Jesus und die Steuerfrage: Die Zinsgroschenperikope auf dem religiösen und politischen Hintergrund ihrer Zeit mit einer Edition von Pseudo-Hieronymus, De haeresibus Judaeorum 9783161521034, 9783161518416

Die Frage, ob es erlaubt sei, dem römischen Kaiser Steuern zu zahlen oder nicht, war eines der heikelsten Probleme der Z

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Jesus und die Steuerfrage: Die Zinsgroschenperikope auf dem religiösen und politischen Hintergrund ihrer Zeit mit einer Edition von Pseudo-Hieronymus, De haeresibus Judaeorum
 9783161521034, 9783161518416

Table of contents :
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V
1. Einleitung und Vorstellung des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.2 Zum Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.3 Die These der vorliegenden Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.4 Die Zinsgroschenperikope: synoptischer Vergleich . . . . . . . . . . . . . 9
1.5 Formgeschichtliche Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19
2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand
gegen das Steuerzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.1 Die Besteuerung Judäas in hellenistischer Zeit und die
makkabäische Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.2 Die römische Herrschaft nach dem Sieg des Pompeius und die
Steuerforderungen Roms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.2.1 Der Census des Quirinius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Der römische Initialcensus als Steuerdeklaration . . . . . . . . . . 37
Der Kaisereid beim römischen Census . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
Die Überprüfung der Censusdeklaration . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
2.2.2 Das Steuersystem Palästinas zur Zeit Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . 44
Das römische Steuersystem und die jüdische Oberschicht . . . 50
2.2.3 Römisches Geld als Voraussetzung des Steuerzahlens . . . . . . 52
Die Geldtheorie römischer Juristen und das Steuerzahlen . . . . 58
2.2.4 Die Kaiserbilder auf römischen Münzen und die
Interpretation des crimen laesae maiestatis unter Tiberius . . . 63
Exkurs: Die damnatio memoriae und die Kaiserbilder
römischer Münzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
2.3 Der Widerstand gegen den Census im Jahr 6 n. Chr. . . . . . . . . . . . . 71
2.3.1 Die religiösen Gründe des Aufstandes gegen den Census . . . . 74
2.3.2 Der Widerstand gegen die römische Herrschaft und das
Einhalten der Gebote „über das nötige Maß“ . . . . . . . . . . . . . 76
2.3.3 Zur Einschätzung der patristischen Quellen des Hippolyt . . . . 81
2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen
im 1. Jh. n. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
2.4.1 Die biblischen Hintergründe des Bilderverbots . . . . . . . . . . . 83
2.4.2 Die Einstellung des Judentums zu Bildern in persischer und
hellenistischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
2.4.3 Die Ablehnung der Bilder in den Qumrantexten . . . . . . . . . . 92
2.4.4 Der Kampf um das Bilderverbot in der Regierungszeit des
Königs Herodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
2.4.5 Bilderverbot und Kaiserkult unter Pontius Pilatus . . . . . . . . . 111
2.4.6 Das Heilige Land als Bereich ohne heidnische Bilder bis zur
Zeit Kaiser Caligulas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
2.4.7 Das Bilderverbot und der Ausbruch des Ersten Jüdischen
Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
2.4.8 Die Bilderzerstörung im Ersten Jüdischen Krieg . . . . . . . . . . 121
2.4.9 Die Bilderzerstörung im Zweiten Jüdischen Krieg . . . . . . . . . 123
2.4.10 Münzprägungen jüdischer Herrscher in römischer Zeit . . . . . 124
2.4.11 Münzprägungen der Aufständischen beider jüdischen Kriege 127
2.4.12 Zum Umgang mit römischen Münzen nach dem
Bar-Kochba-Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
2.4.13 Bemerkungen zu den Nachrichten über die Galiläer bei
Hippolyt und Pseudo-Hieronymus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Exkurs: Rabbinischer Ausblick zu den Münzbildern . . . . . . . 132
2.5 Die religiösen Gründe für den Aufstand des Judas Galilaeus . . . . . . 134
Exkurs: Judas Galilaeus und die Anrede κύριε und δέσποτα . . 139
3. Einzelexegese des Markus-Apophthegmas im Hinblick
auf die politisch-religiösen Fragestellungen von Teil 2 . . . . 144
3.1 Jesu Weisung zum Steuerzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
1. Sequenz, Teil a: Die Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
Exkurs: Wer waren die Herodianer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
1. Sequenz, Teil b: Gesprächsanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . 152
1. Sequenz, Teil c: Die Frage nach der Steuer . . . . . . . . . . . . 152
2. Sequenz, Teil a: Vorläufige Reaktion Jesu, Aufforderung
zum Beibringen der Münze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
2. Sequenz, Teil b: Die Gegenfrage Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . 153
2. Sequenz, Teil c: Antwort an Jesus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
3. Sequenz, Teil a: Reaktion Jesu, abschließender Imperativ . 156
3. Sequenz, Teil b: Wirkung der Antwort Jesu auf die
Fragesteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese 159
4.1 Bisherige Ansätze zur Deutung „von dem, was Gottes ist“ . . . . . . . 159
4.1.1 Ist an die Tempelsteuer gedacht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
4.1.2 Historisches zur Tempelsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
4.1.3 Jesus und die Tempelsteuer in Mt 17,24–27 . . . . . . . . . . . . . . 165
1. Sequenz (Mt 17,24 bis ναί V. 25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
2. Sequenz (Mt 17, 25 καὶ – V. 26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
3. Sequenz (Mt 17,27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
4.1.4 Ist an den Menschen als Gottes Ebenbild (Gen 1,27)
gedacht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
4.1.5 Koh 8,2a als Schlüsseltext zum Verständnis der
Zinsgroschenperikope? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
4.2 Gottes Eigentum im Alten Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
4.2.1 Gottes Eigentum nach 1 Chronik 29,11–14 . . . . . . . . . . . . . . . 178
4.2.2 Gottes Eigentum nach Haggai 2,8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
4.2.3 Gottes Eigentum nach Joel 4,4–8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
4.2.4 Gottes Eigentum nach Jesaja 60 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
4.2.5 Gottes Eigentum nach Psalm 50,12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
4.3 Rabbinisches zum Begriff „Eigentum“ Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
4.3.1 Rabbi El azar ben Jehuda und die Auslegung von 1 Chr
29,14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
Exkurs: Zum Alter der Formel משׁלו (mish-shelo)
„was sein ist“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
Exkurs: Der Reichtum Roms in der rabbinischen Literatur . . . 194
4.3.2 Rabbinisches zu Haggai 2,8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198
4.3.3 Rabbinisches zu Jesaja 60,17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
4.4 Gottes Eigentum in Qumran und in hellenistisch-jüdischen Texten . 204
4.4.1 Ps 68, 31 – und ein Rückgriff auf Qumran . . . . . . . . . . . . . . . 204
4.4.2 Die Eschatologie der Kriegsrolle aus Qumran . . . . . . . . . . . . . 206
4.4.3 Eschatologische Hoffnungen in den Psalmen Salomos . . . . . . 206
4.4.4 Eschatologische Hoffnungen im Buch Tobit . . . . . . . . . . . . . . 208
4.4.5 Eschatologisches in den Sibyllinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
4.4.6 Ausblick: Die Apokalypse des Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
4.4.7 Zusammenfassung: „Eigentum Gottes“ als jüdischer Begriff . 212
4.5 Zur Verwendung von τὰ τοῦ θεοῦ bzw. τὰ τῶν θεῶν in der paganen
Literatur und bei Philon und Josephus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
4.5.1 Hellenistisches zur Verwendung von τὰ τοῦ θεοῦ
bzw. τὰ τῶν θεῶν . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
4.5.2 Τὰ τοῦ θεοῦ bei Philon und Josephus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
4.6 Jesu Weisung zum Steuerzahlen im Rahmen seiner Verkündigung
der Königsherrschaft Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
5. Die christliche Rezeption des Apophthegmas vom
Zinsgroschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
5.1 Das Steuerproblem in der Sicht des Paulus: Röm 13,1–7 . . . . . . . . . 227
5.1.1 Das historische Umfeld der Aufforderung zum Steuerzahlen
in Röm 13,6–7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
5.1.2 Die Unterordnung unter den Kaiser und Röm 13,1–2 . . . . . . . 234
5.1.3 Die Einsetzung der Regierungsgewalt durch Gott in
jüdischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Die Einsetzung der Könige durch Gott bei Jeremia und
Jesaja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Daniels Visionen und die endzeitliche Absetzung der paganen
Könige durch Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
5.1.4 Hellenistisch-jüdisches zur Einsetzung der Regierungsgewalt
durch Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
5.1.5 Josephus und die Steuerverweigerung bei Ausbruch des
Ersten Jüdischen Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
5.1.6 Die Legitimität der kaiserlichen Herrschaft und ihrer
Steuerforderungen bei Paulus und Josephus . . . . . . . . . . . . . . 244
5.1.7 Zum Vergleich zwischen Paulus und Josephus . . . . . . . . . . . . 245
5.1.8 Das Aufgreifen des Zinsgroschenwortes bei Paulus . . . . . . . . 247
5.2 Eschatologische Hoffnungen und römische Herrschaft bei Philon . . 248
5.2.1 Philons Person und soziale Einbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
5.2.2 Philons Kritik an missständlicher Steuereinziehung . . . . . . . . 251
Exkurs: Die Steuerreformen des Tiberius Julius Alexander . . 255
5.2.3 Heilserwartung bei Philon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256
5.2.4 Philon und das Gold . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
5.3 Die Zinsgroschenperikope im Thomasevangelium
(NHC II 2, 49, 27–31) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
5.3.1 Synoptischer Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
5.3.2 Die Erweiterung des Jesus-Logions im Thomasevangelium . . 267
5.3.3 Gnostische Parallelen zum erweiterten Jesus-Logion . . . . . . . 269
5.4 Die Steuerfrage in P.Egerton 2 (Frgm. 2 r) bzw. P.Köln 255 . . . . . . 271
5.4.1 Das Verhältnis von P.Egerton 2 bzw. P.Köln 255 zu den
kanonischen Evangelien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
5.4.2 Einzelanalyse der Steuerfrage in P.Egerton 2 (Frgm. 2 r) . . . . 273
1. Sequenz, Teil a: Die Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
1. Sequenz, Teil b: Gesprächsanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . 274
1. Sequenz, Teil c: Die Frage nach der Steuer . . . . . . . . . . . . . 274
2. Sequenz, Teil a: Vorläufige Reaktion Jesu . . . . . . . . . . . . . . 275
5.4.3 τὰ ἀνήκοντα τῇ ἀρχῇ und die Steuerfrage im P.Egerton 2 . . . . 275
5.5 Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
6. Pseudo-Hieronymus, De haeresibus Judaeorum:
Codex Matritensis 80, Fol. 17va–17vb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
6.1 Die direkte Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
6.1.1 Beschreibung von Codex Matritensis 80, Fol. 17va–17vb . . . 286
6.1.2 Erstdruck von De haeresibus Judaeorum durch Claude
Ménard (und weitere Druckausgaben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
6.2 Die indirekte Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
6.3 Diplomatische Edition von Codex Matritensis 80, Fol. 17va–17vb 290
6.3.1 Summarischer Kommentar zu De haeresibus Judaeorum . . . . 294
6.3.2 Quellenkritische Analyse von De haeresibus Judaeorum . . . . 296
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367
Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
Namen- und Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407

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Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Friedrich Avemarie (Marburg) Markus Bockmuehl (Oxford) James A. Kelhoffer (Uppsala) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL)

294

Niclas Förster

Jesus und die Steuerfrage Die Zinsgroschenperikope auf dem religiösen und politischen Hintergrund ihrer Zeit mit einer Edition von Pseudo-Hieronymus, De haeresibus Judaeorum

Mohr Siebeck

Niclas Förster, geboren 1967; Studium der evangelischen Theologie und Philosophie in Göttingen und Tübingen; 1997 Promotion; Forschungsstipendium des DAAD (Post-Doc-Programm) als Research Associate am Corpus Christi College, Cambridge (GB); Leiter einer Nachwuchsgruppe im Emmy Noether-Programm der DFG; 2009 Habilitation (Neues Testament und hellenistisches Judentum); Privatdozent in Münster.

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Bonn e-ISBN 978-3-16-152103-4 ISBN 978-3-16-151841-6 ISSN 0512-1604 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ biblio­­graphie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2012  Mohr Siebeck Tübingen.  www mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro­­­­ verfilmungen und die Einspeicherung und Ver­arbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Coptic LS von Linguist’s Software.

Vorwort Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 2009/10 von der EvangelischTheologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Habilitationsschrift angenommen. Für den Druck wurde sie noch einmal formal überarbeitet und an einigen Stellen inhaltlich ergänzt. Dabei konnte nach dem Frühjahr 2009 erschienene Sekundärliteratur nur noch in Ausnahmefällen berücksichtigt werden. Während der Abfassung dieser Arbeit habe ich vielfältige Unterstützung und Begleitung erfahren, für die ich an dieser Stelle danken möchte. Mein herzlicher Dank gilt zunächst dem Erstgutachter Prof. Dr. Folker Siegert, dessen steter Bereitschaft zur wissenschaftlichen Diskussion die Arbeit viel verdankt. Prof. Dr. Hermut Löhr danke ich für seine Bereitschaft, das Zweitgutachten zu übernehmen, und die damit verbundenen Hinweise, die mir erlaubten, manches Geschriebene aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft habe ich für Vertrauen und Förderung zu danken, die ich als Leiter eines am Institutum Judaicum Delitzschianum in Münster angesiedelten Forschungsprojekts im Emmy Noether-Programm – und darüber hinaus – erfahren habe. Ferner danke ich der DFG für die Gewährung eines großzügigen Zuschusses zu den Publikationskosten. Die Real Academia de la Historia in Madrid stellte mir dankenswerterweise eine Fotografie der dort aufbewahrten Handschrift von De haeresibus Judaeorum des Pseudo-Hieronymus zur Verfügung und erlaubte deren Abdruck. In diesem Zusammenhang habe ich Prof. Dr. Ulrich Berges (Bonn) und Prof. Dr. Enrique Rodrigues-Moura (Bamberg) herzlich für ihre Vermittlung zu danken. Nicht zuletzt danke ich meinen Eltern und meiner Frau, PD Dr. Susanne Friede, für ihre Unterstützung und Ermutigung während der Habilitationsphase. Die auf Seite 156 abgedruckte Zeichnung des Denars fertigte mein Vater, Henry H. Förster (†), an. Schließlich gilt mein Dank Prof. Dr. Jörg Frey und den übrigen Herausgebern für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe der Wissenschaftlichen Untersuchungen zum Neuen Testament. Das Team des Verlags Mohr Siebeck hat mich durch die sachkundige Betreuung des Manuskripts zuverlässig unterstützt. Münster, im Juli 2012

Niclas Förster

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

1. Einleitung und Vorstellung des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Zum Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die These der vorliegenden Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Die Zinsgroschenperikope: synoptischer Vergleich . . . . . . . . . . . . . 1.5 Formgeschichtliche Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 3 6 9 19

2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.1 Die Besteuerung Judäas in hellenistischer Zeit und die makkabäische Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die römische Herrschaft nach dem Sieg des Pompeius und die Steuerforderungen Roms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Der Census des Quirinius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der römische Initialcensus als Steuerdeklaration . . . . . . . . . . Der Kaisereid beim römischen Census . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Überprüfung der Censusdeklaration . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Das Steuersystem Palästinas zur Zeit Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . Das römische Steuersystem und die jüdische Oberschicht . . . 2.2.3 Römisches Geld als Voraussetzung des Steuerzahlens . . . . . . Die Geldtheorie römischer Juristen und das Steuerzahlen . . . . 2.2.4 Die Kaiserbilder auf römischen Münzen und die Interpretation des crimen laesae maiestatis unter Tiberius . . . Exkurs: Die damnatio memoriae und die Kaiserbilder römischer Münzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Der Widerstand gegen den Census im Jahr 6 n. Chr. . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Die religiösen Gründe des Aufstandes gegen den Census . . . . 2.3.2 Der Widerstand gegen die römische Herrschaft und das Einhalten der Gebote „über das nötige Maß“ . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Zur Einschätzung der patristischen Quellen des Hippolyt . . . .

24

26 33 37 39 42 44 50 52 58

63 68 71 74 76 81

VIII

Inhaltsverzeichnis

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2.4.1 Die biblischen Hintergründe des Bilderverbots . . . . . . . . . . . 83 2.4.2 Die Einstellung des Judentums zu Bildern in persischer und hellenistischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2.4.3 Die Ablehnung der Bilder in den Qumrantexten . . . . . . . . . . 92 2.4.4 Der Kampf um das Bilderverbot in der Regierungszeit des Königs Herodes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2.4.5 Bilderverbot und Kaiserkult unter Pontius Pilatus . . . . . . . . . 111 2.4.6 Das Heilige Land als Bereich ohne heidnische Bilder bis zur Zeit Kaiser Caligulas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2.4.7 Das Bilderverbot und der Ausbruch des Ersten Jüdischen Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2.4.8 Die Bilderzerstörung im Ersten Jüdischen Krieg . . . . . . . . . . 121 2.4.9 Die Bilderzerstörung im Zweiten Jüdischen Krieg . . . . . . . . . 123 2.4.10 Münzprägungen jüdischer Herrscher in römischer Zeit . . . . . 124 2.4.11 Münzprägungen der Aufständischen beider jüdischen Kriege 127 2.4.12 Zum Umgang mit römischen Münzen nach dem Bar-Kochba-Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2.4.13 Bemerkungen zu den Nachrichten über die Galiläer bei Hippolyt und Pseudo-Hieronymus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Exkurs: Rabbinischer Ausblick zu den Münzbildern . . . . . . . 132 2.5 Die religiösen Gründe für den Aufstand des Judas Galilaeus . . . . . . 134 Exkurs: Judas Galilaeus und die Anrede κύριε und δέσποτα . . 139

3. Einzelexegese des Markus-Apophthegmas im Hinblick auf die politisch-religiösen Fragestellungen von Teil 2 . . . . 144 3.1 Jesu Weisung zum Steuerzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sequenz, Teil a: Die Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Wer waren die Herodianer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sequenz, Teil b: Gesprächsanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sequenz, Teil c: Die Frage nach der Steuer . . . . . . . . . . . . 2. Sequenz, Teil a: Vorläufige Reaktion Jesu, Aufforderung zum Beibringen der Münze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sequenz, Teil b: Die Gegenfrage Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sequenz, Teil c: Antwort an Jesus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sequenz, Teil a: Reaktion Jesu, abschließender Imperativ . 3. Sequenz, Teil b: Wirkung der Antwort Jesu auf die Fragesteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

144 144 145 152 152 153 153 155 156 157

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IX

4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese 159 4.1 Bisherige Ansätze zur Deutung „von dem, was Gottes ist“ . . . . . . . 159 4.1.1 Ist an die Tempelsteuer gedacht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 4.1.2 Historisches zur Tempelsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 4.1.3 Jesus und die Tempelsteuer in Mt 17,24–27 . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Sequenz (Mt 17,24 bis ναί V. 25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Sequenz (Mt 17, 25 καὶ – V. 26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Sequenz (Mt 17,27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 4.1.4 Ist an den Menschen als Gottes Ebenbild (Gen 1,27) gedacht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 4.1.5 Koh 8,2a als Schlüsseltext zum Verständnis der Zinsgroschenperikope? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4.2 Gottes Eigentum im Alten Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 4.2.1 Gottes Eigentum nach 1 Chronik 29,11–14 . . . . . . . . . . . . . . . 178 4.2.2 Gottes Eigentum nach Haggai 2,8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 4.2.3 Gottes Eigentum nach Joel 4,4–8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 4.2.4 Gottes Eigentum nach Jesaja 60 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 4.2.5 Gottes Eigentum nach Psalm 50,12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 4.3 Rabbinisches zum Begriff „Eigentum“ Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 4.3.1 Rabbi El azar ben Jehuda und die Auslegung von 1 Chr 29,14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Exkurs: Zum Alter der Formel ‫( משׁלו‬mish-shelo) „was sein ist“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Exkurs: Der Reichtum Roms in der rabbinischen Literatur . . . 194 4.3.2 Rabbinisches zu Haggai 2,8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 4.3.3 Rabbinisches zu Jesaja 60,17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 4.4 Gottes Eigentum in Qumran und in hellenistisch-jüdischen Texten . 204 4.4.1 Ps 68, 31 – und ein Rückgriff auf Qumran . . . . . . . . . . . . . . . 204 4.4.2 Die Eschatologie der Kriegsrolle aus Qumran . . . . . . . . . . . . . 206 4.4.3 Eschatologische Hoffnungen in den Psalmen Salomos . . . . . . 206 4.4.4 Eschatologische Hoffnungen im Buch Tobit . . . . . . . . . . . . . . 208 4.4.5 Eschatologisches in den Sibyllinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 4.4.6 Ausblick: Die Apokalypse des Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 4.4.7 Zusammenfassung: „Eigentum Gottes“ als jüdischer Begriff . 212 4.5 Zur Verwendung von τὰ τοῦ θεοῦ bzw. τὰ τῶν θεῶν in der paganen Literatur und bei Philon und Josephus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 4.5.1 Hellenistisches zur Verwendung von τὰ τοῦ θεοῦ bzw. τὰ τῶν θεῶν . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 4.5.2 Τὰ τοῦ θεοῦ bei Philon und Josephus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 4.6 Jesu Weisung zum Steuerzahlen im Rahmen seiner Verkündigung der Königsherrschaft Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

X

Inhaltsverzeichnis

5. Die christliche Rezeption des Apophthegmas vom Zinsgroschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 5.1 Das Steuerproblem in der Sicht des Paulus: Röm 13,1–7 . . . . . . . . . 227 5.1.1 Das historische Umfeld der Aufforderung zum Steuerzahlen in Röm 13,6–7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 5.1.2 Die Unterordnung unter den Kaiser und Röm 13,1–2 . . . . . . . 234 5.1.3 Die Einsetzung der Regierungsgewalt durch Gott in jüdischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Die Einsetzung der Könige durch Gott bei Jeremia und Jesaja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Daniels Visionen und die endzeitliche Absetzung der paganen Könige durch Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 5.1.4 Hellenistisch-jüdisches zur Einsetzung der Regierungsgewalt durch Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 5.1.5 Josephus und die Steuerverweigerung bei Ausbruch des Ersten Jüdischen Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 5.1.6 Die Legitimität der kaiserlichen Herrschaft und ihrer Steuerforderungen bei Paulus und Josephus . . . . . . . . . . . . . . 244 5.1.7 Zum Vergleich zwischen Paulus und Josephus . . . . . . . . . . . . 245 5.1.8 Das Aufgreifen des Zinsgroschenwortes bei Paulus . . . . . . . . 247 5.2 Eschatologische Hoffnungen und römische Herrschaft bei Philon . . 248 5.2.1 Philons Person und soziale Einbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 5.2.2 Philons Kritik an missständlicher Steuereinziehung . . . . . . . . 251 Exkurs: Die Steuerreformen des Tiberius Julius Alexander . . 255 5.2.3 Heilserwartung bei Philon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 5.2.4 Philon und das Gold . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 5.3 Die Zinsgroschenperikope im Thomasevangelium (NHC II 2, 49, 27–31) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 5.3.1 Synoptischer Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 5.3.2 Die Erweiterung des Jesus-Logions im Thomasevangelium . . 267 5.3.3 Gnostische Parallelen zum erweiterten Jesus-Logion . . . . . . . 269 5.4 Die Steuerfrage in P.Egerton 2 (Frgm. 2 r) bzw. P.Köln 255 . . . . . . 271 5.4.1 Das Verhältnis von P.Egerton 2 bzw. P.Köln 255 zu den kanonischen Evangelien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 5.4.2 Einzelanalyse der Steuerfrage in P.Egerton 2 (Frgm. 2 r) . . . . 273 1. Sequenz, Teil a: Die Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 1. Sequenz, Teil b: Gesprächsanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . 274 1. Sequenz, Teil c: Die Frage nach der Steuer . . . . . . . . . . . . . 274 2. Sequenz, Teil a: Vorläufige Reaktion Jesu . . . . . . . . . . . . . . 275 5.4.3 τὰ ἀνήκοντα τῇ ἀρχῇ und die Steuerfrage im P.Egerton 2 . . . . 275 5.5 Ertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278

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XI

6. Pseudo-Hieronymus, De haeresibus Judaeorum: Codex Matritensis 80, Fol. 17va–17vb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 6.1 Die direkte Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Beschreibung von Codex Matritensis 80, Fol. 17va–17vb . . . 6.1.2 Erstdruck von De haeresibus Judaeorum durch Claude Ménard (und weitere Druckausgaben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Die indirekte Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Diplomatische Edition von Codex Matritensis 80, Fol. 17va–17vb 6.3.1 Summarischer Kommentar zu De haeresibus Judaeorum . . . . 6.3.2 Quellenkritische Analyse von De haeresibus Judaeorum . . . .

282 286 287 288 290 294 296

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namen- und Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

367 389 399 407

1. Einleitung und Vorstellung des Textes 1.1 Fragestellung Die Frage, ob es erlaubt sei, dem römischen Kaiser Steuern zu zahlen oder nicht, war eines der heikelsten Probleme der Zeit Jesu. Es ist kein Wunder, dass der Mann aus Nazareth darauf angesprochen wurde. Seine Antwort ist heute nicht mehr so verständlich wie damals. Die Funktion der römischen Steuerverwaltung und die Natur der diversen Abgaben, die jeder Einzelne zu entrichten hatte, waren einstens Allgemeinwissen, ebenso auch der religiöse bzw. ideologische Hintergrund des Steuerzahlens. Er musste den ersten Adressaten der Evangelien noch nicht erläutert werden. Die politische und religiöse Bedeutung des Steuerproblems ist nur zu verstehen, wenn man sich vor Augen hält, dass am Anfang der römischen Herrschaft in Palästina die Bereitschaft, den Steuerforderungen des römischen Staats nachzukommen, keineswegs bei allen Juden vorhanden war. Es gab heftige Gegenwehr und blutige Konflikte, die sich an dieser für uns selbstverständlichen Voraussetzung jedes funktionierenden Staatswesens entzündeten und die römische Herrschaft in Palästina von Anfang an überschatteten. Der Widerstand der Judäer war zudem nicht nur durch die drückende Abgabenlast oder etwa durch die Unfähigkeit bzw. Korruption der neuen römischen Administration motiviert, die sich selbst bereicherte und die Bevölkerung überlieferten Klagen zufolge hemmungslos ausplünderte1. Neben derlei Missständen waren für die Aufständischen spezifisch-religiöse Überzeugungen maßgeblich, worin sie sich von den Steuerzahlern oder ‑verweigerern in anderen Provinzen des römischen Reiches unterschieden. Sie bilden den Hintergrund der hier auszulegenden Zinsgroschenperikope und insbesondere des in ihr enthaltenen Apophthegmas. Der noch deutlich empfundene historische Wendepunkt war der erste römische Census, mit dem im Jahr 6 n. Chr. die römische Besteuerung in Judäa eingeführt wurde und der fortan zur Konfrontation mit dem römischen Staat führte2. An der Spitze der Widerstandsbewegung stand in jener Zeit Judas der Galiläer, 1 s.

2.2.2. wurde nicht geringer durch das Bewusstsein, dass sowohl das Ende der Hasmonäerherrschaft als auch das Ende der Herrschaft des Herodessohns Archelaos jeweils auf Bitten 2 Diese

2

1. Einleitung und Vorstellung des Textes

mit dessen Namen der gegen diese Steuerschätzung gerichtete Aufstand in den Quellen stets verknüpft ist. Auf diesen Aufstand im Zusammenhang mit den römischen Censusmaßnahmen wird daher ausführlich einzugehen sein. Nur wenn wir dessen religiöse Legitimation und biblische Begründung analysieren, wird sich die Zinsgroschenperikope in ihrer Tragweite völlig erschließen lassen. Um den Widerstand beurteilen zu können, den die römische Form der Besteuerung unter den Juden auslöste, sollen zuerst in einem Überblick diejenigen historischen Entwicklungslinien nachgezeichnet werden, die in nachexilischer Zeit für die politischen Machtverhältnisse und für die aus ihnen resultierenden Steuerlasten bestimmend waren. Dabei werden wir uns auf Quellen und Texte konzentrieren, die einen neuen Zugang zu Jesu Antwort auf die Steuerfrage bieten. Ob und in welcher Form die Frage an Jesus gestellt worden ist, das werden wir uns fragen müssen und mit einer einleitenden Vorstellung des Textes (bzw. der Texte) beginnen. Im Zuge dieser Untersuchung soll wahrscheinlich gemacht werden, dass Jesu Weisung zur Steuerfrage ein echtes Jesuslogion ist, das nicht erst von der frühen Gemeinde gebildet wurde. Für die Authentizitätsfrage ist in methodischer Hinsicht das von Gerd Theißen und Annette Merz sogenannte „historische Plausibilitätskriterium“3 maßgeblich. Dieses verlangt, dass sich die Antwort Jesu auf die Steuerfrage „als Auswirkung Jesu begreifen lässt und gleichzeitig nur in einem jüdischen Kontext entstanden sein kann“4. In diesem Sinne soll im Folgenden die Zinsgroschenperikope und insbesondere ihr zu vermutender mündlicher Kern, das mit der Nennung Gottes (Mk 12,17 par) endende Apophthegma, auf seinem jüdischen Hintergrund verstanden und ausgelegt werden. Dieser Ansatz wird helfen zu erkennen, was Jesus mit seiner Anweisung meinte, dem Kaiser und Gott das jeweils Ihre zukommen zu lassen. Im Vergleich mit der jüdischen Tradition kann man dann auch die Besonderheit der Antwort Jesu eruieren. Eine entscheidende Voraussetzung zum Verständnis dessen, was „des Kaisers ist“, bildet dabei, dass Jesus sich vor seiner Antwort auf die Steuerfrage von seinen Gesprächspartnern einen Denar zeigen lässt. Auch diese Bedingung für seine Auskunft ist umso klarer, je genauer der jüdische Hintergrund ausgeleuchtet wird, wobei die Rahmung mit der Aufforderung, einen Denar herbeizubringen, auf konkreter Erinnerung fußen dürfte. Dafür spricht u. a. das von Theißen und jüdischer Gesandtschaften hin von der römischen Seite bewerkstelligt worden war. Deren „Dienste“ waren ebenso demütigend wie kostspielig. 3 G. Theißen, A. Merz, Der historische Jesus, 29 und 117. 4 G. Theißen, A. Merz, Der historische Jesus, 117; vgl. ferner G. Theißen, D. Winter, Die Kriterienfrage, 176–180.

1.2 Zum Stand der Forschung

3

Merz entwickelte Kriterium, dass in „sperrigen Jesusüberlieferungen Echtes enthalten sein könnte“5. Das Vorweisen der Geldmünze ist solch ein sperriger Zug, der im Matthäus‑ und Lukasevangelium merklich in den Hintergrund rückt und bei späteren Zeugen wie dem Thomasevangelium noch weiter verblasst. Gerade in diesem schwindenden Verständnis für die Bedeutung des Denars ist ein Anzeichen für eine zuverlässige Tradition zu sehen, die für spätere Generationen des Urchristentums immer weniger bedeutsam war.

1.2 Zum Stand der Forschung Folgendermaßen können die zu der Zinsgroschenperikope bisher vorliegenden (exegetisch-wissenschaftlichen6) Arbeiten7 gruppiert werden: a) Eine erste Gruppe vertritt eine anti-zelotische Deutung der ganzen Perikope. Sie betrifft vor allem das Schlusslogion: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist“. Sie deutet dieses Logion dahingehend, dass Jesus im Sinne einer Abgrenzung gegenüber den jüdischen, romfeindlichen Aufständischen spricht und seine eigene Sicht der Dinge dagegen kontrastiert8. Daraus sei aber keineswegs zu folgern, dass Jesus eine undifferenziert romfreundliche Haltung einnehme, sondern gleichsam zwischen den Extremen, d. h. der Aufleh5 G. Theißen, A. Merz, Der historische Jesus, 117; G. Theißen, D. Winter, Die Kriterienfrage, 177–178. 6 Die Inanspruchnahme des Zinsgroschenwortes im politischen Tagesgeschäft ist schließlich Legion, aber nur zu oft gegen die Intention des Verses, z. B. sei seine Deutung durch W. Huber als „Übergang zu einer säkularen Rechtsordnung“ erwähnt, was doch eher die spätere Rezeption des Verses aufgreift (s. Interview in: Der Spiegel 20, 2008, 50). 7 Daneben gibt es Arbeiten, die zwar im Titel auf das Zinsgroschenwort Jesu Bezug nehmen, wie z. B. Ch. Bryan, Render to Caesar, aber der Erklärung dieses Textes nur wenige Seiten widmen, ebd. 44–46. Auch F. E. Udoh verzichtet in seiner kürzlich erschienenen Studie „To Caesar What Is Caesar’s“ zu Tribut, Steuern und der kaiserlichen Verwaltung in Palästina auf eine eigene Auslegung. Er beschränkt sich lediglich darauf, den Text als heiden-christliche Ergänzung darzustellen, die über das Steuerzahlen zur Zeit Jesu – z. B. über die dabei benutzten Geldstücke – nichts mitteilen könne, ebd. 225 bzw. 228. 8 Beispielsweise: J. Weiss, Die Predigt, 125; H. H. Wendt, Die Lehre, 263; G. Kittel, Das Urteil, 655; J. Klausner, Jesus, 436; L. Goppelt, Der Staat, 12–13; E. L. Abel, Jesus, 251; J. Blinzler, Der Prozess, 80; D. R. Catchpole, The Problem, 53; K. Tagawa, Jésus, 123–124; W. H. Kelber, Mark’s Story, 63–64; J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie, 220; R. M. Grant, Christen, 58; W. R. G. Loader, Jesus’ Attitude, 100; D. Flusser, Jesus, 89; G. Theißen, Jesus und die symbolpolitischen Konflikte, 386; J. Gnilka, Jesus, 239 und H. Klein, Das Lukasevangelium, 629. Eine m. E. etwas unklare „Mittelposition“ nimmt U. Mell ein, Die „anderen“ Winzer, 265. Nach Mell „verteidigt die Perikope die Superiorität des Ersten Gebots jüd. Tora und stellt zugleich dem (juden‑)Christen ein hermeneutisches Prinzip zur Verfügung, sein Verhältnis zu Gott und einem sich widergöttlich gebärdenen Staat immer wieder neu zu prüfen“. Mell versucht hier m. E. sich gegenseitig ausschließende Positionen zu harmonisieren.

4

1. Einleitung und Vorstellung des Textes

nung gegen die Steuerforderungen und einer engen und unkritischen Anlehnung an die römische Staatsmacht, hindurchsteuere und einen Mittelweg wähle9. Der Dreh‑ und Angelpunkt dieser Interpretation besteht in der Annahme, Jesus habe seine Gesprächspartner bezüglich der Steuerzahlungen beschämen wollen, indem er sie gebeten habe, ihm einen Denar vorzulegen10. Dadurch habe er sie überführt, dass sie im Alltag römisches Geld in ihren Taschen tragen und benutzen. Demzufolge sei Jesu Antwort auf die Steuerfrage eine Aufforderung, dem Staat die Steuern zu geben11. Der Münzgebrauch, der sich im Vorlegen des Denars spiegele, sei in sich selbst schon eine demonstratio ad oculos der Anerkennung des römischen Kaisers12. Jesus lässt die Fragesteller das Geld in die Hand nehmen und betrachten, um sie auf die Inkonsequenz ihres Handelns aufmerksam zu machen. Denn wer die Vorteile des römischen Reiches genieße und selbstverständlich für sich nutze, der solle auch Steuern zahlen. Diese Absicht Jesu, die hinter seiner Antwort vermutet wird, entbehrt nicht, wie viele Ausleger vermerken, einer gewissen Ironie, und die Schlussfolgerung ist nicht von der Hand zu weisen, Jesus habe die Fragesteller der Lächerlichkeit preisgeben wollen13. b) Daneben gibt es eine pro-zelotische Auslegung, die Jesus in seiner Antwort auf die Steuerfrage eine dezidiert gegen die Römerherrschaft gerichtete Position unterstellt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Jesus im Wesentlichen denselben Standpunkt wie Judas der Galiläer und andere jüdische Aufständische vertreten habe und den römischen Kaiser als Landesherrn strikt abgelehnt habe. In diesem Sinne sei auch seine Erwiderung auf die Steuerfrage gemeint: Nicht dem Kaiser, sondern allein Gott sei Gehorsam geschuldet, darum solle man keine Steuerzahlungen entrichten. Mk 12,17 par sei „a saying of which any Zealot would have

  9 Diese Mittelposition tritt bei U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 264, besonders deutlich darin hervor, „daß der Christ in einem doppelten Loyalitätsverhältnis, zum Kaiser und zu Gott, sich bewähren muß“. Der Gehorsam gegenüber Gott ist aber „einem totalitären Obrigkeitsgehorsam“ untergeordnet. 10  Eine Variante brachte G. Theißen ins Spiel, der das Herbeibringen der Münze als „symbolische Handlung“ deutet, die als „Ersatz für jene militärischen Konflikte, die seit Judas Galilaios mit der Steuerfrage verbunden sind“, dient, ders., Jesus und die symbolpolitischen Konflikte, 393. 11 H. Weinel, Die Stellung, 9; R. Völkl, Christ, 113–114; G. Petzke, Der historische Jesus, 230; K. Wengst, Pax, 78. 12 So z. B. W. Schrage, Die Christen, 33–34; W. Bösen, Galiläa, 170; K. Huber, Jesus, 205. Eine marxistische Deutung der Steuerfrage entwickelt A. H. Cadwallader, In Go(l)d, passim. 13 J. Sp. Kennard, Render, 119. Diese Ansicht vertritt auch M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 21, der über den Erzähler bemerkt: „Er lacht im stillen über die reichen Leute, die Jesu ihr Kaisergeld zeigen müssen und als die Dummen von ihm gehen“; vgl. ferner M. Dibelius, Rom, 178; A. Bea, Date, 578; A. Schweitzer, Die Mystik, 305; K. Aland, Das Verhältnis, 173; L. Schenke, Die Urgemeinde, 295; B. Witherington III, The Gospel, 326. Kritisch zu dieser Interpretation: J. N. Sevenster, Geeft, 31.

1.2 Zum Stand der Forschung

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approved“14. Dieses Logion wird sogar als eine Art Unabhängigkeitserklärung vom römischen Reich verstanden15. c) Andere Exegeten vertreten die Meinung, Jesu Worte seien nur auf dem Hintergrund seiner eschatologischen Erwartungen verstehbar. Jesus spiele auf das Reich Gottes an, das aller menschlichen Herrschaftsausübung und der Macht Roms ein baldiges Ende bereiten werde16. Seine Antwort wolle unmissverständlich klar machen, dass die in kurzer Zeit anbrechende Gottesherrschaft die Legitimität jeder menschlichen Regentschaft relativiere, zumal im Blick auf die Nähe Gottes alles andere und sogar die Machtentfaltung des römischen Staats von zweitrangiger Bedeutung sei17. Auf diesen eschatologischen Vorbehalt gegenüber dem Kaiser habe Jesus seine Antwort bezogen, denn der römische Machtanspruch und die Steuerforderungen der Römer seien auf dem Hintergrund des bevorstehenden Eschaton lediglich eine vorübergehende Verpflichtung, die schon in naher Zukunft durch Gott selbst ihr Ende finden werde. Die Aufforderung, Kaiser und Gott das ihnen jeweils Zukommende zu geben, sei daher antithetisch gemeint, weil die kaiserliche Regierung durch Gottes Eingreifen abgelöst und eigentlicher Gehorsam nur Gott geschuldet werde. 14  S. G. F. Brandon, Jesus, 347. Dieser Gedanke findet sich (freilich mit einer anderen Pointe) zuvor schon bei R. Eisler, ΙΗΣΟΥΣ, Bd. 2, 201: „Weit entfernt davon, die Zinsbarkeit gegenüber dem Cäsar zu billigen, steht Jesus ganz auf Seiten Judah’s des Galiläers: aber er geht weit über ihn hinaus, indem er von seinen Jüngern, von den Bürgern des kommenden Gottesreiches verlangt, dass sie sich nicht nur von der Knechtschaft des Cäsar, sondern vor allem auch von der Knechtschaft des Mammon lossagen: wer kein Geld mehr besitzt, kein Geld mehr gebraucht, kein Geld gebrauchen will, braucht dem Cäsar keine Steuern mehr zu zahlen“. Eisler setzt an dieser Stelle voraus, dass sich Jesus in bewusst gewählter Armut der Verwendung römischer Geldstücke enthalten habe, ebd. 196–200. Ähnlich die Bemerkung von M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche, 29, über Jesu Stellung zu der Steuerproblematik (die den Kern der Frage verfehlt, indem sie Jesu Weisung mit seiner angeblichen Besitzlosigkeit vermengt): „Für ihn, der kein Kaisergeld bei sich trägt, ist das Problem gegenstandslos“. Diese Deutung nimmt (mit leichten Modifikationen) M. Wolter, Das Lukasevangelium, 654, wieder auf: Man soll dem Kaiser die Denare zahlen und dadurch dass man sich „von diesem Symbol der Fremdherrschaft trennt“, Gott das ihm Zustehende geben. 15  R. A. Horsley, Jesus and Empire, 90: „Jesus’ answer was still a blunt declaration of the people’s independence of Roman imperial rule/kingdom, since they belonged directly under the rule / kingdom of God“; vgl. eine ähnliche Deutung ders., Jesus and the Spiral, 366. 16 A. Bea, Date, 577; R. Völkl, Christ, 113; W. Schrage, Die Christen, 40; B. T. Viviano, Render, 275; St. Schreiber, Caesar, 84. M. Dibelius, Rom, 178, formuliert, es gehe Jesus um eine „interimistische, eschatologisch bedingte Pflichterfüllung“. 17 Beispielsweise: A. Bea, Date, 578; R. Völkl, Christ, 114; J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie, 220; L. Goppelt, Die Freiheit, 43–46; H. G. Klemm, De Censu, 245; R. A. Horsley, Jesus and the Spiral, 313; W. D. Davies, D. C. Allison, A Critical and Exegetical Commentary, Bd. 3, 217; U. Luz, Das Evangelium, 260. Übersteigert (und sicherlich in dieser Form unzutreffend) ist das Urteil von D. Bonhoeffer, Ethik, 377: „Jesus beschäftigt sich so gut wie gar nicht mit der Lösung weltlicher Probleme“ und ferner die Auslegung von R. J. Cassidy, Jesus, 59, Jesus habe die Steuerfrage gar nicht beantworten wollen, um soziale Probleme in das Zentrum der Debatte zu rücken.

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1. Einleitung und Vorstellung des Textes

d) Schließlich gibt es eine Auslegung, die man etwa als angewandte ZweiReiche-Lehre bezeichnen könnte18. Die politische Sphäre sei grundsätzlich von religiösen Belangen zu unterscheiden, und die irdischen Staatswesen erhielten ihre Legitimität einzig und allein durch Gott, dem die Menschen ohnehin Gehorsam schulden. Diese Legitimitätsabstufung zwischen der Forderung des Staates und der Gottes sei von Jesus mit der Münze zum Ausdruck gebracht; darum betone er, dass die Steuern an den Kaiser zu zahlen seien. An Gott jedoch haben die Menschen vergleichsweise mehr zu entrichten19. Ihm verdanken sie ja mehr, denn er gab ihnen ihr Leben. Diese Deutung verbinden mehrere Exegeten mit einem weiteren Gedanken, den wir ähnlich bei den Kirchenschriftstellern wie Ignatius, Origenes und Tertullian finden: Der Mensch trage das Bild seines Schöpfers in gleicher Weise, wie den Münzen das Bild des regierenden Herrschers aufgeprägt sei20.

1.3 Die These der vorliegenden Arbeit Diese Auslegungen der Zinsgroschenperikope möchte ich durch eine eigene Deutung ergänzen und modifizieren. Die Forschungsposition c) wird darin zur Gänze aufgehen; doch steckt auch Richtiges in den übrigen Deutungen. Die in der vorliegenden Untersuchung erarbeitete Auslegung sei hier im Vorgriff, wie folgt, umrissen: Ausgangspunkt ist die Annahme, dass sich die Zinsgroschenperikope tatsächlich auf Denare, also auf das gesetzliche Zahlungsmittel im römischen Reich, mit denen die Steuern zu bezahlen waren, bezieht. Zur Beantwortung der Frage, warum Jesus sich diese Münze vorlegen ließ, werden wir – und das ist neu – eine spezielle Halacha der jüdischen Opposition gegen den römischen Census 18 Diese Terminologie verwendet z. B. W. E. Pilgrim, Uneasy Neighbours, 66–70. R. C. Tannehill, The Sword, 173 nimmt sogar an: „a division of life into two realms suggests itself“. Einen Überblick über die historische Entwicklung dieser reformatorischen Auslegung bietet U. Luz, Das Evangelium, 255–256. 19 Vgl. z. B. R. C. Tannehill, The Sword, 175; L. T. Johnson, The Gospel of Luke, 312 und R. Grangaard, Conflict, 107. Beispielsweise betont J. Ratzinger, Jesus, 38, das Zinsgroschenwort meine „die wesentliche Verträglichkeit der beiden Sphären“, die Jesus und Kaiser repräsentieren, wobei aber dem Kaiser, falls dieser sich selbst etwa als göttlich interpretiere, gemäß Apg 5,29 kein Gehorsam geschuldet sei. 20 Vgl. z. B. D. Cairns, The Image, 30; G. Bornkamm, Jesus, 108; Ch. K. Barrett, The New Testament Doctrine, 9; Ch. H. Giblin, The Things, 522; W. Grundmann, Das Evangelium nach Matthäus, 472–473; K. Wengst, Pax, 79–80; G. Schneider, Das Evangelium, Bd. 2, 403; D. T. Owen-Ball, Rabbinic Rhetoric, 11; K. Huber, Jesus, 213–214; B. Witherington III, The Gospel, 325; H. Klein, Das Lukasevangelium, 631; Ch. Bryan, Render, 46. Ähnlich argumentieren ferner W. E. Pilgrim, Uneasy Neighbours, 71–72; J. S. Ukpong, Tribute, 442. O. Cullmann betont (mit einer vergleichbaren spiritualisierenden Tendenz): „Leib und Seele“ gehören Gott, was viel mehr als alles Geld sei, ders., Der Staat, 25–26.

1.3 Die These der vorliegenden Arbeit

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heranziehen, die nach Josephus von Judas dem Galiläer und seinen Anhängern ausging, die aber noch über die kurze Zeit des Aufstandes während der Censusmaßnahmen nachwirkte. Die Widerstandsbewegung wandte sich gegen die Steuerzahlung, indem sie nicht nur gegen die bürokratischen Voraussetzungen vorging, die der Census darstellte, sondern auch den Gebrauch der römischen Münzen ablehnte, mit welchen vorschriftsgemäß die Steuern bezahlt wurden. Einen solchen Münzboykott als Form der Ablehnung römischer Herrschaft erwähnt die im Rahmen dieser Studie21 edierte Schrift De haeresibus Judaeorum des Pseudo-Hieronymus. Diese Quelle fußt ebenso wie eine Parallelüberlieferung in der Refutatio omnium haeresium des Hippolyt, die ebenfalls die aus dem zweiten Dekaloggebot abgeleitete Ablehnung der Geldstücke durch jüdische Aufständische erwähnt, wahrscheinlich auf Texten des 2. Jh. wie den heute verlorenen Hypomnemata des Hegesipp. De haeresibus Judaeorum ergänzt somit in wesentlichen Punkten die aus politischer Rücksichtnahme im Hinblick auf die halachische Position der Judas-Gruppe sehr zurückhaltenden Nachrichten des Josephus. Sie wird darüber hinaus durch verschiedene rabbinische Notizen und durch andere Zeugnisse, darunter archäologische Funde, die auf eine verschärfende Deutung des Bilderverbots im 1. Jh. n. Chr. hinweisen, bestätigt. Es wird sich ferner zeigen, dass Jesus einen Denar bringen ließ, um seine Gesprächspartner eben durch diese Handlung auf die Probe zu stellen, sodass sie sich gezwungen sahen, zwischen einer Ablehnung oder Benutzung des römischen Geldes zu entscheiden, bevor Jesus ihnen seine Antwort in der Sache gab. Gleichzeitig barg diese Aufforderung eine Gefahr für seine Gegner in sich, weil nach römischem Recht entsprechend der lex Cornelia testamentaria nummeraria die Ablehnung römischen Geldes mit dem Tod bestraft wurde. Jesus stellte seine Fragesteller also vor eine für sie lebensgefährliche Alternative (die weit über bloß ironisch gemeintes Kontern – so Deutung a) – hinausging), teilte aber selbst keinesfalls eine Ablehnung der römischen Münzen (anders: Deutung b). Weil aber Jesu Gesprächspartner die Münze herbeibrachten, anfassten und ansahen, demonstrierten sie durch ihr (aus römischer Sicht gesetzeskonformes) Verhalten ihre Distanz zu jenen Kreisen, die sich für den Widerstand gegen die römische Herrschaft entschieden hatten. Sie entlarven damit implizit ihre Frage nach den Steuern als eine in der Sache nicht ernst gemeinte Fangfrage. Entsprechend der Tendenzwidrigkeit22 als wichtigem Prüfstein historischer Wirkungsplausibiltät nach Theißen und Merz lässt sich ferner beobachten, dass diese Reaktion Jesu besonderen jüdischen Zeitumständen und halachischen Debatten geschuldet war, die in der christlichen Rezeption der Zinsgroschenperikope immer weniger verstanden wurden und dass sie dementsprechend in 21 s. u. 22 G.

6. Theißen, A. Merz, Der historische Jesus, 118.

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1. Einleitung und Vorstellung des Textes

der Exegese seit der Gnosis einem spiritualisierenden Verständnis, das bei der Gottesebenbildlichkeit des Menschen als Pendant zum Prägebild der Geldstücke ansetzt (Deutung d), Platz machte. Befassen wir uns entsprechend dem historischen Plausibilitätskriterium mit der Verwurzelung von Jesu Weisung in der zeitgenössischen jüdischen Auseinandersetzung um eine mit der Herrschaft des Kaisers vereinbare Auslegung der Tora, wie sie letztlich erst nach zwei jüdischen Kriegen von den Rabbinen im Sinne eines Kompromisses gelöst wurde23, so können wir dieselbe Beobachtung bei der Interpretation des Zinsgroschenwortes in Mk 12,17 par machen. Auch hier setzt Jesus seinen jüdischen Zeitgenossen vertraute Überlegungen zum Eigentum Gottes24 an seiner gesamten Schöpfung voraus. Diese Überzeugung spiegelt sich mehrfach in der rabbinischen Literatur, und noch heute wird in der Birkat haz-zimmun für alle irdische Nahrung (in auffälliger Ähnlichkeit zum Ausdruck τὰ τοῦ θεοῦ) die Wendung ‫( משל אלהי עולם‬mish-shel lohe olam) bzw. ‫משלו‬ (mish-shelo) gebraucht, was selbstverständlich das menschliche Besitzrecht nicht ausschließt, sondern nur Gott sein Eigentum zugesteht25. Entscheidend für unsere Überlegungen ist nun, dass derselbe Grundgedanke in jüdischer Tradition (z. B. im Traktat Abot) mit Blick auf das Edelmetall, aus dem das Geld gemacht ist, zu finden ist, beruhend auf Stellen wie 1 Chr 29,14, Hag 2,8 oder Joel 4,4–8: Dort wird alles irdische Gold und Silber als Gottes Eigentum reklamiert. Die materiellen Besitztümer der Menschheit gehören demnach letztlich zu dem, „was Gottes ist“, und sind ihr nur für eine bestimmte Zeit überlassen, werden aber in eschatologischer Perspektive wieder Gott zufallen, was mit Erwartungen wie der Völkerwallfahrt zum Zion (Jes 60,4.9) oder sogar mit einem Eingreifen des Messias verknüpft werden konnte. Diese Dimension des Zinsgroschenwortes ist bisher nur wenig gewürdigt worden26. Demnach handelt es sich bei dem von Jesus verlangten Geben von „dem, was des Kaisers (bzw.) Gottes ist“, um die Erinnerung an den eigentlichen Eigentümer. Dem Kaiser werden durch Abgaben an den Fiskus die Geldstücke eingezahlt, die er herstellen und durch Portrait und Münzlegende als sein Geld kennzeichnen ließ. 23 Dieser Kompromiss schloss die Verwendung römischen Geldes durch Juden ein; s. u. 2.4.12–2.4.14. 24 Die wichtige Rolle des Eigentums betont auch G. Theißen, Die Religion, 66: „Gottes Eigentum darf nur an Gott zurückgegeben werden!“, ohne dem jüdischen Hintergrund aber nachzugehen. 25 Der Unterschied zwischen „Besitz“ (d. h. dem Recht des Gebrauchs) und „Eigentum“ (d. h. Rückforderungsrecht), sonst aus dem römischen Recht bekannt, ist auch für die Mischna grundlegend. Gott ist Eigentümer des verheißenen Landes; die Israeliten besitzen es nur; s. z. B. 2.5. 26 J. Sp. Kennard, Render, 123, begnügt sich z. B. mit einer vergleichsweise summarischen Auflistung entsprechender Bibelstellen. Im Anschluss verfolgt er eine anti-römische Deutung des Zinsgroschenwortes, denn Jesus habe Steuerzahlungen nur gezwungenermaßen zugestimmt: „giving to Caesar a portion of what belonged to God, because only by doing so was survival possible“; ebd. 126.

1.4 Die Zinsgroschenperikope: synoptischer Vergleich

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Von ihnen erwartet er, dass sie zu ihm in Form eines Kreislaufs wieder zurückkehren. Gott aber kommt als Weltschöpfer alles Gold und Silber, auch das zur römischen Münzproduktion verwendete, als Eigentümer zu und wird ihm darum dereinst übergeben werden. Dass sich daraus für jüdische Fromme in eschatologischer Sicht die gegen die Römer zielende Schlussfolgerung ergab, wonach auch der kaiserliche Fiskus am Ende Gott übereignet werde, kann nicht nur mittels zahlreicher Stellen aus der rabbinischen Literatur, sondern auch mit Hilfe der Qumrantexte, der Sibyllinen oder der Apokalypse des Johannes erwiesen werden. Auch wenn Jesus keineswegs (wie die Deutung b) unterstellt) den römischen Staat attackieren bzw. seine Regierung (mit den sie finanzierenden Steuerabgaben) als illegitim im Sinne der Tora kennzeichnen wollte und demzufolge Steuerzahlungen für erlaubt und geboten hielt, so stellte er sie doch unter einen sehr konkreten eschatologischen Vorbehalt. Unser Ergebnis, das wir sogar im Blick auf den historischen Jesus zu formulieren wagen, ist also: Jesus setzte derartige Überlegungen auch bei seinen Gesprächspartnern, deren grundsätzliche Loyalität gegenüber dem römischen Kaiser er zuvor durch das Vorzeigen des Denars getestet hatte, als bekannt voraus und behaftete dann durch seine Antwort und die Formulierung als direkten Imperativ sein Auditorium im Sinne der Technik der sog. Retorsion27 bei einem Bestandteil ihrer eschatologischen Erwartung. Dass Jesus dabei stillschweigend voraussetzte, ihre (gemeinsamen) Glaubensüberzeugungen würden im Sinne einer eschatologischen Naherwartung schon sehr bald in ein konkretes Handeln einmünden, darf dabei nicht aus dem Blick geraten, sondern stellt die eigentliche Brisanz seiner Anweisung dar.

1.4 Die Zinsgroschenperikope: synoptischer Vergleich Den Einstieg in die Textarbeit bildet eine Analyse der Zinsgroschenperikope in der synoptischen Überlieferung. Das Hauptinteresse gilt dem „vor-evangelischen“ Jesus, also derjenigen Fassung der Perikope, die als mündliche Überlieferung aus der Zeit vor 70 n. Chr. (und m. E. sogar aus der Lebenszeit Jesu) den Evangelien vorausliegt. Diese mündliche Überlieferungsstufe ist von den Modifikationen seitens der Evangelisten abzuheben und genauer in den Blick zu nehmen. Alle synoptischen Evangelien verlegen die Kontroverse in den Jerusalemer Tempel und ordnen sie unter die letzten Weisungen Jesu kurz vor seiner Verhaf27 Zu dieser (auch bei Paulus gepflegten) Argumentationsform vgl. F. Siegert, Argumentation, 52.

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1. Einleitung und Vorstellung des Textes

tung ein. Damit steht die Frage nach der Kaisersteuer im Kontext einer sich seit langem verschärfenden Auseinandersetzung Jesu mit seinen Gegnern, die (nach Meinung der Synoptiker) bereits den festen Willen haben, Jesus zu vernichten. Der Textabschnitt steht zudem im Rahmen anderer Streitgespräche, die mit der Vollmachtsfrage beginnen. Bei Markus markiert sie den Anfang des letzten Gesprächsgangs in Jerusalem (Mk 11,27–33 par Mt 21,23–27 bzw. Lk 20,1–8). Die Frage nach Jesu ἐξουσία ist dabei durch die vorher beschriebene Tempelreinigung (Mk 11,15–19) motiviert. Dieser Zusammenhang sowie die Fragestellung an sich zielen ganz grundsätzlich auf die Legitimation Jesu für sein Auftreten. Jesus befreit sich von der Verpflichtung einer Antwort durch eine geschickte Gegenfrage nach der Taufe des Johannes. Diese Antwort, zunächst taktisch, bringt seine Gesprächspartner, die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten, in Verlegenheit, was ihre Autorität in den Augen der umstehenden Menge untergraben muss. Dass aber mehr als Taktik dahinter steht, sondern vielmehr die Infragestellung einer bestimmten, gerade für Galiläa bezeugten Frömmigkeit, wird die Untersuchung zeigen. Anschließend folgt bei Markus das (wahrscheinlich nicht jesuanische28) Gleichnis von den bösen Weingärtnern, das vom Evangelisten zwischen die Vollmachtsfrage und die folgenden Streitgespräche Jesu mit Repräsentanten seiner Gegner29 platziert ist (Mk 12,1–11; Lk 20,9–18; vgl. Mt 21,33–44). In diesem Gleichnis findet sich gleichfalls in verhüllter Form ein Angriff auf das Synhedrium30 und zugleich eine Stellungnahme des markinischen Jesu zum Problem seiner Autorität, denn er handelt demnach als Sohn, der seinem Vater nahesteht. Die im Gleichnis erzählte Ermordung dieses einzigen Sohnes des Weinbergseigentümers aber führt zum endgültigen Bruch. Dieses Gleichnis löst in Markus 12,12 (par Lk 20,19 bzw. Mt 21,45–46) den Entschluss aus, Jesus gefangen zu nehmen und dadurch unschädlich zu machen, was jedoch zunächst aus Furcht vor der Bevölkerung, die mit Jesus sympathisierte, und seiner Wirkung auf die Menge erst noch aufgeschoben wird31.

28 Dafür lässt sich vor allem die Tendenz zur Allegorisierung und der Bezug auf Jes 5,1–7 anführen, s. z. B. R. Bultmann, Die Geschichte, 191; vgl. ferner z. B. W. R. G. Loader, Jesus’ Attitute, 98; U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 77–88. J. S. Kloppenborg, The Tenants, 271, hält die Fassung des Thomasevangeliums (Logion 65–66) für die ältere. Dass sich durch Streichung einiger Verse des Markus eine möglicherweise auf Jesus zurückgehende ursprüngliche Fassung des Gleichnisses rekonstruieren lässt (so z. B. M. Hengel, Das Gleichnis, 144–145, 169), ist m. E. eher unwahrscheinlich; vgl. H. Klein, Das Lukasevangelium, 625. 29 J. S. Kloppenborg, The Tenants, 222–223. 30 Zu dieser redaktionellen Intention des Markus s. J. S. Kloppenborg, The Tenants, 35, 223–241. 31 Historisch gesehen, ist die hier ausgedrückte Enterbungs-Theologie ohnehin eine Reaktion (sc. der Kirche) auf die Tötung Jesu; vgl. u. a. J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, Bd. 2, 144.

1.4 Die Zinsgroschenperikope: synoptischer Vergleich

11

Matthäus erweitert diesen Zusammenhang seiner Markus-Vorlage um zwei weitere Gleichnisse von den beiden Söhnen (Mt 21,28–32) und vom königlichen Hochzeitsmahl (Mt 22,1–14). Das zweite Gleichnis hat er unmittelbar vor die Zinsgroschenperikope eingeschoben und stellt dadurch einen Rahmen um das Gleichnis von den bösen Weingärtnern her. Beide Gleichniserzählungen sind bei Matthäus auf den Ruf zur Umkehr zugespitzt. Sie richten sich gegen die führenden Kreise der jüdischen Gesellschaft32, die Jesus zwar hören, aber ihm nicht folgen. Impliziert ist dabei eine Aussage über das Weltgericht, wobei das Reich Gottes u. a. mit einer Hochzeitsfeier als Sinnbild der Gemeinschaft mit Gott als König verglichen wird (Mt 22,2). Schon zuvor hatte Jesus in allen drei Evangelien bei seinem Einzug in Jerusalem und in dem Konflikt um den Tempel politische Akzente gesetzt, die von den Evangelisten auf ihre jeweilige Art hervorgehoben werden. Nach dem Disput über die Vollmacht und dem kaum verhüllten Angriff Jesu auf die führenden Kreise des jüdischen Volkes sind die gefährlichen Konsequenzen der Steuerfrage für die Leser aller drei Evangelien wohl verständlich, zumal der gesamte Kontext auf ein feindseliges Vorgehen gegen Jesus mit dem Ziel einer Anklage vor den römischen Behörden abgestellt ist. Demgemäß berichten alle drei Synoptiker übereinstimmend, wie die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten, die bis dahin als die eigentlichen Gegner Jesu geschildert werden und ihm bereits die Frage nach der Legitimation seines Auftretens stellten (Mk 11,27–28 par Lk 20,1–2 bzw. Mt 21,23), nicht mehr selber aktiv sind, sondern Jesus nur noch aus dem Hintergrund beobachten und andere vorschicken, um ihre Vernichtungsabsicht durchzuführen. Damit betreten neue jüdische Gruppen als Jesu Gesprächspartner die Szene, was sich nach der Zinsgroschenperikope in der Frage nach der Auferstehung durch die Auseinandersetzung mit den Sadduzäern, die ebenfalls bisher nie in Erscheinung getreten waren, fortsetzt (Mk 12,18–27 par Lk 20,27–40 bzw. Mt 22,23–33). Wir wenden uns nun dem Text zu. Die folgende Synopse stellt dem (ursprünglichen) Markus-Text dessen erste beiden Rezeptionen bei den synoptischen Seitenreferenten zur Seite  – als erste Verständniskontrolle für uns selber; der diachrone Aspekt solchen Vergleichs soll im Teil 3 gewürdigt werden. Zur Erleichterung des Vergleichs, aber auch schon wegen der besseren Übersichtlichkeit jeder einzelnen Kolumne, gliedern wir den Erzähl‑ bzw. Dialogablauf in Sequenzen33. Nach diesen wird im Folgenden zitiert, d. h. nach der gemeinsamen Struktur, und nicht nach der Zufälligkeit von Versnummern. 32 Wird das Matthäusevangelium, wie meist, in Syrien angesiedelt und jedenfalls nach der Auflösung der jüdischen Gesellschaft im Jahr 70 n. Chr. angesetzt, so ist an das DiasporaJudentum zu denken, wie es sich unter der Führung der Rabbinen soeben neu organisierte. 33 Zur Gliederung s. auch K. Huber, Jesus, 151–153, mit ähnlichem Ergebnis.

12

1. Einleitung und Vorstellung des Textes

Die Wiedergabe in Kolumnen ist die konventionelle: Matthäus – Markus – Lukas. Was die zeitlichen Prioritäten betrifft, gehen wir von der Reihenfolge Markus – Lukas – Matthäus aus, die nach Christian Gottlob Wilke34 und Christian Hermann Weiße35 von Martin Hengel36 erneut vorgeschlagen und von Folker Siegert37 auf andere Weise und gleichfalls detailliert begründet worden ist. Bei der Annahme der Gleichzeitigkeit zwischen Matthäus und Lukas wären allerdings die Ergebnisse – abgesehen lediglich von Details – nicht signifikant verschieden. Zur Sicherung des Verständnisses lassen wir den einzelnen Abschnitten eine eigene Übersetzung der Markus-Kolumne folgen: 1. Sequenz, Teil a: Die Situation Mt 22,15–16a

Mk 12,13–14a

Lk 20,20

Τότε πορευθέντες οἱ Φαρι­ σαῖοι συμβούλιον ἔλαβον ὅπως αὐτὸν παγιδεύσωσιν ἐν λόγῳ. καὶ ἀποστέλλουσιν αὐτῷ τοὺς μαθητὰς αὐτῶν μετὰ τῶν  Ἡρῳδιανῶν λέγοντες·

Καὶ ἀποστέλλουσιν πρὸς αὐτόν τινας τῶν Φαρισαίων καὶ τῶν  Ἡρῳδιανῶν ἵνα αὐτὸν ἀγρεύσωσιν λόγῳ. καὶ ἐλθόντες λέγουσιν αὐτῷ·

Καὶ παρατηρήσαντες ἀπέστειλαν ἐγκαθέτους ὑπο­ κρινομένους ἑαυτοὺς δικαίους εἶναι, ἵνα ἐπιλάβωνται αὐτοῦ λόγου, ὥστε παραδοῦναι αὐτὸν τῇ ἀρχῇ καὶ τῇ ἐξου­ σίᾳ τοῦ ἡγεμόνος.

(Markus:) Und sie schicken einige von den Pharisäern und Herodianern zu ihm, damit sie ihn bei einem Wort fingen. Und als sie zu ihm gekommen waren, sagten sie ihm:

Die Einleitung spiegelt bei allen Synoptikern deren jeweils eigene Sicht38. In den Eingangsworten bei Markus scheint ein Rückverweis auf Mk 11,27 vorzuliegen, wo die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten als Jesu Dialogpartner genannt werden. In Mk 12,13 heißt es dann, dass diese Repräsentanten der jüdischen Oberschicht einige Pharisäer und Herodianer zu Jesus senden, die als ihre Agenten fungieren sollen. Warum die Herodianer außer in Mk 3,6 gerade hier erwähnt werden, soll noch genauer untersucht werden, denn hier scheinen die meisten Kommentare überfragt39. Matthäus vermerkt, dass sich die Pharisäer versammeln und dann ihre Schüler zusammen mit den Herodianern agieren. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Rede von „Schülern“ (μαθηταί) der Pharisäer, die allein an dieser Stelle 34 Der

Urevangelist, 685–693. evangelische Geschichte. 36 M. Hengel, Die vier Evangelien, 320–350. 37 F. Siegert, Das Evangelium, 88–99. 38 Zu den redaktionellen Eingriffen in die Einleitung der Perikope s. z. B. U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 194; K. Huber, Jesus, 243. 39 S. 3.1. 35 Die

1.4 Die Zinsgroschenperikope: synoptischer Vergleich

13

begegnet. Matthäus erschien es wohl wenig plausibel, dass diese beiden Gruppen, d. h. Pharisäer und Herodianer, die sonst wenig miteinander zu tun hatten, wie bei Markus im Auftrag der Jerusalemer Priesteraristokratie vorgingen. Auch hatte er schon Rabbinenschulen als Gegner im Blick. Lukas gestaltet diesen Punkt ebenfalls um. Er sagt, dass zum Aufpassen angestiftete „Spione“40 (ἐγκάθετοι, Lk 20,20) gegen Jesus vorgehen, wobei die Herodianer  – wie auch sonst in seinem Evangelium  – unerwähnt bleiben. Es bleibt dabei – in Verallgemeinerungen – der Anstrich des Politischen41. Übereinstimmend wird also bei allen Synoptikern gesagt, dass Jesu Gesprächspartner den Versuch unternehmen, ihn bei einem falschen Wort42 zu ertappen. 1. Sequenz, Teil b: Gesprächsanknüpfung Mt 22,16b

Mk 12,14a–bα

Lk 20,21

διδάσκαλε, οἴδαμεν ὅτι ἀληθὴς εἶ καὶ τὴν ὁδὸν τοῦ θεοῦ ἐν ἀληθείᾳ διδάσκεις καὶ οὐ μέλει σοι περὶ οὐδενός. οὐ γὰρ βλέπεις εἰς πρόσωπον ἀνθρώπων,

διδάσκαλε, οἴδαμεν ὅτι ἀληθὴς εἶ καὶ οὐ μέλει σοι περὶ οὐδενός· οὐ γὰρ βλέπεις εἰς πρόσωπον ἀνθρώπων, ἀλλ᾽ ἐπ᾽ ἀληθείας τὴν ὁδὸν τοῦ θεοῦ διδάσκεις·

καὶ ἐπηρώτησαν αὐτὸν λέγον­ τες· διδάσκαλε, οἴδαμεν ὅτι ὀρθῶς λέγεις καὶ διδάσκεις καὶ οὐ λαμβάνεις πρόσωπον, ἀλλ᾽ ἐπ᾽ ἀληθείας τὴν ὁδὸν τοῦ θεοῦ διδάσκεις·

(Markus:) Lehrer, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und dich um niemanden scherst. Denn du blickst nicht auf das Angesicht der Menschen, sondern lehrst in Wahrheit den Weg Gottes.

Die ausführliche captatio benevolentiae, mit der Jesu Gesprächspartner den Dialog eröffnen, ist bei allen drei Evangelisten sehr ähnlich formuliert. Sie titulieren Jesus als „Lehrer“ (διδάσκαλε) und heben damit seine Autorität in Gesetzesfragen hervor43. Sie unterstreichen ferner Jesu Wahrhaftigkeit (ἀληθὴς εἶ), 40 Diesen Begriff als Bezeichnung für Agents provocateurs, die während der Intrigen der Herodessöhne um die Thronnachfolge eine Rolle spielten, verwendet Josephus in BJ 2,27; vgl. den Hinweis bei A. Schlatter, Das Evangelium des Lukas, 124. 41 Diese politische Dimension heben z. B. Ch. H. Giblin, The Things, 517; L. T. Johnson, The Gospel of Luke, 317 und B. R. Grangaard, Conflict, 101, hervor. 42 K. Huber, Jesus, 168, macht auf die Verbindung zur Passionserzählung – schon durch die literarische Einordnung der Perikope  – aufmerksam, die die besondere Zuspitzung der Angelegenheit impliziert. 43 Mk 4,38; 9,17; 10,17.20.35 u.a; zu diesen Stellen E. Best, The Temptation, 173; ferner K. H. Rengstorf, Art. διδάσκω κτλ, 154–155 und K. Huber, Jesus, 172. Ferner zur Struktur des Satzes: „Die vier Glieder sehen sich chiastisch gegenüber: ἀληθὴς εἶ – ἐπ᾽ ἀληθείας τὴν ὁδὸν τοῦ θεοῦ διδάσκεις und οὐ μέλει σοι περὶ οὐδενός – οὐ γὰρ βλέπεις εἰς πρόσωπον ἀνθρώπων“, so W. Weiß, Eine neue Lehre, 206 (vgl. auch K. Huber, Jesus, 170–171). Dennoch sollte man den Titel διδάσκαλε am Beginn nicht wie U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 195, als markinischen Zusatz werten. Die „Ringkomposition“ (vgl. H. G. Klemm, De Censu, 242), bei der das erste

14

1. Einleitung und Vorstellung des Textes

was Lukas leicht ändert, indem er die Richtigkeit seiner Worte (ὀρθῶς λέγεις, Lk 20,21) erwähnt. Dieses Urteil korrespondiert damit, dass Jesus in Wahrheit, wie alle Synoptiker sich ausdrücken, das Wandeln nach Gottes Willen lehrt (τὴν ὁδὸν τοῦ θεοῦ). Offenbar sind die Aufrichtigkeit und die mit seinem persönlichen Verhalten übereinstimmende Korrektheit seiner Toraauslegung44 gemeint. Die Wendung ἡ ὁδὸς τοῦ θεοῦ wird in diesem Zusammenhang von allen Synoptikern verwendet. Allerdings ist sie von Matthäus im Gegensatz zu Markus und Lukas bereits seinem Interesse entsprechend an den Satzanfang gestellt45. Was die Integrität betrifft, so heben die Opponenten hervor, Jesus nehme keine Rücksicht auf andere Menschen und deren Reaktion auf seine Lehren (οὐ μέλει σοι). Sie erklären dies dadurch, dass er nicht in das Gesicht der Mitmenschen blicke und sich durch ihr Mienenspiel beeinflussen lasse. Seine Gegner gestehen somit zu, Jesus baue allein auf Gott und berücksichtige nicht die Auswirkungen seiner Worte. Lukas hat die Wendung οὐ γὰρ βλέπεις εἰς πρόσωπον nicht übernommen, sondern den Biblizismus46 durch οὐ λαμβάνεις πρόσωπον (Lk 20,2147) variiert, was die Unbestechlichkeit von Jesu Urteil stärker zum Ausdruck bringt. So zeichnet Gott als gerechten Richter aus, dass er keine προσωπολημψία kenne48. 1. Sequenz, Teil c: Die Frage nach der Steuer Mt 22,17

Mk 12,14bβ

Lk 20,22

εἰπὲ οὖν, ἡμῖν τί σοι δοκεῖ· ἔξεστιν δοῦναι κῆνσον ­Καίσαρι ἢ οὔ;

ἔξεστιν δοῦναι κῆνσον Καίσαρι ἢ οὔ; δῶμεν ἢ μὴ δῶμεν;

ἔξεστιν ἡμᾶς Καίσαρι φόρον δοῦναι ἢ οὔ;

(Markus:) Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben oder nicht? Sollen wir geben oder nicht geben?

Erst nach diesen vorbereitenden Worten schließt sich die eigentliche Steuerfrage an, die in Form einer Alternative formuliert ist. Die Frage ist bei allen Synoptikern durchaus ähnlich. Markus iteriert die Frage49, die in ihrer Verkürzung auf eine Handlungsanweisung hinausläuft, nicht auf eine Begründung, auch nicht und letzte Wort διδάσκαλε bzw. διδάσκεις einen Rahmen bilden, löst sich sonst auf. Dass ἡ ὁδὸς τοῦ θεοῦ als synoptisches Hapaxlegomenon auch ein markinischer Zusatz sein sollte, leuchtet m. E. nicht ein. 44 So auch K. Huber, Jesus, 181 (s. auch Bill., Bd. 2, 690). 45 A. Fuchs, Die Pharisäerfrage, 60. 46 Vgl. F. Siegert, Zwischen Hebräischer Bibel, 178 sowie die Diskussion bei K. Huber, Jesus, 177. 47 Zu dieser lukanischen Formulierung s. A. Schlatter, Das Evangelium des Lukas, 122, der auch rabbinische Parallelen sammelt. 48 Vgl. Dtr 10,17; Sir 35,13; s. auch Röm 2,11; Gal 2,6; Eph 6,9; Kol 3,25; Jak 2,1.9. 49 Dass für Markus damit „mehr der praktische Gesichtspunkt“ des Steuerzahlens im Zentrum stand, A. Fuchs, Die Pharisäerfrage, 61, ist m. E. unwahrscheinlich.

1.4 Die Zinsgroschenperikope: synoptischer Vergleich

15

auf eine Erörterung. Das einführende ἔξεστιν deutet bei allen drei Evangelisten bereits darauf hin, dass es sich um eine Angelegenheit der Gesetzesauslegung handelt50. Die dann folgende Aufforderung, sich zwischen dem Steuerzahlen oder der Steuerverweigerung zu entscheiden, soll Jesus in eine gefährliche Lage, in ein Dilemma bringen. Matthäus unterstreicht die Lehrautorität Jesu nicht nur durch die schon erwähnte Anrede, sondern zusätzlich durch die Wendung: τί σοι δοκεῖ. Die terminologische Differenz zwischen (dem lateinischen Lehnwort) κῆνσος bei Markus und Matthäus bzw. φόρος bei Lukas macht für die Strategie keinen Unterschied. Dass einige Handschriften51 stattdessen die Lesart ἐπικεφάλαιον bieten, dürfte den Blick in die richtige Richtung lenken52, denn die Fragesteller werden wohl in der Tat an die breite Bevölkerungskreise treffende Kopfsteuer, das tributum capitis, gedacht haben. 2. Sequenz, Teil a: Vorläufige Reaktion Jesu, Aufforderung zum Beibringen der Münze Mt 22,18–19a

Mk 12,15

Lk 20,23–24a

γνοὺς δὲ ὁ Ἰησοῦς τὴν ­πονηρίαν αὐτῶν εἶπεν·

ὁ δὲ εἰδὼς αὐτῶν τὴν ­ὑπόκρισιν εἶπεν αὐτοῖς·

τί με πειράζετε, ὑποκριταί; ἐπιδείξατέ μοι τὸ νόμισμα τοῦ κήνσου.

τί με πειράζετε;

κατανοήσας δὲ αὐτῶν τὴν πανουργίαν εἶπεν πρὸς αὐτούς·

φέρετέ μοι δηνάριον ἵνα ἴδω. δείξατέ μοι δηνάριον·

(Markus:) Er aber wusste um ihre Heuchelei und sprach zu ihnen: Was versucht ihr mich? Bringt mir einen Denar, damit ich ihn sehe!

Jesus durchschaut jedoch sofort das Doppelspiel seiner Gegner, wie alle Synoptiker übereinstimmend feststellen, denn die Hinterlist der Frage nach den Steuern wird von allen ausdrücklich erwähnt53. Die Bezeichnung des gegnerischen Handelns wechselt zwischen „Heuchelei“ (ὑπόκρισις Mk 12,15a), „Arglist“ (πανουργία Lk 20,23) und „Bosheit“ (πονηρία Mt 22,18). Weil Jesus die Verstellung seiner Gegner erkannte, stellt er laut Markus und Matthäus eine Gegenfrage nach der hinter ihren Worten liegenden eigentlichen

50 Vgl. Mk 2,24; 3,4; 10,2; dazu W. Foerster, Art. ἔξεστιν κτλ, 557–558 sowie z. B. K. Huber, Jesus, 185. 51 Es sind die Handschriften D; Θ; 565 und der Vetus-Latina-Codex k. 52 Vgl. dazu auch K. Huber, Jesus, 187. 53 E. Güttgemanns, Narrative Analyse, 92; H. G. Klemm, De Censu, 242–243.

16

1. Einleitung und Vorstellung des Textes

Absicht πειράζειν54. Dies ist eine rhetorische Frage (bei Lukas fehlt sie). Im semitischen Gebrauch sind rhetorische Fragen oft zugleich verstärkte Behauptung55, wie wenn man sagen würde: „Versucht mich doch nicht (so)!“ Nur Matthäus lässt Jesus seine Widersacher verurteilen, indem er sie als ὑποκριταί tituliert. Es gibt Versuche, diese Härte zu mildern und auf die ursprünglichere Bedeutung „Darsteller“ zurückzugehen56, was für die Pharisäer als Darsteller korrekter Glaubenspraxis keine Beschimpfung (dann aber vielleicht Ironie) wäre. Lukas hat diesen Tadel nicht57. Er strafft den Handlungsablauf, streicht die Gegenfrage und führt den Leser auf Jesu Antwort zur Steuerfrage hin. Nach allen drei Evangelien erhalten Jesu Kontrahenten anschließend die Aufforderung, einen Denar zu bringen, bevor er auf ihr Anliegen näher eingeht, wobei Markus noch betont, dass Jesus ihn sehen wollte (ἵνα ἴδω Mk 12,15b). Markus unterstreicht ferner das „Tragen“ (φέρετε) der Münze. Darin kommt ein entscheidender Gesichtspunkt zum Ausdruck, was wir im Kontext jüdischer Halacha noch eigens diskutieren werden58. Matthäus bezeichnet das Geldstück unmissverständlich als Münze des Census (τὸ νόμισμα τοῦ κήνσου, Mt 22,19). Ihm ist bewusst, dass die von Jesus angeforderte Münze speziell mit den Steuerzahlungen verknüpft war, was ebenfalls noch eingehend untersucht werden wird59. 2. Sequenz, Teil b: Gegenfrage Jesu Mt 22,19b–20

Mk 12,16a

Lk 20,24bα

οἱ δὲ προσήνεγκαν αὐτῷ δηνάριον. καὶ λέγει αὐτοῖς· τίνος ἡ εἰκὼν αὕτη καὶ ἡ ἐπιγραφή;

οἱ δὲ ἤνεγκαν. καὶ λέγει αὐτοῖς· τίνος ἡ εἰκὼν αὕτη καὶ ἡ ἐπιγραφή;

τίνος ἔχει εἰκόνα καὶ ἐπιγρα­ φήν;

(Markus:) Sie aber brachten ihn. Und er sagt zu ihnen: Wessen Bild ist dies und die Aufschrift? 54 Denkbar ist, dass an dieser Stelle ein Zusatz des Markus vorliegt, s. W. Weiß, Eine neue Lehre, 213, 228; U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 195, wobei Mell auf die Versuchung durch die Pharisäer in Mk 8,11 und 10,2 verweist. Allerdings handelt es sich an den beiden Stellen um eine einleitende Bemerkung des Evangelisten, während in Mk 12,15b Jesus selbst seinen Opponenten diesen Vorwurf macht. 55 F. Siegert, Argumentation, 47, Punkt a. 56 Vgl. Mt 15,7 und U. Luz, Wehe euch, passim. 57 Ch. H. Giblin, The Things, 518. 58 s. u. 2.3. Es handelt sich jedenfalls nicht bloß darum, dass Matthäus und Lukas aus stilistischen Gründen „sprachlich jedenfalls den angemesseneren Ausdruck“ gewählt haben, A. Fuchs, Die Pharisäerfrage, 65–66. Das „agreement“ zwischen δείξατε bei Lukas und ἐπιδείξατε bei Matthäus könnte ein Indiz dafür sein, dass Matthäus auf Lukas als Vorlage neben Markus als Nebenquelle zurückgriffen hat. Die Annahme eines bereits veränderten Markustextes ist nicht nötig, anders: A. Ennulat, Die „Minor Agreements“, 272. 59 s. u. 2.2.3–2.2.4 und insb. 3.1.

1.4 Die Zinsgroschenperikope: synoptischer Vergleich

17

Die Gesprächspartner gehorchen nach Markus und Matthäus der Aufforderung und geben Jesus den Anlass zu einer Befragung, die er offensichtlich beabsichtigt und die den Charakter der Frage umändert: Nun ist Jesus in der Rolle der Offensive. Lukas übergeht das Herbeibringen der Münze in der Markusvorlage, wahrscheinlich weil er diesen Zug als nebensächlich erachtet. Ihm ist der politische Hintergrund am wenigsten bekannt. Zu der Frage Jesu ist erneut zu bemerken, dass der Wortlaut bei den Synoptikern kaum divergiert. 2. Sequenz, Teil c: Antwort an Jesus Mt 22,21a

Mk 12,16b

Lk 20,24bβ

λέγουσιν αὐτῷ· Καίσαρος.

οἱ δὲ εἶπαν αὐτῷ· Καίσαρος.

οἱ δὲ εἶπαν· Καίσαρος.

(Markus:) Sie aber sagten zu ihm: Des Kaisers.

Alle Evangelisten überliefern übereinstimmend, dass die Münze als Geld des Kaisers (durch Aufschrift und Portrait) identifiziert wird. 3. Sequenz, Teil a: Reaktion Jesu, abschließender Imperativ Mt 22,21b

Mk 12,17a–bα

ὁ δὲ Ἰησοῦς εἶπεν αὐτοῖς· τὰ τότε λέγει αὐτοῖς· ἀπόδοτε οὖν τὰ Καίσαρος Καίσαρι καὶ Καίσαρος ἀπόδοτε Καίσαρι καὶ τὰ τοῦ θεοῦ τῷ θεῷ. τὰ τοῦ θεοῦ τῷ θεῷ.

Lk 20,25 ὁ δὲ εἶπεν πρὸς αὐτούς· τοίνυν ἀπόδοτε τὰ Καίσαρος Καίσαρι καὶ τὰ τοῦ θεοῦ τῷ θεῷ.

(Markus:) Jesus aber sprach zu ihnen: Was des Kaisers ist, gebt dem Kaiser und was Gottes ist, Gott!

Nimmt man den Text als einheitliches Apophthegma (was er in der Tat gewesen ist, wie noch zu zeigen sein wird), so liegt hier sein Zielsatz. Markus unterstreicht dies in gewisser Weise, indem er betont Jesu Namen einsetzt. Die Antwort Jesu auf die Steuerfrage ist in der Formulierung bei allen Synoptikern fast identisch. Matthäus und Lukas hielten es allerdings für nötig, τὰ Καίσαρος Καίσαρι – vermutlich, um die rhetorische Wirkung zu verstärken60 – zusammenzurücken. Ferner fügen sie bei dem Verb ἀπόδοτε noch eine Partikel (οὖν / τοίνυν) hinzu, die die Folgerung aus dem Vorhergehenden unterstreicht. Keiner aber tilgt aus der Weisung Jesu in der Sache ein Wort, denn man verstand 60 Sicherlich wollten Matthäus und Lukas aber nicht die „Aufforderung zur Entrichtung der Steuer“ betonen und hatten dabei vornehmlich die Christen im Auge; so A. Fuchs, Die Pharisäerfrage, 70. Diese Deutung legt in diese Textänderung zu viel hinein.

18

1. Einleitung und Vorstellung des Textes

diese Aussage Jesu offensichtlich in ihrem Wortlaut als maßgeblich und nicht veränderbar. Als ein Indiz dafür, dass es sich bei diesem Vers um ein echtes Jesuswort handelt, sei an dieser Stelle auf seine mögliche Übersetzbarkeit ins Aramäische hingewiesen, die sich als Probe auf authentisches Jesusgut eignet. Für eine solche Rückübersetzung ins Aramäische und Prüfung des Sprachgebrauchs lässt sich die Peschitta heranziehen. Diese syrische Übersetzung des Neuen Testaments ist nicht sicher datierbar, ist aber irgendwann vor dem 5. Jh. n. Chr. entstanden61. Die Antwort Jesu in der Zinsgroschenperikope gibt der Übersetzer mit dem kurzen idiomatischen Satz wieder62:

‫( דקסר הבו לקסר ודאלהא לאלהא‬dqesar hav(w) lqesar wda(’)laha’ la(’)laha’). Dieser Satz kann m. E. als Hinweis für eine authentische Jesustradition dienen. Die folgende Schlussaussage stammt vermutlich von den Evangelisten: 3. Sequenz, Teil b: Wirkung der Antwort Jesu auf die Fragesteller Mt 22,22

Mk 12,17bβ

Lk 20,26

καὶ ἀκούσαντες ἐθαύμασαν, καὶ ἀφέντες αὐτὸν ἀπῆλθαν.

καὶ ἐξεθαύμαζον ἐπ᾽ αὐτῷ.

καὶ οὐκ ἴσχυσαν ἐπιλαβέσθαι αὐτοῦ ῥήματος ἐναντίον τοῦ λαοῦ καὶ θαυμάσαντες ἐπὶ τῇ ἀποκρίσει αὐτοῦ ἐσίγησαν.

(Markus:) Und sie wunderten sich sehr über ihn.

Am Ende betonen alle Evangelisten pragmatisch übereinstimmend, wenn auch semantisch verschieden, dass die Fragesteller überwunden seien63, wobei Lukas deutlicher als seine Markusvorlage hervorhebt, dass sie voll Staunen über Jesu Antwort schweigen, weil sie Jesus nicht „bei einem Wort zu fassen“ vermochten. Alle Vergleiche der redaktionellen Unterschiede sprechen dafür, dass Teil b der 3. Sequenz verzichtbar ist. Er bildet in gewisser Weise eine Art überschießenden Anhang, hat im Wortlaut zwischen den drei Evangelisten keinerlei Gemeinsamkeiten und gehört damit ganz eindeutig der Schriftlichkeit an. Er ist schon bei Markus als redaktionell zu betrachten.

61 Zu der verwickelten und noch immer nicht völlig geklärten Entstehungsgeschichte der Peschitta s. E. Würthwein, Der Text, 86–89. Die Übersetzung der Evangelien setzen K. Aland, B. Aland, Der Text, 202, um 300 n. Chr. an. R. Leicht, Art. Peshitta, 1146, datiert sie „erst relativ spät, aber wohl noch vor der Mitte des 5. Jh.“. 62 Text in der Edition der Peschitta v. Gwilliam, 20. 63 Damit ist ihr soziales Prestige in der Öffentlichkeit unterminiert, wie z. B. M. A. Powell, The Religious Leaders, 105 und Ph. F. Esler, The First Christians, 29 (vgl. auch B. J. Malina, The New Testament World, 44–50) unterstreichen.

1.5 Formgeschichtliche Analyse

19

Die älteste schriftliche Überlieferung bot, wie zu erwarten, das Markusevangelium64, von dem die beiden anderen Synoptiker abhängen, ohne im Hinblick auf diese Perikope zusätzliche Quellen herangezogen zu haben.

1.5 Formgeschichtliche Analyse In der formkritischen Diskussion der Zinsgroschenperikope blieb lange Zeit das Urteil Rudolf Bultmanns unwidersprochen, dass unser Apophthegma einheitlich konzipiert sei und schon im mündlichen Stadium in seinem dialogischen Abschnitt kalkuliert auf das Jesuslogion am Ende hingeführt habe65. In neuerer Zeit wurde diese These von Wolfgang Weiß mit dem Argument bestritten, die Pointe der Weisung Jesu (3. Sequenz, Teil a) entspreche nicht der einleitenden Szene66. In der somit eröffneten Debatte kann vor allem die Untersuchung von Ulrich Mell weiterhelfen, der sich mit der Studie von Weiß ausführlich auseinandergesetzt hat. Der Haupteinwand von Weiß basiert darauf, das Logion würde weder formal noch inhaltlich mit dem vorangehenden Dialog und dem Vorzeigen der Münze übereinstimmen. Die Weisung Jesu stelle vielmehr einen „sprichwortartigen Merksatz“67 dar, der allgemein die Anerkennung des Kaisers fordern solle und dessen Bezug auf das Steuerzahlen erst durch die Denar-Szene hergestellt werde. In semantischer Hinsicht werde der Ausdruck δοῦναι κῆνσον / φόρον in dem Verb ἀποδίδωμι, das einen viel größeren Bedeutungsumfang habe, nicht wieder aufgenommen68. Die dem Logion vorangehende Szene könnte demzufolge entweder durch das Jesuswort erst hervorgerufen sein69 – oder die Antwort Jesu wurde ihr erst sekundär hinzugesetzt70, was zu einer signifikanten Sinnverschiebung beitrug und das Jesuswort auf die Steuerproblematik hin zuspitzte. Diese These halte ich für unwahrscheinlich und stimme ihrer Widerlegung durch Mell grundsätzlich zu. Mell hat bereits bemerkt71: Das Vorlegen der Münze und die Identifikation als kaiserliches Geld ist ohne das Logion (Mk 12,17a–bα par, 3. Sequenz, Teil a) am Ende keine zureichende Antwort in der 64 Abwegig ist die These von D. Flusser, Die literarische Beziehung, 55, der das Lukasevangelium als älteste Überlieferung ansieht. 65 Vgl. z. B. R. Bultmann, Geschichte, 25: „An Gemeindebildung zu denken, liegt m. E. kein Grund vor“. Dieser Auffassung folgt die Mehrheit der Exegeten; s. z. B. H. G. Klemm, De Censu, 247; W. H. Kelber, The Oral, 56 oder K. Huber, Jesus, 151, 245–246. 66 W. Weiß, Eine neue Lehre, 217–218, 233–234 zu Mt 22,22; Mk 12,17 bβ; Lk 20,26. 67 So: U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 206. 68 Ebd. 206. 69 W. Schrage, Die Christen, 30–31. 70 W. Weiß, Eine neue Lehre, 203. 71 U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 207; vgl. bereits K. Wengst, Pax, 202 Anm. 12 sowie auch G. Guttenberger, Die Gottesvorstellung, 308 Anm. 17.

20

1. Einleitung und Vorstellung des Textes

Sache, und der „Umgang mit dem gängigen Zahlungsmittel“72 ist per se keine Entscheidung in der Steuerfrage. Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass das Apophthegma ursprünglich mit der Erwiderung der Gegner auf eine Befragung Jesu (2. Sequenz, Teil c) endet und danach nicht noch ein abschließendes Wort des Lehrers folgt. Ferner lassen sich m.W. für einen solchen abrupten Schluss, der sich die entscheidende Antwort des Lehrers erspart, die doch stets der Höhepunkt und Skopus des Textstücks ist, keine Parallelen finden. Dass die Fragesteller die Kaiserdenare anfassen, herbeiholen und gemeinsam mit Jesus ansehen, hat allerdings keineswegs, wie Mell meint, nur die Konsequenz einer rein „fiskalischen Regel“, die bloß die technische Seite der Steuererhebung betrifft, wonach römische Steuern eben zur Zeit Jesu in dieser Währung eingezogen wurden. Die von Jesus eingeforderte wesentliche Vorentscheidung in der Sache lässt sich nur im noch zu diskutierenden jüdischen Kontext deuten73. Die einleitende Szene zum Jesuswort (2. Sequenz, Teil a–c) besitzt nämlich ein eigenes theologisches Gewicht: Es geht um ein Entweder-oder, d. h. um das Anfassen und Ansehen des Geldes mit dem Bild des Kaisers – oder eben um dessen Ablehnung. Ferner enthält Jesu expliziter Verweis auf den Denar zweifellos einen Hinweis auf den Eigentumsanspruch sowohl des Kaisers wie Gottes, der sich an diesem taktil und visuell erfahrbaren Gegenstand74 wie in einem Fokus bündelt und an ihm von Jesus augenfällig gemacht wird. In dieser Studie gehen wir also nicht von der „kompositionskritischen Alternative“75 einer Aufspaltung der Perikope in (a) eine Erzählung mit der Steuerfrage sowie dem Zeigen des Denars und (b) ein ursprünglich nicht dazugehöriges Jesuslogion, wonach Gott und Kaiser das jeweils Ihre zu geben sei, aus. Die Beobachtungen und bisher erzielten Ergebnisse bestätigen vielmehr weitgehend die von Bultmann behauptete Möglichkeit einer einheitlichen Gesamtkomposition. Innerhalb dieses nicht teilbaren Ablaufs kann man, wie von verschiedenen Auslegern betont wird, zwischen einer visuellen Demonstration des Herbeiholens, Sehens und Identifizierens der Münze (2. Sequenz, Teil a–c) und einer erst im Anschluss daran gegebenen Auskunft des Lehrers (3. Sequenz, Teil a) differenzieren. Der visuelle Eindruck des Denars, der implizit ein Berühren und Tragen voraussetzt, wird dabei in Worte gefasst. Jesus gibt cum grano salis somit seine 72 W.

Weiß, Eine neue Lehre, 214. U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 207. 74 E. Güttgemanns, Narrative Analyse, 99: „Die Opponenten müssen den bloß verbal umstrittenen Denar in taktiler Kommunikation in die Hände nehmen und so selbst zu Donatoren werden …“; die religiösen Hintergründe, die das Anfassen des Denars für Juden umstritten machten, leuchtet Güttgemanns prinzipiell unhistorische Methode allerdings nicht aus. 75 U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 207. Unbegründet ist ebenso der Vorschlag von E. Hirsch, Frühgeschichte Bd. 1, 131, den zweiten Teil des Logions (καὶ τὰ τοῦ θεοῦ τῷ θεῷ) als einen von einem späteren Redaktor erst eingefügten „nachschleppenden Anhang“ zu betrachten, der „die theologische Vollständigkeit“ herstellen sollte. 73 Anders:

1.5 Formgeschichtliche Analyse

21

Antwort sowohl auf eine nicht-verbale (durch die Münze) als auch auf eine verbale Weise (seine Weisung am Ende des Apophthegmas). Wie Bultmann76 selbst und ihm folgend Mell immerhin betonen, gibt es in der rabbinischen Literatur für die Aufteilung zwischen „Experiment bzw. Präsentation einerseits und Auswertung des Geschauten andererseits“ Formparallelen77, die freilich nicht zu einer Trennung der beiden Elemente berechtigen. Die hierfür einschlägigen Passagen finden sich vor allem in amoräischen Quellen, die mehr haggadisches Material als z. B. die Mischna enthalten; der formgeschichtliche Ursprung dürfte aber wesentlich früher anzusetzen sein. Ein einschlägiges Beispiel ist die bereits von Bultmann und Mell herangezogene Geschichte aus dem Midrasch Genesis Rabba von Rabbi Meir (2. Jh. n. Chr.) und dem Samaritaner. Darin heißt es, ein Samaritaner habe Rabbi Meir gefragt78: Ist es möglich, dass der, von dem geschrieben steht: „Erfülle ich nicht den Himmel und die Erde?“ (Jer 23,24), mit Mose zwischen den beiden Stangen der Bundeslade geredet hat? Er antwortete ihm: Hole mir große Spiegel! Dann sagte er zu ihm: Schau dein Bild darin an! Jener sah es groß. Darauf sagte Rabbi Meir: Hole mir kleine Spiegel! Er holte ihm kleine Spiegel. Er sprach zu ihm: Schau dein Bild darin an! Er sah es klein. Da sprach er zu ihm: Wenn du, der du Fleisch und Blut bist, dich wandeln kannst in jede beliebige Größe, um wie viel mehr gilt das dann von dem, welcher sprach und es war die Welt, gepriesen sei er! Folglich wenn er will: Erfülle ich nicht den Himmel und die Erde? Und wenn er will, redet er mit Mose zwischen den beiden Stangen der Bundeslade.

In dieser haggadischen Erzählung bilden die vorangehende visuelle Anschauung und das danach folgende Wort eine Sinneinheit. Über diese von Bultmann und Mell gemachten Beobachtungen hinaus bleibt noch festzuhalten, dass zudem 76 R.

Bultmann, Geschichte, 45–46; vgl. auch M. Bünker, Gebt, 92. macht eine Ableitung aus der hellenistischen Rhetorik, vgl. R. Breymeyer, Zur Pragmatik, 44 oder volkstümlichen Erzählungen, vgl. H. Jason, Der Zinsgroschen, 64, unwahrscheinlich. 78 GenR 4,4a–b (Text: Theodor, Albeck 27–28; Übersetzung Bill., Bd. 3, 452, nachstehend zitiert unter Auslassung einiger Klammerbemerkungen): ‫( היה מדבר עם משה מבין שני‬Jer 23,24) „‫איפשר אותו שכת “הלא את השמים ואת הארץ אני מלא‬ ‫ ראה אותה‬,‫ אמר לו ראה בוביא שלך‬,‫ הביא לו‬. ‫ אמר לו הבא לי מראות גדולות‬,‫בדי ארון‬ ‫ אמר לו‬,‫ ראה אותה קטנה‬,‫ ראה שם בוביא שלך‬,‫ הביא לו‬, ‫גדולה הבא לי מראות קטנות‬ ‫ מי שאמר והיה העולם על אחת כמה וכמה‬,‫אם שאתה בשר ודם משנה עצמך בכל ]מה[ שתרצה‬ ‫ וכשרוצה מדבר‬, ‫הוי כשהוא רוצה הלא את השמים ואת הארץ אני מלא‬, ‫אתמהא‬ .‫עם משה מבין בדי ארון‬ Unmittelbar vor der zitierten Erzählung wird im Midrasch Genesis Rabba berichtet, Rabbi Meir demonstrierte, dass Gott das obere Wasser wirklich über dem Himmel durch sein Wort befestigen konnte, was von einem Samaritaner bezweifelt wurde, indem der Rabbi sich eine Wasseruhr bringen ließ und den Mechanismus mit seinem Finger anhielt, so dass kein Wasser mehr durch die Uhr fließen konnte und es stattdessen in dem oberen Wassertank aufgestaut blieb. Dazu erklärte er, der Finger Gottes vermöge natürlich viel mehr als sein eigener Finger aus Fleisch und Blut. Im Anschluss an die zitierte Erzählung folgen in GenR 4,4 noch weitere Geschichten mit demselben formalen Aufbau. 77 Dies

22

1. Einleitung und Vorstellung des Textes

die Antwort in der Sache auf der Demonstration aufbaut und sie sogar voraussetzt. Denn nur nach dem vorausgehenden Blick in den Spiegel ist der Schluss a minori ad maius (Stichwort: „um wie viel mehr“) möglich; d. h. wie der Mensch (durch Hilfsmittel) verschieden groß erscheinen kann, so kann der Schöpfer sich selbst in beliebige Größe verwandeln. Wie in dem Beispiel aus dem Midrasch Genesis Rabba verfolgt Jesus im Übrigen mit der Münze, die sich mit dem herbeigeholten Spiegel vergleichen lässt, nicht nur das Ziel einer pädagogisch geschickten Verdeutlichung des Gemeinten, sondern sie dient (richtig verstanden) als integraler Bestandteil seiner Argumentation. Für unsere Untersuchung der Zinsgroschenperikope soll es also dabei bleiben: Sie lässt sich ihrer Form nach als ein Apophthegma bestimmen79. Das gilt auch für die literarische Fassung, die wir vor uns haben und für die markinische wie ihre matthäische und lukanische Abwandlung. Die (mündliche) Form geht über in die (schriftliche) Gattung, deren geringfügige Anreicherung unser angezieltes Ergebnis weder bestärken noch schwächen wird. Dabei wird von Jesus im Rahmen eines Schulgesprächs eine Auskunft in einer Frage der Halacha eingeholt, was schon durch das Stichwort ἔξεστιν angezeigt wird. Diese Anfrage, die man entsprechend rabbinischer Terminologie80 wohl als Frage nach „Worten der Weisheit“ (‫)דברי חכמה‬81 klassifizieren kann, wird ihm als Lehrer des Weges Gottes vorgelegt und er wird um „Weisungen, die das praktische Leben des 79 Die Bezeichnung als „Pronouncement story“ (z. B. bei M. Wolter, Das Lukasevangelium, 650) macht wegen der engen Beziehung zu dem Apophthegmata keinen gravierenden Unterschied, s. dazu R. C. Tannehill, Introduction, 1. Auch Tannehills Bezeichnung der Zinsgroschenperikope als „testing inquiry“, ders., Types, 1820, vgl. ders., Introduction 10, bringt m. E. keine wesentliche Näherbestimmung über die offensichtliche und im Text explizit vermerkte Tatsache hinaus, dass Jesus von seinen Dialogpartnern auf die Probe gestellt wurde. Die Einführung der Gattung der Chrie, von der das Apophthegma (nach Klaus Berger als eine „Verbalchrie“) als Untergattung zu differenzieren ist, scheint mir für die formkritische Einordnung der Zinsgroschenperikope nicht unbedingt erforderlich zu sein, anders K. Berger, Formen, 142. 80 D. Daube schlägt diese Einordnung entsprechend den Kategorien der von den Alexandrinern angeblich Rabbi Jehoschua ben Ḥananja (Ende des 1. Jh. n. Chr.) vorgelegten zwölf Fragen (bNid 69b) vor; vgl. dazu auch Bill., Bd. 3, 80. Es handle sich demnach um ein auf die Bestimmung der rechten Halacha gerichtetes Problem. Daube hebt in diesem Zusammenhang hervor: „It should be noted that the motive of the questioners, which is to ‘catch Jesus in his words’, does not alter the character of the question itself “, ders., The New Testament, 159. Auf die Verwurzelung dieser Fragen in griechischem Denken weist D. Daube, Rabbinic Methods, 243, hin. Die Ableitung der nach Mk 12,13–37 Jesus vorgelegten vier Fragen von einem talmudischen (!) Schema (D. Daube, Four Types, 47; vgl. ders., The New Testament, 162–163) ist dagegen pure Spekulation. Auf die Beziehung zur Weisheit macht auch K. Berger, Formen, 143, aufmerksam: „Die Chrien von Mk 12 zeigen Schlagfertigkeit und Weisheit in nicht entwirrbarer Weise“ und er hebt ebenfalls gewisse Parallelen in paganen Sammlungen hervor, ebd. 149. 81 bNid 69b (Text: Ausg. Romm, 138; vgl. Goldschmidt 946).

1.5 Formgeschichtliche Analyse

23

Frommen aus dem Geist des Gesetzes regeln wollen“82, gebeten. Wie Robert Tannehill feststellt, ist durch die ausführliche Rahmenerzählung das Gewicht auf Jesu abschließenden Imperativ (3. Sequenz, Teil a) gelegt83. Mell bemerkt dazu treffend: „Die Halakha des Thoraauslegers Jesus besteht gemäß der weisheitlich-rabbinischen Lehrform aus verbalisierter visueller Demonstration und Gnome“84. Beides zu trennen und die Demonstration ohne die Gnome enden zu lassen, wäre ein Fehler, unverbürgt aus zeitgenössischem Vergleichsmaterial.

82 J.

Gnilka, Das Evangelium nach Markus, Bd. 2, 151. Tannehill, Types, 1793–1794. 84 U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 212. 83 R. C.

2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen Wir wollen nun zunächst die judäische Welt, die bis 70 n. Chr. existierte, in den Blick nehmen. Dabei wird es in erster Linie um die Funktion und historische Genese der Steuerverwaltung insbesondere in römischer Zeit gehen, und wir werden ebenfalls die verschiedenen Abgaben erläutern, die jeder Einzelne zu entrichten hatte. Zur Zeit Jesu war dies kulturelles Allgemeinwissen. Die Darstellung dieser historischen Rahmenbedingungen und ihrer Genese wird daher nun im Mittelpunkt stehen.

2.1 Die Besteuerung Judäas in hellenistischer Zeit und die makkabäische Erhebung Seitdem der Perserkönig Kyros den jüdischen Exulanten die Rückkehr aus Babylonien gestattet hatte, entrichtete die jüdische Bevölkerung regelmäßig Steuern an den persischen Hof, ohne dass diese Abgaben irgendeinen Widerstand hervorriefen1. Auch der Eroberungszug Alexanders und seine Bezwingung des persischen Reiches änderte an dieser Praxis vorerst nichts, denn seine Generäle und Nachfolger, die nach dem Tod des Königs das Reich unter sich aufteilten und auch das Siedlungsgebiet der Juden zu einem Teil der Diadochenreiche machten, forderten in der gewohnten Weise jährliche Abgaben ein. Für diese Epoche der ptolemäischen und seleukidischen Herrschaft ist im Hinblick auf die jüdische Geschichte vor allem der Bericht des Josephus unsere wichtigste Quelle. Er erwähnt in den Antiquitates im Zuge seiner Darstellung der biblischen und nachbiblischen Geschichte an verschiedenen Stellen die Steuerforderungen der Diadochenreiche. Als Beispiel hieraus seien die Tributzahlungen genannt, die der Hohepriester Onias an die ptolemäischen Herrscher entrichtete. Um diesen Forderungen nachkommen zu können, soll Onias die benötigten Mittel vorgestreckt haben; dazu griff er, dem Bericht zufolge, auf sein eigenes Vermögen zurück2. 1 Vgl. 2 AJ

Neh 9,36–37. 12,158.

2.1 Die Besteuerung Judäas in hellenistischer Zeit und die makkabäische Erhebung 25

An einer anderen Stelle erzählt Josephus die Geschichte des Joseph, der zur Familie der Tobiaden gehörte und als Steuerpächter der ptolemäischen Könige zu Reichtum und Ansehen aufstieg. Joseph hatte mit einem erheblichen finanziellen Risiko das Recht der Steuereinziehung vom König ersteigert und trieb mit energischer Rücksichtslosigkeit die ausstehenden Tribute syrischer und palästinischer Städte ein. Um seine Ziele zu erreichen, schreckte Joseph keinesfalls vor Zwangsmaßnahmen gegen die lokale Oberschicht zurück und verlieh den Steuerforderungen so den nötigen Nachdruck3. Durch seinen Erfolg erwarb er sich nicht nur ein beachtliches Vermögen, sondern sicherte sich darüber hinaus die Gunst des ptolemäischen Königs. Die Seleukiden übernahmen später das System ihrer ptolemäischen Vorgänger und zogen wie diese in Palästina und in den übrigen Teilen ihres Großreiches Steuern ein. Auch in diesem Fall erfüllte die jüdische Bevölkerung die Steuerforderungen, ohne dass in den Quellen von irgendeinem Widerstand die Rede wäre. Einen Einblick in die seleukidische Besteuerung der Judäer vermittelt uns Josephus in einem von ihm zitierten Brief des Königs Demetrios I Soter an den Hasmonäer Jonathan. Nach diesem Schreiben richteten sich die Forderungen des Königs im Wesentlichen auf die Ernteerträge „von den Früchten der Erde und den Bäumen“ (τῶν καρπῶν τῆς γῆς καὶ τῶν φυτῶν)4, von denen dem Herrscher ein Anteil (τὰ προσήκοντα) in Form einer jährlichen Quote zustand. Diese regelmäßigen Abgaben, die zunächst dem Seleukidenhaus zuflossen, hörten auf, als das seleukidische Reich durch äußere Feinde geschwächt und durch eine zunehmende innere Krise erschüttert wurde und die Makkabäer unter geschickter Ausnutzung dieser innenpolitischen Auseinandersetzungen, die letztlich zum Untergang des seleukidischen Staatswesens führten, nach und nach die politische Unabhängigkeit erkämpften und damit nach der Epoche des babylonischen Exils, der persischen und hellenistischen Großreiche zum ersten Mal wieder einen eigenen, jüdischen Staat errichteten. Entscheidend für diesen Erfolg war, dass sie verschiedene Prätendenten, die den seleukidischen Thron für sich zu erlangen suchten, geschickt gegeneinander ausspielten und so deren Machtkampf nutzten, um ihre eigenen politischen Ziele zu erreichen. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg war die Tatsache, dass dem Hasmonäer Simon die Würde des jüdischen Hohenpriesters von Demetrios II gewährt wurde und ihm derselbe seleukidische Herrscher zusätzlich noch in dem bereits genannten Brief die Steuerbefreiung zusagte5. Simons Bruder und Nachfolger Jonathan erreichte dann im Jahr 143/142 v. Chr. die vollständige politische Loslösung aus dem Verband des seleukidischen Reiches, zu der u. a. die Aufhebung jeglicher 3 AJ

12,180–185; vgl. dazu zusammenfassend S. Schwartz, Imperialism, 27–28. 13,128; vgl. 1 Makk 10,29–30 dazu F. C. Grant, The Economic Background, 90. 5 Vgl. zu diesem historisch wichtigen Wendepunkt E. Schürer, Geschichte, Bd. 1, 241–242 bzw. History, Bd. 1, 190. 4 AJ

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

Tributzahlungen gehörte. Für diesen immensen politischen Erfolg gebraucht Josephus die Formulierung, die Hasmonäer hätten „Freiheit“ (ἐλευθερία) und „Steuerbefreiung“ (ἀνείσφορον) erlangt6. Die dann folgende Zeit der Unabhängigkeit und jüdischen Selbstverwaltung unter der Herrschaft der hasmonäischen Familie, die das Ende aller Steuerzahlungen an fremde Herren einschloss, endete nach einem inner-hasmonäischen Familienstreit mit dem Erscheinen der Römer auf der politischen Bühne. Mit der Intervention des Pompeius (63 v. Chr.), erbeten von nicht weniger als drei parallelen Gesandtschaften aus Judäa, verschwand das Machtvakuum, das die Bedingung für eine erfolgreiche Autonomie unter den Hasmonäern gewesen war7. Der Anlass für diese einschneidende Veränderung, ohne die auch in letzter Konsequenz der politische Hintergrund der Zinsgroschenfrage unverständlich bleibt, war der Streit zwischen den Brüdern Aristobul lI und Hyrkanos II um den Königsthron in Jerusalem und der Bürgerkrieg, der daraus nach dem Tod der Königin Salome Alexandra im Jahr 67 v. Chr. entbrannte. Beide Seiten waren im Verlauf der wechselvollen Kämpfe ungeschickt genug, den römischen Feldherrn Pompeius mit seinen Legionen zu Hilfe zu rufen und den Römern den willkommenen Vorwand zu liefern, sich in die inneren Angelegenheiten und Sicherheitsfragen ihrer judäischen Nachbarn im Osten einzumischen. Diese Entwicklung führte, ohne dass hier alle Details beleuchtet werden können, zur Katastrophe einer Gefangennahme Aristobuls und vor allem einer Einnahme und Plünderung des Tempels in Jerusalem durch die Truppen des Pompeius. Damit ging nach 80 Jahren – von 142 v. Chr. an gerechnet – die jüdische Autonomie für zwei Jahrtausende unter.

2.2 Die römische Herrschaft nach dem Sieg des Pompeius und die Steuerforderungen Roms Die Eroberung Jerusalems durch Pompeius im Jahr 63 v. Chr. markierte einen tiefen Einschnitt in der jüdischen Geschichte, da sich die rechtliche Stellung der Juden damit grundsätzlich veränderte8. Dies machte der römische Feldherr auf 6 AJ

13,213; vgl. 1 Makk 13,33–42 und 14,27. machtpolitische Voraussetzung des Entstehens des hasmonäischen Staats wurde auch in der Antike bereits erkannt, wie Tacitus formulierte: „Daraufhin – die Makedonen waren geschwächt, die Parther noch nicht erstarkt, und die Römer waren weit weg – setzten sich die Juden selbst Könige ein“ (tum Iudaei Macedonibus invalidis, Parthis nondum adultis et Romani procul erant, sibi ipsi reges imposuere), Historiae 5,8,3 (Text und Übersetzung: Vretska 614–615 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 2, Nr. 281, S. 21); zu dieser Stelle s. ferner S. Schwartz, Imperialism, 33. 8 Gegen A. Giovannini, E. Grzybek, Der Prozess, 62; 66, wo die Belege dieses Dramas vollständig aufgeführt, aber sehr willkürlich interpretiert werden, als hätte das Volk der Judäer den Status von „Freunden des römischen Volkes“ seit Hasmonäerzeiten unverbrüchlich be7 Diese

2.2 Die römische Herrschaft nach dem Sieg des Pompeius

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eine für die jüdische Seite zutiefst verletzende Weise deutlich, indem er sich über althergebrachte Kultgesetze der Juden hinwegsetzte und als Heide mit seinem Gefolge den Tempel in Jerusalem betrat und sogar bis in das Allerheiligste vordrang. Die jüdischen Zeitgenossen reagierten auf dieses Geschehen schockiert, weil nach den Worten des Josephus „hineinzugehen heiliges Recht nur den Hohenpriestern gestattete“9. Der Historiker Tacitus notiert dasselbe Ereignis jedoch mit einem vielsagenden Unterschied, der fast wie ein Echo auf die Worte des Josephus wirkt: Pompeius „betrat den Tempel nach dem Recht des Siegers“10. Dieses aus einer gewaltsamen Unterwerfung gefolgerte Recht iure victoriae war kein Erweis von Völkerfreundschaft (wie sie bis dahin bestanden hatte). Selbst die jüdische Partei des Hyrkanos II, die im Bürgerkrieg auf Seiten der Römer bei der Belagerung Jerusalems mitgekämpft hatte, konnte Pompeius nicht hindern, dieses Siegesrecht für sich in Anspruch zu nehmen, was die Ohnmacht der Juden als Unterworfene für alle Zeitgenossen sichtbar machte.Pompeius zögerte entsprechend römischer Rechtsauffassung auch nicht, weitere politische Konsequenzen zu ziehen und den besiegten Juden Tributzahlungen aufzuerlegen11. Damit folgte er einer Grundlinie römischer Politik, die durch Waffengewalt gewonnenen Gebiete, zu denen nun auch Judäa gehörte, als Eigentum des römischen Volkes und darum prinzipiell als steuerpflichtig zu betrachten12. Pompeius war indessen klug genug, dem jüdischen Volk eine direkte Verwaltung durch römische Statthalter zu ersparen und den Übergang zu einer neuen Regierung unter römischer Führung möglichst ohne weiteren Bruch mit der bisherigen Tradition zu gestalten13. Deshalb setzte er den bei der Bevölkerung beliebten Hyrkanos II als Hohenpriester ein, ohne Judäa damit in die politische Selbständigkeit zu entlassen. Dies zeigt sich darin, dass Hyrkanos II zur Tributzahlung verpflichtet wurde. Außerdem setzte, sobald Syrien 58 v. Chr. in eine konsularische Provinz umgewandelt worden war, der erste Statthalter Gabinius14 auch in Judäa eine Verwaltungsreform durch, die die Entmachtung des halten. Glaubwürdiger hingegen E. M. Smallwood, The Jews, 27–30 und W. Eck, Rom und Judaea, 7–8.   9 BJ 2,152: μόνῳ θεμιτὸν ἦν παριέναι τῷ ἀρχιερεῖ; vgl. AJ 14,72. 10 Tacitus, Historiae 5,9,1 (Text und Übersetzung: Vretska 616): templumque iure victoriae ingressus est. 11 Josephus schreibt von einer Tributpflicht gegenüber den Römern: AJ 14,74: καὶ τὰ μὲν Ἱεροσόλυμα ὑποτελῆ φόρου Ῥωμαίοις ἐποίησεν bzw. BJ 1,154: ἐπιτάσσει φόρον; vgl. M. Stern, The Province, 330. 12 Zu diesem Grundsatz römischer Politik vgl. E. Stauffer, Die Botschaft, 96; vgl. ferner F. E. Udoh, To Caesar, 10, 23. 13 E. M. Smallwood, The Jews, 30, bezeichnet die Lage als „purely nominal nature of the independence of the client kingdom“. 14 Dass Gabinius, wie W. Stenger, Gebt, 47, vorschlägt, den römischen Steuerpachtgesellschaften, die die Provinzen bekanntlich rücksichtslos aussaugten (so z. B. G. Ürögdi, Art. Publicani, 1235), „die Ethnarchie des Hyrkan II. als neues Feld überließ“, ist Spekulation und stützt sich (wie seine weiteren Ausführungen zum Steuersystem des Gabinius) auf einen recht

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

hasmonäischen Königshauses fortsetzte15. Gabinius entzog Hyrkanos nämlich die administrative Verantwortung und übertrug diese wichtige Aufgabe der lokalen jüdischen Oberschicht16, die damit zu Verbündeten der Römer werden musste. Zu diesem Zweck wurde Judäa in einzelne Verwaltungseinheiten aufgeteilt, die Josephus συνόδοι oder auch συνέδρια17 nannte. Über das Wirken des Gabinius schreibt Josephus im Rückblick, dass er „die bürgerliche Verwaltung auf Grund einer aristokratischen Verfassung regelte. Er teilte das ganze Volk in fünf Bezirke auf“18. Über die Zusammensetzung und die genauen Aufgaben dieser nach Josephus „aristokratisch“ (ἐπὶ προστασίᾳ τῶν ἀρίστων) organisierten Gremien wissen wir nicht viel. Man kann aber davon ausgehen, dass sie u. a. die Steuereintreibung regelten. Darum betont Josephus in seiner Liste der neu geschaffenen Bezirke wohl auch, dass sie alle ungefähr gleich groß waren19. Die Steuerzahlungen könnten überdies in seiner Formulierung, die der Historiker bei der Beschreibung der Gebietskörperschaften verwendet, mitgemeint sein: συν­ τελῶσιν εἰς Ἀμαθοῦντα20, wenn das Verb συντελεῖν an dieser Stelle nicht nur im Sinne des Zusammenkommens gebraucht ist, sondern für das gemeinschaftliche Entrichten von Abgaben steht21. Obgleich wir in dieser Hinsicht auf Vermutungen angewiesen sind und die genaue Funktion der Gremien im Dunkeln bleibt, ist anzunehmen, dass sie das Steuereinnehmen organisierten, um dann die eingenommenen Mittel an die Römer weiterzuleiten. Das Resultat dieser Reformen des Gabinius war eine indirekte Herrschaft der römischen Sieger, die sich geschickt lokaler Eliten und Funktionsträger bediente, um ihre Ziele zu erreichen. Durch diese Regierungsform behielt Pompeius alle Fäden der Macht in seiner Hand, konnte aber zugleich sorglosen Umgang mit den Quellen. Die von Stenger angeführte Passage aus Ciceros Rede De provinciis Consularibus 5 (10) ist nicht nur „vom Parteihaß entstellt“ (so: Vonder Mühll, Art. Gabinius, 428) und als Quelle über die historischen Vorgänge in Syrien und Judäa daher nicht unbedingt vertrauenswürdig, sondern Ciceros Anschuldigungen, Gabinius habe die Steuerpächter „in die Sklaverei an Juden und Syrer, Völker, die für die Sklaverei geboren wurden“ (tradidit in servitutem Iudaeis et Syris, nationibus natis servituti, Text: Peterson) ausgeliefert, belegen wohl einzig und allein eine gewisse Unbestechlichkeit des Mannes (s. Vonder Mühll, Art. Gabinius, 428 und E. Badian, The Early Career, 89), der dem Treiben der publicani, deren Interessen Cicero vertrat, Einhalt geboten hatte. 15 E. M. Smallwood, The Jews, 31–32; vgl. auch schon die Einschätzung von A. Schlatter, Geschichte, 224 und M. Noth, Geschichte, 363; E. Bammel, The Organization, 18–19; S. Freyne, Galilee, 59; H. M. Cotton, Aspects, 84. 16 M. Stern, The Province, 331. 17 BJ 1,170 bzw. AJ 14,91; H. W. Hoehner, Herod, 73; J. Taylor, É. Nodet, The Origins, 134. 18 BJ 1,169–170: καθίστατο τὴν ἄλλην πολιτείαν ἐπὶ προστασίᾳ τῶν ἀρίστων. διεῖλεν δὲ πᾶν τὸ ἔθνος εἰς πέντε συνόδους. 19 AJ 14,91: εἰς ἴσας μοίρας. 20 BJ 1,170. Die Stadt Amathus lag östlich des Jordans und wurde Hauptort Peräas, C. Colpe, Art. Am(m)athus, 290; vgl. ferner E. M. Smallwood, Gabinius’ Organisation, 89. 21 E. M. Smallwood, The Jews, 32.

2.2 Die römische Herrschaft nach dem Sieg des Pompeius

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viel Verantwortung auf Einheimische übertragen, die die örtlichen Verhältnisse und kulturellen Besonderheiten der Judäer viel besser kannten als die römischen Oberherren. Das war praktisch, und auf diese Weise wurden die Forderungen der römischen Regierung vielleicht als weniger belastend empfunden. Wie lange das System des Gabinius Bestand hatte, ist nicht bekannt. Während des römischen Bürgerkrieges konnte jedenfalls wegen der Kämpfe von einer geordneten Finanzverwaltung keine Rede sein. Die Turbulenzen begannen bereits mit dem Feldzug des Crassus, der dem Jerusalemer Tempelschatz große Summen entnahm, um seinen Zug gegen die Parther zu finanzieren22. Dieser erneute Bruch sakralen Rechts durch den römischen Feldherrn führte den Judäern ihre politische Abhängigkeit und die Stellung ihres Landes als römischer Besitz, mit dem ein Staatsmann wie Crassus nach Gutdünken verfahren konnte, vor Augen23. Nach der Niederlage des Pompeius in der Schlacht bei Pharsalos im Jahr 48 v. Chr. wandelten sich die Machtverhältnisse erneut, und der römische Feldherr wurde auf seiner Flucht in Ägypten ermordet. In dieser Situation bemühte sich Hyrkanos II um die Gunst Caesars. Er wurde dabei von dem mächtigen Idumäer Antipater, dessen Sohn Herodes später selbst König wurde24, beraten und nach Kräften gefördert25. Beide unterstützten Caesar bei seinem Ägyptenfeldzug tatkräftig, vor allem durch jüdische Hilfstruppen. Wie erfolgreich diese Taktik war, wird darin deutlich, dass sich Caesar im Jahr 47 v. Chr. revanchierte, als er von Ägypten kommend wieder durch Palästina nach Syrien reiste. Bei dieser Gelegenheit belohnte er seine jüdischen Anhänger, indem er Hyrkanos den Status eines Ethnarchen (ἐθνάρχης)26 verschaffte, was ihn politisch aufwertete. Außerdem wurde Hyrkanos II als Hoherpriester mit allen Rechten, u. a. dem Zehnten, bestätigt27. Im Hinblick auf die Abgaben war Caesar jedoch zu keinen Konzessionen bereit. Hyrkanos musste daher weiterhin jedes zweite Jahr in der Hafenstadt Sidon den Römern Tribut übergeben28. Dabei handelte es sich um eine Bodensteuer, die ein Viertel der Ernteerträge betrug29. Das Sabbatjahr war allerdings abgabenfrei, denn dann wurde weder ausgesät noch Ernte eingebracht30. 22 BJ

1,179; AJ 14,105–109. Smallwood, The Jews, 36. 24 In BJ 1,285 formuliert Josephus, indem er τὴν δὲ πρώτην  Ἡρώδῃ τῆς βασιλείας ἡμέραν erwähnt, vgl. AJ 14,389. Herodes wurde in das Eintreiben der enormen Mittel für den Bürgerkrieg involviert, s. S. Rocca, Herod’s Judaea, 205. 25 BJ 1,187. 26 AJ 14,191.196.200 u. ö. 27 AJ 14,203. 28 AJ 14,203. 29 AJ 14,203: τὸν φόρον ἀποδιδῶσι, τὸ τέταρτον τῶν σπειρομένων. 30 AJ 14,202. 23 E. M.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

Das Eintreiben weiterer Zahlungen sowie die Aushebung jüdischer Hilfstruppen wurde von Caesar indessen ausdrücklich untersagt, wie aus einem von Josephus überlieferten Dokument hervorgeht, das wegen der diversen damit vor allem in der Überlieferung verknüpften Probleme nicht detailliert diskutiert werden kann. Es ist aber zu erschließen, dass die Steuereintreibung technisch eine interne jüdische Angelegenheit war, bei der römische Beamte nicht mitwirkten. Diese standen im Hintergrund und ließen sich in Sidon nur die Abgabe als Gesamtsumme aushändigen31. Im weiteren Verlauf des römischen Bürgerkrieges erpresste dann der Caesarmörder Cassius 700 Talente von den Judäern, um den Krieg zu finanzieren. Diese gewaltige Summe wurde von Antipater, der sich politisch weitsichtig den jeweils Herrschenden auf römischer Seite anzupassen wusste und zugleich durch Drohungen des Cassius eingeschüchtert war, eingetrieben. Auch seine Söhne Phasael und der spätere König Herodes wirkten dabei mit, ohne dass wir bei Josephus über die genaueren Modalitäten der Erhebung der Gelder etwas erfahren32. Entscheidend für den Fortgang der Ereignisse war der Aufstieg des Herodes, der im Jahr 40 v. Chr. von den Römern zum jüdischen König ernannt wurde und nach drei Jahren zäher Kämpfe seine Macht gegen alle Widerstände konsolidieren konnte33. Nachdem es Herodes nach der Schlacht bei Actium sogar gelungen war, auf die Seite des Augustus zu wechseln (obwohl er zuerst dessen Rivalen Marcus Antonius unterstützt hatte) konnte er viele Jahre lang ein blühendes und friedevolles Reich regieren. Als Bundesgenosse der Römer dürfte Herodes keinen Tribut gezahlt haben, obwohl Josephus dies nicht explizit berichtet34. Man kann jedoch annehmen, dass er für seine aufwändige Hofhaltung, die zahlreichen Bauprojekte wie den Neubau des Jerusalemer Tempels, aber auch die großzügigen Geschenke an griechische Städte wie beispielsweise die Theaterbauten in Sidon und Damaskus oder die kostspielige Präsidentschaft der olympischen Spiele im Jahr 16 v. Chr.35 sehr große Summen benötigte. Nach seinem Tod wurde Herodes daher wohl nicht grundlos von der jüdischen Bevölkerung beschuldigt, den Wohlstand fremder Städte mit der Armut seines eigenen Reiches erkauft zu haben36. Denn 31 AJ

14,206; vgl. E. M. Smallwood, The Jews, 41; ferner S. Freyne, Galilee, 61. 1,220–221 bzw. AJ 15,273–274. 33 F. Millar, The Roman Near East, 28. 34 Dass Herodes zu den reges socii et amici populi Romani gehörte und daher nach 30 v. Chr. keine Steuern an die Römer bezahlte, schlägt E. Gabba, The Finances, 164, vor; ebenso: F. E. Udoh, To Caesar, 118–119. Von einem „Pauschaltribut“, so U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 216, kann keine Rede sein. 35 BJ 1,422–425; AJ 16,18–19, 146–150; dazu S. Applebaum, Josephus, 241; E. Gabba, The Finances, 166. 36 AJ 17,308. 32 BJ

2.2 Die römische Herrschaft nach dem Sieg des Pompeius

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um die für seine Vorhaben benötigten Mittel aufzubringen, trieb der König eigene Steuern ein, worüber Josephus an verschiedenen Stellen in seinen beiden Geschichtswerken einige Angaben macht. Demnach besaß Herodes ein sehr großes Privatvermögen und bezog ein regelmäßiges Einkommen aus seinen königlichen Domänen37. Zusätzlich verlangte er Abgaben. Herodes handelte in dieser Frage als selbständiger Herrscher mit einer lediglich durch die übergeordneten römischen Interessen beschränkten Souveränität38. So konnte er nach eigenem Ermessen Steuernachlässe gewähren, wenn z. B. eine Missernte die landwirtschaftliche Produktion eingeschränkt hatte oder es ihm aus politischer Rücksichtsnahme geraten erschien, um Unruhen in der Bevölkerung zu vermeiden39. Bei Josephus ist in diesem Zusammenhang einmal von einem Drittel des φόρος die Rede, was sich auf die Erträge der Landwirtschaft bezieht40. Diese Nachricht passt gut zu dem schon erwähnten Dokument Caesars, das Josephus zitiert und das ebenfalls Steuern auf der Grundlage der landwirtschaftlichen Produktion voraussetzt und die zu zahlende Rate auf ein „Viertel des Ausgesäten“ (τὸν φόρον ἀποδιδῶσι, τὸ τέταρτον τῶν σπειρομένων) festlegte41. Außerdem werden diese jährlichen Abgaben von Josephus im Zusammenhang mit einer Bitte der Bevölkerung um Steuererleichterung nach dem Tod des Herodes genannt42. Zu erwähnen sind noch Forderungen, die auf „öffentliche Verkäufe und Käufe“43 zu entrichten waren. Eher beiläufig berichtet Josephus auch über eine Haussteuer in Jerusalem44. Schließlich ließ Herodes noch Zölle erheben45, wie etwa auf die Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte in die Stadt Jerusalem46. Als Steuereintreiber fungierten königliche Sklaven47, die durch das ganze Land zogen und die jährlich fälligen Quoten einsammelten. Sie wurden nach dem Tod des Herodes von jüdischen Gesandten, die von Kaiser Augustus die Absetzung der herodianischen Dynastie forderten, wegen ihrer Korruption in ein schlechtes 37 BJ 2,16–18.41; AJ 17,221–222.253; dazu H. W. Hoehner, Herod, 76; E. Gabba, The Finances, 162. 38 Über diese Form der indirekten Herrschaft mittels einheimischer Könige in Judäa wie auch in verschiedenen anderen Teilen des Reiches informiert zusammenfassend F. Millar, Emperors, passim; vgl. ferner auch die Erwägungen von E. Bammel, Die Rechtsstellung, passim. 39 AJ 15,365; vgl. zu solchen Steuernachlässen F. C. Grant, The Economic Background, 40; E. Gabba, The Finances, 161. 40 Josephus bezeichnet die Erträge ἐκ τῆς ἀφορίας; vgl. A. Schlatter, Die Theologie, 223; E. Gabba, The Finances, 161; F. E. Udoh, To Caesar, 163. Eine Kopfsteuer, die Herodes eingezogen hätte, ist nirgends bezeugt; E. Gabba, ebd. Die Gründe, die A. Schalit, König, 271–272 bzw. 725–726, für die Kopfsteuer angibt, kommen über allgemeine Erwägungen nicht hinaus. 41 AJ 14,203; H. W. Hoehner, Herod, 74. 42 AJ 17,204 vgl. 308. 43 AJ 17,205: τῶν τελῶν ἃ ἐπὶ πράσεσιν ἢ ὠναῖς. 44 AJ 19,299. 45 BJ 2,4. 46 Diesen Zoll hob später der römische Statthalter Vitellius auf, AJ 18,90. 47 AJ 17,308: τῶν δούλων οἳ ἐπ᾽ ἐκπρὰξει τῶν φόρων ἐξίοιεν; dazu J. Pastor, Land, 138.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

Licht gerückt; denn die königlichen Sklaven hätten ihre Macht zur Erpressung von Bestechungsgeldern missbraucht und sich nur durch solche Zahlungen von der Beschlagnahme des privaten Besitzes abhalten lassen48. Ebenso wurden von der Gesandtschaft diverse Sonderabgaben nicht nur für den König, sondern auch für dessen Freunde und Familie beklagt49. Diese Notiz des Josephus ist außerdem wichtig, weil sie belegt, dass zur Zeit des Herodes schon eine königliche Bürokratie für Steuerangelegenheiten existierte, die durch Beauftragte jedem einzelnen Juden jährlich die Steuerforderungen des Staats präsentierte (καὶ χωρὶς μὲν πράσσεσθαι φόρους ἐπιβαλλομένους ἑκάστοις τὸ ἐπ᾽ ἔτος), so dass das Geld dann durch bestimmte Sklaven eingetrieben werden konnte. Trotz gegenteiliger Vermutungen ist bei Josephus an dieser Stelle keine Kopfsteuer gemeint, die alle Untertanen des Herodes unabhängig von ihrem Landbesitz zu entrichten hatten50, sondern eine Vermögenssteuer. Hierbei waren die Angehörigen der lokalen jüdischen Oberschicht in keiner Form in das Steuerwesen involviert. Vielmehr lag es vollständig in den Händen des Königs und den mit dem Dienst der Steuereintreibung betrauten Sklaven. Interessant ist ferner, dass Herodes für sich privat zusätzlich noch erhebliche Mittel aus Zahlungen von jenseits der Grenzen seines Reiches bezog, z. B. Pachten der Nabatäer für bestimmte Ländereien51. Eine in politischer Hinsicht einschneidende Veränderung in Palästina erfolgte nach dem Tod des Herodes im Jahr 4 v. Chr., denn der König hatte sein Reich unter seine Söhne aufgeteilt und hatte auch solche Thronfolger, die ihm ungeeignet schienen, bereits umbringen lassen. Das von ihm eingeführte Steuersystem jedoch hatte überall Bestand. Diese Kontinuität belegt eine von Josephus überlieferte Episode, nach der sein Sohn und Nachfolger Archelaos, noch bevor er von Augustus offiziell bestätigt worden war, von der jüdischen Bevölkerung um eine Herabsetzung der Steuerlast gebeten wurde. Diese Bitte, „er solle die Steuern ermäßigen“ sowie „die Zölle abschaffen“52, wurde ihm von einer im Jerusalemer Tempel versammelten Menge vorgetragen. Archelaos ging auf dieses Ersuchen erst einmal nicht ein und tastete das herodianische System als solches nicht an. Sobald Augustus das Reich des Herodes aufgeteilt und Archelaos den Süden mit Judäa, Samaria und Idumäa als Ethnarch zugewiesen hatte, während seine Halbbrüder Antipas und Philipp Tetrarchen in Galiläa und Peräa bzw. in der Auranitis, Trachonitis, 48 AJ

17,308. 17,308. 50 Eine solche Kopfsteuer vermutet A. Schalit, König, 265, 267, der aber lediglich eine Analogie zu hellenistischen Parallelen ziehen kann. Die Quellen schweigen zu diesem Punkt. S. Rocca, Herod’s Judaea, 206, übernimmt diese Sicht und spekuliert ebenfalls ohne Quellenbelege über die Höhe der Kopfsteuer. 51 AJ 16,291. Diese Einkommensquelle diskutiert S. Rocca, Herod’s Judaea, 209, 213–214. 52 BJ 2,4 vgl. AJ 17,204–205. 49 AJ

2.2 Die römische Herrschaft nach dem Sieg des Pompeius

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Batanea und Panias wurden, erzielte Archelaos als Herrscher des jüdischen Kerngebiets ein jährliches Einkommen von 400 Talenten. Antipas hingegen nahm 200 Talente an Steuern ein und Philipp nur 100 Talente53. Die anhaltenden Querelen unter den Herodessöhnen boten den Römern in der Folgezeit erneut zahlreiche Möglichkeiten zur Einmischung, wobei in erster Linie Archelaos betroffen war, der den weitaus bedeutendsten Landesteil regierte. Nach Klagen seiner Brüder und der Bevölkerung, dass Archelaos eine schlechte Herrschaft ausübe, setzte Augustus ihn schließlich im Jahr 6 n. Chr. ab und sandte ihn nach Vienne in Gallien ins Exil54. Judäa, Samaria und Idumäa wurden danach der Provinz Syrien einverleibt und einem eigenen, in Caesarea am Meer residierenden Präfekten direkter römischer Verwaltung unterstellt55. Die jüdischen Gesandten, die in dieser Sache gegen Archelaos beim Kaiser interveniert hatten, mochten sich dieses Ergebnis ihrer Klagen wohl kaum gewünscht haben. Schon 4 v. Chr. hatten Juden vom Kaiser Augustus ja „Autonomie“ unter römischer Oberherrschaft gefordert. Nun aber wurden sie einem Präfekten (später: Procurator) als Statthalter der Provinz unterstellt. Dies brachte neben anderen Veränderungen u. a. die Einführung des römischen Besteuerungssystems mit sich, das im Rückblick ein Schlüsselereignis mit weit reichenden Konsequenzen war und ohne das die Zinsgroschenfrage an Jesus letztendlich unverständlich bleibt. 2.2.1 Der Census des Quirinius Um die Entwicklung mit all ihren Implikationen zu verstehen, ist zuerst festzuhalten, dass mit dem Ende der Herrschaft des Ethnarchen Archelaos die von ihm regierten Landesteile vollständig in das römische Reich integriert wurden. Dafür war eine weit reichende Verwaltungsreform nach römischen Prinzipien unumgänglich, deren Resultate nun genau analysiert werden müssen, denn sie hatten noch zur Zeit Jesu Bestand. Der neu eingegliederte Provinzteil Judäa erhielt einen Statthalter56 aus dem römischen Ritterstand und geriet damit in eine Reihe mit von barbarischen Stämmen bewohnten Teilen des Reiches wie Mauretanien, Thrakien oder Noricum 53 BJ

2,94–97; AJ 18,317–320. Nach AJ 17,320 erhielt Archelaos allerdings 600 Talente. Smallwood, The Jews, 117. 55 W. Eck, Rom und Judaea, 23–25; vgl. ebenfalls E. M. Smallwood, The Jews, 146; M. Ghiretti, Lo „status“, 752–753; H. M. Cotton, Aspects, 78. Die Bezeichnung Judäas als „imperatorische Provinz“ durch U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 214, ist daher irreführend; richtiger ebd. 215 Anm. 77. 56 Lat. praefectus (so Pilatus auf seiner Inschrift im Hafen von Caesarea; W. Eck, Rom und Judaea, 35), später häufiger: procurator (wobei die politischen Implikationen sich von Kaiser zu Kaiser etwas verschoben); vgl. H.-G. Pflaum, Art. procurator, passim; E. Schürer, History, Bd. 1, 358; E. M. Smallwood, The Jews, 145; F. Millar, The Roman Near East, 45, 357. In griechischsprachigen Quellen wird dieser Titel mit ἐπίτροπος, ἐπάρχης oder ἡγεμών übersetzt; 54 E. M.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

(im heutigen Österreich)57. Auch Ägypten mit seiner eigenen Kultur wurde von einem Präfekten regiert, allerdings aufgrund einer anderen Rechtskonstruktion58. Durch den Präfekten, der dem Legaten von Syrien untergeben war und nur über wenig eigenes Militär verfügte, war Judäa deutlich hinter anderen, von einem Senator verwalteten Provinzen zurückgesetzt. Von Antiochia sollte der Präfekt im Notfall, z. B. bei größeren Aufständen, erste Hilfe erhalten59. Der erste Procurator Judäas war der Ritter Coponius60. Legat in Syrien war zu dieser Zeit der Senator P. Sulpicius Quirinius, dem der Kaiser die Aufgabe zugeteilt hatte, die administrativen Grundlagen für die Provinzverwaltung zu schaffen61. Dies führte zu tief greifenden Veränderungen im Leben der jüdischen Bevölkerung. Zum ersten Mal bekam sie es in Ablösung (oder Ergänzung) der einstigen Sklaven oder sonstigen Bevollmächtigten des Herodeshauses direkt mit römischen Beamten zu tun. Das neue Zentrum des Landes und der Sitz des Statthalters wurde die von Herodes gebaute Hafenstadt Caesarea62. Von hier aus war der Kontakt über das Mittelmeer nach Rom leicht aufrecht zu erhalten. Darüber hinaus war die Stadt von griechisch-römischer Kultur geprägt. Diese Verlagerung des Regierungssitzes, der zuvor in Jerusalem gelegen hatte, machte die Neuorientierung der römischen Herrschaft für jedermann augenfällig, ersparte freilich auch die Präsenz von allzu viel römischen Militär in Jerusalem. Doch unter der neuen Verwaltung blieb gültig, dass (nach Josephus) die einheimische jüdische Aristokratie und der Hohepriester die Nation führten63, was sich auch im Neuen Testament spiegelt. Das Recht des Präfekten, den jüdischen Hohenpriester ein‑ oder abzusetzen, macht die Oberherrschaft der Römer hinreichend deutlich. Die Mitsprachemöglichkeiten der einheimischen Oberschicht waren begrenzt. Bis zur Einsetzung Agrippas I waren die für die Kultausübung benötigten hohepriesterlichen Gewänder in römischer Hand, was eine direkte Kontrolle über das Geschehen im Tempel bedeutete. dafür gibt es inschriftliche Zeugnisse; vgl. M. Avi-Yonah, The Epitaph, 259–260; F. F. Bruce, The Full Name, 34. 57 Tacitus, Historiae 1,11,2 (Text: Vretska 22). 58 E. Schürer, History, Bd. 1, 358. Ägypten mit Alexandrien galt als persönliches Eigentum des jeweiligen Kaisers; dieser selbst ernannte seinen Statthalter; vgl. zur Verwaltung Ägyptens F. Hoffmann, Ägypten, 53. 59 AJ 17,355. 60 Die weiteren Namen dieses ersten praefectus cum iure gladii sind unbekannt, s. R. Hanslik, Art. Coponius, 1303; E. Schürer, History, Bd. 1, 382. 61 Nach Josephus verkaufte Quirinius selbst den Kronbesitz des Archelaos und führte den Provinzcensus durch. Coponius scheint daran nicht beteiligt gewesen zu sein, AJ 18,2 vgl. AJ 18,26. E. M. Smallwood, The Jews, 151, vermutet, dass die Aufgabe, einen Census zu organisieren, nicht von einem unerfahrenen und relativ jungen Ritter durchgeführt werden konnte. 62 Vgl. z. B. Apg 10,1; 23,23–25; Tacitus, Historiae 2,78,4 (Text: Vretska 266 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 2, Nr. 278, S. 12–13) und Josephus z. B. BJ 2,171; AJ 20,116; dazu E. M. Smallwood, The Jews, 146. 63 AJ 20,251; dazu R. A. Horsley, High Priests, 30–31; F. E. Udoh, To Caesar, 125–126.

2.2 Die römische Herrschaft nach dem Sieg des Pompeius

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Für die Einwohner der Provinz Judäa brachte die römische Verwaltung im Hinblick auf die Steuern eine markante Veränderung und deutlich steigende Belastung. Die Römer erhoben nämlich weiterhin Steuern – wie die jüdischen Herrscher – auf die Produkte des Landes. Zusätzlich zu diesen Abgaben führten sie noch die Kopfsteuer tributum capitis ein, wie sie im Römischen Reich für jeden Provinzialbewohner Pflicht war64. Das römische Steuersystem konnte nur funktionieren, wenn zuvor bestimmte administrative Vorarbeiten abgeschlossen waren. Zu ihnen zählte ein Census, dessen Durchführung eine der ersten und wichtigsten Aufgaben des syrischen Legaten Quirinius war. Hierüber berichtet uns Josephus und bemerkt mehrfach, Quirinius sei vom Kaiser gerade mit dem Ziel nach Syrien geschickt worden, um einen solchen Census vorzunehmen65. Überdies löste Quirinius in Judäa den Kronbesitz des abgesetzten Ethnarchen auf und verkaufte wohl große Teile der königlichen Domänen, die zuvor zugunsten des Fiskus66 des Präfekten eingezogen worden waren. Die aus dem Verkauf erzielten erheblichen Summen67 flossen ebenso wie die Steuergelder, die im früheren Herrschaftsgebiet des Archelaos eingesammelt wurden, dieser Kasse zu. Von Josephus wissen wir ferner, dass Quirinius nach Judäa kam, weil die komplexe Organisation des Census offenbar seine Anwesenheit erforderte, obschon Coponius als Präfekt bereits eingesetzt war. Dieser Census war sicherlich auf den Zuständigkeitsbereich des Quirinius beschränkt, anders als es Lukas in der Geburtsgeschichte Jesu (Lk 2,1) darstellt, wo von einem reichsweiten Unternehmen (πᾶσαν τὴν οἰκουμένην) die Rede ist. Quirinius hatte also parallel zur Einrichtung der neuen Provinz dafür zu sorgen, dass die bürokratischen Voraussetzungen für eine effektive römische Besteuerung vorhanden waren68. Dabei konnte er offenbar nicht auf vorhandene Unterlagen etwa des Herodes oder Archelaos zurückgreifen, was dem Usus der römischen Verwaltung entsprochen hätte. Insofern war der ganze von Quirinius in die Wege geleitete Vorgang der Erstellung von Steuerunterlagen, z. B. diverser Register und Verzeichnisse über den Grundbesitz, wohl ein Novum in Judäa. Volkszählungen sind mosaischer Tradition fremd (so hatte David selbst einst lernen müssen, 2 Sam 24); die Nachkommenschaft Abrahams galt für unzählbar wie der Sand am Meer. Zählbar war höchstens der eigene Heerbann (Num 1–2), aber nicht die Zivilbevölkerung. 64 P.

75.

Schrömbges, Zum römischen Staatshaushalt, 35; F. M. Ausbüttel, Die Verwaltung,

65 AJ

17,355: ἀποτιμησόμενος τὰ ἐν Συρίᾳ. drückt sich mit der Formulierung τοῖς Καίσαρος θησαυροῖς etwas verschwommen aus, BJ 2,112. Dass damit der Provinzialfiskus von Judäa gemeint war, vermutet M. Alpers, Das nachrepublikanische Finanzsystem, 297; vgl. auch schon L. Goldschmid, Impots, 208– 209. 67 BJ 2,112; AJ 17,355. 68 E. Schürer, History, Bd. 1, 372; 403–405; F. Millar, The Roman Near East, 49. 66 Josephus

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

Dieser Sachverhalt spiegelt sich in den Geschichtswerken des Josephus, wenn er von der Überraschung der Bevölkerung berichtet69. Auch Lukas setzt diese Zusammenhänge voraus, zumal er den Census des Quirinius als ἀπογραφὴ πρώτη bezeichnet (Lk 2,2). Die Entmachtung des Herodeshauses im Jahr 6 n. Chr. führte demnach zu einem Initialcensus, auf dessen Grundlage alle weiteren zukünftigen Censusmaßnahmen, die im ganzen römischen Reich in örtlich unterschiedlichem Turnus wiederholt wurden70, aufbauen konnten. Indirekte Hinweise auf diese Veränderung lassen sich auch im Neuen Testament ausfindig machen, wo κῆνσος als lateinisches Lehnwort für Steuerzahlungen in den Sprachgebrauch eingegangen ist71. Dabei wurde die Bezeichnung des bürokratischen Vorganges, der die Vorbedingung für das Steuerzahlen war, als Benennung der Besteuerung selbst verwendet. Diese Wortwahl wird nur vom Lukasevangelium nicht übernommen; dort steht in aus der Markusvorlage übernommenen Texten der rein griechische Begriff φόρος für die Steuerzahlungen (Lk 20,22). Ein ähnlicher Census war auch in anderen Teilen des römischen Reiches ein wesentlicher Bestandteil der Eingliederung eroberter Gebiete in die Administration des Imperiums72. Beispielsweise ließ Augustus im Jahr 27 v. Chr. in Gallien ein solches Unternehmen durchführen, worüber Cassius Dio berichtet. Er stellt in diesem Zusammenhang die Verbindung zu der durchgreifenden Neuregelung des Lebens her73: Nun ließ Augustus Steuerlisten von den Einwohnern anlegen und regelte ihr Leben und ihre Verwaltung.

Ein zweiter gallischer Census erfolgte 12 v. Chr. durch Drusus, woraufhin es zu erheblichem Aufruhr der Bevölkerung dieser Provinz kam, der von Drusus unterdrückt wurde. Hierüber unterrichtet uns eine spätantike Zusammenfassung des (im Originalwortlaut verlorenen) 139. Buches des Geschichtswerks des Livius. Livius schrieb nach der genannten Epitome von „Unruhe, die wegen des Census in Gallien ausgebrochen war“74. Die Tumulte wurden von römischer Seite „beigelegt“ (componere), wie es weiter heißt. 69 AJ

18,3 τὸ κατ᾽ ἀρχὰς ἐν δεινῷ φέροντες. Ägypten wurde der Census alle 14 Jahre durchgeführt; Th. Pekáry, Art. Tributum, 953; N. Lewis, Life, 156; E. Schürer, History, Bd. 1, 404; F. M. Ausbüttel, Die Verwaltung, 79. 71 Mk 12,14 par Mt 22,17. 72 Vgl. zu dieser Bedeutung des Census P. Schrömbges, Zum römischen Staatshaushalt, 31–32. Einen Überblick über die antiken Zeugnisse für einen Census in den verschiedenen Provinzen des römischen Reiches sammelt P. A. Brunt, The Revenues, 345–346. 73 Cassius Dio 53,22,5 (Text: Cary 252, Übersetzung: Veh 130): καὶ αὐτῶν καὶ ἀπογραφὰς ἐποιήσατο καὶ τὸν βίον τήν τε πολιτείαν διεκόσμησε. 74 Perocha 139 (Text und Übersetzung: Hillen 336): tumultus, qui ob censum exortus in Gallia erat, componitur; dazu M. Bünker, Gebt, 87; A. Schalit, König, 275; P. Schrömbges, Zum römischen Staatshaushalt, 32; J. Pastor, Land, 138. 70 In

2.2 Die römische Herrschaft nach dem Sieg des Pompeius

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Diese Ereignisse führen uns die politische Bedeutung des Census vor Augen und verdeutlichen die Gefahr einer ernsthaften Opposition der Bevölkerung in neu eingerichteten Provinzen, die sich an diesem Verwaltungsakt der Steuerregistrierung und ‑einschätzung entzünden konnte. Die Vorgänge in Gallien werfen zugleich Licht auf ähnliche Vorfälle bei dem Aufstand des Judas Galilaeus in Judäa, auf die noch ausführlich einzugehen sein wird. Der römische Initialcensus als Steuerdeklaration Die Censusregistrierung in den von Rom eroberten Provinzen stellte ein wichtiges Ereignis für die Bevölkerung dar, das mit weit reichenden Implikationen für ihr weiteres Leben und vor allem für die wirtschaftliche Existenzsicherung verknüpft war. Mit der Durchführung des Census waren römische Beamte beauftragt, die eine Reihe verwaltungstechnischer und bürokratischer Prozeduren auszuführen hatten. Beispielsweise wurde das Provinzgebiet für einen Census, falls dies nicht schon geschehen war, in einzelne Bezirke aufgeteilt, und es wurden Hauptorte als Sitz der Distriktverwaltung bestimmt. In Judäa hatte, wie schon gesagt, Pompeius nach der Eroberung Jerusalems eine solche Gebietsaufteilung vorgenommen. Doch wissen wir nicht, ob diese Maßnahme Bestand hatte. Um den Census vorzunehmen, musste sich das jeweilige Familienoberhaupt zum Sitz der Verwaltung in seinen Bezirk begeben, was Lukas in der Geburtsgeschichte Jesu voraussetzt, wo Joseph und Maria eben aus diesem Grund von Nazareth nach Bethlehem reisen müssen. Lukas bemerkt in diesem Zusammenhang zu Recht, dass die gesamte Bevölkerung (πάντες) in „ihre Stadt“ (ἕκαστος εἰς τὴν ἑαυτοῦ πόλιν, Lk 2,3) zu reisen hatte75. Die Historizität der Reise von Joseph und Maria nach Bethlehem, weil ihre Familie von David abstammte (Lk 2,4), soll hier nicht diskutiert werden. Doch haben wir, selbst wenn der historische Wert dieser Nachrichten des Lukas durchaus fraglich ist76, zutreffende Informationen vor uns, wie der Verfahrensgang eines Census im römischen Reich ablief und welche Formalitäten der Einzelne zu erfüllen hatte. Der Census selbst bestand darin, dass der pater familias eine Art Steuererklärung abgab, die der zuständige Beamte notierte. Zugleich wurde, gerade wenn es sich um eine neue Provinz handelte und ähnliche Unterlagen noch nicht existierten, ein Personenverzeichnis für alle Haushalte erstellt und so die ganze Bevölkerung in Listenform erfasst. Die auf diese Weise angefertigten lokalen Listen konnten dann zu Provinzregistern zusammengestellt werden77. Zwischen den 75 W.

Schwahn, Art. Tributum und tributus, 69–70; A. Aichinger, Zwei Arten, 43. beispielsweise: J. A. Fitzmyer, The Gospel according to Luke (I–IX), 393; F. Bovon, Das Evangelium, 119; M. D. Smith, Of Jesus, 282. 77 W. Schwahn, Art. Tributum und tributus, 69; W. Stenger, Gebt, 20–21. 76 So

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

in regelmäßigem Abstand wiederholten Censusmaßnahmen wurden sie durch die Pflicht zu Geburts‑ und Todesanzeigen auf dem aktuellen Stand gehalten78. Diese Registrierung war ein überaus wichtiger Vorgang, weil Steuerpflicht nur ab einer bestimmten Altersgrenze bestand, die man durch diese Angaben überprüfen konnte79. Ferner musste aller eventuell vorhandener Grundbesitz genau deklariert werden80. Nach einer vom römischen Juristen Ulpian überlieferten forma censualis war dafür die Größe der Gesamtfläche des Besitzes, die genaue Lage, Bodenbeschaffenheit, Anbauform wie etwa Weinberge oder Olivenhaine detailliert anzugeben. Für den Steuerpflichtigen gab es bei diesen Angaben eine Deklarationspflicht. Dies ist bei Lukas gemeint, wenn er mitteilt, jeder Provinzbewohner sei in die zuständige Stadt zum Zweck des ἀπογράφεσθαι (Lk 2,3) gereist, was die Aufzeichnung im Zuge der Registrierung meint; vgl. bei Josephus ποιεῖσθαι τὰς ἀπογραφάς 81. Völlig falsch ist die von Fabian E. Udoh aufgestellte These, dass es sich dabei einzig und allein um eine Landvermessung handelte82. Dagegen spricht der sprachliche Befund83: Im Griechischen wurde der Begriff Census oft mit ἀπογραφή übersetzt84. Wenn das Familienoberhaupt alle diese Auskünfte gegeben hatte, musste es noch eine steuerliche Selbsteinschätzung abgeben85, wie ebenfalls bei Ulpian zu lesen ist. Schließlich mussten alle diese Angaben, vor allem aber die Landregistrierung, von dem Steuerpflichtigen durch einen Eid bekräftigt werden. Das Endergebnis war, wie es Cassius Dio formuliert, ein „Verzeichnis über den gesamten persönlichen Besitz“86.

78 R.

Taubenschlag, The Law, Bd. 2, 39. Digesta 50,15,3 (Text: Mommsen 908): Aetatem in censendo significare necesse

79 Vgl.

est …. 80 Vgl. zu diesem Verfahren W. Schwahn, Art. Tributum und tributus, 63–64; F. M. Ausbüttel, Die Verwaltung, 80. 81 BJ 7,253. 82 Ders., To Caesar, 213–214. 83 Zur Kritik Udohs ist anzumerken, dass seine Annahme von den antiken Quellen nicht bestätigt wird. Das lässt sich auch anhand der von ihm zum Beleg angeführten Inschrift aus Pessinos in Kleinasien aus dem Jahr 216 n. Chr. zeigen. Die in ihr erwähnten von Kaiser Caracalla wohl auf der Durchreise angeordneten Vermessungsmaßnahmen, die der Erstellung eines Katasters dienen sollten, s. J. Devreker, Une inscription, 355–356, werden in der Inschrift ganz anderes bezeichnet: χώρας τῆς λαμπρᾶς Πεσσινουντίων πόλεως μετρηθῆνε ἐκέλευσε (Text: J. Devreker, Une inscription, 353 Z. 8–9). Von einer ἀπογραφή ist eben nicht die Rede. 84 Vgl. Lk 2,1f; Apg 5, 3f; AJ 18,3 u. a. m. 85 Digesta 50,15,4 (Text: Mommsen 908): omnia ipse qui defert aestimet. Zu der forma censualis finden sich nähere Angaben bei W. Schwahn, Art. Tributum und tributus, 64; F. M. Ausbüttel, Die Verwaltung, 80. 86 Cassius Dio 54,35,2 (Text: Cary 372, Übersetzung: Veh 188): πάντα τὰ ὑπάρχοντα … ἀπογραψάμενος.

2.2 Die römische Herrschaft nach dem Sieg des Pompeius

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Der Kaisereid beim römischen Census Der Eid, mit dem die Deklarationen jeweils bekräftigt wurden, war bei dem regierenden Kaiser zu leisten. Er war von nicht zu unterschätzender juristischer Bedeutung, eröffnete er doch der Regierung das Recht, im Falle eines Meineids empfindliche Strafen wie z. B. das Auspeitschen zu verhängen. Zur Illustration dieser Eidesverpflichtung sei auf einen in Palästina aufgefundenen Papyrus verwiesen. Dieses Dokument, das die Deklaration von Grundbesitz betraf, wurde im Archiv der Salome Komaise entdeckt, das von Beduinen bei illegalen Ausgrabungen höchstwahrscheinlich in den Höhlen des Naḥal Ḥever gefunden wurde. In dieses abgelegene Wadi am Toten Meer hatten sich während des Zweiten Jüdischen Krieges jüdische Aufständische zurückgezogen und dort verborgen. Sie hatten dabei wichtige persönliche Dokumente mitgenommen, um sie vor der Vernichtung in den Kämpfen zu retten, wozu auch Urkunden einer Censusregistrierung gehörten. Den Römern blieb dieses Höhlenversteck allerdings nicht verborgen und sie „beraubten diese der Lebensmittel und schlossen sie ein“, wie Cassius Dio die römische Methode des Aushungerns umschreibt87. Dabei kamen die Belagerten (sofern sie sich nicht ergaben) qualvoll um, und ihr persönlicher Besitz blieb in dem Versteck erhalten, bis er – in diesem Fall – wiederentdeckt und an das Rockefeller Museum in Jerusalem verkauft wurde88. Die Papyrusurkunden im Archiv der Salome Komaise enthielten neben anderen Schriftstücken die Abschrift einer beeideten Erklärung, die während des ersten römischen Census in der von Kaiser Trajan neu eingerichteten Provinz Arabien im Jahr 127 n. Chr.89 geleistet und wahrscheinlich von ihrem im selben Jahr verstorbenen Bruder aufgesetzt wurde90. In dieser Hinsicht sind aber nur Vermutungen möglich, weil der Eigenname an der betreffenden Stelle des Papyrus 87 Cassius

Dio 69, 13, 3 (Text: Cary 448): καὶ τροφῆς ἀπείργων καὶ κατακλείων. Papyri wurden von den Arabern wohl vor der Expedition des israelischen Archäologen Y. Yadin im Jahr 1961 entdeckt, bei der er in der Briefhöhle das Archiv der Babatha mit einer ähnlichen Censusdeklaration ans Licht brachte, s. zu diesem Textfund N. Lewis, Papyrus Yadin 18, 229–230. Auch in der Censusdeklaration der Babatha findet sich ein Eid bei der Tyche des Kaisers, s. P.Yadin 16 Z. 34 (Text: Lewis, 67). 89 Zu diesem Census und den Deklarationen aus dem Jahr 127 n. Chr. s. H. M. Cotton, W. Eck, Roman Officials, 23–24. Die Deklaration belegt, dass ein gewisser Priscus, ein praefectus alae, dieses Dokument erhielt. Der Statthalter hatte diesem Kommandanten einer Reitereinheit die Durchführung dieser Registrierung wohl übertragen, weil es in der Provinz Arabien zu dieser Zeit nur wenige römische Bürger gegeben haben dürfte, die diese Aufgabe übernehmen konnten, H. M. Cotton, W. Eck, Roman Officials, 28; vgl. ferner M. Goodman, Babatha’s Story, 170. 90 H. M. Cotton in: Aramaic, Hebrew and Greek Dokumentary Texts, 174; vgl. auch ders., Fragments, 265; ders., Another Fragment, 117 sowie N. Lewis, A Jewish Landowner, 132 u. 136. 88 Die

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zerstört ist. Der für unsere Fragestellung entscheidende Satz des Schriftstücks lautet91: … Sohn des Levi schwöre bei der Tyche des Herrn Caesar, dass ich in gutem Glauben, wie oben geschrieben, registriert habe, wobei ich nichts verheimlicht habe.

Diese Formulierung beweist, dass jeder Steuerpflichtige nach der Registrierung im Census bei dem Kaiser bzw. dessen Tyche schwören musste, was dann protokolliert wurde und rechtlich bindende Kraft hatte. Hierfür gab es überdies genau festgelegte Eidesformeln. Sie waren aus dem in den hellenistischen Reichen üblichen ὅρκος βασιλικός entwickelt worden92. Dabei wurde der Kaiser als Herrscher des Landes in die Rolle eines Gottes als Gewährsmann der Eidesformel eingesetzt, was voraussetzt, dass er als Gott verehrt und ihm überirdische Macht bei der Bestrafung des Eidbrüchigen zugebilligt wurde. Die Formeln lassen diese Vergottung des Herrschers seit Beginn der Kaiserzeit in ihrem Wortlaut deutlich hervortreten. So ist etwa für Augustus aus ägyptischen Papyri die Formulierung Καίσαρα Αὐτοκράτορα θεοῦ υἱὸν Δία Ἐλευθέρον Σεβαστόν bezeugt, die durch die Bezeichnung als Διά ᾽Ελευθέρον den göttlichen Anspruch unterstreicht93. Der Kaiser sollte einen Betrüger demnach gleich einer Gottheit strafen. Der Titel κύριος begegnet vor allem seit der Zeit Neros in der verkürzten Formulierung z. B. in den aufgezählten Regierungsdaten der Urkunden, worauf noch zurückzukommen ist. Alle diese Umschreibungen sehen göttliche Ehren für den Kaiser vor. Die genannten Papyrusfunde aus dem Naḥal Ḥever beweisen außerdem die wichtige Tatsache, dass der Kaisereid im alltäglichen Verwaltungshandeln der Römer von Juden akzeptiert wurde. Andere Papyrusfunde aus Ägypten bestätigen ebenfalls, dass Juden u.U. bereit waren, einen Eid beim Kaiser zu schwören. Beispielsweise zeigte ein gewisser Soteles, Sohn des Joseph, im Jahr 101 n. Chr. den Tod seines minderjährigen Sohns an und fügte handschriftlich zur Bekräftigung einen Eid auf Kaiser Trajan an94. Sein Handeln könnte durch die Erfahrung der Niederlage im Ersten Jüdischen Krieg bedingt sein95, insofern 91 P.Hever 61, Frgm. a + b, Z. 1–3 (Text: Cotton, Yardeni 177): … λος Λειουου ὄμνυμι τύχην Κυρίου Καίσαρος κλῇ πίστει ἀπογεγράφθαι ὡς προγέγραπται μηθὲν ὑποστειλάμενος. 92 E. Seidl, Der Eid, 7–8; vgl. ferner F. Cumont, Un serment, insb. 39–40. 93 E. Seidl, Der Eid, 11; zu diesen Papyri s. ferner Z. M. Packman, Notes, passim; ders., Still Further Notes, 207–208; ders., Regnal Formulas, 65. Ein Beispiel für einen solchen Eid findet sich in P.Rein. II 99. 94 CPJ II 427. 95 Es ist jedenfalls ganz unwahrscheinlich, dass die schwörenden Juden in der von ihnen gesprochenen, aramäischen Eidformel die Tyche des Kaisers nicht erwähnten und diese erst vom Schreiber in die uns erhaltene griechische Ausfertigung der Censusdeklaration eingefügt wurde, wie S. Schwartz, Imperialism, 71, vermutet. Man kommt nicht umhin, dass das jüdische Recht in den Dokumenten (aber auch in anderen Papyri aus dem Naḥal Ḥever) nicht berücksichtigt wird, was von jüdischer Seite offensichtlich akzeptiert wurde, wie F. Millar,

2.2 Die römische Herrschaft nach dem Sieg des Pompeius

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er keine andere Wahl hatte, als diese Eidesform im alltäglichen Verwaltungshandeln zu akzeptieren. Am Beginn der römischen Herrschaft über Judäa in den ersten Jahrzehnten des 1. Jh. n. Chr. während der Regierungszeit der Kaiser Augustus und Tiberius scheint diese Form des Eides den Juden zunächst erlassen worden zu sein. Das ergibt sich aus einer beiläufigen Bemerkung des Josephus im Zusammenhang eines Berichts über die (alexandrinisch‑) griechischen und jüdischen Gesandtschaften an Kaiser Caligula, die sich wohl im Jahr 39 n. Chr. wegen der Unruhen zwischen Juden und Heiden in Alexandria an ihn wendeten. Josephus berichtet, dass der notorische Judenhasser Apion, ein Philologe und Leiter der alexandrinischen Grammatikschule, gegen den er später große Teile seiner Verteidigungsschrift (die dann Gegen Apion genannt wurde) richtete, die Reise als Wortführer der Alexandriner benutzte, um die Sonderrechte der Judenschaft zu bestreiten. Nach Josephus beschuldigte Apion die Juden im Hinblick auf ihr Verhalten gegenüber Kaiser Caligula, „dass diese es allein für unrühmlich halten, ihn mit Statuen zu ehren und einen Eid bei seinem Namen zu schwören“96. Weil Apion die Eidverweigerung ausdrücklich mit der jüdischen Weigerung gleichsetzt, Kaiserstatuen zu errichten oder kultisch zu verehren und die Juden davon ausgenommen wurden, darf man annehmen, dass Juden auch von der Eidesformel, in der der Kaiser anstelle der Gottheit genannt wurde, befreit waren und dass diese Ausnahme ihnen von Augustus gewährt worden war. Die Beschuldigungen Apions richteten sich also auf die Vorrechte, die den Juden aus Respekt vor ihren Glaubensüberzeugungen zugebilligt worden waren, die aber nach den beiden großen Aufständen natürlich keinen weiteren Bestand hatten. Für eine solche kaiserliche Ausnahmeregelung lässt sich darüber hinaus anführen, dass an keiner Stelle in den zahlreichen von Josephus zitierten Dokumenten der Kaiser als θεός apostrophiert wird97. Eine indirekte Bestätigung einer Sonderregelung für die Juden liegt auch darin, dass viele Christen an dieser Eidesformel Anstoß nahmen und sie als einen Verstoß gegen biblische Gebote ablehnten. Die Christen dürften in diesem Punkt eine ursprüngliche jüdische Praxis bewahrt haben. Der Widerstand gegen das Schwören beim Genius bzw. der Τύχη des Kaisers zieht sich wie ein roter Faden durch viele patristische Quellen, die sich in apologetischer Absicht mit dem Vorwurf des Majestätsverbrechens auseinandersetzen, der gegen die Christen u. a. wegen der Verweigerung des Eides erhoben wurde.

Transformations, 143, untersteicht. H. M. Cotton, The Rabbis, 168, bemerkt über die Juden, für die diese Urkunden ausgestellt wurden: „they simply followed local custom“. 96 AJ 18,258: μόνους τούσδε ἄδοξον ἡγεῖσθαι ἀνδριᾶσι τιμᾶν καὶ ὅρκιον αὐτοῦ τὸ ὄνομα ποι­ εῖσθαι; vgl. dazu die Erwägungen von J. Juster, Les Juifs, Bd. 2, 124–125, der auch auf rabbinische Parallelen hinweist. 97 Zu dieser Problematik vgl. auch M. Hengel, Die Zeloten, 111.

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So konstatiert beispielsweise Origenes in seiner Verteidigungsschrift Gegen Celsus in recht apodiktischem Ton98: So viel freilich wollen wir sagen: Bei dem Glücke des Kaisers schwören wir nicht, wie auch bei keinem anderen angeblichen Gott.

Für den Kirchenvater war der Genius des Kaisers demnach ein Nichts oder bestenfalls ein dämonisches Wesen; daraus folgerte er: Sei das, was man das Glück des Kaisers nennt, ein Dämon, so müssen wir auch in diesem Falle lieber sterben, als bei einem bösen und treulosen Dämon schwören zu wollen (…)99.

Diese Argumentation macht sich auch Tertullian zueigen, wenn er in seinem Apologeticum auf diese Problematik eingeht und als Kompromiss einen Eid beim salus des Kaisers vorschlägt100: Ebenso schwören wir zwar nicht bei dem Genius der Kaiser, aber bei ihrem Heil und Wohlergehen, das etwas Höheres ist als alle Genien. Wisst ihr nicht, dass die Genien ‚Dämonen‘ genannt werden und danach in der Verkleinerungsform daimonia?

In diesem Zusammenhang hebt Tertullian hervor, er werde den Kaiser nie „Herr (dominus) an Gottes statt“ nennen101. Auf genau diese Ablehnung einer bestimmten Herrschertitulatur, vor allem des dominus-Titels, wird noch im Hinblick auf den Aufstand des Judas Galilaeus einzugehen sein. Die Überprüfung der Censusdeklaration Im Hinblick auf den römischen Census ist noch festzuhalten, dass die Register, aus denen der Papyrus der Salome Komaise nur einen Auszug enthält, von Beamten der jeweiligen Bezirksverwaltung erstellt wurden. Hierzu wurde die Bevölkerung eingehend verhört. Falls jemand beim Census nicht erschien, wurde dies entsprechend gängiger römischer Praxis mit harten Strafen belegt: Säumige Steuerschuldner konnten sogar in die Sklaverei verkauft werden102. Eine zentrale Aufgabe der mit dem Census beauftragten örtlichen Verwaltungsbehörden in Judäa, deren Leitung Quirinius hatte, war es demnach, die An  98 Contra Celsum 8,65 (Text: Koetschau 281, 19–20, Übersetzung: Koetschau 380): ὑπερεθέμεθα τύχην μέντοι βασιλέως οὐκ ὄμνυμεν ὡς οὐδ᾽ ἄλλον νομιζόμενον θεόν.   99 Contra Celsum 8,65 (Text: Koetschau 282, 1–3, Übersetzung: Koetschau 380–381): δαίμων ἐστὶν ἡ ὀνομαζομένη τύχη τοῦ βασιλέως, καὶ οὕτως ἀποθανετέον ἐστὶ μᾶλλον ἡμὶν ὑπὲρ τοῦ μὴ ὀμόσαι μοχθηρὸν δαίμονα καὶ ἄπιστον. 100 Apologeticum 32,2 (Text und Übersetzung: Becker 168–169): Sed et iuramus sicut non per genios Caesarum, ita per salutem eorum, quae est augustior omnibus geniis. nescitis genios daemonas dici et inde diminutiva voce daemonia? 101 Apologeticum 34,1 (Text: Becker 170): ut dominum dei vice dicam. 102 Plutarch, Galba 4 (Text: Perrin 212).

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gaben der Steuerpflichtigen zu kontrollieren und eventuelle Falschdeklarationen zu bestrafen. Zu diesem Zweck mussten nicht nur die Personenregister verifiziert werden, sondern es war auch durch Landvermessung ein Kataster zu erstellen103. Auf dessen Grundlage konnten die betreffenden Grundstücke in späterer Zeit durch Inspektoren in Augenschein genommen werden. Darüber hinaus war das Vermögen genau einzuschätzen. Darum nannte Josephus Quirinius τιμητὴς τῶν οὐσιῶν104. Der Legat bzw. seine Beamten legten letztendlich den Wert des Besitzes der Provinzbevölkerung fest105, wobei sie auf die Selbsteinschätzung der Steuerpflichtigen zurückgreifen konnten. Dieser Taxierungsprozess war die Grundlage für das ganze Steuersystem neben jenem der Kopfsteuer. Mit seiner Hilfe waren die Vermögensverhältnisse eines jeden Provinzialen für die kaiserliche Verwaltung durchsichtig106. Dies setzt z. B. eine von Cassius Dio überlieferte Episode voraus, nach der Kaiser Caligula aus Geldmangel, als er beim Würfelspiel erhebliche Summen verloren hatte, die kaiserliche Kasse bei seinem Aufenthalt in Gallien wieder auffüllte. In dieser Lage verlangte er nach den Steuerlisten von Gallien und ordnete an, dass die Reichsten aus diesem Kreis hingerichtet werden sollten. Dann kehrte er zu seinen Mitspielern zurück und sagte: Ihr spielt hier um ein paar lumpige Denare, während ich inzwischen etwa 150 000 000 Denare eingenommen habe107.

Nach Cassius Dio hatte der Kaiser die Hinrichtungskandidaten aus τῶν Γαλατῶν ἀπογραφαί zusammengestellt. Diese Listen waren also dasjenige Instrument, das für die Steuerfestsetzung dienen konnte; sie gaben der kaiserlichen Verwaltung die Handhabe, eine Ertragsquote oder festgelegte Abgaben aus beweglichem und unbeweglichem Vermögen vorzuschreiben108. Diese konnten von der Regierung zur Deckung ihres Bedarfs den einzelnen Provinzen vorgegeben und in Geld umgerechnet werden, weil die römischen Steuern hauptsätzlich in Form von Bargeld und nicht in Naturalien abzuführen waren109. Auch die im staatlichen Kataster aufgezeich103 Vgl. O. Karlowa, Römische Rechtsgeschichte, 573; W. Schwahn, Art. Tributum und tributus, 62. 104 AJ 18,2 vgl. BJ 7,254. 105 Josephus formuliert: ἀποτιμησόμενος τε αὐτῶν τὰς οὐσίας, AJ 18,3. 106 O. Karlowa, Römische Rechtsgeschichte, 573–574. 107 Cassius Dio 59, 22, 3–4 (Text: Cary 328, Übersetzung: Veh 406): ᾔτησέ τε τὰς τῶν ­Γαλατῶν ἀπογραφάς, καὶ ἐξ αὐτῶν τοὺς πλουσιωτάτους θανατωθῆναι κελεύσας, ἐπανῆλθέ τε πρὸς τοὺς συγκυβευτὰς καὶ ἔφη ὅτι ὑμεῖς περὶ ὀλίγων δραχμῶν ἀγωνίζεσθε, ἐγὼ δὲ ἐς μυρίας καὶ πεντακισχιλίας μυριάδας ἤθροισα. 108 Archelaos zog nach Josephus jährlich 360 Talente an Steuern ein, AJ 17,320: προσῄει δὲ Ἀρχελάῳ φορὰ χρημάτων τὸ κατ᾽ ἐνιαυτὸν εἰς τάλεντα ἑχακόσια ἑξ ᾗς παρέλαβεν ἀρχῆς. Diese Angaben des Josephus besagen aber noch nichts über die nach der Absetzung des Archelaos vom Kaiser der Provinz vorgeschriebenen Steuersummen, anders M. Bünker, Gebt, 89. 109 Nur zur Versorgung des Heeres und der Stadt Rom mit Lebensmitteln wurden Sachlieferungen eingezogen, s. H. Galsterer, Art. Steuern IV. Rom, 984; W. Schwahn, Art. Tributum

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nete Bodenqualität und die Bewirtschaftungsform konnten dabei berücksichtigt werden, so dass der jeweilige Steuerbetrag auf der Grundlage der Bewertung des Vermögens des Steuerpflichtigen erhoben werden konnte110. Beispielsweise wurden in Syrien und Kilikien nach Angaben des römischen Historikers Appian 1 % des Geldwertes des geschätzten Vermögens als Steuer erhoben111. Diese Notiz beweist, dass es die Censusregistrierung dem Staat ermöglichte, eine genau festgelegte Summe zu verlangen, die zudem die wirtschaftliche Leistungskraft der Bevölkerung berücksichtigte. Hierbei ist eine Vermögenssteuer von 1 % im Vergleich mit heutigen Verhältnissen fast lächerlich; eine Einkommensteuer von 1/4 der Ernte hingegen nicht. Die Kopfsteuer lag dazwischen. 2.2.2 Das Steuersystem Palästinas zur Zeit Jesu Um das Steuersystem der frühen Kaiserzeit, mit dem auch Jesus konfrontiert war, zu verstehen, ist nun noch der Grundunterschied zwischen der Besteuerung des Grundbesitzes (tributum soli) und der vermögensunabhängigen Kopfsteuer (tributum capitis), zu beachten. Die terminologische Unterscheidung zwischen tributum soli und capitis ist seit frühester Kaiserzeit greifbar112. Diese doppelte Besteuerung war jedoch nicht in allen Teilen des römischen Reiches einheitlich. Als Beispiel mag die Stadt Caesarea am Mittelmeer dienen, die durch Kaiser Vespasian zur Kolonie erhoben wurde und von den beiden Steuerarten befreit war. Diese Information findet sich in einer Notiz des römischen Juristen Paulus, der unter Kaiser Alexander Severus bis zum Amt des praefectus praetorio aufstieg und zahlreiche Abhandlungen verfasste, die uns durch Aufnahme von Zitaten in die im Auftrag von Kaiser Justinian zusammengestellten Digesten erhalten geblieben sind113. Caesarea erhielt diese Auszeichnung, indem der Kaiser der Hafenstadt eine dem ius Italicum gleichkommende Steuerbefreiung und tributus, 76. In Ägypten konnte ein großer Teil der Ernte zu staatlich festgesetzten Preisen eingefordert werden, Th. Pekáry, Art. Tributum, 953; F. Hoffmann, Ägypten, 53. 110 Es gab je nach Provinz verschiedene Ertragsquoten oder feste Abgaben, P. Schrömbges, Zum römischen Staatshaushalt, 35; M. Alpers, Das nachrepublikanische Finanzsystem, 952. 111 Syriake 8, 50 (Text: Viereck, Roos 398,10–12): ἔστι δὲ καὶ Σύροις καὶ Κίλιξιν ἐτήσιος, ἑκαστοστὴ τοῦ τιμήματος ἑκάστῳ; vgl. dazu W. Schwahn, Art. Tributum und tributus, 68; P. Schrömbges, Zum römischen Staatshaushalt, 35; R. Duncan-Jones, Structure, 189. Selbst wenn diese Notiz aus dem 2. Jh. datiert, gibt sie dennoch die schon früher geltende Sicht der Römer wieder, gegen F. E. Udoh, To Caesar, 19. 112 Zu diesen Steuerarten s. W. Schwahn, Art. Tributum und tributus, 62–70; F. M. Ausbüttel, Die Verwaltung, 75. 113 Digesta 50,15,8 (Text: Mommsen 909): divus Vespasianus Caesarienses colonos fecit non adiecto, ut et iuris Italici essent, sed tributum his remisit capitis: sed divus Titus etiam solum immune factum interpretatus est. Die Stadt Caesarea war demnach von den Kernsteuern befreit, was Titus vollendete und was dann im Prinzip den Status des ius Italicum implizierte; zu dieser Stelle J. Bleicken, In provinciali solo, 375–376.

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verlieh, was die Kolonie Italien gleichstellte114, das als römisches Mutterland vom tributum soli und tributum capitis befreit war115. Dieses Privileg der Stadt Caesarea macht deutlich, dass die Steuern keineswegs einheitlich von allen Reichsbewohnern eingefordert wurden. Italien und alle römischen Bürger waren von der Boden‑ wie auch der Kopfsteuer ohnehin befreit116. Diese Bevorzugung hatte ihre Wurzeln in der jahrhundertelangen Entwicklung des römischen Imperiums, das am Ende der republikanischen Epoche den ganzen Mittelmeerraum umspannte. Die Steuerforderungen des Reiches legitimierten sich durch die römischen Siege und durch die Unterwerfung der verschiedenen Provinzen; in diesem Zuge war Palästina durch Pompeius wegen der Eroberung durch Waffengewalt tributpflichtig geworden. Eben dadurch war das jüdische Volk aus römischer Perspektive nicht mehr frei, denn es galt der Grundsatz: Liber autem populus est is, qui nullius alterius populi potestati est subjectus117. Eine Nation, die sich der Macht eines anderen Volkes unterwerfen musste und ihre Freiheit im Kampf verloren hatte, verwirkte mit dieser Freiheit ein wichtiges Recht, d. h. das dominium rerum suarum118. Die Unterworfenen waren nicht mehr Herren ihrer selbst, wie es der selbständige Römer in seinem Hause war119. Die Tribute der unterworfenen Provinzen konnten aus römischer Sicht sogar als Strafe für das Wagnis eines Krieges gegen Rom aufgefasst werden120. Diesen Zusammenhang zwischen der Steuerlast und dem militärischen Widerstand macht Cicero in seiner zweiten Rede In Verrem mit Blick auf Spanien und Nordafrika klar, weil diese Landstriche erst nach langen Kämpfen erobert werden konnten und dabei erhebliche Gegenwehr der Bewohner zu überwinden war121: 114 Zu diesem Privileg s. J. Bleicken, In provinciali solo, 367–395; ferner zum ius Italicum, v. Premerstein, Art. Ius Italicum, 1245–1246. 115 W. Schwahn, Art. Tributum und tributus, 55; Th. Pekáry, Art. Tributum, 952. Das tributum soli wurde auch stipendium genannt. 116 H. Galsterer, Art. Steuern IV. Rom, 983. Die direkte Besteuerung für Römer wurde seit 167 v. Chr. weitgehend ausgesetzt, W. Schwahn, Art. Tributum und tributus, 53; H. ­Galsterer, Art. Steuern IV. Rom, 982; N. Lewis, Life, 169; P. Schrömbges, Zum römischen Staatshaushalt, 4–5; W. Stenger, Gebt, 12. In Ägypten konnten auch Priester bedeutender Tempel von der Kopfsteuer ausgenommen sein, E. Bernecker, Art. Laographos – Laographia, 485; N. Lewis, Life, 170. 117 Digesta 49,15,7 (Text: Mommsen 884). Der römische pater familias war es, qui in domo dominium habet, wie es der Jurist Ulpian ausdrückt, Digesta ebd.; dazu D. Schanbacher, Art. Dominium, 742. 118 Digesta ebd; dazu R. Leonhard, Art. Dominium, 1302–1303. 119 Digesta 50,16; 115, 2. 120 Vgl. zu diesem Prinzip der Steuererhebung H. Galsterer, Art. Steuern IV. Rom, 982; M. Bünker, Gebt, 87. 121 Cicero, In Verrem 3 (6), 12 (Text: De la Ville de Mirmont, Martha 7): ceteris aut impositum vectigal est certum, quod stipendiarium dicitur, ut Hispanis et plerisque Poenorum quasi victoriae praemium ac poena belli; dazu W. Stenger, Gebt, 15; Ch. Riedo-Emmenegger, Prophetisch-messianische Provokateure, 132.

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Denn den übrigen Provinzen ist entweder Steuer von bestimmter Höhe auferlegt, die Tribut genannt wird, wie den Spaniern und den meisten Puniern, gleichsam als Siegeslohn und Strafe für den Krieg.

Mit derselben Begründung hob Appian an der bereits angeführten Stelle hervor, dass von römischer Seite die mehrfachen Aufstände der Juden, d. h. vor allem der Erste und Zweite Jüdische Krieg, mit einer ungewöhnlich hohen Steuerbelastung sanktioniert wurden, die als Strafmaßnahme gemeint war und die Juden von den umliegenden Völkern unterschied122. Das von den Provinzen aufgebrachte Geld diente dann der Sicherung einer pax sempiterna, wie es römische Quellen ausdrücken. Die Unterworfenen hatten also die römischen Truppen zu bezahlen, die sie schützten und für Ordnung sorgten123. Diese Abhängigkeit von den Tributen stellte der römische Feldherr Cerialis in einer von Tacitus in seine Historien aufgenommenen Rede an die Gesandten der Treverer und Lingonen heraus124: denn Ruhe unter den Völkern kann man nicht ohne Waffen haben, Waffen nicht ohne Sold, Sold nicht ohne Tribut.

Hierbei war den römischen Politikern der unterschiedliche Wert der hinzugewonnenen Gebiete als Quelle der Staatsfinanzen sehr wohl bewusst. Der Geschichtsschreiber Velleius Paterculus lobt z. B. die Eroberung Galliens durch Caesar, denn „die gallischen Länder zahlen nun fast so viel Steuern in die Staatskasse wie alle übrigen Länder zusammen“125. Kommen wir wieder auf Judäa zurück: Die Niederlage gegen Pompeius war das Ende der Autonomie Judäas und des bisherigen dominium seiner Einwohner. Nach römischer Rechtsauffassung galt (in den Worten des im 2. Jh. n. Chr. lebenden, römischen Juristen Sextus Pomponius) der Grundsatz, dass „jenes Land, das von den Feinden erobert wird, eingezogen wird“126. Aus diesem Grund war aus römischer Sicht das römische Volk (im Falle anderer Provinzen wie Ägypten sogar der Kaiser allein) der Eigentümer des Bodens jeder eroberten Provinz. Der Jurist Gaius (ein Provinzialer, vermutlich kleinasiatischer Herkunft, 2. Jh. n. Chr.) unterscheidet in seinem juristischen Handbuch Institutiones zwischen 122 Syriake 8, 50 (Text: Viereck, Roos 398, 9–10): διὰ ταῦτ᾽ ἐστὶν Ἰουδαίοις ἅπασιν ὁ φόρος τῶν σωμάτων βαρύτερος τῆς ἄλλης περιουσίας. 123 Das römische Geld diente in der Tat zur Bezahlung der Soldaten und Beamten des Reiches, Th. Pekáry, Die Wirtschaft, 100. 124 Tacitus, Historiae 4,74,1–2 (Text und Übersetzung: Vretska 572–575): nam neque quies gentium sine armis neque arma sine stipendiis neque stipendia sine tributis haberi queunt; vgl. weitere Belege bei M. Bünker, Gebt, 87; W. Carter, Paying, 16; W. Stenger, Gebt, 15. 125 Velleius Paterculus 2, 39,1 (Text: Giebel 110): paene idem, quod totus terrarum orbis, in aerarium conferunt stipendium. 126 Digesta 49,15, 20,1 (Text: Mommsen 887): publicatur enim ille ager qui ex hostibus captus est.

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Provinzgrundstücken (provincialia praedia), die Eigentum des römischen Volkes (propriae populi Romanis), und solchen, die Eigentum des Kaisers (propriae Caesaris) waren127. Zu dem Besitz der in den Provinzen ansässigen Bevölkerung konstatiert er, dass an diesem Boden Eigentum des römischen Volkes oder des Kaisers besteht, während wir daran ersichtlich nur Besitz oder Nießbrauch haben können128.

Die Provinzialen waren demnach auf possessio und ususfructus beschränkt; sie bewirtschafteten ihr Land in Nießbrauch, waren aber nicht Eigentümer. In dieser Rolle hatte, um es theologisch zu sagen, das römische Volk bzw. der Kaiser den Gott Israels ersetzt. Kaiser Vespasian konnte nach der Niederschlagung des Ersten Jüdischen Krieges den Befehl geben, „das ganze Land der Juden zu verpachten“129. Dies bedeutete, dass Judäa als kaiserlicher Privatbesitz wegen der Rebellion neu aufgeteilt und die Grundstücke gegen Pachtzins vergeben wurden, wobei Josephus als Günstling der Flavier ein Stück Land130 und unter Domitian sogar das besondere Privileg der Steuerbefreiung erhielt131. Die jüdischen Steuern waren also letztlich eine Abgabe an Rom als Eigentümer von Grund und Boden. Durch den Census wurde diese Lage, die während der indirekten Regierung Roms durch die Verwaltung mit Hilfe einheimischer Herrscher wie Herodes und seinen Sohn Archelaos lediglich verschleiert war, nunmehr offenkundig. Das politische Kalkül, das die Römer veranlasste, einheimische Könige wie Herodes einzusetzen und zu unterstützen, umschreibt Tacitus mit Blick auf die Vasallenkönige Britanniens, indem er in fast zynisch klingender Offenheit von „der alten und schon früh gepflegten Gewohnheit des römischen Volkes“ schreibt, „selbst Könige als Werkzeuge für die Versklavung 127 Institutiones 2, 21 (Text: Scharr 530–531 = Manthe 118–119): In eadem causa sunt provincialia praedia, quorum alia stipendiaria alia tributaria vocamus. Stipendiaria sunt ea, quae in his provinciis sunt, quae propriae populi Romani esse intelleguntur, tributaria sunt ea, quae in his provinciis sunt, quae propriae Caesaris esse creduntur. Das ist flächendeckend für die jeweiligen Provinzen gemeint. 128 Institutiones 2, 7 (Text und Übersetzung: Manthe 114–115): … quia in eo solo dominium populi Romani est vel Caesaris, nos autem possessionem tantum vel usumfructum habere videmur; s. G. Wesener, Art. usus fructus, passim; J. Bleicken, In proviniciali solo, insb. 361–367; W. Stenger, Gebt, 17–18; U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 217. 129 BJ 7,217: πᾶσαν γῆν ἀποδόσθαι τῶν Ἰουδαίων. Auch Kaiser Hadrian konfiszierte nach dem zweiten großen Aufstand Teile des Landes als eine Art Bestrafung „nach dem Kriegsrecht“, wie sich der Kirchenvater Eusebius ausdrückt, Historia ecclesiastica 4,6,4 (Text: Schwartz 128,15–16, Übersetzung: Haeuser, Gärtner 197): πολέμου τε νόμῳ τὰς χώρας αὐτῶν ἐξαν­ δραποδιζόμενος. Zu dieser Form der Bestrafung der Aufständischen s. auch A. Büchler, The Economic Conditions, 40. 130 Vita 422. Josephus wurde dadurch für verlorenen Grundbesitz in Jerusalem entschädigt. 131 Vita 429.

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zu gebrauchen“132. Herrscher wie Archelaos waren also in den Augen Roms ein nützliches Instrument, das die besiegten Völker an ihre Unfreiheit gewöhnen sollte, zu der auch die Verpflichtung regelmäßiger Steuern gehörte. Neben die auf Grundbesitz basierende Steuerforderung trat überdies in dem römischen System als zweite Form der Besteuerung das tributum capitis, das es in Judäa bis dahin möglicherweise nie gegeben hatte. Diese Steuer wurde nach der Absetzung des Archelaos neu eingeführt. Fabian E. Udoh verlegt allerdings die Einführungs erst nach Ende des Ersten Jüdischen Krieges, was jeder Grundlage entbehrt133. Das tributum capitis betraf alle Bewohner einer Provinz ab einem bestimmten Alter, das den Behörden aufgrund der Censusregistrierung bekannt war. Auch diese Steuer wurde in Bargeld eingezogen, war aber geringer als die Grundsteuer. Wer das tributum soli bereits zahlte, war von ihr befreit134. Es handelt sich bei dieser Personalabgabe also um eine vermögensunabhängige Form der Steuer, die auch arme Bevölkerungsschichten wie Tagelöhner, Sklaven oder Frauen traf135. Im römischen Reich wurde demnach die bloße Existenz eines Menschen besteuert und sein Körper als eine Art Besitz aufgefasst, mit dem sich für jeden, etwa als Tagelöhner, Geld beschaffen ließ. Diesen Zusammenhang zwischen der Kopfsteuer und der menschlichen Arbeitskraft dokumentiert die Tatsache, dass in der Provinz Syrien auch Frauen kopfsteuerpflichtig waren und die Steuer-

132 Tacitus, Agricola 14,1 (Text und Übersetzung: Till 26–27): vetere ac iam pridem recepta populi Romani consuetudine, ut haberet instrumenta servitutis et reges. 133 F. E. Udoh leitet seine These aus einer höchst einseitigen Interpretation der Quellen ab: Er erklärt die Zinsgroschenperikope als ein Produkt des Heidenchristentums vom Ende des 1. Jh. n. Chr., das für die Zeit Jesu nicht relevant sei, vgl. To Caesar, 225, 236. Die durch Agrippa II kurz vor Ausbruch des Ersten Jüdischen Krieges eingetriebenen 40 Talente (BJ 2,405) ausstehender Steuern seien lediglich einem „Notfall“ geschuldet, weshalb sie dann in Geld und nicht in Naturalien eingezogen wurden, ebd. 229. Dass Babatha (s. o. 2.2.1), deren Archiv in den Höhlen am Toten Meer gefunden wurde, nach ihrer Census-Registrierung (P.Yadin 16, Text: Lewis 66–67), keine Kopfsteuer entrichtete, wird nicht etwa damit begründet, dass sie tributum soli bezahlte und deshalb vom tributum capitis befreit war, ebd. 218 (oder als Frau möglicherweise keine Kopfsteuer bezahlen musste, vgl. die Diskussion dieser Möglichkeit auf der Grundlage ägyptischer Papyrustexte bei E. Lo Cascio, Census, 201), sondern damit, dass die Kopfsteuer nicht erhoben wurde. Die von Udoh vertretene These, dass vor der Niederlage im Ersten Jüdischen Krieg in Judäa nur das tributum soli in Naturalien als römische Steuer existierte, ebd. 228, erscheint daher höchst unwahrscheinlich. 134 Dies macht eine Stelle im Codex Justinianus 11, 48 (47), 11 (Text: Krüger 441) wahrscheinlich; vgl. W. Schwahn, Art. Tributum und tributus, 67; Ch. Riedo-Emmenegger, Prophetisch-messianische Provokateure, 114. 135 Das war den verantwortlichen Politikern auch bewusst, wie Aristoteles, Oeconomica 1347a (Text: van Groningen, Wartelle 14) hervorhebt. Auch römische Gesetze unterstreichen dies, s. Codex Theodosianus 13, 4, 4 (Text: Mommsen 747); vgl. dazu W. Schwahn, Art. Tributum und tributus, 68; M. Stern, The Province, 331; M. Bünker, Gebt, 87.

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pflicht allgemein auf das Alter zwischen 14 und 60 Jahren begrenzt war; Grundlage der Besteuerung war also die Fähigkeit, körperliche Arbeit zu leisten136. Die Kopfsteuer bezeichnete der juristisch geschulte Kirchenschriftsteller Tertullian daher treffend als notae captivitatis137. Der Begriff captivitas ist in diesem Zusammenhang ein juristischer Fachausdruck, der besagt, dass ein Mensch, der in die Hände eines Eroberers fiel, als Kriegsgefangener versklavt wurde. Der römische Jurist Sextus Pomponius drückt es so aus, dass die Feinde aliquem ex nostris ceperunt et intra praesidia sua perduxerunt138. Die Einschätzung des tributum capitis als Zeichen einer Form von Knechtschaft beruhte auf der Auffassung, dass mit Waffengewalt unterworfene Provinzbewohner, zu denen auch die Juden zählten, peregrini dediticii waren139. Durch ihre Niederlage verloren sie nicht bloß das Eigentum an ihrem Hab und Gut, sondern auch die persönliche Freiheit, wenn sie nicht gar als Kriegsgefangene in die Sklaverei verkauft wurden. Cicero stellt sogar an einer Stelle seiner Verres-Rede fest: „unsere Steuereinnahmen und Provinzen sind gleichsam die Landgüter des römischen Volkes“140: Dieser Vergleich mit Latifundien bringt die abhängige Stellung der Provinzen auf den Punkt. Genauso wie Cicero hebt Jahrhunderte später auch Tertullian die Inferiorität der gesellschaftlichen Stellung hervor141, die die Verpflichtung zur Kopfsteuer implizierte und fährt an der zitierten Stelle fort142: mit einer Kopfsteuer belegte Menschen verlieren an Ansehen; denn das sind Zeichen der Unfreiheit.

136 Laum, Art. Λαογραφία, 733: „In der Begrenzung auf die Jahre 14–60 kommt deutlich zum Ausdruck, dass die λαογραφία eine Besteuerung der menschlichen Arbeitskraft ist …“; vgl. auch Th. Pekáry, Art. Tributum, 952; P. A. Brunt, The Revenues, 332; W. Stenger, Gebt, 28. 137 Apologeticum 13,6 (Text: Becker 106–107). Zu dieser oft zitierten Stelle s. W. Schrage, Die Christen, 33; M. Bünker, Gebt, 88; Ch. Riedo-Emmenegger, Prophetisch-messianische Provokateure, 132. 138 Digesta 49,15,5 (Text: Mommsen 884); dazu R. Leonhard, Art. Captivitas, 1555. 139 Gaius, Institutiones 1,14 (Text und Übersetzung: Manthe 40–41): Vocantur autem peregrini dediticii hi, qui quondam adversus populum Romanum armis susceptis pugnaverunt, deinde victi se dediderunt; s. auch Schulten, Art. Dediticii, 2361. 140 In Verrem 2 (3),7 (Text: De la Ville de Mirmont 49): quasi quaedam praedia populi Romani sunt vectigalia nostra atque procinciae. 141 Auch in Ägypten unterschieden sich die Priviligierten, d. h. die Griechen, die keine Kopfsteuer zahlten, scharf von den übrigen Ägyptern; vgl. Laum, Art. Λαογραφία, 734; W. Stenger, Gebt, 134. Diese Unterscheidung ging schon auf die hellenistische Zeit zurück; vgl. auch G. Thür, Art. Laographia, Laographos, 1134. 142 Apologeticum 13,6 (Text und Übersetzung: Becker 106–107): hominum capita stipendio censa ignobiliora (nam hae sunt notae captivitatis).

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Das römische Steuersystem und die jüdische Oberschicht Eine wichtige Voraussetzung der Steuereinziehung war, wie gesagt, die Unterteilung der Provinzen in einzelne Verwaltungsbezirke. Die Beamten am Hauptsitz der jeweiligen Bezirksverwaltung waren folglich für genau umgrenzte Teile der Provinz zuständig, in denen aus der lokalen Oberschicht, die ein entsprechendes Vermögen nachweisen konnte, Gremien wie die von Josephus als Neuerung des Pompeius erwähnten σύνοδοι bzw. συνέδρια geschaffen wurden143. Diese Gremien  – oftmals Stadträte einer Polis, wohin die Steuerpflichtigen zur Registrierung reisen mussten144 – waren dann vornehmlich vor Ort für das Eintreiben des tributum soli verantwortlich145, wobei sie von den jeweiligen Gemeindebeamten, z. B. den Sklaven der Städte146 und den beruflichen Schreibern, unterstützt wurden147. Das Amt des Stadtrats, des decurio, wurde daher in der Kaiserzeit zu einer schweren Bürde und war mit finanziellen Risiken verbunden, weil die Amtsinhaber für die Ablieferung der festgesetzten Steuerquoten einstanden148. Sie hafteten mit ihrem Privatvermögen auch für Steuerausfälle, die etwa durch die Landflucht der Bewohner entstanden, ein Phänomen, das uns durch zahlreiche Papyrusdokumente aus Ägypten bezeugt ist149. Durch dieses System besaß der Staat eine Sicherheit gegen eventuelle Steuerausfälle. Dieses Verfahren steigerte zudem die Effizienz der Steuereinziehung, weil die örtlichen Eliten in die Pflicht genommen wurden150. Es ist daher wohl kein Zufall und wohl u. a. durch Rücksicht auf den eigenen Besitz motiviert, dass 143 s. u.

2.2. Lk 2,3. 145 M. Meier, Art. Dekaprotoi, 384; vgl. auch P. A. Brunt, The Revenues, 340–342; F. Millar, The Roman Empire, 94; ders., The Roman Near East, 325; M. Sharp, Shearing Sheep, 215–216, 225. Das Einziehen der Steuern wurde ab dem 2. Jh. zunehmend Aufgabe des Kollegiums der Dekaprotoi, das aus den Dekurionen gebildet wurde und im Osten des Reiches ab Mitte des 1. Jh. n. Chr. nachweisbar ist. Wichtig war, dass diese Gruppe auch die Steuerausfälle aus ihrem Besitz ersetzen musste; dazu F. M. Ausbüttel, Die Verwaltung, 85. Die von ihnen als eine Art Darlehen gegenüber dem Fiskus vorgestreckten Gelder konnte sie danach von den Steuerpflichtigen wieder eintreiben, dazu H.-J. Horstkotte, Die Theorie, 65. Das Geld der Dekurionen war damit also keineswegs verloren. 146 W. Schwahn, Art. Tributum und tributus, 67. 147 In Ägypten war z. B. in römischer Zeit der λαογράφος für die regelmäßig wiederholte Volkszählung zuständig, die der Erhebung der Kopfsteuer diente. In Dörfern wurde er z. B. vom κωμογραμματεύς unterstützt, s. Preisigke, Art. Λαογράφος, 734–735; G. Thür, Art. Laographia, Laographos, 1134; V. Binder, Art. Schreiber III. Griechenland und Rom, 226; W. Kierdorf, Art. Scriba, 300–301. Beispiele aus den Papyrusfunden sammelte F. Hoffmann, Ägypten, 54. 148 C. Gizewski, Art. Decurio, decuriones, 357; vgl. auch Seeck, Art. Decurio, 2347–2349; W. Schwahn, Art. Tributum und tributus, 67; M. Stern, The Province, 331; H.-J. Horstkotte, Die Theorie, 57–71. 149 s. u. 5.2.2. 150 N. Lewis, Life, 178 sowie zusammenfassend F. Millar, The Roman Empire, 93–94. 144 Vgl.

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der Hohepriester die ablehnenden Juden zur Zeit des Quirinius überredete, den Census widerstandslos zu akzeptieren151. Die Römer legten also nach ihrem Prinzip divide et impera152 die Macht in den Provinzen zu einem Teil in die Hände einer kleinen örtlichen Elite, die zugleich dem Reich gegenüber in Steuerfragen die Verantwortung übernehmen musste. Der Statthalter kontrollierte diese Funktionäre, die ihrerseits die Steuerlasten auf die Grundbesitzer umlegten und die Forderungen eintrieben. So förderten die Kaiser die provinzielle Aristokratie, gründeten Städte als lokale Verwaltungszentren und bedienten sich der vorhandenen Eliten153, deren Mithilfe den Verwaltungsapparat des Reiches in überschaubarer Größe hielt und überdies eine Vermittlung mit den örtlichen, kulturellen Gegebenheiten leistete. Auch unter den Judäern kamen die führenden Kreise der ihnen zugedachten Verantwortung beim Einziehen der Steuern nach, was schon das Eingreifen des Hohenpriesters zur Durchsetzung des Census nahe legt. Als weiteres Beispiel sei hier die Intervention des Königs Agrippa II in der Krise des Jahres 66 n. Chr. erwähnt. Während der Zuspitzung der Ereignisse unmittelbar vor Ausbruch des jüdischen Krieges gelang es ihm unter Mithilfe der „Volksführer und Ratsherren“ (ἄρχοντες καὶ βουλευταί), die sich auf die Dörfer verteilten, 40 Talente der ausstehenden Steuern zusammenzubringen, um auf diese Weise im letzten Moment die drohende Katastrophe einer bewaffneten Auseinandersetzung mit den Römern zu verhindern154. Diese Mitteilung des Josephus belegt außerdem, dass sich die Mitglieder der jüdischen Führungsschicht persönlich in die Dörfer begaben und dort die Bewohner zum Begleichen ihrer Steuerschulden veranlassten. Diese Zahlungen wurden dann quittiert, was dem Statthalter die Überprüfung möglich machte155. Soldaten unterstützten dabei das Einsammeln der Gelder und verliehen der Eintreibung im Notfall z. B. durch Verhaftungen Widerspenstiger den notwendigen Nachdruck156. 151 AJ

18,3. oft zitierte Leitsatz ist allerdings mittelalterlichen Ursprungs, s. O. Cato, Lateinische Zitate, 29, der ihn auf Ludwig XI zurückführt. 153 M. Rostovtzeff, The Social and Economic History, Bd. 1, 48; R. A. Horsley, High Priests, 30; Ch. Riedo-Emmenegger, Prophetisch-messianische Provokateure, 113; M. Goodman, The Origins, 41. 154 BJ 2,405; dazu M. Stern, The Province, 332; O. Michel, Art. τελώνης, 97; F. Millar, The Roman Empire, 93–94; G. Baumbach, Einheit, 104–105; W. Stenger, Gebt, 64, 73; J. Pastor, Land, 144; vgl. auch 5.1.5. 155 Zu dieser Aufgabe des Statthalters s. F. M. Ausbüttel, Die Verwaltung, 86–87; M. Sharp, Shearing Sheep, 230. Nach Philo verwendete der Statthalter den größeren Teil des Jahres auf die Kontrolle der eingehenden Steuerabgaben, Flacc 133 (Text: Colson 374). 156 Die (angedrohte und öfter ausgeübte) physische Gewalt durch die die Steuereinzieher begleitenden Soldaten, die den Steuerforderungen Nachdruck verlieh, diskutiert K. W. Harl, Coinage, 232. Sie waren neben den Steuereinziehern für die meisten Einwohner des Reiches mehr noch als der Kaiser und seine Statthalter das sichtbare Zeichen römischer Macht, s. J. E. Lendon, Empire, 17. 152 Dieser

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Fragt man nach dem Erfolg dieses Systems, so lässt sich feststellen, dass es im Großen und Ganzen durch die Einbindung der provinziellen Oberschicht in die Reichsverwaltung mit Erfolg funktionierte; wir haben hier eines der Erfolgsrezepte der römischen Macht vor uns. Hierbei erfahren wir schon aus der Zeit des Kaisers Tiberius, dass die Provinzen Judäa und Syrien über die hohe Steuerlast klagten. Tacitus überliefert für das Jahr 17 n. Chr.157: Auch baten die Provinzen Syrien und Judäa, erschöpft durch ihre Belastung, um Herabsetzung des Tributs.

2.2.3 Römisches Geld als Voraussetzung des Steuerzahlens Weil die römischen Tribute nur in denjenigen Provinzen, die wie Ägypten und Afrika die Stadt Rom mit Getreide versorgen158, in Naturalien abgeliefert wurden, sonst aber in Bargeld bezahlt wurden, ist es nötig, sich der zentralen Rolle römischer Münzen im Gesamtsystem der Steuerzahlungen zuzuwenden, wozu zunächst die Währungsverhältnisse im Osten des römischen Reiches bedacht werden müssen. Auf dem Hintergrund dieser Eigenart der römischen Steuereintreibung wird dann auch verständlich, wieso sich Jesus nach der Zinsgroschenperikope eine römische Münze zeigen ließ. Das römische Reich war kein einheitlicher Währungsraum mit nur einer offiziell zugelassenen Form der Münzprägung159. Vielmehr existierten in der frühen Kaiserzeit gleichzeitig eine ganze Reihe lokaler Münzstätten, die verschiedene, gleichzeitig zirkulierende Währungen herausgaben, wobei diese im Münzfluss nach Form, Erscheinungsbild und dem Wertsystem durchaus divergierten. Vor allem setzten einige griechische Städte im Osten des Reiches die jahrhundertealte Tradition aus vorrömischer Zeit fort und schlugen eigenes Geld160. Die 157 Annales 2,42 (Text und Übersetzung: Heller 156–157 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 2, Nr. 283, S. 67–68): et provinciae Syria atque Iudaea fessae oneribus deminutionem tributi orabant; dazu H. G. Kippenberg, Religion, 126. Diese Nachricht bringt Tacitus in Kontext der Unruhen in den Gebieten der vormals unabhängigen Königreiche Kilikien und Kommagene, die in Provinzen umgewandelt wurden. In der Übergangsphase lehnte dies ein Teil der Bevölkerung ab, der sich die Fortdauer der Königsherrschaft wünschte. 158 Zu den Getreidelieferungen, die die Bevölkerung der Stadt Rom versorgten, s. R. Duncan-Jones, Structure, 193. Tacitus nennt Ägypten „Schlüssel der Getreideversorgung“ (claustra annonae, Historiae 8,3,2, Text: Vretska 312). 159 Die Tatsache, dass die römischen Kaiser die lokalen Städte weiterhin Kupfer‑ und in einigen Fällen (z. B. in Antiochia am Orontes; dazu M. A. Chancey, Greco-Roman Culture, 173) auch Silbermünzen schlagen ließen, wurde schon vielfach diskutiert; vgl. O. Roller, Münzen, 3–4; J.-Ph. Fontanille, S. L. Gosline, The Coins, 14. 160 In der Nähe Jerusalems wurden Stadtmünzen von Gaza, Askalon, Dora, Akko und Skytopolis geprägt, s. A. Spijkerman, Coins, 284; M. A. Chancey, City Coins, 105. Zu den neben der römischen Reichswährung zirkulierenden Münzen vgl. U. Rappaport, Numismatics, 56– 57; Z. Safrai, The Economy, 302; St. Alkier, Geld, 314. Dieses Geld wurde in den meisten Städten der östlichen Hälfte des römischen Reiches aus Kupfer geprägt und war für den lokalen

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Initiative und auch die Aufsicht über die Prägetätigkeit lag bei den lokalen Magistraten, nicht beim Kaiser, der de jure das Münzrecht besaß161. Diese Münzen waren ein offiziell anerkanntes Zahlungsmittel; ihre Herstellung dauerte bis zu der großen Wirtschafts‑ und Reichskrise des 3. Jh. n. Chr. fort. Hierbei muss beachtet werden, dass die kaiserliche Gesetzgebung ausländische Prägungen z. B. der Parther im Gegensatz zu dem Geld der lokalen Münzstätten innerhalb der Reichsgrenzen als Währung nicht anerkannte. Diese Geldstücke wurden innerhalb des Imperiums als bloße Handelsware betrachtet, die wie anderes Metall nach Gewicht, d. h. nach dem Metallwert, verkauft werden durfte. Diese Unterscheidung war insofern von Bedeutung, als der römische Staat für seine Steuerberechnungen und auch für die festgesetzten Tarife ausschließlich römische Münzen, die von den kaiserlichen Münzstätten hergestellt und herausgegeben wurden, zugrundelegte und die Abgaben in seiner eigenen römischen Währung verlangte. Das Geld der diversen lokalen Münzstätten, wie z. B. der griechischen Städte, wurde also nicht angenommen. Somit erübrigte sich für die römische Verwaltung jegliche Umrechnung der Steuerforderungen in lokale Währungen. Dass es den Untertanen des Kaisers frei gestellt war, was immer wieder von Exegeten angenommen wird162, in welcher der im römischen Reich umlaufenden Währungen sie ihre Steuern bezahlten, ist daher schon aufgrund praktischer Erwägungen zurückzuweisen. Außerdem erhielt das Reich auf diesem Weg eine einheitliche Rechnungsgrundlage in Steuerdingen, die die Abwicklung eingehender Zahlungen der

Gebrauch bestimmt, s. Ch. J. Howgego, Ancient History, 102; N. Belayche, Iudaea, 38. So wurden z. B. die Kupfermünzen aus Athen nur selten außerhalb von Attika gefunden, s. A. S. Walker, 16 or 18 Assaria, 145. Es sollte den Kleingeldmangel in vielen Teilen des Reiches beheben, dazu U. Fellmeth, Pecunia, 137–141. Diese Prägungen haben „den Geldmarkt entlastet und sind nicht nur als Zeugnis des monitären Pluralismus, sondern auch als erheblicher Stabilisierungsfaktor lange erhalten geblieben“, so R. Göbl, Von Wesen, 24. Für seine Herstellung und Gestaltung waren die lokalen Eliten verantwortlich, weshalb die ausgewählten Münzbilder den Prozess der Romanisierung eines Gebietes spiegeln, s. M. A. Chancey, City Coins, 104, 110. Sie setzten auch religiöse Darstellungen mit lokalen Bezügen auf die Geldstücke, s. N. Belayche, Iudaea, 39–44 mit Beispielen aus Palästina (ab dem 2. Jh. n. Chr.). 161 Die Römer beließen es also dabei, dass jede griechische Polis ihre Angelegenheiten in eigener Regie regelt, was M. Sigismund, Small Change, 318–319, mit Blick auf das Münzwesen hervorhebt. Die Stadt musste für die Prägetätigkeit auch nicht vorher die kaiserliche Genehmigung einholen, s. J. Nollé, Städtisches Prägerecht, 501–503. 162 Beispielsweise U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 226 (vgl. ebenso J. Sp. Kennard, Render, 55–56 und A. Ben-David, Jewish and Roman Bronze, 120), der die Einführung des Denars als offizielles Zahlungsmittel erst in nachmarkinische Zeit verlegt und annimmt, „dass der röm. Provinziale der vormarkinischen / markinischen Perikope die Wahl hatte“. Diese Option schloss nach Mell sogar Kupfernominale der Provinzialprägungen und Geld der jüdischen Könige wie des Herodes I des Großen ein. Dass Denare am Beginn des 1. Jh. im Osten nur in geringen Mengen zirkulierten, bedeutet nicht, dass dieser Engpass die Organisation des römischen Steuerwesens bestimmte; richtig: E. Stauffer, Die Botschaft, 222.

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Provinzen wesentlich erleichterte163. Die Steuereinziehung selbst wickelte die kaiserliche Verwaltung aber mit Hilfe örtlicher Geldwechsler ab, die das lokale Kupfergeld der Steuerzahler in römische Silber‑ und Goldmünzen umtauschten164, um diese dann an den Fiskus zu transferieren165. Dabei verdienten die Banken an den den Provinzialen abverlangten Wechselgebühren166.

 K. W. Harl, Coinage, 238, unterstreicht, dass die kaiserliche Verwaltung auf Gold‑ und Silbermünzen bestand, in denen z. B. der Sold der Legionen ausgezahlt wurde und „never invented bills of exchange to avoid conveying coins in taxes or payrolls“. Darum brachte der Kaiser die Ausprägung der Münzen in Edelmetall konsequent unter seine Kontrolle. So wurde die Ausprägung von Tetradrachmen aus Silber in Tyrus (mit dem typischen Bild des Stadtgottes Melkart) 58/59 n. Chr. wahrscheinlich aus diesem Grund beendet und danach nach Antiochia am Orontes verlegt, wo nun auch das Kaiserbild auf die Vorderseite gesetzt wurde, s. F. Millar, The Roman Near East, 288–289 und A. Burnett, M. Amandry, P. P. Ripollès, Roman Provincial Coinage, Bd. 1, 655–656. Der Geldmarkt des römischen Reiches war also „halbautonom“, unterstand stets kaiserlicher Kontrolle, s. R. Göbl, Von Wesen, 19. Abzulehnen ist daher die These, dass der Denar in Judäa zur Zeit Jesu „kein gängiges Zahlungsmittel war“, so: U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 226. In Gebieten, die zuvor einen geschlossenen Wirtschaftsraum darstellten und eine nicht konvertierbare Binnenwährung besaßen, wie in dem Königreich der Nabatäer, das 106 n. Chr. als Provinz Arabia annektiert wurde (dazu I. Toral-Niehoff, Art. Nabataioi, Nabatäer, 658), ließ die römische Verwaltung z. B. die alten Münzen als Billon mit hohem Kupferanteil (für einige Zeit und unter deutlichem Wertverlust gegenüber dem Denar, s. W. Weiser, H. M. Cotton, Gebt, 282) weiter zirkulieren und benutze sie für Steuerzahlungen wie P.Yadin 16 (Text: Lewis 66 Z. 20 u. ö.) aus dem Archiv der Babatha beweist (dazu W. Weiser, H. M. Cotton, Gebt, 279). Dennoch wurde parallel dazu das römische Geld eingeführt, W. Weiser, H. M. Cotton, Gebt, 278. In Judäa existierte zudem kein eigenes jüdisches Silbergeld der einheimischen Könige, das ebenso wie im Königreich der Nabatäer als Steuergeld bereits eingeführt war. Der These von Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, Bd. 2, 6–9, die tyrischen Silberdrachmen seien ab 18/17 v. Chr. in Jerusalem als offizielle Währung des jüdischen Königreichs geprägt worden, überzeugt nicht. Hätte denn ein jüdischer König einen paganen Stadtgott als Prägebild und dazu noch die Ära der Stadt Tyrus zur Datierung akzeptiert? Die übrigen Kupfermünzen des Herodes zeigen jedenfalls ein anderes Erscheinungsbild; s. ebenso A. Burnett, M. Amandry, P. P. Ripollès, Roman Provincial Coinage, Bd. 1, 656. 164 Die Funktion der Geldwechsler diskutiert K. W. Harl, Coinage, 234–235. Ihre Agenten kümmerten sich – wie ägyptische Papyri belegen – u. a. um das Einsammeln von z. T. kleinsten Geldbeträgen, in denen Steuerschulden nach und nach abgezahlt wurden (vgl. die Dokumentation eines solchen Falls auf der Grundlage ägyptischer Papyri durch R. S. Bagnall, P. J. Sijpesteijn, Currency, 112). Sie richteten für die Steuerzahler sogar Girokonten ein, um das Geld leichter an den Fiskus weiterleiten zu können; dazu F. Beyer, Geldpolitik, 82 (mit Lit.). 165 Dabei wurde das Geld aus logistischen Gründen wahrscheinlich in den Provinzen gesammelt und nicht erst nach Rom transportiert. Aus der Kasse der jeweiligen Provinz konnte es – ergänzt durch frisch geprägte Münzen der zentralen Münzstätte in Rom (dazu R. Göbl, Von Wesen, 20) – dann wieder ausgezahlt werden. F. Millar, The Roman Near East, 52, vermutet für die Provinz Syrien mit Blick auf die laufenden Kosten für Armee und Verwaltung: „the total revenuse of the Syrian region should have meant that the area was at least self-supporting in terns of Imperial finance“. 166 K. W. Harl, Coinage, 234 nimmt an, dass die einfachen Steuerzahler durch solche fiskalischen Manipulationen eine Steigerung der Abgaben auf Grundbesitz von 50 bis 100 Prozent erfuhren. 163

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Die Tatsache, dass der römische Staat für seine Steuerforderungen auf Reichsmünzen bestand, lässt sich durch eine Inschrift aus der Handelsmetropole Palmyra belegen167. Diese Oasenstadt lag etwa in der Mitte zwischen dem römischen Reich und seinen parthischen Nachbarn und bildete einen Knotenpunkt der Karawanenstraßen, die die römische Provinz Syrien mit dem Zweistromland verbanden168. In Palmyra, das zum römischen Herrschaftsgebiet gehört, gab es eine Grenzübergangsstelle, an der Zölle und Abgaben fällig wurden. Es entsprach verbreitetem Usus, die Tarife öffentlich durch Anschlag bekanntzumachen und die aushängenden Zollforderungen dem Reisenden so vor Augen zu führen169. Diese Praxis wird von einer Anekdote über die ausgedehnten Reisen des neupythagoreischen Wanderphilosophen Apollonios von Tyana belegt, dessen Besuch in Mesopotamien Philostratos in dessen Lebensbeschreibung schildert. Demnach erreichte Apollonios bei der Stadt Zeugma, wo ein wichtiger Euphratübergang lag und eine Brücke den Fluss überspannte170, die Grenze zwischen dem römischen und parthischen Reich. In dieser Erzählung nimmt Philostratos die Geldgier eines Zöllners aufs Korn, der den Hinweis des Apollonios auf seine philosophischen Tugenden als Deklaration mitgeführter Sklavinnen missverstand, die als Handelsware selbstverständlich zu verzollen waren171: Beim Übertritt nach Mesopotamien führte sie der Zöllner, der bei Zeugma Wache stand, zu der Zolltafel und fragte sie, was sie mit sich führten. Apollonius gab zur Antwort: Ich führe Besonnenheit, Gerechtigkeit, Tüchtigkeit, Enthaltsamkeit, Tapferkeit und Disziplin mit mir! Und er reihte noch mehr derartige Namen weiblichen Geschlechts aneinander. Hierauf sagte der Zöllner, der schon seinen Gewinn vor Augen hatte: Schreib die Sklavinnen auf! Dies ist nicht möglich, erwiderte Apollonius, denn nicht Sklavinnen, sondern Herrinnen führe ich mit mir.

Die in der zitierten Passage erwähnte Tafel (πινάκιον) mit Listen der zu deklarierenden Waren sowie den für sie jeweils als Zoll zu bezahlenden Beträgen ist ebenfalls durch archäologische Funde bezeugt. Eine Inschrift in lateinischer Sprache, die die entsprechenden Tarife mit den zu verzollenden Waren bekannt gab, wurde z. B. in Nordafrika in der Stadt Zarai gefunden172, die in der Pro167 Die umfangreiche Literatur zu dieser Inschrift findet sich gesammelt bei F. Herrenbrück, Steuerpacht, 2264. Ders., Jesus, 176, bringt lediglich einige Überlegungen zur Verwendung des Begriffs τελώνης in der Inschrift. 168 I. A. Richmond, Palmyra, 43; vgl. auch F. Millar, The Roman Near East, 17. 169 Vgl. H. J. W. Drijvers, Hatra, 843. 170 E. Olshausen, Art. Zeugma, 1516. Die wirtschaftliche Bedeutung verdeutlichen reiche Grabungsfunde aus der römischen Kaiserzeit, J. Wagner, Art. Zeugma, 782. 171 Vita Apollonii 1, 20 (Text und Übersetzung: Mumprecht 60–61): παριόντας δὲ αὐτοὺς ἐς τὴν μέσην τῶν ποταμῶν ὁ τελώνης ὁ ἐπιβεβλημένος τῷ Ζεύγματι πρὸς τὸ πινάκιον ἦγε καὶ ἠρώτα, ὅ τι ἀπάγοιεν, ὁ δὲ Ἀπολλώνιος „ἀπάγω“ ἔφη „σωφροσύνην δικαιοσύνην ἀρετὴν ἐγκράτει­ αν ἀνδρείαν ἄσκησιν“, πολλὰ καὶ οὕτω θήλεια εἴρας ὀνόματα. ὁ δ᾽ ἤδη βλέπων τὸ ἑαυτοῦ κέρδος „ἀπόγραψαι“ οὖν ἔφη „τὰς δούλας.“ ὁ δὲ „οὐκ ἔξεστιν,“ εἶπεν „οὐ γὰρ δούλας ἀπάγω ταύτας, ἀλλὰ δεσποίνας“. 172 CIL VIII 4508; W. Huß, Art. Zarai, 694.

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vinz Numidia nahe der mauretanischen Grenze lag173. In der aus dem Jahr 202 n. Chr. stammenden Verordnung werden Handelswaren wie Pferde, Maulesel, aber auch Nahrungsmittel oder Eisen aufgelistet, die mit einem bestimmten Zoll belegt waren174. Eine ähnliche Inschrift gab es im 2. Jh. n. Chr. in Palmyra. Kaiser Hadrian hatte dieser Oasenstadt bei seinem Aufenthalt 129 n. Chr. das Privileg gewährt, Zölle und Steuern einzunehmen175. Ein Teil dieses Zollaufkommens wurde danach an den römischen Fiskus überwiesen. Die Inschrift aus dem Jahr 136/137 n. Chr. zählt detailliert in griechischer und aramäischer Sprache diverse Waren auf, um Streit über die Zolltarife in Zukunft auszuschließen176. Dabei ist interessant, dass auf ein Reskript des Germanicus verwiesen wird. Es stammt aus viel früherer Zeit als die Inschrift selbst und wurde wahrscheinlich erlassen, als Germanicus unter Kaiser Tiberius in den Osten des Reiches entsandt wurde, um u. a. die Verwaltung zu ordnen177. Er erhielt dazu das sog. imperium maius, das ihm einen den Statthaltern übergeordneten Rang einräumte. In dieser Eigenschaft schrieb Germanicus wahrscheinlich während eines Aufenthalts in Syrien in den Jahren 17 bis 19 n. Chr. an einen gewissen Statilius, von dem sonst nichts weiter bekannt ist178, der aber mit der Finanzverwaltung beauftragt gewesen sein dürfte. Diese Anordnung des Germanicus ist in der Inschrift im Rahmen eines längeren Zitats aus einem Edikt des Gaius (Licinius) Mucianus, der Statthalter von Syrien war, wiedergegeben179. Sie war zur Zeit der Abfassung der palmyrenischen Inschrift in juristischer Sicht also noch immer in Kraft. In seinem Schreiben regelte Germanicus, dass alle Zölle in römischen Münzen zu berechnen seien, denn es heißt ausdrücklich: „Zölle müssen in italischen Assen berechnet werden“180. 173 Zu dieser Inschrift aus Zarai vgl. W. Liebenam, Städteverwaltung, 29 sowie F. M. Ausbüttel, Die Verwaltung, 91. 174 CIL VIII 4508. 175 M. Zahrnt, Zum Fiskalgesetz, 279; vgl. auch W. Liebenam, Städteverwaltung, 26–28. 176 Der griechische Text ist nur zu einem Drittel vollständig erhalten; vgl. IGRR III 1056 = OGIS 629, dazu M. Zahrnt, Zum Fiskalgesetz, 280; ferner I. A. Richmond, Palmyra, 53; F. E. Udoh, To Caesar, 230. Der aramäischen Paralleltext findet sich in CIS III 3913. 177 Tacitus, Annales 2,43 (Text: Heller 156–157); s. dazu auch I. A. Richmond, Palmyra, 44. 178 OGIS 629 Z. 154; s. auch Stein, Art. Statilius, 2185. 179 Dies ergibt sich aus dem aramäischen Paralleltext der Inschrift CIS III 3913 Z. 74. Dort sind am Zeilenende die Buchstaben ‫ קינ>ס< היגמונא‬noch lesbar. Im griechischen Text ist am ­Beginn der Zeile der Name Γαίο erhalten, IGRR III 1056 IV Z. 10. Die Deutung auf den Statthalter Gaius (Licinius) Mucianus wurde u. a. von H. Seyrig, Antiquités, 167, vorgeschlagen. Der Statthalter war zwischen 67 und 69 n. Chr. im Amt (s. Kappelmacher, Art. C. Licinius Mucianus, 437–438; E. Schürer, The History, Bd. 1, 265–266) und hätte demnach ältere Regelungen noch einmal bestätigt, so U. Mell, Die „anderen“ Winer, 224. Allerdings ist der Kontext der betreffenden Zeile zu beschädigt, als dass m. E. letzte Sicherheit in der Deutung des Namens zu erreichen ist. 180 IGRR  III  1056  IV  Z.  43–44: δεῖ πρὸς ἀσσάριον ἰτα τὰ τέλη λογεύεσθαι; auch in der aramäischen Parallele in der Inschrift ist ausdrücklich von ‫ אסר איטלקא‬die Rede, s.

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Diese Regelung entspricht allgemeiner römischer Praxis181 und dürfte gleichfalls für Judäa zur Zeit Jesu gegolten haben. Diese Grundsatzentscheidung entdeckt man auch im Matthäusevangelium. In der Zinsgroschenperikope beschreibt Matthäus ebenso wie die anderen Synoptiker, dass Jesus sich einen Denar reichen ließ. Allerdings ändert Matthäus an dieser Stelle den Text, um ein signifikantes Detail einzufügen. Er lässt Jesus anders als Markus und Lukas in den Parallelüberlieferungen nicht um einen Denar, sondern um eine Steuermünze bitten (τὸ νόμισμα τοῦ κήνσου, Mt 22,19). Diese Formulierung belegt, dass die Steuern in römischer Währung berechnet wurden. In diesem Geld wurden sie eingefordert und auch eingezogen, weswegen Denare als „Steuergeld“ bezeichnet werden konnten182. Nun kommt erschwerend hinzu, dass römische Geldstücke zur Zeit Jesu – wie Münzfunde belegen – im Osten des römischen Reiches nur in geringen Mengen im Umlauf waren. Die Bevölkerung musste demnach ihr lokales Geld, das meist Kupfermünzen waren, erst gegen eine Gebühr in römische Münzen eintauschen. Dieses Aufgeld betrug in der Regel 2 Asse, so dass für die Provinzbewohner der Denar nicht 16, sondern 18 Asse kostete183. Dieser heute Agio genannte Aufschlag beim Wechseln musste bei Steuerzahlungen stets zu den römischen Geldforderungen hinzugerechnet werden und verursachte eine zusätzliche Abgabenlast. Dies macht auch verständlich, weshalb Matthäus Denare mit den Steuerforderungen des Staats assoziierte, weil sie beim Steuerzahlen, anders als im alltäglichen Geschäftsleben, in dem Käufe und Verkäufe vornehmlich in örtlichen Münzsorten z. B. der griechischen Städte abgewickelt wurden, obligatorisch waren.

CIS III 3913 Z. 105. (Diese Wendung findet sich auch in rabbinischen Texten zur Bezeichnung kaiserlicher Münzen im Gegensatz zu lokalen Prägungen der Städe, z. B. mQid 1,1; dazu Ch. J. Howgego, The Relationship, 60). W. Dittenberger, OGIS 629 Z. 155–156, rekonstruiert den griechischen Text der Inschrift als πά τὰ τέλη. Diese Rekonstruktion ist nicht korrekt, s. F. E. Udoh, To Caesar, 230. Zu dieser Passage vgl. auch J. Sp. Kennard, Render, 65. 181 Es ist m. E. daher falsch, die Regelung durch eine Sonderstellung Palmyras erklären zu wollen, die für andere Teile des Reiches bzw. für die Kopfsteuer generell keine Geltung hatte, vgl. U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 225. Germanicus wollte auch nicht ausschließen, dass bei Geldwechslern andere Münzen eingezahlt wurden (gegen F. E. Udoh, To Caesar, 231), was für das Funktionieren des Fiskus in römischer Währung gerade keine Rolle spielte. 182 W. Stenger, Gebt, 11. 183 Die verschiedenen Wechselkurse nach jüdischen Quellen behandelt A. Ben-David, Jewish and Roman Bronze, 113. Zu dem Wechselkurs im Osten des Reiches (mit 2 Assen Gebühr der Geldwechsler) s. R. Göbl, Antike Numismatik, Bd. 1, 87; D. Mac Donald, The Worth, 122–123; Ch. J. Howgego, The Relationship, 59 und W. Weiser, H. M. Cotton, Gebt, 247 (mit weiterer Lit.). Die Tetradrachmen aus Alexandria, die von den römischen Kaisern in Nachfolge der ptolemäischen Könige geprägt wurden und als lokales Geld in der Provinz umliefen, wurden wegen ihres geringen Silberanteils (unter Kaiser Nero nur noch 17 %) mit einem Aufgeld von 17–21 % in Denare gewechselt, s. W. Weiser, H. M. Cotton, Gebt, 286–287.

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Im alltäglichen Gebrauch wurden römische Münzen dagegen im Osten des römischen Reiches eher selten verwendet, was sich, wie die Auswertung von Grabungsfunden beweist, erst am Ende des 1. Jh. n. Chr. veränderte, als die Reichsprägungen in größeren Mengen zu zirkulieren begannen184. Diese Entwicklung lässt sich am Beispiel der Fundsituation in der galiläischen Stadt Gamala illustrieren, die im Herbst des Jahres 67 n. Chr. von Vespasian belagert und schließlich erobert wurde. Dort entdeckten israelische Archäologen in den Ruinen etwa 6 200 Münzen, unter denen sich, abgesehen von den Prägungen der römischen Procuratoren Judäas, nur 21 römische Geldstücke befanden, teilweise mit dem Kaiserportrait. Es fanden sich auch etliche silberne Tetradrachmen, z. B. aus Tyrus oder Antiochia, aber kein einziger Denar185. Die Geldtheorie römischer Juristen und das Steuerzahlen Für unseren Zusammenhang ist es nützlich, auch einen Blick auf die römischjuristische Vorstellung über die Entstehung von Geld zu werfen und über die Begründung von seinem Wert. Im Umkreis der juristischen Bedingungen für die Entstehung und rechtliche Geltung von Münzgeld liegen nämlich die Wurzeln vieler Entwicklungen, die zur jüdischen Ablehnung römischer Geldstücke und der in ihnen eingeforderten Abgaben beitrugen. Auf diesen Gegensatz der römischen Gedankenwelt zur jüdischen Auslegung der Tora scheint dann Jesus in der Zinsgroschenperikope anzuspielen. Als wesentlicher Gesichtspunkt der Überlegungen römischer Gelehrter über den Ursprung von Geld ist hervorzuheben, dass Münzen, sofern sie vom römischen Staat als Zahlungsmittel anerkannt wurden, nicht durch Eigenschaften wie ihr Gewicht oder den Gehalt an Edelmetall zu einem Zahlungsmittel 184 Zusammenfassend zu diesem Thema s. M. Reiser, Numismatik, 468, 475; vgl. ferner J. Sp. Kennard, Render, 53–59; K. C. Hanson, D. E. Oakman, Palestine, 124; St. Alkier, Geld, 327. 185 Im Ganzen war weniger als 1 % Reichsgeld bei der Eroberung in den Boden geraten, D. Syon, The Coins, 45. Freilich liegt dieser Befund bereits in den Kriegsjahren des Ersten Jüdischen Krieges. Für Jerusalem konnte D. T. Ariel, A Survey, in seiner Sichtung des archäologischen Fundmaterials (bis 1979) nur drei Denare und drei Aureii für die herodianische Zeit nachweisen, ebd. 284. Er schließt daraus: „some Roman coins may have circulated, they certainly were not dominant until later“, ebd. 285. Von Kaiser Tiberius konnte er überhaupt nur einen Denar und einen Aureus auflisten, ebd. 314  Nr. 60–61. Tyrische Tetradrachmen wurden hingegen sehr zahlreich ausgegraben, s. auch D. T. Ariel, A Survey, 284–285; F. E. Udoh, To Caesar, 90. Der Hortfund aus der Nähe von Isfiya am Berg Karmel, der unter 4500 Münzen nur 160 römische Denare enthielt, wird ebenfalls öfters herangezogen; vgl. allgemein L. Kadman, Temple Dues, 9–10. Die Schlussmünze datiert 53 n. Chr. Unter den Denaren befanden sich etwa 30 von Kaiser Tiberius, s. H. St. J. Hart, The coin, 244–245 (mit einer brieflichen Notiz von Y. Meshorer, ebd. 248) sowie F. E. Udoh, To Caesar, 235.

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wurden. Dies galt lediglich für die Anfänge der Geldwirtschaft, auf die man während der römischen Kaiserzeit wie auf eine ferne Vergangenheit zurückblickte. Einst „gründete sich die rechtliche Wirkung und Zahlungskraft dieser Münzen nicht auf ihrer Anzahl, sondern auf ihrem Gewicht“, wie es der Jurist Gaius ausdrückt186. Gaius meint damit die Zeit des Zwölftafelgesetzes. Zur Zeit Jesu vertraten römische Behörden diese Anschauung nur noch im Hinblick auf ausländische Währungen, die als bloße Ware betrachtet und in ihrem Wert von ihrem Metallgewicht abhängig gehandelt wurden187. Römische Geldstücke zählte man laut Gaius hingegen ohne Gewichtskontrolle ab188. Deshalb gab es eindeutige Kriterien, mit deren Hilfe ein Geldstück als solches erkennbar war und die es vom Geld anderer Staaten unterscheidbar machten. Der schon erwähnte römische Jurist Paulus bemerkte dazu, dass eaque materia forma publica percussa usum dominiumque non tam ex substantia praebet quam ex quantitate189. Diese forma percussa war die Kardinaldifferenz zu importierten nicht-römischen Geldstücken. Diese Theorie hatte für die kaiserliche Regierung entscheidende Vorteile, denn der Anteil an Edelmetall spielte für die Kaufkraft der Münzen keine entscheidende Rolle. So konnte von den staatlichen Münzstätten der Feingehalt, z. B. der Silbergehalt der Denare, herabgesetzt, und aus der gleich bleibenden Menge an Silber, das in den Minen gefördert wurde, mehr Geld geprägt werden, was dem Kaiser einen größeren finanziellen Spielraum eröffnete, ohne dass im 1. oder 2. Jh. n. Chr. diese Maßnahme zu Preisschwankungen oder einem Inflationsschub führte190. In römischer Zeit waren also, anders als später wieder im Mittelalter, der Feingehalt und der Wert einer Münze unabhängig voneinander. Die Verminderung des Edelmetallgehalts war zwar öffentlich durchaus bekannt; Plinius vermerkte beispielsweise: „Der Triumvir Antonius setzte dem Denar Eisen zu“191, was aber den Geldwert nicht beeinflusste und lange Zeit keine Inflation hervorrief. Tatsächlich setzten die Kaiser den Silbergehalt der Denare nach und nach immer mehr herab. Während er unter Augustus 95 bis 99 % betragen hatte, enthielten dieselben Münzen unter Kaiser Commodus am Ende des 2. Jh. n. Chr.

186 Institutiones 1, 122 (Text und Übersetzung: Manthe 80): vis et potestas non in numero erat, sed in pondere; vgl. dazu W. Weiser, Nomisma, 233. 187 W. Weiser, Nomisma, 233. 188 Institutiones ebd.: numerabat eam. 189 Digesta 18,1,1 (Text: Mommsen 262). Das war so zu verstehen, dass das offizielle Aussehen der Prägung wie die gleich bleibende Qualität, auf der die allgemeine Akzeptanz in der Bevölkerung beruhten, den Ausschlag gaben; vgl. K. Hasler, Studien, 113–116; W. Weiser, Nomisma, 233; R. Wolters, Nummi, 357. 190 Vgl. K. Hasler, Studien, 4–5, 62–64, 115. 191 Naturalis historia 33,132 (Text und Übersetzung: König, Winkler 92–93): Miscuit denario triumvir Antonius ferrum.

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nur noch 65 bis 70 % Edelmetall192. Da aber rechtlich einzig und allein das äußere Erscheinungsbild und die gleich bleibende Qualität von Bedeutung waren, hatte diese Verminderung des Silberanteils keinen Einfluss auf den Münzwert. Wichtig für unsere Untersuchung ist jedoch die forma publica, die der Jurist Paulus erwähnt, denn zur ihr gehört das aufgeprägte Kaiserbild193. Seine Prägung machte ein Stück Metall nach römischem Recht zu einem Geldstück. Dies belegt uns die vielfach bezeugte Tatsache, dass in römischer Zeit für die Reichswährung ein Annahmezwang bestand. Wer ihre Verwendung in alltäglichen Geschäften verweigerte, wurde mit dem Tod bestraft. Die Ablehnung des Kaisergeldes wurde nämlich unter die lex Cornelia de falsis eingeordnet194. Dieses von dem Diktator Sulla in republikanischer Zeit erlassene Gesetz, in den Juristenschriften und Gesetzestexten der Kaiserzeit oft auch lex Cornelia testamentaria nummeraria genannt, regelte die Bestrafung bestimmter Testaments‑ und Münzdelikte195. Sulla, so viel sei nachgetragen, ordnete den römischen Staat als Diktator ohne zeitliche Begrenzung neu und festigte die bisher nur durch Herkommen festgelegte Herrschaft des Senats. Tribunat und Volksversammlung wurden politisch bedeutungslos. Bis Sulla 79 v. Chr. die Diktatur niederlegte, erließ er noch weitere Gesetze, um Staat und Verwaltung zu ordnen und zu straffen, wozu u. a. Strafen für Fälschungen von Testamenten und Münzen gehörten196. Im Hinblick auf Münzverbrechen wurde dabei festgelegt, dass das Legieren von Gold, das Nachahmen staatlicher Geldstücke und ihre absichtliche Beschädigung oder Beschneidung als Kapitalverbrechen zu ahnden seien197. Zu diesen strafbaren Handlungen gehörte auch die wissentliche Zurückweisung der Reichswährung. Dies bezeugt der Jurist Paulus, auf den wir in Ermangelung des kompletten Gesetzestextes in diesem Falle (wie in vielen anderen) zurückgreifen müssen198. Zu 192 Zu diesen Angaben s. K. Regling, Art. Münzwesen, 482; T. Frank, Rome, 35 und 92; J. Sp. Kennard, Render, 51–52; A. Ben-David, Jerusalem, 15; Th. Pekáry, Die Wirtschaft, 103; K. Hasler, Studien, 5, 16; D. Goldenberg, Babatha, 52–53. Zum römischen Staatshaushalt s. R. Bogaert, Art. Geld, 34–35. Einen Überblick über den stetig abnehmenden Silbergehalt der Denare (vom 1. bis zum 3. Jh.) vermittelt die Tabelle bei U. Fellmeth, Pecunia, 139 Grafik 2. 193 Zu der Schlüsselfunktion des Kaiserbildes s. K. Hasler, Studien, 86–101; R. P. DuncanJones, Implications, 460. Die Rückseiten der Münzen dienten mit ihren Darstellungen oft Propagandazwecken, s. z. B. P. Zanker, Augustus, 61–62. 194 Vgl. zu diesem Grundsatz R. Taubenschlag, Art. Münzverbrechen, 456. Das relevante Quellenmaterial fasst bereits zusammen: W. Rein, Das Criminalrecht, 786–787; vgl. auch R. Wolters, Nummi, 370. 195 Hitzig, Art. Falsum, 1973; K. Hasler, Studien, 62–64. 196 A. Volkmann, Art. Lex, leges, 607, datiert das Gesetz auf 81 v. Chr. Zu seinen Bestimmungen s. auch R. Taubenschlag, Art. Münzverbrechen, 455–456. 197 Digesta 48,10,8–9 (Text: Mommsen 855) nach Ulpian; dazu Hitzig, Art. Falsum, 1974; K. Hasler, Studien, 82–86. 198 Seine Elementarschrift des römischen Rechts war bis in das Mittelalter verbreitet, Berger, Art. Iulius Paulus, 732.

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den Vergehen, die unter die lex Cornelia de falsis gehörten199, rechnet Paulus verschiedene Techniken der Münzfälschung oder -beschädigung, ferner aber auch, wenn jemand „mit dem Gesicht des Kaisers gekennzeichnetes Geld, außer Falschgeld, zurückweist“200. Die vorgesehene Strafe für honestiores war die Deportation auf eine Insel und für niedere Schichten, die humiliores, Zwangsarbeit in einem Bergwerk oder die Kreuzigung. Der Annahmezwang für kaiserliche Münzen wird auch in anderen antiken Quellen erwähnt. Sehr treffend ist eine Bemerkung des stoischen Philosophen Epiktet, der seine Gedankengänge zur Seelenlehre mit einem Beispiel aus dem Alltagsleben illustriert und zur vorgeschriebenen Verwendung römischen Geldes anmerkt201: Ebenso wie ein Wechsler oder Gemüsehändler eine Münze des Kaisers nicht willkürlich ablehnen kann, sondern, wenn man sie ihm hinlegt, dafür Ware geben muss, ob er will oder nicht will, ebenso verhält es sich auch mit der Seele …

Diese Stelle beleuchtet in klaren Worten die Tatsache, dass alle Gewerbetreibende beim Kaufen oder Verkaufen τὸ τοῦ Καίσαρος νόμισμα in Zahlung nehmen mussten; kein Händler durfte die römische Reichswährung ablehnen202. Denselben Grundsatz stellt ein Edikt des Strategen des Gaus Oxyrhynchus in Mittelägypten aus dem Jahr 260 n. Chr. heraus, das sich auf die in dieser Krisenzeit doch eingetretenen Währungsturbulenzen bezieht203. Der lokale Beamte befahl wegen diverser Beschwerden, dass die Münzen der Kaiser Macrinus und Quietus in Zahlung genommen werden müssten. Offenbar hatten etliche Bankiers ihre Wechseltische geschlossen und sich geweigert, neue Münzen der beiden Kaiser anzunehmen, wobei eine Rolle gespielt haben könnte, dass die Herrschaft der beiden noch nicht gesichert war204. In dieser unsicheren Lage war es offenbar zum Boykott der Geldstücke der Usurpatoren Macrinus und 5,25,1 (Text: Girard 362): Lege Cornelia testamentaria (tenetur)…. 5,25,1 (Text: Girard 362): vultuue principum signatam monetam, praeter adulterinam, reprobaverit. 201 Epicteti Dissertationes 3, 3 (Text: Oldfather 28, Übersetzung: Schmidt 79): ὡς γὰρ τὸ τοῦ Καίσαρος νόμισμα οὐκ ἔξεστιν ἀποδοκιμάσαι τῷ τραπεζίτῃ οὐδὲ τῷ λαχανοπώλῃ, ἀλλ᾽ ἂν δείξῃς, θέλει οὐ θέλει, προέσθαι αὐτὸν δεῖ τὸ ἀντ᾽ αὐτοῦ πωλούμενον, οὕτως ἔχει καὶ ἐπὶ τῆς ψυχῆς. 202 Es mag ein Echo auf diesen Zwang gewesen sein, dass das Personal des Jerusalemer Tempels – hier: seine Geldwechsler – ihrerseits nur tyrische Silberdrachmen annahmen trotz der auch darauf erscheinenden Götterbilder (nämlich des Melkart bzw. Baal von Tyrus); aber deren Feingehalt an Silber war der höchste, s. u. 4.1.2. 203 P. M. Meyer, Juristische Papyri, 250; R. Taubenschlag, The Law, Bd. 2, 88; R. Bo­ gaert, Banking, 39. 204 Der General Macrinus hatte nach der katastrophalen Niederlage und Gefangennahme des Kaisers Valerian durch den Großkönig Schapur I im Jahr 259 n. Chr. den Osten des römischen Reiches gegen die Sassaniden verteidigt und dafür bei Samosata Truppen zusammengezogen. Er wurde im Zuge dieser Krise gemeinsam mit seinen Söhnen Macrianus und Quietus zum Gegenkaiser ausgerufen. Etwa im September des Jahres 260 n. Chr. konnte er sogar Ägypten er199 Sententiae

200 Sententiae

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seiner Söhne gekommen, was den lokalen Strategen veranlasste, noch einmal einzuschärfen, dass „sämtliche Münzen“ mit Ausnahme von Fälschungen rechtlich verbindliche Währung seien. Dabei verwies er ausdrücklich auf frühere Gesetze und Erlasse der Statthalter, was nahe legt, dass durch die in dem Papyrus erhaltene Verordnung ohnehin geltendes Recht durchgesetzt werden sollte205: Von Aurelius Ptolemaeus, auch Nemesianus genannt, Stratege des Oxyrhynchusbezirks. Nachdem sich die Beamten versammelt und darüber Beschwerde geführt haben, dass die Geldwechsler ihre Wechseltische geschlossen halten und die geheiligten Münzen der Kaiser nicht mehr annehmen wollen, ist es notwendig geworden, allen Eigentümern von Wechseltischen per Erlass zu gebieten, diese wieder aufzumachen und sämtliche Münzen anzunehmen und zu wechseln, mit Ausnahme offenkundiger Fehlprägungen und Fälschungen; das aber soll nicht allein für diese, sondern auch für alle gelten, die irgendwie am Umsatz von Waren beteiligt sind. Auch sie sollen sich darüber im Klaren sein, dass sie im Falle des Ungehorsams gegen diesen Erlass die Strafen zu erleiden haben, die die Hoheit des Präfekten bereits früher für sie angeordnet hat …

Dieser Erlass belegt nochmals, dass die Verwendung römischen Geldes innerhalb der Reichsgrenzen vorgeschrieben war. Es blieb die Regel, dass die Prägung, d. h. die Inschrift und das Portrait des Kaisers, das wesentliche Merkmal des Geldes war. Vor allem das Herrscherbild war ein unverzichtbares Charakteristikum und rechtlich ausschlaggebend, damit ein Metallstück zu einer Münze wurde. Darüber hinaus besaßen diese Bildnisse durchaus eine Beziehung zu allen anderen Kaiserbildern, die überall im Reich aufgestellt waren, und es gab sogar eine kurze Zeit unter Tiberius, in der sie mit ihnen in rechtlicher Hinsicht gleichgestellt waren. Die Frage der juristischen Behandlung dieser Kaiserportraits auf Münzen hatte damit gerade zu Jesu Lebzeiten eine besondere Relevanz und spielte in den Auseinandersetzungen der römischen Innenpolitik eine wichtige Rolle, auf die nun einzugehen ist. Auf ihrem Hintergrund gewinnt dann auch die Interpretation der Münzprägungen als Kaiserbildnisse sozusagen im Taschenformat eine spezielle Bedeutung.

obern, wurde aber ein Jahr später in Illyricum von einem loyalen General des Kaisers Gallienus besiegt; vgl. Stein, Art. M. Fulvius Macrinus, 261–262. 205 P.Oxy. 1411 (Text: Hunt, Edgar 126–128, Übersetzung: Ritter 87): Αὐρήλιος Πτολε­ μαῖος ὁ καὶ Νεμεσιανὸς στρατηγὸς  Ὀξυρυγχείτου. τῶν δημοσίων εἰς ἓν συναχθέντων καὶ αἰτιασσα­ μένων τοὺς τῶν κολλυβιστικῶν τραπεζῶν τραπεζείτας ὡς ταύτας ἀποκλεισάντων τῷ μὴ βούλεσθαι προσσίεσθαι τὸ θεῖον τῶν Σεβαστῶν νόμισμα, ἀνάγκη γεγένηται παραγγέλματι παραγγελῆσαι πᾶσαι τοῖς τὰς τραπέζας κεκετημένοις ταύτας ἀνοῖξαι καὶ πᾶν νόμισμα προσίεσθαι πλὴν μάλιστα παρατύπου καὶ κιβδήλου καὶ κατακερματίζειν, οὐ μόνοις δὲ αὐτοῖς ἀλλὰ τοῖς καθ᾽ ὅντινα δὴ τρόπον τὰς συναλλαγὰς ποιουμένοις, γεινώσκουσιν ὡς, εἰ μὴ πειθαρχήσιαν τῇδε τῇ παραγγελίᾳ, πειρα­ θήσονται ὦν τὸ μέγεθος τῆς ἡγεμονίας καὶ ἔτι ἄνωθεν ἐπ᾽ αὐτοῖς … προσέταξεν …

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2.2.4 Die Kaiserbilder auf römischen Münzen und die Interpretation des crimen laesae maiestatis unter Tiberius Die rechtliche Bedeutung der auf römischen Münzen aufgeprägten Kaiserportraits war in der Regierungszeit des Kaisers Tiberius nach den Berichten antiker Historiker umstritten. Es gab, wenn man (den diesem Kaiser gegenüber durchaus voreingenommenen) Quellen glauben will, Prozesse und auch Todesurteile, bei denen die Münzbilder eine entscheidende Rolle spielten. Die juristische Frage, wie mit Kaiserbildern umgegangen werden sollte und inwiefern ein die Portraits herabwürdigender Umgang als Majestätsverbrechen bestraft werden musste, war in der Regierungszeit des Tiberius noch offen und die diesbezügliche Straftat war keineswegs schon eindeutig definiert206. Dies beleuchtet eine Bemerkung des Sueton in seiner Tiberiusvita207: Um dieselbe Zeit stellte ein Praetor die Frage, ob Tiberius befehle, die Gerichte für die Behandlung von Majestätsbeleidigungen einzuberufen. Man müsse die Gesetze anwenden, war seine Antwort.

Diese Notiz des Sueton legt nahe, dass die Frage des Majestätsverbrechens – wie weit dieser Begriff sich erstreckte – ungeklärt war und die Nachfrage des Prätors veranlasste. Sueton weist die Schuld an der dann erfolgten verschärften Antwort allein dem Kaiser Tiberius zu; er gibt ihm die Verantwortung für eine verhängnisvolle Kettenreaktion, indem er eine rücksichtslose Verfolgung von Majestätsverbrechen gefordert habe. Es gibt in den Quellen aber Anhaltspunkte, dass Tiberius die Senatoren warnte, diese Prozesse zur Regel zu machen208. Ein moderner Historiker urteilte daher209: Zu ihrem großen Schaden schlugen die Senatoren aber solche Mahnungen in die Luft und beschmutzten nachher das Andenken des Tiberius, als ob er an allem Schuld gewesen sei. In Wirklichkeit sind ihm Anklagen auf Grund bloßer Schmähungen seiner Person immer widerwärtig geblieben.

Diese in den antiken Quellen übereinstimmend beschriebene Prozesswelle, die etliche Todesopfer forderte, ist auch der römischen Oberschicht zur Last zu legen, welche die diffuse Lage dazu verleitet haben dürfte, ihre persönlichen

206 Einen Überblick geben F. Vittinghoff, Der Staatsfeind, insb. 9–12; R. A. Bauman, The Crimen, insb. 212–291. 207 Sueton Tiberius 58 (Text: Rolfe 372, Übersetzung: Lambert 152): Sub idem tempus consulente praetore an iudicia maiestatis cogi iuberet exercendas esse leges respondit …; auf diese Stelle weist schon H. E. G. Paulus, Commentar, 246 hin. Die sich in ihr ausdrückende Tendenz der Anklageerhebungen wird als durchaus glaubwürdig beurteilt, s. M. Baar, Das Bild, 90 Anm. 1. 208 Tacitus Annales 1,74 (Text: Heller 102–104). 209 Gelzer, Art. Ti. Julius Caesar Augustus, 504, mit Hinweis auf Tacitus Annales 2,50; 3,70; 4,31.

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Fehden mit Hilfe einer Anklage wegen Majestätsbeleidigung auszutragen210. Zahlreiche Beispiele für solche Anklagen sind durch die historische Überlieferung greifbar, wobei das Kaiserbild u. a. auf Münzen und seine Behandlung ein wichtiges Fundament der Anklage sein konnte. Die dramatischen Folgen beschreibt Sueton211: Und allmählich ging man in dieser Art von Anklagen so weit, dass als todeswürdiges Verbrechen angesehen wurde, wenn jemand in der Nähe eines Augustusbilds einen Sklaven auspeitschen ließ oder seine Kleider wechselte, ein Geldstück oder einen Ring mit dem Bild des Augustus auf den Abtritt oder in ein Bordell mitnahm …

Sueton fasst an dieser Stelle eine Reihe von Verfahren zusammen, die auch bei anderen Geschichtsschreibern bezeugt sind und von ihnen noch ausführlicher beschrieben wurden. Im Rahmen dieser Prozesse und der daraus folgenden Verurteilungen wegen Majestätsverbrechen spielten Münzen und die aufgeprägten Kaiserportraits eine wichtige Rolle, was Sueton voraussetzt, wenn er von nummo vel anulo effigies impressa spricht212. Offensichtlich ließen sich mit ihrer Hilfe zahlreiche Anklagen konstruieren, die aus der Sicht späterer Generationen schon in der Antike zwar absurd und überzogen wirkten, aber in den Regierungsjahren des Tiberius wohl bis zur Todesstrafe führen konnten. Ein weiterer Zeuge solcher Verurteilungen ist Cassius Dio213. Der Text der betreffenden Passage ist leider verloren und nur durch byzantinische Exzerpte bezeugt, die u. a. von dem Geschichtsschreiber Konstantinos Manasses (12. Jh.) 210 Zahlreiche Beispiele für solche Anklagen sind durch die historische Überlieferung greifbar, wobei das Kaiserbild u. a. auf Münzen und seine Behandlung ein wichtiges Fundament der Anklage sein konnte. Als Beleg sei hier der von Sueton erwähnte Fall eines Mannes, der den Kopf einer Kaiserstatue entfernt und durch einen anderen ersetzt hatte, angeführt. Daraufhin wurde vor dem Senat gegen ihn verhandelt. Offensichtlich war die Beweislage nicht eindeutig, wie Sueton schreibt, und die Sache selbst blieb ambivalent, so dass man sogar zur Folter schritt (quia ambigebatur, per tormenta quaesita est; Tiberius 58, Text: Rolfe 372). Dennoch befand der Senat den Angeklagten am Ende für schuldig. Auch Tacitus berichtet von ähnlichen Vorkommnissen. Er erwähnt beispielsweise den Fall des römischen Ritters L. Ennius, der im Jahr 22 n. Chr. vor Gericht gebracht wurde, „weil er ein Bild des Kaisers zu Silbergeschirr für den täglichen Gebrauch habe umarbeiten lassen“; Tacitus, Annales 3,70,2 (Text und Übersetzung: Heller 280–281). Ihn rettete Tiberius, indem er ihn von der Anklageliste streichen ließ; dazu E. Koestermann, Die Majestätsprozesse, 105; R. A. Bauman, Impietas, 82–83; Th. Pekáry, Das römische Kaiserbildnis, 114. Die von Tacitus bezeugte Tatsache der Anklageerhebung belegt aber, dass allein das Vorgehen des Ennius, d. h. seine Entscheidung eine Tiberiusbüste einschmelzen zu lassen, um das wertvolle Metall wieder zu verwenden, als Verbrechen betrachtet wurde. 211 Sueton, Tiberius 58 (Text: Rolfe 372, Übersetzung: Lambert 152): paulatim genus calumniae eo processit, ut haec quoque capitalia essent: circa Augusti simulacrum servum cecidisse, vestimenta mutasse, nummo vel anulo effigiem impressam latrinae aut lupanari intulisse. 212 Sueton, Tiberius 58 (Text: Rolfe 372). 213 Zu der betreffenden Notiz des Cassius Dio s. R. S. Rogers, Criminal Trials, 171–172; M. Crawford, Money, 47.

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zusammengetragen wurden. Demnach hatte Tiberius folgendes Urteil zu verantworten214: Tiberius ließ einen Mann von konsularischem Rang und vornehmer Herkunft enthaupten und dazu sein Vermögen einziehen, wobei er ihm nur dies vorhielt: Mit meiner Münze auf der Brust gingst du an schmutzige und widerliche Plätze und entleertest deines Bauches Last.

In einer anderen Überlieferung wurde dieselbe Passage von dem byzantinischen Autor Maximos Planudes folgendermaßen exzerpiert215: Tiberius ließ einen Mann konsularischen Rangs hinrichten, indem er ihn beschuldigte, er habe bei einem Gang auf die Latrine ein Geldstück mit dem Bilde des Kaisers auf der Brust getragen.

Dieses Urteil basiert also auf dem Grundsatz, dass ein Kaiserbild der Person des Herrschers gleichzusetzen sei. Demnach wurde ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand wie eine Münze einer offiziellen Kaiserdarstellung gleichgesetzt, ohne dass von dem nachmals dafür nötigen Akt einer Konsekration die Rede wäre216. Denselben Sachverhalt erwähnt auch Philostratos in seiner Biographie des Apollonios von Tyana. Er berichtet von Unruhen in der kleinasiatischen Stadt Aspendos, wo die aufgebrachte Bevölkerung Spekulanten öffentlich zu lynchen drohte, die eine künstliche Lebensmittelknappheit ausgelöst hatten. Sie hielten alles Getreide in den Magazinen zurück, um es in anderen Städten zu einem wesentlich 214 Cassius Dio 58 Frgm. 2 = Konstantinos Manasses, σύνοψις ἱστοριῶν 5, 1975–1979 (Text: Cary 258, Übersetzung: Veh 372): ἄνδρα καὶ γὰρ ὑπατικὸν καὶ τῶν εὐγενεστέρων τὴν κεφαλὴν ἀφείλετο καὶ σὺν αὐτῇ τὸν πλοῦτον, τοῦτο καὶ μόνον ἐπειπών, ὅτι τὸ νόμισμά μου φέρων ἐπικολ­ πίδιον καὶ ῥυπαροὺς εἰς τόπους καὶ σκυβαλώδεις παρελθὼν βάρος γαστρὸς ἐκένου. Konstantinos Manasses schrieb eine Weltchronik (σύνοψις ἱστοριῶν) in Versfom, die bis zum Jahr 1081 reichte. Er selbst starb etwa im Jahr 1187; dazu A. Kazhdan, Art. Manasses, Constantine, 1281. 215 Cassius Dio 58 Frgm. 2 = Excerpta des Maximos Planudes Nr. 81 (Text: Cary 258 = Mai 554, Übersetzung: Veh 372): ὅτι ὑπατικὸν ἄνδρα τινὰ ἀνεῖλε Τιβέριος, ἐγκαλέσας αὐτῷ ὅτι τὸ τὴν αὐτοῦ μορφὴν φέρον νόμισμα φέρων ἐν κόλποις εἰς ἄφοδον ἀπεχώρησεν. Das Exzerpt findet sich in der großen Sammlung Συναγωγὴ συλλεγεῖσα ἀπὸ διαφόρων βιβλί­ ων und fußt wahrscheinlich indirekt auf der Weltchronik des Konstantinos Manasses, s. dazu C. Wendel, Art. Planudes, Maximos, 2234. 216 Im 2. Jh. n. Chr. wurde die juristische Problematik, die hinter einer solchen Anklage stand, durch eine wesentlich differenzierte Betrachtung der Kaiserbilder geregelt, die der Jurist Venuleius Saturninus, (2. Jh. n. Chr. im sog. Liber de iudiciis publicis) erwähnt. Demnach waren allein statuae aut imagines imperatoris iam consecratae (Digesta 48,4,6; Text: Mommsen 845) gesetzlich gegen Beschädigung oder Zerstörung geschützt. Mit dem Akt der consecratio war die Weihung von Götterbildern gemeint, die auf Kaiserportraits übertragen wurde. Die Konsekration galt demzufolge als Vorbedingung für die Majestätsanklage; s. Wissowa, Art. Consecratio, 901–902; R. A. Bauman, Impietas, 83. Diese Weihezeremonie beschreibt auf der Grundlage der Schriftquellen Th. Pekáry, Das römische Kaiserbildnis, 107–109.

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höheren Preis als in Aspendos zu veräußern. Die aufgebrachte Menge drohte darauf, den Statthalter, der die Händler schützte, lebendig zu verbrennen217: Schon griffen sie zum Feuer gegen ihn, obschon er Schutz suchte bei den kaiserlichen Standbildern, die damals sogar furchtbarer und unverletzlicher waren als der olympische Zeus. Es handelte sich hier nämlich um die Bilder des Tiberius, unter dem ein Mann des Majestätsverbrechens für schuldig befunden wurde, wenn er einen Sklaven geschlagen hatte, welcher eine silberne Drachme mit dem Bild des Tiberius bei sich trug.

Philostratos stützt sich in diesem Abschnitt seiner Vita des Apollonios höchstwahrscheinlich auf einen Historiker, der ihn über die Majestätsprozesse zur Zeit des Tiberius unterrichtet hatte218. Man ging offenbar davon aus, dass jener Mann, der seinen Sklaven bestrafen wollte, damit gleichsam den Kaiser selbst geschlagen hatte219. Das passt zu der Notiz des Sueton, dass jemand, der einen Sklaven nahe bei einem Kaiserbild (circa Augusti simulacrum220) mit Schlägen bestrafte, zum Tod verurteilt wurde. Die Münze mit einer Darstellung des Tiberius auf der Vorderseite wurde demnach einer Kaiserstatue auf einem öffentlichen Platz gleichgesetzt. Diese absurden Vorwürfe scheinen schon für Philostratos nur noch eine Erinnerung an eine ferne Vergangenheit gewesen zu sein, was sein Vergleich der Tiberiusstatuen mit Zeusbildern voraussetzt. Zu seiner Zeit (3. Jh. n. Chr.) hatten die Kaiserbilder also einen wesentlich anderen Rechtsschutz als unter Tiberius, und solche Anklagen waren unmöglich geworden. Man sollte diese Nachrichten über Majestätsprozesse in tiberianischer Zeit nicht als bloße Propaganda einer Senatsopposition gegen den Kaiser abtun221, als habe die Geschichtsschreibung sie erst erfunden, um nach dem Tod des Tiberius dessen Ansehen herabsetzen zu können und ihn als blutigen Tyrannen zu diffamieren. Dies lässt sich aus einer Episode erschließen, die Seneca in seiner Schrift De beneficiis als historisches Exempel verwendet und die wahrscheinlich auf einer mündlichen Überlieferung basiert. Sie bezeugt die von allgemeinem Misstrauen, gegenseitigen Denunziationen und nackter Angst um das eigene Leben gekennzeichnete Atmosphäre während der Regierung des Tiberius, der vor allem Mitglieder der römischen Oberschicht zum Opfer fielen. Seneca äußert sich in

217 Vita Apollonii 1,15 (Text und Übersetzung: Mumprecht 46–47): καὶ πυρὸς ἐπ᾽ αὐτὸν ἥπτοντο καίτοι προσκείμενον τοῖς βασιλείοις ἀνδριᾶσιν, οἱ καὶ τοῦ Διὸς τοὺ ἐν Ὀλυμπίᾳ φοβερώ­ τεροι ἦσαν τότε καὶ ἀσυλότεροι, Τιβερίου γε ὄντες, ἐφ᾽ οὗ λέγεταί τις ἀσεβῆσαι δόξαι τυπτήσας τὸν ἑαυτοῦ δοῦλον φέροντα δραχμὴν ἀργυρᾶν νενομισμένην ἐς Τιβέριον. 218 Dazu s. M. Clauss, Kaiser, 81; W. Stenger, Gebt, 135. 219 Diese Prinzip galt noch in christlicher Zeit fort; s. H. v. Campenhausen, Die Bilderfrage, 240. 220 Sueton, Tiberius 58 (Text: Rolfe 372). 221 Die Glaubwürdigkeit dieser Geschichte unterstreichen W. Wittke, Das Tiberiusbild, 38; M. Baar, Das Bild, 98.

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dieser Schrift u. a. über die Treue von Sklaven zu ihrem Herrn. Im Zuge seiner Erörterungen kommt er auch auf den Praetor Paulus zu sprechen222: Unter Kaiser Tiberius gab es eine häufige und nahezu allgemeine Sucht, Menschen vor Gericht zu bringen, die schlimmer als jeder Bürgerkrieg in tiefem Frieden den Staat gefährdete. Man belauschte der Betrunkenen Gerede, die Einfalt der Scherzenden; nichts war sicher; jede Gelegenheit zum Wüten gefiel, und nicht mehr wartete man auf die Folgen für die Angeklagten, weil es nur eine einzige gab. Es speiste der ehemalige Praetor Paulus auf irgendeinem Gastmahl und trug dabei ein Bildnis des Kaisers Tiberius auf einem Kameo. Etwas sehr Unpassendes werde ich tun, wenn ich jetzt nach Worten suche, wie ich sagen kann, dass er einen Nachttopf genommen hat; diese Bewegung bemerkten zugleich Maro, einer von den bekannten Denunzianten jener Zeit, und ein Sklave des Mannes, der gerade in eine Intrige verwickelt wurde. Der war ihm in der Trunkenheit behilflich und zog ihm den Ring vom Finger; als nun Maro die Gäste als Zeugen dafür nahm, berührt habe das Bildnis unanständige Organe, und bereits die Klageschrift abfassen wollte, zeigte auf seiner Hand der Sklave den Ring.

Der Denunziant Maro, von dem wir sonst in keiner anderen Quelle etwas erfahren, wollte den ehemaligen Praetor Paulus also wegen eines ähnlichen Verbrechens anzeigen, das nach Cassius Dio auch den Mann von konsularischem Rang sein Leben kostete. Seneca setzt dabei voraus, dass es wegen dieser läppischen und zugleich peinlichen Angelegenheit tatsächlich zu Todesurteilen kam223. Paulus befand sich demnach in Lebensgefahr, als ihn sein Sklave geistesgegenwärtig rettete, indem er den Ring mit dem Kaiserportrait von seinem Finger zog, ehe dieses Schmuckstück ihn einer Anzeige durch Maro auszusetzen drohte. Die Folgen solcher Majestätsprozesse vergleicht Seneca mit einem Bürgerkrieg und macht damit seine eigene Abscheu vor diesen Vorfällen deutlich. Dennoch ist seinen Mitteilungen im Kern Vertrauen zu schenken. Zur Zeit des Tiberius behandelte man das Herrscherportrait auf Münzen offenbar genauso wie andere kaiserliche Bildnisse, wie sie auch bei öffentlichen Anlässen an den Ort des Geschehens gebracht werden konnten und auf einer Tribüne aufgestellt wurden, um den Kaiser selbst als anwesend darzustellen224. Selbst wenn diese Episode römischer Geschichte später als abschreckendes Beispiel einer Tyrannenherr222 De beneficiis 3,26,1 (Text und Übersetzung: Rosenbach 258–259): Sub Tib. Caesare fuit accusandi frequens et paene puplica rabies, quae omni civili bello gravius togatam civitatem confecit; excipiebatur ebriorum sermo, simplicitas iocantium; nihil erat tutum; omnis saeviendi placebat occasio, nec iam rerorum expectabantur eventus, cum esset unus. Cenabat Paulus praetorius in convivio quodam imaginem Tib. Caesaris habens ectypa et eminente gemma. Rem ineptissimam fecero, si nunc verba quaesiero, quemadmodum dicam illum matellam sumpsisse; quod factum simul et Maro ex notis illius temporis vestigatoribus notavit et servus eius, quoi nectebantur insidiae. Is subsidians ei ebrio et anulum extraxit et cum Maro convivas testaretur admotam esse imaginem obscenis et iam subscriptionem conponeret, ostendit in manu sua servus anulum. 223 Zu diesem Vorfall s. R. A. Bauman, Impietas, 83. 224 Zu dieser Sitte der Herrscherrepräsentation s. J. Engemann, Art. Herrscherbild, 971.

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schaft verstanden wurde, und sich die rechtliche Lage gewandelt hatte, blieb der Grundsatz des Annahmezwangs für Münzen bestehen. Exkurs: Die damnatio memoriae und die Kaiserbilder römischer Münzen Eine für die römische Sicht des Geldes bezeichnende Ausnahme stellt die von staatlicher Seite befohlene Vernichtung bestimmter Geldstücke und die Tilgung der aufgeprägten Kaiserbildnisse dar. Eine solche Sanktion wurde vom Senat verhängt225, um alles Andenken an einen Verbrecher und d. h. unter bestimmten Umständen sogar an einen abgesetzten Kaiser zu verbieten. Bei dieser damnatio memoriae genannten Strafe (oder besser gesagt: Bereinigung der nationalen Geschichte) handelte es sich um die Auslöschung der öffentlichen Erinnerung an den Herrscher, der sich durch sein Verhalten als unwürdig erwiesen hatte und dem nach seinem Tod keine göttliche Verehrung zugebilligt wurde. Zu dieser Austilgung des Andenkens gehörte die Zerstörung der Bildnisse und die Rasur bzw. Ausmeißelung des Namens auf Inschriften und an Bauwerken226. Als erster der damnatio memoriae verfallener Kaiser ist Caligula zu nennen. Nach seiner Ermordung am 24. Januar 41 n. Chr. befahl sein Nachfolger Claudius, dass alle Portraits von ihm zerschlagen oder auf andere Weise vernichtet würden. In der Tat wurden viele seiner heute bekannten Bildnisse absichtlich – etwa durch Ausmeißeln der Augen – beschädigt oder z. T. in Rom in den Tiber geworfen, was einer Entehrung gleichkam227, denn die Leichen verurteilter Schwerverbrecher wurden ebenfalls ohne Begräbnis im Fluss versenkt228. Eine weitere Stufe der Gedächtnisaustilgung stellt der Senatsbeschluss aus dem Jahr 43 n. Chr. dar, nach dem alle Kupfermünzen mit dem Bild Caligulas einzuschmelzen waren. Diese Maßnahme ist von Cassius Dio überliefert, der von einer Vernichtung aller Kupfermünzen229 berichtet. Den Senatoren war nämlich die Erinnerung an diesen Kaiser „verhasst“ (τῇ δὲ δὴ τοῦ Γαΐου μνήμῃ ἀχθόμενοι)230. Cassius Dio hebt ausdrücklich den Konnex dieses Beschlusses zu den Caligulabildern auf den Münzen hervor, denn er erstreckte sich allein auf diejenigen Kupfermünzen,

225 Zu den Bedingungen dieser Verurteilung s. Brassloff, Art. Damnatio memoriae, 2061; Ch. Gizewski, Art. Damnatio memoriae, 299; s auch Th. Pekáry, Das römische Kaiserbildnis, 134–135. 226 Zahlreiche Inschriften mit durch Ausmeißelung unleserlich gemachten Kaisernamen belegen diese Praxis, z. B. CIL VI 1, 180 aus Rom, wo der Name Getas auf Veranlassung Caracallas zerstört wurde oder ILS 468, wo der Name Kaiser Elagabals getilgt ist, was auf Geheiß des Senats geschah, Historia Augusta, Elagabal 17,4 (Text: Magie 140) und 18,1 (Text: Magie 142); dazu Brassloff, Art. Damnatio memoriae, 2061. 227 Belege finden sich gesammelt bei H. Jucker, Die Bildnisstrafen, 112. 228 Diese Form der Bestrafung widerfuhr auch dem am 11. März 222 n. Chr. ermordeten Kaiser Elagabal, dessen Leichnam von der ämilischen Tiberbrücke in den Fluss geworfen wurde, „damit niemand ihn beerdigen könne“ (ne umquam sepeliri posset), Historia Augusta, Elagabal 17,2 (Text: Magie 140); dazu Lambertz, Art. Varius Avitus, 403. 229 Cassius Dio 60,22,3 (Text: Cary 422, Übersetzung: Veh 452): τὸ νόμισμα τὸ χαλκοῦν πᾶν. 230 Zu diesen Vorgängen s. H. Jucker, Die Bildnisstrafen, 110; R. Wolters, Nummi, 150; R. P. Duncan-Jones, Implications, 460 Anm. 11.

2.2 Die römische Herrschaft nach dem Sieg des Pompeius

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„die sein Bild trugen“231. Diese Anordnung des Senats scheint mit einiger Gründlichkeit umgesetzt worden zu sein. Bis heute ist das Kupfergeld Caligulas selten und wird bei Ausgrabungen nicht in großen Mengen gefunden. Was der Vernichtung entging, verlor wahrscheinlich seinen Kurswert. Daher betrachtete der Dichter Statius das As Caligulas als mehr oder minder wertloses Geld232. Auf anderen heute in verschiedenen Museen aufbewahrten Münzen wurde das Kaiserbild abgefeilt oder das Gesicht durch gezielte Hiebe im Bereich der Schläfen, Wangen oder des Mundes unkenntlich gemacht, wodurch diese Geldstücke wohl ihren Wert behalten konnten233. Ähnlich erging es dem Geld Kaiser Neros. Dieser letzte Kaiser der julisch-claudischen Dynastie wurde gegen Ende seiner Regierung nach dem Abfall der Prätorianergarde noch zu Lebzeiten vom Senat zum Staatsfeind erklärt und nahm sich als Geächteter in auswegloser Lage am 9. Juni 68 n. Chr. das Leben. Seine Leidenschaft für das Wagenrennen und die Auftritte als Sänger und Schauspieler galten unter der aristokratischen Oberschicht als eines Herrschers unwürdig. Daher, und weil er versäumt hatte zu regieren, wurden die Bilder Neros nach seinem Tod entfernt. Ein vergoldeter Bronzekopf, der heute in einer Berliner Privatsammlung aufbewahrt wird234, ist z. B. vom Rumpf einer Statue mit einem Meißel abgetrennt worden. Andere Bildnisse wurden zumindest umgearbeitet wie der berühmte Koloss vor Neros Palast, der riesigen domus aurea, der mit 35 Metern Höhe die größte antike Bronzestatue war und dessen Gesicht unter Vespasian in ein Bild des Sonnengottes verwandelt wurde. Auch Neros Münzbilder wurden postum z. T. durch Kerben am Mund beschädigt235. Diese Praxis setzte sich in der späteren Geschichte des Reiches fort, wie sich im Fall des Kaisers Geta beweisen lässt, der von seinem Bruder Caracalla ermordet wurde. Cassius Dio berichtet in diesem Zusammenhang vom Zorn Caracallas über jede Form der Erinnerung an Geta236: Er grollte auch den Steinen, weil sie einstmals seine Statuen getragen hatten, und ließ die Münzen mit seinem Bilde einschmelzen. Auch Geldstücke des Kaisers Elagabal wurden nach dessen Tod beschädigt237. Diese Sitte blieb sogar bis in die Spätantike erhalten. Noch Kaiser Licinius weigerte sich nach Mitteilung des byzantinischen Geschichtsschreibers Petrus Patricius238, von dessen Werk Auszüge in der gelehrten Sammlung des byzantinischen Kaisers Konstantinos VII Por231 Cassius Dio 60,22,3 (Text: Cary 422, Übersetzung: Veh 452): ὅσον τὴν εἰκόνα αὐτοῦ ἐντετυπωμένην εἶχε. 232 Siluae 4,9,22 (Text: Shackleton Bailey 300): emptum plus minus asse Gaiano. 233 H. Jucker, Die Bildnisstrafen, 116. 234 Zu diesem gewaltsam entfernten Kopf einer Statue Neros s. H. Born, K. Stemmer, damnatio, passim. 235 Beispiele an neronischen Bronzemünzen s. V. Zedelius, Nero, passim. 236 Cassius Dio 78,12,6 (Text: Cary 308, Übersetzung: Veh 398): καὶ τοῖς τὰς εἰκόνας αὐτοῦ βαστάσασι λίθοις ὠργίζετο, καὶ τὸ νόμισμα τὸ προφέρον αὐτὸν συνεχώνευσεν; dazu und zu der möglichen persönlichen Beteiligung des Historikers an dieser Maßnahme s. R. Wolters, Nummi, 151; vgl. außerdem Th. Pekáry, Das römische Kaiserbildnis, 137. 237 Beispiele auf provinzial-römischen Bronzemünzen finden sich gesammelt bei A. Kindler, The damnatio memoriae, passim. Etliche Münzen stammen aus Palästina. 238 Zur Person dieses byzantinischen Geschichtsschreibers und den von ihm verwendeten Quellen s. A. Nagl, Art. Petros, 1301–1302.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

phyrogennetos239 erhalten blieben, einige Goldprägungen seines Rivalen Konstantin des Großen, die dessen Sieg im Donaugebiet gegen den Stamm der Sarmaten feierten240, als Zahlungsmittel anzuerkennen. Diese Episode gehört wohl in die Zeit der militärischen Auseinandersetzung beider Kaiser vor der endgültigen Niederlage des Licinius im Jahr 324 n. Chr. Damals ließ er diese Goldstücke „wieder einschmelzen und anderen Verwendungen zuführen“241. Diese Vernichtung der Solidi Konstantins dokumentiert die Feindschaft zwischen beiden Kaisern. Kaiser Theodosius der Große, der als letzter Herrscher sowohl den westlichen als auch den östlichen Reichsteil regierte, ging schließlich gegen das Geld seines Vorgängers Julian, des letzten Heiden auf dem Kaiserthron, vor: „Julians Prägungen setzte Theodosius der Große außer Kraft“, wie ein byzantinischer Historiker meldet242. Die genannten Vorfälle zeigen, wie lange die Tradition der auf Münzen bezogenen damnatio memoriae weiter bestand, und bezeugen, dass diese Strafe wie im Fall des Licinius durchaus als Propaganda während eines Krieges eingesetzt werden konnte. Die damnatio memoriae war, wohl weil sie häufiger verhängt wurde, den jüdischen Untertanen des Kaisers durchaus bekannt, denn sie wird an einigen Stellen der rabbinischen Literatur erwähnt243. Die Rabbinen bezeugen, dass die Münzen durch „Verminderung“ (‫ )מעט‬des Königsbildes außer Kurs gesetzt wurden. So ist in der Mechilta des Rabbi Jischmael244 im Rahmen eines Königsgleichnisses ausdrücklich davon die Rede, dass die Leute dem König „Portraits“ (‫„ )איקונות‬aufstellten“ (‫)עמד‬, „Bilder“ (‫)צלמים‬ „machten“ (‫ )עשה‬und „Münzen“ (‫„ )מטבעות‬schlagen“ (‫)טבע‬. Später aber werden diese Portraits umgeworfen, die Bilder „zerbrochen“ (‫ )שבר‬und die Münzen „abgeschafft“ (‫)בטל‬, womit von den rabbinischen Gelehrten die römische Praxis der Austilgung der Erinnerung gemeint sein dürfte.

239 Zu diesem byzantinischen Kaiser und Geschichtsschreiber s. Cohn, Art. Constantinus, 1038–1039. 240 Solche Münzen wurden wohl 323/324 n. Chr. geschlagen, als Konstantin die Auseinandersetzung mit Licinius vorbereitete und die Sicherung der Donaugrenze vernachlässigte, was Goten und Sarmaten zu einem Einfall nach Pannonien und Thrakien veranlasste. Aus dieser Zeit sind auch entsprechende Kupfermünzen, auf denen Viktoria ein tropaion trägt, bekannt, s. J. Engemann, Konstantins Sicherung, 159. Das Einschmelzen durch Licinius kam einer Kriegserklärung gleich, R. Wolters, Nummi, 151 Anm. 140. 241 Konstantinos VII Porphyrogennetos, Excerpta de sententiies e Petro Patricio 187 (Text: Dindorf 231 = Boissevain 270): ἀναχωνεύων αὐτὰ εἰς ἑτέρας μετέφερε χρήσεις. 242 Parastaseis Nr. 46 (Text: Preger 23 = Müller, FHG IV, Nr. 14):  Ἰουλιανοῦ χαραγὰς Θεοδόσιος ὁ μέγας ἠμαύρωσε. Diese byzantinische Schrift über die Monumente Konstantinopels entstand wohl am Beginn des 9. Jh. und setzt stets die Auseinandersetzungen des Bilderstreits voraus, s. A. Kazhdan, Art. Parastaseis Syntomoi Chronikai, 1586 und D. Goldenberg, Babatha, 58. 243 Zu den rabbinischen Notizen über den Umgang der Heiden mit ihren Kaiserbildern findet sich Material bei S. Krauss, Talmudische Archäologie, Bd. 2, 298–299; vgl. ferner D. Goldenberg, Babatha, 56–57. 244 Baḥodesch 8 zu Ex 12,12–14 (Text: Horovitz, Rabin 233; vgl. Lauterbach, Bd. 2, 262):

‫משל למלך בשר ודם שנכנס למדינה והעמידו לו איקונות ועשו לו צלמים וטבעו לו מטבעות לאחר‬ .‫זמן כיפו איקונותיו ושברו צלמיו ובטלו לו מטבעותיו ומיעטו בדמותו‬ Die Textvariante ‫ ופסלו מטבעותיו‬in der Ausgabe von Lauterbach, Bd. 2, 262, besagt sachlich dasselbe.

2.3 Der Widerstand gegen den Census im Jahr 6 n. Chr.

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Überblickt man die dargelegten Zusammenhänge zwischen den Steuerzahlungen in römischer Währung und der herausragenden Rolle der Kaiserportraits auf den Münzen, so überrascht es nicht, dass die Frage nach der Geltung des römischen Geldes auch unter den Juden diskutiert wurde und diesem Problem ein hoher Stellenwert zugebilligt wurde, zumal die Römer die Zurückweisung der Münzen streng bestraften. Der Annahmezwang, den der römische Staat per Gesetz ausübte, rührte in erster Linie von dem Erscheinungsbild des Geldes her, weswegen der Jurist Paulus treffend von vultuue principum signatam monetam spricht245; sie stand im Kriminalrecht unter speziellem Schutz. Das „Gesicht der Kaiser“ hatte rechtlich bindende Wirkung246 und wurde daher im besonderen Fall einer offiziell angeordneten Auslöschung der Erinnerung an den betreffenden Herrscher genauso wie alle übrigen Bildnisse vernichtet bzw. beschädigt. Das Portrait konnte als Repräsentant des Imperators selbst gelten, wie die Majestätsprozesse unter Tiberius vor Augen führen. Gleichzeitig demonstrierte es auf Münzen augenfällig die Autorität des Kaisers und damit letztlich seine Legitimität zum Einziehen von Steuern.

2.3 Der Widerstand gegen den Census im Jahr 6 n. Chr. Will man die religiösen Implikationen des blutigen Aufstandes analysieren, der sich an den Steuerforderungen des römischen Staats entzündete und in der Zinsgroschenfrage des Neuen Testamentes vorausgesetzt wird, so muss man auf das Jahr 6 n. Chr. zurückgehen, als der Herodessohn Archelaos von Augustus als Ethnarch abgesetzt und ein erster Steuercensus in der neu eingerichteten Provinz Judäa durchgeführt wurde. Nur auf dem Hintergrund des blutigen Widerstandes des Judas Galilaeus gegen den Census und die Steuerzahlungen an die Römer, 245 Sententiae 5,25,1 (Text: Girard 362). In der spätantiken Entwicklung bürgte dann das Portrait des Kaisers für die Werthaltigkeit der Münze – auch des Kleingeldes aus Kupfer, dazu R. Wolters, Nummi, 371. 246 Es ist auch der besondere Fall bezeugt, dass das Anfertigen von goldenen Schmuckstücken mit dem eigenen Bild, die wie Münzen hergestellt wurden, als Angriff auf den Kaiser bewertet wurde. So ließ Kaiser Elagabal den Senator Valerianus Paetus hinrichten, der solchen Goldschmuck für seine Geliebten hatte „schlagen“ lassen (ὅτι εἰκόνας τινὰς ἑαυτοῦ ἐπιχρύσους πρὸς παλλακίδων κοσμήματα ἐξετύπωσεν). Der Schmuck wurde als eine eigene Münzprägung für einen bevorstehenden Aufstand interpretiert, Cassius Dio 80,4,7 (Text: Cary 446–448); s. zu diesem Vorfall Lambertz, Varius Avitus, 396. Wesentlich umsichtiger ging Alexander aus Abonuteichos vor, der, nachdem er den Kult und das Orakel des Asklepios-Glykon um 150 n. Chr. erfolgreich begründet hatte, zwischen 161 und 169 n. Chr. beim Kaiser beantragte, nicht nur das Bild dieses Gottes sondern – auf der Vorderseite – auch sein eigenes Portrait auf die Münzen der Stadt setzen zu lassen. Lukian (Alexander 58) bezeichnete dieses Vorhaben als „großes Wagnis“ (Text: Harmon 250:  Ἐκεῖνο δὲ πῶς οὐ μέγα ἐν τοῖς ἄλλοις τὸ τόλμημα τοῦ  Ἀλεξάνδρου), und es wurde anscheinend vom Kaiser auch nicht bewilligt; dazu J. Nollé, Städisches Prägerecht, 489–490.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

den Judas durch religiöse Vorbehalte rechtfertigte247, wird auch Jesu Stellung zu den Steuern, die die römische Verwaltung einziehen ließ, vollkommen transparent. Für die Erörterung dieser Ereignisse wollen wir zunächst die Quellenlage überprüfen. Unser wichtigster Zeuge ist auch in diesem Fall Josephus, der den Aufstand des Judas sowohl in den Antiquitates als auch im Bellum schildert. Daneben gibt es weitere Überlieferungen in der patristischen Literatur, deren Quellenwert erwogen zu werden verdient, weil diese Nachrichten u.U. als Ergänzung und in gewisser Weise auch als Modifikation der Mitteilungen des Josephus dienen können. In diesem Zusammenhang ist vorauszuschicken, dass Josephus gerade an den Passagen, die Judas und seine gewaltsame Opposition gegen den römischen Census betreffen, mit besonderer Rücksichtsnahme formuliert und die religiösen Hintergründe zwar berührt, aber nicht ins Zentrum seiner Ausführungen rückt248. Nach seiner Darstellung war die Steuerproblematik seit Judas ein Dauerproblem und steht in enger Verbindung zu der Katastrophe des Ersten Jüdischen Krieges. Josephus’ Angaben sind in hohem Maß von apologetischen Interessen überlagert249, denn er wollte wohl die ohnehin gespannte Atmosphäre nach diesem Krieg nicht zusätzlich belasten. So vermeidet er es, die jüdische Religion als Grund des Aufstandes in den Vordergrund zu rücken. Josephus ist außerdem bemüht, Judas als Urheber des Konfliktes hinzustellen, der nach seiner Einschätzung letztendlich zum Ersten Jüdischen Krieg führte. Judas war demnach in wichtigen Punkten für das spätere Unheil mitverantwortlich, wogegen Josephus die große Mehrheit seiner Landsleute in Schutz 247 S.a.

2.5. Black, Judas, 47–48; vgl. auch H. Drexler; Untersuchungen, 287; W. R. Farmer, Maccabees, 18–19; M. Hengel, Die Zeloten, 76; D. M. Rhoads, Israel, 54; G. Mader, Josephus, 13; M. Smith, The Troublemakers, 502; R. H. Horsley, Jesus and Empire. The Kingdom, 41–42. 249 Allerdings wäre es überzogen, Josephus zu unterstellen, er habe die Figur des Judas konstruiert, J. Wilker, Für Rom, 389 Anm. 58. Auch eine Gleichsetzung mit dem in AJ 17,271 erwähnten Aufständischen Judas dem Sohn des Ezechias, die von E. Schürer, Geschichte, Bd. 1, 486 (vgl. ders., History, Bd. 1, 381) und J. Taylor, Woher kommt, 79–80 (vgl. zudem die englische Ausg. ders., É. Nodet, The Origins, 136 bzw. 140 Anm. 23) vorgeschlagen wurde, ist schon aus chronologischen Gründen unwahrscheinlich. Zudem strebte Judas der Sohn des Ezechias nach der Königsherrschaft (ζηλώσει βασιλείου τιμῆς), während Judas Galilaeus diese weltliche Herrschaft ablehnte, s. AJ 18,23. (Man sollte ihn daher auch nicht als „messianischen Thronanwärter“ missverstehen, so U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 233); vgl. zudem die Diskussion bei E. M. Smallwood, The Jews, 153 Anm. 40. Die Deutung von „Sohn“ im Sinne von „von derselben Sorte“ durch J. Taylor ist nirgends belegt; vgl. ebenso É. Nodet, Jésus, 504. Die Annahme einer ganzen Reihe von literarischen Dubletten in beiden Geschichtswerken des Josephus, die auf einen nachlässigen Umgang mit den Quellen schließen lassen und zur Verdopplung der Figur des Judas führten, durch É. Nodet, Jésus, 508–511, geht m. E. zu weit und lässt sich am Text des Josephus nicht beweisen. Die von Josephus erwähnte Zerstörung von Sepphoris als Folge des Aufstandes (BJ 2,68) ist übrigens archäologisch nicht nachweisbar, s. R. A. Horsley, Archaeology, 112 (mit Lit.). 248 M.

2.3 Der Widerstand gegen den Census im Jahr 6 n. Chr.

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nimmt250. Zwar gesteht er zu, dass weite Kreise der Bevölkerung mit Begeisterung auf den Widerstand des Judas und seines Verbündeten, des Pharisäers Saddok, reagierten251. Dann aber zeichnet er in durchweg dunklen Farben die schwerwiegenden Folgen des Widerstandes nach. Er berichtet von bürgerkriegsähnlichen Zuständen und von Mordanschlägen, bei denen angesehene Persönlichkeiten von „Banditen“ (λῃσταί) umgebracht wurden252. Josephus stellt auch die letzten Konsequenzen dieser blutigen Auseinandersetzungen klar heraus: Am Ende standen Hungersnot (λιμός), das Erstürmen von Städten (πόλεων ἁλώσεις), was wohl die römischen Belagerungen und Besetzungen meint, sowie die Zerstörung des Tempels253. Diese Aussagen belegen uns die ganz von den späteren Ereignissen geprägte Sichtweise des Josephus und machen seinen durchweg negativen Blickwinkel deutlich; er kann es nicht wagen, Judas dem Verständnis seiner Leser zu empfehlen. Aus diesem Grund betont Josephus wohl allzu sehr, dass die Anhängerschaft des Judas „den anderen Juden in nichts gleiche“254. Er versucht, Judas und seine Anhänger als Außenseiter hinzustellen, die von den übrigen Juden zu unterscheiden seien und sich selbst außerhalb jüdischer Tradition gestellt hätten. Zu dieser Sichtweise gibt es in den Antiquitates eine Parallele: Judas und sein Verbündeter Saddok verbreiteten demnach eine „bisher unbekannte Philosophie“255. Auch diese Formulierung macht die Trennung von den übrigen Juden deutlich. An anderer Stelle wiederum widerspricht sich Josephus selbst und teilt die Einschätzung mit, Judas habe eine abgesehen von seiner antirömischen Opposition in den übrigen Punkten mit den Pharisäern gemeinsame Lehre vertreten256. Zu diesem 250 S. Applebaum, The Zealots, 157; E. Rivkin, A Hidden Revolution, 57; St. Mason, Flavius Josephus on the Pharisees, 121; G. Mader, Josephus, 12; D. Mendels, The Rise, 2. 251 AJ 18,6: ἡδονῇ. Übrigens wird dieser Saddok im Bellum noch nicht erwähnt, also versteckt; dazu J. J. Price, Jerusalem, 20. 252 S. Applebaum, The Zealots, 163; V. Nikiprowetzky, Josephus, 231; J. J. Price, Jerusalem, 13; vgl. auch H. Drexler, Untersuchungen, 284–286; insb. 287; W. Stenger, Bemerkungen, 92. Daraus sollte man aber keine vornehmlich sozialen Ursachen der Revolte ableiten (anders vor allem R. A. Horsley in diversen Publikationen z. B. ders., The Sicarii, 437–438; ders., Jesus and the Spiral, 40–42; ders., Galilee, 257–259; ders., Jesus and Empire, 82; ferner auch M. R. Fairchild, Paul, 520–522; dagegen aber z. B. W. Stenger, Bemerkungen, 92), denn eine Verwurzelung im ländlichen Banditentum lässt sich gerade für Judas und seine Gruppe nicht ableiten. Dazu ist ihr Auftreten auch zu explizit von Josephus mit einem einschneidenden Ereignis, dem Census, verbunden. Das in den Quellen vielfach bezeugte Banditentum in römischer Zeit (s. das umfangreiche Material bei R. MacMullen, Enemies, 255–268; B. D. Shaw, Bandits, passim sowie zu jüdischen Räubern nach den Berichten des Josephus, ders., Tyrants, 179–186) ist eben gerade nicht mit einer solchen Maßnahme verknüpft, sondern ein allgemein verbreitetes Phänomen. 253 AJ 18,8. 254 BJ 2,118: οὐδὲν τοῖς ἄλλοις προσεουώς; dazu H. Rasp, Flavius Josephus, 33; H.-F. Weiß, Pharisäismus, 425; D. R. Schwartz, On Christian Study, 130. 255 AJ 18,9: κακῶν κατειληφότων ῥίζας ἐφυτεύσαντο τῷ ἀσυνήθει πρότερον φιλοσοφίας τοιᾶσδε. 256 AJ 18,23: τὰ μὲν λοιπὰ πάντα γνωμῇ τῶν Φαρισαίων ὁμολογοῦσι; dazu G. Baumbach, Zeloten, 729; D. R. Schwartz, Josephus, 169.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

diffusen Bild, das durch apologetische Rücksichten geprägt sein dürfte, passt, dass er die Niederschlagung des durch Judas entfachten Aufstandes verschweigt. Josephus erwähnt lediglich beiläufig die zum Aufruhr antreibenden Reden des Judas257, der seine Landsleute tadelte258 und alle, die sich den Römern fügten, mit Überfällen terrorisierte259. Des Weiteren erfahren wir, dass der Hohepriester Joazar, der Sohn des Boethos, die Mehrheit der Juden dazu überredet habe, den Census widerstandslos zu akzeptieren260. Joazar scheint in erster Linie den Widerstand gegen die ἀπογραφή verhindert zu haben261, worauf noch zurückzukommen ist. Nur bei Lukas finden wir in der Apostelgeschichte eine Notiz, dass Judas am Ende – wahrscheinlich durch die Hand der römischen Soldaten – umkam und seine Anhänger sich zerstreuten (Apg 5,37)262. Ferner ist der Hinweis des Josephus festzuhalten, demzufolge die von Judas und Saddok gegründete Gruppierung als eigenständige Bewegung weiter existiert habe und keineswegs sofort wieder von der politischen Bühne verschwunden sei. Dafür könnten persönliche und familiäre Verbindungen die Ursache sein, denn über mehrere Generationen hin scheint eine ganze Reihe von Anführern der gegen die Römer gerichteten Unruhen mit Judas verwandt gewesen zu sein263. 2.3.1 Die religiösen Gründe des Aufstandes gegen den Census In den Judas Galilaeus betreffenden Abschnitten der Berichte des Josephus ist, wie bereits dargelegt, mit einer gewissen Zurückhaltung, ja sogar einer Verschleierung der religiösen Implikationen und Motive des Geschehens zu rechnen. Die religiösen Beweggründe werden von ihm nur insofern erwähnt, als 257 In AJ 18,6 spielt Josephus auf die ἀκρόασιν der Bevölkerung an, die sie zum Losschlagen veranlasste. 258 BJ 2,118 schreibt Josephus, Judas habe die Landleute „gescholten“ (τοὺς ἐπιχωρίους κακίζων). 259 BJ 7,255. Zu der Bezeichnung der Aufstandsgruppe des Judas durch Josephus als Sikarier, die die spätere Entwicklung aufnimmt, s. G. Baumbach, Zeloten, 730, 734. 260 AJ 18,3; s. R. A. Horsley, High Priests, 30. 261 Josephus deutet diesen zentralen Streitpunkt mit der Formulierung: ἐπὶ ταῖς ἀπογραφαῖς ἀκρόασιν in AJ 18,3 an. 262 Vgl. z. B. E. Meyer, Urgeschichte, Bd 1,2, 403; J. J. Price, Jerusalem, 14. 263 Zu diesen verwandtschaftlichen Verbindungen s. H. Rasp, Flavius Josephus, 37; H. Drexler, Untersuchungen, 285–286; 289; S. Applebaum, The Zealots, 159–161; G. Baumbach, Einheit, 95–97; R. A. Horsley, Jesus, 77–78; M. Smith, Zealots, 12–13; St. Mason, Flavius Josephus on the Pharisees, 121; J. J. Price, Jerusalem, 20–21. Der Procurator Tiberius Julius Alexander ließ zwei seiner Söhne kreuzigen, AJ 20,102. Ein dritter Sohn Menaḥem war einer der Anführer des Aufstandes 66 n. Chr., bevor er seinerseits ermordet wurde und auch El azar ben Yair, der Masada verteidigte, soll mit ihm verwandt gewesen sein, BJ 7,254. Dies belegt eine gewisse durch die Familie bedingte Kontinuität, auch wenn dies natürlich nicht Kontrolle oder Organisation aller gegen die römische Herrschaft gerichteten Unruhen bedeutete.

2.3 Der Widerstand gegen den Census im Jahr 6 n. Chr.

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es für den Fortgang seiner Darstellung unerlässlich ist. Dennoch lassen sich aus seinen Schilderungen folgende Erkenntnisse über die Überzeugungen des Judas und seiner Anhänger gewinnen: – Judas lehnte es ab, die „Knechtschaft unter den Römern hinzunehmen“264. Der Census käme der Sklaverei gleich; die ἀποτίμησις trug für ihn diesen Status in sich265. – Als einzigen Herrscher und Souverän des Staats wollte Judas Gott anerkennen. Daher schärfte er seinen Anhängern ein, es sei abzulehnen, wenn sie „nach Gott irgendwelche sterblichen Gebieter auf sich zu nehmen wüssten“266. Gott allein habe als ihr „Führer und Herr“ zu gelten267. – Diejenigen Landsleute jedoch, die bereit waren, die Herrschaft der Römer anzuerkennen und sich dem Census zu stellen, behandelte seine Gruppe „als seien sie Feinde, indem sie ihren Besitz raubten und davonschleppten und ihre Häuser in Brand steckten“268. Judas ging sogar so weit, bestimmte Landsleute, die mit den Römern kooperierten, als eine Art Heiden zu betrachten, die vom Judentum abgefallen und „gar nicht von den Heiden zu unterscheiden“ seien269. Die Einwilligung, sich im Rahmen des Census registrieren und das eigene Vermögen steuerlich taxieren zu lassen, implizierte für Judas also geradezu eine Form der Apostasie. Bevor diese Mitteilungen des Josephus im Hinblick auf die Zinsgroschenperikope von uns untersucht werden, ist noch der Frage nachzugehen, ob sich der Widerstand des Judas und seiner Gruppe durch weiteres Quellenmaterial beleuchten lässt. Wir richten unser Augenmerk nunmehr auf bestimmte Traditionen in der patristischen Literatur, die bei der Beantwortung dieser Frage helfen können. Auch den z. T. sehr verwickelten Quellenzusammenhängen ist nachzugehen und schließlich ist durch einen Vergleich mit jüdischen Parallelen die Stichhaltigkeit ihrer Angaben zu überprüfen. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Bericht des Bischofs Hippolyt zu, den er in seiner nach 222 n. Chr. verfassten Refutatio omnium haeresium270 zur Widerlegung gnostischer Gruppen und ihrer Lehrsysteme

264 BJ

7,255: δουλείαν αἱρεῖσθαι τὴν ὑπὸ  Ῥωμαίοις. 18,4. 266 BJ 2,118: μετὰ τὸν θεὸν οἴσουσι θνητοὺς δεσπότας. 267 AJ 18,22: μόνον ἡγεμόνα καὶ δεσπότην τὸν θεόν. 268 BJ 7,254: τὰς μὲν κτήσεις ἁρπάζοντες καὶ περιλαύνοντες, ταῖς δ᾽ οἰκήσεσιν αὐτῶν πῦρ ἐνιέντες. 269 BJ 7,255: οὐδὲν γὰρ ἀλλοφύλων αὐτοὺς ἔφασκον διαφέρειν; dazu G. Baumbach, Jesus, 20; ders., Einheit, 100; S. Applebaum, Josephus, 242. 270 Zur Datierung des großen antignostischen Werks des Hippolyt sowie zur Person des Kirchenvaters und dem Schisma mit Pontianus, der sich ebenfalls als Bischof von Rom betrachtete, vgl. H. R. Drobner, Lehrbuch, 100–101; B. R. Suchla, Art. Hippolyt, 298. 265 AJ

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

bietet271. Bei der Abfassung dieses opus magnum wertete Hippolyt zahlreiche ältere pagane und christliche Autoren aus und legte wohl eine umfangreiche Exzerptensammlung an. Ein solches Exzerpt betrifft auch die Juden, obgleich die Auseinandersetzung mit jüdischen Glaubensüberzeugungen sonst nicht zu den Zielen Hippolyts zählt. Der betreffende Teil seines antihäretischen Kompendiums stellt zudem einen größtenteils beinahe wörtlichen Auszug aus den die jüdischen Religionsparteien betreffenden Josephustexten dar272, insbesondere solchen über die Essener. Schade ist, dass Hippolyt, den literarischen Gepflogenheiten seiner Zeit folgend, seine Quellen nie ausdrücklich anführt. In einigen wenigen Textabschnitten erweitert er nämlich seine Josephusvorlage und setzt Informationen hinzu, die er aus anderen Quellen bezieht. Auf diese zusätzlichen Abschnitte wurde von einigen Wissenschaftlern bereits aufmerksam gemacht. Insbesondere Martin Hengel arbeitet in seiner Dissertation die Verbindung zu den Zeloten heraus273. Es ist bisher noch nicht gelungen, die Herkunft der Zusätze des Hippolyt zum Josephustext herauszufinden. Um bei der Lösung des Quellenproblems voranzukommen, ist nun der betreffende Hippolyttext genau durchzusehen, der schon durch seine Einordnung in einen die Essener betreffenden Zusammenhang zahlreiche Schwierigkeiten in sich birgt. Gerade bei der Erörterung dieser von Hippolyt zu verantwortenden Verworrenheit können aber Parallelen in der in dieser Studie erstmals wissenschaflich edierten Schrift des Pseudo-Hieronymus, De haeresibus Judaeorum weiterhelfen274. 2.3.2 Der Widerstand gegen die römische Herrschaft und das Einhalten der Gebote „über das nötige Maß“ Wir wenden uns nun in Hippolyts Ausführungen denjenigen Erweiterungen gegenüber Josephus zu, die Hippolyt im Hinblick auf die Zeloten bzw. Sikarier vornimmt und die für diese Untersuchung von besonderem Wert sind. Folgendes wirkt bei Hippolyt verwirrend: Er weist seine Leser keineswegs darauf hin, dass er nicht mehr die Essener, sondern ganz andere jüdische Gruppen behandelt275. Möglicherweise war ihm bei der Redaktion seiner Notizen entgangen, dass er an dieser Stelle Informationen zugrundelegte, die gar nicht 271 Zu den von Hippolyt besprochenen gnostischen Gruppen und seinen Quellen über die Gnostiker s. u. a. N. Förster, Marcus, 26–31. 272 Hippolyt verwendete den Text des Essener-Exkurses des Josephus in BJ 2,119–161. 273 M. Hengel, Zeloten, 73–74. Unter seinen Nachfolgern ist bes. M. Smith, Zealots, passim, zu erwähnen. G. Baumbach, Jesus, 15, beurteilt den Quellenwert der Darstellung des Hippolyt skeptisch. 274 Vgl. dazu: 6.3.3 in der Edition von Pseudo-Hieronymus, De haeresibus Judaeorum. 275 Es gibt in der Refutatio omnium haeresium bei Hippolyt auch anderswo keinen Hinweis auf die jüdischen Aufständischen und ihren gewaltsamen Widerstand gegen die römische Herrschaft.

2.3 Der Widerstand gegen den Census im Jahr 6 n. Chr.

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den Essenern zuzuordnen waren276. Die von Hippolyt dem Josephustext zugesetzte Passage lautet277: Im Laufe der Zeit haben sie sich in vier Parteien gespalten, von denen jede ihre eigene Lebensführung hat. Die einen überschreiten die Vorschriften in dem Maß, dass sie nicht einmal eine Münze anrühren mit der Begründung, man dürfe ein Bild weder tragen noch ansehen noch verfertigen. Sie gehen auch in keine Stadt, auf dass keiner durch ein Tor schreite, auf dem Bildsäulen ständen; denn sie halten es für unrecht, unter Bildwerken durchzugehen. Wenn einer von der zweiten Richtung hört, dass jemand über Gott und sein Gesetz spricht und dabei unbeschnitten ist, lauert er ihm, wenn dieser allein ist, irgendwo auf und droht ihm mit dem Tod, wenn er sich nicht beschneiden lässt; wenn dieser nicht gehorchen will, so kennt er keine Schonung, sondern bringt ihn um. So haben sie dieser Sache halber den Namen Zeloten angenommen, manche nennen sie Sikarier. Die Angehörigen einer anderen Richtung nennen niemand Herr außer Gott, selbst wenn sie einer martere oder sogar töte. – So sehr sind die späteren von der Lebensstrenge abgewichen, dass diejenigen, die bei den ursprünglichen Sitten geblieben sind, sie nicht einmal berühren.

Dieser vergleichsweise lange Text, den Hippolyt in den Rahmen seiner Vorlage eingefügt hat, lässt sich relativ klar in Einzelabschnitte gliedern (wie hier geschehen). Der Kirchenvater beginnt an einer Stelle, an der Josephus in seiner Essenerdarstellung darauf zu sprechen kommt, dass sich diese Gruppe in verschiedene Fraktionen aufgespalten habe. Dazu bemerkt Josephus: „Sie sind ja nach der Dauer ihrer frommen Übung in vier Klassen aufgeteilt“278. Wahrscheinlich will er damit auf die Reinheitsunterschiede zwischen früher und später eingetretenen Gruppenmitgliedern hinweisen, die die früher hinzugekommenen zu rituellen Reinigungsbädern zwangen, falls sie von den zu einem späteren 276 Auf eine solche Verwechselung haben schon hingewiesen, M. Smith, The Description, 273, 283; ders., Zealots, 10; Ch. Burchard, Die Essener, 4, 21; vgl. auch T. S. Beall, Art. Hippolytus, 364. 277 Refutatio omnium haeresium IX 26 (Text: Marcovich 371, 1–13, Übersetzung: Preysing 260–261). Die Absätze sind von mir zugefügt: Διῄρηται δὲ (κ)ατὰ (χρ)όνον καὶ οὐχ ὁμοίως τὴν ἄσκησιν φυλάττουσιν, εἰς τέσσα(αρ)α μέρη διαχωρισθέντες. – ἕτεροι γὰρ αὐτῶν τὰ ὑπὲρ τὸ δέον (ἀ)σκοῦσιν, ὡς μηδὲ νόμισμα βαστάζειν, λέγοντ(ες) μὴ δεῖν εἰ(κό)να ἢ φέρειν ἢ ὁρᾶν ἢ ποιεῖν· διὸ οὐδὲ εἰς πόλιν τι(ς) αὐτῶν εἰσπορεύεται, ἵνα μὴ διὰ πύλης εἰσέλθῃ, ἐφ᾽ ᾗ ἀνδριάντες ἔπεισιν, ἀθέμιτον τοῦτο ἡγούμενος τὸ ὑπὸ εἰκόνας παρελθεῖν. ἕτεροι δέ, ἐπὰν ἀκούσωσι τινος περὶ θεοῦ διαλεγομένου καὶ τῶν τούτου νόμων, εἰ ἀπερίτμητος εἴη, παραφυλάξας τὸν τοιοῦτον ἐν τόπῳ τινὶ μόνον, φονεύειν ἀπειλεῖ εἰ μὴ περιτμη­ θείη· οὗ, εἰ μὴ βούλοιτο πείθεσθαι, οὐ φείδεται ἀλλὰ καὶ σφάζει· ὅθεν ἐκ τοῦ συμβαίνοντος τὸ ὄνομα προσέλαβον, Ζηλωταὶ καλούμενοι, ὑπὸ τίνων δὲ Σικάριοι. ἕτεροι δὲ αὐτῶν οὐδένα κύριον ὀνομάζουσι πλὴν τὸν θεόν, εἰ καὶ αἰκίζοιτό τις ἢ καὶ ἀναιροῖτο. – τοσοῦ(το)ν δὲ οἱ μετέπειτα ἐλάττους τῇ ἀσκήσει γεγένηται, ὥστε τοὺς τοῖς ἀρχαίοις ἔθεσιν ἐμμένοντας μηδὲ προσψαύειν αὐτῶν. 278 BJ 2,150: Διῄρηνται δὲ κατὰ χρόνον τῆς ἀσκήσεως εἰς μοίρας τέσσαρας.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

Zeitpunkt beigetretenen Essenern berührt worden waren279. Hippolyt nun, der diese kurze Notiz bei Josephus vorfand, interpretiert sie in ganz anderer Weise als einen Hinweis auf die Spaltung der Essener in vier verschiedene Untergruppen mit einer durchaus voneinander divergierenden Lebensweise. Die zeitliche Differenzierung, die Josephus eher beiläufig erwähnt (κατὰ χρόνον τῆς ἀσκήσεως), fasst er nicht als interne Abstufung der Essener je nach dem Zeitpunkt ihres Beitritts zur Gemeinschaft auf, sondern betrachtet sie als permanente Differenzierung zwischen unterschiedlichen jüdischen Parteiungen (οὐχ ὁμοίως τὴν ἄσκησιν φύ­ λαττουσιν)280. Das ist umso verständlicher, als es den Forschern bis zum heutigen Tage nicht leicht fällt, die Divergenzen in den Essener-Berichten des Josephus mit sich zu harmonisieren – sei es etwa in Form einer Abfolge von Initiationsstufen (bei gleichzeitiger konzentrischer Struktur der Essenergruppierungen). Hippolyt geht von einer Steigerung in der Strenge aus, mit der die biblischen Gebote eingehalten wurden, wobei die „älteren“ Gruppierungen nur einen niederen Grad erreicht hätten (ἐλάττους τῇ ἀσκήσει γεγένηνται). Diese Divergenz zwischen den „Alten“ (ἀρχαῖοι) und den später Entstandenen (οἱ μετέπειτα) illustriert Hippolyt anhand von Quellen, die uns heute nicht mehr erhalten sind. Diese zusätzlichen Nachrichten betreffen jedoch, wie Hippolyts Text klar sagt, die Zeloten bzw. Sikarier281. Merkwürdig ist, dass der Kirchenvater diese Aufstandsbewegung im Judentum nicht etwa separat als eigene Gruppe abhandelt, sondern sie den Essenern zuschlägt. Dieses Missverständnis könnte man sich anhand der Annahme erklären, dass Hippolyt eine Quelle benutzte, die diese Aufständischen zwar erwähnt, sie aber anders als Josephus nicht als eine selbständige vierte Gruppe im Judentum neben Pharisäern, Sadduzäern und Essenern gelten lässt. Die Identifikation mit den Essenern war außerdem vielleicht auch durch die Reihenfolge des Materials in seiner Vorlage und eine unklare Bezeichnung dieser Gruppierung bedingt. Diese Schwierigkeiten deutet Hippolyt in gewisser Weise auch an, wenn er ausdrücklich von Zeloten schreibt, die „manche auch Sikarier nennen“ und damit nahelegt, dass beide Namen in seinen Quellen genannt wurden. Hippolyt verwendet bei der Abfassung seines Textes also eine Art Montagetechnik, wobei Auszüge verschiedener Herkunft kombiniert und so zu einem 279 Diese Ablehnung der gegenseitigen Berührung übernimmt Hippolyt von Josephus und fügt diese Notiz am Ende des aus anderen Quellen exzerpierten Zusatzes in Refutatio omnium haeresium IX 26,3 (Text: Marcovich 371, 13–16) an. 280 BJ 2,150; vgl. Ch. Burchard, Die Essener, 30. 281 Die Sikarier nennt Josephus „Banditen“ (BJ 2,254), ja sie sind ihm deren schlimmste Sorte. Sie erhielten ihren Namen von den Dolchen, die sie trugen (AJ 20,186). Diese Gruppe tötete (BJ 2,254–256) oder entführte (AJ 20,208–210) Angehörige der jüdischen Führungsschicht, um ihre Ziele durchzusetzen; s. dazu R. A. Horsley, Jesus, 40–41; M. R. Fairchild, Paul, 521. Hippolyt setzte diesen Namen an dieser Stelle wohl hinzu, von dem er annahm, er könne seinen Lesern bei der Identifizierung dieser Gruppe helfen.

2.3 Der Widerstand gegen den Census im Jahr 6 n. Chr.

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neuen Text vereint werden. Diese Vorgehensweise ist in anderen Teilen seiner Refutatio omnium haeresium ebenfalls zu beobachten, wo er diverse Auszüge aus gnostischen Texten neu zusammenstellt. Im Übrigen kann man davon ausgehen, dass Hippolyt den Inhalt seiner Vorlagen im Großen und Ganzen getreu wiedergibt, selbst wenn er seine Exzerpte gelegentlich verkürzt oder ihm zur Verfügung stehende Einzelinformationen zu einem von ihm formulierten Gesamtzusammenhang vereint. Wie Hippolyt einleitend versichert, berichtet er von Juden, die sich „über das nötige Maß“ (τὰ ὑπὲρ τὸ δέον) in dem Bemühen auszeichnen, die biblischen Gebote einzuhalten. Er setzt damit seine Exzerpte von Anfang an unter ein deutlich negatives Vorzeichen. Interessanterweise sind seine Darlegungen ganz von dieser von ihm als übertrieben bewerteten Toradeutung geprägt, während der gewaltsame politische Widerstand der Gruppe nur als ein Aspekt am Rande aufscheint und dabei von Hippolyt in erster Linie im Hinblick auf die religiösen Motive zur Sprache gebracht wird. Insofern ergänzt er die Zurückhaltung des Josephus. Die Übergänge zwischen den einzelnen von ihm ausgeschriebenen Quellenstücken überdeckt er in schriftstellerisch recht mechanischer Weise, indem er jeweils von „anderen“ (ἕτεροι) als Vertreter der von ihm mitgeteilten, religiösen Praxis schreibt. Alle Angaben aber lassen sich als Nachrichten über eine gegen die Römer gerichtete Opposition begreifen, womit sich die Wirrnis lichtet. Hippolyt282 beginnt nach der von Josephus übernommenen Notiz über die Unterteilung der Essener in vier Fraktionen (εἰς τέσσ(αρ)α μέρη διαχωρισθέντες), indem er deren Überzeugungen als Übertreibungen charakterisiert (τὰ ὑπὲρ τὸ δέον (ἀ)σκοῦσιν). Auffällig ist dabei, dass er der zuerst erwähnten Gruppierung anders  als im weiteren Textverlauf noch keinen Namen gibt, sondern sie mit Hilfe ihrer unverhältnismäßig strengen Auslegung bestimmter biblischer Gebote definiert. Erst danach schließt er die Notiz aus seiner Quelle an, dass diese Juden keine Geldstücke anrühren (μηδὲ νόμισμα βαστάζειν), und führt dieses Verhalten auf die aufgeprägten Bilder zurück. Die Münzen waren also mit einem dreifachen Verdikt belegt, das ihren Gebrauch unmöglich mache: man dürfe sie „weder tragen noch ansehen noch machen“ (μὴ δεῖν … ἤ φέρειν ἢ ὁρᾶν ἢ ποιεῖν). Hippolyt übergeht die biblische Begründung für dieses dreifache Verbot. Danach wechselt er etwas abrupt mit „deshalb“ (διό), ohne dass der Begründungszusammenhang transparent würde, zu einem anderen Charakteristikum über: Die Anhänger dieser Lehre würden sich ebenfalls weigern, mit Statuen geschmückte Tore zu durchschreiten. So lehnten es diese Juden grundsätzlich ab, unter Statuen – etwa an einem Stadttor – hindurchzugehen, als ob dieser Akt des Gehens unter einem Bild (τὸ ὑπὸ εἰκόνας παρελθεῖν) schon gegen die Vorschriften der 282 Refutatio

omnium haeresium IX 26,1 (Text: Marcovich 371, 2–6) vgl. BJ 2,150.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

Tora verstoße283. Eine biblische Begründung für dieses Verhalten gibt Hippolyt auch hier nicht an. Stattdessen markiert er einen deutlichen Einschnitt im Text, dadurch dass er wieder von ἕτεροι schreibt, die diejenigen Heiden zur Beschneidung zwingen würden, die über Gott und seine Gesetze reden (διαλεγόμενον)284. Gemeint sind demnach Gottesfürchtige (wie Josephus oder Lukas sie nennen würden, sonst später auch die Rabbinen). Anderenfalls würden sie – zunächst im Geheimen  – mit dem Tod bedroht, und der angekündigte Mordanschlag würde dann auch rücksichtslos ausgeführt, wenn der unbeschnittene Heide dem Drängen nicht nachgebe (οὐ φείδεται ἀλλὰ καὶ σφάζει)285. Wegen solcher Übergriffe würden diese Judäer „Zeloten“ oder auch „Sikarier“ heißen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass Hippolyt einzig und allein diese Gruppierung mit einem Namen versieht, wobei er anzunehmen scheint, sie hätten sich den Zelotennamen selbst gewählt (τὸ ὄνομα προσέλαβον)286. Dies scheint überdies zu implizieren, dass die von ihm zuvor beschriebenen, bilderfeindlichen Judäer diese Selbstbezeichnung nicht verwendeten. Zum Schluss nennt Hippolyt dann noch eine weitere Gruppierung, die selbst bei Todesstrafe allein Gott und keinen Menschen κύριος nennen würde287. Diese Formulierung hat eine gewisse Parallele bei Josephus, der festhält, die „vierte Philosophie“288 der Juden habe es strikt vermieden, irgendeinen Menschen als δεσπότης anzureden. Dennoch scheint Hippolyt diese Mitteilung nicht aus Josephus geschöpft zu haben, wie schon die Divergenz zwischen den Titeln δεσπότης und κύριος anzeigt, sondern bezieht seine Informationen von einem anderen Gewährsmann. Überblickt man den bisher analysierten Einschub des Hippolyt in den aus Josephus übernommenen Gesamtzusammenhang, so wirkt der Abschnitt wie ein Flickenteppich aneinander gereihter Zitate. Dabei sind die ersten Zeilen über die Verweigerung des Münzgebrauchs und des Hindurchgehens durch Tore mit 283 Hippolyt

umschreibt dieses Verbot mit ἀθέμιτον, wie auch Josephus sagen würde. omnium haeresium IX 26,1 (Text: Marcovich 371, 7). 285 Ebd. 26,1 (Text: Marcovich 371, 10); im Hintergrund steht möglicherweise eine gewisse Unsicherheit über die Kennzeichen des Judeseins. Den Gottesfürchtigen wurde dies z. T. abgesprochen und sie zur Beschneidung genötigt; vgl. die Tatsache, dass der Herrscher Adiabenes in den Augen seiner Untertanen erst durch Beschneidung Jude wurde, AJ 20,47 bzw. 75–77; dazu S. Lieberman, The Discipline, 202 Anm. 32; Sh. J. D. Cohen, Crossing, 23–32. 286 Refutatio omnium haeresium IX 26,2 (Text: Marcovich 371, 11). 287 Refutatio omnium haeresium IX 26,2 (Text: Marcovich 371, 12): οὐδένα κύριον ὀνο­ μάζουσι πλὴν τὸν θεόν. Hippolyt berührt sich in dieser Formulierung auch mit Origenes, der ebenfalls über die Anhänger des Judas Galilaeus mitteilt: μηδὲ κύριον ἀναγορεύειν τὸν Καίσαρα, Commentarium in Matthaeum 17,25 (zu Mt 22,16) (Text: Klostermann 655); Die verschiedenen Formulierungen machen es unwahrscheinlich, dass Origenes Hippolyt benutzte. Sie dürften vielmehr Informationen derselben Quelle verarbeitet haben. 288 AJ 18,23 τετάρτῃ τῶν φιλοσοφιῶν; vgl. Ch. Burchard, Die Essener, 30 Anm. 158; M. Black, The Account, 174. 284 Refutatio

2.3 Der Widerstand gegen den Census im Jahr 6 n. Chr.

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Statuen von der Zwangsbeschneidung von Heiden zu differenzieren, denn nur dieser gewaltsam durchgesetzte Übertritt zum Judentum wird von Hippolyt den Zeloten bzw. Sikariern zugeordnet. Die über das Maß (τὰ ὑπὲρ τὸ δέον) bilderfeindlichen Judäer haben damit also nichts zu tun, worin sich vielleicht auch ein Unterschied in den von dem Kirchenvater verwendeten Quellen spiegelt. 2.3.3 Zur Einschätzung der patristischen Quellen des Hippolyt Um in dieser Frage nach den Quellen Hippolyts Klarheit zu bekommen und den historischen Wert seiner Nachrichten einschätzen sowie die Zuverlässigkeit der Quellen des betreffenden Abschnittes der Refutatio omnium haeresium besser bewerten zu können, sei auf Pseudo-Hieronymus, De haeresibus Judaeorum, verwiesen, dessen Analyse uns in wichtigen Punkten ein gutes Stück weiterhelfen kann. Eine kritische Ausgabe des lateinischen Textes mit einer Übersetzung und Erörtung der Quellenfrage s. hier in Teil 6 dieser Studie. Diese kleine Schrift ist bisher noch nie eingehend erforscht worden. Sie enthält einen detaillierten Katalog jüdischer Häretiker und wurde wohl am Beginn des 5. Jh. n. Chr. abgefasst. Später wurde sie dem Œuvre des Hieronymus zugeordnet, ist aber nicht von ihm verfasst worden. Diese Quelle war schon Augustin bekannt, der aus ihr in seinem 428/429 n. Chr. entstandenen Buch289 De haeresibus ad Quodvultdeum zitiert290, ohne aber, wie er selbst bekundet, ihren Autor zu kennen. Im frühen Mittelalter lag das kleine Werk dem spanischen Bischof und Schriftsteller Isidor von Sevilla, der 636 n. Chr. starb, vor, der es als eine Quelle seiner eigenen Abhandlung über die Häresien verwendet291. Im Rahmen der Edition wird in Teil 6.3.3 ausgeführt, dass der Verfasser von De haeresibus Judaeorum wahrscheinlich Überlieferungen, die auf Justin und die Hypomnemata (ὑπομνήματα) des Hegesipp zurückgehen, vereinte und zu einem Gesamtbild jüdischer Häretiker zusammengefügt hat. Damit reichen die Mitteilungen sowohl des Autors von De haeresibus Judaeorum als auch von Hippolyt, die vermutlich aus denselben Quellen geschöpft sind, bis in das 2. Jh. n. Chr. zurück.

289 Zur Datierung dieser Schrift Augustins sowie zur Person des Kirchenvaters Hippolyt, vgl. H. R. Drobner, Lehrbuch, 100–101; B. R. Suchla, Art. Hippolyt, 298 (s. u. in der Edition: Pseudo-Hieronymus, De haeresibus Judaeorum: Codex Matritensis 80, 17va–17vb). 290 Augustin zitiert die Passage im Kontext seiner Ausführungen über die Gruppe der Luciferianer, die nur der Autor des Indiculus unter die Häretiker gezählt habe De haeresibus ad Quodvultdeum Epilogus 2 (Text: vander Plaetse, Beukers 343, 18–20); s. u. in der Edition: Pseudo-Hieronymus, De haeresibus Judaeorum: Codex Matritensis 80, 17va–17vb. 291 Vgl. den Nachweis bei P. A. C. Vega, Un tratado inédito de San Isidoro de Sevilla, in: S. Isidori Hispalensis Episcopi De Haeresibus, 16–18; s. ferner R. J. H. Collins, Art. Isidor von Sevilla, 313.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

Die Liste aus zehn jüdischen Häresien, die De haeresibus Judaeorum enthält, stellt offenbar ein stark gebündeltes Exzerpt der genannten Quellen dar292. Auffällig ist, dass für einige Gruppen eine Beziehung zum Christus, womit der jüdische Messias gemeint sein muss, angegeben ist. Dies gilt für die Essener, Galiläer, Masbothäer, Pharisäer und Herodianer, während in Bezug auf die Sadduzäer, Genisten, Meristen, Samaritaner und Hemerobaptisten dazu nichts mitgeteilt ist. Man kann davon ausgehen, dass diese Besonderheit des Verfassers von De haeresibus Judaeorum, der mehrfach von den jüdischen Erwartungen vom kommenden Messias Notiz nimmt, wie unter 6.3.3 dargelegt, zumindest einen Hinweis auf die heute verlorenen Hypomnemata (ὑπομνήματα) des Hegesipps als die Quelle enthält, der Pseudo-Hieronymus seine Informationen verdankt. Des Weiteren sei darauf verwiesen, dass die von Pseudo-Hieronymus gebotene Beschreibung der Galiläer, die sich durch eine besonders rigorose Bilderfeindlichkeit sowie einen daraus resultierenden Münzboykott auszeichneten und überdies den römischen Kaiser nicht als ihren „Herrn“ (dominus) bezeichnen wollten, mit den betreffenden Notizen des Hippolyt auffällig übereinstimmt. Im Hinblick auf die Galiläer sei hervorgehoben, dass damit sicherlich jüdische Aufständische gegen die römische Herrschaft gemeint sind (und keineswegs Christen, die in antiken Quellen ebenfalls als Galiläer bezeichnet werden). Dies beweist schon ihre Eingruppierung als jüdisch, wobei ihr Name n. m. E. durchaus von jenem Judas hergeleitet sein kann, den Josephus bereits unter dem Beinamen „der Galiläer“ kannte293. Wenn man diese Identifikation der Galiläer mit den Anhängern des Judas und seines Verbündeten Saddok akzeptiert, bleibt weiter zu fragen, ob die von Hippolyt und Pseudo-Hieronymus vorausgesetzten speziellen Charakteristika ihrer Lebensweise und Doktrin, d. h. die Ablehnung der kaiserlichen Geldstücke wegen ihrer Bilder und die Weigerung, den üblichen Titel „Herr“ für den Herrscher zu benutzen, auch noch durch andere Zeugnisse außerhalb der christlich-patristischen Literatur bestätigt werden und in die Epoche des Aufstandes des Judas datiert werden können. Gelingt dieser Nachweis mit Hilfe jüdischen Quellenmaterials, dann handelt es sich also nicht nur um spätere christliche Nachrichten, sondern die Mitteilungen der Kirchenväter basieren auf Erinnerungen, die sogar vor die Zeit Jesu zurückreichen. 292 Diese Vermutung äußert schon M. Simon, Die jüdischen Sekten, 86–87; vgl. ferner A. Hilgenfeld, Judentum, 34; G. Bardy, L’Indiculus, 390. Bardy geht diesen Zusammenhängen aber nicht weiter nach. 293 Eine Diskussion dieses Namens in christlichen Quellen ist in der Forschung bisher kaum geschehen, vgl. allein S. Freyne, The Galileans, 28 Anm. 5, der an Christen denkt, was aber durch den Kontext ausgeschlossen ist. Judas dürfte in Judäa, wo er rebellierte, wegen seiner Herkunft aus dem Norden so genannt worden sein, s. z. B. M. Hengel, Zeloten, 343; D. M. Rhoads, Israel, 48, 51. Seine eigentliche Heimatstadt war nach Josephus allerdings Gamala, das östlich des Sees Genezareth in der Gaulanitis lag, AJ 18,3.

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 83

Gerade der Münzboykott ist bei Josephus nämlich nirgends erwähnt, während es im Hinblick auf den Herrentitel zumindest gewisse Parallelen gibt. Es legt sich von daher nahe, der rigorosen Interpretation des biblischen Bilderverbots in jüdischen Quellen nachzugehen und das umfangreiche Material zu sichten, um mit seiner Hilfe die Stichhaltigkeit der Überlieferungen bei Hippolyt und Pseudo-Hieronymus nachzuweisen. Den Anfang der Erörterung soll ein Rückblick auf die biblischen Wurzeln des Bilderverbots machen, um von dort zu den späteren Zeugnissen fortzuschreiten, wobei zeitgenössischen jüdischen Quellen wie den Qumrantexten oder einigen Stellen bei Josephus besondere Beachtung zukommen muss. Auch archäologische Funde und gewisse Notizen innerhalb der rabbinischen Literatur werden in die Diskussion einbezogen werden. Sie wird umfangreich ausfallen müssen, denn erst auf dem Hintergrund dieses Belegmaterials wird sich erweisen lassen, dass die Kirchenväter verbreitete Motive der Selbstrechtfertigung jüdischer Oppositioneller bei ihrem Widerstand gegen die Römer reflektieren.

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 2.4.1 Die biblischen Hintergründe des Bilderverbots In hellenistisch-römischer Zeit war das mosaische Bilderverbot ein für Nichtjuden hervorstechendes Merkmal jüdischen Glaubens. Dies basierte insbesondere auf der Ausnahmestellung dieser jüdischen Vorschrift: Gerade von dieser spezifischen Differenz zur polytheistischen Umwelt profitierte der jüdische Glaube294. Eine nähere Untersuchung der historischen Anfänge und religionsgeschichtlichen Hintergründe der grundlegenden Ablehnung aller Götterbilder im Judentum ist aber nicht Ziel dieser Abhandlung. Deshalb werden wir uns hier nicht mit den Fragen befassen, ob sich eventuelle Parallelen oder sogar Voraussetzungen des Bilderverbots in einer anikonischen Tradition des palästinischen Raums ausmachen lassen295, ob das Bilderverbot in vorexilische oder gar vorstaatliche Zeit zurückreicht296 und ob in vorexilischer Zeit im Jerusalemer Tempel ein Kultbild 294 H.

Niehr, Götterbilder, 228–299 (mit weiterer Literatur). Mettinger, No Graven Image. Kritisch dazu S. Petry, Die Entgrenzung, 64–68. Zum altorientalischen Bildverständnis s. A. Berlejung, Die Theologie, 31–283; D. Bonatz, Was ist ein Bild, passim und ders., Sprache ohne Worte, passim (mit Lit.). 296 Hierzu gehört insbesondere die Debatte, ob der jüdische Gott schon seit der Nomadenzeit ohne ein Kultbild verehrt wurde oder dies erst ein Impuls späterer Zeit war; s. C. Dohmen, Das Bilderverbot, 176–180, 244–251; R. Albertz, Religionsgeschichte, Teil 1, 101–103; O. Keel, Warum im Jerusalemer Tempel, 255, 264, 270–277, insb. 280–281; zusammenfassend M. Köckert, Die Entstehung, 272–275 sowie S. Petry, Die Entgrenzung, 63, 71–72. 295 T. N. D.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

Jahwes vorhanden war297 bzw. die Ablehnung bildlicher Darstellungen als eine Reaktion auf die Erfahrung des babylonischen Exils anzusehen ist298. Als Ausgangspunkt für unsere diesbezüglichen Überlegungen eignet sich vielmehr ein Blick auf die Rezeption, die das Bilderverbot betreffende, biblische Vorschriften im 1. Jh. n. Chr. erfahren haben. Aufschlussreich sind vor allem die Ausführungen des Josephus in seinen Antiquitates, wo er im Zuge seiner Nacherzählung der Geschichte seines Volkes und veranlasst durch seine biblischen Vorlagen mehrfach auf das Bilderverbot zu sprechen kommt. Des Weiteren äußert sich Philo von Alexandria in seinen Schriften mehrfach über die Ablehnung der Bilder im Judentum. An den betreffenden Passagen einer Relecture der biblischen Quellen zeigt sich bei beiden Autoren, dass sich die Diskussion in erster Linie auf den Dekalog (Ex 20,4–6 bzw. Dtr 5,8–10) als die zentrale und für alle Juden verbindliche Stelle der Bibel fokussierte299. Beispielsweise geht Philo in seiner Schrift De decalogo ausführlich auf das Zweite Gebot ein300, wobei er sich in apologetischer Absicht auf gegen die Götterbilder gerichtete Traditionen der griechischen Geisteswelt stützt. Auch Josephus schöpft in seiner Verteidigungsschrift Contra Apionem aus denselben Quellen301. Besonders erwähnenswert ist ferner, dass das Zweite Gebot bei der Wiedergabe des Josephus eine gewisse Zuspitzung erfuhr. Diese Tendenz einer verschärfenden Interpretation302 begegnet insbesondere in den Antiquitates, wo er 297 S.

Petry, Die Entgrenzung, 68–71. der in dieser Zeit einsetzenden Bilderpolemik s. A. Berlejung, Die Theologie, 319–413. 299 In anderen Texten wie z. B. bei Pseudo-Philon wurden das Erste und das Zweite Gebot sogar als Einheit zusammengenommen, was in bestimmten biblischen Passagen vorgebildet war (Ex 34,14–17; Lev 19,4; 26,1; Dtr 4,16–18; vgl. Jes 2,20; Jer 1,16; 25,6; Hos 11,1–2); vgl. Antiquitates Biblicae 11,6 (Text: Kisch 143–144, Übersetzung: Dietzfelbinger 130): Et tunc locutus est Dominus populo suo omnia hec verba dicens. Ego sum Dominus Deus tuus, qui eduxit te de terra Egypti de domo servitutis. Deos sculptiles non facies tibi nec facies omne abhominamentum solis et lune, aut omnium, ornamentorum celi, et milicie eius, nec omnium que sunt super terram facies similitudinem, nec eorum que natant in aquis, vel repunt sub terra. / Und damals redete Gott zu seinem Volk alle diese Worte und sprach: Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich herausgeführt habe aus dem Land Ägypten, aus dem Haus der Knechtschaft. Geschnitzte Götter sollst du dir nicht machen und sollst nicht machen irgendein verabscheuenswertes Bild der Sonne und des Mondes oder irgendwelcher Zierden des Himmels und seines Heeres, und nicht sollst du ein Abbild irgendwelcher (Dinge) machen, die auf der Erde sind, noch derer, die schwimmen in den Wassern oder kriechen unten auf der Erde. Wichtig blieb ferner, dass die Übertretung des Bilderverbots als eine Verunreinigung des Landes (Lev 18,28) aufgefasst wurde. Auf diesen Grundgedanken der durch Bilder verursachten Unreinheit spielt z. B. Josephus bei der Schilderung des jüdischen Widerstands gegen den Plan des Kaisers Caligula an, seine Statue im Jerusalemer Tempel aufstellen zu lassen. 300 Decal 52–58. 301 Vgl. J. M. G. Barclay, Flavius Josephus, Translation and Commentary, Bd. 10, 209 Anm. 262. 302 Es handelte sich dabei keineswegs um eine Einschränkung, nach der nur Bilder die dem Kult heidnischer Gottheiten dienen sollten, untersagt seien, so É. Nodet, Flavius Josèphe, Les 298 Zu

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 85

den Dekalog einschließlich des Bilderverbots in einer knappen Zusammenfassung bringt und schreibt: „Das Zweite (Gebot) befiehlt, keines Lebewesens Bild zu machen und zu verehren“ (ὁ δὲ δεύτερος κελεύει μηδενὸς εἰκόνα ζῴου ποιήσαν­ τες προσκυνεῖν, AJ 3,91). Von den drei Bereichen Erde, Wasser und Luft (Ex 20,4) ist in diesem Zusammenhang keine Rede mehr, sondern die Formulierung ist ganz auf das Verbot des ζῷον als Bildmotiv ausgerichtet303. Josephus Anliegen war es wohl, durch diese Modifikationen jede Form bildlicher Darstellungen von Tieren oder Menschen zu unterbinden, wobei er nicht allein Kultbilder im Auge hatte. Er betrachtet vielmehr Bilder lebender Wesen im Allgemeinen als „weder Gott noch Menschen nützlich“304. Das Bilderverbot erstreckte sich für ihn  – wie wir noch sehen werden – auch und gerade auf den in der paganen Umwelt üblichen Bildschmuck, der der Verschönerung von Gebäuden oder der Ehrung eines Menschen durch ein Portrait diente. Dass die Wiedergabe des zweiten Dekaloggebots in den Antiquitates als eine bewusste Zuspitzung gemeint war, zeigt sich darin, dass Josephus diese biblische Weisung mehrfach beinahe wörtlich wiederholt305, etwa um bestimmte von ihm abgelehnte Bildmotive der Ausstattung des Jerusalemer Tempels als Bruch der mosaischen Vorschrift zu kritisieren, wobei eine gegenüber den biblischen Vorlagen (sowie späteren rabbinischen Parallelen) deutlich konsequentere Auslegung unverkennbar ist306. Diese Tendenz macht sich z. B. in seiner Beschreibung der beiden Cherubim über der Lade im jüdischen Heiligtum bemerkbar, die er anders als die Tora (Ex 25,20; 37,9) als Wesen sui generis bezeichnet, die Mose durch eine Vision bekannt wurden, in der er sie um den Thron Gottes stehend erblickt hatte307. Deshalb ähnelten sie, was Josephus betont, in ihrem Antiquités, Bd. 1, 161 Anm. 4 und U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 247, 249; vgl. auch die Ablehnung durch Rabbi Meir (Mitte des 2. Jh. n. Chr.), der Bilder nur dann, wenn sie angebetet würden, mAZ 3,1 (Text: Krupp 16), untersagte. Dass Josephus vielmehr die strikte Observanz des Gebots einschärfen will, betont ebenfalls M. Hørning Jensen, Message, 281. 303 Vgl. H. P. Kingdon, The Origins, 77; M. Vogel, Vita, 75; St. Fine, Art, 80. 304 CA 2,75: neque deo neque hominibus utilem; s. dazu St. Fine, Art, 80. Josephus umgeht so die mit Bildern verbundenen Konflikte, vgl. J. Gutmann, The Second Commandment, 171. Josephus spitzt die Debatte also bewusst auf den Nutzen zu. 305 Vgl. z. B. AJ 3,126. 306 Diese Bibelinterpretation hebt L. H. Feldman, Josephus’s Interpretation, 600 („stricter than the rabbis“) hervor. 307 AJ 3,137; vgl. 1 Kön 8,6–8 bzw. 2 Chr 5,7–8. Nach der babylonischen Eroberung und Plünderung des Tempels (2 Kön 25,13–17 bzw. 2 Chr 36,18–19) blieb die Lade verschwunden und wurde in dem nachexilischen Tempel nicht wieder aufgestellt. Zur Zeit des Josephus war das Aussehen der Lade und der Cherubim (Ex 25,18–20; 37,7–9) nur durch die biblische Überlieferung bekannt, die Josephus in bemerkenswerter Weise uminterpretiert; dazu É. Nodet, Flavius Josèphe, Les Antiquités, Bd. 4, 58 Anm. 4. Die Beschreibung des Aussehens der Cherubim aus Ex 25,20 übergeht Josephus in seinem Text, É. Nodet, Flavius Josèphe, Les Antiquités, Bd. 1, 169 Anm. 5. Die rabbinischen Quellen beschrieben die Cherubim ohne jede Kritik in anthropomorpher Erscheinungsform; vgl. die Materialsammlung v. L. Ginzberg, The Legends, Bd. 3, 158; Bd. 5 (= Bd. 6), 65 Anm. 333.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

Aussehen keinem den Menschen bekannten irdischen Lebewesen308. Das ist eine Sonderüberlieferung, die nirgendwo eine Parallele hat, aber höchstwahrscheinlich das Bilderverbot berücksichtigen sollte. Philo hingegen interpretiert die Cherubim allegorisch als Symbole der (schöpferischen und königlichen) Kräfte Gottes309 und vermeidet auf diese Weise eine Auseinandersetzung mit der bildlichen Gestaltung der beiden Figuren im salomonischen Tempel. Sodann sind noch die Palmen‑ und Blumenmotive an den Tempelwänden, die die Bibel mehrfach beschreibt (1 Kön 6,18 vgl. 2 Chr 3,5 u. a.), zu erwähnen, die ebenso wie der gigantische vergoldete Weinstock im herodianischen Tempel offensichtlich nicht die Kritik des Josephus erregten310. Er hielt es aber für nötig hervorzuheben, dass auf dem äußeren Vorhang des Heiligtums schon seit der Zeit, als Mose das Stiftszelt auf Gottes Anordnung hin errichtet habe, niemals Bilder von irgendwelchen Lebewesen, d. h. neben Menschen und Tieren auch menschenähnliche Fabelwesen, zu sehen waren311. Den Vorhang des herodianischen Tempels, den Josephus als Priester selbst gesehen haben dürfte, schmückte nach seinen Angaben eine Art Zodiacus als Himmelssymbol, jedoch ohne die für die Sternbilder der einzelnen Tierkreiszeichen charakteristischen Menschen‑ und Tierbilder (πλὴν ζῴων μορφῆς)312. Außerdem bietet Josephus in Anlehnung an biblische Vorlagen (1 Kön 7,23– 26; 2 Kön 16,17; 25,13) eine Beschreibung des riesigen Beckens des sog. ehernen Meeres im Vorhof des salomonischen Tempels, das auf Postamenten in Form von zwölf Rindern ruhte313. Dabei tadelt er die im Auftrag Salomos angefertigten Tierdarstellungen im Tempelbereich als Sünde des Königs, durch die dieser Herrscher am Ende seines Lebens in der Gesetzesobservanz „gefehlt“ (σφαλῆναι) habe. Das impliziert, dass Josephus jede Darstellung von Lebewesen, 308 Sie sind allen von Menschen geschauten Wesen unähnlich (οὐδενὶ τῶν ὑπ᾽ ἀνθρώπων ἑω­ ραμένων παραπλήσια); vgl. AJ 3,137 sowie 8,73: τὰς δὲ Χερουβεῖς οὐδεὶς ὁποῖοί τινες ἦσαν εἰπεῖν οὐδ᾽ εἰκάσαι δύναται; zu diesen Passagen s. L. H. Feldman, Josephus’s Interpretation, 601. 309 VitMos 2,20,99. 310 Die Pflanzendarstellungen waren für ihn vom Dekaloggebot also nicht betroffen; vgl. AJ 3,126, wo Josephus die Blumenstickereien auf dem Tempelvorhang explizit von den verbotenen Tierdarstellungen (πλὴν ζῴων μορφῆς) unterscheidet. Den vergoldeten Weinstock im herodianischen Tempel erwähnt neben Josephus und der Mischna u. a. der Historiker Florus, Epitome bellorum omnium 1, (66) 30 (Text: Laser 150 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 2, Nr. 321, S. 133): intravit et vidit illud grande inpiae gentis arcanum patens sub aurea vite caelum. Dieser war wohl ein Symbol für das Laubhüttenfest und damit für den Landbesitz. 311 AJ 3,126. Von den in Ez 41,18 erwähnten Cherubim und Palmwedeln schreibt Josephus nichts; dazu É. Nodet, Flavius Josèphe, Les Antiquités, Bd. 1, 165 Anm. 4; vgl. ferner L. H. Feldman, Flavius Josephus, Translation and Commentary, Bd. 3, 261 Anm. 262. 312 AJ 3,126. In BJ 5,214 berichtet Josephus von dem Tempelvorhang: κατεγέγραπτο δ᾽ ὁ πέπ­λος ἅπασαν τὴν οὐράνιον θεωρίαν πλὴν ζῳδίων. Die Himmelssymbolik wurde auch von Heiden verstanden, wie der römische Historiker Florus in seiner Darstellung von den Geheimnissen voraussetzt, die Pompeius angeblich aufdeckte, als er als Heide das Innere des Tempels betrat, Epitome bellorum omnium, ebd. 313 Er interpretiert es ebenso wie 2 Chr 4,6 als ein Waschbecken.

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 87

auch wenn sie nur als Schmuck des Tempelgebäudes und seiner Ausstattung dienten und keineswegs als Kultbild fungierten, als einen Verstoß gegen das Zweite Gebot betrachtete, was deutlich über den Rahmen des von ihm für seinen Bericht verwendeten Bibeltextes hinausgeht314. Dieselbe Auffassung des Josephus spiegelt sich in einem weiteren Detail seiner Ausführungen, wo er die biblische Darstellung ebenfalls mit Blick auf die Bilder im Privatbereich des salomonischen Königspalastes in bezeichnender Weise ändert. Demnach waren selbst die den Thron Salomos flankierenden Löwenfiguren als Symbol der Herrschermacht (1 Kön 10,18–20; 2 Chr 9,17–19) durch das Dekaloggebot untersagt, weswegen sich Salomo durch ihre Errichtung in den Augen des Josephus eines Bruchs der Tora schuldig machte315. Um solche Deutungen biblischer Texte  – vor allem des Zweiten Dekaloggebots – wie sie Josephus und wohl auch Philo als ungefähre Zeitgenossen Jesu voraussetzen, einschätzen zu können, ist nun die Stellung dieser verschärfenden Position im Rahmen der historischen Entwicklung der Ablehnung von bildlicher Darstellung im Judentum zu kontextualisieren. Dadurch lässt sich die jüdische Einstellung zu den Münzprägungen und den Bilddarstellungen auf Geldstücken ebenfalls beleuchten, was für die Interpretation der Zinsgroschenperikope 314 Dass Josephus hierbei mit seiner eigenen Überzeugung zu Wort kommt, zeigt sich darin, dass er in AJ 8,80 das eherne Meer mit seinen 12 Stützen in Form von „Kälbern“ (μόσχοι) eingehend ohne jeden Tadel nach 1 Kön 7,23–26 bzw. 2 Chr 4,4.15 beschreibt. Zudem erwähnt er nach 1 Kön 7,29 die Kupfergestelle Salomos mit ihren Darstellungen von Löwen, Rindern und Adlern, die bei Josephus anstelle der in der Bibel genannten Cherubim stehen, ohne dass eine negative Bewertung des Bildschmucks für den Leser erkennbar wird. Erst an derjenigen Stelle, an der Josephus auf die Sünde Salomos zu sprechen kommt, zu der ihn seine ausländischen Ehefrauen verführten (1 Kön 11,4–8), bringt er den Verstoß des Königs gegen das Bilderverbot, der – wie Josephus sicherlich nicht ohne Hintergedanken klarstellt – bereits vor dem Abfall zu den Göttern seiner heidnischen Frauen (πρὸ τούτων, AJ 8,195) geschehen sei; dazu L. H. Feldman, Josephus’s Interpretation, 601; Ch. T. Begg, P. Spilsbury, Flavius Josephus, Translation and Commentary, Bd. 5, 21 Anm. 244. Eine solche Nachricht über die Ausstattung des Jerusalemer Tempels, die die von Salomo gestifteten Bilder in eine Reihe mit seiner Verehrung heidnischer Gottheiten bringt, ist ohne Parallele in der biblischen Vorlage. Dass Josephus in seinen Antiquitates die für die Götter der Frauen von Salomo erbauten Heiligtümer (1 Kön 11,7) übergeht, sollte man nicht dahingehend verstehen, dass sein Verstoß gegen das Bilderverbot eine weniger gravierende Sünde sei (so L. H. Feldman, Josephus as an Apologist, 77). Dieses Vergehen wog vielmehr genauso schwer wie der Bruch des Ersten Gebots. 315 AJ 8,195; vgl. 1 Kön 7,23–26; 2 Kön 16,17; 25,13; dazu J.-B. Frey, La question, 268; 275; C. T. Begg, Solomon’s Apostasy, 302; B. Schröder, Die väterlichen Gesetze, 77. Im Allgemeinen vermeidet es Josephus, biblische Episoden wie die vom Goldenen Kalb zu berichten; vermutlich aus apologetischen Gründen, vgl. B. Halpern Amaru, Land, 220; C. T. Begg, Solomon’s Apostasy, 304. In der rabbinischen Überlieferung dagegen wird der Thron Salomos mit dem Bilderschmuck in offensichtlicher Anlehnung an zeitgenössische Herrscherthrone voller Stolz beschrieben; s. EstR 1,12; vgl. auch L. H. Feldman, Flavius Josephus, Translation and Commentary, Bd. 3, 267 Anm. 328 sowie die Sammlung der Quellen bei L. Ginzberg, The Legends, Bd. 4, 157 sowie Bd. 5 (= Bd. 6), 297 Anm. 70.

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bisher zu wenig geschah. Der Ansatzpunkt unserer Erörterungen soll die späte Perserzeit sein, als das Münzgeld Zahlungsmittel wurde. Den Endpunkt wird die rabbinische Epoche bilden, in der sich in vieler Hinsicht eine kompromissbereite Interpretation der biblischen Vorschriften durchsetzte. Von daher wird transparent werden, weshalb sich Jesus einen Denar für seine Antwort auf die Steuerfrage zeigen ließ. 2.4.2 D  ie Einstellung des Judentums zu Bildern in persischer und hellenistischer Zeit Mit der Erfindung des Münzgeldes im 7. Jh. v. Chr. (wahrscheinlich in Kleinasien) geriet eine neue Art von Kleindarstellungen in Umlauf. Möglicherweise wurde das Geld von vornherein zur Erleichterung des Einziehens von Steuern und Abgaben ersonnen. Für diesen Zweck wurde eine bestimmte, genau abgewogene Metallmenge aus Gold, Silber oder Elektron (einer natürlich vorkommenden Gold-Silber-Legierung) verwendet, schon bei den ältesten Geldstücken erhitzt und dann mit einem Stempel gekennzeichnet, um die Legitimität einer gültigen Währung anzuzeigen316. Ebenso wie viele andere Herrscher erkannten nach kurzer Zeit die persischen Großkönige den praktischen Nutzen dieser Erfindung und führten das Geld auch im persisch regierten Palästina ein. Dort löste es das zuvor übliche, nach Gewicht abgemessene Silber als Zahlungsmittel ab317. Im persischen Großreich behielt sich der König das Prägen von Goldmünzen318, die meist das Bild des knienden Herrschers mit Bogen oder Lanze zeigten, vor, während seine Satrapen und andere lokale Behörden wie z. B. einige bedeutende Städte319 das Recht erhielten, Silbermünzen schlagen zu lassen. Zwischen ca. 400 v. Chr. und 333 v.Chr begannen die persischen Statthalter der Provinz Judäa mit einer eigenen Münzprägung320, wobei ihre Geldstücke nicht nur die 316 J. W.

Betlyon, A People, 47. kaufte Jeremia einen Acker in Anatot und wog dabei Silber zur Bezahlung des Kaufpreises ab, Jer 32,9. Diese Passage setzt voraus, dass der Kaufpreis in der damals üblichen Manier als Edelmetall abgewogen wurde. Überhaupt gibt es in dieser Passage viele Parallelen zu dem Vorgehen bei solchen Käufen, wie es sich auch aus anderen Quellen erheben lässt; s. G. Fischer, Jeremia 26–52, 197–198. Entsprechend diesem im Alten Orient üblichen Ablauf eines Landkaufs wird dann auch beschrieben, wie Abraham sein Erbbegräbnis in Machpela von Efron dem Hethiter für Silber erwarb, das dafür abgewogen wurde, denn Münzen, die man zählen konnte, existierten noch nicht, Gen 23,15–16; zu dem abgewogenen Silber (wozu u.U. zerhacktes Rohmetall und zerkleinerte Schmuckstücke zählten) als Währung s. J. Babelon, Art. Monnaie, 1350–1359; R. Bogaert, Art. Geld, 804–806; ferner O. Roller, Münzen, 1. Dass abgewogenes Rohmetall als Geld galt, belegt ebenfalls, dass die späteren Münznamen wie Schekel mit Gewichtsbezeichnungen identisch sind, s. K. Galling, Art. Geld, 88. 318 Diese persischen Dareiken waren dann schnell unter den Juden verbreitet; Esr 2,69; 8,27; dazu R. Bogaert, Art. Geld, 806; U. Rappaport, Numismatics, 25. 319 J. W. Betlyon, A People, 8. 320 Dieses Geld lief hauptsächlich in einem lokal begrenzten Gebiet in Judäa um, A. BenDavid, Jewish and Roman Bronze, 111; St. N. Gerson, Fractional Coins, passim. Bei der 317 Beispielsweise

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Jehud-Aufschrift, sondern in einigen Fällen neben dem Bild des Königs sogar ausgesprochen pagane Prägebilder, z. B. den Kopf der Göttin Athene, trugen321. Die Verantwortlichen der lokalen Münzstätte in Judäa übernahmen damit den Typus attischer Silbermünzen, die das am meisten verbreitete Silbergeld ihrer Zeit waren322. Doch kamen auch Symbole wie die Lilie vor, die als spezifisch jüdisches Motiv vielleicht neben der Münzlegende die Herkunft anzeigen sollte323. Der unbefangene Umgang mit bildlichen Darstellungen scheint sich nach dem Eroberungszug von Alexander dem Großen unter den Diadochenherrschern fortgesetzt zu haben. Wahrscheinlich ist, dass Ptolemaios II Philadelphos Drachmen mit seinem Portraitkopf schlagen ließ324. Der Gebrauch ornamentaler Pflanzen‑ und Tierdarstellungen ist auch bei der jüdischen Oberschicht nachweisbar. Beispielsweise errichtete Hyrkanos aus der Familie der Tobiaden nach 180 v. Chr. einen Palast mit Namen Tyrus (bei dem heutigen Iraq El-Emir 17 Kilometer westlich von Amman)325. Dieser massive Bau lag auf einer Terasse inmitten eines künstlichen Sees und war mit Relieffriesen von Löwen und Adlern, die die Ecken des mehrstöckigen Palastes stützten326, verziert. Darüber hinaus fand man bei Ausgrabungen in seinen Ruinen eine Brunnenfigur in Form eines Löwen. Josephus weist ebenfalls auf diesen Bau hin und berichtet, Hyrkanos habe auf dem Gebäude „Tiere von ungeheurer Größe eingemeißelt“327. Der Bau blieb allerdings unvollendet, wohl weil sich Hyrkanos im Streit mit Antiochos IV das Leben nahm328.

Ausprägung folgte man einem eigenen, jüdischen Gewichtssystem, Y. Ronen, The Weight, passim. 321 Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, Bd. 1, 16–17; K. Galling, Art. Münze, 233 Abb. 52,2. Weitere Abbildungen finden sich bei J. W. Betlyon, A People, 47; vgl. ferner H. Minc, Ancient Jewish Coins, 110; D. Hendin, Guide, 14; U. Rappaport, Numismatics, 27. Athenische Drachmen wurden zudem im jüdischen Siedlungsgebiet akzeptiert und dort auch archäologisch nachgewiesen, St. N. Gerson, Fractional Coins, 109. Sie belegen den frühen griechischen Einfluss bei der Verbreitung von Münzen als Zahlungsmittel in Palästina, S. Schwartz, Imperialism, 25. 322 B. Overbeck, Das Heilige Land, 19. 323 J. W. Betlyon, A People, 47; St. N. Gerson, Fractional Coins, 110; vgl. auch die Abb. bei St. N. Gerson, Fractional Coins, 112 und Y. Ronen, The Weight, 123. Lilien werden als Form der Knäufe auf den Säulen vor der Vorhalle des salomonischen Tempels erwähnt, 1 Kön 7,19.22. Auch rabbinische Texte erwähnen gelegentlich die Lilie als Symbol Israels, LevR 23,6 bzw. ShirR 2,6 mit einer deutlich gegen Esau, d. h. die Römer, gerichteten Auslegung. 324 Vgl. B. Overbeck, Das Heilige Land, 22–23 und Abb. Kat.-Nr. 5 auf S. 23. Zum Vorbild ptolemäischer Bildstempel s. auch St. N. Gerson, Fractional Coins, 111. 325 St. Fine, Art, 68. 326 Vgl. die Abb. bei E. Will, Hellenistisch-römische Zeit, 252 sowie M. Hengel, Judentum, 497–499, der die Deutung des Baus als Tempel diskutiert. 327 AJ 12,230: ἐγγλύψας ζῷα παμμεγεθέστατα. 328 AJ 12,236; zu Hyrkanos und der Tobiadenfamilie s. E. Schürer, The History, Bd. 1, 150 Anm. 30; ferner M. Hengel, Judentum, 496.

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Eine solche laxe Einstellung der jüdischen Elite, die die Entwicklungen zeitgenössischer griechischer Kunst und Kultur in der Architektur bereitwillig aufgriff und dabei die gängigen Bildmotive verwendete, verschwand mit der makkabäischen Erhebung gegen die seleukidische Herrschaft. Der Erfolg der jüdischen Kämpfer gipfelte nicht nur in der Etablierung eines unabhängigen jüdischen Staats, sondern auch in einer in vieler Hinsicht konsequenteren Ablehnung bildlicher Darstellungen, wobei das Motiv der Unterscheidung gegenüber der nichtjüdischen Umwelt leitend gewesen sein dürfte329. Die Verfolgung unter Antiochos IV Epiphanes und der zeitweise Zwang zur Verehrung paganer Gottheiten mag bei dieser Entwicklung ein wichtiger Auslöser gewesen sein. Dieser Versuch der erzwungenen Hellenisierung gab dem makkabäischen Aufstand sicherlich seine von Anfang an gegen den Einfluss griechischer Kultur und Religion gerichtete Stoßrichtung. Diese Tendenz lässt sich belegen, wenn man die militärischen Erfolge der Hasmonäer und ihre Konsequenzen für die eroberten Territorien genauer betrachtet. Am Beginn des bewaffneten Konfliktes stand die Zerstörung eines paganen Altars, der in Modeïn von einem Beamten des Königs Antiochos IV Epiphanes errichtet worden war und an dem die örtlichen Juden zum Opfer gezwungen werden sollten, durch den Priester Mattatias, den Vater der Makkabäerbrüder (1 Makk 2,45)330. Sein Sohn Judas verbrannte den heidnischen Tempel in Karnain (1 Makk 5,44), griff das Philisterland an und vernichtete die Kultbilder paganer Götter (1 Makk 5,68). Nach dem Tod des Judas setzten die Nachfolger diese Politik fort: Jonathan steckte den Dagontempel in Asdod in Brand (1  Makk 10,84; 11,4), Simon vertrieb die heidnischen Einwohner Gazas331 und besiedelte, sobald alle Götterbilder entfernt waren, die Stadt mit jüdischen Kolonisten (1 Makk 13,43–48). Johannes Hyrkanos I, der dritte Nachfolger des Judas, zerstörte 108/107 v. Chr. Zentren des Hellenismus im Land wie die Stadt Samaria, wo Alexander der Große im Jahr 331 v. Chr. makedonische Kolonisten angesiedelt hatte332, und erzwang den Übertritt der Idumäer zum Judentum333. 329 Die Tendenz zur Selbstdefinition durch Abgrenzung von den Nichtjuden trat bis in das 1. Jh. n. Chr. hinein immer deutlicher hervor, vgl. vor allem die Studie von St. Fine, Art, 69–70. Diese These vertrat allerdings bereits J. D. M. Derrett, Law, 531; A. DeGuglielmo, The Religious Life, 185; vgl. auch M. Hengel, Judentum, 561–564. 330 Zu diesen Angriffen auf pagane Kultbilder s. St. Fine, Art, 72; vgl. E. Schürer, The Histroy, Bd. 1, 157; 165; 181; 191; 207. 331 E. Schürer, The History, Bd. 1, 191, weist darauf hin, dass es sich tatsächlich wohl um die Stadt Geser handelte. 332 AJ 13,275–281. Dass dieses Vorgehen insbesondere die griechischen Städte treffen sollte, betont S. Schwartz, Imperialism, 38–39, 41. 333 AJ 13,257. Diesen Übertritt der Idumäer erwähnt auch Strabo 16,2,34 (Text: Jones 280 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 1, Nr. 115, S. 294). Er stellt ihn aber als eine freiwillige Konversion und Annahme der jüdischen Sitten dar; zu diesen Vorgängen s. E. Schürer, The History, Bd. 1, 207; S. Schwartz, Imperialism, 39.

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Dessen Sohn Aristobul I eroberte einen Teil des Territoriums der Ituräer und bekehrte diese Volksgruppe zum Judentum334. Auf diese Weise wurde im jüdischen Herrschaftsgebiet keine pagane Götterverehrung mehr geduldet und jede Erinnerung an sie getilgt335. Diese politische Entwicklung war jedoch nur durch die Schwäche des seleukidischen Reiches möglich, die in der katastrophalen Niederlage des Antiochos VII Sidetes gegen das parthische Heer im Jahr 129 v. Chr. einen Höhepunkt erreichte. Danach konnten sich die heidnischen Untertanen der Seleukiden in den jüdischen Siedlungsgebieten nicht mehr halten. Unter diesen Umständen hatte Johannes Hyrkanos I (135/134–104 v. Chr.) ein ansehnliches Reich gewonnen. Ein äußerer Beweis seiner neuen Machtstellung war u. a. die Prägung eigener Münzen mit der Umschrift „Johannes, der Hohepriester, und die Gemeinde der Judäer“336. Ähnliches Geld setzte auch Aristobul I in Umlauf. Dessen Bruder Alexander Jannai (103–77 v. Chr.) nahm als erster Herrscher die Königswürde an und ließ Kupfermünzen mit zweisprachiger Inschrift prägen, die die nationale Unabhängigkeit propagierten. Das Geld der Hasmonäer zeichnete sich durch eine gravierende Veränderung gegenüber den Gepflogenheiten paganer Münzstätten aus, in der sich die konsequente Erfüllung des Bilderverbots ausdrückt. Auf den hasmonäischen Prägungen fehlt durchweg das Herrscherbild. Stattdessen schmücken symbolische Darstellungen die Geldstücke. Beispielsweise zeigen die Münzen des Alexander Jannai symbolische Gegenstände wie Anker, Stern und Königsdiadem oder Pflanzen, z. B. Lilien337. Jegliche Darstellung von Tieren und Menschen wird vermieden. Die Hasmonäer gingen allerdings nie so weit, die in ihrem Herrschaftsgebiet zirkulierenden Münzen paganer Provenienz, etwa die der hellenistischen Städte, wegen der Königsportraits oder Abbildungen paganer Götter zu verbieten. Dies lässt sich am Beispiel der Silberdrachmen der Stadt Tyrus demonstrieren, die auf der Vorderseite den Kopf des Stadtgottes Melkart bzw. Herakles und auf der Rückseite den Adler als ihr traditionelles Münzbild trugen338. Diese Silber-

334 AJ

13,319; dazu E. Schürer, The History, Bd. 1, 217. Fine, Art, 72. Dass diese Gebietserweiterungen auch ein höheres Steueraufkommen implizierten, diskutiert S. Applebaum, The Hasmoneans, 17–18, 21–22. 336 Schon Simon war nach 1 Makk 15,6 das Recht, eigene Münzen zu schlagen, von Antiochos VII Sidetes gewährt worden. Mit dieser Prägung begannen aber erst seine Nachfolger, J. Meyshan, Jewish Coins, 48–49; R. Bogaert, Art. Geld, 809; U. Rappaport, Numismatics, 35; S. Schwartz, Imperialism, 35–36; vgl. auch E. Schürer, The History, Bd. 1, 211 zu den Münzen des Johannes Hyrkanos I und deren Aufschrift: ‫יהוחנן הכהן הגדל וחבר היהודים‬. 337 Y. Meshoer, Ancient Jewish Coinage, Bd. 1, 118–120; vgl. B. Overbeck, Das heilige Land, 30–35; U. Rappaport, Numismatics, 32–33. 338 Zu diesen Münzbildern s. z. B. Y. Meshoer, A Treasury, 73. 335 St.

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stücke aus Tyrus waren wohl seit hasmonäischer Zeit von der Tempelverwaltung als Währung vorgeschrieben, in der u. a. die Tempelsteuer zu entrichten war339. Auch die von den hasmonäischen Königen seit der Zeit des Johannes Hyrkanos südlich der heutigen Stadt Jericho entlang der antiken Straße nach Jerusalem am Ausgang des Wadi Kelt erbauten Paläste, die wegen des milden Klimas wohl im Winter benutzt wurden, zeugen von der frommen Bilderablehnung dieser Dynastie. Ihre teils luxuriöse Ausstattung mit Schwimmbecken340 und Empfangsräumen mit diversen Fresken und Mosaikfußböden wurde anders als etwa in der Palastanlage des Tobiaden Hyrkanos ohne Bilder von Menschen oder Tieren ausgeführt341. 2.4.3 Die Ablehnung der Bilder in den Qumrantexten Besonders bekannt für kompromisslose Ablehnung von Bildern waren die Essener. Hier ist vor allem eine Passage in der sog. Damaskusschrift bezeichnend. Dieser zum essenischen Schrifttum gehörende Text ist der Forschung zunächst durch die Manuskriptfunde in der Geniza der Kairoer Synagoge am Ende des 19. Jahrhunderts bekannt geworden, hat aber auch in Qumran Belege342. Die Damaskusschrift zählt sogar zu den wichtigen Qumrantexten, weil sie Hinweise auf den Anfang der Sekte und ihre Grundsätze gibt. Das wohl um 100 v. Chr. unter Verwendung älterer Gemeinde‑ und Disziplinarordnungen redigierte Werk bietet einen Überblick über die „nachbiblisch formulierten gesetzlichen Regelungen der Essener“343. Obwohl der größte Teil der Damaskusschrift durch die Kairoer Funde schon vor der Entdeckung der Qumranhöhlen bekannt war, fügten die in der Höhle 4Q aufgetauchten Fragmente dem bisher bekannten Grundbestand weitere Passagen u.a über Reinheitsvorschriften, Zehntvorschriften und Anweisungen zum Umgang mit Aussatz hinzu. Für etliche dieser Bestimmungen wird sogar ein voressenischer Ursprung in hellenistischer Zeit vorgeschlagen344. Der für unsere Fragestellung einschlägige Textabschnitt steht im Rahmen von Ausführungen zur Aufrechterhaltung der Reinheit. Nach der Rekonstruktion des Textes durch Ben Zion Wacholder wird in diesen Anordnungen zuerst das „Hereinbringen“ (‫ )אל יבא‬von Tieren, die Heiden als Opfer verwendeten, untersagt345. Ein Verkaufsverbot für solche Tiere ist an anderer Stelle der Damaskus339 s. u.

4.1.2. diesem Schwimmbecken wurde wohl Aristobul III, den Herodes als Mitglied der hasmonäischen Familie zum Hohenpriester ernennen musste, auf Befehl des Herodes ertränkt, AJ 15,53–56. 341 E. Netzer, Die Paläste, 5–12, 26, 30. 342 4Q 266–273 u. ö., dazu L. H. Schiffman, Sectarian Law, 7–9; Ch. Hempel, The Laws, 79. 343 H. Stegemann, Die Essener, 165. 344 H. Stegemann, Das Gesetzeskorpus, 415–418. 345 Dabei ist vielleicht an den Tempel oder die Gemeinschaftsmähler der Gruppe gedacht, wie L. H. Schiffman, Reclaiming, 374, vermutet. 340 In

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schrift ausgesprochen346; es hat gewisse Parallelen in späteren rabbinischen Texten347. Anschließend wird eingeschärft, nur reine Gewänder hereinzubringen. Schließlich kommt der Verfasser auf die in unserem Zusammenhang einschlägige Regelung zu sprechen348: Und von all dem Gold und dem Silber und dem Kupfer und dem Zinn und dem Blei, welches die Nichtjuden zu einem Standbild verarbeitet haben, bringe keiner (etwas) zu (seiner) Reinheit außer dem, was vom Schmelzofen neu gemacht wurde ….

Unmittelbar nach dieser Textstelle folgen Anweisungen, die Tierhäute, Gewänder oder Werkzeuge betreffen, die durch den menschlichen Körper verunreinigt wurden und durch Besprengen mit Wasser wieder rein werden konnten. Wenden wir uns nun dem Bilderverbot in dieser Passage der Damaskusschrift zu: Dieser Text belegt, dass die Ablehnung paganer Bilder unter die Reinheitsvorschriften eingeordnet wurde. Bilder verunreinigten durch Berührung, wobei diese Regelung ausdrücklich auf alle Metallgegenstände bezogen wurde349. Die Anordnung meint Götterbilder (‫)אשר עשו הגוים פסל‬, wie der biblische Sprachgebrauch von ‫ פסל‬nahelegt350. Die kultische Funktion dieser Bildnisse braucht nicht expressis verbis erwähnt zu werden. Allein die Tatsache, dass Heiden aus irgendeinem Metall bildförmige Gegenstände machten, reichte aus, um sie als unrein anzusehen und vorzuschreiben, sie von der Gemeinschaft fernzuhalten. Eine wichtige Ergänzung ist dabei die Vorschrift, die Metallbilder durch Einschmelzen zu zerstören. Ben Zion Wacholder weist in seinem Kommentar in diesem Zusammenhang auf Num 31,23 als mögliches Vorbild für diese Regelung hin. Dort wird gesagt, dass die Israeliten erbeuteten midianitischen Schmuck einschmelzen mussten, wobei die Parallele durch die Übereinstimmung der in der Damaskusschrift aufgezählten Metalle mit der Liste in Num 31,21 unterstrichen wird. Die entsprechende Erzählung aus dem Buch Numeri ist noch in anderer Hinsicht interessant; denn in ihr wird von einem erfolgreichen Kriegszug der Israeliten gegen die Midianiter berichtet, der mit einem Sieg endete und bei dem dann u. a. Gefangene, Vieh und Hab und Gut der Feinde den Siegern 346 CD XII 8–9 (Text: Wacholder 93). Es sollte so verhindert werden, dass die Heiden die ihnen verkauften Tiere ihren Göttern opferten oder Wein und Öl in ihrem Kult verwendeten; dazu B. Z. Wacholder, The New Damascus Document, 342. 347 Ein Beleg für ein solches Handelsverbot sind die in rabbinischen Quellen, vor allem mShab 1,7, erwähnten Halachot der Schammaiten; dazu die Sammlung von Belegen bei H. Graetz, Geschichte, Bd. 3, 805 Anm. 1 sowie Bill., Bd. 4, 369. Das Bilderverbot ist dabei nicht erwähnt, S. Freyne, Galilee, 337 Anm. 18. 348 4Q271 Frgm. 2 = 4Q 269 Frgm. 8 I–II; 4Q270 Frgm. 3 III 13–21 (Text: Wacholder 68):

‫ומכו]ל[ הזהב והכסף ]והנחשת ומן ה[בדיל והעו]פרת אשר עשו הגוים פ[סל אל‬ .‫יביאהו איש אל טהר]תו כי אם מן החד[ש הבא מן הכב]ש[ן‬ 349 Bilder auf Stein werden nicht erwähnt; offenbar brachte kein Jude solche (oft recht schweren) Bildwerke der Heiden mit. 350 Vgl. Ex 20,4; Dtr 4,16.23.25; 5,8; Jes 42,17; 48,5 u. ö. Zu diesem Begriff s. auch A. Berlejung, Die Theologie, 306.

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in die Hände fielen (Num 31,9–13). Nach der siegreichen Schlacht gibt der Priester El azar Anweisungen, wie mit dieser Beute zu verfahren sei; er schreibt für die Metallgegenstände das Einschmelzen vor, so dass ihr Metall wieder rein werde. Erst in der Damaskusschrift aber wird eine explizite Verknüpfung zum Bilderverbot hergestellt und so das Schmelzen der Bildnisse als ein Mittel, um die Reinheit zu restituieren, über Num 31,23 hinaus ergänzt. Vielleicht dachten die Verfasser der Damaskusschrift entsprechend der in Num 31,21–24 vorausgesetzten Situation an das Problem paganer Kriegsbeute, die neben dem Warenaustausch durch den Handel Juden veranlasst haben könnte, heidnische Götterbilder in ihren Besitz zu bringen. Die Erfahrungen der zeitgenössischen Eroberungszüge hasmonäischer Herrscher mögen überdies eine Rolle gespielt haben und die Dringlichkeit eines Verbots paganer Metallbilder noch einmal vor Augen geführt haben. Grundsätzlich teilten die Essener die biblische Vorstellung von der Verunreinigung des Landes durch den Götzendienst (Lev 18,28; Ez 36,18–19). Dies wurde in den Qumranschriften sogar noch vom Standpunkt kultischer Reinheit verschärft351, was die Essener von der späteren rabbinischen Position unterschied, die diese Verunreinigung eher als eine moralische Unreinheit definierte352. Die besprochenen Vorschriften aus der Damaskusschrift bezeugen darüber hinaus, wie sich die Trennung von Juden und Nichtjuden gerade am Merkmal des Umgangs mit Bildern zuspitzte und dass in dieser Quelle sogar deren Zerstörung als vom biblischen Gebot zwingend erachtet wurde. Dennoch wird nirgends gesagt, dass die Essener die Benutzung paganer Geldstücke wegen der aufgeprägten Darstellungen verweigerten. Wenn Hippolyt seinen Hinweis auf einen Münzboykott in den Rahmen eines Essenerkapitels eingefügt hat, so beruht diese Anordnung auf einem Missverständnis. Die Verwendung paganer Geldstücke durch die Essener ist uns sogar positiv durch die zahlreichen Münzfunde aus Qumran belegt. Dort entdeckten die Ausgräber hasmonäisches Geld neben Kupfermünzen der römischen Procuratoren und den Prägungen der Aufständischen des Ersten Jüdischen Krieges. Dazu kommt noch ein versteckter Münzhort von 561 tyrischen Drachmen, der, wie die Datierung der Geldstücke ergab, wohl 8 v. Chr. vergraben und nie wieder gehoben wurde353. 351 1QS V 18–19 (Text: Qimron, Charlesworth, The Dead Sea Scrolls, Bd. 1, 22) und 1QpHab VIII 12–13 (Text: Horgan, The Dead Sea Scrolls, Bd. 6b, 174), zu dieser Problematik in den Texten aus Qumran s. H. K. Harrington, The Impurity, 50–55; vgl. auch L. H. Schiffman, Pre-Maccabean Halakhah, 355–357. 352 Vgl. B. Halpern Amaru, Land, 212; H. K. Harrington, The Impurity, 31; J. Klawans, The Impurity, 3–4. 353 Zu diesem Schatzfund und den Umständen, unter denen er versteckt wurde, sowie den sich daraus ergebenden Datierungsfragen s. R. Bogaert, Art. Geld, 815; Y. Meshorer, Art. Numismatics, 619–620; R. De Vaux, Die Ausgrabungen, 129; E. Stauffer, Die Botschaft, 195 Anm. 77; J. C. Vanderkam, Einführung, 42; R. Donceel, P. Donceel-Voûte, The Archaeology, 3–6; J. Magness, The Chronology, 60–65; St. Fine, Art, 76. Zutreffend folgert

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 95

Trotz der Verwendung paganer Münzen durch die in Qumran siedelnden Judäer sollen einige Angaben von paganen und hellenistisch-jüdischen Schriftstellern, die den Essenern die Verwendung von Münzgeld abzusprechen scheinen, kurz diskutiert werden. Diese Notizen gehören zum Umfeld einer idealisierenden Beschreibung des Lebens dieser jüdischen Gruppe354, die sie im Lichte paganer Idealvorstellungen verklärt. An erster Stelle ist hier der römische Naturforscher Plinius zu nennen. Er nahm von den Essenern in seiner Naturalis Historia im Zusammenhang einer Darstellung Judäas Notiz. Plinius schildert die Essener als unter Palmen wohnende Menschen, die ihr gewohntes Leben aufgegeben hätten. Zu dem Repertoire dieser Idealbeschreibung gehört auch, dass sie „ohne Geld“ (sine pecunia) auskommen355. Ebenso wie Plinius kommt Philon von Alexandria in seinem umfangreichen Œuvre auf die Essener zu sprechen. Eine Spezialabhandlung über sie, die ursprünglich De vita contemplativa voranging, ist verloren, und wir müssen uns mit wenigen Bemerkungen in Quod omnis probus liber est begnügen, die aber durchaus einige mit Plinius vergleichbare Züge aufweisen und wohl von denselben Vorlagen beeinflusst sind. Philon setzt die Essener den sieben Weisen der Griechen gleich und hält über ihre Lebensform fest, dass sie „ohne Geld und ohne Besitz“ seien356. Sie leben (vom Bilderverbot ist hier nicht die Rede) dem Vorbild einer ohne Geldwirtschaft auskommenden Gemeinschaft nach. Eine solche Organisation des Wirtschaftslebens wurde vielfach von griechischen Philosophen für einen von ihnen entworfenen Idealstaat propagiert. So legt Platon in seiner Staatsschrift dar, ein Staatswesen solle ohne Arme und Reiche sein sowie ohne Gold‑ und Silbermünzen357. Der Umlauf des Geldes sei durch eine Tauschwirtschaft mit Naturalien zu ersetzen, und Kredit und Zins seien ganz zu verbieten358. Geld aber könne man höchstens als ein Mittel zum Güteraustausch mit anderen Staaten dulden359. Auch andere griechische Philosophen wie der Begründer der stoischen Philosophie, Zenon von Kition, übernahmen dieses Ideal eines Gemeinwesens H. J. Klauck, Gütergemeinschaft, 62: „Ganz ohne Geld kam man auch in Qumran nicht aus, wie die Funde zeigen“. 354 Vgl. Bauer, Art. Essener, 411; R. v. Pöhlmann, Geschichte, Bd. 2, 72; J. Maier, Die Qumrangemeinde, 53; H. J. Klauck, Gütergemeinschaft, 55–57; G. Baumbach, Tendenzen, 77–79; A. Paul, Flavius Josèphe, 131; N. Förster, Das gemeinschaftliche Gebet, 364–366. 355 Naturalis historia 5, 73 (Text: Rackham 276 = Text und Kommentar bei M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd 1, Nr. 202, S. 470 bzw. bei A. Adam, Antike Berichte, Nr. 7, S. 38): Ab occidente litora Esseni fugiunt usque qua nocent, gens sola et in toto orbe praeter ceteras mira, sine ulla femina, omni venere abdicata, sine pecunia, socia palmarum; dazu Bauer, Art. Essener, 6; H. J. Klauck, Gütergemeinschaft, 55–56; J. C. Vanderkam, Einführung, 103. 356 Prob 77 (Text: Colson 54 = A. Adam, Antike Berichte, Nr. 1, S. 2); vgl. Prob 72–74: ἀχρήματοι καὶ ἀκτήμονες; vgl. R. Bogaert, Art. Geld, 815; Bauer, Art. Essener, 6. 357 Respublica 422d vgl. 422a (Text: Burnet); s. R. v. Pöhlmann, Geschichte, Bd. 2, 72. 358 Leges 742a (Text: Burnet: 160); s. R. v. Pöhlmann, Geschichte, Bd. 1, 467. 359 Respublica 371b (Text: Burnet).

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

ohne Geld360. Es ist durchaus denkbar, dass sowohl Plinius als auch Philon bzw. vielleicht ein uns unbekannter hellenistischer Autor, aus dem beide schöpften, aus solchen Quellen ihre Anregungen zur Gestaltung der Essenerdarstellung bezogen. Dabei knüpften sie in gewisser Weise durchaus an die uns heute durch die Qumrantexte verbürgte, historische Wirklichkeit an. In der Sektenregel wird nämlich vorgeschrieben, dass alle, die der Essenergruppe beitreten wollten, ihren persönlichen Besitz der Gemeinschaft zur Verwaltung aushändigen müssten361, wodurch er aber nicht etwa Gemeineigentum wurde, sondern ihnen z. B. bei einem Ausschluss aus der Gemeinde wieder zurückerstattet werden konnte362. Aus alle dem ist aber nicht zu folgern, dass die Essener pagane Geldstücke wegen ihrer aufgeprägten Bilder zurückwiesen. Diese gegen die römische Herrschaft gezielte Boykottmaßnahme gehört vielmehr in das Umfeld jüdischer Aufständischer und in den Rahmen einer nochmals verschärften Auslegung des Bilderverbots, die sich beginnend mit der Regierungszeit des Königs Herodes in den Quellen nachweisen lässt und in die Auseinandersetzung des Ersten Jüdischen Krieges gegen die Römer mündete. 2.4.4 Der Kampf um das Bilderverbot in der Regierungszeit des Königs Herodes Um die Entwicklung zu verstehen, die zu den in der Zeit von König Herodes beginnenden Auseinandersetzungen um pagane Bilder und deren Ablehnung beitrug, erinnern wir uns an das Ende des Hasmonäerstaates unter Pompeius und an das Eintreiben von Steuern und die Einsetzung einer dem römischen Oberherrn loyalen Regierung. Pompeius begründete diverse griechische Poleis zum zweiten Mal als unabhängige Gemeinwesen, die die Makkabäer unterworfen und ihrem Reich einverleibt hatten, und restituierte damit höchstwahrscheinlich die paganen Kulte und Bilder, die die jüdischen Sieger zuvor entfernt hatten. Josephus notiert diese für die jüdischen Zeitgenossen sicherlich schmerzhafte Entwicklung: „Er nahm dem Volk auch die Städte Coelesyrien, die sie erobert hatten …“363. Pompeius verfolgte mit dieser Politik laut Josephus das Ziel, dass er die Juden „in ihren Grenzen einschränkte“364. Aus diesem Grund wurden Städte wie Gadara, das zuvor zerstört war, neu gegründet und andere Orte der 360 Zu diesen Überlegungen des Stoikers Zeno s. Stoicorum Veterum Fragmenta, Bd. 1, Frgm. 268 (= Diogenes Laertius 7, 33, Text: Hicks 144). 361 1QS I 11–12 (Text: Qimron, Charlesworth, The Dead Sea Scrolls, Bd. 1, 6); 1QS V 2 (Text: Qimron, Charlesworth 18), insbes. 1QS VI 18–23 (Text: Qimron, Charlesworth 28); dazu J. C. Vanderkam, Einführung, 103. 362 1QS VII 24–25 (Text: Qimron, Charlesworth 34). 363 BJ 1,155: ἀφελόμενος δὲ τοῦ ἔθνους καὶ τὰς ἐν κοίλῃ Συρίᾳ πόλεις …; vgl. AJ 14,74. 364 BJ 1,155: τοῖς ἰδίοις ὅροις περιέκλεισεν, AJ 14,74; Pompeius entfachte also die Feindseligkeiten zwischen Judäern und den Einwohnern der paganen Städte, die dann den Boden für blutige Konflikte bereiteten, dazu U. Rappaport, Jewish-Pagan Relations, 85–88; ferner S. Freyne, Galilee, 58–59.

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 97

Dekapolis ihren „Einwohnern zurückgegeben“365, was die Rückkehr der Heiden und ebenso ihrer Götter und Kulte impliziert. Zugleich erklärte er die Städte für „frei“366, und noch Jahrhunderte später zählten viele Gemeinden die Jahre nach einer mit der Befreiung des Pompeius beginnenden Ära367. Die Küstenstädte wie Gaza, Joppe, Dora und Stratons Turm, das Herodes später in Caesarea umbenannte und weitgehend neu erbaute, wurden der Provinz Syrien zugeschlagen und somit jüdischem Einfluss entzogen368. König Herodes beherrschte später, nachdem er durch die Römer seinen Thron erhalten hatte und sich als ihr treuer Vasall erweisen musste, sowohl das jüdische Gebiet als auch die Territorien dieser paganen Städte, die ihm Augustus nach der Eroberung Ägyptens unterstellt hatte369. Sein Königtum bildete daher eine Art Klammer, die ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zusammenhalten musste, die sich zudem in der Vergangenheit blutig bekämpft hatten. Herodes versuchte aus diesem Grund stets beiden Seiten gerecht zu werden und ging anders als seine hasmonäischen Vorgänger nie gegen die pagane Religion, ihre Bilder und Kulte vor370. Entsprechend dieser Politik des Ausgleichs errichtete er zwar in Jerusalem einen großartigen neuen Tempel, der alles bisher Dagewesene übertraf, bedachte aber zugleich auch seine paganen Untertanen mit großzügigen Gaben. Auf diese Weise erstand an der Stelle der alten Siedlung Stratons Turm die prächtige Hafenstadt Caesarea, die er mit heidnischen Tempeln und den zugehörigen Statuen ausschmückte371. Darunter war ein Tempel, in dem Augustus und die Göttin Roma verehrt wurden und der weithin sichtbar auf einer künstlich aufgeschütteten 13 Meter hohen Terrasse, umgeben von Säulenhallen über dem inneren Hafen errichtet wurde372. Das Kultbild des Augustus war nach dem Vorbild der Zeusstatue von Olympia gestaltet373. Dieser Einstellung des Herodes entspricht ebenfalls der in seinem Auftrag gebaute Tempel für den Kaiserkult in Samaria, von dem Reste wie ein ausgedehntes Podium oder Stücke einer riesigen Augustusstatue bei Ausgrabungen 365 AJ

14,76 οἰκήτορσιν ἀπέδωκεν. 1,156 ἠλευθέρωσεν. 367 Vgl. M. A. Chancey, A. Porter, The Archaeology, 164. 368 BJ 1,156 ; AJ 14,75. 369 BJ 1,396; AJ 15,217. 370 U. Rappaport, Jewish-Pagan Relations, 89; vgl. ferner M. Bernett, Der Kaiserkult, 222–227. 371 L. C. Kahn, King, 130; M. Bernett, Roman Imperial Cult, 341. 372 W. Elliger, Art. Kaisareia II, 1029. Eine Rekonstruktion des Aussehens des Tempels mit der großen Freitreppe, die zum Hafen hinunterführte, findet sich bei K. G. Holum, Caesarea’s Temple, 186–187 mit der Rekonstruktionszeichnung ebd., 187; s. auch ders., Art. Caesarea, 399–402; L. C. Kahn, King, 133–136; G. Fuks, Josephus, 240; E. Netzer, The Architecture, 103–106; M. Bernett, Der Kaiserkult in Judäa unter den Herodiern, 106–116. Die Errichtung des Tempels auf einem Podium ist im Hinblick auf die architektonische Konzeption durchaus mit dem Tempelberg in Jerusalem vergleichbar, H. van Hesberg, The Significance, 12–14. 373 BJ 1,414; AJ 15,339. 366 BJ

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nachgewiesen werden konnten374. Die Stadt Samaria wurde zudem von Herodes zu Ehren des Kaisers in Sebaste umbenannt und mit heidnischen Bewohnern besiedelt375. Ein weiterer Kaisertempel stand in Panias an den Jordanquellen, worauf noch einzugehen ist376. Auch an anderen Orten gab der König solche Wahrzeichen seiner Loyalität zum Kaiserhaus in Auftrag. Hierzu bemerkt Josephus377: Nachdem er in seinem Stammland überall Tempel errichtet hatte, überschüttete er auch die ihm unterstellten Gebiete mit Beweisen der Ehrung für Caesar Augustus und errichtete in vielen Städten Caesareen.

Höchst aufschlussreich für die Motivation des Herodes ist eine einleitende Bemerkung seines Freundes und engen Beraters Nikolaos von Damaskus am Anfang von dessen Biographie des Augustus, die uns durch Exzerpte des byzantinischen Kaisers Konstantinos VII Porphyrogennetus erhalten blieb. Demnach war das reichsweite Tempelbauprogramm, an dem sich Herodes beteiligte, mit der Dankbarkeit vieler Zeitgenossen des Augustus zu begründen, denn sie verehrten ihn in Tempeln und mit Opfern, auf Inseln und auf Kontinenten, in Städten und unter Völkern, und vergelten ihm so seine Größe und die ihnen erwiesene Wohltätigkeit378.

Bei Juden stieß ein solches Konzept der Vergeltung politischer Wohltaten (εὐερ­ γεσία) durch göttliche Verehrung auf Ablehnung379. So wies z. B. Jesus wohl nicht zufällig den Titel εὐεργέτης zurück (Lk 22,25–26)380, und bei Josephus spiegelt sich in den Antiquitates die Ablehnung dieses Kultes in den Worten, dass alle solche von Herodes gebauten Tempel außerhalb des jüdischen Gebietes standen381, denn es sei den Juden verboten, „Statuen oder gemeißelte Formen in griechischer Weise zu verehren“ (ἀγάλματα καὶ τύπους μεμορφωμένους τιμᾶν πρὸς τὸν Ἑλληνικὸν τρόπον)382. Diese Worte stellen klar, dass sich die Juden bewusst durch das Fehlen von Bildern, d. h. Statuen oder jede andere Form von 374 N. Avigad, Art. Samaria, 1307; L. C. Kahn, King, 137; M. Bernett, Der Kaiserkult in Judäa unter den Herodiern, 72–79. 375 BJ 1,403; AJ 15,298. 376 BJ 1,404. 377 BJ 1,407: ἐπεὶ δὲ τὴν ἰδίαν χώραν ἐπλήρωσεν ναῶν, εἰς τὴν ἐπαρχίαν αὐτοῦ τὰς τιμὰς ὑπερ­ εξέχεεν καὶ πολλαῖς πόλεσιν ἐνιδρύσατο Καισάρεια. 378 Konstantinos VII Porphyrogennetos, Excerpta de virtutibus et vitiis e Nicolai Damasceni vita Caesaris 32 (1) (Text und Übersetzung: Malitz 1–2 = FGH Nikolaos 125 = BüttnerWobst 353): ναοῖς τε καὶ θυσίαις γεραίρουσιν, ἀνά τε νήσους καὶ ἠπείρους διῃρημένοι καὶ κατὰ πόλεις καὶ ἔθνη τό τε μέγεθος αὐτοῦ τῆς ἀρετῆς καὶ τὴν εἰς σφᾶς εὐεργεσίαν ἀμειβόμενοι. 379 G. Fuks, Josephus, 239–240. Zu dieser Konzeption in der paganen Perspektive s. M. Bernett, Roman Imperial Cult, 338–341. Herodes musste in der Tat sein Reich als Schenkung des Augustus verstehen, M. Bernett, Der Kaiserkult, 221–222. 380 Vgl. dazu N. Förster, Das gemeinschaftliche Gebet, 34. 381 AJ 15,329. 382 AJ 15,329; dazu M. Rist, Caesar, 320.

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aus Stein herausgemeißelten Darstellungen, von der nichtjüdischen Umwelt unterschieden. Die Kritik vieler Juden an der Bautätigkeit ihres Königs, die in ihren Augen diese Unterschiede zu verwischen drohte, deutet Josephus ebenfalls an, wenn er berichtet, dass Herodes sich zu rechtfertigen versuchte, indem er betonte, er tue dies alles nur auf „Befehl und Anordnung“383 hin, um Augustus und die Römer zufrieden zu stellen. Vor dem Hintergrund dieser Opposition jüdischer Kreise nimmt es nicht Wunder, dass sich in der jüdischen Bevölkerung Widerstand gegen bestimmte Bildelemente an Bauten im jüdischen Gebiet regte, durch die es den Anschein haben konnte, Herodes wolle die Trennung zwischen dem Judentum und der heidnischen Religiosität aufheben und darüber hinaus sogar den Kaiserkult in Jerusalem einführen. Die Gefahr eines möglichen Abfalls vom Judentum spielte keine Rolle, denn die Versuchung zur Verehrung heidnischer Götter galt unter den Juden als ausgerottet, wie es z. B. rabbinische Quellen bezeugen384. Es ging eher darum, dass Herodes unter den Juden eine von der Tora untersagte Lebensweise einzuführen suchte, deren äußeres Kennzeichen in den Augen vieler Zeitgenossen die vom Gesetz verbotenen Bilder waren. Ein erster Anlass, an dem sich ein solcher Konflikt entzündete, waren die von Herodes in Jerusalem ins Leben gerufenen Spiele, die alle fünf Jahre zu Ehren des Augustus stattfanden, wobei es möglicherweise einen Zusammenhang mit der Feier des Sieges bei Actium gab385. Für diese sportlichen Wettkämpfe hatte Herodes als Veranstaltungsorte in Jerusalem ein Theater und ein Amphitheater bauen lassen. Es dürfte sich um Holzkonstruktionen gehandelt haben, wie es zu dieser Zeit allgemein üblich war, denn ein erstes Amphitheater aus Stein wurde erst 29 v. Chr. von Statilius Taurus in Rom gebaut386. Das hölzerne Amphitheater des Herodes387 nahm sich wahrscheinlich im Vergleich zu dem späteren hadrianischen Theater aus Stein bescheiden aus, diente aber jedenfalls zur Verherrlichung des römischen Imperators. Daher feierten die Wettkämpfe wohl nicht allein die Siege des Augustus, sondern auch das Monument selbst 383 AJ

15,330: ἐξ ἐντολῆς καὶ προσταγμάτων. dazu z. B. bYom 69b; bSan 64a, wo erzählt wird, wie der genius des Götzendienstes gefangen und eingesperrt wird. 385 AJ 15,268; dazu H. van Hesberg, The Significance, 18; A. Lichtenberger, Die Baupolitik, 74; J. W. van Henten, The Panegyris, 151–153, 164. 386 Die Reste von steinernen Sitzreihen eines Theaters, die bei Ausgrabungen in Jerusalem ans Licht kamen, dürften hingegen erst von einem von Kaiser Hadrian gestifteten Theaterbau stammen, der Jerusalem nach der Niederlage des zweiten jüdischen Aufstandes unter dem Namen Aelia Capitolina neu gegründet und entsprechend römischen Gepflogenheiten mit Gebäuden wie einem Forum und einem Theater ausgestattet hatte, K. Bieberstein, H. Bloedhorn, Jerusalem, Bd. 3, 400; M. Küchler, Jerusalem, 555 u. Abb. 299; R. Reich, Y. Billig, A Group, 177–180; J. Patrich, Herod’s Theater, 231; M. Jacobs, Theatres, 327–328; J. J. Schwartz, Archeology, 166; M. Bernett, Der Kaiserkult in Judäa unter den Herodiern, 53–55. 387 K. Bieberstein, H. Bloedhorn, Jerusalem, Bd. 3, 400; Z. Weiss, Buildings, 79–80. 384 Vgl.

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erinnerte an dessen militärische Erfolge. Aus diesem Grund stellte Herodes dort Siegeszeichen (τρόπαια) im Kreis um das Theaterrund auf (κύκλῳ περιεῖχον), wie uns Josephus berichtet388. Sie waren besonders kostbar aus Gold und Silber angefertigt und erinnerten an die Völker, die Augustus „nach einem Kriegszug unterworfen hatte“389. Durch diese Siegeszeichen wurde das Theater selbst ein Denkmal der militärischen Stärke des Augustus und darüber hinaus ein Ausweis der Loyalität des Herodes gegenüber seinem kaiserlichen Oberherrn. Weite Kreise der jüdischen Öffentlichkeit nahmen aber an diesen Veranstaltungen Anstoß und unser Gewährsmann Josephus pflichtet ihnen im Hinblick auf die Spiele bei: Herodes „wandte sich von den väterlichen Sitten ab“390, insbesondere wenn er Menschen gegen Tiere antreten ließ, wie es in römischen Arenen üblich war391. Noch mehr erregten viele Juden jedoch die im Theater aufgestellten tropaia392. Sie betrachteten solche Monumente als „Bilder, die von Waffen eingehüllt waren“393 und Josephus präzisiert weiter, dass gerade die pagane Verehrung dieser zur Erinnerung eines Sieges aufgestellten Beutewaffen den Zorn der demonstrierenden Juden entfachte, „denn es war für sie nicht von den Vätern überkommen, solche Dinge zu verehren“394. Dabei vermuteten sie ein „Bild“ der Gottheit, das lediglich unter Waffen verdeckt sei. Herodes musste sich damals persönlich bemühen, die Wogen zu glätten; die aufgebrachte Menge beschuldigte ihn, „Bilder in die Stadt gebracht zu haben“395. Im Theater bezeichneten Vertreter der dort protestierenden Demonstranten die τρόπαια sogar ausdrücklich als ἀνθρώπων εἰκόνες396, was nochmals voraussetzt, dass Jerusalem von solchen Abbildungen frei gehalten werden musste. Herodes widerlegte diese Vorwürfe, indem er die Waffen abnehmen ließ, woraufhin die Holzkonstruktion, die der Aufhängung diente, zum Vorschein kam. Die Vermutung, dass es sich bei den Denkmälern für die Siege des Augustus um eine geschickte Camouflage paganer Götterstatuen handelte, war somit für alle augenfällig entkräftet397. Um diese auf den ersten Blick merkwürdige Zuspitzung der Auseinandersetzung zu verstehen, muss man sich vor Augen halten, dass Herodes, wie erwähnt, den 388 AJ

15,272. 15,272: τρόπαια τῶν ἐθνῶν ἃ πολεμήσας ἐκεῖνος ἐκτήσατο; s. A. Lichtenberger, Die Baupolitik, 76. 390 AJ 15,267: ἐξέβαινε τῶν πατρίων. Auch die Mischna untersagte es jüdischen Bauhandwerkern, bei der Errichtung einer Arena mitzuwirken, mAZ 1,7 (Text: Krupp 6); zur Ablehnung des Theaters bzw. der blutigen Kampfspiele vgl. Y. Z. Eliav, The Roman Bath, 425 und M. Goodman, Rome, 311; M. Bernett, Der Kaiserkult in Judäa unter den Herodiern, 60. 391 AJ 15,275. 392 AJ 15,276; dazu M. Rist, Caesar, 320. 393 AJ 15,276: εἰκόνας … τοῖς ὅπλοις περιειλημμένας. 394 AJ 15,276: ὅτι μὴ πάτριον ἦν αὐτοῖς τὰ τοιαῦτα σέβειν. 395 AJ 15,277: φέρειν εἰκόνας ἀνθρώπων ἐν τῇ πόλει. 396 AJ 15,279. 397 AJ 15,279. 389 AJ

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 101

Kaiserkult unterstützte und viele Juden ihm offenbar zutrauten, dass er pagane Götterbilder nach Jerusalem schaffen lassen werde. Dass in einem tropaion ein Götterbild mit menschlicher Gestalt stecke, war ein naheliegender Gedanke angesichts der religiösen Funktion dieser Siegesdenkmäler398. Sie galten Heiden gemeinhin als dem Zeus heilig, und der Ort ihrer Aufstellung markierte ursprünglich die Stelle, an der sich der Feind während einer Schlacht mit göttlicher Hilfe zur Flucht gewendet hatte. Euripides beispielsweise erwähnt, dass man tropaia „für Zeus“399 aufstelle, und nennt sie ein „Götterbild des Zeus“400. Die Römer, die für griechische Einflüsse offen waren, übernahmen die Sitte der tropaia, und es wurde bei ihnen ebenfalls üblich, solche Mahnmale nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch in Städten wie Rom zu errichten401. Was kultische Verehrung betrifft, so wird diese (d. h. der Zeus‑ und Kaiserkult vor solchen Zeichen402) den Judäern aufgrund eigener leidvoller Erfahrung nach der Erstürmung Jerusalems durch die Legionen des Pompeius bekannt gewesen sein. Wie bestimmte Münzen des Pompeius nahelegen, wurde nach ihrer Niederlage am Ort des Sieges ein tropaion aufgestellt. Dessen kultische Funktion wird wohl in einer Passage eines in Qumran entdeckten Kommentars zum Buch Habakuk vorausgesetzt, der wahrscheinlich auf den Sieg des Pompeius anspielt und nicht bloß die von den Römern auferlegten Kontributionen403, sondern ebenfalls die kultische Verehrung ihrer Waffen erwähnt: „Ihre Kriegswaffen sind Gegenstand ihrer Verehrung“404. In diesem Zusammenhang bleibt noch festzuhalten, dass in der Kaiserzeit das tropaion nicht nur als Ort des Zeuskultes galt, sondern die Opfer nun dem Genius des göttlichen Kaisers dargebracht wurden: Die Gleichsetzung des Imperators mit Zeus lag ja auch der bereits erwähnten Kultstatue des Augustus in 398 Die an sich kreuzenden Balken hängenden Waffen erinnerten übrigens auch christliche Apologeten an die Gestalt eines Menschen, der mit einer Rüstung bekleidet war: Minucius Felix, Octavius, 29, 7 (Text: Beaujeu 50); Tertullian, Apologeticum 16 (Text: Becker 116–117). 399 Phoenissae 572 (Text: Buschor 378): ἀναστήσεις Διί; dazu E. Kirsten, Art. τρόπαιον, 668–670; G. Ch. Picard, Les Trophées, 54. 400 Phoenissae 1250–1251(Text: Buschor 426): Ζηνὸς … βρέτας τρόπαιον; vgl. Phoenissae 1473 (Text: Buschor 442); Hippolytus 647; zu diesen Stellen s. E. Kirsten, Art. τρόπαιον, 668. 401 G. Ch. Picard, Les Trophées, 104–107; J. W. van Henten, The Panegyris, 160. 402 Zum Kaiserkult im Zusammenhang mit diesen Siegeszeichen s. G. Ch. Picard, Les Trophées, 135–137. Ein solcher Kult ist aber für Herodes in Jerusalem nicht bezeugt, A. Lichtenberger, Die Baupolitik, 78. J. W. van Henten, The Panegyris, 163 betont, dass Herodes einen solchen Kult keineswegs zwangsweise in Jerusalem einführen wollte; ähnlich argumentiert M. Bernett, Der Kaiserkult in Judäa unter den Herodiern, 61. 403 Unmittelbar vor der Passage ist von der „Beute“ (‫ )שללם‬der Kittäer die Rede. Letzteres dürfte ein Deckname für die Römer sein; vgl. 1QpHab VI 1 (Text: Horgan, The Dead Sea Scrolls, Bd. 6b, 170) u. ö. 404 1QpHab VI 3–5 (Text: Horgan, The Dead Sea Scrolls, Bd. 6b, 170, Übersetzung: Lohse 234–235): ‫„ =( ;פשׁרו אשׁר המה זבחים לאותותם וכלי מלחמותם המה מוראם‬seine Deutung ist, dass sie ihren Zeichen Opfer bringen, und ihre Kriegswaffen sind Gegenstand ihrer Verehrung“); vgl. auch 2.4.5.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

dessen Tempel in Caesarea zugrunde, die dem Vorbild der berühmten Zeusstatue des Phidias in Olympia nachempfunden war. Vor diesem Hintergrund ist dann die vehemente Ablehnung verständlich, die Herodes mit seinem Jerusalemer Theater und dessen tropaia hervorrief. Die hinter den Unruhen stehenden Befürchtungen, dass im von Juden besiedelten Gebiet und ihrer heiligen Stadt Jerusalem pagane Kulte und von der Tora verbotene Bilder eingeführt würden, manifestierten sich in der Regierungszeit des Herodes noch einmal in einem dramatischen Zwischenfall kurz vor dem Tod des Königs im Jahr 4 v. Chr.405. Auch dieses Ereignis beleuchtet die sich immer mehr radikalisierende Ablehnung bestimmter Bilder und die politische Brisanz dieser Vorgänge und wirft außerdem Licht auf die Haltung observanter jüdischer Kreise zu römischen Münzen. Als Herodes so schwer erkrankt war, dass er mit einer Genesung nicht mehr rechnen konnte und sein langsames Sterben der breiten Öffentlichkeit bekannt geworden war, sahen zwei damals bekannte Toralehrer in Jerusalem, Judas der Sohn des Seppheraios und Matthias der Sohn des Margalos, die zahlreiche Schüler um sich geschart hatten und bei der Bevölkerung sehr angesehen waren406, die Gelegenheit gekommen, einen in ihrer Sicht offensichtlichen Gesetzesverstoß407 des Königs ohne sein Einverständnis handfest zu korrigieren. Das umso mehr, als sie die unheilbare Krankheit des Herodes als göttliche Strafe für seine Missachtung des Gesetzes ansahen. Beide Lehrer dürften Pharisäer gewesen sein, was Josephus nicht namentlich so sagt, aber durch die einschlägigen Formulierungen andeutet, sie seien ἐξηγηταὶ τῶν πατρίων νόμων408 im Sinne eines ἀκριβοῦν τὰ πάτρια409. In ihren Augen hatte der König besonders gravierend gegen die Tora verstoßen, als er am Tempel in Jerusalem über „dem großen Tor einen goldenen Adler“410 hatte anbringen lassen, der als eine sehr wertvolle Weihegabe411 gedacht war. Der genaue Ort innerhalb des Tempelbezirkes, an dem der Adler hing, wird unter den Forschern kontrovers diskutiert, ohne dass ein Konsens erzielt werden konnte412. Es ist u. a. denkbar, dass er am Portal des 405 L.-M.

Günther, Herodes, 172. 1,648; AJ 17,149. Der Widerstand war also keineswegs ein spontaner Volksaufruhr; R. A. Horsley, Jesus and the Spiral, 71. Als Initiative einer Elite von „Schreibern“ zeichnet R. A. Horsley die Ereignisse in: Jesus and Empire. The Kingdom, 40. Solche aus modernen Konflikten entlehnten Kathegorien sind aber auf die antiken Ereignisse nur begrenzt übertragbar, z. B. auch die These der „alienation of the intellectuals“, ders., The Sicarii, 448. 407 Josephus bezeichnet das Verhalten des Herodes als παρὰ τὸν νόμον, AJ 17,150. 408 AJ 17,149. 409 BJ 1,648. 410 BJ 1,650: ὑπὲρ τὴν μεγάλην πύλην ἀετὸν χρυσοῦν. 411 AJ 17,151: ἀνάθημα καὶ λίαν πολυτελές. Solche Weihungen sind auch inschriftlich durch Ausgrabungen in Jerusalem bezeugt, s. B. Isaac, A Donation, 86–89. 412 Th. A. Busink, Der Tempel, 1079–1081; P. Richardson, Law, 354; ders., Herod, 16–17; St. Fine, Art, 73. 406 BJ

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 103

Osttors zum Vorhof der Frauen befestigt war. Der Adler war dort wohl viele Jahre, vielleicht schon seit der Vollendung des Tempelgebäudes im Jahr 15 v. Chr., ausgestellt und war in diesen 20 Jahren von niemandem, auch nicht von den im Tempel Dienst tuenden Priestern, beanstandet worden413. Diese lange Zeit, die bis zum Ausbruch des Konfliktes verstrichen war, legt nahe, dass die beiden Gelehrten die Gebote in einer neuen, verschärften Weise auffassten, die von der Priesterschaft nicht geteilt wurde. Ihre Gründe für die Ablehnung414 des Adlers teilt uns Josephus mit415: Denn es sei wider das Gesetz, dass es im Bereich des Tempels Bilder oder Tiergestalten oder ein nach einem Lebewesen benanntes Werk gebe.

Ebenso in den Antiquitates416: Es verbietet aber das Gesetz, an die Aufrichtung von Bildern zu denken und dass Weihungen irgendwelcher Lebewesen bei denjenigen praktiziert werden, die sich vorgenommen haben, nach ihm zu leben.

Die Stellungnahme dieser Gesetzeslehrer bewertet den Adler also als einen Verstoß gegen das biblische Bilderverbot, und daher überzeugten beide Lehrer ihre Schüler, den Adler mit Äxten herabzuschlagen. Herodes raffte sich daraufhin kurz vor seinem Tod mit letzter Kraft noch einmal auf und ließ alle diejenigen, die im Tempel verhaftet worden waren, gemeinsam mit ihren Anstiftern als „Tempelräuber“ (ἱεροσύλοι)417 aburteilen und lebendig verbrennen. Um diese sehr weitgehende Ausdehnung des Bilderverbots beurteilen zu können, muss man sich die Bedeutung dieses Vogels in der griechisch-römischen Mythologie vor Augen halten418. Der Adler galt bei Griechen und Römern als Bote des Zeus bzw. Jupiters, und dieser Gott nimmt in der Mythologie gelegentlich sogar 413 Diese Akzeptanz musste nicht unbedingt nur auf Angst vor einer Bestrafung durch Herodes basiert haben und könnte sich vielleicht auf eine Legitimation aus der Heiligen Schrift gestützt haben. Salomo ließ ja u. a. auch Gestelle als Geschenk für den Tempel anfertigen, die Darstellungen von Löwen, Rindern und Cherubim schmückten, 1 Kön 7,29, wobei Josephus diese Cherubim in bezeichnender Abwandlung seiner biblischen Vorlage als Adler interpretierte, AJ 8,82. 414 Zu der Ablehnung des Adlers vgl. M. Rist, Caesar, 320; P. C. Finney, The Rabbi, 634. Der Adler wurde erst nach einiger Zeit beanstandet, C. Roth, An Ordinance, 173; G. Fuks, Josephus, 241. 415 BJ 1,650: ἀθέμιτον γὰρ εἶναι κατὰ τὸν ναὸν ἢ εἰκόνας ἢ προτομὰς ἢ ζῴου τινὸς ἐπώνυμον ἔργον εἶναι. 416 AJ 17,151: κωλύει δὲ ὁ νόμος εἰκόνων τε ἀναστάσεις ἐπινοεῖν καί τινων ζῴων ἀναθέσεις ἐπιτηδεύεσθαι τοῖς βιοῦν κατ᾽ αὐτὸν προῃρημένοις. 417 BJ 1,654; vgl. AJ 17,163. Nach BJ 1,655 werden diejenigen, die sich vom Dach herunterließen, mit den beiden Gelehrten verbrannt (ἅμα τοῖς σοφισταῖς). In AJ 17,167 wird allein Matthias mit einigen seiner Schüler hingerichtet. 418 Damit erübrigen sich auch alle Spekulationen über den Adler als Machtsymbol, vgl. bei G. Fuks, Josephus, 241 und die Erwägungen von C. Breytenbach, Zeus, 369–373.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

dessen Gestalt an, z. B. wenn er in rasender Liebe die Titanentochter Asterie verfolgt419 oder den schönen Knaben Ganymed als Mundschenk in den Himmel holt420. Der Adler war demnach für Heiden aufs engste mit dem Göttervater Zeus verbunden421. Nun wird auch noch bewusst gewesen sein, dass Antiochos IV Epiphanes in Jerusalem zwangsweise einen Zeuskult zu installieren versuchte (2 Makk 6,2); auf dem Berg Garizim, der den Samaritanern als Ort ihrer Opfer diente, stand ebenfalls ein Zeusaltar422. Im Jahr 40 n. Chr. plante Kaiser Caligula seine Statue im Inneren des Jerusalemer Tempels aufstellen zu lassen, wobei er sich selbst mit Zeus identifizierte. Philon meldet dazu423: Eine Riesenstatue im Allerheiligsten aufzustellen, hat Gaius befohlen, eine Statue von ihm in Gestalt des Zeus.

Nachdem der zweite jüdische Aufstand niedergeschlagen worden war, errichtete Kaiser Hadrian an der Stelle des zerstörten Jerusalems die von ihm neu gegründete Stadt Aelia Capitolina, und nun war es so weit: „An dem Platz des Tempels Gottes erbaute er dem Zeus einen neuen Tempel“, wie der Historiker Cassius Dio mitteilt424. Der Berg Garizim der Samaritaner wurde im 2. Jh. n. Chr. ebenfalls mit einem erweiterten Zeusheiligtum, zu dem vom Fuß des Berges eine Metamorphoses 6, 108 (Text: Tarrant 156). Dialogi Deorum 209 (Text: Macleod 282); vgl. Homer, Ilias 20, 231–234; dazu H. Sichtermann, Art. Ganymedes, 154. 421 Zur mythologischen Bedeutung des Adlers s. E. Voutiras, Art. Zeus, 312; C. Hünemörder, Art. Adler, 116. 422 2 Makk 6,2; vgl. ferner AJ 12,261 bzw. 263; dazu H. Schwabl, Art. Zeus, 1186; C. Breytenbach, Zeus, 372–373. 423 LegGai 188 (Text: Colson 96, Übersetzung: Kohnke 223): ἀνδριάντα κολοσσιαῖον ἐσω­ τάτω τῶν ἀδύτων ἀνατεθῆναι Γάιος προσέταξε Διὸς ἐπίκλησιν αὐτοῦ; vgl. LegGai 265 und 346; dazu C. Breytenbach, Zeus, 376. Dieses Ereignis notiert auch Tacitus, Historiae 5,9,3 (Text: Vretska 616 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 2, Nr. 281 S. 21) sowie Josephus BJ 2,185; AJ 18,261. Als Gott der Juden galt hingegen, etwa der besagten goldenen Weintrauben wegen, eher Dionysos/Bacchus. Das macht den römischen Affront nur spürbarer; vgl. Plutarch, Quaestiones convivales 4, 2 671d–f (Text: Clement, Hoffleit 362–364 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 1, Nr. 258, S. 553–554). 424 Cassius Dio 69,12,1 (Text: Cary 446, Übersetzung: Veh 234): καὶ ἐς τὸν τοῦ ναοῦ τοῦ θεοῦ τόπον ναὸν τῷ Διὶ ἕτερον ἀντεγείραντος; vgl auch Text und Kommentar bei M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 2, Nr. 440, S. 391–392; vgl. Eusebius, Historia ecclesiastica 4,6,4 (Text: Schwartz 128); dazu C. Breytenbach, Zeus, 377; vgl. auch S. Freyne, Galilee, 263; H. Eshel, The Bar Kochba Revolt, 107. Diese Entscheidung fiel im Jahr 130 n. Chr. vor dem Aufstand der Juden, s. D. Golan, Hadrian’s Decision, 226. In diesem Zusammenhang ist allerdings wichtig, dass die zitierte Passage bei Cassius Dio deutliche Spuren der Redaktion durch den Mönch Xiphilinos zeigt, der im Auftrag des byzantinischen Kaisers Michael Dukas (1071–1078) einen (heute an der betreffenden Stelle allein noch erhaltenen) Auszug aus dem Werk des Cassius Dio anfertigte; s. die eingehende Diskussion bei Y. Z. Eliav, Hadrian’s Actions, insb. 130–133. Es spricht viel dafür, dass der betreffende Tempel von Hadrian nicht genau an der Stelle des jüdischen Heiligtums gebaut wurde, sondern außerhalb des Tempelbergs auf dem Forum der neu gegründeten Stadt lag, s. die Diskussion der Gründe bei J. Murphy-O’Connor, The Location, passim. 419 Ovid,

420 Lukian,

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 105

monumentale Treppe mit mehr als tausend Stufen hinaufführte, bekrönt, was zahlreiche Münzen der Stadt Neapolis bzw. Sichem aus dieser Zeit abbilden425. Vor diesem Hintergrund des paganen Synkretismus werden die beiden Gelehrten Judas und Matthias befürchtet haben, Herodes habe am Jersusalemer Tempel ein Kultsymbol des Zeus, ja sogar eines der römischen Überlegenheit, anbringen lassen. Zumindest leistete er damit der synkretistischen Identifikation des jüdischen Gottes mit dem obersten paganen Gott Vorschub; denn die heidnische Öffentlichkeit musste aus einem solchen Bild Rückschlüsse auf den Charakter des in Jerusalem verehrten Gottes ableiten. Nicht anders war auf dem römischen Capitol ebenfalls ein Adler am Giebel des Jupitertempels befestigt426. Solche Spekulationen wurden zu Lebzeiten von König Herodes gleichfalls durch ein anderes königliches Weihegeschenk ausgelöst, als Heiden wegen des goldenen Weinstocks, den er am Tempel über der vergoldeten Eingangstür des Tempelgebäudes hatte anbringen lassen427, folgerten, in Jerusalem vollziehe sich eine Art jüdische Dionysosverehrung, weil dem Weingott der Griechen dieses Symbol zukam428. Diese griechische Interpretation des jüdischen Gottes, die sich wohl zur Zeit des Herodes entwickelt hatte und auch gebildeten Heiden bekannt war, überliefert uns Tacitus, der dabei auf griechische Quellen zurückgreifen dürfte429: und weil man im Tempel einen goldenen Rebstock fand, glaubten einige, es werde Vater Liber verehrt, der Bezwinger des Orients, obwohl die Kultsatzungen keineswegs übereinstimmen.

Diese Stelle demonstriert, wie der äußere Schmuck des von Herodes erneuerten Heiligtums Nichtjuden zu Mutmaßungen über das Wesen des jüdischen Gottes veranlasste. Das Misstrauen vieler Juden gegenüber dem von Herodes gestifteten goldenen Adler könnte darüber hinaus davon herrühren, dass Herodes 425 M. J. Price, B. L. Trell, Coins, 173–175 sowie A. Lewin, Palästina, 106–109. Dieser Tempel ist mit dem Berg und der monumentalen Treppenanlage abgebildet, die nunmehr auch archäologisch (s. zu den Grabungen J. J. Schwartz, Archeology, 159–160) nachgewiesen wurde; vgl. die Abbildungen bei M. J. Price, B. L. Trell, Coins, 172–174; bei A. Lewin, Palästina, 109 und ferner I. Magen, Art. Gerizim, 489 und die Abb. ebd. 487. 426 Dieser Adler war aus Holz und verbrannte bei den Straßenkämpfen der Anhänger des Vitellius und Vespasians in Rom, Tacitus, Historiae 3,71,4 (Text: Vretska 414); s. auch F. Loftus, The Anti-Roman Revolts, 86.  –  Der Adler ist als Tier aber nicht mit der besagten goldenen Weintraube verwandt, gegen die sich bezeichnender Weise nie Protest erhob. 427 Josephus berichtete von diesem Weinstock über der Tür des eigentlichen Tempelgebäudes z. B. in AJ 15,395. In BJ 5,210 merkt er an, von dem Weinstock hätten „mannshohe Trauben“ (βότρυες ἀνδρομήκεις) herabgehangen. Auch die Mischna (mMid 3,8) erwähnt diesen goldenen Weinstock über dem Eingang des Tempelhauses. 428 Vgl. N. Förster, Das gemeinschaftliche Gebet, 194–196. 429 Tacitus, Historiae 5,5,5 (Text und Übersetzung: Vretska 611 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 2,  Nr. 281, S. 19): vitisque aurea templo reperta, Liberum patrem coli, domitorem Orientis, quidam arbitrati sunt, nequaquam congruentibus institutis. Dazu vgl. H. Lewy, Philologisches, 392–393.

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nicht nur zahlreiche pagane Heiligtümer, darunter Zeustempel, bauen ließ oder finanziell unterstützte, sondern auch nicht davor zurückschreckte, an Opfern für Zeus bzw. Jupiter teilzunehmen, wenn es z. B. bei seiner Einsetzung als König der Juden durch den römischen Senat430 zum Ritual gehörte. Herodes versuchte sogar sein Ansehen in der griechischen Welt zu vermehren431, indem er – wie bereits erwähnt – die olympischen Spiele mit Geldmitteln ausstattete, die nach Josephus u. a. für die „Opfer“ am berühmten Aschealtar des Zeus in Olympia432, wo während der Spiele zahlreiche Tiere dargebracht wurden, Verwendung fanden. Herodes wurde zum Dank für seine Großzügigkeit von den Einwohnern von Elis zum Präsidenten der Wettkämpfe auf Lebenszeit gewählt433. Schließlich war für die Gewaltaktion gegen den Adler wohl noch dessen Position an einem Tor des Heiligtums, die Josephus bezeugt, maßgebend: Täglich mussten Massen von Leuten unter ihm hindurchgehen. Die Problematik des Hindurchgehens war den Toralehrern sicherlich vertraut und trat schon bei der Besprechung der von Hippolyt referierten Ansichten mancher Juden in Erscheinung, die sich weigerten, durch mit Statuen geschmückte Tore zu gehen, was ebenfalls aus einer besonders strengen Auslegung des Bilderverbots begründet wurde. Dass zwischen dieser Deutung und der Aktion, die zum Abschlagen des Adlers vom Tor des Tempels führte, eine Verbindung besteht434, ist m. E. durchaus wahrscheinlich, wirkt doch die von Hippolyt mitgeteilte Praxis fast wie eine allgemeine Regel, für die die Vorfälle in Jerusalem im Jahr 4. v. Chr. nur ein markantes Exempel mit für die Beteiligten fatalen Konsequenzen waren. Um die Hartnäckigkeit des Widerstandes, bei dem der eigene Tod einkalkuliert wurde, erklären zu können, ist noch zu fragen, wieso diejenigen Judäer, die eine besonders strikte Gesetzesobservanz pflegten, das Hindurchgehen unter Statuen für verboten hielten. Der Adler konnte, wie oben bereits dargelegt, durchaus als paganes Götterbild und als Verkörperung des Gottes Zeus aufgefasst werden. Genau diesen Fall, dass Juden auf der Straße unter einem nichtjüdischen Götterbild hindurchgingen, diskutierten nachmals rabbinische Gelehrte und kamen dabei zu dem Ergebnis, dass dies u.U. verboten sei, weil es unrein mache, wie gleich zu belegen sein wird. Im Hinblick auf den Jerusalemer Tempel hätte der goldene Adler des Herodes also impliziert, dass die Besucher in kultischer Hinsicht verunreinigt wurden, was gerade beim Betreten des Tempels nicht passieren durfte435. 430 BJ

1,285; AJ 14,388; auf diese Zeremonie weist bereits G. Fuks, Josephus, 242 hin. betont, Herodes habe Einkünfte für alle Zeiten gestiftet, damit „die Erinnerung an ihn wach bleibe“ (αὐτοῦ τὴν μνήμην ἀπολιπεῖν), BJ 1,427. 432 Zu diesem Altar s. L. Ziehen, Art. Olympia, 18. 433 AJ 16,149: Die Geldmittel waren καὶ πρός τε θυσίας καὶ τὸν ἄλλον κόσμον bestimmt. 434 Dies vermutet auch G. J. Blidstein, R. Yohanan, 161. 435 Dabei war der Tempel, den niemand betreten durfte, der nicht levitisch rein war und der Heiden generell verboten war, ein Ort höchster Heiligkeit, A. Edersheim, Der Tempel, 51–52. 431 Josephus

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In ihrer Diskussion gingen die Rabbinen von Grundsätzen aus, die jeden Kontakt mit paganen Götterbildern untersagten, vor allem um die Reinheit zu schützen. Eine Regel war436: Wie eine Menstruierende durch Tragen verunreinigt, verunreinigt auch Götzendienst durch Tragen.

Das Berühren von Götzenbildern war ebenfalls nicht erlaubt. Dieses Verbot erstreckte sich darüber hinaus auf alle Gebäude, die zum paganen Kult errichtet waren. Kein Jude sollte sich dort aufhalten437. Eine Baraita des Babylonischen Talmuds erläutert diese Beschränkungen durch eine Analogie zur Unreinheit, die von Leichen herrührt. Nach Num 19,14 ist jeder, der in ein „Zelt“ geht, worin ein Toter liegt, für sieben Tage unrein. Schon der Aufenthalt im selben Raum mit einem Verstorbenen überträgt demnach die Unreinheit. Diese Zusammenhänge erläutert der Tannait Rabbi Jehuda ben Bathyra (ca. 90 bis 130 n. Chr.). Er nimmt an, dass da, wo Götzenbilder stehen, auch deren dazugehörige Opfer dargebracht werden438 und folgert daraus439: Wie ein Toter durch Bezeltung verunreinigend ist, ebenso ist auch die Götzenspende durch Bezeltung verunreinigend.

Wegen dieser Überlegung galt dann schon in der Mischna als unrein, wer unter einer „Aschera“, d. h. einem von Heiden kultisch verehrten Baum, einhergeht, denn es gilt, „wenn man vorbeigegangen ist, ist man unrein“440. Derselbe Grundsatz wurde auf die dem paganen Kult geweihten Häuser angewandt, durch die ein öffentlicher Weg hindurchführte441. Berücksichtigt man diese Reinheitsvorschriften, so wird auch die von Hippolyt mitgeteilte Weigerung bestimmter Juden einsichtig, ein mit Statuen geschmücktes Tor zu durchqueren. Man sollte in diesem Zusammenhang allerdings nicht außer Acht lassen, dass die Rabbinen im Gegensatz zu den von Hippolyt erwähnten Juden und ihrer übertriebenen Stringenz, das Konfliktpotential dieser Regelung abmilderten. Sie führten nämlich die grundsätzliche Unterscheidung zwischen „öffentlichem Gebiet“ (‫)רשות הרבים‬, d. h. Plätzen, Straßen oder öffentlichen Durchgängen, und dem „Privatgebiet“ (‫ )רשות היחיד‬ein, was als umfriede436 mAZ 3,6 (Text: Krupp 21): ‫ ;מה הנידה מטמא במשׂא אף עבודת זרה מטמא במשׂא‬vgl. dasselbe mShab 9,1. Diese Regel wird in beiden Stellen auf Rabbi ῾Aqiba zurückgeführt, der als Schriftbeleg Jes 30,22 anführt; s. dazu G. Alon, The Levitical Uncleanness, 170. 437 mAZ 3,7; tAZ 6,2–3; dazu G. J. Blidstein, R. Yohanan, 154. 438 Der Rabbi berief sich dabei auf Ps 106,28. 439 bAZ 32b (Text: Steinsaltz 137; vgl. Text und Übersetzung: Goldschmidt 907): ‫ ;מה מת מטמא באהל אף תקרובת עבודה זרה מטמאה באהל‬vgl. ebd. 48b. 440 mAZ 3,8 (Text: Krupp 20, Übersetzung: Correns 578): ‫ ;אם עבר טמא‬dazu S. Krauss, An Götzen, 747–748. 441 tAZ 6,2.

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ter Raum von bestimmter Größe definiert war442. Im Hinblick auf eine Aschera ergab sich aus dieser Differenzierung: „Beeinträchtigt sie die Öffentlichkeit und geht man unter ihr vorbei, ist man rein“443, und ebenso war ein öffentlicher Weg gestattet444. Tangierte das pagane Kultobjekt also den öffentlichen Raum (‫)את הרבים‬, so verunreinigte es nicht. Diese Kompromisslösung musste das Zusammenleben in einer heidnisch geprägten Umwelt wesentlich erleichtern445; es ermöglichte das Leben von Juden in paganen Städten mit ihren zahlreichen Tempeln, Ehrenbögen etc. Auch im Hinblick auf Jerusalem waren die Rabbinen weniger unnachgiebig als alle diejenigen, die jene von Josephus referierte Auslegung des Bilderverbots vertraten. Wie Rabbi El azar ben Sadoq berichtet, wurden alle Gestalten in Jerusalem gefunden „außer der Gestalt des Menschen allein“446. Diese Bemerkung impliziert, dass ein Adler anders als ein Mensch keineswegs zu den verbotenen Darstellungen gehörte. Trotz dieser ausgleichenden Haltung späterer Generationen von Rabbinen schimmern bei ihnen noch immer die Konflikte durch, in die fromme Juden gerieten, weil das Durchschreiten eines Tores mit darüber zum Schmuck angebrachten Statuen oder einem anderem Bildwerk Unreinheit verursachen musste: Die beiden Jerusalemer Toralehrer gingen noch nicht davon aus, dass ein von einem Götzenbild beeinträchtigter öffentlicher Raum erlaubt sei – zumal es sich um einen Teil des Tempels handelte. Gelegentlich wird sogar in der rabbinischen Literatur berichtet, dass einige Gelehrte bestimmte Plätze oder Säulenhallen paganer Städte mieden. So erwähnt der Palästinische Talmud mit Blick auf einige wenige Rabbinen, die am Ende des 3. Jh. n. Chr. als (ungefähre) Zeitgenossen des Kaisers Diokletian lebten447: Rabbi Neḥemja, Sohn des Rabbi Ḥijja ben Abba, sagte: Mein Vater passierte nie die Arkaden Caesareas. Rabbi Ammi, Rabbi Ḥizqijja, Rabbi Kohen und Rabbi Ja aqob ben Aḥa gingen einst in den Straßen von Sepphoris spazieren. Als sie vor den Arkaden ankamen, hat sich Rabbi Kohen getrennt; als sie dann an einen reinen Ort angelangt waren, ist er zu ihnen zurückgekehrt. 442 mShab

1,1; yShab 1,1/31 (2d, 45–46); bShab 6a. 3,8 (Text: Krupp 23; Übersetzung: Correns 578): ‫;גוזלת את הרבים ועבר תחתיה טהור‬ dazu G. Alon, The Levitical Uncleanness, 171. 444 tAZ 6,8 (Text: Zuckermandel 470): ‫אם היתה דרך הרבים מפסקתה הרי זו מותרת‬. 445 S. Schwartz, Gamaliel, 205. 446 tAZ 5,2 (Text: Zuckermandel 468): ‫ ;כל הפרצופות היו בירושלם חוץ מפרצוף אדם‬vgl. Bill., Bd. 4, 391; dazu C. Roth, An Ordinance, 170; St. Fine, Art, 78. 447 yBer 3,1/15 (6a, 36–39) (Text: Schäfer, Becker 84; Übersetzung nach Horowitz 87): .‫רבי נחומיה בריה דר׳ חייא בר אבא אמר אבא לא הוה עבור תחות כפתה דקיסרי׳‬ 443 mAZ

‫ר׳ אמי ר׳ חזקיה ורבי כהן ור׳ יעקב בר אחא הוו מטיילין באילין פלטיותא דציפורי‬ .‫ הגיעו למקום טהרה וחזר אצלן‬.‫הגיעו לכיפה ופירש רבי כהן‬ Zu den Säulenhallen in den Städten Palästinas s. D. Sperber, The City, 103–111.

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Die genannten Säulengänge galten demnach zumindest einzelnen Rabbinen als unreine Orte, die es zu umgehen galt. Dies fand aber keine Zustimmungen bei den übrigen Lehrern, wenn sie gemeinsam unterwegs waren. Eine für das Verhalten der Mehrheit maßgebliche Autorität, an der sich zeigen lässt, wie sehr sich die späteren rabbinischen Kreise von ihren Vorgängern und deren Weigerung durch mit Statuen ausgeschmückte Tore zu gehen unterschieden, stellt Rabbi Naḥum ben Simai dar, der wohl im 3. Jh. n. Chr. lebte und dessen Einstellung gegenüber den römischen Münzen und ihren aufgeprägten Bildern noch diskutiert werden muss. Nahum hatte nach rabbinischen Quellen die Angewohnheit, zwar durch Tore mit paganen Statuen zu gehen, aber deren Standbilder unter keinen Umständen auch nur eines Blickes zu würdigen. Sein Grundsatz, dass das Anblicken von Götterbildern von der Tora verboten sei, war wahrscheinlich aus einer bestimmten Interpretation des hebräischen Verbs ‫ פנה‬abgeleitet. Dieses Wort bedeutet „hinwenden“. Man kann es aber genauso im Sinne von „sich wenden, um jemand zu betrachten“ verstehen, wie es z. B. in Num 12,10 benutzt ist, wo Aaron Mirjam ansieht. Die rabbinische Deutung dieses Verbs im Hinblick auf den heidnischen Kult fußte aber u. a. auf Lev 19,4, einem Vers, der das „Hinwenden“ zu fremden Göttern untersagt. Man schloss aus der Bedeutung des an dieser Stelle verwendeten Verbs ‫פנה‬, dass sogar das Ansehen nichtjüdischer Götterbilder verboten sei448: Rabbi Ḥijja (sagte): Wendet euch nicht den Göttern zu, (das meint): Wendet euch nicht zu, um sie zu verehren. Rabbi (Jehuda I) sagte: Wendet euch nicht zu, um sie anzusehen.

Rabbi Jehuda I ha-Nasi leitet aus Lev 19,4 also ab, dass selbst das Hinblicken eine Art der Verehrung sei und gegen das biblische Verbot verstoße. Dieser Grundsatz, die Götter der Heiden nie zu betrachten, wurde von Naḥum auf die Stadttore übertragen. Dies lässt sich durch eine Anekdote449 über sein Begräbnis belegen450: 448 KohR 9,10, 2 (Text: Ausg. Jerusalem, Bd. 19, 482; vgl. auch die Übersetzung: Wünsche 126): ‫רבי חיא אל תפנו אל האלילם אל תפנו לעבדן אמר רבי אל תפנו לראותן‬. Die Überlieferung dieser Auslegung von Lev 19, 4 findet sich im Kontext der Erzählungen über das Begräbnis von Rabbi Naḥum. 449 Zu dieser Episode vgl. G. J. Blidstein, R. Yohanan, 158–159; S. Schwartz, Gamaliel, 206; s. auch die Überlegungen von M. Hengel, Die Zeloten, 200 sowie P. Schäfer, Jews and Gentiles, 344, der auf den legendarischen Charakter dieser Erzählung hinweist. 450 yAZ 3,1/2 (42c, 1–3) (Text: Schäfer, Becker 272, Übersetzung: Wewers 90): .‫כד דמך ר׳נחום בר סימאי חפון איקונתא מחצלן אמ׳ כמה דלה חמתון בחיויי לא יחמינון בדמכותיה‬ Diese Überlieferung wird in der rabbinischen Literatur wiederholt und mit der Person des Naḥum ben Simai verbunden; vgl. bShab 149a; KohR 9,10,2 und die Sammlung der Stellen bei Bill., Bd. 2, 692; 727; Bd. 4, 391; S. Helfer, Geld, 46; M. Rist, Caesar, 324; L. I. Levine, The Rabbinic Class, 86. Sie dürfte legendär sein, s. P. Schäfer, Jews, 344.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

Als Rabbi Naḥum ben Simai starb, verhüllte man die Bilder mit Matten. Man sagte: Wie er sie zu seinen Lebzeiten nicht anschaute, soll er sie in seinem Tode nicht anschauen müssen.

Vorausgesetzt ist an dieser Stelle, dass sich der Friedhof, wie in der Antike üblich, außerhalb der Stadtmauer befand451 und die Leiche daher an den Bildern (‫איקונתא‬452) des Stadttores vorübergetragen werden musste. Es sollte durch die Matten verhindert werden, dass Naḥum selbst nach seinem Tod noch einen Blick auf sie werfen musste. Das mag nun freilich auch ein humorvoller Hinweis darauf sein, dass er übertrieben hatte. Rabbi Naḥum pflegte demnach die Bilder der Tore niemals anzusehen, womit er sich selbst von dem Problem dispensierte, ob es erlaubt sei, durch solche Tore mit darüber aufgestellten Statuen hindurchzulaufen. Das Hindurchgehen selbst wurde von ihm gerade nicht verweigert. Naḥum wurde durch sein Verhalten nach Darstellung des Palästinischen Talmuds zum Vorbild für andere Rabbinen, die sich auf ihn als Beispiel beriefen, wenn sie in ihrer paganen Umgebung mit Statuen und den Bräuchen heidnischer Kulte, wie etwa den Umzügen bei paganen Festen, konfrontiert wurden453: Rabbi Ja aqob bar Idi stützte sich auf Rabbi Jehoschua ben Levi auf 454. Sie erreichten die Prozession eines Götzenbildes. Er sagte zu ihm: Naḥum, der allerheiligste Mann, wäre vorübergegangen, und du gehst nicht vorüber? Geh vor ihm vorüber, aber schließe seine455 Augen!

Damit setzt sich – nach zwei blutigen Kriegen mit den Römern und der Zerstörung des Tempels – in der Frage um die von heidnischen Götterbildern übertragene Unreinheit eine Richtung durch, die das Zusammenleben zwischen Juden und Heiden im öffentlichen Raum weder erschwerte noch unmöglich machte456. Nach diesem Verfolgen einer immerhin mehrhundertjährigen Spur  – der Geschichte eines halachischen Problems – kehren wir zur Zeit der Präfekten und Procuratoren zurück.

451 Zu

dieser Sitte, die auch in rabbinischen Quellen bezeugt ist, vgl. S. Klein, Tod, 50. aramäische Lehnwort ist von dem griechischen εἰκόνιον abgeleitet, s. S. Krauss, Griechische und lateinische Lehnwörter, Bd. 2, 40; H. G. Dalman, Aramäisch-Neuhebräisches Handwörterbuch, 38 s. v.; S. Schwartz, Gamaliel, 206 Anm. 9. 453 yAZ 3,13/2 (43b, 75–76) (Text: Schäfer, Becker 277; Übersetzung: Wewers 124): 452 Dieses

‫רבי יעקב בר אידי הוה מיסתמיך בר״ יהושע בן לוי מטון לאדורי צלמא אמר ליה נחום איש קודש‬ ;‫ עבור קומוי וסמי עיניה‬.‫קדשים עבר ואת לית את עבר‬ zu dieser Stelle A. Büchler, Der galiläische Am-ha Ares, 82 Anm. 1; G. J. Blidstein, R. Yohanen, 158–160. 454 D. h. er ordinierte ihn zum Rabbi. 455 Euphemismus für „deine“. Oder: „schließe vor ihm die Augen!“ 456 G. Alon, The levitical uncleanness, 171.

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 111

2.4.5 Bilderverbot und Kaiserkult unter Pontius Pilatus Unter der Verwaltung der Procuratoren nahmen die politischen Spannungen, die sich an der Bilderfrage entzündeten zu, wobei sich die jüdische Opposition vor allem auf die Portraits römischer Kaiser konzentrierte. Dadurch rückte auch deren in römisch-juristischer Perspektive wichtige Funktion als Repräsentationen des Kaisers mehr und mehr ins Zentrum einer sich immer weiter zuspitzenden Konfrontation. In diesen Bilderstreitigkeiten wurde sowohl ein mögliches Entgegenkommen der römischen Administration erschwert als auch der Widerstandswille der Juden durch das unnachsichtige Agieren römischer Beamter noch verstärkt. Ein für unsere Untersuchung wichtiger Zusammenstoß, der zeigt, wie bestimmte jüdische Kreise die Krise zuspitzten, ereignete sich unter der Statthalterschaft des Pontius Pilatus. Er wagte es, bei Nacht die Feldzeichen der in Jerusalem stationierten Kohorte mit den an ihnen angebrachten Kaiserbildern in die Stadt bringen zu lassen457. Pilatus wich damit von der Praxis seiner Amtsvorgänger ab, die ihre Truppen in Jerusalem stets ohne die Feldzeichen einziehen ließen, die den Widerwillen vieler Juden erregen konnten458. Dieser Vorfall ereignete sich möglicherweise am Beginn der Amtszeit des Pilatus, wenn auch die chronologischen Angaben des Josephus zu vage sind, um eine eindeutige Datierung zu erlauben459. Pilatus wurde daraufhin jedenfalls von einer erbitterten Volksmenge in Caesarea, seinem Amtssitz, bestürmt und musste, als die Versammlung sich bereit erklärte, eher den Tod als die Verletzung des Gesetzes zu erleiden, zurückweichen und die betreffenden Feldzeichen zurückbeordern460. Ein Massaker an den auf seine Aufforderung hin461 im Stadion Caesareas zusammengeströmten Juden, denen die Soldaten des Pilatus bereits mit gezückten Schwertern gegenüberstanden, wollte er offenbar nicht riskieren. Dieser gefährliche Konflikt, der im letzten Moment noch entschärft werden konnte, war nach Josephus durch die „Büsten des Kaisers, die den Standarten vorangingen“462 bzw. „die Bilder des Kaisers, die Feldzeichen genannt werden“463 ausgelöst worden. Gemeint waren damit offenbar nicht die Feldzeichen der in Caesarea stationierten Auxiliarkohorten, die Pilatus begleiteten, wenn er 457 Zu diesem Vorfall vgl. M. Rist, Caesar, 320; J. Sp. Kennard, Render, 90. E. M. Smallwood, Philo, 127 hebt hervor, dass Pilatus den Vorfall bewusst herbeigeführt haben muss; ebenso: B. C. McGing, Pontius Pilate, 427. 458 AJ 18,56. 459 BJ 2,169; AJ 18,55; vgl. A. D. Doyle, Pilate’s Career, 190; R. A. Horsley, Jesus and the Spiral, 101. Die aufgebrachten Juden argumentierten nach Josephus jedenfalls nicht damit, dass Pilatus schon bei seinen Besuchen in Jerusalem anders verfahren wäre, was voraussetzen könnte, dass die Ereignisse in die Zeit seines ersten Aufenthalts in der Stadt, d. h. wohl an den Anfang seiner Statthalterschaft, zu datieren sind. 460 BJ 2,172–174; AJ 18,58–59. 461 BJ 2,172; AJ 18,57. 462 AJ 18,55: προτομὰς Καίσαρος, αἳ ταῖς σημαίαις προσῆσαν. 463 BJ 2,169–170: τὰς Καίσαρος εἰκόνας, αἳ σημαῖαι καλοῦνται.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

von seiner Residenz in Caesarea etwa bei großen Festen der Juden für einige Zeit nach Jerusalem kam, sondern separate Portraitköpfe des regierenden Kaisers464. Sie bildeten eigene Standarten, weswegen Josephus anmerkt, dass auch sie „Feldzeichen heißen“465. Sie waren von den anderen Truppenabzeichen, die u. a. taktische Funktion z. B. als Orientierung im Gefecht hatten, zu unterscheiden466. Diese übrigen Zeichen hatten gerade bei Hilfstruppen oft die Gestalt von Tieren467, was aber nicht die Abwehr der Juden auslöste. Offensichtlich betrachtete sie die jüdische Öffentlichkeit nicht so sehr als Gesetzesverstoß wie die Kaiserportraits, die genauso wie die übrigen Truppenstandarten, auf Stangen montiert, vor den Soldaten hergetragen wurden. Diese Bilder hatten sogar eigene Standartenträger, die das Amt des imaginarius oder imaginifer bekleideten468. Sie gehörten bei den Legionen zur prestigeträchtigen ersten Kohorte, der auch die Verehrung der imagines imperatorum oblag469. Der eigentliche Grund des jüdischen Widerstandes lag höchstwahrscheinlich darin, dass diese Feldzeichen, und d. h. auch die Kaiserbilder, als Gottheiten verehrt wurden. Der Verdacht, dass solches geschehe, reichte aus zum Protest. Im Lager römischer Soldaten standen sie nämlich als Kultzentrum nahe beim Hauptquartier der betreffenden Einheit, und die Legionsadler wurden laut Tacitus als die „der Legion eigene Schutzgottheiten“ (propria legionum numina) betrachtet470. Ihnen galt der offizielle Kult der römischen Soldaten, den Tertullian in rhetorisch pointierter Manier so zusammenfasste471: Der ganze Gottesdienst römischer Soldaten verehrt Feldzeichen, schwört bei Feldzeichen, trägt Feldzeichen allen Göttern voran.

An Festtagen wurden die Adler samt anderen Insignien der Truppe rituell gesalbt, so dass Plinius zu dem Schluss kommen konnte472: 464 Die Auseinandersetzung konzentrierte sich also ganz auf das Kaiserbild, s. C. Roth, An Ordinance, 170; E. Stauffer, Die Botschaft, 102; J.-P. Lémonon, Pilate, 148–153. 465 BJ 2,169: σημαῖαι καλοῦνται. 466 A. v. Domaszewski, Die Fahnen, 26; C. H. Kraeling, The Episode, 264–265. 467 A. v. Domaszewski, Die Fahnen, 74. 468 Vegetius, Epitoma rei militaris 2, 7, 3 (Text: Müller 76–78): Imaginarii vel imaginiferi, qui imperatoris imagines ferunt; vgl. auch inschriftliche Zeugnisse u. a. CIL III 6178; dazu A. v. Domaszewski, Die Fahnen, 69; C. H. Kraeling, The Episode, 269–270; J. Helgeland, Roman Army Religion, 1476. 469 Vegetius Epitoma rei militaris 2, 6, 2 (Text: Müller 74): haec imagines imperatorum, hoc est divina et praesentia signa, veneratur. 470 Annales 2, 17. Heller, 128f übersetzt sogar: „die wirklichen Schutzgeister der Legionen“; zur Stelle J. Sp. Kennard, Render, 91; J. Helgeland, Roman Army Religion, 1474. 471 Apologeticum 16 (Text und Übersetzung: Becker 116–117); dazu H. Kruse, Studien, 58; W. Liebenam, Art. Feldzeichen, 2155; C. H. Kraeling, The Episode, 279; J. Helgeland, Roman Army Religion, 1476; K. Stauner, Im Dienst, 13. 472 Naturalis historia 13,23 (Text und Übersetzung: König, Winkler 112): Ita est nimirum: hac mercede corruptae orbem terrarum devicere aquilae.

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 113

So ist ohne Zweifel: durch diese Belohnung verführt, haben unsere Adler den Erdkreis unterjocht.

Als weiteres Zeichen der Ehrerbietung konnten sie mit Rosen bekränzt werden473. Des Weiteren bezeugen uns diverse Inschriften474 Altäre beispielsweise für den göttlichen Genius des Kaisers und der signa cohortis. Die ihnen geltenden Opfer erwähnt der Historiker Herodian, der erzählt, der Kaiser Caracalla habe sich im Jahr 212 n. Chr., nachdem er seinen Bruder Geta im Kampf um den Thron eigenhändig ermordet hatte, in das Lagerheiligtum der Prätorianer in Rom geflüchtet, „wo die Feldzeichen und die Bilder des Lagers verehrt werden“475, um dort nach seiner Untat für die Rettung zu opfern476. Solche Opfer vor den Standarten feierten auch den Sieg der römischen Legionen des Titus: Nachdem der Jerusalemer Tempel nach langem Kampf endlich erstürmt worden war, trugen die Römer ihre Feldzeichen in den heiligen Bezirk und stellten sie dem östlichen Tor gegenüber auf. Eben an dieser Stelle brachten sie ihnen dann Opfer dar …477

Derartige Opfer der Soldaten werden schon in dem in Qumran gefundenen Habakuk-Kommentar ausdrücklich genannt478. Dies ist eine der nicht seltenen „Kittäer“-Stellen im Qumran-Schrifttum. Bereits in Dan 11,30 ging dieser Name, der ursprünglich die Einwohner der Stadt Kition auf Zypern meinte und später auf Griechen allgemein bezogen wurde479, auf die Römer über und wurde in dieser Bedeutung in diversen Qumranschriften verwendet480. Im Habakuk-Kommentar steht dann auch, dass die Kittäer, d. h. die Römer, „ihren Feldzeichen Opfer

473 Zu dieser Zeremonie, A. S. Hoey, Rosaliae, 15–16 und A. D. Nock, The Roman Army, 188. Diese Form der Verehrung war wahrscheinlich aus den zivilen Kulten übernommen worden, s. J. Helgeland, Roman Army Religion, 1477. 474 CIL VII 1030 aus England, vgl. CIL III 6224, wo neben den heiligen Adlern die anderen signa der dritten Legion genannt sind; s. W. Liebenam, Art. Feldzeichen, 2156; H. Kruse, Studien, 57; A. S. Hoey, Rosaliae, 17; J. Helgeland, Roman Army Religion, 1477. 475 4,4,5 (Text: Lucarini 90, 5). 476 4,4,5: ἔθυέ τε σωτήρια. 477 BJ 6,316: κομίσαντες τὰς σημαίας εἰς τὸ ἱερὸν καὶ θέμενοι τῆς ἀνατολικῆς πύλης ἄντικρυς ἔθυσάν τε αὐταῖς αὐτόθι; dazu St. Fine, Art, 75. 478 Dieser Passus wurde bereits zitiert, s. o. 2.4.4. Dieser Text erwähnt auch die römischen Kontributionen, die dem Land auferlegt wurden, s. K. M T. Atkinson, The Historical Setting, 244. 479 Vgl. z. B. 1 Makk 1,1; 8,5. 480 H. Lichtenberger, Das Rombild, 224; M. Hadas-Lebel, Jérusalem contre Rome, 461; ders., L’évolution, 774; F. Avemarie, Esaus Hände, 179; vgl. ferner T. H. Lim, Art. Kittim, 470–471. Die zeitgeschichtlichen Bezüge z. B. auf die Plünderung des Besitzes der Priester in Jerusalem durch die Truppen des Pompeius in 1QpHab IX 6–7 (Text: Horgan, The Dead Sea Scrolls, Bd. 6b, 176) liegen dabei klar auf der Hand; s. H. Lichtenberger, Das Rombild, 226.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

bringen“481. Diesen Brauch werden die Judäer spätestens bei der Belagerung und Eroberung Jerusalems durch die Legionen des Pompeius beobachtet haben. Wie Josephus außerdem in seinen beiden Geschichtswerken hervorhebt, galt die allgemeine Empörung der Juden, die Pilatus durch den Einzug der Standarten nach Jerusalem hervorrief, vor allem den Kaiserportraits. Demnach fokussierte sich der Streit auf diese Repräsentationen des Tiberius, denen man den Einzug in die Stadt und damit die symbolische Demonstration der Herrschaft Roms verwehrte482. Die Loyalität der Armee galt nämlich solange als gesichert, wie solche Bildnisse des jeweiligen regierenden Kaisers öffentlich mitgeführt wurden. Waren sie etwa nicht mehr zu sehen, dann hielten die entsprechenden Truppen nicht mehr treu zu ihrem Kaiser. So wechselten z. B. die Legionen des Vitellius 69 n. Chr. bei Cremona auf diese Weise die Seite und gingen zu Vespasian, dessen Konkurrenten um die Macht483, über: Nun entfernten sie die Bilder des Vitellius von den Feldzeichen und schworen, dass Vespasian ihr Herrscher sein sollte.

Es ist deswegen nur zu verständlich, dass Pilatus das Ansinnen, die Bilder aus Jerusalem abzuziehen, zunächst abwies, um den Kaiser nicht gegen sich aufzubringen. Hält man sich die zahlreichen Majestätsprozesse unter Tiberius vor Augen, bei denen die den Kaiserbildern geschuldete Reverenz eine Schlüsselrolle hatte, so erwartete Pilatus möglicherweise nicht grundlos eine Bestrafung, fürchtete vielleicht sogar um sein eigenes Leben. Diejenigen Juden, die Widerstand leisteten, wollten hingegen das jüdische Land, vor allem aber die Stadt Jerusalem, zu einer Zone ohne Kaiserportraits d. h. in der Folge auch ohne den Kaiserkult (und warum nicht auch ohne Kaisermacht?) umwandeln. Ebenso fromm wie politisch anzüglich warfen die Judäer dem Statthalter vor484,

481 1QpHab VI 3–5 (Text: Horgan, The Dead Sea Scrolls, Bd. 6b, 170; Übersetzung: Lohse 235): ‫„ =( המה זבחים לאותותם וכלי מלחמותם המה מוראם‬sie bringen ihren Feldzeichen Opfer und ihre Kriegswaffen sind Gegenstand ihrer Verehrung“); dazu s. auch J. Sp. Kennard, Render, 92; K. M. T. Atkinson, The Historical Settinge, 254–255; G. J. Brooke, The Kittim, 151. 482 Josephus vermeidet es aber durch eine Zuspitzung auf den Bilderkonflikt die politische Dimension wirklich auszuleuchten, J. Gutmann, The second commandment, 171. 483 Cassius Dio 64,10,3 (Text: Cary 236, Übersetzung: Veh 129): καὶ τότε μὲν τάς τε τοῦ Οὐιτελλίου εἰκόνας ἀπὸ τῶν σημείων καθεῖλον καὶ ὑπὸ τοῦ Οὐεσπασιανοῦ ἀρχθήσεσθαι ὤμοσαν. Dazu vgl. H. Kruse, Studien, 14. 484 BJ 2,170: ὡς πεπατημένων αὐτοῖς τῶν νόμων, οὐδὲν γὰρ ἀξιοῦσιν ἐν τῇ πόλει δείκηλον τίθεσθαι. Des Weiteren unterstreicht Josephus in seinen Antiquitates, dass das biblische Gebot das „Machen von Bildern“ (εἰκόνων ποίησιν, AJ 18,55) verbiete. Die Feldzeichen wurden nun aber gewiss nicht von Juden hergestellt, was andeutet, dass es sich vielmehr um das im Bellum erwähnte Aufstellen innerhalb der Stadtgrenzen drehte (ἐν τῇ πόλει δείκηλον τίθεσθαι, BJ 2,170), was nach Ansicht vieler Juden nicht mit der Tora konform war.

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 115

ihre Gesetze würden mit Füßen getreten, denn diese verböten es, dass in der Stadt ein Bildnis aufgestellt wird.

Die Kaiserbilder rangierten also auf der Ebene aller paganen Götterbilder, die nur außerhalb Jerusalems geduldet wurden. Dass sich in diesen Unruhen während der Amtszeit des Pilatus eine Entwicklung fortsetzte und an Gefährlichkeit gewann, die sich in den Ereignissen während der Regierungszeit des Herodes, z. B. der Ablehnung der tropaia im Jerusalemer Theater, angebahnt hatte, ist nunmehr deutlich. Gleichzeitig wurden die fehlenden Kaiserbilder und deren Rücktransport in die heidnisch geprägte Hafenstadt Caesarea, wo der Amtssitz des Präfekten lag, zu einer Bestätigung jüdischer Identität. Josephus notiert in diesem Zusammenhang, dass diese Ausnahmeregelung von den ersten Statthaltern nach der Absetzung des Archelaos, d. h. von Coponius, Marcus Ambibulus, Annius Rufus und Valerius Gratus485, gebilligt worden war und erst Pilatus einen Aufruhr auslöste, indem er mit dem Gewohnheitsrecht brach – wissentlich –, wie die Tatsache verdeutlicht, dass er die umstrittenen Bilder bei Nacht verhüllt nach Jerusalem transportieren ließ486. Dies verweist wohl auf eine Art Kompromiss oder ein Zugeständnis seitens der römischen Beamten, das auf die Anfangszeit der Provinz im Jahr 6 n. Chr. zurückgehen dürfte und für 20 Jahre bis zur Ankunft des Pilatus im Jahr 26 n. Chr. in Geltung war. 2.4.6 Das Heilige Land als Bereich ohne heidnische Bilder bis zur Zeit Kaiser Caligulas Die von den Römern im Allgemeinen akzeptierte Regelung, das jüdische Gebiet bilderfrei und damit entsprechend den biblischen Geboten zu halten, stand bei einem weiteren Vorfall, der sich kurz vor dem Tod des Kaisers Tiberius im Frühjahr 37 n. Chr. zugetragen hat, auf dem Spiel. Der Anlass waren Ehestreitigkeiten innerhalb der Familie des Tetrarchen Herodes Antipas, der seine erste Ehefrau, die Tochter des Königs der Nabatäer Aretas IV (9 v. Chr. – 39 n. Chr.)487, verstoßen hatte und danach in einem Grenzkrieg von seinem ehemaligen Schwiegervater vollständig besiegt wurde. Als er Aretas daraufhin bei Tiberius verklagte, gab der Kaiser dem syrischen Legaten Vitellius (dem Vater des späteren Kaisers) den Befehl, mit zahlreichen Truppen von Antiochia zu einer Strafexpedition gegen diesen Araberfürsten aufzubrechen. Als Vitellius den Feldzug gegen Aretas und seine Hauptstadt Petra vorbereitete, legten führende Juden Protest dagegen ein, dass die Legionen mit ihren Feldzeichen über jüdischen Boden marschieren 485 AJ

18,56: οἱ πρότερον ἡγεμόνες. 2,169; AJ 18,57; s. J. S. McLaren, Powers, 83. 487 Aretas IV hatte in dieser Zeit Damaskus unter Kontrolle gebracht, wie sich aus 2 Kor 11,32 erschließen lässt; zu diesem König und seiner Regierung vgl. Wilcken, Art. Aretas IV, 674–675. 486 BJ

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sollten488. Vitellius hatte ein Einsehen und ließ seine Armee statt durch Judäa durch die Ebene von Jesreel ziehen, bevor er das ganze Unternehmen, weil Tiberius überraschend gestorben war, kurzentschlossen und unverrichteter Dinge abbrach489. Die jüdischen Gesandten hatten dem Statthalter zuvor ihre Bedenken in der Hafenstadt Ptolemais vorgetragen490: Als er sich anschickte, das Heer durch das Gebiet der Juden zu führen, gingen ihm die ersten Männer entgegen und lehnten den Weg durch das Land höflich ab. Es sei nämlich für sie nicht hergebrachte Sitte, ruhig mit anzusehen, dass Bilder in es getragen werden; viele aber seien auf den Feldzeichen befestigt.

In diesem Zitat zeigt sich deutlich, dass es in der jüdischen Bevölkerung bis hin zur Oberschicht einen breiten Konsens darüber gab, dass selbst das Hindurchtragen von heidnischen Kultbildern durch das Heilige Land gegen biblische Gebote verstoße, womit wohl die Verunreinigung des Landes gemeint war. Auch hier wird nicht zwischen Feldzeichen und Kaiserbildern differenziert. Es ist außerdem bemerkenswert, dass die jüdischen Gesandten mit ihren Bitten Erfolg hatten, es ihnen sogar gelang, die strategische Planung der Römer zu verändern und deren Truppenkontingente zu einem Umweg zu veranlassen. Sie argumentierten, wie Josephus ausdrücklich konstatiert, unter Berufung auf die Tradition, d. h. εἶναι πάτριον491, gegen die Vitellius offensichtlich nicht verstoßen wollte. Diese Regel galt, wie Josephus expressis verbis feststellt, für das jüdische „Land“492, also nicht bloß für die Stadt Jerusalem. Die Stadt Caesarea am Meer oder auch die Ebene von Jesreel gehörten offenbar nicht dazu, was die Marschroute der Römer mitbestimmte. Um diese Vorstellung eines Landes ohne pagane Bilder zu verstehen, muss man sich die jüdische Grenzziehung Galiläas vergegenwärtigen, die Josephus an einer anderen Stelle seines Bellum überliefert. Dort skizziert er als eine Art Einführung seiner Beschreibung der Kämpfe, die während des Ersten Jüdischen Krieges in Galiläa stattfanden, die Grenzen dieses Gebiets und führt aus, es habe nach Westen zu als Grenze die Stadt und den Bezirk Ptolemais sowie den Karmel, das Gebirge, das einst zu Galiläa gehörte, jetzt aber tyrisch ist493.

Weiterhin gibt er an:

488 Vgl.

M. Rist, Caesar, 321. 18,125. 490 AJ 18,121–122: ὡρμημένῳ δ᾽ αὐτῷ διὰ τῆς Ἰουδαίων ἄγειν τὸν στρατὸν ὑπαντιάσαντες ἄνδρες οἱ πρῶτοι παρῃτοῦντο τὴν διὰ τῆς χώρας ὁδόν· οὐ γὰρ αὐτοῖς εἶναι πάτριον περιορᾶν εἰκόνας εἰς αὐτὴν φερομένας, πολλὰς δ᾽ εἶναι σημαίαις ἐπικειμένας. 491 AJ 18,121. 492 AJ 18,121: διὰ τῆς χώρας. 493 BJ 3,35: διορίζει δὲ ἀπὸ μὲν δύσεως ἡλίου Πτολεμαΐς τοῖς τῆς χώρας τέρμασι καὶ Κάρμηλος, τὸ πάλαι μὲν Γαλιλαίων, νῦν δὲ Τυρίων ὄρος. 489 AJ

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 117

Im Süden erstreckt sich das Gebiet von Samaria und Skythopolis zum Flusslauf des Jordan494.

Das jüdische Galiläa endete also in der Ebene von Jesreel bei dem Dorf Kesuloth im Westen des Berges Tabor495. Ptolemais und das Karmelgebirge waren heidnisches Gebiet, ebenso wie die südlichen Landesteile der paganen Poleis Samaria und Skythopolis. Ptolemais wurde im Übrigen nie von den Judäern erobert, war also und blieb eine heidnische Stadt496. Als wieder heidnisch kann Skythopolis gelten, das Pompeius von der jüdischen Oberherrschaft befreit hatte497 und das seitdem sogar zur Zeit des Herodes stets unabhängig blieb498, während der König Samaria mit paganen Kolonisten bevölkerte499. Das Land der Heiden aber galt den Juden als unrein, wie rabbinische Quellen zeigen, in denen festgelegt ist: „Wer im Heidenland auf Bergen oder Felsen geht, ist unrein“500. Diese Regelung sei angeblich schon 80 Jahre vor der Tempelzerstörung in Kraft gewesen501. Dieselben rabbinischen Texte sagen auch, dass eine römische Legion auf dem Marsch, deren Soldaten die Häuser der Einheimischen betreten, um dort z. B. ihr Nachtquartier zu beziehen, diese Wohnungen unrein machen502. Es war daher 494 BJ

3,37: ἀπὸ δὲ μεσημβρίας Σαμαρεῖτίς τε καὶ Σκυθόπολις μέχρι τῶν Ἰορδάνου ναμάτων.  BJ 3,39. 496 Schon seit hellenistischer Zeit war die Stadt mit Statuen geschmückt, wie archäologische Funde beweisen, s. M. Aviam, Jews, 36–40. 497 BJ 1,156; AJ 14,75. 498 E. Schürer, History, Bd. 1, 144. 499 BJ 1,403; AJ 15,296. 500 mOhal 18,6 (Text und Übersetzung: Bunte 392–393): ‫ ;המהלך בארץ העמים בהרים ובסלעים טמא‬vgl. ferner tOhal 18,1; zu diesem Grundsatz s. R. Goldenberg, Art. Reinheit III, 483; G. Alon, The Levitical Uncleanness, 183–186; R. Gradwohl, Das Land, 56; S. Safrai, The Land, 206, 211; vgl. auch H. Stegemann, Das Land, 159–160. 501 bShab 15a. 502 Leider ist die Begründung für diese halachische Entscheidung in den betreffenden Texten nicht mehr eindeutig zu entnehmen. In der Tosefta Ḥul 8,16 heißt es: „du findest keine Legion, die nicht ‫ קרקפלין‬hat“ (‫אין לך לגיון שאין בו קרקפלין‬, Text: Zuckermandel 510). Diese ‫ קרקפלין‬sind der Grund der Unreinheit. Es handelt sich bei diesem Begriff um ein griechisches Lehnwort, das u. a. das Wort κέφαλος enthält, dessen genaue Bedeutung aber unklar ist; s. S. Krauss, Griechische und lateinische Lehnwörter, Bd. 2, 571; G. H. Dalman, AramäischNeuhebräisches Handwörterbuch, 392 s. v. Rabbinische Ausleger deuteten ‫ קרקפלין‬als die abgezogene Kopfhaut der getöteten Feinde; s. z. B. J. Levy, Wörterbuch, Bd. 4, 391 s. v.; weiteres Material sammelte J. Buxtorf, Lexikon, 1064–1065. Im Babylonischen Talmud wird dann bḤul 123a, vgl. bAZ 11b von ‫( קרקפלו של רבי ישמעאל‬Text: Steinsaltz 48; vgl. Goldschmidt 833) berichtet, was als der Skalp dieses Märtyrers der hadrianischen Verfolgung interpretiert wurde; vgl. Nachweise bei W. Bacher, Die Agada der Tanaiten Bd. 1, 234; S. Safrai, Art. Ishmael ben Elisha, 83–84; D. J. Brawer, Art. Ismael ben Elischa, 598–601. Wenn man aber die merkwürdige Bemerkung in bḤul 123a (Text: Goldschmidt 1200), dass der ‫ קרקפל‬des Rabbi Jischma el noch über dem „Kopf der Könige“ angebracht war (‫)מונח בראש מלכים‬, auf die oben auf den Standarten der Legionen angebrachten Kaiserbüsten deutet, so hätte sich der Kopf des möglicherweise gehängten Märtyrers demnach oberhalb dieser Herrscherbilder befunden, was natürlich als eine ironische Invektive gegen den römischen Herrscherkult gerichtet war. Sollte 495

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nur folgerichtig, die römischen Legionen und ihre Bilder durch das Territorium paganer Städte wie Ptolemais, Tyrus, Samaria oder Skythopolis zu dirigieren. Übrigens hatte sich die Nordgrenze des Heiligen Landes, hier Galiläas, bis zu der u. a. das Sabbatjahr eingehalten werden musste503, nach rabbinischer Ansicht gegenüber der von Josephus beschriebenen Grenze Galiläas verschoben; sie lag acht Kilometer nördlich von Akko bzw. Ptolemais bei dem Städtchen Gezib an der Küste Palästinas; Plinius kennt es unter dem Namen „Ecdippa“504, heute Tell Akhziv am Wadi el-Kurin. Die südlichen Landesteile wie auch die Ebene von Jesreel hätten demnach zum Heiligen Land gehört. Diese Grenzlinie muss aber in der Zeit des Vitellius noch nicht unbedingt dieselbe gewesen sein. Trotz des Entgegenkommens des Vitellius setzte sich der Konflikt auch in den folgenden Jahren fort und erreichte während der Regierungszeit des Kaisers Caligula einen Höhepunkt. Die Zuspitzung der Ereignisse hatte einen lokalen Anlass, diesmal ganz im Süden, in der Stadt Jamnia unweit der Mittelmeerküste. Diese Stadt gehörte ursprünglich zum herodianischen Reich, wurde nach dem Tod des Königs an dessen Schwester Salome vererbt und nach deren Tod kaiserlicher Besitz505. Kaiser Tiberius ließ sie danach durch eigene Procuratoren verwalten506. In Jamnia lebte eine aus Juden und Heiden gemischte Bevölkerung, zwischen der seit längerer Zeit ein gespanntes Verhältnis herrschte. In dieser Auseinandersetzung provozierten die heidnischen Einwohner die jüdische Seite gezielt, wie Philon von Alexandria berichtet, indem sie die übertriebene Selbstvergottung Caligulas für sich ausnutzten und dem göttlichen Kaiser einen improvisierten Altar errichteten. Diese Provokation der Judäer erreichte ihren Zweck507: Kaum hatten die Juden das bemerkt, strömten sie zusammen, empört, dass man die Weihe des Heiligen Landes schänden wollte, und zerstörten den Altar. demnach mit ‫ קרקפלין‬ursprünglich das Kaiserportrait gemeint sein, das ja auch als Kopf an den Feldzeichen angebracht war und nach Josephus eine verunreinigende Wirkung hatte? Eine andere mögliche Deutung dieses Wortes im Arukh des Natan ben Jechiel (s. Aruch Completum, 216) geht von einer Kombination der griechischen Begriffe κόρυς und κεφαλή aus. Man könnte den Begriff demnach auf die Tierfelle von Bären oder Löwen beziehen, die seit alter Zeit zur traditionellen Kostümierung der römischen Standartenträger in den Legionen gehörten, vgl. M. Junkelmann, Die Legionen, 109, und die nach jüdischer Überzeugung unrein machten. 503 mShevi 6,1. 504 Naturalis historia 5, 75 (Text: Winkler, König 60). 505 BJ 2,98; 2,167; AJ 13,321; 18,31. So konnte sie während des Jüdischen Krieges als Internierungsstätte für Überläufer aus Judäa dienen (BJ 4,444) – darunter auch für Joḥanan ben Zakkai und die Gründer des Rabbinats (in späterer rabbinischer Perspektive). Er richtete dort angeblich mit Erlaubnis Kaiser Vespasians ein Lehrhaus ein, bGit 56b; dazu J. Taylor, Woher kommt, 93–96 (vgl. ders., É. Nodet, The Origins, 175–178, mit einer ausführlichen Diskussion der rabbinischen Quellen, die in der deutschen Übersetzung ausgelassen ist). 506 AJ 18,158. 507 LegGai 202 (Text: Colson 104, Übersetzung: Kohnke 227): θεασάμενοι γὰρ καὶ δυσαν­ ασχετήσαντες ἐπὶ τῷ τῆς ἱερᾶς χώρας τὸ ἱεροπρεπὲς ὄντως ἀφανίζεσθαι καθαιροῦσι συνελθόντες.

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 119

Diese Bemerkung beweist, dass Jamnia von den Judäern als Teil des Heiligen Landes betrachtet wurde, der frei vom Kaiserkult zu halten sei; die Gefahr war, seinen heiligen Charakter zu zerstören, was Philon mit τὸ ἱεροπρεπὲς ὄντως ἀφανίζεσθαι umschreibt. Der Abbau des Kaiseraltars wurde durch den örtlichen Procurator an Caligula weitergemeldet, der erzürnt die Privilegien der Judäer in seinem Reich aufhob und den Befehl gab, sein Bildnis im Tempel von Jerusalem aufzurichten508. Dies war – aus beinahe nichtigem Anlass – im Handumdrehen eine der größten Krisen des antiken Judentums509. Der mit der Durchführung dieses Auftrags betraute Legat Publius Petronius sah sich mit einhelligem Widerstand des jüdischen Volks konfrontiert, das in großer Mehrheit eher zu sterben als diese Zerstörung des Gesetzes hinzunehmen bereit war. Petronius wurde mit seiner ihn begleitenden Streitmacht zuerst in Ptolemais und später in Tiberias ständig von Bittstellern bedrängt, die ihn (nach Josephus) anflehten: „nicht durch Aufstellen eines Standbildes die Stadt zu beflecken“510. Die Krise wurde schließlich unblutig beigelegt, weil Petronius vor dem fürchterlichen Morden, das die Ausführung des Befehls bedeutet hätte, zurückschreckte. Caligula ließ sich von König Agrippa I zur Rücknahme seiner Anweisung an Petronius überreden. Die bald darauf folgende Ermordung des Kaisers am 14. Januar 41 n. Chr. machte weitere Überlegungen Caligulas, seine Kolossalstatue heimlich nach Jerusalem transportieren zu lassen, zunichte und rettete auch Petronius das Leben, dem der Kaiser wegen seiner Bedenken und seines Zögerns bei der Ausführung des Unternehmens einen Selbstmordbefehl erteilt hatte, der den Statthalter aber, weil die Boten durch schlechtes Wetter aufgehalten worden waren, erst nach der Nachricht vom Tod des Herrschers erreichte511. Von jüdischer Seite wurde diese glückliche Fügung als göttliche Belohnung für das mutige und besonnene Handeln des Petronius interpretiert512. 2.4.7 Das Bilderverbot und der Ausbruch des Ersten Jüdischen Krieges Die Frage der Statuen und Herrscherbilder spielte bei dem Ausbruch des Ersten Jüdischen Krieges gegen die Römer eine ebenso verhängnisvolle Rolle. Wie schon zur Zeit Caligulas entzündete sich der Streit an Spannungen in einem Landesteil mit aus Juden und Heiden gemischter Bevölkerung. Diesmal war 508 AJ

18,261. diesen Ereignissen s. P. Bilde, The Roman Emperor Gaius, passim sowie jetzt auch M. Bernett, Der Kaiserkult in Judäa unter den Herodiern, 279–282. 510 AJ 18,271: μηδὲ μιαίνειν ἀνδριάντος ἀναθέσει τὴν πόλιν. Das Verb μιαίνειν hat auch bei paganen Autoren die Bedeutung kultischer Verunreinigung; vgl. Platon, Leges 782c (Text: Burnet 207), wo von dem Tabu berichtet wird, die Altäre der Götter mit Blut zu besudeln (αἵματι μιαίνειν); zur jüdischen Sicht s. H. K. Harrington, The Impurity, 36; ferner M. Bernett, Der Kaiserkult, 248–249. 511 BJ 2,203; AJ 18,305. 512 AJ 19,309. 509 Zu

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

Caesarea der Ort der Geschehnisse, die das Weitere auslösten. Der Kern des Konfliktes war, dass die paganen Bewohner Caesareas, das immerhin eine Polis war (mit griechisch-römischer Verfassung), ganz für sich reklamierten. Gegen den jüdischen Anspruch, „die Stadt gehöre ihnen“513, führten sie ins Feld, Herodes habe seine Neugründung bei ihrer Einweihung im Jahr 10 v. Chr. gewiss nicht als jüdische Stadt geplant (was es im Sinne einer Stadtdemokratie nirgends gab); der Beweis war514: Wenn er sie für die Juden bestimmt hätte, dann hätte er keine Bildsäulen und Tempel darin errichtet.

Die Nichtjuden verwiesen ferner auf die ältere pagane Vorgängersiedlung „Stratons Turm“, die vielleicht nach einem Beamten des Königs Ptolemaios II Philadelphos benannt war, zu dessen Regierungszeit die erste Stadtgründung wohl erfolgte515. Herodes habe sie lediglich vergrößert und nach seinem kaiserlichen Gönner, dem er seinen Thron verdankte, umbenannt. Daher sei die Stadt letztendlich nicht seine Gründung, sondern die paganer Vorgänger, lange Zeit bevor Herodes zur Macht kam516. Der Bericht des Josephus macht nochmals klar, dass öffentlich aufgestellte Bilder sowie dem Kaiserkult geweihte Tempel, wie sie Herodes auch an anderen Orten erbauen ließ, Merkmale des paganen Charakters eines Landesteiles waren; umgekehrt war das Fehlen solcher Bildnisse und eines entsprechenden Kultes Prärogative des Heiligen Landes und war Unterscheidungskriterium zwischen Judentum und Hellenismus. Tacitus sagt über die Judäer517: Daher stellten sie in ihren Städten keine Götterbilder auf, schon gar nicht in den Tempeln. Eine solche Huldigung erwiesen sie nicht den Königen, eine solche Ehre nicht den Caesaren.

Auch Tacitus bzw. die Quelle, der er folgt, betrachtet also diejenigen Städte als jüdisch, in denen Götterbilder fehlten; und wenn es weiter heißt, dass dieses Verbot sich sogar auf die Herrscherbilder der Kaiser erstreckt, so ist darin eine Großzügigkeit Roms zu sehen, mit der vorsichtig umzugehen war.

513 BJ 2,266: οἱ μὲν γὰρ ἠξίουν σφετέραν εἶναι τὴν πόλιν; dazu L. I. Levine, The Jewish-Greek Conflict, 382–386; V. Nikiprowetzky, Josephus, 220–221. 514 BJ 2,266: οὐ γὰρ ἂν ἀνδριάντας καὶ ναοὺς ἐγκαθιδρῦσαι Ἰουδαίοις αὐτὴν ἀνατιθέντα; dazu L. I. Levine, The Jewish-Greek Conflict, 382. Dass Herrscherbilder in der Tat in Caesarea vorhanden waren, wird übrigens indirekt von Josephus bestätigt, der beiläufig von den Portraitbüsten der Töchter des jüdischen Königs Agrippa I berichtet, AJ 19,357; vgl. auch die Sammlung archäologischen Materials bei M. A. Chancey, Greco-Roman Culture, 207–208. 515 A. Lewin, Palästina, 148. 516 AJ 20,173. 517 Historiae 5,5,4 (Text und Übersetzung: Vretska 610–611 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 2, Nr. 281, S. 19): igitur nulla simulacra urbibus suis, nedum templis sistunt; non regibus haec adulatio, non Caesaribus honor.

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 121

Selbst rabbinische Texte enthalten noch Reflexe dieser Situation und belegen, dass sich die Einschätzung wandelte; Städte, die lange Zeit als heidnisch gegolten hatten, wurden später als Teil des Heiligen Landes betrachtet. So die Stadt Caesarea am Meer, von der zwar tradiert wurde, sie sei eine unreine, heidnische Stadt518. Daneben war aber weiterhin bekannt, „dass man es von Alters her für unrein ansah. Aber später gab man es frei ohne Abstimmung“519. Die Formulierung deutet auf eine Art ungeschriebenes judäisches Recht hin, das in diesem Fall im Palästinischen Talmud mit dem berühmten Jehuda ha-Nasi, der am Ende des 2. Jh. n. Chr. lebte, verknüpft wird520. Von diesem Rabbi wird mitgeteilt, er habe die Hafenstadt von allen Einschränkungen, die Heidenland betrafen, für frei erklärt. Eine ähnliche Neubewertung ist auch von Orten wie Askalon521 oder Keni522 bekannt, was vielleicht mit einer jüdischen Mehrheit zusammenhing, die sich dort im Laufe der Zeit gebildet hatte. 2.4.8 Die Bilderzerstörung im Ersten Jüdischen Krieg Aus dem Ersten Jüdischen Krieg berichtet uns Josephus von einem Bildersturm. Er unterstreicht, dass die jüdischen Kämpfer versuchten, das biblische Bilderverbot besonders konsequent umzusetzen. Ihre Zerstörungswut523 habe sich dabei gegen jede Art von Bildschmuck gerichtet, selbst wenn es sich nur um die für die griechisch-römische Oberschicht selbstverständliche luxuriöse Ausstattung privater Wohnräume und keinesfalls um Kultbilder gehandelt habe524. 518 tOhal 18,13. Diese Einschätzung in Bezug auf Panias (Caesarea Philippi) begegnet auch in einer Inschrift eines spätantiken Synagogenmosaiks aus Rehob, das teils wörtlich mit rabbinischen Texten übereinstimmt; F. Vitto, Art. Rehob, 1274. Zu den rabbinischen Grenzen des Heiligen Landes s. S. Klein, Das tannaitische Grenzverzeichnis, insb. 227–229 sowie M. Aviam, Jews, 11–14 mit Kartenmaterial. 519 tOhal 18,16 (Text: Rengstorf 146, Übersetzung: Windfuhr 336): .‫ שהחזיקו בה מעולם והתירוה שלא במנין‬Zu dieser Beurteilung etlicher Städte Palästinas, E. E. Urbach, The Rabbinical Laws, 157; E. Habas, The Halachic Status, 454–459; S. Safrai, The Land, 208–209. 520 yDem 2,1/10 (22c, 55–56); dazu A. Büchler, Der Patriarch, 689. 521 tOhal 18,5 und 18,15. 522 mOhal 18,9d (Text: Bunte 404). 523 Ein Beispiel: Josephus, Vita 66; dazu J.-B. Frey, La question, 276, 281. Hier wird auch die soziale Spannung deutlich, die hinter dem Patriotismus bzw. Toraeifer der Bilderstürmer steckt; dazu M. Vogel, Vita, 75. 524 Diese Vorbehalte wurden von vielen Juden aus der gesellschaftlichen Elite durchaus geteilt und spiegeln sich in den in Jerusalem ausgegrabenen Wohnhäusern der Wohlhabenden aus der herodianischen Epoche, deren Räume mit Wandmalereien und Mosaiken ausgeschmückt waren. Hierauf entdeckte man bei Ausgrabungen gemalte Mamorimitationen oder Früchte wie Granatäpfel (N. Avigad, Excavations, 49 sowie Abb. III; einen Überblick über die Ausgrabungen vermittelt M. Küchler, Jerusalem, 581–589), und die Mosaikböden waren mit geometrischen Mustern (s. N. Avigad, Excavations, 46 sowie Abb. II), nie aber mit Darstellungen irgendwelcher Lebewesen verziert; dazu R. Hachlili, Ancient Jewish Art, 65, 376. Auch Josephus, der selbst aus der Priesteraristokratie Jerusalems stammt (Vita 4–5, 7), teilt

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

Spuren einer konsequenten Auslegung durchziehen sicherlich nicht zufällig auch die Schriften des Josephus, wie bereits besprochen wurde525. Im Allgemeinen betrachtet Josephus die Bilder lebender Wesen als „weder Gott noch Menschen nützlich“526. Wegen der in der Bevölkerung verbreiteten Vorbehalte hielt sich Herodes, wie die Ausgrabungen seiner kostbar ausgestatteten Paläste in Jericho, dem Herodeion oder Masada beweisen, weitgehend an das biblische Bilderverbot, wie es auch die Hasmonäer vor ihm getan hatten. Seine Palastbauten in Jericho ließ er nur mit Mosaiken und Fresken mit floralen und geometrischen Motiven dekorieren527. Andererseits und an anderen Orten schreckten der König und seine Familie nicht davor zurück, ihre aufwendig gestalteten Residenzen mit dem bei ihren paganen Standesgenossen üblichen Statuenschmuck auszustatten528. So wissen wir, dass Herodes in seinem Stadtpalast in Jerusalem bronzene Brunnenfiguren aufstellen ließ529, und in den ausgedehnten königlichen Gemächern des Herodeions wurde bei Grabungen im Bereich der Thermen immerhin eine kleine, wohl importierte Brunnenschale mit Silenenköpfen entdeckt530. Gegen vergleichbare Bildornamente, die den Luxus des betreffenden Gebäudes steigern sollten, gingen offensichtlich die Aufständischen vor, indem sie z. B. auf Druck der Jerusalemer Anführer den Palast des Tetrarchen Herodes in Tiberias zerstörten, weil er „mit Tiergestalten versehen sei“531. Solche Ornamente dienten nach Josephus allerdings nur als Vorwand, denn es sei den Plünderern lediglich um reiche Beute aus königlichem Besitz gegangen. Dieses Detail macht deutlich, dass trotz der eigennützigen Absichten, die die jüdische Opposition jedenfalls nach Josephus zum Handeln motivierten, mit der laxen Haltung der Herrscherfamilie in Bilderfragen Schluss gemacht wurde.

diese Vorbehalte. Das Dekaloggebot fasst er in der knappen Formulierung zusammen, es gebiete, „keines Lebewesens Bild zu machen und zu verehren“ (μηδενὸς εἰκόνα ζῴου ποιήσαντες προσκυνεῖν, AJ 3,91), was er dann noch öfter wiederholt. Von den drei Bereichen Erde, Wasser und Luft (Ex 20,4) ist bei Josephus keine Rede; vgl. H. P. Kingdon, The Origins, 77; M. Vogel, Vita, 75; St. Fine, Art. 80. 525 s. o. 2.4.1. 526 CA 2,75: neque deo neque hominibus utilem; s. dazu St. Fine, Art, 80; J. Gutmann, The Second Commandment, 171. 527 R. Hachlili, Ancient Jewish Art, 65; R. Talgam and O. Peleg, Appendix 5, Mosaic Pavements in Herod’s Day in: E. Netzer, The Architecture, 377–383. 528 Herodes bewegte sich bei der Ausgestaltung ganz in den üblichen Formen paganer Architektur, H. van Hesberg, The Significance, 18–19. 529 BJ 5,181: χαλκουργημάτων περίπλεοι. Diese Schmuckfiguren in Jerusalem waren wohl allgemein bekannt, wie Josephus durch seine Notiz belegt; J.-B. Frey, La question, 280. 530 Vgl. dazu E. Netzer, Die Paläste, 105; A. Lewin, Palästina, 119. 531 Vita 65: ζῴων μορφὰς ἔχοντα.

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 123

2.4.9 Die Bilderzerstörung im Zweiten Jüdischen Krieg Eine vergleichbar rigorose Vorgehensweise ist durch archäologische Entdeckungen im Hinblick auf die jüdischen Kämpfer des Zweiten Krieges der Jahre 132 bis 135 n. Chr. bezeugt. Die Aufständischen und ihr Anführer Bar Kochba werden uns durch die Funde aus verschiedenen Höhlen in der jüdischen Wüste u. a. dem Na al Ḥever am Toten Meer, die bereits im Zusammenhang mit der Censusregistrierung erwähnt wurden, zu historisch greifbaren Gestalten. In einem ihrer letzten Verstecke, der sog. Briefhöhle im Na al Ḥever, wurde bei archäologischen Untersuchungen ein im Erdreich des Höhlenbodens versteckter Korb mit offenbar erbeuteten Bronzegegenständen paganer Herkunft entdeckt532. Darunter befanden sich u. a. zwei große Krüge sowie eine Libationsschale mit einem Medaillon, das Thetis, die Mutter des Achilles zeigt, wie sie auf einem Triton reitet. Thetis galt in der griechischen Mythologie als Meeresgöttin, die mit ihren Schwestern, den Nereiden, in der Tiefe des Ozeans lebt, wo auch Triton, ein niederer Meeresgott, sein Reich hatte533. Trition ist auf der Schale als Mischwesen mit einem menschlichen Oberkörper und Kopf, dem Leib eines Pferdes und einem Fischschwanz dargestellt. Diese Gefäße, die wohl genauso wie die übrigen Fundstücke aus italischen Werkstätten stammen, waren neben dem Medaillon noch mit Gesichtern z. B. an den Krughenkeln verziert. Diese Ornamente an den Handgriffen wie auch die Szene mit Thetis und Triton zeigen deutliche Beschädigungen durch Schläge und Einkerbungen534. Eine solche Entweihung eines Bildes durch Schläge entspricht den Vorschriften der Mischna, nach denen ein heidnisches Kultobjekt u. a. durch „zerbeulen“ (‫ )פחסה‬seine Form verliert, als Götterbild ausgetilgt und damit entheiligt wird535. Allerdings schränkt die rabbinische Überlieferung ein, dass dies nur von Heiden und keinesfalls von Juden vorgenommen werden könne536, was die Kämpfer Bar Kochbas offenbar nicht als Regel akzeptierten. Wahrscheinlich wurde diese Vorsichtsmaßregel erst später eingeführt, um Gewaltakte jüdischer Fanatiker, wie sie diese willentlich beschädigten Beutestücke aus dem Na al Ḥever dokumentieren, unmöglich zu machen. Man kann also aus diesen Entdeckungen israelischer Archäologen wie auch aus den Notizen des Josephus den Schluss ziehen, dass die jüdische Opposition gegen die Römer vor der handgreiflichen Vernichtung von Bildern nicht zurückscheute. 532 Zu der Fundsituation vgl. Y. Yadin, Bar-Kokhba, 90–93; zusammenfassend O. Keel, M. Küchler, Orte, 407–409; H. Eshel, The Bar Kochba Revolt, 121. Es dürfte sich um Beutegut handeln, waren die Aufständischen doch am Beginn der Revolte erfolgreich und stellten eine ernste Bedrohung der römischen Herrschaft dar; dazu s. W. Eck, Rom, 26–28. 533 Zu diesen Mythen s. M. Mayer, Art. Thetis, 207–208. 534 Zu diesen Gefäßen und ihrer Beschädigung durch die Aufständischen vgl. Y. Yadin, BarKokhba, 102 sowie die Abb. auf ebd. S. 103. 535 mAZ 4,5 (Text: Krupp 27): ‫פחסה אפ על פי שׁלא חיסרה ביטלה‬. 536 mAZ 4,4. Zu dieser Vorschrift E. E. Urbach, The Rabbinical Laws, 156; 230–231. Juden handelten daher mit Altmetall, das durchaus aus Teilen zuvor zerschlagener, paganer Götterbilder bestehen konnte, ebd. 299–230.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

2.4.10 Münzprägungen jüdischer Herrscher in römischer Zeit Ähnliche Beobachtungen wie die bereits angeführten lassen sich anhand der jüdischen Münzen machen, auf deren Aussehen und Akzeptanz die Auslegung des Bilderverbots offensichtlich einwirkte. Dies ist umso verständlicher, wenn man als Kontrast die Kaiserbilder auf den römischen Münzen in die Überlegungen mit einbezieht – jene, die man nach Ethelbert Stauffer durchaus als Miniaturausgaben der Kaiserbüsten betrachten kann537, wie sie auch auf Feldzeichen angebracht waren. Es wurde bereits gesagt, dass diejenigen Münzen, die ab dem 2. Jh. v. Chr. von den hasmonäischen Königen ausgegeben wurden, nie ein Portrait des jeweiligen Herrschers trugen538, sondern stattdessen Motive wie etwa Anker oder Stern539. Selbst Herodes und seine Söhne wichen von dieser Gepflogenheit auf den von ihnen geprägten Kupfermünzen in der Regel nicht ab540, sondern setzten aus jüdischer Sicht unverfängliche Gegenstände wie Palmzweige, Diadem, Dreifuss, Soldatenhelm541 oder gekreuzte Schilde als Prägebild auf ihr Geld542. Herodes bevorzugte zudem maritime Symbole wie Anker oder Galeere, was auf den von ihm in Caesarea mit großem Aufwand errichteten Hafen hindeuten sollte543. Schon verfänglicher waren Kupfermünzen (allerdings nur Kupfermünzen) mit einem Adler auf der Rückseite, für die Ya᾽akov Meshorer eine Verbindung zum von Herodes gestifteten Adlerbild am Tempel vermutet544. Ferner ist es sehr wahrscheinlich, dass die römischen Procuratoren das römische Münzsystem einführten545, aber in Bezug auf die Bilder die Tradition der Münzprägung der jüdischen Könige fortsetzten und die in ihrem Auftrag geschlagenen Kupfermünzen lediglich mit dem Kaisernamen versahen, um sie als offizielle Währung zu kennzeichnen546. Eine für diese Studie sehr wichtige 537 E.

Stauffer, Christus, 136. van Aarde, A Silver Coin, 11. 539 Vgl. E. R. Goodenough, Jewish Symbols, Bd. 1, 271–272 und die Abb. bei B. Overbeck, Das Heilige Land, 27; U. Rappaport, Numismatics, 41. 540 Diese Münzen waren wahrscheinlich für den lokalen Gebrauch bestimmt, S. Applebaum, Josephus, 252. Sie wurden z. B. bei Ausgrabungen in Jerusalem in Massen entdeckt, A. BenDavid, Jewish and Roman Bronze, 123. Die Geldstücke trugen nie ein Herrscherbild, s. S. Freyne, Galilee, 71; P. Richardson, Law, 355; (vgl. ders., Herod, 214–215); L. I. Levine, Judaism, 48 und M. Hørning Jensen, Message, 288–289. 541 Die Deutung dieses Helms als Zeichen der Dioskuren (vgl. D. M. Jacobson, Herod, insb. 101–102) wurde von S. Brenner, Herod, 213–214 widerlegt. M. Hørning Jensen, Message, 288, deutet die Münzbilder als Resultat einer bewusst gesuchten Ambiguität der dargestellten Symbolik. 542 Einen Überblick gibt E. R. Goodenough, Jewish Symbols, Bd. 1, 274. 543 Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, Bd. 2, 13, 28–29; ders., A Treasury, 70; vgl. auch B. Overbeck, Das Heilige Land, 44–54. 544 Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, Bd. 2, 13; ders., A Treasury, 67–68. 545 Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, Bd. 2, 16; vgl. ferner C. Roth, The Historical Implications, 34. 546 Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, Bd. 2, 173; B. Overbeck, Das Heilige Land, 538 A. G.

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 125

Ausnahme von diesem Usus stellen jedoch die Münzen des Tetrarchen Philipp dar. Dieser Herodessohn regierte nach dem Tod seines Vaters ein überwiegend pagan besiedeltes Territorium, das nach Josephus „Batanea, Trachonitis, Auranitis und gewisse Teile der Herrschaft des Zenon umfasste“547. Auch das Gebiet der Stadt Panias gehörte nach dem Testament des Herodes zu seinem Herrschaftsgebiet548. Philipp ließ während seiner Regierungszeit Münzen mit dem Portrait des römischen Kaisers Augustus und mit seinem eigenen Bild in Umlauf setzen549. Seine Münzstätte war wahrscheinlich die von ihm in Caesarea umbenannte Hauptstadt Panias550. Diese Stadt lag am südlichen Abhang des Hermongebirges an einer der Hauptquellen des Jordan551 und war mehrheitlich von Heiden bewohnt.552 Ihr paganer Charakter bestimmte auch die sonstigen religiösen Gegebenheiten: So gab es nahe der Stadt eine Grotte, die dem Kult des Gottes Pan diente und mit dessen Statue im griechisch-römischen Stil geschmückt war, wobei hierbei wohl ein älterer kanaanäischer Gott mit dem griechischen Waldgott identifiziert wurde, wovon sich der Name ableitet553. In der Nähe dieses Heiligtums ließ schon Herodes als kultisches Zentrum der Region einen u. a. durch Ausgrabungsfunde bekannten554 Tempel für Augustus bauen, was wiederum eine heidnische Umgebung voraussetzt555. 89. Der Vorschlag E. Stauffers, Jerusalem, 17; vgl. Ch. Elsas, Argumente, 278 (so auch z. B. B. C. McGing, Pontius Pilate, 427), Pilatus habe durch Darstellung eines simpulum, eines heidnischen Opfergeräts, die Juden provozieren wollen, ist unbewiesen. Es könnte auch ein Missverständnis vorliegen; H. K. Bond, The Coins, 249–252; M. Reiser, Numismatik, 469, denn dieses Gerät war im Dionysos-Kult wichtig. Ein Bild des Kaisers wagte Pilatus jedenfalls nicht auf die Münzen zu setzen, H. K. Bond, The Coins, 260–261. 547 BJ 2,95: Βατανέα δὲ καὶ Τράχων Αὐρανῖτίς τε καὶ μέρη τινὰ τοῦ Ζήνωνος οἴκου τὰ περὶ ἰννάνω … ὑπὸ Φιλίππῳ τέτακτο; vgl. AJ 17,318. 548 AJ 17,189. 549 E. R. Goodenough, Jewish Symbols, Bd. 1, 274; B. Overbeck, Das Heilige Land, 62–64 und U. Rappaport, Numismatics, 46. Philipp war sich des paganen Charakters dieser Region bewusst und ließ sogar den von seinem Vater erbauten Augustustempel auf einigen seiner Münzen abbilden; Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, Bd. 2, 244–246; ders., CityCoins, 68; vgl. J. F. Wilson, Caesarea Philippi, 13 und Abb. 9 sowie B. Overbeck, Das Heilige Land, 63. Eine weitere Abbildung findet sich bei Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, Addendum I, 121, Nr. 8a und Abb. 25 sowie ders., The Coins of Caesarea Paneas, 39, 48; s. auch M. A. Chancey, Greco-Roman Culture, 181–182 und M. Hørning Jensen, Message, 290. 550 BJ 2,168; AJ 18,28; vgl. Mt 16,13; Mk 8,27. 551 BJ 3,513; vgl. darüber hinaus C. Colpe, Art. Caesarea 2, 1004. 552 E. Schürer, The History, Bd. 2, 169; E. M. Smallwood, The Jews, 83–86. 553 J. F. Wilson, Caesarea Philippi, 2; ferner S. Freyne, Galilee, 273. Die Statue des Pan erscheint auch auf vielen Münzen der Stadt, Y. Meshorer, City-Coins, 69. 554 J. F. Wilson, Caesarea Philippi, 6. Der genaue Ort des Kaisertempels ist bei den Ausgräbern umstritten. Einige Forscher vermuten ihn bei der Grotte, wo Fundamente entdeckt wurden, andere verweisen auf ganz in der Nähe aufgefundene Reste eines Tempels, dessen älteste Überreste aus der Regierungszeit des Herodes stammen; vgl. Z. U. Ma oz, Coin and Temple, 91; J. A. Overman, J. Olive, M. Nelson, Discovering, 45–47. 555 BJ 1,404–405; AJ 15,363–364. Josephus weist ausdrücklich auf die pagane Bevölkerung hin, AJ 15,329.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

Es überrascht darum nicht, dass rabbinische Quellen die Grenze des Heiligen Landes nördlich von Panias bei Tarnegola verlaufen lassen556, aber gelegentlich Panias von den Vorrechten des Heiligen Landes ausnehmen557 und die Westseite des Stadtgebietes wegen eines dort gelegenen Friedhofs als levitisch unrein betrachten558. Philipp ließ sein mit Bildstempeln geprägtes Geld demnach in einem überwiegend paganen Gebiet zirkulieren, wo es bei Ausgrabungen in großen Mengen gefunden wurde559. In ähnlicher Weise wie Philipp verfuhr der Herodesenkel Agrippa I. Sobald er von Claudius im Jahr 42 n. Chr. die Herrschaft über Judäa übertragen bekommen hatte, ließ er in Jerusalem in großen Mengen Kupfergeld ohne sein Portrait prägen und herausgeben, das mit Getreideähren und einem Schirm, einem aus der persischen Monarchie übernommenen Symbol der königlichen Macht, geschmückt war560 und bei Grabungen gehäuft im Stadtgebiet Jerusalems zutage kam561. Neben diesen Münzen gab Agrippa I jedoch auch Geldstücke mit seinem Bild in Auftrag, die in Panias (Caesarea Philippi) und vor allem in Caesarea am Mittelmeer hergestellt wurden562. Das Geld der Münzstätte von dem am Meer gelegenen Caesarea hatte auf der Rückseite sogar ein Bild der Tyche, d. h. der paganen Stadtgöttin der Hafenstadt und war, wie moderne Funde beweisen, vornehmlich im Umkreis Caesareas im Umlauf563. Von dieser Tyche gab es selbstverständlich auch Standbilder in der Stadt; eines aus der Zeit um 125 n. Chr. wurde bei Ausgrabungen wiederentdeckt564. Agrippa wagte es sogar, auf den Prägungen dieser Münzstätten die Szene der Zeremonie seines offiziellen 556 tShevi 4,11; vgl. zur Lage dieses Ortes O. Keel, M. Küchler, Chr. Uehlinger, Orte, Bd. 1, 271 und die Karte 273. Auch die Autoren der Mosaikinschrift der Synagoge in Rehob betrachteten Panias als heidnische Stadt, F. Vitto, Art. Rehob, 1273. 557 yDem 2,1/13 (22d, 2–6). 558 mOhal 18,9c (Text: Bunte 402); vgl. dazu auch den Kommentar von Bunte, ebd., 403. 559 Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, Bd. 2, 49. 560 Diese Schirme wurden als Sonnenschutz hinter dem König getragen, selbst wenn er auf einem Wagen stand, H. R. Baldus, Zwei späthellenistisch-östliche Herrscherinsignien, 9. Ein solcher Baldachin versinnbildlichte bei den Persern den göttlichen Schutz für den Großkönig und die Funktion des Beschützers, die er für seine Untertanen ausübte, s. D. R. Schwartz, Agrippa I, 137 sowie Y. Meshorer, A Treasury, 96. 561 Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, Bd. 2, 57; vgl. B. Overbeck, Das Heilige Land, 70. 562 C. Roth, The Historical Implications, 34; J. Meyshan, Jewish Coins, 51; G. Theißen, Lokalkolorit, 35; zum historischen Umfeld: R. D. Sullivan, The Dynasty, 327–328. 563 Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, Bd. 2, 61; vgl. B. Overbeck, Das Heilige Land, 66–70. Die Bildvorlage war „vollständig heidnisch“ und entsprach dem Bildrepertoire griechischer Städte, s. B. Overbeck, Das Heilige Land, 68. Auf solchen Münzen aus der Zeit Agrippa I erscheint auch zum ersten Mal der Stadtname in der griechischen Aufschrift, die den Hafen ausdrücklich erwähnt: ΚΑΙΣΑΡΙΑ Η ΠΡΟΣ ΤΩ ΣΕΒΑΣΤΩ ΛΙΜ(ΕΝΙ); vgl. Y. Meshorer, City-Coins, 20 sowie 21 Abb. 30 mit einem Beispiel einer späteren, kaiserzeitlichen Prägung. 564 K. G. Holum, A. Raban, Art. Caesarea, The Joint Expedition’s Excavations, 283.

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 127

Bündnisschlusses mit dem römischen Volk zu verewigen565. Dieses für den König äußerst wichtige politische Ereignis im Jahr 41 n. Chr. wurde in der Folgezeit durch Festemissionen gefeiert, die das zugehörige traditionelle römische Opfer wohl auf dem Capitol abbilden, bei dem nach einem altrömischen Brauch ein Ferkel dargebracht wurde566, – denn falls die Römer den Vertrag brechen würden, sollten sie (so riefen die anwesenden Priester die Götter an) dasselbe Schicksal wie dieses Schwein erleiden567. Dass der jüdische König damit die Opferung eines für Juden als unrein geltenden Tieres als Münzbild verwendete, spielte angesichts seiner politischen Prioritäten offensichtlich keine Rolle568. Diese unterschiedliche Gestaltung der Münzen ein und desselben jüdischen Königs dokumentiert, dass Agrippa I zwischen Geld für Heiden und solchem für Juden differenzierte, womit er wohl den Empfindlichkeiten seiner jüdischen Untertanen entgegenkommen wollte. In pagan dominierten Landesteilen – so etwa in Caesarea –, wo ohnehin die Büsten seiner Töchter die Straßen schmückten, verzichtete er keineswegs auf sein Vorrecht, sein eigenes Portrait oder römische Opferhandlungen auf sein Geld setzen zu lassen. Diese Haltung konvergiert mit der referierten Argumentation der paganen Einwohner der Hafenstadt, die die Bilder als Beweis des heidnischen Charakters ihrer Stadt anführten569. 2.4.11 Münzprägungen der Aufständischen beider jüdischen Kriege Die Tradition bildloser jüdischer Münzen ist auch in der Prägetätigkeit der Aufständischen beider jüdischen Kriege zu beobachten, die die Geldstücke als sichtbares Zeichen ihrer nationalen Unabhängigkeit570 anfertigten und in Umlauf setzten. Sie versahen ihr Geld mit propagandistischen Inschriften und Symbolen, nie aber mit Bildern lebender Wesen, sondern mit Darstellungen wie Trinkgefäße oder Zweige mit Granatäpfeln, d. h. mit Bezügen auf das Laubhüttenfest571. Im Ersten Jüdischen Krieg begannen die Prägungen schon relativ bald im Jahr 66 n. Chr. Wahrscheinlich ist, dass man für die aus Silber gefertigten Schekel

565 Zur

Deutung dieser Szene vgl. A. Burnett, The Coinage, 36. sehr traditionelle Form dieses Bündnisses und das Schweineopfer erwähnt auch Sueton, Claudius 25,5, der schreibt (Text: Rolfe 52): Cum regibus foedus in Foro icit porca caesa ac vetere fetialium praefatione adhibita, was hervorhebt, dass Claudius damit uralten Bräuchen folgte, s. auch Neumann, Art. Foedus, 2827. 567 Zu den magischen Hintergründen des altertümlichen Ferkelopfers und dem Ritus, den die Fetiales-Priester vollzogen, vgl. Samter, Art. Fetiales, 2262. Die Priester riefen dabei Jupiter, Mars und Quirinius als Zeugen an. 568 Vgl. den Hinweis bei D. R. Schwartz, Agrippa I, 131. 569 S. o. 2.4.7. 570 B. Overbeck, Das Heilige Land, 109, spricht von einer „metallenen Unabhängigkeitserklärung“. 571 Vgl. S. Bergler, Das messianische Laubhüttenfest, 143–148, 187. 566 Die

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

das Metall aus dem Tempelschatz entnahm572. Dank der Edelmetallmengen, die im Jerusalemer Tempel deponiert waren, konnten die Anführer des Aufstandes offenbar eine eigene Münzstätte einrichten, vermutlich in Jerusalem. Welch hohen Symbolwert diese Prägetätigkeit für alle jüdischen Kämpfer hatte, beweist die durch die Grabungen in der Stadt Gamala bekannte Tatsache, dass sie selbst während der Belagerung der von der Umgebung abgeriegelten Stadt und während der Angriffe der Truppen des Königs Agrippa II und Vespasians nicht zögerten, Kupfermünzen mit der auf beiden Seiten verteilten Aufschrift „für die Erlösung des heiligen Jerusalem“ schlagen zu lassen: Solche Münzen sind einzig und allein an diesem Ort ans Licht gekommen573. Im Gegensatz zum Ersten Jüdischen Krieg mussten die Rebellen der zweiten, von Bar Kochba angeführten Revolte in vieler Hinsicht improvisieren. Sie stellten ihre Münzen durch Überprägen römischer Münzen mit neuen jüdischen Stempeln her, da sie auf keine Silberreserven etwa des Tempels zurückgreifen konnten574. Sie wurden in mobilen Prägestätten angefertigt, von denen uns archäologische Nachweise vorliegen. Dazu gehören bei dem Prägevorgang mit einem neuen Stempel zerbrochene Geldstücke, die man weggeworfen hatte575. Die Bilder dieses Aufstandsgeldes waren nochmals Laubhüttenfest-Motive wie Weintrauben, Amphora oder Palmenzweig. In diesem Zusammenhang darf eine spezielle Form der Bildervernichtung auf Geldstücken während der Zeit des Ersten Krieges gegen die Römer nicht übergangen werden. In Masada, wo sich die letzten Widerstandsgruppen des Ersten Krieges gegen die Römer bis zur Einnahme der Festung durch die Truppen des L. Flavius Silva im Frühjahr 74 n. Chr. verschanzt hatten, wurden einige wenige Münzen ausgegraben, deren pagane Bilder wie der Kopf des Gottes Melkart (auf der Vorderseite tyrischer Drachmen) oder der Adler (auf der Rückseite dieser Geldstücke) gezielt durch Hammerschläge oder mit Hilfe einer Feile für den Betrachter entstellt worden waren576. Auch in Qumran wurde in jüngster Zeit bei neuen Ausgrabungen in denselben Höhlen, in denen die Buchrollen versteckt waren, zwei weitere Geldstücke entdeckt577, deren Bildseiten auf ähnliche Weise bearbeitet waren. 572 Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, Bd. 2, 103. Darum schwankt der Silbergehalt in den Münzen, denn für die schnelle Produktion unter Kriegsbedingungen wurde das Edelmetall verwendet, ohne zuvor auf denselben Feingehalt gebracht zu werden, s. A. Ben-David, Jewish and Roman Bronze, 115. 573 Sh. Gutman, Art. Gamala, 460–461 mit der Abb. auf 460. 574 Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, Bd. 2, 134–135; B. Overbeck, Das Heilige Land, 148; U. Rappaport, Numismatics, 51–55; H. Eshel, The Bar Kochba Revolt, 113–114. 575 Diese zerbrochenen Münzen fanden sich in einer Höhle bei Khirbed el Aqd. Dieses Versteck der Aufständischen lag 22 km nördlich von Jerusalem; vgl. A. Kindler, Coins, 47. 576 Y. Meshorer, The Coins of Masada, 76 sowie 121–122, Nr. 3668; Nr. 3670. 577 Über diese Funde unterrichten J. Patrich, Khirbet Qumran, 92 und 88 Abb. 15; H. Eshel, M. Broshi, Excavations, 72 und 67 Abb. 6 Nr. 2.

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 129

Auffällig ist nun, dass auf einer aus Antiochia am Orontes stammenden zeitgenössischen Kupfermünze allein das Kaiserbild sorgfältig entfernt worden war, die Inschrift der Rückseite, die „SC“ (für Senatus consultum) lautet, aber gut leserlich erhalten blieb578, was uns beweist, dass sich diese Maßnahme bewusst gegen alle Abbildungen von Lebewesen oder Herrschern richtete. Diese Funde in Qumran ließen sich außerdem stratigraphisch von den Ausgräbern in die Zeit des ersten Aufstandes datieren579, während römische Geldstücke aus den früheren Schichten des Gebäudekomplexes580, wie z. B. der schon erwähnte große Münzhort tyrischer Drachmen, keine vergleichbaren Zerstörungsspuren aufwiesen581. Solche absichtlich beschädigten Geldstücke spiegeln daher wohl dieselbe Tendenz zur Bildervernichtung, die sich auch mit Hilfe der Bronzegefäße aus Na al Ḥever nachweisen lässt, deren pagane Ornamente von den jüdischen Besitzern auf dieselbe Weise entfernt worden waren. Im Ergebnis kommt die Bildertilgung der in Masada oder Qumran kämpfenden Juden der römischen damnatio memoriae gleich, die bereits diskutiert wurde. Dieses Signal eines Aufruhrs war der paganen Umwelt natürlich bekannt. Ja, selbst wenn während einer politischen Krise nur der Name des Imperators auf Inschriften der Hauptstadt absichtlich mit Schmutz beschmiert und damit unleserlich wurde, galt das als Anzeichen, dass die Herrschaft des Kaisers, sogar sein Leben, in Gefahr war582. 2.4.12 Zum Umgang mit römischen Münzen nach dem Bar-Kochba-Krieg Zur jüdischen Nachgeschichte des Problems: Im Allgemeinen lehnten es die Rabbinen keineswegs ab, römische Münzen trotz der aufgeprägten Bilder der Kaiser und paganen Gottheiten zu benutzen. Durch Erfahrung belehrt, hatten sie ihren Kompromiss mit der „Herrschaft“ gemacht583. Um die Verwendung des römischen Geldes mit den biblischen Vorschriften zu vereinbaren, führten sie eine 578 J. Patrich, Khirbet Qumran, 92. Zur Bedeutung dieser Formel vgl. zusammenfassend F. Millar, The Roman Empire, 70. 579 Zu diesem Datierungsproblem s. J. Magness, The Chronology, 60. 580 In Qumran fand De Vaux 1234 Münzen darunter seleukidische Drachmen und tyrische Prägungen. Die Zahl ist mit Blick auf die Besiedlungsdauer gering; die Münzen wurden dort als Zahlungsmittel benutzt, s. C. M. Murphy, Wealth, 305–310. 581 Einige sehr gut erhaltene Münzen aus diesem Fund, der heute in mehreren Museen zerstreut gelagert ist, veröffentlicht M. Sharabani, Monnaies, passim; vgl. insbesondere die Abb. auf S. 281. Zu der verwickelten Fundgeschichte der heute teilweise verlorenen Münzen dieses Horts s. R. Donceel, P. Donceel-Voûte, The Archaeology, 3–6. 582 So ließ Kaiser Elagabal die Inschriften des von ihm zum Caesar ernannten Alexander Severus, den er als Rivalen um die Macht betrachtete, auf diese Weise unleserlich machen, woraufhin die Prätorianer Alexander und dessen Familie in ihrem Lager in Rom in Sicherheit brachten, weil sie einen Mordanschlag befürchteten, Historia Augusta, Elagabal 13,7 (Text: Magie 132) bzw. 14,2 (Text: Magie 134). 583 Vgl. bBer 58a und das bei Bill., Bd. 3, 303–304, zusammengetragene Material.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

bis dahin in den Quellen nicht bezeugte, neue Grundunterscheidung ein, nach der das Verbot der Bilder von deren Wertschätzung abhängig sei. Im Gegensatz zu früheren Generationen war es ihnen daher gestattet, den Bildschmuck bestimmter Gegenstände zu akzeptieren. So wollte Rabbi Schim on ben Gamaliel am Ende des 2. Jh. n. Chr. nach der Mischna alle Bilder auf „billigen“ bzw. „gering geachteten“ Gegenständen (‫)ועל הנבזין‬584 zulassen, während er „wertvolle“ Dinge (‫)על המכובדין‬585 mit Bildschmuck für verboten erachtete. Die Tosefta erläutert diese Unterscheidung dahingehend, dass zu allem erlaubten „Gering geachteten“ „Kessel, Wasserwärmer, Tiegel, Kochgeschirr, Becken, Tücher und Münzen“586 zählen. Solche verbreiteten Dinge des täglichen Gebrauchs, die nicht als besonders wertvoll galten oder gar in Ehren gehalten wurden, durften also mit Bildern verziert sein. Trotz dieser Kompromissposition scheint gewissen Rabbinen die ablehnende Haltung gegenüber Münzbildern bekannt gewesen zu sein; sie veränderten sie aber durch bestimmte Einschränkungen und Modifikationen und milderten dadurch die radikale Interpretation der Tora ab. In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf den bereits erwähnten Naḥum ben Simai zurückzukommen, um den sich im rabbinischen Schrifttum zahlreiche anekdotenhafte Geschichten ranken587, wie er das Bilderverbot im Alltag eingehalten hat. Seines Bemühens wegen wurde er in der rabbinischen Literatur mehrfach mit dem ehrenvollen Beinamen „Heiligensohn“ (‫)בנן של קדושים‬588 bezeichnet. Dieses Lob wird damit begründet, dass „er nicht einmal das Bild einer Münze betrachtete“589. Seinem Verhalten lag die bereits erläuterte Überzeugung zugrunde, dass schon das Hinsehen eine Form der Verehrung sei, die gegen das biblische Gebot verstoße. Die von Hippolyt beschriebenen Juden teilten mit Naḥum diese Ansicht. Doch müssen wir eine wichtige Einschränkung festhalten: Naḥum ben Simai konzentrierte sich einzig und allein darauf, kein Münzbild zu betrachten. Es wird jedoch nirgends auch nur angedeutet, dass er sich geweigert habe, römische 584 mAZ 3,3 (Text: Krupp 17); ebd. zu der Textvariante ‫ המבוזין‬in einigen Handschriften, die sachlich keinen Unterschied darstellt; s. ferner E. E. Urbach, The Rabbinical Laws, 153. 585 mAZ 3,3 (Text: Krupp 17). 586 tAZ 5,1 (Text: Zuckermandel 468; Übersetzung: Bill, Bd. 4, 393): .‫כגון היורות מחמי חמין הטיגנין והקוקמסין והספלין יהסדינין והמטבע‬ Zu dieser Stelle vgl. S. Helfer, Geld, 48; G. J. Blidstein, R. Yohanan, 161; N. Belayche, Iudaea, 40–41. 587 z. B. bPes 104a, zahlreiches weiteres Stellenmaterial findet sich gesammelt bei Bill., Bd. 2, 692; S. Krauss, Talmudische Archäologie, Bd. 2, 410, 716 Anm. 682; R. Eisler, ΙΗ­ ΣΟΥΣ, Bd. 2, 196; M. Rist, Caesar, 324; E. R. Goodenough, Jewish Symbols, Bd. 1, 268– 269; P. C. Finney, The Rabbi, 636; St. Fine, This Holy Place, 19; vgl. auch I. Abrahams, Studies, 4; S. Helfer, Geld, 46; E. Stauffer, Christus, 136. 588 bAZ 50a (Text: Steinsaltz 213; vgl. Text und Übersetzung: Goldschmidt 970); dazu E. E. Urbach, The Rabbinical Laws, 153, mit weiteren Stellen aus rabbinischen Schriften. 589 bAZ 50a (Text: Steinsaltz 213; vgl. Text und Übersetzung: Goldschmidt 970): .‫דאפילו בצורתא דזוזא לא מיסתכל‬

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 131

Münzen als Zahlungsmittel zu verwenden oder sie bei sich zu tragen. Somit hatte er seine Ablehnung geschickt auf genau denjenigen Punkt reduziert – auf das Nichtansehen der Geldstücke – der nicht gegen das römische Gesetz verstieß. Damit entschärfte Naḥum ben Simai gewissermaßen den politischen Kern der Bilderproblematik und wies einen Ausweg, durch den sich kein Jude gegenüber römischen Behörden strafbar machen konnte590. Abschließend sei noch auf den Umgang der Rabbinen mit jüdischen Rebellenmünzen der beiden großen Aufstände gegen die Römer hingewiesen. Auch in dieser Hinsicht lässt sich zeigen, wie sehr sie sich bemühten, den römischen Gesetzen zu entsprechen. Die Prägungen der Aufständischen waren nämlich nach deren Niederlage von der römischen Verwaltung außer Kurs gesetzt worden. Die Rabbinen bewiesen ihre Loyalität darin, dass sie ihrerseits die Verwendung solcher Geldstücke, z. B. zur Auslösung des zweiten Zehnten, untersagten591. Sie folgten damit – ohne dies explizit zu konzedieren – der Rechtsauffassung der römischen Sieger, die solche Münzen als äußeres Zeichen des Widerstandes außer Kurs setzten. 2.4.13 Bemerkungen zu den Nachrichten über die Galiläer bei Hippolyt und Pseudo-Hieronymus Nach all dem Gesagten erweisen sich die Nachrichten bei Hippolyt und PseudoHieronymus als Endpunkt einer Entwicklung bzw. Teil eines groß gewordenen Fächers, der zu Jesu Zeiten bereits diese Breite erreicht hatte, ehe er – nach zwei verlorenen Kriegen – wieder eingeengt wurde. Bei vielen Juden und insbesondere bei Teilen der pharisäischen Gelehrten erregte die Praxis der Herodesdynastie in religiösen Belangen tiefes Misstrauen und nährte ihre Befürchtungen, der König verwische die Grenzen zur heidnischen Umwelt und ihren Kulten. Die daraus resultierenden Konflikte entzündeten sich gerade an Objekten, die sich als sichtbare Zeichen dieser Tendenz eigneten und wie etwa die oben erwähnten tropaia im herodianischen Theater oder der Adler am Tempel als Verkörperung paganer Gottheiten gelten konnten und damit potentielle Kultbilder waren. Dabei war die tatsächliche Verehrung durch Heiden, die im jüdischen Tempelareal natürlich undenkbar war, vollkommen nebensächlich. Verschärft wurde die Problematik durch eine akribische Auslegung biblischer Reinheitsvorschriften durch Teile einer schriftgelehrten, pharisäischen Führungsschicht, die bei der Bevölkerung großes Ansehen genoss und die z. B. gegen das Hindurchgehen unter einem Adler am Tempeltor opponierte. 590 Diese

politische Dimension übersieht G. Bohak, The Hellenisation, 14. 1,6; vgl. yMSh 1,2/12 (52d 18–19) und bBQ 97b. In tMSh 1,6 werden die Geldstücke ganz präzise als „kozibaisches“ Geld (‫מעות כזביות‬, Text: Lieberman, Bd. 1, 244) bezeichnet; vgl. S. Ejges, Das Geld, 36. 591 tMSh

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

Sobald der Herodessohn Archelaos im Jahr 6 n. Chr. seinen Thron verloren hatte und von Augustus ins Exil geschickt worden war, nahmen diese Probleme während der direkten römischen Verwaltung von Judäa und Samaria durch die Indolenz römischer Beamter gegenüber jüdischen Empfindlichkeiten eher noch zu. Nun wurde das Fehlen der Bilder paganer Gottheiten sowie auch des Kaisers geradezu als ein selbst von paganer Seite akzeptiertes Kennzeichen des jüdischen Charakters eines Landesteils gewertet und bildete den Anlass von gefährlichen Zusammenstößen in Gebieten mit gemischter Bevölkerung. Exkurs: Rabbinischer Ausblick zu den Münzbildern Die rabbinische Literatur zeigt eine gewisse Vertrautheit mit dem den Bildern innewohnenden Konfliktpotential. Sie kann in vielen Fällen präziser als die in dieser Hinsicht wenig detaillierten Auskünfte bei Josephus und Philon über die biblischen Hintergründe unterrichten und macht überhaupt erst verständlich, wie die betreffenden Texte als die Legitimation der jüdischen Ablehnung römischer Geldstücke dienen konnten. Die Rabbinen waren außerdem mit der römischen Sicht und ihrer rechtlichen Grundlage vertraut. Sie setzten z. B. das Herrschaftsgebiet eines Regenten mit demjenigen Territorium gleich, in dem die in seinem Auftrag geprägten Geldstücke zirkulierten und als gesetzlich vorgeschriebenes Zahlungsmittel galten592. Wo das betreffende Geld nicht angenommen wurde, da war auch nach rabbinischer Auffassung keine Regierungsgewalt vorhanden, was mutatis mutandis mit dem Standpunkt römischer Juristen zusammentrifft, wie er z. B. in der sullanischen lex Cornelia testamentaria nummeraria vorausgesetzt ist. Erst die Rabbinen haben zudem – wie auch in vielen anderen Fragen der Halacha – einen modus vivendi gefunden, der im (überlebenden) Judentum mehrheitsfähig war – wenn auch da noch mit gewissen Variationen. In der rabbinischen Literatur manifestiert sich eine Tendenz zum Ausgleich: Münzen seien zu den nicht besonders wertvollen Alltagsdingen zu rechnen, für die Bildschmuck erlaubt sei. Spätere Generationen unter den rabbinischen Gelehrten gaben diese Vorbehalte vollkommen auf und gingen sogar noch einen Schritt weiter, wenn sie erwogen, dass Abraham wie auch Josua und David593 eigenes Geld geprägt hätten, und zwar mit Bildern. Vor diesem Hintergrund wurde dann sogar diskutiert, was deren passende Prägebilder gewesen sein könnten, die sich die Rabbinen in offensichtlicher Anlehnung an die Münzen ihrer paganen Umwelt vorstellten. Sie gingen in diesem Fall wie selbstverständlich davon aus, David und Salomo hätten ihr eigenes Portrait auf die Münzen setzen lassen, und das Geld Abrahams habe u. a. das Bild eines alten Mannes und einer alten Frau gezeigt594: 592 bMeg 14b spricht von der „Münze“ (‫ )טבעך‬Davids, die noch nicht in der Welt umläuft. Weitere Stellen sammelten Bill., Bd. 1, 884; zu der Ableitung des Begriffes der Herrscherautorität aus der Akzeptanz der Geldstücke s. auch M. Jastrow, Dictionary, s. v. 593 GenR 29,11; vgl. auch S. Helfer, Geld, 13 und die bei Bill., Bd. 1, 884 gesammelten Belege. 594 bBQ 97b (Text: Steinsaltz 421, vgl. Text und Übersetzung: Goldschmidt 362):

‫תנו רבנן איזהו מטבע של ירושלים דוד ושלמה מצד אחד וירושלים עיר הקודש מצד אחד‬ ;‫ואיזהו מטבע של אברהם אבינו זקן וזקינה מצד אחד ובחור ובתולה מצד אחד‬ vgl. außerdem EstR 10,12.

2.4 Das Bilderverbot und die jüdische Ablehnung römischer Münzen im 1. Jh. n. Chr. 133

Die Rabbanan lehrten: Welche ist eine jerusalemische Münze? David und Salomo auf der einen Seite und Jerusalem, die heilige Stadt, auf der anderen Seite. Welche ist eine Münze von Abraham unserem Vater? – ein Greis und eine Greisin auf der einen Seite, ein Jüngling und eine Jungfrau auf der anderen Seite. Von irgendeiner inneren Reserve oder gar offenen Ablehnung gegenüber solchen Darstellungen ist dann keine Spur mehr zu entdecken. Dies passt zu der Entwicklung des Judentums der Spätantike, das nun selbst Synagogen mehr und mehr mit figürlichen Darstellungen auszuschmücken begann. Bekannt ist die Synagoge der römischen Grenzfestung Dura-Europos am mittleren Euphrat im Entstehungsgebiet des Babylonischen Talmud, die man in der ersten Hälfte des 3. Jh. n. Chr. mit farbigen Wandbildern der biblischen Geschichte versah595. In derselben Zeit wurden viele Synagogen auch in Palästina, wie z. B. in Hammath-Tiberias596 nahe am Sitz des jüdischen Patriarchen, mit Mosaiken mit Szenen etwa dem Zodiacus verziert. Selbst das Bild des Gottes Helios im Sonnenwagen inmitten des Tierkreises kam ganz entsprechend den Konventionen der griechisch-römischen Kunst öfter vor. Rabbinische Quellen notieren diese augenfällige Veränderung in der Ausstattung der Synagogen und konstatieren ausdrücklich, dass man die betreffenden Gemeinden daran nicht „gehindert habe“ (‫)לא מחי בידייהו‬597.

Richten wir nun unser Augenmerk noch einmal auf die Nachrichten des Hippolyt und Pseudo-Hieronymus über den Münzboykott bestimmter Juden, die die Vorschriften der Tora über die Maßen hinaus einhielten, so ist davon auszugehen, dass hinter diesen Notizen historisch zutreffende Erinnerungen an halachische Überzeugungen einer jüdischen Gruppe, d. h. wohl der Anhänger des Judas Galilaeus, stehen, die in die Periode des Aufstandes gegen den römischen Census gehören, aber noch danach unter den Juden nachwirkten, was sich in der Bezeichnung der Anhänger dieser Richtung als Galiläer widerspiegelt. 595 Die Synagoge hatte eine Widmungsinschrift von 244/245 n. Chr. und wurde bei der Verstärkung der Stadtmauer durch einen Erdwall kurz vor der Einnahme durch persische Truppen 256 n. Chr. teilweise zugeschüttet, was zu der Erhaltung der Wandgemälde beitrug; s. L. I. Levine, The Synagoge of Dura-Europos, 173–177; J. Gutmann, Early Synagogue, 1314. Die Bilder gruppierten alttestamentliche Szenen um den Toraschrein, J. Gutmann, Early Synagogue, 1325–1326; sie griffen auf eine offenbar längere künstlerische Tradition zurück, G. Jeremias, Die Holztür, 37, vgl. auch L. Blau, Early Christian Archaeology, 175–177; W. G. Kümmel, Die älteste religiöse Kunst, 2–3. 596 Die Synagoge in Hammath-Tiberias stammt aus dem 4. Jh. n. Chr., und ihr Mosaik zeigt sogar den paganen Gott Helios inmitten des Tierkreises. Ähnliche Bilder gab es auch in anderen Synagogen, s. dazu M. Dothan, The Synagogue, 66–67; vgl. ferner E. R. Goodenough, Jewish Symbols, Bd. 8. 2, 168; M. A. Chancey, Greco-Roman Culture, 201–203. Rabbinische Kreise argumentieren, solche Bildnisse auf Fußböden seien gestattet, solange man sich nicht auf ihnen niederwerfe und durch die Prostration ihre Anbetung kundtue. 597 yAZ 3,3/3 (42d, 34–35) (Text: Schäfer, Becker 274), wo dies von Rabbi Joḥanan ben Nappaḥa berichtet wird, der in der zweiten Hälfte des 3. Jh. n. Chr. lebte. Ein Zusatz in einer Handschrift aus Kairo bezieht dies auch auf die Schmuckbilder von Mosaikfußböden; vgl. zu diesem Schmuck der Synagogengebäude P. Prigent, Le Judaisme sowie zu paganen Parallelen H. G. Gundel, Zodiakos, insb. 115, 127,129–130. Zu dieser „more tolerant attitude toward art“ s. ebenfalls E. M. Meyers, Jewish Art, 175.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

Bevor wir zur Exegese der Zinsgroschenperikope übergehen, nutzen wir das aus den Quellen gewonnene Bild, um die Beweggründe der Rebellion des Judas Galilaeus näher zu bestimmen. Sie sind der dunkle Hintergrund der an Jesus gerichteten Frage.

2.5 Die religiösen Gründe für den Aufstand des Judas Galilaeus Der Aufstand des Judas richtete sich nach Josephus vornehmlich gegen den Census der römischen Verwaltung und die mit dieser Maßnahme einhergehenden Registrierung bzw. Taxierung der gesamten steuerpflichtigen Bevölkerung. Allein Gott sei als Herrscher anzuerkennen. Die Hintergründe dieser Vorstellung vom Königtum Gottes werden von Martin Hengel ausführlich diskutiert; wir können sie in aller Kürze referieren598. Gott wurde als König im universalen Sinne wie auch als Herrscher seines Volkes Israel betrachtet599. Dies konnte auch eschatologisch auf die künftige Gottesherrschaft hin gedeutet werden, welche die Beseitigung aller irdischen Weltreiche einschließt600. Hengel vermutet eine besondere Naherwartung des Judas, die ihn zu einer Umkehr des ganzen Volkes aufrufen ließ; Gott werde seine Hilfe nicht verwehren601. Selbst Josephus konnte die jüdische Staatsverfassung ja als eine θεοκρατία bezeichnen602 und das Gesetz als δεσπότης der Juden603. Die Herrschaft wurde von Gott über den Umweg seiner Vorschriften in der Tora und deren Durchsetzung durch die Priester ausgeübt. Ferner zeichneten sich Judas bzw. seine Anhänger durch einen unbändigen Freiheitsdrang aus604. Hengel weist auf Parallelen in der Terminologie der Legenden jüdischer Rebellenmünzen des Ersten Jüdischen Krieges hin, wo der hebräische Begriff „Freiheit“ (‫ )חרות‬erstmals bezeugt ist605. Andere 598 M. Hengel, Die Zeloten, 95; vgl. auch A. Schlatter, Die Theologie, 215–218; J. Riches, Jesus, 97; W. Stenger, Gebt, 135–136. 599 Num 23,21; Dtr 33,5; Jes 41,21; Jer 8,19 u. ö. 600 Dan 2,44; 7,21–27; vgl. M. Hengel, Die Zeloten, 96. 601 AJ 18,5. Eine messianische Erwartung scheint Pseudo-Hieronymus durch die Erwähnung eines Christus als Ursprung der Lehren der „Galiläer“ anzudeuten. 602 CA 2,164–165. Dieselbe Stelle lässt sich freilich auch im Sinne einer gegenwärtigen, durch Priester vermittelten Moralaufsicht deuten, s. T. Rajak, The Against Apion, 236, die auch auf CA 2,185–187 hinweist sowie den kommentierenden Bemerkungen von M. Vogel in: F. Siegert, Contra Apionem, Bd. 2, 116.118; ferner Y. Amir, θεοκρατία, passim; T. Rajak, The Against Apion, 229–231. 603 AJ 4,223. 604 AJ 18,4. 605 M. Hengel, Die Zeloten, 120; zu dieser Parole vgl. ferner D. Nestle, Art. Freiheit, 287–288; S. Applebaum, Zealots, 162; G. Baumbach, Das Freiheitsverständnis, 13–17; U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 233–234. Für die Münzen vgl. jetzt Y. Meshorer, A Treasury, 241 Nr. 196 und Nr. 197; 242 Nr. 204.

2.5 Die religiösen Gründe für den Aufstand des Judas Galilaeus

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Münzlegenden wie „Jerusalem die Heilige“606 oder „für die Erlösung Zions“607 weisen auf prophetische Hoffnungen hin, wie sie in Jes 52,1–2 und Joel 4,17 vorgegeben sind. Der Census steht diesem Konzept der Gottesherrschaft diametral entgegen, und von seinen Voraussetzungen aus musste Judas die ἀποτίμησις als eine Form der δουλεία interpretieren, die jeder Jude, der sich registrieren lasse, freiwillig auf sich nehme608. Damit stimmt die Rechtsauffassung des römischen Staats überein: Der Besitz aller Provinzialen wurde erfasst, weil nach dem römischen Sieg ihr Grund und Boden Eigentum des römischen Volkes bzw. des Kaisers geworden sei. Das tributum capitis aber setzt die Steuerpflicht der natürlichen Person voraus, wo in dem Fall der menschliche Körper als einziger Besitz des zu Besteuernden angesehen wurde. So konnte in der Tat der Eindruck entstehen, das Vermögen der Provinzialen, gleich worin es bestand, sei gleichsam vom Kaiser verstaatlicht worden und müsse deshalb vom Familienoberhaupt deklariert werden. Zudem wurde die inferiore Stellung aller Judäer, die keine Grundbesitzer waren, durch die Kopfsteuer dokumentiert. Auch andere Völker empfanden die Besteuerung ähnlich als eine Art römischer Sklaverei. Beispielsweise führte Boudicca, die Witwe des britischen Icenerfürsten Prasutagus609, einen Aufstand gegen die römische Besatzung an, der im Jahr 61 n. Chr. die römische Herrschaft auf der Insel erschütterte. Nach einigen Anfangserfolgen und der Eroberung der Städte Camulodunum, Verulamium und Londinium schlug der Statthalter Paulinus Suetonius den Aufstand vernichtend nieder. Nach allem, was wir wissen, hatte Boudicca dabei durch Verweis auf die römische Steuerpraxis mehrere Stämme auf ihre Seite gezogen, die ihr diese militärischen Erfolge überhaupt erst ermöglichten. Sie hatte nach Cassius Dio die Steuerzahlung ganz offen mit Sklaverei gleichgesetzt610: Zahlen wir nicht neben der Verpflichtung her, all unsere sonstigen Besitzungen für sie beweiden und beackern zu müssen, auch noch eine jährliche Steuer für unsere bloßen Körper? Wie viel besser wäre es doch gewesen, ein für allemal an gewisse Gebieter 606 Die Legende lautet: ‫ ;ירושל)י(ם )ה(קד)ו(שה‬vgl. z. B. Y. Meshorer, A Treasury, 240 Nr. 183; 241 Nr. 193 u. ö. Rabbinische Quellen benannten dieses Geld der Aufständischen wegen der Aufschrift wohl nach Jerusalem, tMSh 1,6 (‫מעות ירושלמיות‬, Texte: Lieberman, Bd. 1, 244). 607 Die Münzumschrift lautet: ‫ ;לגאלת ציון‬vgl. Y. Meshorer, A Treasury, 243 Nr. 211 und Nr. 214 u. ö. 608 BJ 7,255: ἐλευθερίαν προεμένους καὶ δουλείαν αἱρεῖσθαι; vgl. dazu auch U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 237–238. 609 Henze, Art. Boudicca, 796; W. Sontheimer, Art. Boudicca, 937; G. Webster, Boudica, 88–89. Eine Parallele zum Zweiten Jüdischen Krieg zieht B. Isaac, Cassius Dio, 69–71. 610 Cassius Dio 62,3,3 (Text: Cary 84–86, Übersetzung: Veh 50): πρὸς τῷ τἆλλα πάντα καὶ νέμειν καὶ γεωργεῖν ἐκείνοις, καὶ τῶν σωμάτων αὐτῶν δασμὸν ἐτήσιον φέρομεν; καὶ πόσῳ κρεῖττον ἦν ἄπαξ τισὶ πεπρᾶσθαι μᾶλλον ἡ μετὰ κενῶν ἐλευθερίας ὀνομάτων κατ᾽ ἔτος λυτροῦσθαι.

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verkauft zu sein als leere Worte von Freiheit zu hören und sich dann Jahr für Jahr loszukaufen!

Das tributum capitis wird in dieser Rede (die Cassius Dio formuliert) als Sklaverei verstanden, von der sich die Bevölkerung ständig gleichsam selber freikaufen müsse. Diese Interpretation der Steuerpflicht wurde den britischen Stämmen im Übrigen durch die Römer selbst immer wieder vermittelt, wobei es zu demütigenden Situationen für die traditionell einflussreiche Elite kam. So wurde Boudicca von Sklaven des für die Finanzverwaltung zuständigen Procurators misshandelt, und in der Stadt Camulodunum angesiedelte Veteranen nahmen den Einheimischen ihre Häuser und Felder weg, „wobei sie sie Kriegsgefangene und Sklaven nannten“ (captivos, servos appellando)611. Die Veteranen bemäntelten ihre sicherlich rechtswidrigen Übergriffe dadurch, dass sie den im Vergleich zu ihrem eigenen, römischen Bürgerrecht unterlegenen Status der Provinzbewohner hervorkehrten. Ähnliche Argumente ließen sich auch gegen die Grundsteuer ins Feld führen, zumal im Heiligen Land. Judas konnte sich sicherlich darauf berufen, dass das Land Israel, von Gott verliehen und den zwölf Stämmen zum „Los“ gegeben612, von diesen nur genutzt werde und menschlicher Verfügungsgewalt grundsätzlich entzogen sei. So lässt es sich aus Lev 25,23, „der Magna Charta des alttestamentlichen Bodenrechts“613 ableiten. Daher wurde noch in rabbinischen Quellen das Verkaufsverbot von jüdischem Land an Heiden aufrechterhalten614. Dieses theologische Konzept des jüdischen Landes als Gottes Eigentum war unvereinbar mit einem Kataster der kaiserlichen Verwaltung, der schon durch die Ungeheuerlichkeit des Nachmessens (Gaben Gottes misst man nicht!), sodann aber durch die damit verbundenen Rechtstitel gegen dieses Gebot verstoßen musste615. Wie bereits dargelegt, billigte das römische Recht den Provinzialen ja kein dominium an ihrem Grundbesitz zu, das vielmehr dem Kaiser bzw. dem römischen Volk zustand. Darüber hinaus rief die mit dem Census verbundene Registrierung der Bevölkerung wahrscheinlich Erinnerungen an die Volkszählung Davids (2 Sam 24,1–25 bzw. 1 Chr 21,1–30) wach, die Gott dem 2. Samuelbuch zufolge bestrafte, indem

Annales 14,31 (Text und Übersetzung: Heller 664–665). Verteilung des Landes unter die Stämme und Familien beschreibt Jos 14,9–21,42. 613 F. Horst, Das Eigentum, 205–206; H. J. Boecker, Recht, 77; vgl. ferner Jos 22,19 und 22,25. Zahlreiches Material findet sich gesammelt bei I. Opelt, Art. Erde, 1116 und H. Wieling, Art. Grundbesitz, 1172. 614 Zur rabbinischen Bewertung des Eigentums s. R. Gradwohl, Das Land Israel, 53; D. A Fiensy, The Social History, 1–13 und N. Belayche, Iudaea, 33. 615 Diese Vermutung äußern bereits J. Sp. Kennard, Render, 105; S. Applebaum, The Zealots, 162. 611 Tacitus, 612 Die

2.5 Die religiösen Gründe für den Aufstand des Judas Galilaeus

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er die Pest gegen Israel sandte616. Daher wurde in der Geschichte Israels eine solche Maßnahme nie wiederholt. Die Tatsache, dass Judas sich weigerte, den Kaiser mit dem Titel δεσπότης zu ehren, und seine Anhänger lieber in den Tod gingen, als den Imperator so zu benennen (προσαγορεύειν δεσπότην)617, bindet das Ganze an das Erste Gebot. Martin Hengel weist in diesem Zusammenhang auf den Sprachgebrauch vieler jüdischer Gebete und die in ihnen verbreitete Gottesanrede κύριος und δεσπότης hin618. Judas war im Hinblick auf diese verbreiteten Glaubensvorstellungen nur besonders konsequent, indem er Gott allein als ἡγεμών und δεσπότης619 akzeptierte und dem Ersten Gebot zu kompromissloser Geltung verhalf. Ferner dokumentiert dieses Verhalten den Freiheitswillen des Judas und seiner Anhänger, denn in der Antike war es üblich, dass Sklaven ihren Herrn als δεσπότης anredeten620. Im Gegensatz dazu haben sowohl Augustus als auch sein Nachfolger Tiberius es nicht zugelassen, dass ein römischer Bürger sie dominus oder δεσπότης nannte. Sie wollten damit das Freiheitsverständnis der senatorischen Oberschicht unangetastet lassen. Von Rechts wegen war das römische Staatswesen noch immer eine Republik, was bei der Reichsverwaltung eine Verwendung dieser Anrede ausschloss, die mit der Tyrannis gleichgesetzt wurde621. Augustus wies den Antrag auf den dominus-Titel im Senat mit den Worten ab: „Ich bin es gewöhnt, mit Freien und nicht mit Sklaven zu reden“622. Bei der einfachen Bevölkerung hielt sich freilich diese Anrede, wogegen Augustus in einem Edikt vorging, wie Sueton berichtet623: Die Anrede Herr verabscheute er immer wie eine persönliche Beschimpfung und Beleidigung. Als einmal bei der Aufführung eines Mimus in seiner Anwesenheit auf der Bühne die Worte gesprochen wurden: O gerechter und gütiger Herr! und das 616 2

Sam 24,15; 1 Chr 21,14; s. J. Sp. Kennard, Render, 107; S. Applebaum, Zealots, 162. 18,24. 618 M. Hengel, Die Zeloten, 99; vgl. z. B. Lk 2,29 u.ö; dazu auch K. H. Rengstorf, Art. δοῦλος κτλ., 269–272; V. Nikiprowetzky, Josephus, 226. 619 AJ 18,23. 620 Aristoteles konnte daher einen Haushalt neben der Familie in δεσπότης καὶ δοῦλος unterteilen, Politica I 3,1253b 1–3 (Text: Aubonnet 16). Für jüdische Ohren klingt hier ‫ עבד‬mit, was für Propheten sogar ein (paradoxer) Ehrentitel gewesen war: ‫ ;עבד יהוה‬vgl. K. H. Rengstorf, Art. δοῦλος κτλ., 269. 621 Cicero stellt dazu fest: Hic est enim dominus populi, quem Graeci tyrannum vocant, De republica, 2, (26) 47 (Text: Büchner 136). 622 Diese Bemerkung teilt Johannes Lydus, Liber de mensibus IV 112 mit (Text: Wünsch 152,6–7): ἐγὼ δε ἐλευθέροις, ἀλλ᾽ οὐ δούλοις ἔμαθον διαλέγεσθαι; vgl. ders., De magistratibus I 6 (Text: Wünsch 12,21). 623 Sueton, Augustus 53,1 (Text: Rolfe 206–208, Übersetzung: Lambert 88–89): Domini appellationem ut maledictum et obprobrium semper exhorruit. Cum spectante eo ludos pronuntiatum esset in mimo: „O dominum aequum et bonum!“ et universi quasi de ipso dictum exsultantes comprobassent, et statim manu vultuque indecoras adulationes repressit et insequenti die gravissimo corripuit edicto. 617 AJ

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Publikum jubelnd Beifall klatschte, wie wenn sich diese Stelle auf Augustus bezogen hätte, dämmte er sofort mit einer Handbewegung und einem Blick diese unziemliche Huldigung ein und tadelte das Vorkommnis am folgenden Tag in einem sehr ungehaltenen Edikt.

Tiberius führte diese Maxime augusteischer Politik fort und unterstrich die Kontinuität mit seiner wiederholten programmatischen Äußerung624: Ich bin der Gebieter über die Sklaven, der Imperator über die Soldaten und das erwählte Oberhaupt der übrigen.

Als sein Nachfolger Caligula davon abwich und den dominus-Titel einführte, trug ihm dieses Verlangen den Vorwurf der Sklaverei ein. Philon drückt es so aus625: Uns aber reihte man nicht nur unter die Knechte, sondern unter die Rechtlosesten unter den Knechten ein, in dem Augenblick, da der Herrscher sich in einen Despoten verwandelte.

Wenn Josephus also die Ablehnung des δεσπότης-Titels für alle menschlichen Herrscher so nachdrücklich hervorhebt, so hatte diese Anrede für römische Leser ohnehin einen negativen Klang, und er rückt den Widerstand des Judas wohl ganz bewusst in die Nähe der in der römischen Oberschicht kursierenden Vorbehalte. Diese apologetische Strategie nutzt übrigens auch der Kirchenvater Tertullian, der es ebenfalls als mit dem christlichen Glauben unvereinbar erklärt, den Kaiser über die allgemein übliche Anrede hinaus als dominus im Sinne eines Gottes zu bezeichnen. Er beruft sich dabei auf das Vorbild des Augustus626: Augustus, der Gestalter des Imperiums, wollte nicht einmal „Herr“ genannt werden; denn auch das ist ein Beiname Gottes. Ich könnte allerdings den Kaiser „Herr“ nennen, aber nur im allgemein üblichen Sinne, und nur wenn ich nicht gezwungen werde, ihn „Herr“ an Gottes statt zu nennen.

Man sollte aber durch das apologetisch motivierte, schriftstellerische Bemühen des Josephus nicht aus dem Blick verlieren, dass Judas eine viel stärker ausgeprägte und religiös motivierte Opposition formulierte, als Josephus seinen Lesern berichten wollte.

624 Cassius Dio 57,8,2 (Text: Cary 130, Übersetzung: Veh 308): δεσπότης μὲν τῶν δούλων, αὐτοκράτωρ δὲ τῶν στρατιωτῶν, τῶν δὲ δὴ λοιπῶν πρόκριτός εἰμι; vgl. dazu auch Tacitus, Annales 2,57 (Text: Heller 172–174) sowie Sueton, Tiberius 27 (Text: Rolfe 334). 625 LegGai 119 (Text: Colson 60, Übersetzung: Kohnke 205): ἡμεῖς δὲ οὐ μόνον ἐν δούλοις ἀλλὰ καὶ δούλων τοῖς ἀτιμοτάτοις ἐγραφόμεθα τοῦ ἄρχοντος τρέποντος εἰς δεσπότην. 626 Apologeticum 34 (Text und Übersetzung, modifiziert nach Becker 170f): Augustus, imperii formator, ne dominum quidem dici se volebat. et hoc enim dei est cognomen. dicam plane imperatorem dominum, sed more communi, sed quando non cogor, ut dominum dei vice dicam.

2.5 Die religiösen Gründe für den Aufstand des Judas Galilaeus

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Exkurs: Judas Galilaeus und die Anrede κύριε und δέσποτα In den griechischen Quellen kann kaum ein Unterschied zwischen κύριε und δέσποτα als Anredeform festgestellt werden, wobei δεσπότης aber eher „auf das engere Verhältnis zwischen Herr und Untertan bzw. Sklave“627 zielt und im Wesentlichen ein orientalisches Erbe war. Der Ausdruck κύριος war ebenfalls eine geläufige Anredeform von Sklaven für ihre Herren, wie Josephus gelegentlich erkennen lässt628. Daneben wurden aber auch Gottheiten so bezeichnet, was nicht nur im Judentum, sondern auch in paganen Zeugnissen nachzuweisen ist629. Gängiger freilich war für olympische Götter, zumal für Zeus, das wohl aus diesem Grund von der Septuaginta gemiedene ἄναξ630. Für unseren Zusammenhang ist weiterhin wichtig, dass κύριος vor allem im Herrscherkult die gottgleiche Stellung des Regenten anzeigte. Beispielsweise schmeichelten schon die Athener dem König Demetrios Polyorketes bei dessen Einzug in ihre Stadt mit einem Hymnus, in dem sie sich in Form eines Gebetes wie an eine Gottheit an ihn richteten und ihn mit dem Ausruf κύριος γὰρ εἶ σύ bedachten631. Aus hellenistischer Zeit lassen sich hierfür noch zahlreiche weitere Beispiele etwa aus Ägypten nennen, und auch nach der römischen Unterwerfung wurde diese Sitte dann in den Provinzen, die ehemals zu den Diadochenreichen gehört hatten, auf die Kaiser übertragen (nicht in Rom, wie wir sahen). Der Titel ist allerdings unter den ersten Kaisern nur selten in Urkunden nachzuweisen632. In offiziellen Dokumenten bürgerte er sich erst unter Nero z. B. im Rahmen der Datierung von Schriftstücken nach Regierungsjahren ein633. In späterer Zeit wurde er dann immer geläufiger634. Im Neuen Testament begegnet der absolute Gebrauch von κύριος als Bezeichnung für Kaiser Nero im Mund des römischen Procurators Festus (Apg 25,26)635: Festus äußert sich in dieser Form über die Berufung des Paulus an den Imperator, was in gewisser Weise die skizzierte Entwicklung der Titulatur spiegelt, selbst wenn dieser Text von Lukas wohl erst während der Epoche des flavischen Kaiserhauses niedergeschrieben 627 H.

Zilliacus, Art. Anredeformen, 494. schrieb z. B. nach AJ 17,137 bzw. 139 die jüdische Sklavin der Livia von Josephus im Wortlaut angeführte Briefe an ihre Herrin, d. h. πρὸς τὴν ἐμὴν κυρίαν. 629 Zahlreiche Belege finden sich gesammelt bei Williger, Art. Kyrios, 179–182; W. Foers­ ter, Art. κύριος, 1038–1056; F. Graf, Art. κύριος, 1011. Epiktet zitiert beispielsweise die Götteranrufung: κύριε ὁ θεός, die er, wie dem Kontext zu entnehmen ist, als sehr verbreitet ansah, Epicteti Dissertationes 2,16,13 (Text: Oldfather 324). 630 Vgl. die Nachweise bei F. Siegert, Zwischen Hebräischer Bibel, 206. 631 Athenaeus, VI 253e (Text: Kaibel 66,22) = FGH Duris von Samos 13; vgl. zu dieser Stelle auch N. Förster, Das gemeinschaftliche Gebet, 47–49. 632 Ein Beispiel aus der Zeit des Claudius findet sich in P.Oxy. 37 (Text: Grenfell, Hunt 80, Z. 6): Τίβεριου Κλαυδίου Καίσαρος τοῦ κυρίου. 633 Nero wurde von den Griechen, denen er im November 67 n. Chr., die Freiheit verliehen hatte, d. h. Selbstverwaltung ohne Tributpflicht, als παντὸς κόσμου κύριος gefeiert, SIG 814, III 4; vgl. Hohl, Art. L. Domitius Ahenobarbus, 389. Weitere urkundliche Belege s. z. B. ÄgU.G III 8666. Zu dieser Datierungsformel s. auch Z. M. Packman, Regnal Formulas, 61. 634 Vgl. z. B. CIG III 4612 unter Trajan oder ein Edikt aus Ägypten, in dem Hadrian als ὁ κύριος ἡμῶν καὶ θεός benannt ist; G. H. R. Horsley, New Dokuments, Bd. 2, Nr. 4, S. 32, 2. Einen Überblick bietet Williger, Art. Kyrios, 176, 178. 635 Vgl. dazu R. Pesch, Die Apostelgeschichte, 2. Bd., 275. Es sei an dieser Stelle vermerkt, dass der Apostel Paulus nach Lukas in seiner Verteidigungsrede vor dem König Agrippa II diese κύριος-Anrede nicht verwendet, sondern den Herrscher als βασιλεῦ Ἀγρίππα anspricht, Apg 26,2.19; vgl. 26,13. 628 So

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wurde636. Im Zusammenhang mit dem Kaiserkult ist κύριος aber wohl schon während der Regierung des Augustus nachweisbar. In einer aus der mittelägyptischen Stadt Oxy­ rhynchus stammenden Abrechnung für Opfer, die Kaiser Augustus als Gottheit zu seinen Lebzeiten im Jahr 1 n. Chr. dargebracht wurden, wird für θυσίας καὶ σπονδὰς ὑπὲρ τοῦ Θεοῦ καὶ κυρίου Αὐτοκράτορ ein bestimmter Geldbetrag ausgegeben637. Auch wenn man davon ausgeht, dass den Juden gewisse Privilegien von den Römern stets gewährt wurden und es ihnen erspart blieb, etwa einen Kaisereid zu schwören, der derartige Ausdrücke enthielt, wird ihnen die κύριος-Titulatur seit hellenistischer Zeit vertraut gewesen sein. Ja, der jüdische König Herodes wie auch seine Nachfolger ließen sich von ihren heidnischen Untertanen, wie epigraphische Zeugnisse zeigen, als κύριος titulieren. Ein Beispiel dafür ist eine im nichtjüdischen Teil des herodianischen Reiches in einem paganen Heiligtum aufgefundene Basis einer Herodesstatue, in deren Inschrift der König als κύριος bezeichnet wird638. Dieser Tempel lag in Seeia (Si’a) nahe bei der Stadt Kanatha, die, am westlichen Abhang des Haurangebirges ca. 90 Kilometer südöstlich von Damaskus gelegen, als einzige Siedlung in der Auranitis in herodianischer Zeit den Status einer Stadt besaß639. Dieses Postament für eine heute nicht mehr vorhandene Statue wurde außerhalb des Tempels des Gottes Baals hamin entdeckt, dem der König wahrscheinlich  – ebenso wie anderen paganen Heiligtümern  – Geld hatte zukommen lassen640. Das Standbild wurde von einem Einheimischen mit Namen Obaidos, Sohn des Sados, bezahlt und geweiht, der sicherlich kein Jude war. Die Anrede war demnach bei heidnischen Untertanen des Herodes gebräuchlich. Diese Gepflogenheit setzte sich unter den Nachfolgern des Herodes fort, so dass der κύριοςTitel dann auch für die Könige Agrippa I641 und Agrippa II642 inschriftlich bezeugt ist. Hierbei handelt es sich um Weihesteine aus derselben Region, die teilweise explizit für 636 In rabbinischen Texten werden Kyrios-Anreden und Akklamationen häufig berichtet. Beispielsweise berichtet die Gemara des Babylonischen Talmuds von den ludi saeculares in Rom. Diese auf Rabbi Samuel zurückgeführte Überlieferung bezieht sich wohl auf die aufwendigen Feiern unter Kaiser Philippus Arabs im Jahr 248 n. Chr. anlässlich des tausendjährigen Bestehens der Stadt Rom, s. Nilsson, Art. saeculares ludi, 1697 (sowie zusammenfassend: Ch. Körner, Philippus Arabs, 76–77) wobei nach bAZ 11b angeblich öffentlich gerufen wurde ‫( סך קירי פלסתר‬Text: Steinsaltz 48, vgl. Goldschmidt 834), was der griechischen Formel κάσις κυρίου πλαστῆρ entsprechen dürfte und die Herrscheranrede ‫ קירי‬/ κύριος enthält. Diese Akklamationen haben durchaus einen historischen Hintergrund, denn auch der die Feierlichkeiten einleitende Heroldsruf wurde in den rabbinischen Quellen erwähnt, s. dazu H. Blaufuss, Römische Feste, 29 und insb. 31; S. Lieberman, Palestine in 3rd and 4th centuries, 161–163; M. Hadas-Lebel, Le paganisme, 4316. 637 P.Oxy. 1143 (Text: Hunt 242); vgl. auch ÄgU.G IV 1200. 638 OGIS 415 (= IGRR III 1243): βασιλεῖ  Ἡρῴδει κυρίῳ …. 639 Zur Lage und den Funden in der Stadt Kanatha vgl. A. Schalit, König Herodes, 697; F. Millar, The Roman Near East, 39, 63; N. Kokkinos, The Herodian Dynasty, 287; J. Gruber, Art. Kanatha, 242–243. 640 Dazu vgl. A. Kasher, King Herod, 224. Eine auf Verehrung des Herodes als Gottheit zielende Interpretation, die z. B. A. Schalit, König, 457, vorschlägt, lehnt Kasher ab, zumal der Stein außerhalb des eigentlichen Tempelgebäudes entdeckt wurde. Die Statue war also nicht als Kultbild für den Tempelraum vorgesehen. 641 OGIS 418. Zu weiteren Inschriften aus dem Vorhof des Tempels in Si’a s. N. Kokkinos, The Herodian Dynasty, 288. 642 OGIS 423; 425; 426.

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den dort von der einheimischen Bevölkerung verehrten Gott Zeus (gräzisierte Form einer ursprünglich nichtgriechischen Gottheit) gestiftet wurden643, wobei das Regierungsjahr des jeweiligen judäischen Königs angegeben ist. Dabei erhielt Zeus denselben Ehrentitel wie der jüdische Herrscher644. Diese Ehrenbezeugung bedeutet an sich noch keine Form göttlicher Verehrung eines jüdischen Königs. Man sollte jedoch nicht übersehen, dass zumindest Agrippa I eine solche Form der Anrufung von Heiden gern akzeptierte, wie die Vorgänge im Theater von Caesarea kurz vor seinem plötzlichen Tod vor Augen führen, von denen sowohl Lukas (Apg 12,20–23) als auch Josephus (AJ 19,344–347) berichten645. Bei dieser Vergottung durch die heidnische Volksmenge, die nach Lukas aus Tyrus und Sidon herbeigeströmt war, spielte die servile Ehrung durch laut vorgetragene Akklamationen646 eine herausragende Rolle. Diese Ausrufe mündeten in dem öffentlichen Bekenntnis zu Agrippa als einem göttlichen Wesen647, wobei es nicht dabei blieb: beide Autoren melden den Beinamen θεός, jedoch nicht κύριος. Alle diese Beobachtungen legen den Schluss nahe, dass der Aufstandsführer Judas und seine Gruppe einen Einschnitt gegenüber einer Praxis machen wollten, die Herodes geduldet hatte, indem sie κύριος als Titel allein auf die Gottesanrede beschränkten und menschlichen Regenten versagten. Damit dürften sie die Sympathie vieler ihrer Landsleute erweckt haben, wenn auch nicht bei allen der Mut bis zu den Konsequenzen reichte. Die Ablehnung des κύριος-Titels für pagane Herrscher hat auch in rabbinischen Texten ein gewisses Echo gefunden, selbst wenn dort das historische Umfeld und die implizite Ablehnung des römischen Kaisers, wohl aus politischer Rücksichtsnahme, nicht mehr mitgeteilt werden. In einem im 5. Jh. n. Chr. redigierten Midrasch zum Buch Genesis findet sich die Notiz648, dass der Stammvater Jakob, der hier stellvertretend für ganz Israel steht, seinen Bruder Esau, wenn man alle betreffenden Stellen im biblischen Text zusammenzählt, achtmal „mein Herr“ (‫ )אדני‬genannt habe. Dieses Verhalten sei von Gott abgelehnt worden, denn Jakob habe sich selbst erniedrigt und sei dafür bestraft worden, 643 Auf den Stadtmünzen scheint auch der Kult des Dionysos-Dusares, der ein nabatäischer Gott war, bezeugt zu sein, Y. Meshorer, City-Coins, 76 mit Abb. 209. 644 OGIS 423: Διὶ κυρίῳ sowie 426: Διὶ κυρίῳ. 645 Vgl. N. Förster, Das gemeinschaftliche Gebet, 34–44. 646 Lukas berichtet von dem Ausruf θεοῦ φωνὴ καὶ οὐκ ἀνθρώπου (Apg 12,22) und Josephus eher unbestimmt von θεὸν προσαγορεύοντες (AJ 19,345). 647 Nach Josephus wurde dabei gerufen: … κρείττονά σε θνητῆς φύσεως ὁμολογοῦμεν (AJ 19,345). 648 GenR 75,11 zu Gen 32,4 (Text: Theodor, Albeck, Bd. 2, 891) : …‫וקראת לעשׂו אדני ח׳‬. Eine weitere interessante rabbinische Überlieferung findet sich in mYad 4,8. Demnach beklagte sich eine ‫( מין גילילי‬Text: Lisowsky 80) bei den Pharisäern, dass sie den Namen des Mose mit dem des regierenden Kaisers auf einen Scheidungsbrief (vgl. das Beispiel eines solchen Briefes aus mittelalterlicher Quelle bei Bill., Bd. 1, 311–312) schrieben. Die Pharisäer führten dagegen an, dass man den Herrschernamen zusammen mit dem Gottesnamen und sogar noch vor diesem heiligen Namen auf dieses Dokument schreibe, was offenbar auf die Datierung des Schriftstücks nach Regierungsnamen anspielte; dazu A. Finkel, The Pharisees, 118. Als Schriftbeweis führten sie Ex 5,2 an, wo ebenfalls der Pharao zuerst genannt sei. Hinter dem ‫מין‬ könnte sich eine Anspielung auf die Toraauslegung von Aufständischen wie Judas dem Galiläer verbergen; vgl. M. Hengel, Die Zeloten, 59; G. Lisowsky, Jadajim, 79 und U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 238. An die Stelle der Debatte um den κύριος-Titel ist hier der Herrschername getreten, zu dem aber in den Urkunden gewöhnlich auch diese Titulatur gehörte. J. Taylor, É. Nodet, The Origins, 163 weisen zudem auf die Hochschätzung des Namens des Mose bei den Essenern hin, BJ 2,145, der bei ihnen nach Josephus ebenso wie der Gottesname geehrt wurde.

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2. Die römischen Steuern und der jüdische Widerstand gegen das Steuerzahlen

indem aus Esau nach Gen 36,31 acht Könige hervorgingen, während Israel keinen eigenen Herrscher hatte. Um die Brisanz dieser rabbinischen Exegese zu verstehen, die bei oberflächlicher Betrachtung wie eine gelehrte Zahlenspekulation649 erscheint, muss man sich vor Augen halten, dass in rabbinischen Texten Esau oft als Deckname für Rom verwendet wurde. Aus dem Verhalten der beiden Brüder Jakob und Esau konnte, ohne dass dies gesagt werden musste, auf die Beziehung des jüdischen Volkes zum römischen Staat geschlossen werden650. Die Überlegenheit Roms über die Juden, was Politik betrifft, wird an dieser Stelle gleichsam im Rückblick mit dem Fehlverhalten Jakobs begründet, der eine von Gott abgelehnte Anredeform für Esau benutzt hatte und eben dafür mit dem Fehlen eines Königs aus seinem eigenen Volk bestraft wurde. Weil Esau aber für die Römer steht, ist damit höchstwahrscheinlich die κύριος-Titulatur gemeint651, und die rabbinische Exegese spielt demnach in einer modifizierten und weiterentwickelten Form auf Überzeugungen an, die sich schon bei Judas Galilaeus652 nachweisen lassen. Eine aktuelle politische Stoßrichtung gegen die römische Herrschaftsausübung ist hier nicht mehr auszumachen. Ganz im Gegenteil geht es in der rabbinischen Interpretation darum, die fremde Regierung eben wegen des Gebrauchs der Anrede durch Jakob als eine von Gott gewollte Strafe zu rechtfertigen.

Kommen wir abschließend noch einmal auf die Ablehnung des kaiserlichen Geldes zurück. Sie hing ebenso wie die Zurückweisung des κύριος-Titels mit der Steuerproblematik zusammen, denn in dieser von der römischen Regierung neu eingeführten Währung wurden die Steuern erhoben. Die Geldstücke mit ihren Kaiser‑ bzw. Götterbildern auf beiden Seiten waren somit das für jeden fassbare und sichtbare Medium, in dem sich diese Steuerforderungen bündelten und gleichsam manifestierten. Im Übrigen konnte m. E. der Nachweis erbracht werden, dass Judas Galilaeus dieses Geld wie ein paganes Götterbild behandelte. Zur Zeit Jesu war es ein ausgesprochenes Ärgernis für viele Judäer, dass die 649 Die Spekulationen beziehen sich auf die in Gen 36,31–39 aufgelisteten acht Edomi­ terfürsten. 650 Die Tatsache, dass Jakob und Esau Brüder waren, legt natürlich Spekulationen über das politische Verhältnis zwischen Israel und Rom nahe, vgl. F. Avemarie, Esaus Hände, 179–180. Der Rückgriff auf die Anredeform dieser biblischen Jakob-Esau-Geschichte findet sich auch in GenR 75,5 (Text: Theodor, Albeck, Bd. 2, 883). Demnach legitimierte der Patriarch Jehuda die Höflichkeitsform ‫עבדך‬, die er in seinem Brief an Kaiser Antoninus (‫מלכא אנטונינוס‬, womit wahrscheinlich Kaiser Caracalla gemeint ist, s. H. L. Strack, G. Stemberger, Einleitung, 87) benutzte, durch eine expliziten Rückgriff auf Gen 32,5, wo diese Anrede von Jakob für Esau gebraucht sei; s. außerdem das bei Bill., Bd. 3, 1, gesammelte Material. 651 An den entsprechenden Stellen der Septuagintaübersetzung findet sich z.B. in Gen 32,5 τῷ κυρίῳ μου; vgl. ferner Gen 32,19 oder 33,13–15. 652 Dieser Beiname dürfte mit der Herkunft zu tun haben, denn Judas wirkte sicherlich im von den Römern direkt regierten Teil des Landes, so z. B. M. Goodman, Rome, 401. Der Census, gegen den Judas vorging, geschah nach der Absetzung des Archelaos in Judäa, M. Smith, Zealots, 15; ders., The Troublemakers, 507. Die Vermutung, Judas habe seinen Widerstand von Galiläa weg verlagert, weil „das eigentliche Ziel der Bewegung des Judas Galiläus Jerusalem sein mußte. Denn wer ganz Israel ansprechen wollte, mußte dies von Jerusalem aus tun“, W. Stenger, Bemerkungen, 94, ist aber m. E. nicht wahrscheinlich: Woher nimmt Stenger sein Wissen? Auf jeden Fall entfachte Judas keinen Aufstand in und um Nazareth, der Jesu Familie unmittelbar betroffen hat, anders: P. Lapide, Warum kommt er nicht? 96.

2.5 Die religiösen Gründe für den Aufstand des Judas Galilaeus

143

Tributzahlungen an Rom mittels eines kultisch sanktionierten Metallgegenstandes in Bildform erfolgten, der dazu von den Untertanen zuvor akzeptiert, angefasst und angesehen werden musste. Kehren wir von hier aus zum Text der Zinsgroschenperikope zurück.

3. Einzelexegese des Markus-Apophthegmas im Hinblick auf die politisch-religiösen Fragestellungen von Teil 2 3.1 Jesu Weisung zum Steuerzahlen Betrachten wir noch einmal den Aufbau des Apophthegmas, wie es sich in Teil 1.4 als älteste erreichbare Textform herausgestellt hat  – dieses ist also fortan unser Text, wobei dem Schlusslogion besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden soll (s. Teil 4) – so zeigt sich nach dem bisherigen Stand unserer Untersuchung eine klare Gliederung, die wohl schon auf die vormarkinische Traditionsstufe des Apophthegmas zurückgeht. Sie soll für die folgende Einzelexegese wiederum gelten: 1. Sequenz: Nach einer Warnung seitens des Erzählers und schmeichelnden Einleitungsworten der Fragesteller erfolgt die als solche angekündigte Fangfrage. 2. Sequenz: Jesus erkennt die Absicht und fordert zum Herbeibringen des corpus delicti auf. Dieses wird besehen und besprochen. 3. Sequenz: Jesus antwortet mit einer symmetrisch aufgebauten Sentenz; die Gegner ziehen geschlagen ab. 1. Sequenz, Teil a: Die Situation Zunächst wollen wir uns, ausgehend von der markinischen Fassung, mit der Einleitung befassen1. Dass dieser Teil der Zinsgroschenperikope deutliche Eingriffe des jeweiligen Evangelisten aufweist, wurde oben bereits dargelegt. Wir haben ebenfalls darauf hingewiesen, dass nach Markus Hohepriester, Schriftgelehrte und Älteste die Pharisäer und Herodianer als ihre Werkzeuge zu Jesus senden. Lukas zeichnet eine geschlossene gegnerische Gruppe, was wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass er mit der Bezeichnung Herodianer nichts mehr anzufangen wusste und sie deshalb übergeht. 1 s. o.

zu 1.4.

3.1 Jesu Weisung zum Steuerzahlen

145

Gerade durch das Schweigen des Lukas liegt aber die Frage nahe, wer die Herodianer waren und warum nur Markus und Matthäus von ihnen Notiz nehmen, ohne allerdings ihre Überzeugungen und ihre Relevanz für die Steuerfrage zu erläutern. Man kann daraus schließen, dass sie diese Gruppe in ihren jeweiligen Auditorien2 – in Rom bzw. in Syrien – als bekannt voraussetzen konnten und daher auf eine eingehende Erklärung verzichten. Exkurs: Wer waren die Herodianer? Wenig ist bekannt über die Herodianer, und was sie gegen Jesus gehabt haben können. Sie kommen im Neuen Testament außer in der Zinsgroschenperikope nur noch in Mk 3,6 als Verbündete der Pharisäer vor, die gegen Jesus nach seiner Heilungstätigkeit am Sabbat ein Komplott schmieden. Wir werden nun, nicht zuletzt unter Heranziehung von De haeresibus Judaeorum, eine Antwort versuchen. Beginnen wir mit der sprachlichen Ableitung. Die Bezeichnung  Ἡρῳδιανοί stellt, wie Elias Bickermann herausgearbeitet hat, ein mit dem Suffix -ianus endendes lateinisches Herkunftsadjektiv dar3. Solche Bildungen waren z. B. für die Anhänger bestimmter römischer Politiker gebräuchlich, wobei z. B. Pompeiani die Unterstützer des Pompeius meint. Derartige lateinische Adjektive drangen sodann, wie Bickermann belegt, in den griechischen Sprachgebrauch ein. Sie wurden aber nicht als Bezeichnungen politischer Gruppierungen verwendet, weil in der griechischen Sprache dafür eine eigene Adjektivendung zur Verfügung stand und eine Übernahme aus dem Lateinischen nicht nahe lag. Zudem verzichteten Autoren, die einen literarisch anspruchsvollen Stil pflegten, auf Latinismen4. Aus Ciceroniani (für die Anhängerschaft Ciceros) werden so in griechischen Quellen Κικερώνεοι5. Von dieser Regel gibt es aber auch einige aufschlussreiche Ausnahmen, zu denen die Benennungen Καισαριανοί, Χριστιανοί und  Ἡρωδιανοί zählen6. Später folgten christliche Häretikernamen demselben Schema z. B. für die Valentinianer (Ὀυαλεντινιανοί), die jedoch nach dem Vorbild von Χριστιανοί für die Christen so heißen dürften. Wie Bickermann zu Recht hervorhebt, ist nur Καισαριανοί in seiner Bedeutung unumstritten. So bezeichnete man die Mitglieder des kaiserlichen Haushaltes, vor allem die Sklaven 2 S. z. B. M. Bünker, Gebt, 91, in seiner Auslegung von Mt 22,15–16a; Mk 12,13–14a; Lk 20,20. 3 E. Bickermann, The Herodians, 665. 4 Der Historiker Cassius Dio, der sich stets um einen gehobenen Sprachstil bemühte, verwendet deshalb durchweg Καισάρειοι, wobei durch den Textzusammenhang einiger Stellen klar zum Ausdruck kommt, dass damit Sklaven oder Freigelassene des Kaisers gemeint sind. So übergab Nero z. B. während seiner Griechenlandreise seinem Freigelassenen Helius, d. h. nach Cassius Dio einem Καισαρείῳ, die Regierungsgeschäfte in Italien, weil er ihm offenbar besonders traute, 62, 12, 1 (Text: Cary 156). 5 Appian, Bella Civilia 3,50 und 51 (Text: Mendelssohn, Viereck 342, 6 bzw. 10). Auch Josephus verwendete einmal den Begriff  Ἡρωδείοι, BJ 1,319, für jüdische Parteigänger des Herodes, deren Ermordung den König sehr erzürnte; vgl. W. Otto, Art. Herodianoi, 201; zur Deutung der Herodianer als romfreundliche Kreise s. W. Schrage, Die Christen, 31; K. Wengst, Pax, 203 Anm. 17; J. P. Meier, The Historical Jesus, 743. 6 E. Bickermann, The Herodians, 667.

146

3. Einzelexegese des Markus-Apophthegmas

und Freigelassenen. Seit Augustus verwendeten die Kaiser ihre Sklaven und Freigelassene für vertrauliche und persönliche Dienste7, und weil Sklaven schon seit der Republik von deren Amtsträgern zur Durchführung öffentlicher Aufgaben herangezogen wurden, waren die Grenzen zur kaiserlichen Verwaltung fließend8. Sie galten nunmehr als effektives Instrument, um diverse Arbeiten und Ämter im Palast bis hin zur Finanzverwaltung zu übernehmen und hatten direkten Kontakt zum Herrscher, zu dessen familia sie zählten. An dieses Verwaltungspersonal wandte man sich z. B. nach dem Tod des Augustus, um die jeweiligen Kassenstände zu erfahren, denn der Kaiser hatte seinen hinterlassenen Papieren „die Namen der Freigelassenen und Sklaven beigefügt, von denen Rechenschaft gefordert werden konnte“9. Als ein Beispiel aus der jüdischen Geschichte, das den Einfluss dieser Personengruppe am Kaiserhof illustrieren mag, sei der Sklave Helikon angeführt, der nach Philon Kaiser Caligula gegen die jüdischen Interessen aufstachelte10. Daneben waren die Caesariani für die Provinzverwaltung tätig. Sie versahen diverse Funktionen z. B. in der externen Finanzverwaltung oder im Stab der Statthalter11. Dank ihres Sklavenstatus waren sie fast unangreifbar, d. h. wer sie wegen etwaiger Übergriffe belangen wollte, musste sich an ihren Herrn wenden – das war der Kaiser. Der Dichter Martial geißelt in ironischer Weise ihren Hochmut während der Regierungszeit Domitians12: Kein Caesarianus folgt seinem eigenen Naturell – das liegt im Wesen eines machtvollen Hofes – sondern jeder hat die Umgangsformen seines Herrn. Der Philosoph Epiktet dagegen tadelt seinen eigenen Herrn Epaphroditus, dessen Freigelassener er war, für dessen unziemliche Unterwürfigkeit. Er habe einen Sklaven mit Namen Felicio, einen Schuster, verkauft, weil er ihn für nutzlos hielt und begann plötzlich, als derselbe Mann von einem Caesarianus gekauft und Schuhmacher des Kaisers geworden war, seinem ehemaligen Sklaven zu schmeicheln13: Epaphroditus besaß einen Schuster, der nichts taugte, so dass er ihn als Sklaven verkaufte. Da wurde dieser durch eine seltsame Fügung von einem Caesarianus gekauft und auf diesem Wege auch Schuster des Kaisers. Da hättest du sehen sollen, wie unterwürfig Epaphroditus ihm plötzlich begegnete: Wie geht es dem tüchtigen Felicion?

  7 W. L.

Westermann, Art. Sklaverei, 1036. 1035–1036.   9 Sueton, Augustus 101,4 (Text: Rolfe 286, Übersetzung: Lambert 120): Adiecit et libertorum servorumque nomina, a quibus ratio exigi posset; zu der kaiserlichen Finanzverwaltung durch Freigelassene s. W. Eck, K. Groß-Albenhausen, Art. Rationibus, 784; F. Millar, The Roman Empire, 73. 10 LegGai 172 und 166; Helikon nutzte dabei seine besondere Nähe zum Kaiser und dessen Privatbereich, etwa wenn er sich beim Baden oder Turnen entspannte, und fädelte laut Philon dabei sehr wirkungsvoll seine Intrigen ein, ebd., 175; vgl. W. L. Westermann, Art. Sklaverei, 1037. 11 Vgl. die Belege bei O. Hirschfeld, Die kaiserlichen Verwaltungsbeamten, 61–62. 12 Epigrammata 9,79 (Text: Barié, Schindler 658): nemo suos – haec est aulae natura potentis –, sed domini mores Caesarianus habet. 13 Arrian, Epictetii Dissertationes 1,19,17–18 (Text: Oldfather 132–134, Übersetzung: Capelle, Nickel 110): εἶχέν τινα᾽Επαφρόδιτος σκυτέα, ὅν διὰ τὸ ἄχρηστον εἶναι ἐπώλησεν. εἶτα ἐκεῖνος κατά τινα δαίμονα ἀγορασθεὶς ὑπό τινος τῶν Καισαριανῶν τοῦ Καίσαρος σκυτεὺς ἐγένετο. εἶδες ἂν πῶς αὐτὸν ἐτίμα ὁ ᾽Επαφρόδιτος·„τί πράσσει Φηλικίων ὁ ἀγαθός, φιλῶ σε;“ εἶτα εἴ τις ἐπύθετο „τι ποιεῖ αὐτός;“ ἐλέγετο ὅτι „μετὰ Φηλικίωνος βουλεύεται περί τινος“.   8 Ebd.,

3.1 Jesu Weisung zum Steuerzahlen

147

Meine Ehrerbietung. Wenn sich dann jemand bei uns erkundigte: Was macht der Herr? Dann hieß es: Er hat mit Felicion eine Konferenz …. Schon diese vergleichsweise subalterne Stellung bei Hof verschaffte Felicio in seinem sozialen Umfeld demnach ein Ansehen, über das Epiktet nur voll Spott und Verachtung sprach. Als ein weiteres Beispiel seien an dieser Stelle die kaiserlichen cubicularii angeführt. Diese „Kammerherren“ hatten eine Schlüsselstellung inne, weil sie den Zutritt zum Kaiser regelten und selber stets ungehinderten Zugang zu seinem Privatbereich hatten14. Über sie bemerkt derselbe Philosoph mit Ironie15: Wie kommt es, dass der Mensch plötzlich klug ist, wenn der Kaiser ihn zum Aufseher über seinen Nachttopf ernennt? Der Grund dieser Invektiven war in erster Linie die soziale Position dieser Höflinge, die sich keineswegs aus ihrer Bildung herleitete. Der Vorsteher der Kammerdiener war ein Freigelassener, die übrigen aber Sklaven. Man kann nun wie Bickermann vermuten, dass Herodes, der in vielen anderen Belangen das kaiserliche Vorbild imitierte, seinen Palastbetrieb und die Verwaltung seines Reiches analog dem römischen Muster organisierte. Die Herodianer dürften demnach Sklaven und Angehörige des königlichen Hofes gewesen sein, und man wird wohl in der Annahme nicht fehlgehen, dass Herodes bis in die Wahl der Bezeichnung Herodiani hinein Augustus und dessen familia nachahmte16. Die Zahl der Herodessklaven und -freigelassenen dürfte beträchtlich gewesen sein. Josephus erzählt, dass 500 Sklaven und Freigelassene beim prächtigen Begräbnis des Königs nach dem Vorbild hellenistischer Staatsbegräbnisse wohlriechende Spezereien trugen17. Sie werden später auch den Söhnen und Nachfolgern des Königs gedient haben, die den Herodesnamen ebenfalls führten. Insofern musste die Bezeichnung als „Herodianer“ nicht verändert werden. Man kann sogar vermuten, dass die jüdischen Sklaven und Freigelassenen des Herodes sich zu eigenen „Synagogen“ zusammenschlossen, d. h. ihre Treffen organisierten (das können, müssen aber noch keine Synagogengottesdienste gewesen sein). Und das sogar in Rom, wo judäische Könige zeitweilig residierten, und zwar, wenn die diesbezügliche Quelle nicht täuscht, mit langer Nachwirkung. In der jüdischen Katakombe Vigna Randanini nahe der Via Appia wurde nämlich eine Marmorplatte aus dem 3. oder 4. Jh. n. Chr. ausgegraben, hinter der wohl ein einflussreiches Mitglied der unter diesem Namen weiter bestehenden Gemeinde bestattet war18. Die leider nur fragmentarisch erhaltene Grabplatte lässt noch die Buchstaben … ΓΩΓΗΣ … ΡΟΔΙΩΝ … ΕΥΛΟΓΙΑ ΠΑΣΙ erkennen. Über die Bedeutung von ΡΟΔΙΩΝ ist zunächst viel gerätselt worden. Was soll hier eine Versammlung von Rhodiern? – Von dem davor abgebrochenen Buchstaben ist noch die obere (oder rechte obere) hasta zu erkennen. Es dürfte sich also den cubicularii als Vertrauenspersonen vgl. C. Gizewski, Art. Cubicularius, 227. Epictetii Dissertationes 1,19,17 (Text: Oldfather 132, Übersetzung: Capelle, Nickel 110): πῶς δὲ καὶ φρόνιμος γίνεται ἐξαίφνης ὁ ἄνθρωπος, ὅταν Καῖσαρ αὐτὸν ἐπὶ τοῦ λασάνου ποιήσῃ. 16 E. Bickermann, The Herodians, 668. 17 BJ 1,673 und AJ 17,199. 18 Der Text sowie eine Abbildung der Inschrift findet sich bei CIJ I 173. 14 Zu

15 Arrian,

148

3. Einzelexegese des Markus-Apophthegmas

­ ΡΟΔΙΩΝ ergänzen lassen19, inkorrekte Schreibung von ΗΡΩΔΕΙΩΝ, mit der nicht nur Η seit der hellenistischen Zeit häufigen ει‑ /ι‑ Verwechslung, sondern auch jener anderen, im 3. Jh. schon häufigeren, von ο und ω20. Die inschriftlich in Rom nachweisbaren Synagogen der Augustäer (συναγωγῆς Ἀγουστεσίων21) und Agrippinensier könnten ebenfalls von freigelassenen Sklaven des Augustus bzw. des Königs Agrippa I gegründet worden sein, da ja die römische Judenschaft, wie Philon meldet, zu einem großen Teil aus von Pompeius verschleppten und in die Sklaverei verkauften Kriegsgefangenen zusammengesetzt war22. Solche Verbindungen beleuchtet darüber hinaus eine Notiz des Lukas in der Apostelgeschichte über eine „Synagoge“ der römischen Freigelassenen in Jerusalem, die sich mit einem ganz lateinischen Wort Λιβερτῖνοι nannten (Apg 6,9). Die Existenz solcher Gemeinden (oder Verbände) der Dienerschaft des Herodes würde vielleicht auch erklären, wieso Markus annehmen konnte, die Herodianer hätten bereits in Galiläa gemeinsam mit den Pharisäern gegen Jesus konspiriert. Ob er damit Recht hat, mag hier offen bleiben. Die Aufgaben der Herodianer dürften sich ebenfalls mit Hilfe von römischen Parallelen erschließen lassen, worauf Bickermann allerdings kaum zu sprechen kommt. Er referiert zwar ausführlich die Auffassungen verschiedener Kirchenväter23, geht aber nur nebenbei in einer Fußnote auf den Hinweis des Kyrill von Alexandria ein, der „Herodianer“ als πράκτορες δὲ οὗτοι τελωνῶν interpretiert24. Diese Deutung des alexandrinischen Bischofs weist auf das Amt des πράκτωρ hin, was in der Provinzordnung Ägyptens einen kaiserlichen Steuereinnehmer meint25. Selbst wenn Kyrill hierbei die Verhältnisse einer viel späteren Zeit und einer anderen Provinz voraussetzt, so könnte es sich im Kern um eine durchaus zutreffende Erinnerung handeln. In dieselbe Richtung weist eine Notiz des Josephus, die in diesem Zusammenhang bisher völlig unbeachtet blieb (AJ 17,308): Die judäischen Gesandten, die vor Augustus erschienen und nach dem Tod des Herodes ein Ende der Herrschaft seiner Familie verlangten, beklagten sich dabei über die δοῦλοι des Herodes, die jährlich die Steuern eintrieben und wegen ihrer Bestechlichkeit die Untertanen des Königs erpressten. Es kann daher kaum 19 W. Larfeld, Handbuch, 512, bezeichnet diesen Fehler als „außerordentlich häufig“ sowie für jüdische Texte, T. Ilan, Lexicon, 22. Selbst die bekannte Inschrift im Theater von Milet, die die besonderen Sitzplätze der Gottesfürchtigen anzeigte, lautet: τόπος … θεοσεβίον statt θεοεβίων, IJO II, Nr. 37 vgl. 38. 20 Die Deutungsvorschläge reichen daher von dem Eigennamen „Rodion“, der allerdings nirgends sonst bezeugt ist; z. B. H. J. Leon, The Jews, 161; ders., New Material, 305–306, vgl. jedoch D. Noy, Jewish Inscriptions, 253; bis zu den Einwohnern von Rhodos, nach dem die Synagoge benannt sein sollte (vgl. Apg 6,9); vgl. H. Vogelstein, P. Rieger, Geschichte, Bd. 1, 40. Die Tafel ist darüber hinaus nur zu einem Drittel erhalten und bot daher ausreichend Platz für einen weiteren Text. Für die Deutung des Wortes als „Herodianer“ sprach sich J. Frey, Corpus, Bd. 1, 125–126, vehement aus. 21 CIJ I 381 = D. Noy, Jewish Inscriptions, Nr. 96; dazu A. Berliner, Geschichte, Bd. 1, 63. 22 LegGai 155 (Text: Colson 78): Ῥωμαῖοι δὲ ἦσαν οἱ πλείους ἀπελευθερωθέντες; vgl. D. Noy, Jewish Inscriptions, Nr. 79. 23 Origenes denkt an Juden, die bereitwillig die Steuer entrichteten, Commentarium ad Matthaeum 17,26 (zu Mt 22,16) (Text: Klostermann 656); Johannes Chrysostomus, Commentarium in Matthaeum (Text: PG 58, 655) an die Soldaten des Herodes Antipas, ebenso Hieronymus, Commentarium in Matthaeum 3 (zu Mt 22,15 f) (Text: Hurst, Adriaen 203); vgl. E. Bickermann, The Herodians, 664–665; K.-St. Krieger, Die Herodianer, 56. 24 Commentarius in Isaiam 11,4 (Text: PG 70, 317a). 25 H. Schaefer, Art. Πράκτωρ, 2545; vgl. dazu auch U. Wilcken, Grundzüge, Bd. 1,2, 311.

3.1 Jesu Weisung zum Steuerzahlen

149

ein Zweifel bestehen, dass zu der Gruppe der Herodianer u. a. auch diejenigen Sklaven gehörten, die mit der Steuerereintreibung befasst waren26. Aus diesem Grund ist es auch kein Zufall, dass gerade sie (nach Markus und Matthäus) Jesus die Steuerfrage stellen. Als Fachleute legten sie Jesus damit eine Frage vor, die ihren eigenen Aufgabenbereich betraf. Zudem dürften sie nach Absetzung des Archelaos den römischen Procuratoren zugearbeitet haben und mit den jüdischen Notabeln in Kontakt gekommen sein, die ohnehin durch die römische Administration in die Steuererhebung involviert waren. So wird ein Szenario erklärlich, wo die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten gemeinsam diese Leute für ihre Zwecke einsetzen. Diese Herodianer hatten darüber hinaus wegen ihrer Position in Finanzangelegenheiten des Königshauses gefährlichen Einfluss. Nach jenen Klagen der judäischen Gesandten in Rom blieben ihre Erpressungen trotz Beschwerden ungestraft. Die beschriebene Organisation des höfischen Lebens lässt sich interessanterweise nicht nur bei den Kaisern, sondern auch bei den jüdischen Herrschern nachweisen. Wieder enthält eine Stelle der Apostelgeschichte einen Fingerzeig: Nach Apg 12,20 spielte ein Kammerherr, ein gewisser Blastus, der seiner Herkunft nach wohl Heide war, eine Vermittlerrolle im Streit der Einwohner von Tyrus und Sidon mit König Agrippa I. Blastus übernahm die Verhandlungen mit dem König wohl nicht ohne Hintergedanken, denn er dürfte auf ein ansehnliches Bestechungsgeld bzw. ansehnlichen Lohn für seine Dienste gehofft haben. Auf einen jüdischen Kammerherrn des Königs Agrippa II mit Namen Crispus kommt hingegen Josephus im Zusammenhang mit den von ihm während des ersten Aufstandes den Einwohnern von Tiberias überbrachten Briefen zu sprechen. Die heikle Mission brachte diesen Vertrauten des Königs in Lebensgefahr, weil die Aufrührer ihn festnahmen und eine Bestrafung aller Beteiligten wegen Hochverrats verlangten27. Kommen wir unter Berücksichtigung dieser Befunde wieder auf die Zinsgroschenperikope zurück: Wenn Jesus also von den Herodianern mit Hilfe der Steuerproblematik in eine Falle gelockt werden sollte, so sind diese Kontrahenten, selbst wenn das ganze Szenario auf Markus zurückgehen sollte, geschickt gewählt, denn die Herodianer hatten mit der Steuereintreibung zu tun, gehörten zum Königshof und konnten ihre Verbindungen auch in der römischen Provinz nutzen, um Jesus dort zu diffamieren. Weiteres mag bis zu einem gewissen Grad Vermutung sein, dies freilich schon seit der Antike. So wird bei Pseudo-Tertullian28, Epiphanius29, Filastrius30 und Pseudo-Hiero26 Diese Stelle spricht auch gegen den Einwand von H. H. Rowley, The Herodians, 25, der anführt, dass die fiskalische Funktion der Caesariani erst in der Regierungszeit Domitians bezeugt sei. Die Sklaven des Herodes waren vielmehr schon zu Lebzeiten des Königs mit der Steuereinziehung betraut, wie Josephus an dieser von H. H. Rowley nicht beachteten Stelle voraussetzt. 27 Vita 381–384. 28 Adversus haereses 1 (Text: Kroymann 1401, 11–12): cum his etiam Herodianos, qui Christum Herodem esse dixerunt. Das Werk stammt nicht von Tertullian, wird von einigen Forschern Bischof Zephyrinus von Rom (198/199–217 n. Chr.) oder einem Kleriker aus seinem Umfeld zugeschrieben; C. Schmidt, Art. Zephyrinus von Rom, 636. 29 Panarion 20,1 (Text: Holl 224, 9–10). Epiphanius schrieb dieses Werk zwischen 374 und 377 n. Chr.; s. W. A. Löhr, Art. Epiphanius von Salamis, 196. 30 Diversarum hereseon liber 28 (Text: Heylen 228): Herodem autem regem Iudaeorum, percussum ab angelo, ipsum ut Christum sperantes expectant. Filastrius schöpfte sein Wissen wahrscheinlich aus Epiphanius Werk gegen die Häretiker. Dieselbe Nachricht findet sich dann auch bei Hieronymus, Dialogus contra Luciferianos 23 (Text: PL 23, 187a): Taceo de

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3. Einzelexegese des Markus-Apophthegmas

nymus31 den Herodianern nachgesagt, sie hätten König Herodes als Messias angesehen. Die Zuverlässigkeit solcher Traditionen von Autoren, die meist erst im 4. Jh. n. Chr. lebten, wurde in jüngster Zeit von Ariel Kasher bestritten32 und als christliche Erfindung abgetan. Selbst wenn diese Texte aus einem späteren christlichen Blickwinkel verfasst sind, so sollte man aber nicht übersehen, dass es Quellen gibt, die nahelegen, dass die verschiedenen Herrscher der herodianischen Dynastie versucht haben, ihre Herrschaft religiös zu legitimieren, und zwar in einer für Juden wie Heiden akzeptablen Weise. In einem paganen Umfeld entsprachen die jüdischen Herrscher den Erwartungen vieler Heiden und setzten, wie bezeugt wird, deren Bestrebungen keinen Widerstand entgegen, sie als übermenschliche Wesen anzureden und zu feiern. Das bekannteste Ereignis dieser Art ist die oben genannte Szene im Theater von Caesarea, bei der sich König Agrippa I als Übermensch feiern ließ, was sowohl Josephus als auch die Apostelgeschichte mit deutlicher Kritik vermerken. Beide Autoren sehen den plötzlichen Tod des Herrschers als Bestrafung dafür an, dass er dieses Verhalten der heidnischen Menge nicht unterbunden hatte. Nach Lukas spielen die Einwohner der heidnischen Städte Tyrus und Sidon dabei eine führende Rolle (Apg 12,20)33. Diese für jüdische Zeitgenossen empörenden Vorfälle geschahen im Rahmen eines Festes für die σωτηρία des regierenden römischen Kaisers Claudius34 nach Vollendung des dritten Regierungsjahres des Agrippa I, wie Josephus berichtet35. Es liegt nahe, dieses Fest mit dem Regierungsjubiläum des Königs zu verbinden, das daran erinnern sollte, dass er von Kaiser Claudius nach dem Sturz seines Vorgängers Caligula im Jahr 41 n. Chr. zum Herrscher über das ganze Reich seines Großvaters einschließlich Jerusalems eingesetzt worden war. Zudem lässt sich anführen, dass nicht nur diese Jubiläen, sondern auch die Geburtstage der herodianischen Herrscher36 festlich begangen wurden, wie Mk 6,21 für Herodes Antipas, den Landesherrn Jesu, bezeugt. Dabei waren viele Große des Reiches von den Juden wie den Heiden und die Befehlshaber der kleinen Schutztruppe des Tetrachen zu einem Gelage versammelt37. Auch das gab es in Rom: Der römische Dichter Persius (2. Hälfte

Judaismi haereticis, qui ante adventum Christi, legem traditam dissiparunt … quod Herodiani Herodem regem suscepere pro Christo; Commentarium in Matthaeum 3 (zu Mt 22,15 f) (Text: Hurst, Adriaen 203): Quidam Latinorum ridicule Herodianos putant qui Herodem Christum esse crederunt, quod nusquam omnino legimus. Diese Notiz beweist, dass Hieronymus der Gleichsetzung von Herodes mit dem Messias nicht traute und sie aus einem lateinischen Autor, wohl Pseudo-Tertullian oder Filastrius, übernommen hat. 31 Zur Datierung des Pseudo-Hieronymus s. u. 6.1. 32 A. Kasher, King Herod, 219–220. E. Bickermann wollte diese Herodianer in der patristischen Literatur von den Sklaven und Freigelassenen des Königs deutlich unterschieden wissen, The Herodians, 664. 33 Vgl. N. Förster, Das gemeinschaftliche Gebet, 40–41. 34 AJ 19,343. 35 AJ 19,343: τρίτον δὲ ἔτος αὐτῷ βασιλεύοντι τῆς ὅλης  Ἰουδαίας πεπλήρωτο, καὶ παρῆν εἰς πόλιν Καισάρειαν …. In BJ 2,219 datiert Josephus den Tod des Königs ebenfalls in diese Zeit, ohne die Vorkommnisse in Caesarea zu erwähnen. Lukas spricht nur ganz allgemein von einem „festgesetzten Tag“ (τακτῇ δὲ ἡμέρᾳ), an dem der König eine Rede hielt (Apg 12,21), die die Akklamationen der Menge auslöste. 36 Zur Feier des Geburtstags bei Juden vgl. A. Lehnardt, Der Geburtstag, insb. 405–407. 37 Mk 6,21 setzt eine δεῖπνον an den γενέσια voraus.

3.1 Jesu Weisung zum Steuerzahlen

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des 1. Jh. n. Chr.38) kennt „Herodestage“39 als jüdische Festtage in Rom. Die für des Persius dunklen und schwerfälligen Stil leider typische Stelle wird von den modernen Interpreten meist als Umschreibung für den in den folgenden Gedichtzeilen erwähnten jüdischen Sabbat gewertet40. Es bleibt aber zu fragen, wieso der römische Dichter an dieser Stelle König Herodes ins Spiel bringt. Man könnte unter „Herodestage“ auch einen Hinweis auf die Geburtstagsfeiern für den regierenden Herrscher der herodianischen Dynastie verstehen, wie es zumindest (frühmittelalterliche) Scholien bzw. deren Quellen tun41. Ein Zweig der handschriftlichen Überlieferung kennzeichnet die Herodianer als diejenigen Juden (Roms), für die diese Feiern typisch waren42. Sollten wir die oben erwähnte Katakombeninschrift richtig verstanden haben, so lässt sich aus alledem erschließen, dass zahlreiche Herodianer in Rom lebten und eigene Gewohnheiten kultivierten. Herrschergeburtstage hatten sich bereits in den Diadochenreichen zu einem allmonatlichen Festtag entwickelt43. Auch die römischen Kaiser gestalteten je nach Senatsbeschluss ihre Geburtstage mit entsprechendem Aufwand wie Zirkusspielen und Geschenken44. Nun haben solche Feiern für Griechen und Römer dem Dämon bzw. Genius gegolten45, den jeder Mensch bei seiner Geburt erhält; hier war die Grenze zum Personalkult, ja zum Götzenopfer (jüdisch gesprochen) rasch überschritten. – Wenn wir all dies nach Judäa rückprojezieren dürfen, ist ein Zweckbündnis zwischen Pharisäern und Herodianern dann reichlich paradox und als solches schon geeignet, Jesus (wenn er die Leute denn kennt – sonst die Leser des Textes) auf eine unlautere Absicht hinzuweisen. 38  Er wurde am 4. 12. 34 n. Chr. geboren und starb am 24. 11. 62 n. Chr.; P. Kroh, Art. Persius, 455–456. 39 Saturae 5,186 (Text: Kißel 56): Herodis venere dies …; vgl. auch den Text und Kommentar bei M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 1, Nr. 190, S. 436. 40 Diese Interpretation findet sich z. B. bei F. Villeneuve, Les satires, 154; R. A. Harvey, A Commentary, 177; G. Lee, W. Barr, The Satures, 154; W. Kißel, Aules Persius, 744; H. Nikitinski, A. Persius, 255. Die Deutung auf den Geburtstag wiederholen J. Conington in seinem Kommentar der Ausgabe von H. Nettleship, Persius, The Satires, 119; W. Schmidt, Geburtstag, 70. Die Möglichkeit eines Geburtstagsfestes erwägt auch W. Horbury, Herod’s Temple, 128–135. 41 Als ein Beispiel seien hier die Scholien, In Saturas 5,179, die unter dem Namen des Cornutus umliefen, genannt (Text: Clausen, Zetzel 138): Herodis ergo diem natalem observant, aut etiam sabbata …. Eine andere Scholientradition datiert diesen Geburtstag auf den 1. April, das Datum der römischen Veneralia, eines Festes der Liebesgöttin, s. Appendix III bei J. E. G. Zetzel, Marginal Scholarship, 226 sowie C. Koch, Art. Venus, 857. Immerhin bezeugt ein Sarkophag aus Hierapolis in Phrygien, dass ein gewisser P. Aelius Glykonianos, der möglicherweise Jude war, Geld stiftete, um sein Grab nicht nur am Passahfest und am Fest der ungesäuerten Brote, sondern auch an den Kalenden, d. h. am 31.12. jedes Jahres, zu bekränzen, an dem gerade in den Provinzen die Loyalität zu Rom gefeiert wurde, s. IJO II Nr. 196 sowie den Kommentar S. 421. 42 Vgl. das sog. Commentarium Cornuti zu Saturae 5,179 (Text: Clausen, Zetzel 138): Herodis ergo diem natalem Herodiani observant …. W. Horbury, Herod’s Temple, 126–127, vermutet, dass Herodiani eine Glosse des karolingischen Abschreibers der Scholien sei und diese Glosse aus Mk 6,21 bzw. Mt 14,6 abgeleitet sei. Diese Deutung bleibt m. E. aber eine reine Vermutung. 43 A. Stuiber, Art. Geburtstag, 218. 44 W. Schmidt, Γενέθλιος ἡμέρα, 1145. 45 Vgl. den Kommentar des Servius, In Vergilium Commentarius zu Aeneis 6,743 (Text: Thilo 105); s. ferner zu dieser Vorstellung W. Schmidt, Γενέθλιος ἡμέρα, 1142; ferner W. F. Otto, Art. Genius, 1163.

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Was den Messianismus betrifft: Es ist denkbar, dass die vom judäischen Königshof verbreitete Ansicht, mit Herodes sei die messianische Zeit angebrochen, bei der Überhöhung seiner Regierung eine Rolle spielte. Auch wenn in diesem Punkt viele Fragen, wie z. B. der von Bickermann diskutierte Zusammenhang mit einer messianischen Deutung von Gen 49,10, offen bleiben müssen46, so ist dennoch die Verbindung der Herodianer zum Steuerzahlen für unsere Fragestellung wichtig und erklärt, warum gerade diese jüdische Gruppe im Kontext der Steuerdebatte Jesus gegenübergestellt wird. Selbst wenn sie erst von Markus an dieser Stelle seines Evangeliums eingefügt wurde, so kommt ihrer Erwähnung eine gewisse historische Plausibilität zu, und sie gibt der ganzen Perikope eine politische „dritte Dimension“.

1. Sequenz, Teil b: Gesprächsanknüpfung Wenden wir uns wieder der Exegese der Zinsgroschenperikope zu: Nachdem uns die Einleitung über die hinterlistigen Absichten der Gegner Jesu informiert hat, wird die Gesprächsanknüpfung der gegnerischen Gruppe geboten, die mit der ehrenvollen Anrede als Lehrer47 und einem fast überschwänglichen Lob beginnt und durch das Nicht-Rücksichtnehmen auf die Person Jesu Zuverlässigkeit in seiner Lehre unterstreicht. Dahinter verbirgt sich aber eine Falle der Opponenten: Sie wollen Jesus in Gefahr bringen, zumal ihm unterstellt wird, dass er wegen seiner großen Wahrhaftigkeit auf die möglichen Konsequenzen seiner Worte keine Rücksicht nehme. 1. Sequenz, Teil c: Die Frage nach der Steuer Das von uns oben untersuchte römische Steuersystem und der jüdische Widerstand dagegen haben die historischen Hintergründe dieser Anfrage an Jesus aufgezeigt, die von den Opponenten vorausgesetzt wurden. Dies wurde darin sichtbar, dass wenige Jahre zuvor die Aufstandsbewegung gegen den Census, die in den Quellen mit Judas dem Galiläer verbunden ist, die Frage, ob es den Juden, welche die ὁδὸς τοῦ θεοῦ befolgen wollen48, erlaubt sei, dem Kaiser Steuern zu entrichten, in das Zentrum politischer Auseinandersetzungen rückte. Die Opponenten Jesu wollten ihn in diesem historischen Umfeld auf eine für sein 46 Diese Stelle bezieht sich indirekt auf die idumäische Herkunft des Herodes, s. auch Sh. J. D. Cohen, Was Herod, 17–22. 47 Diese Bezeichnung in Mt 22,16b; Mk 12,14a–bα; Lk 20,21 hat nach H. D. Betz, Vom wahren Lehrer, 71, einen „Eigenwert“ und ist nicht allein Schmeichelei. W. D. Davies, D. C. Allison, A Critical and Exegetical Commentary, Bd. 3, 213, stellen fest: „Jesus’ opponents speak the truth unwittingly“. 48 Diese Formulierung (Mt 22,17; Mk 12,14bβ; Lk 20,22) ist sicherlich auch ein Wortspiel, denn Jesus lehrt in der Tat Gottes Weg, freilich anders als seine Opponenten erwarteten, R. H. Gundry, Matthew, 441.

3.1 Jesu Weisung zum Steuerzahlen

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Wirken nachteilhafte oder für ihn sogar lebensgefährliche Alternative festlegen: Wie bereits viele Ausleger der Stelle vermuten49, sollte sich Jesus durch seine Antwort entweder öffentlich als Anhänger der römischen Herrschaft bekennen, was ihm viel Sympathie bei der Bevölkerung kosten musste oder aber durch seine Ablehnung selbst den Grund für eine Anklage als politischen Aufrührer beim römischen Statthalter bieten. Die Gesprächspartner, die sich zunächst den Anschein rechtschaffener Leute gaben, die zu Jesus als Lehrer aufblicken, lassen in diesem Moment ihre Maske fallen50 und ihr eigentliches Anliegen erkennen. 2. Sequenz, Teil a: Vorläufige Reaktion Jesu, Aufforderung zum Beibringen der Münze Nun wissen wir: Denare – mit Kaiserbild und Inschrift – waren für alle Steuerpflichtigen mit ihren Steuerzahlungen verknüpft, was bei Matthäus in der Formulierung τὸ νόμισμα τοῦ κήνσου Ausdruck findet (Mt 22,19). Ebenso klar ist, dass alle diejenigen, die die Entrichtung der Steuer mit Denaren an den römischen Staat infrage stellten, angeklagt bzw. hingerichtet wurden. Auf dieses Wissen gründet die Aufforderung Jesu, ihm einen Denar herbeizubringen. Sie hebelt die Fangfrage der Gegenseite aus, und Jesus lässt sich auf diesem Weg gerade nicht durch seine Antwort in eine Auseinandersetzung verwickeln, durch die die gegnerische Seite eine Verurteilung bei den römischen Behörden erreichen konnte. Bei Markus tritt in diesem Zusammenhang durch die Betonung des Anfassens und Sehens51 der Münze Jesu eigentliche Absicht deutlicher hervor als bei den Seitenreferenten: Hier bleibt keiner wegen „Nichtbefassung“ abseits, sondern die Gesprächspartner werden ihrerseits vor eine Handlungsalternative gestellt: Fassen sie die Münze an, bzw. betrachten sie das Geldstück oder nicht. 2. Sequenz, Teil b: Die Gegenfrage Jesu Durch Markus und Matthäus erfahren wir, dass der Aufforderung Jesu nachgekommen und die verlangte Münze herbeigeholt wird. Moderne Exegeten vermuten zumeist, Jesus habe seine Gegner lediglich darauf festlegen wollen, 49 S. z. B. H. Windisch, Imperium, 13; E. Stauffer, Christus, 128–129; O. Cullmann, Der Staat, 25; E. Lohmeyer, Das Evangelium des Matthäus, 324; ders., Das Evangelium des Markus, 251; J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, Bd. 2, 152; J. A. Fitzmyer, The Gospel according to Luke X–XXIV, 1291; P. C. Finney, The Rabbi, 630; B. R. Grangaard, Conflict, 104; St. Schreiber, Caesar, 66. 50 Dass die Fragesteller feindlich gesinnt waren, betont z. B. J. S. Ukpong, Tribute, 438. 51 Auf diesem Ansehen in Mt 22,18–19a; Mk 12,15; Lk 20,23–24a liegt sogar eine besondere Betonung, H. Loewe, Render, 102–104.

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dass sie das Geld der Römer in ihren Taschen tragen52. Eine solche Interpretation greift aber zu kurz und verfehlt den Kern der Auseinandersetzung. Schließlich ist von einer Verwendung der Münze etwa bei alltäglichen Handelsgeschäften keine Rede53. Außerdem hat schon Johann David Michaelis mit Blick auf die zu seiner Zeit verbreiteten Goldmünzen des französischen Königs bemerkt, dass der bloße Besitz einer solchen Münze noch nichts beweise, keine Loyalität und schon gar keine Unterwerfung unter die Steuerpflicht, „sonst könnte der König von Frankreich, so oft wir einen Louis d’Or hätten, eine Taxe auf uns legen“54. Das bloße Haben von Geldstücken hätte Jesu Widersacher also nicht so beschämt, dass sie nichts mehr zu erwidern gewusst hätten. Sie hätten Jesus zu Recht darauf hinweisen können, dass viele Nichtrömer zu ihrer Zeit Denare als Währung verwendeten und mit sich führten; so war es jedenfalls bis nach Indien55 oder in den Norden Germaniens56. Verfänglich – jetzt für Jesu Gegner – ist hingegen das Anfassen und der gemeinsame Blick auf die Münze, ihr Bild – insbesondere das Kaiserportrait – und ihre Umschrift. Beachtet man nämlich, dass speziell dieser Akt des Tragens im Sinne von Anfassen und des Sehens dieser römischen Währung von einigen jüdischen Zeitgenossen Jesu aus Loyalitätsgründen gegenüber Israels einzigem „Herrn“ strikt abgelehnt wurde, so erschließt sich der Sinn 52 Zu Mt 22,19b–20; Mk 12,16a; Lk 20,24bα s. E. Stauffer, Christus, 137; vgl. ders., Die Botschaft, 100; J. Sp. Kennard, Render, 83. Nach Stauffer stehen Jesu Gegner „mit angeschlagenem Rückrat da. Denn sie haben das Kaisergeld in der Tasche“; vgl. auch z. B. C. E. B. Cranfield, The Christian’s Political Responsibility, 178; J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, Bd. 2, 153; W. Böld, Obrigkeit, 37; R. J. Cassidy, Jesus, 57; M. Bünker, Gebt, 90, 93; W. Weiß, Eine neue Lehre, 215; W. D. Davies, D. C. Allison, A Critical and Exegetical Commentary, Bd. 3, 215; R. Grangaard, Conflict, 107; A. Fuchs, Die Pharisäerfrage, 69; Ch. Myers, Binding, 314. 53 Darauf macht bereits U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 207, aufmerksam: „Von einem Gebrauch des Denars oder Umgang mit demselben durch die Appellanten ist an keiner Stelle des Textes die Rede“. 54 Michaelis war in Göttingen Professor für orientalische Sprachen. Die angeführten Überlegungen finden sich in seinem Werk „Mosaisches Recht“ (1770–1775), Teil 3, 217; vgl. zu Michaelis auch W. Thiel, Art. Michaelis, 1206. Auch J. A. Bengel, Gnomon, 127 (zu Mt 22,21) weist übrigens schon darauf hin, dass es um den Münzgebrauch geht, der anders als zu seiner Zeit den Untertanen von den römischen Kaisern keineswegs freigestellt war. Fremdwährungen – wie die gängigen französischen Münzen im Deutschland des 18. Jh., auf die Bengel ausdrücklich hinweist – waren von den Römern innerhalb der Reichsgrenzen als gesetzliches Zahlungsmittel eben verboten. Michaelis Bemerkung ist oft wiederholten Deutungen entgegenzuhalten, für die hier beispielhaft J. Gnilka steht: „Ha­ben sie aber das Geld des Kaisers bei sich, so erkennen sie faktisch den Kaiser als Landes­herrn an“, ders., Das Evangelium nach Markus, Bd. 2, 153. 55 Römische Münzen kamen mit importierten Waren nach Indien und wurden im Süden des Subkontinents zusammen mit indischen Münzen in Schätzen gefunden, s. J. D. M. Derrett, Art. India, 1390. 56 Zu den Münzfunden in Germanien und in Nordeuropa s. Ch. Howgego, Ancient History, 104–105 (mit Lit.). Es gibt sogar Hinweise durch Ausgrabungen in germanischen Siedlungen, dass römische Silber‑ und Goldmünzen „in einer Art rudimentärer Geldwirtschaft verwendet wurden“, s. M. Carroll, Römer, 124.

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von Jesu Aufforderung. Das besprochene Quellenmaterial, vor allem die Hippolytpassage57, legt nahe, dass Jesus die Gegenseite auf die Probe stellt. 2. Sequenz, Teil c: Antwort an Jesus Die Antwort auf Jesu Gegenfrage macht den Gegnern klar, worauf sie sich eingelassen haben. Die Falle, die sie Jesus stellen wollten, in der sind sie nun selbst gefangen. Wären sie Steuerverweigerer aus religiösen Gründen, hätten sie die Münze weder angefasst noch würden sie jetzt ihr Bild anschauen58. Damit war ihre Steuerfrage natürlich noch nicht beantwortet, aber Jesus hatte die Angelegenheit gleichsam durch diese vom Standpunkt der Toraauslegung durchaus relevante Handlung zu einer gewissen Vorentscheidung gebracht. Sie machte zudem vor aller Augen offenkundig, dass die Steuerfrage an und für sich nicht ernst gemeint, sondern nur eine vorgeschobene Fangfrage war, die dazu dienen sollte, Material für eine Anzeige zu sammeln 59. Wir verstehen jetzt auch, warum Jesus die Auseinandersetzung anhand des Denars auf das aufgeprägte Kaiserportrait fokussiert. Eben dieses staatliche Kennzeichen machte nach römisch juristischer Auffassung, wie wir gezeigt haben, ein Metallstück zu Geld. εἰκών und ἐπιγραφή identifizieren es als kaiserliche Währung. Genau darauf kommt es Jesus an. Auch konnte nun niemand mehr einwenden, er habe den Denar weder angefasst noch angesehen. Vergeblich hat man herausfinden wollen, um welchen Denartyp mit dem Portrait des regierenden Kaisers Tiberius sich das Gespräch gedreht habe60. Sehr oft wurde auf einen häufig vorkommenden Denar dieses Kaisers mit dem Bild der Kaiserin Livia auf der Rückseite verwiesen, ohne dass sich diese Vermutung durch irgendwelche Anhaltspunkte beweisen ließ61. Im Prinzip kann es sich um 57 s. u.

2.3.2. das Anschauen der Münze ein wichtiger Vorgang war, bemerken R. Breymayer, Zur Pragmatik, 28 und P. C. Finney, The Rabbi, 634–635, ohne die spezielle Torainterpretation als Hintergrund auszuleuchten; ebenso G. J. Blidstein, R. Yohanan, 161 und S. Freyne, Jesus, 188 Anm. 38, der lediglich P. C. Finney zitiert. 59 Diese Deutung von Mt 22,21a; Mk 12,16b; Lk 20,24bβ vertritt z. B. G. Petzke, Der historische Jesus, 229. 60 M. Rist, Caesar or God, 248; E. Stauffer, Die Botschaft, 101; R. A. Horsley, Jesus and the Spiral, 308–309; K. Huber, Jesus, 197, 204. St. Alkier, Geld, 327, wies zu recht darauf hin, dass es sich auch um einen Denar des Augustus gehandelt haben könnte, dessen Münzen in größeren Mengen als die des Tiberius zirkulierten. Allerdings dokumentiert der Denar per se nicht das „Gewaltthema“, wie H. G. Klemm, De Censu, 246, behauptet. Ebenso spekulativ ist die Deutung: „Mark is careful to distance Jesus from the coin and the collaborative politics it represents“ von Ch. Myers, Binding, 311. 61 Zu diesem verbreiteten Denartyp, der in Lugdunum (Lyon) geprägt wurden, s. H. Mattingly, Coins, 125–126, Nr. 34–38; 42–45; 48–54. Von der Annahme, die Münze sei ein solcher Tiberius-Denar gewesen, gehen u.a. E. Stauffer, Christus, 132–133; ders., Die Botschaft, 101; 58 Dass

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jeden Denar des Augustus oder Tiberius gehandelt haben; das Nähere bleibt beliebig und wird deshalb im Text auch nicht präzisiert. Für Jesus war es nur wichtig, dass diese Münze eindeutig als Kaisergeld identifiziert wurde, denn darauf bezieht er sich in seiner folgenden Weisung, dem Imperator das Seine zu geben, was nun dargelegt werden soll.

Denar des Tiberius, Münzstätte: Lugdunum; vergrößerte Abb. © Originalzeichnung von Henry H. Förster

3. Sequenz, Teil a: Reaktion Jesu, abschließender Imperativ Nachdem Jesus das Gespräch geschickt auf das römische Geld gelenkt und damit die Loyalität zur römischen Herrschaft thematisiert hat, bestätigt er diese offenbar vorhandene Loyalität bei seinen Hörern (im Sinne einer Aufforderung wie: „macht das nur!“) – mit einer noch zu ermessenden Öffnung. Seine Weisung ist zunächst: Man solle solche Geldstücke dem Kaiser bzw. dessen Bevollmächtigten aushändigen62 und damit der Steuerforderung genüge tun. Der Kaiser erhält auf diesem Weg zurück, worauf er sein Bild hatte prägen lassen und was er von seinen Untertanen verlangt. Indem Jesus dieses Geldstück ins Zentrum rückt, dokumentiert er seine eigene Distanz zum Münzboykott bestimmter jüdischer Kreise, die zu seiner Zeit gegen die kaiserliche Herrschaft rebellierten. Er bestätigt aber auch die bereits gefalleB. Schwank, Art. δηνάριον, 711; D. Flusser, Jesus, 89 (mit Abb.) aus. Diese Gleichsetzung hat eine lange Vorgeschichte, s. z. B. J. Ch. Wolf, Curae, 313. Skeptisch äußert sich U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 221. Die heidnisch-religiösen Ämter des Kaisers, die in der Münzlegende für den Kaiser erwähnt wurden, dürften bei der Betrachtung der Münze keine Rolle gespielt haben; gegen H. G. Klemm, De Censu, 254; W. Schrage, Ethik, 119; K.-St. Krieger, Geschichtsschreibung, 28; K. Huber, Jesus, 198. Auch lässt sich aus der Erwähnung des Kaisers nicht ableiten, das Logion sei ursprünglich griechisch formuliert worden, B. Schwank, Ein griechisches Jesuslogion? 63. 62 Das Verb „ἀποδίδοναι“ (vgl. Mt 22,21b; Mk 12,17a–bα; Lk 20,25) umschreibt dabei den konkreten Vorgang des Bezahlens, s. Ch. H. Giblin, The Things, 512.

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ne Entscheidung der Gesprächspartner in diesem politisch sensiblen Punkt der Verwendung des römischen Geldes. Was dem Kaiser gehört: Wie erwähnt, war, rechtlich gesprochen, der Kaiser – wie sein Bild bezeugt  – der Eigentümer der Münze, ihr momentaner Träger hingegen nur der Besitzer. Er konnte sie benutzen – zu Handelszwecken und musste sie benutzen zum Steuerzahlen; aber zum Behalten war sie nicht gedacht. Des Kaisers Anspruch erstreckte sich also auf jenes Geld, das auf seinen Befehl hin in staatlichen Prägeanstalten hergestellt wurde und nach römischem Recht seinen Namen und sein Bild aufgeprägt erhielt. Darüber konnte der Kaiser uneingeschränkt verfügen und dieses Geld gelangte mittels der Steuereingänge in die kaiserliche Kasse und Verfügungsgewalt zurück, um sodann erneut von der Verwaltung für alle vom Herrscher festgelegten Zwecke ausgegeben werden zu können. Damit wurde es durch eine Art Kreislauf in einem bürokratisch gelenkten Prozess zu seinem Ursprung zurücktransportiert, von wo aus es z. B. durch Soldzahlungen und andere öffentliche Ausgaben in Umlauf gesetzt worden war63. Ein solcher Geldumlauf, der nicht zuletzt auf Steuerzahlungen basierte, war in Jesu Augen offensichtlich ganz legitim. 3. Sequenz, Teil b: Wirkung der Antwort Jesu auf die Fragesteller Die Gegner Jesu, Autoren der Fangfrage, sind geschlagen, wie ihr Schweigen bezeugt64. Sie haben sich selbst verfangen, wie von den Evangelisten mit unterschiedlichen Worten wiedergegeben ist. Das heißt freilich nicht, dass Jesus sich mit seiner Weisung zur Legitimität der römischen Herrschaft als solcher geäußert hatte. Mit welchem Recht Judäa ein Teil des römischen Imperiums war, dazu äußert er sich nicht. Dabei ist Jesus keineswegs politisch naiv oder gar gleichgültig. Dies legt eine Anspielung, die Lukas aus seinem Sondergut überliefert65, nahe, die sich auf die von dem römischen Procurator Pilatus getöteten 63 Diese Form eines Geldkreislaufs vor allem von Silber‑ und Goldmünzen zwischen der Staatskasse und den Empfängern kaiserlicher Zahlungen diskutiert ausführlich K. W. Harl, Coinage, 240–247 (vgl. insbesondere die Abb. zur Veranschaulichung der Zirkulation des Geldes). Die römischen Silberdenare wurden z. B. für den Sold der Legionen wieder ausgegeben. Zur Zeit des Augustus wandte der Kaiser etwa die Hälfte des jährlichen Steueraufkommens für die Bezahlung der Armee auf; s. R. MacMullen, The Roman Emperor’s Army Costs, 572. Jeder Legionär empfing dabei in augustäischer Zeit 225 Denare im Jahr, R. MacMullen, The Roman Emperor’s Army Costs, 571; K. W. Harl, Coinage, 216. Ein Procurator erhielt zwischen 15 000 und 50 000 Denare, F. Millar, The Roman Near East, 52. Der Sold der Legionäre stieg übrigens während der Kaiserzeit stetig an und betrug im 3. Jh. n. Chr. unter Kaiser Caracalla 600 Denare jährlich. 64 Vgl. Mt 22,22; Mk 12, 17bβ; Lk 20,26. 65 Dabei ist aber nur mit einer Redaktion durch Lukas zu rechnen, s. J. A. Fitzmyer, The Gospel according to Luke X–XXIV, 1004; H. Klein, Das Lukasevangelium, 473; M. Wolter, Das Lukasevangelium, 475. Lukas verarbeitete dabei eine Jesustradition.

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Galiläer66 bezieht (Lk 13,1–2)67. Man kann also annehmen, dass er über die Leistungen, aber auch die Unzulänglichkeiten der römischen Regierung und die Gewalttätigkeit vieler ihrer Repräsentanten informiert war. Auch auf die Vorteile römischer Zivilisation seiner Zeit, die die Steuergelder erst möglich machten, wie beispielsweise das gewaltige, das ganze Reich umspannende Straßennetz mit seinen Brücken und gepflasterten Wegen oder die Ordnungsfunktion der Staatsmacht, die rabbinische Texte gelegentlich erwähnen68, geht Jesus nur (mittels einer Anspielung) räumlich ein69. Was Jesu Antwort auf die Steuerfrage anbelangt, so hält er sie geschickt in der Schwebe, legt sich nicht fest und behält sich implizit eine kritische Distanz zum römischen Staat vor, ohne sich jedoch in irgendeiner Form direkt gegen den Herrschaftsanspruch des Kaisers zu wenden oder gar zur Steuerverweigerung aufzufordern. Der Zielsatz des Apophthegmas, um dessenwillen es überhaupt erzählt wird, ist der folgende:

66 Von diesem Vorfall erfahren wir sonst nichts in der historischen Überlieferung (z. B. bei Josephus), s. z. B. A. N. Sherwin-White, Roman Society, 138; H. Klein, Das Lukasevangelium, 474. Dies spricht für ein authentisches Jesuswort (so auch J. Gnilka, Jesus, 210), das sich auf einen vergleichsweise kleineren Vorfall mit wenigen Toten wie den von Jesus erwähnten Einsturz eines Turms in Siloah bezieht (Lk 13, 4). Dieses Ereignis von eher geringfügiger Bedeutung wurde darum von Historikern wie Josephus nicht berichtet; s. J. Blinzler, Die Niedermetzelung, 37–38. Es scheinen aber blutige Übergriffe auf galiläische Festpilger in Jerusalem gemeint zu sein (deren genauere historische Einordnung spekulativ bleiben muss; dazu M. Wolter, Das Lukasevangelium, 475). Wenn dabei von dem Blut der Galiläer, das sich mit dem ihrer Opfer vermischte, die Rede ist, so heißt das aber nicht, dass sich der Vorfall im inneren Tempelbereich, etwa im Vorhof der Priester, ereignete (so Th. Zahn, Das Evangelium des Lukas, 521), denn diese Wortwahl ist durchaus im übertragenen Sinn bezeugt; J. Blinzler, Die Niedermetzelung, 28–29 mit Hinweis auf das bei Bill., Bd. 2, 193, gesammelte rabbinische Material. 67 Man sollte jedenfalls nicht an eine Gruppe von Aufständischen, die „Galiläer“ hießen, denken, denn Jesus spielt offenbar auf ein Geschehen im Tempel, nicht auf einen bewaffneten Aufstand auf dem Land an, J. Blinzler, Die Niedermetzelung, 26–27, 31–32; J. A. Fitzmyer, The Gospel according to Luke X–XXIV, 1006; anders O. Cullmann, Der Staat, 11–12; W. Schrage, Die Christen, 45–46; S. Zeitlin, Who Were the Galileans, 197. 68 Rabbi Jehuda überliefert, wie bestürzt die vier Rabbinen waren, die (wohl unter Nerva) eine Romreise unternahmen, als sie der Größe Roms ansichtig wurden; die Ausdrücke ‫בטח‬ ‫והשׁקט‬, bMak 24a (Text: Goldschmidt 609) übersetzen securitas et pax. Rabbi Jehuda bar Ilai lobt ferner die Straßen, Brücken und Bäder der Römer, bShab 33b (Text: Steinsaltz 136; vgl. Goldschmidt 396). Rabbi Schim on ben Joḥai tadelt ihn dafür, wurde darum von römischen Behörden verfolgt und musste in eine Höhle fliehen. 69 Das Wort ἀγγαρεύειν in Mt 5,41; 27,32 bezieht sich auf das Recht des römischen Militärs, zu Transportzwecken Hand‑ und Spanndienste von der Provinzbevölkerung in Anspruch zu nehmen; vgl. J. Gnilka, Das Matthäusevangelium, Bd. 1, 183; rabbinisches Material findet sich gesammelt bei Bill., Bd. 1, 344–345.

4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese Ehe wir das Gegenüber von „Kaiser“ und „Gott“ bedenken, womit Jesus seine gesamte Antwort krönt, ist eine zeitgenössische Ansicht davon zu ermitteln, was denn wohl Gott „gehört“. Hiervon gibt es präzise Auffassungen noch diesseits aller Dialektik. Sie unterscheiden sich von dem  – im Prinzip natürlich gültigen – theologischen Axiom, die ganze Welt als Gottes Schöpfung sei auch Gottes Eigentum.

4.1 Bisherige Ansätze zur Deutung „von dem, was Gottes ist“ 4.1.1 Ist an die Tempelsteuer gedacht? In einigen Auslegungen wird angenommen, dass Jesus über die Steuerfrage hinausgehend, auf eine Verpflichtung gegenüber Gott anspielen wollte, die im zeitgenössischen Judentum in vergleichbarer Weise in Geld geleistet werden musste. Hat Jesus auf die Tempelsteuer hinweisen wollen, die ja ebenso wie die staatlichen Abgaben in Bargeld bezahlt wurde und dem jüdischen Tempel zugutekam? Diese Interpretation wird z. B. von Ethelbert Stauffer vertreten: „Gebt Gott, was Gottes ist. Das geht primär auf die Tempelsteuer …“1. Diese Deutung legt sich wegen einer einfachen Gleichung nahe: Ebenso wie der Kaiser erhält auch Gott das ihm zustehende Geld. 4.1.2 Historisches zur Tempelsteuer Zahlreiche Zeugnisse geben uns über die Genese der Tempelsteuer und die Modalitäten ihrer Bezahlung Auskunft. An erster Stelle sind hierbei Josephus und Philon zu nennen. Dazu kommen ausführliche Anweisungen in rabbinischen Schriften, denn der in der Zeit des Zweiten Tempels für den Gottesdienst erhobenen Halbschekelsteuer ist ein eigener Traktat Scheqalim in der Mischna, in der 1 E. Stauffer, Christus, 145. Stauffer rechtfertigt diese Aufforderung zur Unterstützung des Tempels, denn sie sei ein Beitrag zur „Glorificatio Dei mitten in einer Welt und Zeit, die erfüllt ist von der Glorificatio Caesaris“, ebd.

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4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

Tosefta und in den Talmudim gewidmet. Schließlich gibt es noch Bestätigungen seitens paganer Autoren. Aus all diesen Berichten ist zu entnehmen, dass diese Abgabe toragemäß (Ex 30,13) von allen männlichen Juden, die älter als zwanzig Jahre waren, bezahlt werden musste. Frauen, Sklaven und Minderjährige waren ausgenommen2. Von Heiden und Samaritanern wurde kein Geld angenommen3, was den ausschließlich jüdischen Charakter dieser Form der Finanzierung des Tempels beweist. Das schließt aber nicht aus, dass Heiden Opfer bezahlen konnten, die für viel Geld dann auch dargebracht wurden – nicht zuletzt die des Kaisers selber. Als biblische Legitimation solcher Zurückhaltung wurde vor allem der Abschnitt Ex 30,11–16 herangezogen, aus dem sich entnehmen lässt, dass die gesammelten Mittel als „Sühnegeld“ betrachtet wurden und als „Opfergabe“ für den Herrn galten (Ex 30,13b). Der Kontext besagt dort freilich, dass an eine Sühne für die Volkszählung des Mose gedacht ist, durch die verhindert werden sollte, dass die Maßnahme Gottes Zorn und Strafe hervorrufen könnte (Ex 30,12). Die einflussreiche pharisäische Richtung des Judentums leitete daraus die Forderung einer alljährlich wiederholten Sammlung für den Tempel ab. Mit den sehr hohen Summen, die dabei zusammenkamen, wurden insbesondere, wie rabbinische Nachrichten darlegen, die täglichen Ganzopfer für Israel finanziert4, denn Gemeindeopfer bringen Sühne und Versöhnung zwischen den Israeliten und ihrem Vater, der im Himmel ist.

Zu den für die Durchführung des Jerusalemer Tempelgottesdienstes unabdingbaren Voraussetzungen, die aus dieser Quelle finanziert wurden, gehörten außerdem die Zusatzopfer am Sabbat, Neumonden und Festtagen, die zu jedem Opfer gehörenden Trankopfer, die Schaubrote im Tempel und viele weitere Bestandteile des Kultes5. Dabei war aber stets der Grundgedanke bestimmend, dass die durch Opfer erlangte Sündenvergebung mittels der Steuer zu einer Angelegenheit des gesamten jüdischen Volkes wurde. Weil die Juden in vielen Regionen und Städten der antiken Welt verstreut lebten, musste das eingesammelte Bargeld jährlich aus großer Entfernung herbeigeschafft werden, was für damalige Verhältnisse eine große logistische Leistung war, erbracht von vielen Freiwilligen aus der Diaspora. Dort war die Steuer die 2 mSheq 1,5; dazu A. Edersheim, Der Tempel, 54–55, 58; J. Jeremias, Jerusalem, 28; M. S. Ginsburg, Fiscus, 284; M. Broshi, The Role, 35; W. E. Pilgrim, Uneasy Neighbors, 78–79. Vergleichsbeispiele aus der griechischen Welt für Abgaben, die von einzelnen griechischen Tempeln erhoben wurden, finden sich gesammelt bei F. Sokolowski, Fees, passim. 3 Ebd. 4 tSheq 1,6 (Text: Lieberman, Bd. 2, 201; vgl. Zuckermandel 174, Übersetzung: Hüttenmeister, Larsson 22–23): ‫הצבור מרצין ומכפרין בין ישׁראל לאביהן שׁבשׁמים‬. 5 Vgl. die Liste in mSheq 4,1.

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einzige allen Familien mögliche Art der Teilnahme am Jerusalemer Tempelgottesdienst, was Philon nicht ohne Stolz berichtet6: … daher entrichtet man die Abgabe bereitwillig, froh und heiter in der Erwartung, dass ihre Entrichtung Befreiung von Knechtschaft, Heilung von Krankheit und den Genuss dauernder Freiheit und Erlösung für alle Zeit erwirken werde.

Mit dem Stichwort „Erlösung“ spielt Philon wohl auf die Sühnefunktion der Opfer an. Er hebt ferner hervor, dass in allen Städten, wo Juden leben, „Kassen für die heiligen Gelder“ (ταμεῖα τῶν ἱερῶν χρημάτων)7 vorhanden seien. Tatsächlich erfasste die Tempelsteuer die gesamte Judenschaft in der Diaspora und reichte bis in entlegene Teile der antiken Welt. Selbst aus Babylonien flossen dem Tempelschatz jährlich große Summen zu, die nach rabbinischer Tradition zu den reichsten Gaben gehörten8 und laut Josephus zuerst in den Städten Nehardea und Nisibis gesammelt und danach unter dem Geleitschutz von Karawanen mit zahlreichen bewaffneten Pilgern, die den Schutz gegen parthische Raubüberfälle gewährleisteten, nach Jerusalem transportiert wurden9. Ciceros Rede In Verrem ist ein früher Beleg für die Billigung, ja den Schutz dieses Geldflusses seitens der römischen Behörden – erstaunlich, wo er doch in eine von Rom aus gesehen sehr randliche Gegend gelangte10. Tacitus erwähnt mit einem Zusatz solche Steuerzahlungen, von ihm tributa genannt: „daher wuchs die Macht der Juden“ (unde auctae Iudaeorum res)11. Diese im Kontext des taciteischen Exkurses über die Juden abfällig gemeinte Bemerkung unterstreicht, dass der Jerusalemer Priesterhierokratie durch den sich stetig mehrenden Reichtum politisches Gewicht zukam. Gleichzeitig wurde auf diesem Weg die „unverbrüchliche Treue“ (fides obstinata) der Judenschaft gestärkt, von der Tacitus mit deutlicher Missbilligung wohl nicht zufällig im unmittelbar folgenden Kontext berichtet12.   6 SpecLeg 1,77 vgl. auch Her 186 (Text: Colson 144, Übersetzung: Cohn 32–33): διὸ καὶ προθυμότατα ποιοῦνται τὰς ἀπαρχάς, φαιδροὶ καὶ γεγηθότες, ὡς ἅμα τῇ καταθέσειμέλλοντες ἢ δουλείας ἀπαλλαγὴν ἢ νόσων ἄκεσιν εὑρίσκεσθαι καὶ βεβαιοτάτην ἐλευθερίαν ὁμοῦ καὶ σωτηρίαν εἰς ἅπαν καρποῦσθαι.   7 SpecLeg 1,78 (Text: Colson 144, Übersetzung: Cohn 33); dazu A. Ben-David, Talmudische Ökonomie, Bd. 1, 253; W. Horbury, The Temple Tax, 281.   8 tSheq 2,4.   9 AJ 18,312. 10 Pro Flacco 28, 67 (vgl. M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd 1, Nr. 68, S. 196–197). Die Römer gewährten den Juden trotz eines gewissen Misstrauens also das Recht, dieses Geld einzusammeln; vgl. S. Mandell, Who paid, 225; A. Ben-David, Talmudische Ökonomie, Bd. 1, 253; W. Stenger, Gebt, 159; T. Rajak, Was There, 313–314. 11 Tacitus, Historiae 5,5,1 (Text und Übersetzung: Vretzka 606–607 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 2, Nr. 281, S. 21, 28). 12 Historiae 5,8,1 (Text und Übersetzung: Vretzka 606–607 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 2, Nr. 281, S. 21). Tacitus wiederholt dann noch den antijüdischen Vorwurf des „feindseligen Hasses“ (hostile odium) gegen alle Nichtjuden.

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Für unsere Perikope ist also die Überlegung angestellt worden, Jesus habe auf die jedes Jahr aus aller Welt ebenso wie aus dem Mutterland eintreffenden Zahlungen an den Jerusalemer Tempel hindeuten wollen, und sie seien mit dem, „was Gottes ist“, gemeint. Für diese These scheint zu sprechen, dass das Geld ausdrücklich „für Gott“ (τῷ θεῷ) gezahlt wurde; Josephus drückt sich hier genauso aus wie Jesus13. Ähnlich übrigens auch die Mekhilta de Rabbi Jischmael: In diesem rabbinischen (genauerhin: halachischen) Kommentar zu Ex 12–40 werden die Juden dafür getadelt, dass sie in der Vergangenheit die geforderte Halbschekelabgabe nicht zahlen wollten und aus diesem Grund später von Gott mit einer drastisch höheren Steuer der paganen Regierung bestraft wurden. Die betreffende Stelle wird als Ausspruch des berühmten Rabbi Joḥanan ben Zakkai eingeführt, der während des ersten jüdischen Aufstandes gegen die Römer aus Jerusalem flüchtete und danach das Lehrhaus in der Stadt Jabne gründete. Er habe seiner Generation vorgehalten14: „ihr habt nicht Gott (wörtlich: dem Himmel) einen halben Schekel für den Kopf bezahlen wollen …“ (‫)לא רציתם לשקול לשמים בקע לגולגולת‬15.

Dies belegt den gemeinsamen Vorstellungshintergrund, wonach Gott  – nicht etwa nur sein irdischer Tempel – Empfänger der Gelder war. Gegen die Auffassung, Jesu Antwort ziele auf eine gewissenhafte Bezahlung der Tempelsteuer, spricht allerdings die Art und Weise, wie die Steuerzahlungen organisiert und abgewickelt wurden, worüber uns die Quellen vergleichsweise ausführlich ins Bild setzen. In Ex 30,13 ist von einem halben Schekel die Rede, der dem Heiligtum zu entrichten sei, was von den Übersetzern der Septuaginta korrekt in eine Doppeldrachme umgerechnet wird16. So bestätigen es auch Josephus17 und Philon18. Dieser Steuerbetrag ist ebenfalls in Mt 17,24 vorausgesetzt, worauf noch zurückzukommen sein wird. Diese Doppeldrachmen wurden von der Priesterschaft jedoch in einer bestimmten Währung eingefordert, wobei die Verantwortlichen durchaus dem römischen Staat vergleichbar agierten, der sich seine Steuern in Denaren entrichten ließ. Die Tempelverwaltung hatte sich 13 AJ 18,312: ὃ τῷ θεῷ καταβάλλειν ἑκάστοις πάτριον; zu dieser Stelle s. B. D. Chilton, A Coin, 271. 14 Mekhilta de Rabbi Jischmael, Baḥodesch 1 zu Ex 19,1 (Text: Horovitz, Rabin 203; vgl. auch Lauterbach, Bd. 2, 194, 27–28); s. ferner die Übersetzung von J. Winter und A. Wünsche, Mechilta, 192. Zu dieser Stelle s. A. Carlebach, Rabbinic References, 57; W. Horbury, The Temple Tax, 271 sowie M. Hadas-Lebel, La fiscalité, 6–7. 15 So die Druckausgaben der Mekhilta. Einige Handschriften bieten auch die Variante: „Himmelsschekel zu entrichten“, ‫( לשקול שקלי שמים‬Text: Lauterbach, Bd. 2, 194; s. auch Horovitz, Rabin 203). 16 An der entsprechenden Stelle findet sich die Formulierung τὸ δίδραχμον τὸ ἅγιον; dazu s. auch L. Mildenberg, Schekel-Fragen, 171; A. Carlebach, Rabbinic References, 59. 17 AJ 18,312; vgl. I. A. F. Bruce, Nerva, 35. 18 Philon macht die „heilige Doppeldrachme“ in Her 186 zum Gegenstand spekulativer Bibelauslegung.

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auf tyrische Silbermünzen festgelegt19, die in dieser Hafenstadt seit 126/125 v. Chr. aus vergleichsweise reinem Silber geschlagen wurden20. Die jüdischen Steuerpflichtigen mussten darum ihr lokales Geld in eben diese Silbermünzen umtauschen, weswegen die Mischna vom Aufstellen von Wechslertischen im Tempel und im übrigen Land berichtet21. Den Geldwechslern kam in der Tempelwirtschaft ohnehin eine zentrale Stellung zu. Sie versorgten die Besucher nicht nur mit den vom Tempel vorgeschriebenen Münzen und verdienten dabei an dem Agio, das sie als Gebühr für den Tausch verlangen durften22, sondern mit ihnen konnten auch alle Kaufleute, die Waren für das Heiligtum anlieferten, sofort abrechnen, was ansonsten der Tempelschatzmeister23 nur einmal im Monat tat. Auf diesen Termin hätten die Händler ohne die Vermittlung der Wechsler warten müssen, um die ihnen zustehende Bezahlung zu erhalten. Darüber hinaus war es den Lieferanten an den Tischen der Bankiers möglich, sich in den von ihnen bevorzugten lokalen Geldstücken ihrer Heimat auszahlen zu lassen, weshalb in Jerusalem die Währungen aus der ganzen damals bekannten Welt vorrätig gewesen sein sollen. Interessant ist ferner, dass die Priesterschaft die enormen Geldbeträge im Inneren des Tempelareals in speziellen Schatzkammern aufbewahrte, um sie vor Dieben besser zu

19 mBekh 6,12; tBekh 8,7; tKet 12,6; bBekh 50a; vgl. ferner bQid 12a; dazu S. Helfer, Geld, 14, 40; D. Sperber, Palestinian Currency, 281; A. Ben-David, Jerusalem, 2–8; ders., Talmudische Ökonomie, 254; S. Freyne, Galilee, 278–279; L. Mildenberg, Schekel-Fragen, 171. 20 Auf diesen hohen Silbergehalt macht schon O. Roller, Münzen, 25, aufmerksam. Die jüdischen Priester waren damit abhängig von einer fremden Münzstätte, über die sie keine Kontrolle hatten. Man traute der reichen Stadt Tyrus wohl zu, ihre Währung über lange Zeit stabil zu halten; vgl. F. C. Grant, The Economic Background, 78; A. Ben-David, Jerusalem, 13–14. Wie Ausgrabungen beweisen, zirkulierten zahlreiche Silbermünzen aus Tyrus in ganz Palästina, vgl. M. A. Chancey, Greco-Roman Culture, 171 (mit Lit.). 21 mSheq 1,3; s. R. Bogaert, Art. Geld, 811; ders., Banking, 35, 40–41; vgl. auch S. Helfer, Geld, 52–56. 22 Die Höhe dieses Wechselgeldes war nach rabbinischer Auffassung begrenzt, mSheq 1,6–7 bzw. tSheq 1,8. Außerdem war den Wechslern angeblich verboten, das Tempelgeld, das sich ja bis zur Aushändigung an den Beauftragten des Tempels für einige Zeit auf ihrem eigenen Konto befand, als Kapital für eigene Bankgeschäfte zu verwenden, mMeil 6,6; tMeil 2,11; s. S. Helfer, Geld, 70–71; vgl. zu den Wechslern F. M. Heichelheim, Wirtschaftsgeschichte, Bd. 1, 349–354. Es bleibt allerdings offen, ob es sich bei diesen Vorsichtsmaßnahmen nicht um eine spätere Fiktion handelt, die weniger die historische Realität des 1. Jh. n. Chr. als die Theorien späterer Rabbinen widerspiegelt. 23 Dieses wichtige Amt des Schatzmeisters wurde im 1. Jh. n. Chr. von den Verwandten des Hohenpriesters besetzt; vgl. die bittere Bemerkung in tMen 13,21 über Hohepriesterfamilien wie das Haus Boethos oder Hannas, womit wahrscheinlich die Sippe des Hohenpriesters Kaiphas gemeint sein dürfte (Joh 18,13; Apg 4,5–6); s. dazu W. Speyer, Art. Kaiphas, 984, deren „Söhne Schatzmeister“ (‫ ;ובניהם גזבדין‬Text: Zuckermandel 533) wurden. Dies sollte wahrscheinlich eine Anspielung auf die Vetternwirtschaft dieser Familien darstellen, die sich gegenseitig wichtige Ämter am Tempel zuschanzten; vgl. dasselbe bPes 57a; s. J. Jeremias, Jerusalem, 221.

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schützen. Dort waren auch die Deposita von Privatleuten hinterlegt24. Die ungefähre Lage dieser gesicherten Räume ist uns durch Notizen des Josephus und Aussagen rabbinischer Quellen bekannt25. Für unsere Auslegung ist nun wichtig, dass Jesus im Hinblick auf die römischen Steuern das Kaiserportrait der Denare ins Blickfeld rückt. Die tyrischen Drachmen waren aber stets mit einer Darstellung des paganen Stadtgottes Melkart versehen, den die Griechen mit Herakles gleichsetzten26. Für die Jerusalemer Priesterschaft spielte diese Tatsache, dass eine pagane Gottheit auf den geforderten Geldstücken für ihren Tempel zu sehen war, offensichtlich keine Rolle, und es kam ihr lediglich auf eine gängige Silberwährung an27. Dass es gegen die Gebote der Tora verstoßen könnte, das Bild des Gottes Melkart von Tyrus in den Jerusalemer Tempel hineinzubringen und dort im inneren Bereich in speziellen Tresorräumen zu lagern, kam offenbar niemand in den Sinn28. Es ist deshalb m. E. höchst unwahrscheinlich, dass Jesus, wenn er zuvor das Kaiserbild der Denare thematisiert hatte, auf eben diese Tempelsteuer hinauswollte. Sollte etwa analog zu dem, was des Kaisers ist, die Verbildlichung dessen, was Gottes ist, das pagane Melkartbild der tyrischen Drachmen gewesen sein? Eine solche Annahme lässt sich wohl, selbst wenn man Jesus Ironie bei seiner Antwort unterstellt, nicht aufrechterhalten. Im Übrigen nimmt Jesus der Tempelsteuer gegenüber eine durchaus kritische Position ein, worin er mit gewissen Kreisen des zeitgenössischen Judentums konvergiert. Wie Jesus sich konkret zu den Geldwechslern am Tempel verhielt, soll dabei nicht vergessen sein (Mk 11,15–17 par). Von ihm ist aus der Zeit seines Wirkens kein Opfer bekannt; ihm diente der Tempel nur zum Beten (Mk 11,17 par; aus Jes 56,7). Wir besitzen nun im Sondergut des Matthäus (Mt 17,24–27) eine – sicherlich erst im Nachhinein formulierte, aber doch bedenkenswerte – Stellungnahme zur 24 Vgl. 2 Makk 3,10–11.15 sowie die Notiz des Josephus, BJ 6,282. Zu diesen Schatzkammern sammelte rabbinisches Material: A. Schwarz, Die Schatzkammer, passim. 25 Die Rabbinen gingen davon aus, dass die Münzen der Tempelsteuereinnahmen auf dem Boden der Kammern aufgeschüttet wurden und von diesem Haufen aus Körbe voll mit Geldstücken dreimal im Jahr zur Bezahlung der Ausgaben abgehoben wurden, mSheq 3,1–4. Nach Josephus befanden sich die Schatzkammern – er schreibt in BJ 5,200 von γαζοφυλακίων im Plural – im Innenheiligtum hinter Säulenhallen, wo mehrere Zimmer für die Gelder und andere Kostbarkeiten reserviert waren. Die römischen Soldaten plünderten sie, als sie den inneren Tempelbereich anzündeten, BJ 6,282. 26 Zu diesem inschriftlich seit dem 9. Jh. v. Chr. bezeugten Stadtgott, dessen Tod und Auferweckung jährlich gefeiert wurden, s. S. Ribichini, Art. Melqart, 1054–1056. 27 L. Mildenberg, Schekel-Fragen, 171. Die große Verbreitung dieser Münzen seit hasmonäischer Zeit weist für Jerusalem D. T. Ariel, A Survey, 283–285, 312–313, nach. 28 Auf diese in gewissem Sinn inkonsequente Ausdeutung des Bilderverbots macht bereits J. Sp. Kennard, Render, 62, aufmerksam. Seine Bemerkung über die Priester: „Their inconsis­ tency typifies the attitude of Judaism toward images“ ist allerdings in dieser Grundsätzlichkeit nicht haltbar; vgl. ferner A. G. van Aarde, A Silver Coin, 17.

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Tempelsteuer, die gleichsam als matthäischer Kommentar zu unserer Frage mit herangezogen werden soll. 4.1.3 Jesus und die Tempelsteuer in Mt 17,24–27 1. Sequenz (Mt 17,24 bis ναί V. 25): Die Frage, die hier an Petrus gerichtet wird, ist keineswegs banal; wenn auch die Tempelsteuer im Judentum der Zeit Jesu eine weitgehend akzeptierte Form der Finanzierung des jüdischen Kultes war. So lässt sich mit Hilfe der in Qumran gefundenen Texte und einiger Notizen in der rabbinischen Literatur belegen, dass es im 1. Jh. n. Chr. durchaus jüdische Gruppen gab, die diese Zahlungen ablehnten. Man kann sogar vermuten, dass für sie eine konservative Haltung leitend war, die von einer Nichtübereinstimmung zwischen Tora und gängiger Praxis (Halacha) ausging. So erfahren wir aus einer beiläufigen Notiz im Babylonischen Talmud, dass die Sadduzäer die täglichen Opfer aus freiwilligen Spenden finanzieren wollten und für ihre Ansicht Num 28,4 als Schriftbeweis anführten. In diesem Vers war als Begründung für ihre Interpretation der Singular der Verbform „du sollst herrichten“ (‫ )תעשה‬entscheidend, aus dem sie ableiteten, dass es sich bei den Opfern um den Verantwortungsbereich einzelner Juden, nicht aber um eine Verpflichtung für das ganze Volk handle. Ihre pharisäischen Gegner hingegen beriefen sich auf Num 28,2, wo sich der Plural „ihr sollt achten“ (‫ )תשמרו‬findet, der nach ihrer Überzeugung legitimierte, die Ausgaben „aus der Tempelkasse“ (‫ )מתרומה‬zu bestreiten, in der alle Juden ihr Geld einzahlten29. Die Sadduzäer standen mit ihrer Ablehnung nicht ganz allein, denn auch die Tempelpriester weigerten sich nach rabbinischer Überlieferung, eine solche Abgabe zu zahlen30, was nicht überrascht, weil viele unter ihnen in Hinsicht auf die Toradeutung den Sadduzäern zugeneigt gewesen sein dürften. Sie führten als Rechtfertigung für ihr Verhalten Lev 6,16 an31, wobei die rabbinischen Tradenten konzedierten, dass sie sich „um des Friedens willen“ (‫ )מפני דרכי שלום‬mit ihrer Ansicht durchsetzten und eine Ausnahme für die Priesterschaft erwirkten. Ferner verraten uns die Qumranfunde32, dass die Essener die Halbschekelsteuer zwar an den Tempel abführten, aber diese Zahlung nicht jedes Jahr, wie die 29 bMen 65b (Text und Übersetzung: Goldschmidt 634); dazu S. Légasse, Jésus, 362–363; W. Stenger, Gebt, 172. 30 Offenbar sahen sie sich eher als deren Empfänger denn als Geber: sie ließen Ex 30,13 nur für Laien gelten; dazu S. Légasse, Jésus, 362. 31 mSheq 1,3 (Text: Krupp 5); vgl. mSheq 1,4; dazu W. Stenger, Gebt, 173. 32 Vgl. 4Q 159 Frgm. 1, Col II, 7, wo es ausdrücklich heißt (Text: Schiffman, The Dead Sea Scrolls, Bd. 1, 152 = Martínez, Tigchelaar, Bd. 1, 308, Übersetzung: Maier, Bd. 2, 64): ‫ רק פ]עם[ אחת יתננו כול ימיו‬/ Nur auf einmal soll er es geben seine ganze Lebenszeit lang …;

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Pharisäer es praktizierten, sondern nur einmal im Leben leisteten, worin eine gewisse Nähe zum sadduzäischen Standpunkt unverkennbar ist. Außerdem gibt es in der rabbinischen Literatur Andeutungen, dass viele Juden das geforderte Geld – möglicherweise wegen großer Armut – nicht aufbringen konnten und ihren Verpflichtungen nicht nachkamen. Zwar stellen es die Rabbinen in der Mischna so hin, als seien die säumigen Zahler mit Pfändung bedroht und dadurch doch gezwungen worden, ihrer Tempelsteuerpflicht nachzukommen33; diese Information dürfte aber nicht der historischen Realität entsprechen, denn ein solches Pfändungsrecht war den Beauftragten der lokalen Synagogengemeinden im Gegensatz zu staatlichen Steuereinnehmern höchstwahrscheinlich von der römischen Regierung nie zugestanden worden. Vor dem Hintergrund dieser divergierenden Standpunkte im zeitgenössischen Judentum ist es keineswegs überraschend, dass Jesus (über Petrus) die Frage vorgelegt wird, ob er ebenso wie seine Jünger die Doppeldrachme für den Tempel bezahle oder nicht34. Implizit kann hier die Frage mitgehört werden, ob er sich etwa als Priester betrachte. Die Perikope gehört zum Sondergut des Matthäus; sie wurde von dem Evangelisten in den Textzusammenhang des Markusevangliums hinter Mk 9,33 eingefügt35. Das Textstück ist, wie von verschiedenen Auslegern hervorgehoben wird, von matthäischer Diktion geprägt36, kann aber mit dem Thema der Tempelsteuer aus einem judenchristlichen Milieu stammen, für das diese Abgabe bis zur Tempelzerstörung im Ersten Jüdischen Krieg durchaus noch relevant war37. Die Geschichte selber ist konstruiert und folgt einer geradezu mechanischen Auffassung von Jesu Wundertätigkeit. In Hinblick auf das Fischwunder ist keine Chance, auf jenes Alter der Überlieferung zurückzugelangen, das wir mit dem Apophthegma vom Zinsgroschen erreicht haben38. zur Tempelsteuer nach den Qumranfunden s. S. Mandell, Who paid, 227; W. Horbury, The Temple Tax, 279; C. M. Murphy, Wealth, 311. 33 mSheq 1,3 (Text: Krupp 3): ‫ מישישבו במקדש התחילו למשכן‬und tSheq 1,6 (Text: Lieberman, Bd. 2, 201): ‫ ;משכנו ישראל על שקליהן‬vgl. ferner Bill., Bd. 1, 761. 34 Vgl. R. H. Horsley, Jesus, 281. 35 S. Légasse, Jésus, 361–362; W. D. Davies, D. C. Allison, A Critical and Exegetical Commentary, Bd. 2, 738. 36 Ph. Perkins, Taxes, 189; S. Vollenweider, Freiheit, 171–172; R. H. Gundry, Matthew, 355–356. 37 Vgl. D. Nestle, Art. Freiheit, 285; J. Wellhausen, Das Evangelium Matthaei, 90; H. Montefiore, Jesus, 67; E. Schweizer, Matthäus, 11; D. E. Garland, Matthew’s Understanding, 195–196; M. D. Goulder, Midrasch, 395; H.-Th. Wrege, Das Sondergut, 84–85; W. Stenger, Gebt, 181–184. A. Feldtkeller, Identitätssuche, 72, vermutet sogar, Matthäus habe sich mit Judenchristen solidarisieren wollen. 38 Auch die Frage des fiscus Judaicus für Judenchristen hängt mit daran, für welche wir ja leider sonst keine historischen Nachrichten haben; I. A. F. Bruce, Nerva, passim; ferner: S. Mandell, Who paid, 230; M. Hadas-Lebel, La fiscalité, 5–6, 11; Sh. J. D. Cohen, Those who say, 16–18; L. J. Kreitzer, Striking, 23–24; W. Stenger, Gebt, 80–88.

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Wir wenden uns nun dem Dialog zwischen Jesus und Petrus zu, der das Mittelstück der Perikope ausmacht39. Wie an anderen Stellen des Matthäusevangeliums, vor allem im Sondergut40, begegnet auch hier Petrus als Sprecher der Jünger41. In diesem Fall gibt er zunächst sogar stellvertretend für seinen Herrn Auskunft. Am Beginn der Perikope ist Jesus abwesend und daher vorerst in die ganze Angelegenheit nicht involviert. Der Apostel wird an einem öffentlichen Ort in Kapernaum, vielleicht auf einer Dorfstraße, von den zuständigen Beauftragten der dortigen Synagogengemeinde42 in ein Gespräch über die Doppeldrachme für den Tempel verwickelt, wobei diese Lokalisierung in Kapernaum, wo sowohl Jesus als auch Petrus wohnten (Mk 2,1 bzw. Mt 4,13; 9,1), die gängige jüdische Praxis voraussetzt, nach der das Geld von der jüdischen Ortsgemeinde gesammelt und später nach Jerusalem transportiert wurde43. Diejenigen Gemeindemitglieder, die in Kapernaum mit dieser Aufgabe betraut waren, erkundigen sich demnach bei dem Apostel, wie sich Jesus bzw. seine Jünger zu der jährlichen Kollekte verhalten und ob sie das Ihre dazu beitragen würden. Die Frage setzt durch die Formulierung οὐ τελεῖ gewisse Zweifel der Gesprächspartner voraus44, ob Jesus, der hier ähnlich wie übrigens in der Zinsgroschenperikope ehrfürchtig als διδάσκαλος tituliert wird45, der Aufforderung nachkommen werde. Gleichzeitig wird deutlich, dass Petrus für sie als maßgeblicher Ansprechpartner gilt, der im Namen Jesu bei dessen Abwesenheit Auskunft erteilen konnte46. Das mag bereits ein nachösterlicher Gesichtspunkt sein. Der Apostel zögert nicht, den Erwartungen der Fragesteller nachzukommen und Jesus und sich selbst in dieser Sache durch eine eindeutige und unumwundene Zustimmung zur Tempelsteuer öffentlich festzulegen. Damit war die Angelegenheit jedoch noch nicht entschieden, wie das dann folgende Eingreifen Jesu und seine Weisung an Petrus zeigt. 2. Sequenz (Mt 17, 25 καὶ – V. 26): Nach dieser Einleitung der Perikope wechselt die Szenerie, und der Schauplatz der Handlung wird von der Öffentlichkeit weg in ein Haus verlegt, wo Jesus sich 39 Dieses reicht bis zum Ende von Mt 17,27: Die erste Vershälfte ist der zweiten syntaktisch untergeordnet, was eine Zäsur erst nach der zweiten Vershälfte erlaubt. 40 Vgl. Mt 14,28–32; 15,15; 16,16–20; 16,21–23; 17,4. 41 Vgl. Cullman, Art. Πέτρος, 101; D. Daube, Responsibilities, 13–14. 42 W. Horbury, The Temple Tax, 269. 43 mSheq 2,1; s. auch O. Roller, Münzen, 11; Th. Zahn, Das Evangelium des Matthäus, 567; A. Schlatter, Der Evangelist Matthäus, 538; W. Grundmann, Das Evangelium nach Matthäus, 410; I. A. F. Bruce, Nerva, 36; D. Patte, The Gospel, 246. 44 U. Luck, Das Evangelium nach Matthäus, 194. 45 Vgl. ferner Mt 9,11 bzw. 23,8; dazu W. D. Davies, D. C. Allison, A Critical and Exegetical Commentary, Bd. 2, 743. 46 M.-J. Lagrange, Das Evangelium, 296.

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aufhält. Auffällig ist, dass Jesus Petrus überhaupt nicht über sein Gespräch zur Tempelsteuer befragen muss. Er ist offenbar von sich aus schon orientiert, kennt die Antwort des Petrus und kann sogleich ohne vorheriges Nachfragen zu dessen Auskunft Stellung nehmen47. Aus dieser Wendung, die Jesus erst nachträglich und in einer gewissen inhaltlichen Spannung zu der Antwort des Petrus in die Perikope einführt, sollte man aber nicht auf eine ursprünglich separate Überlieferung der Weisung Jesu in Mt 17,25–26 schließen. Es scheint mir vielmehr nahe zu liegen, dass beide Teile, d. h. sowohl die einleitende Zustimmung des Petrus als auch die spätere Unterhaltung zwischen Jesus und Petrus in Mt 17,25b–26, so komponiert und aufeinander bezogen sind, wie das προέφθασεν in dieser 2. Sequenz ja auch betont. Jesus nimmt von sich aus erneut zu dem Thema Stellung, indem er Petrus eine zweite Frage stellt τί σοι δοκεῖ48? Petrus wird aufgefordert, seine Sicht darzulegen. Dazu führt Jesus einen Vergleich ein und bezieht sich auf das Handeln von οἱ βασιλεῖς τῆς γῆς49, womit er den Blick auf die allgemein übliche Praxis der irdischen Herrscher, die ja ebenfalls Steuern und Zölle für sich einziehen lassen, richtet. Die Frage, die Jesus nun nachschiebt, geht nach dem Verhalten der Könige zu ihren eigenen Söhnen; sie zielt auf die Tatsache ab, dass die Familien der Monarchen gemeinhin von allen Abgaben gegenüber dem Staat ausgenommen waren, die vielmehr allein „von den Fremden“ (ἀπὸ τῶν ἀλλοτρί­ ων) eingezogen würden50. Petrus bestätigt in seiner Antwort, dass Mitglieder der regierenden Herrscherhäuser von allen Steuerlasten und Zollabgaben freigestellt seien und stimmt Jesus darin zu, von diesem weltlichen Verhalten der Könige auf Gott zu schließen. An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass mit υἱοί die Blutsverwandten gemeint sein dürften, mit „Fremden“ aber alle anderen Menschen, die nicht der Familie angehörten, bezeichnet sind51. Jesus will also auf die ganz spezielle Beziehung der Königsfamilie zum Regenten hinaus, die sie in steuerlicher Hinsicht selbst im Vergleich zu ihren Höflingen privilegierte. Dieselbe Beziehung zeichnet nach seiner Ansicht auch Gottes Verhältnis zu seinen „Kindern“ aus52. 47 Dieses Wissen Jesu hat oft zu Spekulationen über seine Herkunft geführt, S. Légasse, Jésus, 368–369. 48 Vgl. z. B. Mt 21,28; 22,17.42; Lk 10,36; dazu W. D. Davies, D. C. Allison, A Critical and Exegetical Commentary, Bd. 2, 794. 49 Die Formulierung lehnt sich an Ps 2,2 an; vgl. Ps 76,13; 102,16. 50 W. Grundmann, Das Evangelium nach Matthäus, 410; H. van der Loos, The Miracles, 681–682; R. Banks, Jesus, 266. J. D. M. Derrett, Peter, 255, weist darauf hin, dass Zölle auch von den Einheimischen gezahlt werden mussten. Die Prinzen waren an den orientalischen Fürstenhöfen steuerfrei; vgl. ferner S. Vollenweider, Freiheit, 173. 51 Die zeitgenössischen Herrscher besteuerten nämlich im Allgemeinen ihr eigenes Volk und keineswegs nur Fremde, weshalb mit ἀλλοτρίοι alle Menschen im Gegensatz zur königlichen Familie gemeint sein dürften; S. Vollenweider, Freiheit, 173 Anm. 331. 52 D. A. Hagner, Matthew, 511.

4.1 Bisherige Ansätze zur Deutung „von dem, was Gottes ist“

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Diese Metapher galt bisher Israel53. Der Vergleich Gottes mit einem König hat etwas konventionelles (vgl. Mt 5,10.35; 6,10 und viele rabbinische Gleichnisse54). Ihm zugeordnet sind Menschen, von denen er genauso wie jeder irdische König keine Abgaben verlangen wird. Stimmt man dieser Interpretation zu, so ist zu fragen, wer mit diesen „Söhnen“ gemeint sein kann. Man wird wohl nicht fehlgehen, dass Matthäus das Volk Israel darunter verstanden hat (Mt 8,12–13; 10,5–6; 15,24); doch ergäbe sich daraus eine Ablehnung der Tempelsteuer, also  – trotz Mt 5,18  – eines Toragebots55. Diese Sonderstellung „der Söhne“ hat nämlich einschneidende Konsequenzen für die Abgaben an den Tempel: Durch den Vergleich mit den irdischen Königen distanziert sich Jesus nunmehr von der Verpflichtung zur Tempelsteuer56. Wie bei einem irdischen königlichen Vater seine liebevolle Nähe zu den eigenen Kindern den Vorrang vor seiner Herrschergewalt und allen Ansprüchen auf Steuern hat, genauso verzichte Gott auf irgendwelche Forderungen gegenüber seinem Volk. Damit kritisiert Jesus, ohne dies ausdrücklich zu sagen, den pharisäischen Standpunkt57. Den Konflikt mit den jüdischen Autoritäten verhindert das folgende Mirakel. Außerdem gibt es eine auffällige Übereinstimmung mit rabbinischen Texten, die um die Vorstellung von Gott als Vater kreisen: Rabbinische Gelehrte drücken in ihren Diskussionen die Überzeugung aus, dass Gott gerade in seiner Eigenschaft als Vater – wie es beispielsweise in der Tosefta heißt58 – durch die mittels der Tempelsteuer bezahlten Opfer Sühne geleistet werden müsse. Jesu Worte kehren diese Überlegungen geradezu in ihr Gegenteil um und zielen auf die Konsequenz ab, dass der himmlische Vater ebenso wie irgendein irdischer König handeln und kein Geld als Sühneleistung von seinen Söhnen einziehen lassen werde. Das entspricht matthäischer Theologie59, wonach Jesus selber ja nun gesühnt hat. Jesus meint also, dass Gottes Söhne frei seien (ἐλεύθεροι). Mit diesem Adjektiv greift der matthäische Jesus ein Stichwort aus der politischen Debatte seiner Zeit auf, das, auf die Abfassungszeit dieser Perikope bezogen, eine Unabhängigkeitserklärung ist sowohl gegenüber dem Tempelopfer als auch gegenüber dem (nunmehr rabbinischen) Judentum. Jesus untersagt es keinesfalls, dass Petrus die 53 Vgl. W. Horbury, The Temple Tax, 283; ebenso s. R. Bauckham, The Coin, 223; W. D. Davies, D. C. Allison, A Critical and Exegetical Commentary, Bd. 2, 745. 54 S. Vollenweider, Freiheit, 172–173; vgl. ferner D. Flusser, Die rabbinischen Gleichnisse, 24, 36–37 sowie I. Ziegler, Die Königsgleichnisse, passim. 55 Dessen Interpretation zugunsten einer jüdischen Abgabe durch alle erwachsenen Israeliten ist freilich die weitgehendste, und keineswegs die einzige. 56 R. Hummel, Die Auseinandersetzung, 104–105; L. Schenke, Die Urgemeinde, 254. 57 Vgl. R. Völkl, Christ, 114; R. Walker, Die Heilsgeschichte, 103; St. M. Bryan, Jesus, 227–229; T. Roh, Die familia, 205–206. 58 tSheq 1,6. 59 Vgl. dazu N. J. McEleny, Mt 17:24–27, 182.

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4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

geforderte Doppeldrachme bezahle, betrachtet sie aber als eine freiwillige Gabe ohne einen verpflichtenden Charakter60. Die Notwendigkeit einer Sühne durch Opfer für den himmlischen Vater wird zwar in diesem Kontext nicht ausdrücklich thematisiert, man kann aber vermuten, dass sie sich für Jesus eben wegen der väterlichen Gottesbeziehung, die für ihn konstitutiv war, erübrigt hatte, so wie sie sich für die matthäische Gemeinde überhaupt erübrigt61. Einige Exegeten haben vorgeschlagen, die Doppeldrachme, nach der Petrus gefragt wird, als einen römischen Steuertarif zu deuten62. Petrus sei demnach nach Jesu Einstellung zu den römischen Steuerlasten gefragt worden. Gegen eine solche Interpretation lässt sich aber anführen, dass die jüdische Steuer nach dem expliziten Zeugnis des Josephus und auch nach rabbinischen Quellen (wie bereits dargestellt) an Gott – wie ihr irdisches Gegenstück an den Kaiser – gezahlt wurde63. Dies erklärt auch den Grundgedanken Jesu, die Könige der Erde mit dem göttlichen Herrscher zu vergleichen. Auch Jesu Hinweis auf die von allen finanziellen Pflichten gegenüber dem Staat freigestellten Königssöhne macht nur unter der Voraussetzung Sinn, dass sich das Gespräch auf eine jüdische Abgabe bezieht; denn Jesus will sich selbst und Petrus sicherlich keineswegs mit den Söhnen der römischen Kaiser gleichsetzen64. Die in Mt 17,24 erwähnte Doppeldrachme kann daher auf keinen Fall eine römische Steuerform bezeichnen. 3. Sequenz (Mt 17,27): Die Perikope über die Tempelsteuer endet allerdings nicht mit der von Jesus proklamierten Freiheit der Gottessöhne; vielmehr wird nun die Aufforderung 60 D. E. Garland, Matthew’s Understanding, 193, 207; S. Vollenweider, Freiheit, 172; K. Berger, Theologiegeschichte, 42; B. Kollmann, Jesus, 277; G. Theißen, Jesus als historische Gestalt, 126. 61 Vgl. die Erwägungen von S. Vollenweider, Freiheit, 175. 62 Nach der Zerstörung des Tempels wurde die Steuer für den fiscus Judaicus als römische Steuer eingezogen, die nun dem (Tempel des) Jupiter Capitolinus zu entrichten war, BJ 7,218; vgl. Cassius Dio 65,7,2 (Text: Cary 270 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 2, Nr. 430, S. 373, 375) und Sueton, Domitian 12,2 (Text: Rolfe 364–366); dazu. D. E. Garland, Matthew’s Understanding, 198–200, 204; W. Horbury, The Temple Tax, 265, 284; M. Goodmann, Nerva, 40; S. Vollenweider, Freiheit, 172; W. Stenger, Gebt, 101; vgl. bereits die Diskussion der immer wiederkehrenden exegetischen Argumente in dieser Sache bei J. Ch. Wolf, Curae philologicae, 269; W. M. L. de Wette, Kurze Erklärung des Evangeliums ­Matthäi, 189–190; K. G. Wieseler, Chronologische Synopse, 265–269; C. Cavedoni, Biblische Numismatik, 109–110. Als einen Hinweis auf eine römische Steuer deutet diese Passage N. J. McEleney, Mt 17:24–27, 184; R. J. Cassidy, Matthew, 572–575; A. Sand, Das Evangelium, 362; W. Carter, Paying , 8–9; B. D. Chilton, A Coin, 278. 63 Vgl. auch den Hinweis bei W. Horbury, The Temple Tax, 271; R. A. Horsley, Jesus, 280. 64 N. J. McEleney, Mt 17:24–27, 187, kann gegen diese Deutung der Gesamtheit des Volkes als Söhne keine Argumente anführen.

4.1 Bisherige Ansätze zur Deutung „von dem, was Gottes ist“

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angefügt, jeden Anstoß zu vermeiden (ἵνα δὲ μὴ σκανδαλίσωμεν), der durch eine Verweigerung der Zahlung ausgelöst worden wäre. Diejenigen Ausleger, die das Bisherige mit Jesus noch historisch in Verbindung bringen wollen, vermuten spätestens hier einen Zusatz der christlichen Gemeinde65, wenn nicht gar des Evangelisten selbst. Gerade judenchristlich geprägte Gemeinden dürften ja in einem synagogalen Umfeld daran interessiert gewesen sein, die Gräben zur jüdischen Seite durch eine offene Ablehnung der in der Diaspora populären Tempelsteuer nicht noch zu vertiefen. Eine solche Reaktion auf die Tempelkollekte, die mit veränderter römischer Zwecksetzung auch nach der Zerstörung Jerusalems in jeder Stadt alljährlich stattfand, hätte sicherlich den Bruch mit dem synagogalen Judentum manifestiert und vertieft. Petrus wird nun also von Jesus aufgefordert, im nahen See Genezareth die Angel auszuwerfen: Der erste Fisch, den er fangen werde, der werde im Maul eine griechische Münze haben, einen Stater. In seinem Wert entsprach ein Stater zwei Doppeldrachmen. Das reichte also, um die geforderte Abgabe nicht nur für Jesus, sondern auch für sich selbst an die zuständigen Mitglieder der Synagogengemeinde zu entrichten, denen gegenüber er laut Mt 17,25a im Wort stand. Man sollte nicht versuchen, dieses Wunder, das in mehrfacher Hinsicht einen Sonderfall unter den neutestamentlichen Wundergeschichten bildet66, noch zu erklären, indem man den Stater als den Kaufpreis des von Petrus auf dem Markt veräußerten Fisches deutet, was zudem ein exzeptionell hoher Preis für einen Fisch gewesen sein dürfte67. Der Text, zumindest in dieser 3. Sequenz, ist fiktional. Er ist nicht historisch, sondern symbolisch gemeint. Das Motiv des Fisches, der einen Schatz in seinem Maul oder in seinem Bauch enthält, erfreute sich in der volkstümlichen Literatur großer Beliebtheit68. Zugrunde liegt die Beobachtung, dass bestimmte Fischarten kleinere Gegenstände wie Steinchen oder Jungfische im Maul mit sich tragen oder verschlucken69. Mit 65 M. D. Goulder, Midrasch, 395; A. Ogawa, L’histoire, 241; S. Vollenweider, Freiheit, 173–175; B. Kollmann, Jesus, 277. Dass Christen keinen Anstoß erregen sollten, betont auch Paulus, Röm 14,13; 1 Kor 10,32; zu diesem Prinzip s. auch S. Légasse, Jésus, 370–371; W. Stenger, Gebt, 183. 66 Jesus agiert dank seines übernatürlichen Wissens, was das Wunder erst ermöglicht, s. J. Roloff, Das Kerygma, 118; E. P. Sanders, Jesus, 163. 67 Diese Deutung vertritt H. E. G. Paulus, Exegetisches Handbuch, 503, 514; dazu s. H. van der Loos, The Miracles, 684; vgl. schon H. A. W. Meyer, Kritisch exegetischer Kommentar, 301. Abwegig ist auch der Versuch von G. Schwarz, ΑΝΟΙΞΑΣ, 139–140, das Wunder als Übersetzungsfehler zu interpretieren. 68 B. D. Chilton, A Coin, 274; W. D. Davies, D. C. Allison, A Critical and Exegetical Commentary, Bd. 2, 742. 69 P. Gaechter, Das Matthäusevangelium, 584; R. Bauckham, The Coins, 238. Die aus dem Maul herausfallenden Jungfische konnten wie Silber aussehen, s. G. Dalman, Arbeit und Sitte in Palästina, Bd. 6, 357; 359. Im See Genezareth kommen tatsächlich mehrere Fischarten vor, die ihre Jungen im Maul ausbrüten, s. die Nachweise bei B. Sapir, D. Neeman, Capernaum, 6–7.

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4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

Geld statt Stein im Bauch sind solche Fische in den Sagen des Orients Boten des Götterwillens. So erzählt Herodot von Polykrates, der im 6. Jh. v. Chr. die Insel Samos als Tyrann regierte, er habe vergeblich versucht, dem Neid der Götter zu entgehen, indem er einen geliebten Ring im Meer als Opfer versenkte70. Ein Fischer aber machte ihm einen besonders großen Fisch zum Geschenk, der eben diesen Ring im Bauch enthielt. Herodot wertet dies als Beweis dafür, dass kein Mensch seinem Schicksal entgehen könne, und nimmt den Fisch als Omen, „dass Polykrates, der in allem Glück hatte, kein gutes Ende nehmen werde“71. Rabbinische Legenden kennen wiederum die Belohnung eines Menschen, der den Sabbat strikt einzuhalten pflegte, an diesem Tag nicht arbeitete und dafür durch eine wertvolle Perle im Bauch eines Fisches entschädigt wurde, den er einigen Fischern am Vorabend des Sabbats abgekauft hatte72. Solche paganen oder jüdischen Wundererzählungen unterscheiden sich also von dem in Mt 17,27 berichteten Ereignis, schon weil Petrus gezielt von Jesus veranlasst wird, einen Fisch mit einem Stater zu fangen. Weiterhin ist auffällig, dass das Eintreten des Wunders zwar vorausgesetzt, aber dann mit keinem Wort die Ausführung mitgeteilt wird und das Textstück mit der Aufforderung Jesu, Petrus solle seine Angel auswerfen, endet. Dieser plötzliche Abbruch der Perikope ist sicherlich beabsichtigt und legt die Frage nach den Gründen nahe. Diese könnten darin zu suchen sein, dass dieses Fischwunder Jesus und Petrus einen materiellen Vorteil einbringt, was es grundsätzlich von anderen Wundertaten Jesu, die anderen Menschen etwa bei Krankheiten oder in anderen Krisensituationen zugutekommen, unterscheidet73. Diese im Hinblick auf die übernatürlichen Fähigkeiten Jesu durchaus fragliche Anwendung seiner Wunderkraft veranlasste Matthäus möglicherweise zu diesem durchaus abrupten Schluss, denn der Erfolg des Wunders wird nicht berichtet74. Die matthäische Geschichte setzt nun noch die Pointe, dass Jesus sogar weiß, welcher als nächster zu fangende Fisch das Himmelsgeschenk birgt. Petrus in 70 Herodot

3,40–43 (Text: Feix 398–401).  Herodot 3,43,1 (Text und Übersetzung: Feix 400–401): ὅτι οὐκ εὖ τελευτήσειν μέλλοι Πο­ λυκράτης εὐτυχέων τὰ πάντα, ὅς καὶ τὰ ἀποβάλλει εὑρίσκει; dazu R. Meyer, Der Ring, 665; H. Montefiore, Jesus, 66; H. van der Loos, The Miracles, 683; J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie, 91; W. Horbury, The Temple Tax, 273–274; S. Vollenweider, Freiheit, 173; W. D. Davies, D. C. Allison, A Critical Exegetical Commentary, Bd. 2, 742; B. Kollmann, Jesus, 277. 72 bShab 119a; vgl. bBB 133b, wo eine Perle gefunden und vom Tempelschatzmeister in ihrem Wert geschätzt wird, was mit einer Weihung an den Tempel endet. Weitere rabbinische Parallelen bietet R. Meyer, Der Ring, 665–669; vgl. auch A. Wünsche, Neue Beiträge, 207; H. van der Loos, The Miracles, 682; J. D. M. Derett, Peter’s Penny, 259; J. Roloff, Das Kerygma, 118; R. Bauckham, The Coin, 237, 239, 242. 73 W. M. L. de Wette, Kurze Erklärung des Evangeliums Matthäi, 191; Ph.-H. Menoud, La Signification, 188–189; H. van der Loos, The Miracles, 686; D. A. Hagner, Matthew, 512. 74 D. E. Garland, Matthew’s Understanding, 207; W. D. Davies, D. C. Allison, A Critical Exegetical Commentary, Bd. 2, 787. 71

4.1 Bisherige Ansätze zur Deutung „von dem, was Gottes ist“

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seiner Eigenschaft als Fischer und Jesus in der seinigen als Wundertäter (ja als besonderer Sohn Gottes, das steht im Hintergrund) lösen das Problem mit Eleganz75. Es ist nur schade, dass wir die konkrete Verhaltensweise (die Halacha) der Matthäus-Gemeinde in diesem Punkt nicht klar erfahren. Dass die jüdische Solidaritätssteuer (die ab 70 n. Chr. als fiscus Judaicus vom Kaiser eingezogen wurde) weiter bezahlt wurde, ist zu vermuten, auch wenn uns für das Judenchristentum hierfür merkwürdigerweise keinerlei Nachrichten vorliegen – außer unserer Matthäus-Perikope. Das Fischwunder sollte dies wohl verteidigen, und was Jesus freiwillig machte, wurde nun der Matthäus-Christenheit zur Verpflichtung, um jeden Anstoß zu vermeiden. Die Wundergeschichte schwächte also die radikale Aussage Jesu in Mt 17,26 in gewisser Weise ab. Jesus konzentrierte sich in diesem Logion nämlich auf die Freiheit von jeder Zahlungsverpflichtung, die eine Gabe an Gottes Tempel zu einem Geschenk machte, auf das Gott als Vater keinen Anspruch erhob und das sogar seiner Vaterbeziehung widersprach. Fassen wir zusammen: Was wir über die matthäische Tempelsteuerperikope ausgeführt haben, zeigt, dass Jesus mit seiner Weisung, Gott das Seine zukommen zu lassen, wie sie in der Zinsgroschenperikope formuliert ist, nicht oder nicht primär auf die Halbschekelabgabe an den Jerusalemer Tempel abzielte. Um Licht auf seine Weisung fallen zu lassen, werden wir uns daher erneut auf die Frage konzentrieren, was Jesus als Gottes Eigentum bezeichnet haben könnte, das man Gott genauso wie die Steuergelder dem Kaiser zu geben habe. Zuvor müssen wir aber noch auf einen weiteren Deutungsvorschlag eingehen, der seit patristischer Zeit ebenfalls von vielen Auslegern vertreten wurde. 4.1.4 Ist an den Menschen als Gottes Ebenbild (Gen 1,27) gedacht? Eine andere verbreitete Interpretation, die wegen ihrer Akzeptanz durch viele Exegeten kurz diskutiert werden muss, läuft darauf hinaus, dass mit dem, „was Gottes ist“, auf den Menschen als Gottes Ebenbild (Gen 1,27) hingewiesen werden solle. Es gehe in Jesu Antwort um Gottes Recht, die grundsätzliche Anerkennung als Herrn verlangen zu können76. Hier bleibt zu fragen, wie ein Mensch sich selbst Gott geben könne. Denkbar wäre eine Anspielung auf das von Gott gegebene menschliche Leben, das der 75 Es kam gerade auf den Gesichtspunkt an, dass Jesus Petrus ermöglicht, die Tempelsteuer mit einer verlorenen Münze zu bezahlen und Petrus aus diesem Grund nicht gezwungen war, auf sein eigenes Geld oder die gemeinsame Kasse der Jünger (Joh 12,6; 13,29) zurückzugreifen; W. Horbury, The Temple Tax, 275–276. Dadurch demonstriert die Wundertat gleichsam die Ausnahmestellung Jesu und seiner Jünger, die die Legitimität der Steuerpflicht für den Tempel nicht anerkennen, indem sie mit göttlicher Hilfe gleichsam auf fremdes Geld und nicht auf eigenen Besitz oder ihr Einkommen zurückgreifen. 76 Vgl. z. B. J. A. Fitzmyer, The Gospel according to Luke X–XXIV, 1293: „A human being belongs to God, whose image he/she bears; God has not only a right of possession over human beings, but also a claim to a basic recognition of his lordship“; vgl. auch K. Wengst, Pax, 79.

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Schöpfer am Ende im Tod zurückerhält (Hi 1,21b). Doch ist bei dieser Interpretation der Bezug zum Steuerzahlen nicht ersichtlich. Überdies spielt gerade diese alttestamentliche Belegstelle im ganzen Neuen Testament überhaupt keine Rolle. Diese isolierende Deutung von εἰκών begegnet seit der patristischen Literatur und ist auch unter den Exegeten der Neuzeit verbreitet. Letztlich dürfte diese Interpretation, die sich an dem Stichwort des aufgeprägten Bildes anlagert und deutlich zwischen einer irdischen Sphäre, zu der auf der Bildebene die Münzen gehören, und dem Bereich Gottes differenziert, eine gnostische Spiritualisierung darstellen. Erste Anklänge dieser Deutung finden sich nicht zufällig im Umfeld valentinianischer Gnostiker, die ihre Doktrin mit Hilfe einer allegorischen Bibelauslegung legitimieren wollten. Einen Beleg enthalten die von dem Kirchenvater Clemens von Alexandria in seinen Excerpta ex Theodoto zusammengetragenen Auszüge, die eine Fülle valentinianischer Lehren vereinen77. Ganz am Ende dieser Exzerptsammlung findet sich eine dem Ursprung nach gnostische – wenn auch noch nicht in dem besagten Sinne negative – Exegese der Zinsgroschenperikope78. Sie hat mehrere Berührungspunkte mit der Version der Zinsgroschenfrage im Thomasevangelium, die in unsere Untersuchung noch einzubeziehen sind79. Die von Clemens wiedergegebene Auslegung lautet80: Als eine Münze gebracht wurde, sagte der Herr nicht: Wessen Eigentum ist sie, sondern: Wessen ist das Bild und die Aufschrift? Des Kaisers – damit es jenem, dessen es ist, gegeben werde. So ist auch der Gläubige. Er hat zwar als Aufschrift durch Christus den Namen Gottes, das Pneuma aber ist wie ein Bild. Auch die vernunftlosen Tiere zeigen durch einen Stempel, wem ein jedes gehört, und sie werden aufgrund eines Stempels dem Eigentümer zugesprochen. So trägt auch die gläubige Seele mit dem aufgedrückten Siegel der Wahrheit die Narben Christi mit sich.

Hier ist bereits eine eindeutig christliche Exegese erkennbar. Die christliche Taufe wird als Geistgabe analog gesetzt zu dem Brandzeichen, das den Besitzer einer Tierherde kennzeichnet. In diesem Sinne trägt die „gläubige Seele“ die Wundmale Christi in sich als Zeichen ihrer Zugehörigkeit zu Gott. Dies ist die Umformung der synoptischen Zinsgroschenperikope zu einem Schriftbeweis dafür, dass Christus den Gläubigen göttliche Würden wie etwa den Namen ver77 Vgl.

Ch. Markschies, Theodotus, Valentinianer, 600–601. genaue Herkunft und ihre quellenmäßige Verortung im Umkreis der Schüler Valentins lässt sich nicht mehr aufhellen, vgl. O. Dibelius, Studien, 247. 79 s. u. 5.3.2; zu NHC II 2, 49,27–31. 80 Excerpta ex Theodoto 86,1–2 (Text: Sagnard 210): Ἐπϊ τοῦ προκομισθέντος νομίσ­ ματος ὁ Κύριος εἶπεν οὐ Τίνος τὸ κτῆμα: ἀλλὰ Τίνος ἡ εἰκὼν καὶ ἡ ἐπιγραφή; Καίσαρος· ἵνα οὗ ἐστιν, ἐκείνῳ δοθῇ. Οὕτως καὶ ὁ πιστός· ἐπιγραφὴν μὲν ἔχει διὰ Χριστοῦ τὸ  Ὄνομα τοῦ Θεοῦ, τὸ δὲ Πνεῦμα ὡς εἰκόνα. Καὶ τὰ ἄλογα ζῴα διὰ σφραγῖδος δείκνυσι τίνος ἐστὶν ἕκαστον· καὶ ἐκ τῆς σφραγῖδος ἐκδικεῖται. Οὕτως καὶ ἡ ψυχὴ ἡ πιστή, τὸ τῆς ἀληθείας λαβοῦσα σφράγισμα, τὰ στίγματα τοῦ Χριστοῦ περιφέρει. Dazu s. ferner P. C. Bori, Date, 454. 78 Ihre

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leihe81. Alle irdischen Konflikte, wie sie die Steuerforderungen des römischen Staats verursachten, waren dagegen für die Gnostiker bedeutungslos. Dieses weltabgekehrte, wenn nicht gnostische Verständnis des Textes markiert den Anfang einer Tendenz, die sich vielfach in der christlichen Bibelauslegung widerspiegelt und die den Kern des Konfliktes durch eine spiritualisierende Auslegung entschärft. Als ein besonders treffendes Exempel sei noch der Kirchenvater Origenes angeführt, der seine Auslegung des Jesuswortes: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und gebt Gott, was Gottes ist“ mit der Frage einleitet: „Indes, wer von uns würde dem widersprechen, dass dem Kaiser Steuern zu zahlen sind?“82. Danach fährt er mit einer Erklärung fort, die nichts mehr mit der Steuerproblematik zu tun hat: Er unterscheidet mit Berufung auf Paulus (1 Kor 15,49) zwischen einem irdischen und einem himmlischen Bild im Menschen, womit sich für ihn eine Verbindung zur Erschaffung des Menschen nach dem Bild Gottes ergibt (Gen 1,27). Aus dieser Grundunterscheidung zwischen irdischer und himmlischer Sphäre, die ähnlich in der schon analysierten valentinianischen Exegese vorkam, leitet er die Aufforderung ab83: Wenn es also heißt: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, so heißt das so viel wie: Legt den irdischen Menschen ab, trennt euch von dem irdischen Bild, damit ihr, den himmlischen Menschen anziehend, Gott geben könnt, was Gottes ist.

Durch diese Interpretation wird Jesu Antwort zu einer Ermunterung zur konsequenten Entweltlichung umgedeutet, was Origenes als den „tieferen, geheimnisvolleren Sinn“ (habet igitur locus quidam mystici atque secreti)84 des Jesuswortes begreift, weil ihm die Anweisung, den Steuerzahlungen nachzukommen, gar kein Problem anzeigt, das einer Diskussion wert gewesen wäre. 4.1.5 Koh 8,2a als Schlüsseltext zum Verständnis der Zinsgroschenperikope? So viel zu εἰκών und seinen verfehlten Theologisierungen. Auf eine ganz andere Spur kommen wir, wenn wir beachten, dass jede Münze neben der Prägung auch noch eine materielle Bedingung ihrer Existenz besitzt, d. h. eben das Metall bzw. im Falle des Denars das Silber, aus dem sie hergestellt wurde. Wenn man nun 81 Vgl.

352.

z. B. U. Wilckens, Der Brief an die Römer, 33; E. Lohse, Der Brief an die Römer,

82 Homiliae in Lucam 39,4 (Text und Übersetzung: Sieben 388–389): Quis enim nostrum de tributis reddendis Caesari contradicit? Zu der Auslegung der Zinsgroschenperikope bei Origenes s. P. C. Bori, Date, 455–456. Bori sammelt auch die sich auf Gen 1,27 beziehenden Interpretationen anderer Kirchenväter. 83 Homiliae in Lucam 39,5 (Text und Übersetzung: Sieben 390–391): Quod ergo ait: reddite, quae sunt Caesaris, imaginem terrenam, ut possitis vobis personam caelestis imponentes reddere, quae sunt Dei, Deo. 84 Homiliae in Lucam 39,4 (Text und Übersetzung: Sieben 388–399).

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4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

dieses von Gott geschaffene Metall, ohne das in der Antike keine Geldwirtschaft und auch keine Staatsfinanzen oder Abgaben möglich waren, in den Mittelpunkt der Untersuchung rückt, ergibt sich eine ganz neue Möglichkeit, um zum Sinn der Weisung Jesu vorzustoßen. Auf diesen Aspekt des Textes hat bereits Joseph Spencer Kennard aufmerksam gemacht85. Er verweist in diesem Zusammenhang auf einige Bibelstellen wie u. a. 1 Chr 29,14 und Hag 2,8, ohne allerdings diesem wegweisenden Gedanken anhand des vorhandenen Quellenmaterials und vor allem der Ausdeutung der betreffenden Bibelverse in der hellenistisch-jüdischen und rabbinischen Literatur nachzugehen. Die Qumrantexte, die in dieser Sache ebenfalls wichtige Informationen enthalten, waren zu seiner Zeit nicht einmal publiziert. Als weniger richtungsweisend für unsere Exegese im Vergleich zu den von Kennard angeführten Bibelstellen ist hingegen der von Israel Abrahams in die Debatte eingeführte Beleg aus Koh 8,2a86. Abrahams (dem sich u. a. John Duncan M. Derrett87 anschloss) betrachtete Koh 8,2a als Schlüssel für die Interpretation der Weisung Jesu in der Steuerfrage. An dieser Stelle schärft Kohelet in seiner Weisheitsschrift die absolute Loyalität gegenüber dem König ein88: „Den Befehl des Königs beachte“ (‫)פי מלך שמור‬89, wobei er in erster Linie die durch einen Eid vor Gott (vgl. Koh 8,2b) verpflichteten Höflinge im Auge hat90. Von den Rabbinen wurde das in Koh 8,2a Gesagte später auf das ganze jüdische Volk bezogen. Eine solche uneingeschränkte Aufforderung zum Gehorsam gegenüber dem König für alle Juden ist aber keinesfalls mit Jesu Anweisung, Kaiser und Gott das jeweils ihre zu geben, vergleichbar; anderenfalls hätte sie Jesu differenziert formulierte Auskunft in gewisser Weise überflüssig gemacht, vor allem deshalb, weil der Koheletvers den kaiserlichen Befehlen überhaupt keinen Vorbehalt oder einen Hinweis auf die Grenzen, die menschlicher Herrschaft und ihren 85 J. Sp.

Kennard, Render to God, 123–124. Abrahams, Studies, First series, 63. Abrahams folgen C. G. Montefiore, Rabbinic Literature, 311 (mit Verweis auf G. F. Moore, Judaism, Bd. 2, 116–117); vgl. aber den Hinweis auf Abrahams in ders., The Synoptic Gospels, Bd. 1, 279 sowie von H. Loewe, Render, 21. 87 J. D. M. Derrett, Render, 332. Derrett folgt wiederum A. Stock, Render, 930–933. 88 Dabei ist vor allem die Auseinandersetzung Kohelets mit Überzeugungen und Gedanken der ihm überkommenen Weisheit zu beachten. Der Verfasser dürfte in hellenistischer Zeit zwischen 250 und 190 v. Chr. gelebt haben, dazu L. Schwienhorst-Schönberger, Das Buch Kohelet, 384 bzw. 386. 89 Zur Interpretation des ‫ אני‬am Versbeginn als einer elliptischen Aussage s. L. Schwienhorst-Schönberger, Kohelet, 411. 90 Zu dem höfischen Kontext der Stelle s. L. Schwienhorst-Schönberger, Koholet, 414. Nach Ansicht von Schwienhorst-Schönberger steht der Ratschlag „in jener alttestamentlichen Tradition, die zunächst einmal von einer grundsätzlichen Akzeptanz einer rechtmäßig eingesetzten Obrigkeit ausgeht“. Er verweist zum Beleg auf Ex 22,27. Ferner ist in diesem Abschnitt des Koheletbuches das Nachwirken altorientalischer Vorbilder wie der aramäischen Achiqarsprüche nachweisbar; vgl. die Diskussion bei D. Michel, Untersuchungen, 94–95. 86 I.

4.1 Bisherige Ansätze zur Deutung „von dem, was Gottes ist“

177

Forderungen durch Gottes Gebote vorgegeben sind, entgegensetzt. Rabbinische Gelehrte erkannten bei ihrer Auslegung des Koheletverses91 diese Schwachstelle und achteten wohl nicht zufällig darauf, den Vers in dem Sinne umzudeuten, dass er nicht zur Legitimation eines Bruchs der Tora aufgrund staatlicher Direktiven und speziell wegen der römischen Gesetzgebung missbraucht werden konnte92. Diese Auslegung von Koh 8,2a findet sich im Midrasch Tanḥuma. Dort heißt es, dass sich niemand gegen „harte Beschlüsse“ der Regierung93 empören solle, aber wenn sie über euch verfügt, die Tora für ungültig zu erklären und die Gebote und den Sabbat, dann hört nicht auf sie!94.

Diese rabbinische Deutung kann für das Verständnis der Antwort Jesu nicht weiterhelfen. Eine derartige Generalvollmacht, die dem Kaiser einen unkontrollierten Handlungsspielraum eröffnet, gibt Jesus gerade nicht und muss sie darum ebenso wie der Midrasch mit Blick auf die Toraobservanz auch nicht wieder einschränken95. Jesus setzt bei seiner Antwort vielmehr in einer ganz anders zu verstehenden grundsätzlichen Weise bei der materiellen Voraussetzung des Steuerzahlens, d. h. dem Edelmetall, an, durch das diese staatlichen Forderungen beglichen wird.

91  Auch die gewundene Auslegung von Koh 8,2 durch Derrett kann diese Problematik nicht beheben; s. dazu H. G. Klemm, De Censu, 234 und U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 257. Derrett, Render, 321, ging davon aus: „the responsum has nothing to do with coins as such“, was wir bereits widerlegt haben. Derrett kommt dann zu dem Schluß: „The original meaning is therefore not an evasion, nor an equivocation, but simply ‚obey the commands of the king and obey (thereby) the commandments of God“, ders., Render, 335. Er schränkt diese Interpretation dann aber dahingehend ein, „God is at all times superior to Caesar“, Render, 337, kann dafür aber kein Jesuswort als Beleg, sondern nur die Stelle aus dem Midrasch Tanḥuma anführen. In einer anderen Publikation deutet Derrett dasjenige, was des Kaisers bzw. Gottes ist, als deren jeweilige „Rechte“, ohne dies zu belegen, ders., Tribute, 200. Auch Apg 5,29 markiert die Grenze christlichen Gehorsams gegenüber staatlichen Behörden in der Aufforderung, von Gottes Geboten abzufallen; vgl. E. Käsemann, Grundsätzliches, 256: „Die Grenze unseres Dienens ist dort, wo wir aufhören, Christus als den Herrn der Welt zu bekennen“. 92 I. Abrahams, Studies, First series, 63, weist auch auf Midrasch Tanḥuma hin. 93 Midrasch Tanḥuma B, „Noah“ 2,15 zu Gen 8,16 (Text: Buber 38; Übersetzung: Bietenhard 50): ‫שאם תגזור עליכם מלכות גזרות אל תמרדו עליה‬. 94 Midrasch Tanḥuma B, „Noah“ 2,15 zu Gen 8,16 (Text: Buber 39; vgl. die Übersetzung: Bietenhard 50): ‫אם תגזור עליכם לבטל את התורה ואת המצות ואת השבת אל תשמעו להם‬. 95 Auch die formale Begründung in der Ordnungsfunktion des Staates, für den man nach Ḥananja, dem Vorsteher der Priesterschaft (1. Jh. n. Chr.), zu beten habe, da sich die Menschen ohne die Furcht vor seinem Eingreifen gegenseitig lebendig verschlingen würden, mAv 3,2 (vgl. bAZ 4a), erwähnt Jesus nicht. Er zieht sich ebenfalls nicht auf den oft zitierten rabbinischen Grundsatz (Mar Samuels, gestorben 254 n. Chr.; s. dazu G. Stemberger, Einleitung, 92) zurück, dass das pagane Recht als Recht anzusehen sei (‫דינא דמלכותא דינא‬, s. z. B. bGit 10b, Text: Steinsaltz 45, vgl. Goldschmidt 388) und dem jüdischen Gesetz z. B. bei der Geschäftstätigkeit mit Heiden übergeordnet sei, vgl. weitere rabbinische Stellen bei Bill., Bd. 4, 355 Anm. 1 und H. Loewe, Render, 32.

178

4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

Im nächsten Abschnitt wollen wir uns darum vornehmlich dieser materiellen Seite der Steuerleistungen, die der römische Staat den Untertanen des Kaisers abverlangte und die in Münzen aus Silber oder Gold zu bezahlen waren, zuwenden. Den Ausgangspunkt werden eine Reihe alttestamentlicher Texte machen, die sich zu diesem Problemkreis und dem Besitz an den Metallen, die die Steuerzahlungen überhaupt erst möglich machen, äußern. Auf ihrer Grundlage werden wir weitere jüdische Quellen in den Blick nehmen, durch die sich das Verständnis dieser biblischen Texte zur Zeit Jesu erschließen lässt. Auf diesem Wege, so steht zu erwarten, wird sich eruieren lassen, was Jesus mit dem, „was Gottes ist“, gemeint hat.

4.2 Gottes Eigentum im Alten Testament Sachgemäßer als alles Bisherige ist also die Frage, wem dasjenige Edelmetall gehört, aus dem der Kaiser z. B. seine Tributmünzen schlagen lässt. An mehreren Stellen des Alten Testamentes wird die Auffassung vertreten, dass Gott mit Recht die ganze Welt sein Eigentum nennen könne. Eine Formel dieser Art, vielleicht sogar aus der Umwelt übernommen, ist Gen 14,19, in der der höchste Gott (‫)אל עליון‬, „Himmel und Erde erwirbt“. Diese Gottesbezeichnung ist, schon ihrer verändernden Septuaginta-Übersetzung wegen, ohne Einfluss auf das Neue Testament geblieben (Apk 10,6 zitiert sie in der LXX-Veränderung ὃς ἔκτισεν für ‫)קנה‬96, und auch die Rabbinen wussten wenig mit ihr anzufangen. Verhältnismäßig breit angelegt ist jedoch in der gesamten Hebräischen Bibel die Auffassung, Gott gehöre insbesondere das Land Israel, und selbstverständlich besitze er alle Metalle im Erdboden, gleichfalls alle Früchte der Erde sowie alle Tiere, die auf ihr leben. Dieser Gedanke eines göttlichen Eigentums an seiner Schöpfung ist Hauptinhalt des κύριος-Titels. Es ist nicht so sehr Herrschaft, es ist Eigentum. Vor allem die Würdigung des Jerusalemer Tempels als Gottes Heiligtum aber auch die Vorstellung vom Königtum Gottes über die Welt wurden davon beeinflusst. 4.2.1 Gottes Eigentum nach 1 Chronik 29,11–14 Eine hierfür besonders aussagekräftige Passage findet sich im Ersten Chronikbuch. Dieser Rückblick auf die Königsgeschichte entstand in nachexilischer Zeit, als das israelitische Königtum schon lange nicht mehr existierte. Was jedoch Bestand hatte und das für den Chronisten wichtigste Vermächtnis Davids 96 Für die Verwendung im Sinne von „Erwerben“ vgl. F. Siegert, Zwischen hebräischer Bibel, 270.

4.2 Gottes Eigentum im Alten Testament

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und seiner Nachfolger darstellt, war der Jerusalemer Tempel. An diesem Ort war das göttliche Königtum über Israel spürbar und anschaulich97. Wegen dieser Relevanz für die chronistische Theologie wurde dann auch der Abschnitt, der Davids Vorarbeiten zur Errichtung des Tempels behandelt, vom Autor schwerpunktmäßig bearbeitet und gegenüber seiner Vorlage im Ersten Buch der Könige erweitert98. Zu diesen von ihm mit besonderer Aufmerksamkeit ausgeführten Themenkreisen gehört u. a. das Problem des Baus und des späteren Unterhalts des Tempels, was dem Heiligtum als „Gravitationszentrum der chronistischen Darstellung und Theologie“99 entspricht (1 Chr 28,12–19.21a bzw. 29,1–20). In diesem Kontext zeichnet der Verfasser ein Bild von David, der am Ende seines Lebens Schritt für Schritt die Bauarbeiten für das Heiligtum vorbereitet, dessen Kultordnung festlegt und die Finanzierung des Vorhabens regelt, wobei neben dem Königshaus das ganze Volk in die Verantwortung genommen wird. König Salomo kommt als Davids Nachfolger lediglich die Aufgabe zu, den schon vorhandenen Plan, zu dem die benötigten Materialien und die Finanzmittel schon bereitgestellt waren, umzusetzen. Die Sippen und Oberhäupter des Volkes sowie David selbst haben nach diesem Bericht schon vor Salomos Regierungsantritt reiche Gaben aus ihrem persönlichen Besitz zusammengetragen, wozu neben anderen Schätzen u. a. Gold, Silber und Edelsteine zählen (1 Chr 29,2; vgl. 22,14). In einem Gebet in 1 Chr 29,10–20 lobt David Gott für diese Unterstützung, ohne die das ganze Vorhaben zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. In diesem Gebet kommt er auf die wertvollen Geschenke aus Edelmetall und anderen Materialien, die beim Bau gebraucht wurden, zu sprechen. Bereits in der Gebetseinleitung klingt das Motiv an (1 Chr 29,11). Genau in dieser Passage wird der Gedanke des Königtums Gottes aufgegriffen (‫)לך יהוה הממלכה‬, worauf hier großer Nachdruck liegt100. David umschreibt die Macht des himmlischen Herrschers mit vielen Begriffen und bekennt schließlich: „alles, was im Himmel und auf Erden ist, das ist dein“ (‫כל בשמים ובארץ לך‬, ebd.). Aller irdische Wohlstand wie alle Ehre unter den Menschen sind demzufolge von Gott verliehen, und die zahlreichen freiwilligen Spenden für das Tempelprojekt geben Gott nur zurück, was er selbst zuvor den Menschen gegeben hatte: „Von dir ist alles gekommen, und von deiner Hand haben wir dir’s gegeben“ (‫כי ממך הכל ומידך נתנו לך‬, 1 Chr 29,14)101. In 1 Chr 29,12 erweitert David diese Vorstellung noch um die Aussage, dass Gott es in der Hand habe, jedermann groß zu machen, wofür wir in Dan 2 und 7 gewisse Parallelen haben, auf die noch zurückzukommen sein wird. Auf jeden Fall wird aber bereits jetzt deutlich, dass hinter diesen Aussagen, mit   97 1

Chr 29,23; 2 Chr 13,8; vgl. G. Steins, Die Bücher der Chronik, 252. Steins, Die Bücher der Chronik, 257.   99 Ebd. 261. 100 S. Japhet, 1. Chronik, 456. 101 Die Septuaginta gibt ‫ מידך‬mit ἐκ τῶν σῶν wieder, weicht aber sonst nicht gravierend vom hebräischen Text der Vorlage ab.   98 G.

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4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

denen wir uns befassten, die für die chronistische Theologie bezeichnende Prämisse steht, dass das irdische Königtum von Gott dem jeweiligen Amtsinhaber verliehen sei und der Herrscher auf Gottes Thron sitze102, was im Übrigen den persischen Großkönig Kyros mit einschloss103. Diese von Gott gegebene gesellschaftliche Stellung ist neben dem materiellen Besitz jedoch nicht die einzige Gottesgabe. Auch das Land Israel gehört dem Volk eigentlich nicht, denn es ist dort lediglich als Erbpächter eingesetzt. Dieser Gedanke, der bereits in Lev 25,23 begegnet, wird in 1 Chr 29,15 nicht zufällig wiederholt. Auch eine ganz andere Textstelle, das Lied der Hanna, bringt diese Auffassung paradigmatisch zum Ausdruck: „Der Herr macht arm und macht reich, er erniedrigt und er erhöht“ (‫מרומם‬-‫יהוה מורישׁ ומעשׁיר משׁפיל אף‬, 1 Sam 2,7). Demnach sind alle von Menschen zusammengetragenen Besitztümer (sofern rechtmäßig erworben) ein Zeichen göttlichen Segens104. Eine solche Deutung von 1 Chr 29,11–14 lässt sich ebenfalls in den rabbinischen Quellen nachweisen und ist z. B. in der aramäischen Übersetzung dieser Passage vorausgesetzt. Diesem Targum wollen wir uns nun zuwenden, weil er ein hervorragendes Beispiel dafür bietet, wie antike jüdische Gelehrte die betreffende Bibelstelle verstanden haben. Die Sitte, den hebräischen Bibeltext in die Volkssprache zu übertragen, entstammt bekanntlich dem Synagogengottesdienst. Zwar wurden die Targumim, wie sie aus rabbinischer Tradition bekannt sind (in Qumran fanden sich bereits Fragmente), erst im frühen Mittelalter schriftlich fixiert; dennoch enthalten sie Gedankengut aus vielen Jahrhunderten, insbesondere Populartheologie. Der Targum zum Ersten Chronikbuch entstand wahrscheinlich in Palästina und wurde in talmudischer oder sogar in noch späterer Zeit unter Verwendung älteren Materials redigiert105. Er spiegelt also in seinen Zusätzen bzw. erläuternden Modifikationen eine längere Auslegungsgeschichte. In 1 Chr 29,11 unterstreicht der Text durch eine vergleichsweise umfangreiche Ergänzung, die aus älteren Traditionen geschöpft ist106, Gottes Autorität und Erhabenheit über seine Schöpfung, die sich über alle Engel erstreckt und umso mehr aller menschlichen Regierungsgewalt, die nur als Statthalter 102 1

Chr 17,14; 28,5; 29,23; 2 Chr, 9,8; 13,8 vgl. G. Steins, Die Bücher der Chronik, 261. Chr 36,23. Dort wird ohne irgendeine Einschränkung zitiert, Gott habe Kyros alle Königreiche der Erde gegeben; vgl. auch 1 Es 1,2. 104 Prov 10,22. 105 R. Le Déaut, J. Robert, Targum des Chroniques, Bd. 1, 25 und J. St. McIvor, The Targum of Chronicles, 18 (vgl. ebenfalls M. Rosenberg, K. Kohler, Das Targum, 276–277) nehmen für das Targum zum Ersten Chronikbuch einen komplexen Entstehungsprozess bis ins frühe Mittelalter (zwischen dem 4. und 8. Jh.) an, der in Palästina seinen Anfang hatte. In diesem Targum gibt es aber noch keine Reflexe, die auf die muslimischen Eroberungszüge hinweisen. 106 Bei dieser Ergänzung wurden (ältere liturgische) Vorlagen verwendet, die auch in anderen Targumim vorkommen, s. die Nachweise bei R. Le Déaut, J. Robert, Targum des Chroniques, Bd. 1, 102 Anm. 3 sowie die Diskussion, ebd. 23–24. 103 2

4.2 Gottes Eigentum im Alten Testament

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des göttlichen Oberherrn fungiert, übergeordnet ist. Auch in V. 12 erweitert der Übersetzer seine Vorlage und fügt hinzu107: Und der Reichtum der Reichen und die Ehre der Könige und Herrscher ist ihnen um deinetwillen gegeben, und du bist Herrscher über sie alle ….

Solche Erweiterungen heben hervor, was wohl durchaus im Sinne des Verfassers des Chronikbuches war. Im Chronikbuch selber ist nun von entscheidender Bedeutung, dass Menschen freiwillig diese Güter an Gott als ihren Geber zurückerstatten. Sie bezahlen die Bauarbeiten am Tempel; die dafür nötigen Spenden sind offensichtlich Eigentum Gottes, das er als ursprünglicher Geber solcher Reichtümer zurückerhält. Diese Art von Kreislauf, bei dem der göttliche Allherrscher das Seine bekommt und dies in seinem Jerusalemer Tempelgebäude gleichsam verbaut wird, ist aber gerade kein Hinderungsgrund für das irdische Königtum, das sogar von heidnischen Herrschern, z. B. den Persern, ausgeübt werden kann. Die Steuern zur Erhaltung des irdischen Königtums bleiben ohne Einschränkungen möglich. Der himmlische und irdische Herrschaftsbereich ist für die gesamte Antike parallel geordnet, wobei Gott als Ursprung der Regierungsgewalt der Vorrang gebührt. 4.2.2 Gottes Eigentum nach Haggai 2,8 Eine weitere Stellen der Hebräischen Bibel, die einen anderen wichtigen Aspekt unseres Themas beleuchtet und sich nicht mehr auf die Juden und ihren Tempel als sichtbares Ergebnis ihrer Spenden und frommen Gaben bezieht, sondern auf die Heidenvölker und deren Gold‑ und Silberbesitz, finden wir im Buch des Propheten Haggai. Nach den Angaben in der Rahmenerzählung des Buches hat Haggai kurz nach Beginn des Wiederaufbaus des nachexilischen Tempels, also um das Jahr 520 v. Chr., gewirkt. Offenbar hatte sich unter den zurückgekehrten Exulanten, die sich mit Genehmigung des persischen Großkönigs an die Wiederherstellung des von den Babyloniern 586 v. Chr. zerstörten salomonischen Tempels machten, Entmutigung über die kümmerlichen Anfänge und beschränkten Mittel im Vergleich mit dem Bauwerk Salomos eingestellt. In dieser von Not und Armut gekennzeichneten Situation entwarf Haggai das Bild eines Neubaus, der seinen Vorgänger noch übertreffen sollte. Er kündigt an, Gott werde die Völkerwelt derartig erschüttern, dass die Fremden herbeiströmen und das bescheidene jüdische Heiligtum mit ihren Kostbarkeiten und wertvollen Gaben reich ausstatten werden, weil für Gott gilt: „Mein ist das Silber, und 107 Text: A. Sperber, The Bible in Aramaic, Bd. IVA, 31 sowie R. Le Déaut, J. Robert, Targum des Chroniques, Bd. 2, 78: ;‫ועותרא דעתיריא ויקרא דמלכיא ושליטיא מן קדמך מתיהב להון ואנת שליט בכלהון‬ vgl. ferner die Übersetzungen von R. Le Déaut, J. Robert, Targum des Chroniques, Bd. 1, 102 sowie von J. St. McIvor, The Targum of Chronicles, 138.

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4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

mein ist das Gold“ (‫לי הכסף ולי הזהב‬, Hag 2,8)108. Das Edelmetall der Heiden, so ist die Ankündigung, werde Jerusalem und dem Haus Gottes zu neuer Pracht verhelfen109. Der Kontext könnte einen militärischen Sieg über die Fremdvölker meinen, deren Tributleistungen danach den Tempel herrlicher als jemals zuvor erstrahlen lassen. 4.2.3 Gottes Eigentum nach Joel 4,4–8 Auch ein Abschnitt im Buch des Propheten Joel kann zum Verständnis beitragen. Joel 4,4–8 unterbricht den Gedankengang zwischen 4,1–3 und 4,9–17 und ist höchstwahrscheinlich als literarisch sekundär zu betrachten110. Dieser Zusatz (einer unter vielen in diesem Buch) richtet sich gegen die Bewohner der Hafenstädte Tyrus und Sidon sowie die mit ihnen verbündeten Philister. Dieser Koalition wirft der Verfasser vor, sie hätten das Gold und Silber Gottes fortgenommen und in ihre Paläste bzw. Tempel – das Wort ‫ היכל‬in Joel 4,5 hat beide Bedeutungen – gebracht. Außerdem habe man zahlreiche Judäer verschleppt und an die Griechen in die Sklaverei verkauft111. Diese Verbrechen werde Gott mit gleicher Münze heimzahlen, wobei den Tätern das gestohlene Gold und Silber wieder abgenommen werde, weil es Gottes Eigentum sei. Aus diesen Worten muss man nicht unbedingt auf eine Plünderung Jerusalems oder die Entführung heiliger Geräte aus dem Tempel schließen, denn auch der Privatbesitz der Israeliten könnte gemeint sein. Die Ereignisse, auf die sich diese Stelle bezieht, dürften in das 4. Jh. v. Chr. einzuordnen sein; denn Sidon wurde 343 v. Chr. vom persischen Großkönig Artaxerxes III Ochos bei einer Strafexpedition zerstört112, so dass Alexander der Große 332 v. Chr. auf seinem Zug nach Ägypten nur den Widerstand von Tyrus und Gaza niederwerfen musste113. Eine gemeinsame Aktion von Tyrus, Sidon und den Philistern würde somit in die Zeit vor dem verheerenden Angriff Artaxerxes III zu datieren sein. 4.2.4 Gottes Eigentum nach Jesaja 60 Schließlich sei noch auf den Vorstellungskreis verwiesen, wie er uns im 60. Kapitel des Jesaja-Buches entgegentritt. Dieses Kapitel hängt inhaltlich eng 108 Der Text der Septuaginta zeigt keine Abweichungen. Dasselbe gilt auch für Joel 4,5; Jes 60,9 und Ps 49,10a bzw. 12b (LXX); dazu s. u. 4.2.3–5. 109 J. Kessler, The Book, 181–182; vgl. ferner L. Bauer, Zeit, 72–75. 110 Vgl. W. S. Prinsloo, The Theology, 106–108. 111 Zu dieser Stelle vgl. J. M. P. Smith, W. H. Ward, J. A. Bewer, Micah, 131. 112 Vgl. dazu die Angaben bei Didorus Siculus 16,44,4–5 (Text: Fischer 67,7–17). 113 Zu der Eroberung dieser beiden Städte vgl. Arrian, Anabasis 2,22  –24 (Text: Wirth, Hinüber 173–117) bzw. 2,185 (Text: Wirth, Hinüber 185–187).

4.2 Gottes Eigentum im Alten Testament

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mit den besprochenen Passagen aus den Büchern Haggai und Joel zusammen. Man kann als wissenschaftlich gesichert annehmen, dass die Heilsweissagung in diesem Abschnitt des Jesaja-Buches von uns namentlich unbekannten Autoren frühnachexilischer Zeit stammt, weil er zu dem ab Kapitel 56 beginnenden letzten Teil des Jesaja-Buches gehört, der Texte einer Mehrzahl von Verfassern vereinigt und für den sich seit Bernhard Duhm der Name Tritojesaja eingebürgert hat114. Dieser letzte Teil spiegelt die Auseinandersetzungen, „die bei der gesellschaftlichen Neukonstituierung Jerusalems und Judas in den Jahren nach 520 bis in die Mitte des 5. Jh.s aufkamen“115. In der Heilszusage (Jes 60,1–22) zeichnet Tritojesaja das Bild einer großartigen Zukunft Israels und eröffnet die Perspektive in einer Art universalen Ausblick auf die Heiden. Der Blick ruht auf der Heiligen Stadt Jerusalem und deren zukünftiger Herrlichkeit116. Im Zentrum der Darstellung steht die Verherrlichung des Heiligtums und seines Gottesdienstes. Der Verfasser beschreibt, wie Gottes Licht in der Heiligen Stadt erstrahlen werde und Gottes Epiphanie Jerusalem neuen Glanz verheißt (V. 1). Diese Offenbarung der göttlichen ‫ כבוד‬wird in der Folge tief greifende Auswirkungen auf die Heidenvölker haben, deren Existenzweise mit Finsternis gleichgesetzt ist (V. 2)117, denn sie wird nicht nur Stadt und Tempel aus ihrer früheren Unansehnlichkeit herausholen, sondern als Reaktion auch einen weltweiten Zug der nichtjüdischen Umwelt auslösen, der von den Exegeten oft als Völkerwallfahrt zum Zion bezeichnet wird (V. 4–9)118. Bei dieser Zukunftsschau vermischen sich zwei Vorstellungskreise, die trotz aller Ähnlichkeiten ursprünglich nicht zusammengehörten. Tritojesaja greift auf der einen Seite das von anderen Propheten ebenfalls aufgenommene und abgewandelte Motiv auf, dass die Heiden Geschenke zum Zion bringen und diese die Stadt und ihr Heiligtum schmücken werden. Dies alles soll freiwillig geschehen und friedvoll ohne äußeren Zwang ablaufen119. Daneben steht ein weiterer ganz anders gearteter Vorstellungskomplex, vor allem in Jes 60,12. Bei diesem Vers handelt es sich nach der Sicht vieler Ausleger jedoch um einen späteren Zusatz120, denn er schließt an diejenige Tradition an, nach der die Heiden in einem 114 B. Duhm, Das Buch Jesaja, passim. Duhms These eines einzigen Verfassers der Kapitel 56–66 des Jesajabuches kann heute aber als wissenschaftlich überholt gelten, vgl. H.-W. Jüngling, Das Buch Jesaja, 445–446; s. ferner W. Lau, Schriftgelehrte Prophetie, 2, 8–9; L. Ruszkowski, Volk, 21. 115 H.-W. Jüngling, Das Buch Jesaja, 447. 116 Zu diesem Abschnitt vgl. K. Pauritsch, Die neue Gemeinde, 119–120. 117 B. Duhm, Das Buch Jesaja, 447; K. Pauritsch, Die neue Gemeinde, 120. 118 Vgl. zu dieser Vorstellung auch Ps 45,13; 68,32; 72,10; Jes 18,7; Sach 6,15; 14,1–21; Zeph 3,10; vgl. dazu O. H. Steck, Der Grundtext, 266; ferner W. Lau, Schriftgelehrte Prophetie, 39–43. 119 K. Pauritsch, Die neue Gemeinde, 120–121. 120 B. Duhm, Das Buch Jesaja, 450; H. Odeberg, Trito-Isaiah, 227; K. Pauritsch, Die neue Gemeinde, 124; C. Westermann, Das Buch Jesaja, 287; O. H. Steck, Der Grundtext,

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eschatologischen Kampf vor den Toren Jerusalems besiegt werden, nachdem sie zuvor vergeblich gegen Zion angestürmt waren121. Dieser Gedanke findet sich schon bei dem Propheten Micha: Er weckt die Hoffnung, dass die Siegesbeute nach der Vernichtung der Feinde Gott geweiht werde (Mi 4,13)122. Unabhängig davon, wie man das Verhältnis der von Tritojesaja verarbeiteten Einflüsse beurteilt, ist festzuhalten, dass in Jes 60,1–22 eine Selbstunterwerfung der Heiden geschildert wird, zu der gehört, dass die Völker Gott ihre Reverenz erweisen und dafür ihren Reichtum herbeischaffen werden – angezogen durch das Licht der Herrlichkeit Gottes, das in Jerusalem erscheint (Jes 60,3). In diesem Zusammenhang richtet der Verfasser seinen Blick u. a. auf die vom Westen, aus Tarsis, heranfahrenden Schiffe, die nicht nur die zerstreuten Söhne und Töchter Israels (Jes 60,4.9), sondern auch heidnische Kostbarkeiten „samt ihrem Silber und Gold für den Namen des Herrn, deines Gottes“123 herbeibringen124. Nun müssen fremde Könige für Israel Frondienste leisten (Jes 60,14), Jerusalems Mauern wiederaufbauen und ihren Reichtum den Israeliten übereignen (Jes 60,10–11). Zu diesen Motiven gehört ebenfalls die Vorhersage, dass sich nach der Heimkehr Israels alle Lebensbereiche ins Wunderbare steigern und z. B. das übliche Baumaterial der Stadt Jerusalem verschwinden bzw. ausgetauscht werde. Eine ähnliche Weissagung steht in Jes 54,11–12, wo das künftige Jerusalem als Stadt mit Mauern und Türmen aus Edelsteinen dargestellt wird, und in Sach 14,14, wo nach einem Sieg über die Heiden ihr Gold, Silber und ihre Kleider weggenommen werden. Des Weiteren fügt Jes 60,17 noch das Motiv hinzu, Gott werde bewirken, dass Gold das Erz und Silber das Eisen ersetzen werde, was den unerhörten materiellen Wohlstand der kommenden Friedenszeit in einem Bild zusammenfasst125. Um diese Heilszusage und die sehr viel ältere Tradition, die sie aufnimmt und weiterentwickelt, besser zu verstehen, muss man sich vor Augen halten, dass diese Schilderungen auf dem Vorstellungskreis altorientalischer Königsideologie und Herrscherhuldigung basieren und deren Symbole und Rituale gleich261–262; S. Sekine, Die Tritojesajanische Sammlung, 70. Dabei ist offensichtlich vorausgesetzt, dass ein Teil der Völker sich nicht zum Zion wendet; vgl. Jes 66,15–16 und 24. 121 Zu diesem Endkampf s. ferner Ps 33,16–18; 118,6.8.16; 147,10–11; Ez 38,19–22; Hag 2,21; Sach 4,6 und 14,1–21; vgl. G. v. Rad, Theologie, Bd. 2, 303–304; zusammenfassend: J. A. Soggin, Art. Krieg II, 23. 122 Zu dieser Michastelle s. G. v. Rad, Der Heilige Krieg, 64–65. Wir befinden uns ganz im Rahmen antiker Konventionen. 123 ‫להביא… כספם וזהבם אתם לשׁם יהוה אלהיך‬, Jes 60,9. 124 S. auch Jes 60,6.17; dazu K. Pauritsch, Die neue Gemeinde, 123; L. Ruszkowski, Volk, 108. 125 K. Pauritsch, Die neue Gemeinde, 126. Möglicherweise hatte der Verfasser auch die Werkstoffreihen in 1 Chr 22,14 und 29,2 im Blick, die zur Ausstattung des Tempels gehörten, was in Jes 60,17 allerdings nicht erwähnt ist und ersetzte dabei Eisen und Bronze durch das höherwertige Silber und Gold; vgl. O. H. Steck, Der Grundtext, 271.

4.2 Gottes Eigentum im Alten Testament

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sam in die himmlische Welt transportieren. Die gedankliche Voraussetzung dafür ist die Überzeugung, dass Geschenke als Gabe eines Niedriggestellten an einen Höheren dessen Rang sinnfällig vor Augen führen. Für unsere Auslegung ist von Bedeutung, dass solche Geschenke die historische Vorstufe von allen Tributen und von dem Steuerwesen waren, aus denen sich erst regelmäßige Staatseinkünfte entwickelten126. Diese historische Genese spiegelt sich auch in dem über Jahrhunderte beibehaltenen Zeremoniell altorientalischer Fürstenhöfe, wo es üblich war, dass die Würdenträger unterworfener Nationen bei offiziellen Anlässen vor den Thron der Könige traten, um wertvolle Objekte oder auch exotische Tiere ihrer Heimat zu überreichen. Beispiele dafür überliefern uns bereits ägyptische Wandmalereien und Reliefs in Gräbern und Tempeln seit dem Neuen Reich, wobei in vielen Fällen offen bleibt, ob dieses Geben aus freien Stücken geschah oder durch militärischen Zwang veranlasst wurde127. Das Ritual verdeckt solche vielleicht weniger schönen Details. Eine weitere berühmte Darstellung einer Tributübergabe findet sich auf dem schwarzen Obelisken Salamanassars III aus dem Jahr 829 v. Chr., der heute in London aufbewahrt wird. Auf diesem Denkmal der Siege des Assyrerkönigs ist das einzige antike Portrait eines Königs des alten Israels erhalten geblieben; es bildet ihn im Moment tiefster Erniedrigung ab128. Ein Reliefband an der Seite des Obelisken zeigt u. a., wie sich der jüdische König Jehu vor dem Assyrerkönig in den Staub wirft, nachdem er seinem Oberherrn u. a. Gold, Silber und eine Goldschale übergeben hat, wie ein die Abbildungen begleitender Keilschrifttext vermerkt129. Neubabylonische Inschriften erwähnen ebenfalls, wie Abordnungen mit Geschenken als Zeichen einer siegreichen Regentschaft ihre Aufwartung machen. So teilt ein Text des Königs Merodach-Baladan II mit130, dass die Könige, seine Feinde, herbeibringen den Überfluss aus den vier Weltgegenden, die Produkte der Berge und des Meeres.

Diese Vorstellung, dass dem Herrscher als Zeichen seiner Überlegenheit die Gaben der Völker aus allen Ländern gebracht werden, ist schon in Ps 72,8–11.15 auf den israelitischen König übertragen und liegt auch Jes 60,5–7 zugrunde, wo beispielsweise das Gold aus Südarabien genannt ist131. 126 A.

Stuiber, Art. Geschenk, 686. Müller-Wollermann, Art. Tributbringer, 765. 128 Vgl. die Abbildung bei P.-R. Berger, Israel, 30 Abb. 2. 129 P. Amiet, Die Kunst, Abb. 589 u. 593. 130 Z.  33; diese auf einem Tonzylinder erhaltene Inschrift des Merodach-Baladan bzw. Marduk-apla-iddina II stellt einen Rechenschaftsbericht über den Aufbau eines Tempels in der Stadt Uruk dar, der mit der zitierten Passage schließt, H. Schmidt, Israel, 62. Der Text der Inschrift wurde zitiert nach O. H. Steck, Der Grundtext, 290–291; vgl. zu dieser Inschrift auch R. Follet, Une nouvelle inscription, 417 bzw. P. Grelot, Un parallèle, 321. 131 Der Goldreichtum dieser Region ist auch in der Schilderung des Besuchs der Königin von Saba bei Salomo vorausgesetzt, 1 Kön 10,2; vgl. auch das in Mt 2,11 neben Weihrauch erwähnte Gold der μάγοι ἀπὸ ἀνατολῶν. 127 R.

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4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass der persische Großkönig solche Huldigungen propagandistisch geschickt auf den Treppenaufgängen der von Darios I begonnenen und Xerxes vollendeten großen Audienzhalle in Persepolis einmeißeln ließ, wo sie von jedem Besucher, der dort entlanggehen musste, betrachtet werden konnten132. Diese uralte Sitte lebte noch in römischer Zeit fort, z. B. erhielt Kaiser Augustus am Neujahrstag Geldgeschenke auf dem Capitol ausgehändigt133. In Jes 60,1–22 wird diese Form des Hofzeremoniells der antiken Großreiche, das den Zeitgenossen des Propheten sicherlich vertraut war und an dem sie ihrerseits als Untertanen des persischen Großkönigs partizipierten, auf Gott übertragen und in eine eschatologische Zukunft transponiert, in der nun dem Gott Israels die Huldigungsgaben wie u. a. Gold und Silber zukommen. Gott selbst bezeichnet im Munde der Propheten Joel und Haggai Silber und Gold als „mein Silber und mein Gold“ (‫כספי וזהבי‬, Joel 4,5 vgl. Hag 2,8). Außerdem ist bei Haggai eindeutig die wertvolle Ausstattung des Tempels gemeint, während die Vorhersagen Joels in diesem Punkt weniger klar sind134. In der Vision Tritojesajas tritt dazu die Hoffnung auf eine eschatologische Völkerwallfahrt, bei der Israel wegen des in seinem Gotteshaus erstrahlenden göttlichen Lichts das Gold und Silber der Heiden empfängt, wodurch deren Reichtum seinem göttlichen Schöpfer zufällt. Verknüpft man die Ergebnisse unserer Auslegung mit der betreffenden Passage aus dem Ersten Chronikbuch, so zeigt sich, dass Gott nach Ansicht der jeweiligen Verfasser der eigentliche Eigentümer allen Edelmetalls ist, was besonders für die Reichtümer seines Tempels in Jerusalem zu gelten hat. Zudem bezieht sich der Eigentumsanspruch Gottes sowohl auf das Volk Israel als auch auf die Heiden und soll in einer eschatologischen Zukunft realisiert werden, was in der Gegenwart der betreffenden alttestamentlichen Autoren die Macht der paganen Könige, die stets mit Hilfe der Steuern ausgeübt und aufrechterhalten wurde, in einem anderen Licht erscheinen lässt. 4.2.5 Gottes Eigentum nach Psalm 50,12 Eine Verbindung von göttlichem Universalbesitz und dem partikularen Ausstattungsgut des Heiligtums würde aber missverstanden, wenn man annimmt, dass Menschen durch ihre Geschenke oder durch finanzielle Zuwendungen Gott in irgendeiner Form reicher machen könnten. Dieser mögliche Irrtum 132 H. J. Nissen, Art. Persepolis, 604; J. Sturm, Art. Persepolis, 1268; vgl. ferner die Abbildungen 685–689 bei P. Amiet, Die Kunst, 450. 133 Sueton, Augustus 57,1 (Text: Rolfe 212). 134 Sach 14,12–14 beschreibt einen Kampf der Heiden gegen Jerusalem, denen am Ende ihr Gold und Silber fortgenommen werden wird.

4.3 Rabbinisches zum Begriff „Eigentum“ Gottes

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wird insbesondere im 50. Psalm zurückgewiesen. In diesem Psalm wird unumwunden mit der im alten Orient verbreiteten Ansicht gebrochen, dass das Fleisch der Opfertiere eine Art Nahrung der Götter sei135. Der Psalmist lässt Gott mit durchaus polemischem Unterton sagen: „alles Wild im Wald ist mein“ (‫לי כל חיתו יער‬, Ps 50,10). Ja, mehr, „der Erdkreis ist mein und alles, was darauf ist“ (‫לי תבל ומלאה‬, V. 12). Dieser umfassende göttliche Eigentumstitel schließt aus, dass der Schöpfer irgendwelcher Zuwendungen bedürfe. Auch wenn das Schwergewicht des Psalms auf dem Opferkult liegt, ist zu konstatieren, dass alle Gaben aus Gold oder Silber dem Eigentum Gottes nichts hinzufügen, was ihm nicht ohnehin schon gehört. Die theologische Grundüberzeugung, die sich aus den bisher ausgelegten alttestamentlichen Texten erheben lässt, ermöglicht es, dass irdische, aber von Gott legitimierte Machthaber136 ihre Staatsausgaben durch Münzprägungen bestritten und jenes Geld durch Abgaben einforderten, was sie zuvor herstellen ließen. Dieser von Menschen begonnene und durchgeführte Kreislauf des Geldes gilt dann als mit Gottes Erschaffung der Metalle vergleichbar, obwohl alle irdische Herrschaft ebenso wie ihr Besitzanspruch letztlich nur eingeschränkt und von Gott abgeleitet ihr Recht haben. Daneben aber konnte und sollte Gott als Weltschöpfer das Seine zukommen, wobei im Kontext der von uns herangezogenen Passagen vor allem der Tempel eine herausragende Rolle spielt. Daraus lässt sich jedoch keine Ablehnung heidnischer Herrschaft über das jüdische Volk ablesen. Vielmehr gibt es sogar prophetische Texte, nach denen Gott am Ende alle Völker seine Herrlichkeit sehen lässt und sie in Israels künftiges Heil einbezogen werden, wo sie dann ihr Gold und Silber freiwillig darbringen.

4.3 Rabbinisches zum Begriff „Eigentum“ Gottes Auch rabbinische Gelehrte machten sich ausgehend von der biblischen Überlieferung ihre Gedanken, inwiefern man Gott als Eigentümer seiner Schöpfung auffassen müsse und welche Schlussfolgerungen sich daraus für das Verhältnis der Menschen zu ihrem Schöpfer ergeben. Obwohl diejenigen, denen diese Überlegungen in den Quellen zugeschrieben werden, lange nach Jesus lebten, soll ihnen im Folgenden unsere Aufmerksamkeit gelten, weil sie dem Umfeld, in dem Jesus auftrat und seine Botschaft verkündete, insbesondere im Hinblick auf die gemeinsame Sprache näher stehen als viele griechischsprachige Diasporajuden, die von der griechisch-römischen Kultur ungleich mehr geprägt waren.

135 Vgl.

H.-J. Kraus, Psalmen, 534; K. Seybold, Die Psalmen, 207. auf die öffentliche Meinung im zeitgenössischen Judentum.

136 Bezogen

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4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

Es überrascht daher nicht, dass sich in der rabbinischen Literatur zumindest eine Äußerung von Rabbi El azar ben Jehuda findet, die auffallend parallel zur Zinsgroschenperikope formuliert ist. Darüber hinaus lässt sich die argumentative Funktion und Bedeutung bestimmter oben analysierter biblischer Passagen, insbesondere 1 Chr 29,14 und Hag 2,8, genauer in den Blick nehmen und die kritisch gegen die Römerherrschaft und die vom Kaiser seinen Untertanen aufgebürdete Steuerlast gerichtete Exegese der betreffenden Texte nachzeichnen. Sie wird in rabbinischen Texten aus der babylonischen Diaspora besonders klar fassbar, weil dort, jenseits der Grenzen des römischen Herrschaftsgebietes, keine Furcht vor Repressalien der römischen Administration die Verfasser hinderte, ihre Ansichten offen und ohne jede Rücksicht zu formulieren. In diesem Umfeld entfaltete das Theologumenon von Gottes Königsherrschaft zudem ein gegen die kaiserliche Herrschaft des Westens gerichtetes Potential, das selbst in den rabbinischen Zeugnissen trotz der grundsätzlichen Loyalität vieler rabbinischer Tradenten gegenüber der römischen Herrschaft noch immer durchschimmert. Daher sollen nun die relevanten Textstellen einer Analyse unterzogen werden, zumal sie helfen, die politisch durchaus gefährlichen Implikationen der Vorstellung von Gottes Eigentum an der von ihm geschaffenen Welt zu beleuchten. Schließlich wird anhand einer Nachlese an Qumrantexten, Sibyllinen oder der Apokalypse des Johannes gezeigt werden, dass sich in den spätantiken rabbinischen Textzeugen sehr viel älteres Überlieferungsgut spiegelt, das unter Jesu Zeitgenossen bekannt gewesen sein dürfte und worauf er reagiert. Der Traditionsstrom dieser antirömischen und gegen die Tributforderungen des Kaisers ausgerichteten Vorstellungen und ihrer biblischen Begründung macht dann auch den speziellen Charakter und Sinngehalt von Jesu Antwort in dieser Sache für uns vollends transparent. 4.3.1 Rabbi El azar ben Jehuda und die Auslegung von 1 Chr 29,14 Den Anfang dieses Abschnitts mögen einige in Listenform gekleidete Resultate rabbinischer Gelehrsamkeit bilden, die anhand biblischer Belegstellen das Gotteseigentum aufzählen. Man unterschied fünf Bereiche, die Gott für sich als „Eigentum“ (‫ )קנין‬beanspruchen konnte: Die Tora, Himmel und Erde, Abraham, Israel und der Tempel in Jerusalem137. Die rabbinischen Ansichten zu diesem Thema sind für uns sehr wichtig, weil sie der aramäischen Urfassung des Jesuslogions, das dazu auffordert, Gott das Seine zu geben, näher stehen als die griechische Übersetzung, wie sie sich in den Evangelien findet. Man kann 137 mAv 6,10 (Text: Ueberschaer, Krupp 73). Nach F. Ueberschaer bzw. M. Krupp findet sich in den Handschriften die Lesart „vier“ (‫)ארבעה‬, in den Druckausgaben aber „fünf“, da sie Abraham hinzuzählen; vgl. bPes 87b; weiteres Material s. Bill., Bd. 2, 359 sowie F. Ueberschaer, M. Krupp, Avot, 73 Anm. 78.

4.3 Rabbinisches zum Begriff „Eigentum“ Gottes

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annehmen, dass diese Übertragung ins Griechische die Aussage des Logions, das wahrscheinlich eine alte Jesustradition darstellt, in gewisser Weise interpretiert und dabei seinen Sinn bereits durch die Adaption einer dem spezifisch griechischen Denk‑ und Lebenshintergrund verhafteten Terminologie verändert. In den rabbinischen Quellen dagegen dürfte uns eine bis zu einem gewissen Grad von der griechischen Sprache unabhängige Ausdrucksweise entgegentreten, selbst wenn diese Texte erst mit erheblichem zeitlichen Abstand nach Jesu Tod aufgezeichnet wurden und nicht als zeitgenössisch gelten können. Der rabbinische Text, mit dem wir uns nun befassen wollen, wird in der Überlieferung auf Rabbi El azar ben Jehuda aus Bartota zurückgeführt, einem ungefähren Zeitgenossen des berühmten Rabbi Aqiba, der 135 n. Chr. im Zweiten Jüdischen Krieg gegen Rom starb138. Rabbi El azar zitiert in einer moralischen Betrachtung, die in dem Traktat Abot139 aufgenommen ist, ausdrücklich 1 Chr 29,14 und begründet mit diesem Vers seine Überzeugung, es gelte für den Menschen, Gott alles zu geben140: Gib ihm von dem, was ihm gehört (‫)תן לו משׁלו‬, denn du und das, was dir gehört, gehören ihm. Und so sagt er durch David: denn von dir stammt alles, und von deiner Hand geben wir dir.

Der Gottesname wird von Rabbi El azar entsprechend frommer jüdischer Sitte vermieden und Gott stattdessen nur allgemein in der dritten Person genannt. Die sprachliche Formulierung am Anfang des zitierten Textes ähnelt der Anweisung Jesu in der Zinsgroschenperikope, wobei in dem hebräischen Text der Imperativ ‫( תן לו‬ten lo) der griechischen Formulierung ἀπόδοτε … τῷ θεῷ im Jesuslogion nahe kommt und ‫( משׁלו‬mish-shelo)141 für τὰ τοῦ θεοῦ steht. El azar fährt allerdings im Anschluss fort und fügt hinzu: „Denn du und das, was dir gehört, gehören ihm“ (‫)שׁאת ושׁלך שׁלו‬. Dieser Unterschied schließt wohl aus, dass El azar, der ja – wie gesagt – einige Zeit nach Jesus lebte, bei dieser Bemerkung durch die Zinsgroschenperikope beeinflusst wurde, zumal das Thema des Steuerzahlens für ihn hier keine Rolle spielt. Man wird vielmehr annehmen 138 Auf diese Stelle weist bereits Bill., Bd. 1, 885 hin. H. Loewe geht in seiner materialreichen Studie, Render to Caesar, auf diese Passage leider nicht ein. Tradition zu El azar ben Jehuda aus Bartota sammelt W. Bacher, Die Agada der Tannaiten, Bd. 1, 440–443. 139 Dieser gehört eigentlich zu den späten „Kleinen Traktaten“ des Babylonischen Talmuds, ist aber, seiner Popularität halber, auch in die Mischna aufgenommen worden und sogar in das Gebetbuch für Synagoge und Haus. 140 mAv 3,7 (Text: Ueberschaer, Krupp 27, Übersetzung: Correns 590); vgl. Bill., Bd. 1, 885; Bd. 3, 288):

‫רבי אלעזר בן יהודה אישׁ ברתותא אומר תן לו משׁלו שׁאת ושׁלך שׁלו וכן הוא אומר בדוד‬ .‫כי ממך הכל ומידך נתנו לך‬ Zitiert wird 1 Chr 29,14. 141 Die Partikel -‫ שֶׁל‬dient an dieser Stelle zur Bezeichnung des Genitivs, s. J. Levy, Wörterbuch, Bd. 4, s. v.

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4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

dürfen, dass er seine Aufforderung direkt aus der von ihm zitierten Bibelstelle 1 Chr 29,14 abgeleitet hat. Solches lässt sich dann auch von Jesus annehmen. Außerdem konnte Jesus möglicherweise, wie El azar, auf zeitgenössische Gebetsformeln rekurrieren, denn in der hebräischen Gebetssprache ist die von Rabbi El azar gebrauchte Formel ‫ משׁלו‬bis heute geläufige Umschreibung für das universelle Eigentum Gottes an der Welt geworden. Der Beleg hierfür findet sich in der Birkat haz-zimmun (‫)ברכת הזימון‬142, die bis in unsere Zeit verwendet wird. Sie gehört zum Ritus des gemeinsamen jüdischen Mahls, das von Segenssprüchen und Gebet gerahmt und damit rituell geheiligt143 wird. Dabei sagt jeder der Teilnehmer vor dem Essen bestimmte Segenssprüche über Wein und Brot, die auf Gott als Schöpfer dieser Nahrungsmittel Bezug nehmen144. Nach Beendigung der Mahlzeit fordert der Gastgeber zum Dankgebet auf. Diesem Gebet geht die Birkat haz-zimmun als einladende und das Gebet einleitende Benediktion voraus; sie wird in Form eines Responsoriums145 vom Vorbeter und den Anwesenden gesprochen146. Sie stellt demnach einen allgemein üblichen Bestandteil der jüdischen Gebetspraxis dar147 und bezeichnet die von Gott geschaffene Nahrung des Menschen, über die der Segenswunsch gesprochen wird, als Gottes Eigentum. Exkurs: Zum Alter der Formel ‫( משׁלו‬mish-shelo) „was sein ist“ Es ist davon auszugehen, dass die Wendung ‫ נברך שׁאכלנו משׁלו‬sicherlich alt ist148. Jedenfalls findet sich die Formel ‫ משׁלו‬bereits im Babylonischen Talmud als Teil der üblichen Segensformel149. 142 Diese

Bezeichnung begegnet bereits in tBer 1,7 (Text: Lieberman, Bd. 1, 3). dieser Deutung s. T. Zahavy, The Mishnaic Law, 2–5. 144 Vgl. mBer 6,1; zum Wein sagte man demnach ‫( בורא פרי הגפן‬Text: Holtzmann 72); s. ferner Bill., Bd. 4, 616; A. Finkel, Prayer, 45. Auch Jesus wich von dieser Sitte nicht ab, vgl. z. B. Mk 6,41 par; 8,6 par. 145 Solche Responsorien wie z. B. das gemeinsam wiederholte Amen waren fester Bestandteil der damaligen jüdischen Gebetspraxis, s. die von K. Hruby, Geschichtlicher Überblick, 222–223, gesammelten Beispiele. 146 Die Segensformel, die u. a. vom Vorbeter vorgesprochen und dann von den Versammelten vor dem Tischgebet wiederholt wird, lautet: ‫ברוך שׁאכלנו משׁלו ובטובו חיינו‬, Text: Siddur, 106, vgl. The Authorised Daily Prayer Book, 725. 147 Nach dem Babylonischen Talmud (bBer 45b) ist die Birkat haz-zimmun sogar von drei Frauen, die zusammen essen, zu rezitieren; s. D. Instone-Brewer, Traditions of the Rabbis, Bd. 1, 78–79. 148 Dazu L. Finkelstein, The Birkat, 347; J. Heinemann, Birkath, 25; ders., Prayer, 81(mit Kritik an A. Spanier, Stilkritisches, 345); K. Hruby, La „Birkat ha-mazon“, 210 und St. C. Reif, Judaism, 81. Der Gedanke, dass die Menschen Gottes Nahrung verzehren, findet sich in bKet 67b (mit Berufung auf Ps 145,15). 149 Die im Talmud zitierte Formulierung „Gesegnet sei er für die Nahrung, die wir gegessen haben“ (‫ )למי שׁאכלנו משׁלו‬wird nach Rabbi Joḥanan als Kennzeichen der „Ungebildeten“ (‫ )בור‬zurückgewiesen, alle ‫ תלמיד חכם‬beten stattdessen ‫נברך שׁאכלנו משׁלו‬, bBer 50a (Text: 143 Zu

4.3 Rabbinisches zum Begriff „Eigentum“ Gottes

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Auch Josephus erwähnt ein Dankgebet nach der gemeinsamen Mahlzeit in seiner Beschreibung der Essener. Doch sind die Angaben des Josephus zu summarisch, um etwa über die Birkat haz-zimmun Aufschluss zu geben, denn er teilt nur mit, dass die Essener dabei „Gott als Unterstützer des Lebens“ (γεραίρουσι θεὸν ὡς χορηγὸν τῆς ζωῆς) ehren150. Bemerkenswert ist aber der unter den Qumranfunden aufgetauchte Gebetstext 4Q434a. Allerdings fehlt in ihm (vielleicht wegen des fragmentarischen Erhaltungszustandes) eine der Birkat haz-zimmun entsprechende Aufforderung zum Gebet. Falls es sich jedoch bei diesem Textstück um ein Tischgebet handeln sollte151, könnten die Fragmente indirekt das hohe Alter solcher Gebete belegen152. Der Grundgedanke, dass Gott Nahrung gibt und die Menschen dafür Dank abzustatten haben, begegnet zudem ebenfalls im Rahmen des jüdische Vorlagen adaptierenden Tischgebets in der Didache153. Da die in den rabbinischen Quellen bezeugte Formel ein gemeinschaftliches Essen einer Gruppe voraussetzt, dürfte, wie Joseph Heinemann vermutet154, die Birkat hazzimmun mit den schon bei den Pharisäern üblichen, gemeinsamen Mahlzeiten verknüpft gewesen sein155, an denen Jesus teilgenommen hat156.

Steinsaltz 218, vgl. Goldschmidt 178). Diese Kritik Rabbi Joḥanans schließt die in Mischna Berakhot 7,3 (Text: Holtzmann 82) mitgeteilte Form des Segens ‫ על המזון שׁאכלנו‬mit ein, die vielleicht eine andere Variante repräsentiert, in der aber der göttliche Adressat des Segenswunsches weniger explizit ausgesprochen ist. Dieser fehlende Gottesbezug ließ sie als weniger geeignet erscheinen; s. dazu J. Heinemann, Birkath, 24 Anm. 5. 150 BJ 2,131 (Text: Michel, Bauernfeind 206). Der in 1QS VI 5–6 (Text: Qimron, Charlesworth, The Dead Sea Scrolls, Bd. 1, 26) erwähnte, den Priestern vorbehaltene Segen mit ausgestreckter Hand über Wein und Brot (s. dazu M. Weinfeld, Prayer, 253) ist hingegen vor dem gemeinschaftlichen Mahl vorgeschrieben; von einem Gebet nach der Mahlzeit ist in den Qumrantexten nirgends die Rede; und die Benediktionen sind ihrem Wortlaut nach nicht mitgeteilt, s. D. E. Smith, Art. Meals, 530; J. Maier, Liturgische Funktionen, 81; zu diesem Essen der Gemeinde s. L. H. Schiffman, Communal Meals, 51 sowie D. E. Smith, Art. Meals, 531–532. 151 Zweifel an dieser Deutung des Textstücks äußert D. K. Falk, Daily, Sabbath, and Festival Prayers, 218 Anm. 1. 152 Vgl. J. R. Davila, Liturgical Works, 174. Zahlreiche Parallelen mit den in der rabbinischen Literatur bezeugten Gebeten weist M. Weinfeld, Grace, 434–435, nach. 153 Didache 10,3 (Text: Schöllgen 124): „Du hast Speise und Trank den Menschen gegeben zum Genuss, damit sie dir danken“ (τροφήν τε καὶ ποτὸν ἔδωκας τοῖς ἀνθρώποις εἰς ἀπόλαυσιν, ἵνα σοι εὐχαριστήσωσιν); dazu M. Dibelius, Die Mahl-Gebete, 123; K. Niederwimmer, Die Didache, 196–197 (mit Lit.) sowie D.-A. Koch, Die eucharistischen Gebete, 206–207. Dass diese Gebete in der Didache auf die Jerusalemer Urgemeinde zurückgehen, s. H. J. Gibbins, The Problem, 386; R. Riesner, Essener, 109, ist aber wohl schwerlich zu beweisen. 154 Die gemeinsamen Mahlzeiten spielten für die Pharisäer eine wichtige Rolle; J. Heinemann, Birkath, 26–29; vgl. auch die Materialsammlung bei J. Neusner, From Politics, 80, 85–86,121 und D. Instone-Brewer, Traditions of the Rabbis, Bd. 1, 81. 155 Darum auch die in mBer 7,3 aufgeführten Ausschmückungen der Gottesanreden bei steigender Teilnehmerzahl, s. auch Bill., Bd. 4, 629; zu dieser Stelle T. Zahavy, The Mishnaic Law, 103; D. Instone-Brewer, Traditions of the Rabbis, Bd. 1, 79–81. 156 Jesu Teilnahme setzt z. B. Lukas, auf den die Rahmung mit der Erwähnung von Einladungen durch Pharisäer zurückgeht, in Lk 7,36; 11,37; 14,1 voraus.

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Nachdem wir uns kurz (in dem Exkurs) mit dem Alter der Formel ‫ משׁלו‬befasst haben, wollen wir nochmals auf die Auslegung des Rabbi El azar ben Jehuda von 1 Chr 29,14 zurückkommen: Für die Deutung von τὰ τοῦ θεοῦ in Mk 12,17 par ist nun wichtig, dass der Ausdruck ‫( משׁלו‬was sein ist) auch durch die Formel ‫ משל אלהי עולם‬umschrieben werden konnte, wobei die auffällige Ähnlichkeit mit τὰ τοῦ θεοῦ wohl kaum zu bestreiten ist. Diese Wendung ‫( משל אלהי עולם‬mish-shel lohe olam) „was des ewigen Gottes ist“ findet sich nämlich in einer nach dem Babylonischen Talmud Rabbi Schim on ben Laqisch (Mitte 3. Jh. n. Chr.) zugeschriebenen haggadischen Erzählung, die den Brauch der Birkat haz-zimmun auf das Vorbild Abrahams zurückführen sollte157. Abraham hatte nach Rabbi Schim on ben Laqisch viele Reisende (unter ihnen, so ist impliziert, auch Nichtjuden) gastfreundlich bewirtet und nach dem Essen zum gemeinsamen Dank und Segen beim Tischgebet aufgefordert. Als Begründung, die offensichtlich auf die Birkat haz-zimmun anspielt, habe Abraham gesagt158: „Und daher habt ihr von dem, was mir (gehört), gegessen? Ihr habt von dem, das des ewigen Gottes ist (‫)משל אלהי עולם‬, gegessen!“

Diese rabbinische Überlieferung stellt im Munde Abrahams klar, dass alle von ihm produzierte Nahrung zwar aus seinem Besitz stammt, letztlich aber Gottes Eigentum ist, woraus sich für ihn die Verpflichtung ergibt, dem Schöpfer den ihm gebührenden Dank abzustatten. Auch Jesus wird mit dem einladenden Responsorium zum Tischgebet, den zugehörigen Segensprüchen und mit der Erwähnung von ‫ משׁלו‬bzw. ‫משל אלהי‬ ‫ עולם‬ebenso wie mit der schriftgelehrten Begründung dieser Formel durch 1 Chr 29,14, wie wir sie in dem Ausspruch des El azar im Traktat Abot fassen können, vertraut gewesen sein und er dürfte ihre Kenntnis bei seinen Gesprächspartnern vorausgesetzt haben. Des Weiteren vertritt El azar in seinen zitierten Ausführungen – über das Jesuslogion hinausgehend – die Auffassung, dass die Menschen Eigentum Gottes seien. Dies entspricht der in den rabbinischen Quellen immer wieder erwähnten Vorstellung, nach der Israel als Gottes Volk das Eigentum seines Herrn sei, worauf hier aber nicht näher einzugehen ist. Von großer Wichtigkeit ist hingegen, dass solches Eigentum, wie El azar voraussetzt, von Menschen an Gott zurückgegeben werden könne. Dieser Gedanke 157 In bSot 10b; zu dieser Stelle K. Hruby, La „Birkat ha-mazon“, 205; vgl. ebenfalls GenR 54,6, wo eine ähnliche Erzählung anonym tradiert ist. Nach dieser Überlieferung fordert Abaraham seine Gäste allerdings auf: ‫( ברוך אל עולם שאכלנו משלו‬Text: Theodor, Albeck, Bd. 2, 584); s. ferner Bill., Bd. 3, 196. 158 bSot 10b (Text: Liss 129; vgl. Steinsaltz 44 bzw. Goldschmidt 198): .‫וכי משׁלי אכלתם משל אלהי עולם אכלתם‬

4.3 Rabbinisches zum Begriff „Eigentum“ Gottes

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El azars greift weiter aus als die Birkat haz-zimmun, die sich ganz auf das Verrichten von Dankgebeten beim Gemeinschaftsmahl konzentriert und er stimmt darin mit Jesu Antwort auf die Steuerfrage überein. Jedoch bleibt bei El azar offen, in welcher Form die Menschen Gott sein Eigentum zukommen lassen sollen159. Dass an irdisches Gold und Silber und das daraus hergestellte Münzgeld gedacht war, kann man einer späteren talmudischen Überlieferung entnehmen, wo von den großzügigen Almosen die Rede ist, für die der Rabbi allgemein bekannt war. Dazu erfahren wir, dass diejenigen jüdischen Gemeindemitglieder, die für das Einsammeln von Almosen zuständig waren, sich gewöhnlich vor El azar verbargen, damit er nicht ohne Rücksicht auf die Auswirkungen für sein eigenes Auskommen und das Wohl seiner Familie all sein Hab und Gut hergab. Rabbi El azar insistierte aber auf seiner Absicht und übergab ihnen, was er bei sich hatte. Dafür wurde er von Gott durch ein Wunder belohnt160. Für unsere weitere Untersuchung ist an dieser Erzählung beachtenswert, dass es sich nach talmudischem Verständnis um materielles Besitztum handelt, das El azar zu spenden bereit war, und der von ihm nach dem Traktat Abot herangezogene Vers 1 Chr 29,14 also sicher nicht auf die Allgemeinheit des menschlichen Lebens, das Gott zu widmen sei, bezogen wurde. Der von Rabbi El azar angeführte Vers 1 Chr 29,14 konnte aber nicht nur auf mildtätige Unterstützung Bedürftiger gedeutet werden, sondern wurde in amoräischen Quellen wie im Midrasch Shemot Rabba161 auch mit den Gott geschuldeten Opfern in Beziehung gesetzt, was möglicherweise sogar der ursprünglichen Intention des Rabbi El azar näher kommt als die referierte haggadische Erzählung aus dem Babylonischen Talmud162. Beispielsweise werden der laut Ex 22,28b–29 Gott zustehende erstgeborene Sohn und die für ihn als Opfer vorgesehenen Tiere bzw. Erstlingsfrüchte des Bodens mit dieser Bibelstelle verbunden. Die von Gott geforderten Gaben werden dahingehend gedeutet, dass Gott durch solche Opfer wegen 1 Chr 29,14 nichts vom Besitz der Menschen, sondern vielmehr von seinem Eigentum erhalte. Bemerkenswert ist, dass auch der Vers Ex 22,30 herangezogen wird: Dort gilt Israel per se als heiliges Volk; 159 Dass die Stelle ihre Pointe in dem Eigentum Gottes hat, übersieht U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 252, (der dabei dem Kommentar v. K. Marti und G. Beer, Die Mischna, Abot, 70, folgt und) der „mitmenschliche Wohltätigkeit“ als „Dienst an der Schöpfung“ versteht. Damit entgeht ihm auch der eigentliche Zusammenhang zum Zinsgroschenwort in Mk 12,17 par. 160 bTaan 24a. Die Stelle findet sich erklärt bei Bill., Bd. 4, 539; für die Identifikation des dort erwähnten Rabbis mit El azar ben Jehuda aus Bartota s. W. Bacher, Die Agada der Tannaiten, Bd. 1, 441 Anm. 3. Ihm schließt sich z. B. U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 252, an. 161 ExR 31 zu Ex 22,26. 162 Das Geben von Almosen konnte aber auch als Substitut für Opfer in rabbinischen Quellen aufgefasst werden, s. die Überlegungen von St. C. Reif, Approaches, 138–139, mit Diskussion der entsprechenden Quellen.

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seine Heiligkeit sei mit der Priesterhebe vergleichbar, die Gott für sich abgesondert habe. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass die im Tempel geschlachteten Opfertiere ebenso wie das Tempelgebäude selbst nach einer im Palästinischen Talmud Rabbi Joḥanan zugeschriebenen Äußerung von Gott selbst ausdrücklich als „das, was mein ist“ bezeichnet werden konnte. Dabei geht es um das Verbot, nach dem im Tempel geschlachtete profane Tiere für den Genuss verboten sind: „Die Tora sagt: Schlachte das Meinige in dem Meinigen und das Deinige in dem Deinigen“ (‫)אמרה תורה שחוט שלי בשלי ושלך בשלך‬163.

In diesem prägnanten Satz wird der profane Bereich der Menschen vom heiligen Bereich Gottes klar geschieden und als verschiedenes Eigentum deklariert, das nicht vermischt werden dürfe. Auch die bereits ausgelegte Passage aus dem Buch des Propheten Haggai (2,8) wird in der rabbinischen Literatur immer wieder berücksichtigt. Bevor wir dieser Spur nachgehen, wollen wir uns jedoch zunächst in Form eines Überblicks mit dem Verhältnis der rabbinischen Gelehrten und des Judentums ihrer Zeit zu der römischen Herrschaft befassen. Exkurs: Der Reichtum Roms in der rabbinischen Literatur Nach Ansicht vieler Rabbinen war die Stadt Rom derjenige Ort, an dem der Wohlstand dieser Welt zusammenkam. Kein anderer Reichtum sei mit dem Roms vergleichbar164. Voll Bewunderung wurde verbreitet, dass jeder König oder Herrscher, der keine Villa in Rom besitze, meine, er habe nichts erreicht165. Die Hauptstadt des Imperiums würden 365 Märkte und Paläste schmücken, von denen ein jeder so viele Kostbarkeiten enthalte, dass man „die ganze Welt damit ernähren könne“ (‫)לזון את כל העולם‬166. Weitere Belege hierfür liefern uns haggadische Erzählungen, die in verschiedenen Varianten die gemeinsame Ansicht zum Ausdruck bringen, dass Rom eine Art Schatzkammer des gesamten Erdkreises darstelle, in der alles Gold und Silber dieser Welt angesammelt sei.

163 yAZ 5,12/2 (45b, 12–13) (Text: Schäfer, Becker 285); dasselbe findet sich in bQid 57b (Text: Steinsaltz 237; vgl. Goldschmidt 896). 164 ARN A 28 (Text: Schechter 43a). Zu diesem Bild der Stadt Rom in rabbinischen Texten s. L. H. Feldman, Some Observations, 55; G. Stemberger, Die Beurteilung Roms, 388, 392; ders., Die römische Herrschaft, 113. 165 Sifre Dtr. 37 (Text: Finkelstein 72, Übersetzung: Bietenhard 108): .‫שכל מלך ושלטון שלא קנה ברומי אומר לא עשיתי כלום‬ Oben haben wir erwähnt, dass Herodes wie auch seine Nachfolger (von Agrippa I und II wissen wir es ausdrücklich) ihre Zweitwohnung – sozusagen die jüdische Botschaft – in Rom hatten. 166 bPes 118b (Text und Übersetzung: Goldschmidt 740). Diese Behauptung war angesichts des Goldreichtums beispielsweise der Kaiserpaläste für die Zeitgenossen beeindruckend. So konnte man angesichts der goldstrotzenden Hallen und Bäder des von Kaiser Domitian errichteten domus flavia auf dem Palatin meinen, ein neuer Midas habe alles durch Berührung in Gold verwandelt, Plutarch, Publicola, 15,5 (Text: Perrin 542).

4.3 Rabbinisches zum Begriff „Eigentum“ Gottes

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Diese Überzeugung spiegelt sich beispielsweise in der rabbinischen Geschichte, dass der biblische Joseph am Anfang alles irdische Gold und Silber in Ägypten zusammengetragen habe und so für den einstigen Wohlstand dieses Landes verantwortlich sei. Später sei der Reichtum der Ägypter in die Hände einer ganzen Reihe von Völkern und Königen gelangt, die ihn sich gegenseitig in einer Kette von Kriegen wieder abgenommen hätten. Irgendwann hätten die Griechen all diese Wertgegenstände und Edelmetalle an sich gerissen. Jedoch sei auch bei ihnen das Gold und Silber letztendlich nicht geblieben, denn „darauf kamen die Römer und nahmen es den Griechen ab, und noch heute befindet es sich in Rom“167. Diese Ansicht wurde in der Formel zusammengefasst, dass Gott einst zehn Teile Reichtum geschaffen habe, neun davon befinden sich in Rom und einer in der übrigen Welt168. Eine solche Behauptung ist auch für uns bedeutsam, denn auf ihrem Hintergrund gewinnt die rabbinische Sicht der Steuerzahlungen an die Römer Profil. Die Forderungen des paganen Staats werden in der rabbinischen Literatur immer wieder aufgegriffen und mit einer – bei allem Gehorsam – kritischen Distanz diskutiert. Um die im Talmud vielfach geäußerten Klagen zu verstehen, muss man sich stets die krisenhafte Entwicklung, die das römische Imperium in der Spätantike durchmachte, vor Augen halten. Beispielsweise stiegen die Ausgaben des Kaisers im Vergleich etwa zu der Epoche des Auftretens Jesu drastisch an. Die ausgebaute Grenzverteidigung, das vergrößert stehende Heer und die ständige Abwehr barbarischer Einfälle verschlangen enorme Summen, die notfalls durch Zwang und Repressalien von der eigenen Bevölkerung eingetrieben wurden169. Die gestiegene steuerliche Belastung weckte bei der jüdischen Bevölkerung Unzufriedenheit, die sich in der amoräischen Literatur spiegelt. Als Beispiel für diese Ansicht mag hier auf eine im Midrasch Tehillim erzählte Begebenheit verwiesen sein, die sicherlich kein historisches Geschehen wiedergibt, aber dennoch den ganzen Zynismus römischer Beamter und Steuereinnehmer der Spätantike in treffenden Worten einfängt. Demnach konnten viele Juden die geforderten Steuern an die kaiserlichen Beamten nicht bezahlen. Sie begründeten dies mit den von ihnen zu ernährenden Waisenkindern. Mit dieser Fürsorge befolgten sie das biblische Gebot, dass jeder Jude sich in besonderem Maß der hilflosen Witwen und Waisen anzunehmen habe. Die römischen Behörden konterten die aus dieser Mildtätigkeit resultierenden Engpässe beim Bezahlen der Steuern mit dem Hinweis auf Ps 68,6 und spielten damit die Hilfszusage Gottes gegen die Juden aus170: 167 bPes

119a (Text: Steinsaltz 509; vgl. Text und Übersetzung: Goldschmidt 741): .‫באו רומיים ונטלוהו מיד יונים ועדיין מונח ברומי‬ 168 bGit 58a; bQid 49b. 169 Belege aus rabbinischen Texten finden sich gesammelt bei S. Liebermann, Palestine in 3rd and 4th Centuries, 127–135; Z. Safrai, The Economy, 303–304. Die ökonomische Situation, vor allem die anhaltende Landflucht, wegen der steigenden Steuerlast beleuchtet D. Sperber, Aspects of Agrarian Life, insbes. 433–434. Einen Überblick über das Steuerwesen an der Wende vom 3. zum 4. Jh. n. Chr., das die Untertanen des Kaisers zunehmend mehr belastete, gibt R. MacMullen, Roman Government’s Response, 129–152. Doch auch Italien blieb in Ausnahmefällen nicht verschont: Diokletian hob die Steuerbefreiung auf. Zuvor hatte z. B. Hadrian zur Niederwerfung des Bar-Kochba-Aufstandes dort eine Sondersteuer (dilectus) erhoben, s. W. Eck, Rom, 124. 170 MTeh zu Ps 10,6 (Text: Buber 95, Übersetzung: Wünsche 97): .‫זיל לגבי אלהא דיעקב דכתיב ביה אבי יתומים ודיין אלמנות‬

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4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

Geh zum Gott Jakobs, von dem es heißt: Ein Vater der Waisen und ein Richter der Witwen. Er wird diese Waisen ernähren. Dann werden von den Römern auch Romulus und Remus, die sagenhaften Gründer der Stadt Rom, ins Feld geführt. Sie hätten ebenfalls keine Eltern mehr besessen, und Gott habe ihnen eine Wölfin geschickt, die sie ernährte und aufzog, so dass sie später Hütten bauen konnten, aus denen die Stadt Rom hervorging. Die Gründung der römischen Metropole wird damit selbst zum Exempel für die göttliche Hilfe für die Waisen. Die rabbinische Überlieferung fußt auf der römischen Sage von Romulus und Remus, wonach die Mutter der Zwillinge eine Vestalin, ihr Vater aber der Kriegsgott Mars gewesen sei171. Nachdem die beiden Ahnherren des römischen Volkes den Versuch, sie im Tiber auszusetzen und auf diese Weise zu töten, auf wunderbare Weise überlebt hatten, erschien angeblich eine Wölfin, die sie ernährte. Später fand der Hirt Faustulus die Zwillinge und ließ sie bei sich aufwachsen. Von den bescheidenen Hütten der beiden Brüder, aus denen sich die Weltstadt Rom entwickelte, erzählen auch pagane Geschichtsschreiber wie z. B. Dionysios von Halikarnass172. Die Behausung des Romulus wurde noch jahrhundertelang Besuchern am Abhang des Palatins gezeigt173 und galt den Römern als ein Heiligtum; der Midrasch Tehillim spielt darauf an. Die eigentliche Absicht, mit der diese Gründungssage Roms in dem rabbinischen Text aufgegriffen wird, ist aber wohl die Rücksichtslosigkeit der römischen Steuereinnehmer. Den Rabbinen galt das Imperium Romanum als das „böse Königreich“; von allen Völkern forderte es Tribut ein174. Es blieb unvergessen, dass die Römer Jerusalem verwüstet, den Tempel niedergebrannt und die dort gelagerten Reichtümer geplündert hatten175. Ja, man vermutete, dass Roms Wohlstand und Macht zu einem Teil auf dem geraubten Tempelschatz beruhe. Vespasian hatte befohlen, die Baukosten des größten Amphitheaters der Antike, des Colosseums176, mit seiner „Beute“ zu finanzieren (ex manubiis fieri iussit), wie seine Inschrift über dem Eingangsportal verkündet177. Damit waren höchstwahrscheinlich die beschlagnahmten Gold‑ und Silbereinlagen der jüdischen 171 Zu dieser Sage vgl. zusammenfassend den Überblick bei Rosenberg, Art. Romulus, 1089. 172 Dionysios von Halikarnass berichtet in seinen Antiquitates Romanae, 1,79,11 (Text: Cary 268–270): διὰ ξύλων καὶ καλάμων σκηνάς αὐτορόφους. Die rabbinische Parallele im Midrasch Tehillim berichtet (Text und Übersetzung s. o.): ‫ובנו שׁני צריפין ברומי‬. Der griechische Historiker sagt zudem von der Romulushütte (ebd.): φυλάττουσιν ἱεράν. Weitere rabbinische Parallelen wie die in Esther Rabba 3,5 zu Esther 1,9 oder die Notiz, Rom sei in der Zeit gegründet worden, als König Jerobeam die goldenen Kälber errichtete. Diese Tradition wird auf Rabbi Levi zurückgeführt, yAZ 1,2/7 (39c, 39–43); vgl. W. Bacher, Die Agada der palästinischen Amoräer, Bd. 2, 325 Anm. 3. 173 Diese Lage erwähnt Plutarch, Romulus 20,4 (Text: Perrin 152–154). An dieser Stelle wurden bei Ausgrabungen tatsächlich Hütten aus der Eisenzeit entdeckt, die zu dem traditionellen Gründungsdatum Roms in der Mitte des 8. Jh. v. Chr. passen. Vgl. F. Coarelli, Rom, 138–140. 174 GenR 88,6; ExR 15,6. 175 bAZ 52b; EstR 9.13. Auch Josephus beschreibt ausführlich die Plünderung des Tempels, s. z. B. BJ 6,387–391. 176 Bei dem Gebäude wurden schätzungsweise mehr als 100 000 m3 Travertin und 300 Tonnen Eisen für die Klammern zwischen den Blöcken verwendet: F. Coarelli, Rom, 167 bzw. 170. 177 Von dieser Inschrift sind nur noch die Spuren der Löcher zur Befestigung der Metallbuchstaben erhalten, mit deren Hilfe sich der Text rekonstruieren lässt, weil sie nach einer

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Tempelkasse gemeint. Weitere Schaustücke wie der im Triumphzug mitgeführte siebenarmige Leuchter178, der auf dem von Vespasian gebauten forum pacis ausgestellt war179 oder der Tempelvorhang, der nach Josephus im Kaiserpalast aufbewahrt wurde180, waren den Rabbinen ebenfalls noch bekannt und wurden von einigen von ihnen bei Romreisen besichtigt. Zu diesen Reisenden zählt Rabbi El azar ben Jose, der am Beginn des 2. Jh. n. Chr. den Vorhang neben weiteren Beutestücken in Rom gesehen hat; er will auf ihm die Spuren der Blutsprengungen am Versöhnungstag bemerkt haben181. Die öffentliche Demonstration kaiserlicher Macht, der solche Schaustücke dienten, sowie das überschwängliche Eigenlob auf den entsprechenden Weiheinschriften vieler Siegesmonumente182 hielt die Erinnerung daran wach, dass u. a. jüdischer Besitz aus dem zerstörten Jerusalemer Tempel dazu beigetragen hatte, Rom groß zu machen183. Demgegenüber erwarteten die Rabbinen, dass Rom, das zuvor die Provinzen ausgeplündert und aus ihnen Steuereinnahmen herausgepresst habe, einstens mit Feuer vernichtet werde184. Diese endzeitlichen Vorstellungen verknüpften sich mit der Hoffnung, der Messias werde bei seinem Kommen der ungerechten Regierung und ihrer Okkupation des Heiligen Landes ein Ende machen. Wie schon bei Josephus185, gründen sich diese Spekulationen auf das Buch des Propheten Daniel und die dort (Dan 2,37 ff; 7,17) erwähnten vier Weltreiche, deren letztes, wie man glaubte, das der Römer sein werde186. Dann werde

spätantiken Renovierung durch eine kaiserliche Nachfolgeinschrift ersetzt wurde; CIL VI 8,2, 40454a. Zu der Baugeschichte s. Gall, Art. Flavium amphitheatrum, 2516. 178  Diesen Leuchter im Triumphzug beschreibt Josephus, BJ 7,148. Seine Darstellung ist noch heute auf dem erhaltenen Triumphbogen des Titus auf dem römischen Forum zu sehen, der nach dem Tod des Kaisers Titus im Jahr 81 n. Chr. auf Senatsbeschluss errichtet wurde; F. Coarelli, Rom, 97. 179 Dieser von Vespasian zwischen 71 und 75 n. Chr. erbaute Tempel diente dem Andenken der flavischen Dynastie und war z. T. eine Art Museum berühmter Kunstwerke wie der Statuen von Myron und Phidias, die Nero aus Griechenland mitgebracht und in seiner domus aurea aufgestellt hatte. Vespasian hatte sie dann in gewollter Abkehr von Neros Herrschaft der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, s. H. Riemann, Art. Pacis Forum, 2110; F. Coarelli, Rom 134. 180  BJ 7,161. 181 bYom 57a; weitere Stellen zu diesen Romreisen finden sich bei W. Bacher, Die Agada der Tannaiten, Bd. 2, 412, der auf den teilweise legendarischen Charakter dieser Überlieferung hinweist; vgl. ferner H. Graetz, Geschichte der Juden, Bd. 4, 191 und G. Vermes, Ancient Rome, 220. Hier ist, wie schon in Mk 15,38 par, nicht klar, um welchen Vorhang es sich handelt. Der Evangelist wie der Rabbi denkt an den Vorhang vor dem Allerheiligsten; prunkvoller aber war der oben erwähnte äußere Vorhang, auf dem ein Tierkreis dargestellt war. 182 Auf einem heute vollständig zerstörten Triumphbogen am circus maximus behauptete Kaiser Titus z. B., er habe Jerusalem als erster eingenommen, was viele Völker und Herrscher zuvor vergeblich versucht hätten; CIL VI 1, 944: urbem Hierusolymam omnibus ante se ducibus, regibus, gentibus aut frustra petitam aut omnino intemptatam delevit. 183 Einige rabbinische Notizen legen sogar nahe, ein möglicher Wiederaufbau des jüdischen Heiligtums mit römischer Genehmigung sei von den Kaisern ins Auge gefasst, aber letztendlich doch durch samaritanische Intrigen mit dem Argument verhindert worden, dass in diesem Fall die Juden ihre Steuerabgaben einstellen würden, GenR 44,10; vgl. EstR 5. 184 EstR 9,13. 185 AJ 10,208–209; s. dazu 5.1.5. 186 ExR 1,26; KohR 5,15,1; LevR 13,5. Dieser Glaube hat bis zum Ende des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ angehalten.

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das jüdische Volk triumphieren und sich alle Heiden vor ihm verneigen, wie sie es in der Gegenwart nur vor dem Portrait ihres Kaisers täten187. Nach dem katastrophalen Ausgang der beiden großen Aufstände aber lehnten es die Rabbinen strikt ab, das Kommen des Messias in irgendeiner Form zu beschleunigen oder durch eigenes Eingreifen zu unterstützen und zu fördern188. Als ein Beispiel sei an dieser Stelle auf die Behauptung Rabbi ‛Aqibas verwiesen, der die messianisch interpretierte Prophezeiung Bileams aus Num 24,17 auf den Anführer des Zweiten Jüdischen Krieges, Bar Kochba, bezogen hatte. Diese Identifikation hatte sich als falsch erwiesen und wurde anschließend widerrufen189. Es finden sich daher Aussagen, dass der Messias jedenfalls noch nicht geboren sei190 und der Zeitpunkt seines Kommens im Vorfeld verborgen bleibe191.

4.3.2 Rabbinisches zu Haggai 2,8 Vor dem Hintergrund der skizzierten eschatologischen Erwartungen ist für die Auslegung der Zinsgroschenperikope wichtig, dass die rabbinische Exegese den Vers Hag 2,8 explizit mit der römischen Herrschaft und dem enormen Reichtum, den der Kaiser mit Hilfe seiner Bürokratie von seinen Untertanen einsammelte, assoziiert. Fragen wir uns nun, auf welche Weise. An erster Stelle ist ein Abschnitt aus dem Babylonischen Talmud im Traktat Aboda Zara192 heranzuziehen. Diese Passage ist Rabbi Ḥanina ben Pappai zugeschrieben, der am Anfang des 4. Jh. n. Chr. in Caesarea und in Babylonien 187 ExR

15,17. 2,7,1. 189 yTaan 4,8/27 (68d). Rabbi Joḥanan ben Torta repräsentiert mit seiner Kritik an Rabbi ‛Aqiba diejenigen rabbinischen Kreise, die wahrscheinlich schon während der Revolte von 132 n. Chr. eine Deutung der eschatologischen Erwartungen auf die Gegenwart ablehnten, vgl. E. E. Urbach, The Sages, 674 und M. Hadas-Lebel, Jérusalem, 456. Das Quellenmaterial zu der messianischen Deutung findet sich gesammelt bei W. Horbury, Jewish Messianim, 92–94. Skeptisch gegenüber der rabbinischen Zuweisung an Rabbi ‛Aqiba äußert sich P. Schäfer, Der Bar Kokhba-Aufstand, 169. 190 GenR 75,9. Daneben gab es offenbar Spekulationen, dass der schon geborene Messias sich seiner wahren Identität noch nicht bewusst sei. Sie sind uns durch Justin den Märtyrer in seinem Dialogus cum Tryphone bezeugt, der wohl zwischen 155 und 160 n. Chr. in Rom geschrieben wurde; s. St. Heid, Art. Justinus Martyr I, 804. Justin gab in der Schrift ein angebliches Gespräch mit dem vor dem Bar-Kochba-Aufstand nach Korinth geflohenen Juden Tryphon wieder (Dialogus cum Tryphone Judaeo 1,3, Text: Marcovich 70,15), der daher sicherlich kein Anhänger der Überzeugungen der Aufrührer war. Tryphon vertrat darin die These, Dialogus cum Tryphone Judaeo 8,4: „Vorausgesetzt, dass Christus irgendwo geboren ist und irgendwo lebt, so ist er doch so lange nicht erkennbar, erkennt auch sich selbst so lange nicht und hat so lange keine Macht, bis Elia erscheint, ihn salbt und aller Welt bekannt macht.“ (Χριστὸς δέ εἰ καὶ γεγένηται καὶ ἔστι που, ἄγνωστός ἐστι καὶ οὐδὲ αὐτός πω ἑαυτὸν ἐπίσταται οὐδὲ ἔχει δύναμίν τινα, μέχρις ἄν ἐλθὼν  ᾽Ηλίας χρίσῃ αὐτὸν καὶ φανερὸν πᾶσι ποίησῃ). Text: Marcovich 85,24–26, Übersetzung: Hauser 14. Das Material zu Elia sammelte Bill., Bd. 4, 792–793. 191 bPes 54b. 192 bAZ 2b (Text: Steinsaltz 12; vgl. Text und Übersetzung: Goldschmidt 796–797); s. ferner Bill., Bd. 4, 1006. 188 ShirR

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wirkte. Sie schildert, wie im Endgericht alle Völker, getrennt nach ihrer Zugehörigkeit zu den einzelnen irdischen Reichen, vor Gott erscheinen müssen, um über ihr Regierungshandeln und über ihr Verhältnis zum jüdischen Volk Rechenschaft abzulegen. Zuerst muss die „Königsherrschaft Roms“ (‫)מלכות רומי‬ vor Gott treten, weil ihre politische Macht die größte gewesen sei193. Die Römer halten sich in dieser Situation ihre zivilisatorischen Leistungen wie Straßen und Bäder zugute und verweisen außerdem auf das von ihnen eingezogene Silber und Gold (‫)כסף וזהב הרבינו‬, das den Juden in relativer politischer Ruhe ein konzentriertes Studium der Tora ermöglicht habe. Diese Argumente lässt Gott aber nicht gelten, denn Straßen und Thermen hätten nur dem eigenen Vergnügen und der Prostitution gedient. In Bezug auf die Edelmetalle  – womit wohl auf die Steuereinnahmen des Reiches und die Rücklagen in der Staatskasse angespielt wird – beruft sich Gott in diesem Text auf Hag 2,8 und spricht der römischen Seite ihren Besitzanspruch mit allen abgeleiteten Konsequenzen ab. Über das Mose-Gesetz können die römischen Gesprächspartner schließlich wegen ihrer Unwissenheit nicht Rede und Antwort stehen und müssen darum betrübt abtreten. Eine weitere Passage aus dem Midrasch Numeri Rabba194 verschärft diese durchaus ablehnende Sicht römischen Wohlstands und der Segnungen des gut organisierten Kaiserreiches. In diesem Abschnitt wird freilich der Name Rom vermieden und an seiner Stelle  – wohl auch aus politisch motivierter Vorsicht – „Esau“ als Deckname für Rom verwendet. Esau galt als Stammvater der Edomiter, der einstigen Erzfeinde Israels195. Diese politischen Konnotationen im Midrasch Numeri Rabba führen dann zu dem verdeckten Ausdruck der Hoffnung, dass die Römer in der Zukunft einen Niedergang, ja eine militärische Niederlage erleiden werden. Esaus Aufstieg (‫ )עשׂו מעלה‬ist nämlich in Wirklichkeit als ein kontinuierlicher Abstieg zu begreifen, bei dem er vom General bis zum einfachen Soldaten degradiert wird, was wohl auf eine militärische Schwächung hindeuten soll. Als Schriftbeweis wird zudem Ob 1,4 herangezogen, wo u. a. vom Sturz des Adlers die Rede ist – hier als Anspielung auf den Kaiser zu verstehen196. Jakob jedoch, d. h. das jüdische Volk, kennt nach Numeri Rabba keinen Abstieg und wird sich immer mehr erheben, wie es seiner Heiligkeit entspricht. Mit dieser Heiligkeit verbindet sich die Ansicht, dass das jüdische Volk 193 s.

L. H. Feldman, Rabbinical Reaction, 51. 15 zu Num 11,16. 195 Gen 25,25–30; vgl. dazu M. Hadas-Lebel, Jérusalem contre Rome, 460, 463–464. Diese Gleichsetzung geht nach M. Hadas-Lebel wohl schon in das 2. Jh. n. Chr. zurück, s. ebd., 462. Weitere Stellen s. bei E. E. Urbach, The Sages, 648; J. Neusner, Jews, 46. 196 Die Gleichsetzung eines Adlers mit dem Imperator kommt auch im 4. Esrabuch vor, nach dem der Seher einen Adler erblickt, dessen Flügel von ihm mit 12 römischen Caesaren identifiziert werden; 4 Esr 11,1–17; vgl. darüber hinaus bAZ 10a, wo Rabbi Joseph Ob 1,1–4 auf Rom bezieht. 194 NumR

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Gott gehört ebenso wie u. a. alles Silber und Gold, was mit dem Verweis auf Hag 2,8 begründet wird. In einem anderen Zusammenhang wird derselbe Vers gegen den gottlosen israelitischen König Jojakim und seine durch Steuern begründete Überheblichkeit verwendet. Dieser König, der kurz vor der Vernichtung des jüdischen Staates durch die Babylonier mit Hilfe ägyptischer Truppen an die Macht gekommen war, hatte nach 2 Kön 23,35–37 dem Willen Gottes zuwider gehandelt und zeichnete sich vor allem durch seine neu eingeführten Steuern aus, mit denen er genug Silber und Gold von seinem eigenen Volk zusammenbrachte, um den geforderten Tribut an Pharao Necho bezahlen zu können. Ein solcher Vasall eines heidnischen Herrschers, der sich als erfolgreicher Steuereintreiber bei den Juden hervortat, hatte nach rabbinischer Tradition in seiner Arroganz wegen seines Goldreichtums sogar auf das von Gott erschaffene Licht verzichten wollen, worauf man ihm Hag 2,8 entgegenhielt. Diesen Schriftbeweis kontert Jojakim dann in rabbinischer Manier mit einem Hinweis auf Ps 115,16197. Für unsere Diskussion der Zinsgroschenperikope ist an dieser Passage hervorzuheben, dass Hag 2,8 in der rabbinischen Auseinandersetzung mit Jojakims Gold‑ und Silberbesitz zur Widerlegung eines gegen Gottes Absicht handelnden israelitischen Königs verwendet wird, dessen Reichtum vor Gott nichts gilt, was durch die Worte des Propheten Haggai ins rechte Licht gerückt wird. Daneben bieten die rabbinischen Überlieferungen noch eine moralische Auslegung von Hag 2,8, die nichts mit einer politisch gemeinten Stellungnahme zu tun hat, hier aber nicht unerwähnt bleiben soll. Demnach konnten die Worte Haggais auch als Warnung vor irdischem Gewinnstreben aufgefasst werden. Eine solche Exegese lesen wir in dem schon erwähnten Mischnatraktat Abot198. Dort beweist die Bibelstelle im Rahmen einer ganzen Reihe weiterer Schriftzitate, dass Rabbi Jose ben Qisma, der zur Generation des Rabbi El azar ben Jehuda gehört, sich durch das Versprechen einer besonders reichen Bezahlung in Form von Gold, Silber, Edelsteinen oder Perlen nicht überreden ließ, als Gelehrter in einer bestimmten Stadt tätig zu werden: Denn eine solche Beeinflussung der Wahl des Wohnortes widerspreche dem Willen Gottes, dem ohnehin u. a. alles wertvolle Metall gehöre. In der bisherigen Erörterung wurde deutlich, dass gewisse alttestamentliche Texte, allen voran 1 Chr 29,14 und Hag 2,8, im rabbinischen Judentum im Sinne eines göttlichen Eigentums an der Welt interpretiert wurden, aus dem sich dann Rückschlüsse auf das rechte Verhalten der Menschen ergeben. Darüber hinaus werden in der rabbinischen Literatur gelegentlich Stimmen laut, die eine endzeitliche Umkehrung der gegenwärtigen Situation anvisieren. 197 bSan

103b. 6,9 (Text: Ueberschaer, Krupp 73). Die Stelle aus Hag 2,8 wird allerdings nur in der Druckausgabe berücksichtigt; vgl. F. Ueberschaer, M. Krupp, Avot, 72 Anm. 77. 198 mAv

4.3 Rabbinisches zum Begriff „Eigentum“ Gottes

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Man erwartete, dass Gott selbst die gegenwärtigen Macht‑ und Besitzverhältnisse in ihr Gegenteil verkehren, und alles Eigentum der Heiden und auch die kaiserlichen Steuergelder dem jüdischen Volk zufallen werden. Als Beleg kann der Midrasch Genesis Rabba herangezogen werden, der wohl im 5. Jh. n. Chr. redigiert wurde199. In diesem Midrasch wird erzählt, wie ein verederius, d. h. ein römischer Postreiter, Rabbi Jehuda II, der am Beginn des 3. Jh. n. Chr. das Patriarchenamt innehatte, ein Messer fortnahm, das ihm zuvor geschenkt worden war. Dem Römer hatte dieses Messer gefallen, und so brachte er es eben in seinen Besitz. An diese Episode schließt sich eine auf Rabbi Hoscha ja zurückgeführte Tradition an (wobei wohl Hoscha ja der Ältere gemeint ist, der mit Jehuda II befreundet war)200, die auf Ps 72,11 Bezug nimmt201: Alle jene Geschenke, die unser Vater Jakob dem Esau gegeben hat, werden die Völker der Welt dereinst dem König, dem Messias, in der Zukunft wiederbringen.

Diese Erklärung bezieht sich auf das messianische Reich und die Gaben der Heidenvölker, womit sie dem Messias als König die schuldige Referenz erweisen. Der Name Esau steht auch hier für die Römer. Für die Geschenke verwendet der Verfasser das griechische Lehnwort δῶρον202. Als Schriftbeweis für diese eschatologische Erwartung wird Ps 72,10 angeführt, weil in diesem Vers die Geschenke der Könige von Tarsis und von den Inseln im Mittelmeer erwähnt werden, was Hoscha ja wahrscheinlich auf das westlich von Palästina jenseits des Mittelmeers gelegene Rom bezieht. Zudem wird von ihm das Verb ‫ ישׁיבו‬im Sinne von „zurückbringen“ verstanden. Diese Auslegung steht innerhalb der rabbinischen Literatur keineswegs allein; eine ähnliche Zukunftshoffnung in Bezug auf die Römer enthält auch eine Stelle aus dem Midrasch Kohelet. Dort wird zu Koh 1,7 bemerkt, dass in der Gegenwart zwar aller Reichtum genauso wie die Flüsse zum Meer zu Edoms Reich, d. h. nach Rom, fließe, Edom aber niemals satt werde. Nach diesem Vergleich, der Roms unstillbaren Hunger nach Geld für seine Armeen und seine Herrschaft umschreiben soll, heißt es weiter: „Von dort wird er in den Tagen des Messias wieder ausgestreut werden“203, was mit Jes 23,18 als Schriftbeweis versehen ist204. 199 G.

Stemberger, Einleitung, 275. Stemberger, Einleitung, 91; s. auch W. Bacher, Die Agada der Amoräer, Bd. 1, 91. 201 GenR 78,12 zu Gen 33,11 (Text: Theodor, Albeck, Bd. 2, 932–933): .‫כל הדוריות שׁנתן אבינו יעקב לעשׂו עתידין אומות העולם להחזירן למלך המשׁיח לעתיד לבוא‬ 202 Zu diesem Lehnwortgebrauch s. S. Krauss, Griechische und lateinische Lehnwörter, Bd. 2, 194–195; G. H. Dalman, Aramäisch-neuhebräisches Handwörterbuch, 105 s. v. 203 KohR 1,7: ‫משׁם הוא מתפזר לימות המשׁיח‬. 204 Jes 23,17 wird in Apk 17,2 bzw. 18,3 auf Rom, das mit dem Decknamen Babylon bezeichnet wird, bezogen; s. E. Lohse, Die Offenbarung, 95. Weitere Belege zu Babylon als Namen für Rom sammelt Bill., Bd. 3, 816. Eine eschatologische Deutung von Jes 23,18 begegnet auch in Numeri Rabba 20.20 (zu Num 23,23). 200 G.

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Dieselbe Vorhersage steht auch in dem Midrasch Exodus Rabba. In dieser Auslegung des Buches Exodus wird vorausgesagt, Gott werde die heidnische Tyrannei bestrafen, wofür ebenfalls Jes 23,18 als Beweis dient: Dem Volk Gottes wird einstens alles gegeben, was im Moment die heidnischen Mächte für sich an Einnahmen beanspruchen205: Alles, was die Regierung in dieser Welt einsammelt, das wird Gott in der Zukunft Israel geben.

Zuletzt sei noch eine Passage aus dem Traktat Pesaḥim des Babylonischen Talmuds in unsere Erörterungen aufgenommen, die diese Gedanken mit charakteristischen Modifikationen aufgreift. Hierbei handelt es sich um eine Unterhaltung zwischen Rabbi Jehuda ha-Nasi (Ende des 2. Jh. n. Chr.) und Rabbi Jischma el. Jehuda ha-Nasi antwortet auf die Frage, was denn aus dem ganzen in der Stadt Rom zusammengetragenen Wohlstand werden solle und für wen die Schätze der Römer bestimmt seien: „Für dich, deine Genossen und deine ganze Gesellschaft“ (‫)לך לחברך ולחברותך‬206, wobei ebenfalls Jes 23,18 als Schriftbeleg angezogen wird. Hier ist der Kreis der Begünstigten also auf die rabbinischen Gelehrten eingeschränkt, was das ganze Volk entlastet, das nicht mehr ausdrücklich genannt ist. Die Aussageabsicht ist aber m. E. dieselbe wie in den zuvor zitierten Texten und dürfte ebenfalls den Grundgedanken einer endzeitlichen Umkehrung der gegenwärtigen Lage zum Ausdruck bringen, eine radikale Vertauschung der Besitzverhältnisse zwischen Herrschern und Regierten. 4.3.3 Rabbinisches zu Jesaja 60,17 Wie sollte eine solche Rückkehr aller Reichtümer in die Hände Israels in der Zeit des Messias ablaufen? Diese Frage hilft die rabbinische Exegese von Jes 60,17 zu beantworten, die sich in dem Targum zum Jesaja-Buch207 niederschlägt. Hier wird durch Modifikationen und Ergänzungen angedeutet, dass den Römern ihr Gold und Silber gewaltsam mit Gottes Hilfe weggenommen und dem jüdischen Volk gegeben werde. Der Vers Jes 60,16 wurde im Jesaja-Targum darum in bezeichnender Weise erweitert. Gott spricht dort208: Ich werde befriedigt durch Eigentum von Heiden, und ich werde euch Freude machen durch Beute von ihren Königen … (‫)ותסבעין נכסי עממיא ובביזת מלכיהון תתפנקין‬.

Jes 60,17 wird dann, was nur folgerichtig ist, ganz im Licht von Jes 60,12 verstanden und im Sinne einer endzeitlichen Vergeltung aufgefasst. Gott wird das Gold der Stadt Jerusalem geben: „anstelle von Kupfer, das sie von dir, Jerusalem, 205 ExR 206 bPes

31,17 zu Ex 22,26 (Text: Mirkin 79; Übersetzung: Wünsche 250):

.‫שכל מה שׁמלכות בבל מכנסת בעולם הזה הקדושׁ ברוך הוא נותנו לישׂראל לעתיד לבוא‬

118b (Text: Steinsaltz 507; vgl. Goldschmidt 740); vgl. auch Bill., Bd. 3, 149. 207 Zu diesem Targum s. B. D. Chilton, The Glory, 12. 208 Vgl. den Text dieser Stelle bei A. Sperber, The Bibel in Aramaic, Bd. 3, 121.

4.3 Rabbinisches zum Begriff „Eigentum“ Gottes

203

geplündert haben“ (‫)חלף נחשא דבזו מניך ירושלם איתי דהבא‬. Diese geschickte Umdeutung des Jesajatextes besagt, dass das Unrecht der Heiden und ihrer Könige von Gott durch die Gold‑ und Silberbeute, die Jerusalem zugutekommen werde, ausgeglichen wird. Im Babylonischen Talmud findet sich ferner ein Ausspruch von Rabbi Joḥanan, der Jes 60,17 mit den Römern in Verbindung bringt: „Wehe ihnen, den Völkern, für die es kein Mittel gibt“ (‫)אוי להם לאומות העולם שאין להם תקנה‬209. Dass mit diesen Worten auf die Unterdrückung durch den römischen Staat hingewiesen wird, macht eine unmittelbar anschließende Auslegung deutlich, die die in Joel 4,21 von Gott vorhergesagte blutige Rache als einen Hinweis auf Rabbi ‛Aqiba und dessen Genossen auffasst, die von den Römern im Zweiten Jüdischen Krieg hingerichtet wurden. Rabbi Joḥanan erhofft demnach Gerechtigkeit für Roms Gräueltaten, wozu u. a. der Verlust des kaiserlichen Goldes und Silbers gehört. Eine Verknüpfung von Jes 60,17 mit den römischen Steuerforderungen stellt ebenfalls der Midrasch Tehillim her. In dessen Auslegung von Ps 129210 werden den Römern die vielen Vorteile vorgehalten, die sie von ihrer Herrschaft über das jüdische Volk hätten. Trotzdem aber würden sie den Juden viele Steuerarten aufbürden, wovon u. a. die Kopfsteuer und die Getreidelieferungen der sog. annona aufgezählt sind211. Doch diese Situation werde nicht alle Zeit fortdauern: „Am Ende ist es, dass ihr sie zahlt“ (‫)סוף שאתם פורעים‬212, was mit Jes 60,17 begründet wird. Demnach müssen in der Endzeit die römischen Unterdrücker alle ihre Kontributionen zurückbezahlen; Gott werde sie dazu zwingen. Wie man sich diesen Vorgang vorzustellen hat, lehrt uns eine andere talmudische Überlieferung, die im Zusammenhang mit der Erwartung einer eschatologischen Völkerwallfahrt zum Zion steht. Diese Passage ist für uns deshalb wichtig, weil sie das Verhältnis von freiwilligen Gaben der Heiden zu der gewaltsamen Plünderung ihrer Reichtümer durch jüdische Eroberer ins Licht rücken kann. Sie findet sich sowohl im Babylonischen Talmud im Traktat Pesaḥim als auch mit leichten Abweichungen in einer Parallele im Midrasch Exodus Rabba213. Nach diesen Textstücken bringen alle Völker, wie es an orientalischen Herrscherhöfen üblich war, dem Messias Geschenke. Das Besondere ist nun aber, dass Gott solche Huldigungen seitens der Römer ablehnt, was wohl andeuten soll, dass 209 bRHSh

23a (Text: Steinsaltz 99; vgl. Text und Übersetzung: Goldschmidt 354). Psalmen 119 ff dieses Midrasch sind sein spätester Bestandteil, wohl mittelalterlich; doch immer noch erinnert man sich früher durchlebter Notlagen. 211 Diese Abgaben in Form von Naturalien wurden in Palästina von den in Jerusalem und in dem Lager in Legio stehenden beiden Legionen eingesammelt, s. Z. Safrai, The Economy, 349; H. M. Cotton, Aspects, 80. Diese Sachleistungen hat es schon in der frühen Kaiserzeit gegeben, F. M. Ausbüttel, Die Verwaltung, 76. 212 MTeh zu Ps 129 (Text: Buber 515, Übersetzung: Wünsche 213). 213 bPes 118b (Text: Steinsaltz 506–507; vgl. Text: Goldschmidt 739–740) bzw. ExR 35; vgl. auch Bill., Bd. 3, 149. 210 Die

204

4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

ihnen der Messias ihren Reichtum gewaltsam (und dann gänzlich) wegnehmen werde. In Exodus Rabba heißt es sogar214: Von allen Königreichen wird Gott in der kommenden Zeit Geschenke annehmen außer von Edom.

Dass Rom so ganz anders behandelt wird wie die Ägypter und Afrikaner, deren Gaben stets willkommen sind, begründet Gott selbst in diesem Text mit einem Zitat aus Ps 68,31 „Bedrohe das Tier im Schilf!“ (‫)גער חית קנה‬, was in Exodus Rabba wiederum auf die Römer gedeutet wird. An dieser Bibelstelle lastet der Psalmist den Völkern ausdrücklich die Gier nach Silber an.

4.4 Gottes Eigentum in Qumran und in hellenistisch-jüdischen Texten 4.4.1 Ps 68, 31 – und ein Rückgriff auf Qumran Dieser Schriftbeweis aus Ps 68,31 ist für unsere Studie und die Bewertung der rabbinischen Zukunftserwartung von Belang, denn er kann untermauern, dass diese rabbinische Exegese auf ein hohes Alter zurückblicken kann. Mit seiner Hilfe lässt sich wahrscheinlich machen, dass dieses Traditionsstück nicht etwa von den rabbinischen Exegeten gebildet wurde, sondern trotz verschiedener Erweiterungen und Umprägungen die Gedankengänge einer viel früheren, vorrabbinischen Generation von Auslegern widerspiegelt. Diese Annahme ist durch die Schriftrollen aus Qumran zu verifizieren: Aus einigen der dort aufgefundenen Texte ist ersichtlich, dass die rabbinischen Interpreten lediglich eine um Jahrhunderte ältere Auslegungstradition weiterführten, in der der Versteil aus Ps 68,31 bereits als Hinweis auf die Römer verstanden wurde. Es wurde nämlich unter den Qumrantexten ein leider nur sehr fragmentarisch erhaltener Pesher zu Psalm 68 entdeckt (1Q 16), dessen Handschrift wohl aus der Zeit um 30 v. Chr. stammt215. Unglücklicherweise sind nur drei kleine Fragmente mit lesbaren Teilen biblischer Texte erhalten geblieben216, eines davon jedoch zu genau diesem Psalmvers217. Die Interpretation setzt mit dem Wort ‫ חיית‬ein, weitere Worte sind nicht mehr lesbar. In der folgenden Zeile wurde von den Herausgebern das Wort „Kittäer“ identifiziert218. Dieses einzige noch lesbare Wort bildet in jedem 214 ExR

35,5 zu Ex 26,15 (Text: Mirkin, Bd. 6, 102; Übersetzung: Wünsche 266): .‫שמכל המלכיות יקבל הקדוש ברוך הוא דורון לעתיד לבוא הוץ מאדום‬ 215 M. P. Horgan, The Dead Sea Scrolls, Bd. 6b, 2, 25. 216 M. P. Horgan, Pesharim, 65. 217 1Q16 Frgm. 9 Z. 3 (Text: Horgan, The Dead Sea Scrolls, Bd. 6b, 29). 218 Der Text wurde zuerst ediert von J. T. Milik, Commentaire de Psaumes, in: DJD I, 81—82, vgl. insb. Frgm. 9–10. Eine Neubearbeitung erfolgte durch M. P. Horgan, Pesharim, 65–70. Die neueste Edition legte M. P. Horgan in The Dead Sea Scrolls, Bd. 6b, Psalm Pesher 2, 25–29, vor.

4.4 Gottes Eigentum in Qumran und in hellenistisch-jüdischen Texten

205

Fall aber ein Indiz, dass dieser Psalmvers mit den Römern in Beziehung gesetzt wurde. Der Name „Kittäer“ ist ja auch in anderen Qumranrollen (z. B. dem Habakuk-Pesher) wie „Edom“ ein Deckname für die Römer. Die Deutung des Verses auf die römische Okkupation ist also in den späteren rabbinischen Texten einfach nur beibehalten worden. Eine Verbindung zu den Geschenken, die Gott dargebracht werden, ist durch den vorhergehenden Vers Ps 68,30 gegeben, obschon der äußerst fragmentarische Erhaltungszustand des Pesher nur noch eine Interpretation des Verses auf „Herrscher“ ([‫)משׁ]לי‬, die irgendwie in der Stadt Jerusalem auftreten und dort Gaben darbringen, erkennen lässt. Selbst wenn dieser Kommentar wegen der starken Beschädigung des Manuskripts nur Anhaltspunkte beisteuern kann, so legen die Indizien nahe, dass spätantike rabbinische Quellen Reflexe eschatologischer Hoffnungen aufbewahrt haben, deren Wurzeln noch bis in die Zeit Jesu zurückreichen. Vergleichbare eschatologische Hoffnungen lassen sich nicht nur in dem Pesher zu Psalm 68 belegen, sondern sind ebenfalls durch bestimmte Fragmente nachweisbar, die in einer anderen Höhle von Qumran erhalten geblieben sind. Es handelt sich dabei um Gebete für die Wochentage, die höchstwahrscheinlich nicht essenischen Ursprungs waren und deren älteste Handschrift aus der Zeit um 150 v. Chr. stammen dürfte (4Q 504)219. Sie entwerfen in einigen Abschnitten das Bild einer künftigen Epoche, in der Gott seine Herrlichkeit aller Welt offenbaren werde. Die Länder der Heiden reagieren darauf, indem220 sie als ihre Gabe herbeibringen Silber und Gold und Edelsteine mit allem Köstlichen ihres Landes, um dein Volk zu ehren und den Zion, die Stadt deiner Heiligkeit und das Haus deiner Pracht.

Die Erwartung ist, dass heidnischer Besitz dem jüdischen Volk und seinem Tempel zukommen wird, was durch den Eindruck der Selbstoffenbarung Gottes geschieht. Die Heiden strömen dann zum Zion; Gold und Silber sind „ihre Opfergaben“ (‫)מנחתם‬. Dieses Wort ‫ מנחה‬kann sowohl Geschenke an den König221 als auch Tribute222 und Opfergaben223 meinen. An dieser Stelle sind wahrscheinlich in erster Linie Weihegaben gemeint, die Jerusalem und seinen Tempel schmücken werden.

219 E.

Chazon, Art. Words, 989. Frgm. 1–2 Col IV (Text: Martínez, Tigchelaar, Bd. 2, 1014 = Olson, The Dead Sea Scrolls, Bd. 4a, 130, Übersetzung: Maier, Bd. 2, 606): 220 4Q504

‫ויביאו מנחתם כסף וזהב ואבן יקרה עם כ]ו[ל חמדת ארצם לכבד את עמכה ואת ציון‬ .‫עיר קודשכה ובית תפארתכה ואין שטן‬ 221 1 Sam 10,27; 2 Chr 17,5. 222 Ri 3,15.17; 2 Kön 17,3–4. 223 Vgl. z. B. Gen 4,3; Lev 6,7–10; Ri 6,18.

206

4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

4.4.2 Die Eschatologie der Kriegsrolle aus Qumran Schließlich ist noch eine Passage aus der sog. Kriegsrolle zu erörtern. Dieses Werk hat verschiedene ursprünglich unabhängige Quellen in sich aufgenommen und vereinigt224. Uns mag es wie eine Apokalypse anmuten; gemeint ist es aber eher als Kriegstora für den zu erwartenden messianischen Krieg. Geschildert wird der Endzeitkampf der „Söhne des Lichts“ gegen die „Söhne der Finsternis“. Unter diesen Feinden finden sich neben traditionellen Gegnern Israels wie z. B. den Edomitern oder den Philistern auch die Kittäer, die Syrien und Ägypten beherrschen, wobei sich eine Deutung auf die Römer nahelegt, jedoch nicht unumstritten ist225. Am Ende siegen die Söhne des Lichts auf der ganzen Welt, wobei realistische Züge aus der zeitgenössischen Kampfesweise mit einem eschatologischen Bild von einer von Priestern angeführten Schlacht vermischt sind226. Im Textbestand der Kriegsrolle eingefügt finden sich auch lange Passagen, die, in Form einer Bitte an Gott gekleidet, die herrliche Zeit nach dem mit Gottes Hilfe erreichten Sieg beschreiben. Für unsere Untersuchung sind Anführungen wie: „Eine Menge von Vieh sei auf deinen Feldern, Silber und Gold und Edelsteine in deinen Palästen“ einschlägig227. Dies alles werde durch einen strahlenden Sieg erreicht228: Öffne beständig [deine] To[re], dass man zu dir bringe den Reichtum der Völker. Und ihre Könige sollen dir dienen und dir huldigen alle deine Bedrücker ….

Diese Abschnitte sind in deutlicher Anlehnung an Jes 60,1–22 formuliert und belegen die Hoffnung auf eine Königsherrschaft Gottes, die mit einem Triumph über die Heiden einhergeht: Deren gesamter Besitz soll den übermächtigen Israeliten ausgeliefert werden. Die bisherigen Machtverhältnisse kehren sich um, und der Reichtum wird neu verteilt; alle Pracht der Weltreiche wird am Ende Israel schmücken. 4.4.3 Eschatologische Hoffnungen in den Psalmen Salomos Gleichzeitig mit den wichtigsten Qumrantexten ist eine weitere sowohl im Mutterland als auch in der Diaspora verbreitete Dichtung entstanden, betitelt Psalmen Salomos. Sie dürfte nach Einschätzung vieler Forscher in der Mitte des 224 Diese Grundschrift könnte vielleicht in die Zeit größter Bedrängnis des jüdischen Volkes und den Kampf gegen den Seleukidenkönig Antiochos IV gehören, vgl. H. Stegemann, Die Essener, 145–146. 225 M. Hadas-Lebel, L’évolution, 782. 226 S. dazu Ph. R. Davies, Art. War, 966. 227 1QM XII 12–13 (Text: Duhaime, The Dead Sea Scrolls, Bd. 2, 120, Übersetzung: Lohse 209): ‫מלא ארצכה כבוד ונחלתכה ברכה המון מקנה בחלקותיכה כסף וזהב ואבני חפץ בהיכל]ו[תיכה‬. 228 1QM XII 13–14 (Text: Duhaime, The Dead Sea Scrolls, Bd. 2, 120, Übersetzung: Lohse 209): ‫פתחי שער]י[ך תמיד להביא אליך חיל גואים ומלכיהם ישרתוך והשתחוו לך כול מעניך‬.

4.4 Gottes Eigentum in Qumran und in hellenistisch-jüdischen Texten

207

1. Jh. v. Chr. abgefasst229 und wahrscheinlich von Anfang an mit dem berühmten König Salomo als ihrem Dichter verknüpft worden sein, was immerhin nachdavidischen Ursprung aussagt. Man kann als gesichert annehmen, dass diese Psalmen ursprünglich hebräisch verfasst waren und aus Palästina oder sogar aus Jerusalem stammen. Schon im 1. Jh. n. Chr. wurden sie ins Griechische übersetzt und vermutlich von Diasporajuden rezipiert; jedenfalls haben sie Aufnahme in die (christlichen) Septuagintahandschriften gefunden230. Hier lebt noch (oder wieder) die Gedankenwelt des hebräischen Psalters; das Denken kreist um Leitmotive wie die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes. Daneben gibt es einige zeitgeschichtliche Anspielungen, die uns helfen können, die Texte relativ genau zu datieren. So blickt der Verfasser auf die Eroberung Jerusalems durch Pompeius im Jahr 63 v. Chr. zurück und deutet in PsSal 2,27 auf dessen schimpfliche Ermordung in Ägypten (48 v. Chr.) hin231. Der 17. Psalm in der Sammlung bietet eine ausführliche eschatologische Zukunftsbeschreibung, in der Gott gleich zu Beginn als König proklamiert wird (PsSal 17,1)232: Herr, du selbst bist unser König für immer und ewig; ja, in dir, o Gott, soll unsere Seele sich rühmen.

Weiterhin wird ausgeführt, dass Gott als König „in Ewigkeit über die Heiden mit Gericht“ herrschen werde (V. 3); und in einer Art von historischem Rückblick wird sodann auf Israels Sünden hingewiesen, die dazu geführt hätten, dass kein Nachkomme Davids mehr über sein Volk als König regiere (V. 6), worin sich möglicherweise ein Hinweis auf die (bereits undavidische) hasmonäische Dynastie und auf die römische Herrschaft verbirgt. Eine eindeutige Identifikation ist jedoch wegen der sehr vage gehaltenen Formulierungen des Psalms nicht möglich233. In Form eines Rückgriffs auf die am Anfang des Psalms gegebene Verheißung wird in V. 21 die Bitte an Gott gerichtet, wieder einen König wie einst David zu senden234, der die (in V. 15–20 geschilderte) Lage zum Guten wenden und die ungerechten Herrscher vernichten werde (V. 22), um Jerusalem von den Heiden zu befreien und um „des Sünders Übermut zu zerschlagen“ (V. 23)235. Im Rahmen des dann gezeichneten Bildes der Zukunft wird die heid229 S.

Holm-Nielsen, Die Psalmen, 58. Holm-Nielsen, Die Psalmen, 59. 231 S. Holm-Nielsen, Die Psalmen, 51; vgl. zu dieser Ablehnung des Pompeius als des Sünders, der Jerusalems Tempel entweihte, außerdem G. Vermes, Ancient Rome, 217. 232 Text: v. Gebhardt 128, Übersetzung: Holm-Nielsen 97: Κύριε, σὺ αὐτὸς βασιλεὺς ἡμῶν εἰς τὸν αἰῶνα καὶ ἔτι· ὅτι ἐν σοί, ὁ θεός, καυχήσεται ἡ ψυχὴ ἡμῶν. 233 J. Tromp, The Sinners, 360–361. 234 Zu dieser Erwartung s. R. R. Hann, Christos, 320–322. 235 Text: v. Gebhardt 132, Übersetzung: Holm-Nielsen 102: ἐκτρίψαι ὑπερηφανίαν ἁμαρ­ τωλοῦ. Der Dichter greift an dieser Stelle auf Ps 2,9 bzw. Jes 11,4 zurück, s. S. Holm-Nielsen, Die Psalmen, 102; J. Schüpphaus, Die Psalmen, 70. 230 S.

208

4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

nische Umwelt des jüdischen Volkes einbezogen, denn den Fremden werde es künftig nicht mehr gestattet sein, unter den Stämmen Israels zu wohnen (V. 28). Von dem davidischen König wird nicht allein erwartet, er werde alle Völker gerecht richten (V. 29–30a), sondern Gott werde ihm die Nichtjuden ausliefern: „Er wird Heidenvölker ihm fronen lassen unter seinem Joch“236. Dabei ist vorausgesetzt, dass dies alles in Jerusalem geschehen werde, dessen „Heiligung“ dabei erwartet wird (V. 30). Die Heiden machen sich auf den Weg zur heiligen Stadt (PsSal 17,31)237: Von den Enden der Erde, um seine Herrlichkeit zu sehen, als Gaben darbringend ihre ermüdeten Söhne.

Hier stellen also die heimkehrenden Juden aus der Diaspora238 die δῶρα der paganen Völker dar. Auch das greift biblische Motive auf, z. B. Jes 49,22 oder 60,4.9. Der Psalm schließt mit einem Ausblick auf die Regentschaft des künftigen David-Königs239, des „Gesalbten des Herrn“ (Χριστὸς τοῦ Κυρίου), „denn er wird die Erde schlagen durch das Wort seines Mundes in Ewigkeit“ (V. 35)240. „Seine Worte sind im Feuer geläutert, mehr als Gold, das vorher wertvoll war“ (V. 43)241. Der Dichter hält demnach die Vorstellung aufrecht, dass Gott durch einen israelitischen Herrscher die Macht aller paganen Potentaten brechen und damit auch die römische Regierung über das Heilige Land beenden werde. Die Heidenwelt werde diesen Herrn anerkennen und die versprengten Israeliten als Geschenke darbringen; Geld wird keine Rolle mehr spielen. 4.4.4 Eschatologische Hoffnungen im Buch Tobit Ferner lassen sich noch Beispiele dafür anführen, dass jüdische Autoren aus der aramäischsprachigen wie aus der griechischsprachigen Diaspora den Impuls, der von Prophetenstellen wie Jes 60,1–22 ausging, ebenfalls aufnahmen und diese Vorstellungen weiterentwickelten. Die Ablehnung der Römerherrschaft 236 PsSal 17,30a (Text: v. Gebhardt 133, Übersetzung: Holm-Nielsen 103): καὶ ἕξει λαοὺς ἐθνῶν δουλεύειν αὐτῷ ὑπὸ τὸν ζυγὸν αὐτοῦ. 237 Text: v. Gebhardt 133, Übersetzung: Holm-Nielsen 103: ἔρχεσθαι ἔθνη ἀπ᾽ ἄκρου τῆς γῆς ἰδεῖν τὴν δόξαν αὐτοῦ, φέροντες δῶρα τοὺς ἐξησθενηκότας υἱοὺς αὐτῆς; vgl. dazu P. Volz, Die Eschatologie, 358. 238 Hinter der merkwürdigen Bezeichnung der Söhne Israels als ἐξησθενηκότας verbirgt sich möglicherweise ein Übersetzungsfehler, der auf einer falschen Lesung der hebräischen Vorlage beruht, s. die Diskussion bei K. G. Kuhn, Die älteste Textgestalt, 72–73. 239 Zu dieser messianischen Gestalt vgl. G. L. Davenport, The Anointed of the Lord, 71–73. 240 Text: v. Gebhardt 133, Übersetzung: Holm-Nielsen 105: πατάξει γὰρ γῆν τῷ λόγῳ τοῦ στόματος αὐτοῦ εἰς αἰῶνα; s. dazu J. Schüpphaus, Die Psalmen, 70; R. R. Hann, Christus, insb. 612. 241 Text: v. Gebhardt 135: τὰ ῥήματα αὐτοῦ πεπυρωμένα ὑπὲρ χρυσίον τὸ πρῶτον τίμιον.

4.4 Gottes Eigentum in Qumran und in hellenistisch-jüdischen Texten

209

tritt uns in den jetzt noch zu nennenden Texten allerdings weniger explizit entgegen als in den rabbinischen Quellen, zumal die Macht Roms zu der Zeit, als sie verfasst wurden, noch fern war und die römischen Legionen Palästina noch nicht unterworfen hatten. Zuerst wollen wir uns dem Buch Tobit zuwenden, das in einem großen Gebetshymnus in Kapitel 13 die Motive tritojesajanischer Texte aufgreift und zu einem eindrucksvollen Bild der Zukunft Jersualems ausgestaltet. Möglicherweise entstand dieses Buch schon um die Wende des 3. zum 2. Jh. v. Chr.; es wird, wie sich aus in Qumran aufgefundenen aramäischen und hebräischen Fragmenten schließen lässt, in der östlichen Diaspora entstanden sein242. Die aramäische Originalfassung wurde später ins Griechische übersetzt und fand vermittelt durch die Septuaginta eine enorme Verbreitung243. Der eschatologische Hymnus im 13. Kapitel244 hat in seinem zweiten Teil zahlreiche Bezüge auf Jerusalem bzw. den Tempel, die ihn markant vom Rest der gesamten Schrift unterscheiden, was ihn vielleicht als eine spätere Ergänzung erweist. Gott ist der absolute König der Welt (V. 6.11); sein erscheinender Lichtglanz, geschildert ganz wie im Jesaja-Buch (Jes 60,1 vgl. 9,1), zieht die Heidenvölker von nah und fern an, und sie huldigen Gott durch ihre Geschenke245: Ein helles Licht wird leuchten in alle Gegenden der Erde. Viele Völker werden kommen von ferne zu dir, und die Bewohner von allen Enden der Erde zu deinem heiligen Namen und ihre Geschenke halten sie in ihren Händen für den König des Himmels.

Die Grundstimmung des Hymnus ist in den folgenden Passagen vor allem von eschatologischem Jubel bestimmt. Sodann verflucht der Verfasser alle, die Jerusalem zerstören (V. 12) und nennt diejenigen selig, die die Stadt und das Haus Gottes wieder aufbauen (V. 15–16a). Diese Seligpreisung mündet dann in ein großartiges Zukunftsbild einer ganz aus Edelsteinen und Gold errichteten Stadt, worin Motive aus Jes 54,11–12 und 60,17 wiederkehren und dabei gegenüber der biblischen Vorlage noch einmal deutlich gesteigert sind. Jerusalem nimmt nämlich den Charakter einer vor Gold und Edelsteinen geradezu überfließenden

242 Zur Datierung und den Umständen der Entstehung des Tobitbuches vgl. B. Ego, Buch Tobit, 898 bzw. 900. 243 B. Ego, Buch Tobit, 876; M. Rabenau, Studien, 7. Zitiert wird im Folgenden nach der längeren griechischen Übertragung, die, wie die aramäischen bzw. hebräischen Qumrantexte beweisen, der Vorlage wahrscheinlich näher steht als die kürzere Übersetzung; zur Gattungseinordnung des Gebets vgl. D. Flusser, Psalmes, 556. 244 B. Ego, Buch Tobit, 890. 245 Tob 13,11 (Text: Hanhart 170–171, Übersetzung: Ego 996): φῶς λαμπρὸν λάμψει εἰς πάντα τὰ πέρατα τῆς γῆς· ἔθνη πολλὰ μακρόθεν ἥξει σοι καὶ κάτοικοι πάντων τῶν ἐσχάτων τῆς γῆς πρὸς τὸ ὄνομα τὸ ἅγιον σου καὶ τὰ δῶρα αὐτῶν ἐν ταῖς χερσὶν αὐτῶν ἔχοντες τῷ βασιλεῖ τοῦ οὐρανοῦ.

210

4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

Schatzkammer an, in der keine üblichen Baumaterialen mehr vorhanden sind, sondern alles in Gold und wertvolle Steine verwandelt ist246. Die Geschenke der Pilger aus allen Nationen, so kann man annehmen, haben dafür die materielle Voraussetzung geschaffen247: Und die Tore Jersualems werden mit Saphir und Smaragd erbaut werden und mit Edelstein all deine Mauern. Die Türme Jerusalems werden mit Gold erbaut werden und ihre Zinnen mit reinem Gold. Die Plätze Jerusalems werden mit Rubin gepflastert werden und mit Ophirsteinen.

4.4.5 Eschatologisches in den Sibyllinen Als zweites Zeugnis aus jener Zeit ist das umfangreiche Corpus der Sibyllinischen Orakel zu nennen, das über Jahrhunderte hin gewachsen ist und in seinem heute erhaltenen Überlieferungsbestand neben paganen und christlichen Bestandteilen auch große Abschnitte jüdischer Provenienz umfasst, vor allem im 3. Buch. Es handelt sich um Verse, die wohl bewusst unter dem Deckmantel einer bei den Heiden berühmten Seherin verfasst wurden. Sie haben u. a. eine eschatologische Bekehrung der zuvor Götzendienst praktizierenden Heidenvölker zum Gegenstand. Als Abfassungszeit wird das 2. Jh. v. Chr. vorgeschlagen248. Alle Völker werden ihren alten Götterglauben aufgeben und den Gott der Juden als eigentlichen und wahren König der Erde bekennen249: Kommt, lasst uns alle zur Erde niederfallen und flehen zum unsterblichen König, dem großen und ewigen Gott! Lasst uns schicken zum Tempel; denn er allein ist Herrscher ….

Dieses Bekenntnis zu der Herrschaft des Einen Gottes, der als König gepriesen wird, ist ein erster Schritt zu einer veränderten Einstellung der Heiden zu ihrem Besitz, denn ihre Hinwendung zum jüdischen Gott geht mit einer großzügigen Ausstattung seines Tempels durch pagane Spender einher250. Im Rahmen der

246 So

wurde auch im Christentum noch einmal geträumt: Apk 21,18 ff; ferner s. u. 4.4.6. 13,16b–17a (Text: Handhart 174, Übersetzung: Ego 998): καὶ αἱ θύραι Ἰερου­ σαλὴμ σαπφείρῳ καὶ σμαράγδῳ οἰκοδομηθήσονται καὶ λίθῳ τιμίῳ πάντα τὰ τείχη σου· οἱ πύργοι Ἰερουσαλὴμ χρυσίῳ οἰκοδομηθήσονται καὶ οἱ προμαχῶνες αὐτῶν χρυσίῳ καθαρῷ· αἱ πλατεῖαι Ἰερουσαλὴμ ἄνθρακι ψηφολογηθήσονται καὶ λίθῳ Σουφίρ. 248 Der in Sib 3,608 (vgl. 193 und 318) erwähnte siebente König aus der Ptolemäerdynastie wurde auf Ptolemaios VI Philometer oder Ptolemaios VIII Euergetes gedeutet, s. J. J. Collins, The Sibylline Oracles, 29; ders., A Symbol, 212; ders., Between Athens, 85 und die Diskussion bei V. Nikiprowetzky, La troisième sibylle, 207–208. 249 Sib 3,716–718 (Text: Kurfeß 106, Übersetzung: Merkel 1104): δεῦτε, πεσόντες ἅπαντες ἐπὶ χθονὶ λισσώμεσθα. ἀθάνατον βασιλῆα, θεὸν μέγαν ἀέναόν τε. πέμπωμεν πρὸς ναὸν, ἐπεὶ μόνος ἐστὶ δυνάστης· 250 Vgl. J. J. Collins, The Development, 432. 247 Tob

4.4 Gottes Eigentum in Qumran und in hellenistisch-jüdischen Texten

211

Schilderung des endgültigen Heils und der Herrschaft des messianischen Königs in den Versen 767–795 heißt es weiter251: Und man bringt von der ganzen Erde Weihrauch und Gaben hin zu des großen Gottes Behausung, und da wird kein Haus sein bei den Menschen noch späteren Geschlechtern zur Kunde als jenes.

Neben dem Motiv der Völkerwallfahrt nach Jerusalem und den zahllosen wertvollen Geschenken, mit denen die Heiden den Gott Israels ehren, wird das Bild gezeichnet, dass Jerusalem ohne konkurrierende Heiligtümer als einziger Ort der Gottesverehrung der Menschheit übrig bleiben werde252. 4.4.6 Ausblick: Die Apokalypse des Johannes Am Ende unserer Analyse jüdischer Quellen sei nicht übergangen, dass diese Vorstellungen auch im Neuen Testament in der Apokalypse des Johannes aufgegriffen werden, die viele Gemeinsamkeiten mit der jüdischen Apokalyptik aufweist. Der sich „Johannes“ nennende Apokalyptiker (Apk 1,9) schildert das Endgeschehen in kosmischer Weite und reiht dabei biblische und aus der apokalyptischen Tradition genommene Szenen aneinander. Unter diesen Bildern findet sich die für unsere Fragestellung bedeutsame Ankündigung, wie die Heiden und ihre Könige „ihre Herrlichkeit“ (τὴν δόξαν αὐτῶν) als Zeichen ihrer Huldigung in das himmlische Jerusalem bringen (Apk 21,24). Auch hier sind Bezüge zu alttestamentlichen Vorlagen wie Jes 60,3 offenkundig253; aus diesem Vers wird z. B. der Schlüsselbegriff φῶς wiederholt. Nunmehr aber geht das Licht, das die Fürsten der nichtjüdischen Völker anzieht, von der Stadt Jerusalem und nicht, wie bei Jesaja, vom Tempel aus. Doch bleiben in wichtigen Punkten Gemeinsamkeiten, weil die Heiden auch in diesem christlichen Text Geschenke mitbringen, wobei mit δόξα höchstwahrscheinlich Pracht und Reichtum ihrer Könige gemeint ist254.

251 Sib

3,772–774 (Text: Kurfeß 108, Übersetzung: Gauger 109): πάσης δ᾽ ἐκ γαίης λίβανον καὶ δῶρα πρὸς οἴκους οἴσουσιν μαγάλοιο θεοῦ· κοὐκ ἔσσεται ἄλλος οἶκος ἐπ᾽ ἀνθρώποισι καὶ ἐσσομένοισι πυθέσθαι. 252 Vgl. zu diesen Vorstellungen eines universalen Monotheismus P. Söllner, Jerusalem, 121. 253 Diese Zusammenhänge wurden diskutiert von P. Söllner, Jerusalem, 240–241; J. Fekkes, Jesaiah, 268. Dass nach dem radikalen Einschnitt in Apk 21,1 noch immer Heidenvölker auftreten, ist wohl dadurch zu erklären, dass das Motiv des Gabenbringens für den Autor der Apokalypse unverzichtbar war, I. T. Beckwith, The Apocalypse, 763; W. Bousset, Die Offenbarung, 451; H. Kraft, Die Offenbarung, 273. 254 Diese Verwendung von δόξα begegnet u. a. in Dan 5,20; Est 1,4; 1 Makk 10,58–60; Mt 6,29; Lk 12,27; dazu J. Fekkes, Jesaiah, 270; J. W. Mealy, After the Tousand Years, 229; W. W. Reader, Die Stadt, 129.

212

4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

4.4.7 Zusammenfassung: „Eigentum Gottes“ als jüdischer Begriff Betrachten wir im Rückblick noch einmal die zitierten Aussagen aus jüdischer Literatur, so ist die Erwartung deutlich, dass der von den paganen Mächten angesammelte Reichtum in der Endzeit nach Israel gelangen werde. Ferner konnten wir anhand des Quellenmaterials aus Qumran und aus der griechischsprachigen Diaspora erweisen, dass die Rabbinen auf längst etablierte Vorstellungen von einer endzeitlichen Umkehr zurückgreifen. Sie entwickeln diesen Gedankenkreis ganz speziell im Blick auf das Geld der zeitgenössischen Großreiche weiter, unter deren Herrschern das Judentum leben musste. Der Vorstellungskomplex von der Völkerwallfahrt bzw. dem eschatologischen Sieg über die Feinde des Gottesvolkes wird aufrechterhalten und unter geänderten politischen Vorzeichen umgewandelt. Deutlicher als in vielen anderen Texten begegnet die Erwartung eines Sieges über die römische Weltmacht. Die Annahme von kostbaren Geschenken paganer Machthaber, womit neben den Persern die Römer gemeint sind, wird durch Israel und seinen Messias in anderen Texten stolz abgewiesen. Nicht nur die Geschenke, sondern alles gehört dann sichtbar dem Gott Israels. Bezüglich der Antwort Jesu auf die Steuerfrage in den synoptischen Evangelien lässt sich aus den behandelten Passagen folgern, dass selbst rabbinische Gelehrte, die einige Zeit nach Jesus lebten und mit ihrer Kritik am römischen Imperium nach zwei katastrophalen Niederlagen gegen römische Legionen in den jüdischen Kriegen in ihren Äußerungen sehr zurückhaltend waren, das göttliche Eigentum von allem Gold und Silber mit aller gebotenen Vorsicht gegen die kaiserlichen Steuerforderungen ins Feld führten, wobei sich in ihren Erwartungen weniger eine Handlungsanweisung für die Gegenwart als eine eschatologisch gewendete Hoffnung findet. Auch alle Annehmlichkeiten römischer Lebensart wie z. B. die Thermen, die von großen Rabbinen durchaus aufgesucht, sogar regelmäßig frequentiert wurden255 und die durch die Steuern überhaupt erst gebaut und in Betrieb gehalten werden konnten, änderten nichts an ihrer Einschätzung. Es wurde vielmehr erwartet, dass Gott am Ende alles Gold und Silber der heidnischen Weltreiche dem jüdischen Volk übergeben werde, wobei das Eingreifen des Messias und die gewaltsame Niederwerfung der Römer mehr oder weniger vorausgesetzt sind. Dieser Gedanke verbindet die Rabbinen immer noch mit der Zeit Jesu. 255 Nach mAZ 3.4 (Text: Krupp 17) besuchte z. B. der bekannte Rabbi Gamaliel II, der Patriarch, gern das Bad der Aphrodite (‫ )מרחץ שׁלאפרודיטי‬in Akko und ließ sich davon auch nicht durch die wahrscheinlich nackte Statue der Liebesgöttin abhalten, die in der Therme aufgestellt war. Dass die Rabbinen mit dem Badebetrieb in römischen Thermen vertraut waren, lässt sich durch zahlreiche Passagen der rabbinischen Literatur belegen, s. das bei D. Sperber, The City, 58–68, gesammelte Material.

4.5. τὰ τοῦ θεοῦ bzw. τὰ τῶν θεῶν in der paganen Literatur und bei Philon und Josephus 213

Wir gehen nun über zur pagan-griechischen Literatur und danach zu den beiden Hauptautoren der griechischsprachigen Literatur des antiken Judentums, Philon und Josephus, und fragen nach ihrem Gebrauch der Wendung τὰ τοῦ θεοῦ: ob hier wohl ein bestimmter Gottesbesitz gemeint sein könne.

4.5 Zur Verwendung von τὰ τοῦ θεοῦ bzw. τὰ τῶν θεῶν in der paganen Literatur und bei Philon und Josephus 4.5.1 Hellenistisches zur Verwendung von τὰ τοῦ θεοῦ bzw. τὰ τῶν θεῶν Wenn wir uns im Folgenden mit der Verwendung von τὰ τοῦ θεοῦ in der griechischen Literatur befassen, so ist im Polytheismus naturgemäß die pluralische Wendung τὰ τῶν θεῶν mit einzuschließen. Auf dem Hintergrund einer Fülle von Belegen aus paganen Texten wird sich dann in einem zweiten Schritt die Bedeutung des Ausdrucks bei hellenistisch-jüdischen Autoren wie Philon und Josephus besser verstehen lassen, die in einer gewissen Kontinuität zum allgemeinen griechischen Sprachgebrauch stehen. Die Wendung τὰ τοῦ θεοῦ bzw. τὰ τῶν θεῶν kann in den Werken griechischer Schriftsteller gelegentlich ganz allgemein das Verhältnis zu den Göttern bezeichnen, das entsprechend den religiösen Sitten durch Opfer und Kulthandlungen geregelt war und von Sehern auf Anfrage näher erforscht werden konnte. Beispielsweise feierten die Spartaner nach Herodot das bedeutende Fest der Hyakinthia256 mit Opfern sowie anderen Bräuchen und waren dabei mit der Ausrichtung von τὰ τοῦ θεοῦ beschäftigt257. Wie der Geschichtsschreiber Xenophon einmal anmerkt, brachte man durch Opfer, Gelübde und einen gesungenen Paean die Beziehung zu den Göttern in Ordnung: τὰ τῶν θεῶν καλῶς εἶχεν258. Der Feldherr Epameinondas wiederum besiegte die Spartaner und gefährdete nach dem römischen Reiseschriftsteller Pausanias die Macht des spartanischen Gemeinwesens durch die Gründung der befestigten Stadt Messene, wofür er zuvor durch Seher die Götter über deren Zustimmung befragte; dies nennt sich: καὶ τὰ τῶν θεῶν ἐπιχωρῆσαι259.

256 Zu

diesem Fest vgl. W. Pötscher, Art. Hyakinthia, insb. 1254. 9,7,1 (Text: Feix 1166–1167): τὰ τοῦ Θεοῦ πορσύνειν. Eine hochstehende Persönlichkeit kann die Verpflichtung übernehmen, τὰ τῶν Θεῶν ἀποτελοίῃ, Xenophon, Cyropaedia 8 (5), 26 (Text: Delebeque 134). 258 Xenophon, Anabasis 3,2,9 (Text: Müri 154–155). 259 Pausanias 4,27,5 (Text: Rocha-Pereira 334,10). Eine ähnliche Befragung der Götter setzt Xenophon, Cyropaedia 3 (3),20 (Text: Bizos 26) voraus. Wer vor der Schlacht keine Vorzeichen einholte, der vernachlässigte τὰ τῶν θεῶν; s. Plutarch, Camillus 18,5 (Text: Ziegler 215, 28). 257 Herodot

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4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

Daneben bezeichnet τὰ τοῦ θεοῦ bzw. τὰ τῶν θεῶν ganz allgemein die Einrichtungen für Gott oder die göttlichen Angelegenheiten. Beispielsweise sind nach dem Redner Isokrates Menschen260, die es wagen, über Erzieher und Philosophielehrer herzuziehen, ebenso zu hassen wie Frevler an den Einrichtungen für die Götter.

Hierbei scheint der Rhetor mit τὰ τῶν θεῶν den Bereich des Göttlichen zu meinen. Diese Bedeutung wird durch weitere Quellen bestätigt: So soll einem geübten Redner nach dem (wohl spätantiken) rhetorischen Handbuch des Pseudo-Aelius Aristides das Göttliche bei der Konzeption seines Vortrags stets an erster Stelle stehen, weil er darauf zuerst als ein ehrenvolles Thema sein Augenmerk zu richten habe (πρῶτα μὲν τὰ τῶν θεῶν)261. Nach Euripides ist derjenige ein weiser Mann, der sich zuerst um τὰ τῶν θεῶν sorgt, um die Götter nicht unvorsichtig durch Missachtung zu verärgern262. Neben dem bisher Gesagten konnte mit τὰ τοῦ θεοῦ in einigen Fällen auch einfach der Himmel als Ort und Wohnsitz der Götter gemeint sein. So denkt der Furchtsame nach der berühmten Studie mit dreißig Charakterzeichnungen, die der Aristotelesschüler Theophrast verfasste, auf einer Seereise ständig an einen Sturm und fragt den Steuermann wie ihm τὰ τοῦ θεοῦ erscheinen, d. h. ob Zeus, der Wettergott, ein Unwetter am Horizont heraufziehen lasse, dessen Wolken das kommende Unheil ankündigen263. Diese Bedeutungsanalyse gewinnt durch weitere Texte eine andere Richtung, wo die Worte τὰ τοῦ θεοῦ bzw. τὰ τῶν θεῶν – in einer deutlichen Mehrheit der Fälle sogar – einen ganz konkreten, irdischen, materiellen Besitz bezeichnen. Sie stehen oft für das kostspielige Ausstattungsgut griechischer Tempel, insbesondere für die im Kult wichtigen Götterstatuen, aber auch für andere Schätze und all denjenigen Zierat an Weihegeschenken, der in den Heiligtümern von Generationen von Spendern angehäuft wurde. In Delphi z. B. war für die Weihegaben die Form eines Dreifußes üblich, der keinen Gebrauchs‑ sondern nur Metallwert hatte. Es ist daher gewiss kein Zufall, dass diese Wendung besonders häufig im Zusammenhang mit einem Diebstahl dieser Kostbarkeiten begegnet. 260 Isokrates 3,9 (Text: Mandilaras 48, Übersetzung: Ley-Hutton 32): τοὺς τολμῶντας βλασφημεῖν περὶ τῶν παιδευόντων καὶ φιλοσοφούντων ὁμοίως ἄξιον μισεῖν ὥσπερ τοὺς εἰς τὰ τῶν θεῶν ἐξαμαρτάνοντας. 261 Ps.-Aristides 1,3 (Text: Patillon 103,5). Entsprechend gibt es auch in der Prosa eine religiöse Exordialtopik. 262 Supplices 301–302 (Text: Morwood 62). In diesem Sinne äußert sich auch der Verfasser der sog. Spruchsammlung des Sextus, ebd. Spruch 250 (Text: Chadwick 40), die aus römischer Zeit stammen dürfte und christlich überarbeitet wurde, s. P. Kroh, Art. Sextos, 560. 263 Characteres 25 (Text: Diggle 136): τι αὐτῷ δοκεῖ τὰ τοῦ θεοῦ. Auch Euripides gebraucht τὰ τῶν θεῶν einmal im Sinne der Sonne, die am Himmel scheint und vom Unrecht der Menschen besudelt wird; Hercules Furens 1232 (Text und Übersetzung: Buschor, Seeck 176–177).

4.5. τὰ τοῦ θεοῦ bzw. τὰ τῶν θεῶν in der paganen Literatur und bei Philon und Josephus 215

Dieser antike Sprachgebrauch tritt uns z. B. bei dem griechischen Historiker des 1. Jh. v. Chr. Diodorus Siculus entgegen. Im 16. Buch seiner Bibliotheca Historica schildert er u. a. den Überfall des Athener Strategen Iphikrates auf syrakusanische Schiffe. Der General kapert dabei eine Flotte, die „kunstvoll aus Gold und Elfenbein verfertigte Statuen“ (ἀγάλματα ἐκ χρυσοῦ καὶ ἐλέφαντος δεδημιουργημένα)264 nach Olympia und Delphi transportieren sollte. Iphikrates lässt nach seinem Sieg in Athen anfragen, was mit der Beute geschehen solle, woraufhin ihn die Athener anweisen, „sich nicht weiter mit den Angelegenheiten der Götter zu befassen, sondern sich eher um die Versorgung seiner Soldaten zu kümmern“ (μὴ τὰ τῶν θεῶν ἐχετάζειν, ἀλλὰ σκοπεῖν ὅπως τοὺς στρατιώτας διαθρέψῃ)265. Diesen Beschluss interpretierte er als Aufforderung, die wertvollen Beutestücke zu verkaufen, was allgemein als Frevel gegen die Götter angesehen wurde. Für uns ist in diesem Zusammenhang von Interesse, dass Diodor mit τὰ τῶν θεῶν eindeutig kostbare Weihegeschenke vor allem Götterbilder bedeutender Tempel meint. Für diesen Wortgebrauch lassen sich noch zahlreiche weitere Belege anführen. So schützten sich wichtige Heiligtümer wie z. B. Delphi durch eine sog. Amphiktyonie gegen potentielle Feinde oder auch gewöhnliche Räuber266. Bei dieser Vereinbarung verpflichteten sich mehrere Mitglieder eines Bundes aus verschiedenen Teilen Griechenlands durch einen Eid gegenseitig, das heilige Land der Gottheit nicht zu bebauen. Dieser Schutz erstreckte sich auch auf die Gebäude und die darin aufbewahrten Wertgegenstände, so dass sie im Fall eines Übergriffs gegen τὰ τοῦ θεοῦ, wie der griechische Redner Aischines sich ausdrückte, sogar unter dem Risiko eines Krieges beschützt werden mussten267. Die Wendung τὰ τοῦ θεοῦ bzw. τὰ τῶν θεῶν umschreibt aber nicht nur den materiellen Besitz eines Tempels, sondern bezieht sich u.U. auch auf die heiligen Tiere oder Pflanzen, die von einer Gottheit in besonderem Maß beschützt wurden. Dies legt eine Geschichte des römischen Schriftstellers Aelian nahe, die er in seine aus diversen Vorlagen exzerpierten Anekdotensammlung268, die Varia historia, aufgenommen hat. Demnach achteten die gottesfürchtigen Athener auf die Schößlinge bestimmter heiliger Pflanzen ebenso wie auf die Sperlinge des Asklepios. Wer sie erschlug, wurde mit der Todesstrafe bedroht, wobei „weder 264 Diodorus

Siculus 16,57 (Text: Fischer 86, Übersetzung: Frigo 78). Siculus 16,57 (Text: Fischer 86, Übersetzung: Frigo 78). 266 Zu dieser Institution des alten Griechenlands s. Cauer, Art. Amphiktyonia, passim. 267 Legatio 115 (Text: Julien, De Péréra 74): ἐάν τις ἢ συλᾷ τὰ τοῦ θεοῦ … τιμωρήσειν. Diese Verwendung findet sich ebenfalls bei anderen Autoren, von denen hier noch einmal Isokrates angeführt sei, der von Verbrechern, die in flagranti ertappt wurden, mitteilt, sie handeln, Isokrates 15,14 (Text: Mandilaras 88, Übersetzung: Ley-Hutton 120): ὥσπερ ἂν εἴ τις ἱεροσυλίας ἕτερον διώκων αὐτὸς τὰ τῶν θεῶν ἐν τοῖς χεροῖν ἔχων φανείη / „wie wenn einer einen anderen wegen Tempelraubes anklagt und dabei selber ganz offensichtlich in den Händen hält, was den Göttern gehört“. 268 Vgl. dazu M. Wellmann, Art. Claudius Aelianus, 487. 265 Diodorus

216

4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

Unwissenheit noch Wahnsinn“ zur Entlastung gelten gelassen wurden, denn „mehr als dies beides galt ihnen das Eigentum der Gottheit“ (πρεσβύτερα τούτων ἀμφοτέρων τὰ τοῦ θεοῦ ποιησάμενοι)269. Hier ist auch auf den umfangreichen Landbesitz vieler antiker Tempel hinzuweisen, der zusammen mit den Gold‑ und Silbereinlagen der tempeleigenen Bank die nötigen Mittel für den Kultbetrieb und die Ausgaben zur Erhaltung der Bauten bereitstellte. Diese Zusammenhänge beleuchtet eine Passage bei dem römischen Historiker Arrian, der in hadrianischer Zeit lebte und auf der Grundlage älterer griechischer Quellen den Eroberungszug Alexanders des Großen und die Unterwerfung des persischen Großreiches schildert, wobei sein zurückhaltendes Urteil aufgrund guter historischer Quellen vorteilhaft von der romanhaften Literatur über den großen Herrscher absticht. Am Ende seines Geschichtswerkes kommt Arrian auf den Marsch des Makedonenkönigs nach Babylon zu sprechen, wo der Eroberer für seine Umgebung völlig unerwartet verstarb. Diese Ereignisse gehören in das Jahr 323 v. Chr., als Alexander sich auf den langen Weg nach Babylon machte. Die Chaldäer, d. h. die mächtigen babylonischen Marduk‑ bzw. Belpriester, hatten ihm von der Reise abgeraten, was Alexander aber nicht zum Umkehren veranlasste. Diesen Priestern gegenüber hegten viele Griechen ein durch deren finanzielle Interessen bedingtes Misstrauen, weil Alexanders Anwesenheit ihre Machtstellung und die damit verbundenen Einkünfte gefährden konnte. Der Makedonenkönig hatte nämlich befohlen, den gewaltigen Tempelturm wieder neu errichten zu lassen. Diese Zikkurat, die das berühmte Heiligtum des Gottes Bel bzw. Marduk war, hatte der persische Großkönig Xerxes I zuvor im Jahr 482 v. Chr. nach einem Aufstand der Babylonier zerstören lassen, wobei das goldene Standbild des Gottes eingeschmolzen und der protestierende Hohepriester erschlagen wurde270. Für den Neubau dieses mehrere Stockwerke hohen Stufenturms waren gewaltige Ziegelmassen und viele Hilfskräfte nötig. Arrian berichtet über die Untätigkeit der Priesterschaft vor der Ankunft des makedonischen Königs271: Doch hatten sich die Baumeister während seiner Abwesenheit nur äußerst lässig um die Durchführung dieser Aufgabe gekümmert, und er beabsichtigte nun, das ganze Heer für diese Arbeit einzusetzen. Dem Gott Bel aber gehörten seit der Zeit der assyrischen Könige ein großer Teil des Landes sowie reiche Goldschätze. Davon habe man seit 269 Aelian

5,17 (Text: Dilts 79, Übersetzung: Helms 90). dieser Rebellion der Babylonier und ihren Folgen s. D. Kienast, Art. Xerxes, 2098. 271 Arrian, Anabasis 7,17,3–4 (Text und Übersetzung: Wirth, Hinüber 577–579): ἐπεὶ δὲ ἀποστάντος αὐτοῦ μαλθακῶς ἀνθήψαντο τοῦ ἔργου οἷς ταῦτα ἐπετέτραπτο, ὁ δὲ τῇ στρατιᾷ πᾶσῃ ἐπενόει τὸ ἔργον ἐργάσασθαι. εἶναι δὲ τῷ θεῷ τῷ Βήλῳ πολλὴν μὲν τὴν χώραν ἀνειμένην ἐκ τῶν Ἀσσυρίων βασιλέων, πολὺν δὲ χρυσόν. καὶ ἀπὸ τούτου πάλαι μὲν τὸν νεὼν ἐπισκευάζεσθαι καὶ τὰς θυσίας τῷ θεῷ θύεσθαι, τότε δὲ τοὺς Χαλδαίους τὰ τοῦ θεοῦ νέμεσθαι, οὐκ ὄντος ἐς ὅ τι ἀναλωθήσεται τὰ περιγιγνόμενα. τούτων δὴ εἵνεκα ὕποπτοι Ἀλεξάνδρῳ ἦσαν οὐκ ἐθέλειν παρελθεῖν εἴσω βαβυλῶνος, ὡς μὴ δι᾽ ὀλίγου τὸν νεὼν ἐπιτελεσθέντα ἀφελέσθαι αὐτοὺς τὰς ἐκ τῶν χρημάτων ὠφελείας. 270 Zu

4.5. τὰ τοῦ θεοῦ bzw. τὰ τῶν θεῶν in der paganen Literatur und bei Philon und Josephus 217

alters den Unterhalt des Tempels sowie die Opfer an die Gottheit bestritten; jetzt aber verwalteten die Chaldäer das dem Gott gehörende Vermögen (τὰ τοῦ θεοῦ), ohne dass eine Gelegenheit bestand, die Überschüsse zu verwenden. Aus diesem Grunde hatte Alexander sie im Verdacht, sie wünschten nicht, dass er nach Babylon komme, weil sie verhindern wollten, dass der Tempel in absehbarer Zeit fertig gestellt und ihnen die Nutzung der Gelder entzogen würde.

Demnach verwalteten die Mardukpriester das Vermögen des Gottes Bel bzw. Marduk, d. h. τὰ τοῦ θεοῦ, womit neben dem Tempelschatz ausgedehnte Landgüter des Heiligtums gemeint sind, die ihm seit der Assyrerzeit gehörten und von Xerxes konfisziert worden waren. Alexander hatte diese Reichtümer zurückerstattet und hegte den Verdacht, dass die Priester das Einkommen aus diesen Quellen nicht zum Bau verwenden wollten, um es für andere Zwecke nutzen zu können und vielleicht sogar in ihre Tasche zu wirtschaften. Mit dem Ausdruck τὰ τοῦ θεοῦ sind in diesem Text also Ländereien und Gold gemeint, die eine Gottheit besaß und deren Priester – wie in diesem Fall wohl nicht ohne den eigenen Nutzen im Auge zu haben – verwalteten. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass der jüdische Tempel in Jerusalem, wie oben dargelegt, nach ähnlichen Prinzipien funktionierte272, wobei als eine Besonderheit die Tempelsteuer zu seinem großen Reichtum beitrug. Abschließend soll bei unserer Diskussion pagan-griechischer Texte nicht übergangen werden, dass bei den alten Griechen durchaus die Vorstellung verbreitet war und seit den Anfängen griechischer Geschichte nachweisbar ist, dass aller irdischer Reichtum der Menschen, der in diesem Fall durchaus als τὰ τοῦ θεοῦ bzw. τὰ τῶν θεῶν bezeichnet wurde, letztendlich von den Göttern gegeben und von ihnen wieder genommen werden konnte. Diese Überzeugung, die Götter seien Ursprung des Wohlstandes eines jeden Menschen, lässt sich schon bei Homer nachweisen und findet sodann auch in einigen Versen des im beginnenden 5. Jh. v. Chr. lebenden Dichters Theognis von Megara ihren Ausdruck273. Der bezeichnende Unterschied zu israelitischen Gegebenheiten (etwa 1 Chr 29,10–20) tritt in einer Tragödie des Euripides hervor. Ein Tempel oder fromme Weihegeschenke an die Gottheiten werden an dieser Stelle des Euripides zwar nicht erwähnt, denn im Mittelpunkt steht die Vergänglichkeit aller irdischen Besitztümer, auf die ein Weiser keine Mühe verwendet, denn sie können von den Göttern ihren menschlichen Besitzern schnell wieder abgenommen werden. Die eigentlich Handelnden sind demnach die Gottheiten, nicht etwa wie im Ersten Chronikbuch der Mensch, der sich vielmehr seinem Schicksal ergeben muss und

272 Vgl.

auch S. Helfer, Geld, 112–114. 1, 133–134 (Text: Young 9). Dort heißt es über den Wohlstand θεοὶ τούτων δώτορες ἀμφοτέρων; vgl. ferner den Kommentar von D. J. Mastronarde, Euripides Phoenissae, 312. 273 Theognis

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4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

sich nur in kluger Selbstbeschränkung auf ein rechtes Maß des ihm Möglichen konzentrieren kann274: Den Klugen ist Genügendes genug. Das Geld ist nicht der Menschen Eigentum, was Götter gaben, steht in unserer Hut, wenn sie es brauchen, nehmen sie’s zurück.

Die sich in diesen Versen spiegelnde Einsicht findet dann in der philosophischen Gedankenwelt der Stoa ihre Fortsetzung und in gewisser Weise ihren Abschluss. Als Beispiel sei hier der römische Staatsmann und Philosoph Seneca angeführt. Seneca argumentiert nämlich gegen die epikureische Lehre, die Götter in ihrer Vollkommenheit kümmerten sich nicht um die Probleme der Menschen und erweisen ihnen keine Wohltaten, mit dem Hinweis auf die im Erdboden verborgenen Bodenschätze, die dort von den Göttern bewusst als eine gute Gabe niedergelegt seien, damit der Mensch sie hebe und seinen Vorteil daraus ziehen könne275: So viele Metalle hat der Gott vergraben, so viele Flüsse hat er der Erde entspringen lassen, die dahinströmen über Gründe, Gold mit sich führend; des Silbers, Kupfers, Eisens gewaltiges Gewicht, in allen Gegenden vergraben, das aufzuspüren er die Möglichkeit gegeben hat, und der verborgenen Reichtümer Zeichen hat er ganz oben auf der Erde aufgestellt: du bestreitest, empfangen zu haben eine Wohltat?

In diesen Ausführungen zeigt sich der große Unterschied zum biblischen Denken; denn bei Seneca sind die Metalle wie Gold und Silber zwar ein Geschenk Gottes, doch werden sie nun zum Gegenstand philosophischer Reflexion über die göttliche Vorsehung und das Wesen der göttlichen Fürsorge für die Menschen. Eine Gottesverehrung liegt hierin nicht mehr vor, es sei denn in Gedanken. Eine gedankliche Brücke zur Verwendung von Edelmetall für die Steuern besteht hier ebenfalls nicht.

274 Phoenissae

554–557 (Text und Übersetzung: Buschor 378–379): ἐπεὶ τά γ᾽ ἀρκοῦνθ᾽ ἱνανὰ τοῖς γε σώφροσιν. οὔτοι τὰ χρήματ᾽ ἴδια κέκτηνται βροτοί, τὰ τῶν θεῶν δ᾽ ἔχοντες ἐπιμελούμεθα· ὅταν δὲ χρῄζωσ᾽, αὔτ᾽ ἀφαιροῦνται πάλιν. 275 De beneficiis 4,6,1 (Text und Übersetzung: Rosenbach 296–299): tot metalla deus defodit, tot flumina emisit terra, super quae decurrunt sola, aurum vehentia; argenti, aeris, ferri immane pondus omnibus locis obrutum, cuius investigandi tibi facultatem dedit, ac latentium divitiarum in summa terra signa desposuit; negas te accepisse beneficium? Ähnliche Gedanken äußert Seneca auch in seinen Briefen an Lucilius, Epistolae morales 90,1 (Text und Übersetzung: Rosenbach 340–340). Selbst in der nicht von dem römischen Philosophen verfassten Epistola Annaei Senecae de superbia et idolis, die vielleicht sogar einen jüdischen Verfasser hatte, finden sich ähnliche Gedanken, Epistola 1 (Text und Übersetzung: Fürst 184–187).

4.5. τὰ τοῦ θεοῦ bzw. τὰ τῶν θεῶν in der paganen Literatur und bei Philon und Josephus 219

4.5.2 Τὰ τοῦ θεοῦ bei Philon und Josephus Philon von Alexandria lässt eine dem paganen Gebrauch entsprechende Adaption erkennen, wobei sich sogar die polytheistischem Denken verpflichtete Wortwahl τὰ τῶν θεῶν wieder findet. Dies wohl nicht zufällig in seiner Schrift Hypothetica, die heute nur noch durch Zitate des Eusebius von Caesarea in seiner Praeparatio evangelica erhalten ist und deren schriftstellerisches Ziel eine Apologie des Judentums war. Philon versucht, die jüdische Religion für ein paganes Publikum in einem möglichst günstigen Licht erscheinen zu lassen und betont u. a., im Judentum sei es üblich, ein einmal gegebenes Gelübde – wie Weihungen bestimmter Gegenstände für den Tempel  – besonders streng einzuhalten und zu erfüllen. Wegen dieser frommen Praxis ist nach Philon für Juden an Tempeldiebstahl gar nicht zu denken, was er daher als Thema seiner Darstellung übergehen könne: „Ich brauche das Rauben von Eigentum der Götter nicht zu bedenken …“276. Hier versteht Philon unter τὰ τῶν θεῶν nach allgemeiner Regel Weihegaben für die Gottheit, die dem profanen Zugriff entzogen seien. Der Plural ist wohl als Verallgemeinerung zu verstehen: Auch heidnisches Tempelgut rührt ein Jude nicht an. Josephus schildert seinerseits mit deutlicher Bewunderung den Reichtum des Jerusalemer Tempels, dessen Goldschatz er als einer der dort diensttuenden Priester noch selbst gesehen haben muss und der, wie wir sahen, immer wieder die Begehrlichkeit fremder Herrschaft erregte. Josephus hat eine diesbezügliche Nachricht aus dem heute verlorenen historischen Werk des römischen Geographen und Historikers Strabon von Amaseia entnommen. Darin wird berichtet, König Mithridates V Euergetes habe während seiner Kämpfe gegen die Römer nach dem Mord von Ephesos, durch den im Jahr 88 v. Chr. in Kleinasien angeblich zehntausende Italiker ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht massakriert wurden277, auf der Insel Kos die dort deponierten Schätze des Königs Ptolemaios Alexander II sowie Gelder der Judäer beschlagnahmt. An der betreffenden Stelle278 hatte Strabon von τὰ τῶν  Ἰουδαίων ὀκτακόσια τάλαντα geschrieben, was Josephus als Anspielung auf die von den Juden aus Europa und Asien stammenden Gelder der Tempelsteuer auffasst. Dabei rekapituliert er den Text Strabons mit für unsere Fragestellung höchst signifikanten Abweichungen von seiner Vorlage, denn er bezeichnet die von dem griechischen Geschichtsschreiber erwähnten 80 Talente jüdischen Geldes als τὰ τοῦ θεοῦ. Offenbar will er hervorheben, dass 276 Hyp

7,4 (Text: Colson 424 = Mras 430): μή μοι τὰ τῶν θεῶν ἁρπάζειν …. Geyer, Art. Mithridates V. Euergetes, 2170. 278 Vgl. Jacoby, FGH Strabon 6 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 1, Nr. 102, S. 273: πέμψας δὲ Μιθριδάτης εἰς Κῶ ἔλαβε τὰ χρήματα, ἃ παρέθετο ἐκεῖ Κλεοπάτρα βασίλισσα, καὶ τὰ τῶν Ἰουδαίων ὀκτακόσια τάλαντα. Das Zitat findet sich bei Josephus, AJ 14,112. Zu dieser Stelle s. M. Broshi, The Role, 34. 277 Vgl.

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4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

es für Juden keine staatliche Kasse gebe, worin sie ihr Geld sammeln könnten, denn für sie existiere „kein öffentli­ches Geld als al­lein das, was Gottes ist“279. Für das Verständnis der Zinsgroschenperikope ist besonders wichtig, dass die erst von Josephus an dieser Stelle in den Text eingefügte Formulierung τὰ τοῦ θεοῦ für die Edelmetall‑ und Bargeldeinlagen im Jerusalemer Tempelschatz wörtlich mit Jesu Aufforderung übereinstimmt, Gott das Seine, d. h. τὰ τοῦ θεοῦ, zu geben.

4.6 Jesu Weisung zum Steuerzahlen im Rahmen seiner Verkündigung der Königsherrschaft Gottes In den vorausgegangenen Abschnitten haben wir unsere Ausführungen zur Steuerfrage in der Zinsgroschenperikope zu einem gewissen Abschluss gebracht und einen langen Weg mit einigen Überraschungen zurückgelegt. Dabei haben wir uns mit verschiedenen Aspekten befasst wie z. B. den Kaiserbildern auf den römischen Denaren, Gottes Universaleigentum an seiner Schöpfung, vor allem an allem Gold und Silber und der eschatologischen Zukunftshoffnung, dass dem Schöpfer aller von ihm erschaffener Besitz der Menschen wieder zufallen werde. Eine zentrale Erkenntnis lautet, dass Jesus die kaiserliche Herrschaft und ihre Steuern zwar pragmatisch anerkennt, zugleich aber mit dem Verweis auf Gottes Eigentum an seiner Schöpfung in gewisser Weise relativiert. Daraus ergeben sich nun die weiterführenden Fragen, wie sich diese Anweisung Jesu zum Steuerzahlen in den Rahmen seiner gesamten Verkündigung einordnen lässt. Welche der Vorstellungen, die wir als zeitgenössisch ermittelt haben und die seine Antwort hier nur taktisch einsetzt, teilt er selbst? Und weiter gefragt: inwiefern sind sie  – positivenfalls  – verwendbar oder verwandelbar in eine neutestamentliche oder biblische Theologie? Will man das zentrale Anliegen der Botschaft Jesu in einer charakteristischen Formulierung zusammenfassen, so kommt dafür den Synoptikern zufolge besonders die Verkündigung der βασιλεία τοῦ θεοῦ infrage280. Diese Wendung finden wir bei den Synoptikern viel häufiger als im übrigen Neuen Testament, und vielleicht sogar einseitig häufig281. Dieselben Synoptiker verwenden sie darüber hinaus in redaktionell gestalteten Passagen. So fasst Markus Jesu Bot279 AJ

14,113: ἡμῖν δὲ δημόσια χρήματα οὐκ ἔστιν ἢ μόνα τὰ τοῦ θεοῦ. hingegen hat den Ausdruck nur einmal im Munde Jesu im Rahmen eines Gesprächs mit dem Pharisäer Nikodemus (Joh 3,3), und auch Paulus benutzt ihn kaum. Es muss uns misstrauisch machen, dass die häufigsten Belege matthäisch sind; nur Matthäus formuliert den Auftrag von Johannes dem Täufer und den von Jesus mit denselben Worten (Mt 3,2 bzw. 4,17). Möglicherweise war „Reich Gottes“ nur ein Brennpunkt seiner Botschaft, und die Gotteskindschaft der andere. 281 P. Stuhlmacher, Theologie, 67. 280 Johannes

4.6 Jesu Weisung zum Steuerzahlen

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schaft zu Beginn seines öffentlichen Auftretens in dem Summarium zusammen, dass Jesus zur Umkehr gemahnt und angekündigt habe, das Reich Gottes sei nahe herbeigekommen (Mk 1,14–15), nicht anders als vor ihm der Täufer. Matthäus findet die Formel vom εὐαγγέλιον τῆς βασιλείας, das Jesus verkündet habe (Mt 4,23; 9,35). Zu solchen Zusammenfassungen der Verkündigung Jesu passt, dass Jesus seine Jünger im Vaterunser lehrt, um die Gottesherrschaft zu beten (Mt 6,10; Lk 11,2)282. Jesus verstand seine Verkündigung und seine Zeichenhandlungen offenbar als ein Anbrechen der βασιλεία in seiner Gegenwart (Mt 12,28 par)283. Nun liegen in den synoptischen Evangelien zwei Kategorien von Texten vor, die das Gottesreich betreffen. Die einen lassen Gottes βασιλεία als ein futurisches Ereignis erwarten, wie es die zweite Vaterunserbitte voraussetzt; andere setzen es als an die Person Jesu gebunden und gegenwärtig. Nicht immer ist zwischen beiden Möglichkeiten klar zu unterscheiden; sie können sich überlappen. Die zeitliche Spannung zwischen einer zukünftigen Hoffnung und gegenwärtigen Erfahrung in Form einer Naherwartung scheint charakteristisch für die Lehre Jesu gewesen zu sein284. Man könnte sogar mit Marc Philonenko so weit gehen, „dass man je nach Zeit und Umständen das Reich als bereits gekommen oder als noch zu erwarten betrachtete“285. Eindeutig ist jedenfalls, dass Jesus alles, was seine Jünger und Zeitgenossen als Augenzeugen miterleben durften, als Ereignisse deutete, welche die Propheten und Gerechten der Vergangenheit nur erhofften und Könige wie David und Salomo begehrten und die ihnen nicht vergönnt waren (Mt 13,16–17, Lk 10,23–24; vgl. Joh 8, 58). Trotz dieses Lobes der Heilszeit, die mit Jesus begonnen habe und die zurückliegenden Epochen übertreffe, beschränken sich Jesu Worte, wenn er das Gottesreich genauer beschreiben wollte, auf eine bildhafte, indirekte Symbolsprache; Jesu verzichtet auf jede gegenständliche Darstellung derjenigen künftigen Welt, die von Gott und seiner βασιλεία geprägt sein wird. Das Bild des eschatologischen Freudenmahls (Mk 14,25 par; vgl. zur Lebenspraxis auch Q 7,34; Joh 2,1– 11) zeigt an, dass dieses Reich ein Zustand paradiesischer Mahlgemeinschaft mit oder vor Gott sein werde286. Darüber hinaus lässt Jesus erkennen, dass die Zukunft des Gottesreiches vollkommen neu sein werde und keineswegs bloß die irdische Wirklichkeit in überhöhter Form verlängern werde287. Dies lässt sich anhand der eschatologischen Aussagen Jesu über die Auferstehung der Toten belegen, die „wie die Engel“ sein werden, die sich in ihrer Existenz grundsätzlich von den Menschen unterscheiden. Dementsprechend werden in Gottes 282 G.

Strecker, Theologie, 271. Jeremias, Neutestamentliche Theologie, 40, 102–103. 284 H. Conzelmann, Grundriß, 130. Diese Struktur kehrt bekanntlich bei Paulus wieder. 285 M. Philonenko, Das Vaterunser, 61. 286 L. Goppelt, Theologie, 123. 287 J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie, 237. 283 J.

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4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

Welt keine Ehen mehr geschlossen (Mk 12,24–25 par). Eine wichtige Einsicht fasst Leonhard Goppelt zusammen: „Das Reich Gottes stellt nicht lediglich die ursprüngliche Schöpfung wieder her, sondern vollendet sie in einer neuen“288. Als Hintergrund für all dies ist, schon des Menschensohn-Titels wegen, das Daniel-Buch zu beachten. Mit seiner Hilfe lässt sich die politische Brisanz der Reich-Gottes-Vorstellung aufzeigen, womit dann auch das Proprium von Jesu Botschaft klarer hervortritt. Das Daniel-Buch als frühes Zeugnis jüdischer Apokalyptik pflegt eine regelrechte „Widerstandstheologie“289 in der Zeit der Unterdrückung des jüdischen Volkes durch die seleukidischen Herrscher290. Zeitgeschichtliche Bezüge sind in diesem Prophetenbuch für uns offenkundig: Der Text bezieht sich auf König Antiochos IV Epiphanes, der sich durch gewaltsame Eingriffe in den Jerusalemer Tempelkult verhasst gemacht hatte (Dan 8,11–13)291. Der Verfasser nährt bei seinen Lesern die Hoffnung, Gott werde seine Herrschaft selbst durchsetzen, und beschreibt in einer Art historischer Rückblende, wie der machtbesessene König Nebukadnezzar (er ist der Platzhalter für die Seleukidendynastie)292 in seinen Wahnvorstellungen bis zum Tier erniedrigt wurde, so dass er nach seiner Heilung Gottes Königtum preisen musste (Dan 4,31–32). Sein Nachfolger Belsazar stürzt, weil er Gott die Anerkennung verweigert (Dan 5,22–24), und auch der persische Großkönig Darios muss Gottes universelle Königsherrschaft akzeptieren (Dan 6,27). Rainer Albertz stellt hierzu fest: „Das Theologumenon von der Königsherrschaft Gottes lieferte somit dem Verfasser des aramäischen Danielbuchs ein herrschaftskritisches Potential, von dem aus er angesichts deprimierender Erfahrungen mit den hellenistischen Reichen seiner Zeit die Legitimität und den Bestand der Weltmächte grundsätzlich in Frage stellen konnte“293. Für uns sind vor allem die in den Kapiteln 2 und 7 dieser Schrift enthaltenen Visionen von Interesse, die sich mit der Deutung des zeitgenössischen Schicksals Israels und mit Gottes richtendem Handeln befassen. Es ist m. E. nicht zu bezweifeln, dass Jesus mit der Ankündigung eines „Menschensohns“ – vielleicht sogar mit seiner Selbstbezeichnung als dieser – sich auf Dan 7,13 zurückbezieht, jene (im Grunde sogar nichtmessianische) Erscheinung vom Himmel294, bei 288 L.

Goppelt, Theologie, 124. Albertz, Religionsgeschichte, Teil 2, 634. 290 Genauer gesagt, war es ein Bündnis großer Teile der Jerusalemer Oberschicht mit diesem Herrscher: s. E. J. Bickermann, Der Gott der Makkabäer, passim. 291 Das Gleiche findet sich in ideologischer Verzerrung (als läge hier kein innerjüdischer Konflikt vor) im 1. und 2. Makkabäerbuch. 292 Schon Josephus hat das nicht mehr gemerkt oder er will es nicht mehr wissen, AJ 10,218. Philon, dessen Eschatologie unmessianisch ist, benutzt das Daniel-Buch nirgends. Kein Theologe und keine Inschrift der Diaspora tut es. 293 R. Albertz, Religionsgeschichte, Teil 2, 661. 294 Die Fusionierung des stets irdischen, nämlich israelitischen Messias mit dem himmlischen Menschensohn ist christlich und in jüdischen Quellen bis jetzt nicht nachgewiesen. Was 289 R.

4.6 Jesu Weisung zum Steuerzahlen

223

deren Aufleuchten die Kriege um Israel enden und alles besser werden soll. Auch knüpft er in seiner Verkündigung besonders an Dan 2,44 an, wonach Gott seine ewige Herrschaft aufrichten werde, wie auch an Dan 7,27, wonach er dem Volk der Heiligen das Reich geben werde. Dieses himmlische Reich ist für ihn allerdings nicht bloß eine gnadenhafte Zusage, sondern es schließt das vorgängige Endgericht mit ein295. Darum gehört zu Jesu Verkündigung stets die Mahnung zur Umkehr und auch die Unheilsansage gegen unbußfertige Städte. Beispielsweise wird für Chorazin, Bethsaida und Kapernaum die Zerstörung vorhergesagt, im Vergleich zu der Sodoms Schicksal erträglich sein wird (Q 10,13–15). Überraschend ist, dass sich trotz Jesu apokalyptischer Vorstellungswelt in den Evangelien keine Parallele zu der für die Apokalyptik zentralen Überzeugung findet, wonach die Heiden und ihre Machthaber bestraft werden und Israel über sie in der Heilszeit triumphieren werde296. Jesus teilte offenbar nicht die Erwartung, der pagane Reichtum werde seinen früheren Besitzern als jüdische Beute gewaltsam abgenommen. Man kann vielmehr mit Joachim Jeremias feststellen, dass Jesus „die Basileiavorstellung nicht nur entnationalisiert, sondern auch entmaterialisiert“297. Diese Feststellung passt zu unserer bisherigen Auslegung der Zinsgroschenperikope. Jesus deutet eine endzeitliche Umkehrung der Verhältnisse höchstens in verschlüsselter Form an, rückt sie aber keineswegs in das Zentrum seiner Botschaft und macht sie nicht zur Maxime politischen Handelns. Diese Annahme lässt sich auch dadurch bestätigen, dass Jesus das endzeitliche Bild des herabfallenden Felsens, der die Großreiche (in Dan 2,34 die Kolossalstatue) zerschmettert, sehr wohl kennt. Einen Hinweis darauf finden wir im lukanischen Sondergut in Lk 20,18298, wo Jesus u. a. mit dem Stein droht: „auf wen er aber fällt, den wird er zermalmen“, was wohl das unausweichliche und zerstörerische Gericht Gottes meint und als ein altes Jesuswort gelten mag299. Dieses betrifft das Gottesvolk zu allererst. Die jesuanische Vorstellung von der Völkerwallfahrt ist unkriegerisch. Heiden aus allen Himmelsrichtungen werden kommen und „sich im Reich Gottes zu Tisch setzen“ (Q 13,29).

dafür zitiert wird, insb. 1 Hen 36–72, ist wahrscheinlich christlichen Ursprungs; kein Wort aus diesem Teil des Henoch-Buchs ist in Qumran gefunden worden, wo die anderen Teile doch sämtlich belegt sind. 295 G. Strecker, Theologie, 273. 296 Selbst der Q-Schluss (Q 22,30) bezieht sich bei all dem Bedrohlichen, was in dem Verbum κρίνεν stecken mag, nur auf die „zwölf Stämme Israels“. 297 J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie, 237. 298 Die Ergänzung dieses Verses ist von Lukas vorgenommen, geht aber auf ihm vorliegende Tradition, die u. a. Dan 2,34–35.44–45 aufnimmt, zurück; J. A. Fitzmyer, The Gospel according to Luke X–XXIV, 1282, 1286. Dabei ist an eine Testimoniensammlung als mögliche Quelle zu denken, G. Schneider, Das Evangelium, 400. 299 J. Jeremias, Art. λίθος λίθινος, 285.

224

4. „Gebt Gott, was Gottes ist“– Abschluss der Einzelexegese

Die Evangelisten betonen ihrerseits – dann aber aus kirchlichem Interesse –, Jesus habe mit seinem Auftreten keine politische Absicht oder Erwartung verfolgt. So wird es aber schon von der Logienquelle bezeugt. (Q 4,6). Die wenigen „Reich-Gottes“-Stellen von Paulus kommen hinzu300. Indem Jesus das Anerbieten weltlich-politischer δόξα ablehnt, ist am Beginn des ältesten Berichts, den wir von ihm haben301, klargestellt, dass Jesus sein Werk nicht mit dem Ziel antrat, die paganen Weltreiche zu entmachten und das jüdische Volk von ihrer Oberherrschaft zu befreien. Die Evangelisten berichten natürlich auch, dass Jesus von den jüdischen Behörden vor Pilatus als Aufrührer angeklagt wurde, und bekanntlich wurde er von dem Statthalter als politisch Verdächtiger hingerichtet. Nach der lukanischen Version war sogar die Behauptung der Vertreter der jüdischen Seite ein Hauptpunkt der Anklage: Jesus habe die kaiserlichen Steuern abgelehnt (Lk 23,2). Diese (in technischer Hinsicht von Lukas korrekt formulierte302) Stelle dürfte auf die Redaktion des Evangelisten zurückgehen, der die Anzeige als eine Verleumdung kennzeichnen wollte303. Es dürfte aber nach unseren Ergebnissen durchaus zutreffend sein, dass Jesus keineswegs zur Verweigerung der Steuerzahlungen auffordern wollte und Lukas dies auch bewusst war304. Dennoch stellte Jesus die römische Herrschaft und auch die Steuerforderungen unter eine grundsätzliche eschatologische Einschränkung. Johannes hat Jesus in diesem Sinne verstanden und zugleich stets auch den politischen Hintergrund mitgemeint, wenn er Jesus betonen lässt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh 18,36). Selbst wenn diese Worte vom vierten Evangelisten formuliert sind305 und sicherlich kein authentisches Jesuslogion darstellen, so bringen sie doch auf den Punkt, dass Jesus keine politische Umwälzung und Ablösung des 300 Röm

14,17; 1 Kor 4, 20; 6,9; 15,50; Gal 5,21; vgl. auch Eph 5,5. bleibt die Zuweisung an Lukas als (zweiten) Evangelisten, von dem es Matthäus übernimmt. Die Rede von „Schwertern“ (Lk 22,38; vgl. Mt 10,34; 26,51 f) u. a. m. wurde von S. G. F. Brandon, Jesus 203–205, als Nähe zu den Zeloten gewertet; doch fällt der Gebrauch von Waffen in der Gethsemane-Szene eher kläglich aus. 302 Vgl. dazu den Hinweis bei A. N. Sherwin-White, Roman Society, 32. 303 Das Ziel des Lukas war es, die Verhandlungen vor Pilatus einsichtiger zu machen, sachlich fußte er dabei auf Mk 15,3; s. z. B. G. Schneider, Die politische Anklage, 174–179. M. Wolter, Das Lukasevangelium, 739, bemerkt über die Opponenten, wie Lukas sie zeichnet: „Weil Lukas zuverlässig damit rechnen kann, dass die Leser sich noch sehr genau daran erinnern, dass Jesus gerade nicht zur Steuerverweigerung aufgerufen hat (vgl. 20,22–25; hier wie dort steht dasselbe Wort: φόρον) und dass er sich gerade nicht als Messiaskönig bezeichnet hat (vgl. 22,67–68), stellt Lukas sie als Lügner dar“. 304 S. J. Blinzler, Der Prozess, 81, 278. G. Schneider, Die politische Anklage, 183, ist darin zuzustimmen, dass „der Evangelist damit die historische Wahrheit im Wesentlichen getroffen haben wird“. 305 J. Becker, Das Evangelium nach Johannes, 674; H. Thyen, Das Johannesevangelium, 719; so auch schon E. Hirsch, Studien, 121. Auf ihren apokalyptischen Hintergrund weist Ch. K. Barrett, Das Evangelium, 517, hin. 301 Möglich

4.6 Jesu Weisung zum Steuerzahlen

225

Kaisers anstrebte oder durch sein Handeln herbeiführen wollte306. Dies überließ er dem Eingreifen Gottes. Die Hinrichtung Jesu als politischer Verbrecher, die der von allen Evangelisten übereinstimmend zitierte titulus am Kreuz erweist, wonach Jesus als „König der Juden“ zum Tode verurteilt wurde307, ist also als nicht gerechtfertigt zu bewerten. Der titulus ist als Hinweis auf eine politische Anmaßung gemeint. Wie weit man einen Messiasanspruch darin mithören will (etwa im Sinne von „König in Israel“) bleibt Ansichtssache und die Diskussion dieser Frage gehört nicht in den Rahmen dieser Studie. Festzuhalten aber bleibt: Jesus und seine Anhänger teilten nach allem, was wir wissen können, nicht die Ansicht radikaler jüdischer Gruppen, die zu den Waffen griffen, um für diese Welt Gottes zu kämpfen – er noch weniger als sie. Diese Einschätzung der Evangelisten dürfte insofern den Tatsachen entsprechen, als dass wir keinen Anhaltspunkt dafür besitzen, dass Jesus die erwähnte Widerstandstheologie der Apokalyptik, die sich beispielhaft im Danielbuch spiegelt, aufgriff und zu seinem eigenen Anliegen machte. Stattdessen hielt er in seinen Aussagen bewusst von allen unter seinen Zeitgenossen kursierenden Erwartungen Abstand, die die römische Herrschaft durch einen Gewaltakt, z. B. einen bewaffneten Aufstand, mit Gottes Hilfe beenden wollten. Seine Selbstbezeichnung als „Menschensohn“ greift den nichtkriegerischen Charakter dieser Vorstellung auf. Dies bedeutete aber nicht, dass ihm der Machtmissbrauch der verantwortlichen römischen Regierung und der jüdischen Führung seiner Zeit persönlich gleichgültig war. So beurteilte er die Herrscher der Heiden durchaus kritisch, weil sie ihren Völkern Gewalt antaten und gegen deren wahre Interessen handelten (Q 20,25). Dies sollte zumindest unter den Jüngern nicht sein: Denn der Diener aller solle der Größte unter ihnen sein. Die allgemein bekannte Brutalität des Pilatus, der das Blut galiläischer Pilger vergossen hatte, benutzte Jesus für einen Aufruf zur Buße, ohne eine Strafe zu fordern oder eine endzeitliche Wiedergutmachung für solches Unrecht zu erwähnen (Lk 13,1–3). Jesus hielt des Weiteren an der Zukunftsperspektive fest, dass Gott selbst diesem Kosmos und damit auch dem römischen Reich schon sehr bald ein Ende machen werde, was das Gericht einschließen würde.

306 Jesu königliche Macht stammt nicht von den Menschen. „Dafür liegt der Tatbeweis darin, daß es keine ihn schützenden Diener gibt“, A. Schlatter, Der Evangelist Johannes, 340. Er nimmt sie dadurch aus „der Sphäre des Aufruhrs und der Rebellion“ heraus, Ch. K. Barrett, Das Evangelium, 516. 307 Mt 27,37; Mk 15,26; Lk 23,38; Joh 19,19.

5. Die christliche Rezeption des Apophthegmas vom Zinsgroschen Jesus ging noch davon aus, das etliche seiner Zeitgenossen das Ereignis des kommenden Reiches miterleben würden (Mk 9,1 par). Auch wenn er das Suchen nach Zeichen, die den Beginn der Gottesherrschaft ankündigen, zurückwies (Lk 17,20) – und bisher selber welche setzte –, stellte sich damit für die ersten Christen die Frage nach dem Termin, an dem das Reich kommen werde. Wie sollte von den Gemeinden während dieser kurzen Zwischenzeit verfahren werden, die Jesus bis zum bald eintretenden Ende vorherzusagen schien? Selbst wenn die zu erwartende Zukunft nicht als direkte Alternative zum römischen Imperium zu betrachten war, so bewegten Überlegungen zum Wann1 der „Parusie“ (wie Paulus es nennt2) bald nach Ostern das Denken und Glaubensleben der ersten Gemeinden. Auch ihre Einstellung zur kaiserlichen Politik war davon betroffen. Vor allem sorgte das politische Geschehen immer wieder dafür, dass das Verhältnis der Christen zur römischen Herrschaft in den Mittelpunkt der Überlegungen rückte. Dabei ist neben den frühen Christenverfolgungen in erster Linie an die sich zunehmend verschärfenden Gegensätze in Palästina und an die Unruhen zu denken, die zum Ersten Jüdischen Krieg führten. Diese Problematik spiegelt sich z. B. im Lukasevangelium an der für die historische Bewertung des Evangeliums sehr aufschlussreichen Stelle, die in Form einer Vorhersage Jesu die Katastrophe des Jahres 70 n. Chr. und die Zerstörung Jerusalems und seines Tempels in den Blick nimmt (Lk 21,20–24). Die entsprechende Textpassage ist von Lukas wahrscheinlich erst nach den Ereignissen des Krieges mit viel zeithistorischem Kolorit komponiert worden3. Dabei hält Jesus nach Lukas expressis verbis daran fest, dass dies alles geschehe, „bis die Zeiten der Völker erfüllt sind“ (Lk 21,24). Durch diese von Lukas wahrscheinlich beabsichtigte Akzentverschiebung öffnet sich der Horizont für die Epoche der Mission und der sich

1 Beispiele rabbinischer Kalkulationen über die Zeitdauer bis zum Kommen des Messias finden sich gesammelt bei J. U. Kalms, Apokalyptisches, 314–316. 2 Johannes hat diese Erwartung bereits vergegenwärtigt, Joh 14,18. 3 Lukas erwähnt z. B. die zahlreichen toten und kriegsgefangenen Juden, Lk 21,24a. Die Steigerung von Mk 13,8 zu Lk 21,22 könnte vielleicht durch den Vesuvausbruch des Jahres 79 n. Chr. ausgelöst sein.

5.1 Das Steuerproblem in der Sicht des Paulus: Röm 13,1–7

227

ausbreitenden Christenheit, die in dieser von Jesus nach Lukas vorausgesetzten Zeit der Völker stetig fortschreitet4. Diese Epoche einer wachsenden Kirche macht es aber keineswegs unmöglich, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt solche καιροὶ ἐθνῶν ablaufen und die römische Machtausübung, die sich in der Eroberung und Zerstörung Jerusalems abermals manifestierte, doch noch aufhören werde. Lukas schließt unmittelbar an die Untergangsweissagung einen Ausblick auf apokalyptische Zeichen an. Diese redaktionelle Entscheidung ist sicherlich nicht zufällig: Zu den Vorboten des nahenden Endes zählen nämlich u. a. astrale Phänomene und Vorkommnisse, bei denen Erde und Himmel ins Wanken geraten. Daneben wird aber von Jesus laut Lukas eine „Angst der Völker“ (συνοχὴ ἐθνῶν, Lk 21,25) angekündigt, was als eine Andeutung auf eine allgemeine Erfahrung der Unsicherheit und politischen Instabilität gemeint sein könnte. Damit lag zugleich die Frage auf der Hand, welche Legitimität dem römischen Staat und seinen Steuerforderungen in dieser Übergangsperiode bis zur Parusie zukommen könne. War der kaiserliche Anspruch auf Zölle und Steuern durch die Erwartung des nahen Endes irgendwie tangiert oder sogar schon aufgehoben? Deuteten Krisenerscheinungen und politische Umbrüche, die die kaiserliche Herrschaft für die Öffentlichkeit erschütterten, darauf hin, dass in diesem Moment das Ende unmittelbar bevorstehe und die Gehorsamsforderung gegenüber dem heidnischen Staat, die sich auf Jesu Lebzeit und in den Jahren nach seinem Tod erstreckte, für die Christen nicht mehr verbindlich sei? Solche Fragen bewegten anscheinend auch Paulus, der sie in seinen Ausführungen zum Steuerzahlen in Röm 13,1–7 auf seine Art aufgreift, wie wir im Folgenden sehen werden.

5.1 Das Steuerproblem in der Sicht des Paulus: Röm 13,1–7 Wie es scheint, gibt es eine Weiterführung, auch Eingrenzung, des ZinsgroschenWortes Jesu bei Paulus. Im Römerbrief stellt er ja die Frage nach der Legitimität der römischen Herrschaft vor dem Hintergrund der jüdischen Erwartungen eines in naher Zukunft bevorstehenden Eingreifens Gottes. Diese Hoffnungen konnten die Anerkennung einer paganen Herrschaft über Gottes Volk in Frage stellen, und man kann annehmen, dass Paulus diese Problematik mit all ihren politischen Konsequenzen erkannt hat und daher  – jedenfalls soweit es die christliche Gemeinde in Rom betraf  – das in dieser Naherwartung enthaltene Konfliktpotential entschärft. Von daher gewinnt seine Aufforderung zum Bezahlen der Steuern erst ihr Profil. Wir verfolgen die Vermutung, dass Paulus über Jesu Auf-

4 H.

Conzelmann, Die Mitte, 126 und 176.

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5. Die christliche Rezeption des Apophthegmas vom Zinsgroschen

forderung in der Zinsgroschenperikope: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ informiert war und wusste, dass diese Weisung genau in diesem Punkt nicht eindeutig ist. Darum ist er bemüht, vor dem Hintergrund des Jesuslogions in dieser politisch brisanten Frage Klarheit zu schaffen5 und der römischen Gemeinde eine unmissverständliche Orientierung zu geben. Für unsere Überlegungen ist zunächst wichtig, dass Paulus seiner Ermahnung zum Steuerzahlen eine vergleichsweise breite Erörterung über den von den Christen gegenüber dem Staat geschuldeten Gehorsam voranstellt und sich erst abschließend in Röm 13,6–7 zum Steuerthema äußert. Dabei münden seine Gedanken, die die vorangegangenen Ausführungen aufgreifen, in die Mahnung ein, die Steuern und Zölle ohne Widerstand zu entrichten und werden zugleich an diesem Beispiel, das jedem Christen aus dem Alltag vertraut war, konkretisiert. Vergleicht man die Ausführungen des Paulus mit der Zinsgroschenperikope, so lassen sich eine ganze Reihe von Berührungspunkten finden, die den Schluss nahe legen, dass Paulus (V. 6–7) in bewusster Anlehnung an Jesu Antwort schreibt, was unter den Auslegern freilich nicht immer so gesehen wird6. Auch andere Passagen der paulinischen Briefe legen aber die Annahme nahe, dass der Apostel mit dem Spruchgut, wie es später in den synoptischen Evangelien verarbeitet wurde, vertraut war. Diese detaillierte Traditionskenntnis des Apostels belegen allein schon diejenigen Stellen, an denen er Herrenworte zitiert7, was oft dort geschieht, wo es ihm um den Wortlaut der Überlieferung geht oder er sich mit ihrem Inhalt auseinandersetzt8. Sonst beschränkt er sich auf Anspielungen und Hinweise, zumal er in seinen Briefen nicht das Ziel der Weitergabe von Jesusüberlieferung verfolgte9. Unbestreitbar ist aber wohl, dass Paulus 5 Vgl. auch E. Bochmer, Des Apostels Paulus Brief, 145; W. Sanday, A. C. Headlam, Critical and Exegetical Commentary, 369–370; G. Kittel, Das Urteil, 655; O. Cullmann, Der Staat, 47; L. Goppelt, Die Freiheit, 48; P. Winter, On the Trial, 130; A. Niggen, Der Römerbrief, 305, V. P. Furnish, The Moral Teaching, 127–128; J. A. Ziesler, Pauline Christianity, 119; U. Mell, Die „anderen“ Winzer, 255. 6  Gegenstimmen zu dieser These: J. Friedrich, W. Pöhlmann, P. Stuhlmacher, Zur historischen Situation, 155–156 (P. Stuhlmacher rückt allerdings später von dieser skeptischen Sicht wieder ab, s. ders., Jesustradition, 248 Anm. 35); F. Neirynck, Paul, 536–537. Für eine Anlehnung an das Jesuswort sprechen sich z. B. E. Stauffer, Christus, 121; L. Goppelt, Die Freiheit, 48; V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke, 18, 98; G. Delling, Wort, 81; C. E. B. Cranfield, A Critical and Exegetical Commentary, Bd. 2, 669; V. P. Furnish, The Moral Teaching, 131; M. Thompson, Clothed with Christ, 112–115; D. Wenham, Paulus, 227–228; St. Krauter, Studien, 235, aus. 7 1 Kor, 7,10–11; 7,25; 9,14; 11,23–26; 14,37; 1 Thess 4,15–17. 8 Beispielsweise in 1 Kor 11,23–26 und 1 Kor 15,3. In 1 Kor 7,10–15 (zur Frage der Scheidung) und 9,14–15 (zum Lebensunterhalt des Apostels) nimmt er einen anderen Standpunkt als die Jesustradition ein, was aber impliziert, das er sie als Autorität anerkannte, s. D. C. Allison, The Pauline Epistles, 3–4; ders., The Jesus Tradition, 116–117. 9 Eine Belehrung in der Jesustradition scheint Paulus bei den Adressaten seiner Briefe schon vorauszusetzen; s. P. Stuhlmacher, Jesustradition, 245. Sie gehörte nämlich zur Einführung

5.1 Das Steuerproblem in der Sicht des Paulus: Röm 13,1–7

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Logienüberlieferung, wie sie in die Spruchquelle eingegangen ist, kannte10 und vor allem in den paränetischen Passagen11 seiner Briefe aufgriff. In den Rahmen dieser paulinischen Adaption von Jesustradition, die an anderen Stellen seiner Briefe ebenfalls paränetischen Zwecken diente, lassen sich wahrscheinlich auch die Anklänge an Jesu Weisung zur Steuerfrage in Röm 13,6–7 einordnen. Die diesbezüglichen Gemeinsamkeiten bestehen sowohl in sprachlicher als auch in sachlicher Hinsicht. So kehrt das von Jesus verwendete imperativische ἀπό­ δοτε (vgl. Mk 12,17 par) in Röm 13,7 wieder. Dasselbe gilt für das Stichwort φόρος, das bei Lukas (Lk 20,22) die Steuern bezeichnet12. Darüber hinaus wurde die prägnante Formulierung τῷ τὸν φόρον τὸν φόρον von Paulus sehr wahrscheinlich in Anlehnung an die Wendung τὰ Καίσαρος Καίσαρι gebildet. Diese Beobachtung ist auch im Hinblick auf die inhaltliche Aussageabsicht relevant, denn im Römerbrief wie im Jesuswort wird zum Bezahlen der Steuern aufgefordert. Trotz solcher Übereinstimmungen sind die Divergenzen jedoch nicht zu übersehen, denn Paulus erwähnt weder die Denare als Steuermünzen noch den röder Katechumenen, die neben der Missionspredigt in der Taufparaklese ihren Ort hatte; vgl. 1 Thess 5,1–2; 1 Kor 6,2–3; 9,13; P. Stuhlmacher, Jesustradition, 243; G. Haufe, Reich Gottes, 472; D. Wenham, Paulus, 24, 362, 365; J. D. G. Dunn, The Theology, 189–190. In welchem Umfang Paulus die in den synoptischen Evangelien bezeugte Überlieferung voraussetzt und an ihr interessiert war, ist in der Forschung umstritten. Eine Minimalposition, die nur das schlechthin nicht zu Bestreitende gelten lässt und Paulus (mit Berufung auf 2 Kor 5,16) ein geringes Interesse am historischen Jesus unterstellt, vertritt R. Bultmann, Die Bedeutung, 200; ders., Jesus, insb. 223 (vgl. z. B. schon W. Heitmüller, Zum Problem, 125, der „verschwindend wenige“ von Paulus ausdrücklich angeführte Worte Jesu sieht) und modifiziert z. B. H.-W. Kuhn, Der irdische Jesus, 301 und G. Strecker, Theologie, 108. Eine maximale Sicht, die zahlreiche Anspielungen auf Herrenworte und eine Vertrautheit mit der gesamten Überlieferung von der wunderbaren Geburt bis zur Himmelfahrt zu entdecken vermeint, repräsentieren die Veröffentlichungen von A. Resch, Der Paulinismus, insb. die Listen 35–154, die zu der Logienquelle „als Hauptquelle des Paulinismus“, ebd. 621, führen (wiewohl Resch manche der angeführten Parallelen selbst „mit fraglichem Blick“ betrachtet, ebd. 30) und nicht zuletzt D. Wenham, Paulus, insb. 342–346. Daneben gibt es zwischen diesen beiden Extrempositionen zahlreiche Zwischenabstufungen; s. D. L. Dungan, The Sayings, 144–150; F. Siegert, Jésus, 448–453; vgl. zusammenfassend (mit Lit.) F. Neirynck, Paul, 512–514; F. Siegert, Jésus, 439–446; R. Riesner, Paulus, 351–355. 10 Die Benutzung einer Spruchsammlung, die der lukanischen Feldrede ähnelt, haben z. B. D. C. Allison, The Pauline Epistles, 11–12 und N. Walter, Paulus, 501–502, für Röm 12–14 vorgeschlagen (Röm 12,14 = Lk 6,28; Röm 12,17 = Lk 6,27–36; Röm 12,21 = Lk 6,27–36; Röm 14,10 = Lk 6,37); ablehnend F. Neirynck, Paul, 544–545. Eine gewisse Nähe zur lukanischen Abendmahlsüberlieferung wurde ebenfalls von einigen Exegeten angenommen; vgl. R. Riesner, Paulus, 359. Anklänge an synoptische Jesuslogien zeigen sich in Röm 14,14 (= Mk 7,15 par) und 1 Thess 5,2 (= Q 12,39f), ohne dass sie sich einer Sammlung zuordnen lassen, G. Strecker, Theologie, 107. 11 D. C. Allison, The Pauline Epistles, 10–11. 12 E. Stauffer, Christus, 121; F. Neugebauer, Zur Auslegung, 151–172. Mit diesem Terminus ist aber keinesfalls die Tempelsteuer gemeint, die stets anders bezeichnet wurde, s. in dieser Studie 4.1.2; anders M. D. Nanos, The Mystery, 316.

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5. Die christliche Rezeption des Apophthegmas vom Zinsgroschen

mischen Kaiser, der die Tribute in den Provinzen einziehen ließ. Stattdessen belässt er es bei der sehr allgemeinen Feststellung, dass jedem gegeben werde, worauf er Anspruch habe, und bezieht darin auch „Furcht“ und „Ehre“ ein13, mit denen die Untertanen der Obrigkeit gegenübertreten sollen. Damit greift er seinen zuvor geäußerten Gedanken auf und spielt auf die Furcht an, die die Übeltäter vor den Regierenden empfinden (Röm 13,3). Um die paulinische Aussageabsicht in vollem Umfang zu würdigen, ist ferner zu beachten, dass die gesamte Thematik des Verhältnisses der Christen zum Staat und vor allem alle mit den Steuern und Zöllen zusammenhängenden Widerstände für Paulus offensichtlich eine gewisse Dringlichkeit besaßen. Dies legt die Ausführlichkeit nahe, mit der Paulus seine abschließende Mahnung (in V. 7) zum Steuerzahlen vorbereitet. Sie spiegelt sich darüber hinaus in Vers 6a: „Deshalb bezahlt ihr nämlich Steuern“, womit er in einem an Jesus erinnernden Verweis auf das Faktische zum Steuerproblem überleitet. Paulus kommt es demnach darauf an, dass die römischen Christen weiterhin ihren Steuerverpflichtungen nachkommen, und zwar regelmäßig und ohne Widerstand. Daher verwendet er das indikativisch gemeinte und mit γάρ angeschlossene τελεῖτε 14. Vermutlich schwingt in diesen Worten die Vorstellung mit, dass andere Zeitgenossen im Gegensatz zu den im Römerbrief angeredeten Christen, die Paulus an dieser Stelle darum zum ersten Mal nach Röm 12,19 wieder direkt anspricht, solche vom Kaiser vorgeschriebenen Zahlungen schuldig blieben oder nur mit Protest und unter Druck leisteten. Deshalb mögen seine Aussagen über die göttliche Legitimation der mit der Steuereintreibung befassten heidnischen Beamten so deutlich ausgefallen sein, dass sie bis heute einer auch für andere Zeiten gültigen biblischen Theologie Schwierigkeiten machen. Vielen erscheint es als übertrieben, dass er die römischen Behörden als λειτουργοὶ θεοῦ bezeichnet. Sie verrichten ihren Dienst demnach als von Gott dafür in Dienst genommene Bevollmächtigte15. Der von Paulus benutzte Begriff λειτουργοί für die Staatsbediensteten entspricht dem antiken Sprachgebrauch, wobei er die nachdrücklichen Anstrengungen der Steuereinnehmer mit dem durchaus positiv gemeinten Verb προσκαρτερεῖν zum Ausdruck bringt16. 13 Auch dieses Motiv ist aus der jüdisch-hellenistischen Literatur bekannt, z. B. Philo, Flacc 49, LegGai 133, 149 u. ö.; dazu J. Friedrich, W. Pöhlmann, P. Stuhlmacher, Zur historischen Situation, 146. 14 Für eine imperativische Deutung spricht sich H. Merklein, Sinn, 265, aus; anders z. B. M. Theobald, Der Römerbrief, 309. 15 H. Balz, Art. λειτουργία etc, 861; ferner, V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke, 80–81; C. E. B. Crandfield, A Critical and Exegetical Commentary, Bd. 2, 668; M. Gielen, Tradition, 445; M. D. Nanos, The Mystery, 308–309. 16 Zum Verständnis dieses Verbs s. auch meine Untersuchung, N. Förster, Das gemeinschaftliche Gebet, 377–381. Paulus entspricht mit der Bezeichnung λειτουργοί ebenfalls einer auf Konsens gerichteten Tendenz innerhalb der römischen Administration, N. Elliott, Paul, 38–39.

5.1 Das Steuerproblem in der Sicht des Paulus: Röm 13,1–7

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5.1.1 Das historische Umfeld der Aufforderung zum Steuerzahlen in Röm 13,6–7 Um die in Röm 13 vorausgesetzte Situation beurteilen zu können, muss man sich die angespannte Lage im römischen Reich vor der Abfassung des Römerbriefes, und zwar vor allem die Reformen des Kaisers Nero, vor Augen halten, der in seinen ersten Regierungsjahren versuchte, das Steuerwesen neu zu ordnen und zu verbessern. Seine Verbesserungen bezogen sich auf die indirekten Steuern (vectigalia), die die Bevölkerung neben den direkten Abgaben wie tributum soli und tributum capitis zusätzlich belasteten. Diese vectigalia wurden von den römischen Bürgern ebenso wie von Provinzialen eingefordert. Es waren in der Hauptsache Zölle, Steuern bei Sklavenfreilassungen, Erbschaften und Berufssteuern wie etwa die Bergwerkssteuer17. Neros Maßnahmen datiert Tacitus in das Jahr 58 n. Chr. und fügt hinzu, dass diese Abgaben wiederholt Beschwerden seitens der Bevölkerung hervorriefen und sich diese Zustände über mehrere Jahre hinzogen, was zu immer mehr Verbitterung führte18. Die Folgen waren – so deutet Tacitus an – eine verbreitete und sich steigernde Unruhe sowie eine gravierende Misswirtschaft der Steuerpachtgesellschaften (publicani), die mit Übergriffen gegen die Steuerpflichtigen einherging, so dass Neros Berater (in den ersten Regierungsjahren vor allem Burrus und Seneca) gefährliche Folgen für seine Herrschaft fürchteten. Der Widerstand brachte Nero auf die Idee, die indirekten Abgaben ganz abzuschaffen. Dazu heißt es bei Tacitus19: Als im selben Jahr das Volk wiederholt Abhilfe verlangte für seine Beschwerden über die Unverschämtheit der Staatspächter, überlegte Nero, ob er nicht alle indirekten Abgaben aufheben lassen und so der Menschheit das schönste Geschenk machen sollte.

Die Pläne, die Nero verfolgte, um seine Akzeptanz bei der Bevölkerung wiederherzustellen, redete ihm sein Beratergremium allerdings wieder aus, weil sich die Öffentlichkeit nach Abschaffung der Zölle (portoria)20 auch gegen die direkten Steuern auflehnen werde, was das Reich in ernste finanzielle Schwierigkeiten 17  Zu den vectigalia im Gegensatz zu den tributa s. Th. Pekáry, Art. Vectigal, 1150. H. Gals­terer, Art. Steuern IV Rom, 982 setzt Vectigal und tributum gleich. Der Kontext bei Tacitus macht aber deutlich, dass der Historiker im Hinblick auf die vectigalia nicht von direkten sondern von indirekten Steuern berichtet. 18 S. auch H. Merklein, Sinn, 265; M. Gielen, Tradition, 439; R. Riesner, Die Frühzeit, 270. 19 Tacitus, Annales 13,50 (Text und Übersetzung: Heller 620–621): Eodem anno crebris populi flagitationibus, immodestiam publicanorum arguentis, dubitavit Nero, an cuncta vectigalia omitti iuberet idque pulcherrimum donum generi mortalium daret. 20 Zu diesen Zöllen, die die publicani einzogen, s. W. Eder, Art. Portorium, 189. Im 2. Jh. n. Chr. wurden die publicani nach und nach durch staatliche Beamte abgelöst; s. M. Rostovtzeff, The Social and Economic History, Bd. 1, 48. Zu den Neuerungen Neros s. ferner F. Herrenbrück, Jesus, 151. Die portoria variierten innerhalb des Reiches und schwankten zwischen 2 % und 5 %, s. F. Millar, The Roman Empire, 91; R. Duncan-Jones, Structure, 194.

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bringen könne. Diese direkten Steuern, zu denen die Kopfsteuer gehört, werden von Tacitus an dieser Stelle tributa genannt21. Damit deutet er an – ohne es ausdrücklich zu sagen –, dass sich gegen diese Art von Steuern ebenfalls Widerstand in der Bevölkerung regte. Es wäre daher überzogen, beide Formen der Abgaben strikt zu trennen22, so dass sich die Auflehnung der Bevölkerung allein gegen die vectigalia gerichtet hätte und die tributa, die Paulus in Röm 13,6–7 neben den Zöllen erwähnt, davon nicht ebenfalls betroffen gewesen wären. Demnach war die Frage der vectigalia nur der Kristallisationspunkt für eine allgemeine Unzufriedenheit. Die Berater Neros waren sich nach Tacitus aber darin einig, dass etwas gegen die Steuerpachtgesellschaften (publicani) unternommen werden müsse, weil diese privaten Unternehmer, die im Staatsauftrag Zölle und andere Abgaben einzogen, in besonderem Maß für Korruption anfällig waren und die Bevölkerung zum eigenen Vorteil ausbeuteten23: Einschreiten müsse man allerdings gegen die gierigen Übergriffe der Steuerpächter, damit nicht eine Haltung, mit der man so viele Jahre ohne Klage alles ertragen habe, infolge neuer Drangsale in Hass umschlage.

Nero setzte daraufhin ein ganzes Bündel von Maßnahmen in Kraft, die Abhilfe schaffen sollten24: Daher erließ der Princeps ein Edikt, es sollten die Bestimmungen für jegliche Staatssteuer, die bisher geheim waren, bekannt gemacht werden; versäumte Forderungen sollte man nach Ablauf eines Jahres nicht mehr einziehen; in Rom sollte ein Prätor, in den Provinzen der jeweilige Proprätor oder Prokonsul gegen Staatspächter außer der Reihe Recht sprechen.

Tacitus notiert diese neuen kaiserlichen Vorschriften nicht ohne Zustimmung und merkt an, die „unerlaubten Erhebungen“ (exactiones inlicitae) seien auf diesem Weg unmöglich gemacht worden25. 21 Tacitus, Annales 13,50 (Text und Übersetzung: Heller 620–621): quippe sublatis portoriis sequens, ut tributorum abolitio expostularetur. 22 Diese Interpretation vertritt St. Krauter, Studien, 153–154. Dass es sich bei dieser Verknüpfung um ein bloßes „Gedankenexperiment“, das auf Tacitus zurückgeht, handle, ist m. E. unwahrscheinlich. Wenn St. Krauter, Studien 159 den Bezug auf die „Steuerunruhen“ der neronischen Zeit als „spekulativ“ abtut, wird er den historischen Hintergründen dieser Verse des Paulus nicht gerecht. 23 Tacitus, Annales 13,50 (Text und Übersetzung: Heller 620–621): temperandas plane publicanorum cupidines, ne per tot annos sine querela tolerata novis acerbitatibus ad invidiam verterent. Zu den Aktivitäten der Steuerpachtgesellschaften in der Kaiserzeit s. P. A. Brunt, Publicans, 406–411. 24 Tacitus, Annales 13,51 (Text und Übersetzung: Heller 620–623): Ergo edixit princeps, ut leges cuiusque publici, occultae ad id tempus, proscriberentur; omissas petitiones non ultra annum resumerent; Romae praetor, per provincias qui pro praetore aut consule essent iura adversus publicanos extra ordinem redderent. 25 Tacitus, Annales 13,51 (Text und Übersetzung: Heller 620–623).

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Ebenso suchte Nero, die Getreidelieferungen von Ägypten nach Rom zu sichern, ohne die die plebs der Hauptstadt sich gegen den Kaiser wenden und es zu Unruhen kommen konnte26: Man beschränkte auch in den überseeischen Provinzen die Abgaben für die Getreideausfuhr und setzte fest, dass Schiffe nicht zum steuerpflichtigen Vermögen der Kaufleute gerechnet werden und sie keine Steuern dafür zahlen sollten.

Auf diese Weise wurde der von privaten Unternehmern organisierte Schiffsverkehr begünstigt, um die regelmäßigen Anlieferungen nach Rom zu erleichtern bzw. Investitionen anzuregen, da nun die Schiffe steuerfrei waren. Bekanntlich verfasste Paulus den Römerbrief kurz vor den Reformbestrebungen Neros, also in der Zeit, als sich im römischen Reich und wohl insbesondere unter den Bewohnern der Hauptstadt Rom Widerstand gegen die kaiserlichen Abgaben gebildet hatte und Beschwerden darüber beim Kaiser eingingen. Paulus, der seinen Brief an die römische Gemeinde wohl im Jahr 56 n. Chr. während seines Korinthaufenthaltes abfasste, waren diese gravamina, die vom „Volk“ (populus) bei Nero vorgebracht wurden, sicherlich bekannt. Deshalb war es ihm wichtig, seine Leser aufzufordern, sich nicht in irgendeiner Form zum Widerstand durch Verweigerung der Steuern hinreißen zu lassen. Ist diese Annahme korrekt, dann hat Paulus das Problem des Steuerzahlens wegen der genannten Zeitumstände und der innenpolitischen Relevanz dieses Themas als Wort zur Situation angesprochen. Eine solche Brisanz tritt bei Tacitus zutage. Er begrüßt die Reformen Neros in seiner Rückschau und lässt ein gewisses Bedauern durchklingen, dass diese Neuerungen Neros zu seiner Zeit nicht mehr in ihrer Gesamtheit eingehalten würden. Nero habe „durchaus angemessene“ (admodum aequa) Bestimmungen erlassen: Es seien Regelungen gewesen, „die kurze Zeit beachtet, dann wieder außer Acht gelassen wurden“27. Dieses günstige Urteil zeigt, wie dringlich aus der Sicht späterer Generationen solche Reformen beurteilt wurden und dass Tacitus sogar eine Staatskrise nicht ausschloss. In seinem Referat steckt nämlich die Befürchtung, dass „neue Drangsale“ die Stimmung in „Hass“ (ad invidiam) umschlagen lassen könnten28. Diese Worte verdeutlichen uns, dass Paulus ein politisch gefährliches Thema seiner Zeit anpackte: Er riet den Christen in Rom sich nicht zum Hass auf den regierenden Kaiser hinreißen zu lassen. 26 Tacitus, Annales 13,51 (Text und Übersetzung: Heller 622–623): temperata apud transmarinas provincias frumenti subvectio et, ne censibus negotiatorum naves adscriberentur tributumque pro illis penderent, constitutum. 27 Tacitus, Annales 13,51 (Text und Übersetzung: Heller 622–623): quae brevi servata, dein frustra habita sunt. 28 Tacitus, Annales 13,50 (Text und Übersetzung: Heller 620–621): novis acerbitatibus ad invidiam verterent.

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Erklärt uns das nun schon, wieso sich der Apostel in Röm 13,1–5 in einer bemerkenswert grundsätzlichen Form mit dem Verhältnis der Bevölkerung zu der staatlichen Gewalt auseinandersetzt? Wenn Paulus nur die aktuelle innenpolitische Lage im Auge gehabt hätte, dann hätte er es doch im Rahmen der paränetischen Weisungen ab dem 12. Kapitel des Römerbriefes damit bewenden lassen können, die Gemeinde zum bereitwilligen Bezahlen der Steuern und der Zölle zu ermahnen. Gerade mit der Erwähnung der Zölle hätte er zudem den Bereich berührt, auf den sich Neros Edikt alsbald in besonderem Maß erstreckte, und eine relativ knappe Mahnung in dieser Sache wäre ausreichend gewesen. Zudem hätte sie sich in den Rahmen der vorhergehenden Einzelmahnungen eingefügt29. Die Frage ist also: Warum stellt Paulus der konkreten Einzelanweisung, die Steuern und Zölle betreffend, aber auch Furcht und Ehre gegenüber den Menschen, denen sie gebühren, eine vergleichsweise ausführliche theologische Einleitung voran; warum also stellt er sich dem Problem der Unterordnung unter die Staatsgewalt in solcher Grundsätzlichkeit? Um diese Fragen zu beantworten, ist mit dem ersten Teil der Überlegungen des Paulus zu beginnen, der die Verse 1–2 umfasst. Die anschließenden Verse 3–5 behandeln eine etwas andere Thematik, die in Vers 3 zu der Differenzierung zwischen τῷ ἀγαθῷ ἔργῳ und τῷ κακῷ führt und in der Empfindung der Furcht kulminiert, die dieser ethischen Unterscheidung auf Seiten des Menschen korrespondiert. 5.1.2 Die Unterordnung unter den Kaiser und Röm 13,1–2 Schon die ersten Worte in Röm 13,1: „Jedermann soll sich übergeordneten Gewalten unterordnen“ markieren einen Einschnitt und weisen auf den Neuanfang hin, den dieser Briefabschnitt setzt. Die Worte πᾶσα ψυχή entsprechen dem hebräischen ‫נפשׁ‬-‫כל‬. Sie zeigen an, dass die nachfolgenden Belehrungen für alle Menschen30, nicht nur für Christen, gelten und heben sich dadurch von der paulinischen Paränese in den vorausgehenden Versen ab, die allein an die römische Gemeinde gerichtet ist. Diese Divergenz ist für das Verständnis der paulinischen Argumentation nicht unwichtig. Unmittelbar im Anschluss an diese Aufforderung folgt nämlich die Begründung31: Es existiert keine ἐξουσία, die nicht von Gott wäre, wobei mit ἐξουσίαι die vielen „obrigkeitlichen Ämter des umfangreichen Staatsapparates“ des römischen Reiches gemeint sind32. 29 U.

Wilckens, Der Brief, 29. Schweizer, Art. ψύχη κτλ., 648, mit Berufung auf Gen 12,5 und Ex 12,16 LXX; vgl. H. Merklein, Sinn, 244; K. Haacker, Der Brief, 265; O. Wischmeyer, Staat, 160–161; V. P. Furnish, The Moral Teaching, 127; K. Wengst, Freut euch, 396. 31 E. Lohse, Der Brief, 354. 32 U. Wilckens, Die Brief, 32, mit Zitat aus A. Strobel, Zum Verständnis, 79; ferner G. Delling, Art. τάσσω κτλ., 29; O. Wischmeyer, Staat, 156; J. Koch-Mehrin, Die Stellung, 380–383. Paulus hat jedenfalls nicht allein den Kaiser im Blick, C. E. B. Cranfield, A Critical 30 E.

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Für unsere Deutung ist bemerkenswert, dass Paulus seine Aussage noch einmal präzisiert und erklärt: „Die bestehenden aber sind von Gott eingesetzt“33. Man sollte diesen zweiten Teil von Vers 1 dabei keineswegs nur als eine Art positiver Wiederholung oder als bloße Verallgemeinerung der zuvor negativ erfolgten Angabe, dass es keine ἐξουσία gebe, die nicht von Gott sei, verstehen34. Es ist darin vielmehr ein Urteil über die zur Zeit des Paulus verantwortlichen Machthaber, d. h. den Kaiser und seine Funktionäre, enthalten35, wobei der Apostel es wohlüberlegt vermeidet, Neros Namen zu nennen. Dennoch meint er nichts anderes als den zeitgenössischen Machthaber, und das Partizip αἱ δὲ οὖσαι ist in dem Sinne „die tatsächlich vorhandenen“ zu verstehen36. Anschließend zieht Paulus aus der These in Vers 2 die Konsequenz, dass jeder, der sich der ἐξουσία, die von Gott eingesetzt ist, entzieht, sich der Anordnung Gottes und damit Gott selbst entgegenstellt37. Auch hier formuliert Paulus nicht zufällig in der dritten Person und macht auf diesem Weg deutlich, dass er ein allgemein gültiges Prinzip wiedergibt. Dabei greift er den aus dem politischen Sprachgebrauch kommenden Begriff διαταγή für „Verfügung, Anordnung“ auf38, er meint es konkret-politisch und staatsbürgerlich. Eine gegen Gott gerichtete Auflehnung39 bleibt indessen nicht folgenlos: Dies drückt Paulus mit der Wendung κρίμα λαμβάνειν in Röm 13,2 aus. Die κρίμα genannte Verurteilung bezieht sich zunächst auf die richtende Funktion and Exegetical Commentary, Bd. 2, 659. Die in der älteren Exegese erwogene Interpretation als Hinweis auf die „Engelmächte“; s. O. Cullmann, Der Staat, 48–61; ders., Christus, 182; scheint mir wenig überzeugend, denn der Kontext legt ἐξουσία in Vers 1 eindeutig auf die menschlichen Amtsträger der staatlichen Gewalt fest, zu denen u. a. die oben erwähnten Steuereintreiber gehören; vgl. die zusammenfassenden Ausführungen von E. Lohse, Der Brief, 353– 354 sowie die Abwägungen bei R. Morgenthaler, Roma, 289–290; R. Schnackenburg, Die sittliche Botschaft, 189–190; W. Carr, Angels, 115–116; C. E. B. Cranfield, A Critical and Exegetical Commentary, Bd. 2, 659; R. H. Stein, The Argument, 328; M. Gielen, Tradition, 455–456; F. Hahn, Theologie, Bd. 2, 726. 33 G. Delling, Art. τάσσω κτλ., 36: Ihr Vorhandensein ist eine Verfügung Gottes; ferner: A. Juncker, Die Ethik, 216; U. Wilckens, Römer 13,1–7, 217; L. Goppelt, Theologie, 502; D. Stranitzke, Die Struktur, 390. 34 So z. B. E. Lohse, Der Brief, 354. U. Wilckens, Römer 13,1–7, 217; ders., Der Brief, 32 versteht die Stelle als „Rechtssatz“. 35 C. E. B. Cranfield, A Critical and Exegetical Commentary, Bd. 2, 663. 36 O. Michel, Der Brief, 283. 37 H. Schlier, Der Römerbrief, 388; V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke, 68. 38 Der Begriff ist der Verwaltungssprache entlehnt; vgl. z. B. CIG III 4300,6. Philo und Josephus verwenden das Wort nicht, vgl. A. Deissmann, Licht, 70; J. Friedrich, W. Pöhlmann, P. Stuhlmacher, Zur historischen Situation, 135–136. 39 Zu ἀντιτάσσεσθαι im Sinne von „Auflehnen“ vgl. G. Delling, Art τάσσω κτλ., insb. 29 und z. B. Josephus BJ 2,194 u. ö. In BJ 2,194 geht es nach dem Bellum um den Widerstand der Judäer gegen das Kaiserbild, das Caligula im Jerusalemer Tempel aufzustellen befohlen hatte (ἐκείνους ἀντιτάσσεσθαι πρὸς τοῦτο). Petronius, der zu der aufgebrachten Menge spricht, setzt dabei voraus, dass dieses Verhalten, das er laut Josephus mit ἀντιτάσσεσθαι umschreibt, d. h. die Demonstrationen und die allgemeine Ablehnung, „fast einem Aufstand gleich sei“ (σχεδὸν

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der Staatsgewalt; in dem Begriff schwingt aber auch mit, „dass Gott im endzeitlichen Gericht sein Urteil fällen wird“40. Paulus knüpft damit an die ethischen Weisungen an, die den Abschnitt Röm 13,1–7 einrahmen und die zum Tun des Guten auffordern (vgl. Röm 12,21 und 13,8). Die Erfüllung des Gesetzes ist die Liebe (Röm 13,10), was aber unter dem Vorbehalt der Parusie steht, denn die Erlösung ist nah (νῦν γὰρ ἐγγύτερον ἡμῶν ἡ σωτηρία Rö 13,11)41; sie wird auf die noch ungelösten Fragen Antwort geben und aller Unvollkommenheit ein Ende setzen. Diese eschatologische Voraussetzung ist für das Verständnis des ganzen Abschnittes und auch für die Bedeutung von Pauli Aufforderung zum Zahlen von Steuern und Zöllen nicht aus dem Auge zu verlieren. 5.1.3 Die Einsetzung der Regierungsgewalt durch Gott in jüdischen Quellen Paulus bewegt sich in den Versen 1–2 im Rahmen jüdischen Denkens, indem er eine alttestamentliche bzw. hellenistisch-jüdische Tradition über die Ableitung aller Regierungsgewalt von Gott aufgreift. In der Wahrnehmung dieser Einflüsse liegt dann ein Schlüssel zum Verständnis des ganzen Textabschnittes, was auch die Steuerproblematik aufhellen kann. Verschiedene alttestamentliche Schriften enthalten den Grundsatz, dass kein König herrschen könne, den Gott nicht berufen bzw. erwählt hat, und dass dies ebenso für die Heidenwelt gelte. Auch bei den Völkern könne keine Staatsmacht bestehen, ohne dass sie von Gott zum Regieren ermächtigt sei. Die Abhängigkeit des Paulus von jüdischen Vorstellungen, nach denen die menschliche Regierung stets von Gott abgeleitet ist, wurde schon häufig herausgestellt; wir erinnern im Folgenden an das Wichtigste42. Die Einsetzung der Könige durch Gott bei Jeremia und Jesaja Bereits Jeremia betonte im Rahmen einer symbolischen Zeichenhandlung, bei der sich der Prophet ein hölzernes Joch auf den Nacken legte, das die unabdingbare Unterwerfung des Königreiches Judäa und die der angrenzenden

ἀφισταμένων εἶναι), was anzeigt, dass ἀντιτάσσεσθαι ein Handeln, das für Römer beinahe einer Revolte gleichkam, bezeichnet. 40 E. Lohse, Der Brief, 355. Die Wendung nimmt also auf das göttliche Gericht Bezug, s. auch Mk 12, 40 par; Lk 20,47; Jak 3, 1; vgl. dazu V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke, 71–72; U. Wilckens, Römer 13, 217; H. Merklein, Sinn, 245; R. H. Stein, The Argument, 330–331; D. J. Moo, The Epistle, 799; K. Haacker, Der Brief, 266–267; R. v. Bendemann, Zorn, 189. 41 O. Cullmann, Der Staat, 41. 42 Z. B. E. W. Hunt, Portrait, 216; H. Ridderbos, Paulus, 225; R. H. Stein, The Argument, 327–328; C. E. B. Cranfield, A Critical and Exegetical Commentary, Bd. 2, 663; D. J. Moo, The Epistle, 798.

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Königreiche unter König Nebukadnezzar verdeutlicht43, dass Gott als Schöpfer der Erde diese Länder dem König unterstelle, den er zum Herrschen bestimmt habe. Der neubabylonische König kann von dem Propheten sogar als „Knecht Gottes“ bezeichnet werden (Jer 27,5–6; vgl. dazu 28,14)44. Erwähnenswert ist ferner, wie Deuterojesaja das Auftreten des Perserkönigs Kyros II auf der Weltbühne darstellt, das wiederum zum Untergang des neubabylonischen Reiches führte; denn nach seiner Überzeugung hat Gott auch diesen König als neuen Anstoß in das politische Geschehen eintreten lassen und benutzt ihn für seine Zwecke (Jes 41,2–4). Der Prophetenspruch bezeichnet Kyros II sogar als einen „Gesalbten“ des Herrn, und tatsächlich zog der Perser 539 v. Chr. triumphal in Babylon ein und nahm den Palast der chaldäischen Könige in Besitz. Daniels Visionen und die endzeitliche Absetzung der paganen Könige durch Gott Wichtig für die Auslegung von Röm 13,1–7 ist ferner die Ausgestaltung dieses Vorstellungskreises in der apokalyptischen Tradition, die sich in erster Linie im Daniel-Buch bündelt. Dort heißt es in programmatischer Weise von Gott: „Er setzt Könige ab und setzt Könige ein“ (Dan 2,21)45. Diese Aussage findet sich im Rahmen des Bildes von vier aufeinander folgenden Weltreichen, womit höchstwahrscheinlich Babylonien, Medien, Persien und das Reich Alexanders einschließlich seiner Nachfolger gemeint sind und mit dem das durch Not und Unterdrückung geprägte Schicksal des jüdischen Volkes bis zur endgültigen Errichtung der Gottesherrschaft ausgemalt wird. In einer weltumspannenden Gesamtschau ist geschildert, wie alle irdischen und himmlischen Feinde entmachtet werden und am Ende das Ganze des irdischen Kosmos von Gott völlig umgewandelt wird. Aus diesem Grund stellt der Verfasser des Daniel-Buches mit dem Schema der vier Großreiche die gesamte Weltgeschichte als eine Folge aggressiv auftretender Fremdmächte dar, deren in Aussicht gestellte Vernichtung den Frommen Trost und Mut zum Widerstand geben soll46. Damit präludiert das Daniel-Buch ein Thema der späteren Apokalyptik, die sich weiter mit dem Problem der Großreiche, ihrem Auftauchen, ihrer Machtentfaltung und ihrem endgültigen Verschwinden befasst. In der Vision in Dan. 2 gerät zudem das Ende und das Einbrechen des Gottesreiches in den Blick47. 43 Jer

27,1–11. Zsifkovits, Der Staatsgedanke, 78; F. Neugebauer, Zur Auslegung, 152–153; A. Viard, Saint Paul, 275; H. Cancik, Alle Gewalt, 56; J. Friedrich, W. Pöhlmann, P. Stuhlmacher, Zur historischen Situation, 146. 45 Vgl. zu dieser Stelle R. Eisler, ΙΗΣΟΥΣ, 72; F. J. Dölger, Zur antiken und frühchristlichen Auffassung, 117; R. Schnackenburg, Die sittliche Botschaft, 191. 46 R. Albertz, Religionsgeschichte, Teil 2, 659. 47 G. v. Rad, Die Botschaft, 271. 44 V.

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Der Ausgangspunkt ist nach Dan 2,1 der Traum König Nebukadnezzars von einer riesigen Statue aus Gold, Silber, Erz und Ton, die die oben genannten vier aufeinander folgenden Großreiche symbolisiert48, von denen das letzte als ein eisernes und gewalttätiges Königreich beschrieben ist, in sich gemischt (mit „Ton“) und brüchig, das durch ein „ewiges“ Reich zerstört und abgelöst werden wird (Dan 2,44). Dieses Gottesreich ist im Bild eines Felsens dargestellt (Dan 2,34), der „alle diese Reiche zermalmen, selbst aber in Ewigkeit bestehen“ wird (Dan 2,44). Die zeitgeschichtlichen Bezüge sind im Daniel-Buch offenkundig. So denkt der Verfasser bei dem letzten Reich höchstwahrscheinlich an einen Ablauf der Weltgeschichte, die mit der Herrschaft der Griechen und den gewaltsamen Eingriffen des Antiochos IV Epiphanes in den Tempelkult (Dan 8,11–13) endet. Für das Verständnis von Röm 13,1–2 ist nun entscheidend, dass die Herleitung der Herrschaft von Gott im Judentum vorgebildet und Gottes Allwirksamkeit mit explizitem Bezug auf die heidnischen Potentaten der Zeit proklamiert ist. Noch wichtiger ist schließlich die Überzeugung, dass der Bestand der irdischen Reiche nicht von Dauer sein werde und Gott ihrer Vorherrschaft Zeit und Grenze setze und sie jederzeit beenden könne (Dan 4,28 f). Auch die bei oberflächlicher Betrachtung so übermächtig erscheinenden Reiche der Heiden haben ihre Regierungsgewalt und damit ihre Legitimation nur zeitweise von Gott verliehen bekommen. Am Ende müssen sie sich vor Gottes Gericht verantworten. Dieses Ende ist nach dem Daniel-Buch von Gott bestimmt – ein Gedanke, der auch für Paulus selbstverständlich ist. Insofern bewegt sich Paulus an dieser Stelle durchaus im Horizont apokalyptischen Denkens, was in der jüngst erschienenen Monographie von Stefan Krauter nicht plausibel widerlegt werden konnte49. Offenbar folgt er der pharisäischen Aktualisierung des Daniel-Buches für die römische Zeit, die wir für Josephus noch betrachten werden50.

48 An dieser Stelle soll zumindest angemerkt werden, dass sich der Verfasser des Danielbuches mit diesem Bild einer Statue aus Metall, das sich in seiner Qualität von Gold zu mit Ton vermischtem Eisen stetig vermindert, höchstwahrscheinlich an iranische Traditionen anlehnte, die aus orientalischen Quellen auch den Griechen nach dem Eroberungszug Alexanders des Großen als Deuteschema für die Weltgeschichte bekannt wurden und sich genauso wie die Vorstellung von den vier Weltreichen in nichtjüdischen Texten nachweisen lassen. Das Belegmaterial aus iranischen Quellen findet sich gesammelt bei A. Hultgard, Das Judentum, 525. Er verweist z. B. auf Zaratustras angebliches Traumgesicht von einem Baum mit Zweigen aus Gold, Silber, Stahl und gemischtem Eisen. Die Vorstellung von vier Weltreichen, d. h. dem Reich der Assyrer, Meder, Perser und dem der Makedonen, begegnet z. B. bei Velleius Paterculus, 1,6,6 (Text: Giebel 12–14) im Munde Scipios nach der Zerstörung Karthagos; vgl. A. Hultgard, Das Judentum, 524, Anm. 58. 49 St. Krauter, Studien, 181, verengt die „Struktur“ apokalyptischer Texte einseitig auf die Abfolge der Weltreiche. Es kommt aber vielmehr darauf an, dass Gott die Herrschaft gibt und nimmt, worin Paulus mit dem Daniel-Buch konvergiert; s. o. 4.2.1. 50 s. u. 5.1.5.

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5.1.4 Hellenistisch-jüdisches zur Einsetzung der Regierungsgewalt durch Gott Als ein besonders aussagekräftiger Vertreter hellenistisch-jüdischer Herrschaftstheologie51 sei das Buch der Weisheit Salomos angeführt, das im 2. oder 1. Jh. v. Chr., möglicherweise in Ägypten, entstanden ist52. Auch sein Verfasser äußert sich zum Problem der Legitimität der Königsherrschaft. Er hält dabei den prahlenden paganen Königen vor (Weish 6,3)53: Denn vom Herrn ist euch die Macht gegeben und die Gewalt vom Höchsten, der fragen wird, wie ihr handelt, und erforschen, was ihr plant.

Mit diesen Worten wird den Herrschern die Überlegenheit des Einen Gottes der jüdischen Gotteserkenntnis klar gemacht, und es wird auf das Gerichtshandeln Gottes verwiesen, der die Pläne der Heiden beobachtet und beurteilt. Sie aber sind lediglich „Handlanger“ (ὑπηρέται, Weish 6,4) der göttlichen Königsherrschaft. Wie weit sich solche jüdischen Vorstellungskreise mit paganen Motiven überschneiden, sei abschließend am Beispiel des Aristeasbriefes gezeigt, dessen Verfasser bekanntlich neben Einflüssen aus der jüdischen Weisheit einen hellenistischen Traktat περὶ βασιλείας als Quelle für seine Gedanken auswertet54. Es handelt sich bei seiner Schrift um einen fiktiven, wohl im 2. Jh. v. Chr. entstandenen Brief55, in dem Aristeas56, ein Hofbeamter des Ptolemäerkönigs Ptolemaios II Philadelphos, seinen Bruder Philokrates Bericht erstattet: Ein Diadochenherrscher, der ein Gastmahl für seine jüdischen Gesprächspartner veranstaltet, wird im Hinblick auf die Macht und den Reichtum seiner Kinder, die einmal seine Nachfolger werden sollen, ermahnt: Denn Gott sei es, der dies schenke, und sie hätten nicht aus eigener Machtvollkommenheit die Herrschaft über alle57.

Weiterhin wird dem König gesagt, dass58 niemand von sich aus König ist. Alle wollen nämlich an dieser Ehre teilhaben, aber sie können es nicht, weil sie eine Gabe Gottes ist. 51 W. Schrage, Die Christen, 25–27; P. Stuhlmacher, Biblische Theologie, Bd. 1, 390; R. Bergmeier, Die Loyalitätsparänese, 346–348; s. ferner J. D. G. Dunn, The Theology, 676. 52 O. Eissfeld, Einleitung, 816. 53 Text: Rahlfs 22: ὅτι ἐδόθη παρὰ κυρίου ἡ κράτησις ὑμῖν καὶ ἡ δυσναστεία παρὰ ὑψίστου, ὅς ἐξετάσει ὑμῶν τὰ ἒργα καὶ τὰς βουλὰς διερευνήσει. 54 N. Meisner, Aristeasbrief, 40–41; vgl. J. Friedrisch, W. Pöhlmann, P. Stuhlmacher, Zur historischen Situation, 163; D. Zeller, Der Brief, 215. 55 N. Meisner, Aristeasbrief, 42. 56 Die ältere Namensform, bei Josephus in AJ 12,17 ff überliefert, ist übrigens „ Αρισταῖος“. 57 Aristeas 196 (Text: Pelletier 194, Übersetzung: Meisner 70): Θεὸν γὰρ εἶναι τὸν χαρι­ ζόμενον ταῦτα, καὶ οὐ δι᾽ ἑαυτοὺς ἒχειν τὴν ὑπεροχὴν ἁπάντων. 58 Aristeas 224 (Text: Pelletier 202, Übersetzung: Meisner 73): … οὐδεὶς παρ᾽ ἑαυτοῦ βα­ σιλεύς ἐστι· πάντες γὰρ θέλουσι μετασχεῖν ταύτης τῆς δόξης, ἀλλ᾽ οὐ δύνανται· θεοῦ γάρ ἐστι δόμα.

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Indem das Königtum als θεοῦ γάρ ἐστι δόμα definiert ist, konvergiert der Aristeasbrief in seiner Einschätzung durchaus mit einem Traditionskomplex der griechischen Geisteswelt. Denn schon Homer hat vorausgesetzt, dass Zeus das Zepter dem Agamemnon verliehen habe und sein Königtum darum göttlichen Ursprungs sei59. In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass das auf den genannten alttestamentlichen Texten aufbauende und sie weiterentwickelnde Grundsatzurteil über die staatliche Macht, die ihre Träger letztlich als von Gott eingesetzt ansieht und die Machthaber auf diesem Weg legitimiert, dann neben dem Römerbrief auch im Johannesevangelium Eingang gefunden hat, wenn Jesus nach Joh 19,11 Pilatus, der sich mit seiner Amtsgewalt brüstet, entgegenhält: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre“. Diese Autorität wird auch hier mit dem in Röm 13,1 vorkommenden Begriff ἐξουσία umschrieben60. Der Verfasser des Johannesevangeliums geht also davon aus, dass die Macht nicht aus dieser Welt kommt, sondern von Gott gegeben wird61. Allerdings darf man nicht den klaren christologischen Bezug übersehen, der im Römerbrief fehlt. Die Stelle im Johannesevangelium begründet nämlich, dass Pilatus nur als Werkzeug Gottes handelte und seinen Willen verwirklichte, indem er Jesus kreuzigen ließ. 5.1.5 Josephus und die Steuerverweigerung bei Ausbruch des Ersten Jüdischen Krieges Um die Aussageabsicht des Paulus in Röm 13,1–2 zu entschlüsseln und eine Erklärung für die verbreitete Unzufriedenheit in der Bevölkerung wegen der indirekten (vectigalia) und direkten Steuern (tributa) am Beginn der Regierungszeit Neros zu finden, auf die Paulus eingeht, leistet erneut das Geschichtswerk des Josephus ausgezeichnete Hilfe. Es erhellt nicht nur in einzigartiger Weise das historische Umfeld des Neuen Testaments, sondern gibt Schlüsselbegriffe und zentrale Gedanken wieder, wozu auch die Überzeugung gehört, dass alle irdische Regierungsgewalt von Gott verliehen werde. Mehrfach hat man dabei auf die Idealschilderung aufmerksam gemacht, die Josephus von den Essenern gibt62. Er widmet dieser Gemeinschaft ziemlich ausführliche Exkurse in beiden Geschichtswerken63 und verklärt diese Gruppe als 59 Ilias 9,39 bzw. 98. Das Zepter ist hier das Symbol der von Zeus dem Agamemnon verliehenen Königswürde. 60 K. Prümm, Die Botschaft, 167. 61 R. Bultmann, Das Evangelium des Johannes, 512–513; J. Becker, Das Evangelium nach Johannes, Bd. 2, 683, will diese Stelle allerdings nur auf den Prozess Jesu und nicht auf den Staat allgemein beziehen. 62 Vgl. z. B. O. Merk, Handeln, 162; K. Wengst, Freut euch, 397. 63 BJ 2,119–161; AJ 18,18–22.

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eine Art jüdische Pythagoräer64. Aus den Nachrichten im Bellum ist ersichtlich, dass jedes Gruppenmitglied bei der Aufnahme in die Gemeinschaft einen Eid zu schwören hatte. Dieser Eid schloss das Versprechen ein, „stets allen die Treue zu halten, allermeist aber der Obrigkeit, denn ohne Gott erwachse niemandem eine Herrscherstellung“65. Hierin findet sich der Grundsatz, dass keine Regierung δίχα θεοῦ ihre Macht erhalte und ein bestimmtes Reich unter sich habe66. Doch sollte man nicht übersehen, dass es sich hierbei um eine innerjüdische Regelung handelt, die nach Josephus nicht zuletzt dem pädagogischen Zweck diente, die Essener auf künftige eigene Führungsverantwortung in der jüdischen Gesellschaft vorzubereiten. Denn wer Gehorsam gelernt habe, der werde seine Vorgesetztenrolle nicht zur Willkür und eigenem Vorteil missbrauchen. Diese auf die innere Struktur der Gemeinschaft ausgerichtete Zielsetzung findet sich aber bei Paulus nicht, dem es im Römerbrief, anders als den Essenern, keineswegs um eine Vorbereitung auf die Übernahme von Führungsaufgaben geht, nicht einmal (soweit sich sehen lässt) um solche in der christlichen Gemeinde. Daher wollen wir uns noch einer zweiten Passage aus demselben Geschichtswerk zuwenden, die in der Forschung noch nie zur Erklärung von V. 1–2 herangezogen wurde67. An dieser Stelle berichtet Josephus über einen der großen Wendepunkte in der jüdischen Geschichte und schreibt, aus welchem Anlass der Erste Jüdische Krieg ausgebrochen sei. Dabei kehrt der Grundgedanke wieder, dass niemand ohne Gott die Macht ergreifen und regieren könne. Diese Voraussetzung ist nun jedoch anders als in dem erwähnten Essenereid expressis verbis auf das römische Imperium bezogen. Außerdem wird die Verbindung zur Steuerverweigerung deutlich ausgesprochen, die ein wesentliches auslösendes Moment für den Ausbruch der Kämpfe war. Um die theologischen Implikationen in den Worten des Josephus völlig transparent zu machen, sei zunächst kurz die historische Entwicklung zusammengefasst. Der unmittelbare Anlass zum Krieg war das rücksichtslose Verhalten des Procurators Gessius Florus, das angestaute Wut der Judäer zum Ausbruch brachte. Als Florus im Jahr 66 n. Chr. eigenmächtig aus dem Tempelschatz 17 Talente mit der Begründung „der Kaiser brauche sie“68 entnehmen ließ, brachen die ersten Unruhen und Ausschreitungen aus. Der Grund für das provozierende Verhalten des Florus war möglicherweise, was Josephus geschickt

64 AJ

15,371; vgl. auch N. Förster, Das gemeinschaftliche Gebet, 353–356. 2,140: τὸ πιστὸν ἀεὶ πᾶσιν παρέξειν, μάλιστα δὲ τοῖς κρατοῦσιν· οὐ γὰρ δίχα Θεοῦ πε­ ριγενέσθαι τινὶ τὸ ἄρχειν. 66 S. zu dieser Stelle F. J. Dölger, Zur antiken und frühchristlichen Auffassung, 118; T. S. Beall, Josephus, 80–81. 67 BJ 2,345–404. 68 BJ 2,294: εἰς τὰς Καίσαρος χρείας. 65 BJ

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zu verschleiern sucht und erst im späteren Verlauf seiner Darstellung erwähnt69, dass die jüdische Bevölkerung mit ihren Steuerzahlungen im Rückstand war, und Florus sich durch seine Beschlagnahmeaktion ein Faustpfand sichern wollte, um die Außenstände auszugleichen. Empörte Judäer verhöhnten danach den Statthalter, indem sie öffentlich in einem Korb für den armen Mann Geld sammelten. Daraufhin geriet Florus in Zorn und gestattete seinen Soldaten, Teile Jerusalems zu plündern, die Bewohner des betreffenden Stadtteils zu ermorden und mehrere Gefangene, darunter Juden mit dem Status eines römischen Ritters, zu kreuzigen70. Am Ende wurde nur auf der Oberfläche Ruhe gewahrt, und viele Einwohner wollten sogar Gesandte an Kaiser Nero schicken, um den Procurator anzuklagen. In dieser sehr angespannten Lage eilte König Agrippa II herbei. Er suchte, die Bevölkerung zu beruhigen und von einem Aufstand abzubringen, indem er die Menge zu seiner Residenz bestellte, wo er eine Rede hielt. Diese rhetorisch ausgeschmückte Ansprache ist von Josephus sicherlich im Hinblick auf seine Argumente für die Wahrung des Friedens mit Rom im Gang seiner Erzählung untergebracht71. Sie bringt an einem Wendepunkt jüdischer Geschichte und mit dem Wissen um den katastrophalen Ausgang seine Sicht der Entwicklung zur Geltung und nimmt zugleich zu der religiösen Motivation der Aufständischen Stellung. Im Hauptteil dieser Rede schildert Agrippa II die Größe Roms und die Aussichtslosigkeit eines Widerstandes gegen dieses Weltreich72. Der König beruft sich darauf, dass neben der δύναμις der Römer auch die τύχη auf ihrer Seite stehe, „die ihnen noch mehr einbringt als Waffen“73. Ferner wird die Möglichkeit göttlicher oder menschlicher Hilfe erwogen, die den Erfolg eines Aufruhrs bedinge. Einen Beistand der Parther, der großen Gegner Roms im Osten, schließt Agrippa wegen ihrer Treue zu den mit dem Kaiser geschlossenen Verträgen aus und geht, weil mit menschlicher Unterstützung nicht zu rechnen sei, zur göttlichen Hilfe über74: So bleibt nur noch übrig, sich ganz auf den Beistand Gottes zu verlassen; aber ein solches Verhalten kommt auch den Römern zu, denn ohne Gottes Hilfe hätte unmöglich ein so großes Reich entstehen können.

69 BJ 2,403 bzw. 405. Zu den ausstehenden Steuerzahlungen vgl. E. M. Smallwood, The Jews, 289. 70 BJ 2,296–315. 71 St. Mason, Flavius Josephus und das Neue Testament, 282. 72 Josephus griff bei der Gestaltung dieser Passage möglicherweise auf offizielle Dokumente z. B. Völkerlisten oder Aufstellungen über die Verteilung der römischen Legionen auf die einzelnen Provinzen zurück; s. H. Lindner, Die Geschichtsauffassung, 22. 73 BJ 2,373: ἥτις αὐτοῖς κατορθοῖ πλείονα τῶν ὅπλων. 74 BJ 2,390: λοιπὸν οὖν ἐπὶ τῆν τοῦ θεοῦ συμμαχίαν καταφευκτέον ἀλλὰ καὶ τοῦτο παρὰ Ῥω­ μαίοις τέτακται· δίχα γὰρ θεοῦ συστῆναι τηλικαύτην ἡγεμονίαν ἀδύνατον.

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Agrippa teilt also – was nicht zu verwundern ist – das Grundprinzip einer göttlich legitimierten Herrschaft, das auch Paulus in Röm 13,1b voraussetzt. Dabei formuliert Josephus diesen Gedanken ähnlich wie schon in dem erwähnten Essenereid: Ohne dass Gott helfe (δίχα Θεοῦ συστῆναι, BJ 2,390), könne das Imperium Romanum nicht entstanden sein und habe keinen Bestand. Paulus hingegen schreibt an eine christliche Gemeinde in Rom selbst, dass die ἐξουσία nicht εἰ μὴ ὑπὸ θεοῦ existiere, was im Hinblick auf die sprachliche Ausdrucksweise durchaus vergleichbar ist. Des Weiteren greift Agrippa II nach Josephus das Thema des Steuerzahlens auf, wobei er am Schluss der Rede sagt, dass weiterhin ausbleibende Steuerzahlungen von den Römern als ein Anlass zu kriegerischem Eingreifen bewertet würden. Nach Josephus setzte sich der König mit dieser realistischen Position immerhin für kurze Zeit durch, so dass 40 Talente ausstehender Steuergelder eingetrieben werden konnten75. Im Hinblick auf diesen Kern des Konfliktes, der sich an den Steuerforderungen entzündete, gibt es also eine weitere Parallele zu Röm 13,6–7, obgleich Paulus eine zeitlich frühere Krise am Beginn der Regierungszeit Neros voraussetzt, die durch die Maßnahmen des Imperators eben nicht in offenen Hass umschlug, wie Tacitus die damaligen Befürchtungen zusammenfasst. Relevant für unsere Überlegungen ist jedoch, dass Josephus in der Rede die wesentlichen Argumente für den Frieden zusammenfasst und auch auf die Gegengründe der Opponenten eingeht. Im Hintergrund stehen apokalyptische Denkmuster, auf die Josephus mehrfach anspielt, wohlweislich ohne sie explizit zu machen. So prägen die Gedanken der Ansprache Agrippas eine von mehreren Forschern bereits bemerkte „unterdrückte Apokalypse“76, die vielleicht als Anzeichen tief sitzender Ressentiments gegenüber den Römern zu interpretieren ist, worüber Josephus aber nach der Niederlage im Ersten Jüdischen Krieg nicht offen zu sprechen wagte und daher nur vorsichtige Andeutungen machte. Josephus geht dabei von der für die Apokalyptik typischen Konzeption einer periodisch ablaufenden Geschichte aus, die von einer Reihe sich gegenseitig ablösender Weltmächte bestimmt sei. Entscheidend ist hierbei die Frage nach dem Wann des eschatologischen Wendepunkts, an welchem die Zeit der Fremdherrschaft endet. Interpretiert man die Gegenwart als Übergangsphase bis zur Zerstörung des römischen Reiches, so konnten entsprechende Spekulationen zur Motivation einer Revolte gegen den Kaiser dienen. Aus diesem Grund lässt Josephus Agrippa betonen, dass die Juden mit einem Krieg gegen die Römer etwas „Unzeitiges“ (ἄωρον) versuchen würden77. Das ist aber nicht so zu werten, dass eine solche Auflehnung für 75 BJ

2,405–406. Rajak, Frends, 132. 77 BJ 2,355; H. Lindner, Die Geschichtsauffassung, 22. 76 T.

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immer ausgeschlossen sei; darum sagt Agrippa mehrfach, dass „jetzt“ (νῦν) ein solches Unternehmen verfehlt sei78. Um die Verwurzelung dieser Vorstellung in der Apokalyptik zu verstehen, ist von Belang, dass wir die im Daniel-Buch enthaltene Vision von den vier Weltreichen relativ ausführlich in den Antiquitates wieder finden79. Offensichtlich wollte Josephus diese biblischen Geschichten im Rahmen seiner Nacherzählung der Geschichte seines Volkes nicht aussparen, was er leicht hätte tun können und liefert so nachträglich – aber nur für die Aufmerksamen – eine Verständnishilfe für sein Bellum. In Antiquitates 10, 206–207 berichtet er vom Traum des Nebukadnezzars und der Statue, die die Weltreiche symbolisiert. Das letzte Reich wird auch nach seiner Darstellung von einem gewaltigen Fels zerschmettert. Josephus lässt deutlich erkennen, auch wenn er dies nicht explizit erklärt, dass das letzte der vier Reiche das der Römer sein werde80. Wie aber werde diese endgültige Vernichtung der Römerherrschaft sich ereignen? Was diese Frage anbetrifft, so hüllt sich Josephus in Schweigen. Er schreibt nur beiläufig, Daniel habe über den Stein eine Deutung hinterlassen, und ermuntert den Leser das Buch des Propheten selbst zu lesen81. Auch gibt er an, dass er nur vergangene Ereignisse, aber nicht die Zukunft beschreibe, da dies der literarischen Gattung eines Geschichtswerkes entspreche. 5.1.6 Die Legitimität der kaiserlichen Herrschaft und ihrer Steuerforderungen bei Paulus und Josephus Sowohl Paulus als auch Josephus wollen also eine Geschichtsdeutung vermeiden, die darauf basiert, dass der von Gott bestimmte Zeitpunkt des Endes in der Gegenwart angebrochen und der Widerstand gegen die Römerherrschaft deshalb legitim sei. Darum konstatiert Paulus in Röm 13,1b, dass Gott „die bestehenden“ (αἱ δὲ οὖσαι) Gewalten eingesetzt habe und stellt so, ohne das römische Reich oder Nero direkt beim Namen zu nennen, die Legitimität der kaiserlichen Herrschaft heraus. Ja, er geht sogar so weit, jede Form der Auflehnung mit dem κρίμα Gottes zu bedrohen82. Ferner stimmen Paulus und Josephus darin überein, dass das Bezahlen von Steuern und Zöllen erforderlich sei. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als es im römischen Reich eine aktuelle Krisensituation gab, die mit dem Widerstand der Bevölkerung gegen die Steuerzahlungen einherging. In diesem Zusammenhang 78 BJ

2,355.358.367.370; vgl. dazu J. J. Price, Josephus, 193. 10,186–218; G. Vermes, Josephus, 149–166; P. Bilde, Josephus, 52–55; H.-M. Döpp, Die Deutung, 222–223; P. Spilsbury, Flavius Josephus, 15–17. 80 AJ 10,208–209; s. auch L. H. Feldman, Josephus, 66–67; St. Mason, Josephus, Daniel, 165–166. – Diese Auffassung ist in Europa bis ins 18. Jh. hinein gültig gewesen. 81 AJ 10,210. 82 Zu der eschatologischen Bedeutung dieser Wendung s. M. Gielen, Tradition, 444; P. Arzt, Bedrohtes Christsein, 121; s. auch 5.1.2. 79 AJ

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befürchtete Tacitus, der mit erheblichem Zeitabstand über das Reformedikt Neros berichtet, dass die Lage im Land außer Kontrolle geraten könne und „infolge neuer Drangsale in Hass umschlage“83. Es handelte sich dabei offenbar nicht nur um ein vorübergehendes Phänomen, sondern um eine ernsthafte Gefährdung der Anerkennung des Kaisers als legitimen Oberherrn. Daher ist es nur folgerichtig, dass Paulus seine Ausführungen ausdrücklich auf „jedermann“ bezieht (V. 1), was neben den Christen die Heiden und Juden einschließt. Besonders wichtig war ihm, klar zu machen, dass sich die christlichen Gemeinden nicht in diese politische Krise hineinziehen lassen, sondern die gegenwärtige römische Regierung als von Gott legitimiert anerkennen sollten. Kommen wir noch einmal auf Josephus zurück: Wir konnten feststellen, dass er sich in der von ihm formulierten Rede Agrippas II einer historisch veränderten Situation gegenübersah, denn in Judäa hatte sich die von Paulus vorausgesehene Krise, aus der er die Christen heraushalten wollte, ungefähr eine Dekade später bereits mit fatalen Konsequenzen zugespitzt, was zu der Niederlage des Ersten Jüdischen Krieges geführt hatte. Daher war es für Josephus nur konsequent, von Agrippa verkünden zu lassen, dass das Ende des Römerreiches ein Eingreifen Gottes in der Zukunft voraussetze und mithin, eine Umsetzung dieser Erwartung in seiner Epoche aber „unzeitgemäß“84 sei. Dieser Sicht hätte der Apostel sicherlich zugestimmt85. 5.1.7 Zum Vergleich zwischen Paulus und Josephus Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Sicht des Paulus und der des Josephus besteht nun aber in den Argumenten, mit denen beide begründen, warum die römische Herrschaft keineswegs ohne Gottes Willen entstanden sei und von ihm unterstützt werde. Josephus verweist auf die Größe des Imperiums und die vielen unterworfenen Völker. Paulus hingegen begründet seine Paränese (V. 5) nicht mit der Ausdehnung des römischen Reiches und seiner Machtentfaltung, sondern er verweist auf die Aufgaben, die die ἐξουσία erfüllt. Die Inhaber der Ämter unterscheiden zwischen Gut-Handelnden und Übeltätern und reagieren auf die Taten der Untergebenen (V. 3b). An dieser Stelle begegnet eine wichtige Voraussetzung paulinischen Denkens: Paulus versteht ἐξουσία nämlich – anders als Josephus – prinzipiell funktional86, denn sie differenziert zwischen Gut und Böse. Daher fürchten sich die Übeltäter 83 Tacitus, Annales 13,50 (Text und Übersetzung: Heller 620–621): novis acerbitatibus ad invidiam verterent. 84 BJ 2,355. 85 O. Cullmann, Der Staat, 43, formuliert: „dass es seinen Staat jetzt noch gibt, das ist gottgewollt. Noch dauert dieser Äon“. 86 U. Wilckens, Römer 13,1–7, 211.

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vor ihr und alle, die Gutes tun, erwarten Lob (V. 3b). Dieses Verständnis der Staatlichkeit als ordnender Macht, die ethisches Handeln ermöglicht und durch Sanktionen qualifiziert, wurzelt in hellenistisch-römischen Vorstellungen, wie sie z. B. im Aristeasbrief rezipiert sind87. Eine Belobigung der Untertanen war zudem gängige Praxis im römischen Reich, wovon zahlreiche Inschriften Zeugnis ablegen88. Die ἐξουσία nennt Paulus in diesem Sinne „Dienerin Gottes“89, deren Wirken das Gute bezweckt (V. 4), während das Schwert für ihn das ius gladii, d. h. die Strafgewalt der Magistrate, illustriert90. Weiterhin ist in Vers 3–5 vorausgesetzt, dass heidnische Beamte, die die jüdische Tora nicht kennen, ja vielleicht noch nie von ihr gehört haben, zu einer Grundunterscheidung zwischen richtig und falsch sowie zwischen gut und böse fähig sind. Dieselbe Ansicht spiegelt sich in Röm 2,14–15, wonach auch der Nichtchrist das Gute erkennt91. Eine pervertierte Staatsgewalt, die ihren Untertanen Unrecht und Gewalt antut, ist bei Paulus nicht im Blick. In seinen Augen scheint – Nero zum Trotz – der Apparat des römischen Staates zu funktionieren. Das mag verwundern und für weltfremde Frömmigkeit gelten, denn die Willkür römischer Behörden war Paulus sicher nicht unbekannt92. Festzuhalten ist, dass Paulus das römische Reich und seine Amtsträger als legitim und von Gott eingesetzt angesehen hat, auch wenn er eine wesentlich andere Begründung als Josephus dafür benutzt. Auf der Seite der Untergebenen sollte 87 S.

z. B. H. Schlier, Der Römerbrief, 388. z. B. kaiserliche Sendschreiben, findet sich gesammelt bei V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke, 78; J. Friedrich, W. Pöhlmann, P. Stuhlmacher, Zur historischen Situation, 135; H. Merklein, Sinn, 248–249. 89 U. Wilckens, Theologie, Bd. 1, 235–236. 90 W. Schrage, Die Motive, 224; H. Schlier, Der Römerbrief, 389–390; V. Zsifkovits, Der Staatsgedanke, 78; U. Wilckens, Römer 13,1–7, 218; J. Friedrich, W. Pöhlmann, P. Stuhlmacher, Zur historischen Situation, 140–142; R. H. Stein, The Argument, 335; R. J. Moo, The Epistle, 801. Die stoische Vorstellung einer ἔνδοξος δουλεία braucht man zur Erklärung nicht zu berücksichtigen, anders: St. Krauter, Studien, 210–213. Die von Krauter herangezogene Stelle aus Seneca, De clementia 1,8,1 (Text: Rosenbach 42), beruht lediglich auf einer Konjektur, auf die Krauter in einer Fußnote auch hinweist, ebd. 210. Der berühmte Ausspruch, den Aelian, Varia historia 2,20 (Text: Dilts 27) zitiert, stellt einen königlichen Rat gegen tyrannischen Machtmissbrauch dar. Für die Paulusinterpretation trägt dies nichts aus. 91 Vgl. auch Röm 1,32 und Phil 4,8; dazu G. Delling, Art. τάσσω κτλ., 30 und zusammenfassend J. D. G. Dunn, The Theology, 136–137. 92 Die ersten Christenverfolgungen waren Paulus sicherlich bekannt, so z. B. durch Nachrichten von Aquilla und Priscilla die Vertreibung der ersten Christen aus Rom auf Anordnung des Kaisers Claudius; s. W. Bauer, Jedermann, 264; L. T. Johnson, Reading Romans, 188; dazu kommen seine Andeutungen in 2 Kor 6,5; 11,25–31; gegen W. Schrage, Die Christen, 58–59. Paulus dürfte als römischer Bürger vom Rechtsschutz des Imperiums durchaus profitiert haben und hat dies sicherlich zu schätzen gewusst; so auch J. Gnilka, Paulus, 179. Man versucht im Blick auf die Willkür römischer Beamter die Deutung, dass er einer solchen Form der Regierung genau die Unterscheidung zwischen Richtigem und Falschem abgesprochen hätte und sie darum als nicht von Gott legitimiert ansehen würde. 88 Material,

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eine aktiv bejahende Haltung dieser Erkenntnis entsprechen, keineswegs aber nur ein ängstliches Buckeln und eine unterwürfige Einstellung aus Furcht vor Strafe. Als inneren Ort im Menschen für diese Einstellung steht „das Gewissen“ (V. 5b), das Paulus ausdrücklich erwähnt93. Im Gewissen ist die gehorsame Unterordnung der Christen und ihre Bereitschaft, Steuern zu zahlen, verankert, was Paulus zusätzlich hervorhebt, indem er das Stichwort ὑποτάσσεσθαι aus Vers 1 wieder aufgreift. Mit der Verwendung des συνείδησις-Begriffs bewegt sich der Apostel in der Gedankenwelt zeitgenössischer Popularphilosophie94. Aus einer inneren positiven Grundhaltung, die im Gewissen ihren Ort hat, ist nach Ansicht des Paulus das Steuerzahlen motiviert, wie das γάρ in Vers 6a unterstreicht, in dem die grundsätzliche Anerkennung der Regierung als von Gott gerechtfertigte und legitimierte Amtsgewalt sich nach außen manifestiert. 5.1.8 Das Aufgreifen des Zinsgroschenwortes bei Paulus Wir können noch eine Voraussetzung anfügen, wieso Paulus Jesu Weisung: „Gebt dem Kaiser, was des Kaiser ist und Gott, was Gottes ist“ nicht etwa zitiert, sondern in sehr eigenen Worten wiedergibt. Meiner Ansicht nach war ihm bewusst, dass Jesu Worte auf die Frage, ob das römische Weltreich von Gott im Moment eingesetzt sei oder nicht, keine Antwort gibt. Genau diese Perspektive, bezogen auf die Gegenwart, war aber nach Dan 2,21 der Kernpunkt der damaligen Auseinandersetzung. Wenn Gott Könige ein und zu gegebener Zeit auch wieder absetzt, so konnte man argumentieren, dann war dies mit dem römischen Kaiser und seinem Reich bereits geschehen, als Paulus seinen Brief verfasste. In einer solchen Übergangsperiode auf der Schwelle zum Reich Gottes sind dann Steuerleistungen an den Kaiser überflüssig und Widerstand durchaus erlaubt. Eine solche politisch sehr gefährliche Deutung der Gegenwart, zu der Jesus sich in seiner Antwort auf die Steuerfrage nicht äußert, wehrt Paulus ab und verweist die Christen auf ihr Gewissen  – auf dessen Grundlage gilt: „Darum nämlich zahlt ihr auch Steuern …“ (Röm 13,6a). Im Folgenden werden wir noch einen ganz anderen Kontrast ziehen können zu einem wohlbekannten jüdischen Autor, der einer Familie angehört, welche römische Steuern sogar verwaltet.

93 H. Schlier, Der Römerbrief, 391; J. Friedrich, W. Pöhlmann, P. Stuhlmacher, Zur historischen Situation, 164; R. J. Moo, The Epistle, 802. 94 Das Gewissen ist den Heiden zueigen (Röm 2,15) und legt ihnen sittliche Verantwortung auch ohne Kenntnis der Tora auf, dazu E. Lohse, Paulus, 233; ders., Die Berufung, 54–55. Der Begriff hat seine Wurzeln vor allem in der stoischen Popularphilosophie; vgl. Mauer, Art. σύνοιδα κτλ., 902–905; T. Engberg-Pedersen, Paul, 271–272.

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5.2 Eschatologische Hoffnungen und römische Herrschaft bei Philon 5.2.1 Philons Person und soziale Einbindung Auch Philon von Alexandria hat sich mit dem Thema, inwiefern Gott als Eigentümer der ganzen Welt aufzufassen sei, auseinandergesetzt95. Bei seinen Überlegungen ist er von seiner philosophischen Bildung geleitet. Er entwickelt dabei eine Theorie, die sich dafür eignet, unsere bisherigen Beobachtungen und Ergebnisse, die vor allem auf rabbinischen Quellen basieren, zu vertiefen. Dies dürfte aus einer Stelle wie der folgenden deutlich werden96: Und wenn auch Silber, Gold und andere Wertgegenstände in den Schatzkammern der Untertanen mehr dem Herrscher als den Besitzern gehören, so redet man doch von bedeutenderen königlichen Schatzkammern, an welche die bestellten Steuereinnehmer die Einkünfte aus dem Land abliefern. Wundere dich aber nicht, wenn auch Gott, dem Allvater, dem die Herrschaft über alle Dinge zusteht, ein besonderes Erbe zugeschrieben wird, und zwar die Schar der weisen Seelen.

Aus diesem Text ist abzulesen, dass es Philon darum geht, die besondere Nähe der Weisen zu Gott hervorzuheben, wobei er sie als seinen κλῆρος bezeichnet. Interessant ist nun, dass er dies mit dem Besitz eines irdischen Herrschers am Vermögen seiner Untertanen und deren Privatbesitz vergleicht. Hierbei konzentriert er sich – beeinflusst von seinem platonisch-philosophischen Denkhintergrund – ganz auf die Seelen der Weisen, während der aus Steuereinnahmen entstandene Staatsschatz von geringer Bedeutung ist. Alle irdischen und politischen Belange treten zugunsten einer Spiritualisierung in den Hintergrund und werden nur nebenbei ins Auge gefasst. Trotzdem schimmern sie noch durch, insbesondere wenn er konstatiert, dass aller privater Reichtum an Gold, Silber und anderen wertvollen Dingen „mehr den Herrschern als den Besitzern“ (τῶν ἡγουμένων μᾶλλον ἢ τῶν ἐχόντων) gehören. Philon formuliert hier nicht zufällig, dass Gott „Allherrscher“ (ὁ παντηγεμὼν θεός) ist und vergleicht ihn dadurch mit den weltlichen Königen. Durch seine vergeistigte Deutung auf die Seelen der Weisen enthebt Philon sich der Notwendigkeit, die Art des Besitzes der irdischen Herrscher und d. h. zu seiner Zeit der römischen Kaiser an den Wertgegenständen ihrer Untertanen genauer zu diskutieren und der Frage nachzugehen, wie dieser weltliche Besitz des Staates sich zu Gott als Herrn der gesamten Welt verhalte. Die Vorstellung, 95 Diesen Grundsatz vertritt er in All 3,33 (Text: Colson, Whitaker 322): θεοῦ γὰρ τὰ πάντα κτήματα; vgl. ferner De Deo, Z. 125 und den Kommentar v. F. Siegert, Philon, 127. 96 Plant 57–58 (Text: Colson, Whitaker 240–242, Übersetzung: Heinemann 164): καὶ μὴν ἄργυρός τε καὶ χρυσὸς καὶ ὅσα ἄλλα κειμήλια παρὰ τοῖς ἀρχομένοις θησαυροφυλακεῖται τῶν ἡγουμένων μᾶλλον ἢ τῶν ἐχόντων ἐστίν, ἀλλ᾽ ὅμως ἴδιοι τῶν βασιλέων θησαυροὶ λέγονται, ἐν οἷς οἱ ταχθέντες τῶν φόρων ἐκλογεῖς ἀπὸ τῆς χώρας προσόδους κατατίθενται. μηδὲν οὖν θαυμάσῃς, εἰ καὶ τοῦ πανηγεμόνος θεοῦ τὸ ἐφ᾽ ἅπασι κράτος εἰληχότος ἐξαίρετος κλῆρος εἶναι λέγεται ψυχῶν σοφῶν ὁ θίασος, … .

5.2 Eschatologische Hoffnungen und römische Herrschaft bei Philon

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dass der Gott des Universums der Eigentümer alles Goldes und Silbers sei, das der römische Kaiser von seinen Untertanen eintreiben lässt, wird von Philon wahrscheinlich bewusst vermieden. Ja, man kann sogar davon ausgehen, dass er über die eschatologischen Erwartungen und Vorstellungen, die unter den Juden in seiner Zeit umliefen, informiert war und genau wusste, dass es Kreise gab, die auf eine von Gott herbeigeführte Wende oder endzeitliche Revanche für erlittenes Unrecht hofften und von einer vollständigen Umkehrung der gegenwärtigen politischen Machtverhältnisse ausgingen, die eine Neuverteilung des Reichtums zu ihren Gunsten einschloss. Doch derartige Hoffnungen spart Philon in seinen Werken fast vollständig aus. Beispielsweise geht er an keiner Stelle auf den Messias ein97, jenen, von dem u. a. erwartet wurde, dass er den Römern die zusammengetragenen Schätze wieder abnehmen oder den früheren Besitzern zurückgeben werde. Philon lässt nur sehr vorsichtig Kritik an den von der römischen Regierung eingezogenen Steuern verlauten. Die deutliche Zurückhaltung Philons in dieser durchaus heiklen Frage und sein besonnenes Taktieren, zumal er die Unzulänglichkeiten des zeitgenössischen Steuersystems kannte und sich dazu auch explizit äußert, wird verstehbar, wenn man sich die soziale Stellung und gesellschaftliche Position seiner Familie vor Augen hält: Philon stammte aus einer angesehenen jüdischen Familie Alexandrias, die wohl schon von Caesar oder Augustus das römische Bürgerrecht ­verliehen bekommen hatte und die sich mit dem römischen Familiennamen „Julius“ schmücken durfte98. Insbesondere sein Bruder Alexander war eine bekannte Persönlichkeit im öffentlichen Leben. Josephus erklärt z. B. seinen Lesern, wer Philon ist, indem er ihn als den Bruder dieses Mannes einführt, der 97 Die oft messianisch verstandene Weissagung Bileams aus Num 24,7 wird von Philon zwar erwähnt, aber nicht auf endzeitliche Erwartungen gedeutet. Auch ihr kriegerischer Charakter wird von ihm wohl bewusst abgemildert. In VitMos 1,290 erwähnt er lediglich einen „Mann“, der aus Israel hervorgeht und „über viele Völker siegen“ (ἐπικρατήσει πολλῶν ἐθνῶν, Text: Colson 426) werde. Dabei bleibt aber offen, ob dieser Mann symbolisch auf das ganze Volk Israel bezogen werden soll. In einer später verfassten Parallelstelle in Praem 95 (Text: Colson 371) knüpft Philon bezeichnenderweise nicht an die Siegesschilderungen aus Praem 94 an, sondern hebt Gottes Eingreifen durch Wespenschwärme hervor (Praem 96, Text: Colson 371), die statt der Frommen kämpfen (vgl. Ex 23,28–30 bzw. Dtr 7,20). Die Frommen aber üben ihre Herrschaft ohne blutige Gewalt aus und regieren durch Tugenden wie „Würde, Strenge und Wohltun“ (Praem 97, Text: Colson 371). Einen messianischen Endkampf, in dem die Feinde überwunden und ausgeplündert würden, beschreibt Philon also wohl bewusst nicht, F. Dexinger, Ein messianisches Szenarium, 252; K. Schenck, A Brief Guide, 40; vgl. schon L. Treitel, Gesamte Theologie, 117. In Praem 95 (Text: Colson 371) wird von ihm nicht einmal eindeutig mitgeteilt, dass der vorhergesagte, kommende Mann ein Jude sein werde; vgl. die Diskussion bei H. A. Wolfson, Philo, Bd. 2, 414; P. Borgen, There shall come forth, 351–354; R. Barraclough, Philo’s Politics, 480–481; B. L. Mack, Wisdom, 33–35; ferner G. S. Oegema, Der Gesalbte, 116–118. 98 Möglicherweise spielten Alexanders Dienste für Antonia die Jüngere eine Rolle, s. M. Hadas-Lebel, Philon, 53. Zu der Familie Philons vgl. ferner K. G. Evans, Alexander, 578–580; 582–583; G. Schimanowski, Juden, 130–131.

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5. Die christliche Rezeption des Apophthegmas vom Zinsgroschen

damals offenbar weitaus bekannter war als Philon selbst99. Diesen Alexander charakterisiert Josephus mit den Worten, dass er unter den Einwohnern Alexandrias „nach Herkunft und Reichtum an der Spitze stand“100. Deshalb habe er dem späteren König Agrippa I 200 000 Drachmen geliehen, damit er drückende Schulden bezahlen konnte, um seine politischen Pläne in Rom zu verfolgen101. Wegen seines geschäftlichen Erfolgs erlangte Alexander wohl auch die Vertrauensstellung eines Vermögensverwalters102 der Antonia, die die jüngere Tochter des Marcus Antonius und der Octavia und Mutter des späteren Kaisers Claudius war103. Die wichtige Rolle Alexanders innerhalb der ägyptischen Provinzverwaltung deutet Josephus an, indem er ihn stets mit dem Amtstitel ἀλαβάρχης bezeichnet104, was höchstwahrscheinlich mit dem durch Papyri und Inschriften bezeugten Amt des ἀραβάρχης gleichzusetzen ist105. Diese Arabarchen waren in der römischen Provinz Ägypten für die Erhebung von Zöllen an der Reichsgrenze östlich des Nils zuständig106, worüber uns eine Inschrift mit Zolltarifen aus dem Jahr 90 n. Chr. informiert. Man hat sie in der oberägyptischen Stadt Koptos, wo die Straße zu den Häfen am Roten Meer begann, gefunden. Aus dieser Inschrift ist zu entnehmen, dass untergeordnete lokale Zollinspektoren Gebühren im Zusammenhang mit dem Fernhandel über diese Straße nach Arabien und Indien erhoben107. Das dabei eingenommene Geld wurde wahrscheinlich für den Erhalt dieser Straße und die Bezahlung der sie bewachenden römischen Truppen verwendet108. Der außergewöhnliche Reichtum Alexanders hing möglicherweise mit internationalen Handelsgeschäften zusammen, die auf dieser Route getätigt wurden. Zumindest gilt dies für seinen Sohn Marcus, der 41 n. Chr. Berenike, die Tochter König Agrippas I heiratete, was nochmals die hohe soziale Stellung der Familie   99 AJ 18,259 (Text: Feldman 154): Ἀλεξάδρου τε τοῦ ἀλαβάρχου ἀδελφὸς ὤν; s. K. G. Evans, Alexander, 579. 100 AJ 20,100 (Text: Feldman 54): γένει τε καὶ πλούτῳ πρωτεύσαντος. Zu dieser Stelle s. K. G. Evans, Alexander, 581. 101  AJ 18,159. 102 Zu dieser Deutung s. K. G. Evans, Alexander, 580. 103 H. Stegmann, Art. Antonia minor, 800–801. Alexander wurde von Caligula ins Gefängnis geworfen, von Claudius aber wegen der freundschaftlichen Beziehung zu seiner Familie entlassen; AJ 19,276. 104 AJ 18,159; 259; 19,276; 20, 100; vgl. auch BJ 5,205. 105 Es liegt lediglich eine phonetische Variante desselben Wortes vor, die Bedeutung aber ist dieselbe; vgl. die ausführliche Begründung bei J. Lesquier, L’armée, 422. 106 Es scheint dafür Außenstellen und auch ein Büro in Alexandria gegeben zu haben. Zeitweilig bekleideten auch mehrere Personen das Amt; einen Überblick über die (z. T. inschriftlich) bekannten Amtsinhaber gibt F. Burkhalter-Arce, Les fermiers, passim; vgl. ferner M. Sharp, Shearing Sheep, 233–234. 107 IGRR I 1183: τοὺς μισθωτὰς τοῦ ἐν Κόπτωι ὑποπείπτοντος τῇ Ἀραβαρχίᾳ …; vgl. dazu G. K. Young, Rome’s Eastern Trade, 48–50; sowie den Abdruck der Inschrift ebd. 48–49. 108 G. K. Young, Rome’s Eastern Trade, 50.

5.2 Eschatologische Hoffnungen und römische Herrschaft bei Philon

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Philons unterstreicht109. Marcus war jedenfalls in diesem Geschäftszweig aktiv, wie uns diverse Transportquittungen in Form von Ostraka aus den Häfen Berenike und Myos-Hormos beweisen110. Man kann aufgrund der Nachrichten bei Josephus, die durch die Funde aus Ägypten in gewisser Weise bestätigt werden, also davon ausgehen, dass die Familie Philons eng mit der römischen Provinzverwaltung in Ägypten zusammenarbeitete und eine nicht unbedeutende Rolle als Zolleinnehmer spielte. Dies spiegelt sich auch darin, dass Philons Neffe Tiberius Julius Alexander als zweiter Sohn des Alabarchen eine glänzende politische Laufbahn einschlug, die ihn bis zum Rang eines Senators führte111 und ihm die Anerkennung Kaiser Vespasians eintrug. Er wirkte zunächst als Epistratege der Thebais in Oberägypten, wo sein Bruder Marcus seinen Geschäften nachging, und wurde im Jahr 46 n. Chr. Procurator Judäas112. Im Mai 66 n. Chr. stieg er zum Präfekten der Provinz Ägypten auf113, wo er die dort stationierten Legionen auf den neuen Kaiser Vespasian einschwor und damit dessen Erhebung auf den Thron forcierte114. Philons Neffe war wegen seiner Karriere sogar bereit, seine jüdische Lebensweise115 aufzugeben. 5.2.2 Philons Kritik an missständlicher Steuereinziehung Es ist also gut zu verstehen, dass Philon vor dem Hintergrund einer solchen Nähe seiner Familie zur römischen Administration, wenn er den Blick auf das Steuerthema richtet, eine gewisse Vorsicht walten lässt. Dennoch ist er keineswegs politisch gleichgültig und sieht nicht über die hohen Lasten, die die Steuerforderungen der Römer der einfachen Bevölkerung aufbürdeten, hinweg, 109 K. G.

Evans, Alexander, 583. Ostraka gehörten zum Archiv des Nikanor; s. CPJ II 419 a–d (Text: Tcherikover, Fuks 197–199). Zu ihnen sowie zu den Geschäftsbeziehungen des Marcus Julius Alexander; A. Fuks, Notes, 211; E. G. Turner, Tiberius, 59 sowie den Kommentar von V. A. Tcherikover und A. Fuks bei CPJ II 419. 111 Dass Tiberius Julius Alexander den Rang des Ritters der oberen Stufe hatte, bestätigt Tacitus, der ihn als minister bello im Jahr 63 n. Chr. im Stab des Heeres des Corbulo während dessen Feldzug gegen den Parther Vologaeses erwähnt und ihn als inlustris eques Romanus bezeichnet, Annales 15,28 (Text: Heller 732). Zu seiner Laufbahn s. zusammenfassend D. R. Schwartz, Philo, 10, 13–14. 112 AJ 20,100; BJ 2,220. 113 BJ 2,309; 492–498; dazu E. G. Turner, Tiberius, 59; G. Schimanowski, Juden, 126– 127; D. R. Schwartz, Philo, 14. 114 BJ 5,616–617. 115 AJ 20,101: πατρίοις … ἔθεσιν. Tiberius Julius Alexander musste lediglich die jüdische Lebensweise aufgeben, ein formales Bekenntnis zur römischen Götterwelt oder irgendein formaler Übertritt war nicht verlangt, s. M. Hadas-Lebel, Philon, 55; St. Etienne, Réflexion, 125. Die persönlichen Glaubensüberzeugungen des Tiberius Julius Alexander sind den Quellen nicht zu entnehmen, s. G. Schimanowski, Juden, 137; ders., Alexandrien, 323; ders., Die jüdische Integration, 132. Zudem fehlte eine normierte Vorstellung von Orthodoxie als Gegenüber zur Apostasie, wie Schimanowski betont. 110 Diese

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denn die üblen Konsequenzen und die grausamen Methoden, mit denen einige Steuereinnehmer die Abgaben erpressten, beschreibt er relativ ausführlich. Wir lesen hierüber in seiner Auslegung von Dtr 24,16 in De specialibus legibus, wo von dem speziellen Band der Liebe die Rede ist, das die einzelnen Mitglieder einer Familie zusammenhält. Als Beispiel führt Philon einen „jüngst zum Steuereinnehmer bestellten Mann“ an116, der wahrscheinlich ein Mitglied der örtlichen πράκτορες λαογραφίας der Provinz Ägypten war, dem als Aufgabe die Liturgie des Steuereinnehmers für die Kopfsteuer (von Philon hier als φόρος bezeichnet) oblag und der für alle Steuerausfälle mit seinem Privatvermögen haftbar gemacht werden konnte117. Diese Vorgänge spielten sich wohl auf dem Land außerhalb Alexandrias ab118. Dieser Mann musste sich bei der Ausübung seines Amtes dem verbreiteten Phänomen der Landflucht der armen Bevölkerungsgruppen stellen, die versuchten, sich ihrer Steuerpflicht zu entziehen, indem sie „fortzogen und sich dahin zerstreuten, wo sie erwarteten, unentdeckt zu bleiben“119. Dieses Verhalten der sog. ἀναχώρησις erklärt sich aus der wirtschaftlich schwierigen Lage der Landbevölkerung Ägyptens im 1. Jh. n. Chr., die viele Bauern bewegte, in den aufblühenden Städten ein leichteres Auskommen zu suchen und zugleich der Steuerlast zu entgehen120. Zahlreiche Papyri informieren uns über die Abwanderung in einigen Teilen der Provinz, wo sich die ländlichen Gebiete nach und nach entvölkerten und die Steuereinnehmer wegen des zurückgehenden Steueraufkommens ihre eigene Zahlungsunfähigkeit befürchteten. Beispielsweise appellierten irgendwann zwischen den Jahren 55 und 60 n. Chr. sechs πράκτορες λαογραφίας, die ihr Amt in sechs Dörfern des Fayum westlich des Nils versahen, an den Präfekten Balbillus und baten um Herabsetzung der vorher festgesetzten und von ihnen einzuziehenden Steuersummen für ihren Bezirk, denn die Einwohner dieser Dörfer121 116 SpecLeg 3,159 (Text: Colson 574, Übersetzung: Heinemann 232): πρώτην τις ἐκλογεὺς φόρων ταχθεὶς παρ᾽ ἡμῖν. Zu dieser Erzählung vgl. auch N. Lewis, Life, 161. 117  Dieses Amt wurde bis zur Regierungszeit Kaiser Trajans – wie seit vorrömischer Zeit üblich – versteigert. Die Praktoren hatten eventuelle Defizite der Steuereinnahmen aus eigenem Vermögen auszugleichen. Zudem wurde ihnen ein Verdienst durch zusätzlich erhobene Beträge staatlich verweigert, s. Sh. L. Wallace, Taxation, 290; A. Ch. Johnson, Roman Egypt, 492. 118 Dort macht auch die von Philon erwähnte Flucht aus κώμαις καὶ πόλεις Sinn, womit wahrscheinlich die dörflichen Siedlungen und Kleinstädte der Chora Ägyptens gemeint sein dürften. Die Vermutung von G. Schimanowski, Juden, 158 Anm. 58, dass es sich dabei um die Stadt Alexandria gehandelt hat, ist darum wohl abzulehnen. 119 SpecLeg 3,162 (Text: Colson 576, Übersetzung: Heinemann 233): … μετανισταμένων καὶ σκεδαννυμένων ἔνθα λήσεσθαι προσεδόκων. 120 s. O. W. Reinmuth, The Prefect, 69; G. Chalon, L‘ Édict, 66–67; N. Lewis, Life, 163; Sh. L. Wallace, Taxation, 291; M. Sharp, Shearing Sheep, 231. 121 P.Graux Nr. 2,  Z. 8–11 (Text: Bilabel, Sammelbuch, Bd. 4, 96 Nr. 7462): νυνεὶ κατήντη­ σαν εἰς ὀλίγους διὰ τὸ τοὺς μὲν ἀνακεχωρηκέναι ἀπόρους, τοὺς δὲ τετελευτηκέ[ναι] μὴ ἔχοντας ἀγχιστεῖς.

5.2 Eschatologische Hoffnungen und römische Herrschaft bei Philon

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wurden nun auf wenige reduziert, weil die einen verarmt wegzogen, die anderen ohne Verwandte gestorben sind.

Bei dem langsamen Prozess, der ländliche Gebiete veröden ließ und der in dem erwähnten Fall die sechs πράκτορες λαογραφίας in den Bankrott zu treiben drohte122, wurde aber oftmals ein großer Teil der Familie von denjenigen, die heimlich die Flucht ergriffen, im Dorf zurückgelassen. Diese Tatsache machte sich der Steuereinnehmer, von dem bei Philon die Rede ist, in besonders brutaler Weise zunutze, um den Aufenthaltsort aller Flüchtlinge zu erfahren, die „aus Armut im Rückstand waren“123. Philon schreibt hierzu, dass der Praktor zu radikalen Zwangsmaßnahmen griff, wobei „Frauen, Kinder, Eltern und alle übrigen Verwandten“ nicht geschont wurden, und er124 gab sie aber nicht eher frei, als bis er mit Folter‑ und Marterwerkzeugen ihre Körper gepeinigt und sie durch unerhörte Tötungsarten ums Leben gebracht hatte.

Des Weiteren schildert er, wie die Unglücklichen öffentlich am Pranger zur Schau gestellt wurden: Einen mit Sand gefüllten Korb befestigte er an Stricken, hing ihnen diese schwere Bürde auf den Nacken und stellte sie unter freiem Himmel auf offenem Markte hin125.

Dabei verschweigt er nicht, dass viele vorher Selbstmord begingen, weil ihnen „der Tod ohne Folterqualen als ein größeres Glück in ihrem Unglück erschien“126. Philons Kritik ähnelt wohl nicht zufällig der Beschreibung, die der Philosoph und Historiker Plutarch von der verzweifelten Lage vieler kleinasiatischer Gemeinden gibt127, die sich gegen die Römer mit dem König Mithridates V verbündeten und nach dessen Niederlage von Sulla mit der gewaltigen Kontribution von 20 000 Talenten bestraft wurden. Diese ungeheure Summe stürzte diese Provinzialen ins Unglück, weil sie ein Darlehn mit Wucherzinsen von bis zu 48 Prozent bei römischen Geldverleihern aufnehmen mussten, um den geforderten 122  S. L Wallace, Taxation, 291, stellt fest: „the spectre of bankruptcy as the result of failure must have frayed the nerves of many a collector“, denn der Staat ließ sich von ihnen bedenkenlos alle Ausfälle ersetzen. 123 SpecLeg 3,159 (Text: Colson 574, Übersetzung: Heinemann 232): τῶν δόξάντων ὀφεί­ λειν διὰ πενίαν. 124 SpecLeg 3,159 (Text: Colson 574–576, Übersetzung: Heinemann 232): γύναια τού­ των καὶ τέκνα καὶ γονεῖς καὶ τὴν ἄλλην γενεὰν ἀπαγαγὼν πρὸς βίαν (…) οὐ πρότερον ἀνῆκεν, ἢ βασάνοις καὶ στρέβλαις τὰ σώματα κατατείνων ἀποκτεῖναι κεκαινουργημέναις ἰδέαις θανάτου. 125 SpecLeg 3,160 (Text: Colson 576, Übersetzung: Heinemann 232): ἄμμου σπυρίδα πλήρη βρόχοις ἐκδησάμενος ἀνήρτα κατὰ τῶν αὐχένων, βαρύτατον ἄχθος, ἱστὰς ἐν ὑπαίθρῳ κατὰ μέσην ἀγοράν, …. 126 SpecLeg 3,161 (Text: Colson 576, Übersetzung: Heinemann 232–233): τῷ βίῳ προ­ απετάξαντο ξίφεσιν ἢ φαρμάκοις ἢ ἀγχόναις, μεγάλην ὡς ἐν κακοπραγίαις νομίζοντες ἐπιτυχίαν τὴν ἄνευ βασάνων τελευτήν. 127 Zu dieser Parallele s. W. Stenger, Gebt, 119.

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Tribut zu zahlen128. Den daraus resultierenden allgemeinen Ruin der zuvor Wohlhabenden beschreibt Plutarch mit bewegenden Worten129: Fesselung, Einkerkerung, Folterung, Stehenmüssen unter freiem Himmel, im Sommer in der heißen Sonne, im Winter im Schlamm und Eis, so dass ihnen der Sklavenstand wie eine Befreiung von schwerer Last und eine Zeit des Friedens erschien.

Diese Zustände hatten die römische Zentralgewalt in der Vergangenheit wiederholt zum Eingreifen veranlasst, worüber Philon wahrscheinlich informiert ist und worauf er wohl auch hofft, selbst wenn er dies nicht offen ausspricht. Wir wissen nämlich von Plutarch, dass der römische Staatsmann Lucullus im Jahr 70 v. Chr. infolge dieser Situation in Kleinasien eine radikale Begrenzung der Schuldzahlungen durchsetzte, und dass diese Maßnahme ein Präzedenzfall für die Zukunft war130. Eine solche Hoffnung, die sich auf eine von der römischen Verwaltung gesteuerte Veränderung zum Besseren richtet, klingt vielleicht auch darin an, dass Philon die einschneidenden Folgen der Steuerlasten für die Bevölkerung hervorhebt und von den verödeten Dörfern berichtet, deren Einwohner vor der Gewalt wegen der Steuerforderungen flohen. Zudem lässt er in diesem Kontext, wenn auch verhalten, Kritik am Gesetzgeber anklingen, der doch eigentlich „Maßstab und Richtschnur des Rechts“131 sein solle und verschweigt nicht, dass die Steuereintreiber mit ihren brutalen Methoden den „Geboten ihrer Herren“ (κελεύσαντες τοῖς μὲν προδόταις) folgend die Bevölkerung hemmungslos auspressten132. Bei alledem hütet sich Philon, den Kaiser oder das Regierungssystem, das Druck auf die lokalen Verantwortlichen ausübte, als eigentlichen Urheber der Auswüchse in den Provinzen zu benennen oder offen zu kritisieren. Stattdessen verweist er auf die zu seinen Lebzeiten schon antiquierte makedonische Gesetzgebung, nach der ein Verräter zusammen mit seinen Kindern hingerichtet wurde, was er dann entschieden ablehnt133. Einer expliziten Auseinandersetzung mit den Missständen im zeitgenössischen römischen Imperium geht Philon durch diesen historischen Rückgriff auf eine längst vergangene Epoche aus dem Weg und beschränkt sich darauf, örtliche Übergriffe und das grausame Verhalten von Vertretern der lokalen Administration anzuprangern, ohne die Führungsschicht des Reiches und die verantwortlichen römischen Politiker oder sogar den Kaiser direkt anzugreifen. 128 Gelzer, Art.

Licinius Lucullus, 380. Lucullus 20,2 (Text: Perrin 532, Übersetzung: Ziegler 63): σχοινισμοὶ καὶ κιγ­ κλίδες καὶ ἵπποι καὶ στάσεις ὕπαιθροι, καύματος μὲν ἐν ἡλίῳ, ψύχους δ᾽ εἰς πηλὸν ἐμβιβαζομένων ἢ πάγον, ὥστε τὴν δουλείαν σεισάχθειαν δοκεῖν εἶναι καὶ εἰρήνην. 130 Gelzer, Art. L. Licinius Lucullus, 394. 131 SpecLeg 3,164 (Text: Colson 578, Übersetzung: Heinemann 233): οἱ τῶν δικαίων ὅροι καὶ κανόνες. 132 SpecLeg 3,164 (Text: Colson 578, Übersetzung: Heinemann 233). 133 SpecLeg 3,164. 129 Plutarch,

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Seine unausgesprochen gebliebene Erwartung eines Eingreifens der Provinzverwaltung wegen der unhaltbaren Zustände, die Philon rhetorisch zugespitzt tadelt, ging dann in gewisser Weise in Erfüllung, als sein Neffe Tiberius Julius Alexander als Präfekt Ägyptens die Macht und die Einsicht hatte, die Unzulänglichkeiten im Steuersystem zu beheben bzw. durch Neuorganisation die ökonomische Prosperität des Landes zu verbessern. Man kann also sagen, dass das philonische Schrifttum insofern einen Sonderfall darstellt, als Philon zu einer Familie gehörte, die in der Lage war, auf die Verwaltung der Provinz und das Leben ihrer Bewohner direkt einzuwirken. Der gute Stand unserer Informationen lädt dazu ein, diese kleine Fallstudie noch durch einen Exkurs abzurunden. Sie zeigt anhand der Reformen des Tiberius Julius Alexander das konkrete Handeln einer politisch einflussreichen jüdischen Persönlichkeit, die gerade in der Steuerfrage aktiv eingriff. Dies geschah allerdings nicht in Judäa sondern in Ägypten. Die geschilderte Problematik lässt sich aber auch auf andere Provinzen des Reiches übertragen: Exkurs: Die Steuerreformen des Tiberius Julius Alexander Über die umfassenden Maßnahmen des Neffen Philons in dieser Sache sind wir durch eine lange Inschrift auf dem Pylon des Tempels von Hibis in der großen Oase El Khargeh134, die ein Edikt dieses Statthalters vom 6. Juli 68 n. Chr. öffentlich bekannt machte, informiert. Mit dieser Verordnung verfolgte Tiberius Julius Alexander das Ziel, fiskalische Missbräuche seiner Beamten abzustellen und zugleich den gerade zum Kaiser erhobenen Galba möglichst positiv einzuführen135 bzw. die immer wieder aufrührerischen Einwohner Alexandrias durch Reformversprechen ruhig zu halten136. Aus diesen Gründen beruft er sich auf die Eingaben von „Leuten, die hier hoch angesehen sind, und den Bauern des Landes“137, die ihn auf verschiedene Missstände aufmerksam machten. Diese Reihe gravierender Probleme werde er nun in Angriff nehmen. Dazu gehört z. B. die Unsitte, dass Beamte sich – wohl gegen Bezahlung – die Darlehnsforderungen von Privatleuten fiktiv übertragen ließen und als deren Strohmänner agierten, um die Schuldner rechtswidrig, als hätten sie nicht beglichene Schulden beim kaiserlichen Fiskus, inhaftieren zu lassen und zur Rückzahlung zu zwingen138. Ein anderer Fall ist das für die Steuerzahler nachteilhafte Verfahren, bei dem nicht der wirkliche Ertrag der Felder, der von der Höhe der jährlichen Nilüberschwemmung abhing, sondern ein willkürlich festgelegter Durchschnittswert des Wasserstandes des Nils zur Berechnungsgrundlage der jährlichen Abgaben gemacht

134 Stein, Art. Ti. Julius Alexander, 154. Die beste Edition des Textes findet sich bei G. Chalon, L’Édit, 27–34 (= OGIS 669; IGRR 1263). 135 U. Wilcken, Zu den Edikten, 132. Ti. Julius Alexander korrigierte damit die Praktiken seines Vorgängers, P. A. Brunt, The Administrators, 217. 136 O. W. Reinmuth, The Edict, 248; E. G. Turner, Tiberius, 66. 137 Text: Chalon, L’Édit, 66, Übersetzung: Freis 68: τῶν τε ἐνθάδε εὐσχημονεσάτων καὶ τῶν γεωργούντων τὴν χώραν. 138 Z. 15–18 (Text: Chalon, L’Édit, 28).

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wurde139. Tiberius Julius Alexander untersagt dieses Berechnungsverfahren und betont, dies alles geschehe, damit „die Bevölkerung wieder Mut fasse und mit Eifer Landbau betreibe“140. Dies zeigt, dass der Präfekt der oben beschriebenen Gefahr der Landflucht der Bauern entgegenwirken will. Am Ende seines Edikts verspricht er überdies, sich persönlich an Kaiser Galba zu wenden und ihn brieflich um die Annullierung bzw. Herabsetzung „zurückliegender Steuerrückstände“141 zu bitten. Solche Steuernachlässe waren im römischen Reich tatsächlich möglich und wurden von den Kaisern gewährt. Dies geschah z. B. bei besonderen Anlässen wie der Thronbesteigung Hadrians, als er vom Statthalter von Syrien zum Kaiser erhoben wurde und nach seinem Einzug in Rom im Jahr 118 n. Chr. auf die Bezahlung von Steuerschulden verzichtete. Hadrian hatte zuvor einige durchaus unpopuläre Entscheidungen gefällt, so z. B. die von seinem Vorgänger Trajan in Mesopotamien eroberten Gebiete aufgegeben, weshalb er darauf bedacht war, seine Beliebtheit in der Bevölkerung zu heben. Über diesen Erlass Hadrians berichtet Cassius Dio142: Nach seiner Ankunft in Rom erließ er die sowohl der kaiserlichen wir der staatlichen römischen Kasse geschuldeten Beträge und bestimmte einen Zeitraum von fünfzehn Jahren, von dessen erstem bis zum letzten Jahr dieser Nachlass Anwendung finden sollte. Mit solchen Steuerreduktionen verknüpfte sich dann oft auch die Aufforderung an landflüchtige Bauern, auf ihre Höfe zurückzukehren und die Produktion wieder aufzunehmen143. Tiberius Julius Alexander setzte möglicherweise darauf, Galba werde sich genauso wie sein späterer Nachfolger Hadrian am Beginn seiner Herrschaft großzügig zeigen und nicht darauf bestehen, die schon länger ausstehenden Schulden einzutreiben.

5.2.3 Heilserwartung bei Philon Kommen wir wieder auf Philon zurück: Man kann wohl davon ausgehen, dass Philon, als er seine Ausführungen zum Verhalten zeitgenössischer Steuerein139 Z. 55–59 (Text: Chalon, L’Édit, 32–33); vgl. dazu W. Schubart, Zum Edikt, 42; V. Burr, Tiberius, 46; G. Chalon, L’Édit, 222–233; vgl. ferner W. Müller, Zum Edikt, 291. 140 Z. 56–57 (Text: Chalon, L’Édit, 32–33, Übersetzung: Freis 72): Θαρσεῖν δὲ βούλομαι καὶ προθύμως γεωργεῖν τοὺς ἀνθρώπους …. 141 Z. 67 (Text: Chalon, L’Édit, 33, Übersetzung: Freis 73): ἀρχαιοτέρων ἐκθέσεων. 142 Cassius Dio 69, 8, 1 (Text: Cary 438, Übersetzung: Veh 230):᾽Ελθὼν γὰρ ἐς τὴν  Ῥώμην ἀφῆκε τὰ ὀφειλόμενα τῷ τε βασιλικῷ καὶ τῷ δημοσίῳ τῷ τῶν  Ῥωμαίων, ἑκκαιδεκαετῆ ὁρίσας χρόνον ἀφ᾽ οὖ τε καὶ μέχρις οὖ τηρηθήσεσθαι τοῦτ᾽ ἔμελλεν. Die Historia Augusta überliefert dieselbe Episode, und ihr Verfasser merkt ausdrücklich an, Hadrian habe die Schuldscheine auf dem Trajansforum öffentlich verbrennen lassen, „um sich beliebt zu machen“ (ad colligendam autem gratiam, Hadrian 8,6; Text: Magie 22, Übersetzung: Hohl 36). Der Kaiser wurde ferner auf einer Ehreninschrift auf dem Trajansforum vom Senat und vom Volk gefeiert, weil er als „erster und einziger aller principes“ (ILS 309, Text: Dessau 81: primus omnium principum et solus) Schulden in Höhe von 500 Millionen Sesterzen erlassen habe. Ein Relief zeigt außerdem Soldaten, die Stapel von Urkunden herbeischleppten, die wahrscheinlich verbrannt werden sollten, A. R. Birley, Hadrian, 31 sowie ebd. Abb. 12. 143 Das Material sammelt O. W. Reinmuth, The Prefect, 66–67 bzw. G. Chalon, L’Édit, 235.

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treiber niederschrieb, wusste, dass viele Juden kein Vertrauen auf solche Reformen setzten, wie sie sein Neffe als Statthalter später verwirklichen wollte und wie sie in der Tat lange Zeit auf sich warten ließen. Vielmehr hofften sie, eine Änderung werde durch Gottes Eingreifen zugunsten seines Volkes stattfinden, wobei sie mit dem Auftreten des messianischen Befreiers rechneten, der die Heiden, die das jüdische Volk unterdrückten, für ihr Handeln zur Rechenschaft ziehen werde. Im Hinblick auf diese politisch gefährlichen Glaubensinhalte ist für Philons Denken charakteristisch, dass er zwar durchaus auf das Thema einer künftigen Befreiung Israels eingeht – wenn auch, verglichen zum Ganzen seiner umfangreichen schriftstellerischen Produktion, eher randlich  –, aber deutlich Distanz wahrt zu Motiven wie z. B. einem militärischen Sieg über die Heiden oder einem Untergang der Römer, wie sie noch bis in die rabbinischen Quellen (besonders die Targumin) bezeugt sind. Auch ist ein kommender Messias – wie schon gesagt  – mit keinem Wort erwähnt, und die göttliche Intervention im Geschichtsverlauf zugunsten seines Volkes, vor allem zugunsten der in viele Länder zerstreuten Diaspora, ist von ihm vornehmlich als ein innerweltliches Geschehen aufgefasst. So jedenfalls erweist es sich in seinem einzigen Traktat mit eschatologischem Thema, nämlich De Praemiis et Poenis, dem Ende eines als Expositio Legis benannten Durchgangs durch den Pentateuch. Die biblische Textbasis, auf deren Hintergrund Philon seine Gedanken entwickelt und die von uns darum berücksichtigt werden müssen, sind die Segens‑ und Fluchsprüche in Lev 26,1–39 und Dtr 28,1–68. Sie liefern den Gesamtaufriss seiner Ausführungen sowie viele Details, wobei sich Philons Überlegungen zur Heilserwartung in erster Linie auf die Segenszusagen in Lev 26,3–13 bzw. Dtr 30,1–7 stützen. Schon zu Beginn der Darlegungen macht Philon die ganz auf eine moralische Verbesserung zielende Richtung seines Denkens deutlich, wenn er als Vorbedingung zu einer persönlichen Umkehr auffordert und ausführt, dass die Juden sich144 mit ganzer Seele bekehren, wenn sie sich Vorwürfe machen wegen ihres Irrwegs und ihre Sünden laut bekennen werden, zuerst bei sich selbst mit reinem Sinn vor ihrem wahrhaften und aufrichtigen Gewissen, aber auch mit dem Munde zum Zwecke der Besserung der sie Anhörenden.

Auf diese ethische Selbsterziehung kommt es Philon also an145, denn die innere Veränderung sowie ihr öffentliches Bekenntnis und schließlich die dadurch 144 Praem 163 (Text: Colson 416, Übersetzung: Cohn 423): ὅλῃ φυχῇ μεταβάλωσι, κακί­ σαντες μὲν αὑτοὺς τῆς πλάνης, ἐξαγορεύσαντες δὲ καὶ ὁμολογήσαντες ὅσα ἥμαρτον καθ᾽ αὑτοὺς διανοίᾳ κεκαθαρμένῃ τὸ πρῶτον εἰς τὸ τοῦ συνειδότος ἀψευδὲς καὶ ἀνύπουλον, ἔπειτα καὶ γλώττῃ πρὸς βελτίωσιν τῶν ἀκουόντων. 145 Er steht darin ganz in der Tradition des stoischen Ideals des Weisen; s. U. Fischer, Eschatologie, 196.

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5. Die christliche Rezeption des Apophthegmas vom Zinsgroschen

erreichte Überlegenheit werde dem jüdischen Volk helfen, seine Freiheit erneut zu erlangen. Durch diese Vorbedingung einer inneren Bekehrung der Juden zu einem tugendhaften Leben schließt Philon jede gewaltsame Befreiung oder gar eine kriegerische Auseinandersetzung aus146. Ferner ist bedeutsam, dass er den Blick ganz auf die in der Diaspora lebenden Juden richtet, die sich für ihn „kriegsgefangen weggeführt“ (αἰχμαλώτους)147 fern der Heimat aufhalten148. Diese Formulierung ist durchaus als historische Anspielung zu bewerten, denn Philon weiß und teilt auch an anderer Stelle mit, dass z. B. die zahlreichen in Rom wohnenden Juden einmal als kriegsgefangene Sklaven dorthin verschleppt worden waren, bevor man sie freiließ und sie sich vornehmlich im Stadtteil Trastevere ansiedeln konnten. Diese jüdischen Auslandsgemeinden, die zerstreut in fremde Länder leben müssen, werden nach Philon149 an einem Tage frei werden, weil ihre völlige Bekehrung zur Tugend ihren Herren Schrecken einjagen wird: Sie werden sie freilassen, weil sie sich schämen, über Bessere zu herrschen.

In diesen Worten findet sich Philons Erwartung einer moralischen Überlegenheit des jüdischen Volkes, die mit einer Selbsterkenntnis und dem schonungslosen Bekenntnis eigener Verfehlungen einhergeht. Diese Eigenschaften werden – so Philon – die heidnischen Oberherrn überwinden und sie beschämen, indem sie ihnen gleichsam einen Spiegel vorhalten. Mit keinem Wort macht er dabei Front gegen die paganen Machthaber oder deutet gar eine militärische Chance des Judentums an. Durch diese sicherlich gezielte Gewichtung legt er den Schwerpunkt auf den tugendhaften Lebenswandel, nicht aber auf Gewalt als Mittel der in der Diaspora lebenden Glaubensgenossen. Noch nicht einmal wird eine Unterstützung Gottes bei diesem Geschehen erwähnt. Stattdessen ist der nachhaltige Eindruck der inneren Umkehr auf die paganen Zeitgenossen das auslösende Moment des Befreiungsprozesses. Dieses Geschehen, das Philon sich zugleich als eine Heimkehr der Zerstreuten vorstellt, schildert er wie folgt150: Wenn sie aber die unerwartete Freiheit erlangt haben, werden die vorher in Hellas und im Barbarenlande, auf den Inseln und auf den Festländern Zerstreuten mit einem Male 146 U.

Fischer, Eschatologie, 201–202, 212. 164 (Text: Colson 416, Übersetzung: Cohn 424). 148 Zu dieser Vorstellung der Rückkehr aus der Gefangenschaft vgl. G. S. Oegema, Der Gesalbte, 118. 149 Praem 164 (Text: Colson 416, Übersetzung: Cohn 424): ὥσπερ ἀφ᾽ ἑνὸς συνθήματος ἡμέρᾳ μιᾷ πάντες ἐλευθερωθήσονται, τῆς ἀθρόας πρὸς ἀρετὴν μεταβολῆς κατάπληξιν ἐργασαμένης τοῖς δεσπόταις· μεθήσονται γὰρ αὐτοὺς αἰδεσθέντες κρειττόνων ἄρχειν. 150 Praem 165 (Text: Colson 416–418, Übersetzung: Cohn 424): ὅταν δὲ τύχωσι τῆς ἀπροσδοκήτου ταύτης ἐλευθερίας, οἱ πρὸ μικροῦ σποράδες ἐν Ἑλλάδι καὶ βαρβάρῳ κατὰ νήσους καὶ κατὰ ἠπείρους ἀναστάντες ὁρμῇ μιᾷ πρὸς ἕνα συντενοῦσιν ἀλλαχόθεν ἀλλοι τὸν ἀποδειχθέντα χῶρον ξεναγούμενοι πρός τινος θειοτέρας ἢ κατὰ φύσιν ἀνθρωπίνην ὄψεως, ἀδήλου μὲν ἑτέροις …. 147 Praem

5.2 Eschatologische Hoffnungen und römische Herrschaft bei Philon

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sich erheben und von allen Seiten nach einem ihnen angewiesenen Ort hineilen, geleitet von einer göttlichen, übermenschlichen Erscheinung, die für andere unsichtbar und nur für die Wiedergeretteten sichtbar ist.

Nur skizzenhaft deutet Philon den von göttlichen Zeichen und Wundern geleiteten Charakter dieses Vorgangs an, wenn er von einer „göttlichen übermenschlichen Erscheinung“ (πρός τινος θειοτέρας ἢ κατὰ φύσιν ἀνθρωπίνην ὄψεως)“151 schreibt und verzichtet, das Wesen der ὄψις genauer zu definieren. Zudem spricht er nur davon, dass die Juden sich an einem Ort versammeln werden, womit höchstwahrscheinlich das Heilige Land oder Jerusalem gemeint ist152. Selbst wenn für die Beschreibung dieser göttlichen Erscheinung möglicherweise die Feuersäule aus Ex 13,21 Pate stand153, so kommt kein einziges Mal der Gedanke einer national-jüdischen Erhebung vor. Was dem Volk bei diesem zweiten Exodus aus der Diaspora beisteht, sind keine militärischen Mittel oder zerstörerische Gewalt, sondern Gottes Güte, die moralische Besserung der Menschen sowie die Fürbitten der schon bei Gott weilenden Stammväter des jüdischen Volkes154. Man darf diese Ausführungen Philons keineswegs dahingehend deuten, dass er die Zukunftserwartung einer Heilszeit für sein Volk aufgibt. Den Gedanken, dass dies eine vollständige und plötzliche Umkehrung155 der bisherigen Lebensverhältnisse sein werde, hat er beibehalten. Zu den nationalen Erwartungen gehört auch für ihn ein neuer materieller Wohlstand in der alten Heimat156. So kündigt er an157: Nach ihrer Rückkehr aber werden die Städte, die eben noch in Trümmern lagen, wieder aufgebaut werden, die Wüste wird bevölkert werden und die unfruchtbar gewordene Erde wird zur früheren Fruchtbarkeit zurückkehren.

Doch ist mit dieser Schilderung des Heils, das den aus dem Ausland heimgekehrten Juden widerfahren wird, kein Reichtum gemeint, der das Eigentum paganer Völker als Geschenk oder Beute in jüdischen Besitz überführt; sondern Gott allein fügt es durch sein Einwirken, dass sich der Überfluss dieser Epoche 158  Praem 165 (Text: Colson 418, Übersetzung: Cohn 424). dieser Bewertung des Heiligen Landes bei Philon s. B. Schaller, Philon, 25. 153 F. Dexinger, Ein messianisches Szenarium, 253; P. Borgen, There shall come forth, 359. 154 Praem 166–167. 155 Philon benutzt dafür die Formulierung (Praem 169, Text: Colson 420): μεταβολὴ δὲ πάντων ἐξαπναίως ἔσται. 156 Vgl. dazu J. M. Scott, Philo, 567; R. Barraclough, Philo’s Politics, 480; Th. H. Tobin, Philo, 94–95; G. S. Oegema, Der Gesalbte, 120. 157 Praem 168 (Text: Colson 418, Übersetzung: Cohn 425): παραγενομένων δὲ πολισθήσον­ ται πάλιν αἱ ἐρείπιοι γενόμεναι πρὸ μικροῦ καὶ ἡ ἔρημος οἰκισθήσεται καὶ ἡ στειρωθεῖσα γῆ μεταβαλεῖ πρὸς εὐγονίαν. 158 Praem 168 (Text: Colson 420, Übersetzung in Anlehnung an: Cohn 425): καθάπερ ἀενάων πηγῶν τῶν τοῦ θεοῦ χαρίτων ῥέουσαι βαθὺν πλοῦτον ἰδίᾳ τε ἐκάστῳ καὶ πᾶσι κοινῇ; dazu Th. H. Tobin, Philo, 102–103; K. Schenck, A Brief Guide, 40. 151

152 Zu

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5. Die christliche Rezeption des Apophthegmas vom Zinsgroschen

aus unversiegbaren Quellen die Gnade Gottes ergießen und jedem Einzelnen wie allen insgesamt einen tiefen Strom von Reichtum bringen wird.

Jüdischen Rachephantasien wird also kein Raum gegeben, aber trotzdem der Auswirkung des Geschehens auf die nichtjüdische Umwelt stets Beachtung geschenkt. Philon geht davon aus, dass der nationale Aufschwung, der von ihm ganz innerweltlich und ohne irgendein traditionell-eschatologisches Moment gedacht ist, von den umwohnenden Heiden aufmerksam beobachtet werde. Darum betont er wohl nicht zufällig, dass an den von Gott seinem Volk geschenkten Reichtum „kein Neid herantritt“ (φθόνου κρείττονα)159. Mit dem Stichwort φθόνος schlägt er immerhin Töne an, die deutlich auf die politischen Kämpfe seiner eigenen Zeit Bezug nehmen. Denn Neid und Missgunst sind nach seiner Einschätzung insbesondere für das ägyptische Volk charakteristisch, und diese Eigenschaften haben die öffentlichen Angriffe gegen den jüdischen König Agrippa I und seine Verspottung durch den Pöbel in Alexandria verschuldet, was anschließend zu einer Revolte und brutalen Übergriffen gegen die dort ansässige jüdische Bevölkerung mit vielen Opfern führte160. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Philon diese dramatischen Ereignisse bei der Abfassung seiner Darlegungen vor Augen hatte, wie auch andere Anspielungen im weiteren Textverlauf nahelegen. Dadurch dass er φθόνος, d. h. die Quelle alles Unheils und der blutigen Ausschreitungen, die er selbst erlebt hatte, für die künftige Heilsperiode ausschließt, ist es nur konsequent, dass es sich für ihn erübrigt, Maßnahmen zum Schutz des von Gott geschenkten Wohlstandes der Juden ins Auge zu fassen. Diese Erwartung eines durchaus friedvollen Zusammenlebens aller Menschen bedeutet für den jüdischen Philosophen jedoch nicht, dass die Gegner seines Volkes ungestraft davonkommen. Gott selbst werde nämlich die Flüche, wie er aus Dtr 30,7 ableitet, gegen die „Feinde der Reumütigen“161 richten. Dann aber werden die paganen Verfolger der Juden den wahren Charakter des jüdischen Volkes erfahren162: Sie werden, wenn sie erst den Lohn für ihre Grausamkeit empfangen, dann schon erkennen, dass sie sich nicht gegen ein unansehnliches und verachtetes Volk vergangen haben, sondern gegen ein adliges.

159 Praem

168 (Text: Colson 420). 29. Philon betont an dieser Stelle, Neid sei Teil der Natur der Ägypter (Text: Colson 318): βάσκανον γὰρ φύσει τὸ Αἰγυπτιακόν; vgl. zu dieser Darstellung der Ägypter, K. Goudriaan, Ethnical Strategies, 82, 87; P. Borgen, Philo and the Jews, 129. Auch den Statthalter Flaccus habe man mit diesem Übel anzustecken versucht, ebd. 30. 161 Praem169 (Text: Colson 420): ἐπὶ τοὺς μετανενοηκότων ἐχθρούς. 162 Praem 171 (Text: Colson 420, Übersetzung in Anlehnung an: Cohn 425): οἱ δὲ γελάσαν­ τες τὰς ὀλοφύρσεις ἐκείνων καὶ δημοτελεῖς ἑορτὰς ἄγειν ψηφισάμενοι τὰς ἀποφράδας αὐτῶν καὶ τὰ πένθη κατευωχηθέντες. 160 Flacc

5.2 Eschatologische Hoffnungen und römische Herrschaft bei Philon

261

Philons Anspielungen auf die zeitgenössischen Unruhen in Alexandria sind in dieser Passage besonders deutlich fassbar. Außerdem sind diese Bemerkungen über die Verachtung der Juden hier wie in seinen anderen Schriften mit den Zusammenstößen in seiner Heimatstadt verbunden163. Wichtig ist jedoch, dass Philon die Bestrafung der Heiden Gott allein vorbehält und eine Rache der betroffenen Juden an ihren Unterdrückern ausschließt. Durch diese Interpretation bestimmter biblischer Texte lenkt er den Blick seiner Leser gezielt auf Gottes Initiative und nimmt zugleich implizit gegen die unter seinen Zeitgenossen kursierenden messianischen Hoffnungen Stellung. Außerdem steht ganz im Gegensatz zu seiner Sicht, dass paganer Besitz oder gar der Staatsschatz des Kaisers in die Hände der Juden fallen könne oder als Geschenk Jerusalem und sein Heiligtum schmücken werde. Wenn Philon von einer plötzlichen Umkehr und Verbesserung der Lage zugunsten seines Volkes spricht, so stellt er diese Wende immer in einer Weise dar, die klar macht, dass die anvisierte große Veränderung zum Guten keinesfalls mit Hilfe des Reichtums bzw. des Gold‑ und Silberbesitzes der heidnischen Völker geschehen wird. Das Land der Juden werde vielmehr allein durch Gottes wunderbares Wirken aufblühen und seine Bewohner in einem friedvollen Miteinander mit den nichtjüdischen Nachbarn leben, das nicht mehr durch Neid getrübt sein werde. Für unser Bild von der Person Philons ist sicher maßgebend, dass er als homo politicus sehr wohl um die Gefahr von Aufruhr und Unruhe wusste. Ein Aufbegehren gegen die kaiserliche Herrschaft kam für ihn persönlich schon wegen seiner sozialen Position nicht in Frage. Selbst wenn er über die Härte und die teils fatalen Konsequenzen des römischen Steuersystems für den ärmeren Teil der Bevölkerung genau informiert war, begründete dies für ihn höchstens eine vorsichtige Kritik an untergeordneten Amtsträgern, keinesfalls aber an der Rechtmäßigkeit der römischen Herrschaft. 5.2.4 Philon und das Gold Neben der Loyalität, die Philon dem Kaiser gegenüber empfunden haben dürfte, müssen wir in unsere Überlegungen mit einbeziehen, dass er Vorbehalte gegenüber dem Gedanken hegte, Gott könne dem von ihm erschaffenen Gold und Sil163 Der Statthalter Flaccus ließ es zu, dass König Agrippa öffentlich verspottet wurde, Flacc 40, und der Kaiser Caligula begegnete nach Philon den jüdischen Gesandten in Rom ohne den für die Angelegenheit angemessenen Ernst und mit einem höhnisch herablassenden Ton, LegGai 350–351 (Text: Colson 174); vgl. dazu H. A. Wolfson, Philo, Bd. 2, 411; U. Fischer, Eschatologie, 203; P. Borgen, There shall come forth, 359. Eine vergleichbare Ablehnung macht sich auch an anderen Stellen in der paganen Literatur bemerkbar. So äußert sich z. B. Tacitus voll Verachtung über die Juden und nennt sie ein „ekelerregendes Volk“ (taeterrimam gentem); Historiae 5,8,2 (Text und Übersetzung: Vretzka 614–615 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 2, Nr. 281, S. 21).

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5. Die christliche Rezeption des Apophthegmas vom Zinsgroschen

ber irgendeine Bedeutung beimessen oder es gar als sein Eigentum reklamieren. Um diese Sicht Philons zu verstehen, darf man nicht übersehen, dass er schon wegen seines von der paganen Philosophie geprägten Bildungshintergrundes Gold‑ und Silbergeschenken als materielle Zeichen äußerer Ehrerbietung gegenüber der Gottheit distanziert bzw. offen ablehnend gegenübersteht. Dies ist aus seiner Beschreibung des Jerusalemer Tempels ersichtlich, wo er auf die enorm kostspielige Ausstattung mit Gold und Silber z. B. in Form von Kultgegenständen zu sprechen kommt. Bekanntlich hat er wenigstens einmal in seinem Leben den Jerusalemer Tempel als Pilger besucht, um dort zu beten und zu opfern164. In seiner Schrift De specialibus Legibus schildert er die außergewöhnliche Pracht der Tempelanlage, die heidnische wie auch jüdische Besucher in ihren Bann schlug165: Die herrliche Ausstattung des Baus ist also weit sichtbar und erweckt das Staunen der Besucher.

Die Schönheit und Pracht beeindruckte – so Philo – vor allem seine heidnischen Zeitgenossen, wenn sie den jüdischen Tempel „mit den öffentlichen Gebäuden verglichen“166, womit er – wohl nicht ohne Stolz – auf die den Nichtjuden aus ihren Städten bekannten Heiligtümer und staatlichen Repräsentationsbauten anspielt, die von dem jüdischen Gegenstück deutlich in den Schatten gestellt wurden167. Über die Ausstattung des jüdischen Heiligtums mit wertvollen goldenen und silbernen Weihegaben war Philon ebenfalls bestens informiert, denn sein Bruder Alexander hatte nach Josephus die Tore des Tempels auf eigene Kosten mit „Silber‑ und Goldbeschlägen“ ganz und gar überziehen lassen168. Philon berichtet von diesen kostspieligen Geschenken seiner Familie mit keinem Wort169 und verhält sich in dieser Angelegenheit ganz anders als Josephus, der die Gold‑ und Silbergaben des Alexander mit Bewunderung erwähnt und die εὐσέβεια des 164 Prov. 2,64; vgl. dazu H.-J. Klauck, Die heilige Stadt, 129; K. Schenck, A Brief Guide, 36.

165 SpecLeg 1,73 (Text: Colson 142, Übersetzung: Heinemann 32): τὰ μὲν οὖν ἐν οἰκοδο­ μίαις ὑπερβολὰς ἔχοντα περίβλεπτά τ᾽ ἐστὶ καὶ θαυμάζεται πρὸς τῶν ὁρώντων καὶ μάλιστα τῶν ἐπιφοιτώντων ξένων. Philon schreibt auch, der in der Mitte des ganzen Areal liegende Tempel sei „über alle Beschreibung herrlich“ (παντὸς λόγου κρείττων); ebd. 1,72 (Text: Colson 140, Übersetzung: Heinemann 32). 166 SpecLeg 1,73 (Text: Colson 142, Übersetzung: Heinemann 32): συγκρίνοντες ταῖς οἰκιῶν δημοσίων. 167 Diese Ansicht wird von paganen Historikern bestätigt. Tacitus berichtet z. B. von einem „Tempel von unermesslichem Reichtum“ (Historiae 5,8,1; Text und Übersetzung: Vretzka 614–615 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 2, Nr. 281, S. 21: immensae opulentiae templum), und auch Cassius Dio bezeichnet den Tempelbau als „einen gar großen und ungemein prächtigen Tempel“ (37,17,3; Text: Cary 126–128, Übersetzung: Veh 67 = M. Stern, Greek and Latin Authors, Bd. 2, Nr. 406, S. 350: καὶ αὐτῷ νεών τε μέγιστον καὶ περικαλλέστατον … ἐξεποίησαν). 168 BJ 5,205: τὸν κόσμον πολυτελέστερον ἐπὶ δαψιλὲς πάχος ἀργύρου τε καὶ χρυσοῦ; dazu G. Schimanowski, Juden, 131. 169 Ebenso kann es sein, dass diese Gaben zeitlich später liegen.

5.2 Eschatologische Hoffnungen und römische Herrschaft bei Philon

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Alabarchen mit dem Verhalten von Philons Neffen Tiberius Julius Alexander, der seine jüdische Lebensweise aufgab, kontrastiert170. Man wird den Grund für Philons Schweigen wohl nicht nur in einer taktvollen Bescheidenheit zu suchen haben, sondern auch in seiner Rezeption griechischer Philosophie, nach der ein irdischer, von Menschen gemachter Tempel höchstens eine symbolische Bedeutung hatte. Wie stark Philon griechisches Denken verinnerlicht, zeigt sich, wenn er auf den goldenen Altar für Rauchopfer zu sprechen kommt, der im Inneren des Tempels gemäß Ex 30,1–10 aufgestellt war171: Er nutzt diese Stelle für einen Seitenhieb gegen die auf dem Brandopferaltar dargebrachten Opfertiere172, obwohl diese nach jüdischem Verständnis eine zentrales Element des Kults waren. Er selbst aber zog die Rauchopfer den blutigen Tieropfern vor und folgte darin seinen Vorbildern in der griechischen Philosophie. Seiner Einschätzung nach ist eine kleine Menge Weihrauch aus der Hand eines frommen Mannes besser als tausende Tiere, die ein Mensch darbringe, der nicht tugendhaft lebe173. Entsprechend dieser Maxime wird Philon nicht müde, seinen Lesern an verschiedenen Stellen den Grundgedanken nahezubringen, dass für Gott ein mit Gold und Silber verschwenderisch ausgeschmückter Tempelbau eigentlich völlig überflüssig sei, ja sogar dem Wesen der Gottheit widerspreche, denn es sei falsch, dass jemand, der174 andauernd Rinder opfert oder mit kostbaren Weihegeschenken das Heiligtum schmückt, indem er sowohl eine Fülle von Stoffen als auch alles Gold und Silber an Wert übertreffende Kunstwerke herbeibringt, zu den Frommen gerechnet werde.

Für Philon ist Gottes wahrer Tempel vielmehr in der Seele des Menschen zu suchen. Dort aber seien alle äußeren Formen der Ausstattung überflüssig175: Denn selbst wenn die ganze Erde sich verwandelte und plötzlich zu Gold oder noch kostbarerem als Gold würde und in der Kunst geschickter Meister zur Verwendung käme, die Säulenhallen, Torbögen, Säle, Tempelvorhöfe und Tempel bauten, könnte sie kein Schemel für die Füße sein; als würdige Behausung ist nur die Seele geeignet.  AJ 20,100. 1,272–275. S. dazu M. Haran, Temples, 241. Der in 1 Kön 7,48 erwähnte goldene Altar, der in Salomos Tempel stand (1 Kön 6,20–22), diente wohl ebenfalls dem Rauchopfer, J. Ouellette, Art. Incense, 754. 172 Vgl. N. Förster, Das gemeinschaftliche Gebet, 198ff; 210. 173 H. Wenschkewitz, Die Spiritualisierung, 141; U. Früchtel, Die kosmologischen Vorstellungen, 71–72. 174 Det 20 (Text: Colson, Whitaker 216, Übersetzung: Leisegang 282): καὶ βουθυτῶν οὐ παύεται ἢ πολυτελέσιν ἀναθήμασι κοσμεῖ τὸ ἱερὸν ἀφθόνους μὲν ὕλας τέχνας δὲ παντὸς ἀργύρου καὶ χρυσοῦ τιμιωτέρας εἱσάρων, μετ᾽ εὐσεβῶν ἀναγεγράφθω. 175 Cher 100 (Text: Colson, Whitaker 68, Übersetzung: Cohn 197): εἰ πᾶσα γῆ χρυσὸς ἤ τι χρυσοῦ τιμαλφέστερον μεταβαλοῦσα ἐξαίφνης γένοιτο κἄπειτα δημιουργῶν τέχναις στοὰς καὶ προπύλαια καὶ ἀνδρῶνας καὶ προτεμενίσματα καὶ νεὼς κατασκευαζόντων ἀναλωθείη, γένοιτ᾽ ἂν βάσις αὐτοῦ τοῖς ποσίν· ἀξιόχρεως μέντοι γε οἶκος ψυχὴ ἐπιτήδειος; vgl. N. Förster, Das gemeinschaftliche Gebet, 204. 170

171 SpecLeg

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5. Die christliche Rezeption des Apophthegmas vom Zinsgroschen

Die Distanz dieser Ablehnung aller Gold‑ und Silberweihegaben für den wahren Tempel könnte nicht größer sein zu den Endzeiterwartungen in den von uns behandelten alttestamentlichen und jüdischen Texten, die die Erwartung weitertragen, dass die Edelmetalle der Heiden den Juden übereignet werden und alles Erz und Eisen in Jerusalem damit vollständig ersetzt werde (Jes 60,17).

5.3 Die Zinsgroschenperikope im Thomasevangelium (NHC II 2, 49, 27–31) In dem Textfund von Nag Hammadi befindet sich eine vollständige koptische Übersetzung des Thomasevangeliums. Sie enthält eine bisher unbekannte Version der Zinsgroschenperikope, die in auffälliger Form von der synoptischen Überlieferung abweicht. Deshalb ist es für unsere Fragestellung lohnend, das Logion 100 in diesem außerkanonischen Evangelium zu erörtern. Es hilft uns, Licht auf das Nachwirken der Zinsgroschenfrage in der Zeit der frühen Kirche zu werfen. Darüber hinaus stellt es auf jeden Fall eine wertvolle Ergänzung unseres Wissens dar, das ja bis zur Auffindung der Nag Hammadi-Texte ausschließlich auf den synoptischen Evangelien (und dem Papyrus Egerton 2) basierte. 5.3.1 Synoptischer Vergleich Wie unsere Analyse gezeigt hat, zeichnet sich die synoptische Überlieferung bei allen Divergenzen im Detail durch eine relative Einheitlichkeit aus, insbesondere was das Apophthegma selbst betrifft. Dagegen bietet das Thomasevangelium in seinen einleitenden Worten, aber auch im Text des Jesuswortes deutliche Abweichungen176. Wir werden hier nicht versuchen, die umstrittene Frage nach der möglichen Abhängigkeit des Thomasevangeliums von den synoptischen Evangelien zu beantworten. Ziel dieses Abschnittes ist vielmehr aufzuzeigen, dass es sich bei der Zinsgroschenperikope im Thomasevangelium um 176 Leider gibt es bis heute noch keine Spezialstudie zur Zinsgroschenfrage im Thomasevangelium. Zu nennen sind lediglich einige wichtige Notizen, die sich in den kommentierenden Studien zum Thomasevangelium finden: R. Kasser, L’Évangile selon Thomas, 111; W. Schrage, Das Verhältnis, 189–192; J. Leipoldt, Das Evangelium, 73–74; J.-É. Ménard, L’Évanglie; M. Fieger, Das Thomasevangelium, 254–256; É. Gillabert, P. Bougeois, Y. Haas, Évangile, 250–251; R. Nordsieck, Das Thomas-Evangelium, 348–350. Auch die Aufsätze von J. D. Crossan, Mark 12:13–17, insbes. 400–401 und E. Cuvillier, Marc, insbes. 341–342, sind zu erwähnen, die die entsprechende Passage in ihre Erörterungen der synoptischen Version der Zinsgroschenperikope miteinbeziehen, ohne dem Thomasevangelium und seinen Besonderheiten das nötige Gewicht zukommen zu lassen. Darüber hinaus hat sich eine kontroverse Forschungsdiskussion über das Verhältnis des Thomasevangeliums zu den Synoptikern und die mögliche gegenseitige Abhängigkeit entwickelt, in der gelegentlich und eher am Rande auf das Log. 100 des Thomasevangeliums Bezug genommen wurde, ohne in diesem Zusammenhang eine gründliche Interpretation des Textes anzustreben.

5.3 Die Zinsgroschenperikope im Thomasevangelium (NHC II 2, 49, 27–31)

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eine spätere Weiterentwicklung und Adaptation des synoptischen Jesuswortes handelt, die diesem Jesuswort durch gezielte Streichungen und Zusätze einen gnostisch veränderten Sinn gibt. Der betreffende Text lautet177: Sie zeigten Jesus eine Goldmünze und sagten zu ihm: Die zum Kaiser gehören, fordern von uns Steuern. Er sagte zu ihnen: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. Gebt Gott, was Gottes ist. Und das, was mein ist, gebt mir.

Um die Veränderungen in diesem Textstück zu erklären, wollen wir zuerst die charakteristischen Erweiterungen und Auslassungen gegenüber der synoptischen Tradition herausarbeiten sowie die gegenseitige Abhängigkeit aufzeigen. In einem zweiten Schritt wollen wir uns dann dem besonderen Aussagegehalt des Jesuswortes im Thomasevangelium zuwenden, der keine Entsprechung im Text der Synoptiker hat. Hierfür werden die Notizen des Clemens von Alexandria in den Eclogae ex Scripturis propheticis sowie andere gnostische Quellen wie das sog. Evangelium der Eva hilfreich sein. Bei einem Vergleich der synoptischen Zinsgroschenperikope mit ihrer Parallele im Thomasevangelium lassen sich folgende Gemeinsamkeiten und Divergenzen feststellen: – Im Gegensatz zu den synoptischen Evangelien fehlen im Thomasevangelium die narrativen Elemente in der Einleitung des Jesuswortes, so dass die Rahmung kürzer178 und sehr einfach gestaltet ist. – Anders als bei den Synoptikern wird die Steuerfrage nicht von Gruppen wie den Pharisäern oder Herodianern gestellt (Mt 22,15–16a; Mk 12,13), die noch nicht einmal in einer Anspielung Erwähnung finden179. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Jesus mit seinen Worten auf die Initiative seiner Jünger reagiert, wenn man annimmt, dass sie ebenso wie im vorangehenden Logion (Log 99; NHC II 2, 49, 21–26) Dialogpartner Jesu sind und ihn auf die vom Kaiser verlangten Steuern ansprechen180. Infolgedessen entfällt die Einbettung des Logions in den Kontext eines Streitgesprächs. – Darüber hinaus wird Jesus im Thomasevangelium nicht die sachlich entscheidende Frage gestellt, ob er die Steuerzahlungen an den Kaiser befürworte oder nicht. Er wird gar nicht mit dieser Alternative konfrontiert, die für die übrige Überlieferung von tragender Bedeutung ist (Mt 22,17; Mk 12,14b; Lk 20,22; vgl. Papyrus Egerton 2). Somit scheidet die Möglichkeit der Steuerverweigerung im Text des Thomasevangeliums von vornherein aus, und Jesu 177 Der Text ist zugänglich bei K. Aland, Synopsis, 542: autsebe iß aunoub auw pejau naF je nethp akaisar sevite µmon NNvwm pejaF nau je T na kaisar Nkaisar T na pnoute µpnoute auw pete pwei pe matNnaeiF. 178 S. Arai, Caesar’s, God’s and Mine, 46. 179 R. McL. Wilson, Studies, 59. 180 G. M. Martin, Das Thomas-Evangelium, 286.

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Worte können keineswegs im Sinne einer Auflehnung gegen die römische Steuerpflicht verstanden werden, was einer Ablehnung des Kaisers gleichkäme. Das Thomasevangelium enthält keine Anspielung auf die politische Brisanz des Steuerzahlens. – Ebenso fehlt jede Andeutung, dass es sich bei den Fragestellern um Widersacher Jesu handelt, die etwa versuchten, Jesus mit Hilfe seiner Antwort auf die Frage nach der Legitimität der Steuerzahlungen eine politische Falle zu stellen. Wir finden im Thomasevangelium keine Spuren einer polemischen Auseinandersetzung Jesu mit Gegnern, worin er die Hinterhältigkeit ihrer Frage erkennt und ihnen wie in Mt 22,18; Mk 12,15; Lk 20,23 vorhält181. – Jesus stellt im Thomasevangelium an dieser Stelle auch keine Gegenfrage (Mt 22,19f; Mk 12,15f; Lk 20,24f). Gerade dies ist für unsere Fragestellung bedeutsam, denn die Dialogpartner werden nicht gezwungen, die für die Steuerzahlung verwendeten Münzen als kaiserliches Geld zu identifizieren (Mt 22,21; Mk 12,16b; Lk 20,24b)182. – Ein sehr weitreichender Unterschied zwischen der synoptischen Überlieferung und dem Logion im Thomasevangelium besteht darin, dass Jesus nicht dazu auffordert, einen Denar herbeizubringen. Vielmehr handeln seine Gesprächspartner auf eigene Initiative und legen eine Goldmünze vor. Auch der Konnex zu ihrer anschließenden Bemerkung, dass der Kaiser Steuern verlange, bleibt m. E. eigentümlich in der Schwebe und ohne jeden einsichtigen Zusammenhang zum Vorzeigen der Goldmünze. Die nachfolgende Aussage der Gesprächspartner Jesu über das Steuerzahlen wäre auch ohne den expliziten Hinweis auf die Goldmünze sinnvoll und verständlich. – Im nachfolgenden Text spielt dementsprechend die Münze, anders als in der synoptischen Fassung, keine Rolle mehr. Dennoch ist für die Interpretation der Steuerfrage im Thomasevangelium bedeutsam, dass es sich um eine Goldmünze handelt. Denn wie dargelegt, wurden die Personalsteuern von den Römern in der Zeit Jesu in Silberdenaren eingezogen, wie auch Mt 22,19 par Mk 12,15; Lk 20,24 vermerkt. Diese Verbindung ist im Thomasevangelium aufgelöst, und es gibt in diesem Sinn gar keine Zinsgroschenperikope mehr183. – Weiterhin wirkt der Übergang zwischen der Einleitung und dem Jesuswort im Thomasevangelium unmotiviert, denn Jesus wird lediglich mit dem zu allen Zeiten die Menschen beschäftigenden Problem konfrontiert, dass der Staat Steuern eintreiben lässt. Jesu Antwort ist entsprechend allgemein. – Doch auch in der Antwort Jesu weicht das Thomasevangelium ab: Der zweiteilig formulierten synoptischen Weisung ist ein dritter Teil angehängt, wonach es nötig sei, Jesus zu geben, was ihm gehört. 181 B.

Gärtner, The Theology, 33. Gärtner, The Theology, 33. 183 R. Nordsieck, Das Thomas-Evangelium, 350. 182 B.

5.3 Die Zinsgroschenperikope im Thomasevangelium (NHC II 2, 49, 27–31)

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Bereits dieser kurze Überblick lässt erkennen, dass es sich bei der Version des Thomasevangeliums um eine gegenüber den Synoptikern sekundäre Fassung handelt. Geht man von dem sekundären Charakter der Version des Thomasevangeliums aus, dann lässt sich unter dieser Voraussetzung auch die veränderte Antwort Jesu deuten. Neu ist der dritte Teil: „… und das, was mein ist, gebt mir“. Durch die dreigliedrige Form erhält das Logion insgesamt einen anderen Sinn, zumal die drei Teile weitgehend parallel gebildet sind und die dritte Forderung betont am Ende steht. Dadurch scheint Jesus bewusst Gott (dem Gott der Schöpfung im gnostischen Sinn) und auch dem Kaiser übergeordnet zu sein. Die Schlüsselfrage ist nun, was dasjenige sei, das Jesus als sein Eigenes erhalten will. 5.3.2 Die Erweiterung des Jesus-Logions im Thomasevangelium Hilfe bei der Lösung dieses Problems bietet eine Notiz des Clemens von Alexandria, die er am Ende seiner Excerpta ex Theodoto aus einer gnostischen Exegese der Zinsgroschenperikope aufgenommen hat und die – wie bereits besprochen184 – die biblische Perikope allegorisch auf die Geistbegabung bei der Taufe bezieht. Es dürfte sich um die Auslegung eines Valentinianers handeln, die Clemens in einer gnostischen Schrift vorgefunden hat185. Trotz dieser Verwurzelung in der nach Valentin sich nennenden Gnosis finden sich in dieser Deutung der Zinsgroschenperikope einige Berührungspunkte mit dem dritten Teil der Aussage Jesu im Logion 100 des Thomasevangeliums, die uns beim Verständnis des Zusatzes „und das, was mein ist, gebt mir“ helfen können. Wir greifen dazu noch etwas weiter aus: Dieses Exzerpt, das valentinianische Gedanken wiedergibt, wird durch eine weitere exegetische Bemerkung des Clemens gestützt und in gewisser Weise vertieft. Die entsprechende Stelle steht in seinen Eclogae ex Scripturis propheticis186: Als wir irdisch waren, waren wir des Kaisers. Kaiser aber ist der vorübergehende Herrscher, dessen irdisches Bild auch der alte Mensch ist, zu dem er zurücklief. Diesem also muss das Irdische gegeben werden, das „wir in dem irdischen Bild tragen“, und „das was Gottes ist, dem Gott“. Jede der Leidenschaften ist nämlich wie ein Buchstabe, ein 184 s. o.

4.1.4. O. Dibelius, Studien, 247. 186 Eclogae 24, 1–3 (Stählin, Früchtel, Treu 143, 12–19): Ὅτε χοϊκοὶ ἦμεν, Καίσαρος ἦμεν. Καῖσαρ δέ ἐστιν ὁ πρόσκαιρος ἄρχων, οὗ καὶ εἰκὼν ἡ χοϊκὴ ὁ παλαιὸς ἄνθρωςπος, εἰς ὃν ἐπα­ λινδρόμησεν. τούτῳ οὖν τὰ χοϊκὰ ἀποδοτέον, ἃ πεφορέκαμεν ἐν τῇ εἰκόνι τοῦ χοϊκοῦ , καῖ τὰ τοῦ θεοῦ τῷ θεῷ ἔκαστον γὰρ τῶν παθῶν ὥσπερ γράμμα καὶ χάραγμα ἡμῖν καὶ σημεῖον. ἄλλο χάραγμα νῦν ὁ κύριος ἡμῖν καὶ ἄλλα ὀνόματα καὶ γράμματα ἐνσημαίνεται, πίστιν ἀντὶ ἀπιστίας, καὶ τὰ ἑξῆς. οὕτως ἀπὸ τῶν ὑλικῶν ἐπὶ τὰ πνευματικὰ μεταγόμεθα φορέσαντε τὴν εἰκόνα τοῦ ἐπουρανίου; dazu F. M.-M. Sagnard, Clément d’Alexandrie, Extraits de Théodote, 211 Anm. 1. 185 Vgl.

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5. Die christliche Rezeption des Apophthegmas vom Zinsgroschen

Gepräge und ein Zeichen. Ein anderes Gepräge ist nun der Herr für uns, und andere Namen und Buchstaben werden eingeprägt, Glauben für Unglauben usw. So werden wir vom Hylischen zum Pneumatischen umgewandelt, nachdem „wir das Bild des Himmlischen tragen“.

Allem Anschein nach ist Clemens in seinen Überlegungen durch eine ähnliche gnostische Quelle angeregt worden, und vielleicht basieren seine Ausführungen sogar auf derselben valentinianischen Schrift, aus der die Auszüge in den Excerpta ex Theodoto stammen. Das wesentliche Moment seiner Exegese besteht darin, dass er den Kaiser ausdrücklich mit dem demiurgischen Weltschöpfer gleichsetzt, den er valentinianisch-gnostischer Terminologie folgend als „vorübergehenden Herrscher“ (ὁ πρόσκαιρος ἄρχων) tituliert187. Dem Demiurgen bzw. Kaiser setzt er das Wirken des Christus entgegen, der den Glauben verleiht und der wohl bei der Taufe den Christen ein χάραγμα aufprägt, womit u. a. neue Namen und Glaube statt Unglauben gemeint sind. Daraus resultiert nach Clemens bzw. seiner gnostischen Quelle eine entscheidende Veränderung, nämlich die Befreiung des Menschen aus der irdischen Sphäre, was Clemens als Übergang vom Bereich des Hylischen zur pneumatischen Welt beschreibt, wobei er Paulus zitiert (1 Kor 15,49). Die Gnostiker und ihnen folgend Clemens vermissten in dem synoptischen Jesuswort offensichtlich die Christusdimension und trugen den Bezug auf Christus mittels einer allegorischen Auslegung von Münzbild und ‑legende in den Text der Evangelien ein. Ähnlich verfuhr auch das Thomasevangelium. Dort ging man jedoch noch radikaler vor: Einerseits ist die Rahmenerzählung stark gestrafft, andererseits das zweigliedrige Logion der synoptischen Vorlage um einen dritten, Jesus betreffenden Teil ergänzt. Dessen Zweck ist nun so weit klar. Selbst wenn die angeführten Gedanken des Clemens deutlich vom System der valentinianischen Gnosis beeinflusst sind und eben darin ein grundsätzlicher Unterschied zum Thomasevangelium besteht, das ganz anderen Denkhintergründen verpflichtet ist und beispielsweise die Gestalt des Demiurgen an keiner Stelle expressis verbis erwähnt188, so sind doch aufschlussreiche Übereinstimmungen zwischen der gnostischen Interpretation der Zinsgroschenperikope bei Clemens 187 Zur Bezeichnung des Demiurgen als πρόσκαιρον vgl. auch den Valentinianer Herakleon, was die zeitliche Begrenzung seiner Macht anzeigt; Frgm. 40 (= Origenes, Commentarii in Johannem 13,60, 416, Text: Blanc 262, 3 bzw. W. Völker, Quellen, 80, 17); Der Demiurg ist also im Prinzip sterblich und keinesfalls unvergänglich, dazu W. Foerster, Von Valentin, 32; F. Sagnard, Clément d’Alexandrie, Extraits de Théodote, 211 Anm. 1; B. Gärtner, The Theology, 33; H. Strutwolf, Gnosis, 79; A. Wucherpfennig, Heracleon, 262. Herakleon wird übrigens von Clemens unmittelbar im Anschluss an die besprochene Passage der Eclogae ex Scripturis propheticis zitiert. 188 Die Deutung des Logions auf den Demiurgen wurde in der Gnosisforschung immer wieder bestritten, vgl. die Diskussion bei J. N. Sevenster, Geeft, 22–23 oder R. Nordsieck, Das Thomas‑Evangelium, 348. Wir hatten allerdings oben Anlass, hinter „Gott“ den Demiurgen zu vermuten.

5.3 Die Zinsgroschenperikope im Thomasevangelium (NHC II 2, 49, 27–31)

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bzw. dessen Quellen und dem Thomasevangelium nicht zu übersehen. Insbesondere ist die gemeinsame theologische Tendenz festzustellen, dass sowohl bei Clemens als auch im Thomasevangelium das Jesuslogion aller historischen Bezüge entkleidet ist und die erwähnte Goldmünze nicht in Bezug zur kaiserlichen Währung steht. Stattdessen ist die Zinsgroschenperikope christozentrisch auf das Erlösungswerk Jesu gedeutet. Diese Verschiebung der theologischen Aussageabsicht weg von der Steuerproblematik mit ihren politischen Implikationen zu einer auf den himmlischen Christus zentrierten Sicht gilt also sowohl für die Exegese des Clemens als auch für die Umformung des Textes in der Überlieferung des Thomasevangeliums. 5.3.3 Gnostische Parallelen zum erweiterten Jesus-Logion Freilich ist damit noch nicht die Frage beantwortet, was man denn „Jesus“ ebenso wie Gott und dem Kaiser geben müsse. Hilfreich ist m. E. ein Abschnitt in einem weiteren in Gnostikerkreisen189 verbreiteten Evangelium, dem sog. Evangelium der Eva, das heute nur noch durch Auszüge im Panarion des Epiphanius von Salamis bekannt ist. Auf diese Parallele zum Thomasevangelium hat bereits Wolfgang Schrage hingewiesen190. Er vertritt die These, dass in diesem apokryphen Evangelium eine spezifisch gnostische Erlösungsvorstellung transparent wird, die das Thomasevangelium beeinflusst haben könnte. Nach dem Evangelium der Eva besteht zwischen Erlöser und Erlösten eine wesenhafte Identität, bei der beide miteinander austauschbar werden. Diese besondere gnostische Mythologie kann jedoch im Rahmen dieser Untersuchung nicht näher erörtert werden, vielmehr werden nur einige Aspekte angesprochen, die für unsere Fragestellung Bedeutung haben. Dazu zählt vor allem, dass die Erlösung in einer Rückführung der in die Welt hinein verstreuten, geistigen Bestandteile in die ursprüngliche Einheit besteht191. Das ist aber nur möglich, wenn der Erlöser und die Erlösten gemeinsam diese Bestandteile sammeln und beide zusammenwirken. Dieser Prozess wird nach Epiphanius im Evangelium der Eva folgendermaßen beschrieben192: Ich bin du und du bist ich, und wo du auch bist, da bin ich und bin in allem gesät; und woher du auch willst, sammelst du mich, wenn du mich aber sammelst, sammelst du dich selbst. 189 Epiphanius gibt dieses Zitat im Kontext einer Darstellung libertinistischer Gnostiker wieder; vgl. zu dieser Gruppe, die nur von Epiphanius bezeugt ist und von ihm voll Abscheu beschrieben wird, L. Fendt, Gnostische Mysterien, 6–7; B. Layton, The Gnostic Scriptutes, 199–200. 190 W. Schrage, Das Verhältnis, 192. 191 Zur Interpretation dieser Stelle vgl. E. Puech, Gnostische Evangelien und verwandte Dokumente, in: E. Hennecke, Neutestamentliche Apokryphen, Bd. 1, 167. 192 Panarion 26, 3, 1 (Text: Holl 278, 11–13): ἐγὼ σὺ καὶ σὺ ἐγώ, καὶ ὅπου ἐὰν ᾖς, ἐγὼ ἐκεῖ εἰμι, καὶ ἐν ἅπασίν εἰμι ἐσπαρμένος. Καὶ ὅθεν ἐὰν θέλῃς, συλλέγεις με, ἐμὲ δὲ συλλέγων ἑαυτὸν συλλέγεις.

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5. Die christliche Rezeption des Apophthegmas vom Zinsgroschen

Diese gnostischen Spekulationen setzen voraus, dass die Erlösten, d. h. die Christen, um die Vereinigung mit dem Erlöser zu erreichen, dem Erlöser geben müssen, was ihm gehört und sozusagen ihr eigenes Selbst in ihm wieder finden. Diese Vorstellung ermöglicht uns, den Sinn des Zusatzes im Thomasevangelium „und das, was mein ist, gebt mir“ zu erhellen. Dem Thomasevangelium scheint es also darum zu gehen, die Dimension des Irdischen, zu der auch die Verpflichtung des Steuerzahlens an den Kaiser gehört, der die materielle Sphäre des Demiurgen verkörpert, hinter sich zu lassen. Selbst die wertvollen Goldmünzen werden in der Sphäre, der Jesus angehört, bedeutungslos und von dem, was Jesus gehört, transzendiert. Dass im Thomasevangelium genau diese gnostische Gedankenwelt zugrunde liegt, wird auch im Hinblick auf das Logion 108 evident. In diesem Logion ist in Übereinstimmung mit dem obigen Zitat des Epiphanius die Zusage Jesu zu lesen: „Wer von meinem Mund trinkt, wird wie ich werden, und ich selbst werde er werden“193. Um den Hintergrund des Einswerdens mit dem Erlöser weiter aufzuhellen, sei noch auf eine Passage in den Acta Johannis hingewiesen, auf die Wolfgang Schrage ebenfalls aufmerksam macht194. Dieser apokryphe Apostelroman, der Einflüsse gnostischen Gedankenguts aufweist195, wurde wahrscheinlich im 2. oder 3. Jh. n.Chr verfasst196. Es besteht also keine Abhängigkeit zum Thomasevangelium197. Trotzdem enthalten die Johannesakten für unsere Untersuchung aufschlussreiche Gedanken, die mit den in den Logien 100 und 108 des Thomasevangeliums verwandt erscheinen. Sie finden sich in einer Offenbarungsrede Jesu, die die geheime Bedeutung seines Kreuzigungstodes enthüllt. Darin heißt es: „Denn solange du dich noch nicht selbst mein Eigen nennst, bin ich nicht das, was ich bin“198. An dieser Stelle ist m. E. an die Übergabe des eigenen Selbst des Christen an Jesus gedacht, wodurch der Erlöste mit ihm eins wird. Die Johannesakten folgen also ähnlichen Gedankengängen wie das Thomasevangelium; zumindest kehrt das Motiv, dass Jesus sein Eigentum von den Christen erhält, wieder. Diese Parallele zu Jesu Aufforderung, ihm das Seine zu geben, belegt die Verwurzelung dieser Veränderung der Zinsgroschenperikope in gnostischen Erlösungsvorstellungen und bestätigt ihren sekundären Charakter. 193 Der Text ist zugänglich bei K. Aland, Synopsis, 544: peje Iß je petasw ebol HN tatapro Fnavwpe NtaHe anok Hw Tnavwpe entoF pe. Zu dieser Stelle s. auch N. Förster, Marcus, 109–110; ferner M. Fieger, Das Thomasevangelium, 268. 194 W. Schrage, Das Verhältnis, 192. 195 E. Junod, J.-D. Kaestli, Le dossier, 4335, 4337. 196 E. Junod, J.-D. Kaestli, Le dossier, 4337. 197 K. Schäferdiek, Johannesakten, in: E. Hennecke, Neutestamentliche Apokryphen, Bd. 2, 143. 198 Acta Iohannis 100 (Text: Junod, Kaestli 213, 8–9, Übersetzung: Schäferdiek 158): μέχρι γᾶρ μήπω ἴδιόν μου λέγεις ἑαυτο͂ν τοῦτο οὐκ εἰμι; ὃ ἤμην.

5.4 Die Steuerfrage in P.Egerton 2 (Frgm. 2 r) bzw. P.Köln 255

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5.4 Die Steuerfrage in P.Egerton 2 (Frgm. 2 r) bzw. P.Köln 255 Eine weitere wichtige Quelle für das Nachwirken der Zinsgroschenperikope in einem nichtgnostischen Milieu des ausgehenden 2. Jh. n. Chr. stellt das im P.Egerton 2 bzw. P.Köln 255 erhaltene Fragment eines außerkanonischen Evangeliums dar. Vier beidseitig beschriebene Papyrusblätter aus einem Codex überliefern uns – so lässt sich trotz des fragmentarischen Zustandes erkennen – Teile eines bis zu ihrer Auffindung in Ägypten unbekannten Evangeliums199. Die neu entdeckten Fragmente200 wurden 1935, ein Jahr nach ihrem Ankauf, zum ersten Mal veröffentlicht201 und nach einem Mäzen des British Museums P.Egerton 2 genannt202. Ein weiterer Teil derselben Handschrift, der später nach Köln gelangte, wurde 1987 zum ersten Mal editiert203. Dieser Kölner Papyrus enthält die unteren Zeilen des Fragments 1 von P.Egerton 2 und ergänzt diesen Text um etwa 5 Zeilen. Die englischen Erstherausgeber datierten die Papyrusblätter von P.Egerton 2 in die Zeit um 150 n. Chr.204, was damals großes Aufsehen hervorrief, galten diese Fragmente doch wegen dieser Datierung als eine der ältesten christlichen Papyrushandschriften205. Dieser Datierungsansatz wurde jedoch von Michael Gronewald in seiner Edition von P.Köln 255 revidiert, der die Fragmente in die Zeit um 200 n. Chr. einordnete. Diese spätere Datierung ist mittlerweile in der Forschung akzeptiert206. 5.4.1 Das Verhältnis von P.Egerton 2 bzw. P.Köln 255 zu den kanonischen Evangelien Für die Bewertung des in P.Egerton 2 bzw. P.Köln 255 enthaltenen, bis dahin unbekannten Evangeliums ist sein Verhältnis zu den kanonischen Evangelien entscheidend. Wie bereits in der Forschung bemerkt wurde207, finden sich in einer 199  H. I. Bell, The Gospel 62. Das Evangelium enthielt wahrscheinlich eine Erzählung des ganzen Ablaufs des Auftretens, der Verkündigung und Wundertaten Jesus, war also nicht wie die späteren apokryphen Kindheitsevangelien nur Ausschmückung eines Teils der Jesus-Geschichte. 200 Seine offizielle Bezeichnung war P.London Christ. 1. 201 H. I. Bell, T. C. Skeat, Unknown Gospel, 8–15 etc. 202 S. dazu M. Gronewald, Christliche Texte, 136; D. Lührmann, E. Schlarb, PEgerton 2, 142. 203 M. Gronewald, Christliche Texte, 136–137. 204 H. I. Bell, T. C. Skeat, Unknown Gospel, 5. 205 K. Erlemann, Papyrus, 12. 206 M. Gronewald, Christliche Texte, 137, beruft sich auf das vom Schreiber der Handschrift verwendete Apostroph zwischen zwei Konsonanten, was eher in das 3. Jh. passt, s. auch D. Lührmann, E. Schlarb, PEgerton 2,142 und T. Nicklas, The Unknown Gospel, 21. 207 Vgl. z. B. J. Behm, Bespr. v. H. I. Bell, T. C. Skeat, Fragments of an Unknown Gospel.

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5. Die christliche Rezeption des Apophthegmas vom Zinsgroschen

Art literarischen Pastiche208 Berührungspunkte mit allen vier Evangelien. Dabei mischt sich johanneischer Stoff mit Anklängen an die synoptischen Evangelien; in sprachlicher Hinsicht sind im Text beiderlei Einflüsse nachweisbar. Die u. a. von John Dominic Crossan und Helmut Köster ins Spiel gebrachte These209, der Papyrus sei als Zeugnis einer von der neutestamentlichen Überlieferung unabhängigen Schrift zu bewerten, die sogar eine Vorstufe der kanonischen Evangelien bewahrt, ist m. E. mehr als fraglich und eine vormarkinische Fassung der Zinsgroschenperikope ist in P.Egerton nicht fassbar210. Wahrscheinlicher ist, dass diese fragmentarischen Papyrusseiten einen Beleg „für die sehr freie und dem Wortlaut gegenüber keineswegs ängstliche Evangelienproduktion am Ende des ersten und Anfang des zweiten Jahrhunderts“211 darstellen, und dass wir im P.Egerton 2 bzw. P.Köln 255 „ein Beispiel für die Überschneidung schriftlicher und mündlicher Überlieferung vor uns“212 haben. Die durch Wortanklänge ausgezeichneten Nahtstellen zwischen den einzelnen aus den Synoptikern und dem Johannesevangelium übernommenen Textteilen weisen nämlich darauf hin, dass der Verfasser das ihm bekannte Material der kanonischen Evangelien gedächtnismäßig wiedergegeben und dabei neu kombiniert hat213. Obwohl die Evangelien also schon in schriftlicher Form vorlagen, bestand die übliche mündliche Form der Tradierung dennoch für eine gewisse Zeit weiter und wurde durch die kanonischen Evangelien mitbeeinflusst. Dazu kam diverses Sondergut, das mit den Vorlagen aus den kanonischen Evangelien verbunden wurde. Demzufolge hätten wir es bei P.Egerton 2 bzw. P.Köln 255 am ehesten mit einer nachträglichen Verschriftlichung mündlicher Traditionen zu tun, die in ihrem Inhalt von den kanonischen Evangelien abhängig ist, wobei das bekannte Überlieferungsgut allerdings inhaltlich neu akzentuiert wurde. Im Folgenden ist zu zeigen, dass der Autor des im P.Egerton 2 bzw. P.Köln 255 enthaltenen Evangeliums den eigentlichen Kern der Auseinandersetzung, wie 208 D. F.

Wright, Papyrus, 135. dieser These s. z. B. H. Köster, Überlieferung, 1490, wonach der Papyrus „eine den kanonischen Evangelien vorausgehende und ihnen analoge Abfassung schriftlicher Evangelien“ bezeuge, ja „einem Überlieferungsstadium angehört, dass älter ist als die kanonischen Evangelien“, ders., Einführung, 621 und J. D. Crossan, Four Other Gospels, 73: „Papayrus Egerton 2 displays no dependence upon the gospels of the New Testament“. Crossan datiert den Text sogar in die zweite Hälfte des 1. Jh. n. Chr., ders., Four Other Gospels, 74. 210 Vgl. die ausführliche Würdigung und Widerlegung bei F. Neirynck, The Apocryphal Gospels, insb. die Textanalyse, 756–759 und ders., Papyrus Egerton 2, 778–779 sowie K. Erlemann, Papyrus, 26–27, der vorsichtig die Lösung des Problems darin sieht, dass der Verfasser „Motive und Erzähleinheiten aus beiden Traditionskreisen“ verwendet habe, ebd. 26, sich aber den Theorien Kösters und Crossans nicht anschließt. 211 W. G. Kümmel, Bespr. v. H. I. Bell , T. S. Skeat, Fragments of an Unknown Gospel, 48. 212 J. Jeremias, W. Schneemelcher, Papyrus Egerton 2, 283; vgl. J. Jeremias, Unbekannte Jesusworte, 44; ferner J. Behm, Bespr. v. H. I. Bell, T. C. Skeat, Fragments, 615. 213 Für diese gedächtnismäßige Wiedergabe plädieren z. B. J. Jeremias, W. Schneemelcher, Papyrus Egerton 2, 83; vgl. überdies J. Jeremias, Unbekannte Jesusworte, 44. 209 Zu

5.4 Die Steuerfrage in P.Egerton 2 (Frgm. 2 r) bzw. P.Köln 255

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wir ihn für die Zeit Jesu bereits herausgearbeitet haben, nicht mehr verstanden hat und – soweit das der fragmentarische Text noch erkennen lässt – den Sinn fast in das Gegenteil verkehrte: Steuerzahlungen waren ihm offenbar zu einer unhinterfragten Selbstverständlichkeit geworden. Diese uns interessierende Passage, Fragment 2 r, im P.Egerton 2 lautet214: νόμενοι πρὸς αὐτὸν ἐξτικῶς ­ἐπείραζον αὐτὸν λ διδάσκαλε, Ἰη(σοῦ), οἴδαμεν ὅτι ἐλήλυθας. ἃ γὰρ ποιεῖς μα ὑπὲρ τος προφας πάντας. ἡμῖν· ἐξὸν τοῖς βα(σι)λεῦσναι τὰ ἀνκοντα τῇ ἀρχῇ; ἀπτοῖς ἢ μ ὁ δὲ Ἰη(σοῦς) εἰδὼς άνοιαν ῶν ἐμβριμ εἶπεν α· τί με καλεῖτματι ὑμδάσκαλον; μοντες ὃ έγω; καλῶς ᾽Ημῶν ἐπφ(ήτευ)σεν εἰπών· ὁ τος τοῖς εσιν αὐτ με· ἡ α αὐτῶχει ἀπ᾽ ἐάτη ἐντάλ