r e s s e n u n d G e f r e s s e n w e r d en Die Angst|Lust, von wilden Kannibalen verzehrt zu werden beziehungsweise selbst zum Menschenfresser zu werden, war wie eingangs des Kapitels angesprochen nicht die einzige Gefahr, die weißen Männern in den Kolonien drohte. Wie ich im Folgenden darlegen werde, sollte neben den angeblich Menschenfleisch fressenden Indigenen auch die koloniale Umwelt, Flora und Fauna, die dort verbreiteten tropischen Krankheiten, ja sogar das Klima am Körper des Europäers nagen. Als Konsequenz davon drohten eklatante Verhaltensveränderungen wie Ausbrüche von Aggressivität, Impulsivität und Sadismus, der Verlust der Selbstkontrolle sowie der männlich-rationalen Urteilskraft, kurz: Neurasthenie und Tropenkoller. Diese stellte, wie im folgenden zu sehen sein wird, die Grundlage der angeblichen Überlegenheit der weißen Kolonisatoren radikal in Frage. Als ein Beispiel für diese Form des Kontrollverlustes berichtete Ludwig Külz (1875-1938), ehemaliger Regierungsarzt in Togo und Kamerun (1902-1912) in seinen 1906 erstmalig veröffentlichten Tagebuch- und Briefausschnitten von einem Erlebnis, das ihm 1904 während eines Aufenthaltes in „Bassilo, einem großen, völlig friedlichen Negerdorfe Nordtogos“ widerfahren war.119 Nach einem Insektenstich in den rechten Arm, der ihm ein leichtes, entzündungsbedingtes Fieber beschert hatte, habe er sich des Abends in einem Langstuhl vor dem örtlichen Rasthaus ausgeruht, als „[p]lötzlich“ und „mit schwirrendem Geräusch irgend etwas an [s]einem Ohr“ vorbei flog. Kurze Zeit darauf wiederholte sich das Geräusch. Sofort war er davon überzeugt, dass er unter Beschuss stand, „daß es beide Male nichts anderes gewesen sein könne, als das Schwirren eines nach mir abgeschossenen Pfeiles.“120 Külz rief seine Begleiter und Lazarettgehilfen zu sich und suchte im Schein hektisch improvisierter Fackeln gemeinsam mit ihnen die nähere Umgebung nach dem mutmaßlichen Attentäter ab. Erst als er fieberschwach nach mehr als einer halben Stunde erschöpft die Suche erfolglos abbrechen musste, schien ihm nach rationaler Analyse des Falles, dass es eine einfachere und einleuchtendere Erklärung für das Geräusch gab: das Vorbeifliegen einer der zahlreichen in der Nähe des Rasthauses Insekten jagenden Fledermäuse. Ein heimtückischer Angriff durch die ‚Eingeborenen‘ war angesichts der „völlig friedlichen Bevölkerung“ sehr unwahrscheinlich. Fiebernd aufgrund des entzündlichen Insek119 Külz 1906, S. 158. Wiederveröffentlichung unter dem Titel Tropenarzt im Afrikanischen Busch (1943). Külz war zunächst Regierungsarzt in Togo und Kamerun und wurde in Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen 1912 zum Professor ernannt und war Teilnehmer der letzten Südsee-Expedition des deutschen Kaiserreiches (1913-14). Siehe dazu: Grüntzig/Mehlhorn 2005, S. 245-269. 120 Külz 1906, S. 158.

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tenstichs, ängstlich und allein unter den Kolonialisierten in einer ihm fremden Umgebung, setzte Külz‘ rationale Urteilskraft aus und er handelte impulsiv, ja fast (überlebens)instinktgesteuert. Dies hätte, so fügte er selbst hinzu, fatale Folgen haben können: „[I]ch bin sicher, wenn ein unglücklicher Zufall mich bei dieser Gespensterjagd auf einen im Grase hockenden Schwarzen hätte stoßen lassen, ich würde ihn niedergeschossen haben.“121 Külz berichtete von diesem Erlebnis als einem Exempel für den „Tropenkoller[s]“, der seiner Ansicht nach eine Folge einer allgemeinen Zerrüttung der Nerven darstellte, die durch das anstrengende tropische Klima und die mit dem Leben in der kolonialen Situation einhergehenden psychischen und physischen Belastungen hervorgerufen würde. Zu den schädlichen Einflüssen zählte er neben dem tropischen Klima die Eintönigkeit des Lebens vor allem im Hinterland, den Mangel an intellektueller Anregung und sozialem Kontakt mit anderen Weißen, die weit verbreiteten Fieberkrankheiten sowie allgemeine körperliche Überbeanspruchung.122 Mit dieser Einschätzung stand Külz nicht allein. Auch wenn das Konzept des Tropenkollers als eigenes Krankheitsbild nicht unumstritten war, so bestand unter Medizinern und Psychiatern bis in die 1920er Jahre hinein doch weitestgehend Einigkeit darüber, dass die Nerven von Europäerinnen und Europäern in den Tropen einer besonderen Belastung ausgesetzt waren.123 So verneinte beispielsweise Carl Mense, Tropenmediziner und Herausgeber des Archiv für Schiffs- und Tropenhygiene, die Existenz des sogenannten Tropenkollers, betonte jedoch gleichzeitig die Belastungen, welche das tropische Klima für den Organismus und das gesamte Nervensystem des der „kaukasischen Rasse angehörige[n] weisse[n] Mann“ mit sich bringe.124 Diese klimatischen Belastungen seien in Kombination mit der Gefahr durch Infektionskrankheiten wie Malaria, Lepra oder Beriberi dergestalt hoch, dass eigentlich „[n]ur kerngesunde Personen zwischen 20 und 40 Jahren [...] die ungesunden Kolonien des tropischen Afrika und von Neuguinea ohne besondere persönliche Gefährdung aufsuchen“ könnten.125 Grundsätzlich sei das „Befinden des Europäers“ in den Tropen „ein wesentlich anderes“ als in den gemäßigten Breitengraden und alle „Körperfunktionen“ befänden „sich in einem weit labileren Gleichgewicht [...], als in dem heimatlichen Klima“.126 Eine typische „Folgeerscheinung der rein meteorologischen Einflüsse des Tropenklimas“ sei „das Zustande121 Ebd. 122 Siehe: Ebd., S. 158-159, Zitat S. 158. 123 Zur Rolle der Tropenmedizin für das deutsche Kolonialprojekt und der Diskussion um die Akklimatisierung siehe: Eckart 1997, S. 57-72; Schupp 1999. Vgl. auch Isobe 2009 als eine der wenigen Monographien zur Geschichte der deutschen Tropenmedizin. 124 Mense 1902, S. 1-3, 21-23, Zitat S. 1. 125 Plehn, A. 1906, S. 7. 126 Plehn, Fr. 1906, S. 35.

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kommen einer gewissen Nervosität“, welche durch den häufig auftretenden Schlafmangel verschlimmert würde.127 Kurz, die medizinischen Experten gingen grundsätzlich davon aus: „[D]as Tropenklima macht nervös.“128

Männliche Nervosität, Klima und koloniale Räume Wie Joachim Radkau dargelegt hat, reicht der Nervositätsdiskurs bis in das späte 18. Jahrhundert, das Zeitalter der Empfindsamkeit, zurück. Während mit „Nervosität“ zunächst eine positiv besetzte gesteigerte Reizbarkeit im Sinne einer verfeinerten Sensibilität assoziiert wurde, galt sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts als ernstzunehmende Erkrankung und wurde unter dem Stichwort der „Neurasthenie“ problematisiert.129 Bereits die Herkunft dieses Begriffes verweist, wie ich im Folgenden zeigen möchte, auf den Zusammenhang von Klima, Rassismus und Kolonialismus. Dieser Aspekt wurde in der bisher vorliegenden Forschungsliteratur zum Thema Neurasthenie in dieser Form nicht berücksichtigt und bedarf daher einer etwas ausführlicheren Erläuterung.130 Das Konzept der Neurasthenie, im Englischen „neurasthenia“, wurde geprägt durch den New Yorker Mediziner George Miller Beard (18391883), der damit eine Form der nervösen Erkrankung kennzeichnete, die er als eine spezifisch Amerikanische, eben eine American Nervousness ansah.131 Sie trat seiner Ansicht nach in erster Linie unter den wohlhabenderen und reicheren Stadtbewohnern des industrialisierten Nordens und Ostens der Vereinigten Staaten auf.132 Beard problematisierte damit das Feh127 Plehn, Fr. 1906, S. 36. Siehe auch: Moreira 1926, S. 320 sowie Bongard 1907, S. 12. 128 Külz 1906, S. 157. 129 Siehe: Radkau 2000, S. 28-31, 34-52. 130 Ein gutes Beispiel für die ausschließliche Konzentration auf Neurasthenie als Zivilisationskrankheit ist Killen 2006, hier v.a. S. 4, 32-41. 131 So der Titel der Studie, in der er seine Theorie vorstellte und die erstmals 1881 veröffentlicht wurde (hier vorliegend als Wiederveröffentlichung, Beard 1973). Wie Haken (Haken 2004, S. 127) demonstriert, war Beard allerdings nicht der Wortschöpfer. So können frühere Verwendungen des Begriffs für den englischsprachigen Raum bereits bei Edwin Holmes van Deusen (Observations on a Form of Nervous Prostration, 1869) nachgewiesen werden. In Deutschland tauchte „Neurasthenie“ in den medizinischen Nachschlagewerken von Ludwig August Kraus (Kritischetymologisches medicinisches Lexicon, 1831) und Georg Friedrich Most (Encyclopädie der gesammten medicinischen und chirurgischen Praxis, 1836-37) auf. Radkau verweist darauf, dass in einem in Deutschland 1869 veröffentlichen medizinischen Handbuch der Begriff Verwendung fand (Radkau 2000, S. 60-61). 132 Wiener, Ph. 1956, S. 271. Beards Einschätzung, es handele sich um ein für die Gesellschaft der Vereinigten Staaten charakteristisches Phänomen, wurde von der deutschen Wissenschaftsgemeinde geteilt. So schrieb beispielsweise Béla Révész noch 1911: „‚Amerikanisch‘ ist heutzutage beinahe dasselbe, was neurasthenisch.” (Révész 1911, S. 131).

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len von Nervenenergie, oder von „nerve-force“, wie er es wörtlich nannte, besonders in Bezug auf den männlichen Körper, den er mit einer elektrischen Batterie verglich. Ein Mann, der „well and strong and properly organized and equipped for life“ sein wolle, müsse ähnlich einer Batterie einen möglichst großen Vorrat an Nervenenergie gespeichert haben, um allen Anforderungen des Lebens gewachsen zu sein.133 Obwohl er davon ausging, dass beide Geschlechter von der nervösen Erschöpfung betroffen sein konnten, galt ihm die Neurasthenie als eine Männerkrankheit. Frauen zeigten sich seiner und der Ansicht seiner Fachkollegen und -kolleginnen anfälliger für eine andere nervöse Erkrankung: die Hysterie.134 Diese Zuschreibung entsprach den Grundannahmen der zeitgenössischen Geschlechterordnung der separate spheres: Frauen, die im privaten, häuslichen Bereich ihr Betätigungsfeld hatten und als Töchter, Schwestern, Ehefrauen und Mütter für das Wohlergehen ihrer Familien sorgten, waren nicht den gleichen Anforderungen des öffentlichen beruflichen und politischen Lebens ausgesetzt wie ihre Väter, Brüder, Gatten und Söhne. Allgemein formuliert wurde mit der Hysterie eine Dysfunktionalität im Sinne der geschlechterspezifischen Arbeits- und Aufgabenteilung sowie ein von der Geschlechternorm abweichendes Verhalten pathologisiert.135 Insgesamt benannte Beard ein ganzes Bündel von Faktoren als Gründe für das von ihm beobachtete vermehrte Auftreten der „Nervous Exhaustion“ in den Vereinigten Staaten. Zu diesen Gründen zählte er zum einen ein Übermaß moderner Zivilisation: „The chief and primary cause of this development and very rapid increase of nervousness is modern civilization, which is distinguished from the ancient by

133 Beard 1973, S. 9-11, Zitat S. 9, 10. Vgl. dazu auch Beards eigene Forschungen auf dem Feld der Elektrotherapie (siehe: Haken 2004, S. 36-50; Radkau 2000, S. 54-55). Zu der Popularität dieser Körpermetaphorik trug auch die Rezeption des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik bei, der die Unvermeidlichkeit von Energieverlusten postulierte (Entropie). Die demnach unvermeidlichen Energieverluste des arbeitenden männlichen Körpers wurden mit dem Entstehen von Neurasthenie in Verbindung gebracht (vgl. Osietzki 1998, S. 339 sowie zur Geschichte der Elektrotherapie in Deutschland Killen 2006, S. 52-57). 134 Beard 1885, S. 27-28. Siehe auch: Nolte 2003, S. 149-162. 135 Die Geschichte der Hysterie ist ein intensiv bearbeitetes Feld der feministischen und geschlechterhistorischen Forschung, welches darzustellen den mir hier gegebenen Rahmen sprengen würde. Stellvertretend seien hier genannt: Showalter 1985, S. 121-164, Schaps 1992, 114-138; Ebrecht 1996; Showalter 1997, S. 14-48; Bronfen 1998, S. 109-136; Schmersahl 1998, S. 201-211; Lamott 2001, S. 76-107; Nolte 2003, S. 11-17; Aumann 2003, S. 25-48. Eine Veränderung dieser starren, geschlechterspezifischen Zuschreibung trat erst gegen Ende des Ersten Weltkrieges, mit der Rückkehr psychisch und physisch versehrter Männer ein; dazu ausführlicher in Kapitel 6.

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these five characteristics: steam-power, the periodical press, the telegraph, the sciences, and the mental activity of women.“136

Gleichzeitig spielte seiner Ansicht nach aber auch der Einfluss der natürlichen Umwelt eine zentrale Rolle. Das im Vergleich zum gemäßigten Klima Großbritanniens trockenere und durch extremere Hitze- und Kältezustände charakterisierte Klima der Vereinigten Staaten erzeuge ein höheres Maß mentaler Aktivität. Dies wiederum ermögliche die zivilisatorischen Höchstleistungen und die Ausbildung der modernen amerikanischen Gesellschaft, welche ihrerseits in einer nervlichen Überlastung resultierten.137 Aus diesem Grunde sei die Neurasthenie ein dezidiert US-amerikanisches Phänomen: „A new crop of diseases has sprung up in America, of which Great Britain until lately knew nothing, or but little. A class of functional diseases of the nervous system, now beginning to be known everywhere in civilization, seem to have first taken root under an American sky, whence their seed is being distributed.“ 138

Beard argumentierte, dass gerade die Verschränkung von Klima und moderner Zivilisation zu den von ihm beschriebenen fatalen Folgen für das Nervensystem führe. Als Gegenbeispiel wurden von ihm die „American aborigines“ angeführt, die seiner Ansicht nach „the least nervous of all people“ gewesen seien, obwohl „the climate in which they lived was not much different from that in which are now living the most nervous people in the world.“ „Race“, so Beard, stelle in Bezug auf die Wirk(ungs)mächtigkeit des Klimas ein entscheidendes Element dar. Zwar überlebten einige „strong races, like the Hebrews and the Anglo-Saxons“ in nahezu allen klimatischen Bedingungen, jedoch seien auch diese langfristig gesehen nicht vor seinen Einflüssen gefeit, denn letztlich sei „race [...] a result of climate and environment“.139 Mit dieser Problematisierung des Klimas des nordamerikanischen Kontinents bezog sich Beard auf einen Ansatz zur Erklärung ‚rassischer‘ Differenz, die sogenannte Klimatheorie, deren ideengeschichtliche Wurzeln bis ins ausgehende 18. Jahrhundert zurückreichen.140 Die zentrale These dieser Theorie besagte, dass die unterschiedlichen menschlichen ‚Rassen‘ aus den Einflüssen ihrer jeweiligen Umwelt hervorgingen. Als ihre prominentesten Vertreter gelten Georges-Louis Leclerc de Buffon (1707–1788), französischer Naturforscher und Mathematiker sowie Johann 136 137 138 139 140

Beard 1973, S. vi (HiO), Titel. Siehe: Ebd., S. vii, 151-160. Siehe: Ebd., S. vii. Ebd., S. 172. Vgl. Gossett 1997, S. 32-53. Die Theorien des 18. Jahrhunderts fußten strenggenommen auf antiken Modellen, vorgetragen von Hippokrates und Aristoteles (siehe: Fink 1998, S. 26-27).

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Friedrich Blumenbach (1752-1840), Professor für Medizin an der Universität Göttingen. ‚Rassenzugehörigkeit‘ war für Anhänger und Anhängerinnen dieser Theorie eine Frage der Klassifizierung von physiologisch unterschiedlichen Menschen, vor allem nach dem Kriterium der Hautfarbe, nicht jedoch zwingend eine Frage der Hierarchisierung. Für Buffon war selbst die Zugehörigkeit zu einer ‚Rasse‘ keine permanente: „Race [...] ‚persists as long as the milieu remains and disappears when the milieu is changed.‘“141 Im Verlauf des 19. Jahrhunderts verfestigten sich diese während der Aufklärung eingeführten Zuschreibungen und Kategorien. Darüber hinaus setzte sich die Vorstellung einer Hierarchie unter den ‚Rassen‘ mit der weißen, europäischen Kategorie an der Spitze und den sogenannten Schwarzen an deren unterem Ende durch: Aus der ‚Kette des Seins‘ wurde eine Leiter.142 „Race is everything“, so der schottische Mediziner Robert Knox 1850: „Literature, science, art, in a word, civilization, depend on it.“143 Während diese Verschiebungen in der gesamten transatlantischen Wissenschaftsgemeinde beobachtet werden können,144 fanden sie eine spezifische Zuspitzung in den Vereinigten Staaten in der Propagierung einer angeblichen ‚rassischen‘ Überlegenheit der Angehörigen der „AngloSaxon race“, welche als die wahren Vertreter und Vertreterinnen der teutonischen, weißen ‚Rasse‘ und ihrer Werte wie Individualismus, Demokratie, Freiheit, stilisiert wurden.145 In den Argumentationen der Vertreterinnen und Vertreter dieser Theorie wurde, ebenso wie in der oben wiederge-

141 George Louis Leclerc Buffon, Natural History, General and Particular..., trans. William Smellie (3rd ed.; London, 1791), Bd. III, S. 201, 204, zit.n.: Gossett 1997, S. 36. Ein gutes Beispiel für die Offenheit dieses Konzeptes ist es, dass in den Vereinigten Staaten diese Theorie zuerst durch Samuel Stanhope Smith aufgegriffen wurde, einem presbyterianischen Priester und Professor für Philosophie, der mit ihrer Hilfe für die Gleichstellung von Afroamerikanerinnen und -amerikanern und gegen die Sklaverei argumentierte (vgl. Gossett 1997, S. 39). 142 Siehe Schubert 2003, S. 50-56; Martin 1993, S. 273-277. Es handelt sich hierbei um eine Hierarchisierung, die allerdings in den Theorien der Naturforschung der Zeit der Aufklärung bereits angelegt war. Vgl. dazu: Geiss 1988, S. 141-142, 158-162; Mosse 1996, S. 28-41; Fredrickson 2002, S. 51-61; Grosse 2003, S. 186. Mein stark kursorischer Blick auf die Entwicklungen des ausgehenden 18. sowie des 19. Jahrhunderts blendet außerdem die für die politischen Auseinandersetzungen um die Institution der Sklaverei zentrale Debatte der Frage der Polygenese oder Monogenese des Menschengeschlechts zugunsten der Konzentration auf die Frage der Bedeutung des Klimas aus. Eine angemessene Darstellung dieses komplexen Problemfeldes hätte den hier gegebenen Rahmen gesprengt. Siehe dazu weiterführend: Dain 2002, S. 19-39, 59-80. 143 Robert Knox, The Races of Men: A Fragment. Philadelphia, 1850, S. 7, zit.n.: Gossett 1997, S. 95. 144 Vgl. dazu Geiss 1988, S. 158-162; Fredrickson 2002, S. 61-75. 145 Siehe: Horsman 1981, S. 158-186.

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gebenen Argumentation Beards, eine Verbindung zwischen Umwelteinflüssen und Kultur- bzw. Leistungsfähigkeit postuliert. In diesem Sinne wurden die Vereinigten Staaten von Beard als ein kolonialer Raum aufgefasst, der nicht den ‚natürlichen‘ Bedürfnissen der Weißen entsprach. Entsprechend stellte Neurasthenie für ihn nicht nur, wie in der bisherigen Forschung immer wieder betont wird, eine moderne Zivilisationskrankheit dar.146 Vielmehr galt ihm die American Nervousness als Auswirkung eines für Europäerinnen und Europäer ungewohnten, die Nerven anregenden und anstrengenden Klimas, welches wiederum die kulturellen Höchstleistungen, deren sich die Amerikanerinnen und Amerikaner rühmen konnten, überhaupt erst ermöglichte. Wie wir oben gesehen haben, sprach er damit nicht nur über die städtische gehobene Mittel- bzw. Oberschicht, sondern im engeren Sinne ganz ausdrücklich über weiße, männliche Körper und knüpfte damit sowohl an zivilisationskritische als auch an kolonial-rassistische Diskurse seiner Zeit an. In der US-amerikanischen Rezeption seines Werkes wurde der letztgenannte Aspekt durch eine Kopplung mit dem Konzept der Degeneration sogar noch verstärkt. Zu dieser Interpretation trugen viele Faktoren bei. Drei davon seien an dieser Stelle ausdrücklich genannt, da sie mit Blick auf die Rezeption von Beards Werk im deutschsprachigen Raum ihre Parallelen fanden. Dazu gehörte erstens die diskursive Verknüpfung der Vorstellung von einer drohenden ‚rassischen‘ Degeneration mit dem Krankheitsbild der Neurasthenie. Zu dieser Kopplung trug ein vielbeachteter und kontrovers diskutierter Vortrag des britischen Soziologen, Philosophen und Begründer des Sozialdarwinismus, Herbert Spencer (1820-1903) bei, den er in New York im November 1882 anlässlich des Endes seiner Rundreise durch die Vereinigten Staaten hielt.147 Zum Teil sich wörtlich aus American Nervousness bedienend, allerdings ohne Beard und seine Publikationen zu erwähnen, wies Spencer in dieser Rede nachdrücklich auf die zerstörerischen Einflüsse des amerikanischen, modernen Lebens auf die Nerven hin und postulierte, dass diese erworbene Nervosität an die kommenden Generationen vererbt würde.148 Spencer galt unter Beards Zeitgenossen und Zeitgenossinnen als wissenschaftliche Autorität. Sein Wort verlieh der Vorstellung von den drohenden degenerativen Einflüssen der Neurasthenie besonderen Nachdruck. 146 Vgl. Radkau 2000, S. 11; Sarasin 2001, S. 423-424; Haken 2004, S. 148; Link-Heer 1999. 147 Siehe: Haken 2004, S. 199-200. 148 Siehe: „The Gospel of Recreation. By Herbert Spencer. Address at his Farewell Banquet, November 9th“, in: Popular Science Monthly 22,3 (January 1883), S. 354-359, zit.n.: Haken 2004, S. 199. Beard versuchte sich gegen diese Unterschlagung seines wissenschaftlichen Beitrags zu wehren, indem er eine kritische Synopse von Spencers Vortrag veröffentlichte, unternahm aber aufgrund seines Respekts vor Spencers großem gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Ansehen keine weiteren Schritte (dazu: Haken 2004, S. 200-201).

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Zweitens fanden Beards Theorien schnell Eingang in die Diskussionen um das Kolonialprojekt, welches die Vereinigten Staaten seit dem Spanisch-Amerikanischen Krieg (1898) verfolgten. Wie Warwick Anderson in seiner Studie Colonial Pathologies demonstriert, ging die Problematisierung der Nervensysteme der Kolonisatoren, häufig verhandelt unter Schlagworten wie „brain-fag“, „tropical neurasthenia“ oder „philippinitis“, mit der Etablierung und Aufrechterhaltung einer mit weißen, USamerikanischen Männern besetzten Kolonialadministration einher. 1898 erstmals diagnostiziert, wurde die tropische Neurasthenie unter dem Schlagwort der „white man’s psychic burden“ vor allem in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg diskutiert.149 In diesem Kontext geriet die Frage nach dem Einfluss des Klimas zunehmend zu einer Frage danach, welche ‚Rasse‘ welchen klimatischen Bedingungen am besten angepasst sei und welche Auswirkungen eine dauerhafte Übersiedlung weißer Männer und Frauen in ein anderes, nicht gemäßigt-mitteleuropäisches Klima haben würde. Die Problematisierung des Einflusses des Klimas auf weiße Männer zieht sich als roter Faden auch durch die englische, französische und niederländische Kolonialliteratur. Im britischen Kontext wurde sie unter dem Schlagwort des „going native“ thematisiert, mit dem in erster Linie eine kulturelle Infektion mit der Wildheit und Unzivilisiertheit der kolonialen Umgebung oder einer „infection by the island’s brutishness“ bezeichnet wurde.150 Zumeist aber war sie gebunden an die Einrichtung von Siedlungskolonien.151 Wie wir im Folgenden sehen werden, wurde diese Angst vor einer kulturellen Ansteckung im deutschen Kolonialkontext unter dem Schlagwort des ‚Verkafferns‘ verhandelt.

Wollüstige Grausamkeit: Kontrollverlust und koloniale Ordnung Für den deutschen medizinisch-psychiatrischen Fachdiskurs ist die Problematisierung von Nervenschwäche unabhängig von Beards Schriften bereits in den späten 1860ern und frühen 1870ern zu beobachten. Jedoch wurde keine entsprechende Begrifflichkeit entwickelt und stattdessen zehn Jahre später Beards Konzept der Neurasthenie, der Zerrüttung der Nerven durch Überreizung, übernommen.152 Die Rolle, welche die oben angespro149 Anderson, W. 2006, S. 131-132, Zitat S. 130. Siehe auch: Anderson, W. 1997. 150 Weaver-Hightower 2007, S. 132-141, Zitat S. 141. 151 Vgl. dazu: Anderson, W. 1992; Osborne 1994, S. 176; Anderson, W. 1996a; Anderson, W. 1996b; Bashford 2004, S. 130-132; Eves 2005, S. 317-318, 324; Livingstone 2002, S. 168-170; Duncan 2007, S. 8-12, 43-65. Dass es sich hier um ein internationales Phänomen handelte, ist bereits zeitgenössisch wahrgenommen worden, siehe dazu: Moreira 1926, S. 320 („Soudanite“); Groß, H. 1914, S. 237 („le cafard, Saharite, Soudanite, Africanite, Senegalite, Guganite, Tonkinite, Caledonite, Colonite usw.“). 152 Siehe dazu: Radkau 2000, S. 57-61; Sarasin 2001, S. 423; Link-Heer 1999, S. 108-111 sowie den Eintrag von Ferdinand Kehrer, „Neurosen“ in Karl

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chenen kolonialen und rassistischen Prämissen des Konzeptes auch im deutschsprachigen Kontext spielten, ist in der Forschung zur Geschichte des Nervositätsdiskurses in Deutschland zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik bislang nur skizzenhaft thematisiert worden. So verweist Radkau lediglich auf die Verwendung des Schlagwortes Nervosität im Kontext der wilhelminischen Weltpolitik und ihrem Drang zu einem ‚Platz an der Sonne‘ als Argument der politischen Auseinandersetzung um Für und Wider eines nationalen Kolonialunternehmens: Befürworter hätten sich eine Belebung des männlichen Körpers der Nation durch die Herausforderungen der Kolonialisierung versprochen.153 Philipp Sarasin, der detailliert das dem Konzept der Neurasthenie zu Grunde liegende Modell vom Körper als Reizbare Maschine[n] im hygienischen Diskurs des langen 19. Jahrhundert rekonstruiert, thematisiert zwar nicht die tropische Neurasthenie oder die Debatte um die Nervosität weißer Körper im kolonialen Raum.154 Jedoch wird aus seiner Rekonstruktion deutlich, dass die Kategorien race, gender und class, sowie die Klimatheorie und die Modernisierungs- bzw. Zivilisationsdebatte nicht erst durch die Rezeption des Beard’schen Begriffs in die deutschsprachige Debatte um die Nervenzerrüttung eingetragen wurden. Vielmehr war die Vorstellung von einer grundlegenden physiologischen Differenz zwischen europäischen, d.h. weißen Körpern, und den Körpern der Kolonialisierten bereits zur Jahrhundertmitte fest im deutschsprachigen medizinischen Diskurs verankert. Im Zuge der Rezeption rassistischer Theorien wie der Arthur de Gobineaus (1816-1882) und der Evolutionstheorie Charles Darwins (1809-1882) wurde eine Hierarchie sogenannter Rassen entworfen, in welcher „der schwarze Körper als Brücke zum Tierreich“ galt.155 Anstatt also die Ambivalenz und kolonialen Konnotationen des Konzeptes in seiner Gesamtheit zu beleuchten, konzentriert sich die existierende Forschungsliteratur mehrheitlich darauf, den Diskurs um Neurasthenie im Kontext einer Kritik der Modernisierung im fin de siècle zu rekonBirnbaums Handwörterbuch der medizinischen Psychologie, der diese Entwicklung zeitnah nachgezeichnet hat (Kehrer 1930). 153 Siehe: Radkau 2000, S. 296-318, 407-421. Laut Radkau ging der „Gesamttrend in der Medizin [...] nach der Jahrhundertwende jedoch eher dahin, der Neurasthenie das Furchterregende zu nehmen. Die Theorie von der Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften geriet in Zweifel“ (ebd., S. 73). Der Blick auf die Akklimatisierungsdebatte und die tropische Neurasthenie ergibt ein differenzierteres Bild. Bis in die 1940er Jahre hinein wurde die Gefahr des Tropenkollers heraufbeschworen. Siehe die folgenden Ausführungen für die Zeit bis nach Ende des Ersten Weltkrieges sowie exemplarisch die Beiträge von Neureiter 1942 und Rodenwaldt 1942. Eine Tradition, die in der Literatur ebenfalls übersehen wird, vgl. beispielsweise Schwarz 2002, S. 93. 154 Sarasin 2001, S. 197-207. 155 Sarasin 2001, S. 204-206, Zitat S. 206. Zu Gobineau siehe: Geiss 1988, S. 17, 30-31, 168-169; Weingart/Kroll/Bayertz 1992, S. 94-97; Foucault 1999, S. 94-97; Young 2003, S. 99-117; Geulen 2004, S. 59-71.

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struieren. Auf diese Weise wird der kolonial-rassistische Zusammenhang, der sowohl die deutschsprachige als auch die US-amerikanische fachwissenschaftliche Debatte bei der Formulierung der Vorstellung der Nervenzerrüttung ebenso beeinflusste wie die Auseinandersetzung mit Modernisierung und Industrialisierung, ausgeblendet. In den zeitgenössischen psychiatrisch-medizinischen oder kriminologisch-forensischen Lehrbüchern ist diese Konzentration auf Neurasthenie als Zivilisationskrankheit hingegen nicht zu beobachten. Der sogenannte Tropenkoller bzw. die durch das Klima und die Umwelt der Kolonien induzierte Nervenschwäche war ein ganz selbstverständlich behandeltes Thema und Teil der jeweiligen Erläuterungen zur Neurasthenie und ihrer verschiedenen Erscheinungsformen. Hier sind alle einschlägigen medizinischen und tropenhygienischen Argumente, die uns soweit begegnet sind, zu finden: Hitze, Schlafmangel, Fieber- und Infektionserkrankungen, körperliche Überlastung und soziale Isolation. All dies führe zu einer allgemeinen Zerrüttung der Nerven. So berichtete beispielsweise Arthur Hübner (1878-1934), Professor für Medizin an der Universität Bonn und, wie wir später sehen werden, Gutachter in dem Gerichtsverfahren gegen den mutmaßlich kannibalischsadistischen Sexualtraftäter Peter Kürten, in seinem Lehrbuch der forensischen Psychiatrie davon, dass „der Aufenthalt in den Tropen auf die Psyche des Europäers aus verschiedenen Gründen ungünstig“ wirke und die „Tropenneurasthenie“ auslöse. Diese sei Folge des „Klimawechsels, der veränderten Ernährungs- (die Wasserversorgung!) und Wohnungsverhältnisse, [...] starken körperlichen Anstrengungen“.156 Dazu könnten weitere, verstärkende Faktoren treten: „Infektionskrankheiten“, sowie „Sonnenstich, Hitzschlag, momentane körperliche Überanstrengungen, gesteigerte Sinnlichkeit, die nach Befriedigung sucht, und Alkoholexzesse.“157 Hans Groß (1847-1915), zunächst Untersuchungsrichter in Graz, ab 1897 Professor für Strafrecht und Strafprozesse in Czernowitz, wies in seinem bis in die 1920er Jahre als Standardwerk anerkannten Handbuch für Untersuchungsrichter ebenfalls auf das Phänomen des Tropenkollers hin. Seiner Ansicht nach handele es sich hierbei um eine „Erkrankung [...] aus fugue, impulsives Vorgehen, Gewalttätigkeiten, Melancholie, Desertion usw. – alles das auf degenerativer Basis, zusammengesetzt: ‚neurasthenie tropicale‘“. Dieses Syndrom sei, entsprechend dem milderen Klima Mitteleuropas, in abgeschwächter Form auch im kolonialen Mutterland zu finden: Groß sprach in diesem Zusammenhang vom „‚Tropenkoller des gemäßigten Klimas‘“.158 Ähnlich wie im Kontext der US-amerikanischen Debatte um die philippinitis wurde auch im deutschsprachigen Forschungszusammenhang die 156 Hübner 1914, S. 978. 157 Ebd., S. 979. 158 Groß, H. 1914, S. 237 (HiO). Ähnlich auch bei Poleck 1924.

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Tropenneurasthenie als eine geschlechtsspezifische Bedrohung gesehen. Während die Physiologie von Europäerinnen mit einer Störung der Reproduktionsorgane und allgemeiner Blutarmut auf die koloniale Umwelt reagiere,159 komme es bei weißen Männern zu einer Form des „abnormen Gemüts- und Nervenzustand[es]“, eben dem Tropenkoller.160 Beide Reaktionen wurden im Zuge der generellen Debatte um die Fähigkeit des deutschen Körpers, sich an das tropische Klima anzupassen, der sogenannten „Akklimatisierungsdebatte“ seit Beginn des kolonialen Projekts problematisiert, und ihre Inhalte bestimmten kolonialpolitisches Räsonieren und Handeln. Wie Pascal Grosse demonstriert, kristallisierten sich dabei zwischen 1885 und dem Beginn des Ersten Weltkrieges zwei Stoßrichtungen heraus. Die erste zielte auf der Grundlage anthropologischeugenischer Argumentationen auf den individuellen weißen Körper und seine Anpassungsfähigkeit. Um die Akklimatisierung der Individuen zu gewährleisten und die Entstehung einer weißen Unterschicht in den Kolonien zu verhindern, sollten alle Auswanderer und Auswanderinnen auf ihre „Tropentauglichkeit“ überprüft werden. Zweitens richtete sich die Aufmerksamkeit zunehmend auf die Frage, wie die „kulturelle Identität“ der Kolonialdeutschen zu bewahren sei.161 Postuliert wurde, dass deutsche Männer, die allein oder gar zusammen mit einer indigenen Frau zusammen in den Kolonien lebten, Schritt für Schritt die weißen kulturellen Werte und Normen und damit ihren zivilisatorischen Status verlören. So hieß es in einem Artikel der Zeitschrift Kolonie und Heimat: „[U]nter dem Einfluss dieser heillosen Wirtschaft ging dann erfahrungsgemäss in erstaunlich kurzer Zeit alles und jedes Gefühl für Sitte, Kultur, gesellschaftliche Ordnung und nationale Würde verloren. Die Leute ‚verkaffern‘ wie man sagt; der stete Umgang mit dem farbigen Weib und deren Freundschaft und Verwandtschaft zieht sie in vielen Fällen rettungslos soweit hinunter, dass schwer abzusehen ist, wie aus einem solchen, in seinem ganzen Empfindungsleben einmal unter das bescheidenste weisse und europäische Niveau hinabgesunkene Mann mit seinem Schwarm verwilderter, unerzogener, schmutziger Bastardkinder noch einmal eine national wertvolle Existenz werden könnte.“162

Bei der Bekämpfung dieser Gefährdung des weißen Mannes wurde der weißen deutschen Frau eine Schlüsselstellung zugesprochen. Sie sollte als Garantin gesunder Nachkommenschaft und als „Trägerin[n] deutscher Bildung, deutscher Zucht und Sitte“ fungieren und gleichzeitig die drohende ‚Verkafferung‘ sowie die Entstehung sogenannter Mischlinge verhin159 Vgl. Grosse 2000, S. 89-95. 160 Plehn, Fr. 1906, S. 37. Vgl. dazu auch: Frank 2006, S. 178-181. 161 Siehe: Grosse 2000, S. 53-95, Zitate S. 88, 84 sowie Kundrus 2003a, S. 162-173. 162 „Die südwestafrikanischen Bastards“, in: Kolonie und Heimat 1,13 (190809), S. 6.

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dern.163 Während die kulturelle Infektionsgefahr vor allem in Bezug auf die Siedlungskolonie des Kaiserreiches, DSWA, diskutiert wurde, finden wir in Bezug auf DOA, nicht zuletzt wegen einer Häufung von Fällen extremer Gewaltausübung durch die Kolonisatoren, vor allem die Sorgen um die physische Tropentauglichkeit des weißen deutschen Mannes und den Tropenkoller wieder. Als typisch für dieses Krankheitsbild galten Symptome wie Überempfindlichkeit gegenüber äußeren Reizen, Übermüdung, mangelnde Selbstbeherrschung, Impulsivität anstelle rationalen Kalküls sowie gesteigerte Aggressivität und Gewaltbereitschaft.164 Darüber hinaus sollte das heiße Tropenklima allgemein den Sexualtrieb des Mannes steigern, ja, es rief laut dem Mediziner und Sexologen Iwan Bloch (1872-1922) sogar „eine besondere Art wollüstiger Grausamkeit hervor“, die mit einer „völlige[n] Entwertung ethisch-moralischer Grundsätze“ einherging.165 Seiner Ansicht nach trat der Tropenkoller in erster Linie bei denjenigen Europäern auf, die sich in einer besonderen Konstellation befanden: erstens mit einer übergroßen „Machtbefugnis ausgestattet, wie sie ihnen in der Heimat nicht eingeräumt war“ und zweitens auf längere Zeit allein unter den Indigenen, „in Gegenden, wo alle Schranken der konventionellen Moral und der landläufigen gesellschaftlichen Beziehungen beseitigt“ seien und „der zivilisierte Mensch ganz seinen inneren Trieben folgen“ könne.166 Die Mehrheit der Forscher schlossen sich ihm in dieser Einschätzung an und postulierte, dass der Tropenkoller im kolonialen Raum auftrete, weil dort „die aus tausend Rücksichten gewebte Zwangsjacke der Kultur gelockert“ sei und anders als im Mutterland nicht „das Auge des Gesetzes und der Gesellschaft wach[e] und die gute Sitte dem Lebenswandel enge Schranken“ zöge.167 Diese Einschätzung korrespondierte mit der ambivalenten Beziehung der Kolonisatoren zur kolonialen Umwelt allgemein. Während einerseits der „‚Urwald‘“ als Inbegriff der lebensfeindlichen kolonialen Umwelt aufgefasst wurde, die es sich anzueignen und zu kultivieren galt, wurde dieser andererseits als Raum einer evolutionären Vergan163 Adda v. Liliencron, „Ein Wort über den Deutschkolonialen Frauenbund und seine Aufgaben“, in: Kolonie und Heimat 1,20 (1908-09), S. 9. Dieser Aspekt ist in der Forschungsliteratur im Zuge der Aufarbeitung der ‚Mischehendebatte‘ breit dokumentiert worden. Siehe: Smidt 1995, S. 146171; Wildenthal 1998; Wildenthal 2001, S. 79-130, 139-145; Grosse 2003, S. 181-182; Axter 2002, S. 49-59, 88-95; Kundrus 2003a, S. 77-96; Walgenbach 2005, S. 77-83, Dietrich 2007, S. 243-250. 164 Siehe bespielsweise: Hübner 1914, S. 978; Moreira 1926, S. 299, 320-321; Rasch 1898, S. 746, 772-773. 165 Bloch 1907, S. 624-625. 166 Bloch 1907, S. 624 (HiO). Zusätzlich komme es unter dem Einfluss der großen Hitze zu „Stoffwechselstörungen“, welche „durch Bildung von Toxinen das Zentralnervensystem und die Psyche schädigen“. Außerdem begünstigten seiner Ansicht nach Sklaverei und Leibeigenschaft sadistische Handlungen (ebd., S. 624-625). 167 Mense 1902, S. 23. In diesem Sinne auch: Külz 1906, S. 159-160.

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genheit idealisiert und als Raum des Begehrens sexualisiert. Als „innere[r] Urwald“ sollte er darüber hinaus die natürliche Ursprünglichkeit und Wildheit der männlichen Psyche widerspiegeln.168 Die so entstandene brisante Kombination aus Zügellosigkeit und Gewaltbereitschaft resultiere in „Taten der Unüberlegtheit und Grausamkeit“, die sich „zu den üblichen moralischen und gesetzlichen Anschauungen in Widerspruch“ befänden.169 Diese seien, so Iwan Bloch, häufig sogar „exquisit sadistische Handlungen“.170 In der Fachliteratur wurde als das wirksamste Gegenmittel ein strenges Regime hygienischer Maßnahmen empfohlen, die alle individuellen Körperfunktionen und Lebensäußerungen zu beeinflussen suchte: Essen, Trinken, Schlafen, die Anordnung der Wohnung, Kleidung und Körperhygiene, Wasserversorgung und hygienische Kontrolle der Angestellten.171 Als besonders gefährlich wurde der Konsum von Alkohol verdammt, da dieser die enthemmende Wirkung des Tropenklimas noch steigere. Um die Gelegenheit für entsprechende Exzesse zu verringern, sollten die Männer sportlichen oder kulturellen Freizeitbeschäftigungen nachgehen.172 Auf diese Weise stand, anders als bei der Debatte um die angeblich drohende ‚Verkafferung‘ in den Auseinandersetzungen um die Tropenneurasthenie die Bedeutung der männlichen Selbstkontrolle in Form hygienischer Technologien des Selbst im Vordergrund. Oder, wie Ludwig Külz es formulierte: „Das Klima an sich werden wir nicht ändern, aber uns selber im Verhalten gegen die klimatischen Einflüsse.“173 Die Vorstellung von weißen Männern, die unter Einfluss des Tropenklimas und losgelöst von den Fesseln der Zivilisation extreme Formen der Gewalt ausüben, war weit über die medizinische und tropenhygienische Fachliteratur hinaus verbreitet. Dazu trugen die in der Presse ausführlich diskutierten Prozesse gegen prominente Protagonisten der Kolonialbewegung maßgeblich bei. Dazu gehörte vor allem das Verfahren gegen Carl Peters (1856-1918), Gründer der Gesellschaft für Kolonisation, der Kolonie DOA und ab 1891 Reichskommissar für das Kilimandscharogebiet, das sich an dessen brutalem Vorgehen gegen die afrikanische Bevölkerung in Kombination mit einem eigenmächtig ausgesprochenen Todesurteil gegen einen Mann namens Mabruk, der mutmaßlich sexuellen Verkehr mit einer seiner Konkubinen, Jagodjo, gehabt hatte, entzündete. Wie Arne Perras rekonstruiert, stimmen die erhaltenen Augenzeugenberichte darin 168 Wirz 2000, S. 45-46. Siehe auch: Sachs 2003, S. 122-123; Kundrus 2003a, S. 138-145; Maß 2006, S. 122-124. 169 Plehn, Fr. 1906, S. 37. Vgl. dazu auch: Hübner 1914, S. 979; Werner 1920, S. 689. 170 Bloch 1907, S. 625. 171 Siehe: Ziemann 1913, S. 12-19; Moreira 1926, S. 320; Plehn, A. 1906, S. 7, 15. 172 Siehe: Plehn, Fr. 1906, S. 243-247; Külz 1906, S. 107. 173 Külz 1906, S. 31.

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überein, dass beide Todesstrafen zur Aufrechterhaltung der politischen und militärischen Machtposition der Kolonisatoren dienen sollten; ganz im Sinne des systematischen „Terror[s] kolonialer Eroberung“.174 Unter seinen Zeitgenossen und Zeitgenossinnen jedoch wurde der ‚Fall Peters‘ im Kontext einer Verbindung von sexueller Ausbeutung und kolonialen Gewaltexzessen diskutiert. Besonders die Reichstagsdebatten im März 1895, angestossen durch die sozialdemokratischen Abgeordneten August Bebel (1840-1913) und Georg von Vollmar (1850-1922), trugen zu dieser Interpretation bei. Im Jahr 1897 wurde Peters unehrenhaften aus dem Staatsdienst entlassen.175 Der ‚Fall Peters‘ stellte damit genau diejenigen Ängste und Befürchtungen vor, die in der psychiatrisch-medizinischen und kolonialpolitischen Literatur immer wieder geäußert wurden: Männliche sexuelle Impulse und Gewaltneigungen, gesteigert durch das Tropenklima, führten ohne rigide Selbstkontrolle zu Perversion, Kriminalität und gefährdeten die deutsche Kolonialherrschaft insgesamt. Die Tropenneurasthenie wurde entsprechend häufig in Publikationen der Kolonialbewegung diskutiert und war Teil der imperialist imagination der Zeitgenossen und Zeitgenossinnen. Zahlreiche Veröffentlichungen, wie etwa Beiträge in Kolonialzeitschriften, Frieda von Bülows Roman Tropenkoller (1896) oder Hans Fischers Bühnenstück (1897) sowie Henry Wendens Kolportageroman (1904) jeweils gleichen Titels, nahmen sich des Themas an.176 Ein genauerer Blick in letzteren, von Stephan Besser aufgrund der expliziten Darstellung sexualisierter Gewalt sogar als „pornographisch[e]“ bezeichneten Text, zeigt deutlich, warum die Tropenneurasthenie als so problematisch empfunden wurde.177 Der Roman erzählte die Geschichte der psychischen Entwicklung seines (Negativ)Helden Kurt von Zangen, eines jungen Offiziers aus Ostpreußen, der sich hoch verschuldet nach Deutsch-Ostafrika zur Schutz174 Siehe: Perras 2004a, S. 197-200; Pesek 2005, S. 191-204, Zitat S. 191. 175 Siehe: „Protokoll der 63. Sitzung der 9. Legislaturperiode, 3. Session, 18. März 1885“, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des deutschen Reichstages, Bd. 141 (1894/95), S. 1567-1572 (Rede von Vollmar) sowie „Protokoll der 64. Sitzung der 9. Legislaturperiode, 3. Session, 19. März 1895“, in: ebd., S. 1580-1585; 1591-1593. (Beiträge Bebel); Reuss 1981, S. 124-126. Zum Fall Peters siehe darüber hinaus: Geulen 2004, S. 346-354, Geulen 2003 sowie Perras 2004a (besonders S. 205230); Perras 2004b und Bösch 2008.Ganz ähnlich gelagert und in etwa im gleichen Zeitraum in der Presse: der Fall Heinrich Leist (1896) und der Fall des Prinzen von Arenberg (1899). Siehe: Prinz Arenberg und die Arenberge (1904), S. 20-27 sowie Besser 2003, S. 305-306; Besser 2004, S. 300-301; Wildenthal 2001, S. 70-76. 176 Beispielsweise das Gedicht „Tropenkoller“, in: Kolonie und Heimat 4,42 (1910-11), S. 14. Vgl. Bülow 1896 (wiederaufgelegt 1897 und 1905) und Fischer 1897. Wendens Roman liegt hier in der 2. Auflage von 1908 vor (Wenden 1908). 177 Besser 2004, S. 306. Siehe auch: Besser 2003, S. 303.

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truppe versetzen ließ und dort in Kontakt mit dem Plantagenbesitzer Müller kam. Letzterer, aus Belgisch-Kongo übergesiedelt, misshandelte, wie die ganze Kolonie wusste, systematisch die Afrikaner und Afrikanerinnen unter seiner Aufsicht. Von Zangen, voller Standesdünkel, mehr als stolz auf seine Uniform, jähzornig und bereits im Mutterland daran gewöhnt, die Prügelstrafe rechtswidrig zur Disziplinierung der Truppe einzusetzen, wohnte einer von Müllers Züchtigungen bei. Zunächst reagierte er geschockt und war von dem Geschehen abgestoßen. Der Ekel schlug jedoch schnell in eine Empfindung des Genusses um, die in einer „wohligen Mattigkeit“, einer verbreiteten Metapher für sexuelle Befriedigung, endete.178 Dieses im Roman solcherart sexualisiert beschriebene Erlebnis wurde zu dem Auslöser einer Veränderung, die von Zangen letztendlich dazu bewog, seine latent vorhandenen Allmachts- und Gewaltphantasien auszuleben. Als Leiter einer Expedition ins Landesinnere nahm er schließlich selbst die völlig unangemessene und eigenmächtig als Strafe für einen kleinen Diebstahl verhängte Auspeitschung eines kleinen Mädchens vor, im Zuge derer er – so suggeriert der Text – im Rausch seiner Gewalt lüstern das Blut des Kindes trank.179 Für ein ebenso zu Unrecht eigenmächtig verhängtes Todesurteil wurde er schließlich supendiert, verhaftet und zurück nach Deutschland geschickt, wo er sich vor Beginn des Prozesses schließlich selbst das Leben nahm.180 Wie im vorangegangenen Kapitel dargelegt, war die Durchsetzung einer Rechtsordnung, die Beendigung der Herrschaft von Willkür und Aberglauben, die Verbreitung von Zivilisation und Vernunft sowie die „‚Erziehung des Negers zur Arbeit‘“,181 ein zentraler Bestandteil des Selbstverständnisses der deutschen Kolonisatorinnen und Kolonisatoren. In der patriarchalisch-rassistischen Hierarchie der Kolonien repräsentierten weiße Männer, als Siedler aber mehr noch als Beamte der Kolonialadministration oder als Angehörige der Schutztruppe, in persona die deutsche „koloniale[n] Disziplinarordnung“.182 Gleichzeitig, so die rassistische Logik, war es genau diese Eigenschaft, die ihre Herrschaft legitimierte. Denken wir beispielsweise an die im Kolonialdiskurs als ‚degeneriert‘ geschilderten portugiesischen oder grausamen arabischen Männer als Gegenbeispiele. Entgleisungen der unter dem Schlagwort des Tropenkollers beschriebenen Art stellten damit die deutsche Kolonialherrschaft insgesamt in Frage: die angebliche zivilisatorische ‚Überlegenheit‘ ihrer Repräsentanten, die Rechtmäßigkeit ihrer Herrschaft sowie die Rationalität ihres Handelns. Ihre Nervosität, das heißt ihre Unfähigkeit sich selbst zu regieren, machte sie unfähig zur Führung anderer und gefährdete das koloniale Projekt: 178 179 180 181 182

Wenden 1908, S. 140-142, Zitat S. 142. Siehe: Ebd., S. 177-178. Siehe: Ebd., S. 208. Siehe dazu: Markmiller 1995, S. 74-87, Zitat, Titel. Pesek 2005, S. 233.

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„Der Nervöse leidet nicht nur selbst unter seinem Zustand, sondern zieht seine ganze Umgebung in Mitleidenschaft, und wird nie in der Lage sein, den Eingeborenen richtig zu behandeln. Viele Leiter von Plantagen und Farmbesitzer können aus diesem Grunde keine eingeborenen Arbeiter erlangen und sind dadurch in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet.“183

Zweitens gerieten mit der Diskussion um die tropische Neurasthenie gerade diejenigen Männer in den Blick, welche das hegemoniale Männlichkeitskonzept der deutschen Gesellschaft um 1900, die „patriotischwehrhafte[n] ‚Mannlichkeit‘“ verkörpern sollten oder sich zumindest explizit darauf bezogen.184 Weiße deutsche Männer in den Kolonien, sofern es sich nicht um Missionare handelte, waren entweder Soldaten, Siedler bzw. Plantagenbesitzer und als solche häufig ehemalige Mitglieder der Schutztruppe, oder als Kolonialbeamte Angehörige einer studierten bürgerlichen Mittelschicht, für die der preußische Offizier als das zentrale Rollenvorbild galt.185 Darüber hinaus gehörten, wie Michael Pesek für DOA gezeigt hat, die Führungskräfte der Schutztruppe häufig genau zu derjenigen sozialen Gruppe, deren Selbst- und Geschlechterverständnis zu den traditionellsten des Kaiserreichs gehörte: dem ostelbischen Junkertum.186 Drittens ging mit der Auseinandersetzung um den Tropenkoller auch ein Impuls zur Normalisierung männlicher weißer Sexualität einher. Wie Lora Wildenthal aufzeigt, wurde mit der Debatte um den Tropenkoller auch die Frage nach sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen generell thematisiert. Am Beispiel einer Abbildung der „Spezial-Nummer Kolonien“ des Simplizissismus vom 3. Mai 1904 verdeutlicht die Autorin die Bedenklichkeiten, die von den Zeitgenossen und Zeitgenossinnen in Bezug darauf geäußert wurden, was passieren möge, wenn die Männer die in den Kolonien zur Gewohnheit gewordene Gewalt gegen afrikanische Frauen auf weiße, deutsche Frauen übertragen würden (siehe: Anhang Abb. 9.6).187 Klima oder Kannibalen – das eingangs zitierte Horrorszenario Rudolf Virchows vom Tod deutscher Auswanderer und Auswanderinnen in den Tropen war, so haben meine oben angestellten Analysen und Überlegungen demonstriert, ein geschlechterspezifisches. Während die Hauptgefahr für weiße Frauen vor allem im Verlust ihrer Reproduktionsfähigkeit liegen sollte, drohten den Kolonisatoren nicht nur die Einverleibung in die Körper der Indigenen, sondern darüber hinaus auch die Inkorporation der ko183 Bongard 1907, S. 12. 184 Hagemann 2002, S. 305. 185 Siehe dazu: Hagemann 1997; Hagemann 1998, S. 87-89; Hagemann 2002, S. 304-340; Frevert 1996a; Frevert 1996b; Frevert 1997; Frevert 2001, S. 39-49, 228-245. Ausführlicher zum Konzept der soldatischen Männlichkeit siehe Kapitel 6 und 7. 186 Pesek 2005, S. 194. 187 „Die Macht der Gewohnheit“ (gezeichnet v. Ferdinand von Reznicek), in: Simplizissimus 9,6 (1904), S. 52. Siehe auch: Wildenthal 2001, S. 74-75.

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lonialen Umwelt in ihren eigenen Körper. Viren, Bakterien und Hitze drohten den männlich-weißen Körper zu vereinnahmen. In diesem Sinne galt sein Körper, um mit Elizabeth Grosz zu sprechen, als „a system, or series of open-ended systems“.188 Weiße Männlichkeit war damit ein komplexes Beziehungsgeflecht, ein agencement von Relationen zu verschiedenen Polen: Umwelt, wilde Kannibalen, weiße Frauen, weiße und nichtweiße Männer. Innerhalb dieses Geflechts war die Beziehung zum wilden Kannibalen allerdings eine besondere. Sie basierte auf einem ambivalenten Begehren, der Angst|Lust, selbst zum Menschenfresser zu werden. Dieser Befund widerspricht anderen Darstellungen in der Forschungsliteratur, namentlich der Interpretation Rosa Schneiders, die in ihrer Studie Um Scholle und Leben. Zur Konstruktion von „Rasse“ und Geschlecht in der kolonialen Afrikaliteratur um 1900 argumentiert, dass in der Kolonialliteratur afrikanische Körper als offene, „groteske[r] Körper“ und weiße im Gegensatz dazu als geschlossene Körper verstanden wurden. Verletzungen und Vermischungen des weißen Körpers seien streng sanktioniert und reguliert worden, um verlorene Stabilität wieder herzustellen.189 Aus Perspektive der hier vorgelegten Ergebnisse erscheint hingegen eine andere Interpretation plausibler: Erst die Problematisierung der Grenzverletzung stellte die vermeintlich fixen Körpergrenzen her.190 Männliche Selbstkontrolle, hygienische Praktiken, Auseinandersetzungen um den sogenannten Tropenkoller, sie alle trugen als diskursive und nichtdiskursive Praktiken zur Herstellung einer weißen Männlichkeit bei, deren Ziel die strikte Kontrolle der vielfältigen Verbindungen zwischen dem weißen Männerkörper und seiner kolonialen Umwelt war. Diese Regulierung wiederum sollte entlang der Parameter der kolonialen Gouvernementalität erfolgen. Neben den bereits genannten Technologien des Selbst wurde in der medizinischen Fachliteratur eine gezielte biopolitische Intervention empfohlen. Anders als zu Beginn des kolonialen Projekts, als „ein in der Familie Entgleister in die Tropen geschickt wurde, weil man ihn im eigenen Vaterlande gern los werden wollte“ müsse eine verantwortungsvolle Politik nun die Bewerber nach ihrer physischen, vor allem aber psychischen Gesundheit und Stabilität selektieren.191 Die weißen Kolonisatoren waren damit ebenso das Objekt biopolitischer Programme wie die Kolonialisierten. Denn die „Grade“, in denen der Einzelne von Einflüssen der Tropen affiziert würde, seien „individuell ganz verschieden und abhängig von der Anlage, die der Europäer bereits mit herausbring[e]“ und „vom Maße der Selbstbeherrschung, über das er ver188 Grosz 2004, S. 3. 189 Siehe: Schneider, R. 2003, S. 158-171, Zitat S. 161. 190 In diesem Sinne argumentiert beispielsweise auch Stoler 1996, S. 177-178: Der Diskurs um die Tropenhygiene „reaffirmed that the ‚truth‘ of European identity was lodged in self-restraint, self-discipline, in a managed sexuality that was susceptible and not always under control.“ 191 Hübner 1914, S. 985.

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füg[e].“ Es sei „einleuchtend“, dass kein bereits in der Heimat zur „Nervosität neigender Mensch für den Tropendienst geeignet“ sei.192 Eine Personengruppe galt in diesem Zusammenhang als besonders gefährdet und daher extrem ungeeignet für die Auswanderung oder den Kolonialdienst: „schwache Charaktere“, „Minderwertige“ und „Psychopathen“.193 Bei diesen Weißen sollten die durch die zersetzenden Einflüsse des Tropenklimas aggressiven Triebstrukturen zum Vorschein kommen, die in jedem männlichen Körper eigen sein sollten und die von gesunden weißen Männern mit Hilfe von Selbstkontrolle und Willenskraft in Schach gehalten würden. Diese ‚schwachen Charaktere‘ waren in diesem Sinne wie die Wilden, einer Spur, der ich im folgenden Kapitel weiter folgen werde.

192 Külz 1906, S. 158. In diesem Sinne äußerte sich auch: Mense 1902, S. 23. 193 Mense 1902, S. 23; Hübner 1914, S. 979, 985.

4. Wie die Wilden: Aberglaube, De ge neration und Kannibalismus

Am Anfang stand ein Mord: „Eines Tages taten sich die ausgetriebenen Brüder zusammen, erschlugen und verzehrten den Vater und machten so der Vaterhorde ein Ende. Vereint wagten sie und brachten zustande, was dem einzelnen unmöglich geblieben wäre. [...] Daß sie den Getöteten auch verzehrten, ist für den kannibalen Wilden selbstverständlich. Der gewalttätige Urvater war gewiß das beneidete und gefürchtete Vorbild eines jeden aus der Brüderschar gewesen. Nun setzten sie im Akte des Verzehrens die Identifizierung mit ihm durch, eigneten sich ein jeder ein Stück seiner Stärke an.“1

Von dieser Handlung ausgehend, so die These Sigmund Freuds (18561939) in seinem Essay Totem und Tabu, entwickelte sich menschliche Zivilisation.2 Denn das schlechte Gewissen der Mörder habe zu den beiden ersten sozialen Regeln der Menschheit, den Tabus von Inzest und Vatermord geführt. Freud ging davon aus, dass „die sich zusammenrottende Brüderschar“ von den gleichen ambivalenten Gefühlen gegenüber ihrem Vater beherrscht war, wie er sie bei Kindern und Neurotikern für nachgewiesen hielt: „Sie haßten den Vater, der ihrem Machtbedürfnis und ihren sexuellen Ansprüchen so mächtig im Wege stand, aber sie liebten und bewunderten ihn auch.“ In Reue und Schuldbewusstsein nach der Ermordung 1

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Freud 2003a, S. 287-444, hier S. 426. Totem und Tabu wurde, aufgeteilt in vier einzelne Essays, erstmals 1912 und 1913 in der Zeitschrift Imago veröffentlicht. Siehe: Ebd., S. 426. Die Forschung zu Freud ist zu umfangreich, um in dem hier gegebenen Rahmen angemessen dargestellt werden zu können. Stattdessen sei auf die kenntnisreiche Freud-Biographie Peter Gays verweisen, in der das Freud’sche Œvre ausführlich diskutiert wird (Gay 2006, hier v.a. S. 367-379 zu Totem und Tabu).

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und der Einverleibung des Vaters hätten die Brüder die Vaterfigur auf ein Totemtier verschoben und in einer Form des „nachträglichen Gehorsams“ ihr Handeln für widerrechtlich erklärt, indem sie die Tötung desselben verboten und sich „deren Früchte“, das heißt „die freigewordenen Frauen versagten“.3 Durch Tradition und Überlieferung wurden diese Verbote an die nachfolgenden Generationen von „primitiven Menschen“ weitergegeben, jeweils „gewalttätig eingeschärft“ und in diesem Sinne „von außen aufgedrängt“. So rekonstruierte Freud die Entstehung der Tabus von Inzest und von Vatermord „nach dem Vorbild der Zwangsverbote“ der Neurotiker.4 Dabei ging er davon aus, dass analog zur Neurose dem Tabu eine starke, unbewusste und verdrängte Neigung zu einer gesellschaftlich geächteten Handlung zugrunde läge.5 Dieses Erklärungsmodell lag für Freud aus einer Reihe von Gründen nahe: Erstens beobachtete er eine große Ähnlichkeit zwischen der Zwangsneurose und dem Tabu. Beide, Tabu und Neurose, seien augenscheinlich unmotiviert und von rätselhafter Herkunft, jedenfalls könnten weder die Neurotiker noch die sogenannten Wilden einen nachvollziehbaren Grund für ihre Handlungen angeben. Wie bei der Zwangsneurose bestünde auch der Kern des Tabus der ‚Primitiven‘ aus einer Berührungsangst, einem „délire de toucher“.6 Wenn also Psychoanalytiker nicht be3 4 5

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Freud 2003a, S. 427 (HiO). Ebd., S. 323. Siehe: Ebd., S. 324. Das Beispiel, das Freud zur Erläuterung der Zwangsneurose anführte, war das Onanieverbot. Das Kind verinnerliche dieses Verbot, das ihm von außen, d.h. den Eltern und anderen mit der Erziehung betrauten Personen in der Kindheit aufgezwungen würde, könne jedoch das Begehren, sich selbst zu berühren, nie vollständig unterdrücken. Je mehr die Handlung jedoch begehrt werde, desto stärker sei das (selbst)aufgerichtete Verbot. Zur Triebabfuhr suche sich der Neurotiker (oder die Neurotikerin) ein Ersatzobjekt: Es komme zur sogenannten Verschiebung. Die Ersatzhandlung wiederum bringe nicht den gewünschten Effekt, sei aber noch ähnlich genug, um eine weitere Erhöhung der Verbotsschwelle auszulösen. Es bilde sich ein potentiell unendlicher, sich selbst verstärkender Zirkel aus Begehren und Verbot, der zu einer Ausweitung der gewählten Ersatzobjekte und zur Vervielfältigung der Ersatzhandlungen und Verbote führe (siehe: ebd., S. 321). Die Mehrheit der zeitgenössischen psychiatrisch-medizinischen Forscher führte jedoch einen anderen Begriff der Neurose, der eine funktionelle Störung des menschlichen Nervensystems bezeichnete. Ausgelöst durch physische oder psychische Reize handelte es sich nach diesem Modell bei der Neurose um eine materielle Schädigung der Nerven. Die Abgrenzung zur Neurasthenie war unscharf. Siehe: Kehrer 1930; Sarasin 2001, S. 417-433. Freud 2003a, S. 319 (HiO). Was sich bei den Letzteren als Angst vor Ansteckung und Übertragung des Tabus äußere, nehme beim Neurotiker die Form der Verschiebbarkeit von Zwangsverboten auf angrenzende semantische oder soziale Gebiete an. Gleichzeitig sei der Gegenstand des Tabus wie auch der Neurose emotional ambivalent besetzt: Einerseits wolle das Individuum die verbotene Handlung durchführen, andererseits sei sie ihm zutiefst zuwider (vgl. ebd., S. 319-322).

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reits gewohnt wären, Neurotiker als „Zwangskranke“ zu bezeichnen, so Freud, dann müssten sie „den Namen ‚Tabukrankheit‘ für deren Zustand angemessen finden.“7 Zweitens ging Freud davon aus, dass jeder Mensch einen „Entwicklungsvorgang“ durchlaufe, „durch welchen [er] zu einer höheren Stufe von Sittlichkeit“ gelange.8 Diesen individuellen psychischen Entwicklungsvorgang parallelisierte Freud mit der evolutionär fortschreitenden Zivilisierung der Menschheit. Er entwarf ein Phasenmodell, in dem sich ein Kind von der oralen über die anale und die ödipale Phase zu einem erwachsenen Individuum mit phallischer Sexualität entwickele, deren Begehren sich auf das andere Geschlecht beziehe. Der Kulminationspunkt stehe allerdings nur Männern offen. Frauen, so Freud, blieben der ödipalen Phase verhaftet, da es ihnen seiner Ansicht nach am dazu notwendigen Organ, dem Penis, mangele. Inzest, Onanie und Kannibalismus verband Freud mit der oralen Phase, in der sich das Kind das geliebte Gegenüber einzuverleiben wünsche. Freud hielt in seiner Schrift Massenpsychologie und Ich-Analyse dazu fest: „Der Kannibale bleibt bekanntlich auf diesem Standpunkt stehen; er hat seine Feinde zum Fressen lieb, und er frißt die nicht, die er nicht irgendwie liebhaben kann.“9 Aus Freuds Perspektive standen also Anthropophagie und ödipales Begehren gleichzeitig am Nexus der Zivilisation sowie der männlichen Subjektwerdung. Freuds Überlegungen beruhten damit auf einer Hypothese, die uns bereits im Zusammenhang des ethnologischen Wissens über den Kannibalismus begegnet ist: der Annahme, dass „Naturvölker“ gleichsam die lebende Repräsentation der Frühgeschichte der Menschheit darstellten. Die eigenständige Geschichtlichkeit der indigenen Bevölkerungen kolonialisierter Gebiete strich Freud zwar in einer langen Fußnote heraus, allerdings hinderten ihn diese Überlegungen nicht daran, sein Argument trotzdem auf der Annahme aufzubauen, die „Naturvölker“ repräsentierten die menschheitsgeschichtliche Vergangenheit. Dies ist auch sprachlich deutlich erkennbar: So wechselte Freud in seiner Darstellung von der Urhorde genau an der Stelle ins Präsens, an der es um kannibalische Praktiken ging. Es „ist für den kannibalen Wilden selbstverständlich“, den er-

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Freud 2003a, S. 318 (HiO). Freud 2003b, S. 40. Siehe: Freud 2003a, S. 310 sowie Freud 2003c, S. 98 (hier auch Zitat). Vgl.: Boehm 1932, S. 150-151. Entsprechend interpretierte Freud psychische Störungen auch als Regress auf das Entwicklungsniveau früherer Stufen. Ein Erklärungsmodell, das auch heute noch herangezogen wird. So geht bespielsweise Eli Sagan davon aus, dass „[i]n times of great stress, a culture may revert to more primitive forms of expressing aggression. Such regression is pathological – the sign of a sick society. True cannibals are not living in a sick society; their cultural development is merely very primitive.“ (Sagan 1993, S. 140-141.)

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schlagenen Vater zu verspeisen, eben weil er die „gut erhaltene Vorstufe unserer eigenen Entwicklung“ darstelle.10 Wie ich im Folgenden demonstrieren werde, stand er mit dieser Annahme nicht allein. Wie die Wilden, das war eine der zentralen Argumentationsfiguren der psychiatrischen und kriminologischen Fachliteratur. Es ist diese Analogie, der ich hier ausführlicher nachgehen möchte. Dabei werde ich eingangs die Resonanzen des kolonialen und ethnologischen Diskurses im Wissen vom kannibalischen kriminellen Anderen aufzeigen. Ich werde demonstrieren, dass die Konstruktion des Kannibalen im medizinischkriminologischen Diskurs zunächst entlang der Linien des kolonialen Diskurses geführt wurde. Um die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert wandelte sich die Erklärung für die Ursache von Anthropophagie allerdings. Kannibalismus wurde nun nicht länger als Folge von Aberglaube oder Gier angesehen, den aus der Ethnologie bekannten Motivationen, sondern als Resultat einer sogenannten degenerierten Körperlichkeit. Dreh- und Angelpunkt dieses Wandels war die Rezeption der Werke Cesare Lombrosos, namentlich seiner Monographie L·uomo delinquente. Wie ich im zweiten Abschnitt dieses Kapitels rekonstruieren werde, fungierte der Kannibale in Lombrosos Theorien als das Paradigma des triebhaften, atavistischen Kriminellen. Mit diesem Wandel ging eine Neuorientierung der Regierungsrationalität einher: Anstelle von Aufklärung, Bildung und Modernisierung im Sinne des nationalen Projekts traten nun die Sicherheit und der Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Individuen in den Vordergrund. In einem dritten und letzten Abschnitt werde ich diese Neuorientierung und ihre Verzahnung mit Diskursen um Modernisierung und Normalisierung im (post)kolonialen Mutterland eingehender beleuchten. Hierbei wird eine diskursive Doppelstrategie deutlich werden: einerseits die Identifikation von Kannibalismus mit peripheren geographischen sowie sozialen Räumen, den ländlichen Regionen sowie der proletarischen oder bäuerlichen Bevölkerung, andererseits die Errichtung eines Normalfeldes, in welchem über ein System gradueller, körperlicher Differenzen Alterität zu einer messbaren Größe wurde. Diese Technologie der Vermessung und Normalisierung wurde nicht allein im kolonialen Kontext entwickelt, sondern fand ebenfalls Anwendung innerhalb des Nationalstaats. In diesem Sinne, so meine These, verweist die Analogie Wie die Wilden direkt auf die Normalisierungsstrategien eines biopolitisches Dispositivs einer Gouvernementalität, welche nicht nur für die Kolonie, sondern auch für das (post)koloniale Mutterland bestimmend war. 10

Freud 2003a, S. 426, 295 (Hervorhebung EB). In diesem Sinne entwickelte sich die Psychoanalyse, wie Celia Brickman es formuliert, gleichzeitig in Abgrenzung von und auf der Grundlage eines Evolutionskonzepts, welches wiederum auf kolonialen und rassistischen Annahmen beruhte. (Brickman 2003, S. 51).

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4 . 1 W i e d i e W i l d e n : Ab e r g l a u b e , G i e r u n d Menschenfresserei Wie bereits in der Rekonstruktion des ethnologischen Wissens vom Kannibalismus dargestellt, war der Verweis auf die „abergläubigen Wahnvorstellungen“11, denen angeblich besonders Angehörige der sogenannten Naturvölker anhingen, ein fester Bestandteil des ethnologischen Diskurses um die wilden Kannibalen. Die andere Hauptmotivation für „gewohnheitsmäße Anthropophagie“12, die immer wieder genannt wurde, war die nackte Gier und die Freude am Genuss von Menschenfleisch. Beide Begründungen tauchten in der Debatte um kriminelle Kannibalen wieder auf. Einen guten Eindruck von der Art und Weise, in der dies geschah, und davon, was in diesem Zusammenhang in der Fachwelt diskutiert wurde, liefern die Fälle des Winzers Franz Bratuscha aus Prassdorf (Untersteiermark, Österreich) sowie Karl Denkes aus Ziebiçe/Münsterberg (Schlesien).

Wahn oder Aberglaube: Der Fall Franz Bratuscha Von Bratuscha berichtete zuerst der Staatsanwalt August Nemanitsch in der Oktoberausgabe des Jahres 1901 der Fachzeitschrift Archiv für Krimininologie, einem der führenden Fachorgane der zeitgenössischen Kriminologie, unter dem Titel „Ein Kannibale“.13 Über Bratuscha, der im gleichen Jahr des Mordes an seiner zwölfjährigen Tochter Johanna angeklagt worden war, hieß es dort, dass er allgemein als „äusserst jähzornig“ galt und „in seiner Leidenschaft seine Kinder auf das Unbarmherzigste“ misshandele. Er habe seine Tochter, die nach einem Streit mit ihren Eltern von zu Hause fortgelaufen war, dem Hungertod nahe im Wald gefunden und dort erwürgt. Seiner eigenen Aussage nach tötete er seine Tochter, weil sie ungehorsam gewesen sei, mehrfach die Schule geschwänzt habe, seiner Ansicht nach „ohnehin für nichts auf der Welt sei“ und er sie im Haus auch nicht als Arbeitskraft habe gebrauchen können. Darüber hinaus, so Bratuscha, habe er die Ausgaben gescheut, die ihn die ärztliche Behandlung seiner geschwächten Tochter gekostet hätten. Um die Leiche verschwinden zu lassen, so Bratuscha weiter, habe er sie des Nachts mit Hilfe seiner Frau in Stücke geschnitten und zu Hause im Ofen verbrannt.14 Seinem ersten Geständnis fügte Bratuscha später „unter sichtlicher Zerknirschung“ die Aussage hinzu, er habe sich von den Oberschenkeln seiner Tochter ein Stück abgeschnitten und verzehrt: 11 12 13

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Andree 1887, S. 98. Ebd., S. iii. Nemanitsch 1901. Zur Bedeutung und Rolle des Archivs für Kriminologie siehe: Gadebusch 1995, S. 153-166; Wetzell 2000, S. 61-63; Lamott 2001, S. 11 sowie Galassi 2004, S. 256-273. Nemanitsch 1901, S. 306-307.

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„Als ich nun das Fleisch im Ofen braten sah, erinnerte ich mich, dass ich in meiner Jugend in verschiedenen Büchern gelesen habe, dass die Indianer und andere wilde Völkerschaften Menschenfleisch essen, davon nicht sterben und so überkam mich die Lust, auch von dem im Ofen bratenden Fleisch zu geniessen.“15

Bratuscha bestritt hartnäckig, mit dem Essen des Fleisches irgendeine magische Vorstellung verbunden zu haben. Er beharrte darauf, allein der übergroße Hunger habe ihn dazu getrieben. Die Untersuchungsbehörden jedoch blieben skeptisch: Sie verwiesen auf ältere Schriftstücke aus seiner Hand, in denen er Frauenhaare für Liebeszauber verwendet habe oder in denen er Knochenmehl zusammen mit Heilkräutern auflistete. Mehrfach wurde Bratuscha befragt, „ob er je davon gehört oder gelesen hätte“, dass Kriminelle daran glaubten, straffrei auszugehen, wenn sie vom „Fleisch unschuldiger Mädchen“ gegessen hätten, oder dass ihre Diebstähle unentdeckt blieben, nachdem sie ein Kind verspeist hätten. Oder ob er von dem Aberglauben wisse, dass der Konsum von „Hirn und Knochenmark [...] die Kraft des Gegessenen auf den Essenden“ übertrage, „Herz, Leber, Fett [...] übernatürliche Fähigkeiten, wie Fliegenkönnen, Unsichtbarwerden u.s.w.“ verleihe oder dass das „Essen von gebratenem Menschenfleische [...] vor Verfolgung durch Feinde und Behörden“ schütze.16 Von besonderem Interesse für den berichtenden Staatsanwalt war auch Bratuschas Verweis auf den Einfluss, den seine Jugendlektüre auf ihn gehabt habe. Die Durchsuchung des Hauses der Bratuschas förderte ein kleines Bändchen mit dem Titel Australien und seine Inseln zu Tage, woraus Staatsanwalt Nemanitsch in seinem Beitrag ausführlich zitierte und es als Bestätigung dafür anführte, dass Bratuscha „durch das Lesen von Beschreibungen der Sitten wilder Völker darauf geführt worden sei“, Menschenfleisch zu essen. Besonders hob Nemanitsch die dort beschriebenen kannibalischen Praktiken der autochthonen Bevölkerung Melanesiens hervor.17 Der Fall wurde 1904 von Hans Groß (1847-1915), dem Mitbegründer und damaligen Herausgeber des Archivs für Kriminologie, wieder aufgegriffen.18 In seinem Beitrag warf Groß die Frage nach der Zurechnungsfä15 16 17 18

Ebd., S. 307. Ebd., S. 309-311, Zitate S. 310. Ebd., S. 308. Zur Debatte um den mutmaßlich verderblichen Einfluss von Abenteuerromanen, Schmutz- und Schundliteratur, siehe Kapitel 6. Siehe: Groß, H. 1904. Groß arbeitete zunächst als Untersuchungsrichter in Graz, bevor er 1897 Professor für Strafrecht und Strafprozesse in Czernowitz, der Hauptstadt der Bukowina (heute Ukraine) wurde. Dies war eine Gegend an der Peripherie Westeuropas, in der, wie wir sehen werden, abergläubische Vorstellungen als allgemein weit verbreitet galten. Sein bekanntestes Werk war das Handbuch für Untersuchungsrichter, das erstmals 1893 erschien und mehrfach wieder aufgelegt wurde. Hier vorliegend die 6., umgearbeitete Auflage von 1914 (Groß, H. 1914) sowie seine Criminalpsychologie (Groß, H. 2007). Groß war 1898 Mitbegründer des Ar-

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higkeit Bratuschas erneut auf, der seinerzeit von den zuständigen Gerichtsmedizinern als geistig normal und damit voll zurechnungsfähig eingeschätzt worden war.19 Im August 1903, so berichtete Groß, wurde die tot geglaubte Johanna Bratuscha wegen Diebstahls verhaftet und eindeutig identifiziert. Das Geständnis ihres Vaters wurde damit hinfällig und erschien „psychologisch unerklärlich“.20 Die psychiatrischen Experten erklärten Bratuscha im Anschluss an eine nachträgliche Untersuchung als dauerhaft geistig gestört aufgrund einer „psychopathische[n] Veranlagung“, welche „durch langdauernde intensive Gemütsaffekte ausgelöst“ worden sei. Dies ließ nach Ansicht von Groß nur einen Schluss zu: Der Vater hatte sich „Mord, Zerstückelung, Aufessen usw.“ seiner eigenen Tochter wahnhaft eingebildet.21 Die ursprüngliche Fehleinschätzung durch die Gerichtsmediziner vor Ort beurteilte Groß jedoch milde: Angesichts der Indizienbeweise, des üblen Leumundes Bratuschas und der fehlenden Spezialkenntnisse der ersten Gutachter hielt er diese Fehleinschätzung für nur allzu verständlich. Dagegen lehnte er alle Einwände, das Geständnis hätte sofort als unglaubhaft, da zu ungeheuerlich, erkannt werden müssen, rundheraus ab. Wer Vorkommnisse wie die von Bratuscha selbst geschilderten grundsätzlich für unmöglich halte, irre. Wer so rede, schloss Groß, kenne „eben die große Literatur über modernen Kannibalismus nicht; dieser ist in der Regel Folge krassen Aberglaubens, und dieser ist viel verbreiteter, als man gewöhnlich annimmt.“22

Unentbehrlicher Fleischgenuss: Karl Denke Die zweite Motivation für Kannibalismus, die im kriminologischen Fachdiskurs ebenso genannt wurde wie im ethnologischen, war die Gier nach Menschenfleisch. Auf diese wurde besonders im Fall Karl Denkes, der am 21. Dezember 1924 im schlesischen Münsterberg (Ziebiçe) verhaftet wurde, abgehoben. Nachbarn hatten Denke, der am 11. Februar 1866 in Oberkunzendorf (Schlesien) geboren worden und in Münsterberg gut bekannt

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chivs für Kriminalanthropologie und Kriminalistik. Zu seiner Biograpie siehe: Grassberger 1972 sowie Lamott 1988. Siehe: Nemanitsch 1901, S. 308. Groß, H. 1904, S. 150. Ebd., S. 152. Ebd., S. 154. Welche Literatur genau Groß damit meint, führt er an dieser Stelle nicht weiter aus, mutmaßlich August Löwenstimms Aberglaube und Strafrecht (Löwenstimm 1897) sowie Richard Andrees Die Anthropophagie (Andree 1887), die beiden zum Zeitpunkt verbreitetsten Monographien zum Thema. Löwenstimms Darstellung erschien ursprünglich auf Russisch und versammelte in erster Linie Fallbeispiele aus dem Zarenreich. Die Tatsache, dass die Publikation im deutschsprachigen Kontext trotzdem als relevanter Beitrag rezipiert wurde, verweist auf die unten genauer dargestellte zeitgenössische Anschauung, Aberglaube sei eine Reminiszenz früherer Epochen der Menschheitsgeschichte und als solche nur noch an der Peripherie Westeuropas oder in Übersee zu beobachten.

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war, sowie einen Mann namens Vinzenz Olivier zur örtlichen Polizeiwache gebracht.23 Olivier gab an, von Denke in seiner Wohnung in der Teichstraße 10 mit einer Spitzhacke tätlich angegriffen worden zu sein. Denke machte keine Aussagen zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf, erhängte sich jedoch in der darauf folgenden Nacht im Polizeigefängnis. Die Polizeibeamten, welche zwei Tage später die Wohnung Denkes aufsuchten, um den Nachlass des Verstorbenen zu sichten, machten überraschende Entdeckungen. Sie fanden menschliche Überreste in Pökellauge sowie in einem auf dem Herd stehenden Topf, Ausweispapiere und Männerkleidung, letztere mit aus Menschenhaut gefertigten Riemen zusammengebunden. Darüber hinaus wurde ein Paar aus Menschenhaut angefertigter Hosenträger sichergestellt.24 Eine spätere genauere Durchsuchung förderte eine Liste zu Tage, auf der jeweils neben einem Datum die Namen von 27 Männern und vier Frauen sowie Gewichtsangaben aufgeführt waren. Da ein Teil der Namen mit denen in den zuvor gefundenen Ausweispapieren übereinstimmte, gingen die Behörden davon aus, dass es sich um eine Liste mit den von Denke ermordeten Personen handelte.25 Denke hatte demnach seit 1903 im Durchschnitt einen Menschen pro Jahr ermordet. Er hatte seine Opfer gezielt unter Menschen gesucht, die in der Gegend fremd waren und daher vor Ort nicht sofort vermisst wurden.26 Der mit der Leitung der Nachforschungen beauftragte Staatsanwalt stand aus seiner Perspektive einem Rätsel gegenüber. Er mutmaßte, dass Denke „nicht infolge perverser geschlechtlicher Neigung zum Verbrecher geworden“ sei, sondern vielmehr einen „ihm anscheinend unentbehrlichen reichlichen Fleischgenuss“ befriedigen wollte. Denke, der aus einer wohlhabenden Gutsbesitzerfamilie stammte, hatte 1922 das Grundstück an der Teichstraße unter Vorbehalt des Wohnrechtes in einer dortigen Wohnung verkauft. Die Inflation allerdings machte den Erlös dieses Verkaufes wertlos und so sei in Denke, der auf regelmäßigen Fleischkonsum nicht habe

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Vgl. Struck 2001, S. 169-180 sowie Kapitel 2. Zum Fall Denke siehe: Bericht des Staatsanwaltes über die Ermittlungen im Fall Denke, 28.12.1924, GStAPK I. HA Rep. 84a/D/57488, Bll. 2-6, hier Bl. 6. Siehe zum Fall Denke auch der retrospektive Bericht über die irrtümliche Verurteilung Eduard Trautmanns für einen von Denke begangenen Mord bei Polke 1934 sowie die Akten zur Entschädigung des Fleischermeisters Eduard Trautmann aus Reichenau/Sachsen wegen unschuldig erlittener Zuchthausstrafe. Zeitungsausschnitte, 1925-1926, GStAPK I. HA Rep. 84a/D/57491, Bll. 24. Siehe: Bericht des Staatsanwaltes über die Ermittlungen im Fall Denke, 28.12.1924, GStAPK I. HA Rep. 84a/D/57488, Bll. 2-6, hier Bll. 2-3. Siehe: Bericht des Staatsanwaltes über den Fortgang der Ermittlung im Fall Denke, 16.1.1925, GStAPK I. HA Rep. 84a/D/57488, Bll. 14-15, hier Bl. 14. Siehe: Bericht des Staatsanwaltes über die Ermittlungen im Fall Denke, 28.12.1924, GStAPK I. HA Rep. 84a/D/57488, Bll. 2-6, hier Bl. 3.

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verzichten wollen, „der Plan gereift [...], sich an Menschenfleisch zu sättigen“, resümierte der Staatsanwalt.27 Die Erklärung, die er hiermit lieferte, stützte sich nicht auf materielle Indizien, sondern beruhte auf reiner Spekulation. Statt beispielsweise von den aus Menschenhaut gefertigten Hosenträgern und Riemen auf abergläubische Praktiken zu schließen oder aber auf mögliche fetischistische Fixierungen und damit auf eine sexuelle Perversion, sprach der Dienstherr der lokalen Ermittlungsbehörden über einen Zusammenhang von Gewöhnung an Fleischkonsum und Menschenfresserei.28 Dazu verwies er auf die Vergnügungssucht Denkes, der sein Erbteil bereits vor dem Verkauf des Grundstücks in der Teichstraße mit Völlerei, Ausflügen und Kinobesuchen zum großen Teil verprasst habe. Er zeichnete das Bild eines lasterhaften Menschen mit einer Neigung zum Lotterleben und einer ausgeprägten Gier nach Fleisch. Darüber hinaus ignorierte dieser Erklärungsansatz, dass Denke bereits seit 1903 Menschen getötet und mutmaßlich verspeist hatte.29 Den Verkauf von Menschenfleisch schloss der Staatsanwalt jedoch explizit aus, da sich nach seiner Ansicht angesichts der Aufregung, die der Fall in der Bevölkerung hervorrief, gewiss Leute gemeldet hätten, wenn es dazu Verdachtsmomente gegeben hätte.30 Trotzdem wurde dies oft genug in Publikationen über den Fall Denke behauptet. So schrieb beispielsweise Theodor Lessing: „Man konnte feststellen, daß der Mann [Denke] seit mindestens 20 Jahren sehr viele Menschen, Mädchen und Jünglinge, tötete, aß, verschlang oder ihr Fleisch auf Märkten verkaufte.“31 In den beiden hier vorgestellten Fallberichten finden sich fast alle Elemente des zeitgenössischen medizinisch-kriminologischen Fachdiskurses über kriminelle Kannibalen: Die Täter – in der Regel Männer mittleren 27

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Ebd. Bl. 6. Diese Fehleinschätzung wurde auch in der Presse kolportiert und unterstützte den Diskurs von der entsittlichenden Wirkung des Ersten Weltkrieges (vgl. Kapitel 6). Siehe beispielsweise: Krafft-Ebing 1993, S. 175-209. Auch eine Erklärung über abergläubische Vorstellungen wäre möglich gewesen, galten doch Riemen aus Menschenhaut, wie Seyfarth in seiner Darstellung Aberglaube und Zauberei darlegte, als Amulett nicht nur für Gebärende, sondern auch für Kriminelle (siehe: Seyfarth 1913, S. 286). Die vergleichsweise milde Interpretation des Staatsanwalts war möglicherweise auch der sozialen Herkunft Denkes geschuldet: Bis 1914 hatte Denke eine Gärtnerei in der Nähe von Ziebiçe (Münsterberg) betrieben, die er in jenem Jahr verkaufte. Danach begann er einen Lebensstil zu pflegen, der aus der Perspektive seiner Verwandten mit „seiner Erziehung und seinen einfachen Lebensverhältnissen nicht übereinzustimmen“ schien. Bevor alles Geld mit Ausflügen und Kinobesuchen verprasst war, kaufte er das Grundstück an der Teichstraße 10 (Bericht des Staatsanwaltes über die Ermittlungen im Fall Denke, 28.12.1924, GStAPK I. HA Rep. 84a/D/57488, Bll. 2-6, hier Bl. 5). Siehe: Ebd., Bl. 5. Lessing 1973, S. 52. Auch Wulffen ging davon aus, Denke habe mit Menschenfleisch gehandelt, siehe: Wulffen 1966, S. 493.

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oder fortgeschritteneren Alters – waren zumeist Menschen aus den unteren sozialen Schichten und/oder entstammten einer ländlichen Umgebung, litten oft unter Armut und Hunger, hingen zumeist abergläubischen Vorstellungen an, und manche von ihnen unterlagen den Einflüssen sittlich fragwürdiger Jugendlektüre oder des Kinos. In Einzelfällen wurde auch über kannibalische Praktiken außerhalb des deutschsprachigen Kontextes berichtet. Hier handelte es sich dann allerdings um Berichte über Angehörige von Bevölkerungsgruppen, die wegen ihres angeblich niedrigeren Zivilisationsniveaus bereits unter Kannibalismusverdacht standen. So wurde beispielsweise der Fall zweier aus Zwangsarbeit entflohener Kirgisen diskutiert, die laut Angabe der zitierten russischen Zeitung auf ihrer Flucht zwei Mithäftlinge getötet hatten und bei denen Menschenfleisch gefunden worden war. Dass den Leichen die nach in Deutschland verbreiteten Vorstellungen bedeutsamen Organe Herz und Leber sowie die Finger fehlten, wertete der Autor des Artikels als sicheres Indiz für rituellen Kannibalismus und sprach sich damit gegen die Interpretation der russischen Behörden aus.32 Daneben wurden kannibalische Praktiken häufig mit einer als gesundheitsgefährdend angesehenen ‚Volksmedizin‘ oder mit kriminellen Täuschungsakten in Verbindung gebracht, etwa dem Versuch, sich vor Strafverfolgung zu schützen oder ungestraft einen Meineid leisten zu können.33 Wie wir gesehen haben, waren nicht immer alle Elemente dieses Diskurses gleichermaßen präsent. Neben diesem impliziten Bezug durch Übernahme der beiden Deutungsmuster Gier und Aberglauben rekurrierten die Autoren oft auch explizit auf die Ergebnisse der ethnologischen Forschungen. Staatsanwalt Nemanitsch beispielsweise vermerkte trotz seiner Skepsis, ob nicht doch Aberglaube im Spiel gewesen sein könnte, dass Bratuschas Geständnis Andrees Theorie von der Entstehung des Kannibalismus aus Hunger- und Notsituationen heraus bestätige.34 Derartige Verweise liefen in beide Richtungen. So berichtete Andree in seiner Darstellung Die Anthropophagie über einen Fall von Leichenschändung, bei dem 1879 in BerlinFriedrichshain Angehörige der „niederen Volksschichten“ aus „Aberglauben“ und „düstern Anschauungen“ heraus Leichenteile zu medizinischen Zwecken entnommen haben sollen.35 Auf diese Weise entstand ein direkter Verweiszusammenhang zwischen den Fachwissenschaften der Psychiatrie und der Kriminologie einerseits und der Ethnologie andererseits. Der Vergleich der beiden rund zwanzig Jahre auseinander liegenden Fallberichte macht allerdings noch weitere Charakteristika des kriminolo32 33

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Siehe: Hahn 1903. Siehe: Hellwig 1905-06; Hellwig 1908, S. 70-71; Seyfarth 1913, S. 275291. Bernhardi 1900. Zur Geschichte des Kannibalismus aus medizinischen Motiven in Europa siehe: Himmelman 1997. Siehe: Nemanitsch 1901, S. 311. Zu Hunger als Motiv für Kannibalismus siehe: Andree 1887, S. 99. Ebd., S. 11.

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gisch-medizinischen Wissens vom Kannibalismus deutlich. Erstens: Die Herstellung des Wissens vom kriminellen Kannibalen fand in einer engen Verzahnung von juristischer Praxis und fachwissenschaftlicher Expertendiskussion statt. Die Verzahnung war so eng, dass von einem wechselseitigen Konstitutionsverhältnis gesprochen werden kann.36 Nemanitsch als Staatsanwalt berichtete über einen Fall aus seiner Berufspraxis, lieferte Deutungen und machte Aussagen, die von anerkannten Fachwissenschaftlern wie Hans Groß aufgegriffen und diskutiert wurden (und vice versa).37 Zweitens wird in diesem Vergleich deutlich, dass im Laufe des Untersuchungszeitraumes noch ein weiteres Element zu den beiden traditionellen Erklärungen, Gier und Aberglauben, hinzu trat: die sexuelle Perversion. Stand bereits hinter der Gier ein körperliches Begehren, rückte nun die Körperlichkeit des Verdächtigen in besonderer Weise ins Zentrum des wissenschaftlichen Diskurses. So lag die Mutmaßung, Denke habe seine Gier nach Fleisch auf ungewöhnlichem und kriminellem Wege zu befriedigen versucht, für den Staatsanwalt überhaupt nur deswegen nahe, weil er keine Anhaltspunkte dafür finden konnte, dass Denke „infolge perverser geschlechtlicher Neigung zum Verbrecher geworden“ sei. Drittens schlossen die Debatten der Kannibalismusfälle über den Komplex des Aberglaubens sowie der Zurechnungsfähigkeit an eine zentrale zeitgenössische fachwissenschaftliche Debatte an: die Diskussion um die Natur des Kriminellen. Wie eine ganze Reihe neuerer Forschungsarbeiten deutlich gemacht hat, trat seit Ende der 1880er Jahre an die Stelle des verschlagenen und sittlich gefallenen Gauners nun der brutale Gewaltund Sittlichkeitsverbrecher, als dessen paradigmatisches Beispiel der kannibalische (Lust-)Mörder gehandelt wurde. Zu nennen sind hier in erster Linie die Beiträge von Peter Becker, Mariacarla Bondio Gadebusch, Kerstin Brückweh, Mary Gibson, David Horn und Richard Wetzell.38 Auch der

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Galassi sieht in dieser engen Verzahnung von Praxis und Theorie sogar den Grund für die gescheiterte Verwissenschaftlichung der Kriminologie in der Zeit des Kaiserreiches. Sie bezeichnet diese als eine „unheilige Allianz“, die sich ihrer Ansicht nach sogar bis in die Weimarer Zeit fortsetzte. (Galassi 2004, S. 424). Vgl. etwa auch die Diskussion des Falles Anton Tirsch, von dem zunächst Groß in Form einer Neuinterpretation berichtet (Groß, H. 1903). Es handelt sich um ein Forschungsfeld, das sich vor allem in den letzten Jahren explosionsartig entwickelt hat. An dieser Stelle kann nur eine kleine Auswahl der vorliegenden Beiträge vorgestellt werden: Gadebusch 1995; Wetzell 1996; Wetzell 2000; Becker, P. 2002; Becker, P. 1992; Becker, P. 1995; Brückweh 2006 sowie Herzog 2000 und Hoffmeister 2003. Für eine körpergeschichtliche Perspektive auf die Geschichte der Kriminologie vor der Rezeption von Lombrosos Werk vgl. Lorenz 1999. Die Auseinandersetzung mit seinen Theorien war ein inter- und transnationales Phänomen. Dazu exemplarisch: Becker, P./Wetzell (Hg.) 2006; Gibson 2002; Neye 1976 sowie Neye 1984 (zu Frankreich); Horn 2003 und Wiener, Ma. 1990 (zu Großbritannien). Eine übersichtliche Einführung im Allgemeinen bietet

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Einfluss auf die Logik der Verbrechensbekämpfung und der Strafrechtsreformdebatte ist kürzlich von Christian Müller ausführlich analysiert worden.39 Von zentraler Bedeutung für diesen Wandel war die fachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Theorie Cesare Lombrosos, dessen umstrittenstes und gleichzeitig auch einflussreichstes Werk, L·uomo delinquente in rapporto all·antropologia in deutscher Übersetzung erstmals 1887 unter dem Titel Der Verbrecher in anthropologischer, ärztlicher und juristischer Beziehung erschien.40 Auch für Lombrosos Überlegungen spielte der Kannibale eine zentrale Rolle.

4 . 2 M e n s c h e n f r e s s e r e i a l s At a v i s m u s : L o m b r o s o u n d d i e K o r p o r e a l i t ä t vo n Al t e r i t ä t Ebenso wie der medizinisch-kriminologische Fachdiskurs im Allgemeinen folgte auch Lombrosos Der Verbrecher den Argumentationslinien und Kategorien des ethnologischen Wissens über den Kannibalen: Es finden sich in seinem Text die bereits bekannten Erklärungsmuster vom Hunger, der Gier und vom Aberglauben als Motivationen für Anthropophagie. So nannte Lombroso als Gründe für kannibalische Praktiken zuallererst den Hunger und bezog sich dabei auf Fälle von Notkannibalismus bei Schiffbrüchigen während des 30jährigen Krieges oder in Gegenden, in denen andere fleischliche Nahrung nicht zur Verfügung stand. Er betonte dabei, dass seiner Ansicht nach Menschen jedoch nur auf pflanzliche Nahrung angewiesen seien, Fleischgenuss sei daher Gewohnheitssache und stachele zu Gewalt und Verbrechen an.41 Stellte der Konsum tierischen Fleisches bereits eine schlechte Gewohnheit dar, so war es zur Anthropophagie nur ein weiterer, kleiner Schritt. Wer an tierische Nahrung gewöhnt sei, so sein Argument, wolle auch in Notzeiten nicht mehr auf Fleisch verzichten. Einmal im Speiseplan aufgenommen, etabliere sich die Menschenfresserei „als Erbtheil scheusslicher Leckerei“.42 Im mit Abstand

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Schwerhoff 1999 sowie in den Stand der Forschung über die Lustmörder im Besonderen Brückweh 2006, S. 16-22. Siehe: Müller, Ch. 2004, S. 73-81, Jürgen 1999. Das Interesse an der Entstehung der Kriminologie und dem Wandel in der Konstruktion des Kriminellen ist allerdings schon älter. Vgl. dazu Blasius 1976 und Strasser 2005 (Erstauflage 1984); Foucault 1978c, S. 11-14. Siehe: Lombroso 1887. Bei der ersten deutschen Auflage handelte es sich um die Übersetzung der dritten italienische Auflage von L·uomo delinquente, die 1884 erschienen war. Zur Arbeitsweise Lombrosos, stets neue Auflagen herauszugeben, in denen er durch die Hinzunahme weiteren Materials die Argumente seiner Gegner aufgriff und zu entkräften suchte, siehe: Gibson 2002, S. 23-26 sowie Gadebusch 1995, S. 150-181. Siehe: Lombroso 1887, S. 26. Ebd., S. 62. Dies ist ein Argument, wie es auch der Staatsanwalt im Fall Denke vorbrachte. Es ist daher davon auszugehen, dass ihm neben Andrees

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längsten und detailreichsten Eintrag seiner Aufzählung erläuterte Lombroso Beispiele für Kannibalismus „aus Gefrässigkeit oder Feinschmeckerei“. Auch hier kehrt ein bekanntes Muster wieder: Die Beispiele, die genannt wurden, sollten sich allesamt in entlegenen, kolonial wenig erschlossenen Gebieten zugetragen haben. Um ihre Gier zu befriedigen, handelten die „Eingeborenen“ der Fidschi-Inseln, Neu-Kaledoniens, Neuseelands oder Afrikas angeblich mit Leichen oder führten Krieg, um sich das begehrte „menschliche[ ] Wildpret“ zu beschaffen. Die Opfer seien vorzugsweise die auf Kriegszügen erbeuteten Sklaven oder gar Frauen und Kinder, deren junges Fleisch als besonders zart gelte. „Alle Cannibalen“, so Lombroso, seien sich „darüber einig, dass das Menschenfleisch einen ausgezeichneten Wohlgeschmack besitzt.“43 Auch an anderen Stellen verwies Lombroso auf den Zusammenhang von Gewöhnung und Lust auf Menschenfleisch. Kinder, denen es seiner Ansicht nach an ethischen Grundsätzen, Triebkontrolle und der Fähigkeit zur Zügelung ihrer ‚natürlichen Grausamkeit‘ mangele, sofern sie nicht durch Erziehung dazu angeleitet würden, kämen dank ihres Nachahmungstriebes schnell auf den Geschmack.44 So zitierte er die Tochter eines schottischen Räubers, die, an Menschenfleisch gewöhnt, gesagt haben soll: „Und weshalb denn [...] soll es uns vor Menschenfleisch ekeln? – Wüssten nur Alle, wie köstlich es schmeckt, so würden alle Menschen ihre Kinder aufessen.“45 Neben Gefräßigkeit, Gier und feinschmeckerischer Gewohnheit benannte er eine Reihe im weitesten Sinne religiöser Praktiken als mögliche Gründe für Menschenfresserei. Er unterschied hierbei zwischen religiös motivierter Anthropophagie etwa in Form des Menschenopfers und „Cannibalismus aus Aberglauben“, in dem davon ausgegangen werde, dass man sich den „Muth des Feindes aneignet, wenn man sein Herz isst; den Scharfblick, wenn man sein Auge, die Männlichkeit, wenn man seine Geschlechtstheile isst, und dass man sich gegen seine Rache schützt, wenn man seinen ganzen Körper verzehrt“ und „Cannibalismus aus kindlicher Pietät“, dem Verzehr von (Teilen) der Leichen, „im Glauben, das Loos [sic] der Eltern werde im künftigen Leben dadurch gebessert.“46 Des Weiteren, so Lombroso, werde der Kannibalismus „durch die Kriegswuth ge-

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Darstellung über die Anthropophagie auch Lombrosos Werk als Interpretationsvorlage gedient hat. Siehe: Ebd., S. 68-71, Zitate S. 68, 69. Siehe: Ebd., S. 99-109. Die Nachahmungshandlung galt in der Fachliteratur als Unterscheidungsmerkmal zwischen Tier und Mensch, die Vernunfthandlung wiederum als das Merkmal des ‚Zivilisierten‘ gegenüber dem ‚Wilden‘. Dieser könne sein Leben „nicht durch vernünftige Überlegung bestimmen“, ebenso wenig wie „geistesschwache Leute [...] in der Zivilisation.“ (Beck 1904, S. 84-102, Zitat S. 86.) Lombroso 1887, S. 112. Siehe: Ebd., S. 64-67, Zitate S. 65, 66.

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fördert“.47 Auch geschähe Anthropophagie aus „Eitelkeit“, zur Erhöhung des eigenen Ansehens und Status im Sinne eines Mutbeweises, zur Aneignung der „Tugenden des Feindes“ sowie als Teil der „Blutrache“ in Form des „[g]erichtliche[n] Cannibalismus“ und allgemein im „Kampf um’s Dasein“: „Man verminderte die Zahl der Concurrenten im Kampfe um die Existenz und lieferte dem Ueberlebenden eine Nahrung, die gewiss mehr kräftigend und für das kriegerische Leben passend sein musste, als Pflanzenkost.“48 Auch an dieser Stelle wird der enge Verweiszusammenhang zwischen anthropologisch-ethnologischem und kriminologischem Wissen vom Kannibalismus deutlich: Lombroso bezog sich in seiner Darstellung der Menschenfresserei explizit auf ethnologische Forschungsliteratur und koloniale Reiseberichte, beispielsweise auf die Werke von Charles Letourneau, James Cowles Pritchard, Georg Schweinfurth, James Cook und Carl Vogt.49 Was Lombrosos Darstellung jedoch von anderen zeitgenössischen kriminologischen Werken, in denen Kannibalismus thematisiert wurde, unterschied, war die Einordnung dieser Elemente des ethnologischen Wissens vom Kannibalismus in ein Erklärungsmodell von der Entstehung der Kriminalität. In L·uomo delinquente zeichnete Lombroso, zusammenfassend formuliert, das Bild eines genetisch zur Kriminalität determinierten Menschen, der in seiner körperlichen und sittlichen Entwicklung auf dem evolutionären Niveau eines Wilden stand. Er bezeichnete diesen auch als einen Atavismus. Besonders rückfällige Straftäter gehörten seiner Ansicht nach zu diesem Typus, der durch sogenannte körperliche Stigmata (etwa Tätowierungen oder angebliche Deformationen an Schädel bzw. Ohren) für den medizinischen Blick eindeutig zu identifizieren sei. In Aneignung eines Begriffs, den sein Schüler Enrico Ferri (1851-1929) geprägt hatte, bezeichnete er diese als ‚geborene Verbrecher‘.50 Retrospektiv beschrieb er selbst den ersten Schritt zur Formulierung dieses Konzepts als Erleuch47 48 49

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Ebd., S. 62. Siehe dazu auch: ebd., S. 67. Ebd., S. 71. Lombrosos Literaturangaben setzen voraus, dass die Leser und Leserinnen wussten, auf welche Werke er sich mutmaßlich bezog. Zu den Autoren gehörten: James Cowles Pritchard (S. 68); Georg Schweinfurth (S. 69); James Cook (S. 70-71); Carl Vogt (S. 62, 69). Daneben bezog Lombroso sich noch auf seinen Kollegen Enrico Ferri (S. 62, 72-73) sowie eine Reihe von Texten antiker Autoren, etwa Herodot und Strabo (S. 63, 66-67). Ferri benutzte diesen Begriff erstmalig 1880 in seinem Aufsatz „Dei limiti fra diritto penale ed antropologia criminale“, in: Archivio di psichiatria 1(1880-81), zit.n.: Gibson 2002, S. 22. Ferri war einer der engsten Mitarbeiter Lombrosos und seine eigenen Arbeiten hatten nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der Theorie vom ‚geborenen Verbrecher‘. Zu seinen wichtigsten Werken zählt: Das Verbrechen als sociale Erscheinung: Grundzüge der Kriminal-Sociologie (Ferri 2003, hier Nachdruck der Ausgabe Leipzig: Wigands, 1896). Zu Ferris Biographie und Werk siehe auch: Sellin 1972.

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tungserlebnis. Besonders deutlich wird dies an seiner Darstellung der Autopsie von Giuseppe Villella, eines berüchtigten Briganten Italiens: „This was not merely an idea, but a revelation. At the sight of that skull, I seemed to see all of a sudden, lighted up as a vast plain under a flaming sky, the problem of the nature of the criminal – an atavistic being who reproduces in his person the ferocious instincts of primitive humanity and the inferior animals.“51

Der Begriff des Atavismus war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Lombrosos Der Verbrecher vor allem in der Biologie gebräuchlich. Mit ihm wurde das Auftauchen morphologischer Merkmale einer evolutionär älteren Gattungsstufe bezeichnet. In dieser Verwendung findet sich der Begriff, wie Silviana Galassi argumentiert, beispielsweise auch bei Charles Darwin. Dieser unterschied dabei wie viele andere Forscher zwischen echtem, körperlich manifestem Atavismus und einem unechten, der auf eine Ähnlichkeit verwies. Lombrosos Verwendung des Begriffs jedoch changierte zwischen diesen beiden Bedeutungsebenen. So ging er einerseits von der Erblichkeit körperlich manifester Atavismen aus, an anderer Stelle sprach er von Ähnlichkeiten zwischen dem Kriminellen und dem Menschen evolutionär früherer Entwicklungsstufen.52 Auf diese Weise formulierte Lombroso mit seinem Konzept vom atavistischen, geborenen Verbrecher eine Synthese aus Auguste Comtes Stadienmodell, Charles Darwins Evolutionstheorie und Ernst Haeckels Rekapitulationstheorie, die sich diskursiv als überaus anschlussfähig erweisen sollte. Mit dem Konzept des Dreistadienmodells hatte (Isidore Marie) Auguste (François Xavier) Comte (1798-1857) zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Vorstellung einer fortschreitenden Entwicklung der Menschheit, die sich von sogenannten primitiven, einfachen Kulturen hin zu komplexen, höher entwickelten Gesellschaften vollzogen habe, auf den Punkt gebracht. Er verglich dabei die Menschheitsgeschichte mit der individuellen Entwicklung des bürgerlichen, europäisch-weißen Mannes. Dem Kindesalter entsprach dabei seiner Ansicht nach das theologische (fiktive) Stadium, unterteilt in Fetischismus, Polytheismus und Monotheismus; die Pubertät verglich er mit der metaphysischen (abstrakten) Phase, und das letzte und höchste Entwicklungsstadium, das des adulten männlichen Geistes, entsprach seiner Ansicht nach der positiven (realen) Phase.53 Fortschreitende 51 52 53

Lombroso 2004, S. 345 (zuerst erschienen in: Putnam·s Magazine 7 (1910), S. 793-796). Galassi 2004, S. 148-152. Siehe auch: Näcke 1898, S. 209. Comte gilt zusammen mit Émile Durkheim (1858-1917) als Begründer der Soziologie. Zu seinen einflussreichsten Studien zählt das sechsbändige Werk Cours de philosophie positive (1830-1842). Zu Leben und Werk Comtes siehe einführend: Wagner, G. 2001 sowie Fuchs-Heinritz 1998, S. 98-124. Zur Bedeutung Comtes für die Entwicklung des Positivismus aus kulturgeschichtlicher Perspektive siehe: Plé 1996, S. 443-453.

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Zivilisation und die Entwicklung bürgerlicher Normen und Werte wurden dabei umstandslos gleichgesetzt. Diese Vorstellung von der Verschränkung evolutionärer und ethisch-moralischer Entwicklung lag auch Charles Darwins (1809-1882) Darstellung von der Abstammung des Menschen zugrunde.54 In Kombination mit den von ihm eingeführten Prinzipien des „Kampfs ums Dasein“ und der „Zuchtwahl“ erwies sich die auch seiner Arbeit zugrunde liegende Idee von der fortschreitenden Zivilisierung der Menschheit als Einfallstor für rassistische Interpretationen und die Entwicklung sozialdarwinistischer Theorien.55 Lombroso wiederum verknüpfte diese Vorstellungen mit Ernst Haeckels (1834-1919) Modell vom Zusammenhang von Onto- und Phylogenese.56 In seiner sogenannten Rekapitulationstheorie hatte dieser postuliert, dass individuelle Organismen in ihrer Entwicklung die „stammesgeschichtliche“ Evolution der Gattung nachvollzögen.57 Was Haeckel in erster Linie in Bezug auf die Morphologie von Organismen formuliert hatte, 54

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Dies wird besonders an der Vielzahl von Stellen im Werk deutlich, an denen Darwin auf den vermeintlich ‚niedrigeren‘ Stand der intellektuellen und ethischen Entwicklung der sogenannten Wilden rekurriert (Darwin 1982, S. 95-96, 121) oder diesen ‚niedrigeren‘ Stand mit dem angeblich höheren Niveau des Europäers vergleicht (S. 79). Dies sind Annahmen, die sich bereits im Werk Herbert Spencers finden, welches von Darwin als Vorläufer seiner Evolutionstheorie anerkannt wurde. Siehe hierzu: Bowler 1995; Bowler 1992, S. 152-173. Siehe zur Bedeutung des Begriffs vom „Kampf ums Dasein“ als diskursübergreifende Metapher: Maasen/Weingart 2000, S. 41-62; Weingart 1995; Crook 1996. Haeckel war Darwins einflussreichster Verfechter in Deutschland, vor allem aufgrund einer ausgedehnten Vortragstätigkeit. Seine wichtigsten Werke in dem hier diskutierten Zusammenhang sind die Generelle Morphologie der Organismen (1866), die Natürliche Schöpfungsgeschichte (1868), seine Studie Anthropogenie oder Entwickelungsgeschichte des Menschen (1874) und Die Welträthsel (Haeckel 1899). Siehe dazu auch: Sandmann 1995. Haeckel 1899, S. 36 (HiO): „Biogenetisches Grundgesetz. Den engen ursächlichen Zusammenhang, welcher nach meiner Ueberzeugung zwischen beiden Zweigen der organischen Entwickelungsgeschichte besteht, hatte ich schon in der Generellen Morphologie [...] als einen der wichtigsten Begriffe des Transformismus hervorgehoben und einen präcisen Ausdruck dafür in mehreren ‚Thesen von dem Kausal-Nexus der biontischen und der phyletischen Entwickelung‘ gegeben: ‚Die Ontogenesis ist eine kurze und schnelle Rekapitulation der Phylogenesis, bedingt durch die physiologischen Funktionen der Vererbung (Fortpflanzung) und Anpassung (Ernährung)‘.“ Haeckels Theorie fußte auf dem Postulat von Karl Ernst von Baer (1792-1876), dass die Embryonalentwicklung bei Tieren von allgemeinen Formen zu spezifischen, artgerechten Formen fortschreite (sog. Baersche Regel oder Gesetz der korrespondierenden Stufen). Beide, die BaerscheRegel und die biogenetische Grundregel, wurden bereits in den 1920er Jahren innerhalb der Fachwissenschaft kritisiert und schließlich verworfen. Ihr Einfluss auf Kriminologie und Psychiatrie blieb davon jedoch unberührt (siehe: Gould 1977, S. 202-206, 115-166).

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bezog Lombroso mit seinem Konzept vom Atavismus sowohl auf die körperliche als auch auf die sittlich-psychische Entwicklung des Menschen. Die zentrale rhetorische Figur in seiner Argumentation war dabei die Analogie. In der Folge galten Kriminelle ebenso wie Kinder oder die sogenannten Wilden als „Repräsentanten einer alten, bereits überwundenen Ordnung“, deren „Existenz [...] dem aufmerksamen Beobachter einen Blick in die Vorgeschichte der menschlichen Evolution“ eröffne, „wo Grausamkeit zum Alltag gehört hatte und die Menschen in körperlicher, psychischer und sozialer Hinsicht weniger entwickelt waren“.58 Innerhalb der Gruppe der Kriminellen wiederum galt Lombroso der Mörder als der Inbegriff des atavistischen, geborenen Verbrechers. Seine „Physiognomie“ weise große Ähnlichkeit mit der der „blutgierigsten Thiere“ auf. Wie bereits gesehen gingen Gewaltbereitschaft und Fleischkonsum seiner Ansicht nach Hand in Hand, und da es für Lombroso bei Gewöhnung an Fleisch nur ein kleiner Schritt zur Anthropophagie war, verwundert es nicht, wenn er davon ausging, dass diese häufig „die höchste Stufe der menschlichen Grausamkeit“, den Mord, begleite. Als solche, und hier schließt sich der Verweiszirkel der Ähnlichkeiten, hebe die Menschenfresserei „jeden Unterschied zwischen Mensch und wildem Thiere auf“.59 In der Perspektive einer fortschreitenden evolutionär-sittlichen Entwicklung betonte Lombroso nachdrücklich und unter Berufung auf mehrere Autoritäten, dass Menschenfresserei auch im prähistorischen Europa praktiziert worden sei: Es gebe „keine Raçe, kein Volk [...], bei dem in früheren Zeiten Anthropophagie und Menschenopfer nicht üblich gewesen wären.“ Zunächst ubiquitär sei Kannibalismus durch einen „doppelten Entwicklungsprocess“, der erstens die Entwicklung moralischer Kategorien und zweitens die Reduzierung von Gewalt umfasste, verschwunden.60 In Folge dieses Prozesses würde, wie Lombroso es formulierte, die „Tödtung aus Ruhmsucht oder aus brutaler Bosheit, die Menschenfresserei im Kriege und aus blosser Leckerei [...] immer seltener, während die religiöse Tödtung und der religiöse Cannibalismus fortdauern und anfänglich der ganze Körper, später nur noch einige Theile verzehrt werden. Darauf folgt dann das Thieropfer und ganz zuletzt nur noch sinnbildliche Figuren [...] Die letzte und unbewusste Manifestation dieser Symbolik ist die katholische Hostie.“61

Da mit fortschreitender moralischer Evolution die Praktik unter den zivilisierten Völkern ausgestorben sei, bei denen sie nur noch in Notsituationen 58

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Becker, P. 2002, S. 257-258. Zur Rekonstruktion des degenerierten Kriminellen bei Lombroso siehe: ebd., S. 305-310; Becker, P. 1995; Gibson 2002, S. 18-19; Horn 2003, S. 29-57 sowie Wetzell 2000, S. 28-31. Lombroso 1887, S. 29, 62. Ebd., S. 63, 72. Ebd., S. 72-73.

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wie Hungersnöten oder Schiffbrüchen vorkäme, stellten nach Lombrosos Ansicht nur noch „die heutigen Wilden“ ein „geeignetes Object“ dar, „um daran die ganze natürliche Entwickelung dieser grässlichen Form des Mordes zu studiren [sic].“62 Unter dem Eindruck der Schriften Lombrosos bildete sich in Deutschland die „positivistische Schule“ aus, die sowohl in Psychiatrie, der Kriminologie als auch in den Rechtswissenschaften Unterstützung fand.63 Das von dieser Schule vertretene Konzept vom geborenen Verbrecher war zwar innerhalb der Debatte nicht mehrheitsfähig, erwies sich aber trotzdem als sehr einflussreich: In kritischer Auseinandersetzung mit Lombrosos Theorien wurde das Konzept der „Minderwertigkeit“ entwickelt, demzufolge eine erbliche Schwäche in der Widerstandskraft gegenüber der eigenen Triebhaftigkeit bestimmte Personengruppen zu kriminellen Handlungen besonders anfällig machen. Der Terminus, der sich zur Bezeichnung dieses Zusammenhanges etablieren sollte, war derjenige der „degenerativen Veranlagung“ oder „Entartung“. Im Gegensatz zur positivistischen Schule betonte diese Forschungsrichtung die Interdependenz zwischen äußeren, sozialen Faktoren und heriditärer Veranlagung und kriminellem Verhalten. Auf diese Weise kam es de facto zu einer „Naturalisierung von Kriminalität“.64 Verbrechen wurden nicht länger Ergebnis einer (unmoralischen) Entscheidung aufgefasst, sondern als Folge der kriminellen Natur der Täter und Täterinnen. Vor allem die englischsprachige Forschung hat auf diesen Zusammenhang sowie auf die Konsequenzen, welche die Rezeption von Lombrosos 62

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Ebd., S. 63-64, 29-30, Zitat S. 64. Lombroso bezieht sich hier auf den Dreißigjährigen Krieg. Zum Kannibalismus unter europäischen Seefahrern siehe Kapitel 2. Zu ihren bekanntesten Vertretern werden in der Forschungsliteratur gemeinhin gezählt: aus dem Bereich der Psychiatrie und Medizin Emil Kraepelin (Kraepelin 1904), der Kriminologie Hans Kurella (Kurella 1893) sowie der Rechtswissenschaften Franz von Liszt (von Liszt 1999). Siehe dazu auch: Gadebusch 1995, S. 104-118 und 182-199. Lombroso selbst nennt in seinem Vorwort zur deutschen Erstausgabe des Verbrechers u.a. Franz von Liszt und Emil Kraepelin (Lombroso 1887, S. xv). Becker, P. 2002, S. 259. Siehe auch: Gadebusch 1995, S. 199-217; Wetzell 2000, S. 63-68; Uhl 2003, S. 40-42. Als besonders einflussreicher Vertreter dieses Konzeptes gilt Gustav Aschaffenburg (1866-1944), der in Heidelberg, Würzburg, Freiburg, Berlin und Straßburg Medizin studierte und unter anerkannten Experten wie Krafft-Ebing, Jean-Martin Charcot und Emil Kraepelin gearbeitet hatte. 1904 begann er das Fach Psychiatrie an der Medizinischen Akademie in Köln zu unterrichten. Mit der Wiedereinrichtung der Universität übernahm Aschaffenburg 1919 eine Professur im gleichen Fach und wurde Leiter der örtlichen psychiatrischen Klinik. Er verließ Deutschland 1938 auf der Flucht vor dem NS-Regime. Siehe: Galassi 2004, S. 190-225; Hentig 1972. Zu seinen wichtigsten Werken zählt das Handbuch der gerichtlichen Psychiatrie. (Aschaffenburg 1901). Zum hier diskutierten Thema außerdem einschlägig: Psychiatrie und Strafrecht (Aschaffenburg 1928).

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Theorien im Bereich der psychiatrischen Forensik und der Sexualwissenschaft hatte, mehrfach hingewiesen. Wie die Wilden bezeichnete demnach im medizinisch-kriminologischen Diskurs einen angeblich primitiven evolutionären Status, der sich sowohl auf eine ganze Gesellschaft als auch auf die sittlich-psychische Verfasstheit einzelner Personen beziehen konnte. Es kam, wie Sander L. Gilman es formuliert hat, zu einer „conflation of types of sexual Otherness“.65 Hinsichtlich der Konstruktion des kriminellen Kannibalen wurde damit, neben den klassischen Erklärungsmustern der Gier und des Aberglaubens, ein neues Muster etabliert: Zunehmend geriet die Körperlichkeit der mutmaßlichen Täter, deren Triebhaftigkeit, ihre Sexualität, in den Blick der Fachwissenschaftler, Juristen und Kriminologen. So wurden bereits einschlägige Fälle neu interpretiert, beispielsweise der Fall des Mörders Andreas Bichel, der von Anselm von Feuerbach 1811 als typischer Raubmörder eingestuft worden war und 1886 von Krafft-Ebing als Beispiel eines sexualtriebgesteuerten Gewalttäters par excellence angeführt wurde.66 Die Entwicklung des Konzepts der sogenannten Degeneration war dabei von zentraler Bedeutung: Indem nun zunehmend statt des Aberglaubens eine psychopathische, degenerative Erkrankung als auslösendes Moment diskutiert wurde, gewann der Kannibale eine neue Korporealität.

4 . 3 V o m p s yc h o p a t h i s c h e n Ab e r g l a u b e n : Modernisierung und Sicherheit Gegen die Macht der Finsternis: Aufklärung und Modernisierung Diese neue Körperlichkeit war allerdings nicht nur durch kolonialrassistische Kategorien definiert, sondern auch durch klassenspezifische Zuschreibungen. So galten abergläubische Vorstellungen, wie wir am Beispiel des Winzers Bratuscha bereits gesehen haben, als Charakteristika der ärmeren, proletarischen Bevölkerungsschichten. Kannibalismus wurde von diesen angeblich als Teil der „Volksmedizin“ oder zur Vertuschung von Straftaten ausgeübt. In diesem Zusammenhang sprachen Kriminologen auch vom „kriminellen Aberglauben“. Dieser Begriff bezeichnete sowohl die damit verbundene illegale Beschaffung von Leichenteilen, abergläubische Praktiken, die ihrerseits kriminelle Akte wie Meineid oder Diebstahl vertuschen sollten, sowie unlogische Erklärungen und wahnhafte Vorstellungen, die als Auslöser für Kannibalismus galten.67 Der Aberglaube wur65 66 67

Gilman 1985b, S. 73. Siehe auch: Huertas 1993; Pick 1993, S. 176-203; Walter, Ri. 1956; Stepan 1985; Weindling 1989, S. 80-89. Siehe: Becker, P. 2002, S. 266-268. Siehe: Groß, H. 1903, Bernhardi 1900, Hellwig 1905-06, Hellwig 1929, S. 21; Schefold/Werner 1912, S. 6; Seyfarth 1913, S. 286-291; Wulffen 1928, S. 487.

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de als „Macht der Finsternis“68 bezeichnet, gegen welche die kriminologischen Experten „die Aufklärung, den Einblick in das Naturgeschehen“ als „beste Waffe“ ins Feld führten.69 Als die zentralen Vermittlungsinstanzen wurden in diesem Zusammenhang immer wieder „Kirche, Schule und Presse“70 sowie universitär ausgebildete praktizierende Ärzte genannt.71 Geographisch wurde der „kriminelle Aberglaube“ mit Gebieten außerhalb oder am Rande Westeuropas identifiziert. So stellte etwa Albert Hellwig in seiner Monographie Verbrechen und Aberglaube den aufgeklärten, westeuropäischen „Kulturländern“ diejenigen Regionen gegenüber, in denen abergläubische Vorstellungen noch immer weite Verbreitung fänden: „Rußland, Serbien, Italien und Spanien“; in Bezug auf kannibalische Riten besonders auch Korea, Japan, Persien, die Bukowina, Siebenbürgen sowie Süditalien.72 Aberglaube, und damit auch Kannibalismus aufgrund sogenannter abergläubischer Vorstellungen, galt damit in diesem Zusammenhang als „kulturhistorische Reminiszenz“ früherer menschlicher Entwicklungsstufen, die ihren Ort bei den sogenannten Naturvölkern und an den Rändern des modernen, aufgeklärten, westlichen Europas hatte.73 „Die Instinkte des Menschen sind unter allen Himmelsstrichen dieselben, und Gebräuche, die wir bei unseren Kolonialstämmen kennen lernen, haben nicht nur in der alten Geschichte unseres Volkes, sondern auch in den Bräuchen unserer vom modernen Denken wenig berührten Bevölkerung ihr Widerspiel.“74

Ein eindrückliches Beispiel für abergläubische Vorstellungen, in denen kannibalische Praktiken eine Rolle spielten und gegen die Fachwissenschaftler Aufklärung und Bildung ins Feld führten, ist der sogenannte Ritualmordglaube. Diesem antisemitischen Vorurteil zu Folge ermordeten Juden und Jüdinnen angeblich christliche Kinder, vorzugsweise männliche Kinder und Jugendliche, um ihr Blut zu magisch-religiösen Praktiken zu verwenden. Die Vorstellung, Angehörige der jüdischen Glaubensgemein68 69 70 71 72

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Schefold/Werner 1912, S. 3. Hellwig 1908, S. 4. Schefold/Werner 1912, S. 39. So auch: Aschaffenburg 1903, S. 82. Seyfarth 1913, S. iii, 304. Hellwig 1908, S. 4 ( Zitat), 65-67. Mit Blick auf die bereits angesprochene Persistenz des Aberglaubens in den ärmeren und unaufgeklärten Schichten der Bevölkerung warnte Hellwig gleichzeitig davor, diesen für vollständig überwunden zu halten (ebd., S. 4). Er verwies in diesem Zusammenhang explizit auf Mordfälle, die bislang als sogenannte Lustmorde kategorisiert worden waren und die aufgrund der Verstümmelung der Leichen seiner Ansicht nach vielmehr als Morde aus Aberglauben angesehen hätten werden müssen (ebd., S. 71). Hellwig veröffentlichte zu diesem Thema auch in eher geographisch-ethnologisch orientierten Zeitschriften, beispielsweise im Globus zum Thema „Prozeßtalismane“ (Hellwig 1909a) und „Zufall und Aberglaube“ (Hellwig 1909b). Hellwig 1908, S. 4 (Zitat) sowie Schefold/Werner 1912, S. 46-47. Kohler in seinem Vorwort zu Löwenstimm 1897, S. ix.

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schaft praktizierten diese Form des rituellen Kannibalismus, wurde von den Fachwissenschaftlern als purer Aberglaube und unwissenschaftlich verdammt.75 Veröffentlichungen, welche Ritualmordbeschuldigung, etwa im Mordfall Ernst Winter im ländlichen, westpreußischen Konitz (heute: Chojnice) im Jahr 1900 unterstützten, wurden in den einschlägigen Zeitschriften konsequent negativ rezensiert. In aufklärerischem, fast schon oberlehrerhaftem Duktus wiesen die Autoren darauf hin, dass es sich dabei um nicht mehr als einen traditionellen, vormodernen und völlig unsinnigen Aberglauben der Landbevölkerung handele.76 Hinter dieser Argumentationsfigur stand die gleiche Kopplung von Zeit und Raum, welche Anne McClintock für den kolonialen Kontext unter dem Begriff des „anachronistic space“ rekonstruiert hat.77 Ausgehend von einem imaginären Zentrum in Westeuropa wanderte der Blick des Forschers in einer fortschreitenden Bewegung zurück in eine prä-moderne, finstere Vergangenheit. Diese Bewegung konnte, wie wir gesehen haben, auch auf kleinstem Raum ausgeführt werden: vom administrativen Zentrum (Berlin) an die Ränder des Nationalstaats (Schlesien) oder von den, im sozialen und bildungstechnischen Sinne zentral gelegenen, Wohnungen des Bürgertums zu den Wohnvierteln des Proletariats (Berlin Friedrichshain). Die dahinter stehende aufklärerische Rationalität ist eng verbunden

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Siehe: Schefold/Werner 1912, S. 26. Zunächst handelte es sich beim Ritualmordglauben um ein Phänomen des religiös motivierten Antijudaismus, dessen Traditionslinien bis ins Mittelalter zurückreichen. Ende des 19. Jahrhunderts, als sich unter Bezug auf rassistische und sozialdarwinistische Theorien der rassistische Antisemitismus ausbildete, wurde der Ritualmordvorwurf jedoch ins Standardrepertoire der antisemitischen Vorurteile integriert. Aus diesem Grund spreche ich an dieser Stelle vom antisemitischen Ritualmordglauben. Zu Geschichte und Entwicklung des Ritualmordglaubens. Siehe: Erb (Hg.) 1993; Hsia 1988 sowie Hsia 1997. Zur Konnexion von Ritualmordvorwurf und Kannibalismusverdacht siehe Arens 1987, S. 19-20. So beendete Hans Groß eine Rezension des antisemitischen Machwerks von Carl Mommert, Der Ritualmord bei den Talmud-Juden (Leipzig: Haberland, 1905) mit den Worten: „Wir haben schon zahllose Male erklärt: Blutaberglauben hat immer bestanden, besteht heute noch, ihm sind alle Nationen unterworfen und die Juden nicht mehr und nicht weniger als andere Rassen.“ (Archiv für Kriminologie 24,1-2 (1906), S. 176). Zur sogenannten Konitzer Mordaffäre sind in den vergangenen Jahren eine ganze Anzahl Veröffentlichungen erschienen. Siehe: Rohrbacher/Schmidt 1991, S. 348-355; Nonn 1998; Voigt 2000; Nonn 2002; Smith, H.W. 2002a; Smith, H.W. 2002b; Groß, J. 2002, S. 89-145. Siehe des Weiteren zu den bekanntesten Fällen in der Zeit des Kaiserreichs 1884 in Skurz (Groß, J. 2002, S. 33-50) und 1891-92 in Xanten (Groß, J. 2002, S. 51-88; Rohrbacher/Schmidt 1991, S. 336-341). Diese aufklärerische Haltung verhinderte allerdings nicht, dass im Zusammenhang von eugenischen Beiträgen Juden und Jüdinnen als Angehörige einer angeblich inferioren Rasse diskriminiert wurden (siehe beispielsweise: Weinberg 1905-06). McClintock 1995, S. 30.

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mit dem Projekt der Nation.78 Ziele waren die Ausrottung überkommener abergläubischer Vorstellungen sowie die Modernisierung und Normalisierung der Bevölkerung auf dem Territorium des Nationalstaats. Es handelte sich dabei um einen Elitendiskurs. Empirie, Materialismus und der Glaube an technischen und medizinischen Fortschritt, im Verbund mit neuen Technologien der Regierung und Steuerung der Bevölkerung, wie der Soziologie oder der Kriminologie, waren part and parcel der Aufklärung ebenso wie des kolonialen Projekts.79

Sicherung der Gesellschaft: Der Psychopath als Korporealität des Wilden Neben der Kopplung von Zeit und Raum war die zweite Argumentationsfigur, über die es möglich wurde, Peripherie und Metropole, Wilde und Verbrecher als Phänomene des gleichen Problemfeldes zu denken, der Analogieschluss. Wie ich bereits in den Ausführungen zum ethnologischen Wissen über Kannibalismus kurz skizziert habe, wurde mit Hilfe der rhetorischen Figur der Analogie, die Unbekanntes aus Bekanntem erklären soll, eine Ähnlichkeit zwischen den Wilden in Übersee und sozialen Unterschichten im Mutterland suggeriert.80 Die Analogie diente dabei als Folie, auf deren Hintergrund „people experienced and ‚saw‘ the differences between classes, races, and sexes, between civilized man and the savage, between rich and poor, between the child and the adult.“81 Differenzen aus unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen wurden als miteinander verbunden wahrgenommen und interpretiert. Kinder, so der Tenor, seien wie Wilde. Geisteskranke wiederum seien wie Kinder – Geisteskranke entsprechend wie Wilde. Diese Analogien wurden in unterschiedlichen Richtungen und Kombinationen miteinander verbunden.82 Eine zentrale Funktion erfüllte dabei, speziell in der biologischen Anthropologie, die Anthropometrie. Deren Anhänger und Anhängerinnen glaubten, über die Messung des Schädels und seines Gehirnvolumens den 78

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Ich verstehe Rationalität hier mit Krasmann als „intelligibles Möglichkeitsfeld des Denkens, der Artikulation von Aussagen, und der Generierung von Praktiken.“ Der Begriff umfasst damit „in welcher Weise politische Programme artikuliert, Probleme gestellt und Regulierungsziele formuliert werden können.“ (Krasmann 2003, S. 72.) Siehe: Hamilton 1992, S. 36-55; Link 1998, S. 202-213; Geulen 2004, S. 153-271 und 309-345; Peukert 1987, S. 137-143; Raphael 1996; Raphael 2000, S. 38. Wie Peter Becker feststellt, ist die große Bedeutung, welche Bildung und Erziehung in der Realisierung dieser Utopie zugeschrieben wurde, ein spezifisch deutsches Charakteristikum. Siehe dazu: Becker, P. 2002, S. 47 sowie vom Bruch 2005, S. 11-24, 167-178, 273-289 und Nipperdey 1986. Stepan 1986, S. 261-277. Ebd., S. 265. Siehe auch: Stocking 1978. Siehe: Lombroso 1887, S. 451-480.

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evolutionären Status und damit auch die Intelligenz von Menschen feststellen zu können.83 Diese Technologie gewann im Laufe des 19. Jahrhunderts in der anthropologischen Forschung sowie den daran anschließenden Wissenschaften wie der Medizin, der Kriminologie oder der Psychiatrie immer größere Bedeutung. Gleichzeitig wurden immer mehr Körperdaten in die Beobachtung eingeschlossen. Auf diese Weise entstand ein komplexes System gradueller Differenzen, welche die Abweichungen von einer gesetzten Norm, dem erwachsenen, gesunden, weißen Mann der Mittelklasse wiedergaben. Alterität wurde so zu einer materiell messbaren Größe, zu einer potentiell infinitesimalen Abweichung auf einer Skala von (Ab)Normalität. Der prominenteste deutsche Vertreter dieser Richtung war Rudolf Virchow. Virchow, der 1848 in Berlin für die Revolution gekämpft hatte, erfasste in den 1870er Jahren unter Anwendung von Vermessungstechnologien und statistischen Verfahren mehr als 670.000 Schulkinder zur ‚rassischen‘ Kategorisierung der Bevölkerung des Kaiserreichs. Obwohl ausgesprochener Gegner des politischen Antisemitismus, leistete er mit dieser Studie de facto antisemitischer Propaganda Vorschub, indem eine angebliche körperliche Differenz von Jüdinnen und Juden und damit eine „German whiteness“ wissenschaftlich zu untermauern schien.84 Im Zuge dieser Umwälzungen veränderte sich in der Fachliteratur die Einschätzung abergläubischer Menschen grundlegend. Wie so oft bei einem epistemologischen Wechsel innerhalb der Kriminologie wurden bekannte Einzelfälle neu interpretiert.85 Hier wurde nun vor allem die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit der mutmaßlichen Täter gestellt.86 So diskutierte beispielsweise Albert Hellwig 1918 in der Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform einen Fall, über den in den Jahr83

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Stepan 1986, S. 271-274. So galt beispielsweise das Schädelvolumen, bzw. Größe und Gewicht des Gehirns als Indikator für Intelligenz. Die gemessenen Durchschnittswerte lagen hier bei Frauen niedriger als bei Männern. Gleichzeitig aber wurden die Messergebnisse selten in Relation zum Gesamtkörpergewicht gesetzt. Hier erzielten Frauen höhere Werte als Männer – eine Feststellung, der die Forscher nicht weiter nachgingen, sondern stattdessen den Unterschied des Volumens bzw. des absoluten Gewichtes betonten. Siehe: ebd., S. 273. Siehe dazu: Ackerknecht 1981, S. 212-216; Zimmerman 1999, S. 419; Grosse 2000, S. 58-95; Goschler 2002, S. 336-345. Zu Virchows Beitrag zur Reformierung der sozialen Medizin der Verbindung und zu seinem politischen Engagement 1848 siehe: Balkhausen 2007, hier v.a. S. 120-140. Siehe: Becker, P. 2004 sowie die Beiträge im Sammelband Erzählte Kriminalität von Jörg Schönert (Schönert (Hg.) 1991). Siehe: Groß, H. 1903; Löwenstimm 1897, S. 7; Hellwig 1908, S. 68-69; Schefold/Werner 1912, S. 39-40. Vgl. auch die Darstellung des Falles von Bratuscha bei Groß, H. 1904. Löwenstimm, der sich vor allem um eine Bestandsaufnahme bemühte, bezog sich in erster Linie auf die Diskussion um die Reform des russischen Strafrechtes. Dafür ordnet das Vorwort zum Band das Werk explizit dem deutschen Diskussionszusammenhang zu (Löwenstimm 1897, S. iii).

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büchern für Psychiatrie des Jahres 1879 erstmalig berichtet worden war: ein ungarischer Waldheger (Waldarbeiter), stark alkoholisiert und in dem Glauben, es handele sich um einen Irrwisch, hatte irrtümlich seine Geliebte erschossen. Im Gegensatz zum ursprünglichen Berichterstatter in den Jahrbüchern teilte Hellwig die Einschätzung des forensischen Gutachters im anschließenden Prozess nicht. Dieser hatte argumentiert, sobald ein „Individuum vom Aberglauben, als Vorhandensein einer Thatsache, überzeugt ist, hört die freie Selbstbestimmungsfähigkeit und mit derselben zugleich die Zurechungsfähigkeit auf“.87 Diese gutachterliche Einschätzung schloss an ein Verständnis von Zurechnungsfähigkeit an, welches von der spätaufklärerischen Strafrechtstheorie geprägt war und welches im deutschsprachigen Raum bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus die Lehrmeinung darstellte.88 Ausgangspunkt dieser Theorie war die Annahme, ein Verbrecher oder eine Verbrecherin habe sich bewusst zur Ausführung einer kriminellen Handlung entschlossen. Statt auf die Stimme der Vernunft zu hören, die ihm oder ihr wie allen menschlichen Wesen gegeben sei, habe das kriminelle Individuum im Gegenteil seiner selbstsüchtigen Triebnatur nachgegeben. Kriminelle sollten sich damit durch ihre verbrecherische „Gesinnung“ auszeichnen, die aus einem Mangel an Erziehung und Aufklärung herrühre. Nach dieser Logik wurde die Bildung, ganz besonders die Schulbildung, als das wichtigste Mittel zur Verbrechensbekämpfung angesehen.89 Wenn jedoch die geistige Kapazität eines Menschen durch Erkrankung oder andere Einflüsse soweit eingeschränkt war, dass eine Vernunftentscheidung nicht getroffen werden konnte, sprachen die Fachwissenschaftler von Unzurechnungsfähigkeit.90 Beinahe vierzig Jahre nach der ersten Diskussion des Falles vom mörderischen Waldheger konnte Albert Hellwig in seiner Neuinterpretation jedoch „in der abergläubischen Befangenheit des Angeklagten kein auf eine geistige Erkrankung hindeutendes Symptom erblicken“. Er ging viel87

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Siehe: Schwartzer 1879, S. 181-185, Zitat S. 185. Schwartzer parallelisierte im Folgenden Aberglauben mit Zwangsvorstellungen und verwies auf das klassische, aufklärerische Mittel zur Bekämpfung desselben: die Schulbildung. (ebd., S. 185-186). Siehe auch: Hellwig 1914-18, S. 381. In diesem Sinne argumentiert auch der Verfasser des Vorworts zu Löwenstimm 1897, S. x-xi. Ausführlicher zur Entwicklung des Strafrechts siehe Rüping/Jerouschek 2007, S. 77-83 sowie in Bezug auf die Kriminologie Jeffrey 1972. Zu den wichtigsten Vertretern dieser Richtung gehörten Cesare Beccaria (17381794), Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775-1833) und Jeremy Bentham (1748–1832). Siehe auch: Weis 1992; Monachesi 1972; Kröner 2007; Geis 1972. Galassi 2004, S. 65-72; Becker, P. 2002, S. 35-57. Hier schlossen die Vorschläge zur Beseitigung des kriminellen Aberglaubens an. Diese Position fand sich in unterschiedlichen Formen auch kodifiziert in den Gesetzesbüchern der deutschen Staaten. Siehe dazu: Galassi 2004, S. 73-74; Becker, P. 2002, S. 53-57; Wetzell 2000, S. 73-83.

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mehr davon aus, dass in der Alters- und Sozialgruppe des Täters (er bezeichnete ihn als einen „Mann aus den unteren Ständen“), der betreffenden Region (Ungarn) bis in seine eigene Zeit hinein „auch krasser Aberglauben weit [...] verbreitet und lebenskräftig“ sei. Als Beispiele hierfür nannte er zeitgenössische Berichte von Leichenschändungen aufgrund des dort angeblich verbreiteten „Vampyrglauben[s]“. In diesem Sinne repräsentierte der straffällige Waldarbeiter für Hellwig gesellschaftliche Normalität. Als deutlich davon unterschieden sah er den „modernen kriminellen Aberglauben“, der für ihn die Folge einer Geisteskrankheit war.91 Während also der Aberglaube damit zunächst als Charakteristikum armer, proletarischer oder indigener, angeblich kulturell-zivilisatorisch rückständiger Bevölkerungsgruppen galt, wurde ab der Jahrhundertwende zunehmend die Möglichkeit einer physiologisch bedingten Anfälligkeit für seine Verführungen problematisiert. Die Erkrankung, welche sich nach Ansicht der Mehrheit der zeitgenössischen kriminologisch-psychiatrischen Experten in dieser Form bemerkbar machen sollte, war die sogenannte „Psychopathie“.92 Damit kennzeichnete die Analogie Wie die Wilden jetzt nicht nur eine angeblich zivilisatorische und sittliche Rückständigkeit, sondern eine Korporealität. Wie ich in den folgenden zwei Kapiteln zeigen werde, spielte die Psychopathie erstens eine zentrale Rolle bei der Verortung der mutmaßlichen kannibalischen Lustmörder der 1920er in einem Kontinuum von (Ab)Normalität, welches im medizinisch-psychiatrischen Diskurs entworfen wurde. Zweitens war dieses Krankheitsbild auch in den öffentlichen Debatten um diese Straftäter, im Falle Haarmanns sogar in Bezug auf seine Opfer, von großer Bedeutung.93 Aus diesem Grund möchte ich den Begriff hier etwas ausführlicher erläutern. Der Begriff „Psychopathie“ bezeichnete ein aus heutiger Perspektive recht verschwommenes Krankheitsbild.94 Allgemein formuliert wurde damit ein von bürgerlichen Normen abweichendes Sozialverhalten gekenn91

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Hellwig 1914-18, S. 382, 383. Eine Einschätzung, die wiederum an den oben dargestellten Modernisierungsdispositiv anschloss, auch wenn Hellwig die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit anders beantwortete. Siehe hierzu: Birnbaum 1914, S. 241-254, v.a. S. 242; Groß, H. 1903; Schefold/Werner 1912, S. 45. Dazu siehe Kapitel 6. Medizinhistorisch wurde die Psychopathie einerseits als Weiterentwicklung des von Bénédict Augustin Morel (1809-1873) in seiner Studie Traité des Dégénérescences physiques, intellectuelles et morales de l·éspéce humaine (1857) entwickelten Begriffs der „dégénérescence“ verstanden und mit „Entartung“ übersetzt (siehe: Bumke 1922, S. 3-12; Birnbaum 1930b, S. 437). Andererseits schloss die Psychopathie an das Konzept der moral insanity an, welches von James Cowles Prichard (1786-1848) in seiner Arbeit On the Different Forms of Insanity, in Relation to Jurisprudence (1842) vorgeschlagen worden war, um Störungen des Sozialverhaltens zu kennzeichnen. Dazu auch: Wetzell 2000, S. 19-20; Rimle/Hunt 2002; Weindling 1989, S. 80-89.

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zeichnet. Im Gegensatz zu sogenannten normalen Menschen galten Psychopathen aufgrund ihrer pathologischen physiologischen Konstitution als unfähig, sich den äußeren Lebensumständen anzupassen: Sie seien den Herausforderungen des Alltags nicht gewachsen und daher stets verhaltensauffällig, sie seien besonders sucht- und suizidgefährdet, entgleisten und glitten häufig an den kriminellen Rand der Gesellschaft ab. Psychopathie zeichne sich dadurch aus, dass sie keine grundsätzliche Veränderung des Charakters des Erkrankten auslöse, sondern vielmehr „in fließenden Übergängen“ zu graduellen Veränderungen von Persönlichkeitsstrukturen führe.95 Als gemeinsames Merkmal aller Psychopathen galt eine herabgesetzte Durchsetzungskraft, die „Willensschwäche“.96 Diese mache sich, so die Lehrmeinung, bemerkbar durch Unentschlossenheit, Wankelmut, fehlende Initiative, leichte Beeinflussbarkeit, Unselbständigkeit und mangelnde Selbstbeherrschung.97 In Bezug auf die Beeinflussbarkeit durch abergläubische Vorstellungen führte der Kriminologe Hans Groß sogar den Begriff des „psychopathische[n] Aberglauben[s]“ ein.98 Psychopathie sollte besonders häufig in der Pubertät, im Jugend- und im Greisenalter auftreten, während der Schwangerschaft und der Menstruation, den sogenannten „psychopathischen Krisen“. Damit einhergehen sollte auch eine abnorme „Resistenzlosigkeit“ gegen psychische und physische Reize, wie beispielsweise Alkoholunverträglichkeit.99 Auf diese Weise wurden mit dem Konzept der Psychopathie Phasen und Situationen im Laufe eines individuellen körperlichen Lebens pathologisiert, in denen dem Ideal eines seinen eigenen Körper beherrschenden, erwachsenen Subjekts nicht entsprochen werden konnte; Situationen, in denen Körper machten, was sie wollten und bürgerlich-männliche Selbstdisziplinierung fehlschlug. Als mögliche Ursache für die Entstehung von Psychopathie wurde eine Kombination aus sozialen Faktoren, exogenen Umwelt- und Milieuein95

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Siehe: Birnbaum 1909, S. 8-29; Birnbaum 1930b, S. 442, Zitat S. 438; Kraepelin 1904, S. 815-841, hier besonders die Ausführungen über die „Haltlosen“, ebd., S. 825-830. In diesem Zusammenhang wurde vom angeblich typischen „Psychopathenschicksal“ gesprochen (siehe: Kahn 1928, S. 472-477). Birnbaum 1911, S. 57. Siehe: Birnbaum 1911, S. 56; Birnbaum 1914, S. 86-91; Kraepelin 1904, S. 825-830. Groß, H. 1903, S. 334. Diese Begriffsschöpfung wurde zwar kritisch betrachtet, allerdings nicht grundsätzlich abgelehnt. Vielmehr argumentierten die Kritiker, dass es sich um einen überflüssigen Neologismus handele, da Psychopathie bei der in Frage stehenden Tätergruppe ohnehin als gegeben anzunehmen sei. Siehe: Schefold/Werner 1912, S. 19-20; Nußbaum 1907, S. 367-371 sowie Nußbaum 1910, S. 827. Birnbaum 1930b, S. 440; Kahn 1928, S. 466-477. Siehe auch: Uhl 2003, S. 131-138; Weindling 1989, S. 381-385 zu Psychopathen als Zielgruppe eugenischer Politik.

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flüssen, vor allem in Kindheit und Jugend, und eine „erblich übertragbare, ‚hereditär degenerative‘“ Konstitution angenommen.100 Entsprechend gingen die Experten auch davon aus, dass die Willensschwäche sowohl ererbt als auch erworben sein könne. Jedoch finde sie sich „vorzugsweise in Familien, in denen die Neigung zum Auftreten seelischer und nervöser Störungen erblich“ sei und galt als Äußerungsform „vererbbarer psychischer Degeneration, erblicher geistiger Entartung.“101 Innerhalb dieses Modells war Aberglaube allein jedoch kein Grund, kriminell zu handeln. Vielmehr gingen die Experten davon aus, dass in einem gesunden Menschen die „ethischen Hemmungsvorstellungen stark genug“ seien, „um ihn von dem betreffenden Thun abzuhalten“. Ein kranker, psychopathischer Mensch hingegen habe aufgrund der charakteristischen Willensschwäche den Lockungen des Verbrechens nichts entgegen zu setzen und so könnten „psychopathische Zustände die ethischen Hemmungsvorstellungen überwinden“.102 Das entscheidende Kriterium war damit nicht länger der Aberglaube als solcher, sondern eine mögliche degenerative Veranlagung, die zu einer Schwäche der moralischen Abwehrkräfte führte: „[A]uch der normale abergläubische Mensch glaubt, dass er fliegen kann, wenn er ein Kinderherz isst, er glaubt daran nicht besser und nicht schlechter als ein geistig abnormaler, er würde es auch gerne thun, um einen solchen Vortheil zu erlangen, aber seine gesunde Psyche verbietet ihm ein scheussliches Verbrechen wegen eines irdischen Vortheiles zu begehen; der psychopathisch Veranlagte unterliegt aber dem Drange und begeht das Verbrechen.“103

Auf diese Weise wurden abhängig von Zeit, Ort und Klasse abergläubische Vorstellungen argumentativ in die gesellschaftliche Normalität inkludiert. Gleichzeitig wurden Menschen, die aufgrund einer degenerativen Veranlagung als Psychopathen und damit als potentielle Straftäter und Straftäterinnen galten, aus dem Normalfeld exkludiert. Dieser Ausschluss war jedoch nie abgeschlossen oder vollständig. Normalität war in diesem 100 Birnbaum 1930b, S. 437-438 (HiO). Wie Birnbaum hier ausführte, wurden diese zuvor als „Keimschädigungen“, als schädigende Einflüsse auf Eizelle, Sperma oder Embryo durch Geschlechtskrankheiten (etwa Syphilis) oder Gifte (hier besonders Alkohol) diskutiert. Zur Zeit der Abfassung seines Beitrags wurden vor allem „endogene Psychosen“, d.h. hereditäre Störungen der „Triebsphäre“ (des Sexualtriebes, des Selbsterhaltungs- sowie des Sozial- und Herdentriebes) als Folge dieser Schädigung angesehen (ebd., S. 438). 101 Birnbaum 1911, S. 56. Ebenso wie die Psychopathie sollte die Willensschwäche besonders für jene „Krankheitszustände“ kennzeichnend sein, „die nicht allzuweit von der Grenze des Normalen“ entfernt seien (ebd., S. 55). Vgl. dazu auch Birnbaum 1930a. 102 Groß, H. 1903, S. 339. 103 Groß, H. 1903, S. 339.

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Modell stets prekär: Da es sich bei Psychopathen um „an der Grenze zwischen geistiger Gesundheit und Krankheit stehende[n] Persönlichkeitenstypen“ handeln sollte und Psychopathie sogar nur phasenweise (Jugendalter, Menstruation) auftreten konnte, skizzierten die Experten vielmehr ein Kontinuum der (Ab)Normalität, in dem geistige Gesundheit und Krankheit fließend ineinander übergingen.104 Damit änderten sich auch die kriminalpolitischen Programme, die vorgeschlagen wurden. Während gegen die vermeintliche Rückständigkeit proletarischer, armer Schichten deren Aufklärung in Form von verbesserter und ausgeweiteter Schulbildung ins Feld geführt wurde, sollte gegen Psychopathen völlig anders vorgegangen werden. Abhängig von der Schwere der Erkrankung und den davon abgeleiteten Chancen auf Besserung wurden abgestufte Maßnahmen vorgeschlagen, welche von psychiatrischer Behandlung und Haft bis hin zur sogenannten Unschädlichmachung, Sterilisation oder zur dauerhaften Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt reichten.105 Diese Veränderung vollzog sich allerdings je nach Diskussionsgegenstand mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Während die Rede von der Bekämpfung des „kriminellen Aberglaubens“ über 1900 hinaus der aufklärerischen Rationalität und Programmatik verbunden blieb, wurde die Frage der Zurechnungsfähigkeit bereits auf Grundlage der neuen Rationalität diskutiert. Das Ziel war nicht länger die Integration aller in die moderne Nation, sondern die Sicherung der Gesellschaft gegen gemeingefährliche Geisteskranke.106 Zusammenfassend können wir damit festhalten, dass im medizinischpsychiatrischen Diskurs um 1900 ein Wandel in der Konstruktion des Kannibalen zu beobachten ist. Ausgehend von den in der Ethnologie etablierten Erklärungsmustern Aberglaube und Gier wurde die Alterität des Kannibalen zunehmend am Körper festgemacht. Überspitzt formuliert: kannibalische Kriminelle handelten nicht mehr wie die Wilden, sie waren wie die Wilden. Der Durchsetzung dieses Konzepts vom psychopathischen Kriminellen lagen zwei Argumentationsfiguren zu Grunde, die Verkopplung von Zeit und Raum sowie die Analogie, welche Kolonie und Heimat, Wilde und Psychopathen als Teile eines gemeinsamen Problemfeldes erscheinen ließen. Damit einher ging die Anwendung von Technologien zur Vermessung und Bestimmung von Alterität, die zunächst von der Ethno104 Birnbaum 1930b, S. 437. Siehe auch: Brink 2002, S. 41. 105 Siehe: Birnbaum 1914, S. 513-564; Schultz 1928. Siehe auch: Galassi 2004, S. 384-411. 106 So der Titel einer Monographie zum Thema von Aschaffenburg, in der er über die Effektivität des bisherigen Strafregimes mit Blick auf diese neue Rationalität berichtete (Aschaffenburg 1912). Zur rassistischen Normalisierung in Weimar siehe: Peukert 1987, S. 266-272; Peukert 1982, S. 289296; Weindling 1989, S. 399-439 und 441-469.

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logie für den kolonialen Kontext entwickelt worden waren (Anthropometrie), gleichzeitig aber an die statistischen Methoden der Normalisierung anschlossen, welche im Rahmen des nationalen Projekts verwendet wurden, um die Bevölkerung besser regulieren zu können.107 In der Forschung zur Geschichte des Kolonialismus werden Phänomene dieser Art häufig unter dem Schlagwort der Kolonien als Laboratorien der Moderne verhandelt. Dahinter steht die Annahme, dass in den kolonialen Räumen, in denen die europäisch-bürgerliche Ordnung suspendiert war, zentrale Technologien und Regierungspraktiken der Moderne entwickelt und getestet wurden, bevor sie in die jeweiligen Mutterländer exportiert wurden. Eines der in diesem Zusammenhang häufiger genannten Beispiele ist die Erfindung der Personenenidentifikation qua Fingerabdruck, die in Britisch Indien ab 1858 üblich war und erst 1901 in Großbritannien angewendet wurde.108 Wie Dirk van Laak überzeugend argumentiert hat, suggeriert der Begriff des Labors dabei allerdings eine kontrollierbare, abgeschlossene Versuchsanordnung, von der wir in Bezug auf die Kolonien keinesfalls ausgehen können. Angemessener sei es, so van Laak, stattdessen von einem „‚Experimentierraum‘“ zu sprechen, in dem unter Suspendierung von „Rücksichtnahmen historischer oder humanitärer Art im Umgang mit den Menschen, die man in den kolonisierten Räumen vorfand“ von den Kolonisatoren „bevölkerungspolitische und Raumanordnungs-Modelle ausprobiert wurden“, die in den Metropolen ihren Gegenpart hatten.109 Die „Laborbedingungen fanden sich vornehmlich in den Köpfen der Planenden“, deren Vorgehensweise Hand in Hand mit dem Selbstverständnis der Kolonialherren als männlichen Eroberern und Zivilisatoren ging.110 Trotz all dieser Einschränkungen sei jedoch festzuhalten, dass „die Kolonialzeit mit 107 Siehe: Ginzburg 1983, S. 63-96; Klingemann 1987; Hess 1997; Gadebusch 1997; Wetzell 2000, S. 28-31; Becker, P. 2002, S. 344-351; Gibson 2002, S. 127-174; Horn 2003, S. 23-25. 108 Siehe: Ginzburg 1983, S. 87-90; Horn 2003, S. 23-25; Anderson, C. 2004, S. 166-168. Während die Forschung sich zunächst v.a. für den Bereich der französischen Kolonien und US-amerikanischen Kolonien zuwandte (siehe: Cooper/Stoler 1997, S. 5 sowie die für den französischen Kontext einschlägigen Studien von Rabinow 1989 und Wright 1991. Für den USamerikanischen Kolonialismus siehe: Anderson, W. 1995), so erproben nun zunehmend mehr Forscher und Forscherinnen das Erklärungspotential dieser Perspektive auch für die deutsche Kolonialgeschichte (siehe: Osterhammel 1995, S. 122; van Laak 2004b; Conrad 2002, S. 155-158; Conrad 2004, S. 108-109; Kundrus 2003a, S. 10). 109 van Laak 2004b, S. 258-259, 263, 279. Als exemplarische Fallstudie zur Verschränkung von kolonialer ‚Eingeborenen‘- und sozialstaatlicher Fürsorgepolitik siehe: Conrad 2004. 110 Ebd., S. 265. Gleichzeitig seien die Kolonien nicht nur Experimentierfeld für Neues gewesen, sondern auch „Residuen für Hierarchien und Verhaltensweisen, die in den Metropolen inzwischen als überlebt galten.“ (ebd., S. 266.)

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ihren spezifischen Herausforderungen und experimentellen Möglichkeiten“ für viele Wissenschaften, unter anderem nennt van Laak hier die Geographie, Anthropologie und die Medizin, „eine wesentliche Durchgangsstation der Fachgeschichte“ darstellte. Eine der zukünftigen Aufgaben der Forschung sei nun festzustellen, „wohin das koloniale know-how abgewandert“ sei und „welche Metamorphosen es dabei durchlebt[ ]“ habe.111 Meine Untersuchungen zum medizinisch-psychiatrischen Diskurs vom Kannibalen zielen genau auf die von van Laak genannte Forschungslücke. Das Beispiel von der sich verändernden Konstruktion des Kannibalen in Anthropologie, Medizin und Kriminologie macht allerdings deutlich, dass wir statt von einer Bewegung, egal in welche Richtung, besser von einer Verflechtung sprechen sollten. Alle Gruppen, denen Kannibalismus nachgesagt wurde, sowohl die Angehörigen der im modernen Nationalstaat marginalisierten Gruppen als auch die indigene Bevölkerung der Kolonien, waren Untersuchungsgegenstand sowie Arbeitsfeld gouvernementaler Rationalitäten und Technologien, die auf die Regulation, Vereinheitlichung und Modernisierung der Lebensäußerungen abzielten. Zu beobachten ist weiterhin die Entwicklung und auch Anwendung von Technologien der Normalisierung, die sich auf einen gemeinsamen, auf rassistischen Grundsätzen basierenden Referenzrahmen bezogen. Während also das Konzept des wilden Kannibalen, wie ich im zweiten Kapitel demonstriert habe, in einer spezifischen historischen Konstellation der Interaktion von europäischen Forschungsreisenden und Kolonialisierten entstand, können wir gleichzeitig feststellen, dass erstens die auf deutscher Seite dahinter stehende Rationalität nicht nur den kolonialen Raum erfasste, sondern stets auch das heimatliche Mutterland in ihren ordnenden, planenden Blick nahm. Zweitens wird am Beispiel des Fachdiskurses um den Kannibalen deutlich, dass die koloniale Situation für die Etablierung des rassistischen Differenzials, welches der Normalisierungsgesellschaft zu Grunde lag, eine entscheidende Rolle spielte. Erkennbar werden die „[g]eteilte Geschichten“112 eines biopolitisch-rassistischen Dispositivs moderner Gouvernementalität, welche die Grenzen zwischen Kolonie und Metropole überschritt.

111 Ebd., S. 277. Eine weitere Frage, die van Laak hier aufwirft, ist die nach der Rolle „koloniale[r] Vorerfahrungen“ bei der späteren Ostraumplanung (ebd.). 112 Conrad/Randeria 2002, S. 17. Siehe auch: Randeria 2000, S. 90; Randeria 2002, S. 286.

5. Fleischliches Begehren: Sexualität und Kannibalismus

Im Jahre 1925 meldete sich beim „Inspektionskommissär der Polizeidirektion Graz“ ein aufgeregter Schwiegervater, der behauptete, sein Schwiegersohn sei „entweder geisteskrank oder ein Verbrecher“. Der Mann erstattete Anzeige gegen seinen Schwiegersohn („G.“), dessen Verhalten beim Geschlechtsverkehr laut Aussage der Ehefrau des Anzeigten nach der Hochzeit und der Geburt eines gemeinsamen Kindes immer gewalttätiger geworden sei.1 Während „G.“ seine spätere Gattin bereits zu Verlobungszeiten beim Geschlechtsverkehr an einen Tisch gefesselt habe, verlange er nun von ihr, „daß sie ihm ihr Blut opfere, und sauge dieses beim Geschlechtsverkehr, nachdem er sie mit einem Messer geritzt habe.“ In der Folge komme es zu „sadistischen und vampyristischen Ausschreitungen“.2 Um seine Behauptungen zu untermauern, legte der Vater den Beamten „eine Reihe von Zeichnungen und Schriften“ vor, welche „G.“ angefertigt habe. Auf diese Darstellungen und Texte bezog sich der Autor eines den Fall diskutierenden kriminologischen Fachbeitrages, Karl Hanss, selbst Polizeikommissar in Graz, in seinem im gleichen Jahr veröffentlichten Fachbeitrag im Archiv für Kriminologie. Seiner Meinung nach waren sie „vom kriminalpsychologischen, wie vom psychiatrischen Standpunkte so interessant [...], daß sie der Fachwelt nicht vorenthalten bleiben“ dürften.3 Entsprechend beschrieb Hanss in seinem Beitrag einzelne der Darstellungen genauer und gab die Inhalte der „Schriften“, die der Angezeigte 1 2 3

Hanss 1925, Zitate S. 294. Ebd., S. 294. Ebd., S. 294. Die künstlerische Darstellung sexualisierter Gewalt wurde auch in anderen Zusammenhängen von Untersuchungsbehörden als verdächtig eingestuft. So galten beispielsweise Oskar Kokoschkas und George Grosz’ Bilder als Indizien für eine mögliche Täterschaft, als sie des Lustmordes verdächtigt wurden. Siehe dazu: Büsser 2000, S. 49-60 und Lewis 1997, S. 214.

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verfasst haben sollte, wieder. Zeichnungen wie Texte thematisierten verkürzt zusammengefasst kannibalische Gewaltphantasien. Auf den Zeichnungen waren professionelle Schlachtungen von Frauen durch Frauen dargestellt: „[E]in besonders interessantes Bild [zeigt] den Schlachtraum, in welchem nebst einem Holzblock (Hackstock) mit Fleischerhacke, verschiedenen Blutschüsseln, einem Abflußkanal in der Mitte des Raumes, mehreren Hacken an der Mauer auch eine Fleisch-(Wurst)Maschine dargestellt ist. Durch eine offene Tür sieht man im Nebenraum einen Kochherd und darauf einen großen Topf stehen.“4

Und auch in den sogenannten Schriften standen kannibalische Phantasien im Mittelpunkt. Die von Hanss aufgeführten Beispiele umfassten einen Brief von „G.“ an sich selbst, in welchem ihm eine fiktive weibliche Person zwei Millionen Kronen für die Tötung und Schlachtung seiner Frau anbot oder eine Umdichtung der Zehn Gebote, so etwa: „‚Du sollst nicht lüstern sein nach deines Nächsten Fleisch und Blut.‘“ Für den Polizeikommissar waren die Inhalte der Zeichnungen und Texte des „G.“ sowie seine sexuellen Praktiken eindeutige Beweise dafür, dass es sich bei ihm um „ein geradezu klassisches Beispiel für die Geistesverfassung beginnender Sexualverbrecher“ handelte. „G.“ war nach Ansicht von Karl Hanss ein „Theoretiker des Lustmordes“, eine Art ‚tickende Zeitbombe‘, die jederzeit explodieren, das heißt sich in einer sexuellen Gewalthandlung entladen konnte. „G.“ musste daher nach seiner Ansicht in einer Linie mit einem so berühmt-berüchtigten Kriminellen wie Fritz Haarmann gesehen werden.5 Der Begriff Lustmord bezeichnete, wie Friedemann Pfäfflin rekonstruiert hat, seit den 1870er Jahren einen Mord, der zur Befriedigung sexuellen Begehrens verübt wurde.6 Er fand in Verbindung mit der Durchsetzung des biologistischen Erklärungsmodells von Kriminalität in der Fachliteratur, aber auch darüber hinaus, schnell weite Verbreitung. So definierte das Mayersche Konversationslexikon von 1902 Lustmorde als „diejenigen Fälle vorsätzlicher Tötung, in denen der Täter, nur durch die Tötung und Verstümmelung des Opfers (an den Geschlechtsteilen, den Brüsten etc.) [sic] volle Befriedigung des Geschlechtstriebes findet“.7 Befriedigt 4 5

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Ebd., S. 295. Ebd., S. 295. Hanss berichtete weiter, dass der Angezeigte „G.“ von seiner Frau verlangt haben soll, seine Texte während den gemeinsamen sadomasochistischen Inszenierungen vorzutragen. Zum Fall Haarmann siehe Kapitel 6. Siehe: Pfäfflin 1982, S. 548. „Lustmord“, in: Mayersches Konversationslexikon, Bd. 12 (1902), S. 868: „Lustmord bedeutet im engsten und eigentlichsten Sinne diejenigen Fälle vorsätzlicher Tötung, in denen der Täter nur durch die Tötung und Verstümmelung des Opfers (an den Geschlechtsteilen, den Brüsten ec.) volle Befriedigung des Geschlechtstriebes findet (vgl. Sadismus). Man bezeich-

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werden solle, so machte der im Lexikoneintrag folgende Verweis auf den Begriff des „Sadismus“ deutlich, eine „Verquickung der sexuellen Triebe mit unnatürlicher Freude an Grausamkeiten“, die mit gewaltsamen, Schmerzen zufügenden Handlungen einherginge, und in Vergewaltigung, „Leichenschändung (Nekrophilie), Anthropophagie“ gipfeln solle. Vor allem Männer seien für diese „Verirrung“ anfällig.8 Die Figur des Kannibalen war mithin sexuell und geschlechterpolitisch aufgeladen. Während der Begriff „Lustmord“ in dieser Weise bereits um die Jahrhundertwende in unveränderter Bedeutung präsent war, wurde nach Ende des Ersten Weltkrieges der Diskurs um die sexualisierte Tötung dichter: Es begann die „eigentliche deutsche Konjunktur des ‚Lustmord‘-Motivs“ in Prosa und bildender Kunst.9 Viele der bis heute bekannten künstlerischen und literarischen Arbeiten zum Thema Lustmord stammen aus dieser Zeit: so etwa Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz (1929) oder die Bilder von Otto Dix (siehe: Anhang Abb. 9.7) und von George Grosz (siehe: Anhang Abb. 9.8). Es gab auch cineastische Bearbeitungen des Stoffes: etwa von Georg Wilhelm Pabst Die Büchse der Pandora (1929) oder von Fritz Lang und Thea Harbou M – Eine Stadt sucht einen Mörder aus dem Jahr 1931.10 Wie eine ganze Reihe von neueren Forschungsarbeiten überzeugend herausgearbeitet hat, namentlich die Arbeiten von Hania Siebenpfeiffer, Tanja Hommen und Michael Schetschke, hatten die Debatten um die Lustmörder für die zeitgenössische Konstruktion hegemonialer Männlichkeit eine zentrale Bedeutung.11 Denn, so die Argumentation, „[d]as Deutungsmuster ‚Lustmord‘ verbreitet nicht nur die Annahme der gefährlichen Triebhaftigkeit des Sexuellen, sondern schreibt diese auch in kollektiven

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net aber als L. weiter auch noch diejenigen Fälle, in denen der Täter das Opfer nach vollzogener Vergewaltigung oder infolge plötzlich ausbrechender tierischer Wut, oder um den Widerstand zu brechen, oder um den Hauptzeugen der Tat zu beseitigen, ums Leben bringt. Hier pflegen die typischen, schon von [P.I.] Anselm Feuerbach beschriebenen Verletzungen zu fehlen.“ „Sexualpsychologie“, in: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 18 (1907), S. 391. Lindner, M. 1999, S. 280. Zur Bearbeitung des Lustmord-Themas in Kunst und Literatur siehe des Weiteren: Tatar 1997; Lewis 1997. Fritz Lang/Thea Harbou, M. Eine Stadt sucht einen Mörder (Nero-Film, 1931) erschien zuletzt 2003 in einer restaurierten Fassung, in der versucht wurde, den Zustand vor Eingriff der Weimarer Zensurbehörden wieder herzustellen (Eureka Video VFC11618). Zur Geschichte der Zensur und Manipulationen an Fritz Langs Film siehe das Projekt „Verbotene Filme – Manipulierte Filme“ des Deutschen Filminstituts, http://www.deutschesfilminstitut.de (28.12.2010). Hommen 1999a, S. 76-78; Hommen 1999b; Schetschke 2004, S. 357-361; Siebenpfeiffer 2002, S. 111-112; Siebenpfeiffer 2005, S. 191. Ganz ähnlich argumentiert in transnationaler Perspektive: McLaren 1997. Vgl. für den englischen Kontext Walkowitz 1982 und Walkowitz 1992.

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Körperpraxen ein.“12 Frauen, so die These, wurden zu möglichen Opfern, Männer zu triebgesteuerten, potentiellen Lustmördern. Bislang lag damit der Schwerpunkt der Forschung auf der Rekonstruktion des Konnexes von Gewalt und Männlichkeit in Relation zur Konstruktion von Weiblichkeit. Dem gegenüber vernachlässigen die bisher vorliegenden Forschungsarbeiten andere Linien, an denen entlang Maskulinität (re)produziert wurde, ebenso wie die Resonanzen zwischen diesen. So konzentrieren sich die genannten Arbeiten darauf, den zeitgenössischen Diskurs von der drohenden Degeneration der Gesellschaft und die wahrgenommene ‚Krise der Männlichkeit‘ zu rekonstruieren, ohne jedoch darauf einzugehen, dass der Lustmörder gleichzeitig auch als Kannibale gekennzeichnet wurde.13 Die Debatten um die psychopathischen Sexualstraftäter waren jedoch nicht die einzigen, in denen zur Zeit der Weimarer Republik die Verknüpfung von männlicher Sexualität, Gewalt und Kannibalismus thematisiert wurde. Auch afro-französischen Soldaten, die während der Besetzung des Rheinlandes (1918-1930) als Teil der Besatzungstruppen eingesetzt wurden, wurde unterstellt, sie lebten ihre triebhaft-gewaltsame Männlichkeit ungehemmt aus. Lustmord, Vampirismus und Menschenfresserei gehörten ebenso zu den geäußerten Verdächtigungen. Im Mittelpunkt der unter dem Schlagwort der ‚Schwarzen Schmach‘ geführten Auseinandersetzungen standen die aus Westafrika stammenden Kolonialtruppen, die als „Tirailleurs Sénégalais“ oder „Senegalschützen“ zusammengefasst wurden, obwohl dies nicht die Heimat der Mehrheit dieser Soldaten war.14 Entsprechend werde ich im Anschluss an die Analyse der medizinischpsychiatrischen Fachliteratur zur Verbindung von Lustmord und Anthropophagie sowie einer Betrachtung des exemplarisch herangezogenen Falls Peter Kürtens in einem dritten Abschnitt die Debatten um die ‚Schwarze Schmach‘ genauer in den Blick nehmen. Auch zu diesem Themenkomplex sind in den vergangenen Jahren eine Reihe neuerer Forschungarbeiten erschienen, zu nennen sind hier in erster Linie die Studien von Fatima El-Tayeb, Christian Koller, Jean-Yves Le Naour, Sandra Maß, Tina Campt und Iris Wigger.15 Ganz ähnlich wie die Studien zu den Weimarer Lustmördern beschränken sich diese Forschungsarbeiten auf die Rekonstruktion des Diskurses vom afrofranzösischen Soldaten als Repräsentationen eines radikal körperlich Anderen und der dahinter stehenden Logik, welche schwarze Körper mit Natur und Triebhaftigkeit identifiziert und in Opposition zu weißen Körpern

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Schetschke 2004, S. 359. Zur Bedeutung der Rede von der permanenten Krise für die Konstruktion der hegemonialen Männlichkeit siehe meine Erläuterungen zu Beginn von Kapitel 6. Koller 2001a, S. 91. Ausführlicher zur Forschungslage im weiteren Verlauf dieses Kapitels.

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stellt, die ihrerseits mit Kultur und Zivilisation gleichgesetzt werden.16 Zwar weisen einzelne Stimmen, wie beispielsweise die von Maß darauf hin, dass die Vorstellung von Zivilisierung als historischem Prozess der Triebhemmung notwendig impliziert, dass die „Grenze zwischen Schwarzen und Weißen so strikt nicht war“, allerdings werden keine konzeptionellen Konsequenzen aus dieser Beobachtung gezogen, sondern weiterhin an dem binären Erklärungsmodell festgehalten.17 Gleichzeitig, so werde ich im Folgenden mit Hilfe der vorliegenden Forschungsarbeiten zeigen, waren die Senegalschützen ebenso wie die Lustmörder in der Weimarer Zeit ein zentraler Referenzpunkt in der Konstruktion weißer, hegemonialer Männlichkeit. Allerdings blenden beide Forschungsdebatten zumindest teilweise die (post)koloniale Situation aus: Einerseits lassen die kriminalhistorischen Studien unberücksichtigt, dass der wilde Kannibale im ethnologischanthropologischen und kolonialen Diskurs eine bereits etablierte Alterität war. Wie ich bereits im vorangegangenen Kapitel gezeigt habe, folgten die Erklärungsmuster, welche für das Verhalten krimineller weißer Menschenfresser heranzogen wurden, den traditionellen Argumentationslinien dieser Diskurse. Als ‚Degenerierte‘ bezeichnet wurden Psychopathen als das Ergebnis individueller Regression auf das angeblich sittlich niedrigere Niveau von sogenannten Wilden gedeutet. Andererseits weisen die Studien zu den Auseinandersetzungen um die Tirailleurs Sénégalais zwar häufig auf das deutsche Kolonialprojekt als Erfahrungs- und Deutungshintergrund hin, lassen dabei allerdings unbeachtet, dass für die Zeitgenossen und Zeitgenossinnen der Weimarer Republik die afro-französischen Soldaten Vertreter genau diejenigen wilden Kannibalen darstellten, welche als das evolutionäre Analogon der Lustmörder galten. Ausgehend von diesen Überlegungen werde ich auf den folgenden Seiten in einem ersten Schritt den in der medizinisch-psychiatrischen und kriminologischen Fachliteratur propagierten Zusammenhang zwischen männlicher Sexualität und Kannibalismus eingehender beleuchten. Ich werde damit eine Spur aufnehmen, die im vorangegangen Kapitel über die Korporealität des psychopathischen Kannibalen bereits aufschien. Diese Rekonstruktion des lustmordenden Kannibalen und seine Bedeutung für das Verständnis von Männlichkeit werde ich anschließend ausgehend von dem Beispiel Peter Kürtens verdeutlichen. Dieser Fall, zeitlich ganz am Ende des betrachteten Geschichtszeitraumes zu verorten, eignet sich in besonderer Weise für eine solche exemplarische Betrachtung: einerseits aufgrund der günstigen Quellenlage, andererseits weil sich hier, unter Bezug auf die anderen Sexualstraftäter der Zeit der Weimarer Republik, der fachwissenschaftliche und auch öffentliche Diskurs um die Lustmörder 16 17

Vgl. etwa bei Maß 2001, S. 25-27; Maß 2006, S. 76-105; besonders ausführlich bei Koller 2001a, S. 201-261; Lebzelter 1985, S. 44-55. Maß 2001, S. 27. Vgl. dazu auch Kapitel 1.

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voll entwickelt hatte. In einem dritten Schritt werde ich die Debatten um die afro-französischen Truppen zur Zeit der Rheinlandbesetzung nachzeichnen und ihre Bedeutung für die Konstitution weißer, hegemonialer Männlichkeit aufzeigen. Ich werde dabei demonstrieren, dass anstelle einer binär codierten Differenz zwischen kannibalischem Anderen und weißer Männlichkeit vielmehr ein Kontinuum der (Ab-)Normalität entworfen wurde, in dem jeder einzelne Mann verortet werden konnte. Das entscheidende Kriterium zur Verortung innerhalb dieses Normalfeldes, so werden meine Ausführungen zeigen, war der je unterschiedliche Grad der Vollständigkeit der männlichen Triebkontrolle je nach ‚Rassen‘- und Klassenzugehörigkeit, nach individuellem Gesundheitsheitszustand oder vermuteter ‚heriditärer Degeneration‘. Dabei wird in Bezug auf die Historiographie der Männlichkeit in Deutschland in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg deutlich werden, dass die bisherigen Erklärungsansätze der Fachliteratur, die von der enthemmenden Wirkung des Ersten Weltkrieges in Bezug auf das Auftreten der Lustmörder beziehungsweise von einer spiegelbildlichen Konstruktion der afro-französischen Soldaten ausgehen, zu kurz greifen.18 Vielmehr wird der Bedarf nach einer (post)kolonialen Reorientierung der Geschlechtergeschichte deutlich werden, die den komplexen wechselseitigen Konstitutionsprozess von Identität und Alterität nicht auf Projektion oder Abjektion reduziert, sondern versucht, dessen multidimensionalen Charakter zu erfassen, und die Produktivität der Verbindungen zwischen diesen beiden heterogenen Polen in den Blick nimmt.

5.1 Übermächtig, primitiv, sadistisch: männliche Sexualität und Lustmord Anachronistische Körper: Gewalt und männliche Sexualität Ende der 1880er Jahre entwickelte der Kriminalpsychologe, forensische Psychiater und Sexualpathologe Richard von Krafft-Ebing (1840-1902) in Auseinandersetzung mit Lombrosos These vom „geborenen Verbrecher“ und den Forschungsergebnissen der Sozialanthropologie ein Modell zur Erklärung und Entstehung sexueller Pathologien.19 Hierzu gehörten seiner 18

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Positionen, wie sie besonders prägnant vertreten werden von Tatar in ihrer wegweisenden Studie Lustmord (Tatar 1997, S. 12) oder von Maß in Weiße Helden schwarze Krieger (Maß 2006, S. 3 sowie Maß 2005, S. 138). Krafft-Ebing studierte Medizin an der Universität Heidelberg, wo er 1863 promovierte. Durch zahlreiche Hospitationen im Anschluss an seine akademische Ausbildung (Berlin, Prag, Wien, Zürich) und seine Tätigkeit als Assistenzarzt an der Nervenheilanstalt Baden-Baden (ab 1864) erwarb er sich umfangreiche praktische Erfahrung. 1872 wurde er Professor für Psychiatrie an der Universität Straßburg und nur ein Jahr später Ordinarius der

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Ansicht nach auch Störungen, die im Zusammenhang mit einem sogenannten Lustmord zu kannibalischen Praktiken führen konnten. Ausgangspunkt von Krafft-Ebings Überlegungen war die Annahme, dass der Fortpflanzungstrieb als „Naturtrieb“, der „allgewaltig, übermächtig nach Erfüllung“ verlange, die Hauptantriebskraft für das Handeln des Einzelnen sei. Er beurteilte die Wirkung dieses Triebes als ambivalent: zum einen sei er ein „Impuls zur Betätigung der Kräfte, zur Erwerbung von Besitz, zur Gründung eines häuslichen Herdes“ und er erwecke „altruistische[r] Gefühle“ gegenüber anderen Menschen, gegenüber einer „Person des anderen Geschlechts“ und den gemeinsamen Kindern, und darauf aufbauend „gegenüber der gesamten menschlichen Gesellschaft“. Auf diese Weise bilde der Fortpflanzungstrieb die Grundlage der sittlichmoralischen Entwicklung der Menschheit insgesamt.20 Zum anderen, so Krafft-Ebing, sei diesem „Naturtrieb“ aber auch eine zerstörerische, animalische Komponente eigen: so stehe der Mensch „in dem wollüstigen Drang, den Naturtrieb zu befriedigen, [...] auf gleicher Stufe mit dem Tier“, er mache ihn zu einem „willenlosen Sklaven“ und als „entfesselte Leidenschaft“ könne er, gleich einem „Vulkan, der alles versengt, verzehrt, einem Abgrund, der alles verschlingt“, zerstören, was das Individuum sich aufgebaut habe.21 Das sittliche Potential des Geschlechtstriebes, so Krafft-Ebing, habe sich im Verlaufe eines evolutionären Prozesses entfaltet, der durch Klima, Sesshaftigkeit und besonders die Verbreitung des Christentums begünstigt worden sei.22 Ebenso wie Andree, Lombroso, Freud und viele andere seiner Kollegen sah Krafft-Ebing in den indigenen Gesellschaften der europäischen Kolonien die lebenden Repräsentanten des primitiven Urzustandes: „Auf primitiver Stufe erscheint die Befriedigung sexueller Bedürfnisse des Menschen wie die der Tiere. [...] Auf dieser Stufe sehen wir [...] heute noch wilde Völker, wie z.B. die Australier, Polynesier, Malaien der Philippinen.“23 Die „primitiven

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23

Psychiatrie und Direktor der Landesirrenanstalt in Graz. Er verfasste zahlreiche Lehrbücher und Fachpublikationen, die weithin Anerkennung fanden und in viele europäische Sprachen übersetzt wurden. Neben seinem bekanntesten Werk, Psychopathia sexualis von 1886 (hier vorliegend die Wiederveröffentlichung der 14. Auflage von 1912 unter Krafft-Ebing 1993), sind zu nennen sein Lehrbuch der gerichtlichen Psychopathologie (Krafft-Ebing 1875), sowie das Lehrbuch der Psychiatrie auf klinischer Grundlage für praktische Ärzte und Studirende (Krafft-Ebing 1879/80) und seine Darstellung Über gesunde und kranke Nerven (Krafft-Ebing 1885). Diese Werke machten ihn sowohl als forensischen Psychiater und Kriminalpsychologen als auch als Sexualpathologen bekannt. Krafft-Ebing 1993, S. 1, 2. Siehe auch ebd.: Vorwort 1. Aufl., S. III. Ebd. Siehe: Ebd., S. 3-5. Krafft-Ebing unterschied hierbei zwischen dem „Geist des Christentums“ und der kanonischen Lehre, in der, etwa in den Schriften Tertullians, eine entschiedene Misogynie festzustellen sei (ebd., S. 4). Ebd., S. 2. Die Kennzeichen dieser frühzeitlichen Entwicklungsstufe seien fehlendes Schamgefühl, das heißt der Vollzug des Sexualaktes in der Öf-

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Völker“, die er hier nennt, wurden in der ethnologischen Fachliteratur allesamt kannibalischer Praktiken verdächtigt.24 Krafft-Ebing ging allerdings nicht davon aus, dass die zerstörerischen Kräfte des Triebes mit fortschreitender Zivilisation verschwunden seien, im Gegenteil: „Trotz aller Hilfen, die Religion, Gesetz, Erziehung und Sitte dem Kulturmenschen in der Zügelung seiner sinnlichen Triebe angedeihen lassen, läuft derselbe jederzeit Gefahr, von der lichten Höhe reiner und keuscher Liebe in den Sumpf gemeiner Wollust herabzusinken.“ Vielmehr bedürfe es, „[u]m sich auf jener Höhe zu behaupten“ einer permanenten Anstrengung, „eines beständigen Kampfes zwischen Naturtrieb und guter Sitte, zwischen Sinnlichkeit und Sittlichkeit.“25 Auch Wissenschaftler, die einem weniger biologistischen Modell des Trieblebens anhingen, wie beispielsweise Sigmund Freud, sahen den ‚zivilisierten‘ Menschen in diesem Kampf gefangen. Wie wir bereits gesehen haben, teilte Freud mit vielen seiner Zeitgenossen die Annahme, dass Zivilisation (das heißt bürgerlich-weiße Normen und Werte) durch einen fortschreitenden evolutionären Prozess entstanden sei.26 Ausgehend hiervon sah er den individuellen Entwicklungsvorgang beeinflusst durch zwei Faktoren: zum einen durch die Erziehung, welche „die Ansprüche der kulturellen Umgebung vertritt“, fortgesetzt durch die „direkte Einwirkung des Kulturmilieus“, wie er 1915 in Zeitgemäßes über Krieg und Tod schrieb. Dies zwinge das Individuum zum Triebverzicht, die Grundlage von Kultur. Jeder der „neu Ankommenden“, wie es Freud formulierte, müsse daher lernen, „daß er denselben Triebverzicht leiste“ wie bereits seine Vorfahren. Dies wiederum sei ein lebenslanger Lernprozess, in dem die „beständige Umsetzung von äußerem Zwange in inneren Zwang“ stattfinde. Der

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fentlichkeit, Nacktheit sowie die brutale und entwürdigende Behandlung von Frauen: „Das Weib ist Gemeingut der Männer, temporäre Beute des Mächtigsten, Stärksten.“ (ebd., S. 2.) Keine andere Religion außer dem Christentum habe die von Krafft-Ebing mit einem hohen Zivilisationsniveau gleichgesetzte „Gleichstellung des Weibes“ so vollständig durchgesetzt. Mit diesem Argument und unter Verweis auf die Polygamie, auf die Institution des Harem sowie die Vorstellung vom Paradies als Ort der Houris qualifizierte er den Islam als zivilisatorisch inferior ab (ebd., S. 5). Zur Verkopplung von Rassismus und Sexismus in der kriminologischpsychiatrischen Fachliteratur siehe auch: Uhl 2003, S. 159-162. Zahlreiche Untersuchungen zur Geschichte der Rolle weißer Frauen im deutschen Kolonialprojekt deuten darauf hin, dass die bürgerliche Weiblichkeitskonstruktion, verkörpert in der deutschen weißen Frau, als Hinweis auf die zivilisatorische ‚Überlegenheit‘ der Deutschen gegenüber den Kolonialisierten aufgefasst wurde. Krafft-Ebings Ausführungen können damit als Teil dieses Kolonialdiskurses gelten. Vgl. dazu: Gouda 1993; Mamozai 1989, S. 136-139; Wildenthal 1997; Eigler 1998; Reagin 2001; Wildenthal 2001, S. 133-144; Walgenbach 2005, S. 125-130. Vgl. etwa Andree 1887, S. 43-48, 15 und 19. Krafft-Ebing selbst bezog sich an dieser Stelle auf Ploss 1891. Krafft-Ebing 1993, S. 5. Siehe: Moore 2007, S. 46-50.

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andere Faktor, so Freud, sei die ererbte „Neigung (Disposition) zur Umwandlung der egoistischen in soziale Triebe“ unter den modernen Menschen. Diesen falle es mithin leichter, sich den Zwängen der Erziehung anzupassen und egoistische in soziale Triebe umzuwandeln. Dieses Erbe sei jedoch kein Freifahrtschein zum kulturellen Höchstniveau, im Gegenteil: stets müsse ein „Stück dieser Triebumwandlung [...] im Leben selbst geleistet werden.“27 Die „Triebregungen“, von denen Freud in diesem Zusammenhang sprach, bildeten seiner Ansicht nach „die elementare Natur, bei allen Menschen gleichartig“, und sie alle zielten „auf die Befriedigung gewisse[r] ursprünglicher Bedürfnisse“. Zu diesen Trieben gehörten sowohl die „eigensüchtigen und die grausamen“, von Freud auch die „primitiven“ genannt, als auch die sozialen wie etwa der Wunsch geliebt zu werden. Äußere Zwänge wie die Erziehung und ihre Verinnerlichung führten dazu, dass die „primitiven Regungen“ verdrängt würden und in anderen Formen ihren manchmal pathologischen Ausdruck fänden.28 Für den Kontext der hier zu untersuchenden Frage nach dem im wissenschaftlichen Diskurs konstituierten Zusammenhang von Kannibalismus, Sexualität und Kriminalität ist es wichtig festzuhalten, dass Freud keine Bewertung der Triebregungen per se vornahm. Er stellte fest, dass die sogenannten primitiven, egoistischen und grausamen Regungen gesellschaftlich negativ bewertet würden, dass aber die moralischen Kategorien gut und böse in diesem Zusammenhang streng genommen nicht angemessen seien. Er ging vielmehr davon aus, dass jedem Individuum alle Triebregungen eigen seien und dass die sittliche Entwicklung der oder des Einzelnen weder determiniert noch eindeutig vorhersagbar sei. Entsprechend formulierte Freud: „Interessant ist die Erfahrung, daß die kindliche Präexistenz starker ‚böser‘ Regungen oft gerade die Bedingung wird für eine besonders deutliche Wendung des Erwachsenen zum ‚Guten‘. Die stärksten kindlichen Egoisten können die hilfreichsten und aufopferungsfähigsten Bürger werden; die meisten Mitleidsschwärmer, Menschenfreunde, Tierschützer haben sich aus kleinen Sadisten und Tierquälern entwickelt.“29

Gleichzeitig jedoch gab es aus Freuds Perspektive „keine ‚Ausrottung‘ des Bösen.“30 Trotz aller individuellen sittlichen Anstrengungen und kulturellen Entwicklung verschwänden die egoistischen und grausamen Triebregungen nie vollständig. Im Gegenteil: „jede frühere Entwicklungsstufe [bleibt] neben der späteren, die aus ihr geworden ist, erhalten“ und die durch äußeren und inneren Zwang „gehemmten Triebe“ warteten nur dar27 28 29 30

Freud 2003b, S. 42. Ebd., S. 41. Ebd., S. 41-42. Ebd., S. 41.

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auf, „bei passender Gelegenheit zur Befriedigung durchzubrechen.“31 Nur die Verinnerlichung eines zuvor äußeren Zwangs könne potentiell gefährliche Impulse in Schach halten, so Freud.32 Gleichzeitig sah er damit das Subjekt für sich selbst verantwortlich. Überspitzt formuliert: Da jeder Mensch dieselbe sittliche Entwicklung durchlaufen muss, gleichzeitig die zerstörerischen Triebe und Impulse aber nie ganz verschwinden, ist jeder Einzelne in der Verantwortung, nicht zum Kannibalen zu werden. Die Gefährdung der eigenen Sittlichkeit war für Krafft-Ebing eine geschlechtsspezifische, denn der männlichen Sexualität war seiner Ansicht nach ein physiologisch höheres Maß an Aggressivität eigen als der weiblichen, was evolutionär auch zweckmäßig sei. Denn dem normalen männlichen, heterosexuellen Begehren stünde die Passivität und defensive Haltung der Frau gegenüber. Ein Widerstand, so Krafft-Ebing „welchen zu überwinden seine Aufgabe ist und zu dessen Ueberwindung ihm die Natur den aggressiven Charakter gegeben hat.“33 Mit fortschreitender Zivilisierung und Verfeinerung der Sitten sei aber die Anwendung von Gewalt obsolet geworden. Die „Eroberung des Weibes“ finde nun „in der zivilen Form der Courmacherei, Verführung, List usw. statt“ und nicht mehr, wie zu Urzeiten oder bei sogenannten primitiven Völkern, durch Gewalt, Raub oder „Wehrlosmachung des Weibes durch Keulenschläge“.34 Zivilisation galt Krafft-Ebing damit als Ergebnis eines evolutionären Prozesses, in dem die sukzessive Einhegung und Restrukturierung der männlichen aggressiven Impulse zu modernen bürgerlichen, ‚zivilisierten‘ moralischen Normen und Verhaltensweisen führten.35 In Anlehnung an die von Anne McClintock geprägten Bezeichnung des „anachronistic space“ für den kolonialen Raum als eine „prehistoric zone of racial and gender difference“ können wir hier also von dem männlichen weißen Körper als einem anachronistischen Körper sprechen.36 Unter „pathologischen Bedingungen“ jedoch, so Krafft-Ebing, könne diese natürliche Aggressivität des Mannes monströse Formen annehmen, „ins Masslose wachsen und zu einem Drange werden, sich den Gegenstand seiner Begierden schrankenlos zu unterwerfen, bis zur Vernichtung, Tötung desselben.“ Dieses „krankhaft gesteigerte Bedürfnis, sich das Weib zu unterwerfen“ könne zu einer Störung führen, die Krafft-Ebing in Anlehnung an die Schriften von Alphonse Donatien de Sade (1740-1814) „Sadismus“ nannte.37 Er verstand unter diesem Begriff

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Ebd., S. 45, 44. Siehe: Ebd., S. 40. Krafft-Ebing 1993, S. 73. Dazu auch: ebd., S. 13. Ebd., S. 73. Siehe: Ebd., S. 1-7 und 73. McClintock 1995, S. 30. Krafft-Ebing 1993, S. 73-74, 69. Zu de Sades Romanen und ihrer Interpretation aus heutiger Perspektive siehe: Deleuze 2006, S. 15-23.

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„die Empfindung von sexuellen Lustgefühlen bis zum Orgasmus beim Sehen und Erfahren von Züchtigungen u.a. Grausamkeiten, verübt an einem Mitmenschen oder selbst an einem Tier, sowie der eigene Drang, um der Hervorrufung solcher Gefühle willen anderen lebendigen Wesen Demütigung, Leid, ja selbst Schmerz und Wunden widerfahren zu lassen.“38

Sadistische Gelüste traten seiner Ansicht nach dann auf, wenn die natürliche und von ihm durchaus als gesund erachtete männliche Aggressivität aufgrund von „abnormen (degenerativen) Veranlagungen“ mit Begehren, Lust und Gewalt verknüpft wurde.39 Krafft-Ebing erachtete daher Sadismus als „eine Störung oder Deviation in der Evolution psycho-sexualer Vorgänge auf dem Boden psychischer Degeneration.“40 Diese bezeichnete er an anderer Stelle auch als eine „erbliche[ ] krankhafte[ ] Veranlagung des Zentralnervensystems“, eine Art der „Neurasthenie“.41 Wie wir bereits im vorangegangenen Kapitel gesehen haben, galt Medizinern und Psychiatern eine solch degenerative Veranlagung als eines der Hauptkennzeichen der Psychopathie. Sadismus konnte sich nach Ansicht Krafft-Ebings in verschiedenen Anomalien des Sexualtriebs äußern. Als wichtigste und für die gerichtliche Praxis bedeutsamste Form galt ihm der sogenannte Lustmord, die Tötung eines Menschen zur Befriedigung sadistischen Begehrens.42 Hierbei könne es auch „zu weiteren Akten der Brutalität gegen den Leichnam kommen“, etwa 38

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40 41 42

Krafft-Ebing 1993, S. 69. In der ersten Auflage formulierte Krafft-Ebing dies sogar noch geschlechtsspezifischer, indem er Sadismus definierte als eine Perversion, die „darin besteht, dass Acte der Grausamkeit, am Körper des Weibes vom Manne verübt“ würden und zwar als Selbstzweck zur „Befriedigung einer perversen Vita sexualis“, zit.n.: nach Eulenburg 1902, S. 2 HiO). Des Weiteren benannte Eulenburg Jacques-Joseph Moreau (1804– 1884) als den Schöpfer des Begriffes Masochismus (siehe: ebd., S. 1). Moreau war bekannt geworden durch seine Studien zur Wirkung von Cannabis, die er nach einer ausgedehnten Asienreise begonnen hatte, veröffentlicht unter dem Titel Du hachisch et de l·aliénation mentale (1845). Wenn Eulenburg Recht hatte mit seiner Vermutung, dann könnte sich hier ein weiterer Zusammenhang zwischen Kolonialdiskurs (bzw. seiner Spielart des Orientalismus) und dem psychiatrischen Wissen eröffnen. Krafft-Ebing 1993, S. 70. Damit war eine der beiden Ursachen für pathologische sexuelle Störungen benannt, die andere lag seiner Ansicht nach „in dem vielfachen Missbrauch der Generationsorgane“, also der Onanie, begründet (ebd., S. 44 (Zitat), 45-46). Ebd., S. 71. Ebd., S. 45, Krafft-Ebing 1900, S. 36-37. In diesem Sinne auch: SchrenckNotzing 1898, S. 19. Siehe: Krafft-Ebing 1993, S. 75-82. Krafft-Ebing nannte neben dem Lustmord auch die Nekrophilie (ebd., S. 82-86), die Flagellation und das „Blutigstechen“ von Frauen (S. 86-91), die Besudelung (S. 91-95), die Misshandlung von Knaben (S. 97-100) oder von Tieren (S. 100-102). Darüber hinaus unterschied er auch Fälle von symbolischem Sadismus (S. 95) und ideellem Sadismus (S. 95-97), in denen es nicht zu gewalttätigen Handlungen im engeren Sinne komme.

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dem Wühlen in den Eingeweiden, der Zerstückelung der Leiche, oder es könnten „Gelüste nach dem Fleisch des ermordeten Opfers auftreten“ und entsprechend „Teile der Leiche verzehrt werden“.43 Krafft-Ebing charakterisierte den Lustmord aus diesem Grunde auch als „Wollust potenziert als Grausamkeit“ sowie als „Mordlust bis zur Anthropophagie“.44 Entsprechend wurden die Sexualstraftäter der Weimarer Zeit Friedrich Haarmann, Karl Großmann und Peter Kürten daher nicht nur als Menschenfresser, sondern auch als Lustmörder und Psychopathen bezeichnet. Frauen kamen nach dieser Vorstellung überhaupt nur dann in die Gefahr, mit ihren Trieben in Konflikt zu geraten, wenn sie ‚anormal‘ entwickelt waren. Die „geistig normal entwickelt[e] und wohlerzogen[e]“ Frau habe nur sehr schwach ausgeprägte sexuelle Instinkte, und diese seien komplementär zu denen des Mannes strukturiert im Sinne einer „willige[n] Unterordnung unter das andere Geschlecht“.45 Anders sei dies hingegen bei Prostituierten, Arbeiterinnen und indigenen Frauen, die aufgrund ihrer vermuteten Triebhaftigkeit als pathologische Erscheinungen galten. Diese relationale, klassenspezifische sowie nach rassistischen Kriterien strukturierte Geschlechterkonstruktion entsprach damit der zeitgenössischen bürgerlichen Vorstellung von der Ordnung der Gesellschaft.46 Krafft-Ebings Verständnis des Zusammenhangs von Sadismus und sexuell motiviertem Mord wurde breit rezipiert, wie das Beispiel des eingangs bereits zitierten Meyerschen Konversationslexikon zeigt, das sich teilweise wörtlich bei Krafft-Ebing bedient, ohne sein Werk jedoch explizit zu nennen: „Sadismus (nach den Romanen des Marquis de Sade), die Verquickung der sexuellen Triebe mit unnatürlicher Freude an Grausamkeiten. Diese Verbindung von Wollust mit der Lust an Schmerzen [...] der geliebten Person äußert sich in schmerzhaftem Pressen, Kratzen, Beißen, steigert sich zum Blutigstechen, Schlagen, Geißeln, Besudeln und gipfelt in Notzucht, Lustmord, Leichenschändung (Nekrophilie), Anthropophagie. Dieser Verirrung unterliegen meist Männer, und von vielen Naturvölkern wissen wir, daß bei ihnen der Raub, ja selbst

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Ebd., S. 76 und 79. Ebd., S. 75. Anstelle einer ausdrücklichen Definition listete Krafft-Ebing eine Reihe von Fällen auf, die seiner Ansicht nach besonders typische Beispiele dieser Äußerungsform des Sadismus seien. Hierzu gehören: Andreas Bichel (S. 75-76), Jack the Ripper oder „Jack, der Aufschlitzer“ (S. 77), Vinzenz Verzeni (S. 80-82). Ebd., S. 13, 151. Vgl. dazu: Gilman 1985a und Frevert 1995a, S. 18-50, 133-165. Entsprechend setzte sich in der Kriminologie bis heute das Profil einer Lustmörderin nicht durch, stattdessen etablierten sich andere Typen als die angeblich typischen Verbrecherinnen, beispielsweise die Kindmörderin, die Brandstifterin oder die Prostituierte (siehe: Uhl 2003, S. 91-146; Scott, H. 2005, S. 163-164).

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die Wehrlosmachung der Frau durch Keulenschläge die Liebeswerbung ersetzt.“47 

Fließende Übergänge: Notwendigkeit der Triebkontrolle Angesichts dieser ‚natürlichen‘ Aggressivität der männlichen Sexualität konnte die Grenze zwischen Norm und pathologischer Abweichung nicht eindeutig bestimmt werden. Psychiater und Mediziner vertraten seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert grundsätzlich die Vorstellung eines Kontinuums von (Ab-)Normalität. Die damalige Forschung skizzierte das Bild eines „Normalfeld[s] ‚geistige[r] Gesundheit‘ mit anormalen Anschlußzonen“.48 Krafft-Ebings Terminologie war in der Fachwelt nicht unumstritten. Das konkurrierende Konzept zur Bezeichnung lustbesetzter Gewalthandlungen war das der „Algolagnie“, eingeführt und propagiert von so renommierten Forschern wie Albert Eulenburg oder Iwan Bloch.49 Anders als Krafft-Ebing, der die Ausübung beziehungsweise das Erleiden von körperlicher Gewalt, Grausamkeit und Macht als lustauslösende Faktoren ansah, gingen diese Forscher davon aus, dass die Schmerzerfahrung, aktiv oder passiv, mittelbar oder persönlich, den primären sexuellen Reiz darstelle. Die Freude an der Gewaltausübung sei dem nachgeordnet. Dieses Erklärungsmodell war weit weniger geschlechtsspezifisch als das von Krafft-Ebing vertretene: Frauen konnten demnach sowohl aktive als auch passive Sexualpartnerinnen sein. Während Krafft-Ebing postulierte, es gebe keine Sadistinnen, sprach beispielsweise Eulenburg vom „sadistischen Weibtypus“.50 Gleichzeitig war es auch nicht auf heterosexuelle Sexualkontakte beschränkt, vielmehr thematisierten Eulenburg, Bloch und Schrenck-Notzing ganz explizit homosexuelle Praktiken. Da nach ihrer Ansicht die Frage nach Lust durch Grausamkeit oder Lust durch Schmerz

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„Sexualpsychologie“, in: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 18 (1907), S. 391. Hierbei handelt es sich um eine zum Teil wörtliche Wiedergabe des entsprechenden Abschnittes in Krafft-Ebings Psychopathia Sexualis, der wiederum lautet: „Die Eroberung des Weibes findet heutzutage in der zivilen Form der Courmacherei, Verführung, List usw. statt. Aus der Kulturgeschichte und der Anthropologie wissen wir, dass es Zeiten gab und noch Völker gibt, in welchen die brutale Gewalt, der Raub, selbst die Wehrlosmachung des Weibes durch Keulenschläge die Liebeswerbung ersetzte. Es ist möglich, dass atavistische Rückschläge in derartige Neigungen zu Ausbrüchen von Sadismus beitragen.“ (Krafft-Ebing 1993, S. 73, Hervorhebung EB.) Zu den anderen von Krafft-Ebing aufgeführten und hier angesprochenen Äußerungsformen von Sadismus siehe ebd., S. 82-102. Brink 2002, S. 41. Siehe: Schrenck-Notzing 1892, S. 125; Eulenburg 1902, S. 5 und Bloch 1907, S. 616. Eulenburg 1902, S. 4.

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nie eindeutig zu beantworten war, übernahmen sie häufig auch den von Krafft-Ebing besetzten Begriff.51 Karl Birnbaum schätzte den Anteil der psychopathisch Veranlagten an der Gesamtbevölkerung auf zehn Prozent.52 Die Experten vermuteten eine hohe Dunkelziffer, da wie im vorherigen Kapitel gesehen die Symptome der Psychopathie häufig auch (phasenweise) bei ‚unbelasteten‘ Personen auftreten konnten. Letztlich sei aber unklar, wer mit einer sogenannten erblichen degenerativen Veranlagung ‚kontaminiert‘ sei und wer nicht. Krafft-Ebing selbst wies explizit darauf hin, dass zwischen „originären und erworbenen Fällen“ von Sadismus nicht unterschieden werden könne. Die Symptome zeigten sich möglicherweise erst relativ spät im Leben eines dergestalt erblich Belasteten: Erst wenn der Betroffene mehrfach festgestellt habe, dass „der normale Akt“ für ihn unbefriedigend sei, und erst nach der „Ueberwindung der ethischen und ästhetischen Gegenmotive“ komme es „zum Durchbruch des krankhaften Triebes nach aussen.“53 In diesem Modell wurde die Aufrechterhaltung der Kontrolle über die eigenen Triebe, über die eigene Sexualität zum entscheidenden Kriterium in der Frage der psychischen Gesundheit und der Normalität eines Mannes. Dabei führten bereits Gedankenspiele über normabweichendes Verhalten zur Aufweichung der durch Sozialisation und Zivilisation aufgebauten Hemmschwelle und somit auch zu kriminellen Handlungen. Wie der Philosoph und Psychologe Richard Herbertz in seiner Studie VerbrecherDämmerung anlässlich der Debatten um die Fälle Fritz Haarmann und Karl Denke ausführte: „Es kann vorkommen, daß über diesem Ausspinnen lebensuntauglicher Gedanken die hemmende Instanz, die Zensur gleichsam unachtsam wird, ‚einschläft‘ und der Trieb diesen willkommenen Moment der Unachtsamkeit seines Gegners sogleich zur Durchsetzung seiner Zwecke benutzt.“54 Wie immer wieder betont wurde, war es im ungünstigen Falle „[v]on der theoretischen Vorstellung [...] zur praktischen Tat [...] nur ein kleiner Schritt“ und der Übergang zur Kriminalität fließend: 55 „Ist nur der Trieb stark und die zensurierende Instanz unachtsam oder schwach (dies letztere nennen wir dann: sittliche Schwäche oder ‚Verwahrlosung‘) so wird der Impulsive auch zu verbrecherischen Handlungen schreiten, in denen er explosiv die Vollzugsspannung seiner verdrängten, triebbesetzten Gedanken abreagiert.“56

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Siehe: Eulenburg 1902, S. 5-6 sowie Bloch 1907, S. 614-619. Siehe: Birnbaum 1909, S. 75. Krafft-Ebing 1993, S. 74. Herbertz 1925, S. 36. Zu Richard Herbertz’ Biographie vgl. Kapitel 6. Hanss 1925, S. 295-296. Herbertz 1925, S. 40.

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Auf diese Weise zeichneten Psychiater, Mediziner und Kriminologen ein Kontinuum von (Ab-)Normalität männlicher Sexualität, in dem einerseits jeder einzelne Mann in Relation zu anderen Männern gleicher oder anderer Hautfarbe, sozialen Status oder Alters (sowie zu Frauen) zu verorten war. Andererseits war diese Verortung weder eindeutig noch stabil. Im Gegenteil, diese Standorte waren fluide und veränderten sich je nach Lebensabschnitt und -umständen (Stress, Alkoholeinfluss oder Alter). Damit war umgekehrt der kannibalische Lustmörder nicht so sehr, wie Peter Becker es formuliert, „die Projektionsfläche alles dessen, was für das bürgerliche Selbst nicht der Fall sein konnte“, sondern im Gegenteil das, was nach Ansicht der medizinisch-psychiatrischen Experten bei jedem männlichen Körper der Fall war.57 Entsprechend mussten Männer Vorkehrungen treffen, um dessen Ausbruch zu verhindern. Als einziges Mittel sahen die Fachleute die lückenlose Überwachung und die permanente Kontrolle der eigenen Sexualität durch die Männer selbst. Die Fähigkeit hierzu, der starke (männliche) Wille galt wiederum als das Kennzeichen des gesunden weißen Mannes und sollte diesen gegenüber kranken und erblich belasteten weißen, aber auch gegenüber nichtweißen indigenen Männern auszeichnen. Umgekehrt galt Willensschwäche, wie wir bereits gesehen haben, als generelles Charakteristikum der Angehörigen der sogenannten Naturvölker sowie der kriminellen Psychopathen. Erstere galten den Forschern als triebhafter und affektgesteuerter als Weiße. Bei ihnen herrsche ein „Übergewicht der Affekte und der Mangel an Überlegung“, sie stünden unter der „Herrschaft augenblicklicher Antriebe“ und es fehle ihnen an „Selbstüberwindung“ und ganz allgemein an sittlichen Grundsätzen, so die Lehrmeinung.58 Letztere erlägen besonders leicht den Einflüsterungen ihrer ungezügelten Phantasien und Triebe. In diesem Sinne wurden die „erblich disponierten Persönlichkeiten“ mit den angeblichen Wilden parallelisiert.59 Sowohl Ethnologen als auch Mediziner, Kriminologen und Juristen sahen Menschen mit einer angeblichen degenerativen Veranlagung als „niedrigstehende Weiße“ an und bezeichneten sie als „Übergang“ zwischen den primitiven Naturvölkern und den zivilisierten Europäerinnen und Europäern.60 In diesem Sinne wurde Sadismus von Krafft-Ebing auch als individuelle „psychische[ ]

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Becker, P. 2002, S. 12 (Hervorhebung EB). Thilenius 1920b, S. 112. Wie bereits dargestellt, galt das sich daran angeblich anschließende Fehlen moralischer Skrupel als Hauptgrund für die weite Verbreitung der Menschenfresserei unter der Bevölkerung der „innerafrikanischen Zone der Kannibalen “ (Andree 1887, S. 40.) „Der innere Zwang zu [Suggestivassociationen] ist bei einem unterentwickelten Geistesleben, z.B. bei Kindern und wilden Völkern etwas ganz gewöhnliches, kann daher bei erblich disponirten [sic] Persönlichkeiten krankhaft gesteigert sein und zu bleibenden Suggestiveffecten führen.“ (Schrenck-Notzing 1898, S. 15.) Thilenius 1920b, S. 111.

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Degeneration“ oder auch als „atavistischer Rückschlag“ auf das sittliche Niveau eines Wilden interpretiert.61 Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen wurde die Frage der Zurechnungsfähigkeit in der Fachliteratur neu diskutiert. In dieser Debatte wurden zwei ganz grundsätzliche Fragen gestellt. Erstens: Kann der Sexualtrieb so stark sein, dass die freie Willensbestimmung eingeschränkt wird? Und zweitens, ist angesichts der natürlichen Aggressivität männlichen Begehrens eine abnormal gewalttätige männliche Sexualität auszumachen? Diese Frage verweist auf die Herstellung einer männlichen Normalität, ein Problem, mit dem sich bereits Angus McLaren in seiner Studie The Trials of Masculinity62 auseinandergesetzt hat. In den Gerichtsverhandlungen gegen die sogenannten Lustmörder gewannen diese beiden Fragen eine besondere Brisanz, da von einer entsprechenden Begutachtung die Entscheidung für oder gegen die Verhängung der Todesstrafe abhängen konnte. Aus dem Kontinuum der (Ab-)Normalität wurde eine Frage von Leben oder Tod.

5.2 Und sei der Trieb noch so mächtig: Selbstkontrolle und Zurechnungsfähigkeit 

Peter Kürten: Der Vampir von Düsseldorf Peter Kürten, geboren am 26. Mai 1883 in Köln-Mülheim, war der letzte Straftäter, der in der Zeit der Weimarer Republik mit kannibalischen Praktiken in Verbindung gebracht wurde.63 1895 zog die Familie Kürten nach Düsseldorf-Grafenberg, wo Peter Kürten 1897 eine Ausbildung in dem Betrieb begann, in dem bereits sein Vater arbeitete. Kürten wuchs in einer familiären Situation auf, die wir heute ‚schwierige Verhältnisse‘ nennen würden: Sein Vater war häufig betrunken, in den Prozessakten wird er als „heriditärer Alkoholiker“ bezeichnet, der regelmäßig seine Ehefrau sowie die gemeinsamen Kinder schlug und im gleichen Jahr, in dem Peter Kürten 61

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Krafft-Ebing 1993, S. 71, 73. Ein Konzept, das sich bis in die Zeit des Nationalsozialismus und darüber hinaus als wirkungsmächtig erwies. Siehe dazu: Schneider, S. 2003. Wie Brückweh überzeugend schildert, trat ein grundlegender Wandel erst in den 1960er Jahren ein, der sich besonders deutlich in den Auseinandersetzungen um den Fall Jürgen Bartsch bemerkbar machte (Brückweh 2006, S. 194-225). McLaren 1997, S. 9. Sofern nicht anders vermerkt, orientiert sich die Zusammenfassung hier an der Zeittafel, die von Elisabeth Lenk und Katharina Kaever ihrer Quellensammlung Peter Kürten, genannt der Vampir von Düsseldorf beigefügt worden ist (Lenk/Kaever (Hg.) 1997, S. 333-335) sowie der Rekonstruktion seines Lebenslaufes im Urteil gegen Kürten (Urteil und Urteilsbegründung im Prozess gegen Peter Kürten, 22.4.1931, HStA Düsseldorf, 17/543, Bll. 4-103).

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seine Lehrstelle antrat, eine seiner beiden Töchter in der Anwesenheit seines damals 14-jährigen Sohnes vergewaltigte. Kürten war als einziger der hier untersuchten Straftäter verheiratet. Er hatte seine spätere Frau Auguste Scharf in Altenburg kennen gelernt, wohin er 1921 nach Verbüßung einer längeren Haftstrafe gezogen war. Hier fand er zunächst Unterkunft bei einer seiner beiden Schwestern und Arbeit in einer Eisengießerei. Er wurde Vertrauensmann des Metallarbeiterverbandes, Mitglied im Betriebsrat sowie im lokalen Zweig des Reichsbanners. Auguste Scharf und Kürten heirateten im Jahr 1923. Zwei Jahre darauf zog Kürten zurück nach Düsseldorf, wo er mehrere außereheliche Verhältnisse hatte. Auguste Kürten folgte ihrem Mann erst im Oktober desselben Jahres. Im Jahre 1926 kam es zu mehreren Gerichtsverfahren gegen Kürten wegen Heiratsschwindels, Notzuchtsverdachts und Urkundenfälschung, in deren Verlauf seine Frau erstmalig von seinem Vorstrafenregister erfuhr. Kürten wurde in diesem und den beiden folgenden Jahren immer wieder für einige Monate inhaftiert (Heiratsschwindel, Notzucht). Auf freiem Fuß, ging er stets immer wieder außereheliche Verhältnisse ein, beging mehrere Brandstiftungen sowie Überfälle ohne tödlichen Ausgang auf mehrere Frauen. Kürten erfüllt damit neben Denke das Profil des sozial unauffälligen serial killer, das heute die Diskussionen um die Serienmörder beherrscht, in dem der Täter als ganz normal erscheinender Mann charakterisiert wird.64 Den ersten durch die Untersuchungsbehörden im Zusammenhang der Düsseldorfer Mordserie rekonstruierten Mordversuch unternahm Kürten am 2. Februar 1929 an der 55-jährigen Apollonia Kühn. Bis zu seiner Verhaftung am 24. Mai 1930 verübte er, so das Urteil des Gerichts, neun Morde, zwei davon „in Tateinheit mit vollendeter Notzucht“, in einem Fall in Tateinheit mit „gewaltsamer Vornahme unzüchtiger Handlungen“ sowie sieben Mordversuche.65 Die Gruppe seiner Opfer war deutlich heterogener als die der drei anderen im Rahmen meiner Untersuchungen diskutierten Straftäter. So ermordete er eine ältere Frau, einen Mann mittleren Alters und zwei weibliche Kinder. Die meisten seiner Opfer waren jedoch junge allein stehende Frauen, die überwiegend als Dienstmädchen in Düsseldorf arbeiteten. Anders als Haarmann oder Großmann verfasste Kürten Bekennerschreiben. Eines davon sandte er am 13. Oktober 1929 an die Polizeiverwaltung in Düsseldorf und ein anderes am 8. November 1929 an die Redaktion der kommunistischen Zeitung Freiheit. In beiden Schreiben bezeichnete er die Orte, an denen er jeweils eine Leiche eines Opfers ver64

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Siehe: Seltzer 1998, S. 125-140. Diese Normalität wird sogar als das pathologische Moment angesehen: Solchermaßen angepasst entstehe das Bedürfnis, sich durch Mord (als Richter über anderer Menschen Leben oder Sterben) zu individualisieren, Grenzen zwischen sich und der Umwelt herzustellen. Urteil und Urteilsbegründung im Prozess gegen Peter Kürten, 22.4.1931, HStA Düsseldorf, 17/543, Bl. 2.

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steckt hatte. Diese Briefe wurden in großer Zahl nachgeahmt, erschwerten die polizeiliche Arbeit erheblich und trugen zu einem sich ausbreitenden Klima der Angst bei.66 Aus den Aussagen der Frauen, die Kürtens Mordversuche überlebt hatten, sowie aus seinen Geständnissen wird die für ihn typische Vorgehensweise deutlich: Kürten, stets sorgfältig gekleidet, sprach die Frauen auf öffentlichen Plätzen, oft auf Rummelplätzen oder Kirmesveranstaltungen an und führte sie in einsamere Gegenden, wo er dann Geschlechtsverkehr von den Frauen erzwingen wollte. Wehrten sich die Frauen lautstark und energisch oder kamen unerwartet Passantinnen und Passanten vorbei, konnten die Frauen fliehen. Kürten tötete in der Regel mit Hilfe von spitzen Werkzeugen, beispielsweise einer Schere, und versteckte die Leichen anschließend. In einzelnen Fällen setzte er diese auch in Brand; oft nahm er Besitztümer der Getöteten wie Handtaschen oder kleinere Kleidungsstücke an sich.67 Nach seinen eigenen Angaben trank Kürten das Blut seiner Opfer aus den von ihm beigebrachten Kopfverletzungen. Angelehnt an diese Vorgehensweise wurde er auch der „Vampir von Düsseldorf“ genannt.68 Am 23. Mai 1930 gestand Kürten seiner Frau gegenüber seine Taten ein, nachdem diese ihm mitgeteilt hatte, dass Polizeibeamte sich in seiner Abwesenheit nach ihm erkundigt hätten. Auguste Kürten war nach eigener Aussage ahnungslos und reagierte schockiert.69 Kürten wollte abtauchen, regte aber ein letztes Treffen am darauf folgenden Tag an, dessen Termin und Ort Auguste Kürten der Polizei anzeigte. Kürten wurde daraufhin am 24. Mai 1930 verhaftet.70 Er legte ein umfassendes Geständnis ab, zu dem er – nach einem Widerruf – einen Monat später wieder zurückkehrte.71 Vor Beginn der Hauptverhandlung wurde an Kürten eine ganzen Serie von medizinisch-psychiatrischen Untersuchungen vorgenommen. Die erste erfolgte durch den Gerichtsarzt Karl Berg, der auch die medizinisch66

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Siehe: Vermerk über Zahl der eingegangenen Anzeigen und Zuschriften in den Mordsachen ausschl. der Fälle, für die Staussberg als Täter in Frage kommt, 11.1.1930, HStA Düsseldorf, 17/734, Bl. 1; H. Kortig, „15000 Mrk Belohnung. Der Massenmörder von Düsseldorf“, Deutsche Kriminalpolizeiblatt (Sondernummer) 1930, zit.n.: Lenk/Kaever 1997, S. 16-40, hier S. 35, 37. Siehe: Protokolle der Vernehmung von Peter Kürten, 30.5.1930, HStA Düsseldorf, 17/531, Bll. 33-200. Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Dr. M. Raether, 2.1.1931, HStA Düsseldorf, 17/731, Bll. 226-227; „Der Vampir von Düsseldorf“, in: Vorwärts, 14.4.1931. Siehe: Protokolle der Aussagen von Auguste Kürten, 24.5.1930, HStA Düsseldorf 17/531, Bll. 8-9, 19-20. Siehe: Bericht über die Verhaftung von Peter Kürten, 25.5.1930, HStA Düsseldorf 17/531, Bll. 12-14. Siehe: Geständnis Peter Kürtens, 30.5.1930, HStA Düsseldorf, 17/531, Bll. 30-32; Protokolle der Vernehmung von Peter Kürten, 30.5.1930, ebd., Bll. 33-200.

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forensischen Untersuchungen in der Ermittlungsphase geleitet hatte.72 Es folgten drei psychiatrische Untersuchungen, die von unterschiedlichen Experten geleitet wurden; die erste wurde durchgeführt von Franz Sioli, Professor an der Medizinischen Akademie Düsseldorf, der zu diesem Zeitpunkt auch die Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Düsseldorf-Grafenberg an der Psychiatrischen Klinik dort leitete.73 Die zweite nahm Max Raether vor, damals Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau.74 Die dritte und letzte unternahm Arthur Hübner, Professor für Psychiatrie an der Universität Bonn und Direktor der Nervenklinik der dortigen Universität.75 Die Gutachter verfolgten durchaus sehr unterschiedliche Herangehensweisen. So vertraten Franz Sioli und sein Team einen eher traditionell anthropologisch-kriminologischen Ansatz, deutlich erkennbar an den Bemühungen um die Rekonstruktion der sogenannten erblichen Belastung Kürtens und der schematischen Darstellung ihrer Ergebnisse in einer genealogischen Tafel analog zu den Verbrechergenealogien der Lehrbuchliteratur.76 Arthur Hübner hingegen arbeitete, wie der zuständige Staatsanwalt es formulierte, nach „modernen psychoanalytischen Grundsätzen“.77 Die Experten kannten die Arbeit ihrer Vorgänger und nutzen diese auch für ihre Argumentation.78 Diese ausführliche Form der Begutachtung durch medizinischpsychiatrische Experten wurde vom Gericht für notwendig erachtet, um die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten einschätzen zu können. War 72

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Nach eigenen Angaben beobachtete Berg Kürten von Juni 1930 bis Juni 1931 (Berg 2004, S. 137). Die hier zitierte Studie wurde zum ersten Mal veröffentlicht in der Deutschen Zeitschrift für die gesamte gerichtliche Medizin 17,4+5 (1931), S. 247-347. Das eigentliche Gutachten schloss Berg hingegen mit seinem Bericht vom 26.9.1930 ab (Siehe: Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen den Arbeiter Peter Kürten, Prof. N. Sioli, 14.11.1930, HStA Düsseldorf, 17/728, Bl. 12). Untersuchungszeitraum: 1.10.-2.11.1930. Siehe: Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen den Arbeiter Peter Kürten, Prof. N. Sioli, 14.11.1930, HStA Düsseldorf, 17/728. Untersuchungszeitraum 4.11.-13.12.1930. Siehe: Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Dr. M. Raether, 2.1.1931, HStA Düsseldorf, 17/731. Untersuchungszeitraum 20.12.1930-6.3.1931. Siehe: Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Prof. Hübner, 26.3.1931, HStA Düsseldorf, 17/730. Siehe: Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen den Arbeiter Peter Kürten, Prof. N. Sioli, 14.11.1930, HStA Düsseldorf, 17/728, Bll. 44-52. Zu den Verbrechergenealogien siehe: Becker, P. 2002, S. 340-344. Schreiben Oberstaatsanwalt Jansen an den Vorsitzenden des Schwurgerichts Rose, 30.3.1931, HStA Düsseldorf 17/541, Bl. 171. So verwiesen beispielsweise Raether und Hübner auf die Ergebnisse der anthropologisch-kriminologischen Anamnese ihres Vorgängers Sioli. Siehe: Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Dr. M. Raether, 2.1.1931, HStA Düsseldorf, 17/731, Bl. 1 sowie das Ärztliche Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Prof. Hübner, 26.3.1931, HStA Düsseldorf, 17/730, Bll. 2, 61-66.

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diese zur Tatzeit nicht gegeben, konnten sogenannte mildernde Umstände angenommen werden.79 Im Reichsstrafgesetzbuch (RStGB) von 1871 selbst wurden diese nicht explizit definiert, allerdings wurden im vierten Abschnitt des RStGB die möglichen „Gründe welche die Strafe ausschließen oder mildern“ aufgeführt. In §51 war dort festgelegt, dass eine strafbare Handlung nicht vorlag, „wenn der Thäter zur Begehung der Handlung sich in einem Zustande von Bewußtlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit befand, durch welchen seine freie Willensbestimmung ausgeschlossen war.“80 Eine „Zurechnungsunfähigkeit“ war demnach nur dann vorhanden, wenn bei dem Täter/der Täterin nachweislich „sowohl eine krankhafte Störung der Geistesthätigkeit, wie auch zugleich ein Ausschluß der freien Willensbestimmung“ bestand und wenn „dieser letztere durch jene krankhafte Störung verursacht worden“81 war. Um dies festzustellen, war der Vorsitzende Richter gehalten, Sachverständige zu berufen, die ebenso wie Zeuginnen und Zeugen vereidigt wurden, und die ein Gutachten über den Geisteszustand der Angeklagten abgaben.82

Beherrschung der Perversion: Zurechnungsfähigkeit und Normalisierung Wie nun beurteilten die im Falle Peter Kürtens bestellten Gutachter die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten? Zunächst einmal diagnostizierten die Experten bei Kürten grundlegende pathologische Zustände. So bezeichnete Raether ihn als „erblich belastete[n], mit Milieuschäden von Kind auf behaftete[n] Psychopath[en] mit ausgeprägt sadistischem Geschlechtstrieb“, der „zügellos in der Wahl seiner Mittel zur Befriedigung seiner sadistischen Geschlechtslust“ gewesen sei.83 Sioli zählte als Kürtens ererbte Charakteristika auf: Geisteskrankheit („in geringem Maße“), Kriminalität, Alkoholismus sowie eine generelle sexuelle Psychopathie, worunter Sioli „Großmannssucht, lebhafte[r] Phantasietätigkeit, Reizbarkeit und gesteigerte[r] Sexualität“ zusammenfasste.84 Hübner seinerseits cha79

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Damit führte das RStGB das im Strafgesetzbuch Preußens (1851) vorgesehene und aus dem französischen Recht (code pénal, 1810) übernommene Konzept der ‚mildernden Umstände‘ fort. (Siehe: Kaufmann 1990, S. 2027.) Rubo 1992, S. 467. Im Kommentar zur Auslegung des RStGB hieß es dazu: „Man hat unter denselben alles dasjenige zu verstehen, was eine milde Beurtheilung des für schuldig erklärten Angeklagten rechtfertigt. Ob dergleichen vorhanden und was überhaupt geeignet sei, eine milde Beurtheilung zu rechtfertigen, ist Gegenstand thatsächlicher Prüfung in jedem einzelnen Falle.“ (Rubo 1992, S. 114 (HiO) sowie weiterführend S. 467-473.) Ebd., S. 470 (HiO). Siehe: Ebd., S. 654-661 sowie Groß, H. 1914, S. 214-215. Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Dr. M. Raether, 2.1.1931, HStA Düsseldorf, 17/731, Bl. 269. Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen den Arbeiter Peter Kürten, Prof. N. Sioli, 14.11.1930, HStA Düsseldorf, 17/728, Bl. 267.

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rakterisierte Kürten als einen „mit einer hysterischen Komponente behafteten Psychopathen“ und sprach von seiner „Grossmannssucht“.85 Der Gerichtsarzt Berg attestierte Kürten einen „abnorm gerichteten Geschlechtstrieb[s]“, der ihn als „Sadisten und Lustmörder“ qualifiziere.86 Diese Kategorisierung Kürtens als Sadist wurde von allen beteiligten Gutachtern geteilt. Die pointierteste Zusammenfassung dazu findet sich im Gutachten von Sioli: „Kürtens Geschlechtstrieb ist ein pervertierter Trieb; es handelt sich um einen echten Sadismus, der die sexuelle Befriedigung bis zum Samenerguss in der Durchführung von Gewalttaten findet, im Quälen und Schmerzbereiten, Quälen von Tieren und Einzelpersonen und der Gesamtheit, dem Publikum. [...] Die Taten von Kürten qualifizieren sich daher als sadistische Akte.“87

Nach einschlägiger Fachliteratur, beispielsweise nach Ansicht Ernst Schultzes, selbst Gutachter im Fall Fritz Haarmann, waren diese Diagnosen durchaus geeignet, die Zurechnungsfähigkeit eines mutmaßlichen Täters ernstlich in Frage zu stellen. Aus psychiatrischer Perspektive nahm Schultze als grundsätzlich dazu in Frage kommende „Persönlichkeiten“ an: „Epileptiker und Epileptoide, Hysteriker und Neurastheniker, Traumatiker, Psychopathen, Süchtige“, Drogenabhängige (Alkohol, Morphium, Kokain) sowie „Personen mit Intoleranz gegen Alkohol oder mit pathologischen Affekten oder sexuellen Anomalien, solche, die im geringen Grade schwachsinnig sind, und andere.“88 Darüber hinaus war in der kriminologischen und juristischen Praxis das Konzept des Zusammenhangs von Gewalt und männlicher Sexualität grundsätzlich weithin anerkannt. So definierte Erich Wulffen den Lustmord als Tötungshandlung, bei der das Motiv die „Betätigung eines entar-

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Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Prof. Hübner, 26.3.1931, HStA Düsseldorf, 17/730, Bll. 69, 241. Die Hysterie galt in der Fachwelt als die typische weibliche psychische Erkrankung. Kürten wurde auf diese Weise nicht nur als Psychopath pathologisiert, sondern gleichzeitig verweiblicht. Zur Geschichte der Hysterie als weiblich konnotierte Krankheit siehe die Ausführungen in Kapitel 3. Berg 2004, S. 158-159. Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen den Arbeiter Peter Kürten, Prof. N. Sioli, 14.11.1930, HStA Düsseldorf, 17/728, Bl. 264. Siehe auch: Sioli 1931, S. 25. Besonders ausführlich dazu: Berg 2004, S. 159-165 sowie Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Prof. Hübner, 26.3.1931, HStA Düsseldorf, 17/730, Bll. 229-236. Schultze 1922, S. 26 (Hervorhebung EB). Hier hatte Schultze in erster Linie die Homosexualität im Blick. Er ergänzte diese Auflistung noch um die juristische Perspektive, aus der seiner Ansicht nach auch noch „Vagabunden, Bummler und Landstreicher, Prostituierte und Zuhälter, gewohnheitsmäßige Sittlichkeits-, Eigentums- und Roheitsverbrecher“ gehörten (ebd.).

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teten Geschlechttriebes darstellt.“89 Dabei ging er wie auch die medizinisch-psychiatrischen Experten von einer inhärenten Gewaltsamkeit männlicher Sexualität aus, die in sadistischen Akten besonders deutlich hervortreten könne. Beim Lustmord könne, so Wulffen, der „physiologische und psychologische Vorgang [...] fast genau derselbe sein“ wie beim freiwilligen Geschlechtsverkehr: „Die bloße Koitushandlung mit der ihr physiologisch inneliegenden Gewaltsamkeit und Wollust kann in dem Täter die sadistischen Gefühle auslösen und ihn zur Tötung des Opfers führen.“90 Wulffen sprach damit gleichzeitig auch eine Warnung aus: Wenn auch der sogenannte normale Geschlechtsakt sadistische Impulse auszulösen vermochte, dann konnte sich in jedem Mann ein Sadist verbergen, dessen Neigung zur Gewalt jederzeit zum Ausbruch kommen konnte. Umso bedeutsamer war daher die Aufrechterhaltung der männlich-weißen Selbstkontrolle. Wulffen ging dabei in Übereinstimmung mit medizinischen und kriminologischen Darstellungen davon aus, dass diese Neigung zur Grausamkeit das physiologische Erbe vorangegangener evolutionärer Entwicklungsstufen sei. Hier begegnen wir der uns bekannten Argumentationsfigur des Zusammenhangs von Zivilisation und evolutionärer Entwicklung wieder: „Die Zivilisation hat die Grausamkeit des Kulturmenschen gemildert, gebändigt. Naturvölker zeigen uns noch heute die Ursprünglichkeit der Grausamkeit.“91 Folglich, so Wulffen, handele es sich aus juristischer Perspektive daher bei einem Lustmord streng genommen nicht um Mord, sondern um Totschlag, denn der „Lustmörder führ[e] nämlich die Tötungshandlung meist in einem mehr oder minder hochgradigen Affekt aus, der sogar pathologisch werden kann“ und „dieser Affekt steht in direktem Gegensatze zu der ‚Überlegung‘“, welche den Mord im RStGB qualifiziere.92 Demgegenüber beurteilten die psychiatrischen Gutachter im Fall Kürten die Frage nach der möglichen Intentionalität und damit letztlich auch der Zurechnungsfähigkeit der sogenannten Lustmörder ganz anders: Alle drei kamen zu dem Schluss, dass Kürten zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen sei und für sein Handeln verantwortlich gemacht werden könne.93 89 90 91

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Wulffen 1928, S. 454. Ebd., S. 458. Ebd., S. 306. Wie die Wilden seien auch Kinder, welche die naturhafte, präzivilisatorische „Grausamkeit offen an den Tag“ legten: „Das Kind, welches mit Recht in gewisser Beziehung mit dem wilden Menschen verglichen wird, legt die Grausamkeit offen an den Tag.“ (Ebd.) Siehe: Ebd., S. 454-455, Zitat S. 454. Leider seien die juristischen Kenntnisse der psychiatrischen Gutachter häufig nicht ausreichend, um diesen Unterschied zu erkennen, und so würden diese Täter zu Unrecht als Mörder verurteilt. Siehe: Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen den Arbeiter Peter Kürten, Prof. N. Sioli, 14.11.1930, HStA Düsseldorf, 17/728, Bl. 279; Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Prof. Hübner, 26.3.1931, HStA Düsseldorf, 17/730, Bl. 292; Ärztliches Gutachten in der

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Arthur Hübner wandte sich sogar explizit gegen die Interpretation von Kürtens Taten als Totschlag. Sadisten, so seine Argumentation, seien sich sehr wohl darüber im Klaren, dass sie allein durch die Anwendung von Gewalt und das Quälen eines Opfers zur sexuellen Befriedigung kämen. Sie führten ihre Verbrechen daher sehr wohl mit Überlegung und planvoll durch.94 Die Begründung, die alle drei Sachverständigen für ihre Entscheidung lieferten, nahm den in der Fachliteratur von Krafft-Ebing bis Wulffen etablierten Zusammenhang von männlichem Begehren und Aggressivität als gegeben an und argumentierte mit der daraus abgeleiteten Verantwortlichkeit des Mannes zur Triebkontrolle. Selbst Sioli, der innerhalb dieser Gutachtergruppe den deterministischen erbbiologischen Ansatz vertrat, propagierte an dieser Stelle die Verantwortlichkeit des Einzelnen. Er betonte ausdrücklich, „dass das Vorhandensein von Erbeigenschaften krimineller und der oben genannten psychopathischen Art nicht die Verantwortlichkeit für deren Entwicklung in geistig vollwertige Individuen aufheb[e]“ und dass der so entstandene „geistig Vollwertige die Verantwortung für das trägt, was er mit seinem Erbgut macht.“95 Mit Verweis auf die männliche Verpflichtung zur Selbstkontrolle postulierte Sioli weiterhin, „dass der pervertierte Geschlechtstrieb, auch wenn er – sei es als Geschlechtstrieb, sei es als Perversion – noch so mächtig ist, keine geistige Änderung bedeutet, welche die freie Willensbestimmung aufhebt oder stört für Taten zum Schaden Anderer.“96 Dies war eine Position, wie sie im Übrigen sowohl in der psychiatrischen Fachliteratur als auch von anderen Gutachtern in anderen Lustmordprozessen vertreten wurde. Albert von Schrenck-Notzing beispielsweise brachte es folgendermaßen auf den Punkt: „auch der normale Mensch ist durch abnorme Stärke seines Triebes allein nicht genötigt, auf illegalem Wege Befriedigung zu suchen.“97 So habe beispielsweise der Homosexuelle stets die Wahl der „Form der ihm adäquaten geschlechtlichen Befriedi-

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Strafsache gegen Peter Kürten, Dr. M. Raether, 2.1.1931, HStA Düsseldorf, 17/731, Bl. 269. Siehe: Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Prof. Hübner, 26.3.1931, HStA Düsseldorf, 17/730, Bll. 231-232. Im Folgenden verwies Hübner auf Großmann als exemplarischen Fall des lustmordenden Sadisten. Dies ist eines der vielen Beispiele für die Interreferentialität des Diskurses über diese Tätergruppe. In diesem Sinne auch: Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen den Arbeiter Peter Kürten, Prof. N. Sioli, 14.11.1930, HStA Düsseldorf, 17/728, Bl. 265-266; Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Dr. M. Raether, 2.1.1931, HStA Düsseldorf, 17/731, Bll. 263-264. Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen den Arbeiter Peter Kürten, Prof. N. Sioli, 14.11.1930, HStA Düsseldorf, 17/728, Bl. 269. Ebd., Bl. 265. Schrenck-Notzing 1902, S. 15. Es handelt sich hier um eine überarbeitete Fassung des in der AfK 1898 bereits veröffentlichten Aufsatzes gleichen Titels (Schrenck-Notzing 1898).

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gung.“ Er könne sich jederzeit gegen die beischlafähnlichen Handlungen und für die straffreie gegenseitige Onanie entscheiden.98 Denn grundsätzlich könne „die menschliche Gesellschaft die Beherrschung eines endogen perversen Triebes ebenso verlangen, wie sie die Beherrschung des endogen allosexuellen Triebes verlang[e]“.99 Ganz dieser Einschätzung entsprechend attestierte Ernst Schulze der Hauptgutachter im Fall Fritz Haarmann dem Angeklagten in seinem Gutachten volle Zurechnungsfähigkeit. Da dieser gewusst habe, dass er eine (Lebens-)Gefahr für junge Männer darstelle, hätte er die moralische Verpflichtung gehabt, sich von diesen fern zu halten. Da er dies unterließ, habe er implizit und bei vollem Bewusstsein die strafrechtlich relevante Entscheidung getroffen, sich auf illegale und für die jungen Männer möglicherweise tödliche Weise sexuelle Befriedigung zu verschaffen.100 Wie oben zu sehen war, hatte Schultze in seinen Publikationen noch für die Unzurechnungsfähigkeit oder zumindest eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit von sogenannten Psychopathen und Menschen homosexuellerOrientierung plädiert. Davon konnte hier keine Rede mehr sein. Stattdessen betonte er die Bedeutung der Triebkontrolle und die Verantwortlichkeit des Einzelnen, diese auch durchzuhalten. Auch Großmann wurde angesichts einer ausgeprägten „außerordentliche[n] Affekterregbarkeit“, die besonders unter Alkoholeinfluss zu Tage trete, mangelnde Selbstkontrolle vorgeworfen. „Es kam ständig sein überaus gewaltsames, impulsives und rohes Temperament zum Durchbruch.“101 Sowohl im Falle Peter Kürtens als auch in dem Fritz Haarmanns übernahm das Gericht die Einschätzungen der Gutachter. Beide wurden für schuldig erklärt und zum Tode verurteilt. In beiden Urteilsbegründung wurde ganz explizit unter Berufung auf die psychiatrischen Experten festgestellt, dass weder wie im Falle Haarmanns die „sexuelle Erregung“ noch wie bei Kürten der „sadistische Trieb“ eine Unzurechnungsfähigkeit im Sinne des §51 StGB darstelle.102 Damit wurde die Frage nach einer möglichen Einschränkung der freien Willensbestimmung durch den Sexualtrieb mit einem klaren Nein beantwortet. Egal auf welches Objekt sich das Begehren richte und unabhängig von möglicherweise vorhandenen psychopathischen degenerativen Erban98 99

Ebd., S. 15. Ebd., S. 10 (HiO). „Also der Umstand allein, daß jemand sexuell pervers ist, macht ihn noch nicht straffrei.“ (ebd., HiO) 100 Siehe: Gutachten Ernst Schultze über Friedrich Haarmann, 1.10.1924, NHStA Hann. 155, Göttingen Nr. 864a, Bll. 106-130, hier Bll. 115-116. 101 Kronfeld 1922, S. 143 (HiO) sowie 144, 146. 102 Urteil und Urteilsbegründung im Prozess gegen Peter Kürten, 22.4.1931, HStA Düsseldorf, 17/543, Bll. 144-148, 155-160, Zitat Bl. 158; Urteil und Urteilsbegründung im Prozeß gegen Friedrich Haarmann und Hans Grans, 19.12.1924, NHStA Hann. 173 Acc. 30/87, Nr. 80, Bll. 107-155, hier Bl. 127. Beide Urteile wurden vollstreckt: das gegen Kürten am 2. Juli 1931 in Köln, Haarmann wurde am 16. April 1925 in Hannover hingerichtet.

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lagen, war man(n) verantwortlich für das eigene Handeln. Sexuelles Begehren, und sei es noch so intensiv, galt in keinem Fall als geeignet, den freien Willen außer Kraft zu setzen. Gleichzeitig gingen sowohl juristische, kriminologische als auch psychiatrische Experten davon aus, dass dieses Begehren notwendig mit Gewalt verknüpft war. Der männliche Körper galt ihnen als Ort dunkler, atavistischer und im Zweifel kannibalischer Instinkte, der durch ein straffes Regime der steten Selbstdisziplinierung kontrolliert werden müsse. Dass diese Kontrolle auch von Straftätern verlangt wurde, deren Willenskraft aufgrund einer psychopathischen Veranlagung als herabgesetzt angesehen werden musste, macht deutlich, welch zentrale Rolle diese für die Konstruktion weißer Männlichkeit im Deutschland der Weimarer Republik spielte. In seiner Studie Trials of Masculinity postuliert Angus McLaren, die Auseinandersetzung um die sadistischen Lustmörder habe nicht nur eine männliche Alterität hergestellt, sondern gleichzeitig unter der Hand auch dasjenige Maß an Gewalttätigkeit definiert, das ein Mann legitim ausüben durfte.103 Was also, um die bereits gestellte Frage aufzunehmen, war aus Sicht der psychiatrischen Experten angesichts der natürlichen Aggressivität männlichen Begehrens eine abnormal gewalttätige männliche Sexualität? Anders als bei der Frage nach der Zurechnungsfähigkeit ist hier eine eindeutige Antwort schwer auszumachen. Wie wir gesehen haben, argumentierten die psychiatrischen Experten in den Prozessen gegen die mutmaßlichen Lustmörder auf der Grundlage der in der Fachliteratur als selbstverständlich angenommenen Verbindung von männlichem Begehren und Gewalt. Die in Frage stehenden Angeklagten wurden in den Gutachten klar als Abweichungen markiert. Sie wurden als krankhafte, perverse Psychopathen bezeichnet: „Alle Uebergangsstufen finden sich hier von der mehr oder minder schweren angeborenen und ererbten Belastung zu der ausgebildeten Psychopathie“.104 Gleichzeitig jedoch wurde ihre Unzurechnungsfähigkeit verneint mit dem Argument, sie hätten wie jeder normale Mann auch die Möglichkeit gehabt, sich gegen die Ausübung ihrer Perversion zu entscheiden. Letztlich wurden Kürten und Haarmann damit verurteilt, weil sie bei der zentralen männlichen Eigenschaft versagt hatten: der Selbstkontrolle.

5 . 3 F e h l e n d e M a n ne s z u c h t u n d z ü g e l l o s e Bestialität: Kannibalen im Rheinland? Wir bereits zu Beginn dieses Kapitels angemerkt, waren die Lustmörder nicht die einzigen Personen männlichen Geschlechts, denen in der Zeit der Weimarer Republik mangelnde Willenskraft und fehlende Kontrolle ihrer 103 McLaren 1997, S. 9. 104 Eulenburg 1902, S. 8.

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triebhaften Natur unterstellt wurde. Die Anfangsphase der Republik war gekennzeichnet durch eine Diffamierungskampagne gegen die Tirailleurs Sénégalais, welche, von wenigen Ausnahmen auf Seiten der USPD und ihrer Anhänger und Anhängerinnen abgesehen, von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen wurde. Dabei sprachen sich nicht nur Politiker und Politikerinnen gegen den Einsatz afro-französischer Soldaten bei der Besetzung des Rheinlandes aus, sondern auch die Vertretungen gesellschaftlicher Organisationen wie etwa die der Kirchen. So verabschiedete der Deutsche Evangelische Kirchenbund auf seiner Tagung vom 23.-24. Juni 1920 eine Resolution, gerichtet „an das christliche Gemeingefühl in allen Ländern christlicher Gesittung, insbesondere an die glaubensverwandten Kirchengemeinschaften“, die sich gegen die „schwarze Schmach in den von Frankreich besetzten deutschen Gebieten“ wandte, die exemplarisch für die damals geäußerten Vorwürfe angesehen werden kann. Beschrieben wurde die Situation hilfloser Frauen und Kinder, die in einem von Kriegsnachwirkungen geschüttelten Deutschland zu allem Überfluss auch noch sexuellen Übergriffen ausgesetzt seien. In der Folge würde die Reinheit der weißen Frauen durch die ungezügelten Triebe der afrikanischen Männer beschmutzt. Wörtlich hieß es in dem verabschiedeten Text: „Von Hunger und Armut bedrückt, in seiner Selbsthilfe beschränkt, muß unser Volk es mit Grauen ansehen, wie seine Frauen und Kinder, Mädchen und Knaben geschändet und mißhandelt werden. Keine militärische Manneszucht, wie sie auch gehandhabt werden mag, ist imstande, die wilden Instinkte dieser seit Jahren ihrer Heimat entrissenen und von Haus aus christlicher Erziehung entbehrenden, nach Zehntausenden zählenden Leute in Schranken zu halten. Himmelschreiende Schmach wird unsern Volksgenossen angetan. Reine Frauen und unschuldige Kinder werden an Leib und Seele verseucht, Schwache werden zu Fall gebracht. Mund und Feder sträuben sich, die Greuel zu schildern, die alle Kriegsschrecken übertreffen.“105

Wie bereits angeklungen, wurde vor dieser gleichermaßen als moralische sexuelle und ‚rassische‘ angesehene Gefahr unter dem Schlagwort der ‚Schwarzen Schmach‘ oder auch der ‚Schwarzen Schande‘ gewarnt. Wie Christian Koller herausgearbeitet hat, verbarg sich hinter dieser Wortschöpfung ein doppelter Verweiszusammenhang. Einerseits wurde damit die „Schande für Frankreich“ bezeichnet, das als weiße Kolonial- und Besatzungsmacht für die Verursachung einer „‚Rassenschande‘“ in der Größenordnung des gesamten deutschen Volkskörpers verantwortlich gemacht wurde. Andererseits verwies der Begriff auf die Schande, die der gesamten deutsche Nation angetan würde, deren Männer angeblich hilflos hätten

105 „Die Kirche und die schwarze Schmach“, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, 26.6.1920 (Morgenausgabe), S. 2 (HiO).

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mitansehen müssen, wie ihre Frauen von afrikanischen Männern vergewaltigt wurden.106

Schwarze Schmach und weiße Männlichkeit: Aspekte der Debatte um die afro-französischen Kolonialtruppen Eine ganze Reihe von Forschungsarbeiten hat sich der Aufarbeitung der Auseinandersetzungen um diese afrikanischen Soldaten und die darin geäußerten Rassismen gewidmet, ferner der Rekonstruktion des Schicksals der aus den sexuellen Verbindungen zwischen den afrikanischen Truppenteilen und weißen Deutschen hervorgegangenen Kindern sowie der Instrumentalisierung der in der damaligen deutschen Bevölkerung verbreiteten Angst vor einer ‚Rassenmischung‘ in der frühen nationalsozialistischen Propaganda. Zu nennen sind hier vor allem die wegweisenden Arbeiten aus den 1970er und 80er Jahren von Robert C. Reinders, Keith Nelson, Reiner Pommerin, Sally Marks und Gisela Lebzelter sowie die im Kontext des zunehmenden Interesses an der deutschen Kolonialgeschichte und der Geschichte der Afro-Deutschen entstandenen neueren Arbeiten von Fatima El-Tayeb, Christian Koller, Jean-Yves Le Naour, Sandra Maß, Tina Campt und Iris Wigger.107 Ausgehend von den Ergebnissen dieser Forschungsarbeiten können mit Blick auf die uns hier vorliegende Frage nach den Konnexionen zwischen kannibalischer Alterität und weißer Männlichkeit die folgenden Aspekte festgehalten werden: Die westafrikanischen Truppen Frankreichs waren, wie Campt betont, „the first large-scale Black presence in Germany“.108 Kontakte zwischen Deutschen und Afrikanerinnen und Afrikanern hatten sich bin dahin auf Besuche von Völkerschauen oder von Jahrmärkten beschränkt oder auf die Bekanntschaft mit einzelnen Migranten und Migrantinnen, die wiederum hauptsächlich in Metropolen wie Berlin oder Hamburg lebten. Nur wenige Deutsche waren selbst in den Kolonien gewesen und hatten so eigene Erfahrungen im Zusammenleben mit Menschen afrikanischer Herkunft ge-

106 Koller 2001b, S. 158. Siehe dazu auch: Wigger 2007, S. 160-167. Gleichzeitig wurde damit der Topos von der „schwarzen Gefahr“, der ebenso wie der von der „slawischen Gefahr“, welcher zu Kriegszeiten als Feindbild zur Mobilisierung eingesetzt worden war, aufgerufen (siehe: Grosse 2000, S. 204-205). Zur Reaktion auf die Diffamierungskampagne auf Seiten der französischen Regierung und des Militärs siehe: Lüsebrink 1989, S. 62-68. 107 Im Einzelnen handelt es sich dabei um: Reinders 1968; Nelson 1970; Pommerin 1979; Marks 1983; Lebzelter 1985; El-Tayeb 2001 (auch: ElTayeb 2005); Koller 2001a (auch: Koller 2001b; Koller 2004); Le Naour 2003; Campt 2004; Maß 2006 (auch: Maß 2001; Maß 2005) und Wigger 2007. Des Weiteren ist auch auf die Aufsätze Lüsebrink 1989; Martin 1996; Schüler 1996; Campt/Grosse et al. 1998 zu verweisen. 108 Campt 2004, S. 35.

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macht.109 Wir können davon ausgehen, dass die meisten Deutschen Afrikaner und Afrikanerinnen nur aus den stereotypen Darstellungen des Kolonialdiskurses, die wir im dritten Kapitel bereits kennen gelernt haben und die zwischen dem servilen treuen Diener und dem wilden Kannibalen oszillierten, kannten. Des Weiteren waren die Senegalschützen zweifacher Hinsicht in der Publizistik überrepräsentiert. Auch wenn die Rekonstruktion der genauen Zahl der im Ersten Weltkrieg auf europäischem Territorium eingesetzten Kolonialtruppen überaus schwierig ist, so kann jedoch als sicher gelten, dass sie keineswegs die Mehrheit unter den in Europa während der Besatzung eingesetzten Truppen darstellt. Koller geht von insgesamt 600.000 nicht-weißen Soldaten auf Seiten der Ententemächte aus, davon 270.000 Maghrebiner, 153.000 Inder und 134.000 Westafrikaner.110 Damit hätten die Letzteren einen Anteil von knapp 22 Prozent unter den nichteuropäischen Truppen gestellt. Noch komplizierter ist es, die Anzahl der in der französischen Besatzungszone stationierten Kolonialtruppen und deren genaue Zusammensetzung nach Herkunftsgebiet exakt zu bestimmen. Maß geht von etwa 25.000 Mann aus, wovon die überwiegende Mehrheit aus Marokko und Algerien, 5.000 bis 7.500 aus Westafrika, namentlich Senegal und Madagaskar, einige Hundert aus Annam und Tonkin stammte.111 Koller, Pommerin und Lebzelter hingegen sprechen von 30.000 bis 40.000 afrikanischen Kolonialsoldaten, die mehrheitlich nicht aus dem Senegal oder West- sondern aus Nordafrika kamen.112 Dabei gilt es zu berücksichtigen, darin sind sich alle Autorinnen und Autoren einig, dass die aus Westafrika stammenden Truppen einerseits aus gesundheitlichen Gründen im Winter nach Südfrankreich verlegt wurden, so dass die Zahl der afrofranzösischen Truppen zusätzlich saisonal schwankte, und dass sie andererseits ab Sommer 1920 teilweise an andere Einsatzorte verlegt wurden, namentlich Syrien und Marokko.113 Die Berichterstattung über die Kolonialtruppen konzentrierte sich trotz ihrer vergleichsweise geringen Zahl auf die westafrikanischen Soldaten. Gleichzeitig erweist es sich als überaus schwierig, den Wahrheitsgehalt der in den Pamphleten und Broschüren gegen die ‚Schwarze Schmach‘ erhobenen Anschuldigungen zu überprüfen. Wie Sandra Maß und Christian Koller eindrücklich dargelegt haben, geben englische, französische und deutsche Quellen sehr unterschiedlich 109 Siehe: Campt 2004, S. 35. Zur Geschichte afrikanischer Migranten und Migrantinnen in Hamburg bzw. Berlin siehe: Westermann 1999 sowie van der Heyden/Zeller (Hg.) 2002. Zum Thema Völkerschauen und Zurschaustellung von Afrikanern und Afrikanerinnen siehe Kapitel 3. 110 Siehe: Koller 2001b, S. 150. 111 Maß 2001, S. 23; Maß 2006, S. 80. 112 Dazu siehe: Koller 2001a, S. 202; Pommerin 1979, S. 11-12; Marks 1983, S. 299; Lebzelter 1985, S. 37. Nelson spricht sogar von 45.000 Soldaten jeweils in den Sommern der Jahre 1920 und 1921 (siehe: Nelson 1970, S. 610-611). 113 Siehe: Maß 2006, S. 80; Koller 2001a, S. 202.

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Auskunft zu diesem Thema. Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass lokale Berichte ein sehr viel harmloseres Bild von der Situation zeichneten als überregionale veröffentlichte Darstellungen.114 Darüber hinaus war die Thematisierung des Einsatzes auf den Zeitraum zwischen 1919 und 1923 beschränkt, den Abschnitt der Besetzung des linksrheinischen Rheinlandes vor der Ruhrbesetzung im Januar 1923, obwohl sich bis 1930 nicht-weiße Soldaten auf deutschem Territorium aufhielten.115 In diesem kurzen Zeitraum allerdings, beginnend mit einem Artikel über einen Zwischenfall in Frankfurt, wo marokkanische Soldaten in einer missverständlichen Situation in die Menge gefeuert hatten, avancierte die Berichterstattung über die afrikanischen Truppen zu einem „Dauerbrenner“ in der deutschen Presselandschaft und wurde sogar in der Verfassungsgebenden Nationalversammlung diskutiert.116 Zudem muss die Auseinandersetzung um die Senegalschützen im Kontext der vorangegangenen Debatte um den Einsatz von Kolonialtruppen durch die Ententemächte Großbritannien und Frankreich auf dem europäischen Kriegsschauplatz betrachtet werden. Ihr Einsatz wurde sowohl innerhalb der Nationen, in deren Armeen die Kolonialtruppen dienten, kontrovers diskutiert als auch von deutscher Seite aus stark kritisiert.117 Einer der Hauptkritikpunkte aus deutscher Perspektive war dabei die Übertragung des Kolonialkrieges und seiner Praktiken auf europäischen Boden, was auch mit Verweis auf völkerrechtliche Konventionen begründet wurde: Die Kolonialtruppen hielten sich aufgrund ihres ‚niedrigen‘ Zivilisationsstandes nicht an die Abkommen der Kulturnationen wie die Genfer Konvention (1864 beziehungsweise 1907), die Vereinbarungen der Haagener Friedenskonferenzen (1899 und 1907) sowie der dort vereinbarten Landkriegsordnungen. Die afrikanischen Soldaten dienten damit als Versinnbildlichung der Unmenschlichkeit und Brutalität des Ersten Weltkrieges.118 Der zweite Hauptkritikpunkt war, dass die Ententemächte die bislang innerhalb der weißen Kolonialmächte hochgehaltene Solidarität gegenüber den Kolonialisierten unterliefen. Sie den deutschen Kolonialherren als Gegner gegenüber zu stellen, hieß die bislang im Kolonialdiskurs hoch gehaltene Unverletzbarkeit des weißen männlichen Körpers aufzuheben und die grundsätzliche, angebliche ‚rassisch‘ bedingte Überlegenheit des Europäers in Frage zu stellen.119

114 Siehe dazu: Koller 2001a, S. 203, 249-261; Maß 2006, S. 105-120. Vgl. dazu auch Mark 1983, S. 302-303, 305-309. 115 Siehe: Koller 2001b, S. 150. 116 Koller 2001a, S. 207-220, Zitat S. 208; Lebzelter 1985, S. 38-42. 117 Ausführlich zur Debatte in Großbritannien und Frankreich siehe: Koller 2001a, S. 135-151 sowie S. 152-173. 118 Siehe: Koller 2001a, S. 114-116 sowie Maß 2001, S. 20-23; Grosse 2000, S. 204. 119 Siehe: Koller 2001a, S. 116-123; Maß 2001, S. 26.

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Die Berichterstattung in der deutschen Presse sowie die Verbreitung von einschlägigen Propagandabroschüren durch das Auswärtige Amt setzten mit Beginn des Einsatzes der Kolonialtruppen der Alliierten im Herbst 1914 ein.120 Im Mittelpunkt dieser Beschreibungen standen die von den afro-französischen Truppen angeblich verübten Gräueltaten, die benutzt wurden, um die kolonialrassistische und völkerrechtliche Kritik zu untermauern.121 Dabei sind zwischen staatlichem Propagandamaterial und Presseberichten einige inhaltliche Unterschiede festzustellen. Repräsentativ für Duktus und Inhalt der staatlichen Propaganda waren Sammlungen von angeblichen Augenzeugen- und Augenzeuginnenberichten über das Verhalten der von den Entente-Mächten eingesetzten nichteuropäischen Truppen. Hier wurde von abscheulichen Gewalttaten berichtet, welche die Kolonialtruppen begangen haben sollten: vom Ausstechen der Augen und dem Abschneiden von Ohren, Nasen oder Köpfen bei deutschen Gefangenen oder Verwundeten und der Vergewaltigung derjenigen Frauen, die als in Frankreich lebende Deutsche zu Beginn des Krieges interniert worden waren. Des Weiteren wurden Gerüchte über die Verschleppung dieser Frauen in die Zwangsprostitution in Algerien wiedergegeben sowie der Vorwurf erhoben, deutsche Gefangene seien von französischen Offizieren absichtlich den „Senegalnegern übergeben“ worden, wohl wissend um ihren „Blutdurst“. Wer den Transport nicht überlebte, sei von ihnen „erstochen oder erschlagen, vielleicht auch gefressen“ worden.122 Auch Gerüchte über die ‚widernatürliche Unzucht‘ (Homosexualität) besonders der algerischen Truppen wurden kolportiert. Im Propagandamaterial des Auswärtigen Amtes wurden Afrikaner als Tiere oder Halbmenschen diffamiert sowie als kollektive, namen- und ehrlose Fluten beziehungsweise Horden beschrieben.123 Die sexuellen Übergriffe wurden oft zurückgeführt auf die allgemeine ‚rassisch‘ weniger entwickelte Fähigkeit zur Triebkontrolle, den starken Geschlechtstrieb der Afrikaner und die erzwungene „lange sexuelle Abstinenz“ während des Krieges.124 Gleichzeitig gingen Militärs und auch Intellektuelle mehrheitlich von der ‚natürlichen‘ Überlegenheit des disziplinierten Weißen gegenüber den unzivilisierten und barbarischen Kolonialtruppen aus.125 Diese Einschät-

120 Siehe: Koller 2001a, S. 104, 103-134. 121 Siehe: Ebd., S. 114-124. 122 Siehe: Auswärtiges Amt 1915, S. 35, 36-37, 44-45 und 7, 8,12, 15, 22, 42, 48-49 sowie 51-52, Zitat S. 20. 123 Siehe: Koller 2001a, S. 119-124. 124 Koller 2001b, S. 156. 125 Siehe: Koller 2001a, S. 108-109. Koller verweist hier auf die für diese Haltung typische Einschätzung Max Webers, der davon ausging, dass es „eine der Grundlehren dieses Krieges [sei], dass die zivilisierten Heere den Barbarenheeren überlegen sind“ (Max Weber, „An der Schwelle des dritten Kriegsjahres“ [Rede am 1. August 1916 in Nürnberg], in: ders., Zur Politik im Weltkrieg: Schriften und Reden 1914-1918. Hg. Wolfgang J. Mommsen

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zung stand, wie wir mit Blick auf die im dritten Kapitel durchgeführte Analyse feststellen können, ganz in der Tradition des deutschen Kolonialdiskurses. Ähnlich wie den weißen Reisenden in Friedrich Wilhelm Maders Ophir sollten Ausbildung, Disziplin und planhaftes Vorgehen den weißen deutschen Soldaten ganz selbstverständlich zum Sieg verhelfen. In der Presse hingegen wurde über die Kolonialtruppen zunächst als Kuriosa berichtet. Erst im Laufe des Herbstes des Jahres 1914 können wir eine zunehmende Rassifizierung in der Berichterstattung beobachten, die im Gegensatz zu offiziellen Stellungnahmen sogar den Kannibalismusvorwurf mit einschloss.126 Ein charakteristisches Beispiel für diese von Koller beschriebene Diffamierung der westafrikanischen Soldaten als Menschenfresser ist die in der Ausgabe des Simplizissimus vom 4. Mai 1915 veröffentlichte Karikatur „Frankreichs Kulturpioniere“, in der die Kolonialsoldaten behaupteten, ihre Gefangenen gefressen zu haben (siehe: Anhang Abb. 9.9) sowie die Fotografie eines afrikanischen Mannes, die mit „Sudanneger, Kannibale, als französischer Soldat“ untertitelt war (siehe: Anhang Abb. 9.10). Auf diesem Bild sind deutlich die Gesichtsschmucknarben zu erkennen, die zusammen mit der angeblichen Herkunft den seit Schweinfurths Reisebericht zirkulierenden Diskurs von den prototypischen wilden Kannibalen, den Azande, aufgriffen. Dabei war von französischer Seite mit Absicht auf den Einsatz von afrikanischen Kolonialtruppen aus Zentralund Äquatorialafrika verzichtet worden, da diese als zu unzivilisiert für den Militärdienst und als Kannibalen galten.127 Die ‚Rassifizierung‘ und Sexualisierung der afro-französischen Truppen setzte sich in der Propaganda und den Presseberichten zwischen 1919 und 1923 fort, wobei hier zwischen einem regierungsnahen mainstreamDiskurs einerseits und einem Diskurs, der in den Pamphleten und Veröffentlichungen der völkischen Rechten und der Nationalsozialisten geführt wurde, andererseits unterschieden werden muss. Anders als zu Kriegszeiten veröffentlichten deutsche Regierungsstellen keine eigenen Publikationen, welche die kolonialen Truppen thematisierten. Stattdessen arbeiteten das Auswärtige Amt und das Reichsministerium des Innern eng mit politischen Interessenverbänden wie beispielsweise der Rheinischen Frauenliga (RFL) zusammen.128 In diesen Publikationen kann eine Fortsetzung der (= Max Weber Gesamtausgabe, Abt. I, Bd. 15), Tübingen: Mohr, 1984, S. 648-689, hier S. 667, zit.n.: Koller 2001a, S. 108). 126 Siehe: Koller 2001a, S. 123. Felix Boehm berichtete 1930 in einem Vortrag von dem Gerücht, deutsche Soldaten hätten im Ersten Weltkrieg in den Feldküchen Menschenfleisch, bevorzugt die „Frauenbrüste ihrer Feinde“, zubereitet und verzehrt. (Siehe: Boehm 1932, S. 188). Zur damaligen Debatte um die von deutschen Soldaten begangenen Gräueltaten und ihre historiographische Bewertung heute siehe die Beiträge in: Horne/Kramer (Hg.) 2004. 127 Siehe: Koller 2001a, S. 91. 128 Siehe: Koller 2001b, S. 155 sowie Koller 2001a, S. 220-230.

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kolonialrassistischen und völkerrechtlichen Kritik, die bereits zu Kriegszeiten geäußert worden war, festgestellt werden. Die hier vertretenen Positionen wurden von vielen anderen Organisationen der bürgerlichen Mitte geteilt. Hier ist beispielsweise die oben zitierte Resolution des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes zu verorten. Einschlägige visuelle Beispiele für diesen Diskurs sind das Propagandaplakat „Jumbo, der Menschenfresser“ von 1920, das einen riesenhaften nackten afrikanischen Soldaten zeigte, der sich ganze Hände voll weißer Frauen an den Unterleib presste (siehe: Anhang Abb. 9.11) sowie der vom Bayrischen Hauptmünzamt 1920 ausgegebene „Ruhrtaler“, der in pornographischer Manier eine weiße Frau, die an einen behelmten, baumlangen Penis gefesselt war, darstellte (siehe: Anhang Abb. 9.12).129 Adressatin dieser Publikationen und Resolutionen war nicht so sehr die deutsche, sondern in erster Linie die US-amerikanische und britische Öffentlichkeit sowie die der neutralen europäischen Staaten, an deren Mitgefühl und ‚rassische‘ Solidarität appelliert wurde. Das Ziel war ein dezidiert außenpolitisches: eine Solidarisierung der genannten Nationen mit Deutschland gegen Frankreich zu erreichen.130 Besonders deutlich tritt diese Strategie in den Publikationen der Rheinischen Frauenliga zu Tage, auf die ich im Folgenden noch ausführlicher zu sprechen kommen werde. So hieß es im Vorwort zu einer von der Liga herausgegebenen Sammlung von Zeuginnen- und Zeugenaussagen mit dem Titel Farbige Franzosen am Rhein. Ein Notschrei deutscher Frauen, welche die Gräueltaten der Kolonialtruppen belegen sollten, es gehe nicht nur um individuelle Schicksale, sondern um „die Schändung der weißen Frau als solcher“.131 Leser und Leserinnen wurden aufgefordert, sich als Weiße mit dem vorgetragenen Leid, das Frauen ihrer ‚Rasse‘ angetan worden sei, zu identifizieren: „Schmerzvoll verhüllen wir unser Haupt und schreiten Euch allen, Euch Frauen und Männern weißer Rasse voran. Gehet mit uns im Geiste unsere Leidensstraße, an der als Denkmäler ewiger Schande für uns und Euch die Erinnerungsbilder der Verbrechen stehen, welche afrikanische Wilde als Vertreter einer europäischen Nation an den weißen Frauen am Rhein verübt haben.“132

Ganz anders die Veröffentlichungen der gemäßigten bis extremen völkischen Rechten. Diese richteten sich vor allem an ein innerdeutsches Publikum, suchten eine innerdeutsche weiße Volksgemeinschaft herzustellen und nutzten die Debatte zur antirepublikanischen Propaganda und zur Diffamierung der SPD. In diesem Sinne waren sie Teil einer für konservativnationalistische Kreise charakteristischen „‚Flucht in den Mythos‘“.133 129 130 131 132 133

Siehe dazu: Koller 2001b, S. 155. Siehe: Ebd., S. 150; Wigger 2007, S. 117-118. Rheinische Frauenliga (Hg.) 1920, S. 3. Ebd., S. 4. Koller 2001a, S. 229.

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Während mainstream-Publikationen afrikanische Männer bereits rassistisch diffamierten, so wurden die afro-französischen Truppen in den Publikationen der Rechtsopposition auf extreme Art und Weise bestialisiert. Sie wurden als Vampire beschrieben, als „farbige Sadisten“, „schwarze[n] Bestien“ oder auch als „Tiere[n] in Menschengestalt“ bezeichnet, die ihre Opfer angeblich zerfleischten, zerrissen oder zerbissen.134 Die Beschreibungen ihrer Handlungen trugen damit alle Elemente der oben rekonstruierten Lustmordsignatur: die Verbindung von triebhafter, ungezügelter Sexualität und Kannibalismus. Viele Forschungsarbeiten zur Geschichte der Debatten um die ‚Schwarze Schmach‘ haben auf die Bestialisierung und Sexualisierung der afro-französischen Soldaten hingewiesen.135 Allerdings haben die Ähnlichkeiten zu den in der medizinisch-psychiatrischen Forschung und der Presse der Weimarer Republik diskutierten und ihrerseits rassifizierten Lustmördern in der Literatur wenig Beachtung gefunden. Als ein eindrückliches Beispiel dafür, wie die Beschreibungen der angeblichen Taten der Senegalschützen und der kannibalisch-sadistischen Sexualstraftäter auf Elemente zurückgriff, die bis dahin vornehmlich auf die Beschreibung von Lustmorden beschränkt war, kann Joseph Langs Die schwarze Schmach. Frankreichs Schande aus dem Jahr 1921 gelten. Hier finden wir sämtliche Charakteristika vom Vorwurf des Vampirismus und Sadismus bis hin zur Annahme einer unkontrollierten tierischen Sexualität: „[Die] Opfer der zügellosen Bestialität der farbigen Scheusale werden in Wiesen und Gräben halbtot aufgefunden, die Kleider in Fetzen gerissen, manche mit Bißwunden, die deutlich zeigen, wie das Tier über sein bedauernswertes Opfer hergefallen ist. [...] Der schwarze Soldat lebt nur seinem [sic] Naturtrieb.“136

Das Zerbeißen der Halsschlagader, daran zu saugen, das Blut der Opfer zu trinken, ihre Körper zu zerfleischen: All diese Handlungen wurden, wie ich oben dargestellt habe, als zentrale Charakteristika sogenannter Lustmorde angesehen. Immer wieder sind in den Darstellungen der extremen und völkischen Rechten Beschreibungen zu beobachten, die aus Lehrbüchern der forensischen Psychiatrie zum Thema Lustmord stammen könnten. So schrieb beispielsweise Wilhelm von der Saar, angeblich ein privates Schreiben zitierend: „Die schwarzen Bestien laufen, wenn sie der Alkohol und der Geschlechtskoller übermannt, förmlich sexuell Amok und betragen sich ihren Opfern gegenüber wie wilde Tiere. ‚Es sind bei Aerzten ohnmächtige Mädchen eingeliefert worden, deren Adern beinahe blutleer waren. Die Schwarzen, besonders die Marokkaner 134 Siehe: Ebd., S. 239 (dort auch Zitate) sowie Maß 2005, S. 141. 135 Siehe: Lebzelter 1985, S. 45-47; Koller 2001b, S. 155-156; Maß 2005, S. 141. 136 Lang 1921, S. 8, 11.

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beissen in ihrer Wut ihren Opfern die Schlagader am Halse an und saugen gierig von dem Blut; es sind eben die reinen Bestien‘ [...].“137

Neben dem Lustmordmotiv tauchen in den einschlägigen Publikationen noch zwei weitere Elemente auf: der Vorwurf der Homosexualität und die Vorstellung einer drohenden Infektion. So wurde zum einen kolportiert, dass im besetzten Rheinland „Knabenbordelle“ für die angeblich homosexuellen Marokkaner eingerichtet worden seien.138 Zum anderen wurde in den Schriften von einer absichtlichen Infektion des Kollektivkörpers des deutschen Volkes mit dem Blut angeblich ‚minderwertiger Rassen‘ gesprochen.139 Gleichzeitig wurde den Kolonialtruppen die Verbreitung von Infektions- und Sexualkrankheiten wie die der Pest oder der Syphilis unterstellt.140 Diese Kombination aus Homophobie, Sadismus- und Kannibalismusverdacht sowie der Angst vor Ansteckung bestimmte, wie ich im folgenden Kapitel ausführlich demonstrieren werde, die in der Presse geführte Diskussion um die mutmaßlichen menschenfressenden Straftäter in den 1920er Jahren. Im Unterschied zur ‚Schwarzen Schmach‘ wurde diese Auseinandersetzung jedoch nicht in der Presse des rechten oder völkischen Spektrums ausgetragen, sondern in sozialdemokratischen, kommunistischen und bürgerlichen Presseorganen. Dabei war die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen und Zeitgenossinnen nicht so sehr auf den zur Zeit der Rheinlandbesetzung aufgedeckten Fall Großmann gerichtet, der auf Grund des Druckerstreiks zum Prozesstermin 1922 im Vergleich zu den anderen Kriminalfällen medial unterrepräsentiert blieb, als vielmehr auf den Fall Haarmann.141

137 Saar 1921, S. 48. 138 Ebd., S. 39. 139 Siehe: Koller 2001b, S. 155; Maß 2001, S. 31. Dabei handelt es sich um eine Theorie, die bereits in den 1920er Jahren von der NSDAP vertreten wurde und wenige Jahre später vom nationalsozialistischen Regime aufgegriffen und zur Begründung der Zwangssterilisation der Kinder aus den sexuellen Verbindungen zwischen afro-französischen Soldaten und weißen deutschen Frauen herangezogen wurde. Siehe: Pommerin 1979, S. 29-40, 44-53; Koller 2001a, S. 246-249; Maß 2006, S. 283-285. Wie Campt rekonstruiert, wurden von den insgesamt etwa 600-800 Kindern afrofranzösischer Soldaten in den Jahren zwischen 1933 und 1937 schätzungsweise 385 zwangsweise sterilisiert. Nicht alle Eingriffe fanden dabei legal und auf Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933 statt, was die Feststellung der genauen Zahl maßgeblich erschwert. (Siehe: Campt 2004, S. 72-74.) 140 Siehe: Koller 2001a, S. 244-246; Maß 2001, S. 30-31; Maß 2006, S. 206213; Wigger 2007, S. 145-151. Die Gefahr der Ansteckung war, wie in Kapitel 2 dargestellt, Teil des kolonialen Wissens vom wilden Kannibalen. 141 Siehe dazu: „Der Berliner Buchdruckerstreik“, in: Kreutz-Zeitung, 12.7.1922 (Abendausgabe) und „Die Stadt im Dunkeln“, in: Vossische Zeitung, 12.7.1922.

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Last but not least hatten die Auseinandersetzungen um die Senegalschützen eine starke geschlechterpolitische Dimension, die ihrerseits mehrere Facetten umfasste. Hier ist zuerst die besondere Aktivität von Frauen in der politischen Debatte um die afro-französischen Truppen zu nennen.142 Dazu zählten nicht nur Einzelpersonen wie die Deutsch-Amerikanerin Ray Beveridge, die nationalsozialistische Verbindungen hatte und extrem rassistische Positionen vertrat, die von ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern häufig als kontraproduktiv kritisiert wurden,143 sondern vor allem bürgerlich-christliche Frauenorganisationen unter dem Dach der 1920 auf Anregung des Auswärtigen Amtes durch Margarete Gärtner in Berlin gegründeten Rheinischen Frauenliga.144 Als Dachverband koordinierte die RFL die Bemühungen verschiedener Frauenverbände und -organisationen, sicherte sich die Unterstützung von Parlamentarierinnen und einzelner prominenter Repräsentantinnen der Frauenbewegung, verfertigte und vertrieb Publikationen und koordinierte Protestkundgebungen auf denen von der Liga vorformulierte Resolutionen verabschiedet wurden. Sie „organisierte“ auf diese Weise „eine beispiellose rassistische Kampagne“, die lediglich von den Vertreterinnen der USPD sowie einzelnen linken und pazifistischen Frauen wie Lilli Jannasch und Anita Augspurg nicht mitgetragen wurde.145 So hieß es in einer von der Liga herausgegebenen Broschüre beispielsweise: „Junge Mädchen sind von der Straße weggeschleppt worden, um der bestialischen Wollust afrikanischer Wilden [sic] zu dienen. Töchter und Ehefrauen wurden in ihren Wohnungen von Farbigen überfallen und geschändet, auf dem Felde arbeitende Frauen bei ihrer Arbeit ein Opfer tierischer Instinkte und selbst hochbetagte Greisinnen waren ihnen nicht sicher!“146

142 Siehe dazu: Koller 2001a, S. 217, 212 sowie Maß 2006, 89-100, besonders S. 89. Maß argumentiert hier gegen die Interpretation Schülers, die ihrerseits von einer marginalen Rolle der Frauenverbände ausgeht (vgl., Schüler 1996, S. 6-7). 143 So beispielsweise in ihrer Veröffentlichung Die Schwarze Schmach, die weiße Schande (Beveredge 1922). Zur zeitgenössischen Reaktion auf Beveredge siehe: Koller 2001a, S. 226-227; Maß 2006, S. 95. 144 Die RFL wurde gegründet als Frauenorganisation der Rheinischen Volkspflege. Die Liga gehörte damit zu denjenigen politischen pressure groups, die zum Teil verdeckt und nicht alle dauerhaft vom AA finanzielle Unterstützung erhielten, neben der bereits genannten Rheinischen Volkspflege (Berlin) namentlich der Deutsche-Fichte-Bund (Hamburg) sowie der Deutsche Notbund gegen die Schwarze Schmach e.V. (München). Die RFL erhielt darüber hinaus auch Gelder vom Krupp-Konzern. Das Auswärtige Amt betrieb hingegen aktiv eine intensive Auslandspropaganda. Siehe dazu: Maß 2001, S. 24; Maß 2006, S. 83-105; Koller 2001a, S. 217, 220. 145 Maß 2006, S. 94-95, Zitat S. 90. Zur Rolle der politischen Linken in dieser Debatte siehe: Reinders 1968, S. 12-21. 146 Rheinische Frauenliga (Hg.) 1920, S. 3-4.

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Vorwürfe von völkischen Gruppen, sie sei ein Instrument jüdischer Interessen, führten dazu, dass sich die RFL zunehmend als Organisation weißer, christlicher Frauen positionierte, welche im Inland auf eine Solidarisierung auf der Grundlage rassistischer Vorurteile hinarbeitete. Da im Laufe der Diskussion von Seiten den RFL zunehmend die Bezeichnung ‚weiß‘ durch ‚deutsch‘ ersetzt wurde, beteiligte sich die Liga auf diese Weise gleichzeitig an einem Diskurs der Rassifizierung der Vorstellung vom deutschen Volk und damit an dem Ausschluss von Juden und Jüdinnen aus diesem ‚Volkskörper‘.147 Der zweite geschlechterpolitische Aspekt der Diskussion um die Besetzung des Rheinlandes durch Kolonialtruppen war ihr Beitrag zur zeitgenössischen Wahrnehmung einer ‚Krise‘ der deutschen Männlichkeit. Oder, wie Maß es formuliert: „Die Debatten über diese Männer und [...] über die weiße, deutsche Frau sind im Grunde symbolische Verdichtungen des Redens über Krieg und Männlichkeit.“148 Einerseits wurde die Niederlage im Weltkrieg als Verlust von Männlichkeit wahrgenommen und das Gefühl der Unfähigkeit, deutsche, weiße Frauen gegen die Attacken der afrikanischen Männer schützen zu können, ließ diese Niederlage als doppelte erscheinen. Maß vermutet, dass hier auch am eigenen kriegszitternden Leibe gemachte Ohnmachts- und Impotenzerfahrungen eine Rolle gespielt haben könnten.149 Andererseits erlaubte diese Form der Verschiebung der Debatte um Niederlage und Körperlichkeit auf weiße Frauenkörper, die Kriegserfahrungen der Männer zu thematisieren, ohne das Bild des (kriegs)zerstörten männlichen Körpers heraufzubeschwören.150 Darüber hinaus sahen sich die vormaligen Kolonialherren selbst in der Rolle der Kolonialisierten, die in einer Art der Verkehrten Welt nun ihrerseits von den ‚Kolonialvölkern‘ besetzt werden sollten.151 Das war eine Situation, gegen die sich bereits die deutsche Delegation bei den Verhandlungen in Versailles so energisch wie möglich zu wehren versucht hatte.152 Diese scheinbar paradoxe Gleichsetzung von Kolonialisierungserfahrung und Bedrohung durch die Kolonialisierten setzte sich auch über die Zeit der Debatten um die Rheinlandbesetzung fort, wie eine Zeichnung aus dem Kladderadatsch vom 10. August 1924 zeigt. Anlässlich der Londoner 147 Maß 2006, S. 89-100. 148 Maß 2001, S. 23-24. Siehe dazu auch: Koller 2001b, S. 154-156. 149 Siehe: Maß 2001, S. 29-30. Ausführlicher zum Diskurs um die ‚Krise der Männlichkeit‘ in Kapitel 6. 150 Siehe: Ebd., S. 32. 151 Siehe: Ebd., S. 24; Lebzelter 1985, S. 41; Wigger 2007, S. 133-135. Diese Einschätzung ging Hand in Hand mit konservativen Befürchtungen von der rassischen Degeneration der Weißen oder ihrem Untergang am Ende eines „fatalen Rassenkriegs“. (Siehe: Martin 1996, S. 212-216, Zitat S. 212; Wigger 2007, S. 141-143.) Zur Bedeutung des Topos von der Verkehrten Welt für die Selbstdeutung der Weimarer Zeit siehe: Geyer, M.H. 1998, S. 16-17 sowie die Ausführungen im folgenden Kapitel. 152 Siehe: Campt 2004, S. 35.

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Konferenz (16.7. bis 16.8.), der ersten internationalen Konferenz, an der (ab dem 5.8.) erstmals nach Ende des Ersten Weltkrieges wieder eine deutsche Delegation teilnehmen durfte, und die den für die wirtschaftliche Erholung der Weimarer Republik entscheidenden Dawes-Plan verabschiedete, wurde die Gruppe der Entente-Mächte als wilde Kannibalen dargestellt, die auf Ankunft der Deutschen wartete, um sie kochen und verspeisen zu können (siehe: Anhang Abb. 9.13). Neben der öffentlichen Präsenz der politischen Aktivistinnen und der Diskussion um eine ‚Krise der Männlichkeit‘ war eine weitere geschlechtergeschichtliche Facette der Auseinandersetzungen um die Senegalschützen die Rede von der Bedrohung deutscher, weißer Frauen durch die afrofranzösischen Truppen selbst. Ähnlich wie bereits Siebenpfeiffer und Schetschke und andere in Bezug auf die Debatten um die sogenannten Lustmörder angemerkt haben, wurde auch im Rahmen der Diskussionen um die ‚Schwarze Schmach‘ die deutsche Frau als „naive[s] ‚Gretchen‘“ und „hilfloses Lustobjekt“ männlich-triebhafter, in diesem Fall explizit ‚schwarzer‘ Sexualität stilisiert.153 Wie in Pamphleten, Broschüren und Zeitungsartikeln immer wieder betont wurde, waren die angeblich regelmäßig stattfindenden Überfälle auf weiße Frauen die Folge des ‚naturhaften‘, starken Sexualtriebes und der andererseits qua ‚niedrigem‘ Stand der Zivilisation mangelnden Triebkontrolle. „Der schwarze Soldat“, der „nur seinem Naturtrieb“ nach handele, wurde damit als genau derjenige Wilde dargestellt, auf den in der psychiatrisch-medizinischen Fachliteratur verwiesen wurde, um den Zustand der sogenannten Psychopathen zu kennzeichnen.154

Pierre, benimm dich! Regulation männlicher Sexualitäten Um kurz zu rekapitulieren: Psychopathen galten im Fachdiskurs der Zeit als Individuen, die auf Grund eines ererbten Defektes seien wie die Wilden. Ihnen fehle angeblich der zur Selbstdisziplinierung nötige Wille. Dieser galt als das exklusive Privileg weißer, gesunder Männer: Kriminellen, kranken oder nicht-weißen Männern wurde unterstellt, sie seien zu dieser Art der Triebkontrolle nicht fähig und würden von ihrer Körperlichkeit beherrscht statt umgekehrt sie zu beherrschen. Gleichzeitig war aus wis153 Lebzelter 1985, S. 46. Gleichzeitig nahm die Reglementierung weiblichen Verhaltens zu. Frauen, die freiwillig Beziehungen zu Angehörigen der Besatzungstruppen aufnahmen, wurden durch entehrende Strafen (Haarschneiden, Schläge, Kehrdienst) ihres sozialen Umfeldes scharf sanktioniert. Siehe dazu: Wigger 2007, S. 130-131. 154 Lang 1921, S. 11. Dies ist eine Darstellung, die im deutschen Kolonialdiskurs bis dahin in dieser Form nicht in Erscheinung getreten war. Wie ich im dritten Kapitel bereits demonstriert habe, wurde die weiße Frau entweder von den servilen Kolonialisierten aus der Ferne angebetet, wie in Heyes Hatako, oder als Herrin selbstlos umsorgt und beschützt, wie in Maders Ophir.

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senschaftlicher Perspektive die Grenze zwischen Psychopathie und Gesundheit nicht genau auszumachen. Vielmehr wurde ein Kontinuum von (Ab-)Normalität entworfen, in dem jeder Mann nach Faktoren wie erblicher Disposition, Lebenssituation, Klassenzugehörigkeit, Alkoholkonsum oder Alter eingeordnet wurde. Diese Einordnung war fluide und oft auch uneindeutig. In diesem Sinne wurde der Kannibale (beziehungsweise der Lustmörder) nicht als binär codiertes Gegenüber oder als Projektion/ Abjektion des Mannes konstruiert, sondern war inhärenter Bestandteil seiner Identität. Der normalistische Diskurs der Medizin, Psychiatrie und Kriminologie suggerierte zwar einerseits eine binäre Trennung zwischen ‚normalen‘ und ‚anormalen‘ Männlichkeiten. Andererseits wurde in diesem Diskurs gleichzeitig ein Normalfeld von Geschlechteridentitäten etabliert, in dem diese Identitäten verortet wurden. Auf diese Weise wurde eine hegemoniale, weiße, bürgerliche Männlichkeit entworfen, die sich durch multiple und teilweise widersprüchliche Bezüge auf andere Identitäten definierte: auf Wilde, Kinder, Frauen, Tiere sowie andere Männlichkeiten, etwa homosexuelle oder nicht-weiße Männer. Gleichzeitig wurde der weiße, männliche Körper als gefährliche Inkorporation atavistischer Triebhaftigkeit aufgefasst. Nach Ansicht der Experten galt: Der Kannibale hauste in jedem Mann. Nur die permanente Selbstkontrolle des Einzelnen, das zentrale Kennzeichen weißer, hegemonialer Männlichkeit, konnte seinen Ausbruch verhindern. Richard Dyer hat diese Verschränkung der Artikulationen von race und gender sogar als das besondere Charakteristikum weißer männlicher Korporealität bezeichnet: „White men are seen as divided, with more powerful sex drives but also a greater will power. The sexual dramas of white men have to do with not being able to resist the drives or with struggling to master them.“155

Weiße Männlichkeit sei demnach dadurch gekennzeichnet, dass sie als körperlich und gleichzeitig ihre Körperlichkeit überschreitend entworfen werde.156 Dyer spricht hier von der weißen, heterosexuellen Männlichkeit im US-amerikanischen Kontext der 1990er Jahre. Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommen Studien zur Konstruktion von Männlichkeiten in anderen (post-)kolonialen Situationen z.B. für die Südstaaten der USA oder im britischen Empire.157 Dass diese Einschätzung auch für die Männlichkeit der Weimarer Republik zutrifft, zeugt von der postkolonialen Situation Deutschlands nach 1918, der fortdauernden Wirkungsmächtigkeit des bür155 Dyer 1997, S. 27. 156 Siehe: Ebd., S. 14-15, 27-28. 157 Einschlägig dazu: Schröder 2003; Hale, G. 1998 und Kasson 2002 für die Geschichte der Vereinigten Staaten sowie Sinha 1995 für das britische Empire.

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gerlichen Geschlechtermodells und der Bedeutung der kolonialrassistischen Diskurse für dasselbe. Ausgehend von diesen Überlegungen eröffnet sich eine weitere, bislang in der Forschung nicht thematisierte geschlechterhistorische Dimension der Auseinandersetzungen um die afrofranzösischen Truppen. Wie einleitend bereits erwähnt, konzentrieren sich die bislang vorliegenden Forschungsarbeiten darauf, den historischen Diskurs von der Alterität der afro-französischen Soldaten und die zu Grunde liegende binäre Opposition von schwarzen und weißen männlichen Körpern zu rekonstruieren.158 Selbst Maß, die auf die Schwierigkeiten dieses Modells hinweist, hält an dieser Vorgehensweise und dem binär strukturierten Konzept fest.159 Diese Herangehensweise erweist sich mit Blick auf meine obigen Ausführungen als gleichzeitig richtig und analytisch zu kurz gegriffen. Denn sobald wir die Untersuchung auf die Prozesse der Artikulation des Paares schwarzer|weißer Körper ausweiten, ohne ein Oppositionsverhältnis vorauszusetzen, wird deutlich, dass die in der Forschung konstatierten Prozesse der Projektion und Abjektion jeweils Teile eines komplexen Beziehungsgeflechtes waren. An Stelle einer binären Opposition können wir die Konstruktion verschiedener Männlichkeiten beobachten, die alle auf den gleichen Grundannahmen über die gewaltsame ‚Natur‘ des männlichen Körpers basierten. Gleichzeitig können wir diese Männlichkeiten innerhalb eines Normalfelds von Männlichkeiten verorten, das sich zwischen den Kategorien ‚Rasse‘, Klasse, Geschlecht und Gesundheit aufspannte. Oder anders formuliert: Der schwarze, französische Soldat war in der Tat alles, was der weiße Mann nicht war, aber was er hätte sein können, sobald die Fassade aus Kultur, Zwang und Zivilisation zusammenbrach und er die Kontrolle über seinen triebhaften Körper verlor. Ein Gefahrenszenario, das, wie wir bereits gesehen haben, im Kontext des kolonialen Projekts unter dem Schlagwort des Tropenkollers sowie im Zusammenhang der Debatten um die sogenannten psychopathischen Lustmörder bereits thematisiert wurde. Angesichts dieses Befundes erscheint eine Verschiebung des Blickwinkels notwendig. Denn wenn, wie oben dargestellt, die Neigung zur Gewalttätigkeit, zu Lustmord, Sadismus und Kannibalismus inhärenter Bestandteil der Konstruktion ‚normaler‘ weißer Korporealität war, dann erscheint die Rekonstruktion einer Exklusionsbewegung, welche gewalttätige Anteile dem als ‚rassisch‘ Anderen Markierten zuschrieb, nicht länger sinnvoll. Vielmehr gilt es, die von den Zeitgenossinnen und Zeitgenossen als entscheidendes Kriterium wahrgenommene Fähigkeit zur Kontrolle der männlich-gewaltsamen Impulse ins Zentrum der Analyse zu stellen. Ähnlich wie die Debatten um die sadistischen Lustmörder gleichzeitig sowohl 158 Siehe: Maß 2001, S. 25-27; Maß 2006, S. 76-105; besonders ausführlich bei Koller 2001a, S. 201-261; Lebzelter 1985, S. 44-55. 159 Siehe: Maß 2001, S. 27.

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eine männliche Alterität produzierten als auch das legitimerweise von Männern auszuübende Maß an Gewalttätigkeit festlegten,160 betrafen die Auseinandersetzungen um die Tirailleurs Sénégalais und die angeblich durch sie verübten Sexualverbrechen Fragen der biopolitischen Regulation: Welcher Mann durfte legitimerweise gegenüber welcher Frau seine Triebhaftigkeit ausleben? Wann war Selbstkontrolle nötig? Wann und wo nicht? Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen und ausgehend von den Befunden der bisher vorliegenden Forschungsliteratur können wir drei Aspekte festhalten, die bislang wenig Beachtung gefunden haben. Erstens wurde, metaphorisch gesprochen, die Lautstärke des Diskurses über die (Ab-)Normalität sexualisierter Gewalt und die Bedeutung der Triebkontrolle als Differenzmarker normaler, weißer Männlichkeit mit der Debatte um die angeblichen Gräueltaten der Senegalschützen hochgeregelt. Wie Koller eindrücklich zeigen konnte, machten die einschlägigen Zeitungsbeiträge einen signifikanten Anteil der Berichterstattung über Kolonialtruppen generell aus, stellenweise bis zu knapp 17 Prozent. In den Jahren zwischen 1920 und 1923 waren solche Beiträge permanent signifikant präsent.161 Diese Debatte wurde zeitgleich zu der Problematisierung der Entfesselung männlicher Gewalt im Krieg und deren anschließender Einhegung geführt, auf die ich im nächsten Kapitel ausführlicher eingehen werde. Auf diese Weise bildete der Diskurs um die sexualisierte Gewalt der afro-französischen Truppen das Gegenstück zum zeitgleich geführten Diskurs über weiße Triebkontrolle und Kriegstrauma. Des Weiteren können wir festhalten, dass die Diskussion um die legitime oder illegitime Anwendung von Gewalt gegen Frauen unter rassistischen Gesichtspunkten bereits seit der deutschen Kolonialzeit geführt wurde. Karikaturen wie die bereits zitierte „Die Macht der Gewohnheit“ aus dem Simplizissimus des Jahres 1904 (siehe: Anhang Abb. 9.6) griffen diese Debatten auf. Was in den Kolonien als ‚normales‘ Verhalten gegenüber dem weiblichen Geschlecht galt, war ganz und gar kein akzeptables Verhalten gegenüber weißen Frauen in der deutschen Heimat, weshalb der zurückgekehrte Kolonist seine Ehefrau ‚schwarz‘ anmalte, mithin ‚rassisch‘ umkodierte. Der Darstellung lagen damit zwei unhinterfragte Voraussetzungen zu Grunde. Erstens: die Kopplung männlichen sexuellen Begehrens mit Gewalttätigkeit einerseits und von Kolonialisierung und sexualisierter Gewalt andererseits. Zweitens: Die Anwendung von Gewalt gegenüber ‚schwarzen‘ Frauen befand sich innerhalb der Parameter ‚normalen‘ weißen Verhaltens, unabhängig von dem Ort, an dem sie ausgeübt wurde. Diese Verfügungsgewalt über indigene Frauenkörper galt als ein Privileg des Kolonialherrn, welches erst im Laufe des Kolonialprojektes

160 McLaren 1997, S. 9. 161 Siehe: Koller 2001a, S. 230.

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hinterfragt wurde.162 Diese Kritik speiste sich allerdings nicht aus humanitären oder menschenrechtlichen Erwägungen, sondern aus Überlegungen des Machterhalts. Dazu gehörten, wie ich in den vorangegangenen Kapiteln dargelegt habe, einerseits eugenisch motivierte Zweifel an der Nachkommenschaft aus den sogenannten Mischehen und die Angst vor dem Verlust der Selbstkontrolle im Tropenkoller als Zeichen des Verlusts der Fähigkeit, die Kolonialisierten zu regieren, andererseits. Gewendet auf die Diskussion um die Senegalschützen können wir schließen, dass afrofranzösische Soldaten sich damit in den Augen der deutschen Gesellschaft der Weimarer Republik wie die Kolonialherren aufführten, ein Befund, der die in der Literatur bereits thematisierte Wahrnehmung einer Verkehrten Welt und einer ‚Krise‘ der weißen hegemonialen Männlichkeit unterstützt. Drittens schließlich ist deutlich erkennbar, dass der Vorwurf der gezielten Regulation oder genauer (De)Regulation männlicher Sexualität den Kern der Klagen gegen die französische Besatzungsmacht bildete. Zum einen wurde eine fiktive Verschwörung zur gezielten „Verseuchung der deutschen Volksgesundheit“ unterstellt, und zum anderen wurde der Vorwurf erhoben, dass die Triebhaftigkeit der Kolonialsoldaten strategisch als Mittel zur Einschüchterung der deutschen Bevölkerung missbraucht werde.163 In diesem letzteren Zusammenhang wurde auch auf den doppelten Standard, den die französischen Besatzer in Bezug auf die Freizügigkeit ihrer Soldaten angeblich anwendeten, hingewiesen. „Derselbe Neger, der in Frankreich als Mensch zweiter Klasse behandelt und dort durch die schärfste Disziplin im Zaum gehalten wird, soll also auch weiterhin sich im Rheinlande als Sieger und Herr betragen dürfen.“164 Waren für die afrofranzösischen Truppen weiße, deutsche Frauen angeblich frei verfügbar, so galten für sie innerhalb der Grenzen des französischen Nationalstaats die kolonial-rassistischen Restriktionen. Dieses Paradox forderte deutsche Karikaturisten geradezu heraus. So veröffentlichte beispielsweise R. Rost im Jahr 1921 eine Zeichnung über den Heimaturlaub eines Kolonialsoldaten, deutlich zu erkennen an den stereotypen dicken Lippen und der dunklen Hautfarbe, der in Paris von seinem weißen französischen Kameraden von einem Übergriff auf eine weiße Französin abgehalten werden musste (siehe: Anhang Abb. 9.14): „Pierre, benimm dich. Wir sind hier nicht in Deutschland!“

162 Die Rote Fahne wendete die Kritik an dem Machtmissbrauch und der sexuellen Ausbeutung indigener Frauen sogar auf klassenspezifische Probleme im Mutterland an, indem sie in einem Bericht vom 5. Juni 1930 von einem 65-jährigen „Lustgreis“ berichtete, der sein Dienstmädchen „wie im dunkelsten Afrika“ misshandelt habe. (Siehe: „Es ist wie im dunkelsten Afrika“, Rote Fahne 5.6.1930, Beilage. 163 Lang 1921, S. 5-6, 11 (Zitat); Maß 2006, S. 199, 206-213 und Lebzelter 1985, S. 49-51. 164 Rheinische Frauenliga (Hg.) 1920, S. 3.

6. Der Body Politic isst sic h selbs t: Hunge r, De gene ration und Me nsc he nfleisc h

Wie wir in den vorangegangenen Kapiteln gesehen haben, existierte in der deutschsprachigen kriminologischen und psychiatrisch-medizinischen Fachliteratur um 1900 ein differenzierter Diskurs zum Thema Kannibalismus, in dem eine Verknüpfung von männlicher Sexualität und Menschenfresserei etabliert wurde. Diese Kopplung von Männlichkeit und Kannibalismus setzte sich in anderen Diskursfeldern fort. Eines dieser Felder war, wie bereits demonstriert, die Debatte um die sogenannte ‚Schwarze Schmach‘ zur Zeit der Rheinlandbesetzung. Aber auch in den Auseinandersetzungen über die Verfasstheit der sozialen und politischen Ordnung der deutschen Zwischenkriegsgesellschaft ist diese Kopplung zu beobachten. Das Auftauchen der kannibalischen Lustmörder wurde von vielen Zeitgenossen und Zeitgenossinnen als Indikator für einen von ihnen wahrgenommenen Verfall der politischen, wirtschaftlichen und sittlichen Ordnung und Werte angesehen. Die zentrale Metapher, über welche in diesem Kontext die Komplexe Männlichkeit und Kannibalismus verbunden wurden, war die der Krise. Die bisherige Forschung zum Thema Lustmord greift diesen zeitgenössischen Krisendiskurs weitgehend unreflektiert auf und weist dem Ersten Weltkrieg und besonders der Fronterfahrung eine zentrale Bedeutung als enthemmend und misogyne Gewalt fördernd zu. So geht beispielsweise Maria Tatar in ihrer Darstellung über den Lustmord in der Zeit der Weimarer Republik davon aus, dass die Gewalterfahrungen im Schützengraben, die Erfahrung von Niederlage und der brutalen Konfrontation mit der Verletzbarkeit des männlichen Körpers eine Art „psychic fall-out“ erzeugt habe, welcher in Kombination mit den geschlechterpolitischen Auseinandersetzungen zwischen den zurückkehrenden Soldaten und den in der Heimat gebliebenen Frauen zu Gewaltbereitschaft und Frauenfeindlichkeit geführt habe. Sexualisierte Gewalt wird in diesem Zusammenhang als

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Folge einer Entgrenzungserfahrung und damit als Ausnahmeerscheinung gekennzeichnet.1 Diese Interpretation bedarf, ebenso wie die ihr zu Grunde liegende Annahme der Verknüpfung von Krise und Männlichkeit zur Zeit der Weimarer Republik, aus der Perspektive der geschlechterhistorischen Forschung der Differenzierung. Darüber hinaus brachte der Erste Weltkrieg, wie eine ganze Reihe von Studien demonstriert hat, überaus ambivalente Folgen für das Geschlechterverhältnis mit sich. Der Krieg selbst war, gerade auf Seiten der politischen Rechten, als Verjüngung oder lang ersehnte Bewährungsprobe deutscher Männlichkeit begrüßt worden, die Rückkehr in die demokratische Zivilgesellschaft wurde als die eigentliche Niederlage deutscher Männlichkeit interpretiert, die sich nun der Autorität der Frau beugen sollte.2 Gleichzeitig kam es in der Folge des Krieges einerseits zu einer Prononcierung der bipolaren Geschlechterordnung des Kaiserreichs, vor allem in der Heldenverehrung und durch die das Verhalten von Frauen reglementierenden Prostitutionsverordnungen.3 Andererseits wurde das bürgerliche Konzept der getrennten Sphären durch die im Rahmen der Kriegswirtschaft zunehmende außerhäusliche Berufstätigkeit von Frauen in Frage gestellt und das Frauenwahlrecht durchgesetzt; Phänomene, die häufig mit dem Schlagwort von der ‚Neuen Frau‘ verbunden wurden.4 Karen Hagemann und Ralf Pröve sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Paradoxie“, die sich auch im internationalen Vergleich beobachten lässt.5 Des Weiteren wurden nach Ende des Krieges die Unversehrtheit des männlichen Körpers und die damit identifizierte männliche Leistungsfä1

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Tatar 1997, S. 12. Die meisten Forschungen interpretieren die Lustmörder im Kontext männlicher Gewalt und Misogynie der Moderne generell, welche durch die in der Folge des Ersten Weltkrieges in Bewegung geratenen Geschlechterverhältnisse dann verstärkt worden seien. Siehe beispielsweise: Lewis 1997, S. 224 sowie Siebenpfeiffer 2002, S. 112. In ihrer Monographie Böse Lust, in der Siebenpfeiffer die Diskurse um männliche wie weibliche Gewaltverbrechen in der Weimarer Zeit rekonstruiert, tritt dieses Erklärungsmodell hingegen in den Hintergrund. Stattdessen rekonstruiert die Autorin ausführlich den zeitgenössischen Diskurs vom Zusammenhang von Krieg und Kriminalität (Siebenpfeiffer 2005, S. 58-61). Siehe: Breuer 1993, S. 31-32, 42-43. Siehe: Grossmann 1983; Allen, A.T. 1993; Schilling 2002, S. 268-269. Ein Gegenstand umfangreicher Forschungen der Frauen- und Geschlechtergeschichte. Dazu einschlägig: Evans 1976a; Frevert 1986; Daniel 1989; Kundrus 1995; Allen, A.T. 2000 sowie Bridenthal/Koonz 1984; Thébaud 1995 und Rouette 1997; Weitz 2007, S. 305-311. Hagemann/Pröve 1998, S. 26. Eine gewisse Ambivalenz wurde auch durch die Erfahrungen der Soldaten selbst in die Geschlechterverhältnisse eingetragen: Im Zusammenhang des Kriegsgefangenentheaters hatten jüngere Männer nicht nur auf der Bühne, sondern auch im alltäglichen Lagerleben eine weibliche Geschlechteridentität angenommen, welche gerade durch die Beziehungen dieser cross-dresser zu ihren Verehrern heterosexuelle Geschlechternormen in Frage stellte, aber gleichzeitig auch bürgerliche Männlichkeit bestätigte. Siehe: Rachamimov 2006, S. 377, 381-382.

DER BODY POLITIC ISST SICH SELBST | 239

higkeit problematisiert. Heimkehrende Soldaten waren oft versehrte Männer, die sich selbst als „Krüppel“, als ihrer „Virilität, Attraktivität und Durchsetzungsfähigkeit“ beraubt sahen. Als Bettler waren diese dysfunktionalen männlichen Körper auf den Straßen, vor allem in den Großstädten, auch optisch präsent.6 Die Beurteilung und Behandlung von traumatisierten Soldaten, den sogenannten Kriegshysterikern oder auch Kriegszitterern war ein umstrittenes Thema in Medizin und Gesellschaft. Handelte es sich um angeblich degenerierte, psychopathische Persönlichkeiten, die einer stärkeren Disziplinierung bedurften, oder um Simulanten? Wie konnten Männer an einem traditionell Frauen zugeschriebenen Krankheitsbild leiden? – Dies waren Fragen, auf die Antworten gesucht und nicht immer gefunden wurden.7 Heimkehrer sahen sich in einer schwierigen Lage: Sie erlebten „die ‚weiße Frau‘ als übermächtig“, waren „ihr ausgeliefert, von ihr abhängig“ und hatten umgekehrt nur ihre eigene „Schwäche anzubieten.“8 Darüber hinaus war die militärische Niederlage, besonders für das konservativ-völkische Milieu, geschlechterpolitisch aufgeladen: die „nationale Niederlage im Krieg“ galt hier als „eine der deutschen Männlichkeit.“9 Zu erinnern ist hier auch an das Bild vom deutschen Mann, der angeblich machtlos die Vergewaltigung weißer Frauen durch afrofranzösische Soldaten mit anschauen musste, welches in den Pamphleten gegen die Rheinlandbesetzung gezeichnet wurde. Diese Verknüpfung von Nation und Maskulinität war seit den AntiNapoleonischen Kriegen im Diskurs um die Nation fest verankert. Erstens war das Leitbild der „patriotisch-wehrhaften ‚Mannlichkeit‘“ fester Bestandteil der hegemonialen Männlichkeit des Kaiserreichs und auch der Weimarer Republik. Zweitens galt die Nation, der body politic, als männlicher Körper.10 Dementsprechend wurde in den 1920er Jahren bei der Re6

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Frevert 1996a, S. 166. Siehe dazu auch: Cohen, D. 2001, S. 61-97; Kienitz 2001. Dieses Phänomen beschränkte sich keineswegs auf Deutschland und ist auch für Großbritannien, die Vereinigten Staaten untersucht worden. Weg weisend dazu: Bourke 1996, hier besonders ihre Ausführungen zum Umgang mit amputierten oder behinderten Körpern, S. 31-75 sowie Cohen, D. 2000. In den letzten Jahren sind eine Vielzahl von Untersuchungen erschienen, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt haben. Siehe: von Braun 1989; Lerner 1998; Lerner 2003, hier v.a. S. 86-123, 124-162; Malleier 1996; Showalter 1997, bes. S. 62-75; Lamott 2001, S. 108-138; Reichardt 2005 sowie Michl 2007, S. 185-192, 239-259. Frevert 1996a, S. 166. Der Begriff der „weißen Frau“ wurde ursprünglich von Klaus Theweleit eingeführt und bezeichnet ein positiv besetztes Weiblichkeitskonzept in dem Frauen als asexuell, rein und damit ‚weiß‘ (auch im rassistischen Sinne) dargestellt werden (siehe: Theweleit 1986, S. 121176). Schilling 2002, S. 313. Siehe dazu auch: Maß 2006, S. 20-21; Kühne 1998; Ulrich 1999; Behrenbeck 1999. Hagemann 2002, S. 304-340, Zitat S. 305. Auch zu diesem Themenkomplex liegen umfangreiche Studien vor. Vgl. neben der bereits genannten

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de vom Verfall männlicher Tugenden oder Körper stets auch über den der Nation verhandelt. Der body politic schien allerdings nicht nur mit Blick auf die Kriegsheimkehrer gefährdet. Die männliche, bislang unversehrte Jugend, gleichsam die Zukunft der Nation, drohte den Lockungen und Lastern der Großstadt zu verfallen. Das Schlagwort in diesem Zusammenhang war das der „Vergnügungssucht“. Anstatt männliche Tugenden auszubilden, gaben sich die jungen Männer den degenerativen Einflüssen des Kinos, des Tanzes und einer ausschweifenden, möglicherweise sogar perversen Sexualität hin. Diese Debatte war Teil einer gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Jugend und Jugendlichkeit, die bereits im Kaiserreich begonnen hatte und sich nun angesichts ökonomischer und politischer Umwälzungen weiter zuspitzte.11 Wie ist nun angesichts dieses Forschungsbefundes der Diskurs von der Krise der Männlichkeit zur Zeit der Weimarer Republik zu bewerten? In ihrem Überblickswerk zur Geschichte der Männlichkeiten der Neuzeit Es ist ein Junge! stellen Jürgen Martschukat und Olaf Stieglitz fest, dass sich die Rede von der Krise der Männlichkeit in der Moderne in aller Regel auf die hegemoniale, weiße, heterosexuelle, bürgerliche Männlichkeit bezog; andere Männlichkeiten wurden im Gegensatz dazu nicht als krisenhaft wahrgenommen.12 Von dieser Beobachtung ausgehend, argumentieren die beiden Autoren, dass es sich bei der Betonung der Krise der Männlichkeit nicht um eine Diagnose, sondern vielmehr um eine diskursive Strategie der Stabilisierung einer Geschlechteridentität handele, die als solche stets historisch wandelbar und prekär sei: „Die hegemoniale Männlichkeit steht offensichtlich im Zentrum dieses vermeintlich kohärenten Systems, das durch die Rede von der Krise suggeriert wird.“13 Aus diesem Grunde empfehlen Martschukat und Stieglitz „Krise“ strikt als Quellenbegriff aufzufassen und ihn als heuristisches Instrument nutzbar zu machen.

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12 13

Monographie auch Hagemann 1998, S. 87-89; Hagemann 1997 sowie die Arbeiten von Ute Frevert (Frevert 1996b; Frevert 1996a; Frevert 1997; Frevert 2001, v.a. S. 39-49, 228-245). Vgl. aber auch: Reichardt 2005, S. 218-229 (hier besonders zu jugendlichem Paramilitarismus und einer neuen Aneignung der soldatischen Männlichkeit). Ich verwende den englischen Begriff des body politic an dieser Stelle synonym mit dem der Nation, um einerseits die oben dargestellte körper- und geschlechterpolitische Dimension und andererseits die sozialdarwinistische Komponente, welche, wie wir sehen werden, die Diskussion um die Nation in der Weimarer Zeit mitbestimmten, hervorheben zu können. Siehe dazu auch: Hale, D. 1973. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der Jugend und der Jugendbewegungen der 1920er Jahre würde den hier gegebenen Rahmen sprengen, daher sei an dieser Stelle nur kurz auf die einschlägigen Publikationen verwiesen: Koebner/Janz et al. (Hg.) 1985, hierin bes. Mommsen 1985 sowie Peukert 1986a, S. 139-150. Siehe: Martschukat/Stieglitz 2005, S. 82-83. Ebd., S. 83.

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Diese geschlechterhistorischen Vorbehalte gegenüber einer unreflektierten Verwendung des Begriffs der Krise der Männlichkeit zur Zeit der Weimarer Republik entsprechen Überlegungen, die in der Forschung über die Anwendbarkeit des Krisenbegriffs angestellt werden. Nachdem sich in der Historiographie, gerade in Anschluss an Detlev Peukerts Interpretation der Weimarer Zeit als die „Krisenzeit der klassischen Moderne“,14 die Krise als Deutungsmuster durchgesetzt hatte, wird dessen „Schlüssigkeit und Reichweite“ nun zunehmend auf den Prüfstand gestellt.15 Dabei wird nicht in Abrede gestellt, dass Zeitgenossen und Zeitgenossinnen der Weimarer Republik den Begriff der Krise als Beschreibungskategorie gebrauchten. Allerdings, so das Argument, sei er nicht nur im Sinne von Verfall und Zusammenbruch gebraucht worden, sondern auch zur Kennzeichnung von Chancen, die sich aus der Umbruchssituation nach Ende des Weltkrieges ergaben. Entsprechend wird ein differenzierterer Blick auf den Krisendiskurs in die Quellen eingefordert, geleitet von der Frage: „Von wem, in welchen Kontexten, mit welchen Zielen und mit welchem Ergebnis wurde er eingesetzt?“16 Ausgehend von diesen Überlegungen möchte ich im Folgenden die Verknüpfung von Männlichkeitskonstruktion und Kannibalismusdiskurs, die uns bereits in den vergangenen Kapiteln mit Blick auf das medizinischpsychiatrische Wissen beschäftigt hat, weiter verfolgen. Dabei wird deutlich werden, dass es sich bei dem zeitgenössischen Krisendiskurs um einen Verweis auf eine dreifache Krise handelte: eine der Sittlichkeit, eine der staatlichen Institutionen und eine der männlichen Jugend. Meine Analyse wird deutlich machen, dass der „cannibal talk“ (Obeysekere) politisch aufgeladen und zur Selbstverständigung über die Lage der Nation, zur Diffamierung des parteipolitischen Gegners sowie zu einer klassenspezifischen Differenzierung des jugendlich-männlichen Körpers benutzt wurde. Es entfaltete sich, ganz im Sinne Richard Kings, ein „fecund and flexible network of signifying practices“, innerhalb derer männliche Identität|Alterität artikuliert wurde.17 Oder anders formuliert: Über die Verknüpfung von Kannibalismus- und Krisendiskurs wurden männliche Körper, die Ausübung von Gewalt durch und gegen sie sowie die Überschreitung ihrer Körpergrenzen reguliert und gleichzeitig neben einer ‚rassischen‘ auch eine klassenspezifische Differenz in diese Körper eingezogen. Auf diese Weise wurde, so meine These, hegemoniale, bürgerlich-weiße Männlichkeit in Bezug auf eine Vielzahl nicht-hegemonialer Männlichkeiten, namentlich Homosexuelle, sogenannte Fürsorgezöglinge und die be14 15 16

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Peukert 1987, S. 266-271, Zitat S. 11 (HiO). Föllmer/Graf et al. 2005, S. 11. Siehe auch: Hardtwig 2005, S. 7-8. Föllmer/Graf et al. 2005, S. 24. Siehe dazu auch die Beiträge des von Föllmer und Graf herausgegebenen Sammelbandes, die sich auf die produktive Seite der Krise als Moment der Gestaltbarkeit und des Wandels konzentrieren, bes. Graf 2005. King 2000, S. 109.

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reits in vorangegangenen Kapiteln ausführlicher thematisierten Psychopathen, artikuliert. Wie wir sehen werden, handelte es sich in diesem Zusammenhang nicht um einen Prozess der bloßen Übertragung der Kategorien des ethnologischen oder medizinisch-psychiatrischen Wissens vom Menschenfresser auf andere Kontexte, sondern um eine aktive und transformative Aneigung, in der beispielsweise Elemente des antisemitischen oder des anti-homosexuellen Diskurses aufgegriffen und mit Teilen des Kannibalismusdiskurses verkoppelt wurden. Diesen Kopplungen möchte ich im Folgenden ausführlicher nachgehen.

6.1 Verkehrte Welt? Degeneration, Hunger und der Verfall der Sittlichkeit „Es war eine unruhige Zeit, damals im Jahre 1921. Geldentwertung, Teuerung, Hunger, Aufstände, Streiks ... Die Staatsmaschine der jungen Weimarer Republik ging stockend, unter Knarren und Ächzen. Nur der Apparat der Justiz lief auf Hochtouren.“18 So beschrieb der Rechtsanwalt Erich Frey in seinen Erinnerungen Ich beantrage Freispruch die gesellschaftliche Situation im Jahre 1921, dem Jahr, in dem sein späterer Mandant, Karl Großmann, gefasst wurde. Die Gründe für den desolaten gesamtgesellschaftlichen Zustand sah er in den Folgewirkungen des Ersten Weltkrieges: „Der Krieg hatte nicht nur Millionen Menschen verschlungen oder zu Krüppeln gemacht, er hatte auch die Seelen verwundet, manche völlig entstellt und verheert. Die Zahl der Verbrechen stieg ins ungeheure. Hunderttausende, die aus dem Kriege heimgekehrt waren, fanden nicht wieder zurück in ein geordnetes Leben. Hunderttausende fanden keine Arbeit und konnten sich nicht wieder an geregelte Arbeit gewöhnen. Riesig war die Zahl derer, die aus Haltlosigkeit oder auch aus Not das Gesetz brachen.“19

Mit dieser Einschätzung war Frey keineswegs allein: In den 1920er Jahren war der Konnex von Degeneration und Weltkrieg fester Bestandteil des Diskurses über die kannibalischen Lustmörder. Zu dieser Wahrnehmung 18 19

Frey 1959, S. 42 (Auslassungszeichen im Original). Ebd., S. 42. Erich Frey fungierte in einer Reihe von Strafrechtsprozessen gegen Mehrfachtäter in der Zeit der Weimarer Republik als Verteidiger. Neben Karl Großmann gehörte zu seinen Mandanten auch Friedrich Schumann. Fritz Haarmann hatte ein Beratungsgespräch mit dem Staranwalt, allerdings trat Frey im November 1924 von dem Mandat zurück (ebd., S. 61-63, 81). Haarmann behauptete seinerseits, er habe ihn abgelehnt (siehe: Vernehmungen (Protokolle) Haarmann durch Geheimrat Ernst Schultze in der Niedersächsischen Heil- und Pflegeanstalt zu Göttingen, 18.8.-25.9.1924, NHStA Hann. 155 Göttingen Nr. 864a, Bll. 298-586, hier Bll. 552-554).

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trug ganz maßgeblich die (Hyper)Inflation bei, die ganz generell große politische und soziale Folgekosten mit sich führte.20 Sebastian Haffner beschrieb die Erfahrung der Inflationszeit als gewaltsame Entfernung eines Organs namens „Gewissen, Vernunft, Erfahrungsweisheit, Grundsatztreue, Moral oder Gottesfurcht“, an dessen Stelle ein Nihilismus eingepflanzt wurde, der Deutschland auf den Nazismus vorbereitet habe. In diesem „gigantischen karnevalistischen Totentanz“ des Jahres 1923, „dieses nicht endende blutig-groteske Saturnalienfest, in dem nicht nur das Geld, in dem alle Werte entwertet wurden“,21 galten die kannibalischen Lustmörder den Zeitgenossen und Zeitgenossinnen geradezu als Verkörperung einer allgemeinen Entsittlichung und des Verlustes der Selbstkontrolle. Allen voran Karl (Friedrich Wilhelm) Großmann, geboren am 13. Dezember 1863 in Neuruppin.22 Aus der Perspektive einer historischen Diskursanalyse erscheint der ‚Fall Großmann‘ als Ort der diskursiven Verdichtung: Hier wurden alle drei Serien, die den zeitgenössischen Kannibalismusdiskurs kennzeichneten, zusammengeführt: es ging um Gier, Konsum und kapitalistische Bereicherung, Hunger und die Gewöhnung an Menschenfleisch, um Gewalt, Männlichkeit und Triebhaftigkeit.

Karl Großmann: Der Frauenmörder vom Schlesischen Bahnhof Großmann wurde am 21. August 1921 in seiner Wohnung in Berlin Langestraße 88/89 festgenommen, nachdem Nachbarn die Polizei alarmiert hatten.23 In den folgenden Wochen wurde Großmann intensiv verhört, da 20

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Die Geschichte der (Hyper)Inflation und ihre Bedeutung für die politische Entwicklung der Weimarer Republik ist ein dicht beforschtes Thema in der Neueren Deutschen Geschichte. Auch hier würde eine vollständige Rekonstruktion der Forschungsdebatte den gegebenen Rahmen sprengen. Es muss daher genügen festzuhalten, dass die neuere Forschung ein komplexes Bild der Inflationsjahre zeichnet, in dem ein ganzes Bündel aus politischen, monetären und ökonomischen Faktoren als Ursache für die Entwicklung angesehen und die „Handlungsspielräume der Politik“ als „stark eingegrenzte[r]“ diagnostiziert werden (Kerstingjohänner 2004, S. 389396, Zitat S. 389). Vor allem die Betonung der sozialen und psychischen Folgekosten hat die Debatte um die Inflationsjahre befördert. Dazu siehe: Geyer, M.H. 1998, S. 382-399; Holtfrerich 1992; Kruedener 1989, S. 286 sowie die Beiträge in Jürgen von Kruedeners Sammelband Economic Crisis and Political Collapse (Kruedener (Hg.) 1990). Für überblicksartige Zusammenfassungen des jeweiligen Diskussionsstandes siehe: Feldman 1978; Schneider, M. 1986; Feldman/Holtfrerich et al. (Hg.) 1982 sowie Feldman 1993, S. 3-11. Haffner 2002, S. 54. Siehe: Anklageschrift gegen Karl Großmann, 6.6.1922, LAB, A Rep. 35801/1522, Bd. 8, Bll. 120-132, hier Bl. 120 sowie den handschriftlichen Lebenslauf des Massenmörders Karl Großmann, 1922 (LAB, A Pr. Rep. 030 C Tit. 198 B/2042). Siehe: Anklageschrift gegen Karl Großmann, 6.6.1922, LAB, A Rep. 35801/1522, Bd. 8, Bll. 120-132, hier Bl. 126 sowie den Bericht über die Fest-

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er der Ermordung einer ganzen Reihe von Frauen, die in Berlin in den Nachkriegsjahren verschwunden waren, verdächtigt wurde.24 Er gestand dabei lediglich diejenigen Morde, die ihm unabhängig von einem Geständnis bereits aufgrund von Zeuginnen- und Zeugenaussagen sowie durch Indizienbeweise relativ sicher nachgewiesen werden konnten: die Morde an Johanna Sosnowski und Elisabeth Barthel, von der Großmann angab, er habe sie unter dem Namen „Martha“ gekannt.25 Am 6. Juni 1922 wurde gegen ihn in diesen Fällen wegen Mordes Anklage erhoben.26 Der Prozess gegen Großmann begann am 1. Juli 1922.27 Die gesamte Verhandlung fand jenseits des Blicks der Öffentlichkeit statt: Ein Streik der Berliner Schriftsetzer und Buchdrucker legte die Druckereien in der Zeit vom 27. Juni bis 11. Juli weitest gehend lahm.28 Die Vossische Zeitung verglich diese Zeit mit einem Stromausfall, „durch den die Stadt in [eine] dunkle Nacht“ der Unwissenheit „getaucht“ wurde.29 Als die metaphorischen Lichter der Stadt wieder aufleuchteten, hatte der Prozess ein unerwartetes Ende gefunden: am 5. Juli hatte sich Großmann im Untersuchungsgefängnis erhängt.30

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nahme Karl Großmanns, [23.8.1921], LAB, A Rep. 358-01/1522, Bd. 1, Bl. 8 und das Protokoll der Vernehmung von Konrad Böhm, 22.8.1921, LAB, A Rep. 358-01/1522, Bd. 1, Bll. 20-21. Explizit genannt in den Unterlagen der Untersuchungsbehörden sind die Fälle „Lietzensee“, „Nikolaussee“ sowie der Fall Schubert (Bericht der Kommissare Werneburg und Riemann, o.D. [nach dem 16.9.1922], LAB, A Rep. 358-01/1522, Bd. 1, Bll. 60-71, hier Bl. 68). In allen drei Fällen waren Knochen von Frauenleichen aufgefunden worden, denen in ähnlicher Weise Haut und Fleisch entfernt worden war. Die Fälle lagen z.T. bereits mehrere Jahre zurück (1919 und 1920). Siehe: Bericht der Kommissare Werneburg und Riemann, o.D. [nach dem 16.9.1922], LAB, A Rep. 358-01/1522, Bd. 1, Bll. 60-71, hier Bl. 67. Großmanns Geständnis zum Fall Marie Therese Nitsche siehe Protokoll der Vernehmung von Karl Großmann, 24.8.1921, ebd., Bll. 31-38, hier Bll. 34-38. Zum Fall Johanna Sosnowski siehe Protokoll der Vernehmung von Karl Großmann, 9.9.1921, ebd., Bll. 46-51 sowie Protokoll der Vernehmung von Karl Großmann, 25.9.1921, ebd., Bl. 53. Zum Fall „Martha“ siehe Protokoll der Vernehmung von Karl Großmann, 16.9.1921, ebd., Bll. 54-59. Siehe: Anklageschrift gegen Karl Großmann, 6.6.1922, LAB, A Rep. 35801/1522, Bd. 8, Bll. 120-132. Siehe: Protokoll 1. Tag der Hauptverhandlung gegen Großmann, 2.7.1922, LAB, A Rep. 358-01/1522, Bd. 8, Bll. 162-164. Es kam noch zu zwei weiteren Verhandlungstagen: am 3.7.1922 (ebd., Bll. 164-171) und am 4.7.1922 (ebd., Bll. 171-173). „Der Berliner Buchdruckerstreik“, in: Kreutz-Zeitung, 12.7.1922 (Abendausgabe). „Die Stadt im Dunkeln“, in: Vossische Zeitung, 12.7.1922 (Abendausgabe). Siehe: Handschriftliche Nachricht des zuständigen Untersuchungsrichters, 5.7.1922, LAB, A Rep. 358-01/1522, Bd. 8, Bl. 92. Offizielle Dokumente zum Tod Großmanns (Sterbeurkunde o.ä.) sind im Bestand nicht überliefert. Vgl. auch den Vermerk des Todesdatum im Strafregister Großmanns

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Der Fall Großmann war zwar auf Grund des Streiks nicht unmittelbar in der Tagespresse präsent, gewann allerdings retrospektiv große Bedeutung: Die Kette der Aufzählung der Sexualmörder der Weimarer Republik begann häufig bei ihm und er lief als Deutungsfolie bei den Diskussionen um die anderen sadistischen Mörder der Zeit mit.31 So druckte die Rote Fahne anlässlich des Falles Fritz Haarmann in ihrer Ausgabe vom 13. Juli 1924 eine Karikatur, die Haarmann bei der Zerteilung eines seiner Opfer zeigte und in deren Hintergrund ein Schild zu sehen war, auf dem stand (siehe: Anhang Abb. 9.15): „Bei mir Grossmann Mittag’s die Braut auf’s Brötchen“ [sic!]32 Unter Fachleuten galt Großmann als das Paradebeispiel eines Lustmörders aufgrund gesteigerter, ungezügelter Sexualität. Der Mediziner Magnus Hirschfeld beispielsweise führte seinen Fall zur Illustration seiner Erklärung des Lustmordes an, der seiner Ansicht nach vor allem von „Schwachsinnige[n] und Epileptiker[n]“ in einer Art „Affekttaumel und in geistiger Schwäche“ begangen würden. Der mehrfach vorbestrafte Großmann, der seiner Schilderung nach aus einer Familie von Geisteskranken stammte und dessen Vater Alkoholiker gewesen war, habe seine Opfer, „halb verhungerte[n] Mädchen“, die er am Berliner Ostbahnhof ansprach, zu sich nach Hause gelockt, dort gepeinigt und zerstückelt. „Es würde zu weit führen und zu entsetzlich sein, auf weitere Einzelheiten der ungeheuerlichen Vorgänge einzugehen, die sich sogar bis zur Anthropophagie (Menschenfresserei) gesteigert zu haben scheinen.“33 Sein Fachkollege Arthur Kronfeld (1886–1941) bezeichnete Großmann sogar als „epileptoide[n] Imbezille[n] mit stärksten moralischen Defekten und erethischer Hemmungslosigkeit und Affekterregbarkeit“, dessen „sadistische und hypersexuelle Disposition“ durch die langen Haftstrafen verschlimmert worden sei.34

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vom 12.7.1922 (Strafregisterkarte Karl Großmann, 12.7.1922, LAB, A Rep. 358-01/1522, Bd. 10, Bll. 12-13, hier Bl. 13) sowie „Selbstmord des Frauenmörders Grossmann“, in: Vorwärts, 5.7.1922 (Abendausgabe). Siehe beispielsweise: Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Prof. Hübner, 26.3.1931, HStA Düsseldorf, 17/730, Bl. 232. „Massenmörder und Menschenfleischhändler Haarmann als Vertrauensmann der Polizei“, in: Rote Fahne, 13.7.1924. Siehe auch: „Kannibalen“, in: Vorwärts, 31.12.1924 (Morgenausgabe, Beilage); Hyan 1924b, S. 3370. Hirschfeld 1924, S. 62-68, Zitate S. 68. Siehe auch: Heindl 1929, S. 201205. Kronfeld 1922, S. 148 (HiO). Kronfeld verweist hier auf einen möglichen Zusammenhang zwischen den Gewalterfahrungen der Täter im Strafvollzug und der von ihnen ausgeübten Gewalt, der auch in der Biographie Fritz Haarmanns und Peter Kürtens zu beobachten wäre und der in der historiographischen Forschungsliteratur bislang nicht berücksichtigt worden ist. Ebenso wie Großmann war auch Haarmann zum Zeitpunkt seiner Verhaftung bereits mehrfach vorbestraft und wiederholt in psychiatrischen Institutionen untergebracht gewesen (siehe: Urteil und Urteilsbegründung im

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In der Tat hatte Großmann zum Zeitpunkt seiner Verhaftung 23 Jahre seines Lebens in Haftanstalten verbracht, wie der vom Gericht bestellte psychiatrische Gutachter Prof. Strauch feststellte.35 Die Vergehen, auf Grund derer er sowohl Gefängnis- als auch Zuchthausstrafen hatte verbüßen müssen, umfassten Betteln und Landfriedensbruch, sogenannte Sittlichkeitsverbrechen (teils in Tateinheit mit Vergewaltigungen), widernatürliche Unzucht (hier Bestialität), Bedrohung und Sachbeschädigung, Körperverletzung, Hausfriedensbruch sowie Widerstand gegen die Staatsgewalt. Die letzte Zuchthausstrafe vor seiner Verhaftung 1921 ging über eine Dauer von 15 Jahren und war im Jahre 1899 wegen der Vergewaltigung eines zehnjährigen Mädchens mit Todesfolge gegen ihn verhängt worden.36 Nach seiner Freilassung verdiente Großmann nach eigener Aussage seinen Lebensunterhalt durch den Handel mit Nähgarn, Druckknöpfen und ähnlichen Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs.37 Die ihm vorgeworfenen Taten leugnete Großmann hartnäckig. Allerdings war sein Verhalten vor der Verhaftung nach Aussagen von Zeuginnen und Zeugen alles andere als unverdächtig. So hatte er sich vor seiner Verhaftung im Kreise von Bekannten mehrfach mit seiner angeblichen Berufserfahrung als Schlächter und Leichenbestatter gebrüstet. Gegenüber einer Zeugin protzte er:

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Prozeß gegen Friedrich Haarmann und Hans Grans, 19.12.1924, NHStA Hann. 173 Acc. 30/87, Nr. 80, Bll. 107-155, hier Bll. 108, 110-112.) Auch Kürten war vor seiner letzten Verhaftung mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Gegenüber seinen Gutachtern berichtete er von seinen Gewalterfahrungen im Gefängnis. (Siehe: Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Dr. M. Raether, 2.1.1931, HStA Düsseldorf, 17/731, Bl. 260). Soziologische Studien deuten darauf hin, dass sich innerhalb der geschlechterhomogenen Gruppe der Gefängnisinsassen eine Form der Hypermaskulinität ausbildet, die sich über die Ausübung von körperlicher und sexualisierter Gewalt definiert. Siehe dazu: die Arbeiten von Mechthild Bereswill (Bereswill 2001; Bereswill 2003; Bereswill 2004; Bereswill 2006), von Michael Meuser (Meuser 1999; Meuser 2003) sowie von Gerlinda Smaus (Smaus 2003). Die Klärung der Frage, inwiefern ein solcherart erlerntes Gewaltverhalten für Kürten, Haarmann und Großmann eine Rolle gespielt hat, würde den hier gegebenen Rahmen der Darstellung sprengen und muss daher einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben. Siehe: Gutachten Prof. Dr. Strauch über Karl Großmann, 26.4.1922, LAB, A Rep. 358-01/1522, Bd. 4, Bll. 210-245, hier Bl. 224. Siehe hierzu: die Angaben im Auszug aus dem Strafregister Karl Großmanns, 10.9.1921, LAB, A Rep. 358-01/1522, Bd. 4, Bll. 87-88 sowie in der Anklageschrift gegen Karl Großmann, 6.6.1922, ebd., Bd. 8, Bll. 120132, hier Bl. 120. Siehe: Anklageschrift gegen Karl Großmann, 6.6.1922, LAB, A Rep. 35801/1522, Bd. 8, Bll. 120-132, hier Bll. 120-121.

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„Ich arbeite nicht, morde nur die Leute und nehme ihnen das Geld weg. Ich bin Schlächter von Beruf, schlachte aber kein Vieh, sondern nur Frauen. Ich schneide sie in Stücke und verbrenne die Stücke.“38

Außerdem wurde er von verschiedenen Personen nach Einbruch der Dunkelheit mit Taschen und Paketen aus seiner Wohnung kommend gesehen.39 Es entstanden Gerüchte, er habe Handel mit Menschenfleisch getrieben, die im Zuge der Ermittlungen auch nicht ausgeräumt werden konnten. So stritt Großmann zwar systematisch ab, seine Wohnung nach Einbruch der Dunkelheit oder gar mit Paketen unter dem Arm verlassen zu haben, gab aber gleichzeitig an, dass er in Fällen, in denen er sexuell unbefriedigt geblieben war, sich „in derselben Nacht noch ein Mädel heraufgeholt habe“.40 Darüber hinaus suchte er, ebenfalls laut eigener Aussage, nach einem Mord oft noch Restaurants auf oder wurde von Bekannten besucht, die ihn mit Paketen unter dem Arm wieder verließen.41 Im Zuge der Ermittlungen gegen Großmann meldeten sich vor allem zwei Personengruppen bei den Untersuchungsbehörden. Erstens, und dies ist angesichts der Misshandlungen, über die sie teilweise berichteten, er38

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Großmann zur Zeugin Martha Henning, wiedergegeben in der Anklageschrift gegen Karl Großmann, 6.6.1922, LAB, A Rep. 358-01/1522, Bd. 8, Bll. 120-132, hier 124. Die Angaben zum Beruf Großmanns sind uneindeutig. In den Akten findet sich „Arbeiter“ (Strafregisterkarte Karl Großmann, 12.7.1922, ebd., Bd. 10, Bll. 12-13, hier Bl. 12), „Händler“ (Bericht über die Festnahme Karl Großmanns, [23.8.1921], ebd., Bd. 1, Bl. 8; Anklageschrift gegen Karl Großmann, 6.6.1922, ebd., Bd. 8, Bll. 120-132, hier Bl. 120; Auszug aus dem Strafregister Karl Großmanns, 10.9.1921, ebd., Bd. 4, Bll. 87-88, hier Bl. 87) ebenso wie „Schlächtergeselle[ ]“ (Gutachten Störmer über Karl Großmann, 20.5.1922, ebd., Bd. 4, Bll. 246-266, hier Bl. 246). Nach eigener Aussage hat Großmann keine Ausbildung im Fleischerhandwerk absolviert. Vielmehr war er in den 1880er Jahren als Hausknecht bei einem Schlächter angestellt und dort in dieser Funktion beim Schlachten von Schweinen behilflich (Protokoll der Vernehmung von Karl Großmann, 24.8.1921, ebd., Bd. 1, Bll. 31-38, hier Bl. 32). Siehe beispielsweise: Aussagen der Nachbarn Clemens Netter (Protokoll der Vernehmung von Clemens Netter, 22.8.1921, LAB, A Rep. 35801/1522, Bd. 1, Bl. 20) und Konrad Böhm (Protokoll der Vernehmung von Konrad Böhm, 22.8.1921, ebd., Bd. 1, Bll. 20-21, hier Bl. 20). Siehe: Protokoll der Vernehmung von Karl Großmann, 1.9.1921, LAB, A Rep. 358-01/1522, Bd. 1, Bll. 40-42, hier Bll. 40, 41, 42, Zitat Bl. 42. Siehe: Protokoll der Vernehmung von Karl Großmann, 9.9.1921, LAB, A Rep. 358-01/1522, Bd. 1, Bll. 46-51, hier Bl. 50. Hier beschreibt er, wie er in seiner Wohnung am Morgen nach einem Mord „Vogelfutter“ an einen Bekannten verkaufte und wenige Stunden später den Andreasplatz sowie „einige Restaurants“ aufsuchte. Die Gerüchte, Großmann habe das Fleisch seiner Opfer verkauft, haben sich bis heute hartnäckig erhalten. So wird beispielsweise in einer Darstellung über die Geschichte des Berliner Ostbahnhofs berichtet, Großmann habe auf dem Andreasplatz eine Wurstbude betrieben. Die anschließende Aufzählung seiner Taten legt den Verdacht nahe, Großmann habe Wurstwaren vertrieben, die Fleisch seiner Opfer enthielten (siehe: Neumann 2004, S. 62).

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staunlich, sagten viele der Frauen, mit denen Großmann in den letzten Jahren (auch sexuellen) Kontakt gehabt hatte, bei der Polizei gegen ihn aus. Die zweite Gruppe, die sich nach Großmanns Verhaftung mit der Polizei in Verbindung setzte, waren Angehörige von Frauen, die in den Jahren nach Kriegsende nach Berlin aufgebrochen waren, um dort Arbeit zu suchen, und sich seit längerer Zeit bei ihren Familien nicht wieder gemeldet hatten. Aus den Protokollen dieser Aussagen können wir sowohl die Lebenssituation und die Erfahrungen der Frauen als auch Großmanns Vorgehensweise skizzenhaft rekonstruieren. In aller Regel handelte es sich bei den Opfern Großmanns um allein stehende Frauen, deren Männer oder Verlobte gefallen oder in Kriegsgefangenschaft geraten waren. Der Schlesische Bahnhof (heute der Berliner Ostbahnhof), schon zu Zeiten des Kaiserreichs das Tor, durch welches die potenziellen Dienstmädchen aus den ländlichen Gebieten Ostpreußens die Großstadt betraten, war auch zu Kriegsende der Ort, an dem viele dieser Arbeit suchenden Frauen ankamen. Der Andreasplatz in der Nähe des Bahnhofs entwickelte sich zu einer Art Umschlagplatz für Waren, Informationen und, wenn die Not der Frauen am größten war, zum Anbahnungsort der Prostitution.42 Hier sprach Großmann gezielt allein reisende Frauen an und bot ihnen, sobald das Gespräch auf Erwerbslosigkeit, Hunger und Nahrungsmittelknappheit kam, eine Mahlzeit oder eine Tasse Kaffee in seiner Wohnung an. Manchen unter ihnen erzählte er darüber hinaus auch, dass er auf der Suche nach einer Haushälterin, oder seltener nach einer Ehefrau sei. Großmann zeigte als Beweis dafür, dass er sie auch entlohnen könne, seine prall gefüllte Brieftasche. Auf dem Weg zu seiner Wohnung kaufte er meist noch Lebensmittel für die Frau ein. In seiner Wohnung angekommen, nahmen sie die Mahlzeit oder den Kaffee ein und meist forderte Großmann im Anschluss von der Frau den Beischlaf.43 Viele 42

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Siehe: Frey 1959, S. 44. Zur Situation von erwerbstätigen Frauen während und nach der Demobilisierung siehe: Pierenkemper 1985, S. 161-166; Crew 1998, S. 116-136, bes. 126-127; Bessel 1987. Bessel berichtet über den Erfolg einer Arbeitsmarktpolitik angesichts der großen Schwierigkeiten der Demobilmachung. Allerdings scheint seine Beschreibung von der Normalisierung der sozialen Beziehungen aus geschlechterhistorischer Perspektive etwas arg kurz gegriffen (siehe: ebd., S. 38). Vgl. dazu als Korrektiv: Hagemann 1990, S. 430-445 und ihre Ausführungen zur Demobilisierung der Frauenerwerbsarbeit sowie Daniel 1989, S. 259-275 zu den Auswirkungen des Ersten Weltkrieges und der verstärkten Lohnarbeit auf das Alltagsleben der städtischen weiblichen Bevölkerung. Die Suchanzeigen und Aussagen der Angehörigen machen einen Großteil des Aktenbündels der in Band 5 erhaltenen Unterlagen der GStA Berlin aus, so wie die Aussagen von Zeuginnen gegen Großmann den Löwenanteil des Bandes 4 stellen (siehe: LAB, A Rep. 358-01/1522, Bd. 4 und Bd. 5). Eine systematische Rekonstruktion der Vorgehensweise Großmanns auf Grundlage dieser Aussagen findet sich in der Anklageschrift gegen Karl Großmann, 6.6.1922, ebd., Bd. 8, Bll. 120-132, hier Bll. 121-124. Die Bezeichnung „Sittendirne“, die hier für einige der aufgelisteten Zeuginnen

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Personen aus dem sozialen Umfeld Großmanns wussten von der hohen Fluktuation unter seinen sogenannten ‚Haushälterinnen‘ und auch von seiner Gewalttätigkeit. Niemand erstattete Anzeige.44 Der Blick auf die Situation und die Erfahrungen der mit Großmanns Gewalt konfrontierten Frauen macht deutlich, dass seine Taten durch die chaotische Nachkriegssituation wenn nicht ermöglicht, so doch wesentlich erleichtert wurden. Damit sind seine Morde nicht Ausdruck eines zivilisatorischen Regresses, ausgelöst durch die Gewalterfahrungen des Ersten Weltkrieges wie zeitgenössisch vermutet, sondern vielmehr des Zusammenspiels von kriegsbedingter Hunger- und Notsituation auf der einen Seite sowie Überlebensstrategien und damit einhergehender Gleichgültigkeit durch das soziale Umfeld auf der anderen Seite.45 Die eingangs vorgestellte traditionelle Forschungshypothese von der misogynen Gewalt als „psychic fall-out“ des Ersten Weltkrieges,46 die den zeitgenössischen Krisendiskurs aufgreift, muss also entsprechend revidiert werden.

Mörder- und Schieberdämmerung: Kannibalismusdiskurs und die Angst vor dem Verfall der Sittlichkeit In den Publikationen über die kannibalischen Lustmörder Karl Großmann, Karl Denke und Fritz Haarmann, in Zeitungsbeiträgen, in überarbeiteten Wiederveröffentlichungen in Buchform oder in populär-kriminologischen Darstellungen der 1920er Jahre hingegen war, wie wir sehen werden, diese Vorstellung vom ursächlichen Zusammenhang zwischen Weltkrieg und Degeneration oder Entsittlichung weit verbreitet. Gleichzeitig tauchen in den Publikationen drei der in den vorhergehenden Kapiteln rekonstruierten Serien des Kannibalismusdiskurses wieder auf: die Kopplung von moralischer Verwahrlosung-Gier-Kapitalismus, die von Hunger-GewöhnungKannibalismus sowie von Gewalt-Triebkontrolle-Männlichkeit. Wie ich im Folgenden demonstrieren werde, zeigt eine genauere Analyse dieser diskursiven Serien jedoch eine Reihe von signifikanten Unterschieden

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verwendet wurde, deutet darauf hin, dass diese Frauen bei der Polizei als Prostituierte registriert waren. Die sogenannten Prostitutionsverordnungen der Nachkriegszeit stellten eine Reihe von weiblichen Verhaltensweisen unter den Generalverdacht der Prostitution, so dass diese Registrierung nicht zwingend bedeutete, dass die hier so benannten Frauen tatsächlich sexuelle Dienstleistungen gegen Geld oder Waren erbracht hatten. Dazu einschlägig: Evans 1976b; Grossmann 1983; Allen, A.T. 1993. Siehe: Frey 1959, S. 43-45. Stattdessen versuchten einige der Nachbarn, Großmann persönlich zur Rede zu stellen (siehe: Anklageschrift gegen Karl Großmann, 6.6.1922, LAB, A Rep. 358-01/1522, Bd. 8, Bll. 120-132, hier Bl. 121). Auch aus biographischer Perspektive erscheint die Theorie vom dezivilisierenden Einfluss der Kriegserfahrung nicht sinnvoll: Großmann war, wie oben gesehen, zur Zeit des Ersten Weltkrieges in Haft. Tatar 1997, S. 12.

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zwischen dem rechts-konservativen Diskurs und dem in der Publizistik geführten Kannibalismus-Diskurs auf. Erstens wurde im Kontext der Auseinandersetzungen um die weißen Kannibalen Degeneration als der Verlust von Zivilisation und der damit gleichgesetzten männlichen Selbstkontrolle verstanden, nicht wie bei Anhängern und Anhängerinnen der konservativen Revolution der Verfall der (Kultur)Nation durch die Etablierung einer Massendemokratie. Zweitens wurde nicht die Rückkehr in die als weiblich konnotierte demokratische Zivilgesellschaft als krisenhaft wahrgenommen, sondern der Verlust männlich-weißer Selbstkontrolle. Nicht die Unterordnung ‚des Mannes‘ unter die Autorität ‚der Frau‘ und seine Verweiblichung wurden problematisiert, sondern im Gegenteil ein Übermaß von Männlichkeit, die Gefahr des Ausbruchs seiner ungezügelten Triebhaftigkeit. Ein charakteristisches Beispiel für die erste Serie diskursiver Verknüpfungen ist Richard Herbertz’ (1878-1959) Werk Verbrecher-Dämmerung.47 Hierin untersuchte der Autor die Gründe für die von ihm ebenfalls diagnostizierte „ethische Verwahrlosung“ des deutschen Volkes, als deren kriminelle Auswüchse er das „Schiebertum“ und den Lustmord ansah. „Bald sind es Verbrechen von unausdenkbarer Scheußlichkeit, mordende, menschenfresserische Unholde, die uns entsetzen, bald sind es Schiebungen größten Stils, Betrügereien und Schein- und Schwindelgeschäfte von früher unbekannten Riesenausmaßen, vor denen uns der Verstand stillsteht: Mörder- und Schieberdämmerung! [...] Wankt der Boden unter unsern Füßen? Ist die ethische Verwahrlosung unseres Volkes soweit fortgeschritten, daß auch die bisher sichersten Stützen bersten? Stehen wir unmittelbar vor dem Hereinbrechen des russischen Chaos?“48

Hier tauchte ein Versatzstück des cannibal talk wieder auf, das bereits seit der Frühen Neuzeit umlief: die Kopplung von moralisch-sittlicher Verwahrlosung, Gier, Kapitalismus und Kannibalismus.49 Hier geschah dies in Form der Schieber, die sich gierig an der Not anderer bereicherten, und der 47

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Herbertz studierte zunächst Chemie, dann Philosophie und Physik an der Universität Bonn, wo er 1905 promovierte und 1907 habilitierte. Von 1910 bis 1948 hatte er eine Professur für Allgemeine Philosophie an der Universität in Bern inne. Ab den 1920er Jahren widmete sich Herbertz mehr und mehr kriminalpsychologischen Fragen. Neben Verbrecher-Dämmerung gehört zu seinen dazu einschlägigen Werken auch Die Psychologie des Unterbewussten (Herbertz 1932). Herbertz war unter anderem der akademische Lehrer Walter Benjamins, der 1919 bei ihm promovierte. Herbertz 1925, S. 9 sowie das Vorwort. Es handelte sich hierbei um die Wiederveröffentlichung seiner bereits zuvor in der Presse erschienenen Beiträge zum Thema. Herbertz hatte Pläne für eine weitere Veröffentlichung mit dem Titel „Schieberdämmerung“, diese wurden allerdings nicht realisiert (ebd., Vorwort). Siehe: Hulme 1992, S. 85; Mackenthun 1997, S. 55-57; Schülting 1997, S. 88; Jooma 2001; Struck 2001; Obeyesekere 2005, S. 42-43.

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Lustmörder, die in ihrem Sexualrausch das Fleisch ihrer Opfer verschlangen. Wie wir sehen werden, gab es mit Fritz Haarmann und Karl Großmann Täter, die beide Ängste auf sich vereinten. Die Einspeisung von Menschenfleisch in die Konsumsphäre wurde, wie wir bereits gesehen haben, im Kannibalismusdiskurs in seiner seit Ende des 19. Jahrhunderts umlaufenden Fassung als ganz besonders verwerflich angeprangert. Sowohl Ethnologen wie Richard Andree als auch Kriminologen wie Cesare Lombroso, sahen hierin ein Zeichen des evolutionär-niedrigen Standes der Zivilisation einer Gesellschaft.50 Gerüchte über den Verzehr von Menschenfleisch während oder im Anschluss an den Ersten Weltkrieg gab es viele. Eines davon bezog sich auf die russische Oktoberrevolution, die damit verbundenen bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen und die dadurch hervorgerufene Hungersnot der Jahre 1921-23: dem von Herbertz genannten „russischen Chaos“. Theodor Lessing behauptete gar, hier hätten Eltern ihre eigenen Kinder verspeist.51 Nicht nur von Lessing, sondern auch von offizieller Seite wurde auf diese Hungersnot rekurriert. So hieß es in einer Druckschrift des Reichsgesundheitsamtes über die desolate Versorgungslage der deutschen Bevölkerung: „Wohin solche Zustände führen, hat das Massensterben und die Heimsuchung des russischen Volkes durch Seuchen in den letztvergangenen Jahren gelehrt.“52 Auf diese Weise wurde genau das Schreckgespenst heraufbeschworen, von dem die anthropologische und kriminologische Fachliteratur, namentlich Lombroso, unentwegt sprach: die Gefahr der Gewöhnung an Menschenfleisch in Zeiten der Krise und des Nahrungsmangels.53 Hier begegnet uns die zweite Serie des Kannibalismusdiskurses wieder: Gewöhnung-Hunger-Kannibalismus, die umso deutlicher zu Tage tritt, wenn wir uns die Ernährungsgewohnheiten von Großmanns Zeitgenossinnen und Zeitgenossen vor Augen führen. Zwar hatte Lombroso in seinem Werk L’uomo delinquente Fleischkonsum als Gewalt anstachelnd und Aggressionen fördernd verdammt, die zeitgenössische Ernährungsphysiologie hingegen empfahl ganz ausdrücklich den regelmäßigen Genuss fleischlicher Kost. So wurde beispielsweise in einer Gesundheitsbroschüre des Reichsgesundheitsamtes als „Tagesnahrung für einen männlichen Erwachsenen bei mittlerer Arbeit“, neben Roggenbrot, Magermilch, Kartoffeln, Erbsen, Reis, Schmalz und Magerkäse eine Mindestmenge von 150g mittelfettem Rindfleisch angegeben.54 50 51 52

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Siehe dazu auch Kapitel 2 und 4. Siehe: Lessing 1973, S. 11. Zum Stereotyp des Verzehrs der eigenen Kinder siehe: Nussbaumer 2003, S. 16-125, hier v.a. S. 31-38. Erläuterungen aus dem Reichsgesundheitsamt zur Denkschrift über die gesundheitlichen Verhältnisse des Dt. Volkes im Jahre 1920/1921, Berlin 1922, BArch R 43 I/1976, Bll. 213-225, hier Bl. 225. Siehe: Lombroso 1887, S. 26, 68-71. Erläuterungen aus dem Reichsgesundheitsamt zur Denkschrift über die gesundheitlichen Verhältnisse des Dt. Volkes im Jahre 1920/1921, Berlin

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Fleisch galt bereits am Ende des Kaiserreichs als Grundnahrungsmittel in Deutschland. Besonderer Beliebtheit erfreute sich das im Vergleich zum Rindfleisch billigere Schweinefleisch, welches zum Lieblingsfleischartikel der Arbeiter und Arbeiterinnen avancierte: Zwischen 1850/54 und 1909/13 stieg der Fleischkonsum um 122 Prozent.55 Dieser Konsum war nicht nur klassen-, sondern auch geschlechterspezifisch: „Fleisch, die nahrhafte Kost schlechthin, kräftig und Kraft, Stärke, Gesundheit, Blut schenkend, ist das Gericht der Männer“, und zwar vor allem derjenigen Männer, die besonders über ihre Körperlichkeit definiert waren, der Männer der Arbeiterklasse.56 Den empfohlenen und gewohnten Fleischbedarf zu decken, erwies sich jedoch unter den Bedingungen der extremen Inflation zu Beginn der Weimarer Republik als extrem schwierig:57 Der Fleischverbrauch pro Kopf reduzierte sich von 52 kg im Jahre 1912 auf rund 29 kg im Jahre 1921. Noch drastischer fällt ein Vergleich des durchschnittlichen wöchentlichen Pro-Kopf-Verbrauches zwischen dem dritten Viertel des Jahres 1922 und demjenigen vor Beginn des Krieges aus: dieser sank von etwa einem ganzen stattlichen Kilo auf magere 400g.58 Diese kriegs- und inflationsbedingte Fleischnot galt, wie wir bereits im Fall Karl Denke am Beispiel des untersuchenden Staatsanwaltes gesehen haben, als Auslöser für Kannibalismus. So hieß es im Vorwärts in einem Artikel mit dem Titel „Kannibalen“:

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1922, BArch R 43 I/1976, Bll. 213-225, hier Bl. 223. Zu Lombrosos Warnung vor Fleischkonsum siehe: Lombroso 1887, S. 26. Siehe: Davis, B. 2000, S. 69; Nonn 1996a, S. 55; Nonn 1996b, S. 26-29. Entsprechend kam es 1914 aufgrund eines drastischen Anstiegs des Preises für (Schweine)Fleisch zu ersten sogenannten Teuerungsprotesten. Siehe dazu: Nonn 1994 sowie Lindenberger 1994. Bourdieu 1987, S. 305-311, Zitat S. 309 (HiO). Bourdieus Feststellung bezieht sich auf die französischen Arbeiter und Arbeiterinnen der 1960er Jahre, hat aber, wie sozial- und geschlechtergeschichtliche Untersuchungen demonstriert haben, ebenfalls Gültigkeit für den hier vorliegenden Untersuchungszeitraum. Siehe: Davis, B. 2000, S. 169-170; Sandgruber 2004, S. 387-390; Wirz 1997, S. 442-443. Siehe: Erläuterungen aus dem Reichsgesundheitsamt zur Denkschrift über die gesundheitlichen Verhältnisse des Dt. Volkes im Jahre 1920/1921, Berlin 1922, BArch R 43 I/1976, Bll. 213-225, hier Bl. 223.) Lebensmittelknappheit war ein immer wiederkehrendes Problem seit Ausbruch des Krieges, siehe: Davis, B. 2000, S. 93-113; Crew 1998, S. 166-187; Allen, K. 2002, S. 59-81. Siehe: Erläuterungen aus dem Reichsgesundheitsamt zur Denkschrift über die gesundheitlichen Verhältnisse des Dt. Volkes im Jahre 1920/1921, Berlin 1922, BArch R 43 I/1976, Bll. 213-225, hier Bl. 223. Die Situation der Fleischversorgung wurde auch in der Presse thematisiert. Siehe dazu beispielsweise in der Deutschen Allgemeinen Zeitung: „Aus Groß-Berlin“, 13.8.1920 (Morgenausgabe), S. 3; „Aus Groß-Berlin“, 22.8.1920 (Morgenausgabe), S. 3; „Die Fleischversorgung Deutschlands“, 26.8.1921 (Morgenausgabe), S. 4.

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„In gleicher Weise ist es nicht einfach von der Hand zu weisen, daß nur auf dem Hintergrund der wirtschaftlichen Not, die in Deutschland größer [ist] als irgendwo anders, in dem kranken Hirne einiger entarteter Menschen die Idee auftauchen konnte, mit Menschenfleisch zu handeln und auch selbst ihren Fleischhunger an ihm zu stillen.“59

Auch die Deutsche Allgemeine Zeitung griff diese Vorstellung eines ursächlichen Zusammenhanges von Inflationszeit, Fleischmangel und Lustmord auf. In der Ausgabe vom 30. Dezember 1924 wurden die Ergebnisse von angeblich selbst „angestellten Recherchen“ vorgestellt, nach denen Karl Denke mit dem Verzehr von Menschenfleisch „erst in der Inflationszeit“ begonnen haben soll. Wie wir bereits in Kapitel vier gesehen haben, widerspricht diese Aussage den polizeilichen Untersuchungsergebnissen, entsprach aber dem Narrativ vom degenerierenden, entzivilisierenden Einfluss der Inflationszeit.60 Darüber hinaus wurde dem Krieg ganz allgemein eine entsittlichende Wirkung zugesprochen, die weit über das Kriegsende hinauswirken sollte. Unter dem Schlagwort der „Kriegsverwilderung“61 wurde postuliert, dass die kulturell anerzogene Sittlichkeit zusammengebrochen sei und nun die gewalttätige Natur des Menschen hervorbräche: „Die in ruhigen Zeiten des Friedens anerzogene Achtung vor dem Menschenleben schwindet im Kriege. Es werden bei vielen Kriegern tiefere Schichten des Seelischen bloßgelegt. Animalische Instinkte, die im Frieden verdeckt sind, kommen zum Vorschein. Das Raubtier wird geweckt und kann auf das Friedenssignal nicht sogleich eingeschläfert werden.“62

Die angeblich ansteigende Zahl der Sexualverbrechen wurde als Indiz für diese Entsittlichung angeführt.63 Sexualität wurde in diesem Kontext zu59 60

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„Kannibalen“, in: Vorwärts, 31.12.1924 (Morgenausgabe, Beilage). „Der Kannibale“, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, 30.12.1924 (Morgenausgabe), S. 3. Ein weiteres Beispiel für dieses Narrativ liefert der Film Die freudlose Gasse (Sofar-Film-Produktion, 1925) von Georg Wilhelm Pabst, der die Geschichte des Fleischers Josef Geiringer und der Nachtklubinhaberin, Zuhälterin und Wucherin Frau Greifer erzählt, die sich im Wien der Nachkriegszeit an der Armut ihrer Nachbarn bereicherten. Als Vorlage diente Pabst der gleichnamige Roman von Hugo Betthauer aus dem Jahr 1924. Der Film wurde mehrfach auf Grund von Zensurbestimmungen gekürzt. Erst zwischen 1995 und 1997 erfolgte eine umfangreiche Restauration des Originals im Münchner Filmmuseum (Siehe dazu: Horak 1998). Heymann 1930, S. 63. Kankeleit 1925, S. 194. Siehe: Heymann 1930, S. 63. Dieses Phänomen war laut Ansicht des hier zitierten Autoren nicht auf Deutschland beschränkt: „[E]ine Lockerung der Moralbegriffe und der Ethik im allgemeinen [sei] bei allen in Mitleidenschaft gezogenen Völkern zu verzeichnen“. (ebd., S. 63-64.) In diesem

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sammen mit Hunger als das Hauptmotiv für Kriminalität bezeichnet: „Hunger und Liebe, uralter Sang der Menschheit, sind die unausrottbaren Triebkräfte in dem Reigen verbrecherischer Ausbrüche.“64 In der zeitgenössischen Wahrnehmung sollte damit auf gesellschaftlicher Ebene genau jene Situation eintreten, vor der Kriminologen und Mediziner in Bezug auf das männliche Individuum stets gewarnt hatten: Der Käfig der Zivilisation und der Triebkontrolle wurde geöffnet und „die Bestie im Menschen“, die nur auf einen günstigen Moment gelauert habe, um auszubrechen, könne hervor kommen.65 Auch Erich Wulffen teilte diese Einschätzung. „Die Sexualität“ habe durch „Kriege und Staatsumwälzungen stärkste Beeinflussung erfahren“, die „Gewaltsamkeiten des Krieges und der Blutrausch“ hätten sich in ihr niedergeschlagen, das Massensterben habe den Überlebensinstinkt beider Geschlechter angefacht, und so komme es zu „Tanzepidemien und anderen Exzessen“ sowie zu einer Häufung von „Sexualprozessen“.66 In diesem Sinne löste die Vorstellung, Menschenfleisch könne als Ware auf dem (Schwarz)Markt in Deutschland zirkuliert haben, bei den Zeitgenossen und Zeitgenossinnen Zweifel über die eigene sittliche Verfasstheit aus. Entsprechend verwies der von Richard Herbertz verwendete Begriff der „Mörder- und Schieberdämmerung“ nicht auf die Morgen- sondern auf die Abenddämmerung.67 Wir können damit an dieser Stelle Fragmente einer Kulturkritik erkennen, die oberflächlich betrachtet als Teil eines konservativen Diskurses anmuten, der sich an anderer Stelle in der Metapher von der „verkehrten Welt“ verdichtete, mit der all jenes beschrieben wurde, was als negatives Charakteristikum der eigenen Gegenwart erfahren wurde: „krisenhafte Zustände, das Neu[e], das Revolutionäre“.68 Diese Rede von der „verkehrten Welt“ war Teil einer antimodernen Bewegung, die ihre Ursprünge in den 1890er Jahren hatte.69 Sie umfasste in der Weimarer Zeit ein breit ge-

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Sinne auch: „Kannibalen“, in: Vorwärts, 31.12.1925 (Morgenausgabe, Beilage). Heymann 1930, S. 3 (HiO). Herbertz 1925, S. 35-36, 49-50, Zitat S. 49. Wulffen 1966, S. 470. Gleichzeitig war der Titel des Werks eine Anspielung auf Friedrich Nietzsches Götzen-Dämmerung, worin der Autor eine harsche Zivilisationskritik übte: Religion und Sitte sperrten den Menschen in ein kulturelles Korsett, das ihn entstelle und krank mache. (vgl. Nietzsche 1969, S. 93, 140-142 (zuerst erschienen: Leipzig: Naumann, 1889)). Geyer, M.H. 1998, S. 16-17. Siehe: Peukert 1987, S. 11, 87-91; Mai 2001, S. 10-14. Die Debatte um die Bedeutung der Auseinandersetzungen zwischen vormodernen und modernen Elementen der deutschen Gesellschaft des Kaiserreiches und Weimars stellt eine der zentralen Auseinandersetzungen der deutschen Nachkriegshistoriographie dar. Ausgehend von der Frage, inwiefern „die Machtübertragung an Hitler aus spezifischen Eigenarten der politischen Entwicklung Deutschlands“ (Winkler 1998, S. 129) seit der Gründung des Kaiserreichs erklärbar sei oder nicht, entwickelte sich die sogenannte ‚Sonderwegsde-

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fächertes Spektrum konservativer bis völkischer Positionen, als deren kleinster gemeinsamer Nenner in erster Linie ein radikaler Nationalismus, die Ablehnung der reflexiven Modernisierung sowie des als ‚undeutsch‘ und westlich begriffenen Parlamentarismus und Pluralismus benannt werden können. Wie bereits angesprochen, wurde hier die militärische Niederlage als eine der deutschen Männlichkeit interpretiert; vor allem deshalb, weil ‚die Krieger‘ in eine als weibisch wahrgenommene Republik zurückkehrten, in eine Welt, in der sie ihre ‚natürliche‘ Autorität verloren hatten. Mit diesem biologistisch-hierarchischen Geschlechtermodell gepaart mit Antifeminismus gingen in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen einher: Kulturpessimismus und Zivilisationskritik, Rassismus und Antisemitismus. Diese durchaus heterogene Strömung wird in der Literatur unter dem Sammelbegriff „Konservative Revolution“ zusammengefasst. Ihr sind Autoren so unterschiedlicher Prägung wie Oswald Spengler, Werner Sombart und Ernst Jünger zuzuordnen, und sie ging Hand in Hand mit einer Rezeption des Werkes von Friedrich Nietzsche.70 Auch Herbertz nahm Bezug auf Nietzsche und dies nicht nur mit dem Titel seiner Darstellung über die Weimarer Lustmörder, sondern auch in seiner Darstellung Die Psychologie des Unbewußten. Besonders griff er darin auf Nietzsches Argument, dass „[i]m verborgenen Grund – also in der unbewußten Seele – des Kulturmenschen [...] das Raubtier versteckt“ sei, zurück. Diese, wie er mit den Worten Nietzsches formulierte, „‚prachtvolle, nach Beute und Sieg lüstern schweifende blonde Bestie‘“, müsse sich „von Zeit zu Zeit austoben“.71 Jedoch zog er aus diesem Teil des nietzscheanischen Œvres völlig andere Folgerungen als die Autoren der Konservativen Revolution. Statt der Verunstaltung des Menschen durch Zivilisation und Kultur betonte Herbertz die Allgegenwärtigkeit der

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batte‘, deren Verlauf im Einzelnen nachzuzeichnen nicht die Aufgabe der hier vorliegenden Untersuchung sein kann. Zur Einführung siehe: Moeller 1984 und Helga Grebings Der deutsche Sonderweg (Grebing 1986, bes. S. 72-75, 193-200). Der Diskussion lag die Annahme eines nationalstaatlichen Normalwegs in die Moderne zu Grunde, welche in der neueren Forschung mit Blick auf koloniale und transnationale Prozesse zunehmend kritisiert wird. Als Vorschläge für mögliche Umsetzungen dieser Kritik siehe: Osterhammel 2001c; Jarausch/Geyer, M. 2003, S. 85-108; Geyer, M. 2004; Sheehan 2006. Siehe dazu: Stern 2005, S. 7-16; Herf 1984, S. 11-17; Planert 1998, S. 259294; Breuer 1993, S. 42-43, 70-78, 181; Struve 1973, S. 223-231; Mohler 1989, S. 9-15, 25-44, 86-129; Bracher 1982, S. 130-149; Sontheimer 1992, S. 244-259. Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass die Konservative Revolution nicht antimodern im Sinne einer grundsätzlichen Technikfeindlichkeit oder Ablehnung der Industrialisierung war. Vielmehr handelte es sich um eine Form des „reactionary modernism“, der versuchte nationalistischen Romantizismus und technologischen Fortschritt miteinander zu verbinden (siehe: Herf 1984, S. 2-3; Breuer 1993, S. 5; Rohkrämer 1999, S. 217-341). Herbertz 1932, S. 123. Vgl. Nietzsche 1969, S. 93, 140-42.

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Gefahr des Kontrollverlustes. In jedem Impuls, in allen Tagträumereien und kleinen Phantasievorstellungen vermutete er einen Ausbruchsversuch des inneren Wilden: „Der durch die Hemmung der Kultur gefesselte Kannibale in unserm Unbewußten hat sich geregt und gegen seine Fesselung aufbegehrt.“72 Gleichzeitig wurde auf diese Weise die dritte Serie des Kannibalismusdiskurses aktiviert: Gewalt-Triebkontrolle-Männlichkeit. Theodor Lessing (1872-1933), Beobachter des Prozesses gegen Fritz Haarmann und seinen mutmaßlichen Komplizen Hans Grans, beschrieb den auch von ihm vermuteten Zusammenhang von Kriegserfahrung und Gewalt wie folgt: „Dieses Wolfstum bei Radio und Elektrizität, der Kannibalismus in feiner Wäsche und eleganter Kleidung, dürfte somit ein Merkmal sein für die Seele der abendländischen Wolfsmenschheit überhaupt; im Kleinen noch einmal dasselbe wiederholend, was im Großen darlebten [sic] fünf Heldenkriegsjahre, in denen jegliches Werktum des Mordens und jeder Wohlstand seelischen Todes im Dienste des Wolfsherzens und der Wolfsmoral stand und die älteste Erkenntnis wieder die jüngste ward: ‚Homo homini lupus e natura‘, der Mensch ist dem Menschen von Natur der Wolf.“73

6.2 Menschenfresser im Staatsdienst? P o l i z e i ve r s a g e n u n d H a a r m a n n - S ys t e m Die fünf Jahre zwischen 1924 und 1929 gelten aus der Perspektive heutiger historiographischer Forschung als eine „Phase der relativen Stabilisierung“ der Weimarer Republik.74 Für die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen war diese Stabilisierung im Jahr 1924 alles andere als absehbar. Das Jahr der Hyperinflation war geprägt von Putschversuchen aus den Reihen der 72 73

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Herbertz 1932, S. 123. Lessing 1973, S. 200. Lessing studierte zunächst Medizin in Freiburg i.B., Bonn und München, ab 1895 wechselte er allerdings zur Psychologie, Literatur sowie Philosophie und wurde 1899 in an der Universität Erlangen promoviert. Der bekennende Sozialist Lessing nahm nach Ende des Krieges seine vom Kriege unterbrochene Lehrtätigkeit an der TH Hannover wieder auf, ab 1922 als außerordentlicher Professor der Pädagogik und Philosophie. Teile seines Lebensunterhaltes verdiente Lessing mit der Veröffentlichung von Essays und Feuilletonbeiträgen (z.B. im Prager Tagblatt). Nach einer kritischen Formulierung über Paul von Hindenburgs Eignung zum Reichspräsidentenamt in einem dieser Beiträge führte die deutschnational-völkisch orientierte Studentenschaft der TH eine antisemitische Hetzkampagne gegen ihn. 1926 stellte Lessing seine Vorlesungstätigkeit ein und das preußische Kultusministerium wandelte seinen Lehr- in einen Forschungsauftrag um. Lessing floh 1933 nach Marienbad, wo er 1935 von sudetendeutschen Nationalsozialisten ermordet wurde. Zu Leben und Werk Lessings siehe: Poetzl 1978; Lenk 1995; Marwedel 1987; Schoeps 1997; Kotowski (Hg.) 2006. Kolb 2002, S. 57.

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politisch extremen Rechten wie auch der Linken. Vor allem nach den niedergeschlagenen Aufständen in Hamburg verschärften sich die Auseinandersetzungen zwischen Regierungs-SPD und KPD. Im Herbst am 23. November 1923 wurde ein Verbot gegen die KPD ausgeprochen. Der Ausnahmezustand, am 26. September 1923 angesichts der Ruhrunruhen ausgerufen, wurde erst am 13. Februar 1924 wieder aufgehoben. Richard Herbertz’ Frage, ob die Republik „unmittelbar vor dem Hereinbrechen des russischen Chaos“ stehe, schien also eine durchaus berechtigte zu sein.75

Fritz Haarmann: Der Werwolf von Hannover In dieser Situation flammte in Hannover, etwa elf Monate nach Ende des Prozesses gegen Großmann, ein Verdacht wieder auf, der bereits seit Längerem vor Ort geschwelt hatte: „daß in der schweren Notzeit Menschenfleisch auf dem Markt verkauft worden sei.“76 Ein Ausgangspunkt dieser Gerüchte war die Entdeckung von insgesamt sechs menschlichen Schädeln am Ufer der Leine zwischen dem 17. Mai und dem 24. Juni 1924.77 Die aufgeschreckte Bevölkerung suchte am 8. Juni, dem Pfingstsonntag des Jahres 1924, in einer skurril anmutenden Selbsthilfeaktion das Flussufer ab. Am 5. Juli ließ die Polizei Teile der Leine absperren und durchsuchte das Flussbett. Hierbei wurde eine größere Anzahl menschlicher Knochen entdeckt, darunter 22 rechte Oberschenkelknochen, so dass von mindestens ebenso vielen Opfern ausgegangen wurde. Die Knochen stammten ausschließlich von jungen Männern, viele davon im Alter zwischen 15 und 20 Jahren.78 Ab diesem Zeitpunkt ging die Polizei davon aus, dass Mord vorliegen könnte, und konzentrierte ihre Untersuchungen auf die polizeilich erfassten homosexuellen Männer Hannovers.79 Als am 22. Juni 1924 Friedrich (Fritz) Haarmann, geboren am 25. Oktober 1879 in Hannover, verhaftet und als Hauptverdächtiger in Untersuchungshaft gehalten wurde, geschah dies eher zufällig denn in Folge systematischer Polizeiarbeit: Haarmann hatte selbst einen jungen Mann auf der Bahnhofswache der Polizei Hannover als Ausreißer mit falschen Papieren angezeigt. Der junge Mann beschuldigte nun seinerseits Haarmann, ihn zur Onanie genötigt zu haben und trat damit eine Untersuchungswelle gegen Haarmann los, welcher von der Polizei bereits seit Längerem, allerdings bislang erfolglos, 75 76 77

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Herbertz 1925, S. 9. Vgl. dazu Oberreuther 1984 und Schumann 2001, S. 203, 359. Lessing 1973, S. 17. Siehe: Urteil und Urteilsbegründung im Prozeß gegen Friedrich Haarmann und Hans Grans, 19.12.1924, NHStA Hann. 173 Acc. 30/87, Nr. 80, Bll. 107-155, hier Bl. 124. Siehe: Lessing 1973, S. 17-18. Haarmanns homosexuelle Praktiken waren der Polizei zum Zeitpunkt der Verhaftung bekannt. Vgl. Unveröffentlichte Erinnerungen zum Fall Haarmann von Kriminalinspektor Lange, 3.7.1961, NHStA Hann. 87 Acc. 116/84, Nr. 11, Bll. 15-28, hier Bl. 16.

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beobachtet worden war.80 Haarmann wurde verhaftet und legte kurze Zeit darauf ein erstes Geständnis ab, in dem er den Mord an acht jungen Männern zugab.81 Seine Wohnung war zu diesem Zeitpunkt bereits zweimal im September des Jahres 1918, als die beiden Schüler Friedel Rothe und Hermann Koch vermisst wurden, durchsucht worden. Beide Male hatten die Beamten keine Hinweise auf den Verbleib der beiden jungen Männer gefunden, jedoch waren andere männliche Jugendliche bei ihm angetroffen worden, mit denen er nach eigener Aussage gegenseitige Masturbation praktiziert hatte.82 Haarmann hatte sich vor seiner Verhaftung 1924 über mehrere Jahre hinweg erfolgreich in einer Grauzone zwischen Legalität und Illegalität bewegt. Einerseits hatte er Geschlechtsverkehr mit wechselnden jungen Männern und pflegte Kontakte zu Zuhältern und Prostituierten.83 Andererseits arbeitete er als Informant für die Hannoversche Kriminalpolizei, gründete gemeinsam mit dem pensionierten Polizeibeamten August Olfermann das Privatdetektivbüro „Lasso“ und führte einen selbst gefertigten Ausweis mit sich, der ihn als Mitarbeiter dieser Detektei auswies.84 Sein enger Kontakt zur Polizei war in seinem unmittelbaren sozialen Umfeld gut bekannt.85 Dabei war Haarmann mehrfach vorbestraft: Für (wiederholten) Diebstahl, Sachbeschädigung, Betrug, Betteln und Körperverletzung hatte er zwischen 1905 und 1922 immer wieder Gefängnis- und Zuchthausstrafen verbüßt.86 Dieser Umstand musste der Öffentlichkeit und den Untersuchungsbehörden um so deutlicher vor Augen treten, als dass nach der pazifistischen Grundstimmung der Anfangsjahre der Republik, in der die Entmilitarisierung mit einer Devaluierung der kriegerisch-soldatischen

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Siehe: Bericht an Justizministerium, 28.7.1924, NHStA Hann. 87 Acc. 116/84, Nr. 11, Bll. 29-32, hier Bl. 30 sowie Unveröffentlichte Erinnerungen zum Fall Haarmann von Kriminalinspektor Lange, 3.7.1961, ebd., Bll. 15-28, hier, Bll. 16-17. Siehe: Bericht an Justizministerium, 28.7.1924, NHStA Hann. 87 Acc. 116/84, Nr. 11, Bll. 29-32, hier Bl. 30. Siehe: Urteil und Urteilsbegründung im Prozeß gegen Friedrich Haarmann und Hans Grans, 19.12.1924, NHStA Hann. 173 Acc. 30/87, Nr. 80, Bll. 107-155, hier Bll. 111-112. Siehe: Aussagen Haarmanns über seine Beziehungen zu anderen homosexuellen Männern in Hannover, in: Vernehmungsprotokolle aus Hannover (Juli/August 1924), NHStA Hann. 155 Göttingen Nr. 864a, Bll. 630-675 sowie Auszüge aus den Vernehmungen Haarmanns vom 5.7.-12.7.1924, ebd., Bll. 941-944. Siehe dazu: die Aussage von August Olfermann, 1.8.1924, NHStA Hann. 155, Göttingen Nr. 864a, Bll. 766-770 sowie Urteil und Urteilsbegründung im Prozeß gegen Friedrich Haarmann und Hans Grans, 19.12.1924, NHStA Hann. 173 Acc. 30/87, Nr. 80, Bll. 107-155, hier Bll. 116-117. Hyan 1924a, S. 21-22; Lessing 1973, S. 43-46. Siehe: Urteil und Urteilsbegründung im Prozeß gegen Friedrich Haarmann und Hans Grans, 19.12.1924, NHStA Hann. 173 Acc. 30/87, Nr. 80, Bll. 107-155, Bll. 110-111.

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Männlichkeit einherging, ab Mitte der 1920er wieder verstärkt ein positiver Bezug auf die soldatische Männlichkeit hergestellt wurde.87

Von Spitzeln, Tanten und Sadisten: Politische Übercodierungen Der Fall Fritz Haarmann wurde während der Voruntersuchungen sowie während des Prozesses gegen ihn und seinen mutmaßlichen Helfer Hans Grans zu einem Politikum. In der Presse wurde immer wieder Kritik an der Arbeitsweise der Kriminalpolizei vor Ort, dem Polizeiapparat generell und in Verbindung damit am Staatsapparat im Allgemeinen geäußert. Die kommunistische Presse, auf nationaler Ebene vertreten durch die Tageszeitung Die Rote Fahne, spitzte diese Kritik in besonderer Weise gegenüber dem politischen Rivalen der kommunistischen Partei, der SPD und ihren Vertretern in der Exekutive, zu. Aufgrund der Rolle der KPD als direkter Konkurrentin um die Stimmen der Arbeiter und Arbeiterinnen sowie angesichts der Bündnispolitik der SPD, welche als Regierungspartei auf die Unterstützung der rechts-nationalistischen Freicorps zurückgriff, sobald es um die Niederschlagung kommunistischer Aufstände ging, kam dieser Kritik eine besondere Bedeutung zu.88 Der zentrale Vorwurf, den sie dabei erhob, war, dass der „Menschenfleischhändler“ und „Massenmörder“ Haarmann als politischer Spitzel, als „Vertrauensmann“ der Polizei, gegen die kommunistische Partei in Hannover eingesetzt worden sei.89 Als Indizien dafür wurden angeführt, dass Parteimitglieder ihn auf den Fahndungsfotos, die in den Lichtspielhäusern der Stadt gezeigt wurden, als Teilnehmer kommunistischer Versammlungen wieder zu erkennen glaubten und dass die Polizei seinen Einsatz gegenüber Vertretern oder Vertreterinnen der KPD nicht explizit verneint 87 88

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Siehe dazu: Schilling 2002, S. 290, 292-314; Ulrich/Ziemann 1997, S. 913. Für einen generelleren Überblick über die Diskussion des Falles Haarmann in der deutschen Presse siehe: Siebenpfeiffer 2005, S. 221-233. Siebenpfeiffer unterscheidet dabei drei Phasen. Während die erste Phase durch die regionale und überregionale Presse dominiert war (Juli 1924), zeichnete sich die zweite durch einzelne Abhandlungen oder längere Darstellungen aus, die in landesweit erhältlichen Tages- und Wochenzeitungen oder Zeitschriften veröffentlicht wurden (Ende Juli bis Dezember 1924). Die dritte Phase umfasste die Berichterstattung über den Prozess (4.12.20.12.1924). Meine Beobachtungen konzentrieren sich, in dieser Chronologie gesprochen, auf die zweite und dritte Phase. Auch Siebenpfeiffer diagnostiziert den von mir ausführlicher analysierten Diskurs um den entsittlichenden Einfluss des Ersten Weltkriegs (ebd., S. 229). „Massenmörder und Menschenfleischhändler Haarmann als Vertrauensmann der Polizei“, in: Rote Fahne, 13.7.1924. Haarmann sei in diesem Sinne Teil eines wahren „Spitzelsumpf[es]“, der durch die vom Reichspräsidenten Friedrich Ebert erlassenen Presseeinschränkungen, eine Art „zivilen Ausnahmezustand[es]“, gefördert worden sei. Siehe: „Der Spitzelsumpf in Deutschland“, in: Rote Fahne, 15.7.1924.

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hatte.90 Umgekehrt konterten Blätter, die der SPD nahe standen, mit der Frage, wie es denn sein könne, dass Haarmann Zugang zur KPD gefunden habe. So verwehrte sich die Rote Fahne gegen einen Bericht des Hamburger Echo: „Selbstverständlich ist es dem stadtbekannten früheren Zuchthäusler und homosexuellen Sadisten Haarmann nicht gelungen, in die kommunistische Organisation einzudringen. Er war aber trotzdem ein politischer Spitzel und hat, wie die meisten, die gar keine Verbindung bekommen, das beste Material geliefert“, nämlich Erfindungen, die denen eines „Achtgroschenjungen“ ähnelten.91 Haarmann wurde damit jeweils als Anhänger oder Instrument des jeweiligen politischen Gegners beschrieben. Weiterhin behaupteten kommunistische Darstellungen, dass die Polizei gegen einen bekannten Informanten gar nicht habe durchgreifen wollen und so habe ihre Untätigkeit und schlampige Arbeit Haarmanns Taten überhaupt erst ermöglicht: „Daß er [Haarmann] nicht verhaftet wurde, dafür kann nicht die mangelnde Intelligenz der Hannoverschen Polizeibehörden allein verantwortlich sein. Dafür war notwendig, daß sich die Hannoversche Polizei bewußt Augen und Ohren verschloß“.92

Die Verhaftung Haarmanns wurde dem gegenüber als Erfolg der „Selbsthilfe der Bevölkerung“ dargestellt und nicht als Folge systematischer polizeilicher Ermittlungen.93 „Selbsthilfe“ habe die Bevölkerung nicht nur bei der Verhaftung Haarmanns ausgeübt, sondern habe diese auch hinsichtlich Urteilsfindung und -vollstreckung fortsetzen wollen. Drohende Lynchjustiz sei der Grund gewesen, warum Haarmann in Haft genommen worden sei. Diese Version ist nach allen anderen Berichten und Zeugen- und Zeuginnenaussagen kontrafaktisch, passt aber sehr gut in das Narrativ vom Versagen der Polizei. Das Thema wurde später in den Berichten über die Festnahme Kürtens wieder aufgenommen: Seine Verhaftung sollte auch nicht das Ergebnis gezielter Ermittlungen gewesen sein, sondern der „Verdienst eines tapferen Proletariermädchens“.94 Aus den Unterlagen der Staatanwaltschaft Düsseldorf geht jedoch hervor, dass Kürten aufgrund der Aussage seiner Ehefrau gestellt wurde.95 Dieser grundsätzlich skeptischen Haltung gegenüber staatlichen Organen entsprechend wurde der Prozess gegen Haarmann (und Grans) in der 90 91 92 93 94 95

Siehe: Katz [1924], S. 9. „Das Spitzelverwertungsgeschäft der SPD“, in: Rote Fahne, 20.7.1924. Katz [1924], S. 4 (HiO). „Massenmörder und Menschenfleischhändler Haarmann als Vertrauensmann der Polizei“, in: Rote Fahne, 13.7.1924. „Warum Kürten ungestört morden konnte“, in: Rote Fahne, 3.6.1930. Siehe: Bericht über die Verhaftung von Peter Kürten, 25.5.1930, HStA Düsseldorf 17/531, Bll. 12-14. Zur Bedeutung der zeitgenössischen Diskurse um die „Selbsthilfe“ siehe: Geyer, M.H. 1998, S. 391-396.

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kommunistischen Presse als „Komödie“ bezeichnet, weil die ihrer Ansicht nach gegebene Mitverantwortung der hannoverschen Polizei nicht thematisiert worden sei.96 Zunächst bezogen sich die Vorwürfe vor allem auf die konkrete Situation in Hannover und waren gegen die politisch Hauptverantwortlichen gerichtet: erstens gegen Gustav Noske (1868-1946), der seit 1920 Oberpräsident der preußischen Provinz Hannover war, und zweitens gegen Carl Wilhelm Severing (1875-1952), der seit November 1921 zum zweiten Mal das Amt des preußischen Innenministers (bis Oktober 1926) bekleidete. Beide hatten in den vorhergegangenen Jahren als Entscheidungsträger ganz maßgeblich die Verantwortung für die gewaltsame Niederschlagung von mehreren Arbeiter- und Arbeiterinnenaufständen getragen; Noske als Volksbeauftragter für Heer und Marine sowie als Reichswehrminister im Falle des Spartakusaufstandes 1919 (in dessen Folge Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet worden waren), der Berliner Märzkämpfe des gleichen Jahres sowie der Aufstände in München und Bremen;97 Severing in seiner Funktion als Reichs- und Staatskommissar für das rheinisch-westfälische Ruhrgebiet und als preußischer Innenminister im Falle des Ruhraufstandes des Jahres 1920 und des mitteldeutschen Aufstandes des Jahres 1921.98 Beide hatten dazu die Zusammenarbeit mit den rechtskonservativen Freikorps nicht gescheut und standen aus Sicht der KPD daher repräsentativ für die Gewalt, welche die SPD im Bündnis mit der politischen Rechten bereit war, gegen ihren politischen Gegner auszuüben. In ihren Berichten setzte die kommunistische Presse die Verfolgung von Mitgliedern der KPD mit den Gewalttaten Haarmanns sprachlich gleich. Sie benutzte dazu das Schlagwort vom „Noske-Haarmann96 97

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„Der politische Polizeispitzel und Massenmörder Haarmann vor Gericht“, in: Rote Fahne, 5.12. 1924. Noske war 1906-1918 MdR für die SPD, entgegen der Mehrheit der Abgeordneten Befürworter der deutschen Kolonialpolitik und Mitglied der Nationalversammlung von 1919/20. Nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch (13. März 1920) wurde er zum Rücktritt als Reichswehrminister gezwungen und trat anschließend das Amt des Oberpräsidenten der preußischen Provinz Hannover an, das er bis zu seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten und -sozialistinnen im Jahr 1933 inne hatte. In kommunistischen Kreisen trug er für seine Verwicklung in die Niederschlagung der Arbeiterund Arbeiterinnenaufstände den Spitznamen „Bluthund“ oder auch „Blutnoske“. Severing hatte von 1907-12 ein Mandat im RT inne, war 1918 Mitbegründer des Bielefelder Volks- und Soldatenrates und als dessen Repräsentant auf dem I. Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin. Ebenso wie Noske war er Mitglied der Nationalversammlung von 1919/20 und war anschließend bis 1933 MdR. Er bekleidete das Amt des Preußischen Innenministers unter den Regierungen von Otto Braun und von Wilhelm Marx (29.3.1920-21.4.1921; 7.11.1921-6.10.1926; 22.10.1930-20.7.1932). Von 1928 bis 1930 war er Reichsinnenminister im Kabinett von Hermann Müller.

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System“, der „Haarmann-Methoden“ oder dem „Haarmann-System“.99 Auch mit graphischen Mitteln wurde an dieser Gleichsetzung gearbeitet: auf dem Titelblatt der ersten Auflage von Iwan Katz’ (1889-1956) Darstellung Zum Fall Haarmann war ein Foto von Noske und eines von Haarmann abgedruckt, so dass die beiden Personen graphisch in Zusammenhang gebracht wurden.100 Dies war Anlass für Noske, ein Verbot gegen dieses Titelblatt auszusprechen. Die Niedersächsische Arbeiter-Zeitung brachte die Schrift daraufhin ohne Abbildungen auf dem Titelblatt auf den Markt. Auf beiden Versionen war allerdings ein Zitat aus Rosa Luxemburgs „Im Asyl“ zu lesen: „Gewöhnlich ist ein Leichnam ein stummes unansehnliches Ding. Es gibt aber Leichen, die lauter reden als Posaunen und heller leuchten als Fackeln.“101 Angesichts der Ermordung Luxemburgs im Zuge der Niederschlagung des Spartakusaufstandes unter Noskes Ägide war dies ein immer noch sehr provokatives Titelblatt. Die Indienstnahme Haarmanns als politischer Spitzel zeige, so argumentierte Die Rote Fahne, dass der Staat „sadistische Mörder“ und „schwer vorbestrafte Kriminalverbrecher zum Kampf gegen die Arbeiterschaft in Polizeidienste“ nehme.102 Haarmann wurde als Teil des Repressionsapparates dargestellt, der gegen die KPD von Seiten des (SPDgeführten) Staates aufgeboten würde. Seine Taten seien nichts Anderes als die konsequente Fortsetzung der brutalen Vorgehensweise der Polizei: „die Opfer“ Haarmanns, sprachlich gleichgesetzt mit Kommunistinnen und Kommunisten, seien „‚aufgegriffen‘, in den privaten Schlachtraum einer vertierten menschlichen Bestie gelockt und regelrecht geschlachtet, zerlegt, verarbeitet und als Nahrungsmittel wieder verkauft“ worden. Die Rote Fahne unterstellte den Kriminalbeamten sogar Bestechlichkeit: Haarmann hätte sie regelmäßig zu „Freß- und Saufgelage[n]“ eingeladen, „um die Lukullus sie beneiden würde.“103 99 100

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Siehe: „Haarmann-System auch in Berlin“, in: Rote Fahne, 15.7.1924; „Massensturm gegen das Noske-Haarmann-System“, in: ebd., 25.7.1924. Katz war zunächst Mitglied der SPD und wurde nach der Novemberrevolution einer ihrer Stadtverordneten in Hannover. Ende 1919 trat Katz zur USPD über und gehörte zum linken Flüge der Partei, der sich Ende 1920 mit der KPD zusammenschloss. Ab 1921 war er für die KPD Mitglied des Preußischen Landtages und Leiter der kommunalpolitischen Abteilung der KPD. 1923 wurde er Mitglied der Parteiführung und im Mai und Dezember 1924 wurde er als Vertreter seiner Partei in den Reichstag gewählt. Er repräsentierte die KPD bis 1925 beim Exekutivkomitee der Komintern (EKKI). Katz stellte oftmals im Reichstag kritische Fragen und hielt öffentliche Reden über den Fall Haarmann. Siehe: „Schluß mit dem Haarmann-System!“, in: Rote Fahne, 17.7.1924 und „Kampf dem HaarmannSystem!“, in: ebd., 18.7.1924. Vgl. Luxemburg 2006, S. 55. Ursprünglich erschienen in: Die Gleichheit, 22,8 (1912), S.113-115. „Das Menschenschlachthaus“, in: Rote Fahne, 18.7.1924. „Massenmörder und Menschenfleischhändler Haarmann als Vertrauensmann der Polizei“, in: Rote Fahne, 13.7.1924.

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Immer wieder wurden Parallelen zu anderen bereits dokumentierten Fällen polizeilicher Gewalt gezogen und mit den Grausamkeiten Haarmanns gleichgesetzt; ganz besonders mit den Vorfällen auf einer Wache in Düsseldorf im Stadtteil Gerresheim. Es hieß, dass „diesselben Motive, die den Massenmörder Haarmann zu seinem unmenschlichen Handwerk trieben“ auch die dort involvierten Polizisten angetrieben hätten: „Moralisch verlumpt und vollständig vertiert gieren diese Bestien danach, über die Arbeiter herzufallen.“104 Diese „Bestien“ seien für das Folter- und Mordgeschäft sogar extra angeworben worden: „Zu dieser Menschenschändung genügten die alten Revierpolizisten nicht. Die servilsten, grausamsten, vertiertesten Folterknechte wurden in den Dienst der Polizei genommen.“105 Auf diese Weise wurden die Beamten unter Aufgreifen der Kategorien des medizinisch-psychiatrischen Diskurses als degenerierte Gewalttäter beschrieben. Je länger die Voruntersuchungen jedoch dauerten, desto häufiger benutzte die kommunistische Presse das Schlagwort vom „HaarmannSystem“ auch als Bezeichnung für das gesamte politische System der Weimarer Republik. Diese zweite, ausgeweitete Verwendung des Begriffs war gekoppelt an eine Gleichsetzung mit der physischen Ausbeutung der Körper von Arbeiterinnen und Arbeitern durch das Kapital im Allgemeinen. So wie die Polizei sich bei der Verfolgung von KPD-Mitgliedern krimineller und sadistischer Einzelpersonen bediene, so gehe das Kapital „[s]chmutz- und bluttriefend ... über Leichenberge, wenn es sich darum handelt, seine politische Herrschaft zu verteidigen“. Um in einem bereits „bankrotten auswegslosen kapitalistischen System möglichst große Profite aus den Massen der Arbeitenden herauszupressen“, häufe „die herrschende Klasse“ mit „derselben Brutalität und Blutgier“ wie die kannibalischen Lustmörder ganze „Leichenberge“ an.106 Viele der einzelnen Punkte, welche die kommunistische Presse der Kriminalpolizei in Hannover vorwarf, wurden auch in bürgerlichen oder sozialdemokratischen Kreisen geäußert, jedoch weit weniger scharf und ohne eine Gleichsetzung der Methoden der Staatsorgane mit denen des ‚Menschenfressers‘ Haarmann. Ganz ähnlich wie in der Roten Fahne stand dabei die Kritik an der Arbeitsweise der Kriminalpolizei in Hannover im Mittelpunkt, die trotz zweimaliger Hausdurchsuchung und mehrfacher 104 Katz [1924], S. 32. Die kommunistische Freiheit prangerte seit 1923 die Polizeigewalt in Düsseldorf an. Angehörige der KPD wurden dort, namentlich auf der Wache in Düsseldorf-Gerresheim, von Beamten misshandelt und bedroht. Im anschließenden Verfahren sprach das Gericht den für die Artikel verantwortlichen Redakteur der Freiheit vom Vorwurf der Verleumdung frei. Dieser Freispruch wurde in der kommunistischen Presse gleich der Feststellung der Schuld der Düsseldorfer Polizei gewertet. 105 „Massenmörder und Menschenfleischhändler Haarmann als Vertrauensmann der Polizei“, in: Rote Fahne, 13.7.1924. 106 „Das Menschenschlachthaus“, in: Rote Fahne, 18.7.1924.

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Hinweise aus der Bevölkerung nicht energischer gegen Haarmann vorgegangen war. Selbst der Vorwärts, der in vielen anderen Punkten zugunsten von Polizei und Gericht Stellung bezog, sprach davon, dass „die Kriminalpolizei [...] sich zumindest der groben Fahrlässigkeit schuldig gemacht“ habe.107 An gleicher Stelle stand gar zu lesen: „Polizeiorgane, die mit solcher Oberflächlichkeit über Anzeigen, Gerüchte, Verdachtsmomente hinweggehen, die einen Menschen, welcher des Mordes bezichtigt wird, so wenig sorgfältig überwachen, erfüllen ihre eigentliche Aufgabe, Sicherheit und Leben des Bürgers zu gewährleisten, in keinster Weise.“108

In der Vossischen Zeitung wurde angesichts des polizeilichen Versagens mit Befriedigung festgestellt, dass gegen zwei Beamte ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde.109 Im Gegensatz zur kommunistischen Presse vertraute man hier auf die Selbstreinigungkräfte des institutionalisierten Verfahrens und sprach statt von systematischen Missständen von „Verfehlungen einzelner Beamter“. Anders als die kommunistischen Organe unterstützten sowohl bürgerliche als auch die sozialdemokratischen Pressestimmen die Entscheidung des Vorsitzenden des Gerichts, die Thematisierung einer etwaigen Mitschuld der Polizei während des Schwurgerichtsprozesses zu unterbinden und stattdessen auf das dazu eingeleitete Disziplinarverfahren zu verweisen.110 Diese Vorgehensweise mag juristisch korrekt gewesen sein. Gemeinsam mit der Gewohnheit des Vorsitzenden, Zeuginnen und Zeugen, die sich zu diesem Thema äußern wollten, das Wort abzuschneiden, trug sie jedoch maßgeblich dazu bei, den Verdacht aufkeimen zu lassen, dass eine tatsächlich bestehende Mitschuld der Polizei gezielt vertuscht werden sollte.111 Wir können heute davon ausgehen, dass der Prozess von unterschiedlichen politischen Positionen aus instrumentalisiert wurde, nicht nur von Seiten der kommunistischen Partei. So geht beispielsweise aus der Pro107 „Mordprozeß Haarmann“, in: Vorwärts, 11.12.1924 (Morgenausgabe, Beilage) (HiO). 108 Ebd. Eine besonders ausführliche Darstellung der unstrukturierten und unsystematischen Vorgehensweise der Polizei gegen Haarmann ist in Hans Hyans Massenmörder Haarmann (Hyan 1924a, S. 7-22) zu finden, veröffentlicht vor Beginn der Hauptverhandlung. Gleichzeitig war Hyan, zusammen mit Theodor Lessing, einer der Wenigen, die Verständnis für die schwierigen Arbeitsbedingungen der chronisch unterbesetzten und schlecht bezahlten hannoverschen Polizei äußerten (vgl. ebd., S. 38-39; Lessing 1973, S. 42). 109 Siehe: „Der Haarmann-Prozeß“, in: Vossische Zeitung, 2.12.1924 (Morgenausgabe). 110 Siehe: „Die Polizei im Haarmann-Prozeß“, in: Vossische Zeitung, 16.12.1924 (Morgenausgabe). 111 Siehe: Lessing 1973, S. 98. Als auswärtige Fachbeobachter zum Prozess zugelassen wurden laut Lessing nur Magnus Hirschfeld und Hans Hyan (ebd., S. 98-99).

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zessberichtserstattung des Vorwärts hervor, dass die Staatsanwaltschaft gezielt Aussagen Haarmanns zur Frage einer möglichen Anstellung als politischer Spitzel generiert hatte, die als Widerlegung der kommunistischen Vorwürfe dienen sollten.112 Theodor Lessing wiederum vermutete bei dem bestellten Pflichtverteidiger Haarmanns, dass er ganz und gar „kleinstädtisch“ seine Rolle vor Gericht für seine persönlichen Ambitionen auf einen Bürgervorstehersitz in Hannover ausgenutzt habe.113 Der Prozess, der vom 4. bis zum 19. Dezember 1924 stattfand, und an dessen Ende Haarmann des 24-fachen Mordes für schuldig befunden und zum Tode verurteilt wurde, begleitete zeitlich einerseits den Wahlkampf zu den Wahlen zum Preußischen Landtag sowie dem Reichstag am 7. Dezember 1924. Während die SPD als klare Gewinnerin aus den Reichstagswahlen hervorging und die KPD den Verlust von insgesamt 17 Mandaten hinnehmen musste, kann gleiches nicht von den Landtagswahlen behauptet werden: hier verzeichnete die KPD keine derartigen Verluste.114 Andererseits stand er im Kontext eines weiteren, spektakulären Prozesses, des sogenannten Magdeburger Beleidigungsprozesses von 1924, welcher heute als einschlägiges Beispiel für die politische Justiz der Zeit der Weimarer Republik gilt. Ein nationalistischer Redakteur hatte Reichspräsident Friedrich Ebert beschimpft und auf Grund seiner Beteiligung am Januarstreik 1918 des Landesverrats bezichtigt (Ebert hatte sich damals in den Aktionsausschuss wählen lassen). Das Magdeburger Gericht stufte Eberts Mitgliedschaft im Aktionsausschuss als „objektiv Landesverrat“ ein und gab dem Redakteur damit inhaltlich Recht. Nur die ausgesprochene Beleidigung wurde aus formalen Gründen bestraft, nicht aber die Verleumdung Eberts als Landesverräter. Erst im Berufungsverfahren, in dem die Generalstaatsanwaltschaft das Magdeburger Urteil aufhob, wurde dieser Schritt vollzogen. Ebert verschleppte über diese Verwicklungen eine Blinddarmentzündung, die zum Tode führte: Er starb am 28. Februar 1925.115 Im Vorwärts nahm die Berichterstattung über diese Geschehnisse gegenüber dem Haarmann-Prozess einen weit größeren Stellenwert ein: Nur selten gelang einem Bericht über Haarmann der Sprung auf die Titelseite, während Nachrichten über Entwicklungen im Magdeburger Prozess hier regelmäßig ihren Platz fanden. Auch in den hier nachgezeichneten Auseinandersetzungen zwischen KPD und SPD klingt eine der Serien des Kannibalismusdiskurses wieder an, die uns bereits mehrfach begegnet ist: die Verkopplung von Gier, Ka112 Siehe: „Mordprozeß gegen Haarmann“, in: Vorwärts, 5.12.1924 (Abendausgabe) sowie „Haarmann soll die Noske-Polizei reinwaschen!“, in: Rote Fahne, 6.12.1924. 113 Siehe: Lessing 1973, S. 97-98, Zitat S. 97. 114 Siehe: Urteil und Urteilsbegründung im Prozeß gegen Friedrich Haarmann und Hans Grans, 19.12.1924, NHStA Hann. 173 Acc. 30/87, Nr. 80, Bll. 107-155, Bl. 107. 115 Siehe: Mühlhausen 1997, S. 306-308.

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pitalismus und sittlicher Verwahrlosung. In diesem Sinne wurde der Kannibalismusdiskurs (innen)politisch aufgeladen. Die Polizei galt hierin als pars pro toto für eine bürgerliche Republik, die als politisches System mit dem ökonomischen, dem Kapitalismus, gleichgesetzt und als degeneriert und gewalttätig charakterisiert wurde: als „Menschenschlachthaus“.116 Der Staat wurde so zum Instrument kapitalistisch-gieriger Selbstbereicherung deklariert, die der angebliche Spitzel Haarmann, der an Verrat und Tod von Kommunisten verdient hatte, geradezu verkörperte.

6.3 Männliche Jugendliche in Gefahr? F o r t p f l a n z u n g u n d An s t e c k u n g Infektionsparanoia: Von der Fortpflanzung des Werwolfs Neben der Frage nach der Kompetenz und Zuverlässigkeit der Polizei Hannovers waren zwei weitere Themen in der Tagespresse kurz nach Haarmanns Verhaftung und während des Prozesses präsent. Wie ich im Folgenden zeigen werde, war das erste Thema der Fleischhandel Haarmanns und der damit stets gleichzeitig mit im Raume stehende Kannibalismusverdacht. Haarmann hatte, teilweise gemeinsam mit Grans, zwischen 1918 und 1924 einen schwunghaften Handel mit Diebesgut, erbettelter Ware sowie mit Fleisch betrieben. Die Herkunft dieses Fleisches konnte nie eindeutig geklärt werden. Haarmann selbst stritt immer wieder energisch ab, dass er Teile der Leichen seiner Opfer gegessen, anderen zum Verzehr angeboten oder verkauft habe.117 Stattdessen gab er als Bezugsquelle einen „Schlachterkarl“ an, den die Polizei allerdings nicht ausfindig machen konnte.118 Der andere stets mit angesprochene Themenkomplex war, wie ich im Folgenden demonstrieren werde, Haarmanns Homosexualität. Vor seiner Verhaftung hatte er regelmäßig allein reisende Jugendliche beziehungsweise junge Männer im Bahnhof oder in Bahnhofsnähe angesprochen und mit zu sich in die Wohnung genommen. Gleichzeitig muss sein Ruf als regelmäßiger Freier unter den männlichen Prostituierten Hannovers bereits 1919 so weit verbreitet gewesen sein, dass Hans 116 „Das Menschenschlachthaus“, in: Rote Fahne, 18.7.1924. 117 Siehe beispielsweise: Vernehmungen (Protokolle) Haarmann durch Ernst Schultze in Hannover, 26.7.-9.8.1924, NHStA Hann. 155 Göttingen Nr. 864a, Bll. 676-734, hier Bl. 690; Vernehmungen (Protokolle) Haarmann durch Geheimrat Ernst Schultze in der Niedersächsischen Heil- und Pflegeanstalt zu Göttingen, 18.8.-25.9.1924, ebd., Bll. 298-586, hier Bll. 337, 381. 118 Das Gericht stellte daher fest, es bleibe die „Wahrscheinlichkeit bestehen, dass der Angeklagte das Fleisch der ihm zum Opfer gefallenen jungen Leute verkauft hat.“ (Urteil und Urteilsbegründung im Prozeß gegen Friedrich Haarmann und Hans Grans, 19.12.1924, NHStA Hann. 173 Acc. 30/87, Nr. 80, Bll. 107-155, hier Bll. 111, 118, Zitat Bl. 125.)

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Grans, sein späterer Mitangeklagter, sich zielgerichtet an ihn wandte, um gegen Bezahlung mit ihm zu onanieren.119 Die Behandlung dieser beiden Themen variierte zwischen den verschiedenen Blättern allerdings stark. In den meisten Presseorganen wurde der Kannibalismusverdacht als solcher gekennzeichnet und zumeist vermittelt, das heißt über eine (teilweise wörtliche) Wiedergabe von Zeugen und Zeuginnenaussagen thematisiert.120 Über die Homosexualität Haarmanns wurde weitaus weniger offen berichtet. Der Vorwärts beispielsweise beließ es bei einigen wenigen, fast schon in Fachsprache gehaltenen Beschreibungen. Siehe beispielsweise im Bericht „Mordprozeß gegen Haarmann“, vom 5. Dezember 1924, in dem es hieß: „Die ausführlichen schauervollen Schilderungen des Angeklagten geben ein Bild von äußerst primitivem Denkvermögen und charakterisieren ihn als ein Wesen von niederstem Sexualleben mit groben Manieren. Aus seinen eigenen Aussagen läßt sich herleiten, daß er impotent ist und die normalen moralischen und sexuellen Eigenschaften bei ihm in einem Zustande völliger Verkümmerung sind. Alle natürlichen Hemmungen sind auf ein Mindestmaß reduziert.“121

Die Kreutz-Zeitung war in dieser Hinsicht am konsequentesten: Ihre gesamte Berichterstattung beschränkte sich auf einige kurze, meist etwa zwanzig Zeilen lange Texte, die in keinem Fall Details über die Morde, Haarmanns Sexualität oder die Frage nach dem Verzehr von Menschenfleisch enthielten. Über die Vollstreckung des Urteils wurde gar nicht berichtet.122

119 Siehe: Ebd., hier Bll. 112-113. Vgl. dazu auch Haarmanns Aussagen über seine Beziehungen zu anderen homosexuellen Männern in Hannover in: Vernehmungsprotokolle aus Hannover (Juli/August 1924), NHStA Hann. 155 Göttingen Nr. 864a, Bll. 630-675 sowie Auszüge aus den Vernehmungen Haarmanns vom 5.7.-12.7.1924, ebd., Bll. 941-944. 120 So beispielsweise bei der Vernehmung der Zeuginnen Alsdorf („Mordprozeß Haarmann“, in: Vorwärts, 10.12.1924 (Morgenausgabe)) und Engel („Mordprozeß Haarmann“, in: Vorwärts, 10.12.1924 (Abendausgabe)). 121 „Mordprozeß gegen Haarmann“, in: Vorwärts, 5.12.1924 (Morgenausgabe). 122 Siehe die folgenden Artikel der Kreutz-Zeitung: „Aus den Gerichtssälen. Der Haarmann-Prozeß“, 5.12.1924 (Morgen- und Abendausgabe); „Vermischtes. Der Haarmann-Prozeß“, 7.12.1924 (Sonntagsausgabe); „Aus den Gerichtssälen. Der Haarmannprozeß“, 9.12.1924 (Morgenausgabe); „Vermischtes. Im Haarmann-Prozeß“, 10.12.1924 (Morgenausgabe); „Aus den Gerichtssälen. Der Haarmann-Prozeß“, 11.12.1924 (Morgenausgabe); „Aus den Gerichtssälen. Der Haarmannprozeß“, 13.12.1924 (Morgenausgabe); „Aus den Gerichtssälen. Der Haarmannprozeß“, 14.12.1924 (Morgenausgabe); „Vermischtes. Haarmann und die Polizei“, 15.12.1924 (Morgenausgabe); „Der Strafantrag für Haarmann“, 18.12.1924 (Morgenausgabe); „Haarmann und Grans zum Tode verurteilt“, 19.12.1924 (Morgenausgabe).

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Die kommunistische Rote Fahne scherte aus dieser Zurückhaltung jedoch vollständig aus. Was während des Prozesses bis zum Schluss nicht beweisbar blieb, wurde hier in den Berichten als Fakt dargestellt: Haarmann, der Menschenfresser, habe einen „ausgedehnten Fleischkonservenund Wursthandel“ mit „Abnehmer[n] in allen deutschen Großstädten“ betrieben. Speisewirtschaften in Hannover habe er mit „Fleischbouletten in größten Mengen zu billigsten Preisen, Sülze, Fett und sonstige[n] begehrenswerte[n] Dinge[n]“ beliefert. Er wurde dargestellt als reicher, wohlgenährter Mann, der in Zeiten prasste, in denen andere hungerten. Haarmann, so die Berichte weiter, habe „einen großen Anhang“ in der kriminellen und homosexuellen Szene Hannovers gehabt. Er habe Jugendliche und junge Männer für bürgerliche Homosexuelle und deren Orgien beschafft.123 Dem gegenüber wurden die Opfer Haarmanns als „arme Teufel“ beschrieben, „die froh waren, Unterschlupf zu haben und sich satt essen zu können“. Nach „homosexuellen und sadistischen Orgien“ habe Haarmann ihnen die Kehle durchgebissen, dann „sorgfältig das Blut abgelassen“ und sie anschließend „in aller Form tranchiert“.124 Diese Beschreibung ähnelt stark der eines sogenannten Ritualmordes, bei dem Juden und Jüdinnen angeblich christliche Kinder oder Jugendliche, in der Regel männlich und bis zu 20 Jahre alt, ermordeten, um ihr Blut zu „verschiedenen religiösen oder magisch-medizinischen Zwecken“ oder zur Herstellung von Matzen zu verwenden. Aufgrund der Ähnlichkeit zum Schächten waren jüdische Metzger, die fachmännisch tranchieren und Blut ablassen konnten, besonders häufig Ziele dieses antisemitischen Vorurteils.125 Auf diese Weise wurde in der Roten Fahne eine diskursive Verbindung zwischen Judentum, Blut, Kapitalismus und Homosexualität aufgebaut. Haarmann wurde mithin zur einer Art ‚Super-Monster‘ stilisiert: Schieber, Polizeispitzel, Mörder, Sadist, Kannibale, Ritualmörder und Homosexueller. Während damit der antisemitische Ritualmorddiskurs in der kommunistischen Presse aufgegriffen wurde, wurde dieser auf Seiten der Publikationen der extremen Rechten nicht thematisiert: der Völkische Beobachter, das Organ der nationalsozialistischen Bewegung, war nach dem Putschversuchs Hitlers im November 1923 bis zu seiner vorzeitigen Entlassung aus der Haft im Jahr 1925 verboten.126 Aber auch in dem antisemitischen Stürmer finden sich keine entsprechenden Artikel. Ganz generell ignorierte das Blatt 123 „Massenmörder und Menschenfleischhändler Haarmann als Vertrauensmann der Polizei“, in: Rote Fahne, 13.7.1924. 124 Ebd. 125 Erb 1995, S. 74. Wie ich im 4. Kapitel gezeigt habe, galt der Ritualmordglaube im medizinisch-psychiatrischen Fachdiskurs, dessen Kategorien von Degeneration und Sadismus in den Presseartikeln zur Beschreibung Haarmanns und anderer Täter ebenfalls Verwendung fanden, als inhaltlich unbegründetes und unwissenschaftliches Vorurteil. Damit ist an dieser Stelle eine Verknüpfung zu beobachten, gegen die sich die Fachwissenschaftler energisch verwehrt hätten. 126 Stöber 2005, S. 252.

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den Prozess gegen Haarmann und berichtete stattdessen über das Verfahren gegen Nathan Leopold und Richard Loeb in Chicago oder benutzte den Begriff des Psychopathen oder die Unterstellung eines Sexualverbrechens zur Diffamierung des politischen Gegners.127 Ganz entgegen der Berichterstattung durch die Rote Fahne war von der Presse von Seiten des Gerichts ausdrücklich eine zurückhaltende Darstellung erbeten worden: Am 8. Dezember 1924 wandten sich der Vorsitzende sowie der Staatsanwalt vor Eintritt in die Sitzung an die anwesenden Vertreter und Vertreterinnen der Presse mit der Bitte, „sich in der Berichterstattung nach Möglichkeit zu beschränken“, da „die Mitteilungen aus dem Haarmann-Prozeß eine zu starke Gefährdung der deutschen Jugend“ darstellen könnten.128 Hinter dieser Befürchtung standen einerseits die Bedenken der vorwiegend christlich geprägten Sittlichkeitsbewegung sowie andererseits die in der medizinisch-psychiatrischen, kriminologischen und juristischen Fachliteratur vertretene Auffassung, psychische Erkrankungen und normabweichendes Verhalten seien ansteckend. Hans Groß formulierte dazu in seinem Handbuch für Untersuchungsrichter wie folgt: „Ebenso wie die Befriedigung gewisser körperlicher Bedürfnisse (Essen, Trinken, Schlafen, Rauchen, Gähnen, Urinieren usw.) zur Nachahmung reizt, so können auch Handlungen von Geisteskranken bei geistig normalen Leuten den Trieb zur Nachahmung erwecken.“129

Ein gutes Exempel dafür, wie sich eine solche psychische Ansteckung vorgestellt wurde, bietet der Roman Der Werwolf von Richard Lemme aus dem Jahr 1928, worin der Autor im Stil einer gothic novel die Liebesgeschichte zwischen einem geborenen Werwolf/Magier und einer Dorfschönheit beschrieb. Nachdem der Werwolf mehrere Male im Umkreis des Dorfes gemordet hatte, kam es zur einer Serie von Nachahmungstaten: So verübte der leichtsinnige Schneidergeselle in Pelz und Maske gehüllt eine Reihe von Überfällen, und der Schuster, von Anfang an als psychisch instabil geschildert, rannte nur mit Katzenfellen bekleidet im Anschluss an eine durchzechte Nacht durch das Dorf, vandalierte und griff Menschen

127 Siehe dazu die folgenden Beiträge im Stürmer: „Das Urteil von Chicago“, 25 (1924); „Jüdische Mordbuben von Chicago“, 27 (1924); „Sittlichkeitsverbrechen eines kommunistischen Stadtrats“, 29 (1924); „Die ‚Psychopathen‘ an der Arbeit. Schaut Euch um, der Jud’ geht um“, 1 (1925). Die Geschichte des Antisemitismus in der KPD ist ein bislang wenig untersuchtes Phänomen. Siehe dazu: Kistenmacher 2007. Zur zeitgenössischen Berichterstattung über den Prozess gegen Leopold und Loeb im Jahr 1924 in den USA siehe: Siemens 2007, S. 290-314. 128 „Der Mordprozeß Haarmann“, in: Vorwärts, 8.12.1924 (Abendausgabe). Siehe auch: „Die Pflicht der Presse“, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, 20.12.1924 (Morgenausgabe). 129 Groß, H. 1914, S. 221. Siehe auch: Beck 1904, S. 84-102.

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an. Nach seiner Festnahme wurde er einer psychiatrischen Untersuchung unterzogen und in eine Anstalt eingewiesen.130 Auch in Bezug auf andere Sensationsprozesse der Weimarer Zeit wurde die Frage, wie viel der Jugend zugemutet werden dürfe, ohne dass ihre Sittlichkeit und ihre Moral dabei Schaden nehme, immer wieder debattiert. So wandten sich beispielsweise im Prozess gegen Kürten der „Centralverband der katholischen Jungfrauenvereinigungen Deutschlands“ und der „Verband der katholischen Frauen- und Müttervereine Deutschlands“ in einem gemeinsamen Schreiben sowie der „Volkswartbund: Verband zur Bekämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit“ an den Vorsitzenden des Gerichts und drängten auf einen vollständigen Ausschluss der Öffentlichkeit.131 Die Sorge von Fachwissenschaftlern und Sittenwächtern galt neben den Presseberichten über Gewaltverbrechen und normabweichende Sexualitäten besonders der „Schmutz- und Schundliteratur“, das heißt Groschenund Hintertreppenromanen sowie Kinofilmen.132 Genau „die rohesten Eigenschaften der Menschennatur, die zu bändigen eine jahrtausendelange Kulturentwicklung notwendig war“, würden durch diese Medien „aufgestachelt und angereizt.“133 In dieser Anstachlung, die zu einer tatsächlichen Nachahmung von Verbrechen werden konnte, drohte die erste Form der Ansteckung, die im Kontext des Falles Haarmann befürchtet wurde: die qua Gerichtsreportagen sowie Schmutz- und Schundliteratur medial vermittelte. Wie ich im Folgenden zeigen werde, waren die beiden anderen Ansteckungen, die in diesem Zusammenhang thematisiert wurden, körperlicher Art: die Infektion mit Kannibalismus und mit Homosexualität. Das erste Horrorszenario, welches hierbei im Raume stand, war, dass Haarmann das Fleisch seiner Opfer seinen neuen Bekanntschaften vorge130 Lemme 1928, S. 76-78 und 81. 131 Siehe: Gemeinsames Schreiben des Centralverbands der katholischen Jungfrauenvereinigungen Deutschlands und des Verbands der katholischen Frauen- und Müttervereine Deutschlands, 14.3.1931, HStA Düsseldorf, 17/541, Bl. 38; Schreiben des Volkswartbund: Verband zur Bekämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit, 17.3.1931, ebd., Bll. 98-101. Vgl. dazu auch Siemens 2007, S. 269-290 über die Diskussionen um die Jugendgefährdung durch die Berichterstattung im Krantz-Prozess 1928. 132 So publizierte der maßgebliche psychiatrische Gutachter im Prozess gegen Haarmann Ernst Schultze vor dem Ersten Weltkrieg mehrere Darstellungen über den schädlichen Einfluss von Medien unter den Titeln Fort mit der Schundliteratur! Ein Mahnwort in einer bitterersten Kulturfrage (Schultze 1911a) und Der Kinematograph als Bildungsmittel. Eine kulturpolitische Untersuchung (Schultze 1911b). Zur Debatte um die mutmaßliche Wirkung kolonialer Abenteuerromane, die bereits zur Zeit des Kaiserreichs geführt wurde, siehe: Benninghoff-Lühl 1983, S. 181-187. 133 Schultze 1911a, S. 3 (HiO). In diesem Sinne äußerte sich auch Hoffmann 1922, S. 116: „Sexualität und Perversität nehmen leider heute in unserer Kultur einen so breiten Raum ein und zeigen sich namentlich in der Großstadt so öffentlich, daß sie zu einer ständigen Gefahr für die geschlechtliche Entwicklung werden.“

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setzt haben könnte. Auf der einen Seite wurde die Völlerei, die Haarmann offenbar so reichhaltig betrieben hatte, in den Berichten immer wieder betont. Auf der anderen Seite griff die Presse suggestive Zeuginnen- und Zeugenaussagen auf: so beispielsweise die Geschichte zweier Frauen, die durch ihre Bekanntschaft mit Grans Zutritt zu Haarmanns Wohnung hatten. Diese hatten, einen Tag nachdem sie einen jungen Mann scheinbar bewusstlos auf Haarmanns Bett hatten liegen sehen, einzelne Stücke Fleisch aus seiner Wohnung entwendet und der Polizei zur Prüfung vorgelegt. Das Ergebnis des Gerichtsarztes Schackwitz lautete, dass es sich um Schweinefleisch handele.134 Ebenso wurde die Tatsache, dass Haarmann in seiner eigenen oder in der Küche seiner jeweiligen Vermieterinnen Wurst oder Sülze hergestellt hatte, regelmäßig wieder aufgegriffen.135 Die Herkunft des Fleisches wurde auf diese Weise in den Berichten nicht nur als zweifelhaft dargestellt, sondern es wurde auch suggeriert, Menschenfleisch könnte ein Bestandteil des Haarmannschen Speisezettels gewesen sein. Nach den Aussagen von Augenzeugen und -zeuginnen zu urteilen „war das Leben lustig“ an seiner Tafel gewesen, stets seien „[g]roße Platten Fleisch“ aufgetragen worden.136 Alle, die mit ihm gemeinsam aßen, waren so möglicherweise selbst zu Anthropophagen geworden. Wie ich bereits in den vorangegangenen Kapiteln zwei und vier demonstriert habe, spielten Befürchtungen, gerade Kinder und Jugendliche könnten durch Nachahmung und schlechte Vorbilder der Menschenfresserei verfallen, eine besondere Rolle im Kannibalismusdiskurs. So hatte beispielsweise Lombroso dargestellt, wie gefährlich leicht es sei, Kinder an Menschenfleisch zu gewöhnen, da ihnen eigenständige moralische Hemmungen fehlten. Das Ergebnis seien kleine Kannibalen aus Gewohnheit und Feinschmeckerei, eine der verabscheuungswürdigsten Formen der Anthropophagie. Ebenso fürchtete Lord Greystoke alias Tarzan nichts mehr, als dass sein Sohn unter wilden Kannibalen aufwachsen und so selbst durch Gewohnheit zu einem solchen werden könnte. Andererseits wurde die potenzielle Gefährdung der Hausfrauen und Familien, die Haarmann mit Fleisch versorgt hatte, nicht erwähnt. Stattdessen wurden diese Frauen vor Gericht als eine Art Expertinnen zu Geschmack und Konsistenz des Fleisches, welches sie vom Angeklagten erhalten hatten,

134 Siehe dazu etwa: „Haarmann soll die Noske-Polizei reinwaschen!“, in: Rote Fahne, 6.12.1924. 135 Siehe: „Mordprozeß Haarmann“, in Vorwärts 10.12.1924 (Abendausgabe); „Mordprozeß gegen Haarmann“, in: Vorwärts 12.12.1924 (Morgenausgabe); „Massenmörder und Menschenfleischhändler Haarmann als Vertrauensmann der Polizei“, in: Rote Fahne 13.7.1924; „Der Haarmann-Prozeß“, in: Kölner Gerichtszeitung 50 (13.12.1924), S. 11-12; Lessing 1973, S. 8182 sowie Urteil und Urteilsbegründung im Prozeß gegen Friedrich Haarmann und Hans Grans, 19.12.1924, NHStA Hann. 173 Acc. 30/87, Nr. 80, Bll. 107-155, hier Bl. 118. 136 Lessing 1973, S. 80.

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befragt. Ihre Angaben, es habe „wie Pferdefleisch“ geschmeckt, wurden in der Presse unkommentiert zitiert.137 Diese zweite Gefahr, die angeblich von Haarmanns ausgehen sollte, die Ansteckung mit Homosexualität, wurde ebenso wie sein angeblicher Kannibalismus in der Presse unterschiedlich offen verhandelt. Wenn sie jedoch thematisiert wurde, dann, wie zu sehen sein wird, vorzugsweise in denjenigen Presseberichten oder Publikationen, in denen auch von Menschenfresserei berichtet wurde. Eine Vorgehensweise, die mutmaßlich der Entscheidung der jeweiligen Redaktionen geschuldet war, der oben geschilderten gerichtlichen Aufforderung nach Zurückhaltung Folge zu leisten oder eben nicht. Auf diese Weise wurde auf diskursiver Ebene eine Kopplung zwischen Anthropophagie und Homosexualität hergestellt, die ihre unheimliche Parallele daran fand, dass beide Praktiken mit der Inkorporation von menschlichen Körpermaterialien (Fleisch, Blut, Sperma) und der Überschreitung der vermeintlich stabilen Grenzen des männlichen Körpers identifiziert wurden. Gleichzeitig nahmen die Berichte über Haarmanns Sexualität innerhalb der politischen Auseinandersetzungen zwischen SPD und KPD eine zentrale Position ein, so dass ich hier etwas ausführlicher auf die zeitgenössischen Debatten um männliche Homosexualität eingehen möchte, um die Diskussionen um den Fall Haarmann in diesen Zusammenhang einordnen zu können. Umgekehrt wird in meinen Ausführungen deutlich werden, dass Haarmanns Fall als Argument für eine strengere, anti-homosexuelle Strafgesetzgebung genutzt wurde. Grundsätzlich wurde in der zeitgenössischen medizinischpsychiatrischen und sexologischen Fachliteratur zwischen vorübergehenden, zeitlich begrenzten Formen von Homosexualität und dauerhafter homosexueller Neigung unterschieden.138 Für alle Formen jedoch galt Verführung als entscheidendes Moment. So ging beispielsweise Krafft-Ebing davon aus, dass homosexuelles Begehren als vorübergehendes Phänomen in Situationen auftrete, in denen Männer in geschlechterhomogenen Gruppen lebten: „in Gefängnissen, Schiffen, Kasernen, Bagnos, Pensionaten 137 Siehe: „Mordprozeß Haarmann“, in: Vorwärts, 10.12.1924 (Morgenausgabe); „Mordprozeß Haarmann“, in: Vorwärts, 10.12.1924 (Abendausgabe). 138 Wie eine ganze Reihe von Forschungsarbeiten über die Geschichte der (Homo-) Sexualität demonstriert hat, ist um 1900 eine Entwicklung hin zu einem biologistischen Erklärungsmodell ganz wie im Falle der Kriminalität zu beobachten. Innerhalb dieses Modells wurde Homosexualität als eine pathologische, degenerative Veranlagung angesehen, die mit einer Neigung zu kriminellem Verhalten einhergehen sollte: Es entstand der homosexuelle Körper. Ebenso wie beim Kriminellen war allerdings auch hier der Unterschied zwischen dem homosexuellen und dem gesunden Körper nur auf den ersten Blick ein eindeutiger. Stattdessen wurde auch in diesem Zusammenhang ein Kontinuum der (Ab)Normalität skizziert, wie wir es bereits im 4. Kapitel in Bezug auf Kriminalität kennen gelernt haben. Siehe dazu auch die Aufsätze von: Fout 1992; Somerville 1994; Hekma 1994 und Terry 1995.

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usw.“139 Die betroffenen Männer würden bei ihrer Rückkehr in das normale gesellschaftliche Leben auch zur sexuellen Norm, dem reproduktiven, heterosexuellen Geschlechtsverkehr zurückkehren. Darüber hinaus galt homoerotisches Begehren bei jungen Erwachsenen als ein normales Durchgangsstadium auf dem Weg zu einer voll entwickelten Persönlichkeit, die sich nach Abschluss der Entwicklungsphase einer reproduktiven, heterosexuellen Beziehung zuwendet.140 Hier bestand die Verführung nicht so sehr in einer Person, sondern in der Situation, der Gelegenheit oder einer fehlgeleiteten Anziehung, die nicht in Schach gehalten werden konnte. Die dauerhafte Neigung zum gleichen Geschlecht hingegen, die „konträre Sexualempfindung“, entstehe, so Krafft-Ebing, auf der Grundlage einer erworbenen Perversität oder einer angeborenen Perversion.141 Erstere sei das Ergebnis einer durch Masturbation selbst herbeigeführten Nervenzerrüttung und einer damit einhergehenden Neurasthenie. Selbstbefriedigung ruiniere das Nervensystem und zerstöre darüber hinaus das gesunde, heterosexuelle Sexualempfinden: „die Glut der sinnlichen Empfindungen erlösch[e]“ und „die Neigung zum anderen Geschlechte“ sei danach nur noch „eine bedeutend abgeschwächte“. Was bleibe, sei allein der „grobsinnliche[r] tierische[r] Trieb nach geschlechtlicher Befriedigung“ sowie ein zerstörtes Nervensystem.142 Auch diejenigen Jugendlichen, die bereits qua Geburt eine degenerative Veranlagung hatten, die sogenannten Psychopathen, gehörten zu der Gruppe derjenigen, die eine dauerhafte homosexuelle Neigung erwerben konnten.143 Beide, die durch Masturbation geschwächten sowie die qua Degeneration schwach veranlagten Individuen, könnten den homosexuellen Verlockungen nicht widerstehen. Sie gäben den homoerotischen Komponenten einer Jugendfreundschaft nach oder, und das war die weitaus größere Gefahr, würden leichtes Opfer der Ver-

139 Krafft-Ebing 1993, S. 227. Alle von Krafft-Ebing genannten Einrichtungen sind damit „totale Institutionen“ (siehe: Goffman 1972, S. 11, 17). 140 Siehe: Spranger 1924, S. 88-89, 123-124. Spranger unterschied zwischen rein seelischem Eros und körperlicher Sexualität. Siehe dazu auch: Bühler 1922, S. 16 und Hoffmann, W. 1922, S. 120-121. 141 Krafft-Ebing 1993, S. 226-229, Zitat S. 224. Die Mehrheit seiner Fachkollegen stimmte dieser Einteilung prinzipiell zu, auch wenn sie im Detail zu anderen Beurteilungen kamen (beispielsweise Schrenck-Notzing 1898, S. 7, 14). Wulffen folgte in seinem Handbuch der Krafft-Ebing’schen Einteilung (siehe: Wulffen 1928, S. 580-583). Moll sprach von einer Disposition anstelle eines angeborenen Triebs, da er grundsätzlich das Bestehen eines angeborenen Sexualtriebes verneinte. Ansonsten stimmte er Krafft-Ebing zu (siehe: Moll 1926, S. 765-766). 142 Krafft-Ebing 1993, S. 227-228, Zitate S. 227. Mit dieser Erklärung knüpfte Krafft-Ebing an den seit Beginn des 18. Jahrhunderts geführten Onaniediskurs an. Zur Entwicklung des Anti-Onaniediskurses und zu seiner Rolle in der Ökonomie der Lüste des 18. und 19. Jahrhunderts siehe: Laqueur 2003, S. 204-210, 276-278; Sarasin 2001, S. 403-417. 143 Siehe: Krafft-Ebing 1993, S. 229.

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führung durch Homosexuelle.144 Aus dieser Gruppe entwickelten sich die „Päderasten“: Männer, die Analverkehr praktizieren oder sich als männliche Prostituierte für diese Form des homosexuellen Verkehrs verkauften.145 Die Infizierten durchliefen eine psychische und physische Metamorphose, die in Stadien der graduellen Abweichung von der heterosexuellen Norm angeordnet wurde und die von der „[e]infache[n] Verkehrung der Geschlechtsempfindung“ bis hin zur „Eviration und Defeminatio“ reichen sollte.146 Sie übernähmen „alle Mängel des Weibes, ohne dessen Vorzüge“, seien „launisch, feige, kleinlich“.147 Auch ihr Körper verwandele sich in einen weiblichen: „breite Hüften, runde Formen, reichliche Fettentwicklung, fehlende oder spärliche Bartentwicklung, weibliche Gesichtszüge, feiner Teint, Fistelstimme“ bis hin zu Brustbildung und Milchfluss seien zu beobachten.148 Diesem psychopathischen, weibischen, fast schon grotesken Körper wurde der „Urning“ gegenüber gestellt. Er verkörperte die angeborene Perversion. Er wies wenig oder keine weiblichen Charakteristika auf, sondern wurde im Gegenteil als mit positiv besetzten männlichen Attributen ausgestattet angesehen.149 144 Entsprechend der Theorie von der Ansteckung bei „angeborener psychooder neuropathischer Disposition“ (Schrenck-Notzing 1892, S. 4). 145 Siehe: Krafft-Ebing 1993, S. 427, 439. Der Begriff des „Päderasten“ war damit deutlich anders besetzt als im heutigen Sprachgebrauch (vgl. dazu: Moll 1926, S. 765). Wie Brigitte Kerchner demonstriert hat, entwickelte sich das Konzept des „psychosexuellen Infantilen“, der unserem heutigen Verständnis vom „Päderasten“ oder „Pädophilen“ entsprechen würde, erst im Verlaufe der zweiten Hälfte der Weimarer Republik. Sie verweist dabei auf die zentrale Bedeutung der Debatten um die Reform des § 175 und die erstmalige Systematisierung durch Borwin Himmelreich im Jahr 1931. (Siehe: Kerchner 2005, S. 247-255.) 146 Krafft-Ebing 1993, S. 229-238, Zitate S. 229, 234. 147 Schrenck-Notzing 1892, S. 2. 148 Ebd., S. 2. Diese letzte Stufe der Metamorphose stelle der „Wahn der Geschlechtsverwandlung“ dar (Krafft-Ebing 1993, S. 252). Oft wurde Haarmann mit diesen Charakteristika beschrieben, siehe beispielsweise: Lessing 1973, S. 20-22; Hyan 1924a, S. 41-42. Beide bezeichnen Haarmann als „Tante“ – als Vertreter des Typus des weibischen Homosexuellen – ein Begriff, der auch innerhalb der Homosexuellenbewegung negativ besetzt war und zur Diskriminierung ‚effiminierter‘, gleichgeschlechtlich orientierter Männer benutzt wurde. Siehe dazu: Micheler 2005, S. 181-194. 149 Krafft-Ebing 1993, S. 256-267; 275-288. Der Begriff „Urning“ wurde zuerst eingeführt von Karl Heinrich Ulrichs (1825-1895), der damit den homosexuellen Mann bezeichnete (für die homosexuelle Frau verwendete er „Urninde“). Homosexualität war seiner Ansicht nach eine ebenso natürliche Erscheinung wie Heterosexualität und sei daher zu Unrecht der strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt. Siehe: Ulrichs’ Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe (Ulrichs 1994, in Teilen erstmalig erschienen 1864). Laut dem Vorwort zum ersten Band (S. 9) benutzte er den Begriff zum ersten Mal 1870 in „Prometheus“ (Bd. 4 der Neuausgabe). Zu Ulrichs Biographie siehe: Kennedy 2001.

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Die Ansteckung durch einen sogenannten Verführer wurde von Krafft-Ebing und vielen anderen Forschern als das entscheidende auslösende Element für beide Formen, die erlernte wie die angeborene Homosexualität, angesehen. Vor allem Jugendliche seien von dieser Bedrohung betroffen, da ihr Sexualtrieb noch undifferenziert sei und eine durch ein Schlüsselerlebnis entwickelte Neigung sich für den Rest des Lebens fixiere.150 Diese anti-homosexuelle Infektionsparanoia wurde vor allem in der Frage der Reform des § 175 zum Politikum. Seit den 1890er Jahren hatten verschiedene Mediziner, Aktivisten und Politiker für eine Aufhebung des 1871 eingeführten § 175 und für eine Straffreiheit mann-männlicher Sexualität plädiert. Diese Bewegung war ganz maßgeblich geprägt durch die fachliche und politische Arbeit des Mediziners Magnus Hirschfeld (18681935).151 Dieser entwickelte unter Rückgriff auf das Konzept vom „Urning“ eine Theorie der Homosexualität, nach welcher diese zwar angeboren, aber nicht als degenerativ oder als krankhaft anzusehen sei.152 Ausgehend von der These, dass alle Embryos bis zum dritten Monat der Entwicklung im Mutterleib geschlechtlich undifferenziert seien, sprach Hirschfeld stattdessen von einer „angeborenen Evolutionsstörung“ oder auch „Hemmungsbildung“ und verglich Homosexualität mit Phänomen wie der Hasenscharte oder der Farbenblindheit.153 Hirschfeld verneinte darüber hinaus ganz explizit die Möglichkeit, homosexuelle Neigung könne „erworben“ werden, sondern sei „stets eine absolut endogene, ausschließlich in der angeborenen Konstitution begründete, mit der Individualität eines Menschen untrennbar und unabänderlich verknüpfte Eigenschaft.“154 150 Siehe dazu: Placzek 1925, S. 10-11. Laut Moll fühlte sich angeblich sogar die Mehrzahl der männlichen Homosexuellen zu Knaben und Jugendlichen hingezogen (Moll 1926, S. 764, 767). 151 Hirschfeld studierte in Straßburg, München, Heidelberg und Berlin Philosophie, Philologie und Medizin. Er etablierte die Zeitschrift Jahrbuch für Sexuelle Zwischenstufen (deren erste Ausgabe 1899 erschien) und errichtete 1919 das Institut für Sexualwissenschaft in Berlin. Hirschfelds Publikationsliste ist umfangreich. An dieser Stelle können lediglich die für den hier behandelten Zusammenhang zentralen Werke genannt werden: Die Homosexualität des Mannes und des Weibes (Hirschfeld 1914); Sexualität und Kriminalität (Hirschfeld 1924); Sexuelle Zwischenstufen (Hirschfeld 1922) sowie Geschlecht und Verbrechen (Hirschfeld 1930, bes. S. 209211, 213 zum Fall Großmann). Zu Leben und Werk Hirschfelds siehe: Herzer 2001 sowie die Beiträge im Band von Kotowski/Schoeps (Hg.) 2004. 152 Hirschfeld 1914, S. 5-10. 153 Ebd., S. 372. 154 Ebd., S. 315-324, Zitat S. 325 (HiO). Vgl. auch seine ausführliche Widerlegung der „Gründe gegen das Angeborensein der Homosexualität“ (ebd., S. 325-347). Siehe dazu auch: Hirschfeld 1922, S. 179-223, bes. S. 182184.

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Damit sei die Ausübung homosexuellen Begehrens nicht widernatürlich, sondern ganz im Gegenteil Teil ihrer Natur, Folge der körperlichen Konstitution von gleichgeschlechtlich begehrenden Männern und Frauen. Wie eine Reihe von Forscherinnen und Forschern deutlich gemacht hat, war diese Konstruktion in vielerlei Hinsicht ein Drahtseilakt: einerseits anschlussfähig an Teile der Degenerationstheorie (siehe exogene Degeneration durch Störung der Entwicklung des Embryos im Mutterleib) und andererseits terminologisch missverständlich, gerade durch die von Hirschfeld gewählten Vergleiche (etwa mit einer Hasenscharte). Während mit Hilfe dieses Konzepts politisch für eine Entkriminalisierung argumentiert werden konnte, blieb sein Argument der biologistischen Logik der Theorie vom homosexuellen, devianten Körper verhaftet.155 Eine Kriminalisierung, wie vom § 175 RStG vorgesehen, hielt Hirschfeld daher für völlig verfehlt. Gemeinsam mit Max Spohr, Eduard Oberg und Max von Bülow gründete Hirschfeld 1897 das Wissenschaftlich humanitäre Kommitee (WhK), welches trotz vieler Rückschläge das Projekt einer Entkriminalisierung homosexueller Akte systematisch vorantrieb. Die Initiative des WhK wurde von vielen Liberalen, Sozialdemokraten und Kommunisten sowie die diesen politischen Lagern nahestehenden Medizinern unterstützt.156 So reichte 1922 das Kommitee eine von insgesamt 6.000 öffentlichen Persönlichkeiten unterzeichnete Petition auf Änderung des § 175 ein, welche die Straffreiheit von konsensualen homosexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen forderte. Zu den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern gehörten unter anderem Gustav Radbruch (1878-1949), ausgebildeter Jurist, SPD-Mitglied und von Oktober 1921 bis November 1922 im Kabinett Wirth sowie von August bis November 1923 im Kabinett Stresemann Reichsjustizminister. Im gleichen Jahr reichte Radbruch einen Reformentwurf ein, der im Zuge einer generellen Reform des Strafgesetzbuches, und ganz im Sinne der Petition des WhK, homosexuelle Akte zwischen Erwachsenen entkriminalisieren und mann-männliche Sexualität lediglich bei Involvierung von Jugendlichen bestrafen sollte. Gleichzeitig sah der Entwurf eine Milderung der angedrohten Haft vor. Weder das Kabinett von Wirth noch das von Stresemann verabschiedete seinen Reformentwurf. Dem gegenüber verabschiedete 1925 die Reichsregierung unter Hans Luther eine Vorlage des Reichsjustizministeriums, die unter der Leitung 155 Siehe: Lautmann 2004; Keilson-Lauritz 2005 sowie Micheler 2005, S. 153-159. 156 Die Geschichte der Auseinandersetzungen um den § 175 in der Weimarer Republik ist durch eine Vielzahl an Publikationen aufgearbeitet worden. Siehe dazu: Steackley 1975; Stümke 1989, S. 53-91; Mende 1990; Dworek 1990; Hutter 1990; Sommer 1998, S. 163-175, 175-308; Bastian 2000, S. 21-22 sowie Hirschfeld 1986, S. 47-64, 74-87 (die autobiographischen Teile darin erschienen zuerst 1922/23 in: Die Freundschaft).

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des späteren Reichsgerichtspräsidenten und späteren NSDAP-Mitgliedes Erwin (Konrad Eduard) Bumke (1874-1945) ausgearbeitet worden war.157 Hierin wurde im Gegensatz zum Entwurf Radbruchs an der Strafbarkeit der „widernatürlichen Unzucht“ zwischen Männern festgehalten und eine Verschärfung der Strafe im Falle von „Jugendverführung“, Prostitution oder Mißbrauch vorgeschlagen. Der Entwurf wurde in Presse und Politik kontrovers diskutiert.158 In dieser Auseinandersetzung wurde das Schreckensbild des homosexuellen Verführers von Sittenwächtern und Konservativen als rhetorisches Mittel benutzt, um die Gegnerschaft dieser sexualreformerischen Initiative zu mobilisieren. So war ein zentrales Argument in der Begründung des Bumke’schen Entwurfs die besondere Gefährdung von Jugendlichen durch homosexuelle Verführer sowie durch die Propaganda der homosexuellen Emanzipationsbewegung.159 Gerade Haarmann galt den Gegnern der Sexualreform als Paradebeispiel für die Verbindung von Homosexualität und Sadismus: „Die häufige Verbindung von Homosexualität, besonders wenn sich die Neigung auf Jugendliche richtet, mit Sadismus, ist dem Fachmann bekannt. Der Fall Haarmann sollte die Homosexuellen etwas vorsichtiger in der Anpreisung ihrer Harmlosigkeit machen.“160

157 Bumke arbeitete seit 1907, nach Abschluss seines Jurastudiums in Freiburg, Leipzig, München, Berlin und Greifswald für das Reichsjustizamt (in Weimar: Reichsministerium der Justiz). 1929 wurde er Präsident des Reichsgerichts, ab 1937 war er Mitglied der NSDAP. Bruder Erwin Bumkes war der Psychiater Oswald Bumke (1877-1950), der nach mehreren Professuren (Rostock, Breslau, Leipzig) 1924 der Nachfolger Emil Kraepelins auf dem Lehrstuhl für Psychiatrie der Universität München sowie Leiter der Münchner Nervenklinik wurde. Oswald Bumke gehörte zu den angesehensten Vertretern des Fachs seiner Zeit und war einer der nachdrücklichsten Anhänger der Degenerationstheorie. Zu seinen einflussreichsten Werken zählen: Lehrbuch der Geisteskrankheiten (Bumke 1919), Kultur und Entartung (Bumke 1922), das ursprünglich unter dem Titel Über nervöse Entartung im Jahre 1912 erschienen war. Die Debatte um die Strafrechtsreform wurde in der Zeit der Weimarer Republik nicht zu Ende geführt. 158 Der Entwurf Erwin Bumkes wurde zwar im Reichsrat beraten und eine entsprechend überarbeitete Fassung, die in § 296 die „Unzucht zwischen Männern“ und in § 297 die „schwere Unzucht zwischen Männern“ als Straftatbestand vorsah, am 14. Mai 1927 dem Reichstag vorgelegt und in Erster Lesung diskutiert. Allerdings wurde er vor der Reichstagsauflösung am 18. Juli 1930 nicht endgültig verabschiedet (siehe: Sommer 1998, S. 198-293). 159 Siehe: Kerchner 2005, S. 262-269; Sommer 1998, S. 194-198, 203-204. 160 Moll 1926, S. 772-773, Zitat S. 772. Dem gegenüber betonten die Befürworter der Reform, dass Haarmann nicht als repräsentativ für die sogenannten Urninge angesehen werden durfte und dass es gerade die bestehende Kriminalisierung sei, die weiteren Verbrechen, namentlich aufgrund von Erpressungen, Vorschub leiste. In diesem Sinne beispielsweise: Hyan

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In Bezug auf die Repräsentation Haarmanns in der massenmedialen Öffentlichkeit hält dieser Befund allerdings nicht Stand. Hier können wir beobachten, wie auch im sozialdemokratischen Vorwärts oder der kommunistischen Roten Fahne das Schreckensbild des Verführers Haarmann an die Wand gemalt wurde. Dort hieß es: „Er hat Bourgeois ‚aus den höchsten Gesellschaftsschichten‘ in riesigem Umfang Opfer für ihre homosexuellen Gelüste zugetrieben und diejenigen dann ermordet, die für diese Bourgeois unbequem oder gefährlich zu werden drohten.“161 Hier findet sich auch eine der wenigen bildlichen Darstellungen der angeblich für Haarmann typischen Vorgehensweise, seinen Opfern im „Sexualrausch“ die Kehle durchzubeißen (siehe: Anhang Abb. 9.16).162 Wie bereits oben dargestellt, war die gegenseitige Beschuldigung, der homosexuelle Mörder Haarmann stehe im Dienst oder sei gar Mitglied des jeweiligen politischen Gegners, fester Bestandteil der Auseinandersetzungen zwischen der kommunistischen und der sozialdemokratischen Presse.163

Haarmann als Jugendfürsorger? Der gute Hirte und die Normalisierung männlich-jugendlicher Körper Anders als bei der Darstellung Haarmanns kann in Bezug auf die Berichterstattung über die Opfer Haarmanns keine relativ eindeutige Zuordnung von politischen Positionen vorgenommen werden. Gleichzeitig spiegelte diese Diskussion die medizinisch-psychiatrische Fachdebatte um die Bedeutung von sogenannter degenerativer Veranlagung und der Rolle des sozialen Milieus in der Entwicklung von Kriminalität wider. So wurden die Ermordeten in konservativ-bürgerlichen Berichten, in Verlautbarungen der Polizei oder auch von Seiten des Gerichts, als „entlaufene Fürsorgezöglinge“ gekennzeichnet.164 Diese Jugendlichen galten gemeinhin als Psychopathen, als verhaltensauffällig und wegen ihrer degenerativen Disposition für die Verlockungen von Kriminalität und Homosexualität als besonders anfällig.165 In einer Mitteilung an die Bevölkerung beschrieb der Poli-

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1924a, S. 62. Zum Zusammenhang von männlicher Prostitution und Erpressung, siehe: Lücke 2007, S. 138-179. Siehe beispielsweise: „Mordprozeß Haarmann“, in: Vorwärts, 11.12.1924 (Morgenausgabe, Beilage); „Die SPD. – Haarmann-Verteidiger allein“, in: Rote Fahne, 29.7.1924. „Massenmörder und Menschenfleischhändler Haarmann als Vertrauensmann der Polizei“, in: Rote Fahne, 13.7.1924. Siehe: „Das Spitzelverwertungsgeschäft der SPD“, in: Rote Fahne, 20.7.1924. Urteil und Urteilsbegründung im Prozeß gegen Friedrich Haarmann und Hans Grans, 19.12.1924, NHStA Hann. 173 Acc. 30/87, Nr. 80, Bll. 107155, hier Bl. 112; Anklageschrift gegen Fritz Haarmann, ebd., Bll. 3-106, hier Bll. 27-28. Zum Krankheitsbild der Psychopathie siehe Kapitel 4.

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zeipräsident Hannovers das soziale Umfeld Haarmanns als „das verdorbenste Proletariat der Großstadt“ und betonte, „[a]lle dabei beteiligten Personen, auch die meisten der unglücklichen Opfer“ seien „mehr oder weniger verwahrlost und moralisch minderwertig.“166 In der Vossischen Zeitung wurden die jungen Männer aus dem Umfeld Haarmanns, die vor Gericht als Zeugen gehört wurden, im der Stil einer anthropologischen Analyse ihres Schädelprofils gar als „beschmutzt, unrettbar verdorben“ beschrieben und ihre Aussagen als fragwürdig markiert: „Es sind ja fast alles Psychopathen, denen es selbst bei Anstrengung nicht mehr gelingt, Gehörtes von Erlebtem zu unterscheiden“.167 Sogenannte Fürsorgezöglinge stammten in der Regel aus dem Arbeitermilieu, aus Familien, welche die bürgerlichen Normen hinsichtlich Aufsicht und Erziehung nicht erfüllten. Bereits seit dem Kaiserreich wurden diese Kinder und Jugendlichen auf Grundlage verschiedener Landesgesetze zwangsweise in eine entsprechende Erziehungsanstalt oder zu anderen Familien verbracht.168 Diese Interventionspraxis machte Heranwachsende aus proletarischen Familien zu Objekten eines staatlichen Zugriffs, der zeitgenössisch auch als „‚innerer Imperialismus‘“ bezeichnet wurde. Die Herstellung tüchtiger, männlicher Körper im Mutterland wurde als Voraussetzung für den Erfolg Deutschlands im imperialistischen Wettlauf um den Platz an der Sonne angesehen.169 Mit Ende des Ersten Weltkrieges und zu Beginn der Weimarer Republik spitzte sich die Debatte um die staatliche Fürsorge weiter zu: Nahrungsmittelknappheit und Mangelernährung, Jugendarbeitslosigkeit, Auflösung der traditionellen Erziehungsinstitutionen Familie und Schule, Anstieg der Jugendkriminalität und die „Verwahrlosung“ gaben dem biopolitischen Imperativ zur „Nutzbarmachung des Nachwuchses“ weiteren Vorschub.170 Die Bestrebungen, eine reichsweite Regelung der Jugendfürsorge 166 Zitiert nach Katz [1924], S. 23 (HiO). Bei aller Vorsicht vor der häufig übertriebenen Darstellung von kommunistischer Seite kann hier davon ausgegangen werden, dass Katz politisch zu klug agierte, als dass er sich die Blöße eines anfechtbaren Zitats geben mochte. Zweitens steht diese Diffamierung inhaltlich in einer Linie mit Aussagen aus anderen vergleichbaren Quellen. 167 Sling, „Reste des Menschentums“, in: Vossische Zeitung, 12.12.1924 (Morgenausgabe). 168 So sah das 1900 in Preußen verabschiedete „Gesetz über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger“ vor, dass Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres der Fürsorgeerziehung unterstellt wurden, sofern diese straffällig geworden waren oder ein Versagen des Vaters bzw. des rechtlichen Vormundes festgestellt worden war (siehe: Gräser 1995, S. 25). Zur Entwicklung der Jugendfürsorge vom Kaiserreich bis in die Weimarer Zeit siehe: Peukert 1986b, S. 37-253; Harvey 1993, S. 28-37, 43-61, 152-173; Gräser 1995, S. 26-51, 52-68. 169 Siehe: Gräser 1995, S. 26-36, Zitat S. 26. Vgl. dazu auch als Fallstudie dieser Verflechtung von Kolonie und Metropole: Conrad 2004. 170 Siehe: Gräser 1995, S. 37-51, Zitat S. 39, 43-44; Harvey 1993, S. 103-112.

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durchzusetzen, die bereits vor dem Weltkrieg bestanden hatten, kulminierten unter dem Eindruck dieser Debatten in der erfolgreichen Verabschiedung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes (14.6.1922), in dem einleitend auf das „Recht eines jeden deutschen Kindes auf ‚Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit‘“ verwiesen wurde.171 Entsprechend waren die sogenannten psychopathischen Jugendlichen eine der Hauptzielgruppen eugenischer Politiken in der Zeit der Weimarer Republik.172 Besondere Besorgnis erregte in den Augen der Befürworter und Befürworterinnen der staatlichen Jugendfürsorge die männliche Prostitution, da diese, wie oben dargestellt, eine latent bestehende homosexuelle Neigung der betreffenden Jugendlichen manifest werden zu lassen drohte.173 Ein Blick auf die Berufe der Opfer, wie sie im Urteil gegen Haarmann und Grans aufgelistet sind, zeigt, dass die Beschreibung als ‚Fürsorgezögling‘ kontrafaktisch vorgenommen wurde. Die Opfer Haarmanns waren zwar allesamt Jugendliche im Alter zwischen 14 und 20 Jahren, allerdings waren sie Auszubildende, Schüler, arbeitslose Arbeiter oder Handwerker. Einige unter ihnen hatten ihre Heimat und ihre Familie verlassen, um in der Stadt neue Arbeit oder auch Unterhaltung zu suchen, keiner unter ihnen war aus einer Fürsorgeanstalt geflohen. Manche hatten engeren Kontakt zu homosexuellen Männern und besuchten regelmäßig das Café Kröpke, einen der damaligen Szenetreffs in Hannover.174 Ähnlich wie 171 Gräser 1995, S. 46. Fast parallel dazu wurde das Jugendgerichtsgesetz (1.7.1923) verabschiedet, welches Jugendlichen in Strafrecht und -vollzug einen Sonderstatus garantierte. Siehe dazu: Peukert 1986b, S. 131-139; Harvey 1993, S. 176-180; Gräser 1995, S. 47. 172 Weindling 1989, S. 381-385. 173 Siehe beispielsweise: Rupprecht 1911/12. Mann-männliche Prostitution war bislang ein in der Historiographie zur Jugendfürsorge der 1920er zu Unrecht vernachlässigtes Thema, wie Martin Lücke in seiner Dissertation „Ein lichtscheues Treiben. Männliche Prostitution in Deutschland im Kaiserreich und in der Weimarer Republik“ (Lücke 2007) demonstriert. Vgl. besonders seine Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung zur Jugendfürsorge (Lücke 2007, S. 181-192). Siehe dazu auch seine Einzelbeiträge: Lücke 2005; Lücke 2003. 174 Siehe: Urteil und Urteilsbegründung im Prozeß gegen Friedrich Haarmann und Hans Grans, 19.12.1924, NHStA Hann. 173 Acc. 30/87, Nr. 80, Bll. 107-155, hier Bll. 128-150. Hannover hatte zu Beginn der 1920er, darin sind sich alle zeitgenössischen Quellen einig, eine aktive und lebendige Homosexuellenszene. Die genaue Zahl aller Homosexuellen hingegen wurde sehr unterschiedlich eingeschätzt. Während Kriminaloberinspektor Kopp von 30-40.000 Personen sprach, ging das Unzuchtsdekanat der Polizei Hannovers von 2.000 Personen aus, darunter 500 registrierte Homosexuelle und 100 männliche Prostituierte (siehe: Hyan 1924a, S. 63; Lessing 1973, S. 13). Wie Kompisch anmerkt, scheint die erste Zahl angesichts einer Gesamtbevölkerung von knapp 450.000 weit zu hoch gegriffen (siehe: Kompisch 2001/02, S. 100). Zur zeitgenössischen Situation der Homosexuellen in Hannover siehe: Hyan 1924a, S. 62-65; Lessing 1973, S. 13; Hoffschildt 1992, S. 48-69 sowie Kompisch 2001/02, S. 101-102.

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Großmann suchte sich Haarmann damit seine Opfer unter Menschen, die es auf der Suche nach Arbeit, Erfolg und besseren Verdienstmöglichkeiten in die Stadt gezogen hatte. Haarmanns Heimatstadt Hannover, gelegen am Mittellandkanal und ein Knotenpunkt des überregionalen Zugverkehrs, fungierte als Drehscheibe der Binnenmigration der Nachkriegsjahre, die weniger geschlechtsspezifisch als vielmehr alterspezifisch war.175 Alle Betroffenen erfüllten damit jedoch gleichzeitig das Profil des verwahrlosten Jugendlichen, auf welchen die Jugendfürsorgediskussion abzielte. Als angebliche Psychopathen, die sich obendrein auch noch der staatlichen Kontrolle durch Flucht entzogen hatten und Teil der kriminellen und homosexuellen Szene waren, waren diese aus konservativer Sicht sowie aus Perspektive der Polizei, des Gerichts und der Staatsanwaltschaft nicht unverschuldet in Gefahr geraten, im Gegenteil: Sie hatten sich selbst ins kriminelle Abseits begeben. Ihr Tod war damit nicht, oder zumindest nicht ausschließlich, dem in der Presse diskutierten Polizeiversagen anzulasten. Auf der anderen Seite standen liberale, sozialdemokratische und kommunistische Stimmen, welche auf die Notlage der jungen Männer, ihre Hilflosigkeit und das Versagen staatlicher Institutionen wie etwa der Jugendfürsorge verwiesen. So schrieb beispielsweise der Vorwärts: „[D]ie soziale und seelische Not der Jugend lauert, deren wollüstiger Nutznießer Haarmann war. Entwichene Fürsorgezöglinge, arbeitslose und obdachlose Burschen, jungen Menschen die, durch Zwist mit den Eltern dem Heim entfremdet, auf [sic] schiefe Ebene geraten sind, finden keine andere Unterkunft, suchen nirgends wo anders Schutz und Hilfe, als ... bei Haarmann.“176

Zwar wurden die Jugendlichen auch hier als Fürsorgezöglinge und Psychopathen beschrieben, aber in erster Linie als unverschuldet in Not geratene, kranke und fürsorgebedürftige Opfer, die vom Staat im Stich gelassen worden waren. Stattdessen sei der Mörder als das Zerrbild des verantwortlichen Vater Staat aufgetreten: „Haarmann als Jugendfürsorger“.177 Eine Kritik an der Leistungsfähigkeit staatlicher Einrichtungen, die sich im Falle der kommunistischen Presse an die Vorhaltungen gegenüber Polizei anschloss.

175 Siehe: Seitz 1987a, S. 115; Seitz 1989, S. 58-61. 176 „Mordprozeß Haarmann“, in: Vorwärts, 11.12.1924 (Morgenausgabe, Beilage) (HiO und AiO). 177 „Mordprozeß Haarmann“, in: Vorwärts, 11.12.1924 (Morgenausgabe, Beilage) (HiO). Wie gesehen wurden die Männer in der Roten Fahne als „arme Teufel“ beschrieben, „die froh waren, Unterschlupf zu haben und sich satt essen zu können“. („Massenmörder und Menschenfleischhändler Haarmann als Vertrauensmann der Polizei“, in: Rote Fahne, 13.7.1924.)

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Auch Vertreter christlich-karitativer Einrichtungen meldeten sich in diesem Sinne zu Wort. Hier wurden die Getöteten als Produkte ihrer sittlich verkommenen Umwelt dargestellt. Sie seien inmitten sittlicher Not in überfüllten und dunklen „Wohnhöhlen“, unterhalb jedes hygienischen Standards, „in denen sich niemals ein glückliches Familienleben“ hätte entfalten können, aufgewachsen. Diese Umstände hätten sie „geradezu mit Gewalt auf die Straße, in die Wirtschaft, zum Verbrechen getrieben“.178 Die Straße wiederum sei der „Sitz der Prostitution“, dem moralischen und kriminellen Übel schlechthin.179 Wie wir bereits im Kontext des kolonialen Kannibalismusdiskurses beobachtet haben, stand auch hier die Unversehrtheit des, in diesem Falle jugendlichen, männlichen Körpers auf dem Spiel. Allerdings war in diesen Körper eine Differenz eingetragen. Die Rede von der Gefährdung der männlichen Jugend war nämlich eine im doppelten Sinne klassenspezifische: Während einerseits die Gefahr der kannibalischen und/oder homosexuellen Ansteckung für die männlichen jugendlichen Körper immer wieder betont wurde, waren die betroffenen Körper gleichzeitig als kriminell und proletarisch, als nicht-bürgerlich und damit nicht den Söhnen der hegemonialen, weißen, bürgerlichen Männlichkeit zugehörig markiert. Diese Differenz wurde wiederum von denjenigen Sprechern eingetragen, welche sich selbst als Teil der hegemonialen Männlichkeit verstehen konnten, wie Staatsanwälte, Richter, Abgeordnete, Journalisten oder Kriminologen. Auf diese Weise wurde das Wissen um die Gefahr einer Infektion ständig aktualisiert, gleichzeitig aber deutlich gemacht, dass betroffen nur sei, wer sich bereits jenseits der heterosexuellen, bürgerlichen Norm bewegte. Ganz wie einige unter den Opfern Haarmanns es getan hatten: Söhne aus mittelständischen Handwerker- oder Angestelltenfamilien, die sich in Szenelokalen umgesehen oder ihr Glück in der Großstadt gesucht hatten. In diesem Sinne kann diese scheinbar widersprüchliche diskursive Strategie als Teil eines Normalisierungsdiskurses begriffen werden, der angesichts einer zunehmenden Zahl junger Männer, die im Umfeld von Jugendbewegungen verschiedenster politischer Prägung, einer immer selbstbewusster auftretenden homosexuellen Emanzipationsbewegung und den ökonomischen und sozialen Umbrüchen der Nachkriegszeit ihre Unabhängigkeit von traditionellen Rollenvorbildern proklamierten und neue Lebensformen ausprobierten, die Grenzen zwischen Normalität und Abweichung nachdrücklich einzeichnete. Die einzige wirkliche Gegenstimme 178 Victor Bode, „Gedanken zum Fall Haarmann“, in: Hannoverscher Kurier, 2.8.1924. 179 Ebd. Bode differenzierte nicht zwischen Mann-männlicher und weiblicher Prostitution. Aus seinen weiteren Schilderungen, in denen er ausschließlich über junge Männer sprach, die in diesem sozialen Milieu „auf die schiefe Bahn“ zu geraten drohten, lässt sich allerdings schließen, dass er sich darüber bewusst war, dass mann-männliche Prostitution ein Teil der Lebensrealität der späteren Opfer Haarmanns darstellte.

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zu diesem Normalisierungsdiskurs, die der Kommunisten und Kommunistinnen, hatte dem kein attraktives Männlichkeitskonzept entgegen zu setzen. Gerade über die rhetorische Identifikation der Opfer Haarmann mit denen antikommunistischer, polizeilicher Gewalt gerieten diese in den Berichten zu geschundenen Körpern, hilflos und verletzlich. Zusammenfassend können wir festhalten, dass sich um die Metapher der Krise ein Diskurs um Männlichkeit, Kannibalismus und die Verfasstheit des body politic anordnete, welcher mit einer aktiven Transformation und Aneignung des ethnologischen und medizinisch-psychiatrischen Wissens vom Kannibalismus einherging und in mehrfacher Hinsicht politisch aufgeladen war. Bei der Analyse dieses Krisendiskurses ist seine genaue Verortung innerhalb der zeitgenössischen Debatten um Männlichkeit, die Lage der Nation und der Staatsorgane sowie um Homosexualität und die Unversehrtheit der männlichen Jugend von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig wurde in meinen Untersuchungen deutlich, dass erstens, auf der Grundlage der seit Mitte des 19. Jahrhunderts etablierten Verknüpfung von Nation und Maskulinität ein allgemeiner Verfall von Moral und Sittlichkeit als Folge des Ersten Weltkrieges und der (Hyper)Inflation wahrgenommen wurde, als deren sichtbarstes Zeichen das Auftreten von Sexualstraftätern wie Karl Großmann oder Fritz Haarmann gedeutet wurde. Dieser Sittenverfall wiederum wurde dezidiert als männliche Krise interpretiert. Zweitens wurde der Kannibalismusvorwurf in der politischen Auseinandersetzung ganz besonders zwischen KPD und SPD instrumentalisiert. Der Spitzel Haarmann, der sich an Verrat und Tod bereicherte, so die kommunistische Presse, repräsentierte ein von der Sozialdemokratie installiertes Unterdrückungssystem mit all seinen menschenverachtenden und – vernichtenden Charakteristika. Indem das angeblich auf Gewalt und Menschenfresserei beruhende politische System (Republik) mit dem ökonomischen (Kapitalismus) gleichgesetzt wurde, wurden beide als „Menschenschlachthaus“ diskreditiert.180 Drittens schließlich war die im Zusammenhang mit den kannibalischen Lustmördern am häufigsten in der Publizistik beschworene Krise die der männlichen Jugend. Es war ihre Unversehrtheit, die angeblich auf dem Spiel stand; ihr drohte die physische und moralische Degeneration. Wie oben gesehen, war diese Beschwörung Teil eines Normalisierungsdiskurses, der gleichzeitig eine klassenspezifische Differenz in den männlichen Körper einschrieb. Während angeblich gerade junge Männer aus einem proletarischen Umfeld betroffen sein sollten – Stichwort Fürsorgezöglinge – wurde das Schreckensbild der Degeneration auch dazu benutzt, um das Verhalten der Söhne der Mittel- und Oberschicht zu beeinflussen. Ähnlich

180 „Das Menschenschlachthaus“, in: Rote Fahne, 18.7.1924.

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wie im kolonialen Kontext war der Kannibalismusdiskurs auf diese Weise eng mit einem Netzwerk gouvernementaler Praktiken der Regulation und Normalisierung von Lebensäußerungen verbunden.

7 . „ Ic h bin doc h kein Ka nniba le“ : Sc hluss be trachtunge n

Ende des Jahres 1930, fast ein halbes Jahr nach seiner Verhaftung, führte Peter Kürten mit Max Raether, dem Leiter der Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau, im Rahmen einer psychiatrischen Untersuchung mehrere Gespräche. Die Mitschriften dieser Interviews wurden Bestandteil des von Raether angefertigten Gutachtens, welches er am 2. Januar 1931 dem Gericht vorlegte. Dort findet sich folgender Dialog: „Spontan: ‚Ich hätte noch gern etwas hinsichtlich der Bildung hinzugefügt. Ich sagte, ich hätte mich mit Vorliebe mit Länder- und Völkerkunde beschäftigt. Ich habe mich auch für Sitten und Gebräuche, auch sexueller Art der betreffenden Völker interessiert.‘ Zum Beispiel) ‚Für Südseeinseln oder Indien, für Anhänger des Bud[d]ha, also für Japan und China, auch für so Taten der Amokläufer und Kopfjägerei, wie in Australien und auf den Südseeinseln.‘ Auch für erotische Literatur?) ‚Ich habe natürlich alles verschlungen.‘ Können Sie mir die Titel nennen?) ‚Titel sind mir nicht in Erinnerung. Die Sachen sind schnell gelesen worden und weniger haften geblieben.‘ [...] Hat Ihnen das Gelesene auch bei Ausführung Ihrer Taten vorgeschwebt?) ‚Jules Verne hat mir vorgeschwebt. Ich habe vieles in mich aufgenommen und gewünscht, in die Tat umzusetzen. Es blieb aber bei diesen Phantasien oder Wahnvorstellungen. Zum Beispiel habe ich mir ein Luftschiff konstruiert und damit eine Reise auf den Mars und die Venus ausgeführt, wie ich Ihnen das schon erzählt habe. Im übrigen habe ich das, was einschlägig ist, gewünscht, ausführen zu können, z.B. Schilderungen aus den Südseeinseln, wo sie Gefangene massakriert haben, wo ich von Kannibalismus gelesen habe, der dort üblich ist.‘ Haben Sie denn auch das Fleisch Ihrer Opfer gegessen?) ‚Nein, ich bin doch kein Kannibale. Ich habe wohl versucht, Blut zu trinken.‘“1 1

Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Dr. M. Raether, 2.1.1931, HStA Düsseldorf, 17/731, hier Bll. 225-227 (Hervorhebung EB).

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Wie dieser Ausschnitt zeigt, bezogen sich sowohl Raether als auch sein Gesprächspartner Kürten in diesen Interviews gemeinsam auf ein diskursives Feld, in dem Kannibalismus, Kolonialismus und Kriminalität, genauer Sexualverbrechen, miteinander gekoppelt waren. Darüber hinaus können wir beobachten, wie Kürten sich einerseits mit dem Eingeständnis, durch erotische Literatur, Abenteuerromane und Science Fiction beeinflusst worden zu sein, Eigenschaften des in der medizinisch-psychiatrischen Fachliteratur beschriebenen Täterprofils aneignete, während er sich andererseits durch vehemente Abgrenzung zu dem angeblich im kolonialen Raum ausgeübten Kannibalismus als Teil weißer Normalität darstellte. Anders als bei der zu Beginn meiner Studie zitierten ironischen Bemerkung des liberianischen Studenten Al-Haj Massaquoi, die mit rassistischen Vorurteilen gegenüber Menschen afrikanischer Herkunft spielte, handelte es sich bei Kürtens Aussage um eine komplexe und vielschichtige Einordnung in ein Kontinuum weißer, männlicher (Ab)Normalität. Damit verdeutlicht der oben zitierte Ausschnitt das diskursive Geflecht, welches den Untersuchungsgegenstand meiner hier vorgelegten Studie bildete: ein Dreieck, aufgespannt zwischen dem kolonialen Diskurs um den wilden Kannibalen, den psychiatrisch-medizinischen und kriminologischen Debatten um die kannibalischen Lustmörder und der Bezugnahme auf diese Diskurse bei der Artikulation hegemonialer Männlichkeit in der postkolonialen Gesellschaft der Weimarer Republik. Auf den folgenden Seiten möchte ich kurz die zentralen Arbeitsergebnisse meiner Untersuchungen festhalten sowie sich daran anschließende, fortführende Forschungsfragen aufzeigen.

Kannibale-Werden Wie in Kapitel vier und fünf rekonstruiert, suggerierte der normalistische Diskurs der Medizin, Psychiatrie und Kriminologie einerseits eine binäre Trennung zwischen ‚normalen‘ und ‚anormalen‘ Männlichkeiten. Andererseits wurde in diesem Diskurs ein Normalfeld von Geschlechteridentitäten etabliert, in dem jede Männlichkeit verortet wurde. Auf diese Weise wurde eine Männlichkeit entworfen, die sich durch multiple und teilweise widersprüchliche Bezüge auf andere Identitäten definierte: auf Wilde, Kinder, Frauen, Tiere sowie andere Männlichkeiten, etwa homosexuelle oder nicht-weiße Männer. Gleichzeitig wurde der weiße, männliche Körper als gefährliche Inkorporation atavistischer Triebhaftigkeit aufgefasst. Der männliche Körper galt als evolutionäres Überbleibsel aus einer ‚primitiven‘ Periode der Menschheit. In Anlehnung an Anne McClintock habe ich in diesem Zusammenhang auch von einem anachronistischen Körper gesprochen. Aus der Perspektive der Experten hauste der Kannibale in jedem Mann. Nur die permanente Selbstkontrolle des Einzelnen konnte seinen

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Ausbruch verhindern. Wie wir im dritten und fünften Kapitel gesehen haben, wurde diese Triebkontrolle und der dazu notwendige Wille als das exklusive Privileg weißer, gesunder Männer angesehen: Kriminellen, kranken, nicht-weißen Männern wurde unterstellt, sie wären zu dieser Art der Triebkontrolle nicht fähig und würden von ihrer Körperlichkeit beherrscht, statt umgekehrt sie zu beherrschen. Sie seien, ganz im wörtlichen Sinne, wie die Wilden. Gleichzeitig war aber aus wissenschaftlicher Perspektive die Grenze zwischen Psychopathie und Gesundheit nicht genau zu bestimmen. Vielmehr wurde ein Kontinuum von (Ab)Normalität entworfen, in dem jeder Mann nach Faktoren wie erblicher Disposition, Lebenssituation, Klassenzugehörigkeit, Alkoholkonsum oder Alter eingeordnet wurde. Diese Einordnung war fluide und häufig uneindeutig. Wie anhand der Analyse so unterschiedlicher Texte wie Tarzan, tropenhygienischer Fachliteratur oder der Propaganda gegen die Tirailleurs Sénégalais gezeigt, findet sich diese Ambivalenz auch außerhalb kriminologischer Fachdarstellungen. Der kannibalisch-sadistische Impuls galt als Eigenschaft jedes männlichen Körpers, egal ob degeneriert-psychopathisch oder gesund, europäischer oder afrikanischer Herkunft. Hand in Hand mit diesem Diskurs ging die Regulation männlicher Sexualität einher, welche die Ausübung sexualisierter Gewalt nach geographischem Kontext, Geschlecht und Verortung der Partnerin innerhalb einer rassistischen Hierarchie anordnete. Während beispielsweise die Gewalt weißer Kolonisatoren gegenüber indigenen Frauen innerhalb bestimmter Parameter als ‚normal‘ angesehen wurde, galt das gleiche Verhalten gegenüber weißen Frauen als unangemessen, ja pathologisch. In diesem Sinne wurde der Kannibale, beziehungsweise der sadistische Lustmörder, nicht als binär codiertes Gegenüber oder als Abjektion des Mannes konstruiert, wie bislang in der Forschungsliteratur angenommen, sondern war inhärenter Bestandteil seiner Identität. Dieses Ergebnis unterstreicht die Notwendigkeit einer postkolonialen Perspektive für die deutsche Geschlechtergeschichte. Die geschilderte Komplexität ist mit dem bislang in der Forschung angenommenen Negationsverhältnis zwischen Identität und Alterität nicht angemessen zu beschreiben. Der von der feministischen Theoretikerin Rosi Braidotti entwickelte Begriff des „nomadic subject“ bot hier einen Ausweg. Um kurz zu rekapitulieren: Braidotti versteht das vergeschlechtlichte und verkörperlichte Subjekt als agencement oder Mannigfaltigkeit, welches in und durch die vielfältigen Konnexionen und Austauschprozesse existiert, die es mit seiner Umwelt herstellt. Diese Prozesse werden von ihr als ergebnisoffene und kontingente Beziehungen begriffen.2 Sie beschreibt das Subjekt daher als „shifting, partial, complex and multiple“, als „relaypoint for many sets of intensive intersections and encounters with multiple

2

Vgl. Braidotti 2002, S. 75-76.

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others“, das stets „in the shifts and the patterns of repetitions“ existiere, in einer Form des „intransitive becoming“, einem ‚Werden‘.3 Gewendet auf den hier vorliegenden historischen Gegenstandsbereich verweist die Mannigfaltigkeit weißer, heterosexueller, bürgerlicher Mann damit auf eine Vielzahl von Beziehungen zwischen heterogenen Termen, etwa Mann-Frau, Mann-Wilder, die in ihrer Gesamtheit die Identität konstituierten. Einige dieser Beziehungen wurden zur Herstellung der Identität stärker herausgehoben als andere, überkodiert und auf diese Weise in eine binäre Struktur gebracht. Gleichzeitig handelte es sich dabei nicht nur um das Hervorheben einer Verbindungslinie, sondern auch um das Aufrufen weiterer Konnexionen (Mann-Natur, Mann-schwarzer Mann, MannWerwolf, Mann-Kannibale). Aus dieser Perspektive erscheint die gleichzeitige Einordnung der hegemonialen Männlichkeit in ein rassistisches Normalfeld einerseits und die Vorstellung vom männlichen Körper als Inkorporation von kannibalischer Alterität andererseits nicht als Widerspruch, sondern vielmehr als Teil ihrer historisch spezifischen (Re)Produktion. Der Kannibale war in diesem Sinne der äußerste Punkt des agencements und gleichzeitig seine notwendige Bedingung. Oder anders formuliert: ‚Mann-Werden‘, das heißt Triebe kontrollieren, sich beobachten und zügeln, hieß ‚Kannibale-Werden‘, begehren, reißen und fressen wollen. Diese Interpretation wirft jedoch gleichzeitig einige grundsätzliche Fragen über die geschlechterspezifischen Dimensionen des ‚Werdens‘ auf. In ihrem Werk Tausend Plateaus argumentieren Deleuze und Guattari, dass das ‚Werden‘ aufgrund seines destabilisierenden, deterritorialisierenden Charakters eine Strategie sei, bestehende Identitäten aufzulösen und den gegenwärtigen politischen, patriarchalen und kapitalistischen Verhältnissen zu entkommen. Als die beiden privilegiertesten Ausgangspunkte dafür präsentieren die Autoren das „Frau-Werden“ und das „TierWerden“, da diese im Vergleich zu anderen Identitäten fluider und weniger stark territorialisiert seien.4 In diesem Zusammenhang sprechen sie auch vom Werwolf als eines der dämonischen Tiere, die Mannigfaltigkeiten bilden, sich qua Ansteckung vermehren und sich daher besonders für die „widernatürlichen Anteilnahmen“, die das ‚Werden‘ kennzeichnen, eignen.5 Demgegenüber verneinen Deleuze und Guattari ganz grundsätzlich die Möglichkeit eines „Mann-Werden[s]“, da „der Mann die Mehrheit par excellence“, die Verkörperung des „Herrschaftsstatus“ darstelle.6 Wie im Verlauf meiner Untersuchungen deutlich wurde, war ‚Mann‘ jedoch keineswegs so molar-einheitlich wie von Deleuze und Guattari an 3 4 5 6

Braidotti 2002, S. 75, 86. Vgl. Deleuze/Guattari 2002, S. 378, 396-397. Siehe dazu auch: Colebrook 2002, S. 63-64. Deleuze/Guattari 2002, S. 328-330, Zitat S. 330. Ebd., S. 396 (Zitat), 398.

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dieser Stelle angenommen, sondern ein komplexes agencement, entstanden entlang der Fluchtlinien nicht allein von gender sondern auch von race und class. Ausgehend von meinen Arbeitsergebnissen stellen sich damit eine Reihe von Fragen: Müsste Deleuzes und Guattaris Konzept des ‚Werdens‘ einer Historisierung unterzogen werden? Wenn der (Wer)Wolf und seine Triebhaftigkeit Teil männlicher Identität war, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass dieses ‚Werden‘ gar keinen Ausweg aus gegebenen gesellschaftlichen Strukturen bietet, sondern diese lediglich reproduziert? Was würde dies in Bezug auf die anderen von Deleuze und Guattari propagierten ‚Werden‘ bedeuten?

Geteilte Geschichte(n) moderner Gouvernementalität Wie wir im zweiten Kapitel gesehen haben, entstand das Wissen vom wilden Kannibalen in einer spezifischen historischen Situation im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts unter maßgeblicher Mitwirkung der indigenen Bevölkerung: Die Reisen Georg Schweinfurths, Eduard Schnitzers oder Wilhelm Junkers nach Ost- und Zentralafrika wären ohne die infrastrukturellen Voraussetzungen des Karawanenhandels unmöglich gewesen, und indigene Mitarbeiter lieferten wesentliche geographische und ethnologische Informationen. Oft waren es lokale Gerüchte, welche die Forscher auf die Spur mutmaßlich kannibalischer Gemeinschaften brachten. In dem auf diese Weise entstandene Wissen wurde eine bestimmte Form der triebhaften und gewaltbereiten Männlichkeit mit einer Neigung zum Kannibalismus verknüpft. Wie die Afrikanistin Heike Berend festgestellt hat, war dieses Wissen vom Kannibalen damit weder ein „rein westliches Phantasma“, noch handelte es sich dabei ausschließlich um „afrikanische, lokale Imaginationen“. Vielmehr entstand dieses Wissen in „einem Raum interkultureller Begegnungen, im Kontext von wechselseitigen, oft gegnerischen, sich jedoch verschränkenden Intentionen und Strategien“.7 Auf europäischer Seite, auch das konnten meine Ausführungen zeigen, war dieses Wissen Teil einer „colonial governmentality“, welche auf die Umgestaltung und Regulation der Lebensäußerungen der kolonialen Bevölkerung zielte.8 Kannibalen waren die Objekte biopolitischer Interventionen: Sanktionen gegen sie wurden als hygienische Maßnahmen zum Schutz der restlichen indigenen Bevölkerung vor einer befürchteten Ansteckung angesehen. Die ‚Ausrottung‘ bestehender kannibalischer Sitten und die Infektionsprävention dienten im Verständnis der Kolonisatoren, wie ich am Bespiel des Prozesses auf der Station Iringa in DOA demonstriert habe, darüber hinaus gleichzeitig der Zivilisierung der indigenen Bevölkerung. Es ist dieses Selbstverständnis der Kolonialherren als die ‚guten Hirten‘ einer nach rassistischen Kriterien hierarchisch strukturierten 7 8

Behrend 2004, S. 165. Siehe dazu: Scott, D. 2005, S. 24-25, 35.

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kolonialen Gesellschaft und damit die Betonung des pastoralen Aspektes der modernen Bio-Macht, so meine Argumentation, welche die koloniale Gouvernementalität auszeichnete. Der damit einhergehende Glaube an die Zivilisierungsmission beschränkte sich jedoch nicht nur auf den kolonialen Raum. Auch in Europa und dem deutschen Mutterland wurde die Ausübung kannibalischer Praktiken vermutet. Wie in Kapitel vier gezeigt, standen Proletarierinnen und Proletarier ebenso wie die Bevölkerungen ländlicher Gebiete unter dem Verdacht, aufgrund von abergläubischen Vorstellungen Menschenfleisch oder -blut zu verzehren. Die Wahrscheinlichkeit für diesen „kriminellen Aberglauben“ nahm laut Ansicht der Experten mit steigender sozialer oder räumlicher Entfernung von einem imaginären bürgerlich-städtischen Zentrum zu.9 Auch hier sollten gouvernementale Eingriffe in Form von ärztlicher Aufklärung und schulischer Bildung das Leben und die Subjekte im Sinne einer Modernisierung neu ordnen. Wie Mitchell Dean rekonstruiert hat, war diese Normalisierung der Bevölkerung auf dem Territorium des Nationalstaats ein zentraler Bestandteil des historischen Prozesses der Ausbildung der modernen Bio-Macht.10 Mit Beginn der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts veränderte sich das Erklärungsmodell für Kannibalismus jedoch. Nicht länger galt das Festhalten an überkommenen, abergläubischen Vorstellungen, also eine zivilisatorische und sittliche Rückständigkeit als Grund für Menschenfresserei, sondern eine bestimmte, ‚degenerative‘ Körperlichkeit. Von zentraler Bedeutung für diesen Wandel war die fachwissenschaftliche Auseinandersetzung um das Konzept des geborenen Verbrechers von Cesare Lombroso. Die Analogie wie die Wilden bezeichnete fortan nicht nur ein ‚niedriges‘ evolutionär-zivilisatorisches Niveau, sondern eine Korporealität. Mit der Durchsetzung dieses biologistischen Modells zur Erklärung von abweichendem und mutmaßlich kannibalischem Verhalten können wir eine Verschiebung der gouvernementalen Rationaliät beobachten. Anstelle der pastoralen Ordnung, Anleitung und Normierung der Bevölkerung thematisierten die kriminologischen und medizinisch-psychiatrischen Schriften nun zunehmend die Frage nach der Sicherung der Gesellschaft.11 Die Frage nach der Verknüpfung von Kolonie und Metropole im historischen Prozess der Entwicklung moderner Gouvernementalität ist in den vergangenen Jahren an verschiedenen Stellen diskutiert worden. Dabei ist vorgeschlagen worden, die Kolonien als ‚Laboratorien der Moderne‘ zu verstehen, in denen Technologien und Disziplierungspraktiken getestet wurden, bevor sie in den jeweiligen Mutterländern zu Anwendung gebracht wurden. Demgegenüber schlägt Dirk van Laak vor, stattdessen von einem „‚Experimentierraum‘“ zu sprechen, in dem „bevölkerungspoliti9 10 11

Hellwig 1908, S. 4. Siehe: Dean 2007, S. 78-82. Aschaffenburg 1912, Zitat: Titel.

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sche und Raumanordnungs-Modelle ausprobiert wurden“.12 Allerdings geht auch van Laak von einer Transferbewegung des solcherart in den Kolonien hergestellten Wissens aus. Seiner Ansicht nach sei es Aufgabe der Forschung, zu rekonstruieren „wohin das koloniale know-how abgewandert“ sei und „welche Metamorphosen es dabei durchlebt[e]“ habe.13 Demgegenüber haben meine Analysen des Kannibalismusdiskurses gezeigt, dass wir anstelle einer Transfergeschichte vielmehr die Geschichte einer komplexen Verflechtung beobachten können. Sowohl sozial und geographisch periphere Räume innerhalb Deutschlands, wie auch ihre Bewohnerinnen und Bewohner waren Ziel gouvernementaler Rationalitäten und Technologien, welche auf die Regulation, Normalisierung, kurz die Modernisierung der Lebensäußerungen abzielten. Diese bezogen sich auf einen gemeinsamen, auf rassistischen Grundsätzen basierenden Referenzrahmen und arbeiteten mit den gleichen biopolitischen Technologien, die auch in den Kolonien zum Einsatz kamen: der anthropometrischen Vermessung der Körper, der ethnographisch-soziologischen Datenaufnahme und der statistischen Erfassung der Bevölkerung. Wenn wir der kolonialen Situation eine Besonderheit zuschreiben können, dann ist es ihre zentrale Bedeutung bei der Ausbildung des diesen biopolitischen Maßnahmen zu Grunde liegenden Rassismus, der, wie Robert Young festgestellt hat, sowohl entlang einer binären Unterscheidung zwischen Eigenem und Anderen operierte als auch durch die „‚computation of normalities‘“ eine Einordnung in ein Kontinuum der (Ab)Normalität vornahm.14 In diesem Sinne können wir also, in Anlehnung an eine Formulierung Shalini Randerias, von der geteilten Geschichte einer modernen Gouvernementalität sprechen.15

Postkoloniale Geschlechtergeschichte als multidimensionales Geflecht Eines der Ziele der hier vorgelegten postkolonialen Geschlechtergeschichte ist es, den Wechselwirkungszusammenhängen zwischen den verschiedenen diskursiven und non-diskursiven Praktiken in Kolonie und Metropole nachzuspüren, die Teil des Prozesses der Artikulation hegemonialer, weißer, bürgerlicher und heterosexueller Männlichkeit waren. In diesem Sinne leistet diese Arbeit einen Beitrag zur Rekonstruktion möglicher Einflüsse der deutschen Kolonialerfahrung auf die deutsche Gesellschaft über den unmittelbaren Zeitraum der Existenz der sogenannten Schutzgebiete hinaus. 12 13 14 15

van Laak 2004b, S. 258-259, 263 sowie S. 279. Ebd., S. 277. Hier stellt van Laak auch die Frage, inwiefern „koloniale Vorerfahrungen“ bei der späteren NS-Ostraumplanung eine Rolle spielten. Young 2003, S. 180. Vgl. Randeria 2000, S. 90; Randeria 2002, S. 286.

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Die Frage nach der Kontinuität des deutschen Kolonialismus wird in den letzten Jahren, vor allem in Bezug auf die Interpretation der NSOstraumplanung und der Einordnung der Shoah in den Kontext imperialer genozidaler Gewalt, kontrovers diskutiert. Im Zentrum der Debatten steht die Frage nach den Kriterien, die eine historiographisch feststellbare Kontinuität konstituieren. Handelt es sich um die gleichen Personen, die Nutzung gleicher Infrastrukturen, den Bezug auf die gleiche rassistische, biopolitische Argumentation?16 Die Postcolonial Studies wiederum lenken den Blick weniger auf die Rekonstruktion einer möglichen Kausalkette als vielmehr auf die „Verwobenheit der europäischen mit der außereuropäischen Welt“ und fragen nach der „wechselseitigen Konstitution von Metropole und Kolonien“ sowie der zentralen Kategorien der Moderne wie etwa dem Nationalstaat oder den bürgerlichen Identität. Anstatt dabei von einer kausalen, linearen Wirkungskette auszugehen, wird „Geschichte“ vielmehr als ein „entanglement“ verstanden, als ein Komplex, in welchem „die miteinander in Beziehung stehenden Entitäten [...] selbst zum Teil ein Produkt ihrer Verflechtung“ darstellen.17 Auf diese Weise ist eine postkoloniale Geschlechtergeschichte gleichzeitig verpflichtet, auch diejenigen Konnexionen der Mannigfaltigkeit weißer Männlichkeit in den Blick nehmen, deren Entstehungszusammenhang vornehmlich im kolonialen Mutterland selbst zu verorten ist. Dieses Element habe ich in meiner Analyse aus darstellerischen Gründen zugunsten der Rekonstruktion der Einflüsse des kolonialen Diskurses in den Hintergrund gerückt. Nur an wenigen Stellen ist dieser Aspekt des historischen Geflechts kurz angeklungen: in Bezug auf das Selbstverständnis der Offiziere der kolonialen Schutztruppe (Kapitel 2), der angeblichen Unfähigkeit der afro-französischen Soldaten, sich an die Regeln militärischer Zucht und Ordnung zu halten (Kapitel 5), sowie hinsichtlich des Wehrdienstes der ‚Lustmörder‘ der Zeit der Weimarer Republik (Kapitel 6). Sie alle verweisen auf das Ideal der soldatischen Männlichkeit. Um das volle Potenzial einer solchen, auf die Untersuchung von Wechselwirkungen abzielenden, postkolonialen Geschlechtergeschichte zu verdeutlichen, möchte ich an dieser Stelle kurz auf einige derjenigen Resonanzen hinweisen, die sich aus den bislang in dieser Arbeit im Vordergrund stehenden Konnexionen zwischen kannibalischer Alterität und weißer Männlichkeit ergeben. Sowohl der soldatischen Männlichkeit als auch der von mir nachgezeichneten Männlichkeitskonstruktion war die Betonung männlicher Selbstbeherrschung und Disziplin eigen. Auf einen ersten Blick hingegen scheint dem soldatischen Mann jedoch die Ausübung von Gewalt im Rahmen von Kriegshandlungen als Angehörige der Armee gestattet. Ein 16 17

Siehe beispielsweise: Kundrus 2006a, S. 45-50. Conrad/Randeria 2002, S. 10, 17 (HiO).

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Umstand, auf den die berühmt gewordene Formulierung Kurt Tucholskys in seiner Glosse „Der bewachte Kriegsschauplatz“ hinwies: „Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“18

Hingegen stand die Kontrolle und Regulation der Ausübung von (sexualisierter) Gewalt im Zentrum der von mir hier rekonstruierten weißen Männlichkeit. Ein genauerer Blick auf das Verhältnis zwischen männlicher Selbstdisziplin und der Ausübung von Gewalt im Kontext der Armee offenbart jedoch, dass ein komplexes System der Regulation von legitimer und illegitimer Gewaltausübung konstitutiver Bestandteil dieser „‚Schule der Männlichkeit‘“ war.19 Einerseits sollten im Wehrdienst die zentralen bürgerlichmännlichen Tugenden vermittelt werden: „Ordnung, Sauberkeit, Pünktlichkeit, Gehorsam“ sowie „Willensstärke“, „Enthaltsamkeit und Belastbarkeit“ sowie „Achtung vor den Gesetzen, Vaterlandsliebe und Königstreue“.20 Gleichzeitig lernten die Wehrdienstleistenden hier, dass Gewaltausübung ein gesellschaftlich anerkannter Teil von Männlichkeit war. Als Zeugnis dafür sind Phänomene wie etwa die starke Identifikation von Reserveoffizieren mit ihrem Säbel, die sich über das Militär vom Adel ins Bürgertum sich verbreitende Duellpraxis sowie die Mannbarkeitsrituale, die mit dem Eintritt in den Wehrdienst verbunden waren.21 Das gleiche galt für Körpererfahrungen. Auseinandersetzungen um den Einsatz von Prügelund anderen Körperstrafen deuten darauf hin, dass physische Gewalt zur Herstellung und Festigung von Hierarchien innerhalb der Truppe benutzt wurde. Darüber hinaus galt die Armee auch als Raum, in dem junge Männer Wissen über Sexualität erwarben: Wissen, das vermittelt wurde von anderen Rekruten oder älteren Soldaten, durch pornographische Literatur oder durch sexuelle Beziehungen, die sie mit Frauen und Männern knüpften. Stets jedoch waren diese Erfahrungen rückbezogen auf die geschlechterhomogene Gruppe des militärischen Männerbundes und häufig genug explizit misogyn.22 Wie Karen Hagemann und Ute Frevert herausgearbeitet haben, waren die Antinapoleonischen Kriege Preußens (1813-1815) sowie die damit verbundene Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Preußen

18 19 20 21 22

Tucholsky 1989, S. 253 (zuerst erschienen unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel in: Die Weltbühne 31 vom 4.8.1931). Siehe: Frevert 2001, S. 228-245, Zitat S. 228. Ebd., S. 272, 275. Siehe: Ebd., S. 243-245, 229-232; Frevert 1995b, S. 146-162; 296-315. Frevert 2001, S. 234-237. Homosexuelle Erfahrungen sind, wie Frevert hier anmerkt, weitaus schwieriger zu rekonstruieren, waren aber dennoch nicht unmöglich. Siehe dazu auch: Rachamimov 2006, S. 377, 381-382.

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(1813) von entscheidender Bedeutung für die Herausbildung der soldatischen Männlichkeit. Die kolonial-rassistische Betonung der männlichen Triebkontrolle und Selbstdisziplin rief damit also Eigenschaften auf, die bereits in anderen Kontexten und vor Beginn der aktiven Kolonialpolitik des Kaiserreiches als Teil hegemonialer Männlichkeit galten. Aus der Perspektive einer postkolonialen Geschlechtergeschichte stellen sich angesichts dieser Beobachtungen eine Reihe von Fragen: Welches waren die Resonanzen zwischen den verschiedenen diskursiven und non-diskursiven Praktiken, welche die soldatische Männlichkeit und die von mir rekonstruierte weiße, bürgerliche und heterosexuelle Männlichkeit konstituierten? Inwiefern bezogen sich die Zeitgenossen selbst, etwa die Kolonialoffiziere, aber auch die sogenannten Lustmörder auf diese Männlichkeiten? Fritz Haarmann beispielsweise bestand sehr nachdrücklich darauf, gerne Soldat gewesen zu sein.23 Wie ich bereits im sechs Kapitel angemerkt habe, standen für die Mehrheit der sogenannten Lustmörder an Stelle des Militärs die Erfahrungen in einer anderen „totalen Institution“: dem Gefängnis bzw. dem Zuchthaus.24 Ähnlich wie im Militär, der anderen gesellschaftlich verankerten „Heterotopie“, spielten auch hier der Ausschluss und die Deevaluation von Femininität sowie die Anwendung physischer Gewalt untereinander eine zentrale Rolle.25 Können wir von einer disziplinarischen Zurichtung des lustmordenden Kannibalen sprechen?

Transnationale Dimension Sowohl die Entstehung des Wissens vom wilden Kannibalen als auch die psychiatrisch-medizinische und kriminologische Forschung hatte, wie an mehreren Stellen der hier vorgelegten Analyse deutlich wurde, eine transnationale Dimension.26 Dazu gehörten im Einzelnen beispielsweise 23

24

25 26

Siehe: Vernehmungen (Protokolle) Haarmann durch Ernst Schultze in Hannover, 26.7.-9.8.1924, NHStA Hann. 155 Göttingen Nr. 864a, Bll. 676-734, hier Bll. 679, 682; Vernehmungen (Protokolle) Haarmann durch Geheimrat Ernst Schultze in der Niedersächsischen Heil- und Pflegeanstalt zu Göttingen, 18.8.-25.9.1924, NHStA Hann. 155 Göttingen Nr. 864a, Bll. 298-586, hier Bll. 304-305, 499, 505, 515. Eine totale Institution ist nach der Definition von Erving Goffman eine „Wohn- und Arbeitsstätte einer Vielzahl ähnlich gestellter Individuen [...], die für längere Zeit von der übrigen Gesellschaft abgeschnitten sind und miteinander ein abgeschlossenes, formal reglementiertes Leben führen.“ (Goffman 1972, S. 11). Als Beispiele für totale Institutionen nennt Goffman neben psychiatrischen Einrichtungen auch Strafvollzugsanstalten, „Kasernen, Schiffe, Internate, Arbeitslager, koloniale Stützpunkte“ sowie Klöster (ebd., S. 16). Zum Begriff der Heterotopie siehe: Foucault 2005, S. 11-12, 16-18. Ich verstehe hier in Anlehnung an Kiran Klaus Patels Überlegungen zur transnationalen Gesichte unter einer transnationalen Dimension diejenigen Aspekte meines historischen Gegenstandbereiches, welche sowohl „jen-

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Schweinfurths, Schnitzers und Junkers Reisen in den britischen Sudan, die Rezeption US-amerikanischer oder italienischer Fachliteratur wie Beards Neurasthenia oder Lombrosos L·uomo delinquente, die begeisterte Lektüre von Burroughs Tarzan-Romanen im Deutschland der 1920er Jahre, sowie die multiplen Bezüge auf Männlichkeiten anderer Nationalitäten, allen voran Briten und Buren in der deutschen Kolonialliteratur. Umgekehrt spielten, wie oben dargestellt, deutschsprachige Texte in der Etablierung eines europäischen Kannibalismusdiskurses eine entscheidende Rolle. Die Beschreibungen Hans Stadens oder Georg Forsters seien hier stellvertretend genannt. Auch hier handelt es sich eine Spur, der ich aus Gründen der Arbeitsökonomie und der Darstellbarkeit nur teilweise nachgehen konnte. Dabei wären jenseits der genannten Zusammenhänge noch weitere Themenkomplexe zu nennen. So etwa die in den zeitgenössischen Publikationen über die sogenannten Lustmörder häufig zu beobachtenden Vergleiche zum Fall Jack the Rippers, der in London zwischen August und November 1888 mutmaßlich fünf Prostituierte ermordete hatte. Besonders oft wurde Peter Kürten mit ihm in Beziehung gebracht.27 Arthur Hübner, einer der psychiatrischen Gutachter, erinnerte den Fall Jack the Ripper so deutlich und verband diesen derart eng mit Kürtens Fall, dass er in einem Interview mit ihm den involvierten Zeitrahmen um zwölf Jahre fehlkalkulierte. „‚Kurz vorher, etwa 1900, da war ja in London die Geschichte passiert mit dem Jack, dem Bauchaufschlitzer, hatten Sie das gelesen?‘ Ja, diese Berichte und auch andere Geschichten, die habe ich richtig verschlungen. ‚Sind Sie dadurch irgendwie beeinflusst worden?‘ Ja, ich muss die Möglichkeit zugeben, aber nicht bewusst; die erste Unterlage zum Bauchaufschneiden habe ich wohl daher. Beim Bauchaufschneiden hatte ich einen regelrechten Samenerguss.“28

Kürten wurde im Jahr 1883 geboren. Als die Morde im Londoner Stadtteil Whitechapel stattfanden, war er noch nicht im lesefähigen Alter, sondern erst sechs Jahre alt. Allerdings, so können wir festhalten, wuchs Kürten

27

28

seits (und manchmal auch diesseits) des Nationalen“ lagen und sich gleichzeitig sowohl daraus speisten als auch dagegen abgrenzten. Siehe: Kiran Klaus Patel, „Transnationale Geschichte – ein neues Paradigma?“, http://geschichte-transnational.clio-online.net/forum/id=573&type= diskussionen (28.12.2010). Neben dem im Folgenden zitierten Gutachten Hübners wäre hier als Beispiel zu nennen: H. Kortig, „15000 Mrk Belohnung. Der Massenmörder von Düsseldorf“, Deutsche Kriminalpolizeiblatt (Sondernummer) 1930, zit.n.: Lenk/Kaever 1997, S. 16-40, hier S. 32. Bereits Krafft-Ebing führt den Ripper als typisches Beispiel eines Lustmörders an. Siehe: KrafftEbing 1993, S. 77. Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Prof. Hübner, 26.3.1931, HStA Düsseldorf, 17/730, Bl. 91.

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nach eigenen Angaben mit Geschichten über den ‚Bauchaufschlitzer‘ auf. Er selbst antwortete, befragt zu seiner Lektüre während Kindheit und Jugend, dass er ein großes Interesse an „Schmutz- und Schundliteratur“ gehabt und eine besondere „Vorliebe“ für Geschichten über Jack the Ripper entwickelt habe.29 Darüber hinaus verfasste Kürten, ganz ähnlich wie der Londoner Mörder, eine Reihe von anonymen Bekennerschreiben, welche der Polizei den Fundort der Leichen seiner Opfer anzeigten oder einen weiteren Mord ankündigten.30 Ein weiterer, transnationaler Aspekt ist die medial vermittelte Rezeption der deutschen Lustmordfälle, sei es in Form der medizinischpsychiatrischen und kriminologischen Fachliteratur zur Verknüpfung von Sexualität, Gewalt und Kriminalität, sei es in Form filmischer Interpretationen des Stoffes. So fiel beispielsweise die erste Aufführung von Fritz Langs und Thea Harbous Film M. Eine Stadt sucht einen Mörder in den Vereinigten Staaten im Jahr 1933 in eine Zeit intensiver Debatten über Kriminalität, Sexualität und ‚Normalität‘.31 Die Historikerin Estelle Freedman bezeichnet die daran anschließende Phase von 1937 bis 1940 als die „sex crime panics“.32 Ihrer Ansicht nach trugen eine Reihe von Faktoren zur Entstehung dieser Situation bei: Die Übersetzung und Rezeption einschlägiger europäischer und deutscher psychiatrischer Fachliteratur. So erschienen 1932 Magnus Hirschfelds Sexual Pathology: A Study of Arrangements of the Sexual Instincts und 1939 Richard von Krafft-Ebings Psychopathia Sexualis: A Medico-Forensic Study. Im Zuge dieser Rezeption veränderte sich die fachwissenschaftliche Definition des Begriffs „sexual psychopath“. Während damit zuvor eine Frau bezeichnete wurde, deren Sexualität als abnormal aktiv und triebhaft, als „egocentric, selfish, irritable, antisocial, nervous“ eingeschätzt wurde, so übernahmen USamerikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun das oben in Kapitel vier ausführlich darstellte Konzept des ‚Psychopathen‘.33 Des Weiteren wurden neue Technologien der Bestimmung des Feldes sexueller (Ab)Normalität entwickelt und bestehende verfeinert. Freedman verweist in diesem Zusammenhang auf die Einrichtung des National Research Council Committee for Research on Problems of Sex im Jahr 1931, diejenige Institution, welche in den 1940er und 1950er Jahren die Forschung Alfred Kinseys förderte. Gleichzeitig wurde die strafgesetzliche 29 30

31 32 33

Ebd., Bll. 214-215. Siehe: Vermerk über Zahl der eingegangenen Anzeigen und Zuschriften in den Mordsachen ausschl. der Fälle, für die Staussberg als Täter in Frage kommt, 11.1.1930, HStA Düsseldorf, 17/734, Bl. 1; H. Kortig, „15000 Mrk Belohnung. Der Massenmörder von Düsseldorf“, Deutsche Kriminalpolizeiblatt (Sondernummer) 1930, zit.n.: Lenk/Kaever 1997, S. 16-40, hier S. 35, 37. „The Dusseldorf Murders“, New York Times, 3.4.1933, S. 13. Freedman 1987, S. 92. Siehe: Freedman 1987, S. 87-88.

SCHLUSSBETRACHTUNGEN | 297

Verfolgung intensiviert: Mehrere Bundesstaaten erließen zwischen 1935 und 1939 „psychopath laws“. Diese Gesetze sahen vor, dass geisteskranke Straftäter auf unbestimmte Zeit in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen werden konnten. Ziel dieser Gesetzgebung war der Schutz der Bevölkerung vor Sexualstraftätern.34 Zusammen mit den in den einzelnen Kapiteln dieser Studie bereits thematisierten Aspekten machen diese beiden Beispiele deutlich, dass eine postkoloniale Geschlechtergeschichte nicht nur die Wechselwirkungen zwischen Kolonie und Metropole thematisiert, sondern auch transnationale Verflechtungen zwischen den europäischen Kolonialmächten anspricht. Über eine Transferanalyse, einen historischen Vergleich oder eine Histoire croisée könnten Bezüge, Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie Verflechtungszusammenhänge aufgeschlüsselt werden. Mögliche Fragen solcher Analysen könnten sein: Wurden in den Vereinigten Staaten ausschließlich weiße Männer als Psychopathen gekennzeichnet? Im Deutschland der Weimarer Republik wurden die afro-französischen Truppenteile der Rheinlandbesatzung als typische Bespiele einer unbeherrschbaren und zügellosen, ‚schwarzen‘ Sexualität dargestellt. Können wir etwas Ähnliches in den Vereinigten Staaten beobachten? Welche Rolle spielten dabei die rassistischen Ausschreitungen gegen Afro-Amerikaner, denen die Vergewaltigung weißer Frauen unterstellt wurde? Judith Walkowitz hat in ihrer Studie City of Dreadful Delight herausgearbeitet, dass die Debatte um Jack the Ripper mit einer Verschärfung der Regulation weiblicher Verhaltens und einer Debatte um eine angeblich drohende sittliche Degeneration der Gesellschaft einherging.35 Wie ich in Kapitel fünf dargelegt habe, wurden die wilden Kannibalen wie auch die Psychopathen und Lustmörder vor allem im Kontext der Regulation männlicher Sexualität thematisiert. Können wir ähnliche Debatten um weiße Weiblichkeit im deutschen Kontext beobachten? Wie stand es um die Regulation männlicher Sexualität in Großbritannien um 1900? Ist eine mit der deutschen Diskussion vergleichbare Auseinandersetzung um die ‚triebhafte Natur‘ des Mannes und die Notwendigkeit von Selbstdisziplin und Triebkontrolle zu verzeichnen? Leider muss die Behandlung dieser Fragen anderen, nachfolgenden Studien vorbehalten bleiben. William Arens hat in seiner wegweisenden Studie The Man Eating Myth festgestellt, dass „the idea of the cannibalistic nature of others is a myth in the sense of [...] containing and transmitting significant cultural messages for those who maintain it.“36 Auch heute noch entfalten der Kannibalismusdiskurs und die damit einhergehenden Rassismen seine Wirkungen: Afrikanische Menschen werden wieder – oder vielleicht besser immer 34 35 36

Siehe: Ebd., S. 90-96. Siehe: Walkowitz 1982, S. 543. Arens 1987, S. 182.

298 | KANNIBALE-W ERDEN

noch – in Zoos zur Unterhaltung eines weißen Publikums ausgestellt,37 Karikaturen anlässlich des jüngsten deutschen Kannibalismusfalles, dem Fall Armin Meiwes, zeigen die bekannten Stereotypen des afrikanischen Kannibalen (siehe exemplarisch: Anhang Abb. 9.17). Die steigende Zahl gewaltsamer Angriffe auf Menschen afrikanischer oder nicht-deutscher Herkunft legen von der ungebrochenen Wirkungsmacht rassistischer Diskurse Zeugnis ab. Eine kritische Auseinandersetzung mit den rassistischen Mythen der kolonialen Vergangenheit Deutschlands scheint damit heute notwendiger denn je. Zu dieser Debatte soll die hier vorgelegte Studie einen Beitrag leisten.

37

Etwa die Ausstellung „African Village“ im Augsburger Zoo im Jahr 2005. Siehe dazu: „Repräsentationen des „Exotischen“ – „Gezähmte Wilde“ und „Völkerschauen“ in Deutschland“, http://www.freiburg-postkolonial.de/ Seiten/rez-dreesbach-2005.htm (28.12.2010).

8 . Que lle n- und Lite ratur ve rze ic hnis

8 . 1 Ar c h i va l i s c h e Q u e l l e n Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArch) R 43: Alte Reichskanzlei I Stammakten (1862) 1878-1918 1976 Medizinalwesen: Gesundheits-, Rettungs- und Bestattungswesen. Bd. 1: März 1919 – Juli 1925 R 1001: Reichskolonialamt 827

Kannibalismus in Deutsch-Ostafrika

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStAPK) I. HA Rep. 84a/D/: Preußisches Justizministerium (ehem. Bestand Potsdam) 57488 Aufklärung der Mordtaten von Karl Denke aus Münsterberg. Kannibalismus. 31 Mordtaten 1903 bis 1924, 1924-1925 57490 Entschädigung des Fleischermeisters Eduard Trautmann aus Reichenau/Sachsen wegen unschuldig erlittener Zuchthausstrafe. Zusammenhang mit dem Denkeprozeß, 1918-1926 57491 Entschädigung des Fleischermeisters Eduard Trautmann aus Reichenau/Sachsen wegen unschuldig erlittener Zuchthausstrafe. Zeitungsausschnitte, 1925-1926 VI. HA NI: Nachlass Ernst Nigmann (1867-1923) 48

Lebenslauf des Oberstleutnants Nigmann, 5.5.1918

81

Schreiben Felix Luschan, Direktor des Königlichen Museum für Völkerkunde, Berlin an Nigmann, 20.12.1904

300 | KANNIBALE-W ERDEN

128-130

Zeitungausschnitte: Berichte über die Erlangung des Doktorgrades Hauptmann Ernst Nigmann, November 1919

104,113,120 Beiträge Dr. Ernst Nigmann in der Zeitschrift Die Gartenlaube No. 42 und 49

Landesarchiv Berlin (LAB) A Rep. 358-01: Generalsstaatsanwaltschaft Berlin 1522 Strafverfahren gegen Karl Großmann, Bd. 1-12, Aug. 1921 bis Juli 1922 A Pr. Rep. 030 C Tit. 198B: Mordkommission Berlin 2042 Lebenslauf des Massenmörders Karl Großmann, 1922 2368 Akte – Lüdke in Wien – mit Sterbeurkunde u. Bild, 1944

Archiv des Berliner Missionswerkes im ELAB bmw-1: Berliner Missionsgesellschaft 3779 Personalakte Nauhaus, Carl jun. (Missionar) 6500 (Synodalakte) Synode Hehe, Laufzt. 1908-1909. Berichte und Schreiben an die Synodalleitung - Abschrift der Niederschrift der Jahrestagung der Synode Hehe – misc. 6501 (Synodalakte) Synode Hehe, Laufzt. 1909-1910. Berichte und Schreiben an die Synodalleitung - Abschrift der Niederschrift der Jahrestagung der Synode Hehe – misc.

Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (HStA Düsseldorf) Rep. 17: Staatsanwaltschaft Düsseldorf 531

Arbeiter Peter KÜRTEN in Düsseldorf wegen Mordes. Hauptakten Allgemeine Maßnahmen (15 J Allgem. Maßnahmen) 15 K 1/31, polizeiliche Vernehmungen, 1930

541

Kürten wg. Mordes in Düsseldorf: Verfahren ab Eröffnungsbeschluß vor dem Schwurgericht. Darin: 3 Photographien, 1931

543

Urteil und Urteilsbegründung im Prozess gegen Peter Kürten, 22.4.1931

728

Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen den Arbeiter Peter Kürten, Prof. N. Sioli, 14.11.1930

730

Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Prof. Hübner, 26.3.1931

731

Ärztliches Gutachten in der Strafsache gegen Peter Kürten, Dr. M. Raether, 2.1.1931

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS | 301

734

Arbeiter Peter KÜRTEN in Düsseldorf wegen Mordes. Übersichten zu dem Strafverfahren, über das kriminelle Leben, Aktenverzeichnisse, Aktenkontrolle, Geschäftskalender, Wegweiser durch Gutachten und Urteil

Schaustellermuseum Essen „Gruss vom Bremer Freimarkt“, Postkarte. Original: 14,1 x 9,4 cm, (Farblithographie, „Gesch. M No 3“), 23.10.1905

Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover (NHStA) Hann.

173, Acc. 30/87, Nr. 80: Generalakten Schwurgerichtsberichte (betreffend Haarmann-Prozeß)

betreffend

Hann. 155 Göttingen Nr. 864a: Haarmann-Akten Hann. 87 Acc. 116/84, Nr. 11: [Gesammelte Pressenotizen, Berichte und unveröffentlichte Materialien]

8.2 Veröffentlichte Quellen Zeitungen und Zeitschriften Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medizin Archiv für Kriminologie (bis 1916: Archiv für Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik) Der Missions-Freund. Ein illustriertes Missionsblatt für das Volk Der Stürmer: Wochenblatt zum Kampfe um die Wahrheit Deutsche Allgemeine Zeitung: Norddeutsche Allgemeine Zeitung Deutsches Kolonialblatt. Amtsblatt für die Schutzgebiete in Afrika und in der Südsee Die Rote Fahne: Zentralorgan der Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Internationale) Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länder und Völkerkunde Imago. Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse Jahrbücher für Psychiatrie Kladderadatsch Kölner Gerichts-Zeitung Missions-Berichte der Berliner Missionsgesellschaft Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform Neue Preussische Zeitung (Kreutz-Zeitung) Simplizissimus

302 | KANNIBALE-W ERDEN

Vorwärts: Berliner Volksblatt: Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands Vossische Zeitung: Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Ethnologie Zeitschrift für psychische Hygiene Zeitschrift für Sexualwissenschaft

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8.4 Filme Lang, F. und T. Harbou: M. Eine Stadt sucht einen Mörder. Nero-Film, 1931. Pabst, G. W.: Die freudlose Gasse. Sofar-Film-Produktion, 1925.

8.5 Internetmaterialien Staden, Hans, Warhaftige Historia: Zwei Reisen nach Brasilien (15481555), http://gdz.sub.uni-goettingen.de/en/index.html (28.10.2010). Patel, Kiran Klaus: „Transnationale Geschichte – ein neues Paradigma?“, http://geschichte-transnational.clio-online.net/forum/id=573&type= diskussionen (28.12.2010). „Repräsentationen des „Exotischen“ – „Gezähmte Wilde“ und „Völkerschauen“ in Deutschland“, http://www.freiburg-postkolonial.de/ Seiten/rez-dreesbach-2005. htm (28.12.2010). „Verbotene Filme – Manipulierte Filme“ des Deutschen Filminstituts, http://www.deutsches-filminstitut.de (28.12.2010). Conrad, Sebastian: „Wissen und Herrschaft: Scientific colonialism in den deutschen und japanischen Kolonien, 1884-1937“ (DFG SFB 700, Projekt B4, FU Berlin), http://www.sfb-governance.de/teilprojekte/ projekte_phase_1/projektbereich_b/b4/sfb700_b4.pdf (28.12.2010).

9. Anhang: Abbildungen 9.1 „Junge Niamniam in Kriegsrüstung“, Schweinfurth 1918, S. 293.

9.2 „König Munsa in vollem Staat“, Schweinfurth 1918, S. 309.

372 | KANNIBALE-W ERDEN

9.3 „Unheimliches Geschenk“, Junker 1891, S. 179.

9.4 „Gruss vom Bremer Freimarkt“, Schaustellermuseum Essen: Postkarte, Original: 14,1 x 9,4 cm, (Farblithographie, „Gesch. M No 3“), 23.10.05.

ANHANG: ABBILDUNGEN | 373

9.5 Heye 1927, Schutzumschlag.

9.6 Ferdinand von Reznicek: „Die Macht der Gewohnheit“, Simplizissimus 9,6 (1904), S. 52.

374 | KANNIBALE-W ERDEN

9.7 Otto Dix: „Lustmörder, 1920“ (VG Bild-Kunst, Bonn 2011).

9.8 George Grosz: „Der kleine Frauenmörder, 1918“ (VG Bild-Kunst, Bonn 2011).

ANHANG: ABBILDUNGEN | 375

9.9 Carl Olof Petersen, „Frankreichs Kulturpioniere“, Simplizissimus 20,5 (1915), S. 53.

9.10 „Sudanneger, Kannibale, als französischer Soldat“ aus: „Die Naturvölker im Weltkriege“, Kolonie und Heimat 12,7 (1918-19), S. 4-5, hier S. 5.

376 | KANNIBALE-W ERDEN

9.11 „Jumbo, der Menschenfresser“, Propagandaplakat des Deutschen Notbunds gegen die Schwarze Schmach von K. Sohr, Theweleit 1986, S. 125.

9.12 „Sog. Ruhrtaler‘, 1923“, Hirschfeld 1966, S. 113.

ANHANG: ABBILDUNGEN | 377

9.13 „Die Londoner Konferenzbrüder“, Kladderadatsch 77,32 vom 10. August 1924, S. 511.

9.14 „Besatzer auf Urlaub in Paris: ‚Pierre, benimm dich. Wir sind hier nicht in Deutschland!‘ Zeichung von R. Rost, 1921“, Hirschfeld 1966, S. 108.

378 | KANNIBALE-W ERDEN

9.15 „Massenmörder und Menschenfleischhändler Haarmann als Vertrauensmann der Polizei“, Rote Fahne, 13.7.1924.

9.16 „Massenmörder und Menschenfleischhändler Haarmann als Vertrauensmann der Polizei“, Rote Fahne, 13.7.1924.

9.17 Zeichnung von A. Greser u. H. Lenz, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.1.2004, S. 2 (mit freundlicher Genehmigung der Autoren).

Dank Das vorliegende Buch ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im Oktober 2008 unter dem Titel „‚Ich bin doch kein Kannibale‘: Alterität und Männlichkeit zwischen 1890 und 1933“ an der Ludwig-Maximilians Universität München eingereicht und am 26. Januar 2009 verteidigt habe. Wie jede Arbeit wäre auch die hier vorliegende ohne die freundschaftliche Unterstützung, die fachliche Kritik und die intellektuellen Anregungen, die ich von so vielen Menschen erhalten habe, nicht zustande kommen. Ich möchte all diesen Menschen dafür danken. Leider kann ich unmöglich jede und jeden hier persönlich nennen. Hier die Ausnahmen von der Regel: Johnny Danger, Michael Fluck, Irene Franken, Michaela Hampf, Jens Jäger, Jutta Kahle, Ulrike Lindner, Andrew MacNeille, Thomas Maier, Maren Möhring, Franziska Thorma und Birgit Zimmermann. Ein großes Dankeschön schulde ich außerdem Dagmar AbreschHausmann, Birte Christ und Harald von Aschoff für die energische Durchsetzung der aktuell gültigen Fassung der deutschen Rechtschreibung. Stefan Bold gilt mein Dank für den Erhalt meiner geistigen Gesundheit angesichts der ewig anmutenden Arbeiten im Hamsterrad Dissertation. Ferner möchte ich mich bei den Mitgliedern des Graduiertenkollegs „Postcolonial Studies“ an der LMU München bedanken, die mir nicht nur zu Kolleginnen und Kollegen, sondern darüber hinaus auch zu lieben Freundinnen und Freunden geworden sind. Dies gilt in besonderem Maße für Richard Manson, der mir immer mit Rat und Tat zur Seite stand, und für den ehemaligen Leiter des Kollegs, Graham Huggan, dessen kluge Fragen mir bis heute Inspiration und Herausforderung zugleich sind. Darüber hinaus möchte ich auch den Archivarinnen und Archivaren der von mir angesteuerten Archive in Berlin, Düsseldorf, Essen und Hannover danken. Besonders ausdrücklich erwähnt sei an dieser Stelle Frau Unterumsberger, die mir durch ihr Engagement den Zugang zu den bereits für die Verfilmung vorbereiteten Akten der Berliner Missionsgesellschaft ermöglichte. Ein weiterer Dank geht an die Deutsche Forschungsgemein-

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schaft, die mich von Oktober 2003 bis März 2005 als Stipendiatin des Graduiertenkollegs „Postcolonial Studies“ gefördert hat, und an den Deutschen Akademikerinnenbund (DAB), welcher die Drucklegung dieses Werkes in großzügiger Weise finanziell unterstützt. Last but not least gilt mein besonderer Dank Martin Geyer und Norbert Finzsch für ein gelungenes Teamcoaching. Alle Doktoranden und Doktorandinnen sollten das Privileg genießen, zwei sich so ausgezeichnet ergänzende Wissenschaftler beratend an ihrer Seite zu haben. Ich widme dieses Buch der Frau, die mich am längsten und unerschütterlichsten unterstützt hat, auch wenn ihr meine Vorlieben manchmal arg zu denken gaben: Annemarie Bischoff, geb. Meyburg. Berlin, im Dezember 2010

Postcolonial Studies Anette Dietrich Weiße Weiblichkeiten Konstruktionen von »Rasse« und Geschlecht im deutschen Kolonialismus 2007, 430 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-807-0

Kien Nghi Ha Unrein und vermischt Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolonialen »Rassenbastarde« 2010, 320 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1331-5

Wulf D. Hund (Hg.) Entfremdete Körper Rassismus als Leichenschändung 2009, 252 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1151-9

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Postcolonial Studies Julia Reuter, Paula-Irene Villa (Hg.) Postkoloniale Soziologie Empirische Befunde, theoretische Anschlüsse, politische Intervention 2009, 338 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-906-0

Markus Schmitz Kulturkritik ohne Zentrum Edward W. Said und die Kontrapunkte kritischer Dekolonisation 2008, 434 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-89942-975-6

Burkhard Schnepel, Gunnar Brands, Hanne Schönig (Hg.) Orient – Orientalistik – Orientalismus Geschichte und Aktualität einer Debatte Februar 2011, 312 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1293-6

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